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German Pages 368 Year 2006
Schriften zum Internationalen Recht Band 165
Japanischer Brückenbauer zum deutschen Rechtskreis Festschrift für Koresuke Yamauchi zum 60. Geburtstag
Herausgegeben von
Heinrich Menkhaus und Fumihiko Sato
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
HEINRICH MENKHAUS / FUMIHIKO SATO (Hrsg.)
Japanischer Brückenbauer zum deutschen Rechtskreis
Schriften zum Internationalen Recht Band 165
Japanischer Brückenbauer zum deutschen Rechtskreis Festschrift für Koresuke Yamauchi zum 60. Geburtstag
Herausgegeben von
Heinrich Menkhaus und Fumihiko Sato
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-11987-8 978-3-428-11987-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Koresuke Yamauchi vollendet am 18. August 2006 sein 60. Lebensjahr. Dies ist in Japan ein wichtiges Datum. Es wird kanreki genannt. Der Begriff ist aus zwei Schriftzeichen zusammengesetzt, die man ziemlich wörtlich mit „Wiederkehr des Kalenders“ übersetzen kann. Der Kalender kennt nach der von Japan übernommenen chinesischen Tradition 60 Jahre. Diese Zeitspanne wird errechnet durch die fünf Elemente: Feuer, Wasser, Holz, Metall und Erde, die jeweils einen der von den zwölf Tierkreiszeichen: Ratte, Ochse, Tiger, Hase, Drache, Schlange, Pferd, Schaf, Affe, Hahn, Hund und Wildschwein gebildeten Jahreszyklus durchlaufen. (5 12 = 60). Das Datum kennzeichnet also den Beginn des „zweiten Lebens“. Grund genug, diesen Übergang mit einer Festschrift zu feiern, die das „erste Leben“ des Jubilars würdigt. Dieses war natürlich geprägt durch die japanische Rechtswissenschaft, vor allem auf den Gebieten Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung. Die Ausbildung des Jubilars erfolgte an der juristischen Fakultät der Universität Chūō in Tōkyō. Der deutsche Leser muss dazu wissen, dass es seit dem Ende des Pazifischen Krieges in der Juristenausbildung in Japan die universitären Studiengänge gibt, die im Zuge des Bologna-Prozesses in Deutschland zur Zeit diskutiert werden, nämlich der dreizügige Aufbau, der hintereinander den Bachelor-, den Master- und den Doktorstudiengang vorsieht. Da der Doktorkurs in Japan in aller Regel ohne Erwerb des Titels endet und ein Doktortitel sehr viel später, wenn überhaupt, vergeben wird, muss hier hervorgehoben werden, dass der Jubilar im Jahre 2002 mit einer Arbeit über „kokusai kōjohō no kenkyū – teishokuteki kōsatsu“ (Studien zum internationalen ordre public aus der Sicht des Kollisionsrechts) den 65. Doktortitel der Fakultät erhielt, die 1885 als englische Rechtsschule gegründet wurde. Der Bachelor-Studiengang Rechtswissenschaften kannte in Japan eine zweite Pflichtfremdsprache. Das war für den Jubilar die deutsche. So begann die Hinwendung zum deutschen Rechtskreis. Sie führte zu einem längeren Studienaufenthalt an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 1983 / 84, zum Abschluss eines sehr lebendigen Austauschvertrages zwischen den juristischen Fakultäten Münster und Chūō im Jahre 1989, der unlängst mit einer eigenen Festschrift in diesem Verlag gewürdigt wurde, der Einladung des deutschen Herausgebers dieser Festschrift von Münster zum Studium an die Chūō, zur Übersetzung vieler deutscher juristischer Werke ins Japanische, zur Publikation eigener Arbeiten zum japanischen Recht in der deutschen Sprache und zur Entsendung der Schüler nach Deutschland, wie etwa im Falle des japanischen Herausgebers dieser Festschrift.
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Vorwort
Dieser ständige Kontakt mit Deutschland rechtfertigt den Titel der Festschrift „Japanischer Brückenbauer zum deutschen Rechtskreis“. Bei Koresuke Yamauchi zu studieren war eine Freude und eine Herausforderung zugleich. Eine Freude insbesondere für den deutschen Herausgeber deshalb, weil er anfangs nicht die nötige Kenntnis der japanischen Sprache hatte, um den Lehrveranstaltungen ohne sprachliche (Nach-)Hilfe folgen zu können, aber auch deshalb, weil jemand als Gesprächspartner zur Verfügung stand, der mit dem deutschen Recht in vielen Bereichen vertraut war, was von Anfang an deutsch-japanische Rechtsvergleichung ermöglichte. Hinzu kam die außerordentlich intensive private Betreuung, die von der persönlichen Begrüßung am Flughafen, über die Einräumung eines Schreibtisches im eigenen kleinen universitären Arbeitszimmer des Jubilars, bis zur Führung zu Sehenswürdigkeiten Japans reichte, soweit es die knappe Zeit erlaubte. Der japanische Herausgeber möchte betonen, dass die Lehrveranstaltungen und Vorträge des Jubilars stets das wissenschaftliche Interesse der Studierenden reizte und immer neue Gesichtspunkte enthielt. Herausfordernd war das Studium bei ihm, weil er in Deutschland lange Zeit vernachlässigte, sich neuerdings aber einer gewissen Renaissance erfreuende „preußische Tugenden“ verkörpert. Dazu gehört die Verlässlichkeit bei Absprachen und die Korrektheit des Auftretens. Den Studierenden gegenüber ist er fordernd. Es kann passieren, dass man in den Lehrveranstaltungen plötzlich namentlich um Kommentierung aufgefordert wird oder der Jubilar einfach sein Mikrofon vor einem auf den Tisch platziert. Zu nennen ist weiter sein erschöpfender Tagesablauf, der jeden Tag so früh beginnt, dass schon vor der ersten Lehrveranstaltung am Morgen einige Stunden ungestörter Arbeit hinter ihm liegen. Diesen Rhythmus übertrug er natürlich auch auf Seminarveranstaltungen in den Gästehäusern der Universität, wo wir dann um drei Uhr aufstehen durften. Und, wohl der wichtigste Charakterzug, die Überzeugungen werden geradlinig verfolgt, was nicht nur Freunde schafft, in der Sache aber die überzeugendere Lösung darstellt. Der bilaterale juristische Austausch zwischen Japan und Deutschland ist nicht in beiden Richtungen gleichwertig. Wegen der Teilrezeption deutschen Rechts gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde lange Zeit von einer „Einbahnstraße“ in die deutsche Richtung gesprochen. In der letzten Zeit mehren sich aber die Indizien dafür, dass die japanischen Kollegen ihr Interesse am deutschen Rechtskreis verlieren. Ob das sog. „Jahr Deutschland in Japan“ von April 2005 bis März 2006 insoweit Abhilfe geschaffen hat, lässt sich noch nicht abschließend sagen. Auffällig war indes die große Zahl bilateraler juristischer Fachsymposien, die in dieser Phase in Japan durchgeführt wurden. Erste und noch zarte Keime auf deutscher Seite, die erst in den späten 1980er Jahren die universitäre Auseinandersetzung mit dem japanischen Recht angingen, drohen wieder erstickt zu werden, weil die Beschäftigung mit Japan in Zeiten knapper Kassen doch als zu exotisch betrachtet wird. Stattdessen beschäftigt man sich in Deutschland lieber mit Asien und umgekehrt in Japan mit Europa, ohne Rücksicht darauf, dass es asiatisch und europäisch als Sprachen nicht gibt, notgedrungen ein hoher Abstraktionsgrad erklommen werden
Vorwort
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muss und die einzelnen Rechtsordnungen der Staaten in diesen so nur geografisch definierten Gebieten recht unterschiedlich sind. In diesen Zeiten gilt es, ein gewisses Beharrungsvermögen zu zeigen. Vergegenwärtigen wir uns erneut die jeweilige wirtschaftliche Bedeutung der beiden Länder, ihre Stellung zueinander als Handelspartner, die Höhe der gegenseitigen Direktinvestitionen, die wechselseitige Anmeldung gewerblicher Schutzrechte, die historisch engen Bande, wie sie von vielen deutsch-japanischen und japanisch-deutschen Gesellschaften und diversen Fachvereinigungen fortgeknüpft werden. Die Festschrift ist ein Bekenntnis zu dem vom Jubilar beschrittenen Weg, eine Brücke zwischen Deutschland und Japan zu bauen, auf der weitere Generationen ihre eigene Rechtsordnung erklären können, um Verständnis zu werben, gleichzeitig aber auch um die kritische Auseinandersetzung anzuregen. Sie ist zugleich die Brücke, die den Austausch der jeweiligen nationalen Sichten gegenüber dem wachsenden transnationalen Recht ermöglicht. Die Herausgeber danken deshalb den Autoren für ihre Beiträge und dem Verlag für die Betreuung. Gemeinsam mit ihnen sagen sie dem Jubilar zum 60. Geburtstag herzliche Glückwünsche und wünschen alles Gute für das „zweite“ Leben. Heinrich Menkhaus
Fumihiko Sato
Philipps-Universität Marburg
Meijo Universität Nagoya
Inhaltsverzeichnis Heinz-Dieter Assmann und Christian Förster Gesellschaftsrechtsreform, Corporate Governance und Corporate Governance-Kodizes in Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rolf Birk Arbeitskollisionsrecht und Globalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Reinhard Bork Der Erfüllungszeitpunkt im bargeldlosen Zahlungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Gerard-René de Groot und Hildegard Schneider Die zunehmende Akzeptanz von Fällen mehrfacher Staatsangehörigkeit in WestEuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Heinrich Dörner Der Vorschlag für eine europäische Verordnung zum Internationalen Unterhalts- und Unterhaltsverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Werner F. Ebke Kapitalmarktinformationen, Abschlussprüfung und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Bernhard Großfeld Interkulturelle Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Dieter Henrich Ist unser Pflichtteilsrecht noch zeitgemäß? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Kazuko Jitsukawa Zum Prinzip der souveränen Immunität in Japan – Annahme der beschränkten Immunität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Peter Jung Der Zugang japanischer Kreditinstitute zum deutschen Markt für Bankdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Stefan Kadelbach Überstaatliches Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Karl Kreuzer Innovationen in der Haager Wertpapierkonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Heinrich Menkhaus Allgemeines Gesellschaftsrecht in Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
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Inhaltsverzeichnis
Midori Matsuka-Narazaki Zum anwendbaren Recht auf den gutgläubigen Erwerb eines gestohlenen Kraftfahrzeugs – Anmerkung zum Urteil des japanischen Obersten Gerichtshofs vom 29. Oktober 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Otto Sandrock Individueller Austausch und brains business – Die japanische und die deutsche Rechtswissenschaft im Lichte von Einzigartigkeit und Vielzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Fumihiko Satō Zum neuen Schiedsgesetz in Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Kunishige Sumida Mobbing im japanischen Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Hiroshi Taki Die Entstehung des Gewohnheitsrechts und die opinio juris: von Puchtas Lehre zu Génys Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Verzeichnis der Schriften von Koresuke Yamauchi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Verzeichnis der Schriften von Koresuke Yamauchi (japanisch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Verzeichnis der Tätigkeiten von Koresuke Yamauchi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Verzeichnis der Tätigkeiten von Koresuke Yamauchi (japanisch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
Gesellschaftsrechtsreform, Corporate Governance und Corporate Governance-Kodizes in Japan Von Heinz-Dieter Assmann und Christian Förster
I. Einführung Wie eine Pandemie schießen weltweit Corporate Governance-Kodizes (CGK) aus dem Boden. Teils stehen sie als Regelwerke mehr oder weniger privater Organisationen neben dem Gesellschaftsrecht der kapitalmarktoffenen Gesellschaftsformen, teils ergänzen sie das diesbezügliche Gesellschaftsrecht, teils sind sie Bestandteil der dem Kapitalmarktrecht in einem weiteren Sinne zuzurechnenden „listing requirements“ von Börsen. Zu den Wirten, durch die sich der CGK-Virus weltweit verbreitet, gehören die Corporate Governance-Empfehlungen verschiedener „Non-Governmental Organizations“ (NGO’s)1, die nationalen Corporate Governance-Kodizes einerseits initiieren und inspirieren, andererseits aber auch aufsaugen und adaptieren. Zu den Vehikeln, welche wiederum der Verbreitung nationaler und internationaler Corporate Governance-Kodizes dienten, ist vor allem der internationale und globale Wettbewerb der Unternehmen, der Finanzplätze und der Rechtsordnungen zu zählen. Dieser Wettbewerb und der Virus haben auch Japan erreicht: Seit mehr als fünfzehn Jahren ringt Japan um ein zeitgemäßes Gesellschaftsrecht und scheint es nunmehr – in einer Art japanisch-gesellschaftsrechtlichem „Big Bang“ – in der Reform vom Juli 2005, die überwiegend zum 1. April 2006 in Kraft treten soll, und der Schaffung einer Gesellschaftsrechtskodifikation in einem eigenständigen Gesellschaftsgesetz (Kaishahô) mit nahezu tausend Artikeln gefunden zu haben2. 1 Insbesondere die Revised Principles of Corporate Governance der OECD von 2004, http: //www.oecd.org/dataoecd/32/18/31557724.pdf. Die ursprüngliche Fassung der OECD-Principles vom Mai 1999 ist abgedruckt in: AG 1999, 340 ff.; zu diesen ausführlich Hommelhoff, Die OECD-Principles on Corporate Governance, ZGR 2001, 238; Berrar, Die Entwicklung der Corporate Governance in Deutschland im internationalen Vergleich, 2001, S. 78 ff. Zu weiteren Kodizes s.: Förster, Europäische Corporate Governance – Tatsächliche Konvergenz der neuen Kodizes?, ZIP 2006, 162; International Corporate Governance Network (ICGN), Revised Statement on Corporate Governance Principles, Juli 2005; Commonwealth Association for Corporate Governance, Principles for Corporate Governance in the Commonwealth of Nations, November 1999. Diese sowie weitere einschlägige Dokumente sind direkt bzw. indirekt (über entsprechende Links) abrufbar von der Website des European Corporate Governance Institute: http://www.ecgi.or /index.htm. 2 Siehe im Einzelnen unten III.2.c).
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Heinz-Dieter Assmann und Christian Förster
Über Corporate Governance wurde aber auch hier in der Sache schon weitaus länger nachgedacht, denn über eine Frage muss jede Rechtsordnung schon an der Wiege eines Gesellschaftsrechts, das sich mit publikums- und damit kapitalmarktoffenen Rechtsformen beschäftigt, entscheiden, und das ist diejenige, wie man sich die rechtlichen Regeln in Bezug auf die Leitung und Leitungskontrolle von Unternehmen vorstellt. Oder mit anderen Worten: Kein Publikumsgesellschaftsrecht ohne eine Entscheidung über die materiellen Regeln der Unternehmensführung und -kontrolle. Allerdings hat sich Japan diesbezüglich neu entschieden und die Wahl zwischen zwei verschiedenen Organstrukturen und damit auch zwischen zwei Corporate Governance-Strukturen eröffnet3. Geblieben ist jedoch das jenseits dieser Wahlmöglichkeit wirkende System weitgehend zwingenden Rechts. Auch hierin liegt eine Corporate Governance-Entscheidung, nämlich eine solche über den zweiten und eher systembezogenen Aspekt von Corporate Governance, der die Frage betrifft, wie sich das konkrete Corporate Governance-System eines Unternehmens herstellt und weiterentwickelt: Japan folgt hier offenbar dem klassischen Ansatz der Regelung von Unternehmensleitung und -kontrolle durch zwingendes Recht. Klassisch ist dieses Regelungsmodell4 in einem doppelten Sinne: Zum einen, weil es – freilich in japanisierter Ausprägung – das Ausgangsmodell des japanisches Rechts bildet, und zum anderen, weil es auch das Grundmodell der Herausbildung des Kapitalgesellschaftsrechts in Europa im Zuge der Industrialisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts darstellte. In seiner kontinentaleuropäisch-deutschen Ausrichtung, in der es am längsten (nämlich bis in die 1990er Jahre) überlebte, war dieses Modell der Corporate Governance dadurch geprägt, dass es keine eindeutige Ausrichtung an den Interessen der Anteilseigner kannte und in zwingendem Aktienrecht aufging. Zwar wurden die Anteilseigner stets als die wirtschaftlichen Eigentümer des Unternehmens angesehen, doch war das System der Unternehmensleitung und -kontrolle nicht ausschließlich auf die Wahrnehmung ihrer Interessen ausgerichtet. Namentlich im deutschen Aktienrecht, das die Grundlage der Rechtsangleichungsbemühungen des Gesellschaftsrechts in der EG bildete, spielte der Gläubigerschutz eine dominante Rolle. Nicht zu vernachlässigen, wenngleich in den einzelnen europäischen Staaten unterschiedlich ausgeprägt, ist auch der Staatseinfluss auf Unternehmen, durch welchen Gesellschaften struktur-, industrie- und wirtschaftpolitischen „öffentlichen Interessen“ unterworfen wurden. Arbeitnehmerinteressen am Unternehmen wurden zwar nirgends so stark wie im deutschen Aktienrecht – in Gestalt der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat – institutionalisiert, gehören jedoch europaweit zu den von der UnterSiehe dazu unten III.2.b). Zu den unterschiedlichen Regelungsmodellen des Gesellschaftsrechts und der Corporate Governance s. Assmann, Corporate Governance im Schnittfeld von Gesellschaftsrecht und Kapitalmarktrecht, FS Kümpel 2003, S. 1, 2 ff.; Wymeersch, Corporate Governance Regeln in ausgewählten Rechtssystemen, in: Hommelhoff / Hopt / v. Werder (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance, 2003, S. 87 ff. 3 4
Gesellschaftsrechtsreform in Japan
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nehmensleitung zu berücksichtigenden Interessen. Wenig verwunderlich hat die Anerkennung unterschiedlicher und inhomogener Interessen am Unternehmen nie zu einem eindeutigen Leitbild der Corporate Governance im kontinentaleuropäisch-deutschen Modell geführt, wie es für das US-amerikanische Regelungsmodell5 typisch ist. Wenn das kontinentaleuropäisch-deutsche Corporate Governance-Modell im Übrigen, neben seiner Ausrichtung an unterschiedlichen Interessen, mit dem zweigliedrigen Modell der Unternehmensleitung und -kontrolle verbunden wird, so lassen sich für dessen Herausbildung allein historische Gründe anführen, denen hier nicht näher nachzugehen ist. Ordnet man auch Japan in die Reihe der Länder, die diesem klassischen Regelungsansatz folgen, so muss es überraschen, dass sich nunmehr auch in Japan Corporate Governance-Kodizes gebildet haben6, wie sie eher in Rechtsordnungen entstehen, die ein weitgehend dispositives Gesellschaftsrecht mit einem (obschon auf publizitäts- und vertriebsbezogenen Vorschriften basierenden) zwingenden Kapitalmarktrecht verbinden. Die Kodizes allerdings haben weder direkte noch indirekte rechtliche Verbindlichkeit und erlangen eine solche auch nicht über börsliche Anerkennungsverfahren. Ihre Funktion und ihre mögliche zukünftige Bedeutung geben eher Rätsel auf. Unter der Fülle von Schlussfolgerungen, die hieraus gezogen werden können, erscheint am plausibelsten: Japan hat zwar das materielle Recht der Unternehmensleitung und -kontrolle geändert, und dies vor allem, indem es zwei verschiedene Leitungs- und Kontrollsysteme zur Wahl stellt, nicht aber das auf zwingendes Recht aufbauende System der Steuerung von Unternehmensverhalten. Für die Corporate Governance-Kodizes gibt es dementsprechend auch nur wenig Raum für die Verhaltensbeeinflussung nach innen und Signalgebung nach außen. Da sie zudem keinerlei „Compliance“-Mechanismen enthalten, dürfte ihre Anerkennung nur symbolischen Charakter haben. Wenn man in der weiten und schnellen Verbreitung von Corporate GovernanceKodizes die Verbreitung des CGK-Virus und damit einen pathologischen Vorgang sieht, und hierauf eine Beurteilung der Corporate Governance-Entwicklung in Japan gründet, so bedarf dieser Befund der Erläuterung und der Präzisierung.
II. Die Corporate Governance-Bewegung und die Funktion von Corporate Governance-Kodizes Die Keimzelle des Corporate Governance-Virus ist fraglos in den USA zu suchen. Dort entwickelte sich der Virus auf der Grundlage eines gesellschaftsrechtlichen Regelungsmodells von Publikumsgesellschaften, das weitgehend dispositives einzelstaatliches Gesellschaftsrecht mit bundesstaatlichem Kapitalmarktrecht kombiniert, dessen zwingender Charakter sich allein auf die konsequente Durch5 6
Zu diesem Regelungsmodell unten II. Siehe dazu unten III.3.
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setzung des vertriebsorientierten Publizitätsansatzes bezieht. In den USA allerdings wirkte der CGK-Virus weder als Ursache noch als Verstärker einer Krankheit, sondern war und ist Bestandteil des die Unternehmensleitung und -kontrolle betreffenden gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Autoimmunsystems. Hier ist die Ausbildung von Corporate Governance-Grundsätzen und Corporate Governance-Kodizes Bestandteil des aus dem Zusammenspiel von liberalem Gesellschaftsrecht und strengem Kapitalmarktrecht gebildeten Regelungssystems. Dabei erwachsen Corporate Governance-Kodizes aus dem Umstand, dass allein die Wahl des Gesellschaftsrechts eines bestimmten Einzelstaats, die wenigen überstaatlichen Regeln des Gesellschaftsrechts und die auf dem einzelstaatlichen Gesellschaftsrecht aufbauende Satzung der Gesellschaft keine Aussage über die tatsächliche praktizierte Corporate Governance erlaubt. Während etwa die auf weitgehend zwingendem Gesellschaftsrecht aufbauenden Unternehmen Deutschlands oder Japans die gesetzlich vorgeschriebene Corporate Governance allenfalls gut oder schlecht praktizieren können, stellt sich in Regelungssystemen wie dem der USA eher die Frage, wie jenseits grundlegender Vorgaben (in Gestalt etwa des eingleisigen Board-Systems) die konkrete Corporate Governance des jeweiligen Unternehmens überhaupt aussieht. Für Anleger ist diese Frage essentiell: Zwar lässt sich, ungeachtet der damit verbundenen Kosten, die jeweils gelebte Corporate Governance beobachten, doch ist das zukünftige Verhalten ungewiss. Anleger indes verlangen ein bestimmtes Maß an Verhaltensgewissheit und auch das Management hat, um Anleger für ein Investment in ihr Unternehmen gewinnen zu können, ein Interesse, diese Verhaltensgewissheit in einer ihrerseits verlässlichen Selbstbindung zu schaffen. Nicht umsonst verlangen die Regeln von Investmentfonds von deren Manager, nur in solche Unternehmen zu investieren, „which have a good corporate governance“. Standardisierte, der Kontrolle ihrer Einhaltung unterliegende und ihrerseits dem Wettbewerb um die interessengerechtere Ausgestaltung unterliegende (und auch Standards hervorbringende) Corporate Governance-Kodizes, denen sich Unternehmen unterwerfen können oder – etwa bei der Einführung an eine Börse – unterwerfen müssen, machen somit eine Verhaltensbindung ohne Gesetz und ohne Vertrag möglich. Nicht zwingend, aber ihrer US-amerikanischen Ontogenese nach schwer übersehbar, haben Corporate Governance-Kodizes darüber hinaus eine starke Ausrichtung an den Interessen der Anteilseigner. Dies und ihre Verhaltenssteuerung jenseits von Gesetz und Recht zusammen genommen, ist die Funktion von Corporate Governance-Kodizes durchaus derjenigen der Moral im Hinblick auf die Beeinflussung menschlichen Verhaltens vergleichbar. Ein kurzer Blick auf das US-amerikanische Corporate Governance-Modell mag diese Diagnose belegen: Im US-amerikanischen System beruht das Corporate Governance-System in erster Linie auf den Vorschriften der Securities Regulation, welche sich als „mandatory supplements“7 zu den ganz überwiegend dispositiven 7
Romano, The Genius of American Corporate Law, 1993, S. 112.
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Vorschriften des Gesellschaftsrechts begreifen lassen. Die Regelungsphilosophie des US-amerikanischen Systems ist die, dass die Anleger entscheiden sollen, wie die Corporate Governance eines Unternehmens aussehen soll, in das sie investieren. Dazu bedarf es nicht mehr als der wahrheitsgemäßen Offenlegung aller Umstände, die für die Beurteilung dieser Frage von Bedeutung sind. Einem Marktversagen bei der Bereitstellung solcher Informationen entgegenzuwirken ist Aufgabe der Securities Regulation: Durch zwingende und haftungsbewehrte Offenlegungspflichten sorgt sie dafür, dass das Publikum mit den für die Beurteilung der Risiken einer Anlage erforderlichen Informationen versorgt wird. Gesellschaftsrecht kann sich darauf beschränken, „standard contract terms for corporate governance“8 zur Verfügung zu stellen, von denen in jeder Weise abgewichen werden kann, welche die Billigung des Publikums findet. Zwingenden Gesellschaftsrechts bedarf es nur zur Unterbindung opportunistischen, durch Offenlegungspflichten nicht zu unterbindenden Verhaltens des Managements eines Unternehmens. Die historischen institutionellen Randbedingungen dieses Regelungssystems sind bekannt: Die Gesetzgebungskompetenz für das Gesellschaftsrecht liegt bei den Bundesstaaten. Um auf die im Börsenkrach von 1929 und der Großen Depression zutage getretenen Missstände zu reagieren, blieb ihr deshalb keine andere Wahl als auf die „interstate commerce clause“ der Verfassung zurückzugreifen und das Problem durch eine Regulierung des zwischenstaatlichen Angebots und Handels mit Wertpapieren in Gestalt des Erlasses des Securities Act (1933) und des Securities Exchange Act (1934) anzugehen. Der „Genius“9 des amerikanischen Corporate Governance-Systems mag damit zwar auf einer historischen Zufälligkeit beruhen, ist aber auch sachlich begründet: Wenn ein Unternehmen allein im Interesse der Anteilseigner zu führen und zu kontrollieren ist, stellt sich das Corporate Governance-Problem nur im Verhältnis zwischen Managern und Anteilseignern und in der Folge als ein Problem der „separation of ownership from control“10. Die theoretische Debatte hat dieses als „principal / agent“-Problem (kurz: „agency problem“)11 aufgegriffen und sieht im Wettbewerb bundesstaatlichen Gesellschaftsrechts als Wettbewerb von „standard contract terms for corporate governance“12 einen Mechanismus, der die beste Lösung des „agency problems“ zu Tage fördert. Die Securities Regulation stellt insoweit nur die für diesen Wettbewerb erforderlichen Rahmenbedingungen bereit. Romano (Fn. 7), S. 1. Romano (Fn. 7). Den Triumph des amerikanischen Corporate Governance-Modells feiern auch schon Hansmann/ Kraakman, The end of history for corporate law, in Gordon / Roe (Hrsg.), Convergence and Persistence in Corporate Govemance, 2004, 1 ff. 10 So die klassische Problemformulierung bei Berle / Means, The Modern Corporation and Private Property, 1932. 11 Siehe insbesondere Jensen / Meckling, Theory of the Firm, Managerial Behavior, Agency Cost and Ownership Structure, 5 Journal of Financial Economics (1976), 305; Fama / Jensen, Agency Problems and Residual Claims, 26 Journal of Law and Economics (1983), 327; dies., Separation of Ownership and Control, 26 Journal of Law and Economics (1983), 301. 12 Romano (Fn. 7), S. 1. 8 9
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In anderen Regelungssystemen als US-amerikanisch geprägten sind Corporate Governance-Kodizes ihrer Anlage nach eher Fremdkörper: Dass sich auch Länder, die – wie etwa Deutschland – über ein System weitgehend zwingenden Gesellschaftsrechts verfügen, auf die Herausbildung von Corporate Governance-Kodizes einlassen, hat mehrere Gründe: Zum einen beruht dies darauf, dass US-amerikanische (und unter diesen vor allem institutionelle) Investoren solche Kodizes auf Grund der Erfahrungen in ihrem eigenen Land erwarten und auch andere in- und ausländische Investoren ihr Investitionsverhalten mehr und mehr an demjenigen der US-amerikanischen institutionellen Investoren ausrichten. Man muss mitmachen im Spiel von „Des Kaisers neue Kleider“. Zum anderen kompensieren Corporate Governance-Kodizes die Defizite (namentlich die Inflexibilität) von Rechtsordnungen, die über kodifiziertes und weitgehend zwingendes Gesellschaftsrecht verfügen: sei es, dass sie die teils kognitiven teils rechtspolitischen Defizite nationaler Gesetzgebung zur Fortführung ihres Regelungsansatzes korrigieren, indem sie den Ausfall der Schaffung zwingenden Rechts durch paragesetzliche Corporate Governance-Regeln ersetzen, oder sei es, dass sie den Prozess der Anpassung von Systemen zwingenden Gesellschaftsrechts an Systeme mit flexiblerem Gesellschaftsrecht und kapitalmarktrechtlichen Kontrollmechanismen begleiten. Indikatoren für den erstgenannten Fall des Versagens des politischen Gesetzgebers sind auf politischer Ebene stark divergierende Regelungsinteressen und -vorstellungen und auf institutioneller Ebene Kodizes, die wie zwingendes Recht zustande kommen und wirken. Solche Züge weist das deutsche Rechtssystem und der deutsche Corporate Governance-Kodex auf. Dessen auf der Regelung in § 161 AktG basierender paragesetzlicher Charakter, der durch den von Großbritannien übernommenen „Comply or explain“-Mechanismus bemäntelt wird, ist allerdings auch als Instrument zu verstehen, das den Übergang Deutschlands von einem bislang rein bankendominierten zu einem stärker kapitalmarktgetriebenen System der Unternehmensfinanzierung und von einem System rein zwingenden Gesellschaftsrechts hin zu einem solchen aus flexiblerem und durch kapitalmarktrechtliche Kontrollmechanismen unterstützten Gesellschaftsrecht begleitet. Das Aufkommen von Corporate Governance-Kodizes in Systemen primär zwingenden Gesellschaftsrechts ist deshalb auch ein Zeichen der Konvergenz der „gesellschaftsrechtlichen“ und „kapitalmarktrechtlichen“ Regelungsmodelle der Unternehmensleitung und -kontrolle. Auch das japanische Gesellschaftsrecht alter und neuer Prägung ist – ungeachtet der nunmehr eröffneten Möglichkeit, zwischen einem ein- und zweigleisigen Board-System wählen zu können – nach wie vor eher dem Regelungstypus zuzuordnen, der zwingendes Gesellschaftsrechts in nur geringem Maße mit (kapitalmarktrechtlich verfassten) Steuerungs- und Kontrollimpulsen des Kapitalmarkts kombiniert. Das mag seinen Grund darin haben, dass sich auch das japanische Gesellschaftsrecht – ohne dies so deutlich wie das Deutsche in Gestalt der Mitbestimmung im Aufsichtsrat zum Ausdruck gebracht zu haben, nach wie vor gegen eine
Gesellschaftsrechtsreform in Japan
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interessenmonistische Ausrichtung von Unternehmen sperrt, wie sie dem US-amerikanischen Regelungsmodell eigen ist. Dabei spielen Corporate Governance-Kodizes im japanischen Corporate Governance-System offenbar noch eine weitaus geringere Rolle als in Deutschland. Diesen Hypothesen ist im Folgenden nachzugehen, wobei die dem japanischen Gesellschaftsrecht zu Grunde liegende Corporate Governance in ihrer Gesamtheit – d. h. als System aller Regeln, nach denen sich die Unternehmensleitung und -kontrolle richtet – zu betrachten ist. Hierzu ist zunächst die Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Nachkriegszeit zu verfolgen, innerhalb deren sich das japanische System der Corporate Governance (im Sinne des Regelungssystems der Unternehmensleitung und -kontrolle) herausbilden und bewähren muss (III.1.). Sodann ist auf die maßgeblichen Reformen des japanischen Gesellschaftsrechts einzugehen, die nach der Jahrtausendwende eingeleitet wurden und teilweise bereits erheblichen Einfluss auf die japanische Unternehmenskultur haben und in den kommenden Jahren noch haben werden (III.2.). Begleitend zu dem reformierten Gesellschaftsrecht sind auch in Japan Corporate Governance-Kodizes in Gestalt rechtlich unverbindlicher Regelwerke privater Organisationen entstanden, die das erklärte Ziel haben, die Grundsätze der Unternehmensführung und -kontrolle zu konkretisieren (III.3.).
III. Corporate Governance und Corporate Governance-Kodizes in Japan 1. Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen In der Nachkriegszeit war die japanische Unternehmenslandschaft durch stabile, der Geschäftsführung freundlich gesinnte Aktionäre gekennzeichnet, die weniger an kurzfristigen Gewinnen, als an dauerhafter Anteils-Kontrolle interessiert waren13. Nicht zuletzt wegen des historisch bedingten Interesses Japans an der Bereitstellung aller Bedarfs- und Produktionsgüter durch inländische Unternehmen und dem erst vor wenigen Jahren aufgehobenen Verbot für Holding-Gesellschaften entstand ein durch kleine, wechselseitige Beteiligungen geprägtes Unternehmensgeflecht. Eine besondere Funktion kam dabei der Unternehmensfinanzierung durch die „Hausbank“ zu, die im Gegenzug auch Direktoren in den Verwaltungsrat ent13 Hoshi, Japanese Corporate Govemance as a System, in: Hopt u. a. (Hrsg.): Comparative corporate governance: the state of the art and emerging research, 1998, S. 847, 860; Kanda, Notes an Corporate Governance in Japan, in: Hopt u. a. (Hrsg.), Comparative corporate governance: the state of the art and emerging research, 1998, S. 891 f.; ders., Trends in Japanese Corporate Governance, in: Hopt / Wymeersch (Hrsg.), Comparative Corporate Governance – Essays and Materials, 1997, S. 185, 188 ff.; Miwa, The Economics of Corporate Governance in Japan, in: Hopt u. a. (Hrsg.), Comparative corporate governance: the state of the art and emerging research, 1998, S. 877, 881; Poe / Shimizu / Simpson, Revising the Japanese Commercial Code, Stanford Journal of East Asian Affairs, 2002, Bd. 2, S. 71, 72.
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senden konnte14. Nicht zuletzt deshalb konnte sich auch kein Markt für Kapital und Führungskräfte bilden15, der die Unternehmensleitung äußeren Anreizen und externen Kontrollmechanismen hätte aussetzen können. Sieht man von der Notwendigkeit ab, im Wettbewerb der Warenmärkte bestehen zu müssen, war die Kontrolle der Unternehmensleitung deshalb im Wesentlichen einem System interner Kontrollen unterworfen. Bei diesen wiederum spielten nicht allein und nicht einmal in erster Linie die Interessen der Anteilseigner eine Rolle. Eine herausragende Bedeutung kam vielmehr auch den Interessen der Mitarbeiter des Unternehmens zu, die, begünstigt vom System einer langfristigen Beschäftigung mit nur geringer personeller Fluktuation, eine feste Bezugsgröße für „gute Unternehmensführung“ waren. Der Umstand, dass aus der Mitte der Beschäftigten üblicherweise auch der Großteil der Direktoren rekrutiert wurde, war nicht nur einer der Gründe dafür, dass sich die Unternehmen mehr an den Interessen der Beschäftigten als den Interessen der Aktionäre ausrichteten16, sondern trug auch zur Perpetuierung des seinerzeitigen Systems der Corporate Governance bei. Zu diesem gehörte schließlich, als externe Steuerungsquelle, auch die bisweilen deutliche staatliche Einflussnahme auf die Unternehmensleitung im Wege der „informellen Verwaltungslenkung“ (gyôsei shidô) und des Entsendens altgedienter Regierungskader in den Verwaltungsrat der Gesellschaften (amakudari)17. Interne und externe Steuerungs- und Kontrollmechanismen brachten damit keine materiell gegenläufigen Steuerungsimpulse zu Geltung, sondern bildeten komplementäre Elemente des Systems des japanischen Modells der Corporate Governance18. Das Platzen der „Bubble-Economy“ Anfang der 1990er Jahre indes konfrontierte das japanische Modell der Corporate Governance mit einer drastischen Änderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen19. Angesichts der Abwertung der Grundstückspreise und rapide fallender Aktienkurse20 sahen sich viele Unterneh14 Hoshi (Fn. 13), S. 860 f. Differenzierend Kanda, Notes (Fn. 13), S. 892, der zwar von einem starken Einfluss der Banken auf die Unternehmen ausgeht, an einer Kontrolle durch sie im Sinne eines „monitoring“ aber zweifelt; s. a. Kanda, Trends (Fn. 13), S. 191. 15 Vgl. Hoshi (Fn. 13), S. 865. 16 Kanda, Notes (Fn. 13), S. 892; Hoshi (Fn. 13), S. 861 f.; Itami, Revision of the Commercial Code and Reform of the Japanese Corporate Govemance, Japan Labor Review, Bd. 2, Nr. 1, 2005, S. 4, 7 f., im Internet unter http://www.jil.go.jp/english/documents/JLR05_itami. pdf. Miwa (Fn. 13), S. 881 f., misst den Beschäftigten eines Unternehmens die stärkste Kontroll-Funktion zu. 17 Vgl. Hoshi (Fn. 13), S. 862 f. 18 Vgl. Kanda, Notes (Fn. 13), S. 895; Milhaupt, A lost decade for Japanese Corporate Governance reform?: What’s changed, what hasn’t, and why, EIJS Working Paper 202, September 2004, S. 25, http://swopec.hhs.se/eijswp/papers/eijswp0202.pdf. 19 Zu den damit einhergehenden zunächst frustierten, und nun langsam gewandelten Erwartungen siehe Milhaupt (Fn. 18), S. 17. 20 Itami (Fn. 16), S. 5 f.
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men vor einem Scherbenhaufen. So auch die Banken, die bis heute mit dem Abbau ihrer angehäuften „faulen Kredite“ ohne ausreichenden Gegenwert kämpfen, infolgedessen ihre Beteiligungen in großem Umfang reduziert haben21 und dies weiterhin tun. Diese Entwicklung hatte erhebliche Auswirkungen auf die Unternehmen: Aufgrund der weit reichenden Verbindungen unter den Unternehmen führte der Zusammenbruch einzelner Gesellschaften dominoartig zum Zusammenbruch ganzer Unternehmensgruppen. Und anders als früher griff die japanische Regierung auch nicht mehr in jedem Fall ein, um namhafte Unternehmen vor dem Zusammenbruch zu schützen und Banken zur Bereitstellung der hierfür erforderlichen Mittel zu bewegen. Vor diesem Hintergrund kamen die Gesellschaften nicht umhin, sich zur Finanzierung der Anpassung an die neuen Verhältnisse und zur Umstrukturierung ihrer Unternehmen des Kapitalmarkts zu bedienen. Damit einher ging ein Konzentrations- und Rationalisierungsprozess: Ohne dass US-amerikanische Verhältnisse eingekehrt wären, ist es zwischenzeitlich auch zu einer großen Zahl von Unternehmensübernahmen gekommen22, in deren Gefolge sich die japanischen Gesellschaftsrechtler in einem bisher nicht gekannten Maße mit den Möglichkeiten der Zielgesellschaft zur Abwehr „feindlicher“ Übernahmeangebote auseinandersetzen. Mit dem schwindenden Einfluss der Banken als Unternehmensfinanziers und Unternehmenskontrolleure23 hat die Bedeutung der nicht dem Finanzsektor zugehörigen Aktionäre zugenommen, darunter auch solcher Investoren, die an einer eher kurzfristigen Erwirtschaftung von Gewinnen interessiert sind und im Hinblick auf die Realisierung dieser Erwartungen auch entsprechend selbstbewusst auftreten, was zunehmend die Ausübung stärkeren Drucks auf die Unternehmensleitung einschließt24. Großaktionäre, insbesondere institutionelle Anleger, bleiben allerdings – anders als in den USA und bereits auch in Europa – nach wie vor eher passiv, und auch die Bedeutung der Arbeitnehmer als einer Gruppe, an deren Interessen sich die Unternehmensleitung und -kontrolle ausrichten muss, ist nach wie vor nicht zu unterschätzen25. Um die Basis der Corporate Governance japanischer Unternehmen unter veränderten Vorzeichen aufrechterhalten zu können, sind nunmehr Substitute für weggefallene Bausteine notwendig26, wie sie neben einem erstarkenden Wettbewerb am Kapitalmarkt27 möglicherweise auch ein verändertes Gesellschaftsrecht und ergänzende Kodizes bieten können. Dieser Bedarf besteht gerade vor dem Hinter21 Itami (Fn. 16), S. 6 f.; vgl. Poe / Shimizu / Simpson (Fn. 13), S. 81 ff.; Hashimoto, Commercial Code Revisions: Promoting the Evolution of Japanese Companies, NRI (Nomura Research Institute) Paper Nr. 48, 1. Mai 2002, S. 2 f., im Internet unter http://www.nri.co.jp/ english/opinion/papers/2002/pdf/np200248.pdf. 22 Milhaupt (Fn. 18), S. 14 f.; vgl. Poe / Shimizu / Simpson (Fn. 13), S. 80 f. 23 Itami (Fn. 16), S. 10. 24 Vgl. Milhaupt (Fn. 18), S. 11 ff. 25 Milhaupt (Fn. 18), S. 18 ff. 26 Vgl. Milhaupt (Fn. 18), S. 25 f. 27 Kanda, Notes (Fn. 13), S. 894 f.
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grund verschiedener „Unternehmensskandale“ in der Vergangenheit, die auch in Japan nicht ausgeblieben sind28.
2. Neuere Reformen des Gesellschaftsrechts In den vergangenen fünfzehn Jahren hat eine Revision des Gesellschaftsrechts, und das heißt primär des japanischen Handelsgesetzbuchs, die andere gejagt29. Die jüngsten Reformen sind durch eine weitgehende Deregulierung und Flexibilisierung des einschlägigen Gesellschaftsrechts gekennzeichnet. Sie betreffen insbesondere die Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen. Damit einher gehen Versuche, die Mechanismen der Kontrolle der Unternehmensleitung zu stärken. Hier interessiert aber in erster Linie, inwieweit die jüngsten Reformen, vor dem Hintergrund veränderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen, auch die Corporate Governance der Unternehmen berühren. Vorauszuschicken ist, dass sich die in dieser Hinsicht weit reichendsten Regelungen ausschließlich auf große Aktiengesellschaften30 beziehen, die auch in Japan besondere wirtschaftliche Bedeutung besitzen. Für sie wurde 1974 ein eigenes „Rechnungsprüfungsgesetz“ erlassen, welches die meisten der für Großunternehmen einschlägigen Normen enthält und das 2006 im neuen Gesellschaftsrechtsgesetzbuch – dazu näher im Folgenden – aufgehen wird. Gemessen an den Zielen des Deutschen Corporate Governance Kodex wurde der japanische Gesetzgeber bereits im Zuge der Reformen des vergangenen Jahrhunderts – vor allem 1993 – in die gleiche Richtung aktiv: Die Rechte der Aktionäre wurden gestärkt, indem die anteilsmäßigen bzw. finanziellen Schwellen für Bucheinsichtsrechte und Aktionärsklagen gesenkt wurden, und die Kontrolle des Managements sollte durch einen eigens eingerichteten Prüferrat mit externen Mitgliedern (kansayakukai) verbessert werden31.
Vgl. Kanda, Notes (Fn. 13), S. 892. Siehe nur die tabellarische Übersicht bei Hashimoto (Fn. 21), S. 2. Zum Hintergrund der jüngsten Reformen vgl. Kanda, Understanding Recent Trends Regarding the Liability of Managers and Directors in Japanese Company Law, ZJapanR 17 (2004), 29, 32 f. 30 Dies sind in erster Linie Unternehmen mit einem Mindestgrundkapital von über 500 Millionen Yen (ca. € 3,6 Mio.) oder Bilanzverbindlichkeiten von über 20 Milliarden Yen (€ 144 Mio.). 31 Vgl. Kawamoto / Kishida / Morita / Kawaguchi, Gesellschaftsrecht in Japan, 2004, S. 45 f. Ein kurzer Abriss der gesellschaftsrechtlichen Reformen nach dem 2. Weltkrieg findet sich bei Tatsuta, Fundamental Issues of Corporate Governance in Japan, ZJapanR 17 (2004), 5, 9 ff.; ebenso bei Egashira, The Duties of Directors of Japan’s Publicly Held Corporations, with an Emphasis on Supervisory Issues, ZJapanR 17 (2004), 17, 18 ff. 28 29
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a) Erleichterte Finanzierung und verstärkte Kontrolle (2001) Im Jahr 2001 kulminierte der Reformeifer mit insgesamt fünf Änderungen des japanischen Gesellschaftsrechts. Während dadurch einerseits der Ausbau der Finanzierungsmöglichkeiten der Unternehmen vorangetrieben wurde, verbunden beispielsweise mit neuen Regelungen für Aktienoptionen32, blieb man auch im Hinblick auf Maßnahmen zur Verbesserung der Kontrolle der Unternehmensleitung nicht untätig. Die Aufsicht bei großen Aktiengesellschaften wurde verschärft, indem den Mitgliedern des Prüferrats größere Befugnisse zugestanden wurden33 und mit Wirkung seit 2005 nunmehr sogar die Mehrheit von ihnen von dem fraglichen Unternehmen unabhängig sein muss34. Für mehr Klarheit und Transparenz sorgt die deutliche Trennung der Posten von geschäftsführenden Managern (shikkô yakuin), welche die täglichen Geschäfte zu führen haben, und Direktoren, die primär für die Aufsicht zuständig sind35. Die maximale Haftung Letzterer wurde verringert, um insbesondere unabhängige Direktoren von ihrer Tätigkeit nicht unnötig „abzuschrecken“36. Schließlich hat sich die Rechnungslegung nun auch vollständig nach international vergleichbaren Marktprinzipien zu richten.
b) Wahlmöglichkeit der Organstruktur (2002) Während sich die Reformen im vorangegangenen Jahr auf verschiedene einzelne Maßnahmen verteilten, stand 2002 eine Änderung des „Rechnungsprüfungsgesetzes“ für große Aktiengesellschaften im Mittelpunkt: Sie können mit Wirkung von April 2003 an zwischen zwei verschiedenen Organstrukturen wählen: dem traditionellen zweigleisigen und dem neuen eingleisigen Führungs- und Kontrollsystem. Nach dem traditionellen System, das Wurzeln im deutschen Recht hat, muss eine große japanische Aktiengesellschaft neben der Hauptversammlung und dem Verwaltungsrat einen weitgehend unabhängigen Prüferrat einrichten, dem in erster Linie die Kontrolle der Geschäftsführung obliegt37. 32 Ausführlich Hashimoto (Fn. 21), S. 5 ff.; vgl. Kawamoto / Kishida / Morita / Kawaguchi (Fn. 31), S. 48 f.; Milhaupt (Fn. 18), S. 5 ff. 33 Hashimoto (Fn. 21), S. 8 f. 34 Milhaupt (Fn. 18), S. 8 f.; vgl. Tatsuta, ZJapanR 17 (2004), 12 f. 35 Milhaupt (Fn. 18), S. 9. 36 Hashimoto (Fn. 21), S. 9 f.; vgl. Kanda, ZJapanR 17 (2004), 33 f. 37 Anders als der nach deutschem Recht zumindest vergleichbare Aufsichtsrat ist er allerdings dem Verwaltungsrat nicht über- sondern nur nebengeordnet. Mitlieder des Verwaltungsrats werden beispielsweise von der Hauptversammlung, nicht vom Prüferrat ernannt. Für einen Bericht aus Sicht eines solches Prüfers bei „Nippon Steel“ s. Yoshii, Japan’s Corporate Auditor System, ZJapanR 17 (2004), 39 ff.
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Nach dem neueingeführten System, das dem US-amerikanischem Vorbild folgt, bedarf es – neben der Hauptversammlung – nur noch der Schaffung eines Verwaltungsrats, innerhalb dessen aber verschiedene Ausschüsse gebildet werden müssen. Dies sind in erster Linie der Prüfungsausschuss, dessen Tätigkeit am ehesten dem bisherigen Prüferrat nahe kommt, sowie ein Ernennungs- und ein Vergütungsausschuss38. Alle Komitees sind mit mindestens drei Direktoren zu besetzen, von denen wiederum mindestens die Hälfte vom jeweiligen Unternehmen unabhängig sein muss39. Alle großen japanischen Aktiengesellschaften können zwischen dem alten und dem neuen Modell wählen40. Tatsächlich hat bisher aber nur ein kleiner Teil der betroffenen Unternehmen seine Organstruktur auf das neue System umgestellt. Allerdings sind darunter einige besonders namhafte Vertreter der japanischen Wirtschaft41. c) Systematische Konsolidierung (2005) Die jüngste Reform vom Juli 2005, deren Änderungen größtenteils zum 1. April 2006 in Kraft treten sollen, ist schon äußerlich die deutlichste: Zum ersten Mal wird das bisher im Wesentlichen auf drei separate Texte (Handelsgesetz, Rechnungsprüfungsgesetz und GmbH-Gesetz) verteilte japanische Gesellschaftsrecht in einem einzelnen Gesellschaftsgesetz (Kaishahô) gebündelt. Von dessen knapp tausend Artikeln behandeln mehr als die Hälfte allein die Aktiengesellschaft42. Inhaltlich allerdings halten sich die Änderungen für große Unternehmen in Grenzen43. Diesmal sind vornehmlich die kleinen Unternehmen betroffen. Im Inte38 Die Struktur mit Verwaltungsrat und den genannten drei Ausschüssen inklusive des verstärkten Einsatzes unabhängiger Direktoren entspricht weitgehend auch den Vorstellungen der EU-Kommission für „gute Corporate Governance“ in diesem Bereich, sowie einer Mehrzahl aktueller europäischer Kodizes, vgl. Förster ZIP 2006, 167. 39 Siehe vergleichende Übersichten bei Hashimoto (Fn. 21), S. 11; Tokyo Stock Exchange (TSE), Principles of Corporate Governance for Listed Companies vom 16. März 2004, S. 16 ff.; im Internet unter http://www.tse.or.jp/english/listing/cg/principles.pdf. Weiter auch Takahashi / Shimizu, The Future of Japanese Corporate Governance: The 2005 Reform, ZJapanR 19 (2005), 35, 37 ff. 40 Zu tragenden Überlegungen, sich für das eine oder andere System zu entscheiden, siehe Hashimoto (Fn. 21), S. 13 f. Ausführliche Kritik an dem neuen Ausschuss-System übt Itami (Fn. 16), S. 11 ff. 41 Egashira, ZJapanR 17 (2004), 17, spricht von 40 aus einer Gesamtmenge von 3500 börsennotierten Unternehmen, darunter aber beispielsweise Sony, Toshiba und Hitachi. Wegen ihrer gleichzeitigen Notierung an der NYSE seien sie wohl besonders an einem für amerikanische Investoren verständlichen System interessiert, ebenda, S. 22. Vgl. weiter Milhaupt (Fn. 18), S. 18. 42 Eine japanische Textausgabe findet sich unter http://www.moj.go.jp/HOUAN/KAISYAHOU/refer04-01.pdf. Ausführlich zu dem neuen Gesetz Dernauer, Die japanische Gesellschaftsrechtsreform 2005 / 2006, ZJapanR 20 (2005), 123 ff., zu den Änderungen insbesondere bei der Aktiengesellschaft S. 141 ff.
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resse weiterer Flexibilisierung wird beispielsweise das erst 1991 eingeführte Erfordernis eines Mindestgrundkapitals für die Aktiengesellschaft wieder beseitigt und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung mittelfristig gar ganz abgeschafft bzw. durch einen besonderen Typ der Aktiengesellschaft mit beschränktem Anteilsumlauf ersetzt44. Große Unternehmen können wie bisher zwischen den angeführten Organstrukturen wählen; es ergibt sich hinsichtlich ihrer Corporate Governance lediglich die neue Pflicht, in jedem Fall ein „Internes Kontroll-System“ auszuarbeiten45. Zudem dürfen Direktoren nun nicht mehr Beschäftigte des Unternehmens sein46.
3. Kodizes der Wirtschaft Der Blick auf die Reformen der letzten Jahre zeigt, dass in Japan ebenso wie in Deutschland die Kernbereiche der Corporate Governance bereits durch zwingendes Gesellschaftsrecht geregelt sind. Darüber hinaus existieren mittlerweile aber drei Regelwerke verschiedener privater Institutionen, die unverbunden nebeneinander stehen und in zum Teil recht unterschiedlicher Weise das staatliche Rechtsprogramm per „Soft Law“ zu ergänzen versuchen.
a) Japan Corporate Governance Forum: Revised Corporate Governance Principles 2001 Das Japan Corporate Governance Committee, ein dem Japan Corporate Governance Forum (JCGF) angegliedertes Gremium aus Vertretern der Wirtschaft und Wissenschaft, stellte am 26. Oktober 2001 die „Revised Corporate Governance Principles 2001“47 vor. Wie der Titel bereits verrät, ist der Kodex eine überarbeitete Fassung der ursprünglichen Principles von 199848. 43 Egashira, Shin kaishahô no igi to tokuchô (Bedeutung und Besonderheiten des neuen Gesellschaftsrechts), Jurisuto No. 1300 v. 1. November 2005, S. 8, 14. Zur Entstehung des Gesetzes siehe ebd. S. 8. Vgl. auch Takahashi / Shimizu, ZJapanR 19 (2005), 35, 42. 44 Dazu Egashira (Fn. 43), S 9 ff.; Takahashi / Shimizu, ZJapanR 19 (2005), 35, 40 f. und 45 ff.; Dernauer, ZJapanR 20 (2005), 127 ff. 45 Vgl. noch auf Grundlage der vorangegangenen Reform Egashira, ZJapanR 17 (2004), 24 ff. 46 Eingehender bei Takahashi / Shimizu, ZJapanR 19 (2005), 35, 49 ff. 47 JCGF, Revised Corporate Governance Principles 2001. Die englische Internetseite der Organisation findet sich unter http://www.jcgf.org/en, eine besser lesbare Fassung der Principles aber bei http://www.ecgi.org/codes/documents/revised_corporate_governance_principles. pdf. 48 Vgl. zur alten Fassung den Bericht „Corporate Governance Principles – A Japanese View“ vom 30. Oktober 1997 unter http://www.ecgi.org/codes/documents/japan_cfg_j.pdf und die Mitteilung des Komitee-Vorsitzenden zur neuen Fassung (Fn. 47). Die Besetzung des
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Corporate Governance wird hier in erster Linie als ein Mittel angesehen, welches sicherstellen soll, dass die Geschäftsführung eines Unternehmens ihren Pflichten nachkommt. Dementsprechend legen die Principles ihren Schwerpunkt auf die Kontroll- und Überwachungsaufgabe des Verwaltungsrats49. Weitere Ziele des Kodex werden nicht explizit genannt. Als Adressaten kommen dem Inhalt nach vor allem börsennotierte Aktiengesellschaften in Betracht, auch wenn der Kodex selbst in dieser Hinsicht vage bleibt50. Das Regelwerk ist in sechs Kapitel unterteilt und enthält insgesamt vierzehn Principles, denen jeweils wiederum einzelne Abschnitte untergeordnet sind. Wie bereits angedeutet, beschäftigen sich mehr als ein Drittel der Principles mit den Aufgaben des Verwaltungsrats, dabei insbesondere der Überwachung des Managements und der Bedeutung der unabhängigen Direktoren. Zwei weitere Principles widmen sich der Einrichtung der bereits erwähnten Ausschüsse (das sind je ein Ausschuss zur Ernennung und zur Vergütung der Direktoren und ein Prüfungsausschuss), wie sie kurze Zeit später auch durch die Gesellschaftsrechtsreform von 2002 vorgesehen wurde51. Weiter werden die besondere Führungsverantwortung des Chief Executive Officers (CEO) sowie die Sicherstellung der internen Kontrolle durch Offenlegung und Prüfung relevanter Unternehmensinformationen hervorgehoben. Die Hauptversammlung und die Investor Relations werden dagegen nur knapp behandelt. Die meisten Einzelregelungen sind wie die Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex als Sollvorschriften („should“) formuliert, allerdings fehlt es vollständig an einem dem deutschen Recht vergleichbaren Kontroll- oder Überwachungsmechanismus: Eine „Comply or explain“-Erklärung, wie sie das deutsche Recht in § 161 AktG verlangt – ist nicht vorgesehen; der Kodex setzt allein auf eine freiwillige Anerkennung durch die Unternehmen. Nachdem es lange recht still war um das Japan Corporate Governance Forum, dem das angeführte Komitee angegliedert ist, wurde bei der Jahrestagung 2005 neben den beiden Hauptthemen unabhängige Direktoren und Maßnahmen gegen feindliche Übernahmen in der Schlussadresse auch ein Ausblick auf die Ausarbeitung neuer Corporate Governance Principles gegeben52.
ursprünglich nur „Corporate Governance Committee“ bezeichneten Gremiums hat sich auch verändert und ist etwas wirtschaftslastiger geworden. 49 JCGF, Revised Principles (Fn. 47), Foreword, Nr. 14, S. 9. 50 Vgl. JCGF, Revised Principles (Fn. 47), Foreword, Nr. 14, S. 10: „We would like to emphasize once again that these corporate governance principles should be practiced by directors, executive managers and shareholders.“ 51 Siehe oben III.2.b). 52 Vgl. das Tagungsprogramm unter http://www.jcgf.org/en/12th-annual-conference.pdf.
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b) Tokyo Stock Exchange: Principles of Corporate Governance for Listed Companies 2004 Das mit Vertretern von Wissenschaft und Praxis besetzte Listed Company Corporate Governance Committee53 erstellte für die Tokyo Stock Exchange (TSE) eigene „Principles of Corporate Governance for Listed Companies“, die am 16. März 2004 veröffentlicht wurden54. Anlass waren verschiedene Unternehmensskandale, die bisher noch unterschiedlichen Regelungsversuche einzelner Börsen (New York, London) und nicht zuletzt auch die Gesellschaftsrechtsreform 2002, die japanischen Großunternehmen nun die Wahl zwischen zwei Organstrukturen lässt55. Damit erschien ein neuerlicher Anlauf für allgemeine Vorgaben zur Corporate Governance unvermeidlich56. Den Principles erscheint die Aufstellung von Corporate Governance-Grundsätzen als ein Instrument zur Beeinflussung unternehmerischen Handelns. Zentral sind dabei einerseits die Steigerung des Shareholder Value, andererseits aber auch die Koordination der divergierenden Stakeholder-Belange. Daher haben Unternehmen insbesondere ihre soziale Verantwortung, größere Transparenz und Fairness zu berücksichtigen. Letztlich soll Corporate Governance nach den Vorstellungen der Börse Rechte und Interessen von Aktionären und weiteren Stakeholdern schützen, für die zügige und akkurate Offenlegung unternehmensbezogener Informationen sorgen und sicherstellen, dass Verwaltungsrat und Prüfer die ihnen auferlegten Pflichten erfüllen57. Ziel dieses Kodex’ ist daher, eine „notwendige allgemeine Grundlage“ für eine bessere Corporate Governance zu schaffen, der börsenorientierte Unternehmen freiwillig nachkommen sollen. Anders als die vorerwähnten Principles wird damit von vornherein ausdrücklich klargestellt, dass kein „comply or explain“-ähnliches Verfahren vorgesehen ist. Die Börse verlangt von den Unternehmen gerade nicht, dass sie einem bestimmten Modell folgen und andernfalls die Gründe darlegen müssen; vielmehr sollen die Unternehmen in einen „Wettbewerb um die beste Corporate Governance“ eintreten, der allein von den Investoren am Kapitalmarkt entschieden werden soll58. Zudem wurden im Zusammenhang mit dem japanischen Wertpapierrecht erst 2004 besondere Offenlegungspflichten für Finanzdaten begründet und auch noch keine Entscheidung darüber erreicht, welches das „geeignetste“ Corporate Governance System ist, so dass man in dieser Hinsicht zurückhaltend sein wollte59. 53 Einige wenige Mitglieder waren bereits am Japan Corporate Governance Committee beteiligt. 54 TSE, Principles (Fn. 39). Für weitergehende Informationen ist Herrn Kazuhiro Iida und Herrn Tomoaki Iwakura von der TSE zu danken. 55 Siehe dazu oben III.2.b). 56 Vgl. TSE, Principles (Fn. 39), Preface, S. 3 f. 57 TSE, Principles (Fn. 39), S. 5 f. 58 TSE, Principles (Fn. 39), Preface, S. 3 f. 59 Vgl. TSE, Principles (Fn. 39), Report, S. 23.
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Dem Aufbau und Inhalt nach entsprechen die Principles der TSE fast vollständig den OECD-Principles von 2004. Lediglich deren erste (Meta-)Bestimmung wurde weggelassen, weil sie für einen nationalen Kodex unpassend ist. Im Übrigen enthält der Kodex – auf nicht mehr als sieben Seiten – lediglich eine gestraffte Wiedergabe der OECD-Vorschläge. So sollen die Rechte der Aktionäre geschützt und Letztere untereinander gleich behandelt werden. Zwischen dem Unternehmen und den einzelnen Stakeholdern sollen „fruchtbringende Beziehungen“ geknüpft werden. Schließlich sollen alle maßgeblichen Unternehmensdaten rechtzeitig und detailgenau offengelegt und die effektive Kontrolle des Managements und ihrer Rechenschaftspflicht gegenüber den Aktionären sichergestellt werden. Eine Festlegung auf ein bestimmtes Leitungs- und Kontrollsystem erfolgt nicht. Sämtliche dieser wenigen, weitgehend mit „should“ formulierten Vorgaben werden kurz mit einigen speziellen Hinweisen erläutert; vereinzelt finden sich weitere „Unter-Prinzipien“. Im Vergleich mit dem Kodex des Japan Corporate Governance Forum und insbesondere mit den gegenüber diesem noch ausführlicheren Regelungen anderer nationaler Kodizes verwundert es, dass das Regelwerk der TSE so knapp und vage gehalten ist. Mögliche Ursachen dafür sind – neben den bereits erwähnten – einmal, dass es sich bei den fraglichen Principles um eine Kompromisslösung handelt, weil die Ansichten der einzelnen Mitglieder des Listed Company Corporate Governance Committee recht weit auseinander lagen. Weiter kommt in Betracht, dass man nach der Welle gesellschaftsrechtlicher Reformen zunächst behutsam vorgehen wollte und „Soft Law“ dem Vorzug gegenüber „Hard Law“ gab. Ebenso verfolgt man eher den Weg des „Wettbewerbs der Systeme“ und hofft, dass sich auf diese Weise das „beste Modell“ herausbilde und durchsetze. Dieses Herantasten an ein besseres Corporate Governance System will die TSE insbesondere durch weitergehende Offenlegungsbestimmungen begünstigen. In der neuen „Anordnung eines Notierungssystems, gerichtet auf die Vervollständigung der Corporate Governance“ vom 22. November 200560 wird zunächst darauf hingewiesen, man wolle die Unternehmen vor allem veranlassen, dafür Sorge zu tragen, dass die Geschäftsführer ihrer Verantwortung nachkommen und unabhängige Direktoren tatsächlich eingesetzt werden, um einer eventuellen „Selbstbegünstigung“ einzelner Manager entgegenzuwirken. Damit weiter potentielle Investoren die Corporate Governance Grundsätze einzelner Unternehmen besser nachvollziehen können, sollen diese ab Mai 200661 ihre bisherige OffenlegungsStrategie überarbeiten. Insbesondere ist die allgemeine Corporate Governance Politik zu veröffentlichen, weiter das unternehmenseigene System für Leitungsent60 TSE, Kôporêto gabanansu no jûjitsu muketa jôjôseido no seibi ni tsuite, 22. November 2005. 61 Betroffen sind alle an der TSE notierten japanischen Unternehmen, beginnend mit Ablauf des Geschäftsjahrs nicht vor dem 1. März 2006. Ausländische Gesellschaften werden bewusst ausgenommen.
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scheidungen und beispielsweise auch die gewählte Organstruktur. Daneben ist darzulegen, inwieweit die Interessen von Aktionären und Stakeholdern berücksichtigt werden. Schließlich ist darüber Auskunft zu geben, inwieweit das interne Kontrollsystem – in erster Linie bestehend aus Risikomanagement, interner Prüfung und Compliance – verwirklicht wurde. Als spezieller Bestandteil ist über Maßnahmen gegen etwaige feindliche Übernahmen zu berichten. Zwangsmaßnahmen oder Sanktionen sind zumindest in dem vorliegenden Entwurf nicht enthalten.
c) Japanese Association of Corporate Directors: Governance Best Practice Code für Unternehmen mit Verwaltungs- und Prüferrat 2005 Das Corporate Governance Komitee der Japanese Association of Corporate Directors (JACD) – wie schon sein Name ahnen lässt, maßgeblich mit Unternehmensvertretern besetzt – erstellte schließlich am 1. August 2005 einen weiteren Kodex, speziell gerichtet an solche Unternehmen, die auch nach Einführung der Organstruktur-Wahlmöglichkeit dem bisherigen japanischen System mit Verwaltungs- und Prüferrat folgen62. Der Kodex beruht weitgehend, wie die bisher vorgestellten Regelwerke, auf dem Grundgedanken, dass insbesondere japanische Aktiengesellschaften eine Vielzahl verschiedener Interessen berücksichtigen müssen, wobei Transparenz, Fairness und zügiges Umsetzen von Entscheidungen im Vordergrund stehen63. Nach den Vorstellungen des Komitees handelt es sich bei den Corporate GovernanceRegeln um ein „Programm“, das auf die Beziehungen zwischen allen Beteiligten angewendet werden soll, über dessen konkrete Umsetzung aber die Geschäftsführung von Fall zu Fall zu entscheiden hat. Um dies allerdings nicht allein den einzelnen Unternehmen zu überlassen, soll mit dem Kodex ein bestimmter „Best Practice“-Standard vorgegeben werden64. Zwar können japanische Großunternehmen, wie bereits dargestellt, seit 2003 zwischen zwei Leitungs- und Kontrollsystemen wählen, doch folgt ein Großteil von ihnen nach wie vor dem traditionellen Modell. Weil für diesen Unternehmenstypus bereits reichlich Erfahrung mit der entsprechenden Corporate Governance gesammelt wurde, hofft man, auf dieser aufbauen und die einzelnen Erfahrungen in einem allgemeinen Kodex bündeln zu können65. Durch das detaillierte Gesellschaftsrecht ist den japanischen Unterneh62 Nihon Torishimariyaku Kyôkai (Japanese Association of Corporate Directors – JACD) – Kôporêto Gabanansu Iinkai (Corporate Governance Committee): Torishimariyakkai / Kansayakkai heiseitsu kaisha no gabanansu besutopurakutisu kôdo vom 1. August 2005, bislang unveröffentlichte japanische Fassung. Dem Vorsitzenden der Kodex-Arbeitsgruppe, Herrn Prof. Sôichirô Kozuka, Sophia Universität Tokyo, ist für einschlägige Informationen zu danken. 63 JACD, Best Practice (Fn. 62), Grundgedanke (Kihon rinen) Nr. 1, S. 6. 64 JACD, Best Practice (Fn. 62), Grundgedanken Nr. 2 und 6, S. 6 f. 65 JACD, Best Practice (Fn. 62), Grundgedanke Nr. 5, S. 7.
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men zwar der maßgebliche Rahmen bereits zwingend vorgegeben, seine konkrete Umsetzung in der Praxis aber soll durch den Kodex erleichtert werden. Das Regelwerk selbst ist deutlich detaillierter als die beiden vorangegangenen und enthält in acht verschiedenen Gebieten jeweils etwa fünf einzelne Empfehlungen, die im Anschluss ausführlich erläutert werden. Inhaltlich liegt der Schwerpunkt aber wie bisher auf der Geschäftsführung des Unternehmens und deren Kontrolle. Drei Viertel der Bestimmungen beziehen sich auf diesen Bereich. Darüber hinaus beschäftigt sich der Kodex eingehend mit geeigneten Maßnahmen zur Abwehr eventueller feindlicher Übernahmen. Eine Überprüfung der Einhaltung der Regeln im Sinne eines „comply or explain“ ist auch hier nicht vorgesehen. Die Unternehmen – möglichst auch nichtbörsennotierte, soweit insbesondere gemessen an ihrer Größe die Regelungen passen – sollen freiwillig entscheiden, welchen Vorschlägen sie folgen. Insofern soll auch dieser Kodex nur eine bloße Richtschnur für die unternehmensinterne Corporate Governance sein.
IV. Resümee Verfolgt man die Reformen des japanischen Gesellschaftsrechts unter dem Gesichtspunkt ihres Einflusses auf die Corporate Governance von Unternehmen, so fällt vor allem ein Wechsel der Perspektive von innen nach außen auf. Der vormals rein landeinwärts gerichtete japanische Blick hat die Landesgrenzen überschritten und orientiert sich nun verstärkt an internationalen, freilich in erster Linie US-amerikanischen Standards. Auch auf der Ebene des einzelnen Unternehmens haben sich die Gewichte von der internen Berücksichtigung vor allem der Interessen der Beschäftigten zugunsten der Interessen der Investoren außerhalb der jeweiligen Gesellschaft verschoben. Damit einher ging eine umfassende Deregulierung rechtlicher Vorgaben für die Organisationsverfassung der Unternehmen, verbunden aber mit einer spürbaren Zunahme externer Kontrollmechanismen, insbesondere in Form von Offenlegungsvorschriften und der Überprüfung ihrer Einhaltung. Der Perspektivwechsel von innen nach außen spiegelt sich auch in den Themen, die die Diskussion nach der Reform des Gesellschaftsrechts beherrschen: Dies ist erstens der Umgang mit der neu eröffneten Wahlmöglichkeit in Bezug auf die Organstruktur, d. h. zwischen dem herkömmlichen japanischen „Doppel-BoardSystem“ und der vom amerikanischen „One-Tier-System“ beeinflussten „Gesellschaft mit Ausschüssen“. Hier wird allerorten ein „Wettbewerb der Systeme“ um die beste Corporate Governance erwartet. Das zweite Thema ist die Figur der externen, unternehmensunabhängigen Direktoren, eine der maßgeblichen Begleiterscheinungen des Unterfangens zur Verschärfung äußerer Kontrollmechanismen. Für die japanische Unternehmenswelt, die traditionell gewohnt ist, Entscheidungen allein im Kreis der intern Betroffenen zu fällen, bedeutet dies eine große Umstellung. An dritter Stelle steht schließlich das Problem des Umgangs mit feindlichen
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Unternehmensübernahmen. Sie sind der Preis, den Japan für die Internationalisierung seiner Unternehmen zu zahlen hat und die die Öffentlichkeit und die Medien stets von neuem bewegen. Doch wie steht es um die praktizierte Corporate Governance? Hier gibt es eine klare Zweiteilung: Auf der einen Seite stehen die zwingenden Normen eines nach Dutzenden von Reformen modernisierten Gesellschaftsrechts, das mittlerweile ebenso ausdifferenziert und perfektioniert ist wie sein deutschen Pendant. Seinen Vorgaben müssen die Unternehmen nachkommen. Wie weit sie dies in der Praxis tun, ist offen: In der durch das Fehlen externer Kontrollmechanismen gekennzeichneten Vergangenheit gab es hier das eine oder andere Implementierungsdefizit. Auf der anderen Seite stehen die Empfehlungen von inzwischen drei Kodizes privater Institutionen, von denen dem Regelwerk der Tokyo Stock Exchange in praxi wohl die größte Bedeutung zukommt, die allesamt aber einen auf Wettbewerb und freiwilliger Befolgung basierenden Ansatz verfolgen. Man verzichtet bewusst auf das international mittlerweile weit verbreitete Verfahren der Implementierung von Kodex-Regeln durch den Mechanismus des „comply or explain“, um den Unternehmen jenseits des zwingenden Gesellschaftsrechts keine Fesseln anzulegen. Die Erwartungen an die regelnden Kräfte des noch recht jungen Marktes sind offensichtlich groß. Im Gegensatz zu Deutschland hat sich Japan bislang gesträubt, sein Gesellschaftsrecht um einen systemfremden paragesetzlichen Corporate Governance Kodex zu ergänzen. Die dezentrale Schaffung freiwilliger Kodizes darf als Anpassung an internationale Standards angesehen werden, mag darüber hinaus aber auch der Entwicklung regulativer Prinzipien bei der Unternehmensführung und -kontrolle dienen, welche den zwingenden Vorschriften des japanischen Gesellschaftsrechts Leben einhauchen. Wie so oft hat Japan auch hier ein westliches Regelungsmodell – die Ergänzung von Gesellschaftsrecht durch Corporate Governance-Regeln – japanisiert, d. h. seinen institutionellen Gegebenheiten angepasst.
Arbeitskollisionsrecht und Globalisierung Von Rolf Birk
I. Einleitung Auch wenn das Wort „Globalisierung“ fast in aller Munde ist und die juristische Diskussion sich dessen mehr und mehr bemächtigt, so fehlt es doch bislang an Überlegungen, welchen Einfluss die Globalisierung auf das Kollisionsrecht im Besonderen ausübt. Die nachfolgenden Bemerkungen sollen als einige Vorüberlegungen zu dieser Thematik verstanden werden. Welche Beziehungen bestehen demnach zwischen dem Arbeitskollisionsrecht und der Globalisierung und zwar sowohl in ökonomischer, technischer wie auch in rechtlicher Sicht? Welchen Einfluss hat etwa die Globalisierung auf das Arbeitskollisionsrecht dort, wo arbeitsrechtliche Sachverhalte noch in staatliche Rechtsordnungen eingebunden sind oder wo die Entstaatlichung bzw. Entterritorialisierung des Rechts bereits stattgefunden hat oder sich zu realisieren beginnt? Oder ist das herkömmliche – allerdings über Art. 30, 34 EGBGB bzw. Art. 6, 7 EVÜ hinausgehende – Arbeitskollisionsrecht nicht dysfunktional geworden? Es liegt auf der Hand, dass es im vorliegenden Zusammenhang nicht in erster Linie um die Wandlungen des nationalen, supranationalen und internationalen arbeitsrechtlichen Sachrechts geht, vielmehr um eine Betrachtung der kollisionsrechtlichen Rechtsanwendungsbefehle aufgrund der durch die Globalisierung eingetretenen Veränderungen des tatsächlichen und rechtlichen Umfeldes. Falls hierbei tief greifende Umbrüche zu konstatieren wären, ginge es deshalb vor allem um die Frage, ob daraus nicht der Schluss zu ziehen wäre, ein neues, adäquateres Arbeitskollisionsrecht zu entwickeln. Zuerst gilt es aber festzustellen, ob aus der an sich nicht neuen Globalisierung nicht zuletzt durch deren Intensität wie auch des verwendeten Instrumentariums sich sachlich erhebliche, neue arbeitsrechtlich relevante Strukturen auf den verschiedenen Regelungsebenen ergeben haben. Erst dann lässt sich das aktuelle Arbeitskollisionsrecht sinnvoll hinterfragen. Arbeitskollisionsrecht ist ja kein sich selbst genügender Rechtszweig, sondern er hat nur dienende Funktion gegenüber den inhaltlichen Regelungen welcher Provenienz auch immer.
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II. Arbeitsrecht und Globalisierung Die bisherige Diskussion im Spannungsfeld zwischen Arbeitsrecht und Globalisierung wurde weitgehend von zwei Begriffen dominiert, von den internationalen Arbeitsstandards und den multinationalen Unternehmen; Letztere haben demnach nach fast dreißig Jahren1 vor allem im englischsprachigen Raum wieder zu einer neuen Flut von Veröffentlichungen geführt2, was indes in unserem Zusammenhang zunächst interessiert, sind die sich aus der Globalisierung von Handel, Produktion, Dienstleistungen und Telekommunikation sich ergebenden Veränderungen in den Voraussetzungen des nationalen, supra- und internationalen Arbeitsrechts und ihres Einflusses auf deren Anwendung. Erst danach lässt sich eine Antwort auf die Frage suchen, ob und gegebenenfalls welche neue kollisionsrechtlichen Überlegungen dies notwendig macht und ob diese – noch weitergehend – auch zu einer materiellen Globalisierung des Arbeitsrechts führt. Die Internationalisierung der arbeitsrechtlichen Phänomene, Sachverhalte und Konstellationen hat sich nicht nur in den vergangenen zwei Jahrzehnten erheblich verstärkt, sie ist teilweise umgeschlagen in eine partielle Globalisierung neuer Sachverhalte, die einen möglichen Paradigmenwechsel für deren arbeitsrechtliche Beurteilung wahrscheinlich werden lassen. Beginnen wir mit der Globalisierung der arbeitsrechtlich relevanten Sachverhalte! Das Arbeitsrecht knüpft an betriebliche und außer- bzw. überbetriebliche Arbeitsbeziehungen an. Die Arbeitsbeziehungen werden ihrerseits integriert in organisatorische Einheiten wie Betrieb, Unternehmen, Konzern bzw. Gesellschaftsgruppe und Unternehmensnetzwerke. Darüber hinaus werden entlang dieser organisatorischen Einheiten und Zusammenhänge länder- und unternehmensübergreifende Teams oder Arbeitsgruppen für spezielle Aufgaben, wie etwa die Forschung und Entwicklung gebildet, die häufig für die „Gesamtstruktur“ arbeiten und deren Ergebnisse dieser zugute kommen sollen. Damit entstehen globale, mit- und untereinander vernetzte Belegschaften, die schon bei formaler Betrachtung eine Herausforderung für jedes nationale Arbeitsrecht darstellen. Auch bestimmte Beschäftigungsformen kommen der Globalisierung der Arbeitsbeziehungen und damit der Betriebs- und Unternehmensorganisation entgegen. Dies gilt vor allem für solche Tätigkeiten wie die Telearbeit oder etwa die Datenverarbeitung , die leicht oder leichter dezentralisiert und delokalisiert werden können. Auf diese Weise werden bestimmte Betriebs- bzw. Unternehmensfunktionen kaum mehr an einen bestimmten Ort gebunden, sondern flexibel: man kann diese Tätigkeit in Deutschland, Spanien oder in Italien verrichten, ohne dass damit 1 Vgl. etwa Birk, Die Problematik multinationaler Unternehmen, 1976 mit zahlreichen Nachweisen aus der damaligen Diskussion. 2 Es ist freilich nicht erforderlich, auf all diejenigen hier einzugehen, wenn sie keine substantiellen Ausführungen arbeitsrechtlicher Art enthalten, was bei den meisten von ihnen der Fall ist.
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notwendig vom Ganzen her gesehen ein Outsourcing verbunden sein muss; sie kann in dem maßgeblichen Verbund durchgeführt werden. Freilich, betrachtet man die Entwicklung von der Seite des Arbeitsmarktes aus, so ist eine Internationalisierung oder gar Globalisierung nicht festzustellen, nicht einmal eine Europäisierung größeren Ausmaßes innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Im Gegenteil, die Entsenderichtlinie und die in Aussicht genommene Dienstleistungsrichtlinie markieren eher eine Rückwärtsentwicklung, also eine Renationalisierung, als ein Überschreiten der nationalen Grenzen. Hier wird im Zeichen des Sozialdumpings die Europäisierung des Arbeitsmarktes stark behindert. Ob dies auf Dauer als soziale Wohltat anzusehen sein wird, lässt sich bereits im Ansatz bezweifeln. Hinter der Globalisierung der Märkte und Unternehmen hinkt ein weiterer Pfeiler des klassischen Arbeitsrechts hinterher. Selbst auf der Ebene der Gemeinschaft tun sich die Beteiligten, Gewerkschaften und Arbeitgeber schwer, die kollektiven Arbeitsbeziehungen zu europäisieren und gar zu internationalisieren bzw. zu globalisieren. Trotz mancher literarischen Versuche, die kollektiven Verhandlungen und Vereinbarungen, über die nationale Ebene hinaus zu heben, bleibt die Praxis dahinter weit zurück. Es gibt bisher keine nennenswerte Entwicklung auf dem Gebiet des Kollektiv- bzw. Tarifvertrags. Dies hat mehrere Gründe: zum einen fehlen dafür die entsprechenden handlungsfähigen, d. h. auch abschlussberechtigten Institutionen (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände), zum anderen stehen dem auch die bislang allein national ausgerichteten Arbeitsmärkte entgegen, d. h., dass ein Bedürfnis nach mindestens teilglobalisierten Arbeitsbedingungen zumindest aus der Sicht der Industriestaaten nicht besteht. Ganz anders erscheint die Lage aus der Sicht derselben Staaten und zahlreicher Nongovernmental Organizations (NGOs). Diese versuchen – aus welchen Motiven auch immer –, einen engen Grundbestand von Arbeitnehmerrechten in den industriellen Schwellenländern entweder selbst oder durch die ILO oder auch die WTO auf unterschiedlichsten Wegen durchzusetzen. Auf der anderen Seite sind diese Länder keineswegs darauf erpicht, auf diese Weise von Amerikanern, Europäern oder NGOs „missioniert“ zu werden, um dadurch an eigener Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren, zumal etwa die USA selbst die dem Grundbestand an core labour standards zugrunde liegenden ILO-Konventionen nicht in vollem Umfang ratifiziert haben. Jedoch sollen die die core labour standards und ihre Durchsetzung betreffenden Fragen in unserem Zusammenhang vernachlässigt werden, da diese Problematik mit der hier interessierenden Fragestellung nach den Auswirkungen auf die Globalisierung des Arbeitskollisionsrechts nur sehr wenige Berührungspunkte aufweist. Es geht nicht in erster Linie etwa darum, den Arbeitnehmern in weniger entwickelten Ländern durch die Einführung neuer oder Verstärkung bestehender Rechte zu helfen, sondern um die angesichts der Globalisierung arbeitsrechtlich relevanter Sachverhalte adäquate kollisionsrechtliche Erfassung dieser Phänomene. Die mit
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der Globalisierung aufgeworfene sozialpolitische Diskussion muss aus diesem Grunde weitgehend ausgeblendet werden, auch wenn deren politische wie rechtliche Relevanz außer Frage steht. Andererseits darf man sich mit dem Arbeitskollisionsrecht selbst nicht rein technizistisch befassen, denn gerade dann, wenn es um die Anknüpfung zwingenden Rechts geht – der Kernproblematik schlechthin –, spielt der sozialpolitische Normsetzungswille für die Anwendung der betreffenden geschriebenen wie ungeschriebenen Regeln eine zentrale Rolle. Der Globalisierung weniger zugänglich sind insbesondere Sachverhalte aus dem Bereich des kollektiven Rechts. Gerade die kollektiven Arbeitsbeziehungen auf der Ebene der Verbände machen meistens an den Grenzen des eigenen Landes halt. Es gibt zwar internationale Zusammenschlüsse nationaler Gewerkschaftsbünde, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, auf die Gestaltung von Arbeitsbedingungen haben sie bisher jedoch – aus verschiedensten Gründen – keinen Einfluss ausüben können. Soweit es davon auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft bei den einigen Richtlinien zugrunde liegenden Rahmenvereinbarungen zwischen EGB und UNICE / CEEP Ausnahmen gibt, handelt es sich weitgehend um „weiche“ Materien (Teilzeit, Befristung, Elternurlaub), und um keine „harten“ Tarifverträge3. Die internationalen Handlungsfelder der Akteure im Bereich der kollektiven Arbeitsbeziehungen4 sind bislang sehr begrenzt. Es gibt keine internationale / transnationale oder gar globale Kollektivverhandlungen über entsprechend zu regelnde Arbeitsbedingungen. Streiks mit grenzüberschreitendem oder gar internationalem Charakter kommen gelegentlich vor, sie konzentrieren sich aber in der Regel auf ein multinationales Unternehmen oder einen multinationalen Konzern (z. B. Continental, UPS). Ansonsten konzentrieren sich globale Verbandsinitiativen der Gewerkschaften wie der Arbeitgeber- bzw. Unternehmerverbände auf die Aufstellung und Vereinbarung von freiwilligen Codes of conduct (Verhaltenskodices) und sog. Labelingprogrammen5. Als globalisierte Sachverhalte kollektiver Arbeitsbeziehungen, die kollisionsrechtlich zum Tragen kommen können, verbleiben mithin in erster Linie solche, die sich auf einen weltweit tätigen Unternehmensverbund (Konzern, Gesellschaftsgruppe, vernetzte Unternehmen) beziehen. Dies gilt sowohl für Kollektivvereinbarungen, Streiks wie auch Fragen der betrieblichen (z. B. sog. Weltbetriebsräte) und unternehmerischer Mitbestimmung bzw. Mitwirkung. Ein gewisses Beispiel aus der Praxis bildet der Europäische Betriebsrat, als eine in Zusammensetzung wie Zuständigkeit genuin grenzüberschreitende Institution, wiewohl diese vom nationalen Recht sich nährt, das freilich seine Wurzeln in der RL 94 / 45 der EG 3 Vgl. Birk, Vereinbarungen der Sozialpartner im Rahmen des sozialen Dialogs und ihre Durchführung, EuZW 1997, 453 ff. 4 Vgl. Zimmer, Jenseits von Kapital und Arbeit? Unternehmerverbände und Gewerkschaften im Zeitalter der Globalisierung, 2002, S. 155 ff. 5 Zur ersten Orientierung vgl. Zimmer, Jenseits von Kapital und Arbeit?, S. 189 ff., 198 ff.
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hat; dies beseitigt aber nicht die Notwendigkeit, in bestimmten Fragen auf das Recht anderer Mitgliedstaaten zurückgreifen zu müssen (z. B. hinsichtlich der Wahl der jeweiligen nationalen Vertreter, des Kündigungsschutzes dieser Repräsentanten). Können aus diesem Befund für die Weiterentwicklung des Kollisionsrechts überhaupt irgendwelche Folgerungen gezogen werden und gegebenenfalls welche?
III. Arbeitskollisionsrecht und Globalisierung 1. Die rechtliche Erfassung globaler arbeitsrechtlicher Sachverhalte Zunächst eine Feststellung: Es gibt zwar arbeitsrechtliche relevante globale Sachverhalte. Diese werden aber zum allergrößten Teil weder durch formal noch inhaltlich globales, also global eigenständiges Arbeitsrecht geregelt. Daran ändert auch die ILO mit ihren Konventionen nichts. Kein Mitglied in der ILO ist verpflichtet, die weltweit konzipierten Konventionen zu ratifizieren. Viele Konventionen sind im Übrigen nur von relativ wenigen Mitgliedstaaten ratifiziert worden. Ein globales Arbeitsrecht würde das Arbeitskollisionsrecht überflüssig machen; denn nationales Recht hätte ausgedient, und eine Notwendigkeit, verschiedene, unterschiedliche nationale Regelungen zu koordinieren oder das eigene Recht gegen ein anderes durchzusetzen und dieses zu verdrängen, bestünde nicht mehr. Aber bisher ist es nur sehr bruchstückhaft gelungen, einige Normen des Arbeitskollisionsrechts regional zu vereinheitlichen. Dies gilt etwa für Art. 6 und 7 des Römer Übereinkommens des auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbaren Rechts (Art. 30, 34 EGBGB), das demnächst durch eine entsprechende EG-Verordnung abgelöst werden soll, lediglich für Teile des Individualarbeitsrecht erfolgt, jedoch nicht für das kollektive Arbeitsrecht. Es blieb also eine erhebliche Lücke, die allenfalls durch nationales Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten – soweit überhaupt vorhanden – geschlossen werden konnte. Da vor allem nach wie vor außerhalb der EG etwa die Maßgeblichkeit der Rechtswahl auch für den Arbeitsvertrag keineswegs als eine universal vorfindbare Kollisionsnorm existiert, kann nicht einmal insoweit von einer inhaltlich globalen Kollisionsnorm des Arbeitsrechts gesprochen werden. Die rechtliche Erfassung arbeitsrechtlich relevanter Sachverhalte und Sachfragen erfolgt jedenfalls nach wie vor durch nationale und internationale Kollisionsnormen. Damit werden diese entweder uneinheitlich (national) oder einheitlich (international bzw. supranational) einer bestimmten Rechtsordnung zur Regelung zugewiesen und damit nationalisiert. Globalisierung drängt aber im Gegensatz dazu gerade zur De- bzw. Entnationalisierung oder Entstaatlichung. Es besteht sonach ein Spannungsverhältnis bei der Erfassung globaler Sachverhalte, das nach einer adäquaten Auflösung ruft.
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Eine besonders problematische Lösung der Anknüpfung bildet die Anwendung des eigenen Rechts auf Auslandssachverhalte. Aber gerade in dem sozialpolitisch besonders motivierten und abhängigen Arbeitsrecht steht diese weitgehend im Vordergrund. 2. Die Unilateralisierung des Arbeitskollisionsrechts Das Arbeitskollisionsrecht ist bisher stark gekennzeichnet durch seinen Unilateralismus; es nationalisiert nicht nur grenzüberschreitende, ja globale Sachverhalte, sondern es weist diese der Regelung durch das eigene Recht zu. Art. 30 EGBGB (Art. 6 EuVÜ) scheint dem zu widersprechen, wenn es grundsätzlich die Rechtswahl zulässt oder das am gewöhnlichen Arbeitsort herrschende Recht für anwendbar erklärt. Diese Entscheidung wird aber für das zwingende Arbeitsrecht sofort wieder zurückgenommen und damit für den größten und wichtigsten Teil des Individualarbeitsrechts (Art. 30 Abs. 1 EGBGB). Die Anwendung fremden Arbeitsrechts bleibt damit weitgehend ein Lippenbekenntnis; nur auf relativ harmlose Fragen wird auch fremdes Recht angewandt. Aber die Savigny’sche Welt der Gleichwertigkeit der nationalen Rechtsordnungen bleibt im Arbeitsrecht ein Wunschtraum, solange die nationalen Sozialpolitiken – selbst innerhalb der EG – nach wie vor stark divergieren. Nun gibt es aber gerade Staaten, die ihre eigenen gesellschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen auch auf vorwiegend oder nur im Ausland spielenden Sachverhalte durchzusetzen bestrebt sind. Dem gebietet etwa das Völkerrecht kaum Einhalt, solange nicht unmittelbare Hoheitsgewalt auf ausländischem Territorium ausgeübt wird. Diese Tendenz lässt sich besonders in den USA beobachten. Es reicht dabei, dass eigene Staatsbürger betroffen sind. Gleichsam im Wege eines hegemonialen Unilateralismus werden Sachverhalte der eigenen Regelung unterworfen, selbst wenn deren Schwerpunkt außerhalb der USA angesiedelt ist und die Betroffenen mit dem ausländischen Recht in Konflikt geraten. Das eigene Recht wird gleichsam exportiert, sein Anwendungsanspruch nur gelegentlich eingeschränkt zurückgenommen6, etwa durch sog. saving clauses. Symptomatisch für diese Art von Pax Americana oder Mission ist etwa der Untertitel „The Regulation of the Overseas Workplace“ des Buches von J. M. Zimmerman über „Extraterritorial Employment Standards of the United States“ (1992), wo im ersten Teil das „U.S. Enforcement of Internationally Recognized Worker Rights“ beschrieben wird. „The key objective of lawmakers is to reach a parity of standards in the global economy; the purpose of harmonization may range from genuine altruistic concerns for the overseas worker to protecting domestic industry from goods produced under substandard labor conditions“7. Es geht sonach vorwiegend um 6 Vgl. Birk, Altersdiskriminierung im Arbeitsrecht – kollisionsrechtlich betrachtet, in: Private International Law in the International Arena – Liber amicorum Kurt Siehr, 2000, S. 45 (56 f.) zu sog. foreign law defense. 7 Zimmerman, a. a. O., S. 2.
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die hegemoniale Durchsetzung von eigenen Standards im Wege ausdehnender Anwendung des eigenen Rechts „über Gerechte und Ungerechte“ und nicht um die Rolle als Hilfspolizist der ILO oder der WTO. Eine solche rechts- und sozialpolitische Haltung muss zwangsläufig eine Gegenhaltung der Länder hervorrufen, in denen US-amerikanische, multinationale Gesellschaften und Konzerne tätig werden, sie wird im Bereich des internationalen Handels von manchen als „agressive unilateralism“ gebrandmarkt8. Nach dem Gesagten kann es nicht verwundern, dass ein solcher Unilateralismus nicht als Vorbild für eine Weiterentwicklung des Kollisionsrechts für globale Sachverhalte dienen kann. Dies schließt freilich nicht aus, dass das Arbeitskollisionsrecht noch stark darauf fixiert bleibt, bei einer möglichen Kollision von sozialpolitisch sehr unterschiedlich motivierten Regelungen der eigenen, also derjenigen der lex fori zum Durchbruch zu verhelfen, wie dies ausdrücklich Art. 34 EGBGB vorsieht. Das soziale Gefälle darf von den Kollisionsnormen nicht einfach negiert werden, die sozialen Zwecke der nationalen Vorschriften sind zu beachten, auch wenn dadurch Disharmonien zwischen verschiedenen Rechtsordnungen ihr Störpotential bei der Rechtsanwendung verdeutlichen. Soweit also sich nationale Regelungen über Art. 7 EuVÜ bzw. Art. 34 EGBGB oder ähnliche Vorschriften durchsetzen, scheidet eine adäquate Erfassung globaler Sachverhalte nach gegenwärtiger Rechtslage aus. 3. Die kollisionsrechtliche Erfassung globaler arbeitsrechtlicher Sachverhalte Raum für ein Arbeitskollisionsrecht mit allseitigen bzw. vollkommenen Kollisionsnormen kann mithin nur dort sein, wo die Divergenz der anzuwendenden nationalen Arbeitsrechte zu demjenigen der lex fori innerhalb der von Art. 34 EGBGB und von Art. 6 EGBGB vorgezeichneten Toleranzgrenzen verbleibt. Sozialpolitisch motivierte Regelungen, die in allen beteiligten Arbeitsrechtsordnungen bekannt sind, erfüllen prinzipiell diese Voraussetzungen. Globale Sachverhalte verlangen an sich globale Lösungen. Ihre Nationalisierung durch globale, gleiche Kollisionsregeln wäre ein erster Schritt, solange ein „Weltarbeitsrecht“ fehlt, was noch lange der Fall sein wird. Es ist ohnehin in Frage zu stellen, ob trotz transnationaler bzw. globaler Sachverhalte es überhaupt – von einigen zentralen Grundsätzen (core labour standards) abgesehen – eine umfassende Vereinheitlichung des Arbeitsrechts erstrebenswert erscheint. Demnach macht die wirtschaftliche Globalisierung das Arbeitskollisionsrecht an sich nicht überflüssig, zumal auch diese nicht allumfassend ist, sondern nur bestimmte Bereiche umfasst. Es bleibt aber dabei, dass ein nationales Recht oder auch eine 8 Vgl. Bhagwati, Agressive Unilateralism: An Overview, in: Bhagwati / Patrick (eds.), Aggressive Unilateralism – America’s 301 Trade Policy and the World Trading System, 1990, S. 1 ff.
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Kombination von mehreren strukturell nicht in der Lage ist, globale Sachverhalte adäquat zu erfassen, also ihre Spezifität rechtlich darzustellen. Die „klassische“ Anknüpfung führt eben zu einer Art rechtlichen Verzerrung des Sachverhalts, zu einer Überbetonung einer einzigen Rechtsordnung. Dem entgegenzuwirken, sollte eine permanente Aufgabe der Rechtswissenschaft sein. Ihr kommt es zu, entsprechende Vorschläge zu entwickeln. Im Rahmen des geltenden Rechts sind diese Möglichkeiten sehr begrenzt. Es dürfte im Wesentlichen darauf hinauslaufen, die vorhandenen geschriebenen und ungeschriebenen Kollisionsnormen so zu interpretieren, dass sie dort auch globale Auslandssachverhalte erfassen, wo dies nicht als Einmischung in das Recht anderer Staaten verstanden werden kann. D. h., eine „aggressive Ausdehnung“ einer Rechtsordnung liegt dann nicht vor, wenn der betreffende Sachverhalt, soweit er sich im Ausland verwirklicht, nicht von einer ausländischen Regelung in Anspruch genommen wird. Solche Fälle dürften aber gerade im Arbeitsrecht eine rare Ausnahme darstellen. Es dürfte demnach durchaus die resignative Feststellung am Platze sein, dass alle über die Anwendung eines durch nationales Kollisionsrecht hinausgehenden Vorschläge rechtspolitischer Natur und vom geltenden Recht nicht gedeckt sind, also nicht rechtlich legitimiert sind. Das staatliche Kollisionsrecht gestattet auch in Zeiten der Globalisierung nicht mehr. Dies beweist freilich einmal mehr, dass es in weiten Bereichen nicht mehr sachadäquat ist, die staatliche Notlösung einer rechtlichen Nationalisierung grenzüberschreitender und vor allem inter- bzw. transnationaler oder globaler Sachverhalte durch eigene Normen auf dem Hintergrund nationaler Vorstellungen zu suchen. Allerdings bleibt nicht nur die rechtliche, sondern auch die sozialpolitische Erfassung internationaler Sachverhalte hinter der Entwicklung zurück. Dies zeigt sich etwa gerade im Kollisionsrecht des Arbeitsvertrages, bei dem es fast in jeder rechtlichen Frage von Belang um die Rücknahme der Freiheit der Rechtswahl durch die Anwendung zwingenden Rechts der lex fori und gelegentlich auch eines Drittstaates geht. Dadurch sollte man sich jedoch nicht entmutigen lassen, wenigstens de lege ferenda das Recht weiterzuentwickeln. Für das Arbeitskollisionsrecht heißt dies, nach neuen Möglichkeiten und auch Alternativen Ausschau zu halten. Im Folgenden sollen deshalb kurz erörtert werden: die Frage nach einem globalen Arbeitskollisionsrecht, die Problematik internationaler Sachnormen im IPR und daran anschließend die Möglichkeit eines globalen Arbeitsrechts.
4. Globales Arbeitskollisionsrecht? Zunächst bietet sich die Frage nach einem globalen Arbeitskollisionsrecht an, also nach der Möglichkeit, die kollisionsrechtliche Problematik global und damit universal zu lösen. Bisher gibt es weder allgemeine noch spezielle Kollisionsnormen arbeitsrechtlichen Charakters mit Ausnahme der für den Bereich der EG vereinheitlichten Regeln des EuVÜ von 1980, die man als ein teilglobalisiertes Recht
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bezeichnen kann. Nicht einmal die Rechtswahlfreiheit für individuelle Arbeitsverträge ist eine überall geltende Regel, und auch für die Mitgliedstaaten der EG wird die Freiheit der Rechtswahl weitgehend von zwingendem nationalem Recht der einzelnen Staaten verdrängt oder überlagert. Für den Bereich des kollektiven Arbeitsrechts sieht es nicht besser aus, zumal auf diesem Gebiet schon präzisere Normen auf nationaler Ebene fehlen. Lediglich im Falle der Vertretung der Arbeitnehmer auf betrieblicher Ebene wird so gut wie überall das Recht des Betriebssitzes für anwendbar erklärt. Die Gesamtheit der Arbeitnehmer eines multinationalen Unternehmens zerfällt also in zahlreiche nationale (Teil-)Belegschaften ohne rechtliche Verbindung untereinander, soweit deren nationale Vertretungen nicht auf freiwillige Art und Weise für bestimmte Aspekte etwa als Weltbetriebsrat o. ä. zusammengefasst werden. Auch wenn in der Regel für das ganze multinationale Unternehmen – entgegen vieler Annahmen – Welttarifverträge oder Erdteiltarifverträge wegen der lokal sehr unterschiedlichen Produktionsverhältnisse und / oder Arbeitsbeziehungen als nicht notwendig oder erstrebenswert anzusehen sind, so würden diese rechtlich nicht als ein einheitliches denationales Vertragswerk konstituiert werden können. Ob im Übrigen wenigstens durch Rechtswahl ein einheitliches, nationales Tarifvertragsstatut begründet werden könnte, wäre ebenfalls zweifelhaft, ja wohl zu verneinen. Das Störungspotential des nationalen Arbeitsrechts – etwa über Art. 34 EGBGB – setzt sich gegenwärtig noch überall durch, weil letzteres den global gesehen sehr unterschiedlichen nationalen Sozialmodellen verhaftet ist und bleibt. Eine global einheitliche Zuweisung internationaler Sachverhalte an ein bestimmtes nationales Recht wäre ohnehin nur ein Schritt auf dem Wege, dass diese nicht durch das Recht eines Staates denationalisiert, sondern von einer einheitlichen Lösung durch ein einheitliches, globales Sachrecht geregelt werden. In diesem Fall würde sich dieser also von den Krücken eines nationalen Rechts befreien. Inhaltlich globale oder universelle Kollisionsnormen haben gegenüber nationalen kollisionsrechtlichen Anknüpfungen wenigstens den Vorzug einer einheitlichen kollisionsrechtlichen Behandlung und damit die Vermeidung einer je nach Forum unterschiedlich maßgeblichen Rechtsordnung. Die rechtliche Verzerrung eines internationalen Sachverhalts bleibt zwar bestehen, sie fällt aber weniger stark oder willkürlich aus. Deshalb wäre natürlich eine einheitliche, global gleiche Zuweisung internationaler Sachverhalte an ein oder mehrere bestimmte Rechte einer Nationalisierung durch nationales Recht vorzuziehen.
5. Sachnormen im Arbeitskollisionsrecht Die Aufstellung eigener Sachnormen für die rechtliche Entscheidung internationaler Sachverhalte wurde deshalb schon relativ früh9 vorgeschlagen. Für wirklich 9
Vgl. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 1981, S. 42 ff.
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(absolute) internationale Sachverhalte hat dann Steindorff 1958 seine Lehre von den „Sachnormen im internationalen Privatrecht“10 entwickelt, ohne dabei bei den Traditionalisten des Kollisionsrechts offene Ohren zu finden. Ihr Credo lautet vielmehr: „Einer besonderen Lehre über ,Sachnormen im IPR‘ bedarf es nicht“11. Diese Verweigerungshaltung ist allenfalls vom geltenden Recht her, aber nicht theoretisch begründet; mit dem Instrument der Anpassung, also mit Flickschusterei, ist es nicht getan, mehr als ein Herumdoktern an den fraglichen Phänomenen ist das ja nicht. Freilich, wie soll die Aufstellung solcher Sachnormen für internationale Sachverhalte im Arbeitsrecht geschehen? Darauf gibt es bislang keine Antwort. Wie gezeigt, gibt es im Arbeitsrecht – nicht nur im Fall von multinationalen Unternehmen bzw. Konzernen oder Gesellschaftsgruppen – zahlreiche Fälle, in denen die Anwendung einer Rechtsordnung dem Sachverhalt nicht gerecht wird. Allein dies führt noch nicht zu einer Lösung der Problematik des anwendbaren Rechts12. Der Zugriff auf die lex mercatoria13 ist im Arbeitsrecht gerade nicht möglich. Es gibt kein dem Handelsrecht entsprechendes autonomes Recht der Arbeitsbeziehungen, also ein transnationales Arbeitsrecht, mit dem sich die angesprochenen internationalen Sachverhalte überzeugend lösen ließen. Die labour core standards als Minimumstandards sind jedenfalls nicht geeignet, darüber hinausgehende materielle Fragen einer Lösung zuzuführen. Ein Vorrat an materiellen Lösungen ist zwar rechtsvergleichend gesehen da, aber welche dabei bei internationalen Sachverhalten zu favorisieren wären, dafür fehlt es, was nicht verwundert, an entsprechenden Präferenzkriterien. Es bedarf zwar sicherlich noch weiterer Suche nach ihnen, aber für die konkrete Erfassung ist die Lehre von den Sachnormen im IPR noch nicht geeignet. Dabei fehlt es weniger an den technischen Voraussetzungen als an dem sozialpolitisch notwendigen Konsens. Solange ein solcher fehlt, kommt eine globale Erfassung von arbeitsrechtlich relevanten internationalen Sachverhalten nicht in Frage. Man bleibt zurückgeworfen auf die einseitige, nationale Perspektive.
6. Globales arbeitsrechtliches Sachrecht? Für internationale Sachverhalte fehlt es bisher an einem globalen Sachrecht, sieht man einmal von den labour core standards ab. Gerade solche Tatbestände lassen sich nicht mit einem inhaltlichen Minimalprogramm adäquat erfassen. Es So der Titel seiner gleichnamigen Schrift. So Schurig, Kollisionsnorm, S. 335. 12 Zu den Schwierigkeiten im Einzelnen Siehr, Sachrecht im IPR, transnationales Recht und lex mercatoria, in: Internationales Privatrecht – Internationales Wirtschaftsrecht, 1985, S. 103 (104 ff.). 13 Dazu für unseren Zusammenhang Siehr, Sachrecht im IPR, S. 112 ff. 10 11
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gibt zwar in vielen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts Rechtsinstitutionen und Rechtsfiguren mit einer universalen oder mindestens sehr umfassenden internationalen Verbreitung. Aber gerade die Unterschiede im Detail reflektieren die nationalen Herkunftsmerkmale und / oder sozialpolitischen Hintergrund. Selbst das in der EG so häufig berufene „Europäische Sozialmodell“ erweist sich bei näherem Hinsehen jedenfalls nicht als eine hier Erfolg versprechende Kategorie. Wir sind noch weit entfernt, die Voraussetzungen für ein globales arbeitsrechtliches Sachrecht bejahen zu können. Das verbindliche globale arbeitsrechtliche Modell fehlt noch.
IV. Ausblick Will man internationale Sachverhalte des Arbeitsrechts sachgerecht erfassen, genügt der Rekurs auf nationales oder supranationales Arbeitskollisionsrecht nicht mehr. Die Globalisierung der Wirtschaft und Arbeit führt diesen Ansatz ad absurdum. Es reicht nicht mehr, aus der Perspektive einer einzelnen Rechtsordnung die Problematik lösen zu wollen. Darüber hinaus fehlt es aber bislang nicht nur an global akzeptierten Kollisionsnormen, sondern auch an den dahinter stehenden Sozialmodellen. Die unterschiedlichen nationalen Vorstellungen über Notwendigkeit und Methode von Regelungen machen es bisher weitgehend unmöglich, das nationale Arbeitskollisionsrecht zugunsten eines globalen materiellen Lösungsansatzes hinter uns zu lassen. Ernüchterung und der Blick nach vorn werden uns trotz dieser wenig versprechenden Analyse auch in Zukunft nicht davon abbringen, nach neuen adäquaten Lösungen Ausschau zu halten.
Der Erfüllungszeitpunkt im bargeldlosen Zahlungsverkehr Von Reinhard Bork
I. Einführung Nach § 362 Abs. 1 BGB erlischt das Schuldverhältnis durch Erfüllung, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. Die genaue Bestimmung des Erfüllungszeitpunkts bereitet nicht selten Schwierigkeiten, kann aber – etwa wenn es um die Berechnung der insolvenzrechtlichen Anfechtungsfristen geht – durchaus von streitentscheidender Bedeutung sein. Häufig wird angenommen, dass eine Leistung erst dann bewirkt ist, wenn der Gläubiger die endgültige Verfügungsmacht über den Leistungsgegenstand erlangt hat, wenn er also den Leistungsgegenstand so erhält, dass er ihn nicht mehr herausgeben muss, sondern ihn endgültig behalten kann.1 Diese Ansicht greift jedoch zu kurz. Wann eine Leistung bewirkt ist, ist zumindest für vertragliche Schuldverhältnisse gesetzlich nicht geregelt.2 Aus der Rechtsmacht der Vertragsparteien, einen Anspruch auf Leistung zu begründen, seinen Inhalt zu ändern oder ihn aufzuheben, und aus der Befugnis des Gläubigers, eine andere als die geschuldete Leistung als Erfüllung anzunehmen (§ 364 BGB), ergibt sich, dass es auch der Disposition der Parteien unterliegt zu bestimmen, wann eine Leistung bewirkt ist. Haben sie sich über diesen Zeitpunkt nicht explizit geeignet, so sind ihre Willenserklärungen bei Vertragsschluss – ggf. ergänzend – auszulegen (§§ 133, 157 BGB). Bei der Erfüllung von Geldschulden mit Bargeld wird der Gläubiger seine Forderung regelmäßig erst dann als erfüllt ansehen wollen, wenn ihm Geldmünzen oder -scheine in Höhe des entsprechenden Betrags übergeben und übereignet sind und er sie endgültig behalten darf. Bei der bargeldlosen Erfüllung hingegen kann es sich anders verhalten, weil die Vorteile für den Gläubiger so groß sind, dass er das Risiko eingehen wird, das Empfangene wieder zu verlieren. Dem soll im Folgenden näher nachgegangen werden.
1 Vgl. etwa BGH NJW 1996, 1207; Fischer, in: Festschr. f. G. Kreft, 2004, 223, 227; Münchener Kommentar zum BGB (= MünchKomm.BGB)-Wenzel, 4. Aufl. 2003, § 362 Rn. 3; Palandt-Heinrichs, 65. Aufl. 2006, § 362 Rn. 1. 2 Bülow, JuS 1991, 529; Meder, NJW 2005, 637, 638; Staudinger-Olzen, BGB, Neubearbeitung 2000, § 362 Rn. 14.
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II. Der Erfüllungszeitpunkt bei den verschiedenen Varianten der bargeldlosen Zahlung Schaut man sich die verschiedenen Varianten der bargeldosen Zahlung an, so ergibt sich folgendes Bild: 1. Scheck Durch Ausfüllen eines Schecks fordert der Scheckaussteller (Zahlender) die bezogene Bank (Zahlstelle) auf, zu Lasten seines Guthabens dem Scheckinhaber (Zahlungsempfänger) einen bestimmten Betrag zu zahlen. Damit erteilt der Scheckaussteller seiner Bank zwei Weisungen: einerseits eine wertpapierrechtliche Anweisung (§§ 783 ff. BGB), einen bestimmten Betrag an den Scheckinhaber zu zahlen (Art. 1 Nr. 2, 39 ScheckG), und andererseits eine geschäftsbesorgungsrechtliche Weisung (§§ 675, 665 BGB), den zu zahlenden Betrag von seinem Girokonto abzubuchen.3 Legt der Scheckempfänger den Scheck seiner Bank (Empfängerbank / Inkassostelle) zur Einziehung vor, so schreibt diese den entsprechenden Betrag seinem Konto gut. Diese Gutschrift steht aber unter der Bedingung der Scheckeinlösung durch die bezogene Bank. Nach Nr. 9 Abs. 2 S. 1 AGB / Banken gilt ein Scheck als eingelöst, wenn die Belastungsbuchung auf dem Konto des Scheckausstellers nicht innerhalb von zwei Bankarbeitstagen rückgängig gemacht wird. Diese Einlösung kann der Zahlende verhindern, in dem er der bezogenen Bank gegenüber seine wertpapierrechtliche Anweisung widerruft (Schecksperre). Ein solcher Widerruf ist für die bezogene Bank nach Art. 32 Abs. 1 ScheckG nur nach Ablauf der Vorlegungsfrist wirksam, nach der Rechtsprechung des BGH4 bei entsprechender Vereinbarung auch schon davor. Beachtlich ist ein solcher Widerruf für die bezogene Bank jedoch gem. § 790 S. 1 BGB nur, solange sie die Leistung noch nicht bewirkt hat. Bewirkt ist die Zahlung, wenn sie von der bezogenen Bank nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Bis zum Ablauf von zwei Bankarbeitstagen nach Belastungsbuchung des Kontos des Scheckausstellers steht die Gutschrift auf dem Gläubigerkonto noch unter Vorbehalt, kann also von der Inkassostelle rückgängig gemacht werden. Bis zu diesem Zeitpunkt kann sich die bezogene Bank an die Inkassostelle wenden und den Betrag zurückfordern. Hieraus folgt, dass der Scheckaussteller der bezogenen Bank gegenüber bis längstens zwei Tage nach der Belastungsbuchung widersprechen und die Transaktion so verhindern oder rückgängig machen kann.5 Für die Bestimmung des Erfüllungszeitpunktes ist unklar, ob sie durch Auslegung der Zahlungsabrede geschehen darf oder ob sie sich nach § 788 BGB zu 3
Schimansky / Bunte / Lwowski-Nobbe, Bankrechts-Handbuch, 2. Aufl. 2001, § 60 Rdnr.
10 f. BGHZ 104, 374, 380. Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2000, Rn. 4.535; Münchener Kommentar zum HGB (= MünchKomm.HGB)-Häuser, Bd. V, 2001, Zahlungsverkehr, Rn. D 64. 4 5
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richten hat6. In letzterem Fall werden Scheckempfänger und bezogene Bank, auf die es dann ankommt, die Leistung als bewirkt ansehen, wenn dem Scheckempfänger der Betrag nicht mehr entzogen werden kann. Dies ist der Fall, wenn die Valuta dem Scheckempfänger entweder von der bezogenen Bank bar ausbezahlt oder dem Konto des Scheckempfängers bei der Inkassostelle endgültig gutgeschrieben sind. Endgültig wird die Gutschrift mit dem Ablauf von zwei Tagen nach der Belastungsbuchung auf dem Konto des Scheckausstellers. Bestimmt man hingegen den Erfüllungszeitpunkt durch Auslegung der getroffenen Zahlungsabrede, so ist zu fragen, wann der Scheckempfänger eine gesicherte Rechtsposition erlangt hat. Die Begebung des Schecks bedeutet für den Scheckempfänger nur die Aussicht auf Zahlung durch die Zahlstelle. Sie führt also nicht zu Erfüllung, sondern erfolgt erfüllungshalber (§ 364 Abs. 2 BGB).7 Der Zahlungsempfänger hat erst dann kein berechtigtes Interesse mehr am Fortbestand der Kausalforderung, wenn er sich aus dem Scheck dergestalt befriedigen konnte, dass ihm die erlangten Valuta nicht mehr entzogen werden können. Dies ist entweder der Fall, wenn der Betrag dem Scheckempfänger von der bezogenen Bank bar ausbezahlt ist oder wenn er dem Konto des Scheckempfängers bei der bezogenen Bank oder bei der Inkassostelle ohne Vorbehalt gutgeschrieben ist, also nach dem Ablauf von zwei Tagen nach Belastungsbuchung auf dem Konto des Scheckausstellers. Für das Ergebnis macht es also keinen Unterschied, ob man den Eintritt der Erfüllung nach § 788 BGB oder durch Auslegung der Zahlungsabrede bestimmt. In beiden Fällen kommt es auf die Einlösung des Schecks an. Das entspricht allgemeiner Ansicht in der Literatur8. Die Rechtsprechung kommt zum selben Ergebnis9. Eingelöst ist ein Scheck, wenn die Valuta dem Scheckeinreicher von der bezogenen Bank bar ausbezahlt sind oder wenn sie dem Konto des Scheckeinreichers bei der Inkassostelle endgültig gutgeschrieben sind, also mit Ablauf von zwei Bankarbeitstagen nach Belastungsbuchung auf dem Konto des Scheckausstellers. 2. Wechsel Stellt der Zahlungspflichtige seinem Gläubiger einen Wechsel aus, so erhält der Wechselinhaber mit der Annahme durch die Zahlstelle gegen diese einen eigenen Zahlungsanspruch. Für die Erfüllung der Kausalforderung ist das aber ohne Be6 So z. B. MünchKomm.BGB-Hüffer, 4. Aufl. 2004, § 788 Rn. 3; Staudinger-Marburger, BGB, Neubearbeitung 2002, § 788 Rdnr. 6. 7 BGHZ 131, 66, 74 ; MünchKomm.HGB-Häuser (Fn. 5), Rn. D 430; Palandt-Heinrichs (Fn. 2), § 364 Rdnr. 7; Staudinger-Olzen (Fn. 2), Vor § 362 Rdnr. 20. 8 Fabienke, JR 1999, 47, 49; MünchKomm.BGB-Wenzel (Fn. 1), § 362 Rn. 20; MünchKomm.HGB-Häuser (Fn. 5), Rn. D 349; Schimansky / Bunte / Lwowski-Nobbe (Fn. 3), § 60 Rn. 186 ff., 242; Staudinger-Olzen (Fn. 2), Vor § 362 Rdnr. 23. 9 Vgl. BGHZ 131, 66, 74; BGH NJW 1996, 1961.
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lang, da auch der Wechsel nur erfüllungshalber gegeben wird (§ 364 Abs. 2 BGB).10 Es gilt daher das vorstehend zum Scheck Gesagte sinngemäß: Man kann an § 788 BGB anknüpfen11 oder auf die Zahlungsabrede zwischen den Parteien des Kausalverhältnisses zurückgreifen. Eine sichere Rechtsposition erlangt der Gläubiger auch hier erst in dem Moment, in dem auf den Wechsel an ihn oder den jeweiligen Berechtigten gezahlt wird. Die Zahlungsabrede ist also dahin gehend auszulegen, dass mit dieser Zahlung die Kausalforderung erfüllt sein soll. Auch beim Wechsel führen somit die Bestimmung des Erfüllungszeitpunktes nach § 788 BGB und nach der Zahlungsabrede zum gleichen Ergebnis. Hinsichtlich des Erfüllungszeitpunktes gilt somit bei der Begebung eines Wechsels nichts anderes als bei der Begebung eines Schecks.12 Erfüllung tritt bei der Wechselbegebung mit der Einlösung des Wechsels durch den Gläubiger (oder einen anderen zur Einlösung Berechtigten) ein. Eingelöst ist ein Wechsel, sobald die Valuta dem Gläubiger von der Zahlstelle bar ausbezahlt sind oder wenn sie dem Konto des Wechseleinlösers bei der Inkassostelle endgültig gutgeschrieben sind, also mit Ablauf von zwei Bankarbeitstagen nach Belastungsbuchung auf dem Konto des Schuldners.
3. Überweisung Der Hauptanwendungsfall der bargeldlosen Zahlung ist die Banküberweisung. Sie kommt dadurch zustande, dass der Schuldner (Überweisender) mit einer Bank (überweisendes Kreditinstitut) gem. § 676a Abs. 1 BGB einen Überweisungsvertrag schließt. Das überweisende Kreditinstitut übermittelt hierauf den zu überweisenden Betrag – i. d. R. unter Einschaltung von Zwischeninstituten im Wege des Zahlungsvertrags (§§ 676d, 676e BGB) – dem Kreditinstitut des Überweisungsempfängers. Im Rahmen des Girovertrags nach § 676f BGB schreibt das Kreditinstitut des Überweisungsempfängers diesem den überwiesenen Betrag auf dessen Girokonto gut. Nach § 676a Abs. 4 S. 1 BGB hat der Überweisende bis zum Eingang der Valuta bei der Empfängerbank die Möglichkeit, den Überweisungsvertrag seiner Bank gegenüber zu kündigen und so die Ausführung des Zahlungsvorgangs zu stornieren. Daher kommt als Erfüllungszeitpunkt keinesfalls der Abschluss eines Überweisungsvertrags durch den Schuldner in Frage, da der Gläubiger in diesem Stadium des Überweisungsvorgangs noch keinen Vorteil erlangt hat. Denkbar ist hingegen, entweder auf den Eingang der Valuta bei der Gläubigerbank13 oder die Gutschrift 10 Langenbucher, Die Risikozuordnung im bargeldosen Zahlungsverkehr, 2001, 37; Schimansky / Bunte / Lwowski-Peters (Fn. 3), § 64 Rn. 32; Staudinger-Olzen (Fn. 2), Vor § 362 Rn. 26. 11 Für einen Rückgriff auf diesen Rechtsgedanken Langenbucher (Fn. 10), 16. 12 Fabienke, JR 1999, 47, 49; MünchKomm.BGB-Wenzel (Fn. 1), § 362 Rn. 20; Staudinger-Olzen (Fn. 2), Vor § 362 Rdnr. 26. 13 Dafür Derleder / Knops / Bamberger-Oechsler, Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, 2004, § 37 Rn. 41; Kümpel (Fn. 5), Rn. 4.231 f.; Langenbucher (Fn. 10),
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auf dem Gläubigerkonto abzustellen14. Mit Eingang der Valuta bei der Gläubigerbank erhält der Gläubiger gegen seine Bank gem. § 676g Abs. 1 S. 1 BGB einen Anspruch auf Gutschrift, die am nächsten Bankgeschäftstag zu erfolgen hat (§ 676g Abs. 1 S. 4 BGB). Ist die Gutschrift erfolgt, so hat er gegen seine Bank aus der Gutschrift einen Anspruch auf Auszahlung des Betrages. Maßgeblich für die Wertstellung der Gutschrift ist stets das Datum des Eingangs der Valuta bei der Empfängerbank (§ 676g Abs. 1 S. 4 BGB). Mit dem Eingang der Valuta bei der Gläubigerbank hat der Gläubiger also eine gesicherte Rechtsposition erlangt, die nicht mehr durch Widerspruch des Überweisenden, sondern lediglich noch durch Unzulänglichkeiten aus dem Bereich der Gläubigerbank (Insolvenz, pflichtwidrige Verzögerung der Gutschrift etc.) gefährdet ist. Da allein der Gläubiger sich seine Bank ausgesucht hat und Einfluss auf sie nehmen kann, erscheint es richtig, dieses Restrisiko ihm und nicht dem Schuldner aufzubürden. Zu diesem Ergebnis gelangt letztlich auch Canaris als Vertreter der zweiten Ansicht unter Zuhilfenahme von § 242 BGB und eines Sphärengedankens.15 Eine solche Konstruktion ist aber entbehrlich. Die erste Ansicht harmoniert ferner mit § 676b Abs. 3 BGB, wonach im Falle der Nichtausführung einer Überweisung durch ein von der Gläubigerbank zwischengeschaltetes Kreditinstitut nicht der Schuldner, sondern der Gläubiger zu entschädigen ist. Bei einer Überweisung ist also die Zahlungsabrede im Ergebnis dahin gehend auszulegen, dass die Schuld mit Eintreffen der Valuta bei der Gläubigerbank erlischt. 4. Lastschrift Große praktische Bedeutung hat auch das Lastschriftverfahren, vor allem im Massengeschäft und in längerfristigen Geschäftsbeziehungen. Haben sich Schuldner und Gläubiger im Valutaverhältnis auf Bezahlung per Lastschrift geeinigt, so erteilt der Gläubiger seiner Bank (1. Inkassostelle) im Rahmen einer mit dieser geschlossenen Inkassovereinbarung einen Inkassoauftrag. Die Gläubigerbank schreibt den einzuziehenden Betrag dem Gläubigerkonto sofort gut, allerdings mit dem Vermerk „Eingang vorbehalten (EV)“. Der Gläubiger kann zwar bereits über den Betrag verfügen, nimmt aber damit einen Kredit seiner Bank in Anspruch.16 Die Gläubigerbank wendet sich sodann nach den Regelungen des im Interbankenverhältnis geltenden Abkommens über den Lastschriftverkehr (LSA) an die 159 f.; Langenbucher / Gößmann / Werner-Langenbucher, Zahlungsverkehr, 2004, 45 f.; Schimansky / Bunte / Lwowski-Schimansky (Fn. 3), § 49 Rn. 48a. 14 Für Letzteres Hellner / Schröter / Steuer / Weber-Hellne / Escher-Weingart, Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 3, Stand 2003, Rn. 6 / 15; Palandt-Heinrichs (Fn. 1), § 362 Rn. 9; zum alten Recht BGH NJW 1999, 210; WM 1976, 904, 906; BFHE 151, 123, 124; Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl. 1988, Rn. 476; Staudinger-Olzen (Fn. 2), Vor § 362 Rn. 39. 15 Canaris (Fn. 14), Rn. 478. 16 Kümpel (Fn. 5), Rn. 4.375; Schimansky / Bunte / Lwowski-van Gelder (Fn. 3), § 58 Rn. 164.
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Schuldnerbank (Zahlstelle). Diese prüft, ob das Konto des Schuldners gedeckt ist oder ein entsprechender Kreditrahmen besteht. Sollte dies nicht der Fall sein, so gibt sie die Lastschrift ohne Belastung des Schuldnerkontos an die Inkassostelle zurück, die ihrerseits das Gläubigerkonto rückbelastet. Ist auf dem Schuldnerkonto jedoch ausreichende Deckung vorhanden, so belastet die Zahlstelle dieses Konto und übermittelt den Betrag an die Inkassostelle. Diese wiederum streicht den EVVermerk bei der Gutschrift auf dem Konto des Gläubigers, so dass an diesem Tag die Wertstellung erfolgt. Unstrittig und für alle Varianten des Lastschriftverfahrens gleich ist, dass es sich bei der EV-Gutschrift auf dem Gläubigerkonto durch die Inkassostelle (Nr. 9 Abs. 1 AGB / Banken) um ein abstraktes Schuldanerkenntnis (§§ 780, 781 BGB) handelt, das unter der aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) des Eingangs der Valuta bei der Gläubigerbank (Deckungseingang, auch „Einlösung“ der Lastschrift) steht.17 Klar ist auch, dass im Ergebnis die Schuldnerbank einen Aufwendungsersatzanspruch aus §§ 675, 670 BGB gegen ihren Kunden geltend macht18, während für den Gläubiger im Verhältnis zu seiner Bank § 676f S. 1 BGB den Rechtsgrund der Gutschrift bildet19. Die nähere Ausgestaltung und dogmatische Einordnung des Lastschriftverkehrs hängt jedoch davon ab, ob es sich um die Variante des Abbuchungsauftragsverfahrens oder des Einzugsermächtigungsverfahrens handelt. a) Abbuchungsauftragsverfahren Beim Abbuchungsauftragsverfahren hat der Schuldner seiner Bank im Rahmen des mit ihr bestehenden Girovertrags die Generalweisung (§§ 675, 665 BGB) erteilt, eingehende Lastschriften zu bedienen.20 Bei Eingang entsprechender Lastschriften belastet die Schuldnerbank das Konto ihres Kunden und übermittelt den Betrag der Gläubigerbank. Da sie hierbei dem erklärten Willen ihres Kunden gemäß handelt, ist die Belastung ohne weitere Genehmigung des Kunden wirksam. Eine nachträgliche Stornierungsmöglichkeit für bereits eingegangene Lastschriften besteht grundsätzlich nicht. Der Schuldner kann jedoch seine geschäftsbesorgungsrechtliche Generalweisung an die Zahlstelle, eingehende Lastschriften zu bedienen, durch eine allgemeine Gegenweisung gegenüber der Zahlstelle widerrufen. Beachtlich ist eine solche Gegenweisung für die Zahlstelle freilich nur, wenn sie 17 Hellner / Schröter / Steuer / Weber-Krepold (Fn. 14), Rn. 6 / 359; Kümpel (Fn. 5), Rn. 4.355; Schimansky / Bunte / Lwowski-van Gelder (Fn. 3), § 58 Rn. 166. 18 Kümpel (Fn. 5), Rn. 4.367; Langenbucher / Gößmann / Werner-Werner (Fn. 13), § 2 Rn. 45. 19 MünchKomm.HGB-Hadding / Häuser (Fn. 5), Rn. C 125. 20 Vgl. BGHZ 72, 343, 345; 69, 82, 85; Hellner / Schröter / Steuer / Weber-Krepold (Fn. 14), Rn. 6 / 331; Langenbucher / Gößmann / Werner-Werner (Fn. 13), § 2 Rn. 2, 42 f.; Schimansky / Bunte / Lwowski-van Gelder (Fn. 3), § 57 Rn. 64.
