251 53 40MB
German Pages 525 [528] Year 1988
D I E I N T E R N A T I O N A L E P O L I T I K 1 9 8 5 - 1 986
DIE INTERNATIONALE POLITIK
JAHRBÜCHER DES F O R S C H U N G S I N S T I T U T S DER D E U T S C H E N G E S E L L S C H A F T FÜR AUSWÄRTIGE POLITIK
DIE I N T E R N A T I O N A L E
POLITIK
1985-1986 Herausgeber WOLFGANG
WAGNER
MARION GRÄFIN DÖNHOFF, KARL KAISER, PAUL
GERHARD
FELS
NOACK
Redaktion ANGELIKA
VOLLE
Mitarbeiter HORST BACIA, TILMANN CHLADEK, PETER DANYLOW, ULRICH FANGER, HARTMUT FEST, HANS-PETER FRÖHLICH, JOACHIM GLAUBITZ, HELGA HAFTENDORN, RUDOLF HERLT, ARNOLD HOTTINGER, H E L M U T HUBEL, K A R L - H E I N Z KAMP, MANFRED KNAPP, HEINRICH-W. KRUMWIEDE, B E R N D W. K U B B I G , C I T H A D . M A A S S , H A N N S W. M A U L L , K L A U S O T T O N A S S , K L A U S FRHR. VON DER ROPP, L O T H A R R Ü H L , ALFRED SCHLICHT, ROLAND SCHÖNFELD, EBERHARD SCHULZ, GEBHARD SCHWEIGLER, ANGELIKA VOLLE, OSKAR WEGGEL, STEPHAN FRHR. VON WELCK
RED AKTIONSSCHLUSS : JUNI
1988
R. O L D E N B O U R G V E R L A G M Ü N C H E N
1988
DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR AUSWÄRTIGE POLITIK E.V. B O N N Adenauerallee 131, Telefon 217021 PRÄSIDIUM G E S C H Ä F T S F Ü H R E N D E S C. PETER
P R Ä S I D I U M
HENLE
Präsident H E L M U T SCHMIDT
HANS L . MERKLE
Stellv. Präsident
Stellv. Präsident
ERICH
STRAETLING
D R . F . WILHELM CHRISTIANS
PPROF. D R . HANS-PETER SCHWARZ
Schatzmeister
Vorsitzender des
Herausgeber
Wissenschaftlichen Direktoriums
des »Europa-Archiv*
Geschäftsführender stellv. Präsident
PROF. DR. KARL
DR. WOLFGANG
WAGNER
KAISER
Direktor des Forschungsinstituts DR. KLAUS VON DOHNANYI - DR. KLAUS W A L T H E R LEISLER KIEP - D R . O T T O G R A F
DR. GERHARD SCHRÖDER - DR. THEODOR D E M
G E S A M T P R Ä S I D I U M
DR. HANS APEL -
BIRGIT BREUEL -
DR. TYLL
DR. GERHARD STOLTENBERG -
NECKER PETER M .
RÖLLER
SCHMIDHUBER
DR. HANNS ARNT VOGELS
O T T O W O L F F VON AMERONGEN
DR. MONIKA WULF-MATHIES DR. FRIEDRICH
W I S S E N S C H A F T L I C H E S
EHMKE KNIEPS
DR. WOLFGANG
DR. WOLFGANG SCHIEREN -
HANS-JÜRGEN WISCHNEWSKI -
BERTHOLD BEITZ
HANS-JOACHIM
ALFRED FREIHERR VON OPPENHEIM VOLKER RÜHE -
A N
PROF. D R . HORST
PROF. D R . WILHELM KEWENIG D R . KLAUS LIESEN -
WAIGEL
G E H Ö R E N
DR. MARTIN BANGEMANN -
ERNST BREIT -
GÖTTE
LAMBSDORFF
PROF. DR. JOACHIM
ZAHN
ZIMMERMANN
D I R E K T O R I U M
DES
F O R S C H U N G S I N S T I T U T S
PROF. D R . HANS-PETER SCHWARZ (VORS.) PROF. D R . H ANS-ADOLF J A C O B S E N (STELLVERTR. VORS.) PROF. D R . G E R H A R D FELS PROF. DR. W O L F HÄFELE -
PROF. D R . JOCHEN ABR. FROWEIN PROF. DR. HELGA
PROF. D R . THEODOR H A N F PROF. DR. WILHELM KEWENIG PROF. D R . K A R L J O S E F PARTSCH -
HAFTENDORN
PROF. DR. KARL
KAISER
PROF. DR. NORBERT
KLOTEN
PROF. DR. CHRISTIAN TOMUSCHAT
D i e Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik hat nach ihrer Satzung die Aufgabe, die Probleme der internationalen, besonders der europäischen Politik, Sicherheit und Wirtschaft zu erörtern und ihre wissenschaftliche Untersuchung zu fordern, die Dokumentation über diese Forschungsfragen zu sammeln und das Verständnis für internationale Fragen durch Vorträge, Studiengruppen und Veröffentlichungen anzuregen und zu vertiefen. Sie unterhält zu diesem Zweck ein Forschungsinstitut, eine Dokumentationsstelle und die Zeitschrift „Europa-Archiv - Zeitschrift für internationale Politik". Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik bezieht als solche auf Grund ihrer Satzung keine eigene Stellung zu internationalen Problemen. D i e in den Veröffentlichungen der Gesellschaft geäußerten Meinungen sind die der Autoren. © 1988 R . O L D E N B O U R G V E R L A G G M B H , München D a s W e r k ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem o d e r ähnlichem Wege sowie der Speicherung und Auswertung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Werden mit schriftlicher Einwilligung des Verlages einzelne Vervielfältigungsstücke für gewerbliche Zwecke hergestellt, ist an den Verlag die nach % 14 Abs. 2 U G zu zahlende Vergütung zu entrichten, ü b e r deren Höhe der Verlag Auskunft gibt. ISBN 3-486-54601-5 Gesamtherstellung: Hans Richarz Publikations-Service, Sankt Augustin 1 C I P - K u r z t i t e l a u f n a h m e der Deutschen Bibliothek D i e internationale Politik . . . : Jahrbücher d. Forsch'ungsinst. d. D t . G e s . für Auswärtige Politik. - München : Oldenbourg ISSN 0 5 3 9 - 1 5 8 - X Erscheint zweijährl. - Teilw. mit d. Erscheinungsorten München, W i e n . - Erhielt früher e. Einzelbd.-Aufnahme 1983/84 (1986) -
INHALT
VORWORT
XIII
VERZEICHNIS DER ABKÜR2UNGEN
I
XVII
GLOBALE PROBLEME TSCHERNOBYL UND DIE FOLGEN/Hanns W. Maull
1
Der Verlauf des Unfalls (1) • Die Ursachen des Unfalls (4) • Die politischen Auswirkungen (7) • Internationale Kooperation nach Tschernobyl (10) • Wachsende Zweifel an komplexen Großtechnologien (12) ERFORSCHUNG UND NUTZUNG DES WELTRAUMS/Stephan Frhr. von Welck
16
Der Wettlauf um die Vorherrschaft im Weltraum (16) • Vereinigte Staaten (17) • Sowjetunion (22) • Amerikanisch-sowjetische Zusammenarbeit (27) • Weltraumpolitische Aktivitäten anderer Staaten (30) DIE GEFAHREN DES INTERNATIONALEN TERRORISMUS/Tilmann Chladek
40
Internationale Zusammenarbeit (40) • Staatlich geförderter Terrorismus (42) • Reaktionen auf terroristische Strategien (44) • Abmachungen zwischen Regierungen und Terroristen (46) • Reaktionen der europäischen Regierungen (48) • Zusammenarbeit in weltweiten Organisationen (52)
II
DIE WELTWIRTSCHAFT IN DER KRISE NEUE HERAUSFORDERUNGEN FÜR Hartmut Fest und Hans-Peter Fröhlich
DIE
WELTWIRTSCHAFT/
Die weltwirtschaftlichen Problemfelder (56) • Die Rolle der Finanzpolitik (61) • Wirtschaftspolitische Neuorientierung (62) • Wirtschaftspolitische Zielkonflikte (64) • Zwiespältige Bilanz (68)
55
VI
INHALT
DIE INTERNATIONALE PLAN/Rudolf Herlt
SCHULDENKRISE
UND DER
BAKER71
Ursachen der Schuldenkrise (71) - Erste Reaktionen der Gläubiger (72) • Der Baker-Plan (74) • Die weltwirtschaftliche Einbettung des Plans (76) • Die Debatte über Alternativen (77) • Die richtige Strategie (78)
III
DIE WELTMÄCHTE UND DAS OST-WEST-VERHÄLTNIS DIE WIEDERBELEBUNG DES POLITISCHEN DIALOGS ZWISCHEN DEN USA UND DER SOWJETUNION/Gebhard Schweigier
83
Erneute Rüstungskontroll-Verhandlungen (83) • Streitpunkt: SALTII (90) • Vorbereitungen für den Genfer Gipfel (92) • Ergebnisse des Genfer Gipfels (94) • Rückkehr zur „stillen Diplomatie" (95) • Erneute Gipfelvorbereitungen (98) • Der Gipfel von Reykjavik (99) DIE WIEDERAUFNAHME DER ABRÜSTUNGSVERHANDLUNGEN/ Lothar Rühl Gorbatschows Vorschläge vom Herbst 1985 (104) • Die amerikanischen Gegenvorschläge (107) • Der sowjetische Etappen-Vorschlag vom Januar 1986 (109) • Erste Fortschritte im September 1986 (113) • Das Gipfeltreffen von Reykjavik (116) • Der neue amerikanische Vorschlag vom Oktober 1986 (117) • Die sowjetischen Gegenvorschläge vom November 1986 (119) • Konzentration auf ein I N F Abkommen (120) DER FORTGANG DES KSZE-PROZESSES/Horst Bacia
103
122
Von Madrid nach Wien (122) • Das Treffen über Menschenrechte in Ottawa (124) • Das Kulturforum in Budapest (126) • Das Expertentreffen in Bern über menschliche Kontakte (127) • Die Stockholmer Konferenz ( K V A E ) (129) • Beginn des KSZE-Folgetreffens in Wien (134)
IV
DIE WESTLICHE GEMEINSCHAFT DIE SICHERHEITSPOLITISCHE DEBATTE IN DEN USA/Bernd W . Kubbig Die Strategische Verteidigungsinitiative (138) • Die Interpretation des ABM-Vertrags (141) • Die INF-Verhandlungen (144) • Wirtschaftliche Auswirkungen von S D I (146)
137
INHALT
DAS AMERIKANISCH-EUROPÄISCHE VERHÄLTNIS/Manfred Knapp
VII
149
Herausforderungen in der Sicherheitspolitik (149) • Sicherheits- und Technologiepolitik im Widerstreit der Interessen (152) • Belastungsmomente in den politischen Beziehungen (156) - Anhaltende Spannungen in den transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen (159) DIE SICHERHEITSPOLITIK DES WESTENS - EINE NEUBEWERTUNG DER ROLLE NUKLEARER WAFFEN?/Helga Haftendorn . .
167
Neue Akzentsetzungen in der Nuklearstrategie der Vereinigten Staaten (167) • Meinungsverschiedenheiten über die nukleare Rolle der USA im Atlantischen Bündnis (170) • Interessenkonflikte in der Rüstungskontrolle (174) • Vorbehalte der Europäer gegenüber der Null-Lösung (176) • Bemühungen um eine gerechtere Lastenteilung innerhalb des Bündnisses (177) - Amerikanisches Unbehagen am Atlantischen Bündnis (181) DIE DEBATTE UM ALTERNATIVEN - KONVENTIONALISIERUNG UND EUROPÄISIERUNG DER SICHERHEITSPOLITIK/Karl-Heinz Kamp
184
Verstärkte europäische Kooperation im Bereich der Sicherheitspolitik (184) • Die sicherheitspolitische Zusammenarbeit zur Mitte der achtziger Jahre (188) • Die deutsch-französische Zusammenarbeit (190) • Beginn der Konventionalisierungsdebatte (194) • Haltung der Parteien (196) DIE NEUBELEBUNG DES INTEGRATIONSPROZESSES IN DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFT/Angelika Volle
199
Impulsgebende Reformdiskussionen (199) • Auf dem Weg zu einer Europäischen Union (200) - Die Einheitliche Europäische Akte (206) Probleme und Chancen der Süderweiterung für die EG (210)
V
ENTWICKLUNGEN IN OST- UND SÜDOSTEUROPA NEUBEGINN IN DER SOWJETUNION/Eberhard Schulz Der Generationswechsel (215) • Priorität für die Sicherung der Machtgrundlage (220) - Neues Handeln und neues Denken in der Außenpolitik (224) - Die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten (226) • Die Westeuropa-Politik Gorbatschows (228) • Das „neue politische Denken" (229) • Die Asien-Politik Gorbatschows (231)
215
VIII
INHALT
AUSSENPOLITISCHE ENTWICKLUNGSTENDENZEN IN OSTEUROPA/Peter Danylow
233
Differenzierung der Blockstrukturen (234) • Der Führungswechsel in Moskau und seine wirtschaftlichen Auswirkungen auf die R G W Staaten (234) - Das außenpolitische Profil der kleineren Staaten in Osteuropa (236) • Außenpolitik und Ökonomie (244) • Außenpolitik und Ideologie (245) ALTE UND NEUE KONFLIKTE AUF DEM BALKAN/Roland Schönfeld
247
Nationalitätenprobleme und ungelöste territoriale Fragen (249) • Wirtschaftskrise, Bündnispolitik und Blockfreiheit (264)
VI
KONFLIKTE IN NAHOST UND IN NORDAFRIKA KRISEN IN DER ARABISCH-ISLAMISCHEN WELT/Arnold Hottinger
277
Palästinensisch-jordanische Zusammenarbeit und der Konflikt um die von Israel besetzten Gebiete (277) • Fortdauer des irakischiranischen Krieges (280) - Lähmung der interarabischen Politik (283) • Folgen der politischen Frustration im Nahen Osten (287) • Terroristische Aktivitäten (291) VERSCHÄRFUNG DER SITUATION IN LIBANON/Alfred Schlicht .
302
Konfrontation zwischen Palästinensern und Amal (302) • Libanon zwischen Friedensbemühungen und Zerfall (306) • Der LibanonKonflikt im nahöstlichen Umfeld (309) • Die Libanon-Krise im internationalen Kontext (312) • Wirtschaftliche Probleme (313) DER KONFLIKT ZWISCHEN LIBYEN UND DEN USA IM INTERNATIONALEN ZUSAMMENHANG/Helmut Hubel
316
Der amerikanische Luftangriff (316) • Die Vorgeschichte (318) • Libyens Rolle in Nordafrika (323) • Das Verhalten Westeuropas (324)
VII
ENTWICKLUNGSKRISEN UND UNRUHEN IN AFRIKA FLUCHT UND HUNGER - ENTWICKLUNGSKRISEN IN AFRIKA/ Klaus Otto Nass Grenzüberschreitende Flucht und innerstaatliche Wanderungen (327) • Hungerkatastrophen in Äthiopien und im Sudan (334) • Politische Ursachen des Hungers (336) • Zentralismus und Rassismus als permanente Konfliktquellen (340) • Kriege um Stammesmacht (342)
327
IX
INHALT
DIE REPUBLIK SÜDAFRIKA UNTER WACHSENDEM INTERNATIONALEM DRUCK/Klaus Frhr. von der Ropp
346
Der Fortgang der „Reformpolitik" Pretorias (346) • Macht und Ohnmacht des schwarzen Aufbegehrens (348) • Aufwertung der internationalen Rolle des A N C (351) • Aspekte der Regionalpolitik Südafrikas (351) • Westliche Reaktionen auf die Politik Südafrikas (354)
VIII KONTINUITÄT UND UMBRUCH IN ASIEN FORTFÜHRUNG DER REFORMCHINAS/Joachim Glaubitz
UND
ÖFFNUNGSPOLITIK 361
Fortführung der Reformen (361) • Die chinesisch-sowjetischen Beziehungen (364) • Chinas Politik gegenüber Osteuropa (369) • Chinas Verhältnis zu den Vereinigten Staaten (371) • Das Verhältnis zu Japan (372) • China und Westeuropa (374) REGIONALE UND INTERNATIONALE PROBLEME DER ASEANSTAATEN/Oskar Weggel
376
Der Umsturz auf den Philippinen (376) • Die Auseinandersetzung zwischen Kamputschea und Vietnam (380) • Der ASEAN-Integrationsprozess (382) • Gefahren für den ASEAN-Einigungsprozeß (386) • A S E A N und die großen Mächte (390) INTERNATIONALE AUSWIRKUNGEN DER UNRUHEN IN SÜDASIEN/Citha D. Maass
392
Indiens Beziehungen zu den Supermächten (392) • Ethnische Konflikte als Störfaktoren in der Region (393) • Der Punjab-Konflikt (395) • Der Tamilen-Konflikt (398) • Internationale Dimensionen beider Konflikte (402)
IX
DEMOKRATISIERUNG UND ANTAGONISMUS IN LATEINAMERIKA DIE NEUEN DEMOKRATIEN LATEINAMERIKAS/Ulrich Fanger . . Schwierige Öffnung zur Demokratie (405) • Die Entwicklung der militärisch-zivilen Beziehungen (407) • Wirtschaftliche und soziale Entwicklungen (411) • Die südamerikanischen Mittelmächte in der internationalen Politik (416) • Neue Ansätze zur regionalen Kooperation (418) - Südamerika und die Schlichtungsversuche in Zentralamerika (419) • Redemokratisierung und Außenpolitik (420)
405
X
INHALT
DIE ENTWICKLUNGEN IN ZENTRALAMERIKA/Heinrich W. Krumwiede
424
Die kommunistischen Staaten und Nicaragua (425) - Die NicaraguaPolitik der USA (427) • Das Scheitern der Contadora-Initiative (430) - Demokratisierung und Revolution in Guatemala und El Salvador (432)
ANHANG LITERATURHINWEISE
435
PERSONENREGISTER
473
SACHREGISTER
477
AUTOREN
505
IN MEMORIAM
Dr. Dr. h.c. K U R T B I R R E N B A C H 1907-1987 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik von 1973-1981, Ehrenpräsident von 1981-1987, Vorsitzender der Studiengruppe Ost-WestBeziehungen von 1965-1978
VORWORT Als im Jahrbuch 1975/76 zum ersten Mal ein Kapitel mit dem Titel „Universelle Probleme" erschien, wurde zugleich angekündigt, daß die Jahrbücher sich auch in Zukunft diesen neuen Problemen widmen würden, die jenseits der klassischen internationalen Politik liegen. Inzwischen ist die Erkenntnis, daß die Menschheit vor einer zunehmenden Zahl von globalen Problemen steht, zum Gemeinplatz geworden. Im vorliegenden Band werden zum dritten Mal ausgewählte Fragen von universeller Bedeutung behandelt. Am Anfang steht diesmal ein Beitrag, der, ausgehend von dem Reaktorunfall von Tschernobyl, nicht nur auf die schwierigen Sicherheitsprobleme bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie eingeht, sondern darüber hinaus die wachsenden Zweifel an der Beherrschbarkeit komplexer Großtechnologien widerspiegelt. Zu diesen technischen Großprojekten zählt auch die Raumfahrt. Nach der ersten Begeisterung über den Vorstoß des Menschen in den Weltraum und die erfolgreiche Landung auf dem Mond sind, ausgelöst nicht nur durch mehrere tragische Unglücksfälle, auch auf diesem Gebiet Bedenken entstanden. Um die Vorherrschaft im Weltraum hat sich ein Wettlauf entwickelt, hinter dem sowohl militärische als auch kommerzielle Motive zu erkennen sind. Betroffen sind von dieser neuen, in großen Sprüngen fortschreitenden Entwicklung nicht nur die unmittelbar beteiligten Staaten, sondern auch diejenigen, die mangels entsprechender technologischer Fähigkeiten nicht daran teilnehmen können. Es erschien geboten, diesem neuen, weiten Feld zum ersten Mal einen eigenen Beitrag zu widmen. Mit dem dritten Thema in diesem Eingangskapitel, dem internationalen Terrorismus, betreten die Jahrbücher kein neues Terrain. Der Entschluß, diese Problematik erneut hervorzuheben, hat indes gute Gründe: Nicht nur sind die Hoffnungen in den letzten Jahren zerstoben, beim grenzüberschreitenden Terrorismus handele es sich um ein vorübergehendes Phänomen, dessen die Staaten und internationalen Organisationen über kurz oder lang Herr werden könnten; es zeichnet sich sogar eine Steigerung der terroristischen Aktivitäten ab, und die daraus erwachsenden Spannungen scheinen unaufhaltsam zuzunehmen. Es ist mehr als zwei Jahrzehnte her, daß die Jahrbücher begonnen haben, sich regelmäßig mit grundlegenden Fragen der Weltwirtschaft zu beschäftigen. Inzwischen wurde weltwirtschaftlichen Themen beim Aufbau eines
XIV
VORWORT
Jahrbuchs sogar mehrfach Vorrang vor den Fragen der „großen Politik" gegeben, die in Werken über die internationale Politik traditionell den ersten Rang einnehmen. Bewußt wurde damit zum Ausdruck gebracht, daß Entwicklungen in der Weltwirtschaft in unserer Zeit nicht selten größere Bedeutung haben als die Entscheidungen von Staaten, seien sie noch so mächtig. Auch im vorliegenden Band ist das Kapitel über die Weltwirtschaft wieder vor die politischen Abschnitte gestellt worden; besonders das ungelöste Schuldenproblem, von dem das Schicksal großer Teile der Menschheit beeinflußt wird, sprach für diese Prioritätenwahl. Das dritte Kapitel, dem Ost-West-Verhältnis gewidmet, wird geprägt von der Wiederbelebung des Dialogs zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, die der Welt nach langen Jahren vergeblichen Wartens endlich wieder die Aussicht auf eine friedliche Entwicklung eröffnet hat. Im Mittelpunkt stehen, wie bei früheren Anläufen, die Bemühungen um eine Eingrenzung der nuklearen Rüstungen der beiden Weltmächte, die in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre zum beherrschenden Thema der Weltpolitik geworden sind. Jedoch wird das zähe Ringen um Fortschritte auf anderen Gebieten, das sich im Rahmen des KSZE-Prozesses abspielt, nicht vernachlässigt. Für eine gedeihliche Annäherung der Staaten des Westens und des Ostens ist dieser Versuch von nicht geringerer Bedeutung. Gewissermaßen die Kehrseite der Medaille bilden die Beratungen innerhalb des westlichen Bündnissystems, die mit diesem neuen Aufbruch im Ost-West-Verhältnis zusammenhängen. Auch früher schon sind die europäisch-amerikanischen Beziehungen bald von Ungeduld der Europäer angesichts amerikanischer Untätigkeit, bald von europäischer Sorge über ein amerikanisch-sowjetisches Zusammenwirken beeinflußt worden. Diesmal scheinen die europäischen Vorbehalte einen prinzipielleren Charakter anzunehmen, wie die vielfältigen Überlegungen über eine größere Eigenständigkeit des westlichen Europa gegenüber den Vereinigten Staaten, bis hin zu Fragen der Bündnisstrategie, verraten. Da diese neuen Konfliktpotentiale für die künftige Entwicklung von außerordentlichem Gewicht sein können, wird die Thematik in mehreren Beiträgen unter verschiedenen Gesichtspunkten ausgeleuchtet. Als Gegenstück zu diesem Kapitel „Die westliche Gemeinschaft" bietet das Jahrbuch in seinem fünften Abschnitt einen Überblick über jüngere Entwicklungen innerhalb des östlichen Lagers und auf dem Balkan. Dem neuen sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow und seinen kühnen Vorstellungen von einem inneren Umbau der Sowjetunion, verbunden mit neuen Orientierungen in der Außen- und Sicherheitspolitik, gebührt in diesem Zusammenhang ein besonderer Platz. Aber da das Wort vom „Ostblock" längst einen zweifelhaften Klang hat, durften die Entwicklungstendenzen in den ost- und südosteuropäischen Staaten nicht vernachlässigt werden. Zum ersten Mal seit vielen Jahren wird der Balkan mit seinen alten
VORWORT
XV
Konflikten, die von den neuen Herrschaftsstrukturen kaum verdeckt werden, einer aufhellenden Untersuchung unterzogen. Daß wie in früheren Bänden auch diesmal wieder den anhaltenden Wirren im Nahen Osten und in Nordafrika ein eigenes Kapitel vorbehalten ist, bedarf keiner ausdrücklichen Begründung. Es fehlt nicht an fortwährenden Erinnerungen an die Tatsache, daß von den inneren Konflikten dieser Region jederzeit verderbliche Wirkungen auf die gesamte Umwelt ausgehen können. An kaum einer anderen Stelle auf dem Planeten ist die Situation, auch wenn es längere Zeit keine grundlegende Machtverschiebung mehr gegeben hat, so unstabil wie hier. Es gibt auch fast keine andere Region, deren Zukunft derart ungewiß ist. Die übrigen drei Kapitel sind drei großen Kontinenten gewidmet: Afrika, Asien und Lateinamerika. Gewiß werden die in diesen Kapiteln versammelten Beiträge der Vielfalt der Ereignisse und Entwicklungen in diesen weiten Räumen nicht gerecht. Unter bewußtem Verzicht auf auch nur annähernde Vollständigkeit wurden einzelne Länder und Probleme ausgewählt; sie sind nicht einmal als Paradigmen gedacht. Als Kriterien der Auswahl dienten zum einen die vermutliche Bedeutung für die internationale Politik, zum andern das Interesse der Weltöffentlichkeit. In folgenden Bänden dieser Reihe werden sicherlich teilweise andere Schwerpunkte gesetzt werden. Die Herausgeber danken allen, die zur Konzeption und Gestaltung dieses Bandes beigetragen haben, vor allem der Jahrbuch-Redakteurin, Dr. Angelika Volle, die nun schon im zehnten Jahr die Jahrbücher DIE INTERNATIONALE POLITIK wissenschaftlich und redaktionell betreut. Besonderer Dank gebührt diesmal Herrn Rüdiger Wittke, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Dokumentationsstelle der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Mit seiner Hilfe konnte die Datenbasis des Fachinformationsverbundes „Internationale Beziehungen und Länderkunde", dem die Dokumentationsstelle der DGAP angeschlossen ist, für die aktuellen Literaturangaben am Ende des Bandes genutzt und ausgewertet werden. Herrn Dipl.-Volksw. Bernd Hallenberg schulden wir großen Dank für die sorgfältige Erstellung des Personen- und detaillierten Sachregisters, mit dem die rasche Erschließung aller Themenbereiche der internationalen Politik, die im vorliegenden Band behandelt sind, ermöglicht wird. Den Sekretärinnen der DGAP, besonders Frau Marianne Göhre, die alle Beiträge druckfertig auf Diskette schrieben, gilt unser herzlicher Dank. Wir widmen diesen Band dem Andenken an Dr. Kurt Birrenbach, der im Dezember 1987 verstarb. Als er 1973 Präsident der DGAP wurde, unterstützte er nachhaltig die Bemühungen, das Jahrbuch DIE INTERNATIONALE POLITIK, das zu diesem Zeitpunkt in Schwierigkeiten geraten war, zu erhalten und in verbesserter Form fortzuführen. Bonn, im Juni 1988
Die Herausgeber
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
AdG ADN APZ Außenpol. BlOst BMFT Bulletin DA Dept. of State B. DGAP EA EPZ EZ FA FAO FAZ FP FR FT GATT HSFK IA IAEO IHT
Archiv der Gegenwart, Bonn Allgemeine Deutsche Nachrichtenagentur, Berlin (Ost) Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, Bonn Außenpolitik, Hamburg Bundesinstitut für internationale und ostwissenschaftliche Studien, Köln Bundesministerium für Forschung und Technologie, Bonn Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Bonn Deutschland Archiv, Köln The Department of State Bulletin, Washington, D.C. Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V., Bonn Europa-Archiv, Bonn Europäische Politische Zusammenarbeit Europäische Zeitung, Bonn Foreign Affairs, New York Food and Agriculture Organization (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen), Rom Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt Foreign Policy, Washington D.C. Frankfurter Rundschau, Frankfurt Financial Times, London General Agreement on Tariffs and Trade (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt International Affairs, London Internationale Atomenergiebehörde, Wien International Herald Tribune, Paris
XVIII IP 1955... bzw. IP 1956/57...
IWF JCMS ND NYT NZZ OE PE RIIA SAIIA SWP SZ TWT VN
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
Jahrbücher Die Internationale Politik Bisher sind erschienen: Die Internationale Politik 1955, München 1958 Die Internationale Politik 1956/57, München 1961 Die Internationale Politik 1958-60, München 1971 Die Internationale Politik 1961, München 1964 Die Internationale Politik 1962, München 1968 Die Internationale Politik 1963, München 1969 Die Internationale Politik 1964/65, München - Wien Die Internationale Politik 1966/67, München - Wien Die Internationale Politik 1968/69, München - Wien Die Internationale Politik 1970-72, München - Wien Die Internationale Politik 1973/74, München - Wien Die Internationale Politik 1975/76, München - Wien Die Internationale Politik 1977/78, München - Wien Die Internationale Politik 1979/80, München - Wien Die Internationale Politik 1981/82, München 1984 Die Internationale Politik 1983/84, München 1986
1972 1973 1974 1978 1980 1981 1982 1983
Internationaler Währungsfonds Journal of Common Market Studies, Oxford Neues Deutschland, Berlin (Ost) The New York Times, New York Neue Zürcher Zeitung, Zürich Osteuropa, Stuttgart Politique Etrangère, Paris Royal Institute of International Affairs, London South African Institute of International Affairs, Johannesburg Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen Süddeutsche Zeitung, München The World Today, London Vereinte Nationen, Bonn
I GLOBALE PROBLEME
TSCHERNOBYL U N D DIE FOLGEN Von
Hanns
W.
Maull
D E R V E R L A U F DES U N F A L L S Der bislang größte Unfall in der Geschichte der zivilen Nutzung der Kernenergie begann am 25. April 1986 um 13.00 Uhr im Reaktor Nr. 4 des Kernkraftwerks von Tschernobyl in der Ukraine mit der Einleitung eines Versuchsprogramms. Ironischerweise sollte dieses Experiment einer Verbesserung der Sicherheitsvorkehrungen des Reaktors dienen: Es ging darum zu ermitteln, ob für den Zeitraum nach Ausfall der Stromversorgung bis zum Anlaufen der Notaggregate die kinetische Restenergie der Reaktorturbinen zur Aufrechterhaltung der Reaktorkühlung genutzt werden könnte. Im engeren Sinne handelte es sich dabei also nicht um ein Experiment mit dem Reaktor selbst; es war jedoch insofern grundsätzlich riskant, als es die Abschaltung des Notkühlsystems voraussetzte. Zudem lag für das Experiment zwar grundsätzlich eine Genehmigung vor, jedoch war in den Worten des sowjetischen Berichts über den Unfall „das Arbeitsprogramm nicht ordentlich vorbereitet", es fehlte die „erforderliche Bewilligung" zur Einleitung des Tests, und die Mannschaft war „nicht entsprechend für diese Tests vorbereitet (und sich) der möglichen Gefahren nicht bewußt". 1
1
Zit. nach NZ2,
23.8.1986.
2
TSCHERNOBYL UND DIE FOLGEN
Um 14.00 Uhr unternahm das Bedienungspersonal mit der Abschaltung der Pumpen des Notkühl-Systems den ersten einer Reihe von fatalen Schritten zur Deaktivierung der Notfall-Systeme des Reaktors. Im weiteren Verlauf des Experiments wurden ein lokales Kontrollsystem irrtümlich ausgeschaltet sowie die meisten Kontrollstäbe aus dem Reaktor herausgezogen, was die Möglichkeiten einer Notabschaltung gefährdete. Am 26. April um 1.03 Uhr schaltete das Personal zwei weitere Pumpen an, um den Dampfanfall an der Turbine zu vergrößern. Diese klar gegen die Bedienungsvorschriften verstoßende Maßnahme führte dazu, daß zu viel Kühlwasser durch den Reaktor floß. Um das Experiment fortsetzen zu können, setzte das Bedienungspersonal weitere Kontrollsysteme außer Kraft. Als danach die Dampfzufuhr an die Turbine gedrosselt wurde, um einen Stromausfall zu simulieren, kam es um 1.23 Uhr zu einem starken Leistungsanstieg. Der Betriebsleiter versuchte eine Notabschaltung, doch ein Teil der Bedienungsstäbe klemmte. Danach durchbrachen zwei Explosionen die StahlbetonUmmantelung und das Dach des Reaktorgebäudes. Über dreißig Brände brachen auf dem Gelände aus, darunter ein Graphitbrand im Reaktorkern und ein Brand auf dem von den Reaktoreinheiten 3 und 4 geteilten Turbinengebäude; es bestand also die Gefahr eines Ubergreifens der Flammen auf die anderen Einheiten des Kraftwerkes. Eine alarmierte örtliche Feuerwehreinheit von 15 Mann trug unter schweren Opfern die Hauptlast der Brandbekämpfung: die radioaktive Verseuchung des Geländes war lebensgefährlich hoch. Erst nach 90 Minuten erreichten FeuerwehrBrigaden aus Kiew und anderen umliegenden Städten den Schauplatz der Katastrophe; gegen 6.35 Uhr waren die Brände mit Ausnahme des Graphitbrandes im Reaktorkern gelöscht. Dieses Graphitfeuer konnte erst nach knapp zwei Wochen unter Kontrolle gebracht werden: Helikopter begruben den Reaktorkern unter 40 Tonnen Bor, um die Kettenreaktion zu stoppen, und erstickten den Brand unter 800 Tonnen Dolomit, 2 400 Tonnen Blei und 1 800 Tonnen Sand.2 Die Folgen Im Verlauf des Graphitbrandes wurden circa 3 bis 4 Prozent des gesamten radioaktiven Inventars des Reaktorkerns freigesetzt. Ein Viertel dieser 2 Zum Hergang der Katastrophe vgl. vor allem: USSR State Committee for Utilization of Atomic Energy, The Accident at the Chernobyl Nuclear Power Plant and Its Consequences. Information compiled for the IAEA Experts' Meeting, 25.-29.8.1986, Wien 1986; David R. Marples, Chernobyl and Nuclear Power in the USSR, London 1987, insbes. Kap. 6; Judith Thornton, Chernobyl and Soviet Energy, in: Problems of Communism, Juni 1986, S. 1-16; Bennett Ramberg, Learning from Chernobyl, in: FA, Winter 1986/87, S. 304-328. Eine knappe Zusammenfassung findet sich in W. Seifritz, Der offizielle sowjetische Tschernobyl-Bericht, in: NZZ, 23.8.1986.
DIE FOLGEN
3
Verseuchung erfolgte im Verlauf des ersten Tages und verbreitete sich in radioaktiven „Wolken" über weite Teile der Sowjetunion, Ost- und Mitteleuropas. Das Gesamtausmaß der Freisetzung betrug etwa 50 Millionen Curie, das entspricht dem 30- bis 40-fachen der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki. 3 Am Unfallort selbst erreichte die radioaktive Verseuchung Werte um 400 rem 4 - eine Strahlenbelastung, die in 50 Prozent aller Fälle innerhalb von zwei bis sechs Wochen zu einem qualvollen Tod führt. Die radioaktive Verstrahlung kostete 1986 29 Menschen das Leben; weitere zwei kamen bei der Explosion des Reaktors ums Leben. Die Werte der radioaktiven Verseuchung insbesondere durch Jod-131 (mit einer kurzen Halbwertszeit von achteinhalb Tagen) und Caesium-137 (Halbwertszeit: über 30 Jahre) erreichten jenseits der unmittelbaren Unfallumgebung jedoch offenbar nirgendwo ein Ausmaß, das akute Gesundheitsfolgen nach sich gezogen hätte. Um eine akute Gefährdung der Bevölkerung zu vermeiden, mußten insgesamt etwa eine halbe Million Menschen ihre Heimat verlassen bzw. evakuiert werden; die oft zitierte Zahl von 135 000 Evakuierten erfaßt lediglich einen Teil der Betroffenen. Die Evakuationen liefen erst mit erheblichen Verzögerungen an: Die Evakuierung der nur wenige Kilometer entfernten Stadt Pripjat begann am Nachmittag des 26. April, die einer 30-km-Zone um das explodierte Kraftwerk erst am 3. Mai. Die Behörden setzten damit offensichtlich größere Bevölkerungsgruppen fahrlässig oder bedingt durch organisatorische Pannen größeren Strahlenbelastungen aus. Auch die Durchführung der Evakuierungen ließ, wie später auch von sowjetischen Medien kritisiert wurde, zu wünschen übrig. 5 Akute Gesundheitsschäden sind jedoch nur die eine Seite des Verseuchungsproblems: Die andere, schwerwiegendere besteht in der Erhöhung der Krebswahrscheinlichkeit und der Gefahr genetischer Veränderungen des Erbguts. Grundsätzlich bedeutet jede zusätzliche Strahlenbelastung ein zusätzliches Risiko; neuere Forschungsergebnisse deuten sogar darauf hin, daß diese Zunahme des Risikos bei niedrigen Werten nicht linear, sondern exponentiell verläuft. Immerhin überstieg die Belastung durch Caesium-137 3 Vgl. Tbomton, ebd., S. 5. Nach amerikanischen Schätzungen wurden praktisch das gesamte Inventar an Jod-131 oder etwa 80 Mio. Curie freigesetzt - gegenüber rund 15 Curie Jod-131, die am 28.3. 1979 bei dem Unfall von Three Mile Island in die Atmosphäre gelangten. 1 Curie (eine Einheit, die die Freisetzung von Radioaktivität mißt) entspricht 57 Mrd. Becquerel. 4 rem (radiation equivalent man) mißt - wie das in der Wissenschaft inzwischen bevorzugte Sv (Sievert) - die biologische Belastung durch Radioaktivität, also die Effekte der freigesetzten Energie auf das Gewebe. 1 rem entspricht 0,01 Sv. Die natürliche Strahlenbelastung beträgt etwa 100 bis 200 millirem pro Jahr. 5 Vgl. hierzu insbesondere Marples, a.a.O. (Anm. 2), S. 141 ff. und Bernd Knabe, Der Reaktorunfall im Kernkraftwerk Tschernobyl, I. Die Katastrophe - Bewältigung und Auswirkungen, in: OE, 1/1987, S. 15-27, hier S. 19 ff.
4
TSCHERNOBYL UND DIE FOLGEN
etwa in Bayern im Mai 1986 die akkumulierte Gesamtbelastung der vergangenen Jahrzehnte durch Atombombenversuche um ein Mehrfaches. 6 Insgesamt schätzte die Deutsche Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung die zusätzliche Lebenszeit-Belastung der Bevölkerung in Bayern auf 150 bis 400 millirem (Erwachsene) bzw. 300 bis 600 millirem (Kinder); etwa ein Drittel dieser Belastung entstand im ersten Jahr nach dem Unfall. 7 Die durch diese Erhöhung der Strahlenbelastung ausgelösten langfristigen Gesundheitsschäden sind umstritten: Fest steht allerdings, daß sie - mit Latenzzeiten von zehn bis 25 Jahren - zu einer Zunahme der Leukämie- und Tumorfälle führen wird. Für die europäische Region der Sowjetunion rechnen Offizielle mit 35 000 bis 45 000 zusätzlichen Krebstoten sowie ebenso vielen nichttödlichen Krebserkrankungen; inoffizielle Schätzungen reichen bis zu einer Million zusätzlicher Krebstoten. 8
D I E U R S A C H E N DES U N F A L L S Die Ursachen der „Havarie" des Blocks Nr. 4 im Kernkraftwerk Tschernobyl sind auch nach sowjetischem Eingeständnis nicht nur in groben Bedienungsfehlern, sondern auch in spezifischen baulichen Problemen des Reaktors zu suchen. Darüber hinaus muß die Ursachenanalyse jedoch noch eine dritte Ebene einbeziehen - diejenige der menschlichen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen. Anders ausgedrückt: Die Katastrophe von Tschernobyl reflektiert eine geradezu unvorstellbare Fahrlässigkeit des Personals, die in Zusammenhang mit spezifischen Schwächen des Reaktormodells eine explosive „Verflechtung von Mensch und Maschine" bildete, sowie spezifische Probleme der sowjetischen Technik-Philosophie, Energiepolitik und Planwirtschaft.
6 Vgl. Mario Schmidt, Der Tschernobyl-Fallout und die radioökologischen Belastungspfade, in: Armin Hermann, Rolf Schumacher (Hrsg.), Das Ende des Atomzeitalters?, München 1987, S. 197-204, hier S. 198. 7
Vgl. Die Zeit, 20.6.1986.
So die Washington Post, 27.8.1986; Ramberg, a.a.O. (Anm. 1), S. 314. Vgl. auch Ulrich Hagen, Strahlengefährdung in unserer Umwelt, in: Hermann/Schumacher (Hrsg.), ebd., S. 187-196. Neuere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, daß das langfristige Gefährdungspotential durch die International Commission on Radiological Protection (die wichtigste internationale Instanz zur Festlegung von zulässigen Belastungs-Grenzwerten) trotz mehrfacher Senkung nach wie vor erheblich (d.h. möglicherweise um das Zehnfache) zu niedrig eingeschätzt wird. Vgl. Robin Rüssel Jones, Richard Southwood (Hrsg.), Radiation and Health, New York u.a. 1987, sowie The Economist, 12.9.1987, S. 18 und 92. 8
BAULICHE MÄNGEL
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Bauliche Mängel Die Unfallursachen in Gestalt krasser Bedienungsfehler wurden bereits angedeutet: Im Verlauf des Experiments schaltete das Personal nicht weniger als sechs entscheidende Kontroll- und Sicherheitssysteme ab und versäumte es trotz eindeutiger Informationen, das Testprogramm abzubrechen. Die Katastrophe ist dennoch nicht nur dem Personal des Kraftwerks anzulasten. Die vier Einheiten des Kernkraftwerks von Tschernobyl waren Reaktoren des Typs RBMK-1000 - eine der beiden gängigen Technologien im sowjetischen Atomenergie-Programm. Es handelt sich dabei um graphitmoderierte, wassergekühlte Großreaktoren mit einer Leistung von 1 000 Megawatt. Dieses Modell hat spezifische Vor- und Nachteile: Es kann in Massenfertigung hergestellt werden, läßt sich problemlos erweitern und ohne Abschaltung des Reaktors nachladen. Darüber hinaus eignet sich der Reaktor zur Erzeugung von Plutonium.9 Auf der Negativseite weist dieser Reaktortyp ein umfangreiches und kompliziertes Kühlsystem auf: Es fehlt ein druckfester Sicherheitsbehälter und die Möglichkeit, freigesetzte Radioaktivität mit Wasser einzudämmen; vor allem jedoch weist dieser Reaktortyp einen positiven Kühlmittelverlust-Koeffizienten auf - im Falle eines Versagens der Kühlwasserversorgung verstärkt sich also (im Gegensatz zu den gängigen westlichen Reaktortypen) die Kettenreaktion im Reaktor. 10 All diese Schwachstellen des RBMK-Typs wurden durch die Ereignisse in Tschernobyl in der Nacht vom 25. auf den 26. April 1986 mit dramatischen Folgen bloßgelegt. Daß sich die Sowjetunion trotz dieser bekannten Probleme des Modells auf die Massenherstellung dieses Reaktortyps verlegte, hatte primär ökonomische Gründe, hinter denen Sicherheitsüberlegungen zurückstehen mußten. Aufgrund der zunehmenden Engpässe in anderen Bereichen der sowjetischen Energieindustrie (Kohle, Erdöl) hatte die UdSSR seit den siebziger Jahren ihr Kernenergieprogramm (das zugleich auch eine willkommene Möglichkeit bot, die osteuropäischen Verbündeten im Rahmen der RGW-Energiekooperation enger an Moskau zu binden) dramatisch vorangetrieben. Im Rahmen des 11. Fünfjahresplans 1981 bis 1985 sollte die installierte Kernkraftwerks-Kapazität von 12 500 Megawatt auf 33 800 Megawatt gesteigert werden, während des 12. Fünfjahresplans sogar auf 69 000
9 Es ist allerdings wohl kaum zutreffend, daß der Reaktor von Tschernobyl - wie im Westen vermutet - zur Herstellung von spaltbarem Material für Atomwaffen eingesetzt wurde. Tatsächlich scheint der Reaktor primär zur Versorgung Ungarns mit Strom gedient zu haben. Vgl. hierzu Marples, a.a.O. (Anm. 1), S. 117. 1 0 Vgl. Thomton, a.a.O. (Anm. 1), S. 2 f.; Marples, a.a.O. (Anm. 1), S. 109 f; Bernhard Kuczera, Hermann Rininsland, Sicherheit und Gefahrenquellen von Kernkraftwerken, in: Hermann/Schumacher (Hrsg.), a.a.O. (Anm. 6), S. 119-130, hier S. 128 f.; Gerhard Fritsch, Tschernobyl - der Reaktorunfall aus physikalischer Sicht, in: ebd., S. 257-265, hier S. 258 ff.
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TSCHERNOBYL UND DIE FOLGEN
Megawatt im Jahr 1990. Zum Herzland dieser dramatischen Expansion der Kernkraft wurde die Ukraine erkoren.11 Unrealistische
Planvorgaben
Tatsächlich erwiesen sich die Planvorgaben als völlig unrealistisch: Die installierte Kernkraftkapazität erreichte Ende 1985 nur 25 000 Megawatt gegenüber einem Ziel von 33 800 Megawatt. Der Ausbau der sowjetischen Kernenergieproduktion stieß grundsätzlich auf ähnliche Probleme wie im Westen: Verzögerungen, unerwartete Kostensteigerungen, nachträgliche Notwendigkeit der Anpassung des Designs. Die Zwänge der ambitionierten Planvorgaben in Verbindung mit den gängigen Problemen der sowjetischen Planwirtschaft führten zu einer Reihe von spezifischen Problemen, die für die Reaktoren von Tschernobyl (aber keineswegs nur für diese) so zusammengefaßt werden können: „Tschernobyl war eine schlechte Konstruktion, mit nichtmotivierten Arbeitskräften".12 Die „Schockarbeit"-Methoden, mit denen das überdimensionierte Programm vorangetrieben werden sollte, führten zu Engpässen bei geschulten Arbeitskräften; die Qualitätsanforderungen an das Material, die von den Zulieferern oft nicht erreicht wurden, wurden aufgrund der engen Zeitvorgaben ignoriert; die Bauarbeiter verfügten zumeist kaum über Erfahrung, das Management war unzureichend geschult und die Probleme mit Alkohol und Disziplinlosigkeit waren erheblich. Hinzu kam, daß die Arbeiten im Stil des „Versuchs und Irrtums" vorangetrieben werden mußten: für viele der in der Bauphase auftretenden Schwierigkeiten gab es keine vorgegebenen Lösungen. Ganz offensichtlich führte der Druck der Planvorgaben dazu, daß Sicherheitsgesichtspunkte beim Bau und Betrieb der Reaktoren generell in den Hintergrund traten; der Reaktor von Tschernobyl illustrierte zumindest tendenziell westliche Experteneinschätzungen, wonach die Sowjetunion die weltweit schlechtesten Sicherheitsstandards bei der zivilen Nutzung der Kernkraft aufwies.13 Auch in der sowjetischen Presse fanden diese Probleme ihren Niederschlag: So kritisierte ein langer, offensichtlich von einem Kenner der Materie verfaßter Artikel in der Literatuma Ukraina im März 1986 geradezu prophetisch die Verhältnisse in Tschernobyl.14
11
Vgl. hierzu insb. Marples, a.a.O. (Anm. 1), Kapitel 2-4.
12
Ebd., S. 124.
Vgl. NYT, 1.5.1986; Marples, ebd., S. 104 ff., 118 ff.; Thomton, a.a.O. (Anm. 1), S. 6 ff.; Paul R. Josephson, Die Wurzeln des Unglücks von Tschernobyl, in: EA, 4/1987, S. 119-128. 13
14
Der vollständige Text ist abgedruckt in: FAZ, 12.5.1986.
FEHLENDE SICHERHEITSBESTIMMUNGEN
Fehlende
7
Sicherheitsbestimmungen
Letztlich liegen die Wurzeln der Katastrophe in Tschernobyl jedoch noch tiefer. Die sowjetische Sicherheitsphilosophie hielt schwere Reaktorunfälle für ausgeschlossen und konzentrierte ihr Augenmerk daher auf die Unfallverhütung, nicht - wie die westliche - auf die Schadensbegrenzung durch gestaffelte Verteidigungslinien (Reaktordruckbehälter, Sicherheitsbehälter aus Stahl, Betonummantelung) und die Anwendung des „fail-safe"-Prinzips, wonach Störungen im Normalbetrieb zu einer automatischen Abschaltung des Reaktors führen müssen. In dieser Haltung spiegelte sich sicherlich auch eine fatale Neigung, Wissenschaft und Technik für unfehlbar, die Massenproduktion für die höchste Stufe der menschlichen Kultur zu halten. Bestehende Sicherheitsauflagen wurden daher nicht selten dem enormen Druck zur Planerfüllung und zur Bewältigung der Engpässe in der Energieversorgung geopfert. Dies galt übrigens auch nach Tschernobyl: Die bereits ans Netz angeschlossenen RBMK-Reaktoren mußten im Herbst 1986 ohne Modifikationen mit voller Leistung betrieben werden, um die Bedarfsspitzen der Wintermonate zu decken. 15
DIE POLITISCHEN AUSWIRKUNGEN
Probleme für die sowjetische Führung Die Reaktion des sowjetischen Staatsapparats auf die Katastrophe von Tschernobyl ist inzwischen detalliert analysiert worden. 16 Zentral bei dieser Reaktion war das Bestreben, das Vertrauen der sowjetischen Bevölkerung in die politische Führung und den weiteren raschen Ausbau der Kernenergie in der UdSSR unter keinen Umständen kompromittieren zu lassen; unter dieser Perspektive ist auch die widersprüchliche Informationspolitik der Behörden zu sehen. Die Katastrophe konfrontierte die sowjetische Führung mit
1 5 Vgl. Marples, a.a.O. (Anm. 1), S. 126 f.; Thornton, a.a.O. (Anm. 1) S. 9;Josephson, a.a.O. (Anm. 13), S. 122 f. Zur bundesdeutschen Sicherheitsphilosophie vgl. Kuczera/Rininsland, a.a.O. (Anm. 10), sowie Wolfgang D. Müller, Wie funktionieren Kernkraftwerke?, in: Hermann/Schumacher (Hrsg.), a.a.O. (Anm. 6), S. 99 ff. 1 6 Vgl. hierzu insb. Marples, ebd., sowie die Aufsätze von Bernd Knabe, a.a.O. (Anm. 5), sowie ders., II. Zur Informationspolitik der Sowjetführung und zu möglichen Folgen der Katastrophe, in: OE, 3/1987, S. 176-194, sowie Gail Wasrhofsky Lapidus, KAL 007 and Chernobyl, The Soviet Management of Crises, in: Survival, Mai/Juni 1987, S. 215-223. Zur Informationspolitik der Sowjetführung und zu möglichen Folgen der Katastrophe vgl. OE, 3/1987, S. 176-194; Problems of Communism, 6/1986, sowie PE, 3/1986, mit jeweils mehreren Aufsätzen zur Thematik.
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TSCHERNOBYL UND DIE FOLGEN
Legitimitätsproblemen in den betroffenen Regionen und in Osteuropa, die letztlich jedoch keine entscheidende Bedeutung haben dürften. Gravierend dagegen sind die Probleme der sowjetischen Machtstruktur, die im Zusammenhang mit Tschernobyl sichtbar wurden und das ganze Ausmaß der Schwierigkeiten einer ernsthaften Reform, wie sie Generalsekretär Michail Gorbatschow anzustreben scheint, schlaglichtartig beleuchten. Bemerkenswert erscheint, daß die sowjetische Führung nach der Katastrophe von Tschernobyl gegenüber der eigenen Bevölkerung in Appellen an den russischen Patriotismus Zuflucht suchte, die auffallend an die Zeit des deutschen Uberfalls 1941 erinnern. 17 Hinzu kam der Versuch, Legitimität über Kritik an der westlichen Berichterstattung wiederzugewinnen. In Osteuropa überließ es Moskau dagegen den verbündeten Regierungen, mit Protesten und Verunsicherung selbst fertig zu werden - wobei an den umfangreichen polnischen Maßnahmen bald Kritik geübt wurde. 18 Die eigentliche Problematik für die sowjetische Führung lag jedoch zweifellos in den Strukturschwächen und Defiziten des sowjetischen Systems, die Tschernobyl möglich und die Bewältigung der Katastrophe so unzulänglich gemacht hatten. Die sowjetische Kernenergiepolitik erscheint geradezu als Paradigma der Schwierigkeiten der „Perestroika", der Politik des Umbaus: Der Versuch, „Produktionszielerfüllung" und „Reaktorsicherheit" auf einen Nenner zu bringen, gleicht dem Ziel des radikalen Wandels ohne grundsätzliche Infragestellung bestehender Machtstrukturen - und damit der Quadratur des Kreises. Will man sie erzwingen, drohen — wie Tschernobyl zeigte — erhebliche „Unfall"risiken technischer, wirtschaftlicher, sozialer und politischer Art. Die Kernenergie ist eine tragende Säule des sowjetischen Energieprogramms und damit auch der Politik der ökonomischen Reformen Gorbatschows, die eine bessere und intensivere Mobilisierung der wirtschaftlichen Ressourcen der UdSSR zum Ziel hat. Die Ursachen des Unfalls von Tschernobyl lassen sich jedoch mit den anderen vier großen Schwachstellen der sowjetischen Machtstruktur in Beziehung setzen, auf die Gorbatschows Politik der Perestroika zielt: Die Verkrustung und Lähmung der Parteiorganisation, die Herausbildung von Provinzhochburgen unter Führung der Statthalter Breshnews, Korruption und Verfall der Arbeitsmoral sowie das Fehlen von Mechanismen der Kritik und der Kontrolle durch „Offenheit" (Glasnost). Eine Verwirklichung des „Umbaus" im Bereich der Kernenergiepolitik müßte jedoch zwangsläufig zumindest kurz- und mittelfristig den
1 7 Vgl. Jochen Thies, Folgen von Tschernobyl. Eine Chance für die Ost-West-Beziehungen, in: EA, 19/1986, S. 551-560, hier, S. 551; Knabe, a.a.O. (Anm. 16, Teil II), S. 179.
18
Vgl. Marples, a.a.O. (Anm. 1), S. 62 ff.; John M. Kramer, Chernobyl and Eastern Europe, in: Problems of Communism, 6/1986, S. 39-58.
AUSWIRKUNGEN AUF DIE SOWJETISCHE AUSSENPOLIT1K
9
Beitrag der Kernenergie durch Modifikation, Überprüfung der eingeschlagenen Politik durch öffentliche Diskussion und organisatorische Anpassungen verringern. Bezeichnenderweise war daher bis Ende 1986 auch keinerlei Umorientierung der sowjetischen oder der RGW-Kernenergiepolitik, keinerlei Reduzierung der ohnehin überambitionierten Zielvorgaben, keine Zurückstellung oder Modifikation des RBMK-Reaktortyps erkennbar. 19 Die Vorgaben für 1987 sind jedoch eindeutig unerreichbar, so daß wachsende Engpässe in der sowjetischen Energieversorgung entstehen können. Der Versuch, den Zielvorgaben wenigstens nahe zu kommen, impliziert jedoch auch weiterhin die Priorität der Ökonomie vor der Sicherheit und damit hohe Unfall-Risiken, die keineswegs auf die RBMK-Reaktortypen beschränkt erscheinen. 20 Auch die nach dem Unfall verhängten Sanktionen machen deutlich, wie schwierig eine wirkliche Veränderung der sowjetischen Machtstruktur geworden ist: Offensichtlich versuchte die Führung in Moskau, den Unfall als Anlaß für politische Veränderungen an der Spitze der Parteiorganisation der Ukraine zu benutzen, doch die Kritik blieb ohne entscheidende personelle Konsequenzen. 21 Die Verurteilung der Verantwortlichen des Kernkraftwerks selbst sowie die Personalveränderungen in betroffenen Ministerien trugen deshalb auch Züge der „Sündenbock-Suche" der Partei, die selbst ein gerüttelt Maß an Verantwortung für den Unfall trägt.
Auswirkungen
auf die sowjetische
Außenpolitik
Für die sowjetische Außenpolitik stellte der Unfall von Tschernobyl zunächst ein erhebliches Handicap dar: Die Glaubwürdigkeit der Abrüstungsinitiativen Gorbatschows sowie sein Anspruch der Glasnost wurden erschüttert; die Versuche der sowjetischen Führung, den Unfall für ihre Rüstungskontroll-Initiativen zu instrumentalisieren, wirkten wenig überzeugend. Faktisch erzwang der weltweite Informationsbedarf im Gefolge des Unfalls eine neue Haltung der Sowjetunion — und diese veränderte Informationspolitik trug sicherlich dazu bei, die Ost-West-Beziehungen aus den
19
Vgl. Thornton, a.a.O. (Anm. 1), S. 10 ff.; Marples, ebd., S. 175 ff.
" Tschernobyl war keineswegs der erste schwerwiegende Unfall im Rahmen des sowjetischen Kernenergieprogramms; erhebliche Mängel lassen sich auch an einer Reihe anderer Reaktoren dokumentieren. Vgl. hierzu die ausführlichen Analysen von Marples, a.a.O. (Anm. 1), S. 193 ff. 2 1 So überlebte der wiederholt ins Feuer der Kritik genommene ukrainische „Provinzfürst" Wladimir Schtscherbitskij auch die Veränderungen der Tagung des Zentralkomitees im Januar 1987. Vgl. zu den Sanktionen nach dem Unfall Marples, a.a.O. (Anm. 1), S. 166 ff. sowie Michel Tatu, Tchernobyl - Un test pour le système, in: PE, 3/1986, S. 679-688, hier S. 684 f., sowie Knabe, a.a.O. (Anm. 16, Teil II), S. 185 ff. 2
10
TSCHERNOBYL UND DIE FOLGEN
Turbulenzen der ersten polemischen Reaktionen auf Tschernobyl bald in ruhigeres Fahrwasser zu bringen. 22 Ansatzpunkte für eine konstruktivere Zusammenarbeit zwischen Ost und West ergaben sich zunächst innerhalb der Internationalen Atomenergiebehörde ( I A E O ) im Zusammenhang mit Fragen der Reaktorsicherheit, danach jedoch auch bei den RüstungskontrollGesprächen, bei denen Probleme der Verifikation eine zentrale Rolle spielten: Die Offenlegung der Unfallursachen und die Bereitschaft, internationale Inspektionen in sowjetischen Kernkraftwerken zu ermöglichen, waren hierfür offensichtliche Belege. Insofern gingen von Tschernobyl sogar Impulse für eine Verbesserung der Ost-West-Beziehungen aus, wenngleich diese sicherlich nicht zentral waren.
INTERNATIONALE KOOPERATION NACH TSCHERNOBYL Am 27. April - einen Tag nach der verhängnisvollen Explosion im Reaktor von Tschernobyl - registrierten finnische Meßgeräte erste Anzeichen der radioaktiven Wolke, die von der Ukraine aus nach Westen gezogen war. In den folgenden Tagen wurden in weiten Teilen Ost- und Mitteleuropas erhöhte Radioaktivitätswerte festgestellt: Die Umwelt-Katastrophe war zum internationalen Problem geworden, das die zwischenstaatliche Zusammenarbeit vor neue Herausforderungen stellte. Im Ergebnis freilich blieben die Bemühungen um eine verstärkte internationale Zusammenarbeit zur Bewältigung der aktuellen und möglicher zukünftiger Risiken eher bescheiden: Die Europäische Gemeinschaft erwies sich im Kreuzfeuer unterschiedlicher nationaler Positionen einmal mehr als machtlos; die I A E O in Wien erfuhr — nicht zuletzt durch den Abschluß zweier internationaler Konventionen für zukünftige Krisenfälle - eine deutliche Aufwertung; und in der Sogwirkung des internationalen Dramas um Tschernobyl ergaben sich Entwicklungen, die längerfristig positiv auf verwandte Bereiche der internationalen Politik (wie Rüstungskontrolle und Eindämmung der Verbreitung von Kernwaffen) ausstrahlen könnten. Die Reaktionen
in
Westeuropa
Die Reaktionen in Westeuropa auf die radioaktive Wolke aus der Ukraine erfolgten zunächst fast ausschließlich auf nationaler Ebene. Sie unterschieden sich je nach energiepolitischer Orientierung deutlich: Während etwa in der Bundesrepublik - wenn auch mit erheblicher Verzögerung - Grenzwerte für Strahlenbelastung bei Lebensmitteln festgelegt und Empfehlungen an die
22
Vgl. Thies, a . a . O . ( A n m . 17), S. 558 f.
AUFWERTUNG DER IAEO
11
Bevölkerung gegeben wurden, reagierte die bedingungslos auf Kernenergie setzende französische Regierung zunächst überhaupt nicht. 23 Nationale Einfuhrverbotsmaßnahmen für verseuchte Lebensmittel aus Osteuropa wurden schließlich am 12. Mai durch eine EG-weite Regelung ersetzt, die allerdings Lieferungen aus der D D R ausklammerte. Die wichtigsten Kompetenzen der E G lagen freilich - begründet auf den E U R A T O M - V e r t r a g - im Bereich der Festsetzung von Strahlenschutznormen und der Reaktorsicherheit; faktisch waren diese Kompetenzen jedoch durch nationalstaatliche Souveränitätsvorbehalte weitgehend ausgehöhlt worden. 2 4 Die Europäische Gemeinschaft blieb daher auch nach Tschernobyl in diesen Bereichen praktisch handlungsunfähig. 2 5
Aufwertung
der
IAEO
Dagegen erfuhr die I A E O durch den Unfall eine erhebliche Aufwertung. Hatte die Organisation sich bis dahin vor allem mit der Gewährleistung des Regimes zur Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen befaßt, so rückte nunmehr die Sicherheit der zivilen Kernkraftnutzung als zweiter Schwerpunkt ins Zentrum der Aktivitäten der I A E O . Im Juni 1986 verabschiedete der Gouverneursrat eine Aufstockung der Haushaltsmittel für die sicherheitstechnische Inspektion von Reaktoren durch Expertenteams der I A E O ( O S A R T ) sowie - als neues Programm - Inspektionen zur Analyse von Störfällen (ASSET). 2 6 Ende Juli/Anfang August einigten sich die Vertreter eines Expertentreffens der I A E O auf zwei Konventionsentwürfe zur Reaktorsicherheit, die im September 1986 verabschiedet wurden. 2 7 Die eine Konvention betrifft die Verpflichtung zur Notifizierung im Falle von Störfällen mit Freisetzung von Radioaktivität; dabei gelang es zumindest teilweise, auch potentielle Störfälle in militärischen Anlagen in die Informationspflicht einzubeziehen. Die andere Konvention regelt die gegenseitige Hilfeleistung bei Unfällen; sie beruht auf Freiwilligkeit. Erfolglos blieben
2 3 Vgl. Jürgen Grunwald, Tschernobyl und das Gemeinschaftsrecht, in: Europarecht, Nr. 4/1986, S. 315-339, sowie FR, 2.5.1987. Zur Reaktion auf Tschernobyl vgl. Die Zeit, 17.10.1986, und Thies, a.a.O. (Anm. 17), S. 551-560. 24
Vgl. Grunwald,
ebd.
So war es der E G auch 1987 nicht gelungen, gemeinschaftliche Strahlenschutzwerte bei Lebensmitteln festzulegen (FT, 15.9.1987). 2 6 Vgl. Harald Müller, Aus Schaden klug? Internationale Zusammenarbeit nach Tschernobyl, in: APZ, B 29/1987, S. 3-14, hier S. 8 f. Zur Praxis verstärkter Inspektionen zur Überprüfung des Sicherheits-Status von Reaktoren vgl. SZ, 26./27.9.1987, und FT, 5.10.1987. 2 7 Der Text der Konventionen ist abgedruckt in: EA, 23/1986, S. D 648 ff. Zur Analyse vgl. Müller, a.a.O. (Anm. 26). 25
12
TSCHERNOBYL UND DIE FOLGEN
bislang dagegen Bemühungen um bindende Minimalanforderungen an die Reaktorsicherheit der IAEO-Mitgliedstaaten. Die Aufwertung der I A E O war nicht zuletzt einem neuen Interesse der Sowjetunion an dieser Organisation zu verdanken: So wählte Moskau nicht nur die I A E O , um mit einem vollständigen und offenen Bericht vor die Öffentlichkeit zu treten; es verweigerte auch den Bemühungen einiger Länder der Dritten Welt seine Unterstützung, politische Probleme wie den Nahost-Konflikt oder die Südafrika-Frage in die I A E O hineinzutragen. 28 Dies dürfte längerfristig auch positive Auswirkungen auf das Regime der Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen haben, zumal die im Dezember 1986 verabschiedete „Konvention über frühzeitige Benachrichtigung bei kerntechnischen Unfällen" durch ihre Einbeziehung militärischer Anlagen dieses Regime auch dadurch stützt, daß es den Kernwaffenstaaten gewisse Verpflichtungen gegenüber den Nichtkernwaffen-Staaten auferlegt. Ahnlich könnten die Fortschritte innerhalb der I A E O im sicherheitstechnischen Bereich auch positive Auswirkungen auf den Rüstungskontroll-Prozeß nach sich ziehen: Die Bereitschaft, Informationen offenzulegen und den Inspektoren der I A E O erweiterten Zugang zu sowjetischen Reaktoren zu gewähren, hat natürlich auch paradigmatische Bedeutung für die Verifikation von Rüstungskontroll-Vereinbarungen vor Ort. 2 9
WACHSENDE ZWEIFEL AN K O M P L E X E N GROSSTECHNOLOGIEN Tschernobyl markierte sicherlich nicht den Beginn gesellschaftlicher Ernüchterung gegenüber den Verheißungen einer wissenschaftlich-technischen Fortschrittsphilosophie. Die unmittelbaren Auswirkungen etwa auf die Energiepolitik der Bundesrepublik Deutschland blieben zunächst gering und beschränkten sich auf eher marginale Projekte, wie z . B . den ThoriumReaktor H T H R - 3 0 0 von Hamm, oder den Brutreaktor von Kalkar. 3 0 Dennoch könnte sich die Havarie des Reaktors in der Ukraine im Rückblick als ein wichtiger Einschnitt erweisen. Tschernobyl unterstrich die grundsätzliche Problematik der Kernenergie, erhellte beispielhaft die Risiken der
28
Vgl. Müller, a.a.O. (Anm. 26), S. 12.
29
Vgl. ebd., S. 11 ff.; Thies, a.a.O. (Anm. 17), S. 558 f.
Beide Reaktoren - Experimentaireaktoren vom Typ Hochtemperatur- bzw. Brutreaktor waren aufgrund eskalierender Kosten, erheblichen Verzögerungen und wachsenden Sicherheitsbedenken ohnehin bedroht. Nach Tschernobyl bröckelte die politische Unterstützung der jeweiligen Landesregierungen vollends, so daß beide Reaktoren wohl kaum je ans Netz gehen dürften.
DIE WESTLICHE SICHERHEITSPHILOSOPHIE
13
wissenschaftlich-technologischen Veränderungsmöglichkeiten unserer Epoche. Der Glaube an den wissenschaftlich-technologischen Fortschritt, der als eine der „Wurzeln der Katastrophe von Tschernobyl" identifiziert wurde, 31 ist ja keineswegs auf den Realsozialismus beschränkt. Er bildet vielmehr einen zentralen Hoffnungsträger in den westlichen Industriestaaten und ein wichtiges Schachbrett der Systemkonkurrenz mit dem Osten. In dieser Auseinandersetzung zwischen Ost und West erweisen sich beide als Abkömmlinge einer gemeinsamen Kultur und Tradition.
Die westliche
Sicherheitsphilosophie
Damit sollen keineswegs die gravierenden Unterschiede der jeweiligen Kernkraftprogramme in Abrede gestellt werden: Zweifellos weisen westliche Kernkraftwerke eine grundlegende andere Sicherheitsphilosophie auf, die die Risiken einer Katastrophe vermindert. Die Überlegenheit der westlichen Sicherheitsphilosophie reflektiert letztlich wohl vor allem die Vorzüge demokratischer Politik gegenüber „demokratischem Zentralismus": Der Zwang zur Legitimierung gegenüber der Bevölkerung und die Möglichkeit, systemimmanente „checks and balances" zu aktivieren und damit auch Kontrolle auszuüben, haben auch nach internationaler Einschätzung den Kernkraftwerken in der Bundesrepublik besonders strenge Sicherheitsstandards beschert - übrigens z.T. gegen die heftige Gegenwehr der Hersteller und der Betreiber von Kernkraftwerken sowie auf dem Umweg über Verwaltungsgerichtsprozesse. Dennoch ist auch im Westen eine Priorität der Ökonomie - genauer: der Industriepolitik - zu erkennen. 32 Immer wieder demonstriert die Kernenergie die neue Qualität der Risiken, die mit der jetzigen Entfaltungsstufe von Wissenschaft und Technik verbunden sind: Risiken für spätere Generationen (ungelöste Entsorgungsprobleme, genetische Langzeitwirkung, zusätzliche Strahlenbelastung), Risiken für die Ö k o logie und für das gesellschaftsbestimmende Menschenbild. 33
31
32
Josephson,
a.a.O. (Anm. 13), S. 124.
Zudem können - wie die Nuklearskandale in der Bundesrepublik im Winter 1987/88 zeigten - bestehende Kontrollen und Sicherheitsauflagen umgangen oder unterlaufen werden. Die Durchsetzung der zivilen Nutzung der Kernkraft war, wie die Geschichte dieser Technologie zeigt, keinesfalls ein Marktphänomen: Massive staatliche Subventionen waren notwendig, um die Industrie zum Einstieg in die Kernenergie zu bewegen. Politische Zielsetzungen wie nationale Autarkie und nationales Prestige oder technologische Überlegenheit gegenüber dem Osten wie gegenüber westlichen Konkurrenten beherrschten den Weg in die Kernenergie. Vgl. z.B. Rolf-Jürgen Gleitsmann, Die Anfänge der Atomenergienutzung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Hermann/Schumacher (Hrsg.), a.a.O. (Anm. 6), S. 23-42. 3 3 Vgl. hierzu Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung, Frankfurt 1979, sowie Carl Bohret, Technikfolgen und Verantwortung der Politik, in: APZ, B 19-20/1987, S. 5-11.
14
TSCHERNOBYL UND DIE FOLGEN
Wie in der Sowjetunion, steht die Kernenergie auch in den meisten westlichen Industriestaaten bislang grundsätzlich nicht zur Disposition (Osterreich und Schweden bilden hier Ausnahmen); auch im Westen waren neben öffentlichen Demonstrationen gegen die Kernenergie — Reaktionen auf den Unfall auszumachen, die im Sinne des Schutzes der eigenen Kernenergieprogramme dazu tendierten, zu verharmlosen und zu verschweigen. Der politische Prozeß in den westlichen Demokratien vermag zu kontrollieren und zu modifizieren, aber zumeist nicht radikal zu verändern und die komplexen Fragen der Nutzung ziviler Kernenergie oftmals nur unzureichend zu beantworten. 3 4 Die der Kernenergie innewohnenden Risiken und Probleme sind jedoch so schwerwiegend, daß die politische Durchsetzung der Kernenergie niemals abgeschlossen sein und durch weitere Störfälle schwer beeinträchtigt werden dürfte. Diese Risiken lassen sich knapp umreißen: Risiken der
Kernenergie
1. Die Kosten der Kernkraft sind schon deshalb nicht präzise zu erfassen, weil die Kosten eines schweren Unfalls kaum zu beziffern sind. Die Sowjetunion errechnete direkte Schäden aus dem Unfall von Tschernobyl in Höhe von etwa 2 Milliarden Rubel - die indirekten Folgekosten dürften jedoch erheblich höher liegen. Das Unfallrisiko mag gering sein, ist jedoch größer als Null. Auch in den westlichen Industriestaaten kam es wiederholt zu Störfällen und Beinahe-Unfällen mit potentiell schweren Folgen, die der Öffentlichkeit zum Teil bewußt vorenthalten wurden (Windscale 1957). 3 5 Das Unfall-Risiko dürfte zudem in der Dritten Welt noch größer sein, wo angemessene Sicherheitsstandards nach Einschätzung des amerikanischen Bundesrechnungshofes 1985 in 73 Kernkraftwerken problematisch erschienen. 3 6 2. Die Nutzung der zivilen Kernkraft in der Dritten Welt wirft zugleich die Gefahr der Weiterverbreitung von Kernwaffen auf: Eine völlige Trennung der militärischen von der zivilen Nutzung ist letztlich nicht möglich; die Wiederaufbereitung des nuklearen Brennstoffes würde die Gefahren der Zweckentfremdung von spaltbarem Material für terroristische oder militäri-
3 4 Zu spezifischen Problemen wie Verantwortungsdiffusion, strukturelle Verantwortungslosigkeit oder die Systemwidrigkeit der Forderung nach Mäßigung und Askese, die die neuen Risiken für den politischen Prozeß in pluralistischen Industriestaaten aufwerfen, vgl. Bohret, ebd. 3 5 Eine Chronologie der Unfälle findet sich in: PE, 3/1986, S. 736-746.
US General Accounting Office, International Responses to Nuclear Power Reactor Safety Concerns, Washington 1985, zit. in: Ramberg, a.a.O. (Anm. 1), S. 319. 36
RISIKEN DER KERNENERGIE
15
sehe Zwecke vergrößern. 3 7 Die Effektivität bestehender Kontrollinstanzen wie Euratom und I A E O muß angesichts nationalstaatlicher Souveränitätsvorbehalte (Freiwilligkeit der Inspektion), der Probleme der exakten Uberprüfbarkeit spaltbaren Materials und der fehlenden Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen fragwürdig bleiben. 3. Kernkraftwerke wurden bereits wiederholt Ziele militärischer Angriffe (israelische Zerstörung eines irakischen Forschungsreaktors, vier irakische Luftangriffe gegen den unvollendeten iranischen Reaktor in Buschir und einen Forschungsreaktor). 3 8 4. Als letzter Problembereich der Kernenergie bleibt ihre fragwürdige Sozialverträglichkeit (also die Vereinbarkeit der Kernenergiewirtschaft mit Verfassungszielen und gesellschaftlichen Werten sowie ihre Akzeptanz durch die Bevölkerung) zu nennen, die in der jüngeren Diskussion um Kernkraft eine zentrale Rolle spielt. 39 Die Auseinandersetzung um die friedliche Nutzung der Kernenergie dürfte angesichts dieser spezifischen Risiken wie auch angesichts der paradigmatischen Rolle dieser Energieform für eine umfassendere Problematik auch in Zukunft andauern. Die Suche nach einer Optimierung von Ökonomie und Sicherheit könnte dabei durch die Entwicklung neuer, inhärent sicherer(er) Reaktortechnologien neuen Auftrieb bekommen; ebenso ist freilich vorstellbar, daß dieser Versuch, Sicherheit und Nutzung der zivilen Kernenergie gleichzeitig zu optimieren, dem Bemühen um die Quadratur des Kreises ähneln könnte. Die sowjetische Energiepolitik versucht, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen; sie nimmt dabei angesichts der allgemeinen Probleme der Kernenergie wie der zahlreichen spezifischen Schwachstellen des sowjetischen Programms bewußt große „Restrisiken" in Kauf.
37
Vgl. Ramberg,
38
Vgl. ebd., S. 321.
39
ebd., S. 321 f.
Diese Diskussion wurde ausgelöst insbesondere durch die Studie der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler im Auftrag des B M F T : Klaus Michael Meyer-Abich, Bertram Schefold, Die Grenzen der Atomwirtschaft, München 1986. Zur Auseinandersetzung mit den Thesen der Studie siehe Hans Michaelis, Waldemar Petz, Kritische Anmerkungen zu der Studie von Meyer-Abich und Schefold: Die Grenzen der Atomwirtschaft, in: Zeitschrift für Energiewirtschaft, Juni 1987, S. 119-124.
E R F O R S C H U N G U N D N U T Z U N G DES WELTRAUMS Von Stephan Frhr. von Welck Die Erforschung und Nutzung des Weltraums ist besonders in den achtziger Jahren zu einem zentralen Thema der internationalen Politik geworden. Neue Erkenntnisse über den erdnahen Weltraum und seine Planeten, die Nutzung von Satelliten und Stationen im Weltraum für Kommunikation, Erdbeobachtung, Wettervorhersage, Rüstungskontrolle sowie militärische Aufklärung und nicht zuletzt die Präsenz des Menschen im Weltraum erlangten eine Bedeutung, die weit über das ursprüngliche wissenschaftliche und wirtschaftlich-technologische Interesse an der Erforschung und Nutzung des Weltraums hinausreicht und in zunehmendem Maße die Wirtschafts-, Medien- und Umweltpolitik, aber auch die Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik beeinflußt. Trotz dieser wachsenden politischen Implikationen von Weltraumforschung und Weltraumnutzung blieb die rechtliche Ordnung des Weltraums rudimentär. Nach wie vor gilt der Grundsatz der Freiheit des Weltraums, der lediglich durch einige generell gefaßte multilaterale Vereinbarungen, wie dem Weltraumvertrag von 1967, oder durch bilaterale Abkommen mit sachlich begrenztem Geltungsbereich, wie dem amerikanisch-sowjetischen Vertrag von 1972 über die Begrenzung von Raketenabwehr-Systemen, eingeschränkt wurde. Insbesondere die beiden Großmächte U S A und Sowjetunion standen einer Weiterentwicklung des Weltraumrechts skeptisch gegenüber, weil sie befürchteten, daß dadurch ihre bisher rechtlich weitgehend uneingeschränkten Möglichkeiten zur Erforschung und Nutzung des Weltraums empfindlich beeinträchtigt werden könnten. Für sie wurde der Weltraum in den letzten 30 Jahren zu einem entscheidenden und in seiner Bedeutung ständig zunehmenden Instrument erdumspannender Globalpolitik. 1
D E R W E T T L A U F U M D I E V O R H E R R S C H A F T IM W E L T R A U M Hauptakteure im Weltraum waren im Berichtszeitraum die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion. In ihrem seit Ende der fünfziger Jahre andauernden Wettlauf um die Führungsrolle im Weltraum gelang es der Sowjetunion, durch den kontinuierlichen Ausbau ihres breitangelegten Weltraumprogramms und infolge schwerwiegender Rückschläge des amerikanischen Raumtransportprogramms die seit dem erfolgreichen Apollo-Mondlandeunternehmen des Jahres 1969 in diesem Wettlauf führenden Vereinigten Staaten zu überholen. Gleichzeitig legten aber die USA durch die zielstrebige 1
Vgl. Nicholas L .Johnson,
Soviet military strategy in space, London 1987, S. 16 ff.
VEREINIGTE STAATEN
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Inangriffnahme ihres SDI-Forschungsprogramms die Grundlage für einen erneuten technologischen Sprung in der Entwicklung der Weltraumnutzung, der, sollte er gelingen, allenfalls mit dem Apollo-Projekt vergleichbar wäre und die Vereinigten Staaten vermutlich wieder zur führenden Weltraummacht werden ließe.
V E R E I N I G T E STAATEN Das
Challenger-Unglück
Am 28. Januar 1986 explodierte der Raumgleiter (Space Shuttle) „Challenger" 74 Sekunden nach dem Start vom amerikanischen Weltraumbahnhof Cape Canaveral. Die siebenköpfige Besatzung kam dabei ums Leben. Knapp drei Monate danach explodierte eine schwere Titan-34-D-Rakete der amerikanischen Luftwaffe mit einem militärischen Aufklärungs-Satelliten als Nutzlast und am 3. Mai desselben Jahres versagte eine Thor-Delta-Rakete der NASA kurz nach ihrem Start und mußte zusammen mit einem Wetterbeobachtungs-Satelliten zerstört werden.2 Die Konsequenzen dieser Unfallserie für das amerikanische Raumfahrtprogramm lassen sich in ihrer ganzen Tragweite nur vor dem Hintergrund einer zuvor getroffenen weltraumpolitischen Grundsatzentscheidung beurteilen: Bereits im Jahr 1979 hatte die amerikanische Regierung entschieden, nach 30 Jahren erfolgreicher Verwendung sogenannter Verlustraketen traditioneller Bauweise deren Produktion einzustellen und nach einer Ubergangsphase für fast alle Raumtransporte - also nicht nur für bemannte Missionen, sondern auch für den Start von Satelliten und Raumsonden - nur noch das Space Shuttle zu benutzen.3 Durch diese Grundsatzentscheidung sollte eine möglichst vollständige Auslastung dieses technologisch modernsten, aber in erster Linie für die bemannte Raumfahrt konzipierten und deshalb außergewöhnlich kostspieligen Raumtransportsystems sichergestellt werden. Der politische Preis hierfür war eine fast völlige Abhängigkeit des gesamten zivilen und militärischen Weltraumprogramms der Vereinigten Staaten von einem einzigen Raumtransportsystem. Das Challenger-Unglück vom Januar 1986 machte auf tragische Weise deutlich, daß diese Grundsatzentscheidung von 1979 eine Fehlentscheidung 2 Vgl. Bhupendra Jasam, 1987, S. 62.
Military use of outer space, in: SIPRI Yearbook 1987, Oxford
3 Vgl. Klaus Iserland, Trägersysteme: Konkurrenz der Weltraumtransporteure, in: Karl Kaiser, Stephan Frhr. von Welck (Hrsg.), Weltraum und internationale Politik, München 1987, S. 113.
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ERFORSCHUNG UND NUTZUNG DES WELTRAUMS
war. Nach dem Verlust von Challenger und der unmittelbar danach getroffenen Entscheidung, die verbliebenen drei Exemplare der ShuttleFlotte bis auf weiteres nicht mehr einzusetzen, verfügte die amerikanische Weltraumbehörde N A S A nur noch über neun Verlustraketen. Die Luftwaffe, die sich seinerzeit heftig gegen die völlige Abhängigkeit auch des militärischen Weltraumprogramms vom Space Shuttle gewehrt und für sich eine begrenzte Ausnahmeregelung durchgesetzt hatte, verfügte nur noch über 19 Transportraketen. 4 Was das für die Durchführung des amerikanischen Raumfahrtprogramms bedeutete, wird durch einen Vergleich der Anzahl der Satellitenstarts in den Jahren 1985 und 1986 deutlich. Während die U S A in diesen Jahren bis zum Challenger-Unglück insgesamt 18 Starts durchführten, davon zehn mit dem Space Shuttle, konnten 1986, nach dem Challenger-Unglück, nur noch vier Starts mit Verlustraketen aus den Restbeständen der N A S A und der Luftwaffe erfolgreich durchgeführt werden. Das bedeutete einen Rückgang der Startfrequenz um mehr als ein Viertel. 5 Noch schwerwiegender als diese drastische Reduzierung der Startfrequenz waren jedoch die politischen Folgen des Challenger-Unglücks: Zum einen wurden wesentliche Grundsatzentscheidungen des amerikanischen Weltraumprogramms von neuem revidiert, und damit die für den Erfolg jedes langfristig konzipierten Forschungs- und Technologieprogramms unabdingbare Kontinuität in der Programmdurchführung erneut beeinträchtigt. Die von Präsident Ronald Reagan nach dem Unglück angeordnete Untersuchung führte bereits im August 1986 zu einer Revision der 1979 getroffenen Grundsatzentscheidung: Das Space Shuttle sollte in Zukunft nicht mehr das einzige und auch nicht mehr das primäre Raumtransportsystem der Vereinigten Staaten sein, sondern vor allem für die bemannte Raumfahrt sowie für staatliche Missionen mit besonders schweren Nutzlasten eingesetzt werden. Für den Start militärischer und kommerzieller Satelliten sollten in erster Linie wieder Verlustraketen verwendet werden, deren Produktion durch Privatunternehmen gefördert werden sollte. 6 Zum andern deckte die Untersuchung des Unglücks schwerwiegende Mängel im Management der N A S A auf, 7 die bis dahin als kompetente und durchsetzungsfähige Weltraumbehörde gegolten
4
Vgl. ebd., S. 115.
Vgl. dazu Reimar Lust, Wozu europäische Raumfahrt?, in: EA, 12/1987, S. 341 sowie o. N., Space view - 1986 launches summarised, in: Space, Bd. 3, Nr. 1, März/April 1987, S. 53. 6 Vgl. Wulf von Kries, Weltraumpolitik der Vereinigten Staaten, in: Kaiser/Welck (Hrsg.), a.a.O. (Anm. 3), S. 319. 7 NASA announces new Shuttle-management structure, in: U.S. Policy Information and Texts, Nr. 166, 6.11.1986, S. 27. 5
VEREINIGTE STAATEN
19
hatte. Das Selbstbewußtsein der N A S A und ihre Stellung gegenüber dem Weißen Haus, dem Verteidigungsministerium und dem Kongreß wurden dadurch empfindlich beeinträchtigt. Vor allem aber bewirkte das Challenger-Unglück, daß zahlreiche Weltraummissionen, für deren Durchführung das Shuttle als Transportsystem bereits fest gebucht war, um Jahre verschoben werden mußten. Das galt nicht nur für viele zivile und militärische Projekte der Vereinigten Staaten, sondern auch für eine große Zahl von Missionen anderer Länder oder internationaler Organisationen. Sie mußten entweder kostspielige Verzögerungen des Starttermins hinnehmen oder auf nichtamerikanische Transportsysteme umsteigen. 8 Das „Image" der Vereinigten Staaten als führende Weltraummacht und zuverlässiger Partner in internationalen Kooperationsprogrammen wurde dadurch empfindlich angeschlagen. Nach den Worten des N A S A - C h e f s James M. Beggs sollte 1986 für das amerikanische Weltraumprogramm eines der wichtigsten seiner 40jährigen Geschichte werden. Es kam anders: Von den insgesamt 15 geplanten Shuttle-Flügen konnte nur einer programmgemäß durchgeführt werden. Wichtige für 1986 vorgesehene Missionen mußten wegen des ChallengerUnglücks verschoben werden, darunter das seit langem vorbereitete N A S A / ESA-Projekt „Hubble-Space-Telescope", mit dem ein großes Teleskop in einer erdnahen Umlaufbahn stationiert werden sollte, und das deutschamerikanische „Galileo-Projekt", das der wissenschaftlichen Untersuchung des Planeten Jupiter und seiner Monde gewidmet werden sollte. D e r Beginn beider Projekte, die nur mit dem Shuttle durchgeführt werden können, mußte um drei Jahre verschoben werden. 9 Ähnliche Auswirkungen hatte die Unglücksserie des Frühjahrs 1986 auf das kommerzielle Satellitenprogramm der U S A und anderer Staaten. D e r Start zahlreicher Kommunikations-Satelliten mußte zurückgestellt werden. D a diese Satelliten jedoch ohne größere technische Änderungen auch mit Verlustraketen in den Weltraum gebracht werden konnten, war der Ausfall des Shuttles hier nicht so gravierend wie bei Nutzlasten, die wegen ihres Gewichts oder ihrer technischen Auslegung nur mit dem Shuttle gestartet werden konnten. Schließlich blieb das Unglück auch nicht ohne negative Auswirkungen auf die amerikanischen Pläne, bis Mitte der neunziger Jahre eine permanent bemannte Station im Weltraum zu installieren, sowie auf die Anfang 1985 begonnenen Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten einerseits und der Europäischen Weltraumorganisation E S A , Japan und
8
9
Vgl. Jasani, a.a.O. (Anm. 2), S. 63 f.
Vgl. Joachim Trümper, Die Erforschung des Weltraums: derzeitiger Stand und künftige Entwicklung, in: Kaiser/Welck (Hrsg.), a.a.O. (Anm. 3), S. 10 f. sowie U.S. Policy Information and Texts, Nr. 193/B, 23.10.1987, S. 21.
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ERFORSCHUNG UND NUTZUNG DES WELTRAUMS
Kanada andererseits über eine Beteiligung an Entwicklung, Bau und Betrieb dieser Raumstation. Die Einhaltung des Zeitplans für die Errichtung der Station bis 1994 wurde in Frage gestellt und die dem Unglück folgende Reorganisation der N A S A und Uberprüfung ihrer Programme erschwerte zunehmend den Fortgang der Beteiligungsverhandlungen. Empfindlich beeinträchtigt wurde auch das militärische Weltraumprogramm der Vereinigten Staaten, das 1985 mit 7,8 Milliarden Dollar und 1986 mit 9,9 Milliarden Dollar finanziert wurde und damit wesentlich mehr Mittel verschlang als das zivile Programm. 1 0 Im Februar 1985 billigte Präsident Reagan eine nach langen, zähen Verhandlungen zustandegekommene Vereinbarung zwischen der N A S A und dem amerikanischen Verteidigungsministerium, durch die das Pentagon verpflichtet wurde, ein Drittel aller jährlichen Shuttle-Flüge für militärische Missionen zu nutzen. Damit war das Shuttle auch für das militärische Weltraumprogramm das hauptsächliche Transportsystem. Für 1986 hatte das Verteidigungsministerium vier Shuttle-Flüge eingeplant, darunter einen Flug mit einem der neu entwickelten photographischen Aufklärungs-Satelliten vom Typ K H - 1 2 sowie einen Flug zur Erprobung eines neuen Systems mit der Bezeichnung „Teal R u b y " , mit dem feindliche Flugzeuge während ihres Fluges aufgespürt und beobachtet werden sollten. Alle vier Shuttle-Flüge konnten wegen des Challenger-Unglücks nicht durchgeführt werden. Darüber hinaus verlor das Verteidigungsministerium durch den Fehlstart von zwei Titan-34-D-Raketen am 28. August 1985 und am 18. April 1986 zwei photographische Aufklärungs-Satelliten vom Typ KH-11 und K H - 9 (Big Bird). Der Verlust dieser beiden Satelliten und die Verzögerung des Starts von Ersatzsatelliten infolge des Challenger-Unglücks hatten zur Folge, daß die Vereinigten Staaten in den Jahren 1985/86 nur noch einen einzigen Aufklärungs-Satelliten dieser Kategorie im Weltraum stationiert hatten. Dadurch wurde die militärische Aufklärungsfähigkeit der U S A in diesen beiden Jahren empfindlich beeinträchtigt. 11
Das
SDI-Forschungsprogramm
Keinen unmittelbaren Einfluß hatte die Unfallserie vom Frühjahr 1986 dagegen auf das amerikanische SDI-Forschungsprogramm. Im Gegenteil, die Jahre 1985/86 waren eine Periode erfolgreicher und, trotz heftiger interner
Vgl. Giovanni Dondi, Marcel Toussaint, European space programmes and budgets, in: European Space Directory 1986, Paris 1986, S. 80 sowie David Fouquet, Shuttle desaster military impact evaluated, in: The NATO Report, Bd. 1, Nr. 19, 3.2.1986, S. 4. 11
Vgl. William J. Broad, U.S. working to save old spy satellite, in: IHT, 21.7.1987, S. 4.
VEREINIGTE STAATEN
21
wie externer Kritik, kontinuierlicher amerikanischer Politik zur Durchsetzung der im März 1983 von Präsident Reagan proklamierten Initiative für eine Strategische Verteidigung. Für das Anfang 1984 begonnene und zunächst auf eine Laufzeit von fünf Jahren begrenzte Programm zur Untersuchung der Möglichkeiten eines neuartigen Raketenabwehrsystems mit wesentlichen weltraumgestützten Elementen bewilligte der amerikanische Kongreß 1985 1,4 Milliarden Dollar und 1986 fast 3 Milliarden Dollar. 1 2 Im Berichtszeitraum wurden die ersten SDI-Experimente erfolgreich durchgeführt: So wurde am 6. September 1985 mit einem chemischen Laser die zweite Stufe einer auf dem Erdboden befindlichen Titan-Rakete zerstört. 1 3 Noch im selben Monat wurde von einem Luftwaffenstützpunkt in Hawaii aus eine Höhenforschungsrakete im Weltraum von einem Laserstrahl getroffen, 1 4 und im Juni 1986 zerstörte eine Versuchsrakete der amerikanischen Armee in 3 600 Meter H ö h e einen Flugkörper, der zuvor von einem Flugzeug abgeschossen worden war. 1 5 Im November 1986 konnte der Leiter der SDI-Behörde im amerikanischen Verteidigungsministerium, General James A . Abrahamson, erklären, daß „wir bei der Lösung der technischen Probleme unglaubliche Fortschritte machen". 1 6 Auch die Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten über eine Beteiligung am SDI-Programm wurden durch das Challenger-Unglück nicht beeinträchtigt. Nachdem der amerikanische Verteidigungsminister Caspar Weinberger mit Schreiben vom 29. März 1985 alle NATO-Mitgliedstaaten sowie Australien, Israel und Japan formell eingeladen hatte, sich an dem Programm zu beteiligen, 17 und bereits im Sommer 1985 erste Vorverhandlungen aufgenommen worden waren, schlössen zunächst Großbritannien (am 6. Dezember 1985) und nach heftigen internen Kontroversen wenig später auch die Bundesrepublik Deutschland (im März 1986) sowie Israel (im Mai 1986) und Italien (im September 1986) formelle Regierungsvereinbarungen mit den Vereinigten Staaten über eine Beteiligung ihrer Unternehmen und Forschungseinrichtungen an dem SDI-Programm ab. 1 8 Die französische Regierung war zum Abschluß einer formellen S D I -
1 2 Vgl. Armin Graf von Rothenburg, Rolf Wäsche, SDI: Aufbruch zu einer neuen Dimension der Sicherheit?, Bonn 1986, S. 15. 1 3 Vgl. Michael A. Domheim, Missile destroyed in first SDI test at high-energy laser facility, in: Aviation Week & Space Technology, 23.9.1985, S. 17. 1 4 o. N., Laser tracked missile in test, Weinberger says, in: IHT, 1.10.1985, S. 3. 15
Vgl. US. Policy Information
16
Vgl. ebd., Nr. 177, 25.11.1986, S. 20.
and Texts, Nr. 94, 2.7.1986, S. 13.
17
Abgedruckt in: EA, 20/1985, S. D 560 f.
18
Vgl. Hans Günter Brauch (Hrsg.), Star wars and European defence, Houndmills 1987, S.
127 ff.
22
ERFORSCHUNG UND NUTZUNG DES WELTRAUMS
Vereinbarung zwar nicht bereit, ließ aber ihren Unternehmen freie Hand, mit dem amerikanischen Verteidigungsministerium technologisch interessante SDI-Verträge abzuschließen. 19 Die Unterzeichnung dieser Vereinbarungen hatte nicht nur Konsequenzen für die wirtschaftlich-technologische Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten im Rahmen ihres militärischen Weltraumprogramms. Sie bedeutete in erster Linie eine politische Unterstützung der mit dem SDI-Programm verbundenen grundlegenden Neuorientierung der amerikanischen Verteidigungsstrategie durch ihre Verbündeten. Das ASA T-
Waffenprogramm
Im Berichtszeitraum setzte die amerikanische Luftwaffe auch ihre noch unter Präsident Jimmy Carter begonnenen und 1984 wieder aufgenommenen Versuche zur Entwicklung moderner Antisatelliten-(ASAT)Waffen fort. Am 13. September 1985 gelang es ihr zum erstenmal, mit Hilfe einer zweistufigen Rakete, die von einem in großer Höhe fliegenden F-15-Flugzeug abgeschossen worden war, einen in etwa 500 Kilometer Höhe die Erde umkreisenden ausgedienten Satelliten durch einen sensorgesteuerten Kleinstflugkörper (Miniature Homing Vehicle) zu zerstören. Im August 1986 wurde ein vierter Test dieser Serie erfolgreich durchgeführt. Das zu zerstörende Ziel war, wegen Beschränkungen, die der amerikanische Kongreß im Oktober 1985 als Reaktion auf ein einseitiges sowjetisches ASAT-Moratorium durchgesetzt hatte, nicht ein Satellit, sondern eine Lichtquelle im Weltraum. Die Bedeutung dieses ASAT-Waffenprogramms für die Sicherheit der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten 2 wird erst dann deutlich, wenn man sich den Umfang des sowjetischen Weltraumprogramms und die Anzahl der jährlich von der Sowjetunion im Weltraum stationierten militärischen Satelliten vergegenwärtigt.
SOWJETUNION Die Sowjetunion wurde 1985/86 die führende Weltraummacht. Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten führte sie ihr langfristig angelegtes Programm zur Erforschung des Weltraums und zu seiner Nutzung für militärische und 19
Vgl. Alain Carton, French political reaction to SDI. The debate on the nature of deterrence, in: ebd., S. 150 ff. Zu Einzelheiten des amerikanischen ASAT-Programms vgl. Paul B. Stares, Space and national security, Washington 1987, S. 99 ff.; zu den einzelnen Versuchen vgl. U.S. Policy Information and Texts, Nr. 124, 25.8.1986, S. 3.
TRANSPORTSYSTEME UND SATELLITEN
23
zivile Zwecke ohne größere Rückschläge kontinuierlich fort und erzielte hierbei bemerkenswerte Erfolge. Ein wesentlicher Schwerpunkt lag dabei auf der bemannten Raumfahrt, d.h. auf der Präsenz von Menschen im Weltraum. Zugleich war die Sowjetunion bemüht, das SDI-Forschungsprogramm sowie das ASAT-Waffenprogramm der Vereinigten Staaten durch diplomatische Initiativen und direkte Einflußnahme auf die öffentliche Meinung in der westlichen Welt zu verhindern oder doch wenigstens in engen Grenzen zu halten. Langfristiges politisches Ziel der sowjetischen Weltraumpolitik war dabei die Beherrschung des erdnahen Weltraums mit Hilfe einer Vielzahl bemannter und unbemannter Satelliten, Plattformen und Stationen sowie die „Uberrundung" der Vereinigten Staaten in einem als strategisch wichtig erkannten Wettlauf um die Vorherrschaft im Weltraum. Die Durchführung des sowjetischen Weltraumprogramms im Berichtszeitraum bestätigte die Tendenz der Sowjetunion, technologisch einfache und zuverlässige Raumfahrtsysteme zu bauen und bewährte Systeme über lange Zeiträume hinweg in großer Stückzahl herzustellen und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Hierin unterscheidet sich ihre Weltraumpolitik wesentlich von der amerikanischen, die durch häufigen Wechsel der Programmschwerpunkte und Programmfinanzierung sowie durch eine Vorliebe für technologisch neuartige und komplizierte, damit aber auch teure und anfällige Raumfahrtsysteme, gekennzeichnet ist. 21
Transportsysteme und Satelliten Die Sowjetunion verfügte 1985/86 über vier verschiedene Raumtransportsysteme, die alle aus den sechziger Jahren stammten und bis auf die Trägerrakete „Proton" aus den ersten sowjetischen Interkontinentalraketen entwickelt wurden. 22 Als Antriebsstoffe wurden herkömmliche Treibstoffe und nicht wie in den Vereinigten Staaten, Westeuropa, Japan und China auch moderne kryogene Wasserstoff/Sauerstoff-Antriebe verwendet. Die größte Stütze des sowjetischen Weltraumprogramms war der aus der ersten sowjetischen Interkontinentalrakete SS-6 entwickelte Sojus-Träger, der mit etwa zwei Starts pro Woche und insgesamt mehr als 1 100 Starts seit seiner Inbetriebnahme auch 1985/86 das am häufigsten benutzte Trägersystem der Welt war. 2 3 Daneben benutzte die Sowjetunion vor allem die speziell für die
21
Vgl. Alain Dupas, The USSR's prudent space policy, in: Space Policy, Bd. 3, Nr. 3, August 1987, S. 239 f. sowie Andrew Wilson, Thirty years of spaceflight, in: Space Markets, 3/1987, S. 139. 2 2 Vgl. zu den sowjetischen Trägersystemen besonders: Iserland, a.a.O. (Anm. 3), S. 104. 23
Vgl. Dupas, a.a.O. (Anm. 21), S. 241.
24
ERFORSCHUNG UND NUTZUNG DES WELTRAUMS
Raumfahrt entwickelte Trägerrakete Proton. Sie wurde sowohl für den Start von Raumsonden als auch von schweren Kommunikations- und Navigations-Satelliten in hohe Erdumlaufbahnen verwendet sowie für den Transport der neuen sowjetischen Raumstation Mir in eine erdnahe Umlaufbahn. 2 4 Nach dem Ausfall des Space Shuttle und der europäischen Trägerrakete Ariane im Frühjahr 1986 intensivierte die Sowjetunion ihre Bemühungen, den Proton-Träger auch für den Start fremder Satelliten kommerziell zu nutzen. Dabei unterbot sie die Startpreise westlicher Anbieter beträchtlich und erklärte sich darüber hinaus zur Gewährung besonders günstiger Versicherungsbedingungen bereit. 2 5 Vor allem wegen der CoCom-Beschränkungen für den Export von Satelliten in die Sowjetunion blieben diese Bemühungen jedoch ohne Erfolg. Mit Blick auf die langfristige Zielsetzung, ihre Präsenz im Weltraum energisch voranzutreiben, setzte die Sowjetunion 1985/86 ihr Programm zur Entwicklung kraftvoller Schwerlastraketen sowie moderner rückkehrfähiger Raumtransportsysteme erfolgreich fort. Die Entwicklungsarbeiten an einer Schwerlast-Trägerrakete mit der Bezeichnung „Energia" wurden in diesem Zeitraum wesentlich vorangebracht. Diese neue Generation sowjetischer Trägersysteme verbindet den Gigantismus der Saturn-Rakete, die seinerzeit von den Vereinigten Staaten für das Apollo-Mondlandeunternehmen eingesetzt wurde, mit den Vorteilen modernster kryogener Antriebstechnologie. Mit 100 Tonnen Nutzlast-Kapazität für Transporte in erdnahe Umlaufbahnen ist sie vor allem für die Beförderung schwerer Raumstationselemente ausgelegt. 26 Westliche Beobachter vermuteten, daß die neue Schwerlastrakete auch dem Transport eines rückkehrfähigen bemannten Raumtransportsystems von der G r ö ß e des amerikanischen Space Shuttle dienen sollte. Die Entwicklung dieses „sowjetischen Space Shuttle" und eines kleineren, ebenfalls rückkehrbaren Raumgleiters für den Transport von Kosmonauten wurde in den Jahren 1985/86 vorangetrieben. 2 7 Mit den ihr zur Verfügung stehenden Trägerraketen führte die Sowjetunion im Jahre 1985 fast 100 Starts durch. 1986 waren es insgesamt 91 Starts, mit denen 114 Satelliten und andere Nutzlasten in den Weltraum gebracht
24
25
Vgl. Iserland, a.a.O. (Anm. 3), S. 104.
Vgl. Anatol Johansen, Dumping-Angebote aus Moskau schrecken die Amerikaner, in: Die Welt, 2.7.1987, S. 8. 2 6 Am 15.5.1987 wurde eine erste 66 m hohe Version dieser Schwerlast-Trägerrakete auf dem sowjetischen Startgelände Tyuratam getestet. Vgl. dazu Iserland, a.a.O. (Anm. 3), S. 109 sowie Alain Dupas, New space priorities in the USSR, in: Space Policy, Bd. 3, Nr. 4, November 1987, S. 274. 2 7 Vgl. Iserland, ebd., S. 109 f. sowie Wolfgang Mallmann, Weltraumpolitik der Sowjetunion, in: Kaiser/Welck (Hrsg.), a.a.O. (Anm. 3), S. 394.
PERMANENT BEMANNTE RAUMSTATIONEN
25
wurden. 2 8 Das bedeutete eine im Westen nicht annähernd erreichte routinemäßige Startfrequenz von durchschnittlich zwei Starts pro Woche. Da die sowjetischen Satelliten jedoch aus technischen Gründen eine im Vergleich zu westlichen Satelliten kurze Lebensdauer hatten, bedeutete diese hohe Startfrequenz nicht, daß das Mißverhältnis zwischen sowjetischen und westlichen Satelliten im O r b i t ebenso groß war. 1986 hatte die Sowjetunion durchschnittlich 130 Satelliten im Orbit, insbesondere optische und elektronische Aufklärungs-Satelliten, Kommunikations-Satelliten sowie Navigations-, Wetterbeobachtungs- und Geodäsie-Satelliten. Die Mehrzahl dieser Satelliten, etwa 75 Prozent, diente militärischen Zwecken. 2 9
Permanent
bemannte
Raumstationen
Wesentlich weiterentwickelt wurde auch das sowjetische Programm für die bemannte Raumfahrt. 1985/86 umkreiste die bereits im April 1982 gestartete Raumstation Saljut-7 die Erde. Dies war eine im Vergleich zu der für die neunziger Jahre geplanten amerikanischen Weltraumstation zwar kleine und in ihrer Konstruktion einfache, dafür aber bereits seit langem erprobte und von ihrer Konzeption her leicht ausbaufähige sowjetische Raumstation der zweiten Generation. In Verbindung mit dem unbemannten Versorgungsfahrzeug „Progress", das als Lager an Saljut-7 angedockt werden konnte, entstand ein sogenannter orbitaler Komplex, der verschiedenen sowjetischen Kosmonauten mehrere Monate lang als Lebens- und Arbeitsraum dienen konnte. Bis Anfang 1985 hatten sowjetische Kosmonauten insgesamt 3 691 Tage im Weltraum verbracht, d.h. fast dreimal soviel wie amerikanische Astronauten. D e r längste Aufenthalt an Bord von Saljut-7 dauerte 237 Tage. 3 0 N u r wenige Tage nach dem Challenger-Unglück, am 20. Februar 1986, gelang der Sowjetunion ein spektakulärer Erfolg: Die erste Raumstation der dritten Generation mit der Bezeichnung „Mir" wurde mit einer dreistufigen Proton-Trägerrakete in eine erdnahe Umlaufbahn gebracht. Das Kernstück dieser Station war nicht größer als die weiterhin betriebene Saljut-7-Station. Sie war jedoch mit insgesamt sechs Kopplungsstutzen ausgerüstet, an die weitere Raumfahrzeuge, aber auch W o h n - und Arbeitsräume für die Kosmonauten sowie spezielle Labors gleichzeitig angedockt werden konnten. Diese
2 8 Vgl. die Übersicht: Spaceview 1986 launches summarised, in: Space, Bd. 3, Nr. 1, März/April 1987, S. 53. 29
Vgl. Mallmann, a.a.O. (Anm. 27), S. 405 ff. sowie Jasani, a.a.O. (Anm. 2), S. 78 ff.
Vgl. Mallmann, a.a.O (Anm. 27), S. 395 sowie Hartmut Sax, Stationen im Weltraum: Konzepte und Nutzungsmöglichkeiten, in: Kaiser/Welck (Hrsg.), a.a.O. (Anm. 3), S. 128.
26
ERFORSCHUNG UND NUTZUNG DES WELTRAUMS
Modulbauweise ermöglichte den Ausbau der Station zu einer vielseitig verwendbaren großen orbitalen Infrastruktur. 3 1 Damit war die Sowjetunion in der Entwicklung permanent bemannter Weltraumstationen den Vereinigten Staaten um Jahre voraus.
Weltraumgestützte
Raketenabwehr
Inwieweit die Sowjetunion auch an der Entwicklung eines weltraumgestützten Raketenabwehrsystems arbeitete, wie es von den Vereinigten Staaten im Rahmen ihres SDI-Forschungsprogramms verfolgt wird, läßt sich schwer beurteilen. Amerikanischen Quellen zufolge modernisierte die Sowjetunion in dieser Zeit nicht nur ihr einsatzbereites bodengestütztes Raketenabwehrsystem um M o s k a u , sondern trieb auch ihre Forschungsarbeiten zur Entwicklung von Laser- und Strahlenwaffen voran, die v o m Weltraum aus gegen anfliegende feindliche Mittel- und Langstreckenraketen eingesetzt werden können. 3 2 D i e Sowjetunion wies diese Behauptungen zurück, so wie sie überhaupt jede militärische N u t z u n g des Weltraums durch sowjetische Satelliten oder Raumstationen leugnete. 3 3 Zur gleichen Zeit intensivierte sie ihre diplomatische Offensive gegen das amerikanische SDI-Programm. D i e Vereinbarung zwischen den U S A und der Sowjetunion v o m 8. Januar 1985 zur Aufnahme neuer Verhandlungen über Kernwaffen und Weltraumwaffen 3 4 setzte einen bilateralen Verhandlungsprozeß in G a n g , der aus sowjetischer Sicht auch - wenn nicht sogar primär - z u m Ziel hatte, das amerikanische S D I - P r o g r a m m zu beenden oder doch zumindest in engen Grenzen zu halten. In dieselbe Richtung zielten verschiedene Bemühungen der Sowjetunion im Rahmen der Vereinten Nationen, w o sie im April 1985 in der Generalversammlung einen Vorschlag über „Hauptrichtungen und Prinzipien der internationalen Zusammenarbeit bei der friedlichen Erforschung des Weltraums unter Bedingungen seiner Nichtmilitarisierung" einbrachte, 3 5 im Weltraumausschuß ( C O P U O S ) die Behandlung des Themas „Verhütung eines Wettrüstens im Weltraum" 3 1 Vgl. Bob Jaques, Von Saljut bis Mir. Die Entwicklung der sowjetischen Raumstation, in: lnteravia, 1/1987, S. 69. 32 Vgl. dazu David Yost, Sowjetische Bemühungen um Raketenabwehr und ihre möglichen Auswirkungen auf die Sicherheit der NATO-Länder, in: EA, 18/1985, S. 541-550; Rothenburg, a.a.O. (Anm. 12), S. 32 sowie US Department of Defense, Soviet military power 1985, Washington 1985, S. 43 und U.S. Policy Information and Texts, Nr. 171, 14.11.1986, S. 7 ff. 3 3 Vgl. Mallmann, a.a.O. (Anm. 26), S. 405 sowie Vitaly Sevastyanov, Vladimir Pryakhin, Space exploration and new thinking, in: International Affairs (Moskau), 5/1987, S. 21 ff. 3 4 Auszugsweise abgedruckt in: Stephan Frhr. von Welck, Renate Platzöder, Weltraumrecht - Law of Outer Space, Baden-Baden 1987, S. 109. 35
Abgedruckt in: ebd., S. 134 ff.
27
ASAT-WAFFEN
durchzusetzen versuchte, in der Abrüstungskonferenz ( C D ) die Einsetzung eines Ad-hoc-Ausschusses „Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum" erwirkte und im Institut für Abrüstungsforschung ( U N I D I R ) eine Studie über Abrüstung im Weltraum initiierte. 36
ASAT-Wäffen Nach amerikanischen Angaben verfügte die Sowjetunion in den Jahren 1985/86 bereits über ein einsatzfähiges, aber dafür wenig flexibles System von Angriffs- oder Killer-Satelliten, die, von konventionellen Trägerraketen in den Weltraum gebracht, sich einem gegnerischen Satelliten auf dessen Umlaufbahn nähern und ihn zerstören. 3 7 Nach Beendigung der bis 1982 durchgeführten sowjetischen Testserie erklärte die Sowjetunion im August 1983 einseitig ein ASAT-Moratorium, 3 8 um dadurch die Wiederaufnahme der amerikanischen ASAT-Waffenentwicklung zu verhindern. Als die Vereinigten Staaten gleichwohl im Januar 1984 wieder eine AS AT-Versuchsserie aufnahmen, reagierte die Sowjetunion lediglich mit diplomatischen Initiativen, die dazu führten, daß der amerikanische Kongreß Beschränkungen der amerikanischen Versuche beschloß. 3 9 Eigene Versuche nahm die Sowjetunion nicht wieder auf. Westliche Beobachter vermuteten, daß die Sowjetunion wenig Sinn darin sah, ihr technologisch ineffizientes und vom Konzept her kaum verbesserungsfähiges ASAT-Waffensystem weiterzuentwickeln. Auch im Rahmen ihrer bilateralen Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten über eine Begrenzung von Kernwaffen und Weltraumwaffen strebte die Sowjetunion eine beiderseitige Begrenzung der Entwicklung und Produktion von ASAT-Waffen an. Die 1985/86 geführten Verhandlungen brachten jedoch keine Fortschritte in dieser Richtung.
AMERIKANISCH-SOWJETISCHE
ZUSAMMENARBEIT
Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion hatten im Berichtszeitraum nicht nur entgegengesetzte Interessen bei der Erforschung und Nutzung des 3 6 Vgl. dazu Stephan Frhr. von Welck, Militärischer Griff ins All? Die Bemühungen der UN um die Verhütung eines Wettrüstens im Weltraum, in: VN, 4/1987, S. 127-130. 37
38
Zum sowjetischen ASAT-Programm vgl. ausführlich: Stares, a.a.O. (Anm. 20), S. 85 ff.
Vgl. Rudolf Schmidt, Weltraumgestützte Raketenabwehrsysteme und AntisatellitenWaffen. Rüstungskontrollpolitische Konzepte und Verhandlungen, in: Kaiser/Welck (Hrsg.), a.a.O. (Anm. 3), S. 231 f. 3 9 Vgl. Stares, a.a.O. (Anm. 20), S. 151 f. 40
Vgl. Schmidt, a.a.O. (Anm. 38), S. 231.
28
ERFORSCHUNG UND NUTZUNG DES WELTRAUMS
Weltraums. Gemeinsame Interessen ergaben sich beispielsweise aus ihrer jeweiligen globalpolitischen Rolle als Großmächte. Hier hatten sie in bezug auf die Erforschung und Nutzung des Weltraums andere Interessen als die übrigen Weltraummächte Westeuropa, Japan, China und Indien. Zum andern hatten sie ein auf den Vorteilen der Arbeitsteilung und dem Respekt vor den Leistungen des anderen bestehendes wissenschaftlich-technisches Interesse an einer Zusammenarbeit. Höhepunkt dieser Zusammenarbeit war das Jahr 1972, in dem zwei weltraumpolitisch bedeutsame bilaterale Vereinbarungen abgeschlossen wurden: Am 24. Mai 1972 unterzeichneten Präsident Richard Nixon und der sowjetische Generalsekretär Alexej Kossigyn ein Abkommen über Zusammenarbeit bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums zu friedlichen Zwecken, 41 das die Grundlage für wichtige gemeinsame Weltraumprojekte bildete, insbesondere für das Apollo/SojusProjekt des Jahres 1975, in dessen Verlauf je ein amerikanisches und ein sowjetisches bemanntes Raumschiff ankoppelten. Nur zwei Tage später, am 26. Mai 1972, wurde von beiden Staatsmännern der Vertrag über die Begrenzung der Systeme zur Abwehr ballistischer Flugkörper (ABMVertrag) 42 unterzeichnet, der generell die Nutzung des Weltraums durch ballistische Raketen und speziell die Errichtung weltraumgestützter Raketenabwehrsysteme regelte.
Wissenschaftlich-technologische
Zusammenarbeit
Als Reaktion auf die Verhängung des Kriegsrechts in Polen hatten die Vereinigten Staaten 1982 das Kooperationsabkommen mit der Sowjetunion von 1972 nicht wieder verlängert. Nach Aufnahme des SDI-Forschungsprogramms Anfang 1984 zeigte auch die Sowjetunion kein offizielles Interesse mehr an einer Wiederaufnahme der wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit mit den USA bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums, im Gegenteil: Sie machte 1985 weitere bilaterale Kooperationsvorhaben von einer wesentlichen Änderung der amerikanischen SDI-Politik abhängig.43 Der fast völlige Stillstand in den amerikanisch-sowjetischen Beziehungen auf dem Gebiet der Erforschung und Nutzung des Weltraums dauerte bis zum März 1986, als der Direktor des Weltraumforschungsinstituts der Sowjeti-
4 1 Vgl. Dept. of State B., Bd. 66, Nr. 1722, 26.6.1972, S. 924-925 sowie EA, 12/1972, S. D 294. Ausführlich hierzu: Office of Technology Assessment (Congress of the United States), U.S.-Soviet cooperation in space - A technical memorandum, Washington 1985, S. 25. 42
43
EA, 12/1971, S. D 292-298 sowie Welck/Platzöder,
a.a.O. (Anm. 34), S. 62 ff.
Vgl. dazu die Ansprache von Generalsekretär Gorbatschow vor einer Delegation des „Kongresses der Nobelpreisträger" am 13.11.1985, in: ND, 15.11.1985, S. 5.
EINVERNEHMLICHER ABBAU BALLISTISCHER RAKETEN
29
sehen Akademie der Wissenschaften, Roald Sagdejew, einem hochrangigen Vertreter der N A S A erklärte, daß die Sowjetunion eine Änderung der amerikanischen SDI-Politik nicht mehr zur Vorbedingung für weitere wissenschaftlich-technologische Zusammenarbeit mache. 44 Dieses Signal griff die amerikanische Regierung auf und im September 1986 fanden erste Kontakte auf Expertenebene in Moskau statt. Während des amerikanisch-sowjetischen Gipfeltreffens in Reykjavik im Oktober 1986 einigten sich Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow darauf, die beiderseitigen Gespräche über wissenschaftlich-technologische Zusammenarbeit zu formalisieren. Bereits Anfang November kam es in Washington zu weiteren Expertengesprächen, die zur Verabschiedung eines Entwurfs für ein neues Zusammenarbeitsabkommen führten - trotz erheblicher Bedenken des amerikanischen Verteidigungsministeriums, das befürchtete, die wissenschaftlich-technologische Zusammenarbeit mit der Sowjetunion könne von ihr dazu mißbraucht werden, in den Besitz sensitiver Weltraumtechnologie zu gelangen. Deshalb wurde der Schwerpunkt der Zusammenarbeit auf die Koordinierung von Projekten und den Austausch von Daten - vor allem in den Bereichen Planetenforschung (Mars, Venus), Weltraumbiologie und -medizin sowie Astronomie und Astrophysik - gelegt und weniger auf gemeinsame Projekte und den Austausch von Instrumenten und Geräten. 4 5
Einvernehmlicher
Abbau ballistischer Raketen
Als die Sowjetunion im Juni 1984 den Vereinigten Staaten vorschlug, noch im Herbst desselben Jahres Verhandlungen zur Verhinderung einer Militarisierung des Weltraums aufzunehmen, reagierte die amerikanische Regierung grundsätzlich positiv, hob dabei jedoch hervor, daß der Weltraum durch nukleare Interkontinental- und Mittelstreckenraketen bereits militarisiert sei und sie deshalb auch diesen Bereich in die Verhandlungen mit einbeziehen wolle. 46 Die Sowjetunion kam diesem amerikanischen Wunsch nach einigem Zögern entgegen. Das zwischen den Außenministern George Shultz und
44
Vgl. Robert C. Toth, U.S. and Soviet discuss joint exploration of Mars, in: IHT, 26.7.1986, S. 1. 4 5 Das Abkommen wurde am 15.4.1987 vom amerikanischen Außenminister Shultz und seinem sowjetischen Amtskollegen Schewardnadse in Moskau unterzeichnet. Vgl. hierzu EA, 10/1987, S. D 287 sowie Philip P. Chandler, US-Soviet intergovernmental agreement on cooperative space activities. Should it be re-established?, in: Space Policy, Bd. 2, Nr. 1, Februar 1986, S. 28 ff. sowie U.S. Policy Information and Texts, Nr. 140/B, 7.8.1987, S. 16. 46 Vgl. Gebhard Schweigier, Die Supermächte in anhaltender Konfrontation, in: IP 1983/84, S. 88.
30
ERFORSCHUNG UND NUTZUNG DES WELTRAUMS
Andrej G r o m y k o während ihrer Gespräche in Genf am 7. und 8. Januar 1985 vereinbarte Verhandlungsmandat erfaßte somit nicht nur das S D I Forschungsprogramm der Vereinigten Staaten sowie entsprechende sowjetische Entwicklungsarbeiten, sondern auch den Abbau nuklearer Lang- und Mittelstreckenraketen der beiden Großmächte. 4 7 Die bald danach einsetzenden Verhandlungen führten schon beim Gipfel von Reykjavik (12. Oktober 1986) zu einer grundsätzlichen Ubereinstimmung über die Beseitigung der nuklearen Mittelstreckenraketen und eine drastische Reduzierung nuklearer Langstreckenwaffen; die Verhandlungen scheiterten jedoch an der Forderung Gorbatschows, während der Geltungsdauer des ABM-Vertrags lediglich SDI-Forschungsarbeiten im Labor zuzulassen. Diese Forderung lehnte Präsident Reagan ab, weil dadurch das von ihm initiierte SDI-Programm aufgegeben oder doch wesentlich verzögert worden wäre. 4 8
WELTRAUMPOLITISCHE AKTIVITÄTEN ANDERER STAATEN D e r Unterschied zwischen den weltraumpolitischen Zielen und Aktivitäten der beiden Großmächte einerseits und den entsprechenden Bemühungen der übrigen Weltraummächte andererseits war so groß, daß diese - sofern sie überhaupt an dem Wettlauf um die Vorherrschaft im Weltraum teilzunehmen beabsichtigten - allenfalls als „Mitläufer" bezeichnet werden können. Von 1957 bis 1986 führten die Sowjetunion insgesamt 1 890 und die U S A 745 Starts in den Weltraum durch, Japan dagegen nur 34, Westeuropa 24, China 19 und Indien drei. 1985 (für 1986 sind die Zahlen wegen des ChallengerUnglücks und des Ariane-Fehlstarts im Frühjahr 1986 nicht typisch) führten die Sowjetunion 98 Satellitenstarts und die U S A 17 Starts durch, Westeuropa dagegen nur drei, Japan zwei, China einen und Indien gar keinen. 4 9 Auch die finanziellen Mittel, die für Weltraumaktivitäten ausgegeben wurden, spiegeln diesen krassen Unterschied wider: Die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten gaben 1985/86 etwa fünfzehn- bzw. elfmal soviel für die Erforschung und Nutzung des Weltraums aus wie Westeuropa; China gab dagegen nur 1,7 mal soviel aus und Japan und Indien nur 40 bzw. 10 Prozent der Mittel, die Westeuropa dafür bereitstellte. 50
4 7 Vgl. hierzu auch die Beiträge von Gebhard Schweigier, diesem Band. 48
Vgl. Schmidt,
49
Vgl. Lust, a.a.O. (Anm. 5), S. 333-342.
Lothar Rühl und Bernd Kubbig
in
a.a.O. (Anm. 38), S. 235.
Vgl. Roy Gibson, Weltraumprojekte außerhalb Europas, Friedrichshafen (Vortragsmanuskript für den internationalen Kongreß der Friedrich-Ebert-Stiftung „Die Zukunft der Europäischen Raumfahrt"), 30.11.1987, S. 8.
WESTEUROPA
31
Westeuropa Westeuropas Weltraumaktivitäten erhielten die stärksten politischen Impulse von Frankreich. Aber auch in der Bundesrepublik Deutschland und in Italien machte sich im Berichtszeitraum ein breiteres politisches Interesse an der Erforschung und Nutzung des Weltraums bemerkbar, das sich nicht nur auf die wissenschaftlich-technologischen und wirtschaftlichen Aspekte der Raumfahrt konzentrierte, sondern auch außen- und sicherheitspolitische Möglichkeiten der Weltraumnutzung einbezog. 51 In Großbritannien und den übrigen westeuropäischen Staaten blieb das Interesse an der Erforschung und Nutzung des Weltraums im wesentlichen auf konkrete Projekte mit wissenschaftlicher oder wirtschaftlich-technologischer Zielsetzung und - im Falle Großbritanniens - auch mit sicherheitspolitischen Zielen im Rahmen seiner Sonderbeziehungen zu den U S A beschränkt. 5 2 A m 30. und 31. Januar 1985 trafen sich die Forschungs- und Industrieminister der Mitgliedstaaten der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) zu einer für die künftige Rolle Westeuropas im Weltraum wegweisenden Ratstagung in R o m . Auf dieser Tagung wurden die Leitlinien eines Zehnjahresprogramms beschlossen, mit dem Westeuropa sich zu einer Weltraummacht des 21. Jahrhunderts entwickeln sollte. 53 Wesentliche Elemente dieses Programms waren: 1. der Ausbau des europäischen Trägersystems „Ariane" durch die Entwicklung eines sowohl für den Transport schwerer Satelliten in die geostationäre Umlaufbahn als auch für die Beförderung kleiner bemannter Raumflugzeuge in erdnahe Umlaufbahnen geeigneten Trägers mit modernem kryogenen Antrieb (Ariane-5); 2. ein eigenständiger Beitrag Westeuropas zu der von den Vereinigten Staaten geplanten Raumstation, mit dem Ziel, im nächsten Jahrhundert technologisch in der Lage zu sein, eine eigene Station zu bauen und zu betreiben (Columbus); 3. Vorbereitungen zur Entwicklung eines kleinen bemannten Raumflugzeugs zum Transport von Astronauten und Material zu der geplanten Raumstation (Hermes); und 4. Erweiterung des wissenschaftlichen Programms zur Erforschung des Weltraums. 5 ' Vgl. dazu Wolfgang Finke, Weltraumpolitik der Bundesrepublik Deutschland, in: Kaiser/Welck (Hrsg.), a.a.O. (Anm. 3), S. 279 ff.; Franz-Josef Mathy, Weltraumpolitik Italiens, in: ebd., S. 351 ff. sowie Deutsche Weltraumpolitik an der Jahrhundertschwelle, Analyse und Vorschläge für die Zukunft, Bericht einer Expertengruppe, Bonn 1986, S. 19 ff. 5 2 Vgl. Helen Wallace, (Anm. 3), S. 339 ff.
Weltraumpolitik Großbritanniens, in: Kaiser/Welck
(Hrsg.), a.a.O.
5 3 Vgl. Lust, a.a.O. (Anm. 5), S. 340 sowie Wolfgang Finke, International cooperation and European autonomy in space, in: European Space Directory, 1987, S. 8.
32
ERFORSCHUNG UND NUTZUNG DES WELTRAUMS
Alle 11 Mitgliedstaaten der ESA stimmten darin überein, daß Westeuropas Weltraumprogramm nicht auf Dauer von dem der Vereinigten Staaten abhängen könne, sondern daß es in der Erforschung und Nutzung des Weltraums eine eigenständige und autonome Rolle anstreben müsse, wenn es seinen politischen Einfluß innerhalb der internationalen Gemeinschaft auch im nächsten Jahrhundert beibehalten wolle. In der Abschlußerklärung der Ministerratstagung fand dieses neuerwachte weltraumpolitische Selbstbewußtsein Westeuropas deutlichen Ausdruck. Es hieß dort unter anderem, daß die im ESA-Rat vertretenen Staaten „eine gemeinsame Vorstellung von der Zukunft Europas im Weltraum sowie den politischen Willen haben, Europas bereits starke Stellung unter den Raumfahrtmächten der Welt weiter auszubauen". 54 Trotz dieser selbstbewußten Haltung tat sich Westeuropa in der Folgezeit nicht immer ganz leicht, die Grundsatzbeschlüsse von Rom weiterzuentwikkeln. Dies lag einmal an den Rückschlägen, die das europäische Weltraumprogramm hinnehmen mußte: Von den vier für 1985 eingeplanten Satellitenstarts mit der Trägerrakete Ariane waren nur drei erfolgreich. Am 12. September 1985 mußte die Ariane-Mission V-15 kurz nach dem Start abgebrochen werden. 55 Die Nutzlast, ein europäischer und ein amerikanischer Kommunikations-Satellit, ging dabei verloren. Im folgenden Jahr konnten nur zwei Missionen erfolgreich durchgeführt werden: Am 31. Mai 1986 mißlang der Start einer Ariane-2-Trägerrakete wegen eines technischen Defekts im Zündungssystem der dritten Stufe. 56 Danach wurden alle weiteren Ariane-Missionen bis auf weiteres abgesetzt und eine gründliche Untersuchung der Unfallursachen eingeleitet. Nicht nur Westeuropa, sondern der ganzen westlichen Welt standen danach keine Raumtransportmittel mehr zur Verfügung - mit Ausnahme der japanischen H-l-Rakete, die jedoch aufgrund ihrer beschränkten Leistungsfähigkeit allenfalls zwei kleine Satelliten pro Jahr in den Weltraum transportieren konnte. 57 Die beiden Fehlstarts des europäischen Trägersystems Ariane hatten jedoch nicht wie in den Vereinigten Staaten eine weitgehende Lähmung der Weltraumaktivitäten Westeuropas zur Folge. In der ESA wurde mit Nachdruck an der Implementierung der Beschlüsse von Rom weitergearbeitet und ein Langzeitprogramm für Westeuropa bis zum Jahr 2000 erarbeitet. 58 Im 5 4 Kommunique der ESA-Ministerkonferenz vom 31.1.1985, in: ESA-Bulletin, Februar 1985, S. 11.
Nr. 41,
5 5 Vgl. Jeffrey M. Lenorovitz, Arianespace attempts to minimize effect on scheduling of launch vehicle failure, in: Aviation Week & Space Technology, 23.9.1985, S. 22. 56
Vgl. ebd., 9.6.1986, S. 49.
57
Vgl. Iserland, a.a.O. (Anm. 3), S. 115.
58
Vgl. dazu European Space Agency, European long term space plan 1987-2000, ESA-Dok. ESA/C (87) 3, 10.6.1987.
BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND
33
Juni 1985 wurden die Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten über die Durchführung paralleler Detaildefinitions- und Vorentwurfsstudien für die Beteiligung Westeuropas an der geplanten permanenten Raumstation erfolgreich abgeschlossen. Die Verhandlungen über die nächste Phase der Zusammenarbeit auf diesem Gebiet mit den U S A begannen im November desselben Jahres 60 und gestalteten sich wegen des auf starken amerikanischen Widerstand stoßenden Wunsches der Europäer nach ausschließlich friedlicher und gleichberechtigter Nutzung der Raumstation schwieriger als erwartet. 61 Im August 1985 wurde die Erweiterung des Startgeländes für das europäische Raumtransportsystem in Kourou (Französisch-Guayana) abgeschlossen. Im November wurde im Rahmen der D-l-Mission mit dem wiederverwendbaren großen Weltraumlabor „Spacelab" von der Bundesrepublik Deutschland ein umfangreiches Programm auf dem Gebiet der Schwerelosigkeitsforschung durchgeführt. An der siebentägigen Mission, die vom Nutzlastkontrollzentrum der D F V L R in Oberpfaffenhofen aus selbständig geleitet wurde, nahmen drei europäische Astronauten teil. Im selben Monat wurde die Aufnahme Norwegens und Österreichs als 12. und 13. Mitgliedstaat der ESA beschlossen.
Bundesrepublik
Deutschland
Eine zügige Weiterentwicklung der ESA-Beschlüsse vom Januar 1985 litt allerdings an einer sich nur langsam anbahnenden einheitlichen Weltraumpolitik der Bundesrepublik Deutschland, ohne deren finanzielles Engagement das ESA-Programm nicht durchsetzbar war. Vor allem an dem von Frankreich bald nach den Beschlüssen von Rom „europäisierten" und gegenüber der Bundesregierung auf höchster politischer Ebene gestützten „HermesProjekt" eines bemannten Raumflugzeugs zeigte sich, daß innerhalb der Bonner Regierung unterschiedliche Auffassungen über die künftige Weltraumpolitik Westeuropas bestanden. Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher setzte sich mit Nachdruck für eine wesentliche finanzielle Beteiligung der Bundesrepublik am Hermes-Projekt ein, vor allem unter Hinweis auf die Bedeutung dieses Projekts für die deutsch-französische Zusammenarbeit und für eine europäische technologische Eigenständigkeit. Forschungsminister Heinz Riesenhuber und Finanzminister Gerhard Stoltenberg nah-
59
Die Vereinbarung ist abgedruckt in: Welck/Platzöder,
60
Vgl. Lüst, a.a.O. (Anm. 5), S. 340.
a.a.O. (Anm. 34), S. 315 ff.
6 1 Vgl. Craig Covault, Theresa M. Foley, Defense decision to use space station will delay international negotiations, in: Aviation Week & Space Technology, 22.12.1986, S. 23.
34
ERFORSCHUNG UND NUTZUNG DES WELTRAUMS
men aus technologie- und finanzpolitischen Erwägungen eine eher skeptische Haltung gegenüber dem Projekt ein und wandten sich gegen eine übereilte Entscheidung. 6 2 Wegen dieser Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Kabinetts konnte ein Beschluß über die deutsche Beteiligung am Hermes-Projekt erst im O k t o b e r 1986 im Rahmen eines Koalitionsgesprächs gefaßt werden, an dem auch Ministerpräsident Franz J o s e f Strauß teilnahm. Die Bundesregierung teilte nach diesem Gespräch der französischen Regierung mit, daß sie bereit sei, sich an der Finanzierung der Vorbereitungsphase des Hermes-Projekts mit 30 Prozent zu beteiligen, sofern Frankreich auf eine mehr als fünfzigprozentige Beteiligung verzichte und deutsche Unternehmen an der Durchführung des Projektes entsprechend dem finanziellen Anteil Bonns beteiligt würden. 6 3 Damit war ein wesentliches Hindernis für die Inangriffnahme eines in sich schlüssigen europäischen Weltraumprogramms mit der langfristigen Zielsetzung europäischer Autonomie im Weltraum beseitigt. A m 22. Februar 1986 wurden ein schwedischer Wissenschafts-Satellit und der erste französische kommerzielle Erderkundungs-Satellit „Spot-1" mit einer Ariane-Rakete erfolgreich gestartet. 64 Im Frühjahr 1986 gelang es zudem, mit der europäischen Raumsonde Giotto den Kometen Halley aus nur wenigen tausend Kilometer Entfernung zu photographieren - eine wissenschaftliche und technische Leistung, die weit über Westeuropa hinaus Beachtung fand. 65 Mitte 1986 brachte die Bundesrepublik Deutschland in der E S A einen offiziellen Vorschlag für die Entwicklung eines horizontal startenden rückführbaren Raumtransportsystems mit luftatmendem Triebwerk für die untere Flugstufe ein (Sänger-Projekt), 6 6 über dessen Weiterverfolgung im Rahmen der E S A bis Ende 1986 jedoch noch keine Entscheidung getroffen wurde. Schließlich konnte der ESA-Rat nach der positiven Entscheidung der Bundesregierung über eine wesentliche Beteiligung am Hermes-Vorbereitungsprogramm Ende Oktober 1986 ein entsprechendes Programm beschließen, das Westeuropa in die Lage versetzen sollte, sich unabhängig vom Einsatz des amerikanischen Space Shuttle an der bemannten Raumfahrt und der Nutzung der geplanten Raumstation zu beteiligen. 67
62
Vgl. dazu o . N., Enttäuschte Hoffnungen, in: Handelsblatt,
18.1.1986, S. 3.
Vgl. Bundeskanzler Helmut Kohl, Erklärung der Bundesregierung im Deutschen Bundestag am 6.11.1986, in: Bulletin, N r . 135, 7.11.1986, S. 1133 f. 64 Vgl. Jeffrey M. Lenorovitz, France's Spot-1 satellite transmits multispectral images 63
following launch by Ariane, in: Aviation 65
Vgl. Trümper,
Week
S. 23 ff. 66 67
& Space Technology,
a.a.O. (Anm. 9), S. 3 sowie Ernst Jünger,
Vgl. Iserland, a.a.O. (Anm. 3), S. 120. Vgl. dazu Lust, a.a.O. (Anm. 5), S. 340.
3.3.1986, S. 21.
Zweimal Halley, Stuttgart 1987,
DIE VR C H I N A
35
Damit hatten die westeuropäischen Staaten einen vom finanziellen Umfang her zwar relativ kleinen, in seiner politischen Bedeutung langfristig gesehen jedoch außerordentlich wichtigen Beschluß gefaßt.
Die VR China Die Volksrepublik China gehört seit April 1970, als sie ihren ersten Test-Satelliten „Roter Osten" mit einer eigenen Trägerrakete in eine erdnahe Umlaufbahn brachte, zu dem exklusiven Klub der Weltraummächte. 68 Sie verfügte Ende 1986 über eine beträchtliche Anzahl nuklearer Mittel- und Langstreckenraketen sowie über eine aus diesen militärischen Systemen entwickelte Serie ziviler Trägerraketen mit der Bezeichnung „Langer Marsch". Die dreistufige Version dieser Rakete ist mit einem modernen kryogenen Triebwerk für die Oberstufe ausgerüstet und erlaubt damit den Start von bis zu 1,4 Tonnen schweren Satelliten in den sogenannten geostationären Transfer-Orbit. 6 9 Bis Ende 1986 hatte China mit diesem Trägersystem insgesamt 19 Satelliten in Erdumlaufbahnen befördert, darunter auch einige optische Aufklärungs-Satelliten mit militärischen Aufgaben. Am 1. Februar 1986 gelang es China, einen zweiten großen Kommunikations-Satelliten in eine geostationäre Umlaufbahn zu bringen, der Anfang Juli seine Arbeit aufnahm. 7 0 Für die chinesische Weltraumpolitik und ihre politische Bewertung wichtiger war die Tatsache, daß China seit Herbst 1985 - und vor allem seit dem Challenger-Unglück und dem Fehlstart von Ariane-V-18 - im Frühjahr 1986 seine Trägerraketen für den Transport westlicher Satelliten anbot. Damit nahm die V R China die kommerzielle Herausforderung des internationalen Markts für Raumtransport-Dienstleistungen auf und öffnete dadurch ihr bis dahin weitgehend unbekanntes Weltraumprogramm auch westlichen Interessenten. 71 Zu diesem kommerziellen Zweck wurde 1985 die dem chinesischen Raumfahrtministerium unterstellte „China Great Wall Industrial Corporation" gegründet. Diese nach westlichen Geschäftsmethoden arbeitende Organisation bot zu günstigen Startpreisen und entsprechenden Versicherungsbedingungen das chinesische Trägersystem westlichen
68
Vgl. zum chinesischen Weltraumprogramm, seinen Zielen und Schwerpunkten besonders: Artur H. Schendel, Weltraumpolitik Chinas, in: Kaiser/Welck (Hrsg.), a.a.O. (Anm. 3), S. 413 ff. sowie Bhupendra Jasani, Outer space - battlefield of the future?, London 1978, S. 37 f. 6 9 Vgl. Schendel, in: Kaiser/Welck (Hrsg.), ebd., S. 414 ff. sowie ¡serland, a.a.O. (Anm. 3), S. 108. 7 0 Vgl. dazu Liu Ji-yuan, Min Gui-rong, The progress of astronautics in China, in: Space Policy, Bd. 3, Nr. 2, Mai 1987, S. 143. 71
Vgl. Schendel, a.a.O. (Anm. 69), S. 415 f.
36
ERFORSCHUNG UND NUTZUNG DES WELTRAUMS
Interessenten an, die infolge des Ausfalls amerikanischer und westeuropäischer Raumtransportsysteme seit Frühjahr 1986 bereits fertiggestellte Satelliten starten wollten. 72 Als erstes ging Schweden auf dieses Angebot ein und erwarb im Sommer 1986 eine Option für den Start des schwedischen Nachrichten-Satelliten „Mailstar" mit der chinesischen Trägerrakete „Langer Marsch-2". 7 3 Zwei amerikanische Firmen erwarben ebenfalls Startoptionen und Ende 1986 war der erste feste Startvertrag zwischen der amerikanischen Firma Teresat Inc. und der „China Great Wall Industrial Corporation" unterschriftsreif. 74
Japan Japan erkannte schon frühzeitig die Möglichkeiten, die sich aus der Nutzung des Weltraums ergaben. Mit einer langfristig angelegten Planungsstrategie, dem gezielten Erwerb amerikanischer Technologie und einer bereits Ende der sechziger Jahre begonnenen bewußten Einbindung seiner Weltraumaktivitäten in die japanische Wirtschafts-, Struktur- und Technologiepolitik baute Japan ein vor allem von wirtschaftspolitischen Zielen bestimmtes Weltraumprogramm kontinuierlich auf und war bereits seit 1970 mit eigenen Satelliten im Weltraum präsent. 75 Ende 1986 verfügte Japan über ein kleines dreistufiges Trägersystem für den Transport wissenschaftlicher Satelliten und Sonden in den Weltraum sowie über eine aus der amerikanischen Thor-Delta-Rakete entwickelte und mit importierten Fertigteilen gebaute Trägerserie für den Transport leichter Anwendungs-Satelliten in die geostationäre Umlaufbahn. 7 6 Seit 1978 entwickelte Japan eine schubstarke Serie von Trägerraketen, deren zweite Stufe mit einem in Japan entwickelten modernen kryogenen 7 2 Vgl. dazu Stephan Frhr. von Welck, Export von Weltraumtechnologie: Chancen und Gefahren, in: Kaiser/Welck (Hrsg.), a.a.O. (Anm. 3), S. 157 sowie Chen Gengtao, China's Great Wall Industrial Corporation is marketing launch services worldwide, in: Commercial Space, Bd. 2, Nr. 4 (Winter 1987), S. 30 f. 7 3 Vgl. dazu o. N., Swedes may use Chinese launcher, in: Aviation Technology, 24.2.1986, S. 21. 74
Week
& Space
Vgl. dazu o. N., China wins first contract, in: Space, Bd. 3, Nr. 1, März/April 1987,
S. 58. 7 5 Vgl. zum japanischen Weltraumprogramm und seinen Zielen und Schwerpunkten besonders: Siegfried von Krosigk, Weltraumpolitik Japans, in: Stephan Frhr. von Welck und Siegfried von Krosigk, Weltraumpolitik Indiens und Japans, Bonn 1985, S. 54 ff. sowie Chris Bulloch, Japan - future space samurai?, in: Space Markets, Nr. 3, 1987, S. 117 ff. 7 6 Im Februar 1987 wurde mit einer Rakete dieser sogenannten N-Serie der erste japanische ozeanographische Satellit MOS-1 mit einem Startgewicht von 750 Kilogramm in eine Erdumlaufbahn gebracht. Vgl. o. N., Japan to develop three advanced space craft, in: Aviation "Week & Space Technology, 10.8.1987, S. 21.
37
JAPAN
Triebwerk angetrieben wird. Das erste Exemplar dieser sogenannten H-Serie, die Nutzlasten bis zu 550 Kilogramm in die geostationäre Umlaufbahn bringen kann, wurde am 13. August 1986 - als weder die Vereinigten Staaten noch Westeuropa in der Lage waren, Satelliten in den Weltraum zu befördern - erfolgreich gestartet. 77 An der Weiterentwicklung dieser Raketenserie wurde intensiv gearbeitet. Anfang der neunziger Jahre will Japan mit einer schubstärkeren Version, der H-2-Trägerrakete, auf dem Weltmarkt für Raumtransport-Dienstleistungen gegenüber amerikanischen, europäischen, sowjetischen und chinesischen Trägerraketen konkurrenzfähig sein. Ein weiterer Schwerpunkt des japanischen Weltraumprogramms war im Berichtszeitraum die Entwicklung von Kommunikations-Satelliten, die nach der Privatisierung der japanischen Fernmeldedienste im April 1985 neuen Auftrieb erhielt. Im Frühjahr 1985 wurde ein zweiter direktsendender Fernseh-Satellit gestartet, der jedoch nicht einwandfrei arbeitete. Gleichwohl ist damit zu rechnen, daß Japan aufgrund seines hohen Entwicklungsstandes im Bereich der angewandten Elektronik und Kommunikationstechnologie auch in diesem Bereich sich zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten für amerikanische und europäische Anbieter auf dem internationalen Markt entwickeln wird. Auf dem Markt für Bodenstationen zum Betrieb von Satelliten hatte Japan - auch auf dem europäischen Markt - schon 1985/86 einen erheblichen Marktanteil inne. 80 Die Planungen für die langfristige Weiterentwicklung des japanischen Weltraumprogramms wurden in enger Abstimmung mit der japanischen Industrie fortgeführt. Japan griff das Angebot der U S A auf, sich, ebenso wie Westeuropa, an der geplanten Raumstation mit eigenen wesentlichen Elementen zu beteiligen, und nahm 1985 Verhandlungen hierüber mit den Vereinigten Staaten auf. Langfristiges Ziel ist der Bau und Betrieb einer eigenen Weltraumstation, die mit einem eigenen Raumflugzeug bedient werden soll. 81 Auch die amerikanische Einladung zu einer Zusammenarbeit mit japanischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen im Rahmen des SDI-Programms wurde von Japan angenommen. 82 7 7 Vgl. dazu Iserland, 18.8.1986, S. 25.
7fi
79
a.a.O. (Anm. 3), S. 108 sowie Aviation
Week & Space
Technology,
Vgl. dazu Bulloch, a.a.O. (Anm. 75), S. 120.
Vgl. dazu Simon Baker, Space communications and broadcasting in Japan, in: Space Markets, Nr. 3, 1987, S. 239 ff. 80 Vgl. Pierre Bartholome, Claude D. Hughes, Satellite communications in Europe. The earth-segment market, in: ESA Bulletin, Nr. 44, November 1985, S. 16. 8 1 Vgl. Krosigk, a.a.O. (Anm. 75), S. 69 ff. 82
Die Verhandlungen führten im Juni 1987 zum Abschluß eines Rahmenvenrags mit der amerikanischen Regierung, der es japanischen Industrieunternehmen freistellt, sich an dem SDI-Forschungsprogramm zu beteiligen. Vgl. o. N., Japan, U.S. agree on SDI participation, in: Aviation Week & Space Technology, 27.7.1987, S. 23.
38
ERFORSCHUNG UND NUTZUNG DES WELTRAUMS
Indien Indien war 1986 das einzige Entwicklungsland im „Weltraumklub". Nach ersten Ansätzen 1961 baute es seit Ende der sechziger Jahre ein langfristig konzipiertes Weltraumprogramm auf und verfügte Ende 1986 über ein eigenes, wenn auch bescheidenes Trägersystem zum Transport kleiner Nutzlasten bis zu 50 Kilogramm Gewicht in erdnahe Umlaufbahnen, über eine Serie selbstentwickelter Testsatelliten der 50-Kilogramm-Klasse sowie über einen in den Vereinigten Staaten gebauten, von Indien aber selbständig betriebenen Mehrzweck-Satelliten I N S A T - 1 - B , der für Fernmeldezwecke, landesweite Fernsehsendungen und Wetterbeobachtung genutzt wurde. 83 Im Berichtszeitraum konzentrierte sich Indien im Rahmen eines „Space Research and Development Profile" genannten Zehnjahresprogramms für die Erforschung und Nutzung des Weltraums vor allem darauf, das vorhandene Trägersystem und die bereits zur Verfügung stehenden Satelliten konsequent weiterzuentwickeln, um dadurch von der Entwicklungs- und Experimentierphase in die operationelle Phase seines Weltraumprogramms überzugehen. Dabei war es erfolgreich bemüht, die potentiellen Nutzer des Programms auf die neuen Möglichkeiten vorzubereiten und in neugeschaffenen Nutzereinrichtungen zu organisieren. 84 Motivation und Zielsetzung des Programms waren in erster Linie wirtschaftlich-sozialer Art: Das indische Weltraumprogramm sollte dazu beitragen, Probleme wie Naturkatastrophen, Analphabetentum und Rohstoffmangel durch den operationellen Betrieb von Fernmelde-, Fernseh-, Wetter- und Erderkundungs-Satelliten zu beheben, um dadurch langfristig den Lebensstandard der indischen Bevölkerung zu verbessern. Daneben wurde aber auch eine außenpolitische Dimension des indischen Weltraumprogramms sichtbar: Es sollte Indiens Stellung als beherrschende Macht in der südasiatischen Region, als Mittelmacht zwischen den beiden Großmächten, als Führer innerhalb der Gruppe der Entwicklungsländer sowie als Rivale Chinas und als Antagonist Pakistans stabilisieren. 85 Vorrangiges Ziel der indischen Weltraumpolitik war es, Indien möglichst bald in die Lage zu versetzen, den Weltraum unabhängig von der technischen Hilfe anderer Staaten mit eigenen Trägerraketen, eigenen Satelliten und eigenen Nutzlasten zu erforschen und zu nutzen.
Vgl. zum indischen Weltraumprogramm besonders: Stephan Frhr. von Welck, India's space policy - a developing country in the „space club", in: Space Policy, Bd. 3, Nr. 4, November 1987, S. 326 ff. 8 4 Das 1988 gültige „Profile 1980-1990" ist abgedruckt in: Welck/Krosigk, S. 89 ff. 85
Vgl. dazu Welck, a.a.O. (Anm. 83), S. 326 f.
a.a.O. (Anm. 75),
ZUSAMMENFASSUNG
39
Zusammenfassung Die Jahre 1985/86 waren in der Erforschung und Nutzung des Weltraums eine Epoche neuer politischer Dimensionen: In den Vereinigten Staaten wurde durch den Beginn des SDI-Forschungsprogramms eine Entwicklung eingeleitet, die der Nutzung des Weltraums für militärische Zwecke eine neue strategische Qualität geben könnte. In der Sowjetunion wurden Tendenzen sichtbar, Kernwaffen als primäres Instrument ihrer Großmachtpolitik abzubauen und sie durch eine wesentlich verstärkte Nutzung des Weltraums zu ersetzen. In Westeuropa und Japan wurden Langzeitprogramme in Angriff genommen, die langfristig im Weltraum deren autonome Präsenz neben den beiden Großmächten zum erklärten politischen Ziel haben.
DIE GEFAHREN DES INTERNATIONALEN TERRORISMUS Von Tilmann
Chladek
Terrorismus gibt es in vielfältigen Formen; auch die Reaktionen auf ihn sind verschiedenartig. Terrorismus wird hier verstanden als die geplante Durchführung besonders schwerer Gewalttaten durch organisierte, meist im Untergrund lebende Gruppen, die Menschen in Gefahr bringen, verletzen oder töten mit der Absicht, führende Politiker, die Öffentlichkeit oder beide in den Zielländern so zu beeinflussen, daß bestimmte, von den Terroristen geforderte oder angestrebte politische Entscheidungen getroffen werden. 1 Handelnde sind terroristische Gruppen, die einer Ideologie folgend eine grundsätzliche Änderung politisch-gesellschaftlicher Verhältnisse zuerst in ihrem eigenen Land anstreben. Spätestens seit Anfang der siebziger Jahre gab es darüber hinaus mehrere unterschiedlich weit gediehene Versuche, zwischen diesen „national-revolutionären" Gruppen internationale Verbindungen herzustellen. INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT Diese internationalen Verbindungen sind von unterschiedlicher Intensität: National-separatistische Gruppen, wie in Nordirland die IRA und in Spanien die für eine baskische Unabhängigkeit kämpfende ETA, nehmen zwar Waffenlieferungen aus dem Ausland an, doch ist bislang nicht bekannt, daß sie auch ideologisch oder taktisch vom Ausland beeinflußt werden. Linksextreme Gruppen dagegen, wie in Deutschland die Rote Armee Fraktion (RAF) und in Frankreich die „action directe" (AD), haben - angesichts des Ausbleibens der erwarteten „proletarischen Revolution" - spätestens seit 1984 versucht, bereits vorher bestehende Verbindungen zu intensivieren und eine „gemeinsame Front in Westeuropa" in ihrem „Kampf gegen den Imperialismus" zu errichten. Noch ist nicht klar, wie erfolgreich diese Gruppen dabei wirklich waren. Neben einer logistischen internationalen Zusammenarbeit (z.B. der Gebrauch von 1984 in Belgien gestohlenem Sprengstoff in Frankreich, der 1 Der Völkerbund hatte schon 1937 zwei Konventionen verabschiedet, in denen Terrorismus definiert wird als „kriminelle Taten, gegen einen Staat gerichtet mit dem Ziel oder dem Wesen, Schrecken bei bestimmten Personen, bei Personengruppen oder in der Öffentlichkeit hervorzurufen". Diese Konventionen wurden allerdings nie rechtskräftig. Vgl. Jean Gol, Aspects internationaux du terrorisme et de sa repression, in: Studia Diplomatien, Jg. 37, Nr. 4, 1985, S. 379 ff. Vgl. zum internationalen Terrorismus besonders: Lawrence Freedman u.a., Terrorism and International Order, London 1986; Paul Wilkinson, Terrorism and the Liberal State, London 1986, sowie G. Rosie, The Directory of International Terrorism, London 1986.
INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT
41
Bundesrepublik Deutschland und in Belgien selbst) bestand auch in den achtziger Jahren eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Propaganda. So veröffentlichte ein belgischer Drucker in seinen revolutionären Publikationen Verlautbarungen der A D und der RAF. Er selbst ging 1984 in den Untergrund und gründete dort die Gruppe der Cellules Communistes Combattantes (CCC). 2 Am 15. Januar 1985, etwa einen Monat nach dem Beginn eines Hungerstreiks von inhaftierten Mitgliedern der RAF, wurde in der Bundesrepublik und in Frankreich ein Kommuniqué mit dem Titel „Für die Einheit der Revolutionäre in Westeuropa" veröffentlicht, das eine „neue Phase für die Entwicklung authentischer revolutionärer Strategie in den imperialistischen Zentren" und die Errichtung einer „gemeinsamen Front" durch AD und R A F ankündigte.3 Bereits vor diesem Kommuniqué hatte es größere Anschläge gegeben, die auf eine internationale Zusammenarbeit von Terroristen schließen ließen: Am 11. Dezember 1984 sprengten die C C C in Belgien NATO-Treibstoffleitungen an sechs verschiedenen Stellen, eine Woche darauf schlug ein Anschlag mit Sprengstoff aus Belgien auf eine NATO-Schule in Oberammergau nur deshalb fehl, weil die kalte Witterung die Zündung verhindert hatte. Zehn Tage nach dem Kommuniqué wurde in der Nähe von Saint Cloud bei Paris General René Audran erschossen; am 1. Februar 1985 in Gauting bei München der Vorstandsvorsitzende der Motoren- und Turbinen-Union (MTU), Ernst Zimmermann. Im ersten Fall bezeichnete sich die A D als Täter, im andern die RAF. Bei diesen und nachfolgenden Aktionen gab es Berichte über die wechselseitige Mitbeteiligung von Mitgliedern der A D und der RAF. 4 Auch weitere Anschläge und Morde im Berichtszeitraum bestätigten das Grundmuster: Die linksextremen Terroristen griffen Institutionen und Personen an mit für sie hohem Symbolwert. Auffallend war 1985 die Häufung von Anschlägen gegen militärische Ziele, zu einer Zeit, in der besonders in der Bundesrepublik heftig über die geplante Aufstellung von amerikanischen Mittelstreckenwaffen (INF) in Europa debattiert wurde, während sich nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl die Anschläge auf Ziele aus dem Bereich der Kernenergie verlagerten. Deutlich wurde auch, daß sich A D und R A F bemühten, eine gewisse Parallelität ihrer Aktionen durchzuhalten, um die Gemeinsamkeit ihres Kampfes zu demonstrieren.
2 Vgl. L'Express, 1.2. und 27.12.1985; Le Point, 4.2.1985; Der Spiegel, 4.2.1985; Le Monde, 17./18.12.1985, 8.1.1986. 3 Philippe Madelin, La galaxie terroriste, Paris 1986, S. 134, sowie Verfassungsschutzbericht, Bonn 1986, S. 129 f. 4 Vgl. FAZ, 5.3. und 21.3.1987; Le Monde, 12.3.1987; SZ, 5.3.1987; NZZ, 7.3.1987; Der Spiegel, 9.3.1987.
42
DIE GEFAHREN DES INTERNATIONALEN TERRORISMUS
„Erfolge" terroristischer
Gruppen
Von einem „Erfolg" der Terroristen, der über die Opfer und die zerstörten Millionenwerte hinausgeht, kann, gemessen an deren eigenen Verlautbarungen, nicht die Rede sein. Trotz aller Bemühungen gelang es der R A F nicht, eine „gemeinsame Massenfront" aufzubauen. In Frankreich und in Belgien waren die Ergebnisse noch geringer: Zahlreiche Mitglieder der A D konnten verhaftet werden; die C C C schienen bereits im Dezember 1985 zerschlagen zu sein. Insgesamt waren diese Gruppen von ihrem strategischen Ziel, der „Zerschlagung des imperialistischen Systems", weit entfernt und mußten hauptsächlich um ihr bloßes Uberleben kämpfen.
STAATLICH GEFÖRDERTER TERRORISMUS Anders sieht es beim sogenannten Staatsterrorismus aus. Er ist ähnlich zu definieren wie der Terrorismus revolutionärer Gruppen, nur mit dem Unterschied, daß hierbei eine revolutionäre Gruppe Aufträge eines Staates ausführt, oder daß der Staat selbst mit den Angehörigen seiner Geheimdienste terroristische Anschläge zur Förderung seiner Politik durchführt. Ein Staat wendet terroristische Mittel oft nur an, um rein taktische Ziele zu erreichen. So sandte der französische Geheimdienst im Sommer 1985 Agenten nach Neuseeland, um durch Sabotage an dem Schiff „Rainbow Warrior" der Umweltschutzorganisation „Greenpeace" deren Proteste gegen die französischen Kernwaffenversuche im Pazifik zu unterbinden. Zwar wurde dieses Ziel damit erreicht, doch führte die Aufdeckung der französischen Urheberschaft an dem dilettantisch durchgeführten Anschlag, der ein Menschenleben gekostet hatte, zu starker Kritik aus dem Ausland sowie zu einer tiefen Verstimmung in den französischen Beziehungen zu Neuseeland. Ein anderes Ziel, meist diktatorisch regierter Staaten, ist die Ermordung exilierter Oppositioneller, um sie zum Schweigen zu bringen und um andere einzuschüchtern. Der libysche Staatschef Muammer el-Khadafi bediente sich beispielsweise des öfteren dieser Methode. Ein Staat kann mit dem von ihm geförderten Terrorismus auch strategische Ziele anstreben. So häuften sich im Frühjahr und Sommer 1985 außerhalb Jordaniens die Anschläge gegen jordanische Einrichtungen und Staatsbürger: Beispielsweise wurden am 21. März 1985 Anschläge gegen Büros der jordanischen Fluggesellschaft in Athen, Nicosia und Rom durchgeführt. Dabei ließen viele Indizien auf eine Urheberschaft der damals in Damaskus beheimateten Gruppe des Palästinensers Abu Nidal schließen. Die Anschläge hörten auf, als Jordanien sich im Herbst 1985 Syrien wieder annäherte und
„ERFOLGE" STAATLICH UNTERSTÜTZTEN TERRORISMUS
43
die Bemühungen um einen Nahost-Frieden gemeinsam mit der P L O im Februar 1986 endgültig aufgab. Sowohl Syrien als auch Iran benutzten offensichtlich die in Libanon von verschiedenen Gruppen gefangengenommenen westlichen Ausländer für ihre Ziele: Syrien ließ sich die Bemühungen um ihre Freilassung durch eine Anerkennung seines Mitspracherechts bei libanesischen und nahöstlichen Angelegenheiten bezahlen, während Iran vor allem die Haltung Frankreichs und der Vereinigten Staaten in seinem Krieg mit Irak zu beeinflussen suchte. Iran benutzte darüber hinaus seine schiitischen Verbündeten in Libanon, um seine Stellung in Libanon, am Mittelmeer, innerhalb der arabischen Welt und in der Nähe des „zionistischen Feindes" zu festigen. Der genaue Zweck und letztlich auch die Auftraggeber solch spektakulärer Aktionen wie der Entführung des italienischen Kreuzfahrtschiffs „Achille Lauro" am 7. O k t o b e r 1985 sowie der Uberfälle auf die Flughäfen von R o m und Wien am 27. Dezember 1985, bei denen es insgesamt 15 Tote und weit über 100 Verletzte gab, sind nicht wirklich aufgehellt worden. 5 Der von Staaten gelenkte Terrorismus unterschied sich in seinen Mitteln nicht vom revolutionären Terrorismus: Sabotage, Mord und Geiselnahme. Getötet wurden gezielt Einzelpersonen oder viele auf einmal (z.B. der Uberfall mit Maschinengewehren und Handgranaten auf Betende in der Synagoge von Istanbul am 6. September 1986 durch die Gruppe Abu Nidals), Flugzeuge oder Schiffe wurden entführt.
„Erfolge" staatlich unterstützten
Terrorismus
Erfolge auf dem Gebiet des staatlich beeinflußten oder gelenkten Terrorismus sind schwer einzuschätzen, veröffentlichte doch fast kein Staat nach Terrorakten Kommuniques, die den Selbstbezichtigungs-Mitteilungen der terroristischen Gruppen vergleichbar wären. Somit war es nach terroristischen Anschlägen recht schwierig, einigermaßen zuverlässig festzustellen, ob überhaupt eine Regierung hinter diesen Aktionen steckte und was sie genau mit derartigen Taten zu erreichen hoffte. Dennoch kann man sagen, daß sich Terrorismus f ü r Staaten eher auszahlte als für revolutionäre Gruppen. Doch auch Staaten gingen mit der Anwendung terroristischer Mittel Risiken ein: Syrien drängte seit 1984 die Vereinigten Staaten und z.T. auch Frankreich zwar aus Libanon hinaus; seine eigene Stellung dort geriet aber durch das Anwachsen eines radikalen, iranfreundlichen Schiitentums (Hisbollah) und
5 Ein weiterer Anschlag, der allem Anschein nach in Brüssel stattfinden sollte, konnte durch die Verhaftung zweier Araber und ihres belgischen Komplizen am 28.12.1985 verhindert werden. Vgl. Wall Street Journal, 2.1.1986; Le Monde, 3. und 4.1.1986.
44
DIE GEFAHREN DES INTERNATIONALEN TERRORISMUS
das Wiedererstarken der PLO-Führer Yasser Arafat treugebliebenen Teile der P L O in Gefahr. Iran dagegen konnte eindeutigere Erfolge erzielen: Mit Hilfe seiner Verbündeten in Libanon war ihm dort großer Einfluß sicher. Die Vereinigten Staaten, und hier besonders Präsident Ronald Reagan, wollten die fünf bis zehn in Libanon festgehaltenen amerikanischen Geiseln unter allen Umständen befreien. Deshalb wurden Waffenlieferungen an Iran vom Rat für Nationale Sicherheit an den dafür vorgesehenen staatlichen Gremien vorbeigeschleust, entgegen allen entschlossenen Appellen zum Kampf gegen den Terrorismus. Iran konnte sich somit beim „großen Satan" für seinen Krieg mit Irak mit Waffen versorgen (in kleinerem Maßstab auch bei Frankreich, dem Verbündeten Iraks) und, als „Irangate" im Sommer 1986 wegen eines Machtkampfs in der iranischen Führung ruchbar wurde, dieses auch noch zur Bloßstellung der USA und ihres Präsidenten benutzen. 6 Auch gegenüber Frankreich erwiesen sich die Geiselnahmen als erfolgreich: Die sozialistische Regierung unter Präsident François Mitterrand versuchte im Sommer 1985 angesichts fünf in Libanon festgehaltener französischer Geiseln eine „Austarierung" ihrer Mittelost-Politik, nachdem die vorangegangene Regierung eine Art Bündnis mit Irak gepflegt hatte. Doch als Antwort auf die Bemühungen von Außenminister Roland Dumas und zahlreicher anderer Unterhändler erhöhte die iranische Seite nur ihre Forderungen. Die 1986 neu gewählte konservative Regierung Frankreichs kam iranischen Wünschen noch weiter entgegen: Der noch vom Schah gewährte Milliardenkredit für die französische Kernenergie-Wirtschaft wurde zum Teil zurückgezahlt, ohne daß Aussicht bestand, für den in Iran widerrechtlich beschlagnahmten französischen Besitz Entschädigungen zu erhalten und alle französischen Geiseln freizubekommen.
R E A K T I O N E N A U F TERRORISTISCHE STRATEGIEN Auch 1985/86 gelang es keiner terroristischen Gruppe soviel Angst zu verbreiten, daß sich ein Staat oder eine Gesellschaft selbst aufgegeben oder Separatisten das Recht auf Unabhängigkeit eingeräumt hätte. Die Furcht vor Terrorismus führte allerdings dazu, daß 1985/86 der Tourismus in den mediterranen Ländern und in Frankreich erhebliche Einbußen erlitt, vor
6
Von Sommer 1985 bis November 1986 wurden 2 404 TOW-Panzer-Abwehrraketen, 18 HAWK-Flugabwehr-Raketen, 200 verschiedene Typen von Ersatzteilen für H A W K sowie Ergebnisse der amerikanischen Satellitenaufklärung bezüglich des Golf-Kriegs gegen die Freigabe von 3 amerikanischen Geiseln aus libanesischer Gefangenschaft eingetauscht. Vgl. die Auszüge des Kongreßausschuß-Berichts in: U.S. Policy Information and Texts (USIS Bonn), Sondernummer, 23.11.1987.
DIE ROLLE DER MEDIEN
45
allem durch die ausbleibenden amerikanischen Touristen. 7 Die Bevölkerung Frankreichs dagegen blieb während der im März und besonders im September 1986 durchgeführten Kampagne von Sprengstoffanschlägen 8 recht ruhig und bestärkte ihre Regierung eher darin, den erpresserischen Forderungen nicht nachzugeben.
Die Rolle der Medien Terrorismus lenkt - im Verhältnis zu seiner vergleichsweise geringen direkten Gefahr für den Einzelnen - in westlichen Gesellschaften relativ hohe öffentliche Aufmerksamkeit auf sich. 9 Beispielhaft waren die Reaktionen in Frankreich und vor allem in den Vereinigten Staaten auf die Entführung von einigen ihrer Bürger in Libanon. Die Fernsehgesellschaften überboten sich gegenseitig, um Exklusivinterviews mit den Beteiligten — Entführern ebenso wie Geiseln - zu bekommen. Manche Fernsehstation begann jede Nachrichtensendung mit der Angabe, wie lange nun bereits die Gefangenschaft der 1985 oder 1986 Verschleppten andauerte. Ähnliches galt bei der Entführung eines amerikanischen Verkehrsflugzeugs im Juni 1985 sowie bei der „AchilleLauro"-Entführung. Daher ist es nicht erstaunlich, daß sich Politiker in westlichen Ländern unter einem besonders starken Druck der Öffentlichkeit fühlten, alles nur Denkbare zu tun, um eine Freilassung der Geiseln zu erzielen. Dies führte dann oft zu Vorwürfen an die Medien, sie begünstigten den Terrorismus geradezu durch ihre Sensationsmeldungen. 10 D o c h das Argument, Terrorismus gedeihe vor allem mittels unverzüglicher Berichterstattung in den freien Medien der betroffenen westlichen Staaten, hält einer Uberprüfung nicht stand. Die Sowjetunion, die eine Öffentlichkeit im westlichen Sinne nicht kennt, mußte auch die Erfahrung einer Geiselnahme machen: In Beirut wurden am 30. September 1985 vier sowjetische Diplomaten entführt. Einer von ihnen wurde ermordet, bevor die anderen, nach Verhandlungen Syriens mit den Geiselnehmern und gewissen Zugeständnissen syrisch unterstützter libanesischer Gruppen im Kampf um Tripoli, einen Monat später freikamen. Totalitäre Staaten waren
7 Vgl. Graham Norton, Tourism and international Terrorism, in: TWT, Februar 1987, S. 30 g ff. Diese Anschläge wurden höchstwahrscheinlich von iranfreundlichen Arabern unter Anleitung der iranischen Botschaft in Frankreich durchgeführt.
9
Vgl. Walter Laqueur, Reflections on Terrorism, in: FA, Herbst 1986, Jg. 65, Nr. 1, S. 86 ff. 1 0 Eine Erörterung dieser Problematik findet sich in: Michel Wieviorka, Dominique Wolton, Terrorisme à la Une. Média, Terrorisme et Démocratie, Paris 1987. Vgl. auch Patrick Clawson, Why we need not more but better coverage of Terrorism, in: Orbis, Jg. 30, Nr. 4 (Winter 1987), S. 701 ff.
46
DIE GEFAHREN DES INTERNATIONALEN TERRORISMUS
ebenfalls nicht immun gegen terroristische Anschläge auf ihrem eigenen Territorium: So bestätigte der Generalstaatsanwalt Bulgariens am 13. Mai 1985 der Auslandspresse, daß es, wie hartnäckig schon lange behauptet wurde, in diesem Land eine Attentatsserie gegen Bahnanlagen, Züge und andere öffentliche Einrichtungen gegeben hatte. 11
A B M A C H U N G E N ZWISCHEN R E G I E R U N G E N U N D TERRORISTEN Auch 1985/86 waren Fälle zu verzeichnen, in denen Regierungen terroristischem Druck nachgaben. Spanien etwa entließ zwei libanesische Schiiten, die 1984 in Madrid einen libyschen Diplomaten erschossen hatten, am 13. Juli 1986 aus ihrer Strafhaft, nachdem im Januar Angehörige der spanischen Botschaft in Beirut in die Hände schiitischer Milizen gefallen waren. 12 Derartige Abmachungen konnten allerdings höchstens zeitweise Erleichterung verschaffen, in vielen Fällen aber eher als Einladung wirken, den betreffenden Staat erneut auf die Probe zu stellen. So ließ Frankreich am 5. Februar 1986, wohl als Bestandteil eines Abkommens der Regierung mit Abu Nidal, 13 zwei Araber frei, die 1978 den PLO-Vertreter in Paris ermordet hatten. Die Terroristen begrüßten natürlich solche Abkommen, doch kamen auch andere Mittel in der Auseinandersetzung mit ihnen zum Einsatz. Das Europäische Parlament appellierte immer wieder an die Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, in der Abwehr des Terrorismus eine feste Haltung gegenüber Terroristen einzunehmen und untereinander zusammenzuarbeiten, 4 eine Haltung, auf die sich die Regierungen der EG-Staaten schon im September 1984 geeinigt hatten. 15 Auf seiner Sitzung im November 1986 forderte das Parlament die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen gegen Syrien wegen seiner bekanntgewordenen Verwicklung in Sprengstoffanschläge in London und Berlin. 16
11
Vgl. Radio Free Europe, Bulgarian Special Report, Nr. 7, 24.5.1985, S. 7 ff.
12
Vgl. Le Monde, 15.7.1986.
13
Vgl. Le Monde, 22.2.1986.
Vgl. EA, 15/1985, S. Z 130; EA, 21/1985, S. Z 193; EA, 22/1985, S. Z 202; EA, 21/1986, S.Z 198. 14
1 5 Presseerklärung der Ratspräsidentschaft zum Problem des Terrorismus und der diplomatischen Immunität, Dublin, 11.9.1984, in: EA, 4/1985, S. D 90. 16
Vgl. EA, 23/1986, S. Z 219.
GEGENTERROR
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Gegenterror Eine besonders drastische Möglichkeit der aktiven Bekämpfung von Terror ist Gegenterror, der präventive Einsatz von Gewalt: Bekannte Terroristen oder ihre Ausbildungslager werden angegriffen, bevor sie eigene Aktionen unternommen haben. Wenn diese Einsätze verdeckt von Agenten durchgeführt werden, wird naturgemäß wenig über Erfolg oder Mißerfolg dieser Aktionen bekannt. 1 7 Eine Ausnahme bildeten die Aktionen der „Grupos Antiterroristas de Liberación" (GAL), die seit 1983 in enger Zusammenarbeit mit hohen Polizeioffizieren der Guardia Civil und vor allem der „Sozialbrigade" (der von Franco aufgebauten politischen Polizei), wenn nicht gar in derem Auftrag, in Südfrankreich ETA-Aktivisten aufspüren sollten und dabei auch Menschen töteten, die keineswegs E T A Mitglieder waren. Unklar ist, wie weit die spanische Regierung über diese Aktivitäten informiert war. 1 8 Den vermutlichen Hauptzweck ihres Auftrags erfüllten die G A L : Die französische Regierung wurde dazu bewegt, Basken, die in der E T A aktiv waren, nicht länger politisches Asyl zu gewähren. So konnten es sich die G A L leisten, ab Mitte Februar 1986 ihre Tätigkeit einzustellen. 19 Auch der amerikanische Geheimdienst C I A soll angeblich zu Gegenterror-Maßnahmen gegriffen haben: So sei er an dem Anschlag mit einer Autobombe beteiligt gewesen, die am 8. März 1985 in Beirut explodierte und offensichtlich auf Scheich Hussein Fadlallah, der als geistlicher Spiritus rector der Hisbollah gilt, gezielt war, den sie aber verfehlte. Sie kostete 72 Menschen das Leben, 256 wurden verletzt. 20 Israel war seit langem dazu übergegangen, eine Mischung aus präventiver Gegengewalt und Vergeltung anzuwenden, meist mit der israelischen Luftwaffe. Oft wurde diese direkt nach Anschlägen eingesetzt, manchmal aber auch ohne einen direkten Zusammenhang. Nachdem Angehörige der „Einheit 17", einer Untergruppe der P L O , am 25. September 1985 in Larnaca (Zypern) drei Israeli ermordet hatten, dauerte es nur eine Woche, bis ein israelischer Gegenschlag in Tunesien das Hauptquartier der P L O zerstörte. Häufiger wurden die Flugzeuge freilich gegen „terroristische Ziele" in Libanon eingesetzt, was oft auch Verluste unter der Zivilbevölkerung forderte. 21
17
Vgl. Gayle Rivers, Taktik gegen Terror, Zürich, Wiesbaden 1987.
Vgl. Le Monde, 9.5.1985. Vgl. zur GAL auch: FAZ, 27.9.1985, SZ, 14./15.8.1986, sowie Le Monde, 20.2.1986 und 19./20.4.1987. 1 9 Vgl. Libération, 19.6.1986. 18
2 0 Vgl. Le Monde, 10./11.3.1985 und 24.5.1985; IHT, 13.5.1985; Géopolitique, Sommer 1986, S. 41. 2 1 Vgl. William V. O'Brien, Counterterrorism: Lessons from Israel, in: Strategie Review, Nr. 4, Herbst 1985, S. 32 ff.
48
DIE GEFAHREN DES INTERNATIONALEN TERRORISMUS
Der spektakulärste Gegenschlag wurde am 15. April 1986 auf Veranlassung des amerikanischen Präsidenten Reagan gegen terroristische Aktivitäten des libyschen Staatschefs Khadafi geführt: 18 amerikanische, in Großbritannien stationierte F-l 11-Kampfflugzeuge sowie Marinebomber vom Typ A-6 der VI. Flotte bombardierten Ziele in Libyen, die den subversiven Aktivitäten Khadafis dienten. Dieser hatte - nach amerikanischer Darstellung Anfang April trotz Warnungen einen schweren Terroranschlag auf eine Diskothek in West-Berlin ausführen lassen, bei dem zwei amerikanische Staatsbürger sowie eine Türkin ums Leben gekommen waren. Bei dem Luftangriff auf Libyen wurde Khadafis Hauptquartier stark beschädigt und es gab Verluste unter der Zivilbevölkerung. Khadafi selbst blieb unverletzt. 22
R E A K T I O N E N DER E U R O P Ä I S C H E N R E G I E R U N G E N Die westeuropäischen Regierungen reagierten besonders empfindlich auf diese Form der Gewaltanwendung. Als einzige Regierung verteidigte die britische Premierministerin Margaret Thatcher das militärische Vorgehen der USA gegen Libyen mit dem Recht auf Selbstverteidigung. Sie begründete vor dem Unterhaus am 15. April ihre Entscheidung für die Erlaubnis des Einsatzes von in Großbritannien stationierten amerikanischen Flugzeugen damit, daß es feste Beweise für eine libysche Verflechtung im internationalen Terrorismus gebe. Der Schlag gegen Libyen diene den Interessen Großbritanniens und des Westens. 23 Bundeskanzler Helmut Kohl kritisierte am 15. April zwar die libysche Terrorpolitik und äußerte ein gewisses Verständnis für die amerikanische Aktion, schloß aber für die Bundesregierung Gewaltanwendung als Mittel zur Terrorismusbekämpfung kategorisch aus. 24 Der italienische Ministerpräsident Bettino Craxi verurteilte den amerikanischen Luftangriff, da dadurch die Gefahr terroristischer Anschläge noch erhöht werde. Das Europa-Parlament bezeichnete am 17. April die amerikanische Aktion gar als Bruch des Völkerrechts. 26 Dagegen wurde in Frankreich, das ebenso wie Spanien - die Überflugrechte für die amerikanischen Flugzeuge verweigert hatte, angemerkt: Wenn man sich schon zum Militäreinsatz
22
" Vgl. EA, 9/1986, S. Z 77. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Helmut Hubel Band. 23
Vgl. EA, 9/1986, S. Z 75.
24
Vgl. ebd., S. Z 73.
25
Vgl. ebd., S. Z 76.
26
Vgl. EA, 10/1986, S. Z 9 4 f.
in diesem
49
GEMEINSAME BEKÄMPFUNG DES TERRORISMUS
entschlossen habe, hätte dann nicht auch Khadafi getötet werden müssen? 27 Erst eine Woche nach diesem Angriff, am 21. und 22. April, beschlossen die an der EG-Ratstagung teilnehmenden Minister verschärfte Sanktionen gegen Libyen, die vor allem Zahl und Bewegungsfreiheit libyscher „Diplomaten" in den westeuropäischen Gastländern einschränkten. 28
Abkommen
Uber die gemeinsame
Bekämpfung
von
Terrorismus
Die Polizei in demokratischen Ländern sah sich bei der Bekämpfung des Terrorismus zwei Schwierigkeiten gegenüber: Ihre Arbeit blieb fast ausschließlich auf den nationalen Rahmen beschränkt, während sich zumindest der revolutionäre Terrorismus von Anfang an als international verstand. Dazu kam, daß ihre Arbeit meist erst nach terroristischen Aktionen einsetzen konnte, da eine nationale Polizei - besonders beim internationalen Terrorismus - nur selten vorbeugend tätig werden kann. Deshalb versuchten mehr und mehr Länder, durch Abkommen untereinander ihre Abwehrmöglichkeiten zu vergrößern. So schloß die italienische Regierung 1986 zwei Abkommen über die Zusammenarbeit auf dem Feld der organisierten Kriminalität und des Terrorismus mit Griechenland und mit Israel. 29 Informelle Absprachen, wie diejenige über die Anfang 1985 eingerichtete Arbeitsgruppe des deutschen Bundeskriminalamts, der französischen Police judiciaire und und der belgischen zentralen Kriminalpolizeibehörden für Ermittlungen bei Aktionen der A D (Frankreich), der C C C / F R A P (Belgien) und der R A F (Bundesrepublik Deutschland) erwiesen sich zumindest als genauso wirksam wie formelle Abkommen zwischen einzelnen Staaten. Hauptziele derartiger Vereinbarungen waren der Informationsaustausch und gegenseitige Warnungen vor neuen Bedrohungen. 30 Das am 15. November 1985 unterzeichnete Abkommen zwischen Großbritannien und der Republik Irland 31 ging jedoch über eine bloße Vereinbarung zur Bekämpfung des Terrorismus hinaus, da es den Boden für eine politische Lösung des Nordirland-Problems bereiten sollte.
