Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie: 2022 [1 ed.] 9783666572302, 9783525572306


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Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie: 2022 [1 ed.]
 9783666572302, 9783525572306

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Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie

2022

Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 61. Band 2022

Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 61. Band – 2022

Herausgegeben von Jörg Neijenhuis Daniela Wissemann-Garbe Alexander Deeg Irmgard Scheitler Matthias Schneider Helmut Schwier in Verbindung mit der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie, dem Liturgiewissenschaftlichen Institut Leipzig, der Liturgischen Konferenz Deutschlands

Vandenhoeck & Ruprecht

Begründet 1955 von Konrad Ameln, Christhard Mahrenholz und Karl Ferdinand Müller

Schriftleiter: Prof. Dr. Jörg Neijenhuis, Mombertstr. 11, 69126 Heidelberg E-Mail: [email protected] (Liturgik) Dr. Daniela Wissemann-Garbe, Moischter Str. 52, 35043 Marburg E-Mail: [email protected] (Hymnologie) Manuskripte und Rezensionsexemplare bitte nur an die Schriftleiter schicken.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-3466 ISBN 978-3-666-57230-2

Inhalt Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Liturgik Liturgie für ein Tierbegräbnis Ein Vorschlag Jörg Neijenhuis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Progressive solemnity in the chants of the Ordinary of the Mass Wilfrid Jones . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Eine Darstellung und Auseinandersetzung mit Henning Theißen: Gottes Gegenwart wahrnehmen Jörg Neijenhuis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

Literaturberichte zur Liturgik Literaturbericht Liturgik Französischsprachige Länder (2013–2021) Bruno Bürki . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Literaturbericht Liturgik Deutschsprachige Länder 2021 (2020) Jörg Neijenhuis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

Hymnologie Paul Gerhardt: Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld – ein Wegbereiter pietistischen Frömmigkeitsausdrucks Irmgard Scheitler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 „… wohin schon die Reformatoren gewollt …“ Emil Naumann und die Idee der Psalmodie mit Gemeindebeteiligung Christoph Henzel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Qualität im Kirchenlied. Aspekte zur methodischen Erkundung von Kirchenliedern Erträge der Herborner IAH -Tagung im September 2020 . . . . . . . . . . . 182

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Inhalt

Die Qualität von Kirchenliedern – eine legitime Fragestellung? Andreas Marti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Vorstellung akademischer hymnologischer Projekte Das Porst’sche Gesangbuch, 1709–1908 Jonas Milde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Literaturberichte zur Hymnologie Literaturbericht Hymnologie Deutschsprachige Länder (2019, 2020) 2021 Daniela Wissemann-Garbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Literaturbericht Hymnologie Französischsprachige Länder (2020) 2021 Beat Föllmi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Literaturbericht Hymnologie Ungarn 2013–2016 Ágnes Papp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Verzeichnis der Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Ständige Berater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

Geleitwort Der Herausgeberkreis hat sich in diesem Jahr erweitert: Dr. Thomas Melzl aus Nürnberg (Liturgik) und Prof. Dr. Erik Dremel aus Halle a. d. Saale (Hymnologie) haben dankenswerterweise die Einladung in den Herausgeberkreis angenommen. So wird das Jahrbuch nun von insgesamt acht Personen – je vier für die Liturgik und Hymnologie – herausgegeben. Wir heißen unsere beiden neuen Mitherausgeber willkommen und freuen uns auf eine gute und fruchtbare Zusammenarbeit. Das Jahrbuch eröffnet seinen liturgischen Teil mit einem Beitrag von Jörg ­Neijenhuis, in dem er eine Liturgie für ein Tierbegräbnis vorschlägt. Zahlreiche Tierbestatter bieten Tierbestattungen an, ca. 10.000 Tiere werden jährlich auf Tierfriedhöfen körperlich beigesetzt, weitere 10.000 Tiere werden kremiert und die Urnen den Tierhaltern übergeben. Es stellt sich die Frage nach Gründen, ob und wie Tiere mit einer Liturgie, gegebenenfalls sogar durch einen Geistlichen, begraben werden sollen. Sowohl von evangelischen wie von römisch-katho­ lischen Theologen gibt es dazu einige Vorschläge; offizielle kirchliche Begräbnisliturgien für Tiere gibt es nicht. Die Begründungen für eine geistliche Leitung eines Tierbegräbnisses fallen recht unterschiedlich aus, weil sie im Vergleich mit Bestattungen für Menschen betrachtet werden. Neijenhuis hält vorrangig die seelsorgliche Dimension für einen Grund, warum ein Geistlicher auf Anfrage von trauernden Tierhaltern ein Tierbegräbnis leiten könnte. Er legt einen Vorschlag für eine entsprechende Liturgie vor, die aber ebenso gut auch von Laien verwendet werden kann. Wilfrid Jones befasst sich mit der Steigerung der Feierlichkeit für Messen. Melismatische Gesänge sollen die Feierlichkeit erhöhen. Da das Ordinarium quantitativ gleichbleibt, kann nur durch die Qualität der Gesänge eine andere Feierlichkeit evoziert werden. Das ist an den unterschiedlichen Vertonungen zu erkennen. Jones verifiziert diese These anhand von drei Hypothesen: Je feierlicher der Festtag ist, desto melismatischer sind die gregorianischen Gesänge. Sind die Tage weniger feierlich, fallen die Gesänge syllabisch aus. Und je höher die Feierlichkeit des Festtages eingestuft ist, desto mehr Noten werden für eine Silbe oder für ein Wort eingesetzt. Jones ermittelt sein Ergebnis mithilfe von statistischen Erhebungen anhand des Graduale Romanum von 1961 und der Revision der Messen nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Jörg Neijenhuis setzt sich mit Henning Theißens Darstellung Gottes Gegenwart wahrnehmen. Die Grundvollzüge des christlichen Gottesdienstes für unsere Zeit erklärt auseinander. Theißen möchte in ökumenischer Absicht herausstellen, was allen christlichen Konfessionen eigen ist, wenn sie Gottesdienste feiern, nämlich die Gegenwart Gottes. Diese Gegenwart Gottes ist eine vorgegebene Wirklichkeit, die in den liturgischen Grundvollzügen wahrgenommen

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Geleitwort

wird, wie sie das Evangelische Gottesdienstbuch von 1999 bietet. Dabei verfolgt ­Theißen einen ästhetischen Ansatz, mit dem er beschreibt, wie die Wahrnehmung Gottes im Lauf des Gottesdienstes immer komplexer wird. Zwei Literaturberichte – zur französischsprachigen Liturgiewissenschaft (2013–2021) von Bruno Bürki und zur deutschsprachigen Liturgiewissenschaft (2021) von Jörg Neijenhuis – informieren über liturgiewissenschaftliche Neuerscheinungen und Diskurse. Der hymnologische Teil des Jahrbuches beginnt mit einem Aufsatz von Irmgard Scheitler, in dem sie Paul Gerhardts Lied Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld als rein historischen Text liest, Normabweichungen aufspürt und dem Weiterleben der darin erkannten Sprach- und Denkformen nachgeht. Dabei findet sie Formulierungen, die im Pietismus Stichwortfunktion haben sollten und damit den später als typisch pietistisch empfundenen Frömmigkeitsausdruck geprägt haben. Christoph Henzel widmet sich innerhalb des Themenkreises um Erneuerung von Liturgie und Kirchenmusik im 19. Jahrhundert den Ideen Emil Naumanns, wie zu einer Praxis des liturgischen Psalmengesangs mit Gemeindebeteiligung zu kommen sei und der Frage, warum seine Bemühungen trotz Protektion durch Friedrich Wilhelm IV. folgenlos blieben. Die nächsten beiden Beiträge befassen sich mit der derzeit aktuellen Qualitätsfrage im Kirchenlied. Zunächst wird das Arbeitspapier abgedruckt, das anlässlich des begonnenen EG Revisionsprozesses auf der Regionaltagung der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie (IAH) im September 2020 in Herborn erarbeitet und der Gesangbuchkommission zur Verfügung gestellt wurde. Dabei sind Aspekte zur methodischen Erkundung von Kirchenliedern bzw. Gesängen hinsichtlich einer möglichen Aufnahme in ein neues Gesangbuch zusammengestellt. Der gleichen Frage geht Andreas Marti in einem eigenen Beitrag nach, führt sie weiter aus und plädiert für eine angemessene Analyse vor jeder Wertung. Exemplarisch werden einzelne Aspekte an zwei Liedern vorgeführt: So nimm denn meine Hände und Er weckt mich alle Morgen. Zukünftig sollen im Jahrbuch akademische hymnologische Projekte, vor allem Dissertationen, in kurzer Form vorgestellt werden, um einen wissenschaftlichen Austausch zu befördern. Den Anfang macht Jonas Milde mit seiner Arbeit über das Porst’sche Gesangbuch, 1709–1908. Um dieses Format weiter zu etablieren, werden Promovenden zu hymnologischen Themen aufgerufen, sich mit der Schriftleitung in Verbindung zu setzen. Den Beschluss bilden wie immer die Literaturberichte zur Hymnologie. Hier gibt es zwei Änderungen in der Autorschaft. Seit 1966 zeichnet Édith Weber für den Überblick über die französischsprachigen hymnologischen Publikationen verantwortlich, nun ist das nicht mehr möglich. Der Herausgeberkreis dankt ihr von Herzen für ihre 65 Jahre währende Mitarbeit und wünscht ihr alles Gute. Dankbar sind wir, dass Beat Föllmi, Professor für Kirchenmusik und Hymnologie an der Universität Straßburg, der bereits seit dem JLH 2018 mit ihr zusammengearbeitet hat, den französischen Literaturbericht nun allein weiterführt. Mit Ilona Ferenczi hat sich eine ebenfalls langjährige Autorin zurück-

Geleitwort

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gezogen. Von 1983 bis 2016 hat sie uns die ungarisch-hymnologische Literatur aufgeschlossen, wofür wir ihr hier unseren herzlichen Dank und gute Wünsche aussprechen. In Ágnes Papp, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hungarian Academy of Sciences (Research Centre of for the Humanities, Institute for Musicology, Departement for Hungarian Music History), Budapest, hat sie uns eine kompetente Nachfolgerin vermittelt, die wir hier erfreut willkommen heißen. Im Mai 2022

Die Herausgeber

Liturgie für ein Tierbegräbnis Ein Vorschlag

Jörg Neijenhuis

1. Anlass1 und Situation In Deutschland gibt es mehr als 120 Tierfriedhöfe und rund 160 Tierbestatter. Auch gibt es 30 Tierkrematorien. Etwa 1,3 Millionen Hunde und Katzen sterben pro Jahr, aber nur 50 % werden auf Privatgrundstücken beerdigt. Von den verbleibenden 50 % werden ca. 10.000 Tiere auf einem Tierfriedhof körperlich beigesetzt, die anderen Tiere werden kremiert.2 Die Tierbestatter bieten Erdbestattungen und Feuerbestattungen an; die Asche des verstorbenen Tieres wird den Tierhaltern in einer Urne überreicht. Einige Tierbestatter bieten auch Weltraumbestattungen, Seebestattungen und sogar Diamantbestattungen an. Neben den herkömmlichen Tierfriedhöfen gibt es Friedwälder für Tierbestattungen. Bekannter dürften allerdings Tiergottesdienste und Tiersegnungsgottesdienste sein, entsprechende Liturgien wurden privat publiziert.3 Tiere sind nicht nur Hausgenossen geworden, sondern die Tierhalter pflegen auch eine enge Beziehung zu ihren Haustieren.4 Das wird an den publizierten Tiergottesdiensten sichtbar, in denen die Haustiere – Hund, Katze oder Pferd – als Lebensbegleiter 1 Eine Anfrage von Thomas Klie aus Rostock, ob ich auf der Tagung funerale10 : Ciao bello! Mensch-Tierbestattungen im Human-Animal-Diskurs (7. bis 9. Oktober 2021) zu diesem Thema einen Vortrag über Tierbestattungsliturgien halten könne, hat mich veranlasst, mich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Im Anschluss an den auf der Tagung gehaltenen Vortrag, an der sowohl Theologen als auch Bestatter, freie Redner, Ritualdesigner etc. teilnahmen, lege ich hier eine dezidiert liturgiewissenschaftliche Auseinandersetzung vor. 2 Diese Zahlen teilt der Bundesverband der Tierbestatter auf seiner Homepage mit: https:// www.tierbestatter-bundesverband.de/presseinformationen/allgemeine-informationen/ (Zugriff am 3.2.2022). 3 Peuckmann, Niklas: Tiersegnungsgottesdienste. Perspektivische Erkundungen zu einem Phänomen der Grünen Religion, in: Wustmans, Clemens / Peuckmann, Niklas (Hg.): Räume der Mensch-Tier-Beziehung(en). Öffentliche Theologie im interdisziplinären Gespräch (Öffentliche Theologie, Bd. 38). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2020, 287–305. 4 Fachsprachlich wird Haustier und Heimtier unterschieden. Ein Heimtier ist z. B. eine Katze oder ein Hund, die zur Freude des Tierhalters in der Wohnung mitleben. Haustiere werden für einen bestimmten Zweck gehalten, wie z. B. für eine Züchtung. Im Alltagsdeutsch hat sich diese Unterscheidung nicht etabliert, und so bleibe ich bei der gewöhnlichen Bezeichnung Haustier für ein Tier, das zur Freude und als Gefährte von Tierhaltern im Haushalt mitlebt.

Liturgie für ein Tierbegräbnis 

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gewürdigt werden. In manchen Gottesdiensten werden Menschen und Tiere auch gemeinsam gesegnet. Insofern stellt sich wie von selbst die Frage ein, was mit solchen geliebten Haustieren geschieht, wenn sie gestorben sind. Werden sie einfach in eine Tierbeseitigungsanlage gegeben? Werden sie beerdigt oder kremiert? Und wer leitet die Bestattungsfeier bei einer Erdbestattung oder Urnenbeisetzung? Ich habe mich bei einigen Tierbestattern erkundigt und bekam die Auskunft, dass die meisten Tierbestatter Tiere nicht bestatten, sondern die verstorbenen Tiere von zuhause oder beim Tierarzt abholen, kremieren und die Urne mit der Asche den Tierhaltern übergeben. Was die Tierhalter dann mit der Urne machen, wissen die Tierbestatter nicht. Einige Tierbestatter bieten auch an, die Asche auf einer Streuwiese auszustreuen oder die Urne auf einem Tierfriedhof zu bestatten, der dem Bestatter selbst gehört. Erdbestattungen sind eher selten. Einer der befragten Tierbestatter bietet zwar an, eine Tierbestattung mit Begleitung eines Geistlichen zu ermöglichen, aber dieses Angebot wurde bislang nicht ein einziges Mal angenommen. Mir sind bisher nur drei Vorschläge für Tierbestattungsliturgien bekannt, die in Materialbüchern publiziert wurden.5 Offizielle Tierbestattungsliturgien von den evangelischen Kirchen oder der Römisch-katholischen Kirche gibt es nicht. Dem Vernehmen nach empfinden Pfarrerinnen und Pfarrer auch eine gewisse Scheu, Tiere zu bestatten. Zum einen spürt man, dass eine Bestattungsliturgie für Menschen nicht einfach auf einen Tierbestattung übertragbar ist, auch wenn Argumente dafür nicht schnell zur Hand sind. Gerne wird gesagt, dass Tiere ja keine Seele haben und dass die Texte aus der Bibel oder die Gebetstexte der Bestattungsagende nicht einfach auf Tiere angewendet werden können, weil sie gar nicht im Blick auf Tiere verfasst wurden. Zum anderen fehlen auch die Gründe, warum man Tiere denn überhaupt mit einer Liturgie, die von Geistlichen geleitet wird, bestatten sollte. Diese Fragen und Einwände sind berechtigt, und darum will ich im Folgenden zuerst darlegen, warum und wie Menschen christlich bestattet werden und welche Aufgaben den Geistlichen dabei zukommen. Danach wende ich mich der Tierbestattung zu und frage, inwiefern die Bestattung von Menschen eine Vorlage für die Bestattung von Tieren sein kann und welche Aufgaben bei einer Tierbestattung auf die Geistlichen zukämen.

5 Ende, Natalie: You never walk alone. Tiere in der Kirche – Gottesdienste und Materialien (Materialbücher des Zentrums Verkündigung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Bd. 131). Zentrum Verkündigung der EKHN: Frankfurt am Main 2019, 209–212. Francesco ­Cattani: Gottes Bund mit Menschen und mit Tieren. Bestattung eines Hundes, in: Schwarz, ­Christian (Hg.): Kleine Rituale. Gottesdienste und Feiern im öffentlichen Raum (GottesdienstPraxis Serie B). Gütersloher Verlagshaus: Güterloh 2020, 135–138. Hanglberger, Manfred: Trauergebete, Traueransprachen. Texte am Sterbebett, für Trauerandachten und Beerdigungen. Friedrich Pustet: Regensburg 42017, 105–110.

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2. Gründe für Bestattungen von Menschen 2.1 Bestattungsagenden Die zuletzt publizierte Bestattungsagende von EKD -Kirchen, die Agende für die Union Evangelischer Kirchen in der EKD, Band 5 (unierte Agende), aus dem Jahr 2004 formuliert in ihrer Einleitung, dass die christlichen Gemeinden seit jeher ihre Toten bestattet und die Bestattung als ein Werk der Barmherzigkeit angesehen haben. Denn der Leib ist bzw. war der Tempel des Heiligen Geistes (1Kor 6,19). Die Gemeinschaft im christlichen Glauben gründet sich in der Taufe, da bei der Taufe die Namen der Getauften zusammen mit dem Namen des dreieinigen Gottes genannt werden: „Der in der Taufe besiegelte Bund bedeutet, dass unsere Namen in Gottes Namen einbezogen und bei Gott aufbewahrt bleiben: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein (Jes 43,1); freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind (Lk 10,20b). In Wort und Sakrament haben die Glaubenden Gemeinschaft mit Jesus Christus. Diese Gemeinschaft wird durch den Tod nicht aufgehoben.“6 Denn im Mittelpunkt des Bestattungsgottesdienstes steht das Evangelium von Jesus Christus, in dessen Tod wir getauft sind (Röm 6,3) und mit dem wir auferstehen werden (Röm 6,4). Aus diesen Gründen wird im Bestattungsgottesdienst die verstorbene Person in „Liebe und Achtung“7 beigesetzt und die Trauernden werden mit dem Evangelium von Jesus Christus getröstet.8 Auch die lutherische Begräbnisagende von 1996 hebt, wenn auch in einem wesentlich kürzeren Text, diese Motive hervor und betont, „daß Leben und Tod eines jeden Menschen unter dem Gericht Gottes über die Sünde stehen. (…) Um so deutlicher kann dann von der Hoffnung gesprochen werden, indem die Auferweckung Jesu Christi als Grund der Auferstehung der Toten und seine Wiederkehr zu Gericht und Vollendung seiner Gemeinde verkündigt werden.“9 Die Geistlichen haben nach der unierten Bestattungsagende eine seelsorgerliche Aufgabe. Sie führen mit den Hinterbliebenen ein seelsorgerliches Gespräch über ihre Trauersituation, bei dem auch der Inhalt und der Ablauf des Bestattungsgottesdienstes mit bedacht werden.10 Darüber hinaus werden die Geistlichen nicht eigens erwähnt, denn die Bestattung wird als Aufgabe der Gemeinde beschrieben: „Die kirchliche Bestattung ist eine gottesdienstliche Handlung, bei der die Gemeinde ihre verstorbenen Glieder zur letzten Ruhe geleitet, sie der Gnade Gottes befiehlt und bezeugt, dass Gottes Macht größer ist als der Tod. In der Auseinandersetzung mit Tod und Trauer bedenkt die Gemeinde 6 Bestattung. Agende für die Union Evangelischer Kirchen in der EKD, Band 5. Im Auftrag des Präsidiums herausgegeben von der Kirchenkanzlei der UEK. Luther-Verlag: Bielefeld 2004, 16. 7 A. a. O., 15. 8 A. a. O., 19. 9 Agende für die Evangelisch-Lutherische Kirchen und Gemeinden, Band III: Die Amtshandlungen, Teil 5: Die Bestattung. Hg. von der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Lutherisches Verlagshaus: Hannover 1996, 12. 10 A. a. O. (wie Anm. 7), 19.

Liturgie für ein Tierbegräbnis 

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Leben und Sterben im Lichte des Evangeliums und verkündigt die Auferstehung der Toten. Die Gemeinde begleitet die Sterbenden und trauert mit den Hinterbliebenen. Sie tröstet sie mit Gottes Wort und begleitet sie mit Seelsorge und Fürbitte.“11 Die lutherische Agende erwähnt, dass nicht nur für die Betroffenen und für die versammelte Gemeinde, sondern „auch für die Pfarrerin oder den Pfarrer der Ritus eine wichtige Hilfe“ darstellt.12 Die Bestattungsagende der Römisch-katholischen Kirche für die Bistümer des deutschen Sprachgebiets von 1969 bzw. in der Ausgabe von 2009 unterstreicht ebenfalls die seelsorgerliche Aufgabe, die dem Priester bei der Leitung der Begräbnisfeier zukommt und von der Kirche grundgelegt ist. So wurde es nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil im Dekret von 1969 zur Einführung der erneuerten Bestattungsagende gleich im ersten Satz ausgeführt: „In der Begräbnisfeier pflegte die heilige Mutter Kirche nicht nur die Verstorbenen Gott anzuempfehlen, sondern auch die Hoffnung ihrer Kinder aufzurichten und ihren Glauben an die zukünftige Auferstehung der Getauften mit Christus zu bezeugen.“13 In den Praenotanda wird festgehalten, dass die Kirche das PaschaMysterium Christi auch bei Begräbnissen feiert, da die Verstorbenen „durch die Taufe Christus im Sterben und in der Auferstehung gleich gestaltet worden sind, mit ihm durch den Tod zum Leben hinübergehen. Der Seele nach müssen sie zwar noch gereinigt und mit den Heiligen und Auserwählten in den Himmel aufgenommen werden, dem Leibe nach aber erwarten sie voll Zuversicht das Kommen Christi und die Auferstehung der Toten. Deswegen bringt die Kirche für die Verstorbenen das eucharistische Opfer des Pascha Christi dar, und sie bittet inständig für sie, damit so durch die gegenseitige Verbundenheit aller Glieder Christi den einen geistlichen Hilfe zukommt, den anderen der Trost der Hoffnung angeboten wird.“14 Auch in dieser Agende wird der Priester erwähnt, wenn er seine konkrete Tätigkeit vollzieht, so soll er in den Ritus einführen und ihn durchführen, gleichwohl werden auch andere Ämter und Dienste für eine Begräbnisfeier genannt: Eltern und Verwandte, die Verantwortlichen für die Beerdigung, die christliche Gemeinschaft und schließlich der Priester, „der als Erzieher zum Glauben und Diener des Trostes der liturgischen Handlung vorsteht und die Eucharistie feiert.“15 Das bedeutet, dass die Geistlichen eine Begräbnisfeier im Sinne ihrer jeweiligen Kirche respektive dieser Glaubensgemeinschaft leiten und dass dabei die seelsorgerliche Aufgabe im Vordergrund steht. Diese seelsorgerliche Aufgabe bezieht sich auf die anwesenden Trauernden und – für die Römisch-katholische Kirche – auch auf den Verstorbenen. Letzterer Aspekt, dass die Kirche, die Gemeinde oder die Hinterbliebenen noch etwas für das Seelenheil des Verstorbenen tun können, wurde in der evangelischen Tradition abgelehnt, denn es war 11 Ebd. 12 A. a. O. (wie Anm. 10), 13. 13 Die kirchliche Begräbnisfeier in den Bistümern des deutschen Sprachgebiets. Zweite authentische Ausgabe auf der Grundlage der Editio typica 1969. Herder: Freiburg i. Br. 2009, 5. 14 A. a. O., 11. 15 A. a. O., 15, Abschnitt 16.

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umstritten, ob man nicht doch etwas für die Verstorbenen täte, wenn für die Verstorbenen gebetet würde, z. B. dass Gott sie aufnehme in sein Reich, wie es die unierte und lutherische Agende vorsehen: „Für unsere verstorbene Schwester in Christus N. N. / für unseren verstorbenen Bruder in Christus N. N., dass Gott sie / ihn aufnehme in sein ewiges Reich.“16 Oder: „Wir bitten dich: Nimm sie / ihn gnädig auf und vollende dein Werk an ihr / ihm in Ewigkeit.“17 Das Gebet für Verstorbene war lange Zeit umstritten aufgrund der Frage, ob man denn überhaupt noch für Verstorbene beten könne und solle und ob das ein (gutes) Werk sei, das man für den Verstorbenen noch tun könne (oder müsse).18 Können und sollen die Trauernden respektive die Kirche bzw. die Gemeinde am Verstorbenen handeln, indem sie beten bzw. für ihn beten, und ist dieses Handeln als Seelsorge zu verstehen? Völlig abwegig sind solche Überlegungen nicht, wenn geglaubt wird, wie alle hier zitierten Agenden darlegen, dass die Gemeinschaft, die im Glauben durch die Taufe gegründet ist, auch durch den Tod nicht aufgehoben ist. Hinzu kommt die commendatio animae, die Anempfehlung des Verstorbenen durch die Kirche an Gott, dass er ihn in sein Reich aufnehmen möge. Die unierte Agende formuliert, nachdem der Sarg in das Grab gelassen und das Bestattungswort (Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub) gesprochen wurde: „Gott ist der Schöpfer des Lebens und Herr über den Tod. Ihm vertrauen wir [unsere Schwester / unseren Bruder in Christus] N. N. an.“19 Daraufhin wird der Verstorbene gesegnet: „mit erhobenen Händen (und Kreuzzeichen) zum Grab gewandt: Friede sei mit dir von Gott, dem Vater und dem Sohn [+] und dem Heiligen Geist. Gemeinde: Amen. Oder ohne Gesten zum Grab gewandt: Der Segen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, sei mir dir und bleibe bei dir in Ewigkeit. Gemeinde: Amen.“20 Dieser Abschnitt ist als fakultativ gekennzeichnet und zeigt die Umstrittenheit an, die diesem Passus anhaftet. Die lutherische Agende kennzeichnet diesen Teil nicht als fakultativ, sondern verwendet den ersten Segenstext, den die Unionsagende anbietet, gibt aber noch zwei unterschiedliche Texte hinzu, die diesem Segen voraufgehen: „Jesus Christus wird sie / ihn auferwecken. Er sei ihr / ihm gnädig im Gericht und lasse sie / ihn die ewige Herrlichkeit schauen.“ Oder: „Unsere Schwester / unser Bruder N. N. ist durch die Taufe mit Christus verbunden. Auch der Tod kann sie / ihn nicht aus seiner Hand reißen. Darum befehlen wir sie / ihn seiner Gnade.“21 Erst daran schließt sich der genannte Segenstext an, der an den Verstorbenen gerichtet ist. Die Reformierte Liturgie sieht solch eine Anempfehlung nicht am Grab, sondern während der Andacht im Sterbe- und Trauerhaus vor. Das Gebet wird gesprochen, bevor der Verstorbene aus dem Haus getragen 16 A. a. O. (wie Anm. 7), 84. 17 A. a. O. (wie Anm. 10), 53. 18 Jordahn, Ottfried / Winkler, Eberhard: Die Bestattung, in: Handbuch der Liturgik, hg v. Schmidt-Lauber, Hans-Christoph / Meyer-Blanck, Michael / Bieritz, Karl-Heinrich. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 32003, 535 f., 547 f. 19 A. a. O. (wie Anm. 7), 86. 20 A. a. O., 87. 21 A. a. O. (wie Anm. 10), 57.

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wird; es dankt für das Leben des Verstorbenen und für das Leben mit ihm. Am Ende heißt es: „Im Vertrauen auf dein Wort nehmen wir Abschied von … und befehlen ihn / sie deiner Gnade.“22 Der Ursprung der commendatio animae ist in der Sterbebegleitung zu finden, und die Anempfehlung, wie sie hier verwendet wird, wurde nach Eintritt des Todes gebetet.23 Die in den evangelischen Bestattungsagenden kurz gehaltenen Anempfehlungen nehmen in der römisch-katholischen Bestattungsagende einen viel größeren Raum ein und verteilen sich über mehrere Stellen im Bestattungsgottesdienst. Bei der Bestattung mit drei Stationen – Trauerhaus oder Friedhofskapelle, Kirche mit Messfeier, Friedhof mit Bestattung – wird die Seele des Verstorbenen bei jeder Station mit verschiedenen Formulierungen Gott anempfohlen. Am Ende der ersten Station heißt es vor dem Gang zur Kirche: „Wir bitten dich für unseren verstorbenen Bruder N. / unsere verstorbene Schwester N. Komm ihm / ihr mit Liebe entgegen und führe ihn / sie in dein Reich.“24 Am Ende der zweiten Station erfolgt eine ausführlichere Anempfehlung: „Kommt zu Hilfe, ihr Heiligen Gottes, eilt herbei, ihr Engel des Herrn: Nehmt seine (ihre) Seele auf; tragt sie vor das Angesicht des Allerhöchsten. Es empfange dich Christus, der dich berufen hat; und die Engel mögen dich geleiten in Abrahams Schoß. – Nehmt seine (ihre) Seele auf; tragt sie vor das Angesicht des Allerhöchsten. Herr, gib ihr die ewige Ruhe: Und das ewige Licht leuchte ihr. Tragt sie vor das Angesicht des Allerhöchsten.“25 Es folgen Anrufungen, die um die Erlösung des / der Verstorbenen bitten, und ein Verabschiedungsgebet, in dem Anempfehlungen und Bitten um Trost der Trauernden sich abwechseln: „In deine Hände, gütiger Vater, befehlen wir die Seele unseres Bruders N. / unserer Schwester N., gestützt auf die sichere Hoffnung, dass er / sie wie alle, die in Christus gestorben sind, mit Christus auferstehen wird am Jüngsten Tag. (…) Die Ohren deiner Barmherzigkeit mögen daher für unsere Bitten offenstehen, Herr, damit sich deinem Diener / deiner Dienerin die Pforten des Paradieses auftun.“26 Beim Gang von der Kirche zum Grab wird während der Prozession gesungen: „Zum Paradies mögen Engel dich geleiten, die heiligen Märtyrer dich begrüßen und dich führen in die heilige Stadt Jerusalem. Die Chöre der Engel mögen dich empfangen, und durch Christus, der für dich gestorben, soll ewiges Leben dich erfreuen.“27 Von Bitten dieser Art sind auch die Gebete während der Beisetzung geprägt, sie wiederholen sich mehrfach: bei der Segnung des Grabes, bevor der Sarg in 22 Reformierte Liturgie. Gebete und Ordnungen für die unter dem Wort versammelte Gemeinde im Auftrag des Moderamens des Reformierten Bundes erarbeitet und herausgegeben von Bukowski, Peter / K lompmaker, Arnd / Nolting, Christiane / R auhaus, Alfred / T hiele, Friedrich. Foedus-Verlag / Neukirchener Verlag: Wuppertal / Neukirchen-Vluyn 1999, 461. 23 Kaczynski, Reiner: Sterbe- und Begräbnisliturgie, in: Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft, Teil 8: Sakramentliche Feiern II, hg. v. Kleinheyer, Bruno / von Severus, Emmanuel / Kaczynski, Reiner. Friedrich Pustet: Regensburg 1984, 193–227, bes. 210 f., 215. 24 A. a. O. (wie Anm. 14), 33. 25 Ebd., 36. 26 Ebd., 38 f. 27 Ebd., 40.

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das Grab gelassen wird, wenn der Sarg mit Weihwasser besprengt und damit an die Taufe erinnert wird, bei der Inzensierung des Sarges und der Aussage, dass dieser Leib der Tempel des Heiligen Geistes war, wenn der Zelebrant das Kreuz in die Erde steckt oder das Kreuzzeichen über dem Grab schlägt mit der Bitte, dass Gott dem Verstorbenen seinen Frieden schenken möge. Es folgen Fürbitten für Verstorbenen und Lebende, die mit dem Vaterunser abgeschlossen werden. Der Abschluss nimmt die Anempfehlungsbitten wieder auf. „Zelebrant: Herr, gib ihm (ihr) und allen Verstorbenen die ewige Ruhe. Alle: Und das ewige Licht leuchte ihnen. Zelebrant: Lass sie ruhen in Frieden. Alle: Amen.“28 Es mag durch meine ausschnittsweise Textzitation der Eindruck entstanden sein, es würden nur noch Anempfehlungen ausgesprochen, aber tatsächlich werde die Anempfehlungen in ausgewogener Weise mit den Bitten um Trost für die Hinterbliebenen kombiniert. 2.2 Reflexion der verschiedenen Bestattungsliturgien In diesem Zusammenhang stellt sich mir nicht die Frage, ob es erlaubt oder richtig ist, solche Anempfehlungen auszusprechen, oder ob man noch etwas tun könnte, damit der Verstorbene wirklich in den Himmel kommt, bzw. wie man sein postmortales Geschick beeinflussen könnte. Die Römisch-katholische Kirche lehrt, dass ein gewisses Einwirken auf das postmortale Geschick durch Ablässe möglich ist: „Da die verstorbenen Gläubigen, die sich auf dem Läuterungsweg befinden, ebenfalls Glieder dieser Gemeinschaft der Heiligen sind, können wir ihnen unter anderem dadurch zu Hilfe kommen, daß wir für sie Ablässe erlangen. Dadurch werden den Verstorbenen im Purgatorium für ihre Sünden geschuldete zeitliche Strafen erlassen.“29 Das ist kein Einwirken auf das Heilsgeschehen, da die Seele des Verstorbenen ja auf dem Weg in den Himmel ist und sich noch im Purgatorium befindet. Gleichwohl bleibt der Ablass wie auch das Purgatorium ein konfessionsunterscheidendes Theologumenon. Auch die Messfeier, besonders die Eucharistiefeier, bringt die Gemeinschaft mit der verstorbenen Person zum Ausdruck: „In ihr bekundet die Kirche ihre wirkkräftige Gemeinschaft mit dem Verstorbenen: Sie bringt dem Vater im Heiligen Geist das Opfer des Todes und der Auferstehung Christi dar und bittet ihn, sein Kind von seinen Sünden und deren Folgen zu reinigen und es in die österliche Fülle des himmlischen Hochzeitsmahles aufzunehmen. Durch die so gefeierte Eucharistie lernt die Gemeinde der Gläubigen, besonders die Familie des Verstorbenen, in Gemeinschaft mit dem zu leben, der ‚im Herrn entschlafen‘ ist, indem sie den Leib Christi empfängt, dessen lebendiges Glied er ist, und dann für ihn und mit ihm betet.“30

28 Ebd., 70. 29 Katechismus der Katholischen Kirche. Oldenbourg Verlag: München 1993, 403/1032. 30 A. a. O., 451/1371.

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Ich verstehe diese Bitten und Darlegungen durchaus seelsorgerlich, da sich die Hinterbliebenen wünschen, ihr Verstorbener möge zu Gott kommen. Warum sollen sie diese Wünsche nicht aussprechen und öffentlich in Gebeten formulieren dürfen? Sie bemühen sich ja auch darum, wie evangelisch geprägte Christen, dass ihr Verstorbener würdig bestattet wird. Denn man fühlt eine gewisse Schuldigkeit dem Verstorbenen gegenüber, seinen toten Leib mit Würde und Anstand zu bestatten. Das gilt umso mehr, wenn man glaubt, dass die Gemeinschaft im Glauben durch den Tod nicht aufgehoben ist und dass der Verstorbene bei Gott lebt. Das Handeln am postmortalen Geschick des Verstorbenen würde dann beginnen, wenn man diese Bitten nicht als Wunschäußerung der Hinterbliebenen, sondern als gute Werke verstünde, die dem Verstorbenen im Purgatorium zugutekämen, wie es Ablässe täten; Ablässe seien also solche guten Werke, die der Verstorbene zu Lebzeiten nicht erbracht hat oder nicht erbringen konnte, die die Angehörigen für ihn nun nachholen. Darum ist mir die Unterscheidung wichtig: Die Bitte, dass Gott den Verstorbenen zu sich in seine Herrlichkeit aufnehmen möge, ist eine Wunschäußerung, mit der die Hinterbliebenen ihre eigene Gefühlslage und ihre Beziehungen bzw. nun gebrochenen Beziehungen zum Verstorbenen zum Ausdruck bringen. Diese Bitte ist seelsorgerlicher Natur, entspricht der vertrauensvollen Beziehung, die die Hinterbliebenen zu Gott haben, und wird nicht in der Absicht ausgesprochen, ein gutes Werk für den Verstorbenen zu leisten. Es wird hier keine Pflicht erfüllt, sondern es wird in aller Freiheit und im Vertrauen auf Gott zu Gott gebetet. Diese Grenzziehung ist sicherlich schmal, aber notwendig, wenn Geistliche mit den Trauernden im Gebet um Aufnahme des Verstorbenen bei Gott bitten. Da diese Bitten nur in der Liturgie vorkommen können (und sie sind ja wesentlicher Teil der Liturgie, wenn nicht sogar das Gebet überhaupt die Grundlage von Liturgie ist) und nicht in der Verkündigung, steht somit jede Liturgie in Gefahr, in eine falsche Richtung zu weisen, wie Christian Albrecht ausführt: „Das wirft, insbesondere in der liturgischen Gestaltung der Kasualie, ein theologisches Problem auf, das nicht übergangen werden darf. Es zeigte sich bereits an den Anfängen der reformatorischen Bestattungspraxis in der Frage des Gebetes für den Verstorbenen. Die Bestattung ist, jedenfalls in ihren liturgischen Teilen, weitgehend kirchliches Handeln am Verstorbenen, die entsprechenden Teile (etwa: Valetsegen, Fürbittgebet für den Verstorbenen, Geleitwort zum Beginn der Grabprozession, Versenkung des Sarges, Bestattungsformel) bilden den emotionalen Höhepunkt der Bestattungsfeier. Zugleich können nach protestantischem Verständnis ausschließlich die Hinterbliebenen die Adressaten des Bestattungsgottesdienstes sein, keinesfalls der Verstorbene.“31 Die Aufgabe der Bestattungsfeier sieht Albrecht darin, dass den Trauernden die Kontingenz des Lebens verdeutlicht wird und sie erkennen, dass die Bedingungen des Le 31 Albrecht, Christian: Kasualtheorie. Geschichte, Bedeutung und Gestaltung kirchlicher Amtshandlungen (PThGG 2). Mohr Siebeck: Tübingen 2006, 214.

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bens unverfügbar sind. Es ist die Struktur der Rechtfertigungslehre, „die das Muster für die Deutung des Lebens angesichts des Todes gibt, indem sie die menschlichen Erfahrungen angesichts des Todes deutet unter Verweis auf den Glauben an die heilsame Differenz zwischen dem, was der Mensch zur Erfüllung des Lebens beitragen kann und dem, was nur Gott zu dieser Erfüllung beizutragen vermag.“32 Diese Aufgabe kann vorrangig nur die Predigt erfüllen, in den Gebeten kann darauf Bezug genommen werden, aber die Gebete oder die oben erwähnten liturgischen Handlungen vermögen es nicht, den Trauernden eine solche umfassende Deutung nahezulegen. Insofern sind die liturgischen Handlungen bzw. ihr Verständnis oder ihre Deutung dahingehend zu präzisieren, dass selbst dann, wenn der Verstorbene angesprochen und gesegnet wird, dies keine Handlung ist, die dem Verstorbenen zu seinem Heil etwas beifügen könnte, sondern eine Handlung, die aufgrund des Wunsches der Hinterbliebenen vollzogen wird und sich in der Gemeinschaft der Glaubenden aufgrund der Taufe gründet. Diese Gemeinschaft wird auch durch den Tod nicht aufhoben. 2.3 Zusammenfassung Es geht bei der christlichen Bestattung eines Menschen darum, dass die Trauernden seelsorgerlich begleitet und getröstet werden, dass ihnen das Evangelium von der Auferstehung Christi verkündet wird und dass der Leib der verstorbenen Person mit Würde und Anstand, mit Liebe und Respekt bestattet wird. Da die verstorbene Person getauft ist und zur Kirche gehört und ihr Leib Tempel des Heiligen Geistes war, bringen die Trauernden ihren Wunsch zum Ausdruck, dass Gott diese Person zu sich in sein Reich aufnehme.

3. Gründe für Bestattungen von Tieren 3.1 Unterschiede zwischen Bestattungen von Menschen und von Tieren Der grundlegende Unterschied zwischen der Bestattung eines Menschen und der Bestattung eines Tieres liegt wohl darin, dass ein Tier kein Sünder ist und es darum auch nicht sinnvoll ist, um Vergebung der Sünden zu bitten oder gar noch Ablässe zu seinen Gunsten zu erwerben. Insofern ist es auch nicht sinnvoll, für die Aufnahme eines Tieres bei Gott zu bitten. Es muss denen, die um ein Haustier trauern, deshalb auch nichts über das Seelenheil des verstorbenen Tieres verkündigt werden. Ein Tier ist auch nicht getauft und die Verkündigung der Vergebung durch Kreuz und Auferstehung der Toten aufgrund der Taufe ist daher fehl am Platz. Denn ein Tier glaubt auch nicht an Gott. Viele Elemente bleiben also gar nicht übrig, die eine Tierbestattung rechtfertigen könnten. Es 32 Ebd.

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sind m. E. zwei Aspekte: die seelsorgerliche Begleitung trauernder Tierhalter und ihr Wunsch, das verstorbene Haustier angemessen zu bestatten. Ihr Wunsch entspringt der gelebten Beziehung, die nun gebrochen ist und Trauer ausgelöst hat. Dazu kommt die Erfahrung bzw. das Alltagswissen, dass Mensch und Tier leben und Tiere keine leblosen Gegenstände sind. Wenn Geistliche einen solchen Dienst übernehmen, tun sie dies im Glauben, dass die Tiere Gottes Geschöpfe sind, die ebenso lebendig sind wie Menschen. Diese Geschöpflichkeit teilen Menschen und Tiere, da sie in derselben Lebendigkeit sind, von der der Glaube sagt, dass dieses Leben eine Gabe Gottes ist. Insofern sind für die Bestattungsliturgie die Geschöpflichkeit von Mensch und Tier und die seelsorgerliche Begleitung der trauernden Tierhalter grundlegend. Dass man sich auch um den verstorbenen Körper eines Tieres sorgen kann und dass diese Sorge nicht missverstanden werden darf als ein Einwirken auf das postmortale Geschick des Tieres, lässt sich gut an einem Erlebnisbericht nachvollziehen, der von der Bestattung eines Ponys handelt. Die Tierhalterin hatte ein Tierbestattungsinstitut beauftragt, das Pony zu kremieren. Noch am Todestag des Tieres kam der Bestatter, um das Tier mit einem Pferdewagen abzuholen. Die Tierhalterin war dankbar, dass das Pony nicht einfach auf den Boden gelegt wurde, sondern auf einer Plane in einem fahrbaren Gestell in den Pferdewagen geschoben wurde. Die Kremierung fand in den Niederlanden statt, und die Tierhalterin wurde per Smartphone regelmäßig informiert, „um mich über den Zeitplan auf dem Laufenden zu halten. Und immer: für mich mitfühlende und das verstorbene Tier wertschätzende Worte am Telefon.“33 Selbst Fotos wurden regelmäßig überstellt, um den gesamten Vorgang zu dokumentieren. Zunächst wurde das Pony in einen Raum der Stille gelegt, dann kremiert. Die Tierhalterin erhielt die Asche samt einer Einäscherungsurkunde per Post; beigelegt waren auch eine weiße Rose und eine Beileidskarte. Das deutsche Tierbestattungsinstitut schickte ebenfalls eine Einäscherungsurkunde auf Schmuckpapier, die wie eine Traueranzeige aussah. Auf der Rückseite ein Text, der darstellt, wie das Pony mit anderen Ponys im Paradies spielt und sich seines Lebens erfreut, nur dass es die Tierhalterin vermisst. Und plötzlich schaut das Pony auf und läuft der Tierhalterin entgegen, denn es hat sie gesehen! Dass dieser Text und das Bild, das er vermittelt, recht kitschig sind, ist auch der Tierhalterin klar. Und doch stellt sie im Rückblick auf den gesamten Ablauf einschließlich der wertschätzenden Begleitung der Tierbestatter fest: „Irgendwie hat das alles geholfen.“34 Es ging also nicht um ein postmortales Geschick, sondern um die Bewältigung von Trauer. Die Trauer zu bewältigen haben die Tierbestatter geholfen – und nicht kirchliche Geistliche. Von daher hat Dirk Preuß recht, wenn er auf dieses Defizit mit erheblichen Folgen aufmerksam macht: „Wer diesen Bereich 33 Rabe, Kirsten: Irgendwie hat es geholfen. Vom Ablauf einer Pferdebestattung, in: Loccumer Pelikan 4 (2019), 56 f. 34 A. a. O., 57.

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vorschnell aus kirchlichem Handeln und kirchlicher Verkündigung ausblendet, darf sich nicht wundern, wenn Menschen bei der ersten Konfrontation mit dem Tod eines menschlichen Familienmitglieds bereits andere Antworten und Praktiken gefunden haben und neben Bestattern und Trauerrednern nun auch Tierschutzvereine und Tierbestatter für die Letzten Fragen zuständig sind.“35 3.2 Überlegungen und Vorschläge für Tierbestattungen Den Vorschlag für christliche Tierbestattungen machte Jens Feld im Jahr 2011 in seinem Buch mit dem Titel „Tiere haben eine Seele – Menschen einen Gott“. Er möchte „die religiöse Seite von Tieren so wahrnehmen, dass es den Tieren gerecht wird.“36 Es gebe die rationale, naturwissenschaftliche Seite, die zur Tierhaltung z. B. in Zoos oder zur Massentierhaltung geführt hat, und die emotionale Seite, die zur Vermenschlichung von Tieren führte. Mit beiden Aspekten werde man den Tieren nicht gerecht. Feld stellt im Folgenden viele Tierarten von Wildtieren bis Haustieren vor, wie sich Mensch und Tier in säkularen und sakralen Bereichen begegnen. Anschließend werden Tiere in der Bibel und ihre Rolle bei der Suche nach menschlichem Lebenssinn reflektiert. Feld ist der Meinung, dass alle Lebewesen eine Seele haben, auch wenn bei Tieren eine Differenz ins Auge fällt: zwischen Kakerlaken und Schimpansen gibt es den Unterschied, dass man dem Schimpansen eine Persönlichkeit attestiert, dem Kakerlaken nicht. Deswegen kann man aber dem Kakerlaken die Seele nicht absprechen: „Daneben bleibt der Gedanke für Tiere, die keine Persönlichkeit haben, vernünftig, dass sie eine Seele haben, es für sie aber keinen Unterschied macht, ob sie leben oder tot sind. Sie sind sozusagen im Diesseits und im Jenseits gleichermaßen verwurzelt.“37 Gleichwohl seien doch alle Tiere wie auch die Menschen Geschöpfe Gottes; aber nur dort, wo es eine gegenseitige Beziehung zwischen Mensch und Tier gibt, lege sich eine christliche Tierbestattung nahe. Dafür macht Feld folgenden Vorschlag: Die Bestattungsfeier beginnt mit dem üblichen trinitarischen Votum, ein Psalm und eine Ansprache können folgen. Der Sarg oder die Urne wird ins Grab gelassen und dazu gesprochen: „Was wir hier sagen, gilt Menschen und Tiere[n]: Von Erde bis du genommen, zu Erde sollt du werden. Erde zu Erde, Asche zu Asche, und Staub zu Staube.“38 Die Trauerfeier wird mit dem Segen beschlossen. Jens Felds Vorschlag hat bei seiner eigenen Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau, in die er Pfarrer ist, ebenso heftigen Widerspruch ausgelöst wie beim benachbarten Römisch-katholischen Bistum Limburg. Die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau stellte fest, dass es selbstverständlich sei, Trauernde, die um ein Tier trauern, seelsorgerlich zu begleiten, aber eine christliche Tierbestattung komme nicht in Frage. Vom Bistum

35 Preuß, Dirk: Katholische Friedhöfe (auch) für Tiere?, in: StZ 233 (2015), 773. 36 Feld, Jens: Tiere haben eine Seele – Menschen einen Gott. Steinkopf Verlag: Kiel 2011, 7. 37 A. a. O., 122. 38 A. a. O., 128.

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Limburg wurde festgehalten, dass Tiere kein Personsein haben wie Menschen und ebendeshalb nicht selbstbestimmt, frei und entscheidungsfähig seien.39 Der römisch-katholische Moraltheologe Michael Rosenberger macht darauf aufmerksam, dass es nicht die Fähigkeiten von Tieren sein können, die eine christliche bzw. kirchliche Bestattung rechtfertigen, sondern dass dies die Beziehung könne, die Gott zu den Tieren hat und die Tiere zu Gott haben. Dafür beruft er sich auf die Enzyklika Laudato si’ von Papst Franziskus und auf den Apostel Paulus mit Röm 8,18–23. In diesen Texten kann ich allerdings keine Beschreibung einer persönlichen Beziehung entdecken, die Tiere analog zu Menschen zu Gott haben könnten. Vielmehr ist davon die Rede, dass auch Tiere Geschöpfe Gottes sind und als solche Teil der gesamten Schöpfung, die der Vergänglichkeit unterworfen ist und auf die Befreiung von dieser Vergänglichkeit wartet. Rosenberger ist hier anderer Auffassung und legt für eine Tierbestattung den Vorschlag vor, sie der Bestattungsfeier für Menschen recht ähnlich zu gestalten. Den Unterschied sieht er auf ekklesiologischer Ebene, da Tiere nicht getauft sind, somit nicht zur Gemeinschaft der Kirche gehören und sich auch gar nicht für oder gegen den christlichen Glauben entscheiden können. Insofern wird es für ein Tier kein Requiem geben und auch keine Messfeier, weil ja hier die Gemeinschaft im Glauben von Lebenden und Toten der Grund der Feier ist. Deshalb ist es die den Tieren und Menschen gemeinsame Geschöpflichkeit, die liturgische Konsequenzen nach sich zieht: die Osterkerze leuchtet Mensch und Tier; das Kreuz Christi gilt zur Erlösung von Mensch und Tier; der Erdritus verbindet Mensch und Tier, weil ihre Körper wieder zu Erde werden; das Weihwasser, das eigentlich auf die Taufe referiert, kann schon allein deshalb verwendet werden, weil ja lebende Tiere offiziell mit Weihwasser gesegnet werden wie auch Autos, Häuser etc. Nur das Deutewort muss geändert werden, damit der Bezug zur Taufe nicht hergestellt wird. In ähnlicher Richtung argumentiert auch der römisch-katholische Priester und Familientherapeut Manfred Hanglberger, der konkrete Gebet- und Gestaltungsvorschläge vorgelegt hat.40 Auch er beruft sich auf die Enzyklika Laudato si’ und erwähnt zudem die gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz Zukunft der Schöpfung – Zukunft der Menschheit aus dem Jahr 1980 mit dem Hinweis, dass in beiden Dokumenten eine Auferstehungshoffnung für Tiere anklinge. Hanglberger sieht ebenfalls eine Besprengung des Grabes mit Weihwasser vor, 39 Vgl. dazu die Ausführungen und Quellenangaben bei Michael Rosenberger: Tiere bestatten? Theologische Überlegungen zu einem gesellschaftlichen Trend, in: StZ 235 (2017), 532 f. Vgl. dazu auch den erweiterten Aufsatz von Michael Rosenberger: Tiere bestatten? Soziologische und theologische Überlegungen zu einem gesellschaftlichen Trend, in: Wustmans, Clemens / Peuckmann, Niklas (Hg.): Räume der Mensch-Tier-Beziehung(en) (wie Anm. 3), 307–317. Vgl. dazu auch: Sachser, Norbert / Kästner, Niklas / Zimmermann, Tobias (Hg.): Das unterschätzte Tier. Was wir heute über Tiere wissen und im Umgang mit ihnen besser machen müssen. Rowohlt: Hamburg 2022. 40 Hanglberger, Manfred: Trauergebete, Traueransprachen (wie Anm. 6), 105–110.

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den Erdaufwurf oder das Ablegen von Blumen auf das Grab, aber auch den Gebrauch von Weihrauch, denn die Seele des verstorbenen Tieres steige zu Gott auf: „Wie dieser Weihrauch aufsteigt zum sichtbaren Himmel, so steige deine Seele auf in die ewige Welt Gottes, durch den alle seine Geschöpfe innerlich miteinander verbunden sind – auch über den Tod hinaus. Deine Seele finde Geborgenheit im Tempel seiner Schöpfung.“41 Sowohl bei dieser Abschiedsgeste als auch bei der Besprengung mit Weihwasser und dem Erdaufwurf wird das tote Tier direkt angesprochen. Der römisch-katholische Liturgiewissenschaftler Winfried Haunerland hat sich kritisch mit den Überlegungen und Vorschlägen von Rosenberger und Hanglberger auseinandergesetzt.42 Haunerland stimmt Rosenberger zu, der den Inzens nicht aufgreift, weil dieser Ritus auf die Firmung und Geistbegabung des Menschen Bezug nimmt. Den Erdwurf oder das Aufrichten des Kreuzes hält Haunerland für problematisch, weil damit das Tier persönlich angesprochen wird. Beiden Autoren hält er zugute, dass sie die Trauer der Tierhalter im Blick haben, wobei allerdings beide eher die Würde des Tieres in der Schöpfung Gottes als Ausgangspunkt für eine Bestattung nehmen. Doch letztendlich laufe ihre Argumentation für eine Tierbestattungsliturgie auf die Trauer der Tierhalter zu, die seelsorgerlich begleitet werden sollen. Dieser Ansatz widerspreche aber der Intention der katholischen Begräbnistradition: „Es ist ein Dienst an den Verstorbenen und erst nachrangig – und eher indirekt – Trost für die Trauernden.“43 Insofern eigne sich die römisch-katholische Begräbnisliturgie nicht als Vorlage für eine Bestattungsliturgie für Tiere.44 Der evangelische Theologe Kai Funkschmidt wendet sich dezidiert gegen eine christliche Bestattung von Tieren, weil man diese dann eigentlich auch taufen müsste. Er macht geltend, dass Tiere vermenschlicht werden, statt für sie Verantwortung zu übernehmen. Man könne nicht den Hund wie die Oma beerdigen, der Unterschied zwischen Mensch und Tier werde verwischt. „Nur der Mensch hat individuelle Verantwortlichkeit, nur er kann die Bestimmung seines Daseins verfehlen.“45 Funkschmidt macht deutlich, dass Menschen, aber nicht Tiere erlösungsbedürftig sind. „Eine Beerdigung ist nicht nur ein Seelsorgeangebot, sondern ein gottesdienstlicher Akt und als solcher nur an Menschen gerichtet.“46 Funkschmidt kann in der Geschöpflichkeit der Tiere keinen Grund dafür sehen, diese christlich bzw. kirchlich zu bestatten. 41 A. a. O., 108. 42 Haunerland, Winfried: Vom Segnen und Begraben der Tiere. Liturgiewissenschaftliche Anmerkungen zu einer aktuellen Debatte, in: MThZ 70 (2019), 355–365. 43 A. a. O., 363. 44 Vgl. dazu auch Lintner, Martin M.: Der Herr freut sich seiner Geschöpfe. Anmerkungen zum Stellenwert der Tiere in der Liturgie, in: Ders. (Hg.): Mensch – Tier – Gott. Annäherungen an eine christliche Tierethik. Nomos: Baden-Baden 2021, 241–266. Ebenso auch Janowski, Bernd: Auch die Tiere gehören zum Gottesbund, in: Ders.: Die rettende Gerechtigkeit (Beiträge zur Theologie des Alten Testaments, Bd. 2), Neukirchener Verlag: Neukirchen-Vluyn 1999, 3–32. 45 Funkschmidt, Kai: Wer Haustiere beerdigt, müsste sie eigentlich auch taufen, in: Loccumer Pelikan 4 (2019), 22 f. 46 A. a. O., 23.

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3.3 Reflexion zu Tierbestattungen Es erstaunt mich ein wenig, welche Argumentationskraft darauf verwendet wird, dass Tiere eine Seele haben sollen bzw. müssen. Damit scheint gerechtfertigt zu sein, dass man Tiere christlich bestatten kann und soll. Der schillernde Begriff der Seele ist dafür vielleicht geeignet, solche Vorstellungen zu untermauern. Aber wenn man den Seelenbegriff in die moderne Denkwelt überträgt und nun von der Persönlichkeit spricht, die z. B. beim Menschen trotz seines Todes nicht verloren geht, sondern bei Gott aufgehoben ist, fällt eine solche Argumentation für Tiere recht schwer. M. E. benötigt man diese ganze Argumentation nur dann, wenn man das herkömmliche Bestattungsritual, wie es in der Römisch-katholischen Kirche üblich ist mit Weihrauch, Weihwasser, Kreuz etc., für eine Tierbestattung verwenden will. Wenn es dagegen um die Trauer der Tierhalter geht und um ihre seelsorgerliche Begleitung, dann ist die Frage nach der Seele bzw. der Persönlichkeit eines Tieres irrelevant. Der Tierhalter möchte sein Tier anständig bestattet haben und wünscht sich eine seelsorgerliche Begleitung. Dafür braucht man die Frage, ob ein Tier eine Seele oder eine Persönlichkeit hat, die bei Gott weiterhin existiert, weder stellen noch klären. Der katholische Versuch misslingt zu Recht, das Tierbegräbnis in die Heils­ geschichte von Menschen einzugliedern und so die Begräbnisfeier für einen Menschen für Tiere zu adaptieren. Das liegt sicherlich daran, dass das katho­lische Begräbnisverständnis, schon zu erkennen an den Gebeten zur commendatio animae, davon ausgeht, die Kirche bzw. die betenden Hinterbliebenen könnten dem Verstorbenen auf dem Weg in Gottes Herrlichkeit behilflich sein, sofern man das katholische Glaubensgut um Ablass und Purgatorium mit berücksichtigt. Das ist in der evangelischen Tradition nicht denkbar, weil weder Ablass noch Purgatorium zu den Glaubensinhalten gehören, sondern abgelehnt werden – und damit auch das Abbüßen von zeitlichen Sündenstrafen. Der evangelische Glaube setzt auf Vergebung und Erlösung auch von allen Strafen.47 Vielmehr wird ausgesagt, dass durch die rechte Buße, die der Vergebung vorausgeht, nun gute Werke getan werden zugunsten des Nächsten und die schlechten Werke unterbleiben. Das ist vor Gott eine ausreichende Genugtuung. Es werden also nicht Sündenstrafen aufgerechnet, sondern dass im Glauben gute Werke getan werden aus der Reue und Buße heraus. Darum ist der Ansatzpunkt für die Begründung einer Tierbestattungsliturgie bei der Trauer der Hinterbliebenen folgerichtig, und ebenso folgerichtig ist der Ansatzpunkt, dass die Trauernden sich bemühen, den Leib des Verstorbenen würdig und angemessen zu bestatten. In dieser Hinsicht handeln sie am Ver 47 Luther, Martin: Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum / Disputation zur Klärung der Kraft der Ablässe (2017); ders.: De remissione peccatorum / Von der Vergebung der Sünden (1518); ders.: Sermo de poenitentia / S ermon über die Buße (1518), alle Schriften in: Luther, Martin. Lateinisch-Deutsche Studienausgabe, Bd. 2, Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2006. CA XII: Von der Buße, und dazu die Apologie der CA, in BSLKrev 2014, 106f, bes. 488 ff.

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storbenen, aber nicht zugunsten seines Heils, sondern weil dem Leichnam als Teil seiner Persönlichkeit Ehre und Respekt durch die Bestattung zukommt. Unter dem Gesichtspunkt der seelsorgerlichen Begleitung von Tierhaltern, die um ihr verstorbenes Haustier trauern, kann eine Tierbestattung vorgenommen werden. Eine Handlung an einem Tier vorzunehmen, wie sie in der katholischen Bestattungsliturgie für den verstorbene Menschen vorgesehen ist, ist dabei nicht möglich, da das Tier weder Sünden begangen hat noch der persönlichen Vergebung bedarf, weder getauft ist noch eine Kirchenzugehörigkeit kennt oder einer Religion angehört. Es ist allein das Geschöpfsein des Tieres und damit seine eschatologische Einordnung in das umfassende Heilshandeln Gottes, das allem Leben zukommt, das eine Tierbestattung rechtfertigen kann. Aber letztendlich liegt es an dem Wunsch der trauernden Tierhalter, die den Verlust einer Beziehung und den Schmerz darüber zum Anlass nehmen, ihr verstorbenes Tier zu bestatten. Insofern bilden die Trauer der Tierhalter und das Geschöpfsein der verstorbenen Tiere die Grundlage für eine Tierbegräbnisliturgie, die bewusst machen kann, dass Mensch und Tier Geschöpfe Gottes sind und dass das von Gott geschenkte Leben ihnen gemeinsam ist.

4. Liturgie für eine Tierbestattung. Ein Vorschlag In diesem Sinne lege ich nun einen Vorschlag für eine Tierbestattungsliturgie vor, in dem ich die oben erwähnten Materialien48 berücksichtigt habe. Es handelt sich dabei um einen Liturgievorschlag für eine Andacht, aber nicht für einen (offiziellen) Bestattungsgottesdienst, wie er für Menschen üblich ist. Denn jeder verstorbene Mensch muss bestattet werden, aber auf Tiere trifft diese Tatsache trifft nicht zu. So besteht zwar die Möglichkeit, dass Geistliche von Tierhaltern gebeten werden, eine Bestattungsfeier für ihr verstorbenes Tier zu leiten, und dieser Bitte kann aus seelsorgerlichen Gründen entsprochen werden. Doch eine Tierbestattung wird vermutlich nicht zur Regel werden, wie die Bestattung von Menschen verpflichtend geregelt ist. Die hier vorgeschlagene Bestattungsliturgie für Tiere wird deshalb nicht mit Bestattungsliturgien für Menschen auf eine Stufe gestellt. Wie jede Andacht kann sie selbstverständlich auch von Laien geleitet werden. Liturgie für eine Tierbestattung Alle kommen am Grab zusammen. Die Urne mit der Asche des Tieres oder das tote Tier wird zum Grab gebracht.

48 Vgl. Anm. 6.

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Liturg: Votum Wir sind zusammen im Namen Gottes. Gottes Nähe und sein Trost mögen uns umhüllen. Amen. Begrüßung Heute wollen wir (Name des Tieres) bestatten. Er / Sie war Ihnen, liebe Trauernde, ein lieber Wegbegleiter und treuer Hausgenosse. Darum lassen Sie uns beten: Gebet Guter Gott. Du bist der Schöpfer allen Lebens, sowohl von Menschen als auch von Tieren. Wir verdanken dir Leben, wir verdanken dir, dass (Name des Tieres) lebte und mit uns sein konnte. Stehe uns bei, wenn wir (Name des Tieres) nun bestatten und von ihm / ihr Abschied nehmen müssen. Amen. Schriftlesung aus der Schöpfungserzählung (Gen 1,20–22.24, Basisbibel) Gott sprach: „Das Wasser soll von Lebewesen wimmeln, und Vögel sollen fliegen über der Erde und am Himmel!“ Gott schuf die großen Seeungeheuer und alle Arten von Lebewesen, von denen das Wasser wimmelt. Er schuf auch alle Arten von Vögeln. Und Gott sah, dass es gut war. Gott segnete sie und sprach: „Seid fruchtbar, vermehrt euch und füllt das ganze Meer! Auch die Vögel sollen sich vermehren auf der Erde!“ Gott sprach: „Die Erde soll Lebewesen aller Art hervorbringen: Vieh, Kriechtiere und wilde Tiere!“ Und so geschah es. Gott machte die wilden Tiere und das Vieh und alle Kriechtiere auf dem Boden. Er machte sie alle nach ihrer eigenen Art. Und Gott sah, dass es gut war. Amen. Erinnerung an das Tier Gott ist der Schöpfer auch von (Name des Tieres). Wir haben viele Erinnerungen an (Name des Tieres) und haben mit ihm / ihr viel erlebt. (Die trauernden Tierhalter können Erinnerungen an das Tier aussprechen. Der Liturg fasst die Erinnerungen kurz zusammen und hält noch einmal fest, dass Tiere wie Menschen Gottes Geschöpfe sind und dass wir das Leben teilen.) Bestattung Alles Leben kommt von Gott. Alles Leben kehrt zu Gott zurück – auch (Name des Tieres), den / die wir jetzt begraben. Die Urne wird in das Grab gelassen bzw. das tote Tier wird in das Grab gelegt. Erdaufwurf Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub. Falls möglich, kann das Grab jetzt mit Erde befüllt werden.

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Die Trauernden können Blumen oder Erinnerungsstücke in das Grab oder auf das Grab legen. Gebet Gott, wir danken dir, dass wir mit (Name des Tieres) leben konnten. Wir sind traurig und trauern um (Name des Tieres). Er / sie wird uns fehlen, denn für uns war es schön, dass er / sie bei uns war. Wir glauben, guter Gott, dass kein Leben bei dir verloren geht. Wir alle sind geborgen in deiner Liebe und in deiner Schöpferkraft. Lasst uns das Vaterunser gemeinsam sprechen: Vaterunser … Segensbitte Gottes Nähe und Gottes Trost möge uns erfüllen. Gott sei mit uns auf unserem Weg. Es segne und behüte uns der lebendige Gott. Amen. oder Segenszuspruch Gottes Nähe und Gottes Trost möge euch erfüllen. Gott sei mit euch auf eurem Weg. Es segne und behüte euch der lebendige Gott. Amen.

Abstract: Numerous undertakers offer animal burials. Every year about 10,000 animals are physically buried in animal cemeteries, another 10,000 animals are cremated, the urns being handed over to the pet owners. Neijenhuis addresses and discusses the reasons whether animals should be buried at all, and if so with which liturgy, possibly even by a cleric. Both Protestant and Roman Catholic theologians have made some suggestions in this regard; there are no official ecclesiastical burial liturgies for animals. The justifications for the spiritual direction of animal burials vary considerably, because they are considered in comparison with burials for humans. For example, some Roman Catholic authors argue that animals also have a soul and that a church funeral is therefore appropriate. Neijenhuis argues that animals do not believe in God, are neither baptised nor sinners and therefore, from a Roman Catholic perspective as well as from a Protestant perspective, there is no need to pray for their salvation or even to acquire indulgences. The primary reason why a cleric might conduct an animal funeral at the request of grieving animal owners is the pastoral dimension. The author rounds off with a proposal for a corresponding liturgy that can be used by clergy as well as by lay people.

Progressive solemnity in the chants of the Ordinary of the Mass Wilfrid Jones

1. Introduction Progressive solemnity is the liturgical expression of the different degrees of importance of events and people in salvation history. “The liturgical year itself identifies days and seasons which in themselves are solemn celebration of the Mysteries of the Lord and as such call for sung solemn celebration of the Sacred Liturgy”.1 Musicam Sacram lays out a tripartite schema by which a community can build up to a full sung mass. In the circumstance that a community cannot yet achieve that goal, this schema indicates which parts of the Mass could be sung depending on the solemnity of the day.2 It suggests that the Sanctus and Dismissal be sung in the lowest of the three degrees of solemnity, with the rest of the Ordinary being included in the second and the Propers in the final stage. Later this explicitly gradualist approach was misinterpreted as establishing a norm for implementing progressive solemnity.3 Perhaps the most striking means of achieving progressive solemnity is increasing the numbers involved in the liturgy on more solemn days of the year: the number of candles on the altar, sacred ministers, and cantors at the major hours, for example. The association by the editors of the Graduale Romanum of a particular chant setting of the Ordinary with a rank of feast appears to display the same multiplying trend, with greater numbers of notes for more solemn days. William Mahrt identifies examples of sanctuses where more solemn versions are formed by the ornamentation of simpler melodies,4 the degree of elaboration characterizing the solemnity of the day.5

1 Gill, Gerald Dennis: Music in Catholic Liturgy. A pastoral and theological companion to ‘Sing to the Lord’.: Hillenbrand: Chicago, IL 2009, 35. 2 Musicam Sacram, 28 (AAS 52:308). 3 See for example Gill, Gerald Dennis: Music in Catholic Liturgy (see footnote 1), 39–41. ­William Mahrt explains the problems with this interpretation succinctly in: The Musical Shape of the Liturgy. Church Music Association of America: Richmond, VA 2012, 402. 4 Mahrt, William: The Musical Shape of the Liturgy (see footnote 3), 99–100. 5 Mahrt, William: The Musical Shape of the Liturgy (see footnote 3), 127.

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2. Literature Review Willi Apel first identified the concept of “melismatic density” who provided basic statistical analysis to support his view that melismas function as a rhetorical device to accent stressed syllables in the Mass Propers.6 The term was coined by Kenneth Levy in his work on the origins of eighth and ninth century chants,7 followed by Clyde Waring Brockett.8 It has been used in describing genres of chant by Theodore Karp, who used the same principle to describe the extent to which chants are centonized.9 Manuel Pedro Ferreira used the general principle in his analysis of the compositions of King Dinis of Portugal without the need to report statistical analysis.10 Likewise, Rebecca Maloy observes the greater melismatic density in successive offertory verses in the Gregorian tradition,11 differences in melismatic density between recensions of the same chant from different traditions,12 and the use of melismas around accented syllables.13 This was developed by Mahrt who considered not only melismatic density but also the placement of the melismas of the chants of the Propers of the Mass within the liturgy’s structure,14 illustrating the different liturgical functions of the same text within the structure of the Mass.15 This essay focusses on the melismatic density of the Ordinary chants within the structure of the liturgical year. By introducing basic statistical analysis where others had made general observations, Mahrt made it possible to compare chants on a detailed level. Where Musicam Sacram assumes that progressive solemnity is achieved by singing more parts of the liturgy, the practice envisaged by the chant books published by Solesmes is that the quantity of parts sung remains constant, but the features of those chants are qualitatively different. The five unchanging chanted texts of the Mass, the Ordinary, include a great variety of melodies. The edition of the Graduale Romanum which preceded Musicam Sacram, that of 1961 (hereafter GR61), includes eighteen complete settings of the five parts 6 Apel, Willi: Gregorian Chant. Indiana University Press: Bloomington, IND 1958, 275–297. 7 Levy, Kenneth: Toledo, Rome, and the Legacy of Gaul, in: Early Music History 4 (1984), 66, 96. 8 Brockett, Clyde Waring: Letania and Preces: Music for Lenten and Rogations Litanies. Insti­ tute of Mediaeval Music: Ottowa 2006, 17. 9 Karp, Theodore: Aspects of Orality and Formularity in Gregorian Chant. Northwestern University Press: Evanston, IL 1998, 272. 10 Ferreira, Manuel Pedro: Cantus Coronatus D’El-Rei Dom Dinis: 7 Cantigas by King Dinis of Portugal, trans David Cranmner. Reichenberger: Kassel 2005, 261f, 257. 11 Maloy, Rebecca: Inside the Offertory: Aspects of Chronology and Transmission. Oxford University Press: Oxford 2010, 16. 12 Ebd., 108, 214. 13 Ebd., 93–96. 14 Mahrt, William: Jubilare sine verbis: The Liturgical Role of Melisma in Gregorian Chant, in: Chant and Culture. Proceedings of the conference of the Gregorian Insitute of Canada, ed. Karim, Armin / Swanson, Barbara. The Institute of Mediaeval Music: Ottowa 2014, 5 f. 15 Mahrt, William: Chant, in: A Performer’s Guide to Medieval Music, ed Ross W. Duffin, 6–8.

Progressive solemnity in the chants of the Ordinary of the Mass 

29

of the Ordinary, as well as six settings of the Credo, eleven alternative Kyries, four alternative Glorias, three alternative Sanctuses, and two alternative Agnus Deis.16 The musical unity of these cycles relies mostly on the Sanctus and Agnus Dei: ten of the eighteen settings have these movements in the same mode, and melodic material is shared between those movements in Masses I, IX and XVII.17 GR61 assigns to each complete setting a rank of liturgical day, indicating the days of the year upon which each setting was sung at Solesmnes, and by extension, recommending that the same be followed throughout the Roman Church for which the Gradual was prepared. The various revisions of the Roman Calendar up until Paul VI’s publication of Missale Romanum in 1969 had various ways of describing the relative importance of particular days of the year. The last major revision before the Second Vatican Council was by John XXIII in 1960 in his motu proprio Rubricarum Instructum.18 This promulgated revised Rubricae generales, Rubricae generales Breviarii Romani and Rubricae generales Missalis Romani, and came into practice with the Brevarium Romanum 1961, the GR61 and the Missale Romanum 1962. The revised calendar assigned each day as either a first, second or third class feast, or as a fourth class feria.19 Sundays were of two classes, the first being those of Advent, Lent, Passiontide, Easter Sunday, low Sunday and Pentecost, the others being second class.20 In the GR61, the monks of Solesmes further divide these groups so that the first class has two sub-classes, the second class has five sub-classes and the third class three sub classes. Commemorations and feasts or the Blessed Virgin Mary are treated separately. Sundays are divided not according the class but into those through the year and those of Advent and Lent. The degree of solemnity of a feast is derived from the degree to which the mystery or person it celebrates is fundamental to the Christian faith. The most fundamental (the Incarnation, Epiphany, Resurrection, the Ascension, the descent of the Holy Spirit and so forth) are of the highest solemnity. More important saints (eg the apostles, martyrs and so forth) are ranked higher than less important saints (eg most of the confessors), and all rank higher than those days on which no particular saint is celebrated in the General or Particular calendar. The least solemn days are the weekdays of the penitential seasons – Advent and Lent – upon which no saint is celebrated. This practice far pre-dates the GR61. “Early sources are not often specific about the assignment of the chants, but there seems little doubt that each church would have its own established customs in this respect, even before rubricated collections became common in the thirteenth century.”21 An early rubricated

16 Graduale Romanum (Solesmes: Abbaye Saint-Pierre, 1961), 4*–58*. 17 Mahrt, William: The Musical Shape of the Liturgy (see footnote 3), 24. 18 AAS 52:593–595. 19 Rubicae Generalis 1960, 8 (AAS 52:597). 20 Rubicae Generalis 1960, 11–12 (AAS 52:598). 21 Hiley, David: Western Plainchant. A handbook. Clarendon: Oxford 1993, 148.

30

Wilfrid Jones

example would be the troparium (from either from Auch or Toulouse) dating from between 987 and 996 which assigns troped settings of the ordinary to particular feasts. However, this seems to be because of the specificity of the trope texts and it lacks any information as to which Ordinaries are assigned to other days.22 There are, however, examples of manuscripts which appear to arrange their material in order of decreasing solemnity, in much the same way as the GR61. For example the eleventh century gradual from Saint Marcial in Limoges, which groups the parts of the Mass and in which one can see that the Gloria becomes progressively less melismatic with each iteration. The Sanctuses and Agnus Deis are troped, but if one takes the setting of the Ordinary alone, one sees the same phenomenon.23 Similarly, though the Benedictine Gradual from St Gall Abbey, Moggio Udinese, assigns Mass IX (the same setting as the GR61) to Marian feasts, this is because of the content of the tropes in the Gloria.24 However, here too there does seem to be diminishing solemnity through the iterations of the Gloria, with the final two settings being noticeably less ornate.25 Thirteenth century manuscripts, particularly those associated with the mendicants,26 tend to be more prescriptive, tending to assign their chant Ordinaries in much the same way as the GR61.27 This was not, however the only way to facilitate progressive solemnity. The Parisian Missal from about 1315 organises the Ordinaries of the Mass in an arrangement of progressively less solemnity through the octave following the great feasts.28 The Kyries remain florid, the vestigial remains of texted tropes, but the Sanctus and Agnus Dei (and to an extent the Gloria), become less melismatic.

3. Hypothesis This paper tests the hypothesis that progressive solemnity is evidenced by the assignment of chant Ordinaries to ranks of feasts. For this to be the case, one would expect that

22 F-Pn: Ms Lat 1118. 23 F-Pn: Ms Lat 1132. 24 GB-Ob: MS. Canon. Liturg. 340, 131r. 25 GB-Ob: MS. Canon. Liturg. 340, 132v–133v. 26 eg the Dominican Missal, D-Sl: HB I 065, 2v, 3v, 142v, 143v; the Franciscan Gradual, DNgm: Hs 21428, 179r (incidentally, the same setting of the Ordinary for Festis Duplicibus as the Graduale Romanum 1908, 14*), 180r, 182r, 183r, 184v, 185r. 27 Wright, Craig: Music and Ceremony at Notre Dame of Paris 500–1550 (Cambridge University Press: Cambridge 2008, 82. 28 F-Pn: Ms Lat 861, 418–26. Reproduced in Wright, Craig (see footnote 27), 82–89. The Kyriale of F-Pn: Ms Lat 1337 (324r–337r) is a copy of Ms Lat 861, with the more of the chants written out in full.

Progressive solemnity in the chants of the Ordinary of the Mass 

31

(1) the greater the solemnity of the day, the greater the extent to which the chants are melismatic (2) conversely, the lesser the solemnity of the day, the greater the extent to which the chants are syllabi (3) the greater the solemnity of the day, the greater the number of notes a. per syllable, and b. per word

4. Methodology The data which follows is presented to the nearest percent or to 2dp. The solemnity of the liturgical day does not follow the numbering of the Mass settings in the GR61. Therefore, each class and subclass of feast was ranked ­according to its solemnity. Ranking days and settings of the Ordinary Ranking of day’s importance

Rank of feast listed in the GR61

Associated Ordinary

In festis I. classis. 1.

II

=229

Tempore Paschali.

I

=2

In Dominicis infra annum.

XI

=2

In Dominicis Adventus et Quadragesimae.

17II

1

=2

In festis I classis. 2.

III

=2

In festis B. Mariae Virginis. i

IX

=3

In festis II. classis. 1.

IV

=3

In festis II. classis. 2

V

=3

In festis II. classis. 3.

VI

=3

In festis II. classis. 4.

VII

=3

In festis II. classis. 5·

VIII

=3

In festis B. Mariae Virginis. 2.

X

=4

In festis III. classis. 1.

XII

=4

In festis III. classis. 2.

XIII

=4

In festis III. classis. 3.

XIV

5

In Commemorationibus et in feriis temporis natalicii.

XV

6

In feriis per annum.

XVI

7

In feriis Adventus et Quadragesimae

XVIII

29 Mass I is associated with Paschal time in general, including Easter Sunday, the Ascension and Pentecost themselves, and the intervenient Sundays.

32

Wilfrid Jones

The number of notes per syllable were obtained manually and tabularised. Repercussions were counted as separate notes, but dotted notes were not. The means were taken and the data as a whole was found to be skewed (1.44) and had excess kurtosis (1.85). To control for the variation between the parts of the Ordinary, the means of each part were ranked together, and in so doing the data for each part was found to be only approximately symmetric by part. Symmetry of data for notes per syllable Part of the Ordinary

Skew

Kyrie

0.28

−0.34

−0.06

0.48

Gloria

Kurtosis

Sanctus

0.46

−0.52

Agnus Dei

0.76

0.51

Ite missa est

0.13

−0.75

Mean

0.32

−0.12

Where settings of the same part had the same mean number of notes per syllable or word, they were ranked in order of importance. The percentage of syllables that were set syllabically and melismatically was thus obtained. Melismas were counted when they were four notes or more. To control for the variation in the number of syllables in each word, the mean of the number of notes per syllable was taken for each word of the Ordinary. The key words of the texts of the Ordinary were selected according to their grammatical and theological import. Each part of the Ordinary (Kyries, Glorias, Sanctuses, Agnus Deis and Ite Missa Ests) represents its own genre with its own musical conventions which developed within the context of their liturgical use.30 With the exceptions of Masses 16, 17 and 18 (assigned to Advent, Lent and ferias on which no Gloria is sung) all of the Mass settings include the same combination of genres, so whilst it is possible to analyse within those parts on their own terms, it is also possible to compare between complete settings of the Ordinary. This is demonstrated in the lack of uniformity between their means (ˉx), standard deviations and interquartile ranges. Therefore, parts of the Ordinary cannot be compared with one another. This supports the observation made by Mahrt that “the Kyrie melodies are the most melismatic, the Sanctus and Agnus Dei are a medium stage, and the Gloria and Credo, the longest texts, are the most syllabic.”31

30 Mahrt, William: The Musical Shape of the Liturgy (see footnote 3), 5. 31 Mahrt, William: The Musical Shape of the Liturgy (see footnote 3), 13.

Progressive solemnity in the chants of the Ordinary of the Mass 

33

Dispersal analysis of parts of the Ordinary Syllables set to melismas ≥ 4 notes (Hypos 1)

Syllables set to 1 note (Hypos 2)

Number of notes per syllable (Hypos 3a)

Number of notes per word (Hypos 3b)

Part of the Ordinary xˉ %

SD

IQR

xˉ %

SD

IQR



SD

IQR



SD

IQR

Kyrie

23 %

11 %

15 %

19 %

10 %

14 %

3.38

1.03

1.46

3.63

1.48

1.89

Gloria

3 %

1 %

1 %

3 %

13 %

13 %

1.51

0.22

0.21

1.51

0.22

0.22

7 %

10 %

13 %

16 %

20 %

2.07

0.51

0.66

2.01

0.52

0.72

9 %

9 %

12 %

16 %

16 %

2.06

0.57

0.56

2.03

0.56

0.62

17 %

20 %

29 %

23 %

40 %

4.08

1.94

1.95

3.45

1.61

2.00

Sanctus

52 %

Agnus Dei

46 %

Ite Missa Est

29 %

4.1 Hypothesis 1 4.1.1 Results For Hypothesis 1 to be correct, one would expect a negative Spearman’s correlation coefficient (ρ) between the ranking of the day’s importance (“1” being the most important), and the extent to which the chants are melismatic. The correlation was found to be very strong. Correlation of day’s importance to melismas Ranking of day’s importance

Mean % syllables set to melismas ≥ 4 notes

1

26 %

2

18 %

3

18 %

4

18 %

5

18 %

6

5 %

7

4 %

8

0 %

ρ

−0.93

When the correlation between the rank of the day’s importance with the percentage of syllables set to melismas is broken down by the part of the Ordinary, it demonstrates statistically significant correlation.

34

Wilfrid Jones

Correlation of ranking of day’s importance with % syllables set to melismas ≥ 4 notes Part of the Ordinary

ρ

Kyrie

−0.4

Gloria

−0.18

Sanctus

−0.47

Agnus

−0.35

Ite Missa Est

−0.49

This is expressed graphically thus.

Though the data is consistent with the other parts of the Ordinary, the Gloria is anomalous as a genre because (a) it is absent from Masses XVI , XVII and XVIII and (b) the scarcity of melismas as a generic feature of chant settings of longer hymn texts which are more neumatic the melismatic.32 Given that generic feature, the percentage of syllables set to 3 and 2 notes was also calculated. When the mean percentages of these lengths of melisma in the Glorias were grouped by the ranking of the day’s importance, the results were as follows.

32 Hooper, William L.: Congregational Song in the Worship of the Church: Examining the Roots of American Traditions. Wipf & Stock: Eugene, OR 2020, 112.

Progressive solemnity in the chants of the Ordinary of the Mass 

35

Mean %s of melisma lengths in Glorias Ranking of Day’s Importance

Mean % ≥4 note melismas

1

5 %

11 %

20 %

2

2 %

6 %

31 %

3

3 %

8 %

28 %

4

7 %

10 %

30 %

5

1 %

4 %

27 %

6

1 %

1 %

2 %

Mean % 3 note melismas

Mean % 2 note melismas

Which is represented graphically thus

They were correlated to a statistically significant degree for all three measures. Correlation between Ranking of day’s importance and mean % of lengths of melisma in the Glorias. ρ to % set to melismas ≥ 4 notes

ρ to % set to melismas = 3 notes

ρ to % set to melismas = 2 notes

0.58

0.77

0.37

The first syllable of “Amen”, an end melisma,33 was the most melismatic of the Glorias, but there was no correlation between the number of notes in that melisma and the ranking of the day’s importance.

33 Mahrt, William: Jubilare sine verbis (see footnote 14), 3.

36

Wilfrid Jones

4.1.2 Discussion This data establishes that there is a statistically significant correlation between the rank of day and the extent to which a text of the Ordinary of the Mass is set melismatically. When viewed by the ranking of the day’s importance alone, the correlation is very strong, though the gaps between the means of ranks 2 to 5 are very slight (within 1 %). The Mass Ordinaries as a whole and the parts of the Mass individually all show a trend that the greater the importance of the day, the greater the number of melismas. This suggests that employing more melismatic Ordinaries is a means of the establishing progressive solemnity in the liturgy as prescribed by the GR61. The adornment of a text with more elaborate melodies is a means setting a more festal scene. 4.2 Hypothesis 2 4.2.1 Results For Hypothesis 2 to be correct, one would expect a positive Spearman’s correlation coefficient (ρ) between the ranking of the day’s importance (“1” being the most important), and the extent to which the texts are set syllabically. The first paschal Ite Missa Est was excluded because of the additional alleluias not present in the other settings of the text. The correlation was found to be very strong. Correlation of day’s importance to syllables set to 1 note Ranking of day’s importance

Mean % syllables set to 1 note

1

41 %

2

46 %

3

40 %

4

55 %

5

53 %

6

65 %

7

62 %

8

77 %

ρ

0.88

Then the correlation between the rank of the day’s importance with the % of syllables set to one note is broken down by the part of the Ordinary, it demonstrates statistically significant correlation.

Progressive solemnity in the chants of the Ordinary of the Mass 

37

Correlation of ranking of day’s importance with % syllables set to one note ρ

Part of the Ordinary Kyrie

0.47

Gloria

0.22

Sanctus

0.61

Agnus

0.49

Ite Missa Est

0.35

This is expressed graphically thus.

4.2.2 Discussion This data establishes that there is a statistically significant correlation between the rank of day and the extent to which a text of the Ordinaries of the Mass is set syllabically. Yet within these genres, the less solemn the day, the more syllabic the setting of the text. Being a hymn, it is a generic feature of the Gloria that is it more syllabic. Thus the trend is less pronounced in that part of the Ordinary than in others. This triangulates the results of Hypothesis 1 in suggesting that progressive solemnity is evidenced in the assignment of less melismatic melodies to less important days of the liturgical year.

38

Wilfrid Jones

4.3 Hypothesis 3 4.3.1 Results For Hypothesis 3 to be correct, one would expect a negative Spearman’s correlation coefficient (ρ) between the ranking of the day’s importance (“1” being the most important), and the extent to which the chants are melismatic. The correlation was found to be very strong. Correlation of day’s importance to number of notes per syllable Ranking of day’s importance

Mean number of notes per syllable

1

3.84

2

2.70

3

2.63

4

3.06

5

2.40

6

1.65

7

1.56

8

1.34

ρ

−0.93

When the correlation between the rank of the day’s importance with the % of syllables set to melismas is broken down by the part of the Ordinary, it demonstrates statistically significant correlation. Correlation of ranking of day’s importance with the number of notes per syllable Part of the Ordinary

ρ

Kyrie

−0.53

Gloria

−0.37

Sanctus

−0.48

Agnus

−0.49

Ite Missa Est

−0.49

Progressive solemnity in the chants of the Ordinary of the Mass 

39

This is expressed graphically thus.

Though the data is consistent with the other parts of the Ordinary, the Ite Missa Est is anomalous as a genre because one syllable is far more melismatic than the others (Skew = 1.86; Kurtosis = 5.59). There are two Ite Missa Ests listed with Mass I, the first for Easter week and the second until the Pentecost Octave.34 That of Easter week is in fact less melismatic than the other, but has a double alleluia appended.

34 GR61, 7*. The Octave of Pentecost was abolished by Paul VI as a result of Mysterii Paschalis (AAS, 61:222–226), and that second Ite Missa Est is now sung up until Pentecost itself.

40

Wilfrid Jones

Excluding the first of the Ite Missa Ests from Mass I because the melisma falls in its alleluia, the Spearman’s correlation coefficient between the number of notes on the second syllable of “ite” in each setting and the rank of the day’s importance is −0.44. After the Ite Missa Est, the part of the Mass with the most notes per syllable is was the Kyrie. This reflects the history of troping the Kyries where the text of the tropes fell away from the melody leaving a melisma.35 The average spearman’s correlation coefficient of the ranking of the day’s importance to the number of notes in on the syllable before “eleison” was −0.44, indication statistically significant correlation between the two. The data looking at the text on the level of the word rather than the syllable naturally mirrors the more granular detail. Correlation of day’s importance to words set to 1 note Ranking of day’s importance

Mean % syllables set to 1 note

1

3.92

2

2.63

3

2.57

4

2.97

5

2.33

6

1.57

7

1.46

8

1.27

ρ

−0.93

When the correlation between the rank of the day’s importance with the % of syllables set to one note is broken down by the part of the Ordinary, it demonstrates statistically significant correlation. Correlation of ranking of day’s importance with % words set to one note Part of the Ordinary

ρ

Kyrie

−0.54

Gloria

−0.42

Sanctus

−0.46

Agnus

−0.53

Ite Missa Est

−0.48

35 Apel, Willi: Gregorian Chant (see footnote 6), 432.

Progressive solemnity in the chants of the Ordinary of the Mass 

41

This is expressed graphically thus.

4.3.2 Discussion This data establishes that there is a statistically significant correlation between the rank of day and the number of notes to which syllables of the text are set in the Ordinaries of the Mass. The less solemn the day, the more syllabic the setting of the text. This triangulates the results of Hypothesis 1 in suggesting that progressive solemnity is evidenced in the assignment of more melismatic melodies to more important days of the liturgical year.

5. Conclusion Each of these hypotheses have proved to be correct, strongly indicating that the principle of progressive solemnity informs the assignment of settings of the Ordinary to ranks of feast in the GR61. This data adds detail to Mahrt’s observation that “the most elaborate sets of chants for the Ordinary are generally assigned to the higher feasts, the simplest to the ferial days.”36 36 Mahrt, William: The Musical Shape of the Liturgy (see footnote 3), 13.

42

Wilfrid Jones

Sacrosanctum Concilium teaches that liturgical music is “a necessary or integral part of the solemn liturgy”,37 which gives the liturgy a “more noble form”.38 Musicam Sacram has been interpreted as establishing a schema whereby music can be a means of establishing progressive solemnity. However, reducing the amount of singing in the liturgy deprives the faithful of that “treasure of inestimable value” which is to be “preserved and fostered with great care” and by which they participate actively.39 Given that a means of establishing progressive solemnity with Gregorian chant, the form of music “specially suited to the Roman liturgy”,40 had already been devised, it seems a shame that this was not retained and implemented more widely. The Graduale Romanum 1974, revised by mandate of the Council,41 offers this possibility for the novus ordo missae. It assigns chants to some of the types of feast of the year: Paschal Time; Sundays and ferias through the year and in penitential seasons; solemnities, feasts and memorials of the Blessed Virgin Mary; and feasts of the apostles.42 Curiously there is no indication of chants particularly suitable to other ranks and types of feast, though the chants which correspond to those rankings in the Graduale Romanum 1961 are still printed. It is not uncommon to find this practised in more liturgically-orientated religious houses, and there is nothing stopping a pastor who puts his mind to it introducing it in a parish. Musicam Sacram is not binding, but rather establishes a principle to be followed where not all the parts of the Mass can be sung. Where it is possible to sing, it is desirable to do so in order to promote the active participation (properly understood) of the faithful. It is the express wish of the Council that “steps should be taken so that the faithful may also be able to say or to sing together in Latin those parts of the Ordinary of the Mass which pertain to them”.43 Progressive solemnity can still be preserved without resorting to speaking texts which by their nature are meant to be sung.

Abstract: Jones befasst sich mit der Steigerung der Feierlichkeit von Messen. Es gibt eine Reihe von Abhandlungen, die dieses Phänomen untersuchen und die Jones aufnimmt und weiterführt. Melismatische Gesänge sollen die Feierlichkeit erhöhen. Da das Ordinarium quantitativ gleichbleibt, kann nur durch die Qualität der gregorianischen Gesänge eine andere Feierlichkeit evoziert werden. Das ist an den unterschiedlichen Vertonungen zu erkennen. Jones verifiziert diese These

37 Sacrosanctum Concilium (hereafter “SC”), 112. 38 SC, 113. 39 SC, 112–114. 40 SC, 116. 41 SC, 117. 42 Graduale Romanum (Solesmes: Abbaye Saint-Pierre, 1974. Reprinted 1979), 710–768. 43 SC, 54.

Progressive solemnity in the chants of the Ordinary of the Mass 

43

anhand von drei Hypothesen: Je feierlicher der Festtag ist, desto melismatischer sind die gregorianischen Gesänge. Sind die Tage weniger feierlich, fallen die Gesänge syllabisch aus. Und je höher die Feierlichkeit des Festtages einzustufen ist, desto mehr Noten werden für eine Silbe oder für ein Wort eingesetzt. Jones ermittelt sein Ergebnis mithilfe von statistischen Erhebungen anhand des Graduale Romanum von 1961 und der Revision der Messen nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil.