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von ihr befolgt werden kann, ohne dass sie dadurch in anderen Verhältnissen vertragsbrüchig werden müsste. Gem. Nr 9 Abs. 2 S. 1 AGB / Banken kann die Inkassostelle auch nach Löschung des EV-Vermerks die Gutschrift auf dem Gläubigerkonto noch zwei Bankarbeitstage lang rückgängig machen. Mit dieser Bitte kann sich die Zahlstelle an die Inkassostelle wenden. Die Befolgung der Gegenweisung ist der Zahlstelle also bis zur Einlösung der Lastschrift noch möglich.21 Im Abbuchungsauftragsverfahren hat der Schuldner somit bis zwei Bankarbeitstage nach Belastungsbuchung auf seinem Konto die Möglichkeit, die Transaktion zu stornieren. Mit Ablauf dieser Frist gilt die Lastschrift gem. Nr. 9 Abs. 2 S. 1 AGB / Banken als eingelöst und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.22 Das wirkt sich auch auf den Erfüllungszeitpunkt aus: Mit der EV-Gutschrift auf seinem Konto kann der Gläubiger zwar bereits über den Betrag verfügen, jedoch nur unter Inanspruchnahme eines Kredits seiner Bank. Bis zum Ablauf von zwei Bankarbeitstagen nach Belastungsbuchung auf dem Schuldnerkonto kann die Gutschrift jederzeit rückgängig gemacht werden. Bis dahin hat der Gläubiger noch keine gesicherte Rechtsposition erreicht. Beim Abbuchungsauftragsverfahren ist die Zahlungsabrede daher so auszulegen, dass die Schuld mit Einlösung der Lastschrift erfüllt ist, also mit dem Ablauf von zwei Bankarbeitstagen nach Belastungsbuchung auf dem Schuldnerkonto.23
b) Einzugsermächtigungsverfahren Anders als beim Abbuchungsauftragsverfahren hat der Schuldner beim Einzugsermächtigungsverfahren seine Bank nicht angewiesen, eingehende Lastschriften zu bedienen, sondern nur seinem Gläubiger den Einzug gestattet. Die Rechtsnatur dieser Gestattung ist umstritten. Heute werden dazu hauptsächlich zwei Ansichten vertreten. Nach der Ermächtigungstheorie24 ist die Gestattung als Ermächtigung des Gläubigers im Sinne von § 185 Abs. 1 BGB (analog) zu verstehen, der Schuldnerbank wirksam einen Auftrag zum Einlösen der Lastschrift zu erteilen. Nach dieser Ansicht ist die Schuldnerbank von vornherein zu Belastung des Schuldnerkontos berechtigt. Mehrheitlich vertreten wird heute hingegen die Genehmigungstheorie25, wonach die „Einzugsermächtigung“ als bloße Aufforderung durch den Schimansy / Bunte / Lwowski-van Gelder (Fn. 3), § 58 Rn. 51. Kümpel (Fn. 5), Rn. 4.380 f.; MünchKomm.HGB-Hadding / Häuser (Fn. 2), Rn. D 74. 23 BGHZ 72, 343, 345 f.; Bork, in: Festschr. f. W. Gerhardt, 2004, 69, 72; Häuser, WM 1991, 1,3; Kümpel (Fn. 5), Rn. 4.415; MünchKomm.HGB-Hadding / Häuser (Fn. 2), Rn. C 120; Schimansky / Bunte / Lwowski-van Gelder (Fn. 3), § 58 Rn. 164. 24 Vgl. vor allem Canaris (Fn. 14), Rn. 532, 559, 565; weitere Nachweise bei Langenbucher (Fn. 10), 186 Fn. 840. 25 Vgl. etwa BGHZ 161, 49, 53; 144, 349, 353; BGH ZIP 2002, 2184, 2185; NJW 1996, 988, 989; 1989, 1672, 1673; Bork (Fn. 23), 73; Fischer (Fn. 1), 227; van Gelder; WM 2000, 101, 102; Jungmann, NZI 2005, 84, 86; weitere Nachweise bei Langenbucher (Fn. 10), 186 Fn. 842. 21 22
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Schuldner zur Benutzung des Lastschriftverfahrens zu verstehen ist. Die Belastung des Schuldnerkontos durch die Schuldnerbank erfolgt hiernach im Verhältnis zum Schuldner zunächst unberechtigterweise und ist vom Schuldner zu genehmigen. Damit hat der Schuldner im Einzugsermächtigungsverfahren die Möglichkeit, der Belastung seines Kontos gegenüber der Zahlstelle zu widersprechen und die Transaktion zu stornieren oder rückgängig zu machen. Folgt man der Ermächtigungstheorie, so handelt es sich bei diesem Widerspruch um einen Widerruf der Weisung durch eine Gegenweisung.26 Anhänger der Genehmigungstheorie verstehen den Widerspruch als Verweigerung der geschäftsbesorgungsrechtlichen Genehmigung nach § 684 Abs. 2 S. 2 BGB und als Geltendmachung eines Anspruchs auf deklaratorische Berichtigung des Kontosaldos.27
aa) Zeitliche Grenzen des Widerspruchsrechts Hinsichtlich des Zeitraums, in welchem solch eine Stornierung möglich ist, ist scharf zwischen den einzelnen Rechtsverhältnissen zu trennen. In der im Verhältnis zwischen Inkassostelle und Gläubiger geltenden Inkassovereinbarung ist regelmäßig vorgesehen, dass die Inkassostelle die an sich vorbehaltlos gewordene Gutschrift auf dem Gläubigerkonto unbegrenzt mit Einreichungswertstellung wieder rückgängig machen, das Gläubigerkonto also rückbelasten kann. Daher steht die Gutschrift durch die Inkassostelle auf dem Gläubigerkonto zusätzlich zur aufschiebenden Bedingung der Lastschrifteinlösung unter der auflösenden Bedingung (§ 158 Abs. 2 BGB) der Wiedervergütung des Lastschriftbetrags an die Zahlstelle wegen eines Widerspruchs des Schuldners.28 In dem Verhältnis zwischen Inkassostelle und Gläubiger gibt es somit keine zeitliche Begrenzung der Stornierungsmöglichkeit.29 Für das Interbankenverhältnis zwischen Zahlstelle und Inkassostelle bestimmt das dort geltende LSA in Abschnitt III Nr. 2 S. 1, dass die Inkassostelle sechs Wochen lang ab Belastung des Schuldnerkontos verpflichtet ist, zurückgegebene Lastschriften der Zahlstelle wiederaufzunehmen und dieser den Betrag zurückzuerstatten. Regelmäßig kann sich die Inkassostelle in diesem Fall bei dem Gläubiger im Wege der Rückbelastung erholen, trägt aber das Insolvenzrisiko des Gläubigers. Aus Abschnitt III Nr. 2 S. 1 LSA ergibt sich aber nicht, dass der Inkassosteller nach Ablauf der Sechs-Wochen-Frist ab Belastung des Schuldnerkontos nicht befugt wäre, einem Rücklastschriftersuchen der Zahlstelle nachLangenbucher (Fn. 10), 188; MünchKomm.HGB-Hadding / Häuser (Fn. 5), Rn. C 31. BGH ZIP 2002, 2184, 2185; van Gelder, WM 2000, 101; MünchKomm.HGB-Hadding / Häuser (Fn. 5), Rn. C 43, 47; Schimansky / Bunte / Lwowski-van Gelder (Fn. 3), § 58 Rn. 57. 28 Häuser WM 1991, 1, 4; MünchKomm.HGB-Hadding / Häuser (Fn. 5), Rn. C 42, 62, 124; Schimansky / Bunte / Lwowski-van Gelder (Fn. 3), § 58 Rn. 168. 29 Jungmann, NZI 2005, 84, 85; Kümpel (Fn. 5), Rn. 4.362; Langenbucher / Gößmann / Werner-Werner (Fn. 13), § 2 Rn. 138. 26 27
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zukommen.30 Tatsächlich werden zur Aufrechterhaltung der guten Geschäftsbeziehungen Rücklastschriften von Inkassostellen auch nach Ablauf dieser Frist noch befolgt. Bei Einverständnis der Inkassostelle gibt es also auch im Interbankenverhältnis keine zeitliche Beschränkung.31 Für das Deckungsverhältnis schließlich zwischen Schuldner und Zahlstelle sind allein die AGB/Banken maßgeblich. Seit 1. April 2002 enthalten diese in Nr. 7 Abs. 3 S. 1 die Bestimmung, dass der Schuldner Lastschriftbuchungen bis spätestens sechs Wochen nach Zugang des Rechnungsabschlusses zu widersprechen habe. Erfolgt in dieser Zeit kein Widerspruch, so gilt die Belastung nach S. 3 als genehmigt32, worauf der Schuldner nach S. 4 bei Erteilung des Rechnungsabschlusses hinzuweisen ist. Rechnungsabschlüsse erfolgen regelmäßig quartalsweise. Hat der Schuldner die Belastungsbuchung konkludent oder durch die Fiktion genehmigt, so ist ein späterer Widerspruch für die Zahlstelle nicht bindend, denn eine solche Genehmigung ist unwiderruflich.33 Diese Regelung bedeutet einerseits, dass der innerhalb von sechs Wochen nach Zugang des Rechnungsabschlusses erklärte Widerspruch für die Zahlstelle bindend ist und sie grundsätzlich das Risiko trägt, die Lastschrift der Inkassostelle nicht mehr zurückgeben zu können.34 Andererseits ergibt sich aus Nr. 7 Abs. 3 S. 1 AGB / Banken, dass Widersprüche des Schuldners nur bis zum Ende dieser Sechs-Wochen-Frist ab Zugang des Rechnungsabschlusses für die Zahlstelle bindend sind. Dies heißt jedoch nicht, dass sie Widersprüche nach Ablauf dieser Frist nicht mehr berücksichtigen dürfte.35 Vielmehr sind solche Widersprüche sowohl nach der Ermächtigungstheorie als auch nach der Genehmigungstheorie als Gegenweisungen zu betrachten. Tatsächlich wird sich eine Zahlstelle aus Kulanzgründen auch nach Ablauf der Frist regelmäßig noch um eine Rückgabe der Lastschrift bemühen. Damit gibt es für die Stornierungsmöglichkeit faktisch auch in diesem Deckungsverhältnis keine zeitliche Beschränkung.36 Insgesamt ist also die Stornierungsmöglichkeit des Schuldners ohne zeitliche Beschränkung.37 van Gelder, WM 2000, 101, 102. Langenbucher / Gößmann / Werner-Werner (Fn. 13), § 2 Rn. 138; Schimansky / Bunte / Lwowski-van Gelder (Fn. 3), § 58 Rn. 64, 71. 32 Vertreter der Ermächtigungstheorie müssen diese Genehmigungsfiktion als vertraglichen Verzicht auf eine spätere Gegenweisung verstehen. 33 BGHZ 161, 49, 53; BGH NJW-RR 2003, 837, 838; NJW 1989, 1672, 1673; van Gelder, WM 2000, 101, 102; MünchKomm.BGB-Seiler (Fn. 6), § 684 Rn. 13; MünchKomm.HGBHadding / Häuser (Fn. 5), Rn. C 43 m. w. N. 34 Dieses Rückholrisiko der Zahlstelle dem Schuldner gegenüber ist dadurch eingeschränkt, dass Nr. 11 Abs. 4 AGB / Banken für den Schuldner die Pflicht statuiert, die Buchungen auf dem Kontoauszug unverzüglich zu prüfen und Einwendungen, also auch Widersprüche gegen Lastschriftbuchungen, unverzüglich zu erheben. 35 A. M. ohne Begründung Schimansky / Bunte / Lwowski-van Gelder (Fn. 3), § 58 Rn. 72 Fn. 3. 36 Langenbucher / Gößmann / Werner-Werner (Fn. 13), § 2 Rn. 143. 37 van Gelder, WM 2000, 101, 103 f. m. w. N.; Jungmann, NZI 2005, 84, 85. 30 31
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bb) Relevanz für den Erfüllungszeitpunkt Wie dargelegt, bestimmen Schuldner und Gläubiger in ihrer Zahlungsabrede, wann die Schuld erfüllt sein soll. Maßgeblich hierfür ist also allein das Valutaverhältnis. Hingegen kommt es auf die Ausgestaltung des Deckungsverhältnisses zwischen Schuldner und Zahlstelle nicht an. Es spielt deshalb auch kein Rolle, ob man der Ermächtigungstheorie oder der Genehmigungstheorie folgt.38 Solange die Gutschrift auf dem Gläubigerkonto noch unter der aufschiebenden Bedingung der Lastschrifteinlösung steht, hat der Gläubiger nur eine Kreditgewährung durch die Inkassostelle erhalten. Ob die aufschiebende Bedingung eintritt, hängt von der Solvenz und dem pflichtgemäßen Arbeiten der Zahlstelle ab. Dieses Risiko kann dem Gläubiger, der sich die Zahlstelle ja nicht aussuchen und keinen Einfluss auf sie ausüben kann, keineswegs aufgebürdet werden, so dass Erfüllung in diesem Zeitpunkt noch nicht in Frage kommt.39 Frühestmöglicher Zeitpunkt für den Eintritt der Erfüllung ist somit die Einlösung der Lastschrift, gem. Nr. 9 Abs. 2 S. 1 AGB / Banken also der Ablauf von zwei Bankarbeitstagen nach Belastungsbuchung auf dem Schuldnerkonto, ohne dass diese Buchung wieder storniert worden wäre. Ab diesem Moment ist die Gutschrift (§§ 780, 781 BGB) auf dem Gläubigerkonto wirksam. Probleme bereitet jedoch die Tatsache, dass diese Gutschrift unter der auflösenden Bedingung der Wiedervergütung an die Zahlstelle wegen Widerspruchs des Schuldners steht. Dem wird teilweise durch die Auffassung Rechnung getragen, dass die Erfüllung mit Einlösung der Lastschrift noch nicht eintrete, sondern unter der aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) des Verlusts der Stornierungsmöglichkeit des Schuldners stehe.40) Für den Gläubiger sei der Eintritt der Erfüllung erst dann akzeptabel, wenn der Schuldner keine Möglichkeit mehr habe, der Lastschriftbuchung in solch einer Weise zu widersprechen, dass die Gutschrift auf dem Gläubigerkonto durch die Gläubigerbank wieder rückgängig gemacht werde, also erst mit einer Genehmigung durch den Schuldner oder Eintritt der Genehmigungsfiktion der Nr. 7 Abs. 3 S. 3 AGB / Banken. Gegen diese Ansicht spricht freilich, dass in der Regel beide Parteien davon ausgehen, dass mit Einlösung der Lastschrift die Schuld erfüllt ist.41 Damit korrespondiert die Annahme, dass der 38 Häuser, WM 1991, 1 f.; Langenbucher (Fn. 10), 193; Meder, JZ 2005, 1089, 1092. – So ist es denkbar, dass der Ermächtigungstheorie gemäß die Belastung des Schuldnerkontos durch die Zahlstelle berechtigt erfolgt und dass Schuldner und Gläubiger dennoch vereinbart haben, dass Erfüllung erst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten soll. Andererseits steht es Vertretern der Genehmigungstheorie frei, Erfüllung den Parteiinteressen entsprechend nicht erst mit Genehmigung der Belastungsbuchung durch den Schuldner der Zahlstelle gegenüber anzunehmen, sondern bereits mit Einlösung der Lastschrift. 39 MünchKomm.HGB-Hadding / Häuser (Fn. 5), Rn. C 123; Schimansky / Bunte / Lwowskivan Gelder (Fn. 3), § 58 Rn. 166. 40 BGHZ 161, 49, 53 f.; Dahl, NZI 2005, 102; Fischer (Fn. 1), 228; Knees, ZinsO 2004, 5; Kümpel (Fn. 5), Rn. 4.419; Schimansky / Bunte / Lwowski-van Gelder (Fn. 3), § 58 Rn. 178. 41 Bork (Fn. 23), 76; Jungmann, NZI 2005, 84, 87; Meder, JZ 2005, 1089, 1092 f.; NJW 2005, 637, 638.
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Gläubiger gegen den Schuldner einen schuldrechtlichen Anspruch auf Nicht-Widerspruch (Ermächtigungstheorie) bzw. auf Genehmigung (Genehmigungstheorie) gegenüber der Schuldnerbank hat.42 Ferner spricht gegen die Annahme einer aufschiebenden Bedingung, dass der Schuldner nie die Möglichkeit verliert, durch Widerspruch dem Gläubiger die Gutschrift auf dessen Konto wieder zu entziehen.43 Genau genommen ist also nach der Theorie der aufschiebenden Bedingung die Schuld im Valutaverhältnis nie erfüllt. Die Gegenmeinung geht deshalb davon aus, dass nach der Zahlungsabrede die Erfüllung bereits mit Einlösung der Lastschrift eintritt und lediglich unter der auflösenden Bedingung der Rückbuchung der Gutschrift wegen eines Widerspruchs des Schuldners steht.44 Hiernach ist die Schuld mit Einlösung der Lastschrift erfüllt. Widerspricht der Schuldner der Belastungsbuchung mit der Folge, dass die Gutschrift auf dem Gläubigerkonto wieder rückgängig gemacht wird, so entfällt damit die Erfüllung und die Schuld lebt wieder auf. An dieser Theorie wird kritisiert, dass Erfüllung eintrete, ohne dass der Schuldner etwas aufgewendet habe.45 Eine Leistung durch Dritte scheide aus, da Zahlstelle und Inkassostelle nach einhelliger Auffassung nur Leistungsmittler seien.46 Ferner setze diese Theorie voraus, dass man die dogmatische Möglichkeit einer auflösend bedingten Erfüllung zumindest für den Fall einer Erfüllung durch ein auflösend bedingtes Rechtsgeschäft akzeptiere. Weiterhin auf Kritik stößt das Wiederaufleben der bereits erloschenen Schuld47, zumal nicht geklärt sei, was im Falle des Wiederauflebens mit eventuell bestehenden Sicherungsrechten geschehe. Dem ist indessen entgegengehalten, dass die Vereinbarung einer auflösend bedingten Erfüllung von der sich aus der Privatautonomie ergebenden Dispositionsbefugnis von Schuldner und Gläubiger über den Eintritt der Erfüllung umfasst ist.48 Die Frage ist allein, ob das auch gewollt ist. Insoweit ist es hilfreich, noch einmal bei der Zahlungsabrede als Ausgangspunkt anzusetzen. Für Schuldner und Gläubiger besteht kein Zwang, sich in ihrer Zahlungsabrede an die Theorien zur Charakterisierung des Deckungsverhältnisses zu halten. Klar ist, dass aufgrund der vertraglichen Ausgestaltung des Deckungsverhältnisses, des Internbankenverhältnisses und des Vollzugsverhältnisses der Schuldner die – zeitlich sogar unbeschränkte – Möglichkeit hat, dem Gläubiger die gutgeschriebenen Valuta wieder 42 Vgl. auch BGHZ 161, 49, 54; Schimansky / Bunte / Lwowski-van Gelder (Fn. 3), § 58 Rn. 181. 43 Vgl. oben aa). 44 Bork, ZIP 2004, 2246; Hellner / Schröter / Steuer / Weber-Krepold (Fn. 14), Rn. 6 / 360; Sandberger, JZ 1977, 285, 289; wohl auch Staudinger-Olzen (Fn. 2), Vor § 362 Rn. 75; im Ergebnis auch Meder, JZ 2005, 1089, 1092 f. 45 Häuser, WM 1991, 1, 5; Kümpel (Fn. 5), Rn. 4.419; dagegen Bork (Fn. 23), 75. 46 Schimansky / Bunte / Lwowski-van Gelder (Fn. 3), § 58 Rn. 176. 47 Denck, ZHR 147 (1983), 544, 556; Häuser, WM 1991, 1, 4; Schimansky / Bunte / Lwowski-van Gelder (Fn. 3), § 58 Rn. 169. 48 Vgl. bereits Bork (Fn. 23), 76 Fn. 25.
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zu entziehen. An dieser real bestehenden Möglichkeit können Schuldner und Gläubiger durch Vereinbarungen in ihrem Valutaverhältnis nichts ändern. Sehr wohl vereinbaren können sie aber, ob und inwiefern der Schuldner von dieser Stornierungsmöglichkeit Gebrauch machen darf. Da die Parteien diesbezüglich regelmäßig nichts Ausdrückliches vereinbaren49, wird man für den Regelfall annehmen müssen, dass der Schuldner einer berechtigten Lastschrift nicht widersprechen darf, anderenfalls er sich schadensersatzpflichtig macht.50 Berechtigt sind die Lastschriften dann, wenn der Gläubiger Erfüllung verlangen kann. Daher befindet er sich trotz der Widerspruchsmöglichkeit in einer sicheren Position, weil er bei Stornierung einen Anspruch auf Schadlosstellung hat. Er kann darauf vertrauen, die Leistung behalten zu dürfen. Das genügt für die Annahme, dass er mit der Einlösung der Lastschrift als Erfüllungszeitpunkt einverstanden ist.51
c) Ergebnis Damit kann festgehalten werden: Im Abbuchungsauftragsverfahren ist die Zahlungsabrede so auszulegen, dass Erfüllung mit Einlösung der Lastschrift, also mit Ablauf des zweiten Bankarbeitstages nach Belastungsbuchung des Schuldnerkontos eintritt. Im Einzugsermächtigungsverfahren gilt trotz der Widerspruchsmöglichkeit letztlich dasselbe: Die Schuld ist dann erfüllt, wenn die Lastschrift eingelöst und der Schuldner im Verhältnis zum Gläubiger verpflichtet ist, die Lastschrift nicht mehr zu stornieren.
5. Kreditkarten Die Kreditkarte in der hier zu erörternden Variante ist regelmäßig eine Universalkreditkarte.52 Sie wird dem Karteninhaber von einem Kreditkartenunternehmen (Zahlstelle) im Rahmen eines zwischen den beiden geschlossenen Emissionsver49 Dass dies im Einzelfall anders sein kann, sollte nicht dazu verleiten, jede Aussage zum Erfüllungszeitpunkt von der Lage des Einzelfalles abhängig zu machen oder typologisch zu differenzieren; vgl. aber Langenbucher (Fn. 1), 193 ff.; Meder, JZ 2005, 1089, 1092. Vielmehr sollte man für den Regelfall von der im Text beschriebenen typischen Konstellation ausgehen und lediglich im Einzelfall ausnahmsweise anders verfahren, wenn sich ein vom Regelfall abweichender Parteiwille feststellen lässt. 50 Vgl. dazu grundsätzlich BGHZ 161, 49, 52; 101, 153, 157; 74, 300, 306; Bork (Fn. 23), 80; Meder, JZ 2005, 1089, 1090 ff.; Rottnauer, WM 1995, 272, 279. 51 Anderenfalls käme man auch zu völlig lebensfremden Ergebnissen; vgl. Bork (Fn. 23), 76 Fn. 24. 52 Anders beim Zweiparteiensystem, bei dem der Kunde seine Schuld beim Gläubiger mittels einer Kundenkarte begleicht, die ihm zu diesem Zweck vom Gläubiger ausgegeben wurde; vgl. dazu Derleder / Knops / Bamberger-Blaurock (Fn. 13), § 43 Rn. 4; Schimansky / Bunte / Lwowski-Martinek / Oechsler (Fn. 3), § 67 Rn. 4. Hier handelt es sich regelmäßig um ein Lastschriftverfahren, so dass das vorstehend zu 4. Gesagte sinngemäß gilt.
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trags ausgestellt. Das Gläubigerunternehmen (Zahlungsempfänger, Vertragsunternehmen) ist mit dem Kreditkartenunternehmen durch einen Akquisitionsvertrag verbunden. Bei diesem Vertrag handelt es sich um einen echten Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 BGB), durch den sich das Vertragsunternehmen verpflichtet, Bezahlungen mit der entsprechenden Kreditkarte zu akzeptieren. Bezahlt der Karteninhaber mit der Kreditkarte, so veranlasst er hierdurch im Deckungsverhältnis das Kreditkartenunternehmen, den entsprechenden Betrag dem Vertragsunternehmen zukommen zu lassen. Bei vertragsgerechter Handhabung (Überprüfung der Unterschrift etc.) garantiert das Kreditkartenunternehmen dem Vertragsunternehmen kurzfristige Zahlung des entsprechenden Betrages. In Höhe der angesammelten Beträge nimmt dann das Kreditkartenunternehmen periodisch, regelmäßig am Monatsende, den Karteninhaber in Regress. Für die Begleichung dieser Regressforderung hat der Karteninhaber dem Kreditkartenunternehmen gewöhnlich eine Einzugsermächtigung erteilt. Auf die dogmatischen Einzelheiten kann hier aus Platzgründen nicht eingegangen werden, so dass folgende Hinweise genügen müssen: Für das Deckungsverhältnis wird vertreten, dass der Karteninhaber durch Unterschreiben des Belegs das Kreditkartenunternehmen im Sinne von § 783 BGB anweist, an das Vertragsunternehmen zu zahlen.53 Die herrschende Gegenmeinung versteht hingegen das Unterschreiben des Belegs als geschäftsbesorgungsrechtliche Weisung (§§ 675, 665 BGB).54 Im Valutaverhältnis ist die Rechtnatur der Bindung des Kreditkartenunternehmens gegenüber dem Vertragsunternehmen unklar. Das Meinungsspektrum reicht vom Forderungskauf55 bis zur Garantie56. Überwiegend wird das Zahlungsversprechen heute als abstraktes Schuldversprechen im Sinn von §§ 780, 781 BGB verstanden, das unter der aufschiebenden Bedingung der Einreichung ordnungsgemäß zustande gekommener Belege steht.57 Unklar ist bei Kreditkartenzahlungen, ob der Karteninhaber die Möglichkeit hat, durch Widerspruch im Deckungsverhältnis die Zahlung an das Vertragsunternehmen im Vollzugsverhältnis wieder rückgängig zu machen. Ob und wie lange ein solcher Widerspruch konstruktiv möglich ist, hängt von der dogmatischen Einordnung der Zahlungsanweisung im Deckungsverhältnis ab. Hält man §§ 783 ff. BGB für einschlägig, so hat man § 790 BGB mit der Folge anzuwenden, dass ein Wider53 Canaris (Fn. 14), Rn. 1624; Derleder, NJW 1994, 2597 f.; Knauth, NJW 1983, 1287, 1289; Schnauder, NJW 2003, 849, 850. 54 BGHZ 152, 75, 83; 91, 221, 224; MünchKomm.HGB-Hadding (Fn. 5), Rn. G 31; Schimansky / Bunte / Lwowski-Martinek / Oechsler (Fn. 3), § 67 Rn. 11, 34 f.; weitere Nachweise bei Langenbucher (Fn. 10), 274 Fn. 1244. 55 So noch BGH NJW 1990, 2880, 2881. 56 Nachweise bei Derleder / Knops / Bamberger-Blaurock (Fn. 13), § 43 Rn. 40. 57 BGHZ 157, 256, 261 f.; 150, 286, 290 ff.; BGH NJW-RR 2004, 1124, 1125; MünchKomm.HGB-Hadding (Fn. 5), Rn. G 22; Schimansky / Bunte / Lwowski-Martinek / Oechsler (Fn. 3), § 67 Rn. 66; für am Parteiwillen orientierte Einzelfallentscheidung auch hier wieder Langenbucher (Fn. 10), 257 f.
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ruf der Anweisung nur bis zu dem Zeitpunkt möglich ist, in dem der Angewiesene (Kreditkartenunternehmen) dem Anweisungsempfänger (Vertragsunternehmen) gegenüber die Leistung bewirkt hat.58 Versteht man die Zahlungsweisung im Deckungsverhältnis jedoch mit der h. M. geschäftsbesorgungsrechtlich, so ist eine Gegenweisung gem. §§ 675, 665 BGB so lange möglich, wie das Kreditkartenunternehmen sie befolgen kann, ohne im Vollzugsverhältnis zwischen Kreditkartenunternehmen und Vertragsunternehmen vertragsbrüchig zu werden. Nach dieser zweiten Ansicht besteht die Widerspruchsmöglichkeit des Karteninhabers folglich so lange, wie das Kreditkartenunternehmen den Regelungen des Akquisitionsvertrags gemäß die Zahlung rückgängig machen kann, sich also noch nicht unwiderruflich gebunden hat.59 Sieht man eine solche Bindung in dem bei Belegunterzeichnung zustande gekommenen abstrakten Schuldversprechen, dann ist im Ergebnis die Widerspruchsmöglichkeit zu verneinen.60 Etwas anderes gilt indessen, wenn das Kreditkartenunternehmen seine Anerkenntniserklärung dem Vertragsunternehmen gegenüber unter die auflösende Bedingung eines Widerrufs gestellt hat. Tatsächlich enthalten die verwendeten Akquisitionsverträge oft eine Klausel, nach der sich das Kreditkartenunternehmen im Vollzugsverhältnis für den Fall, dass der Karteninhaber dem Kreditkartenunternehmen gegenüber die Ordnungsgemäßheit der Bezahlung bestreitet, das Recht vorbehält, geleistete Zahlungen wieder zurückzufordern.61 Die Rechtsprechung hält solche Klauseln freilich nach AGB-Recht für unwirksam.62 Im Ergebnis besteht daher für den Karteninhaber nur ausnahmsweise die Möglichkeit, durch einen Widerspruch gegenüber dem Kreditkartenunternehmen die Zahlung an das Vertragsunternehmen rückgängig zu machen. Was den Erfüllungszeitpunkt angeht, so bestimmt er sich danach, was Vertragsunternehmen und Karteninhaber in ihrer Zahlungsabrede ausdrücklich oder konkludent vereinbart haben. Mit Unterzeichnung des Belegs erwirbt das Vertragsunternehmen zunächst nur eine neue Forderung gegen das Kreditkartenunternehmen als Dritten, so dass es nach der Auslegungsregel des § 364 Abs. 2 BGB nahe liegt, dass die Kausalforderung durch Unterzeichnung des Belegs nicht erlöschen, sondern weiterbestehen soll. Folgt man der Ansicht, welche die vorherige vertragliche Bindung des Vertragsunternehmens mit dem Kreditkartenunternehmen im Vollzugsverhältnis als Forderungskaufvereinbarung versteht63, so ist dieses Ergebnis zwingend. Wäre die Kausalforderung im Valutaverhältnis nämlich bereits durch 58 Canaris (Fn. 14), Rn. 1634; Meder, NJW 1994, 2597, 2598; Schwintowski / Schäfer, Bankrecht, 2004, § 6 Rn. 44 ff. 59 Hellner / Schröter / Steuer / Weber-Haun / Neunberger (Fn. 14), Rn. 6 / 19937; Schimansky / Bunte / Lwowski-Martinek / Oechsler (Fn. 3), § 67 Rn. 35. 60 BGHZ, 152, 75, 80; MünchKomm.HGB-Hadding (Fn. 5), Rn. G 40. 61 Nachweise bei Langenbucher (Fn. 10), 276 Fn. 1255. 62 BGHZ 150, 286, 295 ff.; vgl. aber auch Canaris (Fn. 14), Rn. 1642; Langenbucher (Fn. 10), 276 f. 63 Dazu Fn. 55.
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Belegunterzeichnung erfüllt, so könnte sie anschließend nicht mehr abgetreten werden. Folgt man hingegen der Ansicht, die im Vollzugsverhältnis ein abstraktes Schuldversprechen sieht64, so ist das vom Vertragsunternehmen bei Unterzeichnung des Belegs Erlangte näher in den Blick zu nehmen. Die dadurch entstandene Forderung des Vertragsunternehmens gegen das Kreditkartenunternehmen ist abstrakt und unbedingt, so dass das Kreditkartenunternehmen ihr keine weiteren Einwendungen entgegenhalten kann. Freilich muss das Vertragsunternehmen diese Forderung erst durchsetzen und hat dabei das Insolvenzrisiko des Kreditkartenunternehmens zu tragen. Man könnte diese Risiken dem Vertragsunternehmen aufbürden, zumal dieses sich ja das Kreditkartenunternehmen frei ausgesucht hat und mit ihm vertraglich verbunden ist. Unter diesen Umständen ist das Kreditkartenunternehmen nämlich nicht in dem Sinne ein Dritter, wie es etwa bei der Wechselhingabe der Akzeptant nach Annahme des Wechsels ist, sondern ähnelt vielmehr der kartenemittierenden Bank bei der GeldKarte65. Hieraus könnte sich dann ergeben, dass das Vertragsunternehmen kein berechtigtes Interesse am Fortbestand der Kausalforderung gegen den Karteninhaber hat, so dass die Valutaschuld bereits mit Belegunterzeichnung erfüllt ist.66 Ganz überwiegend wird jedoch darauf abgestellt, dass die Bezahlung mit Kreditkarte vorwiegend im Interesse des Karteninhabers liege, dem an den Zinsvorteilen aus der Kreditgewährung gelegen sei. Das Risiko der Geltendmachung der Forderung des Vertragsunternehmens gegen das Kreditkartenunternehmen sei so groß, dass es nicht dem Vertragsunternehmen aufgebürdet werden könne.67 Dieses lege durchaus Wert auf den Fortbestand der Kausalforderung im Valutaverhältnis, so dass § 364 Abs. 2 BGB anzuwenden sei.68 Nach der h. M. erlischt die Valutaschuld also nicht mit der Belegunterzeichnung, sondern nach Vereinbarung der Parteien frühestens mit Begleichung der Forderung im Vollzugsverhältnis. Sofern dem Vertragsunternehmen die erhaltenen Valuta aufgrund einer Stornierung durch den Karteninhaber wieder entzogen werden können, gilt das zur Einzugsermächtigungslastschrift Gesagte69 sinngemäß: Die Stornierungsmöglichkeit verzögert den Eintritt der Erfüllung regelmäßig nicht. Damit wird man die Zahlungsabrede für den Regelfall so auszulegen haben, dass die Schuld im Valutaverhältnis (erst) dann erfüllt ist, wenn das Kreditkartenunternehmen an das Vertragsunternehmen gezahlt hat.
Dazu Fn. 57. Zu dieser unten 7. 66 So auf der Grundlage von § 364 Abs. 1 BGB Eckert, WM 1987, 161, 167. 67 Langenbucher / Gößmann / Werner-Gößmann (Fn. 13), § 3 Rn. 93. 68 Langenbucher / Gößmann / Werner-Gößmann (Fn. 13), § 3 Rn. 92; MünchKomm.HGBHadding (Fn. 5), Rn. G 15; Palandt-Heinrichs (Fn. 1), § 364 Rn. 7; Schimansky / Bunte / Lwowski-Martinek / Oechsler (Fn. 3), § 67 Rn. 71. 69 Oben 4. b) bb) (a. E.). 64 65
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6. Debitkarten Bezahlt der Kunde nicht mit einer Kreditkarte, sondern in einem Verfahren ohne Kreditgewährung mit einer Debitkarte, so ist zu unterscheiden zwischen Verfahren mit Zahlungsgarantie und Verfahren ohne Zahlungsgarantie.
a) Debitkarten mit Zahlungsgarantie Um eine Debitkartenbezahlung mit Zahlungsgarantie handelt es sich immer dann, wenn der Karteneinsatz mit einem direkten Zugriff auf die aktuellen Kontodaten des Schuldners verbunden ist und der Zahlungsvorgang nur eingeleitet wird, wenn die Anfrage ergeben hat, dass das vorhandene Guthaben für die Bezahlung ausreicht oder dass ein entsprechender Kreditrahmen besteht. Hauptbeispiel für eine Zahlung mit Debitkarte ist in Deutschland die Zahlung mit ec-Karte im ec / maestro-Verfahren unter Eingabe der Geheimzahl (PIN). Voraussetzung hierfür ist eine (rahmen)vertragliche Verbindung des Vertragsunternehmens mit dem kartenemittierenden Institut, in der dieses dem Vertragsunternehmen in Form einer Garantie70 oder eines abstrakten Schuldversprechens (§§ 780, 781 BGB)71 verspricht, vom Vertragsunternehmen gegenüber einem Karteninhaber begründete Forderungen zu begleichen. Dieses Versprechen steht zum einen unter der aufschiebenden Bedingung der positiven Antwort auf eine ordnungsgemäße Anfrage bei einem Netzknoten der Gesellschaft für Zahlungssysteme mbH (GZS) beim kontoführenden Kreditinstitut im Zeitpunkt des Zahlvorgangs und zum anderen unter der auflösenden Bedingung der Nichtgeltendmachung der Forderung innerhalb einer bestimmten Frist, die bei der ec-Karte acht Tage, bei der maestro-Karte zwölf Tage ab Einleitung des Zahlvorgangs durch den Karteninhaber beträgt. Indem der Karteninhaber am POS-Terminal des Vertragsunternehmens seine Geheimzahl eingibt und den zu zahlenden Betrag bestätigt, erteilt er seiner Bank einen Zahlungsauftrag im Sinne von §§ 675, 665 BGB.72 Zugleich begründet er eine Verbindlichkeit seiner Bank gegenüber dem Vertragsunternehmen. Diese wird im Normalfall dadurch erfüllt, dass das Vertragsunternehmen über einen bestimmten Zeitraum die in seinem POS-Terminal (Point Of Sale) gespeicherten, elektronisch erteilten Zahlungsanweisungen sammelt und diese Daten dann an seine Bank als Inkassostelle weiterleitet, die den jeweiligen Betrag von der Schuldnerbank im Wege eines besonderen Lastschriftverfahrens einzieht, für das nicht das LSA maßgeblich ist und in dem keine Widerspruchsmöglichkeiten für die Schuldnerbank Kümpel (Fn. 5), Rn. 4.824. Hellner / Schröter / Steuer / Weber-Bub (Fn. 14), Rn. 6 / 1584; Langenbucher / Gößmann / Werner-Koch / Vogel (Fn. 13), § 5 Rn. 41; Schimansky / Bunte / Lwowski-Gößmann (Fn. 3), § 68 Rn. 6. 72 Langenbucher (Fn. 10), 295; Langenbucher / Gößmann / Werner-Koch / Vogel (Fn. 13), § 5 Rn. 43. 70 71
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oder den Karteninhaber bestehen.73 Auch eine umgehende Online-Weiterleitung der Daten an die Bank des Vertragsunternehmens ist möglich und hat zur Folge, dass diese die Lastschrift sofort einziehen wird. Grundsätzlich ist es dem Karteninhaber auch nach diesem Vorgang möglich, bei seiner Bank durch Erteilung einer Gegenweisung zu widersprechen. Dieser Gegenweisung hat die Bank aber nur nachzukommen, wenn ihr das möglich ist, ohne vertragsbrüchig zu werden. In dem Rahmenvertrag mit dem Vertragsunternehmen ist jedoch bei ec-Karten keine Möglichkeit vorgesehen, autorisierte Zahlungen wieder rückgängig zu machen. Die Schuldnerbank kann demnach dem Widerspruch des Karteninhabers nicht nachkommen, so dass sie an ihn nicht gebunden ist. Faktisch besteht also für den Karteninhaber keine Widerspruchsmöglichkeit.74 Für den Erfüllungszeitpunkt hat das folgende Konsequenzen: Mit Bestätigung der Zahlung durch den Karteninhaber am Kartenterminal des Vertragsunternehmens erhält dieses einen abstrakten Zahlungsanspruch gegen die Bank des Kunden, dem diese keine Einwendungen entgegensetzen kann. Das könnte für eine sofortige Erfüllung sprechen. Andererseits besteht aber das Insolvenzrisiko der Schuldnerbank noch so lange, bis diese die von der Gläubigerbank einzuziehende Lastschrift eingelöst hat. Dieses Risiko kann dem Vertragsunternehmen, das sich die Schuldnerbank nicht aussuchen kann, nicht auferlegt werden. Eine gesicherte Rechtsposition erlangt das Vertragsunternehmen erst mit dem Zeitpunkt, in dem die Schuldnerbank die gegen sie bestehende abstrakte Forderung des Vertragsunternehmens durch Einlösung der Lastschrift begleicht. Erst jetzt hat der Gläubiger kein berechtigtes Interesse mehr am Fortbestand der Forderung aus dem Valutaverhältnis. Im Debitkartenverfahren mit Zahlungsgarantie ist die Zahlungsabrede somit dahin gehend auszulegen, dass die Forderung erst mit Einlösung der Lastschrift durch die Schuldnerbank erlischt.75 Bis dahin ist in analoger Anwendung der Auslegungsregel des § 364 Abs. 2 BGB davon auszugehen ist, dass die Forderung aus dem Valutaverhältnis weiterbesteht und lediglich durch die Einrede der Einleitung einer bargeldlosen Zahlung gehemmt ist.76
b) Debitkarte ohne Zahlungsgarantie Mit den in Deutschland verbreiteten Bankkarten ist nicht nur eine Zahlung mit Zahlungsgarantie im edc / maestro-Verfahren möglich, sondern auch die Benutzung 73 Langenbucher (Fn. 10), 288 f.; Langenbucher / Gößmann / Werner-Koch / Vogel (Fn. 13), § 5 Rn. 34; Meder JZ 2005, 1089, 1091. 74 Langenbucher (Fn. 10), 285; Langenbucher / Gößmann / Werner-Koch / Vogel (Fn. 13), § 5 Rn. 43 Fn. 85. 75 Langenbucher (Fn. 10), 298; für Erfüllung erst mit Gutschrift auf dem Gläubigerkonto Fabienke, JR 1999, 47, 53. 76 Hellner / Schröter / Steuer / Weber-Bub (Fn. 14), Rn. 6 / 1563; Langenbucher / Gößmann / Werner-Koch / Vogel (Fn. 13), § 5 Rn. 46; Palandt-Heinrichs (Fn. 1), § 364 Rn. 7.
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eines Verfahrens ohne Zahlungsgarantie (ELV oder POZ). Hierbei erfolgt kein direkter Zugriff auf den aktuellen Kontostand des Karteninhabers. Vielmehr wird das POS-Kartenterminal nur dazu benutzt, von der Karte die Daten des Kunden (Name, Bank, Kontonummer) auszulesen. Mit diesen Daten wird ein Beleg in Höhe der zu zahlenden Summe ausgedruckt. Indem der Karteninhaber diesen Beleg unterschreibt, erteilt er dem Vertragsunternehmen eine Einzugsermächtigung für das Lastschriftverfahren. Daraufhin obliegt es dem Vertragsunternehmen, den Betrag im Wege des gewöhnlichen Einzugsermächtigungsverfahrens beizutreiben. Für den Erfüllungszeitpunkt gelten daher die oben dazu begründeten Ergebnisse77: Die Zahlungsabrede wird regelmäßig dahin auszulegen sein, dass die Schuld erst mit Einlösung der Lastschrift durch die Schuldnerbank, also mit Belastungsbuchung auf dem Konto des Schuldners, erfüllt ist.
7. GeldKarte Der Bezahlung mit Bargeld nachempfunden ist das System der bargeldlosen Bezahlung mit der GeldKarte. Hierbei stellt der Chip auf der Karte die Geldbörse des Karteninhabers dar. Regelmäßig findet sich ein solcher Chip auf den von den Banken ausgegebenen ec-Karten, jedoch können GeldKarten auch als kontoungebundene, sog. „weiße Karten“, ausgegeben werden. Seine elektronische Geldbörse füllt der Karteinhaber dadurch, dass er sie an einem Ladeterminal auflädt. Den entsprechenden Ladebetrag hat der Kunde dabei sofort zu entrichten, entweder durch Abbuchung von seinem Konto oder durch Einzahlung von Bargeld. Es handelt sich also um ein vorausbezahltes (prepaid), wertspeicherndes Zahlungsinstrument. Voraussetzung für die Bezahlung mit GeldKarte ist, dass der Gläubiger durch den Rahmenvertrag der „Bedingungen für die Teilnahme am System GeldKarte“ (Händlerbedingungen) in das System der GeldKarte eingebunden ist und über ein entsprechendes Terminal verfügt. Bestätigt der Karteninhaber an diesem Terminal, ohne dass die Eingabe einer Geheimzahl erforderlich wäre, die Bezahlung des angezeigten Betrages, so wird über die Software des Terminals der geladene Betrag auf der GeldKarte des Zahlenden um die entsprechende Summe vermindert und der Betrag auf dem Sicherheitsmodul des Terminals (Händlerkarte) um die gleiche Summe erhöht. Den auf diesem Modul geladenen Betrag kann sich das Vertragsunternehmen dann durch Übermittlung der Daten (online oder offline) an seine Inkassobank gutschreiben oder bar ausbezahlen lassen. Verrechnet werden die eingezahlten und die auszubezahlenden Beträge über Börsenverrechnungskonten (BRV) der beteiligten Kreditinstitute, die untereinander durch die „Vereinbarung über das institutsübergreifende System GeldKarte“ verbunden sind. Die dogmatische Einordnung des Bezahlvorgangs mit der GeldKarte ist umstritten. Teilweise werden die GeldKarte und der darauf geladene Betrag wertpapierrechtlich als Inhaberschuldverschreibungen (§§ 793 ff. BGB analog) ver77
Vgl. oben 4. b) bb).
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standen.78 Die herrschende Meinung geht demgegenüber von einem geschäftsbesorgungsrechtlichen Anweisungsmodell aus.79 Streitig ist dabei, ob der Karteninhaber bei Benutzung der GeldKarte jedes Mal seiner Bank die Einzelweisung erteilt, den entsprechenden Betrag an den Händler zu übermitteln,80 oder ob eine abstrakt-generelle Weisung vorliegt, die der Karteninhaber beim Erwerb der Karte seiner Bank gegenüber antizipiert erteilt.81 Sicher ist jedenfalls, dass gem. Nr. 4 der Händlerbedingungen das Vertragsunternehmen mit Abschluss eines ordnungsgemäßen Bezahlvorgangs gegen das kartenausgebende Institut eine Garantie in Höhe des getätigten Umsatzes erwirbt. Diese Garantie wird einhellig als abstraktes Schuldanerkenntnis (§§ 780, 781 BGB) aufgefasst.82 Zustande kommt der Anerkenntnisvertrag dadurch, dass der Karteninhaber das Angebot der kartenausgebenden Bank überbringt. Der Karteninhaber hat dabei nach Bestätigung der Zahlung keine Möglichkeit, den Zahlungsvorgang durch Widerspruch zu unterbrechen. Zwar steht ihm grundsätzlich die Möglichkeit zur Erteilung einer Gegenweisung gegenüber seiner Bank zu. Da sich diese jedoch durch deren Befolgung im Verhältnis zum Vertragsunternehmen vertragswidrig verhalten würde, ist sie an den Widerspruch des Karteninhabers nicht gebunden. Für die Bestimmung des Erfüllungszeitpunkts bedeutet das: Durch Bestätigung der Zahlung am Terminal durch den Karteninhaber erwirbt das Vertragsunternehmen einen abstrakten Zahlungsanspruch gegen das kartenausgebende Institut, so dass man gem. § 364 Abs. 2 BGB davon ausgehen könnte, dass die Kausalforderung weiter bestehen und erst mit Erfüllung dieser neuen Verbindlichkeit untergehen soll. Erfüllung der Kausalforderung träte danach erst im Zeitpunkt der erfolgreichen Einlösung der Forderung gegen das kartenausgebende Institut ein, also mit Belastungsbuchung auf dem Börsenverrechnungskonto des kartenausgebenden Instituts.83 Dabei bliebe aber unberücksichtigt, dass das Bezahlen mit GeldKarte als Ersatz für die Zahlung mit Bargeld angesehen wird. Es liegt daher näher, die Übertragung der Werteinheiten auf der GeldKarte nicht als Leistung erfüllungshalber, sondern als Erfüllung (§ 362 Abs. 1 BGB) oder zumindest als Leistung an Erfüllungs statt (§ 364 Abs. 1 BGB) aufzufassen.84 Dem kann man auch deshalb 78 So z. B. Escher, WM 1997, 1173, 1181; weitere Nachweise bei Langenbucher (Fn. 10), 306 Fn. 1383. 79 Kümpel (Fn. 5), Rn. 4.883; Langenbucher (Fn. 10), 306 ff.; Langenbucher / Gößmann / Werner-Koch / Vogel (Fn. 13), § 5 Rn. 78 ff.; Schimansky / Bunte / Lwowski-Gößmann (Fn. 3), § 68 Rn. 29 ff. 80 Kümpel (Fn. 5), Rn. 4.883; Langenbucher / Gößmann / Wemer-Koch / Vogel (Fn. 13), § 5 Rn. 78 ff.; Schimansky / Bunte / Lwowski-Gößmann (Fn. 3), § 68 Rn. 29 ff. 81 Langenbucher (Fn. 10), 312; Langenbucher / Gößmann / Werner-Neumann (Fn. 13), § 6 Rn. 26. 82 Langenbucher / Gößmann / Wemer-Koch / Vogel (Fn. 13), § 5 Rn. 86; Schimansky / Bunte / Lwowski-Gößmann (Fn. 3), § 68 Rn. 42. 83 Dafür Langenbucher (Fn. 10), 330. 84 Schimansky / Bunte / Lwowski-Gößmann (Fn. 3), § 68 Rn. 45.
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näher treten, weil der abstrakte Zahlungsanspruch, den das Vertragsunternehmen in diesem Zeitpunkt erhält, für das Vertragsunternehmen eine sehr sichere Rechtsposition darstellt. Das Vertragsunternehmen trägt zwar das Insolvenzrisiko der kartenausgebenden Bank, nicht jedoch das des Karteninhabers. Der entscheidende Unterschied zur Bezahlung mit Kreditkarte und mit ec-Karte liegt darin, dass der GeldKarteninhaber bei der Aufladung seiner GeldKarte im Voraus bezahlt hat, so dass auf dem Börsenverrechnungskonto auf jeden Fall Deckung vorhanden ist.85 Auch das vom Vertragsunternehmen zu tragende Risiko der Übermittlung der Daten aus dem Sicherheitsmodul seines Terminals zur Umwandlung in Buchgeld ist aufgrund bestehender technischer Sicherungsmechanismen gering. Es erscheint also berechtigt, die Zahlungsabrede bei der GeldKarte so auszulegen, dass der Zahlungsempfänger sich darin bereit erklärt hat, die Schuld mit Bestätigung der Zahlung per GeldKarte am Kartenterminal als erfüllt anzusehen.
III. Zusammenfassung Aus den vorstehenden Überlegungen folgt, dass zur Bestimmung des Erfüllungszeitpunktes bei verschiedenen Formen der bargeldlosen Zahlung nicht vordergründig darauf abzustellen ist, wann der Gläubiger die erhaltenen Valuta endgültig behalten darf. Vielmehr ist die Zahlungsabrede zwischen Schuldner und Gläubiger in den Blick zu nehmen und es ist zu fragen, welcher Erfüllungszeitpunkt von den Parteien unter Berücksichtigung ihrer gegenläufigen Interessen gewollt ist. Hierbei sind die technisch-rechtliche Ausgestaltung der bargeldlosen Zahlungsmethoden einerseits und die damit verbundene Risikoverteilung andererseits zu berücksichtigen. Im Vergleich zur Bezahlung mit Bargeld ist für den Gläubiger die bargeldlose Zahlung bisweilen mit Nachteilen verbunden, die jedoch durch Vorteile der entsprechenden Variante der bargeldlosen Zahlung aufgewogen werden können.86 Für den Großteil der Varianten der bargeldlosen Zahlung entspricht es den Parteiinteressen, wenn die Erfüllung mit Einlösung des Zahlungsmittels durch die Schuldnerbank eintritt, also mit Ablauf von zwei Bankarbeitstagen nach Belastungsbuchung auf dem Schuldnerkonto. Das gilt jedenfalls für die Bezahlung mit Schecks, mit Wechsel und mit Debitkarten. Beim Lastschriftverfahren in der Form des Abbuchungsauftragsverfahrens ist ebenfalls die Einlösung der Lastschrift für den Erfüllungseintritt ausreichend; beim Einzugsermächtigungsverfahren wird man auf der Basis, dass der Schuldner dem Gläubiger gegenüber verpflichtet ist, eine berechtigte Lastschriftbuchung nicht wieder rückgängig zu machen, zum selben Ergebnis kommen können. Bei der Bezahlung mit Kreditkarte wird die Schuld im Normalfall erfüllt sein, wenn das Kreditkartenunternehmen an den Gläubiger 85 86
Schimansky / Bunte / Lwowski-Gößmann (Fn. 3), § 68 Rn. 45. Meder, NJW 2005, 637, 638.
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gezahlt hat. Ein früher Erfüllungszeitpunkt ergibt sich für die Bezahlung mit der GeldKarte. Hier führt bereits die Bestätigung des Zahlungsvorgangs durch den Schuldner am Kartenterminal zur Erfüllung der Schuld. Bei der Überweisung schließlich tritt Erfüllung der Geldschuld dann ein, wenn die Valuta bei der Gläubigerbank eingehen.
Die zunehmende Akzeptanz von Fällen mehrfacher Staatsangehörigkeit in West-Europa Von Gerard-René de Groot und Hildegard Schneider
I. Zur Einführung Auf Einladung von Kollege Koresuke Yamauchi hielt Gerard-René de Groot im Jahre 1985 in Japan einen Vortrag über die Entwicklungen bezüglich der mehrfachen Staatsangehörigkeit in Westeuropa.1 Seitdem sind einundzwanzig Jahre vergangen. Sowohl auf europäischer Ebene als in den unterschiedlichen europäischen Staaten sind in Bezug auf die Problematik der doppelten oder mehrfachen Staatsangehörigkeit viele neue Entwicklungen zu verzeichnen. Zweck dieses Beitrags ist es, diese Entwicklungen zu beschreiben und einige Tendenzen aufzuzeichnen und zu kommentieren.
II. Die Entwicklungen von Beginn des 20. Jahrhunderts bis Anfang der achtziger Jahre Am Anfang des 20. Jahrhunderts hatten fast alle europäischen Staaten ihre Staatsangehörigkeitsgesetze so gestaltet, dass eine Person im Prinzip nur eine einzige Staatsangehörigkeit besitzen konnte. Allgemein wurde angenommen, dass doppelte oder gar mehrfache Staatsangehörigkeit Schwierigkeiten verursachen, insbesondere eine nicht erwünschte gespaltene Loyalität bewirken würde. Mehrfache Staatsangehörigkeit würde nach allgemeiner Ansicht wider die Natur der Staatsangehörigkeit verstoßen, da diese als ein exklusives Band zwischen einer Person und einem Staat aufzufassen sei. Der französische Autor Andre Weiss2 betonte im Jahre 1907 unter Hinweis auf Worte von Proudhon3 aus dem Jahre 1848: „On ne peut avoir deux patries, comme an ne peut pas avoir deux mères“4. 1 Veröffentlicht in japanischer Übersetzung von Koresuke Yamauchi in der japanischen Zeitschrift für das Standesamtswesen 1985, no. 328, 2 – 8; no. 329, 2 – 11; no. 330, 2 – 10; no. 331, 36 – 43. 2 A. Weiss, Droit international privé, Teil. I, 2. Auflage, Paris: Librairie de la Société du Recueil Sirey et du Journal du Palais 1907, 25. 3 J. B.V. Proudhon, Traité sur l’état des personnes et sur le titre préliminaire du Code civil, Paris 2. Auflage, Teil I, 1848 (1. Auflage 1809), 93.
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Um diese Unizität der Staatsangehörigkeit zu realisieren, bestimmten die meisten europäischen Staaten, dass im Falle eines freiwilligen Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit die bisherige Staatsangehörigkeit verloren gehe.5 Nur wenige Staaten kannten um 1900 das Prinzip der ewigen Verbundenheit („perpetual allegiance“), wie z. B. Russland.6 In einigen anderen Staaten, wie etwa in Dänemark, Deutschland, Österreich und der Türkei, bewirkte freiwilliger Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit lediglich dann den Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit, wenn der ursprüngliche Heimatstaat dem Erwerb zugestimmt hatte, oder wenn der Verzicht auf die bisherige Staatsangehörigkeit nach Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit genehmigt wurde.7 Eine besondere Stellung nahm die Schweiz ein, wo ein Bürger die Staatsangehörigkeit lediglich auf eigenen Antrag verlieren konnte.8 Viele Staaten forderten von Ausländern, die eine Einbürgerung beantragten, Verzicht auf die bisherige Staatsangehörigkeit, falls diese nicht schon ex lege verloren wurde. Ein weiteres Prinzip, das die Beschränkung jeder Person auf nur eine einzige Staatsangehörigkeit förderte, war das so genannte Einheitssystem der Staatsangehörigkeit innerhalb einer Familie (système unitaire)9. Dieses Prinzip führte dazu, dass eine ausländische Frau durch Eheschließung automatisch die Staatsangehörigkeit ihres Ehemannes erwarb und ihre bisherige Staatsangehörigkeit verlor.10 Die 4 Niemand kann zwei Staatsangehörigkeiten besitzen, wie auch niemand zwei Mütter haben kann. 5 Belgien (Art. 17 (1) Cc), Bulgarien, Frankreich (Art. 17 (1) Cc), Griechenland (Art. 23 (1) Cc), Italien (Art. 11 (2) Cc), Luxemburg (Art. 17 (1) Cc), Niederlande (Art. 7 (1) Gesetz 1892), Norwegen (Art. 6 (a) Gesetz 1888), Portugal (Art. 22 (1) Cc), Rumänien (Art. 17a Cc), Schweden (Art. 5 Gesetz 1894; wobei einige Formalitäten zu befolgen waren), Spanien (Art. 20 Cc), Vereinigtes Königreich (Sect. 6 Gesetz 1870; obwohl dort die Möglichkeit bestand, eine Beibehaltserklärung abzugeben). Quellen: Weiss, o.c., (1907) und Polizeibehörde der Freien und Hansestadt Hamburg. Die in den Europäischen Staaten geltenden Gesetze über die Erwerbung und den Verlust der Staatsangehörigkeit. Berlin: K. Hoffmann Rechtswissenschaftlicher Verlag 1898. 6 M. Tratnik, Het nationaliteitsrecht in de Oosteuropese landen, Deventer: Kluwer 1989, 59; Weiss, o.c., 19 – 20, 695, 696. Das Vereinigte Königreich folgte dem Prinzip der „perpetual allegiance“ bis 1870. 7 Dänemark (Art. 5 Gesetz 1898), Deutschland (Par. 13 Gesetz 1870) Österreich und Türkei (Art. 5 Gesetz 1869). Österreich und Deutschland führten einige Jahre später den freiwilligen Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit als allgemeinen Verlustgrund ein: Deutschland im Jahre 1913 (Par. 25 Gesetz 1913) und Österreich im Jahre 1925 (Par. 10 (1) Gesetz 1925). Bemerkenswert ist allerdings, dass beide Staaten von dieser Regel auch Ausnahmen kennen, z. B. im Falle einer Beibehaltsgenehmigung. Die Türkei behielt immer die Bedingung einer Einwilligung des Erwerbs der fremden Staatsangehörigkeit bei: freiwilliger Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit hatte keine ex lege Folgen. 8 Siehe Art. 6 (c) Gesetz 1876; Weiss, o.c., 19 – 20, 755 – 759. 9 B. Dutoit, La nationalité de la femme mariée, 3 Bände, Genf: Librairie Droz 1973 und 1980 führte die Begriffe „système unitaire“ und „système dualiste“ ein. 10 Belgien (Art. 17 (3) Cc), Dänemark, Deutschland (Par. 13 Gesetz 1870), Griechenland (Art. 25 Cc), Luxemburg (Art. 17 (3) Cc), Niederlande (Art. 5 Gesetz 1892), Österreich (Par.
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in der Ehe geborenen Kinder erwarben in ius sanguinis-Staaten die Staatsangehörigkeit des Vaters, die aber wegen des Einheitssystems dann bei ehelich geborenen Kindern auch die Staatsangehörigkeit der Mutter war. Wenn der Ehemann während der Ehe eine andere Staatsangehörigkeit erwarb und deswegen seine bisherige Staatsangehörigkeit verlor, folgte seine Frau (und in den meisten Staaten auch die Kinder) ihm in staatsangehörigkeitsrechtlicher Hinsicht. Ein Nachteil dieses Systems war allerdings, dass in den meisten Staaten eine Frau ihre Staatsangehörigkeit auch dann verlor, wenn sie einen Staatenlosen heiratete. Um diesen Verlust vorzubeugen, bestimmten einige Staaten, dass eine Frau durch die Eheschließung lediglich dann ihre bisherige Staatsangehörigkeit verlor, wenn sie die Staatsangehörigkeit ihres Mannes erwarb.11 Eine solche Regelung wurde später auch in das Haager Staatsangehörigkeitsabkommen aufgenommen12, das im Jahre 1930 im Rahmen des Völkerbundes zustande kam. In den Artikeln 8 – 11 regelt dieses Abkommen einige Bestimmungen bezüglich der Staatsangehörigkeit der verheiraten Frau: Sie sollte ihre Staatsangehörigkeit nicht mehr durch Ehe verlieren, wenn daraus Staatenlosigkeit folgte; sie sollte ihre Staatsangehörigkeit ebenfalls dann nicht verlieren, wenn ihr Ehemann während der Ehe seine Staatsangehörigkeit wechselte und dadurch die Frau staatenlos wurde; Einbürgerung des Ehemannes sollte für seine Ehefrau nur Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit zur Folge haben, wenn die Frau zustimmte; nach der Ehe sollte eine Ehefrau ihre frühere Staatsangehörigkeit nur auf Antrag zurück erwerben können. Diese Bestimmungen im Haager Staatsangehörigkeitsabkommen können u. a. auch als eine gesetzgeberische Reaktion auf die Tatsache betrachtet werden, dass nach der russischen Revolution die Anzahl der Staatenlosen stark zugenommen hatte. Einige Staaten (die Sowjetunion, Bulgarien und Frankreich)13 gingen schon in den zwanziger Jahren einen Schritt weiter und bestimmten, dass eine Ehe die staatsangehörigkeitsrechtliche Position der Frau nicht beeinflusst. Einige andere Staaten 32 ABGB), Rumänien (Art. 19 Cc), Russland (Art. 15), Schweden (Art. 6 Gesetz 1894), Schweiz, Spanien (Art. 22 Cc), Türkei (vergleiche: Art. 7 Gesetz 1869), Vereinigtes Königreich (Sect. 10 (1) Gesetz 1870). 11 Bulgarien (Art. 25; diese Bestimmung war sehr liberal; kein Verlust ex lege, aber aufgrund ihrer Ehe konnte die verheiratete Frau auf ihre Staatsangehörigkeit verzichten, siehe Tratnik, o.c., 125), Frankreich (Art. 19), Italien (Art. 14), Norwegen, Portugal (Art. 22 (4)). Siehe Weiss, o.c., 24. Einige andere Staaten führten diese Voraussetzung in den zwanziger oder dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein: Dänemark (seit 1925), Finnland (seit 1927), Griechenland (seit 1926), Island (lediglich Verlust bei Wohnsitz im Ausland), Niederlande (seit 1937, aber mit Rückwirkung bis 1893), Norwegen, Osterreich (seit 1925), Schweden (seit 1924), Vereinigtes Königreich (seit 1934). 12 LNTS, Bd. 179, 89. 13 Die Sowjetunion in 1918. Bulgarien: siehe Fußnote 12. Seit 1927 bis 1938 verlor eine Französin bei Wohnsitz im Ausland noch immer ihre Staatsangehörigkeit im Falle einer Ehe mit einem Ausländer, falls die Staatsangehörigkeit des Ehemannes erworben wurde; ab 1938 behielt sie immer ihre eigene Staatsangehörigkeit.
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ermöglichten es einer Frau, dem Verlust ihrer Staatsangehörigkeit bei Eheschließung mit einem Ausländer durch eine Beibehaltserklärung vorzubeugen.14 Die nächsten Schritte zu einer gleichberechtigten Position der Frau auf dem Gebiet des Staatsangehörigkeitsrechts folgten. Durch diese weiteren Entwicklungen wurde es möglich, dass Frauen ihre Staatsangehörigkeit unter den gleichen Voraussetzungen wie Männer auch an ihre Kinder übertragen konnten. Lediglich die Sowjetunion kannte eine entsprechende Regelung bereits vor dem Zweiten Weltkrieg.15 Frankreich bestimmte zwar seit 1927, dass alle auf französischem Boden geborene Kinder einer französischen Mutter die französische Staatsangehörigkeit erwarben, aber erst ab 1945 galt dies auch für außerhalb Frankreichs geborene Kinder einer französischen Mutter. Nach dem Zweiten Weltkrieg gaben nach und nach sämtliche Staaten Osteuropas dem Beispiel der Sowjetunion folgend der verheirateten Frau eine selbständige staatsangehörigkeitsrechtliche Position.16 Weiter strichen diese Staaten den freiwilligen Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit als Verlustgrund aus der Staatsangehörigkeitsgesetzgebung.17 Ein weiterer wichtiger Schritt in dieser Entwicklung war das Zustandekommen des von den Vereinten Nationen initiierten Abkommens betreffend die Staatsangehörigkeit der Ehefrau aus dem Jahr 195718. Dies war das erste weltweite New Yorker Abkommen, das eine völlig unabhängige staatsangehörigkeitsrechtliche Position von verheirateten Frauen (ein dualistisches System) zu bewirken versuchte. Allerdings schrieb dieses Abkommen noch immer die Erleichterung des Erwerbs der Staatsangehörigkeit des Ehemannes durch die Frau vor. In den Art. 1 und 2 der New Yorker Konvention wurde festgelegt, dass die Ehefrau eine von ihrem Manne völlig selbständige staatsangehörigkeitsrechtliche Position haben sollte. Eheschließung, Ehescheidung oder Wechsel der Staatsangehörigkeit des Ehemannes würden keine staatsangehörigkeitsrechtlichen Folgen für die Ehefrau haben. Interessanterweise wurde in Art. 3 der Konvention aber bestimmt, dass die ausländische Ehefrau auf ihren Antrag die Staatsangehörigkeit ihres Ehemannes erwerben kann. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit kann aber von Bedingungen abhängig gemacht werden, die möglicherweise im Interesse der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung notwendig sind. Nach Art. 3 Abs. 2 durfte der ausländischen Ehefrau statt einem privilegierten Einbürgerungsverfahren auch ein Optionsrecht eingeräumt werden. Seit diese Prinzipien des New Yorker Abkommens allmählich in die Staatsangehörigkeitsgesetzgebungen 14 Belgien (seit 1926); Griechenland (seit 1955); Luxemburg (seit 1934); Österreich (seit 1947); Schweiz (seit 1941), Vereintes Königreich (seit 1934). 15 Bereits seit 1918, siehe Tratnik, o.c., 89 – 90. 16 Albanien 1946, Bulgarien 1948, DDR 1954, Jugoslawien 1945, Polen 1951, Rumänien 1948, Tschechoslowakei 1949, Ungarn 1957. 17 Albanien 1946, Bulgarien 1948, DDR 1949, Jugoslawien 1945, Polen 1951, Rumänien 1948, Tschechoslowakei 1949, Ungarn 1957. 18 UNTS 309, 65; BGBl. II 1973, 1249.
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der unterschiedlichen Staaten implementiert wurden, wurde auch der Ruf lauter, verheirateten Frauen zu ermöglichen, ihre Staatsangehörigkeit an ihre Kinder weiterzuleiten. In etwa derselben Periode, d. h. Mitte der 50er Jahre, entfaltete auch der Europarat Aktivitäten auf dem Gebiete des Staatsangehörigkeitsrechts. Zuvor war bereits während der 17. Sitzung der 1. Tagung der Parlamentarischen Versammlung (Consultative Assembly) am 7. September 1949 ein Bericht über den Status von Ausländern durch Herrn Azara im Namen des Ausschusses für juristische Fragen und Verwaltungsfragen (Committee an Legal and Administrative Questions) präsentiert worden. In diesem Bericht wurde vorgeschlagen, eine gemeinsame europäische Staatsangehörigkeit und einen europäischen Pass einzuführen. Die Problematik einer möglichen europäischen Staatsangehörigkeit wurde an einen Unterausschuss verwiesen, der auch die Möglichkeit eines Systems von mehrfachen Staatsangehörigkeiten untersuchen sollte. Wir vermuten, dass die Idee einer europäischen Staatsangehörigkeit oder jedenfalls eines Systems doppelter Staatsangehörigkeiten durch eine Bemerkung von Winston Churchill inspiriert wurde. Dieser soll am Ende des Zweiten Weltkriegs gesagt haben, dass es gut wäre, wenn viele Personen sowohl Deutsche wie Engländer, Deutsche wie Franzosen, Engländer wie Franzosen sein würden.19 Dies würde die Chance der bewaffneten Konflikte zwischen den betreffenden Staaten reduzieren, da so die Grenzen zwischen den Personensubstraten dieser Staaten fließender werden würden. Aus dieser Perspektive bewirkt eine doppelte oder mehrfache Staatsangehörigkeit keine gespaltete Loyalität, sondern gerade eine doppelte Loyalität. Die Frage ist übrigens interessant, ob Churchill diese doppelte Loyalität vielleicht auch persönlich erfahren hat. Er wurde als Engländer geboren, seine Mutter war aber von Ursprung Amerikanerin.20 Im Jahre 1963 verlieh der Amerikanische Kongress ihm ehrenhalber auch die amerikanische Staatsangehörigkeit.21 Anfang der 50er Jahre berichtete dieser Ausschuss jedoch, dass man zu dem Ergebnis gekommen sei, mehrfache Staatsangehörigkeiten verursachten so viele Schwierigkeiten, dass man diese vorzugsweise vermeiden solle. Daraufhin startete man Vertragsverhandlungen, die letztlich zu der „Konvention zur Verminderung von Fällen mehrfacher Staatsangehörigkeit und betreffend Wehrpflicht bei mehrfacher Staatsangehörigkeit“ führten, die am 6. Mai 1963 in Straßburg geschlossen wurde.22 Am wichtigsten ist Art. 1 dieses Abkommens. Danach verlieren volljährige Staatsangehörige, die infolge einer ausdrücklichen Willenserklärung die Staats19 Leider ist es uns noch nicht gelungen, den Text des Vortrages zu finden, in dem Churchill die erwähnte Bemerkung gemacht hat. 20 Siehe dazu die Encyclopaedia Britannica online: http://www.search.eb.com/ebi/article9273666 (zuletzt besucht am 11. Januar 2006). 21 Siehe dazu die Encyclopaedia Britannica online: http://www.search.eb.com/ebi/article198625 (zuletzt besucht am 11. Januar 2006). 22 ETS 043; UNTS Bd. 634, 221; BGBl. II 1969, 1953.
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angehörigkeit einer anderen Vertragspartei erwerben, automatisch ihre bisherige Staatsangehörigkeit. Es ist nicht gestattet, die bisherige Staatsangehörigkeit beizubehalten. Man muss dabei voraussetzen, dass zur Zeit des Zustandekommens des Straßburger Abkommens von 1963 die meisten westeuropäischen Staaten noch den Verlust der Staatsangehörigkeit im Falle des Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit in ihrer nationalen Staatsangehörigkeitgesetzgebung vorsahen.23 Ausnahmen waren lediglich Griechenland, Irland und das Vereinigte Königreich. Allerdings kannten einige Staaten schon Ausnahmen von diesem Prinzip z. B. im Falle, dass eine fremde Staatsangehörigkeit erworben wurde, während man seinen Wohnsitz im Inland hatte. Weiter war es so, dass die meisten Staaten, die den Staatsangehörigkeitsteil des Straßburger Abkommens ratifizierten – mit Ausnahme von Frankreich – nicht zuließen, dass Frauen ihre Staatsangehörigkeit an ihre Kinder weitergaben. Bemerkenswert war in dieser Hinsicht, dass die Niederlande das Abkommen erst 1985 ratifizierten und zwar einige Monate nachdem die Gleichberechtigung der Geschlechter im niederländischen Staatsangehörigkeitsrecht implementiert worden war. Gleichermaßen unerwartet war auch die Ratifizierung durch Belgien im Jahre 1993, acht Jahre nachdem dieses Land die Gleichberechtigung im Staatsangehörigkeitsrecht durchgeführt hatte. In den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts führten die westeuropäischen Staaten nach und nach die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Staatsangehörigkeitsrecht ein und bestimmten, dass sowohl Männer als auch Frauen die Staatsangehörigkeit an ihre Kinder weitergeben konnten. Die Institutionen des Europarats haben diese Rechtsentwicklung sehr gefördert.24 Sehr bemerkenswert war die Europarats-Empfehlung 1081 (1988), in der betont wurde, es sei wünschenswert, dass Ehegatten mit unterschiedlicher Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeit des anderen Ehegatten erwerben können ohne die bisherige zu verlieren. Weiter sollten auch die Kinder aus einer solchen Ehe die Staatsangehörigkeit beider Elternteile erwerben und beibehalten können. Die Folge dieser Entwicklungen war, dass auf der Grundlage des Straßburger Abkommens zwar das Entstehen mehrfacher Staatsangehörigkeit durch freiwilligen Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit bekämpft wurde, aber gleichzeitig der Erwerb einer mehrfachen Staatsangehörigkeit durch Abstammung geradezu vom Europarat gefördert wurde. Diese sich im Grundsatz widersprechenden Zielsetzungen wurden zunehmend als inkonsequent und unbefriedigend empfunden. 23 Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich (bis 1973 (mit Ausnahmen); bemerkenswert ist, dass dieser Verlustgrund 1973, erst acht Jahre nachdem Frankreich 1965 das Straßburger Abkommen ratifiziert hatte, gestrichen wurde), Deutschland (Par. 25, mit Ausnahmen); Island, Italien (bis 1992, mit Ausnahmen); Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich (seit 1925, Par. 10 (1) (1), mit Ausnahmen); Portugal (bis 1981); Schweden, Spanien (1954, mit vielen Ausnahmen). 24 Dazu Gerard-René de Groot, Staatsangehörigkeitsrecht im Wandel, Köln 1989, 37, 38.
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Einige Staaten versuchten übrigens, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen hinsichtlich des ius sanguinis so durchzuführen, dass die Staatsangehörigkeit iure sanguinis nicht mehr unlimitiert erworben wird. So beschränkte Belgien im Jahre 1985 den Erwerb der Staatsangehörigkeit iure sanguinis a matre et a patre für im Ausland geborene Kinder auf die erste Generation. Die zweite im Ausland geborene Generation erwirbt die belgische Staatsangehörigkeit lediglich dann, wenn die Eltern innerhalb von fünf Jahren nach der Geburt dafür optieren. Die Belgier folgten insoweit dem Beispiel Irlands, Portugals und dem des Vereinigten Königreichs. Im Jahre 2000 führte auch Deutschland diese Beschränkung ein. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch der italienische Versuch, die Zunahme der Fälle mehrfacher Staatsangehörigkeit durch Einführung der Gleichberechtigung in Schranken zu halten. Art. 5 (1) von Gesetz 123 / 1983 sah vor, dass ein Kind, das neben der italienischen Staatsangehörigkeit noch eine andere Staatsangehörigkeit besaß, innerhalb eines Jahres nach Erreichen der Volljährigkeit sich für eine seiner Staatsangehörigkeiten entscheiden muss. Diese Wahlverpflichtung war gesetzestechnisch jedoch schlecht konstruiert. Man konnte sämtliche andere Staatsangehörigkeiten dadurch beibehalten, dass man bei den italienischen Behörden erklärte, man bevorzuge die italienische Staatsangehörigkeit. Die italienischen Behörden forderten nämlich nicht, dass man den Verzicht auf die andere Staatsangehörigkeit nachwies. Es ist offensichtlich, dass diese italienische Regelung der eben erwähnten Empfehlung des Europarats aus dem Jahre 1988 widersprach. Die italienische Regelung wurde 1992 auch abgeschafft. In Ost-Europa, wo Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit kein Verlustgrund der bisherigen Staatsangehörigkeit mehr war und die Gleichberechtigung von Männern und Frauen früher als in West-Europa hinsichtlich der Weitergabe der Staatsangehörigkeit an Kinder eingeführt wurde, wurde die Häufung der Staatsangehörigkeiten durch bilaterale Verträge gelöst.25 Zwischen den West- und Osteuropäischen Staaten bestanden solche bilateralen Verträge jedoch nicht. Die Folge war eine starke Zunahme von Kombinationen von West- und Osteuropäischen Staatsangehörigkeiten.
III. Auf dem Wege zu neuen Auffassungen hinsichtlich mehrfacher Staatsangehörigkeiten Ende der 80er Jahre und Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts stellte sich die Frage, weshalb Kinder von staatsangehörigkeitsrechtlich gemischt verheirateten Eltern eine mehrfache Staatsangehörigkeit erwerben und beibehalten konnten, während man dies Personen, die den Staat ihrer Staatsangehörigkeit verlassen hatten und später die Staatsangehörigkeit ihres Aufenthaltstaates erwerben wollten, 25
460.
Hellmuth Hecker, Die Staatsangehörigkeitsregelungen in Europa, Hamburg 1974, 458 –
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versagte. Noch brennender war aber die Frage, wieso man dies auch denjenigen Kindern ausländischer Eltern versagen sollte, die in ihrem Aufenthaltsstaat geboren und aufgewachsen waren und dann die Staatsangehörigkeit dieses Staates erwerben wollten. Diese Fragen waren besonders aktuell, weil sehr viele Migranten vor allem aus den süd-europäischen Staaten, die in den 60er und 70er Jahren aufgrund bilateraler Verträge als Gastarbeiter nach West- und Nordeuropa gekommen waren, sich offensichtlich mit ihren Kindern und Enkeln in diesen Staaten ständig niedergelassen hatten26. Die urprüngliche politische Zielsetzung, dass diese Gastarbeiter wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren würden, hatte sich spätestens Mitte der 80er Jahre als unrealistisch erwiesen. Im Gegenteil, nach der Ölkrise 1973 und der darauffolgenden Beendigung der offiziellen Gastarbeiterpolitik stieg der Anteil an Migranten aus den ursprünglichen Gastarbeiterherkunftsländern zunehmend aufgrund von Familienzusammenführung. Dies führte dazu, dass die ursprünglich männlich dominierte Gastarbeiterbevölkerung durch den Zuzug von Frauen und Kindern sich zu einer gemischten Bevölkerungsschicht entwickelte27. Mehr und mehr wurden auch Kinder in den Aufenthaltsländern geboren. Diese wuchsen dann ausschließlich im „Gastland“ auf und hatten zum ursprünglichen Herkunftsland oft nur Kontakte, die sich auf die Ferienperioden beschränkten. Die Aufenthaltsstaaten vertraten trotz dieser eindeutigen Migrationsentwicklung häufig doch noch die offiziell verkündete Auffassung, dass sie keine Einwanderungsländer seien und daher weder ihre Ausländergesetzgebung noch ihre Staatsangehörigkeitsregelungen den neuen, veränderten Verhältnissen anpassen müssten. Dies galt sowohl für die Niederlande wie für Deutschland28. Darum wurden auch beide Staaten in der Literatur als „reluctant immigration countries“ bezeichnet. Andererseits waren zwar viele der neuen „Bürger“ bereit, sich auch staatsangehörigkeitsrechtlich in ihren Aufenthaltsstaaten zu integrieren, wollten aber nicht auf ihre bisherige Staatsangehörigkeit verzichten. Diese ablehnende Haltung zur Aufgabe der ursprünglichen Staatsangehörigkeit galt und gilt häufig auch noch für die zweite und dritte Migrantengeneration, die bereits im Aufenthaltsstaat geboren und aufgewachsen ist, da der freiwillige Verzicht auf die ursprüngliche Staatsangehörigkeit bei der Familie des Antragstellers häufig auf Unverständnis stößt. 26 Siehe dazu Hildegard Schneider, Towards a European Migration Policy: From Maastricht to Amsterdam, from Tampere to The Hague, in: Hildegard Schneider, (Hrsg.), Migration, Integration and Citizenship, A Challenge for Europe’s Future, Volume II, The Position of Third Country Nationals in Europe, Maastricht: Forum 2005, 7 – 35 (14). 27 Siehe dazu Hildegard Schneider, Towards a European Migration Policy: From Maastricht to Amsterdam, from Tampere to The Hague, in: Hildegard Schneider, (Hrsg.), Migration, Integration and Citizenship, A Challenge for Europe’s Future, Volume II, The Position of Third Country Nationals in Europe, Maastricht: Forum 2005, 7 – 35 (16). 28 F Heckmann, Die Bundesrepublik – ein Einwanderungsland? Stuttgart 1981. Siehe auch H. Rudolph, Dynamics of Immigration in a Non-Immigration Country: Germany, in: R. Fassmann / H. Münz, (Hrsg.), European Migration in the Late Twentieth Century, Aldershot, 113 – 126; H. Enzinger, Veränderte Grundlagen: Die niederländische Sicht der Einwanderung: in: R. Fassmann / H. Münz, (Hrsg.), Migration in Europe, Historische Entwicklungen, aktuelle Trends, politische Reaktionen, Frankfurt am Main 1996, 139.
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Nach langen Unterhandlungen kam in Straßburg ein Protokoll zur Änderung des Straßburger Abkommens aus dem Jahre 1963 zustande, das am 2. Februar 1993 abgeschlossen wurde.29 Dieses sogenannte Zweite Protokoll ändert Art. 1 des Abkommens. Diejenigen Staaten, die das Zweite Protokoll ratifiziert haben, dürfen von Art. 1 des Abkommens von 1963 bezüglich des Verlusts der bisherigen Staatsangehörigkeit im Zuge des Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit drei Ausnahmen machen. Kein Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit ist vorgeschrieben, wenn 1. ein Staatsangehöriger die Staatsangehörigkeit eines Staates erwirbt, auf dessen Grundgebiet er geboren wurde oder, wo er vor Erreichung der Volljährigkeit lebte; 2. ein Staatsangehöriger die Staatsangehörigkeit seines Ehegatten erwirbt; 3. ein Minderjähriger die Staatsangehörigkeit eines Elternteils erwirbt. Erstaunlicherweise haben lediglich drei der zehn Staaten, die das Abkommen von 1963 ratifiziert haben, auch das Zweite Protokoll ratifiziert und zwar Italien (1995), Frankreich (1995) und die Niederlande (1996). Das heißt jedoch nicht, dass alle sieben anderen Staaten, die an das Abkommen von 1963 gebunden waren, noch volle Sympathie für den Verlust der Staatsangehörigkeit im Falle des Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit hegen. Zwei Staaten, Deutschland und Schweden, haben das Zweite Protokoll deswegen nicht ratifiziert, weil sie noch viel weiter gehen wollten. Sie kündigten im Jahre 2001 das Abkommen von 1963. Überraschend ist auf den ersten Blick, dass Schweden ein Jahr nach der Kündigung das Abkommen von 1963 erneut ratifiziert hat, doch hat dies lediglich technische Gründe. Bei der erneuten Ratifizierung hat Schweden den staatsangehörigkeitsrechtlichen Teil des Abkommens durch Vorbehalt ausgeschlossen und ist nun lediglich an die Vorschriften bezüglich der Militärdienstpflicht von Personen mit mehrfacher Staatsangehörigkeit gebunden. Zur Zeit sind deshalb nur noch Belgien, Dänemark, Luxemburg, Norwegen und Österreich30 an das Straßburger Abkommen aus dem Jahre 1963 ohne die Ausnahmen des Zweiten Protokolls gebunden. Nachdem im Jahre 1993 das Zweite Protokoll zustande kam, wurde in Straßburg an einem neuen Staatangehörigkeitsabkommen weitergearbeitet, das am 6. November 1997 abgeschlossen wurde. Die Akzeptanz dieses „Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit“31, ist inzwischen sehr vielverETS 149. Oben wurde bereits darauf hingewiesen, dass die österreichische Gesetzgebung wohl Ausnahmen von diesem Verlustgrund vorsieht. Außerdem hat Österreich bei der Ratifizierung des Abkommens sich das Recht vorbehalten, einem Staatsangehörigen die Beibehaltung der österreichischen Staatsangehörigkeit bei Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit zu erlauben, falls der betreffende andere Staat vor dem Erwerb zugestimmt hat. 31 ETS Nr. 166; deutsche Übersetzung in Kay Hailbronner / Günter Renner / Christine Kreuzer, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Auflage, München 2001, 1042 – 1056. 29 30
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sprechend. Fünfzehn Staaten haben dieses Abkommen bereits ratifiziert, zwölf weitere Staaten unterzeichneten dieses Abkommen. Das Abkommen beinhaltet einige sehr interessante Vorschriften bezüglich der Erwerbs- und Verlustgründe der Staatsangehörigkeit.32 Wichtig ist vor allem, dass in den Art. 7 und 8 des Abkommens limitativ aufgelistet wird, welche Gründe zum Verlust einer Staatsangehörigkeit führen dürfen.33 Art. 6 enthält Vorschriften über den Erwerb der Staatsangehörigkeit.34 Bezüglich der mehrfachen Staatsangehörigkeit ist das Abkommen dagegen neutral. Eine sehr interessante bilaterale Entwicklung darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben: Am 22. Januar 2003 fand in Versailles eine gemeinsame Sitzung des Deutschen Bundestages und der französischen Assemblee Nationale statt.35 Dies geschah in Erinnerung der Tatsache, dass 40 Jahre zuvor, im Jahre 1961, der Elysee-Vertrag über die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich geschlossen worden war.36 Anlässlich dieser feierlichen Sitzung beider Parlamente haben der französische Präsident und der Deutsche Bundeskanzler eine ausführliche Gemeinsame Erklärung abgegeben, in der es unter anderem heißt:37: „Wir müssen unseren Bürgerinnen und Bürgern auch die Staatsbürgerschaft beider Länder ermöglichen, soweit sie das wünschen.“
Es ist überflüssig zu betonen, dass dieses Vorhaben von großer historischer Bedeutung ist, da gerade Deutschland und Frankreich in den vergangenen Jahrhunderten so häufig bewaffnete Konflikte miteinander hatten. Die erwähnte Erklärung ist auch bereits in die nationale Gesetzgebung beider Staaten implementiert.38 Wenn ein Deutscher die Voraussetzungen für eine Einbürgerung in Frankreich erfüllt, kann er die französische Staatsangehörigkeit erwerben ohne die deutsche 32 Siehe zu dem Europäischen Staatsangehörigkeitsabkommen Gerard-René de Groot, The European Convention an Nationality: A step towards a ius commune in the field of nationality law, Maastricht Journal of European and Comparative Law 2000, 117 – 157. 33 Siehe dazu in rechtsvergleichender Perspektive Gerard-René de Groot, Loss of nationality: a critical inventory, in: David A. Martin / Kay Hailbronner (Hrsg.), Rights and Duties of Dual Nationals, Evolution and Prospects, The Hague / London / New York: Kluwer Law International 2003, 201 – 299. 34 Siehe dazu in rechtsvergleichender Perspektive Gerard-René de Groot, Conditions for the acquisition of nationality by operation of law or by lodging a declaration of option, in: Hildegard Schneider (Hrsg.), Migration, Integration and Citizenship, A Challenge for Europe’s Future, Volume I, Maastricht: Forum 2005, 187 – 223. 35 http://www.bundestag.de/bic/presse/2003/pz_030102.html (zuletzt besucht am 11. Januar 2006). 36 Gemeinsame Erklärung zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrages: Die deutsch-französische Freundschaft im Dienste einer gemeinsamen Verantwortung für Europa. 37 Punkt 22 der Gemeinsamen Erklärung. 38 Siehe dazu ein „Informationsblatt“ auf der Website der französischen Botschaft in Deutschland: http://www.botschaft-frankreich.de/article.php3?idarticle=763 (zuletzt besucht am 11. Januar 2006).
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Staatsangehörigkeit zu verlieren.39 Umgekehrt gilt das gleiche.40 Dass dies heutzutage möglich ist, beruht unter anderem darauf, dass Deutschland – wie bereits erwähnt – das Straßburger Abkommen aus dem Jahre 1963 im Jahre 2001 gekündigt hat41 und ab dem 22. Dezember 2002 nicht mehr an die darin enthaltenen Regelungen zur Vermeidung doppelter Staatsangehörigkeit gebunden ist.42 Die Elysee-Erklärung aus Januar 2003 manifestiert deutlich die geänderte Haltung bezüglich Fällen mehrfacher Staatsangehörigkeit. Man muss sich übrigens fragen, ob die Elysee-Erklärung nicht ein gutes Beispiel ist, dem von den anderen europäischen Staaten, namentlich von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gefolgt werden sollte. Seit dem Maastrichter Abkommen ist die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union mit der Europäischen Bürgerschaft im Sinne des Artikels 17 EG-Vertrag verknüpft.43 Innerhalb der Europäischen Union wird es deshalb immer weniger wichtig, ob man Deutscher oder Niederländer, Spanier oder Ire, Finne oder Portugiese ist. Aus dieser Perspektive ist es fragwürdig, von einem Spanier, der Deutscher werden möchte, den Verzicht auf die spanische Staatsangehörigkeit zu fordern. Beide Staatsangehörigkeiten vermitteln ja die Europäische Bürgerschaft. Was spricht dann dagegen, wenn für viele Personen diese Europäische Bürgerschaft nicht nur auf der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates beruht, sondern auf der Staatsangehörigkeit von zwei oder gar mehr Mitgliedstaaten? Wäre es nicht realistisch, den gleichzeitigen Besitz der Staatsangehörigkeit mehrerer Mitgliedstaaten als Manifestierung der fortschreitenden Integration von Europa im Rahmen der Europäischen Union zu betrachten? Bilden solche europäischen Doppel- und Mehrstaatler nicht die Vorhut der europäischen Bürger? Zeigen solche Personen nicht in ihrer Bindung und ihrer Loyalität zu mehreren Mitgliedstaaten, dass die Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten an Bedeutung verlieren? Wenn man im Jahre 2006 betrachtet, welche Staaten noch an das Straßburger Abkommen von 1963 gebunden sind, so stellt sich heraus, dass dies – mit nur einer Ausnahme: Norwegen – allesamt Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind: Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande und Öster39 Dazu muss vor Erwerb der französischen Staatsangehörigkeit eine Beibehaltsgenehmigung aufgrund des Art. 25 Absatz 2 Staatsangehörigkeitsgesetz beantragt werden. 40 Wie bereits oben erwähnt ist freiwilliger Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit in der französischen Staatsangehörigkeitsgesetzgebung kein Verlustgrund. Deutschland fordert in einem solchen Fall keinen Verzicht auf die französische Staatsangehörigkeit. 41 ETS 043; UNTS 634, 221; Trb. 1964, 4. 42 http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ChercheSig.asp?NT=043&CM=2&DF=11/ 01/2006&CL=ENG. 43 Siehe dazu ausführlich Gerard-René de Groot, Towards a European Nationality Law?, in: Hildegard Schneider (Hrsg.), Migration, Integration and Citizenship, A Challenge for Europe’s Future, Volume I, Maastricht: Forum 2005, 13 – 53.
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reich.44 Das Abkommen ist lediglich anwendbar, wenn ein Bürger einer dieser Staaten die Staatsangehörigkeit eines der anderen Mitgliedstaaten erwirbt. Dabei müssen für Frankreich, Italien und Niederlande zudem die Ausnahmen des Zweiten Protokolls beachtet werden. Wenn z. B. ein Deutscher die französische Staatsangehörigkeit erwirbt, ist – wie wir eben schon erwähnten – das Abkommen nicht (mehr) anwendbar. Aber gerade zwischen diesen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gibt es eigentlich keinen Grund mehr, eine doppelte oder gar mehrfache Staatsangehörigkeit zu bestreiten. Gilt im Verhältnis zu Norwegen etwas anderes? Auch diese Frage kann verneint werden, weil die Norweger als Bürger eines Mitgliedstaates des Europäischen Wirtschaftsraumes weitgehend die gleichen Rechte genießen wie europäische Unionsbürger, insbesondere auch die Freizügigkeitsrechte.45 Zu fordern, ein Norweger, der europäischer Unionsbürger werden möchte, müsse auf die norwegische Staatsangehörigkeit verzichten, ist deshalb ebenfalls kurzsichtig. Angesichts dieser Beobachtungen müssen wir folgern, dass das Straßburger Abkommen von 1963 völlig überholt ist und den immer engeren Beziehungen der europäischen Staaten keine Rechnung trägt. Die Staaten, die noch an das Straßburger Abkommen gebunden sind, sollten dem Beispiel Deutschlands und Schwedens folgen und diese Abkommen kündigen. Betont sei, dass es nicht völlig neu ist, im Staatsangehörigkeitsrecht der europäischen Integration Rechnung zu tragen. So fordert Italien von Einbürgerungsbewerbern grundsätzlich einen zehnjährigen Wohnsitz in Italien; für europäische Bürger genügt jedoch ein nur vierjähriger Wohnsitz.46 Auch in Spanien diskutiert man die Frage, ob Unionsbürger nicht günstiger behandelt werden sollen als die meisten anderen Einbürgerungsbewerber.47 In den Niederlanden sieht man den Einfluss der europäischen Integration bei dem Verlustgrund des Art. 15 Absatz 1 unter c des niederländischen Staatsangehörigkeitsgesetzes: im Ausland lebende Niederländer mit mehrfacher Staatsangehörigkeit können unter bestimmten Voraussetzungen die niederländische Staatsangehörigkeit verlieren, aber dieser 44 Irland, Schweden, Spanien und das Vereinigte Königreich sind zwar Partei beim Straßburger Abkommen, aber lediglich beim zweiten Teil (über die Militärdienstpflicht von Personen mehrfacher Staatsangehörigkeit). 45 Siehe Stefaan van den Bogaert, Free movement for Workers and the nationality Requirements, in: Hildegard Schneider (Hrsg.), Migration, Integration and Citizenship, A Challenge for Europe’s Future, Volume I, Maastricht: Forum 2005, 55 – 72 (63). 46 Art. 9 (1) (d) italienisches Staatsangehörigkeitsgesetz. 47 Proposicion de ley, Modificacion del Codigo Civil en materia de nacionalidad presentada por el Grupo Parlamentario Socialista, Boletin oficial de las Cortes Generales, Congreso de los Diputados, VII legislatura, 24 de abril 2000, num. 7 – 1: art. 22 (1): „Para la concesion de la nacionalidad por residencia se requiere que esta durando cinco anos. Seran suficientes dos para los que hayan obetenido asilo, o tengan la condicion de apatridas, o cuando se trate de nacionales de origen de paises iberoamericanos, de la Union Europea, Andorra, Filipinas, Guinea Ecuatorial o de sefardies.“
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Verlustgrund gilt nicht, wenn die betreffenden Personen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union wohnhaft sind. Es wird die Auffassung vertreten, dass die Anwendung eines derartigen Verlustgrundes auf Niederländer, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat ihren Wohnsitz haben, die vertraglich garantierten Freizügigkeitsrechte beschränken könnte. Es ist somit ein logischer Schritt innerhalb Europas eine mehrfache Staatsangehörigkeit zu erlauben, namentlich eine Häufung der Staatsangehörigkeiten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, beziehungsweise des Europäischen Wirtschaftsraumes, nachdem die Bürger dieser Staaten auf dem gesamten Territorium dieser Staaten auch Freizügigkeitsrechte genießen.
IV. Auf nationaler Ebene Die oben erwähnten internationalen Rechtsentwicklungen, namentlich die Kündigung von Verträgen, beziehungsweise die Ratifizierung des Zweiten Protokolls haben selbstverständlich auch auf nationaler Ebene, bei der Regelung der Erwerbsund Verlustgründe Konsequenzen. Anno 2006 können wir in West-Europa folgende Grundhaltungen gegenüber der Problematik mehrfacher Staatsangehörigkeit unterscheiden. Manche Staaten versuchen noch immer der mehrfachen Staatsangehörigkeit vorzubeugen. Sie betrachten auch heute noch mehrfache Staatsangehörigkeit als eine Anomalie, die zahlreiche technische juristische Probleme verursacht und dem Gedanken der Solidarität zwischen Bürger und Staat widerspricht. Jede Person sollte lediglich eine Staatsangehörigkeit besitzen, so wie jede Person auch nur eine Mutter hat. Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit bewirkt den Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit; von Einbürgerungsbewerbern wird grundsätzlich Verzicht auf die bisherige Staatsangehörigkeit gefordert. Zu dieser Gruppe gehören Belgien, Dänemark, Luxemburg, Norwegen und Österreich. Diese fünf Staaten sind auch alle Partei beim Straßburger Abkommen von 1963. Die nationale Gesetzgebung Österreichs erlaubt übrigens Ausnahmen von der Regel, dass Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit bewirkt. Die österreichische Gesetzgebung ist also grundsätzlich etwas weniger streng gegen mehrfache Staatsangehörigkeit als Art. 1 des Straßburger Abkommens. In Bezug auf Belgien ist dann wieder bemerkenswert, dass die belgische Staatsangehörigkeitsgesetzgebung von Einbürgerungsbewerbern nicht den Verzicht der bisherigen Staatsangehörigkeit fordert. Alle diese Staaten sind jedoch in soweit inkonsequent gegenüber Fällen mehrfacher Staatsangehörigkeit, als sie ohne weiteres erlauben, dass Kinder von staatsangehörigkeitsrechtlich gemischt verheirateten Eltern eine mehrfache Staatsangehörigkeit besitzen. Lediglich Belgien hat den Erwerb der belgischen Staatsangehörigkeit iure sanguinis im Falle einer Geburt im Ausland limitiert, um einer zu großen Kumulierung von Staatsangehörigkeiten vorzubeugen. Es ist darauf hinzuweisen, dass noch vor einigen Jahren auch Deutschland,
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Finnland, die Niederlande und Schweden zu dieser Gruppe gehörten. Diese Staaten änderten aber inzwischen ihre Haltung wesentlich und haben dies auch durch Änderung ihrer Staatsangehörigkeitsgesetzgebung manifestiert48. Mehrere andere Staaten versuchen zwar, Fälle mehrfacher Staatsangehörigkeit zu vermeiden, lassen aber viele Ausnahmen zu, z. B. die Ausnahmen des Zweiten Protokolls aus dem Jahre 1993. In diesen Ausnahmefällen akzeptieren die betreffenden Staaten, dass eine Person wegen persönlicher Umstände so enge Beziehungen zu zwei oder mehreren Staaten hat, dass der Besitz zweier oder mehrerer Staatsangehörigkeiten eine Manifestierung eines wirklichen ,genuine link‘ zu den betreffenden Staaten darstellt. Frankreich, Island, Italien, die Niederlande und Spanien gehören zu dieser Gruppe. Drei dieser Staaten (Frankreich, Italien und die Niederlande) ratifizierten sowohl das Straßburger Abkommen aus dem Jahre 1963 als auch das Zweite Protokoll aus dem Jahre 1993. Island und Spanien sind nicht durch dieses Abkommen gebunden. Frankreich und Italien nehmen in dieser Gruppe einen besonderen Platz ein, da sie in ihrer nationalen Gesetzgebung mehrfache Staatsangehörigkeit ohne jegliche Einschränkung hinnehmen, während sie erstaunlicherweise dennoch Partei bei beiden erwähnten Abkommen geblieben sind. Dies ist in gewisser Hinsicht inkonsequent. In der ersten Hälfte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts ließ sich diese Haltung noch dadurch erklären, dass sie gerade als Parteien des Straßburger Abkommens über den Text des Zweiten Protokolls mit unterhandeln konnten. Auf diese Weise konnten sie durchaus andere europäische Staaten überzeugen, ihre strikte Haltung hinsichtlich der doppelten oder mehrfachen Staatsangehörigkeit zu lockern. Da seit der Ratifizierung durch die Niederlande im Jahre 1996 kein weiterer Staat das Zweite Protokoll mehr ratifiziert hat, sollten diese beiden Staaten sich inzwischen die Frage stellen, ob nicht besser dem Beispiel Deutschlands und Schwedens gefolgt werden kann und das Straßburger Abkommen einschließlich des Zweiten Protokolls gekündigt werden sollte. Auch die Position der Niederlande ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Die Niederlande haben die Ausnahmekategorien des Zweiten Protokolls in der nationalen Staatsangehörigkeitsgesetzgebung inkorporiert. Der Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit ist noch immer ein Verlustgrund für die niederländische Staatsangehörigkeit (Art. 15 Absatz 1 Ziffer (a) des niederländischen Staatsangehörigkeitsgesetzes), aber Art. 15 Absatz 2 formuliert davon drei Ausnahmen, die vom Zweiten Protokoll inspiriert sind: ein Niederländer verliert die niederländische Staatsangehörigkeit nicht, wenn er die Staatsangehörigkeit des Staates erwirbt, auf dessen Grundgebiet er geboren ist, und wo er zur Zeit des Erwerbs seinen Wohnsitz hat; das gleiche gilt, wenn er die Staatsangehörigkeit des Staates 48 Siehe für Deutschland: Staatsangehörigkeitsgesetz vom 15. Juli 1999 (BGBl. I 1999, 1618 – 1624), in Kraft getreten am 1. Januar 2000; für Finnland: Staatsangehörigkeitsgesetz vom 16. Mai 2003, in Kraft getreten am 1. Juni 2003; für die Niederlande: Änderungsgesetze vom 21. Dezember 2000 (Staatsblad 2000, 618) und vom 18. April 2002 (Staatsblad 2002, 222), in Kraft getreten am 1. April 2003; für Schweden: Gesetz 82 vom 1. März 2001, in Kraft getreten am 1. Juli 2001.
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erwirbt, wo er als Minderjähriger mindestens fünf Jahre gelebt hat; und schließlich verliert auch derjenige nicht die niederländische Staatsangehörigkeit, der die Staatsangehörigkeit eines Ehegatten erwirbt. Von einem Einbürgerungsbewerber wird grundsätzlich auch noch Verzicht auf die bisherige Staatsangehörigkeit gefordert, aber auch von dieser Regel gibt es Ausnahmen. Drei dieser Ausnahmen sind wieder die vom Zweiten Protokoll inspirierten Kategorien: Kein Verzicht auf die bisherige Staatsangehörigkeit ist notwendig, wenn man in den Niederlanden geboren wurde, in den Niederlanden als Minderjähriger mindestens fünf Jahre gelebt hat, oder wenn man Ehegatte eines Niederländers ist (Art. 9 Absatz 3). Gerade hinsichtlich dieser drei vom Zweiten Protokoll inspirierten Ausnahmen gibt es aber eine bemerkenswerte Entwicklung. In einem im Juni 2005 beim niederländischen Parlament eingereichten Gesetzesentwurf49 wird nunmehr vorgeschlagen, einige der in Art. 9 Absatz 3 des niederländischen Staatsangehörigkeitsgesetzes erwähnten Ausnahmen auf die Verzichtbedingung bei Einbürgerung zu streichen. Es geht dabei erstaunlicherweise genau um die vom Zweiten Protokoll inspirierten Ausnahmen. In der Begründung zum Gesetzesentwurf schreibt Minister Verdonk, dass die niederländische Regierung es „onwenselijk“ (nicht wünschenswert) findet, dass Personen die die niederländische Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung erwerben wollen, auch noch eine weitere Staatsangehörigkeit beibehalten wollen. Dieser Standpunkt wird lediglich mit der Bemerkung begründet, dass eine doppelte Staatsangehörigkeit eine völlige („volledige“) (einige Zeilen weiter: dauerhafte („duurzame“)) Integration der betreffenden Personen gefährden könne.50 Weshalb dies der Fall ist, wird nicht näher dargelegt. Der Gesetzesvorschlag manifestiert die Angst vieler Niederländer vor Ausländern, namentlich aus der islamischen Welt, nach den Attentaten vom 11. September 2001 in New York und Washington sowie dem Mord in Amsterdam an Theo van Gogh am 2. November 2004. Bis zu einem gewissen Grad verkörpert daher dieser Gesetzesentwurf die deutlich zunehmende islamophobe Grundhaltung, die bei der heutigen niederländischen Regierung konstatiert werden muss. Der Gesetzesentwurf richtet sich vor allem gegen die erste und zweite Generation türkischer und marokkanischer „Gastarbeiter“. Die meisten Angehörigen dieser Gruppe halten sich schon seit Jahrzehnten in den Niederlanden auf. Der Gesetzentwurf macht übrigens keine Vorschläge zur Bekämpfung mehrfacher Staatsangehörigkeit in anderen Fällen, z. B. durch Geburt als Kind staatsangehörigkeitsrechtlich gemischt verheirateter Eltern. Die Streichung der vom Zweiten Protokoll inspirierten Ausnahmen würde im Übrigen eine ernsthafte Inkonsistenz im niederländischen Staatsangehörigkeitsrecht bewirken. Die ebenfalls vom Zweiten Protokoll inspirierten Ausnahmen auf den Verlustgrund des Art. 15 (1) (a) werden vom Gesetzesentwurf nämlich nicht berührt. Dies führt dazu, dass viele Personen, die die niederländische Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung erwerben möchten auf ihre 49 50
Gesetzesentwurf 30166 (R 1795). Kamerstuk 30 166 (R 1795), nr. 3, 3.
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bisherige Staatsangehörigkeit verzichten müssen, aber dann anschließend als Niederländer die fremde Staatsangehörigkeit wieder erwerben können, ohne die niederländische Staatsangehörigkeit zu verlieren. Diese mangelnde Konsistenz bei einer Gesetzesvorlage ist wirklich verblüffend.
V. Zum Schluss Wenn man die oben beschriebenen Entwicklungen hinsichtlich der Haltung gegenüber Fällen mehrfacher Staatsangehörigkeit überblickt, kann man folgern, dass grundsätzlich von einer zunehmenden Akzeptanz die Rede ist. Es ist wahrscheinlich, dass in der nächsten Zukunft insbesondere eine Häufung von Staatsangehörigkeiten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraumes geduldet wird. Es gibt zudem eine gewisse Tendenz Fälle mehrfacher Staatsangehörigkeit generell zu erlauben. Verblüffend ist dabei, wie zögernd und manchmal inkonsequent in dieser Hinsicht die Haltung mancher Staaten ist. Die Diskussion über die Problematik mehrfacher Staatsangehörigkeit ist offensichtlich auch in Europa noch nicht abgeschlossen. Allerdings kann man die jüngsten Tendenzen in den Niederlanden als Rückschritt betrachten.
Der Vorschlag für eine europäische Verordnung zum Internationalen Unterhalts- und Unterhaltsverfahrensrecht Von Heinrich Dörner
I. Einführung und Bestandsaufnahme Die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen ist bekanntlich ein mühsames Geschäft. Bei der grenzüberschreitenden Durchsetzung von Unterhaltsforderungen türmen sich aber so viele zusätzliche, praktische wie auch spezifisch kollisionsund verfahrensrechtliche Barrieren auf, dass so mancher Unterhaltsgläubiger von vornherein von der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens abgehalten wird oder vor Erreichung seines Ziels irgendwann zwischen Klage und Vollstreckung resigniert das Handtuch wirft. Derartige Realisierungsdefizite belasten nicht nur die unmittelbar Beteiligten, sondern berühren nachhaltig auch öffentliche Interessen, weil bei ausbleibendem Unterhalt häufig der Staat in Vorlage tritt. Obwohl verlässliche Daten zur sozialen Dimension der Problematik nicht zu existieren scheinen,1 darf man angesichts wachsender internationaler Mobilität und anhaltender Migration, vor allem aber nach einem Blick auf die steigende Anzahl gemischtnationaler Eheschließungen2 einer- und einem weiteren auf die Entwicklung der Scheidungsstatistiken3 andererseits vermuten, dass Sachverhalte mit Auslandsberührung gerade im Unterhaltsrecht an Zahl ständig zunehmen. Die Einsicht, dass die zügige Abwicklung internationaler Unterhaltsverfahren nicht nur eine Vereinheitlichung von Kollisionsnormen, sondern auch und vor allem eine vereinfachte Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltstiteln erfordert, hat sich schon früh in Bemühungen um eine staatsvertragliche Regelung der Materie niedergeschlagen. Zu den Staatsverträgen der ersten Generation gehör1 Vgl. dazu das Grünbuch „Unterhaltspflichten“ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften v. 15. 4. 2004, Kom(2004) 254 endg., S. 6 ff. 2 Nach Feststellung des Statistischen Bundesamtes besaßen in Deutschland im Mai 2003 von 19,2 Mio. Ehepaaren 923.000 (also 4,8%) eine unterschiedliche Nationalität, vgl. StAZ 2005, 115. 3 In Deutschland steigt nach Feststellung des Statistischen Bundesamtes die jährliche Anzahl der Scheidungen weiterhin an. Im Jahr 2003 wurden insgesamt 213.975 Ehen geschieden. Das sind 11 von 1.000 Ehen, vgl. StAZ 2005, 114.
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ten das „Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht“ vom 24. 10. 1956,4 das ergänzt wurde durch das „Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern“ vom 15. 4. 19585 und flankiert durch das auf Rechtshilfe zielende New Yorker „UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland“ vom 20. 6. 1956,6 in dem die Rechtsstellung des Unterhaltsgläubigers durch Einschaltung staatlicher Übermittlungs- und Empfangsstellen verbessert wird. Der nächste Schritt erfolgte knapp 20 Jahre später durch eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Haager Übereinkommen vom Kindesunterhalt auf familiäre Unterhaltsansprüche aller Art. Zu dieser zweiten Generation der Staatsverträge gehören das „Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht“ (HUÜ) vom 2. 10. 1973,7 das übrigens Japan als einziger nichteuropäischer Staat ratifiziert hat, sowie als verfahrensrechtliches Pendant das am selben Tag beschlossene „Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen“.8 Diese – grundsätzlich zu begrüßende – Modernisierung der Abkommenstexte hatte freilich auch ihre Schattenseiten. Im deutschen Recht hat die unglückliche Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, die Bestimmungen des HUÜ in systematisch abweichender Anordnung noch einmal in den Art. 18 EGBGB aufzunehmen, eine bis heute nicht zur Ruhe gekommene Diskussion über das Verhältnis der staatsvertraglichen Kollisionsnormen zu ihren inkorporierten „Kopien“ ausgelöst.9 Wesentliche komplexere Konkurrenzprobleme waren und sind auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen zu bewältigen, weil sich der sachliche Anwendungsbereich der beiden einschlägigen Haager Übereinkommen mit demjenigen bilateraler Vollstreckungsübereinkommen einer- und dem multilateraler Staatsverträge (Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen – EuGVÜ,10 Luganer Übereinkom4 BGBl. 1961 II 1012; in Deutschland in Kraft getreten am 1. 1. 1962 (vgl. Bekanntmachung v. 27. 12. 1961, BGBl. 1962 II 16). 5 BGBl. 1961 II 1006, in Deutschland ebenfalls in Kraft getreten am 1. 1. 1962 (vgl. Bekanntmachung v. 15. 12. 1961, BGBl. 1962 II 15). 6 BGBl. 1959 II 150, in Deutschland am 19. 8. 1959 in Kraft getreten (vgl. Bekanntmachung v. 20. 11. 1959, BGBl. 1959 II 1377). – Neben dem UN-Übereinkommen gilt in der Bundesrepublik das Auslandsunterhaltsgesetz (AUG) v. 19. 12. 1986 (BGBl. 1986 I 2563), das darüber hinaus eine erleichterte Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Verhältnis zu solchen Staaten ermöglicht, die dem UN-Übereinkommen nicht beigetreten sind. 7 BGBl. 1986 II 837; in Deutschland in Kraft getreten am 1. 4. 1987 (Bekanntmachung v. 26. 3. 1987, BGBl. 1987 II 225). 8 BGBl. 1986 II 826, in Deutschland in Kraft getreten ebenfalls am 1. 4. 1987 (Bekanntmachung v. 25. 3. 1987. BGBl. 1987 II 220). 9 Vgl. nur Staudinger / Mankowski, EGBGB / IPR, Neubearbeitung 2003, Art. 18 EGBGB Rn. 2 ff.; MünchKomm / Siehr, Bd. 10, 4. Aufl. (2006) Art. 18 Rn. 1; Eschenbruch / Dörner, Der Unterhaltsprozess, 3. Aufl. 2002, Rn. 7015 ff.
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men11) andererseits überschneidet.12 Nachdem seit dem 1. 3. 2002 auch noch die Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVVO)13 sowie seit dem 21. 10. 2005 die Verordnung über den Europäischen Vollstreckungstitel (EuVTVO)14 Beachtung verlangen, findet sich im Dickicht der zahlreichen Rechtsquellen auch der Spezialist endgültig nur noch mit Mühe zurecht. Inzwischen wirft die dritte Generation internationaler Rechtsakte zum Unterhaltsrecht ihre Schatten voraus. Zum einen bereitet die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht ein neues Unterhaltsübereinkommen vor, das aufgrund tief greifender Meinungsunterschiede zwischen den Delegationen der Mitgliedstaaten aber nach dem jetzigen Stand der Dinge wohl weder Regeln über die internationale Zuständigkeit in Unterhaltssachen noch allgemeine Kollisionsnormen enthalten, sondern sich auf Rechtshilfemaßnahmen und Anerkennungs- und Vollstreckungserleichterungen konzentrieren wird.15 Parallel dazu treibt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften energisch das Projekt einer Verordnung zum Internationalen Unterhalts- und Unterhaltsverfahrensrecht voran und hat dazu im Dezember 2005 einen entsprechenden Vorschlag16 unterbreitet, der die bei einer grenzüberschreitenden Realisierung von Unterhaltsansprüchen auftretenden Hindernisse abbauen soll. Der Entwurf zielt auf eine umfassende Regelung der Materie ab und ist damit wesentlich ambitionierter angelegt als die Neuauflage der Haager Übereinkommen.17 Koresuke Yamauchi hat in seinen Publikationen immer wieder Brücken zwischen dem deutschen und dem japanischen IPR geschlagen und dabei gerade auch 10 Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 27. 9. 1968, BGBl. 1972 II 774; 1998 II 1412. 11 Lugano-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 16. 9. 1988, BGBl. 1994 II 2658. 12 Vgl. Göppinger / Wax / Linke, Unterhaltsrecht, 8. Aufl. (2003) Rn. 3257 ff.; Eschenbruch / Dörner (Fn. 9) Rn. 8004 ff., 8039 ff. 13 Verordnung (EG) Nr. 44 / 2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 22. 12. 2000, ABl. EG 2001 Nr. L 12, S. 1. 14 Verordnung (EG) Nr. 805 / 2004 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21. 4. 2004 zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, ABl. EU Nr. L 143 v. 30. 4. 2004, S. 15. 15 Näher Wagner, Ein neues unterhaltsrechtliches Übereinkommen aus Den Haag, FamRZ 2005, 410. 16 Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten, KOM(2005) 649 (endg.). 17 Zum Verhältnis des Reformvorhabens der Haager Konferenz zu der geplanten Verordnung aus der Sicht der Europäischen Kommission vgl. Grünbuch „Unterhaltspflichten“ (Fn. 1) 9 ff.; vgl. dazu auch den Beschluss des Bundesrates v. 24. 9. 2004, BR-Drucks. 361 / 04, S. 1 f.
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Fragestellungen des Internationalen Familienrechts aufgenommen.18 Vor diesem Hintergrund könnten auch die nachfolgenden Überlegungen zu einem bedeutsamen europäischen Reformprojekt sein Interesse finden.
II. Grundlagen und Inhalt des Verordnungsentwurfs 1. Kompetenz und Verfahren Rechtsgrundlage der geplanten Verordnung sind Art. 61 lit. c in Verbindung mit Art. 65 lit. b des EG-Vertrages, die mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam19 am 1. 1. 1999 der Europäischen Gemeinschaft die Zuständigkeit für Maßnahmen übertragen, die eine Vereinheitlichung der in den Mitgliedstaaten geltenden Internationalen Privatrechte fördern und Kompetenzkonflikte verringern können, soweit dies für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich ist. Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, die „familienrechtliche Aspekte“ aufweisen, werden nach (dem durch den Vertrag von Nizza20 eingefügten) Art. 67 Abs. 5, 2. Spiegelstrich EG-Vertrag nicht im Mitentscheidungsverfahren des Art. 251 EG-Vertrag beschlossen, sondern erfordern eine einstimmige Annahme im Rat nach einer einfachen Anhörung des Europäischen Parlaments (arg. Art. 67 Abs. 2 EG-Vertrag).21 Unter Hinweis auf die (angeblich) „hybride Natur“ der Unterhaltspflichten – die auf familienrechtlicher Grundlage „normale“ Zahlungsansprüche begründen – schlägt die Kommission daher dem Rat vor, die vorgesehene Maßnahme zu den Unterhaltspflichten durch einstimmigen Beschluss gemäß Art. 67 Abs. 2, 2. Spiegelstrich des EG-Vertrages vom Einstimmigkeitserfordernis zu befreien und in das Mitentscheidungsverfahren zu überführen.22
18 Vgl. Yamauchi, Der Erwerb und die Änderung des Familiennamens im japanischen Recht, StAZ 1984, 329; ders., Zur Änderung des japanischen Staatsangehörigkeits- und Personenstandsrechts, IPRax 1985, 58; ders., Zur Änderung des Internationalen Ehe- und Kindschaftsrechts in Japan, IPRax 1990, 268; ders., Gleichberechtigung im japanischen Familienrecht, in: Verschraegen (Hrsg.), Gleichheit im Familienrecht (1997) 333; ders., Internationale Eheschließung in Japan am Ende des 19. Jahrhunderts, FS Henrich (2000) 657. 19 ABl. EG 1997 Nr. C 340, S. 1 ff. 20 ABl. EG 2001 Nr. C 80, S. 1 ff. 21 Vgl. die „Mitteilung der Kommission an den Rat zur Anwendbarkeit von Artikel 251 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft auf nach Artikel 65 EG-Vertrag im Bereich der Unterhaltspflichten erlassene Maßnahmen“ v. 15. 12. 2005, KOM(2005) 648 endg., S. 3. 22 Vgl. die „Mitteilung“ (Fn. 21) S. 4 ff.
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2. Verhältnis zu anderen Rechtsakten (Art. 48, 49 VO-E) Nach Art. 48 Abs. 1 des Entwurfs der Verordnung (im Folgenden: VO-E) soll der geplante Rechtsakt für den Bereich der Unterhaltspflichten an die Stelle der EuGVVO sowie der EuVTVO23 treten; infolgedessen wäre es zwecks Klarstellung der Rechtslage allerdings sinnvoll, den Art. 5 Nr. 2 EuGVVO aufzuheben. Da die EheGVVO24 Unterhaltsfragen ausklammert, ergeben sich mit dieser VO keine Überschneidungen. Die Europäische Beweisaufnahme-VO25 sowie die Zustellungs-VO26 bleiben im Grundsatz unberührt; nur Art. 19 des letztgenannten Rechtsakts, der das Gericht bei Zustellungszweifeln zu einer Aussetzung des Verfahrens verpflichtet, soll in Unterhaltsverfahren keine Anwendung finden (Art. 48 Abs. 2, 3 VO-E). Abweichend von Art. 71 Abs. 1 EuGVVO sieht der Verordnungsentwurf vor, dass das geplante Rechtsinstrument im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander Vorrang vor allen einschlägigen Staatsverträgen genießen soll (Art. 49 VO-E). Damit werden die oben unter I. aufgeführten Übereinkommen nur noch im Verhältnis von Drittstaaten von Bedeutung sein.
3. Umfassender Regelungsansatz Während der europäische Gesetzgeber bislang bei der Projektierung der auf der Grundlage von Art. 65 lit. b EG-Vertrag zu erlassenden Verordnungen zwischen international-verfahrensrechtlichen Rechtsinstrumenten (EuGVVO, EheGVVO usw.) und solchen des Internationalen Privatrechts (Entwürfe Rom I, Rom II) unterschieden hat, scheint in jüngerer Zeit in Brüssel der Gedanke Platz zu greifen, dass diese – historisch bedingte – Separierung überwunden und zusammenhängende Materien des Kollisions- und Verfahrensrecht auch in einheitlichen Rechtsakten geregelt werden sollten. Der vorliegende Entwurf trägt diesem Gedanken Rechnung,27 indem er zum einen die klassischen Schwerpunkte des Internationalen Verfahrensrechts erfasst, also die internationale Zuständigkeit der Mitgliedstaatengerichte in Unterhaltssachen (näher unten III.), sowie die Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Unterhaltsurteilen der Mitgliedstaaten (dazu unten V.l.) regelt, Vgl. Fn. 14. VO Nr. 2201 / 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347 / 2000, ABl. EU Nr. L 338 v. 23. 12. 2003, S. 1 ff. 25 Verordnung (EG) Nr. 1206 / 2001 über die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen v. 28. 5. 2001, ABl. EG L 174 / 1. 26 Verordnung (EG) Nr. 1348 / 2000 des Rates v. 29. 5. 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten, ABl. EG 2000 L 160 / 37. 27 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 8 der Präambel des VO-E. 23 24
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in Verbindung damit aber gleichzeitig ein System unterhaltsrechtlicher Kollisionsnormen entwickelt (vgl. unten IV.). Auf neuem Terrain bewegt sich der Entwurf mit der Mindestharmonisierung vollstreckungsrechtlicher Vorschriften, wie sie in der Schaffung spezifischer Instrumentarien für die grenzüberschreitende Vollstreckung zum Ausdruck kommt (unten V. 2.). Der Entwurf verfestigt nach dem Vorbild der Art. 53 ff. EheGVVO in seinen Art. 39 – 47 außerdem das System mit- gliedstaatlicher Zentraler Behörden, die über den allgemeinen Austausch von Informationen hinaus (Art. 40 VO-E) auch bei der Durchsetzung konkreter Unterhaltsansprüche Hilfestellung durch Kooperation leisten sollen (Art. 44 ff. VO-E).
III. Internationale Zuständigkeit 1. Allgemeine Zuständigkeit (Art. 3 VO-E) a) Art. 3 VO-E sieht eine konkurrierende Zuständigkeit für Klagen in Unterhaltssachen28 vor. Dieser Begriff ist – ebenso wie in Art. 5 Nr. 2 EuGVVO – verordnungsautonom und weit auszulegen29 und erfasst Ansprüche, die auf familienrechtlicher Grundlage den Lebensunterhalt des Berechtigten sichern sollen. b) Für Unterhaltsklagen sind nach Art. 3 lit. a und b VO-E die Gerichte des Orts international und örtlich zuständig, an dem entweder der Antragsgegner oder aber der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt30 hat. Im Unterschied zu Art. 5 Nr. 2 EuGVVO kann der Unterhaltsgläubiger seinen Anspruch daher auch dann am Gericht seines gewöhnlichen Aufenthalts geltend machen, wenn sich dieser in demselben Mitgliedstaat wie der des Unterhaltsverpflichteten befindet. Verklagt der Gläubiger den Verpflichteten an dessen in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen Aufenthaltsort, soll er gemäß Art. 13 Abs. 2 lit. b VO-E für die lex fori optieren und auf diese Weise einen Gleichlauf zwischen Zuständigkeit und anwendbarem Recht herbeiführen können. Für den Unterhaltsgläubiger kann ein solches Vorgehen vorteilhaft sein, wenn und weil das im Aufenthaltsstaat des VerZum Parallelbegriff der „Unterhaltspflichten“ vgl. unten IV.3.a). Vgl. zu Art. 5 Nr. 2 EuGVVO (bzw. der Vorgängernorm im EuGVÜ) EuGH IPRax 1981, 19, 20; 1999, 35. 36 f. 30 Eine Definition des gewöhnlichen Aufenthalts oder einen Verweis auf nationale Definitionen enthält der Entwurf nicht. Der Begriff wird daher europäisch-autonom zu bestimmen sein, durfte sich aber in der Sache wohl kaum von dem Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts unterscheiden, wie er in den verschiedenen Haager Übereinkommen verwandt wird („Daseinsmittelpunkt“), vgl. zu dem Parallelproblem bei Anwendung der VO in Ehesachen Nr. 1347 / 2000 („VO Brüssel II“) und Nr. 2201 / 2003 (VO Brüssel IIa) etwa Hausmann, Neues internationales Eheverfahrensrecht in der Europäischen Union, The European Legal Forum 2000 / 2001, 271 (345); Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der Verordnung (EG) Nr. 2201 / 2003 (2004) 107 ff.; sehr str., a. A. z. B. Hau, Das System der internationalen Entscheidungszuständigkeit im europäischen Eheverfahrensrecht, FamRZ 2000, 1333; differenzierend Rauscher, in: Rauscher (Hrsg.) Europäisches Zivilprozessrecht (2004) Art. 1 Brüssel II-VO Rn. 2. 28 29
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pflichteten geltende Recht ihn bei der Unterhaltsbemessung großzügiger behandelt als das eigene Aufenthaltsrecht. Die Möglichkeit einer solchen Wahl zwischen beiden konkurrierenden Gerichtsständen steht nur dem Unterhaltsberechtigten zu. Ein Unterhaltsschuldner, der z. B. eine Klage auf Abänderung des ursprünglichen Titels erhebt, ist kein „Unterhaltsberechtigter“ i. S. von Art. 3 lit. b VO-E und kann sich daher nur auf den allgemeinen Beklagtengerichtsstand gemäß lit. a stützen.31 Gleiches gilt auch für eine öffentliche Einrichtung, die Unterhaltsleistungen vorgestreckt hat und nunmehr den Unterhaltspflichtigen in Regress nehmen will.32 c) Art. 3 lit. c VO-E ergibt auf den ersten Blick keinen Sinn: Die gerichtliche Zuständigkeit für Entscheidungen in Unterhaltssachen soll bei dem Gericht liegen, bei dem die Zuständigkeit für eine Personenstandsklage liegt, wenn daneben auch ein Unterhaltsanspruch geltend gemacht wird? Wozu der Konditionalsatz? Wenn kein Unterhaltsanspruch geltend gemacht wird, bedarf es schließlich keiner Zuständigkeit in Unterhaltssachen. Ein Blick auf die englische und französische Textfassung macht aber klar, was hier in Wirklichkeit gemeint sein dürfte: In einem Statusverfahren besteht eine Zuständigkeit in Unterhaltssachen, „if the matter relating to maintenance is ancillary to those proceedings“ bzw. dann, „lorsque la demande relative à l’obligation alimentaire est accessoire à cette action.“ Gefordert wird also eine Abhängigkeit der Unterhalts- von der Personenstandsentscheidung. Eine lediglich gleichzeitige Geltendmachung, wie dies der deutsche Text nahe zu legen scheint, reicht dagegen nicht aus. Der Unterschied zeigt sich etwa, wenn bei dem mit der Scheidung befassten Gericht auch Klage auf Trennungsunterhalt erhoben wird. Ein solcher Unterhaltsanspruch dürfte nicht als „ancillary“ oder „accessoire“ zum Scheidungsverfahren anzusehen sein, während die vom deutschen Text allein geforderte Gleichzeitigkeit durchaus besteht. Ob ein Gericht für Personenstandsklagen zuständig ist, richtet sich nach den Verfahrensvorschriften des Forums, in Scheidungsverfahren vor Mitgliedstaatengerichten also in erster Linie nach den Art. 3 ff. EheGVVO.33 Da Art. 3 Abs. 1 lit. b EheGVVO eine Zuständigkeit allenfalls auf die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Eheleute gründet, spielt die Einschränkung in Art. 3 lit. c VO-E, dass die Zuständigkeit im Statusverfahren nicht auf die Staatsangehörigkeit allein einer Partei beruhen dürfe, in diesem Zusammenhang keine Rolle. Besteht dagegen (ausnahmsweise) keine internationale Scheidungszuständigkeit eines Mitgliedstaatengerichts nach Maßgabe der Art. 3 bis 6 EheGVVO und kommen gemäß Art 7 Abs. 1 EheGVVO die nationalen Zuständigkeitsvorschriften zum Zuge, so ist, 31 Vgl. zu Art. 5 Nr. 2 EuGVVO nur: Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl. (2005) Art. 65 Rn. 64; Eschenbruch / Dörner (Fn. 9) Rn. 8010. 32 Vgl. zu Art. 5 Nr. 2 EuGVVO (bzw. EuGVÜ): EuGH IPRax 2004, 240 ff.; zurückhaltend aber Martiny, Unterhaltsrückgriff durch öffentliche Trager im europäischen internationalen Privat- und Verfahrensrecht, IPRax 2004, 195 (203 f.). 33 Vgl. Fn. 24.
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wenn sich die internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts ausschließlich gemäß § 606a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die deutsche Staatsangehörigkeit eines Ehegatten allein stützt, keine Unterhaltsentscheidung möglich. Entsprechendes gilt für Unterhaltsentscheidungen im Zusammenhang mit Abstammungsklagen, soweit ein deutsches Gericht seine internationale Zuständigkeit aus der deutschen Staatsangehörigkeit ausschließlich einer Partei (§ 640a Abs. 2 Nr. 1 ZPO) herleitet. d) Zweifel an der Authentizität der deutschen Textfassung ergeben sich auch im Hinblick auf Art. 3 lit. d VO-E, der für die Geltendmachung von Nebenansprüchen auf Unterhalt die Zuständigkeit eines Gerichts begründet, „bei dem die Zuständigkeit für eine Sorgerechtsklage“ i. S. der EheGVVO liegt. Im englischen und französischen Text ist nämlich von Klagen mit Bezug auf die „elterliche Verantwortung“ („parental responsability“, „responsabilité parentale“) die Rede, die ausweislich des Art. 2 Nr. 7 und 9 EheGVVO mit dem Sorgerecht keineswegs identisch ist, sondern weitergehend z. B. auch Verfahren über das Umgangsrecht umfasst. In der Sache wird damit vor allem eine Zuständigkeit der Mitgliedstaatengerichte begründet, in denen sich der gewöhnliche oder schlichte Aufenthaltsort des Kindes zum Zeitpunkt der Antragstellung oder unter bestimmten Voraussetzungen auch ein früherer gewöhnlicher Aufenthalt befindet (vgl. Art. 8, 9 und 13 EheGVVO). Darüber hinaus wird man auch eine Zuständigkeit in Unterhaltssachen dort als gegeben ansehen dürfen, wo sich ein Mitgliedstaatengericht in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung nach Art. 14 EheGVVO auf seine nationalen Zuständigkeitsvorschriften stützt.
2. Gerichtsstandsvereinbarungen und Zuständigkeit kraft Einlassung (Art. 4, 5 VO-E) a) Art. 4 Abs. 1 S. 1 VO-E lässt Gerichtsstandsvereinbarungen im Wesentlichen unter den gleichen Voraussetzungen zu, wie sie Art. 23 EuGVVO bereits heute für Unterhaltsprozesse aufstellt; insbesondere wird vorausgesetzt, dass mindestens eine der Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat. Eine Einschränkung macht allerdings Art. 4 Abs. 4 VO-E, der die Wahl eines Gerichtsstands ausschließt, soweit es um Unterhaltsansprüche eines noch nicht 18 Jahre alten Kindes geht. Die Gerichtsstandsvereinbarung muss schriftlich geschlossen werden; eine elektronische Übermittlung (Fax, e-mail) – ohne Unterschrift – reicht aus, sofern eine dauerhafte Aufzeichnung (d. h. wohl: ein Ausdruck) gewährleistet ist (Art. 4 Abs. 2 VO-E). Wird das Gericht eines Mitgliedstaates von zwei Parteien mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Drittstaat prorogiert, liegen die Voraussetzungen des Abs. 1 S. 1 nicht vor, so dass sich Voraussetzungen und Wirkungen einer solchen Vereinbarung grundsätzlich nach dem nationalen Prozessrecht des betreffenden Mitgliedstaates beurteilt. Gleichwohl sperrt Abs. 3 in diesem Fall zunächst den Zugang zu den nicht-prorogierten Mitgliedstaatengerichten, obwohl diese nach eigenem
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Recht möglicherweise zuständig sind, und bewirkt damit eine Vereinheitlichung der Zuständigkeitsregeln innerhalb der Gemeinschaft. Die Bindung der übrigen Mitgliedstaatengerichte entfällt, wenn sich das prorogierte Gerichte nach seinem eigenen Prozessrecht rechtskräftig für unzuständig erklärt hat. b) Lässt sich der Antragsgegner rügelos auf ein Verfahren vor einem an sich unzuständigen Mitgliedstaatengericht ein, wird dadurch aus Gründen der Prozessökonomie und des vermuteten Parteiinteresses eine Zuständigkeit dieses Gerichts begründet. Art. 5 VO-E entspricht Art. 24 EuGVVO.
3. Restzuständigkeit (Art. 6 VO-E) Im Gegensatz zu Art. 7 und 14 EheGVVO, die auf nationale Zuständigkeiten verweisen, wenn sich nach Maßgabe der europäischen Kriterien keine Zuständigkeit begründen lässt, definiert Art. 6 VO-E eine solche „Restzuständigkeit“ selbst. Kann die Zuständigkeit in einem Unterhaltsrechtsstreit daher weder auf eine Gerichtsstandsvereinbarung noch auf einen allgemeinen Gerichtsstand i. S. des Art. 3 VO-E gestützt werden – insbesondere dann also, wenn weder der Unterhaltsberechtigte noch der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat –, besteht eine internationale Zuständigkeit der Gerichte des gemeinsamen Heimatstaates (lit. a) oder, soweit es um Ansprüche zwischen Ehegatten oder ehemaligen Ehegatten geht, der Gerichte des Mitgliedstaates, in dessen Hoheitsgebiet sich der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Eheleute befand (lit. b), sofern ein solcher noch innerhalb des letzten Jahres vor der Antragstellung existiert hatte. Die örtliche Zuständigkeit ist in diesen Fällen dem jeweiligen nationalen Prozessrecht zu entnehmen. Ein Rückgriff auf die nationalen Regeln über die internationale Zuständigkeit dürfte dagegen ausgeschlossen sein.
IV. Bestimmung des anwendbaren Rechts 1. Objektive Anknüpfung (Art. 13 VO-E) a) Die in Art. 13 VO-E vorgesehene objektive Anknüpfung orientiert sich am Vorbild der Art. 4 Abs. 1, 5 und 6 HUÜ: Hier wie dort ist das Unterhaltsstatut mit Hilfe einer Anknüpfungsleiter zu bestimmen; allerdings hat der Entwurf gewissermaßen die einzelnen Sprossen ausgetauscht, d. h. eine Änderung in der Rangfolge der zur Anwendung berufenen Rechte vorgenommen. Primär maßgebend bleibt zwar das Aufenthaltsrecht des Unterhaltsberechtigten (Art. 13 Abs. 1 VO-E); der Gläubiger erhält damit eine Unterhaltsleistung, die sich nach den Standards des Landes bemisst, in dem sich sein Lebensmittelpunkt befindet. Kann der Berechtigte nach diesem Recht aber keinen Unterhalt erhalten, wird jetzt (nicht das gemeinsame Heimatrecht, wie in Art. 5 HUÜ, sondern) subsidiär die lex fori berufen (Art. 13 Abs. 2 lit. a). Hier treten die Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und
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Praktikabilität in den Vordergrund, weil sich bei Anwendung des am Gerichtsort geltenden Rechts Unterhaltsstreitigkeiten „häufig einfacher, schneller und kostengünstiger beilegen lassen“34. Schließlich kann sich der Unterhaltsgläubiger hilfsweise noch auf das Recht des Landes berufen, zu dem die Unterhaltspflicht aufgrund der Gesamtumstände möglicherweise eine enge Verbindung aufweist (Art. 13 Abs. 3 VO-E). Eine solche Verbindung kann nach dem Wortlaut der Vorschrift vor allem – aber keineswegs ausschließlich35 – durch die gemeinsame Staatsangehörigkeit hergestellt werden. Sie könnte sich ebenso etwa aus einem (früheren und jetzt aufgegebenen) langjährigen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt ergeben. Lässt sich eine solche enge Verbindung nicht feststellen und sehen weder das Aufenthaltsrecht des Gläubigers noch die lex fori einen Unterhaltsanspruch vor, geht der Anspruchsteller leer aus. Diese Regeln gelten auch für den Unterhalt nach Scheidung oder Auflösung einer Lebenspartnerschaft. Eine Sonderregel nach dem Vorbild des (zuletzt als theoretisch wie praktisch verfehlt kritisierten36) Art. 8 HUÜ sieht der Entwurf also nicht vor. b) Zweifelhaft erscheint auf den ersten Blick, unter welchen Voraussetzungen genau der Rückgriff auf die jeweils subsidiäre Anknüpfungsregel eigentlich ausgelöst wird, weil Art. 13 Abs. 2 lit. a VO-E nach seinem Wortlaut die lex fori beruft, wenn der Unterhaltsberechtigte nach seinem Aufenthaltsrecht keinen Anspruch „geltend machen“, nach der Formulierung des Art. 13 Abs. 3 VO-E dagegen die engste Verbindung maßgebend ist, wenn er seinen Unterhaltsanspruch nach einer der von Abs. 1 und 2 berufenen Rechte nicht „durchsetzen“ kann. Dieser Formulierungsunterschied könnte zu der Annahme verleiten, dass es im ersten Fall auf die Existenz eines Unterhaltsanspruchs und im zweiten auf seine praktische Durchsetzbarkeit ankommt. Das ist aber nicht der Fall, weil etwaige Auslegungszweifel lediglich auf eine Ungenauigkeit der deutschen Fassung zurückzuführen sind. Denn abgesehen davon, dass die Präambel von identisch zu definierenden Subsidiaritätsklauseln in Abs. 2 lit. a) und Abs. 3 des Art.13 VO-E auszugehen scheint,37 werden in der englischen Textfassung („ . . . is unable to obtain maintenance . . .“) ebenso wie in der französischen („ . . . ne peut obtenir d’aliments . . .“ bzw. „ . . . ne permet au créancier d’obtenir d’aliments . . .“) in diesen Zusammenhängen jeweils dieselben Formulierungen benutzt. Die beiden fremden Versionen lassen auch wesentlich deutlicher als die deutsche erkennen, dass nach der Vorstellung des europäischen Gesetzgebers eine subsidiäre Anknüpfung offenbar nur dann Platz greifen soll, wenn das vorrangig berufene Recht für den betreffenden Zeitraum einen Unterhaltsanspruch gegen den Verpflichteten gänzlich versagt, Vgl. Erwägungsgrund Nr. 14 in der Präambel zum VO-E. Vgl. Erwägungsgrund Nr. 15 in der Präambel zum VO-E. 36 Vgl. Schwarz / Scherpe, Nachehelicher Unterhalt im internationalen Privatrecht, FamRZ 2004, 665 (673 ff.). Für die Beibehaltung einer entsprechenden Regelung hat sich allerdings der Bundesrat ausgesprochen, vgl. BR-Drucks. (Fn. 17) S. 9. 37 Vgl. den Einleitungssatz in Erwägungsgrund Nr. 15. 34 35
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nicht dagegen bereits dann, wenn es nur einen Anspruch in geringerer Höhe oder in geringerem Umfang (etwa: nur für einen kürzerer Zeitraum) zuerkennt. Gleichwohl bleiben offene Fragen, die auch der englische oder französische Text nicht zu beantworten vermag: Soll nach der VO das vorrangig berufene Statut nur dann verlassen werden, wenn es einen Unterhaltsanspruch prinzipiell nicht kennt, weil sich z. B. aus der konkreten familiären Beziehung zwischen Anspruchsteller und Anspruchsgegner (etwa unter Verwandten in der Seitenlinie) unter keinen Umständen Unterhaltsansprüche ergeben können, weil bereits eine solche Beziehung nach dem dafür maßgebenden Recht38 nicht existiert oder im konkreten Fall nicht wirksam zustande gekommen ist? Oder reicht es aus, dass nach dem betreffenden Recht ein zunächst bestehender Anspruch unter bestimmten Voraussetzungen entfällt (vgl. im deutschen Recht § 1579 BGB) oder verjährt bzw. verwirkt ist (vgl. im deutschen Recht § 1611 BGB) oder im konkreten Fall die Voraussetzungen für einen Anspruch (z. B. wegen fehlender Leistungsfähigkeit des Verpflichteten oder mangelnder Bedürftigkeit des Berechtigten) nicht festgestellt werden können? Wenn im weiteren Gesetzgebungsverfahren in diesem Punkt keine Klarstellung erfolgt, sind spätere Unsicherheiten bei der objektiven Festlegung des Unterhaltsstatuts unvermeidlich. c) Gleich in mehrfacher Hinsicht unzulänglich ist die deutsche Fassung von Art. 15 VO-E, der (offensichtlich nach dem Vorbild von Art. 7 HUÜ) den Antragsgegner dann vor einer Inanspruchnahme nach den Bestimmungen des Unterhaltsstatuts schützen will, wenn „dem familiären Band, das den Erhalt der Unterhaltszahlung rechtfertigt, nicht einvernehmlich eine herausgehobene Stellung zuerkannt wird,“ wie dies insbesondere bei Verwandten in der Seitenlinie oder verschwägerten Personen oder nach einer Auflösung der Ehe der Fall sein könne.39 Der in Anspruch Genommene soll also dem Anspruchsteller entgegenhalten dürfen, dass z. B. nach dem gemeinsamen Heimatrecht in der konkreten Situation keinerlei Unterhalt gewährt wird.40 Auch in diesem Zusammenhang kommt es daher offensichtlich darauf an, dass ein Unterhaltsanspruch in dem verteidigungsweise herangezogenen Recht überhaupt nicht existiert, während die Formulierung des deutschen Textes („ . . . kann der Unterhaltspflichtige den Anspruch bestreiten . . .“) auch die Möglichkeit eines Bestreitens nicht ausschließlich dem Grunde, sondern auch der Höhe nach immerhin offen lässt. Bei dieser auf Einrede erfolgenden, also nicht von Amts wegen zu beachtenden Anwendung eines anderen als des objektiv bestimmten Unterhaltsstatuts sind im Übrigen drei Fallgruppen zu unterscheiden: Vgl. dazu unten 3.c). Erwägungsgrund Nr. 17 der Präambel. 40 Vgl. Art. 15 VO-E in der englischen („ . . . may oppose a claim . . . on the ground that there is no such obligation under the law of their common nationality . . .“) sowie in der französischen Fassung („ . . . peut oppose . . . l’absence d’obligation alimentaire à son égard suivant la loi de leur nationalité commune . . .“). 38 39
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(1) Soweit die Unterhaltspflicht gegenüber Kindern und „unterstützungsbedürftigen Erwachsenen“ besteht, ist eine solche Einrede in keinem Fall zulässig (Art. 15 Abs. 1 VO-E). Angesichts des systematischen Kontextes zu Art. 14 (lit. b) VO-E und aufgrund einer teleologischen Reduktion ist davon auszugehen, dass die Vorschrift lediglich Kinder unter 18 Jahren schützen will. (2) Soweit es um Unterhaltsansprüche zwischen Ehegatten oder ehemaligen Ehegatten geht, kann sich der in Anspruch Genommene auf das Recht des Landes berufen, zu dem – nach dem Wortlaut des deutschen Textes – „die Eheschließung den engsten Bezug aufweist“ (Art. 15 Abs. 2 VO-E). Diese Aussage überrascht, weil eine Eheschließung einerseits ihren engsten Bezug wohl immer zu derjenigen Rechtsordnung haben wird, innerhalb derer (vielleicht zufälligerweise) der Rechtsakt stattfindet, es andererseits aber in der Sache kaum einleuchtet, warum das am Ort der Eheschließung geltende Unterhaltsrecht das objektiv bestimmte Unterhaltsstatut soll ausschließen können. Da im englischen Text aber von „marriage“, im französischen von „mariage“ die Rede ist und beide Begriffe ja nicht nur den Eheschließungsakt, sondern auch das sich daraus ergebende Zusammenleben des Paares („Ehestand“) bezeichnen, liegt die Vermutung nahe, dass der Verordnungsgeber eine einredeweise Berufung auf diejenige Rechtsordnung ermöglichen will, zu welcher „die Ehe“ die engste Verbindung hat oder hatte, und auch die deutsche Textfassung entsprechend gelesen werden sollte. Nimmt daher ein geschiedener Ehegatte nach Maßgabe seines jetzigen Aufenthaltsrechts seinen früheren Partner auf Unterhalt in Anspruch, kann dieser sich ggf. damit verteidigen, dass die Ehe ihren engsten Bezug zum Recht eines langjährigen gemeinsamen Aufenthalts hatte und das Recht dieses Staates keine Unterhaltsansprüche nach Ehescheidung gewährt. (3) Gegenüber allen anderen Unterhaltsansprüchen kann sich der Unterhaltsschuldner gemäß Art. 15 Abs. 1 VO-E auf das gemeinsame Heimatrecht der Parteien berufen; bei unterschiedlicher Nationalität von Gläubiger und Schuldner kann er darauf verweisen, dass das Recht seines gegenwärtigen gewöhnlichen Aufenthalts keinen Anspruch gewährt. d) Erstattungsansprüche einer öffentlichen Stelle, die gegenüber einem Unterhaltsberechtigten in Vorlage getreten ist, sind nach dem Recht zu beurteilen, dem diese öffentliche Stelle unterliegt (Art. 16 VO-E). Entscheidend ist also allein das Organisationsstatut; nicht etwa soll die missverständliche deutsche Fassung („kann“) besagen, dass der öffentlichen Stelle eine Rechtswahlmöglichkeit eingeräumt wird. Das von Art. 13 VO-E berufene Recht gelangt daneben nicht zur Anwendung. Das so bestimmte Regressstatut entscheidet darüber, ob die öffentliche Hand überhaupt eine Erstattung ihrer Leistungen verlangen kann und wie für den Unterhaltspflichtigen die Grenzen seiner Leistungspflicht zu bestimmen sind (Art. 17 Abs. 1 lit. e VO-E).