27
Vgl. Le Monde, 22.4.1986.
28
Vgl. EA, 10/1986, S. Z 95.
29
Vgl. EA, 20/1986, S. Z 180, und EA, 1/1987, S. Z 3.
Vgl. Gerhard Boedert, Aktueller Überblick über Verbindungen europäischer Terrorgruppen. Vorschläge für eine gemeinsame Kriminalpolitik auf dem Gebiet der Terrorbekämpfung, in: Meinhard Knoche (Hrsg.), Wege zur europäischen Rechtsgemeinschaft, Koblenz 1987, S. 90 ff. 3 1 Text in: EA, 10/1986, S. D 265 ff. Vgl. auch John Horgan, Die Zukunft Nordirlands im Lichte des Abkommens zwischen Großbritannien und der Republik Irland, in: ebd., S. 275 ff. 30
50
DIE G E F A H R E N DES I N T E R N A T I O N A L E N TERRORISMUS
Das bereits 1977 vom Europarat verabschiedete „Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus" 3 2 wurde von Frankreich und Irland allerdings auch 1985/86 noch nicht ratifiziert bzw. mit Ausführungsbestimmungen versehen. Dessenungeachtet setzte der Europarat seine Bestrebungen auf diesem Gebiet fort: E r setzte eine „interdisziplinäre Arbeitsgruppe höherer Beamter" ein, die vorrangig jene Probleme prüfen sollte, die sich auf den Mißbrauch diplomatischen Rechts für terroristische Zwecke bezogen. D e r Ministerrat des Europarats billigte am 20. November 1986 förmlich die Empfehlungen für die Terrorismusbekämpfung, die die Innenund Justizminister der Mitgliedstaaten zuvor erarbeitet hatten. 3 3 Den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft gelang es nicht, im Berichtszeitraum zu einer einheitlichen Haltung gegenüber Terroristen zu gelangen. Ihre Vertreter beschäftigten sich zwar auf vielen Sitzungen mit dem Phänomen, doch nur selten konnten sie sich auf gemeinsame Beurteilungen, geschweige denn auf gemeinsame Aktionen einigen. Zu spät hatten sie das Ausmaß der amerikanischen Verbitterung gegenüber den Terorrismus unterstützenden Staaten erkannt, so daß sie den U S A keine glaubwürdige Alternative zu einem militärischen Alleingang anbieten konnten. 3 4 Als der syrische Staatsapparat in zwei richterlichen Entscheidungen in London und in Berlin als Auftraggeber für terroristische Aktionen bezeichnet wurde, 3 5 konnten sich die EG-Staaten im Rahmen der E P Z nur auf die Nichtgenehmigung künftiger Waffenverkäufe an Syrien, die Einstellung hochrangiger Besuche in oder aus Syrien, die Uberprüfung der Aktivitäten syrischer Diplomaten sowie stärkerer Sicherheitsvorkehrungen bei der syrischen Fluggesellschaft einigen. 36 Entgegen früheren Erklärungen wurde der Flugverkehr weder mit Syrien noch mit Libyen eingestellt, obwohl es viele Indizien - im Falle Libyens sogar einen Gerichtsentscheid 3 7 - gab, daß diese Staaten nicht nur ihre Diplomaten, sondern auch ihre Flugzeuge und deren Personal zu terroristischen Zwecken einsetzten. Eine entschlossenere Haltung gegenüber Syrien scheiterte vor allem an Frankreich, dessen Regierung wegen der Geiseln in Libanon - Syrien eher vorsichtig behandeln wollte.
32
Vgl. den Text der Konvention in: EA, 6/1977, S. D 139 ff.
33
Vgl. EA, 24/1986, S. Z 232.
3 4 Vgl. Helmut Hubel, Der Hintergrund der Libyen-Krise, in: EA, 18/1987, S. 541 ff., sowie seinen Beitrag in diesem Band. 3 5 Der erste bezog sich auf den mißglückten Versuch, am 17.4.1986 ein israelisches Großraumflugzeug mit über 350 Passagieren in der Luft zur Explosion zu bringen, die zweite auf den Sprengstoffanschlag am 29.3.1986 in West-Berlin auf die Deutsch-Arabische Gesellschaft, der 7 Verletzte gefordert hatte. 3 6 Vgl. die Presseerklärung der Präsidentschaft der EG zum Terrorismus, 10.10.1987, in: EA, 4/1987, S. D 85. 37
Vgl. die EPZ-Erklärung zum Terrorismus am 4.10.1987, in: ebd., S. D 84.
I N F O R M E L L E ZUSAMMENARBEIT
Informelle
51
Zusammenarbeit
Angesichts der Schwierigkeiten, im EG-Rahmen zu gemeinsamen offiziellen Beschlüssen zu gelangen, wurde die informelle Zusammenarbeit immer wichtiger. Innerhalb der E G war schon 1976 die TREVI-Gruppe (terrorisme, radicalisme, extremisme, violence) eingerichtet worden, die im April 1985 wieder neuen Aufschwung bekam. 3 8 Seit 1986 gab es darüber hinaus noch eine spezielle EG-Arbeitsgruppe zum Terrorismus: 3 9 Die EG-Innenminister verständigten sich auf zwei Tagungen im Herbst 1986, den Informationsaustausch zwischen den nationalen Sicherheitskräften zu verbessern und Informationen über führende Terroristen und terroristische Gruppen anzulegen. 40 Andere europäische Gremien, die auch der Terrorismusabwehr dienen, sind der „Berner Klub", in dem die Leiter der Nachrichten- und Sicherheitsdienste westeuropäischer Staaten sich seit 1971 um eine Koordination der Terrorismusabwehr bemühen, sowie der „Wiener Klub", in dem die Innenminister der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs, Italiens, Österreichs und der Schweiz regelmäßig zusammenkommen. 41 Doch konnten in all diesen Institutionen personenbezogene Informationen fast nur über Bürger von Drittstaaten ausgetauscht werden, weil innerhalb Westeuropas das Polizei-, Strafprozeß- und Datenschutzrecht so unterschiedlich ist, daß ein offizieller Austausch von darüber hinausgehenden Daten nicht möglich
38
In dieser Gruppe erörtern die zuständigen Minister und hohen Beamten alle sechs Monate die neuesten Erkenntnisse über Terroristen, ihre Arbeitsweise und ihre internationalen Verbindungen, jedoch nur in allgemeiner Form. Vgl. Hans Josef Horchern, Terror in Europa. Akteure und Hintergründe - Gegenstrategien, in: Beiträge zur Konfliktforschung, 4/1986, S. 31, sowie Stéphane Vérine, La coopération internationale en matière de lutte contre le terrorisme, in: PE, 4/1986, S. 977 ff. 39
Vgl. Le Monde, 22.4.1986, und Subcommittee on Europe and the Middle East (Foreign Affairs Committee), Developments in Europe, Juni 1986. Hearing before the Subcommittee on Europe and the Middle East of the Committee on Foreign Affairs, House of Representatives, 99. Congress, 2. Session, Washington, 19.6.1986, S. 39. Vgl. Innenpolitik. Informationen des Bundesministeriums des Innern, Nr. X , Oktober 1986, S. 1. 4 1 Diese Darstellung beruht auf Boeden, a.a.O. (Anm. 30), S. 94 f., dem Untersuchungsbericht einer Kommission des französischen Senats unter der Leitung von Paul Masson, Annexe au procès-verbal de la séance du 17 mai 1984, S. 83 f., sowie Vérine, a.a.O. (Anm. 38). Darauf weist der ehemalige Chef des Bundeskriminalamts hin: Horst Herold, Mehr Sicherheit für den Bürger durch europaweite Sachfahndung. I N P O L als Wegbereiter einer europäischen Sachfahndungsunion, in: Beiträge zur Konfliktforschung, 4/1985, S. 5 ff.
52
DIE GEFAHREN DES INTERNATIONALEN TERRORISMUS
Z U S A M M E N A R B E I T IN W E L T W E I T E N O R G A N I S A T I O N E N U m eine weltweite Bekämpfung des Terrorismus besser als bisher zu gewährleisten, beschloß die Generalversammlung von Interpol auf ihrer Jahreskonferenz vom 1. bis zum 8. Oktober 1985 in Washington, Bitten nationaler Behörden um Informationen nachzukommen und Auskünfte über Gruppen zu geben, die Morde, Geiselnahmen und Flugzeugentführungen begangen hatten. 4 3 Bei den Vereinten Nationen gab es in diesem Bereich ebenfalls Fortschritte, obwohl der jahrelang andauernde Streit 44 um die Definition von Terrorismus im Grunde noch immer nicht überwunden werden konnte. Der Präsident des Sicherheitsrats verurteilte im Namen der Mitglieder am 9. O k t o b e r 1985, nach der Aufgabe der Geiselnehmer der „Achille Lauro", „in aller Entschiedenheit diese verbrecherische Entführung ebenso wie alle sonstigen Akte des Terrorismus, einschließlich der Geiselnahme." 4 5 Die Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete am 9. Dezember 1985 die Resolution 40/61 zum Terrorismus, ohne förmliche Abstimmung. D o c h gelang eine Einigung auf eine genaue Abgrenzung zwischen legitimen Aktionen von Befreiungsbewegungen und zu verurteilender terroristischer Kampfführung nicht. Die Resolution 579 (1985) des Sicherheitsrats vom 18. Dezember 1985 über Geiselnahmen und die Erklärung seines Präsidenten vom 30. Dezember 19 85, 4 6 drei Tage nach den Uberfällen in R o m und Wien, eröffneten jedoch die Hoffnung, daß sich in den Vereinten Nationen eine Entwicklung zum Verbot bestimmter terroristischer Akte abzeichnete, wenngleich über Terrorismus insgesamt keine Einigung zu erzielen war. Gruppen von Staaten mit ähnlicher politischer Ausrichtung konnten sich etwas zügiger einigen. Die sieben großen westlichen Wirtschaftsmächte verabschiedeten im Mai 1986 auf dem Weltwirtschaftsgipfel von T o k i o eine Erklärung zum Terrorismus, 4 7 nachdem im Jahr zuvor eine vergleichbare Erklärung an der Weigerung Frankreichs gescheitert war. Darin vereinbarten sie eine „Vertiefung" des Informationsaustauschs in den „einschlägigen Gremien" und schlugen weitere mögliche Maßnahmen vor, wie z.B. Einstellung aller Waffenausfuhren in Länder, die Terrorismus finanzierten oder unterstützten; strikte Begrenzung der diplomatischen Auslandsaktivitäten
43
44
Vgl. Le Monde, 10.10.1985.
Vgl. Karl Markus Kreis, Der Terrorismus als politisches Instrument, in: IP 1970-72, S. 382 ff., hier S. 388 ff.; ders., Der internationale Terrorismus. Ein unbewältigtes Problem der Staatengemeinschaft, in: EA, 11/1976, S. 367 ff. 4 5 Dieser und die folgenden Texte in: VN, Nr. 5/1986, S. 182 ff. 46 47
Ebd. Text abgedruckt in: EA, 12/1986, S. D 311 f.
ZUSAMMENARBEIT IN WELTWEITEN ORGANISATIONEN
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derjenigen Länder, die sich „entsprechend betätigten"; Schließung ihrer Vertretungen; Einreiseverweigerung für alle Personen, die aus einem der sieben Gipfel-Teilnehmerstaaten bereits ausgewiesen, ausgeschlossen oder eines terroristischen Verbrechens überführt worden waren; verbesserte Auslieferungsverfahren für terroristische Täter; strengere Einreisekontrollen von Bürgern der Staaten, die Terrorismus finanzierten oder unterstützten sowie eine „engstmögliche" Zusammenarbeit der zuständigen Behörden bei der Bekämpfung von Terroristen. 4 8 Doch lösten gerade die Erfahrungen im Berichtszeitraum Zweifel daran aus, wie sehr die demokratischen Regierungen des Westens wirklich entschlossen waren, diese Ankündigungen auch in die Tat umzusetzen.
48
Vgl.
ebd.,
S. D 312.
II DIE WELTWIRTSCHAFT IN DER KRISE
N E U E HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE WELTWIRTSCHAFT
Von Hartmut Fest und Hans-Peter
Fröhlich
Die Weltwirtschaft sah sich in den Jahren 1985 und 1986 vor neue Herausforderungen gestellt: Unter den führenden Industrienationen - Vereinigte Staaten, Japan und Bundesrepublik Deutschland bzw. Europäische Gemeinschaft - hatte sich bei wichtigen volkswirtschaftlichen Größen eine Datenkonstellation herausgebildet, die im historischen Vergleich ein Novum darstellte. Entscheidender als die Einmaligkeit der Situation war freilich deren Charakter. Nach übereinstimmender Ansicht fast aller Beobachter handelte es sich um ein weltwirtschaftliches „Ungleichgewicht" in dem Sinne, daß eine ungebremste Fortsetzung der Entwicklungen im Berichtszeitraum letztlich gravierende Wohlstands- und Einkommenseinbußen für alle beteiligten Volkswirtschaften mit sich gebracht hätte. U m so drängender war der Handlungsbedarf auf seiten der wirtschaftspolitisch Verantwortlichen. Die Wirtschaftspolitik war mit einer doppelten Schwierigkeit konfrontiert. Zum einen mußte sie nach einem international abgestimmten Handlungsmuster streben, um die unausweichlichen volkswirtschaftlichen Anpassungslasten einigermaßen gleichmäßig zu verteilen und gleichzeitig eine wechselseitige Neutralisierung der Anstrengungen durch nationale Alleingänge möglichst auszuschließen. Zum andern galt, für jedes der drei Schlüsselländer in den wirtschaftspolitischen Entscheidungen einen akzeptablen Kompromiß zu finden zwischen dem international Notwendigen und dem national Wünschenswerten. Beides stimmt - das ist die Last aller internationalen Wirtschaftspolitik - nur selten überein. Nicht zuletzt der daraus resultierende
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N E U E H E R A U S F O R D E R U N G E N FÜR D I E W E L T W I R T S C H A F T
Zielkonflikt machte die Überwindung der Problemlage von 1985/86 zu einer besonderen weltwirtschaftlichen Herausforderung.
DIE WELTWIRTSCHAFTLICHEN
PROBLEMFELDER
Die internationale Wachstumsdynamik gewann mit der nachhaltigen Besserung der ökonomischen Fundamentalfaktoren (vor allem niedrigere Inflationsraten und steigende Unternehmensgewinne) nach Überwindung der globalen Rezession von 1981/82 nicht jene Stärke, die aufgrund der Erfahrungen mit früheren Konjunkturzyklen zu erwarten gewesen wäre. Damit konnten auch keine nennenswerten Fortschritte beim Abbau der hohen Arbeitslosigkeit erzielt werden. Allein die U S A waren diesbezüglich eine Ausnahme: Sie konnten 1983/84 auf einen außergewöhnlich kräftigen Aufschwung verweisen, der 1984 mit einer Wachstumsrate des realen Bruttosozialprodukts (BSP) von 6,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr einen höheren Wert als je zuvor seit dem Korea-Krieg erreichte. 1 Nachdem sich das Wachstum der in der Organistion für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ( O E C D ) zusammengeschlossenen 24 Industrieländer 1984 unter dem Einfluß der amerikanischen Konjunkturführerschaft stark beschleunigt hatte (4,9 Prozent gegenüber 2,7 Prozent ein Jahr zuvor) 2 , wies Japan dank des kräftigen Anstiegs seiner Ausfuhr in die U S A auch 1985 mit 4,7 Prozent einen Sozialproduktzuwachs auf, der nur wenig niedriger ausfiel als im Vorjahr. Doch schon 1986 erlahmte die japanische Binnenkonjunktur unter dem Druck außenwirtschaftlicher Anpassungszwänge beträchtlich (2,5 Prozent). Mit dem Abbau der konjunkturellen Übersteigerungen in Nordamerika schwenkte 1985/86 auch die amerikanische Wirtschaft auf einen niedrigeren Wachstumspfad ein (2,5 bis 3 Prozent). In den europäischen Industrieländern, in denen sich die gesamtwirtschaftliche Expansion 1983/84 nicht zuletzt aufgrund des Konjunkturanstoßes aus den USA zunächst ebenfalls deutlich verstärkt hatte, wurde eine strukturelle Wachstumsschwäche erkennbar. Die gesamtwirtschaftliche Leistung stieg in den drei Jahren 1984 bis 1986 in Europa jährlich nur um 2,7 Prozent. Angesichts des aus demographischen Gründen zunehmenden Erwerbspersonenpotentials genügte das nicht, um auf dem Arbeitsmarkt spürbare Fortschritte zu erzielen. Obgleich die Beschäftigung — bei allerdings niedrigen
1 Einzelheiten hierzu finden sich in: Ute Geipel, Die Vereinigten Staaten als Konjunkturmotor, in: IP 1983/84, S. 189-196. 2 Vgl. hierzu und zu den folgenden Zahlenangaben dieses Abschnitts: OECD Economic Outlook, Nr. 42, Dezember 1987, Tabelle R 1.
NACHLASSENDES WIRTSCHAFTSWACHSTUM
57
Zuwachsraten - bis 1986 deutlich expandierte, verharrte die Arbeitslosenquote bei rund 11 Prozent. Die getrübte Weltkonjunktur hellte sich zunächst beträchtlich auf, als zu Jahresanfang 1986 die Weltmarktpreise für Rohöl und auch andere Rohstoffe stark zurückgingen. Der Durchschnittspreis für Rohölimporte fiel von 27,50 Dollar pro Faß 1985 um annähernd die Hälfte auf 15 Dollar 1986. T r o t z zeitweilig verstärkter Rohölimporte ermäßigte sich dadurch die Ölrechnung der 24 O E C D - L ä n d e r um etwa 63 Milliarden Dollar. 3 Das „Ölpreis-Manna" bedeutete für sie einen unerwarteten Einkommenszuwachs in Höhe von etwa 1 Prozent ihres aggregierten Sozialprodukts. Nachlassendes
Wirtschaftswachstum
Dieser expansive Impuls konnte allerdings nur teilweise in zusätzliche Nachfrage umgesetzt werden. Ein Grund lag darin, daß die Gewinner Unternehmen, Staat und private Haushalte - ihren gestiegenen Einkommensspielraum 1986 nur teilweise für zusätzliche Ausgaben nutzten; ihre Sparquote stieg. In den Industrieländern Europas, wie Frankreich, Bundesrepublik Deutschland und Italien sowie in Japan, wo außergewöhnlich hohe Realeinkommensgewinne anfielen, wurde ein großer Teil davon im Unternehmensbereich durch Ausweitung der Gewinnmargen absorbiert. In einigen Ländern wie Dänemark, Griechenland, Spanien und Italien eignete sich der Staat einen gewissen Teil an, indem er Steuern auf Energie und Brennstoffe erhöhte. In den meisten Industrieländern floß das „Olmanna" indessen überwiegend den privaten Haushalten in F o r m von niedrigeren Preisen zu, so daß die Weltkonjunktur 1986 stark vom privaten Verbrauch gestützt wurde. Ein zweiter Negativfaktor im Hinblick auf die konjunkturellen Folgewirkungen des Olpreisverfalls kam hinzu. Was sich für die Industrieländer (als Netto-Importeure von Rohöl) als Einkommensgewinn auswirkte, erwies sich für die Öl-Exporteure, namentlich für die Gruppe der OPEC-Staaten, als entsprechender Einkommensverlust, da sie erhebliche Einbußen bei ihren Exporterlösen hinnehmen mußten. Die O P E C - L ä n d e r reduzierten daraufhin ihre Wareneinfuhren aus dem Ausland um 23 Prozent, die ölexportierenden N i c h t - O P E C - L ä n d e r um 18 Prozent. Für die Industriestaaten ergab sich
3 Eine detaillierte Analyse der Wirkungen des Rohöl-Preisverfalls - auf der Basis des Kenntnisstands von Mitte 1986 — findet sich in: OECD Economic Outlook, Nr. 39, Juni 1986, S. 1 ff. Wie hoch die Erwartungen damals waren, belegt etwa auch der Titel „Püning a Tiger in the Tank", mit dem Time Magazine, 24.2.1986, einen Beitrag über die Ölpreissenkung überschrieb.
58
NEUE HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE WELTWIRTSCHAFT
durch diese Anpassungsreaktion ein außenwirtschaftlich induzierter Kontraktionseffekt, der die binnenwirtschaftliche Expansionswirkung weitgehend kompensierte. Gemessen am Wachstum des OECD-Sozialprodukts von 1986 (2,5 Prozent) fiel daher der vom Fall der Ölpeise ausgehende Wachstumsschub für die Weltwirtschaft enttäuschend aus.
Divergierende
Leistungsbilanz-Salden
Neben dem insgesamt unbefriedigenden Wachstum bereiteten die Wachstumsunterschiede zwischen den Vereinigten Staaten einerseits sowie Japan und die europäischen Länder andererseits zunehmende Probleme. Daß die U S A nach Uberwindung der Rezession von 1981/82 international als Konjunkturlokomotive tätig wurden, war nicht ungewöhnlich. Doch hatten die übrigen Industrieländer in früheren Konjunkturzyklen immer bald wachstumsmäßig Anschluß gefunden. Diesmal hatten sie längere Zeit hinterhergehinkt: In den ersten beiden Jahren des neuen WeltkonjunkturAufschwungs waren auf die USA sieben Zehntel der Nachfrageausweitung — gegenüber sonst vier bis fünf Zehntel - entfallen. Das positive Wachstumsgefälle zwischen den U S A und Europa hatte von 1983 bis 1985 im Durchschnitt mehr als 2 Prozent pro Jahr betragen. 1986 wuchsen die europäischen O E C D - L ä n d e r , Japan und die USA alle mit mehr oder minder gleicher Rate, so daß das weltwirtschaftliche Konjunkturgefälle, das zuvor bestanden hatte, schließlich eingeebnet wurde. Für die Entwicklung der nationalen Leistungsbilanzen, also den Warenund Dienstleistungsausstausch mit dem Ausland, hatte das eine wichtige Konsequenz. Uberdurchschnittlich rasch expandierende Volkswirtschaften entwickeln in der Regel einen starken Nachfragesog nach ausländischen Gütern, weil einerseits mit den binnenwirtschaftlichen Produktionsmöglichkeiten die gestiegene Nachfrage nicht voll befriedigt werden kann, und andererseits höhere Vorleistungsbezüge aus dem Ausland (z.B. Rohstoffe) erforderlich werden. Die Folge ist eine stärkere Zunahme bei den Importen als bei den Exporten und damit eine Tendenz zur LeistungsbilanzPassivierung. Dieser Prozeß ließ sich, wie die Tabelle verdeutlicht, im Dreieck USA/Japan/BR Deutschland im Zeitraum 1983 bis 1986 geradezu lehrbuchhaft beobachten. Allerdings klafften die Leistungsbilanz-Salden auch stark auseinander, weil sich die Wettbewerbsfähigkeit der Vereinigten Staaten infolge der bis zum Frühjahr 1985 anhaltenden Aufwertungstendenz des Dollars im Verhältnis zu seinen wichtigsten Handelspartnern nachhaltig verschlechtert hatte. In der gesamten Nachkriegszeit gab es keine auch nur annähernd ähnlich dramatische Kumulation von Leistungsbilanz-Uberschüssen und -Defiziten in einem der großen Industrieländer.
59
D I V E R G I E R E N D E LEISTUNGSBILANZ-SALDEN
Tabelle: Leistungsbilanz-Salden
USA Japan B R Deutschland
in Prozent des
Bruttosozialprodukts
1983
1984
1985
-1,4 1,8 0,6
-2,8 2,8 1,3
-2,9 3,7 2,4
1986 -3,3 4,4 4,1
Quelle: OECD Economic Outlook, Nr. 42, Dezember 1987, Tabelle 36 und R 20.
Diese Entwicklung erwies sich als höchst problematisch, und zwar vornehmlich aus zwei Gründen. Erstens wurden angesichts der rasant ansteigenden Importwelle in den USA zunehmend Forderungen aus der amerikanischen Wirtschaft nach staatlichem Schutz vor der Auslandskonkurrenz laut. In der amerikanischen Öffentlichkeit und - wichtiger noch - im Kongreß gewannen die Protektionisten immer mehr Anhänger. Zwar trat die Reagan-Administration dem Ruf nach handelsbeschränkenden Maßnahmen weitgehend erfolgreich entgegen, doch konnte auch sie eine Verschlechterung des Klimas in den internationalen Handelsbeziehungen nicht verhindern. Die amerikanische Protektionismus-Debatte war vor allem deshalb so besorgniserregend, weil die U S A in der gesamten Nachkriegszeit stets ein Vorreiter des Freihandelsprinzips gewesen waren. Das zweite Problem im Zusammenhang mit den divergierenden Leistungsbilanz-Salden sind die damit einhergehenden monetären Bestandsveränderungen. Wenn ein Land ein Leistungsbilanz-Defizit erwirtschaftet, muß es entweder vorhandene Auslandsaktiva (d.h. Devisenreserven) abbauen oder gegenüber Ausländern Verbindlichkeiten eingehen; einem Land mit Leistungsbilanz-Uberschuß fließen umgekehrt Auslandsaktiva zu. Aufgrund der fortgesetzt hohen Defizite hatte sich die Netto-Auslandsposition der U S A in den achtziger Jahren dramatisch verschlechtert: Belief sich ihr NettoAuslandsvermögen (Forderungen abzüglich Verbindlichkeiten) 1982 noch auf 137 Milliarden Dollar, so war es zwei Jahre später praktisch aufgezehrt. 1985 gerieten die U S A erstmals seit dem Ersten Weltkrieg in eine NettoSchuldnerposition mit einem Rekordwert von knapp 112 Milliarden Dollar. 1986 hatte sich die amerikanische Auslandsschuld wiederum mehr als verdoppelt und betrug zum Jahresende 264 Milliarden Dollar. 4 Damit begann 4
Vgl. zu diesen Zahlenangaben: U.S. Department of Commerce (Hrsg.), Survey of Current Business, Nr. 6, Juni 1987, S. 40.
60
NEUE HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE WELTWIRTSCHAFT
ein „Circulus vitiosus": Die rasante Verschlechterung der Auslandsposition erforderte ebenso rasch zunehmende Zinszahlungen an die ausländischen Gläubiger, womit sich der Saldo der Kapitalerträge - als eine Komponente der Leistungsbilanz - progressiv verschlechterte. Auf diese Weise speiste sich das hohe amerikanische Leistungsbilanz-Defizit gleichsam selbst. Aus anderer Perspektive betrachtet bedeutete dies, daß angesichts der sich verschlechternden Kapitalertrags-Bilanz ein immer größerer Uberschuß im Warenhandel erforderlich sein würde, um die Leistungsbilanz wieder zum Ausgleich zu bringen und damit die Zunahme der Verschuldung zu stoppen. Verzerrte
Wechselkurse
Eine wesentliche Determinante der divergierenden Leistungsbilanz-Salden unter den drei Schlüsselländern USA, Japan, B R Deutschland war neben dem erwähnten Konjunkturgefälle die Entwicklung der Wechselkurse während der ersten Hälfte der achtziger Jahre. Bis ins Frühjahr 1985 stand der Dollar unter erheblichem Aufwertungsdruck an den internationalen Devisenbörsen. Gegenüber der D-Mark beispielsweise hatte sich sein Wert im Vergleich zu Anfang 1980 genau verdoppelt; gegenüber den Währungen von 14 wichtigen Industrieländern waren es immerhin gut 50 Prozent. 5 Diese Wechselkursentwicklung beruhte nicht auf entsprechenden Unterschieden in den nationalen Inflationsraten. Infolgedessen wurden amerikanische Produkte für Ausländer real teurer, während umgekehrt ausländische Produkte für Käufer in den Vereinigten Staaten billiger wurden; die Wettbewerbsposition der amerikanischen Wirtschaft verschlechterte sich. Die Vereinigten Staaten verloren im Industriegüterbereich von 1983 bis 1986 jährlich Weltmarktanteile in Höhe von durchschnittlich 3 Prozent, während Japan bis 1984 und die Bundesrepublik ab 1984 deutlich Marktanteile hinzugewannen. 6 Substantielle Wechselkursänderungen verschieben nicht nur die relativen Preise im Außenhandel zwischen den Ländern, sondern auch zwischen den Außenhandels- und binnenorientierten Sektoren innerhalb einer Volkswirtschaft. Die Periode des starken Dollars hatte für die amerikanische Wirtschaft die realwirtschaftliche Konsequenz, daß Ressourcen (Kapital, Arbeitskräfte) aus den außenhandelsorientierten Sektoren in jene Bereiche hineinwanderten, die international nicht gehandelte Güter und Dienstleistungen 5 Vgl. dazu: Deutsche Bundesbank (Hrsg.), Monatsberichte, lfd. Jahrgänge, Tabellen IX.10 und I X . l l . 6 Etliche Beobachter konstatierten auch unabhängig von der Dollarkurs-Entwicklung einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit seitens der amerikanischen Wirtschaft. Vor allem das schwache Produktivitätswachstum in den USA wurde dafür verantwortlich gemacht. Vgl. beispielsweise Lester Thurow, Healing with a Thousand Bandages, in: Challenge, November/Dezember 1985, S. 22-31.
DIE ROLLE DER FINANZPOLITIK
61
produzieren. Diese hatten eine relativ günstigere Rentabilität, da sie nicht dem direkten Wettbewerbsdruck der ausländischen Konkurrenz ausgesetzt waren. Demgegenüber schrumpfte die verarbeitende Industrie, so daß in diesem Zusammenhang gelegentlich schon von einer „De-Industrialisierung" Amerikas gesprochen wurde. Im Gegensatz dazu waren reale Ressourcen in Japan und den europäischen O E C D - L ä n d e r n aufgrund des wechselkursinduzierten Rentabilitätsgefälles verstärkt von außenhandelsorientierten Sektoren angezogen worden. Diese gegenläufige Ressourcen-Wanderung hatte 1985 die Ausgangsbasis für eine reibungslose Korrektur der internationalen Diskrepanzen in den Leistungsbilanz-Salden bereits erheblich verschlechtert. DIE R O L L E DER FINANZPOLITIK Die geschilderten weltwirtschaftlichen Fehlentwicklungen entsprangen zum großen Teil nicht marktmäßigen Eigengesetzlichkeiten; sie waren vielmehr entscheidend auf wirtschaftspolitische Weichenstellungen in den wichtigsten Ländern zurückzuführen. A m offenkundigsten war dies im Hinblick auf den steilen Kursanstieg des Dollars. Eine wesentliche Triebfeder hierfür war die seit Amtsantritt der Regierung Reagan in den U S A betriebene Finanzpolitik: Massive Steuersenkungen wurden nicht durch entsprechende Kürzungen auf der Ausgabenseite begleitet, so daß der Saldo im amerikanischen Bundeshaushalt - und in seinem Gefolge auch der öffentliche Gesamthaushalt - immer tiefer ins Defizit gerieten. Die forcierte Kreditaufnahme des Staates wirkte in Amerika zinstreibend und vergrößerte so das ohnehin schon existierende positive Zinsgefälle zwischen den U S A und den übrigen Schlüsselländern. Durch den hohen Renditevorsprung wurden massive Kapitalimporte aus der übrigen Welt in die U S A gezogen, was die Nachfrage nach Dollars erhöhte und infolgedessen den Wert der amerikanischen Währung an den internationalen Devisenmärkten nachhaltig ansteigen ließ. Der teure Dollar erschwerte die amerikanische Warenausfuhr und erleichterte das Vordringen ausländischer Lieferanten auf dem amerikanischen Binnenmarkt; folglich rutschte die Handelsbilanz der Vereinigten Staaten immer tiefer ins Defizit (1985: -124,3 Milliarden Dollar). Die amerikanische Finanzpolitik war über diesen Kanal auch für die fortgesetzten amerikanischen Leistungsbilanz-Defizite mitverantwortlich, auch wenn diese Einschätzung von den für die Politik Verantwortlichen in Washington nicht unbedingt geteilt wurde. 7 In die gleiche Richtung wirkte D a s selbstgesteckte H a u p t z i e l der R e a g a n - A d m i n i s t r a t i o n war z w a r , die Wirtschaft wieder z u r D y n a m i k früherer J a h r e z u r ü c k z u f ü h r e n , doch sollte dies primär über eine Verbesserung der A n g e b o t s b e d i n g u n g e n - statt durch eine Stimulierung d e r N a c h f r a g e - geschehen. D i e s e m Z w e c k dienten auch die Steuersenkungen v o n 1981. D i e anfänglichen Haushaltsfehlbeträge
62
NEUE HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE WELTWIRTSCHAFT
der von den U S A ausgehende Beitrag zum internationalen Konjunkturgefälle. Außerhalb der U S A war es gerade umgekehrt: In Japan und Europa - und dort vor allem in Großbritannien und in der Bundesrepublik — hatte die Fiskalpolitik zu Beginn des Aufschwungs scharfe kontraktive Impulse gesetzt; hier hatte das Ziel der Haushaltskonsolidierung Vorrang. So wurde auch von dieser Seite das internationale Konjunkturgefälle verstärkt. Im Gegensatz zur öffentlichen Finanzpolitik kam es in der Geldpolitik nicht zu einer ausgeprägten regionalen Asymmetrie. Angesichts des starken Preisauftriebs im Gefolge der zweiten Olpreiskrise wurde die Inflationsbekämpfung weltweit zum vorrangigen wirtschaftspolitischen Ziel erklärt. Entsprechend war die Geldpolitik darauf ausgerichtet, die im Verhältnis zum realen Wirtschaftswachstum kräftige monetäre Expansion einzudämmen. Das war bis 1984/85 gelungen und zeigte sich in fallender Inflation und sinkenden Zinsen. D a die Preissteigerungen jedoch schneller als die N o m i nalzinsen abnahmen, waren die Realzinsen in den Schlüsselländern ungewöhnlich hoch. Bis Ende 1986 wurde die Schwelle von 4 Prozent bei den kurzfristigen bzw. 6 Prozent bei den langfristigen Realzinsen nicht unterschritten. Insofern gingen von Seiten der Geldpolitik zumindest keine expansiven Impulse aus, die dem flacher verlaufenden Wachstumstrend der Weltwirtschaft entgegengewirkt hätten.
WIRTSCHAFTSPOLITISCHE
NEUORIENTIERUNG
Als der Dollar in den ersten beiden Monaten des Jahres 1985 erneut einen kräftigen Kurssprung nach oben machte, sahen sich die Verantwortlichen in den wichtigsten Ländern zunehmend unter Handlungsdruck. Die internationale Wirtschaftspolitik stand dabei vor der Frage, wie durch Umsteuern der nationalen Geld- und Finanzpolitiken der weitere Aufbau außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte gebremst und schließlich eine Wende herbeigeführt werden könnte. Die Grundzüge einer wirtschaftspolitischen Neuorientierung wurden im April 1985 vom OECD-Ministerrat und im Mai 1985 auf dem Bonner Weltwirtschaftsgipfel festgelegt. Im September einigten sich schließlich die Finanzminister und Notenbank-Gouverneure der FünferGruppe (USA, Japan, Frankreich, Italien und Bundesrepublik Deutschland) in der sogenannten Plaza-Erklärung darauf, daß die bestehenden Wechselkursrelationen zwischen Dollar, Yen und D-Mark nicht länger den ökono-
waren die Verantwortlichen bereit hinzunehmen, weil sie glaubten, sie w ü r d e n durch eine Steigerung des S t e u e r a u f k o m m e n s bald wieder beseitigt. D i e s e H o f f n u n g e n erfüllten sich freilich nicht. So k a m es z u einer teilweise spaßigen Debatte, o b der A u f s c h w u n g eher angebotsseitig über Steuersenkungen o d e r nachfrageseitig über Defizitpolitik genährt würde. 8
Vgl. OECD
Economic
Outlook,
N r . 40, D e z e m b e r 1986, Schaubild S. 7 f.
WIRTSCHAFTSPOLITISCHE NEUORIENTIERUNG
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mischen Fundamentalfaktoren entsprachen; deshalb müßten die wichtigsten Nicht-Dollar-Währungen in geordneter Weise höher bewertet werden. Dabei sollte dem Risiko eines abrupten Kursverfalls des Dollars durch internationale Politikkooperation vorgebeugt werden. 9 Dies war in der Tat ein markanter Richtungswechsel, denn seit dem zweiten Ölschock hatte insbesondere in den U S A ein anderes Glaubensbekenntnis die offizielle Politik bestimmt, daß nämlich der starke Dollar Ausdruck der wiedergewonnenen Stärke Amerikas sei; im übrigen führe die internationale Übertragung von wirtschaftspolitischen Impulsen dann nicht zu kumulativen Fehlentwicklungen, wenn jeder seine eigene Inflation und sein Haushaltsdefizit unter Kontrolle brächte. Aufgrund des Signaleffekts fiel der Dollar nach der Plaza-Vereinbarung kräftig weiter. 10 Im Dezember 1985 lag der mit den Handelsanteilen gewichtete (effektive) Wechselkurs des Dollars gegenüber 14 Industrieländern bereits rund 13 Prozent unter dem entsprechenden Vorjahresstand; der Yen hatte sich während desselben Zeitraums effektiv um etwa 11 Prozent, die D - M a r k um etwa 5,5 Prozent aufgewertet. 11 Damit war bei der Wechselkurskonstellation der Schlüsselwährungen, einer der Hauptdeterminanten des weltwirtschaftlichen Ungleichgewichts, endgültig die Kehrtwendung vollzogen. Die Wechselkurse bewegten sich auch 1986 weiterhin in die gewünschte Richtung. Ende des Jahres hatte der Dollar gegenüber den übrigen Währungen wieder genausoviel an Wert verloren, wie er von 1980 bis Anfang 1985 gewonnen hatte. Dabei wertete sich die amerikanische Währung gegenüber den Ländern mit den höchsten Leistungsbilanz-Uberschüssen (Japan und Bundesrepublik Deutschland) am stärksten ab. Im Jahresdurchschnitt 1986 verbesserte sich die Wettbewerbsposition der Vereinigten Staaten - auf Kostenbasis gerechnet - wieder auf den Stand von 1980. Allerdings war zwischenzeitlich die Angebotsstruktur der amerikanischen Wirtschaft weniger außenhandelsorientiert geworden; die protektionistische Stimmung ließ daher kaum nach. Dennoch war die eingetretene Verschiebung in den relativen Wettbewerbspositionen der drei Schlüsselländer ein entscheidender Schritt zum mittelfristigen Abbau der internationalen Ungleichgewichte. Die Wettbewerbsposition von Japan und der Bundesrepublik Deutschland verschlechterte sich sogar im Vergleich zum Stand zwischen den beiden Ölschocks der siebziger Jahre.
9 Der Wortlaut der Vereinbarung ist abgedruckt in: Deutsche Bundesbank (Hrsg.), aus Presseartikeln, Nr. 62, 23.9.1985.
Auszüge
1 0 Zum Zeitpunkt der Plaza-Vereinbarung (September 1985) hatte der Dollar mit einem W e n von rund D M 2,80 seinen Höhepunkt vom Jahresanfang bereits deutlich unterschritten. Er notierte am 26.2.1985 mit D M 3,47. 11
Vgl. Deutsche Bundesbank (Hrsg.), Monatsberichte,
a.a.O. (Anm. 5).
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NEUE HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE WELTWIRTSCHAFT
Im Gegensatz zur Wechselkursanpassung kam die güterwirtschaftliche Anpassung, d.h. die Rückführung der Leistungsbilanz-Salden, nur langsam voran. Das lag teilweise an den üblichen Wirkungsverzögerungen, die auf der im Vergleich zu den Finanzmärkten wesentlich geringeren Reaktionsfähigkeit der Gütermärkte beruhen. Daneben gab es mehrere spezifische Gründe: Erstens werteten sich die Währungen der südostasiatischen Schwellenländer (Hongkong, Korea, Singapur, Taiwan) fast im Gleichschritt mit dem Dollar ab, so daß von daher keine Verbesserung der amerikanischen Handelsbilanz zu erwarten war. 1 2 Zweitens blieb die mit der Dollarabwertung verbundene Veränderung der relativen Außenhandelspreise 1985 zunächst gedämpft. U m ihre amerikanischen Marktanteile zu halten, fingen ausländische Exporteure die Dollarabwertung größtenteils durch eine Schmälerung ihrer (in den Jahren der Dollarüberbewertung üppigen) Gewinnmargen auf, statt sie in höheren amerikanischen Importpreisen weiterzugeben. Infolge des Ausbleibens klarer Preissignale blieben die Reaktionen der amerikanischen Verbraucher und somit auch die Mengeneffekte beim Importvolumen zunächst gering. Drittens war das internationale Wachstumsgefälle, die zweite Hauptdeterminante der globalen Leistungsbilanz-Ungleichgewichte, weiterhin ungünstig. D e r im Lauf des Jahres 1985 begonnene Prozeß der internationalen Politikkoordinierung, der einen stärkeren Konjunkturgleichschritt hätte herbeiführen sollen, war in der Praxis noch nicht in Gang gekommen.
WIRTSCHAFTSPOLITISCHE
ZIELKONFLIKTE
Das ökonomische Kernproblem des wirtschaftspolitischen Umsteuerns des relativen Nachfragewachstums in Uberschuß- und Defizitländern bestand darin, die zugrundeliegenden Ausgabenströme der großen volkswirtschaftlichen Sektoren im gewünschten Sinn zu beeinflussen. Aus internationaler Perspektive war folgendes wünschenswert: Die Vereinigten Staaten sollten der ausländischen Nachfrage - netto - einen größeren Zugriff auf das heimische Angebotspotential gewähren; die großen Überschußländer Japan und die Bundesrepublik Deutschland sollten die Inanspruchnahme ihrer Produktionsmöglichkeiten durch das Ausland einschränken. Erforderlich war daher in Japan und in der Bundesrepublik ein Umschalten von primär exportgetriebener Konjunktur auf stärkeres binnenwirtschaftliches Wachstum, und für die U S A galt entsprechend das Umgekehrte. Diese unter internationalen Gesichtspunkten gebotene Politikausrichtung stand in den
Vom gesamten amerikanischen Leistungsbilanz-Defizit von 141 Mrd. Dollar im Jahr 1986 entfielen 44 Mrd. Dollar auf Asien (ohne Japan) und Afrika. Das war fast so viel wie der Anteil Japans (56 Mrd. Dollar) und deutlich mehr als der Anteil Westeuropas (35,5 Mrd. Dollar). Vgl. Survey of Current Business, Nr. 6/1987, S. 76 ff.
DIE ZIELSETZUNGEN IN DEN DREI SCHLÜSSELGEBIETEN
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einzelnen Ländern 1986 teilweise im Konflikt mit unterschiedlichen nationalen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen, Prioritäten und Dilemmata.
Die Zielsetzungen in den drei Schlüsselgebieten Die Vereinigten Staaten wollten nach Jahren kräftigen Wachstums und fallender Inflationsraten ihre Haushaltsdefizite zurückführen. Sorgen bereitete allerdings der davon zu erwartende kontraktive Impuls, denn zugleich sollte eine weitere Abkühlung der Konjunktur vermieden werden, damit die Arbeitslosigkeit nicht wieder anstieg, die protektionistischen Kräfte gebändigt blieben, und die Belastungen der heimischen Finanzmärkte nicht verstärkt würden. Wechselkurspolitisch war zwar ein schwacher Dollar erforderlich, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern; aber ein zu rascher Kursverfall hätte den Anstieg der Importpreise beschleunigt und inflationstreibend gewirkt. So stand die monetäre Politik vor einem Zinsdilemma: Zinssenkungen würden zwar einerseits dazu beitragen, den Dollar durch Druck auf die Kapitalmarkt-Renditen auf ein wettbewerbsfähiges Niveau abzusenken; die damit einhergehende Geldmengen-Expansion würde jedoch die importierte Inflation weiter beschleunigen und neue Inflationserwartungen schüren. Japan, mit anhaltend hohen Leistungsbilanz-Uberschüssen, sah sich protektionistischen Abwehrreaktionen gegenüber und strebte folglich eine Verlagerung der Außen- auf die Binnennachfrage an. Als hartnäckiges Problem erwiesen sich dabei die Ausgabe- und Verbrauchsgewohnheiten der Japaner, die traditionell eine extrem hohe Sparquote und eine geringe Importneigung aufweisen; wegen dieser Strukturen ist die japanische Volkswirtschaft gleichsam auf Außenhandelsüberschüsse programmiert. Ein wichtiger Teil der Nachfrageumlenkung sollte durch eine Höherbewertung des Yen, die die Ausfuhr verteuerte und die Einfuhr verbilligte, bewirkt werden. Das Dilemma der Geldpolitik bestand darin, daß ein starker Yen höhere Zinsen voraussetzte, dies aber der Binnennachfrage abträglich gewesen wäre. Monetäre Restriktion war somit im Hinblick auf das ungünstige internationale Konjunkturgefälle direkt kontraproduktiv. Für eine finanzpolitische Konjunkturstützung wurde offiziell — zumindest vorerst - kein Spielraum gesehen. Die europäischen O E C D - L ä n d e r wollten ein rascheres Wachstum erreichen, allerdings bei fortgesetzt niedrigen Inflationsraten und ohne Gefährdung der inzwischen teilweise erreichten Fortschritte bei der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Von daher war der Rahmen für expansive Maßnahmen von vornherein eng gesteckt. Der vielleicht exponierteste Vertreter dieser Position war die Bundesrepublik. Auch bei historisch einmalig niedrigen Inflationsraten gab die Deutsche Bundesbank dem Stabiii-
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N E U E H E R A U S F O R D E R U N G E N FÜR DIE WELTWIRTSCHAFT
tätsziel absoluten Vorrang. Ähnlich war die Finanzpolitik weiterhin dem Prinzip der Stetigkeit und der mittelfristigen Orientierung verpflichtet. So sah selbst die Bundesrepublik, mit einem Leistungsbilanz-Uberschuß von über 4 Prozent des Bruttosozialprodukts, nahezu stabilen Preisen und einem strukturellen Haushaltsüberschuß, keine makroökonomischen Handlungsmöglichkeiten, die Binnennachfrage zu stimulieren. Diese wirtschaftspolitischen Zielkonflikte auf nationalem Niveau verhinderten also eine rasche und wirksame Bekämpfung der internationalen Fehlentwicklungen. Dies gilt für die beiden großen makroökonomischen Politikbereiche gleichermaßen, wenn auch mit unterschiedlichem Akzent.
Koordinierung
in der Fiskalpolitik
In der Geldpolitik waren Ansätze zu koordiniertem Verhalten durchaus vorhanden. So kam es Ende 1985/Anfang 1986 zu einer international abgestimmten Senkung der Notenbank-Leitzinsen, in deren Gefolge auch die Marktzinsen — zumindest am kurzen Ende - deutlich nachgaben. Dieser koordinierte Druck auf das Weltzinsniveau wurde durch eine Feinsteuerung der internationalen Zinsdifferenzen abgestützt, begleitet von zeitweise kräftig intensivierten Notenbank-Interventionen an den Devisenmärkten. Auf diese Weise konnte zwar 1986 ein unkontrolliertes Abgleiten des Dollars verhindert werden, doch führten die Dollaraufkäufe in den Überschußländern zu einer starken monetären Expansion. In der Bundesrepublik beispielsweise konnte 1986 erstmals seit 1978, als eine vergleichbare internationale Datenkonstellation vorlag, das Geldmengenwachstum nicht in dem von der Deutschen Bundesbank vorgegebenen Zielkorridor gehalten werden. Die japanische Zentralbank und die europäischen Notenbanken versuchten, wegen der in einer Überliquidierung auf längere Sicht angelegten Inflationsrisiken, die Geldmarktzinsen höher zu halten als es angesichts der schwachen Konjunkturdynamik vor allem in Europa geboten gewesen wäre. Die internationale koordinationspolitische Seite des monetären Zielkonflikts in den Überschußländern bestand darin, daß nur ein rasches Eingehen auf den von der monetären Politik in den Vereinigten Staaten vorgegebenen Zinsdruck eine spürbare Verringerung des positiven Zinsgefälles verhindert hätte, das zugunsten der amerikanischen Kapitalmärkte erhalten werden mußte. Denn angesichts der seit der Plaza-Erklärung „amtlichen" Abwertungserwartungen bezüglich des Dollars floß das zur Finanzierung des amerikanischen Leistungsbilanz-Defizits erforderliche private Auslandskapital nur bei ausreichend großen internationalen Zinsdifferenzen „spontan" zu. Bei zu stark verringertem Zinsgefälle hätte sich der Abwertungsdruck auf den Dollar weiter verschärft: Yen, D - M a r k und die übrigen EWS-Währungen hätten sich noch rascher kräftig aufgewertet. Die Binnennachfrage in den
FINANZPOLITISCHE ANSÄTZE
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Überschußländern wäre zusätzlich gedämpft worden und die Investitionsneigung nicht nur in den Exportsektoren gefallen. Wie stark sich dieses Dilemma im Jahresverlauf 1986 verschärfte, zeigte sich an der Verschiebung des Verhältnisses von privaten zu öffentlichen Netto-Kapitalzuflüssen in die Vereinigten Staaten. Während deren Leistungsbilanz-Defizit 1985 noch fast vollständig durch privates Auslandskapital finanziert worden war, stieg der Anteil öffentlicher Kapitalzuflüsse 1986 (größtenteils als Reflex auf intensivierte Zentralbank-Interventionen) auf über 20 Prozent an. Die Finanzierung der internationalen Ungleichgewichte traf somit auf zunehmenden Widerstand der Finanzmärkte. Der aussagekräftigste Spannungsindikator dafür war die positive Differenz bei den KapitalmarktRenditen von Finanzaktiva, die auf Dollar lauteten, im Vergleich zu Wertpapieren in Nicht-Dollar-Währungen. Dieses Ertragsgefälle wurde 1985/86 tendenziell stark von den auf den amerikanischen und internationalen Finanz- und Devisenmärkten vorherrschenden mittelfristigen Erwartungen hinsichtlich der Entwicklung des amerikanischen Haushaltsdefizits beeinflußt. Ein direkter Zusammenhang zwischen Änderungen des Budgetdefizits und dem Realzinsniveau war nicht ohne weiteres herzustellen. Gleichwohl sprach vieles dafür - insbesondere die Inflationserfahrungen der siebziger Jahre - , daß die rasch ansteigende Staatsverschuldung in den Vereinigten Staaten Befürchtungen der internationalen Kapitalanleger nährte, der Staat könne sich in Zukunft durch Tolerierung von mehr Inflation entschulden. D e m entsprach ein Risikozuschlag im Realzins, den die Gläubiger für Anlagen in amerikanischen Wertpapieren forderten. Die sichere Aussicht auf eine entschlossene Rückführung der amerikanischen Haushaltsdefizite hätte demzufolge eine deutliche Verringerung der internationalen Zinsdifferenzen ermöglicht, sowie das Dilemma der monetären Politik in den Überschußländern partiell entschärfen können. Dies war einer der Hauptgründe dafür, daß das Budgetdefizit der Vereinigten Staaten 1985 und 1986 mit im Vordergrund der Erklärungen der Weltwirtschaftsgipfel und der gemeinsamen Tagungen von Weltwährungsfonds und Weltbank stand. 13
Finanzpolitische
Ansätze
Eine Abkehr von der amerikanischen Defizit-Politik wäre auch als Beitrag zur mittelfristigen Umkehrung des internationalen Wachstumsgefälles wünschenswert gewesen. Die U S A taten sich mit der Defizitrückführung angesichts der damit vermutlich verbundenen Konjunkturrisiken sehr schwer. Entsprechende Vorwürfe aus den Partnerländern konterten sie mit dem Gegenargument, zunächst müßten Japan und die Bundesrepublik von 13
Vgl. u.a. EA, 12/1985, S. D 321 ff., sowie EA, 1/1986, S. D 1 ff.
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NEUE HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE WELTWIRTSCHAFT
ihrer Seite aus mit expansiven Maßnahmen die Weltkonjunktur anregen was diese wiederum unter Verweis auf die genannten binnenwirtschaftlichen Risiken ablehnten. So erweckte der internationale finanzwirtschaftliche Politikdialog der Jahre 1985/86 über weite Strecken den Eindruck, daß die Verantwortung zwischen den Schlüsselländern hin- und hergeschoben wurde. 1 4 Insgesamt gesehen, kam es im Berichtszeitraum doch zu einigen Ansätzen in die richtige Richtung: Zum Jahresende 1985 verabschiedete der amerikanische Kongreß das „Gramm-Rudman-Hollings-Gesetz", das über „automatische" Ausgabenkürzungen einen schrittweisen Budgetausgleich bis zum Jahr 1991 vorsah. Das Gesetz wurde allerdings kurz darauf vom Obersten Gerichtshof in entscheidenden Passagen für ungültig erklärt, wodurch die geplante Ausgabenkürzung einstweilen de facto ausgesetzt wurde, und das Fiskaljahr 1986 erneut mit einem Rekorddefizit im Haushalt abschloß. Japan beschloß im Herbst 1986 ein staatliches Konjunkturprogramm mit einem Volumen von knapp 50 Milliarden D-Mark. Aktive Maßnahmen dieser Art lehnte die deutsche Bundesregierung dagegen ab. Sie verwies auf die 1985 beschlossene Steuerreform, die die Bundesbürger in zwei Stufen um 10,9 Milliarden D - M a r k (1986) bzw. 8,5 Milliarden D-Mark (1988) entlasten sollte. Dies wurde für einen angemessenen Kompromiß zwischen binnenund weltwirtschaftlichen Zielen gehalten. Festzuhalten blieb: Während die internationale Koordinierung der nationalen Währungs- und Geldpolitik, die für eine konjunkturell bedeutsame Absenkung des Zinsniveaus gesorgt hatte, wegen ihrer inneren Widersprüche an Wirksamkeit einzubüßen drohte, blieb die Abstimmung der Finanzpolitik zwischen den großen Industrieländern 1986 weitgehend blockiert und kam über erste Ansätze nicht hinaus.
ZWIESPÄLTIGE B I L A N Z A m Ende der zwei Jahre 1985 und 1986 sah die Bilanz wie folgt aus: Einige der wichtigsten wirtschaftspolitischen Weichen waren gestellt, um den neuen Herausforderungen der Weltwirtschaft zu begegnen. Der Dollar war auf ein für die Vereinigten Staaten wettbewerbsfreundlicheres Niveau gefal-
1 4 Besondere Schärfe nahm der Disput vor der Jahrestagung des IWF 1986 an: Das Bundeswirtschaftsministerium legte eine Stellungnahme vor, in der es die Rolle der Lokomotive für die Bundesrepublik ablehnte. Gleichzeitig wurden von amerikanischen Offiziellen, wie Notenbankchef Paul Volcker und Finanzminister James Baker, entschiedene Wachstumsanstrengungen von Bonn verlangt. Nach der Konferenz äußerte sich Bundesfinanzminister Stoltenberg zufrieden darüber, daß eine Konfrontation mit den USA vermieden werden konnte. (Vgl. FAZ, 3.10.1986.)
ZWIESPÄLTIGE BILANZ
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len; die amerikanische Finanzpolitik begann, den Restriktionskurs einzuschlagen. Vor allem war die Notwendigkeit einer internationalen Koordinierung der makroökonomischen Politik im Prinzip von den großen Industrieländern wieder akzeptiert; die Erklärung der Staats- und Regierungschefs beim Weltwirtschafts-Gipfeltreffen in Tokio (4. bis 6. Mai 1986) 1 5 institutionalisierte einen neuen Mechanismus zur multilateralen Überwachung der nationalen Wirtschaftspolitiken im Hinblick auf deren internationale Kompatibilität. Dafür sollte ein System ökonomischer Indikatoren entwickelt werden, mit dessen Hilfe Spannungen, die sich in der Weltwirtschaft aufzubauen drohen, frühzeitig erkannt werden können. Der Prozeß der realen Anpassung der Handelsbilanzen begann. Der Beitrag des Außenhandels zum realen Wachstum schlug von 1985 auf 1986 in Deutschland und Japan von kräftig positiv auf kräftig negativ um. Zusammen mit der so induzierten Dämpfung des Wachstums der Binnennachfrage ergab die Anfangsphase der außenwirtschaftlichen Anpassung in Europa ein fast nivelliertes Wachstumsprofil der Weltwirtschaft. Dieses Ergebnis stand nicht im Einklang mit den mittelfristigen Orientierungen der internationalen Wirtschaftspolitik. Diese sahen eine politikinduzierte Umkehr und schließlich eine Verschärfung des Wachstumsgefälles zugunsten von Japan und der Europäischen Gemeinschaft vor, bei einem insgesamt höheren Wachstum. Ende 1986 erhöhte sich infolgedessen erneut das Risiko einer von den Märkten forcierten Anpassung: das Szenario einer „harten Landung" des Dollars mit neuen kontraktiven Effekten in den Überschußländern und der Gefahr eines beschleunigten Preisanstiegs in den Vereinigten Staaten. Eine zusätzliche Unsicherheit belastete die Erwartungen der internationalen Finanz- und Devisenmärkte, da der Wechselkursmechanismus zu versagen schien. Die Leistungsbilanz-Salden - nominal und in Dollar gerechnet erhöhten sich nämlich zunächst infolge des Anhaltens der Wechselkursverschiebungen, statt sich zu vermindern. Zudem waren die Wirkungsverzögerungen beim amerikanischen Ausfuhrvolumen länger als bei den Importen, wodurch sich der protektionistische Druck auf die Regierung verstärkte. Wegen der im Vergleich zu Japan und der Bundesrepublik Deutschland geringen „Ausfuhrfreudigkeit" der amerikanischen Volkswirtschaft waren auch unter günstigen Umständen kaum rasche Fortschritte bei der Auflösung der internationalen Ungleichgewichte zu erwarten. Am Horizont zeichneten sich bereits neue Risiken ab, die ihren Ursprung in den internationalen finanziellen und monetären Auswirkungen der Finanzierung der amerikanischen Leistungsbilanz-Defizite hatten. Nie zuvor hatte die Weltwirtschaft eine derartige Polarisierung im Muster der internationalen Gläubiger-Schuld-
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Abgedruckt in: EA, 12/1986, S. D 312 ff.
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NEUE HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE WELTWIRTSCHAFT
ner-Beziehungen erlebt, wie sie zwischen Japan und den Vereinigten Staaten 1986 bestand; eine weitere Zuspitzung war vorhersehbar. Ungewöhnlich war auch, daß ein Land wie Japan den Zuwachs seiner Auslandsforderungen fast vollständig in einer einzigen Währung - dem Dollar - hielt, und dies gegenüber einem einzigen Schuldnerland, den Vereinigten Staaten. Die „Saturierung" der japanischen Portfolios mit Dollars mußte den Wunsch nach Diversifizierung entstehen lassen, deren mögliche negative Auswirkungen auf den Dollarkurs gravierende Konsequenzen für die internationale Wettbewerbsposition der Industrieländer untereinander haben würden. Schließlich gab es auch kein Beispiel dafür, daß ein Land, dessen Währung die erste Reservewährung des internationalen Zahlungs- und Währungssystems war, über einen längeren Zeitraum hinweg ein großer Nettoschuldner gegenüber dem Rest der Welt war. Zur schwelenden Schuldenkrise der Entwicklungsländer und der strukturellen Wachstumsschwäche in Europa traten so globale Risiken einer neuen Art hinzu.
DIE INTERNATIONALE SCHULDENKRISE UND DER BAKER-PLAN
Von Rudolf
Herlt
URSACHEN DER SCHULDENKRISE A m 20. August 1982 alarmierte Mexiko die internationale Finanzwelt: Das zweitgrößte Schuldnerland der Welt verkündete, daß es seine Schulden nicht wie vereinbart bedienen könne. Die Finanzwelt reagierte betroffen, besonders als sich herausstellte, daß Mexiko nicht das einzige Land mit Schuldenproblemen war. Ganz Lateinamerika, einige asiatische und afrikanische Länder hatten ähnliche Schwierigkeiten. 1 Diese Schwierigkeiten hatten drei Hauptursachen: die expansive Wirtschafts- und Schuldenpolitik vieler Entwicklungs- und Schwellenländer; das unvorsichtige Kreditgebaren der Geschäftsbanken, das sich aus dem zunächst sinnvollen Recyling entwickelt hatte, und die Verschlechterung des internationalen Wirtschaftsklimas Anfang der achtziger Jahre. Die hohen Haushaltsdefizite in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern wurden durch die Notenpresse finanziert; die Inflation beschleunigte sich. Die Währungen wurden nicht entsprechend abgewertet, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit der Schuldnerländer untergraben wurde. Die Defizite in den Leistungsbilanzen — bedingt durch die massive Verteuerung des Erdöls - wurden größer. Ihre Finanzierung stellte keine Probleme. Die Geschäftsbanken der großen Industrieländer, denen die Olmilliarden zugeflossen waren, vergaben bedenkenlos Kredite an Entwicklungs- und Schwellenländer. Sie vertrauten allzusehr darauf, daß ein Land nicht insolvent werden kann. Sie hatten aber nicht genügend berücksichtigt, daß sie gegenüber einem säumigen Land über keinerlei Druckmittel verfügten. Denn ein Land kann im Gegensatz zu einem privaten Schuldner - nicht zum Schuldendienst gezwungen werden. Allerdings können die Banken - und das erklärt ihre risikofreudige Politik zumindest zum Teil mit - ihre eigene Erpreßbarkeit auf die Notenbanken abwälzen, die bei schweren Störungen im Bankensystem als „lender of last resort" einspringen. Damals - im August 1982 - ging tatsächlich die Angst um, das Weltfinanzsystem könnte zusammenbrechen. Das Undenkbare war denkbar geworden: eine Kettenreaktion, die zum großen Krach führt. Ein Zusammenbruch des Finanzsystems hätte für die gesamte Weltwirtschaft unabsehbare Folgen: Banken stellten ihre Zahlungen ein, Unternehmen gingen scharenweise in 1 Vgl. hierzu auch Hans-Eckart Scharrer, Die internationale Verschuldung als Krisenfaktor der Weltwirtschaft, in: IP 1981/82, S. 147 ff.
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INTERNATIONALE SCHULDENKRISE UND BAKER-PLAN
Konkurs, ihre Arbeitskräfte lägen auf der Straße, Länder könnten ihre Einfuhren nicht bezahlen, Exporteure verlören ihre Märkte, der Welthandel käme zum Erliegen, Banken, die den ersten Stoß überlebten, kämen etwas später an die Reihe, weil die Kunden in Panik ihre Sparkonten plündern würden. ERSTE R E A K T I O N E N D E R GLÄUBIGER Unmittelbar nachdem diese ungemütlichen Perspektiven erkannt worden waren, wurden Maßnahmen zur Entschärfung der Lage eingeleitet. Rückschauend lassen sich — vereinfacht - vier Phasen der internationalen Schuldenkrise erkennen: Die erste Phase dauerte bis Mitte 1983. In dieser Zeitspanne stand die Überwindung der akuten Zahlungsbilanzkrise im Vordergrund. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel spielte bei diesen „Feuerwehraktionen", die den Kollaps des Weltfinanzsystems verhindern sollten, die zentrale Rolle. Die Zentralbanken der Zehnergruppe gewährten den hochverschuldeten Ländern über die B I Z Überbrückungskredite. In der zweiten Phase - sie ging 1985 zu Ende - trat der Internationale Währungsfonds (IWF) ins Rampenlicht. Die kurzfristigen Überbrückungskredite der BIZ wurden durch Beistandskredite des Währungsfonds abgelöst. Diese Kredite waren an wirtschaftpolitische Auflagen zur Gesundung der Wirtschaft in den hochverschuldeten Ländern gebunden. Diese Auflagen waren die Voraussetzung für die Bereitschaft der Geschäftsbanken, in Umschuldungsverhandlungen einzutreten und neue Kredite zur Verfügung zu stellen. Die ersten Umschuldungsvereinbarungen erstreckten sich nur auf die Fälligkeiten der unmittelbaren Zukunft. Doch das Zusammentreffen der hinausgeschobenen Rückzahlungen mit planmäßigen neuen Fälligkeiten führte zu neuen Schwierigkeiten. So kam es Mitte 1984 mit Mexiko zum ersten Umschuldungsabkommen für mehrere Jahre. Diese Abkommen wurden kurz „Myras" genannt, Multi-Year-Restructuring-Agreements. Sie brachten den Schuldnerländern einige Kostenerleichterungen, Rückzahlungsfristen wurden gestreckt, tilgungsfreie Jahre eingeräumt und der Zinsaufschlag auf Libor (London interbank offered rate) verringert. Daß auf die Zinszahlung solcher Wert gelegt wurde, hing mit einer Vorschrift der amerikanischen Bankengesetzgebung zusammen. Danach gilt ein Kredit, dessen Zinsen Tage nach Fälligkeit noch nicht eingegangen waren, als in Verzug geraten. Wirtschaftsprüfer bewerteten den Kredit, der dann teilweise oder ganz abgeschrieben werden mußte. Dieser für die Ertragslage und für ihr Ansehen auf den Kreditmärkten gefährlichen Situation wichen die amerikanischen Banken dadurch aus, daß sie dem Schuldner neues Geld liehen, damit er die Zinsen an sie zahlen konnte. Deutsche und andere europäische Banken hatten eine vergleichbare Vorschrift nicht zu beachten.
ERSTE REAKTIONEN DER GLÄUBIGER
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Zinsen, die überfällig waren, wurden in der Bundesrepublik dem Kapital zugeschlagen, und die Gesamtschuld wurde mit steuerlicher Wirkung wertberichtigt. In dieser zweiten Phase der Schuldenkrise legten die Gläubiger Wert auf Anpassung an die Erfordernisse der Devisenlage, wobei das Wachstum nicht berücksichtigt war. Die vom Währungsfonds verordnete Austerity-Politik ließ in den meisten Schuldnerländern das Pro-Kopf-Einkommen sinken. Doch die gesamtwirtschaftlichen Größen entwickelten sich positiv. Die Inflationsraten sanken, Haushaltsdefizite wurden drastisch abgebaut und die Leistungsbilanzen verbesserten sich; die Banken lernten die „hohe Kunst der Umschuldung" (Wilfried Guth) und schätzten es, daß ihre Zinseinnahmen normal flössen. Der IWF und die Bankenaufsichtsbehörden in aller Welt hatten an den Ergebnissen nichts auszusetzen: Der Notstand der ersten beiden Jahre nach Ausbruch der Schuldenkrise schien überwunden zu sein. Selbstzufriedenheit machte sich breit, weil die Verantwortlichen die richtige Formel gefunden zu haben glaubten. Der Anpassungsprozeß und das hohe Preisniveau in den Industrieländern hinterließen in den Schuldnerländern Lateinamerikas freilich tiefe Spuren. Das Verhältnis zwischen dem Preisindex der ausgeführten Güter und dem Preisindex der eingeführten Güter - die terms of trade - verschlechterte sich in den lateinamerikanischen Ländern mit großer Geschwindigkeit. Die Schuldendienstquote war zwar seit 1982 in etwa konstant geblieben. Doch 1985 flössen nur noch fünf Milliarden Dollar in die Region Lateinamerika, während 35 Milliarden Dollar an Zinsen und Gewinnen in die Industrieländer zurückflössen. Die Importe gingen zurück, die Exporte blieben etwa auf dem gleichen Niveau wie 1980. Dadurch kehrte sich das Defizit in den Handelsbilanzen in einen Uberschuß um. Die Leistungsbilanzen der südamerikanischen Länder erreichten schon 1984 nahezu das Gleichgewicht. Erst in den Folgejahren stiegen die Defizite wieder. In fast jedem Land der Region war aber die Arbeitslosigkeit 1985 höher als 1980. Die Durchschnittslöhne waren gefallen, und zu allem Uberfluß stiegen auch die Inflationsraten wieder. In manchen Ländern wurde die soziale Verträglichkeit der Anpassungsprogramme falsch eingeschätzt, die drohte, die politische Stabilität der Schuldnerländer und die Fortschritte in Richtung Demokratie ernsthaft zu untergraben. Die zwangsläufige Politisierung des Schuldenproblems führte zu radikalen Lösungsvorschlägen: „Schuldenkartell" und „Zahlungsverweigerung" waren damals die Stichworte der öffentlichen Diskussion. Positiv war zu bewerten, daß im Verlauf der Schuldenkrise bis dahin ein Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems vermieden worden war. Das Krisenmanagement war insofern erfolgreich. Doch legten 1985 einige Beobachtungen die Überlegung nahe, eine mittel- bis langfristige Strategie zur Bewältigung der Schuldenkrise zu entwickeln: das nachlassende Wachs-
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INTERNATIONALE SCHULDENKRISE UND BAKER-PLAN
tum in den Industrieländern; der Rückgang der Rohstoffpreise, vor allem beim O l ; der wiederbelebte Protektionismus, der den Zugang der verschuldeten Entwicklungsländer zu den Märkten der Industrieländer erschwerte; die Programme zur Sanierung der Wirtschaft, die in einigen Entwicklungsländern soziale Unruhen ausgelöst hatten; eine Kapitalflucht vorher unbekannten Ausmaßes, die die Schuldnerländer ihrer Ersparnisse beraubte; die Geschäftsbanken, die noch 1983 7 Prozent mehr Mittel in die Entwicklungsländer lenkten, gaben 1984 nur noch 4 Prozent mehr; 1985 stellten sie die Kreditgewährung in die Dritte Welt praktisch ganz ein. Dies alles war schließlich Anlaß für den „Baker-Plan".
DER BAKER-PLAN Auf der Jahrestagung des I W F und der Weltbank im Herbst 1985 in Seoul überraschte der amerikanische Finanzminister James Baker die Welt mit einer neuen Initiative. Mit seinem „Programm für dauerhaftes Wachstum", 2 das eine Kooperation von Schuldnerländern, Weltwährungsfonds, Weltbank und privaten Banken vorsah, sollte die Lage der 15 hochverschuldeten Entwicklungsländer der mittleren Einkommensklasse erleichtert werden. D e r Plan wandte sich an Argentinien, Brasilien, Chile, Ekuador, die Elfenbeinküste, Jugoslawien, Kolumbien, Mexiko, Marokko, Nigeria, Peru, die Philippinen, Uruguay und Venezuela. Diese Länder schuldeten den privaten Banken nach dem Stand vom Jahresende 1985 rund 274 Milliarden Dollar. Mit 33 Milliarden Dollar waren sie bei den Entwicklungsbanken (Weltbank und regionale Entwicklungsbanken) verschuldet, 72 Milliarden Dollar hatten sie von öffentlichen Stellen und rund 50 Milliarden Dollar aus anderen Quellen geliehen bekommen. Insgesamt waren diese Länder Ende 1985 mit 499 Milliarden Dollar im Ausland verschuldet. Finanzminister Baker stellte seine Initiative auf drei Elemente ab: 1. auf die eigenen Anstrengungen der Schuldnerländer. Sie sollten sich zu umfassenden marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftsprogrammen verpflichten, die bei außenwirtschaftlicher und binnenwirtschaftlicher Stabilisierung auf nachhaltige Stärkung des Wirtschaftswachstums ausgerichtet sind. 2. Nach den Vorstellungen Bakers sollten die Eigenanstrengungen durch die Bereitstellung neuer Kreditmittel für die 15 Problemländer unterstützt werden. Hierbei sollten sich vor allem die Weltbank und die regionalen Entwicklungsbanken, in erster Linie die Interamerikanische Entwicklungsbank ( I D B ) , stärker als bisher mit langfristigen Krediten zum Zwecke der Strukturverbesserung in den Schuldnerländern einschalten. Diese Mittel 2
Auszüge abgedruckt in: EA, 1/1986, S. D 15-20.
DER BAKER-PLAN
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sollten ebenso wie die Kredite des Währungsfonds mit wirtschaftspolitischen Auflagen verknüpft werden. Der Währungsfonds sollte seine Rolle als Geber kurzfristiger Zahlungsbilanzhilfen mit wirtschaftspolitischen Auflagen weiterspielen. Der Grundsatz der Konditionalität sollte nicht aufgeweicht werden. 3. Die Privatbanken sollten zur Unterstützung der Wachstumspolitik wieder mehr Kredite geben. Alle drei Elemente bedingten und unterstützten sich gegenseitig. Die Verbindung der neuen Bankenmittel mit den Darlehen der öffentlichen Organisationen sollten deren Möglichkeiten verbessern, die Schuldnerländer auf die Einhaltung einer soliden Wirtschaftspolitik festzulegen. Ohne eine solche Wirtschaftspolitik hätten die Banken neue Kredite weder für denkbar noch für vertretbar gehalten. Ihre Devise lautete: neues Geld nur für eine neue Politik. Für die Schuldnerländer selbst sollte die begründete Aussicht auf neue Kredite für einen längeren Zeitraum ein Anreiz für die Übernahme verbindlicher wirtschaftspolitischer Zielsetzungen sein. Die Baker-Initiative 3 bedeutete keine völlige Neuorientierung auf dem Wege zur Bewältigung der Schuldenkrise. Sie war eine konsequente Fortsetzung des bisherigen kooperativen Lösungsansatzes. Neu war aber, daß die amerikanische Regierung zum ersten Mal die Notwendigkeit anerkannte, im Rahmen eines Zusammenspiels der öffentlichen Institutionen und der Banken ein mittelfristiges Konzept zu entwickeln. Neu war die amerikanische Bereitschaft, in der Weltwirtschaft wieder die Führungsrolle zu übernehmen. Neu war auch das größere Gewicht, das der Weltbank in diesem Plan zukam. Ihre Programmkredite, die nicht auf Einzelprojekte bezogen sind, sondern für ganze Wirtschaftssektoren oder für wirtschaftspolitische Maßnahmen bereitgestellt werden, waren bisher die Ausnahme. Erst seit 1980 haben sie als Strukturanpassungskredite eine gewisse Bedeutung erlangt. Die finanzielle Komponente des Plans sollte nach den Vorstellungen Bakers wie folgt aussehen: Weltbank und Interamerikanische Entwicklungsbank sollten ihre Auszahlungen für die 15 Problemländer in den drei Jahren von 1986 bis 1988 über die vorgesehenen 18 Milliarden Dollar hinaus auf 27 Milliarden Dollar aufstocken. Nach Abzug der anstehenden Darlehensrückzahlungen sollten für den Dreijahreszeitraum aus diesen Quellen netto 20 Milliarden Dollar fließen. Im gleichen Zeitraum sollten die privaten Banken für diese Länder Kredite von ebenfalls 20 Milliarden Dollar netto zur Verfügung stellen. Damit sollten den 15 Problemländern bis 1988 insgesamt 40 Milliarden Dollar zusätzlich zufließen - ebensoviel, wie sie bei einer Gesamtverschuldung von 430 Millarden Dollar in einem Jahr an ihre Gläubiger Zinsen zahlen mußten. 3 Vgl. hierzu besonders Rudolf Herlt, Schuldenkrise, in: EA, 6/1986, S. 161-172.
Der Baker-Plan zur Lösung der internationalen
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INTERNATIONALE SCHULDENKRISE UND BAKER-PLAN
D I E W E L T W I R T S C H A F T L I C H E E I N B E T T U N G DES PLANS Die Baker-Initiative war die Reaktion auf die weltwirtschaftlichen Ereignisse seit Beginn der achtziger Jahre. Der zweite Olpreisschock von 1979 hatte die westliche Welt in ihre schlimmste Rezession der Nachkriegszeit gestürzt. Die Defizite in den öffentlichen Haushalten waren angeschwollen, die Inflation war außer Kontrolle geraten, und die alten wirtschaftspolitischen Rezepturen wirkten nicht mehr. Jedes Land versuchte, das „eigene Haus" in Ordnung zu bringen. Dabei war es unvermeidlich, daß die Regierungen auf die internationalen Rückwirkungen ihrer Politik noch weniger achteten als vorher schon. Die Vernachlässigung der Erkenntnis, daß, was immer auch im Lande geschieht, die anderen nicht unberührt läßt, hatte die wirtschaftliche Lage nicht verbessert, im Gegenteil - sie hatte die Probleme mit verursacht, die seit Sommer 1985 das Bild beherrschten. Die wirtschaftliche Erholung in den Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ( O E C D ) hatte sich merklich verlangsamt und spiegelte vor allem das geringere Wachstumstempo in den Vereinigten Staaten wider. Die Hoffnungen auf einen nennenswerten Rückgang der Arbeitslosenzahlen sanken. Die großen Industrieländer hatten ihr außenwirtschaftliches Gleichgewicht verloren. Die Vereinigten Staaten zahlten 1985 über 150 Milliarden Dollar (1986 waren es sogar 170 Milliarden Dollar) mehr an das Ausland, als sie von dort einnahmen - Ausdruck des gewaltigen Leistungsbilanzdefizits. Umgekehrt entwickelten sich in den außenwirtschaftlichen Bilanzen von Japan und der Bundesrepublik Deutschland Leistungsbilanzüberschüsse. Beide Länder nahmen mehr aus dem Ausland ein, als sie dorthin zu zahlen hatten. Die Wechselkurse, zu denen die Währungen getauscht werden, entwickelten sich allen Lehrbuchweisheiten zum Trotz in eine Richtung, die das Ungleichgewicht in der Weltwirtschaft weiter verstärkte: Der übermäßig starke Dollar zog Einfuhrwaren aus aller Welt in die Vereinigten Staaten; die schwache D-Mark und der schwache Yen, Spiegelbilder des DollarHöhenflugs, erleichterten in der Bundesrepublik und in Japan den Export und blähten die Überschüsse auf. Der Druck auf die amerikanische Regierung, die Einfuhren durch Schutzmaßnahmen zu drosseln, nahm bedrohliche Ausmaße an; der Kongreß mußte sich mit unzähligen Gesetzesvorlagen befassen. Die Strategie der Entschärfung der Schuldenkrise, mit der bis 1984 beachtliche Fortschritte erzielt worden waren, erlitt 1985/86 einen Rückschlag. Brasilien kündigte an, die Zinszahlungen auf seine Auslandsschuld befristet einzustellen. Argentinien knüpfte unter dem Beifall Perus, das mit ähnlichen einseitigen Entscheidungen vorangegangen war, die Bedienung der Schulden an Bedingungen. Die Philippinen gaben zu erkennen, daß sie sich der neuen Bewegung anschließen wollten. Mexiko dagegen erklärte, daß es
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seine Auslandsverpflichtungen trotz begrenzter finanzieller Mittel erfüllen wolle. Ein Umschuldungsabkommen, das mit dem Land im September 1986 unterzeichnet wurde, sicherte neue Mittel von privaten Banken in Höhe von 6 Milliarden Dollar zu. Die Taktik Argentiniens und Brasiliens hatte zum Ziel, die Gläubigerbanken zu neuen Krediten zu bewegen. Argentinien wurde zumindest mit dem IWF einig, der ein Sanierungsprogramm überwachte, so daß es für die privaten Banken weniger riskant war, neues Geld zu leihen. Brasilien erzielte mit seinen Regierungsgläubigern im „Pariser Club" überraschend Übereinstimmung über ein Umschuldungsabkommen, ohne daß sich die Gläubiger mit ihrem Wunsch durchsetzen konnten, den Währungsfonds einzuschalten. Diese erste Abweichung von der bisherigen Gepflogenheit, nur mit Beteiligung des Währungsfonds umzuschulden, war ein alarmierendes Zeichen. Es zeigte, daß die Schuldnerländer wieder die stärkeren Verhandlungspartner waren. Daß der Baker-Plan trotzdem kein großer Erfolg wurde, hing mit der großen Zahl der Gläubigerbanken zusammen; es war ungemein schwierig, alle zum Gleichschritt zu veranlassen. Mit großem Wohlwollen ließ sich das Umschuldungsabkommen vom September 1986 mit Mexiko als ersten und bisher einzigen Anwendungsfall des Baker-Plans bezeichnen. DIE DEBATTE ÜBER ALTERNATIVEN Wegen dieser mageren Erfolgsbilanz war es nicht verwunderlich, daß auch andere Lösungsvorschläge immer noch in der Diskussion blieben. Es gab Beobachter, die in der Schuldenkrise ein rein politisches Problem sahen. Doch die Minderheit, die so dachte, nahm allmählich ab. Die vergangenen vier Jahre hatten genügt, die Ansicht fest zu verankern, daß Lösungen nicht außerhalb der ökonomischen Gesetzmäßigkeiten gesucht werden durften. Deshalb wurde die Vorstellung, eine Weltschuldenkonferenz zu veranstalten mit dem Ziel, die Schuldenlast der Entwicklungsländer zu senken, von der überwiegenden Mehrheit als illusionär abgetan. Dennoch kamen viele Beobachter zu dem Schluß, daß die bisher benutzten Instrumente zur Bewältigung der Schuldenkrise nicht ausreichten. Ihre Argumente holten sie aus dem Bereich des Unternehmensrechts. Ist die Schuldenkrise, so fragten sie, wirklich nur eine Liquiditätskrise, oder ist sie nicht eher eine Solvenzkrise? Im ersten Fall fehlen dem sonst gesunden Schuldner nur die flüssigen Mittel zur Bedienung seiner Schulden, im zweiten Fall sind seine Schulden größer als sein Vermögen. Es gab auch im Bankenbereich Stimmen, die sich eindeutig für die zweite Antwort entschieden. Wenn ein Schuldner insolvent wird, so hieß es, könne man ihm nur durch Forderungsverzicht helfen. Das Rezept hieß dann Erlaß oder Teilerlaß von Schulden.
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Daß private Banken in keinem einzigen Fall einen Schuldenerlaß anboten, hatte, abgesehen von der sozialen Ungerechtigkeit gegenüber „guten" Schuldnern, mehrere Gründe: Jedem Schuldnerland steht nicht eine einzige Bank, sondern eine Gruppe von Banken als Gläubiger gegenüber. Selbst wenn es für alle Gläubiger vorteilhaft wäre, Zinserlaß und damit einen Teilerlaß der Schulden zu gewähren, ist es für jeden einzelnen günstiger, auf voller Schuldenbedienung zu bestehen in der Hoffnung, auf Kosten eines anderen Gläubigers den gesamten eigenen Kredit bedient zu bekommen. Diese Überlegungen verhinderten Vergleichslösungen. Ein allgemeiner Schuldenerlaß wurde außerdem für ein unbrauchbares Instrument gehalten, weil er sowohl für das Schuldnerland wie auch für das Weltfinanzsystem beträchtliche Nachteile brächte. Das Schuldnerland wäre auf Jahre hinaus von privaten Kapitalquellen abgeschnitten und in seiner Entwicklung zurückgeworfen. Wenn Banken im Zuge eines allgemeinen Schuldenerlasses ihre nicht oder nicht ausreichend wertberichtigten Forderungen abschreiben müßten, verlöre manches Institut seine Kapitalbasis. Das internationale Finanzsystem würde gewaltigen Erschütterungen ausgesetzt, wenn nicht gar beim Zusammentreffen mehrerer Bankenkonkurse zusammenbrechen. Auch der öfter beschworene Marshall-Plan für Entwicklungsländer ging an den Realitäten vorbei. Gedacht war an eine großzügige Entwicklungshilfe in F o r m von kostenlosen Zuschüssen, die den Schuldnerländern Luft verschaffen sollten, ihre Schulden ordnungsgemäß zu bedienen. Mit zwei Hinweisen wurde auf die Schwächen dieses Vorschlags aufmerksam gemacht: Entwicklungsländer sind nicht in der gleichen Lage wie das kriegszerstörte, aber mit technischem Wissen und ausgebildeten Arbeitskräften ausgestattete Europa der späten vierziger Jahre. U n d : Welches Industrieland könnte angesichts von Haushaltsdefiziten große Summen in die Dritte Welt verschenken? DIE RICHTIGE STRATEGIE Unter diesen Umständen hatte sich gegen Ende des Berichtszeitraums eine weitgehende Übereinstimmung über das Ziel der Schuldenstrategie und über die anzuwendenden Mittel herausgebildet. An die Verzinsung und Rückzahlung aller Schulden bis auf den letzten Dollar glaubte niemand. Erlaß oder Teilerlaß waren allenfalls öffentlichen Gläubigern der ärmsten Länder zuzumuten, die, wie viele afrikanische Länder, kaum kommerzielle Kredite bekommen haben. Die Bundesregierung hatte bis Ende 1986 auf Tilgungen und künftige Zinsleistungen in H ö h e von 4,2 Milliarden D - M a r k öffentlicher Kredite verzichtet. Aber bei privaten Bankkrediten konnte nicht einmal gefahrlos darüber gesprochen werden. Ende 1986 konnte das Ziel der Schuldenstrategie nur lauten: Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit der verschuldeten Länder. Zu dieser Zielfor-
DIE RICHTIGE STRATEGIE
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mulierung verhalf die Einsicht, daß die Schuldenkrise eben kein globales Problem ist. Sie setzt sich aus vielen unterschiedlich gelagerten Einzelfällen zusammen. Lösungen müssen für jeden Einzelfall gefunden werden. Sie wären erst dann angemessen, wenn sie auf der einen Seite vermeiden würden, daß das Weltfinanzsystem erschüttert wird oder gar zusammenbricht, wenn sie auf der anderen Seite aber verhindern könnten, daß Entwicklungsländer ihren Bürgern solche Opfer zumuten müßten, daß eine Revolution ausbrechen würde. Nach vier Jahren erfolgreichen Krisenmanagements mit „Feuerwehraktionen" zur Abwendung der Zahlungsunfähigkeit überschuldeter Länder und nachfolgenden kurz- und mittelfristigen Hilfen durch Umschuldung war die Einsicht gewachsen, daß alles zur Entschärfung der Schuldenkrise getan werden müsse, solange das Ziel - die Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit der Länder - noch in weiter Ferne lag. Schließlich hatten mehr als 60 Schuldnerländer Ende 1986 Schwierigkeiten mit der Bedienung ihrer Schulden. Sie verdienten nicht genug Devisen, um ihre meist auf Dollar lautenden Verpflichtungen erfüllen zu können. Sie fanden auch keinen Kreditgeber mehr, der die Lücke im Vertrauen auf ihre möglicherweise künftige Zahlungsfähigkeit mit zusätzlichen Krediten geschlossen hätte. Die Banken befürchteten, daß sie dabei gutes Geld dem schlechten nachwerfen müßten und sich selbst in neue Gefahr brächten. Ein Retter in der N o t war nicht in Sicht. Unternehmen, die mit Produktionsstätten in die verschuldeten Länder gehen oder sich dort an heimischen Unternehmen beteiligen, waren rar geworden. Währungsfonds und Weltbank konnten nur im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel in die Bresche springen. 1985 und 1986 liefen 26 Abkommen des Währungsfonds über gut 11 Milliarden Dollar Beistandskredite aus. Der Fonds hatte dann keinen Einfluß mehr auf die Wirtschaftspolitik jener Schuldnerländer. Gegen die Aufnahme neuer Fonds-Kredite regte sich in vielen Schuldnerländern politischer Widerstand. D e r nachlassende Einfluß des Währungsfonds führte dazu, daß die Kredite der Banken ganz versiegten. Die Zentralbanken konnten nur helfen, wenn es um die Uberbrückung von Liquiditätsschwierigkeiten ging. Die Regierungen der Gläubigerländer konnten und durften nicht ausschließlich die Steuerzahler die Zeche bezahlen lassen. Bei realistischer Betrachtung schien nur ein Konzept den Weg aus der Schuldenkrise zu weisen. Es stützte sich nach weitgehendem Konsens auf sieben Elemente: 1. Jedes Schuldnerland muß als individueller Fall behandelt werden. 2. Die Entwicklungsländer selbst müssen einsehen, daß die Voraussetzung, auch weiterhin Zugang zu öffentlichen und privaten Kreditquellen aus den Industrieländern zu haben, nur dann zu erfüllen ist, wenn sie sich zu Hause zu einer gesunden Wirtschaftspolitik, d.h. zu einer Ankurbelung des internen
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Wachstums, entschließen. Dies ist nicht nur der Garant für weitere Kreditwürdigkeit, sondern auch das Mittel, die Kapitalflucht zu stoppen. 3. Unverzichtbar ist dabei die Mitwirkung von Währungsfonds und Weltbank. Sie sind als einzige Institutionen in der Lage, mit den Schuldnerländern wirtschaftpolitische Auflagen zu vereinbaren und durchzusetzen. Durch sie werden auch private Banken ermuntert, neue Kredite zu gewähren. Vereinbarungen mit den internationalen Währungsorganisationen sind Voraussetzung für neue Kredite aus privaten Quellen. Wichtig ist dabei, daß die Bedingungen der Sanierungsprogramme sozial verträglich sind. 4. Die Industrieländer müssen ihre Märkte den Produkten aus den Entwicklungsländern öffnen, damit diese die Devisen verdienen, mit denen sie ihre Schulden verzinsen und zurückzahlen können. Ende 1986 wurden in den U S A , der Europäischen Gemeinschaft und in Japan durch Einfuhrhürden mehr Importwaren aus den Entwicklungsländern als aus den Industrieländern ferngehalten. Die Verhandlungen im Rahmen der am 15. September begonnenen Uruguay-Runde des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens ( G A T T ) böten das geeignete Forum für eine Korrektur. 5. Zur Erleichterung der Schuldenlast sollte, wo immer möglich, auf Hilfen zurückgegriffen werden, die 1986 schon eine gewisse Rolle spielten: die Konversion von Dollarschulden in Währungen mit günstigeren Zinssätzen; Kapitalisierung von Zinsen; das Festsetzen von Zinsobergrenzen. 6. Die Risiken ließen sich breiter verteilen, wenn die Forderungen gegen die Schuldnerländer handelbar gemacht werden. Bei der Verbriefung von Forderungen bieten sich zwei Instrumente an, die „debt equity swaps" und die „exit bonds". Mit den „equity swaps" tritt die Gläubigerbank ihre Forderung gegenüber einem Schuldnerland mit einem Abschlag an einen Investor ab. Die Zentralbank des Schuldnerlandes wandelt die Forderung des Investors in inländische Währung um. Das Geld wird im Schuldnerland investiert. Die Gläubigerbank verbessert die Qualität ihrer Aktiva und vermindert das Kreditrisiko. Der Investor erwirbt die Währung des Schuldnerlandes zu einem günstigen Preis, da er die Forderung unter dem Nennwert kauft. Das Schuldnerland vermindert seine Außenschuld, ohne daß es seine knappen Devisenreserven einsetzen muß. D e n „exit bonds" liegt die Absicht zugrunde, die Zahl der an den Umschuldungen beteiligten Banken zu verringern und damit den mühsamen Verhandlungsprozeß zu erleichtern. Banken erhalten die Möglichkeit, ihre Kredite in Obligationen des Schuldnerlandes umzuwandeln und aus dem Umschuldungsprozeß auszuscheiden. Als Preis haben sie eine niedrigere Verzinsung der Obligationen in Kauf zu nehmen. Von beiden Instrumenten war ein weiterer Beitrag zur Entschärfung des Schuldenproblems zu erwarten. 7. Den Banken sollte genügend Zeit gelassen werden, damit sie ihre uneinbringlichen Forderungen mit steuerlicher Wirkung wertberichtigen
WEITGEHENDER KONSENS ÜBER DIE STRATEGIE
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konnten. Die Gläubigerbanken in der Bundesrepublik waren auf diesem Wege schon ein gutes Stück vorangekommen. In anderen Ländern, wie in der Schweiz, war die Lage ähnlich. Dagegen haben amerikanische Banken erst 1987 damit begonnen, ihre Eigenkapitalbasis zu stärken. Bei Wertberichtigungen mit steuerlicher Wirkung teilen sich die Eigentümer der Banken und die Steuerzahler in die Verluste aus notleidenden Krediten. Schließlich kommt die Wirkung allen zugute: Erst nach ausreichenden Wertberichtigungen kann man auch gefahrlos über den Teilerlaß von Schulden sprechen ohne daß es gleich zu Erschütterungen im Weltfinanzsystem kommt.
Weitgehender Konsens über die Strategie Nur mit dieser Strategie ließe sich nach übereinstimmender Ansicht von Regierungen der Gläubigerländer, der internationalen Währungsorganisationen und der privaten Banken den beiden Gefahrenquellen ausweichen, auf die bis zur Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit der Schuldnerländer Rücksicht zu nehmen war: Auf der einen Seite wurden den Bürgern in den Schuldnerländern nicht so große Opfer abverlangt, daß sie sich nur durch politisch destabilisierende Aktionen aus ihrer unerträglichen Lage hätten befreien können; auf der andern Seite wurde der große Zusammenbruch des Weltfinanzsystems vermieden. Darin lag der wichtigste Unterschied zur internationalen Verschuldung in den dreißiger Jahren. Auch damals waren die lateinamerikanischen Länder nicht in der Lage, die Zinsen auf ihre Auslandsschulden zu bezahlen. Betroffen waren damals aber in erster Linie private Wertpapiergläubiger und nicht die Geschäftsbanken. Die Gefahr von Kettenreaktionen - ein Merkmal von Bankenkrisen - war damals viel kleiner. Vier Jahre nach Ausbruch der Schuldenkrise im August 1982 waren noch keine überzeugenden Vorschläge zu ihrer Bewältigung in die Tat umgesetzt worden. Trotz schnellen Eingreifens und anschließenden Krisenmanagements war das Ausmaß der Krise sogar größer geworden. Die gesamten (öffentlichen und privaten) Schulden der Entwicklungsländer waren von 626 Milliarden Dollar im Jahre 1982 auf 1 035 Milliarden Dollar Ende 1986 gestiegen. Die drei größten Schuldnerländer Brasilien, Mexiko und Argentinien hatten Ende 1986 mehr Schulden als bei Ausbruch der Krise. Die 15 am höchsten verschuldeten Länder - die sogenannten Baker-Länder - wiesen nach Angaben des IWF öffentliche Auslandsschulden von 436 Milliarden Dollar aus, allein 300 Milliarden davon entfielen auf sechs Länder: Brasilien, Mexiko, Argentinien, Venezuela, Chile und die Philippinen. Bezogen auf das Bruttosozialprodukt der 15 Hauptschuldnerländer hat sich deren Schuldenstand seit 1983 allerdings nicht weiter erhöht. Auf das Exportvolumen bezogen stiegen die Auslandsschulden nur mäßig.
III DIE WELTMÄCHTE UND DAS OST-WESTVERHÄLTNIS
DIE W I E D E R B E L E B U N G DES P O L I T I S C H E N D I A L O G S ZWISCHEN D E N USA U N D D E R S O W J E T U N I O N Von Gebhard Schweigier ERNEUTE RÜSTUNGSKONTROLL-VERHANDLUNGEN Die sowjetische Führung hatte sich aufgrund der triumphalen Wiederwahl von Präsident Ronald Reagan im November 1984 offenbar zu der Erkenntnis durchgerungen, daß sie mit diesem Präsidenten „ins Geschäft kommen" müsse, und diese Erkenntnis zwei Wochen nach der Wahl mit der Einladung an den amerikanischen Außenminister für ein Gespräch mit dem sowjetischen Außenminister im Januar 1985 entsprechend signalisiert. Der amerikanische Präsident, zu Beginn seiner zweiten Amtszeit ohne spektakuläre außenpolitische Erfolge, war bereit, auf dieses Signal einzugehen. Er wollte seinen Traum einer Welt ohne nukleare Bedrohung verwirklichen und damit zugleich seinen historischen Ruhm sichern. So kam es, wie Präsident Reagan selbst in einer Pressekonferenz am 9. Januar 1985 vermerkte, zum „Beginn eines neuen Dialogs zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion". Er sei bereit, betonte Reagan, diesen Dialog mit Flexibilität, Geduld und Entschlossenheit zu führen.1
1
Vgl. die Pressekonferenz von Präsident Reagan in Auszügen in: EA, 3/1985, S. D 64-67.
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WIEDERBELEBUNG DES POLITISCHEN DIALOGS
Vorbehalte bei der Wiederaufnahme der
Abrüstungsverhandlungen
Seitdem die sowjetische Führung mit Beginn der Nachrüstung im November 1983 aus den Genfer Verhandlungen ausgestiegen war, hatten die USA und die Sowjetunion dreizehn Monate lang keine RüstungskontrollVerhandlungen mehr geführt. Damit ruhten auch andere Bereiche der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen, die beinahe zwangsläufig - sei es aus innenpolitischen oder verhandlungstaktischen Gründen - immer mit dem Stand der Rüstungskontroll-Verhandlungen verknüpft waren. Die sowjetische Seite signalisierte eine gewisse Kompromißbereitschaft, indem sie ihre ursprüngliche Forderung nach einer Rücknahme der Nachrüstung für die Weiterführung der Verhandlungen fallen ließ. Aber noch immer bestand sie darauf, daß Fortschritte bei der Reduzierung von nuklearen Angriffswaffen verbunden sein müßten mit einem Verzicht auf das amerikanische SDISystem, also dem Schutzschild gegen diese Waffen. Zu einer solchen Beschränkung seiner „strategischen Verteidigungsinitiative" war Präsident Reagan nach wie vor nicht bereit. 2 Aber der amerikanische Präsident stand unter beträchtlichem innenpolitischen Druck. Starke Kräfte im Kongreß lehnten seinen Traum einer Welt ohne die Bedrohung nuklearer Waffen als unrealistisch ab. Sie verlangten konkrete Rüstungskontroll-Maßnahmen, etwa die weitere Einhaltung des nie ratifizierten SALT-II-Abkommens, dessen Laufzeit am 31. Dezember 1985 endete. Das Verteidigungsministerium argumentierte, die Bestimmungen der SALT-Abkommen sollten nicht mehr eingehalten werden, da die Sowjetunion ihrerseits diese Bestimmungen ständig verletze (durch die Bereitstellung zweier neuer Raketentypen und den vertragswidrigen Aufbau einer großen Radarstation im Innern des Landes). Gleichzeitig forderte die Reagan-Administration einen weiteren Ausbau der militärischen Fähigkeiten, eine Forderung, die angesichts des rapide wachsenden Haushaltsdefizits auf zunehmenden Widerstand im Kongreß stieß. Besonders umstritten waren Anti-Satelliten-Waffen sowie die Beschaffung der neuen Rakete MX mit Mehrfachsprengköpfen. Der Präsident versuchte den wachsenden Widerstand im Kongreß gegen neue Beschaffungsmaßnahmen mit dem Argument zu überwinden, daß die USA nicht nachlassen dürften, für militärische Stärke zu sorgen, solange ein Ergebnis bei den Rüstungskontroll-Verhandlungen nicht vorläge. Aufrüsten, um
2
In der Vorbereitungsphase der Genfer Gespräche hatte der Präsident sogar die spezifische Anweisung gegeben, daß keine Papiere erarbeitet werden sollten, in denen Konzessionen in Sachen SDI erwogen würden. Vgl. Leslie H . Gelb, Arms Role Reversal, in: NYT, 6.1.1985, S. 1/16.
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WELTRAUM- UND KERNWAFFEN
abrüsten zu können: mit dieser Forderung mußte sich der Kongreß auseinandersetzen. 3 Auch die sowjetische Seite dürfte nicht ohne inneren Druck zu den Verhandlungen zurückgekehrt sein. Ihr vorrangiges Ziel war es, SDI zu verhindern. Offensichtlich fürchtete die sowjetische Führung, in einen neuen kostspieligen Rüstungswettlauf hineingezogen zu werden. Auch wurde deutlich, daß die Sowjetunion an schwierigen inneren Problemen, vor allem wirtschaftlicher Art, litt, die nur dann mit einiger Aussicht auf Erfolg gemeistert werden könnten, wenn der militärische Bereich eingeschränkt und die Beziehungen zum Westen verbessert würden. Die sowjetische Führung ließ noch vor Beginn der Genfer Gespräche in einem neuen Ton verlauten, die Sowjetunion bemühe sich um „radikale Lösungen", nämlich um eine „Verhinderung des Rüstungswettlaufs im Weltall, um radikale Reduzierungen und schließlich die Zerstörung nuklearer Arsenale und die Beseitigung der Bedrohung eines nuklearen Krieges." 4 Sie kam damit den Vorstellungen des amerikanischen Präsidenten ziemlich nahe.
Kopplung von Verhandlungen
Uber Weltraum- und
Kernwaffen
Als der amerikanische Außenminister George Shultz und der sowjetische Außenminister Andrej Gromyko am 7./8. Januar 1985 in Genf zur Vorbereitung der neuen Verhandlungsrunde zusammenkamen, ging es darum, zur Verwirklichung dieser Vorstellungen einen entsprechenden Verhandlungsrahmen zu finden. Auf amerikanischer Seite war man bemüht, eine formale Verknüpfung der verschiedenen Verhandlungsebenen - Mittelstreckenraketen, strategische Systeme und Abwehrwaffen - zu verhindern, um SDI zu schützen. Die sowjetische Seite versuchte, ein Junktim zwischen SDI auf der einen und offensiven Nuklearwaffen auf der andern Seite aufrechtzuerhalten. Man verständigte sich schließlich auf die Formel: „Thema der Verhandlungen wird ein Fragenkomplex sein..., der Weltraum- und Kernwaffen, sowohl strategischer als auch mittlerer Reichweite, betreffen wird, und zwar mit all den Fragen, die in bezug auf deren wechselseitiges Verhältnis in Erwägung gezogen und gelöst werden müssen." 5 Die Frage, inwieweit diese „interrelationship" der verschiedenen Verhandlungsbereiche ein Junktim beinhaltete, blieb auch weiterhin zwischen beiden Seiten umstritten; als Kompromißfor3 Vgl. Arms Talks May N o t Spare Reagan Fights on Hill, in: Congressional Quarterly Weekly Report, 12.1.1985, S. 55-57. Eine Übersicht über die von beiden Seiten geplanten Aufrüstungsmaßnahmen zu Beginn der Verhandlungen bietet Edward L. Warner III, Here the Superpowers Go Again. Costly New Arms, No New Security, in: The Washington Post, 10.2.1985, S. D 1/2. 4
Zitiert nach Seth Mydans,
5
Text des Kommuniques in: EA, 3/1985, S. D 60.
Moscow Reports Decision, in: NYT,
4.1.1985, S.8.
86
WIEDERBELEBUNG DES POLITISCHEN DIALOGS
mel genügte sie jedoch, um die Verhandlungen wieder in Gang zu bringen und zu halten. 6 Laut Kommunique vom 8. Januar sollten „effektive Vereinbarungen" angestrebt werden, mit deren Hilfe ein „Rüstungswettlauf im Weltall verhindert und auf Erden beendet" werden könne, ferner eine „Begrenzung und Reduzierung nuklearer Waffen" und die „Stärkung strategischer Stabilität". Offiziell erhielten diese Verhandlungen, auf deren genauen Beginn man sich innerhalb eines Monats verständigen wollte, den Titel „Nuclear and Space Talks" ( N S T ) , womit zum Ausdruck gebracht wurde, daß es nicht mehr nur um die Reduzierung strategischer Waffen ( S T A R T ) ging. Die Verhandlungen, so die Vereinbarung, sollten von je einer Delegation geführt werden, die in drei Gruppen aufgeteilt wurden. Erstaunlich wenig Aufmerksamkeit erregte ein Satz in der schriftlichen Vereinbarung der beiden Außenminister, der das Interesse beider Seiten an radikalen Lösungen zum Ausdruck brachte. „Beide Seiten sind der Überzeugung", hieß es hier, „daß die anstehenden Verhandlungen letztlich, wie auch die Bemühungen allgemeiner Art zur Begrenzung und Verringerung von Waffen, überall zu der vollständigen Beseitigung der Kernwaffen führen sollten." Der amerikanische Präsident gab auf seiner Pressekonferenz am 9. Januar zu verstehen, daß er „mit S A L T leben" könne. Zuvor hatte Außenminister Shultz schon gegenüber G r o m y k o erklärt, daß die U S A S A L T nicht ohne vorherige Verständigung mit der sowjetischen Seite aufgeben würden. 7 Damit war die weitere Einhaltung der SALT-Bestimmungen auf amerikanischer Seite zunächst gesichert. D e r sowjetisch-amerikanische Dialog kam auch auf anderen Ebenen wieder in Gang. Es war sicherlich kein Zufall, daß zur gleichen Zeit, als Shultz und G r o m y k o in Genf die Wiederaufnahme von RüstungskontrollVerhandlungen vereinbarten, eine Delegation des amerikanischen Handelsministeriums in Moskau weilte, um einen Besuch des Handelsministers Malcolm Baldrige in Moskau vorzubereiten. Wohl zur atmosphärischen Erleichterung dieses Besuchs gab Washington Anfang Januar bekannt, daß die Ausfuhrbeschränkungen bei „personal Computers" einfacher Bauart aufgehoben würden. Auch in anderen Bereichen - Kulturabkommen, Fischereiabkommen, Getreideverkäufen und Verbesserung des „Heißen Drahtes" wurden die Verhandlungen über neue Abkommen wieder aufgenommen, die mehr als ein Jahr lang ausgesetzt waren. 8
6 Zur Entstehungsgeschichte dieser Formel vgl. Leslie H. Gelb, Negotiating Communiqué to Keep the Ball Rolling, in: NYT, 30.1.1985, S. B 16.
Vgl. Dusko Doder, 9.1.1985, S. 14.
U.S., Soviets to Resume Arms Talks, in: The Washington
Post,
8 Vgl. Leslie H. Gelb, On the Eve of Arms Talks. A General Shift in Mood, in: NYT, 10.3.1985, S. E 1.
FÜHRUNGSWECHSEL IN DER SOWJETUNION
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Bis Ende Januar hatten sich beide Seiten auf den 12. März als Termin für den Beginn der Genfer NST-Verhandlungen verständigt. Zum Leiter der amerikanischen Delegation wurde Max Kampelman ernannt, der einst für Präsident Carter eine KSZE-Delegation geleitet hatte, in RüstungskontrollVerhandlungen aber noch unerfahren war. Die wichtigste konzeptionelle Arbeit wurde von Paul Nitze geleistet. Er war es, der die Vorgabe der Vereinbarung von Genf, die Präsident Reagan am 22. Januar noch einmal bekräftigte, 9 in eine von allen am inneramerikanischen Entscheidungsprozeß Beteiligten akzeptierte Verhandlungsstrategie umformulierte, die er am 25. Januar der Presse bekanntgab. In den nächsten zehn Jahren, so sein Vorschlag, sollte die Zahl und Wirkung der vorhandenen Nuklearwaffen radikal reduziert werden. Danach sei mit einer Übergangszeit zu rechnen, während der wirksame nichtnukleare Verteidigungssysteme nuklearen Angriffswaffen gegenüberstünden. Schließlich sei nach dieser Ubergangszeit die völlige Vernichtung aller nuklearen Waffen anzupeilen, denn, so Nitze, „eine nuklearwaffenfreie Welt ist ein Ziel, in dem wir mit der Sowjetunion und allen anderen Nationen übereinstimmen." 10 Die Sowjetunion stimmte allerdings diesem „strategischen Konzept" nicht zu; auf ein „Seminar" über das zukünftige Verhältnis offensiver und defensiver strategischer Waffen wollte sie sich nicht einlassen. 11
Führungswechsel
in der
Sowjetunion
Noch ehe die NST-Verhandlungen in Genf aufgenommen werden konnten, starb am 10. März der sowjetische ZK-Generalsekretär Konstantin Tschernenko. Sofort am Tag darauf wurde der 54 Jahre alte Michail Gorbatschow zu seinem Nachfolger ernannt. Gorbatschow, wie auch seine attraktive und gebildete Frau, hatten während ihres Besuchs in Großbritannien im Dezember 1984 wegen ihres sicheren Auftretens internationales Aufsehen erregt. Es war offensichtlich, daß dieser Wechsel an der Führungsspitze auch einen möglicherweise weitreichenden Umschwung in der sowjetischen Politik bedeutete.
9 „President Reagan said he had ,no more important goal' in his second term than in reducing and ultimately eliminating nuclear weapons." Zitiert nach Bernard Gwertzman, President Calls Control of Arms His Major Goal, in: NYT, 23.1.1985, S. 1. 1 0 Zitiert nach Hedrik Smith, Arms-Control Talks Scheduled in March, Administration Says, in: NYT, 26.1.1985, S. 1/4. Ursprünglich hatte Nitze für die erste Phase radikaler Reduzierungen sogar nur einen Zeitraum von 5-10 Jahren vorgesehen, war aber überstimmt worden. 11 Vgl. Don Oberdorfer und Walter Pineas, U.S. and Soviets Far Apart as Geneva Arms talks Near, in: The Washington Post, 10.3.1985, S. 1/18.
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WIEDERBELEBUNG DES POLITISCHEN DIALOGS
Wieder war der amerikanische Präsident mit dem Problem konfrontiert, ob er zum Begräbnis eines sowjetischen Generalsekretärs nach Moskau reisen solle. Wie zuvor bei Leonid Breshnew und Jurij Andropow lehnte Reagan dies ab. Aber er entschloß sich nach nur kurzer Überlegungszeit und daher ohne reifliche Vorbereitung, den neuen Mann zu einem Besuch nach Washington einzuladen, ohne die übliche Vorbedingung, eine Gipfelkonferenz sei nur bei voraussichtlichem Ergebnis sinnvoll. Die persönliche Einladung in Form eines Briefes des Präsidenten nahm Vizepräsident George Bush, der die USA bei den Begräbnisfeierlichkeiten vertrat, nach Moskau
Zwischenfall in der DDR Ein ernster Zwischenfall am 24. März drohte jedoch den vorsichtigen Neubeginn des sowjetisch-amerikanischen Dialogs vorzeitig zu einem Stillstand zu bringen. In der DDR war ein Angehöriger der 14 Mann starken amerikanischen Militärmission in Potsdam, Major Arthur Nicholson, erschossen worden, als er versuchte, in einem von der Sowjetunion als Sperrzone deklarierten Gebiet Aufnahmen zu machen.13 Auf amerikanischer Seite war man vor allem darüber verärgert, daß die sowjetischen Soldaten rechtzeitige medizinische Hilfe verhindert hatten. Das Verteidigungsministerium verlangte von der Sowjetunion eine Entschuldigung und Wiedergutmachung; die Sowjetunion verweigerte beides. Zwischen Caspar Weinberger und George Shultz kam es über die Frage des weiteren Vorgehens gegenüber der Sowjetunion zu heftigen Auseinandersetzungen.14 Am Ende verlief die amerikanische Reaktion auf den Zwischenfall in der D D R relativ mild, obwohl auch der Sprecher des Weißen Hauses „negative Auswirkungen auf zukünftige Beziehungen" angedroht hatte. 15 Das Verteidigungsministerium setzte einige Nadelstiche durch, indem eine offizielle Beteiligung an Feierlichkeiten zur Erinnerung an die Vereinigung sowjetischer und amerikanischer Soldaten am 25. April 1945 an der Elbe abgesagt wurde. Das Außenministerium verfügte überdies die Ausweisung eines sowjetischen Militärattaches, während das Weiße Haus sich entschloß, eine geplante Einladung an die Sowjetunion zu einem gemeinsamen Weltraumunterneh-
Vgl. Bernard Weinraub, President's Role in Bid to Moscow, in NYT, 14.3.1985, S. 1/11. Derartige Versuche waren offensichtlich nicht ungewöhnlich, ebensowenig wie sowjetische Einschüchterungsbemühungen. Vgl. hierzu James Markham, Slain U.S. Major Had One Exploit, in: NYT, 24.4.1985, S. 12. 1 4 Vgl. U.S. Aides Differ on Major's Death, in: NYT, 4.4.1985, S. 1/10. 12
1 5 Zitiert nach Bernard Gwertzman, 24.4.1985, S. 6.
U.S. Warns Soviet On Sentry Report, in:
NYT,
INTENSIVIERUNG DER HANDELSBEZIEHUNGEN
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men nicht auszusprechen. 16 Die Affäre wurde schließlich durch eine Verständigung auf militärischer Ebene beigelegt, obwohl eine Entschuldigung oder Wiedergutmachung von seiten der Sowjetunion nicht erfolgt war. Das Interesse an einer Fortsetzung des Dialogs überwog in Washington. Das amerikanische Interesse dürfte vor allem auch durch die Tatsache bestimmt gewesen sein, daß Gorbatschow Anfang April dem Weißen Haus seine grundsätzliche Bereitschaft zu einem Treffen mit Reagan signalisierte. 17 Das Weiße Haus betonte daraufhin den Unterschied zwischen einem „Treffen", zu dem der Präsident jederzeit bereit sei, und einem „Gipfeltreffen", das nach wie vor sorgfältiger Vorbereitung bedürfe.
Intensivierung
der amerikanisch-sowjetischen
Handelsbeziehungen
Die sowjetisch-amerikanischen Kontakte verstärkten sich in der Folgezeit auf allen Ebenen. Vertreter des Kongresses reisten nach Moskau und trafen sich mit Gorbatschow 1 8 (sie erwiderten damit den Besuch einer Delegation des Obersten Sowjet in Washington Anfang März 1985). Am 20. Mai traf Handelsminister Malcolm Baldrige in Moskau ein, um an einer Sitzung der Gemeinsamen Handelskommission teilzunehmen, die zum ersten Mal seit 1978 wieder tagte. Verteidigungsminister Weinberger, noch immer beunruhigt wegen der Nicholson-Affäre, hatte alles versucht, diese Reise zu verhindern, 19 doch ohne Erfolg. Baldrige übermittelte sogar ein persönliches Schreiben des Präsidenten an Gorbatschow. Ergebnis dieser Gesprächsrunde war eine Reihe weniger bedeutender Vereinbarungen zur Intensivierung des sowjetisch-amerikanischen Handels, denen aber durchaus Signalwirkung zukam. 2 0 Das grundlegende Hindernis für eine Intensivierung der Handelsbeziehungen, die seit 1974 im Jackson-Vanik-Amendment gesetzlich verankerte Verknüpfung von Meistbegünstigung und Kreditgewährung mit sowje-
1 6 Vgl. Don Oberdorfer, U.S., Soviet Generals Hold Talks in Germany, in: The Washington Post, 16.4.1985, S. 13. 1 7 Vgl. Lou Cannon, U.S. Aides Expect Summit This Fall, in: ebd., 3.4.1985, S. 1/14. 1 8 Dabei handelte es sich allerdings nur um die Führung des Repräsentantenhauses. Eine Delegation des Senats lehnte eine geplante Reise nach Moskau ab, nachdem die Sowjetunion einem Mitarbeiter des Auswärtigen Ausschusses das Visum verweigert hatte. 19 • . . . . . Vgl. die kurzen Hinweise in der „Washington Talk"-Spalte, in: NYT, 30.4. und 10.5.1985.
20
Zu den Einzelheiten vgl. U.S., Soviet Union Agree to Expansion of Nonstrategic Trade, in: Wall Street Journal, 22.5.1985, S. 37, sowie Serge Schmemann, Talks Aid U.S.-Soviet Trade, in: NYT, 22.5.1985, S. D 1. Signalwirkung besonderer Art hatte auch die Erneuerung eines Geschäftes, das den Verkauf von Pepsi-Cola in der Sowjetunion und, im Austausch, den Verkauf von sowjetischem Wodka in den USA regelte. Ähnliches galt auch für ein Abkommen, das ein privates Fernsehunternehmen mit dem sowjetischen Fernsehen abschloß.
90
WIEDERBELEBUNG DES POLITISCHEN DIALOGS
tischen Zugeständnissen bei den Menschenrechten, war zwar noch immer nicht beseitigt, doch ließ eine deutliche Erhöhung sowjetischer Ausreisegenehmigungen im April 1985 auch in diesem Bereich eine Lösung erhoffen.
S T R E I T P U N K T : SALT-II Das deutlichste Signal gegenüber Gorbatschow setzte Präsident Reagan Anfang Juni mit seiner Entscheidung, die SALT-Bestimmungen weiter einzuhalten. Diese Frage war nach wie vor heftig umstritten. Konservative Kräfte im Verteidigungsministerium warfen der Sowjetunion Verletzungen des Vertrages vor 21 und bedrängten den Präsidenten, SALT für ungültig zu erklären. Der Kongreß aber sprach sich für die Beibehaltung von SALT aus, verurteilte jedoch gleichzeitig sowjetische Vertragsverletzungen. 22 Anfang Juni wurde das SALT-Problem kritisch, da der Präsident einerseits dem Kongreß Bericht erstatten mußte, andererseits aber zu entscheiden hatte, ob mit der Indienststellung eines neuen atomaren Unterseeboots vertragsgemäß andere nukleare Systeme ausrangiert werden sollten. Wider allgemeines Erwarten beschloß er, sich noch einmal an die SALTBestimmungen zu halten. Er knüpfte diese Entscheidung allerdings an zwei Bedingungen: sowjetische Einhaltung der SALT-Bestimmungen und Fortschritte bei den Rüstungsreduzierungs-Verhandlungen.23 Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, beauftragte er das Verteidigungsministerium, Vorschläge für amerikanische Gegenmaßnahmen im Falle weiterer sowjetischer Vertragsverletzungen zu erarbeiten. Damit ließ er nicht nur künftige Entscheidungen offen, sondern forderte weitere Auseinandersetzungen geradezu heraus. Die sowjetische Seite zeigte sich entsprechend pikiert; sie beschuldigte den Präsidenten, Schritt für Schritt aus dem SALT-Vertragswerk „herauszukriechen".
2 1 Ein umstrittener Punkt war die Indienststellung der SS-25, einer neuen Rakete, wie im Pentagon argumentiert wurde, und damit vertragswidrig (denn SALT-II erlaubte lediglich eine neue Rakete, und dies war nach sowjetischen Erklärungen die SS-24), oder lediglich eine erlaubte Verbesserung der SS-13, wie von sowjetischer Seite behauptet wurde. Die Sowjetunion hatte jedenfalls Anfang Mai erklärt, sie hielte sich weiterhin an die SALT-Bestimmungen. Vgl. Walter Pineas, Moscow Says It Will Honor SALT II Missile Limits, in: The Washington Post, 9.5.1985, S. 16. 2 2 Zum Hintergrund dieser Auseinandersetzungen vgl. Michael R. Gordon, SALT II Compromise Sets Stage for New Rounds of Controversy Over Compliance, in: National Journal, 15.6.1985, S. 1404-1407; zur Stimmung im Kongreß vgl. Steven V. Roberts, Senate Vote Urges Backing Arms Pact, in: NYT, 6.6.1985, S. 1/B 16. 3 Vgl. den Text der Erklärung des Präsidenten, Reagan Statement on Arms Accord, in: NYT, 11.6.1985, S. 11.
STREITPUNKT: SALT-II
91
A m 2. Juli 1985 wurde in Washington und Moskau bekanntgegeben, daß Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow sich am 19. und 20. November 1985 in Genf, also auf neutralem Boden, 2 4 treffen würden. O b es sich dabei um ein „Treffen" oder ein „Gipfeltreffen" handelte, blieb zunächst unklar. Die ungewöhnlich frühe Ankündigung dieser Zusammenkunft ließ erwarten, daß einige substantielle Vereinbarungen noch rechtzeitig erzielt werden könnten. 2 5 Auf Interesse stieß in diesem Zusammenhang auch der Umstand, daß genau zu dem Zeitpunkt, als das Genfer Treffen bekanntgegeben wurde, Gromyko als Außenminister abgelöst und zum Präsidenten der Sowjetunion „befördert" wurde. Sein Nachfolger, Eduard Schewardnadse, war ein enger Vertrauter Gorbatschows, im außenpolitischen Geschäft hingegen unerfahren. Die Beziehungen der beiden Supermächte zeigten nunmehr viel Bewegung. Zwar kam es bei den Rüstungskontroll-Verhandlungen in Genf zu keinem Durchbruch, aber die sowjetische Seite ließ bis zum Herbst durchblicken, daß sie zu drastischen Reduzierungen bei den strategischen Waffen und zu einer Entkoppelung der INF-Problematik vom SDI-Problem bereit sein könnte. Shultz und sein sowjetischer Gegenpart trafen sich zwischen Juli und November fünfmal, um das Treffen vorzubereiten. Gleichzeitig liefen auf untergeordneter Ebene intensive Verhandlungen über ein Kulturabkommen und ein Flugverkehrsabkommen weiter. Im März hatten bereits Regionalgespräche zwischen den beiden Supermächten über den Mittleren Osten begonnen. Es folgten Gespräche über Afrika (Ende Mai), Afghanistan (Mitte Juni), Asien (Anfang September) und Lateinamerika (Anfang Oktober). Reagan nahm diese Gespräche zum Anlaß, um in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung am 24. Oktober die Sowjetunion zu intensiveren Verhandlungen über regionale Probleme aufzufordern. Sein Ziel war es, die Tagesordnung für Genf zu erweitern und die Sowjetunion damit in die Defensive zu drängen. Dies schien notwendig, nachdem die sowjetische Führung es geschickt verstanden hatte, das Hauptaugenmerk auf Fragen der Rüstungskontrolle zu lenken. 26 Die Sowjetunion lehnte Reagans UN-Vorschläge allerdings als einen „Aufguß bankrotter außenpolitischer Direktiven" umgehend ab.
2 4 R e a g a n hatte ursprünglich G o r b a t s c h o w nach Washington eingeladen, während Gorbat s c h o w andeutete, Reagan m ö g e d o c h nach M o s k a u k o m m e n . D e r amerikanische Präsident b e k u n d e t e daraufhin seine Bereitschaft, nach M o s k a u z u k o m m e n , falls G o r b a t s c h o w zuerst nach Washington käme. Schließlich einigte m a n sich auf G e n f in der neutralen Schweiz. 25
Außenminister Shultz kündigte jedenfalls „extensive V o r b e r e i t u n g s a n s t r e n g u n g e n " an, in
der H o f f n u n g , damit die V o r a u s s e t z u n g e n f ü r ein T r e f f e n z u schaffen, bei d e m die beiden T e i l n e h m e r nicht nur „ z u s a m m e n k o m m e n u n d H a l l o s a g e n " . 26
In einem Interview in Time
Magazine,
stungskontrolle d a s wichtigste Ziel f ü r G e n f " .
9.9.1985, S. 11-17, nannte G o r b a t s c h o w
„Rü-
92
WIEDERBELEBUNG DES POLITISCHEN DIALOGS
V O R B E R E I T U N G E N F Ü R D E N G E N F E R GIPFEL Dieses Geplänkel um Positionsgewinne bei den Verhandlungen beeinträchtigte die Vorbereitungen für den Gipfel kaum. Anfang November wurde Präsident Reagan von Journalisten der Zeitung Iswestija interviewt (zur selben Zeit, als Shultz zu letzten Vorbereitungsgesprächen in Moskau weilte). Das Interview wurde zwar nicht im vollständigen Wortlaut widergegeben, aber die sowjetischen Bürger konnten doch manches nachlesen, was bisher noch nicht veröffentlicht worden war (etwa der Hinweis auf den Einsatz von Spielzeugminen in Afghanistan). 27 Einige Tage später verlas Reagan über die „Voice of America" eine Rede an das russische Volk, in der er die Größe Rußlands und die Waffenbrüderschaft in der Vergangenheit betonte und die Friedfertigkeit Amerikas beschwor. Die sowjetische Seite wiederum bediente sich für die Darstellung ihrer Argumente der Möglichkeiten kapitalistischer Medien, indem sie ihre Position in ganzseitigen Anzeigen in amerikanischen Zeitungen erläuterte. Weitere Hinweise auf den guten Willen beider Seiten gab es auch in anderen Bereichen. So ließ die Sowjetunion Anfang November die Frau des verbannten Physikers, Bürgerrechtlers und Friedensnobelpreisträgers Andrej Sacharow zur medizinischen Betreuung in die USA ausreisen; Sacharow selbst durfte, zum ersten Mal seit langer Zeit, direkt aus der Verbannung in Gorkij mit Familienangehörigen in den USA telefonieren. Die amerikanische Regierung zeigte sich ihrerseits erkenntlich, indem sie einen geflüchteten sowjetischen Soldaten in Afghanistan und einen sowjetischen Matrosen in den U S A nicht als Asylsuchende aufnahm. Manche Parteifreunde Reagans sahen die Gefahr, daß der Präsident dem sowjetischen Generalsekretär zu weit entgegenkommen könnte und bemühten sich deshalb, ihn von allzu großen Zugeständnissen abzuhalten. 28 Wortführer dieser Kräfte war Verteidigungsminister Weinberger, der sich wohl so stark engagiert hatte, daß der Präsident ihn nicht als Teilnehmer der Delegation für Genf berief. Weinberger nahm diese offensichtliche Zurücksetzung zum Anlaß, am Tage der Abreise des Präsidenten diesem seine Bedenken noch einmal schriftlich mitzuteilen, wobei seine Stellungnahme prompt der Presse zugespielt wurde. Der Verteidigungsminister bedrängte
2 7 F ü r den vollständigen T e x t des Interviews, z u s a m m e n mit Erläuterungen der sowjetischen Journalisten, vgl. NYT, 5.11.1985, S. 6. E s war d a s erste M a l seit Präsident K e n n e d y , daß ein Interview mit einem amerikanischen Präsidenten in einer sowjetischen Zeitung a b g e d r u c k t w u r d e . D i e sowjetische F ü h r u n g gab damit amerikanischem D r ä n g e n nach G o r b a t s c h o w s Interview in Time Magazine nach.
28
Z u den A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n innerhalb der A d m i n i s t r a t i o n vor d e m Gipfel vgl. L e s l i e H . Gelb, U . S . O f f i c i a l s Reveal D i s u n i t y on A r m s G o a l s , in: NYT, 26.10.1985, S. 1/15, und B e r n a r d 'Weinraub, T h e S e a s o n of Their Summit D i s c o n t e n t , in: NYT, 8.11.1985, S. 22.
93
DIE AUSLEGUNG DES ABM-VERTRAGS
den Präsidenten in drei Punkten von zunehmender Bedeutung: Er solle in Genf keiner Formulierung für ein Abschlußkommunique zustimmen, durch die die sowjetische Seite aus ihrer Verantwortung für Vertragsverletzungen entlassen werden könnte; ferner solle der Präsident keiner Verlängerung der Einhaltung der SALT-Verträge zustimmen, die USA müßten dann beträchtliche Nachteile in Kauf nehmen; schließlich solle Reagan sich nicht auf eine enge Auslegung des ABM-Vertrags festlegen lassen. 29
Streitpunkt: Die Auslegung
des
ABM-Vertrags
Das Problem der „richtigen" Interpretation des ABM-Vertrags war im Verlauf des Sommers 1985 aufgekommen. In dem Bemühen, SDI-Forschung durch restriktive ABM-Vertragsbestimmungen nicht einschränken zu lassen, hatten das Verteidigungsministerium und dann auch der Rechtsberater des Außenministeriums eine Neuinterpretation dieses Vertrags aus dem Jahr 1972 vorgenommen. Danach seien, aufgrund einer Lücke im Vertragswerk, die Entwicklung und Erprobung von ABM-Technologien, die beim Vertragsabschluß noch nicht bekannt gewesen waren, erlaubt - eine Interpretation, die von Beteiligten am ABM-Verhandlungsprozeß, und natürlich auch von sowjetischer Seite, entschieden bestritten wurde. 30 Die Administration ließ im Oktober verlauten, sie betrachte diese Neuinterpretation als grundsätzlich richtig, sei aber vorerst noch bereit, sich an die alte, restriktive Interpretation zu halten. Damit hatte sie neben S A L T auch A B M in Frage gestellt und heftige Auseinandersetzungen nicht nur mit der Sowjetunion, sondern auch mit Rüstungskontroll-Interessen im eigenen Land heraufbeschworen. Daß der Genfer Gipfel keine Durchbrüche bei den RüstungskontrollVerhandlungen bringen würde, war in der Vorbreitungsphase deutlich geworden. Beide Seiten hatten sich deshalb darauf eingestellt, das Gipfeltreffen als Beginn eines ausführlicheren persönlichen Dialogs zu verstehen. Von
29
Vgl. Weinberger Letter to Reagan on Arms Control, in: NYT,
16.11.1985, S. 12.
Zur Entwicklung dieser Neuinterpretation vgl. David Ignatius, Manoeuvering To Make SDI Tests Legal, in: The Washington Post, 6.2.1987, S. 1/8. Mit den innenpolitischen Auswirkungen, insbesondere aber den Bemühungen im Kongreß, diese Umdeutung eines vom Senat unter anderen Vorzeichen ratifizierten Vertrags zu verhindern, befaßt sich David Morrison, Trauma Over Treaties, in: National Journal, 27.6.1987, S. 1644-1649. Ausführliche Analysen bieten Abram Chayes und Antonia Handler Chayes, Testing and Development of „Exotic" Systems Under the ABM Treaty. The Great Reinterpretation Caper, in: Harvard Law Review, Juni 1986, S. 1956-1985 (hier auch der Text des Gutachtens von Abraham Sofaer, Rechtsberater des Außenministeriums), sowie Alan B. Sherr, Sound Legal Reasoning or Policy Expedient? The „New Interpretation" of the ABM Treaty, in: International Security, Winter 1986-87, S. 71-93. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Bernd Kubbig in diesem Band. 30
94
WIEDERBELEBUNG DES POLITISCHEN DIALOGS
sowjetischer Seite, die zuvor immer konkrete Ergebnisse gefordert hatte, verlautete: Entscheidend sei, wie sich der amerikanische Präsident nach dem Gipfel verhalten werde. Auf amerikanischer Seite sah man dies ähnlich und bemühte sich deshalb, sogleich ein weiteres - oder sogar jährliche Gipfeltreffen zu vereinbaren. Reagan war sicher, in der persönlichen Auseinandersetzung mit Gorbatschow nicht nur bestehen, sondern auch überzeugen zu können. Mit diesem Vorsatz flog er nach Genf.
E R G E B N I S S E D E S G E N F E R GIPFELS In gewisser Hinsicht konnte der Genfer Gipfel vom 19. bis 21. November 1985, kaum überraschend, den hohen Erwartungen nicht entsprechen: es fehlte eben der große Durchbruch. Immerhin einigte man sich auf eine Neuaufnahme der seit dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan ausgesetzten kulturellen Beziehungen (hierzu waren 65 Verhandlungsrunden erforderlich gewesen), 31 man verständigte sich ferner auf die Wiederaufnahme des direkten Flugverkehrs zwischen den USA und der Sowjetunion (eine Entscheidung, die verknüpft war mit dem sowjetischen Zugeständnis zur Einrichtung von Vorkehrungen zur gemeinsamen Luftüberwachung im Pazifik, um Vorfälle wie den Abschuß der koreanischen Passagiermaschine KAL-007 im September 1983 zu vermeiden),32 und schließlich wurde die Eröffnung neuer Konsulate beschlossen. Anklänge an die Entspannungspolitik - der verpönte Begriff wurde nicht benutzt - weckte die Rechtfertigung Reagans für seine Gespräche mit Gorbatschow: „Es gibt immer Raum für Bewegung, Handlung und Fortschritt, wenn man miteinander anstatt übereinander spricht." Miteinander hatten die beiden Regierungschefs ausführlich gesprochen, mehr als fünf Stunden unter vier Augen (nur mit den Dolmetschern). Reagan bezeichnete diesen Teil des Gipfels als den besten - „unseren Kamin-Gipfel". Dabei war es zu einem offenen Meinungsaustausch über fast alle Problembereiche und, so hofften beide, zu besserem Verständnis gekommen; zu konkreten Verständigungen reichte es allerdings nicht. Wie vorhergesehen, bestand das wesentliche Ergebnis von Genf in der erklärten Bereitschaft beider Seiten, den aufgenommenen Dialog noch intensiver fortzusetzen. Dies galt auch für die Rüstungskontroll-Verhandlungen, die „beschleunigt" werden sollten. Das Ziel, „einen Rüstungswettlauf im All zu verhindern und auf Erden zu beenden", wurde in einer gemeinsamen 31
S. 14.
Vgl. Philip Taubman,
Pact on Exchanges: 200-Hour Wrangle, in: NYT,
3 2 Vgl. Gebhard Schweigier, 1983/84, S. 80 ff.
27.11.1985,
Spannungen zwischen den USA und der Sowjetunion, in: IP
RÜCKKEHR ZUR .STILLEN DIPLOMATIE"
95
Erklärung 33 erneut bestätigt (womit auch die Frage offengelassen wurde, ob zwischen SDI und der Reduzierung offensiver Waffen ein Junktim bestand hier beharrten beide Seiten auf ihren gegensätzlichen Standpunkten). Neu war immerhin die Verständigung auf das Ziel 50prozentiger Reduzierungen bei den strategischen Waffen und auf ein „Interimsabkommen" bei Raketen mittlerer Reichweite. Reagan und Gorbatschow vereinbarten in Genf zwei weitere Gipfeltreffen und setzten sich damit selbst unter Druck, ihren Dialog mit konkreten Ergebnissen als Ziel fortzuführen. Um bis zum nächsten Gipfeltreffen Positionsgewinne zu erzielen, versuchte Moskau, Washington unter Druck zu setzen, indem es die amerikanische Regierung aufforderte, sich an einem Moratorium beim Testen nuklearer Waffen zu beteiligen (was in Washington als unangebrachtes Propagandamanöver abgelehnt wurde). Am 15. Januar 1986 erhöhte Gorbatschow den Einsatz, als er Reagan ein Abkommen über den völligen Abbau aller nuklearen Waffen bis zum Jahr 2000 vorschlug, unter der Voraussetzung einer SDI-freien Welt. 34 Reagan zeigte sich zunächst „dankbar" über diesen Vorschlag und ließ Gorbatschow wissen, daß er es für eine „gute Idee" hielte, in den nächsten 15 Jahren alle Nuklearwaffen abzuschaffen. Um diesen Prozeß einzuleiten, schlug er Ende Februar vor, innerhalb von drei Jahren INF-Systeme in Europa und Asien abzubauen. 35 Die Sowjetunion lehnte diesen Vorschlag als „hart und nicht konstruktiv" ab. 36 Am 29. März trumpfte Moskau noch einmal auf, als Gorbatschow dem amerikanischen Präsidenten ein Gipfeltreffen in Europa vorschlug, um ein TeststoppAbkommen abzuschließen. 37 Dieses öffentliche Pokerspiel wurde dem amerikanischen Außenminister schließlich zuviel. Ende März beschwerte er sich, daß auf solche Weise nichts zu erreichen sei, und verlangte die Rückkehr zu einer „stillen Diplomatie".
R Ü C K K E H R Z U R „STILLEN D I P L O M A T I E " In anderen Bereichen zeigte die „stille Diplomatie" durchaus Früchte. Spektakulär war die Freilassung des als Spion verurteilten Dissidenten Anatolij Schtscharanskij im Rahmen eines Agentenaustauschs am 11. Februar
33
Vgl. die gemeinsame Erklärung, abgedruckt in: EA, 24/1985, S. D 687-690.
34
Vgl. EA, 5/1986, S. D 135-143.
35
Vgl. ebd., S. D 147-148.
3 6 Vgl. die Rede von ZK-Generalsekretär Gorbatschow an den XXVII. Parteitag am 25.2.1986, in: EA, 8/1986, S. D 219. 37
EA, 16/1986, S. D 429-432.
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WIEDERBELEBUNG DES POLITISCHEN DIALOGS
1986; eines der schwierigsten Menschenrechtsprobleme war damit gelöst. Auch die Handelsbeziehungen tauten allmählich wieder auf: unmittelbar nach dem Genfer Gipfel besuchte eine Gruppe von 400 amerikanischen Geschäftsleuten Moskau, und bald darauf gewährte ein amerikanisches Bankenkonsortium - zum ersten Mal seit fünf Jahren - der Sowjetunion einen umfangreichen Kredit (400 Millionen Dollar). Probleme gab es allerdings bei sowjetischen Weizeneinkäufen in den USA. Die sowjetischen Einkäufer weigerten sich, die vertraglich festgelegte Mindestabnahmemenge zu kaufen, nicht zuletzt, weil ihnen der Preis zu hoch war.
Die „Reagan-Doktrin
"
Die sowjetische Führung, deren Kurs Ende Februar auf dem 27. Parteitag der KPdSU bestätigt worden war, hatte manchen Anlaß, irritiert zu sein. Reagans Überzeugung, die Sowjetunion sei - trotz oder gerade wegen des Reformkurses von Gorbatschow - historisch in der Defensive („on the run"), hatte sich nach dem Genfer Gipfel offenbar noch verstärkt. Im Weißen Haus bemühte man sich, den angeblichen „Rückzug" der Sowjetunion zu fördern. Die „Reagan-Doktrin" — die Politik einer Zurückdrängung kommunistischen Einflusses in der Welt - wurde zu diesem Zeitpunkt geboren. Zugleich verband sich damit die Erwartung, daß auf diese Weise die bisher vorrangige Bedeutung der Rüstungskontrolle für die sowjetisch-amerikanischen Beziehungen reduziert werden könne. 38 Die Maßnahmen der Reagan-Administration waren mehr als nur Nadelstiche. Am 7. März 1986 wurde die UN-Vertretung der Sowjetunion angewiesen, ihr Personal um 38 Prozent - von 275 auf 170 - zu verringern. Die Regierung (die in dieser Frage unter beträchtlichem Druck des Kongresses stand) argumentierte, ein großer Teil dieses Personals ginge Spionagetätigkeiten nach. Die Sowjetunion, aber auch die U N O selbst, bezeichneten diese Maßnahme als unrechtmäßig. Wenige Tage später durchfuhren amerikanische Kriegsschiffe sowjetische Gewässer im Schwarzen Meer, um „ihr Recht auf freie Durchfahrt" zu demonstrieren, im übrigen aber, um Aufklärung zu betreiben; kurze Zeit darauf fanden ähnliche Aktivitäten auch in den Gewässern vor Libyen statt. 39 Zur gleichen Zeit wurde der Beschluß der Reagan-Administration bekannt, den vom Westen unterstützten Rebellen in
10
Vgl. Leslie H. Gelb, Policy Struggles by U.S. and Soviet on Verge of Shift, in: NYT, 5.4.1986, S. 1/9. 39
Vgl. Richard Halloran, 2 U.S. Ships Enter Soviet Waters Off Crimea to Gather Intelligence, in: ebd., 19.3.1986, S. 1/11.
AUFKÜNDIGUNG VON SALT-II?
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Afghanistan und Angola moderne Flugzeugabwehrwaffen (Typ „Stinger") zu liefern, die sich in der Tat als wirkungsvoll erweisen sollten. Trotz dieser Verletzungen des „Geistes von Genf" zeigte sich die sowjetische Führung Anfang April bereit, mit den Vorbereitungen für einen erneuten Gipfel zu beginnen. Der scheidende Botschafter in Washington, Anatolij Dobrynin (künftig im Zentralkomitee für Außenpolitik zuständig), übermittelte eine entsprechende Botschaft und arrangierte für Mitte Mai ein Treffen zwischen den beiden Außenministern. Doch am 15. April, nach einem der libyschen Führung zur Last gelegten Bombenanschlag auf amerikanische Soldaten in einer Berliner Diskothek, bombardierten die USA zur Vergeltung libysche Militäreinrichtungen (darunter auch das Hauptquartier Muammer el-Khadafis, wobei ein Kind des libyschen Führers ums Leben kam). 41 Die Sowjetunion, die sich bei diesem Angriff auffallend vorsichtig verhielt und auch die libysche Führung nicht gewarnt hatte, nahm diesen Zwischenfall dennoch zum Anlaß, das geplante Treffen zwischen Shultz und Schewardnadse abzusagen. Ein Gipfeltreffen, so Gorbatschow, könne erst stattfinden, wenn eine „angemessene Atmosphäre in den internationalen Beziehungen" geschaffen sei.42 Aufkündigung von SALT-II? Am 27. Mai 1986 ließ das Weiße Haus verlauten, Washington werde in Zukunft die SALT-Bestimmungen nicht mehr einhalten. 43 Diese Entscheidung trug nicht zu der von sowjetischer Seite gewünschten Verbesserung der Atmosphäre bei. Zwar betonte die amerikanische Regierung, sie würde noch einmal, wie von SALT vorgeschrieben, zwei Atom-U-Boote nach der Indienststellung eines neuen U-Bootes abwracken, aber in Zukunft, mit der Indienststellung von B-l -Bombern - bestückt mit Marschflugkörpern - , die SALT-Obergrenzen nicht mehr einhalten. Im übrigen würde sich in Zukunft das tatsächliche Rüstungsprogramm der USA an entsprechenden sowjetischen Maßnahmen orientieren. Im Kongreß stieß diese Entscheidung auf heftigen Widerstand und löste Bemühungen aus, den Präsidenten auf legislativem Wege zur Einhaltung der SALT-Beschränkungen zu zwingen. 44 40
Vgl. Frederick Kempe, Reagan is Prepared T o Risk Soviet Ties in Defense of Policy, in: Wall Street Journal, 1.4.1986, S. 2. 41 Vgl. hierzu ausführlich den Beitrag von Helmut Hubel in diesem Band. 42 Vgl. James Markham, 21.4.1986, S. 1/4. 43
44
Gorbachev Says Summit Is Possible if U.S. Shifts Line, in:
NYT,
Vgl. EA, 14/1986, S. D 376-379.
Zu diesen Bemühungen, die bis zum Ende des Jahres keinen Erfolg zeitigten, vgl. Reagan Repudiation of SALT Prompts Hill Legislative Effort, in: Congressional Quarterly Weekly Report, 14.6.1986, S. 1322-1323.
98
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Aber noch verhandelten beide Seiten über zukünftige RüstungskontrollMaßnahmen. Nach wie vor kam es zu einer Reihe kaum mehr überschaubarer Vorschläge und Gegenvorschläge, sowohl bei den Verhandlungen in Genf als auch in Briefen zwischen Reagan und Gorbatschow.
ERNEUTE GIPFELVORBEREITUNGEN Nachdem Außenminister Shultz aufgrund personeller Veränderungen im Weißen Haus zeitweise in den Hintergrund gedrängt worden war, gelang es ihm im Verlauf des Sommers, sich wieder stärker durchzusetzen. Ende Juli 1986 konnte er den Präsidenten davon überzeugen, auf einen von der sowjetischen Führung unterbreiteten „Arbeitsplan" zur Vorbereitung einer Gipfelkonferenz einzugehen. Erster Schritt auf diesem Weg zum Gipfel sollte der Besuch einer Expertendelegation in Moskau sein. Ursprünglich geplant als Treffen einiger weniger Mitarbeiter der Regierungschefs, entwikkelte sich daraus ein Treffen umfangreicher Delegationen im August, da das mißtrauische Verteidigungsministerium auf einer Beteiligung bestand. 45 Das Treffen, das sich auf sowjetisches Drängen hauptsächlich mit ABMFragen befaßte, erbrachte keine unmittelbaren Fortschritte. Dies galt auch für den Gegenbesuch einer sowjetischen Delegation in Washington Anfang September. Auf dem Weg zum Gipfel taten sich weitere Hindernisse auf: Am 23. August verhaftete das FBI einen sowjetischen UN-Angestellten, Gennadij Sacharow, wegen Spionage. Das F B I hatte schon seit drei Jahren über einen Doppelagenten die relativ harmlosen Aktivitäten Sacharows verfolgt. Als dieser zum ersten Mal bedeutenderes Material von seinem Informanten verlangte, beschloß das FBI, ihn zu verhaften. Dies war zudem eine willkommene Gelegenheit, die Spionageaktivitäten der Sowjetunion bei den Vereinten Nationen unter effektiven Beweis zu stellen. Hohe Regierungsbeamte, vor allem aber der Außenminister selbst, waren von diesem Vorhaben nicht unterrichtet. 46 Der KGB, immer darauf bedacht, seine Agenten zu schützen, reagierte prompt. Eine Woche später geriet der in Moskau tätige amerikanische Journalist Nicholas Daniloff in eine Falle. Ein sowjetischer Bekannter bat ihn um ein Treffen und überreichte ihm dabei einen verschlossenen Umschlag. In diesem Augenblick griffen KGB-Beamte ein und verhafteten Daniloff wegen des Besitzes von Staatsgeheimnissen. Die Affäre gewann rasch eine ungeheure Bedeutung, nicht zuletzt, weil Daniloffs Berufskollegen sich intensiv für ihn einsetzten. 45
Vgl. Michael Gordon, 11.8.1986, S. 12. 4 6 Vgl. Stephan Engelberg, ebd., 13.9.1986, S. 1/4.
A Gathering in Moscow That Proved Irresistible, in:
NYT,
Behind Spy Arrest of Russian, Concern Over Misuse of U.N., in:
DIE „DANILOFF-AFFÄRE"
Die
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„Daniloff-Affäre"
Mehr als zwei Wochen lang beherrschte die „Daniloff-Affäre" die Schlagzeilen. Die Reagan-Administration, unter dem Druck sowohl ihrer konservativen Befürworter als auch der aufgebrachten Medien, weigerte sich, einem (erpresserischen) Tausch Sacharow für Daniloff zuzustimmen. Im Gegenteil, die Administration signalisierte ihren Unwillen, indem sie die sowjetische UN-Vertretung anwies, ihr Personal bis Anfang Oktober um 25 Angehörige - angebliche Spione - zu reduzieren. 47 Die Sowjetunion reagierte Mitte Oktober auf diese Maßnahme mit dem Abzug sowjetischen Zivilpersonals aus der amerikanischen Botschaft in Moskau. Am 19. September 1986 überreichte der sowjetische Außenminister dem Präsidenten einen Brief Gorbatschows, in dem dieser vorschlug, den festgefahrenen amerikanisch-sowjetischen Beziehungen durch ein außerplanmäßiges Gipfeltreffen auf neutralem Boden in Island, auf halbem Wege zwischen den U S A und der Sowjetunion, im Oktober einen neuen „Impuls" zu verschaffen. Reagan stimmte nach kurzer Bedenkzeit dem Treffen in Reykjavik zu. 4 8 Ausschlaggebend hierfür dürfte sein starkes Interesse an einem echten Rüstungsreduzierungs-Abkommen gewesen sein. Aber auch die bevorstehenden Kongreßwahlen (bei denen die republikanische Mehrheit im Senat auf dem Spiel stand) mögen in seinen Überlegungen eine wichtige Rolle gespielt haben. Jedenfalls verständigte man sich nunmehr auf eine rasche Beilegung der „Daniloff-Affäre". Daniloff durfte Ende September in die U S A ausreisen, Sacharow in die Sowjetunion. Die sowjetische Seite gestand den U S A im Austausch für die Freilassung Sacharows die Ausreise des inhaftierten Bürgerrechtlers Jurij Orlow zu. Reagan konnte somit argumentieren, er habe Sacharow nicht im Tausch für Daniloff freigelassen.
DER GIPFEL V O N REYKJAVIK Der Genfer Gipfel war weitgehend von Reagan inszeniert worden: in Reykjavik dominierte Gorbatschow. Er hatte der amerikanischen Seite zu verstehen gegeben, es solle ein Gespräch zur Vorbereitung eines Gipfels werden, und angedeutet, man könne sich möglicherweise auf ein Abkommen
47
Die Sowjetunion hatte sich geweigen, der Anordnung zur schrittweisen Reduzierung ihres Personals vom März 1986 Folge zu leisten und zwang damit die Reagan-Administration, Mitarbeiter der sowjetischen U N - M i s s i o n namentlich auszuweisen. Außenminister Shultz, von seinem Kollegen Schewardnadse unter D r u c k gesetzt, erreichte eine teilweise Aussetzung dieser Anordnung bis Mitte Oktober. 48
Zum Hintergrund siehe Michael Mandelbaum chev, N e w Y o r k 1987, S. 160 ff.
und Strobe Talbott,
Reagan and G o r b a -
100
WIEDERBELEBUNG DES POLITISCHEN DIALOGS
über den Abbau von Mittelstrecken-Raketen (INF-Abkommen) und einen Teststopp einigen. Nur solchermaßen vorbereitet kam die amerikanische Delegation am 10. Oktober 1986 in Reykjavik an. Sie traf dort auf einen Generalsekretär, der gekommen war, um über alle anstehenden Rüstungskontroll-Probleme ernsthaft zu verhandeln. Gorbatschow ging im Kernbereich der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen zum Angriff über. Elf Stunden verhandelten die Regierungschefs der beiden Supermächte miteinander. Und fast erzielten sie Ubereinkünfte, die später von einem enttäuschten amerikanischen Außenminister als „atemberaubend" bezeichnet wurden. 49 Ein INF-Abkommen entstand, das amerikanischen Forderungen sehr weit entgegenkam: Null-Lösung für Europa, nur 100 Raketen für Asien, strenge Verifizierungsvorschriften und die Zusage der Sowjetunion, in Verhandlungen über einen Abbau von Raketen kürzerer Reichweite einzutreten. Im strategischen Bereich übertrumpften sich beide Seiten förmlich, so daß am Ende kaum mehr nachzuvollziehen war, auf was sich Reagan und Gorbatschow eigentlich geeinigt hatten: auf einen völligen Abbau aller strategischen Angriffswaffen (also inklusive Bomber und Marschflugkörper) innerhalb von zehn Jahren, wie Gorbatschow später versicherte, oder „nur" auf die Eliminierung ballistischer Angriffswaffen, wie Reagan wenig glaubhaft argumentierte. 5 Das Scheitern des Gipfels Am Ende der Verhandlungen machte Gorbatschow aber die Verwirklichung dieser Abkommen abhängig von der amerikanischen Zusage, den ABM-Vertrag für zehn Jahre einzuhalten und SDI-Forschungsaktivitäten auf die Laboratorien zu beschränken. Reagan war bereit, einer Einhaltung des ABM-Vertrags für zehn Jahre zuzustimmen, bestand aber darauf, daß Forschungs- und Entwicklungsarbeiten an SDI weitergehen durften, „wie sie im ABM-Vertrag erlaubt sind". Uber die Frage, was der ABM-Vertrag erlaubt, konnte man sich nicht einig werden. So scheiterte schließlich der Gipfel von Reykjavik. Gorbatschow schob die Schuld dem amerikanischen Präsidenten zu: Er habe nicht den Mut, die Entschlossenheit und das Verständnis für den historischen Augenblick gehabt, um Lösungen zuzustimmen, die für die Zukunft der Welt notwendig seien. 51 Reagan seinerseits betonte, es sei
49
Vgl. hierzu die Dokumente in: EA, 24/1986, S. D 669-698.
Die vorerst beste Darstellung der verwirrenden Vorgänge in Reykjavik liefert Don Oberdorfer, At Reykjavik, Soviets Were Prepared and U.S. Improvised, in: The Washington Post, 16.2.1987, S. 1/28. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Lothar Rühl in diesem Band. 50
5 1 So Gorbatschow in seiner Pressekonferenz in Reykjavik am 12.10.1986, abgedruckt in: EA, 24/1986, S. D 669 ff., hier S. D 673.
REAKTIONEN IN DEN USA
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Gorbatschow nur darum gegangen, SDI zu verhindern. Dem habe er einfach nicht zustimmen können. 5 Da aufgrund des hektischen Geschehens in Reykjavik keine Ubereinstimmung darüber vorherrschte, worauf man sich denn konkret verständigt hatte, erwies sich die Fortsetzung der Verhandlungen zunächst als schwierig, wie eine stürmische und ergebnislose Gesprächsrunde der beiden Außenminister in Wien Anfang November 1986 zeigte.
Reaktionen in den USA Was für Shultz „atemberaubend" gewesen war, verschlug Kritikern Reagans fast den Atem. Obwohl beide Seiten sich seit Januar 1985 in ihren offiziellen Verlautbarungen darauf verständigt hatten, ihre nuklearen Waffen vollständig abzubauen, erschien dies nach Reykjavik fast unvorstellbar. Nahezu fassungslos reagierten Kritiker auf die Erkenntnis, daß es Reagan und Gorbatschow mit ihrem Vorhaben, zu einer Welt ohne nukleare Abschreckung zurückzukehren, ernst gemeint haben könnten. Der einflußreiche Senator Sam Nunn war einer der ersten, der verlangte, daß dieser Teil der potentiellen Übereinkünfte von Reykjavik sofort vom Tisch müsse. 53 Henry Kissinger beschwor die Notwendigkeit, „der Tatsache ins Auge zu blicken, daß die Mischung von Vereinbarungen, Beinahe-Vereinbarungen und widersprüchlichen Vorschlägen auf dem Gipfel von Reykjavik Gefahr läuft, die Abschreckung und den Zusammenhalt der westlichen Allianz zu unterlaufen." 54 Der ehemalige Verteidigungsminister James Schlesinger lieferte schließlich eine der vernichtendsten Kritiken, in der er den Präsidenten beschuldigte, durch einen „übertriebenen Glauben an seine Überzeugungskünste" zu einer „impulsiven, wenngleich vorübergehenden Vereinbarung" verführt worden zu sein, die die „schwärmerische Lässigkeit (,casual utopianism') und die nachlässige Vorbereitung" für Reykjavik unterstreiche. 55 Kein Wunder, daß im weiteren Verlauf die Regierung sich allmählich von dem Vorschlag einer totalen Reduzierung nuklearer Raketen zu distanzieren begann. Nach dem Scheitern der Gipfelkonferenz in Reykjavik und dem dadurch ausgelösten Sturm an Kritik mußte Reagan im November 1986 weitere
52
Vgl. ebd., S. D 681 ff.
Vgl. George Wilson, President's Offer Baffles Military, Hill Specialists, in: The Washington Post, 14.10.1986, S. 17/21, und ders., Reagan Arms Plan Questioned, in: ebd., 17.10.1986, S. 1/26. 53
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Henry Kissinger, The „Reykjavik Revolution". Putting Deterrence in Question, in: The Washington Post, 18.11.1986, S. 19. 5 5 James Schlesinger, Reykjavik and Revelations. A Turn of the Tide?, in: America and the World 1986, Sondernummer von FA, 65/3, 1987, S. 428/430.
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WIEDERBELEBUNG DES POLITISCHEN DIALOGS
Rückschläge hinnehmen. Die Kongreßwahlen vom 4. November 1986 gingen für seine Partei verloren. Den Demokraten gelang es, mit einer überraschend deutlichen Mehrheit wieder die Führung im Senat zu übernehmen. Nur wenige Tage später kamen die ersten Enthüllungen über amerikanische Waffenlieferungen an Iran im Zuge eines versuchten Tauschgeschäfts zur Freilassung amerikanischer Geiseln in Libanon. Als sich Ende November auch noch herausstellte, daß Erlöse aus diesen Waffenverkäufen illegalerweise dazu verwendet worden waren, die „Contras" in Nicaragua militärisch zu unterstützen, war der Skandal perfekt. Reagan stand vor einem Scherbenhaufen: außenpolitisch ohne Erfolg, innenpolitisch mit einer schwerwiegenden Krise konfrontiert, drohte er zu einer „lahmen Ente" zu werden. Doch die Situation war nicht völlig hoffnungslos. Die Iran-Contra-Affäre führte dazu, daß manche der allzu ideologisch eifrigen Mitarbeiter des Präsidenten ihren Dienst quittieren mußten. Die Stellung von Außenminister Shultz wurde dadurch entscheidend gestärkt. Zwar verlor dieser im November noch einmal eine Auseinandersetzung mit dem Verteidigungsministerium, als der Präsident die Entscheidung bestätigte, durch die Indienststellung eines mit Marschflugkörpern bestückten B-l-Bombers die SALT-Bestimmungen nicht mehr zu berücksichtigen. 56 Aber in der Folgezeit gelang es ihm, eine beherrschende Stellung einzunehmen. Damit wuchs die Wahrscheinlichkeit, daß die Reagan-Administration auch in der Außenpolitik auf eine gemäßigte Linie einschwenken würde, zumal der von den Demokraten kontrollierte Kongreß den Präsidenten auf legislativem Wege zu Rüstungskontroll-Maßnahmen zu zwingen begann. Die sowjetische Führung verhielt sich abwartend, aber nicht unbedingt ablehnend. Sie erregte mit der spektakulären Entlassung Andrej Sacharows aus seinem Exil in Gorkij im Dezember 1986 nach Moskau internationales Aufsehen. Zugleich sorgte sie dafür, daß die Rüstungskontroll-Verhandlungen in Genf beschleunigt weitergeführt wurden. Gorbatschow selbst ließ verlauten, er wolle nicht zwei Jahre auf den nächsten Präsidenten warten, um Rüstungskontroll-Verhandlungen zu erzielen. 57 Der Dialog der Supermächte, so mühsam in Gang gekommen und dann zeitweise so furios geführt, konnte, nicht ganz ohne Hoffnung auf Erfolg, weitergehen.
5 6 Vgl. R. Jeffrey Smith, U.S. Officials Pessimistic On Arms Pact Prospects, in: The Washington Post, 3.12.1986. 5 7 Vgl. Bill Keller, 17.12.1986, S. 1/15.
Gorbachev Urges Reagan to Focus On Arms Control, in:
NYT,
DIE WIEDERAUFNAHME DER ABRÜSTUNGSVERHANDLUNGEN Von Lothar
Rühl
Nach dem Karenzjahr der Genfer Kernwaffen-Verhandlungen 1984, in dem allerdings sowohl in Wien die MBFR-Verhandlung über einen Truppenabbau in Mitteleuropa als auch in Genf die Verhandlung über chemische Waffen im Rahmen der Abrüstungskonferenz der Vereinten Nationen fortgesetzt wurden, kam es im Januar 1985 in Genf zu einer Grundsatzvereinbarung über neue Verhandlungen zwischen den Außenministern George Shultz und Andrej Gromyko. Präsident Ronald Reagan hatte am 24. September 1984 in einer Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York an die Sowjetunion appelliert, die im November 1983 abgebrochenen Verhandlungen wiederaufzunehmen. Er schlug dafür ein sogenanntes „Schirm"-Konzept vor: Die früher getrennten Verhandlungen über strategische Offensivwaffen und über bodengestützte intermediäre Waffensysteme sollten mit Verhandlungen über strategische Defensivsysteme verbunden werden. Der damalige sowjetische Generalsekretär Konstantin Tschernenko hatte am 17. Oktober 1984 in einem Washington-Post-lnterview mit dem Gegenvorschlag geantwortet, ein Abkommen zur Verhinderung einer „Militarisierung des Weltraums" zu schließen, die Kernwaffenarsenale beider Mächte einzufrieren und die 1974 bis 1976 ausgehandelten Verträge zur Begrenzung unterirdischer Kernwaffenversuche zu ratifizieren. Außerdem hatte Tschernenko bei dieser Gelegenheit die Vereinigten Staaten aufgefordert, den Verzicht auf den Ersteinsatz nuklearer Waffen zu erklären. Dieser Gegenvorschlag gab in allen Punkten bekannte sowjetische Positionen wieder, wich aber der Aufforderung Reagans aus, die Genfer Verhandlungen unter einem neuen Vorzeichen wiederaufzunehmen. Zugleich verdeutlichte er den Vorrang, den die Sowjetunion einer Übereinkunft beider Mächte über Unterlassung der Forschung im Bereich raumgestützter strategischer Verteidigung als Voraussetzung für weitere Verhandlungen über nuklearstrategische und intermediäre Waffensysteme gab. Praktisch forderte Tschernenko den Verzicht der USA auf das Forschungsprogramm der „Strategischen Verteidigungsinitiative" Reagans (SDI) von 1983. Nach einem Briefwechsel zwischen Reagan und Tschernenko im Oktober/November und diplomatischen Sondierungen vereinbarten beide Regierungen am 22. November 1984 in einer gemeinsamen Erklärung neue Verhandlungen „über alle Fragen in Verbindung mit nuklearen und Weltraumwaffen". Entsprechend veröffentlichten Shultz und Gromyko am 8. Januar 1985 am Ende ihrer Genfer Gespräche ein Kommunique über die Einleitung von drei
104
DIE WIEDERAUFNAHME DER ABRÜSTUNGSVERHANDLUNGEN
neuen Verhandlungen im Verbund. 1 In dem Text hieß es: „Beide Seiten stimmen überein, daß das Thema der Verhandlungen ein Fragenkomplex sein wird, der Weltraum- und Kernwaffen, sowohl strategischer als auch mittlerer Reichweite, betreffen wird, und zwar mit allen Fragen, die in bezug auf deren wechselseitiges Verhältnis in Erwägung gezogen und gelöst werden müssen. Das Ziel der Verhandlungen wird es sein, wirksame Abkommen auszuarbeiten, die darauf abzielen, ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern und es auf der Erde selbst zu beenden und die Kernwaffen zu begrenzen und zu verringern sowie die strategische Stabilität zu stärken." Gromyko gab dem Genfer Kommunique am 13. Januar 1985 in Moskau in einem Interview mit dem sowjetischen Fernsehen die einseitige Auslegung, daß eine „Lösung der Probleme im Komplex" vorgesehen sei.2 Damit wurde ein Junktim zwischen den drei Verhandlungen hergestellt, an dem auch der neue Generalsekretär Michail Gorbatschow im Oktober 1986 bei seiner Begegnung mit Reagan in Reykjavik festhielt, nachdem er es zeitweilig gelockert hatte. Auf diese Weise war einem separaten Abkommen über Flugkörpersysteme mittlerer Reichweite, wie es die NATO-Partner schon seit 1979 anstrebten, zunächst ein Riegel vorgeschoben. Die Sowjetunion hatte den absoluten Vorrang einer Einigung über „Weltraumwaffen" bekräftigtAm 15. Januar präsentierte die Sowjetregierung in einem Memorandum der deutschen Bundesregierung ihre Version und ihre Vorschläge für ein „Moratorium" der Stationierung amerikanischer weitreichender Mittelstrekkensysteme ( L R I N F ) in Europa und von sowjetischen Raketen, deren Einführung als eine der „Gegenmaßnahmen" nach der Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen ausgegeben worden waren. Damit sollte auch eine beiderseitige „radikale" Reduzierung der strategischen Offensivwaffen verbunden sein. Nach dem Beginn des Moratoriums könnte die Zahl der LRINF-Systeme verringert werden. Diese Position bekräftigte Gorbatschow am 12. März vor dem ZK-Plenum in Moskau, also am Tage der Aufnahme der Verhandlungen in Genf. Am 19. März legte die sowjetische Delegation den Vorschlag für ein „umfassendes Moratorium" vor, das neben der LRINF-Stationierung auch die strategischen Offensivwaffen-Arsenale beider Seiten sowie die gesamte Forschung, Entwicklung, Erprobung und Stationierung von „Weltraumwaffen" einfrieren sollte. G O R B A T S C H O W S V O R S C H L Ä G E V O M H E R B S T 1985 Die drei Verhandlungen verliefen bis zum Herbst 1985 ergebnislos. Nach einem Besuch des neuen sowjetischen Außenministers Eduard Schewardnad1
2
Abgedruckt in: EA, 3/1985, S. D 60. Abgedruckt in Auszügen in: ebd., S. D 68-72.
GORBATSCHOWS VORSCHLÄGE VOM HERBST 1985
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se in Washington und einem Brief an Präsident Reagan machte Gorbatschow dann am 30. September/1. Oktober 1985 den angekündigten „umfassenden" Verhandlungsvorschlag, der unverändert auf der sowjetischen JunktimKonzeption einer unauflöslichen Verbindung von Ubereinkünften in den drei Verhandlungen beruhte und Reduzierungen der strategischen Kernwaffenarsenale wiederum von einem vereinbarten Verbot der Entwicklung — einschließlich der Erforschung - von Weltraumwaffen abhängig machte. Der Vorschlag sah eine Reduzierung der Zahl der „strategischen Trägersysteme" um 50 Prozent auf einen Gleichstand bei je 6 000 Gefechtsköpfen und Bomben für alle diese Systeme der USA und der UdSSR vor. Dabei dürften nicht mehr als 60 Prozent der Gesamtzahl von 6 000, also nicht mehr als 3 600 auf je eine der drei Trägerkomponenten ICBM (landgestützte Interkontinentalraketen), SLBM (seegestützte Interkontinentalraketen) und schwere Bomber entfallen. Marschflugkörper (LRCM) einer Reichweite von 600 km und mehr sollten verboten sein (eine alte Forderung der Sowjetunion in den Verhandlungen über SALT-II seit 1975). Für „intermediäre" Nuklearwaffensysteme waren „weitestgehende" Reduzierungen vorgesehen, allerdings unter Beachtung des 1972 in der Moskauer „Gemeinsamen Erklärung" zu SALT vereinbarten Leitsatzes „Gleichheit und gleiche Sicherheit" - was die Einbeziehung der britischen und französischen strategischen Nuklearwaffen bzw. ihre Anrechnung auf amerikanischer Seite bedeuten sollte. Die Kategorie der „strategischen Trägersysteme" schloß wiederum getreu der alten sowjetischen Definition „vorwärts stationierter" Kernwaffenträger (Forward Based Systems = FBS) als „strategische Systeme" alle nuklearfähigen Kampfflugzeuge mit Reichweiten zum Territorium des Vertragspartners ein, d.h. alle nuklearfähigen Kampfflugzeuge, die von Ubersee-Startbasen oder von den Seestationen der amerikanischen Flugzeugträger aus sowjetisches Staatsgebiet erreichen könnten. Die Reduzierung um 50 Prozent der „strategischen" Trägersysteme sollte auf dieser Basis erfolgen. Nach sowjetischer Berechnung sollte dies für die UdSSR einen Restbestand von 1 250 Trägern, für die USA von 1 680 (einschließlich der stationierten L R I N F Flugkörper in Europa und der seegestützten nuklearfähigen taktischen Kampfflugzeuge) ergeben. Die sowjetische Aufstellung der „strategischen" Trägersysteme der USA umfaßte gegenüber 2 504 sowjetischen 3 360 amerikanische: 2 215 I C B M , SLBM und schwere Bomber, 209 stationierte LRINF-Flugkörpersysteme, 560 seegestützte Flugzeuge, 380 Mittelstreckenangriffs-Flugzeuge in Europa und in Asien, insgesamt 3 360 Systeme. 3 Das so berechnete „strategische" Kräfteverhältnis von 3 360 zu 2 504 Trägersystemen ergab als sowjetische Grundlage für eine Reduzierung um 50 Prozent tatsächlich 1 680 verbleibende Systeme für die USA und rund 1 250 3 Vgl. Lothar Rühl, Mittelstreckenwaffen in Europa: Ihre Bedeutung in Strategie, Rüstungskontrolle und Bündnispolitik, Baden-Baden 1987, S. 334.
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DIE WIEDERAUFNAHME DER ABRÜSTUNGSVERHANDLUNGEN
für die U d S S R . Dabei waren auf der amerikanischen Seite 940 tatsächlich nichtstrategische Kampfflugzeuge als nuklearfähig mitgezählt und 209 LRINF-Flugkörpersysteme in Europa eingerechnet. Damit war die amerikanische Waagschale dieser strategischen Balance mit 1 149 Trägersystemen beschwert, die nicht zu den strategischen Angriffsmitteln zählen und die auch nach den 1972 zwischen den U S A und der U d S S R vereinbarten SALT-Kriterien (die 1979 bestätigt wurden) keine „strategischen" Systeme sind. Wenn die Zahl dieser (aufgerundet) 1 150 den U S A zugeschriebenen Trägersysteme von der Gesamtzahl 3 360 abgezogen würde, dann verblieben nur noch 2 210 strategische US-Systeme gegenüber (abgerundet) 2 500 (genau 2 504) sowjetischen. Bei einer 50prozentigen Reduzierung auf beiden Seiten würde sich also bei Anwendung des Maßstabs der vergleichbaren Größen nach den gültigen SALT-Kriterien der den U S A zugerechnete Uberhang von 430 Systemen in einen Uberhang von 145 Systemen auf sowjetischer Seite umkehren. Alle nuklearen Waffensysteme sollten nach dem sowjetischen Vorschlag eingefroren, d.h. nach Zahl und Qualität nicht mehr verändert werden. Kernwaffen dürften nicht in Ländern stationiert werden, in denen bisher keine stationiert sind. Der Bestand in den Stationierungsländern dürfte weder vergrößert noch modernisiert werden. Für die LRINF-Systeme sollte das vorgeschlagene Moratorium gelten, für I C B M , S L B M und schwere Bomber ein Modernisierungsverbot. Zudem erklärte Gorbatschow sich bereit, auch ein separates Abkommen über Mittelstreckensysteme ( I N F ) für den Fall abzuschließen, daß die Vermehrung der Zahl der britischen und französischen Nuklearwaffen auf weiterreichenden Trägern berücksichtigt würde. D e m fügte er ein Verhandlungsangebot an Frankreich und Großbritannien hinzu. Für die U d S S R bot er an, alle SS-20-Systeme in Europa bis auf 243 Startgeräte mit Flugkörpern abzubauen und den Abbau der älteren SS-4-Mittelstreckenraketen fortzusetzen. A m 14. Oktober 1985 ergänzte die sowjetische Delegation für I N F diesen umfassenden Vorschlag informell mit dem Angebot, ein Zwischenabkommen über INF-Systeme zu schließen: Die U S A sollten die Zahl ihrer L R I N F Systeme auf 100 bis 120 Marschflugkörper ( G L C M ) reduzieren, während die U d S S R neben 100 bis 120 G L C M die gleiche Zahl an Mittelstreckenraketen behalten würde, wie Frankreich und Großbritannien zusammen weiterreichende Raketen besitzen, d.h. 160. Für Europa und die NATO-Partner hätte eine Ubereinkunft in diesem Sinne bedeutet, daß 160 sowjetische Mittelstreckensysteme, wahrscheinlich SS-20 mit 480 nuklearen Gefechtsköpfen, auf Westeuropa gerichtet geblieben wären, während alle stationierten 108 Pershing-II-Raketen der U S A aus Deutschland hätten abgezogen werden müssen.
DIE AMERIKANISCHEN GEGENVORSCHLÄGE
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Für die „strategische" Balance bedeutete eine Annahme des sowjetischen Vorschlags, daß auf der sowjetischen Datenbasis von 3 360 amerikanischen zu 2 504 sowjetischen „strategischen" Trägersystemen bei 50prozentigen Reduzierungen die USA von 1 680 nur noch 531 echte strategische Träger gegenüber 1 252 auf sowjetischer Seite hätte behalten dürfen. Das Moratorium für die Stationierung noch nicht flugerprobter strategischer Systeme hätte die neuen sowjetischen Interkontinentalraketen SS-24 (10 Gefechtsköpfe MIRV) und SS-25 nicht erfaßt, während die 1985 noch nicht flugerprobten amerikanischen Raketen „Midgetman" (ICBM) und „Trident"-D-5 (SLBM) erfaßt und so von der Stationierung ausgeschlossen worden wären.
DIE AMERIKANISCHEN GEGENVORSCHLÄGE Aus diesen Gründen lehnten die USA in Ubereinstimmung mit den NATO-Partnern diese sowjetischen Vorschläge ab, nahmen aber einzelne Elemente später auf, wie das Prinzip der Reduzierung strategischer Systeme um 50 Prozent. Der amerikanische Gegenvorschlag zum Bereich der Mittelstreckenraketen (INF) vom 1. November 1985 fußte auf der 1981 eingenommenen westlichen Verhandlungsposition. Er sah auf dem Wege zum Ziel der vollständigen Beseitigung aller landgestützten Flugkörperwaffen mittlerer Reichweite (LRINF-Systeme) eine „Zwischenlösung" durch beiderseitige Reduzierung auf je 140 Startsysteme mit maximal 420 bis 450 Gefechtsköpfen vor. Unter der gemeinsamen Obergrenze sollte freie Wahl zwischen Marschflugkörpern und Raketen erlaubt sein. Auf amerikanischer Seite sollte die Anzahl der Pershing-II und der Marschflugkörper von der Gesamtzahl und von der zu vereinbarenden Kombination von Waffensystemen abhängig sein. Die verbleibenden LRINF-Systeme sollten nach den Reduzierungen nicht in einer bestimmten Dislozierung oder Konfiguration eingefroren werden. Die USA behielten sich in dieser Hinsicht Flexibilität für künftige Dispositionen vor. Ziel war ein ungefährer Gleichstand zwischen USA und UdSSR bei LRINF-Systemen in Europa. In Asien sollte die Sowjetunion die Zahl ihrer SS-20 proportional für Reduzierung in Europa verringern. Als Endergebnis sollten de jure gleiche Obergrenzen für Gefechtsköpfe für LRINF-Flugkörper global gelten, wobei die USA sich das Recht vorbehielten, den sowjetischen Stationierungsumfang weltweit, allerdings nicht in Europa, auszugleichen (wie sie es 1983 vorgeschlagen hatten). Außerdem hielten die USA sich die Option offen, den sowjetischen Stationierungsumfang bei Flugkörpern kürzerer Reichweite (SRINF, d.h. nach amerikanischer Definition die sowjetischen SS-12/22 und SS-23 bzw. Raketen gleicher Reichweite) in
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DIE WIEDERAUFNAHME DER ABRÜSTUNGSVERHANDLUNGEN
Europa und weltweit auszugleichen. Dies bedeutete 1985/86, daß das Spektrum zwischen 1 000 und 500 km von amerikanischen Systemen bis auf den sowjetischen Stationierungsumfang ausgefüllt werden dürfte. Für diese S R I N F - S y s t e m e wurden von den Vereinigten Staaten offiziell in der Genfer Verhandlung nur „angemessene Beschränkungen" angeboten. Am 24. Februar 1986 präzisierten die U S A ihr Angebot mit einem konkreten Vorschlag zur Reduzierung der L R I N F in drei Phasen: 1. bis Ende 1987 Begrenzung bei Flugkörpern in Europa auf je 140 Startgeräte mit höchstens 420 bis 450 nuklearen Gefechtsköpfen; proportionale Verringerung der Zahl der sowjetischen Startgeräte in Asien auf 88 SS-20 mit 264 Gefechtsköpfen. Die UdSSR würde in Europa 140 SS-20 mit 420 Gefechtsköpfen haben dürfen, die U S A 140 Pershing-II und G L C M mit 420 bis 450 Gefechtsköpfen; 2. bis Ende 1988 Verringerung auf 70 Pershing-II und G L C M auf amerikanischer und 70 SS-20 (210 Gefechtsköpfe) auf sowjetischer Seite in Europa; dazu Verringerung des sowjetischen Bestands in Asien auf 44 SS-20 (132 Gefechtsköpfe); 3. bis Ende 1989 vollständige Beseitigung aller landgestützten L R I N F Flugkörpersysteme in Europa und in Asien, d.h. auf beiden Seiten weltweit. Parallel zu diesen drei Phasen waren folgende Schritte vorgesehen: 1. Vereinbarung globaler Obergrenzen in den Phasen 1 und 2 für Gefechtsköpfe auf Flugkörpern auf Startsystemen; 2. Vernichtung der abzubauenden Raketenstartgeräte in der U d S S R einschließlich der Flugkörper und Gefechtsköpfe, Verlegung der abzuziehenden amerikanischen Systeme in die U S A ; 3. Vernichtung aller amerikanischen Systeme oberhalb der globalen O b e r grenze; dabei wollten die U S A sich das Recht vorbehalten, den Zustand vor Beginn der Modernisierung in Europa 1983 wiederherzustellen, d.h. die Pershing-II wieder durch Pershing-I zu ersetzen. Außerdem schlugen die U S A vor: gleichzeitig über eine vorrangige Beseitigung sowjetischer LRINF-Systeme in Europa und in Asien zu verhandeln, gleiche Obergrenzen für SRINF-Systeme zu ziehen, und zwar entweder auf dem erreichten sowjetischen Dislozierungsstand oder auf dem Stand beider Seiten am 1. Januar 1982, den Bestand an stationierten INF-Systemen durch „nationale technische Mittel" der Aufklärung und kooperative Information zu verifizieren sowie sich als allgemeine Rahmenbedingungen auf vier Grundsätze zu einigen: 1. weltweit gleiche Rechte, globale Reduzierungen oder Begrenzungen, 2. Ausschluß von Waffen dritter Länder, die auch nicht indirekt mit dem Abkommen verbunden werden dürften, 3. angemessene begleitende Beschränkungen für S R I N F , 4. wirksame Nachprüfbarkeit durch geeignete Mittel.
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DER SOWJETISCHE ETAPPEN-VORSCHLAG
D E R S O W J E T I S C H E ETAPPEN-VORSCHLAG V O M J A N U A R 1986 Die Sowjetunion hatte inzwischen am 15. Januar 1986 ihren „umfassenden" Vorschlag zum etappenweisen Abbau sämtlicher Kernwaffen vorgelegt.4 Danach sollte sich dieser Abbau in drei Etappen vollziehen: Erste Etappe (fünf bis acht Jahre
Dauer)
- 50prozentige Verringerung der „strategischen" Waffensysteme der USA und der UdSSR nach der sowjetischen Definition für „strategische Angriffsträger", d.h. solcher, die von ihren Startbasen das Gebiet der anderen Seite erreichen können; - je 6 000 nukleare strategische Gefechtsköpfe auf beiden Seiten; - als Bedingung für ein Abkommen beiderseitiger Verzicht auf Entwicklung, Erprobung und Stationierung von „Weltraumwaffen"; - Abbau aller bodengestützten Raketen und Marschflugkörper der USA und der UdSSR in Europa; - Verbot einer Weitergabe solcher Systeme an dritte Staaten; - Einfrieren der nuklearen Waffenarsenale Frankreichs und Großbritanniens; - bilaterales Moratorium für Kernwaffenversuche. Zweite Etappe (fünf bis sieben Jahre
Dauer)
- Einbeziehung aller Kernwaffenmächte in die bilateralen Vereinbarungen zwischen den USA und der UdSSR, einschließlich der Verpflichtung, die nuklearen Waffenarsenale einzufrieren und keine Kernwaffen in anderen Ländern zu stationieren; - Fortsetzung der Reduzierung der amerikanischen und sowjetischen Kernwaffenpotentiale durch weitere Verringerung der Zahl der Mittelstreckenwaffen, Einfrieren der „taktischen" Kernwaffen und Abschluß der 50prozentigen Verringerung der Zahl der Trägersysteme. Danach: - Beseitigung der „taktischen" Kernwaffen der Reichweite bis zu 1 000 km aller Kernwaffenmächte; - Verbot von „Weltraumangriffswaffen" für die USA, die UdSSR und alle übrigen „führenden Industriemächte";
4 Vgl. die Erklärung Generalsekretär Gorbatschows zu Abrüstungsfragen, abgedruckt in: EA, 5/1986, S. D 135-147.
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DIE WIEDERAUFNAHME DER ABRÜSTUNGSVERHANDLUNGEN
- Einstellung der Kernwaffenversuche in sämtlichen Staaten; - Verbot der Entwicklung nichtnuklearer, nach neuartigen physikalischen Prinzipien konzipierter Waffen.