Eine Darstellung und Auseinandersetzung mit Henning Theißen: Gottes Gegenwart wahrnehmen Jörg Neijenhuis

1. Einleitung Schon in der Titelgebung1 fällt auf, dass hier nicht von einem evangelischen oder katholischen Gottesdienst die Rede ist, sondern von einem christlichen Gottesdienst. Denn Theißen möchte in ökumenischer Absicht das herausstellen, was allen christlichen Konfessionen eigen ist, wenn sie Gottesdienst in ihrer konfessionellen Gestalt feiern, nämlich „dass dem christlichen Gottesdienst eine Wirklichkeit vorgegeben ist, die die Kirchen in ihren Liturgien feiern.“ (4) Diese vorgegebene Wirklichkeit lässt sich wahrnehmen als Gottes Gegenwart. In seiner Einführung erläutert Theißen zwei Schlüsselbegriffe, die für seinen Entwurf leitend sind: den der Wahrnehmung und den des liturgischen Grundvollzugs. Die Wahrnehmung bezieht sich darauf, dass mit der Feier des Gottesdienstes Gottes Gegenwart wahrgenommen wird. Theißen erläutert allerdings nicht, was er unter Wahrnehmung versteht oder wie etwas wahrgenommen wird. Das wäre allerdings eminent wichtig, da er die vorgegebene Wirklichkeit als Offenbarung qualifiziert: „Theologinnen und Theologen gebrauchen für diesen Sachverhalt den Begriff der Offenbarung, der diese vorgegebene Wirklichkeit bzw. ihr Vorgegebensein bezeichnet.“ (4) Jedenfalls findet die Wahrnehmung von Gottes Gegenwart in den liturgischen Grundvollzügen statt bzw. die Liturgie ist die „Wahrnehmung der göttlichen Gegenwart“ (21), die Theißen in den vier liturgischen Vollzügen findet, wie sie im Evangelischen Gottesdienstbuch von 1999 zur Geltung kommen mit Eröffnung und Anrufung, Verkündigung und Bekenntnis, Sakramentsfeier, Sendung und Segen. Theißen führt aus, dass Frieder Schulz durch Vergleich von Liturgien west­ licher Kirchen diesen Viererschritt entdeckt habe (S. 8, 14, 30 u. ö.). Schulz hat ihn sicherlich ermittelt (richtig von Theißen S. 1 formuliert) und für die anstehende Agendenreform fruchtbar gemacht, aber entdeckt als etwas, was vorher nicht gesehen wurde, hat er ihn wohl eher nicht. Das nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1970 herausgegebene Messbuch hat diesen Viererschritt nämlich 1 Theißen, Henning: Gottes Gegenwart wahrnehmen. Die Grundvollzüge des christlichen Gottesdienstes für unsere Zeit erklärt. Brill / S chöningh: Paderborn [2020] 22021, 189 S.

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bereits mustergültig enthalten. Außerdem hat Schulz gar keinen Viererschritt ermittelt, sondern einen Fünferschritt: I. Eröffnung, II. Anrufung, III. Verkündigung und Bekenntnis, IV. Abendmahl, V. Sendung, wie das sogenannte Strukturpapier vorstellt.2 Der Vorentwurf zur Agende von 19903 zeigt dann den Viererschritt, aber mit folgenden Titeln für den Gottesdienst mit Predigt und Abendmahl: A. Eröffnung und Anrufung, B. Verkündigung und Bekenntnis, C. Abendmahl, D. Sendung. Der Teil D wird bei der Liturgie für den Predigtgottesdienst mit fakultativem Abendmahl mit Fürbitte und Sendung betitelt. Erst der interne Entwurf, nach einem jahrelangen Beratungsprozess in den Landeskirchen, zeigt den im Gottesdienstbuch abgedruckten und von Theißen erwähnten Viererschritt: A. Eröffnung und Anrufung, B. Verkündigung und Bekenntnis, C. Abendmahl, D. Sendung und Segen. Theißen selbst folgt diesem Viererschritt im Übrigen nur bedingt, da er den dritten Schritt in seiner Darstellung mit Sakramentsfeier betitelt und damit nicht nur Taufe und Abendmahl, sondern auch die Sündenvergebung umfasst. Das Gemeinsame bzw. das nun Wahrzunehmende in den Grundvollzügen ist, dass „die Kirche ganz bei sich selbst ist.“ (2) Bzw. dass sie sich selbst wahrnimmt, aber zugleich auch wahrnimmt, dass diese Grundvollzüge ihr im selben Moment entzogen sind, weil sie nun ihrem eigenen Grund, nämlich Gott, begegnet. Es ist also eine doppelte Wahrnehmung, die die Kirche erfährt, denn „indem sie den Gottesdienst feiert, findet die Kirche zu sich selbst und unterscheidet sich zugleich von sich selbst, indem sie in den liturgischen Grundvollzügen Gottes Geist wirken lässt.“ (2) Damit meldet sich die Wahrheitsfrage zu Wort, denn die christlichen Kirchen verbinden mit der Feier „ihres“ Gottesdienstes einen Wahrheitsanspruch. Und diese Wahrheitsansprüche trennen die christlichen Kirchen gerade in der Gottesdienstfeier. Theißen will nun diese Wahrheitsfrage nicht zur Entscheidung führen, wohl aber in ökumenischer Absicht deutlich machen, dass aller Liturgiefeier eine Wirklichkeit vorausgeht, „die die christlichen Konfessionen in ihren Liturgien wahrnehmen.“ (4) Dies scheint ihm notwendig, weil die liturgische Ökumene von diesem inneren Wider­spruch gekennzeichnet ist, dass der Gottesdienst in jeder Konfession zwar hochgeachtet und für sehr wichtig angesehen wird, dass aber in der Praxis der Gemeinden genau dieses nicht wahrgenommen wird, weil sich kaum zwei Kirchen auf eine Liturgie einigen können. Diesem dogmatischen Problem wird mit zwei ethischen Einwänden begegnet: zum einen damit, dass der Gottesdienst eben konfessionell geprägt sei und dass das auch im ökumenischen Miteinander so bleiben werde. Zum anderen damit, dass für ein ökumenisches Miteinander eine zwischenkirchliche Anerkennung der Amtsträger notwendig sei. Die 2 Versammelte Gemeinde. Struktur und Elemente des Gottesdienstes. Zur Reform des Gottesdienstes und der Agende, Hamburg (o. J.). Wieder abgedruckt in: Gottesdienst als Gestaltungsaufgabe (reihe gottesdienst 10), im Auftrag der Lutherischen Liturgischen Konferenz hg. v. Herwarth von Schade und Frieder Schulz. Lutherisches Verlagshaus: Hamburg 1979. 3 Erneuerte Agende. Vorentwurf, hg. v. d. Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Lutherisches Kirchenamt, und der Evangelischen Kirche der Union, Kirchenkanzlei, Lutherisches Verlagshaus / Luther-Verlag: Hannover / Bielefeld 1990.

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Hoffnung auf solch eine Anerkennung scheint derzeit wenig aussichtsreich zu sein und führt nicht zur gewünschten liturgischen Ökumene. Darum schlägt Theißen einen dritten Weg vor, der einen von der Wahrnehmung ausgehenden, also ästhetischen Lösungsansatz beschreitet. „In ihrem Zentrum steht nicht der Entscheid über die Wahrheit der von den Kirchen mit ihren jeweiligen Liturgien erhobenen Ansprüche auf Vergegenwärtigung des gemeinsamen Grundes, sondern die bloße Wahrnehmung dieses Grundes.“ (8) Im Folgenden will Theißen deshalb den Weg der Wahrnehmung der Liturgie beschreiben, indem er diesen Weg darlegt mit Name, Wort und Symbol, wobei gut protestantisch das Wort der Leitbegriff ist. Es geht um Wort und Sakrament, mithin vergegenwärtigen Predigt und Sakrament liturgisch unmittelbar den Grund der Kirche. In Predigt, Taufe und Abendmahl erfährt die Kirche den Geist Gottes. Auch hier legt Theißen Wert auf die Selbstunterscheidung: Wort und Sakrament meinen nicht nur die konkreten liturgischen Vollzüge, sondern auch die Vergegenwärtigung des Grundes der Kirche im Heiligen Geist. Mit Wort und Zeichen unterscheidet Theißen in Übereinstimmung mit Augustinus und Luther die Elemente der Sakramente, wie Wasser, Brot und Wein, als Zeichen, zu denen die gesprochenen Worte hinzutreten. Gleichwohl gilt auch hier, dass trotz der Wortverkündigung als Grundzug des evangelischen Gottesdienstes diesem etwas vorgegeben ist, bevor „Wort“ ist. „Theologisch wird eine derart unvordenkliche Gegebenheitsweise im Begriff der Offenbarung reflektiert.“ (11) Das zeigt sich gleich zu Beginn des Gottesdienstes, der im Namen Gottes gefeiert wird und nicht im Worte Gottes. Der Name referiert auf den Genannten, während Worte intersubjektiv verständlich sind und damit eine Semantik aufweisen. Oder anders ausgedrückt: Worte sind in andere Sprachen übersetzbar, wohingegen Namen, die auf einen Genannten referieren, nicht übersetzbar sind. Bei Theißens Überlegungen zu Wort und Symbol geht es um die Abstraktionsleistung, die mit der Liturgie erbracht wird. Die liturgische Sprache ist weniger begrifflich respektive abstrakt als vielmehr metaphorisch, dichterisch und rednerisch, also auch nahe an der biblischen Sprache, mit der der Geist Gottes mitgeteilt wird, „dessen Wirken die Gemeinde in der Liturgie feiert.“ (14) Gleichwohl muss eine gewisse Abstraktionsleistung erbracht werden, da ja aus der Wahrnehmungssituation heraus das Wort Gottes in der Gottesdienstfeier intersubjektiv gesprochen werden muss. Diese Situation der Abstraktionsbewegung kann mit begrifflichen Mitteln, aber auch mit symbolischen Formen erreicht werden wie z. B. mit der Feier des Abendmahls. „Die gottesdienstlichen Sakramente sind der liturgische Musterfall solch symbolischer Kommunikation, wenn z. B. im Abendmahl Christi Gegenwart in den Symbolen von Brot und Wein leiblich, d. h. nur im gemeindlichen Vollzug der liturgischen Feier und nicht aufgrund einer metaphysischen Verwandlung von Leib und Blut, vermittelt wird.“(14) Theißen hält fest: „Im Verlauf des Gottesdienstes (…) ereignet sich demnach ein anspruchsvoller und komplexer Verstehensprozess, der Gottes Namen im Wort und im Symbol kommunikabel macht.“ (14) Zu fragen ist schon, ob man Wort und Symbol so trennen kann, wie Theißen es vornimmt. Insbesondere beim Abendmahl mit Brot und Wein, die bei ihm

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als Symbole gelten, kommen doch ohne das Wort bzw. die Einsetzungsworte nicht aus, Symbole zu sein – zumindest im Sinne von Theißen. Brot und Wein ohne Einsetzungsworte vermögen wohl nicht das Symbol des Leibes und Blutes Christi zu sein. Anders dagegen bei der Taufe: Das Symbol Wasser hat wenig mit der Taufformel zu tun, die beim Übergießen des Wassers ausgesprochen wird. Für Theißen ist allerdings nicht die Dogmatik als begrifflich orientierter Vorgang des Verstehens der christlichen Wahrheit der Ausgangspunkt seiner Darstellung, sondern ein ästhetisches Konzept der Wahrnehmung. Dieses ästhetische Konzept stellt der maßgebliche Ausgangspunkt für das Verstehen von Liturgie dar. Das Organ dieser Wahrnehmung ist der Glaube. „Was wahrgenommen wird, ist vielmehr ein dem Gottesdienst vorausliegender und ihn überhaupt erst ermöglichender Auftrag, auf den die Kirche im Vollzug und bei der Reflexion der Liturgie stößt.“ (15) Dieses ästhetische Verständnis von Glauben unterscheidet sich erheblich vom dogmatischen Verständnis des Glaubens. Werden mit der Dogmatik Inhalte sprachlich aussagbar, tritt dieses Verständnis in den Hintergrund, „um Raum zu geben für eine Haltung, mit der sich der Glaube allererst öffnet und einstellt für und auf Gottes Gegenwart, der er begegnet.“ (15) Mit diesem Zugang von Wahrnehmung legt Theißen nun die vier Grundvollzüge des Gottesdienstes dar.

2. Grundvollzug Eröffnung und Anrufung: Gott vernehmen Den Grundvollzug A Eröffnung und Anrufung versteht Theißen hinsichtlich der Wahrnehmung vorrangig rezeptiv. Der Gottesdienst wird mit der Anrufung Gottes eröffnet, es folgen verschiedene Gebete, meist in den Formen Dank bzw. Lobpreis, Bitte und Klage. Mit der Anrufung Gottes und mit diesen unterschiedlichen Gebeten (Rüstgebet, Psalm, Kyrie, gegebenenfalls mit Bußgebet, Gloria, gegebenenfalls mit Gnadenzuspruch, und dem Kollektengebet) wird die Gegenwart Gottes rezipiert. Die ganze Liturgie kann als „Entfaltung dieses anfänglichen Gottesnamens verstanden werden.“ (21) Dass Rüstgebet, Psalm, Kyrie und Gloria auf die Anrufung des Namens Gottes folgen, zeigt auf, dass die „menschlichen Voraussetzung für die Feier des Gottesdienstes prekär“ (26) ist. Denn es stellt sich die Frage, ob Menschen wegen ihrer Fehlbarkeit überhaupt in der Lage sind, sich am Anfang des Gottesdienstes, in dem Gott gegenwärtig ist, zu artikulieren. Denn in den Gebeten wird viel mehr vom Menschen als von Gottes Gegenwart gesprochen. Diese Frage lässt sich nur unter der Voraussetzung beantworten, dass in diesen Gebeten Gott als in der Welt der Menschen handelnder Gott wahrgenommen wird. „Wer betet, nimmt die eigene Wirklichkeit und die der Umgebung so wahr, als sei Gott darin gegenwärtig.“ (26) An dieser Stelle würde ich statt des Konjunktives sei den Indikativ ist erwarten, denn wenn Theißen annimmt, dass die Feiernden in den liturgischen Grundvollzügen Gottes Gegenwart wahrnehmen, dann steht die Gegenwart

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Gottes nicht mehr in Frage, ob sie nun wirklich ist oder nicht, sondern die Gegenwart Gottes wird tatsächlich wahrgenommen. Oder anders gewendet: Nimmt der Beter nicht an, dass Gott mit der Feier der Liturgie wahrgenommen wird und in ihr gegenwärtig ist als Faktum und nicht als Möglichkeit, sodass es auch anders sein könnte? Das Kollektengebet verbindet beide Aspekte, den des menschlichen Handelns mit dem des Handelns Gottes. Das heißt für Theißen, dass die Betenden mit den ersten Gebeten des Gottesdienstes in der Weltwahrnehmung der Menschenwelt ihr eigenes Ungenügen angesichts der Gegenwart Gottes wahrnehmen. Das impliziert auch ein Zeitverständnis, da die Texte aus der Vergangenheit stammen können, in der Gegenwart verwendet werden und zugleich die Zukunft antizipieren im Gegenüber zu Gott, der nicht in der selben Zeitigkeit ist, sondern in der Ewigkeit, die die Beter erwarten. Theißen sieht ein Gegenüber von Betenden und Gott, da die Betenden in den liturgischen Vollzügen Gottes Gegenwart wahrnehmen. Von einem Miteinander ist nicht die Rede. War der Grundvollzug A der Anrufung Gottes gewidmet, so steigert sich die Komplexität der Liturgie in Grundvollzug B dahingehend, dass nun die Feiernden mit Gott in einem Austausch treten.

3. Grundvollzug Verkündigung und Bekenntnis: Dialog der Gemeinde mit Gott Im Grundvollzug B Verkündigung und Bekenntnis steigert sich diese Komplexität schon allein deshalb, weil die Wahrnehmung der Gegenwart Gottes von den Feiernden fordert, „zu bekennen, wer der so angerufene Gott ist und was er tut.“ (16) Dieser Teil der Liturgie ist ein Dialog, wobei der eine Dialogpartner Gott und der andere der Glaube ist. Theißen spricht hier statt von den Glaubenden oder der Gemeinde von dem Glauben als Dialogpartner, was merkwürdig ist, da man als Dialogpartner Gottes nicht den Glauben an sich erwartet, sondern Personen, die glauben. In der Überleitung zum Sakramentsteil (S. 17) wird allerdings von Gott und Gemeinde gesprochen. Der Glaube hört das Wort Gottes mit der Verkündigung und antwortet darauf mit dem Bekenntnis. Aber das Bekenntnis richtet sich nicht allein an Gott, sondern auch an alle anderen Menschen, die das Bekenntnis sprechen, weil man es im gemeinsamen Sprechen sich auch gegenseitig bekennt, dass man an Gott glaubt und in welchem Verständnis man an Gott glaubt. Zudem wird Gott nicht wie beim Gebet direkt angeredet. Das Bekenntnis ist in der Alten Kirche auch gar nicht als Anrede an Gott konzipiert worden, sondern stellt eine Übereinkunft über das Verständnis des Glaubens dar. Theißen legt dar, dass das Wort Gottes nicht unmittelbar wahrgenommen wird, wie es der Fall ist bei der Anrufung Gottes mit seinem Namen. Denn mit der Anrufung des Namens Gottes wird Gott „unter Einschluss all seiner Eigenschaften vor Augen [ge]stellt.“ (17) Das Wort Gottes wird dagegen wahr-

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nehmbar vermittels biblischer Texte. Mit der Anrufung Gottes und dem Dialog von Gott und Glaube sind nun alle Elemente des Gottesdienstes gegeben, die Luther in seiner berühmten Torgauer Formel benannt hat: „dass unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang.“ (17, zitiert nach Theißen). Überraschend hält nun Theißen fest, dass mit dem Grundvollzug B der Gottesdienst eigentlich enden könnte, da ja alle seine Grundbestandteile vorhanden sind. „Tatsächlich lässt sich mit dieser Formel das Hinzutreten der jedenfalls für einige christliche Liturgiefamilien nicht jedesmal obligaten Sakramentsfeier (Grundvollzug C) sowie des Sendungs- und Segnungsteils (Grundvollzug D) nur mühsam begründen.“ (17) Denn die Torgauer Formel beschreibt einen Dialog zwischen Gott und Gemeinde, die in der Formel als „wir“ gekennzeichnet ist. Aber der Dialog stiftet darüber hinaus auch eine Gemeinschaft zwischen Gott und Gemeinde, ja auch der Gemeindemitglieder untereinander, sodass damit der Rahmen der Torgauer Formel gesprengt wäre. Das will Theißen aber nicht so einfach gelten lassen. Er kritisiert die kirchentheoretisch formulierte Unterscheidung von vertikaler Gemeinschaft mit Gott und horizontaler Gemeinschaft untereinander in der Gemeinde damit, dass ja diese horizontale, rein zwischenmenschliche Gemeinschaft nicht ersetzt wird durch den Geist Gottes, sondern durch ihn verwandelt wird. Wie dieser Dialog genauer zu erfassen ist, legt Theißen ausführlich dar. Dabei geht es um die Normativität der Bibel und der Bekenntnisse (norma normans und norma normata). Die Bibel ist deshalb für den Gottesdienst normativ, weil sie Glauben weckt und hervorruft. (44) In diesem Sinne ist die Bibel Gottes Wort, weil durch Gottes Wort seine Gegenwart wahrnehmbar wird. Insofern ist die Predigt wie das Bekenntnis Antwort auf das gehörte Wort Gottes der biblischen Lesungen. Es stellt sich die Frage, ob diese dogmatische Aussage angesichts von empirischen Erhebungen so bestehen bleiben kann, insbesondere, wenn der ästhetische Zugang gewählt wird und es auf die Wahrnehmung der Gegenwart Gottes ankommen soll. Ist das denn die Erfahrung, ist das die Wahrnehmung von glaubenden Menschen? Sind sie durch eigene Bibellektüre oder durch das Hören von biblischen Texten zum Glauben gekommen, weil sie Gottes Wort vernommen haben? Sind sie nicht vielleicht auch zum Glauben gekommen, weil sie in einer kirchlichen Familie groß geworden sind, weil sie sich am Gemeindeleben beteiligt haben, weil besondere Personen sie so beeindruckt haben, dass sie den Weg zum Glauben gefunden haben? Und natürlich auch, weil sie Gottesdienste mitgefeiert haben. Ist nicht vielmehr das die Wahrnehmung von glaubenden Menschen? Denn wer sagt schon explizit, dass Gott zu ihm gesprochen habe? Vielleicht sagt man eher, dass Gott durch diesen Menschen zu einem gesprochen habe bzw. dass man durch diesen Menschen Gottes Gegenwart wahrgenommen habe. Oder dass man Gottes Gegenwart mit der Feier des Gottesdienstes wahrgenommen habe, wobei sich diese Aussage auf alle Teile des Gottesdienstes bezieht und nicht nur auf die Schriftlesungen und die Predigt. Kann man in der ästhetischen Perspektive die Glaubensweckung auf die Bibel allein beziehen? Kann man die Wahrnehmung Gottes allein am Glauben messen bzw. daran, ob

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er wahr ist, ob er biblisch begründet (norma normans) und kirchlich bestätigt ist (norma normata)? Das lässt sich ästhetisch bzw. mit einem Wahrnehmungsansatz nur schwerlich begründen, denn auch die Bibeltexte sind Glaubenszeugnisse. Auch den Bibeltexten geht der Glaube voraus.

4. Grundvollzug Sakramentsfeier: Selbstwahrnehmung der Gemeinde Das zeigt sich beim Grundvollzug C (Sakramentsfeier) deutlicher beim Abendmahl als bei der Taufe. In der symbolischen Kommunikation des Essens bei der Abendmahlsfeier wird eine menschliche Gemeinschaft geformt, die ohne den Glauben so gar nicht zustande gekommen wäre. In der hier vorgenommenen ästhetischen Hinsicht des Glaubensverständnisses versteht Theißen diese Gemeinschaft bei der Abendmahlsfeier als eine liturgische Gemeinschaft, die sich selbst wahrnimmt in ihrem Verhältnis zur Welt. Und wenn nun die Weltwahrnehmung angeklungen ist, so ist es für Theißen naheliegend, dass auch der vierte Grundvollzug D (Sendung und Segen) die Wahrnehmung der Welt zum Gegenstand hat. Auch hier stellt Theißen fest, dass dieser Grundvollzug sich mit der Torgauer Formel „nicht gut (…) begründen“ (18) lässt. Denn Theißen vertritt die These: Da sich die Kirche im Sakrament in versöhnter Gemeinschaft mit der Welt erfahren hat, kann der Segen keinen missionarischen Charakter mehr haben, wie das im traditionellen Wortsinn verstanden wird, sondern mit dem Segen wird eine ethische Dimension aufgerufen. Aber zunächst zur Sakramentsfeier, die als Selbstwahrnehmung der Gemeinde beschrieben wird. Diese Selbstwahrnehmung tritt hinzu zur Wahrnehmung Gottes im Eröffnungsteil der Liturgie und zum Dialog mit ihm im zweiten, dem Verkündigungsteil. Im dritten Teil kommt aber in Theißens Ausführungen nicht nur das Abendmahl, sondern auch die Taufe und die Sünden­vergebung zum Zuge. Sie werden als Symbolhandlungen begriffen: „Als Symbole fasse ich dabei solche Zeichen auf, die ihre kommunikative Leistung, einen bestimmten Gegenstand zu vergegenwärtigen, nur im Kontext einer Kommunikationsgemeinschaft erbringen, also keine kontextlos feststehende Deutung oder Bedeutung aufweisen.“ (69) Diese Feststellung erstaunt, denn wenn die Gegenwart Gottes, die unverfügbar ist und mit der Liturgie wahrgenommen werden soll, vermittels eines Symbols verstanden wird, das vom Verstehen der Feiernden abhängig ist bzw. nur für sie gilt, wird dann damit die Unverfügbarkeit Gottes, gar seine Wahrnehmung eigentlich nicht angenommen? Und: Kommt hier womöglich eine Relationsontologie in der Weise zum Zuge, dass eine Unabhängigkeit der Gegenwart Gottes nicht mehr gedacht werden kann (auch wenn eine Substanzontologie dieses ebenso wenig fassen kann). Theißen beschreibt die Selbstwahrnehmung als eine versöhnte Gemeinschaft, weil diese Gemeinschaft seit Einsetzung des Abendmahls durch Jesus selbst besteht und auch nach seinem Tod mit ihm als dem

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auferstandene Gekreuzigte fortbesteht. Die Versöhnung wird von Theißen aber weniger dogmatisch als vielmehr ästhetisch aufgefasst, da die Gemeinde sich als versöhnte Gemeinschaft mit der Feier darstellt: „Wenn sich die Gemeinde in der Sakramentsfeier als versöhnte Gemeinschaft darstellt, dann bringt sie damit nur zum Ausdruck, was Christus mit der Stiftung der Sakramente eingesetzt hat: Gemeinschaft mit ihm, die der Tod nicht aufzuheben vermag und die dadurch versöhnt ist.“ (72) Dabei gilt beim Abendmahl wie auch bei der Taufe ein asymmetrisches Verhältnis zwischen Christus und der Gemeinde, da Christus die Sakramente eingesetzt hat und somit die Initiative von ihm ausging und die Jünger die Empfangenden waren. Dieses asymmetrische Verhältnis bleibt auch bei allen nachfolgenden Feiern bestehen, weil die Kirche nicht beanspruchen kann, die Position Christi innezuhaben. Stattdessen hat sie die Position der Jünger inne, die die Einsetzung erlebt haben. Die Gemeinde nimmt sich also selbst als versöhnte Gemeinschaft wahr, weil sie selbst der Taufe und des Abendmahls bedürftig ist. Deshalb ist ihr Verhältnis zur Welt nicht als Gegensatz zur Welt, sondern an ihrer Seite zu bestimmen, weil auch die Welt der Versöhnung bedarf. Doch diese Verhältnisbestimmung kann auch ganz anders und recht unterschiedlich ausfallen. Theißen macht dies deutlich an Peter Brunner, der das typisch moderne Contra vertritt, und an Dietrich Bonhoeffer, der ein modernitätskritisches Pro formuliert hat. Während Brunner bei der Abendmahlsfeier diese kirchliche Gemeinschaft von der Welt abgrenzt (das Heilige den Heiligen), bezieht Bonhoeffer sein Kirchenverständnis gerade daraus, dass die Kirche für die Welt existiert. Insofern ist die Welt auch von der Sakramentsfeier nicht ausgeschlossen, sondern die Heiligkeit der Kirche bzw. die Heiligkeit Gottes wirkt gerade inmitten des Säkularen. Bei der Taufe stellt Theißen wieder die ästhetische Zugangsweise in den Vordergrund, denn das Symbol der Taufe kann nicht allein eine Semantik darstellen, sondern dazu gehört auch die Wahrnehmung des Wassers bei der Immersions-, Aspersions- und Superfusionstaufe. Die Immersionstaufe macht das Sterben und Auferstehen mit Christus nach Röm 6 wohl am sinnenfälligsten. Gleichwohl kann diese Wahrnehmung nicht das ganze Bedeutungsspektrum der Taufe abbilden, wenn man z. B. an den Verheißungscharakter der Taufe denkt. Weiterhin betrachtet Theißen die Salbung und Fußwaschung und stellt in diesem Zusammenhang auch die Frage nach dem Amt in Zusammenhang der Salbung und die Frage nach der Gastlichkeit des Abendmahls im Zusammenhang der Fußwaschung. Theißen versteht nun die Taufe grundlegend als ein Symbol der Gastlichkeit. Galt herkömmlich, dass die Taufe ein Übergang von der Welt zur Kirche darstellt und die Taufe eine Konversion initiiert, so kann dieses Schema nicht mehr angewendet werden, wenn die Taufe als eine Gastlichkeit aufgefasst wird und „die Taufe ein ursprüngliches Versöhntsein von Kirche und Welt darstellt und der aus ihr und auf sie folgende Lebensweg als Christ ständig Rückund Einkehr in diesen Ursprung ist anstatt Bekehrung.“ (93) Denn die Kirche wie die Welt sind beide zuallererst Empfänger der Versöhnung, die von Gott kommt, sodass die Kirche der Welt nicht überlegen ist.

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Anschließend wendet sich Theißen der Symbolik des Abendmahls zu. Er will nicht Brot und Wein als typische theologische Engführung für das Verständnis des Abendmahls in den Mittelpunkt rücken, sondern nimmt die Mahlfeier als Ganze in den Blick. Dazu gehört sowohl das Essen und Trinken als auch das Brotbrechen und Weingießen. Indem die Gemeinde das Abendmahl feiert, wird sie in die historische Tischgemeinschaft Jesu und seine Jünger am Gründonnerstag versetzt. Das allein macht aber eine Abendmahlsfeier noch nicht in Gänze aus, da Jesus mit dem Brotbrechen und dem Weingießen die Überwindung des Todes verheißt; das heißt, dass die Gemeinschaft des Abendmahlsfeierns auch in Zukunft trotz des Todes Jesu und trotz der Tode der Mitfeiernden bestehen bleibt. Mit Weingießen ist das vergossenen Blutes Jesu am Kreuz gemeint, das mit dem Trinken aus dem Kelch symbolisiert wird. Hier sieht Theißen Parallelen zur Taufhandlung, da auch die Taufe auf Zukunft und auf die Überwindung des Todes ausgerichtet ist. Auch für die Abendmahlsfeier ist die Überwindung des Todes zentraler und grundlegender als die Sündenvergebung, wie Theißen mit 1Kor 15 argumentiert. Da Jesu Tod auch als Opfer interpretiert wird, stellt Theißen die Frage nach der Sühne. Weil auch die Sühne eine Gabe Gottes ist, kann der Sünder trotz seiner Sünde leben bzw. überleben, obwohl mit Röm 6,23 der Tod der Sünde Sold ist. Da der Sünder lebt, aber die Sünde vergeben ist, hat der Tod keine Macht mehr über den Menschen. Und zwar, weil der Tod Jesu als Opfer nicht symbolisch, sondern real geschehen ist. Die Sühne bzw. die Vergebung ermöglicht es den Sündern, ein gutes Leben in Hingabe zu leben. Eine symbolische Hingabe des Lebens ist nicht mehr möglich, wenn die Hingabe des Lebens real geschieht und im Tod endet. Zwar sieht Theißen den Opferbegriff als wichtig an und damit auch die Satisfaktionslehre und den Stellvertretungsgedanken. Aber beide Lehren weisen einige Inkongruenzen auf, „dass die Versuche, die symbolische Lebenshingabe der Sühne als Satisfaktion und / oder Stellvertretung zu erklären, am Kreuzestod Jesu vorbeigehen.“ (109) Gleichwohl will Theißen „den Sühnegedanken als Ausgangspunkt des Abendmahls und seiner liturgischen Feier beibehalten.“ (109) Denn mit ihm kann er wiederum parallel zur Taufe auch die Abendmahlsfeier als eine Feier der Gastlichkeit bezeichnen. Essen und Trinken symbolisieren menschliche Gemeinschaft, und das gilt auch für den Glauben, der sich von der Welt nicht abgrenzen will. Denn die versöhnte Gemeinschaft hat aufgrund der Sühne den Mehrwert des guten Lebens als Hingabe an Gott. Wurde diese Sühne meist in Bezug auf den Menschen verstanden, so versteht Theißen den Mehrwert dieser Sühne innertrinitarisch: Der Vater gibt seinen Sohn in den Tod hin, der Sohn gibt sich dem Vater hin. Auch dieser Aspekt kann nur als eine sakramentale Feier begangen werden und nicht als eine reale Feier, wie sie z. B. beim Feierabendmahl intendiert wurde. Das kritisiert Theißen mit Röm 14,7, da das Reich Gottes nicht Essen und Trinken, sondern Friede und Freude in dem Heiligen Geist ist. Theißen hält fest, dass Taufe und Abendmahl Symbole der Gastlichkeit sind. „Beide Symbolhandlungen zeigen die Kirche an der Seite der Welt im Gedenken gemeinsamer Versöhnungsbedürftigkeit und der von Gott geschenkten Ver-

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söhnung.“ (117) Die beiden Sakramente unterscheiden sich darin, dass die Taufe unwiederholbar und das Abendmahl regelmäßig wiederkehrend gefeiert wird. Diese Differenz liegt in der Sündenvergebung begründet. Die Taufe impliziert mit der Sündenvergebung eine grundsätzliche Neuausrichtung des menschlichen Geistes und ermöglicht „den versöhnten Blick auf die eigene Vergangenheit“ (126). „Demgegenüber kommt im Abendmahl Gottes Perspektive auf die Sündenvergebung zum Tragen, in der die Sünde vergessen und damit inexistent ist.“ (126) Darum erfolgt vor der Abendmahlsfeier eine Buße und Beichte.

5. Grundvollzug Sendung und Segen: Ethische Konsequenzen des Gottesdienstes Der vierte und letzte liturgische Grundvollzug ist Sendung und Segen. Zunächst wendet sich Theißen dem allgemeinen Verständnis von Segen zu. Er stellt fest, dass der Segen allseits beliebt ist und dass er als eine Auszeichnung gilt, die auch von jenen gerne angenommen wird, die der Kirche eher reserviert gegenüberstehen. So zeichnet der Segen Lebenszusammenhänge als gut aus, gilt als besonderer Segensraum, in dem sich Glaubende aufhalten, oder er dient der Lebenssteigerung. All diese Deutungen lehnt Theißen ab. Denn der Segen sei kein Thema der Dogmatik, sondern der theologischen Ethik: „Die Auszeichnung, die er mit sich bringt, kann nicht die des Heils vor dem Unheil oder der Gnade vor der Natur, sondern nur die des Guten vor dem Bösen sein.“ (130) Theißen teilt auch die ritualtheoretisch begründete Unterscheidung von Alltag und Sonntag bzw. Fest nicht, die er allerdings nicht als Unterscheidung, sondern eher als Trennung begreift, weil er Alltag und Sonntag bzw. Fest als zwei mehr oder weniger voneinander unabhängige Bereiche ansieht. (131) So könne der Segen auch nicht eine Zurüstung der Glaubenden am Ende des Gottesdienstes für den Dienst in der Welt sein. So hatte er schon im dritten grundlegenden Liturgievollzug zu den Sakramenten hervorgehoben, dass die Welt nicht außerhalb der Kirche respektive des Gottesdienstes, sondern in der Kirche und in der Abendmahlsfeier sei. Dafür stehe auch das Fürbittengebet, das die Betenden für Dritte sprechen: „Schlagwortartig gesagt, betet die Kirche in der Fürbitte für die Welt, deren Anliegen sie auf sich selbst überträgt. (…) Das ist möglich, weil Kirche und Welt im Leib Christi eine Einheit bilden und die versöhnte Gemeinde sich an der Seite der Welt weiß.“ (132) Insofern werden die Menschen „für eine bestimmte Aufgabe gesegnet“ – „das macht die ethische Qualität des Segens aus.“ (135) Die Form des Segens ist demnach als „ein Gebot mit inhärenter Verheißung“ zu verstehen (136), da die Glaubenden ja nicht in eine feindliche Welt gehen, sondern in eine durch Christus versöhnte Welt. Inhaltlich bestimmt Theißen den Segen als Frieden, wie es im aaronitischen Segen heißt. Wobei dieser Frieden, den Gott im Segen schenkt, eine Voraussetzung für das Handeln ist. Es kann wohl nicht unwidersprochen bleiben, dass der Segen allein eine ethische Dimension haben soll. Zwar ist ihm diese ethische Dimension schon

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deshalb zu eigen, weil die Glaubenden nach einer Gottesdienstfeier ihren Lebensalltag im Alltag der Welt aus dem Glauben heraus gestalten. Und der kann nicht erfasst werden, ohne dass die ethische Dimension des Lebens thematisiert wird. Aber der Segen beinhaltet auch eine Glaubensgewissheit, die eher im Bereich der Dogmatik reflektiert wird, da der Glaubende sich auch im Alltag der Nähe Gottes gewiss ist. Oder wie es im aaronitischen Segen heißt: dass Gott den Glaubenden behütet, ihm sein Angesicht leuchtend zuwendet, ihm gnädig ist und ihm Frieden schenkt. Man kommt vielleicht in die missliche Lage erklären zu müssen, dass der Segen keine Kraftzufuhr darstellt, wie sie sich manche Glaubende vorstellen, um damit im Alltag bestehen zu könen – auch in ethischer Hinsicht. Solch eine magische Deutung des Segens kann nicht christlich sein, weil auch im dogmatischen Verständnis des Segens seine Bedeutung in der Relation begründet ist, die Gott zum Glaubenden hat und Glaubende zu Gott haben. Die Kraft, die mit der Segnung angenommen wird, ist eine Kraft bzw. eine Erfahrung, die sich aus dieser Relation ergibt, aber nicht als eine Kraftübertragung von Gott auf Glaubende verstanden werden kann. Damit könnte Theißens Darstellung abgeschlossen sein, aber er hebt an dieser Stellen noch das Vaterunser hervor, das üblicherweise die Fürbitten abschließt oder in die Abendmahlsliturgie eingebettet ist. Es stellt die Vater-Anrede in den Mittelpunkt, die auch die anderen Teile des Gottesdienstes, sei es mit dem Votum oder sei es mit dem Bekenntnis, schon benannt haben. In der Abendmahlsliturgie kommt es mit der Brotbitte an prominenter Stelle zu stehen. Bei den Fürbitten führt das Vaterunser die Bitten zusammen. So kommt dem Vaterunser paradigmatische Bedeutung zu, und das nicht nur für die Gottesdienstfeier und für das Beten, sondern auch für die Liturgiereform, wie Theißen zum Ende ausführt. Denn das Vaterunser verortet den Betenden inmitten der Welt. (151) Dadurch ist das Vaterunser immer eine Infragestellung einer Liturgie, die das Diesseitige übersieht und nicht dessen gewahr wird, dass es im himmlischen Jerusalem keinen Tempel gibt, an dem eine Liturgie gefeiert wird. Theißen sieht, falls das Vaterunser als Leitfaden für weitere Gottesdienstreformen verwendet wird, eine Aufgabe darin, eine verständliche Sprache zu sprechen mit Bildern und Symbolen, die mehr oder weniger auch ohne Erklärungen verstanden werden können. Zudem müsse die Verheißung Gottes für Kirche und Welt viel deutlicher artikuliert werden. Sinnvoll sei eine „Konzentration auf kernhafte Texte und Traditionen“ (152), aber nicht aus Gründen der Komplexitätsreduktion, „sondern um solche Stoffe im Gottesdienst präsent zu haben, die auf den verschiedensten Bedeutungsebenen sprechend werden können.“ (152) Ein Beispiel dafür sei das Vaterunser. „Entscheidend ist, dasjenige aus dem biblischen Reichtum auszuwählen und im Gottesdienst in Szene zu setzen, das die nötige Elastizität verspricht, um auf den unterschiedlichsten Verstehensebenen für die divergentesten Gruppen von gottesdienstlichen Rezipienten sprechen und ansprechend werden zu können.“ (152)

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6. Schlussworte Betrachtet man Theißens Werk als Ganzes, stellt er darin eine sich ausdifferenzierende Wahrnehmung der Gegenwart Gottes im Gottesdienst dar: Der Name Gottes wird wahrgenommen und die Gemeinde ruft Gott an (Teil 1). Diese Wahrnehmung wird differenziert als dialogisches Geschehen in Bekenntnis und Verkündigung, mit der die Gemeinde Gottes Wort und sich selbst wahrnimmt (Teil 2). Die Sakramentsfeier „ermöglicht der Gemeinde eine versöhnte Selbstwahrnehmung“ mit der Welt (18, Teil 3), und Sendung und Segen stellen die ethische Konsequenz daraus dar (Teil 4). Insofern wird die Wahrnehmung Gottes im Laufe der Gottesdienstfeier immer komplexer. Bedauerlich ist, dass der Gottesdienst nicht als Ritual gedeutet wird. Stattdessen konstituiert Theißen ein Symbolverständnis bzw. eine Symbolhandlung, die etwas darstellt, aber offensichtlich nicht selbst real ist oder allenfalls eine Realität repräsentiert. Damit evoziert das Verständnis der Abendmahlsfeier aber eine eigentümliche Verdoppelung der Realität, denn das, was in der Symbolhandlung getan wird, ist nicht jene Realität, auf die verwiesen wird. Das mag vielleicht auch damit zusammenhängen, dass Theißen die Unterscheidung von Alltag und Fest nicht gelten lassen will in der Weise, dass damit der Glaubende Unterscheidungen in seinem Leben erfährt; Theißen will damit eine Trennung von Lebensbereichen abwehren. Aber eine Unterscheidung insbesondere durch die Ritualerfahrung zeigt, dass unterschiedliche Bedeutungen in den Fokus rücken können: Wenn eine besondere Bedeutung in den Mittelpunkt gerückt werden soll, die das ganze Leben durchdringt, macht gerade das Ritual der Taufe deutlich, dass der Vorgang der Taufe eine herausgehobene Bedeutung hat und nicht dem Alltäglichen zugerechnet werden kann, sondern dass dafür ein Fest und eine Feier respektive eben ein Ritual notwendig ist. Dasselbe gilt auch für die Abendmahlsfeier und den Gottesdienst als Liturgie und Predigt im Ganzen: Mit diesem Ritual wird die Gegenwart Gottes gefeiert, und um diese Besonderheit verdichtet zu erfahren, wird diese Zeitspanne vom Alltag unterschieden, indem ein Ritual gefeiert wird, das zudem gleichsam als Unterstreichung der besonderen Situation in einem Kirchengebäude stattfindet. Die Taufe in ihrer Bedeutung oder das Abendmahl in seiner Bedeutung durchziehen den gesamten Alltag, ja das ganze Leben der Glaubenden. Denn der Gottesdienst ist eine Erfahrung, eine Wahrnehmung Gottes, die sich nicht im Alltag der Welt verzwecken oder zum Guten instrumentalisieren lässt, sondern ihren „Wert“ oder ihre „Bedeutung“ in sich selbst hat.

Abstract: In order to foster ecumenism, Theißen wants to expose what is common to all Christian denominations when they celebrate worship and concludes: the presence of God. This presence of God is an inherent reality, which is perceived in the

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Jörg Neijenhuis

basic liturgical processes as offered in the 1999 Evangelische Gottesdienstbuch. Theißen takes an aesthetic approach, describing how the perception of God becomes more and more complex in the course of the service. The Name of God, the Word and the Symbol form the categories to describe the perception of the liturgy. At the beginning of the service, God is called upon; in the Word part, God establishes contact with the believers. In the sacramental part, baptism, communion and forgiveness of sins are represented. With the celebration of the Lord’s Supper, the congregation not only perceives itself, but also experiences itself in its relationship to the world. The world is not seen in opposition to the congregation, but alongside it, for both church and world are equally in need of reconciliation. The blessing is explained entirely from an ethical perspective. Neijenhuis questions, especially from an aesthetic perspective, whether Word and Symbol in baptism and the Lord’s Supper can be considered separately in this way. He also criticises the fact that the church service is not considered as a ritual and that an ethical perspective alone is insufficient to apprehend the blessing. The blessing is, moreover, a power that arises from the relationship between God and man and is likewise effective in everyday life.

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Bruno Bürki

Bauer, Olivier: Les cultes des protestants, Labor et Fides: Genèves 2017, 148 S. Als Professor für Praktische Theologie an der Universtät Lausanne (Schweiz) – vordem Schulpfarrer in Französisch-Polynesien und protestantischer französischer Seelsorger in Washington wie in Montreal (Kanada) – stellt Olivier Bauer im vorliegenden Buch (wie schon in einer frühreren Publikation mit dem Titel Le Protestantisme et ses cultes désertés) die Frage nach Platz und Sinn der protestantischen Gottesdienste in der für sie bezeichnenden Vielfalt. Die neun Kapitel sind enstanden aus Erlebenisberichten der Autors über verschiedenste protestantische Gottesdienste auf drei Kontinenten – hier gesammelt und überarbeitet unter dem Titel Méthodes originales pour approcher les rites (Originelle Methoden zum Verständnis der Riten). Ungewöhnlich ist an Bauer’s Ansatz jedenfalls, dass der Gottesdienst nicht wie in den evangelischen Bekenntnisschriften (der Augsburgischen Konfession von 1530 oder dem französischen reformierten Bekenntnis benannt nach La Rochelle von 1559, auch dem Heidelberger Katechismus von 1563) und in der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils (insbesondere in den Artikeln 5–8) vom Heilsgeschehen in Christus her verstanden und erklärt wird, sondern aus der allgemein menschlichen Ritualpraxis abgeleitet wird. Das Zweite Vatikanum schließt die traditionelle Argumentation mit der Feststellung, dass das in Christus vollbrachte Heilswerk im kirchlichen gottesdienstlichen Geschehen fortgesetzt wird. Bauer hingegen vertritt die Auffassung, dass die Riten einfach menschliche Schöpfungen sind. Dabei ist es angemessen festzuhalten, dass die ritenschöpferischen Menschen von Gott inspiriert sind. Mit bekannten modernen geistlichen Autoren meint Bauer, dass Gott keine andern Hände hat als die unseren. Er hat auch keine andern Riten als die unsern – und muss sich also mit ihnen abfinden. Bauer beschließt seine Grundsatzerklärung mit der Feststellung: „Daher die Notwendigkeit ihn – Gott! – in uns handeln zu lassen, damit er durch uns handle, auf dass die Worte, die man spricht und hört, sein eigenes Wort werden, damit die Gesten, die man sieht und die man macht, seine ihm gehörigen werden, damit die Nahrungen, die man kostet, seine Kost werden und der Duft, den man einatmet, sein Geruch werde.“ Unausweichlich wird dann die Frage, was an dem ganzen Konzept Inspiration ist, und wo unangemessene Usurpation beginnt. Wo kippt die Offenbarung in Einbildung? Die kritische Instanz, die das Schriftzeugnis für die reformatorische Argumentation und die Vätertradition für das katholische Konzept hergeben, gibt es bei Olivier Bauer nicht. Darf er sich auf unser Gespür verlassen? Wichtig ist ihm die Referenz zum protestantischen Umfeld – wobei Protestantismus immer im Plural zu verstehen ist. Dann ist, nach seiner Meinung, Gemeinschaft dem individuellen Einzelbezug vorzuziehen.

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Eines der letzten Kapitel von Olivier Bauer ist mit dem Titel Ökumene überschrieben und besteht in einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Buch des damaligen Kardinals und späteren Papstes Joseph Ratzinger, betitelt: Vom Geist der Liturgie. Woher die Motivation Bauers für die 2003 erstmals veröffentlichte und hier nochmals aufgenommene Auseinadersetzung? Vielleicht der bei Ratzinger und bei Bauer in gleicher Weise lebendige Geschmack für die Kontroverse? Dann aber zählt auch das problematische Gewicht, das Ratzinger der ostwärts orientierten Liturgie zuzumessen gedachte. Ein im vollen Sinn symbolisches Anliegen. Zeit und Raum des Gottesdienstes sind für Bauer wie für Ratzinger entscheidende liturgische Dimensionen. Für Bauer ist sodann die Einbindung der ganzen Versammlung in das gottesdienstliche Geschehen entscheidend. Damit steht oder fällt für ihn der Sinn eines Gottesdienstes. Bricout, Hélène (Hg.): Du bon usage des normes en liturgie. Approche théologique et spirituelle après Vatican II. (Lex orandi), Edition du Cerf: Paris 2020, 421 S. Unter der Federführung der Pariser katholischen Professorin Hélène Bricout ist das gewichtige Sammelwerk zur Problematik der Liturgischen Normen in der nach-konziliaren Gegenwart entstanden. Die Autoren sind namhafte Theologen verschiedener Konfession. Wir verweisen hier auf die Persönlichkeiten des Orthodoxen Job Getcha, des Reformierten Nicolas Cochand, der Katholiken Martin Klöckener und Patrick Prétot. Eine unterschiedliche Theologengruppe, die sich auszeichnet mit einem gemeinsamen liturgischen und ökumenischen Anliegen. Der Orthodoxe Job Getcha – tätig am Institut Supérieur de Liturgie in Chambésy /  Genf und am katholischen Institut Supérieur de Liturgie in Paris – verweist auf die Normativität der Tradition der Orthodoxie. Die Orthodoxe liturgische Tradition ist aber auch lebendig und entwicklungsfähig. Getcha zitiert den Amtsbruder Georges Florovxky mit der Aussage „Die Antiquität an sich ist nicht selbstverständlich Wahrheit – obschon die christlihe Wahrheit eine alte Wahrheit ist und Neuerungen in der Kirche zu bekämpfen sind.“ (162) Nicolas Cochand, Professor an den protestantischen Theologischen Hochschule in Paris, handelt von den liturgischen Normen im französischen lutherischen und reformierten Protestantismus. Zwischen den beiden protestantischen Konfessionen sind Unterschiede traditionell und bleiben auch aktuell. Patrick Prétot, Benediktinermönch im burgundischen Kloster La Pierre-qui-vire und Professor für Liturgiewissenschaft am Institut Catholique von Paris beschäftigt sich mit der Frage der kirchlichen Autorität im Bereich der liturgischen Musik. Er interessiert sich dabei um die Spannung zwischen Einheitlichkeit und Diversität der liturgiebegleitenden Musik. Für Frère Patrick  – er denkt dabei mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil einig zu gehen – um eine Frage der Treue gegenüber der empfangenen Tradition. Die kirchliche Tradition steht in enger Verbindung mit den gottesdienstlichen Anweisungen Jesu an seine Jünger, in denen die Einsetzung des Heiligen Mahls im Zentrum steht. So wird kirchliche Gesangstradition entscheidend mit dem österlichen Mahl übereinstimmen. Martin Klöckener, aus Deutschland in die Schweiz gekommen, wirkt seither als Professor für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg, in deutscher und in französischer Sprache. Zum Thema der Liturgischen Normen in der Katholischen Kirche der gegenwärtigen post-konziliären Epoche äußert er sich anhand der Praenotanda der neuen Liturgischen Bücher. Diese Praenotanda haben nach Klöckener einen dreifachen Inhalt: zunächst bieten sie einen liturgischen Kommentar des liturgischen Geschehens. Dann bieten sie eine Beschreibung der Liturgischen Handlungen. Schließlich artikulieren sie die liturgischen Vorschriften.

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Die wichtigste Überlegung von Martin Klöckener besteht in der Erkenntnis, dass die kirchlichen liturgischen Vorschriften und Weisungen nicht einfach ausgeführt und vielleicht angepasst werden müssen, sondern vielmehr zum Ausgangspunkt der sich im Lauf der Zeit ergebenden Anpassungen und Erhellungen der Gottesdienstgestaltung werden sollte in theologischer, kirchlicher und gesellschaftlicher Perspektive. Bricout, Hélène / K löckener, Martin (Hg.): Liturgie, pensée théologique et mentalités religieuses au haut Moyen Âge. Le témoignage des sources liturgiques. Aschendorff: Münster 2016, VIII, 207 S. Unter der Leitung von Bricout, Professorin für Sakramenmtentheologie und Liturgie am Institut Catholique de Paris und Klöckener, Professor für Liturgiewissenschaft in Freiburg (CH), hat im Jahr 2012 in Paris ein Studientag die Frage nach dem theologischen Gehalt frühmittelalterlicher liturgischer Quellen gestellt. Es geht den Autoren der hier gesammelten Beiträge darum, die Grundlagen der abendländischen liturgischen Entwicklung nicht bloß historisch einzuordnen, sondern vielmehr liturgisch zu verstehen. Die Rolle der pneumatischen Epiklese in der Trauliturgie, eine Neuerung jüngsten Datums in der katholischen Liturgiegeschichte, könnte als Illustration für das Gewicht der theologischen Optionen für die liturgischc Entwicklung herangezogen werden – denken die Herausgeber. In dem von ihnen visierten Zeitabschnitt ging es nun aber zunächst – im Zug der allgemeinen und von den Autoritäten auferlegten Romanisierung der Gesellschaft – um den Übergang von der gallikanischen Liturgie (mit ihren nicht ungewichtigen orientalischen Einflüssen) zur fortan dominierenden römischen Form des Gottesdienstes – der Liurgia romana. Die Übernahme erfolgte begreiflicherweise nicht vorbehaltlos und integral. In den gallischen und germanischen Gegenden wurde die römische Form durch Apologien, Privatgebete des Zelebranten sowie durch viele eigenständige Riten bereichert und verändert. Nach der seinerzeitigen liturgiewissenschaftlichen und frömmigkeitsgeschichtlichen Beurteilung dieses Übergangs durch Angelus Häussling und André Vauchez, einem deutschen und einem französischen Spezialisten, ersetzt eine auf Buße bedachte Spiritualität die traditionell tauforientierte römische Ordnung. Eine neue lateinische Ausdrucksform und eine neue theologische Haltung ersetzt die vorhergehende Tradition. Es geht darum, den christlichen Glauben in der germanisch-fränkischen Welt zu erklären und zu feiern. Die karolingischen liturgischen Bücher, insbesondere das sich zu Beginn des 9. Jahrhunderts durchsetzende Gregorianische Sakramentar, sind allesamt zwitterhafte Mischformen der Liturgie. In den einzelnen Kapiteln unseres Buches stellt Martin Klöckener zunächst das Inventar liturgischer Quellen aus der Übergangszeit zwischen Spätantike und Mittelalter, aber auch zwischen römischer und karolingischer Kultur zusammen. Isaia Gazzola (Mönch von Lerin) behandelt den Ordo Romanus I und dessen fränkischen Überarbeitungen, während der amerikanische Professor mit Pariser Ausbildung, Michael Drisoll, die Euchologie der römischen und römisch-fränkischen Sakramentare untersucht. Der Benediktiner Christoph Lazowski handelt von der anglonormannischen Palmsonntagsprozession und der deutsche Historiker Arnold Angenendt von der Natur des eucharistischen Opfers in der mittelalterlichen Vorstellung (zu jedem der Kapitel findet sich in der Buchausgabe eine deutsche Zusammenfassung des französischen Textes). Zur Beleuchtung des Vorgehens möchten wir hier zwei Beiträge noch etwas direkter ansprechen: die Gegenüberstellung der Euchologie römischer und dann römisch-fränkischer Sakramentare (Text von Driscoll). Und dann die Natur des eucharistischen Opfers in der mittelalterlichen Vorstellung (dazu Angenendt). Nach Driscoll sind

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die römischen Gebete, in klassischem Latein abgefasst, theozentrische Gemeindeorationen, währenddem die weitschweifigen Priestergebete (Apologien) gallischer oder keltischer Herkunft sich mit Gewissenserforschung und Beschäftigung mit dem Seelenheil des Priesters und dann der Gläubigen umtun. Arnold Angewendt zeichnet den religionsgeschichtlichen und theologischen Weg von der Vorstellung eines blutigen Opfers zur Befriedigung der Gottheit zu einem spirituellen Opferbegriff schon im Alten Testament und dann im Christentum nach. Gegenüber dieser Spiritualisierung erscheinen gewisse mittelalterliche Vorstellungen als Rückschritt zu überlebten Konzepten. Die scholastische Transsubstantiationslehre war ein noch unvollendeter Versuch zu einem spirituellen Konzept. In der modernen Gegenwart kann die christgläubige Vorstellung von der Liebe Gottes und seiner Zuwendung zu den Menschen weiterhelfen. Bricout, Hélène / Prétot, Patrick (Hg.): Faire pénitence, se laisser réconcilier. Le Sacrament comme chemin de prière. Les éditions du Cerf: Paris 2013, 295 S. Ein mehrstimmes Gemeinschaftswerk – unter der Federführung der Liturgiewissenschaftler Hélène Bricout und Patrick Prétot, beide Professoren am Institut catholique de Paris  – enthält Studien zur Praxis des Bußsakarmentes, in denen ebenso dogmatische Reflexion wie pastorale Praxis zur Sprache kommen. Sinn und Praxis der Buße waren ein wichtiges Anliegen von Papst Johannes-Paul – die Problematik der gegenwärtigen Bußpraxis ist allgemein bekannt. In diesem Kontext ist das vierteilige, reichdokumentierte Werk entstanden (die mehrsprachige Auswahlbibliographie umfasst 20 Druckseiten): sakramentale Ritualität, kanonische Formen, biblische (alt- wie neutestamentliche) Wurzeln und dann die dogmatischen, moralischen und pastoralliturgischen Aspekte. Wir möchten hier vier Beiträge herausgreifen, in denen theologische Anliegen, wie sie an der katholischen Unversität in Paris artikuliert werden, mit praktischen pastoralen Erfahrungen konfrontiert werden. Schwester Geneviève Miéville, erfahren in gegenwärtiger spiritueller Begleitung, dazu Professorin für Moraltheologie, geht den Beziehungen zwischen Vergbung und Absolution nach (225–237). „Gott bedarf nicht der Absolutionsformeln, um Sünden zu vergeben. Aber in schweren Fällen ermöglicht die sakramentale Ordnung der Kirche dem Menschen, der sich unter die Hand Gottes stellt, ein Wort der Vergebung unter Christi Autorität zu hören. Wir müssen aber auch bedenken, dass es nicht für jedermann leicht ist, sich dem Ritus und der Liturgie eines Sakramentes zu unterstellen.“ Es ist freilich klar, dass christliches Leben nicht ohne Mediation oder Vermittlung denkbar ist. Man kann sein Gottesverhältnis keinenfalls einfach im Register der Innerlichkeit und der Subjektivität gestalten. Hélène Bricout hat ein Kapitel zu den theologischen Perspektiven des nachkonziliaren Rituale eingebracht (69–84). Der lateinische Ordo paenitentiae von 1973 wird zum französischen Nouveau Rituel :Célébrer la pénitence et la réconciliation – womit die gemeindliche Dimension des Geschehens gegenüber einer traditionell individualistischen und juristischen Demarche in den Vordergrund tritt. Das Mysterium der Versöhnung gehört zur Heilsgeschichte, es steht in der Dynamik der Taufe und im Licht des Gotteswortes. Die sakramentale Versöhnung kann in verschiedenen Formen im eigentlichen Sinn des Wortes liturgisch gefeiert werden – wenn dann und sofern die Ambiguitäten traditioneller Bußpraxis überwunden sind. In gleicher Richtung tendiert auch das Kapitel von Patrick Prétot, das von „den Orten zur ‚Feier‘ des Bussakramentes“ handelt (97–111). Während der mittealterliche Beichtstuhl hilfreicher Schutzort für eine private oder persönliche Sphäre der Pönitenten war, wäre jetzt die altkirchliche gemeinschaftliche Feier der Versöhnung wieder zu entdecken.

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Das letzte Wort soll dem Dogmatiker und Direktor des Institut Supérieur de Liturgie von Paris, Jean-Louis Souletie zukommen. Sein Kapitel (211–224) und zugleich seine Grundthese lautet: „Das Sakrament der Buße und der Versöhnung ist Sakrament der Ostern Jesu Christ“. Von dem entscheidenden Anstoß von Odo Casel ausgehend handelt Souletie so vom Ostergeheimnis als Versöhnung des Menschen mit Gott. Craciun, Adrain Florentin / Lossky, André / Pott, Thomas (Hg.): Liturgies de pèlerinage (Semaines d’Etudes Liturgiques Saint-Serge, 66). Aschendorff: Münster 2020, 294 S. Wie jedes Jahr wurden die Referate der unter der Verantwortung des Orthodoxen Pariser Institut Saint-Serge durchgeführten ökumenischen Liturgischen Studienwoche publiziert. Das Thema der 66. Woche im Juli 2019 betraf die Pilgerliturgien in den verschiedenen Epochen und Konfessionen. Gilles Drouin, Direktor des Liturgischen Institutes beim Institut Catholique von Paris, stellt die in allen Epochen spannungsgeladene Beziehung zwischen Pilgerschaft und volkstümlicher Religiosität in den Mittelpunkt seiner Untersuchung. Der aus der Schweiz stammende, aber nunmehr in Paris tätige Protestant Nicolas Cochand macht die traditionelle Pilgerveranstaltung in der sogenannten Assemblée du Désert in den gebirgigen Cevennen als Erinnerung an die Zeit der französischen Hugenottenverfolgung zum Gegenstand seiner Untersuchung. Die großangelegten Pilgerschaften von Kranken verschiedenster Leiden und aus aller Herren Länder sind bekannt und für viele Katholiken hoffnungsvolle und auch erfolgreiche, zugleich körperlich und geistlich geladene Demarche. Als Laie legt die französische Anne Righini ihre Erfahrungen dar. Thomas Pott, vom ökumenisch inspirierten katholischen Kloster von Chevetogne in Belgien, eine tragende Persönlichkeit der Semaine de Saint-Serge, stellt in seiner Einleitung zur Studienwoche den evidenten Zusammenhang zwischen Pilgerschaft und Liturgie fest. Auf seinem Lebensweg begegnet der Mensch mit Sicherheit den Andern, also Gott, und diese Begegnung kann zu einem Sakrament für die Gegenwart Gottes verwandelt werden.1 Es geht, nach der Meinung von Pott in der Studienwoche von Saint Serge und überhaupt darum, die Beziehung zwischen menschlicher Pilgerschaft und christlicher oder kirchlicher Liturgie zu klären. Dazu wollten die verschiedenen Interventionen in Saint Serge einen Beitrag leisten. Wir möchten hier einige Elemente dieses Vorgehens zu unserer eigenen Klärung festhalten. Alljährlich findet in den Cevennen eine vielbesuchte reformierte Versammlung – benannt Assemblée du Désert – statt, mit einem reformierten Abendmahls-­ Gottesdienst auf der Wiese zum Gedächtnis der französischen Hugenottenverfolgung in der nachreformatorischen Zeit statt. Nicolas Cochand bemüht sich um den Nachweis, dass sich diese Hugenottenversammlung, trotz der traditionellen protestan­ tischen Kritik an Zusammenkünften wie derjenigen von Lourdes, rechtfertigen lässt. Die moderne Kritik an Lourdes geht zurück bis auf den vorreformatorischen Humanisten Erasmus in Basel, der sich als Kritiker katholischer Praxis profilierte. Wie lassen sich jetzt protestantische Volksversammlungen wie die Assemblée du Désert in den Cevennen rechtfertigen? Inwiefern wären die einen als abergläubisch zu disqualifizieren und die andern als legitime gottesdienstliche Versammlungen zu praktizieren? Die beidseitige Fragwürdigkeit der Kritik oder Approbation springt dem außenste 1 Dazu die Einleitung S. 15–23 unter dem Titel: Pilgerliturgien und liturgische Pilgerschaft in ihrer existentiellen Beziehung. Es geht also offensichtlich um mehr als einige liturgische Elemente anlässlich einer Pilger-Veranstaltung. Pilgerschaft und Liturgie stehen in einem wesenhaften Zusammenhang untereinander. Das geht aus den hier zu beachtenden Bibelstellen hervor, nämlich Ps 122,1–4; Joh 4,21–23 und Lk 24,30–31.

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henden Hörer respektive Leser geradezu in die Augen. Das Gespräch über den Zaun hinweg drängt sich geradezu auf. Die Saint-Serge-Woche über Liturgies de pèlerinages war bestimmt ein heilsames Unternehmen für Angehörige verschiedener Kirchen. Dem gegenüber ermessen – oder wohl besser gesagt – erahnen wir die Distanz zwischen einer hugenottischen Assemblée du Désert und den täglichen eucharistischen Prozessionen in Lourdes, wo seit der Erscheinung Marias vor Bernadatte Soubirous im pyrenäischen Lourdes im 19. Jahrhundert täglich eine feierliche Prozession der Kranken oder Pilger stattfindet. Hier wie dort geht es jedoch um eine Veranstaltung im Zeichen der christlichen Eucharistie. Die französische Laientheologin Anne ­R ighini hat für das Treffen im Saint Serge die Beschreibung eines Tages mit Prozession in Lourdes unternommen, wie sie an einem 15. August (Mariä Aufnahme in den Himmel) organisiert wird. Hameline, Jean-Yves: Petite poétique des arts sacrés (Lex orandi). Hg. von Prétot, Patrick. Les editions du Cerf: Paris 2014, 180 S. Hameline (1931–2003), katholischer Priester aus dem Nord-Westen Frankreichs, hat einen guten Teil seiner Laufbahn in Paris verbracht, beim Centre National de Pastorale liturgique und im Institut Catholique de Paris. Hier war er Honorarprofessor. Seine Artikel wurden in einer Zeitschrift für sakrale Kunst und dann im pastoral-­ liturgischen Organ La Maison-Dieu veröffentlicht. In dem uns vorliegenden Band hat Patrick Prétot eine Reihe von Texten aus der erstgenannten Zeitschrift (Espace und später Chroniques d’art sacré betitelt) übernommen, unter denen wir hier drei Titel festhalten: Poetik des Altars, die liturgische Szene der Schriftlesung und Eindrücke vom Friedhof. Der Altar ist schweigsam – die Aussage ist konstitutiv zu verstehen. Der Altar „sichert den Platz der Andern und die baptismale Gliedschaft eines jeden, ebenso wie er mich an meine eigene Fremdheit erinnert, wenn ich mich ihm nähere, in Entäusserung“ (80). Genau wie beim Glauben, der weder eine Meinung noch eine Überzeugung, sondern Zeugnis eines Bundes ist, stellt der Altar das esse in futuro einer Zusage dar. Der Ort für die Gaben wird zur Gabe des Ortes – wobei das nicht einfach Wortspiel ist, sondern eben Versprechen. Die Poetik des Altars besteht in seinem Bezug auf das, was er darstellt. So kann der belgische Mitbruder unseres Autors, Frédéric Debuyst, von der Bescheidenheit des Altars nach dem Bild Christi reden. Der Altar als Zeuge des Bundes steht für die Philanthropie Gottes. Wir können bloß ahnen, was das für den Umgang mit dem Altar und bereits für seine Gestaltung durch den Handwerker oder den Künstler in unsern Kirchen bedeuten mag. Drei Seiten zur liturgischen Szene der Schriftlesung, deren ritualisierte Form oder dem Protokoll – selbst in der allereinfachsten Form – zum Potential ihrer Bedeutung gehört, die fern von einer banalen Information über Tatbestände anzusiedeln ist. Sie steht auch im klaren Gegensatz zu einer eiligen fundamentalistischen Anwendung der Botschaft. Drei Elemente gehören zum Ritus: das Buch, mit dem die Botschaft übermittelt wird, der Lektor oder die Lektorin bei der Erfüllung ihres kirchlichen Auftrages, und die Hörgmeinschaft einer ecclesia audiens. Die Homilie wird zu Hilfe kommen. Wie beim Altar kreuzen sich am Ambo materielle und liturgisch funktionale Gegebenheiten. Ein fundamentaler Auftrag des Ambos ist daran zu erinnern, dass wir es bei einer Lesung nicht mit einer freien oder gar improvisierten Rede zu tun haben: „Ich habe des Auftrag, heute aus dem Buch… zu lesen“. Die materiellen Gegebenheiten bezüglich Hörbarkeit und Rezeption einer Schriftlesung sind dabei keineswegs zu unterschätzen. Sinn und Materie werden untereinander in Bezug gebracht, im liturgische Vollzug wie bei jedem Kunstwerk.

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Der Text über die Eindrücke vom Friedhof beginnt mit der Beobachtung der Bezüge verschiedener Friedhöfe zu ihrer Umwelt. Diese sind frappant unterschiedlich, je nach kulturellem Umfeld. Das Ablegen von Gegenständen  – zum Beispiel Blumen  – ist mehr Konvention als Ausdruck eines inneren Geschehens. Was bedeutet und bringt die Trauerarbeit der Hinterbliebenen? Die Ambivalenz zwischen Gedächtnis und Vergessen, Festhalten und Loslösen ist frappant. Wie gehen wir mit der Realität des Todes um? Das Sublime und das Lächerliche, auch Oberflächliche liegen auf einem Friedhof eng nebeneinander. Ein moderner französischer Historiker kommt in diesem Zusammenhang auf das Konzept vom Erlebnis „Tod“. Klöckener, Martin / A mherdt, François-Xavier / Loiero, Salvatore (Hg.): Noch ist es wie Morgenröte … / Comme à l’aube… Academic Press Fribourg: Fribourg 2017, 324 S. Vertreter der Departemente für Praktische Theologie der westschweizerischen Universitäten sammeln Berichte von einer zweisprachigen Doktoratsveranstaltung zum Thema Liturgie und Pastoral unter dem Anspruch des Zweiten Vatikanischen Konzils. Die Beziehung zwischen Kontextualität, Katholizität und Konziliarität ist spannungsvoll. Auf initiative interkulturelle Fährleute (abgleitet von Fährmann) warten große Aufgaben. Die drei Herausgeber des beachtenswerten Bandes sind Professoren der theologischen Fakultät der Unversität Freiburg (Schweiz), von denen der eine, F.-X. Amherdt, nicht nur das zwanzigseitige Editorial verfasst, sondern auch den Schlüsselbegriff oder die für das Gelingen dieser Sache entscheidende Funktion ins Gespräch bringt und analysiert: der Fährmann, oder auch die Fährfrau, wobei die weibliche Form der Funktion zu Unrecht noch unterbeleuchtet bleibt. Im französischen Sprachgebrauch gibt es bemerkenswerter Weise den passeur und die passeuse. Amherdt titelt: Passeurs d’Evangile, passeurs de culture. Es geht ihm und ging dem zweisprachigen Doktoratskolloqium um eine Pastoral, die durch Austausch Leben weckt (oder erweckt) in den zwischen den kulturell und sprachlich unterschiedlichen europäischen Kirchengebieten. Die Herausgeber liefern mit ihrer eigenen akademischen Praxis an der mehr- oder jedenfalls zweisprachigen Universität Freiburg / Schweiz ein überzeugend erfolgreiches Beispiel des pastoralen und darüber hinaus allgemein theologischen, auch ökumenischen Austausches. Neben den etablierten freiburgischen Professoren stellen wir hier gerne den Afrikaner Dieudonné Mushipu Mbombo – Lausanner Doktor der Philosophie, in Genf in Erziehungswissenschaften diplomiert und Dr. theol. in Freiburg CH). Sein Beitrag handelt von der afrikanischen Rezeption der in Europa entstandenen pastoralen Konzilskonstitution. Im Blick auf unser auf Liturgik ausgerichtetes Interesse seien hier noch zwei Kapitel speziell erwähnt. Das Kapitel von Andreas Heinz, emeritierter Professor in Trier, zu vorkonziliaren Zusammenarbeit deutsch- und französischsprachiger Liturgiewissen­ schaftler im Vorfeld und während des Konzils, und dann die von einem italienischsprachigen Schweizer Doktoranden, Davide Pesenti, untersuchte Rezeption der Liturgiekonstitution in der Schweiz in einer transkuturellen Perspektive. Lossky, André / Sekulovski, Goran / Pott, Thomas (Hg.): Le corps humain dans la Liturgie. Semaine d’études liturgiques à Paris Saint-Serge 65). Aschendorff: Münster 2019, 401 S. Durchs ganze 20. Jahrhundert, mit wenig Unterbrüchen, hat beim Pariser Orthodoxen Institut Saint-Serge die Ökumenische Liturgische Studienwoche stattgefunden. 2018 war das Thema der Woche Der Menschliche Körper in der Liturgie. Unter den rund 30 Beiträgen sei hier auf drei Beiträge hingewiesen. Die Autoren sind der junge orthodoxe Adrian Florentin Craciun aus Rumänien, dann der gebürtige Schweizer

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und nun an der Protestantischen Theologischen Fakultät in Paris und am Institut Catholique von Paris lehrende Nicolas Cochand und schließlich der belgische Katholik André Haquin, ehemaliger Professor in Louvain-la-Neuve, der als eine der tragenden Säulen der Semaines de Saint-Serge anzusprechen und zu respektieren ist. Craciun betitelt seinen Beitrag an der 65. Semaine de Saint-Serge: Der menschliche Körper in der Liturgie. Er stellt fest, dass das Herz für den modernen Menschen als Ort der Gefühle gilt, während die traditionellen Kulturen dem Herzen Intuition und intellektuelle Funktionen zuweisen. Im patristischen Denken ist das Herz der Ort, an dem der Mensch an der Kommunion als Zentrum seines geistlichen Lebens Anteil nimmt. So steht am Anfang der eucharistischen Feier als tragendes Element der Aufruf: Sursum corda – Die Herzen empor. Der Titel des Beitrages von Craciun lautet Das Herz – psychosomatisches Organ der eucharistischen Liturgie. Die Liturgie bezeugt, dass der menschliche Körper oder Leib in Verbindung mit dem Innersten des Menschen steht. Nicolas Cochand verweist unter dem Titel Das Niederknien in der reformierten liturgischen Tradition in Frankreich auf die Unterschiede zwischen Lutheranern und Calvinisten vom 16. Jahrhundert bis zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Er verweist aber auch auf den unbewussten, aber autoritären Einfluss royalistischer oder dann demokratischer Gewohnheiten auf die sichtbare und betont manifestierte Frömmigkeitspraxis von protestantischen Gläubigen in Frankreich. Müller, Denis: Petit Dictionnaire de théologie. Genève: Labor et Fides, 2021, 256 S. Denis Müller ist Honorarprofessor in Ethik an der Universität von Genf (CH). In einem kleinen Nachschlagewerk fasst er – nunmehr im Ruhestand – die christlichen ethischen Grundlagen seines pastoralen und universitären Wirkens zusammen. Wir greifen daraus einige Artikel heraus, um uns ein Bild von Denis Müllers Vorstellungen zu machen und unsere eigenen ethischen Überzeugungen zu prüfen. Mehr als hundert theologische Begriffe werden von ihm angesprochen. Interessant ist in meinen Augen, dass der Professor für christliche Ethik (aus Neuenburg in der Schweiz gebürtig und theologisch vorab von Karl Barth inspiriert) ziemlich an den Anfang seines kleinen moralischen Lexikons den Begriff Freundschaft stellt. Die konventionellen Vorstellungen werden knapp erwähnt und dann kommt die Frage, ob Freundschaft denkbar ist als Beziehung zwischen Mann und Frau. Der Artikel Amitié wird abgeschlossen mit dem Hinweis auf die von Christus inspirierte Freundschaft (vgl. Joh 15,14–15). Weitere von Müller angesprochene theologische Begriffe sind zum Beispiel: Ehe, Tod, Prädestination, Wahrheit, Glück und manch anderes, das in der Bibel zu finden ist. Der letzte Artikel ist dem Begriff Gewalt (franz. Violence) gewidmet. Ein Begriff von zweifacher, nämlich horizontaler und vertikaler Dimension. Nach Müllers Erkenntnis kann Gewalt auch mit Gott respektive den Göttern zu tun haben. Parmentier, Elisabeth / Daviau, Pierrette / Savoy, Lauriane (Hg.): Une bible des femmes. Labor et Fides: Genève 2018, 287 S. Eine Gruppe von 20 Frauen hat sich 2019 unter der Leitung der evangelischen Professorin Elisabeth Parmentier zusammengetan, um in der Bibel Alten und Neuen Testamentes Fragen, die Frauen betreffen und interessieren, hervorzuheben. Das Unternehmen möchte scharfsichtig und rebellisch sein. Es ist nicht unbedingt neu – 1898 ist unter dem Titel Woman’s Bible erschienen – damals ein erster Versuch feministischer Bibellektüre in der anglophonen Welt. Die ersten Beiträge des nunmehr neuen Buches stehen unter dem Titel Les visages féminins de Dieu / Weibliche Erscheinungen Gottes, ein weiteres Kapitel stellt fest: Es gibt Subordination / mUnterwerfung

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und Subordination, und das letzte Kapitel stellt die Frage: Gibt es eine Rettung durch Mutterschaft? Interessant an diesem Buch von zeitgenössischen Autorinnen finde ich, dass die aufgeworfenen Fragen nicht in historischer und distanzierter exegetischer Abstraktion behandelt werden, sondern in direktem Bezug auf die Gegenwart. In dem Kapitel zur überforderten Martha und schweigenden Maria stellen Elisabeth Parmentier und Sabine Schober ihre persönlichen Fragen, wie Lebe ich das Leben, das ich leben möchte? und Kann ich Erfolg haben? Es geht bei solcher Bibellektüre nicht um abstrakte Betrachtung, sondern effektiv um existentielle Probleme zeitgenössischer Autorinnen, die sich von biblischen (hier insbesondere alttestamentlichen) Texten hinterfragen lassen. Von Isabelle Lemelin und von Bettina Schaller stammen zwei Kapitel, die sich mit der Problematik Feminität und Männlichkeit und dann zur Ambiguität der Unterordnung von Personen auseinandersetzen, die bibelgeschichtlich aufschlussreich und dann vor allem geschlechterbezogen herausfordernd sind. Pelletier, Anne-Marie: L’Eglise, des femmes avec des hommes. Les Editions du Cerf: Paris 2019, 248 S. Pelletier ist französische Forscherin in Literatur und Religionswissenschaften. Sie beruft sich im Vorwort des vorliegenden Buches auf ein Gespräch von Papst Franziskus mit einem Jesuiten und Direktor der Civilità Cattolica knapp ein halbes Jahr nach dem Antritt des Pontifikates durch Franziskus. Der Papst verwies auf die Notwendigkeit, die Reichweite der weiblichen Gegenwart im kirchlichen Bereich zu vergrößern und plädierte für die Entwicklung und Vertiefung einer Theologie der Weiblichkeit. Die Gegenwart der Frau in den verschiedenen Autoritätsbereichen der Kirche ist in den Augen von Papst Franziskus dringlich. Der Konkretisierung und Verwirklichung dieser Anliegen möchte das Buch von Anne-Marie Pelletier dienen. Speziell wichtig in dem Buch ist bestimmt das vierte Kapitel Das Zeitalter der Frau als besondere Gelegenheit für die Entwicklung der Kirche (12–188). Die Ausführungen des Apostels Paulus im Galaterbrief mit seinen Ermahnungen, die Spaltung der Gemeinschaft nicht aufkommen zu lassen, ist hier wegweisend. Das Ganze endet mit dem Fazit Frauen mit den Männern (241–244). Der Verweis auf ein Pauluswort in Gal 3,28 ist grundlegend: Nicht mehr Mann und Frau, alle seid ihr einer in Christus Jesus. Petitjean, Anne-Marie: De l’offertoire à la prépation des dons. Genèse et histoire d’une réforme. Aschendorff: Münster 2016, X, 727 S. Petitjean ist katholische Liturgiewissenschaftlerin in Paris, wo sie im Jahr 2000 am Institut Catholique eine Dissertation zur Erlangung des Dokotrates eingereicht hat; der Text einer langjährigen Forschungsarbeit hat das vorliegende Buch von mehr als 700 Seiten ergeben. Begleiter und Animator der Arbeit war der nun verstorbene Dominikaner Pierre-Marie Gy, inwiefern die Feier der Eucharistie oder der Messe eine Opferdarbringung ist. Die Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanum hat die Problematik jedenfalls für die römisch-katholische Messe mit dem Schritt vom historisch belasteten und missverständlichen Offertorium zur Gabenbereitung im Messordo von 1969 zu klären unternommen. Der neue Ordo Missae sollte dem vom Konzil in Nr. 50 der Liturgierkonstitution ausgedrückten Auftrag Genüge tun. Bekannt ist die gewichtige Intervention von Papst Paul VI. am Schluss der Revision mit einer prozessionalen Darbringung von Brot und Wein und der Erwähnung der Frucht der Erde und der menchlichen Arbeit vor dem Gabengebet zur Annahme unserer Präsente (unseres Opfers) durch Gott.

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Gabenbereitung und Eucharistiegebet dürfen demnach nicht mehr konkurrent sein und die Gabenbereitung nicht Anamnese und Epiklese vorwegnehmen. Das vorkonziliare Offertorium schloss bekanntlich mit der Bitte, dass die von uns dargebrachten Opfer unserem Heil dienen. Die verschiedenen Teile des Buches von Petitjean dokumentieren die Entwicklung des Reformprozesses vom traditionellen Offertorium zur neuen Gabenbereitung, angefangen in der Lturgischen Bewegung mit ihren Experten und dann in den internationalen katholischen liturgischen Treffen der fünfziger Jahre (mit Lugano 1953 und Assisi 1956), schließlich der Konzilsvorbereitung und dem Zweiten Vatikanischen Konzil selber sowie im Consilium ad exsequendam Constitutionem de Sacra Liturgia von 1964–1969. Es ging dabei um viele Details mit begreilicherweise unvermeid­lichen Diskussionen, aber auch um Grundsatzentscheide. Das richtige Verständnis der biblischen berakah / berakoth ist ebenso wichtig wie die zeitgenössisch verständliche Erwähnung der menschlichen Arbeit bei der Segnung der Frucht der Erde. Die Wiedergabe des traditionellen lateinischen offerimus, richtig verstanden im Zusammenhang mit der dankend antwortenden biblilischen Segnung als berakah, muss unter Vermeidung von missverständlich sakrifiziellen Opfervorstellungen in den modernen Sprachen ausgedrückt werden: auf französisch sagt man infolgedessen: „Nous te présentons, Dieu, ce pain, fruit de la terre et du travail des hommes (idem en italien: presentiamo)“, deutsch hingegen: „Herr unser Gott, wir bringen dieses Brot vor dein Angesicht“. Auch die Beteiligung der Gläubigen an der vom ordinierten Diener vollzogenen Handlung muss ihren richtigen Ausdruck finden. Die vielleicht für den gewöhnlichen Leser eines theologischen Buches und erst recht für einen bescheidenen Teilnehmer an der Liturgie reichlich umfangreich und komplex gewordenen Ausführungen von Anne-Marie Petitjean lassen uns die komplexe und subtile Geschichte der Liturgie anhand eines speziell signifikativen Teils der eucharistischen Feier ahnen. Das Buch führt uns auch klar vor Augen, dass liturgisches Geschehen und Schöpfung einer Liturgie ein subtil zusammenhängendes Geschäft biblischer und patristischer, auch christologischer und ekklesiologischer, pastoraler und nicht zuletzt eschatologischer Dimensionen und Komponenten ist. Prétot, Patrick: L’adoration de la croix. Triduum pascal (Lex orandi), Les Editions du Cerf: Paris 2014, 476 S. Frère Patrick, Benediktiner der burgundischen Abtei La Pierre qui vire, eröffnet sein großes Buch (Dissertation an der Universität Sorbonne und beim Institut catholique de Paris im Verbund)  mit einem Zitat von Jürgen Moltmann aus dessen Werk Der gekreuzigte Gott: „Die Kirche und die Theologie müssen heute des Gekreuzigten gedenken um der Welt ihre Freiheit zu zeigen – wenn sie wirklich sein wollen, was sie zu sein beanspruchen.“ Für Prétot gehören Eschatologie und Geschichte zusammen und die Beziehung zwischen Ostern und Christi Leiden ist grundlegend (das denkt auch der amerikanische Jesuit Robert Taft). In Jerusalem wird die Kreuzreliquie seit dem Ende des 4. Jahrhunderts verehrt. Helena, die Mutter von Kaiser Konstantin, hatte diese in Jerusalem gefunden. Die Kreuzanbetung ist in Jerusalem Mittelpunkt der österlichen Liturgie (anderswo spricht man eher von einer Kreuzverehrung). Eine solche ist seit den unerträglichen Ereignissen im 20. Jahrhunderts freilich auch Stein des Anstoßes zwischen Juden und Christen. Kreuzanbetung und Karfreitagsliturgie haben nach Prétot die hermeneutische und theologische Aufgabe – in Gebet und Schriftgebrauch wie im christlichen Glauben überhaupt – die Verbindung von Christi Leiden und der österlichen Auferstehung zu bekräftigen. Ostern gibt es nicht ohne das Kreuz Christi. Das ist eine schwer erträg-

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liche, aber doch unumgängliche Evidenz. Sie ist ökumenisch, aber auch im christlichjüdischen Dialog ernst zu nehmen. Scarcez, Alicia: Liturgie et musique à l’Abbaye cistercienne Notre-Dame de la Fille-Dieu (Romont). Histoire et catalogue des sources des sept siecles de vie chorale (SFS 25). Academic Press Fribourg: Fribourg (CH) 2015, 240 S. Die belgische Musikwissenschaftlerin hat die Darstellung von sieben Jahrhunderten choralen Gebetes der Zisterzienserinnen aufgrund der von ihr vor Ort aufgenommenen und minutiös erforschten Archivs der Schwesternschaft unternommen. Die noch weiterführende Arbeit wird vom Schweizerischen Nationalfonds getragen und von mehreren Organsationen zur Erhaltung des zisterziensischen Erbes in Romont unterstützt. Die vorliegende Publikation ist ein Rechenschaftsbericht über bisher geleistete Arbeit zur Erfassung eines mit Lied und Gebet sich gestaltenden monastischen Lebens und eine Auflistung der in Betracht zu ziehenden Stücke mit ihrem Text und ihrer je eigenen Melodie. Die zahlreichen farbigen Illustrationen, die erlauben, sich ein Bild vom Ablauf und vom Gehalt der gesungenen Zisterzienserliturgie zu machen, verleihen dem Buch seine gewinnende und überzeugende Lebendigkeit. Das etwas mehr als 200 Seiten umfassende Band von Alicia stellt eine virtuelle Wiederherstellung der mittelalterlichen Bibliothek der Abtei dar. Die Abtei war von ihren Anfängen her eng verbunden mit dem Unternehmen der liturgischen und musikalischen monastischen Reform des Zisterzienserordens, die Bernhard von Clairvaux um 1140 in die Wege geleitet hatte. Das Vorwort stellt zusammenfassend fest: „Sieben Jahrhunderte Choralgebet als Dialog mit dem Mysterium, das – mehr als Menschenwerk – Ursprung und Quelle des Lebens darstellt.“ Wichtig ist auch die ergänzende Erklärung: „Die Riten stellen einen fortlaufenden Wachstumsprozess dar, in den sich die Gemeinschaften, die einen nach den andern, eingliedern und dabei verwandeln oder besser gesagt verklären lassen.“ Die klösterliche Liturgie ist also keineswegs einfach dekorative oder routinemässige Zusatzbeschäftigung, sondern Fundament des gemeinschasftlichen Lebens von Brüdern oder Schwestern vor Gott. Der hier angesprochene Wachstumsprozess macht ernst mit den Tatsache, dass die Brüderlichkeit nicht auf den Austausch unter den im gegenwärtigen Augenblick Anwesenden beschränkt bleibt, sondern zeitlich und örtlich umfassend darüber hinausgreift. Der erste Teil des Buches enthält dann die historische Beschreibung des liturgischen und musikalischen Lebens im Kloster der Fille-Dieu in Romont, mit Einfühlungsgabe und sorgfältiger Respektierung der Gegebenheiten durch die Autorin. Der zweite und der dritte Teil Buchteil enthalten den Katalog der Handschriften, ebenfalls durch die Autorin in aufwendiger Kleinarbeit sorfältig zusammengestellt. Weit mehr als eine Fleißarbeit zur Registrierung und Auflistung der Dokumente einer ehemals bedeutsamen Klosterbibliothek ist das reich illustrierte Buch von Alicia Scarcez eine lebendige Darstellung der gesungenen Liturgie der Zisterzienserabtei der Fille-Dieu im Verlauf der Jahrhunderte mit ihren Besonderheiten und ihrem Reichtum. Dazu gehört die besondere Devotion zum Herzen Marias oder auch die Verehrung der Reliquien von Radegunda von Poitiers aus dem 15. Jahrhundert, oder die uns näherliegende Verehrung des Nikolaus von Flüe, wie in allen zisterziense­ rischen Häusern der Diözese von Lausanne seit dem Ende des 18. Jahrhunderts mit dem Eigenhymnus Coeli beate cognitor. Besonders beachtenswert ist neben dem Choralgebet auch die Arbeit im Skriptorium und im handwerklichen Atelier für die Buchbinderei. Man arbeitete dort weitgehend unter Rezyklierung früherer Bände – mit den kollateralen Schäden, die man sich vorstellen kann. Sobrietät ist aber ein speziell zisterziensisches Merkmal.

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Scarcez beschließt ihren Rückblick auf das Gesamtwerk mit der Feststellung: „Ein Jahrhundert nach dem andern stellt der Verbund von Liturgie und Paraliturgie, Profanem und Sakralem, Jahrhundertaltem und Zeitgenössischem, Universellem und Besonderem, von gemeinschaftlichem Lob und persönlicher Frömmigkeit einen Beitrag zum ewigen Hymnus in den himmlischen Wohnungen dar.“ (62) Steinmetz, Michel: La musique: un sacrement? La médiation de la musique rituelle comme lieu théologique: une participation à l’épiphanie du mystère de l’Eglise. Editions Parole et Silence: Paris 2018, 221 S. Steinmetz ist katholischerr Liturgiewissensahftler – tätig an der Universitàt und in der Kirche von Straßburg. Es geht ihm darum, den Platz der Kirchenmusik in der Kirche der Gegenwart zu klären. Sie ist in seinen Augen dazu berufen, das Wesen der Kirche im sonoren Bereich auszudrücken, wo der bloß sprachliche Ausdruck versagt. Das Zweite Vatikanische Konzil hat für die liturgische Musik eine neue Bezeichnung geschaffen: sakrale Musik als ministerialer Dienst (munus ministeriale). Steinmetz geht es darum, die Musik über eine Anthropologie des Ritus für den Ausdruck des Glaubenslebens in Anspruch zu nehmen. Was bedeutet und leistet die Musik zum Ausdruck menschlicher Gottesbeziehung? So wird die Musik zu einem Teil des sakra­mentalen Ausdruckes oder der Erscheinung des Mysterium Gottes. Die Musik ist nicht direkt ein Sakrament, aber im Dienst der Verwirklichung der sakramentalen Gottesgemeinschaft glaubender Menschen hat sie eine mehr als bloß dekorative Funktion. Die ministeriale Funktion der Kirchenmusik besteht darin, eine Beteiligung der Gläubigen am Heilsgeschehen zu verwirklichen. Sie verwirklicht eine akustische Präsenz Christi. Sie verwirklicht sonorisch eine Christusgegenwart. Steinmetz beschließt seine Studie mit einer globalen kritischen Frage: „Kann die Liturgie eine sakrale Musik ertragen?“ Die Frage ist nicht rhetorisch, insofern die Beziehungen zwischen Theologie und sakraler Musik immerzu problematisch gewesen sind. Das Postulat des Zweiten Vatikanischen Konzils für einen Munus ministerialis für die Kirchenmusik kann die Situation mindestens für die Römisch-katholische Kirche klären. So kann Ratzinger, der Kardinal und spätere Papst, erklären: „Die wahre Liturgie singt mit den Engeln, schweigt mit den tiefsten Lauten in der Erwartung. So befreit sie die Erde.“ Wackenheim, Michel: Le signe de croix. Un geste pascal dans la vie liturgique. Les Editions du Cerf: Paris 2021, 424 S. Wackenheim (geb. 1945) ist ein verdienstvoller katholischer Priester von Straßburg, der sich vor allem für die Animation des geistlichen Lebens in der Straßburger Kathedrale Jahrzehnte lang eingesetzt hat. Er ist auch Schöpfer neuer liturgischer Gesänge. Das uns vorliegende Buch ist als Dissertation an den katholischen theologischen Fakultäten von Paris und Fribourg (CH) entstanden und in Fribourg 2018 angenommen worden auf den Vorschlag der Litiurgiewissenschaftler Martin Klöchener (Fribourg) und Patrick Prétot, vom Institut Catholique de Paris. Die mehr als 400-seitige Dissertation von Wackenheim über Sinn und Bedeutung des liturgischen Kreuzzeichen der Gläubigen wird vom Autor als österliche Geste im Leben und Gottesdienst der Christen betrachtet. Er beruft sich für diese Meinung einleitend auf die Aussagen von zwei kirchlichen Persönlichkeiten der jüngsten Vergangenheit, nämlich den ökumenischen Respekt verdienenden Theologen Yves C ­ ongar und den später zum römischen Papst ernannten Joseph Ratzinger. Von C ­ ongar übernimmt er die Aussage: „Eine Handlung ist synthetisch, eine Geste umfassend. Meine ganze Liebe liegt in dem Kuss, den ich gebe, selbst wenn er zerstreut wäre. Mein ganzer Glaube ist selbst in dem flüchtigsten meiner Kreuzeszeichen ausgedrückt.“

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Von Ratzinger übernimmt Wackenheim die Meinung: „So können wir sagen, dass im Kreuzeszeichen mit der trinitarischen Anrufung das ganze Wesen des Christentums zusammengefasst, das unterscheidend Christliche dargestellt ist.“ (9) Wir beschließen diesen Literaturbericht über die Dissertation Wackenheim mit dem Hinweis auf den zehnseitigen Gesamtabschluss des Buches (373–383). Der Autor stellt an den Anfang seiner Schlussbetrachtung die Feststellung, dass das Kreuzeszeichen ein Zeichen des Abschlusses und der Auferstehung ist, das allen verkündet, dass der letzte Sinn des Kreuzes die volle Gabe Gottes ist und dass diejenigen, die sich durch Gott in den Prüfungen des Lebens berühren lassen, sicher sein dürfen, von den Ketten des Bösen befreit zu werden. Michel Wackenheim schließt sein breit angelegtes Werk mit einer einfachen Fragestellung: „Könnte man das Kreuz-Zeichen als kleine und stille, aber hell leuchtende Flamme zum Zeichen dafür verstehen, dass sich in der ergreifenden Stille des Karfreitages das Geheimnis von Gottes Transzendenz enthüllt, die nichts anderes ist als überschwängliche Liebe für den Menschen?“ Das Risiko des wortreichen Werkes von Wackenheim ist dann freilich, dass die Einfachheit von Gottes Liebe sich in überschwänglicher Rede verliert. Aus einer protestantischen Sicht der Dinge wird man freilich gegenüber dem breitangelegten und entfalteten Werk von Michel Wackenheim vermerken, dass die evangelischen und reformierten Vorbehalte gegenüber der liturgischen und frommen Praxis des Kreuzeszeichen auch in der Gegenwart nicht verschwiegen werden können. 2

2 Z. B. Hans-Ruedi Weber (Hg.): Depuis ce vendredi-là. La croix dans l’art et la prière. Ed. Centurion / Labor et Fides: Paris / Genève 1979. Auch Jean Zumstein: Le procès de Jésus, in: Miettes exégétiques (1991) 337–353.