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2. Option des Unterhaltsberechtigten und Rechtswahl (Art. 13 Abs. 2 lit. b; Art. 14 VO-E) a) Das HUÜ 1973 beschränkt sich auf objektive Anknüpfungen. Es sieht die Möglichkeit einer Rechtswahl nicht vor, schließt sie aber auch an keiner Stelle ausdrücklich aus. Daher hat der Hoge Raad der Niederlande41 jedenfalls für den Scheidungsunterhalt eine Rechtswahl zugunsten der niederländischen lex fori und damit zugleich zugunsten des gemeinsamen Aufenthaltsrechts der früheren Eheleute zugelassen, um so die starre Anknüpfung des Art. 8 HUÜ (Berufung des faktisch angewandten Scheidungsstatuts) zu vermeiden. Diese Entscheidung ist aber zu Recht vereinzelt geblieben.42 Wenn nunmehr der Verordnungsentwurf der Parteiautonomie auch im Unterhaltsrecht in beschränktem Maße Raum verschafft, gelangt er über die Anknüpfungsregeln des Staatsvertrages in einem wichtigen Punkt deutlich hinaus. b) Nicht das Aufenthaltsrecht des Unterhaltsberechtigten, sondern das Recht des angerufenen Gerichts soll gemäß Art. 13 Abs. 2 lit. b VO-E zur Anwendung kommen, wenn der Gläubiger entsprechend optiert und die lex fori mit dem Aufenthaltsrecht des Unterhaltsverpflichteten zusammenfällt. Anders ausgedrückt: Haben die Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt in unterschiedlichen Staaten und will der Anspruchsteller den Unterhaltsanspruch nach dem Aufenthaltsrecht des Verpflichteten beurteilt wissen, muss er die Mühe auf sich nehmen, eine Klage nicht am Gericht seines eigenen gewöhnlichen Aufenthalts (Art. 3 lit. b VO-E), sondern beim zuständigen Gericht im Aufenthaltsstaat des Verpflichteten (Art. 3 lit. a VO-E) zu erheben. Dass sich der Unterhaltsverpflichtete auch gegenüber dem so berufenen Recht seines gewöhnlichen Aufenthalts einredeweise auf das Recht der gemeinsamen Staatsangehörigkeit (Art. 15 Abs. 1 VO-E) oder – bei Scheidungs- oder Trennungsunterhalt – auf das Recht des Staates berufen kann, das zu der Ehe die engste Verbindung aufweist (Art. 15 Abs. 2 VO-E), sollte nicht zweifelhaft sein. Es stellt sich aber die Frage, ob die Ausübung der Option auch noch die Berufung des Rechts der engeren Verbindung wie z. B. des gemeinsamen Heimatrechts gemäß Art. 12 Abs. 3 VO-E gestattet, wenn sich herausstellen sollte, dass das Aufenthaltsrecht des 41 Hoge Raad, Nederlands International Privatrecht 1997 Nr. 70; zustimmend (und noch weitergehend) Boele-Woelki, Art. 8 Haager Unterhaltsübereinkommen steht einer Rechtswahl nicht entgegen, IPRax 1998, 492, 495; kritisch aber Sumampouw, Article 8 Hague Maintenance Convention 1973 set aside in favour of party autonomy: one step too far, Netherlands International Law Review 1998, 115 (121 ff.). 42 Gegen eine Rechtswahl aus deutscher Sicht OLG Karlsruhe, FamRZ 1990, 313, 314; Staudinger / Mankowski Anh. I zu Art. 18 EGBGB Rn. 15; Göppinger / Wax / Linke (Fn. 12) Rn. 3018; Eschenbruch / Dörfler (Fn. 9) Rn. 7059; Palandt / Heldrich, BGB, 65. Aufl. (2006) Art. 18 EGBGB Rn. 7; a. A. aber Kropholler, Internationales Privatrecht, 5. Aufl. (2004) 377, Fn. 15; MünchKomm / Siehr (Fn. 9) Anh. I zu Art. 18 EGBGB Rn. 168. Für eine unterhaltsrechtliche Rechtswahl de lege ferenda Hohloch, Unterhaltsstatut und Rechtswahl, FS Sonnenberger (2004) 401 ff.
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Verpflichteten keinen Anspruch gewährt. Angesichts der systematischen Stellung des Art. 13 Abs. 2 lit. b VO-E und in Anbetracht des Umstands, dass der Unterhaltsberechtigte mit seiner Option nur das gemäß Art. 13 Abs. 1 VO-E berufene gegen eine anderes Aufenthaltsrecht auswechselt, sollte sie bejaht werden. Eine große praktische Bedeutung kann die Fragestellung freilich nicht erlangen, weil sich der Anspruchsteller vor Ausübung des Optionsrecht über den Inhalt des fremden Aufenthaltsrechts erkundigen wird und der subsidiäre Rückgriff auf das Recht der engsten Verbindung gemäß Abs. 3 somit im wesentlichen nur im Falle eines Rechtsirrtums eines Rolle spielen kann. c) Darüber hinaus gestattet Art. 14 VO-E eine Rechtswahl durch Vertrag in zwei Fällen. Die Beteiligten können sich zunächst gemäß Art. 14 lit. a VO-E bei Einleitung des Unterhaltsverfahrens „für die Zwecke des Verfahrens“ auf die Anwendung der lex fori verständigen. Diese Möglichkeit geht über die Option des Art. 13 Abs. 2 lit. b VO-E insofern hinaus, als das Recht des angerufenen Gerichts in diesem Fall nicht mit dem Aufenthaltsrecht des Unterhaltsverpflichteten übereinstimmen muss. Die Vereinbarung muss ausdrücklich erfolgen oder „auf unmissverständliche Weise“, also z. B. dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass beide Parteien übereinstimmend auf die Sachnormen der lex fori Bezug nehmen. Diese Wahlmöglichkeit kann neben der objektiven Grundregel des Art. 13 Abs. 1 VO-E und dem Optionsrecht des Art. 13 Abs. 2 lit. b VO-E u. a. dann praktisch werden, wenn die Unterhaltsklage etwa vor dem mit einem Statusverfahren (Art. 3 lit. c VO-E) oder einem Verfahren mit Bezug auf die elterliche Verantwortung (Art. 3 lit. d VO-E) befassten oder vor einem Gericht erhoben wird, das die Beteiligten durch eine Gerichtsstandsabrede bestimmt haben (vgl. Art. 4 VO-E). d) Den weitesten Spielraum für parteiautonome Gestaltung gewährt Art. 14 lit. b VO-E, der den Beteiligten gestattet, das anwendbare Recht „jederzeit“ – also sowohl nach wie auch schon vor Begründung des zur Unterhaltpflicht führenden Rechtsverhältnisses – schriftlich zu vereinbaren. Damit wird beispielsweise Eheleuten die Möglichkeit gegeben, in Anbetracht einer mobilen, mit einem häufigen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts verbundenen Lebensführung das für eine Unterhaltsleistung maßgebende Statut zu fixieren oder Ehegüter- und Unterhaltsstatut aufeinander abzustimmen. Allerdings soll man sich nichts vormachen: Rechtswahl im Unterhaltsrecht wird sehr oft auf sachrechtlicher Ebene mit einer Vereinbarung über Unterhaltsbeschränkung oder Unterhaltsverzicht verbunden sein, so dass die Frage in den Vordergrund rückt, wie durch Formulierung von Zulässigkeitskriterien einer missbräuchlichen, durch den wirtschaftlich oder intellektuell stärkeren Partner initiierten Rechtswahl ein Riegel vorgeschoben werden kann. Art. 14 lit. b VO-E schränkt zu diesem Zweck die Parteiautonomie zunächst insoweit ein, als sich die Rechtswahl auf Unterhaltspflichten gegenüber Kindern unter 18 Jahren und gegenüber „unterstützungsbedürftigen Erwachsenen“ bezieht. Dieser neue Rechtsbegriff soll Personen erfassen, „deren Fähigkeiten so eingeschränkt sind, dass sie ihre Interessen nicht selbst vertreten können“; es wird sich
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hierbei im Wesentlichen um Erwachsene handeln, bei denen aus der Sicht des deutschen Rechts die Betreuungsvoraussetzungen i. S. von § 1896 Abs. 1 BGB gegeben sind. Eine Schwangere, die sich in verzweifelter Situation notgedrungen auf einen Unterhaltsverzicht für den Scheidungsfall einlässt, weil ihr Partner auf andere Weise nicht zu einer Eheschließung bereit ist, wird hingegen nicht gemeint sein. Da Rechtswahlabreden keiner qualifizierten Form genügen müssen, sondern auch schriftlich abgeschlossen werden können, wird (bedauerlicherweise) weder ein Beratungs- noch ein besonderer Übereilungsschutz installiert; dies gilt insbesondere dann, wenn auch elektronische Erklärungen – wie bei Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 4 Abs. 2 VO-E – dem Schriftformerfordernis genügen sollten. Allerdings kann man sich aus deutscher Sicht kaum beschweren in Anbetracht des Umstands, dass § 1585c BGB sogar einen formlosen Unterhaltsverzicht gestattet. Der Entwurf lässt zu Recht keine völlig freie Rechtswahl zu, sondern beschränkt die Wahlmöglichkeit auf Rechtsordnungen, zu denen bereits eine auf objektiven Kriterien beruhende Verbindung der Vertragsparteien besteht. Es sind dies das Recht der gemeinsamen Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt der Vereinbarung (Art. 14 lit. b (i)) sowie das Recht des Landes, in dem einer der Beteiligten zum Zeitpunkt der Vereinbarung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; die zusätzlich gewährte Möglichkeit einer Wahl des Rechts des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts ist daher überflüssig (Art. 14 lit. b (ii)). Rätsel gibt Art. 14 lit. b (iii) VO-E auf: Danach kann für Unterhaltspflichten im Verhältnis von Ehegatten und Lebenspartnern43 auch das Recht gewählt werden, „nach dem sich zum Zeitpunkt der Vereinbarung ihre vermögensrechtlichen Verhältnisse bestimmen“. Nur: Aus der Sicht welcher Rechtsordnung soll denn das maßgebende Güterstatut zu bestimmen sein? So lange diese Festlegung fehlt, bleibt die Vorschrift unanwendbar und sinnlos. Zwar könnte man daran denken, aus der Sicht des später mit dem Unterhaltsrechtsstreit befassten Gerichts festzulegen, welches Recht zum Zeitpunkt der Vereinbarung für die güterrechtlichen Beziehungen maßgebend war. Aber erstens würde dies den Parteien wenig helfen, die angesichts konkurrierender Gerichtszuständigkeiten (vgl. Art. 3 – 6 VO-E) bei Abschluss ihrer Unterhaltsvereinbarung noch gar nicht absehen können, welches Gericht in einem Unterhaltsrechtsstreit einmal zuständig sein wird und welchem Statut ihre güterrechtlichen Beziehungen danach unterliegen werden, und zweitens gelangen nicht alle Meinungsverschiedenheiten über Bestehen und Umfang eines Unterhaltsanspruchs vor Gericht. Auch Parteien, die sich gütlich einigen, wollen aber wissen, ob sie bestimmte Sachfragen nach einer von ihnen gewählten Rechtsordnung beurteilen können oder nicht. e) Ist das maßgebende Unterhaltsstatut nach Art. 14 lit. a oder b VO-E vereinbart worden, bleibt auch der Unterhaltspflichtige an diese Vereinbarung gebunden. 43
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Er kann sich daher gegenüber dem gewählten Statut nicht mehr gemäß Art. 15 VO-E einredeweise auf ein anderes Recht berufen.
3. Qualifikationsfragen (Art. 1, Art. 12, Art. 17 Abs. 1 VO-E) a) Der Begriff der Unterhaltspflichten („maintenance obligations“, „obligations alimentaires“) wird vom Entwurf nicht definiert. Immerhin finden sich in der VO verstreut einige Bestimmungen, die eine begriffliche Präzisierung ermöglichen. Nach ihrem Art. 1 Abs. 1 VO-E soll die Verordnung auf Unterhaltspflichten Anwendung finden, die sich aus einem Familienverhältnis oder familienähnlichen Beziehungen ergeben. Damit sind zunächst Ehe, Verwandtschaft und Schwägerschaft als klassische Grundlagen der Entstehung von Unterhaltsansprüchen und -pflichten angesprochen; darüber hinaus soll die VO aber offensichtlich auch auf solche Unterhaltsbeziehungen Anwendung finden, die kraft Gesetzes aus einem Zusammenleben außerhalb der traditionellen Eheform entspringen, sich also einerseits im Rahmen einer Ehe oder registrierten Lebenspartnerschaft zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern, andererseits aus einer rechtlich verfestigten eheählichen Gemeinschaft zwischen Mann und Frau ergeben. Im letzten Fall muss es sich allerdings um familien- und darf sich nicht lediglich um schuldrechtliche Ansprüche handeln. Der Verordnungsentwurf spricht offenbar nur Unterhaltspflichten auf gesetzlicher Grundlage an und bezieht daher solche Ansprüche nicht ein, die allein auf einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung beruhen. Allerdings sollten wegen des Sachzusammenhangs und aus Gründen der Praktikabilität die Kollisionsnormen der VO anwendbar bleiben, wenn die Beteiligten eine gesetzliche Unterhaltspflicht vertraglich konkretisiert, sich darüber verglichen oder einen höheren Unterhalt als den gesetzlich geschuldeten Unterhalt vereinbart haben. Die schwierig zu treffenden Abgrenzung zwischen güter- und unterhaltsrechtlichen Ansprüchen nimmt der Entwurf nicht vor. Hier wird man auf die vom EuGH44 zu Art. 1 und 5 Nr. 2 EuGVVO aufgestellten Kriterien zurückgreifen können. Unterhaltsansprüche sind danach solche, die den Lebensunterhalt eines anderen sicherstellen sollen und sich an den Bedürfnissen und Mitteln der Beteiligten ausrichten. Auf die Art der Leistungen (Naturalleistungen oder Barunterhalt?), ihre Dauer (laufende Unterstützung oder einmaliger Sonderbedarf?) sowie die Art und Weise der Leistungserbringung (wiederkehrende Leistungen oder Einmalzahlung?) kommt es dabei nicht an. Dagegen haben Ansprüche güterrechtlichen Charakter, soweit sie eine Güteraufteilung im Verhältnis der Ehegatten bezwecken. 44 EuGH IPRax 1999, 35, 36 f.; vgl. auch Hausmann, Der Unterhaltsbegriff in Staatsverträgen des internationalen Privat- und Verfahrensrechts, IPRax 1990, 382, 387 f.; Weller, Zur Abgrenzung von ehelichem Güterrecht und Unterhaltsrecht im EuGVÜ, IPRax 1999, 14, 15 f.
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b) Welche Rechtsfragen im Detail von den kollisionsrechtlichen Bestimmungen des Verordnungsentwurfs erfasst werden, regelt ansatzweise Art. 17 Abs. 1 VO-E. Danach entscheidet das Unterhaltsstatut „insbesondere“ über Existenz und Höhe des Anspruchs, die Möglichkeit einer rückwirkenden Geltendmachung, Art und Weise der Berechnung45 und Indexierung sowie über die Verjährungs- und Klagefristen. Wichtige und streitträchtige Fragen bleiben leider unerwähnt. So sollte das Unterhaltsstatut vernünftigerweise auch darüber befinden, ob und unter welchen (materiellen) Voraussetzungen ein Unterhaltsverzicht vereinbart werden kann. Von großer praktische Bedeutung ist ferner, ob Bestehen und Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs unter die unterhaltsrechtlichen Kollisionsnormen zu qualifizieren sind, soweit ein solcher Anspruch die Geltendmachung von Unterhalt ermöglichen oder erleichtern soll. Richtet sich nach dem Unterhaltsstatut ein Anspruch auf Prozesskostenvorschuss, soweit er der Durchsetzung eines Unterhaltsanspruchs dient? Der europäische Gesetzgeber vertut auch die Chance, verbindlich festzulegen, ob das Unterhaltsstatut über die Voraussetzungen einer Abänderungsentscheidung sowie über Art und Höhe einer späteren Abänderung entscheiden soll.46 Nach Art. 10 Nr. 2 HUÜ bestimmt das auf die Unterhaltspflichten anwendbare Recht, wer zur Einleitung eines Unterhaltsverfahrens berechtigt ist, d. h. entweder einen eigenen Unterhaltsanspruch oder aber einen fremden Anspruch im eigenen oder als Vertreter bzw. Prozessstandschafter im fremden Namen geltend machen kann oder muss. Zumindest diese letzte Frage dürfte aber im Hinblick auf den – sogleich zu erörternden – Art. 12 VO-E unter der Herrschaft der VO nicht mehr als unterhaltsrechtlich zu qualifizieren sein. c) Art. 12 VO-E stellt klar, dass die Kollisionsnormen des Entwurfs nur die Unterhaltspflichten selbst betreffen und die Vorfrage nach dem Bestehen des die Unterhaltspflicht begründenden Rechtsverhältnisses davon unberührt bleibt. Demzufolge entscheiden die nationalen Kollisionsnormen der Mitgliedstaaten darüber, ob ein bestimmtes Rechtsverhältnis als Voraussetzung für einen Unterhaltsanspruch (z. B. durch Eheschließung, Eingehung einer Partnerschaft, Anerkennung der Abstammung, Legitimation oder Adoption) wirksam entstanden und nicht etwa (z. B. durch Ehescheidung, Auflösung einer Partnerschaft, Anfechtung der Abstammung oder Aufhebung der Adoption) inzwischen wieder entfallen ist. Diese Selbstbeschränkung erscheint vernünftig.47 Allerdings hat der europäische Gesetzgeber in dem Entwurf versäumt, den Mitgliedstaaten vorzuschreiben, auf welchem Wege – durch eine selbstständige oder unselbstständige Anknüpfung – sie das für die jeweilige Vorfrage maßgebende Statut zu ermitteln haben. Zu Art. 17 Abs. 2 VO-E vgl. unten 5.b). Zum Streit im geltenden Recht vgl. nur den Überblick bei Staudinger / Mankowski (Fn. 9) Anh. I zu Art. 18 EGBGB Rn. 43 ff.; Göppinger / Wax / Linke (Fn. 12) Rn. 3306 ff.; Eschenbruch / Dörner (Fn. 9) Rn. 8096 ff. 47 Vgl. aber den Beschluss des Bundesrates v. 24. 9. 2004 (Fn. 17) S. 10. 45 46
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In den Kollisionsrechten der Mitgliedstaaten werden Vorfragen vorzugsweise selbstständig, d. h. unter Einschaltung der jeweils eigenen Kollisionsnormen der lexfori angeknüpft.48 Diese Art der Anknüpfung kann freilich zur Folge haben, dass bei Anrufung eines Gerichts im Mitgliedstaat A der nach dem Aufenthaltsrecht des Gläubigers (Art. 13 Abs. 1 VO-E) eigentlich bestehende Anspruch scheitert, weil das von Kollisionsnormen der lex fori für die jeweilige familienrechtliche Statusbeziehung berufene Recht ebendiese Beziehung als unwirksam ansieht, während bei einer entsprechenden Klage im Mitgliedstaat B ein Anspruch zugesprochen würde, weil das von den Kollisionsnormen des Staates B für das familienrechtliche Verhältnis berufene Recht dieses als wirksam erachtet. Eine solche Diskrepanz ist unbefriedigend. Ein Erfolg der Klage könnte davon abhängen, auf welche der in Art. 3 VO-E vorgesehenen konkurrierenden Zuständigkeiten der Kläger sein Begehren stützt. Würde in den Mitgliedstaaten dagegen übereinstimmend im vorliegenden Zusammenhang unselbstständig angeknüpft, d. h. das Vorfragenstatut durch Einschaltung der Kollisionsnormen des für die Hauptfrage maßgebenden Rechts (lex causae) ermittelt, stellte sich die Rechtslage bei objektiver Anknüpfung folgendermaßen dar: Ob das einem (ansonsten bestehenden) Unterhaltsanspruch zugrunde liegende familienrechtliche Verhältnis wirksam ist oder nicht, richtet sich dann zunächst nach dem Recht, das die einschlägigen Kollisionsnormen des von Art. 13 Abs. 1 VO-E berufenen Aufenthaltsrecht des Gläubigers bezeichnen. Dies gilt ohne Rücksicht darauf, in welchem Mitgliedstaat eine Klage erhoben wird. Hält das so ermittelte Vorfragenstatut die familienrechtliche Beziehung für wirksam, ist die Klage erfolgreich, andernfalls richtet sich der Unterhaltsanspruch gemäß Art. 13 Abs. 2 lit. a subsidiär nach dem Recht des angerufenen Gerichts. Dessen Kollisionsnormen würden nunmehr in jedem Fall das Vorfragenstatut bestimmen, da lex causae und lex fori jetzt zusammenfallen. An diesem Punkt kann wieder bedeutsam werden, ob der Unterhaltsberechtigte im Mitgliedstaat A oder B geklagt hat – dann nämlich, wenn die Kollisionsnormen beider Staaten das dem Anspruch zugrunde liegende familienrechtliche Verhältnis jeweils einem anderen Recht unterstellen und die berufenen Statute in der Frage der Wirksamkeit zu einem unterschiedlichen Ergebnis gelangen. Allerdings: Ist danach etwa aus der Sicht des Staates B das familienrechtliche Verhältnis wirksam (so dass ein Anspruch besteht), aus der Sicht des Staates A aber nicht, so müsste das Gericht in A immer noch den Art. 13 Abs. 3 VO-E beachten. Dann bestünde die Möglichkeit, bei Bestehen einer engen Beziehung zu einem weiteren Land auf dessen Unterhaltsrecht zurückzugreifen, die familienrechtliche Beziehung konsequenterweise nach dem Recht zu beurteilen, das die Kollisionsnormen des von Abs. 3 bestimmten Rechts berufen und auf diesem Wege eventuell doch noch die Wirksamkeit des familienrechtlichen Grundverhältnisses zu bejahen. Damit wäre im Hinblick auf die Be48 Vgl. im deutschen Recht etwa BGHZ 43, 218 ff.; 73, 370 (372); 78, 288 (289); BGH NJW 1981, 1900 (1901).
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antwortung der Vorfrage ein gleich lautendes Ergebnis in A und B sichergestellt, freilich würde der Unterhaltsanspruch selbst in Staat B nach der lex fori und in Staat A nach dem von Abs. 3 berufenen Recht beurteilt werden. Nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers soll der Unterhaltsberechtigte „agieren können, ohne divergierenden nationalen Rechtssystemen ausgesetzt zu sein“.49 Dieses Ziel, so zeigt ein Vergleich beider Anknüpfungmethoden, könnte am ehesten verwirklicht werden, wenn alle Mitgliedstaaten bei Anwendung einer zukünftigen Unterhaltspflichtenverordnung die familienrechtlichen Vorfragen unselbstständig anknüpften.
4. Sachnormverweisung und bedingte Verweisung (Art. 19 VO-E) a) Nicht sonderlich gelungen erscheint Art. 19 VO-E. Schon die Überschrift führt in die Irre, denn zu einer Rückverweisung kommt es bei Anwendung der Kollisionsnormen der VO gerade nicht. Abs. 1 ist in seiner deutschen Fassung schlicht unverständlich, denn wie sollte ein Renvoi auf Sachnormen stattfinden können, wenn bei einer Verweisung auf das Recht eines Mitgliedstaates dieser (angesichts identischer Kollisionsnormen) die Verweisung notwendig annehmen wird und bei einer Verweisung auf das Recht eines Drittstaates davon abweichend die Sonderregel des Abs. 2 eingreift? Erst ein Blick auf die anderen Textfassungen50 macht den bösen Übersetzungsfehler deutlich: Nicht um eine Rückverweisung, sondern um die schlichte Verweisung geht es hier: Die Kollisionsnormen des Verordnungsentwurfs sprechen Sachnormverweisungen aus. Würden sie Gesamtverweisungen enthalten, wäre das Ergebnis bei einer Verweisung auf das Recht eines anderen Mitgliedstaates allerdings angesichts vereinheitlichter Kollisionsnormen im Ergebnis nicht anders. b) Verweist eine Kollisionsnorm der Verordnung dagegen auf das Recht eines Drittstaates, das gemäß Art. 18 VO-E grundsätzlich durchaus zur Anwendung berufen sein kann, so bleibt dem Mitgliedstaaten-Richter – obschon es sich doch nach Abs. 1 um eine Sachnormverweisung handeln soll – die Prüfung des fremden IPR nicht erspart. Denn wenn dieses eine Rück- oder Weiterverweisung enthält, wird die Sachnormverweisung sofort zurückgenommen und das angerufene Gericht greift stattdessen auf seine eigene lex fori zurück. Die Kollisionsnormen des Verordnungsentwurfs enthalten somit bedingte Verweisungen, soweit das Recht eines Drittstaates berufen wird. Die Verweisung gilt nur, wenn das Verordnungsvorschlag (Fn. 16) S. 5. Art. 19 Abs. 1 VO-E in der englischen Fassung: „Subject to paragraph 2, the application of the law of any country designated by this Regulation means the application of the rules of law in force in that country other than its rules of private international law.“ In der französischen Fassung: „Sous réserve du paragraphe 2, lorsque le présent règlement prescrit I’application de la loi d’un pays, il entend les règles de droit en vigueur dans ce pays à l’exclusion des règles de droit international privé.“ 49 50
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IPR des Drittstaates die Verweisung auch annimmt. Andernfalls besteht aus der Sicht des Entwurfs keine Veranlassung, auf die Anwendung des eigenen Rechts zu verzichten.
5. Negativer und positiver ordre public (Art. 20, Art. 17 Abs. 2) a) Zwar schließt Art. 20 Satz 1 VO-E die Anwendung ausländischen Unterhaltsrechts grundsätzlich aus, wenn seine Anwendung mit den wesentlichen Grundsätzen des am Gerichtsstand geltenden Rechts offensichtlich unvereinbar ist; dem Recht eines Mitgliedstaates gegenüber kann jedoch der inländische ordre public nicht in Stellung gebracht werden (Art. 20 Satz 2 VO-E). Die deutsche Rechtsprechung hat in der Vergangenheit einen Verstoß gegen den inländischen ordre public beispielsweise dann angenommen, wenn nach ausländischem Recht einem Ehegatten Unterhalt versagt werden soll, obwohl er die gemeinsamen Kinder betreut und seinen eigenen Lebensbedarf nicht ohne Vernachlässigung seiner Elternpflichten sicherstellen kann,51 wenn einem erkrankten Ehepartner nach der Scheidung kein Unterhalt gewährt wird, obwohl er selbst aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht in der Lage ist, seinen Unterhalt selbst zu verdienen,52 oder wenn einem Ehegatten, der durch die Betreuung eines gemeinsamen Kindes an einer vollen Erwerbstätigkeit gehindert ist, nach Scheidung Unterhalt nur befristet und unter engen Voraussetzungen gewährt wird.53 Entsprechende Regelungen, soweit sie in den Rechten von Mitgliedstaaten enthalten sind, werden die deutschen Gerichte demnach in Zukunft akzeptieren müssen. b) Weitergehend sieht Art. 17 Abs. 2 VO-E nach dem Vorbild von Art. 11 Abs. 2 HUÜ vor, dass bei der Festsetzung der Unterhaltsleistung in jedem Fall die Bedürfnisse des Berechtigten sowie die finanziellen Möglichkeiten des Verpflichteten auch dann berücksichtigt werden müssen, wenn das maßgebende Unterhaltsstatut diese Bemessungsfaktoren nicht kennt. Diese Bestimmung präzisiert die Voraussetzungen eines ordre public-Verstoßes54 und hätte somit als lex specialis zu Art. 20 VO-E im Zusammenhang mit dieser Vorschrift geregelt werden müssen. Im Gegensatz zu Art. 20 VO-E beschränkt sich Art. 17 Abs. 2 VO-E allerdings nicht auf eine Ausschaltung ausländischen Rechts, sondern ermächtigt und verpflichtet den Rechtanwender unmittelbar, den genannten Kriterien bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs Rechnung zu tragen. Es handelt sich somit um eine 51 Vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 1989, 748 (749); 1310 (1312); OLG Düsseldorf FamRZ 1995, 885; OLG Hamm FamRZ 1999, 1142. 52 Vgl. BGH FamRZ 1991, 925 (927); OLG Zweibrücken FamRZ 1997, 1404 (1405). 53 Vgl. OLG Koblenz FamRZ 2004, 1877 (1878). 54 Vgl OLG Celle FamRZ 1990, 1390 (1391); OLG Karlsruhe FamRZ 1999, 309 (310): Konkretisierung des ordre public-Vorbehalts; dazu auch Palandt / Heldrich (Fn. 42) Art. 18 EGBGB Rn. 20; Schulze, Bedürfnis und Leistungsfähigkeit im internationalen Unterhaltsrecht (1998) 300.
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Norm des sog. „positiven ordre public“55. Sie greift nur ein, wenn das maßgebende Statut die genannten Kriterien überhaupt nicht kennt. Dass ihnen dort lediglich ein anderes Gewicht als nach der lex fori beigemessen wird, reicht dagegen nicht aus.56
V. Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung der Entscheidungen 1. Anerkennung und Vollstreckbarkeit (Art. 25, 26 VO-E) Unterhaltsentscheidungen sollen nach dem Entwurf nicht nur – wie die auf der Grundlage der EuGVVO ergangenen Urteile zu Unterhaltsleistungen – ohne besonderes Verfahren anerkannt (vgl. Art. 33 Abs. 1 EuGVVO), sondern darüber hinaus auch ohne besonderes Exequaturverfahren vollstreckt werden (Art. 25 VO-E). Der Verordnungsentwurf behandelt also die hier in Rede stehenden Entscheidungen im Interesse des Unterhaltsgläubigers ebenso wie unbestrittene Forderungen, soweit sie dem Regime der EuVTVO57 unterliegen. Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen werden in jedem anderen Mitgliedstaat nach dessen Recht vollstreckt (Art. 27 VO-E). Dazu legt die um Vollstreckung nachsuchende Partei eine beweiskräftige Ausfertigung der Entscheidung des Erstgerichts nebst einer unter Verwendung eines Formblatts erstellten Kurzfassung vor (Art. 28 VO-E). Eine Vollstreckung findet – ohne Sicherheitsleistung – sogar dann im Vollstreckungsmitgliedstaat statt, wenn beim Erstgericht im Ursprungsmitgliedstaat ein Rechtsbehelf eingelegt wurde (Art. 26 VO-E). Einwendungen gegen die im Ursprungsmitgliedstaat ergangene Entscheidung sind im Vollstreckungsverfahren selbst geltend zu machen. Das mit der Vollstreckung befasste Gericht kann die Vollstreckung der Entscheidung des Erstgerichts nur aussetzen oder verweigern, wenn der Unterhaltspflichtige neue oder dem Erstgericht zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht bekannte Umstände geltend macht (Art. 33 lit. a), insbesondere wenn die Schuld bereits getilgt wurde (lit. c), wenn der Unterhaltspflichtige eine Überprüfung der Erstgerichtsentscheidung wegen voraufgehender Zustellungs- oder Verteidigungsmängel beantragt hat (Art. 33 lit. b und Art. 24 VO-E), wenn das Recht auf Vollstreckung verjährt ist (lit. d) oder die Entscheidung des Erstgerichts mit einer im Vollstreckungsstaat ergangenen oder anzuerkennenden Entscheidung unvereinbar ist (lit. e). Eine revision au fond ist nicht zulässig (Art. 32 Abs. 1 VO-E). Das Gericht des Vollstreckungsmitgliedstaates kann aber von sich aus die Vollstreckung beschränVgl. Kropholler (Fn. 42) 242 f. Vgl. zu Art. 11 Abs. 2 HUÜ Göppinger / Wax / Linke (Fn. 12) Rn. 3089; Eschenbruch / Dörner (Fn. 9) Rn. 7113; a. A. Staudinger / Mankowski (Fn. 9) Anh. I zu Art. 18 EGBGB Rn 401. 57 Vgl. Fn. 14. 55 56
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ken, soweit sie in das nach der lex fori unpfändbare Vermögen des Unterhaltspflichtigen eingreifen würde (Art. 32 Abs. 2 VO-E).
2. Abbuchungsanordnung und vorübergehende Kontensperrung (Art. 34, 35 VO-E) a) Um im Interesse des Gläubigers eine schnelle und wirksame Vollstreckung zu ermöglichen, sieht der Entwurf spezifische Vollstreckungsmaßnahmen vor, die – sollten sie in Kraft treten – so manchen ins Ausland weggetauchten Unterhaltsschuldner bei einem Blick auf seine Kontoauszüge erblassen lassen könnten. Auf Antrag des Unterhaltsberechtigten kann das Erstgericht nach Art. 34 Abs. 1 VO-E anordnen, dass monatliche Unterhaltszahlungen unmittelbar einbehalten bzw. geleistet werden („order for monthly direct payment“, „ordre de prélèvement automatique mensuel“). Die Anordnung richtet sich an einen Arbeitgeber des Unterhaltsschuldners oder seine Bank, soweit sie sich in einem anderen Mitgliedstaat befinden, und ist dort ebenso ohne Vollstreckbarerklärung wirksam wie die Unterhaltsentscheidung selbst. Es handelt sich hier also keineswegs nur um eine „Pfändung“, wie die deutsche Textfassung angibt, und noch viel weniger nimmt der Empfänger – Arbeitgeber oder Bank – unmittelbar nach Erhalt der Anordnung „die erste Pfändung vor“ (vgl. aber Art. 34 Abs. 5 S. 1 VO-E). Ist dem Empfänger der Zahlungsanordnung ein solcher Einbehalt nicht möglich, muss er das Erstgericht innerhalb von 30 Tagen nach Eingang in Kenntnis setzen (Art. 34 Abs. 5 S. 2 VO-E). Welche Rechtsfolgen es hat, wenn eine solche Mitteilung nicht erfolgt, bleibt allerdings offen. Für Antrag und Zahlungsanordnung sind Formblätter zu verwenden (Art. 34 Abs. 3 VO-E). Eine Anordnung auf unmittelbare monatliche Zahlung kann allerdings nur ergehen, wenn dem Unterhaltspflichtigen die Unterhaltsentscheidung auf eine qualifizierte Weise (vgl. näher Art. 22 VO-E) zugestellt worden ist. Nach Erhalt einer solchen Anordnung muss der Unterhaltsschuldner den Unterhaltsberechtigten ebenso wie das Erstgericht über einen Arbeitsgeber- oder Kontenwechsel unterrichten (Art. 34 Abs. 4 VO-E). Etwaige Sanktionen bei Unterlassung sieht der Entwurf aber wiederum nicht vor. b) Vor einer Entscheidung über die Hauptsache (vgl. Art. 35 Abs. 6 S. 1 VO-E, und nicht nach einer solchen Entscheidung, wie die deutsche Textfassung in Abs. 1 S. 1 VO-E meint), kann der Gläubiger beim Hauptsachegericht („the court seised as to the substance“, „à la juridiction saisie au fond“) – wiederum unter Verwendung von Formblättern – eine vorübergehende Kontensperrung beantragen, über welche die in einem anderen Mitgliedstaat befindliche kontenführende Bank vom Gericht per Einschreiben mit Rückschein benachrichtigt wird (Art. 35 Abs. 3 lit. a VO-E). Das Gericht entscheidet über einen entsprechenden Antrag binnen 8 Tagen, ohne den Unterhaltspflichtigen davon zu unterrichten oder ihm rechtliches Gehör zu gewähren, und ordnet eine entsprechende Sperrung an, wenn es den Antrag nicht für offenkundig unbegründet hält und ernsthaft mit einer Nichterfüllung
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der Unterhaltspflicht rechnet (Art. 35 Abs. 2 VO-E). Mit Zustellung der Sperranordnung ist jede Kontenbewegung untersagt, soweit die Zahlung der in der Anordnung vermerkten Summe unmöglich würde (Art. 35 Abs. 3 lit. b VO-E). Unterhaltsgläubiger und -schuldner werden erst nachträglich durch Einschreiben mit Rückschein von der vorübergehenden Sperrung unterrichtet (Art. 35 Abs. 4 VO-E). Beantragt der Unterhaltspflichtige eine Aufhebung der Sperrung, muss das Gericht innerhalb von 8 Tagen über den Antrag befinden und kann ihm (ggf. gegen Anordnung einer Sicherheitsleistung) stattgeben (Art. 35 Abs. 5 VO-E). Die Anordnung wird wirkungslos, wenn das Gericht auf Antrag des Verpflichteten die Sperrung aufhebt oder nicht innerhalb von acht Tagen darüber entscheidet, spätestens jedoch, sobald eine Entscheidung in der Hauptsache ergangen ist (Art. 35 Abs. 6 S. 1 VO-E). In diesem Fall kann die Kontensperrung aber auf Antrag des Gläubigers durch eine Anordnung monatlicher Zahlungen nach Art. 34 VO-E ersetzt werden (Art. 35 Abs. 6 S. 2 VO-E).
Kapitalmarktinformationen, Abschlussprüfung und Haftung Von Werner F. Ebke
I. Einleitung Die vorliegende Festschrift ehrt einen glänzenden Wissenschaftler, einen charismatischen Rechtslehrer, einen Freund und Kollegen, der zu den großen Architekten der japanisch-deutschen Privatrechtsvergleichung gehört. Die wissenschaftlichen Interessen von Koresuke Yamauchi sind weit gefächert; sie reichen von dem Internationalen Privatrecht über das materielle Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht bis hin zum Verfahrensrecht. Seine beeindruckenden wissenschaftlichen Beiträge zu den genannten Gebieten sind grundlegend und konstruktiv. In Literatur und Rechtsprechung haben die Veröffentlichungen von Koresuke Yamauchi spürbare und nachhaltige Auswirkungen. Seine beeindruckenden Kenntnisse fremder Sprachen, seine Vertrautheit mit ausländischen Rechten, seine Achtung vor der Andersartigkeit fremder Rechtsordnungen, seine Sensibilität für die rechtskulturellen, historischen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe von Rechtsentwicklungen, seine Liebe für Details und die „großen Linien“, seine wissenschaftliche Dynamik und die intensive akademische Betreuung der ihm anvertrauten Nachwuchswissenschaftler und Nachwuchswissenschaftlerinnen machen ihn zu einem außergewöhnlichen Menschen und Vorbild für andere. Wer – wie der Verfasser dieses Beitrags – einen Aufenthalt als Gastprofessor am Japanischen Institut für Rechtsvergleichung an der Chuo Universität genießen durfte, wird die liebenswürdige Aufnahme und die unermüdliche Unterstützung durch Koresuke Yamauchi und seine verehrte Gattin ebenso wenig vergessen wie die akademische Hochachtung und die persönliche Wertschätzung, die seine Kollegen, seine Schüler und Schülerinnen sowie die Studierenden ihm entgegenbringen. Koresuke Yamauchi hat sich in seinen Büchern, Aufsätzen und Vorträgen auch mit ökonomischen Aspekten des Rechts beschäftigt. Es erscheint daher angemessen, in dem nachfolgenden Beitrag ein juristisch-ökonomisches Thema aufzugreifen, das seinen Ursprung in den USA hat1 und von dort in den 80er und 90er 1 Zur Entwicklung in den USA siehe statt aller Ebke, Wirtschaftsprüfer und Dritthaftung, 1983, S. 140 – 217; ders., Risikoeinschätzung und Haftung des Wirtschaftsprüfers und vereidigten Buchführers, WPK-Mitt. Sonderheft April 1996, S. 21 – 27; Quick, Zivilrechtliche Verantwortlichkeit europäischer und amerikanischer Abschlussprüfer, BFuP 2000, 525, 538 – 544.
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Jahren des vergangenen Jahrhunderts Deutschland2 und andere europäische Staaten3 sowie Japan4 erfasst hat und seither Rechtsvergleicher und Institutionen weltweit beschäftigt:5 die Bedeutung der Jahresabschlussprüfung und des Abschlussprüfers für die Effizienz von Kapitalmarktinformationen und seine zivilrechtliche Verantwortlichkeit für allfällige fehlerhafte Informationen.
II. Rechnungslegung, Abschlussprüfung und Publizität Die Jahresabschlussprüfung durch externe, unabhängige Sachverständige (Wirtschaftsprüfer) soll sicherstellen, dass Jahresabschlüsse mit den gesetzlichen und sonstigen Zielvorgaben der Rechnungslegung im Einklang stehen. Die Abschlussprüfung bildet mit der Rechnungslegung und der Publizität eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren von Kapitalmärkten, auf denen unter anderem die Güter Eigen- und Fremdkapital gehandelt werden.6 Wegen der weltweit steigenden Nachfrage nach Eigen- und Fremdkapital ist die Sicherung der Qualität der Rechnungslegung, Abschlussprüfung und Publizität heute ein zentrales Anliegen nationaler, supranationaler und internationaler Regelgeber.7 Die Rechnungslegung steht inzwischen ganz im Zeichen der Internationalisierung.8 Im Mittelpunkt der ebenfalls international geführten Diskussion über die Abschlussprüfung stehen 2 Ebke (Fn. 1), S. 35 – 72; Hirte, Berufshaftung, 1996, S. 57 – 71; Schönenberger, Haftung für Rat und Auskunft gegenüber Dritten, 1999; Stahl, Zur Dritthaftung von Rechtsanwälten und öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen, 1989. Weitere Nachweise finden sich in Fn. 63 und 67. 3 Ebke / Struckmeier, The Civil Liability of Corporate Auditors: An International Perspective, 1994; Baus, Die Dritthaftung der Wirtschaftsprüfer zwischen Vertrag und Delikt – Eine rechtsvergleichende Untersuchung des deutschen und englischen Rechts, ZVglRWiss 103 (2004) 220; Land, Wirtschaftsprüferhaftung gegenüber Dritten in Deutschland, England und Frankreich, 1996. Weitere Nachweise finden sich in Fn. 60. 4 Shinoda, The Duties and Liabilities of the Auditors (Teile 1 bis 5), Meijo Hogaku 25:1 (1975) 26, Meijo Hogaku 25:2 (1975) 1, Meijo Hogaku 25:3 (1975) 1, Meijo Hogaku 25:4 (1975) 13, Meijo Hogaku 26:1 (1976) 31. 5 United Nations Conference on Trade and Development (Hrsg.), Responsibilities and Liabilities of Accountants and Auditors: Proceedings of a Forum, 1996. 6 Ebke, Rechnungslegung und Abschlussprüfung im Umbruch, WPK-Mitt. Sonderheft Juni 1997, S. 12. Zur Rolle der Kapitalmärkte für die Unternehmens(leiter)kontrolle (corporate governance) siehe Ebke, Unternehmenskontrolle durch Gesellschafter und Markt, in: Sandrock / Jäger (Hrsg.), Internationale Unternehmenskontrolle und Unternehmenskultur, 1994, S. 7. 7 Ebke, Accounting, Auditing and Global Capital Markets, in: FS Buxbaum, 2000, S. 113. 8 Pellens / Fülbier / Gassen, Internationale Rechnungslegung, 6. Aufl., 2006; Selchen / Erhardt, Internationale Rechnungslegung, 3. Aufl., 2003; Brösel / Kasperzak (Hrsg.), Internationale Rechnungslegung, Prüfung und Analyse, 2004; Böcking, Internationalisierung der Rechnungslegung und ihre Auswirkungen auf die Grundprinzipien des deutschen Rechts, Der Konzern 2004, 177; Hauck / Prinz, Zur Auslegung von (europarechtlich übernommenen) IAS / IFRS, Der Konzern 2005, 635.
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Fragen der Qualitätssicherung, des Umfangs der gesetzlichen Abschlussprüfung (Stichworte: Aufdeckung von Gesetzesverstößen, Beurteilung der Chancen und Risiken der künftigen Entwicklung), der Berichterstattung über das Ergebnis der Prüfung, der Konkretisierung und Kodifizierung der Grundsätze ordnungsgemäßer Abschlussprüfung, der Rolle und der Stellung des Abschlussprüfers in der Unternehmensverfassung (corporate governance), der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers sowie seiner zivilrechtlichen Verantwortlichkeit gegenüber der geprüften Gesellschaft und Dritten.9 Die Internationalisierung hat auch die Jahresabschlusspublizität erfasst. Die Pflicht zur Offenlegung von Jahresabschlüssen erstreckt sich auf immer mehr Gesellschaften. Im Gegensatz etwa zu den USA sind in der Europäischen Union nicht nur Kapitalmarkt orientierte Kapitalgesellschaften, sondern auch geschlossene Kapitalgesellschaften10 und sogar Personengesellschaften, bei denen keine natürliche Person unbeschränkt persönlich haftet,11 verpflichtet, ihre Jahresabschlüsse offen zu legen. Hinzu kommen kapitalmarktrechtliche Publizitätspflichten (z. B. ad hoc-Mitteilungen, Zwischenberichte) und Prospektpflichten.
III. Abschlussprüfer und Kapitalmärkte Abschlussprüfer sind aus dem internationalen Kapitalmarktgeschehen nicht mehr hinweg zu denken. In Deutschland gehört es zu den beruflichen Aufgaben der Wirtschaftsprüfer, Jahresabschlüsse von Gesellschaften zu prüfen, über das Ergebnis der Prüfung zu berichten und einen uneingeschränkten bzw. eingeschränkten Bestätigungsvermerk (Testat) zu erteilen oder den Bestätigungsvermerk zu versagen.12 Die bestätigten Jahresabschlüsse prüfungspflichtiger Gesellschaften unterliegen der Publizität.13 Testierte Jahresabschlüsse bilden in vielen Fällen eine wichtige Grundlage für die Entscheidung namentlich von Anlegern über den Kauf bzw. den Verkauf von Anteilen solcher Gesellschaften, die einen organisierten 9 Ebke, Die Besorgnis der Befangenheit des Abschlussprüfers und ihre Auswirkungen auf die Abschlussprüfung und den testierten Jahresabschluss, in: FS Röhricht, 2005, S. 833, 833 – 834 m. w. Nachw.; Schindler / Gärtner, Verantwortung des Abschlussprüfers zur Berücksichtigung von Verstößen (fraud) im Rahmen der Abschlussprüfung, WPg 2004, 1233; Scheffler, Corporate Governance – Auswirkungen auf den Wirtschaftsprüfer, WPg 2005, 477; Lück / Bungartz / Henke, Internationalisierung – eine conditio sine qua non für die Wirtschaftsprüfung, BB 2002, 1086. 10 Hellermann, Die Publizität des Jahresabschlusses geschlossener Kapitalgesellschaften. Eine juristisch-ökonomische Analyse am Beispiel Deutschlands und Großbritanniens, 2003. 11 Vgl. EuGH, Urt. vom 23. 9. 2004 – verb. Rs. C-435 / 02 und C-103 / 03, Slg. 2004, I-8663 (Springer). Zu den Auswirkungen dieser Entscheidung siehe Ebke, Klare Worte zur Publizität der GmbH & Co. KG, BB 2005 Heft 45, S. 1 („Die erste Seite“). Siehe ferner Winkeljohann / Schindhelm, Das KapCoRiLiG, 2000, S. 1 – 3; Hommelhoff, Die neue Zwangspublizität: „gläserne Taschen für den Mittelstand?“, in: FS Welf Müller, 2001, S. 449; Marx / Dallmann, Jahresabschlusspublizität mittelständischer Unternehmen, BB 2004, 929. 12 § 2 Abs. 1 WPO; §§ 316 Abs. 1 Satz 1, 317 Abs. 1, 321, 322 HGB. 13 §§ 325 – 329 HGB.
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Kapitalmarkt in Anspruch nehmen.14 Jede Anlage in Form von Kapitalmarktprodukten ist mit Unsicherheiten verbunden. Kapitalanlagen – auch Aktien – verkörpern Erwartungen und Gewinnannahmen, deren Werthaltigkeit und Glaubwürdigkeit Kapitalmarktteilnehmer nur durch Heranziehung von Vergangenheit bezogenen, aktuellen und Zukunft orientierten Informationen über den Emittenten und das Wertpapier beurteilen können. Derartige Informationen stehen jedoch nicht allen Kapitalmarktbeteiligten von vornherein in gleichem Umfang zur Verfügung; sie sind vielmehr asymmetrisch verteilt. Als Pole stehen sich die für die Unternehmensinformationen „monopolistischen“ Emittenten und die Informationen nachfragenden Anleger gegenüber. Dem Abbau der Asymmetrie dienen Rechnungslegung, Abschlussprüfung und Publizität, aber auch eine Vielzahl von Informationsintermediären (z. B. Emissionsbanken, Broker, Investmentfonds, Finanzanalysten, Rating-Agenturen).15 Anders als Informationsintermediäre selektieren Abschlussprüfer nicht in erster Linie unternehmens- und marktspezifische Daten, die sie dann mittels verschiedener Methoden zukunftsorientiert bewerten und in kompakter, anlegergerechter Form an den Kapitalmarkt weiterleiten. Abschlussprüfer haben nach dem gesetzlichen Auftrag vielmehr zu prüfen, oh der vom Vorstand des Unternehmens aufzustellende (vgl. § 320 Abs. 1 Satz 1 HGB) Jahresabschluss nebst Lagebericht den gesetzlichen Vorschriften und sie ergänzende Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags oder der Satzung entspricht.16 Gegenstand der Prüfung sind insoweit Vergangenheit bezogene Daten und Vorgänge. § 317 Abs. 2 HGB verpflichtet den Abschlussprüfer allerdings darüber hinaus zu prüfen, ob der Lagebericht „insgesamt eine zutreffende Vorstellung von der Lage des Unternehmens“ vermittelt. Dabei ist seit in Kraft treten des Bilanzrechtsreformgesetzes vom 4. 12. 200417 zu prüfen, ob die „Chancen und Risiken“ der künftigen Entwicklung zutreffend dargestellt sind.18 Die Prüfung soll dadurch „stärker an die Erwartungen der Öffentlichkeit angepasst werden“.19 Die Hinzufügung des Wortes „Chancen“ durch das Bilanzrechtsreformgesetz ändert nichts an der Tatsache, dass der Prüfer nicht gefordert ist, seine eigene Einschätzung bezüglich des Fortbestands und der zukünftigen Entwicklung des Unternehmens an die Stelle der Prognose des Vorstandes zu 14 von Rosen, Kapitalmarkt und Corporate Governance unter Einbeziehung der Rechnungslegung, Der Konzern 2004, 325. 15 Vogler, Schadensersatzhaftung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens für fehlerhafte Aktienanalysen, 2005. 16 Vgl. § 317 Abs. 1 Satz 2 HGB. 17 BGBl. 2004 I 3166. 18 Vgl. § 317 Abs. 2 Satz 2 HGB i. d. F. d. BilReG. Zur Bedeutung des Tatbestandsmerkmals „Chancen und Risiken“ siehe Kaiser Auswirkungen des Bilanzrechtsreformgesetzes auf die zukunftsorientierte Lageberichterstattung, WPg 2005, 405, 412 – 418; dies., Jahresabschlussprüfung und prüfungsnahe Beratung bei zukunftsorientierter Lageberichterstattung gemäß dem Bilanzrechtsreformgesetz, DB 2005, 2309. 19 So die Begründung des RegE KonTraG vom 6. 11. 1997, ZIP 1997, 2100, 2101.
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setzen.20 Es gilt vielmehr nach wie vor der Grundsatz, dass für die Darstellung der Lage des Unternehmens allein der Vorstand bzw. die Geschäftsführung verantwortlich ist und der Prüfer lediglich die „Vollständigkeit und Plausibilität“ dieser Darstellung prüfen kann und muss.21 Hinzu kommt, dass Kapitalmärkte bekanntlich nicht vollkommen effizient sind.22 Nach der heute herrschenden „abgemilderten“ (semi-strong) Version besagt die Efficent Capital Market Hypothesis (ECMH), dass der Kapitalmarkt bei der Preisbildung keine Informationen verarbeitet, die nicht öffentlich verfügbar sind. Da Informationen in testierten Jahresabschlüssen im Wesentlichen Vergangenheit bezogen sind, bleiben Ineffizienzen bei der Gewinnung, Verarbeitung und Vermittlung der Informationen im Jahresabschluss selbst bei größter Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt des Abschlussprüfers möglich. Das wiederum hat Auswirkungen auf wesentliche Grundlagen für Entscheidungen der Kapitalmarktteilnehmer. Obgleich es auf Kapitalmärkten sinnvoll ist, Anlageentscheidungen auf möglichst breiter und akkurater Informationsgrundlage zu treffen, wird selten die Frage gestellt, warum Anleger gerade testierte Jahresabschlüsse heranziehen sollten, um vernünftige und informierte Anlageentscheidungen zu treffen. Zweifel an der Bedeutung testierter Jahresabschlüsse als Entscheidungsgrundlage ergeben sich nicht nur aus dem zuvor dargestellten begrenzten Umfang des gesetzlichen Prüfungsauftrags, sondern auch aus dem schnellen „Veifalldatum“ der Angaben im Jahresabschluss; Zwischenberichte (§ 40 BörsG) und ad hoc-Mitteilungen börsennotierter Emittenten (§ 15 Abs. 1 WpHG) können solche Zweifel nur teilweise zerstreuen. Weitere Bedenken ergeben sich angesichts der Vielzahl anderer aktuellerer Informationsquellen, auf die Anleger selbst oder zumindest mittelbar durch Einschaltung von Intermediären zugreifen können. Natürlich verursacht die Einschaltung von Intermediären in den Kapitalmarktinformationsprozess für den Anleger Kosten. Solche Intermediäre bedürfen außerdem der Aufsicht und Kontrolle, denn die Interessen und Anreize der Informationsintermediäre korrelieren nicht notwendig mit denen der Anleger. Die individuellen Kosten der Anleger sowie die Kosten für regulative Anstrengungen zur Stärkung der Integrität der Informationsintermediäre erklären aber nur teilweise, warum es Vorteile hat, Abschlussprüfern bei der Kapitalmarktinformation eine wichtige Rolle zukommen zu lassen.
Baumbach / Hopt, Handelsgesetzbuch, 32. Aufl., 2006, § 317 Rdnr. 7. Ebke, in: Münchener Kommentar zum HGB, Bd. 4, 2001, § 317 Rdnr. 50; vgl. Baumbach / Hopt (Fn. 20), § 317 Rdnr. 7 („Richtigkeit und Vollständigkeit“) (Hervorhebung des Verf.). 22 Siehe statt vieler Hamilton / Booth, Business Basics for Law Students: Essential Concepts and Applications, 3. Aufl., 2002, S. 356. 20 21
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IV. Zugang zu Informationen Ein Vorzug der Mitwirkung des Abschlussprüfers an der Information der Kapitalmärkte liegt darin, dass Abschlussprüfer einen überlegenen Zugang zu wesentlichen Unternehmensinformationen haben. Abschlussprüfer haben ein weitreichendes Recht auf Einsicht und Prüfung und weitgehende Auskunftsrechte, und zwar schon vor Aufstellung des Jahresabschlusses durch den Vorstand und sogar gegenüber Mutter- und Tochterunternehmen.23 Vor dem Abschlussprüfer gibt es keine Geheimnisse bezüglich der Gegenstände der Prüfung.24 Die Einsichts- und Auskunftsrechte erleichtern die Ermittlungen des Abschlussprüfers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht.25 Wesentlich begrenzt wird der Umfang der jährlich stattfindenden Abschlussprüfung allerdings dadurch, dass angesichts des Zeitdrucks, des wachsenden Prüfungsstoffes sowie der gebotenen Wirtschaftlichkeit im Rahmen der Abschlussprüfung selbst bei sachgerechter Vorbereitung und Planung der Prüfung und bei planmäßigem Vorgehen bei der Prüfung und selbst auf der Grundlage zusätzlicher Vor- oder Zwischenprüfungen eine lückenlose Prüfung nicht möglich ist. Stichproben sind daher unerlässlich.26 Dass die Sicherheit und Genauigkeit der Urteilsbildung seitens des Abschlussprüfers durch die Prüfung mittels Stichproben nicht leiden darf, versteht sich von selbst; denn das Gesetz verpflichtet den Prüfer zur gewissenhaften (§§ 317 Abs. 1 Satz 3, 323 Abs. 1 Satz 1 HGB) und sorgfältigen (§ 320 Abs. 2 Satz 1 und 3 HGB) Prüfung und sanktioniert Verstöße des Prüfers gegen diese Verpflichtungen. Entsprechendes gilt für die Prüfungsintensität.27 Die Prüfungsstandards des IDW lassen daher – im Einklang mit den internationalen und den US-amerikanischen Prüfungsgrundsätzen – Prüfungen mit wechselnden Prüfungsschwerpunkten ausdrücklich zu.28 Bei der richtigen Gewichtung der Prüfungshandlungen können die Existenz und Effizienz unternehmensinterner Kontrollvorkehrungen wichtige Anhaltspunkte sein.29 Risiken bei der Informationsverarbeitung ergeben sich ferner daraus, dass der Abschlussprüfer und seine Prüfungsgehilfen sich nicht von allen prüfungserheblichen Tatsachen unmittelbar durch eigene Wahrnehmung Kennt23 Zu Einzelheiten des Einsichts- und Auskunftsrechts und seiner Grenzen siehe § 320 HGB. 24 MünchKomm / HGB-Ebke (Fn. 21), § 320 Rdnr. 22. 25 MünchKomm / HGB-Ebke (Fn. 21), § 317 Rdnr. 22 – 45. 26 MünchKomm / HGB-Ebke (Fn. 21), § 317 Rdnr. 24. Siehe auch Jaspers / Meinor, Kostensenkung durch Stichprobeninventur – Zeitliche Gestaltung der Stichtagsinventur durch Kombination mit der Stichprobeninventur, WPg 2005, 1077. 27 MünchKomm / HGB-Ebke (Fn. 21), § 317 Rdnr. 26 – 27. 28 IDW PS 200: Ziele und allgemeine Grundsätze der Durchführung von Abschlussprüfungen (Tz. 19). 29 IDW PS 260: Das interne Kontrollsystem im Rahmen der Abschlussprüfung. Siehe dazu auch Förschle / Peemöller (Hrsg.), Wirtschaftsprüfung und Interne Revision, 2004; Lück, Zusammenarbeit von Interner Revision und Abschlussprüfer, 2003.
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nisse verschaffen können.30 Bestandsaufnahmeverfahren, Saldenbestätigungen und Vollständigkeitserklärungen können die Gefahren fehlender Unmittelbarkeit nur teilweise wettmachen, weil sie selbst mit gewissen Unsicherheiten behaftet sind.
V. Kostenvorteile durch Spezialisierung Die Einschaltung des Abschlussprüfers in den Prozess der Kapitalmarktinformation ist auch deshalb sinnvoll, weil Wirtschaftsprüfer durch ihre Ausbildung und Professionalisierung die fachlichen Fähigkeiten mitbringen, derer eine Überprüfung der komplexen Informationen bedarf. Das zeigt sich insbesondere bei den rechnungslegungsrechtlichen Ermittlungen, die den tatsächlichen Ermittlungen im Rahmen der Abschlussprüfung nachfolgen.31 Rechnungslegung ist keine „Naturwissenschaft“, sondern ein „Kunsthandwerk auf höchstem Niveau“ („accounting is an art, not a science“). Rechnungslegungsregeln gewähren oftmals Spielräume und Ansatz- sowie Bewertungswahlrechte, die auszuüben Sache des Vorstands ist. Dem Abschlussprüfer obliegt es, sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen, ob der Vorstand das ihm eingeräumte Ermessen wahrheitsgrundsatzkonform ausgeübt hat.32 Entgegen landläufiger Ansicht darf der Abschlussprüfer den Jahresabschluss nicht selbst „in die Hand nehmen“ und sein Ermessen an die Stelle des Ermessens des Emittenten setzen.33 Bewegt sich der Vorstand innerhalb des von dem Wahrheitsgrundsatz gezogenen Rahmens, hat der Prüfer den Abschluss zu bestätigen.34 Überschreitet der Vorstand das ihm durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag oder Satzung eingeräumte Ermessen, hat der Prüfer den Jahresabschluss zu beanstanden und, sofern das Unternehmen keine oder keine hinreichenden Änderungen vornimmt, den Bestätigungsvermerk einzuschränken oder zu versagen.35 Dadurch erhalten Abschlussprüfer ein Instrument an die Hand, dessen Wirksamkeit im Hinblick auf die Herstellung wahrer und vollständiger Informationen für den Kapitalmarkt keineswegs unterschätzt werden sollte.36
VI. Vorteile durch Unabhängigkeit Vorteile für die Vermittlung verlässlicher Kapitalmarktinformationen durch Abschlussprüfer ergeben sich außerdem durch die gesetzliche Absicherung der 30 31 32 33 34 35 36
MünchKomm / HGB-Ebke (Fn. 21), § 317 Rdnr. 28 – 31. MünchKomm / HGB-Ebke (Fn. 21), § 317 Rdnr. 32 – 45. MünchKomm / HGB-Ebke (Fn. 21), § 317 Rdnr. 40. MünchKomm / HGB-Ebke (Fn. 21), § 317 Rdnr. 40. MünchKomm / HGB-Ebke (Fn. 21), § 317 Rdnr. 40. MünchKomm / HGB-Ebke (Fn. 21), § 317 Rdnr. 40. Siehe dazu noch unten bei Fn. 50 („gatekeeper“-Modell).
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Unabhängigkeit des Abschlussprüfers.37 Kaum eine Profession unterliegt derart strengen Unabhängigkeits- und Befangenheitsregeln wie Wirtschaftsprüfer in der Funktion des gesetzlichen Abschlussprüfers.38 Die herkömmlichen Unabhängigkeitsregeln – in den Fällen Allweiler,39 HypoVereinsbank40 und K. of America41 vom Bundesgerichtshof noch vergleichsweise nachgiebig ausgelegt und angewandt – haben infolge der Verschärfung der Unabhängigkeitsregeln und die Konkretisierungen der Befangenheitsregeln durch das Bilanzrechtsreformgesetz an Konturen deutlich gewonnen.42 Erwähnt seien nur die Verschärfung der Regeln über die Unvereinbarkeit von Prüfung und Beratung ein und desselben Mandanten43 und die Einführung einer „Cooling off “-Periode nach erfolgter interner Rotation des Prüfers.44 Ich habe bereits in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts – also lange vor den großen Rechnungslegungsskandalen wie Balsam Procedo, Bremer Vulkan, §§ 318 – 319a HGB i. d. F. d. BilReG. Zu den Empfehlungen der EU Kommission und den Maßnahmen des US-amerikanischen Gesetzgebers bezüglich der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers siehe Ebke, Corporate Governance and Auditor Independence: The Battle of the Private Versus the Public Interest, in: Ferrarini / Hopt / Winter / Wymeersch (Hrsg.), Reforming Company and Takeover Law in Europe, 2004, S. 507; Ring, Entwicklung einheitlicher Unabhängigkeitsregeln in Europa – Beitrag des europäischen Berufsstandes der Wirtschaftsprüfer, in: FS Röhricht, 2005, S. 1005; S. Schmidt, Neue Anforderungen an die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers: SEC-Verordnung im Vergleich mit den Empfehlungen der EU-Kommission und den Plänen der Bundesregierung, BB 2003, 779; Niehues, Unabhängigkeit des Abschlussprüfers – Empfehlung der EU-Kommission – Hintergrund und Überblick, WPK-Mitt. 2002, 182; siehe ferner Demme, Die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers nach deutschem, US-amerikanischem und internationalem Recht, 2003. 39 BGHZ 135, 260. 40 BGHZ 153, 32. 41 BGH, WM 2004, 1491. 42 Zu Einzelheiten siehe Ring, Gesetzliche Neuregelungen der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers, WPg 2005, 197; Gelhausen / Heinz, Der befangene Abschlussprüfer, seine Ersetzung und sein Honoraranspruch – Eine aktuelle Bestandsaufnahme auf der Grundlage des Bilanzrechtsreformgesetzes, WPg 2005, 693. Zum RegE BilReG siehe Baetge / Brötzmann, Neue Regelungen des Regierungsentwurfs zum Bilanzrechtsreformgesetz zur Stärkung der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers, Der Konzern, 2004, 724; Pfitzer / Orth / Hettich, Stärkung der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers? – Kritische Würdigung des Referentenentwurfs zum Bilanzrechtsreformgesetz, DStR 2004, 328; Veltins, Verschärfte Unabhängigkeitsanforderungen an Abschlussprüfer, DB 2004, 445. 43 § 319a Abs. 1 Nr. 2 HGB i. d. F. d. BilReG. Zu Einzelheiten der Bestimmung siehe Förschle / Schmidt, in: Beck’scher Bilanzkommentar, 6. Aufl., 2006, § 319a Rdnr. 11 – 16. Siehe ferner Hülsmann, Stärkung der Abschlussprüfung durch das Bilanzrechtsreformgesetz – Neue Bestimmungen zur Trennung von Beratung und Prüfung, DStR 2005, 166; Erle, Steuerberatung durch den Abschlussprüfer, in: FS Röhricht, 2005, S. 859. 44 § 319a Abs. 1 Nr. 4 HGB i. d. F. d. BilReG. Zu Einzelheiten der Bestimmung siehe Förschle / Schmidt, in: Beck’scher Bilanzkommentar (Fn. 43), § 319 Rdnr. 34. Siehe ferner Jakob, Interne Rotation bei der Abschlussprüfung: Reichweite des Ausschlusstatbestands mit Blick auf „freiwillige“ Abschlussprüfungen, BB 2005, 2455. 37 38
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Enron, FlowTex und WorldCom – die These vertreten, dass strengere Unabhängigkeitsregeln notwendig sind, wenn gesetzliche Abschlussprüfer ihren Kontroll-, Informations- und Beglaubigungsaufgaben gerecht werden sollen.45 Ich habe außerdem auf das enge Verhältnis von zivilrechtlicher Haftung und Sicherung der Unabhängigkeit hingewiesen.46 Der Gesetzgeber ist den Anregungen im Bilanzrechtsreformgesetz erfreulicherweise gefolgt und hat damit die Voraussetzungen für die Verlässlichkeit von Kapitalmarktinformationen weiter gestärkt.
VII. Bedeutung des Testats für den Emittenten Die Beachtung, die Kapitalgeber (Anleger) aufgrund der dargestellten Vorteile testierten Jahresabschlüssen entgegenbringen, korrespondiert mit ihrem Stellenwert für die Emittenten, d. h. für die geprüften Unternehmen. Abschlussprüfer erbringen selbst etablierten Kapitalmarktunternehmen mit ihrer Prüfung, ihrer Berichterstattung und ihrem Bestätigungsvermerk eine wichtige Dienstleistung; denn der uneingeschränkt bestätigte Jahresabschluss räumt unternehmensintern wie unternehmensextern mit Ungewissheiten über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens auf. Der uneingeschränkt testierte Jahresabschluss ist deshalb tendenziell geeignet, die Nachfrage nach den Wertpapieren des Emittenten am Kapitalmarkt zu erhöhen, auch wenn man nicht oft genug betonen kann, dass der Bestätigungsvermerk weder ökonomisch noch juristisch ein „Gütesiegel“, „Gesundheitstestat“ oder gar eine „Garantieerklärung“ darstellt.47
VIII. Volkswirtschaftlicher Nutzen Die individuellen Vorteile, die der Einsatz von Abschlussprüfern Kapitalmarkt orientierter Gesellschaften mit sich bringt, wirken sich darüber hinaus zum Wohle des gesamten Kapitalmarktes aus. Die gesetzlich vorgeschriebene Abschlussprüfung bündelt wichtige Informationen, vermeidet unnötige Mehrfachproduktion gleichartiger Kapitalmarktinformationen, beugt sich widersprechenden Informationen vor und senkt dadurch Kosten, die Anleger zur Vorbereitung ihrer Anlageentscheidung sonst aufwenden müssen. Durch geringere Kosten der Entscheidung und damit auch der Transparenz selbst steigt die Vertriebseffizienz des Marktes (sog. operationale Effizienz). Ein verbesserter Informationsstand des Anlegerpublikums trägt außerdem zur Funktionsfähigkeit des Marktes bei. Zum einen verringert sich das Risiko der Negativauslese (adverse selection), die dann droht, wenn das Anlegerpublikum die Güte der angebotenen Wertpapiere nur unzurei45 Ebke, In Search of Alternatives: Comparative Reflections an Corporate Governance and the Independent Auditor’s Responsibilities, 79 Nw.U.L.Rev. 663, 715 (1984) („Securing the independence of external auditors from management is . . . of vital importance“). 46 Ebke (Fn. 1), S. 297 – 317. 47 MünchKomm / HGB-Ebke (Fn. 21), § 322 Rdnr. 12 m. w. Nachw.
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chend beurteilen kann. Zum anderen verschafft der verbesserte Informationsstand des Anlegerpublikums den Beteiligungsmöglichkeiten am Kapitalmarkt größere Beachtung und erhöht gleichzeitig die Transparenz der Risiken einzelner Beteiligungen. Diese Informationen erlauben erst dem Zusammenspiel der Marktkräfte eine Abwägung der Chancen und Risiken, in Folge dessen das verfügbare Kapital dorthin fließt, wo der dringendste Bedarf an Investitionsmitteln die höchste Rendite (bei ausreichender Sicherheit) verspricht. Die optimale Zuordnung der Ressource Kapital, die allokative Effizienz, zählt zu den wichtigsten Kriterien funktionsfähiger Kapitalmärkte.
IX. Gatekeeper Obwohl bisher ökonomische Kosten- und Effizienzgesichtspunkte im Vordergrund standen, wäre es eine unzulässige Verkürzung, die Funktion des gesetzlichen Abschlussprüfers auf die „Beihilfe zur Gewinnmaximierung“ zu reduzieren. Der gesetzliche Abschlussprüfer ist nicht Organ der prüfungspflichtigen Gesellschaft und nicht für die Aufstellung des Jahresabschlusses verantwortlich (vgl. § 320 Abs. 1 Satz 1 HGB), sondern unternehmensexterner, unabhängiger Sachverständiger mit gesetzlich umrissenen Kontroll-, Informations- und Beglaubigungsaufgaben.48 Die gesetzlich übertragenen Aufgaben sind infolge der Trennung von Eigentum und Herrschaft in der modernen Kapitalgesellschaft ebenso unerlässlich wie auf den Kapitalmärkten.49 Abschlussprüfer werden in der US-amerikanischen kapitalmarktrechtlichen Literatur heute von vielen Autoren als „gatekeeper“ qualifiziert.50 Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass es vorteilhaft sein kann, eine Verpflichtung nicht unmittelbar durch die Abschreckungs- und Präventionswirkung von zivilrechtlichem Schadensersatz oder strafrechtlichen Sanktionen, sondern durch den Einsatz eines „Torwächters“ durchzusetzen. Bei einem Fehlverhalten des primär Verantwortlichen (also des Kapitalmarktunternehmens) kann der „Torwächter“ diesem die Zusammenarbeit verweigern (z. B. den Bestätigungsvermerk einschränken oder versagen),51 was das Unternehmen zur Einhaltung seiner Rech48 MünchKomm / HGB-Ebke (Fn. 21), § 316 Rdnr. 22, 26 und 32; rechtsvergleichend Ebke, The Impact of Transparency Regulation an Company Law, in: Hopt / Wymeersch (Hrsg.), Capital Markets and Company Law, 2003, S. 173, 181 – 182. 49 Zur Rolle des Abschlussprüfers in der internen und der externen Unternehmenskontrolle siehe zuletzt Scheffler, Corporate Governance – Auswirkungen auf den Wirtschaftsprüfer, WPg 2005, 477; Mößle, Abschlussprüfer und Corporate Governance, 2003; Nobel, Audit Within the Framework of Corporate Governance, in: Hopt / Wymeersch (Hrsg.), Capital Markets and Company Law, 2003, S. 199; Institut der Wirtschaftsprüfer (Hrsg.), Wirtschaftsprüfung und Corporate Governance, 2002. 50 Coffee, Gatekeeper Failure and Reform: The Challenge of Fashioning Relevant Reforms, in: Ferrarini / Hont / Winter / Wymeersch (Hrsg.), Reforming Company and Takeover Law in Europe, 2004, S. 455, 460; ders., in: Rapoport / Dharan (Hrsg.), Enron: Corporate Fiascos and Their Implications, 2004, S. 125, 127. 51 Siehe dazu oben bei Fn. 36.
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nungslegungsverpflichtungen bewegen soll.52 Der Abschlussprüfer übernimmt in diesem Modell die Aufgabe des „Torwächters“: Ihm obliegt es, die wegen offensichtlicher Interessenkollisionen mit Unsicherheiten verbundenen Aussagen von Kapitalmarktunternehmen über ihre Vermögens-, Finanz- und Ertragslage im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zu überprüfen und die Einhaltung der einschlägigen Regeln zu bestätigen. Wegen ihrer Unabhängigkeit, Sachkunde und Professionalisierung wird Wirtschaftsprüfern in diesem Zusammenhang eine besonders hohe Glaubwürdigkeit zugemessen. Dass die Erwartungen des Anlegerpublikums sich nicht immer vollkommen decken mit den Aufgaben, die der Gesetzgeber dem Abschlussprüfer übertragen hat (Erwartungslücke oder expectations gap), steht auf einem anderen Blatt.53 Die Diskrepanz zwischen realer Leistungsfähigkeit des Abschlussprüfers und den Erwartungen der Anleger zeigt sich nirgends deutlicher als in einem Haftpflichtprozess zwischen Kapitalgeber und Abschlussprüfer.
X. Prüfung und Haftung Die Frage, welche Rolle das zivile Haftungsrecht bezüglich der Sicherung einer verlässlichen Rechnungslegung, Abschlussprüfung und Publizität übernehmen kann bzw. sollte, ist bislang eher am Rande behandelt worden. Theoretisch ist klar, dass ohne gesetzliche oder sonstige Regelungen für die Verantwortlichkeit der Rechnungslegungs-, Prüfungs- und Publizitätspflichtigen die Gefahr besteht, dass die Kapitalmärkte durch unwahre oder unvollständige Informationen zum Nachteil der Marktteilnehmer und der Volkswirtschaft insgesamt irregeleitet werden. Besonders umstritten ist allerdings nach wie vor, wie die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Abschlussprüfers ausgestaltet sein sollte. In den Ländern mit entwickelten Kapitalmärkten scheint weitgehende Einigkeit nur darüber zu bestehen, dass das Strafrecht – von Fällen krassen Fehlverhaltens abgesehen – keine große Rolle übernehmen sollte.54 Berufsrechtliche, börsen- und aufsichtsrechtliche sowie haftungsrechtliche Sanktionen scheinen den Gesetzgebern der meisten Länder im Grundsatz besser geeignet zu sein, den notwendigen Schutz der Kapitalmarktteilnehmer zu vermitteln.55 In dem komplexen Geflecht von Regelungen zur Siche52 Grundlegend Kraakman, Gatekeepers: The Anatomy of a Third Party Enforcement Strategy, 2 J. L. Econ. & Org. 53 (1986); siehe auch schon ders., Corporate Liability Strategies and the Costs of Legal Controls, 93 Yale L.J. 857 (1984). Berichtend Gelter, Zur ökonomischen Analyse der begrenzten Haftung des Abschlussprüfers, WPg 2005, 486, 487. 53 Zu Einzelheiten der „Erwartungslücke“ siehe die Nachweise in MünchKomm / HGBEhke (Fn. 21), vor § 316 Rdnr. 16 Fn. 28. 54 Steinberg, Emerging Capital Markets: Proposals and Recommendations for Implementation, 30 Int.Law. 715, 723 – 725 (1996). 55 Siehe nur den Interim Report of the Committee an Corporate Disclosure der Toronto Stock Exchange „Toward Improved Disclosure. A Search for Balance in Corporate Disclosure“, 1995, S. 21 – 22.
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rung der Wahrheit und Vollständigkeit der Kapitalmarktinformationen in testierten und publizierten Jahresabschlüssen kommt der zivilrechtlichen Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers seit den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Europa bis Südafrika und von den USA bis Japan eine immer größere Bedeutung zu.56 Die meisten industrialisierten Länder haben die Herausbildung und Fortentwicklung der Regeln über die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Abschlussprüfers den Gerichten überlassen, statt sie in das starre Korsett gesetzlicher Vorschriften zu pressen. Die Gesetzgeber beschränken sich regelmäßig auf punktuelle Eingriffe in das komplexe Geflecht einschlägiger Haftungsregeln.57 Die Rechtsvergleichung lehrt, dass sich die Rechtsordnungen bei der Entwicklung des Rechts der Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers gegenseitig beeinflusst haben – und zwar über die Grenzen von Rechtstraditionen hinweg.58 Von einer internationalen Konvergenz der Haftungsregeln sind wir gleichwohl noch weit entfernt. Das gilt auch und gerade für das Recht der Haftung des gesetzlichen Jahresabschlussprüfers innerhalb der Europäischen Union.59 In den 25 mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bestehen große Unterschiede vor allem bezüglich der Haftung des Abschlussprüfers gegenüber Dritten (dazu zählen unter anderem gegenwärtige und frühere Anleger, Anlageinteressenten, Unternehmenserwerber, Kreditgeber, Lieferanten, Insolvenzgläubiger, Arbeitnehmer und der Staat), die im Vertrauen auf einen testierten Jahresabschluss einen Vermögensschaden erlitten haben, aber nicht Partei des Prüfungsvertrages zwischen dem Prüfer und der prüfungspflichtigen Gesellschaft sind.60 Das Recht der Dritthaftung des Abschlussprüfers ist international im Fluss.61 Das Kollisionsrecht der Haftung des Abschlussprüfers gewinnt ebenfalls zunehmend Beachtung.62 56 Ebke (Fn. 1), WPK-Mitt. Sonderheft April 1996, S. 17, 19 – 20. Zu Einzelheiten siehe Ebke / Struckmeier (Fn. 3); Ebke, Abschlußprüferhaftung im internationalen Vergleich, in: FS Trinkner, 1995, S. 493. 57 Ebke, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit der wirtschaftsprüfenden, steuer- und rechtsberatenden Berufe im internationalen Vergleich, 1996, S. 1. 58 Ebke (Fn. 57), S. 5 – 40. 59 Wölher, Die Abschlussprüferhaftung im europäischen Binnenmarkt, 2005; Ebke, Die Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers in der Europäischen Union, ZVglRWiss 100 (2001) 62. 60 European Commission, A Study an Systems of Civil Liability of Statutory Auditors in the Context of a Single Market of Auditing Services in the European Union (15. 1. 2001); Buijink / Maijoor / Meuwsisen / van Witteloostuijn, The Role, Position and Liability of the Statutory Auditor Within the European Union, 1996. 61 Siehe dazu zuletzt Doralt, Haftung der Abschlussprüfer, 2005; Flühmann, Haftung aus Prüfung und Berichterstattung gegenüber Dritten, 2004; Koziol / Doralt (Hrsg.), Abschlussprüfer: Haftung und Versicherung, 2004; WP-Handbuch, Bd. I, 13. Aufl., 2005, Abschnitt A Rdnr. 581 – 629. 62 Ebke, Die Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers im Internationalen Privatrecht, in: FS Sandrock, 2000, S. 243; ders., Haftung bei Rechnungslegung und Prüfung international,
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XI. Dritthaftung in Deutschland In Deutschland ist die Haftung des Abschlussprüfers gegenüber Dritten in Bewegung geraten.63 Hintergrund bildet die Entscheidung des III. Zivilsenats des BGH vom 2. 4. 1998.64 Darin hält der Senat im Anwendungsbereich des § 323 HGB eine Dritthaftung des gesetzlichen Abschlussprüfers für möglich, „die wesentlich darauf beruht, dass es Sache der Vertragsparteien ist, zu bestimmen, gegenüber welchen Personen eine Schutzpflicht begründet werden soll“.65 Weiteren Auftrieb erhielt die Diskussion durch das Inkrafttreten des § 311 Abs. 3 BGB im Gefolge der Schuldrechtsreform vom 1. 1. 2002.66 Inhalt und Bedeutung der Norm sind unklar;67 ihre Auswirkungen auf die Dritthaftung des gesetzlichen Abschlussprüfers liegen ebenfalls im Dunke1.68 Die Gerichte könnten § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB zu einer allgemeinen Grundlage für die Berufshaftung von „Experten“ gegenüber vertragsfremden Dritten ausbauen.69 Die Rechtsfigur des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte wäre als Haftungsgrundlage für solche Fälle dann überflüssig, denn die Rechtsfigur ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in: Ballwieser / Coenenberg / von Wysocki (Hrsg.), Handwörterbuch der Rechnungslegung und Prüfung, 3. Aufl., 2002, Sp. 1085 – 1095; Leicht, Die Qualifikation der Haftung von Angehörigen rechts- und wirtschaftsberatender Berufe im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr, 2002; F. Immenga, Internationale Kooperation und Haftung von Dienstleistungsunternehmen, 1998, S. 325 – 347. 63 Ebke, Der Ruf unserer Zeit nach einer Ordnung der Dritthaftung des gesetzlichen Abschlussprüfers, BFuP 2000, 549; Heppe, Nach dem Vertrauensverlust – Ist es an der Zeit, die Dritthaftung deutscher Abschlussprüfer zu verschärfen?, WM 2003, 714 und 753; Pohl, Haftung und Berufshaftpflichtversicherung der Wirtschaftsprüfer – Bestandsaufnahme und Ausblick, WPg 2004, 460; Heukamp, Abschlussprüfer und Haftung, 2000. 64 BGH, JZ 1998, 1013. 65 BGH, JZ 1998, 1013, 1014. Siehe neuestens aber BGH WM 2006, 423 und BGH DB 2006, 1105. 66 BGBl. 2001 I3138. 67 Zu Einzelheiten der Vorschrift siehe allgemein Brors, Vertrauen oder Vertrag – gibt es eine Haftung für Wertgutachten nach § 311 Abs. 3 BGB?, ZGS 2005, 142; Eckebrecht, Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte – Die Auswirkungen der Schuldrechtsreform, MDR 2002, 425; Koch, § 311 Abs. 3 BGB als Grundlage einer vertrauensrechtlichen Auskunftshaftung, AcP 204 (2004) 59; Krebber, Der nicht zufällige Kontakt ohne Vertragsnähe auf der Grenze zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung, VersR 2004, 150; Plötner, Die Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte und die sogenannte Expertenhaftung, 2003, S. 285 – 290. 68 Karampatzos, Vom Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte zur deliktischen berufsbezogenen Vertrauenshaftung, 2005, S. 257 – 263; Henssler / Dedek, Die Auswirkungen der Schuldrechtsreform auf die Mandatsverhältnisse von Wirtschaftsprüfern, WPK-Mitt. 2002, 278, 280 – 282. 69 van Eickels, Die Drittschutzwirkung von Verträgen, 2005, S. 156 (die Autorin meint, es sei zu erwarten, dass „sich die Gerichte in Zukunft im Hinblick auf die Dritthaftung von Experten auf die Regelung des § 311 III 2 BGB n. F. stützen werden und die Herleitung der Haftung über die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter über kurz oder lang aufgeben werden“).
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subsidiär.70 Der Rückgriff auf § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB würde die Dritthaftung des Abschlussprüfers in Fällen von Pflichtprüfungen grundlegend verändern, weil damit die historisch gewachsene, grundsätzliche „Sperrwirkung“ des § 323 Abs. 1 Satz 3 HGB gegenüber einer Dritthaftung des gesetzlichen Abschlussprüfers für reine Fahrlässigkeit durchbrochen werden könnte. Entsprechendes gilt für die – am 8. 6. 2004 vom X. Zivilsenat des Bundesgerichtshof noch einmal bestätigten – Grundsätze der allgemeinen Prospekthaftung für die Vollständigkeit und Richtigkeit von Werbeaussagen in Prospekten.71 Die allgemeine Prospekthaftung tritt nach Ansicht des Senats hinter die Grundsätze der Berufshaftung von Experten auf der Grundlage und am Maßstab des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte nicht zurück, sondern steht zu dieser in einer echten Anspruchsgrundlagenkonkurrenz. Ob es in der Praxis zu einer solchen Haftung kommen wird, ist allerdings fraglich. Nach den aktuellen fachlichen Regeln des Berufsstands hat der Wirtschaftsprüfer bei Aufträgen zur Beurteilung von Prospekten über öffentlich angebotene Kapitalanlagen unter anderem zur Voraussetzung der Auftragsannahme zu machen, dass der Auftraggeber und der Prospektherausgeber sich verpflichten, im Prospekt nicht auf das Vorliegen von Prospektgutachten oder auf das Tätigwerden eines Wirtschaftsprüfers im Rahmen der Prospektbeurteilung hinzuweisen.72 Bei der Ausstellung von Comfort Letters wird der Prüfer ebenfalls versuchen zu vermeiden, Prospektverantwortung zu übernehmen oder zum Prospektverantwortlichen zu werden.73
MünchKomm / HGB-Ebke (Fn. 21), § 323 Rdnr. 111. BGH, BB 2004, 2180 mit BB-Komm. Paal. Zu weiteren Einzelheiten der Entscheidung siehe Janen / Schuster, Dritthaftung des Wirtschaftsprüfers am Beispiel der Haftung für Prospektgutachten, BB 2005, 987. Siehe ferner Wagner, Prospektprüfung und Prospekthaftung bei Wirtschaftsprüfern, BFuP 2000, 594. 72 Siehe IDW S 4: Grundsätze ordnungsmäßiger Beurteilung von Prospekten über öffentlich angebotene Kapitalanlagen (Tz. 31). Zu Enzelheiten des IDW S 4 siehe Zacher / Stöcker, Die Haftung von Wirtschaftsprüfern bei steuerorientierten Kapitalanlagen – Überblick und aktuelle Tendenzen (Teil II), DStR 2004, 1537. 73 Vgl. IDW PS 910: Grundsätze für die Erteilung eines Comfort Letter (Tz. 9: „ . . . ohne damit – auch nicht für Teile des Prospekts – die Prospektverantwortung zu übernehmen oder zum Prospektverantwortlichen zu werden“). Zu Einzelheiten des IDW PS 910 siehe Kunold, Comfort Letter, in: Habersack / Mülbert / Schlitt (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt. 2005, S. 610, 618 – 635; Meyer, Der IDW Prüfungsstandard für Comfort Letters – Ein wesentlicher Beitrag zur Weiterentwicklung des Emissionsgeschäfts in Deutschland, WM 2003, 1745. Zur Haftung für die Erstellung eines Comfort Letter siehe Ebke / Siegel, Comfort Letters, Börsengänge und Haftung: Überlegungen aus Sicht des deutschen und USamerikanischen Rechts, WM 2001 Sonderbeilage 2; Köhler / Weiser, Die Bedeutung des Comfort Letters im Zusammenhang mit Emissionen – Darstellung der Rechtsgrundlagen, DB 2003, 565. Aus Schweizer Sicht siehe Herzog / Amstutz, Rechtliche Überlegungen zur Haftung des Wirtschaftsprüfers für Comfort Letters – Ungeklärte Rechtslage in der Schweiz, ST 2000, 757. 70 71
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XII. Reformbestrebungen Die Reformbemühungen gehen unterdessen auf anderer Ebene weiter. Besondere Beachtung verdienen die Bestrebungen der EU Kommission, die Haftung des Abschlussprüfers zu europäisieren und zugleich zu verschärfen. Derartige Bestrebungen haben in der EU eine lange Tradition.74 Am 15. November 2005 hat die Kommission der Europäischen Union ein Forum beauftragt, eine Markt orientierte Analyse der bestehenden Regelungen zur Haftung des Abschlussprüfers zu erstellen. Die EU Kommission beabsichtigt im Zusammenhang mit der AbschlussprüferRichtlinie,75 bis Ende 2006 einen Bericht zu veröffentlichen, der die Auswirkungen der Vorschriften über die Haftung für Abschlussprüfungen auf europäische Kapitalmärkte und Versicherungsbedingungen untersucht.76 Als ersten Schritt wird die EU Kommission Anfang 2006 eine Untersuchung über die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Änderung der Haftungsregelungen, über den Wettbewerb auf dem Markt für Wirtschaftsprüfung und die Verfügbarkeit von Versicherungen in Auftrag geben. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollen im Herbst 2006 vorliegen. Neue Entwicklungen kündigen sich außerdem auf nationaler Ebene an: Der deutsche Bundesfinanzminister hat am 7. 10. 2004 den Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Haftung für falsche Kapitalmarktinformationen (Kapitalmarktinformationshaftungsgesetz) veröffentlicht.77 Für Wirtschaftsprüfer besonders bedeutsam ist die Regelung in Artikel 2 betreffend § 44a BörsG.78 Darin soll eine Haftung für unvollständige oder unrichtige Börsen gehandelte Papiere des amtlichen Marktes und über die Verweisung von §§ 55, 51 Nr. 1 Nr. 2 BörsG i. V. m. § 13 VerkProspG auch für Verkaufsprospekte von Wertpapieren des geregelten Marktes, von öffentlich angebotenen Finanzinstrumenten und anderen Vermögensanlagen auf externe Sachverständige unter bestimmten Voraussetzungen erweitert werden. Voraussetzung dafür ist, dass der Wirtschaftsprüfer an der Erstellung des Prospektes mitgewirkt hat und für die entsprechenden Teile des Prospekts 74 Siehe nur Ebke (Fn. 1), S. 2 – 4; ders. (Fn. 59), ZVglRWiss 100 (2001) 62, 75 – 78. Zu den Reformbestrebungen der EU in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts siehe MünchKomm / HGB-Ebke (Fn. 21), § 323 Rdnr. 176 – 180; Kleekämper / König, Die Haftung des Abschlussprüfers, in: Dömer / Menold / Pfitzer / Oser (Hrsg.), Reform des Aktienrechts, der Rechnungslegung und der Prüfung, 2. Aufl., 2003, S. 957, 959 – 961; Wölber (Fn. 59), S. 44 – 47; Commission Européenne (Hrsg.), Actes de la conférence sur le rôle, le statut et la responsabilité du contrôleur légal des comptes dans l’Union européenne, 1997. 75 Siehe dazu Schmidt, Die 8. EU-Richtlinie: Anlass für eine verstärkte Regulierung der Berufsausübung des Wirtschaftsprüfers?, WPg 2005, 203; Klein/Tielmann, Die Modernisierung der Abschlussprüferrichtlinie – Vorschlag der EU-Kommission zur Überarbeitung der 8. EU-Richtlinie, WPg 2004, 501. Die revidierte 8. EU-Richtlinie ist inzwischen in Kraft getreten: ABl.EG Nr. L 157 / 87 vom 9. 6. 2006. 76 Vgl. WPg 2005 Heft 23, S. A2. 77 Der Entwurf ist mit Begründung abgedruckt in NZG 2004, 1042. 78 Siehe dazu Zimmer / Binder, Prospekthaftung von Experten? Kritik eines Gesetzentwurfs, WM 2005, 577.
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ausdrücklich die Verantwortung übernommen hat. Ausweislich der Begründung zu § 44a BörsG-E werden von der Regelung jedoch diejenigen nicht erfasst, die den bereits erstellten Prospekt im Rahmen eines Prüfungsauftrages zum Beispiel auf Vollständigkeit, Richtigkeit und Klarheit der Angaben geprüft haben. Das Kapitalmarktinformationshaftungsgesetz liegt allerdings derzeit „auf Eis“.
XIII. Juristisch-ökonomische Folgenforschung Die von der EU Kommission in Auftrag gegebene Erforschung der juristischökonomischen Folgen einer Verschärfung der Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers ist nachdrücklich zu unterstützen.79 Vor allzu großen Erwartungen sollte man dennoch sowohl aus juristischer als auch aus ökonomischer Sicht warnen. Es ist nämlich anzunehmen, dass sich die EU-Mitgliedstaaten angesichts der unklaren Rechtsangleichungskompetenz der EU auf diesem Gebiet80 die Regelung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit des gesetzlichen Abschlussprüfers nur ungern aus der Hand nehmen lassen werden, selbst wenn die Regelung nur Prüfer von Gesellschaften umfassen sollte, die einen organisierten Markt in Anspruch nehmen. Hinzu kommt, dass aufgrund der historisch unterschiedlich gewachsenen Regelungen des materiellen wie des prozessualen Rechts in den Mitgliedstaaten eine Einigung über die Ausgestaltung entsprechender Haftungsregeln nur schwer erreichbar sein dürfte.81 Die Rechtsvergleichung lehrt, wie schwierig es ist, die sog. Pfadabhängigkeit (path dependency) zu überwinden. Es ist außerdem rechts-ökonomisch noch nicht erwiesen, dass eine Verschärfung der Haftung des Abschlussprüfers die Prävention und Abschreckung und damit letztlich die Qualität der Abschlussprüfung wirklich erhöht,82 wie viele Befürworter einer Dritthaftung des 79 Zur ökonomischen Analyse der Haftung des Abschlussprüfers siehe Herrmann, Ökonomische Analyse der Haftung des Wirtschaftsprüfers, 1997; Gelter (Fn. 52), WPg 2005, 486, Ewert / Fees / Nell, Prüfungsqualität, Dritthaftung und Versicherung, BFuP 2000, 572 – 590 sowie die zahlreichen Nachweise bei MünchKomm / HGB-Ebke (Fn. 21), 323 Rdnr. 132 Fn. 332. 80 Siehe nur die Nachweise in MünchKomm / HGB-Ebke (Fn. 21), § 323 Rdnr. 172 Fn. 438. 81 Skeptisch insoweit auch Hopt, Haftung bei Rechnungslegung und Prüfung in Deutschland, in: Ballwieser / Coenenberg / von Wysocki (Hrsg.), Sp. 1071, 1080 („Angesichts der unterschiedlichen Rechtslage in den Mitgliedstaaten ist jedoch mit einer Harmonisierung auf eine allgemeine Dritthaftung hin nicht zu rechnen“). 82 Kritisch Ebke (Fn. 45), Nw.U.L.Rev. 79 (1084) 663, 682 – 683 (dort – S. 685 – auch zu dem Problem der Folgen der persönlichen Stigmatisierung); zusammenfassend MünchKomm / HGB-Ebke (Fn. 21), § 323 Rdnr. 139. Allgemein zur Präventionswirkung zivilrechtlicher Sanktionen Ott / Schäfer (Hrsg.), Die Präventionswirkung zivil- und strafrechtlicher Sanktionen, 1999; Wagner, Prävention und Verhaltenssteuerung durch Privatrecht – Anmaßung oder legitime Aufgabe?, AcP 206 (2006), 352. Zum Zielkonflikt zwischen Versicherbarkeit und Prävention aus ökonomischer Sicht J. Scheel, Versicherbarkeit und Prävention. Ökonomische Analyse eines Zielkonflikts, 1999.
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Abschlussprüfers für Fahrlässigkeit annehmen.83 Der Gedanke der privatautonomen Eigenvorsorge des Anlegers, den der Oberste Gerichtshof des US-Bundesstaates Kalifornien in der Rechtssache Bily 84 mit Recht herausgestellt hat, ist in der Diskussion in der EU ebenfalls noch nicht hinreichend berücksichtigt worden.85 Die Bily-Entscheidung spiegelt die Entwicklung einer neuen Rechtsprechung in den USA86 sowie in anderen führenden Rechtsordnungen mit Common LawTradition, namentlich England87 und Kanada,88 die die berühmte Warnung des Richters Benjamin Nathan Cardozo aus dem Jahre 1931 ernst nimmt, dass bei Anerkennung einer Haftung für rein fahrlässig verursachte Vermögensschäden Dritter dem Abschlussprüfer „eine Haftung in unbestimmter Höhe, für eine unbestimmte Zeit gegenüber einer unbestimmten Gruppe [von Personen]“ droht.89 Gestützt auf diese Entscheidung sowie auf das Urteil des englischen House of Lords im Falle Caparo90 hat auch der Oberste Gerichtshof Kanadas entschieden, dass man Abschlussprüfern bei reiner Fahrlässigkeit keinem unbegrenzbaren (und unversicherbaren!) Haftungsrisiko gegenüber Dritten (in casu gegenüber Anlegern) aussetzen dürfe, weil dies „sozial unerwünschte Folgen“ (socially undesirable consequences) habe.91 Das House of Lords selbst hatte in der Caparo-Entscheidung einem Unternehmenserwerber einen Schadensersatzanspruch gegen den gesetzlichen Abschlussprüfer der übernommenen Gesellschaft versagt. Der Gesetzgeber des USBundesstaates New Jersey hat unlängst hem klägerfreundlichen Urteil des Supreme Court von New Jersey in dem Wirtschaftsprüferdritthaftungsfall Rosenblum, Inc. v. Adler92 die Wirkung per Gesetz genommen.93 Für die Schweiz hat Peter 83 Siehe dazu aus dem deutschsprachigen Schrifttum zuletzt Gelter (Fn. 52), WPg 2005, 486, 490 – 499; Heukamp, Brauchen wir eine kapitalmarktrechtliche Dritthaftung von Wirtschaftsprüfern?, ZHR 169 (2005) 471, 484 – 487. 84 Bily v. Arthur Young & Co., 11 Cal.Rptr.2d 51, 67 (Cal. 1992). Zu Einzelheiten dieser Entscheidung siehe Ebke, Geht die Revisionshaftung in den USA neue Wege?, ST 1993, 667 (mit Änderungen) WPK-Mitt. 1995, 11. Zum Einfluss der deutschen Wissenschaft auf das Bily-Urteil siehe Großfeld, Europäisches Unternehmensrecht und internationaler Wettbewerb, in: FS Havermann, 1995, S. 183, 195 („Die Prüfungsgesellschaft wurde auch durch eine münsteraner Dissertation vor dem Kalifornischen Supreme Court „herausgehauen“; denn mit unter dem Eindruck dieser Dissertation (wiedergegeben in einem amerikanischen Aufsatz) änderte das Gericht seine Meinung – zugunsten der Prüfer“) (Fußnoten weggelassen). 85 Siehe dazu MünchKomm / HGB-Ebke (Fn. 21), § 323 Rdnr. 140. 86 Ebke (Fn. 56), FS Trinkner, S. 501 – 511; Ebke (Fn. 62), Handwörterbuch Sp. 1086. 87 Caparo Industries plc v. Dickman, [1990] 1 All E.R. 568 (H.L.). Zum Standpunkt der Rechtsprechung nach Caparo siehe Wölber (Fn. 59), S. 118 – 121; Norton, Auditors’ Liability Since Caparo: Legal Formalism versus Economic Realism, Com. Liab. L.Rev. 2000, 92. 88 Hercules Management Ltd. v. Ernst & Young, [1997] 2 S.C.R. 165. Siehe dazu Honold, Zur Dritthaftung der Revisionsstelle, ST 1998, 1069, 1077. 89 Ultramares Corporation v. Touche & Co., 174 N.E. 441, 444 (1931). Zu Einzelheiten dieses Urteils siehe Ebke (Fn. 1), S. 156 – 160. 90 Caparo Industries plc v. Dickuran, [1990] 1 All E.R. 568 (H.L.). 91 Hercules Management Ltd. v. Ernst & Young, [1997] 2 S.C.R. 165 (Tz. 33). 92 93 N.J. 324, 461 A.2d 138 (N.J. 1983).
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Bertschinger unlängst angeregt, die Haftung des Abschlussprüfers auf Absicht und grobe Fahrlässigkeit zu beschränken.94 Dieser Vorschlag entspricht tendenziell der kapitalmarktrechtlichen Haftung des Abschlussprüfers nach Section 10(b) des Securities Exchange Act von 1934 und Rule 10b-5 in den USA95 sowie dem geltenden deutschen Recht.96
XIV. Schluss Die vorstehenden Ausführungen verdeutlichen, wie komplex die Rolle der Jahresabschlussprüfung und des Abschlussprüfers im Rahmen der Kapitalmarktinformation aus juristischer und ökonomischer Sicht ist. Ziel jeder Reform des geltenden Rechts der Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers für fehlerhafte Kapitalmarktinformationen muss es sein, auch und gerade die Dritthaftung des Prüfers in berechenbaren und versicherbaren Grenzen zu halten. Diese Zielvorgabe ist Folge der durch rechtsvergleichende Untersuchungen untermauerten, in einigen wirtschaftswissenschaftlichen Studien erhärteten und im Regierungsentwurf des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) ausdrücklich bestätigten Erkenntnis, dass eine unbegrenzte zivilrechtliche Verantwortlichkeit des gesetzlichen Abschlussprüfers gegenüber Dritten für Fahrlässigkeit „nicht sachgerecht ist, weil die Risiken einer gesetzlich vorgeschriebenen Prüfung viel zu groß sind, um sie privatrechtlich tätig werdenden Personen zumuten zu können.“97 Die Fortentwicklung des Rechts der Dritthaftung des gesetzlichen Abschlussprüfers sollte – jedenfalls in Deutschland – nicht den Gerichten überlassen werden: „Wenn die Frage eines Schadensersatzes allein der Rechtsprechung überlassen wird, bedeutet dies für einen Abschlussprüfer . . . das Vorliegen von unkalkulierbar hohen wirtschaftlichen Risiken.“98 Grundlegende Änderungen des Rechts wie die Begründung einer Dritthaftung des gesetzlichen Abschlussprüfers für Fahrlässigkeit müssen – wenn überhaupt – vom Gesetzgeber vorgenommen werden.99 Man darf auf die Ergebnisse der Studie der EU Kommission100 gespannt sein. Siehe N.J. Stat. Ann. § 2A: 53A-25 (West Supp. 1997). Bertschinger, Der Wirtschaftsprüfer an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Eine Auslegeordnung aktueller Haftungsfragen, ST 1999, 911, 920. Siehe auch Flühmann (Fn. 61), S. 178 – 179. 95 Ebke (Fn. 62), FS Sandrock, S. 258 – 261. 96 Ebke (Fn. 63), BFuP 2000, 570; ders., Keine Dritthaftung des Pflichtprüfers für Fahrlässigkeit nach den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte, BB 1997, 1731; MünchKomm / HGB-Ebke (Fn. 21), § 323 Rdnr. 70 – 144; Zimmer, in: Ulmer (Hrsg.), Großkomm. Bilanzrecht, 2002, § 323 Rdnr. 52-59. 97 BT-Drucksache 13 / 9712, S. 29. 98 BT-Drucksache 13 / 9712, S. 36, 37. 99 Vgl. Ultramares Corporation v. Touche & Co., 174 N.E. 441, 447 (1931) (per J. Cardozo): „A change so revolutionary, if expedient, must be wrought by legislation.“. 100 Siehe oben bei Fn. 75. 93 94
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I. Rechtsfrage Die Bewertung von Unternehmen ist heute ein großes Thema des Rechts; über den „good will impairment test“ wandert es gerade ein in das allgemeine Bilanzrecht.1 Die Grundlagen dazu wurden entwickelt an Fällen im Inland2. In Deutschland finden sich die Ausgangspunkte in § 738 Abs. 2 BGB und in § 305 Abs. 3 S. 2 AktG. § 738 Abs. 2 BGB bezieht sich auf das Ausscheiden eines Gesellschafters aus einer Personengesellschaft (BGB-Gesellschaft). Der Gesellschafter enthält dann eine Abfindung nach dem Wert seines Anteils am Gesellschaftsvermögen. Es heißt dazu: „Der Wert des Gesellschaftsvermögens ist, soweit erforderlich, im Wege der Schätzung zu ermitteln“.
Das verweist zugleich auf § 287 Abs. 2 ZPO für das Vorgehen des Gerichts. § 305 Abs. 3 S. 2 AktG findet sich im Zusammenhang mit dem konzernrechtlichen Unternehmensvertrag (§§ 291 – 310 AktG). Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge müssen nach § 305 Abs. 1 u. 2 AktG eine angemessene Abfindung für die außen stehenden Aktionäre vorsehen, die oft als Barabfindung zu leisten ist: „Die angemessene Barabfindung muss die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung über den Vertrag berücksichtigen“3.
1 Bernhard Grossfeld, Comparative Corporate Governance: Generally Accepted Accounting Principles v. International Accounting Standards?, North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation, 28 (2003) 847. 2 Bernhard Großfeld, Unternehmens- und Anteilsbewertung im Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., Köln 2002, 15; Bernhard Grossfeld, Lawyers and Accountants: A Semiotic Competition, Wake Forest L. Rev. 36 (2001) 167. 3 Für die U.S.A. vergleiche U.S. Inspect, Inc. v. Noris F. McGreevy, 2000 Wl 33232337 (Va. Cir. Ct. 2000).
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II. Internationales Privatrecht Die Begegnung mit dem Internationalen war zunächst nur sporadisch und lief über die Brücke des Internationalen Privatrechts. Hier entwickelte sich bald die Meinung, dass das Bewertungsrecht zum Gesellschaftsstatut gehört4. Das war jedenfalls unangefochten solange in Deutschland die Sitztheorie galt – die aber inzwischen beseitigt ist durch den Europäischen Gerichtshof 5. Heute gilt für Gesellschaften aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums (EU-Auslandsgesellschaften) die Gründungstheorie. Der Bundesgerichtshof ließ sie sogar gelten für Gesellschaften aus den Vereinigten Staaten von Amerika6. Daher dringen ausländische Unternehmensformen in Deutschland vor: Deren Gründungsrecht ist das Gesellschaftsstatut. Berechtigt sind zwar die Hinweise auf das erhöhte Haftungsrisiko des Anwalts bei der Verbreitung ausländischer Rechtsformen7; aber bei vom Ausland gesteuerten inländischen Tochtergesellschaften wird das wenig bewirken. Damit steigen die Kosten für die Einschätzung des „social credits“ eines Unternehmens und erhöhen sich die Transaktionskosten; das ist aber bisher kein Gegenstand der Diskussion unter dogmatisch geschulten Juristen. Jedenfalls lässt die neue Entwicklung Rechnungslegung und Rating nach vorne treten. Die Frage nach dem Bewertungsrecht ist verbunden mit dem anwendbaren Bilanzrecht; denn eine Unternehmensbewertung geht aus von den bilanziellen Grundlagen. Gelegentlich hört man, dass das Bilanzrecht sich nicht nach dem Gründungsrecht richte, sondern weiterhin nach dem Ort des Verwaltungssitzes (Sonderanknüpfung) oder des einschlägigen Kapitalmarktes (Kapitalmarktrecht). Zudem sei das Bilanzrecht öffentliches Recht und damit in hohem Maße Träger nationalen Gemeinwohls8. Gewiss mag man versuchen, gemäß dem Motto „Rette was zu retten ist“, die Folgen der Gründungstheorie zu begrenzen. Aber das dürfte dem europäischen Gebot der Freizügigkeit nicht entsprechen: Die Rechnungslegung ist heute der 4 Bernhard Großfeld, Internationale Unternehmensbewertung, BB 2001, 1836; StaudingerGroßfeld, Internationales Gesellschaftsrecht, 14. Aufl., München 1998, Rn. 369 S. 94. 5 EuGH, Urt. v. 5. 11. 2002 – Rs. C-208 / 00 (Überseering BV . / . Nordic Construction Company Baumanagement GmbH). Dazu ausführlich Werner Ebke, The European Conflictof-Corporate-Laws Revolution: Überseering, Inspire Art and Beyond, The International Lawyer 38 (2004) 813. 6 Einzelheiten bei Bernhard Großfeld, Wandel der Unternehmensverfassung, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2005, 1; Otto Sandrock, Japanische Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland, in: Bernhard Großfeld / Koresuke Yamauchi u. a (Hrsg.), Probleme des deutschen, europäischen und japanischen Rechts, Berlin 2006, S. 85. 7 Jochen Dierksmeier, Die englische Ltd. in Deutschland – Haftungsrisiken für Berater, BB 2005, 1516. 8 Vgl. zur Anknüpfung öffentlichen Rechts Koresuke Yamauchi, Zur Anwendung ausländischer unselbständiger Kollisionsnormen im japanischen internationalen Privatrecht, in: Festschrift für Bernhard Großfeld, Heidelberg 1999, S. 1357, 1364.
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Pfeiler einer Unternehmensverfassung – sie lässt sich dann nicht vom Gesellschaftsstatut lösen. Wer „A“ gesagt hat, muss für die entscheidende Basis auch „B“ sagen. Deshalb ist doch das Gründungsrecht maßgebend für die Rechnungslegung von EU-Auslandsgesellschaften9. Das gilt dann ebenfalls für die Bewertung – jedenfalls bei Abfindungen an Gesellschafter; sie läuft damit parallel zur Bewertung im Rahmen des good will impairment test (Werthaltigkeitsprüfung) nach den europäischen International Financial Reporting Standards (IFRS)10. Gewiss steht das Recht am Ort des Verwaltungssitzes (z. B. das Deutsche) den zu bewertenden Tatsachen näher als das Gründungsrecht (z. B. das Englische); aber in beiden Fällen lässt sich die Bewertung nicht von der Rechnungslegung lösen. Für nichteuropäische Auslandsgesellschaften sind dagegen das Gesellschaftsstatut und damit das Bewertungsrecht aus europarechtlicher Sicht offen.
III. Grenzüberschreitende Bewertung Inzwischen genügt aber das Internationale Privatrecht nicht mehr. Denn zunehmend begegnen wir Verschmelzungen über die Grenze hinweg, bei denen wir trotz unterschiedlicher Gesellschaftsstatute doch einheitlich bewerten müssen. Denn bei Verschmelzung müssen wir feststellen das Verhältnis der beiden Unternehmenswerte zueinander – und dazu bedürfen wir gleicher Standards für beide Seiten11. Dieses Problem spitzt sich zu durch die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea); sie beruht auf einer Verordnung des Ministerrates der Europäischen Union12. Danach kann die Gesellschaft nur grenzüberschreitend gegründet werden, z. B. durch den Zusammenschluss nationaler Gesellschaften. Das verlangt gemäß Art. 32 Abs. V der Verordnung europäische Standards der Bewertung – die uns bisher fehlen.
IV. Globale Bewertung Aber die Entwicklung ist selbst darüber hinweggegangen. Oft geht es nicht mehr um Beziehungen innerhalb begrenzter Räume, sondern um globale Verhältnisse. 9 Wolfgang Schön, EG-Auslandsgesellschaften im deutschen Handelsbilanzrecht: in: Festschrift Andreas Heldrich, München 2005, S. 391. 10 Dazu Entwurf IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung: Bewertungen bei der Abbildung von Unternehmenserwerben und bei Werthaltigkeitsprüfungen nach IFRS, Die Wirtschaftsprüfung 2004, 1482. 11 Bernhard Großfeld, Europäische Unternehmensbewertung, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2002, 353; ders., Cross-Border Mergers: Corporate Accounting / Corporate Valuation, Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft, 101 (2002) 1. 12 EG Nr. 2157 / 2001 v. 8. 10. 2001.
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Das zeigt sich an den Insolvenzen oder Reorganisationen multinationaler Unternehmen, wie etwa Global Crossing, Enron, WorldCom und Swissair13 Immer wieder sind auch Konzerne zu bewerten mit vielen Tochterunternehmen rund um den Globus, wobei im Vordergrund steht der Wert für Gläubiger14. Da ist dann zu unterscheiden zwischen Liquidationswert und Fortführungswert.
V. Globalität / Lokalität Doch darf uns der Begriff „global“ gerade im Bewertungsrecht nicht irreführen15. Bewerter benutzen zwar manche mathematischen Verfahren und berufen sich oft auf Zahlen16. „Bewertungen“ sind aber stets „Meinungen“, die von lokalen Umständen geprägt sind17. Wissen ist lokal!18 Immer geht es daher um „Kultur Mathematik“ – was uns verweist auf den Zusammenhang von Unternehmenskultur und Rechtskultur19, wie wir ihn vom allgemeinen Unternehmensrecht her kennen. Es ist aber noch mehr als das. Bei globalen Bewertungen müssen wir die jeweiligen lokalen Umstände kennen und uns in sie einfühlen. So entsteht eine „glokale“ Sicht. Das schaffen wir alleine nicht. Wir benötigen vielmehr die Hilfe eines Bewerters aus der anderen Kultur und ein Gespräch mit ihm; nur so entsteht eine interkulturelle Unternehmensbewertung20.
13 Bernhard Großfeld, Global Valutation: Geography and Semiotics, Southern Methodist University L. Rev., 55 (2002) 197; ders., Globale Unternehmen bewerten, in: Markus Heintzen / Lutz Kruschwitz (Hrsg.), Unternehmen bewerten, Berlin 2003, S. 101. 14 Bernhard Großfeld, Global Corporate Reorganization / Global Corporate Governance: Imperfect Information and Credible Commitment, Richmond J. of Global Law and Business. 89 (2004); Christoph G. Paulus, Die Insolvenz als Sanierungschance – ein Plädoyer, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 2005, 309. 15 Vgl. Ralf Michaels, Welche Globalisierung für das Recht?, Welches Recht für die Globalisierung? Rabels Zeitschrift 69 (2005) 527. 16 Bernhard Großfeld / Rüdiger Stöver, Ermittlung des Betafaktors in der Unternehmensbewertung: Anleitung zum „Do it yourself“, BB 2004, 2799; dies. / Wolf Achim Tönnes, Neue Unternehmensbewertung, Betriebsberater – Spezial 7 / 2005, 2. 17 Bernhard Grossfeld, Global Financial Statements / Local Enterprise Valuations, Journal of Corporation Law, 29 (2004) 337. 18 Holger Bonus, Globalisierung, Heimat, Identität, Neue Zürcher Zeitung, 23. / 24. 7. 2005, Nr. 170, S. 19. 19 Bernhard Großfeld, Unternehmensbewertung und Rechtskultur, in: FS Richard Buxbaum, London u. a. 2000, S. 205. 20 Vgl. Bernhard Großfeld, Rechtsvergleichung, Wiesbaden 2001.
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VI. Widerstände Das ist schwieriger als man sich zunächst vorstellt, weil man sich selbst in „wissenschaftlichen“ Ansätzen verfehlen und aneinander vorbeireden kann – wenn man die eigenen Ansichten nicht als kulturbedingt erkennt. Paradebeispiel dafür ist die Frage, ob vor oder nach Steuern zu bewerten ist, ob die Bewertung also steuerneutral sein soll. Den „wissenschaftlichen Traum“ einer Steuerneutralität pflegt man gerade in Deutschland: Danach sind sowohl bei den Erträgen des Unternehmens als auch bei den Erträgen der Anteilseigner die jeweiligen Ertragssteuern abzusetzen. Für die Anteilseigner geht man dabei davon aus, dass deren Steuerbelastung durchschnittlich bei 35% liegt. Die Höhe der Besteuerung hängt aber davon ab, ob die Erträge im Unternehmen bleiben oder ausgeschüttet werden. Daher hat das Institut der Wirtschaftprüfer gerade den Vorschlag gemacht, für die Bewertung auf das Ausschüttungsverhalten des Unternehmens abzustellen21. Diese Vorstellungen lassen sich schwerlich interkulturell einbringen. Die durchschnittliche Steuerlast ist verknüpft mit vielen Unwägbarkeiten22. Der wachsende Trend zu Steueroasen bringt die Durchschnittsbetrachtung schnell an ihre Grenzen, sie mag Anteilseigner in Steueroasen unangemessen begünstigen zu Lasten der Anteilseigner im Inland. Das Ausschüttungsverhalten lässt sich vor allem bei Personengesellschaften kaum prognostizieren.
VII. Stellung des Unternehmens Die Höhe der Abfindung kann beeinflusst sein durch die andere soziale Einschätzung des Unternehmens und des Verhältnisses zu seinen Anteilseigner. Zwar meinen Henry Hansmann und Reinier Kraakman23, dass diese Beziehung heute fast überall gleich gesehen werde: Der Ansatz beim „shareholder value“ habe sich weltweit durchgesetzt. Aber so ist es nicht24. Der Aufsatz erschien nur einige Monate vor dem Untergang des amerikanischen Großunternehmens „Enron“ – und damit begann die Einsicht, dass „shareholder value“ zwar verkündet, aber in Wahrheit ein „management value“ gepflegt wurde25. 21 Entwurf einer Neufassung des IDW Standards: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW ES 1 n. F.), Die Wirtschaftsprüfung 2005, 28. Dazu Bernhard Großfeld / Rüdiger Stöver / Wolf Achim Tönnes, Neue Unternehmensbewertung, Betriebsberater – Spezial 7 / 2005, S. 2. 22 Volker H. Peemöller / Christoph Beckmann / Matthias Meitner, Einsatz eines Nachsteuer CAPM bei der Bestimmung objektivierter Unternehmenswerte – eine kritische Analyse des IDW ES 1 n. F., BB 2005, 908. 23 Henry Hansmann / Reinier Kraakman, The End of History in Corporate Law, 89 Georgetown L. J. 439 (2001). 24 Paddy Ireland, Company Law and the Myth of Shareholder Ownership, Modern L. Rev. 62 (1999) 32.
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Vor allem das Insolvenzrecht zeigt uns, dass immer noch große öffentliche Interessen um Unternehmen kreisen. Die Reorganisation eines Unternehmens will ja gerade erreichen, dass das Unternehmen im Interesse der Allgemeinheit erhalten bleibt, als Arbeitgeber, als Steuerzahler, als lokaler Kulturträger26. Diese Gesichtspunkte spielen hinein in die Höhe der Abfindung. Das kann bei sonst gleichem Recht zu unterschiedlichen Abfindungen führen.
VIII. Anteiliger Wert / Anteilswert Unterschiedliche Sichten gibt es bei der Frage, ob man auf den anteiligen Wert des Unternehmenswert oder auf den Wert des Anteils sieht. Stellt man das Unternehmen in den Vordergrund, so kommt es vor allem an auf die Verhältnisse in dem Unternehmen. Sieht man dagegen auf den isolierten Anteil, so kommt es auf dessen Marktpreis an – das führt eher zum Ansatz von Börsenkursen27. Das deutsche Recht geht aus vom anteiligen Unternehmenswert, wie sich erweist am Wortlaut des § 305 Abs. 3 S. 2 AktG: Die Abfindung muss „die Verhältnisse der Gesellschaft . . . berücksichtigen“. Das ist nicht eine Folge der alten Theorie vom „Unternehmen an sich“, sondern lässt das Unternehmen als ein Bündel von Interessen erscheinen – nicht nur der Interessen der Anteilseigner. Die Beachtung öffentlicher Interessen ist berechtigt wegen der Privilegien, welche die Aktiengesellschaft genießt: Sie „lebt“ zeitlich unbeschränkt, wie es „keinem Sterblichen zuteil“ wird; sie braucht nie Erbschaftssteuer zu zahlen. Es liegt nahe, dass das Recht dafür einen Ausgleich verlangt durch höhere soziale Verantwortlichkeit; sie kann sich äußern in niedrigeren Ansprüchen der Anteilseigner. Dem entspricht die Meinung des US-amerikanischen Financial Accounting Standard Nr. 142: „Der Markpreis einer einzelnen Aktie . . . mag nicht den angemessenen Preis des Ganzen spiegeln. Deshalb ist der Marktpreis einer Aktie nicht der einzige Maßstab für den angemessenen Preis des Ganzen“.
25 Bernhard Grossfeld, Global Corporate Governance and Legal Education, Law and Business Reviews of the Americas, 11 (2005). Vgl. auch Jean Jacques Du Plessis / James McConvill / Mirko Bagaric, Principles of Contemporary Corporate Governance, Cambridge 2005. 26 Bernhard Großfeld, Changing Concepts of Rules: Global Corporate Assessment, 8 Law and Business Reviews of the Americas, 8 (2002) 341; Bernhard Großfeld, Globales Rating, Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft 101 (2002) 387. 27 Welf Müller, Anteilswert oder anteiliger Unternehmenswert? – Zur Frage der Barabfindung bei der Kapitalmarkt orientierten Aktiengesellschaft, in: Festschrift für Volker Röhricht, Köln 2005, S. 1015.
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IX. Börsendaten Doch dringen Börsendaten zunehmend in die Bewertung ein. Das zeigt sich vor allem beim Risikozuschlag als Teil des Kapitalisierungszinssatzes. Die Höhe dieses Zuschlags ermittelt man bei börsennotierten Unternehmen aus den Kursschwankungen (Volatilität) der Kurse eines bestimmten Börsensegments (z. B. des DAX) während einer bestimmten Zeit (z. B. 90 Tage). Die Volatilität misst man über den „Betafaktor“28. Die Wahl dieses Elements bietet sich an, wenn man die Börse als repräsentativ ansieht für die Wertbildung bei Unternehmen insgesamt. Dafür kommt es darauf an, wie das Verhältnis von börsennotierten und nicht börsennotierten Unternehmen ist. Insoweit mögen Unterschiede bestehen z. B. zwischen Deutschland einerseits und Österreich oder der Schweiz andererseits. Trotz aller Mathematik bleibt der Betafaktor doch „Glaubenssache“.
X. Börsenkurse Das führt schließlich zu der Frage, inwieweit Börsenkurse unmittelbar für die Bewertung heranzuziehen sind. Allgemein lässt sich heute die Tendenz erkennen, Börsenkurse als Wertbilder heranzuziehen. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat den Börsenkurs grundsätzlich als untere Grenze der Abfindung gesehen29; Welf Müller möchte den Börsenkurs zum alleinigen Maßstab der Abfindung machen. Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat demgegenüber die Heranziehung von Börsenkursen als unzuverlässig verworfen30. Die Antwort hängt davon ab, ob eine Kultur die Rechnungslegung und die Organisation der Börse als zuverlässig betrachtet. Eine Rolle spielt auch, wie man zu Börsengeschäften von Insidern steht: Wenn man sie konsequent ausschließt, entfällt eine der besten (vielleicht sogar die beste der) Informationsquellen.
XI. Zinsen Den Zinssatz für die Abzinsung künftiger Erträge oder Cashflows finden wir bisher eher in einem nationalen oder europäisch-amerikanischen Rahmen. Namentlich den Risikozuschlag können wir indes nicht mehr nach heimischen Konventionen finden. Global tätige Unternehmen sind den Stürmen internationaler Finanzen komplexer ausgesetzt. Deshalb müssen wir vielleicht eine höhere „Chaos Klasse“ erwägen. International wird es besonders schwierig, wenn wir einer Kultur begegnen, die – wie etwa die Islamische – Zins und Zinseszins verbietet31. Mehrere Suren des 28 29 30
Bernhard Großfeld / Rüdiger Stöver, Ermittlung des Betafaktors, oben Fn. 16. Zeitschrift für Insolvenzpraxis 1999, 1436. ÖZW 2003, 12.
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Koran werden im Sinne eines Zinsverbots gedeutet. Der Oberste Gerichthof von Pakistan bestätigte es 2002; inzwischen ist die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen. Wir können uns eine Bewertung ohne die Abzinsung der zukünftigen Erträge oder Cashflows kaum vorstellen. Was machen wir, wenn uns die andere Kultur keinen Vergleichszins zur Verfügung stellt. Es bleibt dann wohl nur, abzustellen auf die dortigen Ertragsbeteiligungen (ohne Risikozuschlag).
XII. Rating Es ist klar, dass diese Unterschiede auch in das globale Rating einschleichen32. Das Rating tritt in das Zentrum des modernen Finanzrechts, wie wir sehen an „Basel II“ (als Anweisung für das Rating durch Banken) und an „Solvency II“ (als Anleitung für die Einschätzung von Versicherungen). Das wird die Techniken der Bewertung allgemein beeinflussen. Hierbei ist wichtig, wie eine Kultur Risiken einschätzt so wie die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen und deren Kosten33, und welche ausgleichenden Einflüsse sie beachtet. So mag etwa die Einbindung in das chinesische „guanxi“ System und die Pflicht „das Gesicht der Gruppe“ zu wahren als ein positiver Faktor erscheinen, den andere Kulturen so nicht kennen. Aber bisher fehlen uns dafür noch die Kenntnisse34.
XIII. Schluss Der kleine Beitrag soll zeigen, wie die anscheinend so nüchterne und so von Zahlen beherrschte Unternehmensbewertung auf kulturellen Vorgaben beruht, die wir uns im Allgemeinen nicht bewusst machen. Sie sind mitunter auch schwer zu übersetzen35. Aber es sind gerade diese unsichtbaren und unhörbaren Muster, die unsere Wertbildung lenken36. Das ist aber kein Anlass, vor globalen Bewertungen zurückzuschrecken. Wenn wir der anderen Kultur offen und achtungsvoll ent31 Bernhard Großfeld / Josef Hoeltzenbein, Globale Zeichenmacht / Globale Zeichenkontrolle: Zins und Zinseszins, Zeitschrift Vergleichende Rechtswissenschaft 104 (2005) 31. 32 Bernhard Großfeld, Globales Rating, Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft 101 (2002) 387; ders., Changing Concepts of Rules, oben Fn. 26. 33 Otto Sandrock, Praktische Rechtsvergleichung, in: Otto Sandrock / Bernhard Großfeld u. a. (Hrsg.), Rechtsvergleichung als zukunftsträchtige Aufgabe, Münster 2005, S. 1. 34 Bernhard Großfeld, Neue Seidenstraße, Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft 103 (2004) 395; ders. / Josef Hoeltzenbein, Globalisation and the Limits of Language: Comparative Legal Semiotics, Rechtstheorie 35 (2004) 87. 35 Bernhard Grossfeld, Comparatists and Language, in: Pierre LeGrand / Roderick Munday (eds), Comparative Legal Studies: Traditions and Transitions, Cambridge 2003, p. 154. 36 Bernhard Großfeld, Dichtung und Recht, in: Festschrift Peter Nobel, Bern 2005, S. 1129.
Interkulturelle Unternehmensbewertung
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gegentreten, können wir Gesprächspartnern begegnen, die mit uns ins Gespräch kommen wollen. Beim gemeinsamen „Wandern“ überqueren wir Brücken und „erfahren“ wir Antworten selbst da, wo wir sie nicht vermuten37. Mit diesem Aufsatz möchte ich ehren den rechtsvergleichenden „Brückenbauer“, meinen lieben Kollegen und Freund Koresuke Yamauchi; Frau Harue Yamauchi beziehe ich dankbar darin ein.
37 Vgl. Koresuke Yamauchi, Laufen und Recht, in: Bernhard Großfeld / Koresuke Yamauchi u. a. (Hrsg.), Probleme des deutschen, europäischen und japanischen Rechts, Berlin 2006, S. 185.