Dritte Etappe (fünf Jahre
Dauer)
- Abschluß der Beseitigung aller Kernwaffen; - eine „universelle" Ubereinkunft, „niemals wieder Kernwaffen herzustellen". Die Ubereinkunft sollte vorsehen: Festlegung von Verfahren zur Demontage, Umrüstung und Vernichtung von Trägermitteln sowie ein Verifizierungsverfahren mit nationalen technischen Mitteln, Vor-OrtInspektionen und „beliebige andere Kontrollmaßnahmen"; - Beendigung der Kernwaffenversuche durch ein Moratorium ab 1986, Einstellung aller Versuche ab der zweiten Etappe (die 1990 beginnen sollte) und Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen den USA, der UdSSR und Großbritannien über ein „umfassendes Kernwaffenversuchsverbot". An diesem Vorschlag fiel auf, daß er viele Wiederholungen und Uberschneidungen enthielt. Er erweckte den Eindruck, nicht auf langwierigen und genauen Überlegungen zu beruhen, sondern unter Zeitdruck mit einem erheblichen Maß an Improvisation entworfen worden zu sein. Am 16. Januar 1986 erklärte dazu der sowjetische Generalstabschef, Marschall Sergej Achromejew, in Moskau auf einer Pressekonferenz, 5 nach dem Gorbatschow-Vorschlag müßten sowohl die Träger von Kernwaffen als auch die nuklearen Gefechtsköpfe vernichtet werden. Dies beziehe sich „in erster Linie" auf die „strategischen Mittel und die Mittel der mittleren Reichweite" (also die INF-Systeme). Bei beiden dürften „anscheinend" keine Ausnahmen gemacht werden. Dagegen könnten „manche taktischen Kernwaffenträger" mit Reichweite unter 1 000 km für andere Aufgaben, die nukleare Waffen ausschließen, „umgerüstet" werden. „Etappen der Vernichtung" müßten für die anderen Systeme vertraglich vereinbart werden, die Demontage der stationierten Trägersysteme eingeschlossen. Auch damit war die Ambivalenz des Vorschlags nicht beseitigt, denn für nukleare Abrüstung ist die kritische Frage die nach der zuverlässigen Beseitigung sowohl der Träger als auch der Kernwaffen selbst. Auch in der vorgesehenen Behandlung der sogenannten „taktischen" oder „operativtaktischen" Nuklearwaffen blieb die Moskauer Sprache weiter undeutlich. Selbst für den Bereich der landgestützten Mittelstreckenraketen blieb die sowjetische Verhandlungsposition unklar; denn Achromejew stellte wiederum - wie dies Gromyko zwischen 1981 und 1983 mehrmals getan hatte - die sowjetischen SS-20 „vergleichbaren amerikanischen Systemen, die das Terri5
V g l . Rühl,
a . a . O . ( A n m . 3 ) , S. 3 4 1 .
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DRITTE ETAPPE
torium der Sowjetunion erreichen können", gegenüber. 6 Die SS-20 seien sowohl in Europa als auch im Fernen Osten „als Gegengewicht" zu diesen „vorwärts stationierten" Nuklearwaffensystemen der U S A aufgestellt worden. 7 Diese Argumentation erschien insofern zweifelhaft, als sie von der Entstehungsgeschichte der SS-20 ebenso absah wie von den seit Beginn der sechziger Jahre stationierten sowjetischen Mittelstreckenraketen älterer Bauart (SS-4 und SS-5) und den nuklearfähigen sowjetischen Kampfflugzeugen. Die sowjetische FBS-Definition mit den von ihr abgeleiteten Zählkriterien, die im einseitigen Interesse der Sowjetunion lagen, wurde damit als Hindernis auf dem Verhandlungsweg aufrechterhalten. Am 15. Mai 1986 legte die Sowjetunion in der Genfer Verhandlung einen INF-Vertragsentwurf vor. Die zentrale Vereinbarung sollte die Verpflichtung der U S A und der U d S S R sein, ihre Flugkörpersysteme „mittlerer Reichweite" in Europa zu beseitigen. Genannt wurden dafür die sowjetischen Raketensysteme SS-20 und SS-4 (die SS-5 waren schon abgebaut worden) und die amerikanischen Systeme Pershing-II und Marschflugkörper „Tomahawk". Im einzelnen sollte der Vertrag folgende Punkte enthalten: 8 1. Demontage der Startsysteme und deren Vernichtung, 2. Zerstörung „entsprechender Ausrüstung/Hilfskonstruktionen" (also der logistischen Anlagen und des Zubehörs der Systeme), 3. eine Nichtumgehungsklausel in Form eines Verbots der Übergabe von Nuklearwaffensystemen mittlerer und strategischer Reichweiten an andere Staaten, 4. die Möglichkeit, das unbefristete Abkommen später durch eine umfassende Vereinbarung über Begrenzung und Verringerung „der nuklearen Mittel mittlerer Reichweite" in Europa zu ersetzen (in der auch INF-Flugzeuge erfaßt werden könnten), 5. Kontrollmaßnahmen einschließlich Inspektionen vor Ort. Der sowjetische Vertragsentwurf erwähnte die britischen und französischen Nuklearwaffensysteme größerer Reichweite nicht. Aber nach einer amtlichen sowjetischen Erklärung in der Genfer Verhandlung sollte Geschäftsgrundlage einer amerikanisch-sowjetischen Vereinbarung die förmliche Verpflichtung Frankreichs und Großbritanniens sein, ihre entsprechenden Nuklearwaffenpotentiale nicht zu vergrößern. Der Entwurf klammerte auch die sowjetischen Mittelstreckenraketen im asiatischen Teil der Sowjetunion und die INF-Systeme kürzerer Reichweite unter 1 000 km aus. Die sowjetische Darstellung wies jede Verbindung sowohl zu den sowjetischen SS-20 im Fernen Osten als auch zu den 6
Vgl. Bundespresseamt (Hrsg.), Ostinformationen,
20.1.1986, S. 8.
Zum Problem der Forward Based Systems (vorwärts stationierte Systeme) vgl. Hubertus Hoffmann, Die Atompartner, Koblenz 1986, S. 366-372. 7
8
Vgl. Rühl, a.a.O. (Anm. 3), S. 342 ff.
112
DIE WIEDERAUFNAHME DER ABRÜSTUNGSVERHANDLUNGEN
INF-Raketen kürzerer Reichweite ( S R I N F ) als künstlich zurück: Die SS-20 in Asien hätten die ausschließliche Funktion, die Sicherheit der Sowjetunion gegen die von amerikanischen nuklearen Angriffsmitteln im Fernen Osten und im West-Pazifik ausgehende Bedrohung zu gewährleisten. Deshalb könnten sie nicht in ein I N F - A b k o m m e n für Europa eingeschlossen werden. Damit wurde ein Zusammenhang zwischen der Zahl der nuklearfähigen Waffensysteme der U S A in Asien und im Pazifik und der Zahl der sowjetischen SS-20 in Fernost hergestellt, der auf eine Art amerikanischsowjetischer Nuklearwaffenparität in Asien hinauslief. Die Behandlung der SRINF-Raketen wurde der zweiten Etappe des Gorbatschow-Vorschlags vom Januar 1986 über die Beseitigung aller Kernwaffen überlassen: Beseitigung sämtlicher Nuklearwaffensysteme aller Mächte mit Reichweiten unter 1 000 km. Am 28. Februar hatte Außenminister Schwewardnadse vor dem 27. Parteitag der KPdSU in Moskau schon erklärt, die 1983/84 eingeleiteten „Gegenmaßnahmen" in Gestalt der nach Mitteleuropa vorverlegten sowjetischen SS-12/22-Raketen (Reichweite um 900 km) würden bei Annahme des Gorbatschow-Vorschlags überflüssig und könnten zurückgenommen werden. D e r sowjetische Vorschlag vom 15. Mai 1986 ging also auf das seit 1981 erklärte amerikanische Angebot einer „Null-Lösung" für landgestützte L R I N F - F l u g k ö r p e r ein, wenn auch nur für Europa. Immerhin stellte dieser Vorschlag eine erste bedeutende Veränderung der sowjetischen Position dar, hatte die sowjetische Regierung doch bis dahin die vollständige Beseitigung aller landgestützten L R I N F - S y s t e m e auch für Europa verweigert. Dieses erste Entgegenkommen reichte jedoch aus amerikanischer Sicht für eine Einigung nicht aus, denn noch sollten die sowjetischen SS-20 in Asien von jeder Beschränkung frei bleiben. A m 11. Juni 1986 erklärten die Teilnehmerstaaten des Warschauer Pakts in ihrem „Budapester Appell", 9 daß „Raketen operativ-taktischer Bestimmung", d.h. mit Reichweiten zwischen 100 und 1 000 km, im Zusammenhang mit einer Verringerung konventioneller Streitkräfte erfaßt werden könnten. A m selben Tag unterbreitete die Sowjetunion in Genf einen neuen Vorschlag zur Reduzierung der strategischen Angriffsmittel um 30 Prozent. Er war mit der Bedingung verknüpft, daß alle F B S (also alle nuklearfähigen Kampfflugzeuge) der U S A in Europa eingefroren würden, daß keine weiteren amerikanischen LRINF-Flugkörper mehr „in Reichweite zur Sowjetunion" stationiert würden, und daß in Ländern, in denen sich 1985 noch keine solchen Waffensysteme befanden, auch in Zukunft keine derartigen Waffen eingeführt werden dürften (gemeint waren Belgien und die Niederlande). 9
A b g e d r u c k t i n : EA,
1 6 / 1 9 8 6 , S. D 4 5 0 - 4 5 3 .
ERSTE FORTSCHRITTE IM SEPTEMBER 1986
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Auch dieser sowjetische Vorschlag erwähnte die britischen und französischen Kernwaffen größerer Reichweite nicht; denn er bezog sich nur auf „strategische" Angriffsflugkörper, nicht auf „intermediäre", zu denen die sowjetische Verhandlungsführung die britischen und französischen SLBMund IRBM (Intermediate Range Ballistic Missiles)-Raketen zählte. Die sowjetische Definition „strategischer" Angriffsträger blieb unverändert einseitig zum sowjetischen Vorteil und vernachlässigte die gegebene Bedrohung Westeuropas durch die regionalen sowjetischen Kernwaffen. ERSTE FORTSCHRITTE IM SEPTEMBER 1986 Der Verhandlungsgang machte im September 1986 einen Sprung nach vorn, als die sowjetische Regierung in Konsultationen außerhalb der Genfer Verhandlungen den USA vorschlug, die beiderseitigen LRINF-Potentiale in Europa auf je 100 Gefechtsköpfe zu begrenzen und die Zahl der sowjetischen SS-20 in Asien einzufrieren, wenn die USA die Pershing-II-Raketen aus Europa abzögen und keine LRINF-Systeme außerhalb Europas in Reichweite zur UdSSR stationierten. Dieser sowjetische Vorschlag zielte unverändert auf die Beseitigung der modernen amerikanischen Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite bis zu sowjetischem Gebiet ab. Aber er zeigte auch eine Bereitschaft, eine substantielle Verringerung der Zahl der sowjetischen Mittelstreckenraketen in Europa bis nahe an das „Niveau Null" in Aussicht zu nehmen, ohne daß dafür zusätzliche Bedingungen gestellt wurden. Die USA waren in die Konsultationen mit ihrem Vorschlag für eine Zwischenlösung bei je 140 LRINF-Startsystemen mit 420 bis 450 Gefechtsköpfen gegangen. Mit einer Absenkung auf nur 100 LRINF-Gefechtsköpfe und dem Abzug der Pershing-II brachte der sowjetische Vorschlag die USA und ihre NATO-Partner an die Grenze der operativ-strategischen Wirkungsfähigkeit und sicherheitspolitischen Bedeutung von landgestützten LRINF in Europa. Bei 25 GLCM-Startsystemen für 100 Marschflugkörper auf seiten der USA und 33 SS-20-Raketen mit 99 Gefechtsköpfen für die UdSSR in Europa bei einer erlaubten Stationierung von SS-20 in Asien und den sowjetischen „operativ-taktischen" Raketen in Europa würde bei Verwirklichung dieses Vorschlags der überwiegende Vorteil auf sowjetischer Seite liegen. Die NATO-Partner hatten mit fünf Konsequenzen zu rechnen: 1. Die NATO verzichtete auf die einzigen Raketen, die von Startbasen in Westeuropa aus die UdSSR erreichen können und ihr so die Möglichkeit bieten, im Eskalationsfall das Risiko auf die UdSSR zu übertragen; 2. die Sowjetunion hätte ein Monopol bei einsatzbereiten landgestützten Mittelstreckenraketen, wie es vor der Stationierung der amerikanischen Pershing-II in Westeuropa bestand;
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DIE WIEDERAUFNAHME DER ABRÜSTUNGSVERHANDLUNGEN
3. im Falle eines Konflikts behielte die Sowjetunion die Möglichkeit, einen Teil der in Asien stationierten SS-20-Raketen nach Europa zu verschieben; 4. da die Sowjetunion für den asiatischen Bereich die SS-20 weiter lagern, produzieren und modernisieren dürfte, entstünde ein großes, schwer verifizierbares Umgehungspotential; 5. auf westlicher Seite in Europa müßten, bei einer erheblichen Reduzierung der Stationierungsbasis, die verbleibenden 25 G L C M - S t a r t s y s t e m e neu aufgeteilt werden, mit entsprechenden bündnispolitischen, operativen und logistisch-ökonomischen Nachteilen. D i e Relation von 33 zu 171 SS-20-Raketen zwischen Europa und Asien würde, in einem Rüstungskontroll-Abkommen international festgeschrieben, außerdem das Verhältnis der U S A zu China, Japan und Südkorea, die bereits auf einen Abbau der sowjetischen SS-20 in Fernost drangen, politisch belasten. Schließlich wurde von sowjetischer Seite keine Verringerung der Zahl der sowjetischen S R I N F - R a k e t e n in Europa - etwa 700 Systeme der T y p e n S S - 1 2 / 2 2 , SS-23 und S C U D - B - angeboten. Diese Waffensysteme sollten in das I N F - A b k o m m e n nicht einbezogen werden. Aus all diesen Gründen erschien der sowjetische Vorschlag den N A T O Partnern als nicht annehmbar. D i e U S A machten daraufhin im September 1986 in den Konsultationen in Washington ein Angebot, das einen wesentlichen Aspekt des sowjetischen Vorschlags übernahm: Begrenzung der L R I N F - W a f f e n beider Mächte auf je 100 Gefechtsköpfe in Europa. D a m i t suchten die U S A den einzigen Fortschritt von realer Bedeutung in der sowjetischen Positionsveränderung zu nutzen: die Möglichkeit, den überwiegenden Teil der sowjetischen Mittelstreckenraketen in Europa zu beseitigen. Damit hätten neben den noch vorhandenen etwa 112 SS-4 auch 2 1 0 von den 243 stationierten SS-20 demontiert und auch die 27 zuvor aus ihren Stellungen wieder herausgezogenen, aber noch irgendwo vorhandenen SS20-Systeme „liquidiert" und die Stellungen samt den logistischen Anlagen zerstört werden müssen. Allerdings versahen die U S A ihren Gegenvorschlag mit mehreren wesentlichen Bedingungen, die den bis dahin stipulierten sowjetischen Forderungen und Vorstellungen zuwiderliefen: 1 0 1. gleiche weltweite Obergrenzen bei je 200 L R I N F - G e f e c h t s k ö p f e n ; 2. zu diesem Zweck Verringerung der Zahl der sowjetischen SS-20 in Sowjetasien gleichfalls auf 33 Startsysteme, d.h. von 171 mit 513 Gefechtsköpfen um 148 mit 444 Gefechtsköpfen; 3. damit Anerkennung der Notwendigkeit proportionaler Verteilung der sowjetischen S S - 2 0 auf die europäischen und asiatischen Gebietsteile der UdSSR; 10
Vgl. Rühl, a.a.O. (Anm. 3), S. 346.
ERSTE FORTSCHRITTE IM SEPTEMBER 1986
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4. Recht der USA auf landgestützte Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing-II in Europa in einem von den USA zu bestimmenden Verhältnis unter der Obergrenze von 100 Gefechtsköpfen; 5. zum Ausgleich der Zahl der in Asien verbleibenden sowjetischen LRINF-Systeme (SS-20) Recht der USA, auf ihrem gesamten Staatsgebiet (einschließlich Alaska) LRINF-Systeme gleicher Zahl zu stationieren. Der amerikanische Gegenvorschlag gründete im übrigen auf den bekannten Voraussetzungen: Erfassung auch der INF-Systeme kürzerer Reichweite (SRINF) zwischen 1 000 und 500 km Reichweite für „angemessene gleichzeitige Beschränkungen" in dem INF-Abkommen; Ausschließung der Nuklearwaffen „dritter Staaten", d.h. keine Anrechnung britischer und französischer Waffen; zuverlässige Überprüfung der Einhaltung eines Abkommens durch geeignete Mittel. Die amerikanische Gegenposition vom September 1986 blieb also mit vier Bedingungen, die zu diesem Zeitpunkt von der UdSSR aufrechterhalten wurden, unvereinbar: 1. Rückzug aller Pershing-II aus Europa; 2. keine Stationierung amerikanischer LRINF-Systeme in Reichweite zu sowjetischem Gebiet außerhalb Europas; 3. Erhaltung der im asiatischen Teil der Sowjetunion stationierten SS-20 im vorhandenen Umfang; 4. Verbot des Transfers von LRINF-Systemen und -Technologie an dritte Staaten, d.h. auch an Frankreich und Großbritannien. Die übrigen NATO-Partner unterstützten diese amerikanische Position. Die deutsche Bundesregierung suchte sie aber durch den Vorschlag zu ergänzen, zugleich solle eine Anschlußverhandlung vereinbart werden mit dem Ziel einer beiderseitigen Begrenzung der SRINF-Systeme mit Reichweiten zwischen 500 und 150 km auf einem niedrigen Stationierungsstand. Eine solche Begrenzung sollte gleiche Obergrenzen für die USA und die UdSSR vorsehen. In diesem Sinne sollte, so Staatssekretär Friedhelm Ost vor der Bundespressekonferenz am 30. September 1986, eine „konkrete" Vereinbarung schon in dem anvisierten „Zwischenabkommen" geschlossen werden: „Ziel muß es sein, auch die Systeme im Reichweitenband 150 bis 500 km auf ein niedriges Niveau mit gleichen Obergrenzen zu reduzieren. Die Bundesregierung hält es deshalb für unverzichtbar, für diesen Bereich die INFVerhandlungen nach Abschluß eines Zwischenabkommens unverzüglich fortzuführen. Deshalb muß bereits in das INF-Zwischenabkommen eine solche konkrete Weiterverhandlungsverpflichtung aufgenommen werden". Aber die amerikanisch-sowjetischen Gespräche waren bereits über die Allianzkonsultationen und den Genfer Verhandlungsstand hinweggegangen: Statt eines Zwischenabkommens stand zwischen Washington und Moskau nun ein definiertes Abkommen zur Debatte, mit dem die politische Konsequenz aus der neuen Bereitschaft Gorbatschows gezogen werden sollte, dem westlichen Vorschlag einer Beseitigung der landgestützten Mittelstreckenflugkörper, jedenfalls in Europa, näherzutreten.
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DIE WIEDERAUFNAHME DER ABRÜSTUNGSVERHANDLUNGEN
DAS GIPFELTREFFEN V O N REYKJAVIK11
Gorbatschow versuchte im Spätsommer und Herbst 1986 seinen Abrüstungsvorschlägen vom Frühjahr eine durchschlagende Wirkung zu geben, indem er seit langem bestehende Hindernisse auf dem Verhandlungsweg beiseite räumte und auf ein „umfassendes" Abkommen zur Beseitigung sämtlicher Kernwaffen nach seinem Etappenplan drängte. Er kam damit der Neigung Reagans entgegen, einen „Durchbruch" in den Verhandlungen zu erzielen und die komplizierten Probleme der nuklearen Rüstungskontrolle in summarischen Formeln zu vereinfachen. Reagan hatte seit 1980 wiederholt davon gesprochen, die nukleare Ära zu beenden und eine „kernwaffenfreie Welt" zu schaffen. Eben dies versprach Gorbatschow mit seinen Vorschlägen. In ihrer zweiten Begegnung, in Reykjavik am 11. und 12. O k t o b e r 1986, sprachen Gorbatschow und Reagan über eine solche Aussicht. 1 2 Gorbatschow drängte den amerikanischen Präsidenten zu einer Grundsatzübereinkunft in diesem Sinne, und Reagan scheint einer solchen Verständigung zumindest persönlich nahe gewesen zu sein, sprach er doch nach seiner Rückkehr aus Island wieder von einer Abschaffung aller Kernwaffen in unbestimmter Zukunft. Doch die amerikanische Regierung widersprach der amtlichen sowjetischen Darstellung, in Reykjavik sei „eine prinzipielle Einigung über das genannte Maßnahmenpaket für die nukleare Abrüstung erzielt" worden, entschieden: Entgegen den sowjetischen Behauptungen sei eine Grundsatzübereinkunft über „eine Abschaffung aller Nuklearwaffenarsenale der U d S S R und der U S A " und insbesondere aller strategischen Offensivwaffen binnen zehn Jahren nicht geschlossen worden. Präsident Reagan habe nur eine Beseitigung sämtlicher Offensivraketen aller Reichweiten im Rahmen eines Abkommens gefordert, das die Reduzierung der strategischen Offensivwaffenarsenale um 50 Prozent auf eine gemeinsame Obergrenze für beide Seiten bei je 1 600 Trägersystemen und 6 000 nuklearen Gefechtsköpfen binnen fünf Jahren zum Inhalt hätte. In einer zweiten Fünfjahresfrist sollten dann sämtliche ballistischen Angriffsflugkörper beseitigt werden. 1 3
' 1 Vgl. zur inneramerikanischen Diskussion des Treffens den Beitrag von Gebhard Schweigier in diesem Band. 1 2 Zur Problematik dieser Gipfelbegegnung vgl. Don Oberdorfer, How U.S., in Iceland, Improvised „the Most Important Arms Proposal in History", in: IHT, 18.2.1987. 1 3 Vgl. Rühl, a.a.O. (Anm. 3), S. 350-354.
D E R N E U E AMERIKANISCHE V O R S C H L A G
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DER NEUE AMERIKANISCHE VORSCHLAG VOM O K T O B E R 1986
A m 23. Oktober 1986 führten die U S A in die Genfer Verhandlungen einen Vertragsentwurf für S T A R T (Strategie Arms Reduction Talks = Gespräche über die Reduzierung strategischer Waffen) und INF-Vorschläge auf der Grundlage ihrer Einlassungen in Reykjavik ein. In dem S T A R T - E n t w u r f waren innerhalb des Plafonds für die erste Fünfjahres-Phase bis 1991 vorgesehen: 1. bis zu 4 500 Gefechtsköpfe auf strategischen Raketen ( I C B M und SLBM); 2. davon bis zu 3 000 Gefechtsköpfe nur auf I C B M , davon wiederum bis zu 1 500 auf schweren I C B M und solchen mit mehr als sechs M I R V Gefechtsköpfen (d.h. eine besondere Untergrenze für die schweren sowjetischen SS-18 und deren mögliche Nachfolger); 3. auf „schweren Bombern" sollte eine Waffenladung als ein Gefechtskopf gerechnet werden, d.h. auch jeder luftgestützte Marschflugkörper ( A L C M ) mit einem Gefechtskopf; 4. seegestützte Marschflugkörper ( S L C M ) sollten von den Obergrenzen von 1 600 Trägern und 6 000 Gefechtsköpfen ausgenommen werden und einer getrennten Behandlung überlassen bleiben. Wenig später schlugen die U S A in Genf vor, die Untergrenze für die Raketengefechtsköpfe auf 4 800, 3 300 und 1 650 heraufzusetzen, um der Sowjetunion die Annahme ihres Vorschlags zu erleichtern. In der Schlüsselfrage der Vereinbarkeit von Forschung im SDI-Bereich mit dem 1972 abgeschlossenen ABM-Vertrag sah der amerikanische Vorschlag einen Kompromiß vor: Beide Seiten sollten diesen Vertrag für zehn Jahre weiterführen, d.h. von ihrem Rücktrittsrecht Gebrauch machen, um „fortschrittliche Verteidigungssysteme der Flugkörperabwehr" stationieren zu können. Ausdrücklich war nur von „Stationieren" die Rede. Das bedeutete, daß Erforschung, Entwicklung und Erprobung von Systemen zur „strategischen Verteidigung" auch neuartiger Technik als vereinbar mit dem Moskauer Vertrag von 1972 gelten sollten. N u r unter diesem Vorbehalt machten die U S A ihre Vorschläge: 1. für die Reduzierung der „strategischen" Offensivarsenale in zwei Fünfjahres-Phasen bei „angemessenen" Definitionskriterien (d.h. ohne das sowjetische ,,FBS"-Kriterium) für die Anrechnung, 2. für eine Beseitigung aller offensiven Raketen (ballistischen Flugkörpersysteme) sämtlicher Reichweiten in der zweiten Fünfjahres-Phase, 3. für eine Begrenzung der „intermediären" Waffensysteme L R I N F auf je 100 Gefechtsköpfe in Sowjetasien und in den U S A bei Abzug aller solcher Waffen aus Europa,
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DIE W I E D E R A U F N A H M E DER A B R Ü S T U N G S V E R H A N D L U N G E N
4. für die Ausklammerung und gesonderte Behandlung der strategischen SLCM. Als weitere Voraussetzung für alle Reduzierungen forderten die Vereinigten Staaten wirksame Verifizierungsmaßnahmen einschließlich eines umfassenden und exakten Datenaustauschs vor und nach den Reduzierungen, ferner Inspektionen vor O r t . Der amerikanische Vorschlag einer europäischen „Null-Lösung" bei L R I N F sah auch eine globale Obergrenze für SRINF-Flugkörpersysteme auf dem aktuellen sowjetischen Dislozierungsstand und die Aufnahme von Verhandlungen über die Verminderung der Zahl der Flugkörper kürzerer Reichweite binnen sechs Monaten nach Abschluß eines ersten Abkommens vor. Im Oktober/November 1986 blieb noch offen, über welche Reichweitenklassen oder Typen von SRINF-Flugkörpern unterhalb der angenommenen Reichweite der sowjetischen SS-23-Rakete (500 km) verhandelt werden sollte. Für die SRINF-Reichweiten ab 500 km wurde der vor dem Treffen in Reykjavik gemachte amerikanische Vorschlag aufrechterhalten, diese bodengestützten Flugkörpersysteme mit Reichweiten zwischen 500 und 1 000 km für „angemessene Beschränkungen" zu erfassen und Reduzierungen vom damaligen sowjetischen Stationierungsstand auf ein niedrigeres Paritätsniveau vorzusehen. Der Zweck des amerikanischen Vorschlags bestand darin, im Sinne der von Präsident Reagan in Reykjavik eingenommenen Position, am Ende der Zehnjahres-Frist alle offensiven ballistischen Raketen der U S A und der U d S S R beseitigt und die strategischen Kernwaffenarsenale beider Mächte insgesamt auf etwa 50 Prozent verringert zu haben. (In Wirklichkeit würde ein solcher Abbau bei rund 10 700 zu 10 100 strategischen Gefechtsköpfen auf je 6 000 nur eine Reduzierung um etwas über 40 Prozent ergeben.) Nach dem amerikanischen Vorschlag könnte jede Seite dann „fortgeschrittene" strategische Verteidigungssysteme stationieren, es sei denn, die Partner vereinbarten etwas anderes - z.B. gleiche Begrenzungen strategischer Defensivsysteme. Dieses amerikanische Angebot zur Konsolidierung des A B M Vertrags von 1972 für zehn Jahre wurde allerdings abhängig gemacht von einer Ubereinkunft über einen Zeitplan für die vorgeschlagenen Reduzierungen. Eine solche Übereinkunft sollte Teil eines sofort zu schließenden neuen Vertrags sein. Der amerikanische Entwurf ließ noch eine Reihe wesentlicher Fragen offen, so die Behandlung der seegestützten Langstrecken-Marschflugkörper S L C M , die Weitergeltung der SALT-Regeln von 1979 für luftgestützte Marschflugkörper einer Reichweite von 600 km und mehr sowie die Behandlung der in S A L T nicht einbezogenen Mittelstrecken-Kampfflugzeuge, insbesondere des sowjetischen „Backfire"-Bombers.
DIE SOWJETISCHEN GEGENVORSCHLÄGE
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DIE SOWJETISCHEN GEGENVORSCHLÄGE VOM N O V E M B E R 1986 Die sowjetische Position stellte sich in den sowjetischen Vorschlägen vom 7. November 1986 in Genf folgendermaßen dar: 1 4 1. Beseitigung aller strategischen Offensivwaffen binnen zehn Jahren (1986 bis 1996). Dies sollte in zwei Fünfjahres-Perioden geschehen. Für die erste Periode waren vorgesehen: Reduzierung dieser Systeme um 50 Prozent auf gleiche Obergrenzen, d.h. 1 600 strategische Trägersysteme und 6 000 Gefechtsköpfe; - Reduzierung aller Trägerkomponenten ( I C B M , S L B M , schwere Bomber) durchgängig um 50 Prozent, dabei eine besondere Reduzierung um 50 Prozent der schweren I C B M (SS-18); - Vereinbarung gleicher Obergrenzen für S L C M , Beschränkung der S L C M auf zwei U - B o o t - T y p e n ; - Verbot der Entwicklung, Erprobung und Beschaffung/Stationierung neuer strategischer Systeme. Für die zweite Fünfjahres-Periode sah der sowjetische Vorschlag vor: - Beseitigung der noch verbliebenen strategischen Systeme; - Verbot neuer Systeme und der Veränderung der noch vorhandenen bis zu deren Beseitigung; - Abkommen über Beseitigung der „operativ-taktischen Systeme" (d.h. aller S R I N F - und SNF-Raketen); - Vereinbarung mit dritten Staaten über Beseitigung von deren Kernwaffen. Als Zählweise bei strategischen Systemen sollte gelten: ein Bomber gleich ein Träger, ein A L C M oder eine Bombenladung gleich ein Gefechtskopf. 2. Beseitigung aller L R I N F - S y s t e m e in Europa binnen fünf Jahren (bis 1991) bei Verbleib von je 100 Gefechtsköpfen in der asiatischen U d S S R und in den U S A außerhalb der Reichweite zum Gebiet der Gegenseite. - Einfrieren der Waffensysteme mit Reichweite unter 1 000 km und Anschlußverhandlungen darüber. 3. Verifizierung der Vereinbarungen durch „Nationale Technische Mittel" der Aufklärung, Datenaustausch vor und nach Abbau von Waffensystemen, wirksame Überwachung einschließlich Inspektionen vor O r t . 4. Zur Raketenabwehr: - Bewahrung des ABM-Vertrags bei Beachtung aller Vertragsklauseln und Bindewirkung für zehn Jahre; - ein neues Abkommen über ein Verbot der Erprobung aller raumgestützten Komponenten für Raketenabwehr auf zehn Jahre; dabei sollten Forschung
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E b d . , S. 3 5 3 ff.
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DIE WIEDERAUFNAHME DER ABRÜSTUNGSVERHANDLUNGEN
und Erprobung in Laboratorien sowie Erprobung ortsfest bodengestützter strategischer Defensivsysteme auch neuartiger Technologie erlaubt sein; - nach zehn Jahren Anschlußverhandlungen mit einer Dauer von drei bis fünf Jahren über die gesamte ABM-Thematik. 5. Alle diese Abkommen sollten zu einer Gesamtabmachung verbunden werden. Außenminister Schewardnadse sprach am 11. November 1986 von einem „Paket der Ubereinstimmungen". Mit der vorgeschlagenen Verbindung der abzuschließenden Abkommen zu einer Gesamtübereinkunft wurde die Position vom Januar 1985, die der damalige Sowjet-Außenminister G r o m y k o zum amerikanisch-sowjetischen Kommunique von Genf 1 5 eingenommen hatte, wiederhergestellt. Gorbatschow hatte sich im Laufe des Jahres 1985 und erneut vor Reykjavik bereit erklärt, die Bindung eines Abkommens zur Begrenzung der I N F an eine Ubereinkunft über die Anwendung des ABM-Vertrags und über raumgestützte strategische Systeme zu lösen und ein separates I N F - A b k o m m e n zu schließen. Diese sowjetische Konzession wurde in Reykjavik rückgängig gemacht. D e r sowjetische Vertragsentwurf vom 7. November bestätigte dies.
KONZENTRATION AUF EIN INF-ABKOMMEN Die N A T O - P a r t n e r hatten schon am 22. Oktober 1986 im Kommunique der Ministertagung der Nuklearen Planungsgruppe ( N P G ) in Gleneagles 1 6 die Sowjetregierung aufgefordert, „zu ihrer Verpflichtung zu stehen, ein I N F - A b k o m m e n nicht unter die Bedingung irgendwelcher anderer Vereinbarungen zu stellen". Die Verhandlungsposition der U S A in Reykjavik wurde von den Verbündeten „uneingeschränkt" unterstützt, allerdings nicht im einzelnen, sondern nur als „Programm". 1 7 Damit endete das für die weiteren Rüstungskontroll-Verhandlungen bedeutsame Jahr 1986 in der Erwartung einer Ubereinkunft wenigstens über den Inhalt eines INF-Zwischenabkommens, das für Europa de facto die definitive Regelung bedeuten würde - unter der Voraussetzung, daß es gelingen würde, das sowjetische Junktim wieder aufzulösen. U b e r eine angemessene Erfassung der SRINF-Flugkörpersysteme war allerdings noch keine Verständigung zwischen Washington und Moskau erreicht. Die Diskrepanz über diese für Europa bedeutsamen Waffen geringerer Reichweite war groß: die U d S S R suchte ihren Stationierungsumfang von 1986 bei 15
A b g e d r u c k t in: EA,
3 / 1 9 8 5 , S. D 6 0 .
16
A b g e d r u c k t i n : EA,
3 / 1 9 8 7 , S. D 5 8 - 6 0 .
17
V g l . z u r H a l t u n g der europäischen N A T O - P a r t n e r b e s o n d e r s den B e i t r a g v o n
Haftendorn
in diesem B a n d .
Helga
KONZENTRATION AUF EIN INF-ABKOMMEN
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S R I N F als Basis für Rüstungskontroll-Maßnahmen festzuschreiben und erst danach über Reduzierungen zu verhandeln. Die USA forderten dagegen eine „angemessene" Erfassung dieser Waffen für globale Reduzierungen und forderten für sich das Recht, den sowjetischen Stationierungsumfang auszugleichen, also derartige Waffen in Europa zu stationieren. Dafür kam kurzfristig allerdings nur die praktische Möglichkeit in Frage, die 108 abzuziehenden Pershing-II-Raketen wieder in Pershing-I umzuwandeln und als Pershing-I-b zu modernisieren, also durch Systemumwandlung den Status quo ante 1983 wiederherzustellen. 18 Solche Optionen müßten natürlich nach dem amerikanischen Vorschlag in der zweiten Phase verlorengehen, wenn sämtliche offensiven Raketen aller Reichweiten beseitigt würden. Diese Vorstellung verlor aber noch in den letzten Wochen des Jahres 1986 wieder an politischer Bedeutung. Damit war für 1987 die Verhandlungsperspektive über nukleare Abrüstung weit geöffnet.
18
Eine solche Möglichkeit der Umwandlung in die Pershing-I-b wurde bereits in Zusammenhang mit dem „Waldspaziergangs-Vorschlag" im Jahr 1982 angestellt. Vgl. Strobe Talbott, Raketenschach, München 1984, S. 207 ff.
DER FORTGANG DES KSZE-PROZESSES Von Horst Bacia VON MADRID NACH WIEN Im Sommer 1985 versammelten sich die Außenminister der 35 Teilnehmerstaaten der „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (KSZE) für drei Tage in Helsinki, um den zehnten Jahrestag der Unterzeichnung der KSZE-Schlußakte zu begehen. Die bis dahin schwerste Krise des KSZE-Prozesses konnte zu diesem Zeitpunkt als überwunden gelten, doch die unmittelbare und konkrete Zukunft der K S Z E schien ungewiß: Das Folgetreffen in Madrid, 1 das wegen der gespannten Ost-West-Beziehungen und der Krise in Polen zu scheitern drohte, war zwar im September 1983, nach fast drei Jahren Dauer, erfolgreich abgeschlossen worden. Aber für die meisten Expertentreffen und Konferenzen, auf deren Einberufung man sich in Madrid geeinigt hatte, stand die Bewährungsprobe noch aus. Das galt insbesondere für die „Konferenz über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa" ( K V A E ) , die seit Januar 1984 in Stockholm tagte und achtzehn Monate später noch nicht in konkrete Verhandlungen eingetreten war.
Zehn Jahre Schlußakte von Helsinki Vorsichtiges Abwarten und rhetorische Appelle, den K S Z E - P r o z e ß und die Politik der Entspannung neu zu beleben, prägten die Reden der Außenminister, als sie in der Finlandia-Halle, in der am 1. August 1975 die Staats-, Regierungs- oder Parteichefs der 35 Teilnehmerländer der K S Z E die Schlußakte von Helsinki unterzeichnet hatten, 2 eine eher nüchterne und oftmals ernüchternde Bilanz des in zehn Jahren Erreichten zogen. In drei Plenarsitzungen, vom 30. Juli bis zum 1. August 1985, erhielten die Teilnehmerstaaten (alle europäischen Länder außer Albanien, sowie die
1 Das Abschlußdokument von Madrid ist abgedruckt in: EA, 20/1983, S. D 537 ff. Vgl. hierzu besonders Hermann Volle, Wolfgang Wagner (Hrsg.), Das Madrider KSZE-Folgetreffen. Der Fortgang des KSZE-Prozesses in Europa, Beiträge und Dokumente aus dem EuropaArchiv, Bonn 1984; Harald Rüddenklau, Von Belgrad nach Madrid, in: IP 1981/82, S. 105117. 2 Wortlaut der Schlußakte von Helsinki in: EA, 17/1975, S. 437 ff. Vgl. zur HelsinkiKonferenz Christian Meier, Die Auswirkungen der Konferenz von Helsinki im gesamteuropäischen Rahmen, in: IP 1975/76, S. 91-115.
ZEHN J A H R E SCHLUSSAKTE VON HELSINKI
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Vereinigten Staaten und Kanada) das Wort zu einer ausführlichen Erklärung. Dabei traten die unterschiedlichen Interessen am KSZE-Prozeß deutlich hervor; Beschlüsse wurden nicht gefaßt. Die Außenminister der westlichen und neutralen Staaten beklagten fast ausnahmslos in mehr oder weniger diplomatisch formulierten Wendungen, daß in den Ländern des Ostens weiterhin gegen die Verpflichtung verstoßen werde, die Menschenrechte und Grundfreiheiten zu achten („Korb 1", Prinzip VII der Schlußakte); auch die Vereinbarungen über menschliche Kontakte („Korb 3"), vor allem über die Zusammenführung von Familien, würden nur unzureichend erfüllt. Der amerikanische Außenminister George P. Shultz sprach zu diesem Thema besonders ausführlich. Er beließ es auch nicht bei einer pauschalen Verurteilung, sondern präsentierte eine große Anzahl einzelner Fälle und nannte die Opfer beim Namen: so etwa den Gründer der Moskauer Helsinki-Gruppe, Jurij Orlow, bestraft mit sieben Jahren Arbeitslager, deren Mitglieder Anatolij Schtscharanskij und Anatolij Marchenko, verurteilt zu langjährigen Gefängnisstrafen, den nach Gorki verbannten Andrej Sacharow und viele andere mehr. „Wir können nicht über den Helsinki-Prozeß reden, ohne über die Menschen zu sprechen", sagte Shultz, „denn sie sollten die wirklichen Nutznießer der Helsinki-Schlußakte sein." 3 Der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse stellte heraus, daß die KSZE-Schlußakte von der „friedlichen Koexistenz von Staaten mit unterschiedlichen sozio-ökonomischen und politischen Systemen" ausgehe und ihr die territorialen und politischen Folgen des Zweiten Weltkriegs formal anerkannt worden seien. Eine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten („Korb 1", Prinzip VI) werde die Sowjetunion nicht zulassen. Die Schlußakte, so Schewardnadse, sei durchdrungen vom Geist der Entspannung und trotz verschärfter Gegensätze zwischen West und Ost seien die „Wurzeln der Détente nicht abgetötet". 4 Die Europäer trügen eine besondere Verantwortung, diesen Geist am Leben zu halten. Schewardnadse, der das Amt des Außenministers erst Anfang Juli 1985 von seinem Vorgänger Andrej G r o m y k o übernommen hatte, traf in Helsinki zum ersten Mal mit Außenminister Shultz zusammen. Obwohl die Begegnung nicht zu faßbaren Ergebnissen führte, weckte sie besondere Aufmerksamkeit. Die diplomatisch-politische Arbeit im Rahmen der K S Z E findet formell zwar „außerhalb der Bündnisse" statt, und alle 35 Teilnehmer nehmen daran „als souveräne und unabhängige Staaten unter den Bedingungen voller Gleichheit" teil; aber bestimmend für das politische Klima und die Ergebnisse der Verhandlungen ist stets das Verhältnis der beiden Großmächte zueinander gewesen. Im Sommer 1985, nur wenige Monate nach der 3
FA2, 31.7.1985.
4
Ebd.
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DER FORTGANG DES KSZE-PROZESSES
Ernennung Michail Gorbatschows zum sowjetischen Generalsekretär, schien weitgehend ungewiß, wie sich dieses entwickeln würde. Die Wiederbelebung des amerikanisch-sowjetischen Dialogs, die Gipfeltreffen zwischen Präsident Ronald Reagan und Generalsekretär Gorbatschow in Genf 1985 und in Reykjavik im Herbst 1986 sowie die verschiedenen rüstungskontrollpolitischen Initiativen der Sowjetunion, auch bei den konventionellen Streitkräften, trugen gewiß mit dazu bei, daß die Stockholmer KVAE-Konferenz im September 1986 mit einem Verhandlungserfolg zu Ende gehen konnte. Auch in der Menschenrechtspolitik schlug Gorbatschow einen aktiveren Kurs ein, offenbar bedacht, der Kritik durch demonstrative Aktionen die Spitze zu nehmen. Orlow wurde begnadigt und ging in die Vereinigten Staaten, Schtscharanskij durfte nach Israel ausreisen und Sacharow kehrte aus der Verbannung nach Moskau zurück. 5 Marchenko freilich fand im Gefängnis den Tod. Fragen der Sicherheit, die Menschenrechte und menschliche Kontakte waren auch während des KSZE-Folgetreffens in Madrid (10. November 1980 bis 9. September 1983) die wichtigsten und am meisten umstrittenen Themen gewesen, obwohl das abschließende Dokument Vereinbarungen zu allen drei „Körben" (Sicherheit; Zusammenarbeit auf den Gebieten der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Technik und der Umwelt; humanitäre Fragen) enthielt. Für die Zeit bis zum Wiener KSZE-Folgetreffen (seit 4. November 1986) war die Einberufung von sechs Treffen von unterschiedlichem Gewicht und unterschiedlicher Dauer beschlossen worden: Die Stockholmer Konferenz (17. Januar 1984 bis 19. September 1986); die jeweils sechs Wochen tagenden Expertentreffen in Ottawa (7. Mai bis 17. Juni 1985), Budapest (15. Oktober bis 25. November 1985) und Bern (15. April bis 26. Mai 1986) über Menschenrechte, Kulturthemen und menschliche Kontakte; sowie zwei Veranstaltungen, die der Vollständigkeit halber zu erwähnen sind: ein „Expertentreffen" über die „friedliche Regelung von Streitfällen", das vom 21. März bis zum 30. April 1984 in Athen stattfand, und, als Zugeständnis an Malta, ein vom 16. bis 26. Oktober 1984 in Venedig abgehaltenes „Seminar" über „wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit im Mittelmeerraum". DAS T R E F F E N Ü B E R M E N S C H E N R E C H T E IN O T T A W A Das Expertentreffen in Ottawa 6 über die „Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten" war das erste dieser Art im gesamten KSZE-Prozeß. Es hatte den Auftrag, „Schlußfolgerungen und Empfehlungen abzufassen, die 5
Vgl. hierzu auch den Beitrag von Gebhard Schweigier in diesem Band.
Vom 7.5.-17.6.1985. Vgl. Ekkehard Eickhoff, Das KSZE-Expertentreffen über Menschenrechte in Ottawa - eine Bewertung, in: EA, 19/1985, S. 573-580. 6
DAS TREFFEN ÜBER MENSCHENRECHTE IN OTTAWA
125
allen Teilnehmerstaaten vorzulegen sind". Die sechs Wochen dauernde Konferenz stand, wie zu erwarten, im Zeichen unversöhnlicher Meinungsgegensätze. Immerhin kam es zu einer freimütigen, im Ton weitgehend sachlichen Aussprache, in der das Thema umfassend behandelt wurde. Die Öffentlichkeit war nur zu der Eröffnungs- und der Schlußsitzung zugelassen, da die Sowjetunion sich auf dem Vorbereitungstreffen allen weitergehenden Forderungen widersetzt hatte; dennoch gelangten alle wichtigen Debattenbeiträge in die Hände der anwesenden Journalisten. Ein Konsens über abschließende Empfehlungen war trotz hartnäckiger Verhandlungen während der letzten Tagungswoche nicht herbeizuführen. So ging das Treffen von Ottawa - als erstes im KSZE-Prozeß — ohne Verabschiedung eines Schlußdokuments zu Ende. Der Westen und die meisten Länder in der Gruppe der Neutralen und Ungebundenen hielten der Sowjetunion und ihren Verbündeten die Nichterfüllung der eingegangenen Verpflichtungen über die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten vor. Die Staaten des Warschauer Pakts hatten sich zunächst auf den Standpunkt gestellt, jede Delegation solle nur über die Wahrung der Menschenrechte im eigenen Land berichten. Sie wollten auch nicht zulassen, daß einzelne Menschenrechtsverletzungen zur Sprache gebracht würden. Als dies nicht durchzusetzen war, versuchten sie, von den Vorhaltungen abzulenken und den Spieß umzudrehen: Den Rechten des Einzelnen gegenüber dem Staat, auf die sich die westlichen und neutralen Staaten beriefen, wurden nun die kollektiven und sozialen Rechte gegenübergestellt, wie etwa das Recht auf Arbeit, auf Bildung oder gesundheitliche Fürsorge. In den Verhandlungen über ein abschließendes Dokument bestand die sowjetische Delegation darauf, das „Recht auf ein Leben in Frieden" in die Empfehlungen einzuführen. Sie weigerte sich, dem Vorschlag zur Einberufung eines weiteren KSZE-Treffens über Menschenrechte zuzustimmen. An dieser starren Haltung scheiterte die Verabschiedung eines Schlußdokuments. Auch wenn das Treffen in Ottawa ohne formelles Ergebnis zu Ende ging, bot es doch ein Forum, auf dem Verletzungen der Menschenrechte ausführlich zur Sprache kamen. Der Verlauf der Debatte bestätigte, daß die Schlußakte von allen KSZE-Teilnehmerstaaten als Berufungsgrundlage anerkannt wurde und der Hinweis auf die Nichteinhaltung der eingegangenen Verpflichtungen sich nicht als Einmischung in die inneren Angelegenheiten abweisen ließ. Der Versuch der Sowjetunion, den individuellen Menschenrechten und Grundfreiheiten die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen „Menschenrechte der zweiten Generation" gegenüberzustellen, wurde zweifellos in der Absicht unternommen, „den menschenrechtlichen Verpflichtungen der K S Z E eine neue Gewichtung und Ausrichtung zu geben". 7
Ebd., S. 576.
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DER FORTGANG DES KSZE-PROZESSES
DAS K U L T U R F O R U M IN BUDAPEST Das „Kulturforum" in der ungarischen Hauptstadt 8 war die erste K S Z E Veranstaltung in einem osteuropäischen Land. Es unterschied sich von anderen Treffen auch dadurch, daß neben den diplomatischen Vertretern „führende Persönlichkeiten" aus dem Kulturleben der 35 Staaten teilnahmen. Insgesamt waren etwa 800 Delegierte in Budapest vesammelt: Architekten, Bildhauer, Maler, Schriftsteller, Angehörige von Museen und Verlagen, Verbands- und Kulturfunktionäre. Sie sollten, wie in Madrid vereinbart, „Probleme des Schaffens, der Verbreitung und der Zusammenarbeit, einschließlich der Förderung und Ausweitung der Kontakte und des Austausches in den verschiedenen Bereichen der Kultur" erörtern. Nach den offiziellen Erklärungen der Delegation fanden für die Dauer von zwei Wochen in nichtöffentlicher Sitzung vier Arbeitskreise statt: zu Fragen der bildenden Kunst, der darstellenden Kunst, der Literatur und des Verlagswesens sowie der Bewahrung und gegenseitigen Kenntnis des kulturellen Erbes. Die starre Redeordnung, auf der die Sowjetunion bestanden hatte, ließ in den Arbeitsgruppen eine Diskussion kaum zu. Ein langer Monolog folgte dem anderen, und oft gehörten die Beiträge nicht einmal thematisch zueinander. Dennoch kam es zu einigen spannungsgeladenen Auseinandersetzungen und zu vielen Zusammentreffen außerhalb der offiziellen Veranstaltungen. Die Debatten spiegelten vor allem die unterschiedlichen Auffassungen in Ost und West über die Bedingungen des literarischen und künstlerischen Schaffens wider. Während die Mitglieder von Delegationen der westlichen und neutralen Staaten auf die Autonomie der Kunst und die Notwendigkeit eines freien, von staatlicher Reglementierung nicht behinderten Schaffens verwiesen, legten die Vertreter der sozialistischen Länder Gewicht auf die Verantwortung des Künstlers für die Gesellschaft und auf die Aufgabe des Staates, die Bevölkerung vor Kriegspropaganda, Pornographie und Trivialkultur zu schützen. D e r stellvertretende Kulturminister der D D R , Klaus Höpcke, warf den Vereinigten Staaten vor, sie schlössen immer mehr Bürger von der Kultur aus, weil sie ein Anwachsen des Analphabetentums in Kauf nähmen. Ein sowjetischer Delegierter meinte, die größte Gefahr drohe der Kultur durch den Krieg; daher sei es die „heilige Pflicht" der Literatur, vor dem Wettrüsten, der „Bombe" und einer Militarisierung des Weltraums zu warnen. Fragen einzelner westlicher Schriftsteller nach in der Sowjetunion inhaftierten oder mit Schreibverbot belegten Kollegen wurden von der sowjetischen Delegation mit dem zynischen Hinweis zurückgewiesen, die
8 Vom 15.10.-25.11.1985. Vgl. hierzu Wiegand Pabsch, Das Kulturforum der KSZE in Budapest, in: EA, 7/1986, S. 211-216. Zur Debatte der Schriftsteller vgl. besonders Günther Gillessen, Warum ist das Volk nach sechzig Jahren immer noch nicht reif?, in: FAZ, 22.11.19S5.
DAS EXPERTENTREFFEN IN BERN
127
Genannten seien überhaupt keine Schriftsteller, weil sie nicht dem Schriftstellerverband angehörten oder nichts veröffentlicht hätten. 9 Nach den Sitzungen der Arbeitskreise lagen 250 Vorschläge mit allgemeinen und praktischen Anregungen für die Verbreitung von Kunst und Kultur und eine bessere Zusammenarbeit vor, darunter 130 inoffizielle Initiativen westlicher Kulturvertreter. In der vorletzten Woche des Treffens begann die Gruppe der neutralen und nichtpaktgebundenen Staaten mit der Vorbereitung eines abschließenden Dokuments, obwohl ein solches im Mandat von Madrid nicht vorgesehen war. Der Entwurf faßte die 250 Vorschläge auf zwölf Seiten Text zusammen, mußte aber zurückgezogen werden, weil sich die Sowjetunion und einige andere Staaten Osteuropas einer Reihe von Vorschlägen widersetzten. Die Bemühungen Ungarns am letzten Konferenztag, wenigstens eine Art Kommunique zu verabschieden, scheiterten an Rumänien, das als einziges Land (und wohl vor allem wegen Differenzen mit der ungarischen Regierung über die Politik gegenüber nationalen Minderheiten) 10 den Konsens verweigerte. So wurde auch das Kulturforum in Budapest ohne Annahme eines offiziellen Dokuments beendet.
DAS E X P E R T E N T R E F F E N I N BERN ÜBER M E N S C H L I C H E KONTAKTE Auf das „Expertentreffen über menschliche Kontakte" in der schweizerischen Hauptstadt 1 1 hatte man sich in Madrid erst zu einem späten Zeitpunkt geeinigt. Die stets auf die Ausgewogenheit des KSZE-Prozesses bedachten westlichen und neutralen Staaten wollten damit, zusätzlich zu dem Treffen von Ottawa, ein weiteres Gegengewicht zur Stockholmer KVAE schaffen. Das Berner Treffen hatte den Auftrag, unter „gebührender Berücksichtigung" der Vereinbarungen im „Korb 3" der Schlußakte die „Entwicklung von Kontakten zwischen Personen, Institutionen und Organisationen" zu erörtern. Die Ergebnisse sollten, „soweit angemessen", beim Folgetreffen in Wien „berücksichtigt" werden. Wie in Ottawa setzte die Sowjetunion durch, daß die Öffentlichkeit nur am ersten und am letzten Tag der Konferenz zugelassen war. Die Delegationen tagten zunächst eine Woche im Plenum und anschließend vor allem in zwei Arbeitsgruppen. In enger Anlehnung an die Schlußakte wurden in der
9
Vgl. Gillessen, ebd. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Peter Danylow
11
in diesem Band.
Vom 15.4.-26.5.1986. Vgl. Andreas Doepfner, Das KSZE-Expertentreffen über menschliche Kontakte in Bern, in: EA, 17/1986, S. 513-522.
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DER FORTGANG DES KSZE-PROZESSES
ersten Arbeitsgruppe folgende Themen behandelt: Kontakte und regelmäßige Begegnungen auf der Grundlage familiärer Bindungen, Familienzusammenführung, Eheschließung zwischen Bürgern verschiedener Staaten; in der zweiten Arbeitsgruppe: Reisen aus persönlichen oder beruflichen Gründen, Verbesserung der Bedingungen für den Tourismus auf individueller oder kollektiver Grundlage, Begegnungen der Jugend, Sport, Erweiterung der Kontakte. Die zweite Hälfte des Treffens war gekennzeichnet von den Auseinandersetzungen und Verhandlungen über ein abschließendes Dokument. Dazu lagen 46 Vorschläge vor, 20 von den westlichen, 23 von den östlichen Staaten. Der Osten konzentrierte sich auf kollektive Besuchsprogramme und andere offizielle oder offiziöse Kontakte von Sportlern, Jugendorganisationen, Wissenschaftlern und Künstlern, was durchaus als Versuch gewertet werden konnte, hinter den Bestimmungen der Schlußakte und anderer K S Z E - D o k u m e n t e zurückzubleiben. Der Westen vertrat dagegen den Standpunkt, es gehe um den einzelnen Menschen, nicht um den organisierten Besucheraustausch zwischen Institutionen oder Staaten. Die Vorschläge richteten sich deshalb auf pragmatische Verbesserungen des bisher Vereinbarten, vor allem bei der Familienzusammenführung und bei Besuchen über die Grenze in Dringlichkeitsfällen. Die Neutralen und Ungebundenen legten in den letzten Tagen der Konferenz ein von Osterreich und der Schweiz ausgearbeitetes Kompromißpapier vor. Als daran, auf Drängen des Ostens, immer mehr Änderungen vorgenommen werden sollten, die die Verbindlichkeit des zu Vereinbarenden weiter herabgesetzt hätten, waren die westlichen Staaten nicht länger bereit, einem solchen Dokument zuzustimmen. Ein letzter Versuch der Neutralen und Ungebundenen, eine Einigung herbeizuführen, scheiterte an den Vereinigten Staaten, die den von allen anderen Teilnehmerstaaten gebilligten Text als „zu dünn" verwarfen. Die Delegation der Bundesrepublik hätte ein entsprechendes Schlußdokument „mit allen seinen Unvollkommenheiten gern mit nach Hause genommen". 1 2 Aber selbst eine Démarche der E G Länder, in der sie auf die Wichtigkeit eines erfolgreichen Konferenzabschlusses hinwiesen, konnte die Entscheidung in Washington nicht beeinflussen. 13 Wahrscheinlich trug zu der amerikanischen Haltung die Erfahrung bei, daß die Sowjetunion Zusagen über die Ausreise in einigen dringlichen Einzelfällen nicht einhielt. Vergleichbare Anliegen anderer Delegationen wurden zum Teil berücksichtigt. 1 4
12
FAZ, 28.5.1986.
13
Vgl. NZZ, 28.5.1986.
14
Vgl. Doepfner,
a.a.O. (Anm. 11), S. 521 f.
DIE STOCKHOLMER KONFERENZ (KVAE)
129
D I E S T O C K H O L M E R K O N F E R E N Z (KVAE) U m den Verhandlungsauftrag der „Konferenz über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa" ( K V A E ) 1 5 war während der gesamten Dauer des Madrider Folgetreffens zäh gerungen worden. Die Idee ging auf eine Initiative der französischen Regierung zurück, die 1978 in einem Memorandum an alle KSZE-Staaten eine zweistufige Abrüstungskonferenz für ganz Europa „vom Atlantik bis zum U r a l " vorgeschlagen hatte; die erste Stufe sollte Verhandlungen über vertrauensbildende Maßnahmen vorbehalten sein. Als die westlichen Länder, nach anfänglichem Zögern der Vereinigen Staaten, einen entsprechenden Vorschlag in Madrid einbrachten, ging der Osten rasch darauf ein. Das Konzept einer „europäischen Sicherheitskonferenz" gehörte seit den sechziger Jahren zum festen Bestandteil sowjetischer Außenpolitik 1 6 und lag auch dem Interesse Moskaus an der K S Z E zugrunde. Während die Sowjetunion in Madrid andeutete, ohne die Einberufung der K V A E sei eine Fortsetzung des KSZE-Prozesses eigentlich sinnlos, waren die westlichen und neutralen Länder darauf bedacht, eine Verselbständigung des Aspekts Sicherheit bei gleichzeitiger Zurückstellung der humanitären Fragen zu verhindern. Sie wollten auch sicherstellen, daß die Konferenz, um nicht als bloßes Propagandaforum mißbraucht werden zu können, einen möglichst konkreten Verhandlungsauftrag erhielt. Die „erste Phase" der Konferenz, so legte das mühsam ausgehandelte Mandat fest, war der „Verhandlung und Annahme eines Satzes einander ergänzender Vertrauens- und Sicherheitsbildender Maßnahmen gewidmet"; diese sollten „militärisch bedeutsam", „politisch verbindlich" und von „angemessenen Formen der Verifikation begleitet" sein. Die K V A E unerschied sich mit ihrer formell unbegrenzten Verhandlungsdauer und der Befugnis, Vereinbartes auch direkt in Kraft zu setzen, deutlich von den in Madrid beschlossenen „Expertentreffen"; dennoch blieb sie den Folgekonfe-
1 5 Vom 17.1.1984-19.9.1986. Vgl. die Darstellung der Verhandlungen in Stockholm durch den Leiter der österreichischen Verhandlungsdelegation: Wolfgang Loibl, Die Konferenz über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa (KVAE), in: Österreichisches Jahrbuch für Internationale Politik 1986, Wien 1986, S. 89-111; vgl. auch Horst Bacia, Die Stockholmer Konferenz über Vertrauensbildung und Abrüstung in Europa vor der entscheidenden Phase, in: EA, 3/1986, S. 69-78; ders., Die Stockholmer Konferenz. Schlußverhandlungen, Ergebnis und Ausblick, in: EA, 13/1987, S. 369-378. Einen Überblick über das Konzept der vertrauensbildenden Maßnahmen mit zusammenfassenden Literaturhinweisen gibt: Dieter Mahncke, Vertrauensbildende Maßnahmen als Instrument der Sicherheitspolitik. Ursprung - Entwicklung - Perspektiven, Melle (Forschungsbericht Nr. 59 der Konrad-AdenauerStiftung) 1987. 1 6 Vgl. Helga Haftendorn, Sicherheit und Entspannung. Zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1955-1982. Baden-Baden 1983, S. 415 ff.
130
DER F O R T G A N G DES KSZE-PROZESSES
renzen untergeordnet und damit ein Teil des KSZE-Prozesses. Das Treffen in Wien sollte die bis dahin „erreichten Fortschritte beurteilen", und „ein künftiges KSZE-Folgetreffen" (also nicht schon unbedingt jenes in Wien) hatte zu „prüfen", wie die Bemühungen um Sicherheit und Abrüstung in Europa fortgesetzt werden könnten, „einschließlich der Frage einer Ergänzung des gegenwärtigen Mandats für die nächste Phase der Konferenz". Obschon im Namen der KVAE die Abrüstung als Ziel anklang, war einem gleichsam automatischen Ubergang zu solchen Verhandlungen also ein Riegel vorgeschoben.
Die
Verhandlungsvorschläge
Die Stockholmer Konferenz wurde am 17. Januar 1984 eröffnet und begann mit Erklärungen der Außenminister der 35 Teilnehmerstaaten. Schon in der ersten Arbeitssitzung der Delegationen am 24. Januar legten die westlichen Staaten nach gründlicher Vorarbeit in der N A T O ihren Verhandlungsvorschlag vor. 1 7 Er bestand aus sechs Hauptforderungen: 1. Jährlicher Austausch von Informationen über die militärischen Kommandostrukturen, die Lage der Hauptquartiere und die Zusammensetzungen der Land- und Luftstreitkräfte; 2. Bekanntgabe aller ankündigungspflichtigen miliärischen Aktivitäten ein Jahr im voraus; 3. Ankündigung von militärischen Aktivitäten der Landstreitkräfte, wenn daran mehr als eine Division oder 6 000 Mann beteiligt waren; 4. Einladung von Beobachtern zu allen anzukündigenden Aktivitäten; 5. Recht zur Inspektion vor O r t ; 6. Verbesserung der technischen Kommunikation zwischen den Teilnehmerstaaten. Mit diesem „Paket" sollten die militärisch wenig bedeutsamen, zum Teil unverbindlichen vertrauensbildenden Maßnahmen der KSZE-Schlußakte (Ankündigung von Manövern mit mehr als 25 000 Soldaten, Einladung von Beobachtern „freiwillig und auf bilateraler Grundlage") ausgebaut und zu einem sinnvollen Konzept gestaltet werden, das militärische Aktivitäten durchschaubarer machen und vor allem in Krisenzeiten Mißverständnissen und Fehleinschätzungen vorbeugen sollte. Daß die Sowjetunion mit der K V A E anderes im Sinn hatte, zeigte ihr Verhandlungsvorschlag, der zu Beginn der zweiten Gesprächsrunde, am 8. Mai 1984, eingebracht wurde. 18 In fünf der sechs Hauptabschnitte ging es um Maßnahmen, die der Osten als bedeutende „politische Initiativen" präsentierte: 1. Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen; 2. Abschluß eines Gewaltverzichtsvertrags; 3. Verpflichtung zur Nichterhöhung und Kürzung
17
Abgedruckt in: EA, 17/1984, S. D 485 ff.
18
Abgedruckt ebd., S. D 492 ff.
DIE V E R H A N D L U N G S V O R S C H L Ä G E
131
der Militärausgaben; 4. Befreiung Europas von chemischen Waffen; 5. Schaffung von atomwaffenfreien Zonen. Nur der letzte Abschnitt bezog sich auf vertrauensbildende Maßnahmen im eigentlichen Sinn. Vorgeschlagen wurde u.a., daß größere Übungen der Land-, Luft- und Seestreitkräfte anzukündigen seien, und bei Manövern der Landstreitkräfte eine „bestimmte zahlenmäßige Stärke" nicht überschritten werden dürfe. Ahnlich wie der Westen hatten sich auch die neutralen und nichtpaktgebundenen Staaten in ihrem am 9. März vorgelegten Verhandlungsvorschlag 19 auf konkrete militärische Maßnahmen konzentriert. Mit der Forderung nach Begrenzungen für größere Manöver (sogenannten constraints) und der Anregung, den Verzicht auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt noch einmal zu bekräftigen, lagen sie jedoch in der Nähe sowjetischer Positionen. Das erste Jahr der Verhandlungen verbrachten die Delegationen bei vier Plenarsitzungen pro Woche mit Erläuterungen und ständigen Wiederholungen der eigenen Vorschläge und Argumente. Von einer Annäherung der Standpunkte konnte keine Rede sein. Die Vertreter der östlichen Staaten warfen dem Westen vor, seine „militärisch-technischen" Vorschläge würden dem Ziel, mehr Vertrauen zu schaffen, nicht gerecht. D e r Westen und die Neutralen und Ungebundenen machten - zu Recht - darauf aufmerksam, daß die sogenannten politischen Initiativen der Sowjetunion mit dem Mandat der Konferenz nicht vereinbar seien. Ende 1984 einigte man sich, nach langwierigen Sondierungsgesprächen, auf die Bildung von Arbeitsgruppen, um die Verhandlungspositionen noch eingehender erörtern zu können. Das zweite Jahr der Konferenz war das der Arbeitspapiere und Arbeitsgruppen. Im Frühjahr 1985 legten die Staaten der N A T O und des Warschauer Pakts Texte vor, in denen sie ihre Verhandlungspositionen präzisierten. 20 Die Gruppe der Neutralen und Ungebundenen hatte wegen unterschiedlicher Sicherheitsinteressen und verschiedener militärischer Organisationsstrukturen erhebliche Schwierigkeiten, sich auf eine gemeinsame, in allen Einzelheiten ausformulierte Verhandlungsposition zu einigen. Sie brachte ihr Arbeitsdokument erst am 15. November 1985 ein. 21 Zum Schluß der achten Verhandlungsrunde, im Dezember, wurde beschlossen, in den fünf bestehenden Arbeitsgruppen Koordinatoren einzusetzen und diese Aufgabe Vertretern der neutralen Staaten zu übertragen. Damit waren die Voraussetzungen für die schwierige Suche nach einem Verhandlungskompromiß und die gemeinsame Arbeit am Text einer Vereinbarung geschaffen. Gleichzeitig kam man überein, die Stockholmer Konferenz spätestens am 18. September 1986, nach zwölf Verhandlungsrunden von insgesamt 82 Wochen Dauer, zu
19
Abgedruckt ebd., S. D 489 ff.
20
Die Texte sind abgedruckt in: EA, 17/1985, S. D 482 ff.
21
Abgedruckt in: EA, 3/1986, S. D 77 ff.
132
DER FORTGANG DES KSZE-PROZESSES
vertagen. Am 23. September begann nämlich, nach den in Madrid gefaßten Beschlüssen, die Vorbereitungskonferenz für das KSZE-Folgetreffen in Wien, dessen Eröffnung auf den 4. November festgelegt worden war.
Beginn der wirklichen
Verhandlungen
Erst unter dem Zeitdruck, den die Konferenz sich selbst verordnet hatte, kam es in den letzten Monaten und Wochen zu wirklichen Verhandlungen. Die entscheidenden Kompromisse wurden buchstäblich in letzter Minute gefunden - bei angehaltener Uhr, wie es bei KSZE-Veranstaltungen schon fast zur Gewohnheit geworden war. Die sowjetische Führung wünschte offenbar einen erfolgreichen Abschluß der Stockholmer Konferenz, damit schon in Wien der Ubergang zur Abrüstungsphase der K V A E beschlossen werden könne. Vorschläge für eine Verringerung der Streitkräfte und der konventionellen Rüstung hatten die Staaten des Warschauer Pakts schon im Budapester Appell vom 11. Juni 1986 unterbreitet. 22 Auch die N A T O sprach sich daraufhin für Verhandlungen über ein stabiles militärisches Gleichgewicht in Europa aus. 23 Mit diesem Ziel vor Augen war die Sowjetunion in der Schlußphase der Stockholmer Konferenz anscheinend zu einer Reihe von Konzessionen bereit. Den größten Teil ihrer „politischen" Forderungen, die vielleicht nur aus verhandlungstaktischen Gründen unterbreitet worden waren, hatte sie schon vorher stillschweigend fallen gelassen. Beim Gewaltverzicht bestand sie nicht mehr auf der Form eines Vertrags. Der Westen hatte sich aber schon in einer frühen Phase der Konferenz einverstanden erklärt, dieses Prinzip noch einmal zu bekräftigen, wenn gleichzeitig konkrete vertrauensbildende Maßnahmen vereinbart würden. Nach langem, zähem Widerstand gab die sowjetische Delegation schließlich auch bei der Forderung nach, für unabhängige militärische Aktivitäten der Luft- und Seestreitkräfte ebenfalls vertrauensbildende Maßnahmen zu vereinbaren. Obwohl dieses Verlangen eindeutig dem Wortlaut des Mandats widersprach, war darüber immer wieder mit großer Beharrlichkeit gestritten worden. Zum Hintergrund dieser Auseinandersetzung gehörte, daß die Sowjetunion in Madrid einer Ausdehnung des Geltungsbereichs der Vereinbarungen bis zum Ural zugestimmt hatte, sich aber mit ihrer Gegenforderung, eine „entsprechende" Erweiterung der Zone im Atlantik vorzunehmen, nicht durchsetzen konnte. Die Vereinigten Staaten wollten nämlich weder ihre Aktivitäten auf hoher See noch die Verlegung von Flugzeugen nach Europa zum Gegenstand der KVAE-Verhandlungen machen. 22
Der Budapester Appell ist abgedruckt in: EA, 16/1986, S. D 450 ff.
Vgl. die Erklärung von Halifax vom 30.5.1986, abgedruckt in: EA, 14/1986, S. D 381, sowie die Erklärung von Brüssel vom 12.12.1986, abgedruckt in: EA, 3/1987, S. D 77 ff. 23
BEGINN DER WIRKLICHEN VERHANDLUNGEN
133
Im Text des Mandats wurde deshalb der Geltungsbereich der vertrauensbildenden Maßnahmen (für „ganz Europa sowie das angrenzende Seegebiet und den angrenzenden Luftraum") durch eine komplizierte Formel zusätzlich eingeschränkt. Die Vereinbarungen sollten nur dann anwendbar sein, wenn militärische Aktivitäten auf See oder in der Luft „sowohl die Sicherheit in Europa berühren" als auch „ein Teil von Tätigkeiten in ganz Europa" (gemeint war: auf dem europäischen Festland) waren. Dieser „funktionale Ansatz" forderte also die Erfüllung von zwei Bedingungen: Manöver und Bewegungen der See- und Luftstreitkräfte in den „angrenzenden" Gebieten mußten sich auf die Sicherheit in Europa beziehen, und sie mußten ein Teil von Aktivitäten der Landstreitkräfte sein. N u r dann kamen die vereinbarten Maßnahmen zur Anwendung. O b w o h l der Mandatstext in diesem Punkt in allen KSZE-Sprachen eindeutig war, berief sich die Sowjetunion auf eine Interpretation, nach der auch für „unabhängige" - also nicht mit Übungen der Landstreitkräfte verbundene - Manöver der Luft- und Seestreitkräfte vertrauensbildende Maßnahmen zu vereinbaren waren. Anfang 1986 schlug Generalsekretär Gorbatschow schließlich vor, „die Frage militärischer Aktivitäten auf See auf die nächste Etappe der Konferenz zu verschieben"; 2 4 aber erst im Sommer, zum Ende der vorletzten Verhandlungsrunde, lenkte Moskau auch bei der Forderung nach Erfassen unabhängiger Manöver der Luftstreitkräfte ein. Nach langwierigen Verhandlungen, die unmittelbar zwischen der amerikanischen und der sowjetischen Delegation geführt wurden, einigte man sich darauf, daß Manöver der Luftstreitkräfte im Zusammenhang mit Aktivitäten der Landstreitkräfte dann anzukündigen seien, wenn mehr als 200 Einsätze geflogen würden. Den Anspruch auf ihre Auslegung des Mandats gab die Sowjetunion freilich nicht auf, sondern kündigte an, das Thema in der nächsten Konferenzphase wieder auf die Tagesordnung zu setzen. In der letzten Verhandlungsrunde kam die Sowjetunion dem Westen auch bei der Forderung entgegen, mit Inspektionen an O r t und Stelle die Einhaltung der Vereinbarungen überprüfen zu können. Sie schickte sogar den Stellvertretenden Verteidigungsminister und Generalstabschef der sowjetischen Streitkräfte, Marschall Sergej Achromejew, nach Stockholm, um durch ihn ankündigen zu lassen, man sei auch mit Inspektionen aus der Luft einverstanden. Gerungen wurde dann noch um den Vorschlag, daß die Flugzeuge zur Inspektion von den neutralen Staaten bereitgestellt werden sollten. Doch als erkennbar wurde, daß sich Moskau dazu nur schwer durchringen könnte, gaben die Vereinigten Staaten - nach einer Entscheidung Präsident Reagans 2 5 - in diesem Punkt nach. Damit stand einem erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen nichts mehr im Wege. 24
Die Erklärung Gorbatschows vom 15.1.1986 ist abgedruckt in: EA, 5/1986, S. D 135 ff.
25
Vgl. NYT, 17.9.1986.
134
DER FORTGANG DES KSZE-PROZESSES
Das „Dokument von Stockholm", 2 6 das die 35 Teilnehmerstaaten am 22. September - nach Anhalten der U h r und deshalb mit dem Datum vom 19. September - im Konsens annahmen, entsprach weitgehend den Vorstellungen des Westens und der Neutralen und Ungebundenen. Es enthält eine Bekräftigung des Gewaltverzichts und bedeutende Erweiterungen und Verbesserungen der vertrauensbildenden Maßnahmen der Schlußakte. Zum ersten Mal in einer Vereinbarung dieser Art war auch das Recht vorgesehen, durch Inspektionen an O r t und Stelle deren Einhaltung überprüfen zu können. Auf dieser Art der Verifikation hatte die amerikanische Delegation, vor allem auch im Hinblick auf bilaterale Rüstungskontroll-Abkommen mit der Sowjetunion, aus prinzipiellen Gründen bestanden. Nicht durchsetzen konnte der Westen seine Forderung nach einem regelmäßigen Informationsaustausch über Kommandostrukturen und die Zusammensetzung der Landund Luftstreitkräfte. Nach dem Dokument von Stockholm, dessen Geltungsbereich „ganz Europa", also das gesamte europäische Territorium der Sowjetunion umfaßt, sind Manöver der Landstreitkräfte anzukündigen, wenn daran mehr als 13 000 Soldaten teilnehmen. Wird die Zahl von 17 000 Mann überschritten, ist eine Einladung von Beobachtern obligatorisch. Außerdem müssen alle ankündigungspflichtigen Aktivitäten vorab in einer jährlichen Übersicht bekanntgegeben werden.
B E G I N N DES KSZE-FOLGETREFFENS IN WIEN D e r erfolgreiche Abschluß der Stockholmer Konferenz wurde allgemein als günstiges Zeichen gewertet, als die Außenminister der KSZE-Staaten zu Beginn des am 4. November 1986 eröffneten Folgetreffens in Wien ihre politischen Erklärungen abgaben. 2 7 Wie üblich brachten die Vertreter des Westens und der meisten Neutralen und Ungebundenen auch bei dieser Gelegenheit ihre Kritik an Menschenrechtsverletzungen in den Staaten des Warschauer Pakts zum Ausdruck. D e r sowjetische Außenminister Schewardnadse ließ sich bei diesem Thema jedoch nicht in die Defensive drängen und kündigte an, sein Land werde eine Konferenz der KSZE-Staaten über humanitäre Zusammenarbeit, „einschließlich der Fragen der menschlichen Kontakte, der Information, der Kultur und der Bildung", in Moskau vorschlagen. Zu den Menschenrechten gehörten auch das Recht auf „Arbeit, Wohnung, Erholung, unentgeltliche Ausbildung, medizinische und soziale Hilfe, Heranführung an das kulturelle Leben, Teilnahme am wissenschaftli-
26
Das Dokument der Stockholmer Konferenz ist abgedruckt in: EA, 22/1986, S. D 625 ff.
Vgl. die Dokumente zur Eröffnung des KSZE-Folgetreffens in Wien, abgedruckt in: EA, 5/1987, S. D 109 ff. 27
BEGINN DES KSZE-FOLGETREFFENS IN WIEN
135
chen Fortschritt und die Nutzung seiner Früchte". 2 8 Diese Initiative stand in Konkurrenz zu dem Vorschlag der westlichen Staaten, mit einem Treffen über die „menschliche Dimension der K S Z E " eine „kontinuierliche Aktion" auf diesem Gebiet einzuleiten. Die Bundesrepublik Deutschland setzte sich in Wien, wie Außenminister Hans-Dietrich Genscher in seiner Eröffnungserklärung angekündigt hatte, für eine Konferenz über die „Verbesserung, Vertiefung und Modernisierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit" ein, die in der Bundesrepublik abgehalten werden solle. 2 9 Beim Thema Sicherheit war Schewardnadse schon in seiner Eröffnungsrede dafür eingetreten, nun zu „Maßnahmen der realen Abrüstung in Europa" überzugehen. Am 8. Dezember brachte Polen einen Vorschlag zur Ergänzung des Mandats der K V A E ein, damit künftig über Schritte „zur Verminderung von Streitkräften und konventionellen Rüstungen in Europa" und, „parallel" dazu, über „neue vertrauensbildende Maßnahmen" verhandelt werden könne. 3 0 Mit dem neuen Gewicht, das die Fragen der Sicherheit durch die beabsichtigten Verhandlungen erhielten, stellte sich auch die Frage der Ausgewogenheit des KSZE-Prozesses mit neuer Dringlichkeit. V o r so viele und verschiedene schwierige Aufgaben gestellt, erwarteten die Teilnehmer Ende 1986 nicht mehr, daß das Wiener KSZE-Treffen den ursprünglichen Vorsatz, „bis spätestens" zum 31. Juli 1987 die Einigung über ein abschließendes Dokument zu erreichen, einhalten könnte.
28
Zitiert nach dem Redemanuskript. Auszüge der Rede Schewardnadses sind abgedruckt in: ebd., S. D 133-137. 29 Vgl. Ekkehard Eickhoff, Das Dritte KSZE-Folgetreffen in Wien. Implementierung der Wirtschaftsbestimmungen, in: EA, 2/1987, S. 59-66, hier S. 66. Diese Initiative wurde im Februar 1987 in einem ausgearbeiteten Vorschlag von allen Staaten der Europäischen Gemeinschaft unterstützt. 3 0 Zitiert nach dem Konferenzdokument CSCE/WT 1. Die Staaten des Warschauer Pakts und der NATO legten später auch zu diesem Komplex ausführliche Vorschläge vor. Dabei zeichnete sich als Lösung ab, daß alle KSZE-Staaten weiter über vertrauensbildende Maßnahmen verhandeln sollten, während die Gespräche über Abrüstung nur zwischen den Mitgliedern der beiden Bündnisse geführt wurden. Strittig war allerdings, wie die Abrüstungsverhandlungen mit dem KSZE-Prozeß verknüpft werden sollten.
IV DIE WESTLICHE GEMEINSCHAFT
D I E S I C H E R H E I T S P O L I T I S C H E D E B A T T E IN D E N USA Von Bernd W.
Kubbig
Die Wiederaufnahme der bilateralen Rüstungskontroll-Verhandlungen in Genf am 17. März 1985 und das zweite Gipfeltreffen zwischen Präsident Ronald Reagan und Generalsekretär Michail Gorbatschow am 10./11. Oktober 1986 in Reykjavik, dies sind die Eckpunkte des diplomatischen Rüstungskontroll-Dialogs, vor dem sich die inneramerikanischen Kontroversen um die wichtigsten Themen abspielten. Die Auseinandersetzungen im gesellschaftlichen Umfeld, im Kongreß wie auch in der Administration betrafen die Gespräche über die Reduzierung der strategischen Waffen (START), die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI) und, damit verbunden, den Raketenabwehrvertrag (Anti Ballistic Missile Treaty = ABM) sowie die Verhandlungen über Mittelstreckenraketen längerer Reichweite (Intermediate-Range Nuclear Forces = INF).
Kritik an den ST
ART-Verhandlungen
Der neue Ansatz, mit dem die Regierung Reagan die START-Verhandlungen in Genf im Sommer 1982 eröffnet hatte, lautete: „tiefe Einschnitte" (deep cuts) in das strategische Sprengkopfarsenal beider Supermächte. Dies war zugleich der Abschied von der Rüstungskontroll-Tradition der siebziger Jahre im Rahmen von SALT, als die Nuklearpotentiale der USA und der UdSSR nur schrittweise vermindert werden sollten und man sich dabei nicht auf Gefechtsköpfe, sondern auf Abschußrampen als Zähleinheit konzentrier-
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D I E SICHERHEITSPOLITISCHE D E B A T T E IN D E N USA
te. Der Ansatz der Reagan-Administration war zunächst bei der damals starken Friedens- und „Freeze"-Bewegung in den USA auf Ablehnung gestoßen, aber auch bei den liberalen Befürwortern von Rüstungskontrolle, die die Politik der siebziger Jahre formuliert und unterstützt hatten. Ihre Einwände gegen die Positionen der Administration bezogen sich auf die Rüstungskontrolle und die Krisenstabilität: Das START-Konzept führe nicht zu einem „Einfrieren" der Nukleararsenale oder zu einer Verlangsamung des Rüstungswettlaufs, vielmehr sei es auf den (Aus)Bau der zentralen Waffensysteme zugeschnitten, die die Regierung für notwendig erachte (vor allem M X und Trident-II). Darüber hinaus sei der START-Ansatz in sich so unausgewogen angelegt, daß eine Ablehnung der UdSSR wahrscheinlich sei; das angestrebte Zielkriterium des Wurfgewichtes sei für die Sowjetunion nicht verhandelbar. Die Vorschläge würden zu einer Verringerung der Krisenstabilität führen (definiert als Verhältnis von Abschußrampen zu Sprengköpfen auf landgestützten Raketen, die als theoretisch vernichtbar angesehen werden). 1 Dies hieß nicht, daß im linksliberalen Spektrum beträchtliche Reduzierungen grundsätzlich abgelehnt wurden. Trotz der negativen Bewertung spezifischer Elemente der START-Vorschläge blieb den Kritikern nichts anderes übrig, als sich auf „tiefe Einschnitte" der Administration einzustellen. Denn das alternative Konzept des „Einfrierens" war spätestens seit Frühjahr 1983 politisch gescheitert. Auch die Vorschläge von liberalen und gemäßigten konservativen Politikern, vor allem aus dem Kongreß, für einen stufenweisen Abbau der Nuklearwaffen (build-down) stießen in der Regierung auf Ablehnung. Eine neue Situation war zudem dadurch entstanden, daß sich die Sowjetunion auf den amerikanischen Verhandlungsansatz einer drastischen Verminderung schrittweise einließ. 2
DIE STRATEGISCHE VERTEIDIGUNGSINITIATIVE Die
Skeptiker
Vor allem aber veränderte die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI) die gesamte Diskussionsgrundlage. 3 Aus (links)-liberaler Sicht (wie z.B. der 1 Vgl. z . B . Herbert Scoville, Deterring Deterrence, in: The Washington Post, 2 3 . 5 . 1 9 8 2 ; (Hrsg.), Search F o r Christopher Paine, A False S T A R T , in: Paul Joseph, Simon Rosenblum Sanity, Boston 1984, S. 429 ff. 2
Vgl. Bernd W . Kuhbig,
Amerikanische Rüstungskontrollpolitik. D i e innergesellschaftli-
chen Kräfteverhältnisse in der ersten Amtszeit Reagans (1981-1985), Frankfurt 1988, S. 191 ff. 3
Vgl. hierzu auch Gebhard Schweigier,
union, in: IP 1983/84, S. 75 f.
Spannungen zwischen den U S A und der Sowjet-
DIE STRATEGISCHE VERTEIDIGUNGSINITIATIVE
139
Arms Control Association oder Lobbyorganisationen, wie z.B. dem Council for a Liveable World) war eine „Deep-cut"-Einigung im Offensivbereich ohne S D I oder mit einem begrenzten amerikanischen Programm einer Situation vorzuziehen, in der die Raketenabwehr eine zunehmend wichtige Rolle spielte. Die meisten Rüstungskontroll-Befürworter sahen keine sicherheits- und stabilitätspolitischen Probleme für die U S A und ihre Verbündeten als Folge von drastischen Reduzierungen. Deshalb hätten sie es begrüßt, wenn Präsident Reagan das Angebot der Sowjetunion, ihre strategischen Potentiale zu halbieren, mit einer Selbstbeschränkung bei S D I erwidert hätte. Alle maßgeblichen Repräsentanten und Organisationen der Rüstungskontroll-Gemeinde zeigten sich enttäuscht darüber, daß Reagan SDI nicht als Trumpfkarte am Genfer Verhandlungstisch wie auch beim Gipfeltreffen in Reykjavik im O k t o b e r 1986 einsetzte. 4 Viele linksliberale Gruppen wollten zudem zu einem Jahresbudget von etwa einer Milliarde Dollar zurückkehren, mit dem die Raketenabwehr-Forschung vor Reagans Rede am 23. März 1983 zur strategischen Verteidigung 5 ausgekommen war. Diese Haushaltsforderungen hätten die Abkehr von der Strategischen Verteidigungsinitiative bedeutet, waren allerdings nur die Anliegen einer Minderheit. Organisationen wie die Federation of American Scientists oder die Union of Concerned Scientists, die sich im Grenzgebiet von Friedensbewegung und liberalem Establishment bewegen, plädierten 1986 für einen Etat, der um die 2 Milliarden Dollar lag. Beide Forderungen lagen erheblich unter dem S D I Budget von 3,5 Milliarden Dollar, das der Kongreß 1986 für das Haushaltsjahr 1987 bewilligte. 6 Hatten sich die linksliberalen Gruppierungen 1985/86 auf den Ansatz begrenzter Einschnitte im Prinzip zubewegt, so wichen einige pragmatisch denkende und alle ideologisch ausgerichteten Konservativen von ihrer früheren Forderung nach „tiefen Einschnitten" ab. Möglicherweise hatten sie ohnehin nur die Verminderung des sowjetischen Raketenpotentials, vor allem der SS-18, angestrebt und eine entsprechende Reduktion der strategischen Arsenale der U S A im Grunde genommen ausgeklammert. Aber auch wenn sie einen beiderseitigen drastischen Abbau ernsthaft verfolgt hätten: das sowjetische Angebot, auch die SS-18 beträchtlich zu reduzieren, war im Austausch für Selbstbeschränkungen bei S D I für sie nicht mehr attraktiv genug. V o r allem die ideologischen Konservativen versprachen sich von der Strategischen Verteidigungsinitiative sicherheitspolitisch größere Vorteile als vom Abbau der SS-18. 4 Vgl. z.B. die Erklärungen von Cyrus Vance (Außenminister unter Präsident Carter) und von Paul Warnke (Direktor der Rüstungskontroll- und Abrüstungsbehörde sowie SALTII-Verhandlungsleiter in der Regierung Carter), in: Time Magazine, 27.10.1986, S. 37. 5
Vgl. EA, 10/1983, S. D 270.
6
Vgl. hierzu die verschiedenen Informationsbroschüren dieser Organisation.
140
DIE SICHERHEITSPOLITISCHE DEBATTE IN DEN USA
Die Befürworter Die zentrale Bedeutung von SDI wurde beispielhaft an den Einwänden deutlich, die der ehemalige Außenminister Henry Kissinger für die konservativen Skeptiker unmittelbar nach dem Gipfel von Reykjavik vom Oktober 1986 gegen eine 50-Prozent-Reduzierung von Nuklearwaffen vorbrachte: 7 Dadurch werde die „Verwundbarkeit" der landgestützten Waffen nicht vermindert, die der seegestützten Arsenale jedoch vergrößert. An der Bedrohungssituation änderten auch beträchtliche Einschnitte nichts, da das globale Zerstörungspotential erhalten bleibe. Für sich genommen sei deshalb eine Halbierung nur ein „bescheidener symbolischer Erfolg". 1983 hatte Kissinger das Vernichtungsproblem noch mit dem Bau einer Rakete mit nur einem Sprengkopf (Midgetman) lösen wollen.8 Angelpunkt von Kissingers Argumentation war 1985/86 SDI, das er unter keinen Umständen eingeschränkt sehen wollte. Ideologische Konservative wie Norman Podhoretz, einer der artikuliertesten Wortführer der Zeitschrift Commentary, oder Richard Pipes, der Anfang der achtziger Jahre im Stab des Nationalen Sicherheitsrats gearbeitet hatte, äußerten im Zusammenhang mit Reykjavik ihr tiefes Mißtrauen gegenüber einer im Inland totalitären und diesen Totalitarismus exportierenden Weltmacht. Pipes bezweifelte, daß die UdSSR ernsthaft an tiefen Einschnitten interessiert sei, die er allerdings rüstungskontrollpolitisch für begrüßenswert hielt. Podhoretz, für den derartige Reduzierungen nicht kontrollierbar waren, wiederholte seine grundlegende Ablehnung des gesamten Rüstungskontroll-Prozesses. Mit seiner Auffassung, Reagan habe SDI in Reykjavik zu 90 Prozent aufgegeben, stand Podhoretz jedoch ziemlich allein. Für die Wortführer der Neokonservativen, wie den Kommentator George F. Will, die frühere UN-Botschafterin Jeane Kirkpatrick und den Direktor der SDI-Lobby-Organisation „High Frontier", den ehemaligen General Daniel O. Graham, stellte Reykjavik „eine Falle" der sowjetischen Führung dar. Allerdings bewerteten sie es positiv, daß Reagan nicht in diese Falle hineingeraten war.9
7 Vgl. Henry Kissinger, The „Reykjavik Revolution". Putting Deterrence in Question, in: The Washington Post, 18.11.1986; ders., Fundamental Agreements Do Not Happen Overnight, in: ebd., 19.10.1986. 8 Vgl. ders., A New Approach to Arms Control, in: Time Magazine, 21.3.1983, S. 24 ff. 9 Vgl. hierzu Richard Pipes, Call Iceland What It Was - a Trap, in: Los Angeles Times, 21.10.1986; Norman Podhoretz, Arms-control trap still set for SDI, in: New York Post, 21.10.1986; George Will, The President stood tall at the summit, in : New York News, 14.11.1986; zu Jeane Kirkpatrick vgl. Dallas Morning News, 19.10.1986; zu Daniel O. Graham vgl. High Frontier Newswatch, 4. Jg., Nr. 8, Dezember 1986, S. 2.
WARNUNGEN DES KONGRESSES
Warnungen
des
141
Kongresses
Ahnlich positiv und erleichtert reagierte die kleine, artikulierte Minderheit in beiden Häusern des Kongresses, die eine Entscheidung über eine möglichst frühe Stationierung von SDI-Systemen umgehend herbeiführen wollte. Zu dieser Gruppe der „Frühstationierer" gehörten die Senatoren Pete Wilson, Dan Quayle und Malcolm Wallop sowie die Abgeordneten J i m Courter und J a c k Kemp. Im Sommer 1986 hatten sich die Befürworter einer möglichst frühen Aufstellung zum ersten Mal gezwungen gesehen, Präsident Reagan vor Konzessionen zu warnen - dieser war offensichtlich erstmals nicht abgeneigt, die Aufstellung von SDI-Systemen um siebeneinhalb Jahre hinauszuzögern, wenn die Sowjetunion bei den Offensivwaffen Zugeständnisse machte. Die SDI-Stationierung in Genf auf die Tagesordnung zu setzen, kam für diese Gruppierung einem „Todesurteil" für das gesamte Programm gleich. Sie fürchteten, daß ein zeitlicher Aufschub die psychologische und politische Unterstützung in den U S A für die Strategische Verteidigungsinitiative zunichte mache. Anfang August, kurz vor dem Treffen zwischen Präsident Reagan und dem sowjetischen Generalsekretär Gorbatschow in Reykjavik, äußerten sie in persönlichen Briefen an Reagan erneut ihre Besorgnis, der Präsident könne sich in Reykjavik kompromißbereit zeigen. 10 Wiederholt drängten sie Reagan, eine Entscheidung über die Aufstellung von SDI-Komponenten sofort zu treffen. Die Befürchtung, die Gipfeldiplomatie und das politische Klima in den U S A könnten sich gegen ihr Vorhaben auswirken, dürfte mit dazu beigetragen haben, daß sie ihre Bemühungen um eine möglichst frühe Stationierung nach Reykjavik noch verstärkten. Ende November 1986 startete „High Frontier" eine „nationale Kampagne" für eine Aufstellung von SDI-Komponenten. Wie einflußreich diese Gruppierung war, zeigte sich auf folgende Weise: Das Pentagon, das die „High-Frontier"-Vorschläge bis dahin abgelehnt hatte, favorisierte sie nun aus politischen - und nicht aus technologischen - Gründen, um auch die nächste Regierung auf S D I festzulegen. 11
DIE I N T E R P R E T A T I O N DES ABM-VERTRAGS Der ABM-Vertrag war das juristische Hauptforum, auf dem die S D I Gegner, -Skeptiker und -Befürworter die politische Debatte um Tempo, Ausmaß und Richtung der Strategischen Verteidigungsinitiative austrugen. Vgl. Reagan SDI Talk Leaves Conservatives Uneasy, in: The Washington Post, 7.8.1986; Rowland Evans, Robert Novak, A Death Sentence for SDI, in: ebd., 8.8.1986. 11 Vgl. High Frontier Newswatch, a.a.O. (Anm. 9), S. 2.
142
DIE SICHERHEITSPOLITISCHE DEBATTE IN DEN USA
Hier hatte die Reagan-Administration im Herbst 1985 eine neue Situation geschaffen, denn das Weiße Haus und das Pentagon definierten in einem entscheidenden Punkt (zunächst gegen den Widerstand des State Department) den ABM-Vertrag Anfang Oktober 1985 auf einer juristisch kaum haltbaren Grundlage ganz neu. Danach sollten plötzlich sowohl Tests wie auch die Entwicklung von neuen weltraumgestützten Technologien erlaubt sein. Hierzu zählen Laser- und Teilchenstrahlenwaffen, die ein Kernstück der Strategischen Verteidigungsinitiative sind. Mit dieser extensiven Interpretation des ABM-Vertrags brach die amerikanische Exekutive mit der bisherigen Interpretation aller amerikanischen Regierungen seit der Nixon-Administration. Sie brach auch mit der Auslegung des ABM-Abkommens, die bis dahin selbst in der Regierung Reagan als verbindlich galt. Allerdings entschied der Präsident, daß diese von ihm als rechtlich legitim angesehene Interpretation während seiner Amtsperiode nicht in die Tat umgesetzt werden sollte. Der in dieser Doppelentscheidung zum Ausdruck kommende bürokratische Kompromiß war u.a. eine Reaktion auf die Kritik der westeuropäischen Regierungen, zu deren Anwalt sich das State Department machte.
Befürworter
und Gegner in den USA
Die inneramerikanischen Kontroversen um die rechtmäßige Auslegung des ABM-Vertrags kennzeichneten den Berichtszeitraum. 12 Bei den liberalen SDI-Gegnern sowie bei den moderaten und pragmatisch ausgerichteten konservativen Skeptikern des Programms gab es einen Konsens: Raketenabwehr-Programme sollten im Sinn der traditionellen Auslegung des A B M Abkommens Forschungscharakter haben (und zwar hauptsächlich als Schutzmaßnahme gegen einen möglichen Ausbruch der Sowjetunion aus dem Vertrag). U m dies zu gewährleisten, sollten alle Demonstrationsversuche aus dem SDI-Budget der Regierung Reagan herausgenommen werden. Die schärfste Kritik an der Position der Regierung äußerte der als Militärfachmann anerkannte und einflußreiche konservative Senator Sam Nunn, dem es in erster Linie um das Machtverhältnis zwischen Exekutive und Legislative gingNunn forderte, nachdem die amerikanische Regierung die extensive Auslegung des ABM-Abkommens für gerechtfertigt erklärt hatte, Einsicht in die Verhandlungsprotokolle zu diesem Vertrag. Für ihn war die neue Interpretation nicht zu rechtfertigen: er hielt sie für ideologisch motiviert. 12
V g l . hierzu B e r n d W . Kubbig,
D i e N e u i n t e r p r e t a t i o n des A B M - V e r t r a g e s durch
Reagan-Administration, Frankfurt ( H S F K - R e p o r t ) 1985.
die
BEFÜRWORTER UND GEGNER IN DEN USA
143
Auch der Senator aus Georgia konzedierte Zweideutigkeiten in den Verhandlungsprotokollen, kam aber zu einer eindeutigen Schlußfolgerung: Die Dokumente unterstützten die bisherige enge Deutung und nicht die Uminterpretation des ABM-Vertrags durch die Regierung Reagan. Demgegenüber forderte ein Teil der S D I befürwortenden Gruppen und Parlamentarier, den ABM-Vertrag nicht neu auszulegen, sondern die Diskussion um die legitime Auslegung des Abkommens zu beenden und den Vertrag selbst aufzukündigen. 1 3 V o r diesem Hintergrund zunehmender Polarisierung muß die Politik der Reagan-Administration in der zweiten Hälfte des Jahres 1986 gesehen werden. Einerseits erklärte der Präsident, daß er sich nur noch fünf Jahre an den ABM-Vertrag gebunden fühle (und nicht mehr zehn Jahre, wie noch in Reykjavik befürwortet). Andererseits betonte Reagan, daß das SDI-Projekt bis auf weiteres im Rahmen der bisherigen engen Deutung des Vertrags durchgeführt werde, d.h., daß die auf absehbare Zeit geplanten Tests nicht gegen den Vertrag verstießen. Auch in der Frage einer frühen Stationierung faßte Reagan noch keinen Beschluß. Bedenken gegen eine übereilte Festlegung äußerten das Außenministerium, aber auch die militärische Führung der U S A . Außenminister George Shultz wies darauf hin, daß eine solche Entscheidung den Zusagen an die westeuropäischen Verbündeten widerspräche; diese müßten vorher konsultiert werden. In der Praxis unterlief die Reagan-Administration den Vertrag, indem sie seine „Grauzonen" ausnutzte. Dies betraf 1. die Abgrenzung von ABM-Systemen, Komponenten, Subkomponenten und Zubehörteilen (die vagen Begriffsbestimmungen des Vertrags machten es möglich, alle Einzelteile, die für sich genommen keine ABM-Funktion wahrnehmen können, zu Subkomponenten oder Zubehörteilen zu erklären); 2. das Verhältnis von Raketen- und AntisatellitenTechnologien (zwischen beiden Bereichen gibt es Überschneidungen. Unter dem Vorwand, Forschung im Bereich der Antisatelliten-Waffen durchzuführen, lassen sich wesentliche Aufschlüsse über den ABM-Bereich gewinnen), und 3. das Verständnis von Entwicklung (die Trennungslinie zwischen erlaubter Forschung und verbotener Entwicklung verläuft dort, wo „eine Komponente aus der Entwicklungs- und Testphase im Labor in die Feldtestphase, wo immer sie durchgeführt wird, übergeht". Verschiedene Vertreter der Administration machten deutlich, daß sie diese Trennungslinie nicht mehr akzeptierten).
13
Vgl. ders.,
D i e S D I - D e b a t t e in der R e a g a n - A d m i n i s t r a t i o n und i m K o n g r e ß
Frankfurt ( H S F K - R e p o r t )
1 9 8 8 , auch erschienen i n : ders.
F r a n k f u r t 1 9 8 8 (in V o r b e r e i t u n g ) .
( H r s g . ) , D i e unendliche
1983-1988, Rüstung,
144
DIE SICHERHEITSPOLITISCHE DEBATTE IN DEN USA
Die Sowjetunion und der
ABM-Vertrag
Ein zentraler Aspekt der Diskussion um den ABM-Vertrag betraf die Frage, ob die Sowjetunion dieses Abkommen verletze. Die Reagan-Administration hielt es für erwiesen, daß das sowjetische Radargerät mit phasengesteuerter Abtastung in Krasnojarsk gegen den ABM-Vertrag verstieß. Es befand sich weder innerhalb eines 50-km-Radius um die Hauptstadt Moskau (dies fordert der Vertrag für ABM-Radaranlagen), noch lag es an der Peripherie der UdSSR mit Orientierung nach außen (dies schreibt das Abkommen für Frühwarnanlagen vor). In der Bauart ähnelte das Gerät den Radars, die bekanntermaßen der Ortung und Verfolgung von ballistischen Raketen und der Frühwarnung dienen. Für die Reagan-Administration schloß die Radaranlage die letzte noch verbliebene Lücke im sowjetischen Frühwarnsystem. Aus ihrer Sicht konnte es der Verbund von Radaranlagen der UdSSR ermöglichen, zügig zum Aufbau einer landesweiten A B M Verteidigung überzugehen, die der ABM-Vertrag verbot. Die UdSSR bestritt, daß die Radaranlage gegen das Abkommen verstoße. Sie vertrat die Auffassung, das System werde errichtet, um Objekte im Weltraum zu orten, und verwies darauf, daß Artikel VI des ABM-Vertrags nicht spezifiziere, wie eine Frühwarnanlage und wie ein System zur Beobachtung derartiger Objekte auszusehen habe. O b nun eine Vertragsverletzung bereits erwiesen war oder nicht: Die Sowjetunion hatte sich zumindest in eine Grauzone begeben. Militärisch gesehen war die Anlage jedoch nicht von Bedeutung. Sie konnte nicht als Indiz dafür gewertet werden, daß die UdSSR sich auf einen Ausbruch aus dem ABM-Vertrag vorbereitete. Politisch war die Frage relevant, warum die Sowjetunion eindeutige Bestimmungen des Abkommens nicht zu berücksichtigen schien. In der inneramerikanischen Diskussion um den ABM-Vertrag war das nicht eindeutige Verhalten der UdSSR insofern bedeutsam, als es den Gegnern des Abkommens ein zusätzliches Argument lieferte, den Vertrag aufzukündigen.
DIE INF-VERHANDLUNGEN Im Vergleich zu diesen rüstungskontrollpolitischen Themen spielten die INF-Gespräche in der inneramerikanischen Debatte keine große Rolle. In den Mittelpunkt des Interesses rückten sie im Zusammenhang mit dem Gipfeltreffen auf Island. Im Gegensatz zu SDI und anders als bei S T A R T , wo es zwischen beiden Seiten lediglich zu weiteren Annäherungen kam, erzielten Reagan und Gorbatschow in Reykjavik einen Durchbruch bei den Mittelstreckenwaffen längerer Reichweite. Die damals im Prinzip von beiden Seiten akzeptierte Null-Lösung bei den Potentialen über 1 000 km wurde von den Linksliberalen begrüßt. Sie hatten dieses Ziel bereits in der
BEFÜRWORTER UND GEGNER VON RÜSTUNGSKONTROLLE
145
Vergangenheit befürwortet - sei es, weil sie die Mittelstreckenraketen aufgrund ihres Verständnisses von Nuklearwaffen als politische Abschrekkungssysteme nicht für notwendig hielten, sei es, weil sie durch Pershing-II und Cruise Missiles eine zu enge „Ankopplung" Europas an die USA befürchteten (wie z.B. Paul Warnke). Gerade dieser letzte Aspekt war es, den die Null-Lösungs-Gegner aus dem politisch nicht einheitlichen konservativen Sicherheitsestablishment betonten (z.B. Kissinger) und im Sinne einer glaubwürdigen Doktrin abgestufter Abschreckung für unverzichtbar hielten. Befürworter
und Gegner von
Rüstungskontrolle
Nach dem Gipfel in Reykjavik gingen nicht nur die RüstungskontrollGegner, sondern auch die Befürworter von Rüstungskontrolle in die Offensive. Vor allem letztere verlangten ein stärkeres Mitspracherecht der Legislative. Diese Entwicklung war direkt auf die Zusammenkunft der beiden Regierungschefs und indirekt auf das verstärkte Engagement der kompromißlosen SDI-Befürworter zurückzuführen. Aus der Sicht der SDI-Kritiker hatte Reagan sein Raketenabwehr-Programm auf Island nicht mehr als Forschungsprojekt, sondern als ein Vorhaben hingestellt, das bereits Realität sei und deshalb disloziert werden könne. Die führenden Kritiker aus dem liberalen und gemäßigt-konservativen Spektrum in beiden Häusern (z.B. die Senatoren William Proxmire und Bennett Johnston sowie die Abgeordneten Norman Dicks und Victor Fazio, aber auch der Präsident des Abgeordnetenhauses, James Wright) machten stärker als bisher deutlich, daß der Kongreß die Regierung mit Haushaltskürzungen und entsprechenden Gesetzen in die Grenzen weisen werde. Im Kongreß erwog man auch die Möglichkeit, die Gelder zu sperren oder bestimmte Tests zu verbieten. Die offensivere Haltung der Rüstungskontroll-Befürworter wurde vor allem im Hinblick auf die Einhaltung des SALT-II-Vertrags deutlich. Bereits vor Reykjavik hatte der Senat die Administration aufgefordert, sich an die im SALT-II-Abkommen vereinbarten Begrenzungen zu halten. Allerdings hatte er die Vorlage des Repräsentantenhauses, die dort mit 225 gegen 186 Stimmen angenommen worden war, verwässert und erklärt, sie sei für den Präsidenten nicht bindend. Dadurch sollte die Verhandlungsposition Reagans auf Island gestärkt werden. Mitte Dezember 1986 forderten mindestens 58 Senatoren Reagan in einem Brief auf, die im Vertrag enthaltenen Limitierungen zu beachten. Die Fraktion der Demokraten im Repräsentantenhaus verlangte am 10. Dezember 1986 in einer Resolution ein Gesetz, das dem Präsidenten die Gelder für Waffen verweigerte, die gegen die Grenzen des SALT-II-Vertrags verstießen. 14 1 4 Vgl. Congressional Quarterly Weekly Report, 24.1.1987, S. 161 ff.; 31.1.1987, S. 214.
13.12.1986, S. 3087; 10.1.1987, S. 65;
146
DIE S I C H E R H E I T S P O L I T I S C H E D E B A T T E IN D E N USA
Daß gegen Ende des Jahres 1986 die Rüstungskontroll-Befürworter im gesellschaftlichen Umfeld und im Kongreß stärkeres Gewicht bekamen, hatte mit zwei Entwicklungen zu tun, die jenseits des Politikbereichs nuklearer Rüstungskontrolle lagen: dem Haushalts- und Handelsdefizit sowie „Irangate". Hier sah sich die Reagan-Administration, vor allem aber der Präsident, einer breiteren und zum Teil anders zusammengesetzten Koalition von Kritikern gegenüber, als dies im Sektor Rüstungskontrolle der Fall war. Das Interesse daran, das horrende Budgetdefizit 1986 von circa 220 Milliarden Dollar systematisch bis 1991 aus der Welt zu schaffen, fand seinen Ausdruck im Gramm-Rudman-Hollings Act. Hiervon blieb auch der Militärhaushalt im allgemeinen und der SDI-Etat im besonderen nicht verschont; dies zeigten die abflachenden Wachstumsraten, die weitaus geringer waren als von der Administration gefordert. 15 Im Hinblick auf die Entwicklung des SDI-Programms waren zudem wirtschaftliche Interessen vor allem als Bremskraft und weniger als Triebkraft von Bedeutung. Sie spielten in der Strategie der Befürworter eine wichtige Rolle, auch wenn innerhalb des gesamten Spektrums der Befürworter von S D I militär- und sicherheitspolitische Gründe bedeutsamer waren.
W I R T S C H A F T L I C H E A U S W I R K U N G E N V O N SDI Insbesondere die eigens für die Koordination der unzähligen Programme geschaffene SDI-Organisation im Pentagon zog die in Frage kommenden Firmen mit lockenden Investitionsmöglichkeiten und Arbeitsplätzen an. Von den Zivilisten im Pentagon gingen die stärksten Impulse für eine möglichst große Beteiligung von Konzernen an der Strategischen Verteidigungsinitiative aus. Hauptansprechpartner waren die sogenannten Handelsverbände (trade associations) - also die Verbände, in denen sich die Rüstungs- und Hochtechnologie-Firmen organisiert hatten, die ihre Interessen gegenüber Kongreß und Administration durch professionelle Lobbystäbe vertraten. Besonders aktiv war neben dem American Institute of Aeronautics die American Defense Preparedness Association. Dies war nicht der einzige Verband, der eine eigene SDI-Abteilung einrichtete, deren Aufgabe darin bestand, den Informationsfluß zwischen der Regierung, der Industrie, der Wissenschaft und den Managern im Hinblick auf Raketenabwehr-Programme voranzutreiben. Dies sollte vor allem durch regelmäßig stattfindende Tagungen, Symposien und Seminare erreicht werden. Die Verbände agierten hier als Verbindungsstation zwischen den Repräsentanten der an S D I interessierten Sektoren und der Regierung.
15
V g l . The
Washington
Post,
6.1.1987.
DIE HALTUNG DER RÜSTUNGSINDUSTRIE
147
Weitere wichtige Adressaten und Interessenten des Pentagon waren die Berufsverbände, die die Beschäftigten aus dem Rüstungs- und Hochtechnologie-Bereich vertraten (z.B. die American Society of Mechanical Engineers). Auch mit ihnen führte die SDI-Organisation - zuweilen vom Pentagon (teil)finanziert - regelmäßig Seminare durch. Auf diesen Tagungen bestanden ausreichende Möglichkeiten, den „explodierenden SDI-Markt" und die durch SDI zu schaffenden neuen Arbeitsplätze ausführlicher zu erörtern. Die Bestrebungen der SDI-Organisation wie auch der Verbände, die Interessen der Rüstungs- und Hochtechnologie-Firmen zu koordinieren und die Basis für SDI auszubauen, stießen allerdings auf Schwierigkeiten. Sie hingen mit der Struktur der Strategischen Verteidigungsinitiative und der Auftragsvergabe zusammen, aber auch mit der andauernden Konfusion darüber, was denn SDI eigentlich sei. Hieraus ergab sich wiederum eine (begrenzte) Konkurrenz zwischen den Firmen. Anders als bei den traditionellen Waffensystemen gab es im Rahmen von SDI keine einzelnen (oder nur wenige) Hauptvertragsnehmer, die ihrerseits wieder Kontrakte mit anderen Konzernen abschlössen (subcontractors). Die SDI-Gelder gingen vielmehr direkt an Firmen, Universitäten und Institute, auch wenn die Vergabepraxis nicht nur im Hinblick auf die Bundesstaaten, sondern auch hinsichtlich der Firmen zentralisiert war.
Die Haltung der
Rüstungsindustrie
Daß die Rüstungsindustrie eher zurückhaltend reagierte und vom Pentagon vielfach erst zur SDI-Beteiligung aufgefordert werden mußte, lag daran, daß militärische Aufträge von den politischen Rahmenbedingungen abhingen. Diese konnten sich leicht ändern — und damit auch der Umfang des Auftragsvolumens. Die Konzerne hatten dies einschneidend Anfang der siebziger Jahre erlebt, als die Militärhaushalte drastisch gekürzt wurden. Die Industrie verlangte berechenbare haushaltspolitische Vorgaben, die von einem möglichst breiten Konsens getragen sein mußten, damit die Konzerne einigermaßen verläßlich mittel- und langfristig planen konnten. Obwohl die Firmen im Rahmen von SDI ein großes Auftragspotential ahnten, war ihnen bewußt, daß es einen derartigen Konsens angesichts der vielschichtigen Kontroversen um die Strategische Verteidigungsinitiative nicht gab. Zudem konnten die Rüstungsfirmen, die den größten Anteil SDIbezogener Gelder aus dem Pentagon bekamen, auch ohne derartige Aufträge leben. Bis Ende 1986 ließ sich zumindest nicht nachweisen, daß dieses enorme Militärprogramm gegenüber Korrekturen und Kürzungen immun war. Hierfür gab es einen deutlichen Indikator: das begrenzte Ausmaß, in dem SDI-Gelder, die in die Bundesstaaten und Wahlkreise flössen, die Haltung der betreffenden Senatoren und Abgeordneten zu SDI bestimmten.
148
DIE SICHERHEITSPOLITISCHE DEBATTE IN DEN USA
Eine Analyse der SDI-relevanten Voten im Senat zeigte, daß es keine Liberalen oder gemäßigt-pragmatische Konservative gab, die eindeutig aus primär wirtschaftlichen Gründen für S D I waren, und es gab kein ausgesprochen konservatives Mitglied dieser Kammer, das gegen das SDI-Programm eingestellt war. Für die 435 Abgeordneten im Repräsentantenhaus, in deren Wahlkreisen SDI-Aufträge zum Teil größeres Gewicht hatten, als dies für die Ebene der Bundesstaaten zutraf, ließen Stichproben eine ähnliche Tendenz erkennen. 1 6 Abgesehen von den - restriktiven - ökonomischen Faktoren wurde die Iran-Contra-Affäre vorübergehend der stärkste Bündnispartner der R ü stungskontroll-Befürworter. Während sich mit dem steigenden Haushaltsund Handelsdefizit die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für hohe R ü stungssteigerungen verschlechterten und den Präsidenten zu Kompromissen zwangen, schwächte „Irangate" die Stellung Ronald Reagans direkt. In diesem Zusammenhang mußte auch das Interesse der Regierung an einem I N F - A b k o m m e n gesehen werden: Mit der Aussicht auf einen Vertrag, so das plausible Kalkül, konnte Reagan seine innenpolitische Position verbessern, ohne dafür einen hohen sicherheitspolitischen Preis zu zahlen, weil die INF-Thematik nicht im Zentrum der Debatte in den U S A stand.
16
Vgl. Bernd W. Kubbig, Warten auf den Goldregen, in: Die Zeit, Nr. 2, 2.1.1987.
DAS AMERIKANISCH-EUROPÄISCHE VERHÄLTNIS Von Manfred Knapp H E R A U S F O R D E R U N G E N IN DER SICHERHEITSPOLITIK SICHERHEIT DURCH ABRÜSTUNG? Beherrschendes Thema der Beratungen in den Bündnisgremien der N A T O sowie der Westeuropäischen Union ( W E U ) und zentraler Gegenstand zahlreicher Begegnungen zwischen hochrangigen Regierungsvertretern der Bündnispartner war im Berichtszeitraum 1985/86 der seit der Jahreswende 1984/85 wieder in Gang gekommene Dialog zwischen den U S A und der Sowjetunion über Fragen der Rüstungskontrolle. 1 Während Belgien und die Niederlande 1985 auf Drängen der U S A eher widerwillig ihre seit langem vertagte Zustimmung zu der im Rahmen des NATO-Doppelbeschlusses vereinbarten Stationierung amerikanischer Marschflugkörper auf ihrem Territorium gaben, begrüßten alle europäischen NATO-Staaten den Wiederbeginn von Rüstungskontroll-Verhandlungen zwischen den beiden Weltmächten. Sie waren im Grunde erleichtert, als Präsident Ronald Reagan gleich zu Beginn seiner zweiten Amtszeit ein starkes Interesse an einer Rüstungskontrolle für Atomwaffen, insbesondere im Mittelstreckenbereich, erkennen ließ. Auch verfolgten sie aufmerksam die ersten außenpolitischen Aktivitäten Michail Gorbatschows, der als neuer Generalsekretär des Zentralkomitees der K P d S U nach dem im März 1985 erfolgten Führungswechsel an der Spitze der Sowjetunion mit einer von östlicher Seite ungewohnten Agilität gleichfalls seine Verhandlungsbereitschaft signalisierte.
Konsultation und Auseinandersetzung
mit den europäischen
Verbündeten
Für die europäischen Verbündeten der U S A stand außer Frage, daß die Genfer Verhandlungen Kernfragen der europäischen Sicherheit berührten und deshalb eine gemeinsame Antwort der Verbündeten erforderten. Dem Verlangen der europäischen Mitglieder der N A T O , bei der Erarbeitung der rüstungskontrollpolitischen Verhandlungsposition der U S A konsultiert und über die laufenden Verhandlungen informiert zu werden, suchte die amerikanische Regierung mit vermehrten Informations- und Konsultationsangeboten
1 Vgl. hierzu auch die Beiträge von Gebhard Schweigier Band.
und Bernd W. Kubbig
in diesem
150
DAS AMERIKANISCH-EUROPÄISCHE VERHÄLTNIS
zu entsprechen. Kurz vor seinem ersten Gipfeltreffen vom 19. bis 21. November 1985 mit Gorbatschow in Genf 2 hielt es Präsident Reagan sogar für angezeigt, am 24. Oktober 1985 ein Treffen mit den Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Verbündeten in N e w Y o r k zu arrangieren, um eine Abstimmung der westlichen Haltung für die bevorstehenden amerikanisch-sowjetischen Gespräche zu erreichen. 3 Als nach der Genfer Gipfelbegegnung die Chancen für den Abschluß eines Teilabkommens für Mittelstreckenwaffen beträchtlich gestiegen waren und sich der Verhandlungsprozeß gleich zu Beginn des Jahres 1986 mit den umfassenden Vorschlägen Gorbatschows zur Beseitigung oder zumindest Reduzierung der Kernwaffenarsenale beschleunigte, bestärkten die Europäer die Reagan-Administration in einer konstruktiven Verhandlungsführung. Mit der gleichen Zielrichtung wandten sie sich auch gegen eine erweiterte Auslegung des ABM-Vertrags von 1972, mit der sich die Regierung Reagan freie Hand bei der Weiterverfolgung des SDI-Projekts zu verschaffen suchte. 4 Kritisiert wurde von den europäischen NATO-Staaten, daß sich Washington 1986 über die Beschränkungen des (nicht ratifizierten) S A L T II-Vertrags hinwegsetzte. 5 Auch darin sahen die Westeuropäer eine unnötige Beeinträchtigung des Verhandlungsklimas zwischen den beiden Supermächten, von denen sie nun konkrete Fortschritte auf dem Feld der Rüstungskontrolle erwarteten. Die Sicherheitspolitik des westlichen Bündnisses stand jedoch vor großen Herausforderungen, nachdem auf dem improvisierten „Vorgipfel" in Reykjavik 6 am 11./12. O k t o b e r 1986 eine weitgehende Annäherung der Standpunkte zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow in Grundfragen einer Rüstungskontrolle für Atomwaffen erreicht zu sein schien, über die die Europäer vorher nicht konsultiert und hinterher nur unzureichend informiert wurden. Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte war eine Verständigung über den Abschluß eines echten Abrüstungsabkommens im
2 Vgl. zur Vorbereitung und zu den Ergebnissen des Gipfels in Genf EA, 24/1985, S. D 667 ff. 3 An der Zusammenkunft in New York nahmen Staats- und Regierungschefs aus der B R Deutschland, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und den USA teil. Vgl. EA, 22/1985, S. Z 204.
* Vgl. hierzu Bernd W. Kubbig, Die Neuinterpretation des ABM-Vertrages durch die Reagan-Administration. Situation und Perspektiven des Rüstungskontrollabkommens im Kontext von Genf und SDI, Frankfurt/M. (Arbeitspapier der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung) 1985. 5 Vgl. hierzu Auszüge aus der Pressekonferenz des amerikanischen Außenministers, George P. Shultz, nach dem Abschluß der Ministertagung des Nordatlantikrats am 30.5.1986, in: EA, 14/1986, S. D 381 ff. 6 Vgl. hierzu ausführlich die Beiträge von Gebhard Schweigier Band.
und Lothar Rühl in diesem
KONSULTATION UND AUSEINANDERSETZUNG
151
Bereich der Mittelstreckenwaffen in greifbare Nähe gerückt. Darüber hinaus wurden das Vorhandensein und die Rolle von Kernwaffen, die im sicherheitspolitischen Denken des Nordatlantischen Bündnisses seit jeher die entscheidende Rolle spielten, von den beiden Staatsführern prinzipiell zur Disposition künftiger Abrüstungsmaßnahmen gestellt. Die Skepsis der Europäer gegenüber dem Bündnispartner U S A , der unzureichend vorbereitet in die Verhandlungen gegangen zu sein schien, wuchs; wieder einmal wurden sie ihrer großen Abhängigkeit von den U S A gewahr. Obgleich das Gipfeltreffen von Reykjavik nicht zu einem konkreten Ergebnis 7 geführt hatte, wurde durch seinen Verlauf die auf atomarer Abschreckung basierende westliche Sicherheitsdoktrin erneut in Frage gestellt. Auch wurden neue Zweifel an den Sicherheitsgarantien der U S A für Europa geweckt. Sowohl die U S A als auch die europäischen Verbündeten in der N A T O hatten „nach Reykjavik" alle Veranlassung, über eine Sicherheitspolitik auf der Basis verringerter Nuklearrüstung nachzudenken: „Die Möglichkeit realer Abrüstung zwingt dazu, sich ernsthaft damit zu beschäftigen, Sicherheit durch Abrüstung zu studieren." 8 Wie sich zeigte, waren weder die U S A noch die Westeuropäer auf die neue Lage vorbereitet, obwohl schon seit Herbst 1981 von westlicher Seite „Null-Lösungen" propagiert worden waren. Die Reaktion der europäischen Mitglieder der Nordatlantischen Allianz auf die Vorgänge in Reykjavik bestanden unter anderem in beschwörenden Appellen, den „europäischen Pfeiler" des Bündnisses endlich zu stärken. Erneut gab es Bestrebungen, die W E U aus ihrem Schattendasein herauszuführen und sie entschiedener für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit ihrer sieben Mitgliedstaaten zu nutzen. Grundsätzlich befürworteten die europäischen Bündnispartner der U S A das angestrebte Abkommen für atomare Mittelstreckenwaffen größerer Reichweite und hatten auch keine Einwände gegen die in Aussicht genommene Verringerung der strategischen Offensivwaffen um 50 Prozent. Sie wiesen jedoch in ihren ersten Stellungnahmen zu den amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen in Reykjavik besorgt darauf hin, daß die möglicherweise zwischen den beiden Weltmächten zustandekommenden Rüstungskontrollund Abrüstungsabkommen nicht die spezifischen Sicherheitsinteressen der europäischen N A T O - S t a a t e n gefährden dürften. Zur Gewährleistung der Sicherheit in Europa sei noch für längere Zeit eine gewisse Zahl amerikanischer Kernwaffen in Westeuropa erforderlich. Gleichwohl seien die in Europa stationierten Atomwaffen kürzerer Reichweite in die Verhandlungen
7
8
Vgl. EA, 24/1986, S. D 667 ff.
Ernst-Otto Czempiel, Amerikanisch-sowjetische Beziehungen nach Reykjavik, in: APZ, 10.1.1987, B 1-2/87, S. 3-15, hier S. 11.
152
DAS AMERIKANISCH-EUROPÄISCHE VERHÄLTNIS
einzubeziehen und dafür gleiche Obergrenzen festzulegen, so daß das sowjetische Ubergewicht auf diesem Gebiet beseitigt werden könne. Unklar blieb zunächst noch, ob die vorhandenen atomaren Kurzstreckenwaffen der USA durch neuere Systeme ersetzt werden und welche Rolle diese „modernisierten" Waffen in einer künftigen Strategie spielen sollten. Dagegen waren sich die Bündnispartner weitgehend darin einig, daß vor allem das in Europa bestehende Ungleichgewicht im konventionellen Bereich abgebaut werden müsse. Im allgemeinen waren die der N A T O angehörenden Staaten Europas in den Jahren 1985/86 jedoch nicht in der Lage, in den bündnisinternen Beratungen und in den Auseinandersetzungen mit den USA über die Ziele und Grundsätze einer westlichen Sicherheits- und Rüstungskontroll-Politik eine einheitliche Haltung einzunehmen. Es gab zwar eine intensivierte sicherheitspolitische Debatte in Europa 9 und in den transatlantischen Beziehungen, tragfähige Konzeptionselemente für eine strukturelle Neuorganisation der Sicherheit in Europa wurden jedoch noch nicht vorgelegt.
SICHERHEITS- UND TECHNOLOGIEPOLITIK IM W I D E R S T R E I T D E R I N T E R E S S E N Ähnliche Divergenzen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten zeigten sich auch in der Technologiepolitik, die in den Jahren 1985/86 mit dem amerikanischen SDI-Projekt und dem daraufhin aus der Taufe gehobenen europäischen EUREKA-Programm eine Phase der Hochkonjunktur zu verzeichnen hatte. In beiden Vorhaben waren in unterschiedlicher Gewichtung sicherheitspolitische mit technologischen sowie wirtschaftspolitischen Problemen und Interessen verknüpft.
Haltung der Westeuropäer zu SDI Die Handhabung beider Technologieunternehmen, SDI und E U R E K A , verdeutlichte die Entwicklung des amerikanisch-europäischen Verhältnisses im Spannungsfeld zwischen Kooperation und Konkurrenz. Die in der Europäischen Gemeinschaft (EG) und der Westeuropäischen Union (WEU) zusammengeschlossenen europäischen Staaten taten sich schwer, auf das SDI-Vorhaben eine Antwort zu finden. 10 Schon bald wurde klar, daß diese 9
Vgl. hierzu den Beitrag von Karl-Heinz Kamp in diesem Band.
Dokumente zu SDI und zu den Reaktionen der Westeuropäer sind abgedruckt in: EA, 6/1985, S. D 147 ff.; EA, 14/1985, S. D 372; EA, 20/1985, S. D 549 ff.; EA, 5/1986, S. D 117 f., D 122-126; EA, 12/1986, S. D 319 ff.; EA, 6/1987, S. D 171 ff., hier S. D 172.
HALTUNG DER WESTEUROPÄER ZU SDI
153
nicht einheitlich sein würde. Während die britische Premierministerin Margaret Thatcher und die von ihr geführte Regierung frühzeitig ihre grundsätzliche Zustimmung zu dem Projekt erklärte und Interesse an einer Kooperation bekundete, und auch die Bonner Regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl die vermeintlichen Vorzüge des Projekts höher bewertete als die damit möglicherweise verbundenen Risiken und Gefahren, erklärte der französische Staatspräsident François Mitterrand, für Frankreich komme eine staatliche Beteiligung an SDI und eine politische Unterstützung der amerikanischen Pläne für ein Raketenabwehrsystem im Weltraum nicht in Betracht. Auch in der EG-Kommission wurde das kostspielige weltraumgestützte Verteidigungsprojekt eher mit Argwohn und Skepsis verfolgt, unter anderem auch deshalb, weil in der Kommission schon seit längerem Pläne für den Ausbau einer zivilen europäischen „Technologiegemeinschaft" erwogen worden waren. 1 1 Eine Beteiligung einzelner EG-Mitgliedstaaten an dem amerikanischen SDI-Projekt konnte möglicherweise zu einer allzu großen Bindung und Ablenkung der in Europa mobilisierbaren Kapazitäten und zu einer Behinderung des innereuropäischen Technologietransfers führen - noch ehe dieser zwischen den dazu befähigten westeuropäischen Integrationspartnern hätte entwickelt werden können. 2 Als der amerikanische Verteidigungsminister Caspar Weinberger in einem am 29. März 1985 veröffentlichten Brief an seine Amtskollegen diese aufforderte, binnen 60 Tagen zu erklären, ob auf Seiten der europäischen Verbündeten Interesse an einer Mitarbeit an S D I bestünde, 13 konnte die Entscheidung über eine Beteiligung oder Ablehnung der Westeuropäer nicht länger aufgeschoben werden. Als erstes Land hatte Großbritannien mit den U S A am 6. Dezember 1985 ein bilaterales SDI-Abkommen abgeschlossen. 14 In der Bundesrepublik Deutschland dauerte der Entscheidungsprozeß innerhalb der Regierungskoalition länger, bis dann am 27. März 1986 der Bundesminister für Wirtschaft, Martin Bangemann, nach längeren Verhandlungen mit amerikanischen Regierungsstellen zwei deutsch-amerikanische Rahmenabkommen für wissenschaftlich-technologische Kooperationen un-
1 1 Vgl. EA, 9/1985, S. D 236 ff.; EA, 16/1985, S. D 453 ff. und S. D 458 f.; EA, 22/1985, S. D 622 ff. 1 2 Die wirtschafts- und technologiepolitischen Risiken einer Beteiligung einzelner europäischer Staaten am SDI-Projekt gab beispielsweise der für den Technologiebereich zuständige Vizepräsident der EG-Kommission, Karl-Heinz Narjes, in einer Rede am 13.4.1985 zu bedenken, in: EG-Magazin, 1.6.1985, S. 7. 13
Text des Schreibens in: EA, 20/1985, S. D 560 f.
14
Vgl. AdG, 7.12.1985, S. 29422.
154
DAS A M E R I K A N I S C H - E U R O P Ä I S C H E VERHÄLTNIS
terzeichnete. 15 Merkwürdigerweise wurden diese als Verschlußsache eingestuft, was jedoch ihre umgehende Veröffentlichung durch deutsche Presseorgane nicht verhindern konnte. 16 Schließlich wurde am 19. September 1986 im Pentagon auch eine amerikanisch-italienische Vereinbarung unterzeichnet, in der die Mitarbeit Italiens am SDI-Projekt geregelt wurde. 17 Frankreich blieb hingegen SDI gegenüber offiziell ablehnend, wenngleich sich französische Firmen - auch ohne Regierungsabkommen - diskret und nicht ohne Erfolg um SDI-Forschungsaufträge bemühten. Auch ließ der neue Premierminister Jacques Chirac durchaus gewisse Sympathien und Interessen für die amerikanischen High-Tech-Verteidigungspläne im Weltraum erkennen. 18 Der nach den Märzwahlen 1986 mit ihm „kohabitierende" Staatspräsident Mitterrand hatte dagegen noch auf dem Bonner Weltwirtschaftsgipfel im Mai 1985 seinen alten Standpunkt bekräftigt und dabei besorgt die Hoffnung geäußert, daß das Interesse von Bundeskanzler Kohl an SDI diesen nicht von der erwarteten Mitarbeit an dem von Frankreich initiierten E U R E K A - P r o j e k t abhalten werde. 19 Die
EUREKA-Initiative
Bei dem offiziell auf einer Ministerkonferenz in Paris am 17. Juli 1985 ins Leben gerufenen EUREKA-Unternehmen handelte es sich um den Versuch, mit der Schaffung eines flexiblen europäischen Kooperations- und Koordinierungssystems die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industriestaaten auf dem Feld der zukunftsträchtigen Hochtechnologien (in erster Linie für zivile, marktgängige Anwendungsbereiche) zu verbessern. 20 Die Initiative für diesen E U R E K A (European Research Coordination Agency) genannten Technologieverbund ging von der französischen Regierung aus, die sich im April 1985 mit einem diesbezüglichen Vorschlag an die Bundesregierung gewandt hatte und dort sogleich auf positive Resonanz gestoßen war. Die französischen Initiatoren des Unternehmens verfolgten zweifellos die Ab-
Einzelheiten in: EA, 12/1986, S. D 319 ff.; außerdem: Der Bundesminister der Verteidigung (Hrsg.), SDI - Fakten und Bewertungen, Fragen und Antworten, Dokumentation, Bonn, Juni 1986. Zur deutschen Haltung gegenüber SDI vgl. Karl Kaiser, SDI und deutsche Politik, in: Ders./Pierre Lellouche (Hrsg.), Deutsch-Französische Sicherheitspolitik. Auf dem Wege zur Gemeinsamkeit?, Bonn 1986, S. 264-277; ein leicht gekürzter Vorabdruck dieses Beitrags erschien unter dem gleichen Titel in: EA, 19/1986, S. 569-578. 16
Express (Köln), 18.4.1986; Nachdruck in FR, 19.4.1986; Der Spiegel, 21.4.1986.
17
Vgl. AdG, 20.9.1986, S. 30275.
18
Zur französischen Einstellung gegenüber SDI vgl. Pierre Lellouche, Frankreich, SDI und die Sicherheit Europas, in: Kaiser/Lellouche (Hrsg.), a.a.O. (Anm. 15), S. 242-263. 1 9 Vgl. EA, 11/1985, S. D 291. 2 0 Vgl: EA, 2/1986, S. D 27 ff.
DIE EUREKA-INITIATIVE
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sieht, dem amerikanischen SDI-Projekt eine verstärkte Förderung und Entwicklung des europäischen Technologiepotentials gegenüberzustellen. 21 Wie Staatspräsident Mitterrand bei der Eröffnung der ersten E U R E K A Ministerkonferenz in Paris hervorhob, ging es den französischen Urhebern des Projekts vor allem darum, die technologische Unabhängigkeit Europas im Verhältnis zu den U S A (und zu Japan) in den lebenswichtigen Bereichen der fortgeschrittenen Forschung zu sichern und die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Unternehmen und Forschern anzuregen und zu fördern. Dabei stellte er ausdrücklich einen Zusammenhang zwischen der eigenständigen Beherrschung der Spitzentechnologien und einer Aufrechterhaltung der Sicherheit her. 2 Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher setzte demgegenüber die Akzente etwas anders: E U R E K A sei unabhängig von S D I eine Notwendigkeit, es sei „weder nach seiner Begründung noch nach seiner Zielsetzung ein Ersatz für noch eine Alternative zu S D I " . 2 3 Ungeachtet dieser Auffassungsunterschiede zwischen den beiden Hauptinitiatoren kam das E U R E K A - V o r h a b e n 1985/86 gut voran. Bereits auf der zweiten EUREKA-Ministerkonferenz, die auf Einladung der Bundesregierung am 5. und 6. November 1985 in Hannover stattfand, verabschiedeten die Repräsentanten der 18 vertretenen europäischen Staaten (sowie ein Mitglied der Kommission der Europäischen Gemeinschaft) eine Grundsatzerklärung, in der die Ziele, Arbeitsschwerpunkte und Rahmenbedingungen des neuen Gemeinschaftsunternehmens umrissen wurden. 2 4 Danach ist es Ziel von E U R E K A , „durch verstärkte Zusammenarbeit von Unternehmen und Forschungsinstituten auf dem Gebiet der Hochtechnologien die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Industrien und Volkswirtschaften Europas auf dem Weltmarkt zu steigern und damit die Grundlage für dauerhaften Wohlstand und Beschäftigung zu festigen." 2 5 Gleichzeitig wurde in Hannover eine Liste mit den ersten zehn Kooperationsprojekten veröffentlicht, über deren Beginn im E U R E K A - R a h m e n sich die Regierungen geeinigt hatten. 2 6 Auch auf den beiden folgenden EUREKA-Ministerkonferenzen am 30. Juni 1986 in London und am 17. Dezember 1986 in Stockholm hielt der nach
2 1 Vgl. Walter Schütze, SDI oder E U R E K A ? Die Position Frankreichs, in: APZ, 2.11.1985, B 44/85, S. 30-39; Lellouche, a.a.O. (Anm. 18), S. 243-246, 252 f. 22
Die Rede Mitterrands ist abgedruckt in: EA, 2/1986, S. D 28 ff.
23
Ebd., S. D 31.
24
Die Texte des Kommuniqués und der EUREKA-Grundsatzerklärung, verabschiedet auf der Zweiten EUREKA-Ministerkonferenz in Hannover am 6.11.1985, sind abgedruckt in: ebd., S. D 39 ff. 2 5 Ebd., S. D 41. 2 6 Vgl. ebd., S. D 44. Vgl. auch Heinz Riesenhuber, E U R E K A - ein neues Element der europäischen Technologiepolitik, in: EA, 7/1986, S. 185-190.
156
DAS A M E R I K A N I S C H - E U R O P Ä I S C H E VERHÄLTNIS
Überwindung der anfänglichen Skepsis zu beobachtende Fortschrittsoptimismus an, was sich nicht zuletzt in Vereinbarungen über die Durchführung von über 100 Kooperationsprojekten niederschlug. 27 Wiederum wurde dabei von hochrangigen Regierungsvertretern als Begründung für die gesteigerten Anstrengungen die Notwendigkeit einer Selbstbehauptung Europas angesichts des starken amerikanischen und japanischen Konkurrenzdrucks angeführt. So mahnte beispielsweise die britische Premierministerin Thatcher in ihrer Eröffnungsansprache bei der dritten E U R E K A - K o n f e r e n z die in London versammelten Delegationen aus den Teilnehmerländern: „Wenn wir versagen, sehen wir uns der düsteren Aussicht gegenüber, daß die Vereinigten Staaten und Japan die Weltmärkte für Hochtechnologiegüter alleine in Beschlag nehmen." 8
BELASTUNGSMOMENTE IN DEN POLITISCHEN BEZIEHUNGEN Während in den Jahren 1985/86 in den amerikanisch-europäischen Beziehungen sicherheits- und technologiepolitische Fragen und insbesondere die mit den Rüstungskontroll-Verhandlungen zusammenhängenden Probleme im Vordergrund standen, gab es noch einige andere politische Ereignisse, die zumindest zeitweise das Verhältnis zwischen den U S A und Westeuropa ernsthaft belasteten.
Der Bitburg-Besuch
Präsident
Reagans
Die Vorbereitungen des Anfang Mai 1985 durchgeführten Staatsbesuchs von Präsident Reagan in der Bundesrepublik waren von zum Teil heftigen Protesten und Mißhelligkeiten begleitet. 29 Nicht wenige Amerikaner nahmen daran Anstoß, daß der Präsident bei seinem offiziellen Deutschland-Besuch, der vierzig Jahre nach der Beendigung des Zweiten Weltkriegs ganz im Zeichen der Aussöhnung zwischen den beiden Nationen stehen sollte, am 5. Mai 1985 auch den Soldatenfriedhof in Bitburg besuchte, auf dem neben zahlreichen anderen Kriegstoten auch einige Angehörige der Waffen-SS beigesetzt sind. Die teilweise leidenschaftlich geführten Kontroversen über das Pro und Contra dieser „Geste der Aussöhnung" und ihre Begleiterschei-
2 7 Vgl. EA, 17/1986, S. D 489 ff.; EA, 2/1987, S. Z 19 f.; Handekblatt, 16.12.1986; FR, 18.12.1986. 28 EA, 17/1986, S. D 490. 29 Vgl. Geoffrey H. Hartman (Hrsg.), Bitburg in Moral and Political Perspective, Bloomington 1986, sowie EA, 11/1985, S. D 299 ff..
D I V E R G E N Z E N IN DER LIBYEN-KRISE
157
nungen erinnerten zusammen mit dem am gleichen Tag unternommenen Besuch Reagans im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen daran, daß auf den deutsch-amerikanischen Nachkriegsbeziehungen immer noch einige schwere Hypotheken aus der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft lasten.
Divergenzen in der Libyen-Krise Auf einer anderen Ebene lagen die transatlantischen Verstimmungen und Kontroversen, die der Luftangriff der U S A in der Nacht vom 14. zum 15. April 1986 auf Ziele in Libyen hervorrief. 3 0 Der umstrittenen amerikanischen Militäraktion gegen Tripolis und Benghasi waren intensive Beratungen und Auseinandersetzungen zwischen den U S A und den EG-Staaten über die Frage vorausgegangen, wie die Bündnispartner gegen die zunehmenden Anschläge und Gewaltakte des internationalen Terrorismus und deren mutmaßliche Hintermänner vorgehen sollten. 31 Die Regierung Reagan sah in dem libyschen Revolutionsführer Muammar el-Khadafi einen notorischen Drahtzieher bei vielen Terrorakten und betrachtete ihn überdies als einen gefährlichen Störenfried für ihre gesamte Nahost-Politik. Präsident Reagan fühlte sich von dem als unberechenbar und aggressiv geltenden Führer Libyens bis aufs Äußerste herausgefordert, was sich nicht zuletzt auch in verbalen Attacken und gelegentlichen Kampfhandlungen zwischen amerikanischen und libyschen Streitkräften im Bereich des Golfs von Syrte manifestierte. Als sich 1985 die Terroranschläge häuften und dabei neben anderen Opfern auch mehrere amerikanische Staatsbürger ihr Leben verloren, drängte die amerikanische Regierung ihre europäischen Verbündeten zu entschiedeneren Gegenmaßnahmen, vor allem auch gegen Khadafi und seine Helfer. Die Regierungen der EG-Staaten drückten zwar einzeln und in F o r m gemeinsamer Erklärungen im Rahmen der E P Z ihren Abscheu vor den Gewaltverbrechen aus, forderten die Bestrafung der Schuldigen und ersuchten - pauschal an die Adresse verdächtiger Regierungen gewandt - alle Staaten, den Terroristen keinerlei Unterstützung zu gewähren. 3 2 Im übrigen sträubten sie sich jedoch, gegen Libyen Wirtschaftssanktionen zu verhängen, wie dies die amerikanische Regierung selbst praktizierte und auch von ihren Verbündeten verlangte.
3 0 Zur Vorgeschichte und zum Verlauf der Krise vgl. Jean-Joseph Clam, Helmut Hubel, Die Krise um Libyen (Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, Nr. 44), Bonn 1987. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Helmut Hubel in diesem Band.
32
Vgl. hierzu auch den Beitrag von Tilmann
Chladek
in diesem Band.
Vgl. EPZ-Erklärungen gegen den internationalen Terrorismus, in: EA, 6/1986, S. D 152, D 156; EA, 11/1986, S. D 301 ff., D 307 f.
158
DAS A M E R I K A N I S C H - E U R O P Ä I S C H E VERHÄLTNIS
Die Krise erreichte ihren Höhepunkt, als nach dem blutigen Anschlag vom 5. April 1986 auf die Westberliner Diskothek „La Belle", für den Washington die libysche Regierung als Urheber verantwortlich machte, die amerikanische Regierung eine militärische „Vergeltungsaktion" gegen Libyen nicht mehr ausschließen wollte. In Anbetracht der drohenden Zuspitzung der Lage versammelten sich die Außenminister der EG-Staaten am 14. April 1986 in Den Haag zu einer Dringlichkeitssitzung, in der sie weitergehende Maßnahmen gegen Libyen ankündigten, sich im übrigen aber — im Beisein des britischen Außenministers Sir Geoffrey Howe - nochmals für eine politische Regelung der Krise aussprachen. 33 Doch schon wenige Minuten nach Veröffentlichung der Erklärung der Zwölf starteten von britischem Boden amerikanische F-lll-Kampfflugzeuge zu ihrem Angriff auf Libyen, der auf Khadafis Leben gezielt war, ihn aber verfehlte. Der Einsatzbefehl zur „Bestrafung" des libyschen „Herausforderers" war von vornherein auch als eine amerikanische Machtdemonstration geplant. Die Reaktionen zu beiden Seiten des Atlantiks auf den Ablauf der Ereignisse waren von wechselseitigen Ressentiments gekennzeichnet: Die USA warfen ihren Verbündeten - bis auf Großbritannien, das den Angriff unterstützt hatte - Unentschlossenheit, Ängstlichkeit und (wie schon in der Affäre um das Kreuzfahrtschiff „Achille Lauro" im Oktober 1985) Feigheit sowie fehlende Unterstützung in einer kritischen Situation vor, nachdem Frankreich und Spanien den amerikanischen Militärflugzeugen den Uberflug ihres Territoriums oder Zwischenlandungen verweigert hatten. Auf Seiten der Europäer beklagte man das Vorgehen der USA als eine gefährliche Überreaktion, mit der sich die Reagan-Administration im entscheidenden Moment über gravierende Bedenken und Interessen mehrerer EG-Staaten hinweggesetzt habe.
Auswirkungen
der
Iran-Contra-Affäre
Nachdem die Reagan-Administration im Fall Libyen den „internationalen Terrorismus" mit dem bedenklichen Mittel staatlichen Gegenterrors zu bekämpfen versucht hatte und in der Öffentlichkeit jede Verhandlung mit der Unterstützung von Terroranschlägen verdächtigten Staaten und Regierungen strikt abgelehnt hatte, löste das Bekanntwerden der Iran-ContraAffäre Ende 1986 auch bei den europäischen Verbündeten mehr als Erstaunen aus. Zum einen war offenkundig, daß auch die Führung Irans, mit der Vertreter der Regierung Reagan dubiose Waffengeschäfte getätigt hatten, in 3 3 Vgl. EA, 11/1986, S. D 307 f. Vgl. auch Anastasia Pardalis, European Political Cooperation and the United States, in: JCMS, 4/1987, S. 271-294, mit einer Fallstudie über die Libyen-Krise.
TRANSATLANTISCHE WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN
159
der Vergangenheit einige der im Ausland verübten Terrorakte unterstützt hatte. Zum andern waren die Enthüllungen über das Ausmaß der Affäre einschließlich der ungesetzlich vorgenommenen „Umleitung" der Waffenverkaufserlöse zur Unterstützung der antisandinistischen Contras in Nicaragua schwerlich dazu angetan, die Glaubwürdigkeit und Seriosität der westlichen Bündnisführungsmacht zu stärken. Die schonungslose Aufdeckung der politischen Kabalen im engeren Führungszentrum des Weißen Hauses durch die amerikanischen Medien und den Kongreß führte zu einem Autoritätsverlust des Präsidenten, der auch für das amerikanisch-europäische Verhältnis zu einem erheblichen Belastungsmoment wurde. 34 Bei den engen Bündnisbeziehungen und internationalen Interdependenzen konnten es weder Amerikaner noch Westeuropäer kritiklos hinnehmen, daß ein Teil der amerikanischen Außenpolitik in der Tat maßgeblich von einigen ideologischen Aktivisten betrieben wurde, die außerhalb jeder demokratischen Kontrolle und Verantwortung agiert hatten. 35
A N H A L T E N D E SPANNUNGEN IN D E N TRANSATLANTISCHEN WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN
Auswirkungen
der amerikanischen
Budget- und Wirtschaftspolitik
Auch 1985/86 waren in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und den Staaten der Europäischen Gemeinschaft Spannungen und Divergenzen zu beobachten. 3 6 Das nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter hegemonialer Führung der U S A errichtete Weltwirtschaftssystem wurde zwar von den Industrieländern zu beiden Seiten des Atlantiks nach wie vor prinzipiell als Gestaltungsrahmen zur Weiterentwicklung eines möglichst liberalen, multilateralen Handels und Kapitalverkehrs anerkannt; die politischen Führungen der westlichen Industriestaaten konnten jedoch die Tatsache nicht ignorieren, daß zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der 34
Vgl. hierzu: Report of the President's Special Review Board (Tower-Kommission), U.S. Government Printing Office, Washington, 26.2.1987 (Taschenbuchausgabe: The Tower Commission Report. The Full Text of the President's Special Review Board. Introduction by R.W. Apple, Jr., New York 1987). Am 18.11.1987 legten auch die beiden Sonderausschüsse des amerikanischen Kongresses ihre Untersuchungsergebnisse über die Iran-Contra-Affäre vor, wobei sie unter anderem scharf kritisierten, daß die amerikanische Politik einer „Kabale von Zeloten" überantwortet worden sei. Vgl. FAZ, 20.11.1987. 3 5 Vgl. Karl H. Kahrs, Vor dem Ende der Reagan-Ära, in: EA, 15/1987, S. 419-428, hier S. 425. 3 6 Vgl. zur Vorgeschichte Manfred Knapp, Divergenzen zwischen den USA und dem westlichen Europa, in: IP 1983/84, S. 111-131, hier S. 126 ff.
160
DAS AMERIKANISCH-EUROPÄISCHE VERHÄLTNIS
überkommenen internationalen Wirtschaftsordnung in den einzelnen Ländern und zwischen den Volkswirtschaften eine permanente und möglichst international abgestimmte Strukturanpassungspolitik erforderlich war. Diesem Zweck sollten zahlreiche internationale Konferenzen dienen, die im Rahmen des G A T T , der O E C D , des Internationalen Währungsfonds, der Weltbankgruppe sowie auf den Weltwirtschaftsgipfeln abgehalten wurden. So betonten beispielsweise die Staats- und Regierungschefs der sieben großen Industrieländer bei ihrem Gipfeltreffen in Bonn im Mai 1985 zum wiederholten Male die Notwendigkeit, die anhaltenden wirtschaftlichen Ungleichgewichte zu korrigieren, dem Protektionismus Einhalt zu gebieten und die Stabilität des Weltwährungssystems zu verbessern. 37 In ihrer (wegen des Mitte der achtziger Jahre in einigen Industrieländern zu registrierenden Wirtschaftsaufschwungs) in einem durchaus optimistischen Grundtenor gehaltenen Wirtschaftserklärung von Tokio vom 6. Mai 1986 deuteten sie zumindest an, was zur Erreichung dieser Ziele vor allem nötig sei: eine enge und ständige Koordinierung der Wirtschaftspolitik zwischen ihren Ländern. 3 8 Doch daran mangelte es. Trotz vieler Beratungen und Absprachen innerhalb der Fünfer-, Siebener- und Zehnergruppe sowie nahezu ständiger Verhandlungen in den anderen Gremien der internationalen Wirtschaftsdiplomatie machte sich bemerkbar, daß ein „katastrophaler Mangel an wirtschaftspolitischer Führungskompetenz in den Regierungen" vorherrschte. 39 In den ersten beiden Nachkriegs Jahrzehnten war den U S A aufgrund ihrer damals noch überragenden Machtstellung in der Weltwirtschaft diese Führungsrolle zugefallen. Doch mit den Kräfteverschiebungen innerhalb des internationalen Wirtschaftssystems, insbesondere mit dem Auftauchen der E G und Japans als konkurrierenden Wirtschaftseinheiten, änderte sich die einstmals unangefochtene Vormachtstellung der U S A . Sie wurden zunehmend auch von den fortschreitenden Verflechtungen der Weltwirtschaft erfaßt und verloren dabei auf vielen Gebieten nicht nur ihre vordem vorhandene relative Unabhängigkeit, sondern auch ihre ökonomisch-politische Lenkungsfähigkeit zur Regelung des in ständigem Wandel begriffenen Weltwirtschaftssystems. 4 0 Gleichwohl blieben die U S A aufgrund ihres nach wie vor mächtigen Wirtschaftspotentials für ihre ausländischen Partner und Konkurrenten eine überragende Einflußgröße.
37
Vgl. EA,
38
A b g e d r u c k t in: EA, 12/1986, S. D 309 ff., hier bes. S. D 313.
39
11/1985, S. D 291 ff., hier S. D 293.
S o der V o r s t a n d s v o r s i t z e n d e der D a i m l e r - B e n z A G , E d z a r d Reuter, in einem Vortrag v o r
d e m A m e r i c a n C o u n c i l on G e r m a n y in N e w Y o r k , in: FAZ, 40
17.11.1987, S. 15.
Vgl. d a z u J o h n N . Yochelson, Die Rolle der Vereinigten Staaten im Wirtschaftssystem der westlichen Industriestaaten, in: EA, 16/1986, S. 488-494, s o w i e den Beitrag von H a r t m u t Fest und H a n s - P e t e r Fröhlich in diesem Band.
TRANSATLANTISCHE WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN
161
Dies zeigte sich 1985/86 insbesondere an der prekären Haushaltspolitik der Reagan-Administration. In den ersten vier Jahren seiner Präsidentschaft konnte Reagan mit seiner Wirtschaftspolitik (Program for Economic Recovery) in den U S A einen beachtlichen Wirtschaftsaufschwung vorweisen. Seine Bilanz wies aber auch gravierende Mängel auf: Für die internationale Wirtschaftspolitik sollte insbesondere das enorme Defizit im Bundeshaushalt und der ebenfalls riesige Passivsaldo in der amerikanischen Handels- und Zahlungsbilanz schwerwiegende Folgen haben. Reagan kündigte zwar zu Beginn seiner zweiten Amtszeit in seinem Wirtschaftsbericht an den K o n greß im Februar 1985 die feste Absicht seiner Regierung an, das Budgetdefizit zu reduzieren. 41 In Wirklichkeit stieg jedoch der Haushaltsfehlbetrag von 128 Milliarden Dollar im Jahr 1982 weiter an und belief sich in den Fiskaljahren 1983 bis 1986 auf einen Jahresdurchschnitt von über 200 Milliarden Dollar. 4 2 D e r Kongreß nahm diesen Mißstand zum Anlaß, 1985 ein Budgetausgleichsgesetz („Gramm-Rudman-Hollings Act") zu verabschieden, mit dem die Regierung zu automatischen Haushaltskürzungen gezwungen werden sollte. 43 Für die westeuropäischen Industriestaaten hatten das anhaltend hohe Defizit im amerikanischen Staatshaushalt, aber auch die zu erwartenden einschneidenden Maßnahmen zur Reduzierung, eine Reihe mißlicher Konsequenzen. Angesichts der Größenordnung des Fehlbetrags im amerikanischen Haushalt in Verbindung mit dem Defizit in der Leistungsbilanz ergab sich für die U S A die Notwendigkeit, zur Finanzierung der Deckungslücke in großen Mengen Kapital aus dem Ausland zu relativ hohen Zinsen einzuführen. D e r dadurch ausgelöste Kapitalstrom hatte 1985/86 zu dem unhaltbaren Zustand geführt, daß die U S A als reichstes Land unversehens zum größten Nettoschuldner der Welt wurden. 4 4 Die von den Westeuropäern und anderen vom amerikanischen Kapitalimportsog negativ betroffenen Ländern erhobene Forderung nach einem möglichst schnellen, jedoch behutsamen Abbau des amerikanischen Haushaltsdefizits mußte indes zu stärkeren Kürzungen des amerikanischen Verteidigungsbudgets führen, dessen bis ins Haushalts-
Economic Report of the President. Transmitted to the Congress February 1985. Together with The Annual Report of the Council of Economic Advisers, Washington (U.S. Government Printing Office) 1985, S. 5-7. 4 2 Vgl. U.S. Bureau of the Census, Statistical Abstract of the United States: 1987 (107th edition), Washington 1986, S. 293. 41
4 3 Obgleich der Oberste Bundesgerichtshof der USA (Supreme Court) im Juli 1986 den Zwangsmechanismus dieses Gesetzes für verfassungswidrig erklärte, hielt der politische Druck zum Abbau des US-Haushaltsdefizits an; im September 1987 verabschiedete der Kongreß eine Neufassung des Gramm-Rudman-Hollings-Budgetausgleichsgesetzes. 44
Vgl. Günther Dahlhoff\
Reaganomics, in: EA, 23/1986, S. 687-696, hier S. 693.
162
DAS AMERIKANISCH-EUROPÄISCHE VERHÄLTNIS
jähr 1985 anhaltende Steigerungen erheblich zum Budgetdefizit beigetragen hatten. 45 Die Gefahr bestand, daß die U S A gegenüber ihren europäischen Verbündeten mit mehr Nachdruck die Frage der Lastenteilung im Bündnis aufwerfen und erneut den Umfang ihrer in Europa stationierten Streitkräfte zur Disposition stellen würden. 46 In anderer Hinsicht waren die disparaten Auswirkungen des amerikanischen Haushaltsdefizits und die darauf zurückzuführenden Kapitalströme in Richtung der U S A schon 1985/86 deutlich spürbar geworden: Sie trieben zunächst die Nachfrage nach dem Dollar und damit den Wechselkurs der amerikanischen Währung in die H ö h e . 4 7 Während sich der Dollar schon zu Beginn der Amtszeit Reagans von seinem einstigen Rekordtief zur Zeit der Carter-Administration von 1,71 D - M a r k (Januar 1980) erholt hatte, stieg er in der Folgezeit (nicht zuletzt auch aufgrund einer fragwürdigen amerikanischen Währungspolitik) bis zum Februar 1985 auf den seit 1971 nicht mehr erreichten Höchststand von 3,47 D - M a r k an. Auf einer am 22. September 1985 im N e w Yorker Plaza Hotel auf amerikanische Initiative hin abgehaltenen Konferenz vereinbarten die Finanzminister und Notenbankpräsidenten der fünf großen westlichen Industriestaaten U S A , Japan, Großbritannien, Frankreich, Bundesrepublik Deutschland eine engere Zusammenarbeit, um den überhöhten Dollarkurs zu senken und stabilere Wechselkursverhältnisse herbeizuführen. Zunächst schien es, als ob der eingeleitete Anpassungs- und Stabilisierungsprozeß gelingen würde. Doch schon binnen Jahresfrist sahen sich die Finanzminister der EG-Staaten bei ihrem Treffen am 19./20. September 1986 in Gleneagles (Schottland) genötigt, die U S A vor einem weiteren Abgleiten des Dollarkurses unter den nun erreichten Stand u m 2,00 D - M a r k zu warnen - was jedoch den sich fortsetzenden Kursverfall des Dollars nicht verhindern konnte. Wie sich an der erratischen Entwicklung des Dollarkurses (mit Schwankungen gegenüber der D-Mark von rund 40 Prozent innerhalb eines Zeitraums von eineinhalb Jahren) 4 8 zeigte, waren die westlichen Industriestaaten nicht in der Lage, durch gemeinsames Handeln das Währungsgefüge auszubalancieren oder gar eine sinnvoll aufeinander abgestimmte internationale Wirtschaftspolitik zu betreiben. Bei der fortdauernden harten Konkur-
4 5 Zur Entwicklung des US-Verteidigungshaushalts vgl. IISS (Hrsg.), The Military Balance 1987-1988, London 1987, S. 12-14. 4 6 Vgl. Dahlhoff, a.a.O. (Anm. 44), S. 694 und François Heisbourg, Die N A T O vor der entscheidenden Bewährungsprobe. Die neue Lastenverteilung im Bündnis, in: EA, 8/1987, S. 225-236, bes. S. 227. 4 7 Vgl. Rainer Hellmann, Die Weltwirtschaft auf der Dollarschaukel. Wandlungen der amerikanischen Währungspolitik, in: EA, 4/1987, S. 107-118. 48
Vgl. ebd., S. 117.
163
ERNEUTE VERSCHÄRFUNG DER HANDELSBEZIEHUNGEN
renzlage auf den Waren- und Dienstleistungsmärkten und dem von geschwächten Wirtschaftszweigen auf beiden Seiten des Atlantiks ausgehenden protektionistischen Druck wuchs für die Staatsführungen (vor allem für die amerikanische) die Versuchung, die Währungspolitik allzusehr in den Dienst handelspolitischer Interessen zu stellen („Währungsprotektionismus"). Dies machte die ständigen Auseinandersetzungen zwischen den U S A und der E G über die Handelspolitik gewiß nicht leichter.
Erneute
Verschärfung
der
Handelsbeziehungen
Die Verhandlungen zwischen den beiden größten Wirtschaftskomplexen des Welthandels, den USA und Westeuropa, fanden mit Blick auf das in den achtziger Jahren stark angewachsene Handelsdefizit der U S A statt, das sich von 123 Milliarden Dollar im Jahre 1984 auf 148 Milliarden Dollar 1985 und im Jahre 1986 sogar auf 170 Milliarden Dollar erhöht hatte. 49 Die in diesen Zahlen zum Ausdruck kommende Verschlechterung der Wettbewerbsposition verschiedener amerikanischer Wirtschaftszweige nahm der 99. Kongreß (1985/86) zum Anlaß, seinen Druck auf die amerikanische Regierung zu verstärken, um Gesetzgebung und Ausführungsbestimmungen zur Regelung des amerikanischen Außenhandels in protektionistischem Sinne zu verändern. 5 0 Obgleich das seit 1984 aufgetretene Defizit der U S A im Warenaustausch mit der E G (13 Milliarden Dollar 1984, 22 Milliarden Dollar 1985 und 27 Milliarden Dollar im Jahr 1986) 51 nur einen kleinen Teil des amerikanischen Gesamtdefizits ausmachte, schränkte der protektionistische Druck des Kongresses den handelspolitischen Handlungsspielraum der Reagan-Administration auch im Verhältnis zu Westeuropa ein. Trotz eines intensiven, teilweise auf hoher Ebene geführten Dialogs zwischen der amerikanischen Regierung und den zuständigen Stellen der E G kam es 1985/86 bei der versuchten Lösung der verschiedenen transatlantischen Handelsprobleme zu beträchtlichen Spannungen. 52 Dabei wurden von beiden Seiten mehrfach Vergeltungsmaßnahmen angedroht oder ergriffen. Kompromisse oder vor-
49
Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Hrsg.), Zwanzigster Gesamtbericht
ü b e r die T ä t i g k e i t der E u r o p ä i s c h e n G e m e i n s c h a f t e n 1 9 8 6 , B r ü s s e l , L u x e m b u r g 1 9 8 7 , S. 3 2 1 . 50
(die
N a c h d e m g r o ß e n Wahlsieg d e r D e m o k r a t e n bei den K o n g r e ß w a h l e n i m N o v e m b e r 1 9 8 6 ihnen
auch
die M e h r h e i t
im
Senat
eintrug),
verstärkten
sich
die
protektionistischen
T e n d e n z e n im n e u e n ( 1 0 0 . ) K o n g r e ß . 51
V g l . K o m m i s s i o n d e r E G ( H r s g . ) , a . a . O . ( A n m . 4 9 ) , S. 3 2 1 .
52
Z u den E i n z e l h e i t e n vgl. e b d . , S. 3 2 1 ff. s o w i e den 19. G e s a m t b e r i c h t
L u x e m b u r g 1 9 8 6 , S. 3 2 2 ff.
1985,
Brüssel,
164
DAS AMERIKANISCH-EUROPÄISCHE VERHÄLTNIS
läufige Ausgleichsregelungen wurden meist erst nach hartnäckigen Verhandlungen erreicht. Wie schon in den vorangegangenen Jahren waren die kritischsten Problembereiche der internationale Stahlmarkt und der Agrarsektor, bei dem durch den Beitritt Spaniens und Portugals zur E G 1986 einige neue Streitpunkte hinzukamen. Darüber hinaus war die EG-Kommission auch besorgt über die neue amerikanische Gesetzgebung zur (teilweise auch extraterritorialen) Kontrolle der Ausfuhr von Technologieerzeugnissen und wissenschaftlichen Daten aus den U S A . 5 3 In den amerikanisch-westeuropäischen Auseinandersetzungen über eine Regelung der (unterschiedlich hoch subventionierten) Stahlausfuhren aus der E G in die U S A strebte die amerikanische Regierung Abkommen zur mengenmäßigen Begrenzung der Importe für fast alle wichtigen Kategorien der Stahlerzeugnisse an, also für Massenstähle, Sonderstähle und für Rohre, sowie seit Anfang 1986 auch für Halbzeug. Die Ende 1984 von der amerikanischen Regierung verhängten Einfuhrbeschränkungen für Stahlrohre aus der E G führten zu einem Konflikt, der im Januar 1985 mit einer Vereinbarung beigelegt werden konnte, in der für diese Stahlerzeugnisse der Anteil der Gemeinschaft am amerikanischen Markt auf 7,6 Prozent festgelegt wurde. In einem am 31. Oktober 1985 zustandegekommenen und irn Dezember dieses Jahres von den EG-Mitgliedstaaten gebilligten Rahmenabkommen über die Stahlexporte der E G in die U S A für die Zeit nach dem 31. Dezember 1985 wurden Beschränkungen sowohl für Massenstähle als auch (ab 1. März 1986) für Sonderstähle ausgehandelt. Mit Wirkung vom 15. September 1986 erklärte sich die E G schließlich auch mit der Einbeziehung von Halbzeug in die allgemeine Stahlvereinbarung einverstanden, um „den einseitigen Maßnahmen der Vereinigten Staaten gegen die Gemeinschaftsausfuhren im Stahlsektor ein Ende zu machen". 5 4 Bei dem zwischen der E G und den U S A umstrittenen Handel mit Agrarprodukten konnte in den langjährigen Auseinandersetzungen über die Mittelmeerpräferenzen der Gemeinschaft für Zitrusfrüchte 1986 ein Abkommen geschlossen werden, das dieses Problem und die damit zusammenhängenden Kontroversen über den Export von Teigwaren aus der E G in die U S A („Spaghetti-Krieg") beilegen sollte. Große Mühe bereitete auch die amerikanisch-europäische Übereinkunft über einen auf vier Jahre befristeten Ausgleich der mit dem EG-Beitritt Spaniens und Portugals verbundenen Folgen für den Handel mit Agrargütern, nachdem die U S A in diesem Fall eine Beeinträchtigung ihrer Exportinteressen für Futtergetreide - hauptsäch-
53
54
Verabschiedung des „Export Administration Amendments Act" im Juni 1985. Kommission der E G (Hrsg.), a.a.O. (Anm. 49), S. 25.
165
ERWARTUNGEN AN DIE GATT-RUNDE
lieh für Mais und Hirse - geltend gemacht und mit Importbeschränkungen europäischer Luxusgüter gedroht hatten. 55
Unterschiedliche
Erwartungen
an die neue
GATT-Runde
Ohne Zweifel gehörten die Jahre 1985/86 zu den konfliktreichsten in den Handelsbeziehungen zwischen den USA und der E G seit dem Ausbruch des „Hähnchenkriegs" Anfang der sechziger Jahre. Diese Konflikterfahrungen trugen sowohl in den U S A als auch in der E G zu der Uberzeugung bei, daß zur Aufrechterhaltung und zum Ausbau eines möglichst offenen, liberalen Welthandelssystems eine neue Runde multilateraler Handelsverhandlungen im Rahmen des G A T T angestrebt werden sollte. 56 Vor allem die USA drängten 1985/86 (im Anschluß an das Arbeitsprogramm des G A T T von 1982, das durch die Beschlüsse der Vertragsparteien im November 1984 ergänzt worden war) nachdrücklich auf eine möglichst baldige Einberufung einer neuen G A l ' l -Runde. Washington schlug dafür eine Reihe von Verhandlungsthemen vor, wobei auch einige neue Sachbereiche, insbesondere der Dienstleistungsverkehr, der Schutz des geistigen Eigentums und handelsbezogene Investitionsmaßnahmen mitberücksichtigt werden sollten. 57 Die Europäische Gemeinschaft, die nunmehr die Interessen von zwölf Mitgliedstaaten unter einen Hut bringen mußte, erklärte zwar im März 1985 ihre prinzipielle Bereitschaft, an der Einleitung einer neuen GATT-Runde mitzuwirken, 5 8 versuchte aber mit Rücksicht auf spezifische Interessen einzelner Mitgliedstaaten (besonders Frankreich) zunächst noch Zeit zu gewinnen. Als sich 1986 der handelspolitische Druck der U S A noch verstärkte, stimmte auch die E G auf der vom 15. bis 20. September 1986 in Punta del Este (Uruguay) abgehaltenen Sondertagung der Vertragsparteien der offiziellen Aufnahme multilateraler Handelsverhandlungen im Rahmen der sogenannten Uruguay-Runde des G A T T zu. 5 9 Bereits in den vorbereitenden Sondierungsgesprächen wurde deutlich, daß die U S A und die E G dem Beginn der neuen Verhandlungsrunde mit einigen gleichgerichteten Interessen, aber auch mit durchaus unterschiedlichen Erwartungen entgegen-
5 5 Die Übereinkunft wurde erst zu Beginn des Jahres 1987 erzielt. Vgl. SZ, 30. und 31.1.1987. 5 6 Zur Vorgeschichte und Ausgangslage vgl. Elke Thiel, Vor neuen GATT-Verhandlungen. Protektionismus und Freihandel im Widerstreit, in: EA, 10/1986, S. 285-294. 5 7 Zur amerikanischen Position vgl. Economic Report of the President 1985, a.a.O. (Anm. 41), S. 122-127, und Economic Report of the President 1986, Washington 1986, S. 122-128. 5 8 Vgl. EA, 10/1985, S. D 273 f. 59
Vgl. EA, 6/1987, S. D 151 ff.
166
DAS AMERIKANISCH-EUROPÄISCHE VERHÄLTNIS
sahen. So verlangten die USA, unbedingt auch den problematischen Weltagrarhandel einschließlich der heiklen Exportsubventionen in die Verhandlungen einzubeziehen, wohingegen die Europäische Gemeinschaft immer noch ihre verfahrene und kaum noch finanzierbare Landwirtschaftspolitik zu verteidigen suchte. 60
Vgl. z.B. die Rede des Handelsbeauftragten der amerikanischen Regierung, Clayton K. Yeutter, mit der Rede des Mitglieds der EG-Kommission, Willy de Clercq, vor der Ministertagung der GATT-Staaten in Punta del Este, in: ebd., S. D 157 ff., D 161 ff.; vgl. zur Position der E G außerdem den 19. Gesamtbericht, a.a.O. (Anm. 52), S. 316 f. und den 20. Gesamtbericht, a.a.O. (Anm. 49), S . 3 1 6 f.
DIE SICHERHEITSPOLITIK DES WESTENS EINE NEUBEWERTUNG DER ROLLE NUKLEARER WAFFEN? Von Helga
Haftendorn
Die Irritationen im europäisch-amerikanischen Verhältnis fanden ihre Entsprechung in auf beiden Seiten des Atlantiks geäußerten Zweifeln, ob das „Sicherheitsnetz" des NATO-Bündnisses noch tragfähig sei. Das Bemühen der Regierung von Präsident Ronald Reagan, weltweit Führungsmacht zu demonstrieren, stärkte zugleich die in der amerikanischen Politik schon immer vorhandenen Tendenzen zum einseitigen Vorgehen. Die Vereinigten Staaten waren dann nicht bereit, Rücksicht auf die Interessen ihrer Partner zu nehmen, wenn dies eine Einschränkung ihres Handlungsspielraums bedeutete. Der - nicht mit den Verbündeten abgesprochene - Luftangriff auf Libyen im April 1986 ist dafür ein Beleg. 1 Der mangelnde Enthusiasmus der Europäer für diese Aktion, die Kritik an Rhetorik und Politik der ReaganAdministration, sowie - wie es aus amerikanischer Sicht schien - deren fehlende Bereitschaft, im Rahmen einer fairen Lastenteilung das Ihrige zur gemeinsamen Verteidigung zu tun, führten in den U S A zu einem wachsenden Unbehagen an der Atlantischen Allianz. Während in den Vereinigten Staaten immer häufiger Zweifel an der Nützlichkeit des Bündnisses geäußert wurden, stand im Vordergrund der europäischen Diskussion die Frage nach der Glaubwürdigkeit der amerikanischen Sicherheitsgarantie. Beide Entwicklungen, so unterschiedliche Wirkungen sie auch jeweils zeigten, spiegelten ein wachsendes Unbehagen am Sinn des Systems der nuklearen Abschreckung wider, obwohl dieses 40 Jahre lang die Staaten beiderseits des Atlantiks vor einem militärischen Konflikt, vor allem vor einem mit Kernwaffen ausgetragenen, bewahrt hatte. Nunmehr wurde es in den Vereinigten Staaten jedoch zunehmend unter militärischen, in Westeuropa dagegen unter politischen Gesichtspunkten in Frage gestellt.
N E U E A K Z E N T S E T Z U N G E N IN DER N U K L E A R S T R A T E G I E DER VEREINIGTEN STAATEN Solange Kernwaffen als operative Waffensysteme zur Verfügung standen also seit Ende der fünfziger Jahre - wurde in den Vereinigten Staaten darüber nachgedacht, unter welchen Bedingungen diese eingesetzt werden könnten. Die Drohung mit der massiven Vergeltung eines Angriffs, auch eines regional
1
Vgl. hierzu auch den Beitrag von Helmut Hubel
in diesem Band.
168
DIE SICHERHEITSPOLITIK DES WESTENS
begrenzten, verlor in dem Augenblick an Glaubwürdigkeit, als die USA für sowjetische Gegenschläge verwundbar wurden. Um das System der Abschreckung für das gesamte Bündnisgebiet und alle Arten möglicher Aggressionen intakt zu halten, mußten die USA eine Vielfalt an möglichen Reaktionen mit konventionellen, taktisch-nuklearen und strategischen Waffensystemen androhen können. Diesem Zweck diente die Strategie der flexiblen Erwiderung. Sie wurde 1967 mit dem Dokument M C 14/3 geltende Militärstrategie der N A T O . Angesichts der Zerstörungen, die ein begrenzter Nuklearkrieg, aber auch ein größerer, mit konventionellen Waffen ausgetragener Konflikt in Mitteleuropa zur Folge haben würde, akzentuierten die westeuropäischen N A T O Partner die in der neuen Strategie angelegte Eskalationsdrohung mit einem massiven nuklearen Gegenschlag auf sowjetisches Territorium, obwohl dieser angesichts der wachsenden Bedrohung der USA immer mehr an Wahrscheinlichkeit verlor. Die Vereinigten Staaten suchten dagegen nach Möglichkeiten, um die Glaubwürdigkeit der Strategie der flexiblen Erwiderung im gesamten Spektrum möglicher Reaktionsweisen zu erhöhen. Auf der strategischen Ebene waren dies die Verbesserung der Uberlebensfähigkeit der eigenen Waffen durch Härtung der Mobilität, die Modernisierung der Befehls- und Kommandostrukturen (C 3 I) und schließlich die Suche nach wirksamen Raketenabwehrsystemen (SDI). Parallel dazu wurde im Mittelglied der Triade, der taktisch-nuklearen Systeme, die Optionsvielfalt durch die Einführung von weitreichenden Mittelstreckensystemen (LRINF) - neben den bereits vorhandenen Kurzstreckensystemen (SRINF) sowie den Gefechtsfeldwaffen vergrößert. Hinzu kam die Verstärkung der konventionellen Streitkräfte. Oberstes Ziel blieb die Verhinderung eines militärischen Konflikts. Die Abschreckung sollte jedoch durch die Fähigkeit zur wirksamen Verteidigung glaubwürdiger gemacht werden. Diese wurde nun im strategischen Konzept der USA der Drohung mit nuklearer Eskalation und massiver Vergeltung explizit vorgeschaltet. 2 Der von Verteidigungsminister Caspar Weinberger im Dezember 1982 erlassenen Verteidigungsrichtlinie (Defense Guidance) die eine Weiterentwicklung der von der Carter-Administration verabschiedeten Politischen Direktive (PD) 59 war - 3 lag die Annahme zugrunde, daß, falls die Abschreckung versagte, ein nuklearer Krieg nicht nur geführt,
Vgl. U.S. Defense Strategies: The Reagan Administration Revisions and Additions, in: Report of the Secretary of Defense, Caspar W. Weinberger, to the Congress on the FY 1987 Budget, February 5, 1986, S. 47-40; und noch deutlicher in: ebd., FY 1988 Budget, January 12, 1987, S. 42-47. 3 Zur Entwicklung der Nuklearstrategie in den USA vgl. Fred Kaplan, Armageddon, New York 1983, insbes. S. 369 f., S. 382 ff.
The Wizards of
DIE NUKLEARSTRATEGIE DER VEREINIGTEN STAATEN
169
sondern beim Vorhandensein entsprechender militärischer Einsatzoptionen auch gewonnen werden könnte. 4 Diese Fähigkeit suchte sich die ReaganAdministration durch die Entwicklung entsprechender strategischer und operativ-taktischer Konzepte sowie die Dislozierung geeigneter militärischer Potentiale zu schaffen. Die Tragweite dieser Entwicklungen wurde in Westeuropa jedoch erst allmählich erkannt. Die Europäer beunruhigte vor allem die Vorstellung, daß Kernwaffen nicht nur als Instrument der Abschreckung dienen, sondern im Verteidigungsfall auch militärisch eingesetzt werden sollten. Die neue Richtlinie sah vor, daß im Fall eines massiven Angriffs von Streitkräften des Warschauer Paktes die N A T O mit einem begrenzten Einsatz von taktischen Nuklearwaffen gegen militärische Ziele des Gegners antworten und der Konflikt über eine längere Zeit hinweg begrenzt gehalten bzw. erfolgreich ausgekämpft werden könnte. Angesichts der Überlegenheit seines politischen Systems und der technischen Perfektion seiner Waffensysteme war die Reagan-Administration überzeugt, daß der Westen auch in einer militärischen Auseinandersetzung siegreich sein könnte, in der Kernwaffen zum Einsatz kämen. Aus europäischer Sicht war freilich ein „Sieg" äußerst fragwürdig, der mit der Zerstörung des eigenen Territoriums und seiner Bevölkerung erkauft wurde. Zur selben Zeit, als im Pentagon die Führbarkeit eines nuklearen Krieges geplant wurde, mehrten sich in den Vereinigten Staaten die Stimmen derjenigen, die nach Alternativen zu dieser starken Abstützung ihrer Sicherheit auf Nuklearwaffen riefen. Sie befürchteten, die USA könnten entweder gegen ihren Willen in einen Nuklearkrieg verwickelt, oder dieser könnte trotz aller Bemühungen nicht begrenzt gehalten werden. Das Spektrum möglicher Alternativen reichte von dem Verzicht auf den Ersteinsatz von nuklearen Waffen, den vier prominente Amerikaner in einem Aufsatz in Foreign Affairs forderten,5 über die verstärkten Bemühungen um eine nukleare Rüstungskontrolle bis zur Ankündigung der Strategischen Verteidigungsinitiative (SDI). Die Bemerkung Präsident Reagans, damit könnten langfristig die nuklearen Offensivwaffen überflüssig gemacht werden, belegt diese Tendenz.
4
Vgl. National Security Objectives, in: Report of the Secretary of Defense, Caspar W. Weinberger, to the Congress on the F Y 1984 Budget, February 1, 1983, S. 16; ferner Richard Halloran, Pentagon Draws Up First Strategy for Fighting a Long Nuclear War, in: NYT, 30.5.1982. 5 McGeorge Bundy, George F. Kennan, Robert S. McNamara, Gerard Smith, Nuclear Weapons and the Atlantic Alliance, in: FA, Bd. 60, Nr. 4, S. 753-768, sowie in: EA, 7/1982, S. 183-198. Eine Antwort aus deutscher Sicht gaben Karl Kaiser, Georg Leber, Alois Mertes, Franz-Joseph Schulze, Kernwaffen und die Erhaltung des Friedens, in: EA, 12/1982, S. 357380.
170
DIE SICHERHEITSPOLITIK DES WESTENS
Außerdem intensivierten die USA ihre Bemühungen, durch Verstärkung und Modernisierung der nichtnuklearen Streitkräfte und durch die Aufforderung an die Verbündeten, mehr für die konventionelle Verteidigung zu tun, die Nuklearschwelle anzuheben. Die Vereinigten Staaten wollten im Falle eines regionalen Konflikts in der Lage sein, mit anderen als nuklearen Mitteln glaubwürdig zu reagieren.
