Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie: 2016 [1 ed.] 9783666572265, 9783525572269, 9783647572260


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Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie: 2016 [1 ed.]
 9783666572265, 9783525572269, 9783647572260

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Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie

55. Band 2016

© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525572269 — ISBN E-Book: 9783647572260

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J AHRBUCH FÜR L ITURGIK UND H YMNOLOGIE 55. Band – 2016

Herausgegeben von Alexander Deeg Ada Kadelbach Michael Meyer-Blanck Jörg Neijenhuis Irmgard Scheitler Matthias Schneider Helmut Schwier Daniela Wissemann-Garbe in Verbindung mit der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie, dem Interdisziplinären Arbeitskreis Gesangbuchforschung Mainz, dem Liturgiewissenschaftlichen Institut Leipzig, der Liturgischen Konferenz Deutschlands

Vandenhoeck & Ruprecht

© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525572269 — ISBN E-Book: 9783647572260

Begründet 1955 von Konrad Ameln, Christhard Mahrenholz und Karl Ferdinand Müller

Schriftleiter: Prof. Dr. Jörg Neijenhuis, Mombertstr. 11, 69126 Heidelberg E-Mail: [email protected] (Liturgik) Dr. Daniela Wissemann-Garbe, Moischter Str. 52, 35043 Marburg E-Mail: [email protected] (Hymnologie) Manuskripte und Rezensionsexemplare bitte nur an die Schriftleiter schicken.

Mit vier Abbildungen und zwei Notenbeispielen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar ISSN 0075-2681 ISBN 978-3-647-57226-0 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Gesamtherstellung: Hubert & Co GmbH & Co. KG, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen

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Inhalt

In memoriam Jürgen Henkys † Daniela Wissemann-Garbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Liturgik Die liturgischen Konsequenzen der Saarbrücker Union von 1817 Joachim Conrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Das Reformationsjubiläum 1917 im Spiegel der Zeitschriften „Siona“ und „Monatschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst“ Konrad Klek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

Evangelisch-reformierter Gottesdienst nach den traditionellen Bekenntnisschriften und in der ökumenischen Gegenwart Bruno Bürki . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

Literaturberichte zur Liturgik Literaturbericht Liturgik. Altorientalische und Israelitisch-Jüdische Religion (2011/2012–2015) Hermann Michael Niemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

Literaturbericht Liturgik. Deutschsprachige Länder 2015 (2014) Jörg Neijenhuis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

124

Hymnologie Quem queritis lutherisch – ein fakultativer Teil der Osterliturgie im Reformationsprozess Ute Evers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161

Lutherus redivivus. Das Reformationsjubiläum 1617. Mit einem Ausblick auf das Jubiläum 1717 Irmgard Scheitler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174

Graduale Ecclesiae Hungaricae Epperiensis, 1635. Isoliert gebliebene Bemühung um die Erschaffung einer Kirchenmusik ungarischer Sprache Ilona Ferenczi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

216

Dänische Kirchenlieder zum Jubeljahr 1817 Jens Lyster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6

Inhalt

Nun freut euch, lieben Christen g’mein (EG 341; RG 273). Liedpredigt Martin Rößler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235

Neues von Komponisten und Dichtern des Evangelischen Gesangbuchs und vergleichbarer Gesangbücher (11) Wolfgang Herbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

244

Literaturberichte zur Hymnologie Literaturbericht Hymnologie. Deutschsprachige Länder (2013, 2014) 2015 Daniela Wissemann-Garbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

247

Literaturbericht Hymnologie. Französischsprachige Länder 2015 Édith Weber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

265

Literaturbericht Hymnologie. Ungarn 2009–2012 Ilona Ferenczi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

271

Register Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

278

Verzeichnis der Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

281

Ständige Berater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

292

Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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In memoriam Jürgen Henkys