Ist unser Pflichtteilsrecht noch zeitgemäß? Von Dieter Henrich
Wenn ein deutscher Erblasser durch eine Verfügung von Todes wegen bestimmte nahe Angehörige von der Erbfolge ausschließt oder ihnen weniger zuwendet als die Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils, dann können diese Personen den Pflichtteil verlangen. Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Pflichtteilsberechtigt sind die Abkömmlinge des Erblassers und sein Ehegatte sowie, wenn der Erblasser keine Abkömmlinge hinterlassen hat, die Eltern des Erblassers. So sieht es jedenfalls das deutsche Pflichtteilsrecht vor. Dass der Erblasser nicht nach Belieben über sein Vermögen verfügen kann, sondern zugunsten seiner nächsten Angehörigen Beschränkungen unterliegt, ist keine Besonderheit des deutschen Rechts. Der Satz hat Gültigkeit für nahezu alle Zeiten und Völker. Unterschiedlich ist nur seine Realisierung. Entweder gibt man dem Erblasser nur das Recht, über einen Teil seines Nachlasses zu verfügen, den sog. Freiteil, die quotité disponible, während der Rest kraft Gesetzes den sog. Noterben zusteht, oder man läßt dem Erblasser zwar die Freiheit, über sein Vermögen zu verfügen, gibt den nächsten Angehörigen aber einen Anspruch gegen die Erben auf eine Mindestbeteiligung am Nachlaß, den sog. Pflichtteil. Wenn das so ist, dann ist man geneigt zu sagen: Ein Satz, der schon immer gegolten hat und noch heute weltweit gilt, kann nicht falsch sein. Aber der Jurist darf auch scheinbar feststehende Grundsätze in Frage stellen. Auch tief verwurzelte Überzeugungen können ihre Überzeugungskraft verlieren, wenn sich die Verhältnisse geändert haben. Die Familienverhältnisse haben sich in den letzten hundert Jahren von Grund auf verändert. Darum ist es gerechtfertigt zu fragen: Ist unser Pflichtteilsrecht noch zeitgemäß? Offenbar gibt es doch einige Zweifel. Was sind das nun für Fälle, in denen am Pflichtteilsrecht oder doch jedenfalls an seiner derzeitigen Ausgestaltung gezweifelt wird? In welchen Fällen haben wir Verständnis für den Erblasser, der einen Pflichtteilsberechtigten von der Vermögensnachfolge ausschließen oder ihm doch jedenfalls weniger zukommen lassen möchte, als sein Pflichtteil beträgt? Es lassen sich hier einige typische Fallgruppen bilden: (1) In sehr vielen Fällen geht es dem Erblasser um die Absicherung seines Ehegatten, der im Alter nicht Not leiden soll und auch nicht gezwungen werden soll, die Ehewohnung zu verlassen, damit nach dem Wunsch der Kinder die
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Wohnung oder das Haus verkauft werden kann. Die Kinder leben in gesicherten Verhältnissen, der Erblasser will ihnen den Nachlaß auch nicht entziehen. Sie sollen lediglich warten, bis der andere Elternteil ebenfalls verstorben ist. (2) Eine zweite Fallgruppe bilden die Fälle, in denen der Erblasser zwischen seinen Abkömmlingen differenzieren möchte, weil eines seiner Kinder bedürftiger ist als das andere. Der Sohn hat ein gutes Einkommen und ist kinderlos, die Tochter hat drei kleine Kinder und ist arbeitslos oder krank. (3) Eine weitere Gruppe bilden die Fälle, in denen ein Familienunternehmen nur dann wirtschaftlich weiterbetrieben werden kann, wenn es in einer Hand bleibt und der als Alleinerbe eingesetzte Unternehmensnachfolger nicht gezwungen ist, die Pflichtteilsansprüche seiner Geschwister (oder auch der Ehefrau des Erblassers) zu befriedigen. (4) Und schließlich gibt es auch den Fall, daß zwischen dem Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten eine völlige Entfremdung eingetreten ist – der Sohn verkehrt mit seinem Vater nur noch über seinen Rechtsanwalt – oder daß eine Beziehung sogar niemals bestanden hat – die Mutter eines nichtehelichen Kindes hat jeglichen Kontakt des Kindes mit dem Vater verhindert. All das sind Fälle, in denen man an der Billigkeit der Pflichtteilsforderung zweifeln kann. Allgemein wird man sagen können, daß ein Erblasser, der seine nächsten Angehörigen enterbt, dafür wohl seine Gründe haben wird. Die eigenen Kinder oder den Ehegatten enterbt man nicht leichtfertig. Die Rechtsordnung kann diese Gründe billigen oder mißbilligen. Erkennt sie die Gründe nicht an, so bleibt es bei dem Pflichtteilsrecht. Hält sie die Gründe für billigenswert, so gibt sie dem Erblasser das Recht der Pflichtteilsentziehung. Der Katalog der Pflichtteilsentziehungsgründe ist aber eng begrenzt. Die Fälle, von denen wir gerade gesprochen haben, fallen nach deutschem Recht nicht darunter. Die Diskussion um das Pflichtteilsrecht ist seit ein paar Jahren in Deutschland neu entbrannt. Erster Anlass war die Verfassungsbeschwerde eines Mannes, der von seiner Frau als Alleinerbe eingesetzt worden war und es nicht hinnehmen wollte, dass einer seiner drei Söhne, mit dem er nicht auf gutem Fuße stand, von ihm den Pflichtteil verlangte. Das Bundesverfassungsgericht hat die Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen – zu Recht; denn es war nicht klar, ob die Erblasserin dem Sohn den Pflichtteil überhaupt entziehen wollte.1 Aber mit diesem Nichtannahmebeschluß war die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Pflichtteilsrechts noch nicht vom Tisch. In welchem Verhältnis das Prinzip der Testierfreiheit und das Prinzip der Verwandtenerbfolge zueinander stehen und ob es von Verfassungs wegen geboten ist, nahen Familienangehörigen auch gegen den Willen des Erblassers eine Mindestbeteiligung am Nachlaß einzuräumen, blieb weiterhin offen2. BVerfG, 30. 8. 2000, FamRZ 2000, 1563. Henrich, Testierfreiheit vs. Pflichtteilsrecht, Schriften der Juristischen Studiengesellschaft Regensburg, Heft 23 (2000). 1 2
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Klarheit brachte erst ein zweiter Beschluß des Bundesverfassungsgerichts3. Hier ging es darum, ob eine Mutter ihren Sohn, der sie wiederholt mißhandelt hatte – und der sie später sogar erschlagen hatte –, wirksam den Pflichtteil entziehen konnte. Die Zivilgerichte hatten die Pflichtteilsentziehung für unwirksam gehalten, weil der Täter geisteskrank war und darum kein Verschulden im strafrechtlichen Sinn vorgelegen hatte. Das Bundesverfassungsgericht gab der Verfassungsbeschwerde statt. Zwar setze der Pflichtteilsentziehungsgrund des § 2333 Nr. 1 BGB („wenn der Abkömmling dem Erblasser . . . nach dem Leben trachtet“) grundsätzlich ein schuldhaftes Fehlverhalten voraus. Werde dieses Kriterium jedoch strikt im strafrechtlichen Sinn verstanden, so könne dies im Einzelfall dem verfassungsrechtlichen Erfordernis eines angemessenen Ausgleichs der einander gegenüberstehenden Grundrechtspositionen widersprechen. Eine solche Situation sei gegeben, wenn der Abkömmling zwar schuldunfähig i. S. des Strafrechts war, aber den objektiven Unrechtstatbestand wissentlich und willentlich verwirklichte. Für unser Thema wichtig sind die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des Pflichtteilsrechts. Sie lauten: „1. Die grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder des Erblassers an dessen Nachlaß wird durch die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG i. V. m. Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet. 2. Die Normen über das Pflichtteilsrecht der Kinder des Erblassers, über die Pflichtteilsentziehungsgründe des § 2333 Nr. 1 und 2 BGB und über die Pflichtteilsunwürdigkeitsgründe der §§ 2345 Abs. 2, 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB sind mit dem Grundgesetz vereinbar.“ Diesen Aussagen kann man durchaus zustimmen. Sie könnten auch für die Auslegung des § 892 des japanischen Bürgerlichen Gesetzbuchs (Mißhandlung des Erblassers) von Interesse sein. Aber sie geben keine Antwort auf die Frage, ob das Pflichtteilsrecht in seiner derzeitigen Ausgestaltung noch zeitgemäß ist. Der Umstand, daß eine Norm verfassungsgemäß ist, schließt ihre Anpassung an geänderte Verhältnisse oder geänderte Wertvorstellungen nicht aus. Der Gesetzgeber hat hier einen Ermessensspielraum. Er kann, ohne das Pflichtteilsrecht in seinem Kern anzutasten, den Kreis der Pflichtteilsberechtigten erweitern – wie er es in Deutschland mit der Einbeziehung der nichtehelichen Kinder (und zugleich auch der nichtehelichen Väter) und neuerdings auch des gleichgeschlechtlichen Lebenspartners in den Kreis der Pflichtteilsberechtigten getan hat – er kann ihn aber auch verkleinern, er kann die Voraussetzungen bestimmen, unter denen ein Pflichtteilsrecht geltend gemacht werden kann, er kann die Höhe des Pflichtteilsanspruchs variieren, und er kann auch die Gründe für eine Pflichtteilsentziehung den veränderten sozialen Gegebenheiten anpassen. Wie groß die Variationsbreite ist, die für eine zeitgemäße Regelung des Pflichtteilsrechts besteht, zeigt die Rechtsvergleichung. Das beginnt schon mit dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten. Nicht überall sind dieselben Angehörgen pflichtteilsberechtigt wie bei uns. In den Vereinigten Staaten sind fast überall nur die Ehe3
BVerfG, 19. 4.2005, FamRZ 2005, 872.
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gatten pflichtteilsberechtigt, nicht aber die Kinder oder die Eltern des Erblassers. Die einzige Ausnahme bildet Louisiana, das auch den Kindern einen Mindestanspruch zubilligt. In Frankreich waren bis vor kurzem nur die Kinder und die Eltern des Erblassers Noterben, nicht auch der überlebende Ehegatte. In Dänemark und Schottland sind der überlebende Ehegatte und die Kinder pflichtteilsberechtigt, nicht aber die Eltern. In Tschechien, Schweden, Norwegen und den Niederlanden haben nur die Kinder ein Pflichtteilsrecht. Das Pflichtteilsrecht der Eltern hat man in den Niederlanden vor einigen Jahren, 1996, abgeschafft. Es gibt also, weltweit gesehen, keine communis opinio über den Kreis der Pflichtteilsberechtigten. Unterschiedlich sind auch die Voraussetzungen des Pflichtteilsrechts. In einer Reihe von Staaten wird das Bestehen eines Pflichtteilsrechts von der Bedürftigkeit des übergangenen Erben abhängig gemacht. Nach dem Recht der früheren DDR war z. B. nur der Ehegatte des Erblassers uneingeschränkt pflichtteilsberechtigt, den Kindern, den Enkeln und den Eltern des Erblassers stand dagegen ein Pflichtteilsanspruch nur zu, wenn sie im Zeitpunkt des Erbfalls gegenüber dem Erblasser unterhaltsberechtigt waren (§ 396 ZGB). In Louisiana, dem einzigen Einzelstaat der USA, der auch den Kindern ein Pflichtteilsrecht zubilligt, können seit 1990 nur noch Kinder unter 23 Jahren sowie geistig oder körperlich behinderte Kinder eine Mindestbeteiligung am Nachlaß geltend machen. In Polen steht den minderjährigen und arbeitsunfähigen Personen ein höherer Pflichtteilsanspruch zu (nämlich drei Viertel ihrer Erbquote) als den Pflichtteilsberechtigten im allgemeinen. Interessant ist die Rechtslage in England, dem einzigen Land in Europa, in dem es weder ein Pflichtteilsrecht noch ein Noterbrecht gibt. Dort können nämlich bestimmte Personen, nämlich solche, die z. Zt. des Erbfalls vom Erblasser abhängig waren, die dependents, vom Gericht die Zahlung eines angemessenen Betrags, einer reasonable provision, aus dem Nachlaß verlangen, wenn der Erblasser sie in seinem Testament übergangen hat. Das Gericht kann ihnen dann aus dem Nachlaß etwas zuweisen, also mit Mitteln des Nachlasses ihren Unterhalt sicherstellen. Zu diesen Personen gehören der überlebende Ehegatte, ein früherer Ehegatte, der sich nicht wieder verheiratet hat (hier tritt die gewährte Summe an die Stelle des weggefallenen Unterhaltsanspruchs), der Lebensgefährte des Erblassers, der in den zwei letzten Jahren vor dem Tod des Erblassers mit diesem zusammengelebt hat (dieser übrigens auch dann, wenn er nicht vom Erblasser Unterhalt bezogen hat), die Kinder des Erblassers, Stief- und Pflegekinder. Ob und wieviel diese Personen bekommen, entscheidet das Gericht nach seinem Ermessen unter Würdigung der konkreten Situation. Ein behindertes Kind hat größere Chancen, etwas zu bekommen als ein gesundes Kind, das in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten. Dem Kind, das unter beruflichen Opfern den kranken Erblasser gepflegt hat, wird ein größerer Betrag zugebilligt als einem Kind, das sich um den Erblasser nicht gekümmert hat, oder dem Ehegatten, der bereits seit längerer Zeit vom Erblasser getrennt gelebt hat.
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In Deutschland beträgt der Pflichtteil eines Berechtigten in jedem Fall die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Es wird nicht danach differenziert, ob der Berechtigte bedürftig ist oder nicht, ob er zum Vermögen des Erblassers etwas beigetragen hat oder nicht, ob seine Beziehungen zum Erblasser gut oder schlecht waren. Es gibt für den Pflichtteil auch keine Obergrenze. Würde Bill Gates 55 Milliarden Dollar in eine Stiftung einbringen und seinen Kindern nur 5 Milliarden Dollar vermachen, so könnten sie, wenn deutsches Erbrecht gelten würde, Pflichtteilsrestansprüche bis zu einem Betrag von 30 Milliarden Dollar geltend machen. In den USA müßten sie sich mit dem zufrieden geben, was ihnen ihr Vater vermacht hat. In Norwegen stehen den Pflichtteilsberechtigten – das sind dort nur die Abkömmlinge – grundsätzlich zwei Drittel des Nachlasses als Pflichtteil zu, aber: Der Pflichtteil ist in seiner Höhe begrenzt. Ein Kind kann nicht mehr verlangen als (umgerechnet) 125.000 €. In Österreich wird differenziert zwischen dem Pflichtteil der Abkömmlinge und des Ehegatten einerseits und dem Pflichtteil der Aszendenten andererseits. Der Ehegatte und die Abkömmlinge können – ebenso wie in Deutschland – die Hälfte des Wertes ihres gesetzlichen Erbteils als Pflichtteil verlangen, die Aszendenten nur ein Drittel. Seit einem Gesetz aus dem Jahr 1989 gibt es in Österreich auch die Möglichkeit einer Pflichtteilsminderung: Wenn zwischen einem Kind und einem Elternteil zu keiner Zeit ein Naheverhältnis, wie es in einer Familie üblich ist, bestanden hat, kann der Erblasser den Pflichtteil mindern. Das Kind bekommt dann nur seinen halben Pflichtteil (§ 773a ABGB). Gedacht hat der Gesetzgeber dabei insbesondere an nichteheliche Kinder, bei denen es gelegentlich noch immer zu keinem „Naheverhältnis“ zum Vater kommt. Eine sehr interessante Möglichkeit hat der Erblasser in Spanien. Nach spanischem Recht kann der Erblasser, der Abkömmlinge hinterläßt, nur über ein Drittel seines Vermögens frei verfügen, zwei Drittel gebühren den Abkömmlingen. Aber nur ein Drittel steht den Abkömmlingen zu gleichen Teilen zu. Das andere Drittel (die sog. mejora) kann der Erblasser so verteilen, wie er es für richtig hält. Angenommen, ein Erblasser hinterläßt eine Tochter, die sich sehr um ihn gekümmert hat und einen Sohn, der gut verdient, sowie ein Vermögen im Wert von 3 Millionen €, dann kann der Erblasser seiner Tochter sowohl seinen Freiteil als auch die mejora zuwenden und dazu noch die Hälfte des Drittels, das den Kindern gemeinsam zusteht. Insgesamt bekommt dann die Tochter 2 Millionen €, der Sohn muß sich mit 500.000 € zufrieden geben. In dem amerikanischen Uniform Probate Code, der in einer Reihe von Einzelstaaten gilt, wird entsprechend der Vorstellung, daß die Ehe auch eine wirtschaftliche Gemeinschaft ist, dem überlebenden Ehegatten die Hälfte des gemeinschaftlich erwirtschafteten Vermögens zugesprochen. Hat der Ehemann 3 Millionen Dollar erwirtschaftet, die Ehefrau 1 Million Dollar und stirbt der Ehemann vor der Ehefrau, dann kann die Ehefrau, wenn sie mit dem Testament ihres Mannes nicht einverstanden ist, statt dessen 1 Million Dollar verlangen, nämlich die Differenz
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zwischen ihrem Vermögen und der Hälfte des gemeinschaftlich erwirtschafteten Vermögens. Stirbt umgekehrt die Ehefrau vor dem Ehemann, dann kann dieser keinen Pflichtteil geltend machen. Er hat schon mehr als ihm gebührt. Eine zweite Besonderheit kommt hinzu: Als gemeinschaftlich erwirtschaftet gilt das Vermögen der Eheleute nur dann, wenn die Ehe längere Zeit gedauert hat. Bei wenigstens 15jähriger Ehedauer wird angenommen, dass das gesamte Vermögen der Eheleute in der Ehe erwirtschaftet worden ist, bei fünfjähriger Ehedauer wird angenommen, daß nur 30% des Vermögens der Eheleute gemeinschaftlich erwirtschaftet worden sind, bei einjähriger Ehedauer besteht nur ein Anspruch auf 3 % des Vermögens, das die beiden Ehegatten erwirtschaftet haben. Angesichts dieser Variationsbreite möglicher Lösungen stellt sich für eine starre Quotenregelung wie die deutsche, aber auch die japanische, die Frage nach ihrer Legitimation. Wir müssen also fragen: Worin liegt die Rechtfertigung des Pflichtteilsrechts in seiner gegenwärtigen Gestalt. Das ehrwürdige Alter allein kann es nicht sein und ebensowenig die Vorstellung, wie sie sich etwa in der Rechtsphilosophie Hegels findet, daß das Vermögen, das sich ein Mensch erarbeitet hat, nicht ihm, sondern stets der Familie gehört, daß der einzelne das Familienvermögen quasi nur treuhänderisch verwaltet und darum darüber nicht oder nur innerhalb bestimmter Grenzen verfügen kann. Es mag sein, daß in bäuerlichen Kreisen noch die Vorstellung besteht, der Hof müsse in der Familie bleiben, von einer Generation an die andere weitergegeben werden. Aber gerade bäuerliche Kreise haben immer wieder Kritik am Pflichtteilsrecht geübt, weil in vielen Fällen ein Betrieb nur dann wirtschaftlich weitergeführt werden kann, wenn er in einer Hand bleibt, also nicht zerschlagen wird. Dasselbe gilt für andere mittelständische Unternehmen, z. B. Handwerksbetriebe. Den Wunsch, Vermögen zusammenzuhalten, haben natürlich auch die Inhaber größerer Vermögen. Im 19. Jahrhundert hat man das Pflichtteilsrecht u. a. auch damit gerechtfertigt, daß es der Konzentration von Vermögensmassen und wirtschaftlicher Macht entgegenwirke und damit eine Freiheit sichernde Funktion wahrnehme. Auch dieses Argument kann uns heute nicht mehr überzeugen. Wirtschaftliche Macht wird in unseren Tagen nicht mehr von Einzelpersonen ausgeübt, sondern von Verbänden und Großunternehmen. Die wirtschaftliche Macht in den Händen von Einzelpersonen empfinden wir nicht mehr als Problem und schon gar nicht mehr als Bedrohung unserer Freiheit. Bleiben wir bei dem Familienvermögen. Zur Verteidigung des Pflichtteilsrechts wird gesagt, es sei nicht mehr als recht und billig, daß gemeinsam geschaffenes Vermögen auch allen Mitgliedern der Familie zukommen müsse4. Das ist richtig, aber: Wer hat das Vermögen zusammen mit dem Erblasser geschaffen? Die Familie von heute ist nach einer häufig gebrauchten Formulierung5 eine Erziehungs-, Kon4 5
von Lübtow, Erbrecht I (1971), S. 556; Otte, 59. Deutscher Juristentag 1992, M 224. Leipold, AcP 180, S. 175.
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sum- und Freizeitgemeinschaft. Nur in sehr wenigen Fällen ist sie zugleich auch noch eine Produktionsgemeinschaft. In der Regel verlassen die Kinder das Elternhaus spätestens nach Abschluß ihrer Ausbildung, die Eltern arbeiten nur sehr selten unentgeltlich im Geschäft ihrer Kinder mit. Weder die Kinder des Erblassers noch seine Eltern können also im Regelfall einen Pflichtteilsanspruch aus ihrer Mitarbeit ableiten. Es bleibt der Ehegatte. Der Ehegatte wird aber für seine Mitarbeit im Geschäft regelmäßig eigens entschädigt, sei es durch güterrechtliche Ausgleichsansprüche oder sei es – bei Gütertrennung – mit Hilfe schuldrechtlicher Konstruktionen, in Deutschland z. B. durch die nachträgliche Konstruktion einer sog. Innengesellschaft, in Frankreich durch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung. Völlig untauglich ist das Argument, eine Beteiligung am Familienvermögen sei wegen der geleisteten Mitarbeit nicht mehr als recht und billig dann, wenn im konkreten Fall der überlebende Ehegatte überhaupt nichts oder fast nichts zum Vermögen des Erblassers beigetragen hat. Zu denken ist hier an die Fälle, daß eine Ehe nur von kurzer Dauer war oder daß das Vermögen des Erblassers nicht von ihm selbst erwirtschaftetes, sondern ererbtes Vermögen war. In beiden Fällen fehlt dem Pflichtteilsanspruch des überlebenden Ehegatten eine überzeugende Rechtfertigung. Im deutschen gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft wird ererbtes Vermögen dem Anfangsvermögen hinzugerechnet und damit vom Zugewinnausgleich ausgenommen (§§ 1374 Abs. 2 BGB). Es ist nicht konsequent, wenn im Erbrecht der Gesetzgeber dem überlebenden Ehegatten auch bezüglich dieses Vermögens ein Pflichtteilsrecht einräumt. Schon vor dem Inkrafttreten des BGB hat sich das Reichsgericht zur inneren Berechtigung des Pflichtteilsrechts – damals noch zum Pflichtteilsrecht des Preußischen Allgemeinen Landrechts – wie folgt geäußert: „Sowohl die Naturrechtslehrer, wie Grotius, Thomasius und Pufendorf, als auch die praktischen Juristen, unter deren Einfluß die Redaktoren des Allgemeinen Landrechts standen, waren der Ansicht, daß ein Pflichtteilsrecht nur soweit eine innere Berechtigung habe, als die Eltern verpflichtet seien, für die Erziehung und Alimentierung unerwachsener Kinder auch nach ihrem Tod die nötigen Mittel zu schaffen“6. Damit ist ein wichtiger Punkt angesprochen. Das Pflichtteilsrecht läßt sich rechtfertigen, wenn es der Existenzsicherung der nächsten Angehörigen dient7. Das entspricht dem Subsidiaritätsprinzip. Existenzsicherung ist zunächst Sache der Familie. Nur wenn deren Mittel nicht hinreichen, hat die größere Gemeinschaft, der Staat, diese Aufgabe zu übernehmen. Seit dem Inkrafttreten des BGB haben sich hier allerdings die Akzente verschoben. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist in den letzten 100 Jahren ständig 6 RGZ 6, 247, 248. Zum Streit um die naturrechtliche Begründbarkeit des Testaments vgl. Klippel, Familie versus Eigentum, Savigny Ztschr, Germ. Abteilung 100 (1984), 114. 7 Staudinger / Haas (1998), Vorbem. zu §§ 2303 ff., Rz. 18.
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gestiegen, von 44 Jahren bei Inkrafttreten des BGB auf 80 Jahre heute. Der typische Erblasser von heute hinterläßt keine unmündigen Kinder mehr. Seine Kinder sind im Regelfall zwischen 40 und 60 Jahre alt und haben sich bereits eine eigene Existenz aufgebaut. Eine Starthilfe brauchen heute nicht mehr die Kinder des Erblassers, sondern seine Enkel. Unterhaltsbedürftig sind im Regelfall nicht mehr die Kinder, sondern der Ehegatte und die infolge der höheren Lebenserwartung häufig pflegebedürftigen Eltern des Erblassers. Die Eltern scheiden indessen als Pflichtteilsberechtigte aus, solange Kinder vorhanden sind. Geändert hat sich aber in den letzten 100 Jahren nicht nur die Lebenserwartung, geändert haben sich auch die sozialen Verhältnisse. Das soziale Netz ist enger geknüpft als früher. Die wirtschaftliche Existenz der Hinterbliebenen ist heute auch ohne Erb- und Pflichtteilsrecht einigermaßen gesichert8. In vielen Fällen sind die Hinterbliebenen-Bezüge mehr wert als der Nachlaß. Würde man die Witwenpension kapitalisieren und dem Nachlaß hinzurechnen, so würde die überlebende Ehefrau häufig schon dadurch mehr bekommen, als ihr kraft Erbrechts zusteht. Gestützt wird die „Familienbindung“ des Vermögens häufig auf den Gedanken der familiären Solidarität. Die Familie ist eine Solidargemeinschaft. Ihre Mitglieder gewähren sich gegenseitig Unterstützung und Beistand. Wer Unterstützung schuldet, ist verpflichtet, etwas zu geben, insbesondere also Unterhalt zu leisten. Wer Beistand schuldet, ist verpflichtet, etwas zu tun, z. B. den bedürftigen Vater oder die bedürftige Mutter im Alter oder im Krankheitsfall zu pflegen. Auf Unterhalt kann man klagen. Beistand, also menschliche Solidarität, läßt sich nicht erzwingen. Solidarität setzt eine intakte Familie voraus. Solidarität kann nur erwarten, wer auch seinerseits bereit ist, Solidarität zu üben. Diese Bereitschaft hat bekanntermaßen nachgelassen. Eine Umfrage in Deutschland in den 80er Jahren hat ergeben, daß die Zahl derjenigen, die jede Verantwortung für Verwandte bestreiten, bei den Personen unter 30 Jahren doppelt so groß ist wie bei den Personen, die über 60 Jahre alt sind, und daß immer mehr Personen nur noch diejenigen unterstützen wollen, zu denen ein enger Kontakt besteht und denen man sich durch gegenseitige Sympathie verbunden weiß. 1992 hat der Deutsche Juristentag gefordert, die generelle Verwandtenunterstützungspflicht abzuschaffen und eine Unterhaltspflicht nur noch für Eltern gegenüber ihren unmündigen oder noch in der Ausbildung befindlichen Kindern bestehen zu lassen9. Sollte diese Forderung irgendwann einmal in die Tat umgesetzt werden, könnte dies sicher nicht ohne Auswirkungen auf das Pflichtteilsrecht volljähriger Kinder beim Tod ihrer Eltern bleiben. Aber nicht nur in diesem Zusammenhang, sondern auch bei gestörtem Kontakt, insbesondere, wenn alle Beziehungen abgebrochen worden sind, taugt der Gedanke der familiären Solidarität nicht mehr als Rechtfertigung eines Pflichtteilsanspruchs, es sei denn, daß der Pflichtteilsberechtigte vor dem Abbruch der BeLeipold, a. a. O., S. 188. FamRZ 1992, 1276. Für einen Wegfall der Unterhaltspflicht der Kinder gegenüber ihren Eltern hat sich auch der Deutsche Juristinnenbund ausgesprochen (FamRZ 1992, 912). 8 9
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ziehung Solidarleistungen gegenüber dem Erblasser erbracht hat, z. B. den alten oder kranken Erblasser gepflegt hat. Versuchen wir, aus dem Gesagten eine vorläufige Bilanz zu ziehen: Was zunächst das Pflichtteilsrecht der Kinder angeht, so haben wir festgestellt, daß fast überall in der Welt Kinder ein Pflichtteils- oder Noterbrecht haben. Die Geltendmachung wird aber in einer Reihe von Staaten an Voraussetzungen geknüpft: Eine Voraussetzung ist vielerorts die Bedürftigkeit. Nur derjenige, der im Zeitpunkt des Erbfalls gegenüber dem Erblasser unterhaltsberechtigt war, soll ein Pflichtteilsrecht geltend machen können. Nur derjenige, der zum Zeitpunkt des Erbfalls vom Erblasser unterhalten worden ist, soll etwas aus dem Nachlaß bekommen. Hinter solchen Regelungen stehen primär, aber nicht nur fiskalische Erwägungen. Der Staat, die größere Gemeinschaft, soll nur dann anstelle des Verstorbenen die Unterhaltslast übernehmen, wenn der Unterhalt nicht – wenigstens zu einem Teil – aus dem Nachlaß des bisher Unterhaltspflichtigen gedeckt werden kann. Das ist nichts anderes als ein Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips. Insoweit muß sich der Erblasser oder der von ihm eingesetzte Erbe den Eingriff in die Testierfreiheit gefallen lassen. In manchen Rechtsordnungen, z. B. in Österreich, geht die Unterhaltspflicht des Erblassers sogar auf seine Erben über, die dann bis zur Höhe des Nachlasses für den Unterhalt haften (§ 142 ABGB)10. Der Umkehrschluß würde dann lauten: Wer im Zeitpunkt des Erbfalls nicht unterhaltsbedürftig war, kann nicht oder jedenfalls nicht ohne weiteres eine Mindestbeteiligung am Nachlaß fordern, es sei denn, daß seine Forderung aus anderen, besonderen Gründen gerechtfertigt erscheint. Solche besonderen Gründe wären etwa gegeben, wenn ein Kind Solidarleistungen gegenüber dem Erblasser erbracht hat: Mitarbeit im Haushalt, Beruf oder Geschäft des Erblassers, erhebliche Geldleistungen zur Erhaltung oder Vermehrung des Vermögens des Erblassers, Pflege des Erblassers während einer längeren Zeit. Solche Solidarleistungen haben in Deutschland auch schon de lege lata Bedeutung, allerdings nur dann, wenn der Erblasser mehrere Abkömmlinge hinterlassen hat. Im Verhältnis der Abkömmlinge untereinander sind nämlich bei der Auseinandersetzung diese besonderen Leistungen zu berücksichtigen und dasselbe gilt auch, wenn einer von mehreren Abkömmlingen einen Pflichtteilsanspruch geltend macht (§§ 2057a, 2316 BGB). Der Rechtsgedanke, der hinter dieser Regelung steht, läßt sich durchaus auf die Frage übertragen, welche besonderen Umstände einen Pflichtteilsanspruch als legitim erscheinen lassen können. Ein besonderes Problem stellen die Fälle dar, in denen der Erblasser seinen Ehegatten vor einer sofortigen Erbauseinandersetzung schützen will. Die Ehegatten er10 Vgl. Henrich, Zur Qualifikation von Unterhaltsansprüchen gegen den Nachlaß, FS Gernhuber (1993), S. 667.
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richten ein gemeinschaftliches Testament, setzen sich darin gegenseitig zu Alleinerben ein und bestimmen die Kinder zu Schlußerben. Hier geschieht es bekanntlich immer wieder, daß die Kinder, insbesondere dann, wenn sie aus einer früheren Ehe des Erblassers stammen oder nichtehelich sind und darum zu dem überlebenden Ehegatten ein eher distanziertes Verhältnis haben, nicht bis zu dessen Tod warten wollen, sondern sofort den Pflichtteil verlangen. Wenn das geschieht, kann der überlebende Ehegatte in Schwierigkeiten kommen, u. a. sogar gezwungen sein, die eheliche Wohnung oder das Haus, in dem er zusammen mit dem Erblasser gewohnt hat, zu verkaufen. Der deutsche Gesetzgeber hat – bezeichnenderweise im Rahmen des Nichtehelichengesetzes – versucht, für solche Fälle Vorsorge zu treffen. Nach § 2331a BGB kann der überlebende Ehegatte verlangen, daß der Pflichtteilsanspruch gestundet wird, wenn die sofortige Erfüllung des Anspruchs ihn ungewöhnlich hart treffen würde, insbesondere ihn zur Aufgabe der Familienwohnung oder zur Veräußerung eines Wirtschaftsgutes zwingen würde, das für ihn die wirtschaftliche Lebensgrundlage bildet. Die Vorschrift ist allerdings so eng gefaßt, daß das Stundungsverlangen nur selten zum Erfolg führt. Noch seltener geschieht es, daß eine Pflichtteilsforderung gestundet wird, weil der Erbe, dem der Erblasser seinen Betrieb oder sein Unternehmen übertragen hat, in Schwierigkeiten geraten würde, wenn er die Pflichtteilsansprüche seiner Geschwister (oder der Ehefrau des Erblassers) befriedigen müßte. Wenn vor den Gerichten ein Pflichtteilsanspruch geltend gemacht wird, dann sind Kläger fast immer die Kinder des Erblassers oder der Erblasserin. Daß ein Pflichtteilsanspruch von den Eltern des Erblassers geltend gemacht wird, scheint in der Praxis nicht vorzukommen11. Man könnte darum geneigt sein, die Zuerkennung eines Pflichtteilsrechts an die Eltern für überflüssig zu halten. Andrerseits wird man nicht sagen können, daß ein Erblasser durch das Pflichtteilsrecht der Eltern in seiner Testierfreiheit ungerechtfertigt beeinträchtigt würde. Es sind auch durchaus Fälle vorstellbar, in denen jedermann ein Pflichtteilsrecht der Eltern für recht und billig halten wird. Wenn die Eltern beispielsweise bis zum Tod ihres Sohnes oder ihrer Tochter auf deren Unterhaltszahlungen angewiesen waren, ist es nicht unbillig, wenn ihnen das Gesetz auch einen Mindestanteil am Nachlaß ihres Kindes garantiert, falls dieses kinderlos verstirbt. Schließlich haben die Eltern auch Erhebliches für ihre Kinder geleistet. Am Pflichtteilsrecht der Eltern sollte darum nicht gerüttelt werden, auch wenn von ihm derzeit kaum Gebrauch gemacht wird. Es bleibt das Pflichtteilsrecht des Ehegatten. Auch von diesem Pflichtteilsrecht wird in der Praxis nur selten Gebrauch gemacht. Aber wenn ein Mann, der sich von seiner Ehefrau getrennt hat und mit einer neuen Lebensgefährtin zusammenlebt, diese zur Alleinerbin einsetzt, wird niemand der Ehefrau das Recht bestreiten können, wenigstens den Pflichtteil zu verlangen. 11
Vgl. Staudinger / Olshausen, § 2334 Rz. 1.
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Ich plädiere also nicht dafür, den Kreis der Pflichtteilsberechtigten zu verändern. Eine andere Frage ist es, ob die konkrete Ausgestaltung des Pflichtteilsrechts unserem heutigen Rechtsverständnis noch entspricht. Im Vergleich zu manchen anderen Rechtsordnungen erscheint die deutsche Regelung seltsam starr, um nicht zu sagen archaisch. Es bleibt die Frage, wie diesem Zustand abgeholfen werden kann. Dafür gibt es zwei Wege: der eine Weg wäre, die Voraussetzungen für die Geltendmachung eines Pflichtteilsrechts neu und differenzierter zu bestimmen. Der andere Weg wäre, die Pflichtteilsentziehungsgründe zu erweitern, dem Erblasser also mehr Möglichkeiten an die Hand zu geben, den Pflichtteil zu entziehen oder zu begrenzen. Und natürlich können beide Wege auch gleichzeitig beschritten werden. Wie die Voraussetzungen für die Geltendmachung eines Pflichtteilsrechts neu bestimmt werden könnten, ergibt sich aus dem bisher Gesagten. Man könnte z. B. daran denken, die Pflichtteilsberechtigung von Kindern an die Unterhaltsbedürftigkeit anzuknüpfen oder den Pflichtteilsanspruch von Ehegatten von einer bestimmten Ehedauer abhängig zu machen. Besser schiene es indessen, wenn man dem Erblasser über den Katalog der bisherigen Pflichtteilsentziehungsgründe hinaus das Recht geben würde, in begründeten Fällen Pflichtteilsansprüche auszuschließen oder in ihrer Höhe zu begrenzen. Daß der Katalog der Pflichtteilsentziehungsgründe, wie er im deutschen BGB steht, nicht befriedigt, ist unstreitig. Der Pflichtteil kann nach dem geltenden Recht einem Abkömmling entzogen werden (§ 2333 BGB), wenn dieser dem Erblasser, dem Ehegatten oder einem anderen Abkömmling des Erblassers nach dem Leben trachtet (was heißt das?), wenn der Abkömmling sich einer vorsätzlichen körperlichen Mißhandlung des Erblassers oder des Ehegatten des Erblassers schuldig macht, im Fall der Mißhandlung des Ehegatten jedoch nur, wenn der Abkömmling von diesem abstammt (seine Stiefmutter darf der Abkömmling also ungestraft mißhandeln!), wenn der Abkömmling die ihm dem Erblasser gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht böswillig verletzt (muß die Verletzung böswillig sein? Sollte eine gröbliche Vernachlässigung der Unterhaltspflicht, wie sie in § 1611 BGB zur Verwirkung des Unterhaltsanspruchs führt, nicht genügen?), wenn der Abkömmling einen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel wider den Willen des Erblassers führt (auf welche Anschauungen soll es dabei ankommen?). Nach tschechischem Recht kann einem Abkömmling der Pflichtteil u. a. entzogen werden, wenn er im Widerspruch zu den guten Sitten dem Erblasser bei Krankheit, im Alter oder in sonstigen ernsten Fällen nicht die erforderliche Hilfe leistet, sowie dann, wenn er das wirkliche Interesse am Erblasser, das er als Abkömmling bezeigen sollte, ständig vermissen läßt. Nach schweizerischem Recht kann einem Erben der Pflichtteil u. a. entzogen werden, wenn er gegenüber dem Erblasser oder einem von dessen Angehörigen die ihm obliegenden familienrechtlichen Pflichten schwer verletzt hat. Es scheint, daß der Katalog der Pflichtteilsentziehungsgründe in Deutschland dringend einer Erneuerung bedarf.
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Zum einen fehlt als Alternative zur völligen Entziehung des Pflichtteils die Möglichkeit, den Pflichtteil herabzusetzen, etwa wenn der Erblasser seine Kinder gleichmäßig und gerecht behandeln möchte, es aber versäumt hat, bei der Zuwendung an eines der Kinder die Anrechnung auf den Pflichtteil anzuordnen. Es fehlt auch der Fall, daß der Pflichtteilsberechtigte sich einseitig vom Erblasser völlig abgewendet hat oder niemals einen Kontakt zum Erblasser gesucht hat. Und schließlich müßte auch darüber nachgedacht werden, ob ein Pflichtteilsanspruch auch dann ganz oder teilweise sollte ausgeschlossen werden können, wenn der Pflichtteilsberechtigte in guten Vermögensverhältnissen lebt, der Testamentserbe aber, der bis zum Tod des Erblassers von diesem unterhalten worden ist, dringend der finanziellen Absicherung bedarf. Man denke etwa an den Fall, daß der Erblasser zwei Kinder hinterlassen hat: einen Sohn, der in guten Vermögensverhältnissen lebt, und eine Tochter, die ihre Arbeitsstelle verloren hat, krank ist oder als Alleinerziehende für ihre minderjährigen Kinder zu sorgen hat und bis zum Tod des Erblassers von dessen Unterstützung gelebt hat. Hier wird der Erblasser es als unverhältnismäßige Einschränkung seiner Testierfreiheit empfinden, wenn ihm das Gesetz nicht gestattet, das Viertel, das seinem Sohn als Pflichtteil zusteht, zugunsten seiner Tochter und deren Kindern zu kürzen. Was sagen nun die Befürworter des geltenden Pflichtteilsrechts zu all diesen Argumenten? Hier fällt auf, daß die Argumente überwiegend emotionaler Natur sind. Man liest etwa, es gebe ein „nicht zu unterdrückendes menschliches Gefühl, daß der Erblasser seine nächsten Angehörigen berücksichtigen müsse“12. Oder: Der deutschen Bevölkerung sei ein Übergehen naher Verwandter nicht zu vermitteln13 oder (in einem 1938 erschienenen Aufsatz, der 1970 in einem Band mit ausgewählten Schriften des Autors erneut abgedruckt wurde): „Die Schreckbeispiele der Erbeinsetzung der Geliebten, der turpis persona, des Staatsfeindes oder Rassefremden sind nicht die einzigen Fälle, in denen die Fernhaltung der nächsten Sippegenossen vom Erbgut unseren Familiensinn kränkt“14 oder: Der Rest „einer doch in vielen Fällen noch vorhandenen Familienbindung“ dürfe nicht zerstört werden15. Hingewiesen wird auch auf die Gefahr, ältere Menschen könnten sich beeinflussen lassen und dann zum Nachteil ihrer nächsten Familienangehörigen testieren16. Diese Gefühlsargumente wird jedermann akzeptieren, vorausgesetzt, er lebt in einer heilen Familie. Aber nicht alle Familien sind heil. Und selbst in einer heilen Familie kann es sein, daß ein Kind bedürftiger ist als das andere oder der Ehegatte 12 Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht (Diss. Berlin 1976), 83. 13 Coing, 49. DJT, A 47. 14 Boehmer, Zur Entwicklung und Reform des deutschen Familien- und Erbrechts (1970), 315. 15 Staudinger / Cieslar, 12. Aufl., Einl. zu §§ 2303 ff., Rz. 54. 16 Coing, a. a. O., A 47.
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dringender Unterstützung braucht als die Kinder und der Erblasser es für seine Pflicht hält, demjenigen zu helfen, der seiner Hilfe am meisten bedarf. Es geht also darum, ob dem Erblasser das Recht bestritten werden kann, über sein Vermögen, das Vermögen, das er sich erarbeitet hat, so zu verfügen, wie er es für richtig hält. Es geht darum, ob der Gesetzgeber das Recht hat, dem Erblasser als Gerechtigkeitsmaßstab das Prinzip der égalité vorzugeben, auch wenn der Erblasser ungleichen Bedürfnissen durch ungleiche Zuwendungen Rechnung tragen möchte. Es geht darum, ob der Erblasser das Recht hat, ihm erwiesene Solidarität zu belohnen und auf verweigerte Solidarität mit Ausschließung von der Erbfolge zu reagieren. Es geht darum, ob auch in solchen Fällen argumentiert werden kann, Ehe und Familie würden gefährdet, wenn der Verfügungsfreiheit des Erblassers keine Grenzen gesetzt würden. Das 5. Buch des deutschen BGB, das Erbrecht, war nach allgemeiner Meinung vor 100 Jahren ein Glanzstück der Gesetzgebungskunst. Inzwischen haben sich die Verhältnisse geändert. Im 4. Buch, dem Familienrecht, hat der Gesetzgeber dieser Änderung Rechnung getragen. Nun sollte das 5. Buch an die Reihe kommen.
Zum Prinzip der souveränen Immunität in Japan – Annahme der beschränkten Immunität? – Von Kazuko Jitsukawa
I. Einleitung Es gibt in Japan weder Verträge noch Gesetze, die die Staatsimmunität1 vorschreiben. Die japanische Rechtsprechung versteht unter dem Prinzip der souveränen Immunität die absolute Immunität. Gilt die absolute Immunität aber tatsächlich? Ungeachtet der Kritik in der Literatur haben die Gerichte bis jetzt diesen Standpunkt beibehalten. In der Rechtsprechung der letzten Zeit finden sich jedoch Anzeichen einer Änderung. In diesem Beitrag werden neben älteren Entscheidungen, die zu Präzedenzfällen wurden, aktuelle Entscheidungen vorgestellt. Außerdem werden einige zusätzliche Überlegungen angefügt.
II. Entwicklung der Rechtsprechung 1. Fall Matsuyama2 Der Kläger, ein japanischer Staatsangehöriger, hatte einen Solawechsel erworben, den der Vizekonsul der Republik China ausgestellt hatte. Die das Konto der Republik China führende Bank lehnte jedoch die Zahlung auf Anweisung der Republik China ab. Deshalb beantragte der Kläger bei Gericht Bezahlung der Wechselforderung. Die erste Instanz, das Distriktgericht (chihō saibansho) Tokyo, hielt die Klage für nicht zulässig. Der Beklagte sei der Vizekonsul der Republik China. Er habe keinen Willen, vor japanische Gerichte gezogen zu werden. Auf seine Sonderrechte als ausländischer Gesandter habe er nicht verzichtet. Der Kläger legte Beschwer1 Zur Vollstreckungsimmunität vgl. Koresuke Yamauchi, Gaikoku chuō ginkō to shikkō menjo – nishi doitsuhō suisuhō wo chūshin to shite (Zur Zulässigkeit von Vollstreckungsmaßnahmen in Bankguthaben auslandischer Zentralbanken – dargestellt am Recht Westdeutschlands und der Schweiz), Kokusaihō Gaikō Zasshi Band 86, Heft 2, 1 – 29. 2 Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 28. 12. 1928, Saikō Saibansho Minji Hanreishū (Sammlung der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs in Zivilsachen) Band 7, Nr. 12, S. 1128.
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de ein. Das Obergericht Tokyo wies die Beschwerde zurück, weil ein Staat im Prinzip nicht der Gerichtsbarkeit anderer Staaten unterliege. Dagegen erhob der Kläger die Besondere Beschwerde. Der Oberste Gerichtshof (damals taishin’in) wies diese mit folgender Begründung zurück: „In Zusammenhang mit Zivilprozessen unterliegt ein Staat grundsätzlich nicht der Gerichtsbarkeit anderer Staaten, soweit es keine speziellen Gründe gibt (z. B. dingliche Klagen, die sich auf Grundstücke beziehen). Eine Ausnahme gilt nur, wenn sich ein Staat freiwillig der Gerichtsbarkeit Japans unterstellt. Das entspricht dem Völkerrecht“. Dieser Beschluss zeigt, dass nach Meinung des Gerichts ein Staat absolut nicht der Gerichtsbarkeit anderer Staaten unterliegt, auch wenn es sich, wie in diesem Fall, um privatrechtliche Geschäfte handelt.
2. Fall Marshall Inseln In diesem Fall zeigen sich erste Anzeichen, dass von der Theorie der absoluten Immunität abgewichen wird. Die Beklagte, Republik der Marshall Inseln, betrieb eine Werbekampagne für ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die Kläger wollten das unbegrenzte Aufenthaltsrecht in den Vereinigten Staaten von Amerika erwerben und schlossen im Juli 1996 mit der Beklagen einen Vertrag, wonach die Kläger innerhalb von 5 Jahren ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht in den Vereinigten Staaten von Amerika erwerben könnten, nachdem sie das dauerhafte Aufenthaltsrecht der Marshall Inseln erworben hatten. Im August 1996 zahlten die Kläger auf Anweisung der Beklagten die notwendigen Kosten für das betreffende Verfahren in Höhe von insgesamt 3 Mio. Yen an die Beklagte. Trotzdem vergab die Beklagte an die Kläger nur Touristen-Visa für kurze Aufenthalte auf den Marshall Inseln. Die Verfahren zum Erwerb eines dauerhaften Aufenthaltsrechts wurden nicht weitergeführt. Im September des Jahres mahnten die Kläger die Beklagte, ihrer Pflicht innerhalb der vertraglich vorgesehenen Frist nachzukommen. Im November erhoben die Kläger nach Rücktritt vom Vertrag Klage auf Herausgabe des Geldbetrages. Die erste Instanz, Distriktgericht Tokyo3, wies die Klage mit folgender Begründung zurück: Die Verpflichtung der Beklagten bestünde in der Erteilung eines Aufenthaltsrechts für die Marshall Inseln. Dieses sollte die notwendige Voraussetzung für den Erwerb des unbegrenzten Aufenthaltsrechts in den Vereinigten Staaten von Amerika schaffen. Ein Staat aber genieße Immunität bei hoheitlichem Handeln, wie z. B. bei die Erteilung eines Aufenthaltsrechts. Deshalb unterliege die Beklagte nicht der japanischen Gerichtsbarkeit, es sei denn, die Beklagte unterstelle sich dieser freiwillig. Dagegen wandten sich die Kläger. Das Obergericht (kōtō saibansho) Tokyo4 jedoch bestätigte die Entscheidung des Distriktgerichts.5 3
Urteil des Distriktgerichts Tokyo vom 6. 10. 2000, Haaret Taimuzu Nr. 1067, S. 263.
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3. Fall Republik Nauru Im Jahre 1989 hatte die staatliche Finanzgesellschaft der Republik Nauru eine Staatsanleihe in japanischer Währung (sog. Samurai Anleihe) begeben. Auf dem Papier hieß es, dass der Aussteller dem Inhaber, wie in der Beilage „Hauptpunkte der Anleihe“ beschrieben, den Grundbetrag der Anleihe und die entstandenen Zinsen auszahlen werde. Dort fand sich auch die Erklärung, dass die Republik Nauru, wie in der Beilage „Hauptpunkte der Absicherung“ beschrieben, den Grundbetrag und die Zinsen dieser Anleihe garantiere. Ein japanisches Unternehmen erwarb von der Finanzgesellschaft einige der Papiere. Im August 1994 wurde zwischen der Finanzgesellschaft und der Republik Nauru sowie allen Inhabern der Anleihe eine Übereinkunft für die Änderung des Grundbetrages und die Verlängerung der Rückzahlungsfrist erzielt, weil eine Rückzahlung innerhalb der ursprünglichen Frist nicht möglich war. Trotzdem wurden seit dem ersten Rückzahlungstermin, dem 27. 7. 1994, weder Grundbetrag noch Zinsen ausbezahlt. Der Kläger ist ein englisches Unternehmen, das 1990 nach britischem Recht gegründet wurde. Es hatte von dem japanischen Unternehmen einige Papiere der Anleihe übernommen und war am 18. Mai 1995 nach dem Gesetz über die Registrierung von Anleihen u. a. (shasai tō tōroku hō)6, als Inhaber der Anteilsscheine eingetragen worden. Am 1. Juni 1995 erhob die Klägerin Klage auf Rückzahlung gegen die Finanzgesellschaft und die Republik Nauru. Das Distriktgericht Tokyo befragte daraufhin die beklagte Finanzgesellschaft, ob sie sich dem Verfahren unterwerfen wolle, was jedoch verneint wurde. Das Gericht wollte deshalb gem. Art. 175 des alten japanischen Zivilprozessgesetzes (minji soshō hō)7 (Art. 108 des neuen Zivilprozessgesetzes8) durch das japanische Außenministerium der Republik Nauru als Beklagter die Klageschrift und Vorladung zur mündlichen Verhandlung am 30. Mai 1998 zustellen lassen. Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der Republik Nauru sollte die Zustellung an den Kabinettssekretär des Staates bewirkt werden. Dieser verweigerte die Annahme, weil die Republik Nauru der japanischen Gerichtsbarkeit nicht unterliege. Auch das Außenministerium der Republik Nauru Urteil des Obergerichts Tokyo vom 19. 12. 2000, Kin’yū Shōji Hanrei Nr. 1124, S. 36 Ein Antrag auf Zulassung der Revision wurde beim Obersten Gerichtshof eingebracht, von diesem aber am 25. 8. 2001 zurückgewiesen (nicht veröffentlicht). 6 Gesetz Nr. 11 / 1942; Übersetzung, soweit ersichtlich, nicht vorhanden. 7 Gesetz Nr. 29 / 1890, deutsche Übersetzung in Hideo Nakamura und Barbara Huber, Die japanische ZPO in deutscher Sprache, Carl Heymanns: Köln u. a. 1978. 8 Gesetz Nr. 109 / 1996, deutsche Übersetzung in Christopher Heath und Anja Petersen, Das japanische Zivilprozessrecht. Mohr Siebeck: Tübingen 2002 und in Hideo Nakamura und Barbara Huber, Die japanische ZPO in deutscher Sprache. Carl Heymanns: Köln u. a. 2006. Einen inhaltlichen Unterschied zwischen Art. 175 des alten und Art. 108 des neuen Zivilprozessgesetzes gibt es nicht. 4 5
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verweigerte die Zustellung der Schriftstücke mit der Begründung, dass weder die beklagte Finanzgesellschaft noch die beklagte Republik Nauru der japanischen Gerichtsbarkeit unterlägen. Das Distriktgericht Tokyo9 wies indes die Einrede der Staatsimmunität zurück und verurteilte nicht nur die beklagte Finanzgesellschaft, sondern auch die beklagte Republik Nauru zur Zahlung des Grundbetrages und der Zinsen. Beide Ansprüche fielen in die Zuständigkeit des Distriktgerichts Tokyo, weil beide Beklagten in einem Schriftstück bei Begebung der Anleihe erklärt hatten, in Japan auf die Geltendmachung der Immunität zu verzichten. Die Begebung der Regierungsanleihe eines Staates sei heutzutage als internationale Finanzhandlung weit verbreitet und zähle zu den wirtschaftlichen Geschäften. Die Beklagten hätten ferner nach dem Inhalt der Schriftstücke auf die souveräne Immunität verzichtet. Es entspreche nicht dem Völkergewohnheitsrecht, das Japan nach Art. 98 Abs. 2 seiner Verfassung (Nihon koku kenpō)10 als „feststehendes Völkerrecht“ einhalten muss, dass bei wirtschaftlichen Geschäften von Staaten bzw. Staatsorganen die Immunität zu beachten sei. Zur Begründung bedürfe es keiner weiteren Punkte, z. B. ob die beklagte Finanzgesellschaft den Charakter eines Staatsorgans hat und welches der Zweck der Ausgabe dieser Regierungsanleihe war, usw. Auf die Beschwerde der Beklagten bejahte das Obergericht Tokyo11 unter Berufung auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 28. 12. 1928 im Fall Matsuyama die Immunität der beklagten Republik Nauru, weil die in den Bestimmungen über die Anleihe vermerkte Erklärung, auf die Immunität zu verzichten, nicht als Verzicht der Sonderrechte gegenüber dem japanischen Staat gelten könne. Wegen des in den Bestimmungen für die Anleihe vermerkten Verzichts auf Immunität sprach sich das Gericht jedoch für eine Haftung der beklagten Finanzgesellschaft aus, weil diese der japanischen Gerichtsbarkeit unterliege. Das Prinzip der souveränen Immunität gelte nur für einen Staat und nicht für eine vom Staat unabhängige Gesellschaft. Das Urteil ist rechtskräftig. Später erhob die Finanzgesellschaft eine Klage auf Wiederaufnahme des Verfahrens wegen Nichtigkeit der Zustellung. In Zusammenhang mit der Immunität argumentiert dabei das Gericht wie folgt12: Soll man unter Staatsimmunität die abso9 Urteil des Distriktgerichts Tokyo vom 30. 11. 2000, Hanrei Jihō Nr. 1730, S. 54; vgl. auch die kritische Anmerkung von Masato Dogauchi, Seigen menjo shugi ni yoru saibanken no kōtei (Bejahung der Gerichtsbarkeit nach der beschränkten Immunität), Jurisuto Nr. 1202, S. 297. 10 Verfassung des Staates Japan vom 3. November 1946, deutsche Übersetzung u. a. in Reinhard Neumann, Änderung und Wandlung der Japanischen Verfassung. Carl Heymanns: Köln u. a. 1982. 11 Obergericht Tokyo von 29. 3. 2002 (nicht veröffentlicht). 12 Beschluss des Distriktgerichts Tokyo vom 31. 7. 2003, Hanrei Taimuzu Nr. 1150 S. 284. Vgl. auch die kritische Anmerkung von Tetsurō Morishita, Saiken kōnyū gyōsha ni yoru gaikoku kokka kōi tō ni tai suru soshō no kahi (Zur Zulässigkeit der Klage eines Forderungskäufers im Zusammenhang mit dem Staatsakt eines ausländischen Staates), Jurisuto Nr. 1261, S. 184.
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lute oder beschränkte Immunität verstehen? Sofern es keine speziellen Gründe gibt (z. B. dingliche Klagen, die sich auf Grundstücke beziehen), wurde früher die absolute Immunität in Bezug auf den Zivilprozess ohne Weiteres anerkannt, wenn ein Staat der Beklagte war. Dabei hat die Natur der Handlungen bzw. Geschäfte keine Rolle gespielt. Die Entscheidung des Taishin’in beruht darauf. Heute erstrecken sich die Handlungen eines Staates aber nicht nur auf souveräne Taten, sondern auch auf geschäftliche Handlungen mit Gewinnerzielungsabsicht wie bei Privatpersonen. In solchen Situationen sollte man bei den Handlungen eines Staates zwischen hoheitlichem Handeln (Ausdruck der Souveränität) und privatem Handeln differenzieren. Ein Staat genießt die Immunität nur im ersten Fall. Dieses Prinzip, die beschränkte Immunität, sollte man annehmen. Von der Annahme der beschränkten Immunität ausgehend entschied das Gericht, dass die staatliche Finanzgesellschaft der Republik Nauru keine Immunität genießt. In diesem Fall habe die Republik Nauru eine Garantie für die Zahlung der betreffenden Staatsanleihen übernommen. Diese Handlung sei ein wirtschaftliches Geschäft, welches heutzutage weit verbreitet sei und als internationale Finanzhandlung häufig getätigt werde. In den Garantiebedingungen heiße es, dass die Inhaber der Anleihepapiere das Recht haben, beim Distriktgericht Tokyo bzw. an allen anderen zuständigen japanischen Gerichten Verfahren einzuleiten. Das sei nichts anderes als die Erklärung über den Verzicht auf die souveräne Immunität.
4. Fall Yokota Militärbasis Im April 1996 erhoben die Kläger, die Anrainer der Yokota Militärbasis, eine Klage nicht nur gegen die japanische Regierung, sondern auch gegen die Vereinigten Staaten von Amerika auf Schadensersatz wegen der ruhestörenden nächtlichen Ab- und Anflüge sowie ein Verbot der Nachtflüge. Bis dato hatten Anrainer von Militärbasen, die sich vom Lärm der Flugzeuge der in Japan stationierten US-amerikanischen Streitkräfte gestört fühlten, immer nur gegen die japanische Regierung geklagt. Die erste Instanz, das Distriktgericht Tokyo, Abteilung Hachioji, wies die Klage ab13. In der zweiten Instanz blieb die Entscheidung aufrechterhalten14. Dagegen richtete sich die Revision der Kläger. Diese Revision wies der Oberste Gerichtshof mit folgender Begründung ab15: Nach dem traditionellen Völkergewohnheitsrecht 13 Beschluss des Distriktgerichts Tokyo Abteilung Hachioji von 14. 3. 1997, Hanrei Jihō Nr. 1612, S. 101 (vgl. die englischsprachige Übersetzung dieses Beschlusses in The Japanese Annual of International Law Nr. 41 / 1998, S. 91). 14 Urteil des Obergerichts Tokyo von 25. 12. 1998, Hanrei Jihō Nr. 1665, S. 64 (vgl. die englischsprachige Übersetzung dieses Urteils in The Japanese Annual of International Law Nr. 42 / 1999, S. 138). 15 Urteil des Obersten Gerichtshofs von 12. 4. 2002, Saikō Saibansho Minji Hanreishū (Sammlung der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs in Zivilsachen), Bd. 56, Nr. 4
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gelte die Immunität eines fremden Staates im Zivilprozess als absolute Immunität. Je weiter sich der Kreis der Geschäfte eines Staates erstrecke, desto überzeugender sei der Gedanke, dass die Immunität nicht für die privatrechtlichen bzw. Dienstleistungshandlungen eines Staates gelte. Deswegen begrenze die Staatspraxis den Bereich der Immunität. Aber auch in dieser Situation bleibe es beim Völkergewohnheitsrecht, wonach die Immunität für das hoheitliche Handeln gelte. Der Klagegrund seien die nächtlichen An- und Abflüge von Flugzeugen der US-amerikanischen Streitkräfte. Aus der Zielsetzung oder dem Charakter dieser Handlungen ergebe sich deren typische hoheitliche Funktion. Solange es zwischen Japan und den Vereinigten Staaten von Amerika keine besonderen Verträge gebe, unterliege der Flugverbots- und Schadensersatzanspruch nicht der japanischen Gerichtsbarkeit.
III. Überlegungen Im Ergebnis erkennt die japanische Rechtsprechung die souveräne Immunität fremder Staaten an. Die Gerichte distanzieren sich aber zunehmend von der absoluten Immunität und nehmen die beschränkte Immunität an. Im Fall Marshall Inseln hat sich das Gericht für die Immunität ausgesprochen; eine Befürwortung der absoluten Immunität aber findet sich nicht. Im Fall der Anleihen der Republik Nauru, insbesondere im Wiederaufnahmeverfahren, hat sich das Distriktgericht Tokyo für die Annahme einer beschränkten Immunität entschieden. Auch in der Begründung des Obersten Gerichtshofs im Fall der Yokota Militärbasis findet sich die Tendenz, zur beschränkten Immunität überzugehen. Dieser Tendenz entspricht auch die Tatsache, dass folgender Erlass des Obersten Gerichtshofs im Jahr 2000 aufgehoben wurde: Gaikoku wo aitegata to suru minji jiken ni kan suru osoishi no umu to no kakunin no shokai ni tsuite (Zur Feststellung, ob sich ein fremder Staat als Beklagter einem Zivilverfahren unterwerfen will). Dieser Erlass regelte das Verfahren zur Befragung eines fremden Staates danach, ob er sich einem bestimmten Zivilprozess in Japan unterwerfen wolle. Der Erlass wurde aufgehoben, um zu vermeiden, dass sich der fremde Staat stets auf die Staatsimmunität beruft. In der Literatur ist seit langer Zeit die Annahme der beschränkten Immunität herrschende Meinung16; künftig dürfte auch der Oberste Gerichtshof die Annahme der beschränkten Immunität bevorzugen. S. 729 = Hanrei Jihō Nr. 1786, S. 43 = Hanrei Taimuzu Nr. 1092 S. 107 (vgl. die englischsprachige Übersetzung dieses Urteils in The Japanese Annual of International Law Nr. 46 / 2003, S. 161). Kritische Anmerkungen von Kimio Yakushiji, Zainichi heigun no hikō kunren to kokka no saibanken menjo (Übungsflüge der US-amerikanischen Streitkräfte in Japan und die souveräne Immunität), Jurisuto Nr. 1246 S. 257. 16 Vgl. z. B. Kanae Taijudo, Shuken menjo wo meguru saikin no dōkō (Zur gegenwärtige Lage der souveränen Immunität), Hōgaku Ronsō Bd. 94 Heft 5 / 6 S. 152; neuerdings Kazuya Hirobe, Saikin ni okeru shuken menjo gensoku no jōkyō (Neuere Entwicklungen zum Grund-
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Wird die beschränkte Immunität angenommen, stellt sich die Frage, bei welchen Handlungen ein Staat die Immunität nicht genießt. Mit anderen Worten: Mit welchen Kriterien soll diese von den hoheitlichen Maßnahmen abgrenzt werden? Im Fall Yokota Militärbasis handelt es sich um die Taten der Streitkräfte, für die Immunität gilt. Die Erteilung des dauerhaften Aufenthaltsrechts in einem Land im Fall Marschall Inseln ist auch dem hoheitlichen Handeln zuzuordnen. Im Fall der Staatsanleihe der Republik Nauru aber hat das Gericht die Begebung einer Anleihe an einem internationalen Finanzmarkt als wirtschaftliche und damit nichthoheitliche Handlung ausgelegt. Diese Entscheidungen stellen für die Abgrenzung zwischen hoheitlicher und nichthoheitlicher Tätigkeit grundsätzlich auf die Natur der staatlichen Handlung ab. Die konkreten Kriterien sind aber noch nicht klar. Im Fall der Staatsanleihe der Republik Nauru ist es auch umstritten, ob nicht nur die Republik Nauru, sondern auch die staatliche Finanzgesellschaft der Republik Nauru als Objekt der souveränen Immunität anzusehen ist. Im Ergebnis aber spielte die Einordnung keine Rolle, weil jedenfalls ihre Handlungen als wirtschaftliche und nichthoheitliche Handlungen eingestuft wurden. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine staatliche Organisation Immunität genießt, bleibt ein Problem.
satz der souveränen Immunität), Kokusaihō Gaikō Zasshi, Bd. 104 Nr. 1 S. 1 (vgl. auch den englischsprachigen Aufsatz des Genannten auf S. 138).
Der Zugang japanischer Kreditinstitute zum deutschen Markt für Bankdienstleistungen1 Von Peter Jung
I. Einführung Finanzdienstleistungen werden zunehmend grenzüberschreitend und ohne persönlichen Kontakt mit dem Kunden vereinbart und erbracht. Das erhebliche Wachstumspotential für grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen kann jedoch nur dann voll ausgeschöpft und effizient gestaltet werden, wenn es in sämtlichen Ländern zu einem möglichst weitreichenden Abbau der Marktzugangsbeschränkungen für Anbieter mit Sitz in einem anderen Staat unter angemessener Wahrung der aufsichtsrechtlichen Belange kommt. Zwischen den Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) sorgen zunächst die Dienstleistungs- sowie die Zahlungs- und Kapitalverkehrsfreiheit für ein Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot. Soweit ein Finanzdienstleistungsunternehmen aus einem anderen Mitgliedstaat im Aufnahmemitgliedstaat hinsichtlich seiner Zweigstellen oder sonstigen Aktivitäten besonderen nationalen Vorschriften unterliegt, müssen diese unterschiedslos auch für inländische Unternehmen gelten und angewendet werden. Nichtdiskriminierende Maßnahmen, die eine grenzüberschreitende Transaktion unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen, sind nur dann zulässig, wenn sie aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls erforderlich sind2. Außerdem ist im EWR durch die grundsätzliche sekundärrechtliche Verankerung des Sitzlandprinzips3 bereits eine weitgehende 1 Der Verfasser dieses Beitrags hatte im Rahmen der Fachgruppe für vergleichendes Handels- und Wirtschaftsrecht der deutschen Gesellschaft für Rechtsvergleichung mehrfach die Freude, mit dem Jubilar zusammenzuarbeiten, wobei in zwei Fällen Fragen der Bankenaufsicht im Mittelpunkt standen. Dem Jubilar sei daher ein Beitrag aus diesem Rechtsgebiet gewidmet. 2 Siehe zum Beschränkungsverbot im Bereich der Dienstleistungsfreiheit nur EuGH, Rs. C-222 / 95 (Parodi), Slg. 1997, I-3899, Tz. 18; EuGH, Rs. 205 / 84 (Kommission / Deutschland), Slg. 1986, 3755, Tz. 25 und 40 f. und EuGH, Rs. C-384 / 93 (Alpine Investments), Slg. 1995, I-1141, Tz. 40 ff. sowie zu Auslegungsfragen über den freien Dienstleistungsverkehr und das Allgemeininteresse in der Zweiten Bankenrichtlinie (ABl. C 209 v. 10. 7. 1997, S. 6). 3 Daneben finden sich auch die Bezeichnungen Heimat- oder Herkunftslandprinzip sowie home country control.
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Liberalisierung des Marktzugangs verwirklicht. Danach wird ein Finanzdienstleistungsunternehmen hinsichtlich aller nach dem Richtlinienrecht erlaubnispflichtigen Bank-, Wertpapier- und Versicherungsgeschäfte4 im EWR-Binnenmarkt über unselbständige Zweigniederlassungen5 grundsätzlich nur von der zuständigen Aufsichtsbehörde und nach dem Recht desjenigen EWR-Mitgliedstaats zugelassen6 und überwacht7, in dem es seinen Hauptverwaltungs- und Satzungssitz8 hat. Von der Beaufsichtigung durch Behörden anderer Mitgliedstaaten und der Beachtung von deren Aufsichtsrecht ist es grundsätzlich befreit, sofern die im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübten Tätigkeiten von der Zulassung im Herkunftsmitgliedstaat abgedeckt sind und von dort aus laufend beaufsichtigt werden. Es besteht insoweit lediglich eine Pflicht, die Aufnahme der Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten den zuständigen Behörden im Herkunftsmitgliedstaat mit bestimmten Angaben9 mitzuteilen. Zu Ausnahmen vom Sitzlandprinzip kann es nur kommen, wenn dies im Allgemeininteresse, d. h. vor allem des Kundenschutzes, zwingend erforderlich ist10, wobei man zu berücksichtigen hat, daß das Sekundärrecht bereits zu einem umfangreichen Mindestschutz geführt hat, der regelmäßig das Bedürfnis nach weiteren nationalen Regelungen ausschließt. Kreditinstitute, die ihren Sitz in Japan haben, werden jedoch von den mitgliedstaatlichen Aufsichtsbehörden wie der deutschen Bundesanstalt für Finanzdienst4 Die erlaubnispflichtigen Finanzdienstleistungen sind in den Anhängen der jeweiligen Richtlinien aufgeführt; siehe dazu z. B. Anhang I RL 2000 / 12 / EG, Anhang I Abschnitt A und B RL 2004 / 39 / EG, Anhang A RL 73 / 239 / EWG und Anhang I RL 2002 / 83 / EG. 5 Tochtergesellschaften im Ausland unterliegen als rechtlich verselbständigte Einheiten ihrerseits dem Sitzlandprinzip. 6 Zu diesem auch als Europäischer Paß oder Single Licence-System bezeichneten Prinzip der Einmalzulassung Art. 13 und 18 f. RL 2000 / 12 / EG (Kreditinstitute, Finanzinstitute), Art. 5 I, 6 III RL 2004 / 39 / EG (Wertpapierfirmen), Art. 4 I, 6 II RL 85 / 611 / EWG i. d. F. d. RL 2001 / 107 / EG (OGAW, Verwaltungsgesellschaften), Art. 9 V, 20 II RL 2003 / 41 / EG (Einrichtungen der betr. Altersversorgung), Art. 4 f. RL 92 / 49 / EWG (Schadenversicherung), Art. 4 f. RL 2002 / 83 / EG (Lebensversicherung). 7 Zu diesem sog. Prinzip der Herkunftslandkontrolle Art. 26 RL 2000 / 12 / EG (Kreditinstitute), Art. 31 I, 32 I RL 2004 / 39 / EG (Wertpapierfirmen), Art. 5d II, 49 III RL 85 / 611 / EWG i. d. F. d. RL 2001 / 107 / EG (Verwaltungsgesellschaften, OGAW), Art. 13 I RL 73 / 239 / EWG i. d. F. d. RL 92 / 49 / EWG (Schadenversicherung), Art. 10 RL 2002 / 83 / EG (Lebensversicherung). 8 Zur Maßgeblichkeit und zum notwendigen Zusammenfallen von Hauptverwaltungs- und Satzungssitz für die Zulassung siehe etwa Art. 6 II RL 2000 / 12 / EG. 9 Hierzu gehören der Geschäftsplan, die Anschrift im Aufnahmemitgliedstaat und die Namen der verantwortlichen Geschäftsführer der Zweigstelle. 10 Siehe dazu insbesondere Art. 22 V, XI RL 2000 / 12 / EG und die Mitteilung der Kommission v. 20. 6. 1997 zu Auslegungsfragen über den freien Dienstleistungsverkehr und das Allgemeininteresse in der Zweiten Bankenrichtlinie (ABl. C 209 v. 10. 7. 1997, S. 6) sowie Art. 28 RL 92 / 49 / EWG, Art. 33 RL 2002 / 83 / EG und die Mitteilung der Kommission v. 2. 2. 2000 zu Auslegungsfragen – Freier Dienstleistungsverkehr und Allgemeininteresse im Versicherungswesen (ABl. C 43 v. 16. 2. 2000, S. 5); siehe zu entsprechenden verfahrensrechtlichen Regelungen etwa Art. 22 II, V und XI RL 2000 / 12 / EG.
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leistungsaufsicht (BaFin) zu den Finanzdienstleistungsunternehmen mit Sitz in einem sog. Drittstaat gezählt11. Sie können in Deutschland durch die Gründung einer Tochtergesellschaft in Deutschland bzw. im EWR, durch die Einrichtung einer Zweigstelle oder einer Repräsentanz in Deutschland oder durch die grenzüberschreitende Erbringung von Finanzdienstleistungen ohne eigene physische Präsenz in Deutschland tätig werden. Der Marktzugang über diese vier verschiedenen Wege sowie seine jeweilige Behandlung im deutschen, supranationalen und internationalen Recht sollen im folgenden näher betrachtet werden.
II. Supranationale und internationale Regelungen des Zugangs zum deutschen Markt für Bankdienstleistungen 1. EG-Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit a) Anwendbarkeit der EG-Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit aa) Anwendbarkeit gegenüber Drittstaaten Die Freiheit des Kapitalverkehrs im EWR nach Art. 56 EG setzt wie die anderen Grundfreiheiten einen grenzüberschreitenden Sachverhalt voraus. Es muß daher zumindest ein Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen12. Das Verbot von Beschränkungen des Kapital- und Zahlungsverkehrs gilt aber auch für die rechtlichen Regelungen der Mitgliedstaaten gegenüber Drittstaaten. Dieses einseitig gegenüber Drittstaaten wirkende sog. „erga omnes“-Prinzip stellt eine Besonderheit im Recht der Grundfreiheiten dar und begründet die zentrale Bedeutung der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten wie Japan und der Schweiz. Zum Ausgleich finden sich allerdings in den Art. 57 bis 60 EG zusätzliche Möglichkeiten einer Beschränkung des Zahlungs- und Kapitalverkehrs gegenüber Drittstaaten.
bb) Sachlicher Anwendungsbereich Für Unternehmen aus Drittstaaten, die sich nicht auf die konkurrierende Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 ff. EG berufen können, ist die Frage nach dem sachlichen Anwendungsbereich der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit von besonderer Bedeutung13. Die Reichweite der Freiheitsgewährleistung wird dabei durch die im EG-Vertrag nicht definierten Begriffe des Kapital- und Zahlungsverkehrs 11 12 13
Siehe z. B. § 1 Abs. 5a S. 2 KWG. EuGH, Rs. C-478 / 98 (Kommission / Belgien), Slg. 2000, I-7587, Tz. 16. Siehe dazu auch VG Frankfurt / M. v. 11. 10. 2004 WM 2005, 503, 513.
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bestimmt. Nach Ansicht des EuGH14 werden zum Kapital- und Zahlungsverkehr zumindest die im nicht abschließenden Anhang der RL 88 / 361 / EWG genannten Transaktionen gerechnet15. Abstrakt wird der Kapitalverkehr überwiegend als eine Übertragung von Werten in Form von Sach- oder Geldkapital definiert, die nicht Gegenleistung eines Austauschverhältnisses ist und in der Regel zu Investitionsund Anlagezwecken erfolgt16. Der Begriff des Zahlungsverkehrs umfaßt alle Zahlungen, die als Entgelt für gelieferte Waren, geleistete Dienste, von veräußerten oder gemieteten Immobilien oder von bereitgestelltem Kapital erfolgen sowie andere physische Transfers von Geld, Schecks, Wechseln oder Wertpapieren17. Die Abgrenzung zwischen Kapital- und Zahlungsverkehr ist insofern noch von Bedeutung, als Art. 57 und 59 EG nur den Kapital- und Art. 119 f. EG nur den Zahlungsverkehr betreffen. Bei der Erbringung von grenzüberscheitenden Finanzdienstleistungen japanischer Kreditinstitute in Deutschland sind die unmittelbar der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit unterfallenden Transaktionen (z. B. Kreditvergabe18, Zinszahlungen) von den diese begleitenden schlichten Dienstleistungen (z. B. Beratungs-, Betreuungs-, Verwahrungs- und Verwaltungsleistungen) zu unterscheiden. Die begleitenden Dienstleistungen unterfallen nämlich nur dann der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit, wenn sie von dem eigentlichen Kapital- und Zahlungstransfer nicht getrennt und nicht von anderen Dienstleistern (z. B. Rechtsanwälten, Steuerberatern) erbracht werden können19.
14 Dazu nur EuGH, verb. Rs. C-515 / 99, C-519 / 99 bis C-524 / 99 und C-526 / 99 bis 540 / 99 (Reisch u. a.), Slg. 2002, I-2157, Tz. 30. 15 Genannt werden dort Direktinvestitionen, Grundstücksverkehrsgeschäfte, Wertpapiergeschäfte, Anleihen, Bankgeschäfte, Kreditgeschäfte, Sicherheiten und Garantien, Finanztransaktionen im Zusammenhang mit Versicherungsverträgen, individueller Zahlungsverkehr, physische Geldtransporte und andere Kapitalbewegungen. 16 Dazu nur EuGH, verb. Rs. 286 / 82 und 26 / 83 (Luisi und Carbone), Slg. 1984, 377, Tz. 21; Schöne, WM 1989, 873, 874 und Bröhmer, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), Art. 56 EG Rn. 8; krit. Ohler, Der Status von Finanzdienstleistungen in EGV und GATS, ZEuS 2002, 321, 325 f. und 328 (das Wesen des Kapitalverkehrs liege in der Begründung und Übertragung von geldwerten Rechten); krit. auch v. Hippel, EuZW 2005, 7 ff. unter Hinweis auf EuGH, Rs. C-364 / 01 (Erben von H. Barbier), EuZW 2004, 123). 17 Vgl. dazu nur EuGH, verb. Rs. 286 / 82 und 26 / 83 (Luisi und Carbone), Slg. 1984, 377, Tz. 21 und Bröhmer, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), Art. 56 EG Rn. 8. 18 EuGH, Rs. C-484 / 93 (Svensson), Slg. 1995, I-3955, Tz. 10; EuGH, Rs. C-222 / 95 (Parodi), Slg. 1997, I-3899, Tz. 17; das VG Frankfurt / M. v. 11. 10. 2004 WM 2005, 503, 513 hat für die Kreditvergabe eine Differenzierung zwischen dem Abschluß (Dienstleistungsfreiheit) und der Durchführung (Kapitalverkehrsfreiheit) erwogen. 19 Zur Abgrenzung näher Ohler (Fn. 16), 333; Glaesner, in: Schwarze (Hrsg.), Art. 56 EG Rn. 13.
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b) Inhalt der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit Obwohl dies nicht ausdrücklich in Art. 56 Erwähnung gefunden hat, verbietet die Vorschrift zunächst alle offenen und indirekten bzw. versteckten Diskriminierungen. Diskriminierende Regelungen können grundsätzlich nur aus vom EG-Vertrag anerkannten Gründen gerechtfertigt werden20. Die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit bedingt zudem ein Beschränkungsverbot21. Damit sind grundsätzlich auch alle unterschiedslos für Gebietsansässige wie Gebietsfremde geltenden innerstaatlichen Maßnahmen verboten, die den Zufluß, Abfluß oder Durchfluß von Kapital oder Zahlungsmitteln der Form, dem Wert oder der Menge nach dauerhaft oder zeitweise untersagen, beschränken, behindern oder weniger attraktiv machen22. Sofern man auch im Rahmen von Art. 56 EG für eine Übernahme der Grundsätze der Keck-Rechtsprechung eintritt, sind alle Regelungen, die Inländer und Ausländer im Inland rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren und damit den Marktzugang nicht beeinträchtigen („Modalitäten“), nicht als Beschränkungen der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit anzusehen23. Hierzu könnte man etwa allgemeine Regelungen des Anlegerschutzes und des Steuerwesens zählen24. Wie bei den anderen Grundfreiheiten sind zudem im Anwendungsbereich der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit ungeschriebene Einschränkungen des Tatbestands von Art. 56 EG anerkannt. Beschränkungen sind danach dann ausnahmsweise zulässig, wenn sie einem im Allgemeininteresse liegenden Ziel dienen, in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Geeignetheit und Erforderlichkeit) beachten25. Als anerkennenswerte Allgemeininteressen wurden etwa der Schutz des Vertrauens der Kapitalanleger in die nationalen Kapitalmärkte26, Aspekte der Raumplanung27 oder die Erhaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung28 betrachtet. Rein finanzielle Interessen sind hingegen kein Rechtfertigungsgrund29. EuGH, Rs. C-302 / 97 (Konle), Slg. 1999, I-3099, Tz. 24. EuGH, Rs. C-367 / 98 (Kommission / Portugal), Slg. 2002, I-4731, Tz. 43 ff.; EuGH Rs. C-98 / 01 (Kommission / Vereinigtes Königreich), Slg. 2003, I-4641, Tz. 43. 22 EuGH, Rs. C-222 / 95 (Parodi), Slg. 1997, I-3899, Tz. 18; Zäch, Grundzüge des Europ. Wirtschaftsrechts, 2. Aufl. 2005, Rn. 545. 23 EuGH Rs. C-98 / 01 (Kommission/Vereinigtes Königreich), Slg. 2003, I-4641, Tz. 52; vgl. auch zur Dienstleistungsfreiheit EuGH, Rs. C-384 / 93 (Alpine Investments), Slg. 1995, I-1141, Tz. 33 ff. 24 Bröhmer, in: Callies / Ruffert (Hrsg.), Art. 56 EG Rn. 51. 25 Gegeben im Fall EuGH, Rs. C-300 / 01 (Salzmann), Slg. 2003, I-4899, Tz. 42; nicht gegeben im Fall EuGH, verb. Rs. C-515 / 99, C-519 / 99 bis C-524 / 99 und C-526 / 99 bis 540 / 99 (Reisch u. a.), Slg. 2002, I-2157, Tz. 37 ff. 26 EuGH, Rs. C-384 / 93 (Alpine Investments), Slg. 1995, I-1141, Tz. 40 ff. (das Gericht prüfte den Fall allerdings nur im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit). 27 EuGH, verb. Rs. C-515 / 99, C-519 / 99 bis C-524 / 99 und C-526 / 99 bis 540 / 99 (Reisch u. a.), Slg. 2002, I-2157, Tz. 34. 28 EuGH, Rs. C-452 / 01 (Ospelt und Schlössle Weissenberg), Slg. 2003, I-9743, Tz. 39. 20 21
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Die Berufung auf die Kapitalverkehrsfreiheit durch ein Unternehmen, das in seinem Herkunftsstaat überhaupt keiner Bankenaufsicht unterliegt, kann zudem unter Umständen als rechtsmißbräuchlich angesehen werden30. Das im Gemeinschaftsrecht inzwischen als allgemeiner Rechtsgrundsatz etablierte Rechtsmißbrauchsverbot31 bildet eine weitere Schranke der Grundfreiheiten. Allerdings hat der EuGH für die Ausübung der Niederlassungsfreiheit festgestellt, daß diese auch dann nicht rechtsmißbräuchlich bzw. betrügerisch ist, wenn damit gezielt einem als strenger angesehenen Recht aus dem Weg gegangen wird32. Diese Rechtsprechung ist jedoch auch vor dem Hintergrund einer weitreichenden Harmonisierung des EGGesellschaftsrechts zu sehen und nicht ohne weiteres auf das Verhältnis zu Drittstaaten übertragbar. Einem Finanzdienstleistungsunternehmen aus einem Drittstaat sollte daher dann die Berufung auf die Kapital- und Zahlungsverkehrsverkehrsfreiheit aus Gründen des Rechtsmißbrauchs verwehrt sein, wenn es seinen Sitz gerade zum Zwecke der Umgehung deutschen Aufsichtsrechts in dem betreffenden Drittstaat genommen hat33.
c) Rechtfertigung von Eingriffen in die Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit Art. 58 I EG sieht verschiedene allgemeine Möglichkeiten zur Beschränkung des Kapital- und Zahlungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und gegenüber Drittstaaten vor. In Art. 58 Abs. 1 lit. a EG findet sich zunächst ein Vorbehalt zugunsten von steuerrechtlichen Differenzierungen. Besonders bedeutsam ist jedoch, daß Beschränkungen des Kapital- und Zahlungsverkehrs nach Art. 58 Abs. 1 lit. b EG auch mit der Verhinderung von Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie mit der Erforderlichkeit von Meldeverfahren und Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gerechtfertigt werden können34. Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit EuGH, Rs. C-367 / 98 (Kommission / Portugal), Slg. 2002, I-4731, Tz. 52. Siehe dazu auch VG Frankfurt / M. v. 11. 10. 2004 WM 2005, 503, 513 f. (2. Vorlagefrage). 31 Siehe generell zum Institut des Rechtsmißbrauchs im Recht der Grundfreiheiten die st. Rspr. seit EuGH v. 3. 12. 1974, Rs. C-33 / 74, Slg. 1974, 1299, Rz. 13 (Van Binsbergen); EuGH v. 5. 10. 1994 Rs. C-23 / 93, Slg. 1994, I-4795 Tz. 20 ff. und EuGH v. 14. 12. 1986 Rs. 205 / 84 (Kommission / Deutschland), Slg. 1986, 3755 Tz. 22); eingehend Ottersbach, Rechtsmißbrauch bei den Grundfreiheiten des Europäischen Binnenmarkts, 2001 und A. Zimmermann, Das Rechtsmißbrauchsverbot im Recht der Europäischen Gemeinschaften, 2002, S. 68 ff.; überblicksartig Fleischer JZ 2003, 865 ff. 32 EuGH V. 9. 3. 1999, Rs. C-212 / 97, Slg. 1999, I-1459. Rz. 23 ff. m. w. N. (Centros) und EuGH v. 30. 9. 2003 Rs. C-167 / 01 (Inspire Art), NJW 2003, 3331 Tz. 136 ff. 33 So auch VG Frankfurt / M. v. 11. 10. 2004 WM 2005, 503, 513 f.; vgl. auch zu diesen Voraussetzungen des Rechtsmißbrauchs den Erwägungsgrund 9 der RL 2000 / 12 / EG. 34 Erfaßt werden etwa Maßnahmen zur Sicherstellung der Wirksamkeit der Steueraufsicht und zur Bekämpfung rechtswidriger Handlungen (z. B. Steuerhinterziehung, Geldwäsche, 29 30
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können allerdings nur unter zusätzlichen Voraussetzungen geltend gemacht werden35: Zunächst muß eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein nicht nur vorgeschobenes Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Die einschlägigen Normen sind bestimmt genug zu formulieren und es muß jedem Betroffenen ein Rechtsbehelf zur Verfügung stehen. Der Einsatz des konkreten Mittels muß schließlich zum Schutz der ins Auge gefaßten Belange geeignet und erforderlich sein. Gerechtfertigt sind schließlich noch Beschränkungen, die mit zulässigen Beschränkungen des Niederlassungsrechts verbunden sind (Art. 58 II EG). Unzulässig sind in jedem Fall aber Maßnahmen und Verfahren, die zu einer willkürlichen Diskriminierung oder verschleierten Beschränkung des freien Kapitalund Zahlungsverkehrs führen (Art. 58 III EG). Der freie Kapital- und teilweise auch der Zahlungsverkehr mit Drittländern kann zudem nach Art. 57 EG in einem größeren Maße beschränkt werden. Zunächst bleiben nach Art. 57 Abs. 1 EG die am 31. 12. 1993 gegenüber Drittstaaten geltenden mitgliedstaatlichen oder gemeinschaftlichen Regelungen im Zusammenhang mit Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien, mit der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten von Art. 56 EG unberührt. Der Rat kann nach Art. 57 II weitere beschränkende Maßnahmen in den genannten Bereichen ergreifen. Nach Art. 59 sind gegenüber Drittstaaten zudem auf max. sechs Monate beschränkte Maßnahmen des Rates (nicht auch der Mitgliedstaaten) zum Schutz des Funktionierens der Wirtschafts- und Währungsunion denkbar. Diese Maßnahmen dürfen jedoch nur aus wirtschaftlichen und nicht auch aus politischen Gründen ergriffen werden. Dies ist anders bei Art. 60 EG, der gemeinschaftliche und durch die Gemeinschaft kontrollierte mitgliedstaatliche Embargomaßnahmen im Bereich des Kapital- und Zahlungsverkehrs gegenüber Drittstaaten im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ermöglicht.
Drogenhandel, Terrorismus); siehe dazu auch EuGH, verb. Rs. C-163 / 94, 165 / 94 und 250 / 94 (Sanz de Lera u. a.), Slg. 1995, I-4821, Tz. 22 (Zulässigkeit einer Meldepflicht bei der Ausfuhr von Hartgeld, Banknoten oder Inhaberschecks) und EuGH, Rs. C-439 / 97 (Sandoz), Slg. 1999, I-7041, Tz. 24 (Zulässigkeit einer nicht diskriminierend von der Steuerverwaltung erhobenen und der gleichmäßigen Steuerbelastung dienenden Gebühr in Höhe von 0,8% des Werts von Darlehen, die ein gebietsansässiger Darlehensnehmer bei einem gebietsfremden Darlehensgeber aufnahm). 35 Zum Folgenden EuGH, Rs. C-54 / 99 (Eglise de scientologie), Slg. 2000, I-1335, Tz. 17 f. und 22.
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2. Liberalisierungsverpflichtungen unter dem GATS a) Maßgeblichkeit des GATS Das General Agreement an Trade in Services (GATS)36 von 1994 ist als multilaterales Abkommen Teil des GATT / WTO-Vertragssystems. Aufgrund des deutschen Vertragsgesetzes vom 15. 4. 1994 ist es Bestandteil des deutschen Rechts. Als völkerrechtlicher Vertrag begründet das GATS jedoch allein Rechte und Pflichten zwischen den Mitgliedstaaten, zu denen auch Japan gehört. Private Rechtssubjekte können sich nicht unmittelbar auf das Abkommen berufen, da es noch der Umsetzung durch nationale bzw. sekundärrechtliche Regelungen bedarf 37. Nach Ansicht des EuGH kann das Abkommen auch nicht zur Überprüfung von Sekundärrecht herangezogen werden, da Verstöße gegen das GATS nur im Rahmen des integrierten zwischenstaatlichen WTO-Streitschlichtungsverfahrens geltend gemacht werden sollen38. Die einschlägigen Regelungen des deutschen Bankenaufsichtsrechts sind jedoch völkerrechtsfreundlich in der Weise auszulegen, daß die Bundesrepublik Deutschland ihren Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem GATS-Abkommen möglichst nachkommt39.
b) Inhalt des GATS Das GATS besteht aus einem Rahmenabkommen mit u. a. zwei die Finanzdienstleistungen betreffenden Anlagen i. S. v. Art. XXIX GATS und dem 5. Protokoll v. 27. 2. 1998 über Finanzdienstleistungen40 sowie aus sektorspezifischen Listen der einzelnen Mitgliedstaaten zum Marktzugang und zur Inländerbehandlung (Art. XVI Abs. 1 i. V. m. XX GATS) bzw. zu Ausnahmen von der Meistbegünstigungsverpflichtung (Art. II Abs. 2 GATS) und schließlich noch aus einer Anzahl von Ministererklärungen über weitere Arbeitsprogramme. 36 BGBl. 1994 II, S. 1643; generell zum GATS Barth, Das allgemeine Übereinkommen über den internationalen Dienstleistungshandel (GATS), EuZW 1994, 455 ff.; ders., WTO: Liberalisierung bei Finanzdienstleistungen, Die Bank 1995, 632 ff.; ders., WTO: Liberalisierung der Finanzdienstleistungen, Die Bank 1998, 101 ff.; Barth / Putscher, Liberalisierung der Finanzdienstleistungen im Rahmen des GATT, Die Bank 1994, 132 ff.; Eckert, Die Liberalisierung internationaler Finanzdienstleistungen durch das General Agreement an Trade in Services (GATS), 1997; Werner, Das WTO-Finanzdienstleistungsabkommen, 1999. 37 Ohler (Fn. 16), 347; Vahldiek, GATS und Bankaufsichtsrecht, BKR 2003, 971 mit Fn. 9. 38 EuGH, Rs. C-149 / 96 (Portugal / Rat), Slg. 1999, I-8395, Tz. 41 ff.; siehe dazu auch Art. XXIII GATS). 39 Siehe dazu gerade auch im vorliegenden Zusammenhang Vahldiek (Fn. 37), 975. 40 Fünftes Protokoll zum Allgemeinen Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen, BGBl. 1999 II, S. 312 ff. (engl.) bzw. 328 ff. (dt.); näher zu den Regelungen für den Finanzsektor Ohler (Fn. 16), 346 ff.; Kokott, Liberalisierung der Finanzdienstleistungen im Rahmen der WTO – Auswirkungen auf Deutschland, Österreich und die Schweiz, RIW 2000, 401 ff.; Barth (Fn. 36), Die Bank 1994, 132, 133 ff.; ders. (Fn. 36), Die Bank 1998, 101 ff.
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Das GATS-Rahmenabkommen enthält unmittelbar nur die Pflicht zur Meistbegünstigung (Art. II GATS) und Transparenz (Art. III GATS) sowie einige institutionelle Regelungen. Eine Ausnahme vom Meistbegünstigungsgrundsatz, der eine rechtliche oder auch nur faktische Diskriminierung zwischen gleichen ausländischen Dienstleistungen bzw. Dienstleistern verbietet, besteht nach Art. V und Vbis zugunsten von regionalen Integrationsverbänden wie der EG. Von der Pflicht zur Meistbegünstigung kann zudem durch eine entsprechende Erklärung zeitlich befristet abgewichen werden (Art. II Abs. 2 GATS). In Art. II Abs. 3 GATS ist eine Ausnahme für unmittelbare Grenzgebiete enthalten. Das Protokoll über Finanzdienstleistungen enthält Begriffsdefinitionen, eine Bereichsausnahme zugunsten der Geld- und Währungspolitik sowie sektorspezifische Schrankenregelungen. Institutionell wurde ein Finanzdienstleistungsausschuß eingerichtet, der die Anwendung des Abkommens überwachen und Vorschläge für weitere Maßnahmen machen soll. Die konkreten Liberalisierungsverpflichtungen der Mitgliedstaaten zur Gewährung von Marktzugang (Art. XVI GATS) und Inländerbehandlung (Art. XVII GATS) ergeben sich nicht unmittelbar aus dem GATS-Rahmenabkommen, sondern erst aus gesondert ausgehandelten und einseitig für völkerrechtlich verbindlich erklärten Zugeständnislisten, die jedes Mitgliedsland mit individuellen Bedingungen und Beschränkungen für von ihm ausgewählte Dienstleistungsbereiche vorzulegen hat (Art. XVI Abs. 1 i. V. m. XX GATS). Für den Bereich der Finanzdienstleistungen besteht immerhin mit der Vereinbarung über Verpflichtungen bei Finanzdienstleistungen (Understanding an Commitments in Financial Services)41 eine multilateral vereinbarte Ministererklärung, deren Inhalt insgesamt als Mindeststandard in die einzelnen Zugeständnislisten übernommen werden kann und von der EG sowie ihren Mitgliedstaaten auch übernommen wurde. Hierzu gehören u. a. das Recht zur Gründung einer Tochtergesellschaft, zur Errichtung oder Erweiterung einer Zweigniederlassung sowie zur vorübergehenden Einreise von Personal. Monopole und Nachteile der Universalbanken im Trennbankensystem sollen aufgehoben bzw. in ihrem Umfang reduziert werden. Die Inländerbehandlung ist vor allem beim Zugang zu staatlichen Zahlungs- und Clearingsystemen sowie zu Refinanzierungsmöglichkeiten sicherzustellen. Auch die EU und ihre Mitgliedstaaten sind entsprechende Verpflichtungen eingegangen, womit zugleich eine Reihe von Gegenseitigkeitsbestimmungen in EGRichtlinien und nationalen Gesetzen gegenstandslos geworden sind42. Insbesondere die freie Inanspruchnahme von Dienstleistungen im Ausland wird den deutschen Vertragspartnern ausländischer Kreditinstitute nach Abschn. B. 4. lit. c der Vereinbarung über Verpflichtungen bei Finanzdienstleistungen43 garantiert. Hieraus folgt ein generelles Verbot kundengerichteter Beschränkungen der Finanz41 42 43
BGBl. 1994 II, S. 1675; dazu naher Ohler (Fn. 16), 356 ff. Barth (Fn. 36), Die Bank 1998, 101, 102. BGBl. 1994 II, S. 1675.
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dienstleistungsfreiheit (sog. passive Dienstleistungsfreiheit). Im Hinblick auf die Gewährung der aktiven Dienstleistungsfreiheit sind die EG und ihre Mitgliedstaaten im Gegensatz zu einigen anderen Mitgliedern hingegen nur sehr beschränkte Verpflichtungen eingegangen, die später noch näher betrachtet werden sollen44.
c) Rechtfertigung von Beschränkungen Hinsichtlich der Schranken der GATS-Finanzdienstleistungsfreiheit ist zwischen den allgemeinen Bestimmungen des GATS, den sektorspezifischen Regelungen in den Anlagen und im Fünften Protokoll zum GATS über Finanzdienstleistungen sowie den mitgliedstaatlichen Zugeständnislisten zu unterscheiden. Bereits das GATS nennt in Art. XII (Zahlungsbilanzstörungen und Zahlungsschwierigkeiten), Art. XIV (öffentliche Ordnung, Verbraucherschutz, Datenschutz, Sicherung der direkten Besteuerung) und Art. XIVbis (Schutz von Sicherheitsbelangen) zahlreiche Rechtfertigungsgründe für Diskriminierungen und Beschränkungen. Die von der EG und ihren Mitgliedstaaten wie Deutschland eingegangenen GATS-Verpflichtungen im Finanzdienstleistungsbereich stehen unter dem generellen Vorbehalt, daß ein Mitgliedstaat nach Abschn. 2 lit. a S. 1 der Anlage des GATS zu Finanzdienstleistungen45 nicht daran gehindert wird, aus Gründen seiner Aufsichtspflichten Maßnahmen einschließlich Maßnahmen zum Schutz von Investoren, Einlegern, Versicherungsnehmern oder Personen, denen gegenüber ein Erbringer von Finanzdienstleistungen treuhänderische Verpflichtungen hat, oder zur Sicherung der Integrität und Stabilität seines Finanzsystems zu treffen (sog. prudential carve out). Die danach prinzipiell möglichen Aufsichtsmaßnahmen unterliegen allerdings wiederum auf unterschiedlichsten Ebenen des Vertragswerks diversen Voraussetzungen inhaltlicher und verfahrensmäßiger Art. Nach Art. VI Abs. 1 GATS müssen die Maßnahmen angemessen, objektiv und unparteiisch angewendet werden. Sie dürfen danach und nach Abschn. 2 lit. a S. 2 der Anlage des GATS zu Finanzdienstleistungen46 nicht zur Umgehung der Liberalisierungsverpflichtungen oder zu aufsichtsfremden Zwecken mißbraucht werden und müssen verhältnismäßig sein. Unter mehreren gleichermaßen in Betracht kommenden Aufsichtsmitteln ist das mildeste auszuwählen. Die Standstill-Klausel in Abschn. A der Vereinbarung über Verpflichtungen bei Finanzdienstleistungen47 verpflichtet zudem 44 Siehe dazu Abschn. B. 3. lit. c der Vereinbarung über Verpflichtungen bei Finanzdienstleistungen (BGBl. 1994 II, S. 1675) i. V. m. Abschn. 5 lit. a Ziff. xvi der Anlage des GATS zu Finanzdienstleistungen (BGBl. 1994 II, S. 1660) sowie Abschn. B. 5 – 7 der Vereinbarung. 45 BGBl. 1994 II, S. 1660 f. 46 BGBl. 1994 II, S. 1660 f. 47 BGBl. 1994 II, S. 1675.
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alle Mitgliedstaaten dazu, die Bedingungen, Einschränkungen und Vorbehalte hinsichtlich ihrer Marktöffnungsverpflichtungen nach Inkrafttreten der Vereinbarung im Jahre 1994 nicht mehr zu verschärfen.
3. OECD-Kodizes Die OECD hat mit dem Code of Liberalization of Current Invisible Operations (1961) und dem Code of Liberalization of Capital Movements (1961; Novelle von 1984) zwei Initiativen zur Liberalisierung des internationalen Kapitalverkehrs ergriffen48. Aufgrund ihres begrenzten Anwendungsbereichs sowie bestehender Vorbehalte und Ausnahmerechte haben die Kodizes jedoch nur eine geringe praktische Bedeutung49.
III. Besondere Marktzugangsbedingungen für japanische Kreditinstitute 1. Spezifische Marktzugangsregelungen für japanische Kreditinstitute Nach § 53c KWG können Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums der Finanzen vollständig oder teilweise den Unternehmen aus einem EWR-Staat (§ 53b KWG) gleichgestellt werden. Der Erlaß entsprechender Verordnungen kann dabei insbesondere von staatsvertraglichen Vereinbarungen über die Gegenseitigkeit abhängig gemacht werden. Da das GATS kein Abkommen der EG i. S. v. § 53c Nr. 1 KWG ist und ein EG-Abkommen mit Japan nicht besteht, kommt allein eine bevorzugte Behandlung nach § 53c Nr. 2 KWG in Betracht. Nach Verhandlungen mit der japanischen Bankenaufsichtsbehörde hat das Bundesministerium der Finanzen am 13. 12. 1995 eine Verordnung erlassen, die die Zweigniederlassungen japanischer Kreditinstitute, die der Aufsicht der FSA unterstehen, teilweise von der deutschen Bankenaufsicht freistellt50. Außerhalb des von der Freistellung abgedeckten Bereichs unterliegt die Zweigstelle der gewöhnlichen Aufsicht nach § 53 KWG und bedarf nach § 53 Abs. 2 i. V. m. § 32 Abs. 1 S. 1 KWG der Zulassung. Ende 2002 waren vier japanische Zweigniederlassungen nach § 53c Nr. 2 KWG in Deutschland tätig51.
OECD, Einführung in die Liberalisierungskodizes der OECD, 1987, S. 1 ff. Möschel, in: Fehl u. a. (Hrsg.), Probleme der internationalen Koordination der Wirtschaftspolitik, 1990, S. 151, 160. 50 Abgedruckt bei Consbruch / Möller / Bähre / Schneider, KWG, Nr. 2.09 lit. b; siehe dazu auch das Schreiben der BaKred vom 16. 1. 1996 (abgedruckt bei Consbruch / Möller / Bähre / Schneider, KWG, Nr. 21.02 lit. e und 21.03). 51 Marwede, in: Boos / Fischer / Schulte-Mattler (Hrsg.), KWG 2. Aufl. 2004, § 53c Rn. 1. 48 49
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2. Gleichwertigkeit und Kooperationsbereitschaft der japanischen Finanzdienstleistungsaufsicht Für die Zutrittsbedingungen eines Instituts aus einem Drittstaat zum deutschen Markt für Bankdienstleistungen kommt es in vielerlei Hinsicht auf die Frage nach der Gleichwertigkeit und Effektivität sowie die Kooperationsbereitschaft der ausländischen Finanzdienstleistungsaufsicht an. Dies gilt etwa für §§ 2 Abs. 4, 53c Abs. 2 KWG und Art. 58 Abs. 1 lit. b EG. Es soll daher kurz zu dieser Frage im Hinblick auf die japanische Finanzdienstleistungsaufsicht Stellung genommen werden. Die Krise der japanischen Banken und ihre schlechte Eigenkapitalausstattung aufgrund des langjährigen und in seinen Dimensionen außergewöhnlichen Problems der notleidenden Kredite sind allgemein bekannt52. Dies könnte ein besonderes Bedürfnis nach Aufsicht durch die BaFin nahelegen. Es darf in diesem Zusammenhang aber auch nicht verkannt werden, daß sich die japanische Finanzbranche seit geraumer Zeit auf einem staatlich unterstützten Konsolidierungskurs befindet53. Der traditionell besonders stark regulierte japanische Bankensektor wurde in den letzten Jahren deutlich liberalisiert54. Insbesondere die den Wettbewerb zwischen den Banken im Interesse der Institutssicherung einschränkenden Regelungen (sog. Konvoi-System) wurden deutlich abgebaut55. Das Augenmerk wird inzwischen nicht mehr nur auf den Erhalt, sondern auch auf die Effizienz und internationale Konkurrenzfähigkeit der Banken gelegt. Das Schwergewicht der Aufsicht hat sich von einer Regulierung des Wettbewerbs hin zur Finanzaufsicht verlagert56. Die Aufsicht insbesondere über international agierende Banken wurde durch mehrere Reformen gestärkt. So wurde der Bank von Japan das Recht eingeräumt, die Geschäfts- und Vermögenslage ihrer Geschäftspartner zu überprüfen, und somit ein duales System der Prüfung durch die Bank von Japan und die Aufsichtsbehörde geschaffen57. Die Bankenaufsicht wurde mit der Gründung der
52 Siehe dazu die vom IWF im Jahre 2003 im Rahmen des Financial Sector Assessment Program erstellte Studie „Japan: Financial System Stability Assessment and Supplementary Information“ (abrufbar unter http://www.imf.org/external/pubs/ft/scr/2003/cr03287.pdf) sowie Yamauchi, Gegenwärtiger Stand des japanischen Bankenaufsichtsrechts – Ein Beispiel für Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Marktfreiheit und staatlicher Inpflichtnahme, in: Blaurock / Schwarze (Hrsg.), Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Marktfreiheit und staatlicher Inpflichtnahme, EuR-Beiheft Nr. 2 2004, S. 61 ff. 53 Siehe dazu näher Bebenroth, Japans Banken auf dem Weg in eine bessere Zukunft, Die Bank 2004, 78 ff. und (teilweise jedoch skeptisch) Yamauchi (Fn. 52), 63 ff. 54 Dazu näher Yamauchi, Stand und Perspektiven der Deregulierung in Japan, in: Blaurock (Hrsg.), Grenzen des Wettbewerbs auf deregulierten Märkten, 1999, S. 29 ff.; Agata, Probleme und Perspektiven der Fortentwicklung der japanischen Bankenregulierung, in: Pitschas (Hrsg.), Integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht – Bankensystem und Bankenaufsicht vor den Herausforderungen der Europäischen Wirtschafts- und Wahrungsunion, Berlin 2002, S. 119 ff. 55 Näher Yamauchi (Fn. 52), 61 f. 56 Dazu näher Agata (Fn. 54), 119 ff. 57 Agata (Fn. 54), 135.
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Financial Services Agency (FSA) im Jahre 2001 gegenüber dem Finanzministerium verselbständigt58. Die FSA hat sich in den letzten Jahren zu einer Behörde entwickelt, die eine effektive Allfinanzaufsicht nach internationalen Standards durchführt59. Sie entsendet Vertreter in das Committee an Banking Regulation and Supervisory Practices (Baseler Ausschuß) bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel und befolgt faktisch dessen Beschlüsse (Konkordate). Damit bilden auch die Baseler Konkordate von 1975, 1983 und 199260 die Grundlage für eine Kooperation der japanischen FSA mit der deutschen BaFin insbesondere hinsichtlich Zuständigkeitsabgrenzung, Informationsaustausch und guidelines of best practices. Was die Standards (core principles) bei der Beaufsichtigung von Eigenmittel- und Solvabilitätsvorschriften anbetrifft, so finden der Baseler Eigenkapitalakkord von 1988 (International Convergence of Capital Measurement and Capital Standards; kurz: Basel I)61 und dessen Novellierung von 2004 (kurz: Basel II)62 Beachtung63. Bei fehlender Wettbewerbsfähigkeit unterliegen die japanischen Kreditinstitute zudem einem besonderen Verstaatlichungsdruck64.
IV. Rechtliche Behandlung der unterschiedlichen Formen des Marktzugangs 1. Gründung einer Tochtergesellschaft Kreditinstitute mit Sitz in Japan können zunächst eine selbständige Tochtergesellschaft in Deutschland oder einem anderen EWR-Mitgliedstaat gründen. Die Zulassung einer deutschen Tochtergesellschaft, die die Merkmale eines Tochterunternehmens i. S. v. § 1 Abs. 7 S. 1 KWG aufweist, richtet sich nach §§ 32 ff. KWG. Die Tochtergesellschaft des japanischen Unternehmens ist insoweit nahezu der Tochtergesellschaft eines Unternehmens mit Sitz in Deutschland gleichgestellt. Nach § 33 Abs. 1 Nr. 8 KWG ist die Zulassung allerdings zu versagen, wenn die japanische Aufsichtsbehörde, die Financial Services Agency (FSA), der Gründung der Tochtergesellschaft in Deutschland nicht zugestimmt hat. § 33 Abs. 3 S. 1 KWG ermöglicht der BaFin zudem in Umsetzung der BCCI-RL 95 / 26 / EG eine Versagung der Erlaubnis, wenn die Beaufsichtigung durch natürliche oder juristiSiehe dazu die Homepage der FSA http://www.fsa.go.jp/indexe.html. Bebenroth (Fn. 53), 79. 60 Http://www.bis.org/publ/bcbs312.pdf. 61 Http://www.bis.or/publ/bcbs04.pdf. 62 Http://www.bis.or/publ/bcbs107.pdf. 63 Dazu eingehend Bovensiepen, Die neuen Baseler Eigenkapitalvorschriften und ihre Auswirkungen auf das japanische Kreditgewerbe, in: Japan Analysen Prognosen Nr. 188 (6 / 2003), S. 1 ff. 64 Siehe dazu insbesondere unter Hinwels auf das Beispiel der Privatbank Resona Yamauchi (Fn. 52), 74 f. und Bebenroth (Fn. 53), 78 ff. 58 59
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sche Personen, zu denen das Unternehmen enge Verbindungen hat, oder durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Drittstaats, denen diese Personen unterstehen, bzw. durch Schwierigkeiten bei deren Anwendung beeinträchtigt wird65. Gründe für die Versagung könnten mithin die undurchsichtige Struktur des Beteiligungsgeflechts (§ 33 Abs. 3 S. 1 Nr. 1), die Beeinträchtigung der Aufsicht durch die Rechts- oder Verwaltungsvorschriften Japans (§ 33 Abs. 3 S. 1 Nr. 2) oder die unzureichende Beaufsichtigung der Muttergesellschaft durch die japanische Aufsichtsbehörde FSA bzw. deren mangelnde Kooperation mit der deutschen BaFin sein (§ 33 Abs. 3 S. 1 Nr. 1). Nach § 53d Nr. 2 und 3 hat die BaFin schließlich noch die Erteilung der Erlaubnis an die Tochtergesellschaft bzw. die Unterordnung eines in Deutschland zugelassenen Instituts unter eine japanische Muttergesellschaft der EU-Kommission zu melden66. Die Zulassung einer Tochtergesellschaft in einem anderen EWR-Staat richtet sich nach dem jeweiligen nationalen Aufsichtsrecht, das aufgrund der Harmonisierung durch EG-Richtlinien weitgehend dem deutschen Aufsichtsrecht entspricht. Die Tochtergesellschaft des japanischen Unternehmens kann nach erfolgter Zulassung sämtliche Grundfreiheiten des EG-Vertrags und die Behandlung nach dem Sitzlandprinzip auch in Deutschland beanspruchen. Damit wird sie weitgehend einer in Deutschland gegründeten und zugelassenen Tochtergesellschaft gleichgestellt (§ 53b KWG). Eine auch praktisch wichtige Ausnahme vom Sitzlandprinzip und der damit verbundenen Gleichstellung bildet jedoch die Überwachung der Liquidität von Zweigstellen der Tochtergesellschaft durch den Aufnahmestaat Deutschland (§ 53b Abs. 3 und 4 KWG)67. Außerdem kann die EWR-Tochtergesellschaft hinsichtlich der Gestaltung und des Vertriebs von Finanzdienstleistungsprodukten dann an zusätzliche bzw. strengere Bestimmungen des Gastlandes Deutschland gebunden sein, wenn diese Bestimmungen im Allgemeininteresse, d. h. vor allem des Kundenschutzes, zwingend erforderlich sind68. Für die Errichtung von Zweigstellen in anderen Mitgliedstaaten wird diese Möglichkeit des Aufnahmemitgliedstaats durch das aufsichtsrechtliche Sekundärrecht ausdrücklich durch entsprechende Verfahrensregelungen bestätigt69. Im übrigen ist allerdings zu berücksichtigen, daß insoweit das Sekundärrecht bereits zu einem umfangreichen Mindestschutz geführt hat, der regelmäßig das Bedürfnis nach weiteren nationalen Regelungen ausschließt. Bei der Gründung einer EWR-Tochtergesellschaft kann sich das japanische Mutterunternehmen auf die erga omnes wirkende Kapital- und ZahlungsverkehrsArt. 2 II RL 95 / 26 / EG, Art. 7 III RL 2000 / 12 / EG und Art. 6 II RL 2002 / 83 / EG. Siehe dazu auch Art. 23 I RL 2000 / 12 / EG. 67 Siehe dazu auch Art. 27 RL 2000 / 12 / EG. 68 Siehe dazu insbesondere Art. 22 V, XI RL 2000 / 12 / EG und die Mitteilung der Kommission v. 20. 6. 1997 zu Auslegungsfragen über den freien Dienstleistungsverkehr und das Allgemeininteresse in der Zweiten Bankenrichtlinie (ABl. C 209 v. 10. 7. 1997, S. 6). 69 Siehe etwa Art. 22 II, V und XI RL 2000 / 12 / EG. 65 66
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freiheit nach Art. 56 ff. EG berufen. Die Gründung einer Tochtergesellschaft stellt nämlich nicht nur eine Ausübung der sekundären Niederlassungsfreiheit, sondern auch eine Kapitalinvestition dar. Da die Regelungen zur Niederlassungsfreiheit auf Unternehmen aus Drittstaaten nicht anwendbar sind, steht auch die sog. Schwerpunkttheorie70 einer Anwendung der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit nicht entgegen, zumal beide Freiheitsgewährleistungen aufgrund eines wechselseitigen Vorbehalts (Art. 43 II und Art. 58 II EG) unbeeinträchtigt nebeneinander stehen71. Die Errichtung einer Tochtergesellschaft durch ein japanisches Kreditinstitut in Deutschland bildet einen Fall der von Art. I Abs. 2 lit. c GATS in den sachlichen Anwendungsbereich des Abkommens einbezogenen sog. kommerziellen Präsenz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitglieds i. S. v. Art. XXVIII lit. d GATS72. Nach Abschn. B. 5. der Vereinbarung der GATS-Mitgliedstaaten über Verpflichtungen bei Finanzdienstleistungen73 hat Deutschland die Errichtung kommerzieller Präsenzen grundsätzlich ohne Einschränkungen zu gestatten. Die Zweigstelle kann dann Finanzdienstleistungen nach sämtlichen Erbringungsarten anbieten, die in Art. XXVIII lit. b GATS aufgeführt sind. Dabei können einzelne Tätigkeiten unter den Voraussetzungen von § 25a Abs. 2 KWG auch von der japanischen Muttergesellschaft übernommen werden74. Deutschland kann nach Abschn. B. 6. Bedingungen und Verfahren hinsichtlich der Genehmigung der Errichtung und des Ausbaus einer kommerziellen Präsenz nur insoweit festlegen, als diese die Pflicht des Mitglieds zur Marktöffnung nach Abschn. B. 5. nicht umgehen und mit den anderen Verpflichtungen aus dem Abkommen vereinbar sind. Daraus folgt ein Verbot der generellen Vereitelung des Marktzugangs für Tochtergesellschaften von Unternehmen aus GATS-Mitgliedstaaten wie Japan. Darüber hinaus müssen sämtliche Maßnahmen zur Verwirklichung des Schutzes von Investoren, Einlegern oder des Finanzsystems geeignet sein (vgl. Abschn. 2 lit. a der Anlage des GATS zu Finanzdienstleistungen75), das vergleichsweise mildeste Mittel darstellen und verhältnismäßig sein. Im übrigen könnte Deutschland Marktzugangsbeschränkungen allenfalls noch als Sanktion praktizieren, wenn sich herausstellen sollte, daß Finanzdienstleistungsunternehmen mit Sitz in Deutschland bei ihrer Niederlassung oder 70 Zur ausschließlichen Anwendung der Niederlassungsfreiheit bei Direktinvestitionen nach der Schwerpunkttheorie Bröhmer, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), Art. 56 EG Rn. 16 ff. 71 EuGH, C-302 / 97 (Konle), Slg. 1999, I-3099, Tz. 22; EuGH, Rs. C-452 / 01 (Ospelt und Schlössle Weissenberg), Slg. 2003, I-9743, Tz. 24; Ress / Ukrow, in: Grabitz / Hilf (Hrsg.), Art. 56 EG Rn. 28; Bröhmer, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), Art. 56 EG Rn. 22 ff. 72 Siehe dazu auch Abschn. D. 2. der Vereinbarung der GATS-Mitgliedstaaten über Verpflichtungen bei Finanzdienstleistungen (BGBl. 1994 II, S. 1675 ff.). 73 BGBl. 1994 II, S. 1675 ff. 74 Siehe dazu auch das Merkblatt der BaFin vom April 2005 mit Hinweisen zur Erlaubnispflicht nach § 32 Abs. 1 KWG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 und Abs. 1 a KWG von grenzüberschreitend betriebenen Bankgeschäften und / oder grenzüberschreitend erbrachten Finanzdienstleistungen (abrufbar unter http://www.bafin.de/cgi-bin/bafin.pl unter dem Stichwort Rechtliche Grundlagen und Verlautbarungen / Sonstiges), S. 1 f. 75 BGBl. 1994 II, S. 1660 f.
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Geschäftstätigkeit in Japan auf Schwierigkeiten stoßen und die EG hierauf auf Veranlassung Deutschlands Sanktionsmaßnahmen ergriffen hätte76.
2. Errichtung einer Zweigstelle Die Zulassung von und die Aufsicht über Zweigstellen von Drittlandsunternehmen in Deutschland richtet sich nach §§ 53, 53c KWG, die die allgemeinen Regelungen teilweise modifizieren. Danach muß die Zweigstelle insbesondere über ein ausreichendes Betriebskapital (§ 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KWG) sowie mindestens zwei fachlich geeignete77 und zuverlässige natürliche Personen mit Wohnsitz in Deutschland als bestellte Geschäftsleiter (§ 33 Abs. 2 Nr. 1 KWG) verfügen. Die Errichtung einer Zweigstelle und deren Tätigkeit werden vom EG-Recht grundsätzlich nicht erfaßt. Zu beachten ist lediglich die erga omnes wirkende Gewährleistung der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (Art. 56 ff. EG). Aus dem Gemeinschaftsrecht ergibt sich zudem die Vorgabe, daß für die Aufnahme von Finanzdienstleistungsaktivitäten durch Zweigstellen überhaupt eine Zulassung und eine laufende Aufsicht erforderlich sind78. Außerdem dürfen die Mitgliedstaaten Zweigstellen von Drittlandsunternehmen nicht besser behandeln als solche von Mitgliedstaatsunternehmen (Meistbegünstigung) und müssen der Kommission entsprechende Zulassungen melden79. Auch mit einer etwaigen Zulassung in einem EWR-Mitgliedstaat genießt die Zweigstelle jedoch mit Ausnahme der Art. 56 ff. EG nicht die Grundfreiheiten im Binnenmarkt. Von Bedeutung sind hier aber noch die Marktzugangsregelungen des GATS80. Die Errichtung einer Zweigstelle durch ein japanisches Kreditinstitut in Deutschland bildet ebenfalls einen Fall der von Art. I Abs. 2 lit. c GATS in den sachlichen Anwendungsbereich des Abkommens einbezogenen sog. kommerziellen Präsenz 76 Siehe dazu Art. 23 II bis V RL 2000 / 12 / EG; krit. zu diesen Sanktionsmöglichkeiten vor dem Hintergrund der von der EG und ihren Mitgliedstaaten eingegangenen GATS-Verpflichtungen Ohler, Europäische Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit, 2002, Art. 57 EGV Rn. 26 m. w. N. 77 Bei überwiegend im Geltungsbereich des KWG tätigen Geschäftsleitern setzt die fachliche Eignung die den Anforderungen entsprechende Beherrschung der deutschen Sprache oder einer international geläufigen Sprache (Englisch) voraus. Bei überwiegend außerhalb des Geltungsbereichs des KWG tätigen Geschäftsleitern wird die fachliche Eignung regelmäßig angenommen, wenn der Geschäftsleiter eine zeitnahe mindestens dreijährige leitende Tätigkeit bei einem Kreditinstitut von vergleichbarer Größe und Geschäftsart nachweisen und eine einjährige bankbezogene Tätigkeit im Geltungsbereich des KWG ausgeübt hat und grundsätzlich die deutsche Sprache beherrscht (siehe dazu Ziff. 6.1 des Merkblatts der Deutschen Bundesbank und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht über die Erteilung der Erlaubnis zum Betreiben von Bankgeschäften gemäß § 32 Abs. 1 KWG; abrufbar unter http://www.bundesbank.de/download/bankenaufsicht/pdf/erlaubnismerkblatt.pdf). 78 Vgl. dazu Art. 3, 4 und 24 II RL 2000 / 12 / EG. 79 Siehe dazu etwa Art. 24 I und II RL 2000 / 12 / EG. 80 Vgl. dazu auch etwa den Hinweis in Art. 24 III RL 2000 / 12 / EG.
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im Hoheitsgebiet eines anderen Mitglieds i. S. v. Art. XXVIII lit. d GATS81. Es kann daher auf die obigen Ausführungen zur Gründung einer Tochtergesellschaft verwiesen werden. 3. Errichtung einer Repräsentanz Nach § 53a KWG bedarf die Einrichtung einer Repräsentanz von Kreditinstituten mit Sitz in einem Drittstaat zwar nur der vorherigen Anzeige und der Bestätigung des Eingangs dieser Anzeige durch die BaFin, doch können über eine Repräsentanz aufgrund der fehlenden Erlaubnis durch die BaFin keine erlaubnispflichtigen Bankgeschäfte angebahnt, abgeschlossen oder abgewickelt werden. Eine Repräsentanz ist mithin nach deutschem Recht auf die Marktbeobachtung und repräsentative Funktionen beschränkt82. Diese Einschränkung ist jedoch unvereinbar mit dem GATS, da auch die Repräsentanz wie die Tochtergesellschaft und Zweigstelle zu den Formen der sog. kommerziellen Präsenz i.S.v. Art. I Abs. 2 lit. c und Art. XXVIII lit. d GATS zählt und die kommerzielle Präsenz nach der Definition in Abschn. D. 2. gerade durch die Erbringung von Finanzdienstleistungen gekennzeichnet ist83. Damit muß Deutschland nach Abschn. B. 5. der Vereinbarung der GATS-Mitgliedstaaten über Verpflichtungen bei Finanzdienstleistungen nicht nur die Errichtung als solche, sondern auch die Erbringung von Finanzdienstleistungen durch eine solche Repräsentanz grundsätzlich ermöglichen. Das generelle Verbot von Finanzdienstleistungen über Repräsentanzen kann dabei auch nicht durch den allgemeinen Aufsichtsvorbehalt gerechtfertigt werden, da aufsichtsrechtliche Maßnahmen ihrerseits nicht zur Umgehung von Marktzugangsverpflichtungen benutzt werden dürfen84. Vereinbar mit dem GATS wäre allenfalls eine Beschränkung auf bestimmte Finanzdienstleistungen wie etwa die Vorbereitung, Anbahnung und Vermittlung von Finanzdienstleistungen85. Der im deutschen Recht tradierte Unterschied zwischen Zweigstelle und Repräsentanz wird damit durch das GATS stark eingeebnet. 4. Schlichte grenzüberschreitende Erbringung von Finanzdienstleistungen Ein japanisches Kreditinstitut kann sich schließlich auch gegen eine eigene organisatorisch verfestigte Präsenz in Deutschland und für die schlichte grenzüber81 Siehe dazu auch Abschn. D. 2. der Vereinbarung der GATS-Mitgliedstaaten über Verpflichtungen bei Finanzdienstleistungen (BGBl. 1994 II, S. 1675 ff.). 82 Siehe dazu auch das Merkblatt der BaFin vom April 2005 (Fn. 74), S. 2. 83 Siehe dazu auch Abschn. D. 2. der Vereinbarung der GATS-Mitgliedstaaten über Verpflichtungen bei Finanzdienstleistungen (BGBl. 1994 II, S. 1675 ff.). 84 So auch Vahldiek (Fn. 37), 975. 85 So auch Vahldiek (Fn. 37), 975 unter Hinweis auf die Regierungsbegründung zur 6. KWG-Novelle, BT-Drucks. 13 / 7142, S. 66.
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schreitende Erbringung von Finanzdienstleistungen gegenüber deutschen Kunden über Fernkommunikationsmittel (v. a. Internet- und Telefonbanking) und / oder über angestellte oder freie Mitarbeiter bzw. über Partnerkreditinstitute entscheiden. Dabei hat man zwischen der aktiven, auf der Initiative des japanischen Instituts beruhenden und der passiven, d. h. auf der eigenen Initiative des Kunden beruhenden grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung zu unterscheiden. a) Erlaubnispflicht Nach dem Wortlaut von § 32 Abs. 1 S. 1 KWG bedarf grundsätzlich einer schriftlichen Erlaubnis, „wer im Inland gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, Bankgeschäfte betreiben oder Finanzdienstleistungen erbringen will“. Die Vorschrift soll zum Schutz der Marktgegenseite und im Interesse der Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte eine organisatorische und finanzielle Marktzugangskontrolle gewährleisten. Bei der Auslegung dieser Bestimmung geht es um die Entscheidung zwischen einem vertriebsbezogenen und einem institutsbezogenen Regulierungsansatz. aa) Vertriebsbezogener Regulierungsansatz Nach dem von der BaFin seit 2003 verfolgten86 und vom VG Frankfurt / M. gestützten87 vertriebsbezogenen Ansatz bedarf ein Kreditinstitut aus einem Drittstaat i. S. v. § 1 Abs. 5a S. 2 KWG der grundsätzlichen Erlaubnis nach § 32 Abs. 1 S. 1 KWG, wenn sie grenzüberschreitend und gewerbsmäßig Finanzdienstleistungen im Inland erbringt. Dies ist bereits dann der Fall, wenn sich das Kreditinstitut in Deutschland zielgerichtet an den Markt wendet, um gegenüber Unternehmen und / oder Personen, die ihren Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, wiederholt und geschäftsmäßig Bankgeschäfte anbietet (aktive Dienstleistungserbringung). Bei einem Vertrieb über das Internet kommt es darauf an, ob sich das Online-Angebot inhaltlich an Unternehmen und / oder Personen im Inland richtet88. Ein erlaubnispflichtiges Angebot im Inland liegt auch dann vor, wenn 86 Siehe dazu das Merkblatt der BaFin vom April 2005 (Fn. 74) sowie Ziff. 6.1 des Merkblatts der Deutschen Bundesbank und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht über die Erteilung der Erlaubnis zum Betreiben von Bankgeschäften gemäß § 32 Abs. 1 KWG (Stand Februar 2005; abrufbar unter http://www.bundesbank.de/download/bankenaufsicht/pdf/ erlaubnismerkblatt.pdf). 87 Siehe dazu die ein Finanzkommissions- und Kreditgeschäfte in Deutschland betreibendes schweizerisches Institut betreffenden Beschlüsse des VG Frankfurt / M. v. 7. 5. 2004 (Az. 9 G 6496 / 03; abrufbar über Jurion; zitiert im Beschluß des VG Frankfurt / M. v. 11. 10. 2005 und im Beschluß des Hess. VGH v. 21. 1. 2005, WM 2005, 1123) und v. 11. 10. 2004 WM 2005, 503. 88 Indizien sind insbesondere die Domainkennzeichnung, die Sprache, die auf deutsche wirtschaftliche und rechtliche Verhältnisse abgestimmte Kundeninformation über das Produkt und sein rechtliches Umfeld sowie über den Preis und die Zahlungsmodalitäten und die
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sich das japanische Kreditinstitut hierzu inländischer Institute oder freier Mitarbeiter bedient, was der Fall ist, wenn die vertragliche oder tatsächliche Ausgestaltung der Geschäftsbeziehungen darauf schließen läßt, daß das japanische Kreditinstitut die inländischen Institute bzw. freien Mitarbeiter als Vertriebsnetz für ihre Angebote nutzt89. Insgesamt spricht ein nicht unerheblicher tatsächlicher Absatz der Produkte in Deutschland für ein entsprechendes Angebot. Geschäfte, die auf Kundeninitiative hin zustande kommen (passive Dienstleistungserbringung), führen allerdings nicht zu einer Erlaubnispflicht nach § 32 Abs. 1 S. 1 KWG. Dies gilt auch für die bloße Fortführung bestehender Kundenbeziehungen90 und für den Fall, daß sich die anfragenden Kunden möglicherweise von einer allgemeinen Sympathiewerbung haben leiten lassen91. Aus diesem Grund unterliegt auch die Vergabe von Krediten im Rahmen von Kreditkonsortien, die im Anschluß an ein auf Initiative des Kreditnehmers durchgeführtes Bewerbungsverfahren zustande kommen und einen auf die Bedürfnisse des Kreditnehmers zugeschnittenen Kredit gewähren, nicht der Erlaubnispflicht92. Ferner erfolgen die im Inland nach § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 KWG als Emissionsgeschäft erlaubnispflichtige Übernahme von Finanzinstrumenten auf eigenes Risiko, die nach § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 KWG als Finanzkommissionsgeschäft erlaubnispflichtige Bildung eines Begebungskonsortiums und die nach § 1 Abs. 1a S. 2 Nr. 2 KWG als Abschlußvermittlung erlaubnispflichtige Bildung eines Geschäftsbesorgungskonsortiums regelmäßig auf Initiative der Marktgegenseite. Ist dies der Fall, so bedarf ein sich hieran beteiligendes Kreditinstitut mit Sitz in Japan keiner Erlaubnis durch die BaFin93. Der vertriebsbezogene Ansatz wird damit gerechtfertigt, daß die Erlaubnispflicht den Zweck habe, ein solides Geschäftsverhalten aller Anbieter auf einem Markt zu garantieren, so daß es darauf ankommen müsse, wo sich das Geschäftsgebaren auswirke. Das Zweigstellenerfordernis sei ein rein formales Kriterium und es dürfe nicht auf die Sicht des Leistungserbringers, sondern es müsse auf die des Dienstleistungsempfängers ankommen94. Wenn es im Sitzland keine hinreichende Aufsicht gebe, werde das Nicht-EWR-Unternehmen gegenüber den EWR-Unternehmen begünstigt bzw. würden diese benachteiligt95. Der gegen eine Kontrolle Nennung deutscher Ansprechpartner; siehe dazu auch das Merkblatt der BaFin vom April 2005 (Fn. 74), S. 6. 89 Siehe dazu das Merkblatt der BaFin vom April 2005 (Fn. 74), S. 4. 90 Siehe dazu das Merkblatt der BaFin vom April 2005 (Fn. 74), S. 3 und 5. 91 Siehe dazu das Merkblatt der BaFin vom April 2005 (Fn. 74), S. 6 f. 92 Siehe dazu das Merkblatt der BaFin vom April 2005 (Fn. 74), S. 3. 93 Siehe dazu das Merkblatt der BaFin vom April 2005 (Fn. 74), S. 4. 94 VG Frankfurt / M. v. 11. 10. 2004 WM 2005, 503, 508 f. 95 So unterlag im Fall VG Frankfurt / M. v. 11. 10. 2004 WM 2005, 503 das klagende schweizerische Unternehmen nicht der Aufsicht durch die Eidgenössische Bankenkommission (EBK), da sie dieser Aufsicht abweichend vom deutschen Recht nur als Bank i. S. v. Art. 1 Abs. 1 BankG (SR 952.0) i. V. m. Art. 2a BankV (SR 952.02) und damit nur bei einer in casu fehlenden Kombination von Aktiv- und Passivgeschäft unterstanden hätte.
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der schlichten Dienstleistungserbringung gerichtete Wille des historischen Gesetzgebers könne nicht mehr maßgeblich sein, weil Bankgeschäfte anders als noch 1961 nicht mehr regelmäßig über einen persönlichen Kontakt in Zweigstellen oder Repräsentanzen, sondern vielfach ohne institutionelle Verfestigung über Fernkommunikationsmittel abgeschlossen und abgewickelt werden würden96. Deshalb habe auch der Gesetzgeber im Rahmen des 4. FinMarktFörderungsG eine entsprechende, von ihm sogar lediglich als klarstellend bezeichnete Regelung treffen wollen, die nur aufgrund von Abgrenzungsschwierigkeiten gegenüber den Fällen der passiven Dienstleistungsfreiheit nicht Gesetz geworden sei.
bb) Institutsbezogener Regulierungsansatz Nach der Gegenauffassung besteht die Erlaubnispflicht für ein Kreditinstitut mit Sitz außerhalb des EWR nur dann, wenn ihre Tätigkeit in der Form einer Zweigniederlassung im Inland institutionell verfestigt ist (§ 32 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 53 Abs. 2 KWG)97. Für die grenzüberschreitende Erbringung von Finanzdienstleistungen ohne physische Präsenz in Deutschland bestünde weder eine Erlaubnisnoch eine Anzeigepflicht. Für den institutsbezogenen Ansatz spricht zunächst der Wortlaut von § 32 Abs. 1 S. 1 KWG, da dort von einem Betreiben und Erbringen von Finanzdienstleistungen „im“ und nicht „in das“ Inland die Rede ist98. Hingewiesen wird zudem auf die Systematik des KWG99. § 53 KWG erklärt das KWG nämlich nach dem ausdrücklichen Willen des historischen Gesetzgebers100 nur auf ausländische Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute mit Zweigstellen im Inland für grundsätzlich anwendbar. Für bloße Repräsentanzen von Instituten aus Drittstaaten besteht nach § 53a lediglich eine Anzeigepflicht. Ein systematischer Umkehrschluß kann auch aus dem Umstand gezogen werden, daß im KWG eine den §§ 31 Abs. 3 und 37d Abs. 6 WpHG entsprechende Regelung bislang101 nicht getroffen wurde102. Die Vertreter des institutsbezogenen Ansatzes halten die weite AusVG Frankfurt / M. v. 11. 10. 2004 WM 2005, 503, 509 f. Hess. VGH v. 21. 1. 2005 BKR 2005, 160; Marwede, in: Boos / Fischer / Schulte-Mattler (Hrsg.), KWG 2. Aufl. 2004, § 32 Rn. 7 ff. und § 53 Rn. 158 ff. 98 Siehe dazu auch Hanten, WM 2003, 1412, 1414. 99 Siehe dazu nur Hess. VGH v. 21. 1.2005 BKR 2005, 160 f. und Hanten, WM 2003, 1412, 1414. 100 Siehe dazu den Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 25.5. 1959, BT-Drucks. 3 / 1114, S. 45 zu § 58 und den Bericht des Wirtschaftsausschusses v. 13. 3. 1961, BT-Drucks. 3 / 2563, S. 17 zu §§ 57 und 58; der Widerspruch des vertriebsbezogenen Ansatzes zum Willen des historischen Gesetzgebers wird auch eingeräumt vom VG Frankfurt / M. v. 11. 10. 2004 WM 2005, 503, 509. 101 Zu der im Zuge des 4. FinMarktFörderungsG vom Gesetzgeber ins Auge gefaßten Ausweitung des § 32 KWG ist es bisher nicht gekommen (siehe dazu näher Hanten, WM 2003, 1412, 1413). 96 97
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legung des Erlaubnistatbestands wegen dessen Eingriffscharakters und der Strafbewehrung nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG schließlich für verfassungswidrig (Art. 20 Abs. 3 und 103 Abs. 2 GG)103. Insoweit könnte man allerdings darauf verweisen, daß sich der Wortlaut der Vorschrift durchaus noch mit einer Erlaubnisbedürftigkeit der aktiven grenzüberschreitenden Erbringung von Finanzdienstleistungen im Inland vereinbaren läßt und der Wille des historischen Gesetzgebers, d. h. die subjektiv-historische Auslegung, angesichts neuer Fernkommunikationsmöglichkeiten auch verfassungsrechtlich keine entscheidende Bedeutung für die Auslegung der Vorschrift mehr haben muß. Besondere Bedenken im Hinblick auf § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG könnten notfalls auch durch eine gespaltene Auslegung, d. h. eine weite Auslegung im aufsichtsrechtlichen Bereich und eine enge Auslegung im strafrechtlichen Bereich, gelöst werden.
b) Möglichkeit der Einzelfreistellung Nach § 2 Abs. 4 KWG besteht noch die Möglichkeit, ein Unternehmen für grenzüberschreitend betriebene Bankgeschäfte in begrenzten Geschäftsbereichen von der generellen Erlaubnispflicht nach § 32 Abs. 1 S. 1 KWG und anderen Vorschriften des KWG freizustellen, wenn es wegen der Art der von ihm betriebenen Geschäfte insoweit nicht der Aufsicht bedarf. Dies setzt nach Ansicht der BaFin voraus, daß das Finanzdienstleistungsunternehmen in seinem Herkunftsstaat effektiv nach internationalen Standards beaufsichtigt wird, die zuständigen Behörden des Herkunftsstaates in einem gewissen Maße mit der BaFin zusammenarbeiten und das Unternehmen einen Empfangsbevollmächtigten im Inland benennt. Freistellungsfähig sind dann regelmäßig Interbankengeschäfte und Geschäfte mit institutionellen Anlegern sowie Geschäfte von Gesellschaften, die zum Konzern eines in Deutschland lizenzierten Kreditinstituts gehören104. Nach den obigen Ausführungen können japanische Kreditinstitute diese Freistellungsvoraussetzungen durchaus erfüllen.
c) Zweigstelle als Voraussetzung der Erlaubniserteilung durch die BaFin Die BaFin hält die erlaubnisbedürftige aktive grenzüberschreitende Erbringung von Finanzdienstleistungen aufgrund von § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 KWG nur dann für genehmigungsfähig, wenn das japanische Kreditinstitut eine Tochtergesellschaft (§ 32 Abs. 1 KWG) oder Zweigstelle (§ 53 KWG) in Deutschland hat und die unter 102
Gegen einen Umkehrschluß jedoch VG Frankfurt / M. v. 11. 10. 2004 WM 2005, 503,
510. 103 So aber Hanten, WM 2003, 1412, 1414 und Marwede, in: Boos / Fischer / Schulte-Mattler (Hrsg.), KWG 2. Aufl. 2004, § 53 Rn. 159. 104 Merkblatt der BaFin vom April 2005 (Fn. 74), S. 7 f.