MEINUNGSVERSCHIEDENHEITEN ÜBER DIE NUKLEARE ROLLE DER USA IM ATLANTISCHEN BÜNDNIS Die amerikanischen Vorstellungen von der Führbarkeit eines nuklearen Krieges fanden ihren Niederschlag in entsprechenden operativ-taktischen Konzepten. Im August 1982 trat für das amerikanische Heer das Field Manual (FM) 100-5 in Kraft, das als operative Führungsvorschrift auch für die der NATO assignierten Streitkräfte der USA galt. FM 100-5 lagen die Vorstellungen des Ende der siebziger Jahre entwickelten „AirLand-Battle"Konzepts zugrunde, nach dem der Gegner auf einem erweiterten Gefechtsfeld („extendend battlefield"), d.h. in der Tiefe des gegnerischen Raums, bekämpft werden sollte. Gleichzeitig sollte der Einsatz von Land- und Luftstreitkräften besser aufeinander abgestimmt werden, um das Gefecht unter konventionellen, chemischen und nuklearen Einsatzbedingungen führen zu können. Dafür wurde der Begriff des integrierten Gefechtsfeldes („integrated battlefield") geprägt. In einem zweiten, fast namensgleichen Entwurf „AirLand Battie 2000" wurden Überlegungen für eine operativ-taktische Gefechtsführung für den Zeitraum 1995 bis 2015 entwickelt, in dem diese Gedanken weitergeführt wurden. Da die Bezeichnung zu Verwechslungen mit der geltenden Führungsvorschrift führte, nannten die Amerikaner daraufhin ihre langfristigen Planungen „Focus 21". Ein Teil dieser Überlegungen, nicht das gesamte Konzept, wurde in der NATO als „Land Forces 2000" mit dem Zusatz „Konzeption zur Unterstützung der Entwicklung künftigen Heeres-Geräts" zur Diskussion gestellt. Wie die Bezeichnung andeutet, ging es dabei vor allem um die Entwicklung und Einführung von fortgeschrittenen Technologien für die konventionelle Verteidigung. Bereits auf dem NATO-Gipfel im Juni 1982 hatte der amerikanische Verteidigungsminister Caspar Weinberger die Verbündeten aufgefordert, die militärische Bedeutung von fortgeschrittenen Technologien („Emerging Technologies" = ET) zu prüfen. Diese sollten verstärkt zur Verbesserung der konventionellen Verteidigung, zur Verringerung der Abhängigkeit von Kernwaffen und zur Intensivierung der technologischen Zusammenarbeit zwischen der amerikanischen und der europäischen Rüstungsindustrie einge-
MEINUNGSVERSCHIEDENHEITEN ÜBER DIF. NUKLEARE ROLLE DER USA
171
setzt werden. 6 Dieser Vorschlag wurde im Dezember 1982 und im Juni 1983 in einer Reihe von Arbeitspapieren konkretisiert, wobei ein breites Spektrum von Einsatzmöglichkeiten genannt wurde, für die eine verstärkte Anwendung von E T infrage kommen könnte. Die Weinberger-Initiative ebenso wie das AirLand-Battle-Konzept warfen innerhalb des Bündnisses eine Reihe von schwierigen Fragen auf. Zunächst argwöhnten die Europäer, daß die U S A mit ihrer ET-Initiative ihnen vor allem hochentwickeltes und teures Rüstungsmaterial verkaufen wollten. Außerdem kritisierten sie, daß die von Weinberger genannten Einsatzmissionen sich nicht mit den von der N A T O aufgestellten Anforderungen deckten. Dies traf auch für das neue amerikanische taktisch-operative Konzept zu. Bei der gemeinsamen Verteidigungsplanung der Allianz würden sich jedoch beträchtliche Schwierigkeiten ergeben, wenn für die verschiedenen der N A T O assignierten Streitkräfte unterschiedliche Führungsgrundsätze galten. Vor allem aber wurde bezweifelt, ob die in der Führungsvorschrift F M 100-5 enthaltene Vorstellung eines erweiterten Gefechtsfeldes mit dem für die NATO-Verteidigung geltenden Prinzip der Vorneverteidigung vereinbar war. Schließlich wurden Bedenken geäußert, daß die in dem amerikanischen Konzept enthaltene Integration von konventionellen, chemischen und nuklearen Waffen nicht mit den in M C 14/3 festgelegten Einsatzbedingungen und -weisen übereinstimme. Von seiten der Regierung in Washington wurde jedoch betont, daß F M 100-5 zwar eine globale Führungsrichtlinie sei, im Bündniskontext aber den dort geltenden Vorschriften untergeordnet würde. U m sicherzustellen, daß die verschiedenen Vorschläge und Initiativen im Einklang mit der Strategie der Flexiblen Erwiderung stünden, schlugen die Verbündeten, zu deren Sprecher sich Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner machte, vor, zunächst einen konzeptionellen Rahmen zu entwickeln, der die Grundlage für eine kohärente Bewertung bilden könnte. Bereits 1979 war bei S H A P E , im NATO-Hauptquartier also, auf Initiative von S A C E U R - G e n e r a l Bernard Rogers mit Untersuchungen über die Mängel der konventionellen Streitkräfte der Allianz begonnen worden. D a es weder finanziell möglich noch politisch erreichbar schien, die Überlegenheit des Warschauer Paktes numerisch auszugleichen, wurde nach Möglichkeiten gesucht, um die immanenten Schwächen des Streitkräftedispositivs und der Angriffsdoktrin des Gegners ausnutzen und somit eventuelle Angriffspläne durchkreuzen zu können. Zwei Ziele standen dabei im Vordergrund: Zum einen mußte die eigene Fähigkeit zur Luftverteidigung und -interdiktion verbessert werden, zum andern sollten wirksame Methoden entwickelt
Vgl. Emerging technology and military strategy. Report submitted on behalf of the Committee on Defense Questions and Armaments by Mr. van den Bergh, Rapporteur, Western European Union, Document 1052, 19.2.1986.
172
DIE SICHERHEITSPOLITIK DES WESTENS
werden, um die einer ersten Angriffswelle nachfolgenden Kräfte des Warschauer Paktes erfassen und ausschalten zu können, ehe sie das Hauptgefechtsfeld erreicht hatten. Die NATO-Verteidigungslinie sollte solange mit präsenten Kräften gehalten werden, bis zusätzliche Truppen aus den U S A herangeführt und Reserven mobilisiert werden konnten. Mit der langfristigen Planungsrichtlinie (Follow on Forces Attack = F O F A ) , die im November 1984 vom Verteidigungs-Planungsausschuß ( D P C ) der N A T O gebilligt wurde, wurden die Voraussetzungen für die Bekämpfung der Folgestaffeln des Warschauer Paktes geschaffen. 7 Das Bündnis unternahm so den Versuch, durch die Nutzung fortgeschrittener Waffentechniken und neuer Operationskonzepte verlorene Optionen wiederzugewinnen. Mit dem multilateralen Planungsdokument wurden jedoch nur die konzeptionellen Voraussetzungen dafür getroffen; für ihre Implementierung mußten die N A T O - G r e m i e n in der Folge noch die erforderlichen Mittel bereitstellen. Ein Element des F O F A - K o n z e p t s war die Vorstellung eines „Angriffs in die Tiefe". U m F O F A jedoch von dem amerikanischen AirLand-BattleKonzept abzugrenzen, betonte General Rogers bei seiner Verabschiedung, daß die N A T O weder Präventivschläge führen noch mit ihren Landstreitkräften über die Grenzen des Bündnisgebiets hinaus angreifen werde. Sie behalte sich aber vor, Gegenangriffe zu führen, wenn diese zur Wiederherstellung der Integrität ihres Territoriums erforderlich seien. Ebenfalls plane die N A T O keinen integrierten Einsatz von konventionellen, chemischen und nuklearen Waffen. Rogers betonte, daß zwischen konventionellen und Massenvernichtungswaffen ein deutlicher qualitativer Unterschied bestehe. Ein etwaiger Einsatz von chemischen oder nuklearen Waffen müsse auf jeden Fall im Einklang mit den im Bündnis vereinbarten Freigabeverfahren erfolgen. 8 U m Prioritäten für die Verstärkung der konventionellen Fähigkeiten der Allianz zu setzen und künftige waffentechnologische Entwicklungen in eine kohärente, langfristige Planung einzubetten, mit der die nationalen Verteidigungsanstrengungen koordiniert werden könnten, wurde General Rogers 1983 vom Militärausschuß der N A T O ( M C ) beauftragt, einen konzeptionellen militärischen Rahmen (Conceptual Military Framework = C M F ) zu entwickeln. Das C M F wurde im Mai 1985 als M C 299 angenommen und im gleichen Monat von den NATO-Verteidigungsministern zur Kenntnis genommen. Auf der Grundlage einer vorausschauenden Bedrohungsanalyse wurden darin die Aufgaben und Ziele der konventionellen Streitkräfte 7 Vgl. Karl-Heinz Kamp, Die Aussichten für eine Verstärkung der konventionellen Streitkräfte des westlichen Bündnisses, in: EA, 24/1986, S. 709-716. g Vgl. Bernard W. Rogers, Die langfristige Planungsrichtlinie FOFA: Behauptungen und Tatsachen, in: Amerika-Dienst, Nr. 51, 19. Dezember 1984.
MEINUNGSVERSCHIEDENHEITEN ÜBER DIE NUKLEARE ROLLE DER USA
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entwickelt und besonders wichtige operative Aufgaben („key mission components") identifiziert. Das C M F sollte der N A T O als langfristige Planungsrichtlinie dienen, die über die jeweils für fünf Jahre aufgestellten Streitkräfteziele hinausging. 9 Die Verabschiedung dieses Papiers durch das D P C erfolgte jedoch erst im Dezember 1985. 1 0 Zum einen war lange umstritten, ob sich die N A T O Partner - wie es die Amerikaner und S A C E U R wünschten - zu besonderen Anstrengungen zur Verwirklichung des im Vorjahr gebilligten F O F A Konzepts verpflichteten, und zum andern, ob die NATO-Befehlshaber zur Umsetzung dieses Konzepts verstärkte Planungsbefugnisse erhalten sollten. Bei diesen Meinungsverschiedenheiten ging es vorrangig um die Frage, welchen Stellenwert das F O F A - K o n z e p t und damit die konventionelle Verteidigung haben sollte. Die Westeuropäer befürchteten, daß durch die Akzentuierung der konventionellen Verteidigung die Glaubwürdigkeit der nuklearen Eskalationsdrohung geschwächt werden könnte. Sie reagierten damit auf die Bestrebungen der U S A , aus einer Situation herauszukommen, in der sie im Falle eines größeren sowjetischen Angriffs als erste nukleare Waffen einsetzen müßten, um ein Zusammenbrechen der konventionellen Verteidigung in Mitteleuropa zu vermeiden. Die Verbündeten versuchten ihrerseits, ihre Bereitschaft zu höheren konventionellen Verteidigungsanstrengungen und zur Anhebung der nuklearen Schwelle daran zu binden, daß diese als solche erhalten und die Strategie der Flexiblen Erwiderung intakt blieb. Mit großer Zurückhaltung reagierten sie daher auf die amerikanischen Forderungen nach einem zusätzlichen konventionellen Rüstungsprogramm, das außerdem Mehraufwendungen in H ö h e von mindestens 4 bis 6 Prozent erfordert hätte. Zunächst beauftragten sie NATO-Generalsekretär Lord Carrington, Vorschläge für die Verbesserung der konventionellen Verteidigungsfähigkeit auszuarbeiten, die im Rahmen der normalen multinationalen Streitkräfteziele ergriffen werden konnten. In der Vorlage des Generalsekretärs (Conventional Defense Improvement Initiative = C D I ) vom Sommer 1985 wurden diejenigen Bereiche identifiziert, in denen Verbesserungen besonders dringend waren. 1 1 Teilweise handelte es sich dabei um die
Vgl. Michael Reynolds u.a., The Conceptual Military Framework, in: NATO's Nations, Nr. 7, 1985, S. 31-35.
Sixteen
1 0 Vgl. das Kommunique über die Tagung des Verteidigungs-Planungsausschusses der N A T O am 3.12.1985, abgedruckt in: EA, 5/1986, S. D 127-130. 1 1 Vgl. Bernard W. Rogers, NATO's Conventional Defense Improvement Initiative - A New Approach to an Old Challenge, in: NATO's Sixteen Nations, Nr. 7, 1986, S. 14-22; ferner die Kommuniques über die Ministertagungen des Verteidigungs-Planungsausschusses der N A T O am 4. und 5.12.1984 sowie am 3.12.1985, in: EA, 3/1985, S. D 83-85 bzw. 5/1986, S. D 127-130.
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Fortschreibung von bereits 1978 mit dem Langfristigen Verteidigungsprogramm der N A T O ( L T D P ) in Angriff genommenen Maßnahmen. Die Konferenz der nationalen Rüstungsdirektoren ( C N A D ) stellte ein E T Programm mit zwölf Projekten auf, das in den nächsten zehn Jahren realisiert werden sollte. Außerdem wurde eine Verbesserung der Zusammenarbeit bei der Forschung, Entwicklung und Beschaffung von modernen Technologien zur Stärkung der konventionellen Kampfkraft des Bündnisses beschlossen. Im O k t o b e r 1986 verständigte sich die Nukleare Planungsgruppe der N A T O ( N P G ) auf die Verabschiedung von allgemeinen politischen Richtlinien (General Political Guidelines) für den Kernwaffeneinsatz im Konfliktfall. Diese gingen wesentlich über die bisher erarbeiteten Konzepte für den Erst- oder Folgeeinsatz von Kernwaffen hinaus und trugen vor allem deutschen Gesichtspunkten Rechnung. So wurde das Prinzip festgeschrieben, daß sich jede nukleare Eskalation gegen sowjetisches Gebiet richten müßte und nicht nur deutsches Gebiet verwüstet werden dürfte. Die Freigabeentscheidung verblieb jedoch beim Präsidenten der Vereinigten Staaten, der diese nach Maßgabe der vitalen Interessen der U S A treffen würde. Für das Hauptproblem der Allianz, die Erhaltung der Glaubwürdigkeit der amerikanischen Nukleargarantie, stellten sie also bestenfalls eine Zwischenlösung von aufschiebender Wirkung dar. In der Praxis waren die Verbündeten also wohl beraten, sich darauf einzustellen, daß die Interventionsbereitschaft der U S A um so geringer sein würde, je weniger ein Konflikt auf Europa begrenzbar schien. Im Kern ging es bei den Meinungsverschiedenheiten zwischen Amerikanern und Europäern über C M F nicht primär um die Verstärkung der konventionellen Streitkräfte der Allianz, die im Rahmen der finanziellen und demographischen Gegebenheiten von allen Partnern befürwortet wurde, sondern um die nukleare Rolle der Vereinigten Staaten im Bündnis. Die Europäer wollten der in den U S A immer deutlicher werdenden Tendenz entgegenwirken, sich aus den mit der Strategie der Flexiblen Erwiderung eingegangenen Bindungen zu lösen.
I N T E R E S S E N K O N F L I K T E IN D E R R Ü S T U N G S K O N T R O L L E Auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle vollzog sich eine paradoxe Umkehr der Interessen und Positionen. Zunächst waren es die Europäer, welche ihren amerikanischen Verbündeten drängten, neue Initiativen zu entwickeln und mehr Kompromißbereitschaft zu zeigen, um den Ende der siebziger Jahre steckengebliebenen Rüstungskontroll-Dialog wieder zu beleben. Insbesondere die Länder, in denen neue, weitreichende Mittelstreckenraketen ( L R I N F ) stationiert wurden, wollten das blockierte zweite Gleis des
DER G I P F E L V O N REYKJAVIK
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NATO-Doppelbeschlusses von 1979 wieder freigeräumt sehen. Außerdem wünschten die Europäer einen erfolgreichen Abschluß der Stockholmer Konferenz über Vertrauensbildung und Abrüstung (KVAE). Mit der Verabschiedung von militärisch relevanten Maßnahmen zur Vertrauensbildung sollte dem KSZE-Prozeß ein positiver Impuls gegeben werden, ehe im November 1986 in Wien die dritte Runde der KSZE-Folgekonferenz begann. 1 2 Der Gipfel von Reykjavik Nach dem Gipfeltreffen zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Michail Gorbatschow am 11. und 12. Oktober 1986 in Reykjavik kam es jedoch zu einer dramatischen Positionsveränderung: Nun rieten die Europäer zur Vorsicht bei Rüstungskontroll-Vereinbarungen. In Reykjavik hatten sich die USA und die UdSSR für eine Null-Lösung bei den Mittelstreckensystemen ausgesprochen. Die Bestände an Raketen mit geringerer Reichweite sollten eingefroren und später reduziert werden. Für die Arsenale der strategischen Waffensysteme wurde eine Halbierung anvisiert; sie sollten auf jeweils 6 000 Gefechtsköpfe auf insgesamt 1 600 Trägern reduziert werden. Eine Einigung scheiterte jedoch an der Weigerung Präsident Reagans, in Beschränkungen bei der Entwicklung von Raketenabwehr-Systemen einzuwilligen. 13 Es war jedoch nur eine Frage der Zeit, wann die Sowjetunion auf ihr Junktim mit SDI verzichten würde, um auf anderen Gebieten Fortschritte zu erreichen, vor allem aber, um den Westen politisch unter Druck zu setzen. Von den NATO-Verbündeten wurden schwerwiegende Bedenken gegen die Verhandlungsführung Washingtons in Reykjavik geäußert. Zum einen kritisierten sie, daß die auf dem Gipfel auf den Tisch gelegten Verhandlungsvorschläge nicht zuvor im Bündnis abgestimmt worden waren. Obwohl bereits seit dem Gipfel im November 1985 in Genf über eine 50prozentige Reduzierung der strategischen Waffensysteme gesprochen wurde, waren die U S A nicht bereit, zusammen mit den Partnern die militärischen Folgen eines derartigen Schritts zu prüfen. Die Null-Lösung bei den Mittelstreckenwaffen war zwar von den Europäern in den Verhandlungsprozeß eingeführt und dann von der ReaganAdministration als offizieller Verhandlungsvorschlag übernommen worden; sie war nicht Teil des ursprünglichen Doppelbeschlusses. Sie war solange unproblematisch, wie die Sowjetunion nicht bereit war, ihre SS-20-Raketen vollständig zu verschrotten. Die Europäer konnten vielmehr der Reagan-
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Vgl. hierzu auch den Beitrag von Horst Bacia in diesem Band. Vgl. hierzu ausführlich den Beitrag von Lothar Rühl in diesem Band.
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DIE SICHERHEITSPOLITIK DES WESTENS
Administration vorwerfen, diese gefährde mit der Null-Lösung die Verhandelbarkeit der westlichen Vorschläge. Im Juni 1986 akzeptierte jedoch Moskau eine Null-Lösung bei INF, forderte allerdings eine Einbeziehung der französischen und britischen Systeme bzw. einen entsprechenden Ausgleich. Die Kompromißbereitschaft der Sowjetunion, die in Reykjavik ihre Forderung auf Einbeziehung von Drittstaaten-Systemen fallen ließ und statt dessen anregte, beide Seiten sollten außerhalb Europas je 100 Systeme behalten können, traf das Bündnis offensichtlich unvorbereitet.
VORBEHALTE DER EUROPÄER G E G E N Ü B E R DER NULL-LÖSUNG Gegen eine Null-Lösung bei den Mittelstreckensystemen wurden im Bündnis militärische und politische Bedenken geäußert. Die Europäer fürchteten, mit den Pershing-II und den Cruise Missiles würde die N A T O ihre derzeit einzigen eindringsicheren Angriffsträger, die über die Gefechtsfeldreichweite hinausgingen, und damit ihr wichtigstes Instrument zur Eskalationskontrolle, verlieren. Außerdem wäre Westeuropa nach der Abschaffung der weitreichenden Mittelstreckensysteme voll der sowjetischen Überlegenheit bei den Kurzstreckensystemen ausgesetzt, die nach den Vorschlägen Moskaus sogar noch festgeschrieben werden sollte. Sie forderten daher die USA auf, auf Verhandlungen über ihre Reduzierung der Systeme im Reichweitenbereich zwischen 300 bis 500 und 1 000 km zu drängen. Da eines der wesentlichsten politischen Ziele des NATO-Doppelbeschlusses von 1979 die verstärkte sichtbare Koppelung des strategischen Potentials der Vereinigten Staaten an die Verteidigung Westeuropas war, fürchteten die Verbündeten, durch eine Null-Lösung könnte diese Bindung geschwächt werden. Für sie ordnete sich die überraschende Bereitschaft Washingtons, einschneidenden Abrüstungsmaßnahmen zuzustimmen, in die seit langem mit Sorge beobachtete Tendenz ein, eine Neubewertung der Rolle der nuklearen Waffen vorzunehmen. Zu den Hauptkritikern einer Null-Lösung gehörten Paris und Bonn. Frankreich fürchtete von der Tendenz in Richtung Null negative Auswirkungen auf seine Force de Frappe. Die Bundesrepublik war besorgt, in eine singuläre Rolle zu geraten, in der sie das einzige Land wäre, in dem Nuklearwaffen stationiert waren, die ausschließlich auf dem eigenen Territorium eingesetzt werden konnten. Im Konfliktfall würde Deutschland dann zum Schlachtfeld, während die anderen Staaten hinter dieser „Brandmauer" einen nuklearen Konflikt relativ geschützt überdauern könnten. Bonn forderte daher, daß bei einem Abbau der Mittelstreckenwaffen der Sowjetunion dann mit anderen Systemen ein Sanktuariums-Status verweigert werden müßte. Sowjetisches Territorium sollte gegenüber der N A T O unter
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BEMÜHUNGEN UM LASTENTEILUNG
ein qualitativ gleiches Eskalationsrisiko gestellt werden, wie es die sowjetischen Angriffsmittel Westeuropa auferlegten.14 Außerdem wollten die europäischen Verbündeten ihre Zustimmung zu Vereinbarungen über eine nukleare Abrüstung an die Herstellung eines Gleichgewichts bei den konventionellen Waffen binden. Da sie aber bisher wenig Eifer an den Tag gelegt hatten, mehr für ihre konventionelle Verteidigung zu tun, hatte diese Forderung nicht allzu viel Durchschlagskraft. In der N A T O blockierte Frankreich eine Einigung darüber, in welcher Form mit dem Warschauer Pakt über einen Abbau der konventionellen Waffen verhandelt werden sollte. Zwar gelang es dem NATO-Ministerrat, sich im Dezember 1986 auf eine Erklärung über konventionelle Abrüstung zu verständigen,15 offen blieb jedoch, ob diese Verhandlungen im Kreis der 35 KSZE-Staaten, worauf Paris beharrte, oder, wie Washington wünschte, nur im Kreise der Mitglieder der N A T O und des Warschauer Paktes geführt werden sollten. Außerdem sträubte sich Frankreich dagegen, die Brüsseler Erklärung der anderen Seite als einheitlichen Vorschlag des Bündnisses zu präsentieren. Da jedoch die USA und die Sowjetunion entschlossen schienen, eine Einigung über ein Mittelstrecken-Abkommen sowie über weitere Rüstungsbeschränkungs-Vereinbarungen zu erzielen, mußten sich die Europäer darauf einstellen, daß es in Zukunft, wie Bundeskanzler Helmut Kohl nach Reykjavik am 6. November 1986 vor dem Bundestag erklärte, „zu einer beträchtlichen Veränderung des strategischen Verhältnisses zwischen Ost und West" kommen würde. Sie mußten ferner davon ausgehen, „daß eine solche Entwicklung für die Beziehungen innerhalb des westlichen Bündnisses und für die Bündnisstrategie weitreichende Auswirkungen haben" würde. 16
B E M Ü H U N G E N UM E I N E G E R E C H T E R E L A S T E N T E I L U N G I N N E R H A L B DES BÜNDNISSES Im Juni 1984 wurden die Europäer durch die Drohung einflußreicher amerikanischer Senatoren aufgeschreckt, falls sie nicht zu höheren Aufwendungen für die gemeinsame Verteidigung bereit wären, würden die Vereinigten Staaten ihre in Westeuropa stationierten Streitkräfte in den nächsten drei Jahren um rund ein Drittel reduzieren.
1 4 Vgl. Lothar Rühl, Lagebeurteilung „nach Reykjavik", in: Österreichische Zeitschrift, Heft 2/1987, S. 123-128 (hier S. 128).
Militärische
1 5 Vgl. die am 12.12.1986 vom NATO-Ministerrat angenommene „Brüsseler Erklärung über Kontrolle konventioneller Rüstung", in: EA, 3/1987, S. D 77-79. 16
Bulletin, Nr. 135, 6.11.1986, S. 1129-1134 (hier S. 1130).
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DIE SICHERHEITSPOLITIK DES WESTENS
Bereits seit dem Levin-Amendment zum Verteidigungshaushalt für 1981 mußte die Administration regelmäßig über die Fortschritte hinsichtlich einer gerechteren Lastenteilung im Rahmen des Atlantischen Bündnisses (und mit Japan) berichten. Damit sollte Druck auf die Alliierten ausgeübt werden, die 1978 übernommene Verpflichtung einzulösen, jährlich 3 Prozent mehr (real) für ihre Verteidigung auszugeben - ein Ziel, das außer den USA kaum ein NATO-Staat erreichte. 17 Außerdem sollten sie zu größeren Leistungen für die in Westeuropa stationierten amerikanischen Truppen veranlaßt werden. Letzterem Ziel diente das 1984 abgeschlossene deutsch-amerikanische Abkommen über „Wartime Host Nation Support" ( W H N S ) , in dem Bonn sich bereit erklärte, Personal und Einrichtungen zur Unterstützung von Streitkräften bereitzustellen, die im Krisenfall aus den U S A in die Bundesrepublik verlegt werden sollten. Mit dem von den Senatoren Sam Nunn und William Roth eingebrachten Zusatz zum Verteidigungshaushalt für 1985 sollten die Verbündeten gezwungen werden, die konventionelle Verteidigungsfähigkeit der Allianz so zu verstärken, daß die N A T O in der Lage wäre, einem bewaffneten Angriff ohne den Rückgriff auf Kernwaffen begegnen zu können. Nunn argumentierte, daß dem amerikanischen Steuerzahler nicht länger zugemutet werden könnte, Millionen für Streitkräfte auszugeben, die im Konfliktfall eine leichte Beute des Gegners und ein Stolperdraht für die Auslösung eines Nuklearkriegs sein würden. U m eine bessere Rüstungskooperation zu erreichen, sollten gleichzeitig Mittel für die gemeinsame Erprobung von Waffensystemen bereitgestellt werden. 18
Drohungen
mit einem
Truppenabzug
In der Debatte über das Amendment spiegelte sich deutlich die Verärgerung über die Europäer wider, die sich auf der NATO-Tagung wenige Wochen zuvor nicht auf ein neues Infrastruktur-Programm hatten einigen können. Angesichts der leeren Kassen hatte vor allem Bonn die von den NATO-Oberbefehlshabern geforderte signifikante Erhöhung der bisherigen Ansätze blockiert. In der Debatte des Senats unterstützten zahlreiche Senatoren die Intentionen von Nunn und Roth, äußerten jedoch Zweifel an der Methode. Sie fürchteten, mit den angedrohten Truppenabzügen würde das Gegenteil erreicht und das europäisch-amerikanische Verhältnis weiter
1 7 Vgl. Public Law 96-342. Für die geforderten jährlichen Berichte vgl. Department of Defense, Report on Allied Contributions to The C o m m o n Defense. A Report to United States Congress, Washington, D . C . , March 1981 ff.
Vgl. Helga Haftendorn, Lastenteilung im Atlantischen Bündnis. Die amerikanischen militärischen Präsenz in Europa, in: EA, 16/1985, S. 497-506.
Zukunft
der
DROHUNGEN MIT EINEM TRUPPENABZUG
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belastet. Hinter den Kulissen drängten sowohl die Administration als auch NATO-Oberbefehlshaber General Rogers auf eine „Entschärfung" des Nunn-Amendments. Diese erfolgte mit Hilfe eines Zusatzes von Senator William Cohen, der aus der ultimativen Forderung einen Appell an die Westeuropäer machte, ihre konventionellen Streitkräfte zu verstärken, im übrigen aber den ursprünglichen Text weitgehend intakt ließ. Die Europäer reagierten auf das Signal aus Washington mit Bestürzung. Sie waren besonders darüber beunruhigt, daß ausgerechnet Senator Nunn mit Truppenabzügen drohte. Ihn hatten sie bisher als Befürworter einer starken NATO-Verteidigung und als Kenner Europas geschätzt. Die Verbündeten lehnten vor allem den Zwangscharakter des Nunn-Amendments ab und erklärten, Drohungen seien keine angemessene Methode im Umgang mit Partnern. Der britische Verteidigungsminister Michael Heseltine erinnerte daran, daß die Truppenpräsenz der U S A kein Akt des Altruismus sei, sondern wohlverstandenen amerikanischen Interessen diene. Die Schockwellen, die von dem knapp gescheiterten Nunn-Roth-Ultimatum ausgingen, erleichterten jedoch eine Einigung über das N A T O Infrastruktur-Programm. Auf der Ministertagung des D P C im Dezember 1984 konnte für die Jahre 1985 bis 1990 ein neues Infrastruktur-Programm in H ö h e von 3 Milliarden I A U (eine Infrastructure Account Unit = 7,328 D M ) beschlossen werden, von dem auf die Bundesrepublik 26,8 Prozent der Kosten entfielen. 19 Mit diesen Mitteln sollte vor allem die Uberlebensfähigkeit („survivability") und die Durchhaltefähigkeit („sustainability") der Streitkräfte verbessert werden. Entsprechend den Forderungen Nunns sollten vor allem Schutzbauten für die taktischen Luftverstärkungskräfte errichtet, die Fernmeldeanlagen modernisiert und die logistische Versorgung verbessert werden. Auch sollten größere Munitionsvorräte beschafft werden. Senator Nunn erreichte, daß auch in den folgenden Jahren amerikanische Haushaltsmittel für die Forschung, Entwicklung und Erprobung von gemeinsamen Rüstungsprojekten zur Verfügung standen. Mit der Verabschiedung des Quayle-Amendment wurden 1985 weitere Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Industrien der Verbündeten bei Beschaffungsvorhaben der amerikanischen Streitkräfte gleichberechtigt mit amerikanischen Unternehmen konkurrieren konnten. Dennoch blieb es zunächst bei A b sichtserklärungen; 2 0 der Weg zu einer „Zweibahnstraße" europäisch-amerikanischer Rüstungskooperation war weiterhin mit Hindernissen gepflastert.
19
Vgl. das Kommunique der Tagung des Verteidigungs-Planungsausschusses am 4. und 5.12.1984, in: EA, 5/1985, S. D 83-85. 2 0 Vgl. die von den NATO-Außenministern am 12.12.1985 veröffentlichte Erklärung zur Rüstungszusammenarbeit, in: EA, 5/1986, S. D 130-131.
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DIE SICHERHEITSPOLITIK DES WESTENS
Erfolgreicher war die europäische Rüstungskooperation. Die Tätigkeit der Unabhängigen Europäischen Programmgruppe (IEPG), der auch Frankreich angehört, wurde nach außen durch die Teilnahme der Verteidigungsminister (seit 1984) aufgewertet. Im April 1986 beschlossen die Minister einen Aktionsplan zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet der europäischen Luftfahrt und eine engere technologische Kooperation. In dem Ende 1986 vorgelegten Vredeling-Bericht wurden Vorschläge für eine Rüstungszusammenarbeit gemacht, die so weit gingen, daß sie im Falle ihrer Realisierung zu einem gemeinsamen europäischen Rüstungsmarkt führen könnten. 21 Die wichtigsten europäischen Rüstungsprojekte wie das Tornado-Kampfflugzeug und der Jäger-90 wurden jedoch außerhalb dieser formalisierten Kooperationsstrukturen von multinationalen Firmenkonsortien entwickelt und produziert. Durch die Anschläge arabischer Terroristen gegen amerikanische Bürger und Einrichtungen in Europa erhielt die Frage neue Aktualität, auf welche Weise das Bündnis auf Krisensituationen außerhalb des vertraglich festgelegten Bündnisgebietes, sogenannten Out of Area Contingencies, reagieren sollte. Gerade in bezug auf den Nahen Osten erwartete Washington ein größeres Engagement der europäischen Verbündeten mit dem Argument, daß diese noch stärker als die USA von Erdöllieferungen aus dieser Region abhingen. Aus unterschiedlichen Gründen lehnten die Europäer jedoch alle Vorstöße aus Washington ab, sich in eine Mitverantwortung für außereuropäische Regionen einbeziehen zu lassen. Sehr empfindlich reagierte die amerikanische Öffentlichkeit nach der Libyen-Aktion im April 1986 auf die Weigerung europäischer Regierungen, insbesondere Frankreichs, Washington durch die Gewährung von Uberflugrechten zu unterstützen. Die Europäer kritisierten ihrerseits, daß die USA militärisch interveniert hatten, während sie sich noch um eine politische Lösung des Konflikts bemühten. Eine Annäherung der Standpunkte hinsichtlich der Bewältigung von Krisen außerhalb des unmittelbaren NATO-Gebiets war nicht in Sicht, obwohl ihre Dringlichkeit außer Zweifel stand. Sie wurde auch noch dadurch unterstrichen, daß sich die USA vorbehielten, bei Konflikten in einem Krisengebiet, in dem sie militärisch unterlegen waren, die Auseinandersetzung in eine andere Region zu tragen, in der sie ihrerseits die Schwächen des Gegners ausbeuten konnten. Nach dem Prinzip der horizontalen Eskalation konnte z.B. ein Konflikt in der Golf-Region, an dem die Sowjetunion beteiligt war, durchaus auch in Mitteleuropa ausgetragen werden. Schließlich erforderte die Bereitstellung von amerikanischen Streitkräften für den Einsatz in Südwest-Asien im NATO-Bereich Vorkehrungen für den Fall, daß Vgl. das Kommunique über die Ministertagung der Unabhängigen Europäischen Programmgruppe (IEPG) am 28.4.1986 in Madrid, in: EA, 14/1986, S. D 366-369; ferner David Buchan, A vision of an entente militaire, in: FT, 18.5.1987.
AMERIKANISCHES UNBEHAGEN AM BÜNDNIS
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diese in einem Konflikt möglicherweise nicht mehr für die Verteidigung Europas zur Verfügung standen und dort durch andere Kräfte ersetzt werden mußten. A M E R I K A N I S C H E S U N B E H A G E N AM A T L A N T I S C H E N BÜNDNIS Die Verärgerung über die mangelnde Bereitschaft der Europäer, Washington im Fall Libyens zu unterstützen, löste in den USA eine Woge der Kritik an diesen und am Bündnis aus. Persönlichkeiten wie der ehemalige Außenminister und Sicherheitsberater der Präsidenten Nixon und Ford, Henry Kissinger, und der Sicherheitsberater Präsident Carters, Zbigniew Brzezinski, schlugen eine Verlegung von Streitkräften aus Europa zurück nach Nordamerika vor: Kissinger forderte den Abzug der F - l l l aus Großbritannien, Brzezinski den Rückzug von 100 000 Mann aus der Bundesrepublik. 22 Beide argumentierten, daß sich die USA eine größere Flexibilität bewahren müßten, um ihre Interessen weltweit, z.B. im Nahen Osten, wirksamer verfolgen zu können. Diese Vorschläge ordneten sich in eine schon früher in den Vereinigten Staaten zu beobachtende Tendenz ein, den Europäern quasi als Strafe für ihr Fehlverhalten mit einem Truppenabzug zu drohen. Doch waren sie diesmal ernster zu nehmen. Zum ersten Mal erklärten führende Amerikaner, Europa läge nicht mehr im Zentrum amerikanischer Interessen; ihre Präsenz in Westeuropa schränke ihren Handlungsspielraum stärker ein, als daß sie ihnen größere Handlungsmöglichkeiten, auch gegenüber der Sowjetunion, böte. Damit wurde - zwar nicht von der Reagan-Administration, die sich nach Kräften bemühte, argumentative Dämme aufzuschütten, um die Meinungsflut zu stoppen - das Hauptmotiv in Frage gestellt, das die Vereinigten Staaten bewogen hatte, sich nach 1945 in Europa massiv zu engagieren. Zweifel an der erweiterten
Abschreckung
Neben dem Mißvergnügen über die Unwilligkeit oder Unfähigkeit der Verbündeten, selbst mehr für ihre Verteidigung zu tun und die Vereinigten Staaten bei der Ausübung ihrer weltweiten Mission zu unterstützen, spielte bei vielen, die sich für eine „Devolution" 2 3 Amerikas vom europäischen 22
Vgl. Henry Kissinger, Alliance Cure: Redeployment, in: IHT, 30.4.1986; Zbigniew Brzezinski, Europa ist nicht mehr der Brennpunkt, in: Die Zeit, 19.6.1987. In diesem Artikel wiederholte Brzezinski Argumente, die er in den Monaten zuvor in verschiedenen Erklärungen und Interviews in den USA vorgebracht hatte. 2 3 Vgl. Christopher Layne, Atlanticism Without NATO, in: FP, Nr. 67, 1987, S. 22-45.
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D I E SICHERHEITSPOLITIK DES WESTENS
Kontinent aussprachen, die Sorge eine Rolle, die U S A könnten durch ihre Bündniszusage gegen ihren Willen in einen nuklearen Konflikt hineingezogen werden. Weder sollten ihre in Westeuropa stationierten Streitkräfte zum „Stolperdraht" werden, noch dürften ihre in der Region (im „theatre") dislozierten Kernwaffen Stufen in einer Eskalationsleiter sein, die zum allgemeinen Krieg und damit zur Gefährdung des Territoriums der U S A führen konnte. Der Einsatz von taktischen Nuklearwaffen war aus dieser Sicht nur dann zu verantworten, wenn sie als Brandmauer („firebreak") dienen konnten, mit der das Überborden eines regional und hinsichtlich der zum Einsatz kommenden Waffen begrenzten Konflikts vermieden wurde. In einer grotesken Vertauschung der Positionen schien es Mitte der achtziger Jahre so, als seien nunmehr die Vereinigten Staaten von eben jener „nuklearen Allergie" befallen, die sie zuvor, während der Raketendebatte, bei den Europäern diagnostiziert hatten. Die Infragestellung der erweiterten Abschreckung („extended deterrence"), die den Kern der Strategie der flexiblen Erwiderung bildete, wurde von den europäischen Verbündeten mit großer Sorge beobachtet, zumal sie durch die Verhandlungspositionen Washingtons in Reykjavik und bei den Rüstungskontroll-Verhandlungen in Genf eine Substanziierung erfuhr. Ihr Interesse mußte es sein, die Drohung mit dem Einsatz eines breiten Spektrums von Nuklearwaffen für den Konfliktfall so glaubwürdig wie möglich zu halten. Ein konventioneller Krieg in Mitteleuropa war für sie ebensowenig akzeptabel wie ein mit kleinen Nuklearwaffen ausgefochtener Konflikt; eine militärische Auseinandersetzung sollte nicht gewonnen, sondern vermieden werden. Sie forderten daher, statt der weitreichenden Mittelstreckensysteme die Gefechtsfeldwaffen zu reduzieren; ein Schritt, den das Bündnis bereits 1983 mit dem Beschluß von Montebello eingeleitet hatte, wonach die Zahl der in Westeuropa vorhandenen Sprengköpfe um 1 400 reduziert werden sollte. Politiker wie Volker Rühe erklärten, daß eine Militärstrategie, welche die Zerstörung des eigenen Territoriums mit einkalkuliere, keine demokratische Legitimation beanspruchen könnte. Die Folge wäre, daß die bisher in der Bevölkerung vorhandene Zustimmung zu Kernwaffen als Instrument der Kriegsverhinderung problematisch würde. E r malte die Gefahr eines „Euro-Neutralismus" an die Wand, durch den sowjetischen Beeinflussungsversuchen T o r und Tür geöffnet würde. 2 4 Diese Befürchtung war angesichts der Erfahrungen während der „Raketendebatte" in Westeuropa nicht unbegründet. Waren die Verteidigungsexperten besorgt, daß die Vereinigten Staaten im Konfliktfall ihre Kernwaffen
2 4 Für eine Darstellung der Diskussion in der Bundesrepublik vgl. Elizabeth Pond, Sind wir verraten und verkauft? Wie der Raketenstreit das westliche Bündnis und die deutschamerikanischen Beziehungen bedroht, in: Die Zeit, 26.6.1987. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Karl-Heinz Kamp in diesem Band.
ZWEIFEL A N DER ERWEITERTEN ABSCHRECKUNG
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nicht zum Schutz der Europäer einsetzen würden, so dominierte bei der Bevölkerung weiter die Angst, daß diese eben doch zum Einsatz kommen könnten und in Westeuropa verheerende Zerstörungen anrichten würden. In einer Meinungsumfrage sprachen sich in der Bundesrepublik über 70 Prozent der Befragten für einen Abbau der taktischen Nuklearwaffen aus; über 50 Prozent befürworteten eine nichtnukleare Verteidigung - ohne freilich zu einer Verstärkung der konventionellen Streitkräfte bereit zu sein. 25 Diese Einstellung spiegelte sich auch in der Haltung der westeuropäischen Regierungen wider. Sie hatten bislang auf den amerikanischen Trend hin zu einer Konventionalisierung der NATO-Verteidigung nur mit Lippenbekenntnissen geantwortet, sich im übrigen aber angesichts der damit verbundenen beträchtlichen demographischen und finanziellen Probleme sowie ihrer politischen Bedenken auf eine Strategie der „Schadensbegrenzung" beschränkt.
25
Vgl. United States Information Agency, West European Publics Favor Eliminating I N F Missiles..., Research Memorandum, 20.5.1987.
DIE DEBATTE UM ALTERNATIVEN: KONVENTIONALISIER U N G UND EUROPÄISIERUNG DER SICHERHEITSPOLITIK Von Karl-Heinz
Kamp
Zwei Entwicklungen erlangten in der westlichen sicherheitspolitischen Diskussion im Berichtszeitraum 1985/86 eine besondere Bedeutung: zum einen die zunehmende Kritik an der nuklearen Komponente des westlichen Verteidigungsdispositivs, die einer mehr oder minder starken künftigen Betonung der konventionellen Streitkräfte Priorität einräumte; zum andern das Wiederaufleben der Diskussion um eine eigene europäische Verteidigungsidentität, oder weniger anspruchsvoll formuliert, um eine Stärkung des europäischen Pfeilers der Atlantischen Allianz. Die zeitliche Parallelität beider Probleme ist nicht zufällig, sondern es bestehen enge Beziehungen zwischen einer „Konventionalisierung" und einer „Europäisierung" der Sicherheitspolitik. Antinukleare Ressentiments, alternative Strategiediskussionen und neutralistische Wunschvorstellungen der Friedensbewegung insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland Anfang der achtziger Jahre, verstärkten das Interesse einiger europäischer Bündnispartner, über eine Europäisierung der Verteidigung ein „Abrutschen" der Bundesrepublik in einen vermeintlichen deutschen Neutralismus bzw. Pazifismus zu vermeiden. Auf amerikanischer Seite schienen die Renaissance nuklearer Rüstungskontroll-Verhandlungen, die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI), oder auch die Beurteilung des Gipfeltreffens von Reykjavik durch die Europäer ein gewisses Unbehagen zu signalisieren, mit einer nuklearen Bedrohung leben zu müssen, die teilweise aus den Verpflichtungen gegenüber Europa entstanden ist. Solche Signale, verbunden mit einer mehr oder minder offenen amerikanischen Kritik an den europäischen Bündnisleistungen, verstärkten wiederum den europäischen Wunsch nach sicherheitspolitischer Integration als Rückversicherung für den Falle einer Verminderung amerikanischer Verpflichtungen.
V E R S T Ä R K T E E U R O P Ä I S C H E K O O P E R A T I O N IM B E R E I C H DER SICHERHEITSPOLITIK
Die Motive Aus französischer Sicht veränderten sich die internationalen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre nachhaltig zu Lasten Frankreichs. Zum einen belebten die amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontroll-Verhandlungen über Mittelstrecken-
DIE MOTIVE
185
waffen (seit November 1981), strategische Waffen (seit Juni 1982) sowie über Nuklear- und Weltraumwaffen (seit März 1985) die seit Charles de Gaulle bestehende Kritik an der bipolaren Struktur des internationalen Systems: 1 D e r Bilateralismus der Supermächte U S A und Sowjetunion könne entweder dazu führen, daß Europa aufgrund eines offenen oder geheimen Einverständnisses zu einem „Kondominium" degradiert würde, oder daß die beiden Weltmächte ihren Konflikt auf dem Rücken der Europäer austrügen und somit regionalisierten. Zum zweiten nährte gerade die Strategiedebatte in der Bundesrepublik die Befürchtung Frankreichs, die Bundesrepublik könne ihre Allianzbindung lockern und versuchen, über eine zunehmende Neutralisierung Mitteleuropas eine Wiedervereinigung zu erreichen. Auf britischer Seite spielten solche Befürchtungen allerdings kaum eine Rolle. 2 Das Motiv Großbritanniens war eher, die besondere Beziehung zu den U S A nicht zu gefährden, über gemeinsame europäische Verteidigungsanstrengungen der Kritik der U S A zu begegnen und so die Amerikaner dauerhaft an Europa zu binden. Die Bundesrepublik Deutschland begrüßte insbesondere die Kooperationsbereitschaft Frankreichs und sah in der Schaffung einer europäischen Sicherheitskomponente die Möglichkeit, das französische Militärpotential stärker in die Verteidigung des Westens zu integrieren, ohne die amerikanischen Verpflichtungen zu gefährden und ohne sich dabei dem Verdacht auszusetzen, eine Reintegration Frankreichs in die N A T O anzustreben. 3 Italien wollte seine Beteiligung an der westeuropäischen Sicherheit, die sich durch die Stationierung von Marschflugkörpern im sizilianischen Comiso gezeigt hatte, bestätigt sehen. Neben solch länderspezifischen Beweggründen gab es noch eine Reihe weiterer Motive von eher allgemeinem Charakter, z.B. den allgemeinen Wunsch, der gewachsenen ökonomischen und politischen Komponente Westeuropas auch eine sicherheitspolitische an die Seite zu stellen, die dem weltpolitischen Gewicht Europas entsprach. 4 O h n e eine gemeinsame Verteidigungspolitik sei das europäische Verteidigungswerk letztlich unvollständig. Auch gab es die Überlegung, ob über eine Stärkung des europäischen Pfeilers der N A T O der Konsens über Frieden und Sicherheitspolitik, der in einigen Ländern zunehmend zu schwinden schien, wiederhergestellt werden kön-
1 Vgl. Peter Schmidt, Deutsch-französische Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik (Teil I), Ebenhausen (SWP-AZ 2493) 1987, S. 20. 2 Vgl. Trevor Taylor, Alternative Entwicklungsmuster für Institutionen der europäischen Sicherheitszusammenarbeit, in: Karl Kaiser, John Roper (Hrsg.), Die Stille Allianz. Deutschbritische Sicherheitsbeziehungen, Bonn 1987, S. 176. 3 Vgl. IISS (Hrsg.), Strategie Survey 1984-1985, London 1985, S. 49. 4 Vgl. Werner Weidenfeld, Neuorganisation der Sicherheit Europas. Ein Beitrag zur aktuellen Diskussion, in: EA, 9/1987, S. 260.
186
DIE DEBATTE UM ALTERNATIVE SICHERHEITSPOLITIK
ne. 5 Die U S A zeigten ebenfalls Interesse an einer stärkeren europäischen Verteidigungskooperation, wobei dort das Motiv einer stärkeren Abwälzung der Verteidigungslasten auf die europäischen Allianzpartner im Vordergrund stand. Europäisierungsinitiativen
Anfang der achtziger
Jahre
So vielschichtig wie die Motive für eine verstärkte europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik, so verschieden waren die Initiativen, die in den frühen achtziger Jahren hinsichtlich des institutionellen Rahmens gemeinsamer europäischer Verteidigungspolitik ausgearbeitet wurden. Eine wesentliche Initiative zur Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft hin zu einer Europäischen Union unter Einbeziehung sicherheitspolitischer Fragestellungen ging im Januar 1981 von dem deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher aus. Diesem Vorstoß schloß sich im Verlauf des Jahres der italienische Außenminister Emilio Colombo an. Von der in der Genscher-Colombo-Initiative vertretenen Zielsetzung einer „vertraglichen Vereinbarung gemeinsamer Sicherheitspolitik" blieb in der Feierlichen Deklaration zur Europäischen Union, 6 die auf der Tagung des Europäischen Rats in Stuttgart am 19. Juli 1983 unterzeichnet wurde, allerdings nur die Forderung, „die politischen Konsultationen im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) sollten sich auch auf die politischen und wirtschaftlichen Aspekte der Sicherheit erstrecken", bestehen. Im Rahmen der Westeuropäischen Union ( W E U ) gingen die Initiativen zur Reaktivierung dieser Institution von Frankreich aus. Bereits im November 1973 hatte der französische Außenminister Michel Jobert eine größere sicherheitspolitische Eigenverantwortung Europas im Rahmen der W E U angeregt. Diese Anregung wurde aber von deutscher und britischer Seite mit dem Hinweis abgelehnt, daß die europäischen Verteidigungsprobleme in der dafür zuständigen Euro-Gruppe, also in enger Verbindung mit der N A T O , erörtert werden sollten. 7 Im Juni 1981 forderte der französische Außenminister Claude Cheysson vor der WEU-Versammlung in Paris die Wiederbelebung dieser Institution, Verteidigungsminister Charles Hernu unterstützte im November 1982 diese Anregung. Die deutsche Bundesregierung schloß sich einer Note zur WEU-Reaktivierung an, die Frankreich im Februar 1984
5 Vgl. Karl Kaiser, Cesare Merlini, Thierry de Montbrial, William Wallace, Edmund Wellenstein, Die EG vor der Entscheidung. Fortschritt oder Verfall?, Bonn 1983, S. 67. 6
Abgedruckt in: EA, 15/1983, S. D 420-427.
Vgl. Peter Schmidt, Sicherheitspolitische Entwicklungsperspektiven der Westeuropäischen Union (WEU), Ebenhausen (SWP-AZ 2450) 1985, S. 33. 7
DEUTSCH-FRANZÖSISCHE BEZIEHUNGEN
187
den Mitgliedsländern zukommen ließ. Dieses plötzliche Interesse an der W E U war zum Teil darauf zurückzuführen, daß die Genscher-Initiative, die Außen- und Sicherheitspolitik der EG-Staaten umfassend abzustimmen, nicht zu dem gewünschen Erfolg geführt hatte. 8 Anläßlich ihres 30. Gründungstags trat die WEU-Versammlung Ende Oktober 1984 erstmals seit 1973 wieder auf der Ebene der Außen- und Verteidigungsminister zusammen und beschloß mit der Erklärung von Rom offiziell die Wiederbelebung der Westeuropäischen Union. 9
Deutsch-französische
Beziehungen
Hinsichtlich der bilateralen deutsch-französischen Kooperation auf dem Gebiet der Sicherheit bedeuteten die achtziger Jahre einen Aufschwung: Nach einer gemeinsamen Ankündigung eines vertieften sicherheitspolitischen Meinungsaustausches anläßlich des 39. deutsch-französischen Gipfeltreffens am 25. Februar 1982 1 0 wurde im Oktober des gleichen Jahres ein deutschfranzösischer Koordinierungsausschuß für Verteidigungsfragen geschaffen. 11 Drei Monate später, am 20. Januar 1983, nahm der französische Staatspräsident François Mitterrand seine Rede vor dem Deutschen Bundestag zum Anlaß, die Revitalisierung des deutsch-französischen Vertrags von 1963 anzuregen und so die deutsch-französischen Beziehungen auf eine neue Ebene zu heben: 1 2 „Nie zuvor hatte sich Frankreich unter Berücksichtigung der Bedeutung, die die Realitäten in Deutschland und in Europa für die gemeinsame Sicherheit haben, so offen für ein ,Bündnis im Bündnis' und die Aufrechterhaltung des durch die amerikanische Präsenz auf dem europäischen Kontinent gewährleisteten strategischen Schutzes ausgesprochen." 13 Im April 1983 wurde die französische Force d'Action Rapide (FAR) der Öffentlichkeit vorgestellt, ein militärischer Eingreifverband, dessen Schaffung auf ein Umdenken in Frankreich hinsichtlich einer möglichen konventionellen Verteidigung auf deutschem Boden hindeutete. 14
8
-
Vgl. Dieter Mahncke, Verteidigung in Europa: Was spricht für eine europäische Sicherheitspolitik?, in: Politische Studien, Juli/August 1986, S. 432. 9 Abgedruckt in: EA, 24/1984, S. D 703-707. 10
Das Kommunique ist abgedruckt in: EA, 7/1982, S. D 193-194.
Vgl. Nicole Gnesotto, Der sicherheitspolitische Dialog 1954-1976, in: Karl Kaiser, Pierre Lellouche (Hrsg.), Deutsch-französische Sicherheitspolitik, Bonn 1986, S. 20 f. 11
12
Die Rede ist abgedruckt in: EA, 5/1983, S. D 145-155.
Lothar Rühl, Der Aufschwung der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit seit 1982, in: Kaiser/Lellouche, a.a.O. (Anm. 11), S. 31. 13
14
Vgl. Peter Schmidt, Deutsch-französische Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik (Teil II), Ebenhausen (SWP-AZ 2540) 1987, S. 47 ff.
188
DIE DEBATTE UM ALTERNATIVE SICHERHEITSPOLITIK
Neue Vorschläge für eine größere Effizienz europäischer Verteidigungspolitik kamen auch von amerikanischer Seite. So plädierte der ehemalige Außenminister Henry Kissinger Anfang 1984 für einen Europäischen Oberbefehlshaber der Alliierten Streitkräfte in Europa (Supreme Allied Commander Europe = SACEUR) sowie für eine Europäisierung der Rüstungskontroll-Verhandlungen. 15 Mit diesem „Umbau-Plan für die N A T O " sollte das amerikanische Interesse an einer gerechten Lastenteilung und das europäische Interesse an einer lebensfähigen Allianz miteinander verknüpft werden.
DIE SICHERHEITSPOLITISCHE ZUSAMMENARBEIT ZUR MITTE DER ACHTZIGER JAHRE
Die Westeuropäische Union Das Jahr 1985 stand in der Europäisierungsproblematik ganz im Zeichen der Reaktivierung der Westeuropäischen Union im Herbst 1984. Zwar schwächte sich durch die Beruhigung der sicherheitspolitischen Diskussion in der Bundesrepublik nach dem Stationierungsbeschluß für die Mittelstrekkenwaffen 1983 ein wesentliches Element für den Reaktivierungselan Frankreichs ab, nämlich die Furcht vor einem deutschen Sonderweg. Dafür verstärkte die amerikanische Strategische Verteidigungsinitiative (SDI) seine schon traditionelle Furcht vor einem Europa als Kondominium der Supermächte. Das Spannungsverhältnis zwischen dem amerikanischen Interesse an SDI sowie dem europäischen Interesse an einer stärkeren europäischen Zusammenarbeit im Rahmen der W E U zeigte sich Anfang 1985, als der damalige Staatssekretär im amerikanischen Außenministerium, Richard Burt, in einem Schreiben die Regierungen der WEU-Mitgliedstaaten wissen ließ, daß aus amerikanischer Sicht die Diskussion von SDI innerhalb des W E U Rates unerwünscht sei. 16 Es hatte den Anschein, als begrüßten die USA die Reaktivierung dieses Gremiums nur, solange es nicht mit amerikanischen Interessen kollidierte. Offenbar um das britisch-amerikanische Sonderverhältnis zu pflegen, widersetzte sich Großbritannien auf der WEU-Ministertagung im April 1985 in Bonn, der ersten nach dem Beschluß zur Wiederbelebung der W E U in Rom, jeglicher gemeinsamer europäischer Position zur Weltraumverteidigung oder zu der von Frankreich vorgeschlagenen Technologiegemeinschaft.
15
Vgl. Henry Kissinger, Ein Umbau-Plan für die N A T O , in: Die Zeit, 10/1984.
16
Vgl. FAZ, 20.4.1985.
189
EUROPÄISCHE GEMEINSCHAFT
So konnte lediglich beschlossen werden, eine gemeinsame Position zum SDI-Programm bis zum folgenden Herbst zu erarbeiten und das Ziel einer Technologiegemeinschaft im Rahmen der E G weiterzuverfolgen. 17 Der erste Test für die künftigen Entwicklungsmöglichkeiten der W E U fiel somit recht enttäuschend aus. Auch die zweite Sitzung des WEU-Ministerrats im November 1985 brachte wenig Fortschritte. Eine gemeinsame Position zu SDI konnte wegen der strikten Ablehnung Frankreichs und der noch zögernden Haltung der Bundesrepublik nicht gefunden werden. Auch die sogenannte „Reorganisation" der W E U wurde durch die Schaffung von drei rüstungspolitischen Agenturen nicht vorangetrieben. Das Jahr 1986 brachte ebenfalls nur wenige Veränderungen. Trotz heftiger Kritik der beratenden WEU-Versammlung an der Ineffizienz des W E U Ministerrats, war der nachlassende Elan der Regierungen für eine Aufwertung der Westeuropäischen Union unverkennbar. Die beiden Ministerratssitzungen in Venedig und Paris führten zu keinem nennenswerten Ergebnis. Angesichts dieses Stillstands, der mit dem diplomatischen Verlegenheitsbegriff „Übergangsphase" verdeckt wurde, zeichnete sich ein „europäischer Pfeiler" innerhalb der Allianz in Gestalt der W E U weniger denn je ab. Bezeichnend war die nachlassende Unterstützung Frankreichs, das lange Zeit zu den energischsten Befürwortern einer WEU-Aufwertung gezählt hatte. Offenbar hatte die W E U nun ihren Zweck erfüllt und konnte aus französischer Sicht wieder in die Bedeutungslosigkeit zurückfallen. 18
Europäische Gemeinschaft/Europäische
Politische
Zusammenarbeit
Das umfassendste und nicht mit der N A T O verbundene Konsultationsorgan für außenpolitische Probleme der E G ist die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ). Am 19. November 1970 ins Leben gerufen, funktionierte dieser Mechanismus ohne vertragliche Absicherung, einzig aufgrund informeller Ubereinkünfte. Zwischen zehn und zwanzig Mal im Jahr trafen sich mittlerweile die EG-Außenminister, um gemeinsame Positionen zu erarbeiten. Daß sicherheitspolitische Aspekte aus außenpolitischen Konsultationen nicht auszugrenzen waren, wurde spätestens seit dem abgestimmten Auftreten der EG-Mitgliedstaaten bei den Verhandlungen über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) 1973 deutlich. Der verbreitete Wunsch, der praktischen Effizienz der E P Z eine Einbindung in die E G folgen zu lassen, stieß allerdings immer auf Widerstand, insbesondere bei
17
Der Beschluß ist abgedruckt in: EA, 14/1985, S. D 373.
Vgl. Christoph Mühlemann, 7.6.1986. 18
Die W E U zwischen „Übergang" und Stillstand, in:
NZZ,
190
DIE DEBATTE UM ALTERNATIVE SICHERHEITSPOLITIK
Griechenland, Irland oder Dänemark. So scheiterte auch auf dem EG-Gipfel in Mailand im Juni 1985 der Versuch Frankreichs und der Bundesrepublik, verpflichtende Konsultationen im sicherheitspolitischen Bereich einzuführen. 19 Einen wesentlichen Fortschritt bedeutete allerdings die Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) im Februar 1986. 20 Die darin enthaltenen Vertragsbestimmungen stellten die EPZ erstmals auf eine völkerrechtliche Grundlage; ein EPZ-Sekretariat wurde in Brüssel eingerichtet. Die Beschränkung der EPZ lediglich auf die „politischen und wirtschaftlichen Aspekte der Sicherheit" wurde allerdings beibehalten.21
DIE DEUTSCH-FRANZÖSISCHE ZUSAMMENARBEIT
Die Strategische
Verteidigungsinitiative
Die deutsch-französischen Beziehungen des Jahres 1985 standen zunächst unter dem Eindruck von SDI. Während Bonn dem amerikanischen Angebot zur Beteiligung an der Raketenabwehr durchaus positiv gegenüberstand, verhielt Paris sich skeptisch und favorisierte das im April 1985 von Präsident Mitterrand und Außenminister Genscher angeregte EUREKA-Programm. Die Gründe für die französische Ablehnung von SDI lagen auf der Hand: Sollte es zu einem Aufbau von strategischen Abwehrkapazitäten in Ost und West kommen, würde das französische Nuklearpotential entwertet. Deutlich sichtbar wurden diese bilateralen Irritationen, als sich die sieben Industrienationen auf dem Weltwirtschaftsgipfel im Mai 1985 in Bonn — wegen der französischen Haltung - nicht auf eine gemeinsame Position zu SDI einigen konnten. Wegen der unterschiedlichen Äußerungen von Bundeskanzler Helmut Kohl und Präsident Mitterrand auf dem „Siebener-Gipfel" wurde gar von einer „deutsch-französischen Vertrauenskrise" 22 gesprochen. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch die anhaltende Uneinigkeit über gemeinsame Technologieprojekte im militärischen oder zivilen Bereich, wie zum Beispiel über den deutsch-französischen Beobachtungssatelliten, das europä-
19
Vgl. zum Gipfel in Mailand und die deutsch-französische Position den Beitrag von Angelika Volle in diesem Band. 2 0 Abgedruckt in: EA, 6/1986, S. D 163-182. 21
Vgl. Rudolf Hrbek, Thomas Läufer, Die Einheitliche Europäische Akte, in: EA, 6/1986, S. 173-184. 22
Vgl. Kurt Becker, Kind im Brunnen?, in: Die Zeit, 24.5.1985; Angela Nacken, Zwischen Eureka und SDI, in: FAZ, 10.5.1985.
191
DIE VERTEIDIGUNG DER BUNDESREPUBLIK
ische Kampfflugzeug EFA oder die Raumfähre Hermes. 23 Auf einem informellen deutsch-französischen Sondergipfel am 28. Mai 1985 in Konstanz gelang es Kohl und Mitterrand allerdings, die Wogen wieder zu glätten.
Die Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland Im Verlauf des Jahres mehrten sich die Stimmen in Frankreich, die ein starkes französisches Engagement bei der Verteidigung der Bundesrepublik guthießen. Der frühere französische Präsident Valéry Giscard d'Estaing forderte „die Verteidigung Frankreichs bereits an der Elbe". 2 4 Anläßlich des deutsch-französischen Manövers „Allianz" in Münsingen betonte der sozialistische Verteidigungsminister Charles Hernu die gemeinsamen Sicherheitsinteressen beider Staaten. Auch die neogaullistische Partei R P R betonte die Solidarität mit dem westlichen Nachbarn, und die sozialistische Partei sprach gar von der „Möglichkeit regionaler Abschreckung zugunsten der Bundesrepublik". 2 5 Auf der letzten der insgesamt elf deutsch-französischen Begegnungen des Jahres auf höchster Ebene, im Dezember in Paris, wurde dann eine noch engere militärische Zusammenarbeit in Gestalt einer gemeinsamen Offiziersausbildung vereinbart.
Die Rolle der französischen
Nuklearwaffen
Das im Januar 1986 vom französischen und deutschen Außenminister ausgerufene „Jahr der deutsch-französischen Beziehungen für Europa" war wesentlich von der Frage bestimmt, welche Rolle die französischen Nuklearwaffen im deutsch-französischen Verhältnis einnehmen könnten. Deutsche Vorstellungen einer Ausweitung der französischen nuklearen Abschreckung oder eines Mitspracherechts der Bundesrepublik am nuklearen Entscheidungsprozeß, standen immer im Gegensatz zum strikten französischen Unabhängigkeitsstreben im Nuklearbereich. Noch 1984 war auf französischer Seite festgestellt worden, eine Zusammenarbeit könne sich nicht auf den nuklearen Bereich beziehen. 26 Um so mehr Beachtung fand jedes Indiz, welches auf eine Änderung dieser Position hinwies. Am 18. Januar 1986 erwähnte Präsident Mitterrand 2 3 Vgl. François Heisbourg, S. 132 f.
Für einen neuen Anfang, in: Kaiser/Lellouche,
24
Die Welt, 15.6.1986.
25
Vgl. Thankmar von Münchhausen,
1.8.1985. 2 6 Vgl. Schmidt,
a.a.O. (Anm. 14), S. 52.
a.a.O. (Anm. 11),
Frankreichs Atomschirm wird größer, in:
FAZ,
192
DIE DEBATTE UM ALTERNATIVE SICHERHEITSPOLITIK
anläßlich eines bilateralen Gipfeltreffens in Baden-Baden erstmals die Möglichkeit deutscher Konsultation im Falle eines bevorstehenden Nuklearwaffeneinsatzes, 27 relativierte diese Aussage aber in der gemeinsamen Erklärung anläßlich der 47. deutsch-französischen Konsultationen am 28. Februar 1986 mit dem Hinweis auf die „außerordentliche Schnelligkeit, mit der solche Entscheidungen zu treffen sind". 28 Auch wurde darauf verwiesen, daß solche Entscheidungen nicht teilbar seien, d.h. die Verfügungsgewalt bleibe einzig und allein beim französischen Präsidenten. Der Wert dieses Konsultationsangebots lag somit eher auf der deklaratorischen Ebene der deutsch-französischen Sicherheitsgemeinschaft. Offenbar versuchte Präsident Mitterrand vor den bevorstehenden Wahlen in Frankreich, noch einige Zeichen deutschfranzösischer Zusammenarbeit zu setzen.
Rückschläge im Bereich der Rüstungskooperation Einen unverkennbar dämpfenden Einfluß auf die Fortschritte einer deutsch-französischen Verteidigungskooperation übten die fortwährenden Schwierigkeiten und Rückschläge im Bereich der Rüstungskooperation aus. Frankreich scherte im August 1985 aus dem gemeinsam mit der Bundesrepublik, Italien, Großbritannien und Spanien geplanten Projekt des europäischen Kampfflugzeugs E F A zugunsten der Eigenentwicklung Rafale aus. Das 1984 begonnene deutsch-französische Projekt eines Panzerabwehrhubschraubers wurde im Berichtszeitraum zu einem Kostenproblem. Unterschiedliche konzeptionelle Vorstellungen über Auslegung und Aufgaben des Waffensystems dehnten die Entwicklungskosten in einer Weise aus, die dem Bild einer ressourcenschonenden Rüstungskooperation Hohn sprachen und das Projekt ernsthaft gefährdeten. Erfolgreicher wurde die deutsch-französische Sicherheitskooperation auf dem Gebiet militärischer Zusammenarbeit praktiziert. So nahm bei dem Manöver „Fränkischer Schild" im Herbst 1986 erstmals ein französischer Großverband unter deutschem Kommando an einer Übung teil. Solche gemeinsamen Übungen zeigten allerdings auch die Schwierigkeiten, die beide Armeen hinsichtlich einer effizienten Zusammenarbeit noch zu überwinden hatten, verglichen mit gemeinsamen Manövern auf NATO-Ebene. Insbesondere wurden gravierende Mängel bei den französischen Truppen aufgedeckt, die offenbar auf die langjährige Vernachlässigung der französischen konventionellen Streitkräfte zugunsten der Nuklearkomponente zurückzuführen waren.
27
Vgl. EA, 9/1986, S. D 234-235.
28
Ebd., S. D 236.
EIN GEMEINSAMES VERTEIDIGUNGSKONZEPT?
193
Ein gemeinsames Verteidigungskonzept f Einen stimulierenden Einfluß auf die Kooperationsbemühungen beider Länder hatte das Gipfeltreffen des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan und des sowjetischen Generalsekretärs Michail Gorbatschow in Reykjavik im September 1986. Auf französischer Seite ließ die Möglichkeit einer Null-Lösung bei den Mittelstreckenwaffen zum einen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der amerikanischen erweiterten Abschreckung aufkommen, zum andern erwachte wieder das alte Trauma einer Hinwendung der Bundesrepublik zum Neutralismus. Aus beiden Befürchtungen folgte aus französischer Sicht mehr denn je die Notwendigkeit deutsch-französischer Zusammenarbeit im sicherheitspolitischen Bereich. Auch aus der Sicht der Bundesrepublik schien ein noch engerer Schulterschluß mit Frankreich als Gegengewicht gegen die Schwankungen der amerikanischen Politik angeraten. Vor dem Hintergrund eines solchen europäischen Unbehagens nach Reykjavik war etwa der Vorschlag des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt für ein gemeinsames europäisches Verteidigungskonzept unter der Führung Frankreichs zu sehen. 29 Daß aber für die Realisierung einer tragfähigen deutsch-französischen Sicherheitspartnerschaft noch ein hohes Maß an Umdenken auf französischer Seite hinsichtlich einer entsprechenden Verteidigungsplanung notwendig war, zeigte die im November 1986 vorgelegte französische Streitkräfteplanung für den Zeitraum zwischen 1987 und 1991. 30 Entgegen der objektiven Notwendigkeit, effiziente konventionelle Streitkräfte für die eventuelle Verteidigung Europas bereitzustellen, lag der Schwerpunkt des Beschaffungsprogramms mit einem Umfang von 474 Milliarden Francs eindeutig bei den nuklearen Streitkräften. Dieser Umstand relativierte die Erfolge der deutsch-französischen Verteidigungskooperation zum Ende des Jahres 1986. Darüber hinaus wurde die deutsch-französische Annäherung nicht von allen Bündnispartnern positiv aufgenommen. Insbesondere auf britischer Seite regten sich seit längerem Befürchtungen hinsichtlich der negativen Folgen einer „deutsch-französischen Front". Ein rein bilaterales Arrangement zwischen Frankreich und der Bundesrepublik könnte die Atlantische Allianz eher schwächen als stärken, insbesondere, wenn eine solche Bezie-
29
Vgl. Helmut Schmidt, Europa muß sich selbst behaupten, in: Die Zeit, 21.11.1986. Ahnliche Vorschläge wurden bereits 1984 in die politische Diskussion eingeführt. Vgl. z.B. Alfred Dregger, Mehr Gemeinsamkeit zwischen Deutschland und Frankreich in der Verteidigungspolitik, in: Die Zeit, 23.3.1984, sowie Rolf Friedemann Pauls, Deutschlands Standort in der Welt, Herford 1984. 3 0 Vgl. Hans-Hagen Bremer, Der lange Schatten des Generals in: FR, 17.11.1986.
194
D I E D E B A T T E UM A L T E R N A T I V E SICHERHEITSPOLITIK
hung eher als Alternative denn als Ergänzung zur N A T O gesehen wurde. 31 Auch in den U S A regten sich trotz der grundsätzlichen offiziellen Befürwortung der deutsch-französischen Kooperation Stimmen, die befürchteten, daß die Dominanz der USA in der N A T O Schaden nehmen könnte.
BEGINN DER
KONVENTIONALISIERUNGSDEBATTE
Wendet man sich nun von der Europäisierung dem Problem einer möglichen Konventionalisierung zu, d.h. der Betonung der konventionellen Verteidigung im Gegensatz zur nuklearen Abschreckung, so muß zunächst nach den Ursachen dieser Tendenz gefragt werden.
Die Diskussion zu Anfang der achtziger
Jahre
Wurde die Strategiediskussion der frühen siebziger Jahre, die die Verschlechterung der Sicherheitslage Westeuropas unter der Bedingung der nuklearstrategischen Parität zum Gegenstand hatte, noch ausschließlich in militärischen, parteipolitischen oder wissenschaftlichen Fachzirkeln geführt, so änderte sich die Situation mit den ausgehenden siebziger und beginnenden achtziger Jahren. Die inneramerikanische Diskussion um die Neutronenwaffe des Jahres 1977 weitete sich von der Debatte um technische Belange auf eine breite Diskussion über die Moral der nuklearen Abschreckung aus. In Europa, dem potentiellen Einsatzbereich solcher Waffen, fand die Kontroverse breiten Widerhall. Im Zusammenhang mit dieser Strategiediskussion wurden die prinzipiellen Dilemmata nuklearer Abschreckung erstmals einer breiten Öffentlichkeit bewußt. Damit war der Grundstein zu mannigfaltigen Überlegungen für nichtnukleare Verteidigungsstrukturen gelegt. Der Vollzug des NATO-Doppelbeschlusses entspannte die Situation dahingehend, daß die radikale Protestbewegung an Elan einbüßte und eine nüchterne Betrachtungsweise möglich schien. Allerdings fand der Trend zur Denuklearisierung durch die Entwicklungen in den U S A und der Sowjetunion weiteren Auftrieb. Die Vereinigten Staaten boten ein deutliches Indiz für eine Neubewertung der Rolle der Nuklearwaffen mit der Rede Präsident Reagans vom 23. März 1983. In dieser Fernsehansprache, in der er die Strategische Verteidigungsinitiative zur Abwehr gegnerischer Nuklearraketen vorstellte, klang gleichzeitig die Vision einer nuklearwaffenfreien Welt an. 32 Auf sowjetischer Seite wurde diese
31
Vgl. The Times,
32
Abgedruckt in: EA, 10/1983, S. D 270.
8.3.1984.
STRATEGIEKONFORME KONVENTIONALISIERUNGSKONZEPTE
195
Vision einer Welt ohne Atomwaffen von Generalsekretär Gorbatschow in seinem Vorschlag zur totalen Abrüstung am 15. Januar 1986 aufgegriffen. 33 Weitere Verstärkung fand die Akzentverschiebung von der nuklearen zur konventionellen Verteidigung durch westliche Befürchtungen hinsichtlich einer rein konventionellen Angriffsoption des Warschauer Paktes. Es mehrten sich die Anzeichen, daß auf östlicher Seite versucht würde, im Falle eines Konflikts mit raschen konventionellen Vorstößen die nuklearen Reaktionsmöglichkeiten der N A T O zu unterlaufen und einen „fait accompli" zu schaffen, der einen späteren westlichen Nuklearwaffeneinsatz als eine militärisch sinnlose Eskalation erscheinen ließ. 34 Diese Vielzahl von Antriebsmomenten führte im Berichtszeitraum zu einer intensiven Diskussion auf verschiedenen politischen Ebenen über die Probleme nichtnuklearer Verteidigung. Dabei reichten die Ziele einer möglichen Konventionalisierung der NATO-Strategie von einer Stärkung der konventionellen Streitkräfte im Rahmen der Strategie der flexiblen Antwort, also unter Beibehaltung der nuklearen Abschreckung, bis hin zu Vorstellungen einer völligen Abstützung auf die konventionelle Verteidigung ohne Atomwaffen. Strategiekonforme
Konventionalisierungskonzepte
Auf N A T O - E b e n e begannen schon 1979 detaillierte Untersuchungen über Art und Umfang der Verstärkung der konventionellen Streitkräfte, die im November 1984 in die langfristige Planungsrichtlinie F O F A mündeten sowie in die Folgedokumente 299 vom Mai 1985 und die Initiative zur konventionellen Verteidigung (Conventional Defense Improvement Initiative = C D I ) vom Sommer 1985. 3 5 Als profiliertester Beitrag auf nichtamtlicher Ebene galt die 1983 vorgestellte Studie der Projektgruppe E S E C S . 3 6 Diese von privaten Stiftungen geförderte Studie wurde von einem amerikanisch/europäischen Expertenteam erstellt und versuchte, neue Optionen zur Verbesserung der konventionellen Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit aufzuzeigen. Im Juni 1985 wurde die Folgestudie E S E C S II publiziert, 37 in der die detaillierten
33
Der Vorschlag ist abgedruckt in: EA, 5/1986, S. D 135-147.
Vgl. John G. Hines, Phillip A. Petersen, Notra Trulock, Die sowjetische Militärtheorie 1945 bis 2000 und ihre Konsequenzen für die NATO, in: Beiträge zur Konfliktforschung, 2/1987, S. 103-122. 34
Vgl. hierzu auch den Beitrag von Helga Haftendorn in diesem Band. Vgl. European Security Study (ESECS I), Wege zur Stärkung der konventionellen Abschreckung in Europa, Baden-Baden 1983. 3 7 Vgl. European Security Study (ESECS II), Stärkung der konventionellen Abschreckung in Europa, Zweiter Bericht, Baden-Baden 1985.
196
DIE DEBATTE UM ALTERNATIVE SICHERHEITSPOLITIK
Modernisierungserfordernisse konventioneller Streitkräfte, Ausrüstungsbeispiele und Kostenkalkulationen dargelegt wurden. Gerade dieser zweite Teil rief eine Vielzahl von Reaktionen in der informierten Öffentlichkeit hervor und trug vor allem zur Versachlichung der Konventionalisierungsdiskussion Mitte der achtziger Jahre bei. Ebenfalls zu den strategiekonformen Konzepten gehörten die Verbesserungsvorschläge von prominenten Politikern oder Militärs. In seinem bereits erwähnten „Umbauplan für die N A T O " schlug Henry Kissinger unter anderem vor, daß Europa bis zum Jahr 1990 die Hauptverantwortung für die konventionelle Verteidigung des westlichen Bündnisses übernehmen solle, während die amerikanischen Truppen eher mobile Einsatzaufgaben wahrnehmen würden. Dieser Vorschlag wies besonders auf das amerikanische Interesse nach einer Verringerung der Bündnislasten hin. 38
Strategiekritische
Konzeptionen
Ausgehend von dem Grunddilemma westlicher Nuklearstrategie, daß nämlich die völlige Zerstörung dessen, was durch nukleare Abschreckung geschützt werden soll, zumindest als Möglichkeit einkalkuliert werden muß, gab es bereits in den fünfziger Jahren Überlegungen für ein „anwendbares" Verteidigungskonzept. Seit Mitte der siebziger Jahre regten insbesondere die Studien Horst Afhelds, Joachim Lösers, des Franzosen Guy Brossolet und des Österreichers Emil Spanocchi die Expertendebatte an. 39 Mit der Entstehung der Friedensbewegung in Europa wurde diese Diskussion auch in die interessierte Öffentlichkeit getragen, so daß diese „Alternativen Strategien" zunehmend bei den politischen Parteien Gehör fanden.40
HALTUNG DER PARTEIEN
Die
Labour-Partei
Auf den stärksten Widerhall trafen diese antinuklearen Vorstellungen bei zahlreichen europäischen sozialistischen Parteien. Auf dem Parteitag der britischen Labour-Partei vom Oktober 1980 fand sich erstmals eine Mehrheit 38 Vgl. Kissinger, a.a.O. (Anm. 15). 39 Vgl. hierzu besonders Volker Böge, Peter Wilke, Sicherheitspolitische Alternativen, Baden-Baden 1984. Vgl. Alfred Biehle (Hrsg.), Alternative Strategien. Hearing im Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages, Koblenz 1986.
DIE SPD
197
für eine radikale nichtnukleare Verteidigungspolitik, die seit 1982 auf allen folgenden Parteitagen bestätigt wurde. 41 Eine Realisierung dieses Programms hätte den Abzug sämtlicher britischer Nuklearwaffen bedeutet, und zwar sowohl die in Großbritannien selbst stationierten Systeme, einschließlich der Polaris-Flotte, als auch die in der Bundesrepublik befindlichen und der N A T O unterstellten Sprengköpfe. Darüber hinaus forderte Labour den Abbau der amerikanischen Nuklearwaffen in Europa, insbesondere der im Rahmen des NATO-Doppelbeschlusses in Großbritannien stationierten Marschflugkörper. In einer gemeinsamen Erklärung mit der Sozialdemokratischen Partei (SPD) im November 1986 wurde die Forderung eines nuklearen Teststopps sowie der Verzicht auf europäische Unterstützung des amerikanischen SDI-Vorhabens vertreten.42 Statt auf nukleare Abschreckung setzten die britischen Sozialisten auf einen Ausbau der konventionellen Verteidigung. Im Dezember 1986 wurde im Labour-Bericht zur künftigen Verteidigungspolitik „The Power To Defend Our Country" vorgeschlagen, die Mittel, die durch den Verzicht auf das kostspielige nukleare Trident-Programm 43 freiwürden, für die konventionellen Streitkräfte zu verwenden. Bezeichnenderweise wähnte sich die Labour-Partei mit ihren Vorschlägen nicht in einem Gegensatz zum westlichen Bündnis. Entschließungen, die eine künftige Regierung zum Austritt aus der N A T O verpflichten, wurden auf den Labour-Parteitagen stets mit großer Mehrheit abgelehnt, 1986 mit 5,4 Millionen zu 1 Million Stimmen.44 Die SPD In der Bundesrepublik äußerte sich die SPD zwar ebenfalls kritisch gegenüber der nuklearen Abschreckung, war in ihren Vorstellungen aber weniger radikal als die britische Schwesterpartei. Mit ihrem Parteitag in Essen 1984 hatte die SPD die Phase der sicherheitspolitischen Diskussion um das Für und Wider des NATO-Doppelbeschlusses abgeschlossen.45 In dem Beschluß „Für eine neue Strategie des Bündnisses" fand sich unter anderem die Absage an die Rüstungspotentiale im Mittelstreckenbereich, sowie die 41 Vgl. Michael Clarke, Die Haltung der Öffentlichkeit und die verteidigungspolitische Diskussion in Großbritannien, in: KaiserIKöper, a.a.O. (Anm. 2), S. 62. 42 Pressemitteilung der SPD 610/86, 14.11.1986. 43 Vgl. hierzu Jonathan Alford, Alternativen für die britische Verteidigungspolitik in den neunziger Jahren und ihre Bedeutung für die Bundesrepublik, in: Kaiser/Roper, a.a.O. (Anm. 2), S. 143. 44 Vgl. Clarke, in: ebd., S. 73. 45 Vgl. Franz H. U. Borkenhagen, Aspekte der sicherheitspolitischen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland, in: österreichische Militärische Zeitschrift, 2/1987, S. 138 f.
198
DIE DEBATTE UM ALTERNATIVE SICHERHEITSPOLITIK
Forderung nach einer militärischen Defensivstruktur im Sinne „struktureller Nichtangriffsfähigkeit". Im „Leitantrag zur Friedens- und Sicherheitspolitik" des Nürnberger Parteitags der SPD vom August 1986 war von dem Ziel eines atomwaffenfreien Europas die Rede, das allerdings - im Unterschied zu den Labour-Vorstellungen - nicht in Form eines nationalen Alleingangs, sondern in enger Abstimmung mit den Alliierten schrittweise über einen Verzicht auf nuklearen Ersteinsatz, Abbau der taktischen Nuklearwaffen, nuklearen Teststopp und über einen atomwaffenfreien Korridor erfolgen sollte. 46 Allerdings wäre eine solche nukleare Abrüstung nicht von konventionellen Verstärkungen begleitet, statt dessen sollten die Verteidigungsausgaben reduziert werden. Die Vorstellung, man könne die Verteidigungsfähigkeit des westlichen Bündnisses erhalten, indem die Nuklearkomponente reduziert würde, ohne eine entsprechende Kompensation bei den konventionellen Streitkräften zu erwirken, erschien Kritikern als eine Quadratur des Kreises. 47 Die französischen
Sozialisten
Bei den Denuklearisierungsdebatten europäischer (oppositioneller) sozialistischer und sozialdemokratischer Parteien nahmen die französischen Sozialisten eine gegensätzliche Position ein. Die Priorität der Nuklearrüstung, deren Anteil am französischen Verteidigungshaushalt 1985/86 mehr als 30 Prozent betrug, wurde auch unter Präsident Mitterrand, der seit März 1986 mit dem gaullistischen Parteiführer Jacques Chirac die Regierungsgeschäfte führte, aufrechterhalten, zumal die öffentliche Akzeptanz der französischen Atomstreitmacht außer Frage stand. Das Verteidigungsprogramm für die Zeit von 1987 bis 1991 wies eine siebenprozentige Steigerungsrate des Verteidigungshaushalts auf, von dem ein wesentlicher Teil in die Modernisierung der Nuklearwaffen fließen sollte. Gleichzeitig wurde aber im Zusammenhang mit der seit 1983 durchgeführten Heeresreform und der Aufstellung der schnellen Eingreiftruppe F A R die Personalstärke der Streitkräfte gekürzt. Bis 1988 sollte die Mannschaftsstärke des Heeres um 22 000, die der übrigen Teilstreitkräfte um 10 000 Mann schrumpfen. 48 Im Gegensatz zu den bisher aufgezeigten Denuklearisierungs- und Konventionalisierungstendenzen im westlichen Bündnis konnte man deshalb in Frankreich von einer Entkonventionalisierung der Verteidigungspolitik sprechen. 4 6 Vgl. Protokoll vom Parteitag der SPD in Nürnberg, 25.-29.8.1986, Bonn (SPD) 1986, S. 864 ff. 4 7 Vgl. Lothar Rubi, In der militärischen Wirklichkeit illusorisch, in: FAZ, 15.9.1986, S. 9, sowie Klaus-Peter Stratmann, Rüstungskontrolle und militärisches Gleichgewicht in Europa: Zur Debatte in der Bundesrepublik, in: Kaiser/Roper, a.a.O. (Anm. 2), S. 93-115. 4 8 Vgl. Ingo Kolboom, Im Westen nichts Neues? Frankreichs Sicherheitspolitik, das deutsch-französische Verhältnis und die deutsche Frage, in: Kaiser/Lellouche, a.a.O. (Anm. 11), S. 83.
D I E N E U B E L E B U N G DES I N T E G R A T I O N S P R O Z E S S E S IN DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFT Von Angelika
Volle
Zwei herausragende Ereignisse bestimmten im Berichtszeitraum die Entwicklungen in der Europäischen Gemeinschaft: der Beitritt Spaniens und Portugals am 1. Januar 1986 sowie die Verabschiedung der „Einheitlichen Europäischen Akte" (EEA), die am 1. Juli 1987 nach einem langwierigen Prozeß der Ratifizierung in Kraft trat. Der mühevolle Entscheidungsprozeß bei der Gestaltung der EEA auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs aller EG-Staaten - auch Spaniens und Portugals - sowie Entstehung und Inhalt dieses Reformwerks sollen in ihren einzelnen Etappen nachfolgend dargestellt werden. Eine Abwägung der Chancen und Risiken der zweiten Süderweiterung schließt sich an.
IMPULSGEBENDE REFORMDISKUSSIONEN Initiativen, die Europäische Gemeinschaft (EG) aus einer wirtschaftlichen Gemeinschaft in eine politische Union umzuwandeln, waren seit ihrer Gründung wiederholt lanciert worden. Allen Bemühungen, die E G zu reformieren, ihre Zuständigkeiten zu erweitern und ihr Entscheidungssystem weiterzuentwickeln, war jedoch kein Erfolg beschieden, solange sich nicht die Uberzeugung durchsetzen konnte, daß die Zeit für eine Neubelebung des europäischen Aufbauwerks reif sei. Dieser Zeitpunkt war - auch angesichts des bevorstehenden Beitritts der beiden iberischen Länder - zu Beginn der achtziger Jahre gekommen. Mit der „Genscher-Colombo-Initiative" von 1981 für eine „Europäische Akte" sollte eine „Europäische Politische Union" ins Leben gerufen werden. Auf dem Stuttgarter Gipfel vom Juni 1983 wurde dieser Vorstoß zwar, vor allem auf britisches Betreiben, abgemagert zu einer „Feierlichen Deklaration". Dennoch war der Stein ins Rollen gekommen: Impulse zur Neubelebung der EG standen von nun an bei allen Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs auf der Tagesordnung. 1 Der Gipfel von Fontainebleau ein Jahr später stellte in vielerlei Hinsicht die Weichen für die Intensivierung der Reformdiskussion. Nachdem auf diesem Gipfel unter französischer Präsidentschaft im Juni 1984 der Durch-
1 Auch das Europäische Parlament versuchte Anfang 1984 in Form der beim Entwurf eines „Vertrags zur Gründung der Europäischen Union" an Reformen gestaltend mitzuwirken. Vgl. zur Reformdiskussion in der EG achtziger Jahre: Angelika Volle, Bemühungen um eine vertiefte Integration in Gemeinschaft, in: IP 1983/84, S. 132-146.
Spinelli-Initiative den notwendigen seit Anfang der der Europäischen
200
DIE NEUBELEBUNG DES INTEGRATIONSPROZESSES
bruch zu einer mittelfristigen Lösung des Problems des britischen Etatbeitrags gelungen war, bestand Aussicht auf eine aktivere Beteiligung Großbritanniens an der Gestaltung einer Europäischen Gemeinschaft für die Zukunft. Das Entgegenkommen Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland in der Budgetfrage honorierte Großbritannien zum einen damit, daß es der Ernennung des französischen Finanzministers Jacques Delors zum künftigen Kommissionspräsidenten zustimmte. Zum andern ließ Premierministerin Margaret Thatcher ihre Forderung nach einer grundlegenden Reform der Agrarpolitik vorerst fallen und gestand - gemeinsam mit Frankreich - der Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl zu, den deutschen Bauern nationale Ausgleichsbeträge für zu erwartende Verluste auf dem Milchsektor zahlen zu dürfen, obwohl darin die Gefahr einer Renationalisierung der europäischen Agrarpolitik lag. Ein weiterer Erfolg des Gipfels von Fontainebleau war die Einsetzung von zwei Ausschüssen zur Ausarbeitung neuer Inhalte des europäischen Reformwerks, dem Adonnino-Ausschuß für ein „Europa der Bürger" und dem Dooge-Ausschuß für institutionelle Fragen. Die Vorschläge beider Ausschüsse sollten die Reformdiskussion in den Jahren 1985 und 1986 entscheidend beeinflussen. 2
AUF DEM WEG ZU EINER EUROPÄISCHEN U N I O N Der Dooge-Ausschuß legte auf dem Gipfeltreffen von Dublin am 3. und 4. Dezember 1984 einen ersten Zwischenbericht vor, dessen Diskussion aus Zeitmangel von den Staats- und Regierungschefs auf das Gipfeltreffen vom Juni 1985 in Mailand vertagt wurde. Aufschlußreich an dem Zwischenbericht waren nicht nur die einzelnen Vorschläge, auf die sich die Vertreter der Regierungschefs hatten einigen können; brisant wurde dieser Zwischenbericht vor allem durch die Vorbehalte der einzelnen Staaten, die in insgesamt 31 Fußnoten wiedergegeben waren. 3
Der Bericht des Dooge-Ausscbusses
für institutionelle
Fragen
Schon im Vorwort des Berichts wurde erklärt, daß es wegen der neuen technologischen Herausforderungen und der Erhaltung der politischen Unabhängigkeit Europas notwendig sei, eine echte politische Einheit der 2
Vgl. ebd., S. 139 f.
Der Dooge-Bericht ist abgedruckt in: EA, 5/1984, S. D 96-104, sowie EA, 9/1985, S. D 240-253. Vgl. hierzu auch: Rudolf Hrbek, Welches Europa? Zum Zwischenbericht des Ad-Hoc-Ausschusses für institutionelle Fragen („Dooge-Committee"), in: Integration, 1/1985, S. 3-10. 3
REGIERUNGSVORBEHALTE GEGENÜBER DEM DOOGE-BERICHT
201
EG-Staaten herzustellen und eine Europäische Union zu schaffen, wobei die „Eigenart" eines jeden Mitgliedslandes zu respektieren sei. Folgende Ziele wurden angestrebt: 1. Schaffung eines echten Binnenmarktes; 2. Ausbau des Europäischen Währungssystems (EWS); 3. Förderung der gemeinsamen kulturellen Werte; 4. Außenpolitische Identität; 5. Zusammenarbeit im sicherheitspolitischen Bereich. Um diese Ziele zu erreichen, wurden bestimmte Reformen im institutionellen Bereich für notwendig erachtet: 1. Erleichterte Beschlußfassung im Ministerrat; 2. Verstärkung der Befugnisse der Kommission; 3. Stärkung des Europäischen Parlaments. Der DoogeBericht schloß mit der Forderung nach Einberufung einer Regierungskonferenz im Juni 1985 in Mailand, die den Entwurf eines Vertrags über die Europäische Union aushandeln sollte („Zweites Messina").
Regierungsvorbehalte
gegenüber
dem
Dooge-Bericht
Die Vorbehalte Dänemarks waren prinzipieller Art: Die bestehenden Verträge sollten nicht in Frage gestellt, sondern nur besser ausgeschöpft werden. Für neue Verträge zur Europäischen Union bestehe kein Bedarf. Ähnlich argumentierte Großbritannien, das zudem Vorbehalte gegen den Ausbau des Europäischen Währungssystems sowie gegen die vorgeschlagene Stärkung des Europäischen Parlaments anführte und gegen eine gestärkte Rolle des Kommissionspräsidenten bei der Auswahl von Kommissaren argumentierte. Pragmatische Zusammenarbeit statt neuer Verträge, lautete die britische Devise. 4 Griechenlands Vorbehalte wandten sich vor allem gegen den Ausbau des EWS. Gleichzeitig sprach sich dieses jüngste EGMitglied für ein uneingeschränktes Vetorecht jeder Regierung im Ministerrat aus. Irland wandte sich ausdrücklich gegen die Einbeziehung der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik in den EG-Rahmen, da es dadurch seine Neutralität gefährdet sah. Die Benelux-Staaten äußerten Vorbehalte gegen das Bestehenbleiben der Möglichkeit, im Ministerrat „vitale Interessen" geltend zu machen, weil dadurch EG-Initiativen schon häufig abgeblockt worden waren. Die geringsten Vorbehalte gegenüber den Vorschlägen des DoogeKomitees schienen die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich zu haben. Beide sprachen sich für die Rückkehr zu Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat aus. Bundeskanzler Kohl und Staatspräsident François Mitterrand bekräftigten bei ihren regelmäßigen Treffen in der ersten Hälfte des Jahres 1985 wiederholt die Notwendigkeit des „großen qualitativen Sprungs
Vgl. z.B. Malcolm Rifkind, Für ein stärker geeintes Europa und ein praktisches Programm, in: Integration, 2/1985, S. 54.
202
DIE N E U B E L E B U N G DES INTEGRATIONSPROZESSES
zur Europäischen U n i o n " , beschworen das „Jahr der Entscheidung" und kündigten „neue entscheidende Impulse für Europa" an. 5 Während Frankreich allerdings den weiteren Ausbau des E W S forderte, hielt sich die Bundesregierung auf diesem Gebiet zurück. Dafür war sie treibende Kraft bei der Forderung nach erweiterten Rechten für das Europäische Parlament (EP), wohingegen sich die französische Regierung hinsichtlich einer Stärkung der EP-Rechte und einer Verbesserung der Entscheidungsprozeduren zurückhaltender äußerte. Beide Länder forderten eine Verankerung der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) in einem neuen Vertragswerk. Die britische Haltung zu diesen Vorschlägen gipfelte in der Feststellung des Staatsministers für EG-Angelegenheiten im britischen Foreign Office, Malcolm Rifkind, er wisse gar nicht, was der Begriff „Europäische Politische U n i o n " bedeute. Eine genaue Definition des Begriffs „Union" sei notwendig, da dieser an das Gesetz erinnere, das im Jahre 1603 aus England und Schottland einen Einheitsstaat gemacht hatte. Falls eine solche Union aus europäischen Staaten erklärtes Ziel sein sollte, könne sich Großbritannien eine Teilnahme nicht vorstellen. 6 Im weiteren Verlauf im Vorfeld des Gipfels von Mailand wurden den Sonntagsreden französischer und deutscher Politiker, denen keine Taten folgten, jedoch konkrete Vorschläge ausgerechnet von britischer Seite entgegengestellt: Auf dem Treffen der EG-Außenminister in Stresa am 8. und 9. Juni 1985 zur Vorbereitung des Mailänder Gipfels legte der britische Außenminister, Sir Geoffrey Howe, ein britisches Positionspapier vor. 7 Es enthielt praktische Vorschläge zur Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft in wirtschaftlicher (Schaffung des EG-Binnenmarktes bis 1990) und politischer (häufigere Mehrheitsentscheidungen) Hinsicht und zielte vor allem auf die außenpolitischen Aspekte der E G mit einem konkreten Vorschlag zur E P Z ab. 8 Die Reaktionen in den einzelnen Mitgliedstaaten waren im allgemeinen positiv, wenngleich von deutscher und französischer Seite entgegengehalten wurde, daß das Papier in mancher Hinsicht nicht weit genug gehe; so beharrten beide Länder darauf, daß Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat in Zukunft in jedem Fall möglich sein sollten. Wie stark Realität und Wirklichkeit europapolitischer Initiativen auseinanderklafften wurde deutlich, als der deutsche Landwirtschaftsminister Ignaz 5
Vgl. Günther Nonnenmacher,
6
Vgl. Rifkind,
Das Jahr der Entscheidung, in: FAT., 2.2.1985.
a.a.O. (Anm. 4), S. 54.
7 Vgl. zur britischen Position gegenüber den EG-Reformen: Angelika Volle, Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Gemeinschaft, in: Adolf M. Birke, Kurt Kluxen (Hrsg.), Die europäische Herausforderung. England und Deutschland in Europa, München u.a. 1987, S. 41-53, sowie Pauline Neville-Jones, Die Zukunft der Europäischen Politischen Zusammenarbeit, in: Integration, 1/1986, S. 15-25. g Abgedruckt in: EA, 16/1985, S. D 441-444. Es wurde dem Europäischen Rat in Mailand vorgelegt.
D E R GIPFEL V O N MAILAND
203
Kiechle - zum erstenmal in der Geschichte der E G - am 12. Juni 1985 in Brüssel ein Veto bei den Getreidepreisverhandlungen einlegte. Die deutsche Position zur Mehrheitsabstimmung im Ministerrat verlor damit an Glaubwürdigkeit. Drei Tage später präsentierte der für den Binnenmarkt zuständige (britische) EG-Kommissar Lord Cockfield ein Weißbuch zur Reform des E G Binnenmarktes, mit über 300 detaillierten Vorschlägen zur Abschaffung, Harmonisierung oder Angleichung von physischen, technischen und physikalischen Barrieren und Hemmnissen im Gemeinsamen Markt. Die britische Regierung stellte sich sofort hinter diese Vorschläge „ihres" Kommissars und verkündete, sie sei bereit, an der Durchsetzung dieser Vorschläge mitzuarbeiten, so daß bereits bis zum Jahr 1990 ein europäischer Binnenmarkt geschaffen werden könne.
Der Gipfel von Mailand Die vielbeschworene „deutsch-französische Lokomotive", die die ins Stocken geratenen europäischen Reformen 1985 zügig auf den Weg bringen und den EG-Institutionen den „großen qualitativen Sprung" bescheren sollte, hatte sich noch nicht in Gang gesetzt. Erst am 28. Juni, wenige Stunden vor dem Mailänder Gipfel, der am 28. und 29. Juni 1985 stattfand, veröffentlichten beide Regierungen ein Reformpapier mit dem anspruchsvollen Titel „Vertragsentwurf über die Europäische U n i o n " . 9 Die deutschfranzösischen Vorschläge, die den Begriff „Europäische U n i o n " im Text kein einziges Mal erwähnten, konzentrierten sich im wesentlichen auf das Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik; sie wurden von Bundeskanzler Kohl als „mitreißende Europa-Initiative" bezeichnet und kurze Zeit später von Präsident Mitterrand zum „Arbeitspapier" herabgestuft. 10 Gastgeberland Italien sowie die Benelux-Länder waren verdrossen, daß sie sich mit dem Text vor Beginn der Konferenz inhaltlich nicht mehr hatten auseinandersetzen können. Die britische Premierministerin war verärgert, daß das britische Reformpapier durch eine neue Vorlage Konkurrenz bekam, die zudem in vielen Punkten mit den britischen Vorschlägen übereinzustimmen schien. In der Tat waren zahlreiche Punkte des britischen und deutsch-französischen Papiers inhaltlich deckungsgleich, so z.B. die Vorschläge, bis Anfang der neunziger Jahre den gemeinsamen Binnenmarkt zu schaffen; zum besseren Funktionieren der E P Z ein Sekretariat in Brüssel einzurichten; in mehr Fällen als bisher Mehrheitsentscheidungen zuzulassen. Der fundamen-
9 10
Abgedruckt: ebd., S. 449-451. Vgl. FAZ, 29.6.1985; SZ, 1.7.1985.
204
DIE NEUBELEBUNG DES INTEGRATIONSPROZESSES
tale Unterschied zwischen beiden Vorschlägen war allerdings offensichtlich: Premierministerin Thatcher warb für ein „Gentleman's Agreement", für praktische Schritte bei der Ausfüllung der schon bestehenden Verträge, 1 1 während Deutsche und Franzosen — und mit ihnen die anderen Gründerstaaten der E G - weitergehende vertragliche Verpflichtungen forderten, verbunden mit europapolitischen Bekenntnissen. Auch im Hinblick auf die Öffentlichkeit, die lange Jahre hindurch nur kleine, pragmatische Schritte wahrgenommen hatte, sollte jetzt ein neuer Vertrag ausgearbeitet werden, mit dem eine Europäische Union, deren Institutionen und Führungsmechanismen, ins Leben gerufen werden sollte. 12 Eine Verfassung für Europa, so meinten die sechs Gründerstaaten, sei das Gebot der Stunde. Zu diesem Zweck, so befanden sie, müsse eine Regierungskonferenz einberufen werden. An diesem Punkt der Diskussionen in Mailand war die Gefahr groß, daß sich die Gemeinschaft in zwei Teile spalten könnte. Das „Europa der zwei Geschwindigkeiten" schien nicht fern. Großbritannien wandte sich, gemeinsam mit Griechenland und Dänemark, vehement gegen die Einberufung einer derartigen Regierungskonferenz. Der Kompromißwille der anderen E G Staaten, der jahrelang im Streit um die Fischereipolitik der E G sowie die Beitragszahlungen der Briten an den Haushalt der Gemeinschaft strapaziert worden war, schien erschöpft. Dennoch gelang es, das Auseinanderbrechen der E G in einen Kreis der integrationswilligen Gründerstaaten, die für größere Fortschritte plädierten, und einen kleineren Kreis um Großbritannien, Dänemark und Griechenland, die langsamer voranschreiten wollten, zu vermeiden: Der italienische Präsident ließ kurzerhand über einen Antrag des deutschen Außenministers abstimmen; die Minderheit wurde überstimmt, eine Regierungskonferenz zur Ausarbeitung einer Verfassung für die Europäische Union wurde mit Mehrheit für September 1985 einberufen. 1 3
" „Wir sind sehr praktisch veranlagte Leute. Wir hatten mit unseren Partnern verhandelt und wir waren bereit, Entscheidungen zu treffen, die Fortschritt in der Gemeinschaft bei den praktischen Schritten nach vorn bedeutet hätten - praktische Schritte innerhalb der bestehenden Gemeinschaft darüber, wie Entscheidungen am besten zu treffen sind, praktische Schritte beim Binnenmarkt, praktische Schritte bei der technologischen Zusammenarbeit, praktische Schritte bei der Frage, wie man politisch am besten zusammenarbeitet." So Premierministerin Thatcher auf ihrer Pressekonferenz in Mailand am 29.6.1985, abgedruckt in: EA, 16/1985, S. D 460.
12
Das „Europa der Bürger", das der in Fontainebleau eingesetzte Adonnino-Ausschuß ausgearbeitet hatte und das sich ausdrücklich mit praktischen Vorschlägen an die europäische Bevölkerung wandte, wurde in Mailand zwar gebilligt, war für eine Einbeziehung in einen derartigen Vertrag aber nicht mehr vorgesehen. Vgl. Rudolf Hrbek, Thomas Läufer, Die Einheitliche Europäische Akte, in: EA, 6/1986, S. 175, sowie grundsätzlich Bernd Janssen, Das Europa der Bürger. Der „kleine Bruder" im Abseits - Zur Arbeit des Adonnino-Ausschusses, in: Integration, 4/1985, S. 165-173. 1 3 Entwurf eines Mandats für die zwischenstaatliche Konferenz, abgedruckt in: EA, 16/1985, S. D 452. Vgl. auch die Schlußfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates in Mailand, abgedruckt: ebd., S. D 456-460. Zur Bewertung des Gipfels von Mailand vgl. besonders Heinz
205
DER GIPFEL V O N LUXEMBURG
Die britische Premierministerin, die diese Regierungskonferenz auf dem Mailänder Gipfel zunächst abgelehnt hatte, fand sich schon drei Tage später bereit, die Teilnahme ihres Landes an den Beratungen zu gestatten: Falls es in deren Verlauf zu einer vertraglichen Revision der Römischen Verträge käme, müßten diese aber in jedem Falle dem Unterhaus zur Entscheidung vorgelegt werden; eine Absage Großbritanniens an die Reform der Gemeinschaft wäre dann immer noch möglich gewesen. Griechenland und Dänemark zogen daraufhin ihre Ablehnung der Regierungskonferenz ebenfalls zurück.
Herbeiführung
konkreter Fortschritte auf dem Gipfel von
Luxemburg
Am 9. und 10. September trafen sich in Luxemburg die Außenminister aller EG-Mitgliedstaaten sowie der beitrittswilligen Länder Spanien und Portugal zur ersten Regierungskonferenz „zur Herbeiführung konkreter Fortschritte auf dem Weg zur Europäischen Union". 1 4 Die Minister setzten sich selbst unter Zeitdruck, indem sie beschlossen, bis zum Dezember 1985 Textentwürfe auf der Grundlage der Vorschläge des Dooge-Berichts sowie der Beratungen des Mailänder Gipfels vorzulegen, die dann auf dem Gipfeltreffen in Luxemburg am 2. und 3. Dezember 1985 beraten und in Vertragsform gebracht werden sollten. In den folgenden drei Monaten wurde auf mehreren intergouvernementalen Konferenzen über den Inhalt der Reformen hart gerungen. Die Kluft zwischen den Ländern, die sich in ihren Forderungen weitgehend an den Vorschlägen des Europäischen Parlaments aus dem Jahre 1984 (Spinelli-Initiative) orientierten, und den Ländern, die Vertragsänderungen im Grunde ablehnten, schien zu wachsen. Im Vorfeld des Luxemburger Gipfels wurden zahlreiche Stimmen laut, die die vorliegenden Texte als enttäuschend beurteilten, wie z.B. Kommissionspräsident Delors, Vertreter Italiens und der Benelux-Länder sowie zahlreiche Europa-Parlamentarier. Der Vorsitzende des institutionellen Ausschusses des EP, Altiero Spinelli, wagte die Voraussage, daß die vorliegenden Vereinbarungen vom Europäischen Parlament wohl nicht gebilligt werden könnten. Delors hielt es sogar für möglich, daß der Gipfel scheitern könnte - was in seinen Augen sogar ein besseres Ergebnis zu sein schien als eine Einigung auf
Kramer, Die Situation der Europäischen Integration nach der Tagung des Europäischen Rates in Mailand, Ebenhausen (SWP-LN 2442), August 1985; Otto Schmuck, Wolfgang Wessels, Die Mailänder Tagung des Europäischen Rats - Weder Fehlschlag noch Durchbruch zur Europäischen Union, in: Integration, 3/1985, S. 95-102; Heinz Kramer, Die Europäische Gemeinschaft auf neuen Wegen? Wird die Regierungskonferenz eine Revision der Gründungsverträge bringen?, in: EG-magazin, Nr. 8/15.11.1985, S. 4-6. 1 Vgl. FAT., 9.9.1985; Heinz Stadlmann, Luxemburgs Außenminister entdeckt eine historische Dimension, in: FA2, 11.9.1985; FAZ, 20.9.1985.
206
DIE NEUBELEBUNG DES INTEGRATIONSPROZESSES
die bis dahin erzielten geringen Reformerfolge. 1 5 Auch ein Vorbereitungstreffen der Außenminister im Vorfeld des Gipfels brachte nicht den erhofften Durchbruch. Die zahlreichen strittigen Punkte wurden den Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfel in Luxemburg zur weiteren Beratung vorgelegt. Nach dreißigstündigen intensiven Diskussionen legten sie ein Reformpaket vor, das den gemeinsamen Nenner aller beteiligten Regierungschefs widerspiegelte. Verabschiedet werden konnten die Verhandlungsergebnisse noch nicht; die Beratungen wurden bis Ende Januar 1986 fortgeführt. 1 6
DIE EINHEITLICHE EUROPÄISCHE AKTE17 Die Luxemburger Reformvorschläge erhielten die Bezeichnung „Einheitliche Europäische A k t e " , eine im deutschen bedauerlicherweise wenig publikumswirksame Ubersetzung des französischen Begriffs „Acte Unique". Die „feierliche Unterzeichnung" am 17. Februar 1986 war alles andere als ein vor der Öffentlichkeit hervorzuhebender Erfolg: N u r neun der inzwischen zwölf Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft unterzeichneten die Revision der Gründungsverträge der E G . Dänemark, Griechenland sowie Italien machten Vorbehalte geltend. Das Europäische Parlament, das am 16. Januar in einer Entschließung bedauert hatte, daß es von den Beratungen der Regierungschefs über die institutionelle Reform der E G ausgeschlossen war, und die fehlende Demokratie sowie „Unklarheiten und Mängel" der Europäischen Akte hervorhob, 1 8 war nur durch seinen Vizepräsidenten, die E G Kommission ebenfalls nur durch Stellvertreter des Präsidenten vertreten. Es wurde deutlich, daß sich der minimalistische Reformansatz durchgesetzt hatte; zu mehr als zu begrenzten Schritten zur intensiveren Zusammenarbeit in der E G hatten die Regierungen sich nicht durchringen können. In Dänemark, dem wie Griechenland die Reformen zu weitgehend erschienen, fand am 27. Februar 1986 ein Referendum zur Reform-der Europäischen Gemeinschaft statt. Mit einer Mehrheit von 56,2 Prozent sprachen sich die Dänen überraschend deutlich für das Reformpaket aus. Griechenland, dem weitere Zahlungen im Rahmen des integrierten Mittelmeer-Programms zugesprochen worden waren, gab ebenfalls seine Vorbehal-
15
Vgl. FAZ, 27. und 28.11.1985.
Die Schlußfolgerungen des Luxemburger Gipfels sind in abgedruckt in: EA, 6/1986, S. D 157-159. Vgl. auch: Jean-Paul Jacque, Ein neuer „Luxemburger Kompromiß"? Der Europäische Rat und die Reform der Gemeinschaft, in: Integration, 1/1986, S. 26-33. 16
17
Text abgedruckt in: EA, 6/1986, S. 163-182.
18
Ebd., S. D 161 f.
INHALTLICHE SCHWERPUNKTE DER EEA
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te auf. Italien, dem die EEA nicht weit genug ging, wollte letztendlich für das Scheitern des Reformpakets nicht verantwortlich gemacht werden, da es selbst ja auf seiten des Fortschritts stand. So wurde am 28. Februar 1986 die EEA auch von diesen drei Ländern noch unterzeichnet. Der Ratifizierungsprozeß in den nationalen Parlamenten, der ursprünglich bis zum 31. Dezember 1986 abgeschlossen sein sollte, zog sich allerdings noch bis in das Jahr 1987 hin.
Inhaltliche
Schwerpunkte
der EEA
Schon in der Präambel des Vertragswerks sprechen die Unterzeichnerstaaten von ihrem Willen, die Europäische Gemeinschaft in eine Europäische Union umzuwandeln. Die Änderungen und Ergänzungen der Römischen Verträge sowie die wichtigsten neuen Vertragsbestimmungen, auf die sich alle EG-Mitgliedstaaten sowie Spanien und Portugal, die am 1. Januar 1986 der E G beitraten, geeinigt hatten, sind, kurz zusammengefaßt, die folgenden: - Binnenmarkt: Dieser „Markt ohne Grenzen" soll bis Ende 1992 geschaffen werden. Dies bedeutet unter anderem: Angleichung von Standards und Normen, eine gemeinsame Verkehrspolitik, ein gemeinsamer Versicherungsmarkt, Telefon- und Kabelnetzangleichung, Rechtsangleichung bei Steuern. Nicht Harmonisierung bzw. Angleichung um jeden Preis gilt als Grundvoraussetzung für die Schaffung des Binnenmarkts; die Anerkennung von Standards, wie sie in einem anderen EG-Land gehandhabt werden (ohne daß sie mit den eigenen Normen deckungsgleich übereinstimmen), reicht in vielen Fällen aus. Nationale Schutzniveaus werden somit gesichert, ohne daß sie Hindernisse bei der Schaffung europäischer Normen darstellen. - Mehrheitsentscheidungen: Bei etwa 200 von 300 Beschlüssen, die im Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarkts vorgesehen sind, reicht eine qualifizierte Mehrheit im Ministerrat aus. 19 Dennoch kann jedes Land (allerdings unter erschwerten Bedingungen) weiterhin sein „vitales Interesse" geltend machen, wenn ein Mehrheitsbeschluß droht, es zu überstimmen. - Europäisches Währungssystem: Zwar wird die Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Währungspolitik in der EEA aufgeführt, aber konkrete weitere Entwicklungen - wie z.B. der Ausbau des Ecu als Währungs- und
19
D a s sind bei B e s c h l ü s s e n , die auf V o r s c h l a g der K o m m i s s i o n gefaßt w e r d e n , 5 4 von 76
S t i m m e n . D i e B u n d e s r e p u b l i k , F r a n k r e i c h , G r o ß b r i t a n n i e n und Italien verfügen ü b e r je zehn S t i m m e n , Spanien ü b e r a c h t , B e l g i e n , G r i e c h e n l a n d , die N i e d e r l a n d e und P o r t u g a l ü b e r j e f ü n f S t i m m e n , D ä n e m a r k und Irland ü b e r je drei und L u x e m b u r g ü b e r zwei S t i m m e n , also eine G e s a m t s t i m m e n z a h l von 7 6 .
208
DIE NEUBELEBUNG DES INTEGRATIONSPROZESSES
nicht nur als Rechnungseinheit, wie er von Frankreich gefordert wurde werden nicht ausdrücklich aufgeführt. Die deutsche Bundesregierung nahm ebenso wie Großbritannien bei diesem Punkt eine eher bremsende Haltung ein. - Europäisches Parlament: Dem EP wird ein „abgestuftes, stärkeres Mitentscheidungsrecht" beim Binnenmarkt zugestanden - ein enttäuschendes Ergebnis, das die hochgespannten Erwartungen der Europa-Abgeordneten nicht erfüllte. Bei allen Entscheidungen behält das letzte Wort der Ministerrat. - Europäische Politische Zusammenarbeit: Die EPZ wird erstmals auf eine völkerrechtlich verbindliche Grundlage gestellt. Zur Verbesserung des Aktionsrahmens und der Arbeitsbedingungen wurde der Vorschlag zur Errichtung eines EPZ-Sekretariats in Brüssel angenommen, trotz Protesten der EG-Kommission, die sich gegen ein eigenständiges EPZ-Sekretariat außerhalb der EG-Institutionen ausgesprochen hatte. - Sicherheit: Zum erstenmal ist vertraglich festgelegt, daß „eine engere Zusammenarbeit in Fragen der europäischen Sicherheit geeignet ist, wesentlich zur Entwicklung einer außenpolitischen Identität Europas beizutragen". Von einer Verpflichtung auf eine „gemeinsame europäische Sicherheitspolitik" kann aber noch nicht die Rede sein. - Forschung, Technologie und Umweltschutz: Die Aufnahme sowohl der Forschungs- und Technologiepolitik als auch der Umweltpolitik in die EEA zeigt die Bedeutung, die man diesen. Bereichen für die Zukunft beimaß. Die finanzielle Ausstattung in den entsprechenden Fonds ist allerdings gering. Das europäische Technologieprojekt „EUREKA", das (im Gegensatz zu SDI) auf zivile Projekte beschränkt ist, steht nicht nur EG-Ländern offen. Die Koordinierung der EUREKA-Vorhaben ist nicht bei der EG-Kommission angesiedelt. 20
Beurteilung der EEA Kritiker des Reformwerks wenden ein, die in der EEA verankerten Verpflichtungen aller zwölf EG-Länder auf weitere Fortschritte im Hinblick auf die Schaffung einer Europäischen Union seien äußerst gering. So ist das Ziel der Schaffung des Binnenmarkts bis 1992 rechtlich nicht bindend. Die sicherheitspolitischen Anmerkungen bleiben weit hinter den ursprünglichen Genscher-Colombo-Forderungen zurück. Die Vorschläge im Bereich der Währungsunion nehmen sich recht bescheiden aus, bedenkt man den Vgl. zur deutsch-französischen Initiative zur Schaffung einer europäischen Technologiegemeinschaft EA, 2/1986, S. D 28-34, sowie Christian Deubner, E U R E K A - eine erste Bilanz. Nationale oder europäische Technologie-Politik?, in: Dokumente, 2/1987, S. 102-111.
DER RATIFIZIERUNGSPROZESS DER EEA
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mutigen ersten Schritt, den Präsident Giscard d'Estaing und Bundeskanzler Helmut Schmidt 1978 gegen den erklärten Willen der Zentralbanken in ihren Ländern getan haben. Wesentliche Bereiche, die für die Schaffung des Binnenmarkts notwendig sind, bleiben von der Regelung einer qualifizierten Mehrheitsentscheidung ausgespart. Ein schleppender Umgang mit den entsprechenden Paragraphen ist deshalb vorprogrammiert. 21 Dagegen ist zu berücksichtigen, daß ein Mehr an europäischer politischer Integration zur Jahreswende 1985/86 unter den zwölf Staaten nicht konsensfähig war. Eine Spaltung der EG in ein Europa der zwei Geschwindigkeiten wurde bewußt vermieden, auf Kosten tiefergehender europäischer Fortschritte. Im Vergleich zu den Reformvorschlägen der sechziger und siebziger Jahre, die alle, wie z.B. der Tindemans-Bericht, in der Schublade verschwanden, stellt allein die Tatsache, daß die EEA verabschiedet werden konnte, einen beachtlichen Fortschritt dar. 22 Europäische Idealisten konnten damit sicherlich nicht zufrieden sein; Realisten mußten anerkennen, daß mehr zu diesem Zeitpunkt nicht möglich war. Ein Hinauszögern des Reformwerks, um größere Fortschritte in einigen Bereichen zu erzielen, hätte eine bessere Lösung nicht erbracht: Bevorstehende Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich 1986, sowie in Großbritannien 1987, hätten dies von vornherein ausgeschlossen. Der Ratifizierungsprozeß der EEA
Das Land, dessen Parlament der EEA am skeptischsten gegenübergestanden hatte, nämlich Dänemark, ratifizierte als erstes nach erfolgtem Referendum. Das Land, dessen Regierungsvertreter die größten europapolitischen Hoffnungen und Erwartungen in der Bevölkerung geweckt hatten, nämlich die Bundesrepublik Deutschland, tat sich mit der Ratifizierung besonders schwer. Unter Führung des bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, in engem Schulterschluß mit den von der SPD regierten Bundesländern, wurde laute Kritik an der EEA geübt. Die Ministerpräsidenten der Bundesländer befürchteten Eingriffe in ihre Kompetenzen in Bereichen wie
Vgl. hierzur vor allem Hrbek/Läufer, a.a.O. (Anm. 12), S. 173-184; Wolfgang Wessels, Die Einheitliche Europäische Akte. Zementierung des Status quo oder Einstieg in die Europäische Union?, in: Integration, 2/1986, S. 65-79; Werner Weidenfeld, Die Einheitliche Europäische Akte, in: Außenpolitik, 4/1986, S. 375-383, sowie die entsprechenden Beiträge im Jahrbuch der Europäischen Integration 1985, hrsg. von Werner Weidenfeld und Wolfgang Wessels, Bonn 1986. 22
Vgl. Philippe de Schoutheete, Le rapport Tindemans: dix ans après, in: Politique Etrangère, Nr. 2/1986, S. 527-538, der in der EEA die Festschreibung der politischpragmatischen Vorschläge des Tindemans-Berichts von 1966 sieht.
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DIE NEUBELEBUNG DES INTEGRATIONSPROZESSES
Umweltschutz, Forschung und Bildungspolitik. Sie wollten deshalb die Bundesregierung in einem Zustimmungsgesetz zur Europäischen Akte zwingen, bei EG-Beschlüssen, bei denen die Gesetzgebungsbefugnisse oder die Interessen der Länder tangiert würden, die Stellungnahmen der Länder einzuholen. Dies allerdings hätte eine Einschränkung der europapolitischen Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik zur Folge gehabt. Den Auseinandersetzungen zwischen Bundesregierung und den Ministerpräsidenten der Länder, denen sich im Laufe des Jahres auch CDU-geführte Länder anschlössen, zogen sich bis Dezember 1986 hin. Dann erst einigten sich die Länder mit der Bundesregierung auf eine Kompromißformel, nach der die Bundesregierung „vor ihrer Zustimmung bei Beschlüssen der Europäischen Gemeinschaft, die ganz oder in einzelnen Bestimmungen ausschließlich Gesetzgebungsmaterien der Länder betreffen oder deren wesentliche Interessen berühren, dem Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme binnen angemessener Frist" gibt. 2 3 Die Bundesrepublik war allerdings nicht das letzte Land, das die E E A ratifizieren sollte. Griechenlands Zustimmung erfolgte erst im Februar 1987, und die irische Regierung konnte erst nach erfolgreichem Referendum im Juni 1987 - ein irischer Staatsbürger sah Irlands Neutralitätsstatus durch die Artikel zur E P Z gefährdet - das europäische Vertragswerk die parlamentarischen Hürden passieren lassen.
PROBLEME UND CHANCEN DER SÜDERWEITERUNG F Ü R DIE EG24 Seit dem 1. Januar 1986 sind Spanien und Portugal Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft, die nunmehr zwölf Mitgliedstaaten mit insgesamt 320 Millionen Einwohnern umfaßt. Nach siebenjährigen Verhandlungen hatten die Staats- und Regierungschefs auf dem Brüsseler Gipfel im März 23
Vgl. Renate Hellwig, Die Rolle der Bundesländer in der Europa-Politik. Das Beispiel der Einheitlichen Europäischen Akte, in: EA, 10/1987, S. 297-302; Edmund Stoiber, Auswirkungen der Entwicklung Europas zur Rechtsgemeinschaft auf die Länder der Bundesrepublik Deutschland, in: EA, 19/1987, S. 543-552; Rudolf Hrbek, Die deutschen Länder in der EG-Politik, in: Außenpolitik, 2/1987, S. 120-132, Georg-Bernd Oschatz, Horst Ritter, Europäische Integration und deutscher Föderalismus, in: EA, 1/1988, S. 9-16, sowie FAZ, 13.2.1986 und FAZ, 27.11.1986. 2 4 Zur Vorgeschichte des Beitritts vgl. Beate Kohler, Die EG vor der Süderweiterung, in: IP 1977/78, S. 163-177. Vgl. zum Beitritt Spaniens und Portugals zur E G vor allem Heinz Stadlmann, Die Süderweiterung der Europäischen Gemeinschaft, in: EA, 5/1986, S. 129-136; L'Espagne et le Portugal dans la CEE. Interrogations et enjeux. Etude réaliseé par le Centre de Documentations et de Recherche européennes de l'Université de Rennes I, in: Notes et Etudes Documentaires, Nr. 4819, 19-1986; Anton P. Müller, Portugal und Spanien in der Europäischen Gemeinschaft. Politische Lage, ökonomisches Potential und wirtschaftspolitische Problembereiche der neueren Mitgliedsländer, in: API, B 8/1986, S. 3-12.
SPANIEN
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1985 über den Beitritt Einigung erzielt, und am 12. Juni 1985 wurden die Beitrittsverträge in Madrid und Lissabon unterzeichnet. Der Ratifizierungsprozeß der 900 Seiten umfassenden Verträge wurde in den nationalen Parlamenten der EG-Staaten zügig vorangetrieben. An den Beratungen über die Einheitliche Europäische Akte waren beide Länder von Anfang an, also schon vor ihrem Beitritt, beteiligt. Eventuellen Anderungswünschen dieser beiden Länder nach ihrem Beitritt wurde damit vorgebeugt.
Spanien Spanien, mit einer Bevölkerung von etwa 37 Millionen, liegt auf dem zehnten Platz der Weltrangliste der Industrieländer. Die Landwirtschaft nimmt mit etwa 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Spanien einen besonders wichtigen Platz ein: EG-Durchschnitt: 3,5 Prozent. Durch Spaniens Beitritt stieg die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in der E G um ein Drittel, die Obsterzeugung um 48 Prozent, die Olivenölproduktion um etwa 60 Prozent. Die spanische Fischereiflotte, die drittgrößte der Welt, ist umfangreicher als die Hälfte aller EG-Fischereiflotten zusammengenommen. Als siebtgrößter Stahlexporteur der Welt ist Spanien ein ernstzunehmender Konkurrent auf dem Stahlmarkt. Zum Zeitpunkt seines Beitritts hatte Spanien eine Arbeitslosenrate von einem Fünftel der erwerbstätigen Bevölkerung und eine Inflationsrate von 9 Prozent. Politisch unterhielt es engere Beziehungen zu den arabischen Ländern, nahm aber am 22. Januar 1986 (als erste Folge seines Beitritts zur E G ) diplomatische Beziehungen mit Israel auf. Seit 1970 unterhielt Spanien ein Präferenzabkommen mit der E G ; sein Antrag auf Mitgliedschaft wurde im Juli 1977 gestellt.
Portugal Portugal ist bei einer Bevölkerung von circa 10 Millionen das wirtschaftlich ärmste Land der E G . Zum Zeitpunkt des Beitritts hatte es die Eingliederung von etwa 600 000 Rückkehrern aus seinen ehemaligen Kolonien noch nicht verkraftet, was sich in einer besonders hohen Arbeitslosenquote von über 20 Prozent niederschlug. Die Landwirtschaft macht 8 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus, ist aber im Vergleich zu anderen EG-Staaten sehr rückständig: über 50 Prozent aller Lebensmittel müssen noch importiert werden. Mit Hilfe von EG-Krediten (sowie einem Kredit des IWF) gelang es noch vor dem Beitritt, die Inflationsrate auf 21 Prozent einzudämmen. Portugal unterhielt seit 1972 ein Präferenzabkommen mit der E G und stellte im März 1977 den Antrag auf Mitgliedschaft. Die offiziellen Verhandlungen begannen allerdings erst Ende 1978.
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DIE NEUBELEBUNG DES INTEGRATIONSPROZESSES
Die lange Zeit der Verhandlungen (über sieben Jahre) beruhte darauf, daß die EG-Kommission und die Staats- und Regierungschefs nicht (wie beim Beitritt von Großbritannien, Irland und Dänemark 1973) eine Strategie anwenden wollten, bei der die Probleme erst nach dem Beitritt akut wurden. Alle eventuellen Schwierigkeiten sollten schon vorher ausgeräumt bzw. geregelt werden, indem Übergangsmaßnahmen und Ausnahmeregelungen getroffen wurden. Zwischen 1981 und 1985 erhielten Spanien und Portugal jeweils 550 Millionen Ecu für den Ausbau ihrer Mittel- und Kleinbetriebe, die Energieversorgung, die Verkehrsinfrastruktur und den Fremdenverkehr. Chancen der
Süderweiterung
Zum einen erhofften sich die übrigen EG-Länder durch den Beitritt von Spanien und Portugal eine Verstärkung des außenpolitischen Gewichts der EG, wobei die enge Verflechtung beider Länder mit Lateinamerika sowie ihre guten Kontakte zum arabischen Raum eine besondere Rolle spielten. Mit der Aufnahme beider Länder wurde die E G zum größten MittelmeerAnrainer und konnte ihre 200-Seemeilen-Fischereizone ausdehnen. Sowohl Spanien als auch Portugal waren Mitglieder des Atlantischen Bündnisses, wenngleich Spanien sich in einem Referendum am 12. März 1986 dafür entschied, der militärischen Integration der N A T O fernzubleiben. Eine Stärkung der Südflanke der N A T O schien in jedem Fall gewährleistet. Zum andern war für die EG wichtig, daß durch den Beitritt dieser beiden Länder neue, große Absatzmärkte geschaffen wurden. Dies bedeutete, bei Zunahme des Wirtschaftswachstums und der Kaufkraft in Spanien und Portugal, die Sicherung von Arbeitsplätzen in den anderen Mitgliedstaaten sowie die Steigerung des innergemeinschaftlichen Handels. Die dritte Chance, die sich für die beiden iberischen Länder als entscheidend für ihren Antrag herausstellte, war die Stützung der demokratischen Entwicklung dieser beiden Länder durch ihre Zugehörigkeit zur E G . Probleme der
Süderweiterung
Der institutionelle Bereich der E G wurde durch die beiden neuen Mitglieder relativ gering belastet: Die EG-Kommission erhielt drei weitere Mitglieder (zwei Spanier, einen Portugiesen), deren Aufgabenbereiche jedoch nicht besonders umfangreich und zum Teil unscharf formuliert sind. Da sich die Staats- und Regierungschefs auch in der E E A nicht auf einen Kommissar pro Land einigen konnten, wurde die Kommission dadurch weiter aufgebläht. In allen EG-Organen mußten insgesamt 1 700 neue Planstellen geschaffen werden, zu Lasten vor allem der Gründungs-Mitgliedstaaten. Durch die Hinzunahme zweier neuer Sprachen wurde der Dolmetscher-
PROBLEME DER SÜDERWEITERUNG
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bzw. Übersetzerapparat, der bislang schon ein Drittel der Bediensteten der gesamten E G einnahm, noch umfangreicher. Das Europäische Parlament wuchs mit 60 spanischen und 24 portugiesischen Abgeordneten auf insgesamt 518 Abgeordnete an; der Wirtschafts- und Sozialausschuß der E G umfaßte seit 1. Januar 1986 189 Mitglieder, darunter 21 Spanier und 12 Portugiesen; der Gerichtshof der E G besteht nun aus 13 Richtern, darunter je einem aus Portugal und Spanien. Für den wirtschaftlichen Bereich, besonders für den freien Warenverkehr, wurden Ubergangszeiten ausgehandelt. Besonders im Bereich der Klein- und Mittelbetriebe zeichneten sich Schwierigkeiten ab, da diese seit dem 1. Januar 1986 der Konkurrenz anderer EG-Staaten ausgesetzt wurden. Für eine Ubergangszeit wurden für bestimmte Produkte, die auf E G - N o r m umgestellt werden müssen, Sonderregelungen zugelassen. Die Zölle sollen innerhalb von sieben Jahren nach und nach abgebaut werden (für beide Länder wurden spezielle Zeitpläne erstellt). Die meisten Handelsbeschränkungen für Waren aus der E G wurden in beiden Ländern sofort aufgehoben, bei einigen wenigen Produkten (z.B. Farbfernsehern, Traktoren, Nähmaschinen) wurden drei- bis vierjährige Übergangsfristen ausgehandelt. Für die Einfuhr aus beiden Ländern in andere EG-Staaten wurden kritische Sektoren wie Textilien und Stahl Beschränkungen unterworfen, damit die E G mit diesen Produkten nicht überschwemmt wurde. Mit Beitrittsdatum vom 1. Januar 1986 wurde in Spanien die Mehrwertsteuer eingeführt, in Portugal wurde dies für den 1. Januar 1989 vorgesehen. Der landwirtschaftliche Bereich wurde durch den Beitritt der beiden iberischen Länder besonders betroffen. Die Landwirtschaftspolitik der E G , schon seit Jahren berechtigter Kritik ausgesetzt, erhielt neuen Zündstoff durch die Hinzunahme von 2,8 Millionen Bauern aus diesen beiden Ländern. Einer Umschulung dieser Bevölkerungsgruppe wurde wegen der hohen Arbeitslosigkeit in der E G (15,8 Millionen zu Beginn des Jahres 1986) keine Chance gegeben. Für Zitrusfrüchte, Obst und Gemüse, Olivenöl, Milch, Rindfleisch und Weichweizen wurde eine Übergangszeit von 10 Jahren ausgehandelt, bis diese Produkte zollfrei in die E G eingeführt werden können (bei Wein sieben Jahre). Auch im Bereich der Fischerei waren durch den Beitritt der beiden Länder große Probleme vorprogrammiert: die Zahl der Fischer verdoppelte sich; die Fischereikapazität nahm um 75 Prozent zu; die Erzeugung für den Nahrungsverbrauch stieg um 45 Prozent. Zwei Drittel der spanischen und 25 Prozent der portugiesischen Flotte fischen außerhalb der eigenen Gewässer vor allem in den Hoheitszonen der anderen E G Länder. V o r der britischen Küste wurden Sonderzonen eingerichtet, zu denen spanische und portugiesische Fischer erst ab 1996 Zugang erhalten. Von den 300 spanischen (veralteten) Fischkuttern, die überhaupt in E G Gewässern fischen können (1982: 130), dürfen nur 150 zur gleichen Zeit fischen.
214
DIE NEUBELEBUNG DES INTEGRATIONSPROZESSES
Auch im sozialen Bereich wurden Übergangszeiten der Anpassung ausgehandelt, damit es nicht sofort nach Beitritt zu Spannungen zwischen den EG-Ländern und den beiden Neuankömmlingen kam. Erst nach sieben Jahren erhalten spanische und portugiesische Arbeitnehmer das Recht auf Arbeit und Niederlassung in einem E G - L a n d ihrer Wahl. Danach sind Einschränkungen möglich; so könnte ab 1992 eine Einwanderungserlaubnis vom Nachweis einer Arbeitsstelle im betreffenden E G - L a n d abhängig gemacht werden. Für die Regelungen von Arbeitslosengeld, Mutterschutz sowie Kindergeld wurden ebenfalls graduelle Anpassungen ausgehandelt. U m die Probleme des Beitritts von Spanien und Portugal auf die anderen EG-Länder zu mindern, hatte die E G schon 1984 beschlossen, ab 1. Januar 1986 ihre Eigeneinnahmen heraufzusetzen, von bislang 1 Prozent der Mehrwertsteuer auf 1,4 Prozent. Ebenfalls wurden verstärkte Beihilfen aus dem Agrar-, Regional- und Sozialfonds bereitgestellt. Für die portugiesische Landwirtschaft stellte die E G ein Entwicklungsprogramm von 700 Millionen Ecu für zehn Jahre zur Verfügung. Gleichfalls beschloß die EG-Kommission nach der Zustimmung zum Beitritt der beiden Länder im März 1985, ein integriertes Mittelmeer-Programm zu verabschieden, das den südlichen Ländern Griechenland, Frankreich und Italien zugute kommen sollte, die von der Erweiterung Absatzeinbußen ihrer Produkte zu erwarten hatten; dieses Strukturprogramm hat eine Laufzeit von sieben Jahren und einen Umfang von circa 6,6 Milliarden Ecu. Hinzu kam eine Anleihe von ungefähr 4 Milliarden Ecu von der Europäischen Investitionsbank. Griechenland, so wurde beschlossen, erhielt von der Gesamtsumme etwa 3,2 Milliarden Ecu verteilt auf sieben Jahre; Frankreich und Italien zusammen die übrige Summe. Somit wurde - nach langem Tauziehen - vermieden, daß an Griechenlands Einspruch der Beitritt der beiden iberischen Länder scheiterte. Wenngleich die Probleme, die der Beitritt Spaniens und Portugals zur Europäischen Gemeinschaft mit sich brachte, im wirtschaftlichen, landwirtschaftlichen und sozialen Bereich die gesamte E G vor schwierige Zukunftsaufgaben stellten, war im politischen Bereich schon 1985, besonders aber nach dem Beitritt 1986 eine allgemeine Zufriedenheit mit der Aufnahme der beiden Länder in den Kreis der E G nicht zu übersehen. Bei der Entstehung der Einheitlichen Europäischen Akte arbeiteten beide Länder konstruktiv mit. Durch ihre europapolitisch zustimmende Haltung bei allen im Berichtszeitraum anstehenden europäischen Fragen gelang es ihnen auch, besonders Griechenland von seiner bislang bremsenden Sonderrolle abzubringen; dies zeigte sich zunehmend im Rahmen der E P Z . Insgesamt brachte der 1986 erfolgte Beitritt Spaniens und Portugals für die anderen E G - L ä n d e r weniger Schwierigkeiten mit sich als der Beitritt Großbritanniens, Irlands und Dänemarks im Jahre 1973.
V ENTWICKLUNGEN IN OST- UND SÜDOSTEUROPA
N E U B E G I N N IN DER S O W J E T U N I O N Von Eberhard
Schulz
DER G E N E R A T I O N S W E C H S E L Nur einmal in der Geschichte der Sowjetunion hat ein Führungswechsel so nachhaltige Auswirkungen auf die Entwicklung der Politik gehabt wie im März 1985: im März 1953 nach dem Tode Stalins. Damals war die persönliche Diktatur Stalins, die den sowjetischen Machtbereich in eine totale Isolation von der Außenwelt geführt hatte, notgedrungen durch eine „kollektive Führung" seiner Nachfolger abgelöst worden, die nun - auf diese Aufgabe völlig unvorbereitet - die Stabilität des Riesenreiches erhalten sollten und eine Form des Modus vivendi mit der Außenwelt suchen mußten. Staats- und Parteichef Konstantin Tschernenko, der am 10. März 1985 starb, war kein Diktator gewesen; seine Machtfülle hatte sich sogar in engen Grenzen gehalten. Mit ihm endete nun eine Ära der überalterten Generation, die Leonid Breshnew verkörpert hatte. So leitete der Machtübergang zu dem neuen Generalsekretär Michail Gorbatschow auch einen Generationswechsel ein. Die neue Führungsequipe, die sich allmählich herausbildete, setzte sich zum ersten Mal aus Persönlichkeiten zusammen, die in der Zeit Stalins noch keine eigene politische Verantwortung getragen hatten. Damit eröffnete sich die Aussicht, daß die sowjetische Politik langfristig nicht nur die skrupellosen, ja vielfach verbrecherischen Herrschaftsmethoden im Innern hinter sich lassen, sondern von dem immer noch stark durch eine revolutionäre
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NEUBEGINN IN DER SOWJETUNION
Ideologie beeinflußten Verhältnis zum Ausland den Weg zu einer „normalen" Außenpolitik finden könnte. 1 Vor allem aber betrat mit Gorbatschow eine Führerpersönlichkeit die Szene, die sich auffallend von all ihren Vorgängern abhob. Gorbatschow war gebildet und gewiß nicht weniger machtbewußt als Lenin, aber er setzte sich mit seinen Gegnern bei aller Entschiedenheit höflich und mit Geduld auseinander. An taktischem Geschick konnte er sich durchaus mit Stalin messen, aber anders als jener wußte er zu differenzieren, ohne in dessen Schwarz-Weiß-Malerei zu verfallen und ohne seine Macht skrupellos zu mißbrauchen. Wie Nikita Chruschtschow war er ein leidenschaftlicher Erneuerer, aber er handelte nicht sprunghaft oder gar kopflos. Er war nicht ein kranker Greis wie Jurij Andropow und Tschernenko, sondern gesund und fast so jung wie Lenin und Stalin bei Beginn ihrer Herrschaft. Freilich verlangte er solch radikale Veränderungen, daß viele in der Sowjetunion darin nur eine neue kurzlebige Kampagne vermuteten und abwarteten, anstatt sich, wie von Gorbatschow gefordert, mit eigener Initiative zu engagieren. Ein wirklicher Wandel war nach bisheriger Erfahrung einfach unwahrscheinlich.
Rascher Machtwechsel von Tschernenko zu
Gorbatschow
Tatsächlich wies schon der Machtwechsel einige Besonderheiten auf - er vollzog sich blitzschnell: Schon am 11. März, einen Tag nach dem Tod Tschernenkos, wurde Gorbatschow zu dessen Nachfolger gewählt. 2 Andrej Gromyko, der beauftragt worden war, dem Zentralkomitee (ZK) der Partei an diesem Tage die Wahl Gorbatschows zu empfehlen, berichtete in seiner
1 Vgl. Michail Gorbatschow, Perestroika, München 1987, sowie Zhores Medvedev, Gorbachev, Oxford 1986; Michel Tatu, Gorbatchev. L'URSS va-t-elle changer?, Paris 1987; Seweryn Bialer, Joan Afferica, The Genesis of Gorbachev's World, in: FA, 3/1985, S. 605 ff.; Der dritte Führungswechsel in Moskau. Von Tschernenko zu Gorbatschow (verschiedene Beiträge), in: OE, 6/1985; Heinz Brahm, Zwei Jahre Gorbatschow, in: Merkur, 7/1987, S. 557 ff. 2 Nach amtlichen Angaben starb Tschernenko am 10.3.1985 um 19.20 Uhr (Ortszeit, also um 16.20 Uhr GMT). Die sowjetische Bevölkerung wurde seit den frühen Morgenstunden des 11.3. durch getragene Musik im Radio auf das Ereignis vorbereitet und erfuhr davon in einer ersten Meldung um 14.00 Uhr (Ortszeit = 11.00 GMT). Schon um 11.30 Uhr (GMT) wurde bekanntgegeben, das ZK, das Präsidium des Obersten Sowjets und der Ministerrat hätten eine Beisetzungskommission mit Gorbatschow an der Spitze gebildet. Um 16.00 Uhr (GMT) teilte das sowjetische Fernsehen mit, das ZK habe Gorbatschow in einer außerordentlichen Plenarsitzung, die Gorbatschow als Sekretär des Z K selbst eröffnet habe, zu seinem Generalsekretär gewählt. (Alle Zeitangaben nach: Monitor-Dienst der Deutschen Welle, Osteuropa, 12.3.1985). Angesichts dieses Zeitrahmens konnte das ZK die entscheidenden Beschlüsse unmöglich in voller Zusammensetzung fassen - zumindest fehlten die als Diplomaten im Ausland stationierten ZK-Mitglieder.
217
MACHTWECHSEL VON TSCHERNENKO ZU GORBATSCHOW
R e d e , 3 das P o l i t b ü r o h a b e d e n V o r s c h l a g „ e i n m ü t i g " gefaßt „einstimmig"
w i e bei der W a h l
Andropows
nicht e t w a
und T s c h e r n e n k o s .
Daraus
k ö n n t e m a n schließen, daß der W a h l A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n v o r a u s g e g a n g e n w a r e n . 4 T a t s ä c h l i c h sickerte bald eine D a r s t e l l u n g d u r c h , 5 n a c h der sich i m Politbüro
zwei
gleich
starke
Lager
gebildet
hätten
und
Gromyko
V o r s i t z e n d e r m i t seiner S t i m m e den A u s s c h l a g für G o r b a t s c h o w
als
gegeben
h a b e , w ä h r e n d der u k r a i n i s c h e P a r t e i c h e f W l a d i m i r Schtscherbitskij -
im
B e g r i f f der R ü c k k e h r v o n einer A m e r i k a - R e i s e - an der A b s t i m m u n g n i c h t h a b e teilnehmen k ö n n e n . D i e s e D a r s t e l l u n g w a r h ö c h s t u n w a h r s c h e i n l i c h ; 6 daß sie aber den W e g in ausländische M e d i e n finden k o n n t e , deutet d a r a u f hin, d a ß sie v o n h ö c h s t e r Stelle b e w u ß t lanciert w u r d e , u m Stellung
als
Generalsekretär
zu
festigen. 7
Wahrscheinlicher
Gorbatschows ist,
daß
die
V e r e i n b a r u n g , G o r b a t s c h o w solle T s c h e r n e n k o ablösen, s c h o n im Z u s a m menhang
mit
dem
Tod
Andropows
-
möglicherweise
aufgrund
seines
V e r m ä c h t n i s s e s an die Partei - getroffen w o r d e n w a r . 8
3
Wortlaut der Rede in der redigierten, offiziellen Fassung in: OE, 1/1986, S. A 2 ff.
So z.B. implizit Boris Meissner, Der dritte Führungswechsel nach Breshnew, in: OE, 6/1985, S. 386. 5 Äußerungen des prominenten Dramatikers Michail Schatrow gegenüber einer finnischen Wochenzeitung, zitiert nach Jerry F. Hough, Gorbachev Consolidating Power, in: Problems of Communism, Juli/August 1987, S. 21 ff., hier S. 27, Anm. 19. Die Darstellung Medvedevs (a.a.O. [Anm. 1], S. 4 ff.) weicht von der Schatrows etwas ab - nicht aber bezüglich der Rolle Gromykos. 6 Zu diesem Schluß kommt schon Hough, ebd., S. 27. Den von ihm angegebenen Gründen sind weitere hinzuzufügen: Es gibt keinerlei Grund für einen Vorsitz Gromykos in der entscheidenden Sitzung (weder Dienstrang noch Seniorität im Politbüro oder Lebensalter). Gromyko hatte auch kaum einen Grund, sich für Gorbatschow auszusprechen, von dem er annehmen mußte, daß er seine festgefahrene Außenpolitik kritisieren würde. Die Annahme, daß man den abwesenden Schtscherbizkij einfach hätte übergehen können, ist abenteuerlich. 7 Gromyko wurde beauftragt, die Laudatio auf den neuen Kandidaten zu halten, möglicherweise weil er sich anfangs gegen Gorbatschow ausgesprochen hatte und nach stalinistischem Ritual zu dieser „Unterwerfungsgeste" gezwungen wurde. Träfe dies zu, hätte es für den Taktiker Gorbatschow nahegelegen, die oben erwähnte Darstellung in die Öffentlichkeit zu lancieren, um Gromyko zu versöhnen, wenn darin nicht überhaupt ein Teil einer Verabredung mit Gromyko zu sehen ist. Es sei nicht vergessen, daß Gorbatschows Gegner, Politbüromitglied Viktor Grischin, nach seinem Sturz bei Gromyko im Präsidium des Obersten Sowjets Unterschlupf fand, wie der Parteichef Moskaus, Boris Jelzin, berichtete. (Vgl. Le Monde, 16.7.1986.) 8 Dafür sprechen verschiedene Indizien: Ein Vergleich der jeweiligen amtlichen Verlautbarungen im Parteiorgan Kommunist (17/1982, 3/1984 und 5/1985) weist bemerkenswerte Unterschiede auf. Nach Breshnews Tod trat Andropow vor dem ZK mit großer Autorität auf. Seine Eröffnungsrede in der Plenarsitzung wurde abgedruckt. Der unterlegene Konkurrent, Tschernenko, mußte Andropow zur Wahl vorschlagen. Nach Andropows Tod wurde die Eröffnung der Sitzung durch Tschernenko zwar erwähnt, doch wurde nicht von einer Rede gesprochen. Nur seine Dankesrede nach der Wahl wurde abgedruckt. Darauf folgte ein kurzer (ebenfalls im Wortlaut abgedruckter) Appell Gorbatschows „im Namen des Politbüros" an das
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NEUBEGINN IN DER SOWJETUNION
Daß Gorbatschow während der Amtszeit Tschernenkos der zweite Mann in der Parteihierarchie war und das Sekretariat des ZK leitete, ist unbestritten.9 Weniger bekannt waren seine politischen Auffassungen, denn Gorbatschow hielt sich als kluger Taktiker mit eindeutigen Stellungnahmen zurück, solange er über keine gesicherte Machtbasis verfügte. So rühmte Gromyko in seiner Wahlrede den Kandidaten für das höchste Amt als einen Mann, der „auch Zwischenfarben, Zwischenglieder und Zwischenlösungen geben" könne. „Michail Sergejewitsch versteht es immer, Lösungen zu finden, die der Parteilinie entsprechen". Eben dies sei für Gorbatschow „das Hauptkriterium bei der Beurteilung der Position eines Genossen, einer Einrichtung oder bei der Beurteilung des jeweiligen Problems". 10 Gromyko bescheinigte Gorbatschow damit die Fähigkeit zum taktischen Kompromiß.
Konzeptionen
Gorbatschows
Eine in hohem Maße taktische, dennoch mutige Rede hatte Gorbatschow zum 113. Geburtstag Lenins am 22. April 1983 gehalten. Später berief er sich auf die Andeutungen, die er damals gemacht hatte.11 Die Zuhörer hätten seinen Hinweis auf Lenins Gedanken begeistert unterstützt; allerdings seien „einige" von seinem Bericht „nicht angetan" gewesen. In Wirklichkeit äußerten die Zuhörer nach der Wiedergabe in der Prawda keine Reaktion; wahrscheinlich war den meisten gar nicht aufgegangen, daß sich hier etwas Neues ankündigte. Daß Gorbatschow mit seiner Politik mehr im Sinn hatte als die üblichen Floskeln, ließ seine nächste große Rede erkennen, die er inzwischen zweiter Sekretär des ZK - auf einer „gesamtstaatlichen, wissenschaftlich-praktischen Konferenz" am 10. Dezember 1984, genau ein Vierteljahr vor seiner Machtübernahme, in Moskau hielt.12 Im Mittelpunkt dieser Rede standen innenpolitische, nämlich wirtschaftliche und soziale Aufgaben. Gorbatschow berief sich auf die Plenarsitzung des ZK vom Juni 1983 (unter ZK, mit dem Gorbatschow (warum ausgerechnet er, der Benjamin des Politbüros?) die Sitzung schloß. Nach Tschernenkos Tod ließ Gorbatschow bei seiner Eröffnung der Sitzung demonstrativ zunächst die Tagesordnung genehmigen, bevor er Gromyko das Wort für den Wahlvorschlag erteilte. Gromyko erwähnte in seiner Laudatio mehrfach die „Einmütigkeit" des Politbüros. Der Wahlvorschlag und der Schluß seiner Rede fanden „anhaltenden Beifall". Möglicherweise wurde Gorbatschow per Akklamation gewählt, da Einstimmigkeit aller stimmberechtigten Mitglieder mangels Vollzähligkeit nicht zu erzielen war. 9 Diese Mitteilung wird dem Chefredakteur der Prawda, (Vgl. FAX, 17.3.1984.) 10
OE, 1/1986, S. A 3.
11
Vgl. Gorbatschow,
Viktor Afanasjew, zugeschrieben.
a.a.O. (Anm. 1), S. 28.
Michail Gorbatschow, Soversenstvovanie razvitogo socializma i ideologiceskaja rabota partii v svete resenij ijun'skogo (1983 g.) plenuma C K KPSS, Moskau 1985. 12
KONZEPTIONEN GORBATSCHOWS
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Andropow, dessen Namen Gorbatschow jedoch nicht nannte). Damals sei „eine innovatorische, langfristige Konzeption der ideologischen Arbeit" erarbeitet worden. Notwendig sei aber die ständige Suche nach frischen Ideen. Die Schlüsselbegriffe, die Gorbatschow in seiner Rede wählte, ließen bei aller Bestimmtheit seines Auftretens seine taktische Vorsicht erkennen. Er sprach von der „Beschleunigung der sozialen und ökonomischen Entwicklung sowie des wissenschaftlich-technischen Fortschritts". Er forderte eine Umgestaltung („perestrojka") der Wirtschaftslenkung und nannte als die Hebel, derer man sich künftig zu bedienen habe, den Preis, die Selbstkosten, den Gewinn, den Kredit „und einige andere"; im einzelnen erwartete er dafür Empfehlungen der Wissenschaft. Er sprach von der „Initiative und der Selbsttätigkeit der Massen", von der Notwendigkeit, daß sich die Menschen als die kollektiven Herren des gesamten gesellschaftlichen Eigentums fühlen müßten, von der „Selbstverwaltung des Volkes", von der „Vertiefung der sozialistischen Demokratie" und von dem „menschlichen Faktor", den es zu aktivieren gelte. Er forderte eine Verstärkung der Rolle der örtlichen Sowjets (gegen die allmächtige Bürokratie) und erwähnte immerhin die verschiedenen „sozialen Gruppen" (anstelle der sonst üblichen Grobeinteilung in Klassen). Er forderte die Beseitigung der Tabus („glasnost") und ließ erkennen, daß sich die Partei mehr für die Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern und Dienstleistungen einsetzen müsse. Selbst diese vorsichtige Rede wurde von der Prawda nicht im Wortlaut veröffentlicht. Aus der Zusammenfassung der Diskussionsbeiträge in der Prawda ließ sich erkennen, daß nur wenige der anwesenden hochrangigen Funktionäre (darunter Nikolaj Sljunkow, der im ZK-Sekretariat später die Verantwortung für die Wirtschaftsführung übernehmen sollte, und Boris Jelzin, der spätere Parteichef der Stadt Moskau) seinen Neuerungsvorschlägen konkret zuzustimmen wagten. 13 Zur Außenpolitik äußerte sich Gorbatschow in dieser Rede in sehr schroffer Weise: Er wandte sich gegen die „soziale Revanche", die die Imperialisten gegenüber den sozialistischen Staaten angeblich vorbereiteten, verdammte den „militär-industriellen Komplex", sprach von dem „Kreuzzug gegen den Kommunismus" und von der „ökonomischen Expansion", die von der „politischen und militärischen Aggression" begleitet werde. Er forderte dagegen eine prinzipientreue Haltung und ein „konsequentes klassenbetontes Herangehen", Wachsamkeit, Unversöhnlichkeit und Aggressivität der eigenen Ideologie, um sich schließlich auch für einen „konstruktiven Dialog" und für „praktische Maßnahmen, die zu einer Verminderung der internationalen Spannungen führen", auszusprechen. Von „neuem politischem Denken" war hier noch keine Rede, obwohl die sowjetische Führung zu diesem
13
V g l . Prawda,
11.12.1984.
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NEUBEGINN IN DER SOWJETUNION
Zeitpunkt längst beschlossen hatte, die Abrüstungsverhandlungen mit den Vereinigten Staaten und die Suche nach einem Kompromiß mit der anderen Supermacht wieder aufzunehmen.
PRIORITÄT FÜR DIE SICHERUNG DER MACHTGRUNDLAGE
Veränderungen
im Politbüro
In dem Herrschaftssystem einer kooptativen Elite 1 4 mußte es dem neuen Generalsekretär zunächst darauf ankommen, seine persönliche Machtbasis in den maßgeblichen Körperschaften, dem Politbüro und dem Sekretariat des Z K der Kommunistischen Partei (KPdSU), zu verstärken. Das Politbüro war seit dem Tode Breshnews arg zusammengeschmolzen: Jurij Andropow, Arwid Pelsche, Dmitrij Ustinow und Konstantin Tschernenko waren verstorben; nur zwei neue Mitglieder waren noch zu Lebzeiten Andropows hinzukooptiert worden. Damit zählte das Politbüro zehn Mitglieder - und nur ein Teil von diesen war zu einer wirklichen Zusammenarbeit mit Gorbatschow bereit. Die erste von ihm geleitete Plenartagung des Z K im April 1985, auf der er sein „Regierungsprogramm" vortrug, benutzte Gorbatschow daher dazu, das Politbüro aufzufüllen. Mit Jegor Ligatschow, Nikolaj Ryshkow und dem bisherigen Politbüro-Kandidaten Viktor Tschebrikow gewann er drei eigenständige und selbstbewußte Persönlichkeiten hinzu, die - jeder auf seine Weise - eine gründliche Verbesserung des Systems für notwendig hielten. Der erfahrene Organisator Ligatschow wurde als Sekretär des Z K zweiter Mann in der Parteihierarchie. Ryshkow, ein erfahrener Wirtschaftstechnokrat, übernahm - ebenfalls als Sekretär des Z K die Verantwortung für die Wirtschaft, und Tschebrikow hatte sich als Chef des K G B schon unter Andropow als „Saubermann" im Kampf gegen die Korruption bewährt. In der nächsten Plenarsitzung des Z K am 1. Juli 1985 gelang es Gorbatschow, seinen schärfsten potentiellen Rivalen, Grigorij Romanow, aus dem Politbüro auszuschließen und gleichzeitig den Beschluß durchzusetzen, daß sein enger Vertrauter Eduard Schewardnadse anstelle Gromykos die Leitung des Außenministeriums übernahm und ins Politbüro einrückte. G r o m y k o wurde am 2. Juli zum Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets, faktisch also zum Staatsoberhaupt, gewählt und damit seiner eigentlichen Machtbasis, des Herrschaftswissens als Außenminister, beraubt. Wieder ein Vierteljahr später mußte Nikolaj Tichonow, mittlerweile 80 Jahre alt, seinen 1 4 Zur Erläuterung vgl. Eberhard Schulz, Bestimmungsfaktoren, in: Hans-Adolf Jacobsen u.a. (Hrsg.), Drei Jahrzehnte Außenpolitik der D D R , München 1979, S. 201 ff., hier S. 212-217.
ANSÄTZE VON „GLASNOST"
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Stuhl als Vorsitzender des Ministerrats räumen (den fortan Ryshkow einnahm) und wenige Tage später auch das Politbüro verlassen. Schließlich konnte sich Gorbatschow am 24. Dezember auch Viktor Grischins, eines besonders machtgierigen und intriganten Altmitglieds des Politbüros, entledigen. Noch größer waren die Veränderungen bei den Kandidaten des Politbüros. Insgesamt gewann Gorbatschow damit eine Mannschaft jüngerer und handlungskräftiger Politiker, die ihm zwar nicht durchweg unbedingt ergeben waren, wohl aber die Notwendigkeit durchgreifender Reformen eingesehen hatten. Freilich sollte sich bald herausstellen, daß sie sich im Grad ihrer Reformbereitschaft zum Teil erheblich unterschieden. Vor allem gelang es Gorbatschow, das Sekretariat des Z K , die eigentliche Exekutive im sowjetischen Regierungssystem, im wesentlichen unter seine Kontrolle zu bekommen, so daß er künftig nicht zu befürchten brauchte, daß die Beschlüsse des Politbüros schon an der Spitze der Bürokratie boykottiert, verwässert oder verzögert würden.
Ansätze von „glasnost" Der Weg für Reformen war damit allerdings noch lange nicht frei. Offene Unterstützung fand Gorbatschow zunächst im wesentlichen nur bei der künstlerischen Intelligenz, vor allem in der Hauptstadt Moskau. Denn seine Forderung nach „glasnost", die sich bald als sein wichtigstes Instrument im Kampf gegen Machtmißbrauch und Privilegienwirtschaft der Funktionäre auf allen Ebenen erwies, kam besonders den Künstlern zugute. Diese hatten seit dem Ende der zwanziger Jahre - mit kurzen Unterbrechungen unter Chruschtschow — unter einer rigiden und engstirnigen Zensur gelitten. Jetzt durften sie ihre verbotenen Filme aus den Regalen und die unveröffentlichten Manuskripte aus den Schreibtischen holen. Auch Malerei und Musik erlebten eine neue Blüte. Die großen zentralen Zeitungen begannen, die dunklen Stellen in der sowjetischen Geschichte zu beleuchten, und sandten ihre Reporter in die Provinz, um die Diktatur der regionalen Machthaber aufzubrechen. Plötzlich wurden die Zeitungen nicht nur von Leserbriefen überschwemmt, sondern sie gingen den darin genannten Beschwerden auch nach und lösten damit für Gorbatschow eine Grundwelle der Unterstützung „von unten" aus. Diese reichte freilich bei weitem nicht aus, die Lethargie der breiten Bevölkerung zu überwinden: Wenn auch ein lebendigeres Fernsehen das Bild des energischen Generalsekretärs bis in die entlegensten Provinzen verbreitete, hatte die Bevölkerung doch zu viel Erfahrung mit leeren Worten gesammelt, als daß sie nun an eine baldige grundlegende Änderung der Verhältnisse glauben konnte.
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NEUBEGINN IN DER SOWJETUNION
Gorbatschow entsandte Inspektoren des Z K in alle Teile des Landes und ließ unfähige, korrupte oder kriminelle Funktionäre in einer Zahl ablösen, wie man das seit den Stalinschen Säuberungen Mitte der dreißiger Jahre nicht mehr gekannt hatte. Gewiß brachte er damit den größeren Teil der Bürokraten gegen sich auf, die auf ihre Macht und ihre Privilegien nicht verzichten wollten. Auf der andern Seite eröffnete er fähigen und ehrgeizigen jüngeren Leuten, die von dem jahrelangen Beförderungsstau der BreshnewZeit frustriert waren, Aufstiegsmöglichkeiten und gewann sie damit für sich. Sein Versuch, die gewählten Räte („Sowjets") gegen die hauptamtlichen Bürokraten zu aktivieren, blieb allerdings vorerst stecken.
Der XXVII. Parteitag Von seinen Vorgängern hatte Gorbatschow das Projekt eines neuen Parteiprogramms übernommen. In mehrjähriger Arbeit war unter der Leitung Tschernenkos ein Entwurf ausgearbeitet worden; der X X V I I . Parteitag sollte ihn verabschieden. Auf den Inhalt konnte Gorbatschow kaum noch Einfluß nehmen. Ohnehin konnte die Partei nicht den Anspruch erheben, hier ein „neues" Programm vorzulegen, da das alte von 1961 nicht erfüllt worden war. So firmierte der neue Entwurf als „Neufassung" des alten Programms und war keinesfalls eine Art von Regierungsprogramm der Ära Gorbatschow. Der X X V I I . Parteitag (25. Februar bis 6. März 1986) kam für Gorbatschow offenbar zu früh, als daß dieser ihm eine persönliche konzeptionelle N o t e hätte geben können. 1 5 Die bis dahin sichtbar gewordenen organisatorischen Veränderungen in der Wirtschaftslenkung hielten sich in engen Grenzen. Ein umfassendes und detailliertes Konzept für eine kohärente Wirtschaftsreform konnte Gorbatschow schon deshalb nicht vorlegen, weil die Wirtschaftswissenschaften seit Stalin den starren Rahmen der dogmatischen Ideologie nicht hatten überschreiten dürfen. Zudem hatte sich Gorbatschow mit seinen ersten Reformmaßnahmen ähnlich wie Andropow vor allem an dem Beispiel der DDR-Wirtschaft orientiert. Demgegenüber waren sich die meisten Fachleute darin einig, daß sich das D D R - M o d e l l auf die völlig anders strukturierte Sowjetunion nicht übertragen ließ. Im Gegensatz zu Breshnew 1981 unterließ es Gorbatschow, die einzelnen ostmitteleuropäischen Staaten mit ihren Wirtschaftsmodellen als mögliche Vorbilder für Reformmaßnahmen in der Sowjetunion zu nennen - von China ganz zu schweigen.
1 5 Vgl. dazu das Doppelheft von OE, 12.4.1986.
8/9, 1986, sowie die Beiträge in APZ,
B 15/86,
NOTWENDIGKEIT DER „DEMOKRATISIERUNG"
223
So war die Wirtschaftspolitik Gorbatschows in ihrer ersten Phase voller Widersprüche: Am 21. Januar 1986 wurde ein Gesetz über die individuelle Erwerbstätigkeit verabschiedet, das der privaten Initiative mehr Spielraum geben sollte. Aber schon zwei Monate später sprach sich das Politbüro einerseits für die Förderung der individuellen Tätigkeit, andererseits für die Verhinderung „unverdienter Gewinne" aus. Da das Z K am 27. Mai einen besonderen Beschluß gegen diese unverdienten Gewinne fällte, wurde die eben erst angeregte individuelle Initiative schon im Keim erstickt. Tatsächlich erschien vielen Sowjetbürgern die Förderung der privaten Initiative als eine neue Form der Legalisierung von Privilegien, die den Funktionären gerade entzogen werden sollten, und als ein Verstoß gegen das fundamentale sozialistische Gebot der Gerechtigkeit. Allmählich wurden auch immer mehr Stimmen laut, die eine Reform des Rechtswesens, namentlich des Strafrechts und der Strafverfolgung, forderten.
Notwendigkeit
der
„Demokratisierung"
Im Sommer 1986 hatte Gorbatschow offenbar den Eindruck gewonnen, daß seine Appelle an das persönliche Engagement „der Massen" ungehört verhallt waren. Er entschloß sich zu einem weiteren Schritt nach vorn und stellte in einer Rede in Krasnodar am 18. September 1986 die Notwendigkeit der „Demokratisierung" mehr als bisher in den Vordergrund. Offenbar hatte er erkannt, daß die „Umgestaltung" in der Sowjetunion ebenso wie in China einen nachhaltigen Erfolg nur bringen konnte, wenn sie auch das politische System erfaßte. E r war sich durchaus darüber im klaren, daß er der Sowjetbevölkerung für die nächsten Jahre nur zusätzliche Entbehrungen und härtere Arbeit, nicht aber materielle Vorteile versprechen konnte. Mehr Disziplin - das hieß für die meisten Sowjetbürger, daß ihre Chancen, knappe Waren durch Schlangestehen zu ergattern, beschnitten wurden. Der Kampf gegen den Alkoholismus ließ vielen das Leben noch trister erscheinen. Die Führung bereitete die Bevölkerung auf kommende Preiserhöhungen vor, ohne ihnen eine baldige Verbesserung des Angebots von Konsumgütern und Dienstleistungen in Aussicht stellen zu können. Die Lockerung der Berichterstattung über den Krieg in Afghanistan seit Mitte 1986 ließ zum ersten Mal erkennen, daß die Vorsorge der Behörden für die Kriegsinvaliden in den meisten Republiken ungenügend war und die herrschende Klasse viele Möglichkeiten besaß, sich durch persönliche Beziehungen vor dem Dienst in Afghanistan zu drücken. Am 17. Dezember 1986 wurde ein Verband der Kriegs- und Arbeitsveteranen gegründet, um die Interessen der Benachteiligten zu vertreten. Soziale Spannungen verschiedener Art entluden sich in offenen Unruhen. So wurde z.B. der kasachische Parteichef Dinmuhamed Kunajew am 16. Dezember 1986 abgewählt und
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NEUBEGINN IN DER SOWJETUNION
durch den Russen Gennadij Kolbin ersetzt. Bei dieser Gelegenheit wurden starke nationalistische (und damit antirussische) Emotionen erkennbar. Die Ankündigung von Preiserhöhungen für Fleisch führte sogar zu einzelnen Streiks in der Ukraine und in Weißrußland.
Das Unglück von
Tschernobyl
Einen schweren Rückschlag, der freilich die Notwendigkeit der „perestrojka" nur noch deutlicher sichtbar machte, erlitt Gorbatschows Politik durch das Unglück von Tschernobyl. 1 6 Das Unglück ließ zunächst erkennen, in welch unvorstellbarer Weise in der Sowjetunion die Sicherheit der Bevölkerung vernachlässigt wurde. Es bedurfte offenbar großer Anstrengungen der Führung, das wahre Ausmaß der Katastrophe nach längerem Zögern einzugestehen. Zwar schaltete die Sowjetunion die Internationale AtomenergieOrganisation ( I A E O ) ein und schloß in den kommenden Jahren mit verschiedenen Ländern Vereinbarungen über die Zusammenarbeit bei der Vermeidung von Reaktorunfällen. Doch zeigte sie keinerlei Bereitschaft, an die Länder Schadenersatz zu leisten, deren Landwirtschaft durch die nukleare Strahlung betroffen wurde. Personelle Konsequenzen für die Verantwortlichen an der Spitze der ukrainischen Partei und Verwaltung konnte Gorbatschow offenbar nicht durchsetzen. Gerüchte, etwa über die Verseuchung der ukrainischen und weißrussischen Flüsse sowie der Badestrände bis hin zum Schwarzen Meer, kursierten in der gesamten Sowjetunion. Die seit mehr als einem Jahrzehnt in der Sowjetunion geführte Diskussion über die Vertretbarkeit des Baus von Kernkraftwerken lebte wieder auf. Es war sicher mit auf das Unglück von Tschernobyl zurückzuführen, daß sowjetische Politiker und Militärexperten seit Mitte 1986 immer deutlicher die Meinung vertraten, daß der Krieg im Nuklearzeitalter kein Mittel der Politik mehr sein könne.
NEUES HANDELN U N D NEUES D E N K E N IN DER AUSSENPOLITIK17 Die Außenpolitik der Sowjetunion war für die öffentliche Diskussion wie für Privatgespräche von jeher tabu gewesen. Wie die Wirtschaftswissenschaften steckte das außenpolitische Denken in einem „ideologischen Korsett", das keinerlei kritische Reflexionen zuließ. Was immer der Staat außenpoli16
Vgl. hierzu auch den Beitrag von Hanns W. Maull in diesem Band. Vgl. hierzu besonders Heinz Timmermann,
in: OE, 1/1986, S. 3 ff.
Gorbatschow zeigt außenpolitisches Profil,
UMSTRUKTURIERUNGEN IM AUSSENMINISTERIUM
225
tisch unternahm - es war „fortschrittlich" und „friedliebend". Die Interessen des Staates waren mit den Interessen „der Werktätigen", ja der Menschheit insgesamt identisch. Die von den riesigen Forschungsinstituten in Moskau produzierten und zu propagandistischen Zwecken publizierten „Analysen" führten nicht zu Erkenntnissen, die den verantwortlichen Lenkern der sowjetischen Außenpolitik praktische Hinweise hätten geben können. Das Sekretariat des ZK der KPdSU befaßte sich mit den Beziehungen zu anderen kommunistischen Parteien, nicht aber mit der Außenpolitik des sowjetischen Staates. Das außenpolitische Wissen wurde vom Außenministerium monopolisiert, wenngleich selbst die Botschaften im Ausland gegen Kommunikation mit nichtkommunistischen Institutionen und Personen so fest wie möglich abgeschottet wurden. Auch wenn sich nicht übersehen ließ, daß die Außenpolitik mit ihren ideologischen Zwängen in eine Sackgasse geraten war, waren innovatorische Anstöße von seiten des schwerfälligen Apparats nicht zu erwarten. Umstrukturierungen
im
Außenministerium
Den Anstoß gab Gorbatschow daher selbst: Am 23. Mai 1986 versammelte er die Mitarbeiter des Außenministeriums der UdSSR und hielt vor ihnen eine Rede über die Umgestaltung des sowjetischen diplomatischen Dienstes. 18 Er gab den Diplomaten zu verstehen, daß die sowjetische Außenpolitik künftig vom Apparat des ZK streng kontrolliert werde. Mit einem Seitenhieb auf G r o m y k o stellte er fest, das Ministerium dürfe nicht mehr von Kritik und Kontrolle ausgenommen sein. Er kündigte eine neue Personalpolitik an und gab zu verstehen, daß diese auch vor den obersten Rängen nicht Halt machen werde. Negative Erscheinungen, wie „kleinbürgerliche" Tendenzen, müßten eliminiert werden. Die Diplomaten müßten brauchbare Informationen liefern, die wirklich dazu beitrügen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die grundsätzlichen Vorschläge der sowjetischen Führung - etwa zum Thema Abrüstung - müßten so schnell wie irgend möglich in konkrete Vertragssprache umgesetzt und auf den Verhandlungstisch gebracht werden. Im Umgang mit ihren ausländischen Partnern müßten die sowjetischen Diplomaten mit der Zeit gehen und Stereotypen vermeiden. Sie dürften weder die sowjetische Seite noch die Gegenseite in ausweglose Situationen führen und nicht annehmen, daß die Partner dümmer seien als sie selbst. Notwendige Beharrlichkeit dürfe nicht mit sinnloser Sturheit verwechselt werden, die ihnen den Titel eines „Mister Njet" eintrüge. 19 18 Eine Zusammenfassung der Rede ist abgedruckt in der ersten Nummer des neuen Bulletins des sowjetischen Außenministeriums: Vestnik ministerstva inostrannych del SSSR, Nr. 1, 5.8.1987, S. 4 ff. 19
Ebd., S. 6.
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NEUBEGINN IN DER SOWJETUNION
Ebenso deutlich drückte sich Gorbatschow auch zu einigen Sachfragen aus. Er forderte zu einer engen Zusammenarbeit mit den anderen sozialistischen Ländern auf. Dabei dürften sich die sowjetischen Diplomaten künftig nicht mehr zu Voreingenommenheit, Selbstzufriedenheit und Trägheit hinreißen lassen: „Man darf nicht denken, wir hätten alle zu belehren. Ein solches Recht hat uns niemand gegeben." Gegenüber den sozialistischen Partnerländern sei vielmehr Bescheidenheit angebracht. Auch das kleinste dieser Länder habe bei der gemeinsamen Sache eine eigene Rolle. Das außenpolitische Vorgehen solle vorher mit ihnen abgestimmt und dabei eine Arbeitsteilung vorgenommen werden. Die Bedeutung Europas hob Gorbatschow vor allen anderen Regionen hervor und stellte fest: „Wir haben uns von den dogmatischen Positionen in unseren Beziehungen zur E W G gelöst." Im Hinblick auf die Länder der Dritten Welt bemerkte er, es sei nun an der Zeit, auch die sowjetischen wirtschaftlichen Verpflichtungen gegenüber diesen Ländern wahrzunehmen. Schließlich verlangte er, das Verhalten in humanitären Fragen von Grund auf zu überdenken. Anstatt stolz auf die Errungenschaften der sozialistischen Länder zu sein, neigten viele Diplomaten dazu, sich bei diesen Themen „einzuigein". Als Sekretär des Z K hatte Gorbatschow bei einer Reise nach Kanada 1983 Eindrücke von einem „imperialistischen" Land gewonnen. In Botschafter Alexander Jakowlew lernte er dort einen kritischen Kopf kennen, den er noch im gleichen Jahr als Direktor des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen ( I M E M O ) nach Moskau berief. Er ließ sich von Jakowlew auf seiner zweiten Auslandsreise als ZK-Sekretär im Dezember 1984 - diesmal nach Großbritannien — begleiten, die er auf eigenen Wunsch verlängerte. 20
D I E B E Z I E H U N G E N ZU D E N V E R E I N I G T E N STAATEN Daß in der sowjetischen Westpolitik das Verhältnis zu der anderen Supermacht mit großem Abstand vor allen anderen Themen rangierte, war verständlich. Hatte das osteuropäische Glacis vor der sowjetischen Westgrenze bis zum Beginn der siebziger Jahre in der sowjetischen Sicherheitspolitik erste Priorität genossen, so verlagerte sich das Gewicht im Verlauf des SALT-Prozesses auf die U S A ; nicht mehr das osteuropäische Vorfeld, sondern die strategische Parität mit der anderen Supermacht wurde für die
2 0 Dieser Besuch, in Begleitung seiner Frau Raissa, fand in der westlichen Presse ein großes Echo. Premierministerin Thatcher zeigte sich von Gorbatschow so beeindruckt, daß sie öffentlich äußerte, er sei ein Mann, „mit dem die britische Regierung ins Geschäft kommen könne." FT, 20.12.1984.
DIE BEZIEHUNGEN ZU DEN VEREINIGTEN STAATEN
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Sowjetunion zum wichtigsten Garanten ihrer Sicherheit und ihrer Weltgeltung. Dies galt auch, nachdem die Entspannung zwischen den beiden Supermächten gescheitert und auf der offiziellen Ebene Sprachlosigkeit eingetreten war. Dennoch brachte Gorbatschows Amtsantritt ein neues Element in die Beziehungen: Möglicherweise hatte er schon unter Tschernenko den Anstoß zu dem Beschluß gegeben, an den Genfer Verhandlungstisch zurückzukehren. Mit den alten und kranken Generalsekretären Breshnew, Andropow und Tschernenko hatte Präsident Reagan kein gleichgewichtiger Gesprächspartner gegenübergestanden; nun wurden „Gipfeltreffen" möglich — zunächst im November 1985 in Genf, dann im folgenden Jahr in Reykjavik die zur persönlichen Vertrauensbildung beitrugen und einen politischen Neubeginn nicht mehr ausgeschlossen erscheinen ließen. 21 Die Dichte der Kontakte zu den U S A wurde zu keinem anderen Partnerland erreicht, obwohl die Beziehungen einen ausgesprochen antagonistischen Charakter trugen. Neben wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Kontakten gab es eine Fülle von Begegnungen einflußreicher Politiker, Vereinbarungen über eine Zusammenarbeit in der Klimaforschung, Arbeitsgespräche über Flugsicherung und vieles mehr. Auf Arbeitsebene konferierten Fachleute über regionale Konflikte in verschiedenen Teilen der Welt. Aber Zwischenfälle wie die Erschießung des amerikanischen Majors Arthur D. Nicholson in der D D R am 24. März 1985 verhinderten immer wieder eine Vertrauensbildung. 2 2 Während in den U S A 1985 kaum jemand an einen Erfolg der Abrüstungsgespräche mit den Sowjets glaubte, arbeitete sich Gorbatschow mit bemerkenswerter Zielstrebigkeit an einen Kompromiß heran. Bei seinem ersten Besuch als neuer sowjetischer Parteichef im Westen regte er am 3. Oktober 1985 in Paris nicht nur Verhandlungen über strategische Waffen und Mittelstreckenwaffen an, sondern ließ auch die Bereitschaft erkennen, den U S A in der Frage der Verifikation entgegenzukommen. 2 3 Außenminister Schewardnadse wiederholte diese Bereitschaft drei Wochen später in seiner Rede vor den Vereinten Nationen in New York. 2 4 Nach dem Gipfelgespräch in Genf vom 21. November trug Gorbatschow den amerikanischen Vorwürfen Rechnung, die Sowjetunion verletze den SALT-Vertrag. 2 5 21
Vgl. hierzu im einzelnen den Beitrag von Gebhard Schweigier
22
Vgl. ebd.
23
Vgl. hierzu EA, 21/1985, S. D 583 ff.
24
Abgedruckt in: Prawda,
in diesem Band.
25.10.1985.
Laut Gordon entfernten die Sowjets mobile SS-16-Raketen, deren Erprobung nach dem SALT-II-Vertrag verboten war, vom Testgelände in Plesezk und wrackten mehr als 30 „Bison"-Bomber ab, die sie durch neue „Bear-H"-Bomber ersetzt hatten. Vgl. Michael R. Gordon, Russians Take Steps T o Allay U.S. Concern Over Arms Violations, in: 1HT, 25.11.1985. Vgl. auch die Gemeinsame Erklärung über die Gespräche in Genf in: EA, 24/1985, S. D 687 ff. 25
228
NEUBEGINN IN DER SOWJETUNION
V o r allem aber gelang es Gorbatschow überraschend schnell, sich auf einen westlichen Stil einzustellen. Souverän ging er mit den westlichen Medien um. Darüber hinaus erzielte die sowjetische Außenpolitik Aufmerksamkeit, indem der Oberste Sowjet in einer Botschaft an den amerikanischen Kongreß Abrüstungsvorschläge unterbreitete, die Gorbatschow in einer Grundsatzerklärung erst vier Tage später, am 15. Januar 1986, vorlegte. 26 Der sowjetische Generalsekretär selbst telefonierte mit dem Atomphysiker und Menschenrechtler Andrej Sacharow, um ihn Ende 1985 aus der Verbannung in Gorkij nach Moskau zurückzuholen. Die Ausreiseerlaubnis für den Bürgerrechtler Anatolij Schtscharanskij im Februar 1986 zielte ebenso auf Wirkung in den U S A wie die vermehrte Ausgabe von Ausreisebewilligungen an jüdische Sowjetbürger insgesamt. Mit Anatolij Dobrynin wurde am 6. März 1986 ein Berufsdiplomat Sekretär des ZK, der die Vereinigten Staaten aus jahrzehntelangem Aufenthalt im Lande kannte. Als Leiter der internationalen Abteilung des Z K übernahm Dobrynin die Aufsicht über die konzeptionelle Vorbereitung nicht nur der internationalen Parteibeziehungen, sondern auch der Außenpolitik der Sowjetunion. Mit seiner Erfahrung wurde er Gorbatschow ein unschätzbarer Helfer.