6. November 1929 – 22. Oktober 2015

Im Alter von 85 Jahren verstarb in Berlin Jürgen Henkys. Die Herausgeberinnen und Herausgeber des JLH gedenken seiner in großer Dankbarkeit. Mit seinem Wirken in Kirche und theologischer Wissenschaft hat er sich insbesondere als Hymnologe und Liedschöpfer bleibende Verdienste erworben. Gebürtig aus Heiligenkreutz/ Ostpreußen wuchs er dort, in Pamnicken, Königsberg, Wyk auf Föhr und Leverkusen mit fünf Geschwistern in einer Pfarrerfamilie auf. Sein Studium absolvierte er in Wuppertal, Göttingen, Heidelberg und Bonn und schloss es 1953 mit dem ersten Theologischen Examen ab. Es folgte ein Schulvikariat bevor er im Jahr darauf mit seiner Frau Erika, geb. Gooßes, ebenfalls Theologin, einem Aufruf der EKD1 nachkam, Pfarrdienst in einer ostdeutschen Landeskirche zu übernehmen, und in die DDR übersiedelte. Das zweite Theologische Examen legte er in Ostberlin ab, wo er 1956 ordiniert wurde. Anschließend arbeitete er in Brandenburg zunächst an der Domgemeinde, bald als Studieninspektor und Dozent für Katechetik und, promoviert in Greifswald 1965, als Dozent für Praktische Theologie am Berliner Sprachenkonvikt (Kirchliche Hochschule). Diese Lehrtätigkeit ging in eine Professur an der Humboldt-Universität über, nachdem die 1988 kirchlich erworbene Habilitation 1990 universitär bestätigt worden war. Sein in dieser Zeit entwickeltes produktives Interesse an Sprache und Text und den wechselseitigen Beziehungen zwischen Lyrik und Theologie pflegte er auch nach seinem Eintritt in den Ruhestand 1995 weiterhin intensiv. Eines der vielen Lieder, die bei dem Gedenkgottesdienst zu seinem Abschied zwischen Ewigkeitssonntag und 1. Advent gesungen wurden, war Herr, mach uns stark im Mut, der dich bekennt (EG 154). Die sechste Strophe daraus stammt nach einer englischen Vorlage aus seiner Feder: „Mit allen Heilgen beten wir dich an. Sie gingen auf dem Glaubensweg voran und ruhn in dir, der unsern Sieg gewann! Halleluja, Halleluja!“ Mit diesen schlichten Versen, die im EG „Gedenktagen von Glaubenszeugen“ zugeordnet sind, ist treffend gefasst, was auch für Jürgen Henkys gilt: Er ging seinen Weg und nahm als Zeuge des Glaubens Menschen mit. Seine Begeisterung für Gottesdienst, Liturgie, Sprache, Musik, Lyrik diente ihm dazu, „die Nähe Gottes in dieser Welt anzusagen und 1 Zu diesem Aufruf vgl. Lepp, Claudia: Wege in die DDR. West-Ost-Übersiedlungen im kirchlichen Bereich vor dem Mauerbau. Göttingen 2015 (s. auch https://www.ekd.de/aktuell/ edi_2016_02_29_kirche_ddr.html).

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In memoriam Jürgen Henkys

sie hineinzusprechen und poetisch hineinzuweben in die Wirren der Gegenwart“ (Bischof Markus Dröge in seiner Predigt; http://www.juergenhenkys. ekbo.de). Dabei hat er sich zeitlebens von Begegnungen mit Menschen – ökumenisch, interdisziplinär und international – bereichern lassen. Das spiegelt sich auch darin, dass die allermeisten seiner Lieder Nachdichtungen aus anderen Sprachen sind: aus dem Niederländischen (70), Schwedischen (44), Englischen (20), Norwegischen (18), Dänischen (12). Je ein Lied hat seinen Ursprung in Island, Finnland, Lettland und Frankreich. Häufig hat er sich mit Dichtern, deren Lieder er aufgenommen hat, ausgetauscht – oft auf Tagungen der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie (IAH). Die Herausgeberinnen und Herausgeber des JLH erinnern insbesondere an Henkys’ wissenschaftliche Beiträge zur Hymnologie. 1975 taucht sein Name erstmals im Register auf, seit 1981 gibt es keinen Band, der nicht auf eine Aktivität verweist, eine Publikation von ihm zitiert oder eine neue anzeigt, zwei Artikel hat er selbst beigetragen. Von den drei Sammelbänden mit seinen Aufsätzen und Vorträgen „Das Kirchenlied in seiner Zeit“, Stuttgart 1980, „Singender und gesungener Glaube“, Göttingen 1999 und „Dichtung, Bibel und Gesangbuch“, Göttingen 2014 sind die beiden letzten in den Literaturberichten der Bände 39 (2000) und 54 (2015) aufgeschlüsselt. Seit dem Band 35 (1994/95) war Henkys dem Jahrbuch als ständiger Berater in besonderer Weise verbunden. Die konstruktive Spannung zwischen wissenschaftlicher Forschung und gottesdienstlicher Praxis, die der Vorsitzende des Rates der EKD Präses Nikolaus Schneider dem Jahrbuch in seinem Grußwort zum Jubiläumsband 50 (2011) bescheinigt, war genau das Anliegen von Jürgen Henkys. Bei dem öffentlichen Festvortrag, den er 2008 bei der Abschlusstagung der Kasseler Kirchenliededition in Mainz gehalten hat, hat er die Aufgabe des Kirchenliedes beschrieben und der Hymnologie Folgendes ans Herz gelegt: „Das Kirchenlied muss mit allen Möglichkeiten der Wissenschaft erforscht werden, ohne dass ihm seine eigene Art streitig gemacht wird. Seine eigene Art aber ist es, unter Beanspruchung der jeweils zeitgenössischen Kunst die christliche Verkündigung zu unterfangen und zu überhöhen, zu begleiten, zu beleben und weiterzutragen. So wird es selbst zur Komponente der Verkündigung, will sagen: der Mitteilung des Glaubens im Zeitgespräch.“2 Seine Beiträge dazu werden wir zukünftig vermissen. Er möge ruhen in Frieden † und das ewige Licht leuchte ihm.