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Erlaubnis betriebenen Geschäfte in der deutschen Geschäftseinheit verbucht werden105. Dies wird damit gerechtfertigt, daß die Gründung einer Tochtergesellschaft oder zumindest die Errichtung einer Zweigstelle sowie die dortige Verbuchung der Geschäfte zwingend erforderlich seien, um eine effektive Kontrolle durch kurzfristige und unvorhergesehene Kontrollen zu ermöglichen sowie auf persönlich Verantwortliche im deutschen Hoheitsbereich zugreifen und die Erfüllung von finanziellen Kundenforderungen gewährleisten zu können106. d) Vereinbarkeit der deutschen Praxis zum Erlaubnisvorbehalt mit der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit Die weite Auslegung von § 32 Abs. 1 S. 1 KWG im Sinne des vertriebsbezogenen Regulierungsansatzes und die gestellten Anforderungen an die Erlaubniserteilung stellen Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit dar, da sie trotz ihrer unterschiedslosen Geltung auch für Inländer die Geschäftsaufnahme durch Kreditinstitute, die bereits in einem Drittstaat wie Japan der Bankenaufsicht unterliegen, zusätzlich erschweren. Sie können allenfalls nach Art. 58 Abs. 1 lit. b EG gerechtfertigt werden, wobei man zwischen der Erlaubnispflicht als solcher und den gestellten Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung unterscheiden muß107. Auszugehen ist von den oben dargestellten allgemeinen Voraussetzungen der Rechtfertigung nach Art. 58 Abs. 1 lit. b EG. Mit dem Schutz der Stabilität und der Vertrauenswürdigkeit des Finanzsystems sowie (zumindest mittelbar) der Kunden und Anleger verfolgt das deutsche Bankenaufsichtsrecht ein Grundanliegen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i. S. v. Art. 58 Abs. 1 lit. b EG. Der Erlaubnistatbestand und die Erlaubnisvoraussetzungen sind auch hinreichend bestimmt formuliert und hinsichtlich ihrer Anwendung gerichtlich überprüfbar. Die weite Auslegung des Erlaubnistatbestands durch die BaFin dient der effektiven Durchsetzung der bestehenden aufsichtsrechtlichen Vorschriften. Die Vertragspartner von Kreditinstituten aus Drittstaaten wie Japan werden vor der Eingehung vertraglicher Verpflichtungen gegenüber nicht beaufsichtigten Finanzdienstleistern geschützt. Den deutschen Behörden wird es ermöglicht, gegen nicht seriös oder gar kriminell arbeitende Unternehmen vorzugehen und Maßnahmen gegen die Geldwäsche zu ergreifen. Das Erfordernis einer Tochtergesellschaft oder Zweigstelle für die Erlaubniserteilung fördert die Effektivität der Aufsicht und des Kundenschutzes. Fraglich ist allerdings, ob die Praxis der BaFin auch gegenüber japanischen Kreditinstituten erforderlich und verhältnismäßig ist. Bei dieser Prüfung ist darauf zu achten, daß die vorgetragenen Rechtfertigungsgründe nicht von ihrer eigentlichen Funktion losgelöst und in Wirklichkeit für wirtschaftliche Zwecke, etwa zum 105 106 107
Merkblatt der BaFin vom April 2005 (Fn. 74), S. 1. VG Frankfurt / M. v. 11. 10. 2004 WM 2005, 503, 515. VG Frankfurt / M. v. 11. 10. 2004 WM 2005, 503, 513 f. (4. und 5. Vorlagefrage).
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Schutz deutscher Kreditinstitute vor unliebsamer Konkurrenz geltend gemacht werden dürfen. Insoweit dürfte bereits das Erlaubniserfordernis für den schlichten Vertrieb von Finanzprodukten japanischer Kreditinstitute in Deutschland nicht mit der Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit vereinbar sein. Nach den obigen Ausführungen unterliegen die japanischen Kreditinstitute nämlich einer den internationalen Standards entsprechenden Finanzdienstleistungsaufsicht, die 1995 auch vom Bundesministerium der Finanzen als der deutschen Aufsicht grundsätzlich gleichwertig anerkannt wurde. Auch unter Gesichtspunkten des Verbraucher- und Anlegerschutzes ist die weite Auslegung des Erlaubnistatbestands gegenüber japanischen Kreditinstituten nicht zu rechtfertigen, da diese Belange einerseits hinreichend durch das anwendbare deutsche Privatrecht geschützt werden und andererseits nicht durch eine bloße Marktzutritts- und Institutskontrolle, sondern nur durch eine effektive Beaufsichtigung der laufenden Geschäfte gewahrt werden können. Insbesondere das Erfordernis der Gründung einer Tochtergesellschaft oder der Errichtung einer Zweigstelle ist mit der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit unvereinbar108. Sie verwehrt den japanischen Kreditinstituten nämlich, abgesehen von den nur beschränkt wirkenden Freistellungsmöglichkeiten nach §§ 2 Abs. 4 und 53c KWG, generell die Möglichkeit, über bloße Repräsentanzen oder ohne eine organisatorisch verfestigte Präsenz in Deutschland tätig zu werden. Auch das Erfordernis der Verbuchung der getätigten Geschäfte in einer bloßen Zweigstelle, die den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung widerspricht109, schießt über die Erfordernisse einer effektiven Durchführung der Aufsicht hinaus, da eine Geschäftsdokumentation auch in einer für die Rechnungslegung neutralen Form durchgeführt werden könnte.
e) Vereinbarkeit der deutschen Praxis zum Erlaubnisvorbehalt mit dem GATS Anders als im Falle der kommerziellen Präsenz sind die EG und ihre Mitgliedstaaten im Bereich der aktiven grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung ohne organisatorische Verfestigung nur sehr beschränkte Marktzugangsverpflichtungen unter dem GATS eingegangen. So ist die Bundesrepublik Deutschland insoweit lediglich verpflichtet, nichtgebietsansässigen Erbringern von Finanzdienstleistungen den Marktzugang unter Bedingungen der Inländerbehandlung für die Übermittlung von Finanzinformationen und die Verarbeitung von Finanzdaten110 108 Krit. auch Marwede, in: Boos / Fischer / Schulte-Mattler (Hrsg.), KWG 2. Aufl. 2004, § 53 Rn. 160 ff. 109 Krit. daher auch Marwede, in: Boos / Fischer / Schulte-Mattler (Hrsg.), KWG 2. Aufl. 2004, § 53 Rn. 162. 110 Siehe zu dieser Art der Finanzdienstleistung auch Abschn. 5 lit. a Ziff. XV der Anlage des GATS zu Finanzdienstleistungen (BGBl. 1994 II, S. 1660).
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sowie für Beratungs- und andere Hilfsdienstleistungen mit Ausnahme der Vermittlung in Bezug auf Bank- und andere Finanzdienstleistungen111 durch einen Vermittler oder als Vermittler zu gewähren112. Aktivitäten japanischer Banken ohne kommerzielle Präsenz, die nicht als Vermittler oder über Vermittler erfolgen bzw. über die schlichte Finanzinformation und Marktanalyse bzw. die Anlage- und Vermögensberatung hinausgehen, werden vom GATS mithin nicht erfasst. Die passive Dienstleistungsfreiheit wird durch das GATS hingegen generell gewährleistet113, so dass kundengerichtete Beschränkungen der Freiheit, Bankdienstleistungen direkt bei einem japanischen Kreditinstitut in Anspruch zu nehmen, nur unter den allgemeinen Rechtfertigungsvoraussetzungen möglich sind114. Dies gilt auch für den Fall, daß der Kunde gezielt in Deutschland geworben wurde, da das GATS insoweit keine Einschränkung kennt.
V. Schlußbemerkung Die im Zuge des 4. FinMarktFörderungsG noch einmal vertagte Neuregelung des Marktzugangs von Finanzdienstleistungsunternehmen aus Nicht-EWR-Staaten sollte vom Gesetzgeber baldmöglichst in Angriff genommen werden. Die Neuregelung sollte sich an den supra- und internationalen Vorgaben orientieren und zwischen der Geschäftstätigkeit über eine inländische kommerzielle Präsenz (Tochtergesellschaft, Zweigstelle oder Repräsentanz) und einer organisatorisch nicht verfestigten grenzüberschreitenden aktiven bzw. passiven Geschäftstätigkeit (Bankgeschäfte über Internet, Telefon, freie Mitarbeiter oder Partnerinstitute) unterscheiden. Die Erbringung von Finanzdienstleistungen über eine kommerzielle Präsenz müßte der generellen Erlaubnispflicht und der laufenden deutschen Bankenaufsicht durch die BaFin unterliegen. Den Repräsentanzen müßte abweichend von der derzeitigen deutschen Praxis zumindest auch die Anbahnung von Bankgeschäften ermöglicht werden. Eine Befreiung vom Erlaubniserfordernis sollte für Kreditinstitute vorgesehen werden, die im Herkunftsstaat einer der deutschen Aufsicht im wesentlichen gleichwertigen Beaufsichtigung unterliegen. Die Gleichwertigkeit sollte dabei auch zugunsten von Drittstaaten angenommen werden, deren Zentralbanken und Aufsichtsbehörden im Baseler Ausschuß für Bankenaufsicht vertreten sind115 111 Siehe zu dieser Art der Finanzdienstleistung auch Abschn. 5 lit. a Ziff. XVI der Anlage des GATS zu Finanzdienstleistungen (BGBl. 1994 II, S. 1660). 112 Abschn. B. 3. lit. c der Vereinbarung über Verpflichtungen der GATS-Mitgliedstaaten bei Finanzdienstleistungen (BGBl. 1994 II, S. 1675). 113 Abschn. B. 4. lit. c der Vereinbarung über Verpflichtungen der GATS-Mitgliedstaaten bei Finanzdienstleistungen (BGBl. 1994 11, S. 1675). 114 Siehe zu diesen Voraussetzungen bereits oben unter II.2.c). 115 Es sind dies aktuell Kanada, Japan, die Schweiz und die USA.
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oder die mit der EG bzw. mit Deutschland eine umfassende Gegenseitigkeitsvereinbarung geschlossen haben116. Die aktive und passive Erbringung grenzüberschreitender Bankdienstleistungen sollte im Sinne des traditionellen institutsbezogenen Ansatzes ganz von der Erlaubnispflicht befreit sein. Die Aufnahme einer aktiven Geschäftstätigkeit in Deutschland müßte allerdings einer Anzeigepflicht unterliegen, damit der BaFin im Rahmen einer Mißbrauchsaufsicht die Prüfung ermöglicht wird, ob das Institut im Herkunftsstaat einer hinreichenden Aufsicht unter Einschluß ihrer Aktivitäten in Deutschland untersteht und die Geschäftstätigkeit nicht zwingenden Belangen des Kunden- oder Anlegerschutzes zuwiderläuft. Außerdem würde der BaFin die Prüfung ermöglicht, ob sich die Geschäftstätigkeit nicht bereits organisatorisch derart verfestigt hat, daß die Schwelle zur Erlaubnispflicht überschritten ist. Mit der vorgeschlagenen Neuregelung würde dann auch den japanischen Kreditinstituten unabhängig von beschränkten Einzelfreistellungen ein direkter Zugang zum deutschen Markt für Bankdienstleistungen eingeräumt, der den derzeitigen supranationalen und internationalen Vorgaben entspräche. Von den weitergehenden Möglichkeiten des Sitzlandprinzips werden japanische Kreditinstitute aber auf absehbare Zeit nur mittelbar mit Hilfe einer EWR-Tochtergesellschaft Gebrauch machen können.
116 Aktuell bestehen lediglich Teilvereinbarungen i. S. v. § 53c Nr. 2 mit den USA, mit Japan und Australien.
Überstaatliches Verfassungsrecht* Von Stefan Kadelbach
I. Einleitung Brücken zu anderen Rechtsordnungen werden mit dem Kollisionsrecht und mit der Rechtsvergleichung beschritten. Während das Kollisionsrecht ein System von Anknüpfungen bereithält, das die Anwendbarkeit von Rechtsordnungen bestimmt, öffnet die Rechtsvergleichung den Blick auf die Gesamtheit anderer Rechtssysteme und auf die Eigenheiten der eignen Rechtsordnung, die im Kontrast deutlicher zutage treten. Beide Disziplinen waren für lange Zeit Domänen des Privatrechts. Das Werk des Jubilars, das vom Bank- und Kapitalmarktrecht über das internationale Wirtschaftsrecht bis hin zu methodischen Fragen der Rechtsvergleichung und dem Vergleich von Rechtssystemen reicht, zeichnet ein weltoffenes Interesse an der Verschiedenheit der Rechtskulturen aus und nimmt sie zum Anlass für eine Suche nach dem Gemeinsamen. Kollisionsrecht hat bei alldem eine abgrenzende Funktion zwischen staatlichen Rechtssystemen und kann, etwa wenn es um Fragen des ordre public geht, auch zu der Frage führen, wie weit Grundentscheidungen von Rechtsordnungen miteinander vereinbar sind. Da der Verfasser dieser Zeilen nicht das Glück der Privatrechtler teilt, sich zu den zivilrechtlichen Fachkollegen des Jubilars zählen zu dürfen, kann hier kein Beitrag zur Privatrechtsvergleichung oder zum vergleichenden Wirtschaftsrecht vorgelegt werden. Stattdessen wird aus der Sicht des Verfassungsrechts und des Völkerrechts versucht, den möglichen Stellenwert rechtsvergleichender Methode und kollisionsrechtlichen Denkens auch außerhalb staatlicher Rechtsordnungen anzugeben1. Ausgangspunkt dieser Überlegungen sind drei Hypothesen: Erstens, dass in einem weit verstandenen Sinne nicht nur Privatrecht, sondern auch öffentliches Recht in Gestalt von Verfassungsrecht außerhalb staatlicher Rechtsordnungen existieren kann, also nicht zwingend territorial gebunden ist. Zweitens, dass dies das Ergebnis eines Prozesses ist, gemeinhin als Konstitutionalisierung des Völkerrechts bezeichnet, der auf eine Lockerung des Völker* Der Verfasser dankt Herrn wiss. Mitarbeiter Thomas Kleinlein für Durchsicht einer früheren Fassung des Manuskripts und zahlreiche Anregungen. 1 Dabei wird an Überlegungen angeknüpft, zu denen der Jubilar viel beigetragen hat, s. die Vorarbeiten des Verf. in: Verfassungsrecht jenseits des Nationalstaates, Schriftenreihe des Instituts für Rechtsvergleichung der Chuo-Universität Bd. 52, Tokio 2005.
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rechts vom Einzelwillen der Staaten und damit auf eine größere Autonomie der Völkerrechtsordnung hinausläuft. Und drittens, dass die Theorie von der Konstitutionalisierung des Völkerrechts als einer von mehreren Versuchen zur Lösung von Normenkollisionen interpretiert werden kann, die durch die zunehmende Komplexität des Völkerrechts und dessen Fragmentierung durch verschiedene Teilsysteme entstehen können.
Zur Klärung dieser Hypothesen soll in drei Schritten vorgegangen werden. Am Beginn steht der Versuch, näher zu beschreiben, was unter Konstitutionalisierung zu verstehen ist (II.). Es folgt eine Darstellung verschiedener Ansätze, die Phänomene einzuordnen, die mit diesem Prozess in Verbindung gebracht werden (III.). Zuletzt ist zu fragen, was aus der These von der Konstitutionalisierung des Völkerrechts für die Lösung konkreter Normenkollisionen folgen kann (IV.)
II. Internationales Verfassungsrecht 1. Verfassungsbegriff Unter einer Verfassung ist die Rechtsnorm zu verstehen, dem eine Rechtsordnung ihre Legitimität verdankt.2 Diese Legitimation besteht rein formal darin, dass alles Recht aus ihr abgeleitet ist (formaler Verfassungsbegriff).3 Einfaches Recht ist dann in dem Verfahren zustande gekommen, das die Verfassung vorsieht. Die Legitimation kann darüber hinaus darin liegen, dass sie mit grundsätzlichen Wertungen übereinstimmt, die sich aus der Verfassung ergeben (materieller Verfassungsbegriff). Fasst man beide Begriffe zusammen, ist der Bestand des einfachen Rechts vor dem Maßstab der Verfassung davon abhängig, dass es das Ergebnis eines demokratischen Verfahrens ist und rechtsstaatlichen Grundsätzen und den Grundrechten entspricht. Im deutschen Verfassungsrecht des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts ist dieser Verfassungsbegriff unlösbar mit dem Staat, genauer: dem Rechtsstaat verknüpft.4 Die Unterwerfung des Monarchen und seiner Exekutive unter die Regeln des Rechts setzte voraus, dass der Staat vom Monarchen getrennt und juristisch selbständig wurde. Die Rechtsnorm, durch die diese Trennung vollzogen wurde, war die Verfassung. Sie ist die Bedingung dafür, dass die Beziehungen zwischen 2 Zum Verfassungsbegriff C. Möllers, Verfassunggebende Gewalt – Verfassung – Konstitutionalisierung. Begriffe der Verfassung in Europa, in: A. von Bogdandy (Hg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 1 ff. 3 Abweichend vom hier gewählten Sprachgebrauch ist mit „formaler“ Verfassung oft auch deren Niederlegung in einer Urkunde gemeint; die oben „formal“ genannte Begriff lässt sich auch, im Einklang mit der Grundnormenlehre, als „normlogischer“ Verfassungsbegriff bezeichnen. 4 Dazu T. Vesting, Die Staatsrechtslehre und die Veränderung ihres Gegenstandes: Konsequenzen von Europäisierung und Internationalisierung, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Bd. 63 (2004), S. 41 ff.
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Exekutive und Bürger nicht durch die Macht, sondern durch das Recht bestimmt werden. Diese Verbindung zwischen Staat und Verfassung war bis zum Ende des 20. Jh. wirksam.5 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob es eine Verfassung ohne Staat überhaupt geben kann.
2. Übertragung auf das Völkerrecht Liegt der Daseinsgrund der Verfassung in der formalen Legitimierung der Rechtsordnung, so ist mit dem Begriff der Verfassung notwendig ein hierarchisches Verhältnis zur übrigen Rechtsordnung verbunden. Dem entsprechend müsste der Prozess der Konstitutionalisierung des Völkerrechts mit einer Hierarchisierung des Völkerrechts einhergehen. Man mag fragen, ob für eine solche Hierarchisierung des Völkerrechts überhaupt die Voraussetzungen vorliegen. Drei Typen sind zu unterscheiden, deren erste beide hier – dem formalen und materiellen Verfassungsbegriff entsprechend – a) formale und b) materielle Konstitutionalisierung genannt werden sollen. Ein dritter Hierarchisierungsprozess geht von den Normkategorien des jus cogens und der Pflichten erga omnes aus c). a) Formale Konstitutionalisierung Es fragt sich, ob ein formaler Konstitutionalisierungsbegriff angebracht ist, wo die Staatengemeinschaft selbst in einem weit verstandenen Sinne Hoheitsgewalt ausübt. Dies geschieht durch internationale Organisationen, wenn ihnen eine Befugnis verliehen worden ist, selbständig Staaten, Unternehmen oder Einzelne zu verpflichten. Dies ist nicht nur bei den sogenannten supranationalen Gemeinschaften wie der Europäischen Gemeinschaft, sondern bei nahezu jeder internationalen, von Staaten errichteten Organisation der Fall. Der Internationale Währungsfonds (IMF) kann mit Staaten, denen er einen Kredit einräumt, Bedingungen vereinbaren, unter denen diese die Mittel erhalten und wieder zurückzahlen müssen. Die Welthandelsorganisation (WTO) setzt Kommissionen ein, die technische- oder Gesundheitsnormen aufstellen, denen Staaten entsprechen müssen, wollen sie sich nicht einer gesteigerten Beweispflicht stellen, wenn sie handelsbeschränkende Maßnahmen im Interesse der Produktsicherheit oder des Gesundheitsschutzes erlassen.6 Die World Intellectual Property Organisation (WIPO) trägt nach verschiedenen Systemen Immaterialgüterrechte ein, die von den betroffenen Staaten zu be5 J. Isensee, Staat und Verfassung, in: ders. / P. Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, 2. Aufl. Heidelberg 1995, § 13 Rn. 1 und 8; P. Kirchhof, Die Identität der Verfassung in ihren unabänderlichen Inhalten, ebd. § 19 Rn. 18; Begründung über das Demokratieprinzip bei D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, Juristen-Zeitung 1995, S. 581 (590 f.). 6 Art. 5 und 12 des Übereinkommens über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen v. 15. 4. 1994 (sog. SPS-Übereinkommen), ABl. EG 1994 L 336 / 40; Art. 9 des Übereinkommens über technische Handelshemmnisse v. selben Tage (sog. TBT-Übereinkommen), ABl. EG 1994 L 336 / 86.
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achten und zu schützen sind. Die Liste lässt sich ohne weiteres vermehren. Soll die Parallele zwischen Konstitutionalisierung des Völkerrechts und staatlichem Verfassungsrecht tragen, müsste nach Verfassungsnormen gefragt werden, die die Ausübung dieser Befugnisse rechtlich kontrollierbar macht. Nahe liegender Weise sind dies zunächst einmal die Gründungsverträge der jeweiligen internationalen Organisation, denen diese ihre Kompetenzen verdanken, und denen abgeleitetes Recht entsprechen muss. Daher ist es konsequent, wenn etwa die Satzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der UNESCO den Namen „Verfassung“ („Constitution“) tragen,7 auch wenn der Begriff in diesen Vertragswerken ursprünglich sicher nicht mit diesem Anspruch verwendet worden ist. Es ist dann folgerichtig von einer Pluralität völkerrechtlicher Teilsysteme mit jeweils eigenen Normenhierarchien auszugehen. Die Frage nach der Konstitutionalisierung des Völkerrechts insgesamt hängt davon ab, ob es eine allen diesen Teilsystemen übergeordnete Gesamtverfassung gibt. Als Kandidat für eine solche Suprastruktur bietet sich die Charta der Vereinten Nationen an, die sich auf ihre Qualität als „Weltverfassung“ überprüfen lässt.
b) Materielle Konstitutionalisierung Der Begriff der Konstitutionalisierung wird aber auch in einem anderen, materiellen Sinne verwendet. Er bezeichnet dann die Anreicherung des Völkerrechts durch Prinzipien, die aus dem staatlichen Verfassungsrecht stammen wie die Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit („Rule of Law“) und Föderalismus.8 Diese Normen erfüllen zwei verschiedene Funktionen.
aa) Materielle Verfassungsnormen als Organisationsprinzipien Zum einen bilden sie Ordnungsprinzipien, nach denen die Mitwirkung der Staaten an internationale Organisationen aufgebaut ist. In eher theoretischer Form gilt dies für das föderale Paradigma, das genutzt wird, um die Verteilung von Hoheitsgewalt auf verschiedene Funktionsträger zu erklären.9 Das Leitbild des Bundes7 Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) v. 11. 4. 1919, neu gefasst durch Änderungsvertrag v. 9. 10. 1946, BGBl. 1952 II, 607; die Satzung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) v. 16. 11. 1945, BGBl. 1971 II, 471, trägt im engl. Original den Namen „constitution“. Gleiches gilt für die Satzung der Welternährungsorganisation (FAO) v. 16. 10. 1945, BGBl. 1971 II 1974, 43. 8 J. A. Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht (BDGVR) Bd. 39 (2000), S. 427 ff., bes. S. 435 ff.; B.-O. Bryde, Konstitutionalisierung des Völkerrechts und Internationalisierung des Verfassungsrechts, Der Staat Bd. 42 (2003), S. 61 ff., bes. 68 ff. 9 I. Pernice, Multilevel Constitutionalism in the European Union, European Law Review 2002, S. 511 ff.; S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, Berlin 1998.
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staates lässt sich zu einem Mehrebenensystem abstrahieren und beispielsweise für die Lösung von Problemen der Kompetenzverteilung nutzbar machen. Bisher ist eine solche Diskussion über einen Kompetenzkatalog einer internationalen Organisation allerdings erst im speziellen Kontext der Europäischen Union praktisch geworden.10 Auch für die Demokratisierung internationaler Organisationen gibt es nur Ansätze. Die Verlagerung von Zuständigkeiten von den nationalen Parlamenten hin zu regionalen oder universell-funktionalen Organisationen hat eine Debatte darüber angestoßen, wie deren Legitimationsniveau verbessert werden kann. Schon länger zurück liegt der Appell des Europäischen Parlaments, die Organstruktur der WTO um eine parlamentarische Versammlung zu erweitern11 Andere Vorschläge setzen ihre Hoffnungen in Nicht-Regierungsorganisationen, in deren gelegentlicher Mitwirkung an der Setzung völkerrechtlicher Normen ein zivilgesellschaftliches Element in den internationalen Beziehungen gesehen wird, das es zu stärken gelte.12 Denkbare Wege sind etwa eine nach nachprüfbaren Kriterien stattfindende Akkreditierung bei allen Formen internationaler Organisationen oder eine Beteiligung an der Sekundärrechtsetzung nach dem Muster des Wirtschafts- und Sozialausschusses im Institutionengefüge der Europäischen Gemeinschaft (Art. 257 EGV). Praktisch wirksamer geworden ist die Rule of Law als ein Prinzip der Verrechtlichung von Beziehungen zwischen Mitgliedstaaten untereinander oder zwischen Mitgliedstaaten und einer Internationalen Organisation. Als Beispiel lässt sich vor allem der Streitschlichtungsmechanismus der WTO anführen, der sich von einem Forum flexibler diplomatischer Verhandlungen zu einer obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit mit einem ständigen, unabhängigen Streitschichtungsorgan fortgebildet hat. Auch die Errichtung des Seegerichtshofs nach Inkrafttreten der Seerechtskonvention von 1982 lässt sich hier nennen. Demgegenüber steht die Diskussion darüber, wie weit internationale Organisationen an die Menschenrechte gebunden sind, allenfalls am Anfang.13 Der Beitritt 10 J. Martin y Perez de Nanclares, Le nouveau système de compétences dans le projet de constitution européenne, J. Bröhmer u. a. (Hg.), Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte. Festschrift Georg Ress, Köln 2005, S. 713 ff. 11 Pt. 23 der Entschließung A4 – 320 / 96 vom 13. 11. 1996 zur Welthandelsorganisation, ABl. 1996 C 362 / 152; Pt. 36 und 57 der Entschließung A4 – 403 / 97 v. 15. 1. 1998 zu transatlantischen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen; dazu M. Hilf / F. Schorkopf, Das Europäische Parlament in den Außenbeziehungen der Europäischen Union, Europa-Recht 1999, S. 185 ff. 12 s. die Übersicht bei W. Hummer, Internationale nichtstaatliche Organisationen im Zeitalter der Globalisierung – Abgrenzung, Handlungsbefugnisse, Rechtsnatur, BDGVR (Fn. 8) Bd. 39 (1999), S. 45 (69 ff.). 13 E. U. Petersmann, Time for a United Nations „Global Compact“ for Integrating Human Rights into the Law of Worldwide Organizations: Lessons from European Integration, European Journal of International Law (EJIL) 13 (2002), S. 621 ff.; P. Alston, Resisting the Merger and Acquisitions of Human Rights by Trade Law: A Reply to Petersmann, ebd. S. 815 ff.;
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zu den einschlägigen Konventionen steht nur Staaten, nicht aber internationalen Organisationen offen. Die Bindung der Europäischen Gemeinschaft an die Menschenrechte, die heute im Kern die der EMRK sind, war das Ergebnis eines langen Prozesses richterlicher Rechtsfortbildung. Die Einbeziehung der Menschenrechte in das WTO-Streitschlichtungssystem steht hingegen noch aus. Prüft man, wo die Grenzen der Hoheitsgewalt etwa für UN-Friedenstruppen oder für NATO-Einsätze liegen, gelangt man zu einer Bindung nach gegenwärtigem Stand der Dinge nur, wenn deren Operationen den beteiligten Staaten zugerechnet werden,14 was zu einem je nach deren Ratifikationsfreude variierenden Schutzniveau führt und daher unbefriedigend ist. Das gemeinsame Minimum liegt beim gewohnheitsrechtlichen Standard, der nicht allzu hoch anzusetzen ist. Nach alldem kann man von einer materiellen Konstitutionalisierung des Rechts internationaler Organisationen nur in Ansätzen sprechen.
bb) Materielle Verfassungsnormen als Rechtfertigung für die Durchbrechung des Domaine Reserve Internationale Verfassungsnormen haben indes noch eine andere Funktion. Sie dienen als Mindeststandards für die innere Organisation von Staaten. Augenfällig ist dies für die Menschenrechte, die in den nahezu sechs Jahrzehnten seit der Annahme der Universellen Erklärung der Menschenrechte in einem regelrechten Geflecht von Konventionen über die regionale und universelle Durchsetzung von Freiheits- und sozialen Rechten, Diskriminierungsverboten und Minderheitenrechten aller Art fortgeschrieben worden sind. Die ursprüngliche Zielrichtung der beteiligten Staaten, einander jeweils im Inneren die Achtung grundlegender Rechte zu versprechen, hatte durch den Kalten Krieg hindurch immer auch im Zentrum der Auseinandersetzung um die richtige Gesellschaftsordnung gestanden. Seit Ende der Blockdichotomie haben die Menschenrechte mehr und mehr die Funktion eines Maßstabs angenommen, die Legitimität von Staatswesen und Regierungen zu bewerten. Frühe Beispiele dafür sind die Menschenrechts- und Demokratieklauseln in den Assoziierungsverträgen der EG mit den AKP-Staaten und in der Entwicklungspolitik)15 Auch die Kriterien für die Aufnahme mittel- und osteuropäischer Staaten in den Europarat und in die Europäische Union sind zu nennen. Für gravierende Fälle von Menschenrechtsverletzungen wurde erstmals seit Gründung der Vereinten Nationen die humanitäre Intervention Gegenstand einer breit geführten Debatte.16 E. U. Petersmann, Taking Human Dignity, Poverty and Empowerment of Individuals More Seriously: Rejoinder to Alston, ebd. S. 845 ff. 14 U. Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und Europäische Menschenrechtskonvention, Diss. Münster 2003. 15 F. Hoffmeister, Menschenrechts- und Demokratieklauseln in den vertraglichen Außenbeziehungen der Europäischen Gemeinschaft, Berlin / Heidelberg 1998, S. 7 ff.
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Vergleichbares lässt sich über die Demokratie sagen.17 Das Wahlrecht ist Bestandteil mehrerer Menschenrechtskonventionen. Eingriffe in Grundfreiheiten sind zumindest nach der EMRK nur gerechtfertigt, wenn sie in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind (Art. 8 bis 11 EMRK). Ein Abgleiten von Staaten in undemokratische Verhältnisse ist immer wieder zum Anlass genommen worden, Entwicklungshilfe zu versagen oder zu suspendieren. Dagegen blieb die durch die Vereinten Nationen autorisierte militärische Intervention mit dem Ziel der Wiederherstellung der Demokratie bisher auf den Sonderfall Haitis beschränkt.18 Regimewechsel als unilateraler Interventionstitel ist bestenfalls eine umstrittene Angelegenheit. Selbst der Föderalismus lässt sich in diesem Zusammenhang anführen. Um die Selbstbestimmtheit von Völkern und Minderheiten zu sichern, ohne die territoriale Integrität des betreffenden Staates zu beeinträchtigen bietet sich eine Staatsorganisation an, die eine regional beschränkte Autonomie garantiert. Entsprechende Vorschläge sind mit Blick auf eine ganze Reihe von Staaten gemacht worden, so im ehemaligen Jugoslawien, im Irak, in Afghanistan, Indonesien und Zypern. Übersehen wird dabei oft, dass ein Bundesstaat den Willen zur Einheit voraussetzt, der auch durch eine Stärkung der Autonomie nicht ohne weiteres herbeigeführt werden kann. Alle diese normativen Anforderungen lassen sich nicht nur aus einer rechtsvergleichenden Sicht als Bespiele eines Konstitutionalisierungsprozesses beschreiben, weil diese Normen Strukturentscheidungen der Verfassungsstaatlichkeit entsprechen. Sie sind – zumindest in der Theorie – auch in einem funktionalen Sinne geeignet, die Rolle eines internationalen Verfassungsrechts zu übernehmen. Denn sie bestimmen nicht lediglich die Bedingungen eines legitimen Staatswesens; zugleich geben sie – wie vage auch immer – Grenzen an, die der internationalen Gemeinschaft bei der Einflussnahme auf innerstaatliche Verhältnisse in einzelnen Staaten gezogen sind. Sie übernehmen damit im Verhältnis zwischen völkerrechtlicher und staatlicher Ebene eine ähnliche Rolle wie die Verfassung im Verhältnis zwischen Staat und Einzelnem.19 16 B. Simma, NATO, the UN and the Use of Force: Legal Aspects, EJIL (Fn. 13) Bd. 10 (1999), S. 1 ff.; A. Cassese, Ex iniuria ius oritur: Are We Moving towards International Legitimation of Forcible Humanitarian Countermeasures in the World Community?, ebd. S. 23 ff.; D. Thürer, der Kosovo-Konflikt im Lichte des Völkerrechts: Von drei – echten und scheinbaren – Dilemmata, Archiv des Völkerrechts Bd. 38 (2000), S. 1 ff.; N. Valticos, Les droits de l’homme, le droit international et l’intervention militaire en Yougoslavie, Revue Générale de Droit International Public Bd. 104 (2000), S. 5 ff.; P. Weckel, L’emploi de la force contre la Yougoslavie ou la Charte fissuré, ebd. S. 19 ff.; W. Kälin, Humanitäte Intervention: Legitimation durch Verfahren? Zehn Thesen zur Kosovo-Krise, Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht (SZIER) Bd. 10 (2000), S. 159 ff.; M. Bothe, Die NATO nach dem Kosovo-Konflikt und das Völkerrecht, ebd. S. 177 ff. 17 Vgl. A. v. Bogdandy, Demokratie, Globalisierung, Zukunft des Völkerrechts – eine Bestandsaufnahme, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) Bd. 63 (2003), S. 853 ff. 18 SC Res. 841 (1993), 875 (1993), 917 (1994) und 740 (1994).
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c) Zwingendes Völkerrecht und Nonnen Erga Omnes Die Herausbildung der Kategorien völkerrechtlicher Fundamentalnormen, zwingendes Völkerrecht (jus cogens) und Pflichten erga omnes, geht auf eine Zeit zurück, die weit vor Beginn der Diskussion um die Konstitutionalisierung des Völkerrechts liegt. Dennoch wird sie zu ihr in Beziehung gesetzt. Zwingendes Völkerrecht ist zunächst ein Nichtigkeitsgrund für völkerrechtliche Verträge wegen ihres Inhalts. Nach Art. 53 der Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23. Mai 1969 (WVK) ist ein Vertrag nichtig, der gegen zwingendes Völkerrecht verstößt. Darunter sind Normen zu verstehen, die von der Staatengemeinschaft als Normen anerkannt sind, von denen keine Abweichung zulässig ist. Es handelt sich also um Regeln mit Absolutheitsanspruch, die auch durch den Konsens zwischen einzelnen Staaten nicht aufgegeben werden dürfen. Jegliche Einwilligung in eine Normverletzung ist unbeachtlich, gleichgültig ob sie sich durch bilateralen Vertag oder einseitige Erklärung äußert. Daher kann eine Einwilligung in die Verletzung zwingenden Rechts auch keine Rechtfertigung für ein völkerrechtliches Delikt bieten. Die Gegenseitigkeit völkerrechtlicher Pflichten ist zugunsten höherer Interessen aufgehoben. Als Beispiele werden meist grundlegende Verbote wie das der Aggression, des Völkermordes und anderer gravierender Menschenrechtsverletzungen, die Kerngarantien des humanitären Völkerrechts, das Selbstbestimmungsrecht der Völker und der Schutz der Umwelt vor anhaltenden, schwerwiegenden Beeinträchtigungen genannt.20 In engem Zusammenhang hierzu stehen die Pflichten erga omnes. Kurz nach Unterzeichnung der WVK hat der Internationale Gerichtshof derartige Normen anerkannt, die sich dadurch auszeichnen, dass sie Interessen der Staatengemeinschaft insgesamt schützen, die so fundamental sind, dass auch Staaten, die nicht konkret und unmittelbar durch ihre Verletzung betroffen sind, gegenüber dem verantwortlichen Staat bestimmte Rechtsfolgen geltend machen können.21 Zudem darf ein Zustand, der durch eine derartige Rechtsverletzung herbeigeführt worden
19 Vgl. T. Cottier, Die Anwendbarkeit von völkerrechtlichen Normen im innerstaatlichen Bereich als Ausprägung der Konstitutionalisierung des Völkerrechts, SZIER (Fn. 16) Bd. 9 (1999), S. 403 ff. Es ist nicht zu übersehen, dass sich diese Lesart der Konstitutionalisierung naheliegenden Einwänden aussetzt. Denn sie verleitet dazu, den Typus des westlichen Verfassungsstaates zu verabsolutieren und an die Stelle der formalen Gleichberechtigung aller Staaten eine bestimmte Vorstellung von Staatlichkeit treten zu lassen. Die Indifferenz des klassischen Völkerrechts gegenüber den internen Verhältnissen hat eine friedenssichernde Funktion, die mit dieser verloren zu gehen droht. Doch soll es hier nicht darum gehen, den Konstitutionalisierungsprozess zu bewerten, sondern seine verschiedenen Deutungen auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen. 20 L. Hannikainen, Peremptory Norms (Jus Cogens) in International Law, Helsinki 1988, S. 315 ff. 21 IGH, Barcelona Traction, ICJ Reports 1970, S. 2 Para. 33; s. auch Namibia, ICJ Reports 1971, para. 126; East Timor, ICJ Reports 1995, S. 102 para. 29.
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ist, nicht als rechtens anerkannt werden.22 Auch wenn sich die Bezeichnung „erga omnes“ in den Artikeln der International Law Commission über die Staatenverantwortlichkeit nicht mehr findet,23 so ist dieses Prinzip doch im Grundsatz durch diese anerkannt worden. Die meist angeführten Beispielsnormen decken sich weitgehend mit denen des zwingenden Rechts, auch wenn beide Konzepte nicht in eins gesetzt werden können.24 Eine Beziehung zum Völkerstrafrecht lässt sich insoweit feststellen, als Handlungen, die nach dem Völkerrecht die Pflicht nach sich ziehen, den Täter vor Gericht zu stellen oder an einen hierzu bereiten Staat oder ein zuständiges internationales Gericht auszuliefern, zugleich Verletzungen des zwingenden Völkerrechts und von Pflichten erga omnes sind, wenn sie in staatlicher Regie begangen werden. Diese Schlussfolgerung lässt sich aber nicht umkehren, der Kreis der völkerrechtlichen Straftatbestände ist enger. Daher ist etwa die Aussage des Internationalen Jugoslawientribunals problematisch, der zufolge eine Verletzung des Folterverbotes eine Anknüpfung nach dem Universalitätsprinzip rechtfertigt, weil das Folterverbot zum jus cogens gehört;25 dies ist vielmehr allein deshalb der Fall, weil Folter ein völkerrechtliches Verbrechen ist. Es liegt nahe, die beiden Normkategorien jus cogens und erga omnes als gegenüber dem übrigen Völkerrecht höherrangiges Recht einzuordnen. Denn wenn jus cogens einen bilateralen Vertrag brechen kann, so scheint sich die Schlussfolgerung aufzudrängen, dass es über ihm steht.26 Und wenn alle Staaten eine Verletzung geltend machen können, so müssen diese Normen Interessen schützen, die gegenüber Individualinteressen des Verantwortlichen höher einzustufen sind. Es verwundert daher nicht, dass jus cogens und erga omnes-Pflichten in der Diskussion um die Konstitutionalisierung des Völkerrechts eine zentrale Rolle spielen.27 Gleichwohl fragt sich, ob diese Fundamentalnormen als Beleg für eine Konstitutionalisierung des Völkerrechts angeführt werden können. Sicher ließen sie sich 22 IGH, Wall in the Occupied Palestine Territory, Gutachten v. 9. 7. 2004, abgedr. in International Legal Materials Bd. 43 (2004), S. 1009, paras. 88, 155 f. 23 Angenommen in Resolution der UN-Generalversammlung 56 / 83 vom 12. 12. 2001. 24 Zum Verhältnis näher S. Kadelbach, Jus Cogens, Obligations Erga Omnes and other Rules – The Identification of Fundamental Norms, in: C. Tomuschat / J.-M. Thouvenin, The Fundamental Rules of the International Legal Order, 2006, S. 21 (35 ff.). 25 International Tribunal for the Former Yugoslavia (ICTY), Trials Chamber, Prosecutor v. Furundzija, Urteil v. 10. 12. 1998, abgedr. in International Legal Materials Bd. 38 (1999), S. 317, para. 156. 26 Vgl. Sondervotum des Richters Lauterpacht, in: IGH, Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, ICJ Reports 1993, S. 325, 407 para. 100, mit der Folge des Vorrangs auch vor Resolutionen des UN-Sicherheitsrates para. 102 ff. 27 R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, Juristen-Zeitung 2001, 565 ff.; A. Fischer-Lescano, Die Emergenz der Globalverfassung, ZaöRV (Fn. 17) Bd. 63 (2003), S. 717 (743 ff.).
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dem materiellen Konstitutionalisierungsbegriff zuordnen. Staaten, die sie verletzen, können sich nicht auf den domaine reserve berufen. Ihre Genese ist jedoch eine andere. An anderer Stelle ist näher ausgeführt worden, dass es sich bei ihnen um in das Völkerrecht überführte ethische Elementarnormen handelt, deren Anfänge bis zum Beginn des 19. Jh. zurückreichen. Mit einem wie immer gedachten internationalen Verfassungsrecht haben sie insofern zu tun, als jede Verfassung derartige Mindestgarantien aufnehmen muss, wenn sie eine legitime Ordnung zustande bringen soll. Will man einen aussagefähigen Begriff der Konstitutionalisierung verwenden, muss er aber über dieses ethische Minimum hinausgehen.
3. Einordnung Es ist danach immerhin möglich, auch jenseits des innerstaatlichen Zusammenhangs von Verfassungsrecht zu sprechen. Mit dem Begriff der Konstitutionalisierung werden allerdings sehr verschiedene Phänomene bezeichnet. Sie lassen sich unterschiedlichen Entwicklungsströmungen, gleichsam verschiedenen geologischen Schichten des Völkerrechts, zuordnen. Die älteste ist die der völkerrechtlichen Fundamentalnormen, Sie verdankt ihre Entstehung der pragmatisch-humanitären Tradition des modernen Völkerrechts, die von der Unterbindung des Sklavenhandels durch die Wiener Kongressakte über die ersten Genfer Konventionen und die Haager Friedenskonferenzen bis zu den vier Genfer Konventionen von 1949 nebst ihren Zusatzprotokollen von 1977 und dem Verbot biologischer und chemischer Waffen sowie der Bekämpfung des Einsatzes von Landminen reicht. Das jus cogens hat in diesem Zeitraum verschiedene Phasen hoher Konjunktur erlebt, so in wissenschaftlicher Hinsicht zuerst in der Zeit der Privatkodifikationen des 19. Jahrhunderts, dann im deutschsprachigen Schrifttum nach dem Ersten Weltkrieg; in den Arbeiten der ILC taucht es gleich nach deren Einsetzung im Jahre 1950 auf.28 Zu einem neuen Schub kam es schließlich infolge der Beendigung des Kalten Krieges. Nicht alle genannten Verbote ließen sich zu allen Zeiten als Normen des jus cogens oder als Pflichten erga omnes bezeichnen, doch haben sie zumindest das Potenzial, sich dazu zu entwickeln. In diesem Zusammenhang von Konstitutionalisierung zu sprechen29 ist aber eher eine Neu-Interpretation eines schon länger anhaltenden Vorgangs als die Bezeichnung eines neuen Phänomens.30 Die zweite Entwicklungslinie, die hier als formale Konstitutionalisierung bezeichnet wird, hat ihren Ausgang mit der Gründung internationaler Organisationen Nachw. bei S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, Berlin 1992, S. 36 ff., 124 ff. Vgl. etwa D. Thürer / M. MacLaren, Konstitutionalisierung des humanitären Völkerrechts, Schweizer Monatshefte 2005, H. 11, S. 5 ff. 30 Siehe auch B. Fassbender, Der Schutz der Menschenrechte als zentraler Inhalt des völkerrechtlichen Gemeinwohls, Europäische Grundrechte-Zeitschrift 2003, S. 1 ff. 28 29
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genommen. Auch das Bild von der Menschheit als internationaler Gemeinschaft mit gemeinsamer Rechtsordnung ist sehr alt. Der Versuch der rechtlichen Verfasstheit derartiger Vorstellungen wurde erstmals mit dem Projekt des Völkerbundes unternommen, das den Weltfrieden durch eine Weltorganisation sichern sollte.31 Er wurde mit den Vereinten Nationen, globalen Spezialorganisationen und regionalen Universalorganisationen fortgesetzt. Durch sie wurde ein Vorranganspruch des Rechts der Vereinten Nationen geschaffen (Art. 103 UNC), der die Erwartung einer, wie Hans Kelsen es nannte, „Zentralisation“ des Völkerrechts32 zu rechtfertigen schien. In unseren Tagen ist daraus ein komplexes Geflecht internationaler Organisationen geworden, das die Frage nach der konstitutionellen Einheit der Völkerrechtsordnung aufgeworfen hat. Die dritte Entwicklung, hier als materielle Konstitutionalisierung bezeichnet, ist durch eine Zurückdrängung des domaine reserve zugunsten internationaler Prinzipien gekennzeichnet, die ihren Ursprung im nationalen Verfassungsrecht haben. Sie hat mit den Menschenrechten begonnen und äußert sich derzeit in Legitimitätsanforderungen unterschiedlicher Art und Güte gegenüber Staaten, in der Praxis meist solchen der dritten Welt. Es soll nun gefragt werden, wie weit sich mit diesen Spielarten der Konstitutionalisierung gehaltvolle Anforderungen an das völkerrechtliche Normensystem verbinden lassen. Dies ist zum einen möglich, wenn mit diesem Prozess die Entwicklung des Völkerrechts zu einer in sich gestuften, eigenständigen Rechtsordnung beschrieben wird, deren Verpflichtungskraft vom Einzelwillen der Staaten nicht abhängig ist (dazu III.). Zum anderen ergibt die Konstitutionalisierungsthese einen Sinn, wenn internationales Verfassungsrecht zur Lösung von Normenkollisionen innerhalb des Völkerrechts beitragen kann (dazu IV.).
III. Konstitutionalisierung als Ergebnis von Europäisierung und Internationalisierung 1. Das Beispiel der Konstitutionalisierung des Europarechts Ein Beispiel für die Konstitutionalisierung in einem völkerrechtlichen Teilsystem bietet naheliegender Weise das Recht der Europäischen Union. Schon bevor an den Vertrag über eine Verfassung für Europa zu denken war, haben der Europäische Gerichtshof und das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf die Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaft von einer Verfassung bzw. von 31 Vgl. A. Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, Wie / Berlin 1926, S. 112: „Der ‚Völkerbund‘ ist jedoch nicht der Völkerbund, sondern ein Völkerbund, da er zwar eine sehr goße Zahl von Staaten, [85] aber keineswegs alle Staaten umschließt. Doch ist er, im Gegensatze zu anderen Staatenbünden, seiner Idee nach dazu bestimmt, der Völkerbund, die allumfassende Staatengemeinschaft zu werden.“. 32 Reine Rechtslehre, 2. Aufl. Wien 1960, S. 328.
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einer Verfassungsurkunde gesprochen.33 Der Weg von der richterrechtlichen ReInterpretation völkerrechtlicher Verträge in eine Formalverfassung hin zur ReFormulierung der Vertragsrevision als Prozess der Verfassungsgebung34 hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Annahme von der unlösbaren Verklammerung zwischen Staat und Verfassung, die das deutsche Staatsrechtsdenken lange beherrscht hat, inzwischen aufgegeben worden ist. Dieser Prozess war langwierig. Ihm ging voraus, was als Transformation Europas bezeichnet worden ist:35 Die richterrechtliche Umdeutung des völkerrechtlichen Charakters der Gründungsverträge in eine Rechtsordnung, deren Subjekte außer den Staaten auch die Einzelnen sind, die in der Lage ist ihre Geltungsbedingungen durch eigene Organe zu bestimmen und die Vorrang vor kollidierendem innerstaatlichen Recht einschließlich des Verfassungsrechts beanspruchen kann. Die Konstitutionalisierung des Europarechts hatte also drei Elemente: Transformation eines völkerrechtlichen Vertragswerkes in unmittelbar wirksames innerstaatliches Recht, Autonomisierung und Hierarchisierung. Zur Diskussion über die Konstitutionalisierung des Völkerrechts mag diese Entwicklung beigetragen haben. Ein beachtlicher Teil der Diskussion spielt sich vor dem Hintergrund der Welthandelsordnung ab, wo auf völkerrechtlicher Ebene manches wiederzuerkehren scheint, was vom Europarecht her vertraut ist: eine quasikonstitutionelle, auch innerstaatliche Wirkung des WTO-Rechts, dessen Etablierung als eigenständige Teilrechtsordnung des Völkerrechts und eine nach Einführung der obligatorischen Streitschlichtung zumindest mögliche, durch Rechtsanwendungsregeln vorgezeichnete Binnenhierarchisierung.36 Die Anreicherung dieser Teilrechtsordnung durch Normen des materiellen Verfassungsrechts wie die Menschenrechte, die Rule of Law und das Demokratieprinzip wäre dann ein elementarer Bestandteil dieses Prozesses. Auch wenn man einmal die These von der Konstitutionalisierung des Welthandelsrechts akzeptiert, stellt sich die Frage, ob es sich dabei nicht um die Besonderheit einer Teilrechtsordnung handelt oder ob sie darüber hinaus als Ausdruck einer allgemeinen Entwicklung verstanden werden kann.
33 BVerfGE 22, 293 (296: „gewissermaßen“); EuGH, Les Verts, Slg. 1986, 1339 Rn. 23; s. auch EWR I, Slg. 1991, I-6079 Rn. 1. 34 J.-P. Jacqué / J. C. Wichard, Der Vertrag über eine Verfassung für Europa: Konstitutionalisierung oder Vertragsrevision?, EuGRZ 2004, 551 ff., bzw. 556 ff. 35 J. H. Weder, The Transformation of Europe, Yale Law Journal Bd. 100 (1991), S. 2 ff., 403 ff., abgedr. in ders. (Hg.), The Constitution of Europe, 1999, S. 10 ff. 36 E. U. Petersmann, The Transformation of the World Trading System through the 1994 Agreement Establishing the World Trade Organization, EJIL (Fn. 13) Bd. 6 (1995), S. 161 ff.; T. Cottier, Dispute Settlement in the World Trade Organization: Characteristics and Structural Implications for the European Union, CML Rev. Bd. 35 (1998), S. 325 ff.; zusammenfassend M. Hilf / W. Benedek, Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BDGVR (Fn. 8) Bd. 40 (2003), S. 257 ff. und 283 ff.
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2. Konstitutionalisierung des Völkerrechts durch Hierarchisierung a) Vision der Weltrechtsordnung: Die UNO-Charta als Verfassung Als eine von mehreren denkbaren Erklärungen für die aktuelle Konjunktur der Theorie von der Konstitutionalisierung bietet sich die Globalisierung an. Auch wenn es einen einheitlichen Begriff der Globalisierung nicht gibt, so wird doch die Zurückdrängung der Ordnungsmacht des Staates als ihr Definitionsmerkmal, zumindest aber als ihre zwingende Folge angesehen.37 Global Governance, verstanden als Ausübung von Hoheitsrechten durch nichtstaatliche Akteure, erscheint als denkbare Kompensationsstrategie, eine Theorie der Konstitutionalisierung wäre dann deren rechtswissenschaftliche Verlängerung. Zu dieser Schlussfolgerung würde es passen, die Vereinten Nationen selbst als Ordnungsfaktor zu begreifen und deren rechtliche Grundlage, die UNO-Charta, als Verfassung zu verstehen.38 Art. 103 UNC, der den Vorrang der Charta vor nachfolgendem, abweichendem Vertragsrecht anordnet, ist aus dieser Sicht nicht nur eine vertragliche Kollisionsklausel, sondern eine Verfassungsnorm, die den Vorrang der übergeordneten Normstufe feststellt.39 Kritik kommt aus zwei Richtungen. Zum einen werden völkerrechtsimmanent Einwände vorgebracht. Die Konstruktion beruhe auf einer Analogie zum nationalen Recht, die nicht tragfähig sei. So sei die Organstruktur der Vereinten Nationen weder in ihren Einzelfunktionen den Staatsgewalten vergleichbar, noch spiegele sich in ihr eine verfassungsrechtliche Form von Gewaltenteilung.40 Art. 103 UNC wäre dann eine bloße Kollisionsnorm, wie sie sich in ähnlicher Form auch in anderen Organisationsstatuten findet.41 Ein anderer Einwand ist grundsätzlicher Art und richtet sich gegen die Eigenständigkeit internationaler Rechtsordnungen, weil Organisationen als Akteure ohne Staaten nicht wirksam handeln können. Wer internationale Organisationen als Instrumente staatlicher Politik begreift,42 muss Statt vieler U. Beck, Was ist Globalisierung?, Frankfurt am Main 1997, S. 28 f. So in der Anlage schon A. Verdross / B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. Berlin 1984, S. 69 ff.; weiter geführt etwa bei B. Simma, From Bilateralism to Community Interest in International Law, Recueil des Cours (RdC) Bd. 250 (1994-VI), S. 217 (258 ff.); B. Fassbender, UN Security Council Reform and the Right of Veto. A Constitutional Perspective, Den Haag 1998, S. 89 ff. 39 Ansätze schon bei H. Kelsen, The Law of the United Nations, New York 1951, S. 85 f., 106 f., 113. 40 A. L. Paulus, From Territoriality to Functionality? Towards a Legal Methodology of Globalization, in: I. F. Okker / W. G. Werner (Hg.), Governance and International Legal Theory, Leiden / Boston 2004, S. 59 (63 ff.). 41 Mit ihnen rechnet in allgemeiner Form Art. 30 II der Wiener Vertragsrechtskonvention; s. Art. 307 EGV, Art. VII:5 IWF-Übereinkommen Art. 311 des UN-Seerechtsübereinkommens von 1982 Art. XIII WTO-Übereinkommen von 1994. 42 Hier setzt sich eine politikwissenschaftliche Kontroverse fort, die in der Diskussion um Global Governance einen neuen Schauplatz gefunden hat; dazu U. Menzel, Zwischen Idealismus und Realismus, Frankfurt am Main 2001, S. 226 ff. 37 38
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die Konstitutionalität der UNO-Verfassung in Zweifel ziehen. Diese aus der Warte eines politikwissenschaftlichen oder rechtstheoretischen Realismus zwingend folgende Kritik kann für sich anführen, dass es rein tatsächlich ein Gewaltmonopol der UN oder auch regionaler Organisationen nicht gibt.43 Während die erste Kategorie von Einwänden eine Frage der Interpretation des UNO-Systems ist, ist die letztgenannte Kritik Ausdruck einer Differenz in Grundfragen des Verständnisses der internationalen Beziehungen und der Völkerrechtstheorie überhaupt, die sich immanent schwer beilegen lässt. Der Vorrang der Charta nach Art. 103 UNC jedenfalls darf, seit mit Beitritt der Schweiz alle Staaten der Welt auch Mitglied der Vereinten Nationen geworden sind, schon aus vertragsrechtlicher Sicht universelle Geltung beanspruchen. Bereits Art. 30 I der Wiener Vertragsrechtskonvention erkennt Art. 103 UNC als generelle Regel an und gewährt ihr damit einen anderen Status als den anderen genannten Vorrangklauseln, die lediglich relative Wirkung haben. Damit ist aber zugleich gesagt, dass die Kollisionslösung ohne weiteres aus dieser Norm folgt, ohne dass es nötig wäre, der UNO-Charta die Qualität einer Verfassung zuzusprechen. An diesem Vorrang haben die Resolutionen des Sicherheitsrates, als Verpflichtungen „aus“ der Charta (Art. 25 UNC), Teil. Dieser Vorrang geht aber nach heutigem Verständnis nicht so weit, dass widersprechende Verträge dadurch ungültig würden.44 Für das UNO-System dürften sich damit aus der Konstitutionalisierungsthese keine rechtlichen Aussagen gewinnen lassen, die sich nicht ohnehin aus dem Recht der Vereinten Nationen ergeben. Das Recht der Vereinten Nationen als dem übrigen Völkerrecht übergeordnet anzusehen liegt zwar angesichts seines globalen Geltungsanspruchs nahe, normlogisch zwingend ist dies jedoch nicht. Auch die Feststellung anderer möglicher Eigenschaften konstitutionalisierten Rechts, unmittelbare Wirkung und Autonomie, ist bestenfalls problematisch. Weder die Charta selbst noch Resolutionen des Sicherheitsrates beanspruchen unmittelbare innerstaatliche Geltung. Die Autonomie des UNO-Rechts wiederum ist erneut eine Frage des Standpunktes. Unter Autonomie ist die Fähigkeit einer Rechtsordnung zu verstehen, die Bedingungen ihrer Geltung mit Hilfe eigener Organe, insbesondere dazu berufener Gerichte, selbst zu bestimmen. Bereits dem Recht der EG wird diese Fähigkeit von den Verfassungsgerichten der meisten Mitgliedstaaten streitig gemacht.45 Für das Recht der Vereinten Nationen bedeutet der streng konsensuale Charakter der Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs zumindest ein ernsthaftes Hindernis. Ob eine dezentrale Anwendung durch staatliche Gerichtsbarkeiten in Frage kommt, hängt allein von den Staaten ab. Hierauf eingehend Frowein (Fn. 8), S. 432 ff. Vgl. Art. 30 WVK mit den Nichtigkeitsgründen in Art. 46 ff. WVK; dies ist streitig, s. R. Bernhardt, Article 103, in: B. Simma (Hg.), The Charter of the United Nations, München 2002, Rn. 15 ff. m. w. N. 45 Dazu F. C. Mayer, Europäische Verfassungsgerichtsbarkeit, in: von Bogdandy (Fn. 2), 229 (241 ff.). 43 44
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Daraus folgt, dass die Rede von der Konstitutionalisierung, soweit sie sich auf die UNO-Charta gründet, nicht mehr sein kann als ein neuer Trend in einer langen Geschichte philosophischer Entwürfe, die dem universellen Völkerrecht den Charakter einer Rechtsordnung der internationalen Gemeinschaft beimessen.46 Dies muss nicht gegen ihre Richtigkeit sprechen. Doch lässt sie sich mit juristischmethodischen Mitteln nicht begründen.
b) Jus Cogens und Normen Erga Omnes als Verfassungsrecht Wenn jus cogens, so wurde gesagt, die Eigenschaft hat, die Nichtigkeit kollidierender Verträge und einseitiger Willenserklärungen zu bewirken, so muss es einen höheren Rang haben als „einfaches“ Völkerrecht.47 Der Internationale Strafgerichtshof für Jugoslawien hat ihm sogar unmittelbaren Geltungsvorrang vor kollidierendem innerstaatlichem Recht beigemessen.48 Dieser Vorgang ließe sich als Hierarchisierung und als Autonomisierung durch immanente Rechtsfortbildung deuten; da zwingendes Recht zugleich eine (negative) Rechtserzeugungsregel enthält, wird es auch in einem formellen Sinne als Verfassungsrecht angesehen.49 Dieser Ansatz erscheint aber wenig überzeugend. Zum einen ist die Direktwirkung zwingenden Völkerrechts im innerstaatlichen Bereich auf Anordnung eines internationalen Gerichts eine sehr zweifelhafte Konstruktion. Zum anderen bildet zwingendes Recht nur einen geringen Teil des völkerrechtlichen Rechtserzeugungsrechts. Der Rechtsquellenregel des Art. 38 des IGH-Statuts wird dieser Charakter im Allgemeinen nicht zugesprochen. Dies wäre aber erforderlich, zumal das jus cogens keine eigenständige Quelle bildet, sondern, wie die Formulierung des Art. 53 WVK zeigt, sich an sie anlehnt und ihr seine Existenz verdankt. Der höhere Rang des jus cogens beruht daher nicht auf der Funktion des Jus-cogensPrinzips als sekundärer Norm, sondern auf den Inhalten der primären Normen, die es bilden. 46 Sie reichen bis zum totius orbis Vitorias und der civitas maxima Christian Wolffs zurück; s. aus jüngerer Zeit H. Mosler, International Society as a Legal Community, RdC (Fn. 38) Bd. 140 (1974-IV), 1 ff.; ders., International Society as a Legal Community, Alphen 1980; C. Tomuschat, Die internationale Gemeinschaft, Archiv des Völkerrechts Bd. 33 (1995), S. 1 ff.; A. Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht, München 2001. 47 Oben bei Fn. 26. 48 So ist wohl ICTY, Furundzija (Fn. 25), para. 155, zum Verbot der Folter zu verstehen: „At the inter-state level, it serves to internationally de-legitimise any legislative, administrative or judicial act authorising torture. lt would be senseless to argue, on the one hand, that an account of the jus cogens value of the prohibition against torture, treaties or customary law rules providing for torture would be null and void ab initio, and the be unmindful of a State say, taking national measures authorising or condoning torture or absolving its perpetrators through an amnesty law. If such a situation were to arise, the national measures [85] would produce the legal effects discussed above and in addition would not be accorded international legal recognitionXX (Herv. i. O., Fußn. ausgelassen). 49 Fischer-Lescano (Fn. 27).
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Zwar lassen sich also zwingende Normen, ähnlich den Grundrechten im innerstaatlichen Bereich, zugleich als materielles Verfassungsrecht und – als negative Kompetenznormen – in einem beschränkten Sinne als formelles Verfassungsrecht beschreiben. Ein Erkenntnisgewinn, der über das hinausginge, was von jus cogens schon vor der Konstitutionalisierungsdiskussion bekannt war, ist damit aber noch nicht verbunden.
c) Materielles Verfassungsrecht als Prinzipien Das eigentlich Neue an der Konstitutionalisierungsthese sind die Wirkungen, die Normen verfassrechtlichen Typs außerhalb staatlicher Verfassungsordnungen zugemessen werden. Die Menschenrechte als globale Verfassungsnormen auszurufen, begegnet konstruktiven Einwänden: Nur die wenigsten von ihnen sind für alle Staaten als Vertrags- oder Gewohnheitsrecht bindend, und die dogmatische Begründung für die Bindung internationaler Organisationen bereitet Schwierigkeiten. Allerdings muss dies nicht bedeuten, dass von ihnen keine rechtlichen Wirkungen ausgehen. Das Jus-Cogens-Prinzip belegt, dass es Normen geben kann, die gelten, ohne von allen Staaten ausdrücklich anerkannt zu sein.50 Eine Möglichkeit, den Widerspruch zwischen universellem Geltungsanspruch und Schwierigkeiten beim Nachweis positiven Konsenses aufzulösen, könnte darin bestehen, internationale Verfassungsnormen im quellentheoretischen Sinne als allgemeine Rechtsgrundsätze (Art. 38 I lit c IGH-St) und zugleich im rechtstheoretischen Sinne als Prinzipien anzusehen. Dafür spricht zum einen die Methode der Rechtsgewinnung: In der Verfassungsgeschichte der Europäischen Union lässt sich nachverfolgen, dass die europäischen Grundrechte ihr Dasein einem Rekurs der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes auf die den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen verdanken.51 Diese Verfassungsüberlieferungen spiegeln sich in völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, die sie insbesondere im Rahmen des Europarates übernommen haben. Sie bilden die verfassungsrechtliche Rahmenordnung, die die Mitgliedstaaten und die Union selbst einhalten müssen, wenn der konkrete Bestand der Union nicht gefährdet werden soll (Art. 6 und 7 EUV). Um ein bestimmtes Grundrecht nachzuweisen, ist es nicht erforderlich, dass jeder Mitgliedstaat jedes Grundrecht in der richterrechtlich entwickelten Form in seine Verfassung aufgenommen hat. Auch ist nicht jedes dieser 50 Eingehend dazu C. Tomuschat, Obligations Arising for States Without or Against Their Will, RdC (Fn. 38) Bd. 241 (1993-IV), S. 209 ff.; Simma (Fn. 38), S. 229 ff. 51 Zur Konstitutionalisierung Europas S. Oeter, Europäische Integration als Konstitutionalisierungsprozess, Berlin / Heidelberg 1998; C. Walter, Die EMRK als Konstitutionalisierungsprozess, ZaöRV (Fn. 17) Bd. 59 (1999), S. 961 ff.; T. Giegerich, Europäische Verfassung und deutsche Verfassung im transnationalen Konstitutionalisierungsprozess, 2001; A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, Berlin 2001.
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Grundrechte explizit Teil etwa der EMRK geworden.52 In vergleichbarer Weise ließe sich die Geltung der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie auch für andere internationale Organisationen begründen, zumal viele von ihnen (wie die UNO, die ILO, die OAS, die heutige Afrikanische Union und andere) auch selbst als Initiatoren internationaler Konventionswerke auftreten. Voraussetzung dafür ist allerdings eine dazu berufene Gerichtsbarkeit. Zum zweiten spricht ihre rechtliche Funktion für eine solche Sicht. Aus dem innerstaatlichen Verfassungsrecht ist die Wirkung der Grundrechte als objektive Grundsatznormen bekannt, die spätestens seit Ronald Dworkin rechtstheoretisch als Prinzipienwirkung beschrieben wird.53 Ihre moralische Verwurzelung schafft die legitime Erwartung ihrer Achtung durch jegliche Hoheitsgewalt. Ihr objektiv-rechtlicher Charakter ermöglicht es, dass diese Erwartung im rechtlichen Abwägungsprozess berücksichtigt wird. Sie weisen damit keinen zwingenden Vorrang vor allen anderen Normen auf, zumal hinter den Nomen, denen sie entgegen gehalten werden, häufig ihrerseits Interessen etwa wirtschaftlicher Art stehen, die sich als Grundrechte fassen lassen. Sie begründen aber Wertungspräferenzen und damit einen Rechtfertigungszwang, wenn in sie eingegriffen werden soll. Die Geltung verfassungsrechtlicher Normen als Prinzipien wäre in einem weniger anspruchsvollen Sinne als internationales Verfassungsrecht und damit als Konstitutionalisierung zu werten als etwa die Vorstellung von einer im Organisationsrecht der UNO abgebildeten Globalverfassung. Ein solches Verständnis von Konstitutionalisierung könnte erklären, warum es trotz der infolge der Aufsplitterung in viele Teilsysteme und der Erweiterung der Akteure immer komplexer werdenden Völkerrechtsordnung plausibel ist, an der Vorstellung von der Einheit der Völkerrechtsordnung festzuhalten.
IV. Folgen für die Lösung von Normenkonflikten Aus dem Vorstehenden wird deutlich, dass drei verschiedene Phänomene gemeint sein können, wenn von den Wirkungen der Konstitutionalisierung gesprochen wird; – die Vorrangwirkung der Kollisionsregel des Art. 103 UNC, 52 Beispiele bieten die Berufsfreiheit, die in der EMRK nicht enthalten ist (s. EuGH, Nold, Slg. 1974, 491 Rn. 12 ff.) und das Recht auf eine gute Verwaltung (s. EuGH, Burban, Slg. 1992, I-2253 Rn. 7). 53 R. Dworkin, Taking Rights Seriously, 5. Aufl. London 1987, S. 22; s. auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, Baden-Baden 1985, S. 71 ff.; die zugrunde liegende Unterscheidung zwischen Regel und Prinzip ist älter und auf jede Rechtsordnung anwendbar, s. H. C. Dillard, Some Aspects of Law and Diplomacy, RdC (Fn. 38) Bd. 91 (1957-I), S.443 (447 ff.); P. Allott, Parliamentary Sovereignty – From Austin to Hart, Cambridge Law Journal Bd. 49, (1990), S. 377 (380); K. P. Berger, Die UNIDROIT-Prinzipien für internationale Handelsverträge, Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Bd. 94 (1995), S. 217 (231 ff.).
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– die Derogation entgegenstehenden Rechts durch jus cogens und – Wertungspräferenzen zugunsten verfassungsrechtlicher Normen wie insbesondere der Menschenrechte.
Die Annahme einer Normenhierarchie zwischen Normen, die diese Rechtsfolgen auslösen können, und denen, die dies nicht tun, ist theoretisch denkbar, führt aber aus sich heraus kaum zu neuen Erkenntnissen. Insbesondere löst sie nicht das Problem, wie im Falle des Konflikts zwischen verschiedenen konstitutionellen Normen zu verfahren wäre. Zudem ist eine Hierarchisierung, sollte sie dazu führen, alle genannten Normengruppen in einer Kategorie zusammenzufassen, geeignet, die spezifischen Rechtsfolgen der einzelnen Normen unklar werden zu lassen. Es erscheint vorzugswürdig, diese Normengruppen, die – wie gezeigt – auch ihre jeweils eigene Geschichte haben, für sich zu betrachten und von einer Pluralität von Konstitutionalisierungsphänomenen auszugehen. Von besonderem Interesse ist die Frage, welche Folgen sich für die Lösung von Normenkollisionen ergeben. Art. 103 UNC und zwingendes Völkerrecht geben hier relativ klare Folgen vor, doch ist ein Konflikt, in dem es auf sie einmal ankommt, selten. Für die dritte Gruppe von Verfassungsnormen sind die Konsequenzen weniger klar. Ist die These von den Menschenrechten als Verfassungsprinzipien richtig, so äußern sie sich dort, wo sie nicht unmittelbar gelten, als Abwägungsgebote und Begründungspflichten. Internationale Schiedsgerichte – wie etwa die Panels und das Appellate Body der WTO – müssen sie in ihre Entscheidungen einbeziehen und begründen, auf welche Weise sie dies tun. Feste Ergebnisse lassen sich vom Fall unabhängig und ohne entwickelte Rechtsprechungslinien nicht ohne weiteres prognostizieren. Doch ist dies gegenüber der Anwendung der Grundrechte durch staatliche Gerichte nichts Ungewöhnliches. Eine solche Vorstellung von Konstitutionalisierung steht zu vermeintlichen Gegenmodellen wie „Diskurs“ und „Formalismus“54 nicht in Widerspruch, sondern bezieht sie ein. Denn so verstandenes Verfassungsrecht beruht nicht auf einer apriorischen Vorstellung einer Weltgesellschaft oder Weltordnung, sondern erkennt an, dass Recht in der Argumentation entsteht und konkretisiert wird.55 Auch mit systemtheoretischen Beobachtungen einer Entgrenzung und Funktionalisierung des Rechts lässt sie sich vereinbaren.56 Die Feststellung einer Fragmentierung des Völkerrechts, die durch seine Ausdifferenzierung in verschiedene 54 Zur Forderung „from constitution to discourse“ Paulus (Fn. 40), S. 93 ff.; zur „Kultur des Formalismus“, in der das Völkerrecht die Folie für die Reproduktion und den Austausch von Argumenten bietet, M. Kaskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, Cambridge 2002, S. 494 ff. 55 Ansatz für ein solches Modell bei Kadelbach (Fn. 28), S. 160 ff.; ders., Ethik des Völkerrechts unter Bedingungen der Globalisierung, ZaöRV (Fn. 17) Bd. 64 (2004), S. 1 (15 ff.). 56 Verschiedene Spielarten bei N. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 571 ff.; G. Teubner, Globale Zivilverfassungen: Alternativen zur staatszentrierten Verfassugstheorie, ZaöRV (Fn. 17), 63 (2003), S. 1 ff.; Fischer-Lescano (Fn. 27).
Überstaatliches Verfassungsrecht
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Teilsysteme entstanden sei, zwingt nicht dazu, die Vorstellung von der Einheit der Rechtsordnung aufzugeben.57 Die Einordnung überstaatlichen Verfassungsrechts als Prinzipien wäre danach eine rechtstheoretische Erklärung dafür, wie eine strukturelle Koppelung zwischen politischem und rechtlichem System stattfinden kann. Ihre Anwendung durch internationale Gerichte stellt Verknüpfungen zwischen internationalen Verfassungsnormen und den jeweiligen Teilsystemen her.
V. Schluss Versteht man überstaatliches Verfassungsrecht nicht, in Analogie zu staatlichen Verfassungen, als die Kodifizierung einer Globalverfassung der Weltgemeinschaft, sondern in einem weniger anspruchsvollen Sinne als ein Gebilde verschiedener Normschichten, die Normenkollisionen nach Wertungspräferenzen lösen, so ergibt sich ein Begriff der Konstitutionalisierung, der den Eigenheiten des Völkerrechts angemessen ist. Diese Normschichten ergeben sich teils aus der UNO-Charta, teils aus zwingendem Völkerrecht und teils aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Alle drei Normengruppen besitzen das Potenzial, Recht zu erzeugen, das vom Konsens einzelner Beteiligter unabhängig ist. Sie bilden in einem begrenzten Sinne objektives, d. h. autonom erzeugtes Recht. Die dritte Normengruppe, Verfassungsrecht auf der Basis allgemeiner Rechtsgrundsätze, lässt sich in Teilen auch in anderen Rechtsquellen, insbesondere in Verträgen und im Gewohnheitsrecht, nachweisen. Aber ihr konstitutioneller Gehalt ist von ihnen nicht abhängig. Ihre Gehalte lassen sich durch Verfassungsvergleichung bestätigen. So zeigt sich, dass kollisionsrechtliches Denken und Rechtsvergleichung auch im Völkerrecht ihren Platz haben.
57 Vgl. K. Günther, Rechtspluralismus und universaler Code der Legalitat: Globalisierung als rechtstheoretisches Problem, in: G. Wingert (Hg.), Die Öffentlichkeit der Vernunft und die Vernunft der Öffentlichkeit, Frankfurt am Main 2001, S. 539 ff., der dazu auf die Überzeugungen eines internationalen Juristenstandes zuruckgreift.
Innovationen in der Haager Wertpapierkonvention Von Karl Kreuzer
Vorbemerkungen Koresuke Yamauchi hat in den vergangenen Jahrzehnten auf vielfache Weise Brücken zwischen Japan und Deutschland, zwischen der japanischen und deutschen Rechtswissenschaft geschlagen. Er hat sich dabei rechtsvergleichend mit verschiedenen Gebieten, insbesondere aber mit dem Internationalen Privatrecht und dem Bankrecht befasst. Es erscheint daher angebracht, Koresuke Yamauchi mit einem Beitrag zu einer Konvention zu ehren, die beide Rechtsgebiete betrifft. Grenzüberschreitende Effektentransaktionen haben in den letzten Jahrzehnten erhebliche wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung gewonnen. Diese Entwicklung zeigt sich u. a. darin, dass drei wichtige internationale Organisationen sich dieses Themas angenommen haben. Auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts sind dies die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht (im Folgenden: Haager Konferenz) und die anstehende Siebte Inter-American Specialised Conference on Private International Law (CIDIP-VII)1; in sachrechtlicher Hinsicht befasst sich das Internationale Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts (UNIDROIT)2 mit unserer Materie. Der Beitrag der Haager Konferenz zur Lösung der mit dem grenzüberschreitenden Effektengiroverkehr verbundenen rechtlichen Probleme besteht in dem „Übereinkommen über die auf bestimmte Rechte in Bezug auf Intermediär-verwahrte Wertpapiere anzuwendende Rechtsordnung“3 (im Folgenden: Haager Wertpapierübereinkommen, Wertpapierübereinkommen, Übereinkommen – WPÜ –). Den wichtigsten Innovationen dieser Konvention4 soll dieser Beitrag 1 Die Konferenz wurde 2003 von der Generalversammlung der Organisation Amerikanischer Staaten einberufen, hat jedoch noch nicht stattgefunden. 2 Cf. UNIDROIT (International Institute for the Unification of Private Law), Preliminary draft Convention on harmonised substantive rules regarding intermediated securities (as adopted by the Committee of Governmental Experts at its first session, held in Rome, 9 – 20 May 2005), Study LXXVIII – Doc. 24, June 2005. 3 Deutschsprachiger amtlicher Text: RabelsZ 68 (2004) 757. Der authentische englische / französische Text der Convention on the Law Applicable to Certain Rights in Respect of Securities held with an Intermediary ist auf der Webseite der Haager Konferenz abrufbar: http://hcch.e-vision.nl. 4 Für einen Gesamtüberblick über die Konvention siehe Kreuzer, Das Haager „Übereinkommen über die auf bestimmte Rechte in Bezug auf Intermediär-verwahrte Wertpapiere
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gewidmet sein:5 Innovationen sind dabei zu verstehen im Sinne von Neuerungen gegenüber früheren Haager oder anderen multilateralen IPR-Konventionen und damit zugleich generell gegenüber den bisherigen Standards von IPR-Übereinkommen. Da es sich bei dem Haager Wertpapierübereinkommen um die erste Konvention auf diesem Rechtsgebiet handelt, beschränkt sich der Vergleich mit früheren Übereinkommen zwangsläufig auf allgemeine und formale Aspekte. Dabei werde ich die meisten Neuerungen nur verhältnismäßig kurz ansprechen, um mich auf die wichtigste Innovation, die Hauptanknüpfungsregel (Art. 4 WPÜ) und deren Hintergrund zu konzentrieren.
I. Sachlicher Gegenstand des Übereinkommens Das Haager Wertpapierübereinkommen ist innovativ hinsichtlich seines Gegenstandes: Es ist der erste multilaterale IPR-Staatsvertrag im Bereich des Bankrechts bzw. des Rechts der mittelbar verwahrten Wertpapiere.
II. Genesis des Übereinkommens Das Haager Wertpapierübereinkommen ist innovativ im Hinblick auf seine Entstehung: Die Entstehungsgeschichte ist durch eine neuartige Methode der Erarbeitung multilateraler Konventionen gekennzeichnet, die sog. fast track procedure. Die förmliche Vorbereitungsphase für die Konvention begann im Januar 2001 mit anzuwendende Rechtsordnung“, in: Le droit international privé: esprit et méthodes. Mélanges en l’honneur de Paul Lagarde, 2005, p. 467; s. ferner Kreuzer, European Responses to the Convention and Discussion of Underlying Substantive Law and Current PIL in Europe, in: Korea Private International Law Journal XI (2005). Weitere deutschsprachige Literatur: Einsele, Das Haager Übereinkommen über das auf bestimmte Rechte im Zusammenhang mit zwischenverwahrten Wertpapieren anzuwendende Recht, WM 2003, 2349; Girsberger, Revolution des internationalen Wertpapier-Sachenrechts? – Dynamik der Rechtsvereinheitlichung durch die Haager Konferenz, in: Festschrift für Anton K. Schnyder, 2002, p. 77; Merkt / Rossbach, Das Übereinkommen über das auf bestimmte Rechte in Bezug auf bei einem Zwischenverwahrer sammelverwahrte Effekten anzuwendende Recht der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, ZvglRWiss 102 (2003) 33; Reuschle, Das neue IPR für Intermediärverwahrte Wertpapiere, BKR 2003, 562; ders., Grenzüberschreitender Effektengiroverkehr, die Entwicklung des europäischen und internationalen Wertpapierkollisionsrechts, RabelsZ 68 (2004) 687; ders., Haager Übereinkommen über die auf bestimmte Rechte in Bezug auf Intermediär-verwahrte Wertpapiere anzuwendende Rechtsordnung“, IPRax 2003, 495; Schefold, Kollisionsrechtliche Lösungsansätze im Recht des grenzüberschreitenden Effektengiroverkehrs – die Anknüpfungsregelungen der Sicherheitenrichtlinie (EG) und der Haager Konvention über das auf zwischenverwahrte Wertpapiere anwendbare Recht. 5 Der Verfasser hat als Leiter / Mitglied der Deutschen Delegation sowie als Mitglied des Redaktionsausschusses an den Verhandlungen teilgenommen und ist – zusammen mit Roy Goode (Oxford) und Hideki Kanda (Tokio) – Berichterstatter: R. Goode / H. Kanda / K. Kreuzer (with the assistancee of Chr. Bernasconi), Explanatory Report, The Hague 2005.
Innovationen in der Haager Wertpapierkonvention
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einem Regierungsexpertentreffen; die Diplomatische Konferenz, die die Konvention angenommen hat, fand im Dezember 2002 statt. Nach meiner Kenntnis ist eine so kurze Vorbereitungsphase von nur zwei Jahren für eine internationale Konvention in der Haager Konferenz, aber vermutlich auch in der Geschichte anderer internationaler Organisationen, einmalig. Die so rasche Vollendung eines derart schwierigen IPR-Übereinkommens, das erstmals die sachenrechtlichen Aspekte von mittelbar verwahrten Wertpapieren regelt, war nur möglich durch die Einführung neuer Arbeitsmethoden, insbesondere der erwähnten fast track procedure. Die organisatorische Verantwortung für diese Arbeitsmethode trug im Ständigen Büro der Haager Konferenz Dr. Christophe Bernasconi, der diese anspruchsvolle Aufgabe hervorragend meisterte. Die eben mit dem Begriff fast track procedure beschriebene Arbeitsweise war durch folgende Merkmale gekennzeichnet: (1) eine exzellente wissenschaftliche Vorbereitung durch einen umfassenden, vom Ständigen Büro erarbeiteten Bericht6, der die wesentlichen Probleme deutlich machte und mögliche Lösungen aufzeigte; (2) ein informeller Arbeitsprozess, der gekennzeichnet war durch einen vom Ständigen Büro organisierten intensiven, kontinuierlichen, zügigen, transparenten multilateral-interaktiven Diskussionsprozess zwischen allen interessierten Kreisen (Staaten, internationale Organisationen, privater Wirtschaftssektor, Experten, Ständiges Büro, Redaktionsgruppe); (3) eine sehr aktive, als eine Art task force fungierende Redaktionsgruppe, die bei ihren häufigen Sitzungen zwischen den Sessionen des Plenums nicht nur die Plenarbeschlüsse umsetzte, sondern auf der Grundlage des (unter (2)) erwähnten kontinuierlichen, informellen, multilateralen Diskussionsprozesses ständig neue Anregungen und Vorschläge für die nächste Plenarsitzung erarbeitete; (4) ein Ständiges Büro, das als effizientes Organisationszentrum sowohl für den informellen Arbeitsprozess als auch für die weltweite Information über das Projekt auf zahlreichen regionalen Workshops sorgte, und das darüber hinaus die multilaterale Diskussion über Kernfragen der Konvention anregte; (5) eine kontinuierliche und vollständige Transparenz des gesamten Arbeitsprozesses für jeden Interessierten, insbesondere dank der vom Ständigen Büro organisierten web-Seite, die sämtliche erarbeiteten Dokumente allgemein zugänglich machte. Eine derartige fast track procedure hat allerdings nicht nur die aufgezeigten Vorteile, sondern bringt auch einige nicht unerhebliche Nachteile mit sich. Sie führt vor allem zu einem enormen Zeitdruck mit dem entsprechenden Stress für das Kernteam. So dauerten die Redaktionskommissionssitzungen nicht selten bis weit 6 The Law Applicable to Dispositions of Securities Held Through Indirect Holding Systems. Report prepared by Christophe Bernasconi, First Secretary at the Permanent Bureau. Preliminary Document No 1 of November 2000 for the attention of the Working Group of January 2001.
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über Mitternacht hinaus; und an deren Ende schloss sich manchmal für die französischsprachigen Mitglieder die Arbeit an der französischen Textfassung an. Bei derartigen Arbeitsbedingungen sind „stehen gebliebene“ Divergenzen zwischen der englischen und der französischen Textfassung nicht verwunderlich.7 Sie können nicht unerhebliche Auslegungsprobleme bereiten. Und gerade bei innovativen Vorschriften ist auch nicht auszuschließen, das sie formal und / oder inhaltlich nicht voll ausgereift sind. Inkonsistenzen von Teiltexten, die zu verschiedenen Zeitpunkten in den Gesamttext eingefügt wurden, sind mehr oder weniger unvermeidbar.8 Manche wichtige Fragen konnten erst während der Diplomatischen Konferenz vertieft diskutiert werden. So war es insbesondere unglücklich, dass die zwingende objektive Hauptanknüpfungsregel auf der Basis des PRIMA förmlich erst zu diesem Zeitpunkt durch die (beschränkte) Rechtswahlmöglichkeit der Depotvertragsparteien ersetzt wurde. Dies hatte zur Folge, dass einige Folgenormen (z. B. Art. 7, teilweise Art. 12) unter extremem Zeitdruck erarbeitet werden mussten. Aus diesen Gründen sollte die fast track procedure nicht als bindendes Modell für alle zukünftigen Konventionen postuliert, sondern es sollte von Fall zu Fall über die zweckmäßige Arbeitsmethode entschieden werden. Ebenso vorsichtig sollte über die Methode zur Erstellung des offiziellen Berichts befunden werden. Wenn ich recht sehe, ist das Wertpapierübereinkommen die erste Haager Konvention mit drei Berichterstattern und der Möglichkeit für alle Staaten, zu dem Entwurf des Berichts Stellung zu nehmen. Mehrere Berichterstatter lösen möglicherweise langwierige Diskussionen aus und verzögern dann die Erstellung des Berichts. Und die Gelegenheit der Staaten zur Stellungnahme kann dazu führen, dass „Nachbesserungen“ verlangt werden, die mit beschlossenen Regeln evident unvereinbar sind.
III. Form und Normstil des Übereinkommens Das Haager Wertpapierübereinkommen ist – partiell – innovativ hinsichtlich der Form und des Stils seiner Vorschriften. Infolge der intensiven Beteiligung der Finanzindustrie an der Entwicklung der Konvention und des Vorbildes der modernsten Kollisionsnormen für mittelbar verwahrte Wertpapiere in Sektion 9 des Uniform Commercial Code (UCC 1994) ist die äußere Form und der Normstil im Haager Wertpapierübereinkommen pragmatischer und stärker durch das Common law beeinflusst als in bisherigen Haager Konventionen. Nach meinem Dafürhalten ist dieser – partielle – Wandel der Form und des Normstils teils positiv, teils negativ zu bewerten. Ein grundsätzlich positiv einzuschätzendes Ergebnis ist z. B. die 7 Siehe z. B. Art. 2 (2): „in relation to a disposition of or an interest in securities“ einerseits, und „concernant un transfert de titres ou d’un droit sur ces titres“ andererseits. 8 So verweist die Präambel noch auf das PRIMA-Prinzip (= Place of the Relevant InterMediary Approach) obwohl die Anknüpfungsregeln der Wertpapierkonvention nicht mehr auf diesem Ansatz beruhen.
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Einführung einer umfassenden Liste von Begriffsbestimmungen (Art. 1 WPÜ), die frühere Haager Konventionen nicht kennen. Diese Liste ist nützlich, weil zwar manche der in der Konvention gebrauchten Begriffe termini technici des IPR-Thesaurus sind, aber in den einzelnen nationalen Sachrechten verschiedene Bedeutung haben können. Die konventionseigenen Definitionen bewahren die nationalen Gerichte davor, das ihnen geläufige national-sachrechtliche Begriffsverständnis in die Konvention „hineinzulesen“. Die konventionsrechtlichen Definitionen sind vor allem auch dort zu begrüßen, wo das Übereinkommen finanzwirtschaftliche Begriffe verwendet, die der kollisionsrechtlichen Terminologie völlig unbekannt sind. Hier wäre die Gefahr einer durch die jeweiligen nationalen Sachrechte bestimmten – und damit häufig divergierenden – Auslegung durch die nationalen Gerichte noch größer. Angesichts der Unbestimmtheit mancher der aus der Finanzwirtschaft entlehnten Begriffe bringt deren Übernahme allerdings eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit mit sich. Dies betrifft leider sogar den Begriff der Wertpapiere (securities), den Schlüsselbegriff für den sachlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens (Art. 1 (1) (a)9), so dass eines der Hauptziele der Konvention, die Rechtssicherheit in Gestalt der Anknüpfungssicherheit angesichts des Fehlens einer die einheitliche Auslegung garantierenden Instanz erheblich gefährdet wird. Beispiele, in denen ich den Einfluss des Common law-Normsetzungsstils negativ bewerte, bilden die sog. black lists (Negativliste = Liste irrelevanter Umstände) in den Artikeln 2 (3) und 6 WPÜ, weil sie an eine Norm mit abschließender Aufzählung der tatbestandsrelevanten Umstände angeschlossen sind. Black lists machen Sinn, wenn sie an ‚positive‘ Generalklauseln anschließen, aus der manche (eindeutig oder doch möglicherweise) erfasste Umstände oder Sachfragen ausgeschlossen werden sollen; auf diese Weise können ungewollte Interpretationsergebnisse verhindert werden. Das trifft z. B. bei Art. 1 des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht (EVÜ) zu. Und dies war auch für die in Art. 1 (2) des Entwurfs für das Haager Wertpapierübereinkommen vorgesehene black list der Fall, solange der sachliche Anwendungsbereich der Konvention durch den vor allem im Englischen vagen Gattungsbegriff „proprietary rights“10 („droits Wels portant sur des titres intermidiis“) bestimmt war. Daher machte eine ,black list‘ zur Klarstellung des mit „proprietary rights“ nicht Gemeinten durchaus Sinn. Diese Ausschließungsliste verlor jedoch ihren Sinn, d. h. wurde überflüssig, als der sachliche Anwendungsbereich der Konvention nicht 9 Art. 1 (1) a) WPÜ: „‚Wertpapiere‘ bezeichnet Aktien, Schuldverschreibungen, andere Finanzinstrumente, Finanzanlagen (ausgenommen Barguthaben) oder Rechte daran“. 10 Vgl. Art. 1 Annotated July 2001 draft, Prel. Doc. No 3: „(1) This Convention determines the law governing proprietary rights in respect of securities held with an intermediary. (2) This Convention does not determine the law applicable to the contractual or other nonproprietary aspects of rights or duties in respect of securities held with an intermediary, and in particular: (a) the contractual rights and duties of parties to a transaction in securities; (b) the contractual rights and duties arising from relations between an intermediary and an account holder; (c) the rights and duties of an issuer of securities; or (d) the rights and duties of a registrar or transfer agent.“
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mehr abstrakt durch den Gattungsbegriff „proprietary rights“, sondern seit dem Entwurf vom November 2001 konkret durch eine abschließende „Positivliste“ (Art. 2 (1) WPÜ) ersetzt wurde, die alle Fragen abschließend aufzählte, auf die das Übereinkommen anwendbar sein sollte.11 Dies geschah durch die Übernahme der Liste zum Anwendungsbereich des Konventionsstatuts aus Art. 4 (2) des annotated July 2001 draft 12. Einer Ausschließungsliste bedurfte es nicht mehr, sondern allenfalls einer Klarstellung, dass das (sachrechtliche) Konventionsstatut anzuwenden ist, gleichgültig, wie dieses die Materie qualifiziert (cf. Art. 2 (2) WPÜ). Man behielt gleichwohl im Entwurf vom November 200113 und auch in der Konventionsfassung (Art. 2 (3) WPÜ) die auf den nicht mehr vorhandenen Gattungsbegriff „proprietary rights“ bezogene Ausschließungsliste bei. Diese wurde aber infolge der enumerativen Einschließungsliste (,Positivliste‘) des Art. 2 (1) WPÜ nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich, weil sie unnötigerweise die heiß umstrittene Frage über das Verhältnis der beiden Listen (Art. 2 (1) bzw. (3) WPÜ) aufwirft. Diese Frage ist allerdings eindeutig zugunsten des Vorrangs von Art. 2 (1) vor Art. 2 (3) WPÜ zu beantworten. Ebenso redundant ist die black list in Art. 6 WPÜ, weil kein Bedürfnis besteht, die Umstände aufzuzählen, die keine Voraussetzung für die Rechtsfolge sind, wenn deren Voraussetzungen (hier: in Art. 4 und 5 WPÜ) ausdrücklich und abschließend festgelegt sind. Wenn der Tatbestand, d. h. die Voraussetzungen einer Rechtsfolge, eindeutig-konkret und abschließend positiv bestimmt ist, ist es überflüssig zu sagen, dass andere, im Tatbestand nicht aufgeführte Umstände diese Rechtsfolge nicht auslösen. Aus der Sicht des civil law mit seiner Jahrhunderte langen Kodifikationstradition entbehrt eine solche Normsetzungsmethode der logischen Stringenz. Aber im realen Leben kann man Kompromisse bisweilen nicht vermeiden und muss mit ihnen leben. 11 Art. 2 („Scope of the Convention and of the applicable law“) November 2001 draft, Prel. Doc. No 6: „(1) This Convention determines the law applicable to the following issues in respect of securities held with an intermediary – (a) whether the rights resulting from the credit of securities to a securities account are property, contract, or other rights; (b) the legal nature of a disposition of securities held with an intermediary, and the property rights resulting from such a disposition; (c) the requirements, if any, for perfection of a disposition of securities held with an intermediary; (d) whether a person’s title to or other interest in securities held with an intermediary is overridden by or subordinated to a competing title or other interest; (e) the duties, if any, of an intermediary to a person who asserts a competing title to or other interest in securities held with that intermediary; (f) the steps, if any, required for the realisation of a disposition of securities held with an intermediary; and [(g) whether a pledge of securities held with an intermediary extends to income, dividends and sale or redemption proceeds that are credited to the securities account.] (2) This Convention does not determine – (a) the contractual rights and duties of parties to a transaction in securities; (b) the contractual rights and duties arising from relations between an intermediary and an account holder; or (c) the rights and duties of an issuer of securities or of an issuer’s registrar or transfer agent.“ 12 Annotated July 2001 draft, Prel. Doc. No 3. 13 Art. 2 (2) November 2001 draft (supra Fn. 11).
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Zu dem pragmatischen Normsetzungsstil des Haager Wertpapierübereinkommens passt auch, dass es die erste Haager Konvention ist, deren einzelne Artikel Überschriften tragen. Dies liegt im Interesse der Normadressaten.
IV. Parteien des Übereinkommens (Art. 18 WPÜ) Das Wertpapierübereinkommen ist auch insoweit innovativ, als es erstmals in der Geschichte der Haager Konferenz Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration die Möglichkeit eröffnet, Parteien einer Haager Konvention zu werden. Der einschlägige Art. 18 WPÜ erlaubt insbesondere der Europäischen Gemeinschaft, dem Übereinkommen beizutreten. So kann gemäß Art. 18 (1) WPÜ, der einzigen innovativen Norm unter den Schlussbestimmungen der Konvention, auch eine Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration, die von souveränen Staaten gebildet wird und für bestimmte durch dieses Übereinkommen erfasste Fragen zuständig ist, das Übereinkommen unterzeichnen, annehmen, genehmigen oder ihm beitreten. Art. 18 WPÜ lehnt sich eng an Art. 48 des (Kapstadt) Übereinkommens über Internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung (2001) an.14 Bis zum Haager Wertpapierübereinkommen konnten nur souveräne Staaten Partei einer Haager Konvention werden. Art. 18 WPÜ ist jedoch nicht nur für die Europäische Gemeinschaft, sondern auch für die Mitgliedstaaten von wesentlicher Bedeutung, da die Europäische Gemeinschaft die ausschließliche (Außen-)Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge besitzt, soweit diese von der Europäischen Gemeinschaft gesetztes Recht beeinträchtigen. Da die Europäische Gemeinschaft bereits mehrere Rechtsakte im Anwendungsbereich des Haager Wertpapierübereinkommens erlassen hat,15 kann keiner der (gegenwärtig 25) Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, die alle zugleich Mitgliedstaaten der Haager Konferenz sind, Partei des Haager Wertpapierübereinkommens werden, ohne dass gleichzeitig die Europäische Gemeinschaft Vertragspartei wird. Daher ist Art. 18 WPÜ auch für die Mitgliedstaaten eine unerlässliche Voraussetzung für die Ratifikation des Haager Wertpapierübereinkommens. Und der Beitritt der 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft ist sicher auch nicht unwichtig für den Erfolg des Haager Wertpapierübereinkommens. 14 Am 15. 12. 2003 hat die Kommission vorgeschlagen, die Konvention zu zeichnen: vgl. Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Unterzeichnung des Haager Übereinkommens über die auf bestimmte Rechte in Bezug auf Intermediär-verwahrte Wertpapiere anzuwendende Rechtsordnung (von der Kommission vorgelegt), Dokument KOM(2003) 783 endgültig. 15 Richtlinie 98 / 26 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen (sog. Finalitätsrichtlinie), ABl. 1998 L 166 / 45; Richtlinie 2002 / 47 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juni 2002 über Finanzsicherheiten (sog. Finanzsicherheitenrichtlinie), ABl. 2002 L 168 / 43; Richtlinie 2001 / 24 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. April 2001 über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten, ABl. 2001 125 / 15.
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V. Fragen des Anwendungsbereichs (Art. 2 und 3 WPÜ)16 1. „Internationalität“ des Sachverhalts (Art. 3 WPÜ) Das Haager Wertpapierübereinkommen unterscheidet sich auch insofern von den früheren Haager Übereinkommen, als es nicht definiert, in welchen internationalen Situationen es zur Anwendung kommen will (Art. 3 WPÜ). Wie für das EVÜ (Art. 1 (1)) genügt es auch schon für die Anwendbarkeit des Haager Wertpapierübereinkommens, dass ein Sachverhalt eine Verbindung zu den Rechtsordnungen verschiedener Staaten aufweist. Dieses Fehlen einer Konkretisierung spiegelt die Globalisierung der Kapitalmärkte wider, auf denen es oft schwierig, wenn nicht unmöglich ist, zwischen rechtsgebietsinternen und rechtsgebietüberschreitenden Sachverhalten zu unterscheiden. Tatsächlich ist es im Augenblick des Abschlusses eines Wertpapiergeschäfts oft kaum möglich vorauszusehen, ob sich das Geschäft letztendlich als nationale oder grenzüberschreitende Transaktion erweisen wird.
2. Sachlicher Anwendungsbereich der Konvention und der lex causae (Art. 2 WPÜ) Entsprechend seiner Überschrift („Scope of the Convention and of the Applicable Law“17) bestimmt Art. 2 WPÜ den Anwendungsbereich sowohl für das Übereinkommen als auch für die aufgrund des Übereinkommens bestimmte Rechtsordnung. M. a. W werden hier die in den Haager Konventionen traditionellerweise getrennten Regeln über die sachliche Anwendbarkeit des Übereinkommens (scope of the Convention) und über die sachliche Reichweite des aufgrund der Kollisionsnormen des Übereinkommens als anwendbar bestimmten Sachrechts (Convention law, lex causae, Konventionsrecht) in dem Sinne zusammenführt, dass für beide Fragen dieselben Vorschriften maßgebend sind. Demgegenüber hatten noch die drei ersten Entwürfe für das Haager Wertpapierübereinkommen normativ zwischen dem (sachlichen) Anwendungsbereich der Konvention und der lex causae unterschieden.18 Der sachliche Anwendungsbereich der Konvention 16 Zur Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs über die Verfügungen hinaus s. unten VII.3. 17 In der amtlichen deutschsprachigen Übersetzung wird „scope“ ungenau mit „Geltungsbereich“ (des Übereinkommens und der anzuwendenden Rechtsordnung) übersetzt. 18 January 2001 draft, Prel. Doc. No 2 of June 2001: „Article 1 Scope of the Convention. (1) This Convention determines the law governing the proprietary aspects of dealings in securities credited to a securities account with a securities intermediary. „Article 5 Scope of the applicable law. The applicable law shall determine: (a) the legal nature of the rights constituting an account right; (b) any acquisition or disposition of an account right; (c) any steps necessary to render a disposition of an account right effective against persons who are not parties to that disposition (perfection); (d) the priority of any
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war mit den Begriffen „proprietary aspects“ oder „proprietary rights“19 umschrieben. Die sachliche Reichweite des mit Hilfe der Konventionskollisionsnormen bestimmten Sachrechts war in jenen Entwürfen durch eine enumerative (positive) Liste von spezifischen Sachbegriffen bestimmt.20 Da der Gattungsbegriff „proprietary“ jedoch zu ungenau erschien, um den Anwendungsbereich der Konvention ausreichend genau zu bestimmen, führte Art. 1 (2) des Entwurfs vom Juli 2001 eine black list (Ausschließungsliste, Negativliste) derjenigen Fragen ein, die nicht durch den Begriff „proprietary rights“ und damit auch nicht von der Konvention erfasst sein sollten.21 Aber auch diese black list wurde nicht als ausreichend angesehen, um den Begriff „proprietary“ zu definieren. Deshalb transferierte der Entwurf vom November 200122 die (positive) Liste, die in den bisherigen Entperson’s title to or interest in the account right as against any competing title or interest and the duties, if any, of a securities intermediary to a person who asserts an adverse claim to the account holder’s interest; and (e) any steps required for the realisation of an account right subject to a pledge.“ February 2001 draft, Prel. Doc. No 2 of June 2001: „Article 1 Scope of the Convention. (1) This Convention determines the law governing proprietary aspects of dealings in securities held indirectly through a securities account. „Article 5 Scope of the applicable law. The applicable law determines: (a) the legal nature of the rights constituting an account right; (b) the proprietary aspects of any [acquisition,] variation, disposition or extinction of an account right; (c) any requirements for perfection of a disposition of an account right; (d) the priority of any person’s title to or interest in the account right as against any competing title or interest and the duties, if any, of a securities intermediary to a person who asserts an adverse claim to the account holder’s interest; and (e) any steps required for the realisation of an account right subject to a pledge.“ Annotated July 2001 draft, Prel. Doc. No 3, July 2001: „Article 1 Purpose of the Convention. (1) This Convention determines the law governing proprietary rights in respect of securities held with an intermediary. „Article 4 Determination and scope of the applicable law. (1) The law governing rights in securities held with an intermediary (the „applicable law“) is the law of the place of the relevant intermediary. (2) The applicable law determines: (a) the legal nature [characterisation] of the rights derived from the credit of securities to a securities account; (b) the legal nature [characterisation] and proprietary effects of a disposition of securities held with an intermediary; (c) the requirements for perfection of a disposition of securities held with an inte mediary; (d) whether a person’s title to or interest in securities held with an intermediary is overridden by or subordinated to a competing title or interest; (e) the duties of an intermediary to a person who asserts a competing claim to securities held with that intermediary; and (f) the steps required for the realisation of a disposition of securities held with an intermediary.“ 19 „Proprietary aspects of dealings in securities held with an intermediary“ (January and February 2001 drafts; Prel. Doc. No 2 of June 2001) or „proprietary rights in respect of securities“ (Annotated July 2001 draft, Prel. Doc. No 3, July 2001). 20 Art. 5 January and February 2001 drafts; Art. 4 (2) annotated July 2001 draft (supra Fn. 18). 21 Vgl. den ähnlichen Ansatz in Art. 1 (1) und (2) EVÜ. 22 November 2001 draft, Prel. Doc. No 6, November 2001: „Article 2 Scope of the Convention and of the applicable law .(1) This Convention determines the law applicable to the following issues in respect of securities held with an intermediary – (a) whether the rights resulting from the credit of securities to a securities account are property, contract, or other
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würfen zur Umschreibung des sachlichen Anwendungsbereichs der lex causae gedient hatte, in die Bestimmung über den Anwendungsbereich der Konvention, wo sie den Begriff „proprietary“ ersetzte. Dementsprechend wurde die bisherige Überschrift dieser Bestimmung („Scope of the Convention“) um die Worte „and of the applicable law“ ergänzt. Auf diese Weise wurden die bis dahin eigenständigen Regeln über den Anwendungsbereich der Konvention einerseits und über die Reichweite der aufgrund der Kollisionsnormen der Konvention bestimmten lex causae andererseits in eine einzige scope provision verschmolzen.23 Die negative Ausschlussliste (black list) der früheren Bestimmung über den Anwendungsbereich der Konvention (Art. 1 (2) im Juli 2001 Entwurf) wurde in der neuen (allgemeinen) scope provision (Art. 2 November 2001 Entwurf) als Absatz 2 beibehalten, obwohl sie im Hinblick auf den nun in einer positiven Liste umschriebenen Anwendungsbereich der Konvention für die Interpretation des durch die Positivliste ersetzten Gattungsbegriffs „proprietary rights“ überflüssig geworden war. Die neue scope provision wurde in den späteren Entwürfen24 und in der Endfassung der Konvention (Art. 2) beibehalten. Das Wertpapierübereinkommen ist die erste Haager Konvention, in der die (sachlichen) Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Konvention und die Vorschrift über die (sachliche) Reichweite des von der Konvention bestimmten Sachrechts in einer einzigen Norm verschmolzen werden. Alle anderen – früheren oder späteren – Haager Konventionen beginnen mit einem Kapitel über den „Anwendungsbereich des Übereinkommens“, das keine Vorschriften über die sachliche Reichweite des von den Kollisionsnormen der Konvention berufenen Rechts enthält.25 Manche, aber nicht alle früheren Haager Konventionen enthalten – wie auch noch die frürights; (b) the legal nature of a disposition of securities held with an intermediary, and the property rights resulting from such a disposition; (c) the requirements, if any, for perfection of a disposition of securities held with an intermediary; (d) whether a person’s title to or other interest in securities held with an intermediary is overridden by or subordinated to a competing title or other interest; (e) the duties, if any, of an intermediary to a person who asserts a competing title to or other interest in securities held with that intermediary; (f) the steps, if any, required for the realisation of a disposition of securities held with an intermediary; and [(g) whether a pledge of securities held with an intermediary extends to income, dividends and sale or redemption proceeds that are credited to the securities account.] (2) This Convention does not determine – (a) the contractual rights and duties of parties to a transaction in securities; (b) the contractual rights and duties arising from relations between an intermediary and an account holder; or (c) the rights and duties of an issuer of securities or of an issuer’s registrar or transfer agent.“ 23 Gleichzeitig wurde der Begriff „proprietary rights“ im Titel der Haager Wertpapierübereinkommen durch „certain rights“ ersetzt. 24 Art. 2 December 2001 draft, Prel. Doc. No 7, December 2001; Art. 2 January 2002 draft, Prel. Doc. No 8, February 2002; Art. 2 April 2002 preliminary draft, Prel. Doc. No 10, April 2002; Art. 2 June 2002 preliminary draft, Prel. Doc. No 15, June 2002. 25 Vgl z. B. das Übereinkommen v. 22. Dezember 1986 über das auf Verträge über den internationalen Warenkauf anzuwendende Recht: „Kapitel 1 Anwendungsbereich des Übereinkommens“.
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heren Entwürfe des Haager Wertpapierübereinkommens26 – einen eigenständigen Abschnitt „Scope of the applicable law“27 oder zumindest einen an die Kollisionsnormen anschließenden entsprechenden Artikel, der die Fragen bezeichnet, auf die sich die von der Konvention berufene Rechtsordnung erstreckt.28 Meines Erachtens ist die von allen anderen Haager Konventionen abweichende Verschmelzung der beiden scope-Regeln im Haager Wertpapierübereinkommen nicht sehr glücklich. Die Beibehaltung der traditionellen Differenzierung hätte vermutlich viele der hitzigen und schwierigen Debatten erspart, die über die Auslegung des Art. 2 WPÜ im Zusammenhang mit dem Anwendungsbereich der Konvention geführt wurden. In meinem Verständnis legt Art. 2 (1) WPÜ nicht wirklich die Anwendungsvoraussetzungen für die Konvention fest, sondern besitzt eigentlich immer noch ausschließlich seine ursprüngliche Funktion, die Reichweite der lex causae zu bestimmen. Die Anwendungsvoraussetzungen für das Haager Wertpapierübereinkommen ergeben sich dann hinsichtlich der Internationalität aus Art. 3 WPÜ und in sachlicher Hinsicht aus der Definition für securities held with an intermediary in Art. 1 (1) f) WPÜ.29 So hätte die Vorschrift über den (internationalen und sachlichen) Anwendungsbereich des Übereinkommens bzw. – genauer – über die (internationalen und sachlichen) Anwendungsvoraussetzungen für das Haager Wertpapierübereinkommen folgendermaßen lauten können: „Die Vorschriften dieses Übereinkommens sind auf Intermediär-verwahrte Wertpapiere bei Sachverhalten, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen, anzuwenden.“30
Dementsprechend hätte der Titel des Haager Wertpapierübereinkommens heißen können: „Übereinkommen über das auf Intermediär-verwahrte Wertpapiere anzuwendende Recht“.
M. E. zeigen die Erfahrungen bei der Erarbeitung des Haager Wertpapierübereinkommens, dass die traditionelle Unterscheidung zwischen dem AnwenSo die Entwürfe vom Januar, Februar und Juli 2001, Prel. Doc. No 2 bzw. 3. Vgl. z. B. das Übereinkommen v. 22. Dezember 1986 über das auf Verträge über den internationalen Warenkauf anzuwendende Recht: „Kapitel 2 – Anzuwendendes Recht, Abschnitt 2 – Geltungsbereich [scope] des anzuwendenden Rechts“ (Art. 12 und 13). 28 Vgl z. B. Art. 7 Übereinkommen v. 1. August 1989 über das auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht; Art. 8 Übereinkommen v. 1. Juli 1985 über das auf Trusts anzuwendende Recht und über ihre Anerkennung; Art. 10 Übereinkommen v. 2. Oktober 1973 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht; Art. 8 Übereinkommen v. 2. Oktober 1973 über das auf Produkthaftpflicht anwendbare Recht; Art. 8 Übereinkommen v. 4. Mai 1971 über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht. Ebenso Art. 2 (1) und 10 EVÜ. 29 Art. 1 (1)f) „‚securities held with an intermediary‘ means the rights of an account holder resulting from a credit of securities to a securities account“; deutsche Fassung: f) „‚Intermediär-verwahrte Wertpapiere‘ bezeichnet die Rechte eines Depotinhabers, die sich aus einer Gutschrift von Wertpapieren auf einem Depotkonto ergeben“. 30 Vgl. Art. 1 (1) EVÜ. 26 27
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dungsbereich (den Anwendungsvoraussetzungen) des Übereinkommens einerseits und dem Anwendungsbereich (der Reichweite, dem Anwendungsumfang) des aufgrund der Kollisionsnorm der anwendbaren Konvention berufenen Sachrechts beibehalten werden sollte.
VI. Allgemeine Bestimmungen Im Bereich der Allgemeinen Bestimmungen des Haager Wertpapierübereinkommens (Art. 9 ff.) ist nur Art. 11 WPÜ („Öffentliche Ordnung (ordre public) und international zwingende Vorschriften“) in gewissem Sinn innovativ. Die klassische Ordre public-Klausel (Art. 11 (1) WPÜ) und die Regel über international zwingende Vorschriften (Art. 11 (2) WPÜ) folgen zwar den Standards der Haager Konventionen. Neu ist aber, dass Art. 11 WPÜ beide Regeln – mit Rücksicht auf ihren engen Zusammenhang zu Recht – in einer einzigen Vorschrift vereint, während diese Regeln in früheren Haager Konventionen in getrennten Bestimmungen zu finden waren.31 Wichtiger als diese formale Innovation ist die Unterwerfung beider Regeln unter Art. 11 (3) WPÜ. Danach können der lex fori angehörende Vorschriften zur Herbeiführung der Drittwirkung („perfection“) oder zur Rangordnung konkurrierender Rechte nicht mit der Begründung durchgesetzt werden, dass diese Vorschriften der öffentlichen Ordnung zuzurechnen oder als international zwingende Normen anzusehen sind. Diese Regel hindert Gerichte daran, die entsprechenden gewöhnlichen privatrechtlichen Regeln der von der Konvention berufenen lex causae unter dem Deckmantel des ordre public oder der international zwingenden Normen durch die funktional entsprechenden Normen der lex fori (z. B. Registrierungserfordernisse) zu ersetzen. Ich meine, dass diese Vorschrift keinen konstitutiven, sondern nur deklaratorischen Charakter hat (und als solche nützlich ist), weil sich das Verbot des Art. 11 (3) WPÜ schon aus der richtigen (= restriktiven) Interpretation des ordre public bzw. der international zwingenden Normen ergibt.
VII. Die Hauptanknüpfungsregel: ausdrückliche Rechtswahlvereinbarung der Depotvertragsparteien (Art. 4 WPÜ) Von den Kollisionsnormen bringt die Hauptanknüpfungsregel des Art. 4 WPÜ ohne jeden Zweifel den mit Abstand bedeutendsten Innovationsschub, während die fallback-Regeln des Art. 6 WPÜ zwar neu sind, sich jedoch im traditionellen Rahmen halten. Die Hauptanknüpfungsregel ersetzt die bisher weltweit anerkannte, jahrhundertealte objektiv-zwingende Situs-Regel durch das Prinzip der Rechtswahl. Insoweit kann man davon sprechen, dass Art. 4 WPÜ eine (beschränkte) 31 So z. B. Art. 17 bzw. 18 des Haager Übereinkommens v. 22. Dezember 1986 über das auf Verträge über den internationalen Warenkauf anzuwendende Recht.
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Revolution in der Welt des Internationalen Sachenrechts bedeutet. Dass diese Lösung des Haager Wertpapierübereinkommens eine notwendige Revolution bedeutet, will ich im Folgenden (VII.1 – VII.3) begründen. Um die Bedeutung von Art. 4 WPÜ voll zu verstehen, müssen wir uns zunächst mit Hintergrund (VII.1) und Genesis (VII.2) dieser Norm befassen.
1. Hintergrund: Dysfunktion der Situs-Regel bei indirekt verwahrten Wertpapieren Die ungeheure Masse und der immense Wert der täglichen grenzüberschreitenden Wertpapiertransaktionen erfordern Kollisionsnormen, die es den Markteilnehmern (Investoren und Kreditgebern) ermöglichen, mit Sicherheit ex ante das auf ihre Transaktionen anzuwendende Recht zu bestimmen und auf diese Weise festzustellen, ob und wie sie das Eigentum oder Sicherungsrechte an Wertpapieren erwerben können. Die rechtlichen Risiken vervielfachen sich, wenn sich die Frage des anwendbaren Rechts bzw. der anwendbaren Rechte in Fällen der Nichterfüllung eines Teilnehmers in einem multilateralen clearing-, settlement- oder nettingSystem stellt (sog. systemische Risiken). Wenn Transaktionen wirtschaftlich riskant werden, weil das rechtliche Risiko groß erscheint, dürften manche Marktteilnehmer von solchen Transaktionen völlig absehen. Andere Marktteilnehmer werden die Entgelte (Zinsen) anheben, um das erhöhte Risiko zu kompensieren. Wieder andere Marktteilnehmer dürften mehr Sicherheiten als im Falle der Anknüpfungssicherheit verlangen, um das erhöhte Risiko auszugleichen. Der eine oder andere Marktteilnehmer wird beide Kompensationsmöglichkeiten ausschöpfen. Sichere Voraussehbarkeit des maßgebenden Rechts ist also für grenzüberschreitende Wertpapiertransaktionen von entscheidender Bedeutung.32 Gegenwärtig existiert diese sichere Voraussehbarkeit des maßgebenden Rechts nicht, weil die einschlägigen Normen weder auf sachrechtlicher noch kollisionsrechtlicher Ebene international vereinheitlicht sind. Solange die Sachrechte divergieren, – und dies dürfte noch lange Zeit der Fall sein – ist es für die Marktteilnehmer entscheidend zu wissen, welches Recht für grenzüberschreitende Wertpapiertransaktionen maßgebend ist. Nationale Gesetze enthalten nur sehr selten einschlägige Kollisionsnormen. Insbesondere gibt es bisher nur sehr wenige spezielle Kollisionsnormen für mittelbar verwahrte Wertpapiere. Und die maßgebenden allgemeinen gesetzlichen Kollisionsnormen variieren von Land zu Land, wenn auch die Situs-Regel im geschriebenen und ungeschriebenen Kollisionsrecht bei weitem überwiegt. Im Ergebnis hat die gegenwärtige Zersplitterung des Kollisionsrechts in 32 Cf. Group of Thirty. Global Clearing and Settlement: A Plan of Action, Recommendation 15: Advance legal certainty over rights to securities, cash. or collateral: „Market participants must be able to determine, with certainty and reasonable cost and effort, what law defines and governs their rights to securities, cash, or collateral in a clearing and settlement system or other intermediary, what those rights are, and how to perfect and enforce them.“
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Verbindung mit divergierenden nationalen Sachrechten eine erhebliche Rechtsunsicherheit für die Marktteilnehmer zur Folge. Wo liegen die Gründe für diese Situation? Ich möchte mit einer persönlichen Erfahrung beginnen. Zu Beginn meines Jurastudiums, vor gut 50 Jahren, habe ich ein Praktikum bei der Niederlassung der Deutschen Bank in Freiburg / Br. absolviert. Eine meiner Aufgaben war das „Kouponschneiden“ anlässlich eines Zinstermins. Dazu hielt ich Inhaberpapiere in meinen Händen, und es leuchtete mir ein, dass jeder Eigentümer die Urkunden wie andere Mobilien, z. B. Bücher oder Äpfel, mit sich tragen konnte. So war es leicht zu verstehen, dass verbriefte Inhaberpapiere, die Rechte repräsentieren und nicht nur beweisen, den allgemeinen Sach- und Kollisionsnormen für Mobilien unterstellt wurden. Nach deutschem Sachrecht setzt die Übereignung oder Verpfändung von Mobilien grundsätzlich die physische Übergabe der betreffenden Mobilie voraus. Diese Regel gilt auch für Inhaberpapiere. Auf der Grundlage dieser materiellrechtlichen Situation war es selbstverständlich, dass die Inhaberpapiere auch kollisionsrechtlich als Mobilien behandelt wurden und dementsprechend der für Mobilien maßgebenden Situs-Regel (lex rei sitae-Regel) unterlagen. Für Inhaberpapiere führte diese Kollisionsnorm im Rahmen eines direkten Verwahrungssystems zu befriedigenden Anknüpfungsergebnissen. Nach der Situs-Regel unterliegt jede (unbedingte oder fiduziarische) Übereignung und jede Verpfändung von (Inhaber-) Wertpapieren dem Recht des Staates, in dessen Territorium die Wertpapiere im Augenblick der Übereignung / Verpfändung physisch belegen sind. Bei registrierten Wertpapieren ist die lex rei sitae das Recht des Staats, in dem das Register geführt wird. Dieses Recht kann, muss aber nicht mit dem Ort der Organisation des Emittenten zusammenfallen. Angesichts der befriedigenden Ergebnisse der allgemeinen Situs-Regel für direkt verwahrte verbriefte Wertpapiere existierte kein Bedürfnis für eine spezielle Kollisionsnorm. So enthielten auch nur sehr wenige IPR-Kodifikationen besondere (rachenrechtliche) Vorschriften für Effekten.33 Und bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts erwähnten die verbreitetsten IPR-Lehrbücher die Frage der Bestimmung des auf Wertpapiere anwendbaren (Sach-)Statuts überhaupt nicht34 oder beließen es für Inhaberpapiere bei einer Verweisung auf die lex cartae sitae.35 In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts änderte sich die Situation völlig. Die rapide Zunahme des Effektenverkehrs auf den nationalen Märkten machte die physische Lieferung der Wertpapiere an Erwerber (bei Übereignung) oder an Sicherungsnehmer (bei Verpfändung) unmöglich. Die sog. „paperwork crisis“36 in New 33 Cf. Litauen: Art. 1.56 (2) ZGB (2000; Recht des Emissionsorts); Rumänien: Art. 57 und 58 IPRG (1992); Spanien: Art. 10 n° 3 ZGB. 34 Cf. z. B. M. Wolff, Private International Law, 2. Aufl., 1950. 35 Cf z. B. H. Batiffol, Traite elementaire de droit international privé, 2. Aufl., 1955, n° 552; G. Kegel, Internationales Privatrecht, 1960, p. 229. 36 Im Laufe der 60er Jahre des 20. Jh. betrug das tägliche Handelsvolumen an der New York Stock Exchange drei Millionen Aktien, 1968 waren es 13 Millionen: cf. Securities
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York und anderswo zwang die nationalen Gesetzgeber zu Maßnahmen, um dieses Phänomen zu bewältigen. Dabei bediente man sich im Wesentlichen dreier Instrumente, um das ‚ Papierproblem in den Griff zu bekommen. (1) Immobilisierung aller physischen Wertpapierurkunden einer Emission bei einer Institution, dem nationalen Zentralverwahrer (Central securities depository – CSD –); (2) Dematerialisierung der Wertpapiere mittels der Ersetzung der physischen Wertpapierurkunden durch Globalurkunden (Sammelurkunden), die die gesamte Emission repräsentieren und zwingend bei einem nationalen Zentralverwahrer hinterlegt werden. So ersetzte z. B. Deutschland die Einzelurkunden für Anleihen (§ 9a DepotG, 1972) und für Aktien (§ 10 V AktG, 1994) durch Sammelurkunden. Dementsprechend existieren heute in Deutschland kaum mehr Einzelurkunden für Wertpapiere; (3) Dematerialisierung der Wertpapiere mittels der Ersetzung der physischen Wertpapierurkunden durch ‚Wertpapiere‘, die nur durch Eintragung in einem nationalen Zentralregister37 oder in einem Register des Emittenten repräsentiert werden (Buchpapiere). Dies ist etwa für alle in Frankreich emittierten Papiere oder für Wertpapiere des Bundes in Deutschland der Fall. Alle diese Instrumente ersetzen das System der unmittelbaren Verwahrung von Wertpapieren durch ein System der indirekten Verwahrung. Dieses System hat sich heutzutage in der ganzen Welt durchgesetzt. Drei Punkte sind dabei in unserem Zusammenhang besonders wichtig: 1. Das ‚Papierproblem‘ wurde jeweils nur auf der nationalen Ebene angegangen und dort sachrechtlich auf sehr verschiedene Art und Weise gelöst. Eine erhebliche Rechtszersplitterung war die Folge. 2. Die neuen nationalen Sachrechtsnormen wurden nirgendwo durch angemessene Kollisionsnormen ergänzt. Daher galt die überkommene lex cartae sitae-Regel weiter. 3. Die Ersetzung des direkten Verwahrsystems durch das indirekte Verwahrsystem immobilisiert alle Wertpapiere auf Dauer am Ort des Zentralverwahrers. Auf diese Weise werden die Wertpapiere von beweglichen zu unbeweglichen Gegenständen, wie auch immer die Immobilisierung rechtlich ausgestaltet ist: als ein pool von fungiblen verbrieften Wertpapieren beim Zentralverwahrer oder als dort hinterlegte Sammelurkunden, oder als Wertpapiere, die in einem Zentral- oder Emittentenregister verbucht sind. Man kann in allen diesen Fällen in Industry Study, Report of the Subcommittee on Commerce and Finance of the Committee on Interstate and Foreign Commerce, House of Representatives, 1972, pp. 1, 3. 1999 betrug das durchschnittliche tägliche Handelsvolumen 809 Millionen Stück: cf. http://nyse.com/pdfs/ activity99.pdf. 37 Cf. z. B. Kreuzer (ed.), Abschied vom Wertpapier? – Dokumentelose Wertbewegungen im Effekten-, Gütertransport- und Zahlungsverkehr, 1988.
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einem weiteren Sinn noch von einem ‚Lageort‘ der Wertpapiere sprechen, entweder am Ort des Zentralverwahrers oder am Registerort. Und das Resultat (Immobilisierung der Wertpapiere) ist auch dasselbe, wenn dematerialierte Wertpapiere ausschließlich durch die Buchung in einem Zentral- oder Emittentenregister repräsentiert werden. In diesem Fall werden Mobilien – genauer: verbriefte Rechte, Briefrechte – zu unbeweglichen Gegenständen (genauer: zu in unbeweglichen Registern verbuchten Rechten). Auf den ersten Blick scheint diese Immobilisierung unter kollisionsrechtlichen Aspekten unerheblich zu sein, weil die Situs-Regel sowohl Mobilien als auch Immobilien erfasst. Dem entsprechend wäre die Situs-Regel nicht nur für direkt sondern auch für indirekt verwahrte Wertpapiere angemessen. Indessen trifft dieses Urteil aus den folgenden Gründen nur selten zu: Das Verständnis der Situs-Regel schwankt von Rechtsordnung zu Rechtsordnung, insbesondere im Hinblick auf den Lageort von indirekt verwahrten Wertpapieren. Auch wenn das Verständnis des Situs (z. B. im Sinne des natürlichen Lageorts) klar ist, fällt es bei indirekt verwahrten Wertpapieren im Einzelfall häufig schwer, den realen Lageort (Registrierungsort) von Wertpapieren zu ermitteln,38 weil die Rechtstechniken zur Repräsentation und / oder Verwahrung / Registrierung von Wertpapieren variieren. Es gibt auch keine weltweit bindende Regel, wonach Wertpapiere immer an demselben Ort verwahrt oder in demselben Register verbucht sein (und bleiben) müssen, etwa im Staat des Emittenten. Gegenwärtig sind die Emittenten frei, den Verwahrer / Registrierer zu bestimmen. Zwar hat die European Central Securities Depositories Association (ECSDA) das ,Home Country Principle for the Safekeeping of Securities‘ vorgeschlagen. Der Trend geht aber, jedenfalls in Europa, eher in die entgegengesetzte Richtung, da nationale Verwahrer durch internationale Verwahrer (ICSD – International Securities Depositories) ersetzt werden. Und man kann ergänzend darauf hinweisen, dass manche Wertpapiere, so z. B. Daimler / Chrysler-Aktien, von Anfang an mit mehreren Staaten (USA / Deutschland) verbunden sind. Auch wenn die Situs-Regel auf eine Institution (CSD, ICSD oder einen anderen Verwahrer oder Registrierer) verweist, so kann diese Verweisung doch Schwierigkeiten bereiten, wenn die Funktionen der Institution nicht an einem Ort, sondern an mehreren in verschiedenen Rechtsgebieten liegenden Orten wahrgenommen werden. Das größte Problem der Anknüpfung an den Situs stellt jedoch die Inhomogenität von Depots dar. Darunter verstehe ich Depots, die Wertpapiere enthalten, die in verschiedenen Rechtsgebieten emittiert und / oder in verschiedenen Rechtsgebieten verwahrt werden (inhomogene oder gemischte Depots / Portfolios). Derartige, häufig vorkommende Depots werden in der Bankenpraxis oft als solche, d. 38 Cf. Pöch, Die Regelung des internationalen Wertpapierverkehrs ist in Bewegung – aber wohin?, [österr.] Bankarchiv (Zeitschrift für das gesamte Bank- und Börsenwesen) 2004, 507 (514 und in Fn. 66).
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h. insgesamt, als Sicherheit gegeben (Verpfändung, Sicherheitsübereignung).39 Um in solchen Fällen jegliches rechtliche Risiko auszuschließen, müssen die Parteien bei Anwendbarkeit der Situs-Regel die lex cartae sitae für jede einzelne Wertpapierart bestimmen und dann die sachrechtlichen Voraussetzungen jeder einzelnen Rechtsordnung erfüllen. Im Ergebnis kann es dazu kommen, dass eine Vielzahl von verschiedenen Sachrechten auf eine einzige wirtschaftliche Transaktion angewandt werden muss. So führt die Situs-Regel zur rechtlichen Aufspaltung eines einheitlichen Geschäfts, unabhängig davon, ob die jeweilige lex cartae sitae durch die Lage von einzelnen Wertpapierurkunden oder von Sammelurkunden oder vom Sitz eines Registers oder eines Emittenten bestimmt wird. Es ist offensichtlich, dass derartige Aktivitäten äußerst zeitaufwändig und teuer sind. Und diese schwierige Aufgabe, eine Vielzahl von Sachrechten zu bestimmen und anzuwenden, dauert fort, wenn es sich bei dem Sicherungsgegenstand nicht um ein statisches, sondern ein dynamisches Depot handelt, wenn also dem belasteten Depot gelegentlich oder sogar ständig (täglich / stündlich) Wertpapiere hinzugefügt oder ausgetauscht werden. In solchen Fällen ist es realistischerweise überhaupt nicht durchführbar, das sicherungsgegenständliche Depot (sicherungsrechtlich) ständig auf dem Laufenden zu halten. So können Marktteilnehmer (Sicherungsnehmer, Sicherungsgeber, Dritte) nie sicher wissen, welche Rechte an im Depot verbuchten Wertpapieren wem zustehen und inwieweit die Rechte im Sicherungsfall in welchen Rechtsordnungen durchsetzbar wären. Aus diesen Gründen kann die Lage von Wertpapieren in der realen Welt der indirekten Wertpapierverwahrung bei zentral-nationalen (CSD) oder internationalen (ICSD) Verwahrern oder bei Emittenten, die über den ganzen Globus verteilt sind, nicht als ein Anknüpfungsfaktor anerkannt werden, der die Anknüpfungssicherheit für die Bestimmung des Verfügungsstatuts gewährleistet, deren es unabdingbar bedarf, um die ungeheure Masse an täglichen grenzüberschreitenden (übertragenden oder verpfändenden) elektronischen Wertpapiertransaktionen rechtssicher zu bewältigen. Der Wandel der Verhältnisse, d. h. die Ersetzung der direkten durch die indirekte Wertpapierverwahrung, die Dematerialisierung der Effekten sowie die Globalisierung der nationalen Wertpapiermärkte hat die spontan-einheitliche Situs-Kollisionsnorm dysfunktional werden lassen. 2. Genesis des Art. 4 WPÜ Die von der traditionellen lex cartae sitae-Regel (,look-through approach‘) verursachten unlösbaren Rechtsspaltungsprobleme bei inhomogenen Wertpapierdepots können nur vermieden werden, wenn eine einheitliche Transaktion (Übereignung, Verpfändung) nur einem einzigen Recht unterworfen wird. Um dieses 39 Übersicht über die verschiedenen angenommenen und vorgeschlagenen Lösungen bei Pöch (letzte Fn.) 507 et seq.
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Ziel zu erreichen, war schon vor der Diplomatischen Konferenz zur Wertpapierkonvention der sog. ‚PRIMA‘-Ansatz vorgeschlagen worden. Danach dient der Place of the (office of the) Relevant InterMediary als einziger Anknüpfungsfaktor zur Bestimmung des für eine Wertpapiertransaktion maßgebenden Rechts, ohne Rücksicht darauf, wo die involvierten Wertpapiere belegen, registriert oder emittiert sind. PRIMA sieht ausschließlich auf das Wertpapierdepot, das vom unmittelbaren Intermediär des Investors geführt wird bzw. auf den Ort des betreffenden Intermediärs. Der Situs der Wertpapiere wird durch den Situs des Depotkontos als Anknüpfungselement ersetzt; mithin soll das am Ort des unmittelbar depotkontoführenden Finanzinstituts (,maßgebender Intermediär‘) geltende Recht zur Anwendung kommen. Auf diese Weise kann ein einheitliches Statut für alle in einem Depot verbuchten Wertpapiere erreicht werden, gleichgültig, wo die Wertpapiere real belegen oder registriert sind und ob die Wertpapiere von inländischen oder ausländischen Emittenten stammen. So vermeidet PRIMA die Wertpapierstatutsspaltung im Falle einer inhomogenen Depotzusammensetzung. PRIMA liegt Artikel 8 – 110 UCC, einigen europäischen Gesetzen40 sowie zwei EG-Richtlinien41 und der entsprechenden Umsetzungsgesetzgebung in den EG-Mitgliedstaaten42 zugrunde. PRIMA beherrschte zunächst auch die Verhandlungen über die Wertpapierkonvention. Im Laufe der Beratungen stellte es sich jedoch als äußerst schwierig, ja als unmöglich heraus, den Ort des Wertpapierdepots bzw. des depotkontoführenden Intermediärs mit ausreichender Genauigkeit für eine weltweit anzuwendende Konvention zu bestimmen. Tatsächlich war es nicht möglich, ein weltweit akzeptables Kriterium für die sichere Bestimmung dieses Ortes zu finden. Leider existiert ja derzeit (noch) kein universal gültiges Identifikationskriterium für Wertpapierdepotkonten oder für Stellen, die solche Konten führen. Für Wertpapierdepotkonten gibt es keinen, der IBAN (International Bank Account Number) für Girokonten oder dem BIC (Bank Identifier Code) der International Organisation for Standardisation (ISO) für Banken vergleichbaren Code, der jeweils das Land erkennen lässt, in dem das Konto geführt wird bzw. in dem die depotkontoführende Bank 40 Frankreich: Art. 29 Loi Nr. 83 – 1 v. 3. 1. 1983 (Développement des investissements et protection de l’épargne), ersetzt durch Art. L 431 – 4 Code monétaire et financier (eingefügt durch ordonnance no. 2000 – 1223 v. 14. 1. 2000, Journal officiel v. 16. 12. 2000; Belgien: Art. 91 Loi du 16 juillet 2004 portant le Code de droit international privé, Moniteur du 27 juillet 2004; Luxemburg: Art. 12 Loi du 1er août 2001 concernant la circulation de titres et d’autres instruments fongibles, Memorial A 106 du 31 Août 2001 p. 2180. 41 Art. 9 (2) Finalitätsrichtlinie (Fn. 15); Art. 9 Finanzsicherheitenrichtlinie (Fn. 15). 42 Cf. z. B. § 17a DepotG; § 33a österr. IPRG (BGBl. I Nr. 117 / 2003). Siehe dazu Keller, Die EG-Richtlinie 98 / 26 vom 19. 5. 1988 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungssowie Wertpapierliefer- und abrechnungssystemen und ihre Umsetzung in Deutschland, WM 2000, 1269; Schefold, Grenzüberschreitende Wertpapierübertragungen und Internationales Privatrecht. Zum kollisionsrechtlichen Anwendungsbereich von § 17a DepotG, IPRax 2000, 468 (473 – 476), mit Hinweisen auf die Umsetzungsgesetzgebung anderer Staaten in Fn. 77 und 79.