DIE WESTEUROPA-POLITIK
GORBATSCHOWS
Wiederholte Anläufe zu einer Verbesserung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion wurden von beiden Seiten unternommen. Nachdem Bundeskanzler Helmut Kohl im März 1985 an der Beisetzung Tschernenkos teilgenommen hatte, traf Bundesratspräsident L o thar Späth noch im gleichen Monat zu einem Besuch in Moskau ein. Drei Wochen später konnte der Bundeskanzler eine hochrangige Delegation des Obersten Sowjets der U d S S R in Bonn begrüßen. Die Versuche verbesserter Beziehungen scheiterten jedoch regelmäßig an den Hürden tief verwurzelter Mißverständnisse. 27 Im Juli 1986 versuchte Bundesaußenminister HansDietrich Genscher in Moskau, eine neue Seite im Buch der gegenseitigen Beziehungen aufzuschlagen, doch machte eine unglückliche Äußerung des Bundeskanzlers bald darauf alle Anstrengungen zunichte. 28 Die von sowjetischer Seite weit überschätzte deutsche Beteiligung an der SDI-Forschung war
26
Abgedruckt in: EA, 21/1985, S. D 135 ff.
Vgl. hierzu ausführlich Eberhard Schulz, Neue Nuancen in der sowjetischen DeutschlandPolitik, in: DA, 10/1986, S. 1064 ff. 27
28
Kohl: „Er (Gorbatschow) ist ein moderner kommunistischer Führer, der sich in Öffentlichkeitsarbeit (public relations) gut auskennt. Goebbels, einer der Verantwortlichen für die Verbrechen der Hitlerzeit, war ebenfalls ein Experte für die Öffentlichkeitsarbeit." Newsweek, 27.10.1986, S. 20.
DAS »NEUE POLITISCHE DENKEN"
229
ebenso ein Streitpunkt wie die demonstrative Präsenz der Bundesrepublik in West-Berlin, die die Sowjets am 27. Januar 1986 zu einem ungewöhnlichen Prawda-Artikel über den Status der geteilten Stadt veranlaßte. 29 Die Westeuropa-Politik litt unter der Tatsache, daß die maßgebliche ZK-Abteilung für internationale Beziehungen an ihrer Spitze vor allem mit USA-Spezialisten besetzt war. ZK-Sekretär Jakowlew setzte sich zwar für eine Verstärkung der Beziehungen zu Westeuropa ein, ging dabei aber von der falschen Annahme aus, bei den auf ihre Unabhängigkeit bedachten Franzosen und Engländern eher ein Echo zu finden als bei den „amerikahörigen" Deutschen. So kam die Westeuropa-Politik lange Zeit nicht voran, zumal die Sowjetunion ihre Kontakte mit der Bundesrepublik auf Vertreter der oppositionellen Parteien konzentrierte. Freilich trugen gerade die Kontakte zu Sozialdemokraten zu dem Entstehen jenes „neuen politischen Denkens" bei, mit dem nicht nur in offiziellen Reden, sondern auch in der Publizistik ideologisch tief verwurzelte Begriffe und Feindbilder mehr und mehr in Frage gestellt wurden.
DAS „ N E U E P O L I T I S C H E D E N K E N " Dieses neue Denken besagte im wesentlichen, daß ideologische Meinungsverschiedenheiten die Politik von Staaten nicht mehr berühren dürften und daß Interessenunterschiede zwischen Staaten im nuklearen Zeitalter nicht mehr mit Gewalt ausgetragen werden könnten. Gewiß lassen sich die Anfänge dieses Denkens auf die fünfziger Jahre zurückverfolgen, als Wissenschaftler wie Albert Einstein, Bertrand Russell oder Carl-Friedrich von Weizsäcker vor Nuklearwaffen warnten. In der Pugwash-Bewegung 30 beteiligten sich auch Vertreter der Sowjetunion, die allerdings nie die Politik ihres eigenen Landes kritisieren durften. Die Lehren Antonio Gramscis sowie später der Eurokommunisten wirkten in den siebziger Jahren auf die ostmitteleuropäischen Staaten und die Sowjetunion zurück. Nicht zu unterschätzen war der Einfluß des KSZE-Prozesses. 3 1 Später kamen die Sozialistische Internationale und die Palme-Kommission hinzu, und in den achtziger Jahren wirkten Staaten wie die D D R und Ungarn in die gleiche Richtung; in einer Phase der Sprachlosigkeit der sowjetischen Politik gab ihnen die „Beerdigungsdiplomatie" (bei den Beisetzungsfeierlichkeiten für Tito 1980,
29
Vgl. Prawda, 27.1.1986.
Die Pugwash-Konferenzen über Wissenschaft und Weltfragen wurden 1957, nach einem öffentlichen Appell Bertrand Russells, Albert Einsteins und weiterer neun weltbekannter Wissenschaftler, ins Leben gerufen, um auf die Gefahren eines Nuklearkriegs aufmerksam zu machen und diesen zu vermeiden. 31
Vgl. hierzu auch den Beitrag von Horst
Bacia in diesem Band.
230
NEUBEGINN IN DER SOWJETUNION
Breshnew 1982, Andropow 1984 und Tschernenko 1985) unverdächtige Gelegenheit, „Schadensbegrenzung" (Honecker) oder einen konstruktiven Dialog über die Blockgrenzen hinweg zu fordern. 32 Im Zuge dieser Entwicklung drangen Begriffe und Interpretationen in die Sowjetunion ein, die die offizielle Ideologie bis dahin strikt verpönt hatte. So sprach etwa Gorbatschow auf dem XXVII. Parteitag 33 von der Notwendigkeit, politische Kompromisse einzugehen, und von der gegenseitigen Abhängigkeit der Staaten. Er forderte gegenseitiges Verstehen und erkannte an, daß Sicherheit nicht mehr allein mit militärischen Mitteln hergestellt werden könne. Sicherheit dürfe nicht gegeneinander, sondern müsse gemeinsam angestrebt werden. Fast zwei Jahrzehnte, nachdem man in den USA über das Prinzip der militärischen Hinlänglichkeit diskutiert hatte, nahm Gorbatschow auf dem Parteitag dieses Prinzip in seine Überlegungen auf. Obwohl eine große Zahl sowjetischer Publizisten das „neue politische Denken" nur als eine wirkungsvollere Variante ihrer antagonistischen Propaganda gegen den „Imperialismus" begriff, zeigte das sowjetische Verhalten in den Abrüstungsverhandlungen, daß sich das „neue Denken" auch in konkreten Handlungen niederschlug. Gorbatschow erkannte sogar an, daß es für das Prinzip der „friedlichen Koexistenz" keine zeitliche Begrenzung geben könne (im Sinne einer „Atempause") und daß kein Staat von ihr ausgenommen werden dürfe (etwa nach dem Prinzip des „sozialistischen Internationalismus", das im Westen seit dem Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 als „Breshnew-Doktrin" bezeichnet wurde). Da die Sowjetunion schon in der Endphase der Breshnew-Ara die Fähigkeit zur intellektuellen und politischen Führung der „sozialistischen Gemeinschaft" verloren hatte, lag für Gorbatschow in der Betonung der sowjetischen Vorrangstellung keine dringende Priorität. Viel mehr Erfolg versprach eine Politik der Einheit in der Vielfalt. 34 Dabei war nicht zu übersehen, daß Gorbatschow die Verständigung mit dem seiner Generation altersmäßig näherstehenden Polen Wojciech Jaruzelski besser gelang als mit den betagten Führern in den meisten sozialistischen Staaten. Während alle anderen „Bruderstaaten" gedrängt wurden, ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Sowjetunion nachzukommen, erlangte Jaruzelski als einziger zusätzliche sowjetische Kreditleistungen. Daß sich die freundschaftlichen Gefühle Gorbatschows für Erich Honecker in Grenzen hielten, war bei verschiedenen Gelegenheiten zu beobachten.
32
Vgl. hierzu auch den Beitrag von Peter Danylow
33
Vgl. Anm. 3.
in diesem Band.
3 4 Zur sowjetischen Osteuropa-Politik vgl. Eberhard Schulz, Einheit in der Vielfalt - das neue Motto der sowjetischen Osteuropapolitik?, in: Sowjetunion 1986/87. Ereignisse, Probleme, Perspektiven, München 1987, S. 265 ff.
DIE ASIEN-POLITIK GORBATSCHOWS
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DIE ASIEN-POLITIK GORBATSCHOWS In ihrer Asien-Politik konnte die Sowjetunion zunächst keine greifbaren Erfolge verzeichnen. Gegenüber dem Nahen Osten entwickelte sie zwar eine lebhafte Aktivität, mit der es ihr Ende 1985 auch gelang, in Oman und den Vereinigten Arabischen Emiraten am Persisch-Arabischen Golf diplomatisch Fuß zu fassen. Im Spätsommer 1986 vermochte sie sogar zwischen den verschiedenen Gruppen der P L O zu vermitteln. Mit Rücksicht auf die U S A wie auch im Hinblick auf die sicherheitspolitische Bedeutung des Nahen Ostens versuchte sie, ohne sichtbaren Erfolg, die Möglichkeiten eines Arrangements mit Israel auszuloten. Ihr wichtigstes Problem in Asien blieb der Krieg in Afghanistan, dessen Beendigung schon Andropow erfolglos angestrebt hatte. Der Rückzug einiger unbedeutender militärischer Einheiten aus Afghanistan führte hier ebenso wenig weiter, wie intensive diplomatische Bemühungen. Dagegen konnte die Sowjetunion die freundschaftliche Zusammenarbeit mit Indien weiter ausbauen. Persönliche Treffen mit Ministerpräsident Rajiv Gandhi, darunter auch der Besuch Gorbatschows in Indien im November 1986, trugen dazu bei. 3 5 China gegenüber versuchte Gorbatschow mit seiner programmatischen Rede in Wladiwostok am 28. Juli 1986 einen neuen Anfang. 3 6 In drei wesentlichen Punkten kam er chinesischen Forderungen einen Schritt entgegen: Er kündigte eine Verringerung der sowjetischen Streitkräfte in der Mongolischen Volksrepublik an, erklärte sich zur Erörterung der Grenzfragen mit China bereit und deutete die Möglichkeit eines politischen Kompromisses für Afghanistan an. Letzteres wurde allerdings in der westlichen Öffentlichkeit, die sich auf die gleichzeitig erwähnten Truppenreduktionen in Afghanistan konzentrierte, praktisch nicht zur Kenntnis genommen. Die chinesische Führung ließ sich von Gorbatschows Entgegenkommen kaum beeindrucken. Für sie stand einer durchgreifenden Verbesserung des Verhältnisses der Kamputschea-Konflikt im Wege. China ließ sich auf Grenzverhandlungen ein, verweigerte aber die Wiederaufnahme der Parteibeziehungen. Die Sowjetunion mußte sogar hinnehmen, daß China - unter Umgehung der K P d S U - die Parteibeziehungen zu den ostmitteleuropäischen Staaten demonstrativ wieder herstellte. 37 Ahnliches widerfuhr der Sowjetunion in ihrer Japan-Politik: Die Konzession Mitte August 1986, Japanern nach elf Jahren die Besuche ihrer Gräber
35
Vgl. hierzu auch den Beitrag v o n C i t h a D . Maaß
36
A u s z ü g e in: EA, 16/1986, S. D 4 5 7 ff.
37
Vgl. hierzu auch die Beiträge von J o a c h i m Glaubitz
Band.
in diesem B a n d . und Peter Danylow
in diesem
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NEUBEGINN IN DER SOWJETUNION
auf den Kurilen wieder zu gestatten, weckte in Japan lediglich neue Hoffnungen, die Sowjetunion werde schließlich die Inseln ganz freigeben. In dieser Situation zögerte Gorbatschow seinen wiederholt ins Auge gefaßten Besuch in Japan immer wieder hinaus, zumal die japanische Regierung auch eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Sowjetunion von der Regelung der Grenzfrage abhängig machte. So blieb es bei den Sondierungsgesprächen der Außenminister Eduard Schewardnadse und Shintaro Abe in Tokio im Januar und in Moskau im Mai 1986. Um den japanischen Forderungen Nachdruck zu verleihen, unternahm Premierminister Yasuhiro Nakasone Ende 1986 eine Reise durch die ostmitteleuropäischen Staaten, bei der er die Sowjetunion demonstrativ überging.
AUSSENPOLITISCHE ENTWICKLUNGSTENDENZEN IN OSTEUROPA Von Peter
Danylow
Schon mit der Unterzeichnung der KSZE-Schlußakte von Helsinki 1975, spätestens aber Anfang der achtziger Jahre hatten sich die Rahmenbedingungen für die politischen Beziehungen der kleineren osteuropäischen Staaten zum Westen und zur übrigen Welt verändert. Eingebunden in das östliche Militärbündnis der Warschauer Vertragsorganisation und ökonomisch verflochten durch eine Vielzahl bilateraler Vereinbarungen im Rahmen des Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe ( R G W ) befanden sich die Staaten im Vorfeld der Sowjetunion seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs überdies in einem spezifischen Abhängigkeitsverhältnis zur UdSSR. Als politisch und ökonomisch bei weitem stärkster Staat der „sozialistischen Gemeinschaft" genoß die UdSSR mit ihrer staatstragenden kommunistischen Partei zudem eine ideologische Vormachtstellung. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs hatte die sowjetische Führung immer wieder versucht, außenpolitische Eigenmächtigkeiten der Partei- und Staatschefs in Osteuropa zu unterbinden. Nicht immer war dies gelungen: das Ausscheren Jugoslawiens 1948 aus dem sozialistischen Lager, aber auch der Bruch mit Albanien und mit der Volksrepublik China 1961 hatten sich nicht vermeiden lassen. Daneben vermochte die Sowjetunion, ungeachtet der dortigen Aufstände, die D D R , Polen und Ungarn im Block zu halten, wenn auch mit höchstem politischem und militärischem Krafteinsatz. Die militärische Besetzung der Tschechoslowakei 1968 setzte Maßstäbe für die Beziehungen sozialistischer Staaten untereinander. Die politische Auswirkung dieser Militäraktion hatte sich für die Sowjetunion allerdings nur vordergründig als positiv erwiesen. 1 Zwar unterband sie das ideologische Experiment in Prag, doch der Eurokommunismus im Westen, die Eigenständigkeit der V R China, Albaniens und Jugoslawiens veranschaulichten die polyzentrische Struktur der kommunistischen Bewegung.
1 Vgl. dazu: Boris Meissner, Die Breschnew-Doktrin, Köln 1969; Eberhard Schulz, Das Spannungsverhältnis zwischen nationaler Eigenständigkeit und „proletarischem Internationalismus", in: Josef Füllenbach und Eberhard Schulz (Hrsg.), Entspannung am Ende?, München/ Wien 1980, S. 293-319; Josef Füllenbach, Legitimationsprobleme kommunistischer Herrschaft in Osteuropa, in: ebd., S. 259-291; Eberhard Schulz, Die Bedeutung der Ära Breshnjew für die Sowjetunion, in: IP 1981/82, S. 21-39. Zur Entwicklung in der sozialistischen Gemeinschaft nach der bewaffneten Intervention von Warschauer-Pakt-Streitkräften in der CSSR 1968 vgl. die Kapitel: Ost und West in Europa, in: IP 1968/69, S. 285-347, und Die politische Entwicklung im sozialistischen Lager, in: IP 1970-1972, S. 263-336.
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ENTWICKLUNGSTENDENZEN IN OSTEUROPA
DIFFERENZIERUNG DER BLOCKSTRUKTUREN Im Rahmen der Vereinten Nationen konnten einige Staaten Osteuropas bereits frühzeitig weltpolitisch agieren, 2 dabei blieben sie aber letztlich eingebunden in die festen Blockstrukturen. Den Ost-West-Gegensatz hat auch die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ( K S Z E ) und die sich anschließende multilaterale Konferenzdiplomatie nicht aufheben können. Ein politisches Novum indessen verkörpert der K S Z E - P r o z e ß : Das institutionalisierte Gespräch aller Staaten Europas, mit Ausnahme der Sozialistischen Volksrepublik Albanien, sowie die Teilnahme der Vereinigten Staaten von Amerika und Kanadas, bot insbesondere den kleineren Staaten Europas - den neutralen wie den Mitgliedern der Militärbündnisse - ein Forum, um die eigenen politischen Interessen international zu vertreten. D e r Selbstfindungsprozeß stieß aber bald auf Hindernisse, denn die RGW-Staaten blieben nicht von den ökonomischen Rückschlägen der siebziger Jahre verschont: Systemmängel, fehlerhafte ökonomische Politik und globalpolitische Veränderungen führten in den Staaten Osteuropas Anfang der achtziger Jahre zu Krisen, die auch die Sowjetunion nicht verschonten. Die Vormacht im östlichen Bündnissystem versetzte der Detente-Politik einen vernichtenden Schlag, indem sie im Dezember 1979 Afghanistan besetzte, um die Südgrenze der sowjetischen Föderation zu stabilisieren. Aus dieser Intervention entwickelte sich ein Krieg, dessen Ende nicht absehbar war. Die sowjetische Führung sah sich mit stagnierenden Wachstumsraten, mit ungünstigen demographischen Entwicklungen und mit einer überalterten Führungsmannschaft konfrontiert.
DER FÜHRUNGSWECHSEL IN MOSKAU U N D SEINE WIRTSCHAFTLICHEN AUSWIRKUNGEN AUF DIE RGW-STAATEN Politisch standen die Jahre 1985 und 1986 im Zeichen des Generationenwechsels in der Führung der K P d S U . Der neue Generalsekretär Michail Gorbatschow, der am 10. März 1985 sein Amt antrat, ließ in der kurzen Frist bis zum X V I I . Parteikongreß das Parteiprogramm der KPdSU 3 umformulieren. Die neue „Redaktion" verzichtete auf jegliche Festlegung, wann der Kommunismus im Weltmaßstab gesiegt haben würde. Gorbatschow vermit2 Gründungsmitglieder der Vereinten Nationen waren die Sowjetunion (sowie die Ukrainische SSR und die Weißrussische SSR), Polen und die Tschechoslowakei (24.10.1945); Bulgarien, Rumänien und Ungarn wurden am 14.12.1955, die D D R seit dem 18.9.1973 Mitglieder der Vereinten Nationen. 3 Deutsch in: Boris Meissner, Das Aktionsprogramm Gorbatschows. Die Neufassung des dritten Parteiprogramms der KPdSU, Köln 1987. Dazu auch ders., Das Parteiprogramm der KPdSU 1903-1961, Köln 3 1965.
DER FÜHRUNGSWECHSEL IN MOSKAU
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telte in seinem Rechenschaftsbericht vor den Parteitagsdelegierten ein zwiespältiges Bild: Einerseits setzte er sich für die Reformierung der sowjetischen Gesellschaft ein, andererseits beharrte er auf vielen ideologischen Prämissen der Vergangenheit. 4 D e r Parteitag in Moskau hatte Signalwirkung für die Führung in den kleineren Staaten Osteuropas: Die neuen politischen Formeln, die die sowjetische Führung prägte, verbreiteten Unsicherheit bei den Führungen der kleineren RGW-Staaten, zumal das Moskauer Zentrum gegen Ende der Breshnew-Ära keine ideologische Innovationskraft mehr ausübte. Entsprechend heterogen zeigten sich die kleineren Staaten Osteuropas in ihren Antworten auf die weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Hauptfragen der achtziger Jahre. Selbst in der alltäglichen Regierungspraxis zeigten die einzelnen RGW-Mitgliedstaaten seit längerem deutliche Unterschiede: In Polen amtierte mit Wojciech Jaruzelski seit Oktober 1981 ein Armeegeneral als Staatsoberhaupt, die Macht der Partei hatte nur durch militärische Intervention erhalten werden können. Als Geheimpolizisten im Oktober 1984 einen Priester, Jerzy Popiefusko, ermordeten, mußten sie sich - im Gegensatz zur früheren Praxis - für ihre Tat vor Gericht verantworten. Weiterhin labil blieb die soziale Lage in Polen. Demgegenüber galt die D D R als sozial und ökonomisch gefestigt. Vergleichsweise erfolgreich versuchte sie, mit den traditionellen, planwirtschaftlich zentralistischen Methoden ihre ökonomischen Probleme zu lösen. Politisch völlig anders strukturiert und dank des Reformprozesses mit der besten Versorgungslage im gesamten R G W , entwickelten die Ungarn eine Haltung, die sich an nationalstaatlichen Notwendigkeiten orientierte. Bulgarien pflegte seit jeher ein unbelastetes Verhältnis zur UdSSR, was in der Regel ideologische Extravaganzen ausschloß. Ihre nationale Eigenständigkeit unterstrich die bulgarische Führung durch die Schaffung einer kontinuierlichen historischen Identität von der Slaven-Mission bis zur Gegenwart. In ähnlicher Weise nutzte die Führungsriege unter Staats- und Parteichef Nicolae Ceausescu in Rumänien die Geschichte zur Herrschaftslegitimation: Der Rückgriff auf das romanische Balkanvolk der Daker diente zur Rechtfertigung eines harschen, repressiven Systems nach innen, während Rumänien sich außenpolitisch häufig betont von der sowjetischen Vormacht absetzte. 5 Gorbatschows Rechenschaftsbericht auf dem XXVII. Parteitag ist abgedruckt in: Prawda, 26.2.1986. Auszüge in: EA, 8/1986, S. D 209-224. 5 Vgl. Milorad M. Drachkovitch (Hrsg.), East Central Europe, Stanford 1982; Sarah M. Terry (Hrsg.), Soviet Policy in Eastern Europe, New Haven 1984; Teresa Rakowska-Harmstone (Hrsg.), Communism in Eastern Europe, Bloomington 2 1984. Vgl. auch: Klaus Detlev Grothusen (Hrsg.), Südosteuropa Handbuch Rumänien, Göttingen 1986, sowie Roland Schönfeld,, Außenpolitische Verhaltensmuster der kleineren Warschauer-Pakt-Staaten, in: Karl Kaiser und Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Weltpolitik. Strukturen - Akteure - Perspektiven, Stuttgart 1985, S. 487-505.
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ENTWICKLUNGSTENDENZEN IN OSTEUROPA
Ein derart differenzierter östlicher Wirtschafts- und Militärblock sah sich mit einem sowjetischen Generalsekretär konfrontiert, dessen Amtszeit bei kluger Politik durchaus bis zum Jahr 2000 dauern könnte. Ein energischer, noch nicht 60jähriger Politiker, potentiell ein starker Generalsekretär, der allerdings mit einer schweren Hypothek seiner Vorgänger operieren mußte: der allseitig stagnierenden ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung in der U d S S R . Die politischen und ideologischen Rahmenbedingungen für das Zusammenwirken zwischen der UdSSR und den kleineren Staaten Osteuropas gehen auf die Breschnew-Ära zurück. Die sogenannte Breschnew-Doktrin gestand den sozialistischen Staaten nur eine begrenzte Souveränität zu. 6 Andererseits galten für den R G W die „Prinzipien des sozialistischen Internationalismus auf der Grundlage der Achtung der staatlichen Souveränität, der Unabhängigkeit und der nationalen Interessen, der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Länder, der völligen Gleichberechtigung, des gegenseitigen Vorteils und der kameradschaftlichen gegenseitigen Hilfe". Zumindest die sozialistische ökonomische Integration beruhte „auf der Grundlage der vollen Freiwilligkeit", sie schloß die Schaffung übernationaler Organe aus und tangierte die innere Planung und die wirtschaftliche Rechnungsführung der Einzelstaaten nicht. 7 Das Komplexprogramm des R G W , das sich an diesen Festlegungen orientierte, erbrachte bis 1985 allenfalls bescheidene Ergebnisse. Vornehmlich galten die Vereinbarungen der verbesserten Energieversorgung sowie der Schwerindustrie. Die kleineren RGW-Staaten sorgten für den Bau einer Erdgas-Pipeline vom Südural bis Ushgorod; sie beteiligten sich auch an der Modernisierung von metallurgischen Kapazitäten der Sowjetunion. Ebenfalls war die Entwicklung gemeinsamer RGW-Standards vorgesehen. Wie die angespannte Energiesituation in den kleineren RGW-Staaten Anfang der achtziger Jahre auswies, erreichte die RGW-Zusammenarbeit ihr Ziel, eine stabile Energieversorgung, nicht. Ähnliches galt für die Rohstoffversorgung. Das Konzept der Abkopplung vom Weltmarkt war gescheitert.
DAS AUSSENPOLITISCHE P R O F I L D E R K L E I N E R E N STAATEN IN O S T E U R O P A Unverändert blieben die Determinanten des östlichen Bündnissystems. Am 26. April 1985 unterzeichneten die Partei- und Staatsführungen der 6
Vgl. Christian Meier, Die politische Integration in Osteuropa, in: IP 1970-1972, S. 265-
281. 7 Kommuniqué über die 25. Tagung des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe in Bukarest vom 27.-29.7.1971, in: EA, 20/1971, S. D 478.
RUMÄNIEN
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Mitgliedstaaten des Warschauer Vertrages ein Protokoll über die Verlängerung des Vertrags für weitere 20 Jahre mit nachfolgender Verlängerung um zehn Jahre. Die Warschauer-Pakt-Staaten begründeten diesen Schritt mit der weiteren Existenz der N A T O und der Notwendigkeit, „die zuverlässige Sicherheit der verbündeten Länder und ihr enges Zusammenwirken in den internationalen Angelegenheiten zu gewährleisten." Sie bekräftigten, daß sie nicht nach militärischer Überlegenheit streben, aber auch keine militärische Überlegenheit über sich zulassen würden. Ferner schlugen sie vor, die Militärbündnisse N A T O und Warschauer Pakt gleichzeitig aufzulösen. 8 Es hatte einen Diskussionsprozeß erfordert, um über diese Verlängerung Übereinstimmung zu erzielen. Vor allem die Verlängerungsdauer war umstritten. Der rumänische Staats- und Parteichef Ceausescu sprach nach der Warschauer Sitzung offen davon, daß Rumänien eine kürzere Verlängerungsdauer angestrebt habe. 9 Der multilaterale Abstimmungsprozeß über die übernationalen Ziele der sozialistischen Gemeinschaft hatte sich als schwieriger erwiesen als in der Vergangenheit. Schon 1983 hatte der ungarische ZK-Sekretär Mätyäs Szürös die „Dialektik der nationalen Interessen und der übernationalen Zielsetzungen" in den Staaten Osteuropas zum Thema einer theoretischen Betrachtung gemacht. 10 Die praktischen Auswirkungen, die die Verfolgung nationaler Interessen im Rahmen der allgemeinen Zielsetzungen der sozialistischen Gemeinschaft hatten, zeigten sich am Profil der außenpolitischen Aktivitäten der kleineren Staaten Osteuropas.
Rumänien Schon seit den sechziger Jahren war es der rumänischen Führung immer wieder gelungen, außenpolitische Eigenständigkeit zu demonstrieren und auszubauen. Die „eigenwillige" Politik Rumäniens 11 verhinderte jedoch nicht die schwere innenpolitische Krise, in der sich das Land 1985/86 unverändert befand. Seit Anfang der achtziger Jahre hatte die rumänische Führung versucht, die Auslandsverschuldung drastisch zu reduzieren. Der Anteil der RGW-Staaten am Außenhandelsumsatz Rumäniens nahm zu. Die angespannte Versorgungslage vor allem mit Brennstoffen nötigte Rumänien,
8
Kommunique vom 26.4.1985, in: EA, 10/1985, S. D 282-284.
9
Agerpress, 22.5.1985.
1 0 Mätyäs Szürös, Interaction of the National and the International Interest in Hungarian Policy, in: The New Hungarian Quarterly, Bd. XV, Frühjahr 1984, S. 8-18. Die kritische Gegenposition aus der Tschechoslowakei vertreten Michal Stefanak und Ivan Hlivka, Närodni a internacionalni v politice KSC, in: Rüde Prdvo, 30.3.1984. 11
Roland Schönfeld, Rumäniens eigenwillige Politik, in: EA, 18/1987, S. 523-528.
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ENTWICKLUNGSTENDENZEN IN OSTEUROPA
enger mit den RGW-Staaten zu kooperieren. Im Zuge der langfristigen Kooperation im Rahmen des R G W traf die rumänische Führung Abstimmungen mit der U d S S R und mit der D D R über die wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit bis zum Jahr 2000. Auf höchster politischer Ebene führte Rumänien einen regen Gedankenaustausch mit den RGW-Staaten und der benachbarten jugoslawischen Föderation. Im O k t o b e r 1985 reiste Ceausescu in die Volksrepublik China. Anläßlich des Besuchs unterzeichneten beide Seiten ein Abkommen über ökonomische ;en und eine Handelsvereinbarung für den Zeitraum 1986 bis Ein zentrales Anliegen der rumänischen Führung war die Zusammenarbeit auf dem Balkan. Mit der Zielsetzung, dort eine kern- und chemiewaffenfreie Zone zu schaffen, nahm sie bulgarische Absichtserklärungen auf, die auf griechischer und jugoslawischer Seite positiv befürwortet wurden. Gleichzeitig entsprach das Konzept sowjetischen Vorstellungen über Zonen verdünnter Rüstung. A m 23. November 1986 veranstaltete die rumänische Führung zusätzlich eine Volksbefragung, bei der sich 99,99 Prozent der Bevölkerung für eine fünfprozentige Kürzung der Rüstungsausgaben aussprachen und einen Truppenabbau in beiden Militärbündnissen befürworteten. 13 D i e politischen Kontakte Rumäniens zu westlichen Staaten litten nicht unter der komplizierten inneren Situation. 1985 besuchten die Außenminister Großbritanniens, der Bundesrepublik Deutschland und der Vereinigten Staaten die rumänische Hauptstadt. Außerdem hielt die rumänische Führung ihre schon traditionellen Beziehungen, zum Nahen Osten aufrecht: im Februar 1985 besuchten sowohl der Regierungschef Israels als auch der PLO-Vorsitzende Yasser Arafat Bukarest. Zu Staaten der Dritten Welt baute Rumänien seine Beziehungen kontinuierlich aus. Ein außenpolitisches Problem hatte Rumänien auch im Berichtszeitraum nicht gelöst: D i e rechtliche und praktische Behandlung der in den rumänischen Grenzen lebenden ungarischen und deutschen Minderheiten blieb ein latentes Konfliktpotential. 1 4 Insbesondere das ungarisch-rumänische Verhältnis litt unter der Behandlung der Ungarn in Siebenbürgen. Als Ausdruck der Mißstimmungen ließ die rumänische Delegation auf dem Kulturforum der K S Z E in Budapest im November 1985 die Verabschiedung einer prozeduralen Schlußerklärung durch ihr Veto scheitern, vermutlich, weil sie von Ungarn eingebracht worden war. Inhaltliche Gründe dürften kaum vorgele-
Eine chronologische Übersicht findet sich in: Wladimir Potapov, Sozialistische Republik Rumänien, in: Jahrbuch der internationalen Politik und Wirtschaft 1986, Berlin (Ost) 1986, S. 417-420. 13
14 14
So Radio Bukarest, deutsches Programm, 24.11.1986. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Roland Schönfeld
in diesem Band.
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UNGARN
gen haben, da alle anderen Delegationen das Schlußdokument akzeptierten. 1 5
Ungarn Das ungarische außenpolitische Profil zeigte drei Scheitelpunkte: die ideologische Verankerung in der sozialistischen Gemeinschaft, die seit Amtsantritt Gorbatschows zumindest mit der sowjetischen Vormacht leichter fiel; den weiteren Ausbau der Beziehungen zu westlichen Staaten und der Nutzung der Chancen, die die Zugehörigkeit zum Internationalen Währungsfonds und zur Weltbank bot sowie der regionalpolitische Vorrang des Verhältnisses Ungarns zu Österreich. 1 6 In der sozialistischen Gemeinschaft setzte sich Ungarn für eine Verlängerung des Warschauer Vertrages ein. Parteichef Jänos Kädär betonte auf dem X I I I . Parteikongreß der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei im März 1985 die Notwendigkeit des östlichen Militärbündnisses in der bestehenden weltpolitischen Lage. Ungarn unterstützte die übernationalen Zielsetzungen der Staaten des Warschauer Vertrages: es setzte sich mit aller Kraft für die Fortsetzung des Ost-West-Dialogs ein, es begrüßte die Ergebnisse der Gespräche zwischen Gorbatschow und Reagan in Genf 1985, und ungarische Politiker unterzeichneten langfristige Programme zur Entwicklung der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit mit der UdSSR und mit der DDR. Die Beziehungen zu westlichen Staaten dienten aus ungarischer Sicht der Stabilisierung friedlicher Beziehungen zwischen den Blöcken. Entsprechend breit legte die ungarische Führung die Kontakte an. Großbritannien, Japan, die Niederlande, Norwegen, die Schweiz, Portugal und die Vereinigten Staaten waren Ansprechpartner auf höherer oder höchster Ebene. Auf wirtschaftlichem Gebiet konnten sich insbesondere die Kontakte mit der Bundesrepublik Deutschland intensivieren. Der Besuch des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Richard von Weizsäcker, im Oktober 1986 in Ungarn markierte deutlich die Fortschritte
1 5 Vgl. Wiegand Pabsch, S. 211-216.
in den
bilateralen
Das Kulturforum der KSZE in Budapest, in: EA,
7/1986,
1 6 Zur ungarischen Außenpolitik vgl. Geza Kotai, Ungarn in der sich wandelnden Welt der achtziger Jahre, in: EA, 11/1987, S. 313-322; Erhard Crome, Ungarn in den achtziger Jahren, Berlin (Ost) 1987; Klaus Detlev Grothusen (Hrsg.) Südosteuropa Handbuch Ungarn, Göttingen 1986; Mätyäs Szürös, Interaction of the National and the International Interests in Hungarian Foreign Policy, in: Päl Dunay (Hrsg.), Centre of Peace Research Coordination, Studies on Peace Research, Budapest 1986; Gabriella Izik-Hedri, The Dialectics of National and International Interests in the Socialist Community, in: Külpolitika, English Language Supplement 1984, S. 3-19; Andräs Hajdu, Uber die österreichisch-ungarischen Beziehungen nach 1945, in: Külpolitika, Anlage in deutscher Sprache 1986, S. 4-5.
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ENTWICKLUNGSTENDENZEN IN OSTEUROPA
Beziehungen. Diese reichten von effizienten joint ventures bis zur konstruktiven ungarischen Politik gegenüber der deutschen Minderheit, deren kulturelle Autonomie als Brücke zu den deutschsprachigen Ländern genutzt werden konnte. Osterreich und Ungarn strebten als Staaten mit unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen eine Art Sonderverhältnis an, das Vorbildcharakter beanspruchen sollte. Der Ausbau des kleinen Grenzverkehrs, visafreier Reiseverkehr bis hin zur Schaffung regionaler ökonomischer Strukturen über die Grenze hinweg, erwiesen sich als zukunftsträchtige Ansätze, um traditionelle Bindungen wiederzubeleben. 17 Ungarn richtete das Kulturforum der K S Z E aus und verfolgte unbeirrt das Ziel, eine Abschlußerklärung zu formulieren, die von Rumänien dann zu Fall gebracht wurde. Kulturelle Autonomieregelungen für Minderheiten entsprachen dem ungarischen nationalen Interesse, weil im benachbarten Rumänien eine starke ungarische Minderheit lebt, deren Rechtstellung aus ungarischer Sicht verbesserungsbedürftig ist. Die ungarische Minderheit in der jugoslawischen autonomen Provinz Vojvodina verursachte demgegenüber keine politischen Probleme. Die nationalen Fragen behielten im ostmitteleuropäischen und südosteuropäischen Raum ihre zentrale Bedeutung. Bulgarien Die bulgarische Führung verfolgte im Berichtszeitraum wie in der Vergangenheit einen Kurs engster politischer Abstimmung mit der UdSSR. Allein 1985 trafen sich der bulgarische Partei- und Staatschef Todor Shiwkow und der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow zweimal, die Regierungschefs sogar dreimal. Bulgarien schloß mit der UdSSR ein langfristiges Programm der ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit bis zum Jahr 2000. Beide Länder bildeten eine Wissenschafts- und Produktionsvereinigung auf dem Gebiet des Werkzeugmaschinenbaus und verabredeten einen Plan über die kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit bis 1990. Ähnliche bilaterale Vereinbarungen traf Bulgarien mit der D D R und weiteren sozialistischen Ländern. Ebenso baute es die Beziehungen zur Volksrepublik China aus: eine Parlamentsdelegation unter der Leitung des Vorsitzenden der Volksversammlung, Stanko Todorow, besuchte die V R China, einen Monat später, im Dezember 1985, kam der Stellvertretende Ministerpräsident Li Peng nach Bulgarien. Mit besonderem Nachdruck verfolgte die bulgarische Führung die Idee einer kernwaffenfreien Zone auf dem Balkan und hielt dabei Kontakt mit Rumänien und Griechenland. 18 Im 17
Vgl. Hajdu,
ebd., S. 36-38.
Vgl. Viktor Grebennikow, Volksrepublik Bulgarien, in: Jahrbuch internationale Politik und Wirtschaft 1986, Berlin (Ost) 1986, S. 265-269. 18
POLEN
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April 1986 fand der X I I I . Parteitag der bulgarischen kommunistischen Partei statt, auf dem Generalsekretär Shiwkow aber keine wesentlich neuen Akzente zur Außenpolitik setzte. Außenpolitische Schwierigkeiten mit der Türkei und der islamischen Konferenz provozierte 1985 die administrative Bulgarisierungskampagne, deren Opfer die türkischsprachige, meist islamische Minderheit in Bulgarien war. Mit der Slavisierung der türkisch-islamischen Namen sollte die einheitliche ethnische Besiedlung Bulgariens sichtbaren Ausdruck finden. Wie in anderen Balkan-Staaten blieb die rechtliche Position ethnischer Minderheiten in Bulgarien weiterhin ungesichert. 19
Polen Partei- und Regierungschef Jaruzelski ließ sich anläßlich der Verlängerung der Gültigkeitsdauer des Warschauer Vertrags im April 1985 wieder einmal durch den sowjetischen Generalsekretär Gorbatschow in Warschau bestätigen, daß die Wiederbelebung „revanchistischer Tendenzen" und die Änderung der „territorialen politischen Realitäten" Europas aussichtslos seien. 20 Gewiß wurde damit dem polnischen Trauma hinsichtlich der Endgültigkeit der Westgrenze Polens und einer möglichen deutsch-russischen Verständigung über Polen Rechnung getragen. Langfristige bilaterale Programme zur wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit unterzeichnete Polen mit der UdSSR und der D D R . Einen hohen Stellenwert maß die polnische Führung einer Wiederbelebung der Kontakte zur Volksrepublik China bei: Im September 1986 besuchte Jaruzelski zu einem kurzfristig anberaumten, zweitägigen Arbeitsbesuch Beijing. Die polnische Führung versuchte allenthalben, die Stellung Polens als wichtigster Gesprächspartner im östlichen Bündnis hinter der Sowjetunion herauszustellen. Dem gleichen Ziel dienten Begegnungen der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, Großbritanniens und Japans in Polen. Jaruzelskis Besuch in Paris, sein erster im westlichen Ausland im Dezember 1985, hatte vor allem den Zweck, die politische Isolation der polnischen Führung zu beenden; allerdings gab die französische Seite der Visite einen niedrigen protokollarischen Stellenwert. Eine Zäsur in den polnisch-sowjetischen Beziehungen markierte der Besuch Jaruzelskis Anfang März 1986 in Wilna. In dieser litauischen Stadt lebt eine zahlenmäßig starke polnische Minderheit, die Jaruzelski direkt
19
Vgl. Cyrill Stieger, Die bulgarischen Türken in Bedrängnis, in: NZZ, 9.1.1986, sowie Carl E. Buchaila, Der bulgarische Türke, in: SZ, 14.1.1986. 2 0 Vgl. Prawda, 28.4.1985.
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ENTWICKLUNGSTENDENZEN IN OSTEUROPA
ansprechen konnte. 2 1 Dieser Besuch bewies eine offenere sowjetische Haltung gegenüber bestimmten ethnischen Minderheiten und stärkte Jaruzelskis Prestige, da die Stadt Wilna für das polnische Nationalgefühl ähnlich bedeutend ist wie Tschenstochau. Mit diesen außenpolitischen Aktivitäten erreichte die polnische Führung zwar eine Rückkehr auf die internationale Bühne, doch noch keine langfristige, erfolgversprechende Stabilisierung des sozialen und ökonomischen Systems in Polen.
DDR Im östlichen Bündnissystem nimmt die D D R seit jeher eine Sonderstellung ein. 22 Die Sowjetunion hat seit Kriegsende Truppen in der D D R stationiert, begründet mit ihrem Status als Siegermacht und ergänzt durch bilaterale Vereinbarungen mit der D D R . Die D D R benötigte einen langen Zeitraum, um international als Staat handlungsfähig zu werden. Anfang der achtziger Jahre fehlte der D D R im wesentlichen noch die westliche Anerkennung; 1985 aber erfolgte der Durchbruch: Der DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker reiste im April nach R o m und traf dort mit dem Präsidenten Sandro Pertini und Ministerpräsident Bettino Craxi zusammen. Außerdem besuchte er Papst Johannes Paul II. im Vatikan. Im Oktober 1985 reiste Honecker zu einem Staatsbesuch nach Griechenland. Leitmotiv der D D R Außenpolitik war die seit 1983 immer wieder betonte Notwendigkeit, den Ost-West-Dialog auf allen Ebenen fortzuführen und Berechenbarkeit in den staatlichen Beziehungen herzustellen. Im Juni 1985 besuchte mit Laurent Fabius erstmals ein Premierminister Frankreichs Ost-Berlin. O b w o h l wirtschaftliche Fragen im Vordergrund standen, konnte der Besuch als ein Signal gewertet werden, daß die D D R nunmehr international akzeptiert war. Zur Westpolitik der D D R zählten auch die innerdeutschen Begegnungen. Auf höchster politischer Ebene fanden sie weiterhin in Drittländern statt, so im März 1985 und 1986 zwischen Erich Honecker und Helmut Kohl in Moskau und Stockholm anläßlich der Beisetzungen Konstantin Tschernenkos und O l o f Palmes. Beide Politiker verständigten sich in Moskau in einer
2 ' Vgl. die umfangreiche Berichterstattung über Jaruzelskis Besuch bei der polnischen Minderheit in Litauen, in: Trybuna Ludu, 1./2.3.1986.
22
Zur Sonderstellung der D D R vgl. Hans-Adolf Jacobsen u.a. (Hrsg.), Drei Jahrzehnte Außenpolitik der D D R , München u.a. 1979; Siegfried Küpper, Die D D R im sowjetischen System und ihr Sonderverhältnis zur Bundesrepublik Deutschland, in: Kaiser/Schwarz, a.a.O. (Anm. 5), S. 461-474; Bernhard von Plate, Spielraum und Interessen in der DDR-Außenpolitik, in: Außenpol., 2/1986, S. 149-161; Wilhelm Bruns, Zur Außenpolitik des XI. Parteitages der SED, in: Außenpol., 3/1986, S. 303-312; Peter Danylow, Der außenpolitische Spielraum der D D R , in: EA, 14/1985, S. 433-440.
TSCHECHOSLOWAKEI
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gemeinsamen Erklärung darauf, daß von deutschem Boden Frieden ausgehen müsse. Die SED-Führung versuchte ferner, ihre Kontakte zur SPD zu verstärken; auf Parteiebene wurden im Juni 1985 Gespräche über mögliche chemiewaffenfreie Zonen beendet und neue Unterredungen über von atomaren Gefechtsfeldwaffen freie Zonen im September 1985 begonnen. Die Unterzeichnung des Kulturabkommens zwischen beiden deutschen Staaten am 6. Mai 1986 bot erstmals seit Ende des Krieges eine Basis für einen verbesserten kulturellen Austausch zwischen beiden deutschen Staaten. 23 Obwohl der Text eines Abkommens noch keinerlei Aussagen über die zukünftige praktische Anwendung erlaubt, bedeutete er eine wachsende Normalität zwischen den deutschen Staaten. Eine Anpassung an internationale Gepflogenheiten bedeuteten die innerdeutschen Städtepartnerschaften, die am 5. Oktober 1986 mit der Städtepartnerschaft zwischen Saarlouis und Eisenhüttenstadt eingeleitet, im Ausland allerdings mit Argwohn betrachtet wurden. Die außenpolitischen Aktivitäten der D D R in Richtung Westen, einschließlich der sicherheitspolitischen Vorstöße, markierten einen Wendepunkt der DDR-Außenpolitik. Zwar entsprachen alle DDR-Initiativen den Absprachen im Rahmen des Warschauer Pakts, die Loyalität der D D R gegenüber dem östlichen Bündnissystem blieb unzweifelhaft und wurde durch langfristige Programme gefestigt, aber die Ausgestaltung der praktischen Außenpolitik schuf eine neue Situation, ein neues Rollenverständnis der D D R im östlichen Bündnis. 24 Mit dem Besuch Erich Honeckers in Beijing im Oktober 1986 reaktivierte die D D R die Beziehungen zur V R China auf höchster Ebene. Von chinesischer Seite wurde erklärt, daß die Parteibeziehungen nicht wieder aufgenommen zu werden brauchten, weil man sie niemals abgebrochen habe. 25 Damit gelang es der S E D als erster osteuropäischer Regierungspartei, die Beziehungen zur Kommunistischen Partei Chinas wiederzubeleben. Tschechoslowakei Die CSSR zeigte im Berichtszeitraum ein niedriges außenpolitisches Profil. Dies mochte durch die nachwirkenden Traumata des Jahres 1968 begründet sein. Eigenständige Initiativen entwickelte die ¿SSR-Führung nicht, sondern 23
24
Der Text des Kulturabkommens ist abgedruckt in: EA, 11/1986, S. D 292-295.
Vgl. dazu Danylow, a.a.O. (Anm. 22); Bernhard von Plate, Zum Profil der DDR in der sozialistischen Staatengemeinschaft, Ebenhausen (SWP - AP 2513), März 1987; Gerhard Hahn, DDR-Außenpolitik - zuverlässig, berechenbar, initiativreich, in: Horizont, 5/1986, S. 3/4; Fred S. Oldenburg, East German Foreign and Security Interests, in: Edwina Moreton (Hrsg.), Germany between East and West, Cambridge 1987, S. 108-122. 2 5 So Deng Xiaoping laut ADN, 24.10.1986, sowie Xinhua, 23.10.1986.
244
ENTWICKLUNGSTENDENZEN IN OSTEUROPA
ordnete sich in die Vorhaben zur Effizienzsteigerung im Rahmen des R G W ein. Sie schloß Abkommen über die langfristige Zusammenarbeit bis zum Jahr 2000 mit den europäischen RGW-Partnern und achtete stark auf die Kontinuität in den Beziehungen zur Sowjetunion. Die stärkste außenpolitische Aktivität entfaltete die ¿ S S R gemeinsam mit der D D R , als sie der Bundesregierung die Schaffung einer chemiewaffenfreien Zone in Europa vorschlug. 2 6 Auf Außenministerebene hielt die Tschechoslowakei Kontakte zu westlichen Staaten, beispielsweise zu Osterreich, der Bundesrepublik Deutschland, zu Frankreich und Italien. Mit regionalpolitischen Aktivitäten hielt sich die ¿ S S R eher zurück. Der tschechoslowakische Dialog mit Osterreich ist bei weitem nicht so weit gediehen wie der zwischen Ungarn und Österreich. AUSSENPOLITIK U N D ÖKONOMIE Alle RGW-Staaten, einschließlich der Sowjetunion, sahen sich im Berichtszeitraum einer veränderten ökonomischen Gesamtsituation gegenüber. Die Sowjetunion konnte die Bereitstellung von Energie und Rohstoffen nicht mehr in beliebigem Umfang gewährleisten. Die Devisensituation erlaubte nicht ohne weiteres, auf den Weltmarkt auszuweichen. Hinzu kam das Unglück von Tschernobyl Ende Mai 1986, 27 das die weitreichenden Ausbaupläne für den Sektor Kernenergie in der Sowjetunion relativierte und in den kleineren Staaten Osteuropas psychologische Vorurteile gegenüber sowjetischer Technik bestärkte. Die Finanzlage aller osteuropäischen Staaten verschlechterte sich: Der Ölpreisrückgang führte 1985 zu einer Neuverschuldung der U d S S R um sechs Milliarden Dollar. Polen benötigte Kredite, um wenigstens den Schuldendienst zu leisten. Die D D R und Ungarn hatten ihre Liquiditätsschwierigkeiten überwunden, benötigten aber neue Kredite, um die notwendigen Investitionen zu tätigen, die wegen der verringerten Importe zu kurz gekommen waren. Die radikale Entschuldungspolitik der Rumänen erschwerte im wesentlichen die Situation der Bevölkerung; aufgrund mangelnder Investitionstätigkeit unterblieb die notwendige Umstrukturierung der Ökonomie. Zu diesen inneren Schwierigkeiten der RGW-Länder kam ein steigender Druck von seiten der Sowjetunion, qualitativ höherwertige Güter im Rahmen der RGW-Zusammenarbeit zu liefern. 28 Die Erzeugung weitmarkt26
Vgl. H a n n e s Gabriel, T s c h e c h o s l o w a k i s c h e Sozialistische R e p u b l i k , in: J a h r b u c h internationale Politik u n d Wirtschaft 1986, Berlin ( O s t ) 1986, S. 447-453. 27 Vgl. hierzu auch den Beitrag von H a n n s W . M a u l l in diesem B a n d . 28
J ü r g e n Nötzold, A n d r ä s Inotai, K l a u s Schröder, D i e Wirtschaftsbeziehungen zwischen O s t u n d West unter veränderten V o r a u s s e t z u n g e n , Ebenhausen ( S W P - A Z 2487), A u g u s t 1986, S. 54-58.
AUSSENPOLITIK UND IDEOLOGIE
245
fähiger Produkte erforderte aber Ost-West-Wirtschaftskontakte in größerem Umfang, um den Kontakt zu den Anforderungen des Weltmarkts nicht zu verlieren. Insofern verhehlten die kleineren Staaten nicht ihr großes Interesse an einer weiteren Verbesserung der Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen. Ihre Wissenschaftler setzten sich für die Notwendigkeit engerer ökonomischer Kooperation zwischen O s t und West ein. 2 9
AUSSENPOLITIK UND IDEOLOGIE Mit dem Amtsantritt des sowjetischen Generalsekretärs Gorbatschow im März 1985 wurde ein Prozeß ideologischen Umdenkens im R G W erkennbar. 3 0 In der Außenpolitik der kleineren osteuropäischen Staaten stabilisierten sich die Bemühungen, die West-Beziehungen auszubauen. Besonders erfolgreich waren dabei die D D R und Ungarn, die an ihrer Bündnisloyalität niemals Zweifel aufkommen ließen, ebensowenig an der ideologischen Verankerung und am besonderen Verhältnis zur Vormacht des östlichen Bündnisses, der Sowjetunion. In gewisser Weise ermöglichte die sowjetische Führung diese Haltung, weil sie ihrerseits den Begriff der friedlichen Koexistenz mit einem neuen Inhalt versah: Nicht mehr die taktische Atempause im Kampf gegen den Kapitalismus war gemeint, sondern die Notwendigkeit, auf unabsehbare Zeit in Koexistenz mit Staaten verschiedener Gesellschaftssysteme leben zu müssen, da spätestens nach Tschernobyl die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung zwischen den Blöcken als untragbar angesehen wurde. Ideologische Qualität besaß auch die Wiederannäherung der kleineren Staaten an die Volksrepublik China: sie revidierten für ihre regierenden Parteien den Bruch mit der Kommunistischen Partei Chinas. De facto lief dieser Schritt auf die Bekräftigung der polyzentrischen Organisation des internationalen Kommunismus hinaus, die aber durch die K P d S U noch sanktioniert werden mußte.
2 9 Vgl. z.B. die Studie von Läszlo Csaba, Fundamental Issues of the CMEA'S Intraregional Monetary System, in: ders. (Hrsg.) Three Studies on the CMEA, Budapest 1985, S. 38-45; Adam Gwiazda, Das Währungssystem der RGW-Länder, in: APZ, Nr. 4, 25.1.1986, S. 28-37. 3 0 Dies verdeutlichten u.a. die Losungen zum 1. Mai 1986, die zumindest für den Bereich der KPdSU völlig mit den Traditionen brachen. Die SED war in dieser Hinsicht sehr viel vorsichtiger und wahrte die eigenen Konventionen. Ausführlich in: Peter Danylow, Vorwärts in welche Richtung?, in: DA, 6/1986, S. 565-567, ders., Revolutionäre Umgestaltung und revolutionäre Selbstgewißheit, in: DA, 6/1987, S. 563-565.
246
ENTWICKLUNGSTENDENZEN IN OSTEUROPA
D i e a u ß e n p o l i t i s c h e n H a n d l u n g s s p i e l r ä u m e d e r kleineren Staaten O s t e u r o p a s k o n n t e n sich i m B e r i c h t s z e i t r a u m o f f e n b a r e r w e i t e r n , 3 1 n u t z b r i n g e n d einsetzen ließen sie sich allerdings n u r bedingt, weil die
ökonomischen
Schwierigkeiten die bestehenden A b h ä n g i g k e i t e n v e r s t ä r k t e n . D o c h ist festzustellen, d a ß d e r A u s b a u d e r i n n e r e u r o p ä i s c h e n b l o c k ü b e r g r e i f e n d e n B e z i e h u n g e n d u r c h die Staaten O s t e u r o p a s d e n s o w j e t i s c h e n A m b i t i o n e n
und
I n t e r e s s e n nicht m e h r u n b e d i n g t w i d e r s p r a c h .
3 1 Diese Folgerung ist nicht unstrittig, sie hängt im wesentlichen von der Definition des Begriffs „außenpolitischer Spielraum" ab. Vgl. hierzu Eberhard Schulz, Einheit in der Vielfalt Das neue Motto der sowjetischen Osteuropapolitik?, in: Sowjetunion 1986/87. Ereignisse, Probleme, Perspektiven, München/Wien 1987, S. 265-274, sowie aus osteuropäischer Sicht Peter Hardt, Die Bedeutung der Ost-West-Zusammenarbeit für die osteuropäischen Länder, in: EA, 13/1986, S. 383-392. Eine konträre Position vertritt: Magarditsch A. Hatschikjan, Der Ostblock und Gorbacov 1986. Zur Block- und Westpolitik der kleineren Warschauer-Pakt-Staaten, St. Augustin (Forschungsinstitut der Konrad-Adenauer-Stiftung, Interne Studien, Nr. 7) 1987, S. 52-55.
ALTE U N D NEUE KONFLIKTE AUF DEM BALKAN
Von Roland Schönfeld Die Balkan-Staaten Albanien, Bulgarien, Jugoslawien und Rumänien, entstanden aus dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und der Habsburger Monarchie, waren von Anfang an ein bevorzugtes Ziel der Hegemonialpolitik europäischer Großmächte. Für die außenpolitische Anlehnung der kleineren Länder an eine der sich anbietenden „Schutzmächte" war stets ein Bündel von Beweggründen und Absichten maßgebend. So legte ihre ausgeprägte wirtschaftliche Unterentwicklung bei hochgradiger Abhängigkeit vom Außenhandel eine Orientierung nach solchen fortgeschrittenen Industrieländern nahe, die sich für Balkan-Produkte aufnahmefähig zeigten und bereit waren, durch Kapital- und technische Hilfe die Modernisierung dieser rückständigen Volkswirtschaften, aus welchen Gründen auch immer, zu fördern. Auch die willkürlichen Grenzziehungen aufgrund der Pariser Vorortverträge nach dem Ersten Weltkrieg boten genügend Anlaß, sich nach einflußreichen Protektoren umzusehen, die den gewonnenen Besitzstand garantierten oder die Revision der Friedensschlüsse und die Erfüllung unbefriedigter territorialer Ansprüche versprachen. Zudem waren die neuen Kleinstaaten in der Balkan-Region mit schweren Nationalitätenproblemen belastet. Jeder von ihnen umfaßte Volksgruppen von unterschiedlicher Herkunft, Sprache und Religion, oft auch von stark abweichendem Lebensstandard und Bildungsniveau. Die Integration der Minderheiten oder gar die Assimilierung zu einem einheitlichen Staatsvolk gelang nirgends. Nationalitätenpolitik führte in diesen Ländern immer zu Diskriminierung und Unterdrückung der Minderheiten. Innenpolitischer Konfliktstoff häufte sich an, der auch die außenpolitischen Beziehungen der Balkan-Staaten untereinander jederzeit zu gefährden drohte. Durch die radikale Veränderung der politischen Zustände auf dem Balkan nach dem Zweiten Weltkrieg wurde keines dieser Probleme wirklich gelöst. Auch von der Sowjetunion als neuer Hegemonialmacht wurde die territoriale Vorkriegsordnung anerkannt und wiederhergestellt. Die damaligen „Gewinner" blieben im wesentlichen unbeschädigt, die Sehnsüchte der „Revisionisten" wurden nicht erfüllt. Mit Hilfe einer rigorosen Befehlswirtschaft sowjetischen Typs, die diesen Staaten binnen weniger Jahre aufgezwungen wurde, konnte zwar der vordem nur rudimentäre Industrialisierungsprozeß enorm beschleunigt werden. Doch der forcierte Aufbau der Schwerindustrie und die planmäßige Vernachlässigung der Landwirtschaft, der Konsumgüterfertigung und des Handwerks führten bald zu schweren, wachstumshemmenden Disproportionen der Wirtschaftsstruktur. Das enge Exportangebot und die unzureichende Qualität der Industrieprodukte behinderten die Reintegration dieser Länder in die Weltwirtschaft. So bot sich auch ökono-
248
ALTE UND NEUE KONFLIKTE AUF DEM BALKAN
misch kaum eine Alternative zur engen Zusammenarbeit mit der rohstoffreichen Sowjetunion, von deren anspruchslosem Markt keine Anreize zur Verbesserung der Produktqualität und zur Beschleunigung des technischen Fortschritts ausgingen. Diejenigen sozialistischen Balkan-Länder, die sich aus politischen Gründen der Umarmung des sowjetischen Wirtschaftskolosses entzogen, bezahlten diese Distanzierung entweder mit niedrigem Lebensstandard oder mit horrender Auslandsverschuldung. Die außenpolitische Differenzierung der Balkan-Staaten nahm gegenüber der Zwischenkriegszeit noch zu. Während sich Griechenland und die Türkei dem westlichen Verteidigungsbündnis anschlössen, wurde Jugoslawien schon 1948 aus dem Kominform verstoßen, betrachtete sich fortan als „blockfreies" Land und stützte sich stark auf westliche, vor allem amerikanische Finanzhilfe. Albanien trennte sich von der „revisionistischen" Sowjetunion und trat 1962 aus dem Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe ( R G W ) , 1968 aus dem Warschauer Pakt aus. Lediglich Bulgarien und Rumänien verblieben im sowjetischen Bündnissystem, jedoch unterschied sich die Intensität ihrer Mitarbeit schon seit den sechziger Jahren erheblich. Während Rumänien bemüht war, einen möglichst großen außen- und wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum in den internationalen Organisationen des Sowjetblocks zu gewinnen, profitierte Bulgarien von betonter Bündnistreue und engstmöglicher Anlehnung an die UdSSR vor allem beim Industrieaufbau. Die innenpolitischen und wirtschaftlichen Zustände in Rumänien, wie sie sich bis 1986 entwickelt hatten, waren dagegen eher geeignet, auf andere Blockpartner als abschreckendes Beispiel für die Folgen einer antisowjetisch orientierten Autonomiepolitik zu wirken. Die Minderheitenfrage, die sich den Balkan-Staaten Jugoslawien, Rumänien und Bulgarien in besonderem Maße stellt, ist auch unter kommunistischer Herrschaft nirgend befriedigend gelöst worden. Wie schon in der Sowjetunion, 1 so erwies sich auch in den jüngeren sozialistischen Ländern der Balkan-Region, daß das Selbstbestimmungsrecht der Minderheiten unter kommunistischer Einparteiherrschaft nicht gewährleistet ist und die These von der zwangsläufigen Herausbildung einer „sozialistischen Nation" vom Mehrheitsvolk eher als Rechtfertigung einer repressiven, auf Assimilation abzielenden Nationalitätenpolitik begriffen wird. Die Spannungen innerhalb dieser Staaten nahmen hie und da dramatisch zu. Streitigkeiten um Fragen der ethnischen Zugehörigkeit, die Demontage von Minderheitenrechten und die Sorge der Regierungen um die in den Nachbarstaaten lebenden Angehörigen des eigenen Volks bargen beträchtlichen Sprengstoff. Die Beziehungen zwischen Ungarn und Rumänien, der Türkei und Bulgarien, Bulgarien und Jugoslawien, Jugoslawien und Albanien verschlechterten sich aus diesem
1
V g l . B o r i s Meissner,
R o l a n d Schönfeld
D i e „nationale F r a g e " in marxistischer u n d leninistischer S i c h t , i n :
( H r s g . ) , N a t i o n a l i t ä t e n p r o b l e m e in S ü d o s t e u r o p a , M ü n c h e n 1 9 8 7 , S. 9 - 3 1 .
249
NATIONALITÄTENPROBLEME
Grund in den achtziger Jahren erheblich. Die zunehmende Verschärfung der Nationalitätenkonflikte auf dem Balkan vermehrte die Bedeutung dieser Region als weltpolitischer Krisenherd. Der Sowjetunion kam diese Entwicklung wohl nicht ungelegen, verminderte sie doch die Chancen der von diesen Völkern immer wieder erstrebten Balkan-Union, die nur gegen die sowjetischen Interessen gerichtet sein konnte. NATIONALITÄTENPROBLEME UND UNGELÖSTE TERRITORIALE FRAGEN
„Mitwohnende
Nationalitäten " in Rumänien
Die eklatante Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Rumänien seit Ende der siebziger Jahre ließ auch die Lebensbedingungen der in diesem Land wohnenden Minderheiten, insbesondere der Ungarn und Deutschen, in neuem Licht erscheinen. Je stärker die rumänische Nationalitätenpolitik ins Kreuzfeuer internationaler Kritik geriet, desto apodiktischer behauptete Partei- und Staatschef Nicolae Ceausescu, Rumänien habe seine Nationalitätenprobleme auf der Basis gleicher Rechte für alle Bürger gelöst. Auch wenn der Bevölkerung insgesamt nur ein Minimum an Bürgerrechten zustand, so war diese offizielle Regierungsmeinung doch kritisch zu beurteilen. Rumänien, das mehrere, zum Teil beträchtliche Minderheiten innerhalb seiner Staatsgrenzen beherbergt, hatte sich bei der Verwirklichung des in allen seinen Verfassungen verankerten Minderheitenschutzes schon immer schwer getan. Die Friedensschlüsse nach dem Ersten Weltkrieg hatten Rumänien, vor allem auf Kosten Ungarns, eine enorme Arrondierung seines Territoriums zugesprochen. D e r Bevölkerungszuwachs bestand aber nicht nur aus Rumänen, sondern auch aus zahlreichen Ungarn und Deutschen, die zum Teil in fast geschlossenen Siedlungsgebieten lebten, sowie aus kleineren ethnischen Gruppen von Serben, Bulgaren, Ukrainern, Zigeunern und Juden. Auch vom Komintern war Rumänien als multinationaler Staat vorgesehen. Nach der Kapitulation von 1944 blieben die territorialen Gewinne im Frieden von Trianon im großen und ganzen erhalten, unter der Bedingung, daß für die ungarische Minderheit eine „Autonome Ungarische Region" (Regiunea Autonoma Maghiara) errichtet werde.
Die deutsche
Bevölkerungsgruppe
Die durch Flucht und Verschleppung dezimierte deutsche Bevölkerung spielte keine wesentliche Rolle mehr. Ihrer Minderheitenrechte beraubt, 2 Vgl. dazu Hans Hartl, Zum Exodus der Deutschen aus Rumänien, in: Mitteilungen, Nr. 27/1987, S. 220-228.
Südosteuropa
250
ALTE UND NEUE KONFLIKTE AUF DEM BALKAN
bemühten sich nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Rumänien und der Bundesrepublik Deutschland viele Deutsche um Aussiedlung. Sie wurden dabei von der Bundesregierung unterstützt, die in Bukarest immer wieder auf eine liberalere Handhabung der Ausreisegesetze drang und sich ihrerseits mit Kreditbürgschaften, mit der Unterstützung rumänischer Absatzwünsche im Gemeinsamen Markt, oder seit der rumänischen Zahlungskrise von 1981 bei den Umschuldungsverhandlungen großzügig gezeigt hatte. Seit Ende der siebziger Jahre konnten im Rahmen der „Familienzusammenführung" und gegen ein von der Bundesregierung gezahltes „Kopfgeld" jährlich 10 000 bis 15 000 Deutsche ihre Heimat in Siebenbürgen und im Banat verlassen. Sieht man von gelegentlichen Unstimmigkeiten wegen zusätzlich geforderter Ausbildungsgebühren oder angeblich von den Aussiedlern verlangter Schmiergelder ab, so gab es zwischen der Bundesrepublik und Rumänien über die deutsche Minderheit keine ernsthaften Auseinandersetzungen. Dagegen hat sich das Verhältnis Rumäniens zu Ungarn von einem Historikerstreit zu einem Skandal unter sozialistischen Bruderländern ausgewachsen. Die ungarische
Bevölkerungsgruppe
Der Unterschied der Probleme ist evident: Während sich die Frage der deutschen wie auch der jüdischen Minderheit durch Auswanderung und Assimilation allmählich löst, haben die in Rumänien lebenden fast zwei Millionen Ungarn, denen eine Ausreise versagt bleibt, ihre Hoffnung auf Erhaltung ihrer nationalen Identität offenbar nicht aufgegeben und werden darin vom benachbarten Mutterland lebhaft bestärkt. Bis vor wenigen Jahren hatte die ungarische Regierung, die unter erheblichem Druck ihrer Bevölkerung steht, das Los der „Magyaren" in Rumänien zu erleichtern, vorwiegend bilaterale diplomatische Kanäle gewählt, um die Regierung in Bukarest umzustimmen. Schon das Treffen der beiden Parteiführer Jänos Kadar und Nicolae Ceausescu im Juni 1977 brachte grundsätzliche Positionsunterschiede zutage. Weitere Gespräche auf Politbüro- und Regierungsebene verliefen ergebnislos. Verbale Auseinandersetzungen, die sich vor allem an der offiziellen rumänischen These von der dakorumänischen Kontinuität in Siebenbürgen entzündeten und wiederholt in gegenseitigen Schmähungen und Diffamierungen gipfelten, überließen die Regierungen ihren Wissenschaftlern. Bei diesem Professorenstreit fehlte es von rumänischer Seite auch nicht am Vorwurf des territorialen Revisionismus, der in kaum verhüllter Form der ungarischen Parteiführung gemacht wurde. 3 Tatsächlich war die Rückforde3
Vgl.
Anneli
Ute
Gabanyi,
Ein
Wort
L ä n c r ä n j a n ( D o k u m e n t a t i o n ) , i n : Südosteuropa,
über
Siebenbürgen.
Der
N r . 3 2 / 1 9 8 3 , S. 4 9 - 6 0 .
Essay-Band
von
Ion
DIE U N G A R I S C H E B E V Ö L K E R U N G S G R U P P E
251
rung der ehemals ungarischen Gebiete Rumäniens nie offiziell gestellt worden. Doch Kädär hatte wiederholt, auch auf der KSZE-Konferenz in Helsinki im Juli 1975, vom „imperialistischen Friedensdiktat" von Trianon und dessen territorialen Folgen für Ungarn gesprochen. 4 1986 erhielten die Zwistigkeiten zwischen Ungarn und Rumänien eine neue, brisantere Qualität, als die ungarische Regierung ihre Beschwerden über die Behandlung ihrer Landsleute in Rumänien - und implizit auch in der Tschechoslowakei — erstmals vor internationalen Foren, auf den KSZE-Folgetreffen in Bern im Mai und in Wien im Dezember 1986, darlegte und in der Nationalitätenpolitik „jegliche Art von Nationalismus und insbesondere dessen schlimmste Form, die Zwangsassimilation", anprangerte. 5 Ihre Behauptung, die in der rumänischen Verfassung verankerten Nationalitätenrechte würden der ungarischen Minderheit in Rumänien vorenthalten, sind kaum zu widerlegen. Die „Autonome Ungarische Region" wurde im Rahmen der Gebietsreform von 1968 abgeschafft, womit nur die rechtliche Konsequenz aus der Tatsache gezogen wurde, daß es einen autonomen Status der Minderheit nicht mehr gab. 6 Längst war die ungarische Bolyai-Universität in Cluj (Klausenburg) mit der örtlichen rumänischen Universität verschmolzen, waren ungarische Volks- und Mittelschulen mit rumänischen Schulen zusammengelegt worden. Diese Maßnahmen waren um so leichter zu rechtfertigen, als der Industrialisierungsprozeß den Zuzug der rumänischen Landbevölkerung in die von Ungarn bewohnten Städte förderte. Der von der Regierung forcierte technische Unterricht mit seiner starken Anziehungskraft auf die Jugend wurde bald fast ausschließlich in rumänischer Sprache erteilt. Auf Klagen über die Einschränkung des muttersprachlichen Unterrichts angesprochen, hatte Ceausescu schon 1975 geäußert: „Wenn rumänische Spezialisten in arabische Länder geschickt werden, müssen sie Arabisch lernen" 7 - ein wohl absichtlich schiefer und demütigender Vergleich. Als Amtssprache wurde Ungarisch mehr und mehr verdrängt. Von politischem Einfluß sahen sich die Angehörigen der Minderheit zunehmend ferngehalten. Ihrer Interessenvertretung, dem „Rat der Werktätigen ungarischer Nationalität", kam wohl von Anfang an kaum mehr als eine Alibifunktion zu.
4
Nepszabadsäg,
1.8.1975.
Kathrin Sitzler, Budapest zur Nationalitätenfrage und zu den ungarisch-rumänischen Beziehungen (Dokumentation), in: Südosteuropa, Nr. 36/1987, S. 276-290. 5
6 Vgl. dazu Bennett Kovrig, The Magyars in Romania. Problems of a „Coinhabiting" Nationality, in: Schönfeld, a.a.O. (Anm. 1), S. 213-230. 7 Nicolae Ceausescu, Bukarest 1975, S. 42.
Romania pe drumul construirii socialiste multilateral dezvoltate,
252
ALTE UND NEUE KONFLIKTE AUF DEM BALKAN
Diese gleichmacherische, zur Assimilation drängende Politik gegenüber den Minderheiten ist in weiten Kreisen der rumänischen Bevölkerung populär. Der lange, vergebliche Kampf der Rumänen im 19. Jahrhundert, neben den Ungarn, Szeklern und Sachsen in Siebenbürgen als „vierte Nation" anerkannt zu werden, wie auch die intolerante, ebenfalls wesentlich auf die Schulpolitik gestützte „Magyarisierung" durch das ungarische Herrenvolk sind unvergessen. Als die Ungarische Akademie der Wissenschaften im November 1986 eine dreibändige „Geschichte Siebenbürgens" unter der redaktionellen Leitung von Kulturminister Béla Köpeczi veröffentlichte und ihre Kritik an der rumänischen Kontinuitätstheorie erneut dokumentierte, konnte die rumänische Führung, die die ungarischen Behauptungen als faschistisch, chauvinistisch und rassistisch brandmarkte, des Beifalls vieler Rumänen sicher sein. Furcht vor einem ungarischen Revisionismus, der Rückendeckung bei der Sowjetunion finden könnte, ist in Rumänien leicht zu wecken. Die Multinationalität Rumäniens, die der Führungsmacht im Block einen Hebel bieten würde, um die widerspenstige rumänische Parteiführung zu disziplinieren, wird als Schwachstelle empfunden, die es zu beseitigen und durch den in der Verfassung längst vorgesehenen sozialistischen Einheitsstaat zu ersetzen gilt: „Für die kleineren und mittleren Staaten bedeutet die Stärkung der Nation und der nationalen Einheit den einzigen Weg, um ihre Freiheit und Unabhängigkeit gegen die Politik der Beherrschung und Aufteilung der Welt zu verteidigen. 8
Bessarabien und die Bukowina: ein zukünftiger
Konfliktherd?
Sicher nicht zufällig erfolgte diese Erklärung über Radio Bukarest am 26. Juni 1985, dem 45. Jahrestag des sowjetischen Ultimatums, das die Abtretung Bessarabiens und der Nord-Bukowina an die UdSSR zur Folge hatte. Beide Gebiete waren im Mittelalter Teile des Fürstentums Moldau gewesen und gerieten jahrhundertelang unter türkische Herrschaft. Während die Bukowina, das auch von Deutschen stark besiedelte Buchenland, im 18. Jahrhundert von Osterreich einverleibt wurde, fiel Bessarabien durch den Frieden von Bukarest 1812 an Rußland. Nach dem Ersten Weltkrieg mit Unterstützung der Westmächte Rumänien zugesprochen, wurden Bessarabien und die nördliche Bukowina 1944 von der UdSSR annektiert. Mit dieser Erwerbung drang die Sowjetunion auch territorial in den Balkan-Raum ein und wurde zu einem Anliegerstaat der Donau mit dem Recht zur Teilnahme an der
8
Radio Bukarest, 26.6.1985, zitiert nach: Anneli Ute Gabanyi, nationalen Interesses, in: Südosteuropa, Nr. 34/1985, S. 416.
Rumäniens Politik des
BESSARABIEN U N D DIE B U K O W I N A
253
Donau-Konferenz in Belgrad 1948 und der dort gegründeten DonauKommission.9 Mit der bewußten Distanzierung von der Sowjetunion seit den sechziger Jahren zeigte sich die Partei- und Staatsführung Rumäniens immer weniger bereit, die von ihren moskauhörigen Vorgängern im Pariser Friedensvertrag 1947 anerkannte Abtretung vor der rumänischen Bevölkerung zu rechtfertigen. 1972 kritisierte Ceausescu die Kommunistische Partei der Nachkriegsjahre erstmals öffentlich dafür, daß sie „in der nationalen Frage falsche Standpunkte eingenommen und auch unrichtige Behauptungen über die Abtrennung einiger Gebiete vom rumänischen Staat" aufgestellt habe. 10 Die inzwischen von der Parteiführung angeregte und geförderte Diskussion der Bessarabien- und Bukowina-Frage unter rumänischen Historikern hatte prompt den Protest der KPdSU herausgefordert, die ihrerseits sowjetische Historiker aufbot, um die Annexion dieser Gebiete wissenschaftlich zu legitimieren. Ceausescu sah sich im Juni 1976 veranlaßt zu erklären, daß es „zwischen der Sozialistischen Republik Rumänien und der UdSSR keine territorialen Fragen" gebe,11 und einen Staatsbesuch in der Moldauischen SSR zu absolvieren, die aus ehemals rumänischen Gebieten gebildet worden war. Bei dem „Stellvertreterkrieg" rumänischer und sowjetischer Wissenschaftler, der bis 1986 unvermindert anhielt und durch die rumänisch-ungarischen Auseinandersetzungen über die Siebenbürgen-Frage eher noch angeheizt wurde, ging es im wesentlichen um die ethnische Zugehörigkeit der Bevölkerung in Bessarabien und der Bukowina. Wie fast überall auf dem Balkan ist die Einwohnerschaft dieser Gebiete bunt gemischt. Rumänisch sprechende „Moldauer" bilden nach wie vor die Mehrheit. Während die sowjetischen Gelehrten zu beweisen versuchen, daß es sich dabei um ein ostromanisches Volk handle, das mit den Rumänen verwandt, aber nicht identisch sei, bestehen die rumänischen Wissenschaftler auf deren Rumänität. In den achtziger Jahren erhielt der rumänisch-sowjetische Gelehrtenstreit über Bessarabien und die Bukowina eine neue Gangart. In mehreren Beiträgen im theoretischen Organ des Historischen Instituts beim Zentralkomitee der Rumänischen Kommunistischen Partei Anale de Istorie wurden auch der Pariser Friedensvertrag von 1947 und das Verhalten der UdSSR bei den Verhandlungen einer gründlichen Analyse und Kritik unterzogen. Die sowjetische Regierung habe die rumänische Delegation damals mit ihren 9
Vgl. Huey Louis Kostanick, The Geopolitics of the Balkans, in: Charles und Barbara Jelavich (Hrsg.), The Balkans in Transition, Hamden, Conn. 1963, Nachdruck 1974, S. 33 ff. Zum folgenden vgl. auch Dionisie Ghermani, Die nationale Souveränitätspolitik der SR Rumänien, München 1981, S. 178 ff. 10 Sdnteia, 23.7.1972. 11
Sdnteia,
3.6.1976.
254
ALTE UND NEUE KONFLIKTE AUF DEM BALKAN
„legitimen Forderungen" im Stich gelassen und bewußt irregeführt, lautete der Tenor. 1 2 Daß diese brisante Diskussion auch dann weitergeführt wurde, als die rumänische Führung gezwungen war, im Interesse der überstrapazierten Zahlungsbilanz einen intensiven Warenaustausch mit der UdSSR zu suchen, zeigt die Bedeutung, die dieser Frage in der rumänischen Öffentlichkeit und vor allem unter der Intelligenz beigemessen wird. Für die kommunistische Führung Rumäniens, die sich gern als Sachwalterin nationaler Interessen geriert, hat die in Wissenschaft und Publizistik entfachte Kampagne um die Nord-Bukowina und Bessarabien den Zweck der Legitimierung. Selbstherrliche Gesten gegenüber der Hegemonialmacht dienen der rumänischen Regierung dazu, ihr durch Versorgungsmisere und innenpolitische Unterdrückung geschädigtes Ansehen bei ihrer patriotisch und antisowjetisch empfindenden Bevölkerung zu verbessern.
Die Makedonien-Frage:
bulgarisch-jugoslawischer
Zankapfel
Für die westlichen Medien war neben den blutigen Unruhen im jugoslawischen Kosovo, den ungarisch-rumänischen Auseinandersetzungen über Siebenbürgen oder der Behandlung der türkischen Minderheit in Bulgarien der eher unterschwellig schwelende Makedonien-Konflikt in den achtziger Jahren kaum noch ein Thema, trotz gründlicher wissenschaftlicher Untersuchungen. 13 Die Makedonische Frage als das „klassische heiße Eisen auf dem Balkan" 1 4 rückte in den Hintergrund. Das slawische Volk der Makedonier, dessen Siedlungsgebiet zwischen Jugoslawien, Bulgarien und Griechenland geteilt wurde, ist in Sprache und Kultur sowohl den Bulgaren als auch den Serben verwandt. Bulgarien führte seine Ansprüche auf das makedonische Territorium bis auf das Reich Zar Simeons im 9. Jahrhundert zurück. Befriedigt wurden die bulgarischen Forderungen erstmals nach dem Ende der über 500jährigen Osmanenherrschaft im russisch-türkischen Frieden von San Stefano im März 1878, als ein „Großbulgarien" entstand, das auch Makedonien umfaßte. Doch schon wenige Monate später wurden dem Land durch den Berliner Kongreß die neugewonnenen Gebiete wieder entrissen. Seitdem konnten die Bulgaren Makedonien oder Teile davon immer nur vorübergehend - in den BalkanKriegen, im Ersten und Zweiten Weltkrieg - besetzen. Ende des 19.
1 2 Vgl. Dionisie Ghermani, Die Bessarabien-Frage. Erneuter Zwist zwischen Bukarest und Moskau? (Dokumentation), in: Südosteuropa, Nr. 32/1983, S. 212 ff. 1 3 Vgl. z.B. Stefan Troebst, Die bulgarisch-jugoslawische Kontroverse um Makedonien 1967-1982, München 1983, mit zahlreichen Literaturangaben. 14 Kostanick, a.a.O. (Anm. 9), S. 10.
DIE MAKEDONIEN-FRAGE
255
Jahrhunderts war eine Irredenta entstanden, die dieses „unerlöste" Gebiet auf Dauer mit Bulgarien zu vereinigen gedachte. Ihr pervertierter Ableger I . M . R . O . (Internationale Makedonische Revolutionäre Organisation) scheute auch vor Terrorakten nicht zurück. Die sowjetisch bestimmte Nachkriegsordnung auf dem Balkan hatte die im Friedensvertrag von Neuilly 1919 gezogenen Grenzen wiederhergestellt und Bulgarien nur den kleinsten Teil der „terra irredenta", das sogenannte Pirin-Makedonien, belassen. Schon im August 1944 hatte die kommunistische Führung Jugoslawiens die „Sozialistische Republik Makedonien" als eine der sechs Teilrepubliken des Landes errichtet und damit die Makedonier zum erstenmal als eigene Nation, ihre Sprache als Amts- und Unterrichtssprache anerkannt. Solange Bulgarien den Plan hegte — und dazu von Stalin ermuntert wurde —, sich mit Jugoslawien in einer „Balkan-Union" zu vereinigen, schien das Makedonien-Problem einer endgültigen Lösung nahe. Im Herbst 1947 hatten die bulgarische und die jugoslawische Regierung über eine engstmögliche Zusammenarbeit mit dem Ziel einer späteren Föderation verhandelt. Doch in Moskau wuchsen die Bedenken, als der bulgarische Ministerpräsident Georgij Dimitroff im Januar 1948 zu einem Staatenbund aufrief, dem außer Bulgarien und Jugoslawien auch Ungarn, Rumänien, Albanien, die Tschechoslowakei, Polen und - bei einem kommunistischen Sieg im Bürgerkrieg - Griechenland angehören sollten. Der jugoslawische Staats- und Parteichef Josip Broz Tito hatte vor der Presse eine „monolithische Einheit" der Balkan-Völker empfohlen und warb unverhohlen für ein gegen die sowjetische Hegemonie gerichtetes zweites kommunistisches Zentrum in Belgrad. Am 28. Januar 1948 nannte die Prawda Dimitroffs Föderationsprojekt „fragwürdig und gekünstelt" und kündigte ein sowjetisches Veto an. Mit dem Ausschluß der Kommunistischen Partei Jugoslawiens aus dem Kominform im Juni 1948 und Dimitroffs Erkrankung wurde diese Balkanbund-Vision und damit auch die Lösung der Makedonischen Frage zu den Akten gelegt. Im gemeinsamen ideologischen Feldzug der Staaten des Sowjetblocks gegen den kommunistischen Paria Jugoslawien nahm die bulgarische Führung ihre Polemik gegen dessen angeblich subversive gesamtmakedonische Propaganda und Einigungspläne auf Kosten Bulgariens wieder auf. Unter allen Nationalitätendisputen zwischen kommunistischen Parteien auf dem Balkan erhielt die bulgarisch-jugoslawische Auseinandersetzung über das Makedonien-Problem die bitterste Tonart. Die Streitgespräche wurden auch hier stellvertretend auf die wissenschaftliche Ebene verlagert, doch in diesem Fall erstmals mit dem gegenseitigen Vorwurf territorialer Expansionsgelüste. 1 5 Um ihre makedonische Minderheit gegenüber separatistischen Einflüs1 5 Vgl. Robert R. King, Minorities Under Communism. Nationalities as a Source of Tension Among Balkan Communist States, Cambridge, Mass. 1973, S. 219.
256
ALTE UND NEUE KONFLIKTE AUF DEM BALKAN
sen aus der jugoslawischen SR Makedonien abzuschotten, änderte die bulgarische Führung Ende der fünfziger Jahre ihre Nationalitätenpolitik. Obwohl der Industrialisierungsprozeß die Assimilation und Verwischung ethnischer Besonderheiten ohnehin förderte, ging die Partei dazu über, das Vorhandensein ethnischer Minderheiten im Lande zu bestreiten und die „Bürger nichtbulgarischer Abstammung" - so ihre Bezeichnung in der neuen Verfassung von 1971 - zu bulgarisieren. 16 Ihren Niederschlag fand die nationalitätenpolitische Kursänderung auch im Zensus. Während 1956 im Bezirk Blagoevgrad, der dem bulgarischen Teil Makedoniens entspricht, 187 789 Makedonier gezählt wurden, bezeichneten sich 1965 angeblich nurmehr 8 750 Einwohner dieser Region als Makedonier - ein Ergebnis, das von jugoslawischer Seite als „statistischer Genozid" kritisiert wurde. 1 7 Die mit Todor Shiwkows Aufruf zur „patriotischen Erziehung" des Volkes 1967 wieder aufgebrochene, in den letzten Jahren verschärfte Kontroverse wurde weiterhin vorwiegend zwischen Wissenschaftlern und in den Medien ausgetragen. Aber die Weigerung der bulgarischen Regierung, eine eigenständige makedonische Nation und eine makedonische Minderheit in Bulgarien anzuerkennen, betrachtete die mit Nationalitätenproblemen überfrachtete jugoslawische Führung von jeher als einen Angriff auf die territoriale und nationale Integrität ihres Landes. Seit Mitte der siebziger Jahre trug sie das Makedonien-Problem auch offiziell an die internationale Öffentlichkeit und nutzte wiederholt die Foren verschiedener Gremien der Vereinten Nationen, um die Frage einer makedonischen Minderheit in Bulgarien auf zuwerfen. Die Intensität der Polemik zwischen beiden Ländern war immer wieder Schwankungen unterworfen. So lag die Vermutung nahe, daß das außen- und handelspolitisch stark von der UdSSR abhängige Bulgarien seine Attacken gegen Jugoslawien weitgehend nach sowjetischen Wünschen ausrichtete. Doch der in westlichen Publikationen hin und wieder geäußerte Verdacht, dieser Streit werde von der Sowjetunion geschürt und könne im Krisenfall als Vorwand für ein sowjetisches Eingreifen in Jugoslawien dienen, war wohl eher eine jugoslawische Schimäre. E r unterschätzt das ausgeprägte Nationalbewußtsein der Bulgaren und den immer deutlicheren Wunsch ihrer kommunistischen Führung, vom verbreiteten Vasallen-Image abzurücken. Daß nationale Interessen die bulgarische Außenpolitik stärker prägen als von Moskau ausgegebene Direktiven, zeigten bisher gerade die bulgarischjugoslawischen Beziehungen. In keinem anderen Politikbereich wurden
1 6 Vgl. Georg Brunner, Die Rechtsstellung ethnischer Minderheiten in Südosteuropa, in: Schönfeld, a.a.O. (Anm. 1), S. 51 f.
17
Troebst, a.a.O. (Anm. 13), S. 12.
DIE „BULGARISIERUNG" DER TÜRKISCHEN MINDERHEIT
257
Friktionen zwischen Sofia und Moskau so deutlich wie in dieser Frage. 1 8 Der offizielle Standpunkt der UdSSR entsprach keineswegs immer der - in Moskau vermutlich als Verletzung der leninschen Prinzipien der Nationalitätenpolitik eingeschätzten - bulgarischen Position. Wiederholte sowjetische Interventionen in Sofia hatten den Zweck, mäßigend auf die bulgarische Regierung einzuwirken. Ziel der UdSSR war es offensichtlich, das Makedonien-Problem zu entschärfen und einem weiteren Krisenherd auf dem Balkan vorzubeugen. Unwillkommen waren der Sowjetunion die nationalistisch gefärbten Zwistigkeiten zwischen den Balkan-Staaten bisher nicht, stellten sie doch ein wirksames Korrektiv gegen nach wie vor virulente Unionspläne dar, die den hegemonialen Absichten Moskaus zuwiderliefen. Die Idee eines politisch geeinten Balkan blieb im Widerstreit der Interessen dieser unterschiedlichen Völker stets lebendig und vermochte gerade in Bulgarien patriotische Gefühle zu wecken und die Bevölkerung hinter die auf außenpolitische Profilierung bedachte Regierung zu scharen. Doch die Vorbehalte Moskaus gegenüber einer zu weitgehenden politischen Verständigung der BalkanLänder waren offenbar weniger schwerwiegend als die Bedenken über einen wachsenden „großbulgarischen" Chauvinismus, der eines Tages auch in diesem noch vergleichsweise sowjetfreundlichen Land in Antisowjetismus umschlagen könnte.
Die „Bulgarisierung"
der türkischen Minderheit in Bulgarien
Wenig Rücksicht auf außenpolitische Strategien der UdSSR, die auf konstruktive und möglichst problemfreie Beziehungen zur Türkei gerichtet waren, nahm Bulgarien auch bei den seit der Jahreswende 1984/85 ergriffenen Maßnahmen gegen seine türkische Minderheit. Von großem Propagandagetöse begleitet, setzte in jenem Winter eine von Partei- und Staatsorganen getragene Kampagne ein, in deren Verlauf die Angehörigen der türkischen Minderheit gezwungen wurden, ihre „türkisch-arabischen" Vor- und Nachnamen abzulegen und neue bulgarisch-slawische Namen anzunehmen. Die damit begonnene verschärfte Assimilierungspolitik gegenüber den Türken, die nach inoffiziellen Berichten bewaffnete Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften, Tote und Verwundete sowie zahlreiche Verhaftungen zur Folge hatte, wurde auch 1986 fortgesetzt. 19 Das Ziel blieb unverändert, die 18
Vgl. dazu ders., Die Sowjetunion und die bulgarisch-jugoslawische Kontroverse um Makedonien, in: Südosteuropa, Nr. 32/1983, S. 638-644. 19 Vgl. Jens Reuter, Die Entnationalisierung der Türken in Bulgarien, in: Südosteuropa, Nr. 34/1985, S. 169-177, sowie die ebd. und in: Südosteuropa, Nr. 35/1986 veröffentlichten und kommentierten Dokumente; Stefan Troebst, Zum Verhältnis von Partei, Staat und türkischer
258
ALTE UND NEUE KONFLIKTE AUF DEM BALKAN
besonderen Attribute dieser Volksgruppe - die türkische Sprache, die islamische Religion und spezifische Sitten wie die Beschneidung oder das Tragen von Pluderhosen - durch Überredung, politischen Druck oder auch mit Gewalt zurückzudrängen. Die Rechtfertigung dieser Politik wurde von einer regierungsoffiziellen Interpretation der Ethnogenese der türkischsprechenden Minderheit geliefert, die die Neuauflage einer schon im 19. Jahrhundert von der bulgarischorthodoxen Kirche und bulgarischen Historikern verbreiteten Argumentation darstellt. Demnach wären die sogenannten bulgarischen Türken eigentlich Bulgaren, die im Laufe der jahrhundertelangen osmanischen Besetzung und Unterdrückung zwangsweise islamisiert und türkisiert wurden oder Zwangsehen von Bulgarinnen mit Angehörigen der Besatzungsmacht entstammten. D a der historische Beweis für diese Behauptung schwer zu erbringen war, bemühten die bulgarischen Wissenschaftler Anfang 1986 sogar anthropologische Erkenntnisse. 2 0 Nach Ansicht der Partei mußte es also genügen, das verschüttete nationale Bewußtsein dieser Menschen zu wecken, um sie wieder zu echten Bulgaren zu machen. Zweifellos war die Bulgarisierung der türkischen Minderheit bei der sehr nationalbewußt empfindenden bulgarischen Bevölkerung stets populär. Das türkische Element, das sein Anderssein durch Sprache, Religion, Kleidung und Sitten kundtat, wurde als störend empfunden und weckte tiefverwurzelte, in der unglücklichen Geschichte des bulgarischen Volkes begründete Ressentiments. Auch die Assimilierungspolitik war von Anfang an Teil einer auf die Wahrung nationaler Interessen ausgerichteten Legitimierungsstrategie der außen- und wirtschaftspolitisch nur beschränkt eigenständig handlungsfähigen Regierung. D a die territorialen Aspirationen Bulgariens auf absehbare Zeit nicht realisierbar erschienen, wurde das Schwergewicht auf die Lösung der nationalen Fragen im Innern verlagert. Ideologisch hatte die Partei ihre Nationalitätenpolitik gründlich vorbereitet. Schon im April 1956 verkündete das Plenum des Zentralkomitees der Bulgarischen KP, daß Bulgarien „kein multinationaler Staat" sei und die bulgarischen Türken als „untrennbarer Bestandteil des bulgarischen Volkes" betrachtet würden. 21 Damit hatte auch die systematische Massenvertreibung der Türken ein offizielles Ende gefunden, in deren Verlauf seit 1950 mehr als 150 000
Minderheit in Bulgarien 1956-1986, in: Schönfeld, a.a.O. (Anm. 1), S. 231-253; Wolfgang Höpken, Modernisierung und Nationalismus: Sozialgeschichtliche Aspekte der bulgarischen Minderheitenpolitik gegenüber den Türken, in: ebd., S. 255-280; Amnesty International, Bulgaria: Imprisonment of Ethnic Turks, Human Rights Abuses During the Force Assimilation of the Ethnic Turkish Minority, London 1986. 20
Vgl. Troebst, ebd., S. 232 f., S. 250 ff.
21
Ebd., S. 237.
DIE „ B U L G A R I S I E R U N G " D E R T Ü R K I S C H E N M I N D E R H E I T
259
Personen in die Türkei übergesiedelt waren. 2 2 Aufgrund eines 1969 mit der türkischen Regierung geschlossenen Auswanderungsabkommens wurde bis 1978 nach offizieller Zählung weiteren 120 000 Bürgern die Emigration in die Türkei gestattet. Angebote der seit 1985 von einer aufgebrachten Öffentlichkeit unter Druck gesetzten türkischen Regierung, angesichts der verschärften Maßnahmen gegen die bulgarischen Türken ein weiteres Auswanderungsabkommen auszuhandeln, wurden von Bulgarien abgelehnt. 23 Die aggressive Schärfe der Bulgarisierungspolitik der letzten beiden Jahre, die sich auch von den wenig zimperlichen nationalitätspolitischen Maßnahmen anderer Balkan-Länder abhob, hatte ihre Ursache wohl auch in enttäuschten Hoffnungen auf den gleichmacherischen sozialen Wandel des Industrialisierungsprozesses in Bulgarien. Der forcierten Modernisierungspolitik der Kommunistischen Partei stellte sich die türkische Minderheit mit ihrer agrarischen, stark religiös bestimmten Lebensform als retardierendes Element entgegen. Zur Sicherung der politischen Macht, die nicht zuletzt durch das Ziel der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modernisierung legitimiert war, mußte daher auch die türkische Minderheit in die „einheitliche sozialistische Nation" integriert werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die bulgarischen Türken eine noch weitgehend agrarisch orientierte, meist geschlossen siedelnde traditionalistische Gesellschaft dargestellt. Ihre islamischen Geistlichen stemmten sich gegen das säkularisierte Bildungssystem. In der Kollektivierung der Landwirtschaft wurde ein Angriff auf überlieferte Lebensformen gesehen. Da die Regierung den Unterricht in bulgarischer Sprache als Voraussetzung für die Integration der türkischen Bevölkerung in die moderne Industriegesellschaft ansah, legte sie die türkischen und bulgarischen Schulen zusammen und degradierte Türkisch allmählich zu einer fakultativ zu erlernenden Fremdsprache. Mit ihren Kampagnen gegen den „religiösen Fanatismus", ihren Bemühungen, islamische durch sozialistische Rituale zu ersetzen sowie türkische Kleidung und Sitten als Relikte einer verhaßten Vergangenheit verächtlich zu machen, hoffte sie vor allem bei der Jugend Gehör zu finden. O b w o h l sich die türkische Minderheit dem durch Industrialisierung und Modernisierung des Agrarsektors bewirkten sozialen Wandel nicht entziehen konnte, zeigte dieser Prozeß in den türkischen Siedlungsgebieten weniger Wirkung als im übrigen Land. Die türkische Minderheit blieb im wesentlichen, was sie war, sie unterschied sich deutlich vom bulgarischen Staatsvolk, und sie wuchs schneller. 1986 stellten die Türken mit fast einer Million Menschen 10,8 Prozent der Gesamtbevölkerung von 8,9 Millionen. Der
22
23
Vgl. Kostanick,
a.a.O. (Anm. 9), S. 40 f.
Vgl. Wolfgang Höpken, Außenpolitische Aspekte der bulgarischen (Dokumentation), in: Südosteuropa, Nr. 34/1985, S. 477.
„Türken-Politik"
260
ALTE UND NEUE KONFLIKTE AUF DEM BALKAN
Anteil der landwirtschaftlichen Bevölkerung lag bei den Türken noch fast doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt. 24 Die außenpolitischen Folgen der bulgarischen Maßnahmen gegen die türkische Minderheit waren absehbar und wurden offensichtlich in Kauf genommen. Selbst mit ungelösten Nationalitätenproblemen schwer belastet und in ihrer Kurden-Politik keineswegs vorbildlich, zögerte die türkische Regierung lange, ihre Kontroverse mit Bulgarien zu internationalisieren. Seit August 1985, als Außenminister Vahit Halefoglu auf der KSZE-Jubiläumskonferenz in Helsinki die Volksrepublik Bulgarien der Verletzung der Prinzipien und Bestimmungen der Schlußakte bezichtigte und die „unglaublichen Vorfälle" in diesem Land mit Abscheu schilderte, 25 nutzte die Türkei jede Gelegenheit, die bulgarische Nationalitätenpolitik vor der Weltöffentlichkeit anzuprangern. Auch in einigen islamischen Nahost-Ländern, darunter wichtige Handelspartner der bulgarischen Wirtschaft, erntete das Land ätzende Kritik. Diese Reaktionen können die auf politischen Einfluß im östlichen Mittelmeer bedachte Sowjetunion nicht unberührt gelassen haben, wenn auch Beweise für eine direkte Einflußnahme auf die bulgarische Regierung nicht zu erbringen sind. 26 Immerhin bemühte sich die UdSSR seit Anfang 1985, zum selben Zeitpunkt, als die verschärfte Nationalitätenpolitik der bulgarischen Regierung einsetzte, um verbesserte Wirtschaftsbeziehungen zur Türkei. Im Januar 1985 hielt sich der damalige sowjetische Regierungschef Nikolaj Tichonow zu Gesprächen über wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit in Ankara auf und unterzeichnete ein Abkommen über den Anschluß der Türkei an die sowjetische Erdgasleitung nach Bulgarien. Im Juli 1986 wurde der türkische Ministerpräsident Turgut Ozal nach Moskau eingeladen und beschwor bei dieser Gelegenheit auch die Intensivierung des Warenaustauschs. Es ist anzunehmen, daß auch die bulgarische „Türken-Politik" von Ozal am Konferenztisch vorgetragen wurde.
Das Kosovo-Problem: Ergebnis einer Nationalitätenpolitik
gescheiterten
Als im April 1981 schwere Unruhen in der Autonomen Provinz Kosovo ausbrachen und Demonstranten „Wir sind Albaner und keine Jugoslawen" skandierten, zeigte sich nicht nur die jugoslawische Bundesregierung kon-
24
Vgl. Höpken,
25
Den., a.a.O. (Anm. 23), S. 483 ff.
a.a.O. (Anm. 19), Tabelle 1, S. 260, S. 265 ff.
2 6 Vgl. ders-, Die bulgarisch-sowjetischen Beziehungen seit Gorbacev, in: Nr. 35/1986, S. 618 f.
Südosteuropa,
DAS KOSOVO-PROBLEM
261
sterniert. Die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien hatte in den Augen der Weltöffentlichkeit weithin als Musterbeispiel der Wahrung von Nationalitätenrechten in einem Vielvölkerstaat gegolten. Als „multinationaler Anachronismus" 2 7 im Zeitalter der Nationalstaaten nach dem Ersten Weltkrieg gegründet, traf Jugoslawien bei der staatlichen und nationalen Konsolidierung auf gewaltige Schwierigkeiten. So schien das kommunistische Experiment einer bundesstaatlichen Lösung mit kultureller Autonomie der Nationen und Nationalitäten unter einem multinationalen Einparteiregime trotz gelegentlicher Spannungen zwischen den Teilrepubliken besser gelungen als die großserbische Unterdrückungspolitik der Vorkriegsregierungen. Der blutige Aufstand in Kosovo und die offensichtliche Unfähigkeit von Partei und Regierung, die aufgebrachte albanische Minderheit wieder zu beruhigen, 2 8 waren ein deutlicher Hinweis auf tatsächliche Unzulänglichkeiten der jugoslawischen Nationalitätenpolitik. Durch die willkürlichen Grenzziehungen bei der Schaffung des Staates Albanien war eine beträchtliche albanische Volksgruppe 1918 unter jugoslawische Herrschaft geraten. Durch Sprache und Herkunft, Lebensgewohnheiten und islamische Religion unterschied sie sich erheblich von den slawischen Völkern. In ihrem Hauptsiedlungsgebiet Kosovo, das die Serben als die historische Wiege ihres Staates betrachteten, war sie erheblichen Repressalien ausgesetzt. Zwar errichtete die kommunistische Regierung für die jugoslawischen Albaner 1944 ein der Republik Serbien angeschlossenes „Autonomes Gebiet KosovoMetohija", das 1963 den Status einer „Autonomen Provinz" erhielt; doch eine aktive Minderheitenpolitik, die diesen rechtlichen Rahmen mit Leben erfüllt hätte, fehlte, während der jugoslawische Staat gegenüber seinen sonstigen Sprachminderheiten vorbildliche Toleranz zeigte. Mit den Albanern gab sich die Bundesregierung wenig Mühe. Sie begegnete ihnen mit Mißtrauen und verdächtigte sie nach dem Bruch mit Albanien irredentistischer Bestrebungen. Die albanische Minderheit wurde bespitzelt und unterdrückt. Höhere Staats- und Parteiämter waren ihr verschlossen. Der Polizeiapparat bestand praktisch nur aus Serben. Erst als der gefürchtete jugoslawische Innenminister Aleksandar Rancovic 1966 von Tito gestürzt worden war, gestand die Bundesregierung den Albanern mehr Rechte zu und versuchte, durch massive Wirtschaftshilfe den Entwicklungsrückstand der Provinz zu beseitigen. Doch der Arger der Bevölkerung über jahrzehntelange Zurücksetzung machte sich in Unruhen
27
28
Dennison Rusinow, The Yugoslav Experiment 1948-1974, Berkeley, Cal. 1977, S. XVI.
Vgl. auch zum folgenden Jens Reuter, Die Albaner in Jugoslawien, München 1982; ders., Die albanische Minderheit in Jugoslawien, in: Schönfeld, a.a.O. (Anm. 1), S. 133-148; Arshi Pipa, Sami Repishti (Hrsg.), Studies on Kosova, New York 1984, sowie die in der Bibliographie in Schönfeld, ebd., S. 289 ff. zusammengestellte Literatur.
262
ALTE UND NEUE KONFLIKTE AUF DEM BALKAN
Luft, die in der Forderung nach dem Republik-Status gipfelten, wogegen sich die serbische Parteiführung vehement und erfolgreich zur Wehr setzte. Die 1,7 Millionen Albaner, die sich in Partei, Verwaltung und Wirtschaft von Kosovo dank der verständnisvollen Haltung der Bundesregierung durchgesetzt hatten, begannen, die Serben aus ihrer Provinz zu verdrängen. Die bis dahin stark vernachlässigte albanische Sprache erhielt Vorrang, Serbokroatisch wurde zum Wahlfach an den Schulen degradiert. Ein aggressiver albanischer Nationalismus machte Serben und Montenegrinern in Kosovo das Leben schwer. Abgrenzungswünsche der Kosovo-Albaner gegenüber Serbien nahmen irredentistische Züge an, Kulturbeziehungen zur SR Albanien wurden betont gefördert. Die Bundesregierung ließ die Führer des Kosovo gewähren; sie war über die Lage und Stimmung der Bevölkerung offenbar unzureichend unterrichtet. Ihre Überreaktion auf den blutigen Aufstand vom Frühjahr 1981 verschlimmerte die Situation. Nachdem die Unruhen gewaltsam niedergeschlagen und die „konterrevolutionären Kräfte" in Gefängnisse verbannt worden waren, suchte der Bund der Kommunisten ( B d K ) Jugoslawiens nach einer dauerhaften Lösung. D o c h es gelang nicht, die Situation in Kosovo zu stabilisieren. Das Provinzkomitee des B d K Kosovo mußte im November 1986 eingestehen: „Der Feind in Kosovo ist weiterhin aktiv, auch wenn er mehr und mehr in die Illegalität gedrängt worden ist. Gegen seine geänderte Taktik wurde noch kein adäquates Rezept gefunden. Die Reaktionen der Sicherheitskräfte erfolgen oftmals mit Verspätung." 2 9 Illegale irredentistische Gruppen erhielten Zulauf von Schülern und Studenten. Auch Angehörige der älteren Intelligenz, selbst altgediente Parteimitglieder, bekannten sich heimlich zu den Separatisten und stellten ihr albanisches Nationalgefühl über das Bekenntnis zum jugoslawischen Bundesstaat. Der albanische Serben-Haß und antijugoslawisches nationalistisches Gedankengut wurden durch die desolate Wirtschaftslage genährt. Unterentwicklung, Mißwirtschaft, Korruption und Arbeitslosigkeit nahmen in den achtziger Jahren in Kosovo noch rascher zu als in anderen Landesteilen. Die Produktivität der Landwirtschaft war rückläufig. Trotz erheblicher Investitionen, meist aus dem Entwicklungsfonds der Föderation finanziert, blieben die Industriebetriebe in Kosovo veraltet, unrentabel, konkurrenzunfähig und meist hochverschuldet. Im „Armenhaus Jugoslawiens" stand nur wenig mehr als die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung in einem Arbeitsverhältnis. 30 Das Maßnahmenpaket, das Partei und Staatspräsidium Jugoslawiens auf ihrer gemeinsamen Sitzung am 18. Juni 1986 beschlossen, sollte das friedliche Zusammenleben der Volksgruppen in Kosovo fördern. Doch seine Bestand-
29
Komumst,
30
Vgl. Reuter,
14.11.1986. Die albanische Minderheit, a.a.O. (Anm. 28), S. 145 ff.
DAS K O S O V O - P R O B L E M
263
teile waren ungeeignet, das gestörte Vertrauen wiederherzustellen. Das Strafmaß für Vergehen „nationalistischen Charakters" wurde drastisch erhöht. Schulen und Universitäten waren verschärft zu kontrollieren, um nationalistische Umtriebe im Keim zu ersticken. U m der Abwanderung von Serben und Montenegrinern aus Kosovo Einhalt zu gebieten, sollten Immobilienverkäufe an Albaner überprüft und die Herkunft der Mittel für solchen Erwerb offengelegt werden. Darüber hinaus wurden die Behörden aufgefordert, die Zuwanderung von Albanern in ethnisch geschlossene serbische oder montenegrinische Siedlungen zu verhindern. Passiver, wenn nicht offener Widerstand der albanischen Minderheit gegen diese Maßnahmen war zu erwarten. Demonstrationen von Serben und Montenegrinern aus Kosovo in Belgrad im November 1986, um der Regierung mangelnde Unterstützung ihrer Interessen vorzuwerfen, deuteten eine Verschärfung des Konflikts an und zeigten, daß Jugoslawien von einer Lösung des Kosovo-Problems weiter denn je entfernt war. Die von der jugoslawischen Regierung auch auf internationaler Bühne wiederholt vorgetragene Behauptung, Albanien unterstütze subversive Aktivitäten in Kosovo, mag wenig begründet sein. Doch die Polemik zwischen beiden Ländern nahm seit 1981 erheblich an Schärfe zu. 3 1 Ohne Zweifel sah die albanische Führung - mit den jugoslawischen Kommunisten seit dem Bruch im Jahr 1948 verfeindet - die Schwierigkeiten des Nachbarn in Kosovo mit Genugtuung. Sie schlüpfte in die Rolle des Protektors der angeblich unterdrückten und verfolgten Landsleute in Jugoslawien und nutzte jede Gelegenheit, deren Unwillen zu schüren. Als der albanische Parteichef Ramiz Alia Anfang Februar 1986 nahe der jugoslawischen Grenze verkündete, die „großserbische chauvinistische Hysterie" werde noch zu einem „Völkermord an den albanischen Brüdern und Schwestern" im Nachbarland führen, reagierten Politiker und Medien Jugoslawiens mit Empörung. 3 2 Wenn auch die Sowjetunion von diesen Auseinandersetzungen nicht unmittelbar betroffen war, so konnte doch dieser weitere Krisenherd ihren Großmachtinteressen auf dem Balkan nur nützen. Eine jugoslawischalbanische Verständigung wäre kaum in ihrem Sinn gewesen. Gerade die Furcht dieser Länder voreinander und ihr gegenseitiger Haß könnten den sowjetischen Einfluß in der strategisch wichtigen Adria-Zone vermehren. Der Kosovo-Konflikt kam der U d S S R auch deshalb gelegen, weil er das wirtschaftlich angeschlagene Jugoslawien weiter schwächte. Die katastrophale Wirtschaftslage mit südamerikanischen Inflationsraten, hoher Arbeitslosigkeit und einer horrenden Auslandsverschuldung förderte nationale Egoismen
3 1 Vgl. ders., Die jugoslawisch-albanischen Beziehungen nach Enver Hoxha, in: pa, Nr. 36/1987, S. 10-18. 32
Komumst,
14.3. und 9.5.1986.
Südosteuro-
264
ALTE UND NEUE KONFLIKTE AUF DEM BALKAN
und das Auseinanderdriften der Teilrepubliken. Sie diskreditierte das Land nicht nur bei westlichen Regierungen, Banken und Geschäftspartnern; Jugoslawien hatte auch seinen ordnenden und bestimmenden Einfluß in der Blockfreien-Bewegung weitgehend verloren. Einst als alternatives Sozialismus-Modell eine gefährliche Herausforderung für den ideologischen Führungsanspruch der KPdSU, bestätigte das jugoslawische Selbstverwaltungssystem die sowjetischen Warnungen vor zu weitgehenden Experimenten mit der sozialistischen Wirtschaftsordnung. So stärkten auch in diesem Fall die aufbrechenden Nationalitätenkonflikte letzten Endes die sowjetische Vormachtkontrolle auf dem Balkan.
WIRTSCHAFTSKRISE, BÜNDNISPOLITIK UND BLOCKFREIHEIT
Jugoslawiens
wirtschaftliche und politische
Desintegration
Mit dem desolaten Zustand der jugoslawischen Wirtschaft nahmen auch die Animositäten zwischen den Völkern der Föderation zu. Jede der sechs Teilrepubliken verfolgte mehr und mehr ihre eigenen Interessen. Die in der Spätphase der Ära Tito noch wirksame gesamtjugoslawische Solidarität schwand in den achtziger Jahren rapide. Wohlhabendere und fortgeschrittenere Landesteile wie Slowenien und Kroatien fühlten sich immer stärker von den ärmeren und unterentwickelten Republiken und Provinzen - vor allem Makedonien, Montenegro und Kosovo - ausgebeutet. Die von ihnen bisher geleistete Finanzhilfe für den rückständigen Süden - rund 3 Prozent des Sozialprodukts der vergangenen 20 Jahre - schien in Mißwirtschaft, Apathie und Inkompetenz versickert zu sein. Die Unfähigkeit, eine sinnvolle gesamtjugoslawische Entwicklungsplanung durchzusetzen, bestärkte regionale Wirtschaftsinteressen und führte zu gigantischen Fehlinvestitionen. Fast unumschränkt in den Teilrepubliken herrschende Parteifunktionäre, die eifersüchtig über ihre Kompetenzen wachten, vereitelten die zaghaften Ansätze zu bundesstaatlichem Krisenmanagement. So hatte auch das im Juli 1983 mit großem Propagandaaufwand verkündete „Langfristige Stabilitätsprogramm" der Bundesregierung kaum Wirkung zeigen können. D e r Versuch, mit exportfördernden Maßnahmen dem Rückgang der Auslandsaufträge entgegenzusteuern und gleichzeitig die einfuhrinduzierende Uberhitzung des Binnenmarktes durch eine Dämpfung der Kreditnachfrage und durch Eingriffe in den Lohnbildungsprozeß in den Griff zu bekommen, scheiterte. Ohnehin sahen sich die Träger der jugoslawi-
33
V g l . Danas,
16.12.1986.
JUGOSLAWIEN
265
sehen Wirtschaftspolitik bei der Inflationsbekämpfung unter hoher Arbeitslosigkeit vor einem kaum lösbaren Zielkonflikt. Zwischen 1982 und 1986 nahm die Inflation von 31 auf 88,1 Prozent zu. 3 4 Diese rasante Geldentwertung war der folgenschwerste Schaden der jugoslawischen Wirtschaft. Sie verleitete Verbraucher zu vorgezogenen Käufen, die Betriebe zu sorglosem Kalkulieren. Rentabilität und Exportleistungsfähigkeit wurden in Mitleidenschaft gezogen. Da sich die Regierung nicht entschließen konnte, die Empfehlung des Internationalen Währungsfonds anzunehmen, einen positiven Realzinssatz einzuführen, verschuldeten sich die Unternehmen ohne Bedenken. Die Kreditkosten lagen um 20 Prozent niedriger als die Inflationsrate, die zudem die Rückzahlung der Schulden zu erleichtern versprach. Im Juni 1986 verkündete die Bundesregierung einen Lohnstopp, den viele Betriebe nicht beachteten, um ihre unzufriedenen und kaum noch motivierten Arbeiter nicht noch mehr herauszufordern. Ende Dezember 1986 beschloß das Bundesparlament, Lohnerhöhungen an die Produktivität der Betriebe zu koppeln, 3 5 und vergrößerte damit die Verwirrung in einem System, das durch direkte Staats-, Partei- und Gewerkschaftsinterventionen die meisten Unternehmen am rentablen Wirtschaften hinderte. Die Ausbreitung kleiner Privatbetriebe (mala privreda), deren Förderung das Stabilitätsprogramm von 1983 ausdrücklich vorgesehen hatte, wurde auch 1986 in den Kommunen durch lähmende Steuern (bis zu 96,7 Prozent der Einkommen) und bürokratische Schikanen verhindert. 36 Damit unterblieben unter anderem Existenzgründungen rückkehrender Gastarbeiter, deren Devisenersparnisse der jugoslawischen Wirtschaft zugute gekommen wären. So hintertrieb ideologische Verbohrtheit dringend erforderliche Initiativen in einer stagnierenden Wirtschaft mit 1,1 Millionen registrierten Arbeitslosen (bei 6,5 Millionen Beschäftigten), drei Viertel von diesen junge Menschen unter 30 Jahren. Die Ursachen der schweren Krise waren also im wesentlichen exogener, politischer Natur. Dabei wirkten überlebte marxistische Dogmen ebenso kontraproduktiv wie der Machthunger lokaler und regionaler Parteipotentaten oder nationale Animositäten der Teilrepubliken und Provinzen untereinander. Aber letzten Endes war das wirtschaftliche Desaster durch grundlegende, noch zu Lebzeiten Titos durchgeführte Änderungen im politischen Gefüge Jugoslawiens vorprogrammiert. U m die innere und äußere Stabilität des Staats über den Tod der mächtigen Integrationsfigur hinaus zu sichern, war schon Anfang der siebziger Jahre ein kollektives Führungssystem konzipiert worden, das den Republiken und
34
Vgl. Thomas Brey, Jugoslawien nach dem XIII. Parteitag: Zwischen Aufbruch und Stagnation, in: OE, Nr. 37/1987, S. 447. Vgl. Vjesnik, 27.12.1986. 3 6 Vgl. Brey, a.a.O. (Anm. 34), S. 451 f.
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ALTE UND NEUE KONFLIKTE AUF DEM BALKAN
Autonomen Provinzen eine gleichberechtigte Teilhabe an der Macht garantierte. Die Bundesregierung delegierte zahlreiche ihrer Kompetenzen an die Gliedstaaten. Beschlüsse von bundespolitischer Tragweite konnten nur noch mit Zustimmung der Republiken und Autonomen Provinzen gefaßt werden, deren Vertreter alle wichtigen Entscheidungsgremien paritätisch besetzten. 37 Diese radikale Föderalisierung führte schon bald zu einer Selbstblockade, die eine zentrale Wirtschaftspolitik zur Krisenbekämpfung entweder gar nicht oder nur als schwächliches Produkt von Kompromissen entstehen ließ. Die integrative Funktion der Partei, die der staatlichen Zersplitterung hätte entgegenwirken können, wurde mit dem 1979 eingeführten „Prinzip der kollektiven Führung" beseitigt. Auch hier verlagerte sich die Macht auf rivalisierende Republik- und Provinzorganisationen der Staatspartei. U m den Aufbau von Machtpositionen zu verhindern, war zudem ein Rotationsverfahren eingeführt worden, das sämtliche Inhaber führender Amter in Partei und Staat in jährlichem Turnus auswechselte und die Kontinuität der Politik erschwerte. Für die Wirtschaft hatte die neue Verfassung von 1974 eine Betriebsorganisation vorgesehen, die sämtliche Unternehmen in „Grundorganisationen der vereinigten Arbeit" aufspaltete, die ihrerseits eine einheitliche Unternehmenspolitik durch Konsens gestalten sollten. Doch der Zweck dieser Demokratisierung, die Arbeiter enger am Entscheidungsprozeß der Betriebe zu beteiligen, wurde nicht erreicht, wohl aber die Entscheidungsfindung effizienzmindernd kompliziert, wenn nicht gelähmt. Wie reformbedürftig das politische System Jugoslawiens war, machten die verheerenden Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung deutlich. Schon im Juni 1982 hatte der X I I . Kongreß des B d K J beschlossen, eine „Kritische Analyse des politischen Systems der sozialistischen Selbstverwaltung" erarbeiten zu lassen, die nach mancherlei Hemmnissen und Verzögerungen im Januar 1986 veröffentlicht wurde. 3 8 Doch diese Analyse tastete die ideologischen Grundlagen des Selbstverwaltungssystems nicht an, bestätigte sogar deren Bewährung und beschränkte sich auf moralische Appelle, „Funktionsschwächen" zu beheben. Diese gefährliche Selbstberuhigung wurde auch auf dem XIII. Parteikongreß im Juni 1986 gepflegt, der Forderungen nach radikalen Reformen in beschlußunfähigen Gremien und Arbeitsgruppen versickern ließ. 39
3 7 Vgl. W o l f g a n g Höpken, J u g o s l a w i e n - fünf J a h r e nach T i t o s T o d , in: AP2, B 31/1985, 3.8.1985, S. 14, 19 ff. 38 Vgl. d a z u J e n s Reuter, Z u r R e f o r m des politischen S y s t e m s in J u g o s l a w i e n , in: Südosteuropa, Nr. 35/1986, S. 393-407; W o l f g a n g Höpken, B e w ä h r u n g und R e f o r m m ö g l i c h k e i t des j u g o s l a w i s c h e n Selbstverwaltungssystems, in: R o l a n d Schönfeld (Hrsg.), Reform und Wandel in S ü d o s t e u r o p a , M ü n c h e n 1985, S. 199-230. 3 9 Vgl. Brey, a . a . O . ( A n m . 32), S. 444 f.
JUGOSLAWIEN
267
Konnte man bis Titos Tod davon ausgehen, daß die vom BdKJ seit den fünfziger Jahren geformte Außen-, Innen- und Wirtschaftspolitik von der Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung getragen wurde, so waren in den achtziger Jahren die Zweifel an der Partei beträchtlich gewachsen. Vor allem die Jugend ging auf Distanz; die Partei sah sich von Massenaustritten bedroht. Bis 1986 sank innerhalb eines Jahrzehnts der Anteil der Parteimitglieder unter 28 Jahre um mehr als ein Drittel. 40 Selbst innerhalb der Sozialistischen Jugendverbände einzelner Republiken etablierten sich Gruppen von Umweltschützern und Pazifisten. Ihre Forderung, den Zivildienst einzuführen und den Waffenexport zu verbieten, verstörte orthodoxe Kräfte in der Partei. Glaubensgemeinschaften erhielten auch 1986 verstärkten Zulauf. Besorgnis erregte seit Jahren eine „islamische Renaissance" unter den Moslems. Nationalistischer Haß gegen andere Völker der Föderation machte sich insbesondere unter Jugendlichen breit; er diente vermutlich als Ventil für Unzufriedenheit und Hoffnungslosigkeit. Die Verschärfung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise im Innern blieb nicht ohne Folgen für die Außenbeziehungen des Landes. Schon in den letzten Lebensjahren Titos begann das weltpolitische Gewicht Jugoslawiens zu sinken. Das Bild der Uneinigkeit und Lethargie, das Jugoslawien dem Ausland seither bot, schadete seinem internationalen Ansehen. Zwar blieben die von Tito übernommenen außenpolitischen Grundsatzpositionen gewahrt. Doch das Prinzip uneingeschränkter „Blockfreiheit" wurde durch die wirtschaftliche Misere und zunehmende Hilfsbedürftigkeit des Landes ausgehöhlt. In der Bewegung der Blockfreien, einst von Nehru, Nasser und Tito begründet und 1961 in Belgrad aus der Taufe gehoben, schrumpfte Jugoslawiens Einfluß. Mit Titos Tod war für Jugoslawien auch eine Ära zu Ende gegangen, zu deren Glanz- und Höhepunkten der Widerstand gegen die Sowjetunion, die kritische Distanzierung vom selbsternannten Zentrum des Weltkommunismus und die zunächst erfolgreiche Realisierung eines gesellschaftlichen Alternativmodells gehörten. Titos Nachfolger sahen die Beziehungen zur UdSSR emotionsloser, was dem durch die Krise erzwungenen Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit diesem Staat zugute kam. Die eindeutige West-Orientierung der jugoslawischen Außenwirtschaft war schon Ende der siebziger Jahre wegen wachsender Absatzschwierigkeiten auf dem Weltmarkt ins Wanken geraten. 41 Bis 1986 nahm die Wettbewerbsfähigkeit der jugoslawischen Exportindustrie, auch gegenüber der Konkurrenz der
40
Vgl. Tanjug, 21.1.1987.
Vgl. Roland Schönfeld, Zur Westoncntierung der jugoslawischen Außenwirtschaft, in: Klaus-Detlev Grothusen u.a. (Hrsg.), Jugoslawien am Ende der Ära Tito, Bd. I, München 1983, S. 149-165. 41
268
ALTE UND NEUE KONFLIKTE AUF DEM BALKAN
industriellen Schwellenländer, weiter ab. Damit verminderte sich die Chance, die Außenliquidität der jugoslawischen Wirtschaft zu verbessern. Die Auslandsverschuldung in konvertiblen Währungen war bis Ende 1986 nach offiziellen Angaben auf 19,2 Milliarden Dollar gestiegen; fast die Hälfte der Deviseneriöse aus dem West-Export mußte für die Verzinsung und Tilgung dieser Kredite aufgewandt werden. 4 2 Seit dem Bruch mit Moskau im Jahr 1948 war Jugoslawien zunächst mit amerikanischer Wirtschaftshilfe, dann mit Krediten internationaler Finanzorganisationen, westlicher Regierungen und Bankenkonsortien, oft zu Vorzugsbedingungen, verwöhnt worden. D o c h dieser bequeme Zugang zu Hartwährungskrediten war der Entschlossenheit der jugoslawischen Führung, die Exportleistungsfähigkeit der Wirtschaft zu stärken, nicht zuträglich. Als die übermäßige Schuldenlast weitere Nettokreditaufnahmen verwehrte, bot sich der bilaterale Tauschhandel mit der U d S S R und den übrigen Ländern des Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe ( R G W ) als bequemer Ausweg an. Die Sowjetunion avancierte in den achtziger Jahren zum wichtigsten Handelspartner Jugoslawiens, das ungefähr die Hälfte aller notwendigen Energieimporte aus diesem Warenaustausch bezog. Jugoslawische Industrieprodukte, die auf dem Weltmarkt kaum abzusetzen waren, wurden vergleichsweise problemlos als Gegenleistung akzeptiert, weil die sowjetischen Partner den Zugang Jugoslawiens zu westlicher Technologie über Lizenzverträge und Joint Ventures - zu schätzen wußten und solchen Lieferungen gegenüber vergleichbaren RGW-Erzeugnissen den Vorzug gaben. Wie im Vorjahr, so erzielte Jugoslawien auch 1986 im bilateralen Warenverkehr mit der U d S S R einen beträchtlichen Überschuß. 4 3 Die U d S S R förderte ihre Wirtschaftsbeziehungen zu Jugoslawien aus wirtschaftlichen und politischen Gründen. Sie verfolgte zweifellos eine langfristige Strategie. Auch im Verhältnis zu Jugoslawien bewies Generalsekretär Michail Gorbatschow Realitätssinn. Im Dezember 1986 versicherte er dem jugoslawischen Parteichef Milanko Renovica, daß die Belgrader Vereinbarung von 1955, in der die KPdSU dem B d K J seinen „eigenen Weg zum Sozialismus" zugestand, weiterhin gelte. Damit wurde stillschweigend auch die jugoslawische Option für die Blockfreiheit anerkannt, jedenfalls solange der Westen diese als einen Bestandteil des Status quo in Europa betrachtete. Es ist anzunehmen, daß die Sowjetunion über verbesserte Wirtschaftsbeziehungen und ein entspanntes politisches Verhältnis auf außenpolitische Strategien Jugoslawiens Einfluß zu nehmen hoffte.
42
43
Vgl. Ekonomska
Politika,
3. und 10.8.1987.
Vgl. Irena Reuter-Hendricbs, Jugoslawiens Beziehungen zur Sowjetunion, in: Walter Althammer (Hrsg.), Südosteuropa in der Ära Gorbatschow, München 1987, S. 111 ff.
RUMÄNIEN: KRISE DER AUTONOMIEPOLITIK
Rumänien:
Krise der
269
Autonomiepolitik
Auch Rumäniens außenpolitisches Ansehen als Mittler in Konfliktzonen und als Querdenker im sozialistischen Lager hat in den achtziger Jahren unter einer Wirtschaftskrise, der schwersten seiner Nachkriegsgeschichte, gelitten. Diese Krise hatte ihre Ursachen in verschlechterten außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, aber auch in einer verfehlten sozialistischen Entwicklungskonzeption. Sie wurde verschärft durch eine rigorose, mit ökonomischem Kalkül allein nicht erklärbare Austerity-Politik, die der Bevölkerung kaum noch tragbare Entbehrungen aufbürdete. 44 Die Weigerung der rumänischen Führung, die Versorgungslage durch verlangsamten Schuldenabbau und stärkere Integration in den R G W zu erleichtern, hatte ihre Wurzeln in außenpolitischen Positionen, die schon in den frühen sechziger Jahren eingenommen worden waren. Mit dem Versuch, den von der Sowjetunion gewährten Handlungsspielraum bis an die Interventionsschwelle auszuloten, profilierte sich das Regime gegenüber der Bevölkerung als Sachwalter nationaler Interessen gegenüber den Bemühungen der ungeliebten Sowjetunion, das Land der Blockdisziplin zu unterwerfen. Doch die Rechnung, durch forcierte Industrialisierung die rumänische Wirtschaft von der eklatanten Außenhandelsabhängigkeit zu befreien, ging nicht auf. In einem bemerkenswerten Kraftakt wurde der Anteil des R G W und insbesondere der Sowjetunion bis Mitte der siebziger Jahre drastisch verringert. Doch die erwarteten Absatzerfolge auf dem Weltmarkt blieben aus. In einer euphorischen Vision von der wachstumsfördernden Wirkung des Welthandels — die von anderen sozialistischen Ländern geteilt wurde — häufte das Land mehr als 10 Milliarden Dollar Auslandsschulden an. Als Polen zahlungsunfähig wurde und der Kreditstrom westlicher Banken in sozialistische Länder versiegte, geriet auch Rumänien in finanzielle Schwierigkeiten; es mußte seine Gläubiger 1982 und 1983 um Umschuldungen ersuchen. Exportförderung brachte unter den Bedingungen einer weltweiten Rezession nicht die gewünschten Resultate. Der wachsende Importbedarf an Erdöl wurde nicht in der Sowjetunion, sondern zu rasant steigenden Preisen und gegen konvertible Devisen bei den OPEC-Ländern gedeckt. Die Vorteile des RGW-internen Präferenzpreissystems gingen Rumänien verloren. Die naheliegende Konsequenz, sich in der Zahlungsbilanzkrise wieder stärker an die UdSSR anzulehnen, wurde nicht gezogen. Statt dessen beschloß die rumänische Regierung, einen harten Austerity-Kurs einzuschlagen und die Sanierung der Wirtschaft durch Importrestriktionen und eine rigorose Sparpolitik zu erzwingen. Ratschläge von außen wurden zurückge-
44
Vgl. Roland Schönfeld, 37/1987, 5.9.1987, S. 26 ff.
Rumänien: Hoher Preis der Autonomiepolitik, in: APZ, B 36-
270
ALTE UND NEUE KONFLIKTE AUF DEM BALKAN
wiesen, die Hilfe des I W F wegen dessen wirtschaftspolitischen Auflagen 1984 ausgeschlagen. So gelang es, die Auslandsverschuldung im Eiltempo bis 1986 auf wenig mehr als 5 Milliarden Dollar zu verringern. 45 D o c h die Auswirkungen der Austerity-Politik auf die Versorgung des Binnenmarkts und auf die Kapazitätsauslastung der Industrie waren verheerend. Die rabiaten Beschränkungen der Maschinen-, Ersatzteile- und R o h stoffeinfuhr aus dem Westen beeinträchtigten die Exportproduktion; die erschwerten Lebensbedingungen der Bevölkerung verminderten die Arbeitsleistung. 1986 sanken die Ausfuhren rascher als die Importe reduziert werden konnten. 4 6 Inzwischen produzierte das Land nach eigenen Angaben 90 Prozent seiner Investitionsgüter selbst, eine Politik, die stolz „nationale Option" genannt wurde, aber den technologischen Rückstand Rumäniens gegenüber den westlichen Industrieländern noch vergrößern mußte. Da das überzogene Rückzahlungstempo die Nationalbank von ihren Devisenreserven entblößte, bereitete schon ein vorübergehender Liquiditätsengpaß erneute Zahlungsprobleme, so daß Rumänien im Sommer 1986 wieder eine Umschuldung fälliger Kredite beantragen mußte. Die nach Ausbruch der Zahlungskrise nur halbherzig verfolgte Absicht, den Mißhelligkeiten des Weltmarkts auszuweichen und die Warenbezüge aus dem R G W zu steigern, mißlang. Die Anteile der sozialistischen Wirtschaftsgemeinschaft und insbesondere der Sowjetunion konnten nur geringfügig erhöht werden und zeigten keinen eindeutigen Wachstumstrend. Zwar nahmen die Olimporte aus der U d S S R 1986 erstmals erheblich - von 3 Millionen auf 6 Millionen Tonnen 4 7 - zu. D o c h der Preisvorteil war angesichts der niedrigen Weltmarktnotierungen geschwunden, und die von der Sowjetunion als Gegenlieferung verlangten Nahrungsgüter deckten nach rumänischer Darstellung nicht einmal ihre Produktionskosten. Unablässig übte die rumänische Führung Kritik an den Funktionsmängeln des Verrechnungssystems im R G W , an der angeblich fehlenden Kooperations- und Hilfsbereitschaft der Partnerländer und an den ungünstigen Austauschrelationen mit der U d S S R . Rumänien hatte sich von jeher der von Moskau gewünschten stärkeren wirtschaftlichen Integration im R G W weitgehend entzogen und die Zusammenarbeit bei vielen Gemeinschaftsprojekten zur Erschließung und Förderung sowjetischer Rohstoffvorkommen verweigert. Aber die Vorteile des R G W - M a r k t s waren offensichtlich nur Zug um Zug gegen eine größere Bereitschaft zur Mitwirkung, Ein- und Unterordnung zu haben. Es zeigte sich, daß die sowjetische Führung vermehrte wirtschaftliche
45
Netto 5,36 Milliarden Dollar. Vgl. Dezember 1987, S. 8.9. 4 6 Vgl. Sdnteia, 1.2.1987. 47
CPE-Outlook
for
Vnesnjaja Torgovlja SSSR v. 1986 g„ Moskau 1987, S. 163.
Foreign
Trade
and
Finance,
R U M Ä N I E N : KRISE DER A U T O N O M I E P O L I T I K
271
Unterstützung mit einer Disziplinierung Rumäniens im R G W , aber auch in der Warschauer-Pakt-Organisation zu verbinden wünschte. Erbitterten Widerstand leistete Rumänien auch gegen die von Gorbatschow seit seinem Amtsantritt 1985 geforderte „Vertiefung des Integrationsprozesses" im R G W . Insbesondere der sowjetische Vorschlag, Direktbeziehungen zwischen Unternehmen der Partnerländer herzustellen und gemeinsame Betriebe für Produktion und Forschung zu gründen, wurde mit bemerkenswerter Eloquenz abgelehnt. „Keinesfalls", so Staats- und Parteichef Ceausescu im September 1986, dürften gemeinsame Betriebe „nach dem Vorbild der imperialistischen gemeinsamen Unternehmen" errichtet werden, „die tatsächlich Instrumente der Ausbeutung anderer Völker geworden sind". 4 8 Seit Nikita Chruschtschows vergeblichem Versuch im Jahr 1962, eine supranationale, mit zentralen Planungs- und Leitungskompetenzen ausgestattete R G W - B e h ö r d e mit Sitz in Moskau zu errichten, hatte sich die rumänische Führung sowjetischen Zentralisierungsabsichten stets verweigert. Auch in der Außenpolitik bestand sie seit dem 1958 in geschickten Verhandlungen erreichten Abzug der sowjetischen Truppen auf ihrem Recht zur Zusammenarbeit mit „Ländern anderer Gesellschaftsordnung" und pflegte im Warschauer Pakt eine auf Autonomiesicherung ausgerichtete Strategie. 49 Nach der bewaffneten Intervention der anderen Pakt-Staaten in der Tschechoslowakei im August 1968 hatte sie jedem Aggressor einen „Volkskrieg" angedroht und Manöver der Warschauer-Pakt-Truppen auf rumänischem Territorium untersagt. Rumänien widersetzte sich seit 1978 offenbar wiederholt einer Erhöhung der Rüstungsbeiträge und beschloß im September 1985 in offenem Dissens mit den übrigen Pakt-Mitgliedern die einseitige Reduzierung der Truppenstärke um fünf Prozent. Doch bei allen Demonstrationen außenpolitischer Unabhängigkeit vermied die rumänische Führung geschickt, die Reizschwelle des sowjetischen Interventionsanspruchs zu überschreiten, demonstrierte Stabilität kommunistischer Herrschaft im Innern und stellte die Mitgliedschaft im Warschauer Pakt und im R G W nie in Frage. Die außen- und abrüstungspolitischen Initiativen Gorbatschows ließen dem rumänischen Partei- und Staatschef 1986 nur geringen Spielraum für eigene Profilierung. Doch wenn westliche Medien behaupteten, Ceausescus Autonomiepolitik sei angesichts der wirtschaftlichen Misere und des Zwangs zur handelspolitischen Anlehnung an die U d S S R „gescheitert", so unterschätzten sie das ausgeprägte Selbstgefühl, den Eigensinn und den Machtinstinkt dieses Mannes. Ein Mittel der Durchsetzung und Erhaltung seiner
48
49
Sdnteia,
4.9.1986.
Vgl. Roland Schönfeld,
Rumäniens eigenwillige Politik, in: EA, 42/1987, S. 526 ff.
272
ALTE UND NEUE KONFLIKTE AUF DEM BALKAN
Alleinherrschaft war seit Amtsantritt der Kult, mit dem er seine Person umgab. Dabei konnte von einer „Clan-Herrschaft" kaum die Rede sein: Selbst sein Sohn Nicu hatte zwar hohe, aber kaum politisch einflußreiche Staats- und Parteifunktionen inne. Teilhabe an seiner Macht genoß lediglich Ceausescus Frau Elena, die als Vorsitzende des „Nationalrats für Wissenschaft und Technologie", als Mitglied des Politischen Exekutivkomitees und als Leiterin der Kaderkommission des Zentralkomitees seit Jahren parteipolitische und personelle Entwicklungen in ihrem Sinn zu beeinflussen vermochte. Bulgariens Wirtschaftsreform und Balkan-Politik als Legitimierungsstrategie Für Bulgariens enge Bindung an die Sowjetunion gab es von der kommunistischen Machtübernahme an gewichtige innen-, außen- und wirtschaftspolitische Gründe. Die sowjetische Führung, ihre zahlreichen „Berater" und die in Bulgarien stationierten Einheiten der sowjetischen Armee sicherten die Stabilität der kommunistischen Herrschaft. Die UdSSR bot den militärischen Schutz einer Großmacht gegen nicht gerade freundschaftlich gesinnte Nachbarn - ein nicht zu unterschätzender Vorteil für das als revisionistisch verrufene Bulgarien, das sich als Besatzungsmacht im jugoslawischen und griechischen Makedonien hervorgetan und in drei Kriegen dieses Jahrhunderts auf der Verliererseite gestanden hatte. Darüber hinaus unterstützte die Sowjetunion großzügig die forcierte Industrialisierung des extrem außenhandelsabhängigen Landes. 50 Seit Einführung der zentralen Produktions- und Entwicklungsplanung nach sowjetischem Muster gehörte das Versorgungsinteresse der rohstoffarmen, aber rasch wachsenden Wirtschaft zu den wesentlichen Determinanten der bulgarischen Außenpolitik. Die Sowjetunion bot sich als leistungsfähiger Handelspartner an, dessen Lieferungen auch noch in den achtziger Jahren drei Viertel des Importbedarfs an Energieträgern und Industrierohstoffen, unter diesen mehr als 90 Prozent des Erdöls, der Eisenerze, der Steinkohle und der Zellulose, deckten.51 Sie lieferte in vier Jahrzehnten Hunderte von kompletten Industrieanlagen nach Bulgarien, als hervorragende Beispiele das metallurgische Kombinat Kremikovci bei Sofia, das petrochemische Kombinat bei Burgas und das Kernkraftwerk Kosloduj. Die am wenigsten entwickelte Volkswirtschaft im R G W profitierte erheblich vom Technologietransfer aus den fortgeschrittenen Partnerländern und
50
Vgl.
ders.,
Wirtschaftsentwicklung mit besonderer Berücksichtigung des Außenhandels in
Bulgarien, in: Österreichisches Jahrbuch für Internationale Politik, Wien 1986, S. 182 ff. Vgl. Wolfgang
Höpken, a.a.O.
(Anm. 26), S. 624 ff.; Tabelle 2, S. 626.
BULGARIENS WIRTSCHAFTSREFORM
273
von den Investitionshilfen der Gemeinschaftsbanken. Sowjetischen Wünschen nach verstärkter ökonomischer Integration im R G W kam Bulgarien stets willfährig nach. An nahezu sämtlichen gemeinsamen Investitionen des R G W zur Erschließung sowjetischer Rohstoffvorkommen beteiligte sich das Land. D e r internationale Warenaustausch mit dem R G W , der konstant vier Fünftel des bulgarischen Außenhandels beanspruchte, verschaffte kaum zu unterschätzende materielle Vorteile. Von den beiden Ölpreisschocks und der Teuerung auf den internationalen Rohstoffmärkten blieb Bulgarien verschont. Sowjetisches Erdöl wurde zwar auch im R G W teurer, blieb jedoch bis 1985 beträchtlich unter den Weltmarktnotierungen. Außerdem konnte es mit einheimischen Industrieprodukten verrechnet werden, deren Qualität den Anforderungen westlicher Absatzmärkte nicht genügte. Doch eine nachlassende Exportleistungsfähigkeit führte seit den siebziger Jahren zu wachsenden Lieferrückständen und damit zu einer erheblichen Verschuldung gegenüber der Sowjetunion, die dort immer mehr Unwillen erregte. Nach dem Amtsantritt Gorbatschows wurde eine Wende in der sowjetischen Haltung gegenüber Bulgarien deutlich. Im Gegensatz zur bisher gepflegten herzlichen Einmütigkeit sah sich die bulgarische Führung im Juli 1985 vom sowjetischen Botschafter öffentlich wegen der unzureichenden Effizienz der Wirtschaft und der mangelhaften Qualität der in die UdSSR gelieferten Exportprodukte gescholten. 2 Die sowjetischen Lieferungen von Energie und sonstigen Rohstoffen gingen zurück, was Bulgarien zu Hartwährungskäufen auf dem Weltmarkt und zur - wenn auch vorsichtigen Kreditaufnahme im Westen zwang. Aus Pressemeldungen war zu schließen, daß die U d S S R sich im bilateralen Handelsverkehr übervorteilt, Bulgarien sich durch die sowjetischen Energiekürzungen im Stich gelassen fühlte. Das im Juni 1985 geschlossene langfristige Wirtschafts- und Handelsabkommen verpflichtete Bulgarien für die Zukunft, der Sowjetunion „die notwendigen Produkte ... von hoher Qualität und technischem Niveau zu überlassen". 5 3 Als engste Form der bilateralen Kooperation sollten bulgarische Produzenten mit sowjetischen Partnerunternehmen gemeinsame „Wissenschafts- und Produktionsvereinigungen" gründen, von denen sich Bulgarien einen rascheren Technologietransfer aus der UdSSR, diese wiederum eine direktere Kontrolle über die bulgarische Industrieproduktion versprach. Dennoch war nicht zu verkennen, daß die von der Sowjetunion und anderen R G W Partnern ausgehenden Impulse zur Modernisierung der bulgarischen Wirtschaft auch künftig ungleich geringer sein würden als bei einer etwas entschlosseneren Integration in den Weltmarkt.
52
V g l . e b d . , bes. S . 6 1 9 ff.
53
Ikonomika,
8 / 1 9 8 5 , S . 6.
274
ALTE UND NEUE KONFLIKTE AUF DEM BALKAN
Die überfällige Modernisierung der Industrie und der Landwirtschaft wie auch die Steigerung der Arbeitsproduktivität und des Qualitätsbewußtseins versuchte die Partei mit einem Bündel reformpolitischer Maßnahmen in Gang zu bringen. Nach harscher Kritik der Parteispitze an den Funktionsmängeln des Planungssystems wurde 1979 der „Neue Wirtschaftsmechanismus" angekündigt. Dieses Konzept zeigte kaum die Experimentierfreudigkeit der gerade wiederaufgenommenen ungarischen Reformen, sondern war auf eine Serie von kleinen, tastenden Schritten angelegt und stellte die zentrale Lenkung und Kontrolle des Wirtschaftsablaufs durch die Partei nicht in Frage. So wurde in den durchaus pragmatischen Ansatz von vornherein ein Zielkonflikt zwischen einer gewissen Dezentralisierung bestimmter Entscheidungsstrukturen und einem hohen Maß an zentraler Überwachung eingebaut. 54 Zwar wurde in den Thesen zum X I I I . Parteitag der Bulgarischen K P vom April 1986 erstmals der „allmähliche Ubergang von der Direktivplanung durch Plankennziffern zu einer Normativplanung" gefordert, gleichzeitig aber in der Presse das Konzept des „Marktsozialismus" energisch abgelehnt. Das vorsichtige Taktieren der Reformer deutete auf massive Widerstände in den Behörden, in den Unternehmen und möglicherweise sogar in der Parteiführung hin. Staats- und Parteichef Todor Shiwkow hatte sich wiederholt demonstrativ an die Spitze der Reformbewegung gestellt und fühlte sich seit Gorbatschows Amtsantritt in seinen Umgestaltungsplänen bestätigt. Gegenüber der Bevölkerung dienten die Reformen dazu, den Willen der Partei zur Verbesserung des Lebensstandards und der Versorgungslage zu beteuern. Einen wesentlichen Teil der Legitimierungsstrategie der herrschenden Kommunistischen Partei bildete seit dem erwähnten Föderationsprojekt vom Januar 1948 die Balkan-Politik. Im Verhalten der bulgarischen Führung gegenüber den Nachbarstaaten mischten sich nationale Sicherheitsinteressen, diensteifrig übernommene sowjetische Störstrategien und das Bedürfnis, durch eigene außenpolitische Initiativen ihr Ansehen bei der Bevölkerung zu verbessern. Folgte Bulgarien in seinen Beziehungen zu den kapitalistischen Mächten wie zur Dritten Welt stets diszipliniert der sowjetischen Generallinie, so ging es auf diesem Terrain doch auch Meinungsverschiedenheiten mit dem allmächtigen Bruderland nicht aus dem Weg. 5 5 Makedonien- und Türken-Frage bewiesen, daß die bulgarische Führung Strategien, die im nationalen Interesse schienen und bei der Bevölkerung populär waren, ohne Rücksicht auf außenpolitische Konzepte der U d S S R verfolgte. Inwieweit
5 4 Vgl. Ilse Grosser, Der Neue Wirtschaftsmechnismus in Bulgarien, in: Schönfeld, (Anm. 38), S. 135-142; Schönfeld, a.a.O. (Anm. 50), S. 186 ff. 5 5 Vgl. Wolfgang Höpken, Beziehungen, in: Südosteuropa,
a.a.O.
Im Schatten der nationalen Frage: Die bulgarisch-türkischen Nr. 36/1987, bes. S. 178 ff.
A L B A N I E N : I D E O L O G I E U N D PRAGMATISMUS
275
andere balkanpolitische Initiativen der bulgarischen Regierung, etwa der 1981 verkündete Vorschlag einer atomwaffenfreien Zone auf dem Balkan (zu einem Zeitpunkt sich verschärfender Spannungen zwischen den Großmächten), den damaligen sowjetischen Interessen entsprachen, ist schwer zu deuten. 56 Bulgarien beanspruchte, innerhalb des Rahmens der außenpolitischen Konzeptionen der UdSSR, aber auch in weitmöglicher Auslegung derselben, besondere Aktivitäten in der umgebenden Balkan-Region zu entfalten. Das wurde in der im September 1986 verabschiedeten „Deklaration über Freundschaft, gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit" mit Griechenland deutlich, in der sich beide Seiten zu verstärkten Konsultationen im Krisenfall und zum Verzicht auf Maßnahmen verpflichteten, die gegen die Interessen des anderen Landes gerichtet sind. 57
Albanien:
Ideologie und
Pragmatismus
Albanien, der kleinste unter den Balkan-Staaten, ist auch der am wenigsten beachtete und erforschte geblieben. So fanden auch die nach Enver Hoxhas Tod 1985 eingeleiteten vorsichtigen Veränderungen in der albanischen Innen-, Außen- und Wirtschaftspolitik in den westlichen Medien kaum Beachtung. 58 Der Zwang, sich an gewandelte Rahmenbedingungen anzupassen, ging vor allem von ökonomischen Problemen aus. Der Bruch mit der Volksrepublik China 1978 hatte schon in den letzten Lebensjahren Hoxhas einen Trend zur regionalen Diversifizierung des Außenhandels eingeleitet, der auch intensivere außenpolitische Kontakte zu bestimmten Ländern bewirkte. 5 9 Mit einer Reihe von westlichen Industrieländern, insbesondere mit Italien, wurde der - insgesamt bescheidene - Warenaustausch verstärkt. Auch einige der kleineren RGW-Länder, vor allem die Tschechoslowakei, die D D R und Rumänien, profitierten von der erneuten albanischen Gesprächsbereitschaft. Der Erzfeind Jugoslawien blieb mit einem Anteil von 15 Prozent am albanischen Außenhandel wichtigster Handelspartner. Doch das Ziel der albanischen Regierung, die Handelsverbindungen zu erweitern, wurde in der ersten Hälfte der achtziger Jahre von einer schweren
5 6 Vgl. den., a.a.O. (Anm. 26), S. 615 ff.; Roland Schönfeld, sche Konzepte Bulgariens, in: ders., a.a.O. (Anm. 38), S. 73 ff. 57
Vgl. Rabotnicesko
Delo,
Außen- und sicherheitspoliti-
13.9.1986.
Eine der Ausnahmen ist Elez Biberaj, Albanien nach Enver Hoxha. Gratwanderung zwischen Kontinuität und Wandel, in: EA, 42/1987, S. 559-564. 58
5 9 Vgl. Peter Danylow, Außenpolitische Optionen Albaniens in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, in: Südosteuropa, 35/1986, S. 59 ff. Zur Handelsentwicklung vgl. Angelo Masotto Cristofoli, Albania's Economy Between the Blocs, in: Schönfeld, a.a.O. (Anm. 38), S. 285-305.
276
ALTE UND NEUE KONFLIKTE AUF DEM BALKAN
Wachstumskrise beeinträchtigt. Die Landwirtschaft stagnierte, die Exportindustrie blieb weit unter dem Produktionssoll, und die Olförderung war rückläufig. Dies führte nicht nur zu Versorgungsproblemen auf dem Binnenmarkt, sondern schränkte auch die Möglichkeiten ein, ohne Inanspruchnahme ausländischer Anleihen den Warenaustausch mit den Handelspartnern zu verstärken. Der Führung der herrschenden Partei der Arbeit unter Hoxhas Nachfolger Ramiz Alia gab dies Anlaß, auf dem 9. Parteikongreß im November 1986 Unternehmensleitungen und Wirtschaftsverwaltung einer scharfen Kritik zu unterziehen. Beanstandet wurden nicht nur Organisationsmängel, Managementfehler und bürokratisches Verhalten, sondern zum erstenmal in dieser drastischen F o r m auch die überzentralisierte Planung und Leitung, die den Produktionsbetrieben zu wenig Raum für die Entfaltung eigener Initiative überließ. 6 0 Alia forderte mehr Kompetenzen für die unteren Ebenen der Wirtschaft und kündigte eine Reihe von Maßnahmen an, um die wirtschaftliche Effizienz zu erhöhen. So sollten Einkommensanreize den Leistungswillen der Werktätigen stärken und - in diametralem Gegensatz zur bisherigen Agrarpolitik - privatwirtschaftliche Betätigungen der Genossenschaftsbauern gefördert und ermutigt werden. Ein durchgreifender Erfolg dieser Vorhaben, die eine klare Distanzierung von der rigiden Wirtschaftslenkung unter Hoxha darstellten, war zweifelhaft, solange sich die albanische Führung nicht entschließen konnte, ideologisch begründete Prinzipien der Hoxha-Ära über Bord zu werfen, die eine Nutzung der Chancen wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit dem Ausland einschränkten. Das Verbot der albanischen Verfassung, ausländische Finanzhilfe und Anleihen anzunehmen und ausländische Investitionen zuzulassen, schnitt die Wirtschaft von einem wesentlichen Teil des zur Modernisierung der Produktion benötigten Technologietransfers ab. Eine wirtschaftliche Annäherung an die Sowjetunion wurde durch die kategorische Ablehnung offizieller Beziehungen zu den beiden „imperialistischen" Supermächten verhindert. Versuche der KPdSU, nach Hoxhas T o d Kontakt aufzunehmen, wiesen die albanischen Kommunisten brüsk zurück. In Gorbatschows neuem Denken wurde sogar eine „Vertiefung des revisionistischen, sozialimperialistischen Kurses" der UdSSR ausgemacht. 61 Mit dieser Verweigerung nahm die albanische Parteiführung den Verzicht auf einen bedeutenden Rohstoffund Maschinenlieferanten bewußt in Kauf. O b dies noch aus Uberzeugung geschah oder durch Rücksichtnahme auf eine innerparteiliche, konservative Opposition begründet war, mit der Alia auf dem 9. Parteikongreß ins Gericht ging, blieb ungewiß.
60
So Biberaj, a.a.O. (Anm. 58), S. 561 ff.
So Michael Schmidt-Neke, S. 132. 61
Albanien und Gorbatschow, in: Althammer,
a.a.O. (Anm. 43),
VI KONFLIKTE IN NAHOST UND IN NORD AFRIKA
KRISEN IN DER ARABISCH-ISLAMISCHEN WELT Von Arnold Hottinger PALÄSTINENSISCH-JORDANISCHE ZUSAMMENARBEIT UND DER KONFLIKT UM DIE VON ISRAEL BESETZTEN GEBIETE Vom 10. Februar 1985 bis zum 11. Februar 1986 unternahmen Palästinenserführer Yassir Arafat und König Hussein von Jordanien große Anstrengungen, gemeinsam Friedensgespräche mit den Amerikanern und den Israeli in Gang zu bringen. Dieser Versuch war schon 1984 vorbereitet worden, als der Nationale Rat der PLO unter Arafat in Amman beschloß, die Zusammenarbeit mit Jordanien in die Wege zu leiten. 1 Das Grundkonzept des Königs und Arafats beruhte auf der Reagan-Initiative vom 1. September 1982, die forderte, Jordanien solle, in Verbindung mit den Palästinensern, mit Israel in direkte Verhandlungen eintreten. Hussein und Arafat wollten zuerst mit den Amerikanern ins Gespräch kommen und hofften, daß diese dann die Israeli an den Verhandlungstisch brächten. Die Israeli blieben jedoch bei ihrer Weigerung, mit Palästinensern der PLO in Verhandlungen einzutreten - selbst wenn diese gemeinsam mit einer jordanischen Delegation unterhandelten. Als Begründung gaben sie an, die PLO-Leute seien „Terroristen". 1
2
Vgl. Gudrun Krämer,
Das „Ende" von Camp David, in: IP 1983/84, S. 267 ff.
Vgl. hierzu ausführlich: Helmut Hubel, Konflikts, in: IP 1981/82, S. 223-235.
Die Reagan-Initiative zur Lösung des Nahost-
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KRISEN IN DER ARABISCH-ISLAMISCHEN W E L T
Hussein und Arafat kamen überein, daß sie im Falle einer Freigabe der besetzten arabischen Gebiete durch Israel eine „Konföderation" eingehen wollten. Damit wollten sie die Schwierigkeit umgehen, daß Israel keinen unabhängigen Staat der Palästinenser zulassen wollte. Angesichts der israelischen Ablehnung „der P L O " kam es auch zu zähen Verhandlungen darüber, ob die palästinensische Seite in der geplanten jordanisch-palästinensischen Verhandlungsdelegation aus Palästinensern bestehen könne, die nicht zur P L O gehörten, aber das Vertrauen der P L O genössen. 3 Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak wirkte mit, um das Projekt in Gang zu bringen. Am 13. August kam der amerikanische Unterstaatssekretär Richard Murphy nach Amman und wurde von König Hussein empfangen. Separat empfing der König auch Arafat. Die Israeli sprachen sich gegen Vorverhandlungen der Amerikaner mit den Jordano-Palästinesern aus, und Washington versicherte ihnen, es würden nur dann Verhandlungen beginnen, wenn die Sicherheit bestünde, daß diese in direkte Verhandlungen mit Israel einmündeten. Murphy reiste nach Jerusalem und Kairo und kehrte nach Amman zurück. Er konnte jedoch weder die israelische Zustimmung zu amerikanischen Vorgesprächen, denen Verhandlungen der Amerikaner und Israeli mit der gemischten jordanisch-palästinensischen Delegation folgen sollten, erhalten, noch konnte er die Palästinenser dazu bewegen, die Resolution 242 der Vereinten Nationen anzunehmen. Am Ende kehrte er unverrichteter Dinge nach Hause zurück. Mitte Oktober schlug ein Versuch der Jordanier und Palästinenser fehl, die Unterstützung Großbritanniens für ihre Pläne zu erhalten. D e r Versuch scheiterte, weil die Palästinenser sich nicht entschließen konnten, ein gemeinsames Kommunique zu unterschreiben, das in Amman im voraus ausgearbeitet worden war und auf die UN-Beschlüsse 242 und 338 Bezug nahm. Ein Vorschlag von Ministerpräsident Shimon Peres vom 21. O k t o b e r 1985 sah ein internationales Forum aus den Mitgliedstaaten des Sicherheitsrates vor (jedoch ohne jene Staaten, die keine Beziehungen zu Israel unterhielten d.h. die Sowjetunion und China); vor ihm sollten direkte Verhandlungen zwischen Israeli und einer gemischten palästinensisch-jordanischen Delegation (doch ohne die „terroristische Strömung" der Palästinenser) beginnen. E r wurde von der P L O zurückgewiesen. Die Verhandlungen sollten auf der Grundlage der Entschließungen 242 und 338 geführt werden. Zwischen dem 1. und 13. Februar fand noch einmal eine hektische Verhandlungsrunde zwischen den Amerikanern, den Palästinensern und den Jordaniern statt. Die Palästinenser erklärten sich bereit, die beiden Resolutionen anzuerkennen, falls die Amerikaner ihr Selbstbestimmungsrecht anerkannten. Doch Washington war der Ansicht, über dieses Selbstbestimmungsrecht könne erst im Laufe der geplanten Verhandlungen, nicht schon davor, 3
N a m e n wie Hanna Siniora und Fuad A b u Rahmeh wurden genannt.
PALÄSTINENSISCH-JORDANISCHE ZUSAMMENARBEIT
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gesprochen werden. Sie forderten ihrerseits eine vorausgehende Anerkennung Israels durch die Palästinenser auf dem Weg über die Annahme der beiden UN-Resolutionen. Dies lehnten die Palästinenser ab. Am 19. Februar erklärte König Hussein in einer ausführlichen, bitteren Rede die Zusammenarbeit mit der P L O für beendet. Er warf Arafat vor, sein Wort nicht gehalten zu haben. Dies scheint sich darauf bezogen zu haben, daß der König glaubte, eine Zusage Arafats zu haben, die beiden Resolutionen zu akzeptieren. Am 8. Juli 1986 wurde Abu Jihad, der Stellvertreter Arafats und Oberkommandant der P L O , aus Jordanien ausgewiesen. 25 Büros der Organisation wurden geschlossen. Die Ausgewiesenen gingen meist nach Bagdad, teilweise auch nach Tunis. König Hussein begann eine neue Politik der direkten Einflußnahme Jordaniens in den besetzten Gebieten. Doch deren Bewohner hielten überwiegend der P L O die Treue. 4 Nach dem Scheitern dieses Versuchs begann allmählich das Konzept einer Internationalen Konferenz über das Israel-Palästina-Problem (oft irreführend als Nahost-Problem bezeichnet), so wie es die Sowjetunion vorgeschlagen hatte, mangels irgendeines anderen Konzepts immer mehr in den Vordergrund zu rücken. Ägypten und Jordanien, die europäischen Staaten, sogar die U S A begannen, es in Betracht zu ziehen. Israel lehnte es nicht gänzlich ab, 5 stellte jedoch Vorbedingungen: zuerst diplomatische Beziehungen mit der Sowjetunion, diese nur nach größerer Freiheit der sowjetischen Juden zur Auswanderung; kein Palästinenserstaat; keine Beteiligung der P L O . Dadurch rückte die Verwirklichung des Planes in weite Ferne. Auch auf der arabischen Seite waren noch bedeutende Hindernisse zu überwinden. Eine arabische Gipfelkonferenz, die nötig gewesen wäre, um die 4 Vgl. hierzu FAT., 23.4.1986. Dies zeigte sich auch besonders bei der Massendemonstration anläßlich des Begräbnisses des Bürgermeisters von Nablus, Safer al-Masri (vgl. Andreas Kohlschütter, Der Canossagang des kleinen Königs, in: Die Zeit, 4.4.1986). 5 Der Likud-Block sprach sich scharf dagegen aus, doch Shimon Peres, als Ministerpräsident und später als Außenminister, war für die Idee. Allerdings schien es eine amerikanischisraelische Vorstellung von der künftigen Funktion der Konferenz zu geben (eine „Dachkonferenz", die in „direkte" Verhandlungen - gemeint sind Zweierverhandlungen — jeweils mit Israel und einem der arabischen Teilnehmer, überzugehen hätte), die sich von jener der Araber und der Sowjetunion unterschied (die Konferenz habe als ganze bei den Verhandlungen aktiv mitzuhelfen). Angesichts solcher Widersprüche, die sich eher zu verhärten als aufzulösen schienen, gehörten Demonstrationen guten Willens, wie der Besuch von Ministerpräsident Peres bei König Hassan von Marokko vom 21. bis 23.7.1986, sowie sein Besuch in Alexandria bei Präsident Mubarak am 11. und 12.9.1986, eher in den Bereich der Public Relations und der Profilpflege der betreffenden Politiker als in den Zusammenhang ernsthafter Friedensverhandlungen. Beide Besuche hatten auch keine weiteren Resultate, außer daß Syrien seine Beziehungen zu Marokko abbrach und Khadafi sein Einheitsabkommen mit Marokko wieder auflöste. Das ägyptische Treffen war erst zustande gekommen, nachdem die Israeli in den überaus zähen Verhandlungen um die Grenzziehung im Sinai bei Taba soweit nachgegeben hatten, daß ein internationales Schiedsgericht ernannt werden konnte, um die Streitfrage zu entscheiden. Der Vertrag darüber war in Gegenwart Murphys am 11.9. unterzeichnet worden.
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arabische Strategie für eine solche Konferenz auszuarbeiten, konnte nicht durchgeführt werden, weil Syrien und der Irak zu bitter verfeindet waren. Sie war ursprünglich für 1983 in Riad vorgesehen, mußte jedoch immer wieder vertagt werden. F O R T D A U E R DES I R A K I S C H - I R A N I S C H E N KRIEGES Die syrisch-irakische Feindschaft, bestehend seit vielen Jahren, 6 war verschärft worden durch den irakisch-iranischen Krieg, in dem Syrien (insbesondere seit Sperrung der irakischen Pipeline im April 1984) die Rolle eines Verbündeten Irans spielte. Auch Libyen ergriff Partei für Iran. D e r Landkrieg zwischen den beiden Staaten war durch zwei Großoffensiven der Iraner gekennzeichnet. Sie gingen im März 1985 überraschend, teilweise in Booten, über die Howeizah-Sümpfe nördlich von Basra vor wohl mit dem Ziel, die Straßenverbindung von Bagdad nach Basra abzuschneiden. Am 16. März gelang es ihnen, den Tigris zu überqueren und die Straße vorübergehend zu sperren. U m sie zurückzuschlagen, setzten die Iraker Giftgas ein. Zehntausende von Menschen verloren auf beiden Seiten ihr Leben. Fast ein Jahr später, im Februar 1986, starteten die Iraner eine neue Großoffensive. Nach einem Scheinangriff auf eine der Inseln im Schattel-Arab gelang es ihnen, am 9. Februar den Wasserweg südlich von Basra zu überqueren und am 11. Februar den evakuierten Hafen von Fao an der Südspitze der gleichnamigen Halbinsel zu besetzen. Die Iraker in Fao ergriffen die Flucht und ließen ihre schweren Waffen stehen, so daß die Iraner sie nur umdrehen mußten. Die Iraker reagierten zu spät und griffen die iranischen Brückenköpfe an, als diese sich konsolidiert hatten. Als ihr Gegenstoß, für den sie die Reserve der Präsidialgarde einsetzen mußten, ausgelöst wurde, kam er nicht voran, weil Artilleriebeschuß sich in dem sumpfigen Gelände der Halbinsel als wenig wirksam erwies, die Panzer nur der einen Straße entlang eingesetzt werden konnten, und die Iraner im nächtlichen Nahkampf, oft nach Infiltration der feindlichen Linien, den Irakern überlegen waren. Außerdem verhinderte das Wetter einen wirksamen Einsatz der Luftwaffe. Daher konnten sich die Iraner am unteren Ende der Halbinsel permanent festsetzen. Nach verlustreichen Gegenangriffen überließen die Iraker ihnen das Terrain und verschanzten sich weiter nördlich auf der Halbinsel, um den Zugang nach Basra zu verteidigen. 7 6 Sie ging auf das Jahr 1968 zurück, in dem der gleiche Flügel der Baath-Partei in Irak an die Macht kam, der im Februar 1966 blutig aus Damaskus entfernt worden war. 1978 hatte es einen Versöhnungsversuch gegeben, der jedoch im Juli 1979 ebenfalls blutig fehlgeschlagen war. Seither hatte die Feindschaft noch zugenommen. 7
Augenzeugenbericht von Emanuel Jarry, in: Le Monde, 29.3. 1986.
F O R T D A U E R DES IRAKISCH-IRANISCHEN KRIEGES
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Neben diesen beiden Großoffensiven kam es zu zahlreichen kleineren Offensiven auf der ganzen Länge der Grenzlinie, die sich über 800 km erstreckt. Dabei griffen fast immer die Iraner an. Im Norden konnten sie mit den Freischärlern der irakischen Kurdengruppen zusammenarbeiten, nachdem Jalal Talabani, der Chef der links stehenden Kurdischen Unionspartei ( P U K ) , seine Versuche, mit den Irakern zu einem Vertragsschluß zu gelangen, am 15. Januar 1985 abgebrochen hatte. Es kam zu Kämpfen zwischen seiner Gruppe und der Armee. Die Regierung griff in den von ihr beherrschten kurdischen Gebieten grausam gegen alle Kurden durch, die der Zusammenarbeit mit Talabani verdächtig waren. 8 Auch Mitglieder der zweiten Kurdengruppe, der K D P unter Masud Barzani, deren die Regierung habhaft wurde, wurden gehenkt. (Sieben Hinrichtungen am 15. Januar 1985.) Die Kurden Barzanis, deren Einflußgebiet weiter im Norden liegt, waren von Anfang an auf die Seite Irans getreten. U m sich gegen Aufstände der schiitischen Iraker abzusichern, ließ Saddam Hussein am 6. März 1985 auch zehn Geistliche der Hakim-Familie hängen. Andere Mitglieder und Anhänger dieser wichtigen schiitischen Familie, die nach Iran entkommen waren, hatten dort das H o h e Komitee für die Islamische Revolution im Irak gebildet. Es stand als eine Alternativregierung bereit für den Fall, daß die Iraner ihr Kriegsziel, den Sturz Saddam Husseins und seines Regimes, erreichen sollten. Kämpfe gab es periodisch auch in den Mittelabschnitten der Front, auf der H ö h e von Mandali, bei Mehran und bei Qasr-e-Shirin. Doch den Iranern gelang nirgends ein entscheidender Durchbruch. Die Bewaffnung der Iraker blieb weit überlegen. Sie konnten Panzer, Kampfhelikopter und Kampfflugzeuge einsetzen. Ihre Gegner vermochten nur einmal im Jahr genügend schwere Waffen zusammenzubringen, um eine größere Offensive zu unternehmen. U m ihre Überlegenheit in der Luft zur Geltung zu bringen, schritten die Iraker periodisch zur Bombardierung iranischer Städte bis tief ins Hinterland. Sie unternahmen auch Bombenangriffe gegen Wirtschaftsziele in den Erdölgebieten von Khusistan, gegen Elektrizitätswerke und Raffinerien sowie andere Industrieziele. Die Iraner hatten zwei Methoden der Vergeltung: Sie beschossen die Stadt Basra, einst die zweite Stadt Iraks, die sich in Reichweite ihrer Geschütze befand, und sie verwendeten Boden-BodenRaketen gegen Bagdad sowie gegen einige andere Ziele in den irakischen
8 Vgl. ein 19-Punkte-Schreiben der PUK vom 1.11.1985, gerichtet an die U N O und zahlreiche Menschenrechtsgruppen: „Statement on alarming and very serious violations of human rights in Iraqi Kurdistan by the government of Iraq", gezeichnet Jalal Talabani. Uber die politische Lage vgl. Elisabeth Picard, En marge de la guerre. Les Kurdes d'Irak durcissent leurs revendications, in: Le Monde Diplomatique, Juli 1985, sowie Chris Kutcbera, Avec les Peshmerga en lutte contre l'Irak" (Masoud Barzani), in: Le Monde, 3./4.11.1985.
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KRISEN IN D E R ARABISCH-ISLAMISCHEN W E L T
Erdölgebieten (Kirkuk). Diese Raketen — sowjetischer Bauart, jedoch möglicherweise vom libyschen Staatschef Muammer el-Khadafi geliefert — waren anscheinend nicht sehr zielsicher und auch nicht sehr zahlreich. In einer Stadt wie Bagdad richteten sie jedoch großen Schaden an Wohnhäusern an und kosteten viele Menschenleben. Mehrmals setzten die Iraker mit ihren Bombenangriffen aus, nachdem die Iraner Raketen auf Bagdad hatten niedergehen lassen. UN-Generalsekretär Javier Pérez de Cuéllar konnte im April 1985 einen informellen Verzicht auf die Bombardierung ziviler W o h n stätten erreichen. Doch wurde dieser immer wieder in Frage gestellt, weil Bagdad mit Angriffen auf Wirtschaftsziele fortfuhr und Teheran diese oft als Bombardierung von Zivilzielen auffaßte. Ein weiterer Kriegsschauplatz entwickelte sich auf dem Wasser des Persischen Golfs. Die Iraker versuchten, ihre Überlegenheit in der Luft geltend zu machen, um iranische Erdöltransporte zu bombardieren. Ihr Ziel war, die iranische Erdölausfuhr möglichst zu unterbinden, weil die Erdöleinkünfte Iran dazu dienten, den Krieg zu finanzieren. Irak hatte seinerseits schon seit 1980 sein Erdöl nicht mehr auf dem Seeweg ausführen können, weil die iranische Flotte den G o l f beherrschte. E r war auf seine Erdölleitung über die Türkei angewiesen (die Pipeline durch Syrien war seit April 1982 gesperrt), suchte sie auszubauen und fand auch Anschluß an die Transarabische Leitung, die von Jubail nach Yanbo ans Rote Meer führt. Im Juni 1986 wurden Pläne bekanntgegeben, die irakische Kapazität, über Leitungen zu exportieren, bis auf sechs Millionen Barrel pro Tag zu steigern. In der Zwischenzeit konnte Irak - im Gegensatz zu Iran - bei seinen Freunden, den arabischen Golf-Staaten, Schulden machen. Diese sollten sich nach Schätzungen am 15. Juni 1986 auf 40 bis 50 Milliarden Dollar bei den arabischen Golf-Staaten (mit Saudi-Arabien) belaufen; auf 15,5 Milliarden bei den europäischen Industriestaaten, in erster Linie bei Frankreich. Hinzu kamen Schulden aus Waffenkäufen in Frankreich und in der Sowjetunion von rund 15 Milliarden, davon in Frankreich für rund fünf Milliarden. Hauptangriffsziel zur See war der iranische Erdölladehafen auf der Insel Kharg, über den ursprünglich 95 Prozent der iranischen Exporte flössen. Jahrelang hatte die irakische Luftwaffe den dortigen Großanlagen keinen dauernden Schaden zufügen können. Doch der Großangriff auf Kharg vom 15. August 1985 stellte einen Wendepunkt dar. Damals wurden zehn Tanker und kleinere Schiffe beschädigt, die bei Kharg lagen. In den folgenden Tagen zerstörten neue Angriffe die Ladestege (25. und 30. August, 2. und 5. September). Iran mußte vorübergehend seine Exporte einstellen. Doch dann fanden die Iraner einen Ausweg, indem sie auf Großtankern bei der Insel Siri, viel weiter im Süden, Erdöl lagerten und es von dort aus an ihre Kunden verkauften. Den Pendelverkehr zwischen Kharg und Siri besorgten von Iran gecharterte Tanker, die in Konvois fuhren. Trotz vieler irakischer Angriffe auf iranische Tanker konnten so die iranischen Exporte zum Teil fortgeführt
LÄHMUNG DER INTERARABISCHEN POLITIK
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werden. Sie sollen zwischen maximal 2,2 und minimal 1,5 Millionen Barrel pro Tag geschwankt haben. Die Iraner entwickelten eine weitere, politische Waffe, um sich gegen die Angriffe auf ihre Tanker zur Wehr zu setzen: Sie beschossen ihrerseits Frachter und Tanker, die mit den arabischen Golf-Häfen verkehrten. Dies waren zwar neutrale Schiffe; doch Iran rechnete damit, daß die arabischen Erdölstaaten, durch die Angriffe beunruhigt, Druck auf Bagdad ausüben würden, um die Iraker zur Vorsicht im Golf anzuhalten. Als Geldgeber hatten die arabischen Golf-Staaten reichliche Druckmöglichkeiten. Die Rechnung der Iraner ging lange Zeit auf. Es gab immer wieder Perioden, in denen Bagdad die Bombardierung iranischer Tanker einstellte. Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine Routine: Immer wenn ihre Tanker angegriffen wurden, übten die Iraner Rache an der arabischen und internationalen Schiffahrt. Dabei nahmen sie besonders Kuwait und die mit Kuwait verkehrenden Schiffe aufs Korn. Kuwait galt Iran als ein besonders enger Helfer Iraks, nicht nur finanziell, sondern auch indem es dem Nachbarn seine Häfen zur Verfügung stellte und - so die Iraner - auch seinen Luftraum beim Ausfliegen irakischer Militärflugzeuge auf den Persischen Golf. Seitdem sie in Fao, ganz in der Nähe, festsaßen, hatten die Iraner den Druck auf Kuwait erhöht. Der Umstand, daß der Kleinstaat mehrmals Anschläge proiranischer Gruppen in Kuwait aufgedeckt und die Schuldigen verurteilt hatte, verschärfte die Spannungen noch. Die proiranischen Terrorgruppen in Libanon forderten immer wieder die Entlassung ihrer Kameraden aus den kuwaiter Gefängnissen. Kuwait lehnte dies ab. Auch eine Flugzeugentführung nach Teheran am 4. Dezember 1984, bei der ein amerikanischer Passagier getötet wurde, konnte die Haltung der Kuwaiti nicht verändern. Gegen Ende des Jahres 1986 sahen die Kuwaiti ihre Schiffahrt so sehr gefährdet, daß sie sich bei der Sowjetunion und den U S A um Schutz für ihre Tanker bemühten. Dies sollte 1987 zu einem starken Flotteneinsatz der Amerikaner im Golf führen. 9
L Ä H M U N G D E R I N T E R A R AB I S C H E N P O L I T I K Die Notwendigkeit, dem Ringen in Libanon und dem Krieg zwischen Irak und Iran ein Ende zu setzen, wurde von allen Arabern immer deutlicher erkannt. Doch sie waren nicht in der Lage, etwas dazu beizutragen hauptsächlich weil sie untereinander im Streit lagen. Die Abseitsstellung Ägyptens in der arabischen Politik wegen des Friedensschlusses mit Israel von 1979 blieb spürbar, wenn sie auch allmählich abzunehmen schien. 9
Vgl. hierzu Hanns W. Maull, Die Internationalisierung des Golf-Krieges, in: EA, 19/1987, S. 533-542.
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Jordanien begann, eng mit Ägypten zusammenzuarbeiten. Irak erhielt Hilfe aus Ägypten, wollte jedoch keine diplomatischen Beziehungen mit Kairo aufnehmen. Die anderen arabischen Staaten weigerten sich ebenfalls, dies zu tun, indem sie sich an den Beschluß der Arabischen Liga klammerten; viele von ihnen scheuten aber vor Staatsbesuchen und enger Zusammenarbeit aller Art mit Ägypten nicht zurück. Während so Kairo weiter am Rande gehalten wurde, war der tiefste Spalt jener zwischen Syrien und Irak, wobei Syrien sich selbst als den radikalen Vorkämpfer des Arabertums gegen Israel gab, dem die anderen Araber entweder in den Arm fielen (im Interesse des Imperialismus, natürlich), oder den sie zumindest nicht gebührend unterstützten. Bagdad warf Damaskus neben vielem anderen vor, es habe den „unnötigen" Krieg mit Iran angefangen und dadurch die Mittel und die Aufmerksamkeit der arabischen Welt vom Kampf gegen Israel abgelenkt, und auf den „unnützen Krieg" gegen Iran konzentriert. Daß Syrien Grund hatte, sich vor Irak zu fürchten, sogar während dieser mit Iran beschäftigt war, zeigte die Bombenkampagne gegen Syrien im April 1986. Sieben Busse mit Militärs explodierten am 16. April; 144 Menschen verloren ihr Leben, 145 wurden verletzt. Zwei Bomben in Damaskus hinterließen am 24. April mehr als zehn Verwundete. Die Zeitungen sprachen zuerst von „israelischen Agenten", doch die Behörden machten klar, daß sie Irak hinter den Anschlägen vermuteten. Sie mußten sich fragen, was sie wohl zu erwarten hätten, falls Irak ohne Sturz seines Regimes aus dem Krieg gegen Iran hervorgehe. König Hussein gelang es seit Mai 1986, sich mit Syrien zu versöhnen. E r versuchte sodann, als Vermittler zwischen den Syrern und den Irakern aufzutreten. Doch das gegenseitige Mißtrauen saß zu tief, und Syrien konnte sich nicht entschließen, sein Bündnis mit Teheran aufzugeben. Infolgedessen war eine arabische Gipfelkonferenz, die Saudi-Arabien seit 1983 anstrebte, aber immer wieder hinausschieben mußte, weiterhin unmöglich. Die Versöhnung zwischen Hussein und Syriens Staatschef Hafez al-Assad kam zustande, nachdem Hussein seinen Versuch, mit Arafat zusammenzuarbeiten, aufgegeben hatte. Assad war auch ein bitterer Feind Arafats und blieb es. 1 0 Die Stützung auf Syrien erlaubte es Hussein, dem Ansinnen der Israeli und der Amerikaner, er solle allein in Verhandlungen mit Israel eintreten, zu widerstehen. Deshalb dürfte Assad ihr zugestimmt haben, denn ein Separatfrieden Husseins mit Israel wäre zu seinem Nachteil gewesen. Neben Syrien zeigten auch Libyen und manchmal Südjemen sowie am Rande Algerien Verständnis für die iranische Revolution. Doch für keinen Die Spaltung unter den Palästinensern in eine prosyrische Rettungsfront und die P L O Arafats dauerte an. N u r in den von Amal-Milizen belagerten Lagern in Libanon verteidigten sich Angehörige beider F r o n t e n gemeinsam. Syrien unterhielt keine Beziehungen zur P L O .
WIRTSCHAFTSPROBLEME DER STAATEN AM RAND DER ERDÖLGEBIETE
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der anderen bestand eine gleich dringende Notwendigkeit, sich auf Iran zu stützen und auf den Sieg Irans zu hoffen (sowie ihn womöglich zu fördern) wie für Syrien, das damit rechnen mußte, ein Opfer Iraks zu werden, falls dessen Regime den Krieg überdauerte.