2 Henky, Jürgen: Über die Zukunft der Kirchenliedforschung. Orte und Vernetzungen der Hymnologie in den Geisteswissenschaften. Ein Festvortrag. In: Hirschmann, Wolfgang/ Korth, Hans-Otto: Das deutsche Kirchenlied. Bilanz und Perspektiven einer Edition. Bericht über die internationale Tagung in Mainz November 2008. Kassel 2010, 17–28 (19).

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Geleitwort Angesichts des Reformationsjubiläums 2017 liegt der Schwerpunkt dieses Jahrbuchs auf verschiedenen liturgischen und hymnologischen Aspekten der Centenarfeiern in allen vier vorausgehenden Jahrhunderten: wie sie vorbereitet und gefeiert wurden, auch welche Wirkungen von ihnen ausgingen. Wir danken den Beratern des JLH, die der Bitte um diesbezügliche Beiträge nachkommen konnten und so auch einen Blick über die deutschen Grenzen hinaus ermöglicht haben. Irmgard Scheitler zeigt, wie 1617 Gottesdienste und Schauspiele mit ihrem Liedgebrauch das bestehende Bild von Martin Luther und der Kirche aufgegriffen und ihrerseits geprägt haben; im Ausblick auf 1717 werden die Änderungen, die sich vollzogen haben, deutlich. Das Jahr 1817 spiegelt sich zum einen im Beitrag von Jens Lyster zu den damals entstandenen und heute noch gesungenen Liedern im dänischen Gesangbuch. Zum anderen legt Joachim Conrad die liturgischen Konsequenzen der Saarbrücker Union von 1817 dar. Konrad Klek eruiert die Debatte um das Reformationsjubiläum 1917 im Spiegel der Zeitschriften „Siona“ und „Monatschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst“. Für die ökumenische Gegenwart und damit auch für das gegenwärtige Reformationsjubiläum reflektiert Bruno Bürki den evangelisch-reformierten Gottesdienst in der Schweiz nach den traditionellen Bekenntnisschriften. Ein Ausschnitt aus den Anfängen des Reformationsprozesses kommt im Beitrag von Ute Evers in den Blick, in dem sie das Ringen um die Akzeptanz von Elementen der Osterspiele beleuchtet. Lieder und Predigten haben in der Reformation eine zentrale Rolle gespielt. Martin Rößler, der wie kaum ein anderer Liedpredigten zu seinem Thema gemacht hat, zeigt mit einer eigenen Predigt zu einem Lutherlied der ersten Stunde, wie hymnologische Forschung die homiletische Praxis bereichern kann. Wolfgang Herbst schließlich aktualisiert in bewährter Form die biographischen Angaben zu Komponisten und Liederdichtern des Evangelischen Gesangbuchs. Die nach Fächern und Sprachen getrennten Literaturberichte stammen von Jörg Neijenhuis, Daniela Wissemann-Garbe, Édith Weber, Ilona Ferenczi und Hermann Michael Niemann. Zum letzten Mal hat Prof. em. Dr. Hermann Michael Niemann aus Rostock den Literaturbericht Altorientalische und Israelitisch-Jüdische Religion für die Jahre 2012 bis 2015 verfasst. Seine hervorragenden und verständlichen Berichte machen den Lesern des Jahrbuchs seit 1996 im Vier-Jahres-Turnus jene Publikationen aus der weiten Welt der Altorientalischen und Israelitisch-Jüdischen Religion zugänglich, die für ihre liturgischen Fragen und Forschungen von Interesse sein können. Dabei sind immer wieder Niemanns Liebe zum Alten Testament und seine Begeisterung für die Forschung und Entdeckung weiträumiger Zusammenhänge, die bis heute auch die Liturgik betreffen, anschaulich hervorgetreten. Die Herausgeber danken Prof. em. Dr. Hermann Michael Niemann aus Rostock und zollen ihm hohe Achtung