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Jörg Neijenhuis

I. Quellen Ganss, Karin: Das Offiziumslektionar von Sainte Marie-Madeleine in Faronville bei Melun. Eine Studie zu Geschichte, Aufbau und Quellen der Handschrift latin 14281 in der Pariser Nationalbibliothek (Corpus victorinum 8). Aschendorff: Münster 2021, 623 S., 3 schwarz-weiß Abb. Im Jahr 1108 gründete Wilhelm von Champeaux vor den Toren von Paris eine Gemeinschaft, die den hl. Victor von Marseille zu ihrem Patron wählte. Im Jahr 1113 wurde der Gründungsakt von König Ludwig VI. schriftlich festgehalten; sie zu einer Abtei Saint Victor erhoben und blieb bis zur Französischen Revolution bestehen. Die Gemeinschaft befolgte die Regeln Augustins und waren Augustinerchorherren. Diese Abtei entwickelte sich zu einem intellektuellen und theologisch-spirituellen Zentrum für ganz Europa. Die regulierten Kanoniker feierten das Stundengebet mit neun Lektionen. Das hier untersuchte Offiziumslektionar gehörte dem Prioriat Sainte Marie-Madeleine in Faronville bei der Stadt Melun in der Erzdiözese Sens. Das Lektionar umfasst 309 Blätter, auf dem ersten Blatt sind zwei Besitzeinträge zu finden: es ist Eigentum des Priorats in Faronville als auch der Mutterabtei in Paris. Die Handschrift ist zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstanden. Das Lektionar umfasst 1397 Perikopen, die im nächtlichen Stundengebet im Sommerhalbjahr von Pfingsten bis Advent vorgetragen wurden. Im ersten Teil für das Temporale sind 409 Perikopen für die Wochentage und Sonntage für die ersten beiden Nokturnen zu finden, der zweite Teil mit 96 Lektionen ist für die dritte Nokturn an Sonntagen bestimmt, und der dritte Teil mit 809 Lektionen stellt das Sanctorale dar. Die Perikopen der ersten beiden Nokturnen sind Bibeltexte aus der Vulgata, für besondere Festtage sind Kirchenvätertexte vorgesehen. Die dritte Nokturn enthält für das Temporale an Sonntagen patristische Literatur. Die Perikopen des Sanctorale sind Texte der Kirchenväter und anderer altlateinischer Autoren; die textlichen Vorlagen konnten der Viktorinischen Bibliothek zugeordnet werden. Diese Handschrift ist ein Unikat und ein liturgischer Zeuge der Ordines-Lehre des Hugo von Saint Victor. Die dritte Nokturn zeigt, dass es keinen Perikopentext für die Sonntage gibt ohne einen Kirchenvätertext. Den Kirchenvätern kommt eine umfassende Autorität in der Auslegung des Neuen Testaments zu. Isidor von Sevilla: De origine officiorum / Ü ber den Ursprung der kirchlichen Ämter (FC 95). Eingeleitet und übersetzt von Gerd Kampers. Herder: Freiburg i. Br. 2021, 283 S. Hiermit wird die erste deutsche Übersetzung dieser Schrift von Isidor von Sevilla vorgelegt, bisher gibt es eine englische (2008) und zwei spanische (2007 und 2011)

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Übersetzungen. Als lateinischer Originaltext wird die Edition von Chr. M. Lawson (CCL 113) von 1989 verwendet. Lawson hat der Schrift den Titel De ecclesiasticis officiis gegeben – dem Kampers nicht folgt, sondern auf den höchstwahrscheinlichen Originaltitel von Isidor verweist –, weil Isidor nicht allein über kirchliche Ämter geschrieben hat, sondern auch über die Liturgie, ihre Gebräuche, Festzeiten, Stundengebete, den Klerus, über Mönche und Nonnen, Eheleute und Witwen etc. und Einblicke in das gesellschaftliche Leben im hispano-gallischen Wisigotenreich gibt. Denn der Begriff officium bezeichnet sowohl eine geistliche Amtshandlung wie den Gottesdienst oder die Liturgie als auch das kirchliche Amt selbst. Isidor hat diese Schrift auf Bitten seines Bruders Fulgentius verfasst, der von ca. 610 bis ca. 624 Bischof von Astigi war. Die germanischen Invasionen Spaniens hatten das kirchliche Leben in Unordnung geraten lassen: „Kirchen und kirchliche Gebäude wurden zerstört oder aufgegeben, in der Liturgie verbreiteten sich Nachlässigkeiten und Missbräuche, in Klerus und Mönchtum mangelte es an Disziplin und Ausbildung.“ Isidor reorganisierte  – wie andere Bischöfe auch – die Kirche „und er schuf dafür mit De originis officiorum sozusagen einen kanonischen Leitfaden und zugleich ein Nachschlagewerk für Fragen der Liturgie und der kirchlichen Disziplin vor allem für den Klerus, namentlich die Bischöfe.“ (41) Kampers führt zunächst in diese Ausgabe ein, gibt eine biographische Skizze von Isidor, charakterisiert Isidors literarisches Werk und gibt einen Überblick über diese Schrift. Sie setzt sich aus zwei Büchern zusammen. Im ersten Buch wird über die Liturgie, ihre Gesänge, Lesungen, Zeremonien des Messopfers wie z. B. über die sieben Gebete des Messkanons oder über den Kommunionempfang, über das Stundengebet, dann über Feste des Kirchenjahres gehandelt. Das zweite Buch ist ganz den Amtsträgern der Kirche gewidmet: über ihr Verhalten, ihre Werte und Normen, ihr geistliches Leben (Schriftlesung, Gesang z. B. der Psalmen oder Hymnen), die Tonsur, über ihre Ordination, gute Kenntnisse der Heiligen Schrift, angemessene Sprache bei jedem Anlass; es ist das rechte Verhältnis von Demut und Autorität zu wahren. Knapp werden weiter geistliche Amtsträger beschrieben: Chorbischöfe, Presbyter, Diakone, Sakristane, Subdiakone, Lektoren, Psalmisten, Exorzisten und Ostiarier; ausführlicher das monastische Leben von Mönchen und Nonnen. Dann, obwohl nicht zu den kirchlichen Ämtern gehörig, die christlichen Stände der Poenitenten, Jungfrauen, Witwen, Eheleute, Katechumenen und Taufbewerber. Das zweite Buch endet mit Bemerkungen zum Credo, zu den Regeln des Glaubens, zur Taufe, zur Weihe des Chrisamöls und zur Firmung. Abkürzungsverzeichnisse, Bibliographien und Register ermöglichen ein zielführendes Arbeiten mit dem Text. Justin: Apologiae / Apologien. Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Jörg Ulrich (FC 91). Herder: Freiburg i. Br. 2021, 267 S. Endlich liegt eine neue deutsche Übersetzung von Justins Apologien vor – meist griff man bislang auf die Übersetzung von Gerhard Rauschen in der Bibliothek der Kirchenväter von 1913 zurück –, wobei diese hier von Jörg Ulrich gebotene Übersetzung schon 2019 in der Reihe Kommentar zu frühchristlichen Apologeten (KfA) als Band 4/5 erschienen ist. Ulrich hat für diese handliche Publikation der Fontes Christiani die Übersetzung aus KfA übernommen, „neu durchgesehen und an einigen wenigen Stellen überarbeitet.“ (61) Die textliche Grundlage ist der Codex Parisinus graecus 450, dessen Fertigstellung auf den 11. September 1364 datiert ist. Dieser Codex ist aber von schlechter Qualität, weil er viele Lücken, Abschreibefehler und Randbemerkungen enthält. Das stellt das Textverständnis vor erhebliche Probleme. Die erste Edition erfolgt 1551 in Paris, wegweisend erwies sich die Edition von Johann Carl Theodor Otto im Jahr 1876. Die meistbenutzte Edition des 20. Jahrhunderts ist die von Edgar

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Goodspeed aus dem Jahr 1914. Miroslav Marcovich legte 1994 eine neue Edition vor, die versuchte stilistische Verbesserungen des Textes zu begründen, 1995 legte Charles Munier in der Reihe Sources Chrétiennes eine Edition vor, die dem Parisinus graecus 450 zwar strikt folgt, Munier hat aber auch die theologischen und philosophischen Probleme und den geistig-kulturellen Kontext der Apologien herausgearbeitet. Die dritte Neuedition erschien 2009 von Denis Minns und Paul Parvis und wartete mit einer großen literarkritischen Überraschung auf, weil sie den Schluss der zweiten Apologie an das Ende der ersten Apologie setzte. Die Herausgeber gehen davon aus, dass der Abschreiber des Parisinus graecus 450 einen ihm vorliegenden schadhaften Text schon verbessern wollte, um Kohärenz des Textes zu erreichen. Die Ausgabe von Minns / Parvis will den ursprünglichen Text rekonstruieren. „Dieses Vorgehen verleiht der Edition eine imponierende Geschlossenheit.“ (59) Ulrich macht sich dieses Vorgehen zu eigen und nimmt diese Textedition als Grundlage seiner Übersetzung einschließlich der Versetzung des Schlusskapitels; an wenigen Stellen weicht Ulrich vom edierten Text ab, die er in seiner Einleitung vermerkt. Die Einleitung informiert zunächst über Leben und Werk Justins des Märtyrers, seinen historischen und geistesgeschichtlichen Kontext. Es folgen die Grundzüge der Theologie Justins: Ethik, Anthropologie, Gottesauffassung, Logoslehre, Dämonologie, Eschatologie. Es folgen die Einleitungsfragen zu Justins Apologien: die literarische Form, das Verhältnis der Apologien zueinander, Entstehungszeit und -ort, die Adressaten, das Profil der Apologien und ihr Aufbau und ihre Gliederung. Die Rezeptionsgeschichte, Textüberlieferung, Editionen und Übersetzung beschließen das Einleitungskapitel. Es folgten für beide Apologien der griechische Text und die Übersetzung. Im Anhang finden sich Abkürzungsverzeichnisse, Bibliographie zu Quellen und Literatur, Register zu Bibelstellen, Namen, Sachen und griechischen Begriffen. Pahl, Irmgard / Böntert, Stefan (Hg.): Sacrum Convivium. Die Eucharistiegebete der westlichen Kirchen im 20. und frühen 21. Jahrhundert. Bd. 1: Kirchen der Reformation (SpicFri 49). Aschendorff: Münster 2021, 548 S. Die beiden Herausgeber stellen in ihrem Vorwort heraus, dass im 20. Jahrhundert die Eucharistie bzw. das Abendmahl eine enorme Aufmerksamkeit erfahren hat wie in keinem Jahrhundert zuvor. In allen Konfessionen ist es wohl der kulturelle Wandel, der auch diese Sakramentsfeier erfasst und zu weiterer Arbeit angeregt hat. Zugleich gab es in der ökumenischen Bewegung vielfache Begegnungen und es haben sich neue Erfahrungsräume eröffnet, die die Erforschung und Entwicklung der entsprechenden Sakramentsliturgien befördert haben. Dieser Quellenband will dazu einen Beitrag leisten. Er knüpft damit an seine Vorgänger an: Prex Eucharistica (1968/1998), Coena Domini (Bd. I 1983, Bd. II 2005), Prex Eucharistica (Bd. III / I, 2005). Mit diesem Band werden nun die Abendmahls- und Eucharistiegebete der Kirchen der Reformation vorgelegt. Die Herausgeber haben das Konzept des Editionsprogramms beibehalten. Zum einen werden die Eucharistie- und Abendmahlsgebete dokumentiert, zum anderen werden ihnen die historischen Entwicklungslinien, dazu Erklärungen und die liturgischen Vollzüge vorangestellt. Quellenangaben und Literatur ermöglichen weitere Forschungen. Eine vollständige Dokumentation aller Abendmahls- und Eucharistiegebete der reformatorischen Kirchen kann nicht erwartet werden, aber eine Auswahl, die als liturgisch und theologisch relevant für die jeweilige Kirche angesehen wird, liegt vor. So kann der Charakter der Feiern der unterschiedlichen reformato­ rischen Kirchen ersehen werden. Der erste Teil dokumentiert das Abendmahl für die lutherischen und unierten Feierordnungen.

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Begonnen wird mit der Abendmahlsfeier in der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und der Evangelischen Kirche der Union, deren Dokumentation noch Alexander Völker begonnen und nach dessen Tod Friedrich Lurz fortgeführt hat. Das Abendmahl nach den Ordnungen der Kirchen in Oldenburg, Hessen-Nassau, Kurhessen-Waldeck und der Pfalz hat Jörg Neijenhuis bearbeitet. Das Abendmahl nach den Ordnungen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern hat Hanns Kerner besorgt. Die badischen Abendmahlsordnungen 1965 und 1996 hat Ulrich Wüstenberg dargestellt. Das Abendmahl nach der württembergischen und der hohenzollerischen Abendmahlsordnung hat Jürgen Kampmann erarbeitet. Die Abendmahlsordnungen des Berneuchener Kreises und der Michaelsbruderschaft haben Irene Mildenberg und Katharina Wiefel-Jenner unter Mitwirkung von Renate Kersten vorgelegt. Das Abendmahl nach den Ordnungen der Selbständigen Lutherischen Kirche hat Wolfgang Frenske erarbeitet. Es folgen Ordnungen der lutherischen Tradition in den Niederlanden, Finnland, Schweden, Dänemark, Island und Nordamerika. Der zweite Teil dieser Edition ist den methodistischen Ordnungen gewidmet für die USA, Großbritannien, Australasien, Neuseeland, Deutschland, Nigeria und Korea. Im dritten Teil werden Abendmahlsordnungen der Herrnhuter Brüdergemeine in Deutschland, dann der Moravian Church in Nordamerika, Großbritannien und in Jamaika ediert. Im vierten Teil folgen Feierordnungen der United Church in Australien und Kanada. Im fünften Teil werden zwei Feierordnungen von ökumenischen Gruppen dokumentiert: Bruno Bürki hat die Eucharistie von Taizé und Benedikt Kranemann hat die Eucharistische Liturgie von Lima bearbeitet. Ein Quellenverzeichnis, Namenregister und eine Liste der Autorinnen und Autoren beschließen diesen Band.

II. Agenden, Lektionare Die Wort-Gottes-Feier am Sonntag. Hg. vom Liturgischen Institut in Freiburg im Auftrag der Bischöfe der deutschsprachigen Schweiz. Friedrich Pustet: Regensburg 32021, 175 S. Wenn Eucharistiefeiern in einer Gemeinde nicht möglich sind, können Wort-GottesFeiern stattfinden, für die es eines Priesters nicht bedarf. Dieses Werk ist seit 2014 nun in dritter, verbesserter Auflage erschienen. Im Geleitwort wurde vermerkt, dass dieses Feierbuch von Vertreterinnen und Vertretern aller Bistümer (der Schweiz) und allen Berufsgruppen, die mit den Wort-Gottes-Feiern zu tun haben, erarbeitet worden ist. Zuerst erfolgt eine pastorale Einführung, die sich mit dem Wort Gottes als Kraft zum Leben (z. B. Gottes wirksames Wort und die hörende Kirche, die Gestalten des Wortes Gottes etc.), mit der Versammlung der Kirche am Sonntag, mit der Feier des Wortes Gottes (z. B. Grundformen dieser Feier) auseinandersetzt, um dann Hinweise für die Feier zu geben. Den Formularen vorangestellt ist eine Darstellung des geistlichen Weges einer Wort-Gottes-Feier: 1. In die Gegenwart Gottes treten – Eröffnung, 2. Gottes Wort hören – Verkündigung, 3. Auf das Wort antworten – Zeichenhandlung und Lobpreis, 4. Gottes Wort hinaustragen – Abschluss. Dann folgen Formulare für die Feier mit Verehrung des Wortes, mit Zuspruch eines biblischen Wortes, mit Taufgedächtnis, mit Bußakt und Versöhnung, mit Lichtdanksagung – Luzernar, mit Kommunionspendung, mit Familien. Es schließt sich ein Fundus von Texten an, z. B. Litaneigebete, Lobpreisgebete, Gesänge, Texte für ein ökumenisches Taufgedächtnis.

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Liturgisches Institut der deutschsprachigen Schweiz in Freiburg im Auftrag der Bischöfe der deutschsprachigen Schweiz (Hg.): Feierliche Kommuniongebete für eine WortGottes-Feier mit Kommunionspendung. Ergänzungsheft zum Feierbuch: Die WortGottes-Feier am Sonntag. Friedrich Pustet: Regensburg 2021, 32 S. Zu dem oben genannten Buch zu den Wort-Gottes-Feiern am Sonntag ist diese Ergänzung erschienen, weil sich an die Wort-Gottes-Feier eine Kommunionspendung anschließen kann. Da dabei die eigentliche Eucharistiefeier mit Hochgebet nicht gebetet wird, kann zumindest mit diesen Kommunionsgebeten nach oder vor dem Empfang der Kommunion das Lob Gottes gebetet werden. Es werden solche Gebete für alle wichtigen Feste in Kirchenjahr angeboten. Das Heft bietet zwei mögliche Formen: Die eine Form setzt das feierliche Kommuniongebet nach der Kommunionspendung an, die andere Form platziert das Kommuniongebet als Lobpreis vor die Fürbitten. In beiden Formen folgen auf das Fürbittengebet die Verehrung des Allerheiligsten, das Vaterunser, das Friedenszeichen, die Kommunionspendung. In Form 1 schließen sich das feierliche Kommuniongebet, Lied und Mitteilung und Kollekte an. In Form 2 folgen auf die Kommunionspendung ein Lied, das Schlussgebet und dann die Mitteilung und Kollekte, danach der Abschluss des Gottesdienstes.

III. Monographien und Sammelbände Aldenhoven, Herwig: Lex orandi – lex credendi. Beiträge zur liturgischen und systematischen Theologie in altkatholischer Tradition, hg. v. Urs von Arx (StOeFr 106). Aschendorff: Münster 2021, 451 S., 4 schwarz-weiß Abb. Herwig Aldenhoven (7.9.1933–29.10.2002) war von 1971 bis 2000 Professor für Systematische Theologie und Liturgiewissenschaft an der christkatholischen Fakultät der Universität Bern. Urs von Arx, der diese Arbeiten von Aldenhoven zusammengestellt hat (für die der orthodoxe Theologe Anastasios Kallis ein Geleitwort verfasst hat), schreibt in seinem Vorwort, dass es wohl ein Wagnis sei, Arbeiten eines vor zwanzig Jahren verstorbenen Theologen wieder zu veröffentlichen, der einer kleinen Glaubensgemeinschaft angehörte. Seine Arbeiten sind für die christ- bzw. altkatholische Kirche bestimmt, aber sie sind ebenso geprägt durch ihre ökumenische Ausrichtung, was sich auch darin zeigt, dass Aldenhoven auf bi- wie multilateralen internationalen Tagungen zugegen war. „Dabei ist Aldenhoven immer wieder von einem Kirchenverständnis ausgegangen, für das eine Kontinuität mit der in Ost und West gemeinsamen altkatholischen Tradition wesentlich ist und das er, wenn eine konkrete Thematik dies nahelegte, mit westkirchlichen Positionen einer späteren Zeit konfrontierte, die oft durch konfessionelle Abgrenzung bestimmt waren.“ (V) Von Arx hat A ­ ldenhovens Schriften vier Themengebieten zugeordnet. Zuerst die Liturgie: es geht um die Darbringung und Epiklese im Eucharistiegebet, um die spirituell-theologischen Konsequenzen ihrer Struktur und um die gottesdienstliche Erneuerung der Christkatholischen Kirche in der Schweiz im 20. Jahrhundert. Dann folgen Beiträge zur Gottesverständnis: Der Ausgang des Heiligen Geistes mit dem Leben der Kirche, die ungeschaffenen Energien Gottes, das Filioque in altkatholischer Sicht. Der dritte Teil ist der Kirche gewidmet: es geht um verschiedene Kirchenverständnisse, z. B. das orthodoxe oder altkatholische, um Einheit und Verschiedenheit von Bischofs- und Priesteramt, um das Konzil von Basel aus altkatholischer Sicht, um Eucharistiegemeinschaft etc. Der letzte Teil befasst sich mit Glaubensrechenschaft. Ganz unterschiedliche Themen werden hier behandelt: die Kirche in konziliarer Gemeinschaft, theologische Erwägungen

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zur Frauenordination, es geht um Küng, Rom und die Zukunft der Ökumene und darum, ob der Papst als Sprecher der Gesamtchristenheit anerkannt werden könne, wie es der evangelisch-lutherische Bischof Friedrich 2001 angeregt hatte. Im Anhang hat von Arx eine biographische Skizze verfasst und Aldenhovens Veröffentlichungen chronologisch erfasst. Dazugegeben werden veröffentlichte Würdigungen und Nekrologe mit vier Fotografien von Aldenhoven. Bärtsch, Jürgen / Kopp, Stefan / Rentsch, Christian (Hg.) unter Mitarbeit von Fischer, Martin: Ecclesia de Liturgia. Zur Bedeutung des Gottesdienstes für Kirche und Gesellschaft (FS Winfried Haunerland). Friedrich Pustet: Regensburg 2021, 567 S. Zu seinem 65. Geburtstag wurde Winfried Haunerland diese Festschrift überreicht, die in sechs Abteilungen viele Beiträge von Kollegen, Schülern und Freunden des Geehrten ordnet: 1. Liturgie als konkrete Ekklesiologie, darunter ein Beitrag von Michael Meyer-Blanck zur Darstellung von Gemeinschaft als Skizze zur liturgischen Ekklesiologie, 2. Liturgie als Quelle theologischer Vergewisserungen, darunter ein Beitrag von Alexander Deeg mit dem Thema „Tut dies …!“. Überlegungen zum Wechselspiel von Soziologie und Theologie des Herrenmahls, 3. Liturgie als Grundlage kirchlicher Erneuerung, 4. Liturgie als Impuls spiritueller Praxis, 5. Liturgie im Spannungsfeld von Kirche, Kultur und Gesellschaft, 6. Liturgie vor Herausforderungen der Gegenwart. Abschließend würdigt Stefan Kopp den liturgiewissenschaftlichen Ansatz von Winfried Haunerland, der selbst festgestellt hat, dass sein Denken eine Auseinandersetzung um die organische Verbindung von Liturgie und Kirche ist. Kopp legt auch eine Einführung in die Bibliographie Haunerlands von 1986 bis 2021 vor sowie die Bibliographie selbst. Die zahlreichen Beiträge machen die Verbindungen von Liturgie, Kirche und Gesellschaft deutlich und reflektieren diese theologisch bzw. liturgiewissenschaftlich. Beckmann, Sonja / Mulia, Christian (Hg.): Volkskirche in postsäkularer Zeit. Erkundungsgänge und theologische Perspektiven (FS Kristian Fechtner) (PThe 180). Kohlhammer: Stuttgart 2021, 505 S. Diese Festschrift zu Fechtners 60. Geburtstag nimmt in ihren zahlreichen Beiträgen Bezug auf sein Schaffen, das sich kennzeichnet durch eine Auseinandersetzung mit der Volkskirche in der Spätmoderne bzw. in der postsäkularen Zeit. Fechtner konturiert eine Volkskirche, die sich in der Gegenwart offen, zeitsensibel, vielfältig, eigensinnig und in sich spannungsvoll darstellt. Die Beiträge sind unter Überschriften gesammelt, die jeweils mit einem Zitat von Fechtner eröffnet werden: Zuerst werden Sehhilfen angeboten, die grundlegende Erfahrungen und Erkundungen von Glauben und Religion zum Inhalt haben. Es folgen produktive Gegenwartskräfte christlicher Religion, wozu auch das Gottesdienstfeiern gehört. Dann folgen Beiträge zur Praktischen Theologie von Fall zu Fall, zur Kirche in Corona-Zeit, zur Ausbildung und Ausübung von religiöser Kompetenz, zur Volkskirche im Übergang und abschließend Schnittstellen zur Praktischen Theologie, die z. B. exegetische Fragen oder einen Geschichtsort in Bezug zur Praktischen Theologie beschreiben. Einige Beiträge zum Gottesdienst seien genannt: Gottesdienst neu sehen. Überlegungen zu einer kirchentheoretischen Gottesdienstlehre (G. Kretzschmar); Ökumenischer Sonntagsgottesdienst als Chance für die Diaspora? Liturgiewissenschaftliche Überlegungen (B. Kranemann); Kirche ohne Gottesdienst? Anfängliche Überlegungen zu Beginn der Coronavirus-Pandemie (H. Schwier), Digitale Präsenzeffekte: Volkskirchliches Feiern in Zeiten der Pandemie (D. Plüss); Öfter die Glocken nie klingen. Praktisch-theologische Überlegungen zur Bedeutung des Glockenläutens in Corona-Zeiten (S. Beckmayer); Riskante Theologie. Kirchliche Verkündigung im Fernsehen angesichts der Corona-Pandemie (Ch. Mulia).

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Bergmann, Claudia D. / K ranemann, Benedikt (Hg.): Analogie und Differenz: Das dynamische Verhältnis von jüdischer und christlicher Liturgie / A nalogy and Difference: The Ever-Changing Relationship of Jewish and Christian Liturgy (LQF 112). Aschendorff: Münster 2021, 312 S. Zumindest die westlichen Theologien haben im Lauf des 20. Jahrhunderts das Verhältnis von Judentum und Christentum in einem neuen Licht gesehen; die Abwertung oder gar Verwerfung des Judentums durch das Christentum wird kaum noch vertreten. Das gilt auch für die Liturgiewissenschaft. Was also könnte zum dynamischen Verhältnis von jüdischer und christlicher Liturgie gesagt werden? Ein Workshop an der Universität Erfurt hat sich 2017 mit diesen Fragen auseinandergesetzt und legt hier die Vorträge vor, die – so das Vorwort – nach eingehender Diskussion von den Verfassern für diese Publikation bearbeitet worden sind. Die Beiträge aus Judaistik, Kulturwissenschaften, Religions- und Liturgiewissenschaft sind unter fünf Themen geordnet: Im ersten Teil geht es um das Verhältnis von frühchristlicher und zeitgenössischer jüdischer Liturgie anhand von Genesis 22. Es werden auf Gen 22 rückgreifende christliche und jüdische Hymnen dargestellt. Im zweiten Teil geht es um die Rezeption von Psalmen und ihre Transformation bei der Begräbnisliturgie oder im christlichen Leben, um die Transformation von zwei samaritanischen Sonnenhymnen. Im dritten Teil geht es um jüdische und christliche Liturgie im Mittelalter. Jüdische Liturgiekommentare des Mittelalters werden ebenso vorgestellt wie die Sicht des Alten Testaments und der Juden im Rationale divinorum officiorum des Durandus von Mende. Jüdische Liturgien des Mittelalters werden daraufhin untersucht, wie sie über nichtjüdische Menschen sprechen. Die Konzeption von sakralen Räumen als Synagoge und Kirche wird erwogen. Der vierte Teil untersucht jüdische und christliche Liturgien, wie sie sich in gesellschaftlichen Umbruchzeiten entwickelt haben. Der fünfte Teil befasst sich mit der Musik bzw. dem Singen in jüdischer wie christlicher Liturgie. Abschließend formuliert Gerard Rouwhorst ein Resümee in vier Punkten: Christen haben sich immer für die jüdischen Wurzeln ihrer christlichen Gottesdiensttradition interessiert, was für die jüdische Liturgie nicht festgestellt werden kann. Dagegen war immer das Interesse an der diachronen Entwicklung der eigenen Rituale von Bedeutung. Rituale als Handlungen haben auf beiden Seiten immer wenig Interesse gefunden, es standen eher Texte und Inhalte im Vordergrund. Es gibt Beispiele dafür, wie Rituale der beiden Religionen aufeinander reagierten. Die Beiträge sind in deutscher oder englischer Sprache abgedruckt worden. Bibelstellen-, Namen- und Sachregister beschließen diesen Band. Böntert, Stefan / Haunerland, Winfried / K nop, Julia / Stuflesser, Martin (Hg.): Gottesdienst und Macht. Klerikalismus in der Liturgie. Friedrich Pustet: Regensburg 2021, 240 S., 11 schwarz-weiß Abb. Die Frage nach der Macht ist besonders virulent geworden durch die Aufdeckung sexu­ellen Missbrauchs und sexueller Gewalt durch römisch-katholische Priester. Diese Macht wird mit dem Begriff Klerikalismus gekennzeichnet, auch wenn mit Macht im Gottesdienst noch weitere Fragen verbunden werden wie z. B. die Frage nach dem Amtsverständnis oder der Inszenierung von Herrschaft. Die Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz hat dazu im Jahr 2020 – pandemiebedingt – eine Online-Tagung durchgeführt, die Beiträge sind in diesem Band abgedruckt. Im ersten Teil werden drei Beiträge zum Thema der Symbole der Macht und ihrer Inszenierung wiedergegeben, die sich mit dem Klerikalismus, mit der Legitimierung von Macht und den rechtlichen Regelungen und theologischen Grundlagen ökumenischer Gottesdienste befassen. Es folgt die Wiedergabe eines Podiumsgesprächs mit der Poetin Nora Gomringen, dem Intendanten am Deutschen Theater in Berlin Ulrich Khuon

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und der Intendantin des Staatsballetts in Berlin Christiane Theobald über die Performanz des Gottesdienstes. Ein weiteres Kapitel befasst sich mit dem Heiligen Spiel und der heiligen Herrschaft aus den Blickwinkeln konfessioneller – römisch-katholischer, anglikanischer, lutherischer, altkatholischer, orthodoxer, freikirchlicher – Theologie. Ein weiterer Teil des Buches befasst sich mit den Männern an der Macht, mit Liturgie und Geschlecht aus liturgiewissenschaftlicher, ritual- und normtheoretischer Perspektive wie mit der Amtstheologie. Drei Beiträge, die von Tagungsteilnehmenden verfasst worden sind, bieten Herausforderungen und Konsequenzen. Braunschweig, Michael U. / Noth, Isabelle / Tanner, Mathias (Hg.): Gleichgeschlechtliche Liebe und die Kirchen. Zum Umgang mit homosexuellen Partnerschaften. TVZ: Zürich 2021, 188 S. Es geht um die Entwicklung im Recht, im Staat, in den Kirchen etc. in Bezug auf die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und Ehen in der Schweiz. Die Herausgeber führen in diese Frage ein, es werden aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven folgende Fragen erörtert: aus Sicht der Rechtsentwicklung und der Politik, aus Sicht der Sozialwissenschaft und Psychologie, aus bibelwissenschaftlicher Perspektive, die Haltung der Kirchen. David Plüss und Isabelle Noth zeichnen den Weg von der ersten gleichgeschlechtlichen Segnung vor 25 Jahren nach und erörtern die Auseinandersetzungen um die liturgische Form, die gewählt wurde. Frank Mathwig macht deutlich, dass die Kirchen vor vielfältigen Herausforderungen in dieser Frage stehen, die sie nur dann beantworten können wird, wenn sie klärt, wie die „Kirche in ihrem Reden und Handeln dem von ihr verkündigten Anspruch Gottes auf das ganze menschliche Leben“ entspricht und wie „sich im kirchlichen Umgang mit Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung die christliche Zusage von einem Leben in Fülle“ (12) widerspiegelt. Bukovec, Predrag / Volgger, Ewald (Hg.): Liturgie und Covid-19. Erfahrungen und Problematisierungen. Friedrich Pustet: Regensburg, 2021, 504 S. Nach dem ersten Pandemiejahr versucht dieser Band mit seinen zahlreichen Beiträgen, „auf die Erfahrungen im ersten Jahr der Pandemie zu schauen, diese einzuordnen, zu bewerten und zu fragen, welche Schlüsse gegebenenfalls daraus gezogen werden können“ (18). Die Fachtagung, deren Beiträge in diesem Band publiziert wurden sowie Beiträge, die speziell für dieses Thema und diesen Band erbeten wurden, nehmen viele Bezüge auf. Sie berühren „Amt und Ekklesiologie, Verhältnis von Kirche und Staat, Nachhaltigkeit im Sinne historischer Relevanz, theologische Fragestellungen wie z. B. Gottesbild u. Ä., Liturgie und Hygiene, Kirche als Zeugnisgemeinschaft in Christus, Medien und Digitalisierung, Liturgie und Ökumene.“ (18) Nach einer Einführung der beiden Herausgeber in dieses komplexe Thema werden im ersten Teil die Rahmenbedingungen dargelegt, indem die Zusammenarbeit zwischen den Religionsgemeinschaften und dem Staat, dann mögliche religiöse Transformationen aus sozialethischer und religionssoziologischer Sicht dargelegt werden. Es folgen unter den Themen Vulnerabilität, ökumenische Horizonte, liturgietheologische Reflexionen, Krankenhaus und Altenheim und liturgische Praxisfelder zahlreiche Beiträge. Die Diskussion der Fachtagung, so halten die beiden Herausgeber fest, lenkte immer wieder den Blick auf die Idealgestalt der Liturgie, wobei doch nun Anpassungen und gegebenenfalls auch andere Formen in dieser Notzeit gefordert waren. Der pastoralliturgische Blick wurde gestärkt. Dremel, Erik: Nunc dimittis. Der Lobgesang des Simeon in Kirche, Kunst und Kultur. Evang. Verlagsanstalt: Leipzig 2021, 476 S., 109 schwarz-weiße und farbige Abb. Wie der Titel es schon anzeigt, werden vielfache Verwendungen, kirchliche und

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kulturelle Wirkungen des Nunc dimittis aufgeführt. Zuerst wird in dieses biblische Lied eingeführt und die inhaltlichen alt- wie neutestamentlichen Bezüge werden herausgearbeitet. Es folgt das Nunc dimittis in der Liturgie: bei der Eucharistiefeier, bei der Bestattungsfeier und ausführlich in den Tagzeitengebeten; hier gibt es auch einen Abschnitt über die Geschichte des Tagzeitengebets und seine Verwendung in der lutherischen und anglikanischen Tradition mit Blick auf das Nunc dimittis. Dann folgt seine Verwendung im Kirchenjahr beim Fest Marien Reinigung bzw. Darstellung des Herrn und der Einsegnung der Wöchnerinnen. Es schließen sich Predigten über das Nunc dimittis an: bei Origenes, Meister Eckhart, Martin Luther, August Hermann Francke, Friedrich Schleiermacher, Karl Barth, Martin Niemöller, Wilhelm Stählin, Ernst Lange. Dann das Nunc dimittis als Lied, angefangen bei Luther über Nicolaus Selnecker und Philipp Friedrich Hiller bis zu Taizé. Ein großes Kapitel stellt es in der Musikgeschichte vor, angefangen bei der frühen figuralen Vertonung z. B. bei Johann Walter, dann der anglikanische Evensong, die Musikalischen Exequien von Heinrich Schütz, die Kantaten J. S. Bachs, dann bei Mendelssohn Bartholdy, Johannes Brahms und weiteren verschiedenen Evensongvertonungen. Es wird das Nunc dimittis in der Literatur z. B. bei T. S. Eliot oder Kierkegaard beschrieben. Ein weiteres umfassendes Kapitel stellt das Nunc dimittis in den bildenden Künsten dar: in der byzantinischen Kunstgeschichte, in den mittelalterlichen Meisterwerken von Giotto, oder in Rembrandts Werken, der dieses Motiv mehr als vierzehn Mal gemalt hat. Der Band wird beschlossen mit einem Nachwort, den Anmerkungen, dem Abkürzungs- und Literaturverzeichnis und einem Register. Dürr, Oliver / Kunz, Ralph / Steingruber, Andreas (Hg.): Wachet und betet. Mystik, Spiritualität und Gebet in Zeiten politischer und gesellschaftlicher Unruhe (Glaube und Gesellschaft 10). Aschendorff: Münster 2021, 413 S., 8 schwarz-weiß Abb. Es werden viele Beiträge geboten, die auf einer Tagung 2020 in Präsenz gehalten werden sollten, die dann, aber wegen des Lockdowns als Online-Tagung stattfand. Es ging darum, über das Beten, die Mystik und Spiritualität in moderner, also gegenwärtiger Zeit und unter ihren Bedingungen nachzudenken und sich auszutauschen. Die Beiträge werden deshalb eingeführt mit Zeitdiagnosen für ein Gebet im säkularen Zeitalter, als Beispiel von Fulbert Steffensky über Spiritualität in säkularen Zeiten oder von Jean Claude Wolf, warum sich das Gebet nicht säkularisieren lässt. Es folgen Beiträge zu politischen Implikationen: Gebet in Zeiten des Endes, als Beispiel von Christine Schliesser über Bonhoeffer und die Verantwortung heute, zu Einheitsperspektiven: Mensch und Kirche im Gebet vor Gott, als Beispiel Andreas Steingruber über das Werden von Ekklesia bzw. das Entstehen christlicher Gemeinschaft aus der Gottesliebe, zu Transformationen: Gebet in der Krise, als Beispiel Ursula Schumacher über die Selbsthingabe an Gott im Leben und im Sterben, zu Ressourcen – Quellen christlicher Spiritualität, als Beispiel Katharina Heyden über das wachsame Beten als Einübung heiliger Nüchternheit, zu Konkretionen: Wie können wir denn beten?, als Beispiel von Christian Hennecke über notwendige Schritte auf dem Weg zu einer Spiritualität der Zukunft. Ehlers, Corinna: Konfessionsbildung im Zweiten Abendmahlsstreit (1552–1558/59) (SMHR 120). Mohr Siebeck: Tübingen 2021, 650 S. Der Zweite Abendmahlsstreit hat wesentlich zur Abgrenzung und Konfessionsbildung zwischen Luthertum und Reformiertentum geführt. Im Allgemeinen ging man davon aus, dass die lutherische und die reformierte Position in sich mehr oder weniger gefestigt und in sich klar waren. Davon kann nicht mehr ausgegangen werden, denn sowohl untereinander waren sich die Wittenberger, Straßburger und Zürcher

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Theologen nicht einig als auch im Verhältnis zueinander recht unterschiedlich. Zudem wurden nicht nur abendmahlstheologische Positionen geschaffen, sondern auch gesamtreformatorisch normative Ansprüche entwickelt. Calvin ging davon aus, dass seiner Lehre, die an die Straßburger Reformation anschloss, sich die Wittenberger und Zürcher Theologen anschließen können und er damit die wahrhaft reformatorische Lehre vertrat. A Lasco sah in den Straßburger und Wittenberger Positionen seine Position nur unvollkommen wiedergegeben. Westphal sah aufgrund der Auslegung der Confessio Augustana und der Wittenberger Konkordie die Wittenberger wie auch die Straßburger Richtung als wahrhaft lutherisch an. Hinzu kamen viele Zwischenpositionen, die keiner Richtung oder Partei zuzuordnen sind. Die zweite Generation der Reformatoren konnte ihre Konflikte nicht mehr mit der Autorität der Gründungspersönlichkeiten lösen, sondern musste selbst verbindliche Normen entwickeln. Zudem müssen für die Konfessionsbildung auch außertheologische und historisch kontingente Ereignisse berücksichtigt werden, wie z. B. das Augsburger Interim oder die Thronbesteigung Maria Tudors, wodurch Flüchtlinge aus England in den Einflussbereich von Westphals Partei gelangten. Das Wormser Religionsgespräch 1557 zeigte, dass keine Richtung eine gesamtreformatorische normative Position durchsetzen konnte. Das führte zur Beendigung des Streits und wirkte weiter in der Konfessionalisierung von Luthertum und Reformiertentum. Die von Ehlers wird mit einer Einleitung eröffnet, dann werden die historischen und theologischen Voraussetzungen des Streits beginnend beim ersten Abendmahlsdiskurs 1526–1529 dargestellt. Es folgt die Ausgangssituation des Zweiten Abendmahlsstreits, indem die normativen Ansprüche von Calvin, Vermigli, a Lasco und Kollegen auf der einen Seite und die normativen Ansprüche von Westphal und seinem theologischen Netzwerk auf der anderen Seite dargelegt werden. Anschließend werden die Hauptphase des Zweiten Abendmahlsstreits und das Scheitern dieser Ansprüche beschrieben. Ein abschließendes Kapitel gibt einen historischen Ausblick bis in die 1570er Jahre und fasst die Ergebnisse zusammen. Ein Quellen- und Literaturverzeichnis, ein Personen-, Orts- und Sachregister runden dieses Werk ab. Feulner, Hans-Jürgen / Zerfaß, Alexander (Hg.): Ex oriente lux? Ostkirchliche Liturgien und westliche Kultur (ÖSLS 13). LIT: Wien 2020, 305 S. Die meisten Beiträge dieses Bandes wurden auf der Tagung der Arbeitsgemeinschaft katholischer Liturgiewissenschaftlerinnen und Liturgiewissenschaftler gehalten. Die Tagung fand in Wien statt, das als traditionelle Brücke in den Osten gilt und Ort vieler orthodoxer Kirchengemeinschaften ist, die die Teilnehmenden dieser Tagung besuchen konnten. Es galt, einen „wissenschaftlichen Blick auf die ostkirchlichen Liturgien und deren Bedeutung für die westlichen Liturgien zu lenken, dies jedoch kritisch zu reflektieren“ (12). Der bekannte Ruf Ex oriente lux wurde ebenso kritisch gesehen, es gehe nicht darum, den Osten nostalgisch zu verklären (der liturgische Osten kann sich auch selbst kritisieren), sondern Austausch und gegenseitige Beeinflussung zu benennen. Folgende Beiträge finden sich in diesem Band: Beobachtungen zum Stellenwert der ostkirchlichen Liturgie (B. J. Groen), ostkirchliche Liturgie und Ökumene (G. Rouwhorst), die östlichen Liturgien in westlicher Wissenschaft 1545–1945 (H. Brakmann), das eucharistische Hochgebet in den Traditionen und Kirchen des Ostens (R.  Messner), Liturgiesprache(n) im Christlichen Osten (P.  ­Bukovec), Latinisierung und Entlatinisierung in den Ostkirchen (V.  Rudeyko), östliche Liturgien im Westen (D.  Galadza), Überblick über die Byzantinische Kirchenmusik (N.-M.  Wanek), eine anglikanisch-orthodoxe Liturgie (E. ­Waslwanter).

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Geiger, Dominik: Gravis Necessitas Spiritualis. Überlegungen zum Recht des Empfangs der Eucharistie durch nichtkatholische Christen in der katholischen Kirche (Mainzer Beiträge zu Kirchen- und Religionsrecht 8). Echter: Würzburg 2021, 119 S. Im CIC 844, § 4 ist festgelegt, dass nichtkatholische Christen dann die Sakramente der katholischen Kirche empfangen dürfen – falls sie keinen Spender ihrer eigenen kirchlichen Gemeinschaft aufsuchen können –, wenn Todesgefahr besteht oder eine andere schwere Notlage (gravis necessitas) vorherrscht. Von dieser rechtlichen Grundlage ausgehend untersucht Geiger vorrangig die Orientierungshilfe, die die deutschen katholischen Bischöfe 2018 dazu veröffentlicht haben auch auf dem Hintergrund, dass immer wieder um die Kommunionzulassung gerungen wird. Denn CIC 844, § 5 ermöglicht es dem Diözesanbischof oder der Bischofskonferenz, für ihre Gebiete entsprechende Regelungen zu erlassen. Geiger stellt diese Orientierungshilfe dar und vergleicht sie mit Verlautbarungen aus der Weltkirche, und zwar aus England, Wales, Schottland, Irland, USA, Australien, Südafrika. Anschließend werden lehramtliche Schreiben aus Rom hinzugezogen. Hatten die deutschen Bischöfe die Gewissensfrage hervorgehoben, so nehmen die neueren lehramtlichen Verlautbarungen aus Rom diesen Terminus auf. Die Frage wird virulent, wenn die schwere Notlage auf konfessionsverschiedene Ehepaare übertragen und mit einer Gewissensentscheidung gekoppelt wird. Geiger hält fest: „Von kanonistischer Seite ist festzustellen, dass die Orientierungshilfe keine neuen Regelungen aufstellt, sondern die dargelegten Aussagen und Interpretationsweisen zu c. 844 bestehen bleiben. Dies schließt das Recht nichtkatholischer Christen auf den Sakramentsempfang ein, das dabei aber situativ und einzelfallbezogen eingeräumt wird. Hier zeigt sich eine große Kontinuität der kirchlichen Lehre wie Rechtsauslegung, die über die Konzilstexte zum CIC bis hin zu aktuellen apostolischen Lehrschreiben reicht, die auch international rezipiert werden.“ (101) Gerhards, Albert / Kopp, Stefan (Hg.): Von der Simultankirche zum ökumenischen Kirchenzentrum. Sakralbauten im Spannungsfeld christlicher Konfessionen (Kirche in Zeiten der Veränderung 10). Herder: Freiburg i. Br. 2021, 327 S. Kirchengebäude als Gradmesser konfessioneller Beziehungen – so betiteln die beiden Herausgeber ihre Einführung in diesen Band. Denn es soll nicht um das Nebeneinander oder Gegeneinander von Kirchengebäuden in einer Stadt gehen – welche Konfession hat den höchsten Kirchturm, das größere Kirchenschiff, oder welche Religion bekommt Platz in Hinterhöfen –, sondern um das wirkliche Miteinander und auch konfliktbehaftete Miteinander römisch-katholischer und evangelischer Konfession in einem Gebäude, sei es nun eine Simultankirche oder ein ökumenisches Gemeindezentrum. Die ersten drei Beiträge befassen sich mit grundlegenden Aspekten dieses Miteinanders, es geht um die geteilten Heiligtümer im Heiligen Land, die Simultaneen in der Frühen Neuzeit und um die bikonfessionellen Bau- und Raummodelle. Es folgen praxisorientierte Beiträge über ökumenische Räume: ökumenische Kirchenzentren in der Schweiz, gottesdienstliche Praxis im ökumenischen Kirchenzentrum Maria Magdalena in Freiburg-Rieselfeld, um die Pius-Lukas-Kirche in Krefeld, das Fronleichnamsfest in ökumenischer Gastfreundschaft im Bonner Norden, gemeinsame Kirchennutzung in der orthodoxen Ökumene, die ökumenische Kapelle in Genf, ökumenische Andachtsräume in Fußballstadien. Im dritten Teil folgen Beiträge zu den Potenzialen und Perspektiven für eine gebaute Ökumene 2.0: es geht um Raumerfahrung, Märtyrergedenken, öffentlichkeitsorientierte Kirchennutzung, um Ökumene als Faktor in Transformationsprozessen, um interreligiöse Räume.

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Gojny, Tanja: Schulgottesdienste in der Pluralität. Theoretische Grundlegung, konzeptionelle Bestimmungen und Handlungsorientierungen (PTh 177). Kohlhammer: Stuttgart 2021, 638 S. „Das Ziel dieser Arbeit ist es, eine wissenschaftliche Theorie von Schulgottesdiensten zu entwickeln, mit der das Phänomen Schulgottesdienste an öffentlichen Schulen präziser als bisher wahrgenommen und reflektiert werden kann. (…) Die theoretischen Klärungen sollen Menschen, die für die Gestaltung von Schulgottesdiensten bzw. für deren Rahmenbedingungen verantwortlich sind, helfen, Ursachen für Konflikte im Umfeld von Schulgottesdiensten und implizite handlungsleitende Theorien transparent und damit diskutierbar zu machen sowie begründete Entscheidungen im Hinblick auf das Angebot, die Konzeption und die Gestaltung von Schulgottesdiensten zu treffen.“ (33, im Original alles kursiv) Denn die Schulgottesdienste stehen vor einigen Herausforderungen, die durch die Situation an Schulen bedingt sind, wie die religiöse Pluralität, die Heterogenität der Schülerschaft etc. In der Einführung umreißt die Autorin diese komplexe Lage, um dann im ersten Teil Verortungen anhand von Subjekt, Gemeinschaft, Ort, Zeit bzw. Anlass und Gestaltung darzulegen. Der Schulgottesdienst wird verortet in liturgiewissenschaftlichen, gottesdiensttheologischen bzw. kirchentheoretischen, (religions-)pädagogischen Diskursen und in rechtlichen Bestimmungen. Anschließend wird für die Theorie von Schulgottesdiensten als multiperspektivische Verortung von Schulgottesdiensten gezogen, ein Zwischenraum und eine Zwischenzeit definiert. Der Zwischenraum zeigt sich darin, dass diese Gottesdienste sozusagen zwischen Kirche bzw. Gemeinde und Staat, zwischen Individuum und Institution, zwischen öffentlich und nicht-öffentlich gefeiert werden. Die Zwischenzeit meint, dass sie zu Beginn oder am Ende des Schuljahres, zu Beginn der Grundschulzeit oder vor den Weihnachtsferien stattfinden. Der zweite Teil befasst sich mit Begründungen. Es bedarf einer multiperspektivischen Begründung, die sich zum einen mit grundsätzlichen Überlegungen befasst (liturgiewissenschaftliche und systematisch-theologische, gesellschaftstheoretische und religionssoziologische und einschlägige religionspädagogische Diskurse), zum anderen mit Blick auf die Schülerschaft, die Schule bzw. Gesellschaft und der Kirche. Das Fazit dieses Teils legt gute Gründe für den Schulgottesdienst an öffentlichen Schulen dar und beschreibt die Spannungen zwischen Begründungs- und Zielperspektiven von Schulgottesdiensten, z. B., dass sich Schulgottesdienste in der Spannung zwischen Zweckfreiheit und funktionaler Bestimmung befinden, dass sie nichtparochiale Gemeindebildungen befördern und der Stärkung der Schulfamilie dienen. Der nachfolgende Teil widmet sich der Frage nach der Gestaltung solcher Schulgottesdienste. Es wird nach der Qualität gefragt; es geht um die Konzeptqualität, hierzu werden Grundsatzfragen erörtert. Es geht um die Strukturqualität, damit sind die rechtlichen, institutionellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und der Professionsbezug gemeint, es geht um die Prozessqualität als Vor- und Nachbereitung von Schulgottesdiensten. Das Fazit formuliert ein kontextbezogenes Modell für „gute“ Schulgottesdienste in der Pluralität. Der letzte Teil dieser Arbeit zeigt den weiteren Forschungsbedarf auf und gibt Impulse für Alternativveranstaltungen an Schulen, wenn christliche Gottesdienste als wenig möglich oder sinnvoll angesehen werden, z. B. wenn die Mehrheit der Schülerschaft nicht christlich ist. Im Anhang ist ein tabellarischer Überblick über die Verortungen von Schulgottesdiensten in liturgischen, pädagogischen und rechtlichen Diskursen beigegeben. Ein Literaturverzeichnis und ein Sachregister beschließen dieses Werk.

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Gruschwitz, Annette: Der Buß- und Bettag im frühneuzeitlichen Sachsen. Eine liturgiehistorische Untersuchung über einen Feiertag im Wandel (APrTh 84). Evang. Verlagsanstalt: Leipzig 2021, 404 S. Gruschwitz legt eine liturgiehistorische Untersuchung zum Buß- und Bettag in seinem Wandel vor für die Zeit von 1529 bis 1830. Sie beschränkt sich auf das Kurfürstentum Sachsen, insbesondere Dresden und Leipzig und das Umland bilden das Gebiet, in dem die Quellen erhoben werden. Dabei setzt sie drei Schwerpunkte: die liturgischen Erscheinungsformen der Bußtage, die inhaltlichen Setzungen und die Motivationen der Akteure, die die Bußtage anordneten. Zunächst wird aber die Zeit vor dieser Periode als Wurzelgrund der Buß- und Bettage erhoben: Judentum, Neues Testament, das Bußwesen der Alten Kirche, die individuelle und gemeinschaftliche Buße an besonderen Tagen. Zuerst wird der Zeitraum von 1529 bis 1720, also seit der Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen, dann die Zeit bis 1830, in der politische, gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen stattfanden. In beiden Teilen wird der Dreischritt von liturgischen Erscheinungsformen, inhaltlichen Setzungen und Motivationen der Akteure beschrieben, wobei allerhand Feierformen und Anlässe zutage treten: Buß- und Bettage, Betstunden, Fastentage, es werden auch Bußlieder der Gesangbücher und Predigten berücksichtigt und natürlich die Texte der Liturgien dieser Tage. Ebenso auch Texte und Korrespondenzen, die sich zur Frage von Bußund Bettagen fanden. Die Darlegung der Quellen zeigt, dass die Buß- und Bettage in vielfältigen Feierformen begangen wurden. Über das Beten wird der Zugang zur Buße gefunden. Die Feierformen befinden sich in einer Spannung zwischen Anlassbezogenheit und Verstetigung. Durch die Verstetigung verliert diese Feierform ihren reagierenden Charakter, die Buße wird dialogisch als Hinwendung zu Gott aufgefasst. In der Aufklärungszeit wird der Bußcharakter verändert und der Fokus liegt auf der menschlichen Besserung. So entwickeln sich die Bußtage von einem Dialog mit Gott zu einer Rede über Gott. Im bürgerlichen Leben wird die Buße auf den Gottesdienst beschränkt und wird zu seinem Pflichtprogramm. So entwickelte sich der Buß- und Bettag, der bei Krieg oder Pest als Hilferuf an Gott begangen wurde, über die Institutionalisierung zum Aufruf zur Besserung der Menschen, sodass es dem Land bzw. dem Staat besser gehen sollte als vorher. Als Ausblick formuliert Gruschwitz aktuelle Perspektiven auf die heutigen Buß- und Bettage, wie z. B., dass Bußtage sowohl im christuszentrierten Kirchenjahr als auch als Jahrestage zu verstehen sind, dass das Gebet die protestantische Grundform der Buße ist, dass ein Buß- und Bettag eine Hinkehr zu Gott in Krisen und traumatischen Erfahrungen ermöglicht. Hartmüller, Christoph: Einheit im Angesicht Gottes. Zur Geschichte der ökumenischen Gebets- und Gottesdienstgemeinschaft im deutschsprachigen Raum (StPaLi 45). Friedrich Pustet: Regensburg 2021, 427 S. Hartmüller hat den Zeitraum von 1917 bis 2017 für die Darstellung der Geschichte der ökumenischen Gebets- und Gottesdienstgemeinschaft gewählt, weil das Jahr 2017 das reformatorische Jubiläumsjahr war, das auch ökumenisch gefeiert wurde, weil 1917 die Vierhundertjahrfeier der Reformation stattfand und im selben Jahr der neue Codex Iuris Canonici promulgiert worden ist, der erneut eine communicatio in sacris verbot. Hartmüller untersucht diese Entwicklung in dieser Perspektive als theologisches und rechtliches Problem; geschichtlich teilt er die Entwicklung in drei Phasen ein: Bis ca. 1960 gab es eine Phase des gegenseitigen Herantastens, meist von interessierten Kreisen und einigen Theologen. Mit der Wahl von Papst Johannes XXIII. und seiner Ankündigung eines Ökumenischen Konzils setzte die zweite Phase ein, das Verhältnis zu Nichtkatholiken gilt nicht mehr als angespannt, sondern ökumenische Feiern

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fanden auch in der breiten kirchlichen Öffentlichkeit statt. Das Ökumenismusdekret Unitatis redintegratio von 1964 des Zweiten Vatikanischen Konzils definiert Hartmüller als einen ersten Höhepunkt dieser Entwicklung. Papst Paul VI. als zweiter Konzilspapst feierte als erster Papst ökumenische Gottesdienste. Die dritte Phase bis 2017 setzte mit Papst Johannes Paul II. ein, denn ab 1978 bis 2017 wurde das bis dahin Erreichte zur Selbstverständlichkeit. Der Codex Iuris Canonici von 1983 codifizierte die bis dahin erlassenen Regelungen. Hartmüller stellt aber nicht nur das Kirchenoffizielle vor, sondern legt in seiner Einleitung dar, dass es um den Begriff des ökumenischen Gottesdienstes geht. Er wirft einen Blick zurück auf die Reformation und von da aus bis 1917. Es wird die ökumenische Bewegung berücksichtigt, dazu die Gebetswoche für die Einheit der Christen, Weltgebetstag der Frauen, ökumenischer Bibelsonntag, gemeinsame Gebete, liturgische Texte und Lieder, ökumenische Trauungen, ökumenisches Taufgedächtnis, die Friedensgebete in der DDR, ökumenische Segensfeiern und Stundengebete etc.; besonders bemerkenswert ist das „Hohenheimer Modell“ einer interkonfessionellen Eucharistiefeier, die die evangelische Akademie Bad Boll und die katholische Akademie im Stuttgart-Hohenheim 1968 entwickelten. Diese Feier ist eher als additiv zu kennzeichnen denn als integrativ, da zuerst das evangelische Abendmahl gefeiert wurde, dann folgte der Wortteil, anschließend die katholische Eucharistiefeier. Und selbstverständlich gab es keine Interkommunion, da die evangelischen Christen an der Abendmahlsfeier teilnahmen und die katholischen Christen an der Eucharistiefeier. Aber es war immerhin der Versuch unternommen worden, bei Tagungen nicht getrennte vollgültige Gottesdienste feiern zu müssen. Das abschließende Kapitel führt die Ergebnisse zusammen mit einer systematischtheologischen Einordnung des Zusammenhangs von Gottesdienstgemeinschaft und Kirchengemeinschaft. Daraus werden Kriterien abgeleitet für die Praxis von interkonfessionellen Gottesdiensten. Hirsch-Hüffell, Thomas: Die Zukunft des Gottesdienstes beginnt jetzt. Ein Handbuch für die Praxis. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2021, 299 S., 13 schwarz-weiße Abb. Hirsch-Hüffell beginnt sein Buch über die Zukunft des Gottesdienstes mit diesen Worten: „Gottesdienst wird es immer geben. Dass er momentan in seiner Standardform schlingert, sagt, dass wir über kirchliche Formen und Uni-Formen nachdenken müssen. Aber die Krise stellt die Freude der Menschen am Rituellen nicht infrage.“ (11) Er hat sein Buch in vier Teile gegliedert: Zuerst geht es um den Gottesdienst allgemein. Es wird der Stand der Dinge im Jetzt erhoben, der Frage nachgegangen, ob es einen Gottesdienst für alle gebe, es geht um den Gottesdienst im Raum und um den liturgischen Körper des Menschen, um den Gottesdienst und den ganzen Menschen, worunter nicht nur sein Hören, sondern auch sein Sehen, Empfinden, Rituale feiern etc. verstanden wird. Der zweite Teil bespricht den Gottesdienst im Detail: Liturgie verstehen, die Eingangsliturgie, Wort, Abendmahl, Gebet, Ausgang, und befasst sich mit dem Gottesdienst mit Menschen im Fokus, hier geht es um Mystagogik und um offene Predigtkunst. Der dritte Teil widmet sich den Kasualien. Es geht um Kasualien im säkularen Umfeld, um die Beichte und Bestattung. Im vierten Teil steht die Arbeit an der Zukunft des Gottesdienstes im Mittelpunkt: Welche Themen werden für Gemeinden und Leitende in Sachen Gottesdienst wichtig sein? Es folgt ein Modell, in dem die Pastoren eines Kirchenkreises am Sonntagmorgen zur üblichen Gottesdienstzeit zusammenkommen und gemeinsam einen Gottesdienst feiern. Sie erfahren sich so als geistliche Gemeinschaft. Die Gottesdienste in ihren Gemeinden finden nicht statt (ggf. stattdessen wird offene Kirche mit Musik, Lesung und Gebet angeboten),

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sondern es wird zu diesem Gottesdienst eingeladen. Es folgt ein Plan zur Belebung der Gemeinde mit der Frage, wie mehr Leute in die Kirche kommen. Dann geht es um Kinder im Gottesdienst, eine Menschengruppe ohne Lobby in der Kirche und zum Schluss um Bauprinzipien für einen Gottesdienst mit intensivem Singen. Im Anhang werden Materialien und Links zum Downloaden angeboten. Daran schließt sich ein kleines Kapitel Biographisches an, hier beschreibt Hirsch-Hüffell seinen Lebens-, Kirchen- und Gottesdienstweg. Es ist ein Weg des Lebens. Am Ende seines Buches findet sich eine Literaturliste, die bemerkenswert kurz ist und nicht nur die übliche Literatur aufführt. Hoondert, Martin / Post, Paul / K lomp, Mirella / Barnard, Marcel (Hg.): Handbook of Disaster Ritual. Multidisciplinary Perspectives, Cases and Themes (LiCo 32). Peeters: Leuven 2021, 668 S., 40 Abb. Der Mitherausgeber Paul Post führt ausführlich in das Konzept dieses Handbuchs ein, indem er die Begriffe Ritual und Disaster und Disaster Ritual definiert. Hinzugenommen werden Forschungsbereiche, die sich mit Disaster befassen, dazu gehören die Psychologie, Medizin, Soziologie etc. Insofern ist dieses Handbuch interdisziplinär angelegt. Es werden auch historische Disaster Rituals beleuchtet. Die Einführung schließt mit einer Formulierung des dann als Ergebnisses dieser Erkundungen, in welchem Sinne und mit welchen Kategorien die Disaster Rituals aufgeführt wurden. Im ersten Teil geht es um generelle Perspektiven z. B. aus Sicht der Sozialphilosophie, aus Sicht der Opfer oder Traumatisierten, nach Todesfällen etc. Im zweiten Teil werden Fallstudien geboten, z. B. aufgrund des Tsunamis in Japan 2011, nach der Germanwings-Flugzeugkatastrophe 2015, nach dem Amoklauf in einer Schule in Florida 2018 etc. Der dritte Teil bietet verschiedene Themenbereiche: wie Rituale im digitalen Bereich wahrgenommen werden, wie sich digitale Rituale im Kontext der Corona-Pandemie entwickelten; Jugend und die Klimakatastrophe etc. Zahlreiche Fotos verdeutlichen Impressionen solcher Disaster Rituals. Hoping, Helmut / Wahle, Stephan / Walter, Meinrad (Hg.): GottesKlänge – Religion und Sprache in der Musik. Herder: Freiburg i. Br. 2021, 243 S. Es handelt sich um die Vorträge auf einer Tagung der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg im Januar 2020, die gehalten und um einige Artikel erweitert wurden. Die interdisziplinäre Tagung vereinte zum Thema Religion und Sprache in der Musik Sichtweisen der Theologie, Ästhetik, geistlichen Musik und Kirchenmusik. Die erste Abteilung bietet Beiträge zum Dialog zwischen Musik, Theologie und Kirche. Es geht um die Macht der Musik in metaphysischen und theologischen Dimensionen, um Karl Barth als Hörer von Mozart, um das Musikverständnis von Hans Urs von Balthasar, um katholische und evangelische Kirchenmusik. In der zweiten Abteilung Musik, Liturgie, Komposition geht es um verschiedene Akteure, so wird z. B. auch hinsichtlich der Popularmusik die Frage aufgeworfen, welche Musik in der Kirche erklingen soll. Der Komponist Michael Denhoff gibt Einblicke in sein Komponieren und Denken. Die dritte Abteilung Musik, Vermittlung und Perspektiven führt in einige kirchenmusikalische Handlungsfelder von Theologie und Kirche ein. Es geht um Musik als Glaubensvermittlung und darum, wie Kirchenmusik darauf reagiert, dass sich evangelische Kirche im Übergang von Parochialgemeinde zur Angebotskirche befindet. Kemnitzer, Konstanze (Hg.): Gussformen der Gottesdienstgestaltung. Das Agendenwerk der VELKD zwischen Neuaufbruch und Restauration. Evang. Verlagsanstalt: Leipzig 2021, 320 S. Zu seiner Emeritierung hat sich Klaus Raschzok ein liturgiewissenschaftliches Fach-

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symposium gewünscht, das sich mit dem Agendenwerk der VELKD befasst. Die Beiträge dieses Symposiums liegen in diesem Buch abgedruckt vor. Ihre Themen: grundsätzliche Überlegungen zur Agende I von 1955 und zu ihren Lebenswelten, das Agendenwerk in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, systematischtheologische Auseinandersetzung mit den liturgischen Texten, mit Leiturgia, dem Handbuch des evangelischen Gottesdienstes, die Liturgik von Peter Brunner, Auseinandersetzung mit der Rolle der Predigt in der Agende I, die Kasualien, die Einweihungshandlungen, der Kindergottesdienst des Agendenwerks, die Dramaturgie des Gottesdienstes als therapeutischer Prozess, Agende I als Restauration oder Aufbruch, die Rezeption des Agendenwerks in den Kirchen der ehemaligen DDR, unierte und römisch-katholische Perspektiven auf Agende I, das Agendenwerk und die Traditionskontinuität und die Zukunft der Agendenarbeit. Abschließend bietet Klaus Raschzok selbst einen Beitrag zu Gottesdienst und Geistliches Amt bei Christhard Mahrenholz. Klie, Thomas / Kühn, Jakob (Hg.): FeinStoff. Anmutungen und Logiken religiöser Textilien (PTHe 178). Kohlhammer: Stuttgart 2021, 217 S. Dieser Band dokumentiert Vorträge, die 2019 bei einer Tagung in Rostock gehalten wurden über den bzw. zu dem „FeinStoff“. Thomas Klie und Kristian Fechtner führen mit programmatischen Sätzen in die Welt der evangelischen Textilien ein, wobei der schwarze Talar, seit dem 19. Jahrhundert allgemein in Gebrauch, Dreh- und Angelpunkt ist. Denn er ist eine Amtstracht und eigentlich kein liturgisches Gewand und signalisiert für den evangelischen Geistlichenstand die Teilhabe an Bildung, höherem Stand und preußischem Beamtentum sowie eine Machtposition. Der Talar wird aus religionsästhetischer, religionskultureller und sozialgeschichtlicher Sicht gedeutet, in neueren Diskursen geht es auch um die Materialität, um das Äußere, um die mit dem Talar verbundene Körperlichkeit des Gewandes. Die weiteren Beiträge befassen sich mit recht unterschiedlichen Aspekten: Es geht um vestimentäre Kommunikation, um Mode und Theologie, um Kleidung als soziales Totalphänomen, um vestimentäre Praxis in der Kirche, um Reklerikalisierung, um die Funktion von liturgischer Kleidung, um die Wirkung von Kleidung, um textile Suchbewegung für liturgische Laiendienste in der katholischen Kirche, um die Bedeutung von Kleidung im Berufsalltag reformierter Pfarrer, um das Kleine und große Schwarze, um die Albe als evangelische Ausgehuniform, um die Sakristei-Inventur in der St. Marienkirche in Berlin. Klie, Thomas / Kumlehn, Martina / Kunz, Ralph / Schlag, Thomas (Hg.): Machtvergessenheit. Deutungsmachtkonflikte in praktisch-theologischer Perspektive (PTHW 25). De Gruyter: Berlin / Boston 2021, 354 S. Die Herausgeber legen in ihrer Einleitung dar, dass es im Gebrauch von Hermeneutik eine Machtvergessenheit gibt, die sie bewusst machen wollen; denn auch mit dem Gebrauch von Hermeneutik wird Macht angewandt. Das wird im Bereich des Religiösen besonders virulent, wenn es um letzte Überzeugungen, um Offenbarungsansprüche, um Gewissheitserfahrungen in einer religionspluralen Gesellschaft geht. Denn Deutungsprozesse sind immer auch machtbesetzt und Machtprozesse sind immer auch deutungsabhängig. Es geht darum, diese Machtvergessenheit in der Hermeneutik zu überwinden und dabei nicht die Deutungsprozesse auf Machtstrukturen zu reduzieren oder die Macht in den Deutungsprozessen zu übersehen. In den folgenden Beiträgen sollen beide Perspektiven verknüpft werden und so „eine Perspektivenerweiterung des Reflexionspotentials der Praktischen Theologie und der Religionspädagogik, die an der weitgehenden Machtvergessenheit hermeneutischer Diskurse partizipieren, von erheblicher Relevanz“ erreicht werden (4). Im ersten Teil der Beiträge geht es um Deutungsmacht und Grundfragen der Praktischen Theologie. Im zweiten Teil

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geht es um Deutungsmachtkonflikte in praktisch-theologischen Handlungsfeldern: Predigt, Rede und Ritus, Pastoraltheologie, Seelsorge, Taufe, religiöse Bildung, Religionspädagogik, Diakonik, Kirche. Die beiden Beiträge Rede und Ritus und Taufe sollen kurz vorgestellt werden. Ralph Kunz setzt bei den Deutungskonflikten von Rede und Ritus an hinsichtlich der Rede von Gott im Anschluss an Karl Barth. Die Dialektik der Rede von Gott, die eigentlich nicht möglich ist, aber getan werden soll, ist eine unmögliche Möglichkeit, die Kunz kombiniert mit der Philosophie von Jean-Luc Nancy in dekonstruktiver Perspektive, sodass das Ende von Bedeutung die Möglichkeit der Bedingung von Sinn ergibt: „Wir sollen Sinn finden, aber können ihn in der Sinnwüste nicht finden; wir sollen Beides, unseren Anspruch und unser Scheitern wissen und darin den Sinn des Sinns entdecken.“ (172) Klie reflektiert Taufe im konfessionslosen Umfeld Ostdeutschlands, die sich zwischen Konvention und Konversion verorten muss. Taufe wird hier ein Teil der Erlebniskultur, sie muss sich vor der (nichtchristlichen) Familie legitimieren und weniger vor der Gemeinde oder Kirche. Im Anschluss daran setzt sich Klie kritisch mit der Taufe, die sich von einer Konversionshandlung zu einer Segenshandlung entwickelt, und mit den impliziten Machtkonzepten auseinander. Koch, Kurt: Wohin geht die Ökumene? Rückblicke – Einblicke – Ausblicke. Friedrich Pustet: Regensburg 2021, 299 S. Kurt Kardinal Koch ist Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und legt mit diesem Buch seine Sicht auf die Ökumene dar. Er beginnt mit dem Ökumenedekret des Zweiten Vatikanischen Konzils und sieht in ihm eine ökumenische Magna Charta. Im zweiten Teil des Buches beschreibt er als Dimensionen der Ökumenischen Bewegung das Gebet, die Mission und die Umkehr. Im dritten Teil folgt die Darstellung des ökumenischen Lehramtes der Päpste nach dem Konzil, also von Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus. Im vierten Teil geht es um die theologische Aufarbeitung von historischen Spaltungen: nach dem Konzil von Chalke­don; die Wiederherstellung der einen Kirche in Ost und West mit den Orthodoxen Kirchen; die Überwindung der Spaltung in der Westkirche im 16. Jahrhundert und um die ökumenische Begegnung mit evangelikalen und pentekostalen Bewegungen. Als letzter Abschnitt folgt ein Text über die Versöhnung nach der UrSpaltung zwischen Kirche und Synagoge. Im fünften Teil geht es um bleibende und neue He­rausforderungen in der ökumenischen Situation heute, denn es ist eine Ausweitung der ökumenischen Partner festzuhalten, es gibt einen mangelnden Konsens über das Ziel der Ökumene, es gibt neue Kontroversen in der Ethik und in der Anthro­ pologie, und darüber, dass die Ökumene im Vorzeichen der Religionsfreiheit verstanden werden soll. Ein Epilog über den ökumenischen Weg zur Einheit beschließt dieses Buch. Kopp, Stefan / K ranemann, Benedikt (Hg.): Gottesdienst und Kirchenbilder. Theolo­ gische Neuakzentuierungen (QD 313). Herder: Freiburg i. Br. 2021, 348 S. Die theologische Neuakzentuierung, die hier anvisiert wird, besteht darin, dass nicht mehr allein das Paschamysterium als jene Liturgie fungieren soll, die allein das Kirchenbild bestimmt. Sondern es ist festzustellen, dass auch andere Liturgien, die nicht die Eucharistiefeiern in ihrem Mittelpunkt haben, auch auf ihre Weise das Kirchenbild mitprägen – zumindest aus Sicht der römisch-katholischen Christen, die auch Wortgottesdienste, Segnungsgottesdienste, Einschulungsgottesdienste etc. mitfeiern. Das weitet den Horizont der Ekklesiologie hin zu einer diakonischen Dimension. Zahlreiche Beiträge aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten das Verhältnis von Gottesdienst und Kirchenbilder. Es geht natürlich auch um die Eucharistiefeier und

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um das Ideal einer eucharistischen Ekklesiologie. Dann aber auch um die Erfahrungen und Beteiligungen der Christen bei den liturgischen Feiern, z. B. auch im Bereich des interreligiösen Betens. Es werden alternative Liturgien erwogen, die Tagzeitengebete und die Wort-Gottes-Feiern gewürdigt. Es geht auch um die Verräumlichung von Kirche und ebenso um empirische Befunde. Alexander Deeg setzt sich aus evange­ lischer Perspektive unter dem Titel Ecclesia de verbo et eucharistia mit dem Verhältnis von Kirchenbild und Liturgie auseinander. Kühn, Lisa: Liturgie im Krankenhaus. Plurale Feierformen in der Begleitung kranker und sterbender Menschen (PTHe 183). Kohlhammer: Stuttgart 2021, 316 S. Die Fragestellung dieser Untersuchung ist, „die gegenwärtige liturgische Praxis der Begleitung von kranken und sterbenden Menschen im Kontext der Institution Krankenhaus wahrzunehmen und vor dem Hintergrund liturgietheologischer Grundannahmen wie liturgische Normen und Ordnungen zu reflektieren, um eine Standortbestimmung der Liturgie im Krankenhaus zu entwerfen.“ (13) Da das Krankenhaus „ein Abbild der multiplen Modernen mit ihrer kulturellen, religiösen und spirituellen Vielfalt“ (13) ist, stellt sich die Frage nach den angemessenen Feierformen in besonderer Weise. Kühn hat das Allgemeinkrankenhaus als Untersuchungsgegenstand ausgewählt und mit einer qualitativen Erhebung eine empirische Basis geschaffen, mit der neben den vorgegebenen Feierformen die komplexe Wirklichkeit des Krankenhauses in den Blick genommen wird. Im ersten Teil der Untersuchung wird das liturgische Handeln in der Institution Krankenhaus aus religionssoziologischer Perspektive dargestellt; es kommt hier das Handlungsfeld Krankenhausseelsorge in den Blick, in dessen Vollzügen auch das liturgische Handeln verortet ist. Der zweite Teil legt das empirische Material dar. Es wurden Krankenhausseelsorger befragt, anschließend eine liturgietheologische Einordnung und Deutung ihrer Aussagen vorgenommen. Der dritte Teil bringt die theoretischen Überlegungen und die empirischen Ergebnisse zueinander. Als Ergebnis kann festgehalten werden: „Die Pluriformität des liturgischen Handelns in der Begleitung von kranken und sterbenden Menschen ist ein Charakteristikum der Krankenhausseelsorge.“ (270) Deshalb solle die Theologie der sakramentalen Feiern von den Erfordernissen der Krankenhausseelsorge her weiterentwickelt werden. Es bedarf einer situationsbezogenen Gestaltung von Liturgie, die sich in einem reflektierten Verständnis von Seelsorge gründet. Vielfach ist Liturgie in diesem Kontext ritendiakonisches Handeln. Die vielgestaltige Partizipation an den liturgischen Feiern nimmt Einfluss auf das Rollengefüge bei der Feier einer solchen Liturgie. So ist mit dem Sterbesegen ein neuer praxistauglicher und praxissensibler Ritus neben dem Sterbesakrament etabliert worden. Lausen, Hanna: Ordnungen der Trauung. Eine Diskursanalyse angesichts des Wandels von Kultur und Recht der Eheschließung seit den 1950er Jahren (Religion in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 12). Mohr Siebeck: Tübingen 2021, 451 S. Lausen legt hier einen Beitrag zur Kasualtheorie der Trauung vor. Die Anzahl der evangelischen Trauungen geht seit Jahren erheblich zurück, und die Trauung wird als das größte Problemkind der Kasualtheorie bezeichnet. (397) Bewegt sich doch die evangelische Trauung in einem Spannungsfeld, das gesellschaftliche, politische und kirchliche Interessen zu verzeichnen hat. Lausen wählt einen diskursanalytischen Zugang, um die Entwicklung der Ordnung der Trauung seit den 1950er Jahren aufgrund des gesellschaftlichen und kulturellen Wandel aufzuzeigen. Nach dem Einführungskapitel werden grundlegende Faktoren beschrieben: das historisch gewachsene Verständnis von Eheschließung und Trauung, die gesellschaftlichen Entwicklungen im Umfeld von Ehe und Eheschließung, die Entwicklung der evangelischen Kirchen in

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der Nachkriegszeit und das evangelische Kirchenrecht. Es folgt die diskursanalytische Rekonstruktion der evangelischen Trauung im Umfeld kultureller und rechtlicher Entwicklungen, zuerst das Eheverständnis, dann die evangelische Trauung, danach die Ehescheidung und die Trauung Geschiedener. Abschließend wird der Ertrag dieses evangelischen Diskurses unter Rückbezug auf die Fragestellung der Untersuchung festgehalten. Ein weiteres Kapitel firmiert als Bewährungsprobe, da im aktuellen Diskurs die Ehe, gleichgeschlechtliche Partnerschaften und die Ehe für alle verhandelt werden. Lausen stellt abschließend fest: „Entscheidend für die Bedeutung der Trauung ist es, sowohl das staatliche Recht als auch die Gesellschaft als eigenständige Größe im Diskurs wahrzunehmen. Dies gelingt jedoch nur, wenn das Muster eines überzeit­lichen protestantischen Wahrheitsanspruchs überwunden und biblische Aussagen nicht mehr normativ verstanden werden, um bestimmte Lebensformen graduell aufzuwerten. Im Interesse der Dialogfähigkeit sollte es die evangelische Kirche anstreben, die bestehenden Trauordnungen diesen Grundsätzen entsprechend zu überarbeiten. Ein entscheidender Schritt scheint mir dabei zu sein, dass das evangelische Diskursverhalten auch jenseits von Begriffen sensibel reflektiert wird.“ (403) Leppin, Volker: Repräsentation und Reenactment. Spätmittelalterliche Frömmigkeit verstehen. Mohr Siebeck: Tübingen 2021, 272 S., 24 schwarz-weiß Abb. Im Ausblick am Ende seines Buches legt Leppin dar, dass er mit den beiden Begriffen Repräsentation und Reenactment auf dem Weg zu einer Theorie spätmittelalterlicher Frömmigkeit ist. Er hebt hervor, dass die mittelalterliche Welt eine andere als unsere moderne Welt ist. Die mittelalterliche Welt ging davon aus, dass der jenseitige Gott in der diesseitigen Welt gegenwärtig ist und dass der jenseitige Gott mit der diesseitigen Welt interagiert. Damit ist schon angezeigt, was Repräsentation und Reenactment bezeichnen: Repräsentation meint das statische Gegebensein Gottes bzw. seine ontische Gegebenheit in der Welt. „Da, wo Gott oder allgemein Heiliges durch Handeln in die Gegenwart gesetzt wird, vollzieht sich ein Reenactment. Beides kann, insbesondere im Geschehen der Eucharistie, die ein großes Reenactment darstellt und zugleich eine ontische Repräsentation schafft, ineinander gleiten.“ (256) Der Begriff Reenactment wurde in der historisch interessierten Popularkultur eingeführt und bezeichnet z. B. die schauspielerische Aufführung eines historischen, mittelalterlichen Ereignisses in der Gegenwart. Das historische Ereignis wird im Spiel zu einer jetzigen Wirklichkeit. Dabei bleibt die Differenz zwischen Historischem und Gegenwart gewahrt. Das gilt nicht für das hier verwendete Verständnis von Reenactment. „Das liturgische Reenactment zielt gerade darauf, diese Differenz aufzuheben und eine Unmittelbarkeit zum Geschehen selbst zu erzeugen.“ (17) In der Eucharistiefeier wird das Kreuzesgeschehen nicht nachgespielt, sondern es wird selbst Wirklichkeit. Leppin stellt diesen Zusammenhang in mehreren Kapiteln vor. Zuerst wird das ferne Heil, wie es im Mittelalter verstanden wurde, dargelegt. Es folgen mehrere Kapitel, die beschreiben, wie das Ferne in die Nähe kommt: das Heilige ins Leben ziehen, fühlen und erlaufen, es schauen, riechen und schmecken, hören und vollziehen. Also dem Himmel nahe sein. Leppin, Volker / Sattler, Dorothea (Hg.): Gemeinsam am Tisch des Herrn II. Ein Votum des ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen. Anliegen und Rezeption (Dialog der Kirchen 18). Herder / Vandenhoeck & Ruprecht: Freiburg i. Br. / Göttingen 2021, 287 S. Die Studie Gemeinsam am Tisch des Herrn ist 2020 erschienen (vgl. JLH 60 [2021], 173) und hat eine breite Resonanz sowohl zustimmend als auch ablehnend, in jedem Fall aber auseinandersetzend erfahren. Hatte sie doch dafür plädiert, sich gegenseitig in bereits gelebte Traditionen einzuladen zur Feier des Abendmahls / der Eucharistie.

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Dazu ist es dann zumindest aus römisch-katholischer Sicht auf Seiten des Vatikans nicht gekommen. Der Ökumenische Arbeitskreis hat sich daraufhin entschlossen, mit diesem Band sowohl das Anliegen des Votums als auch seine Rezeption in Erinnerung zu rufen und mit einem weiteren Band, der 2022 erscheinen soll, Grundlagen und Perspektiven für weitere Schritte im weltweiten ökumenischen Gespräch aufzuzeigen. Die beiden Herausgeber führen in das Votum ein, geben einen Überblick über die Rezeption dieser Schrift. Es folgen Interviews mit den bischöflichen Vorsitzenden des Ökumenischen Arbeitskreises Georg Bätzing und Christian Schad. Martin Hein stellt eine Zwischenbilanz der Reaktion auf das Votum in den leitenden Gremien der evangelischen Kirchen in Deutschland vor. Albert Gerhards und Helmut Schwier legen liturgiewissenschaftliche Anmerkungen zur Frage der gegenseitigen Einladung zum Tisch des Herrn vor, die eine geistliche Haltung beschreiben, auch in unvertrauten Formen das eigene Anliegen zu erkennen. Volker Leppin rekonstruiert die Theologien von Abendmahl und Eucharistie der Reformationszeit, Theodor Schneider erinnert an frühere Arbeitsergebnisse dieses Ökumenischen Arbeitskreises über das Opfer Jesu Christi und seine Kirche aus den 1980er Jahren, und Christine Axt-Piscalar hebt das Vertrauen auf die Selbstvergegenwärtigung Jesu Christi im eucharistischen Mahlgeschehen hervor. Die nachfolgenden drei Beiträge setzen sich mit dem Amt im Kontext des eucharistischen Geschehens auseinander: Klaus Unterburger fragt nach der bischöflichen Verfassung der Kirche, Gunther Wenz stellt die lutherische Sicht dar, und Christoph Böttigheimer zeigt eine pneumatologische Perspektive auf, wie die Kontroversen überwunden werden können. Ein ausführlicher Anhang stellt neun Dokumente der Rezeption dieses Votums bereit: die Stellungnahme des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, die Würdigung dieses Votums von Vertretern der Deutschen Bischofkonferenz und des Rates der EKD, den Brief des Präfekten Luis Kardinal Ladaria an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, und den Anhang dazu mit lehrmäßigen Anmerkungen zu diesem Votum, dann die Stellungnahme des Ökumenischen Arbeitskreises zu diesen lehrmäßigen Anmerkungen, ein Interview mit Volker Leppin durch katholisch.de und einen darauf antwortenden offenen Brief von Kurt Kardinal Koch. Es folgen zwei Stellungnahmen zum Votum der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau und der Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Müller, Konrad: Das Confiteor. Studien zu seiner Gestalt und Funktion im Gottesdienst sowie im Leben der Kirche. Evang. Verlagsanstalt: Leipzig 2021, 410 S. Müller geht es darum, das Confiteor zu verstehen. (12) Das Verstehen wird aber schon allein dadurch erschwert, dass sich der Begriff Confiteor in einem Wandlungsprozess wiederfindet seit dem Beginn seiner Verwendung im 9. Jahrhundert. Insbesondere seit der Erneuerung der Agenden nach dem Zweiten Weltkrieg wird dies deutlich daran, wie der Begriff im Deutschem als Rüstgebet oder als Vorbereitungsgebet wiedergegeben wird. Deshalb analysiert Müller den Begriff in seinem historischen Prozess, wohl wissend, dass er daraus allein oder mithilfe von reiner Textexegese nicht hinreichend erklärbar und verstehbar ist. Darum nimmt Müller seinen Gebrauch mit in den Blick und greift dafür auf die Sprechakttheorie zurück. Hinzu tritt die Intertextualität des Begriffs bzw. des gesprochenen Confiteors, weil ja immer biblische Bezüge, Welt- und Gottesvorstellungen schon allein durch den bloßen Text des Confiteors aufgerufen werden. Müller stellt zunächst die Geschichte des Confiteors vor, indem er die beiden Textgestalten der VELKD-Agende von 1955 und der EKU-Agende von 1955 analysiert und seine Forschungsgeschichte dargelegt. Es folgt eine Geschichte des Confiteors von den biblischen Anfängen bis zur Gegenwart. Dann stellt Müller das Con-

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fiteor in der Liturgie z. B. bei Löhe, Smend und Trautwein, Mahrenholz, Thilo und Döber dar. Anschließend werden Ergebnisse in bedeutungstheoretischem, liturgiehistorischem, ekklesiologischem und gottesdiensttheologischem Kontext präsentiert, dann das Confiteor und seine Formen, die Morphologie des Confiteors, das Confiteor als Teil einer kirchlichen Lebensform und die Soziologie der Confiteor-­Familien. „In der Summe will diese Arbeit also einen Beitrag zur Diskussion leisten, ob und, falls Ja, unter welchen Bedingungen ein allgemeines Sünden- oder Schuld­bekenntnis als Teil einer dialogisch-responsorialen liturgischen Sequenz im Eingangsteil für den sonntäglichen Gottesdienst, der einer Agende oder einem Gottesdienstbuch oder einer anderen Vorlage folgt, unter den veränderten Bedingungen der Gegenwart sinnvoll sein kann.“ (41) Munteanu, Daniel (Hg.): „Ökumene ist keine Häresie“. Theologische Beiträge zu einer ökumenischen Kultur (FS Metropolit Augoustinos von Deutschland). Schöningh: Paderborn 2021, 669 S., 1 Abb. Diese voluminöse Festschrift ist Metropolit Augoustinos von Deutschland, ­Exarch von Zentraleuropa und Vorsitzender der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland, zum 80. Geburtstag gewidmet. Munteanu führt mit seinem Vorwort in dieses Werk ein, es folgen Botschaften, Grußworte und Würdigungen von seiner Allheiligkeit, dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I., Irmgard Schwaetzer, der Präses der EKD-Synode, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, dem Ratsvorsitzenden der EKD, Reinhard Kardinal Marx, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Gerhard Feige, dem Vorsitzenden der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz, Metropolit Gennadios of Sassima, dem stellvertretenden Vorsitzenden des ÖRK-Zentralausschusses, und vom Metropoliten Serafim Joanta, dem Metropoliten von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa. Es folgen Beiträge von orthodoxen, römisch-katholischen und evangelischen Theologen zu vier Themenbereichen: Ökumenische Sozialethik und Öffentliche Theologie, Ökumene der Spiritualität, Ökumene des interreligiösen Dialogs und ökumenische Missionstheologie. Zur Ökumene der Spiritualität finden sich Beiträge, die auch liturgische Bezüge haben: Myronsalbung und Konfirmation; es geht auch um das Wirken des Heiligen Geistes, die Bedeutung der göttlichen Schöpfung oder um das Filioque-Problem. Der Liturgie als solcher ist kein Beitrag gewidmet, vielmehr stellen die Beiträge dogmatische, ethische und die Öffentlichkeit betreffende Belange heraus. Pius-Parsch-Institut (Hg.): Protokolle zur Liturgie. Veröffentlichungen der Liturgiewissenschaftlichen Gesellschaft Klosterneuburg, Bd. 9 (2020–2021). Echter: Würzburg 2021, 282 S. Im ersten Teil sind liturgiewissenschaftliche Beiträge abgedruckt: Es geht um das Lob der Schöpfung in der Liturgie (Redtenbacher), es wird die Deutschlandreise von Pius Parsch 1929 als bislang unveröffentliche Quelle ausgewertet (Lerch), es geht um die Eliminierung von Hebraismen in katholischen Liturgien während der NS-Zeit (Schwerzberg), um das Konzilstagebuch von Josef Andreas Jungmann (Pacik), um Machtspiel, Liturgie und kirchliche Transformationsprozesse (Kranemann), um die formative Kraft der Liturgie (Bukovec), um die Liturgie im schulischen Kontext (Seper). Im zweiten Teil werden pastoralliturgische Beiträge geboten, z. B. über Spiritualität in der Pastoral (Redtenbacher), über die Zukunft von Pfarreien (Hennersperger), über Bibel, Liturgie und Pfarrei (Fürnsinn). Hinzu kommen die Laudatio von Jürgen Bärsch auf Marco Benini zur Verleihung des Pius-Parsch-Preises im Jahr 2019 und die Predigt von Benini anlässlich dieser Verleihung.