Wirtschaftsprobleme
der Staaten am Rand der
Erdölgebiete
Die politische Blockierung der arabischen Welt wurde weiter verhärtet durch eine wachsende wirtschaftliche Krise, die mit dem Absinken des Olpreises zusammenhing. Dies begann, als die OPEC-Staaten sich nicht an die verabredeten Produktionsquoten hielten, weil viele von ihnen gute Gründe (Schulden, Wirtschaftskrisen etc.) hatten, mehr als vereinbart zu produzieren. Die Uberproduktion drückte um so mehr auf den Preis, als auch außerhalb der O P E C mehr produziert wurde und die Verbraucher im Hinblick auf die hohen Preise zu sparen und auf andere Energiequellen umzuschalten gelernt hatten. Doch der steilste Preisabstieg begann mit dem Entschluß Saudi-Arabiens, seine Produktionseinschränkungen aufzugeben (Riad hatte sie vorgenommen, um den Preis aufrechtzuerhalten) und auch seinerseits seine Produktion zu steigern - wahrscheinlich in der Absicht, den Mitproduzenten zu zeigen, was geschehe, wenn sich nicht alle an die Produktionsvereinbarungen hielten. Erdölminister Scheich Ahmed Zaki Yamani erklärte am 31. Juli 1985, das Königreich werde seine Produktion verdoppeln. Später wurden die saudischen Produktionsziffern geheim gehalten. Doch der Olpreis sank unübersehbar ab. Er erreichte 1986 gegen zehn Dollar pro Barrel, nachdem er fünf Jahre zuvor etwa 38 Dollar betragen hatte. 11 Der Preiszerfall wirkte sich auch auf Saudi-Arabien aus. Am 10. März 1986 erklärte König Fahd im Rundfunk, das Königreich müsse die Veröffentlichung seines nächsten Budgets verschieben. Es werde in den kommenden Monaten nicht mehr als die laufenden Ausgaben des vergangenen Jahres, aufwenden. Gleichzeitig wurden Sparmaßnahmen getroffen, die darauf hinausliefen, daß die alten Projekte fertiggestellt, aber möglichst wenig neue in Angriff genommen wurden. D a das Königreich und die anderen arabischen Erdölstaaten große Reserven besaßen, die sie einsetzen konnten, traf die Senkung des Erdölpreises die ärmeren Staaten am Rande der Erdölregion am schwersten. Ägypten litt in dreifacher Hinsicht: Die Erlöse aus den Transitgebühren am Suezkanal nahmen ab; die Einkünfte aus der eigenen, kleinen Erdölproduktion schwanden dahin; die Gelder, die ägyptische Arbeiter aus Saudi-Arabien, aus Libyen und aus Irak nach Hause gesandt hatten, wurden viel geringer. Dies waren die drei größten Devisenquellen 11
Vgl. Hanns W. Maull, Der Verfall der Erdölpreise, in: EA, 19/1986, S. 561-568.
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Ägyptens; das Unglück wollte es, daß auch noch die vierte, der Tourismus, in eine Krise geriet: der Terrorismus schreckte vor allem Amerikaner davon ab, nach Ägypten zu kommen. Auch Syrien hatte unter der Reduktion der Olgelder zu leiden. Außerdem strichen die Golf-Staaten, empört über die proiranische Position von Damaskus, Syrien die Subventionen, die es bis dahin als Konfrontationsland mit Israel und als Ordnungsmacht in Libanon erhalten hatte. Nur Saudi-Arabien behielt seine Zahlungen bei, wahrscheinlich um weiter ein wenig Einfluß auf Damaskus ausüben zu können. Libyen bekam die Dollarknappheit um so mehr zu spüren, als Khadafi aus ideologischen Gründen alle Privatwirtschaft in seinem Lande abgeschafft hatte. Die staatlich geförderte Wirtschaft lief einigermaßen, so lange sie mit Erdölgeldern subventioniert werden konnte. Als dies nicht mehr möglich war, sah Libyen sich veranlaßt, Zehntausende von arabischen Arbeitern zu entlassen und nach Hause zu schicken. Im Falle Tunesiens wurde dies so brutal und abrupt gehandhabt, daß die plötzliche Heimkehr von 30 785 tunesischen Arbeitern am 5. August 1985 zu einer scharfen Krise mit Libyen führte. Tunesien wies 30 libysche Diplomaten und 250 andere Libyer aus, und Khadafi konzentrierte Truppen an der tunesischen Grenze. Doch das Eintreten Algeriens und Frankreichs für Tunesien hielt ihn im Zaum. Möglicherweise hatte er versucht, sein Nachbarland zu destabilisieren, während er gleichzeitig gezwungen war, die Zahl der arabischen Auslandsarbeiter zu reduzieren. Auch viele Ägypter mußten Libyen verlassen. D a diese Fremdarbeiter jedoch in Libyen nützliche Arbeit geleistet hatten und vielfach unersetzlich waren, verschlechterte ihre Entlassung die Lage der Libyer weiter. Der Sudan, Jordanien, beide Jemen, und sogar die besetzten arabischen Gebiete unter israelischer Verwaltung bekamen die Senkung des Erdölpreises auf indirektem Wege zu spüren, weil ihre Arbeiter heimkehrten oder geringere Löhne erhielten. Doch Ägypten war am schwersten betroffen und besaß auch, mit dem Sudan, die geringsten Reserven. Am 29. O k t o b e r entließ König Fahd überraschend den langjährigen Erdölminister des Königreichs, Scheich Yamani, und ernannte als Nachfolger den bisherigen Planungsminister, Hisham Nazer. Yamani war mit dem König zusammengestoßen, weil er seine Politik der starken Förderung und der geringen Ölpreise zur Disziplinierung der O P E C fortführen wollte. Nazer versprach dem König, er sei in der Lage, den Preis auf 18 Dollar pro Barrel anzuheben. Am 31. Dezember 1986 erschien endlich das lange vertagte Budget des Königreiches. In ihm waren eine Reduktion um 7 Prozent der saudischen Produktion und ein Ölpreis von 18 Dollar eingesetzt. Auf der O P E C - K o n f e r e n z im Dezember in Genf konnte Nazer in der Tat durchsetzen, daß sich die O P E C auf diesen Preis einigte und die Gesamtproduktion der OPEC-Staaten dementsprechend reduzierte. Man hoffte, den Preis auf
DIE FOLGEN DER POLITISCHEN FRUSTRATION
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längere Zeit stabil halten und später noch etwas steigern zu können. Die Saudis hatten diese Stabilisierung in enger Zusammenarbeit mit Iran erreicht. Iran hatte ein Interesse an möglichst hohen Olpreisen bei geringer Produktion, weil seine Erzeugung wegen der irakischen Angriffe auf seine Tanker ohnehin reduziert war. D o c h die Stabilisierung wurde auf der Hälfte des Preises erreicht, der vor dem Zusammenbruch der Ölpreise erreicht worden war. Ein neuer erdölgetragener B o o m der nahöstlichen Wirtschaft war nicht mehr zu erwarten.
D I E F O L G E N D E R P O L I T I S C H E N F R U S T R A T I O N IM NAHEN OSTEN
Fundamentalistiscbe
Agitation
In den Jahren 1985 und 1986 hatten Spielarten des Fundamentalismus in zwei Regionen vorübergehend die Macht ausgeübt: im libanesischen Tripoli und im Sudan; in Iran beherrschte er in der Form der Islamischen Revolution den Staat. In anderen Ländern wirkte er als eine wachsende Oppositionsströmung, die teils offen, teils unterirdisch arbeitete. Dies war in auffälliger Weise der Fall in Ägypten, in Tunesien, im südlichen Libanon, sogar unter den Palästinensern in den besetzten Gebieten und auch in der Türkei. In all seinen Spielarten, sunnitischer wie schiitischer Richtung, beruhte der Fundamentalismus auf der Enttäuschung über alle anderen politischen Erfahrungen und Ideologien, die früher Mode gewesen waren oder die Herrschaft ausgeübt hatten und die praktisch ausnahmslos westlichen U r sprungs gewesen waren. Man hatte den westlichen Liberalismus, Parlamentarismus, Sozialismus, Nationalismus, Militärdiktaturen aller Art durchgekostet, und keine dieser Ideologien und Regierungsformen hatte den angestrebten Erfolg gebracht. Deshalb wurde zur Lehre, die Muslime müßten zu den Wurzeln ihrer eigenen Politik zurückkehren, dem Gottesgesetz (Schari'a), das sowohl das religiöse als auch das wirtschaftliche und politische Leben regelt und als Gottes verbindliche Norm angesehen wird. N u r so, verkündet die neue Lehre, könnten die Muslime auf den ihnen gebührenden Platz in dieser und jener Welt zurückkehren und die westlichen „Teufel" - Einflüsse und Zivilisationsmodelle wie auch die milititärische Vormacht des Westens zurückweisen. Der Erfolg, den Ayatollah Ruhollah Khomeiny mit dieser Lehre in Iran erzielt hatte, trug natürlich dazu bei, ihr Prestige im gesamten muslimischen Raum zu erhöhen. Doch darf nicht vergessen werden, daß die fundamentalistische Lehre und ihre heutige Modeströmung in der arabischen Welt in die Zeit vor Khomeiny zurückreicht, mindestens bis zu den in den dreißiger Jahren in Ägypten sehr
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KRISEN IN DER ARABISCH-ISLAMISCHEN WELT
erfolgreichen Muslimbrüdern, deren Lehre ihrerseits auf Khomeiny eingewirkt hat (besonders vermittelt über den pakistanischen Fundamentalisten Mawdoodi). Khomeiny hatte allerdings einen neuen Baustein zur Lehre der Fundamentalisten hinzugefügt: die Doktrin vom Wali Faqih, dem Herrschenden Gottesgelehrten, die lehrte, die Gottesgelehrten sollten als Fachleute des Gottesgesetzes der Schari'a die Regierung direkt übernehmen. Diese Lehre kam in Libanon zum Durchbruch, als Gottesgelehrte wie Scheich Said Scha'ban und Gesinnungsgenossen in Tripoli eine Art fundamentalistischer Stadtrepublik gründeten. Sie war an der Macht von Oktober 1983 bis zum November 1985. 12 Syrien bereitete ihr ein Ende, obgleich seine Verbündeten, die iranischen Behörden, für die Herrschaft ihrer Gesinnungsgenossen in Tripoli eintraten. Die Syrer sandten die Milizen jener Parteien gegen die Islamische Einheitsbewegung Scha'bans vor, die 1983 von ihr vertrieben worden waren, und gaben ihnen Artillerieunterstützung, bis die muslimischen Aktivisten unterlagen und - mit Hilfe der iranischen Abgesandten in Damaskus - über ihre Kapitulation verhandeln mußten. Die „Emire" der Muslimischen Einheitsbewegungen waren durchweg Sunniten, doch sie lehnten sich an die Islamische Revolution von Teheran an und erhielten von ihr Unterstützung, finanziell wie politisch. Beide Seiten begründeten ihre Zusammenarbeit damit, daß die Spaltung von Sunniten und Schiiten unwichtig sei und vom „Kolonialismus" ausgenützt und künstlich vergrößert werde. Dies war in Teheran Doktrin - auch unabhängig vom konkreten Fall Tripoli. 1 3
Umsturz im Sudan Im Sudan griff Präsident Jaafar al-Nimairy zu einem Fundamentalismus eigener Erfindung, als seine Herrschaft (die er seit 1968 ausübte) zu schwanken begann, weil er sich davon eine neue Welle der Volkstümlichkeit und eine erneuerte Machtbasis versprach. Er scheint auch unter den Einfluß von islamischen Eiferern geraten zu sein. Die Muslimbrüder, im Sudan seit langer Zeit eine politische Kraft zweiter Ordnung, unterstützten zuerst seinen Versuch, die Schari'a einzuführen, den er im Oktober 1983 begonnen hatte. Sie sagten sich jedoch im März 1985 von ihm los, offiziell, weil sie in
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Zu ihren Lehren, Persönlichkeiten und ihrer Entstehungsgeschichte vgl. Dalai Bizri-
Bawab, Le mouvement Ibad al-Rahman et son prolongement à Tripolis, in: Olivier Carré und Paul Dumont (Hrsg.), Paris 1985, S. 159-213.
1 3 Vgl. Ezzoddin Ibrahim, Sunni versus Schi'a: A pitiful outcry, Teheran (Islamic Propagation Organisation) 1985. Dort wird unter anderem erwähnt, daß Hassan al-Banna, der Begründer der Muslim-Bruderschaft, 1948 mit Ayatollah Kashani übereingekommen sei, die verschiedenen „Schulen islamischen Denkens" zusammenzubringen.
DAS WIRKEN D E R H I Z B O L L A H IN L I B A N O N
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seiner „Islamisierung" eine falsche Islamisierung erblickten, tatsächlich aber wohl weitgehend, weil sie erkannten, daß sein Regime zu Ende ging. Er wurde denn auch am 6. April 1985 durch einen Volksaufstand gestürzt, während er sich auf Besuch in Washington befand. Nimairy hinterließ eine überaus chaotische Erbschaft mit Bürgerkrieg, untragbar schwerer Schuldenlast, völlig ruinierter Wirtschaft und demoralisierter Verwaltung, die weder von der auf sein Regime folgenden provisorischen Militärregierung noch von dem ein Jahr später wiedereingeführten demokratischen Regime gemeistert werden konnte. O b „die Schari'a", die er am Ende seiner Herrschaft eingeführt hatte, wieder abgeschafft werden könne oder nicht, blieb ein heikler Streitpunkt unter den Parteien und Politikern, nachdem sein Regime schon lange gefallen war. 1 4 In Iran blieb indessen die Islamische Revolution an der Macht; der Krieg gegen Irak trug zu ihrer Konsolidierung bei, weil in seinem Interesse alle inneren Diskussionen darüber, was ein islamischer Staat in der Praxis zu sein habe, zurückgestellt wurden. Khomeiny wirkte als Schiedsrichter unter den verschiedenen regierenden Geistlichen. Die Erdöleinnahmen erlaubten ihnen, sowohl den Krieg gegen Irak als auch die Ernährung der Bevölkerung, auf einem bescheidenen Niveau, zu finanzieren und die Wirtschaft einigermaßen in Gang zu halten. Die fundamentalistischen Oppositionsströmungen in der arabischen Welt ließen sich meist in gemäßigte, legal oder als tolerierte Kräfte wirkende und in radikale, revolutionäre, oft gewalttätige und im Untergrund wirkende Gruppen und Kleingruppen aufteilen. Die legalen und gemäßigten Gruppierungen pflegten in Saudi-Arabien finanzielle und politische Unterstützung zu suchen. Das Königreich war seit der Zeit Gamal Abdel Nassers zur Fluchtburg der Muslimbrüder geworden, die Nasser blutig verfolgte. D e r saudische Staat, als dessen Verfassung „die Schari'a" oder „der Koran" gilt, neigte ihnen zu. Die radikalen Untergrundgruppen fanden in der Islamischen Revolution Irans einen Helfer und ein Vorbild.
Das Wirken der Hizbollah in Libanon N u r in Libanon, wo der Bürgerkrieg eine Art Machtvakuum im Süden schuf, seitdem die Israeli dort abgezogen waren (letzte Phase beendet im Juni 1985) und die Syrer ihnen nicht nachfolgten, konnten die radikalen schiitischen Fundamentalisten offen auftreten und für ihre (und damit Khomeinys) Thesen werben. Sie traten dabei in Konkurrenz zu der länger bestehenden
1 4 Für die späteren Jahre Nimairys vgl. das wichtige Buch von Khaled Revolution of Dis-May, London (IPK) 1985.
al-Mansour,
The
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KRISEN IN DER ARABISCH-ISLAMISCHEN W E L T
Schiitenorganisation „Amal", die die Loyalität der Mehrheit der libanesischen Schiiten besaß. Doch die Thesen der Fundamentalisten erwiesen sich in dem Maße als anziehend, in dem das politische Programm von Amal unglaubwürdiger wurde. Amal verfolgte das Ziel, den verarmten und bisher vernachlässigten Schiiten Libanons mehr Mitsprache und ein größeres Gewicht innerhalb des libanesischen Staates zu verschaffen. Es war in diesem Sinne eine libanesische Bewegung. Doch der Zerfall des libanesischen Staates machte es immer unwahrscheinlicher, daß die Schiiten künftig in seinem Rahmen zu ihrem Recht kommen könnten. Deshalb gewann die „rein islamische" Politik der „Partei Gottes" (Hizbollah) immer mehr Anziehungskraft. Diese Partei, der die Anhänger Khomeinys angehörten, predigte eine „Islamische Republik Libanon" nach iranischem Muster sowie den Kampf gegen Israel bis zur „Befreiung Jerusalems". Die Anziehungskraft ihrer Lehren lag darin, daß sie etwas ganz Neues forderte, das jedoch mit den islamischen Traditionen aus der mittelalterlichen Hochzeit des Islam übereinzustimmen schien: Gottesstaat und Heiliger Krieg gegen die Ungläubigen. Die Erfolge Irans schienen der Bewegung recht zu geben, und die Mißerfolge aller anderen Politik (nach europäischem Vorbild), die seit 200 Jahren versucht worden war, ebenfalls. Es gab Geistliche von Gewicht, die die Bewegung anspornten. 15 Sie erhielt Geld, politische Unterstützung und Waffenhilfe von Iran. Teheran erblickte in ihr eine Vorhut der eigenen Islamischen Revolution in der Levante. Die Zeitungen Irans schenkten ihr große Beachtung. Als Amal mit syrischer Unterstützung und von Syrien gelieferten Waffen die Lager der Palästinenser südlich von Beirut und in Tyrus belagerte — ein Prozeß, der sich jahrelang in zahlreichen Schüben von Juli 1985 an abspielte - , verhielt sich Hizbollah neutral, verbarg aber nicht, daß es mit den Palästinensern sympathisierte. Daß es Hizbollah war, die europäische und amerikanische Geiseln in Libanon gefangen hielt, wurde von Sprechern der Organisation oft verneint. Geiselnahme gilt ihnen als „unislamisch". Dennoch nahmen viele Beobachter an, daß es ihnen nahestehende Gruppen sein mußten, die diese Aktivität - zum Vorteil Irans entfalteten.
Fundamentalistische
Strömungen
in Ägypten
In Ägypten vermochten einige der Vertreter der gemäßigten Fundamentalisten, Muslimbrüder, ins Parlament einzuziehen. 16 Sie durften zwar nicht als Ihr wichtigster geistlicher Führer war Scheich Hussein Fadlallah. Vgl. dazu: Fuad Ajami, The Vanished Imam, Ithaka, London 1986, S. 218 f. 1 6 Vgl. Krämer, a.a.O. (Anm. 1), S. 263.
TERRORISTISCHE AKTIVITÄTEN
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Partei auftreten, konnten jedoch ihre Kandidaten auf die Listen anderer Parteien setzen lassen. Im Parlament entfalteten sie eine starke Aktivität, indem sie vor allem für die volle Einführung der Schari'a als Gesetz Ägyptens eintraten. Die Mehrheitspartei wagte nicht, ihre sehr volkstümlichen Forderungen durch Abstimmung zu verwerfen. Sie wandte eine Verzögerungstaktik an, indem sie Ausschüsse ernannte, die über die technisch höchst komplizierte Frage der Einführung der Schari'a beraten sollten. Ihre Beratungen dauerten lange und kamen nicht zum Abschluß. Als die Fundamentalisten ungeduldig wurden und auf der Straße sowie in den Moscheen zu agitieren begannen, schritt die Regierung ein. Sie verbot am 14. Juni 1985 einen geplanten Grünen Marsch für die Einführung der Schari'a, mußte am 1. Juli sogar alle Aufkleber an den Autos verbieten, weil solche religiösen Inhalts aufgekommen waren und bald „obligatorisch" wurden, wenn man sein Auto nicht beschädigt sehen wollte. Am 2. Juli wurde ein Gesetz erlassen, das alle privaten Moscheen der Kontrolle des Ministeriums für religiöse Angelegenheiten unterstellte und auch festlegte, daß nur vom Ministerium gebilligte Prediger und Predigten zugelassen würden. Dies führte zu Konfrontationen um die Nur-Moschee in Kairo, die am 19. Juli geschlossen wurde. Eine Woche später wurden Demonstranten verhaftet, die sich außerhalb der geschlossenen Moscheen zum Gebet versammelt hatten. In den Provinzstädten Oberägyptens, Assiut, Mena, Assuan, kam es später zu ähnlichen Konfrontationen, weil Aktivisten sich der Kontrolle der Moscheen durch die Behörden nicht fügen wollten. Kleinere Zusammenstöße waren häufig. Sie zeigten an, daß die Agitation der Muslimbrüder unter der Bevölkerung fortdauerte. Periodisch meldete die Polizei auch Verhaftungen von angeblichen Mitgliedern der streng verbotenen extremistischen Gruppen. Doch ihre Verteidigung vor den Gerichten, meist durch mit der Bewegung sympathisierende Advokaten, pflegte so gut organisiert zu sein, daß es selten zu endgültigen Verurteilungen kam. Unter den Studenten hatten die Fundamentalisten bedeutenden Einfluß. Ihre Anhänger beherrschten meist die Studentenvertretungen, nicht weil sie immer die Mehrheit bildeten, sondern weil ihre Anhänger sich am energischsten einsetzten und daher fast alle Wahlen gewannen. Die Regierung mußte mehrfach einschreiten, um das Tragen von „muslimischer Verhüllung" und von „muslimischen Bärten" auf den Universitätsgeländen einzuschränken.
TERRORISTISCHE AKTIVITÄTEN Der Terrorismus, innerhalb wie außerhalb der nahöstlichen Staaten, und gleich ob gegen Israel oder gegen außenstehende Dritte gerichtet, war eine andere Folge der politischen Frustration. Er geht stets darauf zurück, daß
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KRISEN IN DER ARABISCH-ISLAMISCHEN WELT
eine Gruppe oder ein Individuum nicht mehr daran glaubt, ihre politischen Ziele mit politischen Mitteln anstreben oder verwirklichen zu können, während sie ihr gleichzeitig wichtig genug scheinen, ihr Leben und das Außenstehender aufs Spiel zu setzen, in der Hoffnung, so ihre politischen Ziele zu fördern oder mindestens die Welt auf sie aufmerksam zu machen. Je nach den politischen Zielen, die verfolgt (und in bestimmten Fällen tatsächlich gefördert) wurden, lassen sich die verschiedenen Terrorakte, die in den beiden Jahren vorkamen, in verschiedene Gruppen einteilen, die meist auch spezifische Urheber haben.
Abu Nidal: Störung des Friedensprozesses Die von Fatah abgespaltene Gruppe Abu Nidals (offizieller Name: Fatah, Revolutionäre Räte) glaubte, die Mehrheitsgruppe der Palästinenser unter Arafat gehe darauf aus, einen Kompromißfrieden mit Israel zu schließen, der die Rechte der Palästinenser ganz oder teilweise aufgäbe. Dies wollten sie verhindern, und ihr Terrorismus diente diesem Zweck. Sie griffen entweder jüdische Gruppen und Institutionen irgendwo auf der Welt an und vergossen dabei möglichst viel Blut, um den Haß zwischen Juden und Arabern nach Kräften zu steigern, oder ihre Opfer waren gemäßigte Mitglieder palästinensischer Gruppen, die sich um einen Kompromiß mit den Israeli oder bestimmten israelischen Gruppen bemühten; ihre Ermordung sollte ein Exempel statuieren. Ein Mörder dieser Gruppe erschoß am 11. April 1983 Dr. Issam al-Sartawi in Albufeira (Portugal). Issawi war einer der aktivsten Palästinenser in der Zusammenarbeit mit israelischen Linksgruppen mit dem Ziel, das Ringen zwischen Israeli und Palästinensern zu beenden. Mörder der Abu-Nidal-Gruppe griffen am 27. Dezember 1985 die El-Al-Schalter der Flughäfen von Rom und Wien an und richteten Blutbäder an. Es gab 19 Tote, darunter vier der sieben Täter. 114 Personen wurden verletzt. Die libysche Presseagentur bezeichnete die Tat als „heroisch". Die Gruppe Abu Nidals hatte in jener Zeit ein Büro in Damaskus 17 und unterhielt gute Verbindungen in Libyen. Am 6. September 1986 erschossen zwei Mörder der Abu-Nidal-Gruppe 19 türkische Juden beim Gebet in einer 1 7 Vgl. Roberto Suro, Italian Report on Abu Nidal Links Syria to Terrorists, in: IHT, 7.1%. 2. 1987. Der Bericht eines Staatsanwalts aus Rom soll auf Aussagen von Ibrahim Muhammed Khaled zurückgehen, einen überlebenden Terroristen des Angriffs auf den Flughafen von Rom. Dieser äußerte sich zur Ausbildung der Abu-Nidalerroristen in der Bekaa, Kontakten mit syrischen Geheimdiensten, zu Planungen im Hauptquartier in Damaskus, zur Finanzierung durch Erpressung reicher Araber sowie zu Hilfsgruppen in Europa: „Man sagte uns oft, wir würden eine Reihe von Terrorakten durchführen, die dann einen Weltkrieg auslösen könnten." Syrien hat später das Büro der Gruppe „geschlossen". Man nimmt an, daß sie nun von Libyen aus wirkt.
FORTSETZUNG DES KAMPFES GEGEN ISRAEL
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Synagoge in Istanbul; sie nahmen sich selbst das Leben. Die Leute Abu Nidals mögen in der Berichtszeit noch andere Terrorakte begangen haben, etwa innerhalb Israels oder in den von Israel besetzten Gebieten. Doch die aufgezählten sind typisch für ihr Wirken und das politische Ziel, das sie verfolgen.
Aktionen zur „Fortsetzung des Kampfes gegen Israel" durch Fatah und andere PLO-Gruppen Am 7. November 1985 gab Arafat in Kairo eine Erklärung ab, in der er aussagte, er selbst und die P L O verurteilten alle Terrorakte; sie hätten jedoch ein Recht, mit allen Mitteln der israelischen Besetzung aller palästinensischen Gebiete Widerstand zu leisten. Diese sogenannte Kairo-Erklärung war eine feierliche Wiederholung der Doktrin von Fatah und, soviel man weiß, auch der anderen unter der Dachorganisation der P L O stehenden Gruppen, wonach Angriffe und Terrorakte innerhalb des von Israel besetzten Gebietes zulässig, ja patriotische Taten seien, jedoch Terrorakte außerhalb, die sich gegen unschuldige Dritte richten, abgelehnt werden. Kurz zuvor, zwischen dem 7. und dem 9. O k t o b e r 1985, war das italienische Luxusschiff Achille Lauro von Alexandria aus gekapert und in die Gewässer vor Tartouss (Syrien) umgeleitet worden. Einer der vier Täter ermordete dort einen invaliden Amerikaner und warf seine Leiche ins Meer. Das Schiff kehrte nach Verhandlungen, die Abul Abbas, der Chef der Tätergruppe, leitete, nach Ägypten zurück. Abul Abbas und die vier Täter ergaben sich den ägyptischen Behörden, die versprochen hatten, sie nach Tunis zurückzubringen. Es handelte sich um den mit der P L O zusammenarbeitenden Zweig einer Kleingruppe, die sich „Front für die Befreiung Palästinas" nannte. D e r andere Zweig der gleichen Gruppe unter Tal'at Yaqub arbeitete mit Syrien zusammen. Wahrscheinlich war ursprünglich geplant, die Täter sollten ihre Waffen erst in Ashdod, Israel, anwenden, und zwar gegen Israeli. Das hätte den Doktrinen der P L O entsprochen und darauf deuteten Aussagen der Terroristen hin, die später erklärten, sie seien auf dem Schiff in ihrer Kabine beim Waffenreinigen von einem Kellner überrascht worden und hätten deshalb ihre Tat verfrüht ausführen müssen. Ebenfalls mit den Versuchen, nach Israel zu infiltrieren, oder nach Süd-Libanon und von dort nach Israel, hing der Mord an drei Israeli, zwei Männern und einer Frau, zusammen, der am 25. September 1985 von drei Palästinensern der sogenannten Einheit 17 durchgeführt wurde. Diese Einheit 17 hatte früher als Leibgarde Arafats gedient. Sie hatte, nach ihren Kommuniqués zu urteilen, beschlossen, ins Innere Israels zu infiltrieren und dort einen Guerillakrieg zu führen. Doch Teile der Einheit waren von israelischen Schiffen bereits auf der Uberfahrt von Zypern nach Süd-Libanon
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KRISEN IN DER ARABISCH-ISLAMISCHEN WELT
gestellt und gefangen genommen worden. Den drei Attentätern galt, wie sie in ihrer Gerichtsverhandlung in Nikosia aussagten, als ausgemacht, daß die drei Israeli auf der Jacht in Larnaca Agenten gewesen seien, die mit der Überwachung der Schiffahrt zwischen Zypern und der südlibanesischen Küste zu tun hatten. Der gleichen Meinung waren übrigens zahlreiche Benutzer der Marina von Larnaca. Der Mord geschah, weil die drei Täter für ihre gefangenen Gefährten Rache nehmen wollten. Andere Gruppen von der ehemaligen Leibwache Arafats scheinen bis nach Süd-Libanon und bis nach Israel gelangt zu sein. Jedenfalls gab es gelegentlich Kommuniques, in denen sie Mordanschläge im Innern Israels, in den besetzten Gebieten oder in der sogenannten Sicherheitszone an der süblibanesischen Grenze, die von den Israelis und ihren Söldnern der Südlibanesischen Armee (SLA) besetzt gehalten wird, für sich in Anspruch nahmen. Es muß sich um Personen handeln, die weiterhin Arafat nahe stehen. Für Israeli ist jeder derartige Akt „Terrorismus"; für die meisten Araber jedoch gilt er als ein Kriegsakt in einem fortdauernden Kleinkrieg zwischen den Israeli und den Palästinensern. Sie sagen, der Krieg müsse eben fortdauern, solange die Israeli nicht bereit seien, mit den Palästinensern (das heißt: mit der P L O ) über einen Frieden zu verhandeln. Daß auch die Israeli sich gegenüber den Palästinensern so verhalten, als stünden sie mit ihnen im Krieg, geht aus den zahlreichen Luftangriffen hervor, die sie, etwa in Libanon, gegen sie durchführen. D i e P L O ist der Ansicht, angesichts der Unmöglichkeit, mit den Israeli zu einem Kompromißfrieden zu gelangen, bleibe ihr keine andere Wahl, als ihre „bewaffneten Aktionen" innerhalb Israels und der besetzten Gebiete zu steigern. Sie ist freilich nicht die einzige Kampfgruppe, die etwas gegen Israel auszurichten sucht. Es gibt einen von den Syrern ermutigten Nationalen Libanesischen Widerstand, der sich gegen die Israeli und die S L A richtet; innerhalb der besetzten Gebiete versuchen neben den Palästinensergruppen auch verschiedene fundamentalistische Gruppierungen einen „Volkswiderstand" in Gang zu bringen. Im großen und ganzen gelingt es den israelischen Sicherheitsorganen, derartige Gruppen bald zu zerschlagen, nachdem sie ihre ersten Aktionen durchgeführt haben. Doch bilden sich immer neue, und die besetzten Gebiete sind bisher keineswegs zur Ruhe gekommen. 1 8 Die Härte der israelischen Repression selbst und die in den besetzten Gebieten herrschenden Zustände dürften wesentlich dazu beigetragen haben, daß die Widerstandsversuche nie ganz abgebrochen sind. 18
Vgl. die lange Liste von Anschlägen, Anschlagversuchen, Demonstrationen, Verhaftungen, Repressionsmaßnahmen von Selbstschutzgruppen etc. in den besetzten Gebieten und in Süd-Libanon, die regelmäßig in Maghreb/Mashrek und im Middle East Journal (Chronologie) veröffentlicht werden. E s vergehen selten mehr als drei Tage völliger Normalität. Diese Kleinaktionen werden in der europäischen Presse vernachlässigt; wohl nicht nur, weil sie unerfreulichen und monotonen Lesestoff bilden.
TERRORISMUS ALS HILFE FÜR IRAN
Terrorismus als Hilfe für
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Iran
Proiranische Terrorgruppen, die meist aus libanesischen und exilierten irakischen Schiiten bestehen, haben eine eigene Terrortechnik entwickelt, die den politischen und militärischen Zielen Irans dient. Sie entstand aus den Erfolgen der Selbstmordanschläge in Libanon gegen Amerikaner, Franzosen und Israeli im Jahre 1983. Diese waren „Erfolge" für die Drahtzieher, weil sie zum Abzug der Amerikaner zu Beginn des folgenden Jahres entscheidend beitrugen. Erst im November 1986 lernte man, daß auch die späteren Geiselnahmen sich für die Geiselnehmer und ihre politischen Mentoren in Teheran ausgezahlt hatten. Das Weiße Haus, in Zusammenarbeit mit der C I A , hatte ihnen wiederholt Waffen geliefert, in der Hoffnung, die Geiseln frei zu bekommen. 1 9 Einige waren in der Tat entlassen worden, doch neue wurden genommen - was in West-Beirut eine einfache Sache war. Auch im Falle der Franzosen hatte sich das Vorgehen „rentiert". Diese „Erfolge" erklären die Intensität und Häufigkeit der Geiselnahmen. 20 Man weiß unterdessen, daß zwischen August 1985 und Oktober 1986 acht Waffenverkäufe stattfanden. Sie wurden alle über Israel geleitet. Einer der acht kam nicht zustande, weil die Iraner die Qualität der ihnen gelieferten israelischen Hawk-Raketen beanstandeten. Ein weiterer fand nur teilweise statt, weil versprochene Geiseln nicht befreit wurden. Die Iraner erhielten insgesamt 2 008 TowRaketen sowie Ersatzteile für Hawk-Raketen. Sie zahlten dafür über 213 Millionen Dollar. Die Differenz zwischen ihren Zahlungen und dem Wert der Waffen wurde bekanntlich mindestens teilweise den Contra-Rebellen in Nicaragua zugeschanzt, die gegen die Regierung in Managua kämpften. Drei amerikanische Geiseln wurden 1986 gefangen genommen, während die Waffengeschäfte abgewickelt wurden; drei waren vorher im Verlauf des Jahres 1985 gefangen worden.
19
Die Behauptungen Präsident Reagans und anderer Verantwortlicher, man habe eine politische Öffnung und Kontakte mit „Gemäßigten" angestrebt, entpuppten sich angesichts des publizierten Materials als bloße Ausreden. Offensichtlich ging es vor allem um die Befreiung der amerikanischen Geiseln. Vgl. z.B. den Tower Commission Report, New York 1987, S. 36: „The President brings up the hostages at about 90 percent of the briefings" (14.11.1986). 20
Im November 1987, im Vorfeld der französischen Präsidentenwahlen, kam die „Affaire Luchaire" ans Licht. Eine Munitionsfabrik dieses Namens hatte seit 1982 450 000 Artilleriegranaten an Iran geliefert; ein vertraulicher Bericht über diese Angelegenheit war im März 1986 von General Jean-Francois Barba geschrieben worden. Erst unter Verteidigungsminister André Giraud, Mitglied der Regierung Chirac, war er „durchgesickert", als der Wahltermin für die Präsidentenwahlen nahegerückt war. Der Bericht, der ein öffentlich zugängliches Dokument darstellt (jedoch keine Anklageschrift im juristischen Sinn), ist abgedruckt in: Le Figaro, 4.11.1987. Angeblich seien 3 bis 5 % der Gewinne aus dem iranischen Geschäft der Sozialistischen Partei Frankreichs zugute gekommen.
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KRISEN IN DER ARABISCH-ISLAMISCHEN WELT
Die Idee, Waffen zu liefern, scheint israelischen Ursprungs gewesen zu sein. Israel hatte von Beginn des Krieges an Waffen an Iran verkauft. Es fürchtete die Iraker mehr als die Iraner und hielt es darum für sein Interesse, Iran zu unterstützen. David Kimche, Generaldirektor des israelischen Außenministeriums, befand sich am 3. Juli 1985 in Washington; sein dortiger Besuch scheint das Projekt gestartet zu haben. 21 Die gesamte Operation wurde hinter dem Rücken des amerikanischen Außenministeriums und des Verteidigungsministeriums durchgeführt. Während sie vor sich ging, gaben die amerikanischen Verantwortlichen laute Erklärungen darüber ab, daß man sie nicht erpressen könne. Auch im Falle der Franzosen wurden Konzessionen gemacht. Der Staat gab zwei Forderungen der Iraner nach: Er bedeutete der oppositionellen Gruppe der Volksfeddayin, sie hätten Paris zu verlassen, und er zahlte einen Teil der Milliarde Dollar zurück, die der Schah Frankreich geliehen hatte. Doch diese Transaktionen gingen öffentlich vor sich, und der französische Staat erklärte den Iranern von vornherein, daß ihr dritter Wunsch - daß nämlich Frankreich seine Politik gegenüber dem Irak ändere - nicht erfüllt werden könne. Die Franzosen konnten zwei ihrer Geiseln befreien, nachdem sie am 7. Juni 1986 Gespräche über die Rückzahlung begonnen hatten; zwei weitere (jedoch nicht jene, die Paris erwartet hatte) wurden am 11. November befreit, dann noch eine Geisel, während offenbar am 24. Dezember 1986 zwei versprochen worden waren. 22 Inzwischen waren jedoch im März 1986 und im Januar 1987 zwei neue Geiseln genommen worden. Die späte Einsicht der französischen Polizei, daß die Bombenleger von Paris vom September 1986 wahrscheinlich proiranische Verbindungen gehabt hatten, beendete dann den Versuch Frankreichs, seine Beziehungen mit Iran wieder ins Lot zu bringen. Nach allen Manövern blieben sechs Franzosen, acht Amerikaner, ein Inder, drei Briten (sowie seit Januar 1987 zwei Deutsche), ein Koreaner, ein Ire und ein Italiener in den Händen der Geiselnehmer. Soweit über sie verhandelt wurde, wurden für ihre Freilassung immer wieder Forderungen gestellt, die der iranischen Politik oder Kriegführung genützt hätten. Syrien hatte insofern mit ihnen zu tun, als syrische Truppen sich in der Nähe der bewaffneten Kleingruppen befanden, die sie gefangen hielten, und Damaskus daher einen gewissen Einfluß ausübte. Die Kleingruppen selbst jedoch hörten offenbar auf Teheran.
21
Vgl. Tower Commission Report, a.a.O. (Anm. 19), S. 83: The role of the Israelis, sowie spezifisch zu den drei Forderungen Kimches S. 23, 24, 26, 31, und zu einem weiteren Vorschlag von22Amiram Nir „als die Initiative stillzustehen schien", S. 37.
Eine ausführliche chronologische Ubersicht bieten Le Monde, 4.7.1987, und die Analyse von Jaques Amalric, L'engrenage franco-iranien, in: Le Monde, 28.7.1987, sowie Françoise Chipeaux, Le poids des otages, in: ebd.
SYRISCHE TERRORAKTIONEN
Syrische
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Terroraktionen
Die syrischen Terroraktivitäten waren besonders unübersichtlich und nicht zu vergleichen mit dem iranischen Terrorismus, der einen klaren politischen Zweck verfolgte durch die Forderungen, welche die Geiselnehmer stellten. Nach Ansicht von Beobachtern schien es sich „um eine logische Folge der gegenwärtigen Schwäche Syriens zu handeln, die das Land immer mehr veranlaßte, alle Mittel und Waffen einzusetzen, einschließlich des Terrorismus". 2 3 Gleichzeitig bot Syrien sich an, bei der Ausrottung des Terrorismus eine Rolle zu spielen, jedoch für den Preis der Anerkennung seiner Rolle in Libanon. Kurz nach Bombardierung der libyschen Städte durch die U S A , jedoch nicht als Antwort auf diese Aktion, wurde am 17. April 1986 ein Anschlag auf ein Passagierflugzeug der israelischen Luftfahrtgesellschaft El AI auf dem Flughafen Heathrow vereitelt. Ein Jordanier mit falschem, anscheinend in Damaskus ausgestelltem diplomatischen Paß, Nezar Hindawi, wurde dabei ertappt, wie er seine schwangere irische Freundin mit einem Handgepäckstück, das eine Bombe enthielt, zum Flugzeug geleitete. Während seines Prozesses in London vom 6. bis 24. O k t o b e r 1986 wurden die Hintermänner der Aktion bekannt: Oberstleutnant Haitham Said, Adjutant von General Muhammed al-Kholi, Chef der Sicherheitsdienste der syrischen Luftwaffe und einer der engsten Vertrauensleute Präsident Assads, hatte den Auftrag zur Tat erteilt und über die syrische Luftlinie und die syrische Botschaft in London logistische Hilfe verschafft. Der Haftrichter erklärte, es bestünden einwandfreie Beweise für die Mittäterschaft von syrischen Geheimagenten. Drei Diplomaten der syrischen Botschaft in London, die sich geweigert hatten, der britischen Polizei bei den Nachforschungen über die Angelegenheit zu helfen, wurden ausgewiesen. Großbritannien brach seine diplomatischen Beziehungen zu Syrien ab; die Vereinigten Staaten und Kanada zogen ihre Botschafter aus Damaskus zurück. Hindawi wurde zu 45 Jahren Gefängnis verurteilt. Ein Prozeß in West-Berlin kam am 26. November 1986 zu dem Ergebnis, daß der erwähnte Oberstleutnant Haitham Said und Mitglieder der syrischen Botschaft in Ost-Berlin als Drahtzieher bei einem Anschlag auf die DeutschArabische Gesellschaft in West-Berlin vom 30. März 1986 fungiert hatten. Als Täter wurde ein Bruder von Hindawi, Ahmed Hasi, zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt. Sein Mittäter, Faruk Salameh, erhielt 13 Jahre Haft. Drei syrische Diplomaten wurden aus Bonn ausgewiesen, die deutsche Wirtschaftshilfe an Syrien eingestellt und auf die Ernennung eines neuen deutschen Botschafters in Damaskus verzichtet. Am 10. November hatten die Außenminister der E G (außer Griechenland) schon Sanktionen gegen 23
David Hirst, The Guardian Weekly, 18.5.1986.
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KRISEN IN DER ARABISCH-ISLAMISCHEN WELT
Syrien beschlossen: ein Waffenembargo, keine Staatsbesuche auf hoher Ebene, U b e r p r ü f u n g der diplomatischen und konsularischen Aktivitäten Syriens, Sicherheitsmaßnahmen gegenüber der syrischen Luftlinie. Auch das Europäische Parlament beschloß am 20. November Sanktionen gegen Syrien. Präsident Assad verteidigte sich in Reden und Interviews im In- und Ausland energisch gegen den Vorwurf des Terrorismus und schlug vor, zwischen Befreiungsbewegungen und Terroristen zu unterscheiden: Es sei Syrien unmöglich, die Bekaa-Ebene vollständig zu kontrollieren, und die Aktivitäten der Abu-Nidal-Gruppe in Syrien, w o sie ein Büro unterhielt, seien „rein kultureller Art". 2 4 Gleichzeitig betonte Syrien immer wieder, es sei darum bemüht, die Befreiung der amerikanischen, französischen und anderen Geiseln in Libanon zu erreichen. Wenn es tatsächlich dazu kam, taten die Syrer alles, um die endgültige Befreiung der O p f e r und ihre Abreise in die Heimat von Damaskus aus publikumswirksam zu inszenieren. So erhielten sie, trotz des auf ihnen lastenden Verdachts von syrischem Terrorismus, wiederholt Dankesworte von amerikanischer und französischer Regierungsseite. Selbst der israelische Ministerpräsident Shimon Peres erklärte, die syrischen Terroraktionen seien vielleicht „ohne Wissen von Assad" geschehen. In den beiden erwähnten Fällen lagen allerdings gerichtliche Untersuchungen und Urteile vor, die Syrien belasteten. Undurchsichtiger war der Fall von Georges Ibrahim Abdullah (und seinen Brüdern), einem Nordlibanesen, der als Oberhaupt der Fractions Armées Révolutionaires Libanaises (FARL) gilt, die mit Terroranschlägen und Morden in Frankreich (4. bis 14. September 1986) in Verbindung gebracht wird. Syrien wußte angeblich über die Taten und Anschläge der FARL Bescheid, steckte aber nicht notwendigerweise dahinter; aber ließ sie geschehen, um dadurch in die Lage versetzt zu werden, Frankreich helfen zu können und dafür mit Geld und möglicherweise Waffen belohnt zu werden. 2 5 Eine Zusammenarbeit zwischen dem französischen und den syrischen Geheimdiensten nach den Bombenkampagnen in Paris war ebenfalls nicht auszuschließen.
Libysche
Aktivitäten
Der libysche Terrorismus hat zwei Aste: zum einen läßt Oberst Khadafi Regime-Gegner sowohl in Libyen als auch im Ausland ermorden. Im Ausland sind die libyschen „Volksbüros" (diplomatische Vertretungen) oft in
24
Vgl. Washington
Post, 18.5.1986.
25
Vgl. Le Monde,
30.10.1986.
A M E R I K A N I S C H E U N D ISRAELISCHE G E G E N S C H L Ä G E
299
die Mordaktionen verwickelt. Zum zweiten sympathisiert der Oberst mit allen „Befreiungsbewegungen" in der Welt, besonders islamischen und radikalen palästinensischen, und gibt ihnen Hilfe. Dabei gibt es freilich oft auch Streit und launische Wendungen in der Haltung der Libyer. Beispiele für Morde an Oppositionellen im Ausland waren: Nikosia am 4. April und Bonn am 6. April 1985. Die ägyptische Polizei entdeckte ein Komplott gegen das Leben von Abdel-Hamid al-Bakusch, einen früheren Minister und libyschen Oppositionsführer in Alexandria; sie spielte es bis zur Mordtat durch und stellte die Täter öffentlich bloß (2. November 1985). Was der Zweck der Entführung einer ägyptischen Boeing von Athen nach Malta sein sollte, blieb unklar. 26 Die Ägypter versuchten, sie auf Malta zu stürmen, wobei es am 24. November 1985 sechzig Tote gab. Die Täter, vier Palästinenser und ein Syrer, standen nach ägyptischer Ansicht in libyschen Diensten. Nur einer überlebte. Khadafis Unterstützung der „Befreiungsbewegungen" war doppelt ambivalent: Einerseits machte er selbst einen Unterschied zwischen Terror und Befreiungskampf, wobei bekanntlich die Trennungslinie je nach dem Standpunkt des Beobachters an sehr verschiedenen Stellen gezogen werden kann. Andererseits sprach er davon, daß diese Befreiungsbewegungen autonom seien und von ihm nur Hilfe erhielten, also letzten Endes für ihre Taten selbst verantwortlich seien.
Amerikanische
und israelische
Gegenschläge
Washington klagte Khadafi an, Mitschuld an den Anschlägen auf die Flughäfen von Rom und Wien zu tragen, weil er Abu Nidal unterstütze. Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und Libyen hatten schon Jahre zuvor begonnen. Am 8. Juli 1985 bezeichnete Präsident Reagan Libyen als einen „terroristischen Staat" und forderte kurz darauf einen Wirtschaftsboykott. Dies wurde jedoch wieder aufgegeben. Nach den Anschlägen auf die Flughäfen von Rom und Wien (27. Dezember 1985) jedoch gab es eine Eskalation von Propagandaanklagen der Amerikaner gegen die Libyer und umgekehrt. Die Libyer fügten Drohungen hinzu, während die Amerikaner mehrmals Flottenmanöver im Gebiet der Großen Syrte durchführten, die Libyen als seine territorialen Gewässer ansah, was jedoch die U S A nicht gelten lassen wollten. Bei einem dieser Manöver am 23. März 1986 feuerten die Libyer fünf Raketen auf amerikanische Flugzeuge ab, die jedoch nicht
26
Vielleicht Rache an Ä g y p t e n wegen der erwähnten Bakusch-Affaire und anderer Reibun-
gen mit Kairo.
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KRISEN IN DER ARABISCH-ISLAMISCHEN WELT
trafen. Die Amerikaner antworteten mit der Versenkung von vier libyschen Schnellbooten. 27 Schrille Propagandaerklärungen von beiden Seiten begleiteten diese Vorgänge. Amerikanische Sprecher erklärten Libyen verantwortlich für ein am 4. April 1986 gegen Amerikaner gerichtetes Attentat in einer Diskothek in West-Berlin (was jedoch später nicht einwandfrei nachgewiesen werden konnte). 28 Am 14. und 15. April griffen 18 amerikanische F - l l l - B o m b e r von Basen in Großbritannien aus Tripolis und Benghasi an. 16 A-6 und A-7 der Sechsten Flotte unterstützten sie. Sowjetische Kriegsschiffe hatten sich anscheinend aus der Region entfernt. Ziele waren Hafenanlagen und Kasernen, doch wurden auch Wohnhäuser zerstört. Das Schlafzimmer Khadafis und seiner Familie in der Azizziya-Kaserne wurde gezielt angegriffen. Doch der Oberst entkam. Eine amerikanische F - l l l ging verloren. Khadafi rief zur Rache auf. Zwei libysche Raketen wurden auf die italienische Insel Lampedusa abgefeuert, fielen jedoch ins Meer (16. April). Die libysche offizielle Bilanz lautete: 36 Tote, davon ein Soldat; 90 Verwundete; es dürften jedoch weit mehr Soldaten gewesen sein. Die sowjetische Flotte stattete Höflichkeitsbesuche in Tripolis, Benghasi und Misrata ab (23. April). Der Stellvertretende libysche Ministerpräsident, Abdel Salam Jalloud, reiste vom 26. bis 30. Mai nach Moskau, er erhielt dort Zusagen für „reguläre Beratungen" und Verstärkung der libyschen Verteidigung. Am 11. Juni erklärte Khadafi sich zufrieden über seine „Allianz" mit der Sowjetunion. Zweifellos hatte er versucht, eine solche zu erhalten, war jedoch vorsichtig abgewiesen worden. Der Angriff hatte ihn offensichtlich erschüttert, jedoch auch in einen bitteren Feind der USA verwandelt. Frankreich und Spanien hatten den amerikanischen Flugzeugen den Uberflug über ihre Gebiete verweigert. Dies gab zu vorübergehenden Spannungen mit den Amerikanern Anlaß. Israel führte einen ähnlichen Großangriff zur Luft auf das Hauptquartier der P L O in Tunis am 1. Oktober 1985. Er scheint als (überproportionierter) Racheakt auf die Mordaktion von Larnaka (vom 25. September) erfolgt zu sein. Das Büro Arafats wurde zerstört, doch er entkam. Offizielle Bilanz: 56 tote Palästinenser, 15 tote Tunesier, über hundert Verwundete. Die Aktion wurde am 4. Oktober 1985 vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verurteilt; nur die USA enthielten sich der Stimme. Präsident Reagan sprach jedoch vom Recht Israels, Repressalien gegen Terrorakte durchzuführen. Die Haltung der Amerikaner führte zu Demonstrationen, Protesten und inneren Spannungen in Tunesien: Ein Polizist auf Djerba lief Amok und erschoß drei 2 7 So Maghreb/Mashrek, Nr. 112, April, Mai, Juni 1986, S. 78; nach anderen Quellen waren es zwei Schnellboote. Vgl. Jean-Joseph Clam und Helmut Hubely Die Krise um Libyen, Bonn (Arbeitspapier des FI der DGAP, Nr. 44) 1987, S. 95. 28
Vgl. Clam/Hubel,
ebd., S. 91 ff.
AMERIKANISCHE UND ISRAELISCHE GEGENSCHLÄGE
301
jüdische und zwei sunnitische Tunesier. Es gab auch etwa 15 Verwundete (8. Oktober). Es steht zu befürchten, daß derartige Gewaltaktionen, die nicht die Täter von Terrorakten direkt treffen, sondern gegen Staaten gerichtet sind, denen Unterstützung der Terroristen vorgeworfen wird, diese Staaten schwerlich davon abbringen werden, Terroristen zu unterstützen. Sie führen meist zum Tod von Unschuldigen und steigern eher die Wut der Bevölkerung gegen den „Imperialismus".
VERSCHÄRFUNG DER SITUATION IN LIBANON Von Alfred Schlicht Auch nach zehn Jahren Konflikt in Libanon war kein Ende der blutigen Auseinandersetzungen abzusehen, die von manchem Beobachter fälschlicherweise als „Bürgerkrieg" bezeichnet wurden. Die Krise in und um Libanon mit ihren zahlreichen internationalen Bezügen blieb mit dem regionalen Umfeld und der weltpolitischen Konstellation eng verflochten.
K O N F R O N T A T I O N ZWISCHEN PALÄSTINENSERN U N D AMAL
Der
Lagerkrieg
Ein wichtiger Faktor im libanesischen Geschehen waren 1985/86 die Palästinenser: Nach ihrem 1982 unter israelischem Druck erfolgten Abzug aus Beirut, ihrer Spaltung in Arafat-Anhänger und mit Syrien kooperierende „Dissidenten" 1 und der Vertreibung Yasser Arafats und seiner Getreuen aus der nordlibanesischen Stadt Tripoli 1983 waren die Palästinenser stark geschwächt; 2 zahlreiche Palästinenser waren jedoch in Libanon geblieben. 3 Sie lebten in slumähnlichen Siedlungen vor allem am Rande Beiruts, aber auch in Südlibanon in den sogenannten Palästinenserlagern. Dort schien sich die palästinensische Präsenz erneut in organisierter und bewaffneter Form zu manifestieren. Seitens Syriens und der schiitischen Amal-Bewegung wurde dies als Alarmsignal gewertet: Beide wußten sich einig in dem Bemühen, die Bildung einer unabhängigen palästinensischen Macht in Libanon nicht mehr zu tolerieren. Syrien mußte gemäß seiner Politik, die politischen und militärischen Kräfte in Libanon gegeneinander auszuspielen, jede Bildung von (möglicherweise) unabhängigen Machtfaktoren in Libanon verhindern. Insbesondere durfte Libanon nicht mehr zum Stützpunkt der P L O - F r a k t i o n unter Führung Arafats werden. Die schiitische Amal-Miliz, engste libanesische Verbündete der Syrer, hatte ebenfalls durchaus gewichtige Gründe, ein Wiedererstarken der Palästinenser in Libanon zu verhindern. Die südlibanesischen Schiiten hatten in erster Linie unter der andauernden Konfrontation
1 Vgl. Peter Hünseier, 4/1985, S. 111-120. 2
Die Krise der Palästinensischen Befreiungs-Organisation, in: EA,
Vgl. hierzu die Beiträge von Arnold Hottinger
in: IP 1981/82 und 1983/84.
Im Sommer 1985 lebten noch bis zu 400 000 Palästinenser in Libanon. Schätzungen nach: IHT, 22.7.1985. 3
DER LAGERKRIEG
303
zu leiden gehabt, die seit Ende der sechziger Jahre zwischen Palästinensern und Israeli auf libanesischem Territorium ausgetragen wurde. Amal vertrat den Standpunkt, eine solche Situation (sie hatte bis zur israelischen Invasion von 1982 angedauert) dürfe in Libanon nicht wieder entstehen. Der Führer der Amal-Miliz, Nabih Berri, erklärte, er werde es nicht zulassen, „daß bis zum letzten Bewohner des Südens gekämpft wird". 4 Vor diesem Hintergrund war der Ausbruch des sogenannten Lagerkriegs im Mai 1985 zu verstehen, bei dem sich Amal-Milizionäre und Palästinenser in den Beiruter Vororten gegenüberstanden. 5 Im Laufe dieser Auseinandersetzungen - sie verliefen in mehreren Etappen und wurden immer wieder durch Friedensvereinbarungen, die nur vorübergehende Wirkung hatten, unterbrochen - zeigten sich deutlich einige charakteristische Merkmale des Libanon-Konflikts: Die Grenzen des manchmal überschätzten Einflusses von Syrien und der Mangel an Homogenität im muslimischen Lager wurden deutlich, als sich die Drusen und ihre Miliz sowie die schiitische „Partei Gottes", die Hizbollah, 6 nicht an der Schlacht um die Palästinenserlager beteiligten. Die Drusen stellten ihren langjährigen palästinensischen Verbündeten sogar Artilleriepositionen in den Bergen zur Verfügung, von denen aus sie Amal-Stellungen beschießen konnten. Geistliche Führer der libanesischen Sunniten attackierten das Vorgehen gegen die Palästinenser mit scharfen Worten, die Sunniten riefen einen Generalstreik aus. Darüber hinaus einte die Bedrängnis, in die die Palästinenser gerieten, Arafat-Anhänger und Dissidenten. Eine solche Entwicklung lief syrischem Kalkül gänzlich zuwider. Selbst unter den Palästinensern, die in Syrien lebten, begann es zu gären. So war verständlich, daß Syrien dem Drängen seiner Verbündeten - vor allem Irans - nachgab, und eine vorläufige Beendigung des Konflikts durchsetzte. Immer wieder jedoch flammte der Lagerkrieg auf, im Frühling 1986 und im Herbst des gleichen Jahres, als Beirut und das südlibanesische Tyros (Sur) in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die Vermittlungsbemühungen der Regierungen in Damaskus und Teheran erwiesen sich nur als begrenzt wirksam.
4
Zitiert nach: NZZ,
25.5.1985.
5
Vgl. Camille Mansour, Au delà du siège des camps palestiniens de Beyrouth, in: Maghreb-Machrek, N r . 109, Juli/August/September 1985, S. 65-82. Dort wird die These aufgestellt, daß langfristig eine Interessenübereinstimmung von Palästinensern und libanesischen Schiiten besteht. 6 Im Gegensatz zur „bürgerlich"-reformistischen Amal orientiert sich die Hizbollah an Teheran.
304
VERSCHÄRFUNG DER SITUATION IN LIBANON
Die libanesischen Schiiten zwischen der „bürgerlichen" und der „fundamentalistischen" Hizbollah
Amal
D e r Aufstieg der schiitischen Gemeinschaft von einer Randgruppe zum militärisch mächtigsten lokalen Faktor setzte sich 1985/86 fort. Zusehends wurde auch die Weltöffentlichkeit aufmerksam. 8 Dazu trugen aufsehenerregende Aktionen, wie z.B. Attentate schiitischer Libanesen, die im Selbstmord endeten, gegen israelische und „westliche" Ziele entscheidend bei. 9 Bei den libanesischen Schiiten waren zwei Hauptströmungen zu unterscheiden: Auf der einen Seite verkörperte Nabih Berri, ein westlich gebildeter Rechtsanwalt, als Chef der Amal-Bewegung die bürgerlich-reformistische Richtung des libanesischen Schiitentums. Die Ziele von Amal können als eher realpolitisch und praxisorientiert bezeichnet werden. Gefordert wurde ein größerer Anteil an der Macht in Libanon für die schiitische Gemeinschaft sowie die Befreiung Libanons von fremder Okkupation. Auf der andern Seite waren die religiös motivierten Kräfte zu finden, etwa die Gruppe al-Amal al-Islami, die sich von der eher laizistisch geprägten Amal abgespalten hatte, sowie vor allem die Hizbollah. Diese „Partei Gottes" steht Iran und dessen Konzept vom schiitischen Gottesstaat nahe. Sie bekennt sich ausdrücklich zu den Zielen Ayatollah Ruhollah Khomeinys, zu offener Gegnerschaft zu Israel und zum Westen. 1 0 In diesen Organisationen fanden diejenigen Schiiten ihre politische Heimat, die unter der Anleitung schiitischer Geistlicher wie Scheich Hussein Fadlallah und Scheich Ibrahim al-Amin in den traditionellen religiösen Werten ihre politische Heimat suchten und bereit waren, dem iranischen Vorbild zu folgen. Sie waren sich bewußt, daß sie in manchen Fällen ihre Ziele mit dem Einsatz des eigenen Lebens bezahlen mußten. In einer Gesellschaft, die kaum noch Perspektiven zu bieten schien, stellte eine Generation von Jugendlichen, die an Friedenszeiten nur vage
7 Vgl. zur Vorgeschichte den Libanon-Beitrag von Arnold Hottinger in: IP 1983/84, vor allem S. 246-249. g Vgl. z.B. die Beiträge über die libanesischen Schiiten in: Die Zeit, 28.6.1985; IHT, 24.6.1985; NZZ, 27.4.1985. Vgl. zur Entwicklung der Schiiten auch: Richard Norton, Amal and the Shi'a. Struggle for the Soul of Lebanon, Austin 1987; ders., A Shi'ism and Social Protest in Lebanon, in: Nikki Keddie, Juan Cole, Shi'ism and Social Protest, New Häven 1986. Eine Monographie über die libanesischen Schiiten von Andreas Rieck steht kurz vor der Veröffentlichung. Hierzu gehört auch die blutige Welle von Attentaten, die Ende 1985 Paris erschütterte. Vgl. Jacques Derogy, Jean-Marie Pontaut, Terrorisme: la piste chiite, in: L'Express, 14.2.1986, S. 33, sowie den Beitrag von Tilmann Chladek in diesem Band. 1 0 Entsprechende Auszüge aus dem 1985 erschienenen „Parteiprogramm" von Hizbollah finden sich in deutscher Ubersetzung in: Alfred Schlicht, Libanon zwischen Bürgerkrieg und internationalem Konflikt, Bonn (FI der DGAP, Arbeitspapiere zur internationalen Politik, Nr. 40) 1986, S. 52-54.
DIE LIBANESISCHEN SCHIITEN
305
Kindheitserinnerungen hatte, ein ideales Reservoir dar für fundamentalistische Bewegungen mit religiös-revolutionärer Zielsetzung. Im Berichtszeitraum 1985/86 wuchs die Konkurrenz zwischen der gemäßigten Amal und der radikalen Hizbollah. 1 1 Amal befand sich insofern im Nachteil, als die Stimmung vor allem in Südlibanon durch die lange und repressive israelische Besatzung radikalen Forderungen eher entgegenkam als ihre Politik, die darin bestand, Israel nach einem vollständigen Rückzug von libanesischem Territorium die Sicherheit der Grenzen zuzusagen. U m Anhänger zu gewinnen, sah sich Amal veranlaßt, sich im Süden „fundamentalistisch" zu gebärden, wandte sich in Operationen und noch mehr in verbalen Angriffen gegen die von Israel finanzierte Südlibanesische Armee und rief zu weiterem Widerstand gegen die Israeli auf, auch in dem noch nach ihrem Rückzug aus Libanon von Israel kontrollierten südlichen Grenzstreifen. Im Zuge dieser Politik wurde im April 1986 der schiitische Mufti Scheich Abd-al-Amir Qabalan in die Amal-Führung aufgenommen. Die Amal-Hizbollah-Problematik wurde besonders deutlich bei der Entführung eines amerikanischen Verkehrsflugzeugs nach Beirut durch extremistische Schiiten im Juni 1985. Es gelang Amal-Chef Berri, die Kontrolle über das entführte Flugzeug zu gewinnen. Für ihn ging es einerseits darum, seinen Anspruch auf Führung innerhalb der schiitischen Gemeinschaft zu demonstrieren, andererseits wollte er seine internationale Position stärken. Zum einen durfte er den libanesischen Schiiten nicht als „Politiker des Verzichts" und als Kollaborateur des Westens erscheinen, zum andern wollte er der Weltöffentlichkeit nicht das Bild eines Terroristen oder eines Helfershelfers von Terroristen bieten. Anscheinend übernahmen Amal-Mitglieder die Kontrolle über das Flugzeug, und Berri die Rolle des Vermittlers zwischen den der Hizbollah nahestehenden Entführern der TWA-Maschine und den U S A . Die Entführer forderten die Freilassung von mehreren hundert schiitischen gefangenen Zivilisten, die völkerrechtswidrig im israelischen Lager Atlit festgehalten wurden. Nicht nur der Vermittlerrolle Berris sondern auch syrischem Druck war es zu verdanken, daß die Entführung nach mehreren Tagen ein relativ glimpfliches Ende fand: Lediglich ein Toter war unter den Passagieren der T W A Maschine zu beklagen. Dieser Ausgang bedeutete eine Aufwertung Berris als auch Syriens auf internationaler Ebene: Berri und die gemäßigten libanesischen Schiiten gingen gestärkt aus der Affäre hervor; Syrien hatte erneut gezeigt, daß es die Macht schlechthin war, die im libanesischen Chaos noch etwas bewirken konnte. Die Freilassung von Hunderten libanesischer Gefangener aus Atlit Ende Juli 1985 wurde in Libanon als Ergebnis der Entführung gewertet, war aber wohl längst vorgesehen im Verlauf der israelischen Bemühungen, sich aus dem Libanon-Konflikt zurückzuziehen. 11
Vgl. Arnold Hottinger,
Entzweite libanesische Schiiten, in: NZZ, 28.6.1985.
306
VERSCHÄRFUNG DER SITUATION IN LIBANON
LIBANON ZWISCHEN FRIEDENSBEMÜHUNGEN UND ZERFALL
Die Maroniten in Konfrontation
mit Syrien
Die zahlenstärkste, politisch wichtigste und militärisch mächtigste christliche Gruppe in Libanon, die Maroniten, boten 1985/86 nicht mehr das Bild relativer Stabilität, das sie noch bis etwa 1983 abgegeben hatten. Amin Gemayel konnte als Präsident nicht die einmütige Zustimmung für sich gewinnen, die seinem 1982 ermordeten Bruder Bechir sicher gewesen war. Den libanesischen Christen stellte sich drängender denn je die Frage, wie sie ihre Zukunft auf einem sich eindeutig zu ihren Ungunsten entwickelnden libanesischen Schauplatz gestalten sollten. Allmählich setzte sich die Meinung durch, daß eine Zusammenarbeit mit Syrien die einzig realistische Politik sei in einer Situation, in der sich alle traditionellen Verbündeten der Maroniten aus Libanon zurückgezogen hatten. Ende Februar 1985 begab sich eine Delegation der dominierenden Phalange-Partei nach Damaskus, um dort Syriens Position in Libanon ausdrücklich anzuerkennen, sich zum arabischen Charakter Libanons zu bekennen und die wichtige Rolle Syriens bei einer Lösung des Libanon-Konflikts hervorzuheben. 1 2 In Libanon waren solche Gedanken zwar nicht neu, aber diesmal kamen sie von der maronitischen Seite, die bis 1983 versucht hatte, mit Israel und dem Westen ihre Rolle - wenn möglich sogar ihr Übergewicht - in Libanon zu sichern. Im maronitischen Lager fand die Hinwendung der Phalange zu Syrien keine ungeteilte Zustimmung. So kam es im März 1985 zur Revolte innerhalb der maronitischen Miliz der Forces Libanaises. Samir Geagea, einer der militärischen Führer der Miliz, lehnte sich gegen den Präsidenten und die Phalange-Partei auf und vollzog dadurch eine Spaltung zwischen politischer Bewegung und militärischer Organisation. E r versuchte, allerdings vergeblich, in der Folge des israelischen Rückzugs im Frühling 1985, in Südlibanon Fuß zu fassen und seine militärische Macht auszudehnen. Sein Scheitern bei diesem Versuch löste nicht nur Ströme christlicher Flüchtlinge aus, die ihre Heimatgebiete verlassen mußten, sondern schwächte auch seine Position innerhalb der Forces Libanaises: Die Folge war, daß im Mai 1985 ein anderer Kommandant der Forces Libanaises, Elias Hobeika, Geagea stürzte und die Führung der Forces Libanaises übernahm mit dem erklärten Ziel, einen baldigen Frieden in Zusammenarbeit mit Syrien zu erreichen.
M e h r e r e Parteien u n d O r g a n i s a t i o n e n der m u s l i m i s c h e n Seite, wie etwa die N a t i o n a l soziale S y r i s c h e P a r t e i , hatten seit jeher eine enge Z u s a m m e n a r b e i t mit Syrien o d e r sogar einen Z u s a m m e n s c h l u ß b e i d e r Staaten gefordert. A u c h die libanesische Presse b e f ü r w o r t e t e wieder eine enge K o o p e r a t i o n b e i d e r Staaten. V g l .
al-Hawaditb,
1 6 . 8 . 1 9 8 5 , S. 4.
immer
DIE MARONITEN IN KONFRONTATION MIT SYRIEN
307
Gegen Ende des Jahres 1985 schien dann eine innerlibanesische Friedensformel gefunden, an deren Zustandekommen auch Hobeika beteiligt gewesen, und die unter Vermittlung und Mitwirkung Syriens ausgehandelt worden war. Die wichtigsten Elemente des Kompromisses waren die schrittweise Entwaffnung der Milizen, die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Wohngebiete, die Bildung einer neuen Regierung und die Wahl eines neuen Parlaments, bei dem zum ersten Mal in der libanesischen Geschichte Christen und Muslime die gleiche Anzahl von Sitzen erhalten sollten. Diesmal war es Präsident Gemayel, der dem Friedensplan nicht zustimmte und ihn damit zum Scheitern brachte. In der Tat war Gemayel erst am Ende der Verhandlungen hinzugezogen worden, um dem von Hobeika ausgehandelten Friedensabkommen zuzustimmen. Dies zeigte deutlich, welche reale politische Bedeutung ihm - auch von syrischer Seite - beigemessen wurde. Dies erklärte auch, warum bei einer erneuten Revolte im Januar 1986 Geagea nun in Amin Gemayel einen Verbündeten fand. Geageas Aufstand war erfolgreich, Hobeika ging ins Exil und die Maroniten standen wieder unter syrienfeindlicher Führung. 1 3 In Hobeika und Geagea polarisierten sich die gegensätzlichen Meinungen des politischen Spektrums innerhalb der maronitischen Gemeinschaft: Auf der einen Seite standen diejenigen, die aufgrund einer Entwicklung, in der sich die libanesischen Christen immer stärker in der Defensive sahen, christliche Interessen am besten in einer Zusammenarbeit mit Syrien, der einzigen Ordnungsmacht in Libanon, gewahrt sahen. Was ohne Syrien nicht möglich gewesen war, sollte mit Syrien versucht werden: eine Sicherung der maronitisch-christlichen Position in einem künftigen Libanon. Im Gegensatz zu solch bescheidenen Zielen glaubten Gegner eines Arrangements mit Damaskus, daß schon zu viele Opfer im Lauf des zehnjährigen Konflikts gebracht worden seien, als daß nun eine Unterordnung unter syrische Machtpolitik erfolgen dürfe. Nur in einem Festhalten an dem bisherigen harten Kurs sahen sie die christlichen Interessen gewahrt und glaubten noch immer, die Maximalziele erreichen zu können, die 1982/83 vorübergehend greifbar erschienen waren. Schließlich zeigte sich in den letzten Tagen des Jahres 1986 noch ein erneuter Umschwung: Präsident Gemayel machte eine spektakuläre Wendung und bekannte sich zu Syrien, dem er im Zuge einer Befriedung Libanons weitgehende Zugeständnisse zu machen bereit war.
1
E i n V e r s u c h H o b e i k a s , mit W i s s e n und w a h r s c h e i n l i c h sogar mit H i l f e der S y r e r und
ihrer libanesischen
Verbündeten
vom
muslimischen
West-Beirut
ins christliche
v o r z u d r i n g e n u n d d o r t die M a c h t z u ü b e r n e h m e n , scheiterte im S e p t e m b e r 1 9 8 6 .
Ost-Beirut
308
VERSCHÄRFUNG DER SITUATION IN LIBANON
Innerlibanesische
Auseinandersetzungen
Im Zuge des israelischen Rückzugs aus Libanon, der seit Herbst 1983 in mehreren Etappen durchgeführt wurde, zeigte sich, daß keine libanesische Institution in der Lage war, das entstehende Vakuum auszufüllen. Es rückten zwar Armee-Einheiten - circa 2 000 Mann - im Februar 1985 in das von den Israeli verlassene Saida vor, doch war dies nicht mehr als ein symbolischer Akt. Faktisch wurden die südlibanesischen Gebiete rasch zum Feld blutiger innerlibanesischer Auseinandersetzungen. Ortsfremde Einheiten der maronitischen Forces Libanaises versuchten, im Süden Fuß zu fassen. Ihr Scheitern führte zur Vertreibung Tausender südlibanesischer Christen aus ihren traditionellen Wohngebieten; ein großer Teil flüchtete ins maronitische Kernland nach Norden. Andere zogen sich in den Grenzstreifen zu Israel zurück, den die Südlibanesische Armee kontrollierte. Damit hatte sich der muslimisch-christliche Gegensatz auch auf den Süden des Landes ausgedehnt, der zu einer weitgehend schiitischen Region wurde, in der Amal und Hizbollah rivalisierten. Außerdem gab es dort sunnitische und palästinensische Gruppen. Die Drusen nutzten den israelischen Rückzug und die in seiner Folge entstandenen Wirren, um ihren Machtbereich zu arrondieren. In einer überraschenden Aktion im April 1985 stießen drusische Milizionäre aus dem Gebirge in den Iklim al-Kharrub an der Küste vor. Damit war ein weiterer Schritt getan in Richtung auf eine „Kantonalisierung", eine Aufspaltung Libanons in kleine Staaten, 14 und die Drusen verschafften sich so den für eine autonome Existenz lebenswichtigen Zugang zum Meer. In Beirut kam es im Zug der Gleichschaltung im Sinne Syriens im April 1985 zu einer gemeinsamen Aktion der Amal- und der drusischen PSP (Parti Socialiste Progressiste)-Miliz gegen die relativ kleine Miliz der Sunniten, die al-Murabitun. 15 Letztere wurden praktisch aufgerieben und verlagerten ihre Aktivitäten in den Untergrund. Hintergrund dieses Vorgangs waren die syrischen Bemühungen, potentielle Gegner und mögliche Störfaktoren auf der libanesischen Szene zu neutralisieren. Die Murabitun wurden im Vorfeld der geplanten Aktionen gegen die Palästinenser in Libanon als deren mögliche Verbündete ausgeschaltet. Auch Gruppen, die eigentlich Verbündete waren, wurden überraschend schnell zu Gegnern, wie etwa Drusen und 14
Diese könnten durchaus eines Tages völkerrechtlich anerkannt werden als „stabilisierte De-facto-Herrschaften", wenn sich inner- und außerhalb Libanons die Einsicht durchsetzen sollte, daß der Staat Libanon nur noch eine völkerrechtliche Fiktion ist. Vgl. Alfred Verdross, Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, Berlin 1984, S. 239-247. 1 5 William Harris, La politique libanaise de Hafez el-Assad, in: Bassma Kodmani-Darwish (Hrsg.), Liban. Espoirs, realites, Paris 1987, S. 91-118, hier S. 117, gibt die Zahl der MurabitunMilizionäre in Beirut mit 900 an (im Vergleich: Amal-Miliz nach Mobilisierung für den Lagerkrieg 14 000, PSP-Miliz 6 200 Bewaffnete).
DER LIBANON-KONFLIKT IM NAHÖSTLICHEN UMFELD
309
Schiiten im November 1985, als sich aus dem Streit über die libanesische Nationalflagge, die Drusen von öffentlichen Gebäuden entfernen wollten, eine blutige Auseinandersetzung entwickelte. Versuche, zu einer Friedensregelung zu kommen, gab es aber auch immer wieder; in den Jahren 1985/86 war all diesen Ansätzen die Blickrichtung Damaskus gemeinsam. Manchmal verhandelte eine einzelne Gruppe mit der syrischen Führung, etwa die maronitische Phalange im Februar 1985, oder gar eine Anzahl von Vertretern mehrerer politisch-konfessioneller Richtungen, wie z.B. sunnitische, schiitische und drusische Delegierte im Juli 1985. Nach langwierigen Gesprächen im Spätsommer und Herbst 1985, als eine Einigung möglich schien, an dem die wichtigsten politischen Kräfte in Libanon, die drusische PSP, die schiitische Amal und die maronitischen Forces Libanaises unter Hobeika beteiligt waren, versagte Präsident Gemayel, wie oben ausgeführt, im Dezember 1985 seine Zustimmung.
D E R L I B A N O N - K O N F L I K T IM N A H Ö S T L I C H E N U M F E L D 1 6
Die Rolle Syriens Syrien war nach dem Abzug der Israeli die einzige Macht, die sich in Libanon halten konnte und dort noch über großen Einfluß verfügte. 17 Schien Syriens Stellung durch die israelische Invasion 1982 stark geschwächt, so war es im Berichtszeitraum der Staat, der fast allen Parteien im Libanon-Konflikt als Bezugspunkt, Verhandlungspartner und Garantiemacht diente. Dies lag einerseits wohl an den historischen Bindungen, die - auch ohne Abkommen und Institutionalisierung - praktisch zwischen Libanon und Syrien bestanden, besonders aber andererseits auch daran, daß Syrien traditionell im Libanon-Konflikt eine Realpolitik betrieb, die darin bestand, keiner der libanesischen Gruppen ein Ubergewicht zuzugestehen. Wenn der syrische Präsident Hafez al-Assad im Januar 1986 bezüglich seiner Libanon-Politik auf eine Grundsatzrede von 1976 verweisen konnte, war dies ein eindrucksvoller Beweis für die erfolgreiche Kontinuität syrischer Libanon-Politik. Alle libanesischen Gruppen wandten den Blick nach Damaskus, da dort immer wieder Zusammenkünfte der verschiedensten libanesischen Führer untereinander und mit der syrischen Führung stattfanden. Die Ansätze zu
1 6 Vgl. hierzu besonders Yair Evron, War and Intervention in Lebanon. The Israeli-Syrian Deterrence Dialogue, London 1987. 1 7 Vgl. hierzu Gudrun Krämer, Syriens Weg zu regionaler Hegemonie, in: EA, 22/1987, S. 665-674, sowie William Harris, Syria in Lebanon, in: MERIP-Reports, Nr. 134, Juli/August 1985, S. 9-14.
310
VERSCHÄRFUNG DER SITUATION IN LIBANON
einer Regelung des Libanon-Konflikts sahen immer eine wichtige Rolle Syriens und eine enge Zusammenarbeit beider Länder vor. Syriens Ziele in Libanon waren, daß 1. dort kein eindeutig israelfreundliches Regime herrschen sollte; 2. keine Bewegung, die Syrien als Gegner Israels und nationalarabische Vormacht schlechthin „überholen" und so eine Legitimationskrise für die syrische Regierung auslösen könnte, die Vorherrschaft in Libanon haben sollte; 3. von Libanon keine Einflüsse ausgehen durften, die für Syrien gefährlich werden konnten: z.B. sollten keine unkontrollierten Konflikte mit Israel ausgelöst werden, in die Syrien hätte verwickelt werden können. Fundamentalistische Strömungen mußten eingedämmt werden, um nicht auf Syrien - wo erst 1982 ein Aufstand der Muslim-Brüder brutal niedergeschlagen worden war - übergreifen zu können. Syrien verzichtete dabei in der Regel auf direkte militärische Interventionen und setzte auf Verbündete unter den libanesischen Gruppen. Nicht immer ging die syrische Rechnung auf. Dies zeigte sich im Fall der Palästinenser, deren Kontrolle für Syrien aus den oben genannten Gründen besonders wichtig war. Trotz der zahlreichen Schläge, die sie in den vergangenen Jahren erhalten hatten, und ihrer Aufspaltung in Anhänger des PLO-Vorsitzenden Arafat sowie syrienabhängige „Dissidenten" gelang es ihnen immer wieder, sich in Libanon festzusetzen und zu bewaffnen. Dies war ebensowenig im Sinn Syriens wie die Bemühungen sunnitischer Fundamentalisten der „Tauhid"-Bewegung unter Scheich Said Schaaban, Tripoli zu ihrer Hochburg zu machen. Auch hier ließ die Regierung in Damaskus die Milizen ihrer örtlichen Verbündeten einen Stellvertreterkrieg gegen die Fundamentalisten führen.
Die Rolle Irans Eine besondere Rolle von zunehmender Bedeutung spielte in Libanon die islamische Republik Iran, die trotz divergierender Ideologien auch eine Verbündete Syriens war. 1 8 In den Wohnvierteln der Schiiten in Libanon dokumentierten Khomeiny-Porträts und Inschriften an den Mauern den iranischen Einfluß auf die Schiiten in Libanon. 1 9 Hizbollah, die „Partei Gottes", die sich in ihren Schriften eindeutig zu Iran und zu Khomeiny als Führer bekannte, war nicht bereit, an innerlibanesischen Abkommen mitzuwirken: ihr Ziel war eine islamische Republik, kein Kompromiß unter den libanesischen Gruppen. Immer wieder schalteten sich iranische Diplomaten 18
Vgl. dazu Yair Hirschfeld, The Odd Couple. Ba'athist Syria and Khomeini's Iran, in: Moshe Ma'oz, Avner Yaniv (Hrsg.), Syria Under Assad, London 1986, S. 105-124. Vgl. das große Khomeiny-Porträt in der Risala maftuha iha-l-mustad'afin fi Lubnan wa-l-'alam, o . O . , April 1985.
DIE ROLLE ISRAELS
311
und Politiker bei Entführungen und militärischen Auseinandersetzungen ein, an denen libanesische Schiiten beteiligt waren. Iranische Zahlungen flössen Hizbollah zu, wodurch diese zu einer immer stärkeren Konkurrenz für die gemäßigte Amal wurde. Iranischer Einfluß trug zweifellos dazu bei, daß die Bereitschaft zum „Märtyrertum", zu Selbstmord-Attentaten im Zeichen des Islam gegen Israel und zu Gewalttaten gegen europäische Staaten und die USA im libanesischen Schiitentum zunahmen. Hizbollah ließ sich auch nicht ohne weiteres der syrischen Politik unterordnen: für Hizbollah wie für Iran war der Kampf gegen Israel nicht eine nationallibanesische Angelegenheit, sondern eine gesamtislamische Aufgabe zur Befreiung islamischer heiliger Stätten von fremden Usurpatoren.
Die Rolle Israels Israel, der einzige nichtarabische Nachbarstaat Libanons, beendete im Berichtszeitraum seine dreijährige Okkupation weiter Teile Südlibanons. Daß der Beschluß, in einem Rückzug in mehreren Etappen bis zum Frühsommer 1985 Libanon zu verlassen, in der israelischen Regierung eine deutliche Mehrheit fand, war ein Erfolg für die israelische Arbeiterpartei unter Ministerpräsident Shimon Peres. Daß es allein schiitische Angriffe auf israelische Truppen waren, die zum Abzug der Israeli führten, mag bezweifelt werden. Sicher aber haben diese Attentate den Denkprozeß beschleunigt, der Israel zu dem Schluß führte, daß in einer weiteren Besetzung keinerlei Nutzen, sondern nur weitere sinnlose Verluste liegen würden. „Frieden für Galiläa" hatte die Operation gleichen Namens nicht gebracht. Zwar war es zunächst gelungen, Palästinenser und auch Syrer zu schwächen, doch standen jetzt die Syrer mächtiger denn je in Libanon, und daß auch die Palästinenser militärisch wieder präsent waren, zeigte sich in den Lagerkriegen, die sich lange hinzogen. Zudem hatten sich die Israeli während der Zeit der Besatzung die Schiiten zu gefährlichen Feinden gemacht: Ihre Kamikaze-Unternehmen gegen die israelischen Truppen hatten sich in den letzten Monaten vor dem vollständigen Rückzug gehäuft. Zuletzt hielt Israel (ab 1985) nur noch in einem schmalen Grenzstreifen die Kontrolle aufrecht. Die Bilanz des israelischen Libanon-Abenteuers waren 650 Gefallene, eine angeschlagene Reputation durch die Verwicklung israelischer Militärs in die Massaker von Sabra und Schatila und eine neue Gefährdung durch den aufflammenden Fanatismus schiitischer Gruppen. Es dauerte nicht lange, bis sich die Voraussage des israelischen Generals Uri O r r bewahrheitete, daß wieder sowjetische Katjuscha-Raketen Dörfer in Galiläa treffen würden. Israel reduzierte zuletzt seine Ziele deutlich: Es ging lediglich darum, die Nordgrenze zu sichern. Dazu suchte Israel auch die Zusammenarbeit mit
312
VERSCHÄRFUNG DER SITUATION IN LIBANON
Amal, da ein gutes Einverständnis mit Amal die beste Sicherheitsgarantie zu sein schien. Während Amal begrenzte Ziele verfolgte und nach einem Rückzug der Israeli von libanesischem Boden keine weiteren Ansprüche gegen Israel mehr geltend machte, war Hizbollah ein kompromißloser und opferbereiter Gegner. Wiederholt - sei es in einem Luftzwischenfall mit Syrien (November 1985) oder in Überfällen auf libanesische Ziele - dokumentierte Israel, daß es seine Sicherheitsinteressen auf libanesischem Boden weiterhin mit Nachdruck vertreten würde.
D I E L I B A N O N - K R I S E IM I N T E R N A T I O N A L E N K O N T E X T Noch immer waren die United Nations Interim Forces in Lebanon (UNIFIL)-Truppen in Südlibanon stationiert. 20 Sie hatten zwar keinen wirklichen Einfluß auf die Entwicklung in der Region, es gab aber wiederholt spannungsgeladene Situationen und Reibereien mit lokalen Kräften, bei denen extreme Schiiten der U N I F I L vorwarfen, gegen die islamische Revolution zu arbeiten. Deshalb wurde fraglich, ob die Aufrechterhaltung dieses UN-Kontingents nicht nur ein Symbol dafür war, daß die Welt Libanon noch nicht völlig aufgegeben hatte.
Frankreich Mit dem Rückzug der multinationalen Truppen aus Beirut im Jahre 1984 war das direkte westliche Engagement in Libanon beendet. Lediglich Frankreich meinte es seiner langen Libanon-Tradition schuldig zu sein, noch militärische Beobachter in Libanon zu belassen, unter denen weitere Todesopfer zu beklagen waren. Frankreich demonstrierte sein besonderes Libanon-Interesse auch durch einen Besuch seines Außenministers Roland Dumas in Beirut am 26. April 1985. Dieser Besuch stand in Verbindung mit dem Problem der Terroranschläge und Geiselnahmen, von denen Frankreich ebenso wie die U S A und verschiedene europäische Staaten betroffen war. 21 Beteiligt waren daran vor allem religiös motivierte Bewegungen, wie etwa die „Islamische Gerechtigkeits-Organisation" oder „Amal al-Islami", die Frankreich und den U S A vor allem ihr Engagement im Rahmen der multinationalen Truppen 1982 bis 1984 übelnahmen. Sie reagierten aber auch auf weltpolitische Zusammenhänge, beispielsweise auf Frankreichs Zusammenarbeit mit Irans Kriegsgegner Irak, oder auf den Luftangriff der U S A auf
2 0 Dort waren sie 1978 infolge der wiederholten israelisch-palästinensischen Zusammenstöße aufgestellt worden.
Vgl. hierzu ausführlich den Beitrag von Arnold Hottinger
in diesem Band.
WIRTSCHAFTLICHE PROBLEME
313
Libyen. 22 Besonders schiitische Gruppen bekundeten bei jeder sich bietenden Gelegenheit ihre Feindschaft gegenüber dem „großen Satan", den USA, und dem „kleinen Satan", Frankreich. Sowjetunion Aufsehenerregend war die Entführung von drei sowjetischen Diplomaten und einem sowjetischen Arzt im Oktober 1985 in Beirut, als sich zeigte, daß die Entführer durchaus keine blindwütigen Fanatiker waren, sondern gezielt eine Entführung als Hebel zu einem politischen Zweck einsetzten: Als in Tripoli mit Syrien verbündete Milizen die lokale sunnitische TauhidBewegung mehr und mehr bedrängten, war die Entführung von sowjetischen Bürgern ein geeignetes Mittel, über die Sowjetunion als wichtigem Verbündeten Syriens Druck auf die Regierung in Damaskus auszuüben. Syrien brachte dann auch kurzfristig eine Waffenruhe zustande; daraufhin wurden die überlebenden sowjetischen Staatsangehörigen (einer von ihnen war ermordet worden) freigelassen.
USA Welche Bedeutung die USA den Entführungen offensichtlich - wohl auch mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung im Inland - beimaßen, zeigte sich an den illegalen Waffenlieferungen an Iran, die sich zur sogenannten Irangate-Affäre auswuchsen.23 Durch diese Waffenlieferungen sollte die Freilassung der amerikanischen Geiseln bewirkt werden. In diesem Zusammenhang wurde ebenfalls deutlich, wie hoch in Washington der iranische Einfluß auf die libanesische Szene eingeschätzt wurde. Der CIA-Vertreter in Libanon, William Buckley, und der französische Wissenschaftler Michel Seurat, dessen Beschäftigung mit aktuellen Problemen Libanons als „nachrichtendienstliche Tätigkeit" ausgelegt wurde, wurden 1985/86 von ihren Entführern ermordet.
WIRTSCHAFTLICHE PROBLEME Libanons internationale Bedeutung beruhte nicht zuletzt auf seiner Rolle als Wirtschaftszentrum des Nahen Ostens. Selbst noch nach Beginn des Konflikts 1975 hatte sich lange Zeit eine gewisse Prosperität erhalten, hatte 22 23
Vgl. hierzu auch den Beitrag von Helmut Hubel
in diesem Band.
Vgl. hierzu Jonathan Marshall u.a., The Iran-Contra Connection, Boston 1987.
314
VERSCHÄRFUNG DER SITUATION IN LIBANON
die Überlebensfähigkeit der libanesischen Wirtschaft international Bewunderung und Erstaunen erregt. 1983 noch war die Versorgungslage relativ gut, herrschte im Land ein Baufieber, zeigte die libanesische Währung eine größere Stabilität als die Währungen von Ländern wie Brasilien oder Israel. Im Zeitraum 1985/86 aber waren die Zeichen eines rapiden wirtschaftlichen Niedergangs nicht mehr zu übersehen. 24 Besonders spektakuläres Symptom und eines der wenigen meßbaren Anzeichen dieser Entwicklung war der Verfall des libanesischen Pfundes: 1983 entsprach ein Dollar einem Gegenwert von 3,8 libanesischen Pfund; im Dezember 1986 kostete ein Dollar 65 libanesische Pfund. 2 5 Die Gründe für die chronische Pfund-Krise waren zahlreich und vielfältig: Seit der israelischen Libanon-Invasion von 1982 flössen zunehmend israelische Waren ins Land, die eine starke Konkurrenz für lokale Produkte darstellten (nach Schätzungen sollen bis Anfang 1985 Waren im Wert von circa 155 Millionen Dollar von Israel nach Libanon exportiert worden sein).26 Diese Waren gelangten nicht nur in die von Israel besetzten Regionen, sondern überfluteten das ganze Land. Eine Sekundärfolge davon war ein Boykott, den einige arabische Staaten gegen libanesische Produkte verhängten, aus Furcht, auf diesem Weg israelische Güter zu importieren. Auch Transferzahlungen aus dem Ausland - seien es Hilfsgelder der arabischen Ölstaaten oder Uberweisungen von Auslandslibanesen - gingen stark zurück. 1982 flössen noch Gelder in Höhe von 150 Millionen Dollar nach Libanon, im Juni 1985 waren sie auf etwa ein Drittel dieser Summe gesunken. Kapitalflucht und der Abfluß von Devisenreserven (etwa durch Waffenkäufe der Regierung im Ausland) verschärften die Situation. Maßnahmen der Zentralbank konnten nur vorübergehende Wirkung haben. Die ohnehin fast machtlose Regierung stellte Phantombudgets auf, machte Schulden in abenteuerlicher Höhe und ging dazu über, in Aussicht stehende Hilfsgelder aus arabischen Staaten im voraus an Gläubiger zu verpfänden. Teilweise aufgrund der hohen Binnenverschuldung der Regierung (die im Dezember 1985 bei circa 7 Milliarden D-Mark lag), wohl aber auch wegen der allgemeinen Unsicherheit, waren Kredite in Libanon nur noch kurzfristig zu erhalten und wurden mit einer zusätzlichen Risikomarge von 3 bis 4 Prozent belastet. Der desolate Zustand der Staatsfinanzen war dadurch bedingt, daß der Staat immer weniger in der Lage war, die ihm gewöhnlich zufließenden Einahmen aus Steuergeldern und Zöllen einzutreiben (1985 lagen die Zollein-
24 Vgl. Nasser Saidi, Conséquences économiques de la guerre au Liban, in: Darwish, a.a.O. (Anm. 16), S. 41-71. 25 Handelsblatt, 19.12.1986. 26
Handelsblatt,
22.1.1985.
Kodmani-
WIRTSCHAFTLICHE PROBLEME
315
nahmen um 84 Prozent unter der veranschlagten Summe). In den meisten Regionen des Landes übernahmen die jeweils herrschenden Milizen nicht nur die Macht, sondern auch die Einnahmen des Staates. Die wirtschaftliche Entwicklung folgte der politischen: Die allmähliche Kantonalisierung, die faktische Aufteilung Libanons in Machtbereiche einzelner Milizen, die praktisch die Form von Kleinstaaten annahmen, führte auch zur Entstehung verschiedener Wirtschaftsräume: jeder dieser Machtbereiche hatte seinen eigenen Hafen, über den der Handel abgewickelt wurde. Auf diese Weise ergaben sich auch deutlich regionale Unterschiede in der wirtschaftlichen Lage: Verhältnismäßig stabil und sogar noch florierend schien das maronitische Kernland (Ost-Beirut und die nördliche Küste mit dem Bergland), das weniger durch eigentliche Kriegshandlungen betroffen war als andere Regionen. Dort nahm die Bauindustrie einen Aufschwung durch den Zustrom von christlichen Flüchtlingen aus anderen Landesteilen. Punktuell konnten positive Ergebnisse im Außenhandel erzielt werden: 1985 stiegen die Exporte von Agrarprodukten in arabische Länder; 1986 setzte sich diese Tendenz dank einer zufriedenstellenden Ernte fort. Die Konservenindustrie konnte ihre Produktion ausweiten und ihre Exporte ebenfalls steigern. Auch in der Textilindustrie gab es Erholungsanzeichen. Dies dürfte unter anderem auch darauf zurückzuführen sein, daß durch den Kursverfall des libanesischen Pfundes libanesische Güter relativ preiswert wurden. Auch ein schwunghafter Schmuggel über die syrische Grenze hinweg hatte wirtschaftlich positive Auswirkungen in Libanon.
DER K O N F L I K T Z W I S C H E N LIBYEN U N D D E N USA IM I N T E R N A T I O N A L E N Z U S A M M E N H A N G Von Helmut
Hubel
DER AMERIKANISCHE L U F T A N G R I F F Als sich der amerikanische Präsident Ronald Reagan am 15. April 1986 um 21 Uhr Ortszeit in einer Fernsehansprache an seine Landsleute wandte, hatten wenige Stunden zuvor Luft- und Seestreitkräfte der Vereinigten Staaten „eine Reihe von Angriffen gegen Hauptquartiere, terroristische und militärische Einrichtungen unternommen, die Muammer el-Khadafis subversiven Aktivitäten dienten". Die Angriffe sollten Verluste unter der libyschen Bevölkerung vermeiden. Die amerikanische Regierung - so der Präsident — verfüge über eindeutige Beweise, daß das libysche Volksbüro in Ost-Berlin aus Tripolis den Auftrag erhalten habe, gegen Amerikaner einen Anschlag durchzuführen. Am 5. April sei dieser Befehl mit einem Attentat auf die von amerikanischen Soldaten besuchte Diskothek „La Belle" in West-Berlin durchgeführt worden, bei dem zwei amerikanische Soldaten und eine junge Türkin ums Leben kamen und 130 Personen verletzt wurden. Die USA, die Khadafi bereits zuvor vor Angriffen gegen amerikanische Bürger gewarnt hatten, hätten das Attentat nicht ungesühnt lassen können. Unter Berufung auf Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen habe er das Recht zur Selbstverteidigung und zur Warnung vor weiteren Anschlägen beansprucht. „Heute nacht haben wir gehandelt". 1 Nachdem der amerikanische Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland, Richard Burt, öffentlich von „Beweisen" für die libysche Urheberschaft des Berliner Attentats gesprochen und Präsident Reagan am 9. April Khadafi einen „tollwütigen H u n d " genannt hatte, war nur noch offen gewesen, wann und in welcher Form die USA zur Tat schreiten würden. In der Nacht vom 14. zum 15. April stiegen 24 amerikanische Flugzeuge des Typs F-111 von ihrem Stützpunkt in Großbritannien auf. Ihnen schlössen sich 14 Maschinen des Typs A-6-Es an, die von zwei im Mittelmeer vor der Küste Libyens zusammengezogenen Flugzeugträgern starteten. Zahlreiche andere Flugzeuge der Sechsten Flotte deckten die Operation, indem sie Kommunikationsverbindungen unterhielten und die libysche Flugabwehr störten. Insgesamt waren etwa 100 Flugzeuge an dem Angriff beteiligt. Nicht alle amerikanischen Maschinen erreichten wegen technischer Defekte ihre Ziele: die Azizziyah-Kaserne, Militäreinrichtungen
1
Wortlaut der Fernsehansprache in: NYT, 16.4.1986.
DER AMERIKANISCHE LUFTANGRIFF
317
von Sidi Bilal, den Flughafen von Benina und die Kaserne von Benghasi, die von den abgeworfenen Präzisionsbomben in unterschiedlichem Ausmaß zerstört wurden. Von den sechs bei der Operation abgestürzten Flugzeugen kehrten einige möglicherweise auch wegen der libyschen Luftabwehr von ihrem Einsatz nicht zurück. 2 Libyens Präsident Khadafi, von dem bekannt war, daß er sich häufig im Bereich der Azizziyah-Kaserne aufhielt, überlebte den Angriff ohne sichtbare Verletzungen. Nach libyschen Meldungen wurden aber seine Adoptivtochter getötet und seine Frau sowie mehrere Kinder verletzt. Einige der Bomben verfehlten ihr Ziel und führten zu Opfern unter der Zivilbevölkerung sowie zu Sachschäden, darunter an der Botschaft Frankreichs. Dennoch wurde die Operation in den U S A als erfolgreicher militärischer Schlag bewertet, der die Fähigkeit bewiesen habe, hochkomplizierte Waffensysteme über weite Entfernungen koordiniert einzusetzen: Es war eine „Hightech-Demonstration", bei der amerikanische Verluste auf ein Minimum beschränkt werden konnten. Die internationalen Reaktionen auf diesen Angriff waren geteilt: In den Vereinigten Staaten machten sich die lange aufgestaute Empörung und Wut über terroristische Angriffe gegen Amerikaner in einem Taumel der Begeisterung L u f t ; er kühlte allerdings etwas ab, nachdem Meldungen und Bilder von Todesopfern und Verletzten unter der libyschen Bevölkerung von den Medien verbreitet wurden. Für viele Amerikaner war dieser Schlag eine längst überfällige Antwort auf die zahlreichen Demütigungen, denen die U S A durch Terroraktionen im Nahen Osten seit den späten siebziger Jahren ausgesetzt waren. In Westeuropa waren die öffentlichen Reaktionen eher von Zurückhaltung, Unverständnis oder gar offener Kritik am amerikanischen Vorgehen gekennzeichnet. N u r eine europäische Regierung, die Großbritanniens, die vorab informiert gewesen war, hatte den amerikanischen Angriff gegen Bedenken innerhalb der Regierung - unterstützt. Frankreich und Spanien hatten den amerikanischen Flugzeugen die Uberfluggenehmigung verweigert und sie so zu einem langen Umweg übers Meer gezwungen. Wieder einmal drohte Gefahr, daß das Westliche Bündnis wegen eines Problems außerhalb des NATO-Geltungsbereichs belastet würde.
Vgl. Harlan K. Ullman und N o r m a n Friedman, Assessing the Raid on Libya, in: Naval Forces, 4/1986, S. 10 f. Vgl. auch die Aussagen von Verteidigungsminister Weinberger und Admiral C r o w e vor einem Unterausschuß des Repräsentantenhauses am 21.4.1986, abgedruckt in: Aerospace Daily, 25.6.1986. Weitere D o k u m e n t e zum Thema enthält die umfangreiche Sammlung von Hannspeter Mattes, Die militärische Konfrontation zwischen Libyen und den U S A 1986. Zur Genese des Konflikts und seinen internationalen Auswirkungen, H a m b u r g (Mitteilungen des Deutschen Orient-Instituts, N r . 29) 1986.
318
DER KONFLIKT ZWISCHEN LIBYEN UND DEN USA
DIE VORGESCHICHTE Der „Vergeltungsschlag", wie er in den USA verstanden wurde, kam jedoch nicht aus heiterem Himmel. Er hatte eine komplizierte Vorgeschichte, die das amerikanisch-libysche Verhältnis, aber auch die amerikanische Nahost-Politik insgesamt sowie die internen Entscheidungsprozesse in den U S A zum Gegenstand hatte.
Zunehmende
Spannungen
im amerikanisch-libyschen
Verhältnis
Die Spannungen reichten bis zum Machtantritt Khadafis am 1. September 1969 zurück. 3 Trotz der Räumung des amerikanischen Militärstützpunkts Wheelus Air Base im Juni 1970 führte Khadafis Kurs der bedingungslosen Distanzierung vom Westen, beispielsweise die Nationalisierung der amerikanischen Olkonzerne Anfang der siebziger Jahre, immer wieder zu Spannungen. Seit 1973, dem Jahr des Yom-Kippur-Kriegs und der ersten Ölkrise, verschlechterte sich das Verhältnis noch, insbesondere wegen libyscher Kritik an der amerikanischen Unterstützung für Israel. Am 9. Oktober 1973 erklärte Libyen den Golf von Sirte zum Hoheitsgewässer, ein Seegebiet, das die USA bis dahin häufig zu Manöverzwecken benutzt hatten. Eine weitere Verschärfung der Beziehungen war seit dem Ende der siebziger Jahre festzustellen, nachdem sich Ägypten und Israel in Camp David auf einen Friedensvertrag geeinigt hatten. Libysche Bewunderer der Revolution von Ayatollah Khomeiny in Iran stürmten am 2. Dezember 1979 die amerikanische Botschaft in Tripolis und setzten sie in Brand. Während die amerikanischen Regierungen unter den Präsidenten Nixon, Ford und Carter geschwankt hatten, ob sie Libyen eher ignorieren oder sich aber auf eine Auseinandersetzung einlassen sollten, entschied sich die Regierung Reagan für einen harten Kurs. In der Person des libyschen Führers spiegelten sich nach Ansicht führender Politiker der ReaganAdministration die beiden wesentlichen Probleme amerikanischer Außenpolitik zu Anfang der achtziger Jahre wider: sowjetischer Expansionismus und internationaler Terrorismus. Reagan, der seinem Vorgänger Carter Versagen gegenüber diesen beiden Herausforderungen vorgeworfen hatte, verstand Libyen aufgrund der sowjetischen Waffenlieferungen und Militärberater als „Stellvertreter Moskaus"; außerdem gab es viele Hinweise, daß Khadafi mit
3 Vgl. P. Edward Haley, Qaddafi and the United States since 1969, New York 1984; John K. Cooley, Libyan Sandstorm. The Complete Account of Qaddafis Revolution, London 1983; Mattes, ebd; Helmut Hubel, Libyen in der internationalen Politik, in: Jean-Joseph Clam und Helmut Hubel, Die Krise um Libyen, Bonn (FI der DGAP, Arbeitspapiere zur internationalen Politik, Nr. 44) 1987, S. 86 ff.
KHADAFI UND DIE AMERIKANISCHE ÖFFENTLICHKEIT
319
seinen großen Öleinnahmen zahlreiche Gruppen in aller Welt, aus amerikanischer Sicht terroristische Organisationen, logistisch und finanziell förderte. Reagans Geheimdienstchef, William J. Casey, dessen Organisation in der Regierungszeit Reagans besondere Bedeutung erhalten sollte, sorgte auch dafür, daß die Öffentlichkeit häufig und detailliert von tatsächlichen oder angeblichen Aktionen des libyschen Staatschefs erfuhr. Die Regierung Reagan verfolgte so von Anfang an die bewußte Strategie, Khadafi „zu isolieren, zu verwirren und zu schwächen". 4 Dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Libyen am 6. Mai 1981 folgten seit November dieses Jahres verschiedene Maßnahmen, um die wirtschaftlichen Beziehungen zu unterbinden; so verfügte Präsident Reagan am 10. März 1982, die Einfuhr libyschen Erdöls und den Export von Öl- und Gasförderausrüstungen einzustellen. 5 Am 18. November 1985 wurden die Importbeschränkungen weiter verschärft, bis Präsident Reagan am 7. Januar 1986 einen totalen Wirtschaftsboykott verkündete und alle Amerikaner unter Strafandrohung zum Verlassen Libyens aufforderte, dem allerdings nur wenige US-Bürger in Libyen Folge leisteten. Der verstärkte militärische Druck der USA, etwa die Entsendung von vier Luftaufklärungsflugzeugen des Typs Awacs im Februar 1983 nach Ägypten, sowie die wiederholten amerikanischen Seemanöver vor der Küste Libyens und die dadurch provozierten Reaktionen Khadafis, führten zweimal zu bewaffneten Zusammenstößen: Am 19. August 1981 schössen zwei amerikanische Kampfflugzeuge des Typs F-14 zwei libysche Maschinen sowjetischer Bauart (SU-22) ab, nachdem die Libyer über dem Golf von Sirte das Feuer eröffnet hatten. Am 24. März 1986 beantworteten amerikanische Kampfflugzeuge vorausgegangene Attacken mit der Versenkung zweier libyscher Schnellboote und dem Beschuß einer von der Sowjetunion neu errichteten Raketenstellung des Typs SAM-5.
Khadafi und die amerikanische
Öffentlichkeit
Schließlich wurde die amerikanische Öffentlichkeit gezielt auf eine bevorstehende Auseinandersetzung vorbereitet, indem Vertreter der Regierung in einigen Fällen nachweislich unbewiesene oder gar erfundene - Behauptungen in der Öffentlichkeit verbreiteten. So stellte sich heraus, daß das angeblich von Khadafi entsandte „Killerkommando" zur Ermordung Präsi-
4
Vgl. Haley, ebd., S. 248.
5
B i s zu diesem J a h r w a r e n die U S A d e r bei w e i t e m g r ö ß t e K ä u f e r l i b y s c h e n E r d ö l s gewesen.
( V g l . die statistischen A n g a b e n in:
Clam/Hubel,
a . a . O . [ A n m . 3], S. 140.)
320
DER KONFLIKT ZWISCHEN LIBYEN UND DEN USA
dent Reagans, das im Dezember 1981 tagelang die amerikanische Öffentlichkeit in Atem gehalten hatte, eine Erfindung des iranischen Waffenhändlers Manucher Ghorbanifar war, der mit der C I A auch bei den geheimen Waffenlieferungen an Iran zusammenarbeitete. 6 Die von Geheimdienstchef Casey lancierten Meldungen über libysche Umtriebe wurden selbst von Mitarbeitern im C I A bezweifelt; aus Protest gegen eine Desinformationskampagne im August 1986 trat der Assistant Secretary of State, Bernard Kalb, zurück. 7 Wesentlich bei den wiederholten Kampagnen war, daß in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen konnte, Khadafi sei tatsächlich so etwas wie „das Zentrum des internationalen Terrorismus". Zeitweise nahm die Fixierung Caseys, einem der wichtigsten Berater des Präsidenten, auf den libyschen Staatschef solche Ausmaße an, daß andere Probleme des Nahen Ostens oder gar die Sowjetunion dahinter zurücktraten. 8 So drängt sich im Rückblick der Eindruck auf, die Person Khadafis habe in vieler Hinsicht dazu gedient, von anderen Problemen, insbesondere im Nahen Osten, abzulenken. In der Tat hatten die U S A seit Ende der siebziger Jahre unter einer nicht enden wollenden Kette terroristischer Anschläge zu leiden: Die 444 Tage währende Geiselnahme von 58 Amerikanern in Iran 1979/80 war in gewisser Hinsicht das auslösende Moment gewesen, dem in den folgenden Jahren zahlreiche Sprengstoffanschläge, Flugzeugentführungen und Geiselnahmen folgten. Präsident Reagan, der kaum mehr als zwei Monate nach seinem Amtsantritt im März 1981 nur knapp ein Attentat in den U S A überlebt und sich zusammen mit seinen engsten Mitarbeitern zur aktiven Bekämpfung des sogenannten internationalen Terrorismus entschlossen hatte, fühlte sich von diesen Anschlägen persönlich getroffen. Hinzu kam, daß im Falle des syrischen und iranischen Terrorismus der amerikanischen Regierung aus vielerlei Gründen die Hände gebunden waren. 9 Khadafi war demgegenüber weitgehend isoliert. Auch die Sowjetunion hielt sich betont zurück und unternahm keine Anstalten, um den libyschen Staatschef zu schützen. Zwar hatte sie auf Drängen Khadafis seit Ende 1985 die libysche Luftabwehr durch SAM-5-Raketen verstärkt. V o r dem amerika-
6 Vgl. hierzu Bob Woodward, Veil: The Secret Wars of the CIA 1981-1987, New York 1987, 5. 186, sowie die Beiträge von Arnold Hottinger, Bernd Kubbig und Manfred Knapp in diesem Band. 7 Vgl. IHT, 9.10.1986 sowie Seymour M. Hersh, 22.2.1987, S. 16 ff. 8
9
Vgl. Woodward,
Target Qaddafi, in: NYT
a.a.O. (Anm. 6), S. 303.
Vgl. hierzu ausführlich den Beitrag von Arnold Hottinger in diesem Band.
Magazine,
DIE ZUSPITZUNG DER KRISE
321
nischen Angriff brachte sie aber ihre Militärberater offensichtlich rechtzeitig in Sicherheit, denn über sowjetische Verluste ist nichts bekannt geworden.
Die Zuspitzung der Krise Bezeichnenderweise verlief die Zuspitzung der amerikanisch-libyschen Krise nahezu parallel zu den Bemühungen der USA, mit Hilfe von geheimen Waffenlieferungen an Iran amerikanische Geiseln aus ihrer Geiselhaft durch schiitische Organisationen in Beirut zu befreien. Unter Mitwissen von Geheimdienstchef Casey war ein kleiner Kreis von Beamten im nationalen Sicherheitsrat, insbesondere Sicherheitsberater John Poindexter und sein Mitarbeiter Oliver North, sowohl mit der Iran-Contra- als auch mit der Libyen-Affäre betraut. Außerdem trat Außenminister George Shultz persönlich für eine entschlossene Bekämpfung des Terrorismus ein. Shultz hatte sich nach seinem Amtsantritt in nahostpolitischen Fragen vor allem auf den Experten der National Security Agency, einer speziellen Geheimdienstbehörde, Robert Arnes, gestützt. D e r Außenminister und der Geheimdienstchef empfanden es als persönlichen Verlust, daß Arnes und weitere 16 Amerikaner am 18. April 1983 bei einem Sprengstoffanschlag gegen die Botschaft der USA in Beirut ums Leben kamen. 11 Da auch Verteidigungsminister Caspar Weinberger in eine militärische Aktion gegen Libyen einwilligte, weil sie ein relativ geringes Risiko amerikanischer Verluste in sich barg, waren die wichtigsten Berater des Präsidenten in dieser Frage weitgehend einig. Bereits im Januar 1986, nach den weihnachtlichen Sprengstoffanschlägen auf die Flughäfen von Rom und Wien, fiel der prinzipielle Entschluß zu einer Aktion gegen Khadafi. Präsident Reagan verlangte jedoch noch eine „Smoking gun", einen eindeutigen Nachweis, daß der libysche Staatschef in einen Terroranschlag verwickelt sei. Die Auswertung der Funksprüche zwischen Tripolis und dem libyschen Volksbüro in Ost-Berlin vor und nach dem Anschlag auf die Westberliner Diskothek „La Belle" war schließlich für Präsident Reagan der geforderte Nachweis, der für seinen Entschluß zum Angriff den Ausschlag gab. 12
1 0 Die sowjetische Parteizeitung Prawda berichtete am 14.4.1986, einen Tag vor dem amerikanischen Angriff, daß Großbritanniens Premierministerin Thatcher die USA bei dem geplanten Angriff auf Libyen unterstützen wolle und erwähnte dabei auch die Maschinen des Typs F - l l l . 1 1 Vgl. Woodward, a.a.O. (Anm. 6), S. 245. Auch in diesem Fall liefen die Fäden offensichtlich in Damaskus und Teheran zusammen. 1 2 Vgl. Hersh, a.a.O. (Anm. 7), S. 22. Der Autor behauptet unter Berufung auf Gespräche mit Experten der Marine und der CIA, daß das Hauptziel des Angriffs eindeutig die Ermordung Khadafis gewesen sei. Außerdem berichtet er von Zweifeln bei Regierungsexperten an der Auswertung der abgehörten Funksprüche nach dem Anschlag auf die Diskothek.
322
DER KONFLIKT ZWISCHEN LIBYEN UND DEN USA
Der Vorwurf des Terrorismus Die amerikanischen Vorwürfe gegen den libyschen Staatschef hatten einen wahren Kern. Wie manch andere von der eigenen Mission überzeugte absolute Führer hatte sich Khadafi in der Vergangenheit innenpolitischer Gegner - meist im europäischen oder nahöstlichen Exil — durch gedungene Mörder zu entledigen versucht. Darüber hinaus förderte er mit Hilfe der ihm reichlich zur Verfügung stehenden Öleinnahmen zahlreiche Befreiungsbewegungen in aller Welt, von Lateinamerika über Nordirland, den Nahen und Mittleren Osten und Afrika bis nach Neukaledonien. Der bedingungslosen Feindschaft gegenüber dem jüdischen Staat entsprang seine finanzielle und logistische Unterstützung für die verschiedensten Palästinenser-Gruppen, einschließlich der zeitweiligen Förderung von Sabri al-Banna, genannt Abu Nidal. 1 3 Eindeutige Beweise direkter libyscher Anschläge gegen Amerikaner konnten dagegen nur relativ selten erbracht werden. In einigen (wenigen) Fällen vor und nach dem amerikanischen Luftangriff sprachen jedoch die Indizien für eine Urheberschaft oder Beteiligung Khadafis, so z.B. seine Versuche 1977/78, den amerikanischen Botschafter in Ägypten, Herman Eilts, ermorden zu lassen. 14 Der Anschlag auf zwei amerikanische Botschaftsangehörige in Khartum als Racheakt unmittelbar nach dem amerikanischen Angriff hatte ebenfalls libysche Urheber. Auch hatte der libysche Führer die Torheit begangen, den amerikanischen Präsidenten beispielsweise durch die militärische Unterstützung der Sandinisten Nicaraguas noch weiter herauszufordern. 15 Eine andere Frage war jedoch, ob eine Weltmacht auf solche vereinzelten Aktionen und „Nadelstiche" mit einem großangelegten militärischen Schlag anworten mußte. Große Bedeutung für das Handeln der amerikanischen Regierung hatte auch in diesem Fall die öffentliche Meinung in den USA. Die Medien hatten auf die wiederholten Anschläge gegen Amerikaner im Nahen Osten auf eine nur noch als hysterisch zu bezeichnende Weise reagiert, so daß 1986 zahllose Amerikaner aus Furcht vor terroristischen Anschlägen geplante Reisen in den Nahen Osten und nach Europa absagten. Viele wollten endlich Taten sehen, nachdem die Regierung oft genug ihre Entschlossenheit zum „Kampf gegen den Terrorismus" bekundet hatte. Auch der Kongreß und ständige Kritiker der Regierung, wie beispielsweise Senator Edward Kennedy, hatten
1 3 Die Bombenanschläge auf den Flughäfen von Rom und Wien wurden offensichtlich von Abu Nidals Organisation verübt. Vgl. Hans Josef Horchern, Terror in Europa, in: Beiträge zur Konfliktforschung, Nr. 4, 1986, S. 31-54, hier S. 39 f. 14
Vgl. Haley,
15
Vgl. ebd., S. 316.
a.a.O. (Anm. 3), S. 341 f.
323
LIBYENS ROLLE IN NORDAFRIKA
nichts gegen eine Bestrafung Khadafis einzuwenden. D a der militärische Schlag ohne größere Eigenverluste an Menschen und Material vonstatten ging, wurde er in den USA überwiegend als Erfolg gefeiert. 16
LIBYENS R O L L E IN N O R D AFRIKA Der politische, wirtschaftliche und militärische Druck der U S A auf Khadafi hatte neben einem innenpolitischen und internationalen auch einen regionalpolitischen Aspekt. Aufgrund seiner finanziellen Möglichkeiten hatte der libysche Staatschef wiederholt Anstrengungen unternommen, um seine revolutionären Ideen von der Befreiung und Einigung der arabischen Welt vor allem in Nordafrika in die Tat umzusetzen. Während seine Einwirkungsmöglichkeiten in Algerien und Ägypten gering waren, boten sich in den kleineren oder wirtschaftlich schwachen Ländern, wie Tunesien und Sudan, eher Möglichkeiten zur Einflußnahme. Schließlich erhob Khadafi territoriale Ansprüche auf den Aouzou-Streifen im Norden Tschads und nutzte den anhaltenden Bürgerkrieg in diesem Land, um zugunsten einer oder mehrerer ihm genehmen Parteiführer im Land militärisch präsent zu sein. 17
Amerikanische
Bemühungen
zur Eindämmung
Libyens
Die U S A hatten in Zusammenarbeit mit den Führungen Ägyptens und Sudans (bis zum Sturz von Präsident Jaafar M. al-Nimairy am 6. April 1985) mehrfach versucht, durch die Förderung libyscher Oppositionsgruppen Khadafi unter Druck zu setzen. Nicht ins amerikanische Konzept paßte, daß König Hassan von Marokko, der nach dem Tod Sadats als engster Freund der Regierung Reagan in Nordafrika galt, im August 1984 in Oujda mit Khadafi einen Unions-Vertrag besiegelte. 18 Dieses Abkommen war in erster Linie als Gegengewicht zu den Vereinbarungen zwischen Algerien, Tunesien
1 6 Daß der Kongreß und die Öffentlichkeit von einigen leitenden Beamten der Regierung bisweilen systematisch getäuscht worden waren, kam erst in anderem Zusammenhang zum Bewußtsein, nachdem am 3. November 1986 eine libanesische Tageszeitung die Iran-ContraAffäre ins Rollen gebracht hatte. (Vgl. hierzu den abschließenden Bericht der Sonderausschüsse des Senats und des Repräsentantenhauses, veröffentlicht am 18.11.1987. Die wesentlichen Auszüge sind wiedergegeben in: US-Information Service, Iran-Contra Affair Report, Special Edition, 23.11.1987.) 1 7 Vgl. hierzu die Darstellung von Jean-Joseph Clam, Umfeld, in: Clam/Hubel, a.a.O. (Anm. 3), S. 1 ff.
18
Khadafis Libyen im regionalen
Vgl. hierzu Joachim Tzschascbel, Das Spannungsfeld im Maghreb, in: IP 1983/84, S. 273 ff., und Richard B. Parker, Appointment in Oujda, in: FA, Bd. 63, Nr. 5, Sommer 1985, S. 1095-1110.
324
DER KONFLIKT ZWISCHEN LIBYEN UND DEN USA
und Mauretanien aus dem Jahr 1983 gedacht; vor allem aber verzichtete König Hassan auf eine Unterstützung des Regimes unter Hissen Habre in Tschad, während Khadafi mit der Einstellung seiner Hilfe für die P O L I SARIO-Front faktisch Marokkos Vorherrschaft in der Westsahara anerkannte. Als Folge der amerikanisch-marokkanischen Verstimmung unternahm Washington weitere Anstrengungen zur Verbesserung der Beziehungen mit Algerien und empfing dessen Staatspräsidenten Chadli Bendjedid vom 16. bis 22. Juni 1985 erstmals zu einem offiziellen Staatsbesuch in den USA. König Hassan kündigte am 28. August 1986 überraschend den marokkanisch-libyschen Unionsvertrag wieder auf, da er seine wesentlichen Ziele erreicht hatte: Die libysche Waffenhilfe für die POLISARIO-Front war unterbrochen, und er hatte darüber hinaus aus der wirtschaftlichen Zusammenarbeit Gewinn ziehen können; auch war wieder einmal sein Ruf als geschickter Taktiker bestätigt worden. Auf seinen Entschluß dürfte der amerikanische Angriff vom April dieses Jahres kaum Einfluß gehabt haben: Äußerer Anlaß für die Entscheidung war die Verurteilung eines Treffens zwischen ihm und dem israelischen Ministerpräsidenten Shimon Peres durch Libyen. Immerhin trug seine Distanzierung vom libyschen Führer dazu bei, das gestörte Verhältnis zu den USA wieder zu bereinigen. In Tschad unterstützten die USA noch stärker als die Franzosen durch militärische Nachschublieferungen aktiv das Habre-Regime und ermöglichten ihm, seine Position gegenüber der libyschen Präsenz nördlich des 16. Breitengrads zu festigen. Nach dem Bruch zwischen Oberst Khadafi und seinem bisherigen tschadischen Verbündeten Goukouni Oueddei im Oktober 1986 ging Präsident Habre daran, den Norden seines Landes zurückzuerobern, was ihm bis zum Frühsommer des kommenden Jahres fast vollständig gelingen sollte. Anders als Frankreich erkannte die amerikanische Regierung den tschadischen Anspruch auf den Aouzou-Streifen uneingeschränkt an und ermunterte so auch Habre, die Libyer weiter zurückzudrängen und Khadafi noch mehr zu demütigen. 19 Bezeichnenderweise waren die amerikanischen Bemühungen um eine Eindämmung Khadafis in Tschad bislang am erfolgreichsten, denn hier konnte sich Washington auf einen entschlossenen Partner in der Region und dazu noch auf die Präsenz Frankreichs stützen, ohne sich selbst zu stark zu exponieren.
DAS V E R H A L T E N W E S T E U R O P A S Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft boten im Verlauf der amerikanisch-libyschen Krise ein fragwürdiges Bild. Sie zeigten sich außerstande, 19
Dazu trugen auch amerikanische Sofortprogramme zur Lieferung von Rüstungsmaterial bei, z.B. im Dezember 1986 im Wert von 15 Mio. Dollar (IHT, 14.1.1987).
DAS VERHALTEN WESTEUROPAS
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rechtzeitig eine gemeinsame Position zu beziehen und waren deshalb auch nicht in der Lage, auf die amerikanische Regierung einzuwirken. 2 0 Die Umstände des Luftangriffs vom 15. April 1986 sprachen dafür, daß die Amerikaner auch den Europäern eine Lektion zu erteilen suchten. Hochrangige Vertreter der amerikanischen Regierung, etwa der stellvertretende Außenminister J o h n Whitehead, hatten schon im Januar 1986 die wichtigsten Partner in Westeuropa davon zu überzeugen versucht, daß der libysche Staatschef für zahlreiche Terrorakte persönlich verantwortlich oder doch maßgeblich daran beteiligt sei, und entschlossenes Handeln gefordert. Demgegenüber hegten die Europäer, ohne dies offen zu sagen, weiterhin Zweifel an der Stichhaltigkeit der von amerikanischer Seite vorgebrachten „Beweise". 2 1 Sie zeigten ebenfalls keinerlei Bereitschaft, zum Instrument wirtschaftlicher Sanktionen zu greifen. Während die deutsche Bundesregierung dafür grundsätzliche und rechtliche Bedenken geltend machte, wollten einige südeuropäische Regierungen, insbesondere die Italiens, ihre teilweise engen Wirtschaftsbeziehungen mit Libyen nicht beeinträchtigen lassen. Dem amerikanischen Druck, politische Maßnahmen gegen Libyen zu ergreifen, kamen die Außenminister der E G erst am 14. April 1986 auf einer Sondersitzung in Den Haag nach. Sie beschlossen, das Personal der libyschen diplomatischen Vertretungen („Volksbüros") zu verringern und die Bewegungsfreiheit der libyschen Diplomaten in ihren Ländern einzuschränken. Mögliche weitere Maßnahmen behielten sie sich vor. Zahlreiche westeuropäische Regierungen verschärften in den folgenden Monaten teilweise drastisch ihre Sicherheitsvorkehrungen gegenüber terroristischen Aktionen und verstärkten ihre länderübergreifende Zusammenarbeit, was seitens der amerikanischen Regierung auch deutlich sichtbare Unterstützung fand. Zu Recht konnten die Europäer darauf hinweisen, daß die amerikanischen Wirtschaftssanktionen vom Januar 1986 weitgehend folgenlos geblieben waren: die Tochterfirmen amerikanischer Unternehmen im Ausland waren von den erlassenen Restriktionen nicht betroffen. Außerdem war ein G r o ß teil der Amerikaner dem Aufruf ihrer Regierung nicht gefolgt und in Libyen geblieben, um angesichts der ungünstigen Lage auf dem Olmarkt nicht arbeitslos zu werden. Es erwies sich, daß Libyen trotz der Sanktionsmaßnahmen keine Schwierigkeiten hatte, die von der O P E C festgelegte Fördermenge voll auszuschöpfen. Die libyschen Währungsreserven blieben nach dem Rückgang im Jahr 1984 im Berichtszeitraum relativ stabil. Für den leichten Rückgang der deutschen Olimporte aus Libyen, dem drittstärksten Ollieferanten der Bundesrepublik, waren keine politischen Gründe, sondern vielmehr die Entwicklungen auf dem internationalen Olmarkt maßgeblich.
21
Eingehender hierzu Hubel, a.a.O. (Anm. 3), S. 110 ff.
Im Falle der Anschläge auf die Flughäfen von Rom und Wien erwiesen sich später die Zweifel als begründet, vgl. Anm. 13.
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DER KONFLIKT ZWISCHEN LIBYEN UND DEN USA
Immerhin war auffallend, daß Länder wie Italien und Spanien Mitte der achtziger Jahre sogar steigende Olimporte aus Libyen verzeichneten. Auch Großbritannien bezog 1985/86 mit etwa fünf Prozent seiner gesamten Ölimporte deutlich mehr Ol aus Libyen als zu Beginn der amerikanischen Wirtschaftssanktionen.22
Beziehungen
EG - USA
Die Krise um Libyen war für die Westliche Allianz besonders unerfreulich, denn sie deckte erneut einen grundsätzlichen Meinungsunterschied zwischen den USA und den meisten der westeuropäischen Mitglieder in der „Out-Of-Area-Frage" auf. Die Führungsmacht des Bündnisses unterstrich wieder einmal die aus ihrer Sicht globale Rolle der Allianz und griff für den Einsatz in Nordafrika selbstverständlich auf ihre in Westeuropa stationierten Waffensysteme zurück. Auch die Bundesrepublik Deutschland war davon insofern betroffen, als der Oberbefehlshaber der N A T O von Stuttgart aus in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte in Europa die militärische Operation gegen Khadafi leitete. In dem Bestreben, die Krise um Libyen nicht zu einer Auseinandersetzung zwischen Amerikanern und Westeuropäern ausweiten zu lassen, waren die Alliierten bemüht, das Problem rasch herunterzuspielen.
22
Vgl. Hubel, a.a.O. (Anm. 3), S. 125 ff.
VII ENTWICKLUNGSKRISEN UND UNRUHEN IN AFRIKA
FLUCHT U N D HUNGER ENTWICKLUNGSKRISEN IN AFRIKA Von Klaus Otto Nass
GRENZÜBERSCHREITENDE FLUCHT UND INNERSTAATLICHE WANDERUNGEN Als Flüchtlinge gelten international gemeinhin nur Menschen, die ihre Heimat verlassen haben und über staatliche Grenzen hinweg ausgewandert sind. Diese Beschränkung des Augenmerks der internationalen Öffentlichkeit wird bestimmt durch die UN-Flüchtlingskonvention von 1951 und das Flüchtlingsprotokoll von 1967} Sie geht aus von der politischen Organisation der Welt in Staaten, die grundsätzlich in der Lage sind, ihre internen Probleme selbst zu lösen, und sieht ab von der Schwere des persönlichen Schicksals von Flüchtlingen, die innerhalb ihres Staates ihre Heimat verlassen mußten. Anders als in Europa sind in Afrika nicht nur grenzüberschreitende Bevölkerungsbewegungen Indizien für Entwicklungskrisen. Der Flüchtling kann innerhalb des „eigenen" Staates mehr in der Fremde sein als im 1 Genfer Konvention. Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951, in: BGBl, Teil II, 1953, S. 559-589, sowie Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.1.1967, in: BGBl, Teil II, 1969, S. 1294.
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FLUCHT UND HUNGER - ENTWICKLUNGSKRISEN IN AFRIKA
Nachbarstaat, aber bei seinem eigenen Stamm. Betrachtet man die Flüchtlingsbewegungen als Krisensymptome, dann können Wanderungen seßhafter Bauern oder Bürger innerhalb der Staaten von gleicher Aussagekraft sein. Als Krisen-Indiz ist die Flucht deshalb geeignet, weil man sich nur unter unerträglichen Bedingungen entschließt, seine Heimat zu verlassen und in eine ungewisse Zukunft zu ziehen. Ungewiß ist die Zukunft und fremd können Land und Leute auch im eigenen heterogen zusammengesetzten Staat sein. Der Tigréer in Äthiopien sprach weder die amtliche Staatssprache Amharisch noch die Sprache der Oromos, in deren Land „seine" Regierung ihn 1985 ansiedelte. Im ganzen Sahel entsprach dem Vorrücken der Sahara nach Süden eine Bevölkerungsbewegung: Die Bevölkerung im Norden nahm ab, im Süden, am Ubergang der Sahelzone zur geographischen Sudan-Zone nahm sie entsprechend zu. Diese Wanderung war zugleich Ansatz für eine Besserung der Situation, weil die Desertifikation durch Ubernutzung des Bodens durch Mensch und Tier verursacht wird und weil die Verminderung dieser Nutzung dem Boden die Chance gibt, sich zu erholen. Krisensymptome sind aber nicht nur die „freiwilligen" oder besser die unorganisierten Wanderungen, mögen sie nun grenzüberschreitend sein oder nicht, sondern erst recht Zwangsumsiedlungen, wie sie in Äthiopien aus der Region Tigré im Norden ins Oromo-Land im Süden stattfanden. Diese Deportationen zeigen eine ökologische und eine innenpolitische Krise an: Der Boden in den Berglagen des Nordens verlor durch Erosion an Masse und Ertrag. Im Süden hatte keine Dürre geherrscht; ein erster Anschein jedenfalls sprach dafür, daß das Land dort noch weitere Nutzer ernähren konnte. Aber die Deportation hing auch zusammen mit dem äthiopischen Bürgerkrieg; sie brachte die äthiopische Regierung in den Verdacht, die aufständische Provinz Tigré durch Abtransport der arbeitsfähigen Bevölkerung schwächen zu wollen.
Umfang der
Fluchtbewegungen
Am 30. Oktober 1986 befanden sich nach offiziellen Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen ( U N H C R ) im Sudan 1 113 000 Flüchtlinge, davon 772 000 aus Äthiopien (und zwar überwiegend aus den Provinzen Eritrea und Tigré), 126 000 aus Tschad, 210 000 aus Uganda und 5 000 aus Zaire. 2 Etwa die Hälfte dieser Flüchtlinge (490 000) wurde direkt, wenn auch nicht immer ausschließlich, vom U N H C R betreut, die anderen ganz oder teilweise von der sudanesischen Regierung und anderen staatlichen sowie privaten Organisationen. Zur gleichen Zeit nahm 2
U N H C R , Zweigstelle Khartum, unveröffentlichtes Dokument vom 30.10.1986.
UMFANG DER FLUCHTBEWEGUNGEN
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die Zahl der (süd)sudanesischen Flüchtlinge in Äthiopien zu. D e r Fluchtbewegung in den sogenannten Norden des Sudan stand also ein wachsender Strom von Flüchtlingen aus dem vom Bürgerkrieg geschüttelten sogenannten Süden des Sudan nach Äthiopien gegenüber. Es besteht kein Zweifel, daß die genannten Zahlen nicht stimmen, aber bessere gibt es nicht. Die Flüchtlinge, die schon vor 1984 aus Äthiopien in den Sudan gekommen waren, hatten sich in Städten und Dörfern des Sudan niedergelassen, der zehnmal so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland und circa 21 Millionen Einwohner hat (auch diese Zahl ist nicht genau). Niemand weiß, wie viele Flüchtlinge das waren. Die sudanesische Regierung schätzte sie 1986 auf 380 000, davon 45 000 in Khartum, 35 000 in Gedaref, 50 000 in Kassala und 50 000 in Port Sudan sowie 200 000 in kleineren Orten der O s t - und der Zentralregion des Sudan. 3 Aber dieser Schätzung liegen keine Volkszählung und auch keine exakte Einwanderungsstatistik zugrunde. Beim Grenzübertritt lassen sich Flüchtlinge in Afrika nicht registrieren; die Grenzen sind offen. W o sie verlaufen, sieht man dem Savannenwuchs und dem Wüstensand nicht an. Die Grenze des Sudan zu Äthiopien ist circa 2 000 km und zu Tschad circa 1 000 km lang. Eine systematische Kontrolle an der Grenze zwischen den amtlichen Grenzposten ist ausgeschlossen. Anders ist die Situation zu beurteilen in der Zeit massiver Einwanderung ab O k t o b e r 1984, als 300 000 Äthiopier allein bis April 1985 in den Sudan strömten. 4 D a auch im Ost-Sudan Hunger herrschte, konnten die Flüchtlinge nicht untertauchen. Sie mußten sich melden, wenn sie nicht verhungern wollten, steuerten also die bereits übervollen Lager an, wie Wad Sherifay bei Kassala und Wad Kaoli südöstlich von Gedaref. Dort wurden sie dann registriert. Einmal im Lande, sind viele Flüchtlinge von der eingesessenen Bevölkerung nicht zu unterscheiden, da beiderseits der Staatsgrenze oft dieselben Stämme leben; der Sultan von El Geneina, der sudanesischen Provinzhauptstadt an der Grenze zu Tschad, ist Sultan der Massalit im Sudan und in Tschad. Aber selbst die Zahl der Flüchtlinge, die in Lagern leben, steht oft nicht zuverlässig fest. Gewiß findet dort eine Registrierung statt, von der die Zuteilung der Lebensmittel und die medizinische Betreuung abhängen. Weniger sicher ist, ob Rückkehrer sich tatsächlich bei den Lagerverwaltungen abmelden oder nicht weiter als Lagerinsassen gezählt werden. Im Lager Assarnie im Westen des Sudan hatten auch viele Sudanesen Zuflucht gefunden, die aus dem Norden der sudanesischen Region Darfur vor der Dürre der Jahre 1984/85 gen Süden geflohen waren, ohne eine Staatsgrenze zu überschreiten. Nicht nur die Flüchtlinge selbst, auch die Lagerverwaltung 3
Ebd., S. 2.
Vgl. Michel S. Barton, Evacuate Wad Kowli, in: Refugees (Monatsschrift des UNHCR), Genf, Mai 1985, S. 9 f., hier S. 10. 4
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FLUCHT U N D HUNGER - ENTWICKLUNGSKRISEN IN AFRIKA
und staatliche Stellen des Gastlandes können ein Interesse daran haben, diese „Einheimischen" als „Ausländer" mitzuzählen, um die Zahlen eher zu hoch als zu niedrig anzusetzen. Der Strom von Hilfsgütern aus aller Welt, die Aktivitäten zahlreicher Hilfsorganisationen in entlegenen Gebieten, die politische Bedeutung, die Flüchtlingen in der Weltöffentlichkeit gezollt wird, kommen - so meinen viele - selbst dann dem Gastland mindestens mittelbar zugute, wenn es nicht kurzerhand einen Teil der für die Flüchtlinge bestimmten Hilfssendungen für eigene Zwecke abzweigt. Von den äthiopischen Flüchtlingen, die seit Ende 1986 verstärkt aus dem Sudan, aus Dschibuti und Somalia in ihren Heimatstaat zurückkehrten, berichteten die, die aus Somalia kamen: „Wenn es nach den Somalis gegangen wäre, hätten wir nicht zurückkehren können." 5 Somalia hatte die am Ende des Ogaden-Kriegs mit Äthiopien 1977/78 etwa eine Million Flüchtlinge (Somalis und Oromos) aus Äthiopien, soweit irgend möglich in Lagern belassen und das Problem so offen gehalten 6 — was bei einer eigenen Bevölkerung von 4 bis 5 Millionen verständlich war. 400 000 äthiopische Rückkehrer aus Somalia - das mußte sich in geringeren Hilfslieferungen niederschlagen, die bis dahin teilweise auch den Somalis aus Somalia zugute gekommen waren.
Gründe für die Flucht Seine Heimat zu verlassen, ist für Afrikaner nicht weniger schmerzlich als für Europäer. Bleiben wir beim Beispiel des Sudan, so stammen die äthiopischen Flüchtlinge überwiegend aus Eritrea und Tigré, den Hauptgebieten des äthiopischen Bürgerkriegs - also Flucht aus Gründen der Sicherheit. Aber die Fluchtbewegung verstärkte sich im letzten Quartal 1984 und im ersten Quartal 1985, wie erwähnt, enorm, als zur politischmilitärischen Unsicherheit der H u n g e r hinzukam, seinerseits ausgelöst durch Dürre und Desertifikation, fehlende Vorräte und politische Zurücksetzung der ländlichen Räume. Entsprechendes galt für Tschad: Als über die Sahelzone die Hungerkatastrophe hereinbrach, verschärfte sich in Tschad der Bürgerkrieg. Soldaten ohne Sold und Brot plündern eher; Bauern, deren Ernte durch Plünderungen gefährdet ist, ziehen die Flucht dem Risiko des Pflanzens und Säens vor. Hunger und Bürgerkrieg steigern sich gegenseitig, schlagen die Bewohner weiter Gebiete in die Flucht. Flüchtlinge überschrei-
5 6
Vgl. Stefan Klein, Über die Brücke in ein neues Leben, in: SZ, 27.4.1987.
Vgl. Franz Nuscheier, Die Dritte Welt gerät in Bewegung, in: Das Parlament, N r . 12, 1987, S. 5; Rupert Neudeck, Nichts, für das man sich entschuldigen müßte - Zur aktiven Flüchtlingshilfe gibt es keine Alternative, in: ebd., S. 9.
INTEGRATION IM GASTLAND
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ten kaum nur aus Hunger die Grenze. Menschen verhungern kaum nur deshalb, weil der Regen ausblieb. Erst die Politik hat die Dürre 1984/85 zur Katastrophe gemacht. Es gibt nur zwei menschenwürdige Lösungen von Flüchtlingsproblemen: Integration der Flüchtlinge im Aufnahmeland oder Rückkehr in ihre Heimat. Die dritte „Lösung" ist ebenso unbefriedigend wie gängig: ein fortgesetztes Lagerleben. Am Beispiel des Sudan läßt sich die Problematik anschaulich beschreiben.
Integration im Gastland Sowohl im Westen (Darfur) als auch in der Ostregion des Sudan ist es zur Integration gekommen. Das ist leichter gelungen, wenn keine ethnischen Unterschiede bestanden und wenn die Integration spontan, d.h. ohne Steuerung durch nationale Behörden oder internationale Organisationen erfolgte. Verwandte zogen zu Verwandten einer Großfamilie. Die Stadt Nyala, bei der Ende 1984 ein Flüchtlingslager mit zeitweise 20 000 Flüchtlingen entstanden war, war um die Jahreswende 1985/86 wieder ohne Lager, aber die Bevölkerung der Stadt hatte sich vermehrt. Flüchtlinge waren in der Stadtbevölkerung „untergetaucht", nicht in dem Sinne, daß sie etwa ein verborgenes Leben führten, vielmehr waren sie nicht mehr von der ursprünglichen Bevölkerung zu unterscheiden. Schwieriger ist die Integration auf dem Lande, wo die Flüchtlinge Flächen beackern oder als Weidegründe nutzen, die ihnen traditionell nicht zustehen: Die um die westsudanesische Stadt Habila herum angesiedelten Tschad-Flüchtlinge, die zunächst noch versorgt wurden und denen Land zugeteilt worden war, lebten nicht ohne Spannung mit der eingesessenen Bevölkerung. Schwierig ist auch die Integration von Flüchtlingen aus weiter entfernten Ursprungsregionen, wie die der meisten äthiopischen Flüchtlinge im Ost-Sudan.
„Spontane"
Rückkehr
Viele Flüchtlinge kehrten „spontan" in ihre Heimat zurück, d.h. ohne organisierte Rückführungsprogramme. Die äthiopische Regierung, die ein Interesse an einer möglichst hohen Zahl von Rückkehrern in die von ihr beherrschten Gebiete hat, gab an, daß im Laufe der Jahre bis Ende 1986 circa 400 000 Personen aus Somalia in die Ostregion Haraghe nach überwiegend langjährigem Aufenthalt in somalischen Lagern, 121 000 aus dem Sudan nach Tigré und 9 200 nach Eritrea zurückgekehrt sind. Viele der 1984/85 ausgewanderten äthiopischen Flüchtlinge wanderten spontan im April und Juni 1985 in der Absicht zurück, ihr Feld in der bevorstehenden Regenzeit zu
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FLUCHT UND HUNGER - ENTWICKLUNGSKRISEN IN AFRIKA
bestellen, allein 55 000 Tigreer. 7 Das sudanesische Lager Wad Kaoli, das seit Dezember 1984 130 000 Tigreer passiert hatten, wurde Mitte 1986 geschlossen und die verbliebenen 13 000 Flüchtlinge verlegt. 8 Alle Gründe für die Flucht können zu Gründen für die Rückkehr werden. Wer vor Bürgerkrieg und Repression floh, kehrte zurück, wenn sich nach seiner Auffassung das Leben in den Gebieten unter Kontrolle der Aufstandsbewegungen, die sie „befreite Gebiete" nennen, normalisiert hatte, Regierungstruppen nicht präsent, Zwangsverschleppungen aus den Zielgebieten also nicht mehr zu befürchten waren und den Luftangriffen der Regierung in Verstecken bei Tage und durch überwiegendes Leben bei Nacht ausgewichen werden konnte. In Eritrea erhielten viele Rückkehrer Saatgut, Geräte und Lebensmittel als Starthilfe von der Eritrean Relief Association (ERA). 9 Die äthiopischen Angaben kollidieren mit sudanesischen Angaben, die weiterhin die angespannte Lage im Ost-Sudan gerade auch außerhalb der Lager unterstreichen. Beim Besuch einiger Lager im Oktober 1986 war festzustellen, daß sie teils halb, teils ganz verlassen waren.
Rückführungsprogramme Nicht immer verläuft die Rückkehr wie die Auswanderung: spontan und individuell. Daneben gibt es Rückführungsprogramme, wie z.B. eines im Dezember 1986 unter Beteiligung des U N H C R , der somalischen und der äthiopischen Regierung. Dabei spielte eine Rolle, daß wegen der Spannung zwischen den beiden Nachbarstaaten nur eine Fußgängerbrücke über den Grenzfluß Dawa gebaut werden durfte, was zur Folge hatte, daß sowohl auf somalischer als auch auf äthiopischer Seite Lastwagen bereitgestellt werden mußten — insgesamt also die doppelte Zahl. Das Programm sah eine Repatriierung von 15 000 Flüchtlingen für die nächsten 12 Monate vor; die Kosten des U N H C R betrugen 7,5 Millionen Dollar, das sind 500 Dollar pro Person für einen Rücktransport über etwa 1 000 km von der Region Gedo in Somalia nach Nord Moyale in Äthiopien. Die Re-Integration war nicht einfach. Die Flüchtlinge waren infolge des relativ gesicherten Lagerlebens nicht mehr gewöhnt, ihren Lebensunterhalt
7
Vgl. Nick van Praag, Spontaneous return to Ethiopia, in: Refugees, Juli 1985, S. 9 f.
8
Jean Michel Goudstikker,
9
Wad Kowli: The last chapter, ebd., Juli 1986, S. 15 ff.
Vgl. Senait Bahta, Hilfe für eritreische Flüchtlinge und Vertriebene, in: Die Grünen im Bundestag, Den Krieg in Eritrea beenden. Dokumentation der Öffentlichen Anhörung vom 27.-29.4.1986, Bonn 1987, S. 61.
RÜCKFÜHRUNGSPROGRAMME
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unter schwierigen Bedingungen zu verdienen. Haushaltsgegenstände, landwirtschaftliche Geräte, Saatgut, Vieh und Hütten hatten sie verloren. Ein Versuch, Flüchtlinge aus Tschad zur Rückkehr zu bewegen, wurde im Westen des Sudan 1986 unternommen. Zwei gute Ernten waren auch in Tschad erzielt worden (1985 und 1986). Regierungsvertreter und Stammeshäuptlinge besuchten die Flüchtlinge in den Lagern U m Balla, Angikotti und Assernie sowie in den Siedlungsgebieten der Flüchtlinge um Murne und Habila. Auch der U N H C R warb um Rückkehr und bot materielle Anreize. Weniger diese Kampagnen als der Bericht von Flüchtlingen, die spontan in ihre Heimat gewandert und von dort wieder ins Lager zurückgekommen waren, bewog circa 15 000 Tschader, sich zur Rückkehr zu entschließen. Die Interessen der in der Lagerhierarchie tonangebenden Gruppensprecher und der sudanesischen Flüchtlingsverwaltung liefen der Repatriierung entgegen, die unter Leitung der Deutschen Welthungerhilfe im Einvernehmen mit dem U N H C R durchgeführt wurde. Es war leichter versprochen als durchgeführt, die Rückkehrwilligen auf Lastwagen kostenlos nach Hause zu bringen. Die Dörfer, aus denen die Flüchtlinge stammten, lagen so weit auseinander, daß es praktisch unmöglich war, jede Familie in ihr Heimatdorf zu transportieren. Zu Fuß waren sie 1984/85 nach Osten gewandert, zu Fuß mußten sie jetzt den letzten Teil des Weges zurücklegen. Saatgut und Lebensmittel, die bis zur nächsten Ernte reichten, stellte die Deutsche Welthungerhilfe. Freilich hatte sich nur ein kleinerer Teil der Flüchtlinge zur Rückkehr entschlossen. Maßgeblich für die Entscheidung, zu bleiben oder heimzukehren, war ein Vergleich der Lebensbedingungen im Lager und im - möglicherweise zerstörten — Heimatdorf. Solange die Versorgung des Lagers nicht abgebrochen, sondern weitergeführt würde, obwohl den Flüchtlingen eine Rückkehr zuzumuten war, sprachen gute Gründe für eine Fortsetzung des Lagerlebens selbst dann, wenn Versorgung und Infrastruktur des Lagers nicht so perfekt waren wie etwa in Flüchtlingslagern, die vom saudischen Roten Halbmond versorgt wurden. Wer der gesicherten, anstrengungslosen Verpflegung im Lager die Mühen der Feldarbeit, die Ungewißheit der Witterung, die Erinnerung an den vielleicht wieder aufflammenden Bürgerkrieg und an marodierende unbesoldete Truppen gegenüberstellt, dessen Heimatliebe muß schon stark sein, wenn er sich nach solcher Abwägung zur Rückkehr entschließt. J e länger ein Lager funktioniert, desto schwieriger ist es, die für viele zur zweiten Heimat gewordene Lager-Siedlung wieder aufzulösen; am Ogaden haben sich ganze Familien gespalten: Ein Teil führt das gewohnte Leben als Nomaden oder Ackerbauern, der andere Teil erweitert die Versorgungsquellen in Flüchtlingslagern. Dennoch sind es achtbare Motive, die den U N H C R zögern lassen, Flüchtlingshilfe einfach einzustellen, wobei er auch kaum je sicher sein kann, daß nicht andere Organisationen die Versorgung an seiner
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FLUCHT UND HUNGER - ENTWICKLUNGSKRISEN IN AFRIKA
Stelle übernehmen, solange das Gastland die Flüchtlinge nicht ausweist ohne jede Garantie, daß der Ausgewiesene nicht am nächsten Tag an anderer Stelle über die Grenze wieder zurückkommt. 1 0
H U N G E R K A T A S T R O P H E N IN Ä T H I O P I E N U N D IM SUDAN
„Politik des Schweigens" Äthiopiens Hungerkatastrophe störte die Feiern in der Hauptstadt nicht, mit denen die Revolutionsregierung am 12. September 1984 unter großem Aufwand und internationaler Beteiligung den 10. Jahrestag der Revolution beging. Hunderte von Journalisten waren geladen. Sie berichteten z.B. über eine siebenstündige Rede des Staatschefs Menghistu Haile Mariam in Addis Abeba, in der von einer Hungersnot nicht die Rede war. Allerdings hatte Dawit Wolde Giorgis, der Leiter der äthiopischen Relief and Rehabilitation Commission (RRC), schon im März 1984 einen Hilfsappell an die Vereinten Nationen gerichtet und um die Lieferung von 450 000 Tonnen Getreide vor Jahresende gebeten. Die Welt hatte diesen Hilferuf nicht ernst genommen und kaum reagiert - abgesehen davon, daß der äthiopische Hafen Assab bis September 1984 durch Schiffe der sozialistischen Länder verstopft war, die Zement zum Bau der offiziellen Gebäude für die Feierlichkeiten des 12. September brachten. 11 Die ausländischen Journalisten, die zur Revolutionsfeier angereist waren, erhielten keine Genehmigung, in die Hungerlager von Korem und Makale oder gar nach Eritrea oder Tigré zu reisen, von wo die meisten Lagerinsassen stammten. Die Erlaubnis, über die Hungersnot in Äthiopien einen Film zu drehen, wurde erst Mitte Oktober 1984 den BBC-Korrespondenten Mohammed Amin und Michael Buerk erteilt. Deren Bericht aus Korem und Makale schreckte die Welt auf. Eine internationale Welle der Hilfsbereitschaft entstand. Bob Geldof, Komponist und Pop-Sänger, komponierte unter dem Eindruck des B B C - F i l m s das Lied „Do They Know It's Christmas?", dessen weltweiter Verkauf über 30 Millionen D-Mark an Spendengeldern für Äthiopien einbrachte. Die ganze Welt spendete auf Sonderkonten, das Die Schilderungen dieses Abschnitts beruhen teils auf eigenem Augenschein, teils auf folgenden Quellen: U N H C R , Special programme of limited assistance to returnees in Ethiopia FRS/A/87/05, Genf, April 1987; U N H C R , Special programme of limited assistance to returnees in Chad, FRS/A/87/04, Genf, März 1987, sowie Deutsche Welthungerhilfe, Projektabschlußbericht zur Rückführung und Wiedereingliederung von Flüchtlingen im Ouaddai, Bonn, September 1987 (unveröffentlicht). 1 1 Vgl. André Glucksmann, Thierry Wolton, Politik des Schweigens. Hintergründe der Hungerkatastrophe in Äthiopien, Stuttgart 1987, S. 35 ff.
. P O L I T I K DES SCHWEIGENS"
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Deutsche Fernsehen veranstaltete am 28. Januar 1985 seinen „Tag für Afrika" - 1 3 0 Millionen D - M a r k gingen ein. Die Spender hatten sich von den Bildern des Schreckens rühren lassen. Sie erlagen einem dreifachen Irrtum: D e r Film mußte den Eindruck erwecken, das Elend konzentriere sich auf einige Lager; aber das Elend war da, in Äthiopien, in Tschad und im Sudan, schon ehe sich Hungernde entschlossen hatten, ihr Dorf zu verlassen, sich auf den Marsch in eine ungewisse Zukunft zu machen, irgendwo am Rande einer Stadt innehielten und auf Hilfe warteten. N u r die Kräftigeren überstanden den Marsch. Schwächere blieben zurück in den Hütten, versuchten mit Blättern, Knollen, Schoten, Fruchtkernen, Dornen und den Vorräten aus Termitenhügeln sich am Leben zu erhalten. Ihr Vieh hatten sie längst zu Schleuderpreisen verkauft, und der Erlös hatte bei weitem nicht gereicht, auch nur eine Tagesration Getreide für die hungernde Familie zu erwerben. Niedrige Fleisch- und extrem hohe Getreidepreise kündigten die Hungerkatastrophe an. Niemand weiß, wieviele Äthiopier, Sudanesen, wieviele Bewohner des Sahel 1984/85 aus Entkräftung einer Erkältung oder einer Darminfektion in ihrem Heimatdorf erlegen sind. Bevor der eigentliche Hungertod eintreten konnte, rafften Krankheiten die Widerstandslosen hinweg. Ein zweiter Irrtum mußte sich einstellen beim Betrachten dieses Films, der Geschichte machen sollte: der Glaube, Hunger sei gleichbedeutend mit unvermeidlicher plötzlicher Katastrophe. Die Frage wurde kaum gestellt, warum das Unglück so lange verborgen geblieben war. Erst allmählich wurde sich die Welt bewußt, daß auch im Nachbarland Sudan eine Katastrope ähnlichen Ausmaßes entstanden war. Auch die Regierung des sudanesischen Staatschefs Jaafar al-Nimairy, der dann im April 1985 nach einem Volksaufstand in Khartum vom Militär gestürzt wurde, hatte die innersudanesische Hungerkrise lange geleugnet und die angespannte Lage ausschließlich auf das Hereinströmen von Flüchtlingen aus Tschad und aus Äthiopien zurückgeführt. So setzten auch für den Sudan die Hilfslieferungen zu spät ein, nämlich erst Ende 1984. Die mangelnde Bereitschaft afrikanischer Regierungen, um Hilfe für die Katastrophenopfer zu bitten, spiegelt ihr Desinteresse an den Bewohnern der von der Dürre betroffenen Gebiete wider. Das Hauptaugenmerk fast aller afrikanischen Regierungen ist auf die Bevölkerung der Hauptstadt gerichtet, von der allein Bewegungen zum Sturz eines Regimes ausgehen können. Tausend Kilometer vom Machtzentrum entfernt Hungernde gefährden eine Regierung nicht. Dieses kurzfristig am Machterhalt orientierte Selbstverständnis afrikanischer Regierungen erklärt auch die beklagenswerte Vernachlässigung der ländlichen Räume Afrikas, in denen 80 Prozent der Bevölkerung leben, die aber infolge mangelnden agrarpolitischen Anreizes überwiegend nur für den Eigenverbrauch produzieren. Nicht die Erzeugerpreise im Lande, sondern die Brotpreise in der Hauptstadt sind die politischen Preise;
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FLUCHT UND HUNGER - ENTWICKLUNGSKRISEN IN AFRIKA
eine Verbraucherpolitik mit Hilfe von Nahrungsmittelimporten ist allemal einfacher als eine Ernährungssicherung aus eigenen Ressourcen. Ein dritter Irrtum, dem die Spender erlagen, bestand darin, daß nicht alle eingehenden Gelder noch für Nothilfe ausgegeben werden konnten, sondern daß Teile davon in Strukturprogramme fließen mußten, deren Vorbereitung Monate, meist Jahre braucht. Als die Spendenmittel nicht sofort in Programme abflössen, erhoben manche Spender unberechtigten Protest.
POLITISCHE URSACHEN DES HUNGERS Anders als die meisten Spender in aller Welt glaubten, sind Dürrekatastrophen nicht ausschließlich Naturkatastrophen. 1 Denn erstens ist das Fortschreiten der Wüste von Nord nach Süd, der Rückgang der Vegetation am Saum der Sahara weitgehend Menschenwerk: Ubernutzung, Überweidung, Erosion sensibler Böden durch Ackerbau, Holzeinschlag u.a. 13 Zweitens verfügen gerade Äthiopien, der Sudan und Tschad über große Reserven landwirtschaftlicher Nutzflächen und könnten ohne zusätzlichen Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln, Kunstdünger und Fremdenergie mit Hilfe ihrer eigenen Arbeitskraft jeweils mindestens eine verdoppelte Bevölkerung versorgen. 1 4 Die fruchtbaren Flächen liegen größtenteils in südlichen Teilen des Staatsgebiets, die vom zeitweisen Rückgang der Niederschläge weniger betroffen waren. Vor allem aber wurde drittens in allen drei Ländern die Hungerkatastrophe erheblich verschärft durch Kriege und Bürgerkriege. W o Bauern und Soldaten aufeinander schössen, war es selbst für die Frauen schwer, die Felder zu bestellen. Zu dieser unmittelbaren Folge des Kriegs auf die heimische Produktion der Nahrungsmittel kam die mittelbare hinzu, die auch im Sudan zu spüren war, als Nahrungsmittel in den sudanesischen Westregionen Darfur und Kordofan fehlten, der Bürgerkrieg jedoch südlich davon stattfand, Bürgerkriegs- und Hungergebiete also noch nicht übereinstimmten (1983 bis 1985). Die sudanesische Regierung kostete der Kampf
1 2 Vgl. statt vieler: The Hunger Project, Ending Hunger: An Idea Whose Time Has Come, New York u.a. 1985; Famine - a man-made Desaster. A Report for the Independent Commission on International Humanitarian Issues, London 1985. 1 3 Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Umwelt und Entwicklung, Materialien Nr. 77, Bonn 1987; Klaus Otto Nass, Hunger und Überfluß. Probleme der Welternährung, in: IP 1983/1984, S. 17 ff.; Lloyd Timberlake, Krisenkontinent Afrika: Der Umwelt-Bankrott. Ursachen und Abwendung, Wuppertal 1986, S. 77 ff., 111 ff., 131 ff.; Famine in the Focus of Geography, in: Geo Journal, Bd. 14, Nr. 1/1987 (zahlreiche Beiträge im ganzen Heft).
14
Vgl. F A O , The State of Food and Agriculture. World Review: The Situation in Sub-Saharan Africa, Rom 1984, S. 57 ff.
» H U N G E R ALS W A F F E "
337
gegen die Aufständischen pro Tag etwa eine Million Dollar, die damit nicht für agrarwirtschaftliche oder humanitäre Zwecke zur Verfügung standen. Äthiopien, das, verglichen mit dem Sudan, über eine moderne Armee verfügt (die größte Afrikas), kaufte seine Waffen von der Sowjetunion und brauchte dafür Devisen. Die Devisen, die zum Erwerb von Waffen benötigt wurden, standen für den Kauf von Nahrungsmitteln, die auf dem Weltmarkt ausreichend angeboten wurden, nicht zur Verfügung. D a sie für den Krieg Devisen brauchte, hatte die äthiopische Regierung ein Interesse daran, den Anbau von tropischen Produkten, sogenannten cash crops, für den Weltmarkt, nicht aber den Anbau von Hirse für die Ernährung der eigenen Bevölkerung zu fördern. 15 Allerdings drängte auch die Pflicht, Zinsen und Tilgung von Krediten ausländischer Geber aufzubringen, in dieselbe abträgliche Richtung. 1985 und 1986 mußte Äthiopien trotz Hungersnot allein an die Bundesrepublik Deutschland je 5,8 Millionen D-Mark zahlen, 1978 bis 1984 waren es jährlich je 4,7 Millionen D-Mark. 1 6
„Hunger
als Waffe"
Jede Hilfsaktion zugunsten afrikanischer Hungernder und Kranker kuriert demnach politisch an Symptomen. Wer nicht das Individuum, dem geholfen wird, sieht, sondern „das Ganze" im Blick hat, müßte Hilfe versagen, um der Regierung kein Alibi für das Versäumnis zu liefern, auf eine strukturelle Besserung hinzuarbeiten. Wenn der Westen die Fehler der Politik, die der ausbleibende Regen zutage treten läßt, durch Lieferungen von Lebensmitteln und Medikamenten, durch Entsendung von Ärzten, Krankenschwestern und vielen freiwilligen Helfern honoriert, besteht für die Regierung Afrikas erst recht kein Anlaß, über einen Wandel ihrer politischen Prioritäten nachzudenken. Doch die Hilfe galt dem hungernden Individuum, nicht den afrikanischen Regierungen. Aber auch diejenigen Regierungen, internationalen und privaten Organisationen der westlichen Welt, die ihre Hilfe nicht unverzüglich abbrachen, sobald die Verhältnisse es erlaubten, nahmen vielen Afrikanern die Motivation, den Kampf ums eigene Überleben wieder aufzunehmen.
1 5 Vgl. James Firebrace, Die Auswirkungen von Dürre und Krieg auf die eritreische Bevölkerung, in: Den Krieg in Eritrea beenden, a.a.O. (Anm. 9), S. 32 ff.; vgl. auch Stefan Brüne, Äthiopien: Unterentwicklung und radikale Militärherrschaft - Zur Ambivalenz einer scheinheiligen Revolution, Hamburg (Hamburger Beiträge zur Afrikakunde), Bd. 26, 1986, S. 173. 1 6 Vgl. Günter Krabbe, Mengistu benutzt nicht die sowjetische Propagandasprache, in: FAZ, 26.5.1986.
338
F L U C H T U N D H U N G E R - E N T W I C K L U N G S K R I S E N IN AFRIKA
Mitschuld der äthiopischen
Regierung
U b e r die erwähnten politischen Ursachen akuter Hunger- und Flüchtlingskatastrophen hinaus mußte der äthiopischen Regierung der Vorwurf gemacht werden, sie habe den Hunger in Eritrea, Tigré und Wollo als Waffe gegen die aufständischen Nordprovinzen mit dem Ziele eingesetzt, deren Widerstandskraft nicht nur mit Waffengewalt, sondern auch mit Hilfe des Hungers zu brechen. Daher habe Mengistu zunächst so lange geschwiegen und dann nicht erlaubt, daß Lebensmittel, die nach Äthiopien geliefert worden waren, in den Aufstandsgebieten verteilt wurden. V o r allem aber habe die Dürrekatastrophe der Regierung eine Umsiedlungsaktion erleichtert, mit deren Hilfe hunderttausende Äthiopier aus den unruhigen Provinzen des Nordens (Tigré und Wollo, nicht Eritrea) in die landwirtschaftlich reicheren und ökologisch intakten Gebiete des Südens umgesiedelt worden sind. Das Lager Korem z.B. habe dazu gedient, die Umsiedler zu sammeln, ehe die kräftigsten von ihnen zum großen Teil mit Gewalt oder List in Lastwagen oder Flugzeugen in eine Gegend abtransportiert worden seien, die von den Oromos, einem den umgesiedelten Wollos und Tigréern im Grunde fremden Volksstamm anderer Kultur und Sprache, bewohnt war. Menschenunwürdige Zustände während der Flüge in sowjetischen Transportmaschinen ohne Druckausgleich, Trennung von Familien und Zwangsarbeit in den neuen Siedlungsgebieten sind weitere Vorwürfe. Die ausländische Nahrungs- und Transporthilfe habe der äthiopischen Regierung ihr menschenrechtswidriges Programm der Zwangsumsiedlung erleichtert, indem sie zusätzlichen Transportraum für die gewaltsame Deportation zur Verfügung gestellt habe. Darüber hinaus hatte die äthiopische Regierung nicht gestattet, daß die Hilfsgüter allein von den ausländischen Lieferanten verteilt wurden, sondern hatte sich vorbehalten, einen Teil selbst zu verteilen; damit habe sie die eigene Armee gespeist, die die hungernden Aufständischen bekämpfte. Die Umsiedlungsaktionen zu beurteilen, ist wegen der „Politik des Schweigens" nicht einfach. An sich ist die regierungsamtliche Erklärung einleuchtend: Die umgesiedelten Bauern entlasteten die nördlichen Regionen, die unter Bevölkerungsdruck und chronischen Nahrungsmitteldefiziten litten. Im Süden, der eine überwiegend seminomadische Bevölkerung hat, lagen fruchtbare Böden brach, die nun genutzt werden konnten. Die von Augenzeugen bestätigten Zwangsmaßnahmen nähren indessen den Verdacht, es habe sich weniger um eine agrarwirtschaftliche als um eine politische Maßnahme gehandelt, mit deren Hilfe die politische Vorherrschaft der Amharen auch im Oromo-Land gesichert werden sollte. Der wirtschaftliche Erfolg blieb übrigens zunächst aus; die Vermutung liegt nahe, daß die Aktionen ohne gründliche Untersuchung der Qualität der Böden und ohne sonstige Vorbereitung durchgeführt worden sind.
MITSCHULD DER HELFER?
Mitschuld der
339
Helfer?
Diese Situation stellte die Hilfswilligen vor ein moralisches Problem: Halfen sie, so unterstützten sie menschenrechtswidrige Politik. Halfen sie nicht, gingen Unschuldige, die gerettet werden konnten, zugrunde. Den Ausweg, die Mitschuld durch öffentliche Kritik zu mindern, hatte die äthiopische Regierung auf dieselbe Weise versperrt, wie viele Staaten - auch Vertragspartner der UN-Menschenrechtspakte - eine Diskussion über Menschenrechtsverletzungen verhindern wollen: Sie betrachtete dies als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten. A m 2. Dezember 1985 verwies sie die französische Organisation „Médecins sans frontières" des Landes, als diese einen Drei-Monats-Aufschub des Bevölkerungstransfers verlangte, während dessen eine internationale Kommission sich von dem freiwilligen Charakter der Umsiedlung überzeugen sollte. Von nun an schwiegen die Hilfsorganisationen in der Öffentlichkeit weitgehend. Durch das Budget der „Médecins sans frontières" floß nun kein Teil mehr der 1,4 Milliarden Dollar, die 1985 für Äthiopien aufgebracht wurden. 1 7 Die Umgesiedelten, die Journalisten in einigen Gebieten befragen durften, beteuerten die Freiwilligkeit, jedenfalls in der englischen Ubersetzung durch den staatlichen Dolmetscher. Entsprechend widersprüchlich war das Echo der Welt. 50 Jahre nach dem italienischen Überfall auf Abessinien sagte im Juli 1985 die italienische Regierung 150 Millionen Dollar für ein Projekt im Rahmen des Umsiedlungsprogramms zu. Andererseits schätzte die Hilfsorganisation „Concern" schon am 17. September 1985, daß die Umsiedlungsaktion hunderttausend Todesopfer gefordert habe. 1 8 A m 12. Dezember 1985 forderte das Europa-
17
Vgl. Glucksmann/Wolton,
a.a.O. (Anm. 11), S. 117.
Vgl. Peter Niggli, Die endgültige Lösung aller Probleme, Berlin (Berliner Missionswerk) 1986. Grundlegend für die Kritik: Ders., Äthiopien: Deportationen und Zwangsarbeitslager fragwürdige Methoden zur Bekämpfung der Hungersnot, Frankfurt (Evangelischer Pressedienst), 28.5.1985. Virginia Luling, Resettlement, Villagisation and the Ethiopian Peoples, in: Development: Seeds of Change, Nr. 1, 1987, S. 32-35, beruft sich ebenfalls auf eigene Befragungen vor Ort. Kritisch auch: Glucksmann/Wolton, a.a.O. (Anm. 11), sowie Rupert Neudeck, Kurt Gerhardt, Sorgenkind Entwicklungshilfe, Bergisch-Gladbach 1987, S. 73 f., 314 f., 322 ff., 363 ff.; Sandra Steingraber, Resettlement and villagization in Southwest Ethiopia - a Report based on Refugee Testimony collected in Sudan May-June 1987. Final Report (University of Michigan), Ann Arbor, August 1987. Vgl. demgegenüber Aufsätze von Günter Krabbe, in: FAZ, 24.5.1986, 3.6.1986, sowie das Interview mit Mengistu Haile Mariam, in: The EEC Courier, Nr. 99, September/Oktober 1986, S. 26 ff. Vermittelnd die Darstellung bei Brüne, a.a.O. (Anm. 15), S. 151 ff., sowie ders., „Wer übertreibt, hat Recht" - Fruchtloser Streit um Äthiopien, in: Der Uberblick (Zeitschrift für ökumenische Begegnung und internationale Zusammenarbeit), 3/1987, S. 71 ff. Amnesty International, Jahresbericht 1986, Frankfurt 1986, S. 30 ff., erwähnt lediglich Berichte Dritter über Zwangsumsiedlungen. 18
340
FLUCHT UND HUNGER - ENTWICKLUNGSKRISEN IN AFRIKA
Parlament ein sechsmonatiges Moratorium der Umsiedlungen und die Zulassung einer unabhängigen internationalen Untersuchungskommission. 1 9 Neben den Umsiedlungen aus dem Norden in den Süden Äthiopiens wurde eine weitere Aktion großen Stils im Osten Äthiopiens aufgenommen: die Verdorfung. Bisher in Streusiedlungen lebende Bauern des O r o m o Volkes (des größten im äthiopischen Vielvölkerstaat) wurden nun in Häusern zusammengefaßt, die an geraden Linien aneinandergereiht waren. So sollte einerseits mehr Land für die Feldbestellung gewonnen, andererseits die Schulungsarbeit und Kontrolle der Bevölkerung erleichtert werden. Dawit Wolde Giorgis, der Chef der staatlichen Nothilfekommission ( A R C ) , Oberst Goshu Wolde, der Außenminister Äthiopiens, sowie mehrere Diplomaten setzten sich 1985 in die U S A ab und übten Kritik an Zwangsumsiedlungen und dem Verdorfungsprogramm.
Z E N T R A L I S M U S U N D RASSISMUS ALS P E R M A N E N T E KONFLIKTQUELLEN
Hunger
aus Armut
Im Herbst 1985 ließ sich absehen, daß es im November im Sudan eine relativ gute Ernte geben würde. Das bedeutete, daß im Osten des Landes, in der Umgebung von Gedaref, weitaus mehr geerntet wurde, als dort verbraucht werden konnte, und daß im Westen des Sudan die Hirse diesmal immerhin für einige Monate, nicht aber bis zur Ernte 1986 reichen würde. Der Sudan konnte sich selbst ernähren, einzelne seiner Regionen konnten das nicht. Daraus ergab sich dreierlei: Erstens, weitere Lebensmittelimporte in den Sudan waren entbehrlich, ja sogar schädlich, soweit die zusätzlichen Mengen auf den Marktpreis drückten und die Landwirte entmutigten, im nächsten Jahr wieder eine möglichst hohe Ernte anzustreben. Zweitens bedurfte es, sollte nicht regional erneut eine Katstrophe ausbrechen, eines Mechanismus, der Getreide aus den Uberflußregionen in die defizitären Gebiete fließen ließ. Beide Folgerungen wurden so nicht gezogen: die Importe der verächtlich „Reagan" genannten amerikanischen Hirse, angeblich von minderwertiger Qualität, drangen weiter ins Land. Die Maschinerie der Hilfssendungen, läuft sie einmal, läßt sich von einem Monat zum andern nicht stoppen. Drittens wurde der innersudanesische Ausgleich zwar teilweise durch die Europäische Gemeinschaft erleichtert, der es eine neue Verordnung endlich 19
Vgl. Dok. B 2-1295/85, in: Europäisches Parlament, Texte vom Europäischen angenommen, Heft 10/1985, S. 30-31.
Parlament
HUNGER AUS ARMUT
341
erlaubte, Nahrungsmittelhilfe in größerem Umfang auch dadurch zu leisten, daß mit EG-Mitteln Getreide in einer Region aufgekauft und in anderen Regionen verteilt oder verbilligt auf den Markt gebracht wurde. 2 0 Aber ohne derartige Marktinterventionen flössen die Überschüsse nicht in die Mangelregionen ab. Die Erklärung ist ebenso einfach wie fundamental für das Verständnis der Hungerproblematik in der Welt: Die Bedürftigen in Darfur und Kordofan waren dieselben, die Getreide anbauten und deren Ernte für die eigene Ernährung bis zur nächsten Ernte nicht ausreichte. Bargeld z.B. durch Verkauf von Vieh oder von Hirse, die sie nicht selbst brauchten, fehlte ihnen, erst recht in einer Höhe, die erforderlich gewesen wäre, um die Kräfte des Marktes - konkreter: die Händler - zu bewegen, überschüssige Mengen von O s t - nach West-Sudan zu transportieren und dort zu verkaufen. Was für die Welt gilt, wiederholte sich im Sudan: nicht durch weltweiten Mangel entstehen Hungerkatastrophen, sondern wegen fehlender finanzieller Mittel derjenigen Länder bzw. Regionen, die auf Ein- oder Zufuhren angewiesen sind. Mangel und Hunger sind Produkte der Armut. 2 1 In den Ländern Afrikas wird die Armut nur weichen, wenn es ihnen gelingt, sich auf zwei innenpolitische Ziele zu konzentrieren: Erhaltung und Ausbau der Infrastruktur (ohne die die „Marktkräfte" nicht wirksam werden können), und Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte, die einen Anreiz bieten, in den Regionen, in denen das möglich ist, über den Eigenbedarf hinaus anzubauen. 2 2 Hält man sich an die Dokumente, so könnte der Eindruck entstehen, Afrikas Regierungen seien auf dem Wege, diese Lektion zur Richtschnur ihrer Politik zu machen. Sowohl die Resolution vom 1. Juni 1986 der Sondersitzung der UN-Generalversammlung 2 3 als auch das dieser Entschließung zugrundeliegende „Prioritätenprogramm für die wirtschaftliche Gesundung Afrikas 1986 bis 1990" 2 4 räumen der landwirtschaftlichen Entwicklung Priorität ein. Darin liegt eine beachtliche Annäherung an die wirtschaftlichen Realitäten, von der die Resolution 35/66 B noch weit entfernt war, mit der 2 0 Vgl. dazu Klaus Otto Nass, Europäische Politik und afrikanischer Hunger, in: Winfried von Urff, Heino von Meyer (Hrsg.), Landwirtschaft, Umwelt und ländlicher Raum. Herausforderungen an Europa, Hermann Priebe zum 80. Geburtstag, Baden-Baden 1987, S. 381 ff. 2 1 Vgl. dazu The World Bank, Poverty and Hunger. Issues and Options for Food Security in Developing Countries, Washington 1986; Peter von Blanckenburg, Welternährung. Gegenwartsprobleme und Strategien für die Zukunft, München 1986, S. 61 ff.
22
Vgl. u.a. Ulrich Meister, Afrika nach den Illusionen. Schwierigkeiten einer Analyse, in: EA, 21/1986, S. 609 ff., hier S. 617. 2 3 Die Resolution ist abgedruckt in: EA, 21/1986, S. D 595 ff. 2 4 Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Organisation der Afrikanischen Einheit zur wirtschaftlichen Lage in Afrika auf der 21. ordentlichen Tagung der OAU in Addis Abeba vom 18.-20.7.1985, in: EA, 23/1985, S. D 653-656.
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FLUCHT UND HUNGER - ENTWICKLUNGSKRISEN IN AFRIKA
die UN-Generalversammlung am 5. Dezember 1980 eine „Dekade für die industrielle Entwicklung Afrikas" proklamiert hatte. Freilich stimmt es bereits skeptisch, daß die Resolution vom 1. Juni 1986 für die Laufzeit des Programms 1986 bis 1990 die Mittel auf 128,1 Milliarden Dollar bezifferte, von denen 82,5 Milliarden von den afrikanischen Ländern selbst und „nur" 46 Milliarden Dollar von auswärtigen Gebern aufgebracht werden sollten.
KRIEGE UM STAMMESMACHT Die Realisierung dieses viel zu kurzfristig bemessenen Programms hängt aber nicht nur vom Geld ab, sondern vor allem davon, ob afrikanische Regierungen außer in ihren Grundsatzerklärungen auf internationaler Bühne auch in der politischen Tagesarbeit zuhause den ländlichen Räumen Priorität einräumen. Dazu sind sie nur in der Lage, wenn sie nicht vollauf damit beschäftigt sind, durch Krisenmanagement und Bürgerkriege „die Rudimente einer staatlichen Existenz", 2 5 wie sie sie verstehen, zu sichern. Möglich wäre dies nur dann, wenn sie ihre staatspolitische Grundeinstellung dahin revidierten, daß sie den innenpolitischen Gegnern durch Gewaltenteilung und Föderalisierung eine Teilhabe an der staatlichen Macht einräumten. Das ist schwierig, da die meisten innerafrikanischen Konflikte auch ethnische Wurzeln haben.
Sudan Im Süden des Sudan zum Beispiel war 1983 der Bürgerkrieg gegen den sogenannten Norden wieder ausgebrochen. Stämme des schwarzafrikanischen Sudan (vor allem die Dinka) kämpften seither gegen den als arabisiert geltenden Norden, in dem zwar auch schwarzafrikanische Stämme siedelten (Nuba, Beja, Für), die aber ebenso wie die arabisierten Stämme islamisch sind. Der Süden ist dagegen überwiegend animistisch, aber auch christlich, zum Teil auch islamisch. Der sudanesische Staatspräsident Nimairy, der 1972 mit der Unterzeichnung des Abkommens von Addis Abeba Frieden zwischen Nord und Süd hergestellt hatte, löste selbst diesen neuen Bürgerkrieg aus, als er 1983 das Abkommen durch Dreiteilung der bis dahin einheitlichen autonomen Südregion brach und anschließend das islamische Recht der Schari'a landesweit, also de jure auch mit Geltung im Süden, zum Staatsgesetz erhob. Nimairy wurde im April 1985 gestürzt. Seine Schari'a-Gesetze wurden aber nicht abgeschafft, lediglich ihre Anwendung teilweise ausgesetzt. Weder dem Vorläufigen Militärrat, der den Sudan von April 1985 bis 25
Meister,
a . a . O . ( A n m . 2 2 ) , S. 6 1 6 .
ÄTHIOPIEN
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April 1986 regierte, noch der aus demokratischen Parlamentswahlen hervorgegangenen sudanesischen Regierung, die im April 1986 unter Premierminister Sadikh el-Mahdi gebildet wurde, gelang es, mit den in Äthiopien residierenden Führern der Aufstandsbewegung auch nur im Gespräch zu bleiben.
Äthiopien Am stärksten ins Bewußtsein der internationalen Öffentlichkeit sind wohl die äthiopischen Bürgerkriege gedrungen. Das heutige Äthiopien ist nicht aus einer Kolonie, sondern aus dem früheren Abessinien und aus durch die Amharen eroberten bzw. annektierten Gebieten hervorgegangen. Der Eritrea-Konflikt wurde verschärft durch eine unterschiedliche sozioökonomische Entwicklung Eritreas als italienische Kolonie (1890 bis 1941) und unter englischer Verwaltung (1941 bis 1952) einerseits und des unabhängigen Abessiniens bzw. Äthiopiens andererseits; die traditionelle feudalistische Gesellschaft Äthiopiens stand im Gegensatz zur teilweise bereits industriell beeinflußten und in Parteien und Gewerkschaften organisierten, nicht mehr nur agrarischen Gesellschaft Eritreas. 1951 wurde Eritrea mit Äthiopien zu einer Föderation vereint; 1962 annektierte Äthiopien Eritrea. Seit dem 1. September 1961 führte die Eritreische Befreiungsfront ( E L F ) und seit 1970 die durch Abspaltung entstandene Eritreische Volksbefreiungsfront ( E P L F ) aus ihrer Sicht einen Dekolonisationskrieg, den die äthiopische Regierung trotz Einsatzes moderner sowjetischer Waffen und unablässiger Bombenangriffe der äthiopischen Luftwaffe militärisch nicht gewonnen hat. Zusätzlich stand die amharisch beherrschte äthiopische Regierung seit 1975 im Kampf mit der Tigre-Befreiungsfront und seit 1977 im Konflikt mit der Oromo-Befreiungsfront, die aus dem größten der äthiopischen Völker hervorgegangen ist. Beide äthiopischen Völker wurden im 19. Jahrhundert nicht durch eine europäische Kolonialmacht, sondern durch die seither vorherrschenden Amharen deren Staat angegliedert. Sie begründen ihre Erhebung mit politischer und kultureller Diskriminierung sowie ökonomischer Ausbeutung durch die einseitig amharisch geprägte sozialistische Regierung.