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Geleitwort

für die Mühe und Arbeit, die er sich gemacht hat, um wichtige und für die Liturgik einschlägige Literatur zugänglich zu machen. Seine Berichte sind und bleiben ein reicher Fundus in der Reihe der Jahrbücher. Die Herausgeber freuen sich, dass als Nachfolger Prof. Dr. Reinhard Müller aus Münster diese Aufgabe übernehmen wird. Es wird ins Auge gefasst, dass seine wie auch die meisten anderen Literaturberichte nach und nach auf einen zweijährigen Turnus umgestellt werden und damit der zeitnahen Präsentation der Publikationen Rechnung getragen wird. Im Juni 2016

Die Herausgeber

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Die liturgischen Konsequenzen der Saarbrücker Union von 1817

Joachim Conrad

1. Die Situation an der Saar vor dem Untergang des Ancien Régime 1.1 Die Entwicklung der kirchlichen Strukturen vor der Französischen Revolution Die Einführung der Reformation geschah in den Saarbrücker Landen in zwei Schüben: Adolph von Nassau-Saarbrücken hatte nach dem Tode seines Bruder Philipp II. wohl 1557 das Augsburgische Bekenntnis im Oberamt Saarwerden eingeführt, während die Oberämter Saarbrücken und Ottweiler erst nach dem Ende der älteren Saarbrücker Linie mit dem Tod Johanns IV. 1574 zum Luthertum kamen.1 Die Verwaltung der jungen Landeskirche oblag einem gräflichen Ratsherrn als „Referent“ für Kirchen- und Schulangelegenheiten.2 Die Funktion eines Superintendenten der Ottweiler Lande wurde von Laurentius Stephani3 wahrgenommen, während Magister Gebhard Beilstein4 aus Wetzlar in Saarbrücken die Aufsicht führte. Für die kirchlichen Angelegenheiten war in Nassau-Saarbrücken bis ins 17. Jahrhundert hinein die Kanzlei selbst zuständig. Seit 1618 gab es lediglich eine geistliche Registratur für Kirchen- und Schulsachen.5 Bei Bedarf wurde ein Konsistorium gebildet, das aus dem Superintendenten bzw. Inspektor, einem 1 Vgl. Herrmann, Hans-Walter: Die Reformation in Nassau-Saarbrücken und die nassau-saarbrückische Landeskirche bis 1635, in: Die evangelische Kirche an der Saar gestern und heute, hg. von den Kirchenkreisen Ottweiler, Saarbrücken und Völklingen. Saarbrücken 1975, S. 42–111, hier S. 64; vgl. auch Richter, Carl Roderich: Wie das Saargebiet evangelisch wurde (= Unsere Saarheimat, Bd. 10). Saarbrücken 1925. 2 Im Oberamt Ottweiler war dies Dr. Wilhelm Morselius, im Oberamt Saarbrücken zuerst Johann Samson, dann Dr. Bartholomäus Werner gen. Bolz aus Mensfelden im Taunus; vgl. Herrmann, Reformation [s. Anm. 1], S. 100. 3 Vgl. Klein, Adolf: Der Superintendent Laurentius Stephani, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 24/24 (1975/ 65), S. 94–113. 4 Vgl. Börst, Hans/ Kirchner, Fritz/ Rug, Karl: Die evangelischen Geistlichen in und aus der Grafschaft Nassau-Saarbrücken von Beginn der reformatorischen Bewegung bis zum Jahre 1635, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 24/24 (1975/65), S. 39–93, hier S. 43–44. 5 Vgl. Fritzemeyer, Irmgard: Die Ausbildung einer zentralen Behördenorganisation der Grafen bezw. Fürsten von Nassau-Weilburg, Frankfurt 1942 [unveröffentlichte Dissertation].