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Polster, Anne: Jugendliche und ihre Konfirmation. Theologische Diskurse – empirische Befunde  – konzeptionelle Erwägungen (PTHe 179). Kohlhammer: Stuttgart 2021, 345 S. Diese Arbeit stellt das Ereignis und das Erleben der Konfirmation in den Mittelpunkt der Erforschung. Es wird mit sozialwissenschaftlichen Methoden ein handlungspraktisches, atheoretisches Wissen erhoben. Im ersten Kapitel wird in das Thema Konfirmation im praktisch-theologischen Diskurs eingeführt. Im zweiten Kapitel wird in die Methode der Gruppendiskussion eingeführt, die in Anschluss an Konfirmationen 2015 und 2016 in drei Kirchengemeinden durchgeführt wurde. Im dritten Kapitel wird die Chronologie des Konfirmationstages als Fest rekonstruiert. Das vierte Kapitel nimmt das Ergebnis des vorherigen Kapitels auf und entfaltet es aus der Perspektive der Konfirmanden. Aufgrund des dritten und vierten Kapitels wird im fünften Kapitel die Bedeutungskonstruktion der Konfirmation beschrieben und somit kommen die Zusammenhänge und die übergeordneten Bedeutungen zum Tragen. Das sechste Kapitel beschreibt Anstöße für die theologische Diskussion um die Konfirmation. Polster empfiehlt den Empowerment-Ansatz, der einen Prozess meint, in dem Selbstbestimmung und Selbstverantwortung im Zentrum stehen. Das gilt für Individuen (Konfirmanden) und für Gruppen (Konfirmandenjahrgang). „Charakteristisch ist dabei für den Empowerment-Ansatz, dass dessen Perspektive an den Stärken und Fähigkeiten von Menschen statt an ihren Defiziten und Schwächen orientiert ist.“ (301) Mit zehn Thesen wird die Arbeit beschlossen, die auffordern, die Konfirmandenarbeit und die Konfirmation als Empowerment zu gestalten. Quartier, Thomas: Rituale leben. Suchbewegungen im Mönchtum. Echter: Würzburg 2021, 200 S. Quartier ist Mönch und Professor für monastische Studien. Er bezeichnet das Kloster als ein Rituallabor und hat seit vielen Jahre Workshops zu Ritualen abgehalten. Seine Überlegungen, Erfahrungen und Deutungen kommen nach einer Einleitung in neun Essays zum Ausdruck: Krisenrituale, Übergangsrituale, Alltagsrituale, Zeit für Rituale, Raum für Rituale, rituelle Haltung, Symbole, Grundlage, Nachklang – Requiem. In diesen Beiträgen wird deutlich, wie Quartier sich mit der Regel des Benedikt, den gegenwärtigen Ritualtheorien und den Erfahrungen aus den Workshops auseinandersetzt, und macht sie so wichtig und verstehbar für die gegenwärtige Suche nach Sinn für das persönliche wie gesellschaftliche Leben. Riß, Kamila Barbara: Liturgie im Kontext von Migration. Polnischsprachige Gemeinden in Deutschland (EThSt 118). Echter: Würzburg 2020, LVII, 408 S. In ihrem Vorwort teilt Riß mit, dass es anfänglich eine ebenso simple wie persönliche Frage war, die zu dieser Dissertation geführt hat: Was ist das Besondere, „das die polnischen Katholiken in die polnischsprachige Messe zieht.“ (V) Die Arbeit untersucht die Liturgie in ihrer Bedeutung für Migrationsprozesse am Beispiel der polnischen Migranten in Deutschland: Es gibt ca. 2 Millionen Polen in Deutschland mit Migrationshintergrund. Nach einer Einleitung werden zentrale Begriffe wie z. B. Migration, nationale Identität, Heimat, polnischsprachige Liturgie etc. geklärt. Der Oberbegriff Liturgie wird katabatisch, anabatisch und diabatisch auf die besondere Bedeutung von Liturgie für Migrationsprozesse erklärt und die identitätsstiftende, kulturelle, gesellschaftliche, religiös-nationale, segregierende und integrierende Funktion der Liturgie wird beschrieben. Es folgt eine Auseinandersetzung mit der besonderen, polnischsprachigen Seelsorge in Deutschland und dem Vorwurf, dass dadurch wie auch durch polnischsprachige Liturgien die Integration erschwert werde. Es werden anschließend die kirchlichen Dokumente erarbeitet, die sich im 20. und 21. Jahrhundert mit Mi­

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gration befasst haben. Danach wird die polnischsprachige Seelsorge in Deutschland vom 19. Jahrhundert an dargestellt und es werden drei polnischsprachige Gemeinden – Berlin, Dresden, Würzburg – untersucht. Der abschließende Teil fasst die Ergebnisse zusammen. Neben ihrer klassischen Bedeutung übernimmt die Liturgie für die Migranten die Funktion, auch Träger von polnischen Werten und Vorstellungen, religiös-nationalen Einstellungen und Brauchtumsformen zu sein. Zudem kommt die seelsorgerliche Dimension von polnischsprachigen Gemeinden für die Migranten in den Blick. Es lassen sich drei Gruppen von Migranten beschreiben: Die eine Gruppe hat eher einen volkstümlichen katholischen Glauben und lassen diesen oftmals an der Grenze zurück. Die andere Gruppe findet angesichts von Fremdheit und Ratlosigkeit im neuen Land zu den polnischen Gemeinden und auch zurück zum Glauben. Die dritte Gruppe setzt in Deutschland ihren kirchlich-katholischen Glauben fort und dieses manches Mal auch in deutschsprachigen Gemeinden. Rüpke, Jörg: Ritual als Resonanzerfahrung (Religionswissenschaft heute 15). Kohlhammer: Stuttgart 2021, 275 S. „Die unterschiedlichen Beziehungen und Beziehungsqualitäten religiösen rituellen Handelns sind damit der Gegenstand dieses Buches.“ (33) Es geht Rüpke nicht darum, die von ihm formulierten Begriffe von Ritual und Religion zu verwenden, um „ein abstraktes System, eine Grammatik rituellen oder religiösen Handelns zu entwerfen (…). Beide Begriffe erlauben aber – heuristisch –, nach bestimmten Phänomenen zu suchen und Hypothesen über mögliche Verknüpfungen zu formulieren.“ (34) Nachdem er die religionstheoretischen und methodischen Grundlagen dargelegt hat, geht es im ersten Teil der Darstellung um die dingliche Welt, also um die Objekte. Es geht um Sakralisierung, um Opfer, Altäre, Rituale etc. Im zweiten Teil geht es um die Leiblichkeit der rituellen Akteure, um ihr Sehen, Essen und andere Sinne. Auch hier geht es wie im ersten Teil nicht um abstrakte Dimensionen, sondern um konkrete Phänomene. Im dritten Teil wird nach den Selbst-Beziehungen durch das rituelle Handeln, nach der Sakralisierung der Zeit, nach Identität und Rollen gefragt. Im vierten Teil wird gefragt nach den Beziehungen zu anderen Menschen, wie sie durch Macht, Eigentum, Gewalt oder rituelle Vollzüge gestaltet sind. Zum Schluss setzt Rüpke sich mit dem Ritual als Resonanzerfahrung auseinander in Anlehnung und Aufnahme von Hartmut Rosas Werk über Resonanz. Schleifenbaum, Adrian Micha: Kirche als Akteurin der Zivilgesellschaft. Eine zivilgesellschaftliche Kirchentheorie dargestellt an der Gemeinwesendiakonie und den Fresh Expressions of Church (APTLH 97). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2021, 303 S. Zumindest die öffentlich-rechtlichen Kirchen sind immer Akteurinnen in der Zivilgesellschaft; die Frage ist nur, wie sie es sind. Die andere Frage ist, wie sich die Gesellschaft bzw. die Zivilgesellschaft derzeit entwickelt und verändert. Schleifenbaum nimmt im ersten Kapitel diesen Wandel als eine Moderne in den Blick, die sich von einer soliden zu einer liquiden Moderne entwickelt. Dafür nimmt er die Untersuchungen der Soziologen Bauman und Beck in Anspruch, wobei die beiden Grundtendenzen Individualisierung und Globalisierung den Übergang von der soliden zur liquiden Moderne deutlich zeigen. Seine Darstellung von Kirche orientiert Schleifenbaum an Hermelinks Kirchentheorie, da die Kirche sich als Organisation, Institution, Interaktion und Inszenierung zeige. Die raumlogische und die handlungslogische Perspektive treten bei der Zivilgesellschaft in Bezug auf die Kirche in den Fokus, weil eine Kirchengemeinde immer über raumlogische bzw. nachbarschaftliche Verhältnisse verfügt bzw. weil die Kirche der Nachbar von Staat, Privatsphäre

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und Ökonomie ist und immer an Handlungen interessiert ist. Entsprechend wird die Kirche als zivilgesellschaftliche Akteurin beschrieben mit ihrer typischen Form von Organisation, Institution, Interaktion und Inszenierung. Schleifenbaum hält fest: „Mit ihrem zivilgesellschaftlichen Profil liefert die Kirche bereits gute Antworten auf die Herausforderungen einer liquider werdenden Moderne. Indem sie ihre zunehmend nur zeitweiligen Ehrenamtlichen auf organisatorischer Ebene professionell und flächendeckend begleitet und schult, indem sie ihren institutionell vorgegebenen Auftrag zum Einsatz für Arme und Schwache annimmt, indem sie ihre interaktionalen Netzwerke für Menschen aller Couleur der multiplen Moderne zugänglich macht und indem sie sich auf diese auch inszenatorisch zubewegt, bleibt Kirche in liquider Bewegung. Wenn sich Kirche innerhalb des hier aufgezeigten Rahmens bewegt, hat sie gute Chancen, ihre Rolle in der Zivilgesellschaft bewusster einzunehmen und damit auch mehr positive wie notwendigerweise auch kritische Resonanz zu gewinnen. Das bedeutet zugleich, Trutzburgen der soliden Moderne in Form von organisationaler Eindeutigkeit, institutioneller Normativität, interaktionaler Einengung bei gleichzeitiger Ausgrenzung und inszenatorischer Singularität hinter sich zu lassen.“ (204) Zwei Beispiele einer sich so verstehenden Kirche in der Zivilgesellschaft macht Schleifenbaum an der Gemeinwesendiakonie und an der Bewegung der Fresh Expressions of Church deutlich. Die Fresh X-Bewegung stammt aus Großbritannien und will das Beste für die Menschen. Daher ist eine Kirchengemeinde, die sich dieses Profil zu eigen macht, an der Nachbarschaft und ihren Bedürfnissen orientiert. Sie ist sozusagen im zivilgesellschaftlichen Leben gut vernetzt, weil sie eine aufsuchende Dynamik ihr eigen nennt. So gewinnt Kirche Kontakt zu Menschen, die eher wenig Bezug zur Kirche haben. Die Gemeinwesendiakonie orientiert sich z. B. an der Aktivierung von Menschen, die sich für Personen aus sozialen Brennpunkten einsetzen, oder eben am Wohl von Menschen, die eher übersehen werden. Schleifenbaum stellt sowohl die Fresh X-Bewegung als auch die Gemeinwesendiakonie als kirchlich-zivilgesellschaftliche Organisation, Institution, Interaktion, Inszenierung vor. Er plädiert abschließend für mehr Zivilgesellschaft in der Kirche wie auch für mehr Kirche in der Zivilgesellschaft. Schmitz, J. Daniel H.: Liturgie 4.0. Anforderungen des Homo digitalis in liturgischer Theorie und Praxis (Theologie der Liturgie 18). Friedrich Pustet: Regensburg 2021, 128 S. Schmitz geht davon aus, dass die Digitalisierung alles ändert, da alle Teilsysteme im Luhmann’schen Sinne von der Digitalisierung durchdrungen werden, sodass auch der Mensch nun als Homo digitalis bezeichnet werden kann. Und wenn sich alles ändert, wird die Liturgie wohl nicht unverändert bleiben. Der Homo digitalis wird Liturgie „nur noch in einem digitalisierten und medialisierten Kontext wahrnehmen und rezipieren, d. h. in einer hochpluralen Umwelt, die der Kirche ihre Deutungshoheit und der Liturgie ihre Eindeutigkeit nimmt. Diese Schwachstelle ist Ansatzpunkt dieser liturgiewissenschaftlichen Arbeit.“ (11) Das bedeutet: „Eine Kirche, die sich von institutionellem Egoismus löst, nimmt den Menschen, der heute ein Homo digitalis ist, in den Blick, interessiert sich für ihn und kann so zur dienenden Kirche in der Dienstleistungsgesellschaft werden.“ (11) Diese Untersuchung zielt nicht darauf ab, neue Handlungsanweisungen oder praktische Gestaltungsfragen zu erörtern. Die Frage ist vielmehr, das sich Ändernde zu eruieren, auf die Anthropologie des Homo digitalis zu reflektieren und diese auf neue Akzentuierungen der liturgischen Feiergestalt und ihren Sinngehalt zu beziehen – eine neue Reformaufgabe der Kirche, die beim Homo digitalis ansetzt.

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Spehr, Christopher / Westphal, Siegrid / Paasch, Kathrin (Hg.): Reformatio et memoria. Protestantische Erinnerungsräume und Erinnerungsstrategien in der Frühen Neuzeit (RSAS 75). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2021, 536 S. Die Erinnerungskultur an die Reformation zu eruieren zeigt, wie und warum und auch was erinnert werden soll und was eben auch eher nicht. An den 31. Oktober bzw. 1. November 1517 erinnerte Luther in einem Brief an Amsdorff exakt zehn Jahre später und setzte damit die Erinnerungskultur an die Reformation in Gang. In diesem Band über die Frühe Neuzeit werden die Akteure der reformatorischen Erinnerungskultur, die Gedächtnisspeicher, -orte und -medien der Reformation benannt, danach die reformatorischen Erinnerungskulturen. Die Erinnerungskulturen der Jubiläumsjahre 1617 und 1717 werden beleuchtet, deren Akteure Fürsten und Universitäten waren – oder z. B. Ernst Salomon Cyprian. Die Gedächtnisspeicher sind Bücher und Bibliotheken, Lutherausgaben oder auch das Singen in den Gottesdiensten, hier wird die Muscia efficax in den Mittelpunkt gestellt. Wie die lutherische Erinnerungskultur vom 16. bis 18. Jahrhundert Gestalt gewann, lässt sich an den ernestinischen Herzögen gut ablesen. Stockhoff, Nicole / Stuflesser, Martin / Weyler, Tobias / Winter, Stephan (Hg.): „Himmel­ wärts und ausgesandt … hinaus in alle Welt“. Großgottesdienste als Thema der Liturgiewissenschaft. Aschendorff: Münster 2021, 190 S. Dass Großgottesdienste mit mehreren 10.000 Menschen vielfältige Fragen aufwerfen, liegt auf der Hand. Es sind nicht nur organisatorische Fragen, sondern es geht auch darum, welche Erwartungen die vielen Mitfeiernden haben, wie sie die Mitfeier wahrnehmen und bewerten, wie die meist medial vermittelten Großgottesdienste über das Fernsehen oder Internet wirken, welche Öffentlichkeitswirkung, welche Wirkungen sie für die Gemeindegottesdienste etc. haben und was dies liturgietheologisch bedeutet. Als Beispiel der Erforschung solcher Fragen wurden die beiden Großgottesdienste beim Katholikentag 2018 in Münster ausgewählt. Am Himmelfahrtstag und am Sonntagmorgen nahmen 25.000 bzw. 30.000 Menschen teil. Nach einer Einführung in dieses Vorhaben wird der Großgottesdienst als ein Anwendungsfall einer rezeptionsund wirkungsästhetisch ausgerichteten Liturgiewissenschaft beschrieben. Dann folgt der empirische Teil: Zu beiden Gottesdiensten wurden Umfragen anhand von schriftlichen Fragebögen durchgeführt. Die Ergebnisse lassen sich nicht kurz zusammenfassen, aber ersichtlich wird, dass diese Gottesdienste eher für das Fernsehen geeignet sind, weil die Fernsehsender auf die Gestaltung erheblichen Einfluss nehmen und die tatsächlichen Mitfeiernden in Münster sich eher als Zuschauer erfuhren denn als Mitfeiernde wie in der Heimatgemeinde. Die Mitfeier wurde aber wesentlich dadurch befördert, dass auf zwei Leinwänden das Agieren auf der Bühne, am Altar und Ambo für die vielen Teilnehmenden sichtbar gemacht wurde. Auch wurde das Gemeinschaftsgefühl, entstanden durch die vielen Teilnehmenden, positiv vermerkt. Drei weitere Beiträge vertiefen das bisher Erarbeitete, indem die Geschichte der Katholikentage rekapituliert wird, religiöse Events aus soziologischer Sicht reflektiert werden und wegen der medialen Vermittlung Perspektiven für die Corona-Zeiten aufgezeigt werden. Im Anhang wurden die Gottesdienstabläufe und der Fragebogen abgedruckt. Theißen, Henning: Gottes Gegenwart wahrnehmen. Die Grundvollzüge des christlichen Gottesdienstes für unsere Zeit erklärt. Schöningh: Paderborn [2020] 22021, XI, 192 S. Theißen legt hier aus systematisch-theologischer Sicht eine Erklärung des Gottesdienstes und seiner Liturgie vor, die bei der Wahrnehmung ansetzt. „Ich behaupte, dass die Aufgabe und das Wesen des Gottesdiensts darin bestehen, Gottes Gegenwart wahrzunehmen.“ (VII) Diese Wahrnehmung wird in vier Schritten nachgezeichnet;

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ihnen vorangestellt ist eine Grundlegung. In dieser Grundlegung wird der Begriff der Wahrnehmung erläutert; die Gegenwart Gottes wird in den vier Grundvollzügen des Gottesdienstes wahrgenommen, wie sie das Evangelische Gottesdienstbuch von 1999 darstellt. Da Theißen keine konfessionell orientierte Erklärung des Gottesdienstes vorlegen will, meldet sich die Wahrheitsfrage zu Wort. Diese wird von ästhetischer, also wahrnehmungsorientierter Perspektive her aufgenommen: „In ihrem Zentrum steht nicht der Entscheid über die Wahrheit der von den Kirchen mit ihren jeweiligen Liturgien erhobenen Ansprüche auf Vergegenwärtigung des gemeinsamen Grundes, sondern die bloße Wahrnehmung dieses Grundes.“ (8) Theißen geht vom Wort Gottes aus bzw. von Gott selbst, der aller Wahrnehmung und allem menschlichen Tun voraus­ geht, und legt die Relationen von Wort und Sakrament, Wort und Zeichen, Wort und Name, Wort und Symbol dar. Abschließend wird die Relation von Ästhetik und Ethik des christlichen Gottesdienstes bedacht und anschließend die Wahrnehmung Gottes in den vier Grundvollzügen nach dem Evangelischen Gottesdienstbuch dargelegt. Zuerst erfolgt die Eröffnung und Anrufung als Gott wahrnehmen. Danach folgt Verkündigung und Bekenntnis als Dialog der Gemeinde mit Gott. Die Wahrnehmung wird also komplexer, weil nun auch Gott zur Gemeinde spricht. Darauf folgt der dritte Grundvollzug als Sakramentsfeier. Theißen beschreibt sie als Selbstwahrnehmung der Gemeinde, der Wahrnehmungsvorgang wird um die Selbstwahrnehmung gegenüber den ersten beiden Grundvollzügen noch komplexer. Es werden Taufe, Abendmahl und Sündenvergebung erörtert. Die Sakramentsgemeinde nimmt sich selbst wahr als eine versöhnte Gemeinschaft. Der vierte Grundvollzug ist Sendung und Segnung als ethische Konsequenzen des Gottesdienstes. Theißen nimmt das Fürbittengebet und das Vaterunser mit in diesen Grundvollzug hinein und unterstreicht damit die ethische Dimension des Segens, die er sogar allein für den Segen gelten lassen will. „Menschen werden durch den Segen zu- und ausgerüstet für den Weg, den sie gehen, und damit für eine bestimmte Aufgabe gesegnet. Dieser grundlegende Konnex von Segen und Sendung macht die ethische Qualität des Segens aus. Niemand wird ‚einfach so‘ gesegnet, sondern immer für ein konkretes Tun.“ (135) Es geht also beim Segen um die Wahrnehmung von Kirche und Welt. Thöle, Reinhard: Geheiligt werde dein Name. Christliche Gottesdienste zwischen Anbetung und Anbiederung. Tectum: Baden-Baden 2021, 178 S. Thöle wirft einen kritischen und ernüchternden Blick auf die Gottesdienste der Kirchen. Dabei hat er die Großkirchen, die evangelische(n), die römisch-katholische und die orthodoxen Kirchen im Blick. Thöle hält gleich zu Beginn seines Buches fest, dass neben den üblichen Gottesdienstfeiern, die sich in Agendenformularen zeigen, noch vieles zum Gottesdienst hinzugetreten ist, das ebenso tradiert wird wie z. B. Bräuche, Haltungen, Umgangsformen etc. Er legt so etwas wie ein Psychogramm der Kirchen vor, das sich in vielen Beobachtungen und Informationen zum Phänomen Gottesdienst zeigt. Thöle beginnt mit den Wurzeln des Gottesdienstes im Neuen Testament, dann folgt die ökumenische Welt, die er als gelähmt beschreibt. Die katholische Welt stehe zwischen Traditionsbewahrung und sei zugleich ein Modernismusopfer, die orthodoxe Welt befinde sich zwischen Hingabe und Berührungsangst, die evangelische Welt changierte zwischen aufgeklärter Bibeltreue und dem Verlust der Identität. Weitere Kapitel befassen sich mit kleineren Kirchen oder fundamentalistischen Gruppen innerhalb der Kirchen. Auch einzelne Theologen oder Psychologen werden bedacht. In jedem Fall fehle den heutigen Gottesdiensten die Gewissheit, dass Gott heilig ist und dass man sich dem Heiligen nähert, wenn man Gottesdienst feiert. Gottesdienst zu feiern sei gefährlich und eben nicht normal oder gar banal. „Besucht man

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in Deutschland Gottesdienste der verschiedenen Kirchen und Gemeinden, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich vielfach um gut gemeinte, mit wenigen Handgriffen ansprechend gemachte Kulturveranstaltungen handelt, zu denen sich wie bei einem Verein eine Klientel einfindet, die von einer kleinen Schar Ehrenamtlicher umsorgt wird. Es ist eine Mischung von Kultur- und Aktionsgemeinschaft, die eine Auswahl dogmatischer und ethischer Elemente des Christentums bewahren will.“ (164) „Wenn man Anbetung, Gottesfurcht und Hingabe, also das Mysterium des heiligen Geschehens, das im christlichen Kultus der Heiligen Eucharistie überliefert ist, eliminiert, zerstört man die genuinen anthropologischen Anknüpfungspunkte des Glaubens.“ (169) Noch anders ausgedrückt: „Gefährlich ist es, Gott im Gottesdienst zu begegnen, noch gefährlicher ist es, ihm im Gottesdienst nicht zu begegnen.“ (166) Wahle, Stephan / Walter, Meinrad: Im Klangraum der Messe. Wie Musik und Glaube sich inspirieren. Herder: Freiburg i. Br. 2021, 224 S., 31 schwarz-weiß Abb. Zu jeder Rubrik der Liturgie einschließlich der Predigt werden musikalische Werke geboten, denn „uns interessiert, wie Komponisten in ihrer jeweiligen Musik-Sprache die Gesänge und Riten der Messe interpretieren“ (7). Auf diese Weise wird in ganz unterschiedliche Klangwelten eingeführt. „Knappe historische und liturgietheologische Informationen führen jeweils in die Grundstrukturen sowie in das geistliche Geschehen der Messe ein. Wie ein Kontrapunkt wirkt zudem ein komplementärer Aspekt. Wir fragen auch danach, welche theologischen und spirituellen Impulse von gottesdienstlicher und konzertanter Musik ausgehen können: für ein verstehendes und vertieftes Mitfeiern der Messe ebenso wie für deren durchdachte liturgische und musikalische Gestaltung.“ (8f) Um zu den Texten die jeweilige Musik zu hören, werden nicht nur CD-Einspielungen genannt, sondern es steht jeweils auch ein QR-Code zur Verfügung, der zu Aufnahmen im Internet führt. Einige Beispiele: das Gloria aus Händels Messias, Psalm 23 aus dem synagogalen Gottesdienst nach Lewandowski, die Auslegung der Predigt in Tönen mit Heinrich Schützens Musikalischen Exequien, das Credo nach Leonard Bernsteins I believe in one God, das Sanctus nach Bachs hMoll-Messe oder das Vaterunser von Arvo Pärt. Wegschneider, Florian: Der liturgische Advent. Eine liturgiehistorische und heortologische Untersuchung der Ursprünge und Anfänge einer Vorbereitungszeit auf das Geburtsfest Christi (StPaLi 46). Friedrich Pustet: Regensburg 2021, 263 S. Die Adventszeit als Vorbereitungszeit auf das Fest Nativitas oder Epiphanias ist eine Parallele zur Vorbereitungszeit auf Karfreitag und Ostern, die älteren Datums ist. Diese Bipolarität hat Josef Andreas Jungmann und Martin Jugie sowie Walter Croce unterschiedliche Ursprungsthesen formulieren lassen, mit denen sich Wegschneider auseinandersetzt. Hinzu kommen die religionsgeschichtliche Hypothese und die Berechnungshypothese. Wegschneider untersucht daraufhin die Quellen über diese Vorbereitungszeit: die Synode von Saragossa (380), Brief einer Asketin, der Rotulus von Ravenna, Sermone von Maximus I. von Turin, Homilien von Proklos von Konstantinopel, die Homilien Antipater von Bostra. Wegschneider kommt zu dem Ergebnis, dass die ursprüngliche Entwicklung der Vorbereitungszeit auf das Geburtsfest Christi auf die christologischen Kontroversen im 4. und 5. Jahrhundert zurückzuführen ist. Da sich diese Auseinandersetzungen am Geburtsfest Christi orientierten, haben kirchliche Autoritäten die Vorbereitungszeit als Einstimmung auf das Fest genutzt, um mit Predigten und Liturgie die Bedeutung der Christologie hervorzuheben. Das älteste Dokument für diese Vorbereitungszeit sind die Beschlüsse der Synode von Saragossa. Die eschatologische und auch marianische Prägung der adventlichen Vorbereitungszeit sind spätere Entwicklungen.

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Werz, Joachim / Hahn, Ernst Henning (Hg.): Vor dem Skandal. Faktoren für die Skandalisierung (Skandalhistorische Studien und Texte 1). Aschendorff: Münster 2021, 264 S. Mit diesem Buch wird eine neue Reihe für die Skandalforschung eröffnet, die Beiträge in diesem Band gehen auf eine erste Tagung zur Skandalogie zurück. Die beiden Herausgeber führen in Band und Reihe ein. Es folgen die Dokumentation eines Gesprächs zu diesem Thema und ein Beitrag über Ursachen und Auslöser von Skandalen. Anschließend geht es um Mechanismen und Strategien von Skandalen: bei den Wittenberger Unruhen 1521/1522 um die Frage, ab wann man von einem Skandal spricht, und, inwiefern damit eine Marketingstrategie zusammenhängt. Im dritten Teil geht es um Emotion, Moral, Norm und Geschichte als einflussreiche Faktoren für Skandalisierungen. Einige Beiträge bearbeiten die kirchliche Verwendung des Skandalbegriffs, die emotionalen und unbewussten Aspekte von Skandalisierung. Es geht um Korruption, um Geld, um das Hofheimer Mess-Festival von 1971 (siehe nachfolgende Besprechung), um einen tatsächlichen Skandal. Im vierten Teil werden journalistisch-mediale Faktoren von Skandalisierungen erörtert. Im Anhang findet sich ein Tagungsbericht. Werz, Joachim: Das Hofheimer Mess-Festival 1971. Ein Erinnerungsort für das Bistum Limburg (Skandalhistorische Studien und Texte 2). Aschendorff: Münster 2021, 480 S., 57 Abb. Das Hofheimer Mess-Festival am 13. Juni 1971 war ein Jugendgottesdienst, der die Aufbruchsstimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils aufnehmen und gestalten wollte. Herbert Leuninger, als römisch-katholischer Priester und Bezirksjugendpfarrer, wollte „die Kirche so im Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils zur Welt und ihren Menschen hin verändern, dass diese wieder vermehrt zu einer geistigen Heimat für die Jugend werden konnte. Hierfür sollten Feierformen und Sprachen gefunden werden, die die jungen Menschen erreichen und in denen sie sich mit ihren Emotionen, aber auch mit ihrem Denken und Handeln wiederfinden sollten.“ (71) So wurde zu einem mehrstündigen Festival unter freiem Himmel eingeladen, bei dem auch dieser Gottesdienst als Messe in freien Formen mit Popmusik gefeiert wurde. Es kamen mehr als 650 Jugendliche in Hofheim / Taunus zusammen. Die Reaktionen auf diese Veranstaltung lösten eine Protestwelle aus, die deutschlandweite Presse berichtete darüber, der Limburger Bischof geriet ins Kreuzfeuer und selbst der Vatikan stellte Fragen. Der Konflikt wurde gelöst, indem das Festival als ein einmaliges Experiment aufgefasst und zu den Akten gelegt wurde; ein weiteres Mess-Festival sollte es nicht geben. Diese vermeintliche Ruhe hielt nicht lange an, da Leuninger ein Buch über das Mess-Festival drucken lassen wollte, das Einblicke in Vorbereitung, Durchführung etc. offenlegte. Dies Buch wurde von bischöflicher Seite verboten und der Verlag sagte die Publikation ab. Aufgrund der Presseberichte erhob sich eine zweite Protestwelle und es gab Auseinandersetzungen. Werz stellt als Kirchenhistoriker die Quellen zusammen, bietet viele Fotographien im Text sowie in einem ausführlichen Appendix. So kann er deutlich machen, dass viele Akteure beteiligt waren, und damit auch theologie-, liturgie-, kirchenmusik- und medienhistorische Perspektiven dieses Ereignisses herausarbeiten. Er ordnet dieses Ereignis als Skandal ein, indem er es skandaltheoretisch reflektiert. Wisker, Marius: Events in der praktisch-theologischen Theoriebildung. Kohlhammer: Stuttgart 2021, 303 S., 19 Abb. Marius Wisker befasst sich mit dem zeitgenössischen Phänomen Event. In den letzten Jahrzehnten können sich anscheinend fast alle Veranstaltungen zu einem Event entwickeln oder sie werden zielgerichtet zu einem Event gestaltet. Auch kirchliche Veranstaltungen werden sogenannterweise „eventisiert“. Das allseits bekannte und

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oftmals aus kirchlicher oder bildungsbürgerlicher Sicht kritisierte Phänomen hat bislang keine eingehende wissenschaftlich-theologische bzw. praktisch-theologische Bearbeitung erfahren. Wisker hat nun dieses Phänomen in Hinsicht auf die praktisch-theologische Theoriebildung untersucht und einen eigenen Event-Begriff für christliche Events vorgelegt. Wisker gliedert seine Untersuchung in drei Teile: 1. einen Theorieteil, in dem er sich mit soziologischen, ökonomischen und festtheoretischen Ansätzen befasst; 2. einen Praxisteil, der Events des Deutschen Evangelischen Kirchentags sowie des Pfingstjugendtreffens des Diakonissenmutterhauses Aidlingen untersucht, danach die Feierformen der Gemeinschaft von Taizé vorstellt, die bewusst keine Events veranstaltet, und anschließend die Eventisierung von Gottesdiensten nachzeichnet; 3. eine abschließende theologische Reflexion, die Events z. B. aus ökonomischen oder politischen Motivationen unterscheidet und den Charakter eines christlichen Events herausarbeitet. Wisker legt folgende eigene Definition des Begriffs Event vor: „Ein Event ist eine Veranstaltung, die vom Veranstalter auf eine fokussierte Zielgruppe hin professionell unter Berücksichtigung des Zusammenwirkens der drei Faktoren (1) teilnehmendes Subjekt, (2) Erlebnis und (3) die das Subjekt beeinflussende Gemeinschaft ausgerichtet wird, um einzigartige Erlebnisse zu ermöglichen.“ (61) Wisker stellt die drei Faktoren graphisch als Zahnräder dar, die ineinandergreifen. Er legt dar, dass ohne das Ineinandergreifen der drei Zahnräder ein Event nicht zustande kommen wird, und zeigt zugleich auf, dass die Absicht eines Veranstalters, ein Event zu gestalten, nur so weit greift, wie auch der Teilnehmer diese Veranstaltung als Event erlebt und ein besonderes Erlebnis erfährt. Wisker bringt diesen Tatbestand auf die griffige Formel, dass ein Event von dem Veranstalter wohl nur dann als gelungen gewertet wird, wenn sich Menschen nicht als Besucher, sondern als Teilnehmer erfahren. In diesem Zusammenhang hebt Wisker hervor, dass traditionelle Feste und Feiern sich zu Events weiterentwickeln. Die Eventisierung von Gottesdiensten lässt sich am deutlichsten an den alternativen Gottesdiensten beobachten. Es waren zuerst die Lieder, die eine Veränderung in die Richtung Erlebniserfahrung aufzeigten. Die alternativen Gottesdienstformate nehmen bewusst eine Kundenorientierung auf; neben den landeskirchlichen alternativen Gottesdienstformaten werden auch freikirchliche Angebote untersucht. Dagegen stellt Wisker die Brüder von Taizé, die bewusst auf eine Eventisierung verzichten. Denn sie richten ihre Gebete nicht an den Bedürfnissen der Teilnehmer aus, sondern wollen die Teilnehmer an ihrer eigenen Art zu beten teilhaben lassen. Es wird auf diese Weise durch den Veranstalter also keine Gemeinschaft der Teilnehmer intendiert oder sogar hergestellt, sondern es wird erwartet, dass die Teilnehmer an den Gebeten der Brüder teilnehmen. Wisker unterscheidet christliche und andere Events, da christliche Events von einer transzendenten Sinngebung ausgehen. Eingeladen wird zur Gemeinschaft mit den Glaubensgeschwistern und mit Gott, und das teilnehmende Subjekt geht davon aus, dass ein christliches Event zur Begegnung mit Gott führt. Die teilnehmenden Subjekte werden als Teilnehmer angesehen und nicht als Besucher, da sie mitbeten, mitsingen und mithören, also mitfeiern sollen und können. Wolff, Edda: Liturgical Non-Sense. Negative Hermeneutics as a Method for Liturgical Studies Based on Liturgical Case Studies of Holy Saturday (RPT 114). Mohr Siebeck: Tübingen 2021, 236 S. Negative Hermeneutik nimmt Abstand von einer Hermeneutik – fußend auf Schleiermacher und Dilthey –, die das Verstehen als einen Vorgang begriff, der sich allum-

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fassend verstand und damit in allem einen Sinn eruieren konnte. Von diesem Totalkonzept hat sich Negative Hermeneutik verabschiedet und „versteht“, dass es auch Vorgänge gibt, die sich nicht verstehen lassen bzw. keinen Sinn haben oder zeigen (können). In dieses Feld führt Wolff zunächst ein, um dann diese negative Hermeneutik auf liturgische Fragen zu beziehen. Der Karsamstag wird grundsätzlich als Tag solchen „Nichtverstehens“ angesehen und als ein Objekt für solche Studien dargestellt. Anschließend wird diese Auffassung exemplarisch anhand von Karsamstagsliturgien aufgezeigt. Es werden Karsamstagsliturgien der Iona Communitiy, der Church of England, der Glenstal Abbey und der Orthodoxen Kirche in Amerika untersucht. Ein letztes Kapitel führt die Ergebnisse aus anthropologischer und theologischer Sicht zusammen. Es geht dabei um die liturgisch vermittelte Erfahrung von Nicht-Sinn.

IV. Kirchenbau, Paramentik, Kunstwerke Kunde, Holger / Cottin, Martin: Geweiht für die Ewigkeit. 1000 Jahre Weihe Merseburger Dom und die Rückkehr des Domschatzes. Merseburger Schätze aus den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Imhof: Petersberg 2021, 80 S., zahlreiche, meist farbige Abb. Im Jahr 1021 ist der Dom vom Merseburger Bischof Bruno in Anwesenheit des Kaisers Heinrich II. geweiht worden. Zum 1000-jährigen Dom-Jubiläum wurde diese Schrift herausgegeben, die für jedes Jahrhundert zwei besondere Stücke bildlich zeigt und beschreibt. Besonders gewürdigt wird die Rückkehr des Domschatzes, der sich heute in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden befindet. Es wird abgebildet z. B. die Schenkungsurkunde Heinrichs II., der über zwei Orte an den Merseburger Klerus verschenkte, ein hölzerner Tragaltar, Siegel des Merseburger Domkapitels, ein Abendmahlskelch, die Merseburger Bischofschronik, Bischofsmitren etc. Herrich, Bernhard / Niedzwicki, Matthias: Der Flügelalter in der Bartholomäuskirche der Ev.-Lutherischen Kirchengemeinde Rödinghausen. Dokumentation zum 500-jährigen Bestehen des Altars im Jahr 2020. Aschendorff: Münster 2021, 101 S., viele farbige Abb. Diese Schrift ist anlässlich des 500-jährigen Bestehens des Flügelalters entstanden und beschreibt die historischen Zusammenhänge seiner Entstehung sowie seine Darstellungen. Dieser Holzschnitzaltar ist in der Osnabrücker Schule entstanden und hat zwei klappbare Flügel. In der Mitte findet sich ist die Kreuzigung Jesu dargestellt, links und rechts von ihr befinden sich auf beiden Seiten je sechs Kästen mit figürlichen Darstellungen. Die Zahl Sieben spielt ihre besondere Bedeutung aus: Von links nach rechts gelesen zeigen die Kästen den Gang Jesu von Gethsemane bis zum Weg nach Golgatha und in der Mitte die Kreuzigung. Insgesamt sind es sieben Kästen. Der Kreuzigung folgen wieder sechs Kästen, angefangen mit der Beweinung Jesu bis hin zu seiner Wiederkunft, also mit Kreuzigung wiederum sieben Kästen. Der erläuternde Text stellt die einzelnen Bilder und ihre biblischen Bezüge vor. Die Predella hat sieben Felder, in der Mitte steht Christus, in den verbleibenden sechs Feldern stehen jeweils zwei Apostel, also insgesamt zwölf Figuren. Es fällt auf, dass alle Figuren ausdrucksvoll gearbeitet sind, die innere Haltung und ihre Gefühlslage sind gut erkennbar. Ein weiteres Kapitel informiert über den Stifter des Altars, Wilhelm von dem Bussche (verstorben ca. 1521/1523). Der Landadelige war Drost (administrativer, justizieller und polizeilicher Verwaltungsbeamter) im Dienst des Bischofs von Münster.

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Neß, Dietmar: Gottesdienst-Räume. Dokumentation zum evangelischen Kirchenbau des 19. und 20. Jahrhunderts in Schlesien. Hg. v. Verein für Schlesische Kirchengeschichte. Evang. Verlagsanstalt: Leipzig 2021, XII, 116 S., 818 Fotografien. Das Buch besteht hauptsächlich aus dem Abdruck von Fotografien von evangelischen Kirchengebäuden in Schlesien, die das äußere Erscheinungsbild zeigen und auch das Innere des Kirchenraums, meist mit Blick auf den Altar und die Kanzel. Neß führt in diese Bildersammlung ein und erläutert an manchen Beispielen, wie es zu diesem Kirchbau gekommen ist. Danach folgen die Daten für all diese Kirchen: Ort, Grundsteinlegung, Einweihung, evtl. historischer Hinweis auf Vorgängerbau, Architekt, Größe der Kirche, ihre besonderen Geschichtsdaten, z. B. Renovierung, Brand etc., abschließend die Quelle des Fotos. Es folgen ein Orts- und Namenregister, ein Verzeichnis der Fotografen, Bildnachweise sowie ein Literaturverzeichnis. Sander, Johannes: Die Baugeschichte des Würzburger Domes im Mittelalter (QFW Sonderveröffentlichung). Echter: Würzburg 2021, 807 S., 887 schwarz-weiße Abb., 20 farbige Abb. Der Würzburger Dom mit seiner 1300-jährigen Geschichte ist der viertgrößte romanische Kirchenbau Deutschlands. Sander führt zunächst in die Geschichte der Erforschung der Dombaugeschichte ein, die nicht unproblematisch ist, und legt dann dar, wie er die Baugeschichte rekonstruiert. Er bietet zunächst Bemerkungen zu den beiden Vorgängerbauten, um dann in extenso den heutigen Bau detailliert zu beschreiben und mit zahlreichen Abbildungen zugänglich zu machen. Er beginnt mit dem heutigen Zustand, um dann den mittelalterlichen Kernbau zu erfassen, anschließend folgt die Bauanalyse des Chors, der Hauptapsis, zweier Winkelbauten (die von außen angebaut wurden), sowie Ostturmaufbauten, Querhaus, Chorkrypta, Apsiskrypta, Vierungskrypta, Mittelschiff, Seitenschiffe, Westbau; danach ein Kapitel über funktionale und liturgische Aspekte, z. B. über das Altarhaus oder die Krypta. Eine Bauchronologie schließt sich an. Im abschließenden Kapitel reflektiert Sander seine Methode, die er mit „Zurück zu den Quellen“ und „Zurück zu den Bauten“ (526) umschreibt. Er kritisiert, dass frühere Erforschungen mit den schriftlichen Quellen nicht sachgerecht genug umgegangen sind und darin Inhalte erblickten, die dort nicht standen. Statt mit Fakten wurde oftmals mit Thesen und Rekonstruktionen gearbeitet. Das hat zur Folge, „dass auch nach vorliegender Untersuchung der Würzburger Dom infolge widriger Verhältnisse noch immer zu den am schlechtesten erschlossenen Kathedralkirchen im deutschsprachigen Raum gehört“ (526). Das liegt auch daran, dass „es der Romanikforschung an systematischen, verlässlichen und vor allem umfassenden Kompendien der baulichen Überlieferung“ fehlt (526). Entsprechend werden die Anbauten und ihre Vorgänger in einem gesonderten Abschnitt erfasst, wie z. B. die Sakristei und die Ornatkammer, Kapitelhaus, Kreuzgang. Tafeln der Pläne und Farbabbildungen schließen sich an sowie, ein Schriften- und Bildquellenverzeichnis, anschließend die Archivsiglen, Bibliographie, Bildnachweis und Register. Sauerbier, Christian: Der Architekt Heinrich Stiegemann und seine Kirchenbauten im Erzbistum Paderborn (Diözesanmuseum Paderborn, Schriften und Bilder 6). Bonifatius: Paderborn 2021, 172 S., 158 meist farbige Abb. Der Architekt Heinrich Stiegemann (1909–1989) hat zwischen 1950 und 1975 siebzehn Kirchenneubauten realisiert und zahlreiche Restaurierungen und Umgestaltungen im Zuge der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils durchgeführt. Eingeleitet wird diese Dokumentation mit der Biographie von Stiegemann, mit der Darstellung der Liturgischen Bewegung, des Zweiten Vatikanischen Konzils und des Kirchenbaus im Erzbistum Paderborn bis 1970. Dann werden drei ausgewählte Kirchenbauten

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dargestellt und gewürdigt: St. Christophorus in Warstein-Hirschberg, Heilig Kreuz in Warstein-Belecke, Heilige Familie in Meschede-Wehrstapel-Heinrichsthal. Diese Kirchenbauten werden mit Bildern, Architekturzeichnungen und ausführlichem Text vorgestellt. Es schließt sich ein Werkverzeichnis an. Stiegemann hat seine Ausbildung in Stuttgart absolviert und gehörte der Strömung der Stuttgarter Schule an, die Wert legte auf die Anwendung von handwerklichen Traditionen und natürlichen Baumaterialien. Stiegemanns Kirchenbauten zeichnen sich durch lange, nach unten gezogene Satteldächer und die Verwendung von regionalem Material aus. Zudem waren seine Kirchenbauten harmonisch in die vorhandenen Orts- oder Stadtstrukturen eingebunden. Sauerbier hält fest: „So wirken Heinrich Stiegemanns Kirchenbauten traditionell, gleichzeitig bergen sie jedoch, wenn auch nicht immer auf den ersten Blick erkennbar, moderne Architekturelemente. Diese unaufdringliche Gleichzeitigkeit von Traditionalismus und Modernität ist das Besondere, das sich für den Betrachter von Heinrich Stiegemanns Kirchenneubauten zu entdecken lohnt und was diese Bauten zu einer zeitlosen Architektur werden lässt.“ (149) Schulin, Bertram: Taufbecken in Deutschland. Form und Ikonographie. Aschendorff: Münster 2021, 588 S., 836 farbige Abb. Schulin teilt im Vorwort mit, dass er „einen strukturierten Überblick über Taufbecken in Deutschland“ (13) bieten will und dass das ein schwieriges Unterfangen darstellt, denn es gibt in Deutschland 45.000 katholische und evangelische Kirchen, in denen meistens ein Taufbecken vorhanden sein dürfte. Er selbst hat 3000 Bilder von Taufbecken gesammelt, das sind zwar weniger als 10 %, er geht aber „von einer gewissen Repräsentanz der Sammlung“ (13) aus. Für den Überblick hat er 600 Bilder ausgewählt. Die strukturierte Darstellung der Taufbecken orientiert sich an der Form und der Ikonographie. In seiner Einführung stellt er Taufbeckenformen und die Ikonographie der Taufbecken vor. Die meisten Taufbecken haben die Kelchform, weitere auch die Form eines Kessels, Zylinders, Kubus’, Säule, Vase etc. Manche Taufbecken haben die Form einer Halbkugel, stehen auf kurz vorgestellt werden außen zusätzlich mit mehreren Säulen versehen, sodass es aussieht, als würden diese Säulen die Halbkugel tragen. Taufbecken können rund sein, aber auch dreiseitig, viereckig bis hin zu sechszehneckigen Formen. Hier lässt sich Zahlensymbolik erkennen. Die vorrangige Ikonographie ist die Taufe Jesu, es gibt aber auch die des Kämmerers aus Äthiopien, die zwölf Propheten oder die zwölf Apostel, Tier- und Pflanzenmotive zu sehen sind. Der Löwe symbolisiert Christus, der das Böse überwindet. Es wird natürlich der Fisch als Symbol für Christus dargestellt und die Taube als Symbol für den Heiligen Geist. Bestien werden am Fuß des Taufbeckens dargestellt. Weitere Bilder stehen im Zusammenhang des Wassers: Sintflut und Noah, Durchzug durch das Rote Meer, Mose schlägt Wasser aus dem Felsen, der Jordan etc. Im ersten Teil des Buches werden die Formen der Taufbecken aufgeführt: Tauf­becken und Taufdeckel, Bodengestaltungen, Taufgitter, Taufanlagen und die mit dem Tauf­ becken in Zusammenhang stehenden Gemälde, Skulpturen und Glasfenster. Im zweiten Teil werden die Taufbeckenformen behandelt: die Kelch- und Kesselform, dann der Zylinder, Kubus, Quader und das dreiseitige Taufbecken, Vase, Urne, Säule, ovale Taufbecken, in Kreuzform oder als Kugel; es gibt auch Sonderformen wie das Taufbecken mit Beheizung, mit Wasserzulauf, mit integrierter Taufkerze oder Taufbecken mit Handtuchhalter. Hinzu kommen die Träger-Taufbecken, Ständer-Taufbecken, Taufständer und Taufgestelle. Ein Abschnitt führt in die Zahlensymbolik ein. Im dritten Teil wird die Ikonographie vorgestellt, zuerst aber in die Komplexität der Ikonographie und danach die Bildprogramme aus dem Neuen und aus dem Alten

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Testament eingeführt: Taufe Jesu, das Leben Jesu, die Apostel, die Evangelisten, dann auch Engel, Putten, Kinder, Heilige, Christussymbole wie das Lamm, der Fisch oder der Pelikan, aus der Geschichte der Kirche, Heilige und sogar Luther oder einfach nur Menschen. Aus dem Alten Testament z. B. die Schöpfung, der Sündenfall oder die Paradiesflüsse, Jona und der Fisch oder die Heilung des Syrers Naaman. Die Sammlung von Taufbecken ist mit 836 farbigen Abbildungen reichhaltig dokumentiert, was zusammen mit den Beschreibungen einen guten Eindruck der Vielfalt der Taufbecken vermittelt. Viele Register machen diese Sammlung gut zugänglich: Ortskennzeichnungen, Ortsverzeichnis, Künstlerverzeichnis, Bildnachweis, zitierte und ergänzende Literatur, Bibelzitate. Thümmel, Hans Georg: Ikonologie der christlichen Kunst. Bildkunst der Neuzeit (Bd. 3). Schöningh: Paderborn 2021, 367 S., 143 schwarz-weiß Abb. In diesem dritten Band der Ikonologie der christlichen Kunst (Bände 1 und 2 in JLH 60 [2021], 187 f.) wird die Bildkunst der Neuzeit dargestellt, ausgehend von der Reformation bis zum Dreißigjährigen Krieg. Wie auch in den anderen beiden Bänden wird zuerst in den Kontext der Bildkunst eingeführt, indem die politische Situation, die Kultur, das enzyklopädische Zeitalter, die italienische Renaissancephilosophie, die Kirche, Renaissance und Kirche, Luther und die Reformation kurz vorgestellt werden. Ein eigenes Kapitel hat die Bilderstürme und den übriggebliebenen Bestand von heute sowie Luther und die Bildkunst zum Thema. Es folgen: Lucas Cranach als Maler für die Altgläubigen und für die Reformation, die Kunst in der Reformationszeit, die Bilder in den evangelischen Kirchen, z. B. auf Schriftaltären, Geräte, Epitaphe, Heiligenbilder; dann die Epoche nach dem Dreißigjährigen Krieg bis zum 19. Jahrhundert. Zuerst wird wieder in den Kontext von Politik, Kultur, Philosophie und Kirche eingeführt, um dann bildliche Darstellung des Barock, z. B. bei Rubens und Rembrandt, darzustellen. Es folgen katholische Altarprogramme, Gegenreformation, evangelische Kirchenausstattungen, Herrnhuter Bilder, barocke Illustrationen, Physikotheologie und Pfarrerbilder. Dann folgen für das 19. und 20. Jahrhundert – erneut nach einer Einführung in den Kontext von Politik, Kultur und Kirche  – die Bildkunst der Romantik, Nazarener und Neugotik, christliche Kunstvereine, Kirchendekoration, Museum, Gedenkkultur, Trivialkunst, Beuroner Kunst; anschließend die Moderne, ihre Entwicklung der Bildkunst und darin die kirchliche Bildkunst. Abschließend ist ein kleines Kapitel angefügt zu der Frage nach christlicher Kunst und ihrer Möglichkeiten und Problemen. So hält Thümmel fest: „Zusammenfassend ist zu sagen, daß große Ratlosigkeit herrscht, wie es weitergehen soll. Ein deutlicher Weg ist nicht zu erkennen. Christliche Kunst schwankt zwischen einem Naturalismus und einer bis zur Gegenstandslosigkeit getriebenen Abstraktion. Die Tendenz zur Bildlosigkeit, zum Gegenstandlosen, zum Symbolhaften, zur Andeutung herrscht vor. Künstler, aber auch kirchliche Kunsttheoretiker favorisieren wortgewaltig bestimmte Werke, doch stoßen sie kaum auf Resonanz. Häufig wird eine Gemeinde beschimpft, weil sie ein Kunstwerk ablehnt. Was aber ein ‚Kunstwerk‘ ist, ist seit mehr als einem Jahrhundert umstritten.“ (330) Ein Abbildungsnachweis und Register schließen den Band ab, die Literatur ist jedem Kapitel vorangestellt. Ein weiterer Band ist angekündigt und wird die Bildentwicklung in der Ostkirche zum Inhalt haben.

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V. Artikel Bernini, Marco: Wie „gut“ sind unsere Gottesdienste? Liturgiewissenschaftliche Reflexionen zur Gottesdienstqualität angesichts der Corona-Pandemie, in: TThZ 130 (2021) 289–307. Büssing, Arndt / Winter, Stephan: Gottesdienst im Pandemie-Modus. Zu Ergebnissen einer Umfrage in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, in: Zeitschrift für Pastoraltheologie 41 (2021) 239–252. Deeg, Alexander: Gottesdienst in „Corona“-Zeiten oder: drei Variationen zum Thema Präsenz, in: EvTh 81 (2021) 136–151. Deeg, Alexander: „Solches tut …“. Sieben Thesen zur Feier des Abendmahls in der Corona-Pandemie, in: PTh 110 (2021) 123–138. Deeg, Alexander: Das geschlachtete Lamm. Die toxische Positivität und die heilsame Ambiguität der Liturgie, in: HlD 75 (2021) 258–274. Eschmann, Holger: Gemeinschaft in Vielfalt. Die Reform von Gottesdienst und Abendmahl in der Evangelisch-methodistischen Kirche in Europa, in: Pastor bonus (2021) 229–237. Grethlein, Christian: Gottesdienst in Deutschland – im Umbruch! Einige Überlegungen zur Zukunft evangelischen Gottesdienstes, in: ZThK 118 (2021) 120–140. Haunerland, Winfried: Der Gottesdienst als Ritual. Entdeckung, Kritik und Neukonzeption des Ritualbegriffs in der evangelischen Liturgik, in: MThZ 72 (2021) 301–302. Hoffmann, Claudia: Gottesdienste feiern. Lernfeld für eine migrationsbezogene Theologie, in: ThZ 77 (2021) 77–101. Klassen, Anna-Maria Herta: Vom Taufstein bis ans Grab. Systematisch-theologische und liturgische Überlegungen zum Zusammenhang von Taufe und Bestattung, in: PTh 110 (2021) 139–151. Kranemann, Benedikt: Die „neue Normalität“ der Liturgie nach der Corona-Pandemie. Versuch einer liturgiewissenschaftlichen Einordnung, in: Theologisch-praktische Quartalsschrift 169 (2021) 274–282. Kranemann, Benedikt: Ein Paradigmenwechsel in der öffentlichen Trauer? Das staatliche wie kirchliche Gedenken an die Verstorbenen in der Corona-Pandemie am 18. April 2021, in: PTh 110 (2021) 297–318. Link, Hans-Georg: „In der Nacht, da er verraten ward …“. Antijudaismus im Kern evangelischer Abendmahlsliturgien, in: Kirche und Israel 36 (2021) 142–155/PTh 110 (2021) 359–374/DPfBl (3–2022) 151–154. Meyer-Blanck, Michael: Kommunion vor dem heimischen Monitor? Gottesdienst und Abendmahl unter den Bedingungen der Corona-Pandemie, in: LJ 71 (2021) 22–35. Noetzel, Jutta: Wie heilig ist das Abendmahl? Einladung zu einer Kontextdebatte, in: PTh 110 (2021) 514–440. Odenthal, Andreas: Gottesdienste online, hygienisch und systemrelevant?, in: LJ 71 (2021) 3–21. Pflock, Andreas: Pandemie und Gottesdienst: Reflexionen angesichts des Corona-Jahres 2020, in: LuthBei 6 (2021) 207–242. Schrodt, Christoph: Abendmahl digital. Alte und neue Fragen – nicht nur in Zeiten der Pandemie, in: ZThK 118 (2021) 494–515. Weyel, Birgit: Digitale Gemeinde. Überlegungen zur sozialen Gestalt von Kirche am Beispiel des digitalen Abendmahls, in: ThR 86 (2021) 430–439. Winter, Roman: Abendmahl digital empfangen? Überlegungen angesichts aktueller Herausforderungen durch Pandemie(n) und Digitalisierung, in: KuD 67 (2021) 235–259.

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VI. Einführungen und Lehrbücher Deeg, Alexander / Plüss, David: Liturgik (Lehrbuch Praktische Theologie 5). Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2021, 672 S. Die beiden Autoren Alexander Deeg und David Plüss stellen ihrem Lehrbuch eine Einleitung voran, die die Ziele und Aufgaben dieses Lehrbuchs benennt: „Der Gegenstand dieses Lehrbuchs ist die Gottesdienstkultur unserer Kirchen und Gemeinden, wie sie sich entwickelt hat und die liturgische Gegenwart bestimmt.“ (16) „Wir gehen in diesem Lehrbuch von der vorfindlichen liturgischen Praxis aus, identifizieren deren Eigenarten, Wirkkräfte und Problemlagen, reflektieren diese mit Bezug auf die biblischen Grundlagen und die Liturgiegeschichte, die Grammatik des Glaubens (Systematische Theologie) und die Anthropologie, um dadurch Kriterien zu gewinnen, die dazu verhelfen, den jeweiligen Gottesdienst, das liturgische Konzept einer Gemeinde oder liturgische Abläufe und Texte zu analysieren, zu beurteilen und gegebenenfalls zu verbessern.“ (16) Dabei machen die Autoren deutlich, dass liturgische Bildung, Re­ flexions- und Handlungskompetenz nicht allein durch Lehrbücher vermittelt werden, sondern vor allem durch das Feiern von Gottesdiensten. Die professionelle Bildung kommt dadurch zustande, dass das eigene liturgische Erleben und die eigene Prägung mit theologischen, aber auch anthropologischen und soziologischen Kenntnissen reflektiert werden. „Und damit genug. Denn wichtiger als die Vermittlung historischer Kenntnisse, theologischer Grundsätze und sozialwissenschaftlicher Theorien sind die Einübung und Schärfung liturgischer Wahrnehmungsfähigkeit. Darauf sind die folgenden Ausführungen letztlich ausgerichtet.“ (15) Nachdem das Ziel und das Konzept des Lehrbuchs dargelegt wurden, werden weitere Wegmarken gesetzt. Das Verhältnis von Liturgik und Homiletik wird vorläufig bestimmt, da die neuere Diskussion über den Gottesdienst als Ganzen Homiletik und Liturgik nicht mehr trennt (wenn es auch in dieser Lehrbuchreihe noch so organisiert wurde), sondern die Predigt ein Teil der Liturgie und eine Rede im Ritual ist, die das Ritual sowohl unterbricht als auch weiterführt. Es folgt eine Begriffsklärung von Liturgik und Liturgiewissenschaft, die darauf Wert legt, dass mit diesem Lehrbuch eine praktisch-theologische Reflexion des Gottesdienstes vorgelegt wird und darum die Begriffe Liturgik und Liturgiewissenschaft, aber auch Liturgie und Gottesdienst synonym verwendet werden. Im römisch-katholischen Bereich wird fast ausschließlich der Begriff Liturgiewissenschaft verwendet, der aber historische, systematische und praktische Liturgiewissenschaft unterscheidet. Anschließend werden unter den Stichworten Genese, Geltung und Gestaltung vier unterschiedliche Reflexionsperspektiven erläutert: historisch-genetisch, theologisch-normativ, anthropologisch-­ sozialwissenschaftlich, performativ-handlungsbezogen. Unter der Überschrift Gottesdienst und Konfessionalität wird festgehalten, dass hier eine evangelische Liturgik vorliegt, die diesen Begriff konfessionell versteht. Dafür stehen die beiden Autoren: Deeg ist in der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern aufgewachsen und Plüss in der reformierten Kirche der Deutschschweiz. So fließen beide Prägungen in das Lehrwerk ein, wobei nicht ausgeschlossen wird, dass auch katholische, orthodoxe, freikirchliche sowie jüdische Gottesdienste wahrgenommen werden. Zum Sprach- und Kontextbezug halten beide Autoren fest, dass das Lehrbuch nicht nur konfessionell geprägt ist, sondern auch durch den deutschen Sprachraum. Nach dieser Einleitung werden in dreizehn Kapiteln die Materialien, Diskussionen, allen voran die Wahrnehmungen etc. dargelegt: Methoden der Liturgiewissenschaft;

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Wahrnehmungen von einzelnen Gottesdiensten inklusive empirischer Befunde; Bibel und der Gottesdienst, indem biblische Gottesdienste und die Bibel als Gottesdienstbuch erörtert werden; Geschichte des Gottesdienstes von der Alten Kirche bis zur Gegenwart; Theologie des Gottesdienstes, die biblische Bezüge darstellt und Gottestheologien der Reformationszeit sowie gegenwärtige Theologien des Gottesdienstes vorstellt; das Kapitel Anthropologie und Soziologie des Gottesdienstes beinhaltet die Frage nach Gottesdienst und Religion, Gesellschaft, Anthropologie, Ritual, Erfahrung und Körper; das Kapitel Wirkkräfte und Kontexte des Gottesdienstes fragt nach den Bildungskräften der Liturgie, den seelsorglichen Kräften, nach der Gemeindeentwicklung, der ökumenischen und kulturellen Dimension von Gottesdiensten; das folgende Kapitel erörtert liturgische Grundformen, Elemente, Rollen, Orte, Räume und Zeiten; anschließend geht es um Praktiken des Gottesdienstes, worunter das Sich-Versammeln, Beten, Singen, Lesen, Auslegen, Hören, Bekennen, Opfern, Teilen, Essen und Trinken, Senden und Segnen verstanden wird; Medien, also die Sprache, die Musik, auch Symbole, Zeichen, Elemente und Digitalität des Gottesdienstes werden verhandelt, danach Klangfarben des Gottesdienstes, darunter subsummieren sich Klangräume und die Klangfarben von Klassik, Jazz, Rock und Pop oder die Volksmusik; es folgen liturgische Fragen im ökumenischen, christlich-jüdischen und interreligiösen Horizont; abschließend werden Gottesdienstbücher, Hilfsmittel und Literatur aufgezählt, die helfen, sich weiterhin zu informieren oder zu orientieren. Das Lehrbuch wird abgerundet mit einem liturgiewissenschaftlichen Glossar, einem Literatur- und Abkürzungsverzeichnis sowie dem Register für Bibelstellen, Namen und Sachen.

VII. Arbeitshilfen Brand, Fabian: Mache dich auf und werde Licht. Neue Texte und Impulse für Advent und Weihnachten. Herder: Freiburg i. Br. 2021, 175 S. Die vorgelegten neuen Texte und Impulse für Advent und Weihnachten sollen auch dazu dienen, dass Menschen licht werden und ein Licht für unsere Welt sind. So werden für die vier Adventssonntage mehrere Gottesdienste angeboten, z. B. mit den Themen Umkehr, Maria und Elisabeth (Frauengottesdienst), Freude und der lichte Stern, Josef als echter Vater. Für Weihnachten gibt es ein Krippenspiel oder alternativ Weihnachten im Seniorenheim. Für die Feste in der Weihnachtszeit stehen der Stephanustag, das Fest der Heiligen Familie, Silvester und Neujahr, Erscheinung des Herrn und Taufe des Herrn. Butt, Christian / Niermann, Dieter / Trenn, Olaf (Hg.): Einfach mal feiern. Außergewöhnliche Ideen für Feste und Feiern mit Konfirmandinnen und Konfirmanden. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2021, 206 S. Mit Konfirmanden Feste feiern – das kann unter ganz unterschiedlichen Vorgaben und Bedingungen geschehen. Fünf solcher Perspektiven werden mit zahlreichen Beispielen ausgeführt und laden zum Nachmachen ein: Vorbereitung ist alles – keine Gastlichkeit ohne Gastgebende, z. B. bereiten Konfirmanden ein gediegenes Abendessen vor. Feier-Laune – kein Fest ohne Anlass: Konfi-Nacht mit Gottesdienst. Der Mix macht’s – kein Fest ohne Gäste: ein Kloster-Camp für Konfirmanden. Früher war mehr Lametta! – keine Festlichkeit ohne Deko: Abendglanz der Ewigkeit – Konfirmanden erleuchten den Friedhof mit 1200 Kerzen. Was vom Tag übrig blieb – keine Party ohne Kater: Feier-Abend. Jugendgottesdienste und liturgisches Lernen.

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Communauté von Taizé: Gemeinsame Gebete für das ganze Jahr. Herder: Freiburg i. Br. 2021, 222 S. Mit einem Vorwort von Frère Alois, dem jetzigen Prior der Kommunität, wird das Buch eingeleitet und ihm eine Richtung gegeben, die das Wirken von Taizé als Gebet, als Meditation, als Pilgerweg in den Mittelpunkt stellt. Dazu schreibt er: „Um Gott im kontemplativen Gebet zu suchen, genügt es nicht, hier und da einige Gesänge aus Taizé in den Gottesdienst einzubauen. Die Gesänge sind keine ästhetischen Gestaltungselemente, sondern wollen in eine innere Haltung führen, die nach und nach unser Leben prägt.“ (8) Danach gibt es eine ausführliche Einführung in den Gebetsablauf, den Gebetsort, das Gebet vor dem Kreuz, die Auferstehungsfeier und in die Gesänge von Taizé im gemeinsamen Gebet, die noch von Frère Roger stammt. Es folgen Tagzeitengebete für Advent, die Weihnachtszeit, Fastenzeit und Karwoche, Osterzeit und Pfingsten und für den Jahreskreis. Die Tagezeitengebet sind einfach und übersichtlich aufgebaut: Gesang – Psalm – Lesung – Gesang – Stille – Fürbitten oder Lobpreis – Vaterunser – Gebet – Gesänge. Im Ganzen sind es 44 Vorschläge für die Gebetszeiten. Fuchs, Guido: Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche. Friedrich Pustet: Regensburg 2021, 181 S., 19 schwarz-weiß Abb. Über schlechtes Benehmen in der Kirche wurde schon immer geklagt. Fuchs legt einen Streifzug dazu vor, der mit einer Betrachtung eines Adventsgottesdienstes beginnt und nach 18 Kapiteln mit Einsichten, Fragen und Herausforderungen endet. Es werden z. B. folgende „Verhaltensweisen“ dargestellt: Betreten des Gotteshauses, Zuspätkommen und Zufrühgehen, Verhalten bei der Kommunion, Kopfbedeckung und angemessene Kleidung, Schwätzen, Klatschen, Fotografieren, Schlafen, Essen und Trinken, Rauchen und Schnupftabak, Spucken, Betteln, Tiere im Gottesdienst etc. Der Text ist kurzweilig und zeugt davon, dass Fuchs solche „Verhaltensweisen“ selbst beobachtet hat. Liturgiereferat Linz (Hg.), erarbeitet von Scalet, Albert: Damit es ein Fest bleibt. Alternative Feiermodelle für die zentralen Feste im Kirchenjahr. Friedrich Pustet: Regensburg 2021, 256 S. Dieses Buch ist für ehrenamtliche und hauptamtliche Leiter und Leiterinnen von Wort-Gottes-Feiern konzipiert, weil nicht mehr überall dort, wo Priester erwartet werden, Priester zur Verfügung stehen können. Hier werden daher Feiern zu den Hochfesten in der ersten Hälfte des Kirchenjahres so vorgelegt, dass auch Laien diese leiten können. Darum werden zuerst die besonderen Dienste, Handlungen etc. erklärt, die für eine Feier berücksichtigt werden sollen. Es sind so gut wie alle Texte für die Feiern in diesem Buch abgedruckt, sodass sie mit dieser Hilfe vollzogen werden können. Lübking, Hans-Martin: Konfirmieren. Konfirmandenarbeit gestalten (Praktische Theologie konkret 3). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2021, 154 S. Lübking schreibt in seinem Vorwort, dass er geschlossenen Modellen gegenüber skeptisch eingestellt ist, und schildert deshalb auch keine ideale Konfirmandenarbeit. Es geht ihm vielmehr um Nachhaltigkeit. „Wenn die Konfirmandenarbeit nachhaltig wirken soll, muss sie Schwerpunkt einer kinder- und jugendfreundlichen Gemeinde sein, mehrperspektivisch und möglichst anspruchsvoll angelegt sein und die Jugendlichen in vielfältiger Weise beteiligen. Konfirmandenarbeit braucht Mindeststandards. Die versuche ich, in diesem Buch zu beschreiben.“ (8) Wie auch in den anderen Bänden dieser Reihe wird zuerst in die Sache eingeführt, also in das Konfirmieren aus der Perspektive der Gemeinde, der Pfarrpersonen, der Familie, der Jugendlichen und dann die Konfirmation als Höhepunkt der Konfirmandenarbeit erläutert. Es folgt ein

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Abschnitt über die heutige Situation der Konfirmandenarbeit, z. B. über empirische Untersuchungen, rechtliche Fragen oder die Entwicklung vom kirchlichen Unterricht zur Konfirmandenarbeit. Ein weiterer Abschnitt informiert über neue Ansätze, wie z. B. über inklusive Konfirmandenarbeit, Konfi-Camps, Segensfeiern, digitale Medien in der Konfirmandenarbeit. Es folgen Essentials: Konfirmandenalter, Konfirmation und Taufe, die Verantwortung der Gemeinde, plurale Organisationsformen, Themenund Konfirmandenorientierung und die Bedeutung der Gruppe. Ein großer Abschnitt stellt Anregungen für die Praxis vor: z. B. die Ziele der Konfirmandenarbeit, Jahrgangsplanung, Auswendiglernen, Spiritualität, Konfirmandenelternarbeit, Konfirmationsgottesdienst etc. Es folgt ein Abschnitt mit Goldenen Regeln, wobei es sich um Leitsätze von Lübking für die Konfirmandenarbeit handelt. Ein weiterer Abschnitt stellt besondere Fälle der Konfirmandenarbeit dar: mit sehr kleinen Gruppen, mit sehr großen Gruppen, in Coronazeiten, die Goldene Konfirmation. Literaturverzeichnis und Materialien beschließen das Buch. Wie auch bei Band 1 und Band 2 dieser Reihe wird die Agende, hier also die Konfirmationsagende, nicht erwähnt. Lumma, Liborius Olaf: Wer macht was im Gottesdienst? Die handelnden Personen und ihre Aufgaben. Theologische Erschließung. Praktische Tipps. Friedrich Pustet: Regensburg 2021, 176 S. In diesem Buch werden Erklärungen mit praktischen Hinweisen versehen, was Menschen in römisch-katholischen Gottesdiensten tun. Dabei geht es zunächst einmal um eine Annäherung an den katholischen Gottesdienst und um die Versammlung der Christen. Anschließend werden Personen in ihren Aufgaben beschrieben: diejenigen, die Weiheämter innehaben, wie z. B. ein Bischof oder Priester. Es folgen Lektoren, Kantoren, Chor, Instrumentalisten, Liturgievorsteher als Zelebrant, Diakon, Prediger, Kommunionhelfer, Ministrant, Akolyth. Ein Kapitel setzt sich mit der gemeinsamen Planung von Liturgie auseinander, dann folgen Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils für die Liturgie und Anregungen für die Eucharistiefeier, Wort-Gottes-Feier und die Vesper. Für alle Aufgaben werden die praxisbezogenen Hinweise mit liturgietheologischen Ausführungen begründet. Lurweg, Judith / Vellguth, Klaus (Hg.): Zeit der Sehnsucht. Advent. Impulse und Modelle für Gemeinde und Gottesdienst (Anders feiern!). Herder: Freiburg i. Br. 2021, 74 S., 10 farbige Abb. Die Entwürfe in der Reihe Anders feiern gehen von den Sehnsüchten der Menschen aus und entwickeln Vorschläge für Feiern im Advent, die nicht nur gemeindetypisch sein wollen. Sieben Vorschläge liegen vor: Wortgottesdienst in der KiTa, Frühschicht mit Jugendlichen im Advent, Wortgottesdienst mit jungen Erwachsenen oder mit Familien, liturgische Adventsfeier mit Senioren. Danach wird ein Adventskalender in der Nachbarschaft vorgestellt, für den die Teilnehmer ein Fenster ihrer Wohnung als Kalenderfenster gestalten, sodass in den 24 Tagen jeweils ein Fenster zur Meditation einlädt. Abschließend wird eine meditative Adventsfeier am Arbeitsplatz vorgeschlagen. Lurweg, Judith / Vellguth, Klaus (Hg.): Dem Stern begegnen. Weihnachten. Impulse und Modelle für Gemeinde und Gottesdienst (Anders feiern!). Herder: Freiburg i. Br. 2021, 76 S., 11 farbige Abb. Dieser Band hat die gleiche Aufteilung wie das Buch zum Advent: Zuerst gibt es einen weihnachtlichen Wortgottesdienst für eine KiTa etc., jetzt natürlich für Weihnachten. An der Stelle des Adventsfensters wird hier ein Weihnachtsessen für Alleinstehende vorgeschalgen. Diese werden z. B. am 23. Dezember eingeladen, bereiten gemeinsam das Essen und den Raum vor und verbringen dann eine gemeinsame Zeit des Essens

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und Feierns. Abschließend wird eine Weihnachtszeit für Solisten angeboten, die alleine gefeiert werden kann. Lurweg, Judith / Vellguth, Klaus (Hg.): Aufbruch ins Neuland. Fastenzeit. Impulse und Modelle für Gemeinde und Gottesdienst (Anders feiern!). Herder: Freiburg i. Br. 2021, 78 S., 11 farbige Abb. Auch der dritte Band der Reihe übernimmt dieselbe Reihenfolge der Adressaten. Als besondere Aktion in der Fastenzeit wird eine Liturgie aus der Kirche herausgenommen und in den Alltag des Wohnorts verlegt: Bushaltestelle, Denkmal, Einkaufspassage, Parkplatz oder auch eine Kreuzdarstellung. Abschließend geht es um Kochen und Essen als Liturgie. Es wird ein „Lebens-Welt“-Eintopf vorgestellt, der mit Achtsamkeit und Gebet zubereitet und gemeinsam gegessen werden soll. Lurweg, Judith / Vellguth, Klaus (Hg.): Einen neuen Anfang wagen. Ostern. Impulse und Modelle für Gemeinde und Gottesdienst (Anders feiern!). Herder: Freiburg i. Br. 2021, 79 S., 12 farbige Abb. Wie schon erwartet, wird auch für die Osterzeit das Konzept der Reihe beibehalten. Bei der besonderen Aktion handelt es sich um eine Karsamstagsandacht in der Natur, die überschrieben ist mit dem Leitthema: Das Leben ist wie ein Fahrrad. Diese Aktion soll auf die Osternacht einstimmen. Der Fahrradweg soll 15 km lang sein, an der Kirche beginnen und zu ihr zurückführen, damit dort die Osternacht gefeiert wird. Es werden meditative Stationen eingelegt. Der letzte Vorschlag dieses Bandes bietet einen Wortgottesdienst im Treppenhaus, der in der Pandemiezeit entstand. Der Abstand der Feiernden konnte gewahrt bleiben und doch haben alle miteinander gefeiert. Nonn, Nikolaus / Steiner, Bernd / Stockhoff, Nicole / Weibels, Marko: Das Auge betet mit. Werkbuch für die Blumengestaltung von Sakralräumen im Kirchenjahr. Bonifatius: Paderborn 22020, 91 S., viele farbige Fotos. „Schöne Blumen gehören zum Innenraum einer Kirche dazu. Gerade in den geprägten Zeiten des Kirchenjahres kann die florale Raumgestaltung eine Exegese der besonderen Festzeit bieten.“ (7) Mit diesem Anspruch wird zunächst in die Sakralräume, danach in die geschichtliche Entwicklung des Kirchenbaus und auch in sein biblischtheologisches Verständnis eingeführt, um anschließend Forderungen an den Kirchenbau zu stellen. Danach werden die Funktionsorte im Sakralraum erklärt: Altar, Ambo, Tabernakel mit eigener Kapelle, Taufort, Seitenaltäre. Es folgt ein Überblick über das Kirchenjahr, z. B. Leseordnung, liturgische Farben, Weihnachtsfestkreis etc. Gestaltungsbeispiele für die jeweilige Festzeit schließen sich an, die jeweils mit guten Fotos veranschaulicht und textlich erklärt werden. Es werden auch die benötigten Blumen und weitere Materialien für das Blumenarrangement zu jedem Festkreis bzw. Festtag aufgeführt. Abschließend werden die Grundlagen der floralen Gestaltung dargelegt und mit Skizzen verdeutlicht. Nonn, Nikolaus / Stockhoff, Nicole (Hg.): Das letzte Geleit. Wenn Laien Beerdigungen übernehmen. Bonifatius: Paderborn 2021, 94 S., 11 farbige Abb. In der römisch-katholischen Kirche nehmen immer häufiger Laien Bestattungen vor, weil es an Priestern mangelt. Das Buch will ihnen dazu eine Hilfe bieten. So werden zunächst Erfahrungen solcher Personen wiedergegeben, um dann das theologische Programm der kirchlichen Begräbnisfeier und eine Grundlegung für die ehrenamtliche Leitung einer Beerdigung darzulegen. Es folgen praktische Hinweise: vom Anruf im Pfarrbüro bis zur Beerdigung; das Trauergespräch, die Traueransprache, abschließend die praktische Gestaltung, z. B. der Umgang mit Ritualen und Zeichen; oder Beisetzung unter Bäumen. Die Abbildungen sind dem Zyklus Himmelsleitern von Sergej Tihomirov entnommen.

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Pfattner, Martina / Wochner, Ursula: Schulgottesdienste. Wortgottesdienste und Anregungen für das ganze Schuljahr. Herder: Freiburg i. Br. 2021, 128 S. Die beiden Religionslehrerinnen legen hier 45 erprobte Schulgottesdienste für die Grundschule vor. Es werden Gottesdienste zum Schuljahresanfang, zu Weihnachten und Ostern und zum Schuljahresschluss geboten. Jeder Gottesdienst ist vollständig mit allen Texten abgedruckt und vorab wird das für die Vorbereitung benötigte Material angegeben, wie z. B. Gegenstände, Lieder, Texte, Geschenke etc. Themen sind z. B. Kostbarkeiten in meinem Leben, viel Glück und viel Segen, der allerkleinste Tannenbaum, das Weizenkorn – eine Geschichte vom Sterben und Leben. Schlegel, Helmut: Verwandlung feiern. Kreative Gottesdienste in der Fasten- und Osterzeit. Friedrich Pustet: Regensburg 2021, 128 S., 3 schwarz-weiß Abb. Unter dem Leitgedanken der Verwandlung – „in der Gott mit uns die Tiefenerfahrung des Lebens und Sterbens teil –“ (7) werden Gottesdienstvorschläge für die Zeit von Aschermittwoch bis Pfingsten vorgelegt. Jeder Gottesdienst hat einen Leitgedanken, z. B. für Aschermittwoch: Gottes Name in den Staub geschrieben, oder für eine Feier der Passion der Frauen: Ecce Homo – seht da die Frauen. Alle Vorschläge sind textlich ausgeführt und enthalten auch Bilder, Symbole oder anderes Anschauungsmaterial. Schlegel, Helmut: Gott ist bunt. Kreative Gottesdienste für besondere Zeiten und an besonderen Orten. Friedrich Pustet: Regensburg 2021, 144 S. Im Vorwort teilt Schlegel mit, dass hier kreative Gottesdienste angeboten werden, die an Andersorten und zu Anderszeiten gefeiert werden können. Zu ungewöhnlichen Zeiten und an ungewöhnlichen Orten werden Vielfalt und Bereicherung erfahrbar, denn Gott ist bunt. Zuerst werden die großen Feste bedacht, z. B. Fronleichnam, Johannes der Täufer, Verklärung Christi, Aufnahme Mariens in den Himmel, Allerheiligen etc. Man findet auch Gottesdienste für andere Zeiten und Orte: Flurgottesdienst, Schöpfungsfest in der Natur, Mutmach-Feier am frühen Morgen, Geld und Ethik, zur Mitternacht oder am frühen Morgen, Aufnahme in die katholische Kirche, interreligiöse Begegnung, Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe, Totengedenken. Schmid-Keiser, Stephan: Und wenn sie doch mehr von Gott erzählten … Auf der Suche nach einer angemessenen Liturgiesprache. Friedrich Pustet: Regensburg 2021, 253 S. In seiner Einführung macht Schmid-Keiser deutlich, dass es in der römisch-katho­ lischen Kirche nicht damit getan ist, dass nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil für die Messfeiern von der lateinischen Sprache in die Landessprachen gewechselt wurde, um die Messen verständlich feiern zu können. Gerade heute in atheistisch gestimmter Zeit seien weitere Bemühungen relevant. Dafür führt er zahlreiche Autoren und Autorinnen an, die sich um eine angemessene Sprache bemühen. Ausführlich befasst er sich mit Martin Walser und Peter Handke. Anschließend werden ekklesiologisch-klerikale Hindernisse benannt und die Lyrik bemüht, die für das Heilige, das Unsagbare Anregungen für liturgische Texte bieten kann. Es werden Rose Ausländer, Hilde Domin, Dorothee Sölle, Silja Walter mit ihren Anregungen und Auseinandersetzungen dargestellt. Anschließend folgen Momentaufnahmen zur liturgischen Ausdruckswelt sowohl hinsichtlich der Sprache als im Blick auf die Musik. Zum Schluss des Buches formuliert Schmid-Keiser einen zusammenfassenden Ausblick. Schwarz, Christian: Advent, Weihnachten, Jahreswechsel (GottesdienstPraxis Serie B). Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2021, 176 S., 1 CD-ROM. Unter der Überschrift Gottesdienste und Andachten zum Advent finden sich fast ausschließlich Predigten sowie einige Andachten, darunter eine witzige und ansprechende Eröffnung des Gottesdienstes der ungewöhnlichen, aber zeitgemäßen Art. Es folgen Gottesdienste zu Heiligabend, die mit einer Weihnachtsfeier für Trauernde

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eröffnet werden, ein Krippenspiel, und weitere Predigten schließen sich an. Für die Gottesdienste zu den Weihnachtsfesttagen gibt es wieder Predigten; bei den Gottesdiensten zur Jahreswende findet sich neben Predigten eine Lichtmessfeier, allerdings für den 2. Februar. Abschließend werden liturgische Stücke, wie z. B. Begrüßungen, Gebete, Fürbitten und ein Lied, geboten. Schwarz, Christian: Erntedankfest / Reformationsfest (GottesdienstPraxis Serie B). Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2021, 168 S., 1 CD-ROM. Zu Erntedank werden sich neben allerhand Predigten ein Anspiel mit Erzählung vom Korn zum Brot und vom Brot zum Teilen, mehrere Familiengottesdienste, ein Fingerspiel und ein Anspiel mit Predigt zu Luthers Äpfelbäumchen vorschlagen. Zum Reformationsfest finden sich mehrere Predigten, einige Reformationsgottesdienste, Worte mit Töne als Besinnung auf die Kirchensituation, ein Reformationsgottesdienst mit Tauferinnerung und Abwehr des Bösen (z. B. Lieblosigkeit, Begierden, Machtsucht) und ein ökumenischer Gottesdienst zum Reformationstag. Es folgen noch einige Bausteine zur Eröffnung der Liturgie, Gebete und ein Lied. Schwikart, Georg (Hg.): Gott ist mir Zuflucht und Stärke. Das evangelische Andachtsbuch. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2021, 2021, 847 S. Für jeden Tag im Kirchenjahr ist in diesem Buch ein Psalm, eine Lesung, ein Gebet und ein Lied abgedruckt. Schwikart schreibt im Vorwort, dass die Andacht folgenden Aufbau haben könne: Eröffnung mit Votum, anschließend ein freies Gebet. Der Psalm, die Lesung und das Gebet sind jeweils abgedruckt, Vaterunser, der Segen mit einer einfachen Formel und das Lied sind wieder abgedruckt. Mit kurzen Worten führt er in die innere Haltung ein, eine Andacht mitten im Alltag zu feiern: „für den Gebrauch im Wohnzimmer, im Dienstgespräch, in der Kirche, auf Reisen oder auf der Parkbank.“ (4) Voigt, Marco (Hg.): Die Morgenandacht. Die beliebten Radioandachten für den Start in den Tag. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2021, 175 S., 21 schwarz-weiß Abb. Dieses Buch bietet Andachten von 21 Autoren, die alle mit einem kleinen Porträt abgebildet sind. Die jeweils sechs Andachten wurden pro Woche zwischen Dezember 2019 und November 2020 im NDR gesendet. Voigt schreibt, dass zehntausende Hörer und Hörerinnen diese Morgenandachten hörten. Sie weisen ganz unterschiedliche Zugänge zu dieser Andachtsform auf: ein Erlebnis, ein Bibeltext, ein Gedicht, Anlass in der Zeit, Singen, Tiere, Friedhof, Beatles etc. Weiß, Thomas: Neues Werkbuch Schulgottesdienste. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2021, 303 S., 1 CD-ROM. Thomas Weiß legt hier in Anschluss an sein erstes Werkbuch Schulgottesdienste von 2016 (vgl. JLH 56 [2017] 156) einfache Gottesdienstentwürfe vor, die mit geringem Aufwand und geringer Vorbereitungszeit – er schreibt, dass eine Schulstunde reichen müsste – gefeiert werden können. Diese Gottesdienste sind an Grundschulen gefeiert worden und können seiner Meinung nach auch bis zur 6. Klasse verwendet werden. Sie dauern etwa 30 Minuten. Mit Hilfe der beigelegten CD-ROM können die Texte schnell in die eigene Situation übernommen und angepasst werden. Es werden Gottesdienste zum Schuljahresanfang und -ende und für den Verlauf des Kirchenjahres angeboten sowie Wochengottesdienste zu Zeichen und Themen, wie z. B. an der Quelle, ein bunter Blumenstrauß, Gottes Notruftelefon, Stecken und Stab, verlässliche Worte etc.

Paul Gerhardt: Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld – ein Wegbereiter pietistischen Frömmigkeitsausdrucks Irmgard Scheitler

Paul Gerhardts bis heute gesungenes Lied hat in der Geschichte der evange­ lischen Kirche immer wieder Auslegungen erfahren. Ihrer Bestimmung gemäß sind diese Interpretationen von spirituellem und paränetischem Interesse geleitet. Gabriel Wimmer, der in seiner „Liedererklärung“ (1749) eine ausdifferenzierte Interpretationsgliederung an das Lied anlegt, rühmt seine Bibeltreue und Inspiriertheit. Es könne, so führt er aus, wohl ein ausbündig schöner Commentarius über die Worte Joh. 1,29 genennet werden. […] Ich glaube, man dürfte es nicht übel treffen, wenn man sagete, dass unter andern in diesem schönen Gesange erfüllet werde, was der himmlische Bräutigam von seiner Braut, der Christlichen Kirche rühmet: Deine Lippen (durch welche das Evangelium von meinem blutigen Leiden und Tode verkündiget wird,) sind wie eine rosinfarbe Schnur, und deine Rede lieblich. Hohel. 4.3.1

Der Dresdner Schulmann Christian Schöttgen will 1750 mit Hilfe dieses Textes die jüdische Messiashoffnung mit der christlichen Botschaft versöhnen.2 Beide Autoren stellen das Lied als Ganzes in den Zusammenhang der Soteriologie und verstehen es als Auslegung der in ihm reichlich nachweisbaren Schriftbezüge. Trotz seiner innigen Verbundenheit mit biblischen Formulierungen ist das Lied keine Bibelparaphrase, sondern folgt eigenständiger poetischer Konzep­ tion. Ein gewisses Rätsel stellt in diesem Zusammenhang die Mitteilung ­Christian Gotthilf Blumbergs in seinem Zwickauer Gesangbuch (1703) dar: „Paul Gerhard hat es über die Worte Joh. 1. Siehe das ist Gottes Lamm / auff einer hohen Person Anleitung auffgesetzt.“3 Ist damit eine Vorgabe von Thema, 1 Wimmer, Gabriel: Ausführliche Liedererklärung. 4 Theile. Altenburg 1749, 1. Theil, zu Ein Lämmlein geht 226–240, hier 226. 2 Der alten Jüdischen Kirche Gedancken über das Evangelische Lied: Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld etc. Wobey zugleich Alle hohe Gönner und Freunde der Schulen zu Anhörung etliche Schul=Reden, Welche einige Untergebene der andern Claße den 6. Martii 1750. ablegen werden, dienstgehorsamst ersucht Christian Schöttgen, Rector. Dresden: Harpeter [1750]. 3 Deliciae Cygneae, d. i. Geistliche Schwanen=Lust / Oder Zwickauisches Gesang-Buch […] zusammen getragen Von Christian Gotthülff Blumberg. Zwickau: Büschel 1703, 161, Nr. 109. Diese Bemerkung, hier erstmals und ohne Quellenangabe, ist häufig wieder abgeschrieben wor-

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Argumentation, Material gemeint, wie sie bei geistlichen Dichtungen häufiger vorkam, oder lediglich eine Veranlassung? Wer war diese hohe Person? Diese Fragen werden wohl ungeklärt bleiben. Festzuhalten ist jedenfalls, dass Gerhardts Lied sich durch eine bemerkenswerte Freiheit in der poetischen Erfindung und Ausführung auszeichnet, mag diese auch mit Anregungen eines Auftraggebers zusammenhängen. Die maßgebliche Deutung in der „Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch“ stammt von Elke Axmacher.4 Auch hier wird der Text einem religiös interessierten Publikum als protestantisches Glaubenszeugnis vorgelegt, wobei sich zugleich seine Brauchbarkeit als Gesangbuchlied für heutige Sänger erweisen soll. Wie ihre Vorläufer erkennt Elke Axmacher die Struktur des Liedes als dreiteilig. Dabei hält sie fest, der erste Teil, Strophe I– IV, widme sich der Passion, der letzte, Strophe VII –X, handle vom Abendmahl (die Blutmetaphorik wird von Axmacher auf das Abendmahl hin gedeutet) und der zweistrophige Mittelteil, Strophe V–VI , spreche von Liebe und Hingabe des Ich. Neu ist der liturgisch-sakramentale Bezug, den die Ausleger früherer Zeiten nicht in dem Lied erkannten.5 Dass er heute festgestellt wird, hängt mit theologischen Tendenzen zusammen – ein verständliches und paränetisch legitimes Verfahren der aktualisierenden Interpretation. Meine Absicht bei der Relektüre des bekannten Liedes ist eine andere. Ich lese das Lied als fremden und rein historischen Text. Mich interessieren die Normabweichungen in seinen Formulierungen, die Alterität in seiner Argumentation. Auf paränetische Auslegung leiste ich ebenso Verzicht wie auf die Einsichten und Absichten der heutigen Theologie und nehme die Formulierungen des Liedes beim Wort. Fündig geworden mit einer Reihe von ungewöhnlichen Ausdrucksweisen, frage ich nach dem Weiterleben dieser Sprach- und Denkformen. Paul Gerhardt war kein Pietist. Kann gleichwohl das Lied als Vorläufer, als Wegbereiter pietistischen Frömmigkeitsausdrucks gelten? Finden sich in ihm Formulierungen, die später im Pietismus Stichwort-Funktion haben sollten? Bei jedem Gedicht ist die erste Zeile von überragender Bedeutung. Das Incipit ist das Gesicht eines Gedichts, charakterisiert es wie keine andere Zeile, bleibt im Gedächtnis und ist wahrscheinlich oft für die Akzeptanz des Ganzen von entscheidender Bedeutung. Auch bei unserem Gedicht dürfte die erste Zeile wesentlich zu seiner Berühmtheit beigetragen haben. den, so auch bei Olearius, Johann Christoph: Hymnologia Passionalis, i. e. Homiletische LiederRemarques über nachfolgende Passion=Gesänge: I. „Da Jesus an dem Creutze stund [et]c. II. O Lam[m] Gottes unschuldig [et]c. III. O Traurigkeit! O Hertzeleid! IV. Ein Läm[m]lein geht und trägt [et]c. V. Wenn meine Sünde [sic] mich kräncken [et]c. VI. Ehre sey dir Christe [et]c. Arnstadt: Ehrt 1709, 112. 4 Hahn, Gerhard / Henkys, Jürgen (Hg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch (Hand­ buch zum Evangelischen Gesangbuch 3), Heft 5. Göttingen 2002, 60–69. Ähnlich im Duktus: Falkenroth, Christina: Die Passion Jesu im Kirchenlied. Tübingen 2017, 294–319. 5 Olearius, Johann Christoph: Hymnologia Passionalis (wie Anm. 3) kommt in seiner Analyse 120 f. zu einer ebenfalls dreiteiligen Disposition, wobei er Strophe V–VII als schuldige Antwort des Christen, Strophe VIII–X als Grund der Freude auslegt.

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I,1–10 Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld Der Welt und ihrer Kinder; Es geht und büßet in Geduld Die Sünden aller Sünder.   Es geht dahin, wird matt und krank, Ergibt sich auf die Würgebank, Verzeiht sich allen Freuden;   Es nimmet an Schmach, Hohn und Spott, Angst, Wunden, Striemen, Kreuz und Tod Und spricht: Ich wills gern leiden. 6

Die I. Strophe hält an dem Begriff „Lämmlein“ als Satzgegenstand konsequent fest und verwendet folglich das sächliche Genus. Die – jedenfalls – in säkularer Rede unverständliche Beschreibung zeigt ebenso wie die auszeichnende Position des „Lämmleins“ am Satz- und Strophenbeginn, dass wir es mit einem Rätsellied zu tun haben. Rätsellieder sind in der deutschen Literatur keine Seltenheit. Das Kinderlied Ein Männlein steht im Walde gehört ebenso dazu wie die geistlichen Lieder Es ist ein Ros entsprungen oder Ich weiß ein Blümlein hübsch und fein.7 Geistliche Rätsellieder operieren nicht mit frei erfundenen Metonymien, sondern benützen biblische Bilder. Damit lassen sie sich relativ leicht entschlüsseln, ohne ihren Überraschungseffekt einzubüßen. Wie bei Rätselliedern üblich, bringt die II. Strophe die Auflösung. II ,1–4

Das Lämmlein ist der große Freund Und Heiland meiner Seelen; Den, den hat Gott zum Sündenfeind Und Sühner wollen wählen.

Auch wenn der fromme Sänger schnell weiß, wer mit dem „Lämmlein“ gemeint ist, so mutet ihm doch das Diminutiv eine erhebliche Verfremdung zu. Weder in der Bibel noch in der Liturgie ist von einem „Lämmchen“ oder „Lämmlein“ die Rede.8 „Lamm“ lautet der geläufige Begriff. Er ist aus der Terminologie des Alten Testaments als Kurzformel für „Opfergabe“ so eingeprägt,9 dass seine Überfüh 6 Wiedergabe dieser und aller folgenden Liedtexte nach: Paul Gerhardt. Dichtungen und Schriften. Hg. u. textkritisch durchges. von Eberhard von Cranach-Sichart. München 1957, 30–33. Zum Vergleich wurde herangezogen: Paul Gerhardt. Geistliche Lieder. Nachwort von Gerhard Rödding. Stuttgart 1991, 5–7. Der vollständige Liedtext findet sich unten S. 126–128. 7 Auf katholischer Seite hält die Tradition vom 17. Jahrhundert (Es flog ein Täublein weiße) bis ins 19. Jahrhundert an (Es blüht der Blumen eine, von Guido Görres). 8 Bei Luther taucht im Vergleich zu dem geläufigen Ausdruck „Lamb“ „Lemblin“ nur an zwei wenig bedeutenden Stellen auf: Lev 3,7 und 1. Sam 7,9. 9 Vgl. vor allem Ex 12,3: „Am zehenden tag dieses monden / neme ein jglicher ein Lamb“; Ez 46,13: „Vnd er sol dem Herrn teglich ein Brandopffer thun / nemlich / ein jeriges Lamb on wandel / dasselb sol er alle morgen opffern“; Jes 53,7: „Da er gestrafft vnd gemartert ward / thet er seinen Mund nicht auff / wie ein Lamb das zur Schlachtbanck gefurt wird“. (Alle Bibelzitate nach Luther 1545).

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rung in die übertragene Bedeutung keiner Erklärung mehr bedurfte. Dem folgend ist in Kapitel 1 des Johannesevangeliums10 oder in der Apokalypse „Lamm“ zu einem festgefügten Metonym für Christus geworden, sodass im wörtlichen Verständnis widersinnige Fügungen vom Leser hingenommen werden.11 Die ungewöhnliche Bezeichnung Christi als „Lämmlein“ hat mit der zeittypischen Schäferdichtung des 17. Jahrhunderts nur sehr mittelbar zu tun. Diese operiert mit der Bildlichkeit des Landlebens und handelt vom Leben und Lieben der Hirten. Die geistliche Pastorale imaginiert Jesus als Hirten, nicht als Lamm. Der Christ, die christliche Seele, ist zumeist die Geliebte des Hirten, gegebenenfalls sein geliebtes Schaf. In diesem Zusammenhang begegnet dann auch „Schäflein“, ein Wort, das in der Geschichte der Frömmigkeitssprache viel früher und weiter verbreitet ist als sein seltenes Synonym „Lämmlein“ („Lämmchen“ kommt überhaupt nicht vor). „Schäflein“ gehört in den biblischen Metaphernkomplex von Hirt / Gott und Herde / Gottesvolk. Es bezeichnet aber den Christen, nicht Christus.12 Paul Gerhardt war freilich nicht der erste, der „Lämmlein“ auf Jesus anwendete. Bereits in Johann Arndts „Paradiesgärtlein“ taucht der Begriff verschiedene Male auf.13 Aus dem 16. Jh. stammt das Sterbelied Gott sey globt / ich empfinde wol, das ebenfalls das „Lämmlein Gottes“ erwähnt. Allerdings scheint das Lied kaum Verbreitung gefunden zu haben.14 10 Vgl. Joh 1,29: „Des andern tages / sihet Johannes Jhesum zu jm komen / vnd spricht / Sihe / Das ist Gottes Lamb / welchs der Welt sünde tregt“; Joh 1,36: „Vnd als er sahe Jhesum wandeln / sprach er / Sihe / das ist Gottes Lamb.“ 11 Apk 5,6 „mitten unter den Eltesten stund ein Lamb / wie es erwürget were“; Apk 19,7 „die Hochzeit des Lambs ist komen“; Apk 21,23: „und ire Leuchte ist das Lamb“. 12 Die einzige Ausnahme, die ich ausfindig machen konnte, ist Gerhardts O du allersüßte Freude, Str. V: „Du bist wie ein Schäflein pfleget, frommen Hertzens, sanften Muths.“ 13 Axmacher, Elke: Johann Arndt und Paul Gerhardt. Studien zur Theologie, Frömmigkeit und geistlichen Dichtung des 17. Jahrhunderts (Mainzer hymnologische Studien 3). Tübingen 2001, 48 f. zitiert eine Stelle aus Arndts Passionsgebeten im Paradiesgärtlein, die sie freilich bei ihrer Interpretation des Gerhardtschen Passionsliedes nicht mehr heranzieht. Arndt spricht Christus als „heiliges, zartes, unbeflecktes und unschuldiges Lämmlein Gottes“ an und zählt wie Gerhardt und in ähnlicher rhetorischer Häufung die Martern auf, die dieses Lamm zu erleiden hatte. Eine weitere Erwähnung des Lämmleins bei Arndt zitiert Axmacher ebd. 60. Gnädiger, Louise: Ein Lämmlein geht / und trägt die Schuld. Eine Interpretation, in: Jenny, Markus / Nievergelt, Edwin (Hg.): Paul Gerhardt. Wege und Wirkung. Zürich 1976, 16–22, hier 19 verweist auf Formulierungen bei Arndt wie: „das unschuldige Lämblein Gottes / und einiges Versühnopffer“. 14 Str. IX: „Diß Lämblein Gottes mit Gedult Willig auff sich hat genommen / Unser begangene Sünd und Schuld / Zur Schlachtbanck ist es kommen / Und hat sich selber dargestellt / Zum Opffer für die gantze Welt / Sein theures Blut vergossen.“ Aus: Geistliche Psalmen Und Lieder welche in den Christlichen Kirchen […] mögen gesungen werden / Durch den Ehrwirdigen Herrn / D. ­Martin Luther / auch andere Gottselige Lehrer / und Liebhaber Göttliches Worts gemacht. Alles auffs fleissigst jetzund von neuen ubersehen / corrigiert und mit vilen tröstlichen Psalmen und Liedern vermehret. Nürnberg: Wagenmann, Lauer 1605, 361–367. Der Autor nennt in der letzten Strophe nach Meistersingerart seinen Namen: Christian Thalhaimer. Das Lied ist erwähnt bei Serpilius, Georg: Neuverfertigte Lieder=Concordantz über DC. Kirchen= und andre geistreiche Gesänge […] Dabey Ein dazu gehöriges Gesang=Buch […] Nebst einer Vorrede Ihro Magnificenz (Tit.) Herrn Johann Friedrich Mayers […]. Dresden / Leipzig: Mieth, Zimmermann 1696, Nr. 459.