Somalia Auch der Somali-Konflikt beruhte auf Stammes-Nationalismus, nämlich auf der Tatsache, daß das Nomadenvolk der Somali in vier Staatsgebieten lebt: der Republik Somalia, die 1969 aus einer Vereinigung von BritischSomaliland und Italienisch-Somalia hervorgegangen ist; Dschibuti (Franzö-
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FLUCHT UND HUNGER - ENTWICKLUNGSKRISEN IN AFRIKA
sisch-Somaliland), dem Ogaden-Gebiet Äthiopiens und dem nordöstlichen Grenzdistrikt Kenias. Im Gegensatz zu den Vielvölkerstaaten Kenia und Äthiopien hat Somalia eine ethnisch homogene Bevölkerung und hat sich daher als Wortführer eines ethnisch orientierten Somali-Nationalismus betrachtet, der mit dem territorialen Nationalismus Äthiopiens und Kenias unvereinbar war. Seit der Unabhängigkeit Somalias (1960) ist es im Grenzgebiet zwischen Somalia und Äthiopien verschiedentlich zu Zwischenfällen gekommen, die 1977/78 zu einem regelrechten Krieg (Ogaden-Krieg) eskalierten. 26 Mit Hilfe der Sowjetunion und Kubas gewann Äthiopien diesen Krieg: Hunderttausende von Flüchtlingen (überwiegend Somalis) strömten aus dem Ogaden nach Somalia, wo sie lange Jahre in Lagern lebten, vereinzelt aber auch ihre nomadische Lebensweise fortsetzten.
Äußere
Einmischung in afrikanische
Konflikte
Sicher wurden viele dieser afrikanischen Kriege auch durch äußere Einmischung gefördert, aber ihre Ursachen sind afrikanisch; sie liegen nicht etwa im weltweiten Ost-West-Konflikt. Die Prinzipien der O A U (Beibehaltung der kolonial überkommenen Grenzen, Ächtung von Sezessionen, Nichteinmischung in innere Angelegenheiten und Sicherung der territorialen Integrität der Mitgliedstaaten mit der Folge einer weitgehenden Nichtbehandlung von Menschenrechtsverletzungen) mögen einerseits verhindern, daß Sezessionsbewegungen überhand nehmen, bieten aber andererseits kaum Ansätze für einen Ausgleich der den Konflikten zugrunde liegenden Gegensätze. Diese Spannung zwischen Stämmen, die oft jahrhundertelang nebeneinander gelebt haben und dann unvermittelt derselben Kolonie zugeschlagen wurden, ist durch die Gewinnung der Unabhängigkeit verschärft worden, da seither nicht mehr eine dritte Macht, sondern einzelne Stämme oder Regionen die Regierung besetzen und andere Ethnien oder Gebiete von der Macht fernzuhalten versuchen. Überkommene Stammes- und Familienbande bestimmen Denken und Handeln in stärkerem Maße als die Einsicht, daß staatliche Herrschaft der Legitimation jedenfalls dann bedarf, wenn sie - wie in Afrikas größeren Staaten durchweg der Fall - wegen fehlender Mittel durch bloße Gewalt ihre Macht nicht im gesamten Staatsgebiet durchsetzen kann. Selbst demokratische Wahlen verschaffen diese Legitimation nicht, da die zahlenmäßig schwächeren Ethnien ohne Chance sind, „demokratisch" eine Teilhabe an der Macht zu gewinnen. Die Konflikte sind durch religiöse
2 6 Vgl. Udo Steinbach, S. 229-242, bes. S. 237 f.
Machtverschiebungen am Horn von Afrika, in: IP 1977/78,
ÄUSSERE EINMISCHUNG IN AFRIKANISCHE KONFLIKTE
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oder ideologische Gegensätze (Islam oder „Sozialismus") noch verschärft worden. Auf der Gipfelkonferenz der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) in Addis Abeba vom 28. bis 30. Juli 1986 warf der soeben als erfolgreicher Guerillakämpfer in Kampala an die Macht gekommene neue Staatschef Ugandas, Yoweri Museveni, den versammelten Staatschefs und Regierungsvertretern vor, jahrelang zu hunderttausendfachen Massakern und Morden in seinem Land geschwiegen und sowohl Idi Amin wie Milton Obote in der O A U akzeptiert zu haben. Museveni fügte hinzu, daß die moralische Verurteilung der Zustände in Südafrika nur dann glaubwürdig sei, wenn auch im eigenen afrikanischen Lager mit gleicher Elle gemessen werde. 27
27 Vgl. Rolf Hofmeier, Afrika, in: Jahrbuch Dritte Welt, München 1987, S. 208 ff., hier S. 214 ff.
DIE REPUBLIK SÜDAFRIKA UNTER WACHSENDEM INTERNATIONALEM DRUCK Von Klans Frhr. von der
Ropp
DER FORTGANG DER „REFORMPOLITIK" PRETORIAS Trotz anhaltender Unruhen in den schwarzen Gettos im östlichen Kap und zunehmend auch in anderen Regionen Südafrikas setzte die Regierung in Pretoria ihr 1978 begonnenes Reformwerk fort. So nutzten Staatspräsident Pieter Willem Botha und Verfassungsminister Chris Heunis die Eröffnungssitzungen des Kapstädter Parlaments zu Jahresbeginn 1985 und 1986 sowie Kongresse ihrer regierenden Nasionale Party (NP) in Durban jeweils im August 1985 und 1986, ihre Vorstellungen von einer neuen politischen Ordnung für Südafrika vorzustellen: Den sechs bislang nicht in die „Unabhängigkeit" entlassenen schwarzen Reservaten („schwarze Nationalstaaten"), die ihre Ausgliederung aus Südafrika weiterhin ablehnten, wurde der Verbleib in der Republik gestattet. Auch für ihre Bürger sollte ein System der „eigenen Angelegenheiten" entwickelt werden, wie es ab 1983 für die gemischtrassigen und indienstämmigen Südafrikaner entwickelt worden war. Es sollte an die in den Reservaten bereits vorhandenen Legislativ- und Exekutivorgane anknüpfen. Parallel zu dem seit 1984 bestehenden DreiKammer-Parlament der weißen und braunen Afrikaner sollte für diese schwarzen Südafrikaner ein zentrales „Parlament" geschaffen werden, das vor allem beratende Funktionen haben würde. Auch war geplant, einzelne schwarze Südafrikaner in das zentrale Kabinett zu nehmen. Wie den Braunen zuvor, so wollte man wohl auch ihnen nur die Positionen eines Ministers ohne Geschäftsbereich oder die eines stellvertretenden Ministers einräumen. Die bereits „unabhängigen" Reservate (Transkei, BophutaTswana, Ciskei und Venda) sollten diesen Status beibehalten und mit der Republik Südafrika die „Konföderation von Staaten des südlichen Afrikas" bilden. Das neue System wollte die Regierung den Schwarzen nicht oktroyieren, sondern es mit ihnen aushandeln. Dazu sollte ein „National Statutory Council" ins Leben gerufen werden. Den Betroffenen war klar, daß ein System der „gesunden Machtteilung" (Botha), ein System der „Machtteilung ohne Verlust der Kontrolle" der Weißen (Hermann Giliomee), ins Auge gefaßt war. Darum schlugen auch Vertreter gemäßigter Schwarzer, darunter vor allem Chief Mangosuthu G. Buthelezi, der nach wie vor mächtige Zuluführer (Inkatha), das Angebot aus. Daß Pretoria die Empfehlungen der
DER FORTGANG DER .REFORMPOLITIK" PRETORIAS
347
von Buthelezi initiierten KwaNatal-Indaba-Konferenz 1 zu einem System wirklicher Machtteilung (Konkordanzdemokratie) für Natal 1986 abrupt zurückwies, gab den Skeptikern einmal mehr Recht. Bereits im Januar 1986 hatte die südafrikanische Handelskammer ( F C I ) für das ganze Land ein neues Regierungssystem dieser Art gefordert. Darin sollten u.a. folgende Elemente enthalten sein: die Abschaffung aller rassisch diskriminierenden Gesetze; die Wiederherstellung einer gemeinsamen südafrikanischen Staatsbürgerschaft; die Abschaffung aller für die Apartheid charakteristischen Gesetze; die Aufhebung des Notstands sowie die Rückkehr zur allgemeinen Rechtsstaatlichkeit wie auch die Entlassung aller politischen Gefangenen. Auch andere Wirtschaftskreise sorgten sich um die Sicherheit ihrer Engagements in Südafrika und forderten einen wirklichen politischen Wandel. Für alle galt jedoch, daß sie im Grunde nicht minder ratlos waren als die Regierung. 2 So verwundert nicht, daß ihre Proteste bald verstummten, als die Regierung in zahlreichen Gettos wieder Herr der Lage wurde. Es blieb nicht viel von der im Ausland verbreitet vorhandenen Auffassung von der angeblich liberalen Einstellung der englischsprachigen Wirtschaftskreise Südafrikas. In anderen Bereichen war die Reformpolitik der Regierung begrenzt erfolgreich: So wurden 1985 die Gesetze, die Ehen zwischen Weißen und Nicht-Weißen verboten bzw. geschlechtliche Beziehungen zwischen ihnen unter Strafe stellten, ersatzlos gestrichen. Teilweise abgeschafft wurde 1986 das System der Paßgesetze („dompas", „influx control"). Sie regelten die Bewegungsfreiheit der schwarzen Südafrikaner; insbesondere beschränkten sie den Zuzug von Schwarzen aus den Reservaten in das „weiße" Südafrika. An die Stelle der Paßgesetze trat ein höchst kompliziertes und unübersichtliches System. 3 G r o b gesprochen wurde die Bewegungsfreiheit der Bürger der weiterhin abhängigen Reservate größer, die der Bürger der „unabhängigen" Reservate noch weiter eingeschränkt. Trotz aller nicht zu übersehenden Unzulänglichkeiten und der Begrenztheit dieser Politik war sie für viele Weiße ein gefährliches Nachgeben 1 Diese Konferenz vereinte von April bis Ende 1986 Vertreter der von Inkatha gestellten Regierung von KwaZulu und der weißen Provinzregierung von Natal. Sie berieten auf der Basis der im März 1982 vorgelegten Empfehlung der Buthelezi-Kommission die Schaffung einer gemeinsamen Legislative. 2 Zu den Empfehlungen der FCI vgl. Africa Research Bulletin (Political, Social and Cultural Series), 1/1986, S. 8075. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Darlegungen des auch in politischen Fragen aktiven Vorsitzenden des Anglo-American-Konzerns, Gavin Kelly, South Africa. A Time for Patriotism, in: The Washington Post, 24.9.1985.
Seither bemißt sich die Bewegungsfreiheit der Schwarzen u.a. nach dem „Squatters Act" und dem „Aliens Act". Von großer Bedeutung für die Betroffenen war, daß die sogenannten section-tenners unter den Bürgern der „unabhängigen" Reservate ihr Daueraufenthaltsrecht im „weißen" Südafrika einbüßten. Vgl. Geoff Budlender, Influx Control in the Western Cape. From Pass Laws to Passports, in: South African Outlook, August 1984, S. 83-85.
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DIE REPUBLIK SÜDAFRIKA UNTER WACHSENDEM INTERNATIONALEM DRUCK
gegenüber der Forderung des schwarzen Südafrika und des Auslands nach Machtumkehr. Afrikaans- und englischsprachige Weißafrikaner distanzierten sich und wandten sich - wie Meinungsumfragen deutlich machten - rechten Oppositionsparteien zu, vor allem der Konserwatiewe Party (KP) von Andries Treurnicht, weniger der Herstigte Nasionale Party (HNP) von Jaap Marais. Erstmals wurde auch die Afrikaner Weerstandsbeweging (AWB) des Extremisten Eugene TerreBlanche zu einem latenten Machtfaktor: mit ihr sympathisierten nicht wenige Angehörige der Sicherheitskräfte, die sich politisch eher der KP oder der H N P nahe wußten. Groß war die Sorge auch der Regierung, die AWB werde die schwarze Revolution beim Uberschreiten der Grenzen zu den Stadtzentren oder weißen Wohnbezirken in einem Blutbad ersticken.
M A C H T U N D O H N M A C H T DES S C H W A R Z E N A U F B E G E H R E N S Zentren des schwarzen Widerstands waren im östlichen Kap, einem der traditionellen Zentren des schwarzen Freiheitskampfes, die Vorstädte New Brighton und Little Soweto (bei Port Elizabeth) sowie KwaNobuhle und Langa (bei Uitenhage). Im westlichen Kap konzentrierte er sich auf schwarze Siedlungen um Kapstadt, und im Transvaal auf Gettos um Benoni (Ostrand) und Pretoria/Johannesburg. Auch in der Gegend von Durban und einigen Reservaten (Lebowa, KwaNdebele, BophutaTswana und Ciskei) kam es wiederholt zu Aufständen, deren Niederschlagung Polizei und Militär zunächst vor große Probleme stellte. Die Demonstranten gehörten überwiegend autonomen Gruppen in der United Democratic Front (UDF) an. Für sie, deren Handlungen oft nur spontaner Art waren, war der African National Congress (ANC) das Symbol der Freiheit schlechthin. Es war jedoch nur revolutionäre Propaganda, wenn der A N C behauptete, das Handeln dieser Gruppen zu kontrollieren. 4 Daneben waren auch Gruppen der Azanian People's Organisation (Azapo) aktiv; sie standen ideologisch dem gleichfalls seit Anfang der sechziger Jahre verbotenen Pan Africanist Congress (PAC) nahe. Schließlich machte sich Umkhonto we Sizwe, die 1962 gegründete Guerillaarmee des A N C , immer wieder durch Sabotageakte aller Art bemerkbar. Es kam vermehrt zu Angriffen dieser Organisation auf weiße Farmer und ihre Familien; für besonderes Aufsehen sorgte im Dezember 1985 ein Anschlag auf ein Einkaufszentrum in der Nähe von Durban, bei dem eine Reihe weißer Zivilisten umkam. Im Juni 1985 hatte der A N C bei seiner „National 4 Bei einer Pressekonferenz anläßlich des Blockfreien-Gipfels von Harare im September 1986 gab der ANC-Vorsitzende, Oliver Tambo, zu, daß seine Bewegung sich außerstande sehe, das „necklacing" und andere Akte der Gewalt in den schwarzen Gettos zu verhindern.
MACHT UND OHNMACHT DES SCHWARZEN AUFBEGEHRENS
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Consuitative Conference" in Kabwe (Sambia) Pretoria den „Volkskrieg" erklärt, und Anfang des folgenden Jahres hatte Oliver Tambo, der im sambischen Exil lebende Vorsitzende des A N C , 1986 zum Jahr der Guerillaarmee des A N C ausgerufen. Trotzdem stellte diese Guerillaarmee die südafrikanischen Sicherheitskräfte nicht annähernd vor solche Probleme, wie es die rebellierenden Jugendlichen in den Gettos Tag für Tag taten. Ziel der Aufbegehrenden war es, möglichst viele Gettos „unregierbar" zu machen und dann dort revolutionäre Strukturen (Erziehungswesen, Polizei, Gerichtsbarkeit usw.) aufzubauen. Ersteres hatte in vielen Fällen sehr schnell Erfolg, das Letztere gelang selbst in Mamelodi (bei Pretoria), der wohl progressivsten aller Vorstädte, nur für kurze Zeit. Stadträte, Polizisten und die für den Fortbestand des Regimes besonders wichtigen Informanten sowie andere Kollaborateure flohen in die Kasernen und Lager des „weißen" Südafrikas oder legten ihre Amter nieder. Wer beides nicht tat, lief Gefahr, Opfer einer revolutionären Hinrichtung, des „necklacing", zu werden: In etwa 500 Fällen wurde im Berichtszeitraum wirklichen oder vermeintlichen Kollaborateuren, die an Händen und Füßen gefesselt worden waren, ein in Benzin getränkter Autoreifen übergestülpt und in Brand gesteckt. Winnie Mandela, die Ehefrau des seit 1962 inhaftierten ANC-Führers Nelson Mandela, löste bei liberalen weißen Südafrikanern und in der westlichen Welt einen Sturm der Entrüstung aus, als sie in diesem Zusammenhang äußerte: „Zusammen, Hand in Hand mit der Streichholzschachtel und unseren Halsketten, werden wir dies Land befreien". 5 Allerdings fielen diese Äußerungen vor dem Hintergrund unbeschreiblichen Wütens und Folterns durch Polizei und Militär in den besetzten Gettos. Das Aufbegehren eines großen Teils der schwarzen und eines nicht kleinen Teils der braunen Bevölkerung äußerte sich deshalb in Mietzahlungs-, Konsumenten- sowie Unterrichtsboykotten („liberation first, education later"); auch waren die politischen Aktivisten bemüht, (illegal) revolutionäres Lehrmaterial in den Unterricht einzubringen. Der Kampf der (vorwiegend jugendlichen) Revolutionäre wurde durch Rivalitäten zwischen U D F und Azapo außerordentlich behindert. Auch hier gab es nicht wenige Fälle von „necklacing". Fatal für die Ziele der Revolutionäre waren ebenfalls die im August 1985 in Gettos um Durban (und später Pietermaritzburg) ausgetragenen Kämpfe zwischen (unterlegenen) U D F - und (siegreichen) Inkatha-Gruppen. Diese von der südafrikanischen Regierung insgeheim durch die Einschleusung von Agenten und die Bewaffnung der jeweils schwächeren Gruppen noch geschürten Auseinandersetzungen zwischen schwarzen Widerstandsgruppen fanden vor dem Hintergrund einer Arbeitslosenquote statt, die in manchen Gettos die 5
8055.
Zitiert nach: Africa Research
Bulletin (Political, Social and Cultural Series), 4/1986, S.
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50-Prozent-Marke bereits übersprungen hatte, sowie bei hoher Kriminalitätsrate, die weiter stieg, da auch - als Folge der verbreiteten Anarchie schwerste Verbrechen oft nicht mehr geahndet wurden. Im Juli und O k t o b e r 1985 wurde, erstmals seit 25 Jahren, in den Zentren der Unruhen der Ausnahmezustand verhängt; im Juni 1986 wurden diese Maßnahmen landesweit ausgedehnt und verschärft. Pretoria schuf sich so eine Fülle neuer Machtbefugnisse und setzte sie oft rücksichtslos ein. 6 Den südafrikanischen Machthabern war wichtig, daß Berichte über scheinbar siegreiche Revolutionäre aus den in- und ausländischen Medien verschwanden, was durch eine verschärfte Zensur gelang. Diesem Ziel diente auch der Einsatz von rechtsgerichteten „Selbstschutz"-(„Vigilante"-)Gruppen, die sich nicht nur aus abgehalfterten Kollaborateuren zusammensetzten, sondern sich auch aus den Kreisen der Opfer der brutalen revolutionären Gewalt rekrutierten, aus „umerzogenen" U D F - und Azapo-Anhängern, Arbeitslosen und nicht selten zur „Bewährung" entlassenen Strafgefangenen. Objektiv dienten sie alle Pretoria. Bekannt wurden etwa die Kämpfe, die Selbstschutzgruppen gegen UDF-Angehörige in Crossroads, einer illegalen Siedlung von Bürgern Transkeis und Ciskeis nahe dem Kapstädter Flughafen, austrugen. Pretoria rüstete die ersteren mit Schußwaffen aus, mit denen nicht nur die UDF-Anhänger, sondern auch zahlreiche andere Personen aus Crossroads vertrieben wurden: Südafrika hatte sich zuvor viele Jahre vergeblich um eine solche Reduzierung der Einwohnerzahl von Crossroads bemüht. Aus dem Kreis der Selbstschutzgruppen wurden später die Hilfspolizisten („Kitskonstabels") rekrutiert, mit denen dann „law and order" in die Gettos zurückkehrte. Die Pressezensur verhinderte, daß mehr Nachrichten über das brutale Vorgehen von Polizei und Militär in den Gettos nach außen drangen. Bekannt wurde allerdings, daß zahlreiche Geistliche, Bürgerrechtskämpfer, Gewerkschaftler, Jugendliche und selbst Kinder inhaftiert wurden. Unzählige von ihnen wurden nie einem Richter vorgeführt. Nicht wenige Aktivisten wurden ermordet, sehr viele gefoltert. Soweit die Sicherheitskräfte dabei angeblich „im guten Glauben an die Notwendigkeit einer Maßnahme zur Bekämpfung des Terrorismus" handelten, waren sie zivil- und strafrechtlich nicht verantwortlich. Durch den Aufbau eines „National Security Management System" 7 , dessen über 500 regionale und lokale Komitees Daten über die sicherheitspolitische Lage sammelten, verbesserte sich der Wissensstand der südafrikanischen Behörden, sehr zum Nachteil des schwarzen Widerstands.
6
Einen Überblick bietet: Detainees' Parents Support Committee, Democratic Movement
under Attack. A Report on the State of Emergency, Johannesburg 1986. 7
Dazu detailliert Allister Sparks,
Washington
Post, 26.12.1986.
South Africa's Security Network Tightens, in:
The
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AUFWERTUNG DES ANC
AUFWERTUNG DER I N T E R N A T I O N A L E N ROLLE DES A N C Es gelang Pretoria dennoch nicht, den Status quo ante wiederherzustellen. So setzte sich in Wirtschaftskreisen die Ansicht durch, daß Südafrika, falls dies überhaupt noch einmal gelingen würde, erst dann zur Ruhe kommen würde, wenn dem A N C ein entscheidendes Wort bei der Führung des Landes zugebilligt worden sei. Diese 1912 gegründete Befreiungsbewegung war die mit Abstand stärkste Partei der Schwarzen. Diese Erkenntnis führte im April bzw. im September 1986 dazu, daß Bundesaußenminister HansDietrich Genscher, sein britischer Kollege, Sir Geoffrey Howe, und hochrangige amerikanische Offizielle, die seinen Besuch bei Außenminister George Shultz (Januar 1987) vorbereiteten, den aus dem Londoner Exil angereisten ANC-Führer Oliver Tambo empfingen. 8 Im Vordergrund dieser Gespräche dürfte vor allem die Frage nach der „politischen Kultur" des A N C gestanden haben, d.h. die Frage, wie marxistisch, wie schwarzafrikanisch-nationalistisch, wie westlich-demokratisch der A N C denn sei. 9 In einem Vortrag vor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn 1 0 im April 1986 bekannte sich Tambo zu den Idealen der französischen und nordamerikanischen Revolution sowie zum westlichen Demokratieverständnis. In Südafrika selbst führten seine Bekundungen zu erstaunlichen Interpretationen: Pluralismus werde es nur in den Grenzen von „liberatory intolerance" geben; der A N C beanspruche für sich die Rolle eines „umbrella leader"; in einem künftigen Südafrika würden N P , KP, H N P , eine große Zahl weiterer Organisationen des Afrikanerdoms und wohl auch die liberale Progresssive Federal Party (PFP) sowie Inkatha und Azapo wegen ihres „rassistischen" oder „tribalistischen" Charakters verboten und ihre Anhänger aus der gemeinsamen Nation „hinausdefiniert" werden. Solange derartige Vorstellungen nicht aufgegeben würden, mußten A N C und der Westen auch nach den Besuchen Tambos füreinander schwierige Partner bleiben.
ASPEKTE DER REGIONALPOLITIK SÜDAFRIKAS Trotz der offenkundigen Schwächen im Innern blieb Südafrika in seinem regionalen Umfeld um die Etablierung einer Pax Pretoriana bemüht. Insbe8 E s sprach vieles d a f ü r , daß im Berichtszeitraum auch E m i s s ä r e der Regierung in L u s a k a , d e m H a u p t q u a r t i e r des A N C , wie auch in N e w Y o r k Informationsgespräche mit Vertretern der B e f r e i u n g s b e w e g u n g führten. 9
Vgl. hierzu auch J ö r g Dedial,
D e r A N C zwischen Ideologie und P r a g m a t i s m u s . Spekula-
tionen und Tatsachen über den östlichen Einfluß, in: NZZ, 10
O l i v e r Tambo,
7.2.1987.
E c o n o m i c and Political Perspectives of the A N C for a Liberated S o u t h
A f r i c a , B o n n (Friedrich-Ebert-Stiftung), A p r i l 1986.
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sondere bei der Verfolgung des ANC und der namibischen South West African People's Organisation (SWAPO), die hauptsächlich von Angola aus operierte, trat es mit eiserner Faust auf. Namibia Nach wie vor kam Namibia für Pretoria aus innenpolitischen Gründen große Bedeutung zu. Die in der UN-Resolution 435 gipfelnden Bemühungen der westlichen Kontaktgruppe, unter Einschaltung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen Südafrika zur Freigabe Namibias zu veranlassen, waren gescheitert.11 Im Juni 1985 setzte Pretoria zum zweitenmal eine Interimsregierung ein. Sie agierte unter Aufsicht des südafrikanischen Generaladministrators; die Behörden in Pretoria blieben nur für die Außen- und Sicherheitspolitik Namibias verantwortlich. Das Transitional Government of National Unity (TGNU) wurde von fünf „internen" Parteien getragen, von denen die meisten nur eine sehr geringe Gefolgschaft hatten. Die Mitglieder der gleichfalls ins Leben gerufenen Nationalversammlung zu Windhoek wurden nicht gewählt, sondern ernannt. Ein Ausschuß der Nationalversammlung machte sich alsbald daran, eine Verfassung auszuarbeiten, an der sich auch namhafte Verfassungsrechtler aus der Bundesrepublik beteiligten.
Angola Das T G N U würde erst dann, so die Argumentation der weißen Afrikaner, eine wirkliche Chance haben, wenn SWAPO und ihre People's Liberation Army of Namibia (PLAN) militärisch niedergerungen seien. Dennoch kam Pretoria nicht umhin, in Ausführung des von den USA vermittelten Truppenentflechtungsabkommens von Februar 1984 bis April 1985 die letzten Einheiten seiner Streitkräfte aus Angola abzuziehen. Schon einen Monat später stellten jedoch angolanische Truppen in der Nordprovinz Kabinda ein südafrikanisches Kommando, bevor es seinen Auftrag, die dortigen amerikanischen Erdölinstallationen zu sprengen, um so der Regierung in Luanda die letzte Möglichkeit zu nehmen, harte Devisen zu verdienen, ausführen konnte. Auch in der Folgezeit dienten die zahllosen südafrikanischen Übergriffe nach Angola (oftmals 200 km weit in das Nachbarland) nicht nur der Bekämpfung von PLAN. So kamen südafrikanische Truppen im September 1985 der (von Südafrika finanziell und militärisch unterstützten) angolanischen Befreiungsbewegung U N I T A zu 1 1 Zu den Gründen des Scheiterns vgl. Klaus Frhr. von der Ropp, A Political Initiative for South Africa. A (West) German View, in: Politikon, 1/1987, S. 3-14, hier S. 4-7.
SÜDAFRIKANISCHE ÜBERGRIFFE
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einem Zeitpunkt mit Kampftruppen zu Hilfe, als diese sich in großer Bedrängnis befand: Sie war nach einer Offensive der mit modernstem sowjetischem Kriegsgerät ausgerüsteten kubanischen und angolanischen Regierungstruppen einer entscheidenden Niederlage wohl sehr nahe. Nach einem Besuch des Präsidenten von U N I T A , Jonas Savimbi, im Januar 1986 in Washington, in dessen Verlauf ihn auch Präsident Ronald Reagan und Außenminister Shultz empfangen hatten, gewann U N I T A weitere Unterstützung: Die USA belieferte sie seither u.a. mit Anti-Tank- und LuftabwehrRaketen (Stinger). Der 1975 in Angola ausgebrochene Bürgerkrieg war damit endgültig zum Stellvertreterkrieg geworden.
Südafrikanische
Ubergriffe
Im Juni 1985 griffen erstmals südafrikanische Militärkommandos Dienststellen des A N C in Gaborone (Botsuana) an. Pretoria erreichte dann im Februar 1986 ein seit langem gehegtes Ziel: eine südafrikanisch-botsuanische „Absprache", daß beide Seiten sich auf das äußerste bemühen würden, den A N C daran zu hindern, unter Benutzung botsuanischen Territoriums nach Südafrika einzudringen. Dennoch bombardierten südafrikanische Militäreinheiten im Mai 1986 abermals ANC-Positionen in Gaborone. Auch in Lusaka und Harare zerstörten sie vom A N C genutzte Gebäude. Immer wieder tauchten darüber hinaus Meldungen auf, Pretoria nutze die Existenz von Dissidentengruppen im bankrotten Sambia, um das Regime von Präsident Kenneth D. Kaunda weiter zu destabilisieren. Auch Simbabwe war Ziel südafrikanischer Agitation. Die zunehmende Schwäche der politischen Institutionen bot Pretoria ein reiches Potential der Unzufriedenheit, das es ausnutzen konnte. Zwar scheiterten fürs erste die Bemühungen der regierenden Zimbabwe African National Union, sich die oppositionelle Zimbabwe African People's Union Joshua Nkomos einzuverleiben, jedoch waren die Anhänger Nkomos nach wie vor aufs höchste besorgt. Im Januar 1986 wurde in Lesotho die Regierung des unpopulären Ministerpräsidenten Leabua Jonathan durch eine Militärjunta gestürzt. Zuvor hatte Südafrika Lesotho, dessen Regierung in jüngerer Zeit den A N C zunehmend unterstützt hatte, „aus Sicherheitsgründen" mit einer Blockade belegt. Im März 1986 erfolgte dann die Unterzeichnung eines Antisubversions-Pakts mit Südafrika, den zu unterzeichnen sich Jonathan bis zum Schluß geweigert hatte, durch seinen Nachfolger General Justin Lekhanya: Beide Seiten verpflichteten sich, das Regime des jeweils anderen Staates nicht zu destabilisieren. Einen solchen Vertrag hatte - unter amerikanischer Vermittlung - im März 1984 auch Mosambik mit Pretoria geschlossen, ohne daraus jedoch Vorteile ziehen zu können. Vielmehr blieb seine sicherheitspolitische Lage desolat, da Südafrika nie aufgehört hatte, die Widerstandsbewegung Renamo zu unter-
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stützen. In Teilen befand sich Mosambik, ähnlich Angola, bereits in Auflösung. Im Oktober 1985 sah sich Südafrika gezwungen, eine Reihe von Vertragsbrüchen zuzugeben: Der mosambikanischen Regierung waren im früheren Hauptquartier der Renamo in Gorongosa Dokumente in die Hände gefallen, aus denen sich nicht nur ergab, daß sich dort der stellvertretende südafrikanische Außenminister Louis Nel noch nach Unterzeichnung des Antisubversions-Pakts aufgehalten hatte, sondern auch, daß Südafrika dort für die Renamo eine Landepiste gebaut hatte. Danach verwunderte nicht, daß Pretoria zunächst für einen Flugzeugabsturz über Südafrika im Oktober 1986 verantwortlich gemacht wurde, bei dem Präsident Samora Machel tödlich verunglückte. W E S T L I C H E R E A K T I O N E N A U F D I E P O L I T I K SÜDAFRIKAS Vereinigte Staaten Die Politik Pretorias gab all jenen Recht, die befürchtet hatten, Pretoria werde mit Reagans Politik des „konstruktiven Engagements" genauso wenig anfangen wie mit der naiven Politik Präsident Jimmy Carters im südlichen Afrika. 13 Die Geschehnisse im südlichen Afrika und die eskalierende Gewalt wurden angesichts amerikanischer Taten- und Hilflosigkeit für einige Zeit zum beherrschenden Thema der amerikanischen Innenpolitik. In vielen Städten, und dort insbesondere auf dem Gelände von Universitäten, kam es zu machtvollen Demonstrationen gegen die Apartheid. Für Aufsehen in der amerikanischen Bevölkerung sorgten auch die von Peter Randalls „Free South Africa Movement" organisierten illegalen Kundgebungen vor der südafrikanischen Botschaft in Washington. Demonstrativ ließen sich hier um ihre Wiederwahl besorgte amerikanische Politiker, Künstler und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens verhaften und abführen. Ähnliche Überlegungen mögen Senator Edward Kennedy bewegt haben, als er im Januar 1985 als Gast des anglikanischen Bischofs von Johannesburg, des Nobelpreisträgers Desmond Tutu, ohne Kontakte zur Regierung durch einige Städte Südafrikas reiste. Wie andere Besucher vor und nach ihm erfuhr auch Kennedy, daß alle repräsentativen schwarzen Südafrikaner - mit Ausnahme Buthelezis - vom Westen eine Politik der Sanktionen und des Disinvestment forderten. Die Meinung herrschte vor, daß solchermaßen das Regime in Pretoria binnen nicht allzu langer Zeit zusammenbrechen würde. 12
Eine gründliche Untersuchung unter Beteiligung internationaler Experten ergab, daß das Unglück auf das Versagen des sowjetischen Piloten zurückzuführen war. 3 Vgl. u.a. Klaus Frhr. von der Ropp, Der Westen und der Wandel im Süden Afrikas, in: Außenpol., 1/1982, S. 75-87, hier S. 79.
EUROPÄISCHE GEMEINSCHAFTEN
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Dem mußte widerwillig auch die Regierung Reagan Rechnung tragen. Gemeinsam mit den Regierungen Frankreichs und Großbritanniens wußte sie jedoch zu verhindern, daß der UN-Sicherheitsrat Sanktionen gegen Pretoria beschloß. Im Spätsommer 1985 lagen dem Kongreß mit guten Erfolgsaussichten demokratische wie auch republikanische Gesetzesentwürfe zur Verhängung harter Sanktionen vor. Deren Verabschiedung vermochte Reagan dadurch zu verhindern, daß er selbst entsprechende „Maßnahmen" verhängte, die allerdings recht milde waren. 14
Europäische
Gemeinschaften
Das Thema der gegen Südafrika zu verhängenden Sanktionen wurde auch in den EG-Staaten diskutiert. Dänemark, die Niederlande, Irland sowie, wenn auch mit Abstrichen, das im übrigen Afrika stark engagierte Frankreich forderten eine Politik harter Wirtschaftssanktionen. Die Gegenpositionen wurden von Großbritannien, der Bundesrepublik Deutschland und Portugal eingenommen. Die Bonner Südafrika-Politik litt stark darunter, daß sich die Regierungsparteien diesbezüglich nie auf einen einheitlichen Kurs hatten einigen können. Antipoden des von innenpolitischen Erwägungen geprägten Streits waren der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß und Bundesaußenminister Genscher. Strauß widersetzte sich Sanktionen jeglicher Art; Genscher, der schon im Oktober 1978 bei der Namibia-Konferenz in Pretoria Südafrika mit Sanktionen gedroht hatte, war hier flexibler. Wichtiger aber war, daß Strauß und Genscher in der Frage, was in Südafrika an die Stelle von Apartheid treten sollte, konträre Standpunkte vertraten: Strauß plädierte für eine Unterstützung der Reformpolitik Bothas und sah im A N C nur eine Gruppe marxistischer Terroristen. Genscher dagegen nannte den A N C Führer Nelson Mandela einen „Bruder" und machte sich dessen Forderung nach einem System des „one-man-one-vote" (in einem Staat) zu eigen. Eine vermittelnde Position vertrat der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und FDP-Abgeordnete Otto Graf Lambsdorff. Er propagierte die Schaffung eines möglicherweise im westlichen Kap gelegenen „Afrikaaner-Israel", eine Fluchtburg für die aus dem vom A N C beherrschten übrigen Südafrika vertriebenen weißen und braunen Afrikaner. 15 Anfang September 1985 1 4 Vgl. dazu: Statement on Anti-apartheid Executive Order, in: Wireless Bulletin, 10.9.1985. 15 FAZ, 8.8.1986. Graf Lambsdorff war bekannt, daß im amerikanischen und britischen Außenministerium schon seit längerem über eine solche Lösungsmöglichkeit nachgedacht wurde. Mit seinem Beitrag knüpfte er an Egon Bahrs Suche nach einem „bislang unbekannten Modell des gleichberechtigten Zusammenlebens mit besonderem Schutz für Minderheiten" an (Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 10.7.1977). Vgl. Klaus Frhr. von der Ropp, Chancen eines Neubeginns im südlichen Afrika, in: IP 1981/82, S. 287-307, hier S. 291, Fußnote 5.
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verhängte die E G milde Sanktionen: u.a. das Verbot des Exports von Erdöl nach Südafrika, Einschränkungen bei der naturwissenschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit sowie Beschränkungen bei der Akkreditierung südafrikanischer und Entsendung eigener Militärattaches. Großbritannien stimmte diesen Sanktionen erst zwei Wochen später zu. Einzelne EG-Staaten verhängten darüber hinaus härtere Sanktionen.
Commonwealth Seine sanktionsfeindliche Haltung stellte das Commonwealth im Oktober 1985 bei seiner Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs in Nassau (Bahamas) vor eine Zerreißprobe. Die Lage in Südafrika war damals das alles beherrschende Thema. 16 Zu den Wortführern härtester Handels- und sonstiger Sanktionen zählten Kanada, Australien, Sambia, Simbabwe und Indien, die keinesfalls aus uneigennützigen Motiven, sondern aus kommerziellen Gesichtspunkten Boykottmaßnahmen propagierten: Kanada und Australien beispielsweise suchten sich, etwa auf den ostasiatischen Rohstoffmärkten, des Konkurrenten Südafrika zu entledigen. Reine Wortpropaganda blieben die Forderungen der beiden afrikanischen Länder: Simbabwe unterzeichnete am gleichen Tag im August 1986 mit Südafrika einen neuen Handelsvertrag, als seine Repräsentanten in London bei einer weiteren Commonwealth-Konferenz harte Sanktionen gegen Pretoria forderten. Sambia bot den Südafrikanern für den Fall eines Boykotts der südafrikanischen Flughäfen an, mit aus Südafrika gemieteten Flugzeugen den internationalen Flugverkehr statt über Johannesburg über Lusaka abzuwickeln. (Auch Mosambik bot für diesen Fall Pretoria die Dienste des Hafens von Maputo an.) Die im Oktober 1985 vom Commonwealth empfohlenen Sanktionen blieben weit hinter den ursprünglichen Vorstellungen der verbal radikalen Staaten zurück. Zunächst sollte außerdem der Ausgang der diplomatischen Mission einer „Eminent Persons Group" (EPG) abgewartet werden, die mit allen Beteiligten in Südafrika selbst und einigen der Frontstaaten über die „Übergabe" der Macht in Pretoria an die Bevölkerungsmehrheit verhandelte. 17 Die Mehrzahl der Mitglieder der von Malcolm Fräser (Australien) und Olusegun Obasanjo (Nigeria) geführten E P G glaubte allerdings fälschlicherweise, das Afrikanerdom sei „reif für die Kapitulation", was zu einem Scheitern ihrer Mission führen mußte. Zum gleichen Zeitpunkt, als die E P G in Südafrika zu vermitteln suchte, bombardierte Pretoria im Mai 1986 1 6 Vgl. The Commonwealth at Nassau: Initiating Intervention in South Africa, in: Background Briefing, Nr. 26, 1985 (Johannesburg, SAIIA). 1 7 Ihr Bericht wurde im Herbst 1986 vorgelegt. Commonwealth Eminent Persons Group on Southern Africa, Mission to South Africa: The Commonwealth Report, London 1986.
DISINVESTMENT
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Dienststellen des A N C in Gaborone, Lusaka und Harare und gab damit zu verstehen, daß es an einer Vermittlung keinerlei Interesse hatte. Die E P G Emissäre verließen Südafrika unverrichteter Dinge, und einige C o m m o n wealth-Staaten machten daraufhin ihre Ankündigung vom O k t o b e r 1985 wahr und verhängten härtere Sanktionen.
Disinvestment Die erst 1987 in den USA aufgedeckten Verstöße westeuropäischer Staaten und Israels gegen das im November 1977 vom UN-Sicherheitsrat verhängte Waffenembargo (Resolution 418) 18 ließen auch in der Bundesrepublik die Frage nach der Wirksamkeit von Sanktionen aufkommen, hatten doch bundesdeutsche Unternehmen illegal an Pretoria u.a. Konstruktionspläne f ü r U-Boote veräußert. U m so wichtiger schien die Politik des Disinvestment: Hier begann sich der wirtschaftliche Niedergang der Schwellenmacht Südafrika abzuzeichnen. Da das Land aufgrund seiner Instabilität zunehmend an Attraktivität als Wirtschaftspartner verlor, zogen sich viele amerikanische Unternehmen auf entsprechenden D r u c k in den USA hin (zunächst nur scheinbar) zurück: Die Unternehmen wurden an südafrikanische Geschäftsleute verkauft, der Kaufpreis kreditiert und die Fortführung der bisherigen Zusammenarbeit vereinbart. Dennoch waren die Folgen nicht unbedeutsam, handelte es sich hier doch in der Regel um Firmen von Weltrang, darunter General Motors, General Electric, Coca Cola, IBM, Honeywell, Bell & Howell und Procter & Gamble. Als verhängnisvoll erwies sich die im Dezember 1986 bekanntgegebene Entscheidung von Barclays Bank P L C , ihre Tochter Barclays National Bank Ltd., mit der sie bis dahin selbst in Kleinstädten und Dörfern präsent gewesen war, zu verkaufen und sich aus Südafrika zurückzuziehen. 1 9 Andere Firmen würden folgen. Auch in bundesdeutschen Unternehmen wurde die Gefahr gesehen, daß Anti-Apartheid-Gruppen in den USA sie zwingen könnten, sich zwischen dem nordamerikanischen oder dem südafrikanischen Markt zu entscheiden. Im Spätsommer 1985 hatten Chase Manhattan und die meisten anderen großen westlichen Banken ihren südafrikanischen Schuldnern aus politischen Gründen die Umschuldung von kurzfristigen Krediten in H ö h e von 14 Milliarden Dollar (bei einer Gesamtverschuldung von 24 Milliarden Dollar)
U.S. Cites South African Arms Embargo Violators, in: U.S. Policy Information and Texts, 2.4.1987, S. 21-24. " Vgl. Gordon Adam (der Verfasser ist General Manager der Barclays Gruppe und einer der Direktoren von Barclays Bank U.K.), Behind Barclays' Pull-out, in: Africa Report, 5-6/1987, S. 23-25.
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verweigert. Angesichts des ohnehin unterbewerteten Rand war Pretoria gezwungen, ein Auslandsschuldenmoratorium zu verhängen. Dies hatte zur Folge, daß keine neuen Kredite mehr ans Kap flössen. Da Pretoria nicht fähig war, die auch von den Banken geforderten grundlegenden politischen Reformen zu leisten, kam auch in der Folgezeit eine umfassende Vereinbarung über die Rückzahlung der noch offenen Kredite nicht zustande. Dem als Vermittler zugezogenen früheren Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank, Fritz Leutwiler, gelang nur, ein Zwischenabkommen über die Rückzahlung eines Teilbetrags in Höhe von 700 Millionen Dollar (bis Mitte 1987) zustandezubringen.
Fortgang der westlichen
Sanktionspolitik
Die Zuspitzung der Lage in den Gettos wie auch das rücksichtslose Vorgehen gegen Nachbarstaaten führte Mitte 1986 zu einer Intensivierung der westlichen Sanktionsdiskussion. Der amerikanische Kongreß verhängte harte Sanktionen in den Bereichen Handel und Luftverkehr. Präsident Reagan suchte dem zwar durch die Einlegung seines Vetos entgegenzuwirken, er wurde aber im September/Oktober 1986 mit großen Mehrheiten vom Repräsentantenhaus (313 gegen 83 Stimmen) und vom Senat (78 gegen 21) überstimmt. 2 0 Die meisten EG-Staaten, für die die wirtschaftlichen und sonstigen Beziehungen zu Südafrika häufig einen viel höheren Stellenwert als für die U S A hatten, zögerten, die ein Jahr zuvor von der E G verhängten Sanktionen gleichfalls zu verschärfen. So entsandte der EG-Ministerrat im Juli 1986 seinen Präsidenten, den britischen Außenminister Howe, in das südliche Afrika. Ziel der Mission war, Pretoria und die wirklichen Vertreter des schwarzen Südafrika zu einem Dialog über die Zukunft ihres Landes zusammenzuführen; wäre das gelungen, hätte sich die Verhängung von Sanktionen erübrigt. Ahnlich Genscher bei der Eröffnung der Vollversammlung der U N im September 1985 bzw. 1986 in New York, wurde auch Howe von den Afrikanern bedeutet, daß sie an Gesprächen mit ihm eigentlich nicht interessiert seien. Gleichwohl kamen noch im Juli in Pretoria und Lusaka Gespräche mit höchsten Regierungsvertretern zustande. Dennoch blieb Howes Mission erfolglos. Daraufhin verhängte die E G im September 1986 Handelssanktionen beim Import von Eisen und Stahl, nicht aber von Kohle; auch war sie von nun an bemüht, die Mitgliedstaaten zu veranlassen, keine neuen Investitionen in Südafrika zuzulassen und auch den Handel mit südafrikanischen Goldmünzen („Krügerrand") zu untersagen. Vgl. South Africa - Comprehensive Anti-Apartheid Act of 1986, in: U.S. Information and Texts (USIS Bonn), 2.10.1986, S. 15-18, sowie EA, 20/1986, S. D 582.
Policy
FORTGANG DER WESTLICHEN SANKTIONSPOLITIK
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Im EPZ-Generalsekretariat in Brüssel wurde darüber hinaus an einem Plan gearbeitet, parallel zur Verhängung von Sanktionen eine „politische Initiative" gegenüber Südafrika aufzunehmen. Gedacht war an eine Art NahostKonferenz von Camp David (1978).21 Dieser Gedanke wurde aber nicht weiter verfolgt, nachdem Großbritannien (und wohl auch Frankreich) dargelegt hatten, daß eingedenk des Scheiterns der westlichen NamibiaInitiative vom März 1977 und der Südafrika-Mission der EPG dies Vorhaben nicht gelingen konnte.
21
Vgl. Erklärung des Sprechers der Bundesregierung zu den Beschlüssen des Europäischen Rates vom 28.6.1986 in Den Haag: Umfassender Dialog in Südafrika für eine friedliche Entwicklung, in: Bulletin, Nr. 105, 19.9.1986, S. 893-894, hier S. 894. Dazu von der Ropp, a.a.O. (Anm. 11).
VIII KONTINUITÄT UND UMBRUCH IN ASIEN
F O R T F Ü H R U N G DER R E F O R M - U N D Ö F F N U N G S P O L I T I K CHINAS Von Joachim Glaubitz Im Berichtszeitraum 1985/86 waren weder in der Innenpolitik noch in der Außenpolitik der VR China Richtungsänderungen von grundlegender Bedeutung zu vermerken. Der politische Kurs des Landes blieb darauf ausgerichtet, die Reformen fortzusetzen, die Öffnung nach außen weiter zu betreiben und das Erreichte zu konsolidieren. Stabilität schien das Leitmotiv einer Führung zu sein, die in der Notwendigkeit von wirtschaftlichen und politischen Strukturreformen grundsätzlich übereinstimmte, im Ausmaß und Tempo dieser Reformen jedoch gelegentlich Divergenzen erkennen ließ. Der Konzentration auf die Probleme im Innern entsprach eine ausgewogene Außenpolitik. Diese war weiterhin auf die Intensivierung der weltweiten Handelsbeziehungen und auf die Vermeidung risikoreicher, kräfteverzehrender Konflikte gerichtet. Doch wurden in prinzipiellen Fragen keine leichtfertigen Kompromisse gesucht.
FORTFÜHRUNG DER REFORMEN Im Frühjahr 1985 zog Ministerpräsident Zhao Ziyang auf der Dritten Tagung des VI. Volkskongresses eine erste Bilanz der weitreichenden Reformentscheidungen, die das Dritte ZK-Plenum des XII. Parteikongresses
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FORTFÜHRUNG DER REFORM- UND ÖFFNUNGSPOL1TIK CHINAS
im O k t o b e r 1984 getroffen hatte. 1 Zhaos Bericht 2 war kritisch, aber nicht pessimistisch. E r erwähnte die Schwierigkeiten der Bauern in einigen wenigen Gebieten des Landes, hob aber mit berechtigtem Stolz hervor, daß die Versorgung der chinesischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Kleidung „im allgemeinen ausreichend" sei und sogar Uberschüsse erwirtschaftet worden seien. Zhao verwies darauf, daß das durchschnittliche Nettoeinkommen der Bauern 1984 im ganzen Land 355 Yuan pro K o p f erreicht habe, was gegenüber 1983 einen Zuwachs von 14,7 Prozent bedeute. Auch der Lebensstandard der städtischen Bevölkerung, der 1984 mit einem durchschnittlichen P r o - K o p f - E i n k o m m e n von 608 Yuan weit über dem der ländlichen Bevölkerung lag, war nach Zhaos Angaben um 12,5 Prozent gestiegen. E r stellte dazu kritisch fest, daß diese Zuwächse über dem Wachstum der Arbeitsproduktivität und des Nationaleinkommens lägen und es unrealistisch und unerfüllbar sei, noch größere Lohnerhöhungen zu fordern. Als einen Schlüssel zur Regelung der verschiedenen Wirtschaftsbeziehungen bezeichnete Zhao die Preisreform. Zwar wolle die Regierung die Preise für Agrarerzeugnisse und Produkte der Nebengewerbe schrittweise freigeben und den Mechanismen des Marktes überlassen, aber über den gesamten Berichtszeitraum hin habe sie diesen Schritt vorsichtiger getan als erwartet, um die damit verbundenen Preissteigerungen so gering wie möglich zu halten. Ein weiteres Mal beschäftigte sich die chinesische Führung im Herbst 1985 in einem größeren Rahmen mit Reformfragen. V o m 18. bis 2 2 . September 1985 fand in Beijing eine Nationale Delegiertenkonferenz der Kommunistischen Partei Chinas statt. Es war die dritte ihrer Art seit Gründung der chinesischen K P , aber im Unterschied zu den ersten beiden (1935 und 1955), die sich auf innerparteiliche Richtungskämpfe konzentriert hatten, war die jüngste Konferenz der personellen Neugestaltung der Führungsgremien der Partei gewidmet. 3 Als Ergebnis wurde ein Viertel des 2 1 0 Mitglieder zählenden Zentralkomitees ausgewechselt; aus dem 24köpfigen Politbüro ersetzten sechs neue Mitglieder zehn ausgeschiedene Veteranen. E s gelang dem Vorsitzenden des Zentralen Beratenden Ausschusses des Z K der K P Chinas, Deng Xiaoping, dem zielstrebigen Verfechter der Reformpolitik, seine Vorstellungen von einer Verjüngung der Führungselite weit voranzutreiben, ohne dadurch die innenpolitische Lage zu destabilisieren. Einen Beweis für die Unterschiede in der Bewertung der Reformen lieferten die Reden Dengs und C h e n Yuns, eines Parteiveteranen und Mitglieds des Ständigen Ausschusses des Politbüros. Während ersterer die Erfolge der Reformen hervorhob und ihren sozialistischen Charakter betonte, unter1
Vgl. Joachim Glaubitz, Chinas Öffnung zum Westen, in: IP 1983/84, S. 337 f.
2
Vgl. EA, 13/1985, S. D 347-360.
3
Vgl. EA, 23/1985, S. D 643 ff.
FORTFÜHRUNG DER REFORMEN
363
strich Chen eher die negativen Erscheinungen dieser Politik. In einer späteren Stellungnahme erklärte er sogar: „Die verdorbene kapitalistische Idee ,Geld regiert die Welt' korrumpiert nun ernstlich den Arbeitsstil unserer Partei und die Moral unserer Gesellschaft." 4 Aber die entschiedenen Reformer um Deng Xiaoping behielten die Oberhand. N o c h auf der Delegiertenkonferenz im September 1985 wurden die Leitlinien für den Siebten Fünfjahresplan (1986 bis 1990) erörtert und angenommen. Ein halbes Jahr danach, auf der Vierten Tagung des V I . Volkskongresses im März 1986, wurde dieser Plan von Ministerpräsident Zhao Ziyang vorgestellt und verabschiedet. Er trug die Handschrift der Reformpolitiker. Chinas Regierungschef hob in seinem einführenden Bericht drei Ziele dieses Plans hervor: Erstens, mit Hilfe eines Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage die Strukturreform der Wirtschaft zu erleichtern und im Planzeitraum das Fundament für ein neuartiges sozialistisches Wirtschaftssystem mit chinesischen Merkmalen zu legen; zweitens, die Aufrechterhaltung eines stetigen Wirtschaftswachstums und, drittens, die weitere Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung in Stadt und Land zu gewährleisten. 5 In seinem Bericht über den Siebten Fünfjahresplan ging Zhao auch auf die Außenpolitik Chinas ein, deren Ziele und Grundprinzipien er in zehn Punkten zusammenfaßte. 6 Außer der üblichen Berufung auf die Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz, dem Bekenntnis zur Zugehörigkeit zur Dritten Welt und der Betonung des langfristigen Charakters der Politik der Öffnung enthielt dieser Dekalog einige bemerkenswerte Präzisierungen zum chinesischen Verständnis von Unabhängigkeit und Selbständigkeit in der Politik. Zhao erklärte dazu, China bestimme seine Neigung oder Abneigung gegenüber anderen Ländern nicht danach, ob deren Gesellschaftsordnung oder Ideologie der Chinas gleiche oder von ihr verschieden sei. Mit diesem Grundsatz erteilte der chinesische Regierungschef indirekt dem proletarischen Internationalismus eine Abfuhr, der „ohne Solidarität mit der K P d S U und der U d S S R undenkbar" ist und zu dessen Aufgaben u.a. die „Zurückweisung der weltweit koordinierten entspannungs- und fortschrittsfeindlichen Kampagne imperialistischer Kräfte" gehört. 7 Gemäß dieser kommunistischen Pflicht zur Parteilichkeit hätte China internationale Aktionen der „sozialistischen" Sowjetunion anders bewerten müssen als die der „imperialistischen" U S A . Das Kriterium, nach dem China die Rechtmäßig-
4
Zitiert nach dem Vorspann in: ebd., S. D 645.
5
Vgl. EA, 12/1986, S. D 328 ff.
6
Ebd., S . D 330-331.
Institut für Internationale Beziehungen an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der D D R (Hrsg.), Wörterbuch der Außenpolitik und des Völkerrechts, Berlin (Ost) 1980, S. 492. 7
364
FORTFÜHRUNG DER REFORM- UND ÖFFNUNGSPOLITIK CHINAS
keit oder Verwerflichkeit einer Handlung beurteilt, ist erklärtermaßen aber die Frage, ob sie den Weltfrieden erhalte, die freundschaftliche Zusammenarbeit unter den Nationen fördere und dem wirtschaftlichen Gedeihen in der Welt diene. Diese ideologische Unabhängigkeit war in Moskau vor allem dann kritisiert worden, wenn China die Rüstungsanstrengungen der Sowjetunion mit denen der USA gleichsetzte und gleichermaßen verurteilte. Vor diesem Hintergrund ist die Antwort Deng Xiaopings zu sehen, als dieser auf die Frage, warum China zu dem kapitalistischen Amerika bessere Beziehungen unterhalte als zu der kommunistischen Sowjetunion, lakonisch sagte: „China schaut nicht auf das Gesellschaftssystem, wenn es eine Sache beurteilt." 8 Der Grundsatz maximaler Unabhängigkeit schien im Berichtszeitraum die gesamte chinesische Außenpolitik zu bestimmen. Seine Wirksamkeit fiel vor allem dort auf, wo China sich militärisch mächtigeren oder wirtschaftlich überlegenen Partnern gegenübersah. Die beiden Weltmächte und Japan waren dafür bemerkenswerte Beispiele. In allen drei Fällen gestaltete China seine Beziehungen mit Selbstbewußtsein und nachweisbarem Erfolg.
DIE CHINESISCH-SOWJETISCHEN BEZIEHUNGEN Den wohl nachhaltigsten diplomatischen Erfolg konnte China gegenüber der Sowjetunion erzielen. Ohne nennenswerte eigene Zugeständnisse gelang es der Führung in Beijing, die Sowjetunion dazu zu bewegen, frühere Positionen aufzugeben und in einigen Fragen China Entgegenkommen zu signalisieren. Die bevorzugte Behandlung, die Generalsekretär Michail Gorbatschow dem zu den Trauerfeierlichkeiten für Konstantin Tschernenko im März 1985 aus Beijing angereisten Stellvertretenden Ministerpräsidenten Li Peng zuteil werden ließ, wurde in der chinesischen Führung positiv aufgenommen. Mit Gorbatschow wurde zum erstenmal seit fast zwei Jahrzehnten ein Mitglied der sowjetischen Parteiführung wieder als „Genosse" bezeichnet und die Sowjetunion wieder „sozialistischer Staat" genannt.9 Gorbatschow selbst sprach in seiner Antrittsrede vor dem ZK der KPdSU von dem Wunsch nach einer „ernsthaften Verbesserung der Beziehungen zur Volksrepublik China". 1 0 Dies wiederum veranlaßte die chinesische Seite bei ihrem Glückwunsch zur Wahl Gorbatschows zum Generalsekretär der KPdSU von einer „positiven Haltung zur Entwicklung der chinesisch-sowjetischen Be8
Interview von Mike Wallace mit Deng Xiaoping, in: Summary of World Broadcasts: The Far East, Nr. 8358, 8.9.1986. Vgl. Dieter Heinzig, Sowjetische China-Politik unter Gorbatschow, Köln (Berichte des BlOst, Nr. 40) 1987, S. 6. 10
EA, 8/1985, S. D 213; Prawda, 12.3.1985.
DIE SINO-SOWJETISCHEN WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN
365
Ziehungen" zu sprechen. Li Peng nannte bei seiner Rückkehr nach Beijing seine Begegnung mit Gorbatschow „freundlich" und „positiv" und erwartete eine „allmähliche Verbesserung" der beiderseitigen Beziehungen. 11 Obwohl dieses optimistische Klima während der im April 1985 in Moskau anberaumten Sechsten Gesprächsrunde zur Normalisierung der Beziehungen anhielt, stellte der chinesische Delegationschef, der Stellvertretende Außenminister Qian Qichen, fest, daß in der Frage der „drei Hindernisse" keine Fortschritte hätten erzielt werden können. 12 Hingegen konnten beide Seiten Foi ¿schritte beim Ausbau ihrer Wirtschaftsbeziehungen erzielen. In Erwiderung des Besuchs des Ersten Stellvertretenden Ministerpräsidenten Iwan Archipow Ende 1984 in Beijing, bei dem u.a. die Bildung einer Kommission für die Zusammenarbeit in Wirtschaft, Handel, Wissenschaft und Technik vereinbart worden war, reiste im Juli 1985 der für Wirtschaftsfragen zuständige Stellvertretende Ministerpräsident Yao Yilin in die Sowjetunion, um ein langfristiges Wirtschafts- und Handelsabkommen (1986 bis 1990) abzuschließen. Ferner unterzeichneten beide Seiten ein Abkommen über wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit.
Die sino-sowjetischen
Wirtschaftsbeziehungen
Die erste Sitzung der chinesisch-sowjetischen Kommission für Wirtschaft, Handel, Wissenschaft und Technik fand im März 1986 in Beijing unter dem gemeinsamen Vorsitz von Archipow und Li Peng statt. Beide Seiten einigten sich über den Bau von zwei neuen Eisenbahnanlagen, die die Sowjetunion mit der Provinz Xinjiang im Nordwesten Chinas verbinden sollten, und unterzeichneten ein Protokoll über den Austausch von Ingenieuren und Technikern. Ferner lud Archipow eine Gruppe chinesischer Experten zur Besichtigung von Kernkraftanlagen in die Sowjetunion ein - noch vor der Katastrophe von Tschernobyl. Von besonderer Bedeutung für die weitere Intensivierung der chinesischsowjetischen Wirtschaftsbeziehungen war der Besuch des Stellvertretenden Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, Nikolaj Talysin, im September 1986 in Beijing. Gesprächspartner auf chinesischer Seite waren (abgesehen von einem Empfang bei Ministerpräsident Zhao Ziyang) der Stellvertretende Ministerpräsident Yao Yilin und der Vorsitzen-
11
The China Quarterly, Nr. 102, Juni 1985, S. 385.
China forderte seit 1982 die Beseitigung von „drei Hindernissen" als Voraussetzung für eine umfassende Normalisierung seiner Beziehungen zur Sowjetunion: Die Beendigung der sowjetischen Unterstützung für Vietnam bei dessen Aggression gegen Kamputschea, den Abzug der sowjetischen Streitkräfte aus Afghanistan und den Abbau der sowjetischen Streitkräfte an der Grenze zu China. 12
366
FORTFÜHRUNG DER REFORM- UND ÖFFNUNGSPOLITIK CHINAS
de der Planungskommission der V R China, Song Ping. Beide Seiten vereinbarten ein Modernisierungsprogramm für 17 chinesische Unternehmen, die in den fünfziger Jahren mit sowjetischer Hilfe errichtet worden waren. Im Rahmen dieses Projekts sollten erstmals seit 26 Jahren wieder sowjetische Experten (etwa 100) in China arbeiten. Der in der Delegation Talysins reisende Vorsitzende des Staatskomitees für Außenwirtschaftsbeziehungen der U d S S R , Konstantin F . Katuschew, führte darüber hinaus in Beijing Gespräche über die Modernisierung von zahlreichen chinesischen Betrieben. 1 3 Während des Besuchs von Talysin wurden ein revidiertes Konsularabkommen und ein Abkommen über die Zusammenarbeit der staatlichen Planungskommissionen beider Länder unterzeichnet. Ersteres regelte u.a. den Aufenthalt von sowjetischen Experten und rund 200 Studenten und Professoren in China, letzteres legte die Leitlinien der bilateralen Wirtschaftskooperation und des Handels für die kommenden vier Jahre fest. Diese Ergebnisse ergänzten die im ersten Halbjahr 1986 bereits erzielten Vereinbarungen, die sich auf folgende Bereiche erstreckten: Abhaltung einer großen chinesischen Handelsmesse in Moskau im Juli 1986; Erweiterung des Grenzhandels zwischen Xinjiang und den angrenzenden zentralasiatischen Sowjetrepubliken, nachdem der Grenzhandel der Provinz Heilongjiang und des autonomen Gebiets Innere Mongolei mit der Sowjetunion schon 1983 wiederaufgenommen worden war; Errichtung von Konsulaten in Schanghai und Leningrad und die Einrichtung von Schiffahrtsbüros in Schanghai und Odessa. 1 4 Die Presse beider Länder würdigte diese konkreten Schritte in Richtung auf eine Verbesserung der Beziehungen und sprach von „Meilensteinen" in den beiderseitigen Beziehungen und einem „bei weitem noch nicht ausgeschöpften Potential für die wirtschaftliche Zusammenarbeit". 1 5 Chinas Interesse am Handel mit der Sowjetunion und Osteuropa war besonders stark ausgeprägt. Da dieser Handel in Schweizer Franken faktoriert wird, ermöglichte er China, Devisen mit Waren zu erwirtschaften, die in den westeuropäischen Industrieländern oder in Japan nicht absetzbar waren. Sowjetischen Angaben zufolge lag der Wert des chinesischen Handelsbilanzüberschusses mit der Sowjetunion 1985 bei 47 Millionen Rubel. 1 6 Das Entwicklungstempo der sino-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen war beeindruckend. Während des Zeitraums 1981 bis 1985 erreichte der Wert des Handels zwischen beiden Ländern 10 Milliarden Schweizer Franken; allein
13
Vgl. NZZ, 17.9.1986; The China Quarterly, Nr. 109, März 1987, S. 173.
Das sowjetische Konsulat in Schanghai öffnete nach einer Unterbrechung von 20 Jahren am 15. Dezember 1986 wieder seine Pforten. 15 Jilin Rihao, 2.9.1986, zit. in: Summary of World Broadcasts: The Far East, Nr. 8366, 17.9.1986; Prawda, 17.9.1986. 16 Far Eastern Affairs (Moskau), 3/1986, S. 64. 14
POLITISCHE BEZIEHUNGEN CHINA-SOWJETUNION
1985 betrug er 4,6 union nach Japan, und Singapur an Rohmaterial und Exportgüter. 1 7
367
Milliarden Schweizer Franken. Damit stand die SowjetHongkong, den USA, der Bundesrepublik Deutschland sechster Stelle der chinesischen Außenhandelspartner. Primärprodukte bildeten 70 Prozent der chinesischen
Politische Beziehungen
China-Sowjetunion
Doch dies war nur die eine Seite des sino-sowjetischen Verhältnisses. Die politischen Beziehungen entwickelten sich bei weitem nicht so erfolgreich. Bei den Gesprächen der Stellvertretenden Außenminister, die sich seit Herbst 1982 jeweils im April und Oktober alternierend in Moskau und Beijing trafen, um Möglichkeiten einer Normalisierung der politischen Beziehungen zu erörtern, wurden auf den vier Sitzungen während des Berichtszeitraums Verbesserungen im engeren politischen Sinne nicht erzielt. 18 Aus chinesischer Sicht blockierten die bekannten „drei Hindernisse", in erster Linie die fortdauernde sowjetische Unterstützung für Vietnam in dessen Interventionspolitik gegenüber Kamputschea, 1 9 jeden substantiellen Fortschritt. Zwar drängte die Sowjetunion auf die noch fehlende politische Annäherung und umwarb China mit scheinbar interessanten Offerten, aber in der Kamputschea-Frage war sie offenbar nicht bereit, auf das verbündete Vietnam in dem von China gewünschten Sinne einzuwirken. Das eindrucksvollste Beispiel für dieses Vorgehen lieferte die Rede Gorbatschows vom 28. Juli 1986 in Wladiwostok. 2 0 Darin nahm der Abschnitt, der sich auf China bezog, unter den auf einen einzelnen Staat bezogenen Passagen den größten Raum ein: Der sowjetische Parteichef machte eine Reihe von konkreten Vorschlägen zur Verbesserung und weiteren Verdichtung der sowjetischchinesischen Beziehungen und bot der chinesischen Führung schließlich Gespräche „auf jeder beliebigen Ebene", also auch ein Gipfeltreffen, an. 21 Sechs Wochen danach reagierte Deng Xiaoping auf dieses Angebot. Er machte ein Treffen mit Gorbatschow davon abhängig, daß die Sowjetunion ihre Unterstützung für die Aggression Vietnams in Kamputschea beendete. 22 Gorbatschow aber hatte in seiner Rede gerade diese Frage lediglich als eine
17
Vgl. The China Quarterly, Nr. 109, März 1987, S. 173.
1 8Die - 6. und 8. Gesprächsrunde tagte im April 1985 bzw. 1986 in Moskau, die 7. und 9.
Runde im Oktober der beiden Jahre in Beijing. 19 Vgl. hierzu auch den Beitrag von Oskar Weggel in diesem Band. 20
Abgedruckt in Auszügen in: EA, 16/1986, S. D 457-466.
Ebd., S. 462. Vgl. Summary of World Broadcasts: The Far East, Nr. 8358, 8.9.1986, Interview Deng Xiaopings mit CBS, in: Xinhua, 6.9.1986. 21
22
368
FORTFÜHRUNG DER REFORM- UND ÖFFNUNGSPOLITIK CHINAS
„souveräne Angelegenheit" der Regierung Chinas und Vietnams bezeichnet und ihre Lösung von der Normalisierung der chinesisch-vietnamesischen Beziehungen abhängig erklärt. 23 Dies war für China unzureichend. So erklärte der chinesische Außenminister nur wenige Wochen nach der Rede in Wladiwostok, Gorbatschow sei weit von einer Beseitigung der drei größten Hindernisse entfernt und vermeide insbesondere die Frage eines Abzugs der vietnamesischen Streitkräfte aus Kamputschea. Die chinesische Seite sei damit nicht zufrieden. 2 4 Bald danach kam die Sowjetunion dem chinesischen Drängen insofern entgegen, als sie ihre frühere Position, Drittstaaten dürften nicht Diskussionsgegenstand zwischen der Sowjetunion und China sein, revidierte und bereit war, auf der 9. Runde der Normalisierungsgespräche in Beijing das Kamputschea-Problem zu erörtern. Diese blieb allerdings ohne Ergebnis. Einem Bericht des Korrespondenten der italienischen KP-Zeitung L'Unita in Beijing zufolge hatte dieses Problem sogar im Zentrum der Gespräche gestanden. Die chinesische Seite machte angeblich mit Entschiedenheit klar, daß sie in allen Fragen kompromißbereit sei, außer in der prinzipiellen Forderung nach einem Rückzug der vietnamesischen Truppen aus Kamputschea. Ohne eine Lösung dieses Problems könne es keine Vereinbarung zwischen China und der Sowjetunion in anderen Fragen geben. Weiter wurde aus diesem Korrespondenten-Bericht bekannt, daß der Stellvertretende Außenminister Q i a n Qichen seinem sowjetischen Verhandlungspartner Igor A. Rogatschow einen Katalog der negativen Vorgänge und Aktivitäten gegenüber China präsentiert habe. Diese Liste habe z.B. den Vorwurf enthalten, daß Gorbatschows Rede in Wladiwostok später in der Sowjetunion restriktiv interpretiert worden sei, was dem Geist dieser Rede widersprochen habe. Ferner gebe es weiterhin Grenzzwischenfälle, und die Verletzung des chinesischen Luftraums durch sowjetische Aufklärungsflüge dauere an. China habe seit Gorbatschows Rede vom Juli bis Mitte Oktober 1986 37 solcher Verletzungen gezählt. Auch setze die Sowjetunion ihre Spionage-Aktivitäten gegen China fort. Derartige Dinge würden nur zwischen Feinden vorgenommen. Kurzum, während Gorbatschow gewisse Dinge sage, so der chinesische Vertreter, gebe es andere, die in der entgegengesetzten Richtung wirkten. Die sowjetische Seite soll dem entgegengehalten haben, China betone die Konfliktbereiche, übersehe aber die Gemeinsamkeiten. „Selbst wenn wir in der Kamputschea-Frage zu einem Kompromiß bereit wären", soll Rogatschow bemerkt haben, „wie könnten
23
EA, 16/1986, S. D 464.
24
Vgl.
13.8.1986.
Summary
of
World
Broadcasts:
The
Far East,
N r . 8337,
14.8.1986,
Xinhua,
CHINAS POLITIK GEGENÜBER OSTEUROPA
369
wir sicher sein, daß die chinesische Seite nicht noch ein viertes Hindernis auftürmt?" 25 Es ist offensichtlich, daß die „Hindernisse" von der chinesischen Seite auch als politische Instrumente benutzt wurden, um die Distanz zur Sowjetunion kontrollieren zu können. China mußte darauf bedacht sein, dem Westen nicht den Eindruck vom Entstehen einer engen sinosowjetischen Kooperation zu vermitteln. Dies hätte nicht nur westliche Zurückhaltung bei der Unterstützung der chinesischen Modernisierungspolitik zur Folge gehabt, sondern auch die amerikanische Verantwortung für den Schutz Taiwans wiederbelebt; es konnte ferner in Japan jenen Kräften Auftrieb geben, die einer verstärkten militärischen Rüstung das Wort redeten. Solche Konsequenzen konnten aber nicht im Interesse der Führung im Beijing sein. China gelang es bis Ende 1986 durch kompromißloses Festhalten an zentralen politischen Forderungen, die Sowjetunion zu ersten Schritten des Einlenkens zu bewegen. Dazu gehörten neben der Aufgabe des DrittstaatenArguments die Ankündigung eines Teilabzugs der sowjetischen Streitkräfte aus der Mongolei, die Bereitschaft zur Erörterung einer Truppenverminderung im Grenzgebiet und die Wiederaufnahme der Verhandlungen über den Verlauf der gmeinsamen Grenze. Eine politische Annäherung zwischen beiden Mächten, etwa mit dem Ziel der Wiederaufnahme der Parteibeziehungen, erwies sich auch 1985/86 als schwierig. 26
CHINAS POLITIK G E G E N Ü B E R OSTEUROPA Nahezu problemlos gestalteten sich dagegen Chinas Beziehungen zu den osteuropäischen Verbündeten der Sowjetunion. Die Handelsvolumina hatten in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre wieder zu wachsen begonnen, wissenschaftlich-technische Kooperationsabkommen waren erneuert worden, und die Kontakte auf Regierungsebene verdichteten sich. Anfang 1985 besuchte der Stellvertretende Minister für Außenhandel, Chen Jie, an der Spitze einer Handelsdelegation die Tschechoslowakei, Ungarn und Polen. Mitte desselben Jahres stattete der Stellvertretende Ministerpräsident Li Peng der D D R , Polen und Ungarn offizielle Besuche ab und unterzeichnete in Warschau ein Handelsabkommen mit fünfjähriger Laufzeit. 27 Im Oktober 1985 führte der Stellvertretende Vorsitzende des Präsidiums des Ministerrats der D D R und Minister für Allgemeinen Maschinen-, Landmaschinen- und 2 5 Radio Free Europe EAST, How the Sino-Soviet Talks went: L'Unita Revelations, München, 29.10.1986, RAD/Devlin, F-571.
26
Vgl. hierzu auch den Beitrag von Eberhard Schulz in diesem Band. 27
Vgl. China Quarterly, Nr. 193, September 1985, S. 567.
370
FORTFÜHRUNG DER REFORM- UND ÖFFNUNGSPOLITIK CHINAS
Fahrzeugbau, Günther Kleiber, in Beijing Gespräche über die Möglichkeit engerer Beziehungen und einer Ausweitung des Handels und der technischen Zusammenarbeit. Mitte 1986 reiste der Stellvertretende Ministerpräsident Ungarns, Lajo Faluvegi, nach China. Die Führung in Beijing brachte diesem Gast besonderes Interesse entgegen, da sie mit ihm Erfahrungen über die Reform von Wirtschaft und politischer Struktur unter den Bedingungen einer sozialistischen Einparteien-Herrschaft austauschen konnte. 2 9 Den Höhepunkt bildeten im September bzw. O k t o b e r 1986 die Besuche der Partei- und Regierungschefs Polens und der D D R in China. 3 0 Woiciech Jaruzelski und Erich Honecker waren die ranghöchsten Politiker aus dem Bereich des Warschauer Pakts, die nach mehr als zwei Jahrzehnten der Konfliktbeziehungen zwischen Beijing und den moskautreuen osteuropäischen Staaten wieder nach China reisten. 31 Bemerkenswert war die Tatsache, daß noch vor der Wiederaufnahme der Parteibeziehungen zwischen der K P Chinas und der K P d S U die Führer der polnischen K P bzw. der S E D nach China kamen. Beide Reisen waren nicht ohne Billigung durch Moskau zustandegekommen. 3 2 Im Unterschied zum Besuch Jaruzelskis in China konnte der S E D - C h e f die Parteibeziehungen wiederbeleben, indem Deng Xiaoping und Honecker gemeinsam bemerkten, diese Beziehungen seien nie abgebrochen worden, folglich stelle sich auch nicht die Frage ihrer Wiederaufnahme. Während Honeckers Besuch wurde ein Abkommen über wirtschaftliche, technische und wissenschaftliche Zusammenarbeit mit 15jähriger Laufzeit abgeschlossen. 3 3 China betrieb unter der Devise der Öffnung auch gegenüber allen sozialistischen Ländern eine Politik mit Osteuropa, bei der die Ebene der wechselseitigen Besuche deutlich höher lag als im Umgang mit Moskau. Bis 1983 hatte die Sowjetunion derartige Bestrebungen Chinas als einen „differenzierten Ansatz" zur Spaltung der sozialistischen Gemeinschaft gebrandmarkt. 3 4 Nun, da der Kreml selbst in Normalisierungsgesprächen mit China engagiert war, blieb kaum etwas anderes übrig, als den friedens- und entspannungsfördernden Charakter der China-Reise Honeckers hervorzuheben.
28
Vgl. ebd., Nr. 105, März 1986, S. 191.
29
Vgl. ebd., Nr. 108, Dezember 1986, S. 763.
30
Vgl. ebd., Nr. 109, März 1987, S. 166.
31
Vgl. hierzu auch den Beitrag von Peter Danylow
32
Vgl. 1HT, 30.9.1986.
33
Vgl. China Quarterly,
in diesem Band.
Nr. 109, März 1987, S. 166.
Vgl. Kitajskaja Narodnaja Respublika: Politika, ekonomia, ideologija, Moskau 1983, S. 174. Dies ist die letzte nachweisbare kritische Erwähnung dieses „differenzierten Herangehens" in den sowjetischen China-Jahrbüchern. 34
35
Vgl. Prawda,
24.10.1986.
CHINAS VERHÄLTNIS ZU D E N V E R E I N I G T E N STAATEN
371
CHINAS VERHÄLTNIS ZU D E N V E R E I N I G T E N STAATEN Die Beziehungen Chinas zu den U S A blieben während des Berichtszeitraums nicht ohne Schwierigkeiten, aber die Art der Probleme war nicht von so grundsätzlicher Natur wie gegenüber der Sowjetunion. Beijing und Washington waren sich über die Notwendigkeit und den Nutzen einer engen politischen, wirtschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit im klaren. Das Taiwan-Problem blieb zwar ein Stein des Anstoßes für China, doch hielten beide Seiten es langfristig für lösbar. Hochrangige Politiker wurden in den Hauptstädten beider Länder mit allen Aufmerksamkeiten empfangen: Im Juli 1985 stattete Staatspräsident Li Xiannian den U S A einen Besuch ab, im Dezember 1985 reiste Vizepräsident George Bush nach China. Auch führende Militärs intensivierten ihre Kontakte: Im Januar 1985 führte der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs der U S A , John Vessey, in China Gespräche mit der militärischen Führung, vor allem mit Generalstabschef Yang Dezhi, der „im Interesse des Friedens in Asien und in der Welt" für solide Beziehungen zwischen den Streitkräften beider Länder eintrat. 3 6 Im Mai 1986 absolvierte Yang einen Gegenbesuch, während dessen 15tägiger Dauer er u.a. Cape Canaveral und das Kennedy Space Center besuchte und über die Entwicklung der amerikanischen Raumfahrtindustrie informiert wurde. 3 7 Die Reihe der hochrangigen militärischen Kontakte schloß im Oktober 1986 mit dem Besuch von Verteidigungsminister Caspar Weinberger in China ab. E r vertrat die Auffassung der Administration, daß „ein sicheres, sich modernisierendes und freundschaftliches" China eine wichtige Rolle bei der Erhaltung des Friedens in der Welt zu spielen habe, und daß darum und in Ubereinstimmung mit Präsident Ronald Reagans Absicht, „China mit der Fähigkeit zur Selbstverteidigung auszustatten", die Regierung der U S A auch künftig die Modernisierung der chinesischen Streitkräfte unterstützen werde. 3 8 Weinberger hatte u.a. Unterredungen mit Deng Xiaoping, Ministerpräsident Zhao Ziyang - beiden übergab er Briefe von Präsident Reagan - und mit Verteidigungsminister Zhang Aiping. Zhao sprach zwar von erfreulicher Stabilität in den chinesisch-amerikanischen Beziehungen, erwähnte aber kritisch das TaiwanProblem. 3 9 Nach Diskussionen über den nichtnuklearen Charakter der 36
Vgl. China Quarterly, Nr. 102, Juni 1985, S. 386.
37
Vgl. ebd., Nr. 107, September 1986, S. 592.
38
Ebd. Nr. 109, März 1987, S. 174.
Gemäß dem chinesisch-amerikanischen Ubereinkommen von 1982 waren die USA verpflichtet, ihre Waffenlieferungen an Taiwan von Jahr zu Jahr zu senken und das ganze Problem schließlich aus der Welt zu schaffen. Den Chinesen ging dieser Prozeß zu langsam. Sie warfen den USA vor, sich zwar an den Buchstaben, nicht aber an den Geist des Kommuniques zu halten. Mit diesem Vorwurf hatten sie nicht unrecht: 1970 lieferten die USA Taiwan Waffen im Wert von 783 Mio. Dollar und 1985 im Wert von 760 Mio. Dollar. Vgl. IISS (Hrsg.), Strategie Survey 1985-1986, London 1986, S. 158.
372
FORTFÜHRUNG DER REFORM- UND ÖFFNUNGSPOLITIK CHINAS
Bewaffnung, kam schließlich auch der seit 1985 geplante Freundschaftsbesuch dreier Schiffe der US-Pazifikflotte im November 1986 in Qingdao (Tsingtao) zustande. Auch dieses Ereignis unterstrich den im ganzen guten Zustand der chinesisch-amerikanischen Beziehungen. Besorgt äußerte sich China wegen eines vom Kongreß vorgelegten Gesetzentwurfs zur Beschränkung von Textilimporten. Da Textilien 1984 mit 35 Prozent einen erheblichen Anteil an Chinas Exporten in die U S A ausmachten, hätte dieses Gesetz den chinesisch-amerikanischen Handel stark beeinträchtigt. Insgesamt wies der Handel zwischen beiden Ländern eine steigende Tendenz auf: E r belief sich 1985 wertmäßig auf 7,69 Milliarden Dollar und 1986 auf 7,87 Milliarden Dollar. 4 0 Damit rangierten die Vereinigten Staaten nach Hongkong und Japan an dritter Stelle der chinesischen Handelspartner. Mit ihren Direktinvestitionen lagen die U S A 1986 mit 3,57 Milliarden Dollar oder 18,3 Prozent der in China getätigten ausländischen Investitionen noch vor Japan auf dem zweiten Platz. 4 1
DAS VERHÄLTNIS ZU JAPAN Uberschattet durch Probleme auf politischem und wirtschaftlichem Feld waren Chinas Beziehungen zu Japan. Anlässe zu den Irritationen waren der offizielle Besuch von Premierminister Yasuhiro Nakasone am YasukuniSchrein (dem Schrein der Kriegstoten) und das wachsende Defizit Chinas im Handel mit Japan. D e r Besuch Nakasones und seines Kabinetts anläßlich des 40. Jahrestags des Kriegsendes im August 1985 am Schrein, der auch die Namen von 14 nach Kriegsende als Kriegsverbrecher hingerichteten japanischen Politikern und Generälen aufbewahrt, war der erste offizielle Besuch eines japanischen Regierungschefs an diesem O r t seit 1945. Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums bedauerte das Verhalten Nakasones und äußerte die Hoffnung, daß die japanische Regierung nicht den „Weg des Militarismus einschlagen" werde. 4 2 Einen Monat danach, am Jahrestag des japanischen Uberfalls auf NordostChina (18. September 1931), demonstrierten rund 1 000 Studenten der Universität Beijing gegen Japans „erneute Invasion" in China mit wirtschaftlichen Mitteln, gegen ein angebliches Wiederaufleben des japanischen Militarismus und gegen Nakasone. Daraufhin reiste der japanische Außenminister Shintaro Abe nach Beijing und erläuterte der chinesischen Führung die
40
Vgl. Directorate of Intelligence (CIA), China: Economic Performance in 1986, o.O.,
41
Vgl. Sekai Shühö (Tokio), 28.7.1987, S. 16.
42
China Quarterly, Nr. 104, Dezember 1985, S. 763.
DAS VERHÄLTNIS ZU JAPAN
373
Motive für Nakasones Schritt. 43 Auffallend war dann allerdings, daß der japanische Regierungschef weder zu Beginn des Herbstfestes am 17. Oktober noch im folgenden Jahr seinen Besuch am Schrein wiederholte, was ihm innerhalb seiner eigenen Partei (LDP) den Vorwurf der Nachgiebigkeit eintrug. Japans unbekümmerter Umgang mit den dunklen Kapiteln seiner neueren Geschichte führte zu einem erneuten Protest des chinesischen Außenministeriums: Es handelte sich dabei um die angeblich verzerrten Darstellungen des chinesisch-japanischen Kriegs in einem Geschichtslehrbuch für die Oberstufe. Premierminister Nakasone sagte eine Uberprüfung des Buches zu. Schon vor einigen Jahren hatte die japanische Regierung China versprochen, die Wiedergabe der Rolle Japans und seines Militärs in China zwischen 1937 und 1945 in den Schulbüchern zu überprüfen. In der chinesischen Führung wuchs 1985 auch die Unzufriedenheit über das rasch zunehmende Defizit im Handel mit Japan. Hatte es 1984 noch 1,2 Milliarden Dollar betragen, so erreichte es 1985 bereits den Wert von 5,9 Milliarden Dollar bei einem Handelsvolumen von 18,95 Milliarden Dollar. Deng Xiaoping forderte von Japan energisch eine Erhöhung der Einfuhren aus China. 4 Doch da das Problem struktureller Natur ist, war es nicht ohne weiteres zu beheben. Japans Markt ist auf absehbare Zeit für Öl, Kohle, Textilien und Agrarprodukte aus China nur begrenzt aufnahmefähig. Obwohl das Volumen des chinesisch-japanischen Handels 1986 auf wertmäßig 15,5 Milliarden Dollar und das Defizit auf 4,2 Milliarden Dollar sanken, hielt Japan mit einem Anteil von 23,3 Prozent am chinesischen Außenhandel seine Spitzenstellung unter den Handelspartnern Chinas. 4 5 Der Kontakt der Politiker beider Länder blieb trotz der etwas belasteten Beziehungen eng und trug dazu bei, die Wogen zeitweiliger Verärgerung zu glätten. Im April 1985 reiste der Vorsitzende des Nationalen Volkskongresses, Peng Zhen, nach Japan, wurde von Kaiser Hirohito empfangen und sprach vor dem japanischen Parlament. Er warb um verstärkte Investitionen Japans in China und für den Transfer von Technologie - zwei Bereiche, in denen die chinesische Seite seit Jahren ein stärkeres japanisches Engagement erwartete. 4 6 Einen Monat danach wurde der Stellvertretende Verteidigungsminister Japans, Haruo Natsume, in China empfangen. Er war der ranghöchste Besucher der japanischen Führung in China seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. 4 7 Im April 1986 folgte der chinesische Außenminister Wu Xueqian einer Einladung seines japanischen Amtskollegen. Ergebnis der 43
Vgl. Asahi Evening News, 14.10.1985.
44
Ebd., 23.9. und 4.12.1985.
45
Vgl. Sekai Shühö, 28.7.1987, S. 13-14.
46
Vgl. China Quarterly, Nr. 103, September 1985, S. 570-571. Vgl. ebd., S. 571.
47
374
FORTFÜHRUNG DER REFORM- UND ÖFFNUNGSPOLITIK CHINAS
Gespräche, die sich auf den Abbau des Handelsungleichgewichts konzentriert hatten, war die japanische Zusage, China bei der Stärkung seiner Exportfähigkeit zu unterstützen. 4 8 Anfang November 1986 besuchte Premierminister Nakasone China und führte vor allem Gespräche mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Zhao Ziyang, der auf das große Potential verwies, das für den Handel, die wirtschaftlichen und technologischen Beziehungen in China vorhanden sei. In diesem Zusammenhang beklagte er die geringe Investitionsbereitschaft, die Japan trotz seines großen Überschusses im Handel an den Tag lege. 49 Japans Direktinvestitionen in China lagen 1986 nach Hongkong und den U S A mit wertmäßig 3,15 Milliarden Dollar an dritter Stelle und hatten einen Anteil von 16,1 Prozent (Hongkong 48,3 Prozent und die U S A 18,3 Prozent). 5 0
CHINA UND WESTEUROPA Frei von politischen Problemen gestalteten sich Chinas Beziehungen zur Europäischen Gemeinschaft ( E G ) ebenso wie zu ihren einzelnen Mitgliedstaaten. In der Berichtszeit konnte China seine Exporte in den E G - R a u m von 8,1 Prozent 1985 auf 12,8 Prozent seiner Gesamtausfuhren im Jahre 1986 steigern. Die Importe aus den EG-Ländern nahmen im gleichen Zeitraum von 14,4 auf 17,8 Prozent zu. Den ersten Platz unter den westeuropäischen Handelspartnern Chinas hatte die Bundesrepublik Deutschland mit etwas über 3 Milliarden Dollar (1985) inne, was einen Zuwachs gegenüber 1984 um 38,3 Prozent ausmachte. 1986 erreichte der chinesisch-deutsche Handel den Wert von 3,6 Milliarden Dollar. 5 1 Wie mit fast allen Industrieländern verzeichnete China auch mit der Bundesrepublik ein Handelsbilanzdefizit. Es belief sich 1985 auf 3,9 Milliarden und sank 1986 auf 3,5 Milliarden D - M a r k . 5 2 Bei einem Besuch von Außenminister Hans-Dietrich Genscher in China im O k t o b e r 1985 hob Außenminister Wu Xueqian die wachsenden Kontakte zwischen beiden Ländern hervor und stellte fest, daß es grundsätzliche Interessenkonflikte zwischen beiden Seiten nicht gebe. 5 3 China blieb unvermindert stark an engen Beziehungen zu Westeuropa interessiert, was an den häufigen wechselseitigen Besuchen hochrangiger Politiker ablesbar war. Mitte 1985 besuchte Ministerpräsident Zhao Großbritannien, die Bundesrepublik Deutschland und die Niederlande; im Mai 1986 48
Vgl. ebd., Nr. 107, September 1986, S. 588.
49
Vgl. ebd., Nr. 109, März 1987, S. 169-170.
50
Vgl. Sekai Shühö, 28.7.1987, S. 16.
51
Vgl. China Quarterly,
52
Vgl. China aktuell, Juli 1987, S. 563.
53
Vgl. China Quarterly,
Nr. 107, September 1986, S. 584. Nr. 105, März 1986, S. 192.
CHINA U N D WESTEUROPA
375
reiste sein Außenminister durch vier skandinavische Länder, besuchte Belgien, Luxemburg und die Republik Irland. Bald darauf folgte der Besuch des Generalsekretärs der KP Chinas, Hu Yaobang, in Großbritannien, der Bundesrepublik, Frankreich und Italien. Im Juli 1986 waren Griechenland, Spanien, die Türkei und Tunesien die Reiseziele des chinesischen Ministerpräsidenten. Kurz zuvor hatte der Präsident der EG-Kommission, Jacques Delors, einen fünftägigen Besuch in Beijing absolviert. Alle Begegnungen zwischen chinesischen und westeuropäischen Politikern ließen eine ausgeprägte Bereitschaft Chinas zu noch engerer wirtschaftlicher Zusammenarbeit, Ubereinstimmung in den politischen Fragen und eine positive Bewertung einer Spannungsverminderung in Europa erkennen. Die Ergebnisse dieser Aktivitäten schlugen sich in zahlreichen kommerziellen, wissenschaftlichen und technischen Kooperationsabkommen nieder. Das politisch-wirtschaftliche Engagement Chinas im Zusammenhang mit seinen diplomatischen Aktivitäten gegenüber den Staaten der Dritten Welt, gegenüber den südpazifischen Ländern, in den Vereinten Nationen und in anderen internationalen Organisationen deutete im Berichtszeitraum auf eine umsichtige und dynamische Fortsetzung der Politik der Öffnung.
REGIONALE UND INTERNATIONALE PROBLEME DER ASEAN-STAATEN Von Oskar
Weggel
„Südostasien" war lange Zeit ein Begriff, der lediglich geographisch, gewiß aber nicht politisch berechtigt war. Zweifel dieser Art stellten sich besonders in den Jahren nach 1975 ein, als die drei „Indochina"-Länder (Vietnam, Kamputschea, Laos) kommunistisch wurden, die sechs ASEAN-Staaten (Thailand, Malaysia, Indonesien, Philippinen, Singapur und - seit 1984 Brunei) daraufhin ihren antikommunistischen Kurs verschärften, und das „Einsiedlerland" Birma sich noch mehr in seine Isolation zurückzog. Inzwischen zeigen sich erste Ansätze eines politischen Kurses, der im Berichtszeitraum auf eine „Rückkehr nach Südostasien" hindeutete. Die erstaunlichste - für die weitere ASEAN-Entwicklung ermutigendste Tatsache besteht darin, daß die drei wichtigsten Ereignisse 1985/1986: der Umsturz auf den Philippinen, die Diskussionen um den Acht-PunkteVorschlag zu Kamputschea und die rasch voranschreitende „Aussöhnung mit China" eine durchaus neutrale Wirkung hatten; dies wäre wenige Jahre zuvor noch undenkbar gewesen.
DER UMSTURZ AUF D E N PHILIPPINEN Präsident Ferdinand Marcos, der seit 1965 im Amt war, hatte seinen Kredit beim größten Teil der Bevölkerung, aber auch bei vielen seiner jahrelangen politischen Mitstreiter verspielt. Als erstem der bisher sechs Präsidenten der Inselrepublik war ihm die Amtsverlängerung gelungen, zunächst durch Wiederwahl, dann durch Verhängung des Kriegsrechts seit 1972, und anschließend durch eine erneute Präsidentschaftswahl 1981, bei der es allerdings, wie jedermann zu wissen glaubte, nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Als nun im Februar 1986 eine erneute Präsidentschaftswahl bevorstand, richtete sich das Weltinteresse auf dieses Ereignis. Spannend wurde die Wahl aus verschiedenen Gründen: Einmal lag die Ermordung des aus den U S A heimgekehrten Hauptoppositionellen und früheren Senators Benigno Aquino (am 21. August 1985), deren nähere Umstände ungeklärt blieben, erst wenige Monate zurück. Zum andern tauchten Spekulationen über eine schwere Krankheit von Präsident Marcos auf sowie der in diesem Zusammenhang aufkommende Verdacht, er wolle seine engsten Vertrauten, vielleicht sogar seine Ehefrau Imelda, als Nachfolger durchbringen. Zum dritten ging Marcos der Ruf grenzenloser Korruption und riesiger Geldtransaktionen auf private Auslandskonten voraus. Nicht zuletzt spielte aber die größte Rolle die Tatsache, daß die Witwe des ermordeten Gegners, Corazon
POLITISCHE SCHWERPUNKTE DER REGIERUNG AQUINO
377
Aquino, als Gegenkandidatin auftrat und schon bald zum Mittelpunkt stürmischer Ovationen und einer neuen „Peoples* Power" wurde. 1 Intern waren Marcos und seine Anhänger dadurch geschwächt, daß angesichts der Wirtschaftskrise, die sich seit Mitte der achtziger Jahre auszubreiten begann, die Vertrauten nicht mehr ausreichend abgefunden werden konnten, und daß selbst in der inneren Führungsschicht um den Präsidenten Machtkämpfe ausbrachen. Auf der einen Seite standen die „Kumpane" (cronies), auf der andern die zumeist in den U S A erzogenen Technokraten. Ferner begann unter Kardinal Jaime Sin eine scharfe Kritik der einflußreichen katholischen Kirche am Marcos-Regime, so daß schließlich auch tonangebende Militärs - an ihrer Spitze Verteidigungsminister Juan Ponce Enrile und der Stellvertretende Oberbefehlshaber der Streitkräfte Fidel Ramos — zu Marcos auf Distanz gingen und sich schließlich im kritischen Augenblick auf die Seite Corazon Aquinos schlugen. Am 7. Februar 1986 fanden die vorgezogenen Präsidentschaftswahlen statt, inmitten allgemeiner Unruhen und Demonstrationen gegen Marcos. Vor der Nationalversammlung wurde am 15. Februar das Ergebnis der Stimmenauszählung bekanntgegeben, unter öffentlichen Protesten und zornigen Demonstrationen von Millionen aufgebrachter Filipinos wegen massiver Wahlfälschungen und Einschüchterungsversuchen durch Marcos-Anhänger: 10 807 197 Stimmen für Marcos, 9 291 716 Stimmen für Corazon Aquino. Am 22. Februar gaben Enrile und Ramos bekannt, daß sie Marcos wegen erwiesener Wahlfälschungen nicht länger als Präsidenten anerkennen könnten. Als schließlich sogar die amerikanische Regierung - die jahrelang Hauptverbündete des Marcos-Regimes gewesen war - den Präsidenten zum Rücktritt aufforderte, begab sich dieser am Abend des 25. Februar 1986 fluchtartig ins Exil nach Hawaii, nachdem er am Morgen des gleichen Tages sich noch zum Präsidenten hatte vereidigen lassen. In einer Gegenveranstaltung wurde Frau Aquino als Präsidentin vereidigt. 2
Politische Schwerpunkte
der Regierung
Aquino
Die neue Regierung unter Präsidentin Corazon Aquino wurde am 28. Februar vorgestellt. Sie umfaßte 18 Kabinettsmitglieder, darunter 13 Rechts' Salvador Laurel, Führer der United Nationalist Democratic Organisation (Unido), der die Spitzenposition im Lande ebenfalls angestrebt hatte, zog - u.a. auf Druck der Katholischen Kirche - seine Kandidatur zurück.
2
In einem Interview vom 5. 5. 1987 behauptete Marcos nachträglich, er sei von amerikanischen Dienststellen, u.a. der Botschaft und der Joint US Military Advisory Group unter fälschlichen Angaben in einen Hubschrauber gelockt und dann gegen seinen Willen nach Guam ausgeflogen worden. Diese Version wurde von amerikanischer Seite allerdings bestritten. (Vgl. Asia Week, 5.7.1987, sowie Südostasien aktuell, September 1987, Ü 81.)
378
R E G I O N A L E U N D I N T E R N A T I O N A L E P R O B L E M E D E R ASEAN-STAATEN
anwälte und fünf Absolventen der Universitäten Harvard und Yale. Laurel wurde zum Vizepräsidenten ernannt. Einziger aus der Regierung Marcos übernommener Minister war der Ressortchef für Verteidigung, Enrile, der allerdings wegen einer angeblichen Verschwörung bereits am 23. November 1986 entlassen wurde. Armeegeneral Fidel Ramos übernahm das Amt des Generalstabschefs. Die neue Führung hob sofort die bisherige Verfassung auf, entließ das Parlament, „säuberte" die Führungen in den Provinzen und machte die Korruption des Vorgänger-Regimes bis in letzte Einzelheiten publik. Sie ließ die unter Marcos inhaftierten politischen Gefangenen frei, u.a. auch Spitzenführer der Kommunistischen Partei der Philippinen (KPPh) und führte Verhandlungen mit der N e w Peoples Army ( N P A ) , dem militärischen Arm der KPPh. Sie zog eine schonungslose wirtschaftliche Bilanz, die deutlich machte, daß die Philippinen unter den meist verschuldeten Staaten der Dritten Welt bereits auf Platz fünf vorgerückt waren. Die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen wurden folgendermaßen zusammengefaßt: Eine sorgfältige Einschätzung der wirtschaftlichen Lage sollte gefolgt sein von acht Zielsetzungen („1 + 8 - F o r m e l " ) : 1. Schaffung von Arbeitsplätzen für die 15 Prozent Arbeitslosen und 45 Prozent Unterbeschäftigten, 2. beschleunigte Entwicklung der Landwirtschaft, 3. Anpacken der Landreform, 4. Umschuldung im Außenwirtschaftsbereich, 5. Beginn einer restriktiven Haushalts- und Geldpolitik, 6. Auflösung der Monopole und Wiederherstellung des Marktmechanismus, 7. Anhebung der Reallöhne und 8. Kampf gegen die Korruption. 3 Machtbasis der neuen Regierung war die begeisterte Wählerschaft, deren überzogene Erwartungen allerdings schnell enttäuscht werden mußten. Frau Aquino konnte sich des weiteren auf die katholische Amtskirche, auf eine „gesäuberte" Spitzenbürokratie in den Zentral- und Provinzorganen sowie auf einen Großteil des neuen Offizierscorps stützen, dessen Aquino-loyale Führung fortlaufend befördert wurde. 4 Hatte Marcos noch auf eine möglichst apolitische Rolle der Streitkräfte Wert gelegt, so bemühte sich die neue Regierung unverkennbar um Loyalität und politisches Engagement des nachgerückten Offizierscorps. Die in den Augen der meisten Militärs suspekte Kompromißbereitschaft der Regierung Aquino gegenüber den Kommunisten entpuppte sich allerdings schon bald als Stein des Anstoßes. 5 Innenpolitische Hauptprobleme für die neue Regierung blieben im Berichts-
3 Abgedruckt in: Südostasien aktuell, Juli 1986, S. 450. In der vom Institut für Asienkunde, Hamburg, zweimonatlich herausgegebenen Zeitschrift Südostasien aktuell finden sich die laufenden Ereignisse der Region systematisch aufgearbeitet und mit zahlreichen Quellennachweisen belegt. 4 Näheres in: Südostasien aktuell, November 1986, Ü 81. 5
Vgl. ebd., Ü 60.
AUSSENPOLITISCHE SCHWERPUNKTE DER REGIERUNG AQUINO
379
Zeitraum die kommunistische Guerilla-Tätigkeit, 6 die Unberechenbarkeit politischer Splittergruppierungen (1986 gab es 48 legale Parteien oder parteiähnliche Gruppierungen) und die Arbeitslosigkeit.
Außenpolitische
Schwerpunkte
der Regierung
Aquino
Schon sechs Wochen nach seinem Amtsantritt verkündete der neue Außenminister und Vizepräsident, Salvador Laurel, am 10. April 1986 die Grundlinien der Außenpolitik: Die Philippinen fühlten sich weiterhin an die bestehenden militärischen Vereinbarungen mit den USA, vor allem über die Benutzung zweier Militärstützpunkte gebunden, strebten aber in Zukunft auf eine Politik der wirklichen Unabhängigkeit hin. Man sei allerdings nicht so naiv zu glauben, daß man ganz auf militärische Bündnisse verzichten könne. In Zukunft wolle Manila verstärkt nach alternativen Möglichkeiten der Friedenssicherung suchen, z.B. in Form intensivierter Zusammenarbeit mit der U N O , mit A S E A N und mit der Gruppe der Blockfreien. Ferner wollten die Philippinen so bald wie möglich das Sabah-Problem mit Malaysia lösen, und zwar durch Verhandlungen. Eine Entschärfung dieser Frage diene der Konsolidierung des südostasiatischen Bündnisses. Darüber hinaus wolle man den Beziehungen zu den beiden wichtigsten Wirtschaftspartnern, den USA und Japan, besonderes Augenmerk schenken. Zu diesem Zweck sollten interministerielle Arbeitsgruppen eingesetzt werden, die geeignete Empfehlungen für ein „effizienteres, ausgewogeneres und gerechteres" Verhältnis zu den beiden Staaten erarbeiten sollten. Ebenfalls sollten zwei- und mehrseitige Vereinbarungen über Wirtschafts-, Kapital- und Technologiehilfe mit anderen Staaten ausgehandelt werden. Hierbei sei besonders auf ausländische Investitionen in den Philippinen sowie auf die Beseitigung protektionistischer Schranken gegenüber Importen aus den Philippinen zu achten. In diesem Zusammenhang sei auch das diplomatische Personal für den Umgang mit Wirtschaftsfragen zu schulen. 7 Präsidentin Corazon Aquino machte deutlich, daß sie am ASEAN-Kurs festhielt, ja hier sogar eine schnellere Integration befürwortete. Der Vorschlag der ASEAN-Wirtschaftsminister auf ihrer Tagung in Manila vom 28. bis 30. August 1986, die Allianz bis zum Jahr 2000 in eine Wirtschaftsgemeinschaft nach EG-Vorbild umzuwandeln, 8 fand ihre volle Unterstützung.
6
Vgl. hierzu auch das Unterkapitel „Extremistische Gruppierungen"
7
Vgl. hierzu Südostasien
8
Südostasien
aktuell,
aktuell,
Mai 1986, Ü 85.
September 1986, U 1.
in diesem Beitrag.
380
REGIONALE UND INTERNATIONALE PROBLEME DER ASEAN-STAATEN
DIE AUSEINANDERSETZUNG ZWISCHEN KAMPUTSCHEA U N D VIETNAM
Der Acht-Punkte-Plan
zur Lösung der
Kambodscha-Frage
Wichtigstes Ereignis in den Beziehungen der sich seit 1978 im Krieg befindlichen Länder Kamputschea und Vietnam war die Verkündigung eines „Acht-Punkte-Plans" für die Lösung der Kamputschea-Frage durch die Dreier-Allianz des Demokratischen Kamputschea am 17. März 1986. Er beinhaltete folgende acht Punkte: 1. Verhandlungen der Dreierkoalition mit der Sozialistischen Republik Vietnam (SRV) über einen Zwei-Phasen-Abzug der vietnamesischen Truppen; 2. Abschluß eines Waffenstillstandsabkommens mit Einzelheiten über den Truppenabzug; 3. Überwachung des Waffenstillstands durch eine UN-Beobachtergruppe; 4. Verhandlungen mit der Heng-Samrin-Fraktion, der damaligen Führung in Phnom Penh, über eine „Viererkoalitionsregierung" mit Prinz Sihanouk als Präsident nach Abschluß der ersten Rückzugsphase; 5. Abhaltung freier Wahlen; 6. Gewährleistung von Kamputscheas Neutralität als „friedliches, neutrales und blockfreies Land ohne fremde Truppen auf seinem Territorium" durch die Vereinten Nationen; 7. Wirtschaftshilfe an Kamputschea von allen Seiten; 8. Unterzeichnung eines Friedens- und Nichtangriffsabkommens mit der SRV. 9 Unter den zahlreichen bislang vorgelegten Kamputschea-Plänen handelte es sich hier um den wohl abgewogensten Vorschlag, der vor allem auch die von vier ASEAN-Ländern vorgelegte Resolution der UN-Sonderkonferenz von 1981 1 0 voll berücksichtigte. Neu war diesmal die Einbeziehung Heng Samrins und der Regierung in Phnom Penh, des weiteren das Zugeständnis an Vietnam, seine Truppen nicht „restlos, unverzüglich und bedingungslos", sondern phasenweise abzuziehen, nicht zuletzt aber auch das Angebot, mit Vietnam einen Friedensvertrag zu schließen. Vietnam und die Volksrepublik Kamputschea lehnten bereits zwei Tage später den Vorschlag ab, da es erstens nur eine einzige legitime Vertretung des kambodschanischen Volkes gebe, nämlich die Regierung in Phnom Penh, und da es zweitens dem kambodschanischen Volk nicht zugemutet werden könne, mit „seinem Verderber, dem Massenmörder Pol Pot und seiner Clique" zu verhandeln. Hauptproblem blieben aus der Sicht Hanois nach wie vor die Roten Khmer, die als „trojanisches Pferd Chinas" in Kamputschea gelten, und denen außerdem die Fähigkeit - und der Wille - zugetraut werden, die anderen Koalitionspartner, Sihanouk und Son San, im entscheidenden 9 10
Vgl. Südostasien aktuell, Mai 1986, S. 285 ff. Vgl. hierzu: EA, 16/1981, S. Z 163.
381
WIRTSCHAFTSREFORMEN
Augenblick mit einer Handbewegung beiseite zu schieben. Ungeachtet dieser Besorgnis freilich kündigte Hanoi 1986 an, daß es seine Truppen bis 1990 aus dem Nachbarland zurückziehen werde, „falls die Pol-Pot-Clique bis dahin eliminiert ist" - eine nicht gerade logische Einschränkung: Sollte nämlich die Bedingung ultimativ sein, so machte der Termin keinen Sinn — und umgekehrt.
Wirtschaftsreformen Trotzdem dürfte Vietnam mit großer Wahrscheinlichkeit den „Termin 1990" einhalten: Erstens hat sich im Berichtszeitraum in Kamputschea militärisch eine Patt-Situation eingespielt, aus der offensichtlich nur noch eine politische Lösung heraushelfen kann; zweitens sieht sich die vietnamesische Volkswirtschaft unlösbaren Schwierigkeiten gegenüber, so daß der Krieg mit Kamputschea auf die Dauer nicht zu verkraften ist; drittens haben, erzwungen durch die wirtschaftlichen Rückschläge, Wirtschaftsreformen nach chinesischem Muster begonnen, in der Landwirtschaft schon seit 1979, in der Industrie erst seit 1985. Diese sind in ihrer Kostspieligkeit nur dann zu verwirklichen, wenn Vietnam in einer friedlichen Umwelt existieren kann und darüber hinaus auch seine Isolation gegenüber dem Westen durchbricht. Viertens aber hat die vietnamesische Führung inzwischen feststellen müssen, daß ihr Land in eine höchst einseitige Abhängigkeit von der Sowjetunion hineingeraten ist. Lag die sowjetische Unterstützung am Ende des Zweiten Indochina-Kriegs 1972 bei 815 Millionen Dollar, so war sie 1980 auf 1,96 Milliarden Dollar, 1982 auf 2,11 Milliarden, 1983 auf 2,4 Milliarden, 1984 auf 2,65 Milliarden, 1985 auf 2,96 und 1986 auf 3,24 Milliarden Dollar hochgeschnellt, wobei die Militärhilfe jeweils etwa bei rund 45 Prozent dieser Summe liegt. 11 In den Jahren 1967, 1974, 1978/79 und 1984 hatte es hierbei übrigens jeweils ruckartige Zuwächse gegeben, ein Zeichen dafür, daß Moskau die vietnamesischen Offensiven systematisch vorbereiten half: 1968 die Tet-Offensive, 1975 die Ho-Chi-Minh-Kampagne, 1978 den Kamputschea-Feldzug und 1984 die Trockenzeitoffensive gegen die Grenzlager der Dreierallianz des Demokratischen Kamputschea an der thailändischen Grenze. Was den Außenhandel anbelangt, so ist er fast zur Einbahnstraße in Richtung Ostblock geworden. 1984 mußten vietnamesische Stellen offen einräumen, daß die Sowjetunion der Sozialistischen Republik Vietnam 100 Prozent des Bedarfs an Ol, 80 Prozent des Nitratdüngers, fast 80 Prozent des Walzstahls, 80 Prozent des Bedarfs an NE-Metallen und 100 Prozent des 11 Vgl. Indochina 27.4.1985.
Report,
Nr. 35, Oktober 1986, Straits
Times,
6.6.1985, sowie Xinhua,
382
REGIONALE UND INTERNATIONALE PROBLEME DER ASEAN-STAATEN
Baumwollfaserbedarfs lieferte, während Vietnam umgekehrt an die UdSSR rund 60 Prozent ihrer Kautschuk-, Tee- und Kaffee-Exporte sowie über 30 Prozent ihrer Jute-Exporte abführte. 12 Der Preis, den Vietnam für dieses sowjetische Entgegenkommen zu zahlen hatte, war einmal eine beunruhigende Außenhandelsverschuldung, zum andern die Überlassung von Militärbasen an die Sowjetunion und nicht zuletzt eine höchst kostspielige Feindschaft mit der VR China. Diese unterstützte die antivietnamesischen Aufständischen in Kamputschea, aber auch in Laos und sogar im zentralvietnamesischen Hochland, und wurde nicht müde, die SRV kontinuierlich weltweit zu diskreditieren. Auch hatte China bereits einen „Erziehungsfeldzug" gegen seinen südlichen Nachbarn geführt - und eine „zweite Lektion" angedroht. Vietnam schien seinen Hegemoniekurs, den es 1977 in Laos und 1979 in Kamputschea mit so viel Zuversicht begonnen hatte, nicht mehr länger durchhalten zu können. Auf dem VI. Parteitag im Dezember 1986 wurde der Reformkurs offiziell auf den Weg gebracht. DER ASEAN-INTEGRATIONSPROZESS Noch vor wenigen Jahren schien es, als würde die ASEAN lediglich durch die von „Indochina" ausgehende Gefahr sowie durch die Furcht vor China zusammengehalten. 13 Trotz der sich in den Jahren 1985/86 abzeichnenden Entspannung in der Kamputschea-Frage hat jedoch der ASEAN-Integrationsprozeß keinen Rückschlag erfahren. Singapur z.B., das mit zu den schärfsten Kritikern der vietnamesischen Kamputschea-Politik gehört, ist einer der wichtigsten Außenhandelspartner Vietnams und gehört gleichzeitig, um das Maß der Widersprüche vollzumachen, nach wie vor zu den Hauptbefürwortern einer schnelleren ASEAN-Integration. Indonesien hat auf der Basis einer gemeinsamen Antichina-Haltung mit Vietnam zwischen 1984 und 1986 eine Reihe intensiver Gespräche geführt und in diesem Rahmen Streitigkeiten hintangestellt, die im Hinblick auf den Verlauf der beiderseitigen Territorialabgrenzungen im Südchinesischen Meer aufgekommen waren. Spätestens Mitte 1986 schien sich in Jakarta jedoch Ernüchterung eingestellt zu haben. Bei der UNO-Generalversammlung im Herbst 1986 griff der indonesische Außenminister Mochtar Kusumaatmadja die vietnamesische Kamputschea-Politik mit einer Heftigkeit an, die das verblüffte Vietnam an der Loyalität seines indonesischen Gesprächspartners zweifeln ließ. 1 2 Vgl. im einzelnen dazu Südostasien aktuell, November 1986, S. 553 ff., insbesondere S. 558 f. 1 3 Vgl. zur Vorgeschichte besonders Oskar Weggel, Der Konflikt in Südostasien, in: IP 1979/80, S. 367-389, sowie ders., Spannungen in Südostasien, in: IP 1981/82, S. 334-345.
AUSSÖHNUNG MIT CHINA
383
Aussöhnung mit China Eine weitere wichtige Entwicklung war die Entspannung des Verhältnisses zwischen A S E A N und der V R China, die seit Jahren zu den entschiedensten Befürwortern eines regionalen Zusammenschlusses der Länder Südostasiens gehört. Thailand war bereits 1979, also schon kurz nach dem Einmarsch Vietnams in Kamputschea, umgehend zum Feind seines Feindes, nämlich zur V R China, übergelaufen und koordinierte seitdem gemeinsam mit Beijing die Logistik des Widerstands des Demokratischen Kamputschea. Singapur unterhielt mit China zwar keine diplomatischen, wohl aber derart enge Handelsund Kulturbeziehungen, 14 daß es sich gegenüber den anderen A S E A N Ländern deshalb immer wieder rechtfertigen zu müssen glaubte. Die Beziehungen der Philippinen zur V R China waren schon unter Marcos unproblematisch und blieben es 1985/86 auch unter Präsidentin Aquino. Seit dem Besuch des Stellvertretenden chinesischen Ministerpräsidenten Tian Jiyun vom 14. bis 18. Oktober 1986 in Malaysia legte sich dort allmählich die Anti-Beijing-Stimmung. Die Volksrepublik versicherte erneut, daß sie sich nicht (mehr) in die inneren Angelegenheiten Malaysias einmischen, und daß sie die Kommunistische Partei nur noch moralisch unterstützen werde. Noch vor wenigen Jahren war diese Aussage in Kuala Lumpur nicht akzeptiert worden; inzwischen glaubte man jedoch auch dort entdeckt zu haben, daß den Chinesen die langjährigen Beziehungen zum Untergrund im nachhinein peinlich sind, so daß sie die „moralische Unterstützung" eigentlich nur noch aus Gründen des Gesichtsverlusts beibehalten. Malaysia weiß es inzwischen auch zu schätzen, daß das Handelsvolumen mit China rasch zunimmt: Die Volksrepublik bezieht Palmöl und Sägeholz und will in Zukunft auch Investitionen tätigen. Im übrigen herrschte in allen wichtigen Fragen der Außenpolitik ( A S E A N , Z O P F A N , kernwaffenfreie Zone in Südostasien, Kamputschea-Frage etc.) nahezu fugenlose Ubereinstimmung zwischen beiden Ländern. 15 Was schließlich die malaysische Huaqiao(Auslandschinesen)-Politik anbelangte, so hielt sich China strikt zurück. Im Anschluß an die Rassenunruhen von 1969 war die „Neue Wirtschaftspolitik" (NEP) verkündigt worden, deren Hauptziel es war, den Anteil der Malaien (Bumiputras) am Produktivvermögen bis 1990 auf etwa 30 Prozent zu steigern, also auf einen Prozentsatz, der die „rassische Zusammensetzung der Nation bis zum Jahr 1990 widerspiegeln" sollte. Die Huaqiao befürchteten, daß die N E P über das Jahr 1990 hinaus fortgesetzt würde. Die V R China hütete sich, in dieser Frage auch nur den Anschein einer Einmischung zu erwecken. So hatte sie 14
Vgl. Südostasien aktuell, März 1985, Ü 44.
15
Vgl. Südostasien aktuell, November 1986, Ü 27.
16
Vgl. ebd., Ü 31.
384
REGIONALE UND INTERNATIONALE PROBLEME DER ASEAN-STAATEN
auch anläßlich der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Malaysia 1974 die Zusage gegeben, keine Doppelstaatsangehörigkeit mehr anerkennen zu wollen. Daneben begann auch eine systematische Privilegierung der Malaien im Bildungsbereich, wobei die Einführung der „Bahasa Malaysia" als allgemeine Unterrichtssprache eine günstige Wirkung ausübte. Gegenversuche der Chinesen, eine von ihnen finanzierte Universität zu gründen, wurden blockiert. Unter dem Druck islamischer Gruppierungen entstanden dann, vor allem seit dem Amtsantritt des Ministerpräsidenten Dato Seri Mahathir im Juli 1981 immer mehr Muslim-Institutionen, so z.B. die Islamische Bank, die Islamische Versicherung und eine Reihe islamischer Krankenhäuser. Unbehagen empfand der chinesische Bevölkerungsteil auch angesichts der Versuche des Parti Islam Sa-Malaysia (PAS), einen islamischen Staat zu etablieren und islamische Werte in die Verwaltung und ins Militär einzuführen - was immer das heißen mag. 1986 hatten die Bumiputras 80 Prozent aller Regierungsbeamten-Stellen inne und erhielten 75 Prozent aller öffentlich finanzierten Hochschulstipendien.
Annäherung
Indonesiens an die VR China
Als sensationell galt die Wiederannäherung Indonesiens an China Anfang 1985. Obwohl diplomatische Beziehungen nach wie vor kein Gegenstand von Verhandlungen sind, kam es doch seit Mitte 1985 zur Wiederaufnahme direkter Handelsbeziehungen. Unter Präsident Sukarno hatte es ein enggeknüpftes indonesisch-chinesisches Netzwerk gegeben. Doch dann war es zu der blutig niedergeschlagenen „Bewegung vom 30. September" (1965) und zu Aktionen der indonesischen Armee gegen die KP Indonesiens gekommen, die beschuldigt wurde, im Einvernehmen mit der VR China den Aufstand angezettelt zu haben. Gleichzeitig folgten antichinesische Aktionen und Demonstrationen und - am 23. Oktober 1967 - der Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Das kommunistische China war für die Vertreter der „Neuen Ordnung" viele Jahre hindurch tabu. Annäherungsversuche der Chinesen stießen auf taube Ohren. Es bedurfte der persönlichen Initiative Präsident Suhartos, um Ende 1984 wenigstens Handelsgespräche in die Wege zu leiten. Der eigentliche Durchbruch erfolgte anläßlich der Feiern zum 30. Jubiläum der afroasiatischen Konferenz von Bandung im April 1985, an der kein Geringerer als der chinesische Außenminister Wu Xueqian teilnahm. Die Gespräche erfolgten seither auf halbstaatlicher Ebene, nämlich zwischen der indonesischen Kammer für Handel und Industrie und dem chinesischen Rat für Internationale Wirtschaftsfragen. Nachdem der bilaterale Handel sich jahrelang über Drittstaaten, zumeist Singapur und Hongkong, abgespielt hatte, gab es nun
BIRMA, LAOS UND DIE VR CHINA
385
wieder einen direkten Austausch, der sich 1985/86 auf einen Jahresumsatz von etwa 200 bis 300 Millionen Dollar einpendelte. Ganz überwunden ist die Vergangenheit freilich noch keineswegs. Jakarta verübelte es den Chinesen, daß sie nach wie vor Mitgliedern der 1965 ausgeschalteten KP Indonesiens Asyl gewährten; China andererseits protestierte laut, wenn wieder einmal, wie beispielsweise am 2. September 1985, indonesische Kommunisten exekutiert wurden. Ferner kritisierte China die Zusammenarbeit Indonesiens mit Vietnam. 17
Normalisierung der Beziehungen von Birma und Laos zur VR China Auch Birma und Laos entkrampften ihr Verhältnis zu China. Der birmanische Präsident San Yu besuchte die Volksrepublik im November 1984, sein Amtsvorgänger Ne Win folgte im Mai 1985. Im März 1985 kam Chinas Staatspräsident Li Xiannian nach Birma. 18 Rangun hatte sich inzwischen überzeugen lassen, daß die VR China keine jener vier Gruppierungen mehr unterstützte, die die birmanische Armee seit Jahren bekämpft - weder die Kommunistische Partei Birmas (KPB) mit ihren 12 000 Bewaffneten, noch die National Democratic Front (NDF), in der neun Stammesorganisationen (vor allem der Kachin, der Karen und der Mon) zusammengeschlossen sind, noch die T.R.C. (ein Bündnis mehrerer Tai-Völker), noch auch die Shan United Army (SUA) des „Opiumkönigs" Khun Sa, mit der u.a. ehemalige Guomindang-Einheiten in Verbindung stehen. Auch mit den Koalitionsverhandlungen zwischen KPB und N D F hatte China nichts zu tun, wie man in Rangun zu wissen glaubte. 19 Uberraschend waren im Dezember 1986 auch die „Normalisierungsgespräche" zwischen Laos und der V R China. Die Beziehungen zwischen Vietnam und Beijing, die einst problemlos gewesen waren, hatten sich rapide verschlechtert, nachdem das mit Laos verbündete Vietnam im Dezember 1978 nach Kamputschea einmarschiert war und dort - unter dem Beifall der Laoten - die „Volksrepublik Kamputschea" aus der Taufe gehoben hatte. Fast gleichzeitig hatte Laos sämtliche chinesische Berater ausgewiesen und angeordnet, daß die diplomatische Mission Chinas in Vientiane auf fünf Personen zu reduzieren sei. Im Zuge des chinesischen „Erziehungsfeldzugs" gegen Vietnam (1979) war es dabei auch zu Reibungen entlang der 300 km langen chinesisch-laotischen Grenze gekommen. Der Besuch des Stellvertretenden chinesischen Außenministers Liu Shuqing in Vientiane vom 20. bis 25. Dezember 1986 erfolgte offensichtlich im 17
Vgl. China aktuell,
18
Vgl. Südostasien
Mai 1987, Ü 5.
19
Näheres in: Südostasien
aktuell,
Mai 1986, Ü 98. aktuell, Juli 1986, Ü 102.
386
REGIONALE UND INTERNATIONALE PROBLEME DER ASEAN-STAATEN
Zusammenhang mit der internationalen Entwicklung in Asien, wie sie sich nach der Rede des sowjetischen Parteichefs Michail Gorbatschow in Wladiwostok vom 28. Juli 1986 20 darstellte. Im Zuge dieser Initiative sahen sich auch die drei indochinesischen Verbündeten (Kamputschea, Laos und Vietnam) veranlaßt, auf die VR China zuzugehen; u.a. hatten die drei indochinesischen Außenminister bei ihrer Konferenz am 17. und 18. August 1986 in Hanoi der V R China Gespräche „auf jeder Ebene und an jedem O r t " angeboten. China war auf diese Offerte eingegangen, allerdings in sehr selektiver Weise, nämlich nur gegenüber Laos, nicht aber gegenüber Vietnam und Kamputschea. 21
G E F A H R E N FÜR DEN ASEAN-EINIGUNGSPROZESS
Intraregionale
Konflikte
Wirklich ernst zu nehmende Grenzkonflikte gab es 1985/86 kaum noch zwischen den ASEAN-Staaten, wohl aber mit einer außerregionalen Macht, nämlich der V R China, die den größten Teil des Südchinesischen Meeres als nationales Hoheitsgewässer beanspruchte und deshalb auf Gegenvorstellungen Vietnams, aber auch auf Proteste Indonesiens, Malaysias und der Philippinen stieß. D e r Streit um die von den Philippinen beanspruchte malaysische Provinz Sabah andererseits entschärfte sich weiter, nachdem der neue philippinische Außenminister, Salvador Laurel, in seiner Grundsatzrede zur philippinischen Außenpolitik angedeutet hatte, daß die Philippinen im Interesse guter Beziehungen zu Malaysia ihren Anspruch auf Sabah aufgeben wollten. Entsprechende Andeutungen soll Laurel auch in einem persönlichen Gespräch mit dem malaysischen Regierungschef Mahathir im Mai 1986 gemacht haben. 2 2 Seit 1984 entstand außerdem ein Streit um drei Dörfer im thailändischlaotischen Grenzgebiet; des weiteren stehen seit Jahren thailändische Klagen über Grenzverletzungen durch vietnamesische Truppen auf der Tagesordnung der thailändischen Informationspolitik. Die indonesisch-vietnamesischen Sonderbeziehungen mögen für Thailand zwar ärgerlich sein, sie sind aber für die ASEAN-Gemeinschaft nicht bedrohlich. In diesem Zusammenhang sollte darauf hingewiesen werden, daß fast alle potentiellen Brandherde zwischenregionaler Natur in Südostasien, die in den sechziger Jahren noch unlösbar erschienen, inzwischen kaum mehr existieren. 20
Auszüge in: EA, 16/1986, S. D 457-466.
21
Vgl. Südostasien
22
So Südostasien
aktuell, aktuell,
Januar 1987, S. 65 f. Mai 1986, Ü 90.
INNENPOLITISCHE PROBLEME
Innenpolitische
387
Probleme
Auch der Sieg extremer Gruppierungen schien nach Lage der Dinge einstweilen ausgeschlossen - sogar auf den Philippinen. Dabei gab es durchaus brisante innenpolitische Probleme: In sämtlichen ASEAN-Ländern herrschte 1985/86 beträchtliche Arbeitslosigkeit. Sie war auf den Philippinen sowie in Indonesien besonders krass ausgeprägt und machte sich mit 3,9 Prozent 1986 auch schon im „Musterstaat" Singapur bemerkbar, wo Arbeitslosigkeit bisher stets ein Fremdwort gewesen war. Auch die Stadt-LandGegensätze, der „Kommunalismus" (vor allem zwischen der chinesischen und der malaiischen Volksgruppe in Malaysia), die Spannungen zwischen Minoritäten (vor allem in Laos und Birma), nicht zuletzt auch die in den ASEAN-Ländern nach wie vor ungelöste Landreformfrage waren akut. Hinzu kamen noch landesspezifische Schwierigkeiten, z.B. in Indonesien der Dauerkonflikt zwischen ziviler und militärischer Führung (auf der einen Seite die Partei, auf der anderen die Armee mit ihrer militärisch-politischen „Doppelfunktion"), 2 3 sowie innerhalb der Armee die Probleme zwischen den verschiedenen Offiziersgenerationen, und auch der Konflikt zwischen Java mit seinem erdrückenden politischen Ubergewicht und den Außenregionen. In Malaysia bestanden nach wie vor die bereits erwähnten „IntraCommunity"-Reibungen sowie Spannungen zwischen dem wachsenden islamischen Fundamentalismus einerseits und den Vertretern einer „modernen" Ausrichtung andererseits. Die philippinische Gesellschaft war belastet durch das gewaltige Wirtschaftsgefälle zwischen den rund 300 Großgrundbesitzern und politisch einflußreichen „Illustrado"-Familien und der Armut der Bevölkerungsmehrheit, durch das „muslimische" Mindanao- und SuluProblem, nicht zuletzt aber auch durch die Abhängigkeit von den USA. In Thailand standen das Gefälle zwischen der Hauptstadt Bangkok und dem übrigen Land sowie die Minoritätenfrage (Lao Isan im Nordosten und vier muslimische Staaten im Süden) als Probleme im Vordergrund. Das Cliquensystem, das immer wieder Anlaß zu Staatsstreichen ist, stand bislang möglichen Lösungen im Wege. In Birma hielt der Dauerkrieg mit den separatistischen Stammesvölkern gegenüber der buddhistischen Mehrheitsbevölkerung unvermindert an, und in den drei Indochina-Staaten war es die „realsozialistische Aufbaupolitik", die zu verheerenden Rückschlägen geführt und die drei Länder mit zu den ärmsten Staaten Asiens gemacht hatte.
23
Näheres in: Südostasien aktuell, Juli 1986, S. 434.
388
REGIONALE UND INTERNATIONALE PROBLEME DER ASEAN-STAATEN
Wirtschaft In den ASEAN-Staaten wurden die hier erwähnten Schwächen eine Zeitlang durch hohe wirtschaftliche Wachstumsraten überdeckt, die im Zeitraum 1970 bis 1982 Durchschnittswerte von jährlich 8,5 Prozent in Singapur, 7,7 Prozent in Indonesien und Malaysia, 6 Prozent auf den Philippinen und 4,5 Prozent in Thailand brachten. Im Berichtszeitraum kam es hier zu einer deutlichen Drosselung. In Indonesien lag das Durchschnittswachstum 1985/86 beispielsweise bei nur noch 2,9 Prozent: Indonesien nimmt für seine Exporte zumeist nur (billige) Dollar ein, muß für seine Importe aber in (teuren) Yen bezahlen. Auf den Philippinen ging das Wachstum auf durchschnittlich 1,3 Prozent zurück, 24 und in Singapur fiel es 1986 auf 1 Prozent, 25 nachdem 1985 sogar ein Minuswachstum von 1,8 Prozent zu verzeichnen war. Auch erhöhte Aufträge aus China konnten daran nicht viel ändern. 26 Im übrigen litten alle ASEAN-Staaten unter dem schmerzhafen Rückgang der Ölexporte. 27
Extremistische
Gruppierungen
Trotz solcher Rückschläge gab es für extreme Gruppen aber kaum Hoffnungen: Die kommunistischen Bewegungen kämpften in Malaysia und Thailand sowie in Indonesien seit 1965 auf verlorenem Posten. Besonders schwer hatte es die traditionell nach China hin orientierte KP Thailands (KPTh). Die schlechten Beziehungen zwischen Beijing und Bangkok hatten dazu geführt, daß die KPTh an den Wurzeln ihres Selbstverständnisses getroffen wurde und in drei Teile zerfiel, von denen die „Neue Partei" (Phak Mai) Unterstützung aus Vietnam erhielt. Sie konnte sich freilich ausrechnen, daß sie im Augenblick einer Lösung der Kamputschea-Frage nicht mehr benötigt werden würde. Lediglich auf den Philippinen erhielt die kommunistische Bewegung neuen Schwung. Diese besteht nicht nur aus der Kommunistischen Partei (KPPh), sondern erhält Unterstützung durch zwei Armeen, nämlich der 1969 als Kampforganisation gebildeten „New Peoples Army" (NPA) sowie der 1973 gegründeten „National Democratic Front" (NDF). Die N D F verfügt über acht Frontorganisationen. Bereits 1968 hatte sich innerhalb der KPPh der maoistisch orientierte Flügel unter Führung von Amado Guerrero (bürgerlicher Name: Sison) mit einem Volkskriegskonzept durchsetzen können. Die meisten KPPh-Spitzenführer waren im Laufe der 24
Vgl. ebd. S. 450.
25
Vgl. dazu u.a. Südostasien aktuell, Juni 1986, S. 340, 353 und Juli 1986, S. 427.
26
Südostasien aktuell, März 1985, Ü 44.
27
Südostasien aktuell, August 1986, S. 537.
EXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN
389
Zeit verhaftet worden, wurden aber von der Regierung Aquino - gegen den Protest der Armee - wieder freigelassen. Die N P A verfügte 1986 über rund 16 500 bewaffnete Mitglieder. Etwa 18 Prozent der insgesamt 41 650 Dorfgemeinden sollen unter kommunistischem Einfluß stehen. Rund 70 Prozent aller politischen Zwischenfälle auf den Philippinen gingen, wie aus Militärkreisen verlautete, von der N P A aus. Auf der Forderungsliste der KPPh standen die Landreform, Menschenrechte, wirtschaftliche Entwicklung, Auflösung der Miliz und der „Civil H o m e Defense F o r c e " , die Entwaffung der Privatarmeen, die Herauslösung der lokalen Polizei aus dem zentralen militärischen Kommandobereich sowie die Auflösung der amerikanischen Militärstützpunkte. Bei den Verhandlungen mit der Regierung Aquino konnte über diese Punkte bis zum Jahresende 1986 keine Einigung erzielt werden. Dennoch ist die kommunistische Organisation innerlich brüchig. Schon der Machtantritt der populären Regierung Aquino nahm den Kommunisten vorerst den Wind aus den Segeln. Darüber hinaus spalteten sie sich offensichtlich in drei Fraktionen auf: eine marxistisch-leninistische (welche, wie die Regierung hervorhob, die Unterstützung einer „ausländischen Supermacht" anstrebt - gemeint ist hiermit offensichtlich die Sowjetunion); ein weiterer Flügel verbündete sich mit der amerikanischen Kommunistischen Partei, und schließlich blieben noch die Reste jener maoistischen Fraktion übrig, die lange Zeit am stärksten war, aber ihre eigentliche Stütze, die V R China, verloren hat. Wie wenig monolithisch die KPPh auftrat, zeigte auch der mit Präsidentin Aquino eingegangene Sonder-Waffenstillstand der NPA-Gruppierung „Baiweg" im Frühjahr 1986. 2 8 Auch der Extremismus von rechts, der heutzutage in den meisten südostasiatischen Ländern mit dem Wiedererwachen des islamischen Fundamentalismus zusammenhängt, konnte die Machtverhältnisse in Südostasien kaum erschüttern: In Indonesien erwies sich vor allem die Armee als entschiedenste Gegnerin einer Islamisierung des Staates und unterstützte im Berichtszeitraum eine neue Kampagne zur Förderung der fünf grundlegenden Verfassungsprinzipien (Pancasila), deren Hauptmerkmal der säkulare Staat ist. Lediglich in Malaysia besaß die Frage der Islamisierung erhöhte Brisanz, weil Malaientum und Muslim-Zugehörigkeit bei den vorwiegend emotionalen Auseinandersetzungen mit dem wirtschaftlich überlegenen chinesischen Bevölkerungsanteil die wichtigste Rolle spielten. Immer wieder sah sich die malaysische Regierung hier zu Zugeständnissen gezwungen, indem sie Vertretern islamischer Gruppierungen administrative Posten zugestand, oder indem sie ihre Außenpolitik mit grotesk anmutenden antizionistischen
28
Dazu Einzelheiten in: Südostasien aktuell, September 1986, U 76.
390
REGIONALE UND INTERNATIONALE PROBLEME DER ASEAN-STAATEN
Erklärungen versah, 2 9 die an die Adresse der Mitgliedsländer der Islamischen Konferenz gerichtet waren. Die antizionistische Komponente in der Außenpolitik Malaysias führte auch bisweilen zu Reibereien mit Singapur, das seine Armee durch israelische Berater ausbilden läßt. Eine proislamische Politik zu betreiben ohne den Islam-Staat zuzulassen, war 1985/86 die heikelste Aufgabe der malaysischen Regierung.
ASEAN UND DIE GROSSEN MÄCHTE Mit China befanden sich die ASEAN-Staaten, wie oben dargelegt, im Berichtszeitraum in einem Prozeß rascher Aussöhnung. Die U S A blieben die bevorzugte Adresse, wenn es galt, Großmachtbeihilfe zu sichern. Subic Bay und Clark Airbase auf den Philippinen sowie die im Indik und Pazifik operierende Siebte Flotte wurden als willkommenes Gegengewicht zur wachsenden Präsenz der sowjetischen Pazifikflotte betrachtet. Bei der Zusammenkunft von Präsident Ronald Reagan mit den ASEAN-Außenministern auf Bali im Mai 1986 konnten beide Seiten überdies eine fast völlige Ubereinstimmung ihrer außenpolitischen Positionen feststellen. Tadelnswert fanden die Vertreter der A S E A N lediglich den wachsenden amerikanischen Protektionismus. 3 0 Andererseits verübelten es die U S A einigen A S E A N Ländern, vor allem Thailand, daß sie die UN-Resolution zur Verurteilung der amerikanischen Luftangriffe auf Libyen unterstützten. Thailand wetzte die Scharte allerdings sogleich wieder dadurch aus, daß es den Amerikanern Waffenlager auf thailändischem Boden gestattete: ein Zugeständnis, das wiederum zu vietnamesischen Protesten führte. Die Sowjetunion erweckte mit ihrem Flottenausbau im Pazifik sowie mit ihrer Indochina-Politik zwar Unbehagen, doch wurde in den meisten ASEAN-Staaten der Vorschlag Gorbatschows zur Gründung eines asiatischpazifischen Forums im großen und ganzen positiv aufgenommen, auch wenn man mit der Kritik an Details keineswegs zurückhaltend war. 31 Keines der sechs A S E A N - L ä n d e r betrachtete die sowjetische Militärpräsenz im asiatisch-pazifischen Raum als direkte Bedrohung: Die wirkliche Gefahr für Südostasien sei keine militärische, sondern eine soziale — nämlich die Armut und die Rückständigkeit. 3 2 Auch trat die Sowjetunion nie nennenswert als Helferin kommunistischer Untergrundbewegungen in den ASEAN-Ländern hervor. Das sowjetische Indochina-Engagement andererseits, so die überein29
Vgl. Südostasien S. 522.
aktuell,
Januar 1985, U 25 und 30; Südostasien
30
Vgl. Südostasien
aktuell,
Juli 1986, Ü 1.
31
Vgl. Südostasien
aktuell,
September 1986, Ü 52.
32
Ebd.
aktuell,
August 1986,
ASEAN U N D DIE GROSSEN M Ä C H T E
391
stimmende Meinung der ASEAN-Staaten, werde in dem Augenblick an Problematik verlieren, in dem das Kamputschea-Problem gelöst sei. Anerkennenswert fanden sie schließlich den sowjetischen Vorschlag einer atomwaffenfreien Zone in Südostasien, die - im Gegensatz zu den U S A - auch von den A S E A N - L ä n d e r n angestrebt wurde. 3 3 Das Verhältnis zu den Großmächten war also im Berichtszeitraum, so merkwürdig dies klingen mag, verhältnismäßig unproblematisch. Eine Ausnahme stellte die wirtschaftliche Großmacht Japan dar. Die japanische Wirtschaftspräsenz war nach wie vor erdrückend. Als ärgerlich wurde empfunden, daß die japanischen Konzerne 1985/86 sogar in Indochina Fuß gefaßt hatten und dort, wie die ASEAN-Außenminister empört feststellten, die Boykottpolitik der anderen südostasiatischen Länder unterliefen. 34 „Hintertüren" für ein systematisches und langfristig angelegtes Engagement gab es in Fülle, so z.B. in F o r m von „Schuldenregelungen", „humanitärer Hilfe", Unterstützung bei der Olförderung und anderen Hilfsversprechen. Manchmal wurde „Japans wachsende Präsenz in Asien" bereits als „ökonomischer Kolonialismus" bezeichnet. 3 5 Kritikpunkte waren die Existenzangst örtlicher Einzelhandelsgeschäfte in Thailand vor japanischen Kaufhausketten, mangelnder japanischer Technologietransfer, nichttarifäre Handelshindernisse Japans gegen A S E A N - I m p o r t e und die Nichtbeteiligung lokaler Partner beim Bau industrieller Projekte. 3 6 Die Ministerpräsidenten Lee Kuan Yew von Singapur und Mahathir von Malaysia, beide Protagonisten des „Look East" („Von Japan lernen")-Kurses, wiesen besorgt darauf hin, daß sich die bisher latenten antijapanischen Ressentiments verschärfen könnten, falls Japan nicht die Einfuhr von industriellen Fertigwaren verstärke, zweitens A S E A N - I m p o r t e nicht deutlich günstiger behandle, und drittens nicht verstärkt in einheimische Exportindustrien investiere. Trotz solcher gegenseitiger Ärgernisse blieb Japan aber nach wie vor die große „Inspiration" für die ASEAN-Staaten 3 7 - und dies sogar auch am 40. Jahrestag des Endes der japanischen Besatzung im März 1985.
33
Vgl. Südostasien aktuell, Juni 1986, S. 337 und Juli 1986, S. 437.
34
Näheres in: Südostasien aktuell, Mai 1987, S. 261 f.
35
Südostasien aktuell, Januar 1985, Ü 8.
36
Vgl. ebd.
37
Südostasien aktuell, März 1985, Ü 67.
INTERNATIONALE A U S W I R K U N G E N D E R U N R U H E N I N SÜD ASIEN Von Citha D. Maaß
I N D I E N S B E Z I E H U N G E N ZU D E N S U P E R M Ä C H T E N Der Übergang der Regierungsgewalt von Indira Gandhi zu ihrem Sohn Rajiv stand unter dem Motto „Kontinuität und Wandel". In seiner ersten Ansprache an die Nation am 5. Januar 1985 betonte Rajiv Gandhi allerdings eher die Kontinuität. Dieser Grundzug bestimmte im Berichtszeitraum seine Außenpolitik, während sich der Wandel nur in seinem neuen Stil und in Nuancen manifestierte.
Sowjetunion Daß die Sowjetunion weiterhin eine zentrale Rolle einnehmen würde, bekräftigte Gandhi demonstrativ durch seinen ersten außerregionalen Antrittsbesuch vom 21. bis 26. Mai 1985 bei der neuen sowjetischen Führung unter Michail Gorbatschow. Er bezeichnete die Sowjetunion als „bewährten Freund auch in schwierigen Zeiten". Bei dem Besuch wurden zwei Abkommen unterzeichnet. 1 Das Rahmenabkommen schrieb die bilaterale Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft und Handel sowie Wissenschaft und Technologie bis zum Jahr 2000 fort. 2 Nach dem Kooperationsabkommen erhielt die indische Regierung Kredite in Höhe von 1 Milliarde Rubel für die Modernisierung des Energie- und Maschinenbausektors. Außerdem sollte der bilaterale Handel, der seit einiger Zeit eine positive Handelsbilanz für Indien aufwies, ausgebaut werden. Schließlich wurde die beiderseitige Übereinstimmung in Fragen der Abrüstung und nuklearen Rüstungskontrolle betont. Gandhi unterstützte die sowjetische Position gegen das amerikanische strategische Verteidigungsprogramm SDI. Gorbatschow begrüßte im Gegenzug die indische Initiative, die am 28. Januar 1985 zur Verabschiedung der „Delhi Deklaration" geführt hatte, in der die sechs blockfreien Regierungschefs von Indien, Argentinien, Griechenland, Mexiko, Schweden und Tansania an die Atommächte appellierten, das Wettrüsten einzustellen. Den Höhepunkt der freundschaftlichen Beziehungen bildete Gorbatschows Gegenbesuch in Indien im November 1
Vgl. EA, 12/1985, S. Z 102.
Vgl. Harish Kapur, India's Foreign Policy under Rajiv Gandhi, in: The Round Nr. 304/1987, S. 469-480, hier S. 473. 2
Table,
VEREINIGTE STAATEN
393
1986. Mit der Unterzeichnung der „Erklärung über die Prinzipien einer von Atomwaffen und Gewalt freien Welt" am 27. November 1986 fand die gemeinsame Haltung in den globalen Abrüstungsfragen ihren Niederschlag.
Vereinigte Staaten Der Wandel im Stil wurde deutlich sichtbar bei Gandhis USA-Besuch anläßlich der Eröffnung des „Festival of India" vom 11. bis 16. Juni 1985. Obwohl keine grundsätzliche Annäherung in den kontroversen Fragen des Afghanistan-Konflikts und der US-Militärhilfe für Pakistan erzielt wurde, gelang Gandhi doch eine beachtliche Aufbesserung seines Image in der amerikanischen Öffentlichkeit. Er konnte zwar keine prinzipielle Anerkennung von Indiens Hegemonialstellung in Südasien erreichen, wohl aber eine internationale Statusaufwertung und, in erster Linie, eine atmosphärische Verbesserung der bilateralen Beziehungen. Die Substanz der Beziehungen lag allerdings im wirtschaftlichen und technologischen Bereich. Gandhis Modernisierungsprogramm für Indien bedingte ein wachsendes Interesse am Import amerikanischer Hochtechnologie. Den Weg für eine seit 1985 deutlich angestiegene Einfuhr von Computertechnologie hatte das „Memorandum of Understanding" vom November 1984 geebnet. Darin hatten sich beide Regierungen auf einen Kompromiß in den Sicherheitsgarantien geeinigt, so daß die amerikanischen Bedenken gegen eine mögliche Weitergabe technologischer Daten über Indien an die Sowjetunion beseitigt waren. Im Februar 1986 kam es zum Abschluß eines Kaufvertrags über Computertechnologie im Werte von 500 Millionen Dollar. Die Lieferzusagen schlössen einen Transfer von derart hohem Technologieniveau ein, wie es die USA bis dahin noch keinem blockfreien Staat gewährt hatten. Allerdings brachte der Besuch des US-Verteidigungsministers Caspar Weinberger in Delhi am 15. und 16. Oktober 1986 noch nicht die Zusage für die von Gandhi gewünschten drei „Supercomputer". Diese sollten der meteorologischen Beobachtung dienen, doch reichten der amerikanischen Regierung die Kon trollzusagen über die Nichtweitergabe der Daten noch nicht aus.
E T H N I S C H E K O N F L I K T E ALS S T Ö R F A K T O R E N IN D E R REGION Eine politische Lösung des Punjab-Konflikts schien nach dem Abkommen zwischen dem indischen Premierminister Rajiv Gandhi und dem gemäßigten Akali-Dal-Führer Sant Harchand Longowal (24. Juli 1985) in Sicht. Doch Longowals Ermordung durch Sikh-Extremisten am 21. August 1985 machte
394
INTERNATIONALE AUSWIRKUNGEN DER UNRUHEN IN SÜDASIEN
diese Hoffnung wieder zunichte und bildete den Auftakt zu einer neuerlichen Eskalation. Auch im Fall des Tamilen-Konflikts unternahm der neugewählte indische Premierminister eine Initiative mit der Absicht, durch indische Vermittlung einen Kompromiß zwischen der srilankischen Regierung und den militanten Tamilen-Gruppen zu erreichen. Die beiden Verhandlungsrunden im Juli und August 1985 in Thimpu/Bhutan scheiterten jedoch, so daß eine neuerliche militante Phase des Konflikts folgte. In beiden Konfliktfällen ließ sich nach anfänglichen Befriedungsinitiativen eine erneute Verhärtung der Fronten feststellen. Dies kann als ein Indiz dafür gewertet werden, daß sich die ethnischen Auseinandersetzungen 3 — zu denen beide Konflikte zu rechnen sind — in zunehmendem Maße zu einem der gravierendsten Störfaktoren in der Region entwickeln. Obwohl die konkrete Vorgeschichte der beiden Konflikte unterschiedlich verlief, lassen sich strukturelle Parallelen in der jeweiligen Konflikteskalation erkennen. Zum einen war die Konfliktgenese in beiden Fällen in der britischen Kolonialpolitik seit dem 19. Jahrhundert begründet. Die dadurch entstandenen Konfliktstrukturen wirkten latent über den jeweiligen Zeitpunkt der Unabhängigkeit weiter und brachen später - infolge der fehlgeschlagenen Integrationspolitik der indischen bzw. srilankischen Regierung - offen aus. Zum zweiten war die ethnische Identitätsbehauptung erst dann als politisches Kampfmittel und intra-ethnische Kohäsionskraft erfolgreich, als im Verlauf des indischen bzw. srilankischen Nationenbildungsprozesses die subjektiv empfundene sprachlich/religiöse Benachteiligung durch politische und ökonomische relative Deprivation akzentuiert wurde. Zum dritten enthielt der Interessenkonflikt zwischen herrschender nationaler Elite und ausgenutzter ethnischer Minderheit auch eine außenpolitische Dimension. Im Tamilen-Konflikt lag die Ursache in der die nationalen Grenzen überschreitenden ethnischen Verflechtung mit Südindien. Im Fall des Punjab-Konflikts war die grenzüberschreitende Vernetzung differenzierter. Als Folge der Teilung 1947 zerfiel der Punjab in zwei nach Religionen getrennte Hälften, das linguistische Bindeglied blieb aber bestehen. Außerdem spielte die Unterstützung durch die Auslands-Sikhs eine entscheidende Rolle. Schließlich kamen noch die vielfältigen Interessen der pakistanischen Regierung hinzu, die nachfolgend einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Entscheidend war in beiden Fällen, daß der Konflikt primär eine intranationale Interessenkonfrontation zwischen der Zentralregierung, legalen Vertretern der ethnischen Minderheit und aus dem Untergrund heraus operierenden militanten Gruppen war. In dem Maße, in dem sich eine der Konfliktparteien um ausländische Unterstützung bemühte, stieg die Gefahr 3 D i e D e f i n i t i o n einer „ E t h n i e " ist umstritten. Vgl. hierzu U r m i l a Phadnis, Ethnic T e n s i o n s in South A s i a . Implications f o r Regional C o o p e r a t i o n , in: Bhabani Sen Gupta ( H r s g . ) , R e g i o n a l C o o p e r a t i o n and D e v e l o p m e n t in South A s i a , B d . 2, N e w Delhi 1986, S. 3 ff.
DER PUNJAB-KONFLIKT
395
der Internationalisierung des Konflikts. Ein weiterer Anlaß zur Eskalation war das Problem der Flüchtlinge, die entweder offen Asyl beantragten, oder sich illegal am Aufbau eines internationalen logistischen Netzes für die Untergrundgruppen beteiligten. DER PUNJAB-KONFLIKT Unter Vernachlässigung der kolonialpolitisch bedingten Entwicklungsgeschichte 4 läßt sich die Konflikteskalation im Punjab seit 1947 folgendermaßen systematisieren: In der ersten Phase von 1947 bis 1966 stand das Ringen der Sikhs um einen eigenen Bundesstaat („Punjabi Suba") innerhalb der Indischen Union im Vordergrund. 5 Die zweite Phase (1966 bis 1977) war charakterisiert durch einen Teilerfolg dank der Neugliederung des Bundesstaates, die politische Unzufriedenheit über den nur begrenzten Erfolg blieb allerdings bestehen. Die Konfliktstruktur gewann neue Dimensionen durch die wachsenden sozio-ökonomischen Spannungen als Folge der „Grünen Revolution" 6 sowie durch die Förderung sogenannter fundamentalistischer Tendenzen dank der Politik des damaligen Congress-(I)-Ministerpräsidenten Giani Zail Singh. In der dritten Phase von 1978 bis 1984 fand eine zunehmende Militarisierung der politischen und sozio-ökonomischen Interessengegensätze sowie die Herausbildung einer fundamentalistisch-extremistischen Führerpersönlichkeit der Sikhs, Sant Jarnail Singh Bhindranwale, statt. D e r Konflikt erreichte mit der Erstürmung des Goldenen Tempels in Amritsar am 5./6. Juni 1984, mit der Ermordung Bhindranwales am 6. Juni und der Ermordung von Premierministerin Indira Gandhi am 31. Oktober 1984 durch zwei Mitglieder der Religionsgemeinschaft der Sikhs seinen vorläufigen Höhepunkt und trat zunächst mit dem Scheitern der Befriedungsinitiative der Zentralregierung in seine gegenwärtige Phase. 7 Seit etwa 1978 verschärfte sich außerdem die Gefahr der Internationalisierung des Konflikts: Indizien für eine außerindische Unterstützung mehrten sich, doch lassen sie sich bislang nicht eindeutig beweisen. 4 Vgl. die ausführliche Darstellung von Khushwant Singh, A History of the Sikhs, 2 Bde., Delhi u.a. 1984 (5. Aufl.). 5
Vgl. Paul Brass, Language, Religion and Politics in North India, Delhi 1974.
Vgl. Gopal Singh, Socio-Economic Bases of the Punjab Crisis, in: Economic and Political Weekly, Bd. 19, Nr. 1, 7.1.1984, S. 42-47. Hieraus ergab sich z.B. eine - langfristig folgenschwere - Konsequenz: die hohe Arbeitslosigkeit unter jungen ausgebildeten Sikhs. Die Gewinne aus der Grünen Revolution führten zu einer Hebung des Ausbildungsstandards und zu einem Anwachsen der Studentenzahlen. Es erfolgte aber kein entsprechender Ausbau von qualifizierten Arbeitsplätzen, so daß die geringen Arbeitschancen die Studenten zu einem wachsenden Unruhepotential werden ließen. 6
7 Vgl. Citha D. Maaß, Indira Gandhis Ermordung. Die Antwort auf die Erstürmung des Goldenen Tempels in Amritsar, in: EA, 22/1984, S. 669-674.
396
INTERNATIONALE AUSWIRKUNGEN DER UNRUHEN IN SÜDASIEN
Die Situation zu Beginn der achtziger Jahre Die Komplexität des Konflikts läßt sich anhand einer Aufgliederung in vier Konfliktebenen darstellen. Die Polarisierung auf der sozio-ökonomischen Ebene war durch die Grüne Revolution ausgelöst worden und hatte zu einem Interessenkonflikt zwischen den städtischen Hindu-Händlern, den ländlichen Jat-Sikh-Großfarmern und den verarmten ländlichen Sikhs geführt. 8 Aus der letzten Gruppe rekrutierte sich vorwiegend das GefolgschaftspotentialdesfundamentalistischenFührers Bhindranwale. Auf parteipolitischer Ebene fand der Machtkampf um die Regierungsgewalt im Bundesstaat zwischen den rivalisierenden Parteien Congress (I) und Akali Dal, der auf den Punjab begrenzten Regierungspartei der Sikhs, statt. Die dritte Lobby bildeten die Sikh-Extremisten, von denen der wichtigste Führer Bhindranwale war. Der Congress (I) litt unter einem internen Machtkampf zwischen Darbara Singh (Ministerpräsident im Punjab) und Zail Singh (Innenminister in der Zentralregierung).9 Seit 1978 genoß Bhindranwale verdeckte Unterstützung durch den Congress (I), besonders durch eine Fraktion in der Parteizentrale in New Delhi, vermutlich angeführt durch Zail Singh und Sanjay Gandhi, den 1980 tödlich verunglückten jüngeren Sohn und möglichen Nachfolger Indira Gandhis. Das Ziel dieser Politik bestand darin, die herrschenden Flügelkämpfe innerhalb des gemäßigten Akali Dal zu verschärfen und fundamentalistische Sikh-Wähler dem Akali Dal zu entfremden. Auf nationaler Ebene herrschte ein Konflikt zwischen den Interessen der Bundesstaaten Punjab und Haryana, in dem die Zentralregierung in New Delhi als Vermittler fungieren sollte, aber aus parteipolitischen und wahltaktischen Gründen versagte. Anfang der achtziger Jahre stellte der Congress (I) die Regierungen in den beiden Bundesstaaten und auch im Zentrum, so daß der Interessengegensatz im Grunde zwischen verschiedenen Flügeln des Congress (I) hätte ausgetragen werden müssen. Dabei stand jedoch der Punjab-Flügel unter dem Druck des Akali Dal, der sich allmählich radikalisieren mußte, um seinerseits nicht durch den wachsenden Einfluß der Sikh-Extremisten ausgeschaltet zu werden. Auf dieser Ebene kollidierten die verschiedenen Interessengruppen, so daß hier eine Kompromißlösung in den umstrittenen Sachpunkten hätte gefunden werden müssen. Das Versagen der Zentralregierung, in deren politisch-juristische Prärogative die Vermittlung in den Streitfragen fiel, trug entscheidend zur Transfor8
Verschärft wurde der Konflikt auf dem Land durch die zugewanderten Hindu-Tagelöhner, die nicht nur als konkurrierende Arbeitskräfte auftraten, sondern mittelfristig die kommunale Mehrheit der Sikhs gefährdeten. Vgl. Citha D . Maaß, Die Krise im Punjab - Zerreißprobe für die Indische Union?, in: Jahrbuch Dritte Welt, München 1985, S. 138-152. Zail Singh wurde im Juli 1982 Präsident der Indischen Union und trat im September 1987 nach Auseinandersetzungen mit Premierminister Rajiv Gandhi zurück.
ETHNISCHE IDENTITÄT ALS POLITISCHES KAMPFMITTEL
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mation des Konflikts in eine ethnisch-religiös-sprachliche Konfrontation zwischen den Sikhs im Punjab und der Hindu-Bevölkerung in Haryana bei. Die Congress(I)-Zentralregierung wurde als Exponent der Hindu-Mehrheit gebrandmarkt. Indem sie die pakistanische Regierung beschuldigte, die Sikh-Extremisten logistisch zu unterstützen und die Krise im Punjab propagandistisch zu schüren, wurde die sich eskalierende Lage um eine inernationale Dimension erweitert.
Ethnische Identität als politisches
Kampfmittel
In die Konfrontation um die strittigen Sachpunkte auf der nationalen Ebene waren als politisch wichtigste Akteure der Akali Dal, die Zentralregierung und die Haryana-Fraktion im Congress (I) einbezogen. Der Akali Dal hatte seine Forderungen 1973 als Parteiprogramm zusammengefaßt. Dieses gewann erst Anfang der achtziger Jahre politische Brisanz, als sich infolge von Agitation die Kontroverse auf die zentrale Frage konzentrierte, wie die geforderte Autonomie eines von Sikhs dominierten Punjab zu interpretieren sei. Das jahrelange vergebliche Bemühen des Akali Dal schien Beweis dafür zu sein, daß politischer Druck innerhalb des legalen Entscheidungsapparats wirkungslos sei. Diese frustrierende Einschätzung in Verbindung mit dem Erstarken der fundamentalistischen Tendenzen innerhalb der Sikhs in den siebziger Jahren und dem Aufstieg Bhindranwales als Identifikationsfigur und Motor der extremistischen Agitation bewirkten 1982 den strukturell entscheidenden Wandel zu einem Konflikt mit deutlich ethnisch-politischem Charakter. Es dürfte gerechtfertigt sein, die Diskriminierung der Sikhs als einer ethnischen Gruppe anläßlich der Asian Games im November 1982 in N e w Delhi als Wendepunkt anzusetzen. Zuvor war die ethnische Entfremdung zwischen Sikhs und Hindus auf den Punjab begrenzt geblieben. 10 Die Ankündigung von „Störmaßnahmen" anläßlich der Asian Games löste eine so rücksichtslose und psychologisch verhängnisvolle Durchsuchung aller Sikhs an Delhis Territorialgrenzen durch Polizeibeamte aus, daß sich auch Angehörige des Sikh-Establishments aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert fühlten. 11 Dadurch wurde eine Solidaritätskampagne ausgelöst, die stufenweise nach der Erstürmung des Goldenen Tempels in 1 0 Vgl. Kuldip Nayar und Khushwant Singh, Tragedy of Punjab, New Delhi 1984, S. 7: „Punjab's tragedy is that there are no Punjabis any more in Punjab - only Sikhs and Hindus." Vgl. auch Jagjit Singh Aurora, Assault on the Golden Temple Complex, in: Amarjit Kaur u.a., The Punjab Story, New Delhi 1984, S. 98/99. 11 Singh führt einschlägige Beispiele an und gelangt zu der Beurteilung, die die Autorin in Gesprächen in Delhi bestätigt fand. Vgl. Nayar/Singh, ebd., S. 66: „The Sikhs felt that the government was now against them as a community."
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INTERNATIONALE AUSWIRKUNGEN DER U N R U H E N IN SÜDASIEN
Amritsar im Juni 1984 und den Massakern an Sikhs direkt nach der Ermordung Indira Gandhis auch Sikhs erfaßte, die außerhalb des Punjab im übrigen Indien und in der internationalen Sikh-Gemeinschaft in Großbritannien, Kanada und den U S A lebten. Die Konzessionsbereitschaft, die Ministerpräsident Rajiv Gandhi nach seiner Wahl im Dezember 1984 zeigte, führte am 24. Juli 1985 zu dem Abkommen mit dem zuvor aus der Haft entlassenen Akali-Dal-Führer Sant Harchand Singh Longowal. In dem Abkommen 1 2 wurden u.a. das Abtreten der Landeshauptstadt Chandigarh an den Punjab 1 3 sowie die Grenzregelung durch eine Kommission vereinbart. Longowals Ermordung durch SikhExtremisten am 21. August 1985, die Wahl einer schwachen Akali-DalLandesregierung unter dem Ministerpräsidenten Surjit Singh Barnala am 26. September 1985, das Aussetzen des vereinbarten Gebietsaustausches am 26. Januar 1986 und die am darauf folgenden Tag als Protestaktion begonnene neuerliche Restauration des Goldenen Tempels durch Sikh-Extremisten lösten jedoch eine neue Radikalisierung aus, deren Ende sich nicht abzeichnete.
DER TAMILEN-KONFLIKT In der „pluralen" Gesellschaft Sri Lankas bestand die Aufgabe der Zentralregierung darin, sieben verschiedene Volksgruppen zu integrieren. 14 Zwei dieser Gruppen waren indischer Abstammung, nämlich die Sri Lanka Tamilen (SL Tamilen) und die indischen Tamilen. Letztere wurden im 19. Jahrhundert als billige Arbeitskräfte aus Südindien für die britischen Plantagen angeheuert. Ihre problematische Anwesenheit im unabhängigen Sri Lanka schuf bis in die beginnenden achtziger Jahre einen permanenten Konfliktpunkt zwischen Sri Lanka und Indien und führte zu einer zunehmend antisinghalesischen Haltung der Bundesstaaten-Regierung im südindischen Tamil Nadu, die ihrerseits Druck auf die indische Zentralregierung ausübte. Der für die Entwicklung in Südasien im Berichtszeitraum bestimmende Konflikt war allerdings der ethnische Konflikt zwischen den S L Tamilen und der singhalesischen Mehrheit auf Sri Lanka.
12
Abgedruckt in: Times of India, 25.7.1985.
Seit der Neugliederung des Punjab 1966 war Chandigarh der Sitz sowohl der Regierung des Punjab als auch der Regierung von Haryana. Chandigarh war als Union Territory direkt der Zentralregierung unterstellt. 13
1 4 Vgl. Robert N . Kearney, Ethnic Conflict and The Tamil Separatist Movement in Sri Lanka, in: Asian Survey, Bd. XXV, Nr. 9/1985, S. 899, Tab. 1, sowie Citha D . Maaß, Krisenmanagement in Südasien, in: IP 1983/84, S. 321-324.
PERIODISIERUNG DES KONFLIKTS
Periodisierung
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des Konflikts
Die strukturelle Genese des Tamilen-Konflikts weist eine Parallele zum Punjab-Konflikt auf. In beiden Fällen resultierte der nachkoloniale Konflikt aus der Tatsache, daß beide ethnische Minderheiten während der britischen Kolonialherrschaft einen überprivilegierten Status besaßen: die Sikhs in der Kolonialarmee, die Tamilen im Bildungswesen, in der kolonialen Verwaltung und in den akademischen Berufen. 1 5 Der Abbau des jeweiligen privilegierten Status löste die Konflikteskalation aus. In der ersten Phase von 1948 bis 1956, der Latenzphase des TamilenKonflikts, betrieb die konservative, prowestliche Regierung der United National Party 1 6 eine gemäßigte Sprachpolitik, forderte aber mit ihrer Präferenz für Englisch eine singhalesische Gegenreaktion heraus. Nach den ersten ethnischen Zusammenstößen 1956 nach dem Wahlsieg der Sri Lanka Freedom Party unter Sirimavo Bandaranaike begann die zweite Phase des Konflikts: der zentrale Programmpunkt „Sinhala only", d.h. die Einführung von Singhalesisch als einzige offizielle Sprache, führte zum militanten Beginn singhalesisch-nationalistischer Selbstbehauptung. Im Dezember 1960 wurde diese Sprachenregelung gesetzlich eingeführt. Seit etwa 1965 war eine Mäßigung des Sprachenstreits zu beobachten: Die Verfassungsreform von 1972 sah einen begrenzten Verwaltungsgebrauch von Tamilisch vor, was ein Aussetzen der ethnischen Zusammenstöße zur Folge hatte. 1 7 Dieser Phase der Beruhigung folgte eine Umbruchphase (1972 bis 1979), während der die unzureichenden Konzessionen der nationalen Regierung die wichtigste Tamilen-Partei Tamil United Liberation Front ( T U L F ) unter dem Parteiführer Appapillai Amirthalingam in politische Legitimationszwänge brachte. Angesichts wachsender Unzufriedenheit in der tamilischen Volksgruppe stellte die T U L F immer schärfere Forderungen. Gleichzeitig erfolgte unter der Führung linksorientierter junger Tamilen der Aufbau verschiedener extremistischer Gruppen. Seit etwa 1983 wurde der Führungsanspruch der legalen Tamilen-Vertretung T U L F in Frage gestellt, und die Machtübernahme durch die illegalen Guerilla-Gruppen begann. In einer weiteren Phase kam es seit 1983 zu einer offenen bürgerkriegsähnlichen Konflikteskalation, die geprägt war durch Rivalitätskämpfe zwischen Extremistenführern sowie der erkennbaren Führungsübernahme durch die Extremisten-Gruppe Liberation Tigers of Tamil Eelam ( L T T E ) unter Vellu-
15
Vgl. A. Jeyaratnam Wilson, Politics in Sri Lanka 1947-1973, London 1974, S. 15 ff.
16
Vgl. Maaß, a.a.O. (Anm. 12), S. 321.
Vgl. Jochen Siemens, Abhängigkeit und Unterentwicklung von Ceylon/Sri Lanka, Frankfurt 1980, sowie Fred Halliday, The Ceylonese Insurrection, in: Robin Blackburn (Hrsg.), Explosion in a Subcontinent, Harmondsworth 1975, S. 151-220. 17
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INTERNATIONALE AUSWIRKUNGEN DER UNRUHEN IN SÜDASIEN
pillai Prabhakaran. 18 Dieser kündigte den Verwaltungsaufbau durch die L T T E als Vorbereitung auf einen unabhängigen Tamilen-Staat (Tamil Eelam) an. Obwohl Indien schon seit der Unabhängigkeit Sri Lankas 1948 einen Bedrohungsfaktor für die srilankische Innen- und Außenpolitik dargestellt hatte, wurde er erst seit etwa 1979 akut: In dieser Periode bauten die extremistischen Gruppen ihre logistischen Basen und Trainingscamps im südindischen Tamil Nadu aus. 1983, als ihre Abgeordneten aus dem Parlament ausgeschlossen wurden, weil sie den Eid auf die neue Verfassung verweigerten, verlegte die T U L F ihr Hauptquartier nach Madras. Der Eid wäre einem Bekenntnis zum Fortbestand des srilankischen Einheitsstaates gleichgekommen.
Analyse des Konflikts Im Vergleich zum Punjab-Konflikt war die Struktur des TamilenKonflikts auch dann noch überschaubar, als sich seit 1983 die Anzahl der Akteure durch Aufsplitterung des extremistischen Lagers vermehrte. Die innenpolitische Konfliktdimension umfaßte zwei Lager: Auf tamilischer Seite hatte das Spektrum der extremistischen Gruppen die Oberhand gewonnen 19 und die politische Basis der legalen Interessenvertretung T U L F empfindlich geschwächt. Dies hatte zur Folge, daß sich die tamilischen Forderungen weniger auf Konzessionen im Rahmen einer größeren Autonomie für die von Tamilen bewohnten Nord- und Ost-Provinzen richteten, sondern sich nunmehr auf eine Sezession von den von Singhalesen bewohnten Regionen verlagerten. Bei einer „politischen Lösung", die die Einheit Sri Lankas um den Preis der größeren Provinzautonomie gewahrt hätte, wäre nur die T U L F als Verhandlungspartner aufgetreten, da Präsident Junius R. Jayewardene, seit 1978 als Staatspräsident im Amt, Gespräche mit den Guerilla-Führern ablehnte. Obwohl sich auch die T U L F die Forderung nach einem „Tamil Eelam" zu eigen gemacht hatte, repräsentierte sie doch die gemäßigte Richtung innerhalb der tamilischen Minderheit und hielt sich die Autonomie-Option (im Gegensatz zur Sezessions-Option) offen. Als Repräsentant der nationalen Interessen mußte Präsident Jayewardene die antagonistischen Interessen der tamilischen Minderheit und der singhalesischen Mehrheit gegeneinander abwägen, ohne dabei den Fortbestand des Staates zu gefährden und ohne seine regierende Partei U N P um die Chancen einer Wiederwahl zu bringen. Er sah sich dabei einem dreifachen Druck aus 18
Vgl. Dagmar Hellmann-Rajanayagam, The Tamil ,Tigers' in Northern Sri Lanka: Origins, Factions, Programmes, in: Internationales Asienforum, Bd. 17/1986, Nr. 1/2, S. 63-85. ' ' Vgl. ebd.
ANALYSE DES KONFLIKTS
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dem nationalistisch-singhalesischen Lager ausgesetzt. Innerhalb seiner eigenen Partei führte Premierminister Ranasinghe Premadasa den kompromißlosen Parteiflügel an. Premadasas radikal-nationalistisches Image war auch von dem Nebenmotiv bestimmt, die Nachfolge des achtzigjährigen Jayewardene anzutreten. Ebenfalls legaler Druck ging von der oppositionellen SLFP unter Anura Bandaranaike, dem Sohn der früheren Premierministerin Sirimavo Bandaranaike, 20 aus. Traditionell hatte sich die SLFP schon immer für die orthodox-buddhistischen Interessen der Singhalesen eingesetzt. Hinzu kam auch die wahltaktische Überlegung, bei den für 1989 anstehenden Präsidentenwahlen die Regierungsgewalt mittels der Stimmen der radikal gesinnten Singhalesen zu übernehmen. Zum dritten wurde illegaler Druck von extremistischen singhalesischen Gruppen ausgeübt, so vor allem von der verbotenen linksgerichteten Volksbefreiungsfront JVP. Seit 1983 vertrat sie einen militanten regierungsfeindlichen und antiindischen Kurs und konnte ihren Einfluß auf die nationalistisch gesinnte singhalesisch-buddhistische Priesterschaft und die seit 1983 ausgebaute Armee stärken. 21 Als Ergebnis zahlreicher fehlgeschlagener Verhandlungsansätze, so z.B. im Sommer 1985 in Thimpu/Bhutan, hatte sich in den Jahren 1985/86 der Interessenkonflikt für Präsident Jayewardene zugespitzt: Von nationalistisch-singhalesischen Kreisen wurde eine „militärische Lösung" favorisiert, d.h. ein Zerschlagen der tamilischen Extremistenkreise durch die neu aufgerüstete Armee. Die von extremistisch-tamilischen Gruppen ebenfalls geforderte militärische Lösung sah einen erfolgreichen Sezessionskrieg vor, der zur Schaffung eines unabhängigen Tamil Eelam führen sollte. Eine „politische Lösung" war an die Mindestbedingung gebunden, den Autonomiekompromiß nur in einer neuen vereinten Provinz (bestehend aus Nordund Ost-Provinz) zu akzeptieren. Äußerster Kompromiß für eine politische Lösung wäre für Jayewardene die Konzedierung einer größeren Provinzautonomie gewesen unter der Bedingung, daß die Nord-Provinz und die Ost-Provinz getrennte Verwaltungseinheiten blieben. 22 Das Jahr 1986 endete mit einer Verhärtung der extremistisch-tamilischen Front. Zunächst im April, dann im Dezember 1986 zerschlug Prabhakaran, Führer der dominierenden Gruppe L I T E , in einem „Bruderkrieg" die rivalisierenden Gruppen T E L O und E P R L F und erhob sich daraufhin zum unangefochtenen Repräsentanten des extremistischen Lagers. 23 Der Führungsanspruch der L T T E wurde Ende 1986 dadurch bekräftigt, daß Prabha20
Sie hatte ihren 1959 ermordeten Mann im Parteivorsitz und ab 1960 im Amt des Premierministers abgelöst. 2 1 Vgl. Times of India, 8.6.1987. 2 2 Vgl. Citha D. Maaß, Das indisch-srilankische Abkommen vom Juli 1987. Eine skeptische Beurteilung der Erfolgschancen, in: EA, 21/1987, S. 623-632. 23
Vgl. NZZ, 28.12.1986.
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karan eine Teilübernahme der Administration im Distrikt ankündigte - der erste Schritt in Richtung auf ein unabhängiges Tamil Eelam. Präsident Jayewardene geriet in Zugzwang und machte nach Beratungen mit einer indischen Vermittlungsdelegation verschiedene Lösungsvorschläge, die sogenannten „December-19-Proposals". Darin konzedierte er zwar nicht den direkten Zusammenschluß der beiden strittigen Provinzen, näherte sich aber erheblich dieser tamilischen Forderung an. 24
INTERNATIONALE DIMENSIONEN BEIDER KONFLIKTE Nach der Erstürmung des Goldenen Tempels in Amritsar im Juni 1984 beschuldigte die indische Regierung Pakistan, Trainingscamps für die geflüchteten Sikh-Extremisten errichtet zu haben. Als Beweis dafür wurden offenbar durch Folter erwirkte - Geständnisse gefangener Extremisten angeführt. Eine weitere Verbindung unterhielten Sikh-Extremisten offenbar zu radikal gesinnten Mitgliedern der internationalen Sikh-Gemeinschaft, vor allem in den U S A , Kanada und Großbritannien. Spektakulärstes Ereignis in diesem Zusammenhang war der Absturz eines Air-India-Flugzeugs am 23. Juni 1985, für den Sikh-Extremisten aus den U S A und Kanada verantwortlich gemacht wurden. 2 5 Die indische Regierung ihrerseits sah sich ähnlichen Vorwürfen von Colombo ausgesetzt, nämlich Trainingscamps für tamilische Extremisten im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu zu dulden. Obwohl sich N e w Delhi jahrelang geweigert hatte, die Existenz solcher Camps zuzugeben, entschloß sich die indische Regierung anläßlich des Gipfeltreffens der südasiatischen Regierungschefs im Rahmen der South Asian Association of Regional Cooperation ( S A A R C ) 2 6 in Bangalore am 8. November 1986, 30 Camps von der indischen Polizei durchsuchen, Waffen konfiszieren und in einer zweiten Aktion Anfang Dezember insgesamt elf Sendeanlagen (eingesetzt für die Kommunikation mit den Guerilla-Kämpfern in Sri Lanka) beschlagnehmen zu lassen. 27 Damit war die späte Bestätigung der srilankischen Beschuldigungen erbracht. Daß die T U L F , die legale Interessenvertretung der Tamilen, die volle Unterstützung N e w Delhis besaß, war daraus ersichtlich, daß die wiederholten indischen Vermittlungsaktionen in den Jahren 1983 bis 1986
24
Vgl. Lanka
Guardian,
15.6.1987, S. 17-22.
Vgl. India Today, 15.7.1985, S. 18-31, sowie Warren Unna, (Statesman Publication) 1985. 25
Sikhs Abroad, Calcutta
2 6 Vgl. hierzu auch Maaß, a.a.O. (Anm. 12), S. 319. Am 8.12.1985 wurde die informelle South Asian Regional Cooperation (SARC) in den formalen Zusammenschluß SAARC umgewandelt. 27
Vgl. India Today,
30.11.1986, S. 22-23, und 15.12.1986, S. 33-35.
INTERNATIONALE DIMENSIONEN BEIDER KONFLIKTE
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dazu dienten, zwischen der 1983 aus dem Parlament ausgeschlossenen T U L F und Präsident Jayewardene zu vermitteln. Daß N e w Delhi - auf Druck der Tamil-Nadu-Regierung - nicht nur die Aktivitäten der illegalen Extremisten duldete, sondern sie auch als taktisches Faustpfand gegenüber Colombo einsetzte, wurde offensichtlich, als die indische Regierung darauf bestand, bei den zwei (ergebnislosen) Verhandlungsrunden im Juli und August 1985 neben Vertretern der srilankischen Regierung und der T U L F erstmals auch die Extremisten-Führer zu gemeinsamen Verhandlungen heranzuziehen. 2 8 Im Verlauf des Jahres 1986 war jedoch die Machtbasis der L T T E unter Prabhakaran so stark geworden, daß N e w Delhi eine wirksame Kontrolle gefährdet sah. Die oben erwähnten Polizeiaktionen im November und Dezember waren deshalb in erster Linie gegen die L T T E gerichtet. Prabhakaran zog darauf die Konsequenz und setzte sich im Dezember in den Norden Sri Lankas ab. Eine weitere internationale Dimension des Tamilen-Konflikts ergab sich aus Beschuldigungen, die die indische Regierung gegen Präsident Jayewardene vorbrachte. Ihnen zufolge sollte dieser im Zuge der seit 1983 erfolgten Aufrüstung der srilankischen Armee 2 9 militärische Beratung und Unterstützung von befreundeten Regierungen wie Großbritannien, Israel und Pakistan erbeten haben. Allerdings schien es, daß die tatsächlichen Hilfeleistungen erheblich hinter den von N e w Delhi genannten Größenordnungen zurückblieben. 3 0 D i e indischen Proteste resultierten in erster Linie aus der Sorge, daß dadurch Indiens Vorherrschaft in der südasiatischen Region gefährdet werden könnte.
28
29
Vgl. India Today, 31.7.1985, S. 97-98.
Im Jahr 1986 gab die srilankische Regierung 216 Millionen Dollar für Waffen aus, das sind 10 % des srilankischen Gesamtbudgets. Vgl. L'Année Politique, Revue chronologique, Paris 1987, S. 246. Vgl. Thomas A. Marks, „People's War" in Sri Lanka. Insurgency and Counterinsurgency, in: Issues and Studies (Taipei, Taiwan), Bd. 22, Nr. 8/1986, S. 63-100. Die in India Today, 31.3.1986, S. 95, genannten Dimensionen der ausländischen Militärhilfe müssen skeptisch bewertet werden.
IX DEMOKRATISIERUNG UND ANTAGONISMUS IN LATEINAMERIKA
DIE N E U E N D E M O K R A T I E N LATEINAMERIKAS Von Ulrich
Fanger
S C H W I E R I G E Ö F F N U N G ZUR D E M O K R A T I E
autoritärer
Zyklische Wechsel zwischen und demokratischer Regierungsform
Der seit Ende 1978 eingeleitete Prozeß eines Wiedererstarkens der Demokratien in Lateinamerika erhielt 1985 insbesondere mit den Präsidentschaftswahlen in Brasilien (Januar 1985) und Guatemala (Dezember 1985) sowie mit dem Amtsantritt des gewählten Präsidenten Julio M. Sanguinetti in Uruguay (März 1985) weiteren Auftrieb. In zahlreichen anderen Ländern des Subkontinents fanden im Berichtszeitraum überwachte, offene Wahlgänge statt: Peru (April 1985), Bolivien (Juli 1985), Honduras (November 1985), Costa Rica (Februar 1986), Kolumbien (März/Mai 1986), Barbados (Mai 1986) und Trinidad/Tobago (Dezember 1986). An jeden dieser Wahlprozesse schloß sich ein verfassungsmäßiger Amtswechsel an, und mit Ausnahme Costa Ricas fiel in allen Fällen die politische Führung an die bisherige Opposition. Dieser Prozeß innenpolitischer Umgestaltung führte dazu, daß Ende 1986 nur noch wenige Länder der Gesamtregion von Regierungen geführt wurden, die nicht aus freien Wahlen hervorgegangen waren: Neben Haiti, Kuba, Surinam und Guayana waren es Chile und Paraguay, die sich dem Trend zur Öffnung und Demokratisierung ihrer Regime noch entzogen.