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Joachim Conrad

weiteren Theologen und einigen weltlichen Beamten bestand.6 Noch im Jahr 1731 konstatierte der Usinger Kammerrat Schmoll, in Saarbrücken bestünde noch kein ständiges Konsistorium, vielmehr regelte der Superintendent kirchliche oder eherechtliche Dinge direkt in der Kanzlei. Um dem Umstand abzuhelfen, legte Schmoll einen Plan zur Schaffung einer ständigen zentralen Kirchenbehörde vor, die auch für die Angelegenheiten des Saarbrücker Hospitals und die Rechnungsprüfung des Stiftes St. Arnual zuständig sein sollte.7 Bis zur Regierungsübernahme durch den Fürsten Wilhelm-Heinrich von Nassau-Saarbrücken waren die Konsistorien in Ottweiler und Saarbrücken dem Oberkonsistorium in Usingen unterstellt.8 Das Kanzleireglement von 1741 gab dem Saarbrücker Konsistorium erstmals eine Organisationsstruktur. Das Konsistorium bildete neben der Fürstlichen Regierung und der Geheimen Kanzlei das dritte Oberkollegium in Nassau-Saarbrücken. Die Kanzleiordnung von 1778 wies dem Konsistorium folgende Aufgaben zu: 1. Aufsicht über die Einhaltung der Kirchenordnung und aller weiteren Verordnungen, 2. alle Angelegenheiten des evangelischen Schulwesens, 3. Einstellung von Pfarrer- und Lehrerschaft, 4. Bau und Unterhaltung aller Schul-, Waisen- und Armenhäuser, 5. Unterhaltung der Kirchhöfe, 6. Rechnungsprüfung der Stifts- und Kirchenschaffneien, 7. Rechnungsprüfung der Hospitalgefälle, 8. Ehe- und Verlöbnissachen.9 Das Konsistorium konnte bei Straftaten aus diesen Berufsfeldern für die Entfernung aus dem Amt votieren.10 Ein zweites Instrument der kirchlichen Zentralverwaltung waren die Konsistorialkonvente, die man vor 1729 in Nassau-Saarbrücken nicht kannte. Als die Grafschaft unter Vormundschaft der Fürstin Charlotte Amalie von NassauSaarbrücken stand, kam der Impuls zur Errichtung solcher Konvente aus Usingen. Generalsuperintendent Johann Christian Lange11 und Inspektor Georg Christian Woytt12 verfassten in dieser Sache Gutachten, wobei Lange die Kompetenzen von Konsistorium, Konsistorialkonvent und Inspektorat gegeneinander abgrenzte.13 Wann genau die Konvente errichtet wurden, ist nicht belegt, jedenfalls existierten sie in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts in beiden Oberäm6 LA Saarbrücken Best. Nassau-Saarbrücken II Nr. 4464. Bericht des Ottweiler Inspektors Georg Christian Woytt nach Usingen vom 6. August 1729. 7 LA Saarbrücken Best. Nassau-Saarbrücken II Nr. 2461. 8 HStA Wiesbaden. Abt. 142. 9 Nur für die Personen, deren erstinstanzlicher Gerichtsstand das Hofgericht war, also für den Adel, die Hofbeamten, die Superintendenten und Oberpfarrer sowie die Lehrer des Gymnasiums. 10 Vgl. Gerd Rumschöttel, Verwaltungsorganisation und Gerichtsverfassung im Bereich der Grafschaft Saarbrücken im 17. und 18. Jahrhundert, Saarbrücken 1972, S. 164–167 [unveröffentlichte Dissertation]; LA Saarbrücken Best. Nassau-Saarbrücken II Nr. 4338, 4454 und 5233. 11 Vgl. Conrad, Joachim: Art. Lange, Johann Christian (1669–1756), in: BBKL 28 (2007), Sp. 984–1003. 12 Vgl. Conrad, Joachim: Art. Woytt, Georg Christian (1694–1764), in: BBKL 23 (2004), Sp. 1581–1585. 13 LA Saarbrücken Best. Nassau-Saarbrücken II Nr. 4464.