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Die Literatur der Wende vom 16. zum 17. Jh. benützte Verkleinerungsformen sehr häufig, man vergleiche etwa die Dichtung Johann Hermann Scheins. Sieht man von theologischen Gründen ab, so mag die Verwendung von „Lämmlein“ bei Arndt auch mit dieser rein sprachlichen Tendenz zusammenhängen. Während die Katholiken des 17. Jahrhunderts auf ihrem Idiom und ihrer Poetik beharrten und daher bei Friedrich von Spee zahlreiche Verkleinerungen vorkommen, steht die deutsche Sprachregulierung seit Martin Opitz dem Diminutiv skeptisch gegenüber. Schon von daher fällt „Lämmlein“ bei Paul Gerhardt auf. 1653 verwendet Sigmund von Birkens Passionslied Fliest ihr Trehnen / fliest und schiesset die Zeile: „er konnt / wie ein Lämmlein dulden“.15 Inventio des Textes steht eindeutig unter dem Einfluss Spees. Das gleiche gilt für Angelus Silesius, in dessen Liedersammlung „Heilige Seelen=Lust“ „Lämmlein“ ebenso vorkommt wie in den Sinnsprüchen des „Cherubinischen Wandersmanns“. Schefflers Lied Sie rufft das Lämmlein Gottes umb Vergebung der Sünden an nennt das Lämmlein [Gottes] in der ersten Zeile jeder der drei Strophen.16 Wieder begegnen wir dem Diminutiv in dem Lied Sie hält bey dem Lämmlein Jesu umb Geduld an.17 In der weiteren Liedproduktion des Jahrhunderts, die bei Georg Serpilius gründlich erfasst ist, taucht der Begriff kaum mehr auf.18 Die Bilanz sieht mithin so aus: Um 1600 findet sich „Lämmlein“ etwa zehnmal in den Erbauungstexten Johann Arndts, in der Liedliteratur kaum. Im weiteren Verlauf des 17. Jahrhunderts begegnen wir dem Begriff zuerst bei Paul Gerhardt, sodann einmal bei Birken, 18mal bei Angelus Silesius, sonst aber nur sporadisch. Dann allerdings tritt er uns wohl an die 200mal in den Gesängen des Grafen Nikolaus von Zinzendorf entgegen. 15 Heilige Karwochen. das ist / Sonderbare Gründonners= und Karfreytags=Predigten; und darauffgerichtete neue Lieder: […] Gehalten zu Nürnberg in der Kirchen bey S. Sebald von Johann Michael Dilherrn. Nürnberg: Endter 1653, 430–434. Hier VIII,6. 16 Silesius, Angelus: Heilige Seelen=Lust. Reprint der fünfteiligen Ausgabe Berlin 1668. Hg. v. Fischer, Michael / Fugger, Dominik (Documenta Musicologica 1, XLI). Kassel [u. a.] 2004, Nr. 54, 171. Incipit: O Lämmlein Gottes grosser Huld. 17 Ebd., Nr. 175, 590. Incipit: Geduldigs Lämmlein Jesu Christ. 18 Die weiteren Belege bei Serpilius, Georg: Neuverfertigte Lieder=Concordantz (wie Anm. 14) sind: Nr. 188, Str. I: Mir ist ein geistlich kirchelein erbauet in dem Hertzen mein / welchs allerseits gefärbet ist vom Blut des Lämmleins Jesu Christ.“ Nr. 191: Die Warheit kann nicht lügen (Lied auf Joh. den Täufer), Str. IV: „Den Weg er ihm bereitet / zu ihm uns führt und leitet / vermahnt / straft / tröst und lehret / euch zu ihm all bekehret / und rufft: Seht Gottes Lämmelein / das trägt der Welt Sünd allein / gläubt es / so wir euch wohl seyn.“ Nr. 462: Str. I „Lasset Klag und Trauen [sic] fahren / ich fahr auff zu Gottes Stuhl / zu den Auserwehlten Schaaren / in die hohe Himmels=Schul: Mein hochzeitlich Ehren=Kleid ist rein und schnee=weisse Seid / da mich Gottes Lämmlein kleidet / das mich auch nun ewig weidet.“ Str. VIII: „Nunmehr wird uns unsre Seelen weder Sonn noch Monden=Schein Weder Durst noch Hunger quälen / auch kein Feind verdrießlich seyn / Gottes Lämmlein uns regiert / und zum Leben=Brünnlein führt / Gottes Lämmlein uns erfrischet / all Angst=Thränen rein abwischet.“ Nur dieses letztgenannte Lied ließ sich auch anderweitig nachweisen: Fischer, Albert (Hg.): Kirchenlieder-Lexikon. Hymnologisch-literarische Nachweisungen über ca. 4500 der wichtigsten und verbreitetsten Kirchenlieder aller Zeiten. Gotha 1878 f. Repr. Nachdruck Hildesheim 1967, Bd. II, 23: vielleicht von Johann Heermann, Ersterwähnung Königsberg 1650.

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In Anbetracht dieses schon rein statistisch bemerkenswerten Phänomens verwundert es nicht, dass im 18. Jh. die Bezeichnung „Lämmlein“ als Synonym für Christus zum Kennzeichen der „süszlichen sprache der Herrnhuter“ werden konnte.19 Das „Deutsche Wörterbuch“ bringt als Beleg die Verszeilen Zinzendorfs „keusche liebes-geistes-flammen | lodern auf das lämmlein zu“ und fährt fort: „eine solche gemeinde wird spottend unter dem bilde der lämmlein gefaszt“. Von der Bezeichnung Christi als „Lämmlein“ ist der Begriff also als besonders typisch auf die Anhänger des Pietismus übergegangen: man spreche, so das „Wörterbuch“, von den Herrnhutern spottend vom „Lämmleinhäuflein“ und vom „Lämmleinbruder“ als „von dem frommen kopfhängenden christen“. Jeweils belegt das „Wörterbuch“ seine Beobachtungen mit Versen von Goethe. Es hätte auch Hoffmann von Fallersleben zitieren können: Herrnhuter in beiderlei Gestalt Mel. Nachtigall, ich hör dich singen. Nie wollt ihr des Herrn vergessen, Nicht beim Trinken noch beim Essen, Und ihr tunkt in rothen Wein Ein biscuiten Lämmlein ein. So erfüllt ihr Gottes Willen Im Geheimen und im Stillen, Und es isst auf Christi Tod Euer Nachbar trocken Brot. 20

Das Diminutiv „Lämmlein“ kann rein sprachlich gesehen als unangemessen verniedlichend und süßlich empfunden werden und muss vor allem im Zusammenhang mit der Betrachtung des Passionsgeschehens geradezu widersinnig wirken. Trotz der rhetorische Häufung von „Schmach, Hohn und Spott, Angst, Wunden, Striemen, Kreuz und Tod“ (I,8 f.), trotz der Vokabel „Würgebank“ (I,6) vermeidet Paul Gerhardts erste Strophe die tatsächliche Grausamkeit des historischen Geschehens durch Verblümung: Das Lämmlein, so heißt es (I,5), wird „matt und krank“. Auch die Formulierung „Das Lämmlein ist der große Freund | Und Heiland meiner Seelen“ (II ,1 f.) lässt aufhorchen: Obwohl in I,2 vom Tragen der Schuld „der Welt und ihrer Kinder“ die Rede war, spricht die Auflösung des Rätsels der ersten Strophe nicht von Jesus Christus dem Welterlöser, sondern vom persönlichen Freund und Seelenheiland. Damit ist der Grund gelegt, auf dem das Lied

19 Deutsches Wörterbuch. Hg. v. Jacob u. Wilhelm Grimm. Leipzig 1854–1960, Bd. VI (1885), Sp. 87. 20 Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich: Unpolitische Lieder. 2 Bde in 1 Bd. Reprint Hildesheim 1976, Bd. 1 (1840), 65. Die Melodieangabe verweist zugleich auf die sprichwörtliche Redensart, in der die Anfangszeile des Liedes gebraucht wird: ahnen, woher eine Sache kommt bzw. wohin eine Sache führt. Vgl. Röhrich, Lutz: Lexikon der sprichwörtlichen Redenarten. Bd. III. Freiburg 1994, 1066 f.

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aufbaut. Es geht nicht um Soteriologie,21 sondern um ganz und gar Persönliches; verhandelt wird die Beziehung zwischen dem Sprecher und seinem als Freund, Retter, Bräutigam und Geliebten aufgefassten Jesus. „Mir“, nicht „uns“ hat der der Heiland „so viel Gutes“ erwiesen, formuliert die Zeile IV,9–10 als Summa der vorausgegangen Betrachtung. So sehr auch das „Lamm“ in der Bibel Substitut für das allgemeine Sühnopfer ist: das Diminutiv „Lämmlein“ hat vornehmlich die Funktion, das Liebesobjekt zärtlich zu benennen und die Innigkeit der Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Die vom Autor angestrebte Wirkung brach sich Bahn. Johann Christoph Olearius berichtet in seiner Auslegung des Liedes von der Gräfin Ämilia Juliane von Rudolstadt, die sich „dermassen in das Lamm Gottes verliebet, daß Sie mit demselben aufstund und zu Bette gieng“. Nicht nur wurde zu ihrer Beerdigung das Lied gesungen. In ihrem Mausoleum ist sie – wie sie es selbst gewollt und ausgedacht hatte – „in Dero eigener Gestalt, in Lebens-Grösse, abgebildet, also, daß sie das Lamm Gottes umhalsete“.22 Das nun (II ,5–III ,4) folgende fiktive Gespräch zwischen Gott Vater und Gott Sohn thematisiert den Entschluss zum stellvertretenden Leiden. Die Erfindung wurzelt in der alten, auf Bernhard von Clairvaux zurückgehenden „Litigatio“, dem Streit der Töchter Gottes um eine mögliche Erlösung oder Verwerfung des menschlichen Geschlechts nach dem Sündenfall.23 Dieser Streit endete damit, dass Gott Vater seinem Sohn die Erlaubnis zur Menschwerdung erteilte. ­Gerhardt kürzt freilich die ursprüngliche Härte der Auseinandersetzung heraus, indem er sogleich Gott Vater sagen lässt: II ,5–10

  „Geh hin, mein Kind, und nimm dich an Der Kinder, die ich ausgetan Zur Straf und Zornesruten;   Die Straf ist schwer, der Zorn ist groß; Du kannst und sollst sie machen los Durch Sterben und durch Bluten.“ III ,1–4 „Ja, Vater, ja von Herzensgrund, Leg auf, ich will dirs tragen. Mein Wollen hängt an deinem Mund; Mein Wirken ist dein Sagen.“

Der in der „Litigatio“ dramatisch vollzogene Wandel von Strafwillen zum Erlösungswillen stellt sich hier als merkwürdige Gleichzeitigkeit beider Tendenzen 21 Vgl. Schrader, Hans-Jürgen: Vom Heiland im Herzen zum inneren Wort. ‚Poetische‘ Aspekte der pietistischen Christologie, in: Ders.: Literatur und Sprache des Pietismus. Ausgewählte Studien. Hg. von Matthias, Markus / S chneider, Ulf-Michael (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus 63). Göttingen 2019, 115–133, hier 115 f. zum Desinteresse des Pietismus an dogmatischen Fragen. 22 Olearius, Johann Christoph: Hymnologia Passionalis (wie Anm. 3), 117. 23 Mäder, Eduard Johann: Der Streit der „Töchter Gottes“. Zur Geschichte eines allegorischen Motivs (Europäische Hochschulschriften 1,41). Frankfurt a. M. 1971.

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in Gott Vater dar. Doch ist nicht Dialektik angestrebt, sondern Affekthaltigkeit: Die Schwere von Zorn und Strafe soll die Grausamkeit von Sterben und Bluten begründen. Deshalb ist auch in der Betrachtung, die der Dichter als Sprachrohr des frommen Lesers diesem Dialog folgen lässt, von der Versöhnung Gottes und Abwendung einer über die Menschen schon verhängten Strafe nicht mehr die Rede. Vielmehr steht die Liebe im Mittelpunkt. III ,5–10

  O Wunderlieb, o Liebesmacht, Du kannst, was nie kein Mensch gedacht, Gott seinen Sohn abzwingen.   O Liebe, Liebe, du bist stark, Du strecktest den ins Grab und Sarg, Vor dem die Felsen springen. IV,1–7 Du marterst ihn am Kreuzesstamm Mit Nägeln und mit Spießen; Du schlachtest ihn als wie ein Lamm, Machst Herz und Adern fließen:   Das Herze mit der Seufzer Kraft, Die Adern mit dem edlen Saft Des purpurroten Blutes.

Der Text addiert in emphatischer Aufzählung, was diese Liebe bewirkt. Sie ist personal gedacht, als Agens und Macht, die stärker ist als Gott (III ,7: „abzwingen“). Diese Personifizierung ist das Aufsehen Erregende der Passage, denn sie ist vergleichbar mit Gottfried Arnolds als handelnde Figur gedachter Sophia.24 Der Text spricht nicht über die Liebe, sondern richtet seine Rede an sie: Zeilen, die von Erhabenheitsrhetorik geprägt sind. Zahlreiche Figuren der Wiederholung (Repetitio III ,8; Anapher III ,6; III ,9; IV, 1; IV,3), ausgefallene und starke Vokabeln („abzwingen“ III ,7; „streckest“ III ,9, „marterst“ IV,1; „schlachtest“ IV,3), Ausrufe (III ,5; III ,8), der weit hergeholte Vergleich (IV,5 ff.), vor allem aber das Paradox (III ,9 f.) weisen diese Adressen einem Audacior ornatus, einem Stil starker Abweichung von Normalsprachlichkeit zu. Zugleich veranschaulicht die Sprache das Passionsgeschehen nach Art unmittelbarer Beobachtung, bis hin zum Verseufzen des Herzens und dem Zerfließen im Blut.25 Auffallend sind die beiden Apostrophen in der Zeile III ,5 „Wunderlieb“ und „Liebesmacht“.26 Die beiden hyperbolischen Komposita waren zur Entstehungs 24 Vgl. Arnold, Gottfried: Das Geheimniß Der Göttlichen Sophia oder Weißheit. Leipzig: Fritsch 1700. 25 Vgl. Gerhardts Passionslied O Welt, sieh hier dein Leben, Str. II: „Aus seinem edlen Herzen | Vor unerschöpften Schmerzen | Ein Seufzer nach dem andern quillt.“ Paul Gerhardt. Dichtungen und Schriften (wie Anm. 6), 33. 26 Serpilius, Georg: Neuverfertigte Lieder=Concordantz (wie Anm. 14) kann aus dem Fundus der Kirchenlieder bis 1696 nur die Komposita Liebes=Flammen, Liebes=Dienst, Liebes=Brunst, Himmels=Liebe auflisten, findet jedoch bereits eine ganze Reihe von Zusammensetzungen mit Wunder- vor: Wunder=Werck, Wunder=Regen, Wunder=Freud, Wunder=Nacht, Wunder=Held, Wunder=Ding, Wunder=Brod, Wunder=Wagen, Wunder=Güte, Wunder=Macht.

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zeit längst nicht so üblich, wie sie heute scheinen mögen.27 Unter den deutschen Autoren der Zeit finden wir einzig bei Angelus Silesius zahlreiche solche Neologismen.28 Hingegen sind Zusammensetzungen mit „Liebes-“ im Pietismus ebenso häufig wie die besonders ungewöhnlichen Neubildungen mit „Wunder-“; sie sind aus der Substantivierung des qualifizierenden Attributs entstanden: Aus „wunderbare Liebe“ wird „Wunderliebe“. Typisch pietistische Wortbildungen sind z. B. „Wundergrund, Wundermeer, Wunderflamme“.29 Sprachgeschichtlich gesehen, stellen mithin die von Gerhardt in diesem Lied verwendeten Kompositia „Wunderlieb“, „Liebesmacht“ (III ,5), „Liebesarme“ (V,4), „Freudenopfer“ (VI ,4) Vorläufer eines Wortschatzes dar, der fünfzig Jahre später den Pietismus prägen sollte. Ab IV,8 wendet sich der Text der eigenen Schuldigkeit für die Liebeszuwendung zu. IV,8–10

  O süßes Lamm, was soll ich dir Erweisen dafür, daß du mir Erweisest so viel Gutes?

Diese einleitende Frage könnte Ausdruck von Ratlosigkeit sein, denn freilich ist weder für das furchtbare stellvertretende Leiden noch für den Liebesüberfluss eine adäquate Gegenleistung möglich. Als rhetorische Wendung ist die Frage in der geistlichen Dichtung der Epoche häufig anzutreffen. 1672 veröffentlichte Johann Röling in Königsberg ein Lied, das in immer neuen rhetorischen Figuren der Wiederholung einzig und allein um die bange Frage kreist, wie der arme Mensch Jesu Leiden vergelten könne. Der Refrain dieses Liedes lautet: „Geb ich mich ganz und all das mein | was kann das für Vergeltung sein?“30 Bei Gerhardt 27 Vgl. Gesangbuch der Böhmischen Brüder 1566: Mützell, Julius: Geistliche Lieder der evangelischen Kirche aus dem 16. Jahrhundert. Bd. I. Berlin 1855, Nr. 127, IV,1f: Für solche Gnad | und hohe Wunderlieb. Birken: Neues Schauspiel / Betitelt Androfilo Oder Die WunderLiebe. Wolfenbüttel: Bißmarck 1656. Johann Klaj: Liebesmacht Die den Sohn Gottes auß den hohen Himmel in den Stall herab getrieben“, in: Ders.: Weihnacht Gedichte. Nürnberg: Dümler 1648, Nr. 7; es handelt sich nicht um ein Lied. Typisch für das 17. Jh. sind nicht die steigernden Komposita, sondern die emblematischen Zusammensetzungen. 28 Wunderheld, Wunderkasten, Wunderheld, Wundersängerlein, Wunderwerk, Wunderding, Wundergeburt, Wunderbühne, Wunderblumenbuch. Liebesflamme, Liebestränen, Liebesküssen, Liebespflicht, Liebeswein, Liebesbrunst, Liebesbegier, Liebesschmerzen, Liebesweisen, Liebesäugelein, Liebesopfer, Liebesland. Scheffler kennt nicht die Zusammensetzung „Liebesarme“, die Gerhardt in Str. V verwendet. 29 Langen, August: Wortschatz des deutschen Pietismus. 2. erg. Aufl. Tübingen 1968, 164, 342, 339. 30 Was soll ich / liebster Jesu du, in: Röling, Johann: Teutscher Oden Sonderbahres Buch von Geistlichen Sachen. Königsberg: Reußner 1672, 77. Johann Sebastiani hat das Lied als „Dank­ sagungsliedchen“ ans Ende seiner im gleichen Jahr 1672 gedruckten Matthäuspassion gesetzt. Das Leyden und Sterben unsers Herrn und Heylandes Jesu Christi / nach dem heiligen Matthaeo, in: Johann Sebastiani und Johann Theile: Passionsmusiken. Hg. v. Friedrich Zelle. In Neuaufl. hg. und krit. rev. v. Hans Joachim Moser (Denkmäler deutscher Tonkunst 1,17). Wiesbaden [u. a.] 1958, 101–103.

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freilich ist von Ratlosigkeit oder Bangen angesichts persönlicher Armut wenig zu spüren. Vielmehr bietet die einleitende Frage Anlass, die Liebesbeziehung zu entfalten. Dies zeigt schon die Anrede. Das in ihr verwendete Attribut „süß“ bei „O süßes Lamm“ gehört als Bezeichnung für das intensiv Geliebte und Beseligende dem Wortschatz religiöser Verinnerlichung an. Es war durchaus verbreitet, kam aber im Pietismus zu ganz neuer Beliebtheit;31 stimmungsmäßig hat es in Gerhardts Lied die gleiche Wirkung wie das Diminutiv „Lämmlein“: Es verringert den Abstand zwischen Gott und Mensch. Strophe V und VI versprechen als Gegengabe für die Liebe des süßen Lammes überschwängliche Gegenliebe, Dankbarkeit und Lob. Es überrascht nicht, dass die fünfte Strophe besondere Beliebtheit erringen sollte: Neben der ersten ist sie die meistzitierte und meist vertonte. Im Zentrum steht das „Herz“ als Sitz der Innerlichkeit, wobei die dreimalige Erwähnung des eigenen Herzens (V,5–7) auf die Erwähnung des Herzens des „Lämmleins“ in IV,4 f. antwortet. Keine andere Vokabel ist so wichtig für das Wörterbuch des Pietismus wie Herz.32 – Die Strophe wartet mit verschiedenen Bildern und Liebespfändern auf: stetiges Gedenken, Umfassen mit Liebesarmen, Treue bis zum Tode, Überschreibung der Persönlichkeit. Dieser Text hat erotischen Charakter. Wollte man auf die Umarmung, das An-sich-Ziehen des Menschen durch den gekreuzigten Jesus verweisen, wie es sich in der Frömmigkeitsgeschichte immer wieder findet, so träfe man damit nicht den Kern der Aussage: Nicht von Jesus ist die Rede, der den Sünder an sich zieht (vgl. Joh 12,32), sondern vom Menschen, der seinen Heiland mit Liebesarmen umfassen will (V,4). August Langen, der in seiner Untersuchung des pietistischen Wortschatzes die Komposita als Charakteristikum dargestellt hat, konnte speziell für „Liebesarme“ eine Reihe von Beispielen im Herrnhuter Gesangbuch von 1737 und in den „Cöthnischen Liedern“ (1768)33 finden.34 Sie alle aber sprechen, traditionell, noch von Gottes „Liebesarmen“. Paul Gerhardts Phantasie hat hier Neues geschaffen.35 Hinter dem Neologismus „Freudenopfer“ (VI ,4) steht die Vorstellung der heiligen Freude in Gott, die bei Gerhard Tersteegen, Arnold, im Freylinghau­ senschen und Herrnhuter Gesangbuch eine große Rolle spielt. Dementsprechend finden wir bei ihnen Komposita wie „Freudenblick“, „Freudenmeer“, „Freuden­pforte“ und auch das Oxymoron „Freudenopfer“.36 31 Vgl. Deutsches Wörterbuch (wie Anm. 19), Bd. X, IV (1942) Sp. 1315. 32 Vgl. Schrader, Hans-Jürgen: Vom Heiland im Herzen zum inneren Wort (wie Anm. 21), 120–125. 33 Samlung der Cöthnischen Lieder, in Dreyen Theilen, zum Lobe des dreyeinigen Gottes und zu gewünschter reichen Erbauung vieler Menschen, aufs neue herausgegeben [v. Joh. Ludw. Konr. Allendorf]. Mit nöthigen Registern. [5. Aufl.] Halle 1768. 34 Langen, August: Wortschatz des deutschen Pietismus (wie Anm. 29), 350. 35 Deutsches Wörterbuch (wie Anm. 19), Bd. VI Sp. 942 gibt die Stelle in Ein Lämmlein geht als ersten Beleg für „Liebesarme“ an. 36 Langen, August: Wortschatz des deutschen Pietismus (wie Anm. 29), 373. Serpilius, Georg: Neuverfertigte Lieder=Concordantz (wie Anm. 14) nur die weniger auffallenden Bildungen Freuden = Sonne, Freuden = Tag, Freuden = Saal, Freuden = Leben, Freuden = Licht, Freuden = Meister, Freuden = Öl.

Paul Gerhardt: Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld  

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Zu der oben erwähnten höchst ungewöhnlichen Ausdrucksweise IV,4–7 vom Zerfließen, dort eine Todesmetapher, findet sich in VI ,5–7 ein Gegenstück: VI ,5–7

Mein Bach des Lebens soll sich dir Und deinem Namen für und für In Dankbarkeit ergießen

Wieder ist die Liebe die treibende Kraft. Die Metaphorik des Fließens gehört zu den wichtigsten Bildkomplexen der Mystik und des Pietismus.37 Hatte Strophe IV das Vergießen von Atem und Blut als Ausdruck und Werk von Jesu Liebe dargestellt, so geht es in Strophe VI um das Sich-Verströmen des lyrischen Ich. Das Ergießen der Seele in Gott bedeutet das Aufgeben des Eigenen und die vollständige Hingabe.38 Als Antwort auf das tödliche Vergießen in IV,4–7 wird bei Gerhardt das vollständige Aufgehen in Liebe und Dankbarkeit zu einem sehr starken Bild. Die Gegengabe des lyrischen Ich ist bis zur vollständigen Selbstaufgabe gesteigert. Wie ernst es dem Text mit dieser Vorstellung war, zeigt die originelle Neubildung „Mein Bach des Lebens“.39 VI ,8–10

  Und was du mir zu gut getan, Das will ich stets, so tief ich kann, In mein Gedächtnis schließen.

Einsenken gehört zu den elementaren Bildern des Pietismus.40 Hier ist aber nicht von der mystischen Unio des Versenkens der Seele in Gott die Rede, sondern von dem liebenden Angedenken, von der Einsenkung der liebenden Dankbarkeit in den Seelengrund. Es geht um die letztmögliche Vertiefung des Gefühls der Dankbarkeit. Unter „Gedächtnis“ verstehen wir heute das Vermögen der Erinnerung, die Erinnerungskraft; im älteren Wortgebrauch ist es aber vor allem die aktive Memoria, das Angedenken, wie auch das Denkmal. In diesem Sinne heißt es in den Einsetzungsworten: „Das thut zu meinem Gedechtnis“ (Lk 22,19). Ursprünglich und noch im 16. Jh. ist „Gedächtnis“ mit Andacht gleichbedeutend,41 bei den Mystikern Konrad von Megenberg und Eckhart aber mit Meditatio.42 In dieser Bedeutung gewinnt die Formulierung noch mehr Gewicht: Sie richtet sich in die Zukunft, nicht in die Vergangenheit, wie es unser heutiger, verengter Begriff von Gedächtnis nahelegen würde. So schließen die Beteuerungen in Strophe VI unmittelbar an die überschwänglichen Versprechen an, die das lyrische Ich in Strophe V abgelegt hatte. Mit ef 37 Langen, August: Wortschatz des deutschen Pietismus (wie Anm. 29), 319–331. 38 Langen, August: Wortschatz des deutschen Pietismus (wie Anm. 29), 266. Bei Langen 324 f. und 326 beide Male mit der Todesvorstellung verbunden. 39 Sonst ist die Metapher größer dimensioniert: „Lebensflut“, „Lebensmeer“, „Lebensstrom“. Vgl. Langen, August: Wortschatz des deutschen Pietismus (wie Anm. 29), 324, 475, 342, 322. 40 Langen, August: Wortschatz des deutschen Pietismus (wie Anm. 29), 272 ff., 94. 41 Deutsches Wörterbuch (wie Anm. 19), Bd. IV, I,1 (1878), Sp. 1928 II, 1a). 42 Ebd. Sp. 1929 II, 2c).

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fektvoller Inversion, der Voranstellung von „Mein Lebetage“, war dort stetes Gedenken und vollkommene Überschreibung des eigenen Ich gelobt worden. Emphatisch ist auch eine Reihe anderer Formulierungen; „stets“ (V,3), „beständiglich“ (V,10), „Bei Nacht und Tage“ (VI ,2), „nach Möglichkeit“ (VI ,3), „so tief ich kann“ (VI ,9) sowie die Anrede „mein höchster Ruhm“ (V,8). Angelpunkt ist die Aufgabe des Ich: Statt des eigenen Herzens soll Jesus das Herz sein und das Licht des Herzens, und dies über den Tod hinaus. Strophe V ersetzt damit das eigene Sein und Leben durch den Geliebten, Jesus. Der Hyperbolik der Formulierungen „nach Möglichkeit“ (VI ,3) und „so tief ich kann“ (VI ,9) ist das Bemühen abzulesen, die eigenen Grenzen auszuweiten. Diese Tendenz setzt sich in Strophe VII fort: Erweitre dich, mein Herzensschrein (VII ,1). Die Bezeichnung des Herzens als Kammer, Haus, Schrein entstammt wiederum der mystiknahen Tradition. „Herzensschrein“ kommt schon bei ­Luther vor: „Ach mein hertzliebes Jhesulin | Mach dir ein rein sanfft bettelin | zu rugen jnn meins hertzen schrein“.43 Die eher seltene Prägung findet sich bei Paul Gerhardt immer wieder, bei Angelus Silesius hingegen extrem häufig, z. B. in dem bekannten „Morgen=Stern der finstren Nacht“: „Jesulein | Komm herein | Leucht’ in meines Hertzens Schrein.“44 Auch hier ist der Schlesier wieder stilprägend. Im Pietismus nimmt die Verwendung des Ausdrucks spürbar zu; er ist bei Johann Anastasius Freylinghausen, Tersteegen, Zinzendorf, Laurentius Laurenti und anderen belegt.45 Die Bildlichkeit der VII. Strophe, der Vergleich irdischer Schätze mit dem himmlischen Schatz, ist der Idee nach (inventio) traditionell, ganz neu hingegen ist die Ausführung (elocutio). Vorbild für die Argumentation und die Metaphorik ist die biblische Parabel vom Schatz im Acker (Mt 13,44), die in vielen Ausformungen auch in Kirchenliedern wiederkehrt. Am bekanntesten dürfte wohl Johann Francks IV. Strophe von Jesu, meine Freude sein: „Weg mit allen schätzen! | du bist mein ergötzen“.46 An die Stelle des Ackers in der Parabel tritt bei Gerhardt die Seele als „Schatzhaus“. Auch hier folgt Gerhardt wieder seiner Tendenz, durch ungewöhnliche Wortwahl Aufmerksamkeit zu erregen.47 Die Aufzählung orientalischer Preziositäten in VII ,5 f. verdankt sich der Bibel. Für die mit der „Sprache Canaan“ Vertrauten dürfte sie keine Verständnisschwierigkeit bedeutet haben. Die Aufzählung steht im sicher bewusst gesetzten Kontrast zum petrarkistischen preziösen Vokabular, in dem topisch Korallen, Perlen, Elfenbein, Gold, Diamanten herangezogen werden. 43 Luther, Martin: Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausg.). Erste Reihe, Bd. 35, Weimar 1923, 461, Vom himel hoch da kom ich her, Str. XIII. 44 Silesius, Angelus: Heilige Seelen=Lust (wie Anm. 16), 80, Nr. 26. 45 Langen, August: Wortschatz des deutschen Pietismus (wie Anm. 29), 170 f., 420. 46 Praxis Pietatis Melica. Hg. v. Johann Crüger. 5. Aufl. Berlin: Runge 1653, Nr. 377. 47 Schatzhaus: „im Hochdeutschen ungewöhnlich, ob es gleich in der Deutschen Bibel […] vorkommt.“ Adelung, Johann Christoph: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. Bd. 3. Leipzig 1798, 1377. Die erwähnte Bibelstelle ist Ex 1,11. – Die Seltenheit der Voka­ bel erhellt auch daraus, dass Grimms Wörterbuch die Verwendung unter anderem mit der Stelle aus unserem Lied belegt. Deutsches Wörterbuch (wie Anm. 19), Bd. VIII (1893), Sp. 2287.

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Freilich spricht unser Lied – im Unterschied zur sonstigen Verwendung der Schatz-Metaphorik – nicht von Jesu Person, dem Glauben oder dem ewigen Leben als dem kostbaren Schatz, sondern ganz konkret und dezidiert von dem, „was geflossen ist | Aus deines Leibes Wunden“ (VII ,9 f.). Im direkten Vergleich dazu waren in Zeile VII ,6 drei Duftstoffe schroff zurückgewiesen worden. Eine Deutung auf das Abendmahl hin macht die anstößige Ausdrucksweise zwar für heutige Leser besser akzeptabel, verengt die Meinung aber unangemessen. Der Text breitet nämlich über drei Strophen eine Meditation über das Blut des verwundeten Heilands aus, ohne die Sakramententheologie zu Hilfe zu nehmen; vielmehr deckt sich sein Anliegen mit dem, was ein Kern pietistischer Jesusverehrung werden sollte: dem Preis von Jesu Blut.48 Die Strophen VIII –X bestehen in einer fast schwelgerischen Enumeratio der Funktionen, die Jesu Blut für das lyrische Ich haben soll: Schutz, Spender von Freuden, Ausdruck von Freude, Speise, Tränkung, Dialogpartner, Leben, Schattenspender, Beruhigung der Schmerzen, Verankerung in den Fährnissen des Lebens, Purpurkleid im Paradies, Krone – jeweils wird die Metapher expressiv an das Zeilenende gestellt. Das Blut Jesu deckt alle leiblichen und geistlichen Bedürfnisse des Menschen ab, Speise, Trank, Kleidung, Unterhaltung eingeschlossen, es garantiert Leben und den Erhalt desselben. Darüber hinaus stellt es sicher, beim ewigen Hochzeitsmahl nicht ohne festliches Gewand dastehen zu müssen. Es ist, mit Zinzendorf zu sprechen, auch „Schmuck und Ehrenkleid“.49 Die Erwähnung der Krone (X,5) evoziert die Assoziation Braut und damit die Vorstellung der Gottesbrautschaft. Mit beidem, der Krone und der Brautschaft, schlägt unser Lied eine Brücke zu Philipp Nicolais Wie schön leuchtet der Morgenstern und seinen Anrufungen „mein Bräutigam“ und „du werte Kron“. Freilich ist bei Nicolai von Jesus die Rede, bei Gerhardt hingegen wesentlich gewagter, sinnlich-bildlicher vom Blut, das aus den Wunden geflossen ist. Mit dieser Attributierung des Blutes greift Gerhardt zu einer Metonymik von hohem Verfremdungscharakter. Auch wenn sich für viele der einzelnen Metaphern Vorlagen in der Bibel oder Frömmigkeitsliteratur finden lassen, so bleibt es doch höchst ungewöhnlich, diese Bilderfülle speziell auf das Blut Jesu anzuwenden. Die hohe Verehrung von Jesu Blut und Wunden und die seltsamen Blüten, die diese Verehrung treibt, sind jedem geläufig, der sich mit geistlicher Lyrik im 17. Jh. beschäftigt. Der Text von Gerhardts Lied ist gleichwohl eine Sondererscheinung und scheint mir auf die Kühnheit pietistischer Formulierungen bes. bei Zinzendorf vorauszudeuten. Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld wurde zu einem der führenden Passionslieder des 18. Jahrhunderts. Es eine „Agnus-Dei-Paraphrase“ zu nennen, scheint mir gewagt, sofern unter „Paraphrase“ die „Umschreibung eines sprachlichen 48 Langen, August: Wortschatz des deutschen Pietismus (wie Anm. 29), 289. 49 „Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid“. Herrnhuter Gesangbuch. Christliches Gesangbuch der Evangelischen Brüder-Gemeinen von 1735, 3. Ausg. Anhang als ein 2. Theil, VIII. Anhang 1739. Nachdruck Hildesheim 1981, Nr. 1258. Die erste Strophe übernahm Zinzendorf von einem Lied aus dem Jahr 1638.

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Ausdrucks mit anderen Wörtern oder Ausdrücken“ (Duden) zu verstehen ist.50 Soweit ich sehe, ist das Lied auch nicht als Abendmahlslied verwendet worden; vielmehr konzentriert sich die Rezeption auf die Gesangbuchrubriken „Jesu Leiden“ oder „gläubige Liebe und Hingabe“. Für eine ganze Reihe von Passionsmusiken, sowohl Evangelienpassionen als auch Passionsoratorien, wurde die Anfangszeile zum Werkincipit; jedenfalls aber ist doch die erste Strophe inte­ griert. Daneben findet sich immer wieder die V. Strophe. Schon die Rudolstädter Passion aus dem Ende des 17. Jahrhunderts bedient sich des Liedes.51 Reinhard Keiser hat auf eigene Faust Strophen daraus in seine Aufführungen der Passionen von Christian Friedrich Hunold und Johann Ulrich König eingefügt.52 Der Gothaer Kapellmeister Gottfried Heinrich Stölzel beginnt mit der I. Strophe seine Passion von 1720.53 Georg Philipp Telemann setzt sie mehreren Passionen und seinem Oratorium „Seliges Erwägen“ von 1722 voran.54 Die „Passionskantaten“ von Carl Heinrich Graun „Versöhnungsleiden Jesu“ (1730)55 und Gottfried August Homilius (1775)56 beginnen mit diesem Choral. Die Zahl der Beispiele ließe sich fortsetzen. Als Melodie wird meist diejenige zu Wolfgang Dachsteins Lied An Wasserflüssen Babylon verwendet.57 Daneben ist das Lied aber auch mit anderen Melodien verbunden worden, namentlich Neuschöpfungen. Die erste Neuvertonung stammt von Johann Georg Ebeling 1666, wurde aber wenig rezipiert.58 Johan 50 Johann Crüger. Praxis Pietatis Melica. Edition und Dokumentation der Werkgeschichte. Im Auftrag der Franckeschen Stiftungen zu Halle hg. v. Korth, Hans-Otto / M iersemann, Wolfgang. Bd. I,2. Editio X. Berlin 1661, Apparat 137 zu Nr. 152. Vgl. auch Korth, Hans-Otto: Aus An Wasserflüssen Babylon wird Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld (wie Anm. 57), 52. 51 Scheitler, Irmgard: Deutschsprachige Oratorienlibretti. Von den Anfängen bis 1730 (Beiträge zur Geschichte der Kirchenmusik 12). Paderborn 2005, 112. 52 Ebd. 190, Anm. 103 (Hunold); 204 (König). 53 Ebd. 341–343. 54 Telemann, Georg Philipp: Seliges Erwägen. Passionsoratorium in neun Betrachtungen. TWV 5:2 Hg. v. Ute Poetzsch (Telemanns Musikalische Werke 33). Kassel [u. a.] 2001. Ders.: Johannes­passion 1745. Hg. v. Wolfgang Hirschmann. (Telemanns Musikalische Werke 29). Kassel [u. a.] 1996. Ferner Markuspassion 1723. 55 Vgl. den Druck zur Berliner Aufführung, die von Anna Amalia von Sachsen-Weimar angeregt worden war: Text zum Musikalischen Ausdrucke der Versöhnungs-Leiden Jesu, so auf Veranstaltung der Musikübenden Gesellschaft […] aufgeführt werden soll. Berlin 1754. 56 MGG2 (Personenteil) Bd. IX (2003), Sp. 291. 57 So in der Erstausgabe des Liedes in der (verschollenen) Praxis Pietatis Melica. Hg. v. Johann Crüger. 5. Aufl. Berlin 1647, 213 Nr. 118. Angabe nach: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts. Von Albert Fischer. Nach dessen Tode vollendet u. hg. von Wilhelm Tümpel. 6 Bde. Gütersloh 1904–1916, ND Hildesheim: Olms 1964, Bd. III, 386. Korth, Hans-Otto: Aus An Wasserflüssen Babylon wird Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld. Die Melodie von Paul Gerhardts Agnus-Dei-Lied, in: Balders, Günter / Bunners, Christian (Hg.): „… die Edle und niemals genug gepriesene Musica“. Johann Crüger – (nicht nur) der Komponist Paul Gerhardts (Beiträge der Paul-Gerhardt-Gesellschaft 8). Berlin 2014, 51–67. 58 Ebeling, Johann Georg: Erstes Dutzet Geistlicher Andacht-Lieder Herrn Paul Gerhards, mit neuen Melodeyen / Bey Kirch- und Hauß-Gottesdienst füglich zu gebrauchen; Mit vier Stimmen und zwey Violinen, nebest dem General-Bass: zu singen und spielen gesetztet. Frankfurt a.d.O. [Berlin]: Autor 1666, 6 f.

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nes Zahn verzeichnet zu Gerhardts Lied insgesamt sieben verschiedene eigene Melodien in den Gesangbüchern.59 Bedenkt man, dass der Text in der weitaus überwiegenden Zahl der Gesangbücher mit der Melodie An Wasserflüssen Babylon verbunden wurde, so überrascht diese Variationsbreite. Ihr entspricht die frühe, intensive Rezeption. Sehr bald stand das Lied in den um eine besonders vertiefte Frömmigkeit bemühten Gesangbüchern von Heinrich Müller (1659) und Martin Janus (1663),60 eine Aufnahme durch die Pietisten konnte nicht ausbleiben.61 So findet sich das Lied bei Freylinghausen62, Johann Porst63 und in den Herrn­hutischen Gesangbüchern.64 Im XII. Anhang zum Herrnhuter Gesangbuch65 (rechte Spalte) erscheint 1743 Gerhardts Lied überraschend in einer tiefgreifenden Umarbeitung (linke Spalte nach von Cranach-Sichart (wie Anm. 6): 59 Zahn, Johannes: Die Melodien der deutschen evangelischen Kirchenlieder aus den Quellen geschöpft. 6 Bde. Gütersloh 1889–1893. Repr. Nachdruck Hildesheim 1963, Nr. 7681–7683, 7685–7688. 60 Müller, Heinrich: Geistliche Seelen-Musik. Bestehend in zehen betrachtungen / und vier hundert auserlesenen […] Gesängen […] mit fünfzig gantz neuen Melodeyen gezieret. Rostock: ­R ichel 1659, Tl. I, S. 70 (Mel. „An Wasserflüssen“). Janus, Martin: Passionale Melicum, Das ist: Außerlesene Geist= und Trostreiche Betrachtungen deß allerschmertzlichsten Leydens und Todes […] Jesu Christi, Bestehende in Zweyhundert und Funffzig / nach reiner Teutscher Poesy gesetzten Liedern / Benebenst ihren Melodien. Görlitz: Zipper 1663, Nr. 183, S. 703 f.: „Auff die Weyse: An Wasserflüssen Babilon / oder wie folget“. Melodie mit unbeziffertem Bass, Ps 17 Herr Gott, erhör die Grechtigkeit aus dem Beckerpsalter von Heinrich Schütz 1628, SWV 113 (transponiert), 10 Strophen, unterschrieben: „Paul Gerhard“. Weitere Aufnahmen vgl. Fischer, Albert (Hg.): Kirchenlieder-Lexikon. (wie Anm. 18), Bd. I (1878), 159. 61 Vgl. Bunners, Christian: Paul Gerhardt bei den Pietisten, in: Ders.: Paul Gerhardt. Weg – Werk – Wirkung. 4. erg. und neubearb. Aufl. Göttingen 2007, 224–228. Obwohl die Gerhardt-­ Rezeption insgesamt betreffend, liefert der Beitrag wichtige Belege für das Weiterleben des Dichters im Pietismus, angefangen bei der Wertschätzung durch Philipp Jacob Spener. 62 Die 8. Auflage des Geistreichen Gesangbuchs 1714 enthält das Lied mit allen Strophen und mit der geringfügigen Abweichungen in II,2: „Der Heiland unsrer (statt „meiner“) Seelen“. Diese Abweichung hat später auch das Gesangbuch der Herrnhuter übernommen, nicht aber Joh. Martini Schamelii, Past. Primar. zu Naumburg, Evangelischer Lieder=Commentarius. Andere vermehrte und verbesserte Auflage. 2 Bde. Leipzig 1737, 141, Nr. 9. 63 Geistliche und Liebliche Lieder Welche Der Geist des Glaubens Durch D. Martin Luthern, Joh. Herrman, Paul Gerhard, und andere seine Werckzeuge, in den vorigen und jetzigen Zeiten gedichtet […] von Johann Porst. Berlin 1765, Nr. 78 in der Rubrik „Vom Leiden Christi“, Mel. An Wasserflüssen. Das Lied hat bei Porst kaum textliche Abweichungen, auch die VII. Strophe ist ganz übernommen. Die Abweichungen sind leicht verflachend: I,3 „träget“ statt „büßet“, I,6 „Es gibt sich“ statt „Ergibt sich“. VI,3 „zu aller Zeit“ statt „nach Möglichkeit“, VI,9: „so gut ich kann“ statt „so tief ich kann“. 64 Das Lied steht in dem von Zinzendorf hg. Berthelsdorfer Gesangbuch: Sammlung Geistlicher und lieblicher Lieder. Leipzig [1725] Nr. 183 mit 10 Strophen. Im Marcheschen Gesangbuch 1731 Sammlung Geist= und lieblicher Lieder, Eine grosse Anzahl der Kern=vollsten alten und erwecklichsten neuen Gesänge enthaltende. 3. sehr vermehrte und gebess. Aufl. Herrnhut u. Görlitz 1731, Nr. 198 (Mel: An Wasserflüssen Babylon) mit 10 Strophen. Varianten: II,2 „der Heiland unsrer Seelen“; IX, 5 „Schwermuthsschmertzen“ statt „Wehmut Schmerzen“. 65 Herrnhuter Gesangbuch, XII. Anhang 1743, Nr. 1886. Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften. Hg. v. Beyreuther, Erich / Meyer, Gerhard. Bd. 2. Hildesheim 1964, 1805 f.

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I. Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld Der Welt und ihrer Kinder; Es geht und büßet in Geduld Die Sünden aller Sünder.   Es geht dahin, wird matt und krank, Ergibt sich auf die Würgebank, Verzeiht sich allen Freuden;   Es nimmet an Schmach, Hohn und Spott, Angst, Wunden, Striemen, Kreuz und Tod Und spricht: Ich wills gern leiden. II . Das Lämmlein ist der große Freund Und Heiland meiner Seelen; Den, den hat Gott zum Sündenfeind Und Sühner wollen wählen   „Geh hin, mein Kind, und nimm dich an Der Kinder, die ich ausgetan Zur Straf und Zornesruten;   Die Straf ist schwer, der Zorn ist groß; Du kannst und sollst sie machen los Durch Sterben und durch Bluten.“ III . „Ja, Vater, ja von Herzensgrund, Leg auf, ich will dirs tragen. Mein Wollen hängt an deinem Mund; Mein Wirken ist dein Sagen.“   O Wunderlieb, o Liebesmacht, Du kannst, was nie kein Mensch gedacht, Gott seinen Sohn abzwingen.   O Liebe, Liebe, du bist stark, Du strecktest den ins Grab und Sarg, Vor dem die Felsen springen. IV.

Du marterst ihn am Kreuzesstamm Mit Nägeln und mit Spießen; Du schlachtest ihn als wie ein Lamm, Machst Herz und Adern fließen:   Das Herze mit der Seufzer Kraft, Die Adern mit dem edlen Saft Des purpurroten Blutes.   O süßes Lamm, was soll ich dir Erweisen dafür, daß du mir Erweisest so viel Gutes?

der Schöpfer unsrer seelen den hat sein Vater in der noth uns nicht gewollt verhehlen: Geh hin, mein Kind! und nim das amt, die sünder, die du selbst verdammt, zur straff der zornesruthen zur straff so schwer, zum zorn so groß in dein’r person zu machen los,

das ist mein wohl=behagen; mein wollen ist dein sagen. Gott seinen sohn abnöthen. O treue liebe! du bist stark; du sendest ihn ins grab und sark, der uns hat sollen tödten.

Paul Gerhardt: Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld   V. Mein Lebetage will ich dich Aus meinem Sinn nicht lassen; Dich will ich stets, gleich wie du mich, Mit Liebesarmen fassen.   Du sollst sein meines Herzens Licht, Und wenn mein Herz in Stücken bricht, Sollst du mein Herze bleiben.   Ich will mich dir, mein höchster Ruhm, Hiermit zu deinem Eigentum Beständiglich verschreiben.

und wenn mein herz bricht, wie man spricht, ich will mich dir mein haupt und ruhm zu deinem ewgen eigenthum ergeben und verschreiben.

VI .

Ich will von deiner Lieblichkeit Bei Nacht und Tage singen, Mich selbst auch dir nach Möglichkeit Zum Freudenopfer bringen.   Mein Bach des Lebens soll sich dir Und deinem Namen für und für In Dankbarkeit ergießen;   Und was du mir zu gut getan, Das will ich stets, so tief ich kann, In mein Gedächtnis schließen. VII . Erweitre dich, mein Herzensschrein, Du sollst ein Schatzhaus werden Der Schätze, die viel größer sein Als Himmel, Meer und Erden.   Weg mit dem Gold Arabia! Weg Kalmus, Myrrhen, Kassia! Ich hab ein Bessers funden:   Mein großer Schatz, Herr Jesu Christ, Ist dieses, was geflossen ist Aus deines Leibes Wunden. VIII .

Das soll und will ich mir zu nutz Zu allen Zeiten machen; Im Streite soll es sein mein Schutz, In Traurigkeit mein Lachen,   In Fröhlichkeit mein Saitenspiel, Und wenn mir nichts mehr schmecken will, Soll mich dies Manna speisen.   Im Durst solls sein mein Wasserquell, In Einsamkeit mein Sprachgesell Zu Haus und auch auf Reisen.

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bei nacht und tage sagen, bei aller unvermöglichkeit mit lust ins dienen wagen.

[Fehlt!]

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IX .

Was schadet mir des Todes Gift? Dein Blut, das ist mein Leben. Wenn mich der Sonnen Hitze trifft, So kann mirs Schatten geben.   Setzt mir der Wehmut Schmerzen zu, So find ich bei dir meine Ruh Als auf dem Bett ein Kranker.   Und wenn des Kreuzes Ungestüm Mein Schifflein treibet üm und üm, So bist du dann mein Anker. X. Wenn endlich ich soll treten ein In deines Reiches Freuden, So soll dies Blut mein Purpur sein, Ich will mich darin kleiden;   Es soll sein meines Hauptes Kron, In welcher ich will vor dem Thron Des höchsten Vaters gehen   Und dir, dem er mich anvertraut, Als eine wohlgeschmückte Braut An deiner Seite stehen.

setzt mir ein seelen-schmertze zu, und wenn verfolgungs=ungestüm so bist du doch mein anker.

und tret ich endlich guten muths in deine hochzeits=zimmer, so sei der purpur deines bluts mein ehren=rockes schimmer; es sei der haupt=schmuck meiner cron, mit welcher ich will auf den thron des Gotts der kirche steigen. Dann wird die Mutter, die ich sog, und die mich für dich auferzog, die braut dem bräutgam zeigen.

Die Umarbeitung revidiert die individuelle Grundausrichtung zu Gunsten einer stärkeren Betonung von Gemeinde und Kirche. Schon in der 2. Zeile heißt es nicht „Und Heiland meiner Seelen“, sondern: „der Schöpfer unsrer seelen“. Die letzte Strophe etabliert die Kirche als Mittlerin zwischen Gott und Mensch. Besonders auffallend ist die soteriologische Veränderung, die in Strophe II sichtbar wird: Christus selbst hat die Menschen verdammt, hat sie töten sollen und wollen, wird aber ihr Erlöser, indem er das Todesurteil auf seine Person zieht. Völlig weggelassen wurde die preziöse VII. Strophe, die auch von anderen, späteren Gesangbüchern gestrichen bzw. verändert wurde.66 Dadurch ist nicht nur die schwierige Serie von Kostbarkeitsindikatoren (Gold Arabia, Kalmus, Myrrhen, Kassia) getilgt, sondern auch der grammatische Bezug der Folgestrophe auf „dieses, was geflossen ist | Aus deines Leibes Wunden“. Unter diesem neuen Verständnis von „Das“, nämlich auf die Erlösungstat, nicht mehr auf das Blut, konnte die VIII. Strophe unverändert übernommen werden Die Jahre, in denen dieser Anhang entstand, waren die sogenannte Sichtungszeit, eine von schwärmerischer Begeisterung, Jesusliebe und Blut- und Wundenkult geprägte Epoche.67 Etwa die Hälfte der Lieder des Anhangs stammt von 66 So auch schon von Olearius, Johann Christoph: Hymnologia Passionalis (wie Anm. 3), 114 f. verändert zu: „Weg mit den Schätzen dieser Welt / | und allem / was der Welt gefällt“. 67 Reichel, Jörn: Dichtungstheorie und Sprache bei Zinzendorf. Der 12. Anhang zum Herrnhuter Gesangbuch (Ars poetica, Studien 10). Bad Homburg [u. a.] 1969, 13–28.

Paul Gerhardt: Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld  

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Zinzendorf selbst, andere sind, großteils auf dessen Anregung, von anderen Brüdern neu gedichtet. Die theologischen Kontroversen, die sich um Gerhardts Lied offenbar entsponnen haben, zeigen sich an einem neuen Text von 37 Strophen, der dem eben zitierten nachgestellt ist.68 Die erste Strophe greift auf den Beginn des Gerhardtschen Originals zurück, dessen zwei Anfangszeilen sie wörtlich übernimmt. War die Umarbeitung offenbar das Werk einer ekklesiologisch orientierten Fraktion, so ist die Neudichtung ein Exempel einer Theologie, die den Einzelnen in den Mittelpunkt stellt. 8. O Lämmlein Jesu noch so klein! nach dir kan einem bange und unaussprechlich ängstlich seyn, bis daß man dich umfange. 9. Wenn man dich nun vor augen hat mit deinen blutgen strahlen, so möcht man dich der Gottes=stadt mit tausend farben mahlen. 10. Doch mahl dich lieber selber für, ja werd ins herz gegraben, o Lämmlein! so genüget mir, bis ich dich gar kan haben. 36. Vollführe deinen liebes=rath, und bringe alle wunder des Gottes=flämmleins bald zur that in diesem deinen zunder.

Die zitierten Strophen zeigen, welche Elemente der Herrnhuter Dichter an den Versen aus dem 17. Jh. besonders schätzte: Es ist die Verringerung des Abstandes zwischen Mensch und Erlöser im Bild des „Lämmleins“, die damit verbundene Verniedlichung des göttlichen Liebesobjekts, die Ästhetisierung der Wunden des geschundenen Heilands und schließlich die Sehnsucht nach persönlicher Liebesbeziehung im Bild des Umarmens und des Einsenkens in eine Unio mit dem geliebten Jesus. Der typische Sensualismus, der seinen Ausdruck in Vokabeln wie „umfangen, malen, eingraben“ findet, knüpft an die Vorlage an. Sprachlich fällt als Parallele die Begeisterung für emphatische, neugebildete Komposita auf. In allen diesen Punkten ist Paul Gerhardts Lied Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld Vorbild und kann insgesamt ein Wegbereiter pietistischen Frömmigkeitsausdrucks genannt werden.

68 Herrnhuter Gesangbuch, XII. Anhang 1743, Nr. 1887. „Ein Lämmlein geht und trägt die schuld der welt und ihrer kinder; es geht und wird mit viel geduld das bildniß armer sünder.“

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Irmgard Scheitler

Abstract: Paul Gerhardt’s well-known and, especially in the 18th century, much used hymn Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld has experienced numerous interpretations. These interpretations underpinned the value of the text by illustrating its dedicative purposes for a „high person,“ praising its faithfulness to the Bible and its kerygmatic nature, or understanding it liturgically as hymn for Holy Communion or Agnus Dei. This article is not a theological interpretation and appreciation of content, but a linguistic analysis. It aims to show how Paul G ­ erhardt’s mode of expression is a forerunner of the language of Pietism. Methodo­logically, the article employs close reading and deliberately renounces the presumed self-evident nature of religious epistemologies, distancing the analysis from associations commonly found in close religious systems (here Pietism). The well-studied and abundantly documented language of historical Pietism can then serve as a basis for comparison. Perhaps related to this peculiarity is the success that the song experienced in the 18th century, for example, as an entrance to Passion music.

„… wohin schon die Reformatoren gewollt …“ Emil Naumann und die Idee der Psalmodie mit Gemeindebeteiligung

Christoph Henzel

In den protestantischen Kirchen sorgte die Frage der Erneuerung von Liturgie und Kirchenmusik im 19. Jh. für anhaltende Diskussionen. Ein Konsens bestand in der Überzeugung, dass Rationalismus und Pietismus zu einem Verfall geführt hätten. Für Abhilfe sollte, vermittelt über die Besinnung auf das Wesen und die Geschichte des (evangelischen) Gottesdienstes, die Wiederbelebung älterer liturgischer Formen mit angemessenen musikalischen Bestandteilen sorgen. Einen wichtigen Impuls dafür stellte die Einführung der Preußischen Agende ab 1822 dar, die Friedrich Wilhelm III. (reg. 1797–1840) gegen vielfältige Widerstände durchsetzte. Sie stellte keine einfache Restauration einer reformatorischen Gottesdienstordnung dar, sondern versuchte, geprägt von den persönlichen Erfahrungen und Überzeugungen des Königs, eine Brücke zwischen reformierter und lutherischer Tradition zu bauen und die im russisch-orthodoxen Gottesdienst erlebte Kraft des mehrstimmigen liturgischen Chorgesangs zu adaptieren.1 Letzteres führte zum Ersatz der auf das (gesprochene) Wort antwortenden Gemeinde durch den Chor, mithin zur „Deaktivierung der Gemeinde“,2 der nur das Eingangs-, Predigt- und Schlusslied blieb.3 Daraus erwuchsen zwei Probleme: Zum einen konnte nicht jede Gemeinde einen Chor bzw. einen ästhetisch befriedigenden (A-cappella-)Chorgesang einrichten. Es war zwar möglich, darauf zu verzichten, doch blieb so der Wunsch nach erhöhter, über das Orgelspiel hinausgehender Wirkung von Kunstmusik im Gottesdienst unerfüllt. Zum andern wurde die „Deaktivierung“ als Widerspruch zum reformatorischen Liturgieverständnis empfunden. Die Lösung für das erste Problem konnte nur in der Bildung von Kirchenchören, möglichst aus Gemeindemitgliedern, in der Praxis häufig unter Einbeziehung honorierter Männerstimmen, bestehen. Was die Rolle der Gemeinden 1 Vgl. Meyer-Blanck, Michael: Agenda. Zur Theorie liturgischen Handelns (Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart 13). Tübingen 2013, 21–25, 66–68. 2 Ebd., 23. 3 Vgl. zu den musikalischen Bestandteilen der Preußischen Agende Scheideler, Ullrich: Komponieren im Angesicht der Musikgeschichte. Studien zur geistlichen a-cappella-Musik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Umkreis der Sing-Akademie zu Berlin (Musikwissenschaft an der TU Berlin 11). Berlin 2010, 71–75.

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Christoph Henzel

angeht, so eröffnete bereits der 1829 gedruckte Provinzialnachtrag zur Agende für Brandenburg die Möglichkeit ihrer Beteiligung an den chorischen Responsorien.4 Einen Schritt weiter ging der von Forschungen zur Liturgie- und Musikgeschichte flankierte Vorschlag, die Psalmodie mit ihrem antiphonalen chorischen Vortrag in den Hauptgottesdienst aufzunehmen. Diese Idee stieß auf das besondere Interesse Friedrich Wilhelms IV. (reg. 1840–1858). Die Verbesserung der Kirchenverfassung, Liturgie und Kirchenmusik beschäftigte ihn sein Leben lang.5 Im Unterschied zu seinem Vater vermied er jedoch von oben verfügte Maßnahmen. Was die vokale Kirchenmusik angeht, setzte er zum einen auf das Vorbild des Berliner Domchors. Er sollte durch die Qualität seiner Aufführungen und sein Repertoire nach außen wirken. Zu dem konsequenten Schritt, ihn um ein Ausbildungsinstitut zu erweitern, konnte er sich jedoch nicht entschließen.6 Zum andern knüpfte der König große Erwartungen an Impulse von renommierten Musikern, die er bereitwillig in seinen Dienst nahm. In erster Linie ist hier Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847) zu nennen, dessen von 1842 bis 1844 dauerndes Intermezzo im Dienst des Königs und der Kirchenmusik gründlich erforscht ist.7 Auch Otto Nicolai (1810–1849) ist zu nennen, der ab 1847 als Dom- und Hofkapellmeister neben seiner Tätigkeit an der Hofoper als Komponist für den Domchor beschäftigt war.8 Darüber hinaus förderte er mit Carl Martin Reinthaler (1822–1896) und Theodor de Witt (1823–1855) Nachwuchskomponisten, die Ambitionen in der Kirchenmusik zeigten.9

4 Vgl. Kampmann, Jürgen: Die Einführung der Berliner Agende in Westfalen. Die Neuordnung des evangelischen Gottesdienstes (Beiträge zur Westfälischen Kirchengeschichte 8). Bielefeld 1991, 174 f. 5 Vgl. Kraus, Hans-Christof: Friedrich Wilhelm IV. Christliches Königtum im Schatten der Revolution, in: Mau, Rudolf (Hg.): Vom Unionsaufruf 1817 bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts (Protestantismus in Preußen. Lebensbilder aus seiner Geschichte 2). Frankfurt a. M. 2009, 243–262, hier 259–261. 6 Vgl. Henzel, Christoph: Preußische Musikpolitik unter Friedrich Wilhelm IV., in: Lütteken, Laurenz (Hg.): Mendelssohns Welten. Zürcher Festspiel-Symposium 2009 (Zürcher FestspielSymposien 2). Kassel 2010, 109–125, hier 115–118. 7 Vgl. Brodbeck, David: A Winter of Discontent: Mendelssohn and the Berliner Domchor, in: Todd, Larry (Hg.): Mendelssohn Studies. Cambridge 1992, 1–32; Dinglinger, Wolfgang: Mendelssohn – General-Musik-Direktor für kirchliche und geistliche Musik, in: Schmidt, Christian Martin (Hg.): Felix Mendelssohn Bartholdy. Kongressbericht Berlin 1994. Wiesbaden 1997, 23–36; Ertelt, Thomas / K loosterhuis, Jürgen: Vorstellungen eines wunderlichen jungen Mannes. Die Akte Mendelssohn, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 2003/04, 277–302; Dinglinger, Wolfgang: „Acta betreffend: Die Berufung des Componisten Dr. Felix Mendelssohn Bartholdi nach Berlin“. Briefe von und an Felix Mendelssohn Bartholdy, in: Mendelssohn-Studien 14 (2005), 189–219; Rettinghaus, Klaus: Ein „Lieblingsinstitut“ Mendelssohns. Neue Quellen zu Felix Mendelssohn ­Bartholdys Wirken für den Königlichen Hof- und Domchor zu Berlin, in: Mendelssohn-­ Studien 16 (2009), 125–137. 8 Vgl. Rettinghaus, Klaus: Studien zum geistlichen Werk Otto Nicolais, Diss. phil. Berlin 2014 (mschr.), 152–204, http://dx.doi.org/10.14279/depositonce-4210 (20.11.2019). 9 Vgl. zu de Witt: Henze-Döhring, Sabine: Friedrich Wilhelm IV. als Förderer der alten Musik, in: Jahrbuch der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg 1995/96, 291–299, hier 294 f.

„… wohin schon die Reformatoren gewollt …“ 

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Einen Sonderfall stellt der junge Emil Naumann (1827–1888) dar, Enkel des sächsischen Hofkapellmeisters Johann Gottlieb Naumann (1741–1801), der mit einem Gehalt und einem Titel in den Dienst des Königs trat und von Reisestipendien profitieren konnte.10 Ausschlaggebend dafür waren über den Erweis kompositorischer Begabung hinaus seine Ideen zu einer Praxis des liturgischen Psalmengesangs. Was ihm konkret vorschwebte, was er zu ihrer Realisierung unternahm und warum seine Bemühungen trotz der Protektion durch den König folgenlos blieben, soll im Folgenden erörtert werden. Die wichtigsten Quellen dafür sind die den Domchor betreffenden Akten des Geheimen Zivilkabinetts Friedrich Wilhelms IV. sowie der Schriftwechsel des Oberkirchenrats mit dem Staatsministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten in dieser Sache.11 Die Unterlagen werden hier zum ersten Mal ausgewertet.

1. Die Psalmodie und die preußische Agende Alle Überlegungen zur allgemeinen Einführung der Psalmodie hatten sich der Tatsache zu stellen, dass die preußische Agende den Introituspsalm nicht kannte. Nur die von Friedrich Wilhelm  III. 1828 approbierte sog. kapitolinische Liturgie, d. h. die in der preußischen Gesandtschaft in Rom verwendete Form, wies am Ende des 1. Teils (des sog. Beichtamts) einen Dankpsalm auf, der „wechselweis gesprochen“ wurde.12 Diese merkliche Modifikation ging auf die liturgiehistorischen Studien des preußischen Gesandten Christian Carl Josias von Bunsen 10 Vgl. Thomas, Max: Heinrich August Neithardt, Diss. phil. Berlin 1958. Berlin 1959, 115 f. Thomas’ Arbeit, die gleichsam nebenbei bis heute die meisten Informationen zu Naumanns Berliner Tätigkeit liefert, wurde in der schmalen Literatur zu Naumann nicht rezipiert; vgl. z. B. Henze-Döhring, Friedrich Wilhelm IV., 295 f.; Härtwig, Dieter: Zu Leben und Werk der Enkel Emil und Karl Ernst Naumann, in: Landmann, Ortrun (Hg.): Johann Gottlieb Naumann und die europäische Musikkultur des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Hildesheim 2006, 443–460, hier 445–449. 11 Vgl. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (= GSta PK), I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23260 Acta betr. das Musik-Institut der Hof- und Domkirche zu Berlin (Domchor) 1838–1853; ebd., Nr. 23261 Acta betr. das Musik-Institut der Hof- und Domkirche zu Berlin (Domchor) 1872–1900; Kirchliches Archivzentrum Berlin, EZA 7/2444: Gottesdienst und Kirchenmusik, Vol. 1: 1843–1858; ebd., EZA 7/2445: Gottesdienst und Kirchenmusik, Vol. 2: 1858–1864. – Der Oberkirchenrat war 1850 durch die Ausgliederung der evangelischen Abteilung des Kultusministeriums entstanden und sollte, direkt dem König unterstellt, als eine den Konsistorien übergeordnete Behörde selbständig die inneren Angelegenheiten der Kirche verwalten; vgl. Rathgeber, Christina: Das Kultusministerium und die Kirchenpolitik 1817–1934, in: Holtz, Bärbel (Hg.): Das preußische Kultusministerium als Staatsbehörde und gesellschaftliche Agentur (1817–1934) (Acta Borussica, N. F. 2. Reihe), Bd. 2/1. Berlin 2010, 289–351, hier 319–321. 12 Vgl. Wiegand, Gunnar: Die „kapitolinische Liturgie“. Entstehung, Entwicklung und kirchenmusikalische Implikationen, in: Wallraff, Martin / Matheus, Michael / Lauster, Jörg (Hg.): Rombilder im deutschsprachigen Protestantismus. Begegnungen mit der Stadt im „langen 19. Jahrhundert“ (Rom und Protestantismus 1). Tübingen 2011, 278–315, hier 309. Die deutliche Reduktion des Choranteils in der sog. kapitolinischen Liturgie war der Tatsache geschuldet, dass die Gemeinde ab 1825 keinen Chor mehr hatte; vgl. ebd., 290–293.

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zurück, der sich in diesem Punkt vom anglikanischen Daily Office inspirieren ließ.13 Aus der Überzeugung heraus, dass die Psalmodie ein ursprüngliches Element der christlichen Liturgie sei, setzte sich von Bunsen, ein Vertrauter ­Friedrich Wilhelms  IV., dafür ein, auf ihre allgemeine Verwendung im Gottesdienst hinzuwirken. Ein erster Schritt war die 1843 angestoßene Überarbeitung der Domliturgie, die künftig auf Anregung des Königs mit einem gesungenen Psalm eröffnet wurde.14 Der Plan des Königs, den Psalm als Wechselgesang von Chor und Gemeinde vorzutragen, wurde in der am 10. Dezember 1843 eingeführten Gottesdienstordnung jedoch nicht aufgegriffen.15 Er kollidierte mit den Wünschen Mendelssohns nach einer künstlerischen Gestaltung der Kompositionen, die in seine Zuständigkeit als preußischer Generalmusikdirektor fielen.16 Immerhin war der Domchor zu diesem Zweck gerade erst umorganisiert worden. Hinzu kam, dass die Domgemeinde bereits dadurch gefordert war, dass sie von nun an die bis dahin alleine dem Chor vorbehaltenen Antwortgesänge (mit zwei Ausnahmen) zu übernehmen hatte.17 Damit war die Frage der antiphonischen Psalmodie im Dom aber nicht vom Tisch. Im Zusammenhang mit den Überlegungen zur Angliederung des Domchors an ein zu gründendes staatliches Ausbildungsinstitut für evangelische Kirchenmusik regte von Bunsen im Rahmen grundsätzlicher Ausführungen zur projektierten „Domschule“ die Herstellung eines Chor- und Choralbuchs an, in dem u. a. „die Psalmodie nach den alten Kirchentönen, nebst praktischer

13 Vgl. Wallraff, Martin: The Influence of the Book of Common Prayer on the Liturgical Work of C. C. J. von Bunsen, in: Journal of Theological Studies 48 (1997), 90–107, hier 99 f. 14 Vgl. die undatierte Antwort des Königs auf die Vorschläge der Domgeistlichen zur Neubestimmung der Rolle des Chors v. 9.1.1843, GSta PK, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23260, fol. 30 f. Während die Geistlichen am Lied als Eröffnung des Gottesdienstes festhielten, dessen erste Strophe allein vom Chor gesungen werden sollte (vgl. ebd., fol. 32r), stellte Friedrich Wilhelm IV. die Frage, „ob nicht von den Psalmen beim Introitus Gebrauch gemacht werden könne“. An die antiphonische Psalmodie dachte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Dies belegt der nachfolgende Satz: „Es versteht sich von selbst, daß jeder Psalm besonders komponirt werden müsse, wenn nicht eine bereits vorhandene Komposition schon vorhanden sei.“ – An die Wiederbelebung der reformierten Tradition des gesungenen Psalmlieds nach dem Genfer Psalter war nicht gedacht. Die Lieder nach Lobwasser waren im Lauf des 18. Jahrhunderts in Berlin aus den Gottesdiensten verschwunden, da die Texte als unpassend empfunden wurden; vgl. Schmidt, Bernhard: Gottesdienstliche Musik in Berliner Kirchen im Zeitalter des Rationalismus, in: Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung 2011, 155–183, hier 172–175. 15 Vgl. Rettinghaus, Klaus: Ein „Lieblingsinstitut“ Mendelssohns (wie Anm. 7), 129. 16 Vgl. seine abschätzige Bewertung der Psalmodie in Briefen aus Rom, nämlich als „die eintönigste Musik“ (Brief an die Familie v. 4. und 9.4.1831, in: Morgenstern, Anja / Wald, Uta (Hg.): Felix Mendelssohn Bartholdy: Sämtliche Briefe, Bd. 2: Juli 1830 bis Juli 1832. Kassel 2009, 245–250, hier 248) und als „ermüdend und monoton“ (Brief an Carl Friedrich Zelter v. 16.6.1831, in: ebd., 283–293, hier 284). Im erwähnten Brief an die Familie schildert Mendelssohn, was er gegen die „Langeweile […] während der unaufhörlichen Psalmen vor dem Miserere“ tat: Er notierte die gehörten Psalmtöne; vgl. ebd., 246. 17 Vgl. Engel, Gustav: Der liturgische Gottesdienst in der Domkirche zu Berlin, in: Neue Berliner Musikzeitung 4 (1850), 177–180, hier 177; Brodbeck, David: A Winter of Discontent (wie Anm. 7), 11–14.

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Anweisung für ihre Ausführung“18 enthalten sein sollte. Die Realisierung dieses Vorhabens war seiner Meinung nach leicht möglich: Was die Psalmodie betrifft, so hat, nach meiner Aufforderung, der kapitolinische Organist Schulze (Administrator der Casa Tarpea) seit mehrern Jahren alle dazu gehörigen römischen Schätze geordnet, und eine Geschichte und Theorie des Psalmengesanges für Organisten entworfen, mit praktischer Anleitung zum Gebrauche in Kirche, Schule und Haus.19

Friedrich Wilhelm IV. ging auf diesen Vorschlag (wie auch auf die Pläne zur „Domschule“) nicht ein, vielleicht weil er Mendelssohn nicht vor den Kopf stoßen wollte. Er beließ es im Dom beim komponierten Psalm als Eröffnungsstück. Als Aufgabe für die Zukunft blieb so die Komplettierung der von Mendelssohn begonnenen Reihe der Vertonungen für das ganze Kirchenjahr. Die Frage, wie die Gläubigen in Bezug auf den Psalm stärker am Gottesdienst mitwirken könnten, blieb vorerst unbeantwortet. Naumanns Schrift „Ueber Einführung des Psalmengesanges in die evangelische Kirche“, die dem König – vermutlich Ende 1849, also noch vor Drucklegung – durch Alexander von Humboldt bekannt wurde,20 bot die Gelegenheit, das Thema noch einmal zu überdenken. Die kleine 1850 publizierte Schrift teilt von Bunsens Überzeugung, dass der Psalm im evangelischen Gottesdienst ein wesentliches Element sei. Zum einen handele es sich um einen essentiellen Teil des Wortes Gottes, zum anderen um ein ursprüngliches Element des Gottesdienstes, schließlich auch um einen Ort in der Liturgie, der die Mitwirkung der Gemeinde fordere.21 Naumann trat deshalb für die Weiterentwicklung des in die Domliturgie aufgenommenen Introituspsalms ein, ihres „musikalisch bedeutendste[n] Theil[s]“. Die Präsenz des Psalms als Psalmlied, d. h. als poetische Umformung, stelle keinen gleichwertigen Ersatz für den „Urtext“ im Gottesdienst dar.22 Der Gemeinde das „unverfälschte Wort Gottes“ zum Vortrag zu übergeben, entspreche vielmehr der reformatorischen Intention, die, lange verschüttet, endlich in der Gegenwart, einer Zeit der Erneuerung und Rückbesinnung, zur Geltung kommen

18 Schreiben von Bunsens an Friedrich Wilhelm IV. v. 12.7.1844, GSta PK, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23260, fol. 79 f., hier fol. 79v. 19 Ebd., fol. 80v. Gemeint ist Eduard Schulz (geb. 1816), seit 1836 Organist der preußischen Gesandtschaftskapelle. 20 Vgl. das Schreiben Naumanns an den Kabinettsrat Ernst Emil Illaire v. 26.3.1855, GStA PK, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23261, fol. 25–26, hier fol. 26v; außerdem das Schreiben Naumanns an den König vom Januar 1856 (Abschrift), Kirchliches Archivzentrum Berlin, EZA 7/2444, fol. 214–217, hier fol. 215v. 21 Naumann, Emil: Ueber Einführung des Psalmengesanges in die evangelische Kirche, in: Neue Berliner Musikzeitung 1850, 217–219 (10.7.), 225–227 (17.7.), 233–235 (24.7.), 249 f. (7.8.), 257–259 (14.8.). 1856 veranlasste Naumann einen nur minimal veränderten, eigenständigen Druck bei dem Berliner Verleger Georg Reimer, den er Friedrich Wilhelm IV. widmete. Die Seitenzahlen beziehen sich hier wie auch künftig auf die Ausgabe von 1856. Zum hier Wiedergegebenen vgl. 8 f. 22 Vgl. ebd., 9.

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könne. Naumann sah in der Einführung der Psalmodie einen Fortschritt „in ächt protestantischem Sinne“.23 Die Psalmodie sollte Gemeindegesang sein, zugleich aber auch Raum für die Kunst bieten, die die Andacht der Gläubigen unterstützt.24 Naumann dachte also von vornherein an eine Verbindung von künstlerisch gestalteter Komposition der Texte und schlichter Rezitation. Die Praxis der gesprochenen Psalmodie in der anglikanischen Kirche entsprach diesen Anforderungen nicht, da die Psalmen „ursprünglich zur Verbindung mit Musik gedichtet“ worden seien.25 Naumann stellte drei Möglichkeiten der praktischen Realisierung zur Diskussion: Erstens die Rezitation der Psalmverse auf der Grundlage der Kirchentöne und der historisch gewachsenen melodischen Formeln, wie sie im katholischen Gottesdienst gebräuchlich seien. Diesen Weg lehnte Naumann ab, weil die schlichte Deklamation zu wenig kunstvoll sei und die Individualität der Psalmen durch die Begrenzung der harmonischen und melodischen Mittel nicht zum Ausdruck kommen könne.26 Zweitens die mehrstimmige Vertonung, eventuell unter Verarbeitung der gregorianischen Melodien. Auch dies lehnte Naumann ab, da die Gemeinde hier durch das hohe Maß an Kunstfertigkeit von der Mitwirkung ausgeschlossen sei.27 Schließlich der versweise zwischen Chor und Gemeinde alternierende Vortrag der Psalmen: Er eignete sich gut, weil die Art des abwechselnden Singens in der kirchlichen Tradition verankert sei, weil im komponierten Choranteil der Individualität des Psalms Rechnung getragen werden könne und weil die der Gemeinde zugewiesenen Verse laiengerecht gestaltet werden könnten.28 Naumann empfahl im Blick auf den Anteil der Gemeinde die Beschränkung auf die schlichte einstimmige Textdeklamation unter Verwendung bestimmter neukomponierter melodischer Formeln, die leicht zu erlernen und im Gottesdienst mit Unterstützung der Orgel mühelos zu singen seien.29 Als Vorbild verwies er auf die responsorialen Gesänge im katholischen Gottesdienst. Das Problem, dass der Chor stilistisch davon nicht abweichen durfte, mit der bloßen Harmonisierung derartiger Gesänge aber unterfordert sei, sah Naumann durch die Orientierung an der Alternatimpraxis des 16. und 17. Jahrhunderts als gelöst an. Als exemplarisch stellte er das „Miserere“ von Gregorio Allegri (1582–1652) heraus, mit seiner zweimaligen Steigerung vom Falsobordonesatz zur polyphonen Kadenzierung in den ungeraden Versen und der schlichten Unisono­ 23 Ebd., 7 f. Naumann wehrt sich gegen den Argwohn, dass er ein Element der katholischen Liturgie übernehmen wolle, mit dem Argument, dass diese keine Gemeindebeteiligung kenne; vgl. ebd., 8. 24 Vgl. ebd., 7. 25 Vgl. ebd., 10. Die mehrstimmigen Psalmrezitationen waren Naumann damals offenbar noch unbekannt. Er lernte sie aber bei seinem Aufenthalt in London 1854 kennen. 26 Vgl. ebd., 11–13. Sofern sie ihm überhaupt vertraut waren, besaßen die Modi für ihn keine Ausdruckskraft mehr. 27 Vgl. ebd., 16 f. 28 Vgl. ebd., 17–31. Breiten Raum nimmt hier die Diskussion der Frage ein, ob sich das Alternieren auf halbe oder ganze Verse beziehen solle. 29 Vgl. ebd., 32 f.

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deklamation in den geraden Versen.30 Er bezog sich damit auf eine Komposition (streng genommen ihre frühe Fassung), die als Repertoirestück der Cappella Sistina für die Karwoche durch die Romreisenden seit dem 18. Jh. einen gleichsam legendären Status erlangt hatte.31 Naumann wusste, warum: Die kirchlich-ästhetische Qualität der chorischen Verse war für ihn in ihrer Form begründet; sie erinnert uns unwillkührlich an den dem romanischen Baustyl eigenthümlichen Rundbogen und wir können nicht läugnen, dass die musikalische Wirkung in ergreifender Einfachheit und Grösse nicht hinter der einer in den harmonischsten Verhältnissen erbauten Basilica zurücksteht.32

Die Einheit der Komposition sah er durch die „Theilnahme des Kunstchors an der Recitation (in den recitirenden Anfängen nämlich einer jeden Vershälfte)“ gewährleistet.33 Bei aller Verschiedenheit der Teile gelte: „Nichts fällt aus dem Ganzen heraus oder stört den streng kirchlichen Ton durch zu weltliche Färbung und zu schroffen Uebergang“.34 Auf dieser Grundlage erklärte Naumann Allegris Komposition zu einer „Musterform“. Bei ihrer Adaption sei allerdings entsprechend den Gegebenheiten vor Ort Flexibilität geboten: in Bezug auf die zwei Chöre, die Gemeindedeklamation auf einem Ton, welche auch durch Akkorde ersetzt werden könnten, bezüglich der Verwendung kadenzierender Floskeln sowie schließlich der Gestaltung der Psalmen entsprechend ihrem Charakter und ihrer Position im Kirchenjahr.35 Naumann resümiert: Durch Allegris „Musterform“ seien nicht nur die kompositorischen Schwierigkeiten der Psalmodie gelöst, sondern auch das Beabsichtigte: die zu bewerkstelligende Betheiligung der Gemeinden am Psalmenvortrage, auf eine Weise erreicht, welche, indem sie der Individualität eines jeden Psalmen [sic] ihr volles Recht und damit der Kunstmusik den innerlich tiefsten Wirkungskreis überlässt, der Kirche zugleich den würdigsten und erbaulichsten Vortrag der Gesänge des königlichen Dichters darzubringen gestattet.36

2. Anstellung und Auftrag Friedrich Wilhelm IV. war von Naumanns Schrift so beeindruckt, dass er ihm, nachdem er sich von seinen Qualitäten als Komponist überzeugt und im Rahmen einer Audienz mit ihm gesprochen hatte, gerne „die musikalische Leitung des 30 Vgl. ebd., 34 f. 31 Vgl. O’Reilly, Graham: „Allegri’s Miserere“ in the Sistine Chapel. Woodbridge und Rochester 2020, 55–70. 32 Naumann, Emil: Ueber Einführung des Psalmengesanges (wie Anm. 21), 34. Den Wechsel zwischen einem fünf- und einem vierstimmigen Chor bei diesem ungewöhnlich langen Psalm bewertet er positiv als einen Weg, der drohenden Monotonie durch Mannigfaltigkeit entgegenzuwirken; vgl. ebd., 35. 33 Vgl. ebd., 36. 34 Ebd. 37. 35 Vgl. ebd., 38. 36 Ebd., 39.

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Chorgesangs in der hiesigen Domkirche“ für ein Gehalt von 800 bis 1000 Talern übertragen wollte.37 Der Zeitpunkt dafür war günstig, da die Stelle des Dom- und Hofkapellmeisters, die der am 11. Mai 1849 verstorbene Otto Nicolai innegehabt hatte, noch nicht wiederbesetzt war. Allerdings stand im Etat des zuständigen Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten eine so hohe Summe nicht zur Verfügung.38 Weiterhin hatte der Domchor in Heinrich August Neithardt (1793–1861) einen erfahrenen, seit 1838 erfolgreich tätigen Dirigenten, den man dem 22jährigen Naumann nicht einfach unterordnen konnte.39 Der König teilte dem zuständigen Minister von Ladenberg am 15. April 1850 mit, er habe beschlossen, dem Musiker Naumann aus Bonn, dessen hervorstechendes Talent für Ausbildung [sic] des evangelischen Kirchengesanges Mir bekannt geworden ist, bei dem Musik-Institut der Berliner Domkirche eine angemessene Stellung zu verleihen und zu seiner Remunerierung diejenigen 500 Tl. zu verwenden, welche durch den Tod des Kapellmeisters Nicolai disponibel geworden sind.40

Die genaue Bestimmung der Aufgaben und Kompetenzen Naumanns überließ er dem Generalintendanten der Königlichen Schauspiele und der Hofmusik ­Friedrich Wilhelm von Redern.41 Grundlage dafür waren eher allgemein formulierte Arbeitsaufträge des Königs. So sollte Naumann für die Einführung der Psalmodie in den evangelischen Gottesdienst, für die „Verbesserung der Kirchenmusik überhaupt, so wie für Herausbildung eines reineren Geschmackes an derselben“ tätig werden.42 Nicht einmal der mit dem Amt verbundene Titel stand fest. So schlug von Redern alsbald den Titel „Hofmusikdirektor für Kirchengesang“ vor.43 Naumann selbst zog die Bezeichnung „Direktor der königlichen Kirchenmusiken“ vor, weil hier die vom König gewünschte Wirksamkeit, die über den Dom-

37 Vgl. das Schreiben des Geheimen Oberfinanzrats Carl August Costenoble an den Staatsminister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten Adalbert von Ladenberg v. 2.2.1850, GSta PK, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23260, fol. 132. 1849 hatte der König Naumanns Oratorium „Christus der Friedensbringer“ gehört; vgl. das Schreiben Naumanns an Friedrich Wilhelm IV. v. 6.10.1851, ebd., fol. 172 f. 38 Vgl. das Schreiben von Ladenbergs an Costenoble v. 3.3.1850, ebd., fol. 134. 39 Vgl. zu Neithardts Wirken bis zu diesem Zeitpunkt Thomas, Max: Heinrich August Neithardt (wie Anm. 10), 72f, 85–89. 40 Entwurf des Schreibens Illaires an von Ladenberg v. 15.4.1850, GSta PK, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23260, fol. 134. 41 Vgl. den Entwurf des Schreibens Illaires an von Redern v. 15.4.1850, ebd., außerdem das Schreiben von Rederns an Naumann v. 6.8.1850, abgedruckt in: Dinglinger, Wolfgang (Hg.): 150 Jahre Staats- und Domchor Berlin (Königlicher Hof- und Domchor). Unbekannte und unveröffentlichte Briefe und Dokumente, ausgew. u. eingeleitet (Reihe Deutsche Vergangenheit 95). Berlin 1993, 20. 42 Vgl. das Schreiben Naumanns an den König vom Januar 1856 (Abschrift), Kirchliches Archivzentrum Berlin, EZA 7/2444, fol. 214–217, hier fol. 214v. 43 Vgl. das Schreiben von Rederns an den König v. 21.4.1850, GStA PK, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23260, fol. 149.

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chor hinausreichen sollte, besser ausgedrückt sei.44 Doch folgte ihm Friedrich Wilhelm IV. hierin nicht; er entschied sich für den hergebrachten Titel „Hofkirchen-Musikdirektor“.45 Im Zusammenhang mit der anstehenden Fixierung seiner Aufgaben und Befugnisse wandte sich Naumann mit konkreten Vorschlägen an den König: Um den Erwartungen, welche Sr. Majestät von meiner Wirksamkeit huldvollst zu hegen geruhen, sowohl in Bezug auf Einführung der Psalmodie bei den Gemeinden, als auf eine allgemeinere Heranbildung des Geschmacks, nur irgendwie entsprechen zu können, ist es den Hindernissen, die man mir in den Weg zu legen sucht, gegenüber durchaus nothwendig, daß mir in meinen Instruktionen durch Allerhöchste Gnade folgende Befugnisse eingeräumt werden: 1. das Recht, sämmtliche Musikstücke, welche in den königlichen Kirchen jährlich aufzuführen wären, bestimmen und auswählen zu dürfen; natürlich mit Ausnahme der von Sr. Majestät anbefohlenen. 2. das Recht, die liturgischen Abendandachten an den eilf höchsten Feiertagen im Dome dirigiren zu dürfen und zwar am Neujahrtage, Palmsonntage, Charfreitage, den beiden Osterfeiertagen, dem Bußtage, dem Himmelfahrtstage, den beiden Pfingstfeiertagen, dem heiligen Christtage, und dem Tage des Todtenfestes. Auf diese Weise würde Herr Neithart ja dennoch der eigentliche und gewöhnliche Dirigent bleiben, indem ihm mit Ausnahme der genannten wenigen Tage, alle Sonntage durch das ganze Jahr zufallen würden, während mir die Seite der musikalischen Wirksamkeit bleiben würde, die am meisten einer Fortentwicklung fähig ist. 3. das Recht, im Winter eine Reihe von Concerten mit dem Domchor veranstalten zu dürfen, in denen diejenigen Werke aufzuführen wären, welche sich zu einer Aufführung in den evangelischen Kirchen ihres Umfanges oder speziell katholischen Inhalts halber nicht eigneten. Natürlich würden dies nur in chronologischer Reihenfolge vorgeführte geistliche Musikstücke des 16ten und 17ten Jahrhunderts sein. Sehr wünschenswerth wäre dabei die Erlaubniß, den gewiß sehr reichlichen Ertrag dieser Concerte den Sängern des Domchors zufließen zu lassen, wodurch sich das ganze Institut nicht wenig heben dürfte. 4. das Recht, welches mir auch schon meine künftige Behörde zugestand, meine eigenen Kompositionen selbst dirigiren zu dürfen. Die Aufgabe Nicolais war insofern eine ganz andere als die meinige, indem man von ihm nur Kompositionen für den Domchor verlangte, während Se. Majestät von mir eine Belebung des ganzen evangelischen Chor- und Gemeinde-Gesanges erwarten, ich aber nichts zu erreichen vermöchte, wenn man mir vollständig die Hände bände.46

Naumanns Streben nach Einfluss auf das Repertoire des Domchors war dadurch motiviert, dass dem Chor eine geschmacksbildende Funktion in Preußen zu-

44 Vgl. das Schreiben Naumanns an Illaire v. 16.5.1850, ebd., fol. 151 f. 45 Vgl. das Schreiben des Königs an von Ladenberg und von Redern v. 28.6.1850, ebd., fol. 150. Damit galt der Titel rückwirkend vom 15.4. an als verliehen; vgl. das Schreiben von Ladenbergs an Finanzminister Rudolf von Rabe v. 11.9.1850, GStA PK, I. HA Rep. 151 Finanzministerium, I C, Nr. 8162, fol. 100. 46 Undatiertes Schreiben Naumanns, GStA PK, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23260, fol. 153 f., hier 153v–154v.

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geschrieben wurde. Verständlicherweise versuchte er sich deshalb den Zugriff auf die gut besuchten liturgischen Andachten und die – auf seine Anregung hin – eingeführten Winterkonzerte zu sichern.47 Von den Vormittagsgottesdiensten ist konsequenterweise nicht die Rede, da der Chor hier auf den Vortrag des Eingangspsalms und dabei auf das von Mendelssohn begründete Repertoire beschränkt war. Naumann sah seine Aufgabe darin, den Chor und das Publikum erst einmal mit der A-cappella-Polyphonie des 16. und 17. Jahrhunderts als der „wahren“ Kirchenmusik bekannt zu machen. In ihrem Kontext war ja mit Allegris „Miserere“ die von ihm präferierte „Musterform“ der Psalmodie entstanden. So nahm er sich für eines der Winterkonzerte die Einstudierung der „Missa Papae Marcelli“ von Giovanni Pierluigi da Palestrina (um 1525–1594) vor.48 Die Wahl dieses Hauptwerks, das mit dem Mythos des „Retters der Kirchenmusik“ verknüpft war und wie kaum ein anderes den Rang des Komponisten als Hauptvertreter der klassischen Vokalpolyphonie demonstrierte, zeigte ein gewandeltes Verständnis von „wahrer“ Kirchenmusik im Kontext der Dommusik an. ­Naumann unterschied sich hier klar von Neithardt, der, dem in Berlin herrschenden Diskurs folgend, die Musik des 18. Jahrhunderts, sei sie orchesterbegleitet oder unbegleitet, bevorzugte.49 Gegen Neithardt und seinen Unterstützer von Redern konnte sich Naumann jedoch nicht durchsetzen.50 Seine Dienstinstruktion fiel nicht in dem gewünschten Sinn aus.51 Zwar reichte Friedrich Wilhelm IV. die Vorschläge Naumanns an von Ladenberg weiter mit der Empfehlung, dessen Wünsche „thunlichst“ zu berücksichtigen, doch betonte er auch, dass die projektierten Studienreisen Naumanns nach Rom, London und Sankt Petersburg, deren Planung er dem Minister auftrug, Priorität hätten.52 Die mit ihnen verbundenen längeren Ab 47 Die liturgischen Andachten waren 1849 eingeführt worden. Sie bestanden aus A-cappellaChören, Gemeindegesang und Schriftlesungen, die nach dem jeweiligen Fest des Kirchenjahrs eingerichtet waren; vgl. Engel, Gustav: Der liturgische Gottesdienst (wie Anm. 17), 178. 48 Vgl. Naumanns Schreiben an Illaire v. 6.11.1850, GStA PK, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23260, fol. 160. 49 Vgl. Neithardts Programmvorschläge für die „Soireen“ im Winter 1851/52, ebd., fol. 192. Neithardt wollte vor allem Werke von Johann Sebastian Bach, Antonio Caldara, Francesco ­D urante, Leonardo Leo, Antonio Lotti, Benedetto Marcello, Wolfgang Amadé Mozart (Requiem) und Giovanni Pergolesi (Stabat Mater) aufführen. An einzelne zeitgenössische Stücke von ­Bernhard Klein und Mendelssohn war auch gedacht. Von den älteren Komponisten fand lediglich Palestrina mit einer Motette Berücksichtigung. Zum Kontext vgl. Heidrich, Jürgen: Protestan­ tische Kirchenmusikanschauung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Studien zur Ideengeschichte „wahrer“ Kirchenmusik (Abhandlungen zur Musikgeschichte 7). Göttingen 2001. 50 Vgl. zu einigen Beschwerden Naumanns bei von Redern Thomas, Max: Heinrich August Neithardt (wie Anm. 10), 115. Die betreffenden Aktenstücke, die Thomas am Anfang der 1940er Jahre noch einsehen konnte, sind nicht mehr nachweisbar. Sie zählen wahrscheinlich zu den Kriegsverlusten des Geheimes Staatsarchivs PK. 51 Vgl. das Schreiben Naumanns an Illaire v. 7.11.1856, GStA PK, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23261, fol. 71 f., hier fol. 72v: „Graf Redern hieß mich, in meiner Bestallung, alle in der angefertigten Psalmenliste noch fehlenden Psalmen für den Domchor komponiren. Dies that ich und empfange dafür meinen kleinen Gehalt als königlicher Hofkirchenkomponist.“ 52 Vgl. den Entwurf des Schreibens des Königs v. 24.7.1850, GStA PK, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23260, fol. 159.