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niedergelassen ist. Es ist zu hoffen, dass die ISO in absehbarer Zeit nach dem Vorbild von IBAN und BIC Idendifikationscodes auch für Wertpapierdepotkonten und für solche Konten führenden Stellen einführt. Möglicherweise könnte dies dadurch geschehen, dass das System der bereits existierenden IBAN- und BIC-Codes zugrundegelegt wird und bei IBAN „B“ durch „S“ (für „Securities“) und bei BIC „B“ durch „I“ (für „Intermediary“) ersetzt werden. Aus IBAN (International Bank Account Number) würde mithin „ISAN“ (International Securities Account Number und aus BIC (Bank Identifier Code) würde „IIC“ (Intermediary Identifier Code). Der Hauptgrund für die derzeitige Unmöglichkeit, den Ort des depotführenden Intermediärs zu bestimmen, liegt in der Informationstechnologie, die das outsourcing der einzelnen Komponenten der Depotführung beliebig erlaubt. In der Tat sind solche Tätigkeiten (Beratung, Versendung von Dokumenten, Call-Center, Bearbeitung von Dividenden, Überwachung, etc.) oft auf Stellen in verschiedenen Rechtsgebieten aufgeteilt. Diese Situation macht es schwierig, wenn nicht unmöglich, den Ort des kontoführenden Intermediärs in einer Weise zu sichern, die das Konventionsziel der Rechtssicherheit erreicht. Überdies ist es sehr leicht möglich, die interne Arbeitsaufteilung zu ändern und so den Ort des kontoführenden Intermediärs und damit das anwendbare Recht ohne Zustimmung oder Wissen des Depotkontoinhabers oder Dritter zu ändern. So vermag der PRIMA-Ansatz die Vorteile einer festen objektiven Kollisionsnorm, d. h. Anknüpfungssicherheit durch Stetigkeit und Öffentlichkeit, nicht zu gewährleisten Deshalb konnte sich PRIMA nicht als Kollisionsnorm durchsetzen. PRIMA hat jedoch die überkommenen SitusRegel aus dem Weg geräumt und damit den Weg frei gemacht für die Rechtswahl der Depotvertragsparteien.
3. Rechtswahl der Depotvertragsparteien als Hauptanknüpfungsregel Aus den eben skizzierten Gründen musste die Konvention über PRIMA hinausgehen, um die erforderliche ex ante-Anknüpfungssicherheit und Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts zu erreichen. Der insoweit entscheidende erste Schritt geschah im Mai 2002, d. h. nur wenige Monate vor der Diplomatischen Konferenz, in Gestalt eines Vorschlags des Ständigen Büros der Haager Konferenz, der vorsah, von PRIMA abzugehen und stattdessen den Depotvertragsparteien (Depotinhaber / Intermediär) die Möglichkeit zu eröffnen, unter bestimmten Voraussetzungen das auf Wertpapiere anwendbare Recht einvernehmlich zu bestimmen.43 Dieser Vorschlag wurde letztendlich von der Diplomatischen Konferenz als Hauptanknüpfungsregel (Art. 4 WPÜ) angenommen. In den Verhandlungen erwies sich die Rechtswahl seitens der Depotvertragsparteien unter den 43 Proposal for a redraft of articles 4 and 4bis, submitted by the Permanent Bureau, Prel. Doc. No 13, May 2002.
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gegebenen Umständen als die einzige Anknüpfungsregel, die es ermöglichte, die Konventionsziele der ex ante-Rechtssicherheit und Anwendbarkeit eines einzigen Rechts auf Wertpapiertransaktionen bezüglich inhomogener Wertpapierbestände zu ¢erreichen. An die Stelle der PRIMA-Regel als Hauptanknüpfungsnorm trat die tatbestandlich eingeschränkte (,konditionierte‘) ausdrückliche Rechtswahlvereinbarung zwischen dem Depotkontoinhaber und seinem maßgebenden Intermediär (Art. 4 WPÜ) mit mehreren gestuften Auffangregeln (Art. 5). Der Situs der Wertpapiere, des Depotkontos oder des depotkontoführenden Finanzinstituts spielt für die Anknüpfung keine Rolle mehr. Die Ersetzung der jahrhundertealten objektivzwingenden Situs-Anknüpfung durch eine subjektive Anknüpfungsnorm bedeutete einen revolutionären Schritt, den zu Beginn der Verhandlungen niemand voraussehen konnte. Die Haager Wertpapierkonvention ist das erste multilaterale IPR-Übereinkommen, das die Rechtswahl in sachenrechtlichen Fragen einführt. Hierin liegt die mit Abstand wichtigste Innovation des Übereinkommens. Möglicherweise stellt dieser Schritt einen Durchbruch auch für andere Gebiete des Kollisionsrechts dar, in denen die Rechtswahl bisher nicht anerkannt ist. Die Konvention räumt den Parteien eines Depotvertrags, d. h. dem Kontoinhaber und dem maßgeblichen Intermediär – also nicht den Parteien einer konkreten Verfügung – die Befugnis ein, in einer ausdrücklichen Vereinbarung das maßgebende Sachrecht für alle gemäß Art. 2 (1) WPÜ in den sachlichen Anwendungsbereich der Konvention fallenden Fragen (im Folgenden: Art. 2 (1)-Statut) zu bestimmen (Art. 4 (1) Satz 1 WPÜ). Art. 4 WPÜ sieht hierfür zwei Modalitäten vor: eine Depotvertragsstatutwahl-akzessorische (lex contractus-wahl-akzessorische) und eine von der lex contractus-Wahl unabhängige Bestimmung des Art. 2 (1)-Statuts, wobei die Wirksamkeit der Rechtswahl in beiden Fällen voraussetzt, dass der Intermediär im Zeitpunkt der Rechtswahlvereinbarung (irgendwo) in dem Gebiet, dessen Recht gewählt wurde, eine Geschäftsstelle besitzt, die depotführungsbezogene Aktivitäten ausführt (,qualifizierte Geschäftsstelle‘: Art. 4 (1) Satz 2). Bei der ersten Rechtswahlmodalität handelt es sich um eine schuldvertragsstatut-akzessorische Bestimmung des Art. 2 (1)-Statuts. M. a. W. bestimmt die ausdrückliche Wahl des Schuldvertragsstatuts zugleich das Art. 2 (1)-Statut. Anders ausgedrückt: Das gemäß (z. B. Art. 3 (1) EVÜ) von den Parteien gewählte Schuldvertragsstatut (Depotvertragsstatut) beherrscht zugleich die in Art. 2 (1) WPÜ genannten Fragen. So baut Art. 4 (1) Satz 1, 1. Halbsatz WPÜ gewissermaßen auf Art. 3 (1) EVÜ auf, vorausgesetzt, dass das auf den Depotvertrag anwendbare Recht (lex contractus) von den Parteien ausdrücklich gewählt worden ist. Jedoch verliert eine lex contractus-Wahl (Depotvertragstatutwahl-akzessorische) ihre auch das Art. 2 (1)-Statut bestimmende Kraft, wenn die Parteien in der Depotkontovereinbarung eine ausdrückliche separate Rechtswahlvereinbarung hinsichtlich der in Art. 2 (1) WPÜ genannten Fragen getroffen haben (Art. 4 (1) Satz 1, 2. Halbs. WPÜ). In dieser Konstellation existieren also zwei Rechtswahlvereinbarungen: die erste (z. B.) auf der Grundlage des Art. 3 (1) EVÜ (nur) für den Depotvertrag (lex contractus) und
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die zweite auf der Grundlage des Art. 4 (1) Satz 1, 2. Halbs. WPÜ (nur) für die in Art. 2 (1) WPÜ genannten Fragen. Eine ausdrückliche Vereinbarung der Parteien zur Bestimmung des Art. 2 (1)-Statuts ist auch möglich, wenn es an einer ausdrücklichen lex contractus-Wahl fehlt, d. h. bei einer nur konkludenten Schuldvertragsstatutswahl (z. B. Art. 3 (1) 1. Halbs. EVÜ) oder einer „objektiven“ Bestimmung der lex contractus (z. B. Art. 4 EVÜ). Haben die Parteien weder das Depotvertragsstatut noch das Art. 2 (1)-Statut wirksam vereinbart, so wird das Art. 2 (1)-Statut durch die Auffangkollisionsnormen in Art. 5 WPÜ bestimmt. Die Regelung des Art. 4 WPÜ ist innovativ nicht nur durch die Einführung der Rechtswahlmöglichkeit für sachenrechtliche Fragen an sich, sondern auch durch die erstmalige Anerkennung der schuldvertragsstatut-akzessorischen Bestimmung des zugehörigen (Sach-)Statuts. Die Rechtswahlmöglichkeit der Depotvertragsparteien wird in räumlicher Hinsicht durch den sog. reality test in Art. 4 (1) Satz 2 WPÜ tatbestandlich eingeschränkt. Die tatbestandliche Beschränkung der Parteiautonomie, d. h. die Limitierung der wählbaren Rechtsordnungen auf solche, in deren Gebiet der Intermediär im Zeitpunkt der Rechtswahl eine Geschäftsstelle hat, die im Rahmen einer regelmäßigen Tätigkeit Depotkonten führt (,Qualifying Office-Test‘), stellt eine Konzession an jene Staaten dar, die bislang im Bereich des Sachenrechts keinerlei Parteiautonomie zugelassen haben. Die zusätzliche Voraussetzung des Qualifying Office kompliziert die Regelung. Sie eliminiert aber die Problematik einer fraudulösen Rechtwahlvereinbarung und erübrigt eine Schutzvorschrift, die die zwingenden Vorschriften eines Staates vorbehält, wenn der Sachverhalt – mit Ausnahme der Rechtswahl – ausschließlich Bezug zu diesem Staat aufweist (reiner Binnensachverhalt, vgl. z. B. Art. 3 (3) EVÜ). Im Ergebnis dürfte die Qualifying Office-Voraussetzung die Rechtswahlmöglichkeit nicht wirklich einschränken. Die Anknüpfungsregel des Art. 4 WPÜ ist in persönlicher Hinsicht unbeschränkt. Indessen ist sie tatsächlich in erster Linie für Wertpapiergeschäfte zwischen professionellen Parteien, die sich kennen, konzipiert und insoweit heute insbesondere für inter-individuelle komplexe Wertpapier-Transaktionen (unbedingte oder fiduziarische Übertragung, Verpfändung) unverzichtbar. Vermutlich ist diese Regelung auch auf die starke Beteiligung der Finanzindustrie an den Vorarbeiten für die Konvention zurückzuführen. Und in der Tat ist evident, dass es nicht die über die Börse abgewickelten Massengeschäfte sind, die der Finanzindustrie bei Geschäften mit Auslandsberührung rechtliche Schwierigkeiten bereiten. Ob die Hauptanknüpfungsregel des Art. 4 WPÜ für anonyme Wertpapiertransaktionen über die Börse angemessen ist, wurde auf der Diplomatischen Konferenz nicht erörtert. Auch die Frage, welche Parteien – die Parteien einer konkreten Transaktion (Übereignung, Verpfändung) oder die Depotvertragsparteien – das Art. 2 (1)-Statut bestimmen sollen, war nicht Gegenstand von eingehenden Erörterungen, obwohl das ursprüngliche Projekt sich nur auf eine Konvention „on the Law Applicable to Dispositions
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of Securities Held Through Indirect Holding Systems44 bezogen hatte. Erst im Juli 2001 wurde der sachliche Anwendungsbereich förmlich auf „proprietary rights“ erweitert.45 Die Gründe für die fehlende Diskussion mögen in Folgendem liegen: Die Rechtswahlvereinbarung des Art. 4 WPÜ ersetzte eine objektive Anknüpfungsregel, die sich auf das Wertpapierdepot bzw. auf den Ort des depotführenden Intermediärs und damit auf die Rechtsbeziehungen zwischen dem Inhaber eines Depotkontos und dessen Intermediär bezog. Die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien einer Wertpapiertransaktion (Übereignung, Verpfändung von Wertpapieren) blieben außerhalb des Blickfeldes der Normsetzer. Dem entspricht die Erstreckung des Anwendungsbereichs der Konvention über die Verfügungen hinaus auf alle in Art. 2 (1) WPÜ genannten Fragen. Möglicherweise wäre es ausreichend, jedenfalls aber einfacher gewesen, das Wertpapierübereinkommen – wie ursprünglich vorgesehen – auf die Bestimmung des Verfügungsstatuts zu beschränken und dabei zwischen inter-individuellen Rechtsgeschäften (Transaktionen) und anonymen über die Börse abgewickelten Geschäften (Massengeschäften) zu differenzieren. (Unbeschränkte) Rechtswahlfreiheit ist angemessen und notwendig (nur) für die professionellen inter-individuellen Verfügungen, insbesondere Sicherungsgeschäfte (Sicherungsübereignungen, Verpfändungen); eine Beschränkung der Rechtswahlfreiheit ist zwischen Professionellen nicht angebracht. Anonyme Börsengeschäfte betreffen immer nur Wertpapiere einer bestimmten Emission (einzelne Wertpapierarten), nie ganze Depots oder auch nur Bündel verschiedener Wertpapiere. Für solche ,Verbraucher-Wertpapiertransaktionen‘ ist eine Verfügungsstatut-Wahl der Parteien weder erforderlich noch überhaupt sinnvoll. Vielmehr reicht eine objektive zwingende Kollisionsnorm aus. Siehe dazu unten VIII.2.
VIII. Ergänzende Regeln Die Diplomatische Konferenz hat einige, die Hauptanknüpfungsregel (Art. 4 WPÜ) ergänzende Folgeregeln erarbeitet, insbesondere Art. 7 WPÜ (Schutz Dritter bei der einvernehmlichen nachträglichen Änderung des anwendbaren Rechts durch die Depotvertragsparteien), Art. 5 und 6 WPÜ (fall-back rules) und Art. 12 WPÜ (Bestimmung des anwendbaren Rechts bei Mehrrechtsstaaten). Auf diese Vorschriften werde ich nur kurz unter dem Gesichtspunkt der Konsequenzen der Einführung der Rechtswahlmöglichkeit eingehen. 44 Preliminary Document No 1 of November 2000: Report on the Law Applicable to Dispositions of Securities Held Through Indirect Holding Systems, prepared by Christophe Bernasconi und Preliminary Document No 2 of June 2001: Report on the meeting of the Working Group of Experts (15 to 19 January 2001) and related informal work conducted by the Permanent Bureau on the law applicable to dispositions of securities held with an intermediary. 45 Convention „on the law applicable to proprietary rights in indirectly held securities“, Preliminary Document No 3 of July 2001: Tentative text on key provisions for a future Convention on the law applicable to proprietary rights in indirectly held securities – Suggestions for further amendment of the text contained in Working Document No 16 of the January 2001 experts meeting.
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1. Bestandsschutz bei Wechsel der anzuwendenden Rechtsordnung (Art. 7 WPÜ) Art. 7 WPÜ wurde während der Beratungen der Diplomatischen Konferenz auf Anregung der deutschen Delegation erarbeitet, weil sich das in dieser Vorschrift geregelte Problem des Schutzes von Dritten im Falle von nachträglicher parteiautonomer Änderung des anwendbaren Rechts erst ergab, als die Diplomatische Konferenz die zwingend-objektive Anknüpfung aufgrund PRIMA durch die Rechtswahlmöglichkeit der Depotvertragsparteien (Art. 4 WPÜ) ersetzt hatte. Nach Art. 4 WPÜ haben es die Depotvertragsparteien ja in der Hand, jederzeit das anwendbare Art. 2 (1)-Statut ohne Zustimmung betroffener Dritter, insbesondere der Sicherungsnehmer, zu ändern. Diese Möglichkeit zwingt dazu, Dritte zu schützen, die oft keine Kenntnis von dem gewillkürten Statutwechsel haben und nicht in der Lage sein werden, sich selbst effektiv gegen den Rechtswechsel zu schützen. Diesen Schutz gewährt Art. 7 WPÜ. Danach bleibt die „alte Rechtsordnung“, d. h. die aufgrund des WPÜ vor dem Rechtswechsel anzuwendende Rechtsordnung, für Rechte an Intermediär-verwahrten Wertpapieren, die vor dem Wechsel der anzuwendenden Rechtsordnung entstanden sind, grundsätzlich maßgebend (Art. 7 (4) WPÜ). M. a. W. werden wohlerworbene Rechte Dritter durch den von den Depotvertragsparteien bewirkten gewillkürten Wertpapierstatutwechsel nicht berührt. So zog die innovative Hauptanknüpfungsregel eine ebenso innovative Schutzregel für wohlerworbene Rechte nach sich. 2. Subsidiäre Anknüpfungen (Art. 5, 6 WPÜ) Die Einführung der Rechtswahl als Hauptanknüpfungsregel erforderte sekundäre, d. h. subsidiäre, mangels wirksamer ausdrücklicher Rechtswahl (Art. 4 WPÜ) eingreifende Auffanganknüpfungsregeln (fall-back rules: Art. 5, 6 WPÜ). Sie sind in Kaskadenfolge anzuwenden. Die primär anzuwendende innovative Auffangkollisionsnorm des Art. 5 (1) WPÜ verdankt ihre Entstehung den Besonderheiten des Wertpapiergeschäfts. Danach ist auf alle in Artikel 2 (1) genannten Fragen an erster Stelle das (staatliche oder – im Falle eines Mehrrechtsstaats – teilstaatliche / territoriale) Recht anzuwenden, das zum Zeitpunkt des Abschlusses der Depotkontovereinbarung am Ort der Geschäftsstelle galt, durch die der Intermediär die Depotkontovereinbarung abgeschlossen hat. Mithin kommt das Ortsrecht der Geschäftsstelle, durch die der Investor die Depotkontovereinbarung abgeschlossen hat, zur Anwendung. Dies ist allerdings nur der Fall, wenn sich der Abschluss durch eine bestimmte Geschäftsstelle ausdrücklich und unmissverständlich aus der schriftlichen Depotkontovereinbarung ergibt und die betreffende Geschäftsstelle im Abschlusszeitpunkt im Sinne des Art. 4 (1) Satz 2 WPÜ ‚qualifiziert‘ war. Art. 5 (1) Satz 2 WPÜ enthält eine (lediglich deklaratorische) ‚schwarze Liste‘ von Vertragsbestimmungen, die nicht geeignet sind zu beweisen, dass sich der
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Abschluss durch eine bestimmte Geschäftsstelle ausdrücklich und unmissverständlich aus der schriftlichen Depotkontovereinbarung ergibt. Diese überflüssige black list gehört zu den negativ zu bewertenden Innovationen der Konvention. Art. 5 (1) WPÜ wurde auf Anregung der deutschen Delegation angenommen, um die berechtigten (Anknüpfungs-)Erwartungen der Parteien in den Fällen zu schützen, in denen die abschließende Geschäftsstelle in einem anderen Rechtsgebiet belegen ist als der Sitz des Intermediärs, an den die übrigen subsidiären Anknüpfungsregeln (Art. 5 (2) und (3) WPÜ) anknüpfen. Diese bringen keine innovativen Lösungen, sondern greifen auf bekannte Anknüpfungsfaktoren zurück, wenn sie das am Inkorporations- oder Organisationsort (Art. 5 (2) WPÜ) bzw. am Ort des Geschäftssitzes des maßgebenden Intermediärs (Art. 5 (3) WPÜ) geltende Recht als Art. 2 (1)-Statut berufen. Art. 6 WPÜ enthält eine weitere innovative, aber überflüssige ,black list‘ von Sachverhaltselementen, die bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts nicht berücksichtigt werden dürfen (s. dazu schon oben III.). Da diese Anknüpfungselemente keine innere Beziehung zu den Wertpapiertransaktionen haben, sind sie nicht geeignet, das auf Savigny zurückgehende Anknüpfungspostulat zu erfüllen, wonach das Recht anzuwenden ist, zu dem der Sachverhalt die engsten Beziehungen aufweist. Für inter-individuelle Geschäfte zwischen professionellen Marktteilnehmern, insbesondere für die Übertragung und Verpfändung von inhomogenen Depots, würde dieses Postulat durch PRIMA besser erfüllt werden, und zwar durch Anknüpfung an einen (künftigen) Identifikationscode (ISAN: International Securities Account Number bzw. IIC: Intermediary Identifier Code). Anonyme Massentransaktionen, d. h. die Veräußerung bzw. der Erwerb von einzelnen Wertpapierarten über die Börse standen den Schöpfern der Auffangkollisionsnorm des Art. 5 WPÜ nicht vor Augen. Dessen auf inter-individuelle Geschäfte zwischen professionellen Marktteilnehmern zugeschnittene Kollisionsnormen sind für derartige normale Börsentransaktionen weder als Auffang- noch als primäre Anknüpfungsvorschriften geeignet. Für anonyme Massentransaktionen bedarf es auch keiner wie immer gearteten parteiautonomen Statutbestimmung. Eine einzige objektive (zwingende) Anknüpfungsnorm reicht hierfür völlig aus. Am zweckmäßigsten dürfte hierfür die Anwendung des Rechts sein, dem das für die Transaktion maßgebende Wertpapierliefer- und -abrechnungssystem unterliegt.
3. Bestimmung der anzuwendenden Rechtsordnung bei Mehrrechtsstaaten (Art. 12 WPÜ) Art. 12 WPÜ, die sog. ,Federal clause‘, die Kollisionsnormen bei der Verweisung auf Mehrrechtsstaaten anpasst, bringt eine ganze Reihe von Neuerungen. Traditionellerweise war die ,Federal clause‘ einfach und kurz. Diesen traditionellen Zuschnitt wies auch noch die ,Federal clause‘ im 1. Entwurf des Wertpapier-
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übereinkommens auf 46, die sich an Art. 19 EVÜ als Vorbild orientiert hatte. Während der Beratungen in Den Haag zeigte sich jedoch, dass eine sachgerechte Anpassung der allgemeinen Kollisionsrechtsregeln an die Besonderheiten bei Mehrrechtsstaaten nicht generell, sondern nur in Abhängigkeit von den konkreten Anknüpfungsregeln geschehen kann Dementsprechend änderte sich mit jeder Modifikation der Kollisionsnormen während der Beratungen auch die ,Federal clause‘, und auch die endgültige Fassung des Art. 12 WPÜ ist mit der Endfassung der Art. 4 und 5 WPÜ verknüpft. Über diese, die Anknüpfungsregeln (Art. 4, 5 WPÜ) an die besondere Situation bei der Verweisung auf Mehrrechtsstaaten anpassende Vorschriften (Art. 12 (1) und (2) (a) WPÜ) hinaus, enthält Art. 12 WPÜ auch Bestimmungen, die die Regeln der Konvention generell (Art. 12 (2) (b) WPÜ) oder bei entsprechender Erklärung eines Mehrrechtsstaats (Art. 12 (3) und (4) WPÜ) modifizieren. Art. 12 (2) (b) WPÜ verschafft unter bestimmten Voraussetzungen den internen Kollisionsnormen eines Mehrrechtsstaats Vorrang vor jenen der Konvention. Dieselbe Rechtsfolge der internen Weiterverweisung hat Art. 12 (3) WPÜ, der einem Mehrrechtsstaat für den Fall der gemäß Art. 5 WPÜ erfolgenden objektiven Bestimmung des maßgebenden Art. 2 (1)-Statuts die Erklärung erlaubt, dass seine internen Kollisionsnormen das maßgebende (gesamtstaatliche oder teilstaatliche) Sachrecht bestimmen. So geht die aus Art. 12 WPÜ zu ziehende Lehre dahin, dass die ,Federal clause‘ keine unveränderlich feststehende Standardklausel darstellt, wie etwa die ordre public-Klausel, sondern von den jeweils anzupassenden Kollisionsnormen abhängt und auch darüber hinaus auf die rechtlichen Verhältnisse in den Vertragsstaaten Rücksicht nehmen muss.
IX. Abschließende Bemerkungen Die Haager Wertpapierkonvention stellt einen wichtigen Schritt zur Bewältigung der mit grenzüberschreitenden Wertpapiertransaktionen verbundenen Probleme dar. Ihre praktische Bedeutung kann kaum überschätzt werden. Die Konvention steht für eine neue Generation von Haager Konventionen: Sie unterscheidet sich von früheren durch einen neuen Gegenstand, neue Erarbeitungsmethoden, einen (teilweise) neuen Normstil und innovative Anknüpfungsregeln, insbesondere durch die grundsätzliche Zulassung der Parteiautonomie im internationalen Wertpapiersachenrecht. Die Wertpapierkonvention ist die erste Haager Konvention im Bereich des Wirtschafts- bzw. Bankrechts. Die Konvention ist das Ergebnis einer neuen Methode der Erarbeitung von Haager Konventionen, der sog. fast track procedure, die durch einen zügigen, ununterbrochenen, intensiven, transparenten, multilateralen interaktiven vom Ständigen Büro organisierten Diskussionsprozess aller interessierten 46
Art. 11, January 2001 draft, Prel. Doc. No 2.
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Kreise gekennzeichnet ist. Freilich hatte diese fast track procedure zwangsläufig Nachteile: für die Beteiligten in Gestalt einer erheblichen zeitlichen Zusatzbelastung und für die Konvention die formale und / oder inhaltliche Unausgegorenheit der einen oder anderen neuartigen Norm sowie Divergenzen bei den authentischen Sprachfassungen, die erhebliche Auslegungsprobleme zur Folge haben können. Der gegenüber früheren Haager Übereinkommen pragmatischere und stärker durch das Common Law beeinflusste Normstil ist teils positiv, teils negativ zu bewerten. Zu begrüßen sind insbesondere die zahlreichen Definitionen in einer Konvention, die erstmals kollisionsrechtliche Regeln für ein Rechtsgebiet einführt, das durch sehr verschiedene materiellrechtliche Regelungsansätze gekennzeichnet ist. Mangels einer verbindlichen Auslegungsinstanz können Auslegungsdifferenzen nur durch solche ‚ Legaldefinitionen‘ vermieden werden. Allerdings sind manche dieser ‚Legaldefinitionen‘ so unbestimmt, dass sie Auslegungsdifferenzen kaum verhindern werden. Negativ zu beurteilen sind ,black lists‘ (Negativlisten bzw. Listen irrelevanter Umstände), die an eine enumerative ,white list‘ (Einschließungsliste bzw. Positivliste) anschließen. Sie sind nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich, weil sie unnötigerweise die Frage des Verhältnisses der beiden Listen aufwerfen. Der normative Inhalt des Übereinkommens ist durch eine Reihe innovativer Kollisionsnormen zum sachenrechtlichen Wertpapierstatut gekennzeichnet. Die wichtigste Neuerung besteht in der erstmaligen Zulassung der Parteiautonomie für eine rachenrechtliche Materie. Dies ist ein Durchbruch, dem hoffentlich weitere folgen werden.47 Für interindividuelle professionelle Effektentransaktionen muss den Marktteilnehmern die (räumlich unbeschränkte) Möglichkeit der Statutbestimmung gegeben werden, damit wirtschaftlich einheitliche ‚multinationale‘ WertpapierTransaktionen, die bei Anwendung der überkommenen Kollisionsnormen verschiedenen Rechtsordnungen zuzuordnen wären, einem transaktionsfreundlichen einheitlichen Recht unterstellt werden können. Dagegen erscheint die VerfügungsstatutWahl für anonyme Börsengeschäfte weder erforderlich noch überhaupt sinnvoll. Vielmehr reicht für diese Massenfälle eine objektive zwingende Kollisionsnorm aus, die auf das Recht verweisen könnte, dem das für die Transaktion maßgebende Wertpapierliefer- und -abrechnungssystem unterliegt. Die Auffangkollisionsnorm für interindividuelle professionelle Effektentransaktionen könnte als Anknüpfungselement auf eine (bald zur Verfügung stehende) Codenummer für das Depotkonto bzw. die depotkontoführende Stelle zurückgreifen (International Securities Account Number: ISAN bzw. Intennediary Identifier Code: IIC). Es dürfte auf das Fehlen eines derartigen weltweit anerkannten Codesystems, aber wohl auch auf andere Gründe, etwa die fast track procedure, zurückzuführen sein, dass sich differenzierende, aber letztlich einfachere Lösungen (etwa wie die hier vorgeschlagene) für die Wertpapierkonvention nicht durchsetzen konnten. 47 Cf. auch Kreuzer, La propriété mobilière en droit international privé, Recueil des cours 259 (1996-III) p. 9 et seq. (130 et seq: betreffend transactions transnationales, vor allem ventes internationales).
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Die Wertpapierkonvention schafft bei transnationalen Transaktionen weitgehende Rechtsanwendungssicherheit. Sie vermag jedoch weder die Mängel der berufenen Sachrechte noch die Probleme der Koordination zwischen den einzelnen Sachrechten zu beseitigen. Hierfür bedarf es der Vereinheitlichung oder zumindest einer gewissen Harmonisierung der nationalen Sachrechte, insbesondere hinsichtlich der Vorschriften über die Verfügung (Übertragung, Bestellung von Sicherheiten einschließlich bona fide-Erwerb) über mittelbar verwahrte Wertpapiere. Da eine weltweite Totalvereinheitlichung des Kapitalmarktprivatrechts auch auf längere Sicht illusorisch sein dürfte, sind die Bemühungen von UNIDROIT48 um eine Harmonisierung der einschlägigen sachrechtlichen Kernnormen sehr zu begrüßen. Das reibungslose Funktionieren des globalen Kapitalmarkts setzt ja die weltweite – aufeinander abgestimmte – Vereinheitlichung von kollisionsrechtlichen Regeln und (zumindest) Harmonisierung von sachrechtlichen Kernnormen voraus. So dürfte die Kombination von einheitlichen Kollisionsnormen (Haager Konvention) und einheitlichen sachrechtlichen Kernvorschriften (künftige UNIDROIT-Konvention) gegenwärtig den besten rechtlichen Rahmen für den globalen Kapitalmarkt bilden.
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Siehe oben Fn. 2
Allgemeines Gesellschaftsrecht in Japan Von Heinrich Menkhaus
I. Einleitung In einem gemeinsamen Aufsatz von Jubilar und Verfasser aus dem Jahre 1994 unter dem Titel: „Die Gründung von Tochtergesellschaften in Japan“ finden sich im Hinblick auf die Systematik des japanischen Gesellschaftsrechts folgende Ausführungen: „Dem Deutschen hilft jedoch die ehemals enge Anlehnung an deutschrechtliche dogmatische Vorstellungen. Unterschiede aber gab es seit Beginn der Rezeptionsphase im späten 19. Jahrhundert, verstärkt treten sie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf. Zunächst wegen des Eingreifens der US-amerikanischen Besatzungsmacht und später infolge einer starken Ausrichtung der japanischen Interessen an den Vereinigten Staaten von Amerika finden sich viele US-amerikanische Vorstellungen auch im Gesellschaftsrecht.“1 Nach nunmehr zehn weiteren Jahren stellt sich die Frage, ob angesichts der seither erfolgten vielfachen Änderungen des japanischen Gesellschaftsrechts, die ihren vorläufigen Abschluss in dem am 1. Mai 2006 in Kraft getretenen kaisha hō2 (Gesetz über kaisha) gefunden haben dürften, überhaupt noch von einer Anlehnung an deutschrechtliche dogmatische Vorstellungen gesprochen werden kann. Bei der folgenden Untersuchung werden dabei nur Grundlagen des japanischen Gesellschaftsrechts ins Blickfeld gerückt, nämlich Begriff, Definition und Struktur. Daneben werden noch einige Einzelfragen erörtert.
II. Begriff 1. Gesellschaft Die Suche nach einem japanischen Begriff, der dem deutschen juristischen Fachbegriff Gesellschaft entspricht, erweist sich als schwierig. 1 Koresuke Yamauchi und Heinrich Menkhaus, Die Gründung einer Tochtergesellschaft in Japan, in: Marcus Lutter (Hrsg.), Die Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland, 3. Aufl., Walter de Gruyter: Berlin / New York 1995, 338, 340. 2 Gesetz Nr. 86 / 2005; Übersetzung, soweit ersichtlich, bisher nicht vorhanden.
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Schnell stößt man in den einschlägigen bilingualen deutsch-japanischen juristischen Fachlexika3 auf den Begriff kaisha. Dieser ist offenbar von dem bekannten Reformer der Meiji-Zeit (1868 – 1912) Yūkichi Fukuzawa4 in seinem Werk seiyō jijō (Verhältnisse im Westen) erstmals verwendet worden.5 Er hat damit vor Schaffung des neuzeitlichen japanischen Zivilrechts im ausgehenden 19. Jahrhundert das Phänomen company zu erfassen versucht, das ihm bei seinen 1860 / 61 erfolgten Besuchen im englischsprachigen Ausland begegnet war. Die beiden Schriftzeichen, die den Begriff ausmachen, also kai und sha, hat er aus zwei anderen Begriffen, die jeweils wieder aus zwei Schriftzeichen bestehen, entnommen. Zum einen kaisho mit der Bedeutung Sammel- oder Treffpunkt (atsu maru tokoro) und zum anderen shachū mit der Bedeutung von Freund (nakama), also wörtlich Treffpunkt von Freunden. Der Begriff kaisha hat dann über verschiedene Gesetze, die Rechtsträger von Unternehmen schufen6, Eingang gefunden in das sogenannte alte japanische Zivilgesetz (kyū minpō)7 von 1890, das nicht in Kraft trat. In dem stark dem französischen Einfluss unterliegenden Gesetz fand sich kaisha als Überschrift des 6. Kapitels des 2. Teils: Vermögenserwerb. Dort sind verschiedene schuldrechtliche Vertragstypen normiert. Die kaisha wird in der entscheidenden Eingangsvorschrift Art. 115 wie folgt beschrieben: „Kaisha ist ein Vertrag unter mehreren, nach dem jeder verspricht, eine bestimmte Einlage zu erbringen und alle verabreden, gemeinsam Sachen zu nutzen, ein Geschäft zu betreiben oder einen Beruf auszuüben, mit dem Ziel, einen Gewinn zu erzielen, der an die einzelnen verteilt werden kann.“
Das neue, noch heute geltende Zivilgesetz von 18968 (im Folgenden ZG) enthält den Begriff kaisha nicht mehr. Im neuen Handelsgesetz von 18999 (im Folgenden 3 Etwa Ryōkichi Yoshida, Elementarer Wortschatz Rechtswissenschaft, 3. Aufl., Dōgakusha: Tōkyō 1991, S. 110; Bernd Götze, Deutsch-Japanisches Rechtswörterbuch. Seibundō: Tōkyō 1993, S. 123; Gorō Tazawa, Deutsch-Japanisch-Englisches Wörterbuch für Handel, Wirtschaft und Recht. Ikubundō: Tōkyō 1999, S. 376. 4 Zu Yūkichi Fukuzawa siehe Yūkichi Fukuzawa: Eine autobiographische Lebensschilderung, Japanisch-Deutsche Gesellschaft e.V.: Tokyo 1971. 5 Zitiert hier nach Yūkichi Fukuzawa senshū, dai ikkan (Ausgewählte Werke von Yūkichi Fukuzawa, Band 1), Iwanami shoten: Tōkyō 1980, 110 ff. 6 Vgl. Eiji Takahashi: Rezeption des Aktienrechts in Japan, in: Marcel Senn und Claudio Soliva (Hrsg.), Rechtsgeschichte Interdisziplinarität, Festschrift für Clausdieter Schott zum 65. Geburtstag. Berlin u. a.: Lang 2001, 315, 316 ff.; ders. und Harald Baum, Commercial and Corporate Law in Japan: Legal and Economic Developments After 1868, in: Wilhelm Röhl (Hrsg.), History of Law in Japan since 1868, Brill: Leiden / Boston 2005, S. 330, 341 ff. 7 Gesetze Nr. 28 und 98 / 1890, deutsche Übersetzung soweit ersichtlich, nicht vorhanden. 8 Gemeint sind die Teile 1: Grundbestimmungen, 2: Sachenrecht und 3: Schuldrecht als Gesetz Nr. 89 / 1896, deutsche Übersetzung in der Ursprungsfassung bei Ludwig Hermann Lönholm: Das Bürgerliche Gesetzbuch für Japan. 1. Band: Allgemeiner Teil und Sachenrecht. Selbstverlag: Tokyo 1896; in der Fassung des Gesetzes Nr. 36 / 1901 bei Karl Vogt, Japanisches Bürgerliches Gesetzbuch. Selbstverlag: Yokohama 1921; in der selben Fassung ders.,
Allgemeines Gesellschaftsrecht in Japan
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HG) aber taucht er als Überschrift des 2. Teils auf. In diesem Teil finden sich die Regelungen der Gesellschaftsformen, die der Offenen Handelsgesellschaft, der Kommanditgesellschaft, der Aktiengesellschaft und der Kommanditgesellschaft auf Aktien deutschen Rechts vergleichbar sind. Auf japanisch lauten die Namen der genannten Gesellschaftsformen gōmei, gōshi, kabushiki und kabushiki gōshi, alle mit dem Zusatz kaisha. 1940 trat neben die genannten kaisha eine weitere Gesellschaftsform mit diesem Zusatz, die yūgen gaisha10, die in einem separaten Gesetz. dem Gesetz über die Gesellschaft mit beschränkter Haftung11 (im Folgenden GGmbH) geregelt war und im Wesentlichen der deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung entsprach. 1950 wurde der Abschnitt, der die Kommanditgesellschaft auf Aktien als Gesellschaftsform vorsah, im Handelsgesetz gestrichen und damit diese Rechtsform beseitigt.12 Zum 1. Mai 2006 sind nun die im Handelsgesetz verbliebenen, kaisha genannten Rechtsformen (also gōmei, gōshi und kabushiki gaisha) aus dem Handelsgesetz herausgelöst und in einem neuen Gesetz mit dem Titel kaisha hō (Gesetz über kaisha) einer Neuregelung unterworfen worden. Die Gesellschaftsform yūgen gaisha ist gleichzeitig abgeschafft und eine neue Rechtsform, die gōdō gaisha zusätzlich aufgenommen worden.13 Für Letztere gibt es in Deutschland keine Entsprechung, was die Übersetzung erschwert. Daneben gibt es im japanischen Recht Gesellschaftsformen mit dem Zusatz kaisha, wie etwa eine Gesellschaftsform, die dem deutschen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit entspricht, nämlich die sōgo gaisha, die ihre Regelung im Gesetz über das Versicherungsgewerbe14 gefunden hat, oder die tokutei mokuteki Japanisches Bürgerliches Gesetzbuch, Carl Heymanns: Berlin 1927; in der Fassung von Gesetz Nr. 68 / 1979 bei Akira Ishikawa und Ingo Leetsch, Das japanische BGB in deutscher Sprache. Carl Heymanns: Köln u. a. 1985. 9 Gesetz Nr. 48 / 1899, zu deutschen Übersetzungen siehe die Fn. 16 und 24. 10 Steht der Begriff kaisha an nachrangiger Stelle in einem Kompositum, ändert sich die Aussprache in gaisha. 11 Gesetz Nr. 74 / 1938, deutsche Übersetzung in der Ursprungsfassung bei Karl Vogt, Ge setz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Selbstverlag: Tokio 1940; in der Fassung des Gesetzes Nr. 214 / 1951 bei Saburo Kuwata und Herbert Becher, Gesellschaftsrecht in Japan, Legislativer Dienst der Bundesstelle für Außenhandelsinformation: Köln 1961, S. 40 ff.; in der Fassung des Gesetzes Nr. 74 / 1981 bei Shinsaku Iwahara und Günter H. Roth, Das japanische GmbH-Gesetz. Schriftenreihe des Instituts für Handelsrecht an der Universität Innsbruck: Innsbruck 1986, S. 15 ff. und in Akira Ishikawa und Ingo Leetsch, Das japanische Handelsrecht in deutscher Übersetzung, Carl Heymanns: Köln 1988, S. 217 ff. 12 Gesetz Nr. 167 / 1950. 13 Zu beiden Sachverhalten siehe Heinrich Menkhaus, Japan, in: Rembert Süß und Thomas Wachter (Hrsg.), Handbuch des internationalen GmbH-Rechts. Zerb: Angelbachtal 2006, S. 923 ff. 14 hokengyō hū, eigentlich Gesetz Nr. 41 / 1939, aber als Gesetz Nr. 105 / 1995 neu verkündet, deutsche Übersetzung, soweit ersichtlich, nicht vorhanden.
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gaisha, (kaisha für besondere Zwecke), deren Regelung sich im Gesetz über die Umlauffähigkeit des Vermögens15 findet. Soweit deutschsprachige Übersetzungen der genannten japanischen Gesetze überhaupt vorliegen, wird der Begriff kaisha in der Regel mit Gesellschaft übersetzt.16 Es dürfte deshalb auch kaum überraschen, wenn das neue kaisha hō als Gesellschaftsgesetz in Deutschland bekannt würde.17 Diese Übersetzung birgt indes die Gefahr, dass der Blick auf die vielen anderen Gesellschaftsformen in Japan, die nicht mit dem Zusatz kaisha ausgestattet sind, verstellt wird. Davon gibt ca. 50 verschiedene, die z. B. mit den Zusätzen hōjin (wörtlich: juristische Person), kumiai, kyōyū, kinko versehen sind. Als Beispiele seien hier nur diejenigen genannt, die eine begriffliche Entsprechung in Deutschland haben: minpōjō no kumiai (Gesellschaft bürgerlichen Rechts), tokumei kumiai (Stille Gesellschaft), senpaku kyōyū (Reederei), shadan hōjin (Verein), allein ca. 20 verschiedene Arten von kyōdō kumiai (Genossenschaften), der gesamte Bereich der Gesellschaften, die für freie Berufe zur Verfügung stehen, wie etwa der bengoshi hōjin (Juristische Person für Rechtsanwälte), der kansa hōjin (Juristische Person für Wirtschaftsprüfer) usw. Die unzähligen Lehrbücher, die in Japan unter dem Begriff kaisha hō (hier: Recht der kaisha) verlegt werden, befassen sich in der Regel nur mit den Gesellschaften, die in Deutschland Offene Handelsgesellschaft, Kommanditgesellschaft und Aktiengesellschaft genannt werden. In den Lehrbüchern, die schon die Reform von 2005 berücksichtigen18, ist auch die neue Gesellschaftsform gōdō gaisha dabei. Eines der älteren Lehrbücher ist vor einiger Zeit in die deutsche Sprache übersetzt worden, prompt unter dem Begriff Gesellschaftsrecht.19 Aber in dem Lehr15 shisan no ryūdōka ni kan suru hōritsu, Gesetz Nr. 105 / 1998, deutsche Übersetzung, soweit ersichtlich, nicht vorhanden. Die wörtliche Übersetzung des Gesetzestitels in die deutsche Sprache vermag den eigentlichen Zweck des Gesetzes nicht deutlich zu machen. Tatsächlich geht es um die Verbesserung der Übertragbarkeit bestimmter Vermögenswerte, in dem diese in umlauffähigen (Wert-)Papieren verbrieft werden. 16 So selbst für die Überschrift des 2. Teils des Handelsgesetzes Olaf Kliesow u. a., Das japanische Handelsgesetz. Carl Heymanns: Köln u. a. 2002. 17 So beispielsweise schon Marc Dernauer, Die japanische Gesellschaftsrechtsreform 2005 / 2006, in: ZJapanR 20 (2005) 123, 124; Mikio Tanaka, Einführung in das neue Gesellschaftsgesetz, in: Japan-Markt (Zeitschrift der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Japan), Teil 1: 8 (2005) 24, Teil 2: 10 (2005) 24 f., Teil 3: 12 (2005) 22 f. und Teil 4: 2 (2006) 24. 18 Tetsu Aizawa, Ichi mon, ittō, shin kaisha hō (Frage und Antwort: Das neue Gesetz über kaisha). Shōji hōmu: Tōkyō 2005; Shūhei Maruyama, Yasashii kaisha hō (Recht der kaisha leicht gemacht), Hōgaku shoin: Tōkyō, 8. Aufl. 2005; Hideki Kanda, kaisha hō (Recht der kaisha), Kōbundō: Tōkyō, 7. Aufl. 2005; Tsukasa Miyajima, Shin kaisha hō essensu (Die Essenz des neuen Rechts der kaisha). Kōbundō: Tōkyō 2005. 19 Ichiro Kawamoto u. a., Gesellschaftsrecht in Japan, C.H.Beck und Stämpfli: München / Bern 2004.
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buch werden die sōgo gaisha (Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit) und tokutei mokuteki gaisha (kaisha für besondere Zwecke) nicht behandelt, so dass im deutschen Sprachraum tatsächlich der Eindruck entsteht, Gesellschaften in Japan seien nur die japanischen Entsprechungen für die deutsche Offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft und die Aktiengesellschaft. Eine Übersetzung des japanischen Begriffs kaisha mit dem deutschen Begriff Gesellschaft kommt deshalb nicht in Frage.
2. Handelsgesellschaft Noch schwieriger ist es mit dem deutschen juristischen Fachbegriff Handelsgesellschaft. Als Übersetzung des Begriffes Handelsgesellschaft findet man in den oben genannten zweisprachigen juristischen Fachwörterbüchern nämlich zumeist zwei Wörter: kaisha und shōji gaisha.20 Die wörtliche Übersetzung des Begriffs shōji lautet Handelssachen. Den Hintergrund für diese Begrifflichkeit liefert wiederum die Geschichte. Das alte Zivilgesetz von 1890 kannte die Begriffe minji gaisha und shōji gaisha. Der Art. 116 lautete: „Die spezifischen Regeln für shōji gaisha finden sich im Handelsgesetz.“
In Art. 118 Abs. 1 hieß es: „Die minji gaisha kann bei entsprechendem Willen der Parteien juristische Person werden.“
Die minji gaisha war also die kaisha des Zivilgesetzes und die shōji gaisha die des Handelsgesetzes. Dogmatisch bestand der Unterschied darin, dass die kaisha des Zivilgesetzes ein Gewerbe betrieb, aber kein Handelsgewerbe, die kaisha des Handelsgesetzes indes ein Handelsgewerbe, oder der japanischen Wortwahl folgend, gewerbsmäßig Handelsgeschäfte. Das korrespondierte mit dem 1. Teil, 6. Kapitel des im selben Jahr verkündeten alten Handelsgesetzes (kyū shōhō)21, das nach leichter Änderung der Ursprungsfassung22 zum 1. Juli 1893 in Kraft trat. Schon die Überschrift des Kapitels enthielt im hier interessierenden Teil den Begriff shōji gaisha. Die Eingangsvorschrift des Art. 66 lautete: „Die shōji gaisha kann nur zu dem Zweck gegründet werden, gemeinsam ein Handelsgewerbe (shōgyō) zu betreiben“. Yoshida (Fn. 3) S. 125; Götze (Fn. 3) S. 136 und Tazawa (Fn. 3) S. 418. Gesetz Nr. 32 / 1890, deutsche Übersetzung, soweit ersichtlich, nicht vorhanden. 22 Gesetz Nr. 9 / 1893; deutsche Übersetzung in: Oscar Borchardt, Die Handelsgesetze des Erdballs, Nachtrag III: Das japanische Handelsgesetzbuch. R. v. Decker’s: Berlin 1896. 20 21
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Es folgten die Regelungen der Gesellschaftsformen, die der Offenen Handelsgesellschaft, der Kommanditgesellschaft, und der Aktiengesellschaft deutschen Rechts vergleichbar waren. Auf japanisch lauteten die Namen der Gesellschaftsformen gōmei, gōshi, und kabushiki, alle mit dem Zusatz kaisha. Die Neufassung des noch heute geltenden Handelsgesetzes von 1899 aber benutzte den Begriff shōji gaisha nicht mehr, sondern begnügte sich mit kaisha. Das schon 1896 – jedenfalls in seinen hier allein interessierenden ersten drei Teilen – verkündete neue Zivilgesetz jedoch setzte die Benutzung des Begriffs shōji gaisha fort. So hieß es in Art. 35 ZG: (Gründung einer auf Erwerb gerichteten juristischen Person) „Abs. 1: Ein Verein, dessen Zweck auf Erwerb gerichtet ist, kann unter den Voraussetzungen, die für die Gründung von shōji gaisha Anwendung finden, juristische Person werden. Abs. 2: Für rechtsfähige Vereine im Sinne des Abs. 1 gelten die Vorschnften über shōji gaisha im Ganzen entsprechend.“
Dieser Art. 35 ZG aber ist mit der sprachlichen Bereinigung des Zivilgesetzes im Jahre 200423, in der insbesondere eine Umstellung der in der Meiji-Zeit (1868 – 1912) für offizielle Dokumente verwendeten Schriftzeichen in heute gebräuchliche Schriftzeichen erfolgte, gestrichen worden. An seine Stelle ist der alte Art. 34 – 2 ZG getreten, der eine hier nicht interessierende andere Regelung enthält. Trotzdem blieb die Begrifflichkeit uneinheitlich. Heute nämlich findet sich der Begriff shōji gaisha immer noch im Zivilgesetz. In Art. 36 Abs. 1 ZG heißt es: (Anerkennung oder Rechtsfähigkeit ausländischer juristischer Personen) „Abs. 1: Ausländische juristische Personen werden nicht anerkannt, sofern sie nicht durch Gesetze oder Staatsverträge anerkannt sind, es sei denn, es handelt sich um Staaten, staatliche Verwaltungseinheiten oder shōji gaisha.“
Der seit der Zeit des alten Zivilgesetzes und des alten Handelgesetzes bestehende Dualismus der Begriffe minji gaisha, also Gesellschaft des Zivilgesetzes, die ein Gewerbe betreibt, und shōji gaisha, also Gesellschaft des Handelsgesetzes, die ein Handelsgewerbe betreibt, hat zwar nicht begrifflich, aber der Sache nach, in Art. 52 HG überlebt: (Definition der kaisha) „Abs. 1: kaisha im Sinne dieses Gesetzes ist ein Verein, der zu dem Zweck gegründet worden ist, gewerbsmäßig Handelsgeschäfte zu betreiben. Abs. 2: Ein Verein, dessen Zweck auf Erwerb gerichtet ist und der nach den Vorschriften dieses Gesetzes gegründet worden ist, gilt auch dann als kaisha, wenn er nicht gewerbsmäßig Handelsgeschäfte betreibt.“ 23
Gesetz Nr. 147 / 2004.
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Mit der am 1. Mai 2006 in Kraft getretenen Gesellschaftsrechtsreform ist aber auch diese Vorschrift gestrichen worden. Damit ist die Unterscheidung zwischen minji gaisha und shōji gaisha endgültig weggefallen. Die Übersetzer sind in der Regel Opfer dieser historisch bedingten begrifflichen Vielfalt geworden. Sie orientierten sich an dem alten shōji gaisha und übersetzten die Überschrift des 2. Teils des neuen Handelsgesetzes, obwohl dort nur noch kaisha steht, mit Handelsgesellschaft.24 Das begegnet Zweifel, die es im Ergebnis auch als fragwürdig erscheinen lassen, den Begriff kaisha mit Handelsgesellschaft zu übersetzen. Da ist zunächst die fortbestehende Begrifflichkeit shōji gaisha. Sie findet sich zwar nur noch in Art. 36 ZG und bezieht sich nur auf Gesellschaftsformen ausländischen Rechts. Es ist allerdings auffällig, dass die in der Reform des Gesellschaftsrechts vom Jahre 2005 erfolgte Neuregelung des japanischen internationalen Gesellschaftsrechts keine begriffliche Bereinigung herbeigeführt hat. Die außerhalb des Gesetzes über kaisha geregelte sōgo gaisha, die dem deutschen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit entspricht, betreibt in Japan als Genossenschaft nicht gewerbsmäßig Handelsgeschäfte (dazu sogleich). Die irreführende Bezeichnung kann auch nicht einfach als zufällig fehlerhaft abgetan werden. Durch die Gesellschaftsrechtsreform 2005 hätte schon allein wegen der durch die Reform erforderlichen mannigfaltigen Änderungen des Gesetzes über Versicherungsgeschäfte der Zusatz kaisha leicht abgeschafft werden können. Schließlich spricht das Vorhandensein der Reederei gegen die Gleichsetzung von kaisha mit Handelsgesellschaft. Denn die Reederei des japanischen Rechts hat eine ganz eigenständige Begrifflichkeit, in der der Zusatz kaisha gar nicht vorkommt. Er lautet senpaku kyōyū, was wörtlich übersetzt Miteigentum an Schiffen bedeutet. Nach ganz einhelliger Meinung aber kann die Reederei nur zu dem Zweck gegründet werden, gewerbsmäßig Handelsgeschäfte zu betreiben. Die mangelnde sprachliche Bereinigung an dieser Stelle ist wohl mehreren Umständen zu verdanken. Zum einen, dass die Reederei als Rechtsform in Japan keine praktische Bedeutung hat und zum anderen, dass die Revision des 4. Teils des japanischen Handelsgesetzes, nämlich des Seehandelsrechts, noch aussteht. 24 Ludwig Hermann Lönholm, Entwurf des japanischen Handelsgesetzbuchs in der vom Oberhaus angenommenen Form. Selbstverlag: Tokyo und Yokohama 1898; ders., Japanisches Handelsgesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Selbstverlag: Tokyo und Yokohama 1899; ders., Das Handelsrecht, Wechselrecht, Konkursrecht und Seerecht Japans, in: Josef Kohler u. a (Hrsg.)., Die Handelsgesetze des Erdballs, 3. Aufl., Band 6: Afrika und Asien. R. v. Decker’s: Berlin 1909, S. 17 ff. Karl Vogt, Handelsgesetzbuch für Japan in der Fassung des Gesetzes vom 2. Mai 1911 nebst Zusatzbestimmungen, Selbstverlag: Tokyo 1911; ders., Handelsgesetzbuch für Japan in der Fassung des Gesetzes vom 2. Mai 1911 nebst Zusatzbestimmungen. Heymanns: Berlin 1927; ders., Handelsgesetzbuch für Japan in der Fassung des Gesetzes vom 4. April 1938 nebst Einführungsbestimmungen. Selbstverlag: Tokyo 1940; Akira Ishikawa und Ingo Leetsch, Das japanische Handelsrecht in deutscher Übersetzung. Carl Heymanns: Köln u. a. 1988.
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Im Ergebnis kann also der Begriff kaisha auch nicht mit gutem Gewissen mit Handelsgesellschaft ins Deutsche übersetzt werden. Entsprechend kann das neue Gesetz über kaisha auch nicht als Handelsgesellschaftsgesetz übersetzt werden. Vielmehr ist festzustellen, dass es einen alle Gesellschaftsformen umfassenden Oberbegriff, der dem deutschen juristischen Fachbegriff Gesellschaft entspricht, in Japan ebenso wenig gibt, wie einen alle Handelsgesellschaften erfassenden einheitlichen Oberbegriff.
III. Definition 1. Gesellschaftsrecht Fehlt schon ein japanischer Begriff für das deutsche Wort Gesellschaft, verwundert es nicht, dass es auch keine Legaldefinition des Begriffs Gesellschaftsrecht gibt. Auch das neue Gesetz über kaisha enthält diese nicht. Es trifft unter Definitionen in Art. 2 Ziff. 1 lediglich die Aussage, dass kaisha im Sinne des Gesetzes die Gesellschaftsformen kabushiki, gōmei, gōshi und gōdō seien. Eine Legaldefinition fehlt indes auch in Deutschland. Dort hat hingegen die Rechtswissenschaft eine einheitliche Definition entwickelt. Danach ist das Gesellschaftsrecht das Recht der Personenvereinigungen des Privatrechts, die zur Erreichung eines bestimmten Zwecks durch Rechtsgeschäft begründet werden. In Japan gilt diese Definition auch. Zwar wird sie, soweit ersichtlich, in dieser Form niemals verwendet, aber die Kommentierungen berühren alle aufgeführten Begriffsmerkmale.25 Es gibt dort gleich mehrere Begriffe, die für das Wort Personenvereinigung Verwendung finden. Sie lauten shūgōtai, dantai oder shūdan. Auch in Japan wird das Merkmal zur Abgrenzung von den verselbständigten Vermögensmassen angesehen. Als solche ist auch in Japan insbesondere die Stiftung (zaidan hōjin) gem. Art. 39 ff. ZG zu nennen. Auch in Japan dient der Definitionsbestandteil „des Privatrechts“ der Abgrenzung von den Rechtsträgern des öffentlichen Rechts, von denen es ebenfalls eine große Fülle gibt. Zu denen hat sich der Jubilar schon auf deutsch geäußert.26 In diesem Bereich kommt es seit einigen Jahren zu einer Systematisierung, die aber in westlichen Sprachen noch nicht aufgearbeitet ist. Erst beim Definitionsmerkmal „bestimmter Zweck“ wird in Japan ein Unterschied zum deutschen Recht erkennbar. 25 Vgl. statt aller die jüngste Kommentierung zur juristischen Person im 1. Teil: Grundbestimmungen, Zivilgesetz, bei Takashi Uchida, Minpō I sōsoku – bukken sōron (Zivilgesetz I, Grundbestimmungen und Sachenrecht, Allgemeine Überlegungen), 3. Aufl. Tōkyō daigaku shuppan kai: Tōkyō 2005, S. 207 ff. 26 Koresuke Yamauchi, Privatisierung der Staatsunternehmen in Japan, in: Karl Kreuzer (Hrsg.), Privatisierung von Unternehmen. Nomos: Baden-Baden 1995, 133 ff.
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In Deutschland wird im Hinblick auf den gemeinsamen Zweck zwischen dem nicht wirtschaftlichen (Ideal-)Verein und dem wirtschaftlichen Verein unterschieden. Die Abgrenzung erfolgt über den Begriff wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb. Ist der Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet, sind die Rechtsträger des Handelsrechts zu wählen. Ist der Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet, ist der (Ideal-)Verein der richtige Rechtsträger. Dogmatisch handelt es sich also um eine Zweiteilung. In Japan begegnet indes eine dogmatische Dreiteilung: der auf Erwerb gerichtete Verein (eiri wo mokuteki to suru), der nicht auf Erwerb gerichtete gemeinnützige Verein (eiri wo mokuteki to shinai – kōeki) und der nicht auf Erwerb gerichtete und aber auch nicht gemeinnützige Verein. Mit dem auf Erwerb gerichteten Verein wurde wie mit dem wirtschaftlichen Verein in Deutschland verfahren. Nach dem Wortlaut des schon vorgestellten Art. 35 Abs. 1 ZG konnte ein Verein, dessen Zweck auf Erwerb gerichtet war, nur unter den Voraussetzungen, die für die Gründung von shōji gaisha gelten, juristische Person werden. Der nicht auf Erwerb gerichtete gemeinnützige Verein findet auch heute noch seine Regelung in Art. 34 ZG. Diese Vorschrift lautet: „Dem shintō dienende27, religiöse, wohltätige, wissenschaftliche, künstlerische oder sonstige gemeinnützige Vereine oder Stiftungen, die nicht auf Erwerb gerichtet sind, können mit Genehmigung der zuständigen Behörde juristische Personen werden.“
Damit sind nach Art. 34 ZG zwei Voraussetzungen zu erfüllen: der Zweck darf nicht auf Erwerb gerichtet sein und er muss gemeinnützig sein. Leider ist die Gemeinnützigkeit nicht definiert; es werden lediglich Beispiele genannt. Nach der einhelligen Meinung liegt Gemeinnützigkeit aber nur vor, wenn der Zweck des Vereins darin besteht, aktiv zum Vorteil einer unbegrenzten Zahl von Personen tätig zu werden. Für diese Art Verein steht der Status einer juristischen Person zur Verfügung. Damit bleibt eine dritte Kategorie offen: Der nicht auf Erwerb gerichtete, aber eben auch nicht gemeinnützige Träger. Er ist nach der japanischen Definition nicht gemeinnützig, weil er nur zum Wohl einer bestimmten Gruppe von Personen oder gar nur seiner Mitglieder tätig ist. Dieser Art Personenvereinigung bleibt jedenfalls gem. Art. 34 ZG der Status der juristischen Person Verein verwehrt. Der Hintergrund für diese dogmatische Dreiteilung ist nicht ganz klar.28 Die überwiegende Meinung sieht ihn indes in der bei Schaffung des Zivilgesetzes be27 In der Originalfassung heißt es saishi. Damit sind die Feste der als typisch japanisch eingestuften Glaubensgemeinschaft shintō gemeint. 28 Vgl. Hideaki Seki, Hieiri hōjin no hōteki chii (Die Rechtsstellung der nicht auf Erwerb gerichteten juristischen Person), in: Kyōdō kumiai kenkyū geppō 541 (1998) 9 ff.; ders., Meiji minpō ni okeru hōjin seido (Die Regelung der juristischen Person im Zivilgesetz der MeijiZeit), in: Seikyō sōgō kenkyūjo (Hrsg.), Seikyō sōken repōto, Nr. 37 (2002) 31 ff.
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deutenden Stellung der öffentlichen Verwaltung in Japan. Die Zulassung eines Rechtsträgers für gemeinnützige Tätigkeiten barg die Gefahr einer Konkurrenzorganisation zur öffentlichen Verwaltung. Da aber die gemeinnützige Tätigkeit der Einwohner sowohl in finanzieller wie personeller Hinsicht eine Entlastung der Verwaltung bewirken konnte, durfte man sich der Zulassung eines entsprechenden Rechtsträgers nicht gänzlich verschließen. Sein Zweck war dann indes auf die Wahrnehmung des öffentlichen Interesses zu beschränken, für die Wahrnehmung von Partikularinteressen sollte kein Rechtsträger zur Verfügung stehen. Diese Typisierung hatte indes nicht lange Bestand. Schon kurze Zeit nach Inkrafttreten des Zivilgesetzes begann der Gesetzgeber mit der spezialgesetzlichen Zulassung neuer Rechtsträger im Zivilrecht, ohne die Dogmatik des Zivilgesetzes zu verändern. So entstanden etwa besondere Rechtsträger für den gemeinnützigen Bereich: Krankenhaus29, Schule30, Religionsgemeinschaft31, Wohlfahrtseinrichtung32, schließlich der nach seinem US-amerikanischen Vorbild umgangsprachlich Non Profit Organisation33 genannte Rechtsträger. Die im Zivilgesetz vorgegebene Dogmatik aber wurde durch die ebenfalls erfolgende Schaffung von Rechtsträgern, die nicht auf Erwerb gerichtet waren, aber eben auch nicht gemeinnützig, verlassen. Es entstand ein gesonderter Rechtsträger für Gewerkschaften34 und schließlich einer insbesondere für alumni-Organisationen35, dessen Name der dogmatischen Typisierung der Rechtsträger in Japan in jeder Hinsicht gerecht wird, die juristische Person in der Mitte (chūkan hōjin), in der Mitte nämlich von dem auf Erwerb gerichteten Verein und dem nicht auf Erwerb gerichteten gemeinnützigen Verein. Damit war die Dogmatik des Zivilgesetzes überwunden, ohne dass dieses entsprechend geändert wurde. Die ersatzlose Streichung des Art. 35 ZG bei der sprachlichen Bereinigung des Zivilgesetzes im Jahre 2004 hat der Erkennbarkeit dieser dogmatischen Dreiteilung eine wichtige Stütze entzogen, ohne dass damit, soweit ersichtlich, eine inhaltliche Änderung angestrebt war. Die Unterscheidung zwischen dem auf Erwerb gerichteten Verein und dem Verein, der einem anderen Zweck dient, sollte erhalten bleiben. Es ging ja nur um eine sprachliche Bereinigung. Aber auch der Art. 34 29 iryō hojin nach dem iryō hō (Gesetz über die medizinische Behandlung), Gesetz Nr. 205 / 1948. 30 gaku hōjin nach dem shiritsu gakkō hō (Gesetz über private Schulen), Gesetz Nr. 270 / 1949. 31 shūkyō hōjin nach dem shūkyō hōjin hō (Gesetz über die juristische Person für Religionen), Gesetz Nr. 26 / 1951. 32 shakai fukushi hōjin nach dem shakai fukushi hō (Wohlfahrtsgesetz), Gesetz Nr. 45 / 1951. 33 tokutei hieiri katsudo hōjin nach dem tokutei hieiri katsudo sokushin hō (Gesetz zur Förderung besonderer nicht auf Erwerb gerichteter Tätigkeiten), Gesetz Nr. 7 / 1998. 34 rōdō kumai nach dem rōdō kumiai hō (Gewerkschaftsgesetz), Gesetz Nr. 174 / 1949. 35 chūkan hōjin nach dem chūkan hōjin hō (Gesetz über die juristische Person in der Mitte), Gesetz 49 / 2001.
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ZG wird so nicht mehr lange Bestand haben.36 Ein Gesetzentwurf, der u. a. die Gesellschaftsform Verein neu regeln wird, ist im Jahre 2006 ins Parlament eingebracht worden. Soweit erkennbar wird damit die tatsächlich schon eingetretene, dem deutschen Recht vergleichbare dogmatische Zweiteilung durch Änderung der entsprechenden Vorschriften verwirklicht. Schließlich bleibt noch das Begriffsmerkmal „durch Rechtsgeschäft“. Auch insoweit lassen sich keine Abweichungen von deutschen Rechtsvorstellungen erkennen. Bei den meisten Merkmalen der deutschrechtlichen Definition für Gesellschaftsrecht ist also ein auffälliger Gleichlauf zwischen Deutschland und Japan zu verzeichnen. Beim Begriffsmerkmal „bestimmter Zweck“ hat zwar eine abweichende Dogmatik bestanden, die tatsächlich aber schon beseitigt ist und gegenwärtig nur noch der gesetzlichen Überwindung harrt.
2. Handelsgesellschaftsrecht Im deutschen Recht ist das Recht der Handelsgesellschaften nur ein Teil des Gesellschaftsrechts. Die Handelsgesellschaften zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein Handelsgewerbe betreiben (Ist-Kaufmann). Für den Fall, dass das nicht der Fall sein sollte, sind sie als sog. Formkaufleute dem Handelsrecht unterworfen. Dem Stufenverhältnis zwischen Zivil- und Handelsrecht folgte zunächst auch das japanische Recht. Wie ausgeführt, unterfielen in Zeiten des alten Zivilgesetzes und des alten Handelsgesetzes die Fälle, in denen von der kaisha ein Gewerbe betrieben wurde, das kein Handelsgeschäft war, dem alten Zivilgesetz, und die Fälle, in denen die kaisha gewerbsmäßig Handelsgeschäfte tätigte, dem Handelsgesetz. Diese Unterscheidung wurde, als Zivilgesetz und Handelsgesetz an die Stelle der beiden „alten“ Gesetze traten, ins Handelsgesetz übernommen. Nach dem schon zitierten Art. 52 Abs. 2 HG spielte die gewerbsmäßige Ausübung eines Handelsgeschäfts für die Gesellschaftsformen gōmei, gōshi und kabushiki gaisha keine Rolle, es musste aber ein Gewerbe betrieben werden. Für die außerhalb des Handelsgesetzes, nämlich im Gesetz über die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, geregelte japanische Gesellschaft mit beschränkter Haftung (yūgen gaisha) galt gem. Art. 2 GGmbH dasselbe 36 Vgl. Heinrich Menkhaus, Kōeki hōjinsei kenkyū – doitsu to nihon no hikaku (Überlegungen zur Regelung der gemeinnützigen juristischen Person – Ein Vergleich zwischen Japan und Deutschland), in: Hitotsubashi daigaku daigakuin kenkyūka, sōgō hōseisaku jitsumu teikei sentā (Rechtsgraduiertenschule der Universität Hitotsubashi, Allgemeines Zentrum für die Kooperation zwischen Rechtspolitik und -praxis) (Hrsg.), Heisei 17 nendo projekuto I, hōkokusho: hikakuho no shomondai (Bericht des Projekts 1 aus dem Jahre 2005: Verschiedene Probleme der Rechtsvergleichung). Hitotsubashi daigaku daigakuin kenkyūka (Rechtsgraduiertenschule der Universität Hitotsubashi): Tōkyō 2006, S. 35 ff.
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„Gesellschaften mit beschränkter Haftung gelten selbst dann als Kaufmann, wenn sie nicht gewerbsmäßig Handelsgeschäfte betreiben“.
Diese historische Unterscheidung zwischen Betreiben eines Gewerbes und gewerbsmäßigem Betreiben eines Handelsgeschäfts ist mit der Gesellschaftsrechtsreform des Jahres 2005 entfallen. Aus den Erläuterungen zur Systematik des neuen Gesetzes über kaisha ergibt sich, dass das japanische Handelsgesetz in Zukunft nur noch für die natürliche Person als Kaufmann gelten soll. Der Umfang der Anwendbarkeit des Handelsgesetzes für die im Gesetz über kaisha geregelten Gesellschaftsformen (kabushiki, gōmei, gōshi, gōdō) ist vielmehr dort selbst geregelt. In Art. 5 des Gesetzes über kaisha heißt es: „(Handelsgeschäft) Die Geschäfte (koi), die im Betrieb, und die Geschäfte, die für den Betrieb der kaisha vorgenommen werden, gelten als Handelsgeschäfte (shōkoi).“
Für die außerhalb des Gesetzes über kaisha geregelte kaisha für besondere Zwecke bedient sich der Gesetzgeber derselben Systematik. In der durch die Gesellschaftsrechtsreform 2005 bedingten Neufassung des Art. 14 des Gesetzes über die Umlauffähigkeit des Vermögens findet sich dieselbe Definition wie in Art. 5 des Gesetzes über kaisha. Danach gelten auch die Geschäfte dieser Gesellschaft als Handelsgeschäfte. Gegenüber der alten Rechtslage entsteht damit ein deutlicher Unterschied. Die Anwendbarkeit des Handelsgesetzes auf die kaisha erfolgt selektiv. Es wird nicht über den Kaufmannsbegriff die Anwendbarkeit des gesamten Handelsgesetzes erschlossen. Damit wird für die kaisha auf das bei der Definition des Kaufmanns genannte zusätzliche Erfordernis der Gewerbsmäßigkeit (gyō to suru) verzichtet. Zwar wird von den für die Gesetzgebung zuständigen Beamten des japanischen Justizministeriums behauptet, es habe sich gegenüber der alten Rechtslage nichts geändert, die Gesellschaften des Gesetzes über kaisha seien also allesamt Kaufleute und damit das Handelsgesetz auf sie anwendbar.37 Das begegnet indes Bedenken. Warum wird im Gesetz über kaisha ausdrücklich nur an den Teil Handelsgeschäfte des Handelsgesetzes angeknüpft, wenn die dort geregelten Gesellschaften gleichzeitig Kaufleute sein sollen und damit das ganze Handelsgesetz auf sie anwendbar wird. Außerdem ist die Definition für Kaufmann in Art. 4 Abs. 1 HG durch die Gesellschaftsrechtsreform zwar sprachlich, aber nicht inhaltlich verändert worden. Es heißt dort nach wie vor: „Kaufmann im Sinne dieses Gesetzes ist, wer in eigenem Namen gewerbsmäßig ein Handelsgeschäft betreibt“. 37 Daisuke Kōriya und Mitsuru Hosokawa, Kaishahō no shikkō ni tomonau shōhō oyobi minpō tō no ichibu kaisei (Die Teiländerungen des Handels- und Zivilgesetzes sowie anderer Gesetze durch die Einführung des Gesetzes über kaisha) in: Shōji hōmu 1741 (2005) 32 ff.
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Um Kaufmann zu sein, müsste eine Gesellschaft des Gesetzes über kaisha also in jedem Fall auch noch zusätzlich gewerbsmäßig handeln. Es ist damit nicht mehr ganz klar, ob es in Japan innerhalb der Gesellschaften eine eigenständige Gruppe von Handelsgesellschaften gibt. Dies kann nur angenommen werden, wenn die Gleichstellung der Geschäfte der im Gesetz über kaisha geregelten Gesellschaftsformen mit Handelsgeschäften als Abgrenzung für ausreichend angesehen wird. In jedem Fall unterscheidet sich damit diese Gruppe von den Handelsgesellschaften in Deutschland, die ein Handelsgewerbe oder wenigstens ein Gewerbe betreiben müssen.
IV. Struktur Obwohl es einen einheitlichen Begriff von Gesellschaft bzw. Handelsgesellschaft und eine einheitliche Definition von Gesellschaftsrecht bzw. Handelsgesellschaftsrecht in Deutschland gibt, fehlt es einer einheitlichen gesetzlichen Regelung der Grundlagen des Gesellschaftsrechts. Vielmehr muss man sich die einzelnen einschlägigen Vorschriften, die das Allgemeine Gesellschaftsrecht konstituieren, aus mehreren Gesetzen zusammensuchen. Die bestehende gesetzliche Regelung auf tragende systematische Gesichtspunkte abzuklopfen, ist in Japan vor dem Hintergrund einer fehlenden einheitlichen Begriffsbildung noch schwerer. Auch das neue Gesetz über kaisha hat keinen Versuch unternommen, die dogmatischen Grundlagen des Gesellschaftsrechts in Japan einheitlich zu regeln. In Deutschland und Japan lassen sich aber gleichermaßen zwei Gruppen unterscheiden: die personalistisch strukturierten Gesellschaften und die körperschaftlich strukturierten Gesellschaften. In Japan werden dafür mitunter die Begriffe jinteki, respektive butteki verwendet. In Gebrauch ist aber auch das Begriffspaar kaisha und kumiai, obwohl wie gesehen, diese Zusätze nicht auf alle Gesellschaften Anwendung finden. Die entscheidenden Unterscheidungskriterien sind: – Die mangelnde Rechtsfähigkeit der Gesellschaft auf der einen und die juristische Person auf der anderen Seite. – Die Abhängigkeit des Bestandes vom Wechsel der Mitglieder auf der einen Seite und die freie Übertragbarkeit der Mitgliedschaft auf der anderen Seite. – Die persönliche Haftung der Gesellschafter auf der einen Seite und die Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen auf der anderen Seite. – Schließlich die Selbstorganschaft auf der einen Seite und die Fremdorganschaft auf der anderen Seite.
Diese Abgrenzungsmerkmale liegen nicht immer kumulativ für eine Gesellschaftsform der einen oder anderen Gruppe vor. Man spricht deshalb in Deutsch-
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land wie in Japan z. B. von personalistisch geprägten Kapitalgesellschaften. Dennoch ist die Unterscheidung dogmatisch wichtig.
1. Rechtsfähigkeit Zur Frage der Rechtsfähigkeit der personalistisch geprägten Gesellschaft gibt es in Deutschland die Tendenz, die mit der mangelnden Rechtsfähigkeit verbundenen Nachteile im Rechtsverkehr (z. B. Grundbuch- und Parteifähigkeit) durch Annäherung an die juristische Person abzumildern. Das zeigt sich für die Offene Handelsgesellschaft und die Kommanditgesellschaft besonders deutlich an der ausdrücklichen Regelung im Handelsgesetzbuch. In jüngster Zeit hat sich durch die Anerkennung der Rechtsfähigkeit sogar der Gesellschaft bürgerlichen Rechts ein auffälliger weiterer Schritt in diese Richtung vollzogen. In Japan ist diese Tendenz noch deutlicher. Obwohl man, soweit ersichtlich, zu Zeiten des alten Zivil- und alten Handelsgesetzes noch gar nicht deutlich zwischen personalistisch und körperschaftlich strukturierten Gesellschaften unterschied, war schon für die minji gaisha im alten Zivilgesetz die Möglichkeit des Erwerbs der Rechtsfähigkeit vorgesehen, auch wenn letztlich offen blieb, unter welchen Voraussetzungen diese erworben werden konnte. Art. 118 Abs. 1 lautete: „Die minji gaisha kann bei entsprechendem Willen der Parteien juristische Person werden.“
Dem korrespondierte der Art. 73 des alten Handelsgesetzes für die shōji gaisha: „Die kaisha kann selbständig Vermögen als Eigentum erwerben, selbständig Rechte erwerben und Verpflichtungen eingehen, unter eigenem Namen Ansprüche erwerben und Schulden eingehen, bewegliche und unbewegliche Sachen erwerben und in Prozessen als Kläger und Beklagter auftreten.“
Das Handelsgesetz zeigte wohl deshalb wenig Bedenken, alle dort geregelten Gesellschaftsformen gem. Art. 54 Abs. 1 als juristische Personen zu behandeln. Die Vorschrift lautete: „kaisha sind juristische Personen.“
Das trat in Widerspruch zum Art. 68 HG für die Gesellschaftsform, die der deutschrechtlichen Offenen Handelsgesellschaft entsprach. Die genannte Vorschrift galt über die Verweisung in Art. 147 HG auch für die Kommanditgesellschaft japanischer Prägung. Art. 68 HG formulierte: „Auf das Innenverhältnis finden die Vorschriften des Zivilgesetzes über die Gesellschaft des Zivilgesetzes (minpōjō no kumiai) entsprechende Anwendung, soweit die Satzung oder dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.“
Die Gesellschaft des Zivilgesetzes aber ist auch in Japan die Grundform der personalistisch strukturierten Gesellschaft.
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Der offenen Handelsgesellschaft und Kommanditgesellschaft ist das in Japan gar nicht gut bekommen, weil die mitunter hohen Körperschaftsteuern gepaart mit der persönlichen Haftung der Gesellschafter die Rechtsform unattraktiv gemacht haben. Die Zahl der Gesellschaften mit dieser Rechtsform ist deshalb im Vergleich zu den körperschaftlich strukturierten Gesellschaftsformen Aktiengesellschaft und Gesellschaft mit beschränkter Haftung japanischen Rechts sehr klein. Ende 2005 waren es lediglich ca. 18.000 bzw. 87.000 Gesellschaften gegenüber ca. 1,9 Mio. Gesellschaften mit beschränkter Haftung und ca. 1,1 Mio. Aktiengesellschaften. Der Regelung im Handelsgesetz folgend, erklärt auch das neue Gesetz über kaisha die weiterhin personalistisch geprägten Gesellschaftsformen Offene Handelsgesellschaft sowie Kommanditgesellschaft japanischer Provenienz und die neue gōdō gaisha gem. Art. 3 zu juristischen Personen. Die Vorschrift lautet: „kaisha gelten als juristische Personen“.
Der Widerspruch zu den erhalten gebliebenen personalistisch geprägten Zügen einiger der in Rede stehenden Gesellschaften ist durch die ersatzlose Streichung des Art. 68 HG auch nicht aufgehoben worden. Damit sind im Hinblick auf die Rechtsfähigkeit personalistisch geprägter Gesellschaften in Japan und Deutschland einige auffällige Parallelen zu erkennen. Eine Diskussion, der Gesellschaft des Zivilgesetzes, die der deutschen Gesellschaft bürgerlichen Rechts entspricht, Rechtsfähigkeit zuzugestehen, findet aber, soweit ersichtlich, noch nicht statt. Das kann aber auch daran liegen, dass nicht bekannt ist, welche Bedeutung diese Gesellschaftsform in der Rechtswirklichkeit Japans tatsächlich einnimmt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl in Japan als auch in Deutschland die Rechtsfähigkeit kaum noch als Unterscheidungskriterium zwischen personalistisch und körperschaftlich strukturierter Gesellschaft ernst genommen wird.
2. Mitgliedschaft In Deutschland ist die Mitgliedschaft bei personalistisch strukturierten Gesellschaften ohne die Zustimmung der anderen Gesellschafter nicht zu übertragen. Es bleibt aber die Möglichkeit des Ausscheidens des Gesellschafters mit der Folge eines Abfindungsanpruches des Ausscheidenden gegen die Gesellschaft. Demgegenüber ist die Vinkulierung bei körperschaftlich strukturierten Gesellschaften zwar möglich, aber als Ausnahme gedacht, indem nämlich lediglich die Satzung Übertragungsbeschränkungen an Dritte vorsehen kann. Bei körperschaftlich strukturierten Gesellschaften soll die Mitgliedschaft vielmehr frei übertragbar sein, mitunter sogar verbrieft werden können, um auf eigens dafür geschaffenen Märkten gehandelt zu werden. In Japan war die Vinkulierung auch bei körperschaftlich strukturierten Gesellschaften zeitweise sogar gesetzlich vorgesehen. So etwa bei der Gesellschaft mit
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beschränkter Haftung japanischer Provenienz. Die zuletzt einschlägige Vorschrift des Art. 19 Abs. 2 GGmbH lautete: „Beabsichtigt ein Gesellschafter, seine Geschäftsanteile ganz oder zum Teil an einen Nichtgesellschafter abzutreten, hat er die Zustimmung der Gesellschafterversammlung einzuholen.“
Für die Rechtslage bei der Aktiengesellschaft japanischer Prägung lässt sich dem alten Handelsgesetz, soweit ersichtlich, nichts entnehmen. Das Handelsgesetz stellte anfangs die Aktien an Dritte kraft Gesetzes frei veräußerlich. Die Satzung konnte indes Beschränkungen der Übertragung vorsehen. Diese Regelung fand sich zunächst in Art. 149 HG, später in Art. 204 Abs. 1 HG. Dieser Satzungsvorbehalt wurde aber in der von der US-amerikanischen Besatzungsmacht beeinflussten Reform des Gesellschaftsrechts im Jahre 195038 beseitigt. Danach befand sich in Art. 204 Abs. 1 HG die Regelung, dass die Übertragbarkeit der Aktien weder ausgeschlossen noch beschränkt werden könne. Mit dieser Reform indes zeigten sich die Japaner nach dem Ende der Besatzungszeit nicht mehr zufrieden und führten im Jahre 1966 in Art. 204 Abs. 1 HG die Möglichkeit zur Vinkulierung auf Grund Satzung wieder ein.39 Die bis zum Jahre 2006 einschlägige Vorschrift lautete: „Aktien können auf andere Personen übertragen werden; die Satzung kann jedoch bestimmen, dass für die Übertragung die Zustimmung des Verwaltungsrates erforderlich ist.“
In der seit dem 1. Mai 2006 geltenden Neuregelung des Rechts der Aktiengesellschaft im Gesetz über kaisha heißt es zunächst in Art. 127, dass der Aktionär seine Aktien übertragen könne. Aus Art. 107 Abs. 1 Ziff. 1 folgt indes, dass Aktien einer Übertragungsbeschränkung (jōto seigen kabushiki) unterworfen werden können. Für die Wirksamkeit der Übertragung dieser Aktien ist eine Zustimmung erforderlich. Das Verfahren dazu findet sich in Artt. 134, 136 ff. Da die Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit der Gesellschaftsrechtsreform des Jahres 2005 entfallen ist und die Regelung zur Beschränkung der Übertragbarkeit der Mitgliedschaft jetzt allein Aufgabe der Satzung ist, sind auch beim zweiten Unterscheidungskriterium zwischen personalistisch und körperschaftlich strukturierten Gesellschaften, der Übertragbarkeit der Mitgliedschaft, keine Unterschiede zum deutschen Recht mehr auszumachen.
38 Gesetz Nr. 167 / 1950. Vgl. zu dieser Reform in westlichen Sprachen: Thomas L. Blakemore and Makoto Yazawa, Japanese Commercial Code Revisions Concerning Corporations, in: The American Journal of Comparative Law 2 (1953) 12 ff.; Jiro Matsuda, Das neue japanische Aktienrecht, in: RabelsZ 24 (1953) 115 ff.; Lester N. Salvin, The New Commercial Code of Japan: Symbol of Gradual Progress toward Democratic Goals, in: Georgetown Law Journal 50 (1961 / 62) 478 ff.; Kenjiro Egashira, Commercial Law, in: Law in Japan 26 (2000) 50 ff. 39 Gesetz Nr. 83 / 1966.
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3. Haftungsbeschränkung Bei der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, der Offenen Handelsgesellschaft und der Reederei deutschen Rechts besteht die persönliche unbeschränkte Haftung aller Gesellschafter, bei der Kommanditgesellschaft eine persönliche unbeschränkte Haftung wenigstens der Komplementäre. Dem folgen die Entsprechungen der genannten Gesellschaftsformen auch in Japan. Dieses Strukturmerkmal ist nun bei der ansonsten personalistisch strukturierten neuen Gesellschaft, der gōdō gaisha beseitigt. Das Vorbild für diese Gesellschaftsform stammt aus dem Recht der Vereinigten Staaten von Amerika, die limited liability company. Die Haftung aller Gesellschafter der gōdō gaisha ist gem. Art. 576 Abs. 4 des Gesetzes über kaisha auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt. Daran ändern auch die Artt. 578 und 580 nichts, die eine persönliche Haftung des Gesellschafters gegenüber dem Gesellschaftsgläubiger statuieren. Denn nach diesen Vorschriften kommt es lediglich dann zu einer gesamtschuldnerischen Haftung der Gesellschafter gegenüber dem Gläubiger, der erfolglos versucht hat, das Gesellschaftsvermögen in Anspruch zu nehmen, wenn ein Gesellschafter Fehlbeträge bei seiner Einlage vorzuweisen hat. Die Haftung ist zudem auf die Höhe des Fehlbetrages begrenzt. Hier ist eine Abweichung gegenüber dem deutschen Recht, das eine personalistisch strukturierte Gesellschaft, bei der alle Gesellschafter einer Haftungsbeschränkung unterliegen, nicht kennt, festzustellen. Die gōdō gaisha vereinigt damit zwei Merkmale einer körperschaftlich strukturierten Gesellschaft auf sich, Haftungsbeschränkung und Rechtsfähigkeit. Berücksichtigt man indes, dass in Deutschland die GmbH & Co. KG als zulässig angesehen wird, bei der der Komplementär eine beschränkt haftende Gesellschaft ist, ist auch beim Merkmal Haftungsbeschränkung kein auffälliger Unterschied zu Deutschland zu erkennen.
4. Organbesetzung Auch bei der Besetzung des Geschäftsführungs- und Vertretungsorgans unterscheiden sich Japan und Deutschland nicht. Bei den personalistisch strukturierten Gesellschaften, also den japanischen Entsprechungen der deutschen Offenen Handelsgesellschaft, der Kommanditgesellschaft und der neuen gōdō gaisha, in Japan jetzt zusammenfassend mochibun gaisha, also Anteile-gaisha genannt, kommen nur Gesellschafter selbst für die Wahrnehmung dieser Funktion in Betracht. Bei den kapitalistisch strukturierten Gesellschaften gilt auch in Japan das Prinzip der Fremdorganschaft.
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5. Mischformen Die Verknüpfung von Gesellschaftsformen aus den beiden Gruppen ist in Deutschland möglich. Typische Beispiele sind die Kommanditgesellschaft auf Aktien und die GmbH & Co KG. In Japan waren Mischformen lange Zeit nicht möglich. Die Kommanditgesellschaft auf Aktien hat als Gesellschaftsform nur eine kurze Zeitspanne von 1899 bis 1950 bestanden. Die Übernahme der Stellung eines persönlich haftenden Gesellschafters durch eine beschränkt haftende Gesellschaft wurde mit der Änderung des Handelsgesetzes im Jahre 191140 ausdrücklich verboten. Die seinerzeitige Regelung in Art. 44 – 1 HG, die in der Reform des Handelsgesetzes von 193841 durch den Art. 55 HG ersetzt wurde, hat bis zum Jahre 2006 Bestand gehabt. In der Gesellschaftsrechtsreform dieses Jahres ist sie ersatzlos entfallen. Die Typenmischung ist damit jetzt auch in Japan möglich. Es bleibt abzuwarten, ob und wie sie in der Praxis genutzt wird. Damit bestehen auch im Bereich der Typenmischung kaum Unterschiede zwischen dem deutschen und japanischen Recht. Im Ergebnis lässt sich sagen, dass die dogmatisch wichtige Unterscheidung zwischen personalistisch und körperschaftlich strukturierten Gesellschaften in beiden Ländern zunehmend schwindet.
V. Einzelfragen 1. Einpersonengründung Das Merkmal Personenvereinigung als Teil der Definition Gesellschaftsrecht wird in beiden Rechtsordnungen nicht mehr ernst genommen. Allerdings wird in beiden Ländern überraschenderweise an dem Begriff Personenvereinigung festgehalten. In Deutschland ist seit geraumer Zeit jedenfalls bei Kapitalgesellschaften die Einpersonengründung möglich. Das gilt auch für Japan. Nach dem alten Handelsgesetz waren zur Gründung einer Aktiengesellschaft gem. Art. 157 mindestens vier Personen nötig. Nicht recht dazu passend verlangte Art. 230 Ziff. 3 die Auflösung, wenn die Zahl der Gesellschafter auf unter sieben abgesackt war. Für die Gründung einer Aktiengesellschaft japanischen Rechts waren nach dem Handelsgesetz gem. Art. 119 HG zunächst sieben Personen vorgesehen. Entsprechend wurde gem. Art. 221 HG die Auflösung der Gesellschaft kraft Gesetzes verfügt, wenn die Zahl der Gesellschafter unter sieben sank. Mit der Reform des Handelsgesetzes im Jahre 1938 blieb gem. Art. 165 HG bei der Gründung noch das Erfordernis von sieben Personen aufrechterhalten, für die Auflösung aber wurde nicht mehr an das 40 41
Gesetz Nr. 73 / 1911. Gesetz Nr. 72 / 1938.
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Unterschreiten dieser Personenzahl angeknüpft. 199042 schließlich entfiel auch das Erfordernis der Gründung durch mindestens sieben Personen. Bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung japanischer Provenienz war die Entwicklung ähnlich. Eine Mindestzahl der Gründer war hier zwar nie vorgesehen. Seit dem Jahre 199043 wurde durch die Streichung des Art. 69 Abs. 1 Ziff. 5 des GGmbH, der vorsah, dass die Gesellschaft kraft Gesetzes aufgelöst wird, wenn die Anzahl der Gesellschafter auf eine Person reduziert ist, gleichzeitig auch die Einpersonengründung für möglich gehalten. Mit der Gesellschaftsrechtsreform des Jahres 2005 wird die Möglichkeit zur Einpersonengründung jetzt auf die personalistisch strukturierten Personenvereinigungen gōmei-, gōshi- und gōdō gaisha ausgedehnt. Eine Mindestzahl der Gründer war für gōmei und gōshi gaisha niemals gefordert, aber es mussten stets mindestens zwei Gesellschafter verbleiben, weil die entsprechende Vorschrift über die Auflösung, nämlich zuletzt Art. 94 Ziff. 4 HG das Verbleiben nur eines Gesellschafters als Auflösungsgrund ansah. Jetzt wird aus Art. 641 Ziff. 4 des Gesetzes über kaisha, wonach die Gesellschaft aufgelöst wird, wenn kein Gesellschafter mehr übrig ist, geschlossen, dass es auch für die Gründung nur eines Gesellschafters bedarf. Für die Kommanditgesellschaft japanischer Prägung ist das aber nur schwer vorstellbar, weil dort neben dem persönlich haftenden Gesellschafter wenigstens noch ein nicht persönlich haftender Gesellschafter vonnöten sein dürfte. Für Japan war diese Änderung allerdings begrifflich kein großer Schritt mehr, weil es im Gesetz nirgendwo heißt, die Gründer schlössen einen Gesellschaftsvertrag. Es heißt überall lediglich, dass eine Satzung (teikan) aufzustellen sei. Da die japanischen Begriffe für Gründer (setsuritsusha / hokkinin / koseiin u. a.) auch nicht erkennen lassen, ob der Singular oder der Plural gemeint ist, war nicht einmal eine begriffliche Veränderung nötig.
2. Körperschaftlich strukturierte Gesellschaften Die entscheidende Brücke im Bereich des Gesellschaftsrechts zwischen dem Bürgerlichen Gesetzbuch und dem Handelsgesetzbuch ebenso wie eine deutliche Unterscheidung zwischen den körperschaftlich und personalistisch strukturierten Gesellschaftsformen stellt der Art. 22 BGB dar. Danach besteht für einen Verein, der auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, zum Erwerb der Rechtsfähigkeit nur die Möglichkeit, eine Gesellschaftsform zu wählen, die für diesen Zweck geschaffen wurde, also etwa die Handelsgesellschaften, oder eine zumeist versagte staatliche Konzession zu beantragen. Das Wort Verein steht hier für körperschaftlich strukturierte Gesellschaft, weil der Verein die entsprechende Grundform darstellt. Für eine personalistisch strukturierte Gesellschaft, die auf 42 43
Gesetz Nr. 64 / 1990. Gesetz Nr. 64 / 1990.
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einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, fehlt im Bürgerlichen Gesetzbuch eine entsprechende Verweisung ins Handelsgesetzbuch. Das bedeutet, dass etwa eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts sehr wohl einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhalten kann. Eine ganz ähnliche Regelung enthielt der Art. 35 Abs. 1 ZG. Dessen Übersetzung sei hier wiederholt: „Ein Verein, dessen Zweck auf Erwerb gerichtet ist, kann unter den Voraussetzungen, die für die Gründung von shōji gaisha Anwendung finden, juristische Person werden.“
Der Begriff Verein (shadan) ist auch hier als körperschaftlich strukturierte Gesellschaft zu lesen, weil auch in Japan der Verein die entsprechende Grundform darstellt. Ebenso wenig wie im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch findet sich im japanischen Zivilgesetz eine Verweisung auf die Vorschriften des Handelsgesetzes für personalistisch strukturierte Gesellschaften, die auf Erwerb gerichtet sind. Damit kann auch in Japan die Gesellschaft des Zivilgesetzes auf Erwerb gerichtet sein. Die genannte Verweisung auf das Handelsgesetz wurde aber in Japan nicht so verstanden, dass damit nur auf die körperschaftlich strukturierten Gesellschaften des Handelsrechts, also z. B. Aktiengesellschaft und Gesellschaft mit beschränkter Haftung verwiesen werde, sondern Art. 52 Abs. 1 HG griff den Begriff Verein (shadan), also körperschaftlich strukturierte Gesellschaft auf, um damit den Begriff kaisha zu definieren. Auch der Wortlaut des Art. 52 Abs. 1 HG sei hier deshalb noch einmal wiederholt: „kaisha im Sinne dieses Gesetzes ist ein Verein, der zu dem Zweck gegründet worden ist, gewerbsmäßig Handelsgeschäfte zu betreiben.“
Da auch die Offene Handelsgesellschaft und Kommanditgesellschaft japanischen Rechts gem. Art. 53 HG als kaisha erfasst wurden, wurden sie per definitionem körperschaftlich strukturierte Gesellschaften. Das geschah, obwohl – wie schon hervorgehoben – der Art. 68 HG für die Offene Handelsgesellschaft und kraft Verweisung für die Kommanditgesellschaft japanischer Prägung die Vorschriften des Zivilgesetzes über die Gesellschaft des Zivilgesetzes (minpōjō no kumai), die auch in Japan die Grundform der personalistisch geprägten Gesellschaftsformen ist, entsprechend für anwendbar erklärte. Hier ist mindestens zweierlei ungewöhnlich. Zum einen kann nicht durch die Benutzung des Begriffs Verein eine personalistisch strukturierte Gesellschaft zu einer körperschaftlich strukturierten Gesellschaft gemacht werden, zumal bis auf die durch das Handelsgesetz verliehene Rechtsfähigkeit die Offene Handelsgesellschaft und die Kommanditgesellschaft japanischer Prägung nach der gesetzlichen Regelung personalistisch strukturierte Gesellschaften blieben. Zum anderen bedarf es für eine sinnvolle Anwendung des Gesellschaftsrechts des japanischen Handelsgesetzes keiner Beschränkung auf körperschaftlich strukturierte Gesellschaften. Das wird durch Art. 66 des alten Handelsgesetzes deutlich, der abweichend vom späteren Art. 52 Abs. 1 HG definiert:
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„Eine shōji gaisha kann nur zu dem Zweck gegründet werden, gemeinsam ein Handelsgewerbe zu betreiben“.
Eine Eingrenzung auf körperschaftlich strukturierte Gesellschaftsformen des Handelsrechts bestand nach dieser Formulierung nicht. Der Art. 35 ZG ist durch die sprachliche Bereinigung des Zivilgesetzes im Jahre 2004 ersatzlos entfallen. Aus der amtlichen Begründung ergibt sich, dass die Vorschrift keinen Sinn mehr mache, weil sich ihr Regelungsgehalt in Art. 52 HG wiederhole.44 Dem kann nicht gefolgt werden. Mit der Streichung des Art. 35 HG ist zunächst das gesellschaftsrechtliche Stufenverhältnis zwischen Zivil- und Handelsgesetz für den Bereich der körperschaftlich strukturierten Gesellschaften unsichtbar geworden. Der auf Erwerb gerichtete körperschaftlich strukturierte Verband sollte sich im Handelsgesetz eine geeignete Gesellschaftsform suchen. Diese Handlungsanweisung ist entfallen und beeinträchtigt damit nicht nur die schon erwähnte Unterscheidung zwischen dem auf Erwerb gerichteten und dem nicht auf Erwerb gerichteten Verein, sondern auch die Unterscheidung zwischen Zivil- und Handelsrecht. Außerdem findet sich der Begriff „auf Erwerb gerichtet“ in Art. 52 HG gar nicht. Man muss schon unterstellen, dass das „gewerbsmäßige Betreiben eines Handelsgeschäfts“ mit „auf Erwerb gerichtet“ identisch ist. Besonders unverständlich aber ist, dass auch der Art. 52, dessen Existenz die Vorschrift des Art. 35 ZG angeblich obsolet machte, mit der Reform des Gesellschaftsrechts im Jahre 2005 ersatzlos gestrichen wurde. Mit dem Wegfall des Art. 35 ZG ist der Abgrenzung zwischen dem Zivilrecht und dem Handelsrecht und der Abgrenzung zwischen personalistisch und körperschaftlich strukturierten Gesellschaften eine zentrale Regelung verloren gegangen. Nachdem schon erkennbar wurde, dass die Abgrenzung zwischen personalistisch und körperschaftlich strukturierten Gesellschaften in Deutschland und Japan nicht mehr so ernst genommen wird, deutet sich hier die Möglichkeit an, dass auch die Unterscheidung zwischen Zivil- und Handelsrecht in Japan nicht mehr für wichtig gehalten wird. 3. Gewinnerzielung Eine Zentralfrage des Begriffsmerkmals bestimmter Zweck ist, ob dieser bei bestimmten Gesellschaften auf Gewinnerzielung gerichtet sein muss oder wie es in Japan heißt auf Erwerb gerichtet (eiri o mokuteki to suru) sein muss. Bei den personalistisch strukturierten Gesellschaften in Deutschland, die nicht Handelsgesellschaften sind, muss das nicht der Fall sein. Bei denen, die vom Han44 Hōmushō minji kyoku sanjikan shitsu (Abteilung für Zivilsachen im Justizministerium), Minpō gendai gokaan hosoku setsumei (Erklärung zu Ergänzungen des Entwurfs für die Umarbeitung des Zivilgesetzes in die japanische Gegenwartssprache) vom 4. 8. 2004, S. 3.
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delsrecht zur Verfügung gestellt werden, folgt es nach wohl herrschender aber umstrittener Ansicht aus deren Kaufmannseigenschaft, weil diese ein Handelsgewerbe (Istkaufmann) betreiben, oder jedenfalls ein Gewerbe (Formkaufmann). Die körperschaftlich strukturierte Personenvereinigung des Zivilrechts, der Idealverein, ist nicht auf Gewinnerzielung gerichtet. Bei den körperschaftlich strukturierten Gesellschaften des Handelsrechts ergibt sich die Gewinnerzielungsabsicht wiederum nach herrschender Meinung aus der Bezugnahme auf die Begriffe Handelsgewerbe oder Gewerbe. Anders ist es lediglich bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, wo die Anknüpfung an den Begriff Gewerbe fehlt. Die GmbH muss also nicht auf Gewinnerzielung gerichtet sein. Die Genossenschaft wiederum ist den Handelsgesellschaften gleichgestellt. In Japan gilt für die personalistisch strukturierte Gesellschaft des Zivilgesetzes (minpōjō no kumiai), dass sie – wie soeben ausgeführt – auf Erwerb gerichtet sein kann, aber nicht muss. Der gemeinnützige Verein als Grundform der körperschaftlich geprägten Personenvereinigung des Zivilrechts darf – wie gesehen – nicht auf Erwerb gerichtet sein. Für die personalistisch und körperschaftlich strukturierten Gesellschaften des Handelsrechts ist die Rechtslage nicht ganz eindeutig. Die kaisha des alten Zivilgesetzes war expressis verbis auf Erwerb gerichtet, wie sich aus der schon übersetzten Vorschrift des Art. 116 ergab. Im Zivilgesetz fand sich dann die insoweit eindeutige Regelung des schon mehrfach zitierten Art. 35 ZG. Danach konnte ein auf Erwerb gerichteter Verein, sprich eine auf Erwerb gerichtete körperschaftlich strukturierte Gesellschaft, nur nach den Vorschriften über die kaisha im Handelsgesetz Rechtsfähigkeit erlangen. Setzte man „auf Erwerb gerichtet“ mit dem „gewerbsmäßigen Betreiben eines Handelsgeschäfts“ in Art. 52 HG gleich, war die körperschaftlich strukturierte Gesellschaft des Handelsrechts auf Erwerb gerichtet. Das galt auch für die Gesellschaft mit beschränkter Haftung japanischer Prägung. Dort hieß es entsprechend in Art. 1 Abs. 1 GGmbH: „Eine yūgen gaisha im Sinne diesen Gesetzes ist ein nach Maßgabe dieses Gesetzes errichteter Verein, der gewerbsmäßig Handelsgeschäfte oder andere Erwerbsgeschäfte (eini koi) betreibt.“
Für die personalistisch strukturierten kaisha des Handelsrechts konnte man genauso argumentieren. Sie waren im Ergebnis also alle auf Erwerb gerichtet. Alle diese Vorschriften aber sind mittlerweile entfallen. In Art. 5 des Gesetzes über kaisha, wird, wie schon ausgeführt, nur auf die Anwendbarkeit der Vorschriften des Handelsgesetzes über Handelsgeschäfte verwiesen. Das Wort „gewerbsmäßig“ (gyō to suru) findet sich dort nicht. Vielmehr ist der Begriff eigyō, der mit Gewerbe übersetzt wird, dem Begriff jigyō, der mit Betrieb übersetzt werden kann, zum Opfer gefallen. Da das neue Gesetz über kaisha die Anwendung des Handelsgesetzes auf kaisha auf die Vorschriften über Handelsgeschäfte beschränkt, kann auf die Definition des
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Kaufmanns in Art. 4 des durch das Gesetz über kaisha geänderten Handelsgesetzes – wie schon oben ausgeführt – nicht rekuriert werden. Dort findet sich zwar immer noch eine Definition des Kaufmanns, die das gewerbsmäßige Betreiben (gyō to suru) eines Handelsgeschäftes vorsieht, aber diese Regel findet hier mangels Inbezugnahme eben keine Anwendung. Es taucht damit die Frage auf, ob die kaisha sich überhaupt noch dadurch auszeichnen, dass sie auf Erwerb gerichtet sind. Eine Berufung auf die durch die Gesellschaftsrechtsreform von 2005 sprachlich überarbeiteten Artt. 501 und 502 HG, die die Eingangsvorschriften des 3. Teils des Handelsgesetzes mit der Überschrift Handelsgeschäfte bilden und diese in absolute (zettaiteki shōkoi) und gewerbliche Handelsgeschäfte (eigyō teki shōkoi) teilen, geht fehl, weil alle Geschäfte der kaisha eben kraft Gesetzes als Handelsgeschäfte gelten und deshalb die Subsumtion unter diese Vorschriften gar nicht mehr nötig ist. Es wird aber vorgetragen, dass sich das „auf Erwerb gerichtet sein“ jedenfalls für die Aktiengesellschaft indirekt aus Art. 105 des Gesetzes über kaisha ergebe, weil dort Satzungsbestimmungen, die z. B. die Gewinnverteilung an die Aktionäre ausschließen, für unwirksam erklärt werden.45 Für gōmei-, gōshi- und gōdō gaisha allerdings fehlt auch diese Regelung. Dieser Schluss ist indes nicht zwingend. Zwar machen Satzungsregelungen über die Gewinnverteilung nur Sinn, wenn die Gesellschaft selbst auf Erwerb gerichtet ist. Die Einkommenserzielungsabsicht auf Seiten der Gesellschafter aber ist eine ganz andere Frage als die nach der Gewinnerzielungsabsicht der Gesellschaft selbst. Außerdem dürfte Art. 105 verfassungswidrig sein, weil die die Satzung bestimmenden Aktionäre die Freiheit haben müssen, auf die Gewinnverteilung zu verzichten. Man muss deshalb wohl davon ausgehen, dass die kaisha genannten Rechtsformen nach der neuen Rechtslage nicht auf Erwerb gerichtet sein müssen. Das gilt für die Genossenschaft in Japan schon lange.46 Im Hinblick auf die Frage, ob Gewinnerzielungsabsicht ein notwendiger Bestandteil des bestimmten Zweckes der Gesellschaft ist, nähert sich Japan mit dieser Regelung der deutschen Mindermeinung, die das verneint.
45 Tomonobu Yamashita, Shin kaisha hō no igi (Die Bedeutung des neuen Rechts der kaisha), in: Hōgaku Kyōshitsu 304 (2006) 4, 7. 46 Hideaki Seki, Das japanische im japanischen Handelsrecht, in: Heinrich Menkhaus (Hrsg.), Das Japanische im japanischen Recht. Iudicium: München 1994, S. 237, 239 unter Berufung auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 18. Oktober 1988, Hanrei Jihō 1296 (1989) 139 ff. Zuletzt bestätigt durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 23. Juni 2006, besprochen in Nihon keizai shinbun, Tagesausgabe vom 24. 6. 2006 S. 38.
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VI. Ergebnis und Ausblick In diesem Beitrag konnten nicht alle Strukturmerkmale, die aus hiesiger Sicht zum Allgemeinen Gesellschaftsrecht zählen, behandelt werden. Trotzdem lässt sich ein Fazit ziehen. Es fällt zunächst auf, dass den Fragen des Allgemeinen Gesellschaftsrechts in der japanischen Diskussion keine große Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ein Oberbegriff für Gesellschaft etwa fehlt. Bei der Schaffung des neuen Gesetzes über kaisha hat die Diskussion von Fragen des Allgemeinen Gesellschaftsrechts keinen breiten Raum eingenommen, wie in der japanischen Literatur zum Teil auch kritisiert wird. Es ist deshalb nicht überraschend, dass für die Erkennbarkeit der Dogmatik zentrale Vorschriften gestrichen wurden, wie etwa der alte Art. 35 ZG, und Missverständnisse, wie die Zwangserfassung aller Gesellschaften des Handelsgesetzes als körperschaftlich strukturierte Gesellschaften, aufrechterhalten blieben. Interessant ist weiter, dass Japan und Deutschland gleichermaßen die Definition der Gesellschaft als Personenvereinigung durch die Zulassung von Einpersonengründungen aufweichen, wobei sich Deutschland immerhin noch auf die körperschaftlich strukturierten Gesellschaften beschränkt. Weiter verwässern beide Länder die Unterscheidung zwischen körperschaftlich und personalistisch geprägten Gesellschaften. Das geht soweit, dass ein früher zentrales Abgrenzungskriterium, nämlich die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft, schon gar kein geeignetes Unterscheidungskriterium mehr ist. Zunehmend vernebelt wird in Japan zudem die Unterscheidung von Gesellschaften des Zivil- und Handelsrechts. Mit der Anwendbarkeit lediglich des Teils Handelsgeschäfte des japanischen Handelsgesetzes auf die kaisha ist in Japan eine Entwicklung weg von der Kaufmannseigenschaft als zentraler Figur des Handelsrechts vollzogen. Bei der Verneinung der Gewinnerzielungsabsicht als notwendigem Bestandteil des bestimmten Zwecks geht Japan einen Weg, der auch in Deutschland schon diskutiert wird, wenn auch noch nicht als herrschende Meinung bezeichnet werden kann. Insgesamt lässt sich aber sagen, dass trotz der vielfachen Änderungen des japanischen Gesellschaftsrechts seit den 1990er Jahren und einer Zunahme des USamerikanischen Einflusses eine Vergleichbarkeit mit deutschen dogmatischen Vorstellungen jedenfalls im Bereich des Allgemeinen Gesellschaftsrechts noch nicht verloren gegangen ist.
Zum anwendbaren Recht auf den gutgläubigen Erwerb eines gestohlenen Kraftfahrzeugs – Anmerkung zum Urteil des japanischen Obersten Gerichtshofs vom 29. Oktober 2002 – Von Midori Matsuka-Narazaki
I. Einführung Deutschland und Japan, beides „Autoländer“, stehen vor dem gemeinsamen Problem der Zunahme des grenzüberschreitenden Kraftfahrzeugdiebstahls. Die Zahl der innerhalb Japans gestohlenen Autos überstieg im Jahr 2000 erstmals 50.0001 Verantwortlich für die steigenden Zahlen sollen international organisierte Banden sein, die die gestohlenen Autos ins Ausland schmuggeln. Laut einer Untersuchung von Japans nationaler Polizeibehörde (keisatsuchō), die dabei mit der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (ICPO-Interpol) kooperierte, sind in der Zeit von April 2000 bis Oktober 2001 insgesamt 1.652 in Japan gestohlene Autos in 32 anderen Ländern entdeckt worden. Viele der gestohlenen Kraftfahrzeuge wurden in Europa und den afrikanischen Ländern wiedergefunden. Hinzu kamen allein 1.056 Autos, die in Großbritannien wieder auftauchten, wo, wie in Japan, Linksverkehr herrscht. Die Autos lassen sich am besten über Freihäfen mit lockerer Kontrolle, z. B. Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten, aber auch über Hong Kong oder Singapur ins Ausland verschieben. Umgekehrt gibt es auch viele in Europa gestohlene Autos, die über diese Freihäfen ihren Weg nach Japan finden. Dieser Kraftwagenschmuggel mündet im sogenannten „Auto-Laundering“, in dem es zu einer Datenfälschung und mehrmaligem Ortwechsel kommt, um die Herkunft des gestohlenen Autos zu tarnen. Das führt oft zu einem Streit zwischen einem ehemaligen Besitzer oder der Versicherung des ehemaligen Besitzers und dem Dritten, der auf dem ausländischen Markt den Wagen erworben hat. Bei dem Streit geht es um die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten. Dabei stellt sich u. a. die Frage, nach welchem Recht die Möglichkeit des redlichen Erwerbs eines gestohlenen Kraftfahrzeugs zu entscheiden ist. In Japan kam 1 Mainichi Shinbun (Zeitung) vom 11. August 2001; JAF (Japan Automobile Federation), JAF-MATE, Januar / Februar 2002, S. 18.
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es kürzlich zu einer Entscheidung2, die sich mit dem anwendbaren Recht auf den gutgläubigen Erwerb eines eingeführten gestohlenen Kraftwagens beschäftigte. In dem Fall forderte eine deutsche Versicherungsgesellschaft von einem japanischen Besitzer die Rückgabe eines Mercedes-Benz, der nach dem Diebstahl in Italien nach Japan transportiert und dort neu eingetragen worden war. Der Oberste Gerichtshof entschied, dass der Käufer aufgrund der Autoregistrierung in Japan das Kraftfahrzeug legitim erworben habe und wies die Klage des Versicherers ab. Entscheidender Punkt des Urteils ist die Konkretisierung der kollisionsrechtlichen Situs-Regel. Danach gebe es beim grenzüberschreitenden Handel von Kraftfahrzeugen zwei Arten: eine Art kann im Straßenverkehr eingesetzt werden, die andere nicht. Für den Erwerb des ersten Art sei das am hauptsächlichen Einsatzort (riyō no honkyochi) geltende Recht anzuwenden. Bei der zweiten Art hingegen das Recht des Ortes der physischen Belegenheit (butsuriteki na shozaichi). Der betroffene Kraftwagen sei zum Zeitpunkt der Einfuhr nach Japan noch nicht sogleich im Verkehr einzusetzen gewesen. Dazu hätte es vielmehr einer technischen Prüfung (shaken) und der Neueintragung ins Register (shinki tōroku) bedurft. Das anwendbare Recht sei also insgesamt japanisches Recht: Zunächst als das Recht des physischen Lageorts, in der Zeit in der das Kraftfahrzeug nach Japan eingeführt aber noch nicht im Register eingetragen war, und dann als das Recht des Einsatzorts, nach dem es ins Register eingetragen war. Das gelte auch dann, wenn das Fahrzeug in Deutschland noch eine gültige Zulassung habe. Diese Konkretisierung der kollisionsrechtlichen Situs-Regel enthält mehrere sekundäre kollisionsrechtliche Normen, um den Situs als Anknüpfungspunkt für Rechte an Kraftfahrzeugen, die im internationalen Handel vertrieben werden, zu definieren. Folge dieser Konkretisierung sind seltsame einseitige kollisionsrechtliche Normen, die nur bei Importfahrzeugen gelten. In diesem Beitrag soll es um die Kriterien für die kollisionsrechtliche Anknüpfung gehen. Das Thema ist geeignet, den sechzigsten Geburtstag von Koresuke Yamauchi zu feiern, der zum deutsch-japanischen wissenschaftlichen Austausch auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts viel beigetragen hat.
II. Gesetzliche Unterschiede zwischen Deutschland und Japan 1. Materielles Recht Nach dem japanischen Zivilrecht ist der gutgläubige Erwerb beweglicher Sachen rechtlich anerkannt (Art. 192 Zivilgesetz)3, auch wenn es um gestohlene Ge2 Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 29. Oktober 2002 abgedruckt in Saikō Saibansho Minji Hanreishû (Sammlung der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs in Zivilsachen) 56 Nr. 8, S. 1964, Hanrei Jihō Nr. 1806, S. 41, Hanrei Taimuzu Nr. 1110, S. 118. 3 Gesetz Nr. 89 / 1896. Der Art. 192 folgt dem Art. 2279 des französischen Code Civil. Der Art. 192 (Unmittelbarer Erwerb) lautet: „Hat der Besitzer eine bewegliche Sache unge-
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genstände geht. Doch werden bei einer gestohlenen Sache dem ursprünglichen Eigentümer zwei Jahre gewährt, um sie zurückzufordern (Art. 193 Zivilgesetz)4 Allerdings ist bei einem eingetragenen Kraftfahrzeug nach der Rechtsprechung des japanischen Obersten Gerichtshofes vom 24. April 1987 der redliche Erwerb kraft „öffentlichen Glaubens“ ausgeschlossen5. Der gute Glaube des Erwerbers an den einfachen Besitz ist nicht schutzwürdig, falls das Kraftfahrzeug im Register eingetragen ist. In Japan dient die Eintragung in das Autoregister (jidōsha tōroku)6 als Publizitätsmittel des Eigentums- und Hypothekenrechts am Kraftfahrzeug (Art. 5 dōro unsō sharyō hō / Gesetz über Fahrzeuge im Straßenverkehr7; Art. 5 jidōsha teitō hō / Autohypothekengesetz8). Nach dem deutschen Zivilrecht, das von der germanischen klassischen Grundregel von „Hand wahre Hand“9 ausgeht, ist dagegen der gutgläubige Erwerb beweglicher Sachen dann nicht möglich, wenn die Sache dem ursprünglichen Eigentümer gegen seinen Willen abhanden gekommen ist (§ 935 BGB). Als Publizitätsmittel des Eigentumsrechts spielt in Deutschland zudem der Kraftfahrzeugbrief („KfzBrief“) eine wichtige Rolle.10 Auch der Kraftfahrzeugschein11 kann als Eigentumsbeweis eingefordert werden. stört und nicht heimlich erlangt, war er bei dem Erwerb des Besitzes in gutem Glauben und hat er nicht fahrlässig gehandelt, so erwirbt er sofort das Recht an der Sache, das er ausübt.“ (übersetzt von Akira Ishikawa und Ingo Leetsch, Das Japanische BGB in deutscher Sprache, Köln: Heymann, 1985). 4 Das japanische Zivilrecht kennt einen Herausgabeanspruch (Vindikation) aufgrund Eigentumsrecht. Beim gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten behält der ursprüngliche Eigentümer zwei Jahre lang sein Recht an den Gegenständen. Der Art. 193 Zivilgesetz (Wiedererlangung gestohlener oder verlorener Sachen) lautet: „Ist die Sache im Fall des Art. 192 gestohlen worden oder verlorengegangen, so kann der Bestohlene oder der Verlierer innerhalb von zwei Jahren seit dem Diebstahl oder Verlust von dem Besitzer die Rückgabe der Sache verlangen.“ (übersetzt von Ishikawa und Leetsch, Fn. 3). 5 Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 24. April 1987, Hanrei Jihō Nr. 1243, S. 24, Hanrei Taimuzu Nr. 642 S. 169. 6 Ob der Autoregistrierung die Kraft des öffentlichen Glaubens zustehen soll, ist in der Literatur umstritten. Manche bejahen es aus dem Gesichtspunkt der Interessen des Handelsverkehrs, aber die überwiegende Auffassung verneint es. 7 Gesetz Nr. 185 / 1951. Das Gesetz entspricht der deutschen StVZO (Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung). Der Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes über Fahrzeuge im Straßenverkehr sieht vor, dass der Erwerb oder Verlust des Eigentums an einem eingetragenen Auto insofern nicht gegenüber Dritten geltend machen kann, als er im Autoregister nicht eingetragen ist. 8 Gesetz Nr. 187 / 1951. Der Art. 5 Abs. 1 Autohypothekengesetz regelt, dass der Erwerb oder Verlust der Hypothek an einem Auto insofern nicht gegenüber Dritten geltend machen kann, als er in dem nach dem Gesetz über Fahrzeuge im Straßenverkehr bestimmten Autoregister nicht eingetragen ist. 9 Zur Regel von „Hand wahre Hand“, von Ulrich Lübtow, Hand wahre Hand – historische Entwicklung, Kritik und Reformvorschläge, in: Festschrift der Juristischen Fakultät der Freien Universität Berlin zum 41. Deutschen Juristentag in Berlin von 7. – 10. September 1955, S. 177 – 185 und Karsten Thorn, Der Mobiliarerwerb vom Nichtberechtigten, Baden-Baden: Nomos 1996, S. 35 – 42.
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2. Kollisionsrecht Das das japanische Kollisionsrecht enthaltende Rechtsanwendungsgesetz (hōrei)12 sieht nur eine allgemeine Situs-Regel vor. Nach Art. 1013 unterliegen Rechte an einer Sache dem Recht des Ortes, an dem sich die Sache befindet, kurz der lex rei sitae. Das Problem liegt nun darin, wie der „Lageort“ bei Transportmitteln wie Schiffen, Flugzeugen und Kraftfahrzeugen zu definieren ist. Für dingliche Rechte an Fahrzeugen, die einem Staat zugehörig sein sollen, wie Schiffe und Flugzeuge, wird das Recht des zugehörigen Heimatlandes angewandt. Darin stimmen Literatur und Rechtsprechung überein. Bei Kraftfahrzeugen besteht aber diese Einigkeit nicht. Es ist umstritten, ob der Ort maßgebend ist, wo es registriert ist (tōroku chi / Eintragungsort) oder wohin es regelmäßig zurückgebracht wird (fukki chi / Standort)14. Der 1999 neu kodifizierte Art. 45 EGBGB sieht für Deutschland vor, dass Rechte an Luft-, Wasser- und Schienenfahrzeugen dem Recht des Herkunftsstaats unterliegen. Für Rechte an Kraftfahrzeugen aber enthält auch das EGBGB keine kodifizierte Kollisionsnorm15. In der Literatur hat sich die Auffassung16 durchgesetzt, 10 Zur Funktion des Kfz-Briefs siehe Andrea Barheine, Kraftfahrzeugerwerb im guten Glauben, Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 1991, S. 28 ff. 11 Der Kraftfahrzeugsschein (§ 24 StVZO) ist seit Oktober 2005 in Deutschland die EUeinheitliche Zulassungsbescheinigung. 12 Gesetz Nr. 10 / 1898. Das geltende Rechtsanwendungsgesetz (hōrei) wird in Kürze durch das neue Gesetz über allgemeine Regeln der Rechtsanwendung (hō no tekiyō ni kan suru tsūsoku hō), Gesetz Nr. 78 / 2006, ersetzt. Das neue Gesetz ist schon im Staatsanzeiger (kanpō) vom 21. 06. 2006 bekanntgemacht worden und wird in etwa einem Jahr in Kraft treten. Die sachenrechtlichen Kollisionsnormen regelt das neue Gesetz in Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2, die dem Art. 10 hōrei unverändert folgen. 13 Art. 10 hōrei (Dingliche und andere eintragungsbedürftige Rechte): (1) Dingliche Rechte und andere eintragungsbedürftige Rechte unterliegen dem Recht der belegenen Sache. (2) Erwerb oder Verlust der vorstehend bezeichneten Rechte bestimmt sich nach dem Recht der belegenen Sache zum Zeitpunkt des Vorliegens der den Erwerb oder Verlust des Rechts begründenden Tatsache. 14 Eine Auffassung (Yutaka Orimo, Kokusai shihō kakuron (Internationales Privatrecht, Besonderer Teil), Neue Aufl., Tokyo: Yuhikaku 1972, S. 92) sagt: „Genauso wie bei einem Schiff oder einem Flugzeug sollte auch bei einem Kraftfahrzeug das Recht seines hauptsächlichen Einsatzorts dann als lex rei sitae (Lageortrecht) betrachtet werden, wenn das Kraftfahrzeug, Schiff oder Flugzeug an einem bestimmten Ort seine Tätigkeit erfüllt.“ Allerdings „soll es dem Recht, das am Lageort gilt, unterliegen, wenn es sich in einem bestimmten Zeitraum in der Stadt eines bestimmten Landes aufhält und für diese Stadt innerhalb dieses Zeitraums eine Verfügung vollzogen wird.“ 15 Dazu siehe Ulrich Drobnig, Vorschlag einer besonderen sachenrechtlichen Kollisionsnorm für Transportmittel, S. 20 f. und Karl Kreuzer, Gutachtliche Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Internationalen Privatrechts, S. 120 f., beide in: Henrich, Dieter (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Sachen- und Immaterialgüterrechts. Mohr: Tübingen 1991.
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dass für den Erwerb eines Kraftfahrzeugs das am physischen Lageort geltende Recht maßgebend ist. Das bedeutet, dass auch im Ausland registrierte Autos nach deutschem Recht veräußert werden können. Das wurde auch vom Gericht im allgemein zitierten deutschen Präzedenzfall angenommen17. Zwar gibt es auch die Auffassung18, die die Anwendung des Standortsrechts fordert, aber hier ist die Anwendung der lex rei sitae bestimmten Bedingungen unterworfen: das physische Lageortsrecht ist dann anzuwenden, wenn der derzeitige Lageort festgestellt werden kann und der Handel an diesem Lageort abgeschlossen wurde.
III. Das Urteil des japanischen Obersten Gerichtshofs 1. Sachverhalt Einem im Deutschland ansässigen Deutschen wurde sein Auto (Mercedes-Benz 500 SL) am 29. März 1991 während einer Reise in Italien gestohlen. Die deutsche Versicherungsgesellschaft (Kläger) zahlte ihm den Diebstahlversicherungsbetrag aus. Das Auto wurde zwischenzeitlich mit einem gefälschten Nummerschild ausgerüstet am 25. Juli 1991 über die Vereinigten Arabischen Emirate nach Japan eingeführt. Am 15. Oktober 1991 wurde das Auto in Japan neu eingetragen. Im Jahre 1993 erwarb es der Beklagte, der es bis zum Prozess nutzte. Die Klägerin forderte den Beklagten zur Herausgabe des Autos auf. Der Beklagte behauptete, Eigentümer zu sein, weil er das Auto in Vertrauen auf die Registrierung gekauft habe.
2. Zusammenfassung der Gründe – Für den Eigentumserwerb an Kraftfahrzeugen gilt die Situs-Regel gemäß Art. 10 Abs. 219 Rechtsanwendungsgesetz. – Nach Art. 10 Abs. 2 ist das Recht des Lageorts, an dem sich die Sache zu dem Zeitpunkt befindet, in dem der Tatbestand für den Eigentumserwerb vollendet wird, anzuwenden. – Bei der Feststellung des Lageorts sind zwei Arten von Kraftfahrzeugen zu unterscheiden: Fahrzeuge, die im Verkehr eingesetzt werden können (unkō no yō ni kyō sareuru) und andere. Ein Kraftfahrzeug kann erst dann eingesetzt werden, 16 Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 10, EGBGB Internationales Privatrecht, 3. Aufl., München: C.H. Beck 1998, Nach Art. 38 Anh. I / Kreuzer, Rn. 134; Christian von Bar, Internationales Privatrecht, Bd. 2. Besonderer Teil, München: C.H. Beck, 1987, S. 257; Abbo Junker, Internationales Privatrecht, München: C.H. Beck 1998, Rn. 469. 17 Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. März 1963, BGHZ 39, 173; NJW 1963, 1200. 18 Drobnig (Fn. 12), S. 16; Gerhard Kegel, Internationales Privatrecht. 9. Aufl., München: C.H. Beck 2004, S. 777 f. 19 Zu Art. 10 Abs. 2 hōrei siehe Fn. 13.
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wenn alle vorgeschriebenen Anforderungen, wie die Eintragung (jidōsha tōroku), vorschriftsmäßig erfüllt sind. Im internationalen Handel werden Neuwagen ohne Registrierung und Gebrauchtwagen mit einer zuvor getilgten alten Registrierung vertrieben. Diese stehen nicht im Einsatz. – Bei einem Kraftfahrzeug, das eingesetzt werden kann, ist das am hauptsächlichen Einsatzort (riyō no honkyochi) geltende Recht anzuwenden. Wenn ein solches Auto auf dem Markt angeboten wird, fällt es dem Käufer leicht, den Registereintrag, die Zulassungslage oder den hauptsächlichen Einsatzort des Autos zu erfahren. Wenn aber ein Auto nicht eingesetzt werden kann, ist wie bei beweglichen Sachen das Recht des physischen Lageortes (butsuriteki na shozaichi) anzuwenden, es sei denn, das Kraftfahrzeug befindet sich gerade auf dem Transport (res in transitu). Für alle Beteiligten am internationalen Handel ist es notwendig, zum Zeitpunkt des Handels genau zu wissen, von welchem Recht der Handel bestimmt wird (Schutz der Handelssicherheit). – Zu dem Zeitpunkt, als der japanische Importeur das Auto erwarb, konnte es im Verkehr nicht eingesetzt werden, obwohl seine Registrierung in Deutschland noch gültig war. Daraus ergibt sich, dass das anwendbare Recht für den Eigentumserwerb zu dem Zeitpunkt, als das Auto nach Japan eingeführt wurde, das Recht der physischen Lageortes ist. Das ist japanisches Recht. – Das betroffene Auto konnte erst dann im Verkehr eingesetzt werden, nachdem es neu in Japan eingetragen wurde. Deshalb gilt auch nach der Neuregistrierung das japanische Recht als das Recht des hauptsächlichen Einsatzorts. – Es ist nicht angemessen, dem Privatverbraucher vorzuwerfen, er sei beim Kauf des Autos mit den Dokumenten, die das im Ausland vorangegangene Besitzverhältnis hätten nachweisen können, fahrlässig umgegangen. Außerdem geht im gegebenen Fall aus den Unterlagen oder dem Augenschein des Fahrzeugs nicht klar hervor, in welchem Staat bzw. in welcher Region der Wagen zuletzt eingesetzt worden war. Der Beklagte hat das Eigentum rechtmäßig von dem vorangegangenen Eigentümer erworben, der das Auto redlich erwarb und neu eingetragen hatte20. 20 Der Oberste Gerichtshof fokussiert auf die Gutgläubigkeit des Erwerbers, der das gestohlene Auto als Privatverbraucher von einem japanischen Autohändler gekauft und dann erstmals ins japanische Autoregister eingetragen hatte, um es schließlich an den Beklagten zu veräußern. Die Frage liegt deshalb nahe, warum der Oberste Gerichtshof nicht untersucht hat, ob der gutgläubige Eigentumserwerb schon durch den Autohändler oder den Importeur eingetreten war. Die Antwort lässt sich der Entscheidung nicht deutlich entnehmen. Man wird aber Folgendes annehmen dürfen. Der Gerichtshof hat die Untersuchung aufgrund von Behauptungen und Beweismitteln der Parteien vorgenommen. Dabei hat er den leichtesten Weg genommen, um die Gutgläubigkeit des Erwerbers festzustellen. Der Beklagte behauptete, dass alle oder wenigstens einer in der Kette gutgläubig erworben hätten. Außerdem wurde bewiesen, dass in der Praxis der Autoregistrierung in Japan Dokumente, die ein im Ausland vorangegangenes Besitzverhältnis nachweisen, nicht vorgelegt werden müssen. Zwar sieht der Art. 149 minji soshō hō (Zivilprozessgesetz) ein richterliches Aufklärungsrecht (shakumeiken), keine Aufklärungspflicht vor, aber auch das Recht wird in der japanischen Gerichts-
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3. Bedeutung des Urteils In diesem Fall stellte sich die politische Frage, wie „Auto-Laundering“ behandelt werden soll. Das Urteil des Obergerichts (kōtō saibansho) Tokyo21, des Berufungsgerichts, hebt die Wichtigkeit des Kampfes gegen „Auto-Laundering“ hervor und wandte daher deutsches Recht, das Recht des Landes, in dem das gestohlene Auto registriert gewesen war, an. Der Oberste Gerichtshof wandte in seinem Urteil japanisches Recht an und legte mehr Wert auf die Interessen des Handelsverkehrs.
IV. Auslegung des Urteils 1. Auto, das „im Einsatz stehen kann“ (unkō no yō ni kyō shiuru) Das Urteil geht von der Situs-Regel aus. Es entwickelt sie in Bezug auf den Eigentumserwerb an Kraftfahrzeugen weiter. Unterschieden wird zwischen zwei Arten von Fahrzeugen: Autos, die im Einsatz stehen können, und Autos, die nicht eingesetzt werden können. Für die erste Art gilt das Recht des hauptsächlichen Einsatzortes des Fahrzeugs und für die zweite das physische Lageortrecht. Entscheidendes Kriterium für die Entscheidung ist also, ob das Auto „im Einsatz stehen kann“ (unkō no yō ni kyō shiuru) oder nicht. Welche Kriterien aber bei einem Auto erfüllt sein müssen, das „im Einsatz stehen kann“, sind ungewiss. Nach den bisherigen Anmerkungen in der japanischen Literatur bedeutet das Kriterium zunächst, dass das Auto einfach fahren kann22 oder dass das Auto tatsächlich genutzt werden kann23. Diese Benutzbarkeit sei von Fall zu Fall und den gegebenen Nutzungssituationen zu beurteilen24. Die tatsächlichen Umstände seien in die Beurteilung miteinzubeziehen25. Manche26 vertreten den Standpunkt, dass man sich praxis nur zurückhaltend ausgeübt. Das Aufklärungsrecht des japanischen Richters ist wohl weniger streng als die deutsche richterliche Aufklärungspflicht nach Art. 139 ZPO. 21 Urteil des Obergerichts Tokyo vom 03. Februar 2000, Hanrei Jihō Nr. 1709, S. 43. 22 Shinichirō Hayakawa, Yunyū sareta tōnansha no shoyūken no junkyohō (Zum anwendbaren Recht auf das Eigentum an einem gestohlenen Importkraftfahrzeug) (Urteilanmerkung), Heisei 14 nendo Jūyō Hanrei Kaisetsu (Erläuterungen zu wichtigen Entscheidungen der Jahre 2002 / 2003), Jurisuto Nr. 1246, S. 275 – 277. 23 Akira Ojima, Toki no hanrei (Mitteilungen der Rechtsprechung und Anmerkung), Jurisuto Nr. 1243, S. 131 – 133; Dai Yokomizo, Saikō saibansho minji hanrei kenkyū (Studien zu Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs in Zivilsachen), Hōgaku Kyōkai Zasshi 120, Nr. 7, S. 1463 – 1475. 24 Yokomizo (Fn. 24), S. 1470 f. 25 Tadashi Kanzaki, Anmerkung zum Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 29. 10. 2002, Hanrei Hyakusen, Kokusai shihō (100 ausgewählte Entscheidungen zum Internationalen Privatrecht), Bessatsu Jurisuto Nr. 172, S. 84 – 85. 26 Masato Dōgauchi, Yunyū gaikoku tōnansha no sokuji shutoku no junkyo hō (Zum anwendbaren Recht auf den gutgläubigen Erwerb des gestohlenen ausländischen Importwagens), Hōgaku Kyōshitsu Nr. 271, S. 128 – 129.