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Die liturgischen Konsequenzen der Saarbrücker Union von 1817

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tern. Weniger privilegierte evangelische Untertanen, auch die Landpfarrer und ihre Familienmitglieder, hatten in den Konsistorialkonventen ihren Gerichtsstand.14

1.2 Die gottesdienstlichen Formen in Saarbrücken In Nassau-Saarbrücken war eine lutherische Agende15 in Gebrauch, die in den gottesdienstlichen Texten auf der lutherischen Zweibrückischen Kirchenordnung16 von 1557 fußte, während sich die rechtlichen Texte der Kirchenordnung an der hessischen Ordnung von 1566/72 orientierten. Die Agende war in den wesentlichen Teilen der heutigen beiden Saarkirchenkreise in Geltung, aber auch in einigen lothringischen und pfälzischen Gemeinden, u. a. im Zweibrückischen Oberamt Meisenheim. Sie enthielt neben den Ordnungen für die Kasualien keine ausgeführte Gottesdienstordnung für den normalen Sonntagsgottesdienst, sondern nur für einige Teile daraus (z. B. für die Beichte und Absolution bzw. die Kommunion).17 Der lutherische Sonntagsgottesdienst mit Feier des Hl. 14 „Die Kompetenzen der Konsistorialkonvente gegenüber den Kirchenschaffneien bedürfen noch der Aufhellung.“ Vgl. Herrmann, Hans-Walter: Quellen zur Geschichte der nassau-saarbrückischen Landeskirche, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 23/24 (1975/76), S. 9–38, hier S. 16. 15 Agenda, | Das ist: | Kirchenordnung | Wie es in der Grave unnd Herr-|schafft Nassaw/ Sarprucken/ Sarwer-|den/ Loher/ Wißbaden un Ittstein/ mit Verkundigung | Göttliches Worts / reichung der heyligen Sacra-|menten/ und andern Christlichen Handlungen und | Ceremonien / gehalten wer-|den soll. | Getruckt zu Giessen/ durch Caspar | Kemlein. Im Jahr 1609. Bestand: Göttingen Staatsbibliothek 8 J STAT II, 8150 – Jena Universitätsbibliothek 4ºBud.Jus can.171 sowie 4ºBud. Var.105(1) – München Staatsbibliothek 4ºLiturg.696(1) – Wolfenbüttel Herzog-August-Bibliothek 90.5 Theol.(1) sowie S 417.4ºHelmst.(3) – Wien Nationalbibliothek 78.E.43; vgl. Knodt, Emil: Die von den Grafen Albrecht und Philipp im Jahre 1576 publizierte Nassau-Saarbrücken'sche Kirchenordnung und Agende und ihre Weiterentwicklung, Ein Beitrag zur nassauischen Kirchengeschichte, Herborn 1905; Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Zehnter Band: Hessen III. Die Grafschaften Nassau, Hanau-Münzberg und Ysenburg, bearbeitet von Arend, Sabine ( = Die Evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts Bd. X), Tübingen 2012, S. 208–319. 16 Kirchenordnung, Wie es mit der Christenlichen Leer, Raichunge der heiligen Sacramenten, Ordination der diener des Evangelii und ordenlichen Ceremonien, Erhaltung Christlicher Schulen etc. in unser, Wolffgangs, von Gottes Genaden Pfaltzgravens bey Rhein, Hertzogens in Bayern und Gravens zu Veldentz Fuerstenthumb gehalten werden soll. Anno M.D.LVII. Gedrückt zu Nürnberg Durch Johann vom Berg und Ulrich Neuber. Bestand: UB Heidelberg: Batt 17 Folio RES – BibBip Zweibrücken: T 77B – Pfälz LaBi Speyer: B 1700a – UB Strasbourg – BibPal C 2290–2293 (Microfiche-Edition der Vaticana). Edition: Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Bd. 18 Rheinland-Pfalz I. (Herzogtum Zweibrücken, Grafschaften Veldenz, Lützelstein, Sponheim, Sickingen, Manderscheid u. a.) bearb. v. Bergholz, Thomas, Tübingen 2006, S. 71–259 (KT: Sehling, EKO XVIII). Vgl. auch: Jung, Wolfgang: Zur Geschichte des evangelischen Gottesdienstes in der Pfalz, Zweibrücken 1959; Bork, Gerhard: Die Kirchenordnung von Pfalz-Zweibrücken (Neuburg) von 1570. Eine Untersuchung ihrer Gottesdienstordnungen sowie ihrer deutschen und lateinischen Gesänge, in: MEKGR 4 (1955), 161–184. 17 Vgl. Conrad, Joachim: Gottesdienst in der Nassau-Saarbrückischen Landeskirche, in: JLH 45 (2006), 103–111; ders.: Conrad, Joachim: Der Einfluss Martin Bucers auf die Feier der Konfirmation nach der Nassau-Saarbrückischen Kirchenordnung von 1574, in: JLH 39 (2000), 87–99.