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wesenheitszeiten standen einer engeren Verbindung Naumanns mit dem Domchor im Weg. Und hatte er anfangs noch auf eine kollegiale Arbeitsteilung mit Neithardt gesetzt,53 so musste Naumann bald alle Ambitionen auf einen Einfluss auf den Domchor begraben. Bezeichnend dafür ist, dass er 1854 nicht in die Planungsgruppe für die Domchor-Soireen aufgenommen wurde.54 Damit waren ihm tatsächlich, wie er befürchtet hatte, in Bezug auf die Geschmacksbildung die Hände gebunden. Abgesehen von wenigen Dirigaten des Chors beschränkte sich seine Wirksamkeit auf die Forschungen und Publikationen zum Psalmengesang. Der König versprach sich zu diesem Zeitpunkt davon nach wie vor nicht mehr als eine Option für die weitere Bereicherung der Liturgie: Die im selben Jahr von ihm quasi privat konzipierte einheitliche Gottesdienstordnung sah als Anfang wahlweise das Eingangslied und den Tagespsalm vor.55 Die Art der Ausführung des Psalms blieb dabei offen.

3. Die Studienreisen Am 14. Februar 1851 teilten von Redern und Karl Otto von Raumer, seit Dezember 1850 Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, dem König ihre Zustimmung zu den Reiseplänen Naumanns mit.56 Der Bedeutung gemäß veranschlagten sie für den Aufenthalt in Rom ein Jahr, für London und St. Petersburg zusammen sechs Monate. Hinsichtlich des Studiums der Praxis der päpstlichen Kapelle sei es erwünscht, „daß der p. Naumann spätestens am 1ten März d. J. nach Rom abreist, um zur kirchlich musikalischen Feier der Passionszeit, zur Charwoche und zum Osterfeste daselbst anwesend zu sein“.57 Augenscheinlich reiste Naumann dem Plan entsprechend ab, doch zeigte er bereits sieben Monate später dem König seine Rückkehr an und überreichte ihm als Dankesgabe „eine Missa solennis für Chöre, Soli und Orchester […], welche ich als Frucht der vielfach im heiligen Rom empfangenen, tief nachwirkenden Eindrücke ansehn darf“.58 Die Reise nach London fand drei Jahre später statt. Den äußeren Anstoß dazu gab eine Einladung der Sacred Harmonic Society an Naumann, sein Oratorium „Christus der Friedensbote“ Anfang Mai 1854 aufzuführen. Naumann erbat am 53 Naumann zufolge erwog der König zunächst sogar, Neithardt in den Ruhestand zu versetzen; vgl. das Schreiben Naumann an Illaire v. 31.1.1857, GSta PK, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23261, fol. 86 f., hier fol. 87v.: Neithardt sollte „zu meinem nicht geringen Erstaunen pensioniert werden, was mir Herr von Humboldt damals vertraulich mittheilte, und was ich auf seinen Rath, so wie auch aus eigener Bewegung, zu verhindern mir angelegen sein ließ. Ich sollte jedoch von meiner Intervention keinen Dank gewinnen.“ 54 Vgl. Thomas, Max: Heinrich August Neithardt (wie Anm. 10), 115. 55 Vgl. Meyer-Blanck, Michael: Agenda (wie Anm. 1), 38 f. 56 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23260, fol. 165 f. 57 Vgl. ebd., fol. 166r. 58 Schreiben Naumanns an den König v. 6.10.1851, ebd., fol. 172 f.

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4. März die Erlaubnis, Anfang April abreisen zu dürfen, sowie ein Reisestipendium.59 Er stellte Folgendes in Aussicht: Die Realisierung jener erhabenen Idee Ew. Königl. Majestät, den evangelischen Gottesdienst durch eine traditionell-berechtigte Einführung des Psalmengesanges in die evangelische Kirche mit erhöhter Weihe zu schmücken, […] ist die beständige Aufgabe meiner Forschungen und Arbeiten geblieben, und hoffe ich, nachdem ich von England zurückgekehrt und die dortigen Erfahrungen mit meinen römischen verglichen haben werde, Ew. Königliche Majestät das Endresultat meiner eifrigen Bemühungen betreffs einer Verwirklichung jener begeisternden Idee in Gestalt einer umfangreichen Sammlung von Psalmen und Psalmodien allerunterthänigst zu Füßen zu legen, welche in ihren Anfängen bereits im Drucke begriffen ist.60

Bezüglich der dritten Forschungsreise kam es 1855 zu einer Änderung des Zielorts. Naumann warb beim König anstelle von St. Petersburg für Lausanne: In den reformierten Gemeinden Frankreichs nämlich, wie besonders in Genf, liegen in Beziehung auf das, was bei einer Betheiligung der Gemeinde am Psalmenvortrage möglich, die interessantesten Erscheinungen vor. Es werden daselbst zum Theil noch die berühmten Psalmen des in der Lyoner Bartholomäusnacht ermordeten Hugenotten Claude Goudimel, des großen Lehrers Palestrina’s, gesungen, welche in ihrer traditionellen Vortragsweise kennen zu lernen, mir unschätzbar sein würde […].61

In einem Schreiben an Ernst Emil Illaire (vgl. Anm. 20) begründete er seinen Wunsch ausführlicher, auch damit, dass die russische Kirchenmusik hinreichend erforscht sei; die Gesänge lägen bereits abschriftlich vor.62 Weiter heißt es hier: Das Interessanteste aller Leistungen des kaiserl. Hofchors sind die zum Theil älteren griechisch-liturgischen Gesänge, besonders während der Messe, bei welcher Priester und Chor einander antworten. Diese aber sind uns hier ebenfalls vollständig bekannt und unterscheiden sich in keiner Weise von üblichen Leistungen in verschiedenen römisch-katholischen Landestheilen. Auch haben sie für unsern Zweck: Betheiligung der Gemeinden an einem alternierenden Psalmenvortrage: keinerlei Bedeutung. Eine eigentliche Psalmodie oder gar eine Betheiligung der Gemeinde an einer solchen, existiert in Petersburg gar nicht, und das was in liturgischer Beziehung vorliegt, hat weit mehr Verwandtschaft mit katholischen als evangelischen Sanges-Elementen. […] Wie anders hingegen verhält es sich für evangelisch-musikalische Zwecke mit der französischreformirten Psalmodie. Herr von Winterfeld, der ausgezeichnetste und gründlichste Kenner evangelischer Kirchenmusik, bezeichnet in seinem berühmten umfangreichen Werke über evangelischen Kirchengesang, Claude Goudimel und seine Schule, als eine der hervorragendsten Erscheinungen auf diesem Gebiete. Jene der französisch reformirten Kirche angehörigen Meister und ihre Leistungen […] sind besonders darum so hochwichtig und interessant, weil sie unmittelbar mit der Reformation und ihren Anregungen zusammenhängen; denn die meisten der oben genannten Psalmkompositionen fallen

59 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23261, fol. 3 f. 60 Ebd., fol. 4. 61 Schreiben Naumanns an Friedrich Wilhelm IV. v. 21.3.1855, ebd., fol. 21 f., hier 21v–22r. 62 Vgl. das Schreiben Naumanns an Illaire v. 26.3.1855, ebd., fol. 25 f., hier fol. 25r.

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mit dem Leben Calvin’s zusammen und wurden von diesem gut geheißen. Aber nicht nur in reformirten Landen kamen sie in allgemeinen Gebrauch: der französische Psalter erwies sich als so praktisch u. zugleich so sehr als der Ausdruck evangelisch-musika­ lischer Bestrebungen überhaupt, und war dabei von so ausgezeichneter Schönheit, daß er sich über die reformirten Lande weit hinaus bis tief in das lutherische Deutschland hinein verbreitete. Schon im Jahre 1573 veranstaltete Lobwassser eine deutsche Ausgabe desselben, der eine Reihe ähnlicher folgte. Leider sind diese Psalmodien später aus der evangelisch-lutherischen Kirche wieder verschwunden, in der man, von einem extremen Puritanismus berauscht, alle Kunst beim Gottesdienste auszuschließen bemüht war. In der französisch-reformierten hingegen, die jetzt in Frankreich u. der französischen Schweiz nahezu an fünf Millionen Bekenner zählt, haben sie sich theilweise, und zwar noch in ihrer traditionellen Vortragsweise erhalten. Hier findet sich daher, wenn man eine Einführung der Psalmodie in die evangelische Kirche bezweckt, der Punkt, an welchen, als an den historisch wichtigsten anzuknüpfen wäre.63

Obwohl Naumann die Änderung des Reiseziels als übereinstimmend mit den Intentionen des Königs sah, lehnte Friedrich Wilhelm  IV. das Vorhaben zunächst ab.64 Naumann resümierte daraufhin Illaire gegenüber das Ziel seiner Anstellung und den Ertrag der bisherigen Forschungsreisen. Er erinnerte daran, dass anlässlich seiner Audienz vor der ersten Reise festgelegt worden sei, daß meine Sendungen allein den Zweck hätten, einen Vortrag der Psalmen, und zwar womöglich unter Theilnahme der Gemeinden an demselben, in der evangelischen Kirche herbeizuführen, weßhalb mir der besondere Auftrag ward, Alles, was in Bezug auf evangelische Psalmodie irgendwie vorliege, oder sich zur Gestaltung einer solchen brauchbar erweise, zu prüfen.65

In Rom habe er den alternierenden Vortrag anhand von Magnificatvertonungen, Psalmodien, Antiphonen, Responsorien und Rezitationen studiert und in London das Formelwesen der Psalmodie unter Beteiligung der Gemeinde. Die Resultate würden im Herbst in einer praktisch orientierten Publikation erscheinen.66 Um die Forschungen abschließen zu können, fehle nur noch eines: Zwischen jener deklamatorisch-recitativisch altrömischen Weise und dem melodischen Formelwesen der englischen Psalmodie tritt nämlich noch ein drittes höchst bedeutendes Element hiervor: eine Psalmodie mit Anschluß an den evangelischen Choral oder an einen cantus firmus. Diese Art und Weise ist vielleicht die protestantischste von allen, weil sie sich auf protestantischem Felde selber, ohne irgendwelchen Anschluß an schon Vorhandenes, entwickelte. Dieselbe gelangte aber zu ihrer höchsten Blüthe in der französisch-reformirten Kirche und das, was in dieser Beziehung heut zu Tage noch in Genf u. dem reformirten Frankreich traditionell vorliegt, geht unendlich weit über das hinaus, was sich in Deutschland in den reformirten Gemeinden erhalten hat.67 63 Ebd., fol. 26r. 64 Vgl. ebd., fol. 21r. 65 Schreiben Naumann an Illaire v. 13.4.1855, ebd., fol. 27 f., hier fol. 27. 66 Vgl. ebd. Tatsächlich veröffentlichte Naumann nur eine englische Psalmodie und zwei eigenen Kompositionen, die an Allegri anschlossen. 67 Ebd., fol. 28.

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Naumanns Interesse an den Kompositionen Goudimels ist verwunderlich, da er die metrischen Psalmen als Basis der Psalmodie verworfen hatte. An sie waren die Melodien des Genfer Psalters gebunden. Vermutlich interessierte ihn in erster Linie die Art der Gemeindebeteiligung beim mehrstimmigen Gesang im Note-gegen-Note-Satz der „Psalmen Davids“, bei denen der Cantus firmus ganz überwiegend im Tenor (selten in der Oberstimme) lag. Da in Genf noch die vierstimmigen Psalmen Goudimels von den Gemeinden im Gottesdienst gesungen würden, sei eine Änderung des Reiseziels gut begründet.68 Der König akzeptierte dies und sagte den üblichen Zuschuss in Höhe von 500 Talern zu.69 Naumann trat die Reise sofort an.70

4. Das Psalmenwerk Der erwähnte Sammelband mit Psalmkompositionen, der sich bereits im März 1855 im Druck befand,71 war der erste von drei Bänden, die Naumann im Rahmen der von Bote&Bock in Berlin verlegten Serie „Musica sacra“ herausgab. Der Verlag hatte sich, angefangen mit Band 5 der Serie, auf das Repertoire des Berliner Domchors spezialisiert. Naumann betreute die Bände Nr. 8 bis 10. Sie tragen den Titel „Psalmen für alle Sonn- und Festtage des evangelischen Kirchenjahres. Auf Allerhöchsten Befehl Sr. Majestät des Königs Friedrich Wilhelm IV. von Preussen“. Nach der Auflistung der Namen der 15 beteiligten Komponisten folgt der die Intention bezeichnende Zusatz: „zum Gebrauche des Königl. Domchores so wie aller evangelischen Kirchenchöre“ (siehe Anhang 1). Der erste der drei Bände, der die Psalmen bis zum Ende der Epiphaniaszeit enthält, sollte im Juni 1855 gedruckt vorliegen.72 Tatsächlich verzögerte sich die Herstellung um ein halbes Jahr. Damit der Druck überhaupt zustande kam, musste Naumann seine Eigentumsrechte dem Verlag überlassen.73 Die Herstellung der beiden Nachfolgebände, die die Psalmen für das übrige Kirchenjahr enthielten, zog sich noch viel länger hin: Sie erschienen erst Ende 1862.74

68 Vgl. ebd., fol. 28v. 69 Vgl. das Schreiben Illaires an Naumann v. 30.4.1855, ebd., fol. 29. 70 Vgl. das Schreiben Naumanns an Illaire v. 1.5.1855, ebd., fol. 30. 71 Vgl. das Schreiben Naumanns an Friedrich Wilhelm IV. v. 2.3.1855, ebd., fol. 21 f. 72 Vgl. das Schreiben Naumanns an Illaire v. 12.6.1855, ebd., fol. 32 f. 73 Vgl. das Schreiben Naumanns an den König vom Januar 1856 (Abschrift), Kirchliches Archivzentrum Berlin, EZA 7/2444, fol. 214–217, hier fol. 215v. 74 Vgl. das undatierte, wahrscheinlich aus dem Jahr 1864 stammende Schreiben Naumanns an von Bethmann-Hollweg, GSta PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium Vc Sekt. 1, Tit. II, Nr. 3 Bd. 4 (o. Fol.) Den Druck der beiden Bände erwähnt Naumann bereits in seinem Schreiben an Wilhelm I. v. 24.1.1861, GSta PK, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23261, fol. 140 f.

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Dem 1. Band ist ein auf November 1855 datiertes Vorwort beigegeben.75 Es enthält eine Rechtfertigung des Unternehmens von streng evangelisch kirchlichem und historischem Standpunkte, so wie die Angabe, wie durch die im Werke enthaltenen Kompositionen nach und nach ein Uebergang zur reinen Psalmodie unter Theilnahme der Gemeinde daran zu bewerkstelligen sei.76

Naumann lehnte sich darin teilweise eng an den Gedankengang seiner Publikation von 1850 an. Neu ist, dass er zuspitzend von „volksthümlichem Psalmengesang“ bzw. „volksthümlicher Psalmodie“ spricht. Die Darstellung der historischen Entwicklung fällt etwas umfangreicher aus, während die ausführliche Diskussion der Frage, ob der Wechsel der Chöre bei der Psalmodie nach jedem halben oder ganzen Vers stattfinden solle, ausgeklammert ist. Fragt man nach einem Niederschlag aus seinen Studienreisen, so wird man abgesehen von der Verbreiterung des historischen Anschauungsmaterials hinaus nicht fündig. Hatte Naumann Friedrich Wilhelm IV. auf die Bedeutung der Praxis der reformierten Kirche hingewiesen, so lässt das Vorwort außer der namentlichen Erwähnung der Psalmlieder Goudimels im Haupttext keine Neubewertung erkennen.77 Somit scheinen die Reisen Naumann in seinen Thesen lediglich bestätigt zu haben. Im Blick auf die Frage der Leistungsfähigkeit der Gemeinden hat ihn allerdings der Gesang im katholischen Rheinland, den er vielleicht auf der Durchreise von oder nach England beobachten konnte, tief beeindruckt.78 Verständlicherweise erhält der Aspekt der praktischen Realisierung der Psalmodie nun ein bedeutendes Gewicht. Naumann geht im Vorwort zunächst auf die Geschichte des evangelischen Kirchengesangs ein, der den mehrstimmigen Gesang unter Beteiligung der Gläubigen in Form von Chorälen, d. h. mit umgedichtetem Bibeltext, hervorgebracht habe. Da es für den Vortrag des „reinen“ Bibeltexts, vor allem der Psalmen, durch die Gemeinden keine Form gab, kamen Naumann zufolge die vierstimmig gesetzten Psalmlieder Goudimels der eigentlichen Intention der Reformatoren noch am nächsten. Eine kunstfeindliche, gegen die Musik der älteren Kirche gerichtete Tendenz habe dann aber zur Beschränkung auf den

75 Das vierseitige Vorwort weist keine Seitenzählung auf. Alle nachfolgenden Zitate sind, sofern nicht eine andere Quelle angegeben ist, ihm entnommen. 76 Schreiben Naumanns an den König vom Januar 1856 (Abschrift), Kirchliches Archivzentrum Berlin, EZA 7/2444, fol. 214–217, hier fol. 215r. 77 Naumanns Annahme, dass die mehrstimmigen Psalmlieder Goudimels immer noch im reformierten Gottesdienst verwendet würden, erwies sich als Irrtum. Nun behauptete er, dass sie sich „besonders in der französisch reformierten Schweitz [sic], bis in’s vorige Jahrhundert in Gebrauch erhielten“. 78 „Nicht nur in Städten, sondern selbst auf abgelegenen Dörfern, hörte er [= Naumann, C. H.] dort die Gemeinden in so vollem Tone, einem so übereinstimmenden reinen Unisono und mit einer Deutlichkeit und Gleichzeitigkeit der Aussprache der einzelnen Sylben singend recitiren, dass alle seine Erwartungen von dem, was einer Gemeinde zu erreichen möglich, übertroffen wurden.“ Welche Arten des Gesangs Naumann in dieser Weise erlebte, verrät er nicht.

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„aller ärmlichsten Gemeindegesang“ auf der einen und zur Entwicklung einer Figuralmusik ohne Gemeindebeteiligung auf der anderen Seite geführt. Den unisono gesungenen Choral bewertet Naumann trotz der ihm eigenen Wirksamkeit als ungenügend; „daher aus ihm andere und künstlerisch bedeutsamere Formen sich entwickeln müssen, wenn von einer Betheiligung der Gemeinden am Gesange und einer Einführung der Tonkunst in die evangelische Kirche im Sinne der Reformatoren die Rede sein soll“. Die Initiative, die Psalmen in ihrer ursprünglichen Form (also unter Verzicht auf die dichterische Umformung) und ihrer Struktur gemäß im alternierend gesungenen Vortrag in Preußen in die Liturgie einzuführen, schreibt Naumann zu Unrecht, aber als captatio benevolentiae nur zu verständlich, Friedrich Wilhelm IV. zu. Als ersten praktischen Schritt in diese Richtung bezeichnet Naumann die Beauftragung Mendelssohns mit der Komposition von Psalmen für den Hofgottesdienst. Die Idee der Beteiligung der Gemeinde sei ihm zwar fremd geblieben, „weil ihm diese die Kunst auszuschliessen schien“, doch ebnete er ihr den Weg durch den textorientierten rezitierenden Vortragsstil. Dadurch dienten sie den nachfolgenden Auftragskompositionen als Vorbilder. Die Lösung des Problems aber, wie die Gemeinde mit ihren eingeschränkten musikalischen Voraussetzungen aktiv in den Psalmvortrag einzubeziehen sei, erblickt Naumann einmal mehr in der Orientierung an der Alternatimpraxis der älteren Kirchenmusik, wie sie eben das „Miserere“ von Gregorio Allegri exemplarisch zeigt. Unter Absehung von der üblichen doppelchörigen Aufführungspraxis versteht er sie als eine wechselnde Gesangsweise zwischen Chor und Gemeinde […], deren gemeinsames Element die Recitation ist, nur dass diese in den Antworten des Chor’s sich bis zu einer polyphonen Entwickelung steigert, die den tiefsten musikalischen Ausdruck zulässt, während die Gemeinde mehr auf ein wohltönendes Gebet beschränkt bleibt.

Die Anmerkungen zum Inhalt der Sammlung sind dann aber doch von dem Bemühen geprägt, dem Eindruck, hier solle auf der Grundlage einer engen Vorstellung von der idealen Psalmodie ein fertiges Repertoire vorgelegt werden, entgegenzuwirken. Zum einen betont Naumann, dass die Publikation keine abschließende Lösung der gestellten Aufgabe darstelle, und lädt zur Mitwirkung an der Weiterentwicklung ein.79 Zum andern weist er auf die Pluralität der Ansätze anhand einiger Werke hin: Während die im 2. Band abgedruckten Vertonungen des 22., 66. und 130. Psalms (von Mendelssohn, Naumann und August Eduard Grell [1800–1886]) „als die ersten Versuche im Sinne jener historisch vorliegenden Musterform“ zu verstehen seien, d. h. als Beispiele für den rezitierenden Vortragsstil, gäbe es auch Kompositionen, die die Psalmodie mit dem Choral verknüpften, und solche, bei der, der historischen Praxis entgegen, 79 Im Nachsatz heißt es dann aber auch: „[…] wenn gleich ihm [= Naumann, C. H.] selber, solange man ihm keine vollkommenere und praktisch anwendbarere Kunstform vorzuhalten vermag, jene dem 16ten Jahrhundert angehörende, als das Muster aller Psalmodie vor Augen stehen bleibt.“

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die Chöre halbversweise abwechselten.80 Es überrascht, dass Naumann die von ihm präferierte Lösung, die Psalmodie nach dem Vorbild Allegris, nicht in den Vordergrund der Ausführungen stellt. Den Grund dafür darf man darin sehen, dass er die Fähigkeiten der Gemeinden im Blick auf das angestrebte Ziel skeptisch beurteilte: Wir wissen nur zu wol [sic], dass im Augenblick nicht einmal von einer Betheiligung der Gemeinden am Psalmenvortrage überhaupt, geschweige denn von einer mit einem Kunstchore alternirenden Theilnahme hierbei die Rede sein kann. Eine solche ist unseren Gemeinden einerseits noch zu fremdartig und würde, bei ihrer Klangverwandtschaft mit den katholischen Responsorien, gegenwärtig zu unerfreulichen Missverständnissen Anlass geben; andererseits aber ist man bei uns dazu noch in keiner Weise durch Vorübungen befähigt. Diese kann nur die Schule gewähren. Die Jugend müsste dort, wie bisher zum Choralgesange, so fernerhin auch zur Psalmodie erzogen werden.

Über die Frage des schulischen Gesangsunterrichts äußert er sich nicht weiter, wohl wissend, dass es für die Psalmodie keine Lehrer an den Schulen und Lehrerbildungsanstalten gab. In der Konsequenz legt Naumann lediglich zwei eigene Psalmodien mit versweisem Wechsel zwischen Chor und einstimmiger (Gemeinde-)Rezitation sowie ein Beispiel aus England vor.81 Mehrfach betont er, dass die Publikation die Einführung der Psalmodie lediglich vorbereiten wolle.82 Das entscheidende Kriterium dafür ist die in allen Kompositionen anzutreffende „Recitation“: Demnächst würde bei ihrer Einführung zum Gottesdienste zum erstenmale das unumschriebene Bibelwort in evangelischen Kirchen gesungen ertönen. Endlich wird, eben durch jene recitirende Vortragsweise, die Möglichkeit des Verständnisses eines jeden einzelnen Textwortes durch die Gemeinde gegeben, und derselben hiermit der Psalmengesang, in seiner Wirkung auf das Gemüth, bereits erschlossen.

Überzeugend ist diese Argumentation nicht, denn sämtliche im Dom aufgeführten Psalmvertonungen stützten sich auf den Text der Bibel und nicht auf metrische Textformen. Auch gab es in einigen Kompositionen rezitativisch-­ deklamatorische Abschnitte im Unisono oder im mehrstimmigen Satz (z. B. in Mendelssohns Psalmen op. 78). Worin der entscheidende Zugewinn durch die Einführung der Psalmodie bestand, bleibt unklar. Auf jeden Fall sollten die geschilderten Erfahrungen bei den Gläubigen Motivation genug hervorrufen, 80 Das von ihm angeführte Beispiel, seine eigene Vertonung des 121. Psalms, ist nicht aufzufinden. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass der ursprünglich geplante Notenanhang, der diese und andere Kompositionen wie z. B. Naumanns „Liturgie“ enthalten sollte, nicht realisiert wurde. 81 Über die oben erwähnte Vertonung des 66. Psalms ist noch die des 47. Psalms aus seiner Feder zu nennen. Nur diese beiden Kompositionen wie auch das Arrangement des aus London übernommenen 18. Psalms sind mit „Psalmodie“ betitelt. Die drei Stücke sind im 2. Band zu finden. 82 Vgl. dazu auch die im 1. Band an das Vorwort anschließende Widmung des Werks an den König, wo es u. a. heißt: „Möge es darum gelungen sein, den evangelischen Gemeinden in dieser Sammlung ein Mittel dargeboten zu haben, sich allmählig bis zur Theilnahme an einem mit einem Kunstchore wechselnden Vortrage der Psalmen heranzubilden […].“

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um sich, unterstützt von der Schule, aktiv an einem solchen Gesang zu beteiligen. Als praktischen Schritt in diese Richtung hoffte er auf die Gründung von Gemeindechören aus Laiensängern, die bis auf Weiteres als pars pro toto die Psalmodie übernehmen könnten. Im Berliner Kontext war das freilich eine utopische Idee, weil die meisten Stadtgemeinden damals noch auf liturgische Chöre aus Schülern und Männerstimmen setzten, die in erster Linie die agendarisch vorgeschriebenen Responsorien mehrstimmig vortrugen, daneben aber auch an Festtagen Motetten sangen.83 Aufs Ganze gesehen mutet Naumanns Vorwort seltsam defensiv an. Dem entschiedenen Eintreten für die Psalmodie an sich steht die äußerste Vorsicht bei der Festlegung auf konkrete Maßnahmen zu ihrer praktischen Realisierung entgegen. Von der klaren Präferenz für die „Musterform“ nach dem Vorbild Allegris, die die Schrift von 1850 prägt, ist nicht viel übriggeblieben. Naumann verwendet den Begriff zwar, will ihn aber lediglich als subjektives Werturteil verstanden wissen. Vielmehr plädiert er für die Vielfalt der Lösungen, entsprechend den Gestaltungsmöglichkeiten und -bedürfnissen in den Gemeinden.84 Dem entspricht jedoch nicht der Inhalt des Psalmenwerks: Es enthält fast ausschließlich durchkomponierte Motetten und nur drei Psalmodien. Das Anliegen, Kunstanspruch und Laiengesang zu verbinden, wird so klar verfehlt. Was vorliegt, ist ein weitgehend auf den Domchor zugeschnittenes Repertoire, das er kurzerhand als vorbildlich für alle Kirchenchöre erklärt. Dass das „Musterinstitut aller in Preussen existierenden evangelische Kirchenchöre“ aber ein besonderes war, weil seine Mitglieder bezahlt wurden, zumal ausgebildete Sänger die Männerstimmen stellten, blieb außer Betracht. Indem Naumann darauf verzichtete, an dieser Stelle weitere von ihm komponierte Psalmodien zu pu­ blizieren, verpasste er die Chance, ein alternatives Repertoire nach seinen Idealvorstellungen vorzulegen. Ein deutlicher Fortschritt nach fünf Jahren Arbeit im Auftrag des Königs war nicht zu erkennen. Naumanns Behauptung, dass die Einführung der Psalmodie in den Hauptgottesdienst einer Intention der Reformatoren folge, blieb unbegründet: Bestand im lutherischen Gebiet keine Veranlassung dazu, da die Psalmodie in Mette und Vesper gesungen wurde, so verwendete die reformierte Kirche in Genf von Anfang an das – zunächst einstimmige – Psalmlied. Die Prämisse, dass die Reformation auf die Verbindung von Kunstmusik und Laiengesang innerhalb der Gattungen gezielt habe, war anachronistisch; sie stand im Zeichen der im 19. Jh. vollzogenen Trennung von Kunst und Funktion und macht hier den Eindruck einer zweckbestimmten Konstruktion pro domo. Naumann bot 83 Der Verfasser bereitet derzeit mit Unterstützung der DFG eine Studie zur Praxis der kirchlichen Chormusik in Berlin im 19. Jahrhundert vor. 84 Vgl. ebd.: „Damit es übrigens […] nicht den Anschein gewinne, als glaube der Verfasser, die mehrerwähnte Kunstform, die zwar nach seiner Überzeugung das einzige vollkommene Vorbild einer evangelischen Psalmodie ist, müsste dasselbe Ansehen sogleich auch in der Überzeugung Anderer gewinnen, so versuchte er sich noch in mehreren Weisen, unter denen die Gemeinden, je nach dem, was sich zur Zeit bei ihnen ermöglichen lässt, oder vorläufig als Bedürfnis herausstellt, zu wählen haben würden.“

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den Kritikern des ganzen Projekts (und seiner Person) somit einige Angriffsmöglichkeiten, die sie auch ausnutzten.

5. Naumanns Psalmodien Von den 39 abgedruckten Kompositionen stammen 12 von Naumann (siehe Anhang 1). Darunter befinden sich, wie erwähnt, nur zwei eigentliche Psalmodien. Die übrigen Stücke sind „normale“ Psalmvertonungen, die sich, grob charakterisiert, durch freie Textdisposition, Klanggruppenwechsel, deklamatorische Melodik, überwiegend homophonen Tonsatz und maßvolle inhaltsbezogene Gestaltung auszeichnen. Naumanns Psalmodien dagegen lehnen sich in unterschiedlicher Weise eng an die von ihm beschriebene „Musterform“ an. Sie stellen dadurch Unika innerhalb des reichen Fundus an Psalmvertonungen in dieser Zeit dar. Psalm 66 op. 10/2 kommt ihr am nächsten, indem die ungeraden Verse (in G-Dur) abwechselnd vom fünfstimmigen Gesamtchor und einem vierstimmigen Solistenensemble vorgetragen werden.85 Die geraden Verse sind der durch den Chor verstärkten Gemeinde zugewiesen. Der erste Halbvers ist jeweils unisono „in natürlicher Weise zu deklamieren“ (so die Anweisung), der zweite Halbvers auf dem dazugehörenden Durakkord, wobei die Gemeinde einfach den Deklamationston beibehalten kann. Die Anforderung ist denkbar gering, indem beide Halbverse nur auf einem Ton, ohne Kadenz, gesungen werden, und indem der Deklamationston d vom Sopran 1 am Ende von Vers 1, 5 usw. leicht abgenommen werden kann. (Die Verse 3, 7 usw. enden nicht in D-Dur, sondern in h-Moll in Oktavlage.) Auch die Struktur der Chorverse entspricht exakt Naumanns Beschreibung des „Miserere“ von Allegri (siehe Anhang 2): Beginn in homorhythmischer Deklamation, polyphone Ausfächerung und Kadenz am Ende des ersten Halbverses, Neuansatz in homorhythmischer Rezitation, freiere Stimmbewegung und abschließende Kadenz. Abweichend vom Muster sind die Schlussphrasen der Halbverse vierstimmig ausgeführt; der Alt pausiert jeweils. Der Aufbau der Ensembleverse fällt ähnlich aus. Sie sind allerdings merklich kürzer gefasst: 11 statt 18 Takte. Wie bei Allegri bieten die Verse 1 und 3 Modelle für die nachfolgenden ungeraden Verse, welche der Textmenge und den Anforderungen an die korrekte Deklamation entsprechend modifiziert werden. Nach dem letzten Vers der Gemeinde schließt eine fünfstimmige Doxologie in G-Dur die Psalmodie ab. Naumanns 47. Psalm op. 10/1 weicht hiervon insofern ab, als die ungeraden Verse vom 1. Chor und die geraden Verse von der Gemeinde und dem 2. Chor rezitiert werden. Dies geschieht auf folgende Weise (siehe Anhang 3): 85 Was die Zählung der Verse angeht, ist zu beachten, dass die Verse 1 und 2 nach Entfernung der Überschrift zusammengefasst wurden. Die Verse 10 bis 16 entfielen. Das Solistenensemble ist zwar mit fünf Stimmen besetzt (mit Sopran 1 und Sopran 2), doch erklingen real nur vier Stimmen, da Alt und Tenor beim Einsatz der jeweils anderen Stimme pausieren.

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V. 1

1. Halbvers: homophon 2. Halbvers: unisono

Chor I

V. 2

1. Halbvers: Deklamation auf einem Ton 2. Halbvers: akkordische Deklamation

Gemeinde + Chor II Chor II

V. 3

1. Halbvers: akkordische Deklamation 2. Halbvers: polyphon, Kadenz

Chor I

V. 4

1. Halbvers: Deklamation auf einem Ton 2. Halbvers: Deklamation auf einem Akkord

Gemeinde + Chor II

Diese Struktur wiederholt sich bei den Versen 5 bis 8. Das einfache, die Gliederung in Halbverse akzentuierende Muster verdankt sich sicher der Tatsache, dass eine vielfältigere Gestaltung innerhalb der Halbverse wie in Psalm 66 wegen der Kürze der Textglieder nicht möglich war. Naumann variiert dafür die Satzart in den Chorabschnitten. Die Differenzierung der Besetzung spielt wiederum eine geringe Rolle: Solistische Abschnitte gibt es nicht, die Vierstimmigkeit wird lediglich bei der akkordischen Deklamation des ersten Chors durch Teilung des Soprans zur Fünfstimmigkeit erweitert. Die Anforderungen an die Gemeinde sind dieselben wie bei Psalm 66. Der Rezitationston g für Vers 2 entspricht dem Schlusston von Vers 1 (komponiert in G-Dur). Die akkordische Deklamation des 2. Halbverses ist ausgeschrieben und dem Chor zugewiesen. Der Rezitationston d für Vers 4 wiederum kann leicht von der vorhergehenden D-Dur-Kadenz in Oktavlage abgenommen werden. Der neunte und letzte Psalmvers („Die Fürsten unter den Völkern“) wird von den Chören gemeinsam gesungen. Er endet auf einem Halbschluss, woran sich sogleich die Doxologie anschließt. Da beide Texteinheiten deutlich länger als die anderen Verse sind, kann Naumann hier satztechnisch flexibler verfahren. Als Beispiele der „ersten Anfänge einer Betheiligung der gesammten Gemeinde am Psalmenvortrage“ bezeichnet Naumann im Vorwort auch die Psalmodie von Thomas Sanders Dupuis und die Vertonungen des 22. und 130. Psalms (von Mendelssohn bzw. Grell).86 Wie er sich die Beteiligung konkret vorstellt, verrät er nicht. In Bezug auf die Psalmodie von Dupuis ist dies aber leicht zu erraten. Der auf 20 Verse gekürzte 18. Psalm, an den die Doxologie angehängt ist, wechselt regelmäßig zwischen zwei vierstimmigen Rezitationsmodellen, die jeweils von einem Solistenensemble eröffnet und nach dem 1. Halbvers vom Tutti fortgeführt werden (siehe Anhang 4). Dadurch dass der erste Tutti­ abschnitt auf dem Halbschluss und der zweite Tuttiabschnitt mit einer Kadenz in der Grundtonart A-Dur endet, werden jeweils zwei Psalmverse zusammengeschlossen, wie es in der anglikanischen Psalmodie üblich ist. (Der Druck zählt 86 Naumann kürzt die Vornamen von Dupuis irrtümlich mit J. S. ab; auch die Jahreszahl 1670 stimmt nicht. Tatsächlich stammen die Formeln des „Double chants“ von dem Organisten der Chapel Royal Thomas Sanders Dupuis (1733–1796); vgl. Bennett, Alfred / Marshall, William (Hg.): Cathedral Chants. London [1829], 21 (Nr. 60).

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dementsprechend 11 Doppelverse.) Die Halbverse setzen mit unterschiedlichen Rezitationstönen ein (a, d und h), welche in eine drei- bzw. sechstönige Schlussformel übergehen. Da die Gemeinde der Ausgabe von Naumann zufolge in das Chortutti einstimmte, führte sie die längere Schlussformel aus. Indem nun auch die Rezitationstöne nicht einfach vom solistischen Sopran abgenommen werden konnten (Schluss auf fis, Beginn auf d bzw. Schluss auf d, Beginn auf h), war der Schwierigkeitsgrad hier etwas höher als in Naumanns Psalmodien.87 Die Idee einer Gemeindebeteiligung am Vortrag von Mendelssohns 22. Psalm op. 78/3 mutet befremdlich an, dürfte aber durch den konsequenten Wechsel in Halbversen zwischen Solo bzw. Soli und Tutti im ersten und letzten Teil der Komposition motiviert sein. Die homorhythmische Textdeklamation bei geringem melodischem Ambitus in den vierstimmigen Tuttiabschnitten könnte hier bestärkend gewirkt haben. Die Parallelen zur Psalmodie sind offensichtlich. Anders verhält es sich bei Grells doppelchöriger Vertonung des 130. Psalms. Die Klanggruppenwechsel erfolgen hier flexibler, schließen auch Textwiederholungen ein. Möglicherweise fühlte sich Naumann durch das Prinzip der „Recitation“, d. h. die homorhythmische Textdeklamation auf einem Ton bzw. Akkord, in einigen Abschnitten zu seinem Gedankenexperiment berechtigt. Und doch erscheint die Vorstellung, dass die Gemeinde bei solchen Gelegenheiten in den Gesang miteinfallen könnte, selbst bei sehr langsamen Tempo als abwegig. Für eine praktische Realisierung seiner Ideen von einer Psalmodie mit Gemeindebeteiligung bot Naumanns Psalmenwerk somit nur wenige Anhaltspunkte.

6. Kritik Naumann verband die Übergabe des 1. Bandes an den König mit der Bitte um eine Gehaltserhöhung um 300 Taler.88 Sie sei ihm bei seiner Anstellung in Aussicht gestellt worden; die Bewilligung sei nach dem Abschluss der mehrjährigen mühevollen Arbeit am Psalmenwerk sowie auch in Anbetracht seiner Verdienste um die Einrichtung der Domchorkonzerte und die Aufführung von Werken aus den „große(n) Tonschulen der Niederlande und Italiens“ gerecht 87 Genausowenig wie das „Miserere“ von Allegri war die anglikanische Psalmodie als Gemeindegesang gedacht; die Unterscheidung von Solisten (kleiner Chor) und Tutti (Chor plus Gemeinde) in der Ausgabe ging auf Naumann zurück. Den „Double chant“ wählte er sicher in Analogie zu Allegri aus. Historisch gesehen setzte sich der „Double chant“ in der anglikanischen Liturgie erst ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als dominierende Form durch, da er gegenüber dem „single chant“ den Vorzug größerer harmonischer Abwechlung bot; vgl. Wilson, Ruth M.: Anglican chant and chanting in England and America 1660–1811, Diss. phil. University of Illinois (mschr.). Ann Arbor 1988, 175–184. 88 Vgl. das Schreiben Naumanns an den König vom Januar 1856 (Abschrift), Kirchliches Archivzentrum Berlin, EZA 7/2444, fol. 214–217, hier fol. 216 f. Dem Band war ein Exemplar des 1856 erfolgten Neudrucks seiner Schrift „Ueber Einführung des Psalmengesanges in die evange­ lische Kirche“ beigelegt (wie Anm. 21).

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fertigt.89 Als Erfolg seiner praktischen Bemühungen verbuchte er, „daß der Domchor, der, ehe ich nach Berlin kam, fast nur moderne oder wenig werthvolle Kirchenstücke vortrug, die Meisterwerke des sechzehnten Jahrhunderts zum Mittelpunkte seiner seit der Zeit erst gegründeten Conzerte erhob.“90 Als Lohn für seine Mühen wünschte er sich finanzielle Unabhängigkeit, um seinem „inneren Berufe als schaffender Künstler“ folgen zu können. Er verwies auf einige Werke, die Oratorien „Christus“ und „Die Zerstörung Jerusalems“ sowie die Missa solemnis, welche seine Begabung dafür bewiesen hätten. Um eine Breitenwirkung des Notendrucks über den Domchor hinaus zu erreichen, drang Naumann auf eine offizielle Empfehlung durch eine Sachverständigenkommission. Darüber hinaus bot er an, 50 Exemplare anzukaufen und gezielt an mögliche Interessenten zu verschenken, weitere, einfachere, auch in Dorfkirchen brauchbare Psalmodien für das ganze Kirchenjahr zu komponieren und schließlich ein Psalmengesangbuch ohne Noten zu publizieren.91 Dieses Gesangbuch sollte für die Gemeinden gedacht sein, die einen Vorsänger (anstelle eines Kantors) beschäftigten. Naumann erhoffte sich, dass er die Gemeinden so zum Psalmensingen anleiten könnte. Friedrich Wilhelm  IV. verhielt sich diesen Offerten gegenüber zurückhaltend; er wollte zunächst eine Stellungnahme von Raumers abwarten. Der Minister holte dafür ein Gutachten des Oberkirchenrats ein, der sich seinerseits wiederum auf die Expertise seines in Berlin lebenden Ehrenmitglieds, des emeritierten Generalsuperintendenten von Pommern Bischof Carl Ritschl (1783–1858) stützte.92 Da sich Minister wie Oberkirchenrat in ihren Schreiben großenteils wortwörtlich an die ihnen vorliegenden Stellungnahmen hielten, gelangten (mit Ausnahme der Schlussfolgerung) die Gedanken Ritschls auf den Schreibtisch des Königs. Mit ihrer Hilfe widersprach von Raumer der Behauptung Naumanns, dass mit der Publikation des 1. Bands des sog. Psalmenwerks die 89 Naumann bezieht sich hier auf von ihm geleitete Aufführungen von Gregorio Allegris „Miserere“ und Palestrinas Improperien „in ihrer Aechtheit“ (d. h. a cappella) in der Potsdamer Friedenskirche; vgl. ebd., fol. 214v. 90 Ebd.; vgl. dazu auch sein undatiertes, ebenfalls im Januar 1856 abgefasstes Schreiben an Illaire, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23261, fol. 42 f., hier fol. 43r: Es sei „nun bereits dahin gekommen, daß die Tonwerke des 16. u. 17. Jahrhunderts bei dem hochgebildeten Publikum der Hauptstadt Mode geworden und in ihnen der musikalischen Welt überhaupt jährlich eine Gallerie von Meisterwerken ausgestellt ist, deren Vorführung man überall sonst im Augenblick vergeblich suchen wird.“ 91 Vgl. das Schreiben an Illaire v. 26.1.1856, ebd. fol. 44 f. 92 Vgl. das Schreiben von Raumers an den Oberkirchenrat v. 10.3.1856, Kirchliches Archivzentrum Berlin, EZA 7/2444, fol. 308, das Schreiben des Oberkirchenrats an von Raumer v. 25.4.1856 (Konzept), ebd., fol. 230–233 sowie Ritschls „Votum betreffend die Einführung der Psalmodie in den evangelischen Gottesdienst“ v. 18.4.1856 (Abschrift), ebd., fol. 218–229. Zu Ritschls Biographie vgl. seinen „Lebenslauf“, in: Reinfeld, Ulrike: Ein singender Bischof in Schwerin, in: abgestaubt … aus kirchlichen Archiven des Nordens 6 (2018), 57–63. Die Expertise Ritschls gründete darauf, dass er den schulischen Gesangsunterricht am Berlin-Kölnischen Gymnasiums begründet und von 1805 bis zu seiner Berufung nach Stettin 1828 Mitglied der Singakademie gewesen war. Hatte sich Carl Friedrich Zelter durch ihn gelegentlich als Dirigent vertreten lassen, so leitete er in Stettin über mehrere Jahre einen im Privaten tätigen Chor.

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Einführung der Psalmodie verwirklicht sei.93 Denn dieser Band enthalte keine Psalmodien, sondern Psalmvertonungen verschiedener Komponisten. Weiter würden Naumanns Vorwort und seine Schrift „Ueber Einführung des Psalmen­ gesanges“ von einer irrigen Auffassung vom Wesen der Psalmodie zeugen, die Naumann als gesungenen Vortrag verstehe, „bei welchem ein künstlerischer Singechor von 4 und noch mehrern Stimmen versweise mit der recitativisch und einstimmig singenden Gemeinde alternirt“.94 Hintergrund dafür sei das Bestreben, über das Kirchenlied hinausgehend künstlerisch anspruchsvolle Formen der Kirchenmusik zu entwickeln und gleichzeitig der Gemeinde Gelegenheit zu stärkerer Beteiligung an der Liturgie zu verschaffen. Gegen die Ansicht, dass beides notwendig sei, erhob von Raumer mehrfache praktische Bedenken, welche eine irgend allgemeinere Einführung der Psalmodie als unräthlich, ja als unmöglich erscheinen lassen. Schwerlich wird eine Gemeinde, namentlich eine größere oder weniger gebildete, jemals im Stande seyn, ihren Teil an der Psalmodie, der wesentlich recitativisch sein soll, sich auch nicht anders denken läßt, richtig und ohne störende Verwirrung zu singen.95

Selbst bei einer Rezitation auf einem Ton sei ein rhythmisches Gleichmaß unmöglich. Auch sei die Bildung eines Sängerchors für den würdigen Vortrag der mehrstimmigen Sätze undenkbar, es sei denn, man könne ausgebildete Sänger bezahlen. Naumann setze eine Ausbildung und Leitung voraus, wie sie nur der kleinste Theil der Cantoren und Organisten zu leisten vermag. Er setzt mindestens vier Sänger für Sopran, Alt, Tenor und Baß voraus, die sich in den wenigsten Landgemeinden finden werden. Er verlangt eine reine Intonation und einen richtigen Vortrag, soll anders nicht der künstlerische Zweck ganz verfehlt, die Andacht gestört anstatt genährt und durch den Gesang wieder verdorben werden, was das göttliche Wort im Psalmentext zu wirken bestimmt ist. Die leidigen Erfahrungen, die heute noch hinsichtlich der liturgischen Sängerchöre auf dem Lande, in kleinen Städten, ja selbst in größern und großen Städten gemacht werden, lassen für den psalmodischen Chor wenig hoffen.96

Naumann gebe die Unfähigkeit der Gemeinden im Vorwort aber selbst zu. Eine Verbesserung durch den Singunterricht in den Schulen sei illusorisch, da selbst beim einfachen Choralgesang noch erhebliche Mängel zu beobachten seien. Deshalb sei die Einführung der Psalmodie nicht ratsam. Im Übrigen gebe es für die beantragte Gehaltserhöhung keine Mittel im Etat des Domchors; für die Weiterzahlung des bisherigen Gehalts bestehe kein Grund, da Naumann weder mit der Ausbildung noch der Leitung des Chors befasst sei.

93 Vgl. das Schreiben von Raumers an den König v. 12.8.1856, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23261, fol. 73–75. 94 Ebd., fol.73v. 95 Ebd. 96 Ebd., fol. 74r–v.

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Der polemische Grundtenor des Schreibens ist nicht zu übersehen. Zum einen hatte Naumann gar nicht behauptet, dass mit der Publikation des 1. Bandes die Psalmodie schon fast in den Gottesdienst eingeführt sei; im Gegenteil: Er hatte ausdrücklich festgehalten, dass er damit „keinerlei Abschluss der verschiedenen Bestrebungen, die Psalmen in die evangelische Kirche einzubürgern“ herbeiführen könne.97 Weiter bleibt von Raumer die Begründung dafür, dass die zugrundeliegende Idee der Psalmodie verkehrt sei, schuldig. Worauf er hinaus will, ist dies: Das ganze Projekt ist illusorisch und deshalb überflüssig. Dafür führt er nicht von der Hand zu weisende pragmatische Gründe an, die allerdings den König, der in einer langen zeitlichen Perspektive dachte, nicht berührt haben dürfte. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Naumanns Darlegungen findet sich im „Votum“ Ritschls.98 Die betreffenden Passagen blieben bei der Anfertigung des Gutachtens des Oberkirchenrats jedoch unberücksichtigt, da eine solche Debatte nicht in die Zuständigkeit der Behörde fiel. Auch wenn Ritschls scharfsinnige, kritische Argumentation im Detail also unbeachtet blieb, ist sie als eine Art Gegenposition zu den Prämissen Naumanns und auch von Bunsens aufschlussreich für den kirchenmusikalischen Diskurs in Preußen. Als Vertreter einer älteren Generation teilte der Bischof im Ruhestand nämlich nicht die Ansicht, dass über das in der Preußischen Agende Fixierte hinaus weitere früher gebräuchliche Teile der Liturgie wiederherzustellen seien. Die mit der Einführung der Agende verbundenen Verwerfungen noch vor Augen, blieb er skeptisch gegenüber Neuerungen. Von einem Reformeifer ist bei ihm nichts zu spüren, vielmehr herrscht eine pragmatische Grundeinstellung, bei der der innerkirchliche Frieden einen hohen Stellenwert hat. Ritschl stellt sowohl das Alter der christlichen Psalmodie als auch die Behauptung, dass die Reformatoren ihre Einführung intendiert, aus pragmatischen Gründen aber nicht durchgeführt hätten, in Frage.99 Die Tatsache, dass Psalmodien einfacher strukturiert seien als der Choral „mit seiner reichen und anziehenden Mannichfaltigkeit“, weise eher daraufhin, dass dem Kirchenlied bewusst der Vorzug gegeben worden sei.100 Auch der Annahme, dass es nach der Reformation in der Kirchenmusik zu einem Verfall der Kunst gekommen sei, widerspricht Ritschl zumindet im Blick auf die lutherische Kirche. An kunstvoller Orgel- und Figuralmusik habe es bis in die Gegenwart nie einen Mangel gegeben.101 Die Relevanz der von Naumann angeführten historischen Vorbilder 97 Vorwort, in: Psalmen für alle Sonn- und Festtage des evangelischen Kirchenjahres, Bd. 1, Berlin 1855. Von Raumer bezog sich hier auf Naumanns Schreiben an den König, welches ihm als Abschrift vorlag. Hier ist tatsächlich die Rede davon, dass es mit dem 1. Band gelungen sei, die Einführung der Psalmodie „praktisch zu verwirklichen“; vgl. Kirchliches Archivzentrum Berlin, EZA 7/2444, fol. 214–217, hier fol. 215r. Im Gesamtzusammenhang wird aber klar, dass Naumann damit den Abschluss des ihm vom König übergebenen Arbeitsauftrags meint. 98 Vgl. Anm. 90. 99 Vgl. Kirchliches Archivzentrum Berlin, EZA 7/2444, fol. 220v–221r. 100 Vgl. ebd., fol. 221r. 101 Vgl. ebd., fol. 221v–222r.

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zweifelt er an, da sie entweder keine Gemeindebeteiligung kennen würden (wie das „Miserere“ von Allegri oder die gesungene Psalmodie der anglikanischen Kirche) oder ein Randphänomen seien (wie die reformierten Psalmlieder).102 Ritschl wendet aber vor allem ein, dass selbst für den Fall, dass Naumanns Annahmen zuträfen, aus ihnen weder das Bedürfnis noch die Notwendigkeit zur Einführung dieses neuen Elements in die Liturgie abgeleitet werden könne.103 Die Psalmodie sei kein essentieller Teil wie die Predigt und der Gemeinde­ gesang. Kunst und Gemeindebeteiligung kämen schon jetzt im Gottesdienst zu ihrem Recht, letztere im Kirchenlied und in den Responsorien.104 Ritschl gibt zu, dass das reine Psalmwort ein Gewinn im Gottesdienst wäre. Doch stünden ihm vielfältige pragmatische Gründe entgegen: die Verlängerung des Gottesdienstes, die zulasten von Predigt, Gemeindegesang oder Liturgie ausgeglichen werden müsse, wolle man nicht die Gemeinden verschrecken, schließlich der drohende Unfriede in den Gemeinden.105 Ritschl berichtet in diesem Zusammenhang von einer Probe von zwei Psalmodien Naumanns in St. Jacobi in Berlin am 13. April 1856, die unter der Leitung des zuständigen Organisten Hermann Hauer von dem verstärkten Gemeindechor und einem ad hoc zusammengestellten Chor, der die Gemeinde repräsentierte, durchgeführt wurde und in Bezug auf die Qualität keine Wünsche offen ließ.106 Doch bezweifelt er, dass der hier vorgeführte „recitativische Typus des Chorgesangs in seiner durch alle Verse […] gehenden Einförmigkeit einen eigentlich erbaulichen, erhebenden und zugleich ästhetisch schönen Eindruck gemacht habe, und jemals machen könne“.107 Der Anteil der Gemeinde hatte „das Gepräge einer schon an sich und besonders auf die Länge lähmenden und langweilenden Monotonie an sich, die an die katholischen Litaneien erinnerte und unmöglich zu mehr Andacht stimmen kann“.108 Auch wenn Ritschl sich, „falls die Sache nicht lieber auf sich beruhen soll“, für eine Präzisierung der Ideen und die Weiterentwicklung auf Seiten der Beispielkompositionen ausspricht, äußert er sich in Anbetracht der praktischen Hindernisse skeptisch über die Zukunftsaussichten des ganzen Projekts.109 Friedrich Wilhelm IV. reagierte darauf, indem er dem Antrag von Raumers zustimmte, dass das Gesuch Naumanns abzulehnen sei. In einem Punkt aber widersprach er dem Minister: Dahingegen kann Ich der von Ihnen in Übereinstimmung mit dem Ew. O. K. Rath ausgesprochenen Ansicht, daß der Gedanke, die Psalmodie in den evangelischen Gottes­ dienst einzuführen, aufgegeben werden müßte, keineswegs beitreten, sondern bin viel 102 Vgl. ebd., fol. 22r–v. 103 Vgl. ebd., fol. 223r. 104 Vgl. ebd., fol. 224r. 105 Vgl. ebd., fol. 224r–225v. Als warnendes Beispiel führt Ritschl die frühere Kritik an der Agende und aus neuerer Zeit die Gegnerschaft von Teilen der Domgemeinde und der Geistlichen gegen Mendelssohns Psalmvertonungen an; vgl. ebd., fol. 224v–225r. 106 Vgl. ebd., fol. 225v–226r. 107 Ebd., fol. 226v. 108 Ebd., fol. 22v–227r. 109 Vgl. ebd., fol. 229r–v.

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mehr, indem andere evangelische Länder, namentlich England, den Beweis für die Möglichkeit einer solchen Belebung des Gemeindegesanges liefern, der Meinung, daß, wenn auch nicht die Rede davon sein kann, damit augenblicklich vorzuschreiten, doch allmählich darauf hingearbeitet werden müsse, und gebe dem p. Naumann darin Recht, daß besonders der Gesangunterricht in den Volksschulen darauf vorzubereiten habe. Die von Ihnen auch in dieser Beziehung hervorgehobenen Schwierigkeiten verkenne Ich nicht, halte Mich aber zu dem Vertrauen berechtigt, daß es Ihrer Einsicht und Ihrem Eifer gelingen werde, die geeigneten Wege zu deren Überwindung zu finden und anzubahnen, und will Ich Ihnen daher diese Angelegenheit besonders empfohlen haben.110

Der Passus ist charakteristisch für die Grundeinstellung des Königs, der in einer langfristigen Perspektive dachte und auf die Initiative der Verantwortlichen trotz aller Widerstände vertraute. Tatsächlich nahm der Minister die Anregung auf. Er schrieb am 18. April 1857 an den Oberkirchenrat, dass er vorhabe, zu der Frage, was der Gesangsunterricht an den Volksschulen zur Gewöhnung an die Psalmodie beitragen könne, Gutachten der Provinzialschulkollegien und Bezirksregierungen anzufordern.111 Der Oberkirchenrat dagegen blieb, gestützt auf Ritschls Ausführungen im „Votum“, bei seiner ablehnenden Haltung: Wir bekennen nämlich offen, daß nach unserer Überzeugung ein Bedürfnis der Psalm­ odie weder in den Gemeinden, noch hinsichtlich der Beschaffenheit unserer gottesdienstlichen Ordnung vorhanden ist – daß von ihr eine Belebung des Gemeindegesangs nicht zu erwarten steht, – daß sie vielmehr, selbst wenn sie technisch auf das Vollkommenste ausgeführt würde, ihrer Natur nach immer etwas Eintöniges, (um nicht zu sagen Langweiliges) an sich trägt, was unsern Gemeinden, wie verschiedenartig sie auch seyn mögen, widerstrebt, – daß sich für den Gemeindegesang der einstimmige Choral unter harmonischer Begleitung der Orgel allein eignet, – daß die Psalmodie nur auf Unkosten des Chorals, dieses Kleinods unsers deutsch-evangelischen Gottesdienstes, in demselben eine Stelle finden kann, – daß eine Vervollkommnung u. Belebung unsers Gemeindegesangs sich nur in der fortschreitenden Ausbildung u. Verbesserung des Choralgesangs vermittelst tüchtiger Gesanglehrer, Kantoren, Organisten suchen läßt.112

Es war nun von Raumer, der den Oberkirchenrat – etwas euphemistisch – darauf aufmerksam machte, dass mittlerweile „die Einführung des Psalmengesanges […] in mehreren Kirchen mit gutem Erfolge stattgefunden hat“113 und deshalb eine abschließende Bewertung voreilig sei. Den pessimistischen Prognosen der Behörde entgegen hatte eine Entwicklung eingesetzt, die man als Ansatz zur praktischen Realisierung der von Friedrich Wilhelm IV. geförderten Idee verstehen kann. Die maßgeblichen Anstöße dazu gingen aber nicht von Naumann aus, sondern vom Domchordirektor Neithardt. 110 Schreiben des Königs an von Raumer v. 17.11.1856 (Konzept), GSta PK, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23261, fol. 76. Das Schreiben von Raumers an Naumann ist nicht erhalten. 111 Vgl. Kirchliches Archivzentrum Berlin, EZA 7/2444, fol. 291. 112 Schreiben des Oberkirchenrats an von Raumer v. 16.5.1857, ebd., fol. 293 f., hier fol. 294r–v. 113 Schreiben von Raumers an den Oberkirchenrat v. 4.7.1857, ebd., fol. 316. Gemeint sind einige preußische Hofkirchen.

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7. Neithardts Initiative Mitten in der langwierigen Begutachtung von Naumanns Publikation überreichte Neithardt im Mai 1856 dem König die von ihm herausgegebenen „Psalmen für den evangelischen Hauptgottesdienst auf die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres nach ihren alten Kirchentönen“.114 Das auf den 1. März 1856 datierte Vorwort aus der Feder des Hilfspredigers am Dom Otto Strauß (1827– 1880) skizziert die Idee des auf den praktischen Gebrauch hin angelegten Werks wie folgt: So gelungen nun auch manche Compositionen der Psalmen aus neuerer Zeit für den kirchlichen Gebrauch erscheinen müssen, so bedarf es doch für die Theilname der Gemeinde überhaupt und für weniger geübte Chöre einfacherer Melodien, welche allen Psalmen unterlegt werden können. Für diesen Zweck ergeben sich im Vergleich mit manchen späteren Weisen und zahlreichen neueren Versuchen als die geeignetsten und der Eigenthümlichkeit der Psalmen angemessensten immer mehr die seit den ersten Jahrhunderten in der christlichen Kirche gebräuchlichen neun Psalmtöne […].115

Die Sammlung schloss also an die Tradition des einstimmigen Gesangs an, lieferte zu den melodischen Modellen aber auch eine schlichte vierstimme Harmonisierung.116 Sie sollte im Gottesdienst vom Chor gesungen, in den für die Gemeinde vorgesehenen Teilen aber von der begleitenden Orgel übernommen werden. Strauß war der Überzeugung, durch die Trennung werde es der Gemeinde nicht schwer fallen […], kräftig mit einzustimmen, zumal, da diese alten Psalmentöne sehr leicht zu singen sind. Während wir damit zu den durch Jahrhunderte und Jahrtausende bewährten Weisen zurückkehren, ist zugleich meine Ueberzeugung, von dieser Psalmodie mehr Erbauung der Gemeinde zu erwarten, als durch die bisherigen neueren Compositionen zu erreichen war.117

Dies war eine klare Stellungnahme gegen die bisherige Praxis am Dom, den Gottesdienst mit einer Psalmkomposition zu eröffnen – und auch gegen Naumann, 114 Der Band erschien ebenfalls bei Bote&Bock in Berlin. Die Verteilung der Psalmen über das Kirchenjahr weicht geringfügig von derjenigen in Naumanns Publikation ab. Neithardt sieht am 2. Ostertag den 105. Psalm, am Sonntag Misericordias Domini den 33. Psalm, am 1. Sonntag nach Trinitatis den 13. Psalm, am 6. Sonntag den 28. Psalm, am 14. Sonntag den 84. Psalm, am 15. und 16. Sonntag den 86. Psalm und am 19. Sonntag nach Trinitatis den 78. Psalm vor. Das bei Naumann nicht aufgeführte Reformationsfest sollte mit dem 67. Psalm eröffnet werden. 115 Otto Strauß: Vorwort, in: Neithardt, August Heinrich (Hg.), Psalmen für den evangelischen Hauptgottesdienst auf die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres nach ihren alten Kirchentönen. Berlin 1856, III–VI, hier IIIf. Der Tonus peregrinus ist für die drei an das Ende gestellten Cantica reserviert. 116 Neithardts Psalmtöne sind abgedruckt bei Thomas, Max: Heinrich August Neithardt (wie Anm. 10), 120–125. 117 Schreiben Neithardts an den König v. 26.5.1856 (Abschrift), Kirchliches Archivzentrum Berlin, EZA 7/2444, fol. 245. Strauß schlug zur Eingewöhnung den Vortrag der Psalmodie durch getrennte Chorgruppen oder die Anleitung der Gemeinde durch den Chor oder einen Vorsänger vor; vgl. Strauß, Otto: Vorwort (wie Anm. 115), VI.

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für den die kunstvolle Gestaltung des Choranteils unverzichtbar war. Neithardt und Strauß dagegen verwarfen sie um der Rückkehr zu den (vermeintlich) idealen Anfängen willen, die zugleich die Frage der Gemeindebeteiligung beantwortete. Aber noch in einer anderen Hinsicht stellten sie sich gegen Naumann: Ihre Sammlung schrieb den Wechsel nach halben Versen vor.118 Die Begründung dafür lieferte Strauß, indem er ihn aus dem charakteristischen parallelismus membrorum ableitete – was Naumann in seiner Publikation von 1850 verworfen hatte.119 Neithardts Bitte um Bekanntmachung des Drucks in der gesamten Landes­ kirche kam Friedrich Wilhelm IV., nachdem die Hof- und Domprediger ihr Einverständnis signalisiert hatten, nach.120 Auf die weitere Begutachtung verzichtete er. Bereits Anfang August 1856 sandte der Oberkirchenrat das entsprechende Zirkularschreiben an die Konsistorien.121 Für Naumann muss der Vorgang eine herbe Enttäuschung gewesen sein, da sein Kollege innerhalb kürzester Zeit das erreicht hatte, worauf er selbst seit Jahren hinarbeitete: Die Anerkennung für die Lösung einer Aufgabenstellung, die der König ihm, ­Naumann, aufgetragen hatte. Für die Kollegen im Oberkirchenrat erstellte der Generalsuperintendent der Kurmark Wilhelm Hoffmann (1806–1873) am 20. September 1857 eine Chronologie der Einführung der Psalmodie in einigen Berliner und Potsdamer Kirchen.122 Am Dom sei die Psalmodie vor zwei Jahren bei den Abendgottesdiensten probeweise eingeführt worden, und zwar zum Vortrag des (deutschen) Magnificat und Nunc dimittis durch die Knaben der Domsingschule. Nachdem die Gemeinde dabei anfänglich großenteils geschwiegen habe, habe sie immer mehr daran teilgenommen. „Große Unzufriedenheit“ sei entstanden, nachdem Neithardt eigenmächtig auch den Eingangspsalm im Hauptgottesdienst im Wechsel von Halbchören habe vortragen lassen. Deshalb habe das Domkirchenkollegium beschlossen, dass diese Art des Vortrags auf die Zeit von Neujahr bis Ostern zu beschränken sei. Ansonsten sollten die durchkomponierten Psalmen Verwendung finden. Nach dem zeitweise Aussetzen der Psalmodie zeige die Gemeinde nun „wieder mehr Lust mitzusingen“.123 In der Hofkapelle in Charlottenburg werde der Eingangspsalm auf Wunsch des Königs seit einem Jahr aus dem Psalmbuch Neithardts gesungen. Die Reaktion der Gemeinde sei hier eine ganz andere: Sie „betheiligt sich sehr wenig und klagt über Eintönigkeit und Langweiligkeit. Allein der Gesang ist wirklich schön.“124 Über die Praxis in der Potsdamer Friedenskirche berichtet Hoffmann, dass auch dort 118 Vgl. Strauß, Otto: Vorwort (wie Anm. 115), V. 119 Vgl. die Gegenüberstellung der Positionen bei Thomas, Max: Heinrich August Neithardt (wie Anm. 10), 115–119. 120 Vgl. das Schreiben des Königs an den Oberkirchenrat v. 21.7.1856, Kirchliches Archivzen­ trum Berlin, EZA 7/2444, fol. 244. 121 Vgl. den Entwurf v. 5.8.1856, ebd., fol. 247. 122 Vgl. die Abschrift, ebd., fol. 312–314. Außerdem referierte er über die Praxis in der anglikanischen Kirche. 123 Ebd., fol. 312v. 124 Ebd., fol. 313r.

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„abwechselnd psalmodiert“ würde, worüber er „nur günstige Urtheile“125 gehört habe. Hoffmanns Recherche belegte, dass die Einführung der Psalmodie ein mühsames Geschäft war. Sie beschränkte sich auf die Gottesdienste in Hofkirchen, in denen der Domchor sang. Trotz der professionellen Unterstützung reagierten die Gemeinden dort sehr unterschiedlich darauf: mal mit mehr, mal mit weniger Motivation, den ihnen zugedachten Anteil zu übernehmen. Allerdings kam es darauf nicht ernstlich an, da ihn, Strauß’ Ratschlag entsprechend, eine Abteilung des Domchors übernahm. Dies alles scheint den Oberkirchenrat in seiner Ablehnung der Psalmodie bestätigt zu haben. Wie entschieden seine Position war, belegt die Tatsache, dass das Gremium sich in seiner Antwort auf das Schreiben von Raumers eine von Hoffmann in Auftrag gegebene, ausführliche Stellungnahme des mittlerweile zum Divisionsprediger in Posen aufgestiegenen Otto Strauß vom November 1857126 zwar teilweise exzerpierte, dabei aber diejenigen Passagen außen vorließ, die die Möglichkeit der Einführung der alternierenden Psalmodie auf der Grundlage der Publikation Neithardts optimistisch beurteilten und dies mit Beispielen aus der Praxis untermauerten.127 Vielmehr legten die Verfasser ihrem Brief an den Minister die kritische Einlassung eines (anonymen) Musikers und Komponisten bei, der zu beweisen versuchte, daß „weder Chor noch Gemeinde jemals mit innerer Lust und Freude psalmodierend singen“128 könnten.

8. Berufliche Umorientierung Naumann setzte bis 1856 darauf, dass seine berufliche Zukunft, gefördert vom König, in Berlin liegen werde. Der erfolgreiche Vorstoß Neithardts und schließlich der negative Bescheid von Raumers mussten ernüchternd auf ihn wirken. Sie offenbarten seinen ungesicherten institutionellen Status und zwangen ihn zu alternativen Planungen. Die Ablehnung seines Gesuchs vermochte Naumann kaum mit der Zufriedenheit Friedrich Wilhelms IV. mit der von ihm geleisteten Arbeit in Einklang zu bringen.129 Dies teilte er dem König auch sogleich mit, wobei er sich nicht scheute, einen Schuldigen zu benennen: 125 Ebd., fol. 313v. 126 Vgl. Ganz gehorsamster Bericht […] über den gegenwärtigen Stand der Psalmodie in der evangelischen Kirche, Kirchliches Archivzentrum Berlin, EZA 7/2445, fol. 1v–11v. Das an Hoffmann gerichtete Begleitschreiben ist auf den 30.11.1857 datiert; vgl. ebd., fol. 12r. Hoffmann reichte ihn im Dezember kommentarlos an Ritschl weiter. 127 Vgl. das Schreiben an von Raumer v. 22.3.1858 (Abschrift), ebd., fol. 14r–17v. 128 Vgl. ebd., fol. 13, hier fol. 13v. 129 In einem Schreiben an Illaire v. 7.11.1856, mit dem er sich und sein Anliegen in Erinnerung brachte, stellte Naumann fest: „[…] daß die Wünsche Sr. Majestät selber durch meine Psalmodien vollkommen erfüllt sind, haben Hochdieselben sowohl gegen mich persönlich, wie gegen Freiherrn von Humboldt und Oberhofprediger Strauß wiederholt ausgesprochen, und waren diese Herren so freundlich mir die betreffenden königl. Äußerungen brieflich mitzutheilen“; GSta PK, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23261, fol. 71 f., hier fol. 72r.

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Daß der evangelische Oberkirchenrath, der bezüglich der Idee einer Gemeinde-Psalmodie sogar Ew. Königlichen Majestät Selber, unter der Befürchtung dergleichen könne als Katholisieren erscheinen und ähnlichen Gründen, opponiren zu müssen glaubte, sich in seiner Majorität auch gegen denjenigen zu erklären werde, der es auf sich genommen, Ew. Majestät Allerhöchste Intentionen durchzuführen, war vorauszusehen, zumal die Prüfung des Gegenstandes eine derartige war; daß z. B. einer der Herren nicht umhin konnte, sogar die allbekannte Thatsache zu bezweifeln, daß die Gemeinde in jeder katholischen Kirche auf musikalische Rezitation eingestellt sei.130

Naumann resignierte und bat darum, wenigstens als pensionsberechtigt anerkannt zu werden und die Erlaubnis zu erhalten, bei beibehaltenem Bezug des Gehalts zeitweise außerhalb Preußens leben zu dürfen. Im Falle neuer Aufträge des Königs würde er jederzeit nach Berlin kommen. Galt das erste Anliegen der finanziellen Mindestsicherung, war das zweite der Notwendigkeit geschuldet, außerhalb der preußischen Hauptstadt Karriereoptionen wahrzunehmen. Naumann versicherte dem König, dass er bisher alle Anträge von außen in der Erwartung einer Verbesserung seiner Lage in Berlin abgelehnt habe, dass er nun aber derlei Angebote annehmen müsse. Von Redern, durch von Raumer zu einer Stellungnahme aufgefordert, sah keine Pensionsberechtigung für Naumann gegeben, „da derselbe beim Domchor keinesweges definitiv angestellt ist, und die bis jetzt bezogenen 500 Tl. nur als eine Remuneration für die von ihm geleisteten kirchlichen Compositionen und als Beihülfe zu seinen ferneren musikalischen Studien erhalten hat, deren Dauer von der Gnade Seiner Majestät des Königs abhängt.“131 Entsprechend erging der Bescheid. Naumanns Einspruch, dass seine Festanstellung vom König intendiert gewesen sei, wegen ungeklärter Etatfragen 1850 aber nicht realisiert werden konnte, und dass ihm die Pensionsberechtigung zustehe „als Entschädigung für vergebliche Hoffnungen, die ich zu nähren veranlaßt worden, wie für mir ihrethalben in den besten nie wiederkehrenden Lebensjahren entgangene Gelegenheiten in feste Stellung und gesicherte äußere Lage zu gelangen“132, wurde von dem am 6. November 1858 ernannten Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten Moritz August von Bethmann-Hollweg zurückgewiesen. Ebenso wie von Redern sah er die Tätigkeit ­Naumanns für den Domchor als faktisch beendet an.133 Wenigstens verblieb Naumann der Genuss des Gnadengehalts über die krankheitsbedingte Abgabe der Regierungsgeschäfte am 7. Oktober 1858 und den Tod seines Gönners am 2. Januar 1861 hinaus. Die von Friedrich Wilhelm IV. als 130 Schreiben an den König v. 28.12.1856, GSta PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium III Sekt. 12, Abt. XIX–XX, Nr. 71 Bd. 2: Acta betr. das Musik-Institut bei der Hof- und Dom-Kirche zu Berlin, Vol. 2 (o. fol.). 131 Schreiben von Rederns an von Raumer v. 27.1.1857, ebd. 132 Schreiben Naumanns an von Bethmann-Hollweg v. 1.4.1859, ebd. 133 Schreiben von Bethmann-Hollwegs an Naumann v. 19.7.1859 (Konzept), ebd. Der Minister sympathisierte zunächst mit der Auffassung Naumanns, schloss sich dann aber von Redern an, der ihm die definitive Anstellung Naumanns anheimstellte; vgl. sein Schreiben an von Redern v. 8.5.1859 (Konzept), ebd., und die Antwort von Rederns v. 16.6.1859, ebd.

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Dank für die Widmung des sog. Psalmenwerks veranlasste Verleihung des roten Adlerordens 4. Klasse vermochte ihn nicht über seine Enttäuschung hinwegzutrösten.134 Naumann schlug, da ihm offenbar auch außerhalb Preußens kein künstlerisches Amt offenstand, einen neuen beruflichen Weg ein: den des akademischen Musikdozenten. Als Musikhistoriker verstand er sich nicht, eher als ein wissenschaftlich reflektierender, in die Gegenwart eingreifender Musiker.135 Dies belegt sein Schreiben an von Bethmann-Hollweg vom 22. April 1861: Da ich mich mit zu den wissenschaftlichen Musikern zählen darf, worauf mir, außer dem eben erwähnten größeren Werke [dem sog. Psalmenwerk, C. H.], verschiedene bei Georg Reimer und in unseren kritischen Blättern erschienenen Abhandlungen vielleicht ein bescheidenes Anrecht leihen, so wäre mir der Titel eines ‚Professor der Musik‘ […] höchst erwünscht, und, wie ich überzeugt bin, auch von wirklicher und ernster Bedeutung für meine ganze hiesige Stellung. Wenn ich auch nicht gerade praktischer Lehrer von einem unserer Musikinstitute bin, so dürfte doch wohl auch derjenige, der durch Werke, die eine neue Methode oder eine Neu-Gestaltung eines so wichtigen Kunstzweiges anbahnen, wie es der evangelische Kirchengesang ist, nicht weniger diejenigen, die in Büchern und Schriften wissenschaftliche Forschung auf dem Felde der Tonkunst weiter führen, den Namen von Lehrern und Lehrenden verdienen.136

Der Minister erbat von der Akademie der Künste ein Gutachten über die Berechtigung von Naumanns Gesuch.137 Das Gutachten fiel negativ aus, da Naumann die formale Voraussetzung für die Verleihung des Titels, die praktische Lehrtätigkeit, fehlte. Es relativierte sein Verdienst um die Kirchenmusik, indem es darauf hinwies, dass Naumann von den 55 publizierten Psalmen nur 11 selbst komponiert habe.138 Von Bethmann-Hollweg schloss sich in seinem Antwortschreiben an Naumann dieser Einschätzung an.139 134 Vielmehr erlebte er sie als zusätzliche Enttäuschung, da diese Auszeichnung bereits für weitaus geringere Leistungen verliehen wurde; vgl. das Schreiben an Illaire v. 31.1.1857, GSta PK, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23261, fol. 86 f., hier fol. 87v. 135 Wieso Thomas den jungen Naumann als „Kunsthistoriker“ bezeichnet, bleibt unerfindlich; vgl. Thomas, Max: Heinrich August Neithardt (wie Anm. 10), 115. 136 GSta PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium Vc Sekt. 1, Tit. II, Nr. 3 Bd. 4 Acta betr. die zu ertheilenden Professor-Prädikate von Künstler und Gelehrte, vom Januar 1861 bis Juni 1866 (o. Fol.). Eine Änderung im Selbstverständnis scheint es nicht gegeben zu haben, denn unter seinen späteren Publikationen dominieren keineswegs die musikgeschichtlichen Themen; vgl. die Bibliographie bei Poppe, Gerhard: Art. Emil Naumann, in: Finscher, Ludwig (Hg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2., neubearb. Ausgabe, Personenteil, Bd. 12. Kassel usw. 2004, Sp. 934. 137 Vgl. das Schreiben Bethmann-Hollwegs an die Akademie der Künste v. 7.5.1861, Akademie der Künste, Berlin (= AdK, Berlin), Archiv der Preußischen Akademie der Künste (= PrAdK) Nr. 143 fol. 83 f. 138 Vgl. das Schreiben der Akademie der Künste an von Bethmann-Hollweg v. 15.6.1861, GSta PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium Vc Sekt. 1, Tit. II, Nr. 3 Bd. 4 (o. Fol.). In der Sitzung der Musiksektion der Akademie acht Tage zuvor waren noch andere Argumente genannt worden; vgl. das Protokoll v. 7.6.1861, AdK, Berlin, Archiv der PrAdK Nr. 145 fol. 61: „Ferner ist derselbe auch noch zu jung an Jahren. Das eingereichte Werk ist nur ein Sammelwerk. Eine solche besondere Begünstigung würde vielen Collegen Veranlassung geben, ebenfalls [um] das Prädikat ‚Professor‘ nachzusuchen.“ 139 Vgl. das Schreiben von Bethmann-Hollwegs an Naumann v. 4.7.1861 (Konzept), GSta PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium Vc Sekt. 1, Tit. II, Nr. 3 Bd. 4 (o. Fol.).

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Drei Jahre später (1864) erneuerte Naumann sein Anliegen. Er stützte sich dabei auf die mittlerweile vervollständigte Publikation der Psalmenkompositionen, die Begleitbroschüre „Ueber Einführung des Psalmengesanges“ sowie seinen gedruckt vorliegenden Vortrag „Shakespeare in seinem Verhältniß zur Tonkunst“.140 Wiederum erbat sich der Minister von der Akademie der Künste eine Stellungnahme. Sie wurde von dem Musikdirektor der Hofoper Wilhelm Taubert und dem Direktor des Instituts für Kirchenmusik und Kompositionslehrer an der Akademie der Künste Prof. August Wilhelm Bach im Einverständnis mit dem Direktor der Singakademie Eduard Grell abgefasst und fiel erneut ablehnend aus.141 Taubert und Bach konnten sich dabei nach einer Satzungs­ reform nicht mehr auf die mangelnde Lehrerfahrung des Antragstellers berufen. Vielmehr sprachen sie dem Psalmenwerk ein „besonderes künstlerisches Verdienst“ ab, da es lediglich ein „einfaches Sammelwerk von Compositionen der Zeitgenossen“ sei. Den Wert seiner Schrift über den Psalmengesang würdigten sie, doch mangelte ihm, wie auch den anderen Schriften Naumanns, ein eigentlicher wissenschaftlicher Wert: Diese Brochüre [sic], sowie die beigefügte Abhandlung über Shakespeare bekunden übrigens den gebildeten, gewandten, mit seiner Aufgabe vertrauten Litteraten [sic], als welchen sich Herr Naumann auch in vielen Zeitungskritiken über hiesige Kunstinstitute und deren Aufführungen erwiesen hat. Doch dürfte es mehr als bedenklich sein, auf Grund solcher aesthetisch-litterarischen Thätigkeit, die von gar vielen Musikern der Neuzeit, und leider oft mißbräuchlich geübt wird, die Auszeichnung durch den Professortitel zu gewähren. Die k. Akademie der Künste darf zur Begründung des Anspruchs auf das Prädicat Professor wohl auf ein umfangreiches wissenschaftliches Werk hoffen, (etwa eine Harmonie- und Contrapunktlehre, eine Geschichte der Musik oder dergleichen), als Ersatz für den Mangel an unmittelbarer practischer Lehrtätigkeit.

Da auch keine der Kompositionen Naumanns „als durchaus mustergültig, originell und von unantastbarem Werthe“ anerkannt war, erachteten sie den Antrag für unbegründet. Dem schloss sich von Bethmann-Hollweg in seinem Bescheid an Naumann an.142 Mit seinem dritten Gesuch fünf Jahre später (1869) war Naumann endlich erfolgreich. Er legte seinem Schreiben ein Exemplar seines soeben erschienenen Buches „Die Tonkunst in der Culturgeschichte“ bei. Er gab der Hoffnung Ausdruck, dass „mit der Publikation meines Buches von ebensowohl wissenschaftlichem wie lehrhaft-musikalischem Inhalte eine der Hauptbedingungen erfüllt ist, auf die hin der Titel eines Professors der Musik verliehen zu werden pflegt“.143 140 Vgl. das undatierte Schreiben Naumanns an den seit 1862 amtierenden Minister Heinrich von Mühler, ebd. Der Vortrag war erschienen in: Neue Berliner Musikzeitung 18 (1864), 138 f., 153–155, 161–163 und 169 f. 141 Vgl. das Gutachten v. 5.11.1864, GSta PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium Vc Sekt. 1, Tit. II, Nr. 3 Bd. 4 (o. Fol.). 142 Vgl. das Schreiben an Naumann v. 23.12.1864, ebd. 143 Schreiben an von Mühler v. 8.3.1869 (Abschrift), GSta PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium Vc Sekt. 1, Tit. II, Nr. 3 Bd. Bd. 5 Acta betr. die zu ertheilenden Professor-Prädikate von Künstlern und Gelehrten, vom Juli 1866 bis Dez. 1879 (o. Fol.).

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Ohne weitere Begutachtung veranlasste der Minister 12 Tage später die Ausstellung des Patents.144 Bereits am 3. August 1865 hatte Naumann, der in Jena promoviert worden war, beim Minister um die Habilitation an der Berliner Universität nachgesucht.145 Die angestrebte Tätigkeit als Privatdozent begründete er wie folgt: Es will mir scheinen, daß, neben Vorträgen über den Entwicklungsgang der Tonkunst überhaupt, Vorlesungen, die ausschließlich die Geschichte der Kirchenmusik behandelten, für junge Theologen nicht ohne dauernden Nutzen bleiben werden. Die Musik ist vorzugsweise diejenige Kunst, die erst durch das Christenthum zu innerer Selbständigkeit gelangte; ihre Geschichte und was darin von wahrhafter Bedeutung für Kirche und Gemeinde, dürfte daher vielleicht nicht mit Unrecht zu den allgemeinen Kenntnissen gezählt werden können, die sich Studierende der Theologie zu erwerben hätten.

Von Mühler dispensierte Naumann von der Vorschrift, vor der Habilitation zum Privatdozenten für die Geschichte der Kirchenmusik den Doktorgrad an einer preußischen Universität zu erwerben.146 Allerdings kam es nicht zur Habilitation in Berlin. Naumann wirkte nie als Privatdozent an der FriedrichWilhelms-Universität zu Berlin, weder an der Theologischen noch an der Philosophischen Fakultät.147 Da ihm eine Lehrtätigkeit versperrt blieb, dürfte er sich 1873 für den Umzug nach Dresden entschieden haben, wo er am Konservatorium unterrichten konnte. Er sandte danach noch einige seiner neuen Schriften an das Ministerium der geistlichen-, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten.148 144 Vgl. das auf den 20.3.1869 datierte Patent, ebd. Die Behauptung von Härtwig, dass die Ernennung auf Vorschlag der Akademie der Künste erfolgt sei, ist folglich falsch; vgl. Härtwig, Dieter: Zu Leben und Werk (wie Anm. 10), 447. 145 Schreiben an von Mühler v. 3.8.1865, GSta PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium Va Sekt. 2, Tit. IV, Nr. 51 Bd. 5 Acta betr. die Privatdocenten in der philosophischen Fakultät der Universität in Berlin und deren Remuneration, vom Jan. 1853 bis Dez. 1869, fol. 113. Obwohl Naumann keine Belege für ein (mindestens) sechssemestriges Studium vorlegen konnte, war er in Jena auf der Grundlage seiner Schriften „Ueber Einführung des Psalmengesanges“ und „Shakespeare in seinem Verhältniß zur Tonkunst“ in absentia promoviert worden. Die entsprechende Urkunde ist auf den 27.7.1865 datiert; vgl. Universitätsarchiv Jena, Bestand M, Nr. 394, fol. 125–145. – ­Stefan Gerber (Jena) bin ich für ausführliche Informationen über den Bestand zu herzlichem Dank verpflichtet. 146 Schreiben von Mühlers an Naumann v. 4.9.1865, GSta PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium Va Sekt. 2, Tit. IV, Nr. 51 Bd. 5, fol. 114. 147 Vgl. die Personal- und Studierendenverzeichnisse ab Sommersemester 1866, https://edoc.huberlin.de/handle/18452/397 (19.3.2020). – Rüdiger Buchholtz danke ich für den Hinweis auf diese Seite. 148 Vgl. die Eingangsvermerke v. 26.6.1876 („Italienische Tondichter von Palestrina bis auf die Gegenwart“), 28.10.1878 („Erklärung der Musiktafel in Raffaels ‚Schule von Athen‘“) und 5.4.1879 („Hinter den Coulissen. Ein Blick auf die Schildhalter der Neu-Romantik in der Musik“), GSta PK, I. HA Rep. 76 Kultusministerium VIII Sekt. 50, Lit. IV, Nr. 13 Acta betr. den Professor und Hofkirchen-Musikdirector Dr. Emil Naumann, vom Juni 1876 (o. Fol.). Des Weiteren bat Naumann am 2.4.1877 darum, das ihm vom italienischen König verliehene Ritterkreuz des Ordens der Krone von Italien tragen zu dürfen; vgl. ebd. Eine solche Erlaubnis erbat er sich am 24.3.1886 auch für das ihm vom Herzog von Altenburg verliehene Ritterkreuz 2. Klasse des Sachsen-Ernesti­ nischen Hausordens; vgl. ebd.

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1885 und 1886 wurde er zur Wahl als auswärtiges Mitglied der Akademie der Künste vorgeschlagen, was auf ein gewisses Renommee als Wissenschaftler in Berlin schließen lässt – allerdings ohne Erfolg.149 Nach Naumanns Tod am 23. Juni 1888 stellte der Generalintendant der königlichen Hofmusik und der königlichen Schauspiele als offizieller Vorgesetzter Naumanns fest, dass weder die Vertretung, noch die Wiederbesetzung seiner Stelle erforderlich seien, da er schon lange nicht mehr zur Erfüllung bestimmter Dienste verpflichtet gewesen sei.150 Damit war noch einmal die Ausnahmestellung Naumanns am preußischen Hof benannt, der trotz des Scheiterns des Projekts der „volkstümlichen Psalmodie“ noch mehr als 30 Jahre lang ein Gehalt bezog, ohne beschäftigt zu sein.

9. Resümee Die Idee der Einführung der Psalmodie in den Hauptgottesdienst steht im Zusammenhang mit den restaurativen Tendenzen in der Entwicklung der Liturgie, ist aber auch als korrigierende Reaktion auf die Deaktivierung der Gemeinde durch die Einführung der Preußischen Agende zu sehen. Aus der Sicht der Befürworter um Friedrich Wilhelm  IV. stellte die Psalmodie als Grundbestand der Liturgie einen Weg zu stärkerer Verinnerlichung von Gottes Wort dar. Sie mochte der Erneuerung des religiösen Lebens dienen, das sich einem breiten Konsens zufolge in einer tiefgreifenden Krise befand. War von daher das Interesse des Königs an dem jungen Naumann, der ihm als aktiver Befürworter der Psalmodie begegnete, hinreichend motiviert, so folgte sein Schicksal im preußischen Dienst ab 1850 einer Grundstruktur der Musikpolitik dieses Herrschers: Im Vertrauen auf die Durchsetzungsfähigkeit großer Ideen gegen alle Widerstände der prosa­ ischen Welt nahm Friedrich Wilhelm  IV. Persönlichkeiten formell in den Dienst, ohne zuvor ihre Aufgabe und Stellung genau zu definieren.151 Da ihre Position im Gefüge der Institutionen und Zuständigkeiten erst im Nachhinein bestimmt wurde, kam es regelmäßig zu Verwirrungen und Missstimmungen unter den Beteiligten – so auch im Falle Naumanns, dessen Aufgaben nie klar bestimmt wurden und dessen Kompetenzen deutlich weniger weit reichten als von ihm gewünscht. Wie impulsiv der König handelte, erhellt daraus, dass er erst 1848 Carl Georg von Winterfeld (1784–1852) zum „ausserordentlichen Commissarius für die Angelegenheiten der Kirchenmusik“ ernannt hatte, um dem „dringenden Bedürfniß der Hebung und Förderung des evangelischen Kirchengesanges in möglichst umfassender und zugleich auf festen, übereinstimmenden Grund-

149 Vgl. AdK, Berlin, Archiv der PrAdK Nr. 243 fol. 61 und 68. 150 Vgl. das Schreiben Bolko Grafs von Hochberg an den Minister Gustav Konrad von Goßler v. 21.8.1888, I. HA Rep. 76 Kultusministerium III Sekt. 12, Abt. XIX–XX, Nr. 71 Bd. 3: Acta betr. das Musik-Institut bei der Hof- und Dom-Kirche zu Berlin Vol. 3, fol. 295. 151 Vgl. Henzel, Christoph: Preußische Musikpolitik (wie Anm. 6), 109–125.

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stützen beruhender Weise abzuhelfen“.152 Auswirkungen dieser Ernennung sind nicht bekannt. Was Naumanns Position als Fachmann in Sachen Psalmodie zusätzlich schwächte, waren manche offenkundigen Defizite im Wissen über historische Sachverhalte und liturgische Praktiken (z. B. über die anglikanische Psalmodie und die Alternatimpraxis in Rom). Sie machten seine Argumentation für kritische Einwände anfällig. Zwar lernte er durch die Auslandsreisen hinzu, änderte aber dadurch nur in Details seinen einmal gefassten Lösungsvorschlag. Da Setzungen in liturgischen Angelegenheiten per königlichem Dekret ausgeschlossen waren, war der Hofgottesdienst tatsächlich die entscheidende Stelle, von der aus Impulse zu Veränderungen ausgehen konnten. Naumann erkannte genau, dass ein Einfluss auf den Domchor unabdingbar war, um die Psalmodie in der von ihm anvisierten Idealform, die die Aktualisierung eines historischen Vorbilds war, zu etablieren. Er blieb ihm aber verwehrt. Insofern war es für Neithardt als Leiter des Domchors ein Leichtes, Naumann auszustechen. Zum einen konnte er sofort zur praktischen Probe auf’s Exempel antreten (freilich ohne wirkliche Gemeindebeteiligung), zum andern war seine stark historisierende Psalmodie schlicht und vergleichsweise leicht zu realisieren. In Anbetracht der Widerstände, die sich exemplarisch im Umkreis des Oberkirchenrats, aber auch in den Gemeinden artikulierten, war dies vermutlich der einzig mögliche realistische Weg der Einführung der Psalmodie. Die Konzentration auf die Textdeklamation und die bewusste Kunstlosigkeit folgten dem verbreiteten restaurativen Geist, für den Strauß als Ideenlieferant einstand. Naumann dagegen, der wie sein Lehrer Mendelssohn die Entwicklung der Musik als Tonkunst nicht aus der Kirchenmusik ausklammern wollte, wollte auf den angenommenen positiven Einfluss kompositorischer Kunstfertigkeit auf die Wirkung der Psalmtexte nicht verzichten. Der Ort der Kunst waren ausschließlich die mehrstimmigen chorischen Teile der Psalmodie. Wie sie mit den Teilen, die dem möglichst einfachen Gesang der Gemeinde überlassen wurden, in Verbindung gebracht werden könnten, war eine offene Frage. Das von ihm präferierte Allegri-Modell stellte eine an sich vielleicht brauchbare Lösung dar, weil sie die Differenz zwischen dem artifiziell gestalteten Chorsatz und der schlichten Textdeklamation nicht allzu groß werden ließ. Der Chor in Naumanns daran angelehnten Kompositionen ist denn auch vorwiegend homophon in knappen Abschnitten gesetzt, während die Gemeinde im Unisono bzw. auf einem vierstimmigen Akkord rezitiert. Im Verzicht auf alle Kadenzformeln beim Gemeindeteil aber lag die Crux der Psalmodien Naumanns, denn die Gestaltung der Sprachmelodie war so nicht möglich. Durch die gewollte Primitivität der Deklamation, für die es kein

152 Vgl. das Schreiben des Königs an die Minister Wilhelm zu Sayn-Wittgenstein, Johann ­A lbrecht von Eichhorn und Franz von Duesberg sowie Generalintendant von Redern v. 13.2.1848, GStA PK, I. HA Rep. 89: Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 23260, fol. 106. Überlegungen zur Psalmodie finden sich in der 1848 in Leipzig erschienenen Abhandlung von Winterfelds „Über Herstellung des Gemein- und Chorgesanges in der evangelischen Kirche“ nicht.