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DIE NEUEN D E M O K R A T I E N LATEINAMERIKAS
D e r Kreis der „neuen Demokratien" bestand — abgesehen von Guatemala und der noch nicht konsolidierten Lage in Bolivien — aus der südamerikanischen Staatengruppe Ekuador, Peru, Brasilien, Uruguay und Argentinien, in der seit 1979 ein schrittweiser, im wesentlichen endogen bedingter Machtverzicht der militärischen Exekutiven vollzogen wurde. Dabei beschritt Brasilien den eigentümlichsten Weg eines institutionalisierten Ubergangs (in drei über fünf Jahre gestreckten Phasen) 1 , während sich in den hispanoamerikanischen Ländern die Überleitung relativ kurzfristig und in weniger konditionierter Form vollzog. Lange Zeit hatte sich die Diskussion lateinamerikanischer Herrschaftsformen in der internationalen Politikwissenschaft orientiert an der Analyse der seit Anfang der sechziger Jahre entstandenen „bürokratisch-autoritären" Regime als vorherrschendem Typus neuzeitlicher Regierungsformen in Lateinamerika. Die für den Subkontinent charakteristische Instabilität auch militärisch-autoritärer Staatsführungen und der zyklische Charakter im Wechsel der Regierungsformen war dabei häufig verkannt worden, wurde jedoch zunehmend als Erklärungsmuster berücksichtigt. 2 Zum Teil als Reaktion auf die kubanische Revolution war bereits zu Anfang der sechziger Jahre eine Welle demokratischer Konsolidierung durch Lateinamerika gegangen, die jedoch ab 1964 (Brasilien) und insbesondere zwischen 1968 und 1973 in zahlreichen Ländern der Region wieder einem Trend zur militärischen Machtergreifung Platz machte. Zum Verständnis der Entwicklungen im Berichtszeitraum 1985/86 gehört, daß im Vergleich zu früheren Jahrzehnten nicht nur ein Rollenwechsel der Militärführung stattfand, sondern auch eine Vermischung von militärischen und zivilen Funktionsträgern in Verwaltung und parastaatlicher Wirtschaft. Die Unterscheidung zwischen voneinander abgesonderten zivilen und militärischen Gruppen als mögliche politische Akteure traf nicht länger zu. Dies ermöglichte Misch- und Ubergangsformen im Falle von Regimewechseln. Für die Wende zu Beginn der achtziger Jahre war maßgebend, daß sich lateinamerikanische Regimewechsel im Blickfeld verstärkter öffentlicher Aufmerksamkeit und Partizipation vollzogen, und somit stärker als zuvor an ihrem selbstgesetzten Leistungsanspruch gemessen wurden. Bei den vorhergehenden militärisch-autoritären Regimen Lateinamerikas lassen sich drei Beweggründe ausmachen, die für eine demokratische Lockerung, für Ubergangslösungen und/oder die Rückführung der Macht an eine
1 Vgl. Raphael de Almeida M., La transition brésilienne: Un cas particulier, in: d'Amérique Latine, Nr. 78, 1985, S. 61-78.
Problèmes
2 Vgl. Manfred Mols, Demokratie in Lateinamerika, Mainz 1985, insbes. S. 121 ff.; Dieter Noblen, Militärregime und Redemokratisierung in Lateinamerika, in: APZ, B 9/1986, S. 13-16; Nikolaus Werz, Demokratie und Regierungsformen in Südamerika, in: Verfassung und Recht in Übersee, Heft 2, 1987, S. 143-175.
DIE ENTWICKLUNG DER MILITÄRISCH-ZIVILEN BEZIEHUNGEN
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zivile Exekutive ausschlaggebend waren: 3 1. die Unfähigkeit autoritärer Exekutiven, die strukturellen Probleme ihres Landes zu lösen und die wachsenden Schwierigkeiten in der Verwaltung von Staat und Gesellschaft zu bewältigen; 2. die angesichts der wirtschaftlichen Rückschläge seit 1978 zutagegetretene Unerfüllbarkeit der vom autoritären Regime selbst geweckten sozialpolitischen und wirtschaftlichen Forderungen; 3. das Eindringen demokratischer Wertvorstellungen aus dem abgelösten parlamentarischen System in die militärischen Führungsschichten. Hieraus erwuchs eine Bereitschaft zur nachträglichen demokratischen (Schein-)Legitimierung; die Entschlossenheit zur autoritären Selbstdarstellung nahm ab, und es entstanden autoritäre/antiautoritäre Frontstellungen innerhalb der Streitkräfte, die nur durch Einigung auf einen Plan zur Uberführung in legitimierte Herrschaftsformen überbrückt werden konnten. Überdies hob sich der Trend zur demokratischen Wiederbelebung von Anfang bis Mitte der achtziger Jahre von früheren zyklischen Bewegungen durch zwei Merkmale ab: Zum einen entstanden erstmals seit mehr als einem halben Jahrhundert in einem großen Teil der Region breitere zivile Eliten, die sich als fähig erwiesen, mit dem Votum der Mehrheit für eine Basis aus Mittelschicht und Arbeiterschaft zu sprechen und zu regieren und ihre Herrschaft auch über die Mechanismen kompetitiver Parteienpolitik durchzuhalten. 4 Zum andern hatten sich die langjährigen ordnungs- und sozialreformerischen Entwicklungsversuche des Militärs in den siebziger Jahren als sozial- und wirtschaftspolitische Fehlleistungen erwiesen. Die Erkenntnis ihrer beschränkten Kapazität zur Lösung der Probleme erleichterte den Streitkräften den Rückzug aus der Tagespolitik. Dies betraf sowohl den Reformmilitarismus (in Peru, Ekuador, Panama und, mit Einschränkungen, Brasilien) als auch das durch Menschenrechtsverletzungen gebrandmarkte „klassische" Junta-Regime (insbesondere in Argentinien und Uruguay). Eine Erneuerung des Machtanspruchs des Militärs war aus diesen Gründen um die Mitte der achtziger Jahre wenig wahrscheinlich.
DIE E N T W I C K L U N G DER MILITÄRISCH-ZIVILEN BEZIEHUNGEN Die Übergangsphase 5 zum Neuaufbau demokratischer Staatsformen war in der südamerikanischen Ländergruppe durch einen Prozeß der Vergangen3
Vgl. César Aguiar, Los escenarios políticos y sociales del desarrollo latinoamericano, Buenos Aires 1984. 4 So Paul Cammack, Democratisation: A review of the issues, in: Bulletin of Latin American Research, Bd. 4, 1985, S. 39-46. 5 Vgl. Dieter W. Benecke, Demokratie und Verschuldung in Südamerika, in: IP 1983/84, S. 368-382, hier S. 369 ff.
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DIE NEUEN DEMOKRATIEN LATEINAMERIKAS
heitsbewältigung und der Absteckung künftiger politischer Machtbereiche gekennzeichnet. Besonders in Argentinien und Uruguay stand neben dem wachsenden wirtschaftlichen Problemdruck die Festlegung des Verhältnisses zwischen militärischer und ziviler Gewalt über mehr als zwei Jahre im Brennpunkt der innenpolitischen Entwicklung.
Argentinien Die argentinische Regierung unter Staatspräsident Raul Alfonsin (seit Oktober 1983 im Amt) verfolgte zunächst energisch, und unter Einsatz der 1984 vorgelegten Nachforschungsergebnisse der Menschenrechtskommission C O N A D E P , eine schrittweise durchgreifende Änderung von Funktionen und Rolle der Streitkräfte in der argentinischen Gesellschaft. So wurde, trotz periodisch auftretender Unruhe im Offizierskorps, zwischen März und Anfang Dezember 1985 eine 50prozentige Beschneidung des Militärhaushalts beschlossen. Nach der Zwangspensionierung von 49 hohen Militärs im ersten Regierungsjahr konnten 1985 erneut Umbesetzungen in der Armeeführung vollzogen werden. Bereits in den Vorjahren war der militärisch-industrielle Komplex der autonomen Verwaltung der Streitkräfte entzogen und die Reduzierung der Sollstärke durch Einschränkung der Wehrpflicht beschlossen worden. Von besonderer Bedeutung war, daß im Dezember 1985 der Prozeß gegen die neun ehemaligen Mitglieder der Militärjunta mit fünf Verurteilungen abgeschlossen werden konnte. Kulminationspunkt der Regierungsstrategie war die noch unter Verteidigungsminister Roque Carranza bis Oktober 1985 ausgearbeitete Gesetzesinitiative zu einer Reform der Streitkräfte und ihres Verteidigungsauftrags. Darin wurden geschickt Anreize und Vorteile zugunsten der Streitkräfte (insbesondere waffentechnische Modernisierungszusagen) mit schmerzhaften Eingriffen (Professionalisierung und Verkleinerung der Armee, Zentralisierung der Standortverwaltungen, verstärkte Anbindung an die zivile Exekutive und Abbau der Grenzverteidigung) verbunden. 6 Die Verabschiedung des neuen Verteidigungsgesetzes, das eine endgültige Absage an die bislang von den Streitkräften vertretene „Doktrin der nationalen Sicherheit" bedeutet hätte, scheiterte allerdings am Widerstand der Peronisten im Senat. Dennoch löste diese Initiative, zusammen mit der anwachsenden Welle ziviler Gerichtsverfahren gegen Armeeoffiziere, eine Wende in den militärischzivilen Beziehungen in Argentinien aus.
6 Vgl. Nikolaus Werz, Argentinien: Die Meuterei der Offiziere in der Osterwoche 1987 und ihre Folgen, Aktuelle Informations-Papiere Nr. 10, Freiburg (Arnold-Bergstraesser-Institut) 1987, S. 19 und Anm. 51.
URUGUAY
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Präsident Alfonsin war zunächst bemüht, bei der Behandlung der Menschenrechtsfrage die Streitkräfte als Institution zu schonen, um das Verhältnis zwischen Militär und ziviler Gesellschaft nicht grundsätzlich in Frage zu stellen. Entgegen der ursprünglichen Absicht der Regierung, die Verfahren der Militärjustiz zu übertragen und sie zahlenmäßig eng zu begrenzen, gingen zivile Tribunale jedoch dazu über, eine wachsende Zahl von Anklagen einzuleiten (bis April 1987: 371)/ Die Frage der Anklageerhebung oder Amnestierung der in Ubergriffe bei der Terrorismusbekämpfung während des „schmutzigen Bürgerkriegs" verwickelten mittleren militärischen Ränge beherrschte in den Jahren 1985/86 etwa gleichzeitig in Uruguay und Argentinien die öffentliche Diskussion und blockierte zeitweise die innenpolitische Entwicklung. In Argentinien versuchte die Regierung noch Ende 1986, die Zahl künftiger Anklageerhebungen stark einzugrenzen und mit einer Ausschlußfrist (22. Februar 1987) zu beschränken. Unter dem Druck der nicht nachlassenden Kritik im Offizierskorps, aber auch der Linken, verengte sich zum Jahresende 1986 zusehends der politische Handlungsspielraum der Regierung: Die Unruhe vor allem in den mittleren Dienstgruppen der Armee setzte sich fort; die besonderen Umstände der Meuterei, deren Abschluß (Ostern 1987) nur oberflächlich betrachtet als erfolgreiche Durchsetzung der Regierungsspitze gelten konnte, zwang Präsident Alfonsin schließlich zu einer weitgehenden Kompromißlösung in der Amnestiefrage zugunsten des Offizierskorps und zu Einschränkungen des verfassungsmäßigen Handlungsrahmens der Justiz.
Uruguay Angesichts der Entwicklung im Nachbarland versuchte die Regierung von Uruguay einer „Argentinisierung" der Beziehungen zwischen Armee und ziviler Exekutive vorzubeugen. Der noch vor Amtsantritt der gewählten Regierung geschlossene „Pakt des Club Naval" wurde von den Streitkräften als befriedigende Amnestielösung interpretiert. Ab Mitte 1985 sah sich die junge Demokratie jedoch ähnlichen Konfrontationen ausgesetzt wie in Argentinien. Vor allem die wachsende Zahl von der oppositionellen Frente Amplia vorgetragener Anklagen gegen Menschenrechtsverletzungen aus den Reihen von Armee und Polizei während der Maßnahmen gegen die GuerillaBewegung der Tupamaros lösten Gegendruck aus dem Offizierskorps und seitens der Armeeführung auf die Regierung aus. Aufgrund der negativen Reaktion auf die im Oktober 1985 beschlossenen Kürzungen im Personalhaushalt der Streitkräfte (14 bis 20 Prozent) sahen sich die vier großen parlamentarischen Parteien zu Verhandlungen über ein 7
Werz, ebd., S. 14.
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DIE N E U E N D E M O K R A T I E N LATEINAMERIKAS
Amnestiegesetz gezwungen. Nach mehreren Krisenphasen und einer überraschenden Ablehnung im Senat stand die Amnestielösung Ende 1986 vor dem Abschluß. Im Vergleich zur argentinischen Lösung handelte es sich hier um einen Parteienkompromiß mit Billigung der Streitkräfte. Die Besonderheit des Gesetzes lag darin, daß es den Parteien gelang, neue strafrechtliche Normen (Strafbarkeit von Staatsstreichversuchen; Bestrafung der Folter als Kapitalverbrechen) einzuführen, die vor allem gegen künftige militärische Willkürakte gerichtet sind. In beiden La-Plata-Ländern zeigte die interne Entwicklung der Jahre 1985 und 1986, daß die Zeit nicht in jenem Ausmaß zugunsten der demokratischen Kräfte arbeitete, wie es nach dem Auflösungsprozeß der Junta-Regierungen erwartet worden war. Insbesondere in Argentinien war es der Regierung nicht in vollem Umfang gelungen, die Vertrauenskrise der Streitkräfte und ihre interne Schwächephase zu einer formalen und tatsächlichen Konsolidierung der verfassungsmäßigen zivilen Exekutive zu nutzen. Da sich die Prioritäten bei der innenpolitischen Erneuerung zunächst auf die strafrechtliche Abrechnung mit dem Militär konzentrierten, konnten neue Gegenkräfte innerhalb der Armee an Boden gewinnen.
Brasilien In den Ländern Brasilien, Ekuador und Peru - länger schon zur parlamentarischen Staatsform zurückgekehrt als die beiden La-Plata-Länder - war die Ubergangsphase nicht in vergleichbarem Maß mit der Hypothek von Menschenrechtsverletzungen belastet. Brasilien unter Präsident José Sarney befand sich 1986 in einer Verfassungsdiskussion über die künftige Festlegung der Rolle der Streitkräfte, in der das Militär auf der Beibehaltung seiner Ordnungs- und Moderatorenfunktion bei politisch-sozialen Unruhen bestand. Zugleich setzte sich die Entwicklung zur hochtechnischen Ausrüstung der Streitkräfte (eigenständiges Nuklearprogramm der Marine) und zu ihrer Professionalisierung fort. Truppenverstärkungen in den Gebieten nahe Surinam und Guayana zur Sicherung der Grenzen waren ein Hinweis auf den Anspruch des Militärs auf eine Funktion im Rahmen der regionalen Außenpolitik Brasiliens.
Ekuador und Peru Auch die Entwicklung in Ekuador und Peru bot Anzeichen dafür, daß die Streitkräfte nach ihrem Rückzug von der Staatsführung noch keine abschließende Festlegung auf eine von der politischen Machtausübung distanzierte Schutz- und Ordnungsfunktion getroffen hatten. In Ekuador ließen zwei
WIRTSCHAFTLICHE UND SOZIALE ENTWICKLUNGEN
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kurz aufeinanderfolgende Putschversuche im März 1986 Gegensätze innerhalb des Offizierskorps erkennen, wenngleich sich die Putschversuche als dilettantische Einzelaktionen ohne Breitenwirkung herausstellten. Trotz der spürbaren antimilitärischen Einstellung in der politischen Öffentlichkeit Perus als Reaktion auf das massive Vorgehen des Militärs gegen die Gefängnisrevolte der Sendero-Terroristen im Juni 1986 sah sich auch die sozialistische Regierung unter Präsident Alan Garcia in Peru seit 1986 wachsenden Forderungen der Streitkräfte ausgesetzt, die u.a. auf eine Ausdehnung der militärischen Verwaltungskontrolle in den Aufstandsgebieten - und selbst im Hauptstadtbereich - gerichtet waren.
WIRTSCHAFTLICHE U N D SOZIALE ENTWICKLUNGEN Rund fünf Jahre nach Ausbruch der internationalen Verschuldungskrise waren die lateinamerikanischen Schwellenländer besonders hart von deren wirtschaftlichen und sozialen Folgen betroffen. In welchem Maße die Verschuldungs- und Wirtschaftskrise selbst ein auslösender Faktor für die Welle von Regimewechseln hin zur Demokratie war, bleibt der künftigen politikwissenschaftlichen Analyse überlassen. Die neuen Demokratien Lateinamerikas hatten insgesamt eine Periode mit geringen gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten, sinkendem Lebensstandard, erhöhter Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, unzureichenden Investitionsquoten und einer fortgesetzten Erosion ihrer Außenhandelsposition durchlaufen. Im Zeitraum 1985/86 waren allmählich wiedereinsetzende Wachstumskräfte zu beobachten, die nach dem rezessiven Einbruch Anfang der achtziger Jahre einen gemäßigten Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um circa 3,5 Prozent jährlich (im Gesamtdurchschnitt der Ländergruppe) auslösten. Dennoch lag in 13 der 25 lateinamerikanischen Länder das Sozialprodukt 1986 pro Kopf (auf Dollar-Basis nach dem Stand von 1986) um 10 Prozent oder mehr unter dem Vergleichswert von 1980. Mit Ausnahme Brasiliens (das über sechs Jahre einen geringfügigen Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens um 1,6 Prozent verzeichnet hatte) war die Ländergruppe der neuen Demokratien besonders stark von diesem Einbruch betroffen: Argentinien mit -14,2 Prozent, Uruguay mit -11,2 Prozent, Peru mit -9 Prozent und Ekuador mit - 6 , 4 Prozent. 8
g Statistische Angaben nach: Inter-American Development Bank, Economic and Social Progress in Latin America. 1987 Report, Washington 1987.
412
DIE NEUEN DEMOKRATIEN LATEINAMERIKAS
Ausbleiben
des
Wirtschaftswachstums
Das Wirtschaftswachstum Lateinamerikas war vor allem seiner Abhängigkeit vom Weltmarkt zum Opfer gefallen. Kennzeichnend für die Regierungspolitik waren in dieser Phase forcierte Exportanstrengungen zu sinkenden Weltmarktpreisen und der Zwang der Devisenbeschaffung. Diese Situation stand in engem Zusammenhang mit der internationalen Verschuldung.9 Nach den ersten Krisenerscheinungen war 1982 zwischen Schuldner- und Gläubigerländern im Rahmen der O E C D ein informelles Abkommen geschlossen worden. Den Ländern Lateinamerikas wurden darin geeignete fiskalische und monetäre Maßnahmen (einschließlich Verbilligungen des Nominalzinses) als Wachstumsimpulse in den Industrieländern zugesichert, um auf diese Weise die Exportfähigkeit Lateinamerikas anzuregen. Umgekehrt sicherten die lateinamerikanischen Schuldnerländer die Aufrechterhaltung ihres Schuldendienstes zu, so daß der nichtstaatliche Finanztransfer (Bankenkredite) wieder in Gang kommen konnte, und zwar mit Absicherung durch teilweise drakonische nationale Anpassungs- und Stabilisierungsprogramme unter der Aufsicht internationaler Finanzinstitutionen wie des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank. Unvorhergesehene Unzulänglichkeiten des OECD-Arrangements traten allerdings im Berichtszeitraum 1985/86 zutage: Entgegen allen Erwartungen lief die nichtstaatliche Kreditverleihung nur auf sehr beschränktem Niveau wieder an, so daß den lateinamerikanischen Volkswirtschaften kumulative Zahlungsbilanzdefizite entstanden, die nur durch Importkürzungen, Investitionseinschränkungen und gezielte Exportüberschüsse (zum Zweck der Schuldendienstzahlungen) hätten ausgeglichen werden können. Als Lieferant entwickelter Industrieerzeugnisse fiel Lateinamerika gegenüber Asien weiter zurück und blieb nahezu völlig auf die Ausfuhr von Nahrungsmitteln, Rohstoffen und Halbfabrikaten angewiesen. Der Gesamtwert dieser Exporte lag 1985 mit 95,6 Milliarden Dollar wertmäßig - bei laufender Steigerung des Liefervolumens - knapp unter dem Ergebnis von 1980. 1986 reduzierte das Zusammenwirken von geringerem (-3,6 Prozent) Exportvolumen mit sinkenden Exportpreisen (-12,7 Prozent) den Erlös um 15,8 Prozent. 10 Schuld an der unzureichenden weltwirtschaftlichen Teilhabe der Ländergruppe war nicht eine fehlerhafte Handelspolitik, sondern die Kombination von nicht angepaßten Angebotsstrukturen, der Verfall der Rohstoffpreise und ein entsprechender Rückgang der Austauschbedingungen (terms of trade) um 27,6 Prozentpunkte seit 1980. Deutlich trat 1986 die Tatsache zutage, daß die lateinamerikanischen Länder mit ihren Exportangeboten ein 9
Vgl. hierzu auch den Beitrag von Rudolf Herlt in diesem Band.
Vgl. Inter-American Development Bank, a.a.O. (Anm. 9), Reports 1986 und 1987, Washington 1986 und 1987, jeweils S. 5-21. 10
URSACHEN DER SOZIALEN KRISEN UND LÖSUNGSVERSUCHE
413
Opfer der latenten Handelsauseinandersetzung zwischen Nordamerika und der Europäischen Gemeinschaft geworden waren. Zusätzlich wurden sie beeinträchtigt durch die weltweit zunehmende Tendenz zur Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln mit dem Ziel der Importkürzung.
Ursachen der sozialen Krisen und
Lösungsversuche
Die sozialen Folgeerscheinungen der langjährigen Wirtschaftskrise waren angesichts des weiterhin hohen Bevölkerungswachstums (1980 bis 1985 um durchschnittlich 2,4 Prozent im Jahr) und der extrem hohen Binnenwanderung in die Städte gravierend. Die offiziell erfaßte - d.h. städtische Arbeitslosigkeit erreichte als Folge der Rezession vielfach erstmals zweistellige Prozentzahlen. Trotzdem war bis 1986 eine relativ hohe Bereitschaft seitens der Bevölkerung festzustellen, die sich verschlechternden Beschäftigungsaussichten, Einschnitte in der öffentlichen Sozialversorgung und absinkende Realeinkommen hinzunehmen. Eine Erklärung dürfte in der mit der demokratischen Erneuerung verbundenen Aufbruchstimmung und einer entsprechenden Opferbereitschaft liegen sowie in den Verbesserungsaussichten der von Argentinien, Brasilien und Peru verkündeten Stabilisierungsprogramme. Eine Rolle spielte auch, daß die vorangegangenen dreißig Jahre den unteren Bevölkerungsschichten eine allmähliche soziale Besserstellung gebracht hatten: Der Anteil der Gruppen unterhalb der Armutsgrenze war zwischen 1953 und 1983 von rund 50 Prozent auf etwa 35 Prozent zurückgegangen.11 Für 1986 ergab sich gegenüber dem Vorjahr eine leichte Verbesserung der Lage. Acht von zwölf Ländern mit zuverlässigen statistischen Erfassungen wiesen einen Rückgang der Arbeitslosenzahlen aus, darunter Uruguay, Peru, Argentinien und Brasilien. Hier handelte es sich um eine Folge der 1985 nach mehrjähriger Rezession begonnenen gemäßigten Konsumkonjunktur am Binnenmarkt sowie um erste Erfolge der Exportbelebung. Eine Konsolidierung der Beschäftigungstrukturen war allerdings ohne eine nachhaltige Verstärkung der Investitionstätigkeit nicht zu erwarten. Bereits 1986 kündigte sich eine erneute Periode von Arbeitskämpfen und sozialer Destabilisierung an. Die anfänglich aussichtsreich erscheinenden Austeritätsprogramme in Peru und Argentinien wiesen Schwächezeichen auf, während zugleich ihre sozialen Folgekosten in der Form von Reallohnverlusten spürbar wurden. Die Regierungspolitik in den beiden Ländern stieß auf einen rasch abnehmenden Rückhalt in der organisierten Arbeiterschaft und den mit ihr verbundenen Parteien.
11
Vgl. ebd., Annual Report 1987, S. 21.
414
DIE NEUEN DEMOKRATIEN LATEINAMERIKAS
Anpassungsprogramme und Reformpläne in Argentinien und Brasilien Unter den von einigen Regierungen (Argentinien, Bolivien, Brasilien, Peru und Uruguay) eingeleiteten Austeritäts-Programmen sind der „Plan Austral" in Argentinien (vom 14. Juni 1985) und der „Piano Cruzado" in Brasilien (vom 27. Februar 1986) hervorzuheben. Durch diese Maßnahmen sollte eine drastische Inflationsbekämpfung gleichzeitig mit wirtschaftlichen Strukturreformen in Angriff genommen werden, um Wirtschaftswachstum auszulösen und die zunehmende Staatsverschuldung zu begrenzen. Die von Argentiniens Wirtschaftsminister Juan Sourrouille vorangetriebene Währungs- und Haushaltsreform wurde binnen weniger Monate von Brasilien zum Anlaß ähnlicher Reformmaßnahmen genommen und zeigte die Annäherung der beiden größten südamerikanischen Volkswirtschaften nach Jahrzehnten voneinander weitgehend isolierter Wirtschaftsentwicklung. Das Bestreben, künftig eine verstärkt komplementäre, aufeinander orientierte Wirtschaftspolitik zu suchen, fand ihren formalen Niederschlag in sieben bilateralen Abkommen zwischen Juli 1985 und Juni 1986. Ihnen folgte Ende Juli 1986 der von den Präsidenten Alfonsin und Sarney unterzeichnete Vertrag über die Wirtschaftsintegration. Mit dem argentinischen Stabilisierungsplan 12 wurde eine über drei Jahre gestreckte Reform in drei Stufen eingeleitet, deren erste sich auf Inflationsbekämpfung (längerfristiger Preis- und Lohnstopp, Erhöhung der Kreditzinsen, Anhalten der Notenpresse für die neue Währung Austral) konzentrierte. Eine zweite Phase - ab 1986 - hatte die Ankurbelung des Wirtschaftswachstums zum Ziel; im dritten Jahr sollte die Haushalts- und Schuldensanierung durch Reduzierung der staatlichen Bürokratie, Sanierung der Pensions- und Versorgungskassen sowie der Privatisierung im öffentlichen Unternehmensbereich vorgenommen werden. Nach anfänglich rezessiven Folgeerscheinungen in der argentinischen Wirtschaft konnte das Land 1986 erstmals seit 1979 einen nicht unerheblichen Wachstumserfolg verzeichnen: rund 5 Prozent Zuwachs des B I P bei einer auf 50,1 Prozent reduzierten Inflationsrate (nach 688 bzw. 385 Prozent in den beiden Vorjahren). Im weiteren Verlauf stellte die argentinische Regierung - aus innenpolitischen und wahltaktischen Gründen - jedoch einen Teil der weiteren Sanierungsschritte zurück und nahm die Ausgabenexpansion wieder auf, so daß gegen Ende 1986 die Preisinflation sich wieder mehr und mehr der staatlichen Kontrolle entzog.
12
V g l . Institut für I b e r o a m e r i k a - K u n d e ( H r s g . ) D e r Plan A u s t r a l . W ä h r u n g s r e f o r m
und
Stabilitätspolitik in A r g e n t i n i e n , H a m b u r g ( L a t e i n a m e r i k a - A n a l y s e n , D a t e n , D o k u m e n t e , B e i heft 1) 1 9 8 5 .
ANPASSUNGSPROGRAMME U N D R E F O R M P L Ä N E
415
Der Cruzado-Plan 1 3 konnte teilweise auf den argentinischen Anfangserfahrungen aufbauen. Brasilien setzte auf eine höhere Erfolgsaussicht seiner Austeritätsmaßnahmen, da die Währungsumstellung im Gegensatz zu Argentinien zu einem Zeitpunkt wirtschaftlicher Hochkonjunktur eingeleitet und mit flexibleren Instrumenten (u.a. kürzere Laufzeiten der Lohn- und Preiskontrollen) ausgestattet wurde. Dies führte noch 1986 zu einer elfprozentigen Wachstumsrate des B I P und dem stärksten Abbau der Arbeitslosigkeit seit Anfang der siebziger Jahre. Dennoch galt die Sanierungspolitik schon nach kurzer Laufzeit Ende 1986 mit ihrem Hauptziel, der Geldwertstabilisierung, als gescheitert: Eine Rückkehr zu früheren Inflationsraten bis zu 200 Prozent im Jahr zeichnete sich ab; die Aufhebung der Sparzinsbindung an den Inflationsindex zog zahllose Depotauflösungen sowie die drastische Schrumpfung der Inlandsinvestitionen nach sich. Während die Sanierungsprogramme es Argentinien und Brasilien zumindest kurzfristig erleichterten, Umschuldungen und Kredite bei der Weltbankgruppe zu erlangen, komplizierte sich die Verschuldungslage beider Staaten, wie auch der übrigen drei neuen Demokratien, weiter. Ende 1986 konzentrierten sich auf die fünf Länder 48 Prozent der gesamten Außenverschuldung Lateinamerikas in Höhe von 185,1 Milliarden Dollar. 1 4 Jedes Land wies eine weitere Zunahme der Verschuldung in absoluten Zahlen auf; im Vergleich zu Argentinien und Brasilien war allerdings die Neuverschuldung in Ekuador und Uruguay überproportional hoch. Trotz einer gewissen Nivellierung ihrer laufenden Schuldendienstbelastung lagen Argentinien und Brasilien mit 46 bzw. 43 Prozent der erzielten Ausfuhrerlöse an der Spitze der Ländergruppe; Ekuador und Uruguay wiesen mit 28 bzw. 24 Prozent eine mittlere Belastung auf. In Peru hatte die von Staatspräsident Garcia Mitte 1986 verkündete einseitige Begrenzung der Schuldendienstleistungen auf 10 Prozent in der Praxis sogar eine Drosselung der laufenden Belastung auf eine Quote von 7 Prozent der Exporterlöse zur Folge. Da dies eine Unterbrechung der Umschuldungsverhandlungen mit privaten Gebern und eine Sperrung von Unterstützungskrediten der Weltbankgruppe nach sich zog, geriet Peru zunehmend in die Isolation und büßte seine Beispielsfunktion im Rahmen des internationalen Schuldner-„Kartells" wieder ein. In Argentinien und Brasilien erwiesen sich die einschneidendsten Sanierungsmaßnahmen (Ausgleich der Staatshaushalte durch Steuerreformen, Ausgabenkürzungen, Steuererhöhungen und Privatisierungen im öffentlichen Bereich) als wenig wirkungsvoll oder undurchführbar. Aus innenpolitischen Erwägungen waren diese Konzepte teilweise verwässert oder aus wahltakti1 3 Vgl. Octavio de Barros, Joâo Saboia, Le traitement de choc du Plan Cruzado, in: Problèmes d'Amérique Latine, Nr. 81, 1986, S. 21-40.
14
Vgl. Inter-American Development Bank, a.a.O. (Anm. 9), S. 214-219 und 246-251, sowie die Country Summaries, ebd.
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DIE N E U E N D E M O K R A T I E N LATEINAMERIKAS
sehen Gründen verzögert worden. 15 In beiden Ländern zeichnete sich Ende 1986 ein Vertrauens- und Autoritätsverlust der gewählten Regierungen ab, da die Wirtschaftspolitiker angesichts der Schwierigkeiten ihrer Reformpläne offenbar zu rasch in das kurzfristige Taktieren zurückfielen, das die Finanzund Wirtschaftspolitik vor 1985 gekennzeichnet hatte. DIE SÜDAMERIKANISCHEN MITTELMÄCHTE IN DER INTERNATIONALEN POLITIK Die Rückkehr zur zivilen, parlamentarischen Regierungsform in den Schlüsselstaaten Südamerikas hatte im Berichtszeitraum Auswirkungen auf die bilaterale Regionalpolitik und auf die überregionalen Beziehungen. Dies brachte zwar keine grundsätzlichen Positionswechsel mit sich, bot aber Anzeichen für ein wiedergefundenes außenpolitisches Selbstbewußtsein und für eine Anknüpfung an die außenpolitischen Bestrebungen zur Eigenständigkeit, wie sie in früheren Jahrzehnten vor allem Argentinien, Brasilien und Chile gekennzeichnet hatten. Abgesehen von den außenwirtschaftlichen Folgen der Veränderung des Weltmarkts für traditionelle südamerikanische Ausfuhrprodukte wirkten hier vor allem zwei Faktoren zusammen: Die vorläufige Entmilitarisierung der Exekutiven führte zu einer Abschwächung der geopolitisch motivierten Forderungen und Zielsetzungen in der Außenpolitik und zur Zurückstellung der sogenannten Doktrin der nationalen Sicherheit. Unter den Zwängen der internationalen finanziellen Abhängigkeit zeichnete sich gleichzeitig ein Prozeß wachsender Solidarisierung bei den Schuldnerländern ab, der in Südamerika Neuanstöße in den bilateralen Beziehungen ermöglichte. Diese bezogen sich nicht nur auf neue Modelle der wirtschaftlichen Regionalintegration wie z.B. für Argentinien, Brasilien und Uruguay. Auch das Konfliktpotential langjähriger Territorialansprüche verlor an Wirkung, da latente Streitfälle von den demokratisch legitimierten Regierungen weniger als Instrument innenpolitischer Rechtfertigung und Profilierung genutzt wurden. Entwicklungen
im
Falkland(Malwinen)-Konflikt
Auch der ungelöste Streitfall um die Falkland(Malwinen)-Inseln stand seit 1985 weniger unter dem Zeichen einer weiteren Verschärfung des Konflikts als unter dem Einfluß diplomatischen Ringens um den Status der Inselgruppe. Während Großbritannien mit dem Ausbau des Flugfeldes von Mount 15
So wurde der Plan Cruzado II wegen der Wahlen in den Bundesstaaten
Brasiliens
hinausgeschoben und erst eine Woche nach dem Urnengang am 2 1 . 1 1 . 1 9 8 6 verkündet.
ENTWICKLUNGEN IM FALKLAND(MALWINEN)-KONFLIKT
417
Pleasant im Mai 1985 und mit der Errichtung einer Fischerei-Schutzzone von 150 Seemeilen um die FaIkland(Malwinen)-Inseln im Oktober 1986 Entschlossenheit demonstrierte, setzte Argentinien mit der Verfassungsänderung über den Status der Inseln als eigenes argentinisches Territorium im Mai 1986 ein ähnliches Zeichen. Im übrigen richteten sich die Bemühungen der argentinischen Diplomatie auf die Offenhaltung der Souveränitätsfrage und deren Einbringung in eine friedliche Verhandlungslösung. Großbritannien bestand dagegen auf der Ausklammerung der Statusfrage und einer formellen Beendigung der Feindseligkeiten durch Argentinien vor Einleitung von Verhandlungen. Abstimmungserfolge im Juni im Rahmen der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) (mit 20 zu fünf Stimmen) und im November 1985 und November 1986 (UN-Vollversammlung) signalisierten eine wachsende Unterstützung der argentinischen Position durch die Länder der Dritten Welt. Das Abstimmungverhältnis beider Jahre in den Vereinten Nationen (1985: 107 zu 5, 41 Enthaltungen; 1986: 116 zu 4, 34 Enthaltungen) zeigte, daß nunmehr fünf N A T O - P a r t n e r Großbritanniens (darunter die U S A ) sowie ein Teil der Commonwealth-Länder den lateinamerikanischargentinischen Resolutionsantrag zur Aufnahme von Verhandlungen über die Souveränitätsfrage unterstützten. Die gleichzeitige Ablehnung eines britischen Ergänzungsvorschlags zur Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts der betroffenen Bevölkerung der Inseln kann für spätere völkerrechtliche Streitfälle von Bedeutung sein. Dennoch zeigte der weitere Konfliktverlauf Ansätze zu einer Entspannung zwischen den beiden Kontrahenten. Großbritannien beendete im Juli 1985 das gegen Argentinien erlassene Handelsembargo und traf Ende 1986 Vorbereitungen zu einer Wiederanknüpfung der konsularischen Beziehungen. Im November 1985 führten Verhandlungskontakte unter Vermittlung der Welternährungsorganisation ( F A O ) zu einem Abkommen beider Länder über die Durchführung einer Studie der F A O über die Fischbestände und meeresökologischen Probleme in dem umstrittenen Seegebiet. Die argentinische Regierung nutzte die UN-Abstimmungserfolge zu neuen diplomatischen Offerten, die Ende 1986 in einen Vorschlag zur „Schaffung eines Vertrauensklimas... auch jenseits der... legalistischen Grenzen" 1 6 mündeten. Dieser enthielt das Angebot einer Erklärung zur Beendigung des Kriegszustands im Austausch gegen die Aufgabe der FischereiSchutzzone. Zu den von Argentinien erwogenen Lösungsmodellen gehörte auch das Denkmodell eines britischen Pacht- oder Trust-Territoriums unter Ausklammerung der völkerrechtlichen Anerkennung argentinischer Souveränität durch Großbritannien. 1 7 Die Souveränitätsdiskussion in Verbindung 1 6 Erklärung von Staatspräsident Alfonsin während seines Treffens mit Präsident Reagan am 15.11.1986, zit. nach: Latin American Weekly Report, 27.11.1986, S. 9.
So Presseerklärungen von Senator Antonio Berkongaray, zit. nach: ebd., 8.2.1985, S. 12.
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DIE N E U E N D E M O K R A T I E N LATEINAMERIKAS
mit dem Selbstbestimmungsrecht blieb allerdings das Haupthindernis für eine formale Beilegung des Streitfalls.
N E U E ANSÄTZE ZUR R E G I O N A L E N K O O P E R A T I O N Unter den vier seit langem andauernden Territorialkonflikten in Südamerika verlor der Streitfall zwischen Argentinien und Chile um den BeagleKanal 18 seit der von beiden Seiten im Mai 1985 akzeptierten und unterzeichneten Schlichtungsregelung rasch seine Brisanz, und eine vertiefte Zusammenarbeit der benachbarten Staaten bahnte sich an. Bilaterale AntarktisVerhandlungen führten Mitte 1985 zu Absprachen über gemeinsame Mineralienforschung und den Austausch entsprechender wissenschaftlicher Forschungs- und Beobachtungsergebnisse. Die Grenzsituation an der Südspitze des Kontinents entspannte sich 1985 soweit, daß Argentinien Vorbereitungen zur Nutzung von Punta Arenas als Exporthafen traf, und Chile argentinischen Handelsniederlassungen die Ansiedlung in Magallanes ermöglichte. Entkrampftere Formen der Zusammenarbeit, trotz der ungeklärten Ansprüche auf das Essequibo-Territorium, bahnten sich im gleichen Zeitraum zwischen Venezuela und Guayana an, und in ähnlicher Art auch zwischen Chile und Bolivien in der Frage des bolivianischen Zugangs zum Pazifik. Während Anden-Pakt und lateinamerikanische Freihandelszone ( A L A L C ) seit mehreren Jahren ohne sichtbare politische und wirtschaftliche Impulse stagniert hatten, war in dem Integrationspakt zwischen Argentinien und Brasilien unter Einbeziehung von Uruguay ein pragmatischer Neuansatz zu erkennen, der die Strukturfehler der früheren großräumigen Integrationsversuche zu vermeiden suchte. Den Hintergrund für diesen bilateralen Versuch der Wirtschaftsförderung bildete die vor allem von Brasilien forcierte Suche nach alternativen Exportmärkten in Nachbarländern, bedingt durch den zunehmenden Protektionismus in den Industrieländern. Diese Position spiegelte das wachsende Gewicht von Außenhandelsexperten im brasilianischen Außenministerium wider, die seit Mitte der achtziger Jahre verstärkt auf Warenaustauschprogramme und auf die Mehrwert-Besteuerung des Exports drängten.
Die Entwicklung
von
Süd-Süd-Beziehungen
Der Zwang zu alternativen Wirtschaftskontakten war im Berichtszeitraum bei Kursänderungen der praktischen Außenpolitik von wachsender Bedeu18
Z u m Beagle-Konflikt vgl. Annegret Haffa, Beagle-Konflikt und Falkland(Malwinen)Krieg, M ü n c h e n , K ö l n , L o n d o n (Arnold-Bergstraesser-Institut, Materialien zu Entwicklung und Politik, N r . 30), 1987.
SÜDAMERIKA U N D ZENTRALAMERIKA
419
tung. So führte die Suche nach neuen Märkten und Handelswegen, insbesondere auch nach möglichen Warenaustausch-Abkommen, zur Erweiterung der Beziehungen zu anderen Ländern der Dritten Welt, d.h. zu einem Ausbau der „Süd-Süd-Schiene". Hauptträger dieses Prozesses waren die großen Schwellenländer mit relativ breitem Exportangebot, vor allem Brasilien. Die Abhängigkeit Brasiliens von Brennstoffimporten hatte schon in den siebziger Jahren eine „opportunistische" Politik gegenüber dem Nahen Osten ausgelöst, die allmählich vom Prinzip des „gleichen Abstands zu Israel und den arabischen Staaten" abgewichen war. 1 9 Besondere wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen sowie die offene Kritik am südafrikanischen Rassismus verschafften Brasilien zusätzlichen Einfluß in Afrika, besonders in den ehemaligen portugiesischen Kolonien. Brasiliens Verbindungen zu Angola, die seit 1975 zunächst mit amerikanischer Unterstützung entwickelt worden waren, richteten sich im Berichtszeitraum — ohne engere Abstimmung mit den Vereinigten Staaten bzw. im Gegensatz zu deren Angola-Politik - zunehmend auch auf militärische Formen der Zusammenarbeit (Lieferung und Unterhaltung des militärischen Fuhrparks in Angola). Geheimverhandlungen mit Libyen führten trotz amerikanischen Einspruchs Anfang 1986 zu einem umfangreichen Lieferabkommen für militärische Rüstungsgüter. So konnten sich infolge der Handels* und Verschuldungskrise die Spielräume der großen Schwellenländer Lateinamerikas in der auswärtigen Politik merklich erweitern, ohne daß von ihnen allerdings dadurch der Interessenbereich der Vereinigten Staaten angetastet wurde. Dies trat auch in der Beteiligung der südamerikanischen Demokratien an dem Schlichtungsversuch des Krisenherds Zentralamerika besonders deutlich zutage.
SÜDAMERIKA U N D DIE SCHLICHTUNGSVERSUCHE IN ZENTRALAMERIKA20 Bei den zentralamerikanischen Schlichtungsverhandlungen der ContadoraGruppe 2 1 war 1985 eine Erstarrung der Verhandlungsfronten eingetreten, die 19
Vgl. Kurt Weyland, Die interregionalen Süd-Süd-Beziehungen Brasiliens und Mexikos, Mainz (Universität Mainz, Institut für Politikwissenschaft, Dokumente und Materialien, Nr. 3) 1984. 2 0 Vgl. hierzu im einzelnen den Beitrag von Heinrich Krumwiede in diesem Band. 21
Zu der am 8.1.1983 gebildeten Contadora-Gruppe gehörten die Länder Mexiko, Kolumbien, Panama und Venezuela und die vom Regionalkonflikt unmittelbar betroffenen fünf Staaten Zentralamerikas. Vgl. Ulrich Fanger, Interessen und Einflußmöglichkeiten der Regionalmächte im mittelamerikanischen Konflikt - Die Länder der Contadora-Initiative und Kuba, in: Gesellschaft für Auslandskunde (Hrsg.), Krisenherd Mittlamerika. München (Münchener Beiträge zur Internationalen Politik, Nr. 6) 1985, S. 59-80.
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D I E N E U E N D E M O K R A T I E N LATEINAMERIKAS
den vier beteiligten Regionalmächten eine Erweiterung des iberoamerikanischen Einflusses geboten erscheinen ließ. Durch Heranziehung einer zusätzlichen Vermittlergruppe, bestehend aus Argentinien, Brasilien, Peru und Uruguay, suchten die vier ursprünglichen Contadora-Mitglieder den Vertragsvorlagen erhöhtes internationales Gewicht und zusätzliche Durchsetzungskraft zu verleihen. Die Zusammensetzung der Gruppe selbst war noch bis September 1985 Gegenstand von intensiven internen Auseinandersetzungen und Versuchen der USA, diese Gruppe stärker zu „neutralisieren" als die ursprüngliche Vierer-Grupppe, insbesondere durch Einbringung der Dominikanischen Republik und Ekuadors in das erweiterte Beratungsgremium. Die Verdeutlichung amerikanischer Zielvorstellungen und Interessen hatte ein äußerst behutsames Vorgehen der neuen Mitgliedsländer in der Mittelamerika-Problematik zur Folge. Während Peru und Argentinien noch im April/Mai 1986 Initiativen zur Förderung des Verhandlungsprozesses einbrachten (so zwischen der Regierung von El Salvador und der F M L N Guerilla sowie zwischen Vertretern der amerikanischen Regierung und der sandinistischen Regierung in Nicaragua), entschloß sich Brasilien zu einer vorsichtigen Haltung. 2 2 Eine gezielte Abkühlung der Kontakte zu Nicaragua und ein Aufschub der mit Kuba eingeleiteten Verhandlungen über die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen waren die Folge. 2 3
REDEMOKRATISIERUNG UND AUSSENPOLITIK
Die Beziehungen
zur
Sowjetunion
Die südamerikanische Ländergruppe der neuen Demokratien erzielte ihre jüngsten Demokratisierungserfolge während einer Phase zunehmender OstWest-Gegensätze im mittelamerikanischen Raum. Die Polarisierung der Konfliktlage im mittelamerikanischen Raum und die Konzentration des amerikanischen Interesses auf die Rauschgiftbekämpfung im nördlichen Südamerika hatte der südlichen Ländergruppe einen größeren Handlungsspielraum in der internationalen Diplomatie verschafft. Zugleich war das Engagement der UdSSR in ihren traditionellen Interessenschwerpunkten Argentinien, Chile und Peru zurückgegangen. Die Kontakte der Südamerika22
Eine detaillierte Analyse der jüngeren Entwicklung der Beziehungen zwischen Brasilien und den USA findet sich bei Gerson Moura u.a., Les relations entre le Brésil et les Etats-Unis, in: 23 Problèmes d'Amérique Latine, Nr. 82, 1986, S. 101-122.
Nach dem Scheitern der Contadora-Verhandlungen reaktivierte Brasilia jedoch seine regionale Außenpolitik und nahm im Juli 1986 die Beziehungen zu Kuba nach 22jähriger Unterbrechung wieder auf. Interne Differenzen in der Beurteilung der militärischen Rolle Kubas in Angola wurden dabei überlagert durch handels- und finanzpolitische Erwägungen.
D I E V E R E I N I G T E N STAATEN U N D D I E N E U E N D E M O K R A T I E N
421
nischen Demokratie zum Ostblock waren daher 1985 und 1986 nicht von auffälligen Entwicklungen geprägt. Argentinien unternahm allerdings 1986 eine Initiative zur Wiederbelebung der wirtschaftlichen Beziehungen zur UdSSR, die im Juli 1986 zum Abschluß eines Fischereiabkommens und zur Staatsvisite Präsident Alfonsins in Moskau im Oktober 1986 führte. Politische Beratungen mit der argentinischen Staatsführung und gemeinsame Beschlüsse zeigten die Bereitschaft des sowjetischen Generalsekretärs Michail Gorbatschow zu einer erhöhten Bewertung Argentiniens als ernstzunehmender internationaler Partner, doch blieben die handelspolitischen Ergebnissse (insbesondere in bezug auf die Wiederaufnahme und Aufstockung nicht erfüllter Zusagen über Getreidekäufe) weit hinter den argentinischen Erwartungen zurück. Bemerkenswert war der geringe positive Widerhall, den die Demokratisierung des lateinamerikanischen Südens in Osteuropa auslöste. Hier wird deutlich, daß an einem solchen Prozeß nur ein instrumentales Interesse bestand, und zwar gemessen an den jeweiligen Aussichten auf eine Schwächung des amerikanischen Einflusses. 24 War die sowjetische Politik schon vor 1985 von einer Abschottung ihrer selektiven Aktionsfelder in diesem Gebiet und einem vergleichsweise sparsamen Einsatz materieller Mittel, in Verbindung mit einer Neigung zu vorsichtigem Lavieren und Improvisieren gekennzeichnet gewesen, 25 so verdeutlichte sich diese Vorgehensweise im Berichtszeitraum. Während in den siebziger Jahren noch vom „Versuch einer begrenzten kommerziellen Strategie der Beeinflussung" gegenüber solchen Staaten Lateinamerikas die Rede war, die sich in Auseinandersetzungen mit den Vereinigten Staaten befanden oder Autonomiebestrebungen erkennen ließen, trat die politische Nutzung sowjetischer Handelsbindungen mit Lateinamerika seit Beginn der achtziger Jahre zurück. Die Sowjetunion schien seither weniger bereit zu sein, sich die wirtschaftlichen Kosten zu leisten, die ihr durch eine politische Instrumentalisierung des Handels in der Vergangenheit entstanden waren. 26
Die Vereinigten Staaten und. die neuen
Demokratien
Die Beziehungen zwischen den neuen Demokratien Südamerikas und den Vereinigten Staaten waren in der zweiten Amtszeit von Präsident Ronald 2 4 Vgl. Manfred Mols, Ulrike Wolf, Außenpol., 2 / 1 9 8 7 , S. 203.
Lateinamerika - was gefährdet die Demokratie?, in:
2 5 Vgl. Ulrich Fanger, Die Krisenzone des mittelamerikanisch-karibischen Raumes, in: Karl Kaiser, Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Weltpolitik. Strukturen - Akteure - Perspektiven, Stuttgart 1987, S. 696-713. 2 6 Vgl. Robert K. Evanson, Soviet political uses of Trade with Latin America, in: Journal Interamerican Studies and World Affairs, Bd. 27, N r . 2 / 1 9 8 5 , S. 99-126.
of
422
DIE N E U E N D E M O K R A T I E N LATEINAMERIKAS
Reagan durch drei parallel laufende Tendenzen bestimmt, die zugleich fördernd und hemmend auf die Bestrebungen verstärkter internationaler Profilierung dieser Länder einwirkten: 1. einen zunehmenden Druck zugunsten der Ablösung autoritärer und der Festigung parlamentarisch-pluralistischer Regierungsformen, verbunden mit einer höheren Toleranz gegenüber eigenständiger internationaler Aktivität; 2. einen drastischen Rückgang der finanziellen Leistungsfähigkeit der U S A infolge der internen Haushaltsschwierigkeiten und der Außenverschuldung. Seinen Niederschlag fand dies im Vorgehen der Vereinigten Staaten bei den internationalen Finanzierungsorganen angesichts der weltweiten Verschuldungskrise; 3. protektionistische Bestrebungen innerhalb des amerikanischen Kongresses mit spürbaren Rückwirkungen auf die Außenhandelsbindungen zur südamerikanischen Staatengruppe. Die aus der soziopolitischen Entwicklung der mittelamerikanischen Krisenregion gewonnenen Erkenntnisse veranlaßten die amerikanische Regierung zu verstärkten Anstößen für eine Demokratisierung in Lateinamerika. Sie eröffneten den Ländern Lateinamerikas neue Handlungsspielräume, wie sie als Ergebnis konservativer Außenpolitik in Washington von der internationalen Kritik nicht erwartet worden waren. Der Druck auf die verbliebenen autoritären Regime mit dem Ziel parlamentarisch-pluralistischer Öffnung, der nach Zentralamerika, den Philippinen und Haiti auch auf Chile und Paraguay ausgeübt wurde, versagte in Südamerika zwar zunächst und führte hier eher zu Verhärtungen. Belastet waren allerdings weiterhin die Beziehungen von Peru und Argentinien zu den Vereinigten Staaten. Im Verhältnis zu Peru konzentrierten sich die Vorbehalte der U S A auf die Position der sozialistischen APRA-Regierung in der Schuldenfrage, die aus ihrer Haltung eine Sprecherrolle für die Dritte Welt abzuleiten suchte. Peru hatte seine Begrenzung der Schuldendienstleistungen auf maximal 10 Prozent der Exporterlöse als Modell für alle lateinamerikanischen Schuldnerländer herausgestellt. Diese Maßnahme wurde Anfang August 1986 um ein weiteres Jahr verlängert. Zugleich wurden weitere Einschränkungen verordnet: ein einseitiges Moratorium für die Tilgung von Handelskrediten in Höhe von 940 Millionen Dollar; Kürzung fälliger Rückstände aus 180 Millionen Dollar I W F Darlehen und Unterbindung des Kapitaltransfers ausländischer Gesellschaften auf zwei Jahre. Das Verhältnis der U S A zu Argentinien war komplexer und stets auch durch die kommerzielle Konkurrenz bei Agrarexporten stärker belastet. Amerikanische Zweifel an der Berechenbarkeit argentinischer Politik wurden durch das Vorgehen Argentiniens während des Falkland(Malwinen)-Kriegs und die Handelsdiplomatie gegenüber der U d S S R erneut genährt. Für die skeptische Haltung der U S A waren darüber hinaus die mangelnde wirtschaftspolitische Dynamik und Bedenken hinsichtlich der Belastbarkeit der
DIE VEREINIGTEN STAATEN UND DIE NEUEN DEMOKRATIEN
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demokratischen Entwicklungen des Landes ebenso maßgebend wie die konkreten Gegensätze im Zusammenhang mit der argentinischen Atompolitik (Nichtunterzeichnung des Nichtverbreitungsvertrags und des Vertragswerks von Tlatelolco), und bezüglich argentinischer Entwicklungskredite an Kuba und Nicaragua. Zwei Besuche von Staatspräsident Alfonsin in den U S A im März 1985 und im Dezember 1986 waren daher wenig ergiebig für die Lösung der Umschuldungsprobleme und hinsichtlich der Unterstützung bei der internationalen Kreditvergabe. Dennoch entspannte sich das Verhältnis 1986, vor allem aufgrund von Konzessionen der U S A bei der Abstimmung über die Falkland(Malwinen)-Resolution der Vereinten Nationen. Insgesamt konnten die großen Schwellenländer Südamerikas ihren außenpolitischen Spielraum unter dem Einfluß der zentralamerikanischen Ereignisse und der Handels- und Verschuldungskrise merklich erweitern und dies zu einer aktiveren Rolle in der Dritten Welt und zu neuen wirtschaftlichen Kooperationsformen in der eigenen Region nutzen.
DIE E N T W I C K L U N G E N IN ZENTRAL AMERIKA Von Heinrich-W.
Krumwiede
In Expertenkreisen war es 1985/86 üblich, die Krise in Zentralamerika als „stabile Krise" zu bezeichnen. 1 Unter den wesentlichen Akteuren war nämlich ein Konsens über eine Regelung, die eine dauerhafte Lösung versprach, nicht in Sicht. Es stellten sich die gleichen Grundprobleme wie in den Vorjahren: 2 Die Politik der kommunistischen Staaten gegenüber Zentralamerika veränderte sich nicht. Unter den zentralamerikanischen Staaten zog das sandinistische Nicaragua die Hauptaufmerksamkeit westlicher Politik auf sich. Nach wie vor blieb strittig, inwieweit es sich bei den Sandinisten um Marxisten-Leninisten handelte, die Anlehnung an kommunistische Staaten suchten, und ob ein Arrangement mit ihnen möglich sei, das amerikanischen sicherheitspolitischen Kriterien in ausreichendem Maße Rechnung tragen könnte. Die Reagan-Administration setzte 1985/86 auf einen entschiedenen Konfrontationskurs gegenüber Nicaragua. Zentralamerika wurde zum Anwendungsgebiet der „Reagan-Doktrin" 3 erklärt, nach der die Hilfe für antikommunistische Guerillas in der Dritten Welt als Unterstützung der Demokratie gerechtfertigt wird. Im Mai 1985 verhängte die Reagan-Administration einen Wirtschaftsboykott gegenüber Nicaragua. Im Sommer 1986 fand ihr Antrag, den antisandinistischen Contras Militärhilfe zu gewähren, eine - wenngleich knappe — Mehrheit im Kongreß. Zur Diskussion stand, ob diese Politik auf einen Sturz des sandinistischen Regimes abzielte und Erfolg versprach. Die amerikanische Entscheidung, den militärischen Kampf der Contras zu finanzieren, bedeutete - zumindest vorläufig - das Scheitern der ContadoraInitiative, die 1983 von Panama und den regionalen Mittelmächten Mexiko, Venezuela und Kolumbien in Gang gesetzt wurde. Die Contadora-Initiative, die den Regionalkonflikt aus dem Ost-West-Gegensatz herauslösen und durch vertragliche Vereinbarungen beilegen wollte, gewann im Berichtszeitraum weltweite Unterstützung. 1985 bildete sich formell eine lateinamerikanische „Unterstützungsgruppe", der mit Peru, Brasilien, Argentinien und
1 Der Terminus „stabile Krise" wurde von Experten nur mündlich gebraucht. Vgl. aber Mark Falcoff, Robert Royal (Hrsg.), The Continuing Crisis. U.S. Policy in Central America and the Caribbean, Lanham, London 1987; Robert S. Leiken, Barry Rubin (Hrsg.), The Central American Crisis Reader, New York 1987. 2 Vgl. Heinrich-W. Krumwiede, Die zentralamerikanische Krise als Problem westlicher Außenpolitik, in: IP 1981/82, S. 251-270; den., Internationale Dimensionen der Krise in Zentralamerika, in: IP 1983/84, S. 351-367. 3 Vgl. Ronald Reagan, Freedom, Regional Security, and Global Peace, in: Dept. of State B., Bd. 86, Nr. 2110, 1986, S. 32-40.
DIE KOMMUNISTISCHEN STAATEN UND NICARAGUA
425
Uruguay die wichtigsten südamerikanischen Demokratien angehörten. 4 Die Europäische Gemeinschaft hatte sich auf der Außenministerkonferenz in San José (Costa Rica) Ende September 1984 mit der Contadora-Initiative identifiziert. 5 Auf der Folgekonferenz am 11./12. November 1985 in Luxemburg bekräftigte sie diese Position. 6 Symptomatisch für die internationale Isolierung der U S A in ihrer Politik gegenüber den Contras war wohl die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs 1986, in der er die amerikanische Unterstützung der Contras verurteilte. 7
DIE KOMMUNISTISCHEN STAATEN UND NICARAGUA Kommunistische Staaten, insbesondere die U d S S R und Kuba, pflegten weiterhin eine enge Zusammenarbeit mit dem sandinistischen Nicaragua: So verblieben die kubanischen Militär- und Sicherheitsberater in Nicaragua, und mit sowjetischen Waffen wurde in Nicaragua die größte Streitmacht Zentralamerikas gerüstet. Die Waffenlieferungen der U d S S R an Nicaragua waren anscheinend unentgeltlich. 9 Allerdings lieferte die Sowjetunion, Warnungen der U S A ernstnehmend, keine Waffen an Nicaragua - wie etwa M i G Flugzeuge —, die strategisch hätten genutzt werden können. Kommunistische Staaten gehörten auch zu den wichtigsten Hilfs- und Kreditgebern Nicaraguas. So kamen 1985 über 80 Prozent aller Darlehen und Schenkungen an Nicaragua aus kommunistischen Ländern. 1 0 Es handelte sich dabei eher um eine Ersatzhilfe für ausbleibende Leistungen aus westlichen Ländern, vor allem internationaler Kreditorganisationen, als um eine genuine Aufbauhilfe. In Nicaragua verschärfte sich die ökonomische Krise: Der Lebensstandard sank, die Arbeitslosigkeit wuchs und die Inflation stieg bis 4 5
Vgl. hierzu auch den Beitrag von Ulrich Fanger in diesem Band. Vgl. das Gemeinsame Kommunique in: EA, 2/1985, S. D 41-45.
Vgl. EA, 9/1985, S. D 250 f. Zur Haltung der EG gegenüber Zentralamerika vgl. Wolf Grabendorff, Die Beziehungen der Europäischen Gemeinschaft zu Lateinamerika. Eine Politik ohne Illusionen, in: EA, 22/1987, S. 645-654. 6
^ Der Text ist abgedruckt in: International Court of Justice, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua vs. United States of America), New York, 18.7.1986 (UN General Assembly/Security Council, A/40/1147/S/18 221). " Zur Entwicklung der sowjetisch-nicaraguanischen Beziehungen vgl. Neil S. MacFarlane, Superpower Rivalry and Soviet Policy in the Caribbean Basin, Ottawa (The Canadian Institute for International Peace and Security, Occasional Papers Nr. 1), o.J. (1985). ' Vgl. die Rede von Präsident Daniel Ortega, in: Monitor-Dienst S. 10.
(Lateinamerika), 7.4.1986,
1 0 Vgl. die Tabellen in Richard Stahler-Sholk, Foreign Debt and Economic Stabilization Policies in Revolutionary Nicaragua, in: Rose J. Spalding (Hrsg.), The Political Economy of Revolutionary Nicaragua, Winchester, Mass. (in Vorbereitung).
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DIE ENTWICKLUNGEN IN ZENTRALAMERIKA
Ende 1986 auf etwa 800 Prozent. 11 In erster Linie war der im Mai 1985 verhängte ökonomische Boykott der U S A dafür verantwortlich zu machen, daß der Handelsanteil kommunistischer Staaten mit Nicaragua drastisch stieg. Im August 1986 entfielen 34 Prozent des Außenhandels von Nicaragua auf kommunistische Länder. 12 Spezialisten für die Beziehungen Sowjetunion - Dritte Welt bezweifelten, daß die U d S S R bereit sei, die hohen Kosten und Risiken auf sich zu nehmen, die die Errichtung eines „zweiten Kuba" in Nicaragua mit sich bringen würde. 13 In diesem Zusammenhang wurde von einem „Nach-AfghanistanSyndrom" in der UdSSR gesprochen, einem Verlust an Selbstvertrauen, Prozesse in fernen Dritte-Welt-Regionen zu eigenen Gunsten steuern zu können. 1 4 Auch wurde darauf verwiesen, daß Generalsekretär Michail Gorbatschow es auf dem X X V I I . Parteitag der KPdSU im Februar 1986 unterlassen habe, die Unterstützung der Sowjetunion für „Befreiungskriege" und „Befreiungskämpfe" in der Dritten Welt zuzusagen, wie es seit 30 Jahren auf Parteitagen üblich war. 15 Auch deutete die Konzentration der neuen sowjetischen Parteiführung auf interne Probleme des Landes kaum auf eine Bereitschaft hin, in fernen Regionen der Dritten Welt neue kostspielige und risikoreiche Unternehmungen zu beginnen.
Innenpolitische
Verhärtungen
in Nicaragua
1985/86 war in Nicaragua nach der Öffnung des Regimes, die mit den Wahlen vom November 1984 ihren Höhepunkt fand, eine erneute innenpolitische Verhärtung zu beobachten. Im Oktober 1985 wurden unter Berufung auf die Bürgerkriegssituation verschärfte Notstandsmaßnahmen verhängt. Es häuften sich willkürliche Ubergriffe auf Oppositionelle, die zu Recht oder zu Unrecht der Zusammenarbeit mit den Contras verdächtigt wurden. Nach Bewilligung der Militärhilfe für die Contras durch das amerikanische 1 1 Vgl. Comisión para América Latina y el Caribe (CEPAL), Notas sobre la economía y el desarrollo, Nr. 438/439, Dezember 1986.
12
Vgl. Monitor-Dienst (Lateinamerika), 14.8.1986, S. 4. 1984 bezog Nicaragua 20% seiner Importwaren aus kommunistischen Ländern und exportierte dorthin 16% seiner Produkte (vgl. Statistisches Bundesamt, Länderbericht Nicaragua, Stuttgart/Mainz 1986, S. 471). 1 3 1985 absorbierte Kuba mit 4 bis 5 Mrd. Dollar ca. 51 % aller Wirtschaftshilfe, die die UdSSR an kommunistische und nichtkommunistische Länder vergab. Vgl. Robert S. Duncan, Castro and Gorbachev: Politics of Accommodation, in: Problems of Communism, Bd. 35, Nr. 2, 1986, S. 45-57, hier S. 51. 1 4 Elisabeth Kridl Valkenier, Revolutionary Change in the Third World: Recent Soviet Assessment, in: World Politics, Bd. 38, Nr. 3, 1986, S. 415-434. 1 5 Vgl. Edward Gonzalez, David Ronfeldt, Castro, Cuba and the World, Santa Monica (The Rand Corporation, R-3420) 1986, S. 97 f.
DIE N I C A R A G U A - P O L I T I K D E R USA
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Repräsentantenhaus im Juni 1986 verschärfte sich der Unterdrückungscharakter des sandinistischen Regimes; militärische Gesichspunkte standen im Vordergrund. So wurde die oppositionelle Tageszeitung La Prensa verboten, Bischof Pablo A. Vega, der mit den Contras sympathisierte, ausgewiesen, und ein Einreiseverbot für den Priester Bismarck Carballo, den engsten Mitarbeiter von Kardinal Miguel Obando y Bravo, verhängt. Für die politisch wichtigen Kräfte in Nicaragua, etwa die Oppositionsparteien und die katholische Amtskirche, wurde es zunehmend schwieriger, Positionen zwischen Sandinismus und Antisandinismus einzunehmen und durchzuhalten. Für die Sandinisten selbst wurde die Versuchung größer, jeden Oppositionellen als Sympathisanten der Contras zu brandmarken und zu verfolgen. Im zentralamerikanischen Vergleich schien es, daß Nicaragua in seiner Menschenrechtspolitik 1985/86 besser abschnitt als El Salvador. Die Behauptungen der Reagan-Administration, das sandinistische Regime betreibe eine systematische und umfassende Politik des Mordens, des Folterns und des „Verschwindenlassens" sowie des Genozids gegenüber den Indianern, fanden keine Bestätigung in Berichten unabhängiger Menschenrechtsorganisationen. 1 6 Im Berichtszeitraum ähnelte das sandinistische Nicaragua stärker einem kommunistischen Regime als in den Jahren zuvor. Ungeklärt und unklärbar blieb, ob Abweichungen der Sandinisten von den ursprünglichen Revolutionsversprechen (Pluralismus, gemischtwirtschaftliche Ordnung, Blockfreiheit) auf autonome Entscheidungen der Sandinisten zurückgeführt werden konnten, oder ob sie als Reaktion auf die amerikanische Politik der Contra-Unterstützung gewertet werden mußten.
D I E N I C A R A G U A - P O L I T I K D E R USA Im O k t o b e r 1984 hatte der amerikanische Kongreß vorerst die Haushaltsmittel für die Contras eingefroren. Für diese Entscheidung waren problematische Aktionen der C I A maßgeblich gewesen. 1985 versagte der Kongreß zunächst einem Antrag der Administration, den Contras „humanitäre Hilfe" (also keine Waffenhilfe) zu gewähren, die Zustimmung. Nach der MoskauReise des nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega im Mai 1985, die als Indiz für eine prosowjetische Orientierung gewertet wurde, genehmigte er Vgl. z . B . Americas W a t c h C o m m i t t e e , H u m a n Rights in Nicaragua: Reagan, R h e t h o r i c and Reality, N e w Y o r k , Washington, Juli 1985; dass., H u m a n Rights in Nicaragua 1 9 8 5 - 1 9 8 6 , N e w Y o r k , Washington, M ä r z 1986; dass., Settling into Routine. H u m a n Rights Abuses in Duarte's Second Year, N e w Y o r k , Washington, Mai 1986. Vgl. auch Amnesty International, Nicaragua. T h e H u m a n Rights R e c o r d , London 1986, sowie die betreffenden Jahresberichte von Amnesty International.
428
DIE ENTWICKLUNGEN IN ZENTRALAMERIKA
aber eine humanitäre Hilfe für die Contras in H ö h e von 27 Millionen Dollar. In einer monatelangen Kampagne versuchte die Administration dann, die Billigung einer 100-Millionen-Dollar-Hilfe für die Contras, die 70 Millionen Dollar Militärhilfe einschloß, durch den Kongreß zu erreichen. Die Militärhilfe für die Contras war Anfang 1986 Gegenstand ausführlicher und heftiger Debatten. Schließlich fand sich im Kongreß eine knappe Mehrheit bereit, die beantragte Hilfe für die Contras zu bewilligen: Im Repräsentantenhaus stimmten im Juni 1986 221 Abgeordnete mit Ja und 200 mit Nein. Die Abstimmung im Senat fiel im August mit 53 zu 47 Stimmen ebenso knapp für die Militärhilfe aus.
Die Unterstützung
der Contras
Im Zusammenhang mit dieser Entscheidung wuchs die Bedeutung von Honduras, da von dort aus die amerikanische logistische Unterstützung für die Contras erfolgte. Durch die Contra-Lager im Land verfügte die antisandinistische Guerilla über eine Rückzugs-, Sammlungs- und Aufmarschzone. Militärisch-infrastrukturell (z.B. Anlage von Flugplätzen und Straßen) wurde H o n d u r a s weiter zu einem Brückenkopf ausgebaut, von dem aus potentiell eine amerikanische Invasion gegen Nicaragua erfolgen konnte. Fortgesetzt wurde auch die bisherige Praxis ständiger amerikanisch-honduranischer Militärmanöver. Für das honduranische Militär zahlte sich die Kooperationsbereitschaft des Landes aus: So erhielt Honduras nach El Salvador die höchste amerikanische Militärhilfe unter den zentralamerikanischen Ländern. 1 7 Die erheblichen Schwierigkeiten, die die Reagan-Administration hatte, eine (wenn auch knappe) Mehrheit im Kongreß für die Militärhilfe an die Contras zu finden, waren nicht zuletzt auf die ablehnende Haltung der amerikanischen Bevölkerung zurückzuführen. In einer Umfrage vom Juni 1986 sprachen sich knapp zwei Drittel der Befragten, trotz aller Medienkampagnen der Regierung, gegen die Contra-Finanzierung aus. 18 Aber innerhalb der Demokratischen Partei setzte sich eine negative Beurteilung des sandinistischen Regimes durch. Die Partei wollte nicht „soft on communism" erscheinen. Deshalb stimmten mehrere demokratische Abgeordnete und Senatoren dem Antrag der Administration auf Finanzierung des ContraKampfes zu.
17 Honduras 1985: ca. 74 Mio. Dollar; El Salvador 1985: 146 Mio. Dollar. Vgl. Jonathan E. Sanford, Major Trends in U.S. Foreign Assistance to Central America: 1978-1986, Washington (Congressional Research Service, Report Nr. 86-88 F), 8.4.1986. 18
Vgl. The Washington Post, 25.6.1986, S. A 16.
429
DIE UNTERSTÜTZUNG DER CONTRAS
Die Entscheidungen für die Contra-Hilfe waren unterschiedlich motiviert. Offiziell begründete die Regierung ihre Anträge damit, daß die U S A nur mit Hilfe einer schlagfähigen Contra-Bewegung in der Lage seien, das sandinistische Regime unter Druck zu setzen, eine engere Anlehnung an die Sowjetunion zu verhindern und totalitären Tendenzen entgegenzusteuern. Mehrere Indizien wiesen allerdings darauf hin, daß innerhalb der Administration - an erster Stelle wäre hier der Präsident selbst zu nennen - und einem Teil des Kongresses eine regelrechte „Kriegspartei" (war party) ausgemacht werden konnte, die das Ziel verfolgte, mit Hilfe der Contras das sandinistische Regime zu stürzen. 1 9 Weitgehende Einigkeit bestand darüber, daß der bewilligte Betrag nicht ausreichen würde, um die Contras in die Lage zu versetzen, das sandinistische Regime zu stürzen. 2 0 Aber auch bei der Bewilligung höherer Geldbeträge wurden die Siegeschancen der Contras weithin skeptisch eingeschätzt. 21 Selbst diejenigen, die den Contras prinzipielle Siegeschancen zuerkannten, mußten einräumen, daß es den Contras nur über einen längeren Zeitraum hinweg gelingen könne, das sandinistische Regime zu stürzen. 22 Verschiedentlich wurden auch Zweifel gegenüber dem Wert der Contras als Druckinstrument angebracht, da erwartet werden konnte, daß sich die Sandinisten in dem Maße, in dem sie ökonomisch und militärisch unter Druck gesetzt wurden, noch enger an kommunistische Länder, vor allem an die Sowjetunion, anschließen würden. Unter moralischen Gesichtspunkten wurde auch in der amerikanischen Öffentlichkeit gefragt, ob man sich mit den Contras verbünden und sie, wie es die Regierung tat, als „demokratische Freiheitskämpfer" glorifizieren dürfe. 23 Hingewiesen wurde auf die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen der Contras, ihre Korruptionspraktiken und die somozistische Vergangenheit vieler ihrer militärischen Führer. 2 4 In den U S A herrschte zumindest ein breiter politischer Konsens, daß Nicaragua sich nicht in ein „zweites K u b a " verwandeln dürfe. Zunehmend setzte sich die Ansicht durch, daß es sich bei den Sandinisten um Marxisten-Leninisten handele. Angesichts der Probleme und mangelnden Erfolgsaussichten der Politik gegenüber den Contras gaben 19
Vgl. William M. LeoGrande, 11, Nr. 2, 1986, S. 89-120. 2 0 Vgl. z.B. Henry Kissinger, S. C 8. 21
Vgl. 25.8.1986, 2 2 Vgl. 27.7.1986, 23 24
Rollback or Containment?, in: International First „latinize"
it, in: The Washington
Security, Bd. Post,
13.4.1986,
die Stellungnahmen militärischer Experten in: ebd., 13.4.1986, S. C 2; Newsweek, S. 28. Robert S. Leihen, Who says the Contras cannot succeed, in: The Washington Post, S. D 1 f.
Dieses Thema wurde 1986 ständig in der amerikanischen Presse behandelt.
Vgl. in diesem Zusammenhang den sorgfältigen Bericht des Journalisten Christopher Dickey, With the Contras. A Reporter in the Wilds of Nicaragua, New York 1985.
430
DIE E N T W I C K L U N G E N I N ZENTRALAMERIKA
aber viele amerikanische Politiker, vor allem Demokraten, einer Strategie des Arrangements mit Nicaragua den Vorzug und schlugen die Wiederaufnahme von Gesprächen zwischen den U S A und Nicaragua vor, die Ende 1984 abgebrochen worden waren. 25 Die der Demokratischen Partei nahestehende Linowitz-Kommission schätzte die Chancen gering ein, in Verhandlungen mit den Sandinisten eine überzeugende Demokratisierung des Regimes zu erreichen. Sie hielt es aber durchaus für möglich, mit den Sandinisten zu sicherheitspolitischen Vereinbarungen zu gelangen, die für die U S A akzeptabel seien. 2
DAS S C H E I T E R N D E R
CONTADORA-INITIATIVE
Die breit angelegte Contadora-Initiative der Staaten Mexiko, Venezuela, Kolumbien und Panama erstreckte sich 1985/86 auch auf Probleme der inneren Ordnung der zentralamerikanischen Staaten. 27 So sollten sich diese Länder zu einer Respektierung der Menschenrechte und zur Errichtung bzw. Verbesserung demokratisch-pluralistischer Systeme verpflichten. „Dialoge" mit oppositionellen Gruppen sollten in Ländern, in denen Bürgerkriege stattfanden, zur „nationalen Versöhnung" führen. Eindeutig galt die Hauptaufmerksamkeit der Contadora-Initiative der als besonders wichtig empfundenen sicherheitspolitischen Problematik. Während die Contadora-Akte vom Juni 19 8 6 2 8 für politische Reformen weder einen konkreten Zeitplan noch wirksame Verifikationsmaßnahmen vorsah, versuchte sie im sicherheitspolitischen Bereich den Prinzipien der Gleichzeitigkeit, Ausgewogenheit und Verifikation gerecht zu werden. Für die sicherheitspolitische Verifikations-Kommission waren eine hohe Personalausstattung und umfangreiche Kompetenzen - unter anderem „Inspektionen vor O r t " - vorgesehen, die sie zu einer wirksamen Kontrolle befähigen sollten. Das Prinzip der militärischen Ausgewogenheit sollte durch Verpflichtungen verwirklicht werden, die sicherstellten, daß kein zentralamerikanischer Staat einem anderen in Rüstungs- und Truppenstärke deutlich überlegen war. Eine Einigung über diese strittige Materie sollte nach Unterzeichnung der Akte erfolgen. Damit sah die
Repräsentativ hierfür ist der Beitrag von Michael D. Bames, U.S. Policy in Central America. The Challenge of Revolutionary Change, in: Andrew J. Pierre (Hrsg.), Third World Instability. Central America as a European-American Issue, New York, London 1985, S. 70-105. 26
Vgl. IHT,
27
Vgl. hierzu Krumwiede,
28
15.4.1986, sowie Krumwiede,
a.a.O. (Anm. 2), in: IP 1983/84, S. 358 f.
ebd., S. 359 ff.
Text in: Instituto Centroamericano de Estudios Políticos, Contadora: Realidad o ilusión? Cronología y documentación de una iniciativa para la paz y la democratización en Centroamérica, Guatemala 1986.
VORBEHALTE DER AMERIKANISCHEN REGIERUNG
431
Akte keine unmittelbare Regelung des Problems vor, daß Nicaragua an Truppenstärke die Nachbarstaaten deutlich übertraf. Der Vorteil der Contadora-Akte bestand aus westlicher Sicht vor allem darin, daß sich eine militärpolitische Anbindung Nicaraguas an kommunistische Staaten verhindern bzw. rückgängig machen ließ. Nicaragua hätte sich mit der Ratifizierung der Akte nämlich unter anderem verpflichten müssen, kubanische und sowjetische Militär- und Sicherheitsberater nach Hause zu senden, die salvadorianische Guerilla nicht zu unterstützen und die Errichtung sowjetischer Militärstützpunkte nicht zuzulassen. Hinsichtlich dieser Problemkomplexe sah die Akte gleichzeitige und konkrete Maßnahmen vor: Innerhalb von 180 Tagen nach Vertragsunterzeichnung sollten „ausländische militärische Stützpunkte, Schulen oder Einrichtungen" abgebaut und ausländische Militär- und Sicherheitsberater abgezogen werden. Sofort eingestellt werden sollte auch die Unterstützung „irregulärer Kräfte" (also von Guerilla-Bewegungen) in anderen Ländern.
Vorbehalte der amerikanischen
Regierung
Die vielfältigen Vorbehalte der amerikanischen Administration gegenüber der Contadora-Initiative wurden in einer Studie des amerikanischen Verteidigungsministeriums veröffentlicht. 29 Es wurde darauf hingewiesen, daß die USA, falls sie den Contadora-Vereinbarungen zustimmten, ihre Militärberater aus befreundeten zentralamerikanischen Ländern abziehen, ihre Manöver in Honduras beschränken und auf Rüstungshilfe an befreundete zentralamerikanische Länder verzichten müßten. Die Vorschriften über die Auflösung militärischer Stützpunkte, Schulen und Einrichtungen hätten sie veranlassen können, Teile ihrer militärischen Infrastruktur in Honduras abzubauen und auf viele ihrer geheimdienstlichen Operationen in der Region zu verzichten. Vor allem aber sollten sie die Unterstützung der Contras einstellen. Da die Vertragstreue der Sandinisten aber grundsätzlich bezweifelt wurde, hätten die USA, bei Auflösung der Contras, kein Druckmittel mehr gehabt, um die Sandinisten zu zwingen, die Contadora-Vereinbarungen einzuhalten. Das Scheitern der Contadora-Initiative im August 1986 zeigte, daß sich in Zentralamerika gegen oder ohne die Hegemonialmacht USA keine Friedenslösung durchsetzen ließ. 30 Die Sandinisten signalisierten zwar sicherheitspolitische Kompromißbereitschaft, verlangten aber einen Preis: die vertragliche 29
U.S. Department of Defense, Prospects for Containment of Nicaragua's Communist Government, Washington, Mai 1986. 3 0 Vgl. Esperanza Dtiran, Contadora: The Next Phase, Beitrag für die Konferenz des R I I A über: Conflict in Nicaragua. The Internal, Regional and International Dimensions, London, 28.-30.4.1986.
432
DIE ENTWICKLUNGEN IN ZENTRALAMERIKA
Verpflichtung der USA, sei es im Rahmen der Contadora-Vereinbarungen oder in einem Separatabkommen, auf die Unterstützung der Contras und andere Maßnahmen zu verzichten, die den Fortbestand des sandinistischen Regimes gefährdeten. Ein derartiges „Geschäft auf Gegenseitigkeit" entsprach durchaus der Logik der Contadora-Akte. Die amerikanische Administration war aber aus den erwähnten Gründen nicht bereit, diesen Preis zu zahlen. D E M O K R A T I S I E R U N G U N D R E V O L U T I O N IN G U A T E M A L A UND EL SALVADOR Das wichtigste innenpolitische Ereignis in Zentralamerika war im Dezember 1985 in Guatemala die Wahl des Christdemokraten Venicio Cerezo zum Staatspräsidenten. Zum ersten Mal seit mehr als 15 Jahren übernahm damit ein Zivilist, zudem Repräsentant einer sozialreformerischen Partei, die Regierungsgewalt in Guatemala.31 Die Wahl war auch von internationaler Bedeutung. Guatemala verlor seinen „Paria-Status", den es wegen seiner chronischen und umfassenden Menschenrechtsverletzungen hatte. Der Prozeß der Zivilisierung und Demokratisierung war dafür maßgeblich, daß in größerem Umfang westliche Wirtschaftshilfe nach Guatemala gelangte.32 In ihrer Zentralamerika-Politik befleißigte sich die neue Regierung einer „aktiven Neutralität". Sie schloß sich der antisandinistischen Politik Washingtons nicht an, sondern war für eine Regelung der Krise gemäß den Prinzipien von Contadora aufgeschlossen. Die Grenzen der Zivilisierung und Demokratisierung in Guatemala wurden aber recht bald offenbar. So zeigte sich 1986, daß das in Guatemala traditionell mächtige Kartell von konservativen Militärs und Großunternehmern die politische Manövrierfähigkeit, vor allem den sozialen Reformspielraum, der neuen Regierung drastisch einschränkte. Die Regierung konnte keine wirkliche Agrarreform, die in diesem Lande besonders notwendig war, in Angriff nehmen und mußte sich gegenüber den Militärs verpflichten, keine Strafverfolgungen von Uniformierten wegen Menschenrechtsverletzungen durchzuführen. 33 Konservative Militärs und die „illoyale Rechte" 3 4 verhinderten im Berichtszeitraum auch in El Salvador, daß die christdemokratische Regierung 31
Der letzte zivile Präsident, Julio Méndez M., amtierte von 1966 bis 1969.
32
Vgl. die Daten bei Sanford, a.a.O. (Anm. 17).
Vgl. z.B. Peter Ganther, Guatemalas Regierung und das Landproblem, in: NZZ, 14.9.1986, S. 7. 34 Vgl. Enrique A. Baloyra, Dilemmas of Political Transition in El Salvador, in: Journal of International Affairs, Nr. 38, 1985, S. 221-242. 33
GUATEMALA U N D EL SALVADOR
433
unter José Napoleón Duarte Sozialreformen, vor allem die Agrarreform, in dem von ihr gewünschten Umfang vorantreiben konnte. Dementsprechend verlor die Regierung an Unterstützung in den Unterschichten. Symptomatisch war wohl, daß mehrere ehemals regierungsfreundliche Gewerkschaften sich der oppositionellen Vereinigung von Gewerkschaften, Genossenschaften und Campesinos (Kleinstbauern und Landarbeiter), der Unidad Nacional de Trabajadores Salvadoreños (UNTS), anschlössen, die nach eigenen Angaben 1986 etwa eine halbe Million Mitglieder repräsentierte. Die U N T S trat unter anderem für eine radikale Agrarreform und ernsthafte Versuche ein, den Bürgerkrieg durch Verhandlungen mit der revolutionären Linksfront Frente Democrático Revolucionario/Frente Farabundo Martí de Liberación Nacional (FDR/FMLN) a beenden. 35 Auch gelang es der Regierung nur begrenzt, das Verhalten der Streit- und Sicherheitskräfte zu kontrollieren und ihre Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden. Trotz massiver Counter-Insurgency-Maßnahmen der Streitkräfte blieb der F D R / F M L N 1985/86 militärisch stark. 36 Es war nicht auszuschließen, daß der Prestigeverfall der Regierung den Revolutionären zugute kam. Die Entscheidung der Reagan-Administration, in El Salvador auf eine Niederwerfungsstrategie gegenüber der revolutionären Linken zu setzen und ihre Verhandlungsangebote prinzipiell abzulehnen, sich statt dessen mit dem in El Salvador herrschenden System zu identifizieren und es jährlich mit fast einer halben Milliarde Dollar zu unterstützen, war daher nicht unproblematisch.
35 Vgl. Frank Smith, D o n ' t Put El Salvador in the Win Column yet, in: SAIS-Review, Nr. 2, 1986, S. 59-68.
Bd. 6,
36 Vgl. Tammy Arbuckle, A Vietnam Lesson Unlearned? Same Hardware, same Tactics, same Conclusions in El Salvador?, in: Armed Forces Journal, Bd. 123, Nr. 6, 1985, S. 46-58; Sara Miles, The Real War. Low-Intensity Conflict in Central America, in: NACLA Report on the Americas, Bd. 20, N r . 2, 1986, S. 18-47; Eric Venturi, Krieg um sechs Daumen Breite, in: Die Zeit, 14.11.1986, S. 77-80; Edward R.F. Sheenan, The „Clean" War, in: The New York Review of Books, Bd. 33, N r . 11, 1986, S. 25-30.
ANHANG
LITERATURHINWEISE
I
Globale Probleme
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IX
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PERSONENREGISTER Abdullah, Georges Ibrahim 298 Abe, Shintaro 232, 372 Abrahamson, James A. 21 Abu Jihad 279 Abu Nidal 42, 43, 46, 292, 293, 298, 322 Abu Rahmeh, Fuad 278 Abul Abbas 293 Achromejew, Sergej 1 1 0 , 1 3 3 Adonnino, Pietro 200, 204 Afheld, Horst 196 Alfonsin, Raul 408, 409, 414, 417, 421, Alia, Ramiz 263, 276 Arnes, Robert 321 al-Amin, Ibrahim 304 Amin, Idi 345 Amin, Mohammed 334 Amirthalingam, Appapillai 399 Andropow, Jurij W . 88, 216, 217, 219, 222, 227, 230, 231 Aquino, Benigno 376 Aquino, Corazon 377-379, 383, 389 Arafat, Yasser 44, 238, 277-279, 284, 294, 300, 302, 303, 310 Archipow, Iwan 365 al-Assad, Hafez 284, 297, 298, 309 Audran, René 41 Bahr, Egon 355 Baker, James 68, 74-76, 81 al-Bakusch, Abdel-Hamid 299 Baldrige, Malcolm 86, 89 Bandaranaike, Anura 401 Bandaranaike, Sirimavo 399, 401 Bangemann, Martin 153 Barba, Jean-François 295 Barnala, Surjit Singh 398 Barzani, Masud 281 Beggs, James M. 19 Benjedid, Chadli 324 Bern, Nabih 303-305
299,
423
220,
293,
Bhindranwale, Sant Jarnail Singh 395-397 Botha, Pieter Willem 346, 355 Breshnew, Leonid I. 8, 88, 215, 222, 227, 230, 235, 236 Brossolet, Guy 196 Brzezinski, Zbigniew 181 Buckley, William 313 Buerk, Michael 334 Burt, Richard 188, 316 Bush, George 88, 371 Buthelezi, Mangosuthu G . 346, 347, 354 Carballo, Bismarck 427 Carranza, Roque 408 Carrington, Lord Peter A. 173 Carter, Jimmy 22, 87, 168, 181, 318, 354 Casey, William J . 319-321 Ceausescu, Elena 272 Ceausescu, Nicolae 235, 237, 238, 249-251, 253, 271, 272 Ceausescu, Nicu 272 Cerezo, Venicio 432 C h e n J i e 369 Chen Yun 362, 363 Cheysson, Claude 186 Chirac, Jacques 154, 198, 295 Chruschtschow, Nikita S. 216, 221, 271 de Clercq, Willy 166 Cockfield, Lord Arthur 203 Cohen, William 179 Colombo, Emilio 186, 199, 208 Courter, Jim 141 Craxi, Bettino 48, 204, 242 Daniloff, Nicholas 98, 99 Delors, Jacques 200, 205, 375 Deng Xiaoping 362-364, 367, 370, 371, 373 Dicks, Norman 145 Dimitroff, Georgij 255 Dobrynin, Anatolij 97, 228 Dooge, James 200, 205
474
PERSONENREGISTER
Duarte, José Napoleón 433 Dumas, Roland 44, 312 Eilts, Herman 322 Einstein, Albert 229 Enrile, Juan Ponce 377, 378 Fabius, Laurent 242 Fadlallah, M. Hussein 47, 290, 304 Fahd, König von Saudi-Arabien 285, 286 Faluvegi, Lajo 370 Faqih, Wali 288 Fazio, Victor 145 Ford, Gerald R. 181, 318 Fräser, Malcolm 356 Gandhi, Indira 392, 395-397 Gandhi, Rajiv 231, 392-394, 396, 397 Gandhi, Sanjay 396 Garcia, Alan 4 1 1 , 4 1 5 de Gaulle, Charles 185 Geagea, Samir 306, 307 Geldof, Bob 334 Gemayel, Amin 306, 307, 309 Gemayel, Béchir 306 Genscher, Hans-Dietrich 33, 135, 155, 186, 187, 190, 199, 204, 208, 228, 351, 355, 358, 374 Ghorbanifar, Manucher 320 Giliomee, Hermann 346 Giraud, André 295 Giscard d'Estaing, Valéry 191, 209 Gorbatschow, Michail S. 8, 9, 29, 30, 87, 89-92, 94-102, 104-106, 109, 110, 112, 115, 116, 120, 124, 133, 137, 141, 144, 149, 150, 175, 193, 195, 215-228, 230-232, 234-236, 239-241, 245, 268, 271, 273, 274, 276, 364, 365, 367, 368, 386, 390, 392, 421, 426 Gorbatschowa, Raissa 226 Graham, Daniel O . 140 Gramsci, Antonio 229 Grischin, Viktor 2 1 7 , 2 2 1 Gromyko, Andrej A. 30, 85, 86, 91, 103, 104, 110, 120, 123, 216-218, 220, 225 Guerrero, Amado 388 Habré, Hissen 324 Halefoglu, Vahit 260 Hasi, Ahmed 297 Hassan II., König von Marokko 324 Heng Samrin 380 Hernu, Charles 186, 191
279, 323,
Heseltine, Michael 179 Heunis, Chris 346 Hindawi, Nezar 297 Hirohito, Kaiser von Japan 373 H o Chi Minh 381 Hobeika, Elias 306, 307, 309 Höpcke, Klaus 126 Honecker, Erich 230, 242, 243, 370 Howe, Sir Geoffrey 158, 202, 351, 358 Hoxha, Enver 275, 276 Hu Yaobang 375 Hussein, König von Jordanien 277-279, 284 Hussein, Saddam 281
Jakowlew, Alexander 226, 229 Jalloud, Abdel Salam 300 Jaruzelski, Wojciech 230, 235, 241, 242, 370 Jayewardene, Junius R. 400-403 Jelzin, Boris 217, 219 Jobert, Michel 186 Johannes Paul II., Papst 242 Johnston, Bennett 145 Jonathan, Leabua 353 Kädär, Jänos 2 3 9 , 2 5 0 , 2 5 1 Kalb, Bernard 320 Kampelmann, Max 87 Katuschew, Konstantin F. 366 Kaunda, Kenneth D . 353 Kemp, Jack 141 Kennedy, Edward M . 322, 354 el-Khadafi, Muammer 42, 48, 49, 97, 157, 158, 279, 282, 286, 298-300, 316-326 Khaled, Ibrahim M. 292 al-Kholi, Muhammed 297 Khomeiny, Ayatollah Ruhollah 287-290, 304, 310, 318 Khun Sa 385 Kiechle, Ignaz 203 Kimche, David 296 Kirkpatrick, Jeane 140 Kissinger, Henry A. 101, 140, 145, 181, 188, 196 Kleiber, Günther 370 Köpeczi, Béla 252 Kohl, Helmut 48, 153, 154, 177, 190, 191, 200, 201, 203, 228, 242 Kolbin, Gennadij 224 Kossigyn, Alexej 28 Kunajew, Dinmuhamed 223 Kusumaatmadja, Mochtar 382
475
PERSONENREGISTER
Lambsdorff, O t t o Graf 355 Laurel, Salvador 377-379, 386 Lee Kuan Yew 391 Lekhanya, Justin 353 Lenin, Wladimir I. 216 Leutwiler, Fritz 358 Levin, Carl 178 Li Peng 240, 364, 365, 369 Li Xiannian 371, 385 Ligatschow, Jegor 220 Linowitz, Sol M. 430 Liu Shuqing 385 Loser, Joachim 196 Longowal, Sant Harchand Singh Machel, Samora
Özal, Turgut 260 Orlow, Jurij 99, 123, 124 Orr, Uri 311 Ortega, Daniel 425, 427 Ost, Friedhelm 115 Oueddei, Goukouni 324
393, 398
354
Mahathir Mohammed, Dato Seri 384, 386, 391 el-Mahdi, Sadikh 343 Mandela, Nelson 349, 355 Mandela, Winnie 349 Marais, Jaap 348 Marchenko, Anatolij 123, 124 Marcos, Ferdinand 376-378, 383 Marcos, Imelda 376 al-Masri, Safer 279 Mawdoodi 288 Mengistu Haile Mariam 334, 338 Mitterrand, François 44, 153-155, 187, 190192, 198, 201, 203 Mubarak, Hosni 278, 279 Murphy, Richard 278, 279 Museveni, Yoweri 345 Nakasone, Yasuhiro 232, 372-374 Nasser, Gamal Abdel 267, 289 Natsume, Haruo 373 Nazer, Hisham 286 Ne Win 385 Nehru, Jawaharlal 267 Nel, Louis 354 Nicholson, Arthur D . 88, 89, 227 al-Nimairy, Jaafar M. 288, 289, 323, 335, 342 Nitze, Paul H . 87 Nixon, Richard M . 28, 142, 181, 318 Nkomo, Joshua 353 North, Oliver 321 Nunn, Sam 101, 142, 143, 178, 179 Obando y Bravo, Miguel Kardinal Obasanjo, Olusegun 356 Obote, A. Milton 345
427
Palme, Olof 229, 242 Pelsche, Arwid 220 PengZhen 373 Peres, Shimon 278, 279, 298, 311, 324 Pérez de Cuéllar, Javier 282 Pertini, Sandro 242 Pipes, Richard 140 Podhoretz, Norman 140 Poindexter, John 321 Pol Pot 380, 381 Popietusko, Jerzy 235 Prabhakaran, Vellupillai 400-403 Premadasa, Ranasinghe 401 Proxmire, William 145 Qabalan, Abd-al-Amir 305 Qian Qichen 365, 368 Quayle, Dan 141, 179 Ramos, Fidel 377, 378 Rancovic, Aleksander 261 Randall, Peter 354 Reagan, Ronald W . 18, 20, 21, 29, 30, 44, 48, 61, 83, 84, 86-96, 98-105, 116, 118, 124, 133, 137, 139-146, 148-150, 156-159, 161, 163, 167, 169, 175, 181, 193, 194, 227, 239, 277, 295, 299, 300, 316, 318-321, 323, 353-355, 358, 371, 390, 417, 422, 424, 427-429, 433 Renovica, Milanko 268 Reuter, Edzard 160 Reza Pahlewi, Schah von Persien Riesenhuber, Heinz 33 Rifkind, Malcolm 202 Rogatschow, Igor A. 368 Rogers, Bernard 171-173, 179 Romanow, Grigorij 220 Roth, William 1 7 8 , 1 7 9 Rühe, Volker 182 Russell, Bertrand 229 Ryshkow, Nikolaj 220, 221
44, 296
Sacharow, Andrej 92, 102, 123, 124, 228 Sacharow, Gennadij 98, 99 as-Sadat, Anwar 323 Sagdejew, Roald 29
476
PERSONENREGISTER
Said, Haitham 297 Salameh, Faruk 297 San Yu 385 Sanguinetti, Julio M . 405 Sarney, José 4 1 0 , 4 1 4 al-Sartawi, Issam 292 Savimbi, Jonas 353 Scha'ban, Said 2 8 8 , 3 1 0 Schatrow, Michail 217 Schewardnadse, Eduard 29, 91, 97, 104, 112, 120, 123, 134, 135, 220, 227, 232 Schlesinger, James 101 Schmidt, Helmut 193, 209 Schtscharanskij, Anatolij 95, 123, 124, 228 Schtscherbitskij, Wladimir 9, 217 Seurat, Michel 313 Shiwkow, Todor 240, 241, 256, 274 Shultz, George P. 29, 85, 86, 88, 91, 92, 97, 98, 101-103, 123, 143, 150, 321, 351, 353 Sihanouk, Prinz S. Norodom 380 Sin, Jaime Kardinal 377 Singh, Darbara 396 Singh, Giani Zail 395, 396 Siniora, Hanna 278 Sljunkow, Nikolaj 219 Sofaer, Abraham 93 Son San 380 Song Ping 366 Sourrouille, Juan 414 Späth, Lothar 228 Spanocchi, Emil 196 Spinelli, Altiero 199, 205 Stalin, Josef W. 215, 216, 222, 255 Stoltenberg, Gerhard 33, 68 Strauß, Franz Josef 34, 209, 355 Suharto 384 Sukarno, Ahmad 384 Szürös, Mätyäs 237 Talabani, Jalal 281 Talysin, Nikolaj 365, 366 Tambo, Oliver 348, 349, 351 TerreBlanche, Eugene 348 Thatcher, Margaret 48, 153, 156, 200, 203205, 226, 321
Tian Jiyun 383 Tichonow, Nikolaj 220, 260 Tindemans, Leo 209 Tito, Josip Broz 229, 255, 261, 264, 265, 267 Todorow, Stanko 240 Treurnicht, Andries 348 Tschebrikow, Viktor 220 Tschernenko, Konstantin 87, 103, 215- 218, 220, 222, 227, 228, 230, 242, 364 Tutu, Desmond 354 Ustinow, Dmitrij F.
220
Vega, Bischof Pablo A. Vessey, John 371 Volcker, Paul 68 Vredeling, Henk 180
427
Wallop, Malcolm 141 Warnke, Paul 145 Weinberger, Caspar 21, 88, 89, 92, 153, 168, 170, 321, 371, 393 von Weizsäcker, Carl-Friedrich 229 von Weizsäcker, Richard 239 Whitehead, John 325 Will, George F. 140 Wilson, Pete 141 Wörner, Manfred 171 Wolde Giorgis, Dawit 334, 340 Wolde, Goshu 340 Wright, James 145 Wu Xueqian 373, 374, 384 Yamani, Ahmed Zaki 285, 286 Yang Dezhi 371 Y a o Y i l i n 365 Yaqub, Tal'at 293 Yeutter, Clayton K. 166 Zhang Aiping 371 Zhao Ziyang 361-363, 365, 371, 374 Zimmermann, Ernst 41
SACHREGISTER ABRÜSTUNG (siehe auch KSZE, WELTRAUM) Delhi-Deklaration 392 Konventionelle Abrüstung/MBFR 103, 177 Rüstungskontroll-Abkommen ABM-Vertrag 16, 28, 93, 98, 100, 117-120, 137, 141-144, 150 Heißer-Draht-Abkommen 86 SALT-Prozeß 86, 90, 93, 97, 102, 105, 106, 118, 137, 145, 150, 227 Schwellenvertrag 103 UN-Abrüstungskonferenz (CD) 27, 103 Verhandlungen UdSSR-USA 26, 29, 30, 84-86, 91, 94, 100, 103-121, 137, 149, 220 Abrüstungsvorschläge der - UdSSR 104-107, 109-113, 119, 120, 139, 185, 195, 227, 228 - U S A 107, 108,114-118, 121, 137-140 Junktim-Problematik 91, 95, 104, 105, 120, 175 Mittelstreckenraketen (INF) 30, 95, 100, 104-108, 111-115, 117-121, 137, 144, 145, 148, 175-177, 185, 227 - Drittstaaten-Systeme 105, 106, 111, 113, 176 Strategische Waffen (START) 30, 86, 95, 100, 104-107, 116-119, 137-139, 175, 185, 227 Teststopp 95, 100, 110 Verifikationsproblematik 12, 100, 133, 134, 227 Verzicht auf Ersteinsatz 103 Weltraumwaffen (NST) 23, 26, 27, 29, 8487, 91, 100, 101, 103, 105, 119, 120, 137, 139, 185 Weiterverbreitung von Kernwaffen 14 ÄGYPTEN Außenpolitik Palästina-Frage - Friedensbemühungen
Beziehungen zu Arabische Staaten 283, 284 Irak 284 Israel 279 - Friedensvertrag 283, 318 Jordanien 284 USA 278, 323 - AWACS
319
Innenpolitik Islamischer Fundamentalismus 291 Sicherheit Terrorismus 299 Wirtschaftsprobleme 285, 286
287, 290,
ÄTHIOPIEN Außenpolitik Ogaden-Konflikt
330, 344
Beziehungen zu Kuba - Militärhilfe 344 UdSSR - Militärhilfe 337, 344 Flüchtlingsproblematik 328-332, 335 Rückführungsprogramme 332 Innenpolitik Bürgerkrieg 337, 338 - Eritrea 330, 338, 343 - Tigré 328, 330, 338, 343 Menschenrechtspolitik 339 Revolutionsfeiern 334 Zwangsumsiedlung 328, 338-340, 343 Wirtschaft Agrar- und Ernährungsprobleme 334-338 - Nahrungsmittelhilfe 334, 338 - Verdorfungsprogramm 340 Schuldendienst 337 AFGHANISTAN
278, 279
Bürgerkrieg
91,92,223,231,234
478
SACHREGISTER
AFRIKA
ANGOLA
Flüchtlingsproblematik 327-335, 344 Integration 331 Rückführungsprogramme 332-334
Beziehungen zu Brasilien 419 Kuba - Militärpräsenz 353 Südafrika - Militäraktionen 352, 353 UdSSR - Militärhilfe 353
Konflikte Bürgerkriege in - Äthiopien 328, 330, 337, 338, 343 - Mosambik 353, 354 - Sudan 329, 336, 337, 342, 343 Angola-Konflikt 352, 353, 419 Namibia 352 OAU-Prinzipien 344 Südafrika 346-354 Tschad 323, 324, 330 Westsahara-Konflikt 324 Wirtschaftliche Entwicklung Agrar- und Ernährungsprobleme 327, 330, 334-341 - UN-Programm 341 Industrielle Entwicklung
342
ALBANIEN Außenpolitik Grundsätze 122, 233, 234, 248 Beziehungen zu Jugoslawien - Kosovo-Frage 248, 261-263 UdSSR 276 Innenpolitik Parteikongreß (9.) 276 Reformmaßnahmen 275, 276 Wirtschaft Außenhandel 275 Wirtschaftliche Entwicklung 276 Wirtschaftsbeziehungen zu -
D D R 275 Italien 275 Jugoslawien 275 Rumänien 275 Tschechoslowakei
275
ALGERIEN Beziehungen zu Iran 284 Mauretanien 324 Tunesien 286, 323 USA 324 AMERIKA (siehe KANADA, LATEINAMERIKA, USA)
Innere Entwicklung
352, 353
Verteidigung UNITA 352, 353 - Militärhilfe der USA ANTARKTIS
97
418
ARABISCHE STAATEN Arabische Liga 284 Gipfelkonferenz 279, 284 Beziehungen zu Ägypten 283, 284 Brasilien 419 Islamischer Fundamentalismus
287-291
Konflikte Arabisch-israelischer Konflikt 43, 277-280, 283, 284, 318 Golf-Krieg 15, 43, 44, 280-284 Libanon-Konflikt 43-45, 47, 283, 287-290, 293-298, 302-315, 321 - Hilfeleistungen für Libanon Maghreb
314
279, 323, 324
ARGENTINIEN Außenpolitik Delhi-Deklaration 392 Falkland(Malwinen)-Konflikt 416-418 - Verfassungsänderung 417 Mittelamerika-Politik - Friedensbemühungen 420, 424 Nuklearpolitik 423 Beziehungen zu Chile 418 Großbritannien 417 - Handelsembargo 417 Kuba 423 Nicaragua 423 UdSSR 420, 421 USA 422, 423
479
SACHREGISTER
Innenpolitik Demokratisierungsprozeß 406-410 - Menschenrechtspolitik 408, 409 - Rolle der Streitkräfte 408-410 Wirtschaft Austeritätsprogramm 413-416 Regionalintegration 414, 416, 418 Verschuldung 74, 76, 77, 81, 415 - Umschuldung 415 Währungsreform 414 Wirtschaftliche Entwicklung 411,413 Wirtschaftsbeziehungen zu - Brasilien 414 - UdSSR 421 ASEAN Außenpolitik Kamputschea-Konflikt 380, 382 Beziehungen zu China (VR) 376, 383, 386, 390 UdSSR 390, 391 USA 390 Integration 379, 382 Wirtschaft Landreform 387 Ölexport 388 Wirtschaftliche Entwicklung Wirtschaftsbeziehungen zu - Japan 391
387, 388
402
AUSTRALIEN
BARBADOS
405
BELGIEN Außenpolitik Europa-Politik
BIRMA
201, 203, 205
149
376
Beziehungen zu China (VR) 385 Innenpolitik Aufstandsbewegungen 385, 387 - KPB 385 - N D F 385 - SUA 385 Minoritätenproblem 387 BLOCKFREIE STAATEN Delhi-Deklaration
264, 267
392
Beziehungen Chile 418 Innenpolitik
zu
Demokratisierungsprozeß 405, 406 Wirtschaft Austeritätsprogramm
414
BOTSUANA
Sicherheitsfragen Afghanistan-Konflikt 91, 92, 223, 231, 234 Kamputschea-Konflikt 231, 367, 368, 376, 380-383, 385, 386, 391 Militärpräsenz der UdSSR 231, 369, 382, 390 Militärpräsenz der USA 379, 390
Außenpolitik SDI-Beteiligung 21 Südafrika-Politik - Sanktionen 356
49
Verteidigung Mittelstreckenraketen-Stationierung
BOLIVIEN
ASIEN (siehe auch ASEAN) SAARC
Beziehungen zu China (VR) 375 Sicherheit Terrorismus 40-42 - C C C 41, 42, 49 - Internationale Zusammenarbeit
Beziehungen zu Südafrika 353 - Militäraktion 353 BRASILIEN Außenpolitik Afrika-Politik 419 Mittelamerika-Politik - Friedensbemühungen 420, 424 Nahost-Politik 419 Regionalpolitik 410 Süd-Süd-Beziehungen 419 Beziehungen zu Angola 419 Arabische Staaten Israel 419 Kuba 420 Libyen 419 Nicaragua 420 USA 419
419
480
SACHREGISTER
Innenpolitik Demokratisierungsprozeß 405-407, 410 - Rolle der Streitkräfte 410 Wirtschaft Austeritätsprogramm 413-416 Regionalintegration 414, 416, 418 Verschuldung 74, 76, 77, 81, 415 - Umschuldung 415 Wirtschaftliche Entwicklung 411, 413, 415 Wirtschaftsbeziehungen zu - Argentinien 414 BULGARIEN Außenpolitik Balkan-Politik 238, 240, 255, 274, 275 - Kernwaffenfreie Zone 240, 275 Makedonien-Frage 254, 255, 274 Beziehungen zu China (VR) 240 Griechenland 240, 275 Jugoslawien - Makedonien-Frage 248, 255, 256 Rumänien 240 Türkei - Türkische Minderheit 248, 259, 260 UdSSR 235, 240, 248, 256, 257, 260, 272, 273 - Makedonien-Frage 256, 257 Innenpolitik XIII. Parteitag 241, 274 Türkische Minderheit 241, 248, 254-260, 274 Sicherheit Terrorismus 46 Wirtschaft Reformmaßnahmen 274 RGW-Integration 273 Wirtschaftsbeziehungen zu - China (VR) 240 - D D R 240 - UdSSR 240, 272, 273 - Westliche Staaten 273
CHILE
405
Beziehungen zu Argentinien 418 Bolivien 418 UdSSR 420 USA 422 Verschuldung
74, 81
C H I N A (VR) Außenpolitik Dritte-Welt-Politik 363, 375 Grundsätze 363, 364 Indochina-Politik 382, 383, 386 UN-Politik 375 Westpolitik 369, 374, 375 Beziehungen zu ASEAN 376, 382, 386, 390 Belgien 375 Birma 385 Bulgarien 240 D D R 243, 370 Deutschland (BR) 374,375 Europäische Gemeinschaft 374, 375 Frankreich 375 Griechenland 375 Großbritannien 374, 375 Indien 38 Indonesien 384-386 Irland 375 Italien 375 Japan 364, 372, 373 Kamputschea 386 Laos 385, 386 Luxemburg 375 Malaysia 383, 384, 386 - Auslandschinesen 383 Niederlande 374 Philippinen 383, 386, 389 Polen 241,370 Singapur 383 Skandinavien 375 Spanien 375 Thailand 383, 388 Türkei 375 Tunesien 375 UdSSR 231, 233, 364, 365, 367-370 - Kamputschea-Konflikt 231, 367, 368 - Sowjetische Truppenpräsenz in der Mongolischen VR 231, 369 USA 114,364,371 - Taiwan-Frage 369, 371 - Verteidigungskooperation 371 Vietnam 368, 382, 385, 386 Innenpolitik Partei - Parteibeziehungen 231, 243, 245, 369 - Personelle Neugestaltung 362 Reformpolitik 361-363 VI. Volkskongreß 361,363
SACHREGISTER
Weltraumpolitik 28 Raumfahrtprogramm 30, 35, 36 - Internationale Zusammenarbeit 36 Wirtschaft Außenhandel 361 Modernisierungspolitik 369 Wirtschaftliche Entwicklung 362 Wirtschaftsbeziehungen zu - Bulgarien 240 - DDR 369, 370 - Deutschland (BR) 367, 374 - Europäische Gemeinschaft 374, 375 - Hongkong 367, 372, 374 - Indonesien 384, 385 - Japan 366, 367, 372-374 - Malaysia 383 - Osteuropa 366, 369 - Polen 369 - Rumänien 238 - Singapur 367, 383, 388 - Tschechoslowakei 369 - UdSSR 365-367 - Ungarn 369, 370 - USA 367, 372, 374 Wirtschaftspolitik 363 COMMONWEALTH Gipfelkonferenz in Nassau 356 Südafrika-Politik 356, 357 COSTA RICA 405 ¿ S S R (siehe TSCHECHOSLOWAKEI)
DÄNEMARK Außenpolitik Europa-Politik 201, 204, 205 - Einheitliche Europäische Akte 206, 209 - EPZ 190 Südafrika-Politik - Sanktionen 355 Innenpolitik Referendum zur EG-Reform 206 Wirtschaftliche Entwicklung 57 DDR Außenpolitik KSZE-Prozeß 126 Warschauer Pakt 243 Westpolitik 242, 243, 245
481
Beziehungen zu China (VR) 243, 370 - Parteibeziehungen 243 Deutschland (BR) 242, 243 - Chemiewaffenfreie Zone 244 - Kulturabkommen 243 - Parteikontakte SED/SPD 243 - Städtepartnerschaften 243 Frankreich 242 Griechenland 242 Italien 242 UdSSR 242,245 Wirtschaft 222 Liquiditätsprobleme 244 Wirtschaftliche Entwicklung 235 Wirtschaftsbeziehungen zu - Albanien 275 - Bulgarien 240 - China (VR) 369, 370 - Europäische Gemeinschaft 11 - Polen 241 - Rumänien 238 - Ungarn 239
DEUTSCHLAND (BR) Außenpolitik Entwicklungspolitik - Deutsche Welthungerhilfe 333 Europa-Politik 200-204 - Agrarpolitik 203 - Einheitliche Europäische Akte 209, 210 - EWS 208 KSZE-Politik 128, 135 Rüstungskontroll-Politik 177 - Mittelstreckenraketen(INF)-Verhandlungen 115, 176 - Taktische Nuklearwaffen 183 Südafrika-Politik 355 - ANC-Kontakte 351 - Disinvestment 357 - Sanktionen 355, 357 Beziehungen zu China (VR) 374, 375 DDR 242,243 - Chemiewaffenfreie Zone 244 - Kulturabkommen 243 - Parteikontakte SED/SPD 243 - Städtepartnerschaften 243 Frankreich 154, 187, 190-194 - EUREKA 190 - Hermes 191
482
SACHREGISTER
Libyen - Sanktionen 325 Polen 241 Rumänien 238, 250 Syrien 297 Tschechoslowakei 244 - Chemiewaffenfreie Zone 244 UdSSR 228, 229 Ungarn 239 USA 156, 157 - Luftangriff auf Libyen 48, 325 - WHNS-Abkommen 178 Sicherheit Terrorismus 41. 46, 158, 297, 299, 300, 316, 321 - Internationale Anti-Terror-Zusammenarbeit 49, 51 - RAF 40, 41, 49 Verteidigung Bündnispolitik - Infrastrukturprogramm der N A T O 179 - WHNS-Abkommen 178 Deutsch-französische Zusammenarbeit 185, 190-194 - Koordinierungsausschuß für Verteidigungsfragen 187 - Manöver 191, 192 - Rolle der französischen Nuklearwaffen 191 Europäisierung der Sicherheitspolitik 190 - WEU-Reaktivierung 186 Mittelstreckenraketen-Stationierung 188 Out-of-Area-Problematik 326 Rüstungskooperation - Jäger 90 191, 192 - Panzerabwehr-Hubschrauber 192 SPD - Verteidigungspolitik 197, 198 Strategiedebatte 185 Weltraumpolitik 31, 33 SDI-Vereinbarung 21, 153, 154, 228 Zusammenarbeit mit - ESA 31, 32 - Frankreich 33, 34, 191 - USA 19 Wirtschaft Außenhandel 60, 69 Energiepolitik - Tschernobyl-Reaktorunfall Finanzpolitik 62, 66 - Steuerreform 68
4, 10, 12, 13
Forschungs- und Technologiepolitik - EUREKA 154, 155, 190 Währungspolitik 62, 162 - Wechselkursproblematik 60, 63, 162 Wirtschaftliche Entwicklung 55, 57-59 - Internationale Wettbewerbsposition 63 - Leistungsbilanz 58, 60, 76 - Rohstoffpreise 57 Wirtschaftsbeziehungen zu - China (VR) 367, 374 - Ungarn 239, 240 Wirtschaftspolitik 64, 65 - Forderungen der USA 67, 68 DOMINIKANISCHE REPUBLIK DSCHIBUTI
420
330,343
ECUADOR Außenpolitik Mittelamerika-Politik Innenpolitik Demokratisierung
420
406, 407, 410, 411
- Rolle der Streitkräfte
410,411
Wirtschaft Verschuldung 74, 415 Wirtschaftliche Entwicklung
411
EL SALVADOR Beziehungen zu USA 428,433 Bürgerkrieg und innere Entwicklung 432, 433 FDR/FMLN 420,433 Friedenskontakte 420 ELFENBEINKÜSTE
420,
74
ENTWICKLUNGSLÄNDER Flüchtlingsprobleme Afrika 327-334, 335, 344 Süd-Süd-Beziehungen
363, 375, 418, 419
Wirtschaftliche Entwicklung Agrar- und Ernährungsprobleme 327, 330, 334-340, 341 Verschuldungskrise 71-81 - Baker-Plan 74-77 - Lösungsstrategien 77-81 - Umschuldungsabkommen 72, 415
483
SACHREGISTER
ESA
- Genscher-Colombo-Initiative
19, 31-34
Langzeitprogramm
- Regierungskonferenz
EUROPÄISCHE GEMEINSCHAFT Außenpolitik Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) 50, 189, 190, 202, 203, 208, 214 - KSZE-Politik 128, 189 - Sicherheitspolitik 186, 187, 201, 203, 208
Iran-Contra-Affäre 158, 159 Mittelamerika-Politik 425 Südafrika-Politik 358, 359 - Sanktionen
355, 356, 358
Beziehungen zu China (VR) 374, 375 Libyen 49, 50, 157, 158, 325 - Sanktionen 158, 325 Syrien 50, 297, 298 USA 326 - Luftangriff auf Libyen 157, 324, 325 - SDI-Projekt 152-154 Entwicklungspolitik Nahrungsmittelhilfe 340, 341 Forschungs- und Technologiepolitik 208 EUREKA 152, 154-156, 208 - Ministerkonferenzen
186, 199,
208
31
155, 156
Institutionen Europäische Investitionsbank 214 Europäischer Gerichtshof 213 Europäischer Rat - Brüssel (1985) 210 - Dublin (1984) 200 - Fontainebleau (1984) 199, 200 - Luxemburg (1985) 205, 206 - Mailand (1985) 190, 200, 202-205 - Stuttgart (1983) 186,199 Europäisches Parlament 46, 48, 202, 205, 206, 208, 213, 298, 340 - Spinelli-Initiative 205 Kommission 164, 208, 212, 214 Mehrheitsentscheidungen 207, 209 Süderweiterung 199, 210-214 - Handelsbeschränkungen 213 - Ubergangsmaßnahmen 212, 214 - Zollschranken 213 Wirtschafts- und Sozialausschuß 213 Integration, Politische Europäische Union 186, 199, 201-205, 207 - Einheitliche Europäische Akte 190, 199, 206-212, 214
Regionalpolitik Mittelmeer-Programm Süderweiterung 212 Sicherheit
204, 205 206, 214
Terrorismus-Bekämpfung
46, 50, 51, 157
Wirtschaft Agrarpolitik 164, 166, 213 Außenhandel 163 Binnenmarkt 201, 203, 207-209 - Niederlassungsfreiheit 214 Energiepolitik - EURATOM-Vertrag 11, 15 - Reaktionen auf Tschernobyl-Reaktorunfall 10,11 Fischereipolitik 213 Stahlpolitik 164, 213 Währungspolitik 162 - Europäisches Währungssystem (EWS) 66, 201, 202, 207, 208 Wirtschaftliche Entwicklung 55-57, 69, 213 - Arbeitslosigkeit 57, 213 Wirtschaftsbeziehungen zu - China (VR) 374, 375 - D D R 11 - USA
159, 163, 164, 413
EUROPARAT
50
FRANKREICH Außenpolitik Afrika-Politik - Tschad-Konflikt 324 - Südafrika-Politik 355, 359 Europa-Politik 200, 204 - EUREKA 188 - EWS 208 KSZE-Politik 129 Nahost-Politik 43, 44 - Französische Geiseln 44, 45, 312, 313 - Golf-Krieg 43 - Libanon-Konflikt 43, 312, 313 Rüstungskontroll-Politik - Konventionelle Rüstungskontrolle 177 - Mittelstreckenraketen(INF)-Verhandlungen 176 Beziehungen zu China (VR) 375
484
SACHREGISTER
D D R 242 Deutschland (BR) 154, 187, 190-194 - E U R E K A 190 - Hermes 191 - Neutralismus-Furcht 193 Irak 282,296,312 Iran - Terrorismus 295, 296 Neuseeland - Rainbow-Warrior-Anschlag 42 Polen 241 Syrien 298 Tschad 324 Tschechoslowakei 244 Tunesien 286 USA - Luftangriff auf Libyen 48, 49, 158, 300, 317 Sicherheit Terrorismus 40-43, 45, 47, 298, 312, 313 - Absprachen 46, 295 - Action Directe (AD) 40-42, 49 - Internationale Anti-Terror-Zusammenarbeit 49-52 Verteidigung Europäisierung der Sicherheitspolitik 190 - Haltung zur „Erweiterten Abschrekkung" 193 - WEU-Reaktivierung 186, 188, 189 Französisch-deutsche Zusammenarbeit 185, 190-194 - Koordinierungsausschuß für Verteidigungsfragen 187 - Manöver 191, 192 - Rolle der französischen Nuklearwaffen 191 Rahmenbedingungen 184, 185 Rüstung - Konventionelle Streitkräfte 192, 193, 198 Nuklearstreitkräfte 193, 198 - Verteidigungsprogramm (1987-1991) 198 Rüstungskooperation - EFA 191, 192 - I E P G 180 - Panzerabwehr-Hubschrauber 192 Schnelle Eingreiftruppe (FAR) 198 Sozialistische Partei - Verteidigungspolitik 198 Weltraumpolitik SDI-Beteiligung
31, 33 21, 22, 153, 154
Zusammenarbeit mit - Deutschland (BR) 33, 34, 191 - ESA 31, 32 Wirtschaft Energiepolitik - Tschernobyl-Reaktorunfail 11 Forschungs- und Technologiepolitik - E U R E K A 154, 188, 190 Währungspolitik 62, 162 Wirtschaftliche Entwicklung 57 GATT
160, 165
Uruguay-Runde
80, 165
GRIECHENLAND Außenpolitik Balkan-Politik 238 Delhi-Deklaration 392 Europa-Politik 201, 204, 205 - Einheitliche Europäische Akte - Sicherheitspolitik 190 Beziehungen zu Bulgarien 240, 275 China (VR) 375 D D R 242
206, 210
Sicherheit Internationale Anti-Terror-Zusammenarbeit 49 Wirtschaftliche Entwicklung
57
GROSSBRITANNIEN Außenpolitik Europa-Politik 199, 201-205 - EWS 208 - Haushaltsbeitrag 200 Falkland(Malwinen)-Konflikt 416-418 Nahost-Politik 278 Südafrika-Politik 351, 355, 359 - Sanktionen 355, 356 Beziehungen zu Argentinien 417 - Handelsembargo 417 China (VR) 374, 375 Irland - Nordirland-Abkommen 49 Polen 241 Rumänien 238 Sri Lanka 403 Syrien 297 Ungarn 239
SACHREGISTER
USA 31, 185, 188 - Luftangriff auf Libyen 48, 300, 317, 321 Sicherheit Terrorismus 46 - IRA 40 Verteidigung Bündnispolitik 179 Europäisierung der Sicherheitspolitik 185 - Deutsch-französische Zusammenarbeit 193 - WEU-Reaktivierung 186, 188 Labour Party - Verteidigungspolitik 196-198 Marschflugkörper-Stationierung 197 Weltraumpolitik 31 SDI-Vereinbarung 21, 153 Wirtschaft Finanzpolitik 62 Forschungs- und Technologiepolitik - EUREKA 156 Währungspolitik 162 Wirtschaftsbeziehungen zu - Libyen 326 GUATEMALA Demokratisierungsprozeß Mittelamerika-Politik
405, 406, 432 432
GUAYANA 405,410 Beziehungen zu Venezuela 418
HAITI
405
Beziehungen USA 422
zu
HONDURAS Beziehungen zu USA 428 Wahlen 405 HONGKONG Wirtschaft Währung 64 Wirtschaftsbeziehungen zu - China (VR) 367, 372, 374
IAEO
10-12, 14, 224
485
INDIEN Außenpolitik Afghanistan-Konflikt 393 Delhi-Deklaration 392 SDI-Projekt 392 Süd-Süd-Beziehungen 38 Südafrika-Politik 356 - Sanktionen 356 Südasien-Politik - SAARC 402 - Tamilen-Konflikt 394, 398, 400, 402, 403 Beziehungen zu China (VR) 38 Pakistan 38 - Punjab-Konflikt 397, 402 Sri Lanka 398, 400, 402, 403 UdSSR 392, 393 USA 393 Innenpolitik Führungswechsel 392 Punjab-Konflikt 393-398, 402 - Sikh-Extremismus 395-398, 402 - Terroranschläge 402 Weltraumpolitik 28 Raumfahrtprogramm 38 Wirtschaftsbeziehungen zu UdSSR 392 USA 393 INDONESIEN Außenpolitik Kamputschea-Konflikt 382 Beziehungen zu China (VR) 384-386 Vietnam 382, 385, 386 Innenpolitik Kommunismus 388 Rolle der Streitkräfte 387, 389 Wirtschaft Wirtschaftliche Entwicklung 387, 388 Wirtschaftsbeziehungen zu - China (VR) 384, 385 INDUSTRIENATIONEN (siehe WESTLICHE STAATEN)
auch
Energiepolitik Reaktionen auf Tschernobyl-Reaktorunfall 13, 14, 41
486
SACHREGISTER
IRAK
Entwicklungspolitik Kreditvergabe 71 Nahrungsmittelhilfe 337, 340, 341 Geldpolitik 62, 66, 68 Koordination der Wirtschaftspolitik Ost-West-Wirtschaftskontakte Protektionismus
160
245
59, 63, 390, 418, 422
Wechselkursproblematik 60, 62, 63, 69, 161 EWS-Währungen 66 Weltwirtschaftsgipfel Bonn (1985) 62, 160, 190 Tokio (1986) 52, 69, 160 Wirtschaftliche Entwicklung
55-58, 69, 76
INTERNATIONALE BEZIEHUNGEN (siehe auch ABRÜSTUNG, TERRORISMUS, WELTRAUM) Flüchtlingsproblematik Afrika 327-335, 344 Ost-West-Beziehungen 29, 30, 83-92, 94, 97-101, 103-122, 124, 137, 144, 150, 227, 239, 242, 245, 246 KSZE/KVAE-Prozeß 122-135, 233, 234, 251 Regionale Konflikte Afrika - Angola 352, 353, 419 - Namibia 352 - Südafrika 346-359 - Tschad 323, 324, 330 - Westsahara 324 Asien - Afghanistan 91, 92, 223, 231, 234 - Kamputschea 231, 367, 368, 376, 380383, 385, 386, 391 Mittelamerika 419, 420, 424-433 - Contadora-Prozeß 419, 420, 424, 430432 Naher und Mittlerer Osten - Golf-Krieg 15, 43, 44, 280-284, 289 - Libanon 43-45, 283, 287-290, 293-298, 302-315 - Konfrontation Libyen-USA 48, 49, 96, 97, 157, 167, 297, 299, 300, 312, 316326 - Nahost 43, 277-280, 284 Südamerika - Falklands(Malwinen) 416-418,422,423 Welternährungsproblem
327, 330, 334-341
Außenpolitik Krieg mit Iran 43, 44, 280-284 - Reaktor-Angriffe 15 - Städtekrieg 281, 282 - Tankerkrieg 282, 283 Beziehungen zu Ägypten 284 Frankreich 282, 296, 312 Kuwait 283 Saudi-Arabien 282 Syrien 280,284,285 - Terrorismus 284 UdSSR 282 Kurden-Politik 281 Wirtschaft Ölexport 282 Verschuldung 282
IRAN Außenpolitik Krieg mit Irak 43, 44, 280-284, 289 - Kooperation mit Kurden 281 - Offensiven 280 - Reaktorangriff des Irak 15 - Städtekrieg 281, 282 - Tankerkrieg 282, 283 Libanon-Konflikt 43, 44, 288, 290, 295, 296, 303, 310, 311 Revolutionsexport 288, 289 Terrorismusförderung 43, 283, 295-297, 311, 320 Beziehungen zu Algerien 284 Frankreich 295, 296 Israel - Waffenlieferungen 295, 296 Jemen (DVR) 284 Kuwait 283 Libyen 280, 284 Saudi-Arabien 287 Syrien 280, 284, 285, 288, 310 USA 44, 102, 158, 159, 320 - Waffenlieferungen 295, 313, 321 Innenpolitik Islamischer Fundamentalismus Wirtschaft Ölexport 282 - Preisstabilisierung
287
287, 289
487
SACHREGISTER
IRLAND Außenpolitik Europa-Politik 190, 201 - Einheitliche Europäische Akte Südafrika-Politik - Sanktionen 355 Beziehungen zu China (VR) 375 Großbritannien - Nordirland-Abkommen Terrorismus-Konvention
Europa-Politik 203, 205 - Einheitliche Europäische Akte 210
49 50
ISRAEL Außenpolitik Libanon-Konflikt 47, 294, 302, 303, 311, 312 - Truppenrückzug 289, 305, 306, 308, 309, 311 Palästina-Frage 277-279 - Besatzungspolitik 294 - Friedensbemühungen 277-279 - Innenpolitische Kontroversen 279 Vergeltungsschläge gegen Terrorismus - Libanon 47, 294 - PLO-Hauptquartier 47, 300 Beziehungen zu Ägypten 279 - Friedensvertrag 283, 318 Brasilien 419 Iran 295, 296 - Waffenlieferungen 295, 296 Marokko 279,324 Rumänien 238 Singapur 390 Spanien 211 Sri Lanka 403 Syrien 312 USA 278 - Iran-Contra-Affäre 296 - SDI-Vereinbarung 21 Sicherheit Terrorismus 47, 293, 294 - Internationale Anti-Terror-Zusammenarbeit 49 Sicherung der Nordgrenze 311 Wirtschaftsbeziehungen zu Libanon 314 ITALIEN Außenpolitik Entwicklungspolitik
339
Beziehungen zu China (VR) 375 D D R 242 Tschechoslowakei USA 48
206, 207
244
- Luftangriff auf Libyen
48
Sicherheit Terrorismus 43, 292, 299, 321 - Internationale Anti-Terror-Zusammenarbeit 49, 51 Verteidigung Europäisierung der Sicherheitspolitik Weltraumpolitik 31 SDI-Vereinbarung 21, 154 Wirtschaft Währungspolitik 62 Wirtschaftliche Entwicklung 57 Wirtschaftsbeziehungen zu - Albanien 275 - Libyen 325, 326
185
JAPAN Außenpolitik Osteuropa-Politik 232 Beziehungen zu China (VR) 364, 372, 373 Polen 241 UdSSR 231,232 Ungarn 239 Innenpolitik Vergangenheitsbewältigung
372, 373
Weltraumpolitik 28 Internationale Zusammenarbeit - SDI-Beteiligung 21, 37 - Westeuropa
19, 37
37
Wirtschaft Außenhandel 60, 69 Finanzpolitik 62 Geldpolitik 66 Währungspolitik 62, 162 - Forderungen der USA 67, 68 - Kapitalexport 69, 70 - Wechselkursproblematik 60, 63, 162 Wirtschaftliche Entwicklung 55-61 - Leistungsbilanz 58-60, 76 - Wettbewerbsposition 63
488
SACHREGISTER
Wirtschaftsbeziehungen zu - A S E A N 391 - China (VR) 366, 367, 372-374 - Indochina 391 - Philippinen 379 Wirtschaftspolitik 64, 65, 68 JEMEN (ARABISCHE REPUBLIK)
286
JEMEN (DEMOKRATISCHE VR) Beziehungen Iran 284
Wirtschaft Außenwirtschaft 267 Selbstverwaltungssystem 266 Verschuldung 74, 268 - IWF 265 Wirtschaftliche Entwicklung 263-265 Wirtschaftsbeziehungen zu - Albanien 275 - R G W 268 - UdSSR 268 Wirtschaftspolitik 264-266
zu
Wirtschaftsprobleme
286
JORDANIEN Außenpolitik Palästina-Frage 277 - Einfluß auf besetzte Gebiete 279 - Friedensbemühungen 277-279, 284 Beziehungen zu Ägypten 284 Palästinensern 43, 277-279, 284 Syrien 42, 284 USA 278 Terrorismus 42 Wirtschaftsprobleme 286 JUGOSLAWIEN Außenpolitik Balkan-Politik 238, 248, 255, 256, 261-263 Blockfreien-Bewegung 264, 267 Grundsätze 248 Beziehungen zu Albanien 248, 261-263 - Kosovo-Frage 248, 261-263 Bulgarien 248, 255, 256 - Makedonien-Frage 248, 255, 256 Rumänien 238 UdSSR 267,268 Ungarn 240 Innenpolitik Föderalismus 264-266 Kollektive Führung 265 Nationalitäten-Probleme 248, 264, 265 - Islamische Minderheit 267 - Kosovo-Frage 254, 260-263 - Makedonien-Frage 254, 255 - Ungarische Minderheit 240 XII. Parteikongreß (1982) 266
KAMPUTSCHEA Beziehungen zu China (VR) 386 Vietnam 380-382 - Truppenrückzug
381
Innenpolitik Bürgerkrieg 381, 382, 391 - Intervention Vietnams 367, 368, 380-383, 385 Dreier-Allianz - Acht-Punkte-Vorschlag 376 - Ausländische Unterstützung 382, 383 Wirtschaftsprobleme
387
KANADA Außenpolitik Südafrika-Politik 356 - Sanktionen 356 Beziehungen zu Syrien 297 Weltraumpolitik 20 KENIA
344
KOLUMBIEN Außenpolitik Mittelamerika-Politik - Contadora-Prozeß 432 Innenpolitik Wahlen 405 Verschuldung 74 KOREA (REPUBLIK) KSZE-PROZESS KVAE
419, 420, 424, 430-
64
122-135, 234
124, 129-134, 175
SACHREGISTER
Menschenrechte und Grundfreiheiten 123, 125, 134, 135 Nachfolgekonferenzen Madrid 122, 124, 129 Wien 124, 134, 135, 175, 251 Schlußakte von Helsinki 122, 233 Helsinki-Treffen (1985) 122, 260 Sonderkonferenzen Menschenrechte (Ottawa) 124, 125 Menschliche Kontakte (Bern) 127, 128, 251 Kultur (Budapest)
126, 127, 238-240
KUBA Beziehungen zu Äthiopien 344 - Militärpräsenz 344 Angola 353 - Militärpräsenz 353 Argentinien 423 Nicaragua 425 UdSSR 426 - Wirtschaftshilfe 426
Integration ALALC 418 Andenpakt 418 Mittelamerika 424-433 Friedensbemühungen 419, 420, 424, 425, 430-432 - Contadora-Prozeß 419, 420, 424, 425, 430-432 Süd-Süd-Beziehungen 418, 419 Südamerika 405-423 Falkland(Malwinen)-Konflikt 416-418, 422, 423 Wirtschaft Außenhandel 411-413 - Terms-of-Trade 412 Austeritätsprogramme 412-416 Regionale Zusammenarbeit 414, 416, 418, 423 Verschuldung 71, 81, 411, 412, 422, 423 - Anpassungsprozeß 73 - Baker-Plan 74-77 Wirtschaftliche Entwicklung 411, 412 LESOTHO Beziehungen zu Südafrika 353 Umsturz 353
KUWAIT Außenpolitik Golf-Krieg 283 Beziehungen zu Irak 283 Iran 283 UdSSR 283 USA 283 Terrorismus 283
LIBANON Beziehungen zu Frankreich 312, 313 USA 312,313
LAOS Beziehungen zu China (VR) 385, 386 Thailand 386 Vietnam 382, 385 Minderheitenproblem 387 Wirtschaftsprobleme 387 LATEIN AMERIKA Beziehungen zu UdSSR 420, 421, 425-427 USA 421-433 Demokratisierungsprozeß 420-422, 432
489
405-411,
416,
Bürgerkrieg 283, 288-290, 294-298, 302315 Anschläge/Terrorismus 44-46, 283, 290, 293-296, 304, 305, 311-313, 321 Iranische Intervention 43, 44, 288, 290, 295, 296, 303, 310, 311 Islamischer Fundamentalismus 287-289 Israelische Intervention 47, 294, 302, 303, 306, 311, 312 - Truppenrückzug 289, 305, 306, 308, 309, 311 Kantonalisierung 315 Milizen/Parteien - Amal 290, 302-305, 308, 309, 311, 312 - Drusen (PSP) 303, 308, 309 - Hizbollah 290, 303-305, 308, 310-312 - al-Murabitun 308 - Palästinenser 290, 302, 303, 308, 310, 311
490
SACHREGISTER
- Phalange 306-309 - SLA 294, 308 - Tauhid 310, 313 Syrische Intervention 43, 288-290, 294, ' 296-298, 302, 303, 305-307, 309-311, 313 U N I F I L - T r u p p e n 312 Wirtschaft Außenhandel 315 Auslandsüberweisungen 314 Staatseinnahmen 315 Währungsverfall 314 Wirtschaftliche Entwicklung 313 Wirtschaftsbeziehungen zu - Israel
314
LIBYEN Außenpolitik Golf-Krieg 280, 282 Konfrontation mit den USA 96, 157, 299, 300, 318-321, 323, 326 - Luftangriff 48, 49, 97, 157, 167, 297, 312, 316, 317, 322, 324, 390 - Wirtschaftsboykott 319, 325, 326 Nordafrika-Politik 323 Palästinenser-Frage 322 Terrorismus 42, 50, 292, 298, 299, 316, 318-322, 325 Tschad-Konflikt 323, 324 Westsahara-Konflikt 324 Beziehungen zu Brasilien 419 Deutschland (BR) 325 - Sanktionen 325 Europäische Gemeinschaft 49, 50, 158, 325 - Sanktionen 158, 325 Iran 280, 284 Marokko 279, 323, 324 - Unionsvertrag 323, 324 Nicaragua 322 Tunesien 286 UdSSR 300, 318-320 - Militärhilfe 318-320 Sicherheit Terrorismus 46 Wirtschaft Fremdarbeiter 286 Ölförderung 325 Währungsreserven 325 Wirtschaftsbeziehungen zu -
Großbritannien
326
- Italien 325, 326 - Spanien 326 Wirtschaftsprobleme
286
LUXEMBURG Beziehungen zu China (VR) 375 Europa-Politik 201, 203, 205
MALAYSIA Außenpolitik Anti-Zionismus 389, 390 Beziehungen zu China (VR) 383,384, 386 - Auslandschinesen 383 Philippinen 379, 386 Singapur 390 Innenpolitik Islamischer Fundamentalismus 384, 387, 389 Kommunistische Bewegungen 388 Nationalitätenprobleme 384, 387, 389 Wirtschaft Wirtschaftliche Entwicklung 388 Wirtschaftsbeziehungen zu - China (VR) 383
MAROKKO Außenpolitik Maghreb-Politik 323, 324 Westsahara-Frage 324 Beziehungen zu Israel 279, 324 Libyen 279, 323, 324 - Unionsvertrag 323, 324 Syrien 279 Tschad 324 USA 324 Verschuldung 74
MAURETANIEN Beziehungen zu Algerien 324 Tunesien 324
MEXIKO Außenpolitik Delhi-Deklaration
392
491
SACHREGISTER
Mittelamerika-Politik 419 - Contadora-Prozeß 419, 420, 424, 430432 Wirtschaft Verschuldung 71, 74, 76, 81 - Umschuldungsabkommen 72, 77 MONGOLISCHE VOLKSREPUBLIK Beziehungen zu UdSSR - Militärpräsenz 231, 369 MOSAMBIK Beziehungen zu Südafrika 353, 354, 356 - Nkomati-Abkommen 353, 354 Bürgerkrieg 353, 354 Renamo 353, 354
NAHER UND MITTLERER OSTEN (siehe auch ARABISCHE STAATEN) Golf-Krieg 15, 43, 44, 280-284, 289 Islamischer Fundamentalismus 287, 288 Konfrontation Libyen-USA 48, 49, 96, 97, 157, 167, 297-299, 300, 312, 316-326 Libanon-Konflikt 43-45, 283, 287-290, 293298, 302-315 Nahost-Konflikt 43, 277-280, 284 Camp-David-Abkommen 283, 318 Palästinenser - Angriff Israels auf PLO-Hauptquartier 47, 300 - Beziehungen zu Rumänien 238 - Friedensbemühungen 43, 277-279, 284 - Interne Differenzen 292, 293 - Islamischer Fundamentalismus 287 - Kontakte zu Jordanien 277-279, 284 - Libanon-Konflikt 290, 302, 303, 310 - Terrorismus 42, 43, 46, 47, 292-294, 322 Wirtschaftsprobleme NAMIBIA Innere Entwicklung SWAPO 352 TGNU 352 Politische Zukunft Kontaktgruppe 352
285-287
NATO Bündnisbeziehungen 150-152, 174-176, 181-185, 189 Euro-Gruppe 186 Lastenteilung 162, 167, 178, 179, 196 Out-of-Area-Problematik 180, 181, 317, 326 NATO-Rat 170 Gipfeltreffen (1982) 170 NPG 174 Treffen in Gleneagles (1986)
120
Rüstungskontroll-Politik ABM-Vertrag 150 Interessenkonflikte Europa-USA 150, 151, 174-176 Konventionelle Abrüstung 177 KVAE-Politik 130-132, 134, 135, 175 Mittelstreckenraketen(INF)-Verhandlungen 104, 106, 107, 115, 120, 149, 151, 174-176 SALT-Prozeß 150 Rüstungspolitik DPC 172, 173, 179 Infrastrukturprogramm 179 LTDP (1978) 174 Mittelstreckenraketen-Stationierung 175, 194 Rüstungskooperation 179 - IEPG 180 - Jäger 90 180 - Tornado 180 Taktische Nuklearwaffen 152 - Montebello-Beschluß 182 Zukunftstechnologien 170, 171, 174 Sicherheit Luftverteidigung 171 Terrorismus 41 Warschauer-Pakt-Überlegenheit
149,
171, 195
Strategie/-debatte 152, 167, 169 Alternative Strategien 196 Europäisierung der Sicherheitspolitik 184, 185, 189 Flexible Erwiderung 168, 171, 173, 182 Konventionalisierung 183, 195, 196 - CDI 173, 195 Konventionelle Verteidigung 170 - Air-Land-Battle-Konzept 170, 171, 178, 179 - CMF (MC 299) 172, 173 - FOFA 172, 173, 195
492
SACHREGISTER
Koppelungs-Problematik 174, 176, 181, 182 Rolle der Nuklearwaffen 151, 172-174, 182, 184, 195 - Mittelstreckenraketen 176 - Taktische Nuklearwaffen 169 SDI-Projekt 169 Verzicht auf Ersteinsatz 169
OAS
NEUSEELAND Beziehungen zu Frankreich - Rainbow-Warrior-Anschlag
33
417
OAU Gipfelkonferenz Addis Abeba (1986) Grundsätze 344
42
NICARAGUA Beziehungen zu Argentinien 423 Brasilien 420 Kuba 425 Libyen 322 UdSSR 425, 427 USA 420, 424, 426, 430 - Wirtschaftsboykott
NORWEGEN Außenpolitik Beitritt zur ESA Beziehungen zu Ungarn 239
OECD
345
61, 62, 65, 160
Abkommen
mit Lateinamerika
Wirtschaftliche Entwicklung
412 56-58, 76
ÖSTERREICH
424, 426
Außenpolitik Beitritt zur ESA 33 KSZE-Politik 128 Beziehungen zu Tschechoslowakei 244 Ungarn 239, 240, 244 Energiepolitik 14 Sicherheit
Innenpolitik Contras - Unterstützung durch die USA 159, 295, 424-429, 431, 432 Innere Entwicklung 426, 427 - Friedensbemühungen 424, 425, 431, 432 Wahlen 426 Verteidigung Militärpotential 431 Wirtschaft Auslandsunterstützung 425 Wirtschaftsbeziehungen zu - Sozialistische Staaten 426 Wirtschaftskrise 425
Terrorismus 43, 292, 299, 321 - Internationale Anti-Terror-Zusammenar-
NIEDERLANDE
Konferenzen
NIGERIA
74
OMAN OPEC
231 269
Kartellstrategie
285, 286 286
Wirtschaftsprobleme 57 O S T E U R O P A (siehe auch R G W , WARSCHAUER PAKT) 233
Außenpolitik Europa-Politik 201, 203, 205 Südafrika-Politik 355 - Sanktionen 355 Beziehungen zu China (VR) 374 Ungarn 239 M ittelstreckenraketen-Stationierung
beit 51
149
Außenpolitik Balkan-Politik 238, 240, 247, 248, 255 - Kooperation 274, 275 - Minderheitenfragen 248-263 - Territoriale Probleme 252, 253 China-Politik 245, 369, 370 Lateinamerika-Politik 421 UN-Politik 234
493
SACHREGISTER
Reformpolitik der UdSSR 235 Wirtschaftsbeziehungen zu China (VR) 366,369,370
PAKISTAN Außenpolitik Punjab-Konflikt 394,397 Beziehungen zu Indien 38, 397, 402 Sri Lanka 403 USA 393 - Militärhilfe 393
Malaysia 379, 386 UdSSR 389 USA 377, 379, 387, 422 - Militärstützpunkte 379, 390 Innenpolitik Aufstandsbewegungen 378, 379, 388, 389 - N D F 388 - NPA 378, 388, 389 Machtwechsel 376, 377, 389 Wirtschaft Verschuldung 74, 76, 81 Wirtschaftsbeziehungen zu - Japan 379 - USA 379 Wirtschaftskrise 377, 387, 388
PANAMA Außenpolitik Mittelamerika-Politik - Contadora-Prozeß 432 Innere Situation
419 419, 420, 424, 430-
407
PARAGUAY 405, 422 PERU Außenpolitik Mittelamerika-Politik 420 - Unterstützung der Contadora-Gruppe 420, 424 Beziehungen zu UdSSR 420 USA 422 Innenpolitik Demokratisierungsprozeß 405-407, 410, 411 - Rolle der Streitkräfte 410, 411 Terrorismus 411 Wirtschaft Austeritätsprogramm 413, 414 Verschuldung 74, 76 - Schuldendienstbegrenzung 415, 422 Wirtschaftliche Entwicklung 411,413 PHILIPPINEN Außenpolitik ASEAN 379 Blockfreie Staaten 379 Grundsätze 379 Beziehungen zu China (VR) 383, 386, 389
POLEN Außenpolitik KSZE/KV AE-Politik 135 Beziehungen zu China (VR) 241,370 Deutschland (BR) 241 Frankreich 241 Großbritannien 241 Japan 241 UdSSR 241,242 Innere Entwicklung
28, 122, 235, 242
Wirtschaft Verschuldung 244, 269 Wirtschaftsbeziehungen zu - China 369 - D D R 241 - UdSSR 241 Wirtschaftskrise 242 PORTUGAL Außenpolitik Europa-Politik 205 - EG-Beitritt 199, 210-214 - Einheitliche Europäische Akte Südafrika-Politik 355 - Sanktionen 355 Beziehungen zu Arabische Staaten 212 Lateinamerika 212 Ungarn 239 Wirtschaft Agrarsektor 211,214 Wirtschaftliche Entwicklung
211
211,21-
494
SACHREGISTER
RGW Außenbeziehungen zu Jugoslawien 268 Westliche Staaten 245 Innenverhältnis Energiekooperation 5, 236 - Kernenergiepolitik 9, 244 Ökonomische Integration 233, 236, 244, 269-273 - Schwerindustrie 236 Reformpolitik der UdSSR 235, 245 Währungs-und Finanzlage 244 Wirtschaftliche Entwicklung 234, 244
- Entschuldungspolitik 244, 250 - IWF 270 Wirtschaftliche Entwicklung 249, 269 Wirtschaftsbeziehungen zu - Albanien 275 - China (VR) 238 - DDR 238 - OPEC 269 - RGW 238, 269-271 - UdSSR 238, 254, 269, 270
SAMBIA
353, 356
SAUDI-ARABIEN Außenpolitik Arabische Gipfelkonferenz Entwicklungshilfe 333
RUMÄNIEN Außenpolitik Balkan-Politik 238 Grundsätze 235, 248, 269, 271 KSZE-Politik 127, 238, 240 Nahost-Konflikt 238 Warschauer Pakt 271 - Vertragsverlängerung 237 Beziehungen zu Bulgarien 240 Deutschland (BR) 238, 250 EG 250
py
Großbritannien 238 Israel 238 Jugoslawien 238 PLO 238 UdSSR 253, 269, 271 - Moldau-Frage 252-254 Ungarn 238 - Minderheitenfrage 127, 238, 240, 248, 250-254 USA 238 Innenpolitik Führungsstil 272 Innere Situation 235, 237 Minderheitenpolitik 238, 248-252 Verteidigung Militärhaushalt 238, 271 - Streitkräftereduzierung 238, 271 - Volksbefragung 238 Warschauer-Pakt-Manöver 271 Wirtschaft Außenhandel 237 Austeritäts-Politik 269 Energieversorgung 269 Verschuldung 237, 269, 270
284
Beziehungen zu Irak 282 Iran 287 Syrien 286 Innenpolitik Islamischer Fundamentalismus
289
Wirtschaft Ölproduktions-Strategie 285, 286 Wirtschaftsprobleme 285 SCHWEDEN Außenpolitik Delhi-Deklaration 392 Energiepolitik 14 Weltraumpolitik 34 Zusammenarbeit mit China (VR)
36
SCHWEIZ Außenpolitik KSZE-Prozeß 128 Beziehungen zu Ungarn 239 Sicherheit Internationale Anti-Terror-Zusammenarbeit 51 Wirtschaft Internationale Verschuldung - Schweizer Banken 81 SIMBABWE Beziehungen zu Südafrika 353, 356
81
495
SACHREGISTER
Innenpolitik ZANU 353 ZAPU 353 SINGAPUR Außenpolitik ASEAN-Politik 382 Beziehungen zu China (VR) 383 Israel 390 Malaysia 390 Wirtschaft Währung 64 Wirtschaftliche Entwicklung 387, 388 Wirtschaftsbeziehungen zu - China (VR) 367, 383, 388 - Vietnam 382 SOMALIA Außenpolitik Ogaden-Krieg 330, 344 Flüchtlingsproblematik 330, 331, 344 Rückführungsprogramme 332 SPANIEN Außenpolitik Europa-Politik 205 - EG-Beitritt 199, 210-214 - Einheitliche Europäische Akte 211, 214 Lateinamerika-Politik 212 NATO-Mitgliedschaft 212 Beziehungen zu Arabische Staaten 211, 212 China (VR) 375 Israel 211 USA - Luftangriff auf Libyen 48, 49, 158, 300, 317 Sicherheit Terrorismus 46, 47 - ETA 40 Wirtschaft Agrarsektor 211 Wirtschaftliche Entwicklung 57, 211 Wirtschaftsbeziehungen zu - Libyen 326 SRI LANKA Beziehungen zu Großbritannien 403
Indien 398, 400, 402, 403 Israel 403 Pakistan 403 Innenpolitik Bürgerkrieg 394, 399-403 - Intervention Indiens 394, 395, 398, 400, 402, 403 Parteien - JUP 401 - LTTE 399-401, 403 - SLFP 401 - TULF 399, 400, 402, 403 - UNP 400 Tamilische Minderheit 398-400 Rüstungsausgaben SUDAN Beziehungen USA 32^
403
zu
Fluch tlingsproblematik Integration 331 Rückführungsprogramme 333 Innenpolitik Bürgerkrieg 329, 336, 337, 342, 343 Islamischer Fundamentalismus 287-289, 342 - Einführung der Schari'a 342 Parlamentswahlen 343 Umsturz 288, 289 Wirtschaft Agrar- und Ernährungsprobleme 335, 336, 340, 341 Wirtschaftsprobleme 286, 289 SÜDAFRIKA Außenpolitik Namibia-Konflikt Beziehungen zu Angola 352, 353
352
- Militäraktionen 352, 353 Australien 356 Botsuana 353 Commonwealth-Staaten 356, 357 Dänemark 355 Deutschland (BR) 355 EG 355, 356 - Sanktionen 355, 356 Frankreich 355 Großbritannien 355, 356 Indien 356 Irland 355
496
SACHREGISTER
Kanada 356 Lesotho 353 Mosambik 353, 354, 356 - Abkommen von Nkomati 353 - Unterstützung der Renamo 353 Niederlande 355 Portugal 355 Sambia 353, 356 Simbabwe 353, 356 USA 354-356 Innenpolitik ANC 348, 349, 351, 353, 355, 357 Aufstände 348-350 - Ausnahmezustand 350 - „Selbstschutz" der weißen Bevölkerung 350 AZAPO 348-350 Drei-Kammer-Parlament 346 Inkatha-Bewegung 346, 347, 349 Oppositionsparteien 348 PAC 348 Pressezensur 350 Reformpolitik 346, 347, 355 - Homelands 346 - Innere Kritik 347, 348, 351 - Paßgesetze 347 UDF 348-350 Verteidigung Militäraktionen 352, 353, 357 Wirtschaft Ausländisches Disinvestment 357, 358 Verschuldung 357, 358 - Schuldenmoratorium 357, 358 Wirtschaftliche Entwicklung 349, 350, 357 SURINAM 405, 410 SYRIEN Außenpolitik Golf-Krieg 280, 284, 285 Libanon-Konflikt 43, 288-290, 294, 296, 297, 302, 303, 305-307, 309-311, 313 - Vermittlerrolle 45, 298, 303, 305, 313 Nahost-Konflikt 284 - Palästinenser 284, 302, 310 Terrorismus 42, 43, 45, 46, 50, 292-294, 296-298, 320 Beziehungen zu Deutschland (BR) 297 EG 50, 297, 298 - Sanktionen 298
Frankreich 298 Großbritannien 297 Irak 280,284,285 Iran 280, 284, 285, 288, 310 Israel 312 Jordanien 42, 284 Kanada 297 Marokko 279 UdSSR 313 USA 297, 298 Innenpolitik Islamischer Fundamentalismus 310 Terroranschläge 284 'Wirtschaftsprobleme 286 Ausländische Unterstützungsleistungen 286
TAIWAN 369,371 Währungsfrage 64 TANSANIA
392
TERRORISMUS Revolutionärer Terrorismus Belgien 40-42 - CCC 41, 42, 49 Deutschland (BR) 41 - RAF 40-42 Frankreich 42 - Action Directe 40-42, 49 Großbritannien 40 - IRA 40 Peru 411 Spanien 40 - ETA 40 Terroristische Zusammenarbeit 40, 41 Staatlich geförderter Terrorismus Frankreich - Rainbow-Warrior-Anschlag 42 Irak 284 Iran 43,44,296,311,320 Libanon 43-45, 283, 290, 294-296, 298, 304, 305, 311-313, 321 Libyen 42, 50, 292, 298, 299, 316, 318-321 Palästinenser 42, 43, 46, 47, 292, 293 - Kairoer-Erklärung 293 Syrien 42, 43, 45, 46, 50, 292-294, 297, 298, 320 Wirkungen und Reaktionen Deutschland (BR) 51,297
497
SACHREGISTER
EG 50, 51 Europarat 50 Frankreich 43-46, 51, 52, 295, 298 Griechenland 49 Großbritannien 49, 297 Internationale Zusammenarbeit 49-51, 157 Irland 49 Israel 47,298, 300 - Angriff auf PLO-Hauptquartier 47, 300 Italien 49, 51 Jordanien 42 Kanada 297 Kuwait 283 Österreich 51 USA 43-45, 47-49, 157, 295, 297-300, 317 - Luftangriff auf Libyen 48, 49, 97, 157, 299, 300, 316, 317 Vereinte Nationen 52
THAILAND Außenpolitik Kamputschea-Konflikt
383
- Unterstützung der Dreier-Allianz
383
Beziehungen zu China (VR) 383, 388 Laos 386 USA 390 - Luftangriff auf Libyen 390 Vietnam 386, 388 Innenpolitik Kommunistische Bewegung 388 Minderheitenfrage 387 Wirtschaftliche Entwicklung 388
TSCHECHOSLOWAKEI Beziehungen zu Deutschland (BR) 244 - Chemiewaffenfreie Zone 244 Frankreich 244 Italien 244 Österreich 244 UdSSR 244 Ungarn 251 - Minderheitenfrage 251 Wirtschaft RGW-Kooperation 244 Wirtschaftsbeziehungen zu - Albanien 275 - China (VR) 369 TÜRKEI Beziehungen zu Bulgarien 241 - Türkische Minderheit China (VR) 375 UdSSR 257
248, 259, 260
Innenpolitik Islamischer Fundamentalismus Wirtschaftsbeziehungen zu UdSSR 260
287
TUNESIEN
TSCHAD
Beziehungen zu Algerien 286, 323 China (VR) 375 Frankreich 286 Libyen 323 - Fremdarbeiter 286 Mauretanien 324 Innenpolitik Angriff Israels auf PLO-Hauptquartier 300, 301 Islamischer Fundamentalismus 287
Beziehungen zu Frankreich 324 Marokko 324 USA 324 Innenpolitik Bürgerkrieg 323, 324, 330 - Intervention Libyens 323, 324 Flüchtlingsprobleme 328-331, 333, 335 Wirtschaft Agrar- und Ernährungsprobleme 330, 333, 335, 336
Außenpolitik Afrika-Politik - Südafrika-Konflikt 12 Asien-Politik 231, 232, 386, 390, 391 - Afghanistan-Konflikt 91, 92, 223, 234 - Atomwaffenfreie Zone 391 - Kamputschea-Konflikt 367, 390 - Militärpräsenz 231, 369, 382, 390
TRINIDAD UND TOBAGO
405
UDSSR
498
SACHREGISTER
Balkan-Politik 238, 247-249, 255-257, 263, 264, 274, 275 Dritte-Welt-Politik 226, 426 Grundsätze 219, 224, 225, 230, 246, 271 - Breshnew-Doktrin 230, 236 - Friedliche Koexistenz 230 KSZE/KVAE-Prozeß 123, 125-134, 229 Lateinamerika-Politik 420, 421 Mittelamerika-Politik 425, 426 Nahost-Politik - Libanon-Konflikt 45, 313 - Nahost-Konflikt 2, 231, 279 Rüstungskontroll-Politik 29, 30, 84-87, 91, 94, 95, 102, 124, 149, 220, 225, 227, 230 - ABM-Vertrag 16, 28, 98, 100, 119, 120, 144 - ASAT 23, 27 - Etappen-Vorschlag zur Denuklearisierung 109-113,119, 195,228 - Heißer-Draht-Abkommen 86 - Junktim-Problematik 91, 95, 104, 105, 120, 175 - Mittelstreckenraketen(INF)-Verhandlungen 30, 95, 100, 104, 106, 111-113, 119-121, 137, 144, 145, 175-177, 185, 227 - SALT-Abkommen 105, 227 - SDI-Projekt der USA 23, 28, 29, 103, 392 - Strategische Waffen(START)-Verhandlungen 30, 86, 95, 100, 104-107, 117, 119, 137, 139, 175, 185, 227 - Teststopp 95, 100, 110 - Verifizierung 100, 133, 134, 227 - Verzicht auf Ersteinsatz 103 - Vorschläge 104-107, 111-113, 119, 120, 139, 185, 227 - Weltraumwaffen(NST)-Verhandlungen 26, 29, 84-87, 91, 100, 101, 103, 105, 119, 120, 137, 185 Sozialistische Staaten 226, 230, 233, 256 Tschernobyl-Reaktorunfall 9, 10, 12 Vereinte Nationen 26 Westeuropa-Politik 229 Beziehungen zu Äthiopien 337, 344
Bulgarien 235, 248, 256, 257, 260, 272, 273 - Makedonien-Frage 256, 257 Chile 420 China (VR) 231, 233, 364, 365, 367-370 - Kamputschea-Konflikt 231, 367, 368 - Militärpräsenz in der Mongolischen VR 231, 369 D D R 242,245 Deutschland (BR) 228, 229 - Rüstungskontroll-Fragen 104 E G 226 Indien 392, 393 Irak 282 Israel 231 Japan 231, 232 Jugoslawien 267, 268 Kuba 426 Libyen 300 - Militärhilfe 318-320 Mongolische VR 369 - Truppenabzug 369 Nicaragua 425, 427 Oman 231 Peru 420 Philippinen 389 Polen 241, 242 Rumänien 252-254, 269, 271 - Moldau-Frage 252-254 Syrien 313 Tschechoslowakei 244 Türkei 257 Ungarn 245 USA 29, 30, 83-92, 94, 97-101, 103-105, 116, 120, 124, 226-228 - Daniloff-Affäre 98, 99 - Gipfeltreffen in Genf 91, 92, 94, 99, 124, 227 - Gipfeltreffen in Reykjavik 29, 30, 99101, 104, 116, 120, 124, 137, 144, 150, 227 - Mittelamerika-Frage 425 - Nicholson-Affäre 88, 89, 227 - Regionalgespräche 91, 227 Vereinigte Arabische Emirate 231 Vietnam 367, 381
- Militärhilfe 337, 344 Albanien 276 Angola 353 - Militärhilfe 353 Argentinien 420, 421 ASEAN 390, 391
Innenpolitik Ausreisebewilligungen 90, 92, 95, 102, 124, 228 Bürokratie 219, 222 Demokratisierung 223 Führungswechsel 87, 215-218
- Militärstützpunkte
382
499
SACHREGISTER
Glasnost-Politik 8, 219, 221 Informationspolitik 9, 223 KPdSU - Parteibeziehungen 225, 231 - Parteiprogramm 222, 234 - Parteitag (XXVII.) 96, 222, 230, 234, 235, 426 - Personalpolitik 220-222, 224-226 - Politbüro 220, 221 -ZK 220,221,225 Menschenrechtspolitik 124 Nationalitätenpolitik 224, 242, 248 Rechtswesen 223 Tschernobyl-Reaktorunfall
7, 8, 224
Sicherheit Terrorismus 45, 313 Verteidigung ASAT-Systeme 27 Raketenabwehrsystem 26 Weltraumpolitik 16, 22, 39 Kooperation mit USA 27-29 Raumfahrtprogramm 23-25, 30, 39 - Cocom-Beschränkungen 24 - Raumstationen 25 - Satellitenprogramm 24, 25 Wirtschaft Energiepolitik 7-9, 15, 224, 244 - Tschernobyl-Reaktorunfall 1-15, 244, 245, 365 RGW-Integration 244, 271, 273 Verschuldung 244 Wirtschaftsbeziehungen zu - Argentinien 421 - Bulgarien 240, 272, 273 - China (VR) 365-367 - Indien 392 - Jugoslawien 268 - Rumänien 238, 254, 269, 270 - Türkei 260 - Ungarn 239 - USA 86, 89, 96 - Vietnam 381, 382 Wirtschaftslenkung 219, 222, 223 - Perestroika-Politik 8, 219, 223, 224 UGANDA
328,345
Jugoslawien 240 Niederlande 239 Norwegen 239 Portugal 239 Rumänien 238 - Ungarische Minderheit 248, 250-254 Schweiz 239 Tschechoslowakei 251 UdSSR 245 USA 239 Innenpolitik
127, 238, 240,
Minderheitenpolitik 240 Parteikongreß (8.) 239 Wirtschaft Liquiditätsprobleme 244 Reformpolitik 235 Wirtschaftsbeziehungen zu - China (VR) 369, 370 - D D R 239 - Deutschland (BR) 239, 240 - UdSSR 239
URUGUAY Außenpolitik Mittelamerika-Politik 420, 425 - Unterstützung des Contadora-Prozesses 420, 425 Innenpolitik Demokratisierungsprozeß 405-410 - Menschenrechtspolitik 409, 410 - Rolle der Streitkräfte 409 Wirtschaft Austeritätsprogramm 414 Regionalintegration 416, 418 Verschuldung 74, 415 Wirtschaftliche Entwicklung 411, 413
USA
UNGARN Außenpolitik Grundsätze 237 KSZE/KVAE-Prozeß
Sozialistische Staaten 239 Warschauer Pakt 239 - Vertragsverlängerung 239 Westpolitik 239, 245 Beziehungen zu Deutschland (BR) 239 Großbritannien 239 Japan 239
127, 240, 251
Außenpolitik Afrika-Politik - Angola-Konflikt 97, 352, 353, 419 - Namibia-Konflikt 352
500
SACHREGISTER
- Südafrika-Politik 351, 354-356, 358 - Tschad-Konflikt 324 Asien-Politik 390, 391 - Afghanistan-Konflikt 91, 92, 97, 393 Iran-Contra-Affäre 44, 102, 158, 159, 295, 313, 323 Konfrontation mit Libyen 96, 157, 299, 300, 318-321, 323, 326 - Luftangriff der USA 48, 49, 97, 157, 167, 297, 300, 312, 316, 317, 322, 324, 390 - Reaktion auf Haltung der Verbündeten 158, 180, 181, 300, 317, 325, 390 - Wirtschaftsboykott 319, 325, 326 KSZE/KVAE-Prozeß 123, 128, 129, 132134 Libanon-Konflikt 43, 44, 47, 313 - Amerikanische Geiseln 44, 45 - Terrorismus 295, 305, 312, 313, 321 Mittelamerika-Politik 422, 424, 428, 429 - Friedensbemühungen 420, 431, 432 - Unterstützung der Contras 159, 295, 424-429, 431, 432 Nahost-Politik - Flotteneinsatz 283 - Golf-Krieg 43 - Nahost-Konflikt 277-279, 300, 318, 321 Reagan-Doktrin 96, 424 Rüstungskontroll-Politik 84-87, 91, 94, 95, 103, 107, 137 - ABM-Vertrag 16, 28, 93, 98, 100, 117, 118, 141-144, 150 - Deep-Cuts-Konzeption 138-140 - Heißer-Draht-Abkommen 86 - Mittelstreckenraketen(INF)-Verhandlungen 30, 95, 100, 107, 108, 111, 113115, 117-121, 137, 144, 145, 148, 175177, 185 - SALT-Abkommen 86, 90, 93, 97, 102, 118, 145, 150, 227 - Strategische Waffen(START)-Verhandlungen 30, 86, 95, 100, 116-118, 137, 138, 175, 185 - Verifizierung 100, 133, 134, 227 - Verzicht auf Ersteinsatz 103 - Vorschläge 107, 108, 114-118, 121, 137, 138 - Weltraumwaffen(NST)-Verhandlungen 26, 29, 86, 87, 103, 137, 139, 185 Südamerika-Politik 421-423 - Falkland(Malwinen)-Konflikt 417, 422, 423 Terrorismus-Bekämpfung 47, 50, 157, 318322
Beziehungen zu Ägypten 278, 323 - AWACS 319 Algerien 324 Argentinien 422, 423 ASEAN 390 Brasilien 419 Chile 422 China (VR) 1 1 4 , 3 6 4 , 3 7 1 , 3 7 2 - Taiwan-Frage 369, 371 - Verteidigungskooperation 371 Deutschland (BR) 156, 157 - WHNS-Abkommen 178 El Salvador 428, 433 Frankreich 48, 49, 158, 300, 317 Großbritannien 31, 185, 188 Haiti 422 Honduras 428 Indien 393 Iran - Geiselnahme 320 - Waffenlieferungen der USA 44, 102, 158, 159, 295, 296, 313, 321 Israel 278 - Iran-Contra-Affäre 296 Japan 114 Jordanien 278 Korea (Republik) 114 Kuwait 283 Marokko 324 Nicaragua 420, 424, 426, 430 - Wirtschaftsboykott 424, 426 Pakistan 393 - Militärhilfe 393 Paraguay 422 Peru 422 Philippinen 377, 379, 387, 422 - Militärstützpunkte der USA 379, 390 Rumänien 238 Sudan 323 Syrien 297 Thailand 390 Tschad 324 UdSSR 29, 30, 83-92, 94, 97-101, 103-105, 116, 120, 124, 227, 228 - Daniloff-Affäre 98, 99 - Gipfeltreffen in Genf 91, 92, 94, 99, 124, 227 - Gipfeltreffen in Reykjavik 29, 30, 99101, 104, 116, 120, 124, 137, 144, 150, 227 - Mittelamerika-Frage 425 - Nicholson-Affäre 88, 89, 227
501
SACHREGISTER
- Regionalgespräche Ungarn 239 Innenpolitik
91, 227
Anti-Apartheid-Bewegung 354, 357 Freeze-Bewegung 138 Iran-Contra-Affäre 44, 102, 146, 148 Verteidigung Bündnispolitik 150, 152, 156, 162, 326 - Europäische Verteidigungszusammenarbeit 186, 188, 194 - Lastenteilung 162, 167, 178, 196 - Mittelstreckenraketen in Europa 104 - Out-of-Area-Problematik 180, 181, 317, 326 - Strategiedebatte 152, 167 - Truppenreduzierung 177, 178, 181 Inneramerikanische Debatte 101, 140-143, 146, 148 Konventionelle Streitkräfte 168, 170, 171 Nuklearstrategie 167-170 - Erweiterte Abschreckung 174, 176, 181, 182 - Konventionalisierung 183 - PD-59 168 Rüstungskooperation 179 Rüstungspolitik - ASAT-Programm 22, 84 - B-l Bomber 97, 102 - C 3 I 168 - Midgetman-Rakete 140 - MX-Rakete 84, 138 - Trident-II 138 SDI-Projekt 17, 20-23, 26, 28, 39, 85-87, 100, 146-148, 150, 168, 169, 194 - Bilaterale Vereinbarungen 21, 37, 153, 154 - Inneramerikanische Diskussion 140-143, 145 - SDI-Organisation 146, 147 Verteidigungsetat 146, 161, 178 Weltraumpolitik Raumfahrtprogramm 17-20, 24-26, 30, 37 - NASA 18-20, 29 - Satellitenprogramm 19 - Space Shuttle 17-20, 24, 25, 34 Zusammenarbeit mit - China (VR) 36 - UdSSR 27-29 - Westliche Staaten
19, 20, 37
Wirtschaft Außenhandel 59-61, 64, 163-166 Finanzpolitik 61, 67, 69
Geldpolitik 66 Haushaltsdefizit 61, 63, 65, 67, 146, 161, 162, 422 - Gramm-Rudman-Hollings-Gesetz 68, 146, 161 Protektionismus 59, 63, 390, 422 Technologietransfer 393 Verschuldungskrise, Internationale 422 - Baker-Plan 74-77 - US-Banken 72, 81 Währungspolitik 62, 63, 162, 163 - Dollar-Kurs 60-66, 162 Wirtschaftliche Entwicklung 55, 56, 58, 59, 61, 76, 161 Wirtschaftsbeziehungen zu - China (VR) 367, 372, 374 - EG 159, 163-166, 413 - Indien 393 - Philippinen 379 - UdSSR 86, 89, 96 Wirtschaftspolitik 65, 161 - Forderungen an Partnerländer 67, 68
VATIKAN
242
VENEZUELA Außenpolitik Mittelamerika-Politik - Contadora-Prozeß 432
419, 420, 424, 430-
Beziehungen zu Guayana 418 Verschuldung 74, 81 VEREINIGTE ARABISCHE (VAE) 231
EMIRATE
VEREINTE NATIONEN Abrüstungskonferenz (CD) 27, 103 Entwicklungspolitik Welternährungsproblem 334 - Programme für Afrika 341, 342 Flüchtlingsprobleme Flüchtlingskonvention (1951) 327 Flüchtlingsprotokoll (1967) 327 U N H C R 328 - Rückführungsprogramme
332, 333
Konflikte Falklands(Malwinen) 417, 423
502
SACHREGISTER
Golf-Krieg 382 Kamputschea 380, 382 Konfrontation Libyen-USA 390 Libanon 312 - UNIFIL 312 Nahost 278, 279 Namibia 352 Südafrika 358 Menschenrechtspakte 339 Minderheitenfragen 256 Sicherheitsrat Resolution 242 278,279 Resolution 338 278,279 Resolution 418 357 Resolution 435 352 Sanktionen gegen Südafrika 355 Verurteilung Israels 300 Terrorismus-Bekämpfung 52 Weltraum 26,27
125, 131, 132, 233,
Vertragsverlängerung
237, 239, 241
WELTRAUM (siehe auch ABRÜSTUNG) Raumfahrtprogramme China (VR) 30, 35, 36 Indien 38 Internationale Zusammenarbeit 19, 20, 2729, 31-34, 36, 37 Japan 30, 32, 36, 37, 39 UdSSR 22-27,39 USA 17-25 Westeuropa 30-35, 39 - Deutschland (BR) 31, 33, 34 - Frankreich 31, 33, 34 Rechtsstatus 16 Vereinte Nationen 26 WELTWÄHRUNGSSYSTEM
VIETNAM Außenpolitik Indochina-Politik 382, 386 Kamputschea-Konflikt 367, 368, 382, 383, 385 - Acht-Punkte-Vorschlag der DreierAllianz
KSZE/KVAE-Prozeß 234
380
Beziehungen zu China (VR) 368, 382, 385, 386 Indonesien 382, 385, 386 Kamputschea 380-382 - Truppenrückzug 381 Laos 382, 385 Thailand 386, 388 UdSSR 367, 381 - Militärstützpunkte der UdSSR Innenpolitik VI. Parteitag 382 Wirtschaft Außenhandel 381 Reformpolitik 381 Wirtschaftsbeziehungen zu - Singapur 382 - UdSSR 381, 382 Wirtschaftsprobleme 387
WARSCHAUER PAKT Budapester Appell
382
BIZ
72
IDB
74, 75
412
Internationale Währungspolitik 62, 63, 6668, 160 Devisenmärkte 67, 69 Finanzmärkte 67, 69, 73 Plaza-Erklärung 62, 63, 66, 162 IWF 67, 72-75, 77, 79, 81, 160, 211, 265, 270 Verschuldungskrise 71-81, 411, 412, 415 Lösungsstrategien 74-81 - Alternativpläne 77-81 - Baker-Plan 74-77 Reaktionen von Gläubigern 72-74 Umschuldungsabkommen 72, 415 Wechselkursproblematik 60, 62, 63, 69, 162 Dollarkurs 60-66, 76, 162 Weltbank
67, 74, 75, 79, 160, 412, 415
WELTWIRTSCHAFTSSYSTEM auch GATT)
271
112, 132
(siehe
Protektionismus 59, 63, 390, 422 Welthandel 59-61, 64, 69 Rohstoffmärkte 57, 285, 286 Weltwirtschaftsgipfel (siehe Industrienationen) Wirtschaftspolitik,
Internationale
62
SACHREGISTER
WESTLICHE STAATEN (siehe auch INDUSTRIENATIONEN, OECD)
WEU
149
Bündnispolitik KSZE/KV AE-Prozeß 122-135 Luftangriff der USA auf Libyen 49, 157, 158, 167, 180, 181 Namibia-Konflikt 352 Out-of-Area-Problematik 180, 181 Rüstungskontroll-Politik 104, 106, 107, 115, 120, 149-151, 174-176, 182 Strategie/-debatte 152, 167, 169, 172-174, 176, 181, 182, 184, 195 Südafrika-Konflikt 351, 354-359
Revitalisierung
Beratende
Versammlung
SDI-Projekt
ZAIRE
189
150, 186-189 189
328
ZYPERN Terror-Anschläge
47, 293, 294, 297
AUTOREN Bacia, Horst, Skandinavien-Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Stockholm. Chladek,
Tilmann, A.M. (Harvard), Redakteur des Europa-Archivs, Bonn.
Danylow, Dr. Peter, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Bonn. Fanger, Dr. Ulrich, Referatsleiter Lateinamerika am Arnold Bergstraesser Institut, Freiburg. Fest, Dr. Hartmut, Stellvertretender Direktor, Abteilung Wirtschaft und Statistik bei der O E C D , Paris. Fröhlich, Dr. Hans-Peter, Wissenschaftlicher Referent, Institut der Deutschen Wirtschaft, Köln. Glaubitz, Prof. Dr. Joachim, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsinstitut für Internationale Politik und Sicherheit, Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen, Lehrbeauftragter für Politische Wissenschaft an der Universität München. Haftendorn, Prof. Dr. Helga, Professorin für Politische Wissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Theorie, Empirie und Geschichte der Außenpolitik an der Freien Universität Berlin. Herlt, Dr. Rudolf, Freier Wirtschaftsjournalist, Hamburg. Hottinger, Dr. Arnold, Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung für die arabischen Länder, Nicosia. Hubel, Dr. Helmut, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Bonn.
506
AUTOREN
Kamp, Karl-Heinz, Stipendiat der Stiftung Volkswagenwerk im Bereich der sicherheitspolitischen Forschung am Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Bonn. Knapp, Prof. Dr. Manfred, Professor für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr, Hamburg. Krumwiede, Dr. Heinrich-W., Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsinstitut für Internationale Politik und Sicherheit, Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen. Kubbig, Dr. Bernd W., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt. Maass, Dr. Citha D., Freising. Maull, Prof. Dr. Hanns W., Professor für internationale Politik an der Katholischen Universität Eichstätt. Nass, Dr. Klaus Otto, Staatssekretär a.D., Niedersächsischer Landesbeauftragter für internationale Zusammenarbeit und Lehrbeauftragter für europäisches und internationales Recht an der Universität Hannover. Ropp, Dr. Klaus Frhr. von der, Leiter des Bonner Büros der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen. Rühl, Dr. Lothar, Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung, Bonn. Schlicht, Dr. Alfred, Politischer Referent an der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, Sanaa. Schönfeld, Dr. Roland, Geschäftsführendes Präsidialmitglied der Südosteuropa-Gesellschaft, München. Schulz, Prof. Dr. Eberhard, Stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Honorarprofessor für Politische Wissenschaft der Universität Bonn. Schweigier, Gebhard (Ph.D.), Fachgruppenleiter im Forschungsinstitut für Internationale Politik und Sicherheit, Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen.
AUTOREN
507
Volle, Dr. Angelika, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Jahrbuch-Redakteurin, Bonn. Weggel, Dr. Oskar, Wissenschaftlicher Referent, Institut für Asienkunde, Hamburg. Welck, Dr. Stephan Frhr. von, Regierungsdirektor, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Bonn.
EIROPA ARCHIV Das EUROPA-ARCHIV ist die Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V., einer überparteilichen und unabhängigen Einrichtung in Bonn. Sie erscheint zweimal im Monat. Jede Folge enthält Beiträge zu aktuellen Problemen der internationalen Politik, eine umfangreiche Dokumentation sowie eine Zeittafel mit den wichtigsten Ereignissen des Weltgeschehens. Dazu kommt eine monatliche Bibliographie in- und ausländischer Neuerscheinungen.
ZEITSCHRIFT FÜR INTERNATIONALE POLITIK Begründet von Wilhelm Cornides
EUROPA-ARCHIV Seit 1946 Mit den jetzt vorliegenden 41 Jahrgängen stellt das EUROPAARCHIV ein einzigartiges Sammel- und Nachschlagewerk dar. Der Leser und Benutzer kann darauf vertrauen, in diesen Bänden die entscheidenden Dokumente zur internationalen Politik in deutscher Übersetzung zu finden. Darüber hinaus enthält die Zeitschrift eingehende Analysen aktueller Probleme, die von einem weltweiten Autorenkreis verfaßt sind. Die einzelnen Jahrgänge werden durch detaillierte Register erschlossen. Der Informationswert des EUROPA-ARCHIV ist daher von bleibendem Wert. Die Zeitschrift ist für jeden, der sich beruflich oder aus persönlichem Interesse mit Problemen der europäischen und der internationalen Politik beschäftigt, ein unentbehrliches Hilfsmittel und eine unerschöpfliche Fundgrube.
Bezugspreise Jahresabonnement (24 Folgen, einschl. Register) DM 160,00 Für Schüler, Studenten, Wehr- und Ersatzdienstleistende bei Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung: Jahresabonnement (24 Folgen, einschl. Register) DM 120,00 1 Satz Einbanddecken (dreiteilig) Einzelpreis je Folge Gesamtpreis für Jahresabonnement einschl. Register und Einbanddecken
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