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grundsätzlich nach dem Recht des Registrierungsortes (tōroku chi) zu richten habe. 2. Zwei Kategorien: Fahrzeuge und Gegenstände Das Kriterium, dass das Auto „im Einsatz stehen kann“, ist aber aus einem anderen Blickwinkel zu beurteilen. Der Ausdruck, „im Einsatz stehen kann“ ist ein verwaltungsrechtlicher Begriff. Er findet sich in den Regeln des dōro unsō sharyō hō (Gesetz über Fahrzeuge im Straßenverkehr)27. Dort heißt in Art. 4: Das Kraftfahrzeug kann „ohne Autoregistrierung im Verkehr nicht eingesetzt werden“28. Auch muss das Kraftfahrzeug die weiteren in dem Gesetz vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllen, wie technisches Prüfzertifikat (shakenshō), aufgeklebte Prüfplakette (kensa hyōshō), angebrachte Nummernschilder, Abschluss einer Haftpflichtversicherung (sekinin hoken) usw., um im Einsatz stehen zu können (Artt. 4 und 66 Gesetz über Fahrzeuge im Straßenverkehr29; Art. 5 jidōsha songai baishō hoshō hō / Gesetz zur Versicherung des Schadensersatzes bei Kraftfahrzeugschäden30). Wenn ein Kraftfahrzeug als Fahrzeug genutzt wird, unterliegt es der Zuständigkeit der Straßenverkehrsbehörde. Der Oberste Gerichtshof unterscheidet also zwei Kategorien31: Fahrzeuge, die von der Straßenverkehrsbehörde zugelassen sind, und Kraftfahrzeuge als Gegenstände, die wie andere Waren gehandelt werden. Der Oberste Gerichtshof äußert sich weiter dahingehend, dass „es eindeutig ist, dass das betroffene Auto zum Zeitpunkt der Einfuhr nicht einzusetzen war, obwohl seine Registrierung in Deutschland noch förmlich vorlag.“. Das bedeutet zumindest, dass die von einer ausländischen Behörde ausgestellte Zulassung nicht immer Gesetz Nr. 185 / 1951. Siehe Fn. 7. Art. 4 Gesetz über Fahrzeuge im Straßenverkehr (Gesetz Nr. 185 / 1951, siehe Fn. 7) sieht vor, dass ein Auto (außer Kleinwagen (keijidōsha), Spezialkleinwagen (kogata tokushu jidōsha) und Zweirad (nirin no kogata jidōsha)) nicht im Einsatz stehen darf, falls es im Autoregister nicht eingetragen ist. 29 Art. 66 Gesetz über Fahrzeuge im Straßenverkehr (Gesetz Nr. 185 / 1951, siehe Fn. 7) regelt, dass ein Auto nur mit technischen Prüfzertifikat und angeklebter Prüfplakette im Einsatz stehen darf. Zum Art. 4 siehe Fn. 28. 30 Gesetz Nr. 97 / 1955. Der Art. 5 des Gesetzes zur Versicherung des Schadensersatzes bei Kraftfahrzeugschäden regelt, dass ein Auto nicht im Einsatz stehen darf, falls eine Haftpflichtversicherung (sekinin hoken) oder eine entsprechende Versicherung auf Gegenseitigkeit (sekinin kyōsai) nicht abgeschlossen wurde. 31 Die Kategorien Fahrzeug und Gegenstände sind auch im japanischen Zivilvollstreckungsrecht zu finden. Ein Gegenstand wird entweder als „Auto“ oder als „bewegliche Sache“ behandelt. Dabei es wichtig, ob er eine Registrierung besitzt oder nicht (Art. 122 – minji shikkō hō (Zivilvollstreckungsgesetz), Gesetz Nr. 4 / 1979; Art. 86 minji shikkō kisoku (Zivilvollstreckungsordnung), Ordnung des Obersten Gerichthofs Nr. 5 / 1979). Fahrzeuge, für die eine Eintragung nötig ist, bzw. die eingetragen sind, werden zwangsvollstreckungsrechtlich bei der Versteigerung (kyōsei keibai) wie Immobilien behandelt, während bei nicht eingetragenen Fahrzeugen bzw. bei Kleinwagen (kei jidōsha), die nicht registriert werden müssen, die Vollstreckung mit der Beschlagnahme (sashiosae) wie bei beweglichen Sachen erfolgt. 27 28
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mit der japanischen Zulassung gleichgesetzt wird. Die ausländische Zulassung muss eine inhaltlich vergleichbare Substanz besitzen, die von der inländichen Behörde „anerkannt“ werden kann, wenn sich das Kraftfahrzeug in seiner Zuständigkeit befindet. So wird der hauptsächliche Einsatzort eines Autos von der zuständigen Verkehrsbehörde durch Zulassung identifiziert32.
3. Qualifikation als Fahrzeug Nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs muss die Zulassungssituation eines Autos aus Gründen der Handelssicherheit für die Beteiligten am Handel ersichtlich sein. Den Beteiligten am Handel muss im Zeitpunkt des Handels die Zulassungslage des Autos sofort – d. h. anhand der vorgelegten Unterlagen oder dem Aussehen des Autos, wie etwa vorhandener Nummernschilder – bekannt sein. Das bedeutet, dass Autos, deren Zulassungssituation aufgrund eines mehrmaligen Ortswechsels unklar ist, als „Gegenstände“ behandelt werden müssen, auch wenn das Auto aller Wahrscheinlichkeit nach in einem bestimmten Staat zugelassen ist.
4. Vorzug der Inlandsregistrierung Im vorliegenden Fall wird die Registrierung in Japan bevorzugt, auch wenn das betroffene Auto früher einmal im Ausland registriert gewesen ist.
V. Vorschlag Meines Erachtens sollte der vom Obersten Gerichtshof angewandte Maßstab neu durchdacht und logischerweise folgendermaßen formuliert werden. Primäre (gegenseitige) Kollisionsnormen: – Für Rechte an Kraftfahrzeugen gilt die Situs-Regel. – Dabei gelten zwei Anknüpfungspunkte für Situs: Für Rechte an Fahrzeugen, die von einer Behörde zugelassen sind, gilt das Recht des hauptsächlichen Einsatzorts (Standortrecht). Der hauptsächliche Einsatzort eines Autos muss von der zu ständigen Behörde identifiziert werden. Für Rechte an Gegenständen, die verwaltungsrechtlich keinem Land zuzuordnen sind, ist das Recht des physischen Lageortes maßgebend. 32 In Ländern, in denen Fahrzeugkontrollen relativ nachlässig sind, können auch Zulassungen relativ leicht erreicht werden. So kommt es zum Beispiel in Freihäfen wie Dubai oder Hong Kong vor, dass Fahrzeuge zwecks Weiterverkaufs vorübergehend dort bleiben. Japanische Gerichten beurteilen solche Länder wohl nicht als hauptsächlichen Einsatzort, auch wenn das Kraftfahrzeug eine von den dortigen Behörden ausgestellte Zulassung besitzt.
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Sekundäre (einseitige) Kollisionsnormen: – Falls die Zulassungslage anhand von mitgeführten Dokumenten bzw. äußeren Merkmalen wie etwa angebrachten Nummernschildern nicht feststellbar sein sollte, wird das Auto kollisionsrechtlich als ein Gegenstand (im Sinne der 2. Regel der primären Kollisionsnormen) behandelt. – Wenn ein Auto in Japan registriert ist, ist das japanische Recht als lex stabuli anzuwenden.
Demzufolge lässt sich der Satz, dass ein Auto „im Einsatz stehen kann“, dahingehend auffassen, dass das Auto für den Straßenverkehr von der zuständigen Behörde zugelassen ist. Das bedeutet, dass das Fahrzeug entweder in Japan registriert ist oder bereits im Ausland zugelassen ist und die ausländische Zulassung im Inland anerkannt werden kann.
VI. Schluss Die oben erwähnten sekundären Kollisionsnormen sind nur dann anzuwenden, wenn das Kraftfahrzeug in das japanische Hoheitsgebiet gelangt ist. Sie sind aber wahrscheinlich für europäische Juristen schwer zu verstehen. Um „Auto-Laundering“ zu verhindern, betont nämlich das deutsche Recht die Untersuchungspflicht im Hinblick auf den Kfz-Brief nicht nur gegenüber dem Autohändler sondern auch gegenüber der Privatperson33. Es gibt indes einen geopolitischen Unterschied zwischen Europa und Japan. Während es in Europa alltäglich ist, mit dem Auto ins Ausland zu fahren, ist das für einen Inselstaat wie Japan nicht selbstverständlich. Es gibt zwar in Japan z. B. eine Fährverbindung zwischen Korea (Pusan) und Japan (Shimonoseki), aber nur ein paar Autos fahren monatlich hin und her. Bei den meisten Autos, die in Japan ankommen, handelt es sich um Importfahrzeuge. Koresuke Yamauchi erläuterte wiederholt die Funktion einer Rechtsnorm als einen Rechtssatz, der widerstreitende Interessen zu bewältigen hat. Im gegebenen Fall geht es einerseits um die Sicherheit des Handelsverkehrs, andererseits um die Verhinderung des „Auto-Laundering“. Welches Interesse bevorzugt werden sollte, hängt von der Entscheidung der Juristen eines jedes Landes ab.
33 Siehe dazu den Ferrari-Fall, Urteil des BGH vom 11. März 1991, IPRax 1993, 176; NJW 1991, 1415, RIW 1991, 516; IPRspr. 1991, Nr. 71 mit Anmerkung von Karl Kreuzer, IPRax 1993, S. 157 – 162.
Individueller Austausch und brains business – Die japanische und die deutsche Rechtswissenschaft im Lichte von Einzigartigkeit und Vielzahl – Von Otto Sandrock
I. Koresuke und Harue Yamauchi im Herzen einer Keimzelle Der Autor des vorliegenden Beitrags verdankt seinem Freund Koresuke Yamauchi sehr viel: Koresuke Yamauchi hat ihm nicht nur durch seine Gespräche und seine rechtsvergleichenden Schriften über Aspekte des japanischen Rechts1 dazu verholfen, die japanische Rechtskultur (besser) zu verstehen. Koresuke Yamauchi hat den Autor dieser Zeilen auch dazu angeregt, einige Studien zu deutsch-japanischen Rechtsproblemen zu verfassen.2 Diese Studien sind nüchternen Fragen insbesondere des Internationalen Privatrechts und des Europarechts gewidmet. 1 „Zur Änderung des Internationalen Ehe- und Kindschaftsrechts in Japan“, IPrax Bd. 10 (1990), 268 – 270; „Internationales Konzernrecht in Japan“, ZGR 1991, 235 –251; „Die Rolle der Juristen bei der Rezeption des ausländischen Rechts“, in: Institut Suisse de Droit Compare (Hrsg.), Osmose zwischen Rechtsordnungen, Zürich 1992, S. 355 ff.; „Zur Anwendung ausländischer unselbständiger Kollisionsnormen im japanischen internationalen Privatrecht“, in: Ulrich Hübner u. a. (Hrsg.), Festschrift zum 65. Geburtstag von Bernhard Großfeld, Heidelberg 1999, S. 1357 – 1365; „Internationale Eheschließung in Japan am Ende des 19. Jahrhunderts“, in: Peter Gottwald (Hrsg.), Festschrift für Dieter Henrich, Bielefeld 2000, S. 657 – 666; „Staatshaftung für Kriegsgeschädigte im japanischen IPR“, Festschrift für Otto Sandrock zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2000, S. 1057 – 1064; „Juristenausbildung und Anwendung ausländischen Rechts in Japan, Die Rezeption ausländischen Rechts in Japan“, in: Verfassung und Recht in Übersee Bd. 36 (2003), 355 – 360; „Die Rezeption ausländischen Rechts in Japan – Beispiele aus dem Wirtschafts- und Familienrecht“, in: Verfassung und Recht in Übersee Bd. 36 (2003), 492 – 510; Heinrich Menkhaus / Koresuke Yamauchi, „Die japanische Beschäftigung mit dem deutschen Rechtswesen“, in: Jahrbuch Japan-Studien 2005, 133 – 163 (Verlag Judicium München). 2 Vgl. Otto Sandrock, Sitztheorie, Überlagerungstheorie und der EWG-Vertrag (in japanischer Übersetzung), in: O. Sandrock / Hiroyuki Konno (Hrsg.), EG (EC) Marktintegration und Unternehmensrecht (Sammlung von Aufsätzen in japanischer Sprache), Japan 1993. S. 65 – 91; New Merger Control Rules in the EEC (in japanischer Übersetzung) (zusammen mit Elke van Arnheim), in: O. Sandrock / Hiroyuki Konno ebenda, S. 95 –119; Die deutsche Juristenausbildung – Ein Vergleich zur japanischen Juristenausbildung, Zeitschrift für Rechtsvergleichung Bd. 35 (1994), 50 – 58; Das Vertragsstatut bei japanisch-deutschen privatrechtlichen Verträgen, RIW 1994, 381 – 388.
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Für den vorliegenden Beitrag entschloß sich der Verfasser dieser Zeilen aber, die gewohnten Pfade des positiven Rechts zu verlassen und eine Entwicklung zu beschreiben, die Koresuke Yamauchi – unter kräftiger Mithilfe seiner Frau Harue – außerhalb aller seiner rechtswissenschaftlichen Arbeiten zum europäisch-japanischen Rechtsverkehr angeregt und beeinflußt hat. Es geht nicht nur um den gegenseitigen Austausch zwischen deutschen und japanischen Rechtswissenschaftlichen Fakultäten, welche die Keimzelle alles dessen darstellt, was im folgenden noch näher beschrieben werden soll. Im Herzen einer dieser Keimzellen stehen – dies sei hier bereits vermerkt – Koresuke und Harue Yamauchi. Dieser Beitrag will sich aber auch mit den Entwicklungen befassen, die sich – ausgehend von diesen Keimzellen – ganz allgemein in den internationalen Bereichen an unseren Rechtswissenschaftlichen Fakultäten vollzogen haben. Unsere Rechtswissenschaftlichen Fakultäten in Japan und Deutschland haben sich nämlich in unvorhergesehenem Maße für fremde Studenten geöffnet. Blickt man einmal über die juristischen Fakultäten hinaus und bezieht man andere Fächer unserer universitates in die Betrachtung ein, so erkennt man sehr bald, daß heute Tausende, ja Zehntausende internationaler Studenten das Geschehen an unseren Universitäten beleben.3 Zahlen diese fremden Studenten Studiengebühren, so spricht man – nicht ganz zu Unrecht – von einem brains business.4 Richtet man seinen Blick allein auf die Rechtswissenschaften, so machen sich zwar deutsche Studenten an japanischen Rechtswissenschaftlichen Fakultäten rar, und das gleiche gilt umgekehrt: An deutschen Rechtsfakultäten sind – wenn überhaupt – japanische Studenten nur in geringer Zahl eingeschrieben.5 Die Gründe für diese Schwäche des deutsch-japanischen Austausches sind bereits häufig beschrieben worden, und sie sollen im folgenden nur knapp angedeutet werden.6 Mögen diese Zahlen im Bereich unserer Rechtswissenschaftlichen Fakultäten auch enttäuschend sein und deutsche Studenten an japanischen Rechtswissenschaftlichen Fakultäten wie seltene Orchideen erscheinen und umgekehrt (Einzigartigkeit), so schmücken doch Tausende von ausländischen Studenten, vorwiegend aus europäischen Staaten, unsere deutschen Rechtswissenschaftlichen Fakultäten, und umgekehrt können sich japanische Rechtswissenschaftliche Fakultäten rühmen, Tausende von ausländischen Studenten, vorwiegend aus dem asiatischen Raum, auszubilden (Vielzahl). Damit hat sich eine aufsehenerregende Entwicklung vollzogen. Diese Entwicklung soll im folgenden zu Ehren des Ehepaares Yamauchi beschreibend zusammengefaßt werden.
Siehe unten unter III.1. Diesen Ausdruck verwendet eine umfangreiche Beilage zum Economist vom 10. 9. 2005 als Überschrift. 5 Siehe unten unter III.2.a). 6 Siehe unten unter III.3. 3 4
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II. Einzigartigkeit: Koresuke Yamauchi zwischen den Rechtswissenschaftlichen Fakultäten Chuo und Münster In Münster fing alles vor etwa 25 Jahren an. Koresuke Yamauchi befand sich in den Jahren 1983 bis 1984 und nach einer kurzen Unterbrechung wieder von 1985 bis 1986 zu einem Studienaufenthalt in Münster, und seine Frau Harue begleitete ihn. Mein Münsteraner Kollege Bernhard Großfeld und seine Frau Maria waren die vornehmlichen Gastgeber der beiden, und auch der Autor dieses Beitrages und seine Frau freuten sich, die damit geknüpften ersten Kontakte wissenschaftlich und menschlich vertiefen zu können. Im Jahre 1989 wurde sodann unter dem maßgeblichen Einfluß von Koresuke Yamauchi ein Partnerschaftsabkommen zwischen den Rechtswissenschaftlichen Fakultäten der Chuo-Universität in Tokio und der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster geschlossen. Kraft dieses Abkommens verbrachten in den Jahren 1989 bis 2004 acht Münsteraner Kollegen7 einen etwa einmonatigen Studienaufenthalt an der Chuo-Universität, und bis 1985 kamen acht japanische Kollegen8 für einen einjährigen oder einen mehrmonatigen Studienaufenthalt zu uns an die Westfälische Wilhelms-Universität in Münster. Aus diesen Besuchen resultierten eine Fülle von Publikationen.9 Diese längeren Kontakte wurden durch eine Fülle von einzelnen Gastvorträgen ergänzt, die vor allem unsere Münsteraner Kollegen an unserer gastfreundlichen Schwester-Fakultät in Tokio gehalten haben.10 7 1989: Hans-Uwe Erichsen; 1991: Berthold Kupisch; 1993: Otto Sandrock; 1996: Dirk Ehlers; 1998: Wilfried Schlüter; 2000: Dieter Birk; 2002: Heinrich Dörner; 2004: Stefan Kadelbach. 8 1990: Yûzô Nakanishi; 1993: Shûhei Maruyama; 1995: Ryûichi Tsuno; 1997: Kunishige Sumida; 1999: Norimasa Nozawa; 2001: Toshiyuki Ishikawa; 2003: Tatsurô Kudô; 2005: Kenzaburô Kozumi. 9 Hinsichtlich der Publikationen des Verf. dieses Beitrages siehe oben Fn. 2. Koresuke Yamauchi hat folgende Arbeiten von Bernhard Großfeld ins Japanische übersetzt: dessen Kommentierung des Internationalen Gesellschaftsrechts im Staudinger Kommentar und dessen Schrift „Kernfragen der Rechtsvergleichung“. Dirk Ehlers hat eine rechtsvergleichende Diss. zum japanischen Recht betreut (Julia Walkling, Informelles Verwaltungshandeln in Deutschland – (Re)formalisierung des Informellen?, Rechtsvergleichende Untersuchung am Beispiel der Verwaltungspraxis bei der Genehmigung von Abfallbeseitigungsanlagen, 2005). Vgl. ferner den Aufsatz von Wilfried Schlüter über „Die Reform der Rechtsbeziehungen zwischen Eltern und Kindern im deutschen Familienrecht“ für die Revue de Droit Comparé im Institut Japonais de Droit Comparé (Chuo University) 1999, 63 – 92, der von Norimasa Nozawa ins Japanische übersetzt worden ist. Heinrich Dörner hat zwei rechtsvergleichende Dissertationen zum japanischen Recht betreut, allerdings nicht in Verbindung mit seinem Aufenthalt an der Chuo-Universität (Monika Schmidt, Die Reform des japanischen Internationalen Privatrechts, Diss. Münster 1992, sowie Eva Kühlkamp, Japanisches und deutsches Verbraucherprivatrecht unter Einschluß des Produkthaftungsrechts, Diss. Münster 2004). Fünf Aufsätze von Ingo Saenger sind ins Japanische übersetzt worden, allerdings nicht im Zusammenhang mit unserer Kooperation mit der Chuo-Universität.
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Der Austausch zwischen unseren beiden Fakultäten kulminiert derzeit in einer Festschrift, die im Jahre 2006 aus Anlaß des 20jährigen Bestehens der Partnerschaft zwischen unseren beiden Fakultäten erschienen ist.11 In dieser Festschrift nehmen fünf Kollegen von der Chuo-Fakultät zu Problemen des japanischen Rechts und der Rechtsvergleichung Stellung12, während sich acht Kollegen aus Münster zu Problemen des deutschen und europäischen Rechts sowie zur Rechtsvergleichung äußern.13 Koresuke Yamauchi hat aber auch außerhalb unseres formalen Partnerschaftsabkommens den Anstoß zu längeren Studienaufenthalten von Wissenschaftlern aus Tokio zu Studienaufenthalten in Münster14 und von deutschen Wissenschaftlern in Tokio15 gegeben. An vorderster Stelle steht hier Heinrich Menkhaus, einer der Herausgeber dieser Festschrift. Er ist ursprünglich ein Schüler Bernhard Großfelds und hat viele Jahre an japanischen Universitäten zunächst gelernt, dann gelehrt, um schließlich nach Deutschland zurückzukehren und am Institut für Rechtsvergleichung an der Philipps-Universität in Marburg eine besondere Abteilung für japanisches Recht zu betreuen.
III. Vielzahl: Der Austausch zwischen japanischen und deutschen Rechtswissenschaftlichen Fakultäten Gegenüber dieser einzigartigen Entwicklung, die sich dank der Initiative Koresuke Yamauchis zwischen Chuo / Münster vollzogen hat, läßt sich zu unserer großen Zufriedenheit beobachten, daß eine immer weiter ansteigende Vielzahl aus10 Insgesamt acht Gastvorträge haben Münsteraner Kollegen im Rahmen der Kooperation an der Chuo-Universität gehalten. 11 Probleme des japanischen, europäischen und deutschen Rechts, Berlin 2006. 12 Anna Bartels-Ishikawa und Toshiyuki Ishikawa, Werden Japans Juristen „amerikanisiert?; Kenzaburô Kozumi, Das Spannungsverhältnis von Hypotheken- und Besitzrecht in Japan; Tatsurô Kudô, Religionsfreiheit in der japanischen Verfassung; Norimasa Nozawa, Postmortale Befruchtung und Vaterschaftsfeststellung; Koresuke Yamauchi, Laufen und Recht – Die japanische Pilgerfahrt. 13 Dieter Birk: Das sogenannte Europäische Steuerrecht; Heinrich Dörner: Internationale Scheidungszuständigkeit und Anerkennung von Scheidungsurteilen nach der EG-VO Nr. 2201 / 2003; Dirk Ehlers: Grundrechtsschutz in Europa – Ein Beitrag aus deutscher Sicht; Hans-Uwe Erichsen: Rechtliche Aspekte der Akkreditierung von Studiengängen in Deutschland; Bernhard Großfeld: Rechtsvergleichung als Kulturvermittlung; Otto Sandrock, Japanische Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland; Wilfried Schlüter: Koalitionsfreiheit und Arbeitskampfrecht in der Bundesrepublik Deutschland; Bernhard Großfeld, Nachruf auf Helmut Kollhosser. 14 Beispielsweise wurde Tatsurô Kudô während der Dauer von zwei Jahren (1993 – 1995) von Hans-Uwe Erichsen in Münster betreut. 15 Die Doktorandin Julia Walkling (siehe oben Fn. 9) wurde in Tokio ein Jahr lang (2002 – 2003) von Toshiyuki Ishikawa betreut.
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ländischer Wissenschaftler und Studenten die Universitäten sowohl in Japan als auch in Deutschland besuchen.
1. Allgemein: Studenten der Rechtswissenschaft in Japan und Deutschland Nach den letzten Statistiken, die dem Verf. dieses Aufsatzes zugänglich geworden sind16, waren im Jahre 2002 in Japan insgesamt etwa 75.000 ausländische Studierende (aller Fachrichtungen) eingeschrieben, und zwar vorwiegend aus dem asiatischen Raum, insbesondere aus Südkorea – einem Land, aus welchem allein etwa 19.000 Studenten an japanischen Universitäten eingeschrieben waren. Die Bundesrepublik Deutschland beherbergte demgegenüber – nach einer Erhebung des Deutschen Studentenwerks für das Studienjahr 2002 / 200317 – die stattliche Anzahl von 227.000 ausländischen Studierenden (aller Fachrichtungen), davon allein 19.000 aus der Volksrepublik China.18 Leider weisen die Statistiken, die dem Verf. des vorliegenden Beitrags zugänglich geworden sind, den Anteil speziell der Studierenden der Rechtswissenschaft nicht getrennt von den Studierenden der übrigen Fächer aus. Aber im Vergleich zu den übrigen Wissenschaftsfächern ist der Anteil der Studierenden der Rechtswissenschaften am internationalen Austausch sicherlich gering. Nach der bereits zitierten Erhebung des Deutschen Studentenwerkes für das Studienjahr 2002 / 2003 zählten die ausländischen Studierenden im Fach Rechtswissenschaften nur ein Fünftel der Gesamtzahl aller Studierenden in den beiden verbundenen Fächern Rechts- und Wirtschaftswissenschaften19.
2. Speziell: Rechtswissenschaft in Japan für Deutsche und in Deutschland für Japaner Betrachtet man den gegenseitigen Austausch auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft speziell zwischen Japan und Deutschland, so muß man zwischen dem 16 Vgl. den Bericht der singaporanischen The Straits Times v. 08 05. 2004: „A BOOM in the higher education market is making waves across the globe“. 17 Herausgegeben vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, Internationalisierung des Studiums – Ausländische Studierende in Deutschland – Deutsche Studierende im Ausland, Bonn / Berlin 2005. Vgl. auch den Artikel „Regierung sieht die Abwanderung von Forschern gestoppt“ in der FAZ v. 2. 6. 2005, S. 11. 18 Eine Statistik der OECD „Education at a Glance: 2002“ (siehe deren Table C3.7., Number of foreign students in tertiary education by country of origin and country of destination (2002)) beziffert die Anzahl der ausländischen Studierenden in Deutschland nur geringfügig abweichend, nämlich mit etwa 219.000 (siehe http://www.oecd.rg/statisticsdata/0,2643, en_2649_33723_1_119656 1 4 1,00.html). 19 Siehe oben Fn. 17.
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Austausch auf der Ebene der Studenten und derjenigen der Wissenschaftler unterscheiden. a) Auf studentischer Ebene Für den Austausch auf der studentischen Ebene hat uns Heinrich Menkhaus im Jahre 200020 einige informative Zahlen geliefert. Er berichtet, das Grundstudium an den japanischen Rechtswissenschaftlichen Fakultäten sei ausländischen Studierenden wegen der schwierigen Eingangsprüfungen in aller Regel verschlossen.21 Jenseits dieses Grundstudiums sehe es aber etwas anders aus. An dieses Grundstudium kann sich nämlich ein zweijähriges Magister-Studium anschließen. Für die Zulassung deutscher Bewerber zu diesem Studium reicht – neben umfassenden Kenntnissen der japanischen Sprache – das erfolgreiche Bestehen des ersten deutschen Staatsexamens aus. Dieses Magister-Programm wird in japanischer Sprache gehalten. Nach Menkhaus hatten im Jahre 2000 fünf deutsche Studenten an diesem Magister-Studium mit Erfolg teilgenommen und damit den Titel eines japanischen Magisters der Rechte erworben.22 Die Universität Kyushu – so berichtet Menkhaus weiter – habe aber im Jahre 1994 ein auf ein Jahr verkürztes Magisterprogramm zum japanischen Recht entwickelt, das auf Englisch durchgeführt werde. In diesem speziellen Programm hätten bisher sechs deutsche Juristen den Grad eines Magister erworben. Menkhaus23 bezweifelt indessen zu Recht, ob man den Absolventen dieses speziellen Kurses damit einen großen Gefallen getan habe.24 Über die Zahl von japanischen Studenten in Deutschland berichtet Menkhaus, sechs japanische Studierende hätten die beiden deutschen Staatsexamina mit Erfolg bestanden.
20 Der deutsch-japanische Austausch der Gegenwart und die Juristen, in: Barabara Manthey (Hrsg.), JapanWelten, Bonn 2000, S. 261 ff. 21 Vgl. dazu auch Heinrich Menkhaus/ Koresuke Yamauchi (oben Fn. 1) S. 135 ff. 22 A. a. O. S. 263. Nach einer Statistik der bekannten University of Tokyo vom Juni 2005 waren an deren Rechtswissenschaftlicher Fakultät insgesamt 10 ausländische Studenten eingschrieben, davon zwei aus Australien, zwei aus Bulgarien (!), zwei aus der Volksrepublik China, einer aus Südkorea, zwei aus der Mongolei, und einer aus Neuseeland, aber keiner aus der BRD (http://u-tokyo.ac.jp/res03/d03_02_02_e.html). 23 A. a. O. S. 264. 24 Auch die Partnerschaftsverträge zwischen japanischen und deutschen Rechtswissenschaftlichen Fakultäten scheinen nur wenig deutsche Studenten der Rechtswissenschaft dazu zu motivieren, ein Studium der Rechtswissenschaft in Japan aufzunehmen. Z. B. hat die Universität Passau hat ein allgemeines Austauschprogramm mit der Kyoto Sangyo Universität geschaffen, das auch den Austausch von Studenten der Rechtswissenschaft ermöglicht. Unter den drei Passauer Studenten, die jährlich an diesem Austausch teilnehmen können, finden sich aber nur ganz wenige Studenten der Rechtswissenschaft (tel. Auskunft).
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b) Auf der Ebene der sog. post-graduates Auf der Ebene der Doktoranden, der sog. post-doctorates und der Dozenten sieht das Bild glücklicherweise anders aus. Über die Zahl der japanischen Doktoranden, die von deutschen Rechtswissenschaftlichen Fakultäten promoviert worden sind, liegen dem Verfasser dieses Beitrages zwar keine Zahlen vor. Diese Zahl dürfte aber erheblich sein. Denn zahlreiche deutsche Rechtswissenschaftliche Fakultäten pflegen einen Austausch mit japanischen Rechtswissenschaftlichen Fakultäten, und es ist wohl nicht verfehlt anzunehmen, daß in Deutschland insgesamt mehrere Dutzend japanische Doktoranden in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg promoviert worden sind. Im Bereich der sog. post-doctorates und Dozenten sieht es ebenso gut aus. Hier ragt eine deutsche Institution besonders hervor: die Alexander von Humboldt-Stiftung.25 Sie fördert vor allem den Aufenthalt von japanischen post-doctorates in Deutschland und kann insoweit auch spezielle Zahlen nennen. Sie hat seit dem Zweiten Weltkrieg an 181 japanische Rechtswissenschaftler26 Stipendien vergeben,27 deren Empfängern es dadurch ermöglicht wurde, sich längerfristig an deutschen Rechtswissenschaftlichen Institutionen aufzuhalten. In der genannten Zahl ist sogar nur die Förderung der Erstaufenthalte eingeschlossen, nicht jedoch die Förderung zahlreicher weiterer sog. Nachkontaktprogramme. An sechs japanische Rechtswissenschaftler28 wurden Humboldt-Forschungspreise vergeben. Leider sind in diesem Zeitraum aber nur zwei deutsche Rechtswissenschaftler als Stipendiaten der A. v. Humboldt-Stiftung für einen längeren Studienaufenthalt nach Japan gegangen.29 Die Stiftung kommentiert diese Entwicklung m. E. treffend wie folgt30: „Während es unter japanischen Nachwuchswissenschaftlern zum guten Ton gehört, auch einmal in Deutschland geforscht zu haben, ist der Weg nach Japan für die meisten deutschen Nachwuchsjuristen nach wie vor ein Abenteuer.“
25 Vgl. dazu Thomas Berberich, Die Förderung japanischer Rechtswissenschaftler am Beispiel der Alexander von Humboldt-Stiftung, in: Hans G. Leser / Tamotsu Isomura (Hrsg.) Wege zum japanischen Recht, Festschrift für Zentaro Kitagawa, Berlin 1992, S. 263 ff. 26 Die Gesamtzahl der von ihr vergebenen Stipendien übersteigt die Zahl 2000 (siehe die folgende Fn.). 27 Schriftliche Mitteilung der A. v. Humboldt-Stiftung an den Verf. dieses Aufsatzes v. 23. 9. 2005. 28 Aus einer Gesamtzahl von 82 Humboldt-Forschungspreisen (siehe Fn. 27). 29 Unter ihnen der oben unter II. bereits zit. Prof. Heinrich Menkhaus sowie Dr. Harald Baum, heute beim Max Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht in Hamburg. 30 Mitteilung der A. v. Humboldt-Stiftung (oben Fn. 27).
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3. Gründe für den geringen Umfang des Austausches zwischen japanischen und deutschen Rechtswissenschaftlichen Fakultäten, insbesondere auf studentischer Ebene Die Gründe, die dafür maßgeblich sind, daß der Austausch zwischen japanischen und deutschen Rechtswissenschaftlichen Fakultäten gerade auf studentischer Ebene so gering geblieben ist, hat man häufig analysiert. Die wohl umfassendste und wohl auch neueste Untersuchung haben Heinrich Menkhaus und Koresuke Yamauchi gemeinsam durchgeführt.31 Zunächst ist das Sprachproblem zu nennen. Während japanischen Jurastudenten in deren Bachelor-Studiengängen regelmäßig Kurse zum Studium der deutschen Sprache angeboten und – wenn auch in abnehmender Zahl – von den Jurastudenten auch angenommen werden32, dürften japanische Sprachkurse speziell für Jurastudenten in Deutschland selten sein, obwohl sie im Rahmen des Lehrangebots einer anderen Fakultät ihren Platz haben mögen.33 Aber auch für Japan stellen Menkhaus und Yamauchi nüchtern und illusionslos fest: Der weltweite Siegeszug der englischen Sprache läßt sich nicht mehr aufhalten.34 Japanische Jurastudenten sind daher in allererster Linie darum bemüht, die englische Sprache zu lernen. Ähnlich ungleichgewichtig wie mit der Sprache verhält es sich auch mit den Lehrveranstaltungen zum deutschen Recht, die an japanischen Universitäten angeboten werden35 auf der einen Seite und mit dem Lehrangebot für japanisches Recht an deutschen Universitäten auf der anderen. Nach einer Umfrage, welche die Studiengruppe Rechtsvergleichung der Japanischen Akademie der Wissenschaften im Jahre 1992 / 93 durchgeführt hat, wurden zu jener Zeit im juristischen BachelorStudiengang an 41 von 94 japanischen Universitäten Kurse zum deutschen Recht angeboten.36 Ein solches Angebot fand sich sogar noch in 10 von 42 GraduiertenStudiengängen.37 Selbst in einem besonderen Studiengang, der erst im Jahre 2004 eingerichtet worden ist und – außerhalb der normalen Bachelor- und Graduiertenstudiengänge – zum ersten juristischen Staatsexamen führen so1138, haben japanische Studenten die Gelegenheit, Kurse zum deutschen Recht zu belegen.39 Das Die japanische Beschäftigung mit dem deutschen Rechtswesen (siehe oben Fn. 1 a. E.). Vgl. dazu im einzelnen Heinrich Menkhaus / Koresuke Yamauchi (oben Fn. 1 a. E.) S. 137 – 142. 33 Vgl. etwa die Kurse zur Erlernung der japanischen Sprache an der Fakultät für Ostasienwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum. 34 A. a. O. S. 156. 35 Vgl. dazu bereits die Studie von Koresuke Yamauchi, Ausländisches Recht und Rechtsvergleichung in der japanischen Juristenausbildung (oben Fn. 1 a. E.). 36 Darüber berichten Menkhaus / Yamauchi (oben Fn. 1 a. E.) S. 142. 37 Vgl. Menkhaus / Yamauchi (oben Fn. 1 a. E.) S. 142 f. 38 Zum japanischen Studiensystem auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft vgl. allgemein Menkhaus/Yamauchi (oben Fn. 1 a. E.) S. 135 – 137. 39 Vgl. Menkhaus / Yamauchi (oben Fn. 1 a. E.) S. 143. 31 32
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Angebot, schon an der heimischen japanischen Universität etwas von dem fremden deutschen Recht zu lernen, ist also groß.40 Ganz anders verhält es sich wiederum in Deutschland. Hier konnte der Verfasser dieses Beitrages nur eine einzige deutsche Universität ausfindig machen, die regelmäßig Lehrveranstaltungen zum japanischen Recht anbietet: die Fern-Universität Hagen. Hier werden seit dem Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts regelmäßig Einführungen in das japanische Recht angeboten, an denen auch namhafte japanische Rechtswissenschaftler teilnehmen.41 Bedeutsame Unterschiede zwischen Japan und Deutschland finden sich auch insoweit, als es um Fachliteratur geht. Einführende Lehrbücher zum deutschen Recht in japanischer Sprache und umfassende Wörterbücher, die für das Studium des deutschen Rechts geeignet sind, stehen für japanische Studenten in ausreichender Zahl zur Verfügung. Noch beeindruckender ist die Zahl der Veröffentlichungen in japanischer Sprache, die sich mit dem deutschen Recht befassen. Menkhaus und Yamauchi konnten in einer japanischen Datenbank mehr als 200.000 (!) solcher Publikationen in japanischer Sprache finden.42 Demgegenüber erreicht das deutsche Schrifttum zum japanischen Recht diese Dimensionen bei weitem nicht; hierzu bedarf es keiner Nachweise. Menkhaus und Yamauchi kommen in ihrer am Eingang zu diesem Abschnitt zitierten Untersuchung zu den folgenden Ergebnissen und Schlußfolgerungen:43 Die Zahl der japanischen Studenten, welche deutsche Sprachkurse belegen, nimmt ab. Das gleiche gilt für die Semesterstundenzahlen, während derer Deutschunterricht erteilt wird. Einige japanische Universitäten verzichten neuerdings gänzlich darauf, Kurse zum Erlernen der deutschen Sprache in ihr Programm aufzunehmen. Menkhaus und Yamauchi verstehen diese Feststellungen als ein „Signal“ und bemühen sich, Motive hierfür zu finden. Sie deuten dieses „Signal“ zunächst historisch44: Die Rezeption des deutschen Rechts durch Japan am Ende des 19. Jahrhunderts sei anfangs für Japaner die treibende Kraft gewesen, sich mit dem deutschen Recht zu befassen.45 Ab 1920 habe sich daran die Phase der Theorierezeption angeschlossen. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei infolge der US-amerikanischen Besatzung auch das japanische Recht zumindest in gewissen Bereichen unter den Einfluß des US-amerikanischen Rechts geraten. Aber Menkhaus und Yamauchi beobachten heute ein besonderes Interesse japanischer Juristen an bestimmten neueren Entwicklungen in DeutschAuch der DAAD fördert Lektoren, die in Japan Kurse über deutsches Recht anbieten. Thomas Berberich (oben Fn. 25) S. 267 berichtet über die ursprüngliche Einrichtung dieser Kurse. Vgl. im übrigen . 42 Vgl. Menkhaus / Yamauchi (oben Fn. 1 a. E.) S. 144. 43 A. a. O. S. 151 f. 44 A. a. O. S. 152 – 154. 45 Vgl. dazu Koresuke Yamauchi, Die Rezeption ausländischen Rechts in Japan (oben Fn. 1) S. 492 ff.; ders., Juristenausbildung und Anwendung ausländischen Rechts (oben Fn. 1). 40 41
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land46, so z. B. im Bereich der gesetzlichen Sozialversicherungen, des Parteienund Wahlrechts, des Kündigungsschutzes im Arbeitsrecht, der Auseinanderentwicklung von Unternehmens- und Verbraucherrecht oder des Umweltschutzes. Schließlich stellen Menkhaus und Yamauchi fest, japanische Juristen würden auch von der zunehmenden Bedeutung des europäischen Rechts verunsichert. Sie fragten sich, ob es noch sinnvoll sei, sich mit dem deutschen Recht zu beschäftigen, wenn dieses weithin von europäischem Recht abgelöst werde. Ingesamt – so schlußfolgern Menkhaus und Yamauchi – habe sich das Interesse der japanischen Juristen auf bestimmte deutsche Rechtsinstitutionen verlagert. Menkhaus und Yamauchi schlagen deshalb u. a. vor, an den interessierten japanischen Universitäten Kompetenzzentren zu bilden.47 Dieser Vorschlag leuchtet auch für deutsche Universitäten ein.48
IV. Die allgemeine Entwicklung in der internationalen tertiären Ausbildung: das brains business Wie eingangs bereits angedeutet, werden verblüffende Entwicklungen sichtbar, wenn man über das hinausschaut, was bisher in diesem Aufsatz behandelt worden ist. Geht man nämlich über die Rechtswissenschaftlichen Fakultäten der Chuo-Universität und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hinaus, löst man sich auch von den anderen japanischen und anderen deutschen Rechtswissenschaftlichen Fakultäten und Universitäten und blickt man demgemäß auf die gesamte internationale Ausbildung im tertiären Bereich, so nimmt man eine Entwicklung wahr, die in gewisser Hinsicht irritiert. Diese Irritation stammt aus der ökonomischen Analyse dieser Entwicklung. Denn selbstverständlich analysieren auch Volks- und Betriebswirte jenes Geschehen im tertiären Bereich. Sie verwenden dabei für uns erstaunliche, aber richtige Begriffe oder – ihrer Anschaulichkeit wegen – Schlagworte. Sie nennen die ausländischen Studenten, die teils erhebliche Studiengebühren zu zahlen haben und das Budget einer Bildungsanstalt erheblich entlasten können, ironischerweise schon mal cash cows. Man spricht auch vom brains business49 oder vom global business in higher education.50 Attraktive ausländische Universitäten bezeichnet man teilA. a. O. S. 154 f. A. a. O. S. 157. 48 Hier ist dieser Vorschlag an bestimmten Universitäten bereits verwirklicht, vgl. etwa die Einrichtungen für japanisches Recht an der Universität Marburg oder an der Fern-Universität Hagen. 49 Siehe oben Fn. 4. Dort ist auch von der brain circulation die Rede, die allerdings zu dem bekannten brain drain zu Lasten der Heimatländer der betr. Studierenden führen kann (a. a. O. S. 18). 50 The Economist v. 26. 2. 2005 S. 63: „Free degrees to fly – Already a big global business, is higher education poised for take-off?“. 46 47
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weise als Higher Ed Inc.51, wobei der ebenfalls verwendete Ausdruck academic honeypots52 die andere Seite der Medaille, nämlich den beträchtlichen ideellen Gewinn an Ausbildung betont, den ein ausländischer Student von solchen academic honeypots mit nach Hause tragen kann. Dabei warnt man auch vor der Gefahr eines Qualitätsverlusts. Andererseits ist man sich der Bereicherung bewußt, die – in umgekehrter Richtung – ausländische Studenten für jede Universität darstellen. Auch deutsche Studenten, zumal Juristen, bemühen sich immer mehr, zu solchen ausländischen honeypots zugelassen zu werden, und versuchen mit allen Kräften, die hierfür erforderlichen finanziellen Mittel aufzubringen. Die (noch) herrschende Meinung in Deutschland, ideologisch verblendet, lehnt nennenswerte Studiengebühren allerdings (noch) ab, obwohl sie mit großzügigen Stipendien unterfüttert werden könnten. Im Hinblick hierauf stellt der „Economist“ die Frage53: Have the German lost the knack? – Nun aber zu den konkreten Zahlen!
1. Einige Zahlen Die Zahlen von ausländischen Studenten, die an japanischen und deutschen tertiären Bildungseinrichtungen eingeschrieben sind, sind eingangs54 bereits genannt worden: Im Jahre 2002 studierten In Japan insgesamt etwa 75.000 Ausländer, vorwiegend aus dem asiatischen Raum, insbesondere aus Südkorea, und die Bundesrepublik Deutschland beherbergte während des Studienjahrs 2002 / 2003 die stattliche Anzahl von 227.000 ausländischen Studierenden, davon allein 19.000 aus der Volksrepublik China. Dies sind Zahlen, die jeden Juristen, der sich um individuelle Austausche auf der Basis persönlicher Beziehungen bemüht hat, erstaunen lassen. Sieht man über Japan und Deutschland hinaus, so lassen die Überraschungen nicht nach. Im folgenden seien einige mehr oder weniger willkürlich ausgewählte Beispiele zitiert. An britischen Universitäten halten sich gegenwärtig 112.000 Studierende allein aus den Staaten der EU auf.55 38.000 Studenten aus der Volksrepublik China kommen zu diesen Zahlen von Studierenden aus der EU hinzu.56 Der British Council schätzt, daß sich die Zahl der chinesischen Studenten in Großbritannien in den nächsten fünf Jahren auf bis zu über 60.000 verdoppeln wird.57 In jener Rechnung sind die Studierenden aus dem Commonwealth, die sich an britischen Universi51 52 53 54 55 56 57
Vgl. The Economist v. 26. 2. 2005 (vorige Fn.) S. 19. Vgl. The Economist v. 10. 9. 2005 (oben Fn. 4) S. 16. Vgl. The Economist v. 10. 9. 2005 (oben Fn. 4) S. 10. Unter III.1. The Economist (oben Fn. 50) S. 63. Siehe The Economist (oben Fn. 50) S. 63. Siehe The Economist (oben Fn. 50) S. 64 linke Sp.
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täten aufhalten, nicht einmal mitgezählt. Nach einer Statistik der OECD58 waren im Jahre 2002 insgesamt etwa 227.000 Ausländer an britischen Universitäten eingeschrieben. Man darf davon ausgehen, daß sich diese Zahl bis heute noch einmal wesentlich erhöht hat. Die ökonomische Seite dieser Entwicklung wird an folgenden Zahlen sichtbar: Im Studienjahr 2003 / 2004 sollen insgesamt 11 Milliarden englische Pfund, d. h. etwa 15 Milliarden €, an Studien- und Prüfungsgebühren nach Großbritannien geflossen sein.59 Im übrigen sieht es auch im Bereich der sekundären Ausbildung in Großbritannien ähnlich aus. Diejenigen deutschen Eltern, die es sich leisten können und die ihren Kindern die Chancen einer internationalen Ausbildung bieten wollen, schicken sie noch vor dem Abitur auf englische boarding schools. Im Gegenzug hat im Bereich der sekundären Ausbildung die Attraktivität US-amerikanischer prep schools infolge einiger politischer Ereignisse seit 2001 leider erheblich abgenommen. Es gibt einen anderen Oligopolisten auf diesem tertiären internationalen Bildungsmarkt: die USA. Wirtschaftlich gesehen ist er sogar der bedeutendste. Auf ihm lassen sich ähnliche Volumina an ausländischen Studenten feststellen. Nach der bereits erwähnten Statistik der OECD60 studierten im Jahre 2002 bereits etwa 583.000 ausländische Studenten in den Vereinigten Staaten. Deren gegenwärtige Zahl konnte der Verf. dieses Beitrages zwar nicht ermitteln. Aber immerhin sollen ausländische Studierende im Durchschnitt der letzten Jahre insgesamt etwa 11 Milliarden US $ an ihre Ausbildungsstätten in den USA gezahlt haben.61 Interessant ist wiederum die Zahl derjenigen Studierenden, die sich aus der Volksrepublik China an US-amerikanischen Universitäten eingeschrieben haben: Dort halten sich gegenwärtig etwa 60.000 Studierende aus der Volksrepublik China auf.62 An letzter Stelle sei ein Nachbarland Japans, nämlich Australien, zitiert. Dieses Land konnte – wiederum nach der bereits erwähnten OECD Statistik63 – bereits im Jahre 2002 die stolze Bilanz von etwa 180.000 ausländischen Studierenden präsentieren – nur etwa 40.000 weniger als die Bundesrepublik Deutschland. Viele Anbieter auf diesem Markt rücken jetzt auch geographisch gesehen näher an ihre studentischen Nachfrager heran und steigern dadurch ihre Effizienz. Z. B. richtet die University of Texas eine Niederlassung in London ein, Chicago’s Kellogg Business School eine solche in Israel und Hongkong64, die University of Siehe oben Fn. 18. Vgl. die singaporanische The Straits Times (oben Fn. 16). 60 Siehe oben Fn. 18. 61 Siehe den Bericht der singaporanischen The Straits Times v. 08. 05. 2004 (oben Fn. 16) sowie The Economic Times of India v. 12. 11. 2001, die sich ihrerseits auf Angaben des Institute of International Education in New York stützt. 62 Siehe The Economist (oben Fn. 50) S. 64 linke Sp. 63 Siehe oben Fn. 18. 64 Zu diesen Ausgründungen siehe The Economist (oben Fn. 50) S. 64 mittlere Sp. 58 59
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Nottingham ein Campus in Ningbo südlich von Schanghai, die University of Columbia ein Campus in Schanghai, und Australiens University of New South Wales geht mit einer Zweigstelle nach Singapur.65 Damit sind aus einer Zahl von sicherlich Dutzenden von solchen Ausgründungen nur einige wenige aufgezählt – von den teils sehr engen internationalen Kooperationen zwischen einigen Universitäten ganz zu schweigen. Solche Ausgründungen können auch in die Form von engen Kooperationen gekleidet sein66: Singapur unterhält enge Beziehungen zu 15 ausländischen Partnern, darunter Stanford, Cornell und Duke Medical School. Dubai hat in Zusammenarbeit mit 13 ausländischen Universitäten eine knowledge village errichtet, und Qatar mit vier ausländischen Partnern eine educational city. Auch deutsche Initiativen sind in dieser Hinsicht zu erwähnen67: Im Jahre 1992 wurde in Kooperation mit den Universitäten Ulm und Stuttgart die German University in Cairo (GUC) gegründet, an der medizinische und technische Fächer gelehrt werden und die sich der Förderung durch deutsche öffentliche und private Institutionen erfreut. Die German Jordanian University in Amman, die mit der Fachhochschule Magdeburg / Stendal kooperiert, bietet seit dem Studienjahr 2005 / 2005 auf ähnlicher Grundlage betriebswirtschaftliche und technische Programme an, und die Wadi German Syrian University in Syrien hat in Zusammenarbeit mit der Otto von Guericke-Universität in Magdeburg und anderen deutschen Universitäten seit kurzem ebenfalls ein Lehrund Forschungsprogramm solcher Art geschaffen.
2. Schlußfolgerungen allgemein Aus diesen Zahlen lassen sich nachstehende Schlußfolgerungen ableiten. Erstens hat die sog. Globalisierung auch die Bildungsmärkte im tertiären Sektor ergriffen. Die Rechtswissenschaft spielt auf diesem Markt – im Vergleich zu anderen Fächern wie etwa der Volks- oder Betriebswirtschaft, der Medizin oder den technischen Wissenschaften – eine bescheidene Rolle. Denn die meisten Rechtsnormen, die unser Leben beherrschen, sind immer noch nationalen Ursprungs, obgleich auch regionale Regelungen, etwa diejenigen innerhalb der EU, immer zahlreicher werden. Nur zu einem kleineren Teil ist deshalb die Rechtswissenschaft von dieser Entwicklung erfaßt. Zweitens stellt sich die Bedeutung der englischen Sprache als lingua franca der gesamten Welt immer deutlicher heraus. Wer Kurse in englischer Sprache anbieten kann, wird eine höhere Zahl von Studenten erwarten können. Wer seine Arbeiten in englischer Sprache veröffentlicht, hat mehr Chancen, im Ausland gelesen zu Siehe The Strait Times (oben Fn. 16). Zum folgenden vgl. The Economist v. 10. 9. 2005 (oben Fn. 4) S. 18 rechte Sp. 67 Angaben zu diesen Hochschulen im Internet unter Angabe der jeweiligen Namen der Universität. 65 66
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werden.68 Im Verhältnis zwischen Japan und Deutschland lassen sich hieraus leider nur problematische Folgerungen ziehen. Denn wenn man vor einem japanischen Publikum deutsches Recht in englischer Sprache anbietet oder analysiert, wird man auf unüberwindbare Übersetzungsbarrieren stoßen. Im Hinblick darauf, daß das Lernen der japanischen Sprache und Schrift denjenigen, welche Deutsch als Muttersprache sprechen, so schwer fällt, erscheint demgegenüber die Präsentation und Analyse von japanischen Rechtsproblemen in englischer Sprache vor einem deutschen Publikum schon in einem anderen Licht. Drittens fällt die gewaltige Ökonomisierung des Geschehens auf der internationalen tertiären Bildungsmarkt jedem Betrachter in die Augen. Hunderte von Millionen, ja Milliarden von US Dollar oder englischen Pfund werden auf einigen Bildungsmärkten umgesetzt. Als Folge dieser Ökonomisierung kann nicht nur die persönliche und sachliche Ausstattung derjenigen Bildungsstätten verbessert werden, die an dieser Ökonomisierung teilnehmen – sofern Studiengebühren erhoben werden. Die Studiengebühren ausländischer Studenten helfen auf diese Weise auch, einen immer teurer werdenden Personal- und Sachbestand vorzuhalten. Gleichzeitig wird aber auch auf unvergleichliche Art bildungspolitische und allgemeinpolitische Macht erweitert: Das Bildungsgut, das an ausländische Studierende weitergegeben wird, bindet seinen Empfänger nicht nur an den Inhalt desselben, sondern auch an den Ort, wo er es empfangen hat. Bei derartigen Zahlen wird Bildungspolitik auch zur Machtpolitik – die sich selbst finanziert. Große industrialisierte Staaten können hieraus erhebliche politische Vorteile ziehen.
3. Schlußfolgerungen für das Verhältnis zwischen japanischen und deutschen Rechtswissenschaftlichen Fakultäten Im Verhältnis zwischen deutschen und japanischen Rechtswissenschaftlern wird es niemals ein brains business geben. Statt der Vielzahl wird zwischen uns immer die Einzigartigkeit herrschen. Einer der maßgeblichen Repräsentanten derselben sind Koresuke Yamauchi und seine Frau Harue. Wir haben ihnen für das Einzigartige, um das sie uns bereichert haben, zu danken.
68 Vgl. Otto Sandrock, Die deutsche Sprache und das internationale Recht: Fakten und Konsequenzen, in: Ulrich Hübner u. a. (Hrsg.), Festschrift Bernhard Großfeld zum 65. Geburtstag, Heidelberg 1999, S. 971 ff.
Zum neuen Schiedsgesetz in Japan Von Fumihiko Satō
I. Vorbemerkungen Das japanische Schiedsverfahren war durch die Vorschriften des 8. Teils (Artt. 796 ff.) des alten Zivilprozessgesetzes (minji soshō hō) geregelt. Sie waren mit denen des 10. Buches der deutschen Zivilprozessordnung von 1877 nahezu identisch und sind deshalb manchmal als fast direkte Übersetzung der deutschen Zivilprozessordnung bezeichnet worden. Früher hat jedoch das Schiedsverfahren in Japan nur eine unwesentliche Rolle gespielt. Deshalb hat der Gesetzgeber die entsprechenden Vorschriften lange Zeit nicht geändert. Auch Entscheidungen oder Aufsätze darüber gab es nur wenige. Das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 ist trotzdem auch in Japan in Kraft getreten1. Allmählich haben mehr und mehr Wissenschaftler das Schiedsverfahren als eine Form der Alternativen Streitbeilegung erkannt. Im Jahre 1978 entstand die Arbeitsgemeinschaft Schiedsverfahren (chūsai kenkyūkai). Diese förderte die Forschung im Bereich der Schiedsverfahren. Nach einiger Zeit legte sie einen Reformentwurf 2 vor. Das Institut für soziökonomische Streitstudien der Rechtsgraduiertenschule der Meijo University (Meijō daigaku hōgaku kenkyūka shakai funsō kenkyūjo) erstattete daraufhin einen Bericht über die Reform des Schiedsverfahrens3. Mit Gesetz Nr. 109 von 26. Juni 1996 wurde das alte japanische Zivilprozessgesetz aufgehoben und ein neues Zivilprozessgesetz erlassen, das seit dem 1. Januar 1998 in Kraft ist.4 Obwohl das Schiedsverfahren ebenfalls als reformbedürftig galt, blieben die Vorschriften des 8. Teils des alten Zivilprozessgesetzes Übereinkommen Nummer 10 vom 14. 7. 1961. Deutsche Übersetzung bei Kaoru Matsuura: Entwurf eines Schiedsgerichtsgesetzes, in: Chūsai Kenkyūkai (Arbeitsgemeinschaft Schiedsgerichtsbarkeit), Chūsai hō no rippōron teki kenkyū (Gesetzgeberische Studien zum Schiedsgesetz), 1989 Tokio, S. 19 ff. 3 Dieser Bericht ist auf Englisch zu lesen in: Final Report to the Project „Conditions and Policies for the Enhancement of International Commercial Arbitration in Asia and Oceania“. http://www.law.meijo-u.ac.jp/isd/index.html. 4 Deutsche Übersetzungen bei Christopher Heath und Anja Petersen: Das japanische Zivilprozessrecht. Mohr Siebeck: Tübingen 2002, S. 33 ff. und Hideo Nakamura und Barbara Huber: Die japanische ZPO in deutscher Sprache. Carl Heymanns: Köln u. a. 2006, S. 81 ff. 1 2
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zunächst ohne Änderung als Artt. 796 ff. im Gesetz über das Aufgebots- und Schiedsverfahren (koji saikoku tetsuzuki oyobi chūsai tetsuzuki ni kan suru hōritsu) erhalten. Die Reform des Schiedsverfahrens stand aber weiter in der Diskussion. Im Jahre 2001 erklärte der Beratungsausschuss für die Reform des Justizwesens (shihō seido kaikaku shingikai), dass unter Berücksichtigung der internationalen Tendenz, einschließlich der Diskussionen bei UNCITRAL eine Neuregelung des Schiedsverfahrens nötig sei. Infolgedessen ist das neue Schiedsgesetz (chūsai hō) durch Gesetz Nr. 138 vom 1. August 2003 erlassen worden. Dieses trat am 1. März 2004 in Kraft. Das neue Schiedsgesetz weist einige Charakteristika auf 5. Ein Zweck der Reform war die Internationalisierung des Schiedsrechts. Das neue Gesetz beruht deswegen wesentlich auf dem UNCITRAL-Modellgesetz und dem genannten New Yorker Übereinkommen. Anders als die alte Rechtsprechung und Literatur verlangt das neue Gesetz eine schriftliche Schiedsvereinbarung (Art. 13). Die Zahl der Schiedsrichter ist mangels abweichender Vereinbarung der Parteien mit drei festgelegt (Art. 16 Abs. 2). Das alte Recht wandte die Vorschriften des Zivilprozessrechts entsprechend auf das Schiedsverfahren an. Das neue Gesetz geht von der Eigenständigkeit des Schiedsverfahrensrechts aus. In Kapitel 5 des neuen Gesetzes finden sich statt entsprechender Anwendung des Zivilprozessrechts eigenständige Bestimmungen. Das Schiedsgericht ist privat organisiert. Staatliche Gerichte beaufsichtigen lediglich das Schiedsverfahren um die Gerechtigkeit sicherzustellen (vgl. z. B. Artt. 18, 19 und 46). Nach den zusätzlichen Bestimmungen des Schiedsgesetzes ist dieses zur Zeit nicht auf Verbraucherschiedsvereinbarungen6 und Arbeitsstreitigkeiten7 anzuwenden. Tatsächlich gibt es aber einige Unterschiede zwischen dem Schiedsgesetz und dem Modellgesetz. Ferner regelt das Schiedsgesetz einige im Modellgesetz nicht vorgesehene Punkte. Z. B. bei der Zustellung von Schriftstücken kann das staatliche Gericht Hilfe leisten (Art. 12 Abs. 2) Staatliche Gerichte können dabei grundsätzlich ohne mündliche Verhandlung, d. h. durch Beschluss entscheiden. Die Voraussetzungen an eine schriftliche Schiedsvereinbarung sind weniger streng (Art. 13 Abs. 4). Art. 29 Abs. 2 stellt Regeln für die Hemmung der Verjährung bereit. Ein Vergleich durch das Schiedsgericht setzt, wie in Singapur und Hong Kong, die schriftliche Zustimmung beider Parteien voraus (Art. 38 Abs. 4 und 5). 5 Vgl. dazu z. B. Yoshimitsu Aoyama, u. a., Shin chūsai hō no seitei ni tsuite (Zur Gesetzgebung des neuen Schiedsgesetzes), Hanrei Taimuzu Nr. 1135, S. 140, 144 ff. 6 Die zusätzlichen Bestimmungen zum Schiedsgesetz schreiben Sonderregeln vor. Z. B. kann ein Verbraucher eine Schiedsvereinbarung kündigen (Art. 3 Abs. 2 S. 1); das gilt jedoch nicht für die Fälle, in denen er ein Schiedsantragsteller ist (S. 2). Ist ein Unternehmer ein Schiedsantragsteller, hat er einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach Art. 32 Abs. 1 Schiedsgesetz zu stellen. 7 Nach den zusätzlichen Bestimmungen zum Schiedsgesetz ist die individuelle Arbeitsstreitigkeit nicht schiedsfähig. Eine diesbezügliche Schiedsvereinbarung ist nichtig (Art. 4).
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Einerseits wurde das neue Schiedsverfahrensrecht weitgehend dem UNCITRALModellgesetz angepasst. Das heißt, dass ungeachtet des japanischen Wortlauts des Schiedsgesetzes dieses unter besonderer Berücksichtigung des Modellgesetzes und dessen Interpretation in den anderen Ländern auszulegen ist. Diese Handhabung dient der Internationalisierung des japanischen Schiedsverfahrensrechts. Andererseits weicht das Schiedsgesetz vom Modellgesetz ab. Dieser Teil ist unter Berücksichtigung der Gesamtheit des japanischen Rechts auszulegen. Teilweise kollidieren diese beiden Richtungen und machen es erforderlich, die nationale eigene von der internationalen einheitlichen Auslegung abzugrenzen. Bei der Gesetzgebung wurden auch die Regeln der internationalen Schiedsverfahrensrechts berücksichtigt. Das Schiedsgesetz gilt für das internationale Schiedsverfahren, wenn dessen Ort in Japan liegt (Artt. 3 und 1). Das Recht, auf dem der Schiedsspruch beruhen soll, bestimmt sich grundsätzlich nach der Vereinbarung der Parteien (Art. 36 Abs. 1). Auf die Anerkennung und die Vollstreckung von ausländischen Schiedssprüchen sind die Artt. 44 und 45 anzuwenden, die inhaltlich mit dem UNCITRAL-Modellgesetz und New Yorker Übereinkommen übereinstimmen. Dagegen fehlen Vorschriften darüber, welches Recht auf die Gültigkeit einer internationalen Schiedsvereinbarung anzuwenden ist. Die Arbeitsgemeinschaft zum Schiedsverfahren hat solche zwar in ihrem Reformentwurf vorgeschlagen8, der Gesetzgeber aber hat auf diese Regeln verzichtet. Nach den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs9 sind danach die Artt. 7 und 8 des Rechtsanwendungsgesetzes (hōrei)10 maßgebend. § 42 (Anwendbares Recht für die Schiedsvereinbarung) Für das Bestehen und die Wirkungen einer Schiedsvereinbarung ist das Recht, dem die Parteien sie unterstellt haben, maßgebend. Falls die Parteien hierüber nichts bestimmt haben, ist das Recht des Ortes des Schiedsverfahrens, oder, falls ein solcher Ort noch nicht bestimmt ist, das Recht des Ortes, wo die Schiedsvereinbarung getroffen worden ist, maßgebend. § 43 (Anwendbares Recht für Form der Schiedsvereinbarung) Für die Form einer Schiedsvereinbarung ist trotz der Bestimmung des Artikel 8, Artikel 7 dieses Gesetzes maßgebend. § 44 (Anwendbares Recht für Schiedsfähigkeit) Eine Schiedsvereinbarung ist nur wirksam, sofern sie einen Gegenstand betrifft, der sowohl nach dem auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Recht als auch nach dem japanischen Recht auf schiedsrichterlichem Wege geregelt werden kann. 9 Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 4. 9. 1997, Saikō saibansho minji hanreishū (Sammlung der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs in Zivilsachen) Bd. 51 Nr. 8 S. 3567 = Hanrei jihō Nr. 1633 S. 83 = Hanrei taimuzu Nr. 969 S. 138. Englische Übersetzung in The Japanese Annual of International Law, Nr. 41 (1998), S. 109 ff. 10 Gesetz Nr. 10 / 1898 zuletzt geändert durch Gesetz Nr. 151 / 2003. Deutsche Übersetzung bei Koresuke Yamauchi / Heinrich Menkhaus / Fumihiko Satō, Japan, in: Henrich, Dieter (Hrsg.), Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht. Verlag für Standesamtswesen: Frankfurt / Main Loseblattsammlung Stand 1999. Die in Rede stehenden Vorschriften lauten: „Art. 7 (1) Der Wille der Parteien ist dafür maßgebend, nach den Gesetzen welchen Staates sich Entstehung und Wirkung der Rechtsgeschäfte richten sollen. (2) Ist der Wille der Parteien ungewiß, so sind die Gesetze des Ortes anzuwenden, an dem das Rechtsgeschäft vorgenommen worden ist. 8
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II. Übersetzung Schiedsgesetz11, Gesetz Nr. 38 / 2003 in der Fassung des Gesetzes 147 / 2004 Kapitel I Allgemeine Bestimmungen (Bedeutung) Artikel 1 Das Schiedsverfahren, dessen Ort in Japan liegt, und das gerichtliche Verfahren zum Schiedsverfahren bestimmen sich nach diesem Gesetz und den anderen Gesetzen sowie Ordnungen. (Begriffsbestimmung) Artikel 2 (1) In diesem Gesetz ist „Schiedsvereinbarung“ eine Vereinbarung der Parteien, die Entscheidung aller oder einzelner zivilrechtlicher Streitigkeiten, die zwischen ihnen in bezug auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis (unabhängig davon ob vertraglicher oder nicht vertraglicher Art) entstanden sind oder künftig entstehen, einem Einzelschiedsrichter oder mehren Schiedsrichtern zu überlassen und seiner oder ihrer Entscheidung (im Folgenden Schiedsspruch) zu unterwerfen. (2) In diesem Gesetz ist Schiedsgericht ein Einzelschiedsrichter oder ein Kollegium zweier oder mehrerer Schiedsrichter, der oder die nach der Schiedsvereinbarung die zivilrechtliche Streitigkeit als Gegenstand prüfen. (3) In diesem Gesetz ist Behauptungsurkunde das von einer Partei ausgestellte und dem Schiedsgericht vorgelegte Dokument, in dem ihre Standpunkte dargestellt werden. (Anwendungsbereich) Artikel 3 (1) Vorbehaltlich des Absatzes 2 und Artikel 8 sind die Vorschriften der Kapitel II – IX und X dann anzuwenden, wenn der Ort des Schiedsverfahrens in Japan liegt. (2) Die Bestimmungen des Artikel 14 Absatzes 1 und Artikel 15 sind anzuwenden, wenn der Ort des Schiedsverfahrens in Japan liegt oder noch nicht bestimmt ist. (3) Die Vorschriften des Kapitels VIII sind anzuwenden, wenn der Ort des Schiedsverfahrens in Japan oder im Ausland liegt.
Art. 8 (1) Die Form eines Rechtsgeschäfts bestimmt sich nach den Gesetzen, welche die Wirkungen des Rechtsgeschäfts regeln. (2) Ungeachtet der Bestimmung des vorhergehenden Absatzes ist das Rechtsgeschäft formgültig, wenn es den Gesetzen am Ort seiner Vornahme entspricht. Dies gilt jedoch nicht für ein Rechtsgeschäft, durch welches ein dingliches Recht oder ein eintragungsbedürftiges Recht begründet oder über ein solches verfügt wird.“ Bei der Anwendung des Art. 7 ist zu beachten, das nach h. M. die Untersuchung des stillschweigenden Willens der Parteien vor Anwendung des Abs. 2 zu erfolgen hat. 11 Diese Übersetzung beruht insbesondere auf der Begrifflichkeit von Kaoru Matsuura, Fn. 2, dem UNCITRAL-Modellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit und Karl Heinz Schwab / Gerhard Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Helbing & Lichtenhahn: Basel 2005, 7. Aufl, S. 516 ff.
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(Mitwirkung der Gerichte) Artikel 4 Im Schiedsverfahren darf ein Gericht nur dann seine Befugnisse ausüben, wenn dieses Gesetz das vorsieht. (Zuständigkeit der Gerichte) Artikel 5 (1) Für die Angelegenheiten des gerichtlichen Verfahrens nach diesem Gesetz sind die in den folgenden Nummern genannten Gerichte ausschließlich zuständig: 1. das Distriktgericht, das die Parteien in der Vereinbarung für zuständig erklären, 2. das Distriktgericht, in dessen Bezirk der Ort des Schiedsverfahrens liegt (nur in den Fällen, in denen der Ort des Schiedsverfahrens im Bezirk eines Distriktgerichts liegt), oder 3. das Distriktgericht, bei dem der Antragsgegner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. (2) Sind zwei oder mehrere Gerichte nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zuständig, ist das Gericht, bei dem der Antrag zuerst gestellt wird, zuständig. (3) Hält das Gericht sich für alle oder einzelne der Angelegenheiten des gerichtlichen Verfahrens nach diesem Gesetz für unzuständig, muss es auf Antrag oder von Amts wegen die Sache an das zuständige Gericht abgeben. (Freiwillige mündliche Verhandlungen) Artikel 6 Im gerichtlichen Verfahren nach diesem Gesetz dürfen die Entscheidungen des Gerichts ohne mündliche Verhandlung ergehen. (Beschwerde gegen Entscheidungen der Gerichte) Artikel 7 Wer Interesse an Entscheidungen über Angelegenheiten des gerichtlichen Verfahrens nach diesem Gesetz hat, kann innerhalb von unveränderlichen zwei Wochen seit Verkündung sofortige Beschwerde erheben, soweit dieses Gesetz das vorsieht. (Mitwirkung der Gerichte im Falle, dass der Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens noch nicht bestimmt ist) Artikel 8 (1) Ist der Ort des Schiedsverfahrens noch nicht bestimmt, können Anträge auch in den Fällen gestellt werden, in denen die Möglichkeit besteht, dass er in Japan liegt, und Antragsteller oder Antragsgegner ihren allgemeinen Gerichtsstand (vorbehaltlich des allgemeinen Gerichtsstands nach dem letzten Wohnsitz) in Japan haben. In diesen Fällen gelten folgende Vorschriften: 1. 2. 3. 4.
Antrag nach Artikel 16 Absatz 3: Diese Vorschrift. Antrag nach Artikel 17 Absatz 2 bis Absatz 5: Diese Vorschrift. Antrag nach Artikel 19 Absatz 4: Artikel 18 und 19. Antrag nach Artikel 20: Diese Vorschrift.
(2) Für Anträge nach dem vorherigen Absatz ist, ungeachtet des Artikel 5 Absatz 1, das Distriktgericht, in dessen Bezirk der nach dem vorherigen Absatz vorgeschriebene allgemeine Gerichtsstand liegt, ausschließlich zuständig. (Einsichtnahme in die Schriftstücke der gerichtlichen Verfahren u. a.) Artikel 9 Wer Interesse an der Entscheidungen über die Angelegenheiten des gerichtlichen Verfahrens nach diesem Gesetz hat, kann gegen den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle die in folgenden Nummern genannten Forderungen richten:
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1. Einsichtnahme oder Kopie der Schriftstücke über die Angelegenheiten, 2. Kopie der Daten, die im Wege der Elektronik oder auf andere Weise in den Rechner eingegeben wurden und die man deshalb unmittelbar nicht erkennen kann, 3. die Aushändigung der Urkunde, einer beglaubigten Abschrift, oder eines Auszugs des Schriftstücks, oder 4. Ausstellung eines Nachweises über die Angelegenheiten. (Entsprechende Anwendung des Zivilprozessrechts auf das gerichtliche Verfahren) Artikel 10 Vorbehaltlich der besonderen Bestimmungen ist das Zivilprozessrecht auf das gerichtliche Verfahren nach diesem Gesetz entsprechend anzuwenden. (Ordnungen des Obersten Gerichtshofs) Artikel 11 Außer nach den Bestimmungen dieses Gesetzes richtet sich das gerichtliche Verfahren nach diesem Gesetz nach den Ordnungen des Obersten Gerichtshofs. (Schriftliche Mitteilung) Artikel 12 (1) Sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben, gilt eine schriftliche Mitteilung hinsichtlich des Schiedsverfahrens als empfangen, wenn sie dem Empfänger persönlich ausgehändigt oder wenn sie an seinem Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt, seiner Geschäftsstelle, seinem Büro oder seiner Postanschrift (Ort, den der Empfänger als Ort bezeichnet hat, wo er schriftliche Mitteilungen vom Absender empfangen will; dasselbe gilt in diesem Artikel) übergeben worden ist. (2) Ist es zwar möglich, eine schriftliche Mitteilung hinsichtlich des Schiedsverfahrens dem Empfänger an seinem Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt, seiner Geschäftsstelle, seinem Büro oder seiner Postanschrift zu übergeben, fällt es aber dem Absender schwer, den Empfang nachzuweisen, kann das Gericht auf Antrag des Absenders die Entscheidung fällen, die schriftliche Mitteilung zuzustellen. Für diese Zustellung gelten Artikel 104 und 110 bis 113 Zivilprozessgesetzes nicht. (3) Haben die Parteien vereinbart, die Zustellung nach dem vorherigen Absatz auszuschließen, gilt der vorherige Absatz nicht. (4) Ungeachtet Artikel 5 Absatz 1 ist für Anträge nach Absatz 2 das Distriktgericht ausschließlich zuständig, das nach den Nummern 1 sowie 2 des genannten Absatzes zuständig ist oder in dessen Bezirk der Wohnsitz, gewöhnliche Aufenthalt, die Geschäftsstelle, das Büro oder die Postanschrift des Empfängers liegt. (5) Sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben, genügt es für eine schriftliche Mitteilung im Schiedsverfahren, dass der Absender diese durch eingeschriebenen Brief oder durch andere Mittel, die den Versuch der Übergabe belegen, an die letztbekannte Geschäftsstelle, den letztbekannten gewöhnlichen Aufenthalt oder die letztbekannte Postanschrift des Empfängers sendet, wenn der Wohnsitz, der gewöhnliche Aufenthalt, die Geschäftsstelle, das Büro oder die Postanschrift des Empfängers trotz angemessener Nachforschung nicht ermittelt werden können. In diesem Fall gilt die Mitteilung als an dem Tage empfangen, an dem sie gewöhnlich übergeben oder übermittelt worden wäre. (6) Für eine schriftliche Mitteilung im Schiedsverfahren nach diesem Gesetz gelten Absatz 1 und der vorherige Absatz nicht.
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Kapitel II Schiedsvereinbarung (Wirkungen der Schiedsvereinbarung u. a.) Artikel 13 Vorbehaltlich der besonderen Bestimmungen der Gesetze oder Ordnungen hat eine Schiedsvereinbarung insoweit rechtliche Wirkungen, als die Parteien berechtigt sind, über den Gegenstand des zivilrechtlichen Streits einen Vergleich zu schließen (ausschließlich der Ehescheidung und Adoptionsauflösung). (2) Die Schiedsvereinbarung muss entweder in einem von allen Parteien unterschriebenen Schriftstück oder in zwischen ihnen gewechselten Schreiben, Telegrammen (einschließlich des Telefaxes und anderer Formen der Nachrichtenübermittlung, die dem Empfänger den Nachweis der Vereinbarung mit Schriftzeichen erlauben) oder anderen Urkunde enthalten sein. (3) Ist ein Vertrag schriftlich abgefasst, ist eine Schiedsvereinbarung dann als schriftlich anzusehen, wenn der eine Schiedsklausel enthaltende Schriftsatz diese Klausel zu einem Bestandteil des Vertrags macht. (4) Ist die Schiedsvereinbarung auf elektronischen Daten (Daten, die mit Hilfe der Elektronik oder anderer Arten, die man unmittelbar nicht erkennen kann, in den Rechner eingegeben und durch den Rechner verarbeitet werden) abgeschlossen, ist sie als schriftlich anzusehen. (5) Eine Schiedsvereinbarung ist als schriftlich anzusehen, wenn im Schiedsverfahren die von einer Partei vorgelegte Behauptungsurkunde den Inhalt der Schiedsvereinbarung enthält und die von einer anderen Partei vorgelegte Behauptungsurkunde dagegen keine Beschwerde führt. (6) Ist eine Schiedsklausel Bestandteil eines Vertrags, verliert die Schiedsvereinbarung nicht ohne Weiteres ihre Wirkungen, wenn die übrigen Bestimmungen des Vertrags wegen Nichtigkeit, Aufhebung oder anderer Gründe keine Wirkungen haben. (Schiedsvereinbarung und Klage vor Gericht) Artikel 14 (1) Wird vor einem Gericht eine Klage in einer zivilrechtlichen Angelegenheit erhoben, die Gegenstand einer Schiedsvereinbarung ist, so hat das Gericht die Klage auf Antrag des Beklagten als unzulässig abzuweisen. Das gilt jedoch nicht, wenn 1. diese Schiedsvereinbarung wegen Nichtigkeit, Aufhebung und anderer Gründe keine Wirkungen hat, 2. das Schiedsverfahren auf der Grundlage der Schiedsvereinbarung undurchführbar ist, oder 3. der Antrag gestellt wird, nachdem der Beklagte zur Hauptsache oder im vorbereitenden Verfahren darüber verhandelt hat. (2) Ist eine Klage nach Absatz 1 vor Gericht anhängig, kann das Schiedsgericht ein Schiedsverfahren gleichwohl einleiten oder fortsetzen und einen Schiedsspruch erlassen. (Schiedsvereinbarung und einstweilige gerichtliche Maßnahmen) Artikel 15 Eine Schiedsvereinbarung schließt nicht aus, dass eine Partei in Bezug auf den zivilrechtlichen Streitgegenstand, der Gegenstand der Schiedsvereinbarung ist, vor oder nach Beginn des Schiedsverfahrens bei einem Gericht eine vorläufige oder sichernde Maßnahme beantragt und das angegangene Gericht diese anordnet.
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Fumihiko Satō Kapitel III Schiedsrichter
(Anzahl der Schiedsrichter) Artikel 16 (1) Die Anzahl der Schiedsrichter bestimmt sich nach der Vereinbarung der Parteien. (2) Fehlt eine Vereinbarung nach dem vorherigen Absatz, so ist die Zahl der Schiedsrichter drei, wenn die Parteien zwei sind. (3) Fehlt eine Vereinbarung nach Absatz 1, bestimmt ein Gericht die Zahl der Schiedsrichter auf Antrag der Parteien, wenn die Parteien drei oder mehr sind. (Bestellung der Schiedsrichter) Artikel 17 (1) Das Verfahren zur Bestellung des Schiedsrichters oder der Schiedsrichter bestimmt sich nach der Vereinbarung der Parteien. Dies gilt jedoch nicht für die Bestimmungen der Absätze 5 und 6. (2) Fehlt eine Vereinbarung nach dem vorherigen Absatz, bestellt je eine Partei einen Schiedsrichter und die von den Parteien bestellten zwei Schiedsrichter einen anderen Schiedsrichter, wenn zwei Parteien und drei Schiedsrichter beteiligt sind. In diesem Fall bestellt das Gericht einen Schiedsrichter auf Antrag einer Partei, wenn die andere Partei nicht innerhalb von dreißig Tagen nach Ennfang einer entsprechenden Aufforderung bestellt, oder auf Antrag einer der Parteien, wenn die von den Parteien bestellten zwei Schiedsrichter nicht innnerhalb von dreißig Tagen nach ihrer Bestellung den Dritten bestellen. (3) Fehlt eine Vereinbarung nach Absatz 1, bestellt das Gericht auf Antrag einer Partei den Schiedsrichter in den Fällen, in denen zwei Parteien und ein Schiedsrichter beteiligt sind und sich die Parteien über den Schiedsrichter nicht einigen. (4) Fehlt eine Vereinbarung nach Absatz 1, bestellt das Gericht auf Antrag einer Partei die Schiedsrichter in den Fällen, in denen drei oder mehr Parteien beteiligt sind. (5) Auch in den Fällen, in denen das Bestellungsverfahren der Schiedsrichter nach einer Vereinbarung gemäß Absatz 1 bestimmt ist, kann eine Partei bei Gericht Antrag auf Bestellung der Schiedsrichter stellen, wenn das Bestellungsverfahren nicht durchgeführt wird oder wegen anderer Gründe nicht nach dem Bestellungsverfahren der Vereinbarung bestellt werden kann. (6) Gerichte haben bei der Bestellung eines Schiedsrichters nach Absatz 2 bis zum vorherigen Absatz die in den folgenden Nummern genannten Punkte zu berücksichtigen: 1. die zwischen Parteien vereinbarten Voraussetzungen eines Schiedsrichters, 2. Unparteilichkeit und Unabhängigkeit einer zu bestellenden Person, und 3. ob es angemessen ist, einen Schiedsrichter mit einer anderen Staatsangehörigkeit als die der beiden Parteien zu bestellen, wenn nur ein Schiedsrichter zu bestellen ist oder der Schiedsrichter zu bestellen ist, der von den von den Parteien bestellten Schiedsrichtern zu bestellen ist. (Ablehnungsgründe u. a.) Artikel 18 (1) Ein Schiedsrichter kann abgelehnt werden, wenn einer der in den folgenden Nummern genannten Gründe gefunden wird: 1. die zwischen den Parteien vereinbarten Voraussetzungen eines Schiedsrichters sind nicht erfüllt, oder
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2. die Umstände lassen berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit eines Schiedsrichters aufkommen. (2) Eine Partei, die einen Schiedsrichter bestellt oder an dessen Bestellung mitgewirkt hat, kann ihn nur dann ablehnen, wenn ihr erst nach der Bestellung Ablehnungsgründe bekannt geworden sind. (3) Wer auf Wunsch einer Partei darüber verhandelt, ein Schiedsrichteramt zu übernehmen, hat einen Anspruch auf Unterrichtung seitens des Antragstellers über alle Umstände, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit wecken können. (4) Ein Schiedsrichter hat während des Schiedsverfahrens den Parteien unverzüglich solche Umstände offenzulegen, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit wecken können (vorbehaltlich der Umstände, über die er die Parteien schon vorher unterrichtet hat). (Ablehnungsverfahren) Artikel 19 (1) Ein Verfahren zur Ablehnung eines Schiedsrichters bestimmt sich nach der Vereinbarung der Parteien. Das gilt jedoch nicht für Absatz 4. (2) Fehlt eine solche Vereinbarung, so entscheidet das Schiedsgericht auf Antrag einer Partei über die Ablehnung. (3) Die Partei, die den Antrag nach dem vorherigen Absatz stellt, hat innerhalb von fünfzehn Tagen, nachdem ihr die Bildung des Schiedsgerichts oder einer der im vorherigen Artikel Absatz 1 genannten Gründe bekannt geworden ist, dem Schiedsgericht die Ablehnungsgründe schriftlich vorzutragen. Hält das Schiedsgericht einen Ablehnungsgrund für vorliegend, hat es die Entscheidung zu fällen, dass die Ablehnung des Schiedsrichters für begründet gehalten wird. (4) Ist eine Entscheidung durch die die Ablehnung des Schiedsrichters nicht für begründet gehalten wird, im Ablehnungsverfahren nach den vorherigen drei Absätzen getroffen worden, kann die den Ablehnungsantrag stellende Partei innerhalb von dreißig Tagen, nachdem ihr diese Entscheidung mitgeteilt worden ist, bei Gericht eine Entscheidung über die Ablehnung beantragen. Hält das Gericht in diesem Fall einen Ablehnungsgrund für vorliegend, hat es die Entscheidung zu fällen, dass die Ablehnung des Schiedsrichters für begründet gehalten wird. (5) Ist ein Antrag auf Ablehnung nach dem vorherigen Absatz vor Gericht anhängig, kann das Schiedsgericht gleichwohl das Schiedsverfahren einleiten, fortsetzen oder einen Schiedsspruch erlassen. (Antrag auf Entbindung) Artikel 20 Die Parteien können bei Gericht die Entscheidung über eine Entbindung eines Schiedsrichters beantragen, wenn einer der in den folgenden Nummern genannten Gründe besteht. In diesem Fall muss es die Entscheidung über die Entbindung des Schiedsrichters fällen, wenn der Antrag für begründet gehalten wird: 1. ein Schiedsrichter ist rechtlich oder tatsächlich außerstande, seine Aufgaben zu erfüllen, oder 2. vorbehaltlich der vorherigen Nummer kommt er aus anderen Gründen seinen Aufgaben in angemessener Frist nicht nach.
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(Ende der Aufgaben der Schiedsrichter) Artikel 21 (1) Die Aufgaben eines Schiedsrichter enden aus einem der in den folgenden Nummern genannten Gründen: 1. Tod des Schiedsrichters, 2. Rücktritt des Schiedsrichters, 3. Ablehnung des Schiedsrichters nach der Vereinbarung der Parteien, 4. Entscheidung im Ablehnungsverfahren nach Artikel 19 Absätze 1 bis 4, durch die die Ablehnung des Schiedsrichters ausgesprochen wird, oder 5. Entscheidung nach dem vorherigen Artikel, durch die der Schiedsrichter entbunden wird. (2) Tritt ein Schiedsrichter im Ablehnungsverfahren nach Artikel 19 Absätze 1 bis 4 oder im Entbindungsverfahren nach vorherigem Artikel zurück, oder wird ein Schiedsrichter nach der Vereinbarung der Parteien entbunden, ist es verboten, nur aus diesem Umstand die Anerkennung eines der in Artikel 18 Absatz 1 oder dem vorherigem Artikel angeführten Gründe zu vermuten. (Bestellung eines Ersatzschiedsrichters) Artikel 22 Sofern die Parteien nichts anders vereinbart haben, richtet sich die Bestellung eines Ersatzschiedsrichters nach den Regeln, die für die Bestellung des zu ersetzenden Schiedsrichters gelten. Kapitel IV Besondere Befugnisse des Schiedsgerichts (Entscheidung über Zuständigkeit) Artikel 23 (1) Das Schiedsgericht kann über das Bestehen oder die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung und die Zuständigkeit (Befugnisse zur Prüfung und zu Schiedssprüchen; im folgenden gleichlautend) selbst entscheiden. (2) Die Einrede der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts ist, in Fällen, in denen der Grund im Laufe des Schiedsverfahrens entsteht, sofort, in anderen vor Vorlegung der Behauptungsurkunde zur Hauptsache (einschliesslich erster mündlicher Verhandlung über die Hauptsache im Termin) vorzubringen. Das gilt jedoch nicht für die Fälle, in denen das Schiedsgericht selbst eine spätere Einrede der Unzuständigkeit für gerechtfertigt hält. (3) Die Parteien können die Einrede nach dem vorherigen Absatz auch dann erheben, wenn sie einen Schiedsrichter bestellt oder an der Bestellung eines Schiedsrichters auf ihre Empfehlung oder andere ähnliche Art mitgewirkt haben. (4) Wird die rechtsgültige Einrede nach Absatz 2 gestellt, muss das Schiedsgericht die Entscheidung über die Einrede durch Beschluss oder Schiedsspruch gemäß der im Folgenden genannten Nummern fällen: 1. selbständiger Beschluss oder Schiedsspruch, wenn es sich für zuständig hält, oder 2. Beschluss über Beeindigung des Schiedsverfahrens, wenn es sich für unzuständig hält. (5) Hält das Schiedsgericht sich im selbständigen Beschluss vor dem Schiedsspruch für zuständig, kann eine Partei bei Gericht innerhalb dreißig Tagen, nachdem sie von dem Beschluss Kenntnis erlangt hat, eine Entscheidung darüber beantragen, ob das Schiedsgericht zuständig ist oder nicht. Ist dieser Antrag vor Gericht anhängig, kann das Schiedsgericht
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in diesem Fall gleichwohl das Schiedsverfahren fortsetzen oder einen Schiedsspruch erlassen. (Vorläufige oder sichernde Maßnahmen) Artikel 24 (1) Sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben, kann das Schiedsgericht auf Antrag einer Partei eine vorläufige oder sichernde Maßnahme ergreifen, soweit es dies für erforderlich hält. (2) Um eine vorläufige oder sichernde Maßnahme zu ergreifen, kann das Schiedsgericht die Leistung angemessener Sicherheiten von jeder Partei fordern.
Kapitel V Beginn des Schiedsverfahrens und Prüfung (Gleichbehandlung der Parteien) Artikel 25 (1) Im Schiedsverfahren sind die Parteien gleich zu behandeln. (2) Im Schiedsverfahren ist den Parteien Gelegenheit zur umfassenden Darlegung ihres Standpunktes zu geben. (Schiedsverfahrensregeln) Artikel 26 (1) Die Schiedsverfahrensregeln, an die sich das Schiedsgericht zu halten hat, bestimmen sich nach der Vereinbarung der Parteien. Sie dürfen jedoch nicht die durch dieses Gesetz geschaffene öffentliche Ordnung verletzen. (2) Fehlt eine Vereinbarung nach dem vorherigen Absatz, kann das Schiedsgericht das Schiedsverfahren in der ihm geeignet erscheinenden Weise durchführen, soweit dieses Gesetz nicht verletzt wird. (3) Fehlt eine Vereinbarung nach Absatz 1, gehört es zu den dem Schiedsgericht übertragenen Befugnissen, über Zulässigkeit von Beweismitteln, der Notwendigkeit der Beweisaufnahme und dessen Beweiswert zu entscheiden. (Verlust des Rügerechts) Artikel 27 War in den Fällen, in denen bei der Durchführung des Schiedsverfahrens der nach diesem Gesetz vorgesehenen oder von den Parteien vereinbarten Schiedsverfahrensregeln (nur die Regeln, die in keinem Zusammenhang mit der öffentlichen Ordnung stehen) nicht entsprochen wurde, einer Partei dieser Mangel bekannt, geht das Rügerecht der Partei, die nicht unverzüglich (oder innerhalb einer dafür vorgesehen Frist) rügt, verloren. (Ort des Schiedsverfahrens) Artikel 28 (1) Der Ort des Schiedsverfahrens bestimmt sich nach der Vereinbarung der Parteien. (2) Fehlt eine Vereinbarung nach dem vorherigen Absatz, bestimmt das Schiedsgericht den Ort des Schiedsverfahrens unter Berücksichtigung der Eignung des Ortes für die Parteien und der anderen Umstände der Streitigkeit. (3) Sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben, kann das Schiedsgericht, ungeachtet der vorherigen zwei Absätze, an jedem ihm geeignet erscheinenden Ort zum in den folgenden Nummern genannten Verfahren zusammentreten:
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1. Beratung des Schiedsgerichts als Kollegium, 2. Vernehmung von Parteien, Sachverständigen oder Dritter, oder 3. Besichtigung von Waren und Einsichtnahme in Schriftstücke. (Beginn des Schiedsverfahrens und Unterbrechung von Verjährung) Artikel 29 (1) Sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben, beginnt das Schiedsverfahren über einen bestimmten zivilrechtlichen Streit mit dem Tag, an dem eine Partei einer anderen Partei mitteilt, diesen Streit einem Schiedsgericht vorlegen zu wollen. (2) Für Ansprüche, die im Schiedsverfahren geltend gemacht werden, wird die Verjährung unterbrochen. Dies gilt jedoch nicht, wenn das Schiedsverfahren ohne Schiedsspruch endet. (Verfahrenssprache) Artikel 30 (1) Die Sprache oder die Sprachen, die im schiedsrichterlichen Verfahren zu verwenden sind, bestimmen sich nach der Vereinbarung der Parteien. (2) Fehlt eine Vereinbarung gemäß vorherigem Absatz, so entscheidet das Schiedsgericht über die Sprache oder die Sprachen, die im schiedsrichterlichen Verfahren zu verwenden sind, bzw. das Verfahren in dieser oder diesen Sprachen. (3) Fehlt eine Vereinbarung über die zu verwendende Sprache bzw. Sprachen nach Absatz 1 oder eine Entscheidung nach dem vorherigen Absatz, so ist sie für die Punkte in den folgenden Nummern zu treffen: 1. mündliche Verhandlungen, 2. schriftliche Erklärungen oder Mitteilungen einer Partei, 3. schriftliche Entscheidungen (einschließlich Schiedssprüchen) oder Mitteilungen des Schiedsgerichts. (4) Das Schiedsgericht kann anordnen, dass alle schriftlichen Beweisstücke mit einer Übersetzung in die Sprache oder die Sprachen, die nach der Vereinbarung nach Absatz 1 oder der Entscheidung nach Absatz 2 bestimmt sind (oder die Sprache, die bei der Übersetzung zu verwenden ist, wenn sie bestimmt ist), versehen sein müssen. (Zeitliche Beschränkungen der Darlegung der Parteien) Artikel 31 (1) Ein Schiedsantragsteller (eine Partei, die das Schiedsverfahren einleitet; im Folgenden gleichlautend) hat innerhalb der vom Schiedsgericht bestimmten Frist seinen Anspruch, die Tatsachen, auf die sich sein Anspruch stützt, und die Kernpunkte der streitigen Sachen darzulegen. In diesem Fall kann er alle ihm untersuchungsbedürftig erscheinenden schriftlichen Beweismittel vorlegen oder schriftliche sowie andere Beweismittel anführen, die er künftig vorlegen will. (2) Ein Schiedsantragsgegner (die andere Partei des Schiedsverfahrens; im Folgenden gleichlautend) hat innerhalb der vom Schiedsgericht bestimmten Frist seine Behauptungen über die Darlegung nach dem vorherigen Absatz aufzustellen. In diesem Fall gelten die Bestimmungen des vorherigen Absatzes Satz 2 entsprechend. (3) Alle Parteien können im Laufe des Schiedsverfahrens ihre Darlegungen ändern oder ergänzen. Das Schiedsgericht steht es jedoch frei, die Änderungen oder Ergänzungen wegen Verspätung nicht zuzulassen. (4) Sofern die Parteien eine abweichende Vereinbarung getroffen haben, gelten die Bestimmungen der vorherigen drei Absätze nicht.
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(Arten von Verhandlungen) Artikel 32 (1) Das Schiedsgericht kann die mündliche Verhandlung abhalten, um die Parteien Beweise antreten oder vortragen zu lassen. Das Schiedsgericht hat in einem geeigneten Abschnitt des Verfahrens eine mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn eine Partei sie nach Artikel 34 Absatz 3 oder aus anderen Gründen beantragt hat. (2) Der vorherige Absatz ist nicht anzuwenden, sofern die Parteien eine abweichende Vereinbarung getroffen haben. (3) Will das Schiedsgericht über Vernehmung, Besichtigung von Waren oder Einsichtnahme in Schriftstücke mündlich verhandeln, hat es die Parteien von dem Tag sowie Zeit und Ort rechtzeitig vor dem Termin dieser mündlichen Verhandlung in Kenntnis zu setzen. (4) Legt eine Partei dem Schiedsgericht die Behauptungsurkunde, schriftliche Beweismittel und sonstige Mitteilungen vor, hat sie einer anderen Partei deren Inhalt zur Kenntnis zu bringen. (5) Das Schiedsgericht hat allen Parteien den Inhalt der Gutachten und anderen Beweismittel, auf die es sich bei seiner Entscheidung stützen kann, zur Kenntnis zu bringen. (Säumnis einer Partei) Artikel 33 (1) Das Schiedsgericht hat das Verfahren durch Beschluss zu beenden, wenn der Schiedsantragsteller die Bestimmungen des Artikel 31 Absatz 1 verletzt hat. Das gilt jedoch nicht für die Fälle, in denen sie aus gerechtem Grunde verletzt worden sind. (2) Auch wenn der Schiedsantragsgegner die Bestimmungen des Artikel 31 Absatz 2 verletzt hat, hat das Schiedsgericht das Schiedsverfahren fortzusetzen, ohne diese Säumnis als Zugeständnis der Behauptungen des Schiedsantragstellers zu behandeln. (3) Ist eine Partei zu einer mündlichen Verhandlung nicht erschienen oder hat sie keine schriftlichen Beweismittel vorgelegt, kann das Schiedsgericht den Schiedsspruch auf der Grundlage der ihm vorliegenden Beweise erlassen. Das gilt jedoch nicht für die Fälle, in denen sie aus vertretbarem Grunde zu einer mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist oder keine schriftlichen Beweismittel vorgelegt hat. (4) Sofern die Parteien eine abweichende Vereinbarung getroffen haben, gelten die vorherigen drei Absätze nicht. (Vom Schiedsgericht bestellter Sachverständiger usw.) Artikel 34 (1) Das Schiedsgericht kann einen oder mehrere Sachverständige bestellen und ihm oder ihnen ein Gutachten über erforderliche Fragen anfertigen sowie einen mündlichen oder schriftlichen Bericht darüber erstatten lassen. (2) Im Fall des vorherigen Absatzes kann das Schiedsgericht von einer Partei eine der in den folgenden Nummern genannten Handlungen verlangen: 1. dem Sachverständigen jede für ihn erforderliche Auskunft zu erteilen, 3. dem Sachverständigen jedes für ihn erforderliche Schriftstück oder andere Waren zur Besichtigung vorzulegen oder zugänglich zu machen. (3) Der Sachverständige hat nach Erstattung seines Gutachtens gemäß Absatz 1 an einer mündlichen Verhandlung teilzunehmen, wenn eine Partei es beantragt oder das Schiedsgericht es für erforderlich hält. (4) Die Parteien können bei der Verhandlung im Sinne des vorherigen Absatzes die in den folgenden Nummern genannten Handlungen vornehmen:
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1. dem Sachverständigen Fragen stellen, oder 2. den von einer Partei selbst beauftragten sachverständigen Zeugen zu diesem Gutachten aussagen lassen. (5) Jede Vorschrift der vorherigen Absätze gilt nicht, sofern die Parteien abweichende Vereinbarungen getroffen haben. (Durchführungen der Beweisaufnahme durch Gerichte) Artikel 35 (1) Das Schiedsgericht oder eine Partei kann bei Gericht eine Beauftragung zur Ermittlung, Zeugenvernehmung, Sachverständigenbeweis, Urkundsbeweis (vorbehaltlich Beweisaufnahme solcher Urkunden, die die Parteien schon vorgelegt haben) und Augenscheinsbeweis (vorbehaltlich Beweisaufnahme solches Augenscheins, dessen Gegenstand die Parteien vorgelegt haben) nach dem Zivilprozessgesetz beantragen, soweit das Schiedsgericht es für erforderlich hält. Das gilt jedoch nicht für die Fälle, in denen die Parteien vereinbart haben, dass sie einen Antrag auf Durchführung aller oder einzelner Beweisaufnahmen nicht stellen. (2) Der Antrag einer Partei nach dem vorherigen Absatz bedarf der Einwilligung des Schiedsgerichts. (3) Ungeachtet der Bestimmungen des Artikel 5 Absatz 1 sind für die Angelegenheiten nach Absatz 1 die in den folgenden Nummern genannten Gerichte ausschließlich zuständig: 1. das Distriktgericht, das in Artikel 1 Absatz 1 Nummer 2 genannt ist, 2. das Distriktgericht, in dessen Bezirk der Wohnsitz oder Aufenthalt der zu vernehmenden Person oder der eine entsprechende Urkunde besitzenden Person liegt, oder sich der Gegenstand des Augenscheins befindet, oder 3. das Distriktgericht, bei dem der Antragsteller oder Antraggegner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat (nur in den Fällen, in denen es keine in den vorherigen zwei Nummern genannten zuständigen Gerichte gibt). (4) Gegen die Entscheidung über den Antrag nach Absatz 1 kann die sofortige Beschwerde eingelegt werden. (5) Bei der von dem Gericht durchgeführten Beweisaufnahme auf den Antrag nach Absatz 1 können die Schiedsrichter Urkunden lesen und Augenschein nehmen, oder mit Zulassung des Vorsitzenden des Gerichts an den Zeugen oder Sachverständigen (er ist ein in Artikel 213 Zivilprozessgesetz vorgesehener Sachverständiger) Fragen stellen. (6) Urkundsbeamten der Geschäftsstelle müssen die Beweisaufnahme auf Antrag nach Absatz 1 zu Protokoll nehmen. Kapitel VI Schiedsspruch und Ende des Schiedsverfahrens (Maßgebendes Recht des Schiedsspruchs) Artikel 36 (1) Das Recht, auf dem das Schiedsgericht den Schiedsspruch gründen soll, bestimmt sich nach der Vereinbarung der Parteien. Vorbehaltlich der Fälle, in denen die Parteien ausdrücklich eine andere Vereinbarung getroffen haben, werden nur die Rechtssätze eines bestimmten Staates als Recht angesehen, die materielle Sachnormen enthalten. (2) Fehlt eine Vereinbarung nach dem vorherigen Absatz, hat das Schiedsgericht das Recht des Staates anzuwenden, welches die engste Beziehung mit der im Schiedsverfahren unterbreiteten zivilrechtlichen Streitigkeit hat und darauf unmittelbar anzuwenden ist.
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(3) Ungeachtet der vorherigen zwei Absätze entscheidet das Schiedsgericht nach Billigkeit (ex aequo et bono), wenn die Parteien ausdrücklich danach verlangt haben. (4) Das Schiedsgericht hat bei einem Schiedsverfahren die zivilrechtliche Streitigkeit nach den Bestimmungen eines vorhandenen Vertrags zu entscheiden und die auf die betreffende Streitigkeit anwendbaren Bräuche zu berücksichtigen. (Entscheidung durch ein Schiedsgericht als Schiedsrichterkollegium) Artikel 37 (1) Bei einem Schiedsgericht als Schiedsrichterkollegium ist ein vorsitzender Schiedsrichter durch gemeinsame Abstimmung zu bestellen. (2) Eine Entscheidung des Schiedsgerichts ist mit Mehrheit der Stimmen aller Mitglieder zu treffen. (3) Ungeachtet der vorherigen Absätze kann der vorsitzende Schiedsrichter über Verfahrensfragen entscheiden, wenn die Parteien es vereinbart oder alle anderen Schiedsrichter ihn dazu bevollmächtigt haben. (4) Sofern die Parteien etwas anderes vereinbart haben, gelten die vorherigen Absätze 1 bis 3 nicht. (Vergleich) Artikel 38 (1) Vergleichen sich die Parteien im Laufe des Schiedsverfahrens über die im Schiedsverfahren unterbreiteten zivilrechtlichen Streitigkeiten, kann das Schiedsgericht auf Antrag beider Parteien eine Entscheidung. die mit dem Inhalt des Vergleichs übereinstimmt, fällen. (2) Eine Entscheidung nach dem vorherigen Absatz hat dieselbe rechtliche Wirkung wie ein Schiedsspruch. (3) Eine Entscheidung nach Absatz 1 bedarf der Abfassung als Schriftstück gemäß dem nächsten Artikel Absätze 1 und 3 und der Angabe, dass es sich um einen Schiedsspruch handelt. (4) Stimmen beide Parteien zu, kann das Schiedsgericht oder ein (oder zwei oder mehrere) vom Schiedsgericht bestellte(r) Schiedsrichter versuchen, über die im Schiedsverfahren unterbreiteten zivilrechtlichen Streitigkeiten einen Vergleich zu erreichen. (5) Sofern die Parteien nicht anderes vereinbart haben, bedarf die Zustimmung nach dem vorherigen Absatz oder deren Widerruf eines Schriftsatzes. (Schiedsspruch) Artikel 39 (1) Der Schiedsspruch ist schriftlich zu erlassen und durch den Schiedsrichter oder die Schiedsrichter zu unterschreiben. Ist das Schiedsgericht ein Kollegium, genügen jedoch die Unterschriften der Mehrheit aller Mitglieder des Schiedsgerichts und die Angabe über den Grund für eine fehlende Unterschrift. (2) Der Schiedsspruch ist zu begründen. Dies gilt jedoch nicht, sofern die Parteien eine abweichende Vereinbarung getroffen haben. (3) Im Schiedsspruch sind der Tag, an dem er erlassen wurde, und der Ort des Schiedsverfahrens anzugeben. (4) Der Schiedsspruch gilt als an dem Ort des Schiedsverfahrens erlassen. (5) Ist der Schiedsspruch erlassen, hat das Schiedsgericht jeder Partei eine von den Schiedsrichtern unterschriebene Ausfertigung zu überlassen. (6) Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend für eine Ausfertigung nach dem vorherigen Absatz.
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(Beendigung des Schiedsverfahrens) Artikel 40 (1) Das schiedsrichterliche Verfahren wird mit dem Schiedsspruch oder einer Entscheidung, durch die es beendet wird, beendet. (2) Außer in den Fällen des Artikel 23 Absatz 4 Nr. 2 oder Artikel 33 Absatz 1 hat das Schiedsgericht eine Entscheidung zu fällen, durch die das Schiedsverfahren beendet wird, wenn ein der in den folgenden Nummern genannten Gründe vorliegt: 1. der Schiedsantragsteller nimmt seinen Antrag zurück. Das gilt jedoch nicht für die Fälle, in denen der Schiedsantragsgegner dem widerspricht und das Schiedsgericht ein berechtigtes Interesse des Schiedsantragsgegners an der Beilegung der zivilrechtlichen Streitigkeit anerkennt; 2. beide Parteien haben die Beendigung des Schiedsverfahrens vereinbart; 3. die Parteien vergleichen sich über die einem Schiedsverfahren unterbreitete zivilrechtliche Streitigkeit (vorbehaltlich der Fälle, in denen die Entscheidung nach Artikel 38 Absatz 1 gefallen ist), oder 4. außer den in den vorherigen drei Nummern genannten Fällen ist das Schiedsgericht der Auffassung, dass die Fortsetzung des Schiedsverfahrens unnötig oder unmöglich ist. (3) Mit der Beendigung des Schiedsverfahrens endet das Mandat des Schiedsgerichts. Es kann jedoch die Handlungen vornehmen, die vom nächstem Artikel bis zum Artikel 43 vorgesehen sind. (Berichtigung des Schiedsspruchs) Artikel 41 (1) Das Schiedsgericht kann auf Antrag der Parteien oder von Amts wegen Rechen- und Schreibfehler oder Fehler ähnlicher Art im Schiedsspruch berichtigen. (2) Sofern die Parteien keine abweichende Frist vereinbart haben, ist der entsprechende Antrag nach Empfang des Schiedsspruchs innerhalb von dreißig Tagen zu stellen. (3) Stellt eine Partei einen Antrag nach Absatz 1, hat sie einer anderen Partei zuvor oder zugleich von dessen Inhalt schriftlich zu benachrichtigen. (4) Das Schiedsgericht hat innerhalb von dreißig Tagen über diesen Antrag zu entscheiden. (5) Hält es das Schiedsgericht für erforderlich, kann es die Frist des vorherigen Absatzes verlängern. (6) Die Bestimmungen des Artikel 39 gelten entsprechend für die Entscheidung über die Berichtigung des Schiedsspruchs und die Abweisung des Antrags nach Absatz 1. (Auslegung des Schiedsspruchs durch das Schiedsgericht) Artikel 42 (1) Jede Partei kann beim Schiedsgericht die Auslegung bestimmter Teile des Schiedsspruchs beantragen. (2) Der Antrag nach dem vorherigen Absatz kann nur erhoben werden, sofern die Parteien es als zulässig vereinbart haben. (3) Die Bestimmungen der vorherigen Artikels Absätze 2 und 3 gelten entsprechend für den Antrag nach Absatz 1, die Bestimmungen der Artikel 39 und des vorherigen Artikels Absätze 4 sowie 5 für die Entscheidung nach Absatz 1.
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(Ergänzung des Schiedsspruchs) Artikel 43 (1) Sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben, kann jede Partei beim Schiedsgericht einen Schiedsspruch über solche Ansprüche beantragen, die im Schiedsverfahren zwar geltend gemacht, im Schiedsspruch aber nicht behandelt worden sind. In diesem Fall gelten die Vorschriften der Artikel 41 Absätze 2 und 3 entsprechend. (2) Das Schiedsgericht soll über solche Ansprüche innerhalb von sechzig Tagen entscheiden. In diesem Fall gelten die Vorschriften der Artikel 41 Absätze 2 und 3 entsprechend. (3) Artikel 39 gilt für die Entscheidung nach dem vorherigen Absatz entsprechend.
Kapitel VII Aufhebung des Schiedsspruchs Artikel 44 (1) Die Parteien können bei Gericht Antrag auf Aufhebung von Schiedssprüchen erheben, wenn ein in den folgenden Nummern genannter Grund vorliegt: 1. die Schiedsvereinbarung hat wegen der beschränkten Geschäftsfähigkeit einer Partei keine Wirkungen, 2. die Schiedsvereinbarung hat wegen anderer Gründe als der beschränkten Geschäftsfähigkeit einer Partei, die sich aus Rechtssätzen ergeben, die nach der Vereinbarung der Parteien auf die Schiedsvereinbarung anzuwenden sind (japanische Rechtssätze, wenn eine solche Vereinbarung fehlt), keine Wirkung, 3. dem Antragsteller werden im Bestellungsverfahren eines Schiedsrichters oder im Schiedsverfahren die notwendigen Mitteilungen nach japanischen Rechtssätzen (oder nach der Vereinbarung der Parteien, sofern diese der öffentlichen Ordnung nicht widersprechen) nicht gemacht, 4. der Antragsteller kann seine Verteidigungsmittel im Schiedsverfahren nicht geltend machen, 5. der Schiedsspruch enthält Entscheidungen, welche die Grenzen der Schiedsvereinbarung oder des Antrags im Schiedsverfahren überschreiten, 6. die Bildung des Schiedsgerichts oder das Schiedsverfahren hat japanische Rechtssätze (oder die Vereinbarung der Parteien, sofern diese der öffentlichen Ordnung nicht widerspricht) verletzt, 7. der Antrag im Schiedsverfahren gehört zu einem Streit, dessen Gegenstand nach japanischen Rechtssätzen nicht schiedsfähig ist, oder 8. der Inhalt des Schiedsspruchs würde der öffentlichen Ordnung oder den guten Sitten widersprechen. (2) Ein Antrag nach dem vorherigen Absatz kann nach Ablauf einer Frist von drei Monaten, nachdem die Abfassung des Schiedsspruchs (einschließlich der Entscheidung des Schiedsgerichts von Artikel 41 bis zum vorherigen Artikel) übersandt worden ist, oder in dem Falle, in denen der Vollstreckungsbeschluss nach Artikel 46 rechtskräftig geworden ist, nicht mehr gestellt werden. (3) Ist das Gericht für die Angelegenheiten nach Absatz 1 zuständig, kann es gleichwohl auf Antrag oder von Amts wegen alle oder einzelne Punkte dieser Angelegenheit an ein anderes zuständiges Gericht abgeben, falls es das für angemessen hält. (4) Gegen den Beschluss nach Artikel 5 Absatz 1 oder dem vorherigen Absatz über die Angelegenheiten nach Absatz 1 kann die sofortige Beschwerde eingelegt werden.
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(5) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung oder Termin zur Gewährung rechtlichen Gehörs an dem beide Parteien teilnehmen können, über den Antrag nach Absatz 1 nicht entscheiden. (6) Wird ein Antrag nach Absatz 1 gestellt, kann das Gericht einen Schiedsspruch aufheben, wenn sich einer der in den Nummern dieses Absatzes genannten Gründe findet (zu den in diesem Absatz aufgezählten Nummern 1 bis 6 genannten Gründe hat der Antragsteller Beweis zu erbringen). (7) Liegt der in Absatz 1 Nummer 5 genannte Grund vor, kann der Teil des Schiedsspruchs, der unter diese Nummer fällt, von dem Rest getrennt werden und nur der betroffene Teil des Schiedsspruchs aufgehoben werden. (8) Gegen den Beschluss über die Angelegenheiten nach Absatz 1 kann die sofortige Beschwerde eingelegt werden. Kapitel VIII Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs (Anerkennung des Schiedsspruches) Artikel 45 (1) Ein Schiedsspruch (unabhängig davon, ob der Ort des Schiedsverfahrens in Japan liegt oder nicht; gilt für dieses Kapitel) hat dieselben Wirkungen wie ein rechtskräftiges gerichtliches Urteil. Die Zwangsvollstreckung aus dem Schiedsspruch bedarf jedoch des Vollstreckungsbeschlusses gemäß dem nächsten Artikel. (2) Der vorherige Absatz gilt nicht für die Fälle, in denen sich einer der in folgenden Nummern genannten Gründe findet (in dem in diesem Absatz Nummern 1 bis 7 genannten Gründen hat eine der Parteien Beweis zu erbringen): 1. die Schiedsvereinbarung hat wegen der beschränkten Geschäftsfähigkeit einer der Parteien keine Wirkungen, 2. die Schiedsvereinbarung hat wegen anderer Gründe als der beschränkten Geschäftsfähigkeit einer Partei, die sich aus Rechtssätzen ergeben, die nach der Vereinbarung der Parteien auf die Schiedsvereinbarung anzuwenden sind (der Rechtssätze am Ort des Schiedsverfahrens, wenn eine solche Vereinbarung fehlt), keine Wirkungen, 3. einer Partei werden im Bestellungsverfahren eines Schiedsrichters oder im Schiedsverfahren die notwendigen Mitteilungen nach den Rechtssätzen am Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens (oder nach der Vereinbarung der Parteien, sofern diese der öffentlichen Ordnung nicht widerspricht) nicht gemacht, 4. eine Partei kann ihre Verteidigungsmittel im schiedsrichterlichen Verfahren nicht geltend machen, 5. der Schiedsspruch enthält Entscheidungen, welche die Grenzen der Schiedsvereinbarung oder des Antrags im Schiedsverfahren überschreiten, 6. die Bildung des Schiedsgerichts oder das Schiedsverfahren hat das Recht des Ortes des Schiedsverfahrens (oder nach der Vereinbarung der Parteien, sofern diese der öffentlichen Ordnung nicht widerspricht) verletzt, 7. der Schiedsspruch ist nach den Rechtssätzen des Staates, in dem der Ort des Schiedsverfahrens liegt (nach dem Recht eines anderen Staates, wenn das auf Schiedsverfahren anzuwendende Recht das Recht eines Staates ist, in dem der Ort des Schiedsverfahrens nicht liegt), noch nicht rechtskräftig geworden oder von dessen Gerichtsorganen aufgehoben oder in seinen Wirkungen gehemmt worden,
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8. der Antrag im Schiedsverfahren entspringt einem Streit, dessen Gegenstand nach japanischem Recht nicht schiedsfähig ist, oder 9. der Inhalt des Schiedsspruchs widerspricht der öffentlichen Ordnung oder den guten Sitten. (3) Liegt der im vorherigen Absatz Nummer 5 genannte Grund vor, kann der Teil des Schiedsspruchs, der unter diese Nummer fällt, von dem Rest getrennt werden und nur der betroffene Teil des Schiedsspruchs aufgehoben werden. (Vollstreckungsbeschluss für Schiedsspruch) Artikel 46 (1) Eine Partei, die aus einem Schiedsspruch die Zwangsvollstreckung betreiben will, kann bei Gericht einen Antrag gegen ihre Schuldner auf einen Vollstreckungsbeschluss (Beschluss, der die Zwangsvollstreckung aus einen Schiedsspruch zulässt; im Folgenden gleichlautend) stellen. (2) Beim Antrag nach dem vorherigen Absatz sind eine Fassung des Schiedsspruchs, der Nachweis seiner Übereinstimmung mit der Urschrift des Schiedsspruchs, und dessen Übersetzung ins Japanische (vorbehaltlich eines Schiedsspruchs auf Japanisch) vorzulegen. (3) Wird bei dem im vorherigen Artikel Absatz 2 Nummer 7 bestimmten Gericht ein Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs oder Hemmung seiner Wirkungen gestellt, kann das Gericht, bei dem der Antrag nach Absatz 1 gestellt wird, das Verfahren nach Absatz 1 aussetzen, soweit es dies für erforderlich hält. In diesem Fall kann das Gericht auf Antrag der Partei, die den Antrag nach diesem Absatz gestellt hat, der anderen Partei auferlegen, Sicherheit zu leisten. (4) Für den Antrag nach Absatz 1 sind, ungeachtet des Artikel 5 Absatz 1, das in den dortigen Nummern genannte Gericht und das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk der in Anspruch genommene Gegenstand oder das in Beschlag zu nehmende Vermögen des Schuldners liegt. (5) Ist das Gericht für den Antrag nach Absatz 1 zuständig, kann es gleichwohl auf Antrag oder von Amts wegen alle oder einzelne Punkte der Angelegenheit an andere zuständige Gerichte abgeben, wenn es das für angemessen hält. (6) Gegen die Entscheidung nach Artikel 5 Absatz 3 oder nach dem vorherigen Absatz in einer Angelegenheit nach Absatz 1 kann die sofortige Beschwerde eingelegt werden. (7) Vorbehaltlich der Fälle, in denen Anträge nach dem nächsten Absatz bis zu Absatz 9 abgewiesen werden, hat das Gericht den Vollstreckungsbeschluss zu erlassen. (8) Wird ein Antrag nach Absatz 1 gestellt, kann das Gericht diesen Antrag nur dann abweisen, wenn die Anerkennung wegen der in den Nummern der im vorherigen Artikel Absatz 2 genannten Gründe nicht in Frage kommt (für die in diesem Absatz Nummern 1 bis zu 7 genannten Gründe hat der Antragsgegner Beweis zu erbringen). (9) Der vorherige Artikel Absatz 3 gilt entsprechend für die Anwendung des vorherigen Absatzes für einen Grund nach Artikel 45 Absatz 2 Nummer 5. (10) Artikel 44 Absatz 5 und Absatz 8 gelten für den Beschluss nach Absatz 1 entsprechend.
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Fumihiko Satō Kapitel IX Sonstige Bestimmungen
(Vergütung des Schiedsrichters) Artikel 47 (1) Der Schiedsrichter kann die von den Parteien vereinbarte Vergütung verlangen. (2) Fehlt eine Vereinbarung nach dem vorherigen Absatz, kann das Schiedsgericht die Vergütungssumme des Schiedsrichters bestimmen. In diesem Fall muss sie angemessen sein. (Vorschuss auf die Kosten des Schiedsverfahrens) Artikel 48 (1) Sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben, kann das Schiedsgericht jede Partei auffordern, einen angemessenen Betrag für die zur Durchführung des Schiedsverfahrens erforderlichen Aufwendungen innerhalb einer bestimmten Frist zu leisten. (2) Sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben, kann das Schiedsgericht das Schiedsverfahren aufheben oder beenden, wenn die angeforderte Bezahlung nach dem vorherigen Absatz nicht erfolgt ist. (Anteil an den Kosten des Schiedsverfahrens) Artikel 49 (1) Zu welchem Anteil die Parteien die zur Durchführung des Schiedsverfahrens erforderlichen Kosten tragen, bestimmt sich nach der Vereinbarung der Parteien. (2) Fehlt eine Vereinbarung nach dem vorherigen Absatz, hat jede Partei selbst die zur Durchführung des Schiedsverfahrens geleisteten Beträge zu tragen. (3) Sofern die Parteien eine abweichende Vereinbarung getroffen haben, kann das Schiedsgericht nach dieser Vereinbarung in einem Schiedsspruch oder selbständigen Beschluss darüber entscheiden, zu welchem Anteil die Parteien die zur Durchführung des Schiedsverfahrens geleisteten Beträge tragen sollen und in welcher Höhe nach dieser Entscheidung eine Partei an eine andere zurückzahlen soll. (4) Ist die im vorherigen Absatz vorgesehene Kostenentscheidung in einem selbständigen Beschluss ergangen, hat dieser dieselbe rechtliche Wirkung wie ein Schiedsspruch. (5) Die Bestimmungen des Artikels 39 gelten für den Beschluss nach dem vorherigen Absatz entsprechend. Kapitel X Strafbestimmungen (Bestechung, Bestechung auf Grund Verlangens, und Bestechlichkeit) Artikel 50 (1) Ein Schiedsrichter, der für seine Tätigkeit einen Vorteil annimmt, fordert oder sich versprechen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft. Hat der Täter den Vorteil verlangt, wird er mit Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren bestraft. (2) Eine Person, die als Schiedsrichter ernannt werden soll und für seine zukünftige richterliche Handlung einen Vorteil annimmt, fordert oder sich versprechen lässt, wird dann mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft, wenn sie tatsächlich Schiedsrichter geworden ist.
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(Bestechung seitens eines Dritten) Artikel 51 Ein Schiedsrichter, der für eine richterliche Handlung einen Vorteil verlangt oder sich von einem Dritten anbieten lässt oder dessen Angebot fordert oder sich versprechen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft. (Besonders schwere Fälle der Bestechung und Bestechung eines ehemaligen Schiedsrichters) Artikel 52 (1) Ein Schiedsrichter, der Straftaten nach der vorherigen zwei Artikeln begangen hat und eine unerlaubte Handlung vorgenommen oder eine angemessene Handlung unterlassen hat, wird mit Freiheitsstrafe von über einem Jahr bestraft. (2) Dasselbe gilt auch für einen Schiedsrichter, der einen Vorteil als Gegenleistung dafür annimmt, fordert oder sich versprechen lässt, dass er eine unerlaubte Handlung vorgenommen oder eine angemessene Handlung unterlassen hat, oder sich dafür einen Vorteil von einem Dritten anbieten lässt oder dessen Angebot fordert oder sich versprechen lässt. (3) Ein ehemaliger Schiedsrichter, der während seiner Amtszeit auf Grund Verlangens einen Vorteil als Gegenleistung dafür annimmt, fordert oder sich versprechen lässt, dass er eine unerlaubte Handlung vorgenommen oder eine angemessene Handlung unterlassen hat, wird mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft. (Einziehung und Eintreibung) Artikel 53 Der Vorteil, den der Täter oder ein mit den Umständen vertrauter Dritter gegeben und genommen hat, wird eingezogen. Ist der Vorteil ganz oder teilweise nicht einziehbar, wird der entsprechende Betrag eingetrieben. (Aktive Bestechung) Artikel 54 Wer einen in den Artikeln 50 bis 52 bezeichneten Vorteil anbietet, anträgt oder verspricht, wird mit Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe von bis zu 2.500.000 Yen bestraft. (Auslandstaten) Artikel 55 (1) Die Bestimmungen der Artikel 50 bis 53 gelten auch für den Täter, der die Taten im Ausland begangen hat. (2) Die Straftat nach dem vorherigen Absatz richtet sich nach der Regelung von Artikel 2 des Strafgesetzes (Gesetz Nr. 45 von 1907).
„Mobbing“ im japanischen Arbeitsrecht Von Kunishige Sumida
I. Einleitung Vor etwa zehn Jahren habe ich einen Aufsatz über den Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers im japanischen Arbeitsrecht in einer Fachzeitschrift für Arbeitsrecht in Deutschland veröffentlicht.1 Damals war der englischsprachige Begriff „Mobbing“ noch nicht in die breite Öffentlichkeit gedrungen, obwohl die Schrift von Heinz Leymann mit dem Titel „Mobbing“ schon publiziert war.2 Aus rechtswissenschaftlicher Sicht war es indes sicher, das „Mobbing“ am Arbeitsplatz in Japan verbreitet war. Trotzdem war es nicht so einfach, diese Fälle rechtlich richtig zu erfassen. Der Widerstand gegen die Etablierung des Persönlichkeitsschutzes im Betrieb war sehr groß. Im Bewusstsein vieler Arbeitgeber blieb die Arbeitsbeziehung ein Gemeinschaftsverhältnis, das dem Recht nicht zugänglich war. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass es einige Zeit in Anspruch genommen hat, den Persönlichkeitsschutz des Arbeitsnehmers im Betrieb durchzusetzen. In den letzten zehn Jahren hat sich die rechtliche Erfassung des „Mobbing“ stark verändert. Einerseits haben sich Kenntnisse über „Mobbing“ dadurch verbreitet, dass Beschwerden und Klagen bei Verwaltungsbehörden und Gerichten eingegangen sind. Andererseits haben gesetzliche Änderungen, die gar nicht direkt auf das „Mobbing“ bezogen waren, rechtliche Hilfe gegen „Mobbing“ gebracht. Aus diesem Grunde wird im Folgenden auf die Wandlung der Einstellung gegenüber dem „Mobbing“ eingegangen. Zunächst wird über den Versuch berichtet, „Mobbing“ als Rechtsbegriff zu definieren. Dann werden die Hintergründe des „Mobbing“ und seine verschiedenartigen Typen dargestellt. Schließlich werden Maßnahmen und Gesetzesänderungen, die rechtliche Instrumente gegen „Mobbing“ bereitstellen, angesprochen.
1 Kunishige Sumida: Die Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers im japanischen Arbeitsrecht, AuR 1997, 350. 2 Heinz Leymann: Mobbing. Reinbeck: Hamburg 1993.
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II. Begriff des „Mobbing“ In Japan, anders als in Frankreich und einigen anderen Ländern, gibt es genauso wie in Deutschland, kein Gesetz über „Mobbing“. Deshalb fehlt es an einem gesetzlichen Begriff. Der Rechtsschutz gegen „Mobbing“ beruht im japanischen Recht wie auch im deutschen ausschließlich auf dem Schutz der Persönlichkeit. Tatsächlich sind viele Entscheidungen zu „Mobbing“ in Japan nicht abhängig vom Begriff „Mobbing“, sondern hängen davon ab, ob die betreffende Handlung eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt oder nicht. Dass der Begriff „Mobbing“ nicht zu den juristischen Begriffen gehört, sondern ursprünglich in den Fachgebieten Soziologie oder Psychologie gebildet wurde, zeigt sich vor allem daran, dass der erste Benutzer des Begriffs, Heinz Leymann, „Mobbing“ als „Psychoterror am Arbeitsplatz“ bezeichnet hat. Trotzdem ist es von Bedeutung, den Begriff „Mobbing“ auch im juristischen Bereich anzusiedeln, weil „Mobbing“ ein Typ rechtwidriger Handlungen gegen Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers ist und die Beurteilung, ob die Handlung rechtswidrig ist oder nicht, unmöglich ist, ohne die einzelnen Umstände umfassend zu würdigen. Dabei wäre ein juristischer Fachbegriff „Mobbing“ hilfreich, um klare Abgrenzungskriterien zu erhalten. Als „Mobbing“ hat Heinz Leymann in seinem Buch3 Folgendes bezeichnet: Negative kommunikative Handlungen, die von einer Person oder von mehreren gegen eine andere Person gerichtet sind und die sehr oft über einen längeren Zeitraum hinaus vorkommen und damit die Beziehung zwischen Täter und Opfer kennzeichnen. Auf die anderen, kommunikationsähnlichen Formen weist er hin: Konfrontation, Belästigung, Nichtachtung der Persönlichkeit usw. Diese Merkmale erfassen den Gegenstand des „Mobbing“. Aber aus juristischer Sicht ist das noch unzureichend. Es ist notwendig, die juristische Verarbeitung hinzufügen. In einigen Entscheidungen haben die Gerichte in Deutschland deshalb eine Defintion des Begriffs „Mobbing“ versucht. Im Jahre 1997 hat sich das Bundesarbeitsgericht erstmals dazu geäußert4: „Mobbing“ ist danach das systematische Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitsnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte. Noch ausführlicher hat sich die Grundsatzentscheidung des Landesarbeitsgerichts Thüringen5 verhalten. Danach ist „Mobbing“ im Gegensatz zu Einzelaktionen dann anzunehmen, wenn es sich um eine fortgesetzte, aufeinander aufbauende und ineinander greifende, der Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung dienende Verhaltensweise handelt, die nach ihrer Art und ihrem Ablauf im Regelfall einer übergeordneten, von der Rechtsordnung nicht gedeckten Zielsetzung förderlich ist und jedenfalls in ihrer Gesamtheit das 3 4 5
Leymann (Fn. 2) S. 21 ff. BAG vom 15. Januar 1997, NZA 1997, 781. LAG Thüringen vom 15. Februar 2001, AuR 2002, 226.
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allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen verletzt. Es ist einer Anmerkung zuzustimmen, die auf drei wesentliche Eigenschaften von „Mobbing“ in diesen Entscheidungen hinweist.6 Erstens bestehe die Besonderheit von „Mobbing“ in einem systematischen Vorgehen, mehrere Akte seien durch einen Gesamtzusammmenhang miteinander verbunden. Zweitens sei „Mobbing“ geeignet zur Verletzung eines Rechtsguts, in der Regel des Persönlichkeitsrechts oder auch der Gesundheit und drittens weise „Mobbing“ ein eindeutiges Täter-Opfer-Verhältnis auf. Daraus folge, dass das gegenseitige Anfeinden oder die wechselseitige Eskalation davon zu trennen sei. Diese Definition ist für das japanische Arbeitsrecht bedeutungsvoll. Obgleich es keinen besonderen gesetzlichen Schutz vor „Mobbing“ gibt, schreitet in Japan der Persönlichkeitsrechtsschutz voran. Aber es bleibt schwierig, den Umfang des Schutzes durch die Berücksichtigung der gegenseitigen Interessen einzugrenzen. Die einzige Ausnahme ist der gesetzliche Schutz vor sexueller Belästigung, der weiter unten noch behandelt wird. An dieser Stelle ist nur darauf hinzuweisen, dass die sexuelle Belästigung genauso wie das „Mobbing“ ein Sonderfall des Persönlichkeitsrechtsschutzes ist und die Beurteilungskriterien durch eine gesetzliche Sonderregelung klar gemacht wurden. Es wäre möglich, die gleiche Effektivität durch eine Definition des „Mobbing“ zu erreichen.
III. Typen des „Mobbing“ 1. Typen des „Mobbing“ Es ist nicht zu übersehen, dass es am Arbeitsplatz oft zu Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers kommt. Aber es ist ein relativ neuer Vorgang, dass Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers im Betrieb erfolgt. Außerdem bedarf es wohl noch etwas Zeit, bis die Schwere des „Mobbing“ allgemein zur Kenntnis genommen wird. Die Präfektur Tokyo, die viel Energie in die Beratung von Arbeitnehmern bei Arbeitsstreitigkeiten investiert hat, erkannte die Zunahme der Beschwerden über „Mobbing“ und veröffentlichte 1998 zum ersten Mal unter dem Titel „Die Belästigung am Arbeitsplatz“ (shokuba ijime) einen Forschungsbericht7, in dem 600 Beschwerden, die 1996 / 97 eingelegt wurden, analysiert werden. Die darin enthaltenen interessanten Statistiken sagen Folgendes aus: Von den insgesamt 600 Beschwerden stammten 168 (28.0 %) von Männern, 432 (72.0 %) von Frauen. Bei den Branchen lag das Dienstleistungsgewerbe mit 241 (40.2 %) vorne, gefolgt von Martina Benecke: „Mobbing“ im Arbeitsrecht, NZA-RR 2003, 225. Tōkyō-to rōdō keizai kyoku (Präfektur Tokyo, Abteilung Arbeit und Wirtschaft, Tokyo 1998. 6 7
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Gaststätten und Einzelhandel 119 (19.8 %). Von den betroffenen Arbeitnehmern waren 417 (69.5 %) regulär Beschäftigte (seishain), 83 (13.8 %) Teilzeitarbeitnehmer (pāto taimā) und 29 (4.8 %) Leiharbeitnehmer (hakken rōdōsha). Als Täter waren die Arbeitgeber in 108 (18%), die Vorgesetzten in 228 (38%) und die Kollegen in 103 (17%) der Fälle vertreten. Bei nicht regulär beschäftigten Arbeitnehmern (hisei shain) waren in 29 (23.2 %) Fällen die Kollegen die Täter. Als konkrete Handlungen wurden sexuelle Belästigung in 135 (18.5 %), Zwang zur Kündigung in 97 (13.7 %), mündliche Beleidigung und Verleumdung in 82 (11.3 %), Zuweisung keiner oder einer sinnlosen Aufgabe in 69 (9.5 %), Umsetzung oder Versetzung zu einem anderen Unternehmen in 52 (7.1 %), keine Zahlung der Löhne und Abfindungen in 43 (5.9 %), Eingriff in die Privatssphäre in 34 (5.6 %), Gewaltanwendung in 33 (5.5 %), Drohung in 32 (5.3 %), Isolieren und Ignorieren in 31 (5.1 %) Fällen ermittelt. Bei den Motiven ging es um Entlassung in 132 (22 %), um „Mobbing“ selbst in 144 (24%), sexuelle Handlungen in 129 (21.5 %), der Kündigung als Rationalisierungsmaßnahme in 23 (3.8 %) und Aktivitäten gegen eine Gewerkschaft in 4 (0.6 %) Fällen. Andere Statistiken zeigen, dass die Beschwerden über Mobbing seither fortlaufend zugenommen haben. Nach der neuesten Statistik der Präfektur Tokyo aus dem Jahr 2005 wurde in insgesamt 83.734 Fällen eine Beratung durchgeführt, davon umfasste „Mobbing“ 4.916 (5.9 %) Fälle8. Es gibt noch eine andere interessante Statistik. Im Jahre 2001 wurden landesweit ca. 300 Beratungsstellen für Arbeitnehmer vom Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Wohlfahrt (kōsei rōdōshō) eingerichtet, die auf das Gesetz zur Förderung der Lösung individueller Arbeitsstreitigkeiten (kobetsu rōdō kankei funsō no kaiketsu ni kan suru hōritsu)9 zurückgehen. Im Jahr 2005 wurden bei diesen in insgesamt 907.869 Fällen um Beratung nachgesucht. Davon behandelten 176.429 Fälle zivilrechtliche Angelegenheiten, von denen wiederum 15.700 (8.9 %) Beschwerden über „Mobbing“ waren.10 2. Hintergründe von „Mobbing“ Als Hintergründe des Zunehmens der Beschwerden über „Mobbing“ kommen mehrere Ursachen in Betracht. Zunächst lang anhaltende wirtschaftliche Schwierigkeiten in Japan, die bei vielen Unternehmen zu Massenentlassungen geführt haben. Das wird schon dadurch deutlich, dass die Entlassung das Hauptmotiv beim „Mobbing“ bildet. Zweitens war die Änderung der langjährigen Eckpfeiler der ja8 Tōkyō-to sangyō rōdō kyoku (Präfektur Tokyo, Abteilung Industrie und Arbeit): Tōkyō-to no rōdō sōdan no jōkyō (Bericht über Arbeitsberatungen der Präfektur Tokyo) Tokyo 2005, http://www.hataraku.metoro.tokyo.jp. 9 Gesetz Nr. 112 / 2001. Deutsche Übersetzung, soweit ersichtlich, nicht vorhanden. 10 Kōsei rōdō shō (Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Wohlfahrt): Kobetsu rōdō funsō kaiketsu shikō jōkyō (Bericht über den Stand der Ausführung des Systems der Lösung individueller Arbeitsstreitigkeiten) Tokyo 2005, http://www.mhlw.go.jp.