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Vorbild beim Psalmengesang gab, kam Naumann den verbreiteten Vorbehalten gegenüber der Kunstlosigkeit des Psalmodierens entgegen. Doch nicht einmal dem Lösungsweg der radikalen Reduktion der Ansprüche an die Gemeinde traute Naumann den Weg in die gottesdienstliche Praxis zu, da er nicht wusste, wie die Gemeinden zur Übernahme ihres Anteils motiviert werden konnten. Eine offene Frage ist, warum er die Möglichkeit der Unterstützung durch das kirchenmusikalische Fachpersonal (Organisten, Kantoren, Vorsänger) an keiner Stelle erwähnt. Die Folge jedenfalls war, dass Naumann im Psalmenwerk seine persönliche Präferenz für das Allegri-Modell zurückstellte und die Publikation in eine Art Zwischenbericht über die pluralistische Entwicklung von Problemlösungen umfunktionierte. In Anbetracht des Widerstands, der der Psalmodie aus einzelnen Gemeinden, mehr aber noch aus den Behörden entgegenschlug, die nach den Erfahrungen im Agendenstreit allen Neuerungen ablehnend gegenüberstanden, schätzte er (wie auch sein Verleger) die Zukunft der „Musterform“ derart pessimistisch ein, dass er es mehr oder weniger beim status quo der Psalmmotette als Eröffnungsstück für geübte Chöre beließ. Dies bedeutete unausgesprochen das Eingeständnis des Scheiterns seiner Bemühungen. Dass Friedrich Wilhelm IV. zu ihm auf Distanz ging, ist insofern wenig verwunderlich. Naumann hat sich nach 1856 nicht mehr zu dem Thema geäußert. Er hat auch keine Psalmen mehr vertont. Doch blieb auch Neithardts Psalm­ odie eine Episode. Dass ihre agendarische Fixierung unter anderen Umständen durchaus auf Akzeptanz stoßen konnte, bewies zeitgleich die Einführung der Introitus-Psalmodie in Bayern 1856. Die reformierte Preußische Agende von 1895 aber sah für den Beginn des Gottesdienstes entweder ein Gemeindelied oder ein Chorstück vor, welches eine Psalmvertonung sein konnte.153 Sie konservierte den Status der ersten Preußischen Agende bzw. den der Domliturgie von 1843.

Abstract: The introduction of the Prussian Agende from 1822 encouraged the establishment of church choirs, but also raised the problem of the „deactivation of the congregation“ (M. Meyer-Blanck) because of the choir. As a kind of compensa­ tion, the introduction of congregational psalmody as the opening of the service was considered in Prussia around 1850 in the circle of Frederick William  IV. The king hoped that Emil Naumann (1827–1888), who had published an approving paper in 1850, would provide impulses for the practical implementation of the project and therefore took him into his service. He financed study trips for him, 153 Vgl. Herbst, Wolfgang (Hg.): Evangelischer Gottesdienst. Quellen zu seiner Geschichte. Göttingen 21992, 172: „Wo ein ausgebildeter Kirchenchor vorhanden ist, kann derselbe den Gottesdienst mit einem Psalm oder einem der ausführlichen Eingangssprüche oder einem anderen geeigneten Gesang eröffnen.“

„… wohin schon die Reformatoren gewollt …“ 

167

but did not provide him with any influence on the cathedral choir, the state’s model liturgical institution. Since Naumann had in mind the combination of composition for choir and artless declamation by the congregation in the style of Gregorio Allegri’s „Miserere“, recourse to historical models of psalmody was out of the question for him. He could not create a complete new repertoire. Therefore, he issued various compositions of the cathedral choir with declamatory melody as a kind of intermediate stage in a future development, which he outlined with two of his own model settings. He did not answer the question of how the congregations could be motivated to participate. Moreover, since his historical argumentation for the introduction from the psalmody showed weaknesses, it was easy for the opponents of the whole project in the Ministry of Culture and the supreme consistory to dissuade the king from further support. Naumann remained unoccupied in Berlin. He shifted to an academic career, which led him to Dresden and made him a recognized writer on music.

Anhang 1: Inhalt der Bände 8 bis 10 der „Musica sacra“ Fest

Psalm

Komponist154

Bd. 8 (Berlin 1855): 1. Advent

24

Heinrich August Neithardt (op. 134)

2. Advent

80

Emil Naumann (op. 20)

3. Advent

85

Emil Naumann (op. 19)

4. Advent

19

Emil Naumann (op. 17)

1. Weihnachtstag

2

2. Weihnachtstag

119

Felix Mendelssohn Bartholdy (op. 78/1) Ferdinand Hiller (op. 65)

Sonntag nach Weihnachten

93

Emil Naumann (op. 18)

Neujahr

98

Fr. [Carl Friedrich?] Kästner

Sonntag nach Neujahr

72

Heinrich August Neithardt

1. Sonntag nach Epiphanias

100

Felix Mendelssohn Bartholdy

2. Sonntag nach Epiphanias

66

Heinrich August Neithardt155

3.–6. Sonntag nach Epiphanias

97

Otto Nicolai

154 Alle Angaben nach den Überschriften in den drei Bänden. Nur die Vornamen sind in der Tabelle, sofern bekannt, ausgeschrieben. Im Druck sind sie uneinheitlich, teilweise auch unvollständig angegeben. Die mehrfache Verwendung einer Komposition im Kirchenjahr ist durch Kursivsatz angezeigt. Während die Werke im Druck nur einmal erscheinen, findet man im Register von Band 10 beim betreffenden Festtag einen Verweis auf die Seitenzahl im entsprechenden Band. 155 Im Druck ist irrtümlich die Opuszahl 10/2 angegeben, was auf eine Verwechslung mit Naumanns Vertonung von Psalm 66 zurückgeht. Neithardts Kompositionen für den Domchor haben deutlich höhere Opuszahlen; vgl. das Werkverzeichnis bei Thomas, Max: Heinrich August Neithardt (wie Anm. 10), 141–148.

168 Fest

Christoph Henzel Psalm

Komponist154

Bd. 9 (Berlin 1862): Septuagesimae

18

Sexagesimae

44

Heinrich August Neithardt

Estomihi

31

Otto Nicolai

Invocavit

91

Giacomo Meyerbeer

Reminiscere u. Oculi

25

Emil Naumann (op. 15)

Laetare

122

J. S. [recte Thomas Sanders] Dupuis156

Emil Naumann

Judica

43

Felix Mendelssohn Bartholdy (op. 78/2)

Palmarum

22

Felix Mendelssohn Bartholdy (op. 78/3)

Gründonnerstag

67

Heinrich August Neithardt

Karfreitag

22

Felix Mendelssohn Bartholdy (op. 78/3)

1. u. 2. Ostertag

66

Emil Naumann (op. 10/2)

Quasimodogeniti

81

D. H. [David Hermann?] Engel

Misericordias Domini Jubilate

130 66

August Eduard Grell Heinrich August Neithardt

Bußtag

51

August Eduard Grell

Cantate

98

Fr. Kästner

Rogate

66

Heinrich August Neithardt

Himmelfahrt

47

Emil Naumann (op. 10/1)

Exaudi

27

Carl Gottlieb Reissiger

1. Pfingsttag

68

Ferdinand Schulz (op. 39)

2. Pfingsttag

81

D. H. [David Hermann?] Engel

Bd. 10 (Berlin 1862): Trinitatis

8

Emil Naumann

1. Sonntag nach Trinitatis

11

Heinrich August Neithardt

2. Sonntag nach Trinitatis

18

J. S. [recte Thomas Sanders] Dupuis

3. Sonntag nach Trinitatis

25

Emil Naumann (op. 15)

4. u. 5. Sonntag nach Trinitatis

27

Carl Gottlieb Reissiger

6. Sonntag nach Trinitatis

23

Emil Naumann

7. Sonntag nach Trinitatis

47

Heinrich August Neithardt (op. 139)

8. Sonntag nach Trinitatis

48

E. F. [Ernst Friedrich?] Richter

9. Sonntag nach Trinitatis

54

Heinrich August Neithardt (op. 138)

10. Sonntag nach Trinitatis

55

Emil Naumann

11. Sonntag nach Trinitatis

68

Ferdinand Schulz (op. 39)

156 Zum Namen vgl. Anm. 86.

„… wohin schon die Reformatoren gewollt …“  Fest

Psalm

Komponist154

12. Sonntag nach Trinitatis

70

Carl Martin Reinthaler

13. Sonntag nach Trinitatis

74

Adolph Stahlknecht (op. 15)

14. u. 15. Sonntag nach Trinitatis 16. Sonntag nach Trinitatis

20 130

Emil Naumann (op. 11/2) August Eduard Grell

17. Sonntag nach Trinitatis

119

Ferdinand Hiller

18. u. 19. Sonntag nach Trinitatis

122

Emil Naumann

20. u. 21. Sonntag nach Trinitatis

119

Ferdinand Hiller

22. Sonntag nach Trinitatis

130

August Eduard Grell

23. u. 24. Sonntag nach Trinitatis

85

Emil Naumann

Gedächtnisfeier der Verstorbenen

90

August Eduard Grell

169

170

Christoph Henzel

Anhang 2: Emil Naumann, Psalm 66, aus: Musica sacra, Bd. 9 (1862), 196–201

„… wohin schon die Reformatoren gewollt …“ 

171

172

Christoph Henzel

„… wohin schon die Reformatoren gewollt …“ 

173

174

Christoph Henzel

„… wohin schon die Reformatoren gewollt …“ 

175

176

Christoph Henzel

Anhang 3: Emil Naumann, Psalm 47, aus: Musica sacra, Bd. 9 (1862), 229–232

„… wohin schon die Reformatoren gewollt …“ 

177

178

Christoph Henzel

„… wohin schon die Reformatoren gewollt …“ 

179

180

Christoph Henzel

Anhang 4: Thomas Sanders Dupuis, Psalm 18, aus: Musica sacra, Bd. 9 (1862), 110–111

„… wohin schon die Reformatoren gewollt …“ 

181

Qualität im Kirchenlied Aspekte zur methodischen Erkundung von Kirchenliedern bzw. Gesängen im Blick auf ihre mögliche Aufnahme in ein neues Gesangbuch. Impulse und Erträge der Regionaltagung der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie (IAH) im September 2020 in Herborn. Zusammengestellt als Arbeitspapier zum Gebrauch in der Gesangbuchkommission (EG) von Ilsabe Alpermann, Beate Besser, Martin Evang, Elisabeth Fillmann, Elie Jolliet, Andreas Marti, Daniela Wissemann

A Fragen zur Wahrnehmung von Kirchenliedern mit Prüffragen im Blick auf ihren heutigen Gebrauch Die folgenden Fragenreihen leiten dazu an, die Texte und Melodien von Liedern zunächst unabhängig von ihrem heutigen Gebrauch in ihrer Gestalt und ihrem Gehalt wahrzunehmen und zu verstehen. Es geht also in einem ersten Schritt um die Erhebung und Auswertung von Merkmalen, die einem Liedtext bzw. einer Liedmelodie und ihrer Kombination („Wort-Ton-Verhältnis“) in- bzw. kohärent sind. Sodann werden, orientiert durch die einzelnen Fragen, in der Perspektive des aktuellen Gesangbuchprozesses Prüffragen gestellt, die sich auf die heutige Gebrauchstauglichkeit von Liedern richten. Es wird also der Versuch unternommen, zwei grundlegende Blickrichtungen, die (historisch-) text- und musikwissenschaftliche Perspektive der Hymnologie und die Perspektive heutiger und zukünftiger kirchlicher Singpraxis, nicht gegeneinander zu isolieren, sondern durch ihre Unterscheidung in eine fruchtbare Beziehung zueinander zu setzen.

1. Liedtexte An die Liedtexte werden folgende Fragen gestellt: „(1.) Wer spricht – (2.) zu wem – (3.) wovon – (4.) wie – (5.) wozu – (6.) in welchen Zusammenhängen?“ Dabei sind jeweils zwei Ebenen zu unterscheiden und angemessen zur Geltung zu bringen: eine ‚äußere‘, die sich auf Situation und Kontext der Liedentstehung bezieht, und eine ‚innere‘, die es mit der textimmanenten Kommunikation und

Qualität im Kirchenlied

183

ihren Rollen zu tun hat. In einer Zuspitzung (7.) werden die Fragen politisch korrekter, gendergerechter und diversitätssensibler Sprache thematisiert. 1.1 Wer spricht? (Sprecher / Sprecherin) Bei dieser Frage ist die Unterscheidung der Ebenen besonders wichtig. Sie fragt erstens nach dem Autor bzw. der Autorin des Liedtextes und zweitens nach dem „lyrischen“ bzw. „poetischen Ich / Wir“ (welches man wegen des Angebots bzw. der Zumutung der Identifikation auch „identifikatorisches Ich / Wir“ oder auch „typologisches Ich / Wir“ nennen kann). So ist – ein Beispiel – zwischen Ernst Moritz Arndt als Autor des Liedes Ich weiß, woran ich glaube und dem „Ich“, das dort spricht, zu unterscheiden. – Autor / Autorin bzw. Dichter / Dichterin Prüffrage: Gilt er / sie als ein(e) heute vertrauenswürdige(r) Zeuge / Zeugin? – Lyrisches bzw. poetisches Ich / Wir Prüffragen: Kann eine singende Gemeinde oder Person sich ohne größere Störung oder Spannung in die Rolle des poetischen Wir / Ich einfinden? Können Störungen oder Spannungen, die sich ggf. einstellen, durch eine bewusste relative Distanznahme beim Singen erträglich sein und hingenommen werden? 1.2 Zu wem wird gesprochen? (Adressierung) Hier kommt die Unterscheidung der genannten Ebenen insoweit in den Blick, als der Autor bzw. die Autorin den Text bzw. das Lied für eine bestimmte Nutzergruppe bestimmt haben könnte. Mögliche Adressaten (die innerhalb eines Liedes gleich bleiben oder auch wechseln können): – Gott (Trinität; Personen der Trinität; Schöpfer, Retter / Heiland, Richter, Herr der Geschichte, Erlöser, Vollender …) – Welt (geschaffene Welt, Schöpfung, Geschöpfe, Kosmos; Menschenwelt als globale Gesellschaft und in zahllosen Teilmengen …) – Kirche (christliche Kirche, Ökumene; gottesdienstlich versammelte Gemeinde …) – Herz und Gewissen einzelner Menschen – eigenes Ich Prüffrage: Werden die Adressaten sowohl hinsichtlich normativer Traditionen („Schrift und Bekenntnis“) als auch hinsichtlich heute plausibler Verständnisse von Gott, Welt und Mensch verantwortbar und mit der Aussicht auf Resonanz (Verständnis und Einverständnis) angesprochen? (Kriterium der Wahrheit bzw. Plausibilität auf der Beziehungsebene)

184

Qualität im Kirchenlied

1.3 Was / Wovon wird gesprochen? (Gegenstand / Gegenstände) Mögliche Gegenstände: – von Gott (sein göttliches Sein; sein früheres, gegenwärtiges und künftiges Handeln / Tun …) – von der Welt (s. o.) – von der Kirche (als geglaubte, als unsichtbare Kirche, creatura verbi, Gemeinschaft der Heiligen; als ökumenische Christenheit, partikulare Kirche und aktuell versammelte Gemeinde; Themen des kirchlichen Lebens …) – von den Menschen, die gemeinsam und je persönlich als Christen leben: glauben, hoffen, lieben, handeln Prüffrage: Wird von den Gegenständen sowohl hinsichtlich normativer Traditionen („Schrift und Bekenntnis“) als auch hinsichtlich heute plausibler Verständnisse von Gott und der Welt verantwortbar und mit der Aussicht auf Resonanz (Verständnis und Einverständnis) gesprochen? (Kriterium der Wahrheit bzw. Plausibilität auf der Sachebene) 1.4 Wie wird gesprochen? (Mittel) – sprachlich-poetische Mittel (Syntaktik – Semantik, Metaphern, Bilder …) – Sprachvarietät (Alltagssprache; kirchliche, dogmatische, existenzielle Sprech­ weise; hoher Stil, altertümliche Sprache, Jugendsprache, hermetische Sprache …) – Form, Gattung (Gebet; Bekenntnis, Glaubenszeugnis; Verkündigung, Erzählung, Liebeslied, Mahnung, Appell …) – Atmosphäre, Stimmung – Kohärenz (Gedankengang; Erzählung; Assoziationen …) – liedintern vorgestellte bzw. evozierte Situation / Situationen Prüffragen: Ist der Text handwerklich sorgfältig und künstlerisch qualitätvoll und insgesamt stimmig gemacht? Ist er für eine heute singende Gemeinde kognitiv zugänglich, ästhetisch ansprechend sowie emotional nach- und mitvollziehbar? Genügt er den grundlegenden Erfordernissen sprachlicher Zugänglichkeit (Leichte Sprache) und Gerechtigkeit (Gender; Diversität) → Zuspitzung s. 1.7 1.5 Wozu (mit welcher Wirkabsicht) wird gesprochen? (Textpragmatik) – – – – –

Handlungsmotivation (im Gebet: Gott; in (Selbst-) Appellation: Menschen) Gotteslob und -dank Erweckung, Aktualisierung (‚Reset‘) oder Stärkung des Glaubens Vermittlung, Einprägung, Vertiefung von Glaubenswissen Tröstung in Leiden – Stärkung von Vertrauen

Qualität im Kirchenlied

185

Prüffrage: Kann eine heute singende Gemeinde sich die mutmaßliche Wirkabsicht eines Textes kognitiv und emotional zu eigen machen? 1.6 In welcher Situation und unter welchen Bedingungen wird gesprochen? (Kontext) Hier sind wieder die Ebenen (a) der Entstehungssituation, (b) der Überlieferungs-, Gebrauchs- und Wirkungsgeschichte und (c) der heutigen Singkontexte eines Liedes zu unterscheiden. Prüffrage: Ist es im Blick auf diese Kontexte erwünscht oder aber problematisch, einen Liedtext weiter in Gebrauch zu halten oder erneut in Gebrauch zu nehmen? 1.7 Zuspitzung: politisch korrekte, gendergerechte und diversitätssensible Sprache 1.7.1 Wie wird gesprochen? – Lieder sind Spiegel ihrer Entstehungszeit, besonders im Gottes-, Welt- und Menschenbild; in unserer Tradition sind sie zumeist deutsch- bzw. eurozentrisch sowie von hierarchischem Denken sowohl in den zwischenmenschlichen (= sozialen) Beziehungen als auch in der Gott-Mensch- (= religiösen) Beziehung geprägt. – Die Sprache ist weitgehend männlich geprägt – bis in die Gegenwart. – Sozialverantwortliches, gesellschaftliches Engagement wird in Kirchenliedern erst seit ca. 70 Jahren thematisiert. Prüffragen: Sind die politische Aussage und ihr sprachlicher Ausdruck mit dem Evangelium kompatibel? Kann ein Lied trotz gewisser politischer und sprachlicher Defizite seines Textes heute in der Kirche gesungen werden? 1.7.2 Was ist aktuell erforderlich? – Neu geschaffene Lieder nutzen politisch korrekte und nicht ausgrenzende Sprache. – Übertragungen von Liedern aus anderen Sprachen bzw. Kulturkreisen erfüllen die gleichen Parameter. – Es braucht Lieder in Leichter Sprache. Prüffragen: Entsprechen neue Lieder bzw. Übertragungen den Anforderungen politischer Korrektheit, gendergerechter und diversitätssensibler Sprache? Sind Korrekturen, Varianten  oder Ergänzungen nötig und möglich?

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Qualität im Kirchenlied

1.7.3 Was ist unter diesen Parametern möglich? – Autoren / Autorinnen um Korrekturen bitten – für schwierige Liedtexte zusätzliche Textbausteine oder alternative qualitätvolle Kompletttexte erarbeiten (vgl. letzte Liederhefte des Deutschen Evangelischen Kirchentags DEKT) – Abgleich mit den Ergebnissen verschiedener Kreise (Gruppe TAKT1, feministische Initiativen, DEKT), die ‚politische Korrektheit‘ und ‚gerechte Sprache‘ anwenden Prüffragen: Inwieweit ist es einem Lied, seiner Aussage und der singenden Gemeinde dienlich, auf sprachliche Korrektheit zu dringen? Wie können sinnvolle / notwendige Varianten für Liedtexte, die nicht geändert werden können oder sollen, dargestellt werden (Bausteine; komplette Texte)?

2. Liedmelodien 2.1 Typus der Melodie – Welchen Melodietypus repräsentiert die Melodie? – Inwiefern entspricht die Melodie den stilistischen Anforderungen des Typus, dem sie angehört – und inwiefern ggf. auch nicht? – Wo zeigt sie Individualität innerhalb ihres Typus? – Gibt die Melodie eine Ausführung selbst vor? Ist die stilistisch authentische Ausführung zwingend? (→ Performanz, s. Abschnitt C) 2.2 Innere Struktur der Melodie (Form) – Inwiefern stehen die Elemente der Melodie untereinander in einer sinnvollen Beziehung? – Inwiefern weist diese Beziehung eine Balance zwischen Übereinstimmung und Kontrast auf? – Ist sowohl Banalität als auch übermäßige Komplexität vermieden? 2.3 Entstehungs- und Gebrauchsgeschichte der Melodie (Kontexte und Resonanzen) – Was lässt sich über die Entstehung der Melodie und ihre historischen Hintergründe ermitteln? 1 TextAutor / i nnen- und Komponist / i nnen-Tagung, vgl. Veit, Lothar: Freiwillige Selbstkon­ trolle. Zur Arbeitsweise und Wirkung der Gruppe TAKT, in: MuK 89 (2019), 108–111.

Qualität im Kirchenlied

187

– Gibt es Besonderheiten in der Gebrauchs- und Wirkungsgeschichte der Melodie (z. B. Verwendung in musikalischen Werken und in spezifischen historischen Situationen)? – Gehört eine Melodie zur Identität bzw. Kerntradition des Protestantismus? – Ist es im Blick auf die historischen Kontexte erwünscht oder aber problematisch, eine Melodie weiter in Gebrauch zu halten oder erneut in Gebrauch zu nehmen?

3. Text-Melodie-Verhältnis 3.1 Welches deklamatorische Verhältnis liegt vor? – Je nach Melodietypus ist der Zusammenhang enger oder lockerer: Rhythmus und Metrum, typische Intervallschritte, Spitzentöne, Zeilenübergänge. Prüffrage: Inwiefern bildet die Melodie die Gliederung und die Akzente des Textes ab? 3.2 Welches emotionale bzw. energetische Verhältnis liegt vor? – Etwa: anregend – beruhigend; positiv – ambivalent; vorwärtsdrängend – statisch; strukturiert – offen Prüffrage: Inwiefern stimmen Text und Melodie in ihrem Grundaffekt, ihrer emotionalen Energie überein? 3.3 Welcher Entstehungszusammenhang liegt vor? – Ist das Lied als Ganzes entstanden (Melodie / Musik unmittelbar zum Text bzw. in Gemeinschaftsarbeit oder beides aus einer Hand)? Wurden Text und Melodie erst sekundär (ggf. aus welcher Motivation) kombiniert? – Welche Lehnmelodien / Kontrafakturen sind mit einem Text ggf. verbunden worden? – Verstärkt die originale bzw. eine sekundär zugewiesene Melodie die Aussage des Textes oder wirkt sie ihr eher entgegen? Prüffrage: Welche Melodiezuweisung erscheint für den heutigen Gebrauch am ehesten geeignet?

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Qualität im Kirchenlied

B Funktionalität und Gebrauchskontext von Liedern 1. Wie funktioniert ein Lied in bestimmten kommunikativen Situationen? 1. Gottesdienst Kriterium / Prüfpunkt: Gibt es im Lied explizite oder implizite Bezüge auf die gottesdienstlich versammelte Gemeinde sowie auf Bibel, Bekenntnis bzw. Lehre, Kirchenjahr, Liturgie und / oder christlich verantwortetes Leben? 2. Unterricht Kriterium / Prüfpunkt: Trägt das Lied zur Erschließung zentraler Aspekte der biblischen Botschaft und christlicher Glaubenstraditionen bei? Hilft es zur kritischen Auseinandersetzung, gegebenenfalls auch dadurch, dass es Widerspruch provoziert? 3. Seelsorge Kriterium / Prüfpunkt: Ist das Lied geeignet, das Orientierungs-, Vergewisserungs- und Trostpotential des Glaubens zu aktivieren, zur Hoffnung zu ermutigen und an Wendepunkten des Lebens Halt zu geben? Spricht das Lied tiefere Dimensionen menschlicher Existenz an? 4. Persönliches Leben Kriterium / Prüfpunkt: Drückt das Lied Gemütszustände (Freude, Leid, Traurigkeit, Sorge, Angst usw.) stimmig aus? Eignet sich das Lied, markante Punkte im Tages-, Jahres- und Lebenslauf angemessen zu begleiten? 5. Leben in der Kirchengemeinde Kriterium / Prüfpunkt: Können sich im Singen des Liedes Gruppen und Kreise der Gemeinde – auch jenseits von Gottesdienst und Unterricht – als Gemeinschaft zusammenfinden und erleben? 6. Öffentlichkeit Kriterium / Prüfpunkt: Knüpft ein Lied an öffentlich relevante Themen an? Gibt das Lied mit Bezug darauf und mit Aussicht auf Gehör Zeugnis vom Besonderen der christlichen Botschaft? Enthält das Lied einen Appell oder eine Orientierung zum Handeln?

2. Welche Potentiale sind in einem Lied zu entdecken? 1. Zeitgenossenschaft Kriterium / Prüfpunkt: Sind die in einem Lied aufgerufenen Lebensdimensionen heute anschlussfähig? Wenn dies zweifelhaft erscheint: Kann der Transfer im Singen dennoch gelingen?

Qualität im Kirchenlied

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2. Kontingenz Kriterium / Prüfpunkt: Ist zu erwarten, dass ein Lied in besonderen, nicht alltäglichen Situationen gebraucht wird? Enthält es einen Überschuss an Lebens- und Glaubenserfahrungen sowie Hoffnungsbilder, die es für Katastrophenereignisse und Zeiten allgemeiner Verunsicherung passend erscheinen lassen?

C Gegenwärtige Rezeption und Performanz 1. Aktive Rezeption 1.1 Von wem und zu welcher Gelegenheit wird ein Lied gesungen? – Gemeinschaften unterschiedlicher Generationen, Milieus, Frömmigkeitsprägungen lieben unterschiedliche Lieder, weil in ihnen ein spezifisch geprägter, mit anderen geteilter Glaube einen stimmigen Ausdruck findet. Prüfpunkt: Welche Gruppen und Gemeinschaft werden ein bestimmtes Lied besonders gern singen? Für welchen Bereich des christlichen Lebens und für welche Generation, welchen Frömmigkeitsstil usw. ist es besonders geeignet? – Die ein Lied singenden Gemeinden: Kriterium / Prüfpunkt: Ist es für heutige Gemeinden nach innen und außen stimmig, wenn sie dieses Lied singen und sich so zu Sprecherinnen dieses Textes und zu Sängerinnen dieser Melodie machen? – Die ein Lied singenden oder seinen Text sprechenden einzelnen Menschen: Kriterium / Prüfpunkt: Ist es für heutige Personen stimmig, wenn sie dieses Lied singen oder sprechen? („Stimmig“ schließt nicht aus, dass trotz innerer Vorbehalte ein Lied bewusst gesungen oder sein Text bewusst zitiert wird.) – Gehört das Lied zum Repertoire von Liedern, durch deren Gebrauch Menschen, Gruppen und Gemeinden sich besonders in ihrem Glauben beheimatet und untereinander verbunden erleben? 1.2 Ökumenische, interreligiöse Anschlussfähigkeit „Die Einheit wächst im Gesang.“ Prüffrage: Öffnet oder verstellt der in einem Lied formulierte Wahrheitsanspruch des Glaubens evangelischer Prägung Möglichkeiten des ökumenischen oder interreligiösen Dialogs?

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Qualität im Kirchenlied

1.3 Kulturelle Anschlussfähigkeit Prüffragen: – Ist das Lied im kulturellen Gedächtnis verankert bzw. in heutige Kon­texte – welche? – anschlussfähig? – Ist das Lied geeignet, die Haltung und den Gehalt des christlichen Glaubens in gesellschaftlich-kulturelle Kontexte hinein zu vermitteln?

2. Musikalische Performanz 2.1 Grundlegende Perspektiven Situationen Prüffrage: Für welche Singsituationen eignet sich die Melodie: Gemeinde mit (Orgel-) Begleitung, mit Vorsänger / in, mit Chor oder Gruppe oder Band? Anforderungen Prüffragen: Wie gut lässt sich die Melodie erlernen? Sind dazu besondere Maßnahmen nötig? Zeigt die Melodie besondere Schwierigkeiten: Tonumfang, Rhythmus, Intervalle, Modus / Tonart? 2.2 Entfaltung im Blick auf die Beziehung von Singen und Hören Es überwiegt die Praxis des gemeinsamen Singens durch alle Anwesenden. Auch andere Möglichkeiten können sinnvoll und gleichwertig eingesetzt werden: Gliederung der Anforderungen nach Sing-Akten / Sing-Adressierungen (Singrichtung „zu Gott“ immanent); die Unterscheidung „aktiv / re- oder perzeptiv“ gibt nur eine Richtung an, da auch das Zuhören als ein aktiver Vorgang aufzufassen ist. 2.2.1 „Wir singen uns“ – alle singen alles (vorrangig Strophenlied) – Die musikalische Stilistik muss erkennbar sein: adäquate Ausführung durch stilgerechte Begleitung bzw. a-cappella-Gesang. – Textperzeption und Singaktion geschehen gleichzeitig. 2.2.2 „Wir singen euch“ (Chor / Schola) – Es wird bewusst zugehört – sofern der Text verständlich ist. – Die Singaktion geschieht in eine Richtung, die Gemeinde hört zu und ist in einer rezeptiven / perzeptiven Haltung.

Qualität im Kirchenlied

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2.2.3 Kombination (Wechselgesang oder Refrain-Lieder) – Singaktion und Textperzeption geschehen im Wechsel. 2.2.4 „Ich singe euch“ – Hörende sind auf Text- (und Musik-) Rezeption / Perzeption konzentriert. 2.2.5 „Ich singe mir“ – äußerliches (tatsächliches) Singen: Textperzeption und eigenes Klangerlebnis – innerliches (Mit-) Singen: Textperzeption und innere Bewegung durch Musik

Die Qualität von Kirchenliedern – eine legitime Fragestellung? Andreas Marti

Der folgende Beitrag diente im Rahmen des Forschungskolloquiums Gegenwartsliturgik, veranstaltet vom Kompetenzzentrum Liturgik an der Universität Bern, als einleitendes Referat zur Sitzung vom 5. April 2022, in der die Qualitätsfrage das Thema war: Die Diskussion zur Qualitätsfrage verschärft sich: Die Revision des Evangelischen Gesangbuchs (EG) ist angelaufen, über die Revision des Reformierten Gesangbuchs der Schweiz (RG) gibt es erste Vorüberlegungen. Gesangbuchrevisionen werden auf (mindestens) zwei Diskussionsebenen verhandelt. Zunächst geht es um Konzeptfragen: Welche Verwendungssituationen und welche Zielpublika sind im Blick? In welchem Verhältnis stehen Tradition und Innovation? Und heute neu: Wie verhalten sich gedruckte Ausgabe und Online-Repertoire? Dann aber sind Einzelentscheide unvermeidlich. Trotz dem vorläufig entlastenden Zweistufenverfahren beim Evangelischen Gesangbuch, zunächst ein umfangreicheres Repertoire auszuwählen, das für eine OnlineLiederdatenbank zur Verfügung stehen soll, werden sie bei der Reduktion für die Printausgabe so schwierig sein wie eh und je – vielleicht noch schwieriger, wenn diese Ausgabe ein relativ schmales Kernrepertoire enthalten soll. „Konsens durch Addition“, wie im Fall des Reformierten Gesangbuchs von 1998 wird nicht mehr möglich sein. Es werden also zahlreiche Einzelentscheide zu fällen sein. Entscheide verlangen Kriterien. Mehr noch: Entscheide verlangen formulierte und praktikable Kriterien. Im Rückblick auf meine eigene Gesangbucharbeit, in der Zusammenstellung und Redaktion des Reformierten Gesangbuchs, habe ich die Erfahrung gemacht, dass trotz einem kleinen Katalog von zu beachtenden Aspekten die Entscheide häufig aus einem „Pool“ zusammengeschütteter persönlicher Meinungen abgeleitet wurden. Die persönlichen Meinungen basierten häufig auf unterschiedlichen Ebenen: Theologie, Sprache, Musikstil, Biographie, persönliche Erfahrung, Erfahrungen im Gemeindegebrauch. Man könnte nun der Schwierigkeit der Entscheidungsfindung auf dem statistischen Weg ausweichen und zur Radikallösung kommen, dass die Rezeption entscheidet, nach dem Motto „Gut ist, was gefällt“. Es wäre eine Scheinlösung, denn damit verschiebt sich das „Pool“-Verfahren lediglich in einen größeren Raum: Statt dass eine Handvoll Leute ihre auf unterschiedlichen Ebenen ge-

Die Qualität von Kirchenliedern – eine legitime Fragestellung? 

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wonnenen Beurteilungen zusammenschütten, tut das nun eine diffuse Menge. Unklar bleibt, wie Rezeptionsdaten zustande kommen: Welche die Prüfgruppe betreffenden Vorselektionen werden getroffen, welche Rolle spielen Zufall und subjektive Vorentscheidungen? Könnte man durch sorgfältiges methodisches Vorgehen in diesem Punkt die Probleme noch einigermaßen in den Griff bekommen, gibt es ein grundsätzliches Hindernis, nämlich die Innovationsfeindlichkeit. Man findet tendenziell das gut, was man kennt, dann wird es häufiger gesungen oder gehört, dadurch wird es wieder bekannter und entsprechend beliebter. Dieser positive Rückkopplungseffekt ist aus der kommerziellen Popmusik bestens bekannt, und er führt zu einer Normativität des Faktischen, die eine problematische Entscheidungsgrundlage liefert. Es gibt dagegen im Reformierten Gesangbuch einige Beispiele von Liedern, die vorher nicht bekannt waren oder noch nicht einmal existierten und die dann im Gebrauch sehr gut angenommen wurden. Ich nenne hier etwa Georg Schmids Nachdichtung des 92. Psalms, Am Morgen will ich singen (RG 50). Entscheide werden notwendigerweise durch Gremien gefällt – Kommissio­ nen, Ausschüsse. Da wird gerne der Vorwurf erhoben, dass es sich um Geschmacksurteile des Bildungsmilieus zu Lasten von Menschen aus anderen Milieus handle. Unabhängig davon, dass in diesen Gremien ja durchaus eine „Milieusensibilität“ entwickelt werden kann, ist ganz grundsätzlich der MilieuAnsatz in Frage zu stellen und durch das Konzept der partizipativen Vermittlung zu ersetzen; sonst werden nur bestehende Einschränkungen zementiert. Aus dem Bisherigen ergibt sich die unausweichliche Forderung nach der Definition von Kriterien. Dazu werden freilich Aspekte der Rezeption gehören, doch müssen ihnen materiale Kriterien gleichwertig zur Seite gestellt werden. Wenn nach „Qualität“ gefragt wird, ist dies zunächst einmal im Wortsinn zu verstehen: als die Frage nach dem „Wie-Sein“, nach der Beschaffenheit. In einem ersten Schritt gehört dazu noch keine Wertung, doch bilden die Ergebnisse die Grundlage für Entscheidungen, bei denen Wertungen unausweichlich sind. In manchen Diskussionen zeigt sich eine gewisse Scheu, wertende Qualitätsurteile über Kirchenlieder abzugeben, obschon ständig Entscheidungen zu fällen sind. Diese Scheu ist im Grunde erstaunlich, ist doch die Qualitätsfrage im liturgischen Kontext durchaus aktuell und wird explizit gestellt. Wir erwarten Qualität bei Raumgestaltung, Technik, Sprechweise, Rhetorik, theologischem Gehalt oder dramaturgischer Gestaltung. „Gottesdienstqualität“ hat es ja bis zu einem Buchtitel gebracht, unter dem die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe gleichen Namens publiziert wurden.1 Vor jeder Wertung muss die Analyse stehen. Es geht darum, genau hinzuschauen, wie ein Text oder eine Melodie beschaffen ist und wie beide zusammenspielen. Das ist zunächst ein lehrbares und lernbares Handwerk, das aus verschiedenen 1 Fendler, Folkert / Binder, Christian / Gattwinkel, Hilmar (Hg.): Handbuch Gottesdienstqualität. Leipzig 2017.

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Fachgebieten das Nötige zusammensucht: poetologisch-formal, linguistisch, literarisch, musikologisch, stilistisch und – am schwierigsten und wiederum mehrschichtig – theologisch-inhaltlich. Im Rahmen meiner Hymnologiekurse habe ich für die Studierenden im Laufe der Jahre eine Checkliste zur Analyse zusammengestellt. Dort liegt das Gewicht auf den handwerklich einfacher zu handhabenden formalen Aspekten, während der theologisch-inhaltliche Aspekt nur summarisch genannt wird: Er verlangt einen theologischen Hintergrund, der in der kirchenmusikalischen Ausbildung in der Regel nicht vorauszusetzen ist.2 In anderen Kontexten, in denen theologische Fachkompetenz vorhanden ist, ist diese Ebene weiter zu differenzieren und zu verstärken. Für den nächsten Schritt, die wertende Beurteilung der Befunde, braucht es dann wiederum Kriterien, die aber zu einem erheblichen Teil von der Gattungsund Stilzugehörigkeit des betreffenden Liedes abhängig sind. Das gesamte Vorgehen ist zu verstehen als Objektivierungsversuch, der gegenüber den intuitiven und meist persönlich-biographisch geprägten Beurteilungen eine gewisse Distanz schafft.

Kriterien: Wahrnehmungs- und Prüffragen Im Herbst 2020 hat in Herborn eine deutschsprachige Regionaltagung der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie (IAH) stattgefunden. Etwa 20 Hymnologinnen und Hymnologen haben sich mit der Frage der Qualität von Kirchenliedern beschäftigt. Verschiedene Kriterien und Kriterienebenen wurden diskutiert und auf konkrete Beispiele angewendet. Anschließende Online-Besprechungen und Mail-Korrespondenzen haben zu einem Arbeitspapier geführt, das den Gesangbuchgremien zur Verfügung gestellt wurde.3 Methodisch wird darin unterschieden zwischen Fragen zur Wahrnehmung einerseits und Prüffragen andererseits, welche die Eignung eines Liedes beurteilen helfen. Bei den Texten geht es zunächst um die Frage von Sprecher(n) und Adressat(en), dann um die Gegenstände, die Gestaltung und die Kontexte, zugespitzt dann auch um „gerechte“ Sprache. Bei den Melodien wird nach der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Typus und der Stimmigkeit innerhalb dieses Typus gefragt, nach der inneren Struktur und deren Balance zwischen banaler Einfachheit und übermäßiger Komplexität, sodann nach Kontext und Resonanzen. Ein eigener Punkt ist das Text-Melodie-Verhältnis, und zwar nach dem metrisch-rhythmischen Verhältnis der Textdeklamation, der emotionalen und energetischen Prägung beider Komponenten und dem Entstehungszusammenhang, speziell nach allfälligen Melodiezuweisungen.

2 Checkliste zur Liedanalyse, in: Marti, Andreas: Kirchenlied und Gesangbuch. Einführung in die Hymnologie. Göttingen 2021, 65. 3 Abgedruckt in diesem Band, 182–191.

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Nach diesen am Lied selbst analytisch zu erhebenden Aspekten führt das Herborner Arbeitspapier auch noch Kriterien an, die mit Funktionalität und Gebrauchskontext zu tun haben, und bedenkt die gegenwärtige Rezeption und Performanz. Das bekannte Problem, dass mit der Benennung von Merkmalen und zu analysierenden Aspekten noch nicht automatisch entscheidungsrelevante Qualitätskriterien vorliegen, ist hier durch die gesonderte Formulierung von „Prüffragen“ vermieden. Über die Ergebnisse dieses Arbeitspapiers hinaus sind für die Diskussion im Einzelnen eine Art Metakriterien nötig: Welche Merkmalskriterien sind im konkreten Fall von höherem Gewicht? Welche sind unter theologischen Aspekten sinnvoll? Wie steht es beispielsweise mit der musikalisch-emotionalen Ausgewogenheit einer Melodie im klassizistischen Sinn angesichts der Forderung nach einer „Theologia crucis“,4 die sich auch ästhetisch abbildet – eine Anfrage, die beispielsweise an das unten besprochene So nimm denn meine Hände durchaus zu stellen ist. An zwei Beispielen soll nun noch gezeigt werden, wie durch die Analyse einiger Aspekte eine Beurteilung von verbreiteten und kaum hinterfragten Beurteilungen abweichen kann. Es handelt sich dabei nicht um vollständige Liedanalysen, sondern um exemplarische Relativierungen intuitiver Wertungen durch analytisches Herangehen.

So nimm denn meine Hände (EG 376, RG 695) Wir beginnen mit der Melodie, da diese direkter wirkt als der Text und die Wahrnehmung des Liedes wohl stärker prägt. Dazu verweise ich auf meine Melodieanalyse von 1984, aus der hier nur drei Elemente herangezogen werden.5 Das erste Element sind die von der betonten zur unbetonten Silbe absteigenden Sekundschritte, die vor allem in den Zeilen 1 bzw. 3 den Effekt von Seufzerfiguren haben. Am Schluss der Zeilen 6 und 7 erscheinen sie gedehnt und dadurch intensiviert. In Zeile 5 werden sie in der Betonung umgekehrt und folgen sich in steigender statt in fallender Abfolge. Hier entsteht Form durch die Kombination von Identität und Differenz. Das zweite Element ist die eröffnende Tonfolge von fünfter, sechster und wieder fünfter Tonleiterstufe. Da die sechste Stufe die einzige ist, die nicht mit den einfachen Grundharmonien von Tonika und Dominante (als Dominantseptakkord) harmonisiert werden kann, erfolgt gleich zu Beginn eine expressive Ausweitung des Klangraums durch den zwingenden Einbezug einer subdominantischen Stufe. Es fällt im Übrigen auf, wie viele populäre Melodien auf diese 4 Modeß, Johannes Michael: Wir Angewiesenen. Die skandalöse Identität der Glaubenden in der Liturgie, in: JLH 59 (2020), 9–27. 5 Marti, Andreas: So nimm denn meine Hände, in: JLH 27 (1983, gedruckt 1984), 215–225.

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Weise beginnen: Nun danket alle Gott, Stille Nacht, O du fröhliche, außerhalb des Kirchenliedrepertoires etwa der „Toreador“ aus Bizets „Carmen“. Das dritte Element ist ein formales, nämlich der Verlauf der Melodie zu den letzten beiden Textzeilen. Zusammengenommen bilden die beiden Zeilen einen Oktavdurchgang; jede Zeile schließt eine Quarte unter ihrem Beginn. Zu dieser Gliederung in zwei Teile kommt eine solche in drei Abschnitte, nämlich die direkten Abstiege im Quartraum bis zum jeweiligen unteren Wendepunkt bzw. zum Schluss bei „du wirst gehn“ (c’’–g’), „stehen, da nimm“ (a’–e’) und „nimm mich mit“ (f ’–c’). Somit überlagern sich zwei formbildende Quarträume zu einer gewissen Komplexität im Kleinen. Die Melodie steht in einem ziemlich kunstvollen formalen Gleichgewicht, dies bei deutlicher Expressivität. Sie zeigt – für sich betrachtet – eine bemerkenswerte ästhetische Qualität im Sinne des frühromantischen Melodieideals. Als ich 1983 von Konrad Ameln den Auftrag erhielt, die Melodie fürs Jahrbuch zu analysieren, erwartete er natürlich einen Verriss und den Nachweis ihres Kitsch-Charakters. Über mein Ergebnis war er alles andere als erfreut, erlaubte aber mehr oder weniger zähneknirschend die Publikation des Artikels. Die „Objektivität“, die er für die hymnologische Arbeit immer wieder postulierte, führte also in diesem Fall zu einem Ergebnis, das der in der damaligen Hymnologengeneration üblichen Wertung entgegenlief. Um Wertungen zu verstehen, bleibt zu fragen, welche anderen Ebenen zur materialen Analyse hinzuzuziehen sind. Dabei hilft unter anderem das Modell der „biblischen Urszenen“, das der Berner Praktische Theologe David Plüss entwickelt hat.6 Neben der „Berufungs“- und der „Bekehrungsszene“ sind es vor allem die „Harmonie“- und die „Vertrauensszene“, die sich in Liedern und Texten abbilden. In der Harmonieszene zeigt sich der Mensch versöhnt mit sich und der Welt, während in der Vertrauensszene Brüche und Widersprüche sichtbar werden und sichtbar bleiben, auch wenn die Erfahrung von Trost die Perspektiven verändert. Ganz offensichtlich ist die in sich ausgewogene Melodie in der Lage, Harmonie auszustrahlen und auf die Harmonieszene zu verweisen, die als Sehnsucht am Horizont steht. Der Text dagegen zeigt ein anderes Bild, wie einige wenige linguistische Beobachtungen zeigen. Er beginnt mit dem deiktischen „So … denn“. Es markiert einen Übergang, das Erreichen des Punktes, wo nichts mehr geht, wo der Beter / die Beterin sich aufgibt, bzw. sich Gott übergibt. Die Radikalität dieses Moments wird unterstützt durch die beschriebene expressive Bewegung am Melodiebeginn; im Text wird sie aufgenommen in der Vorstellung, sich mit geschlossenen Augen an beiden Händen führen zu lassen – das ist deutlich mehr als ein bloßes An-der-Hand-Nehmen. Verschiedentlich wurde die fehlende Adressierung des Textes bemängelt. Gott wird freilich nicht explizit angesprochen, doch ist der Text deshalb noch lange nicht „gottlos“. Ein sehr nahes Gegenüber muss eben nicht mit Namen angesprochen werden, weil durch die Nähe die Adressierung bereits klar ist.

6 Plüss, David: Gottesdienst als Textinszenierung. Zürich 2007, 144–154.

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Ebenfalls kritisiert wurde der angeblich fehlende Bibelbezug. Auch hier lässt näheres Hinsehen eine Korrektur zu. Eine Intertextualität mit unterschiedlichen biblischen Passagen, Formulierungen und Vorstellungen ist durchaus gegeben, so mit den Psalmen 23 und 25 und – wenn auch bei anderem Fokus – mit Rut 1,16: „Rut antwortete: Bedränge mich nicht, dass ich dich verlassen und von dir umkehren sollte. Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ (einem Zitat, dessen Missverständnis zu der grotesken Verwendung des Liedes in Trauungen geführt hat). Die heute übliche Fassung ist an zwei Stellen etwas abgeschliffen, was die Textstruktur weniger klar zu Tage treten lässt. In Strophe 2, Zeile 3 steht im Original nicht „gänzlich“, sondern „endlich“; damit war ein temporales Element im Spiel, das mit dem eröffnenden deiktischen „So“ korrespondiert. In der ersten Zeile von Strophe 3 heißt es im Original nicht „gleich nichts“, sondern „gar nichts“. Diese Formulierung ist radikaler und schließt an die geradezu hyperbolischen Formulierungen der ersten Strophe an. Dadurch wird das Paradox der Vertrauensszene besser abgebildet: die Situation ändert sich nicht (auch „gefühlt“ nicht), aber erscheint in einem neuen Licht. Dazu käme noch die Änderung in Zeile 3 der dritten Strophe: „führst“ statt original „bringst“; diese Änderung kann aber wegen des Rückbezugs auf den Anfang und auf Psalm 23 als Verbesserung der Textstruktur gelten. Damit ist der Text natürlich nicht erschöpfend analysiert. Zu fragen wäre einerseits noch rein literarisch nach der gestalterischen Qualität, andererseits theologisch nach der Adäquatheit von Gottes- und Menschenbild, respektive einer theologisch-anthropologischen Grunddynamik, die im heutigen Kontext nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist. Dennoch: Sowohl Text wie Melodie zeigen nach diesen analytischen Schritten eine gewisse innere Qualität. Problematisch könnte aber ihre Verbindung sein: Während der Text deutlich in den Bereich der Vertrauensszene gehört, evoziert die Melodie ebenso deutlich die Harmonieszene. Da nun erfahrungsgemäß und auch entsprechend den Erkenntnissen der Wahrnehmungspsychologie die Melodie den Text tendenziell überblendet, entschärft sie in der Rezeption des Liedes seine Paradoxien, seine Spannungen, seine existenzielle Radikalität. So ist die Frage kaum zu umgehen, ob denn dieses Lied nicht häufig missbraucht oder mindestens inadäquat verwendet wird. Aus selektiven Einzelanalysen (linguistisch, theologisch, melodisch) wird durch die Kombination der Ergebnisse eine Art Meta-Analyse, die ihrerseits wieder mit den Rezeptionssituationen in Beziehung zu setzen ist, so dass die Frage nach der Qualität zu einer einigermaßen komplexen Antwort führt.

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Er weckt mich alle Morgen (EG 452, RG 574) Das Lied mit dem Text von Jochen Klepper und der Melodie von Rudolf ­Zöbeley ist ein typisches Produkt der Singbewegung bzw. ihres kirchlichen Zweiges. Entsprechend beliebt war es bei der Generation der „Singbewegten“; seine Qualität stand außer Frage. Wir blenden hier die sprachlichen Anfragen an den Klepperschen Neobarock aus und werfen nur kurz einen Blick auf die Melodie, genauer auf das formale Verhältnis von Text und Melodie. Gerade dieser Punkt ist für die Qualitätsfrage von entscheidender Bedeutung, muss aber je nach der Stilistik einer Melodie unterschiedlich angegangen werden, da jeder Melodiestil seine eigenen Voraussetzungen hat. In diesem Fall handelt es sich – wie beim Text – um ein Stilzitat aus dem Barock des späteren 17. Jahrhunderts, eine „Aria“-Melodie, wie sie damals zunächst für den solistischen, vor allem im Pietismus dann auch für den Gruppengesang geschaffen wurde. Kennzeichen sind der große Ambitus, eine relativ steile Melodieführung, der quantitierende Dreiertakt (d. h. betonte Silben mit langen, unbetonte mit kurzen Noten) und die punktierten Bindungen. Allerdings ist der Stil nicht adäquat zitiert. Im Barock läge die punktierte Bindung auf dem textlichen Hauptakzent, hier also auf „Morgen“; sie kommt aber einen Takt zu früh auf „alle“. Versucht man improvisierend, die Melodie entsprechend abzuwandeln, wird die ungeschickte Platzierung der punktierten Bindung deutlich. Ein zweiter Kritikpunkt ist die verkehrte Bildlichkeit der hohen und tiefen Lage im zweiten Strophenteil: „Licht“ tief, „Dämmrung“ hoch. Freilich ist bei einem Strophenlied die barocke „Hypotyposis“, die musikalische Abbildung von Sprache, nur sehr eingeschränkt möglich, aber ein damaliger Komponist hätte auf den Text der ersten Strophe Rücksicht genommen: hoch / tief – das müsste bei der ersten Strophe stimmen. Das ist lediglich ein partieller Befund, der die musikalische Stilistik und das formale Verhältnis von Text und Melodie betrifft. Weitere Kriterien und Beurteilungsebenen kämen dazu; offensichtlich ist aber die zeitweilige Hochschätzung dieses Liedes durch die Analyse etwas relativiert. Objektivierende Analyse, Intuition und Rezeptionserfahrungen müssen zusammenwirken, wenn sich eine schlüssige Beurteilung ergeben soll.

Abstract: Dealing with church hymns requires constant decision making, with the pro­ cess of preparing new hymnals being especially challenging. These decisions are often based on intuition, reception experiences or biographical references. This urges a demand for a certain objective distance. In order to achieve such more objectivity, it is necessary to consider the inner, material quality of the hymns. This involves the poetic-literary form according to common literary norms, meaningful text structures in the linguistic sense, and melodic quality, for which

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the analytical procedures and criteria must be ascertained, especially with regard to genre. Of particular importance is the connection between text and melody, once on the formal level of the text’s metre and melodic rhythm, then also on the level of affect and emotional dynamics. The partial analysis of two examples shows how objectifying analysis puts intuitive and traditional judgments into perspective.

Vorstellung akademischer hymnologischer Projekte Das Porst’sche Gesangbuch, 1709–1908

Jonas Milde

Das sogenannte „Porst’sche Gesangbuch“ ist ein Markstein Berliner Kirchenund Theologiegeschichte. Unter dem Titel „Geistliche und liebliche Lieder“ wurde es im Jahr 1709 erstmals gedruckt und machte daraufhin – seit 1713 mit einer Vorrede des damaligen Berliner Propstes Johann Porst (1668–1728) ausgestattet – als das Porst’sche Gesangbuch eine fast 200 Jahre umspannende Karriere in der evangelischen Kirche Brandenburgs – und darüber hinaus. Ziel des im Jahr 2019 begonnenen kirchenhistorischen Dissertationsprojektes ist es, die zweihundertjährige ‚Biographie‘ des Porst’schen Gesangbuchs zu erarbeiten, seine Entstehungs-, Druck- und Redaktionsgeschichte zu analysieren und auf diese Weise eine einzigartige ‚Brandenburgische Frömmigkeitsurkunde‘ zu erschließen. Die Arbeit wird im Wesentlichen in zwei Hauptteile gegliedert: In einem ersten Teil soll es um die Entstehung sowie die innere Gestalt des Gesangbuchs gehen. Ältere Forschungen – vor allem die bald 170 Jahre alten Studien zur Berliner Gesangbuchgeschichte von Johann Friedrich Bachmann – werden hierzu aufgegriffen, kritisch geprüft und beispielsweise durch eine vergrößerte Quellenbasis, aber auch durch neuere Forschungsperspektiven präzisiert. Dabei soll auch der Versuch einer Charakterisierung des Repertoires unternommen werden, welcher möglicherweise zur Beantwortung der Frage beiträgt, warum gerade dieses Gesangbuch über eine so lange Zeit eine derart starke Verbreitung finden konnte. Zur Beschreibung der Entstehung des Porst’schen Gesangbuchs dienen neben den frühesten Druckausgaben desselben einerseits Druckschriften und handschriftliches Quellenmaterial des Namensgebers Johann Porst sowie andererseits weitere historische Zeugnisse aus den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts. Damit wird ein Baustein zur Erschließung der Geschichte des Berliner Pietismus geliefert und die Grundlage für den folgenden zweiten Hauptteil gelegt. Dieser zweite Hauptteil verfolgt die ‚Biographie‘ des Porst’schen Gesangbuchs bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein. Eine solch lange ‚Lebenszeit‘ ist für ein Gesangbuch höchst ungewöhnlich. Sie beinhaltet verschiedene Kontinui-

Vorstellung akademischer hymnologischer Projekte 

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täts- und Diskontinuitätsmomente, die entsprechend der jeweiligen Quellenund Forschungslage nachgezeichnet werden sollen. Von Gesangbuchstreitigkeiten im akademischen, politischen und öffentlichen Raum, von hymnologischen und theologiegeschichtlichen Wendepunkten, die allesamt das Porst’sche Gesangbuch direkt betreffen, soll hier gehandelt werden. In der Erforschung dieser ‚Gesangbuchbiographie‘ klingen ferner kirchen- und sozial-, musik- und politikgeschichliche Elemente an, die die Ergebnisse einer theologischen Arbeit auch für das interdisziplinäre Gespräch mit benachbarten Fachrichtungen interessant und relevant machen wollen. Als Quellen dienen – wie bereits für den ersten Hauptteil – neben den Drucken des Porst’schen Gesangbuchs selbst und publiziertem Schriftgut insbesondere archivalische Bestände mehrerer kirchlicher und staatlicher Archive. Hierzu gehören unter anderem Verzeichnisse zur Gesangbuchverbreitung, Korrespondenzen der verschiedenen Akteure der Druck-, Verlags- und Redaktionsgeschichte sowie gelegentlich solche Zeugnisse, die vom Umgang mit dem Porst’schen Gesangbuch und seiner Wirkung berichten. Um die Bedeutung des Porst’schen Gesangbuchs zu erfassen, werden innerhalb des zweiten Hauptteils weitere Stränge der preußischen Gesangbuchgeschichte betrachtet, wodurch zum einen der geographische Raum Berlin /  Brandenburg überschritten und zum anderen der zeitliche Rahmen der bisherigen Forschungen zur Berliner und Brandenburger Gesangbuchgeschichte ins späte 19. und frühe 20. Jahrhundert hinein erweitert wird. Die Arbeiten an diesem Dissertationsvorhaben sollen nach Möglichkeit im Jahr 2022 weitgehend abgeschlossen werden; ein Erscheinen der Ergebnisse ist nach Abschluss des Promotionsverfahrens in Buchform geplant. Projekt: Dissertation Universität: Humboldt-Universität zu Berlin, Theologische Fakultät Betreuung: Prof. Dr. Dorothea Wendebourg Verfasser: Jonas Milde, Dipl.-Theol., Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Editionsprojektes „Johannes Bugenhagen“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Kontakt: [email protected]

Literaturbericht Hymnologie Deutschsprachige Länder (2019, 2020) 2021

Daniela Wissemann-Garbe

Abkürzungen: DKL Das deutsche Kirchenlied. Kritische Gesamtausgabe der Melodien. Kassel usw. 1975–2019: I Verzeichnis der Drucke (1975–1980). II Geistliche Gesänge des deutschen Mittelalters (2003–2019; auch abgekürzt als GGdM). III Die Melodien aus gedruckten Quellen (1993–2010; auch abgekürzt als EdK1) EG Evangelisches Gesangbuch, Stammausgabe 1993 FKM Forum Kirchenmusik, München (früher: Der Kirchenmusiker) GL2 Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch, 2013 KMJ Kirchenmusikalisches Jahrbuch, Regensburg / Köln LK Liturgie und Kultur, Hannover MGD Musik und Gottesdienst, Basel MuK Musik und Kirche, Kassel MS(D) Musica Sacra, Regensburg MuL Musik und Liturgie, Gossau CH (früher: Singen und Musizieren im Gottesdienst / Katholische Kirchenmusik) SiK Singende Kirche. Zeitschrift für katholische Kirchenmusik, Salzburg WBK Württembergische Blätter für Kirchenmusik, Stuttgart Wir danken Leserinnen und Lesern des Jahrbuchs für Hinweise auf Neuerscheinungen.

I. Theologie und Kirchenmusik A Grundsätzliches, Übergreifendes, Aktuelles, Verschiedenes Bayreuther, Rainer: Der Sound Gottes. Kirchenmusik neu denken. Claudius Verlag: München 2021, 240 S. Thema des Buches ist die Frage, wie eine tatsächliche Begegung mit Gott möglich wird, wenn Musik erklingt. Die These des Autors ist, dass dies nicht mehr geschieht, wenn immer dieselben Werke wiederholt werden (Hörer machen es sich wie „im Ohrensessel“ bequem), ebensowenig beim Singen von Liedern im Gottesdienst. Er 1 Die Abkürzung steht für „Edition deutsches Kirchenlied“, obwohl es sich hierbei nicht um einen gedruckten Titel handelt.

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plädiert deswegen für eine Entgrenzung des Repertoires. In sieben Abschnitten des ersten Kapitels wird das Phänomen als Krise der Kirchenmusik beschrieben und im zweiten wird die Perspektive umgedreht. In der Mitte wird der Zusammenhang von göttlicher Gegenwart, Kultus und Klang in einem religionsgeschichten Durchgang erörtert (Kultus, Griechen, Juden, Jesus, Paulus). Stilistisch ist das Buch zwischen Essay und Glosse anzusiedeln, wissenschaftlicher und kirchenmusikalischer Erfahrungshintergrund inclusive. Man muss den Stil mögen, um das Buch zu lesen, ins Nachdenken zu kommen und Erkenntnisse zu gewinnen. Eine einfache, zusammenfassende Antwort, wie der Autor Musik neu denkt, ist an dieser Stelle allerdings nicht möglich. Verwiesen sei auf den Umschlagtext, der ein Plädoyer für mehr experimentellen Mut in der Kirchenmusik, Einsatz auditiver Medien und kreative Verknüpfung von digitaler und physischer Kommunikation verspricht. Dremel, Erik: „Die Geistliche Singe-Kunst ist eine Kunst über alle Künste“. Familie Olearius und die Musik, in: Eckle, Jutta (Hg.): Die Gelehrten der Familie Olearius zu Halle an der Saale (Kostbarkeiten und Raritäten einer alten Büchersammlung 6). Freundeskreis der Marienbibliothek zu Halle: Halle 2020, 65–79. Dremel widmet sich in seinem aufschlussreichen Beitrag zu dem Ausstellungskatalog der Hallenser Marienbibliothek vier Mitgliedern der Familie, die als Dichter, Hymnologen, (Musiker und) Gesangbuchherausgeber hervorgetreten sind: Johann Olearius (1611–1684), dessen Sohn Johann Christian (1646–1699), Neffe Johann Gottfried Olearius (1635–1711), dessen Sohn Johann Christoph (1668–1747; Herausgeber des vierbändigen „Liederschatzes“, des ersten hymnologischen Sammelwerkes, das Lieder nicht nur druckt, sondern auch kommentiert). Kurzmann, Frank: Repräsentationen des Göttlichen, des Himmels und der Engel in lutherischen Orgelweihpredigten des 17. Jahrhunderts, in: Schütz-Jahrbuch 42 (2020), 72–78. Leube, Bernhard: Die Ökumene der Milieus – eine hymnologische Ortsbestimmung, in: WBK 88 (2021), H. 6, 6–13. Leube geht es in seiner Abschiedsvorlesung an der Hochschule für Kirchenmusik Tübingen um Identitäts- und Authentizitätsfragen beim Singen eines geistlichen Lieds. Roth, Christine: Kirchenmusik, Reformation und Traditionsbindung. Überlieferung in Lübeck, Lüneburg und Schwerin (Catalogus musicus 20). Bärenreiter-Verlag: Kassel 2020, 394 S. In der Zürcher Dissertation von 2019, in der das Repertoire verschiedener Musikhandschriften des 16. Jahrhunderts in ihrem Kontext untersucht wird, wird auch die Traditionsbindung in der Liturgie Lübecks dargestellt (59–64). Scheitler, Irmgard: Musik in fremden Welten Reiseerfahrungen deutschsprachiger Frauen im 19. Jahrhundert, in: Wortfolge. Szyk Słów 5 (2021), 1–38, open acess: https:// journals.us.edu.pl/index.php/wss/article/view/11384/8931 (1.5.2022). Ein Abschnitt des umfangreichen Aufsatzes widmet sich auch Berichten über katholische Kirchenmusik, die in Rom von protestantischen Reisenden gehört – und aus Unverständnis ästhetisch verworfen wird (S. 9–13). Wiesenfeldt, Christiane: „Musica efficax“. Dimensionen des Singens in der lutherischen Musikanschauung der frühen Neuzeit, in: Spehr, Christopher / Westphal, Siegrid / Paasch, Kathrin (Hg.): Reformatio et memoria. Protestantische Erinnerungsräume und Erinnerungsstrategien in der Frühen Neuzeit (Refo500. Academic Studies 75). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2020, 365–376. Wiesenfeldt betrachtet vor allem die Musikanschauung Martin Luthers und differenziert 1. zwischen der Funktion von Beten und Singen im Gottesdienst, 2. zwischen

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‚Gesang hören‘ und ‚Singen im Gottesdienst‘ und arbeitet 3. kollektive, realitätsstiftende und erkenntnistheoretische Potenziale des Singens in sechs Punkten heraus. Fazit: Die Wirkmächtigkeit des Konzeptes beruhe auf dem eigenen Singen und nicht auf dem Lied als solchem (374).

B Kirchenlied und Musik in der Ordnung des Gottesdienstes Albrecht, Christian: Gang durch die Jahrhunderte: Ansichts-Sache Kirchen-Musik, in: MuL 146 (2021), H. 3, 11–14. Edition des Briefes, den Felix Mendessohn Bartholdy am 4. April 1831 aus Rom an seine Familie geschrieben hat, in dem er seinen Eindruck von der Musik während der Heiligen Woche geschildert hat. Arnold, Jochen: Was geschieht im Gottesdienst? Zur theologischen Bedeutung des Gottesdienstes und seiner Formen. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen, 3. überarbeitete und erweiterte Auflage 2021, 320 S. Der Autor zählt „Musik (nicht nur) im Gottesdienst“ neben den liturgischen Hauptstücken, dem Gebet, den Lesungen, der Predigt, dem Abendmahl und dem Segen zu den sieben zentralen Elementen (Kapitel 3, Abschnitt 6). In drei Thesen werden Wesen und Funktion der Musik im Allgemeinen, im Gottesdienst und als geistliches Geschehen entfaltet. Einer gesonderten Betrachtung wird der Gemeindegesang unterzogen. In fünf Fragen wird ein „Qualitätscheck“ zum liturgischen Gebrauch von Musik vorgeschlagen. Im Anhang findet sich die übliche Kernliederliste. Beck, Alexander: Theologische Überlegungen zum stellvertretenden Singen im Gottesdienst, in: WBK 88 (2021), 16–19. Dremel, Erik: Nunc dimittis. Der Lobgesang des Simeon in Kirche, Kunst und Kultur. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2021, 436 S., Abb., Noten. Vier Bibelverse (Lk 2,29–32) und ein Buch! Umfassend, gelehrt, nebenbei allgemeinbildend, für die Praxis anregend und immer fesselnd geschrieben ist diese Darstellung dessen, was mit dem Lobgesang des Simeon zu tun hat. Schon das Stöbern im siebenseitigen Inhaltsverzeichnis macht Lust zum Blättern und Sichvertiefen, es ist gleichsam ein Exposé in Stichworten. Kapitel I ist dem Bibeltext gewidmet. Kapitel II geht auf Spurensuche in der Liturgie von Eucharistie, Bestattung, Tagzeitengebet, Kirchenjahr und der Einsegnung der Wöchnerin  – und das nicht nur historisch, sondern bis in die Gegenwart in einem digitalen Medium: #twomplet (= Complet auf Twitter). Im III. Kapitel werden Predigten von Origenes über Meister Eckhart, Martin Luther, August Hermann Francke, Friedrich Schleiermacher, Karl Barth, Martin Niemöller und Wilhelm Stählin bis Ernst Lange vorgestellt. In Kapitel IV wird es hymnologisch: ein Überblick über Lieder aus verschiedenen Epochen mit Texten, die auf den Lobgesang Simeons zurückgehen oder ihn nur aufgreifen. Die 12 Abschnitte sind folgendermaßen gegliedert: 1. Martin Luther (Mit Fried und Freud ich fahr dahin), 2. Choräle der Reformationszeit (Im Fried bin ich dahin gefahrn; Mit Fried und Freud in guter Ruh; Im Frieden dein, o Herre mein [Johann Englisch und von Friedrich Spitta bearbeitet]; Maintenant Seigneur, Dieu, as donné en moy lieu [Johannes Calvin]; Or laisses, Créateur, en paix ton serviteur [Clément Marot]; Lass deinen Knecht nunmehr in Frieden geh’n [18. Jh. und bei Siegfried Fornaçon]), 3. Caspar Löner (Als aber sind erschienen die Tag der Reinigung; Nun Herre, wirst

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du lassen deinen Knecht in der Ruh; Nun Herre, wirst du lassen dein Knecht in Fried und Ruh), Hans Gamersfelder (O Herr, nun lässest du im Fried) und Caspar Querhammer (Als Maria nach dem Gesatz[sic]), 4. Böhmische Brüder (O Jesu, der du uns zu gut), 5. Nikolaus Herman (Da Maria im Kindelbett; [Erasmus Alber] Ihr lieben Christen freut euch nun), 6. Nicolaus Selnecker (Ex leges observantia; Nachdem sich nun Marien Kind [1655], Heut hat Marien Kindelein [1679], Maria stellte Christum dar [1825]; Da Jesus Christ, Mariae Kind [Valentin Triller 1555]), 7. Johann Eccard und das 17. Jahrhundert (Maria wallt zum Heiligtum / Maria, das Jungfräuelein; Die ihr, mit Sünden ganz beflecket [Valentin Thilo]; Maria kömmt zur Reinigung [Georg Reimann]; Herr Jesu, Licht der Heiden und Heut ist uns der Tag erschienen [Johann Franck]), 8. Das Nunc dimittis im pietistischen Lied (Ach, dass ein jeder nähm in Acht; Dich bitt ich, trautes Jesulein; Die ihr, mit Sünden ganz beflecket; Gott lob, mein Jesus macht mich rein; Herr, reinige deine Kirche), 9. Philipp Friedrich Hiller (Wie Simeon verschieden), 10. Wort des Vaters, Licht der Heiden (außerdem: Nun lässest Du, o Herr [Georg Thurmair]; Volk Gottes, zünde Lichter an [Peter Gerloff]), 11. Englische Lieder (vor allem Lord, now let your servant [James Seddon]; Lord, set your servant free [Mary Holtby]), 12. Taizé. Breiten Raum beansprucht Kapitel V mit der Darstellung von Kompositionen, die direkt oder indirekt mit dem Nunc dimittis verbunden sind: von Josquin Desprez bis in die Gegenwart. Ein kürzeres Kapitel VI gilt diesem Bibeltext in der Literatur: T. S. Eliot, Dante Alighieri, Søren Kierkegaard, Ezra Pound und Joseph Brodsky. Umfassend ist wieder die Betrachtung der Darstellung Jesu im Tempel in der bildenden Kunst von Byzanz bis Rembrandt im VII. und letzten Kapitel. Der letzte Abschnitt (4.8) über „Rembrandts eigenes Nunc dimittis“ kann fast als Predigtmeditation für eine Bildpredigt gelesen werden – dabei schließt sich dann ein großer Kreis, denn das Ölgemälde von 1669 (heute im Stockholmer Nationalmuseum), das auf der Staffelei in Rembrandts Sterbezimmer stand, ziert auch das Cover des Buches, das man mit großem Gewinn liest. Heering, Jürgen: Der Nachmittagsgottesdienst und die Vesper in St. Marien Lübeck zur Zeit Buxtehudes, in: Buxtehudestudien 4 (2021), 77–102. Heering wertet in seiner Studie eine Reihe von Quellen aus, die ein konkretes Bild auch vom Gemeindegesang in den genannten Gottesdiensten vermitteln, vor allem das erste amtliche Gesangbuch Lübecks von 1703 mitsamt einer anhängenden Anweisung zum Gottesdienst und das Kirchenhandbuch von 1754. Er gliedert nach der Einleitung in folgende Abschnitte: Die gottesdienstliche Gesamtsituation zur Zeit Buxtehudes (II), Die Ordnung des Nachmittagsgottesdienstes an Sonn- und Festtagen in St. Marien, samt Kommentar (III+IV), Die Ordnung der Vesper an den Vortagen der Sonn- und Festtage in St. Marien, samt Kommentar (V+VI), Zum Gemeinde- und Chorgesang, zur Orgelmusik und zur Musik in Festgottesdiensten (VII). Kreuels, Matthias: Andacht, Atemholen, Innehalten … Freiere Gottesdienstformen und ihre kirchenmusikalischen Aufgaben und Chancen, in: SiK 68 (2021), 4–9. Porada, Haik Thomas / Schmidt, Wolfgang (Hg.): Kirchliches Leben zwischen Trebel und Strelasund. Beiträge zur Geschichte des Kirchspiels und der Synode Grimmen. Verlag Ludwig: Kiel 2019, 846 S. Der Band enthält drei Quellenstudien, die Musik im Gottesdienst in Grimmen und Umgebung belegen: Löffler, Anette: Schlaglichter des liturgischen Lebens. Ein mittelalterliches Missale-Fragment aus dem Pfarrarchiv Grimmen (345–353; das Fragment wurde als Einband der Kirchenmatrikel von 1584 verwendet und ist dadurch erhalten; der erhaltene Text steht auf 4 Spalten mit 17/18 bzw. 35 Zeilen); Roth, Christine: Die nachreformatorische Musikpflege an der Grimmer Marienkirche im 16. und frühen

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17. Jahrhundert – eine Rekonstruktion (353–360; an Musikalien sind nur vier Stimmbücher eines mindestens sechsteiligen Satzes [Stralsunder Stadtarchiv Hs. 229] des Grimmer Pastors Matthaeus Rubach mit Datierung 1585 und 1606 erhalten, der unter den 186 Kompositionen auch solche des Stralsunder Kantors Eucharius Hoffmann enthält); Schmidt, Wolfgang: Aufzeichnungen zu den Reformationsjubiläen 1717 und 1817 in Grimmen und Barth. Eine Dokumentation aus dem Pfarrarchiv Grimmen (521–532; es werden sieben Dokumente zum 1817er und eines zum 1717er Jubiläum wiedergegeben). Marti, Andreas: Was wir – vielleicht – voneinander lernen können, in: MuL 146 (2021), H. 3, 15–18. Ratzmann, Wolfgang / Zimmerling, Peter: Predigen mit Liedern. Beispiele und Reflexionen. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2021, 198 S. In dem Band sind Predigten zu 15 Liedern, zwei Kantaten (Georg Philipp Telemann, Johann Sebastian Bach) und einer Motette (Heinrich Schütz) zusammengestellt, die von den beiden Autoren größtenteils in Leipziger Universitätsgottesdiensten gehalten worden sind. Sie werden gerahmt von zwei aus persönlichen Erfahrungen schöpfenden Aufsätzen „Lieder predigen“ von Wolfgang Ratzmann und „Bedeutung von Lied und Musik für den evangelischen Gottesdienst“ von Peter Zimmerling. Schmid, Bernhold: „Nach der Epistel, Sÿdus ex claro, Orlandi. Deutsch, cum organo, wie folget.“ Orlando di Lasso volkssprachig im protestantischen Gottesdienst, in: KMJ 105 (2021), 7–24. In zwei polnischen Bibliotheken ist der Rest eines handschriftlichen Stimmbuchsatzes aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erhalten, der eine bisher unbekannte Übersetzung von Lassos Motette Sidus ex claro enthält. Der deutsche gereimte Text, wie die Vorlage im sapphischen Versmaß, beginnt Ein Stern vom hohen Himmel. Die Quelle dokumentiert liturgische und musikalische Praktiken einer schlesischen protestan­ tischen Gemeinde für diverse Feste des Kirchenjahres. Neben den Noten ist auch der Ablauf der Gottesdienste beschrieben. Im Dialog von Priester und Gemeinde werden die Responsorien mehrstimmig gesungen. In ein Magnificat Lassos sind Weihnachtslieder interpoliert. Unter Hinweis auf Forschungen von Elzbieta Wojnowska wird die Quelle am Hof von Herzog Georg Rudolf in Liegnitz verortet.

II. Hymnologie A Hymnologische Forschung, Geschichte und Quellen des Kirchenliedes Hofmann, Andrea: Das gedruckte Lied als Propagandainstrument, in: Lies, Jan Martin (Hg.): Wahrheit  – Geschwindigkeit  – Pluralität: Chancen und Herausforderungen durch den Buchdruck im Zeitalter der Reformation (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 132). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2021, 65–81, open access: https://www.vr-elibrary.de/doi/pdf/10.13109/9783666560378.65 (9.6.2022). An verschiedenen Beispielen, insbesondere Martin Luthers Ein feste Burg ist unser Gott und Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort sowie dem auf Johann Agricola gemünzten Spottlied Herr Grickel, lieber Domine (vermutlich aus der Feder von Erasmus

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Alber) zeigt die Autorin, dass die Lieder durch die Form der Überlieferung und das Hineinstellen in einen bestimmten Kontext (z. B. den Ersten Weltkrieg oder das Augsburger Interim) Umdeutungen erfahren konnten. Verbunden war diese Bedeutungsverschiebung auch mit der Art und Weise der Verbreitung, den Illustrationen sowie den Texten, die in bestimmten Situationen ergänzt wurden. Junker, Johannes: Gesangbücher aus der Geschichte der SELK. Der Vilmarsche Einfluss in Hessen (2), in: Lutherische Beiträge 26 (2021), 46–55. Thema sind die hymnologischen Grundsätze von August Friedrich Christian V ­ ilmar (1800–1868), der 1838 in Marburg anonym ein „Kleines evangelisches Gesangbuch“ herausgegeben hat, und dessen Einfluss auf das „Deutsche[s] Evangelische[s] Kirchen-­Gesangbuch (DEKG). In 150 Kernliedern“, Stuttgart 1884 sowie die weitere Entwicklung. Junker, Johannes: Gesangbücher aus der Geschichte der SELK. Das altlutherische Gesangbuch (3), in: Lutherische Beiträge 26 (2021), 185–195. Es geht um Entstehungsgeschichte, Inhalt und Rezeption des „Gesangbuch für die evangelisch-lutherische Kirche“, Elberfeld 1898. Korth, Hans-Otto: Denn die Sach ist nicht mein allein. 23 Kirchenlieder mit Melodien in böhmischer Tradition. Musikalisch eingerichtet von Axel Gebhardt. Ausgewählt, herausgegeben und erläutert von Hans-Otto Korth. Verlag der Franckeschen Stiftungen / ortus musikverlag: Halle (Saale)/ Beeskow 2021, VII, 100 S. Die Lieder der Sammlung wurden mit dem Ziel ausgesucht, die Melodiesprache, die im 1531 erschienenen Gesangbuch Michael Weisses greifbar ist und das Kirchenlied geprägt hat, zu erläutern. Daraus erklärt sich auch der Titel, der diesem Gesangbuch entnommen ist. Auf den ersten Teil mit der Liededition, die ansprechend in moderner Notenschrift und sämtlichen diplomatisch wiedergegebenen Strophen gedruckt ist, folgt deren Besprechung unter dem Titel „Die Lieder als Wegmarken der Melodik“. In zehn Abschnitten führt der ausgewiesene Kenner von Kirchenliedmelodien Korth das, was er als wesentlich erkannt hat, vor – eingeordnet in Abschnitte, die gleichsam nach Leitmelodien benannt sind: Von der Sequenz Mittit ad virginem (I) über den Hymnus Christe qui lux es et dies und Bergreihen (II), das Surrexit Christus hodie (III), die Cantio Felici peccatrici (IV), die Cantio Ave hierarchia (V), das Modell All mein Gedanken, die ich hab (VI), Bergreihen und Sankt Joachimsthaler Melodik (VII), O Heiland, reiß die Himmel auf und Vorangehendes (VIII), die Cantio Cedit hiems eminus (IX) bis zur Melodie des Genfer Psalters zu Psalm 118 (X). Das Buch ist mit zahlreichen sorgfältig ausgewählten und qualitativ hochwertigen Faksimiles illus­ triert. Es kann gleichermaßen als Lehrbuch einer Melodienkunde in Beispielen dienen wie auch einfach als Liederbuch zum Musizieren und (Wieder-)Entdecken.  – Enthalten sind, z. T. in unterschiedlichen Fassungen: Als der gütige Gott wollt sein Wort; Zu einer Jungfrau zart; Christ, der du bist der helle Tag; Christe, der du bist Tag und Licht, Erstanden ist der heil’ge Christ; Christus ist heut gen Himml gefahrn; Es wird schier der letzte Tag herkommen; Der Tag bricht an und zeiget sich, o Herre Gott; Der Tag bricht an und zeiget sich, o meine Seele; Nun ist es Zeit, zu singen hell; Erschienen ist der herrliche Tag; Gottes Sohn ist kommen; Jesus kam gegangen; Kommet, ihr Hirten, ihr Männer und Fraun; Heut singt die liebe Christenheit; Lobt Gott, ihr Christen allzugleich; O Heiland, reiß die Himmel auf; Erstanden ist uns Jesus Christ; Weltlich Ehr und zeitlich Gut; Singet fröhlich alle gleich; Ein Weib, das Gott, den Herren, liebt; Lasst uns dem Herren sämtlich danken; Preis, Lob und Dank sei Gott, dem Herren. Kraß, Andreas / Standke, Matthias (Hg.): Geistliche Liederdichter zwischen Liturgie und Volkssprache. Übertragungen, Bearbeitungen, Neuschöpfungen in Mittelalter

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und Früher Neuzeit (Liturgie und Volkssprache 5), De Gruyter: Berlin 2020, 301 S. – open access: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783110666816/ html (5.5.2022). Im vorliegenden Sammelband wird der Frage nachgegangen, wie sich die geistlichen Liederdichter im Medium der deutschen Sprache produktiv mit der Tradition des lateinischen liturgischen Lieds auseinandergesetzt und so zur Vorgeschichte des Kirchenlieds beigetragen haben. Themen sind rezeptions- und produktionsästhetische Bedingungen, vielfache intertextuelle Bezüge sowie die sozialen Milieus, in denen sie gedichtet und gesungen wurden, und natürlich die Leistungen der geistlichen Lieder selbst: Kraß, Andreas / Standke, Matthias: Einleitung (1–11); Ammer, Jessica: Geistliche Liederdichterinnen? Mechthild von Magdeburg, Mechthild von Hackeborn, Gertrud von Helfta (13–28); Kraß, Andreas: Leich und Sequenz. Walther von der Vogelweide als geistlicher Liederdichter (29–45); Knapp, Sophie: Die Gebetsstrophen des Kanzlers im Goldenen Ton – ein ‚geistliches Sangspruchlied‘? (47–62); Murray, David: Ein ‚volles Lied‘. Übertragung und Klang am Beispiel der geistlichen Lieder des Mönchs von Salzburg (63–89; mit Noten sind abgedruckt: Ave, grüest pist, magtleich forme und Maria pis gegrüßet); Hofmeister, Wernfried: Kann denn Minne Sünde sein? Poetische Gratwanderungen zwischen Marien- und Frauenverehrung bei Hugo von Montfort und Oswald von Wolkenstein (91–105); Rothenberger, Eva: Die Performanz des Schmerzes. Poetische Inszenierungsstrategien von passio und compassio bei Oswald von Wolkenstein (107–124); Bußmann, Britta: Das Ich im Fokus. Sprecher-­Inszenierungen in den geistlichen Liedern Oswalds von Wolkenstein (125–143); Rudolph, Alexander: Muscatblut, trefflich gut? Zur Konventionalität als Interpretament mittelhochdeutscher Lyrik am Beispiel von Muskatbluts Marienlied Na lust reit ich (Groote 18) (145–160); Janota, Johannes: Kanonische Texte in poetischer Form. Zur Versifikation von Evangelienabschnitten im Berliner Hans Sachs-Autograph (161–178); Lange, Judith: Geschichten über Lucifer im anonymen Meistergesang des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts. Unter besonderer Berücksichtigung der Lieder in Regenbogens ‚Langem Ton‘ (179–198); Kulagina, Pavlina / Lallinger, Franziska: Ars memorativa und Strategien der Heilssicherung in lyrischen Texten Heinrich Laufenbergs. Drei exemplarische Lektüren (199–221; Gedenk, maria, maget vin; Puer natus ist vns gar schon; Frow, muter, magt, gebererin); Wegener, Lydia: Sebastian Brants Übertragung des Mariengrußes Ave, salve, gaude, vale und ihre Aneignung durch den Basler Kartäuser Ludwig Moser (223–274); Standke, Matthias: Autorschaft im frühen Druckhymnar. Zum Selbstverständnis von Petrus Tritonius und Leonhard Kethner (275–290). Marti, Andreas: Kirchenlied und Gesangbuch. Einführung in die Hymnologie. Unter Mitarbeit von Elie Jolliet. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2021, 273 S. Das Buch versammelt das Wissen, das der langjährige Dozent an Musikhochschulen und theologischen Fakultäten in der Schweiz seinen Studierenden mitgegeben hat. Es so aufzubereiten, dass Hymnologie zugleich systematisch gelehrt werden und als Nachschlagewerk gebraucht werden kann, ist eine Kunst, die in dieser Form hier erstmals gelungen ist. Dabei ist es nicht auf schweizerische und reformierte Fragen beschränkt, sondern kann auch für die Lehre im Geltungsbereich von EG und GL2 gebraucht werden. Der Ansatz ist so innovativ wie nützlich: Das erste Kapitel gilt Methoden und Aufgaben der Hymnologie und führt auch in die Fachgeschichte ein. Das zweite Kapitel, als „Deskriptive Hymnologie“ überschrieben, gibt Handwerkszeug für Text- und Melodieanalyse an die Hand und kulminiert in einer Checkliste mit 25 Stichpunkten, die bei einer umfassenden Liedbetrachtung berücksichtigt werden

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müssen bzw. können. Eingestreut sind jeweils unter der Überschrift „Zur Praxis“ Hinweise zu Tempo- und Begleitungsfragen. Im dritten Kapitel wird die Geschichte von Kirchenlied und Gesangbuch in kurzer Form und übersichtlich aufgerollt. Dazu werden stets einige Beispiele genannt, die man sich in den aktuellen Gesangbüchern ansehen kann, eine Tabelle am Schluss listet so viele auf, dass wohl jeder Interessent wenigstens eins davon zur Hand hat. Literaturhinweise dienen der Vertiefung. Das vierte Kapitel ist der Praxis gewidmet. Nach Überlegungen zu Rezeption und Akzeptanz, Repertoirebildung und Funktion des Gemeindelieds folgen Hinweise zur Liedwahl für verschiedene Gottesdienstformen in unterschiedlichen Konfessionen und zur Praxis des Gemeindegesangs bis hin zu Formen ihrer Einübung. Man findet sich im Buch durch engmaschige Überschriften, z. T. in Stichworten, gut zurecht und kann damit auch schnell Antworten auf Fragen finden, etwa seit wann es eigentlich Orgelbegleitung im Gottesdienst gibt (Kap. 4.3.1). Auf zwei Tabellen sei besonders hingewiesen: Zur Geschichtes des (deutschen) Kirchenliedes werden Stichworte zu Gattungen / Formen – Funktionen – Musikalischem – Textlichem – Überlieferung – Textautoren  – Melodiekomponisten  – Gesangbuchherausgebern geliefert. Und zur Praxis des Gemeindegesangs in den Spalten „gregorianisch beeinflusst – Cantionen – einstimmig 16. Jh. – Genfer Psalter – Kantionalsatz-Epoche – Barock – klassisch / romantisch – Volks-/Kinderlied – neomodal – NGL, Spiritual – Taizé – Kanons“ mit jeweils zwei Beispielliedern werden Stichworte geliefert zu „Tempo – Rhythmik / Metrik / Agogik – Akzent – Artikulation – Klang – Anregungen“. Ein kleiner Wermutstropfen ist die sparsame Illustrierung, die nur für das Reformationsjahrhundert gegeben ist, und das in optisch nicht sehr ansprechender Form. Einen Anspruch, als Lehrbuch der Hymnologie zu taugen, kann das Buch dennoch getrost erheben, auch wenn der Titel dies nicht ausdrücklich verspricht. Metzger, Heinz Dietrich: Psalmen und Psalmlieder [5 Teile: Der Psalter; Die Psalmodie in der Kirche; Das Psalmlied lutherischer Prägung und der Genfer Reimpsalter; Weitere Entwicklung 16.–19. Jahrhundert; Das Psalmlied im 20. und 21. Jh.], in: MGD 74 (2020), H. 4, 18–21; H. 5, 17–21; H. 6, 23–28 und 75 (2021), H. 1, 21–24; H. 2, 10–14. Park, Sa Ra: Das Liedrepertoire der evangelischen Kirche in Korea  – Interkulturelle Beziehungen zwischen dem deutschen und dem koreanischen Kirchenlied. Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg: Frankfurt am Main 2020, 342 S. – open acess: http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/docId/56650 (20.5.2022). Die Dissertation untersucht die deutschen Kirchenlieder, die vor 1945 in das Koreanische Gesangbuch aufgenommen wurden. Die Bedeutung des Singens ist für koreanische Protestanten während der Annexion durch Japan (1910–1945) groß gewesen. Man sang als Unabhängigkeitsbewegung Kirchenlieder, unter denen besonders Ein feste Burg ist unser Gott unverzichtbar wurde. Nach 1945 sank der Anteil deutscher Kirchenlieder in koreanischen Gesangbüchern, das aktuelle von 2006 enthält nur noch 21. Der genannte Lutherchoral ist in die Oper „Son Yang Won“ (Chae Hoon Park, 2011), die geschichtliche Ereignisse von nationaler Bedeutung thematisiert, eingearbeitet. Umgekeht befasst sich die Studien mit der Rezeption koreanischer Kirchenlieder in Deutschland. Praßl, Franz Karl: Gesangbücher und Gemeindegesang rund um den Stephansdom, in: Reymaier, Konstantin (Hg.): Die Riesenorgel im Wiener Stephansdom. Schnell + Steiner: Regensburg 2020, 176–187. Der Autor gliedert seinen Beitrag in die Abschnitte 1. Die Orgel als Begleitinstrument des Gemeindegesangs; 2. Gemeindegesang im Mittelalter und der frühen Neuzeit im

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Wiener Raum; 3. Das Messlied – eine neue Gattung des Kirchengesangs aus Wien; 4. Kirchenliedproduktion in den letzten Regierungsjahren Maria Theresias; 5. Der „Normalgesang“ im Rahmen der josephinischen Gottesdienstreform. Dabei stützt sich Praßl auf eine angenommene, aber noch nicht erschienene Dissertation von Matej Podenšek: Theresianisch-Josephinisches Kirchenliedrepertoire und dessen Übersetzungen ins Slowenische. 2 Bde. Kunstuniversität Graz 2017, in der die Geschichte des Messliedes neu beschrieben wird. Wloemer, Klaus: Adolf Thürlings und die Einführung der Volkssprache in den Gemeindegesang und den priesterlichen Gesang der christkatholischen Liturgie. Internationale kirchliche Zeitschrift 110 (2020), Heft 2–4, 170–194. – Zusammenfassung online: https://www.ikz.unibe.ch/abstracts/ikz_110_2020_02-04.html (8.5.2022). Massgebend für den Durchbruch der Volkssprache im Gesang der Gemeinde und der Geistlichen war das christkatholische Gesangbuch der Schweiz, das 1893 von Adolf Thürlings erarbeitet worden war.

B Leben und Werk der Dichter und Melodieschöpfer Arend, Stefanie u. a. (Hg.): Frühe Neuzeit in Deutschland 1620–1720. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon [VL 17]. Band 3 Feustking, Johann Heinrich  – Held, Heinrich. De Gruyter: Berlin 2021, 958 Sp. Glasenapp, Joachim (Irmgard Scheitler, Sp. 392–402 – Glasenapp verfasste geistliche Dichtungen auf Kirchenliedmelodien, die aber nicht in Gesangbüchern rezipiert wurden; er war dem Wolfenbütteler Hof eng verbunden, Herzogin Sophie Elisabeth versah die Textes eines Druckes mit Melodien, Herzog August d. J. machte dazu die Bässe); Held, Heinrich (Irmgard Scheitler, Sp. 946–958 – Helds poetisches Werk besteht aus geistlichen und weltlichen Dichtungen; ausgerechnet die in der Gesangbuchtradition rezipierten Lieder Gott sei Dank durch alle Welt und Komm, o komm, du Geist des Lebens sind nicht [mehr] in Individualdrucken nachweisbar). Bretschneider, Wolfgang: „Denk, o Mensch, an deinen Tod; säume nicht, denn eines ist Not“. Beethovens Gellert-Lieder als autobiographisches Zeugnis, in: MuK 90 (2020), 172–174. Windhorst, Christian H.: Ludwig van Beethoven. Die Gellert-Lieder op. 48 – Frucht aus einem verunglückten Jubeljahr. Anmerkungen aus kirchenmusikalisch-praktischer Sicht anhand des Konzertprogramms eines Liederabends, in: FKM 72 (2021), H. 2, 14–18. Görisch, Reinhard: Die Sprache des Kirchenlieds in Matthias Claudius’ Werk (Wiederabdruck eines Aufsatzes von 1991), in: Hagestedt, Lutz / Lesker, Stephan (Hg.): „Ich hab da ’n Büchel geschrieben …“. Reinhard Görisch. Beiträge zu Matthias Claudius und andere „gelehrte Sachen“. Zu seinem 80. Geburtstag (Jahresschriften der Claudius-­Gesellschaft. Sonderausgabe). Stamp Media GmbH: Kiel 2021, 37–49. Es geht um die innerer Beziehung des Dichters zu Kirchenliedern und ihrer Tradition. Görisch, Reinhard: Über das Gedicht „Motet“ [Der Mensch lebt und bestehet] von ­Matthias Claudius (Wiederabdruck eines Aufsatzes von 2002), in: ebd., 51–64. Görisch, Reinhard: Das Gedicht zum Krieg. Matthias Claudius’ „Kriegslied“ [’s ist Krieg] im Medieneinsatz (Wiederabdruck eines Aufsatzes von 1991), in: ebd. 65–77.