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panischen Arbeitsbeziehungen: Beschäftigung auf Lebenszeit (shushin koyō) und Senioritätssystem (nenkō joretsu) durch die Politik der Deregulierung und Flexibilisierung in den 1990er Jahren verantwortlich. An die Stelle der regulär Beschäftigten traten viele atypische Beschäftigungsformen wie befristete Arbeitsverträge, Teilzeitarbeit, Leiharbeit usw. Viele Unternehmen haben außerdem anstelle des Senioritätsprinzips das Leistungsprinzip eingeführt, bei dem u. a. der Lohn der einzelnen Arbeitnehmer nach der einseitigen, unklaren und in meisten Fällen geheimen Personalbewertung seitens des Arbeitgebers mit ziemlich großen Differenzen festgesetzt wird. Die Arbeitsbedingungen für den einzelnen Arbeitnehmer sind jetzt stärker als nach dem bisherigen System diversifiziert und vereinzelt. Wegen dieser Änderungen der Personalpolitik haben gemeinsame Interessen zwischen den verschiedenen Gruppen der Beschäftigten nachgelassen und einzelne Arbeitnehmer sind unter den starken Druck der Personalbewertung geraten. Diese Entwicklung macht es schwierig, die Arbeitstreitigkeiten kollektiv und mit einheitlichen Maßstäben zu behandeln, um so das Solidaritätsgefühl zwischen den Arbeitskollegen aufrecht zu erhalten. Drittens ist der Einfluss der Gewerkschaft auf den Arbeitgeber zurückgegangen. Nachdem der Organisationsgrad der Gewerkschaften im Jahre 1990 noch mit 12.260.000 Mitgliedern bei 25.2% lag, ist er im Jahre 2005 mit 10.138.000 Mitgliedern auf 18.7% zurückgegangen. Dementprechend ist weniger zu erwarten, dass eine individuelle Arbeitsstreitigkeit durch Verhandlung zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft im Betrieb gelöst wird. Eigentlich war das der Vorteil der japanischen Betriebs(Unternehmens)gewerkschaft, die die spezifischen Arbeitsstreitigkeiten im Betrieb behandeln konnte. Schließlich sind noch einige Organisationen, die sich mit „Mobbing“ auseinandergesetzt haben, und Einrichtungen zur Rechtshilfe bei Arbeitsstreitigkeiten zu nennen. Außer einigen Präfekturen wie etwa Tokyo haben fast zur gleichen Zeit einige Gewerkschaften11 und eine Vereinigung von Rechtsanwälten, die sich mit Arbeitsrecht12 befassen, angefangen, telefonisch zu „Mobbing“ zu beraten. Diese Tätigkeit hat einen großen Beitrag dazu geleistet, die Schwere des Problems in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Das im Jahr 2001 erlassene Gesetz zur Förderung der Lösung individueller Arbeitsstreitigkeiten spielte auch eine große Rolle dabei, das bis dato verdeckte „Mobbing“ ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Der Zweck des Gesetzes besteht darin, individuelle Arbeitsstreitigkeiten mit Hilfe von zwei 11 Namentlich hat sich die Gewerkschaft der leitenden Angestellten in Tokyo (Tōkyō kanrishoku yunion) mit „Mobbing“ auseinandergesetzt. Bei einer im Jahr 1996 durchgeführten zweimaligen Telefonaktion wurden ca. 1045 Beschwerden entgegen genommen. Einen großen Teil davon machten Beschwerden über Entlassungen und Zwang zur Kündigung aus. Yoshiaki Ugai: „Shokuba ijime“ no kōzō to kadai (Über die Belästigung am Arbeitsplatz, Strukur und Aufgabe) (1), Hōgaku Serninā Nr. 508 (1997 / 4), S. 10. 12 Die Vereinigung von Rechtsanwälten, die sich mit Arbeitsrecht befassen (Nihon rōdō bengodan) setzt sich aus ca. 1.400 Rechtsanwälten zusammen. Sie hat sich die Durchsetzung der Rechte der Arbeitnehmer zum Ziel gesetzt. Schon seit 1988 führt dieser Verein telefonische Beratungsaktionen durch. Beim ersten Mal ging es dabei um das Problem Tod durch Überarbeitung (karōshi).
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Methoden der alternativen Streitbeilegung: Vermittlung (assen) und Schlichtung (chōtei) ohne Prozess zu lösen. Dafür wurden, wie schon betont, landesweit insgesamt ca. 300 Beratungsstellen eingerichtet, um Beschwerden über individuelle Arbeitsstreitigkeiten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber anzunehmen. Das Gesetz ermächtigt die Leiter der Behörde für Arbeit (todōfuken rōdō kyokuchō), in den 47 Präfekturen die nötigen Maßnahmen für die Lösung der Arbeitsstreitigkeiten zu ergreifen. Dazu gehört z. B. nützliche Informationen vorzuhalten, Ratschläge zu geben und, falls nötig, eine Verwaltungsanleitung (gyōsei shidō) zu erlassen. Daneben ist ein Ausschuss für die Behandlung von Streitigkeiten zu bilden. Dieser wird von Personen besetzt, die in Arbeitssachen Erfahrung haben. Der Ausschuss kann im Auftrag des Behördenleiters einen Schlichtungsvorschlag ohne zwingende Wirkung für die Betroffenen erarbeiten. Nachdem schon im Oktober 2001 in Kraft getretenen Gesetz haben im Jahr 2005 die Behördenleiter in insgesamt 6.369 Fällen, davon 514 „Mobbing“ betreffend, Ratschläge erteilt oder Verwaltungsanleitungen erlassen. Die Ausschüsse haben 6.888 Anträge, davon 758 zu „Mobbing“, entgegengenommen.13 Diese Zahl lässt im Vergleich zu den jährlich ca. 3000 Prozessen erkennen, dass der Zweck des Gesetzes erreicht wurde.
IV. Rechtsschutz gegen „Mobbing“ 1. Rechtsprechung zu „Mobbing“ Da es in Japan, wie schon hervorgehoben, keine gesetzliche Sonderregelung zu „Mobbing“ gibt, beruht der Rechtsschutz gegen „Mobbing“ ausschließlich auf dem Mechanismus des Persönlichkeitsrechtsschutzes im Zivilrecht, nämlich im Bereich der unerlaubten Handlung. Wenn man die obige Definition des „Mobbing“ zugrundelegt, gibt es schon eine ganze Reihe von Entscheidungen, die als „Mobbing“ oder „geistige Belästigung“ am Arbeitsplatz zu erfassen sind. Im Folgenden werden einige typische Fälle genannt. a) „Mobbing als Symptom der traditionellen Organisationsstruktur“ Die Fälle, die tief im Gedankengebäude der traditionellen Auffassung von den japanischen Arbeitsbeziehungen wurzeln, nehmen den wichtigsten Platz ein. Die in Rede stehenden Handlungen erfolgen seit langer Zeit, kommen aber nicht in die Öffentlichkeit, weil sie traditionell genauso wie kleinere sexuelle Belästigungen wie selbstverständlich geduldet werden. Außerdem ist der konventionelle Charakter des japanischen Arbeitsverhältnisses und der Arbeitsorganisation, die gestützt auf den Gemeinschaftsgedanken starke Gehorsamserfordernisse kennt, verantwortlich für die Autoritätsstruktur der Arbeitsorganisation und das geschlossene Ge13
Siehe Fn. 10.
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meinschaftsbewusstsein der Kollegen. Das ist ein Grund dafür, dass in den zitierten Statistiken der Präfektur Tokyo ein wichtiges Motiv des „Mobbing“, „Mobbing“ selbst war. Hier sei ein aktueller Fall dieses Typs vorgestellt. Nach dem Tatbestand der Entscheidung lag die Ursache des Selbstmords eines Krankenpflegers darin, dass sein Vorgesetzter ihn fast drei Jahre lang in vielerlei Formen angegriffen hatte. Verantwortlich für die Willkürherrschaft des Vorgesetzten sei die mangelhafte Organisationsstruktur gewesen. Irgendeinen Vorwand nutzend erteilte der Vorgesetzte willkürliche und böswillige Weisungen, z. B. nach Abschluss der Arbeit am Arbeitsplatz zu bleiben, bei dessen Privatangelegenheiten wie Einkaufen und Autowaschen zu helfen, usw. Auch heftige Angriffe gegen die Persönlichkeit des Geschädigten seien üblich gewesen, wie etwa verleumderische, beleidigende Äußerungen, Ignorieren, Isolieren, sogar körperliche Angriffe. Nicht zu übersehen sei, dass einige Kollegen des Geschädigten zum Teil am „Mobbing“ teilgenommen und andere dies stillschweigend hingenommen hätten. Die Entscheidung14 erkannte die Kausalität zwischen „Mobbing“ und Selbstmord an und stufte die Angriffe des Vorgesetzen gegen den Geschädigten, ohne eine Definition von „Mobbing“ zu geben, als rechtswidrige und schuldhafte unerlaubte Handlung im zivilrechtlichen Sinne15 ein. Weiter machte die Entscheidung in bemerkenswerter Weise den Arbeitgeber verantwortlich. Er habe eine auf dem Grundsatz von Treu und Glauben basierende arbeitsvertragliche Nebenpflicht, die ihn verpflichte, am Arbeitsplatz das Leben, die Gesundheit und körperliche Unversehrtheit des Arbeitnehmers zu schützen, verletzt. In diesem Fall bedeute das, dass der Arbeitgeber verpflichtet gewesen sei, das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Geschädigten mit angemessenen Vorbeugungsmaßnahmen vor Angriffen seitens des Vorgesetzen und anderer Kollegen zu schützen. b) „Mobbing“ als Diskriminierungsmaßnahme gegen Minderheiten Bis in die 1980er Jahre waren die Fälle des „Mobbing“ auffällig, die ihre Ursache in der Absicht der Diskriminierung des Arbeitgebers gegen eine Minderheit der Arbeitnehmer, die sich z. B. gewerkschaftlich oder politisch betätigte, hatte. Der starke Gemeinschaftsgedanke in den japanischen Arbeitsbeziehungen, der einerseits dichte und vertrauensvolle persönliche Beziehungen betont, aber andererseits gegen die Minderheiten mit Diskriminierungsmaßnahmen vorgeht, war dafür verantwortlich. Diese Fälle dauern auch heute noch an, aber es ist bemerkenswert, dass die Grundgedanken des „Mobbing“ auf diesen Typ, der die Minderheiten diskriminiert, angewandt werden. Hier soll folgender Fall vorgestellt werden. 14 Distriktgericht Saitama, Entscheidung vom 24. September 2005, Rōdō Hanrei Nr. 883, S. 38. 15 Der Art. 709 des japanischen Zivilgesetzes (minpō), Gesetz Nr. 89 / 1896), lautet: „Wer vorsätzlich oder fahrlässig die Rechte eines anderen verletzt, ist verpflichtet, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.“
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Er betrifft einen sog. „Herausposauner“. Ein Arbeitnehmer meldete eine rechtswidrige Handlung seines Arbeitgebers, nämlich eine gegenseitige Absprache von Transportgesellschaften über Speditionskosten, der Presse und der zuständigen Behörde. Die Absprache war ein Kartell, das das Gesetz über das Verbot privater Monopole und die Sicherung des lauteren Wettbewerbs (shiteki dokusen no kinshi oyobi kōsei torihiki no kakuho ni kan suru hōritsu)16 verletzte. Nachdem die Bitte des Arbeitnehmers, die illegale Absprache aufzugeben, beim Vorgesetzten wirkungslos geblieben war, hatte er eine Meldung an Presse und Behörde für angebracht gehalten. Die kurz nach der Meldung begonnenen Vergeltungsmaßnahmen seitens des Arbeitsgebers dauerten bis zu seiner Pensionierung nach fast 28 Jahren an. Zu den getroffenen Maßnahmen zählte der böswillige Gebrauch des Direktionsrechts, z. B. die Zuweisung sinnloser oder weit oberhalb der Kapazitätsgrenze liegender Arbeit, die Beschäftigung in isolierten Zimmern, Ungleichbehandlung bei der Lohnzahlung, Ausschluss von der Beförderung usw. Hier handelt es sich um eine Kollision zwischen der Schweigepflicht des Arbeitnehmers und dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung von Vorschriften. Die Entscheidung17 bestätigte, dass der Arbeitgeber kein berechtigtes Interesse an illegalen Geheimnissen habe und in diesem Fall das öffentliche Interesse Vorrang vor der Schweigepflicht des Arbeitnehmers zukomme. Das Gericht legte ohne Definition des „Mobbing“ dar, dass die Diskriminierungsmaßnahmen des Arbeitgebers eine rechtwidrige unerlaubte Handlung statuierten, zugleich eine Verletzung der Gleichbehandlungspflicht des Arbeitsvertrags und eine Verletzung der vertraglichen Nebenpflicht, die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten. Der Fall wurde zum Anlass für eine Gesetzesnovelle genommen. Im Juni 2004 wurde vornehmlich unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes ein Gesetz über den Schutz gemeinnütziger Berichterstatter (kōeki tsūhōsha hogohō)18 erlassen. Es ist im April 2006 in Kraft getreten. Der Zweck des Gesetzes liegt darin, in bestimmten Angelegenheiten, die den Schutz des Lebens, der Gesundheit, der Einwohner, oder schlicht das Verbraucherinteresse betreffen, eine gefährliche Geschäftemacherei durch die Meldung relevanter betrieblicher Tatsachen seitens des Arbeitnehmers zu unterdrücken. Dabei schützt das Gesetz den Arbeitnehmer vor Kündigung und anderen Nachteilen auf Grund seiner Meldung an die zuständige Behörde oder die Presse.
16 Gesetz Nr. 54 / 1947. Deutsche Übersetzung einer aktuellen Fassung, soweit ersichtlich, nicht vorhanden. 17 Distriktgericht Toyama, Entscheidung vom 23. September 2004, Rōdō Hanrei Nr. 891, S. 12. 18 Gesetz Nr. 122 / 2004. Deutsche Übersetzung, soweit ersichtlich, nicht vorhanden.
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c) „Mobbing“ als Zwangsmittel zur Überbelastung In der seit dem sog. Platzen der Blasenwirtschaft Ende der 1980er Jahre schon über zehn Jahre lang andauernden wirtschaftlichen Rezession in Japan veränderte sich die Umgebung für japanische Unternehmen so entscheidend, dass es schwer wurde, die herkömmlichen japanischen Arbeitsbeziehungen aufrechtzuerhalten. Angesichts des zunehmend härter werdenden wirtschaftlichen Wettbewerbs auf internationaler Ebene ist es nicht überraschend, dass viele Unternehmen Entlassungen vorgenommen und Arbeitnehmer zur Selbstkündigung gezwungen haben. Entlassungen und erzwungene Selbstkündigungen in den Motiven für „Mobbing“ in den 1990er Jahren waren Ausdruck dieser Änderungen. Das bringt einen neuen Typ des „Mobbing“ in Erscheinung. Wegen heftiger Konkurrenz zwischen den Unternehmen wird den Arbeitnehmern in kaltherziger Art und Weise gegebenenfalls mit körperlicher Gewalt eine die Arbeitskapazität weit überschreitende Arbeitsbelastung zugemutet. Hier soll ein Fall dieses Typs vorgestellt werden, der in einem Kameras und Elektrowaren verkaufenden großflächigen Ladengeschäft geschah. Nach dem Tatbestand der Entscheidung19 wurde ein Arbeitnehmer mit systematischen körperlichen Angiffen seitens seines Vorgesetzten immer wieder darauf hingewiesen, dass dieser mit der Erledigung der Arbeit unzufrieden sei, dass er das richtige Verhalten eines Verkäufers noch zu lernen habe, dass er mit einem fröhlichen Gesicht seine Kunden zu bedienen habe und dass er noch andere Fehler begangen habe. Als der Arbeitnehmer einmal unentschuldigt fehlte, besuchte ihn sein Vorgesetzter zuhause und tat ihm vor den Augen seiner Mutter Gewalt an. Natürlich ist diese Art „Mobbing“ mit körperlicher Gewalt nicht nur strafrechtlich, sondern auch zivilrechtlich als rechtwidrige Handlung zu beurteilen. In diesem Fall hat das Gericht den Vorgesetzten und den Arbeitgeber für schuldig befunden und nicht nur dem Arbeitnehmer, sondern auch seiner Mutter, Schadensersatz für körperliche Schäden und Schmerzensgeld zugesprochen. Dieser neue Typ des „Mobbing“ wird manchmal „Power“-Belästigung genannt und kommt besonders in Branchen vor, die einem starken Niedrigpreiswettbewerb ausgesetzt sind.20 2. Rechtsschutz gegen „Mobbing“ Der Rechtsschutz gegen „Mobbing“ beruht, wie in den Entscheidungen gezeigt, ausschließlich auf dem Schutz der Persönlichkeit, des Lebens und der Gesundheit des Arbeitsnehmers. Der Schutz ist beschränkt auf einen Schadensersatzanspruch Distriktgericht Tokyo vom 4. Oktober 2005, Rōdō Hanrei Nr. 904, S. 5. Einer Zeitungsmeldung zufolge ist neuerdings die Zunahme der Beratungen zu „Mobbing“ mit Hilfe direkter körperlicher Angriffe zu beobachten. Die Hintergründe lägen insbesondere darin, dass mit mangelndem Personal eine hohe Arbeitsbelastung bewältigt werden müsse: Yomiuri Shinbun (Zeitung) vom 8. 1. 2005. 19 20
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für materielle und immaterielle Schäden. Charakteristisch ist dabei, dass die Entscheidungen überwiegend auf die deliktische Haftung zurückgreifen. Ausnahmsweise weisen einige Gerichte auf die Vertragspflicht des Arbeitgebers zur Verhinderung von „Mobbing“ hin, aber es fehlt an überzeugenden Versuchen, daraus eine sinnvolle Rechtsfolge abzubleiten. Weiter erfolgt die Beurteilung, ob eine einschlägige Handlung die Grenze zur unerlaubten Handlung überschreitet ohne Hilfe einer Definition von „Mobbing“. Es lassen sich einige Ursachen für diesen Befund erkennen. Zuerst ist auf die sehr weiten Schutzbereiche und die damit verbundene erleichterte Anwendung des japanischen Deliktsrechts aufmerksam zu machen. Die im japanischen Deliktsrecht unter Schutz stehenden „Rechte eines anderen“ sind nicht nur absolute Rechte, sondern auch andere schutzwürdige Interessen21. In der Praxis bewirkt das eine Ausdehnung des Schutzbereichs. In „Mobbing“-Fällen aber bedarf es zur Begrenzung des Schutzbereichs der sorgfältigen Abwägung aller Umstände und der gegenseitigen Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Diese Abwägung ist nicht einfach. Vielmehr ist es schwer, ein geeignetes Kriterium zu entwickeln. Die Definition von „Mobbing“ könnte deshalb eine nützliche Hilfe für diese Schwierigkeit sein. Es kommt hinzu, dass der Inhalt der Vertragspflicht des Arbeitgebers zur Verhinderung von „Mobbing“ zu konkretisieren ist. Der gegenwärtigen Situation in der Rechtssprechung, bei Verletzung der Vertragpflicht nur Schadensersatz zuzusprechen, kann nicht zugestimmt werden. An dieser Stelle ist auf die Sonderregelung zur sexuellen Belästigung zu verweisen. Bei der Reform des Gesetzes über die Gleichbehandlung von Mann und Frau bei der Einstellung, während der Beschäftigung u. a. (koyō no bunya ni okeru danjo no kintō na kikai oyobi taigū no kakuho tō ni kan suru hōritsu)22 im Jahre 1997 wurde eine Bestimmung über den Schutz vor sexueller Belästigung aufgenommen. Art. 21 des Gesetzes lautet, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, eine Arbeitnehmerin vor einer nachteiligen Behandlung und Beschädigung der Arbeitsumgebung, die auf eine auf sie gerichtete sexuelle Verhaltensweise zurückzuführen ist, zu schützen. Auf dieser Vorschrift beruhend wurde vom Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Wohlfahrt eine administrative Richtlinie mit dem Titel (sekusharu harasumento ni kan suru shishin) aufgestellt, die den Arbeitgeber verpflichtet, im Rahmen seiner Arbeitsverwaltung effektive Gegenmaßnahmen, Aufklärungstätigkeit gegen sexuelle Belästigungen, Beratung für Geschädigte und andere geeignete Maßnahmen vorzusehen und in die Tat umzusetzen. Der Charakter dieser Richtlinie ist vergleichbar mit einer Verwaltungsanleitung, d. h. sie hat keine zwingende Wirkung. Ihre Bedeutung besteht darin, die Fürsorgepflicht zu konkretisieren. Das wiederum bedeutet, dass die Verletzung der Richtlinie durch den Arbeitgeber eine Verletzung der Nebenpflicht des Arbeitsvertrages nach sich zieht. 21 Bei der Reform des japanisches Zivilgesetzes durch Gesetz Nr. 147 / 2005 wurde das „schutzwürdige Interesse“ expressis verbis in Art. 709 aufgenommen. 22 Gesetz Nr. 92 / 1997. Deutsche Übersetzung, soweit ersichtlich, nicht vorhanden.
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Niemand kann bezweifeln, dass „Mobbing“ genau so wie sexuelle Belästigungen eine ernsthafte Beschädigung des Arbeitnehmers bedeuten. Auch ist es nur natürlich, dass Vorbeugemaßnahmen erfolgreicher sind als nachträgliche Korrekturen. Angemessene Vorbeugemaßnahmen gegen „Mobbing“ zu entwickeln ist deshalb eine dringende Aufgabe nicht nur für die Gerichte, sondern insbesondere für die Verwaltung und den Gesetzgeber.
V. Schlussbemerkung Obgleich Rechtsprechung zu „Mobbing“ in ziemlichem Umfang vorhanden ist, beträgt die Anzahl von Klagen in Arbeitssachen in Japan insgesamt nur ca. 3000 pro Jahr. Im Vergleich nicht nur mit Deutschland, sondern auch mit den Beschwerden, die in Japan bei Beratungsstellen eingehen, sind diese Zahlen gering. Deshalb ist für den Rechtsschutz gegen „Mobbing“ nach einer Verstärkung der Justizeinrichtungen zu streben, um den Zugang zur Gerichtsbarkeit zu erleichtern. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass zur Zeit in Japan die epochemachende Justizreform läuft, die das traditionelle Gegensatzpaar kleine Justiz, große Verwaltung und Politik, in fundamentaler Weise refomiert. Diese Reform erstreckt sich auf sehr viele Bereiche der Justiz, einschließlich der juristischen Ausbildung. Auch im Bereich der Arbeitsstreitigkeiten hat es schon Veränderungen gegeben. Im Jahr 2004 ist das Gesetz über die Versöhnung in Arbeitssachen (rōdō shinpan hō)23 erlassen worden, das ein Verfahren24 vorsieht, das als Modelle die Arbeitsgerichtsbarkeit in Deutschland und die „Industrial Tribunals“ in Großbritannien zum Vorbild nimmt, aber für die Lösung individueller Arbeitsstreitigkeiten im Ergebnis einen etwas anderen Charakter hat. Das Gesetz ist am 1. April 2006 in Kraft getreten. Für das Verfahren ist nach dem neuen Konzept ein spezieller Spruchkörper (rōdō shinpan iinkai) zu bilden, der sich aus gleichberechtigten Richtern zusammensetzt, von denen einer Berufsrichter sein muss, während die anderen beiden als mit den Arbeitsbeziehungen Vertraute jeweils aus dem Arbeitgeber- und Arbeitnehmerlager vom Obersten Gerichtshof Japans (saikō saibansho) ernannt werden. Der Spruchkörper ist beim Distriktgericht (chihō saibansho) einzurichten. Die Wahl, ob das Verfahren nach diesem Gesetz eingeleitet werden soll oder nicht, ist in das Belieben der Betroffenen gestellt. Im Gegensatz zum Prozess hat das Verfahren so zu laufen, dass zunächst eine Schlichtung (chōtei) zu versuchen ist, die Verhandlung im Prinzip unter Ausschluss der Öffenlichkeit erfolgt und grundsätzlich innerhalb von drei Terminen abzuschließen ist. Ein von der Mehrheit der Richter des Spruchkörpers getragener Spruch (shinpan) ist den BeGesetz Nr. 45 / 2004. Deutsche Übersetzung, soweit ersichtlich, nicht vorhanden. Zur Systematik der Formen der alternativen Streitbeilegung in Japan siehe Heinrich Menkhaus, Alternative Streitbeilegung in Japan – Entwicklungen bis zum ADR-Gesetz 2004, in: Joachim Hengstl und Ulrich Sick (Hrsg.), Recht gestern und heute, Festschrift zum 85. Geburtstag von Richard Haase. Harrassowitz: Wiesbaden 2006, S. 281 ff. 23 24
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troffenen zuzustellen. Dieser hat aber anders als eine Entscheidung im Prozess keine unmittelbare normative Wirkung. Wird innnerhalb von zwei Wochen nach Zustellung durch die Betroffenen kein Einspruch geltend gemacht, wird der Spruch wie ein gerichtlicher Vergleich behandelt. Erfolgt ein Einwand, wird die Angelegenheit automatisch in einen Prozess überführt, so, als sei von Anfang an Klage erhoben worden. Alle Beteiligten erwarten, dass sich dieses Verfahren als effektiv erweist und viele Fälle in diesem Verfahren behandelt werden, um die Autorität des Gesetzes in die Arbeitsbeziehungen einziehen zu lassen. Das ist die eigentliche Voraussetzung für einen wirksamen Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz.
Die Entstehung des Gewohnheitsrechts und die opinio juris: von Puchtas Lehre zu Génys Lehre Von Hiroshi Taki
I. Einführung Der folgende Aufsatz will nicht zu allen Problemen des Gewohnheitsrechts Stellung nehmen, sondern nur die eingeschränkte Frage behandeln, ob die opinio juris zur Entstehung des Gewohnheitsrechts erforderlich ist. Diese Frage wurde zuerst auf dem Gebiet des Zivil- und Handelsrechts behandelt. In der Folge wurde die Diskussion darüber im Gebiet des Völkerrechts fortgeführt. Nach der herrschenden Meinung im Völkerrecht ist die opinio juris als subjektives Element zur Entstehung des Völkergewohnheitsrechts unentbehrlich.1 Es scheint, dass diese Meinung von der Gewohnheitsrechtslehre Génys beeinflusst worden ist.2 Daher ist es sinnvoll, Génys Lehre zu analysieren, um den Sinn und den fraglichen Punkt der herrschenden Meinung zu verstehen. Die Gewohnheitsrechtslehre Génys beruht wesentlich auf der deutschen Gewohnheitsrechtslehre in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im Folgenden wird also zuerst die damalige deutsche Gewohnheitsrechtslehre dargestellt, danach wird die Lehre Génys analysiert.
II. Die deutsche Gewohnheitsrechtslehre in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Puchtas und Savignys Gewohnheitsrechtslehren sind es, die einen großen Einfluss auf die Vorstellung der opinio juris im traditionellen Sinn ausgeübt haben. Puchta schildert im Jahr 1884 seine Gewohnheitsrechtslehre folgendermaßen: „Das Recht ist eine gemeinsame Überzeugung der in rechtlicher Gemeinschaft Stehenden. Die Entstehung eines Rechtssatzes ist daher die Entstehung einer gemeinsamen Überzeugung, welche die Kraft in sich trägt, das was sie als Recht erkennt, zur wirklichen Ausführung zu bringen“.3 Vgl. I. C. J. Reports, 1969, S. 44 Vgl. Benson, François Gény’s Doctrine of Customary Law, The Canadian Yearbook of International Law, 1982, S. 269. Ferner beeinflusste Génys Lehre die Diskussion über die Lex Mercatoria. Kassis, Théorie générale des usage du commerce, 1984, S. 19 ff. 1 2
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Hiroshi Taki
„Gewohnheitsrecht ist das in dem Bewußtsein des Volkes unmittelbar entstandene und in seiner Sitte (Übung, Gewohnheit) erscheinende Recht. Der Grund seiner Existenz liegt in seiner Eigenschaft als unmittelbare Volksüberzeugung, die Übung bringt es zur Anschauung. Gewohnheit, Herkommen, usus, consuetude ist nicht die Quelle des Gewohnheitsrechts, sondern nur die äußere Gestalt, in der es sich verkörpert“.4 „Gewohnheitsrecht ist vorhanden, wenn ein Satz in der Überzeugung des Volks als Rechtssatz steht. Dazu gehört nicht, daß alle Einzelnen sich desselben bewußt sind (die Überzeugung der Gesamtheit ist nicht notwendig eine aktuelle Überzeugung Aller)“.5 „Das erste Erkennntnismittel des Gewohnheitsrechts ist die wirkliche Übung und Gewohnheit selbst, als natürliche Begleiterin jenes Rechts. Diese muß von der Beschaffenheit sein, daß sich daraus ein sicherer Schluß auf die Existenz einer ihr zu Grunde liegenden rechtlichen Volksüberzeugung machen läßt. Sie muß daher 1) Übung eines Rechtssatzes sein, 2) die Personen, deren Handlungen als Übungsfälle gelten sollen, müssen von einer rechtlichen Überzeugung (der s.g. opinio juris) geleitet worden seyn“.6
Aus diesem Zitat kann man schließen, dass nach Puchtas Lehre das Gewohnheitsrecht in „einer rechtlichen Überzeugung (der sog. opinio necessitatis)“ des Volkes als „Gesamtheit“ vorhanden ist, so dass die Gewohnheit selbst nicht mehr als „das erste Erkenntnismittel des Gewohnheitsrechts“ darstellt. Savignys Lehre ist von der Lehre Puchtas nicht wesentlich verschieden. Nach Savignys Meinung hat die eigentliche Grundlage eines jeden positiven Rechts ihr Dasein, ihre Wirklichkeit, im gemeinsamen Bewusstsein des Volkes. Dieses Dasein ist ein Unsichtbares. Man erkennt dieses Dasein, indem es sich in äußeren Handlungen offenbart und sich in Übung, Sitte und Gewohnheit zeigt. „So ist (für Savigny: Ergänzung des Verfassers), die Gewohnheit das Kennzeichen des positiven Rechts, nicht dessen Entstehungsgrund“.7 Unter der Voraussetzung, dass das Gewohnheitsrecht in „einer rechtlichen Überzeugung (der sog. opinio necessitatis)“ des Volkes vorhanden ist und die Gewohnheit nichts als ein Erkennntnismittel des Gewohnheitsrechts ist, muss die Rechtsüberzeugung Sätze in Bezug auf die Existenz des Rechtssatzes zum Inhalt haben. In der Tat sagt Zitelman im Hinblick auf die Puchta-Savignysche Lehre Folgendes: „Das Recht ist die gemeinsame rechtliche Überzeugung, das gemeinsame rechtliche Bewußtsein des Volks (oder einer Volksabtheilung)“8 „Zum Inhalt hat diese Überzeugung, daß der Satz, um den es sich handelt, Recht sei, nicht bloß, daß er Recht sein solle“.9 Puchta, Pandekten, 1844, S. 16. Puchta, Fn. 3, S. 16 f. 5 Puchta, Fn. 3, S. 18. 6 Puchta, Fn. 3, S. 18. 7 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band 1, 1840, S. 35. 8 Zitelmann, Gewohnheitsrecht und Irrtum, AcP 1883, S. 386. 9 Siehe Zitelmann, Fn. 8, S. 387. Ferner sagt Windscheid: „Nach der Ansicht Savignys und Puchtas . . . soll die Übung (Gewohnheit) nur Erkenntnismittel des, also auch vor ihr 3 4
Die Entstehung des Gewohnheitsrechts und die opinio juris
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Aber nach kurzer Zeit verstärkte sich die Kritik an der Puchta-Savignyschen Lehre. Zum Beispiel sieht Windscheid diese Lehre als „spiritualistisch“ an und sagt: „Nicht nur, daß die nicht geübte Rechtsüberzeugung als ein rein Innerliches nicht in Betracht kommen kann, sondern es ist auch die nicht in der Übung zum Ausdruck gelangte Rechtsüberzeugung ihrer Qualität nach zur Begründung von Recht nicht ausreichend.“10
Jener „spiritualistischen“ Auffassung gegenüber sieht die neue „herrschende Ansicht“11 die Übung nicht als ein Erkennntnismittel des Gewohnheitsrechts, sondern als ein Entstehungserfordernis des Gewohnheitsrechts an. Infolgedessen scheint es dem Verfasser, dass es, für die Ansicht, die Rechtsüberzeugung im Sinne der Überzeugung von der Existenz des Rechtssatzes zu einem Entstehungserfordernis des Gewohnheitsrechts zu machen, nicht braucht, weil sie im Unterschied zur Lehre Savignys und Puchtas nicht von der Voraussetzung ausgeht, dass das Gewohnheitsrecht in der Rechtsüberzeugung des Volkes vorhanden ist. Dennoch hält sie unter dem starken Einfluss der Lehre Savignys und Puchtas eine solche Rechtsüberzeugung als ein Entstehungserfordernis aufrecht. Infolgedessen birgt sie folgende ernsthafte, theoretische Schwierigkeit in sich: Nach dieser Ansicht kann Gewohnheitsrecht nur durch Übung mit der Überzeugung von der Existenz des Rechtssatzes, dem sie entspricht, entstehen. Aber die Überzeugung, dass bereits ein entsprechender Rechtssatz besteht, ist notwendigerweise falsch oder irrtümlich, da sie als ein Entstehungserfordernis des Gewohnheitsrechts, nämlich vor der Entstehung des Gewohnheitsrechts, gefordert ist. Daraus kann man schließen, dass die neue „herrschende Ansicht“ den Rechtsirrtum als ein Entstehungserfordernis des Gewohnheitsrechts ansieht. Aber es wäre sonderbar zu behaupten, dass jedes Gewohnheitsrecht nur durch die Übung verbunden mit einem Rechtsirrtum entstehen kann. Dieses Problem des Rechtsirrtums wurde schon damals von vielen bemerkt12, trotzdem beharrte die neue „herrschende Ansicht“ auf dem Begriff der Rechtsüberzeugung im obigen Sinne. Anstatt diesen Begriff zu überprüfen, versuchte sie zu beweisen, dass der genannte Irrtum der Handelnden kein Hindernis für die Gewohnheitsrechtsbildung bedeute.13 Im Gegensatz dazu überprüfte Brinz den Begriff der Rechtsüberzeugung. Er sagt: „Nur daß Rechtens sein solle, was man thut, und daß man also wohl daran thue, so zu handeln, ist der Gedanke, von dem die zur Gewohnheit führende That begleitet sein muß, schon vorhandenen, Rechts sein.“ Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Band 1, 5. Aufl., 1879, S. 43. 10 Windscheid, Fn. 9, S. 43. 11 Zitelmann, Fn. 8, S. 394. 12 Vgl. Gersterding, Beisteuer zur Theorie vom Gewohnheitsrecht, AcP 1820, S. 263; Puchta, Gewohnheitsrecht, Band 2, 1837, S. 64, 67; Savigny, Fn. 7, S. 175; Źródołowski, Das Römische Privatrecht, Band 1, 1877, S. 33; Zitelmann, Fn. 8, S. 392 – 395; Hölder, Pandekten, Band 1, 1886, S. 30; Regelsberger, Pandekten, Band 1, 1893, S. 96. 13 Regelsberger, Fn. 12, S. 96 f.
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nicht daß es schon Rechtens sei, und darum gethan werden müsse; letzteres ist Folge der fertigen, nicht Bedingung der erst werdenden Gewohnheit.“14
In diesem Zitat wird der wichtige Gesichtspunkt deutlich, dass die Überzeugung von der Existenz des Rechtssatzes nicht als ein Entstehungserfordernis des Gewohnheitsrechts angesehen werden kann, nur weil sie nach der Entstehung des Gewohnheitsrechts erscheint. Unter diesem Gesichtspunkt versteht Brinz die Rechtsüberzeugung als die Überzeugung, dass der Satz, um den es sich handelt, Recht sein solle. Zwar gilt für diese Ansicht nicht die an der neuen „herrschenden Ansicht“ geübte Kritik, dass sie den Rechtsirrtum der Handelnden als ein Entstehungserfordernis des Gewohnheitsrechts ansieht. Aber diese Ansicht betreffend stellt sich dennoch die Frage, warum zur Entstehung des Gewohnheitsrechts eine solche Rechtsüberzeugung in diesem speziellen Sinne gebraucht wird. Wo ist die Daseinsberechtigung der obigen Rechtsüberzeugung in Bezug auf die Gewohnheitsrechtsbildung? Die neue „herrschende Ansicht“ erwähnt das manchmal. Zum Beispiel sagt Regelsberger, nach dessen Ansicht die Rechtsüberzeugung das Bewusstsein der Handelnden, „damit in Anwendung des bestehenden Rechts zu handeln“, nicht bloß die „Meinung, dass es zweckmäßig sei so zu verfahren oder dass es so Rechtens sein sollte“15 ist: „Nach der einen, der ältern Theorie erzeugt die Gewohnheit das Recht . . . Aber noch mehr: diese Auffassung muß die Antwort auf die Frage schuldig bleiben, warum das, was aus Gefälligkeit, Zuneigung, Ehrerbietung gleichförmig beobachtet wird, nicht zum Recht erwächst, warum die Ärzte trotz langer Übung kein Recht auf Honorierung über die Taxe, die Kinder, Ehegatten und Freunde keinen Anspruch auf Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke erwerben.“16
Ist die Überzeugung, dass der Satz geltendes Recht sei, tatsächlich aber unentbehrlich dafür, die Unterscheidung des Gewohnheitsrechts von der Regel der Sitte, des Anstandes darzulegen? Zuerst kann man fragen, ob die Rechtsüberzeugung im Sinne von Brinz für sich ausreichend ist, um die Unterscheidung darzulegen. In der Tat versucht Unger, mit der „Überzeugung des Volks von dem was Recht sein soll“ die Unterscheidung der Gewohnheit als Gewohnheitsrecht von der Gewohnheit im natürlichen Sinn als Übung, Gebrauch, Sitte, Herkommen darzulegen.17 Er sagt: „Wenn es z. B. an einem Ort üblich ist bei einer Leichenfeier einen Leichenschmaus zu halten, oder nach geschlossenem Handel ins Gasthaus zu gehen und Wein zu trinken,
14 Brinz, Pandekten, Band 1, 1873, S. 114. Übrigens sieht Zoll den Brinzschen Hinweis zur Rechtsüberzeugung als gültig an. Zoll, Über die verbindliche Kraft des Gewohnheitsrechts im Justinianischen Recht mit Bezugnahme auf die heutigen Gesetzbücher, insbesondere das allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch, Iehrings Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts XIII, 1874, S. 417. 15 Regelsberger, Fn. 12, S. 96. 16 Regelsberger, Fn. 12, S. 93. 17 Unger, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, Vol. 1, 1856, S. 38 f.
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oder das Vieh nicht im April, sondern im Mai auf die Weide zu führen, so spricht sich in allen diesen Vorgängen sicher keine Rechtsüberzeugung aus: es ist nicht eine Rechtsüberzeugung, welche in und durch Gewohnheit zum Rechtssatz wird, sondern es sind die Handlungen, welche durch Wiederholung zu natürlichen Gewohnheiten, zur Sitte werde.“18
Zweitens kann man darauf hinweisen, dass es sich bei der Unterscheidung des Gewohnheitsrechts von der Regel der Sitte, des Anstandes darum handelt, ob die betreffende Gewohnheit dem Rechtsgebiet angehört oder nicht. Im Hinblick auf diesen Hinweis sind Danz’ folgende Ausführungen sehr interessant. Er sagt: „Weiter: fordert man eine opinio necessitatis bei den betreffenden Übungen und versteht man darunter ein Gefühl der Notwendigkeit, des Zwanges, so und nicht anders zu handeln, so findet man solches Gefühl auch nicht bloß auf dem Gebiet des Rechts, sondern auch auf dem der Sitte, des Anstandes u.: man fühlt sich als anständiger Mann gezwungen, beim Eintritt in die Stube den Hut abzuziehen, weil dies die ‚Gesetze‘ des Anstandes verlangen; man fühlt sich gezwungen, sich mit einem Anderen zu duellieren, weil es der Ehren‚Kodex‘ so verlangt, man fühlt diesen Zwang vielleicht sogar, obgleich man weiß, daß das Duell mit Strafe bedroht ist“.19 „Man versteht aber unter der opinio juris noch etwas Anderes: nämlich das Gefühl, daß die betreffende Norm gerade dem Rechtsgebiet angehört, daß sie nicht eine Konventionsregel, nicht eine Regel der Sitte, des Anstances u. ist; denn auch auf diesem letzteren Gebiete giebt es Gewohnheiten, wie die Sitte, wieder zu grüßen, wenn man gegrüßt wird, Trinkgelder zu geben, den Arzt über die Taxe zu zahlen, den Seinigen zu Weihnachten Geschenke zu machen u. Durch das Erfordernis dieser opinio juris will man den Zweck erreichen, daß der Richter nicht aus solchen Gewohnheiten Normen zieht und sie bei der Rechtsprechung anwendet; daß er nicht Konventionalregeln, sondern nur Rechtsregeln anwendet.“20
In diesem Zitat versteht Danz unter der opinio juris das Gefühl, dass die betreffende Norm gerade dem Rechtsgebiet angehört. Und er versucht, die entstehungsgemäße Unterscheidung des Gewohnheitsrechts von der Regel der Sitte, des Anstandes durch das Erfordernis einer solchen opinio juris darzulegen. Aber die opinio juris im Sinne von Danz kann nicht ein Entstehungserfordernis des Gewohnheitsrechts sein. Wie Danz erwähnt, gibt es eine sich auf das Gebiet des Rechts beziehende Gewohnheit und eine sich auf das Gebiet der Sitte, des Anstandes beziehende Gewohnheit, und nur Erstere kann ein Gewohnheitsrecht bilden. Daraus könnte man ein Entstehungserfordernis des Gewohnheitsrechts ableiten, in der Weise, dass eine Übung sich auf das Gebiet des Rechts beziehen muss, um ein Gewohnheitsrecht zu bilden. Dieses Erfordernis ist nicht subjektiv, sondern objektiv. Jedes positive Recht gründet sich auf den Unterschied zwischen dem Rechtsgebiet und einem anderem Gebiet. Dieser Unterschied ist auch die Voraussetzung für die Unger, Fn. 17, S. 39. Danz, Laienverstand und Rechtsprechung, Iehrings Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, 1898, S. 458 f. 20 Danz, Fn. 19, S. 459 f. 18 19
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Vorstellung der Lücke im Recht (Gesetzeslücke), denn man kann nur von einer Lücke sprechen, wenn es keine Gesetzesbestimmung im Rechtsgebiet gibt.21 Und was das Rechtsgebiet ist, hängt von dem Zweck des positiven Rechts als Ganzes ab.22 Daraus lässt sich schließen, dass die opinio juris im Sinne Danz’ nicht ein Entstehungserfordernis des Gewohnheitsrechts ist, sondern die Beurteilung des Handelnden, dass in Hinsicht auf die betreffende Übung das oben erwähnte objektive Erfordernis erfüllt ist. Nach der heute noch herrschenden Meinung kann jedes Gewohnheitsrecht nur durch die Übung mit der Überzeugung von der Existenz des Rechtssatzes, dem sie entspricht, entstehen.23 Aber diese Rechtsüberzeugung (die opinio juris), dass bereits ein entsprechender Rechtssatz besteht, ist notwendigerweise falsch oder irrtümlich, da sie vor der Entstehung des Gewohnheitsrechts gefordert ist. Deshalb kann dieser Ansicht nach jedes Gewohnheitsrecht nur durch die Übung verbunden mit einem Rechtsirrtum entstehen. Aber diese Darlegung ist sonderbar. Es scheint, dass ein solches Verständnis der Rechtsüberzeugung aus Puchtas und Savignys Lehre entspringt. Unter ihrer Lehre muss die Rechtsüberzeugung Sätze in Bezug auf die Existenz des Rechtssatzes zum Inhalt haben, denn sie geht von der Voraussetzung aus, dass die Entstehung eines Gewohnheitsrechts die Entstehung einer Rechtsüberzeugung ist und die Gewohnheit nichts als ein Erkenntnismittel des Gewohnheitsrechts. Im Gegensatz zu Puchtas und Savignys Lehre braucht die herrschende Meinung nicht mehr das Erfordernis der sog. Rechtsüberzeugung aufrechtzuerhalten, denn sie geht nicht mehr von der oben genannten Voraussetzung aus. Dennoch beharrt sie auf dieser Rechtsüberzeugung aus dem Grunde, dass ohne das Erfordernis der sog. Rechtsüberzeugung es praktisch unmöglich ist, eine Gewohnheit als Rechtsgewohnheit zu erkennen und von bloßer Sitte entstehungsgemäß zu unterscheiden. Es bedarf aber nicht des Erfordernisses der sog. Rechtsüberzeugung, um das Gewohnheitsrecht von der Regel der Sitte, des Anstandes entstehungsgemäß zu unterscheiden. Bei der Unterscheidung handelt es sich darum, ob die betreffende Übung dem 21 Larenz unterscheidet zwischen einem Bereich, der rechtlicher Regelung überhaupt bedarf und einem sog. „rechtsfreien Raum“, den die Rechtsordnung ungeregelt lässt. Er sagt: „Mag auch die genaue Abgrenzung zwischen dem, was noch in den Bereich möglicher oder gar zu fordernder rechtlicher Regelung fällt, und dem, was jeweils dem rechtsfreien Raum zuzuweisen is, mitunter zweifelhaft sein, so ist die Unterscheidung für eine sinnvolle Bestimmung des Lückenbegriffs doch unentbehrlich. Ein einzelnes Gesetz und auch eine Gesamtkodifikation kann immer nur insoweit ‚lückenhaft‘ sein, als sie eine Regel vermissen läßt, die eine Frage betrfft, die nicht dem ,rechtsfreien Raum‘ zu überlassen ist“. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 371. 22 Ob eine Gesetzeslücke vorliegt, ist, nach Larenz zu beurteilen vom Standpunkt des Gesetzes selbst, der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht, der mit ihr verfolgten Zwecke, des gesetzgeberischen „Plans“. Larenz, Fn. 21, S. 373. 23 Vgl. Palandt, BGB Bd. 7, 61. Aufl., 2002, S. 4; Soergel, BGB Bd. 10, 12. Aufl., 1996, p. 11; Erman, BGB Bd. 1, 9. Aufl., 1993, S. 371; BVerfGE 28, S. 21 [S. 28 f.]; BVerfGE 34, S. 293, 303 f.
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Rechtsgebiet oder einem anderen Gebiet angehört. Der Unterschied zwischen dem Rechtsgebiet und einem anderen Gebiet liegt jedem positiven Recht zugrunde und ist auch die Voraussetzung für die Vorstellung der Lücke im Recht (Gesetzeslücke). Auf Grund dieses Unterschieds kann man das Gewohnheitsrecht von der Regel der Sitte usw. entstehungsgemäß unterscheiden. Das heißt, dass nur eine sich auf das Rechtsgebiet beziehende Gewohnheit das Gewohnheitsrecht hervorbringen kann und eine sich auf ein anderes Gebiet beziehende Gewohnheit nicht.24 Aber das heißt nicht immer, dass zur Entstehung des Gewohnheitsrechts kein Bewusstsein der Norm notwendig wäre. Die bloße zufällige Wiederholung des gleichförmigen Handelns ohne jedes Bewusstsein der Norm kann nicht Gewohnheitsrecht hervorbringen. Zur Entstehung des Gewohnheitsrechts ist nicht das bestimmte Bewusstsein notwendig, ein Recht zu befolgen, sondern ein Bewusstsein irgendeiner Norm, so zu handeln.
III. Die Gewohnheitsrechtslehre Génys Gény sagt im Jahr 1899, dass es nur wenig französische Literatur über das Gewohnheitsrecht gibt, während die deutsche Wissenschaft das Gewohnheitsrecht genau analysiert hat.25 Deshalb wird seine Gewohnheitsrechtslehre überwiegend auf Basis der damaligen deutschen Literatur zum Gewohnheitsrecht entwickelt. Mit anderen Worten: Seine Lehre wird stark von der damaligen deutschen Literatur beeinflusst. Nach Génys Meinung enthält das Gewohnheitsrecht zwei positive Elemente: „l’un, de nature materielle, un long et constant usage; l’autre, d’ordre psychologique, la conviction d’une sanction juridique, spécifiant et qualifiant, l’usage, comme coutume obligatoire.“26 Zu diesen zwei Elementen sagt er: „L’usage, qui forme le premier élément, et comme le substratum nécessaire de toute coutume juridique, suppose, de la part des intéressés, une série d’actes ou de faits, parfois 24 Früher war in Japan auch die Ansicht herrschend, die die Rechtsüberzeugung im Sinne der Überzeugung von der Existenz des Rechtssatzes als ein Entstehungserfordernis des Gewohnheitsrechts ansah. Aber heutzutage vertritt die Majorität die Meinung, dass diese Rechtsüberzeugung nicht als ein Entstehungserfordernis des Gewohnheitsrechts anzusehen ist. Dabei wird hauptsächlich der Grund angeführt, dass es schwierig sei, diese Rechtsüberzeugung zu bestätigen. Aber es ist beachtenswert, dass ein Autor neuerdings die folgenden zwei Punkte betont. Erstens: Nach der früheren herrschenden Ansicht kann jedes Gewohnheitsrecht nur durch die Übung verbunden mit einem Rechtsirrtum entstehen. Zweitens: Um das Gewohnheitsrecht von der Regel der Sitte, des Anstandes entstehungsgemäß zu unterscheiden, genügt es, nur eine dem Rechtsgebiet angehörende Gewohnheit als ein Gewohnheitsrecht anzusehen. Vgl. Taki, Opinio Juris as One of the Requirements for Customary International Law: Theoretical Observations, Hikakuhō Zasshi / Comparative Law Review, Vol. 39, No. 2, 2005, S. 60. 25 Gény, Méthode d’interpretation et sources en droit privé positif, 1919, S. 317. 26 Gény, Fn. 25, S. 356 f.
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même, mais plus rarement, d’omissions, de nature à constituer un rapport biens défini de la vie sociale, et susceptible en même temps d’une sanction juridique.“27 „A côté de ce premier élément, materiel et sensible, en quelque sorte, la coutume juridique requiert, pour son existente positive, une condition, immatérielle et psychologique, don’t le diagnostic est infiniment plus délicat et plus fin, et que l’on traduit souvent par sa qualification traditionnelle: opinio juris seu necessitates.“ „[L]es actes, composant cet usage, n’ont effet, pour la création du droit,’ que s’ils ont lieu dans la pensée d’une sanction sociale effective.“28 „Comme le fait observer ce dernier auteur (Regelsberger), il ne suffirait pas que l’usage fût pratiqué dans la pensée, qu’il est convenable que cela soit, ni même que cela devrait juridiquement être. II faut la persuasion, qu’il en est juridiquement ainsi, que la pratique applique le droit existant.“29
In diesem Zitat folgt Gény der deutschen herrschenden Meinung, dass jedes Gewohnheitsrecht nur durch die Übung verbunden mit der opinio juris, d. h. die Übung verbunden mit der Überzeugung von der Existenz des Rechtssatzes, dem sie entspricht, entstehen kann. Deshalb gilt auch für Génys Meinung, was oben bereits über die deutsche herrschende Meinung kritisch gesagt wurde: Sie sieht den Rechtsirrtum als ein Entstehungserfordernis des Gewohnheitsrechts an. In Anbetracht dieses Problems wirft er die Frage auf, ob der Irrtum der Handelnden, dass es Recht sei, was er befolge, die Gewohnheitsrechtsbildung verhindert. Auf diese Frage antwortet er folgendermaßen: „[J] je n’hésite pas à penser, que l’erreur, entachant l’origine de la coutume, ne saurait faire échec à la force créatrice de cellesci.“30 Die Gegenmeinung stellt sich, nach seiner Ansicht, gegen die sozialen Bedürfnisse, die die Anerkennung der Gewohnheit als eine Rechtsquelle des positiven Rechts fordern.31 Aber die Frage, ob der Irrtum der Handelnden die Gewohnheitsrechtsbildung verhindert, ist zweitrangig. Die entscheidende Frage ist die, ob eigentlich die opinio juris in Génys Sinne, d. h. die irrige Überzeugung von der Existenz des Rechtssatzes als ein Entstehungserfordernis des Gewohnheitsrechts angesehen werden soll. Denn es wäre sonderbar und irrational, einen solchen Rechtsirrtum als ein Entstehungserfordernis des Gewohnheitsrechts anzusehen. Weshalb hält Gény die opinio juris für ein Entstehungserfordernis des Gewohnheitsrechts? In Bezug auf ein solches Entstehungserfordernis des Gewohnheitsrechts sagt er: „[C]est là l’élément spécifiquement caractéristique de la coutume juridique, le seul, qui la distingue de ces habitudes du monde, de tous ces multiples usages de la vie, auxques on ne saurait, à aucun degré, reconnaître force juridique obligatoire. – Et, c’est ainsi, par exemple, que des usages, comme celui du pourboire, celui des cadeaux ou présents à l’occasion d’anniversaires ou de dates marquantes de la vie . . . même l’usage de la constitui27 28 29 30 31
Gény, Fn. 25, S. 357. Gény, Fn. 25, S. 360 f. Gény, Fn. 25, S. 361, Fußnote 4. Gény, Fn. 25, S. 371. Gény, Fn. 25, S. 368.
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tion de dot aux enfants, qu’on peut considérer comme constant, en France, chez les familles aisées, ces usages, et tous autres semblables, ne puvent assurément être tenus pour coutumes juridiques, parce que les actes, d’où ils résultent, sont accomplis par pure bienveillance, et sans aucune pensée de satisfaire à une obligation de droit; tandis qu’il en est autrement de l’usage, conférant à la femme mariée le nom de son man, qui n’est plus seulment une habitude du monde, mais a pris le caractère d’un veritable droit, que la femme exerce et, au besoin, revendique comme tel.“32
In diesem Zitat hält Gény, ebenso wie die deutsche herrschende Meinung, das Erfordernis der opinio juris für unentbehrlich, um das Gewohnheitsrecht von der Regel der Sitte, des Anstandes entstehungsgemäß zu unterscheiden. Hier gilt ebenfalls, was oben bereits von der deutschen herrschenden Meinung kritisch gesagt wurde: Bei der entstehungsgemäßen Unterscheidung des Gewohnheitsrechts von der Regel der Sitte, des Anstandes handelt es sich darum, ob die betreffende Gewohnheit dem Gegenstand rechtlicher Regelung, d. h. dem „Bereich möglicher oder gar zu fordernder rechtlicher Regelung“33 angehört oder nicht. Anders ausgedrückt kann die betreffende Gewohnheit das Gewohnheitsrecht nur bilden, wenn sie dem Gegenstand rechtlicher Regelung angehört. Sie kann nicht das Gewohnheitsrecht bilden, wenn sie dem Bereich, den die Rechtsordnung ungeregelt lässt, angehört. Ohne die opinio juris als ein Entstehungserfordernis des Gewohnheitsrechts anzusehen, ist es praktisch also möglich, eine Gewohnheit als Rechtsgewohnheit zu erkennen und von bloßer Sitte entstehungsgemäß zu unterscheiden. Im Hinblick darauf ist es bemerkenswert, dass Gény selbst in den obigen Zitaten die Übung als ein Entstehungserfordernis des Gewohnheitsrechts für „une série d’actes . . . susceptible . . . d’une sanction juridique“ betrachtet. Es scheint, dass die Worte „une série d’actes . . . susceptible . . . d’une sanction juridique“ eine Reihe von Akten bedeuten, die dem Gegenstand rechtlicher Regelung angehören. Deshalb ist anzunehmen, dass Gény die opinio juris nicht als ein Entstehungserfordernis des Gewohnheitsrechts anzusehen braucht. Auf die Frage z. B., warum Kinder, Ehegatten und Freunde trotz längerer Übung keinen rechtlichen Anspruch auf Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke erwerben, würde er die folgende Antwort geben: Weil diese Übungen nicht „une série d’actes . . . susceptible . . . d’une sanction juridique“ sind, d. h. nicht dem Gegenstand rechtlicher Regelung angehören. Gény redet von Verkehrssitte (usage conventionnel) im Gegensatz zum Gewohnheitsrecht. Nach seiner Meinung ist Verkehrssitte eine dauernde und ständige Übung ohne die opinio juris, während Gewohnheitsrecht eine dauernde und ständige Übung mit der opinio juris darstellt. Er sagt: „Au premier coup d’oeil, an n’aperçoit pas bien, pouquoi les Usages conventionnels seraient exclus dus cadre de la coutume. . . . Sans doute, l’usage conventionnel présente bien l’élément matériel de la coutume, puisqu’il suppose une pratique constamment et longuement suivie. Mais, contient-il l’élément psychologique, également nécessaire pour la 32 33
Gény, Fn. 25, S. 361 f. Larenz, Fn. 21, S. 371.
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caractériser, l’opinio juris, teile que nous l’avons définie? Dans la plupart des cas, an doit, sans hésiter, répondre négativement.“34
Wie oben erwähnt, ist die opinio juris nicht als ein Erfordernis für die Entstehung des Gewohnheitsrechts anzusehen. Deshalb ist es nicht angemessen, den entstehungsgemäßen Unterschied zwischen Verkehrssitte und Gewohnheitsrecht mit der opinio juris zu erklären. Alle dauernden und ständigen Übungen im Verkehr, soweit sie dem Gegenstand rechtlicher Regelung angehören, sind als Gewohnheitsrecht anzusehen. In der Tat zeigt die Mehrheit der japanischen Gelehrten heutzutage die Tendenz, Verkehrssitte mit Gewohnheitsrecht entstehungsgemäß gleichzusetzen.35 Zwar meint Gény, dass Verkehrssitte und Gewohnheitsrecht unterschiedlich hinsichtlich ihrer Funktion sind. „[S]i les usages conventionnels n’impliquent pas l’opinio juris nécessaire à la coutume, il faut, en revanche, qu’ils aient été connus des parties, ou, du moins, qu’on puisse, d’après les circonstances, présumer que celles-ci aient entendu sý soumettre. – Sous ce dernier rapport, au contraire, une règle vraiment coutumière, qui suppléerait la volonté des parties, devrait, aussi bien que la loi, investie du même office, s’imposer à l’interprète, alors même que les parties l’auraient totalement ignorée, et à défaut d’une volonté nettement contraire.“36
Aber der folgende Satz Génys macht klar, dass der Unterschied in Wahrheit sehr gering ist. Er sagt: „D’ailleurs, le plus souvent, les usages conventionnels pourront être présumés, en fait, connus des paries.“37
In dieser Hinsicht ist die folgende Behauptung von Danz aufschlussreich. Er sagt: „Wer in einem bestimmten geschäftlichen Verkehr eintritt, kann sich hinterher auf die Unkenntnis einer Geschäftsübung nicht berufen, sofern die mit ihm verkehrenden Personen seine Kennntnis vorausgesetzt haben und zu dieser Voraussetzung berechtigt waren“.38
Wer hinsichtlich der Rechtsfolge Verkehrssitte und Gewohnheitsrecht unter allen Umständen unterscheiden will, sollte an Stelle der opinio juris auf den Grad der Stabilität der Übung abzielen. Mit anderen Worten könnte man sagen: Die Übung, die dem Gegenstand rechtlicher Regelung angehört, bleibt Verkehrssitte, wenn sie schwankend und unbeständig bleibt, während sie Gewohnheitsrecht wird, wenn sie stabil, einheitlich und feststehend ist. Übrigens führt Gény, ohne die Existenz der opinio juris zu beweisen, nur die Tatsache an, dass die Übungen 34 35 36 37 38
Gény, Fn. 25, S. 422. Vgl. Taki, Fn. 24, S. 27 ff. Gény, Fn. 25, S. 425. Gény, Fn. 25, S. 423, Fußnote 3. Danz, Fn. 19, S. 388.
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einheitlich sind, wenn er viele Übungen in den Börsen als Gewohnheitsrecht betrachtet.39
IV. Schluss Abschließend seien hier noch einmal die Erkenntnisse, die sich aus den obigen Überlegungen zur Gewohnheitsrechtslehre Génys ergeben, kurz zusammengefasst. Gény ist ebenso wie die deutsche herrschende Meinung der Ansicht, dass jedes Gewohnheitsrecht nur durch die Übung mit der opinio juris, d. h. mit der Überzeugung von der Existenz des Rechtssatzes, dem sie entspricht, entsteht. Aber diese Meinung führt zu dem sonderbaren Ergebnis, dass jedes Gewohnheitsrecht nur durch die Übung verbunden mit einem Rechtsirrtum entstehen kann.40 Zwar hält er, ebenso wie die deutsche herrschende Meinung, das Erfordernis der opinio juris für unentbehrlich, um das Gewohnheitsrecht von der Regel der Sitte, des Anstandes entstehungsgemäß zu unterscheiden. Es bedarf aber nicht des Erfordernisses der sog. Rechtsüberzeugung, um eine Gewohnheit als Rechtsgewohnheit zu erkennen und von bloßer Sitte entstehungsgemäß zu unterscheiden. Bei der Unterscheidung handelt es sich in Wahrheit darum, ob die betreffende Übung dem Rechtsgebiet oder einem anderen Gebiet angehört. Der Unterschied zwischen dem Rechtsgebiet und einem anderen Gebiet liegt jedem positiven Recht zugrunde und ist auch die Voraussetzung für die Vorstellung der Lücke im Recht (Gesetzeslücke). Auf Grund dieses Unterschieds kann man das Gewohnheitsrecht von der Regel der Sitte usw. entstehungsgemäß unterscheiden. Das heißt, dass nur eine sich auf das Rechtsgebiet beziehende Gewohnheit das Gewohnheitsrecht hervorbringen kann und eine sich auf ein anderes Gebiet beziehende Gewohnheit nicht. Aber das heißt nicht immer, dass zur Entstehung des Gewohnheitsrechts kein Bewusstsein der Norm notwendig wäre. Die bloße zufällige Wiederholung des gleichförmigen Handelns ohne jedes Bewusstsein der Norm kann nicht Gewohnheitsrecht hervorbringen. Zur Entstehung des Gewohnheitsrechts ist nicht das bestimmte Bewusstsein notwendig, ein Recht zu befolgen, sondern ein Bewusstsein irgendeiner Norm, so zu handeln. Gény, Fn 25, S. 429. In ähnlicher Weise wird auch von Kelsen im Hinblick auf die traditionelle Meinung über das Völkergewohnheitsrecht auf diesen Fehler hingewiesen. Aber es ist noch hinzuzufügen, dass die traditionelle Meinung ein ernsthaftes Problem beinhaltet. Da die Völkerrechtsgemeinschaft dezentralisiert ist und keine besonderen, arbeitsteiligen Organe hat, ist zur Feststellung der tatbestandsmäßigen Tatsachen (des bedingenden Tatbestandes) des Völkergewohnheitsrechts im Allgemeinen nicht ein besonderes Organ ermächtigt, sondern die betreffenden Staaten. Wenn man diese Tatsache in Erwägung zieht, wird man sofort bemerken, dass die Übung mit der Überzeugung von der Existenz des Rechtssatzes, dem sie entspricht, die authentische Feststellung der Tatbestände des Völkergewohnheitsrechts enthält. In einer solchen Übung zeigt sich doch die Beurteilung, dass es bereits den Rechtssatz, dem sie entspricht, gibt. Deshalb ist es vom logischen Standpunkt aus unmöglich, die Übung mit der Überzeugung von der Existenz des Rechtssatzes, dem sie entspricht, als ein Entstehungserfordernis des Völkergewohnheitsrechts anzusehen. Vgl. Taki, Fn. 24, S. 94 f. 39 40
Verzeichnis der Schriften von Koresuke Yamauchi Teil A Veröffentlichungen in europäischen Sprachen I. Monographie (01) Reception av västeuropeisk rätt och den recipierade utländska rättens funktion i Japan (Rezeption westeuropäischen Rechts und Funktion des rezipierten ausländischen Rechts in Japan), Lund 1984 (Skrifter utgivna av Juridiska Föreningen I Lund, Nr. 74), 33 S.
II. Herausgeber (01) Beiträge zum japanischen und ausländischen Bank- und Finanzrecht (Schriftenreihe des Japanischen Instituts für Rechtsvergleichung, Bd. 10), Tokyo 1988, 233 S. (02) Probleme des deutschen, europäischen und japanischen Rechts, Festschrift aus Anlass des 20jährigen Bestehens der Partnerschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der Chuo-Universität Tokio auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft, Berlin 2006, 216 S. (zusammen mit Großfeld, Ehlers und Ishikawa).
III. Aufsätze (01) Der Zwischenentwurf zur Änderung des japanischen Staatsangehörigkeitsgesetzes, 17 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1983, Heft 2, Tokyo, 31 – 47. (02) Oasengesellschaften und Art. 482 jap. HGB, 18 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1984, Heft 1, Tokyo, 1 – 21. (03) Ein Vergleich des internationalen Familienrechts zwischen den Niederlanden und Japan – Eine systematische Skizze –, 18 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1984, Heft 3, Tokyo, 57 – 89. (04) Der Erwerb und die Änderung des Familiennamens im japanischen Recht, 37 Zeitschrift für das Standesamtswesen (StAZ) 1984, Heft 12, Frankfurt am Main, 329 – 336. (05) Internationales Gesellschaftsrecht in Japan, 30 Die Aktiengesellschaft (AG) 1985, Nr. 9, Köln, 229 – 237 (zusammen mit Großfeld). (06) Zur Änderung des japanischen Staatsangehörigkeits- und Personenstandsrechts, 5 Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (IPRax) 1985, Heft 1, Bielefeld, 59 – 60.
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Verzeichnis der Schriften von Koresuke Yamauchi
(07) Die Trennung von Banken und Effektenfirmen in Japan, in: Yamauchi (Hrsg.), Beiträge zum japanischen und ausländischen Bank- und Fianzrecht, Tokio 1988, 217 – 233. (08) Ausländisches Recht und Rechtsvergleichung in der japanischen Juristenausbildung, Juristische Ausbildung (JURA) 1989, Heft 9, München, 459 – 465. (09) Das Insiderrecht in Japan, Recht der Internationalen Wirtschaft (RIW) 1989, Heft 7, Heidelberg, 522 – 528. (10) Zu den Bank- und Effektengeschäften im japanischen Gesetzes- und Gewohnheitsrecht, 24 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1990, Heft 2, Tokyo, 1 – 20. (11) Zur Änderung des Internationalen Ehe- und Kindschaftsrechts in Japan, Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (IPRax) 1990, Heft 4, Bielefeld, 268 – 270. (12) Internationales Konzernrecht in Japan, 96 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1990, Heft 3 / 4, Tokyo, 1 – 22. (13) Internationales Konzernrecht in Japan, 20 Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (ZGR) 1991, Heft 2, Bonn, 235 – 251. (14) Juristenausbildung und Anwendung ausländischen Rechts in Japan – Die Rolle der Juristen bei der Rezeption des ausländischen Rechts –, in: Institut suisse de droit comparé (Hrsg.), Osmose zwischen Rechtsordnungen, Zürich 1992, 355 – 360. (15) Internationales Konzernrecht in Japan, in: Lutter (Hrsg.), Konzernrecht im Ausland, ZGR-Sonderheft 11, Bielefeld 1994, 154 – 170. (16) Das Japanische im japanischen Finanzrecht, in: Menkhaus (Hrsg.), Das Japanische im japanischen Recht, München 1994, 311 – 315. (17) Privatisierung der Staatsunternehmen in Japan, in: Kreuzer (Hrsg.), Privatisierung von Unternehmen, Baden-Baden 1995, 133 – 150. (18) Die Gründung von Tochtergesellschaften in Japan, in: Lutter (Hrsg.), Die Gründung von Tochtergesellschaften im Ausland, ZGR-Sonderheft 3. Auflage Bonn 1995, 338 – 373 (zusammen mit Menkhaus). (19) Gleichberechtigung im japanischen Familienrecht, in: Verschraegen (Hrsg.), Gleichheit im Familienrecht, Bielefeld 1997, 333 – 341. (20) Stand und Perspektiven der Deregulierung in Japan, in: Blaurock (Hrsg.), Grenzen des Wettbewerbs auf deregulierten Märkten, Baden-Baden 1999, 29 – 39. (21) Zur Anwendung ausländischer unselbständiger Kollisionsnormen, in: Hübner / Ebke (Hrsg.), Festschrift für Bernhard Großfeld, Heidelberg 1999, 1357 – 1365. (22) Japan, in: Bergmann / Ferid / Henrich (Hrsg.), Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Loseblattsammlung Stand 2000, Frankfurt am Main u. a., 57 S. (mit Menkhaus und Sato). (23) Staatshaftung für Kriegsgeschädigte im japanischen Internationalen Privatrecht, in: Berger / Kühne / Großfeld / Ebke / Elsing (Hrsg.), Festschrift für Otto Sandrock, Heidelberg 2000, 1057 – 1064. (24) Vorgeschichte des Internationalen Eherechts in Japan, in: Jayme / Schwab / Gottwald (Hrsg.), Festschrift für Dieter Henrich, Bielefeld 2000, 657 – 666. (25) Was ist Japanisches Recht?, in: Bork / Hoeren / Pohlmann (Hrsg.), Recht und Risiko: Festschrift für Helmut Kollhosser, Band II Zivilrecht, Karlsruhe 2004, 799 – 810.
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(26) Rezeption des ausländischen Rechts in Japan – Beispiele aus dem Wirtschafts- und Familienrecht, 36 Verfassung und Recht in Übersee (Law and Politics in Africa, Asia und Latin America) 2003, Heft 4, Hamburg, 492 – 510. (27) Gegenwärtiger Stand des japanischen Bankenaufsichtsrechts – Ein Beispiel für Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Marktfreiheit und staatlicher Inpflichtnahme, in: Blaurock / Schwarz (Hrsg.), Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Marktfreiheit und Staatlicher Inpflichtnahme (Berichte in der Fachgruppensitzung für Handels- und Wirtschaftsrecht der Deutschen Gesellschaft für Rechtsvergleichung vom 17. bis 19. September 2003 in Dresden), Europarecht 2 / 2004, Baden-Baden, 61 – 77. (28) Der Schutz ausländischer Geschädigter beim Straßenverkehrsunfall in der japanischen Gerichtspraxis – Ein Thema im Spannungsfeld von Recht und Kultur –, in: Mansel / Kronke / Hausmann / Kohler / Pfeiffer (Hrsg.), Festschrift für Erik Jayme, München 2004, 1011 – 1023. (29) Laufen und Recht – Die japanische Pilgerfahrt, in: Großfeld / Yamauchi / Ehlers / Ishikawa (Hrsg.), Probleme des deutschen, europäischen und japanischen Rechts, Berlin 2006, 185 – 207. (30) Die japanische Beschäftigung mit dem deutschen Rechtswesen, in: 17 Japanstudien (Jahrbuch des Deutschen Instituts für Japanstudien) 2005, 133 – 163 (zusammen mit Menkhaus). (31) Erwerb von Anteilen am Rechtsträger von Unternehmen im japanischen Gesellschaftsrecht aus Sicht des Anleger- und Gläubigerschutzes (im Druck: Berichte der Tagung der Rechtsvergleichung in Würzburg 2005). (32) Kultur, Recht, Rechtskultur (im Druck).
Teil B Veröffentlichungen in japanischer Sprache I. Monographien und Lehrbücher in Alleinautorenschaft (01) Kaiji kokusai shihō no kenkyū – bengichi sekisenron (Beiträge zu Angelegenheiten der Marine im Internationalen Privatrecht), Tokyo 1988, 292 S. (02) Kokusai shihō (Internationales Privatrecht), Tokyo 1993, 270 S. (03) Kokusai kōjohō no kenkyū – teishokuhōteki kōsatsu (Studien zum internationalen ordre public aus der Sucht des Kollisionsrechts), Tokyo 2001, 324 S. (04) Kokusai shihō kokusai keizaihō ronshū (Sammlung von Beiträgen zum internationalen Privat- und Wirtschaftsrecht), Tokyo 2001, 430 S. (05) Kokusai kaishahō kenkyû – Dai ikkan (Studien zum Internationalen Gesellschaftsrecht, Band 1), Tokyo 2003, 382 S.
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Verzeichnis der Schriften von Koresuke Yamauchi II. Monographien in Zusammenarbeit mit anderen
(01) Kokusai tetsuzukihō (jō) (Internationales Verfahrensrecht, Band 1), Tokyo 1997, 182 S. (zusammen mit Kojima, Hashiba, Ishikawa und Nomura). (02) Kokusai tetsuzukihō (chû) (Internationales Verfahrensrecht, Band 2), Tokyo 1998, 163 S. (zusammen mit Taketoshi Sasaki, Yoshie Sasaki und Ebisawa). (03) Kokusai tetsuzukihō (ge) (Internationales Verfahrensrecht, Band 3), Tokyo 1999, 171 S. (mit Ito, Takeshiro, Tanaka und Yajima). (04) Kokusai keiyakuhō (Internationales Vertragsrecht), Tokyo 2000, 222 S. (zusammen mit Oki, Kiryu, Tamaki, Tsuneishi, Hattori und Higashida). (05) Jissen kokusai torihikihō (Praxis des internationalen Handelsrechts), Tokyo 2001, 164 S. (zusammen mit Asari, Kurahashi, Saegusa, Shibata, Takahashi, Tanaka und Nomura). (06) Jissen kokusai torihikihō hanrei bunseki (Praxis des internationalen Handelsrechts – Analyse von Entscheidungen), Tokyo 2002, CD-Rom.
III. Mitherausgeber (01) Kyōsōhō no kokusaiteki chōsei to boeki mondai (Internationale Harmonisierung des Wettbewerbsrechts und Probleme des grenzüberschreitenden Handels), Tokyo 1998, 260 S. (zusammen mit Iyori und Haley). (02) Doitsu ōsutoria kokusai shihō rippō shiryō (Materialsammlung zur Gesetzgebung zum Internationalen Privatrecht im Deutschland und Österreich), Tokyo 2000, 582 S. (zusammen mit Kuwata). (03) APEC shokoku ni okeru kyōsō seisaku to keizai hatten (Wettbewerbspolitik in den APEC-Staaten und wirtschaftliche Entwicklung), Tokyo 2002, 308 S. (zusammen mit Iyori, Haley und Neilson).
IV. Übersetzungen von Monographien (01) Takokuseki kigyō no hōritsu mondai: jitsumu kokusai shihō kokusai keizaihō (Großfeld, Bernhard, Praxis des Internationalen Privat- und Wirtschaftsrechts – Rechtsprobleme multinationaler Unternehmen, Reinbek bei Hamburg 1975), Tokyo 1982, 396 S. (02) Kokusai kigyōhō – takokuseki kigyō soshikihō (Großfeld, Bernhard, Internationales Unternehmensrecht – Das Organisationsrecht transnationaler Unternehmen, Heidelberg 1986), Tokyo 1989, 564 S. (03) Kokusai keizaihō (Herdegen, Matthias, Internationales Wirtschaftsrecht, München 1993), Tokyo 1996, 278 S. (zusammen mit Fumihiko Sato, Narazaki, Jitsukawa, Aya Sato und Nakamura). (04) Kokusai keizaihō dai 2 han (Herdegen, Matthias, Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Auflage, München 1995), Tokyo 1999, 328 S. (zusammen mit Sato, Narazaki und Jitsukawa). (05) Hikakuhō bunkaron (Großfeld, Bernhard, Kernfragen der Rechtsvergleichung, Tübingen 1996), Tokyo 2004, 376 S. (zusammen mit Asari).
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V. Sammelübersetzungen von Aufsätzen (01) Kokusai kigyōhō no shosō (Großfeld, Bernhard u. a., Verschiedene Aspekte des internationalen Unternehmensrechts), Tokyo 1990, 452 S. (02) Kokusai shihō hikakuhō ronshû (Kreuzer, Karl F., Sammlungen von Aufsätzen über das Internationale Privatrecht und die Rechtsvergleichung), Tokyo 1995, 334 S. (zusammen mit Narazaki). (03) Ebuke kyōju kōenshû – keizai tōgō, kokusai kigyōhō, hō no chōsei (Ebke, Werner F., Integration der Wirtschaft, Internationales Unternehmensrecht, Ausgleich der Rechtssysteme), Tokyo 2002, 208 S. (04) Kaderubaha kyōju kōenshû – kokusaihō yoroppa kōhō no genjō to kadai (Kadelbach, Stefan, Verfassungsrecht jenseits des Nationalstaats: Vier Vorträge zum Völker- und Europarecht), Tokyo 2005, 160 S. (05) Furansu shihō kōenshû (Légier, Gerard / Rives, Georges, Sammlung von Vorträgen über Privatrecht in Frankreich), Tokyo 1995, 131 S. (zusammen mit Ueno und Yamanome). (06) Doitsu minpō kokusai shihō ronshû (Dörner, Heinrich, Sammlung von Beiträgen zum deutschen Bürgerlichen und Internationalen Privatrecht), Tokyo 2003, 172 S. (mit Nozawa).
VI. Aufsätze (01) Kokusai shihō ni okeru bengichi sekisen no mondai (1), (2), (3) („Flags of Convenience“ in Private International Law – American Case Law), 82 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1976, Heft 6 / 7, Tokyo, 1 – 51, Heft 8 / 9, 21– 68, Heft 10 / 11 / 12, 27 – 77. (02) Bengichi sekisen no ichi mondai: sono kokusai shihōteki kōsatsu („Flags of Convenience“ and Private International Law“), Kaiji Sangyō Kenkyûshohō 1977, Heft 127, 13 – 24. (03) Nishidoitsu kokusai shihō ni okeru kōjojōkō no tekiyo ni tsuite – rikon ni tomonau shinken no kizoku no baai (Zur Anwendbarkeit der ordre public-Klausel im westdeutschen Internationalen Privatrecht – Zuteilung der elterlichen Gewalt über das Kind aus einer geschiedenen Ehe), 84 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1978, Heft 10 / 11 / 12, Tokyo, 167 – 206. (04) Kōkaijo ni okeru ikokuseki senpakukan no shōtotsu jiken no junkyōhō – saikin no nishidoitsu gakusetsu (Das anwendbare Deliktsrecht bei Schiffszusammenstößen auf hoher See im deutschen Internationalen Privatrecht – Festaufsatz für Saburo Kuwata zum 60. Geburtstag), 86 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1980, Heft 7 / 8 / 9, Tokyo, 103 – 134. (05) Waga kokusaishihō ni okeru kōjojōkō no kaishaku ni tsuite (Zur Anwendung des „ordre public“ im japanischen Internationalen Privatrecht unter Berücksichtigung der Fragen der Nichtanwendung ausländischen Rechts), in: Institute of Comparative Law in Japan (Hrsg.), Comparative Law in Perspective – Collected Essays in Commemoration of the Thirtieth Anniversary of the Institute of Comparative Law in Japan, Tokyo 1982, 39 – 86.
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(06) Nishidoitsu kokusaishihō ni okeru hōjin no juzokuhō ni tsuite – iwayuru „jûsōkasetsu“ wo chûshin toshite (Zur Bestimmung des Personalstatuts der juristischen Personen im westdeutschen Internationalen Privatrecht unter Berücksichtigung der Sandrock’schen „Überlagerungstheorie“), 89 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1983, Heft 9 / 10, Tokyo, 167 – 207. (07) Nishidoitsu kokusaishihō ni okeru kaisha no shōnin ni tsuite – iwayuru „shōninriron“ wo chûshin toshite (Zur kollisionsrechtlichen Anerkennung der Rechtsfähigkeit juristischer Personen in der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung der Grossfeld’schen Problemstellung), 90 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1983, Heft 1 / 2, Tokyo, 65 – 94. (08) Nishidoitsu kokusaishihō ni okeru hōjin no juzokuhō ni tsuite – iwayuru „ruikeikasetsu“ wo chûshin toshite (Zur Bestimmung des Personalstatuts der juristischen Personen im Internationalen Privatrecht der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung der Wiedemann’schen „Typisierungstheorie“), 90 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1983, Heft 5 / 6, Tokyo, 55 – 73. (09) Nishidoitsu kokusaishihō ni okeru hōjin no juzokuhō ni tsuite – iwayuru „kobetsukasetsu“ wo chūshin toshite (Zur Bestimmung des Personalstatuts der juristischen Personen im Internationalen Privatrecht der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung der Gramann’schen „Differenzierungstheorie“), 90 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1984, Heft 7 / 8, Tokyo, 113 – 153. (10) Nishidoitsu kokusairōdōhō ni okeru „bengichi sekisen“ no mondai – kokusaiteki saibankankatsu wo chūshin toshite (Die deutsche internationale Zuständigkeit in Seearbeitsrechtssachen), in: Chūō daigaku 100shūnen kinen ronbunshū, hōgakubu (Festschrift 100 Jahre Universtät Chuo, Teil Juristische Fakultät), Tokyo 1985, 468 – 394. (11) Nishidoitsu kokusaishihō ni okeru ketsugōkigyō no junkyohō ni tsuite: „kontserun teishokuhō no kokoromi (Zum Konzernkollisionsrecht im deutschen Internationalen Privatrecht, in: Institute for Social-Science of Chuo-University (Hrsg.), Gendaikokka no riron to dōtai (Dynamics and Theories of the Contemporary State / The Report of the Institute of Social Science, Chuo University, No. 5, Tokyo 1985, 75 – 92. (12) „Seibo“ jiken to kokusaishihō ni okeru bunkazai hogo („Heilige Mutter“-Fall und Kulturschutz im Internationalen Privatrecht), in: Zuisō nihon kajo shuppan sōritsu 45shūnen kinen (Festschrift 45 Jahre Nihon Kajo Shuppan), Tokyo 1987, 305 – 309. (13) Gaikoku chūōginkō to shikkō-menjo – nishidoitsuhō suisuhō wo chūshin toshite (Zur Zulässigkeit von Vollstreckungsmaßnahmen in Bankguthaben ausländischer Zentralbanken), 86 Kokusaihō Gaikō Zasshi (The Journal of International Law and Diplomacy), Tokyo 1987, Heft 2, 1 – 29. (14) Kokusaishihō ni okeru senpaku shōtotsu jiken no junkyohō ni tsuite – Nishidoitsu kokusaishihō kaigi ni okeru rongi (1983) (Das anwendbare Deliktsrecht bei Schiffszusammenstößen im deutschen Internationalen Privatrecht), 94 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1987, Heft 3 / 4 / 5, Tokyo, 1 – 41. (15) Jōhōka shakai ni okeru hōritsu mondai – onrainu kessai seido wo chūshin toshite (Rechtsfragen der Informationsgesellschaft: Online-Abrechnungssystem), in: Chuo-University (Hrsg.), Jōhōka shakai ni okeru mondaiten to tenbō 1987 (Probleme und Zukunft der Informationsgesellschaft), Tokyo 1988, 24 – 47.
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(16) Kyōsōhō no ikigai tekiyo to sono chōsei (Exterritoriale Anwendung des Wettbewerbsrechts und dessen Ausgleich), in: Iyori / Yamauchi / Haley (Hrsg.), Kyōsōhō no kokusaiteki chōsei to bōeki mondai (Internationale Harmonisierung des Wettbewerbsrechts und grenzüberschreitender Handel), Tokyo 1998, 32 – 37. (17) Nishidoitsu kokusaishihō ni okeru koyōkeiyaku no junkyohō ni tsuite – „Bengichi sekisen“ no baai („Crew of Convenience“ im Internationalen Privatrecht – Eine rechtsvergleichende Betrachtung), in: The Institute of Comparative Law in Japan (Hrsg.), Conflict and Integration: Comparative Law in the World Today: 40th Anniversary of the Institute of Comparative Law in Japan, Tokyo 1989, 950 – 1011. (18) Waga kokusaishihō ni okeru kōjojōkō no kōsei ni tsuite – „kenketsu hininsetsu“ to Taki kyōju no rikai (Zur Anwendung des ordre public im Internationalen Privatrecht – „NichtLücken-Theorie“ und Ansicht von Taki), 95 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1989, Heft 11 / 12, Tokyo, 1 – 44. (19) Nishidoitsu kokusaishihō ni okeru koyōkeiyaku no junkyōhō ni tsuite („Crew of Convenience“ im Internationalen Privatrecht – Eine rechtsvergleichende Betrachtung), Kaijihō Kenkyūkaishi (Maritime Law Review) 1989, Nr. 92, 66 – 75. (20) Yoroppa kyōdōtaihō to kaisha zokujinhō no kettei-kijun (Zur Bestimmung des Personalstatuts der Gesellschaft in der europäischen Union), in: Institute for Social-Science, Chuo-University (Hrsg.), Gendai shakai no shoisō (Phasen der gegenwärtigen Gemeinschaft: Festschrift zum 10jährigen Bestehen des Institute for Social Science, Chuo-University), Tokyo 1990, 21 – 38. (21) Kokusaishihō ni okeru ryōsei byōdō ni tsuite – itaria ni okeru tenkai (Gleichberechtigung von Mann und Frau im Internationalen Privatrecht Italiens), 96 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1991, Heft 11 / 12, Tokyo, 677 – 689. (22) Kokusai kaishahō ni okeru „honkyo iten“ ni tsuite (1) – „lanzuhūto insatsu kaisha jiken“ no baai (Zur Sitzverlegung im deutschen Internationalen Gesellschaftsrecht – Fall Landshuter Druckerei), 24 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1991, Heft 4, Tokyo, 1 – 19. (23) Yoroppa kokusai kaishahō to deiri meiru kettei – Drōbuniku kyōju no rikai wo chūshin toshite (Die Bedeutung der „Daily-Mail“ Entscheidung für das europäische Gesellschaftsrecht – eine Kritik der Bewertung von Drobnig), 98 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1991, Heft 1 / 2, Tokyo, 377 – 412. (24) Kokusaishihō ni okeru „zesei jōkō“ ni tsuite – Kurōitsâ kyōju no rikai wo chūshin toshite (Zur „Ausweichsklausel“ im Internationalen Privatrecht: Kritische Analyse der Lehre von Kreuzer), in: Kigawa Tōichirō hakase koki shukuga minji saiban no jūjitsu to sokushin gekan (Gediegenheit und Beförderung des Zivilprozesses, Bd. 3, Festschrift für Dr. Tōichirō Kigawa zum 70. Geburtstag), Tokyo 1994, 145 – 167. (25) Yoroppa kokusai shihō ni okeru „bengisen’in“ no mondai – „Neputyūn hanketsu“ wo tegakari toshite („Billige Seeleute“ im Europäischen Internationalen Privatrecht – Die Neptun Entscheidung), 101 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1995, Heft 9 / 10, Tokyo, 125 –154.
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(26) „Kokusai sōzeihō“ to iu gainen no rikai no shikata ni tsuite – Kimura kyōju no kenkyū ni sesshite (Wie soll man den Begriff „Internationales Steuerrecht“ verstehen? – Unter Berücksichtigung der Studien von Kimura), 103 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1997, Heft 11 / 12, Tokyo, 137 – 217. (27) Hikaku hōgaku ni okeru „hikaku“ no gainen ni tsuite – sono shikō katei kaimei no kokoromi (Zum Begriff der „Vergleiches“ in der Rechtsvergleichung – ein Scheinproblem oder wahres Problem?), in: The Institute of Comparative Law in Japan (Hrsg.), Toward Comparative Law in the 21st Century: The 50th Anniversary of The Institute of Comparative Law in Japan, Tokyo 1998, 1553 – 1585. (28) Kokusai shihō ni okeru „seitenkan“ ni tsuite – Yoroppa ni okeru rongi (Zur Transsexualität im Internationalen Privatrecht – Lehre und Praxis in den europäischen Ländern), 104 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1998, Heft 8 / 9, Tokyo, 161 – 196. (29) Kokusaihō no junkyohō tekikakusei ni kan suru kōsei no tekihi ni tsuite – Būisen kyōju no shosetsu wo tegakari to shite (Über die Erklärungsmöglichkeiten für Völkerrecht als Vertragsstatut im Internationalen Privatrecht), 104 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1998, Heft 10 / 11, Tokyo, 79 – 116. (30) Doitsu kokusai kaishahō ni okeru „hanchi“ ni tsuite – jitsumu oyobi gakuri no tenkai (Rück- und Weiterweisung im Deutschen Internationalen Gesellschaftsrecht – Theorie und Praxis), 105 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1998, Heft 2 / 3, Tokyo, 89 – 144. (31) Kokusai shihō ni okeru gaikoku jūzoku teishoku kitei no tekiyo katei ni tsuite – gaikokuhō kaishaku no ichi kyokumen (Zur Anwendung ausländischer unselbständiger Kollisionsnormen im Internationalen Privatrecht), 105 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1999, Heft 6 / 7, Tokyo, 439 – 480. (32) Kokusai shihō ni okeru ko no dasshu ni tsuite – doitsu renpō kenpō saibansho to hâgu jōyaku (Zur Kindesentführung im Internationalen Privatrecht – Bundesverfassungsgericht und Haager Übereinkommen), in: Genko kosekihō seido 50shūnen no ayumi to tenbō (Festschrift 50 Jahre Personenstandsrecht), Tokyo 1999, 893 – 904. (33) Kokusai keizaihō no genjō (Stand des Internationalen Wirtschaftsrechts), in: Tansho / Atsuya (Hrsg.), Shin gendai keizaihō nyūmon (Einführung in das Wirtschaftsrecht der Gegenwart), Kyoto 1999, 256 – 276. (34) Kokusai shihō ni okeru ko no dasshu ni tsuite – doitsu renpō kenpō saibansho no ni kettei (Zur Kindesentführung im Internationalen Privatrecht – Die zwei Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts), 106 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1999, Heft 1 / 2, Tokyo, 213 – 229. (35) Doitsu kokusai shihō ni okeru „sengo hoshō“ mondai ni tsuite – moto kyōsei rōdōsha hoshō seikyū jiken wo sozai toshite (Rechtsansprüche ehemaliger Zwangsarbeiter im deutschen Internationalen Privatrecht), 106 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 2000, Heft 9 / 10, Tokyo, 33 – 75. (36) Doitsu kokusai shihō ni okeru „furagingu auto“ ni tsuite – Bengichi sekisen wo meguru dōkō („Ausflaggen“ im deutschen Internationalen Privatrecht), 99 Kokusaihō Gaikō Zasshi (The Journal of International Law and Diplomacy) 2000, Tokyo, Heft 2, 1 – 32.
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(37) Hōjin no jūzokuhō to sono tekiyo han’i – ōshū shorippō no hikaku kentō to sono rippōron he no shisa (Corporations in Comparative Conflict of Laws), Kokusai Shihō Nenpō (Japanese Yearbook of Private International Law) 2000, Nr. 2, Tokyo, 117 – 135. (38) Hikaku hōgaku ni okeru yūretsu no handan kijun ni tsuite – Yoroppa saibansho ni okeru „kodanshajiken“ wo sozai toshite (Gibt es absolute Entscheidungskriterien in der Rechtsvergleichung? – Eine grundlegende Analyse zum Fall Codan), 38 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 2000, Heft 3, Tokyo, 1 – 36. (39) Hikaku hōgaku ni okeru idō no kakunin kijun ni tsuite – kinnen no saibanrei wo sozai toshite (Gibt es absolute Unterscheidungskriterien in der Rechtsvergleichung? – Neuere Urteile im In- und Ausland), 107 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 2001, Heft 9 / 10, Tokyo, 1 – 40. (40) Kokusai kinyūhō no gendaiteki kadai – kokusai furikomi ni kan suru saikin no rongi (Gegenwärtige Fragen des Internationalen Finanzrechts), in: Kokusaihō Gakkai (Hrsg.), Nihon to kokusaihō no 100nen, dai 7 kan (100 Jahre Japan und Völkerrecht, Band 7), Tokyo 2001, 143 – 166. (41) Osutōria saikō saibansho ni yoru kokuren kokusai buppin baibai jōyaku no kaishaku – saikin no dōkō wo chūshin toshite (Zur Auslegung des UN-Kaufrechts durch den österreichischen Obersten Gerichtshof – unter Berücksichtigung neuerer Fälle), 108 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 2001, Heft 5 / 6, Tokyo, 127 – 186. (42) Doitsu saibansho ni okeru kokuren kokusai buppin baibai jōyaku no kaishaku – saikin no dōkō wo chūshin toshite (Zur Auslegung des UN-Kaufrechts in den deutschen Gerichten), in: Ouchi / Nishiumi (Hrsg.), Kokuren no funsō yobō kaiketsu kinō (Funktionen der UN – Vorbeugung gegen Streit und deren Lösung), Tokyo 2002, 441 – 489. (43) Kyōsōhō to kokusai shihō to no kankei ni tsuite: kokusai shihō wa doko made kokusaiteki kyōsō kōi wo kisei dekiru ka? (Das Verhältnis von Wettbewerbsrecht und Internationalem Privatrecht – Inwieweit kann das Internationale Privatrecht den internationalen Wettbewerb regeln?, in: Iyori / Yamauchi / Haley / Neilson (Hrsg.), APEC shokoku ni okeru kyōsō seisaku to keizai hatten (Wettbewerbspolitik in den APEC-Ländern und wirtschaftliche Entwicklungen), Tokyo 2002, 21 – 38. (44) Nihon kigyō no kokusaika to chiteki zaisanken (Internationalisierung der japanischen Unternehmen und Inmaterialgüterrecht), Kokusai Mondai (International Affairs), 2002, Heft 510, Tokyo, 34 – 46. (45) Kokusai keizaihō no genjō (Stand des internationalen Wirtschaftsrechts), in: Tansho / Atsuya (Hrsg.), Shin gendai keizaihō nyūmon, dai 2 han (Einführung in das Wirtschaftsrecht der Gegenwart, 2. Aufl.), Kyoto 2002, 264 – 288. (46) Firipinjin no rikon (Scheidung in den Philippinen), in: Noda / Wakabayashi / Kajimura / Matsubara (Hrsg.), Kaji kankei saibanrei to jitsumu 245 (Entscheidungen und Praxis in Familiensachen, 245 Fragen) 1100 Hanrei Taimuzu 2002, 68 – 70. (47) Sōron no kadai (Die gemeinsame Aufgabe für Teilnehmer an internationalen Symposien, 36 Hikakuhō Zasshi (Comparatitive Law Review) 2003, Sonderheft: Symposium Legal Culture in Japan, Tokyo, 41 – 57.
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(48) Kokusai shihō ni okeru „hikakuhō“ no igi ni tsuite – Kohho kyōju no shosetsu wo chūshin toshite (Zur Bedeutung der Rechtsvergleichung im Internationalen Privatrecht (1) – (3) – Kritische Analyse zur Lehre von Koch), 109 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 2003, Heft 5 / 6, Tokyo, 469 – 500, 110 Hōgaku Shinpō 2003, Heft 5 – 6, 1 – 37, 111 Hōgaku Shinpō 2004, Heft 1 / 2, Tokyo, 41 – 105. (49) Yoroppa kokusai kaishahō ni okeru „sentorosu sha jiken“ hanketsu ni tsuite – Yoroppa saibansho 1999nen 3gatsu 9nichi hanketsu no kentō (Europäisches Internationales Gesellschaftsrecht und die Centros-Entscheidung des EuGH vom 9. 3. 1999), 109 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 2003, Heft 11 / 12, Tokyo, 101 – 144. (50) Kokusai shihō ni okeru „hikakuhō“ no igi ni tsuite – Jeimu kyōju no shosetsu wo chūshin toshite (Zur Bedeutung der „Rechtsvergleichung“ im Internationalen Privatrecht – Kritische Analyse der Lehre von Jayme), 111 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 2005, Heft 9 / 10, Tokyo, 1 – 39.
VII. Übersetzungen einzelner Anfsätze (01) Schweden no mibun tōroku seido ni tsuite (Bogdan, Michael: Über das Zivilstandswesen in Schweden), 228 Koseki Jihō (Zeitschrift für Personenstand) 1977, 4 – 12. (02) Isuramu ni okeru rippō no minamoto to sharia oyobi hō no ippan gainen (Al=Shawi, Tawfik: Gesetzgebungsquelle sowie allgemeiner Begriff von Sharia und Recht im Islam), 11 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1978, Heft 2, Tokyo, 77 – 112. (Zusammen mit Kojima) (auch in: Nihon Hikakuhō Kenkyūjo (Japan Institut for Comparative Law) (Hrsg.), Isuramuhō he no shōtai (Einführung in das islamische Recht), Tokyo 1978, 95 – 130). (03) Amerika gasshūkoku ni okeru kokusai teishokuhō to shūsai teishokuhō hanreihō no gaiyō (1) (2) (Hay, Peter: Internationales Kollisionsrecht und interstaatliches Kollisionsrecht in den Vereinigten Staaten von Amerika), 12 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1979, Heft 2, Tokyo, 75 – 171 und 13 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1979, Heft 1, Tokyo, 41 – 76 (zusammen mit Iwabuchi, Eizumi, Kasahara, Yamashita und Yokoyama). (04) Takokuseki kigyō no hōteki shokyokumen (Birk, Rolf: Rechtliche Aspekte multinationaler Unternehmen), 87 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1980, Heft 5 / 6, Tokyo, 119 – 154. (05) Takokuseki kigyō to kokusai keizaihō no aratana hōkōzuke (Großfeld, Bernhard: Transnational Corporations and the Reorientation of International Economic Law), 91 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1980, Heft 11 / 12, Tokyo, 81 – 103. (06) Kokusai kigyōhō ni okeru jakkan no kihon mondai (Großfeld, Bernhard: Einige Grundfragen des Internationalen Unternehmensrechts), in: Kokusai kigyōhō no shosō (Großfeld, Bernhard u. a.: Verschiedene Aspekte des internationalen Unternehmensrechts), Tokyo 1990, 73 – 144. (07) Doitsu kokusai kaishahō ni okeru saikin no tenkai (Ebenroth, Carsten: Neuere Entwicklungen im deutschen internationalen Gesellschaftsrecht), in: Kokusai kigyōhō no shosō (Großfeld, Bernhard u. a., Verschiedene Aspekte des internationalen Unternehmensrechts), Tokyo 1990, 145 – 261.
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(07) Yoroppa ni okeru rōdō kankei teishokuhō tōitsu he no tojō de (Birk, Rolf: Auf den Weg zu einem einheitlichen europäischen Arbeitskollisionsrecht), 88 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1990, Heft 1 / 2, Tokyo, 143 – 163. (08) Doitsu renpōu kyōwakoku no kokusai rōdōhō (Birk, Rolf: Das internationale Arbeitsrecht der Bundesrepublik Deutschland), 90 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1983, Heft 3 / 4, Tokyo, 143 – 178. (09) Kokusai mutai zaisanhō oyobi kokusai karuteruhō kan ni okeru fusei kyōsō teishokuhō (Sandrock, Otto: Das Kollisionsrecht des unlauteren Wettbewerbs zwischen dem internationalen Immaterialgüterrecht und dem internationalen Kartellrecht), 90 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1984, Heft 11 / 12, Tokyo, 135 – 172. (10) Saimu kiki ni yoru gurobaru na chōsen (Ebenroth, Carsten: Globale Herausforderungen durch die Verschuldungskrise), in: Kokusai kigyōhō no shosō (Großfeld, Bernhard u. a.: Verschiedene Aspekte des internationalen Unternehmensrechts), Tokyo 1990, 397 – 418. (11) Atarashii kokusai shihō ni yoru junkyohō sentaku oyobi saibanseki no goi (Basedow, Jürgen: Rechtswahl und Gerichtsstandsvereinbarungen nach neuem Recht), in: Kokusai kigyōhō no shosō (Großfeld, Bernhard u. a.: Verschiedene Aspekte des internationalen Unternehmensrechts), Tokyo 1990, 419 – 446. (12) Oranda kokusekihō ni okeru jūkokuseki no kokufuku (de Groot, Gerard-René: Überwindung der doppelten Staatsangehörigkeiten im niederländischen Staatsangehörigkeitsrecht), 308 Kōseki Jihō (Zeitschrift für Personenstand), 1983, 13 – 25. (13) Kotoba, hō, minshushugi (Großfeld, Bernhard: Sprache, Recht, Demokratie), 18 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1985, Heft 4, Tokyo, 37 – 93. (14) Henkanki ni okeru kokusai fufuzaisanhō – nihon no kokusai fufuzaisanhō kaisei ni kan suru giron no tame ni (jo) (ge) (de Groot, Gerard-René: Internationales Ehegüterrecht im Wandel), 325 Kōseki Jihō (Zeitschrift für Personenstand) 1985, 2 – 10, Nr. 326 (1985) 2 – 14. (15) Nishi yoroppa ni okeru kokusekihō no tenkai (1) – (4) (Brondics, Klaus und Mark, Jürgen: Entwicklungen des Staatsangehörigkeitsrechts in westeuropäischen Staaten), Kōseki Jihō (Zeitschrift für Personenstand) Nr. 328 (1985), 2 – 8, Nr. 329 (1985) 2 – 11, Nr. 330 (1985), 2 – 10, Nr. 331 (1985) 36 – 43. (16) Am hikakuhō gakusha kara mita hōritsu kaishaku no shomondai (de Groot, GerardRené: Probleme der juristischen Interpretationen aus der Sicht eines Rechtsvergleiches), 35 Meijō Hōgaku (Meijo Law Review) 1985, Heft 1, Nagoya, 1 – 38 (mit Shinoda). (17) Igakuteki na seishokuhojo no hōritsu mondai (Kollhosser, Helmut: Rechtsprobleme medizinischer Zeugungshilfe), 93 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1986, Heft 1 / 2, Tokyo, 145 – 190. (Zusammen mit Tamura) (auch in: Müller-Freienfels u. a., (Hrsg.), Doitsu gendai kazokuhō (Das gegenwärtige Familienrecht in Deutschland), Tokyo 1993, 215 – 257). (18) Kokusai shihō ni okeru „oranda gakuha“ ni tsuite (de Groot, Gerard-René: Die „holländische“ Schule im Internationalen Privatrecht), 93 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1986, Heft 3 / 4 / 5, Tokyo, 139 – 167.
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(19) Furansu kokusai shihō ni okeru kazoku kankei – Nihonjin gakusei ochishi no baai (Familienverhältnisse im französischen Internationalen Privatrecht: Das Beispiel von Herrn Ochi, ein japanischer Student), in: Légier / Rives / Ueno / Yamanome / Yamauchi (Hrsg.), Furansu shihō kōenshū (Sammlung von Vorträgen über das Privatrecht in Frankreich), Tokyo 1995, 23 – 39. (20) Yoroppa kyōdōtai ni okeru kokusai shihō no tōitsu ni tsuite (Kreuzer, Karl: Zur Vereinheitlichung des Internationalen Privatrechts in der Europäischen Gemeinschaft), in: Kreuzer / Yamauchi (Hrsg.), Kokusai shihō hikakuhō ronshū (Sammlung von Aufsätzen über das internationale Privatrecht und die Rechtsvergleichung), Tokyo 1995, 1 – 37. (21) Yoroppa keizai kyōdōtai ni okeru ginkōu kantoku (Kreuzer, Karl: Bankenaufsicht in der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft), in: Kreuzer / Yamauchi, a. a. O., 223 – 270. (22) Shihō hikaku ni okeru jakkan no kihon mondai ni tsuite no shokōsatsu (Kreuzer, Karl: Überlegungen zu einigen Grundfragen der Privatrechtsvergleichung), in: Kreuzer / Yamauchi, a. a. O., 271 – 311. (23) Hikaku hōgaku (Minke, Wolfgang: Vergleichende Rechtswissenschaft), in: Henrich / Kuwata (Hrsg.), Nishidoitsu hikaku hōgaku no shomondai (Einige Fragen der Rechtsvergleichungswissenschaft in Deutschland), Tokyo 1988, 153 – 181. (24) Keizai taisei wo koto ni suru shohō chitsujokan no hōhikaku (Rechtsvergleichung zwischen Rechtsordnungen verschiedener Wirtschaftssysteme), in: Henrich / Kuwata, a. a. O., 203 – 222. (25) Shomotsu kara erareru gaikokuhō, gaikoku no hōteki genjitsu, oyobi hōhikaku no shohōhō ni okeru kinōteki jigen (Neumayer, Karl H.: Fremdes Recht aus Büchern, fremde Rechtswirklichkeit und die funktionelle Dimension in den Methoden der Rechtsvergleichung), in: Henrich / Kuwata, a. a. O., 223 – 249. (26) Kokusai shihō – 19seiki no san kyojin (Gutzwiller, Max: Internationalprivatrecht: Die drei Grossen des 19. Jahrhunderts), in: Henrich / Kuwata, a. a. O., 387 – 406. (27) Kokusai shihō ni okeru senketsu mondai (Vorfragen im internationalen Privatrecht), 408 Kōseki Jihō (Zeitschrift für Personenstand) 1992, 44 – 58. (28) Kokusai kashitsuke keiyaku to kokusai chūsai (Sandrock, Otto: Internationaler Darlehensvertrag und Internationale Schiedsgerichtsbarkeit), in: Maruyama (Hrsg.), Kokusai keiyakuhō no shomondai (Einige Fragen des internationalen Vertragsrechts), Tokyo 1996, 1 – 55. (29) Nichidokukan no shihō keiyaku ni okeru keiyak junkyohō (Sandrock, Otto: Vertragsstatut im privatrechtlichen Vertrag zwischen japanisch-deutschen Unternehmen), in: Maruyama (Hrsg.), a. a. O., 57 – 88. (30) Doitsu ni okeru shihonshijohō no hatten (Assmann, Heinz-Dieter: Entwicklungen des Kapitalmarktrechts in Deutschland), in: Maruyama (Hrsg.), Doitsu shihonshijohō no shomondai (Einige Fragen des Kapitalmarktrechts in Deutschland), Tokyo 2001, 1 – 17. (31) Kokusai kaishahō ni okeru honkyo chihō setsu (Ebke, Werner F.: Sitztheorie im deutschen und europäischen Internationalen Gesellschaftsrecht), in: Ebke / Yamauchi (Hrsg.), Ebuke kyōju kōenshū – Keizai tōgō, kokusai kigyōhō, hō no chōsei (Sammlung von Vorträgen von W. F. Ebke – Integration der Wirtschaft, Internationales Unternehmensrecht, Angleichung der Rechte), Tokyo 2002, 1 – 42.
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(32) Rippōu kengen ga fukusu am baai no kaishahō kigyōhv (Ebke, Werner F.: Gesellschaftsund Unternehmensrecht in multijurisdiktionalen Rechtsordnungen: Kollisionsrechtlicher Selbstschutz, Wettbewerb der Rechtsordnungen oder Rechtsangleichung?), in: Ebke / Yamauchi, a. a. O., 57 – 85. (33) Doitsu oyobi yoroppa ni okeru hōgaku kyōiku (Ebke, Werner F.: Juristenausbildung in Deutschland und Europa: Lehren aus dem US-amerikanischen Ausbildungsmodell?), in: Ebke / Yamauchi, a. a. O, 149 – 184. (34) „Yoroppa“ kokusai shihō no shiteki tenkai to genjō (Dörner, Heinrich: Entwicklung und Stand des „europäischen“ internationalen Privatrechts), in: Dörner / Nozawa / Yamauchi (Hrsg.), Doitsu minpō kokusai shihō ronshū (Beiträge zum deutschen Bürgerlichen und Internationalen Privatrecht), Tokyo 2003, 79 – 104. (35) Hoshō sekinin to kōjo (Dörner, Heinrich: Bürgenhaftung und ordre public), in: Dörner / Nozawa / Yamauchi (Hrsg.), a. a. O., 131 – 158. (36) Nîsu jōyaku ikō no yoroppa saibansho seido (Kadelbach, Stefan: Das Gemeinschaftliche Gerichtssytem nach dem Vertrag von Nizza), in: Kadelbach / Yamauchi (Hrsg.), Kaderubahha kyōju kōenshu – Kokusaihō / Yoroppa kōhō no genjō to kadai (Kadelbach, Verfassungsrecht jenseits des Nationalstaats: Vier Vorträge zum Völker- und Europarecht), Tokyo 2005, 1 – 26. (37) Yoroppa rengō shiminken (Kadelbach, Stefan: Die Unionsbürgerschaft), in: Kadelbach / Yamauchi (Hrsg.), a. a. O., 27 – 60. (38) Yoroppa kenpō jōyaku ikō no kyōtsū gaikō seisaku (Kadelbach, Stefan: Die gemeinsame Außenpolitik nach dem Verfassungsvertrag), in: Kadelbach / Yamauchi (Hrsg.), a. a. O., 61 – 97. (39) Gurobaruka no jidai ni okeru kokusaihōjo no rinri (Kadelbach, Stefan: Ethik des Völkerrechts unter Bedingungen der Globalisierung), in: Kadelbach / Yamauchi (Hrsg.), a. a. O., 99 – 135. VIII. Vorworte in Übersetzungen Dritter (01) Kokusai kazokuhō (Henrich, Internationales Familienrecht, übersetzt von Satō), Tokyo 1992. (02) Kokusai gaikoku kawasehō (jō) (Ebke, Internationales Devisenrecht, übersetzt von Jitsukawa), Tokyo 1995. (03) Kokusai gaikoku kawasehō (ge) (Ebke, Internationales Devisenrecht, übersetzt von Jitsukawa), Tokyo 1995. (04) Tomoka Asari, „Hikakuho bunkaron“ he no shōtai (Einladung zu Gedanken der Rechtskulturvergleichung) (1) (2), Chūō Hyōron Bd. 52 Heft 3, Tokyo (2000), 118 – 129, Bd. 52 Heft 4, Tokyo (2000), 135 – 141.
IX. Entscheidungsanmerkungen (01) Distriktgericht Tokyo v. 17. 6. 1974 (Das anwendbare Deliktsrecht bei Zusammenstößen von Billigflaggenschiffen auf offener See), 591 Jurisuto 1975, 132 – 134.
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(02) Oberster Gerichtshof Japans v. 27. 6. 1975 (Anerkennung nach dem Tod des Vaters, die nach dem anzuwendenden koreanischen Recht nicht zulässig ist, und ordre public), 630 Jurisuto 1977, 159 – 161. (03) OLG Hamburg v. 14. 11. 1874 (Das anwendbare Deliktsrecht bei Zusammenstößen von Billigflaggenschiffen auf offener See), 150 Kaiji Sangyō Kenkyūshohō (Report of Marine Business Institute) 1978, 35 – 40. (04) Distriktgericht Tokyo v. 10. 3. 1978 (Ehescheidung und Ordre public, sowie das anzuwendende Recht bei Zuteilung der elterlichen Gewalt), 705 Jurisuto 1979, 156 – 158. (05) Distriktgericht Tokyo v. 22. 2. 1977 (Ehescheidung und Ordre public: Heimatrecht der Ehefrau als Ergänzungsrecht usw.), 737 Jurisuto 1981, 146 – 148. (06) Familiengericht Tokyo v. 10. 2. 1961 (Adoption und Erlaubnis des Familiengerichts), in: Ikehara / Hayata (Hrsg.), Shogai Hanrei Hyakusen (100 Entscheidungen auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts) 2. Aufl., Tokio 1986, 144 f. (07) Obergericht Nagoya v. 30. 9. 1976 (Staatsentschädigungsrecht und Gegenseitigkeit), in: Ikehara / Hayata (Hrsg.) a. a. O., 240 f. (08) Distriktgericht Niigata v. 20. 5. 1988 (Ehescheidung von philippinischem Mann und japanischer Ehefrau), 957 Jurisuto Rinji Zōkan Heisei Gannendo Jūyō Hanrei Kaisetsu (Jurisuto Sonderheft: Wichtige Entscheidungen des Jahres 1989) 1990, 274 – 276. (09) Distriktgericht Tokyo v. 19. 8. 1991 (Das anwendbare Recht auf Vorzugsrechte an Schiffen), 5 Hōritsu Jihō Bessatsu Shiho Hanrei Rimakusu (Remarks an Decisions in the Field of Private Law) 1992, 158 – 161. (10) Familiengericht Morioka v. 6. 8. 1990 (Adoption und Erlaubnis des Familiengerichts), in: Ikehara / Hayata (Hrsg.), Shōgai Hanrei Hyakusen (100 Entscheidungen auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts) 3. Aufl., Tokyo 1995, 150 f. (11) Obergericht Nagoya v. 30. 9. 1976 (Staatsentschädigungsrecht und Gegenseitigkeit), in: Ikehara / Hayata (Hrsg.), a. a. O., 256 f. (12) Distriktgericht Tokyo v. 9. 10. 1998 (Staatshaftung wegen Handlungen eines ehemaligen japanischen Soldaten im Ausland), 1157 Jurisuto Rinji Zōkan Heisei Gannendo Jūyō Hanrei Kaisetsu (Jurisuto Sonderheft: Wichtige Entscheidungen des Jahres 1998), 288 – 290. (13) Distriktgericht Tokyo v. 25. 9. 1992 (Anerkennung), in: Sakurada / Dogauchi (Hrsg.) Kokusai Shihō Hanrei Hyakusen (100 wichtige Entscheidungen zum Internationalen Privatrecht), 172 Bessatsu Jurisuto, 122 – 123. (14) Distriktgericht Tokyo 9. 19. 1995 (Verhandlungen über ein Besuchsrecht zwischen Eltern und Kindern) in: Sakurada / Dogauchi, a. a. O., 134 – 135.
X. Übersetzungen von Materialien mit Erklärungen (01) Osutoria ni okeru kokusai shihō oyobi kokusai tetsuzukihō no kaisei sōan ni tsuite – iwayuru Schuwinto sōan – (The Draft of Private International Law and International Civil Procedure in Austria – so-called „Schwind-Draft“ –), 81 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1974, Heft 4, Tokyo, 153 – 184.
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(02) Kokusai kōseki iinkai no kyōtei oyobi kyōteian ni tsuite (Zum Abkommen und Abkommensentwurf von CIEC) (1) – (5), Kōseki Jihō (Zeitschrift für Personenstand) Nr. 218 (1976), 6 – 15, Nr. 219 (1976), 35 – 44, Nr. 220 (1976), 34 – 42, Nr. 222 (1976), 36 – 45, Nr. 223 (1976), 35 – 44. (03) Porutogaru minpōtenchū no kokusai shihō kitei (The Conflicts of Rules in the Portuguese Civil Code of 1966), 10 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1976, Heft 1, Tokyo, 59 – 87. (04) Nishidoitsu kokusai shihō kankei rippō no kaisei (Zur Reform des internationalen Privatrechts in Westdeutschland), 657 Jurisuto 1978, 87 – 96. (05) Kokusai kōseki iinkai no kyōtei oyobi kyōteian ni tsuite (Zum Abkommen und Abkommensentwurf von CIEC) (6) – (7), Kōseki Jihō (Zeitschrift für Personenstand) Nr. 273 (1981), 38 – 43, Nr. 274 (1981), 41 – 46. (06) Nishidoitsu kokusai shihō kaisei no tame no shoteian (Vorschläge zur Reform des westdeutschen Internationalen Privatrechts), 14 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1981, Sonderheft 3, Tokyo, 95 – 158. (07) Osutoria no kokusai shihōten ni tsuite (Neues österreichisches Kollisionsrecht), 88 Hōgaku Shinpō (Chuo Law Review) 1981, Heft 5 / 6, Tokyo, 171 – 203. (08) Nishidoitsu kokusai shihō kaisei no tame no seifu sōan (Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts der Bundesrepublik Deutschland), (1) – (6), 17 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1983, Heft 3, Tokyo, 107 – 135, Heft 4 (1984), 49 – 81, 18 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1984, Heft 1, Tokyo, 77 – 111, Heft 2, 79 – 110, Heft 3, 125 – 160, Heft 4 (1985), 121 – 156. (09) Nishidoitsu no kaisei kokusai shihō ni tsuite (jō) (chū) (ge) (Zum reformierten Internationalen Privatrecht der Bundesrepublik Deutschland (1) (2) (3)), Kōseki Jihō (Zeitschrift für Personenstand) Nr. 344 (1986), 17 – 26, Nr. 345 (1986), 37 – 45, Nr. 346 (1987), 37 – 43. XI. Buchbesprechungen (01) Dutoit, La Nationalité de la Femme Mariée, 15 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1981, Heft 1, Tokyo, 285 – 287. (02) Dumusc, Le Divorce Consentment Mutuel dans les Législation Européennes, 15 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1981, Heft 1, Tokyo, 287 – 288. (03) (1) Lausanner Kolloquium über den deutschen und schweizerischen Gesetzentwurf zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts, (2) Premiéres journées juridiques yougoslavo-suisses, 20 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1986, Heft 1, Tokyo, 139 – 142. (04) Recht und Wirtschaft – Ringvorlesung im Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Osnabrück 1984 / 1985, 20 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1986, Heft 1, Tokyo, 143 – 146. (05) Hautkappe, Unternehmereinsatzformen im Industrieanlagenbau, 21 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1987, Heft 2, Tokyo, 99 – 101. (06) Schwind (Hrsg.), Probleme des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 21 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1987, Heft 2, Tokyo, 102 – 104.
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(07) Norton (ed.), Public International Law and the Future World Oder – Liber Amicorum in Honor of A. J. Thomas Jr., 22 Hikakuhō Zasshi (Comparative Law Review) 1988, Heft 2, Tokyo, 175 – 180. (08) Ebke, Internationales Devisenrecht, 1 International Economic Law 1992, Tokyo, 158 f. (09) Kuwata, Probleme des internationalen Warenzeichengesetzes, 45 Chūō Hyōron 1993, Heft 1, Tokyo, 186 f. (10) Bleckmann, Die völkerrechtlichen Grundlagen des internationalen Kollisionsrechts, 2 International Economic Law 1993, Tokyo, 91 f. (11) Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 4 International Economic Law 1995, Tokyo, 195 f. (12) Großfeld, Internationales und Europäisches Unternehmensrecht, 5 International Economic Law 1996, Tokyo, 178 – 180. (13) Habermeier, Neue Wege zum Wirtschaftskollisionsrecht: Eine Bestandsaufnahme prävalenter wirtschaftsrechtlicher Methodologie unter dem Blickwinkel des kritischen Rationalismus, 7 International Economic Law 1998, Tokyo, 184 f. (14) Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht, 7 International Economic Law 1998, Tokyo, 192 f. (15) Berger, Formalisierte oder „schleichende“ Kodifizierung des transnationalen Wirtschaftsrechts, 8 International Economic Law 1999, Tokyo, 249 f. (16) Maruoka, Gesammelte Schriften zum Internationalen Privatrecht, Band I – III, 98 Kokusaihō Gaikō Zasshi (Journal of International Law and Diplomacy) 1999, Tokyo, Heft 1 / 2, 229 – 233. (17) Kuwata, Kōgyō shōyūkenhō ni okeru kokusaiteki shōmōron (Zur internationalen Erschöpfung im gewerblichen Eigentumsrecht), 51 Hakumon (Weisses Tor: Monatszeitschrift des Chuo Universitätsfernstudienkurses), Heft 11, Tokyo 1999, 64 f. (18) Taki, (1) Grundfragen des Internationalen Privatrechts, (2) Internationale Schiedsgerichtsbarkeit und internationales Handelsrecht, 52 Hakumon (Weisses Tor: Monatszeitschrift des Chuo Universitätsfernstudienkurses), Heft 4, Tokyo 2000, 62 f. (19) Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, Möglichkeiten und Grenzen der ökonomischen Analyse des Rechts, 9 International Economic Law 2000, Tokyo, 166 – 169. (20) Nishitani, Mancini und die Parteiautonomie im Internationalen Privatrecht, 100 Kokusaihō Gaikō Zasshi (Journal of International Law and Diplomacy), Tokyo 2001, Heft 2, 67 – 70. (21) Nishi, The New Wave in Comparative Private International Law, 103 Kokusaihō Gaikō Zasshi (Journal of International Law and Diplomacy), Tokyo 2004, Heft 1, 131 – 134. (22) Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, 11 International Economic Law 2002, Tokyo, 176 – 179 f. (23) Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, 12 International Economic Law 2003, Tokyo, 223 – 226. (24) Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrages, 14 International Economic Law 2005, Tokyo, 242 – 245.
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Verzeichnis der sonstigen Tätigkeiten von Koresuke Yamauchi Referate bei wissenschaftlichen Forschungsvereinigungen u. a. A. Japanische Forschungsvereinigungen (01) „Flags of Convenience“ im Internationalen Privatrecht – unter besonderer Berücksichtigung des American Case Law –, Tagung der japanischen Gesellschaft für Internationales Privatrecht am 23. Mai 1976 in Kyoto (02) Zur kollisionsrechtlichen Anerkennung der Rechtsfähigkeit juristischer Personen in der Bundesrepublik Deutschland, Tagung der japanischen Gesellschaft für Internationales Privatrecht am 17. Mai 1982 in Fukuoka (03) Zur Zulässigkeit von Vollstreckungsmaßnahmen in Bankguthaben ausländischer Zentralbanken – unter besonderer Berücksichtigung des westdeutschen und des schweizer Rechts –, Tagung der japanischen Gesellschaft für Völkerrecht am 19. Oktober 1986 in Tokyo (04) Zum Sprachrisiko im Internationalen Privatrecht – unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland, Tagung der japanischen Gesellschaft für Internationales Privatrecht am 14. Mai 1990 in Kanazawa (05) Juristische Personen im Internationalen Privatrecht aus der Sicht der Gesetzgebung, Tagung der japanischen Gesellschaft für Internationales Privatrecht am 19. Juni 1999 in Sapporo (06) Schiffe mit Billigflaggen im deutschen Internationalen Privatrecht, Tagung der japanischen Gesellschaft für Internationales Privatrecht am 9. Oktober 1999 in Sendai (07) Nationality of a Corporation and Diplomatie Protection for Corporations in International Law, Tagung der ILA, japanische Abteilung am 10. April 2004 in Tokyo
B. Internationale Forschungsvereinigungen (01) Juristenausbildung und Anwendung ausländischen Rechts in Japan, Internationales Symposium von 8. bis 11. April 1992 in Lausanne (Feier des 700jährigen Bestehens der Schweiz und des 10jährigen Bestehens des Schweizer Instituts für Rechtsvergleichung) (02) Das Japanische im japanischen Finanzrecht, 6. Internationales Symposium des Deutschen Instituts für Japanstudien unter dem Titel „Das Japanische im japanischen Recht“ vom 21. bis 25. Oktober 1991 in Tokyo (03) Exterritoriale Anwendung des Wettbewerbsrechts und dessen Ausgleich, Internationale Zusammenkunft von 18. bis 20. März 1994 in Seattle
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(04) Privatisierung von Staatsunternehmen in Japan, Tagung der deutschen Gesellschaft für Rechtsvergleichung am 25. März 1994 in Berlin (Abteilung Handels- und Wirtschaftsrecht) (05) Stand und Perspektiven der Deregulierung in Japan, Tagung der deutschen Gesellschaft für Rechtsvergleichung am 26. September 1997 in Graz (Abteilung Handels- und Wirtschaftsrecht) (06) Die Rezeption ausländischen Rechts in Japan – Beispiele aus dem Wirtschafts- und dem Familienrecht –, Jahrestagung der Gesellschaft für Völkerrecht und Auswärtige Politik von 29. Juni 2003 in Köln (07) Gegenwärtiger Stand des japanischen Bankenaufsichtsrechts, Tagung der deutschen Gesellschaft für Rechtsvergleichung am 19. September 2003 in Dresden (Abteilung Handels- und Europarecht) (08) Anleger- und Gläubigerschutz im japanischen nationalen und internationalen Gesellschaftsrecht, Tagung der deutschen Gesellschaft für Rechtsvergleichung am 23. September 2005 in Berlin (Abteilung Handels- und Wirtschaftsrecht)
C. Entsendung zur Teilnahme an Internationalen Tagungen (01) 64. Deutscher Juristentag im September 2002 in Berlin vom Science Council of Japan (02) 2. Europäische Juristentagung im Mai 2003 in Athens vom Science Council of Japan
D. Vorträge und Ansprachen in Ausland (01) Ein Vergleich des internationalen Familienrechts zwischen den Niederlanden und Japan – Eine systematische Skizze –, Universität Limburg am 6. April 1984, auf Einladung von Prof. de Groot (02) Rezeption westeuropäischen Rechts und Funktion des rezipierten ausländischen Rechts in Japan, Universtät Lund am 4. Juni 1984, auf Einladung von Prof. Bogdan (03) Das Insiderrecht in Japan, Universität Konstanz am 13. Juli 1988, auf Einladung von Prof. Ebenroth (04) Internationales Konzernrecht in Japan, Universität Augsburg am 15. Juli 1988, auf Einladung von Prof. Basedow (05) Ausländisches Recht und Rechtsvergleichung in der japanischen Juristenausbildung, Universität Münster am 3. Februar 1989, auf Einladung von Prof. Kollhosser (06) Zu Bank- und Effektengeschäften im japanischen Gesetzes- und Gewohnheitsrecht, Universität Münster am 8. Februar 1989, auf Einladung von Prof. Kollhosser (07) Was ist Japanisches Recht?, Universität Marburg (Japan Zentrum) am 26. Juni 2003, auf Einladung von Prof. Menkhaus (08) Kultur, Recht, Rechtskultur, Universität Münster am 7. Februar 2006 anlässlich der Feier der 20jährigen Partnerschaft der Universitäten Chuo und Münster
Verzeichnis der sonstigen Tätigkeiten von Koresuke Yamauchi
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Gesellschaftliches Engagement A. Japan University Accreditation Association (01) Mitglied des Standards Board, von April 1993 bis März 1997 sowie von April 1999 bis heute (02) Mitglied des Reaccreditation Committee for Law Schools, von Januar 2003 bis heute (03) Mitglied des Specialized Review Subcommittee of Reaccreditation, Committee for Social Science, von April 2001 bis März 2003
B. Justizministerium (01) Mitglied des Rates für Gesetzgebungsvorhaben, Abteilung für Internationales Privatrecht von September 1998 bis Januar 2001 (02) Provisorisches Mitglied des Rates für Gesetzgebungsvorhaben, Abteilung für Internationale Zuständigkeit von Januar 2001 bis Juli 2005 (03) Provisorisches Mitglied des Rates für Gesetzgebungsvorhaben, Abteilung für Modernisierung des Internationalen Privatrechts von Mai 2003 bis Juli 2005
C. Gerichte (01) Grundfragen der Familiensachen mit Auslandsbezug, Ausbildungsversammlung von Untersuchungspersonen der Familiengerichte, die im Zuständigkeitsbereich des Obergerichts Tokyo liegen, am 10. November 1993 (02) Grundfragen der Familiensachen mit Auslandsbezug, Ausbildungsversammlung von Untersuchungspersonen der Familiengerichte, die im Zuständigkeitsbereich des Obergerichts Tokyo liegen, am 8. November 1994 (03) Grundfragen der Familiensachen mit Auslandsbezug, Ausbildungsversammlung von Untersuchungspersonen der Familiengerichte, die im Zuständigkeitsbereich des Obergerichts Tokyo liegen, im November 1995 (04) Grundfragen der Familiensachen mit Auslandsbezug, Ausbildungsversammlung von Untersuchungspersonen der Familiengerichte, die im Zuständigkeitsbereich des Obergerichts Tokyo liegen, am 12. November 1996 (05) Grundfragen in der Familiensachen mit Auslandsbezug, Ausbildungsversammlung von Untersuchungspersonen der Familiengerichte, die im Zuständigkeitsbereich des Obergerichts Tokyo liegen, am 20. Oktober 1997
D. Sonstiges (01) Mitglied der Arbeitsgemeinschaft zur Globalisierung der Wirtschaft und Wettbewerbspolitik, Ausschuss zur Herbeiführung ehrlicher Geschäftsabschlüsse, von April 1994 bis November 1999
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(02) Mitglied des Ausschusses für Forschung und Planung (Abteilung für Völker- und Internationales Privatrecht), Science Council of Japan, von November 2000 bis Oktober 2003 (03) Fachmitglied des Committee on Grants-in-Aid for Scientific Research, Academic Year 2001, Japan Society for the Promotion of Science, April 2001 (04) Fachmitglied des Committee on Grants-in-Aid for Scientific Research, Academic Year 2002, Japan Society for the Promotion of Science, April 2002 (05) Mitglied des Ausschusses für die Evaluierung von Universitäten, National Institution for Academie Degrees and University Evolution, Mai 2002
Andere Tätigkeiten A. Vergabe von Titeln (01) Vergabe der Erlaubnis zu folgenden Lehrveranstaltungen („Vergleichende Rechtskultur“, „Internationales Handelsrecht“. „Übungen zur Einführung in der Rechtswissenschaft I“, „Übungen zur Einführung in der Rechtswissenschaft II“, „Fachübungen“) in der Juristischen Fakultät sowie („Internationales Privatrecht“ und „Recht der Internationalen Organisationen“) in der Fakultät für Politische Fragen), Chuo Universität, August 1992 (02) Vergabe der Erlaubnis zu folgenden Lehrveranstaltungen („Internationales Privatrecht“ und „Fachstudium“) sowie Betreuung von Magisterarbeiten im juristischen Magisterkurs; Rechtsgraduiertenschule, Chuo Universität, August 1996 (03) Vergabe der Erlaubnis zu folgenden Lehrveranstaltungen („Internationales Privatrecht“) in der Juristische Fakultät, Aomori Chuo Gakuin Universität, August 1996 (04) Vergabe der Erlaubnis zu folgenden Lehrveranstaltungen („Internationales Privatrecht“) sowie Betreuung von Doktorarbeiten im juristischen Doktorkurs, Rechtsgraduiertenschule, Chuo Universität, August 1998 * In Japan wird dieses Verfahren bei jeder Gründung einer neuen Universität, Fakultät bzw. eines Kurses durchgeführt, wenn beim Ministerium für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie die Einstellung eines neuen Lehrers beantragt wird.
B. Auslandsaufenthalte 1. Mittel- und langfristige Aufenthalte (01) (1982. 12. 31 – 1983. 08. 04) Studienaufenthalt im Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster (Gastgeber: Prof. Dr. Bernhard Großfeld), Heinrich-Herz-Stiftung (02) (1988. 04. 03 – 1989. 04. 04) Studienaufenthalt im Institut suisse de droit comparé (ISDC), Dorigny / Lausanne (1988. 04. – 1989. 01.) (Gastgeber: Prof. Dr. Alfred E. von Overbeck)
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(03) (1997. 08. 18 – 1997. 09. 29) Studienaufenthalt im Institut für Rechtsvergleichung der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg (Gastgeber: Prof. Dr. Karl F. Kreuzer), Ernst von Caemmerer-Stiftung (04) (1989. 02. 01 – 1989. 03. 31) Gastprofessor am Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster (Gastgeber: Prof. Dr. Helmut Kollhosser) II. Kurzfristige Aufenthalte (01) (1989. 03. 18 – 1989. 04. 01) Singapore (02) (1989. 04. 01 – 1989. 04. 04) Hong Kong (03) (1992 Osnabrück / Lausanne (Feier des 10jährigen Bestehens des Schweizer Instituts für Rechtsvergleichung) (04) (1994. 03. 16 – 1994. 03. 29) Seattle / Berlin (24. Tagung der deutschen Gesellschaft für Rechtsvergleichung) (05) (1997. 08. 19 -1999. 09. 30) Würzburg / Münster / Graz (26. Tagung der deutschen Gesellschaft für Rechtsvergleichung) (06) (1999. 02. 10 – 1999. 02. 18) Münster (Übergabe der Festschrift für Bernhard Großfeld) (07) (1999. 06. 22 – 1999. 06. 27) Münster (Emeritierungsfeier Helmut Kollhosser) (08) (2002. 02. 24 – 2002. 02. 28) Xian (09) (2002. 03. 27 – 2002. 03. 29) Taipei (10) (2002. 09. 14 – 2002. 09.22) Münster / Berlin (64. Deutscher Juristentag) (11) (2003. 04. 02 – 2003. 04. 07) Noumea (12) (2003. 04. 29 – 2003. 05. 07) Athen (2. Europäischer Juristentag) (13) (2003. 05. 24 – 2003. 07. 01) Bordeaux / Toulouse / Marburg / Köln (Tagung der Gesellschaft für Völkerrecht und Auswärtige Politik) (14) (2003. 09. 15 – 2003. 09. 23) Dresden (29. Tagung der deutschen Gesellschaft für Rechtsvergleichung) (15) (2003. 10. 17 – 2003. 10. 25) Nice / Paris (16) (2005. 03. 10 – 2005. 03. 13) Shanghai (17) (2005. 09. 18 – 2005. 09. 28) Münster / Würzburg / Paris (30. Tagung der deutschen Gesellschaft für Rechtsvergleichung) (18) (2005. 12. 18 – 2005. 12. 20) Seoul (19) (2006. 02. 04 – 2006. 02. 11) Münster / Strasbourg (Akademische Feierstunde in Münster anlässlich der Vorstellung der Festschrift 20 Jahre Münster Chuo)
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Verzeichnis der sonstigen Tätigkeiten von Koresuke Yamauchi C. Tätigkeit in Wissenschaftlichen Gesellschaften
(01) Mitglied der Gesellschaft für Rechtsprechung auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts von Oktober 1973 bis März 1993 (02) Mitglied der Gesellschaft für Internationales Privatrecht, von März 1974 bis heute (Vorstand von Mai 1996 bis heute, Planungsausschuss von Juni 1992 bis Mai 1996 sowie von Juni 1999 bis Mai 2005, Herausgeber von The Japanese Annual of International Law von Mai 2005 bis heute) (03) Mitglied der Gesellschaft für Völkerrecht, von Oktober 1977 bis heute (Beirat von Oktober 1990 bis heute, Vorstand von Oktober 2000 bis heute, Planungsausschuss von Oktober 1990 bis Oktober 1994 sowie von Oktober 1997 bis Oktober 2000, Herausgeber von The Japanese Journal of International Law and Diplomacy von Mai 2005 bis heute) (04) Mitglied der japanischen EC-Gesellschaft von November 1980 bis Oktober 1997 (05) Mitglied der Japanisch-Deutschen Gesellschaft für Rechtswissenschaft von September 1990 bis Oktober 1997 (06) Mitglied der Deutsch-Japanischen Juristenvereinigung e.V. von Januar 1991 bis heute (07) Mitglied der Japanischen Gesellschaft für internationales Wirtschaftsrecht, von November 1991 bis heute (Vorstand von November 1991 bis heute, Herausgeber von International Economic Law von November 1991 bis Oktober 1997) (08) Mitglied der International Law Association of Japan (The Japan Branch of the ILA) von 1999 bis heute
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