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Kohnle, Armin / Dingel, Irene (Hg.): Die Crucigers. Caspar der Ältere, Caspar der Jüngere und Elisabeth Cruciger in ihrer Bedeutung für die Wittenberger Reformation (Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie 40). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2021, 474 S. Abschnitt III. „Elisabeth Cruciger und die Familie Cruciger“ umfasst folgende Beiträge: Gummelt, Volker: Elisabeth Cruciger, geb. von Meseritz, in Pommern und Wittenberg. Anmerkungen zu Stationen ihres Lebens (292–302); Schneider, HansOtto: Elisabeth Crucigers Lied Herr Christ, der einig Gottssohn (303–319; s. u. II.C); Rhein, Stefan: Die Crucigers – eine Dichterfamilie? (320–348); Slenczka, Ruth: „Jesus segnet die Kinder“. Ein Familienepitaph für die Familie Caspar Crucigers des Älteren? (349–359; die Autorin stützt die These, dass auf dem Gottorfer Epitaph Portraits von Mitgliedern der Familie Cruciger abgebildet sind, darunter Elisabeth). Hagemann, Babette: Sinnliches Erleben: Musik als Teil des „Sacrementum“. Un Jésuite, qui chante: Joseph Gelineau (31.10.1920–8.8.2008), in: MuL 146 (2021), H. 6, 6–11. Deckert, Peter: Peter Janssens (1934–1998). [Prägende Gestalten des neuen Geistlichen Lieds 1], in: MS(D) 141 (2021), 23–25. Görisch, Reinhard: „Ich achte nicht der künftigen Angst, ich harre deiner Treue“. Der Dichter Jochen Klepper (Wiederabdruck eines Aufsatzes von 2003), in: Hagestedt, Lutz / Lesker, Stephan (Hg.): „Ich hab da ’n Büchel geschrieben …“. Reinhard Görisch. Beiträge zu Matthias Claudius und andere „gelehrte Sachen“. Zu seinem 80. Geburtstag (Jahresschriften der Claudius-Gesellschaft. Sonderausgabe). Stamp Media GmbH: Kiel 2021, 79–102. Betrifft u. a. Kleppers Abendlied Ich liege, Herr, in deiner Hut. Deckert, Peter: Heinz Martin Lonquich (1937–2014). Prägende Gestalten des neuen Geistlichen Lieds 5, in: MS(D) 141 (2021), 268–270. Kartawidjaja, Yakub: Music in Martin Luther’s Theology. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2021, 216 S. Obwohl der Titel streng genommen nicht zur hymnologischen Literatur deutschsprachiger Länder gehört, da es sich um eine Dissertation der Universität Apeldoorn / N L handelt, sei er hier aufgeführt und insbesondere auf die Besprechung von Ein feste Burg ist unser Gott und Nun freut euch, lieben Christen gmein sowie des Babstschen Gesangbuchs verwiesen. Schmidt, Siegrid / T homas Hochradner (Hg.): Der Mönch von Salzburg im Interpretationsprofil der Gegenwart. Bericht einer Tagung des Arbeitsschwerpunkts Salzburger Musikgeschichte an der Universität Mozarteum Salzburg in Verbindung mit drei Konzerten im Juni 2018. (Veröffentlichungen des Arbeitsschwerpunktes Salzburger Musikgeschichte 7). Hollitzer Wissenschaftsverlag: Wien 2021, 224 S.; open access: https://www.jstor.org/stable/j.ctv1jpf64q (15.5.2022). Der aufschlussreiche Sammelband enthält auch Beiträge zum geistlichen Liedgut des Mönchs von Salzburg, insbesondere: Bennewitz, Ingrid: Der Mönch von Salzburg – ein immer noch unbekannter Autor?! Überlegungen zu einem spätmittelalterlichen Liedcorpus zwischen Variation und Innovation, regionaler Verortung und europäischer Avantgarde (43–64); Hochradner, Thomas: In Schriften und Noten. Zur textuellen Rezeption des Mönchs von Salzburg in der Musikgeschichte Salzburgs (80–96); Kreyszig, Walter Kurt: Die weltlichen und geistlichen Werke des Mönchs von Salzburg im Kontext der Mündlichkeit und Schriftlichkeit von Monophonie und Polyphonie. Von der ursprünglichen Aufzeichnung zur späteren Überlieferung seines Repertoires in Handschriften und modernen Ausgaben. Streng rhythmische oder frei rhythmische Interpretation? (97–118); Bußmann, Britta: Von Christus zu Maria.

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Sälig sei der selden zeit (G 17) als Bearbeitung der Ostersequenz Mundi renovatio (128–150); Engels, Stefan: Die geistlichen Lieder des Mönchs von Salzburg. Material und Interpretation (152–170). Haustein, Jens / Willms, Eva (Hg.): Die Lieder Muskatbluts, herausgegeben und kommentiert (Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart 356). Verlag Anton Hiersemann: Stuttgart 2021, 606 S. Die Edition geht auf eine von Eva Willms und Karl Stackmann vor vielen Jahren begonnene, aber nicht abgeschlossene Ausgabe der Muskatblut-Lieder zurück, wurde aber in Zusammenarbeit mit Jens Haustein unter ganz neuen Editionsrichtlinien erarbeitet. In der Einleitung (I) werden u. a. die Biographie Muskatbluts vorgestellt, die zu Grunde gelegten 39 handschriftlichen sowie einige gedruckte Quellen genannt und die Grundgerüste der Tonschemata (Metren und Töne: „Hofton“, „Langer Ton“, „Fröhlicher Ton“, „Unbenannter Ton“) aufgeführt. Zu den Melodien wird nur gesagt, dass die zum „Hofton“ in einer Handschrift ganz, einer anderen ohne Abgesang erhalten sei; diese zweite enthalte außerdem den „Fröhlichen Ton“. Um die gesamte Muskatblutüberlieferung zusammen zu haben, werde im Anhang die Rekonstruktion von Horst Brunner und Karl-Günther Hartmann wiedergegeben. Dieser Anhang (S. 602–606), der die Provenienz nicht wiederholt, enthält zwei Melodien, überschrieben als „Ton I = Alter Ton / Hofton“ mit dem Text Ein junkfraw stolcz und „Ton III = Neuer Ton“ mit dem Text Ich wil gen dusem meien. Die Quellenangaben sind dabei nicht an die vorliegende Edition angepasst worden, so dass man sich schwer zurecht findet. – Die Edition (II) der 114 Lied- und 3 Spruch-Texte ist nach den zuvor gründlich referierten Prinzipien übersichtlich gedruckt und am Fuß der Seiten mit Variantenangaben versehen. Der Kommentarteil (III) gibt zu jedem Lied eine kurze Inhaltsangabe sowie Worterläuterungen. Auf das Literaturverzeichnis (IV) folgen einige sehr nützliche Register (V), nämlich: Themen (z. B. Allegorien, Anekdoten, Festtagslieder, Lehrgedichte usw.), Namen, Glossar (die im Kommentar erläuterten Wörter), Grammatik / Metrik / Reim, Bibelstellen. Eine Konkordanz zur Ausgabe Grootes (nur Nummern) findet sich bereits in der Einleitung. So werden sich Germanisten, Historiker und Hymnologen bei Bedarf mit Gewinn dieser neuen Ausgabe bedienen. Ein großes Manko ist allerdings das Fehlen eines Lied- oder noch besser Strophenregisters, das nur in Einzelfällen durch die übrigen Register ein wenig aufgefangen wird, so würde man z. B. das Lied Eins dags wolt ich spacieren mich unter dem Stichwort „spazieren“ im Glossar finden. Scheitler, Irmgard: Opitz musikalisch. Text und Musik im 17. Jahrhundert (Hiersemanns bibliographische Handbücher 26). Verlag Anton Hiersemann: Stuttgart 2021, 400 S. Dass Martin Opitz mit seinem „Buch von der Deutschen Poeterey“ 1624 auch das Kirchenlied nachhaltig geprägt hat, ist bekannt. Wie sehr aber seine Lyrik verbreitet, mit Melodien versehen und mehrstimmig vertont worden ist, kommt in diesem Handbuch erstmals so deutlich ans Licht. Die Autorin hat die Kenntnis ihrer beiden Spezial­ gebiete, Literatur der frühen Neuzeit und die Beziehung zwischen Musik und Literatur, zu einem Nachschlagewerk verarbeitet, das weit über die Opitzforschung hinaus reicht. Im Zentrum (Kapitel III) steht das Repertorium, in dem die gut 130 Texte von Opitz erfasst sind, zu denen Melodien oder Musik überwiegend des 17. Jahrhunderts bekannt sind. Aber auch Werke, die zu einer Dichtung von Opitz gehörende Musik neu betexten und Incipits von Opitztexten, die als Melodieanweisung für neue Text fungieren, sowie Textkontrafakturen und deren Neuvertonungen sind nachgewiesen. Damit erscheinen Populariät und Rezeption des Dichters in ganz neuem Licht. Bereits das umfassende Quellenverzeichnis (Kapitel IV) vermittelt davon einen ersten Ein-

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druck: Autorenliederbücher von Komponisten und Dichtern, Instrumentalquellen, handschriftliche Liedersammlungen und Gesangbücher. Das einleitende Kapitel (I) weist den Weg von der bisher üblichen Auffassung eines „musiklosen und unmusikalischen“ Opitz zur These der Autorin, dass Opitz’ lyrisches Werk nicht zuletzt oder sogar vor allem durch Gesang verbreitet wurde. Zudem bietet es eine kenntnisreiche Einführung in das Lied der Zeit. Unter der Überschrift „Liederbücher“ behandelt Kapitel II geistliche Lieder auf Melodien des Genfer Psalters, bevor in Opitz’ Liedsammlungen  – hier seien nur die Epistellieder von 1628, die Psalmen Davids von 1637 sowie die Bereimung des Hohenliedes von 1627 genannt – eingeführt wird: weit über 200 Liedern hat Opitz Genfer Melodien beigegeben. In der vorliegenden Studie werden Auswahlkriterien, das Verhältnis von Text und Melodie und die Rezeption behandelt. Unverkennbar ist das Anliegen des calvinistischen Dichters, die Lobwasser­ texte ersetzen zu wollen. – Die Ausstattung des Bandes mit sorgfältig ausgewählten Bildern und vielen Registern, die unterschiedliche Zugänge ermöglichen, machen das Handbuch zu einem Werk, dass man zudem unter bibliophilen Gesichtspunkten gerne in die Hand nimmt. Bender, Michael Benedict: Michael Praetorius. Ein Mittler zwischen den Epochen, in: WBK 88 (2021), H. 4, 4–15. Peterson, Birger: „… damit der singende Christ von Strophe zu Strophe seiner Schwäche entkomme“. Michael Praetorius zum 400. Todestag, in: FKM 72 (2021), H. 6, 11–16. Weber, Fabian: Michael Praetorius – Leben und Werk im Überblick. 6 Teile, in: MS(D) 141 (2021), 6–8, 68–71, 134–137, 198–200, 256–258, 316–318. Wellner, Ulf: „Varietas als ein tapffer Ornament der Music“. Michael Praetorius zum 400. Todestag, in: MuK 91 (2021), 48–51. Steiger, Johann Anselm: „Gottes Namen herzlich loben, rühmen und preisen“ – Johann Rist als geistlicher Dichter und seine „Neuen Musikalischen Fest-Andachten“, in: MuK 91 (2021), 14–19. Steiger, Johann Anselm: (Hg.)/ Oliver Huck und Esteban Hernández Castelló (Hg. Notentext): Johann Rist. Heinrich Scheidemann, Die verschmähete Eitelkeit und die verlangete Ewigkeit (Neudrucke deutscher Literaturwerke. Neue Folge 101–102). Teil  1 (1658). De Gruyter: Berlin / Boston 2020, 484 S. – Teil  2 (1668). Mit einem Gesamtregister zur Edition der geistlichen Liedcorpora Johann Rists. De Gruyter, Berlin / Boston 2021, 728 S. Ahrens, Christian: Benjamin Schmolck und Gottfried Heinrich Stölzel – Eine besondere künstlerische Beziehung. Notizen aus dem Gothaer Bibliotheksturm, Folge 22, Online-Publikation: https://blog-fbg.uni-erfurt.de/2020/11/ (10.5.2022). Koch, Ernst: „Thut mir auf die schöne Pforte…“. Benjamin Schmolck. Seelsorge für den Weg zur Mitte, in: Barnbrock, Christoph / Silva, Gilberto da (Hg.): Die einigende Mitte“. Theologie in konfessioneller und ökumenischer Verantwortung (Oberurseler Hefte Ergänzungsbände 20). Edition Ruprecht: Göttingen 2018, 183–200. Im Zentrum des Beitrags steht Schmolcks 1732 erschienene Schrift „Der Geistliche Kirchen-Gefährte, Oder Gebet und Lieder …“ Das darin enthaltene und im Aufsatztitel zitierte Lied selbst spielt nur eine geringe Rolle. Ein wenig versteckt ist die Erkenntnis, dass es anders als in allen gängigen Gesangbüchern angegeben, nicht erst 1734, sondern schon zwei Jahre früher erschienen ist. Kreuels, Matthias: Martin Gotthard Schneider (1930–2017). Prägende Gestalten des neuen Geistlichen Lieds 3, in: MS(D) 141 (2021), 152–154. Seitz, Theresa: Kirchenlieder Friedrich Spees von Langenfeld, in: MSD 141 (2021), Heft 1, 10–11.

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Grunewald, Eckard: Der General und die Dichter. Friedrich Spee, Martin Opitz und Ambrogio Spinola, in: Spee-Jahrbuch 25/26 (2018/19, erschienen 2020), 119–138. Grutschnig-Kieser, Konstanze: „Mit andächtigen Musiquen  / in die Gemeinschafft der Auserwählten Himmels=Burger zu tretten“. Zur Einordnung des Davidischen Harpfen- und Psalter-Spiels von Johann Georg Christian Störl in den Pietismus, in: Kremer, Joachim / Haag, Norbert / Holtz, Sabine (Hg.): Die Kantate im deutschen Südwesten. Quellen, Repertoire und Überlieferung 1700–1770 (Stuttgarter Musikwissenschaftliche Schriften 6). Schott Music: Mainz 2021, 41–59. Als Störl 1707 Kapellmeister der Stiftskirche in Stuttgart wurde, sang die Gemeinde aus dem notenlosen Gesangbuch „Andächtiger Hertzens-Klang“ von 1705. Diesem und seinem Herausgeber, dem Oberhofprediger Johann Reinhard Hedinger, sind die ersten beiden Teile des Beitrags gewidmet. Der dritte Teil gilt Störl und dem Choralbuch „Neubezogenes Davidisches Harpfen- und Psalter-Spiel“ von 1710, in dem dieser zeitgenössisch bearbeitete Melodien zusammengestellt und jedem Lied des „Hertzens-Klangs“ eine Melodie zugewiesen hatte. Es ist ein wichtiges Zeugnis für die kirchenmusikalische Praxis in Württemberg. Dem Pietismus weist es die Autorin zu wegen seines Bezugs zu Hedingers und anderen dem Pietismus angehörigen Gesangbüchern und dem Musikverständis und den Metaphern, die in der Vorrede verwendeten werden. – Zur Diskussion um die Einordnung von Liedern in den Pietismus vgl. auch den Beitrag von Irmgard Scheitler in diesem Band. Finger, Heinz: Caspar Ulenberg – ein Konvertit zwischen Tridentinischer und Kölnischer Kirchenreform, in: Spee-Jahrbuch 25/26 (2018/19, erschienen: 2020), 79–117. Hiemke, Sven: Pädagogisch. Johann Walters „Geistliches Gesangbüchlein“, in: MuK 91 (2021), 324 f. Jers, Norbert: Raymund Weber (*1939). Prägende Gestalten des neuen Geistlichen Lieds 6, in: MS(D) 141 (2021), 330–332. Jers, Norbert: Wilhelm Willms (1930–2002). Prägende Gestalten des neuen Geistlichen Lieds 2, in: MS(D) 141 (2021), 83–85. Büsch, Andreas / Quast, Thomas: Diethard Zils (*1935). Prägende Gestalten des neuen Geistlichen Lieds 4, in: MS(D) 141 (2021), 210–212. Lutz, Samuel: Ulrich Zwinglis Spiritualität. Ein Beispiel reformierter Frömmigkeit, Theologischer Verlag: Zürich 2018, daraus Abschnitt „Musik und Gesang“, 93–97, Wiederabdruck in: MGD 74 (2020), H. 2, 27–29.

C Untersuchung und Auslegung einzelner Lieder C.1 Kommentarwerke Alpermann, Ilsabe / Evang, Martin (Hg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Ausgabe in Einzelheften H. 28 (Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch 3). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2021, 95 S. Enthält Kommentare zu folgenden Liedern: Gott Vater, höre unsre Bitt (MaximilianFriedrich Schiek, 3–4); Liebster Jesu, wir sind hier, deinem Worte nachzuleben (Ders. 5–7); Wir wolln uns gerne wagen (Nicole Schatull / Martin Rößler, 8–13); Gleichwie mich mein Vater gesandt hat (Andreas Marti, 14–15); Herr, der du vormals hast dein Land (Bernhard Leube, 16–20); Lobet den Herren, denn er ist sehr freundlich (Bernhard Schmidt, 21–24); Ich will zu meinem Vater gehn (Wolfgang Herbst, 25–26); Bis

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hierher hat mich Gott gebracht (Alexander Bitzel / Wolfgang Herbst, 27–31); Mein Herz ist bereit (Thomas Schmidt, 32–33); Ich will dem Herrn singen mein Leben lang (Ders., 34–35); Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ (Joachim Stalmann, 36–39); Ich habe nun den Grund gefunden (Thomas Melzl, 40–42); Gib dich zufrieden und sei stille (Susanne Weichenhan / Konrad Klek, 43–51); Jesu, geh voran (Dietrich Meyer / Konrad Klek, 52–59); Herr Jesu, Gnadensonne (Konrad Klek, 60–63); Halt im Gedächtnis Jesus Christ (Ders., 64–67); Herr, gib uns deinen Frieden (Wolfgang Herbst, 68); Nun ruhen alle Wälder (Winfried Böttler / Johannes Heinrich, 69–73); Abend ward, bald kommt die Nacht (Andreas Marti, 74–76); Eine ruhige Nacht (Thomas Schmidt, 77–78); Ich weiß, mein Gott, dass all mein Tun (Ders., 79–84); Die Ernt ist nun zu Ende (Wolfgang Herbst, 85–87); Freu dich sehr, o meine Seele (Lukas Lorbeer /  Andreas Marti, 88–95). Horn, Werner: Wach auf, mein Herz, und singe: 99 evangelische und ökumenische Lieder. Texte, Melodien, Kommentare. Evangelischer Presseverband: Wien 2021, 216 S. Der Autor, (pensionierter) Pfarrer, Superintendent und Dozent (u. a.) für Hymnologie an der Universität Wien, hat hier seine zweite Auswahl an Liedern aus dem EG-Ö kommentiert: kenntnisreich und gut zu lesen, aber kurz und knapp je auf einer Seite für den interessierten Laien zusammengefasst.

C.2 Einzeluntersuchungen (nach Liedanfängen alphabetisch geordnet) Lengerich, Martina van: Ein neues Lied. Alles auf der Welt (Text und Melodie: Miriam Buthmann), in: MuK 91 (2021), 52. Wissemann-Garbe, Daniela: Da pacem domine. Vom Stammbuch ins Gesangbuch, in: MuK 91 (2021), 361. Möller, Christian: Gott, weil er groß ist, gibt am liebsten große Gaben (EG 411). Angelus Silesius als schlesischer Liederdichter, in: Jahrbuch für schlesische Kirchengeschichte 97/98 (2018/19, gedruckt 2020), 141–146. Schneider, Hans-Otto: Elisabeth Crucigers Lied Herr Christ, der einig Gottssohn, in: Kohnle, Armin / Dingel, Irene (Hg.): Die Crucigers. (s. II.B), 303–319. Schneider geht dem in der Forschung gelegentlich behaupteten Vorrang der niederdeutschen gegenüber der hochdeutschen Textfassung nach und negiert ihn aus sprachlichen Gründen (Texteditionen S. 318 f.), belegt biblische Quellen, räumt Zweifel an der Verfasserschaft aus und zeigt die Rezeption durch Ludwig Andreas Gotters Lied Herr Jesu, Gnadensonne (Text abgedruckt), findet Spuren in Philipp Nicolais Wie schön leuchtet der Morgenstern und zeigt die Wiederentdeckung in der Singbewegung. Die Melodie ist nicht Gegenstand des Aufsatzes. Walter, Meinrad: In stiller Nacht von Johannes Brahms. Komponierte Gebete (1), in: MS(D) 141 (2021), 12–14. Betrifft auch das Verhältnis zu Friedrich Spees Gedicht Bey stiller Nacht aus der „Trutznachtigall“ 1649. Straub, Barbara: Ein neues Lied. Mit Bergen und mit Steinen (Text: Annemarie ­Schimmel; Melodie: Bernhard König), in: MuK 91 (2021), 326 f. Robert, Jörg: Luthers Lieder als Antikenübersetzung?: Überlegungen zur Ambrosius-Bearbeitung Nu kom der Heyden heyland, in: Toepfer, Regina / K ipf, Johannes Klaus / Robert, Jörg (Hg.): Humanistische Antikenübersetzung und frühneuzeitliche Poetik in Deutschland (1450–1620) (Frühe Neuzeit 211). De Gruyter: Berlin 2017, 353–381.

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Fischer, Michael: O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens. Karriere eines Weltgebets, in: MuK 91 (2021), 352 f. Wissemann, Antje: Ein neues Lied. Teil, was du hast (Text: Clemens Bittlinger; Melodie: Andreas Mücksch), in: MuK 91 (2021), 256. Seifried, Peter-Michael: Ein neues Lied. Teufelskreise verlassen [= Refrain; Strophen­ anfang: … auf Sonnenseiten gesetzt] (Text: Christine Tergau-Harms / Fritz Baltruweit; Melodie: Fritz Baltruweit), in: MuK 91 (2021), 394 f. Arnold, Jochen: Ein neues Lied. Until all are fed [= Refrain; Strophenanfang: How long will we sing?/ Singen wollen wir] (Text: Tommy Brown, Bryan McFarland, dt.: Fritz Baltruweit; Melodie: Bryan McFarland), in: MuK 91 (2021), 186 f. Verhave, Jan Peter: Van lijfspreuklied tot Bachkoral. Over het lied Welt, tobe wie du willst, in: Muziek en Liturgie, 90 (2021), Nr. 2, 28–33. Marti, Andreas: Spuren fehlerhafter Überlieferung. Zur Melodie von Wir haben Gottes Spuren festgestellt, in: FKM 72 (2021), H. 5, 24–25. Herrmann, Gottfried: „Herr Christ, der einig Gotts Sohn“. Gedanken zu einem Lied (vgl. EG 67; LG 74; ELKG 46), in: Barnbrock, Christoph / Silva, Gilberto da (Hg.): „Die einigende Mitte“. Theologie in konfessioneller und ökumenischer Verantwortung (Oberurseler Hefte Ergänzungsbände 20). Edition Ruprecht: Göttingen 2018, 456–461. Schon der Titel des Aufsatzes weist darauf hin, dass der Beitrag nicht als hymnologische Forschung, sondern eben einfach als „Gedanken“ gemeint ist, sonst wäre neuere wissenschaftliche Literatur angegeben worden: so wird das Handbuch zum EKG und nicht die Liederkunde zum EG genannt. Unverständlich sind die Schlussgedanken, die sich auf Nun komm, der Heiden Heiland, nicht Herr Christ, der einig Gotts Sohn beziehen und einen Vergleich mit den evangelischen Kirchenlieddichtern des 20. Jahrhunderts herbeireden – ist da nur das Liedincipit vertauscht oder ein verkehrtes Schlusswort in den Aufsatz geraten? Wiesenfeldt, Christiane: Sie ist mir lieb, die werte Magd. Luthers musikalisches Marienbild zwischen Konkretion und Abstraktion, in: Jahn, Bernhard / Schindler, Claudia (Hg.): Maria in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit (Frühe Neuzeit 234). De Gruyter: Berlin 2020, 217–240. Nachdem Wiesenfeldt musikalische Marienbilder um 1500 vorgeführt hat (Josquin Desprez’ Motette „Illibata Dei virgo nutrix“ und Pierre de la Rues „Ave sanctissima Maria“, vergleicht sie das Lied Maria zart aus dem späten 15. Jh. mit Luthers Sie ist mir lieb, die werte Magd. Holzschnitte von Albrecht Dürer und Lucas Cranach bzw. aus dessen Werkstatt werden dazu in Beziehung gesetzt. Scobel, Cordula: Ein neues Lied. Wir reichen einander das Hoffnungslicht (Text und Melodie: Norbert Kissel), in: MuK 91 (2021), 120.

D Gesangbücher und Liedersammlungen (Ausgaben und Kommentare; Ausgaben und Kommentare einzelner Personen s. II.B) Evangelisch-lutherisches Kirchengesangbuch. Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche. Deutsche Bibelgesellschaft: Stuttgart 2021, 1825 S. Das ELKG2 abgekürzte Buch wurde zum 1. Advent 2021 eingeführt und ist wie das Vorgängergesangbuch 1987 (das den Stammteil mit dem EKG geteilt hat), weit mehr

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als ein Gesangbuch. Zunächst ist es auch ein Gottesdienstbuch, das nach zwei Grundordnungen (Ordinarium) alle wechselnden Stücke (Proprium) inklusive Psalmen samt eigens geschaffenen Introiten und vollständig abgedrucktem Lektionar enthält (Nr. 1–98 = S. 45–438). Ungezählt folgen weitere Ordnungen zu Beichte, besonderen Tagen / Wochen und Andachten. Nach dem eigentlichen Liedteil (Nr. 100–799) samt Psalmengesängen (Nr. 800–844) geht die Zählung weiter mit Tagzeitengottesdiensten und Andachten (Nr. 900–977), bevor Erläutungen und liturgische Abläufe, z. B. zu den Kasualien, das Gottesdienstgeschehen aufschließen (S. 1517–1541). Es folgen ein Gebetbuch für zahlreiche Lebenslagen (S. 1545–1643) sowie Bekenntnisse (S. 1649–1722, altkirchliche Bekenntnisse, Kleiner Katechismus, Auszug aus dem Konkordienbuch von 1580). Unter Verzeichnissen werden eine Liedgeschichte, Biogramme von Dichtern und Komponisten, Rechteinhaber, Gesänge aus Taizé, Mehrstimmige Gesänge, Kanons, Psalmen und Psalmdichtungen und das alphabetische Register geführt.  – Das trotz seines Umfangs immer noch handliche Buch ist in Noten- und Textschrift angenehm lesbar, auch wenn sie auf den dünnen Seiten ein wenig durchschlagen. Die Grundfarbe Blau des Covers zieht sich durch Nummerierung, Zwischentitel, sparsam eingestreute (Bibel-)Verse und Hervorhebungen und gibt dem Buch ein charakteristisches Aussehen. Der einzige graphische Schmuck ist das goldgeprägte Logo des Einbands, in dem man bei intensiver Betrachtung einige Symbolik erkennen kann. Offele, Winfried: Kirchenlieder, hinterfragt  – Gesänge des Gotteslob 2013 zwischen Nr. 81 und Nr. 566 unter der Lupe, und im Anhang weitere Liedtexte. edition fischer: Frankfurt am Main 2020, 182 S. Nachdem der Autor als Kirchenmusiker am GL von 1975 mitgewirkt hatte, listet er nun in unterschiedlicher Ausführlichkeit alles auf, was ihm an Text- und Melodie(fassungen) im GL von 2013 nicht gefällt und macht auch Verbesserungsvorschläge, die aber oft nicht direkt einleuchten. Im Anhang werden zahlreiche Texte abdruckt, die er an verschiedenen Stellen lieber gesehen hätte. Darunter offenbar Eigendichtungen, z. B. zum Danke-Lied. Sicherlich ist die eine oder andere Kritik bedenkenswert, das einzig angeführte Argument der Praxisnähe aber sehr kurz gegriffen und den individuellen Vorlieben des Autors entsprossen. Mit Herz und Mund [MHM]. Gesangbuch / Rejoice, my heart. Hymnbook. Gottesdienst-Institut der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern / M ission EineWelt: Nürnberg 2020, 657 S. Das Gesangbuch, von dem jede Gemeinde der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB), ein Exemplar erhalten hat, enthält gut 300 Lieder, Vaterunser, das Apostolikum und das Nicäno-Konstantinopolitanum jeweils in deutscher und englischer Sprache. Populariät in den Herkunftstraditionen in Deutschland, den USA, Australien, Großbritannien, Hongkong und der Ökumenischen Bewegung gehörte zu den Auswahlkriterien. Die Anordnung der Lieder – die Großgruppen sind farbig markiert – entspricht weitgehend der im EG (mit bayrisch-thüringischem Regionalteil), enthält aber auch Lieder aus „Kommt atmet auf“ und ganz eigene. Das Gesangbuch ist also auch außerhalb der ELKB benutzbar. Viele Lieder sind vierstimmig gesetzt, die Lesbarkeit ist dabei durch ein großes Format der Ausgabe (24 × 17 cm) und dadurch, dass deutsche und englische Lieder auf Recto- und Versoseiten eigene Noten haben, sehr gut. In der Regel wurde nicht an Strophen gespart – sie sind stets auf das anderssprachige „Partnerlied“ bezogen, so dass gemeinsam oder abwechselnd gesungen werden kann. Einige Lieder sind extra für MHM übertragen worden, viele von Christina Falkenroth. In seinem Vorwort knüpft Heinrich Bedford-Strohm an

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Literaturbericht Hymnologie.Daniela Wissemann-Garbe

die vielsprachigen Liederbücher der ökumenischen Bewegung an: Cantate Domino (1924), Laudamus (1952), Thuma Mina (1995), Unisono (1997), Colours of Grace (2006), betont aber, dass MHM nicht für Konferenzen, sondern für den Gebrauch in den Gemeinde bestimmt ist, wo Menschen aus vielen Ländern sich eben oft englisch verständigen.

Literaturbericht Hymnologie Französischsprachige Länder (2020) 2021

Beat Föllmi

I. Liturgie und Musik Davy-Rigaux, Achille (Hg.): Jean-Yves Hameline. Sur le culte divin et la musique. Écrits rassemblés (Église, liturgie et société dans l’Europe moderne 4). Brepols: Turnhout 2020, 816 S. Der Band präsentiert eine Reihe von verstreuten Aufsätzen des großen Liturgikers J.-Y. Hameline (1931–2013), darunter auch mehrere Beiträge zu Fragen liturgischer Musik.

II. Hymnologie B. Lutherchoral Föllmi, Beat: Les chants de la Réforme: aspects spirituels et culturels, in: Sosoe, Lukas K. (Hg.): Luther, l’Europe et la Réforme (Europaea memoria. Studien und Texte zur Geschichte der europäischen Ideen, Reihe I: Studien, Band 130). Olms: Hildesheim 2021, 115–130. Föllmi, Beat: Luther et le chant: psaumes, hymnes er cantiques spirituels, in: Renon, Marie-Reine (Hg.): Les chants sacrés de Luther, Bach et Telemann. Colloque dans le cadre du Jubilé de la Réforme, 29–30 septembre 2017 (Vox Aurea – Via Sacra). SaintAmand-Montrond, 2021, 41–51. Föllmi, Beat: J. S. Bach chante la théologie luthérienne: des chants de Luther aux cantates de Bach, in: ebd., 61–68.

D. Gregorianik Claire, Dom Jean: Le rituel quadragésimal des catéchumènes à Rome: essai de reconstitution, in: Études grégoriennes XLVIII (2021), 53–87. Dufetel, Nicolas: Les sources françaises du plain-chant et de la „Sainte Élisabeth“ de Liszt: D’Ortigue, Montalembert, Raillard, Lambillotte et quelques autres, in: Dufetel, Nicolas (Hg.): La Musique religieuse en France au XIXe siècle. Le sentiment religieux entre profane et sacré (1830–1914). Brepols: Turnhout 2021, 169–208.

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Literaturbericht Hymnologie.Beat Föllmi

Lessmann, Benedikt: Le chant grégorien en France (1811–1908): entre liturgie, science, politique et esthétique, in: ebd., 111–144. Porret-Dubreuil, Amélie: Figures de la restauration de la musique d’Église: physionomie du Congrès pour la restauration du plain-chant et de la musique d’église, Paris 1860, in: ebd., 145–168.

III. Kirchenmusik A. Zur Geschichte und Bibliographie der Kirchenmusik Dufetel, Nicolas (Hg.): La Musique religieuse en France au XIXe siècle. Le sentiment religieux entre profane et sacré (1830–1914). Brepols: Turnhout 2021, LVI+436 S. Großer Sammelband mit vorwiegend französischsprachigen Beiträgen. Behandelt sowohl liturgische als auch religiöse Musik im weiteren Sinn und zwar im Zeitraum zwischen dem Konkordat 1801 und der Trennung von Kirche und Staat 1905. – Wichtige, hier nicht anderweitig eingeordneten Beiträge sind: Dufetel, Nicolas: Syncrétisme, éclectisme et sentiment religieux: Les transformations de la musique catholique en France au XIXe siècle entre profane, sacré et politique, IX–LVI – Petit, Vincent: La musique et le chant dans le culte catholique en France au XIXe siècle, 25–54 – Dufetel, Nicolas: Charles Gay, Liszt et Gounod: ‚artistes chrétiens‘ entre Paris et Rome. Les années 1830 aux sources du catholicisme romantique, 55–90 – L’Écuyer, Sylvia: D’Ortigue, Berlioz, le Te Deum, et la ‚vraie‘ musique religieuse, 209–234 – Ramaut, Alban: Hector Berlioz et l’expression du spirituel, 233–250  – Stahl, Christina M.: Confessions de foi d’un incroyant: la musique religieuse de Camille Saint-Saëns, 251–286 – Schauerte-Maubouet, Helga: La musique religieuse de Gabriel Fauré: ordre et beauté, luxe, calme et volupté, 287–307 – Niccolai, Michela: Le religieux ‚populaire‘ dans la chanson: entre cabarets et maisons d’éducation pour les jeunes filles. L’exemple du Fonds Bornemann (1850–1910), 309–324  – Branger, Jean-Christophe: ‚L’amour, ineffable mystère, Nous fut donné par l’Éternel‘: Massenet et l’expression du sentiment religieux, 325–351 – Génissel, Pauline: Le ‚Principe religieux‘ de Vincent d’Indy appliqué au Chant de la cloche, 391–413. Föllmi, Beat: Le roi Salomon et George II d’Angleterre. Une relecture musicale de la royauté par Georg Friedrich Haendel, in: Bonneau, Guy / Cardita, Ângelo / Föllmi, Beat (Hg.): La royauté biblique. Regards sur l’utilisation du thème dans la musique, la liturgie et le théâtre (Réécriture et rupture [1]). Presses de l’Université Laval: Québec 2021, 5–31. Analyse von Händels Oratorium Salomon im Hinblick auf die Darstellung des biblischen Königtums.

C. Zur Aufführungspraxis der Kirchen- und Orgelmusik Bovet, Guy: Les œuvres d’orgue et clavecin de D. Gregorio Strozzi (1615–1687), in: La Tribune de l’Orgue 73/2 (2021), 7–15. Bovet, Guy: La musique d’orgue d’Ulisse (Ulysse) Matthey (1876–1947), in: La Tribune de l’Orgue 73/2 (2021), 24–25.

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Bovet, Guy: Claude Pahut: un apôtre de l’orgue, in: La Tribune de l’Orgue 73/2 (2021), 26–30. Bovet, Guy: L’orgue Zwirner / Cattin (2020) de l’Oratoire St-Joseph à Carouge (GE), in: La Tribune de l’Orgue 73/2 (2021), 40–42. Bovet, Guy: Une reconstitution de l’orgue médiéval de la chapelle Anaya à Salamanque, in: La Tribune de l’Orgue 73/2 (2021), 43. Bovet, Guy: Le nouvel orgue de tribune du Temple de Cossonay. in: La Tribune de ­l ’Orgue 73/2 (2021), 44–45. Bovet, Guy: Le triste sort de l’orgue de Schiers, in: La Tribune de l’Orgue 73/3 (2021), 30–31. Bovet, Guy: L’orgue alsacien de la basilique Notre-Dame de Neuchâtel et son constructeur, in: La Tribune de l’Orgue 73/3 (2021), 31–33. Cadrin, Paul: Marcel Dupré et les frères Casavant. Une amitié qui a marqué notre histoire, in: Mixtures. Bulletin de liaison de la Fédération Québécoise des Amis de l’Orgue 53 (2021), 5–10. Godel, Didier: L’incroyable épopée d’un orgue fribourgeois au pays du cassoulet, in: La Tribune de l’Orgue 73/2 (2021), 35–39. Girard, Julien: De Thetford Mines à Roberval: un orgue voyageur, in: Mixtures. Bulletin de liaison de la Fédération Québécoise des Amis de l’Orgue 53 (2021), 22–25. Povilionis, Girénas: Dessins de façades d’orgue du 18e siècle par des facteurs d’orgues de Vilnius, in: La Tribune de l’Orgue 73/3 (2021), 7–16. Rechsteiner, Yves: Sortir l’orgue des églises? Quelques réflexions sur un projet d’orgue transportable, in: La Tribune de l’Orgue 73/1 (2021), 19–22. Renier, Leo: Le constructeur de l’orgue de bambou de Manille et l’influence de l’orgue dans les colonies espagnoles, in: La Tribune de l’Orgue 73/1 (2021), 7–18. Thévenaz, Vincent: L’orgue au conservatoire de Genève jusqu’en 1950, in: La Tribune de l’Orgue 73/1 (2021), 24–31. Thévenaz, Vincent: L’orgue dans la vie musicale genevoise, in: La Tribune de l’Orgue 73/2 (2021), 17–23. Thévenaz, Vincent: Le rite du concert d’orgue, in: La Tribune de L’Orgue 73/3 (2021), 17–23.

IV. Zur Geschichte Föllmi, Beat: Théodore Gérold: au carrefour de la musicologie et de la théologie, des cultures française et germanique, in: Revue d’Histoire et de Philosophie Religieuses 100/1 (2020), 55–66. Würdigung der musikwissenschaftlichen und hymnologischen Leistung des ersten Lehrstuhlinhabers für Kirchenmusik an der Universität Straßburg nach 1919.

Literaturbericht Hymnologie Ungarn 2013–2016

Ágnes Papp

Zeitschriftenschau Die Quartalschrift „Magyar Egyházzene“ („Ungarische Kirchenmusik“) der interkonfessionellen Gesellschaft für Ungarische Kirchenmusik („Magyar Egyházzenei Társaság, MEZ “) bietet Material für Wissensvermittlung über Kirchenmusik, Liturgik und Organologie, veröffentlicht neue Forschungsergebnisse und beschäftigt sich sowohl mit den Denkmälern der Vergangenheit, als auch mit gegenwärtiger Problematik und mit den zukünftigen Perspektiven der Musik im Gottesdienst. Die Hefte der Jahrgänge 20 und 21 bieten eine bemerkenswerte Schriftenreihe in sechs Abschnitten von Miklós István Földváry über die Erforschung von Varianten in der römisch-katholischen Liturgie. Heft 21/1 dokumentiert die Tagung – bzw. die Referate – „über das Studium Kirchenmusik in Ungarn nach den Jahrhunderten von Franz Liszt und Zoltán Kodály“, die 2013 als Landeskonferenz Kirchenmusik-Pädagogik in Gödöllő stattfand. Die calvinistisch reformierte Kirche in Ungarn, welche die Jahre zwischen 2009 und 2014 Gedenkjahre der Erinnerung an Johannes Calvin gewidmet hat, veranstaltete Oktober 2013 eine dreitägige Konferenz („Aufbewahrung und Erneuerung“) anlässlich ihres – noch in Vorbereitung befindlichen – neuen Gesangbuch (s. unter VI. Ferenczi 2013/2014). 2015 aus dem Anlass seines 80. Geburtstages fand eine Gedenktagung an den in 2011 verstorbenen Professor László Dobszay statt, der u. a. Neubegründer der Fakultät für Kirchenmusik der Franz Liszt Musikakademie (Budapest) war; die Beiträge wurden im Heft 23/1 publiziert. Die Hefte der Jahrgänge 20–23 sind auf der Webseite egyhazzene.hu erreichbar und von dort herunterladbar: https://t1p.de/a0ubp (2.5.2022).

I. Liturgik Földváry, Miklós István: A római rítus változatainak kutatása [Die Erforschung von Varianten im römischen Ritus.], in: Magyar Egyházzene 20/1 (2012/2013) – 21/4 (2013/2014) I. Bevezető gondolatok. [Einleitende Gedanken.], 20/1, 29–36. II. Módszerek és forráshasználat. [Methode und Arbeit mit den Quellen.], 20/2, 115–120.

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III. Virágvasárnap a középkori Magyarországon. [Palmsonntag im mittelalterlichen Ungarn.], 20/3, 235–258. IV.–V. Virágvasárnap a középkori Európában I–II. [Palmsonntag im mittelalterlichen Europa.], 21/2, 115–147, 21/3, 227–258. VI. Az úzus kialakítása és funkciója: kompozíció és önazonosság. [Gestaltung des Usus und seine Funktion: Komposition und Identität.], 21/4 (2013/2014), 339–358. Pap, Ferenc: Liturgikus teológia és hangsúlyainak hiánya a református egyházban. [Liturgische Theologie und das Fehlen ihrer Akzentuierung in der liturgischen Theologie der calvinistisch reformierten Kirche.], in: Magyar Egyházzene 20/3 (2012/2013), 353–364. Ullmann, Péter Ágoston OPraem: A liturgikus ének és a népének szerepe a hitoktatásban. [Die Rolle des liturgischen Gesangs und des Kirchenliedes in der Religionslehre.], in: Magyar Egyházzene 20/4 (2012/2013), 416–420.

II. Stundengebet und Rituale Földváry, Miklós István: Az Obsequiale Strigoniense. [Das Obsequiale Strigoniense.], in: Magyar Egyházzene 22/4 (2014/2015), 339–348. Déri, Balázs: Az eszményi napszaki himnuszciklus. [Der ideale Hymnenzyklus für die Tageszeiten.], in: Magyar Egyházzene 23/4 (2015/2016), 345–354. Földváry, Miklós István: A házasságkötés rítussora a magyar hagyományban. [Hochzeitsriten im ungarischen liturgischen Usus.], in: Magyar Egyházzene 23/4 (2015/2016), 355–374.

III. Faksimile-Ausgaben, Nachdrucke, Quellen Kővári, Réka (Hg.): A Deák-Szentes kézirat. The Deák-Szentes Manuscript. [Das DeákSzentes Manuskript] Fontes historici Ordinis Fratrum Minorum in Hungaria 6.  (ed. Zoltán Fáy et al.) Budapest 2013, 364 S. Die Herausgabe der Deák-Szentes Manuskript gilt als ein hervorragendes Ereignis in der neuesten ungarischen Musikgeschichtsforschung. In diesem aus dem 18. Jahrhundert stammenden handschriftlichen Gesangbuch wurde die alte Seklerländische Kirchengesangstradition aufbewahrt: es bietet die praktische Niederschrift der Melodien des Gesangbuches „Cantionale Catholicum“ von Joannes Kajoni (1676) und dessen zweiter, von Ágoston Balázs redigierten, zweiten Auflage (1719). Neben Gesänge, welche eng mit den Ausgaben der „Cantionale Catholicum“ Gesangbücher verbunden sind, findet man im Deák-Szentes Manuskript auch Messen, Litaneien, Cantiones des Barockzeitalters und neue Textentwurfe etlicher Kirchenlieder gemäß der zeitgenössischen Praxis der Kantoren. Der Inhalt der Handschrift ließ sich trotz ihres heutigen mangelhaften Zustandes mit Hilfe von Kopien aus dem 20. Jahrhundert völlig rekonstruieren. Szenci Molnár, Albert: Magyar zsoltároskönyv. [Ungarisches Buch der Psalter.] Nemzeti Könyvtár 34. Budapest 2014, 432 S. Die Neuausgabe von Szenci Molnárs ungarischem Psalter wurde herausgegeben von Gábor Bencsik (Redaktion), Tamás Bódiss (Notenteil), Krisztina Pálóczy (Notensatz), Zsolt Pozsgai (Einleitung). Sie wird unter dem gemeinsamen Titel „Über die Neuausgabe der Genfer Psalmlieder“ vorgestellt von:

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Pálóczy, Krisztina: Szenci Molnár Albert zsoltárkönyvének újabb kiadása a Nemzeti Könyvtár sorozatban [Eine Neuausgabe von Albert Szenci Molnárs Buch der Psalter in der Reihe „Nationalbibliothek“]; Bódiss, Tamás: A genfi zsoltárok időszerű zenei kérdései, különösképpen a sorkapcsolatok terén. [Aktuelle musikalische Fragen bezüglich des Genfer Psalters: Strophenform und Zeilen.], in: Magyar Egyházzene 23/2 (2015/2016), 155–162. Szoliva, Gábriel (Hg.): Psalterium Strigoniense Venetiis 1523 cum notis musicis manuscriptis (Psalterium Nicolai Olahi). Musicalia Danubiana 25. Budapest 2015, 435 S. Mit dem 25. Band präsentiert sich die Reihe „Musicalia Danubiana“ – gegründet vom Institut für Musikwissenschaft in Budapest für Quelleneditionen mitteleuropäscher Musik – im erneuerten Gewand. Das jetzt veröffentlichte, dank der handschriftlichen Eintragungen wertvollste Exemplar des repräsentativen Druckes „Psalterium Strigoniense“ aus dem Jahre 1523 befand sich bis Ende des 17. Jahrhunderts in Wien, und kam auf unbekannten Wegen in die Bayerische Staatsbibliothek. Von ungarischen Forschern war es als Denkmal der ungarischen Graner (Esztergom) Offiziumstradition bestimmt und dieses Exemplar sogar gerade aus der Bibliothek des Graner Erzbischofs Miklós Oláh (1493–1568). Die Edition enthält nicht nur eine Faksimile-Wiedergabe des Psalteriums: die Begleitstudie bietet nach der Besprechung der Buchwesen auch eine inhaltliche Erörterung des Antiphonen- und Hymnenrepertoires an. Varga, Benjamin: Obsequiale Strigoniense: 1490–1560. Monumenta Ritualia Hungarica: Műhelytanulmányok 2. Budapest 2016, ci + 128 [+ 25] S. Das Graner (Esztergom) Obsequiale gehörte zu den beliebtesten Druckwerken Ungarns im späten Mittelalter: es erlebte mindestens neun Ausgaben zwischen 1490 und 1560, erhalten sind davon aber heute nur sehr wenige Exemplare. Dieses Obsequiale enthielt die Riten zum menschlichen Leben (z. B. den Ritus des Begräbnisses) und der verschiedenen Prozessionen: dieses praktisches Nutzen war eben einer der Gründe, daß die meisten Exemplare dieser Buchgattung durch intensive Nutzung im Freien außerhalb der Kirche stark beschädigt und oft zunichte gegangen wurden. Im Fokus der Liturgieforschung steht es deshalb, weil es hier um das Rituale, um die einzige Quelle für den zentralen kirchlichen Usus Ungarns geht, deren Inhalt von den Anfängen des Usus im 11. Jahrhundert bis zu seinem Niedergang im 17. Jahrhundert gut nachfolgbar ist.

IV. Gesangbücher (Ausgaben und Sekundärliteratur) Földváry, Miklós István / Csonka, Szabina Babett / Szoliva, Gábriel OFM / Papp, Ágnes /  Déri, Balázs (Hg.): Psalterium Strigoniense I: Pars nocturnalis; II: Pars diurnalis; III: Tonarius. Monumenta Ritualia Hungarica, Series Practica I–III. Budapest 2014, lxxii + 354 S.; 418 S.; 104 S. Praxisorientierte zweisprachige Ausgabe mit Musiknoten des Psalterium-Gesang­ buches des mittelalterlichen ungarischen Offiziums. Das Projekt wurde von der Fakultät für Geisteswissenschaften (Lehrstuhl Lateinische Sprache) der Eötvös Loránd Universität in Budapest betreut. In Ungarn lässt sich eine tief verwurzelte und auch im Ausland anerkannte Tradition des gregorianischen Gesangs nachweisen. Die Reihe „Monumenta Ritualia Hungarica, Series Practica“ fusst auf strengen wissenschaft­ lichen Forschungskriterien, hat aber dabei die Zielsetzung, ungarische mittelalterliche liturgische Bücher in leicht benutzbaren und übersichtlichen Form darzustellen, um ihre Anwendung in Wissenschaft, Schulung, artistischer Interpretation und kirchlicher Praxis zu fördern.

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Bence, Gábor / Csernyik, Ferenc / Ecsedi, Zsuzsanna / Pócs, Miklós (Hg.): Evangélikus korálkönyv az Evangélikus énekeskönyvhöz és a Gyülekezeti liturgikus könyvhöz. [Evangelisch-lutherisches Choralbuch zum Kirchengesangbuch und zum Liturgischen Gemeindebuch.] Luther Kiadó: Budapest 2013, 252 S. Fekete, Anikó: Luther-kortársak énekei az 1982-es Evangélikus Énekeskönyvben. [Gesänge von Luther-Zeitgenossen im Evangelisch-lutherischen Gesangbuch von 1982.] DLA Diss. Budapest (Liszt Ferenc Zeneművészeti Egyetem) 2015, xiv + 295 S.

V. Hymnologische Forschung, Geschichte und Quellen des Kirchenliedes Die Forschungsgruppe für Literatur und Frömmigkeit im Barockzeitalter (Ba­ rokk Irodalom és Lelkiség Kutatócsoport) wurde 2012 an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Katholischen Universität Péter Pázmány (verkürzt PPKE BTK) als Forschungsprojekt des Lehrstuhls für Literaturwissenschaft gegründet. Forschungsthemen dieser Projektgruppe fokussieren sich auf Quellen und Formen der barocken Liturgie und Andacht, auf gedruckte und handschriftliche Gebete, Kirchenlieder, Predigten usw. vor 1800 innerhalb des Karpatenbeckens. Bibliographische Vorarbeiten, Erschließung der Quellen, Texteditionen, computerisierte Verarbeitung der Daten und Dokumente stehen im Vordergrund der Arbeiten dieser Literaturwerkstatt (Pázmány Irodalmi Műhely), welche dank Konferenzen und Studienbände (Lelkiségtörténeti Tanulmányok; Studien zur Frömmigkeitsgeschichte) ein breiteres Forum erlangen können. (Siehe hier unten Bogár 2014, 2015, 2015–2016; Kővári 2013; Szádoczki 2016; Szelestei 2013.) Bogár, Judit: 1800 előtti magyarországi katolikus népénekek és énekeskönyvek szak­ irodalmi bibliográfiája. [Fachbibliographie über katholische Kirchengesänge und Gesangbücher in Ungarn vor 1800.] Budapest 2014, 84 S.  Die Bibliographie ist frei online verfügbar: https://t1p.de/pxwgz (2.5.2022). Bogár, Judit (Hg.): Régi magyar népénekek és imádságok. [Alte ungarische Kirchenlieder und Gebete.] Pázmány Irodalmi Műhely: Lelkiségtörténeti Tanulmányok 11. Budapest 2015, 276 S. Die Aufsatzsammlung ist frei online verfügbar: https://t1p.de/dco19 (2.5.2022). Bogár, Judit: Kiegészítések az 1800 előtti magyarországi katolikus népénekek és énekeskönyvek szakirodalmi bibliográfiájához. [Supplementa zur Fachbibliographie über katholischen Kirchengesängen und Gesangbüchern in Ungarn vor 1800.] Budapest 2015–2016, 9 S.  Die Bibliographie ist frei online verfügbar: https://t1p.de/e8xzr (2.5.2022). Ferenczi, Ilona: A gregoriánkutatás mostohagyermeke: az anyanyelvű gregorián. A magyar nyelvű graduálok katalógusa. [Das Stiefkind der Gregorianikforschung: die muttersprachliche Gregorianik. Ein Katalog der ungarischsprachigen Graduale.], in: Kiss, Gábor (Hg.): Zenetudományi Dolgozatok 1978–2012. Budapest 2014, 77–82. Ferenczi, Ilona: A magyar nyelvű graduálok új szövegcsoportja: az apostoli intenciók. [Eine neue Textgruppe in den Gradualen in ungarischer Sprache: die apostolischen Intentionen.], in: Kiss, Gábor (Hg.): Zenetudományi Dolgozatok 2013–2014. Budapest 2016, 115–123.

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Literaturbericht Hymnologie.Ágnes Papp

Hubert, Gabriella H.: A Martjanska pesmarica (Martyánci énekeskönyv) és a 16–17. századi magyar gyülekezeti ének. [Das Gesangbuch von Martyánc und der ungarische Kirchengesang im 16.–17. Jahrhundert.] In Gáborjáni Szabó, Botond / Oláh, Róbert (Hg.): „Kezembe vészem, olvasom és arról elmélkedem“. Emlékkönyv Fekete Csaba születésének 75. és könyvtárosi működésének 50. évfordulójára. Debrecen 2015, 368–384. Hubert, Gabriella H.: Keresztyéni énekek. [Christliche Gesänge.] Debrecen 1610, in: Bitskey, István / Fazakas, Gergely Tamás / Luffy, Katalin / Száraz, Orsolya (Hg.): In via eruditionis. Tanulmányok a 70 éves Imre Mihály tiszteletére. Debrecen 2016, 201–210. Hubert, Gabriella H. / Vadai, István / Ecsedi, Zsuzsanna (Hg.): Evangélikus és református gyülekezeti énekek (1601–1700). [Kirchengesänge der evangelisch-lutherischen und calvinistisch reformierten Kirche (1601–1700). Quellenkritische Gesamtausgabe in der Reihe] Régi Magyar Költők Tára, XVII. század, 17. Budapest 2016, 1022 S. Im vorliegenden Band der Reihe „Régi Magyar Költők Tára, XVII. Század“ („Die Gesamtausgabe Alter Ungarischer Dichtung: 17. Jahrhundert“) wurden Gemeindegesänge und Gesänge zum Begräbnis aus dem 17. Jahrhundert veröffentlicht, deren Autoren unbekannt oder wenig beachtet sind. Ein Teil der Gesänge war gemeinsames Liedgut der evangelisch-lutherischen und calvinistisch reformierten Kirchen, ein anderer Teil war von den evangelisch-lutherischen Gemeinden verwendet, am meisten in Eperjes (Eperies; heute Prešov) und von den der Region Transdanubien zugehörigen Gemeinden. Jene evangelisch-lutherischen Kirchenlieder, welche in Wechselbeziehungen mit Kirchenliedern der deutschen, slowakischen und slowenischen Bevölkerungsgruppen in Ungarn standen, bieten einen wichtigen Beitrag für die Geschichte des ungarischen Übersetzungswesens und für die ungarische Musikgeschichte. Sie bezeugen ein Wechselspiel, das sich mehrfach im Bereich von Sprache, Musik und Poesie ereignete. Außerdem übt eine beachtliche Anzahl dieser Gesänge eine Wirkung bis in die Gegenwart aus: Sie werden seit Jahrhunderten gesungen, auch neuzeitliche Chorwerke und Instrumentalbearbeitungen knüpfen an die alte Gesangstradition an. Kiss, Gábor: Az Ulászló-graduále utóélete az újabb kutatások fényében. [Nachträge und Marginalien des Wladislaus-Graduale im Lichte der neueren Forschungsergebnisse.], in: Magyar Egyházzene 20/3 (2012/2013), 315–322. Kovács, Márton: Elméleti és gyakorlati adalékok  a katolikus passióéneklés történetéhez 1630 és napjaink között. [Beiträge zur Theorie und Praxis der Geschichte des katholischen Passionsgesangs (in Ungarn) seit 1630 bis zur Gegenwart.], in: Magyar Egyházzene 22/2 (2014/2015), 123–140. Kővári, Réka: Halottas énekek Bukovinában és Moldvában. Nyomtatott énekeskönyvek és népi kéziratosok kapcsolata. [Toten- und Grabgesänge in der Bukowina und der Moldau. Die Beziehung zwischen gedruckten Gesangbüchern und Volkshandschriften.], in: Bogár, Judit (Hg.): Az áhítat nem hivatalos alkalmai és formái az 1800 előtti Magyarországon. [Nichtoffizielle Anlässe und Formen der Andacht in Ungarn vor 1800.] Pázmány Irodalmi Műhely: Lelkiségtörténeti Tanulmányok 4. Piliscsaba, 2013, 145–158. Retkes, Attila: Pálffi Márton és az 1924-es Unitárius Énekeskönyv. [Márton Pálffi und das Gesangbuch der Unitarischen Kirche von 1924 (Siebenbürgen).], in: Magyar Egyházzene 21/1 (2013/2014), 21–28. Szabó, Ferenc János: Templomi énekektől a „Templomi kar“-ig. Vallásos énekek magyar hanglemezen (1900–1920). [Von Kirchenliedern bis zum „Kirchenchor“. Geistliche Gesänge auf ungarischen Schallplatten.], in: Magyar Egyházzene 20/1 (2012/2013), 43–54. Szádoczki, Vera: 1800 előtti magyarországi katolikus népénekek és énekeskönyvek bibliográfiája. [Bibliographie der katholischen Kirchengesänge und Gesangbücher

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in Ungarn vor 1800.] Pázmány Irodalmi Műhely: Lelkiségtörténeti bibliográfiák. Budapest 2016, 165 S.  Die Bibliographie ist frei online verfügbar: https://t1p.de/ykei1 (2.5.2022). Szelestei N[agy], László: Irodalom és lelkiség. [Literatur und Spiritualität. (Gesammelte Schriften)] Pázmány Irodalmi Műhely: Lelkiségtörténeti Tanulmányok 6. Piliscsaba – Budapest 2013, 208 S.  Das Buch ist frei online verfügbar: https://t1p.de/pocq6 (2.5.2022).

VI. Der Genfer Psalter Draskóczy, László: A Genfi zsoltároskönyv két tétele – a 38. és a 61. zsoltár. [Zwei Gesänge des Genfer Psalters  – die Psalmen 38 und 61.], in: Magyar Egyházzene 21/2 (2013/2014), 177–196. Draskóczy, László: Genfi zsoltárok Le Roy lantján. A tabulatúrák tanulságai. [Genfer Psalmlieder auf der Laute von Le Roy. Die Lehre der Tabulaturen.], in: Magyar Egyházzene 22/3 (2014/2015), 243–274. Ferenczi, Ilona: A genfi zsoltárok helye  a magyarországi református és evangélikus énekeskönyvben. [Die Stellung der Genfer Psalmlieder in den ungarischen calvinistisch reformierten und evangelisch-lutherischen Kirchengesangbüchern.], in: Magyar Egyházzene 21/2 (2013/2014), 197–204. Lantos Szabó, István: … Citerát pengessetek az Úrnak nevét dicsérvén! … Hét genfi zsoltárdallam hangszeres feldolgozása a XVI. században. [Zupft die Zither und lobt den Namen des Herrn! Sieben Lieder aus dem Genfer Psalter in Instrumentalbearbeitung aus dem 16. Jahrhundert.], in: Magyar Egyházzene 21/4 (2013/2014), 391–401.

VII. Untersuchung und Auslegung einzelner Lieder und Gesänge Cselényi, István Gábor: A pócsi Mária-énekek. [Marienlieder aus dem Wallfahrtsort Pócs (Ungarn).], in: Magyar Egyházzene 22/4 (2014/2015), 403–411. Fekete, Csaba: Melanchthoné avagy kié? Zegzugos énektörténeti példa. [Von Melanch­ thon oder von jemand anderem? Die Irrwege einer hymnologischen Frage.], in: Ma­ gyar Egyházzene 22/4 (2014/2015), 393–401. Richter, Pál: Tota pulchra es Maria. Egy újkori antifóna  a népi emlékezetben. [„Tota pulchra es Maria“. Eine neuzeitliche Antiphon in der mündlichen Überlieferung des 20. Jahrhunderts.], in: Magyar Egyházzene 23/1 (2015/2016), 29–40. Rudolf, Krisztina: Tropizált traktuskompozíciók a XV. században. A Laus tibi Christe – Filio Mariae traktus megjelenési formái cseh, lengyel és magyar forrásokban. [Tropierte Traktusgesänge im 15. Jahrhundert. Erscheinungsformen von Laus tibi Christe – Filio Mariae in böhmischen, polnischen und ungarischen Quellen.], in: Kiss, Gábor (Hg.): Zenetudományi Dolgozatok 2013–2014. Budapest 2016, 46–69. Szelestei N[agy], László: A Jesu dulcis memoria 1700 körüli magyar nyelvű variánsairól. [Über ungarische Textvarianten um 1700 des Hymnus Jesu dulcis memoria.], in: ­Jankovics, József / Jankovits, László / Szilágyi, Emőke Rita / Zászkaliczky, Márton (Hg.): Stephanus noster: Tanulmányok Bartók István 60. születésnapjára. Budapest 2015, 343–353.

Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen

Abend ward, bald kommt die Nacht  215 Ach, dass ein jeder nähm in Acht  205 Ach, mein herzliebes Jesulein  122 All mein Gedanken, die ich hab  207 Alles auf der Welt  215 Als aber sind erschienen die Tag der Reinigung  204 Als der gütige Gott wollt sein Wort  207 Als Maria nach dem Gesetz  205 Am Morgen will ich singen  193 An Wasserflüssen Babylon  124 f. Aus seinem edlen Herzen  118 Ave, grüest pist, magtleich forme  208 Ave hierarchia  207 Ave, salve, gaude, vale  208 Bei stiller Nacht  215 Bis hierher hat mich Gott gebracht  215 Cedit hiems eminus  207 Christ, der du bist der helle Tag  207 Christe, der du bist Tag und Licht  207 Christe qui lux es et dies  207 Christus ist heut gen Himml gefahrn  207 Da Jesus an dem Kreuze stund  112 Da Jesus Christ, Mariae Kind  205 Da Maria im Kindelbett  205 Da pacem domine  215 Das Lämmlein ist der große Freund  113, 116, 126 Das soll und will ich mir zu nutz  127 Den Weg er ihn’n bereitet  115 Der Mensch lebt und bestehet  210 Der Tag bricht an und zeiget sich, o Herre Gott  207 Der Tag bricht an und zeiget sich, o meine Seele  207 Dich bitt ich, trautes Jesulein  205 Die Ernt ist nun zu Ende  215

Die ihr, mit Sünden ganz beflecket  205 Die Wahrheit kann nicht lügen  115 Dies Lämmlein Gottes mit Geduld  114 Doch mal dich lieber selber für  129 Du marterst ihn am Kreuzesstamm  118, 126 Ehre sei dir, Christe  112 Ein feste Burg ist unser Gott  206, 209, 211 Ein junkfraw stolcz  212 Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld  111–113, 120, 123 f., 126, 129 f. Ein Männlein steht im Walde  113 Ein Stern vom hohen Himmel  206 Ein Weib, das Gott, den Herren, liebt ​207 Eine ruhige Nacht  215 Eins dags wolt ich spacieren mich  212 Er weckt mich alle Morgen  198 Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort  206 Erschienen ist der herrliche Tag  207 Erstanden ist der heil’ge Christ  207 Erstanden ist uns Jesus Christ  207 Erweitre dich, mein Herzensschrein  122, 127 Es blüht der Blumen eine  113 ’s ist Krieg  210 Es wird schier der letzte Tag herkommen  207 Ex leges observantia  205 Felici peccatrici  207 Fließt ihr Tränen, fließt und schießet  115 Freu dich sehr, o meine Seele  215 Frow, muter, magt, gebererin  208 Für solche Gnad und hohe Wunderlieb ​ 119 Gedenk, maria, maget vin  208 Geduldigs Lämmlein Jesu Christ  115

Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen Gib dich zufrieden und sei stille  215 Gleichwie mich mein Vater gesandt hat ​ 214 Gott lob, mein Jesus macht mich rein  205 Gott sei Dank durch alle Welt  210 Gott sey globt, ich empfinde wol  114 Gott Vater, höre unsre Bitt  214 Gott, weil er groß ist, gibt am liebsten große Gaben  215 Gottes Sohn ist kommen  207 Halt im Gedächtnis Jesus Christ  215 Herr Christ, der einig Gotts Sohn  211, 215 f. Herr Christ, der einig Gottssohn  215 Herr, der du vormals hast dein Land  214 Herr, gib uns deinen Frieden  215 Herr Gott, erhör die Grechtigkeit  125 Herr Grickel, lieber Domine  206 Herr Jesu, Gnadensonne  215 Herr Jesu, Licht der Heiden  205 Herr, reinige deine Kirche  205 Heut hat Marien Kindelein  205 Heut ist uns der Tag erschienen  205 Heut singt die liebe Christenheit  207 How long will we sing?  216 I believe in one God  96 Ich habe nun den Grund gefunden  215 Ich liege, Herr, in deiner Hut  211 Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ  215 Ich weiß ein Blümlein hübsch und fein ​ 113 Ich weiß, mein Gott, dass all mein Tun ​ 215 Ich weiß, woran ich glaube  183 Ich wil gen dusem meien  212 Ich will dem Herrn singen mein Leben lang  215 Ich will von deiner Lieblichkeit  127 Ich will zu meinem Vater gehn  214 Ihr lieben Christen freut euch nun  205 Im Fried bin ich dahin gefahrn  204 Im Frieden dein, o Herre mein  204 In Gottes Namen s.a. Gottes Namen In stiller Nacht  215 Ja, Vater, ja von Herzensgrund  117, 126 Jesu dulcis memoria  227

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Jesu, geh voran  215 Jesu, meine Freude  122 Jesulein, komm herein  122 Jesus kam gegangen  207 Komm, o komm, du Geist des Lebens ​210 Kommet, ihr Hirten, ihr Männer und Fraun  207 Lass deinen Knecht nunmehr in Frieden geh’n  204 Lasset Klag und Trauern fahren  115 Lasst uns dem Herren sämtlich danken  207 Laus tibi Christe – Filio Mariae  227 Liebster Jesu, wir sind hier, deinem Worte nachzuleben  214 Lobet den Herren, denn er ist sehr freundlich  214 Lobt Gott, ihr Christen allzugleich  207 Lord, now let your servant  205 Lord, set your servant free  205 Maintenant Seigneur, Dieu, as donné en moy lieu  204 Maria, das Jungfräuelein  205 Maria pis gegrüßet  208 Maria stellte Christum dar  205 Maria zart  216 Mein Herz ist bereit  215 Mein Lebetage will ich dich  127 Mir ist ein geistlich Kirchelein erbauet ​115 Mit Bergen und mit Steinen  215 Mit Fried und Freud ich fahr dahin  204 Mit Fried und Freud in guter Ruh  204 Mittit ad virginem  207 Mundi renovatio  212 Na lust reit ich  208 Nachdem sich nun Marien Kind  205 Nachtigall, ich hör dich singen  116 Nie wollt ihr des Herrn vergessen  116 Nun danket alle Gott  196 Nun freut euch, lieben Christen gmein ​ 211 Nun Herre, wirst du lassen dein’ Knecht in Fried und Ruh  205 Nun Herre, wirst du lassen deinen Knecht in der Ruh  205

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Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen

Nun ist es Zeit, zu singen hell  207 Nun komm, der Heiden Heiland  215 f. Nun lässest Du, o Herr  205 Nun ruhen alle Wälder  215 Nunmehr wird uns unsre Seelen  115 O du fröhliche  196 O Heiland, reiß die Himmel auf  207 O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens  216 O Jesu, der du uns zu gut  205 O Lamm Gottes, unschuldig  112 O Lämmlein Gottes grosser Huld  115 O Lämmlein Jesu noch so klein!  129 O Traurigkeit! O Herzeleid!  112 O Welt, sieh hier dein Leben  118 Or laisses, Créateur, en paix ton serviteur ​ 204 Preis, Lob und Dank sei Gott, dem Herren ​ 207 Puer natus ist vns gar schon  208 Sälig sei der selden zeit  212 Sie hält bei dem Lämmlein Jesu um ­Geduld an ​115 Sie ist mir lieb, die werte Magd  216 Sie ruft das Lämmlein Gottes um ­Vergebung der Sünden an  115 Singen wollen wir  216 Singet fröhlich alle gleich  207 So erfüllt ihr Gottes Willen  116 So nimm denn meine Hände  195 Stille Nacht, heilige Nacht  196

Surrexit Christus hodie  207 Teil, was du hast  216 Teufelskreise verlassen  216 Tota pulchra es Maria  227 Tut mir auf die schöne Pforte  213 Und tret ich endlich guten Muts  128 Until all are fed  216 Volk Gottes, zünde Lichter an  205 Vollführe deinen Liebesrat  129 Vom Himmel hoch, da komm ich her  122 Wach auf, mein Herz, und singe  215 Was schadet mir des Todes Gift?  128 Was soll ich, liebster Jesu du  119 Weg mit allen Schätzen  122 Weg mit den Schätzen dieser Welt  128 Welt, tobe wie du willst  216 Weltlich Ehr und zeitlich Gut  207 Wenn endlich ich soll treten ein  128 Wenn man dich nun vor Augen hat  129 Wenn meine Sünd mich kränken  112 Wie schön leuchtet der Morgenstern  123, 215 Wie Simeon verschieden  205 Wir haben Gottes Spuren festgestellt  216 Wir reichen einander das Hoffnungslicht  216 Wir wolln uns gerne wagen  214 Wort des Vaters, Licht der Heiden  205 Zu einer Jungfrau zart  207

Verzeichnis der Personennamen

Adelung, Johann Christoph  122 Agricola, Johann  206 Ahrens, Christian  213 Alber, Erasmus  205, 207 Albrecht, Christian  17, 204 Aldenhoven, Herwig  74 Allegri, Gregorio  136 f., 140, 143, ­146–149, 151 f., 155, 165 f. Alois, Prior der Communauté de Taizé  106 Alpermann, Ilsabe  182 Ambrosius von Mailand  215 Ameln, Konrad  196 Ämilia Juliane von Rudolstadt  117 Ammer, Jessica  208 Anna Amalia von Sachsen-Weimar  124 Apel, Willi  28 Arend, Stefanie  210 Arndt, Johann  114 f. Arnold, Gottfried  118, 120 Arnold, Jochen  204, 216 Augoustinos, Metropolit von Deutschland  90 August d. J., Herzog von BraunschweigLüneburg (Wolfenbüttel)  210 Axmacher, Elke  112, 114 Babst, Valentin  211 Bach, August Wilhelm  162 Bach, Johann Sebastian  140, 206, 219 Bachmann, Johannes  200 Balázs, Ágoston  223 Baltruweit, Fritz  216 Barnard, Marcel  84 Barth, Karl  204 Bauer, Olivier  57 Bayreuther, Rainer  202 Beck, Alexander  204 Bedford-Strohm, Heinrich  217 Beethoven, Ludwig van  210 Bencsik, Ágoston  223 Bender, Michael Benedict  213

Berlioz, Hector  220 Bernhard von Clairvaux  117 Bernini, Marco  103 Besser, Beate  182 Bittlinger, Clemens  216 Blumberg, Christian Gotthilf  111 Bódiss, Tamás  223 Bogár, Judit  225 f. Böntert, Stefan  72 Bovet, Guy  220 f. Brahms, Johannes  215 Brand, Fabian  105 Branger, Jean-Christophe  220 Brant, Sebastian  208 Bretschneider, Wolfgang  210 Bricout, Hélène  58 Brockett, Clyde Waring  28 Brodbeck, David  132, 134 Brodsky, Joseph  205 Brown, Tommy  216 Brunner, Horst  212 Bugenhagen, Johannes  201 Bußmann, Britta  208, 211 Buthmann, Miriam  215 Buxtehude, Dietrich  205 Cadrin, Paul  221 Caldara, Antonio  140 Calvin, Johannes  143, 204, 222 Claire, Dom Jean  219 Claudius, Matthias  202, 210 f. Costenoble, Carl August  138 Cottin, Martin  99 Cranach, Lucas  216 Cruciger, Caspar d. Ä.  211 Cruciger, Caspar d. J.  211 Cruciger, Elisabeth  211, 215 Crüger, Johann  122, 124 Cselényi, István Gábor  227 Dachstein, Wolfgang  124 Dante Alighieri  205

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Verzeichnis der Personennamen

Davy-Rigaux, Achille  219 Deckert, Peter  211 Deeg, Alexander  75, 87, 103 Déri, Balázs  223 f. de Witt, Theodor  132 Dilherr, Johann Michael  115 d’Indy, Vincent  220 Dingel, Irene  211, 215 Dinglinger, Wolfgang  132, 138 Dobszay, László  222 D’Ortigue, Joseph  219 f. Draskóczy, László  227 Dremel, Erik  77, 203 f. Dufetel, Nicolas  219 f. Dupré, Marcel  221 Dupuis, J. S. s. Dupuis, Thomas Sanders Dupuis, Thomas Sanders  150, 168, 180 Durante, Francesco  140 Dürer, Albrecht  216 Ebeling, Johann Georg  124 Eccard, Johann  205 Eckhart (Meister)  204, 121 Eckle, Jutta  203 Ecsedi, Zsuzsanna  226 Ehlers, Corinna  78 Eliot, Thomas Stearns  205 Engel, David Hermann  168 Engel, Gustav  134, 140 Engels, Stefan  212 Englisch, Johann  204 Eschmann, Holger  103 Evang, Martin  182, 214 Falkenroth, Christina  112, 217 Fauré, Gabriel  220 Fechtner, Kristian  75 Fekete, Anikó  225 Fekete, Csaba  227 Feld, Jens  20 Ferenczi, Ilona  222, 225, 227 Feustking, Johann Heinrich  210 Fillmann, Elisabeth  182 Finger, Heinz  214 Fischer, Albert  115, 125 Fischer, Martin  75 Fischer, Michael  216 Földváry, Miklós István  222–224 Föllmi, Beat  219–221

Fornaçon, Siegfried  204 Franck, Johann  205 Francke, August Hermann  204 Frenske, Wolfgang  73 Freylinghausen, Johann Anastasius  122, 125 Friedrich Wilhelm III. von Preußen  131, 133 Friedrich Wilhelm IV. von Preußen ­​ 132–135, 137–140, 142–146, 152, 155 f., 158–160, 164, 166 Fuchs, Guido  106 Fugger, Dominik  115 Funkschmidt, Kai  22 Gamersfelder, Hans  205 Ganss, Karin  70 Gattwinkel, Hilmar  193 Gay, Charles  220 Gebhardt, Axel  207 Geiger, Dominik  80 Gelineau, Joseph  211 Gellert, Christian Fürchtegott  210 Génissel, Pauline  220 Georg Rudolf, Herzog von Liegnitz  206 Gerhardt, Paul  111–125, 129 Gerloff, Peter  205 Gérold, Théodore  221 Gertrud von Helfta  208 Girard, Julien  221 Glasenapp, Joachim  210 Gnädiger, Louise  114 Godel, Didier  221 Gojny, Tanja  81 Görisch, Reinhard  210 f. Görres, Guido  113 Gotter, Ludwig Andreas  215 Goudimel, Claude  142, 144 f. Gounod, Charles  220 Graun, Carl Heinrich  124 Grell, August Eduard  146, 150 f., 162, 168 f. Grethlein, Christian  103 Grimm, Jacob  116, 122 Grimm, Wilhelm  116, 122 Gruschnitz, Annette  82 Grutschnig-Kieser, Konstanze  214 Gummelt, Volker  211

Verzeichnis der Personennamen Hagemann, Babette  211 Hahn, Ernst Henning  97 Hameline, Jean-Yves  62, 219 Händel, Georg Friedrich  220 Hanglberger, Manfred  21 Hartmann, Karl-Günther  212 Hartmüller, Christoph  82 Härtwig, Dieter  133, 163 Hauer, Hermann  155 Haunerland, Winfried  22, 75, 103 Haustein, Jens  212 Hedinger, Johann Reinhard  214 Heering, Jürgen  205 Heermann, Johann  115 Heidrich, Jürgen  140 Heinrich, Johannes  215 Held, Heinrich  210 Henkys, Jürgen  112 Henze-Döhring, Sabine  132 f. Henzel, Christoph  131 f., 164 Herbst, Wolfgang  214 f. Herman, Nikolaus  205 Hernández Castelló, Esteban  213 Herrmann, Gottfried  216 Hiemke, Sven  214 Hiller, Ferdinand  167, 169 Hiller, Philipp Friedrich  205 Hirsch-Hüffell, Thomas  83 Hirschmann, Wolfgang  124 Hochradner, Thomas  211 Hoffmann, Claudia  103 Hoffmann, Eucharius  206 Hoffmann, Wilhelm  158 f. Hofmann, Andrea  206 Hofmeister, Wernfried  208 Holtby, Mary  205 Homilius, Gottfried August  124 Horn, Werner  215 Hubert, Gabriella H.  226 Huck, Oliver  213 Hugo von Montfort  208 Hunold, Christian Friedrich  124 Illaire, Ernst Emil  135, 138–144, 152, 159, 161 Isidor von Sevilla  70 Janota, Johannes  208 Janssens, Peter  211

Janus, Martin  125 Jers, Norbert  214 Jolliet, Elie  182, 208 Jones, Wilfrid  27 Josquin Desprez  205 Junker, Johannes  207 Justin der Märtyrer  71 Kajoni, Joannes  223 Kampers, Gerd  70 Kampmann, Jürgen  132 Kanzler  208 Karp, Theodore  28 Kartawidjaja, Yakub  211 Kästner, Carl Friedrich  167 f. Keiser, Reinhard  124 Kemnitzer, Konstanze  84 Kerner, Hanns  73 Kersten, Renate  73 Kethner, Leonhard  208 Kiss, Gábor  225–227 Kissel, Norbert  216 Klassen, Anna-Maria Herta  103 Klein, Bernhard  140 Klek, Konrad  215 Klepper, Jochen  198, 211 Klöckener, Martin  59 Kloosterhuis, Jürgen  132 Knapp, Sophie  208 Koch, Ernst  213 Koch, Kurt  86 Kodály, Zoltán  222 König, Bernhard  215 König, Johann Ulrich  124 Konrad von Megenberg  121 Kopp, Stefan  80 Korth, Hans-Otto  124, 207 Kovács, Márton  226 Kővári, Réka  223, 226 Kranemann, Benedikt  76, 86, 103 Kraß, Andreas  208 Kraus, Hans-Christof  132 Kreuels, Matthias  205, 213 Kreyszig, Walter Kurt  211 Kühn, Jakob  85 Kühn, Lisa  87 Kurzmann, Frank  203 Lallinger, Franziska  208

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Verzeichnis der Personennamen

Landmann, Ortrun  133 Lange, Ernst  204 Lange, Judith  208 Langen, August  119–123 Lantos Szabó, István  227 Laufenberg, Heinrich  208 Laurenti, Laurentius  122 Lausen, Hanna  87 Lawson, Chr. M.  71 L’Écuyer, Sylvia  220 Lengerich, Martina van  215 Leo, Leonardo  140 Leppin, Volker  88 Lessmann, Benedikt  220 Leube, Bernhard  203, 214 Levy, Kenneth  28 Lies, Jan Martin  206 Link, Hans-Georg  103 Liszt, Franz  219 f., 222 Lobwasser, Ambrosius  134, 143, 213 Löffler, Anette  205 Loiero, Salvatore  63 Löner, Caspar  204 Lonquich, Heinz Martin   211 Lotti, Antonio  140 Lübking, Hans-Martin  106 Lumma, Liborius Olaf  107 Lurz, Friedrich  73 Luther, Martin  23, 113, 122, 125, 203 f., 206, 211, 215 f., 219, 225 Lutz, Samuel  214 Mäder, Eduard Johann  117 Mahrt, William  27 Maloy, Rebecca  28 Marcello, Benedetto  140 Marot, Clément  204 Marshall, William  150 Marti, Andreas  182, 192, 194 f., 206, 208, 214–216 Massenet, Jules  220 Matthey, Ulysse  220 Mayer, Johann Friedrich  114 McFarland, Bryan  216 Mechthild von Hackeborn  208 Mechthild von Magdeburg  208 Melzl, Thomas  215 Mendelssohn Bartholdy, Felix  132, 134 f., 140, 146 f., 150 f., 155, 165, 167 f., 204

Metzger, Heinz Dietrich  209 Meyerbeer, Giacomo  168 Meyer, Gerhard   125 Meyer-Blanck, Michael  103, 131, 141 Miersemann, Wolfgang  124 Milde, Jonas  200 f. Mildenberger, Irene  73 Möller, Christian  215 Mönch von Salzburg  208, 211 f. Moser, Hans Joachim  119 Moser, Ludwig  208 Mozart, Wolfgang Amadeus  140 Mücksch, Andreas  216 Mulia, Christian  75 Müller, Denis  64 Müller, Heinrich  125 Müller, Konrad  89 Munteanu, Daniel  90 Murray, David  208 Muskatblut  208, 212 Mützell, Julius  119 Naumann, Emil  131, 133, 135–170, 176 Naumann, Johann Gottlieb  133 Naumann, Karl Ernst  133 Neijenhuis, Jörg  10, 44, 70, 73 Neithardt, Heinrich August  133, ­138–141, 156–159, 161, 165–168 Neß, Dietmar  100 Niccolai, Michela  220 Nicolai, Otto  132, 138 f., 167 f. Nicolai, Philipp  123, 215 Niedzwicki, Matthias  99 Niemöller, Martin  204 Noetzel, Jutta  103 Odenthal, Andreas  103 Offele, Winfried  217 Oláh, Miklós  224 Oláh, Róbert  226 Olearius, Johann  203 Olearius, Johann Christian  203 Olearius, Johann Christoph  112, 117, 128, 203 Olearius, Johann Gottfried  203 Opitz, Martin  115, 212–214 O’Reilly, Graham  137 Origenes  204 Orlando di Lasso  206

Verzeichnis der Personennamen Oswald von Wolkenstein  208 Paasch, Kathrin  94, 203 Pahut, Claude  221 Palestrina, Giovanni Pierluigi da  140, 142, 163 Pálffi, Márton  226 Pálóczy, Krisztina  223 f. Pap, Ferenc  223 Papp, Ágnes  222, 224 Park, Chae Hoon  209 Park, Sa Ra  209 Pelletier, Anne-Marie  65 Pergolesi, Giovanni  140 Peterson, Birger  213 Petit, Vincent  220 Petitjean, Anne-Marie  65 Pflock, Andreas  103 Plüss, David  104, 196 Pócs, Miklós  225 Podenšek, Matej  210 Poetzsch, Ute  124 Polster, Anne  91 Poppe, Gerhard  161 Porret-Dubreuil, Amélie  220 Porst, Johann  125, 200 f. Pott, Thomas  61, 63 Pound, Ezra  205 Povilionis, Girénas  221 Pozsgai, Zsolt  223 Praetorius, Michael  213 Praßl, Franz Karl  209 Prétot, Patrick  60, 62, 66 Preuß, Dirk  19 Quartier, Thomas  91 Quast, Thomas  214 Querhammer, Caspar  205 Raffael (Maler)  163 Ramaut, Alban  220 Rathgeber, Christina  133 Ratzinger, Joseph  58 Ratzmann, Wolfgang  206 Rauschen, Gerhard  71 Rechsteiner, Yves  221 Regenbogen  208 Reichel, Jörn  128 Reimann, Georg  205

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Reimer, Georg  135, 161 Reinfeld, Ulrike  152 Reinthaler, Carl Martin  132, 168 Reissiger, Carl Gottlieb  168 Rembrandt Harmenszoon van Rijn  205 Renier, Leo  221 Renon, Marie-Reine  219 Rentsch, Christian  75 Retkes, Attila  226 Rettinghaus, Klaus  132, 134 Reymaier, Konstantin  209 Rhein, Stefan  211 Richter, Ernst Friedrich  168 Richter, Pál  227 Riß, Kamila Barbara  91 Rist, Johann  213 Ritschl, Georg Carl Benjamin  152, 154–156, 159 Robert, Jörg  215 Rödding, Gerhard  113 Röhrich, Lutz  116 Röling, Johann  119 Rößler, Martin  214 Roth, Christine  203, 205 Rothenberger, Eva  208 Rubach, Matthaeus  206 Rudolf, Krisztina  227 Rudolph, Alexander  208 Rüpke, Jörg  92 Sachs, Hans  208 Saint-Saëns, Camille  220 Sander, Johannes  100 Sattler, Dorothea  88 Sauerbier, Christian  100 Savoy, Lauriane  64 Sayn-Wittgenstein, Wilhelm zu  165 Scalet, Albert  106 Scarcez, Alicia  67 Schamelius, Johann Martin  125 Schauerte-Maubouet, Helga  220 Scheffler, Johannes  115, 119 Scheideler, Ullrich  131 Scheidemann, Heinrich  213 Schein, Johann Hermann  115 Scheitler, Irmgard  111, 124, 203, 210, 212, 214 Schiek, Maximilian-Friedrich  214 Schimmel, Annemarie  215

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Verzeichnis der Personennamen

Schlag, Thomas  85 Schlegel, Helmut  109 Schleiermacher, Friedrich  204 Schleifenbaum, Adrian Micha  92 Schmid, Bernhold  206 Schmid, Georg  193 Schmid-Keiser, Stephan  109 Schmidt, Bernhard  134, 214 Schmidt, Thomas  215 Schmidt, Wolfgang  205 f. Schmitz, J. Daniel H.  93 Schmolck, Benjamin  213 Schneider, Hans-Otto  211, 215 Schneider, Martin Gotthard  213 Schöttgen, Christian  111 Schrader, Hans-Jürgen  117, 120 Schrodt, Christoph  103 Schulin, Bertram  101 Schulz, Eduard  135 Schulz, Ferdinand  168 Schütz, Heinrich  206 Schwarz, Christian  109 f. Schwikart, Georg  110 Scobel, Cordula  216 Sebastiani, Johann  119 Seddon, James  205 Seifried, Peter-Michael  216 Seitz, Theresa  213 Selnecker, Nicolaus  205 Serpilius, Georg  114 f., 118, 120 Shakespeare, William  162 f. Silesius, Angelus  115, 119, 122, 215 Slenczka, Ruth  211 Sophie Elisabeth, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg (Wolfen­büttel)  210 Sosoe, Lukas K.  219 Spee von Langenfeld, Friedrich  115, 213–215 Spener, Philipp Jacob  125 Spinola, Ambrogio  214 Spitta, Friedrich  204 Stackmann, Karl  212 Stahl, Christina M.  220 Stählin, Wilhelm  204 Stahlknecht, Adolph  169 Stalmann, Joachim  215 Standke, Matthias  207 f. Steiger, Johann Anselm  213

Steingruber, Andreas  78 Steinmetz, Michel  68 Stiegemann, Heinrich  100 Stockhoff, Nicole  108 Stölzel, Gottfried Heinrich  124, 213 Störl, Johann Georg Christian  214 Straub, Barbara  215 Strauß, Otto  157–159, 165 Strozzi, D. Gregorio  220 Stuflesser, Martin  76 Szabó, Ferenc János  226 Szádoczki, Vera  226 Száraz, Orsolya  226 Szelestei N[agy], László  227 Szenci Molnár, Albert  223 f. Szoliva, Gábriel  224 Tanner, Mathias  77 Taubert, Wilhelm  162 Telemann, Georg Philipp  124, 206, 219 Tersteegen, Gerhard  120, 122 Thalhaimer, Christian  114 Theile, Johann  119 Theißen, Henning  44, 94 Thévenaz, Vincent  221 Thilo, Valentin  205 Thöle, Reinhard  95 Thomas, Max  133, 138, 140 f., 157 f., 161, 167 Thümmel, Hans Georg  102 Thürlings, Adolf  210 Thurmair, Georg  205 Trenn, Olaf  105 Triller, Valentin  205 Tritonius, Petrus  208 Ulenberg, Caspar  214 Ullmann, Péter Ágoston O’Praem  223 Ulrich, Jörg  71 Varga, Benjamin  224 Veit, Lothar  186 Vellguth, Klaus  107 f. Verhave, Jan Peter  216 Vilmar, August Friedrich Christian  207 Voigt, Marco  110 Volgger, Ewald  77 Völker, Alexander  73 von Arx, Urs  74

Verzeichnis der Personennamen von Bethmann-Hollweg, Moritz August ​ 144, 160–162 von Birken, Sigmund  115, 119 von Bunsen, Christian Carl Josias  133– 135, 154 von Cranach-Sichart, Eberhard  113, 125 von Duesberg, Franz  165 von Eichhorn, Johann Albrecht  165 von Fallersleben, Hoffmann  116 von Goethe, Johann Wolfgang  116 von Goßler, Gustav Konrad  164 von Hochberg, Bolko Graf  164 von Humboldt, Alexander  135, 141, 159 von Ladenberg, Adalbert  138–140 von Mühler, Heinrich  162 f. von Rabe, Rudolf  139 von Raumer, Karl Otto  141, 152–156, 159 f. von Redern, Friedrich Wilhelm  138–141, 160, 165 von Winterfeld, Carl Georg  142, 164 f. von Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf ​ 115, 122 f., 125, 128 Wackenheim, Michel  68 Wahle, Stephan  96 Wallraff, Martin  134 Walter, Johann  214 Walter, Meinrad  84, 215 Walther von der Vogelweide  208 Weber, Fabian  213 Weber, Raymund  214 Wegener, Lydia  208 Wegschneider, Florian  96

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Weibels, Marko 108 Weisse, Michael  207 Weiß, Thomas  110 Wellner, Ulf  213 Wendebourg, Dorothea  201 Werz, Joachim  97 Weyel, Birgit  103 Wiefel-Jenner, Katharina  73 Wiegand, Gunnar  133 Wiesenfeldt, Christiane  203, 216 Wilhelm I. von Preußen  144 Willms, Eva  212 Willms, Wilhelm  214 Wimmer, Gabriel  111 Windhorst, Christian H.  210 Winter, Roman  103 Winter, Stephan  94, 103 Wisker, Marius  97 Wissemann, Antje  216 Wissemann-Garbe, Daniela  182, 202, 215 Wloemer, Klaus  210 Wochner, Ursula  109 Wolff, Edda  98 Wüstenberg, Ulrich  73 Zahn, Johannes  125 Zászkaliczky, Márton  227 Zelle, Friedrich  119 Zelter, Carl Friedrich  134, 152 Zerfaß, Alexander  79 Zils, Diethard  214 Zimmerling, Peter  206 Zöbeley, Rudolf  198 Zwingli, Ulrich  214

Ständige Berater Pfarrerin Dr. Ilsabe Alpermann, Berlin Dozent Günter Balders, Berlin Kantor Pfarrer Peter Ernst Bernoulli, Rümlingen / BL (Schweiz) Prof. Dr. Christfried Böttrich, Greifswald Prof. Dr. Bruno Bürki, Neuchâtel (Schweiz) Prof. Dr. Joachim Conrad, Püttlingen Dr. Ilona Ferenczi, Budapest (Ungarn) Prof. Dr. Gerhard Hahn, Regensburg Canon Prof. Dr. David R. Holeton, Toronto / Prag (Kanada / Tschechische Republik) Dr. Ada Kadelbach, Lübeck Prof. Dr. Konrad Klek, Erlangen Prof. Dr. Dr. Elsabé Kloppers, Pretoria (Südafrika) Prof. Dr. Hermann Kurzke, Mainz Dr. Helmut Lauterwasser, München Rev. Prof. Dr. Robin A. Leaver, Dover (USA) Pfarrer em. Dr. h. c. Jens Lyster, Broager (Dänemark) Dr. Andreas Marti, Liebefeld (Schweiz) Prof. Dr. Michael Meyer-Blanck, Bonn Prof. Dr. Michael Niemann, Rostock Prof. Dr. Franz Karl Praßl, Graz (Österreich)

Autorinnen und Autoren Autoren Liturgik Prof. em. Dr. Bruno Bürki Rue de la Cote 25 CH – 2000 Neuchatel E-Mail: [email protected] http://www.unifr.ch/liturgie/BrunoBurki,560 Wilfrid Jones Doktorand an der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau Gartenstr. 30 79098 Freiburg im Breisgau E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Jörg Neijenhuis Ruprecht-Karls Universität Heidelberg Praktische Theologie Mombertstr. 11 69126 Heidelberg E-Mail: [email protected]​ berg.de www.neijenhuis.de www.theologie.uni-heidelberg.de/fakul taet/personen/neijenhuis.html

Autoren Hymnologie Prof. Dr. Beat Föllmi Professeur de Musique sacrée et d’hym­nologie Université de Strasbourg Faculté de Théologie Protestante Palais Universitaire 9 place de l’Université / BP 90020 F-67084 Strasbourg Cedex E-Mail: [email protected] http://theopro.unistra.fr/presentation/ enseignants-chercheurs/equipe-actuelle/ b-foellmi/ Prof. Dr. Christoph Henzel Hochschule für Musik Würzburg Hofstallstr. 6–8 97070 Würzburg https://www.hfm-wuerzburg.de/lehre/ henzel-christoph Dr. Andreas Marti Könizstr. 252 CH-3097 Liebefeld E-Mail: [email protected]

Dr. Ágnes Papp Mester 7, 2040 Budaörs Tel. +36-23-417-922 [email protected] Prof. Dr. phil. Irmgard Scheitler Schneebeerenweg 2 D-85072 Eichstätt [email protected] http://www.ndl2.germanistik.uni-wuerz burg.de/mitarbeiter/ehemalig_mitarbei ter_und_professoren_im_ruhestand/ scheitler/ Dr. Daniela Wissemann-Garbe Moischter Str. 52 35043 Marburg E-Mail: [email protected]