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Joachim Conrad

Abendmahls in Pfalz-Zweibrücken, entlehnt aus der mecklenburgischen Kirchenordnung18 von 1554, hatte folgende Ordnung: Beichte und Absolution – Psalm (Introitus) – Kyrie – Gloria – Kollektengebet – Epistel – Psalmgesang (Graduale) – Evangelium – Credo – Predigt – allgemeines Kirchengebet – Psalmgesang (Offertorium) – Vater Unser – Einsetzungsworte – Kommunion – Agnus Dei – Schlusskollekte – Segen.

2. „Eine neue Welt“ – die französische Herrschaft an der Saar und ihr Nachspiel 2.1 Die Bildung konfessioneller Konsistorialkirchen durch Napoléon Nachdem die Französische Revolution 1794 die alten Strukturen und mit ihnen die Nassau-Saarbrückische Landeskirche zerschlagen hatte, und nachdem durch den Frieden von Lunéville 1801 die Besetzung des linksrheinischen Reichsgebietes völkerrechtlich abgeschlossen war,19 wurde u. a. das Département de la Sarre gegründet mit dem Verwaltungssitz in Trier.20 Seit 1800 bestand das Arrondissement de Sarrebruck mit seinen Kantonen Saarbrücken, St. Arnual, Lebach, Ottweiler, St. Wendel und Waldmohr. In den Arrondissements Merzig und Blieskastel lebten keine evangelischen Einwohner.21 Die evangelischen Gemeinden des Departements wurden gemäß der „Articles organiques des cultes protestants“ vom 8. April 1802 – die Umsetzung erfolgte freilich erst 1805 – verwaltungsmäßig in vier Konsistorialkirchen unter der Leitung eines Lokalkonsistoriums22 zusammengefasst, nämlich in drei 18 Kirchenordnung, Wie es mit Christlicher Lere, reichung der Sacrament, Ordination der Diener des Evangelii, ordenlichen Ceremonien in den Kirchen, Visitation, Consistorio und Schulen im Hertzogthumb zu Meckelnburg etc. gehalten wird. Witteberg. Gedruckt durch Hans Lufft. 1554. 19 Vgl. Metzing, Andreas: Die Überlieferungen der linksrheinischen evangelischen Lokalkonsistorien der napoleonischen Zeit. Archivische Nachwirkungen eines historischen Zwischenspiels, in: Aus evangelischen Archiven 43 (2003), 99–107, hier S. 100. 20 Die in Frankreich 1790 eingeführte Struktur der Départements wurde 1798 auch auf die annektierten Reichsgebiete links des Rheins angewandt; es wurden vier Départements gegründet: Département de la Roer/ Ruhr (mit Sitz in Aachen), Département de Rhin-et-Moselle/ Rhein-Mosel (mit Sitz in Koblenz), Département de la Sarre/ Saar (mit Sitz in Trier) und Département du MontTonnerre/ Donnersberg (mit Sitz in Mainz); vgl. Andreas Metzing, Archivische Probleme einer Grenzregion – Linksrheinische Verwaltungsumbrüche im napoleonischen Zeitalter und ihre Auswirkungen auf die Überlieferung der evangelischen Kirche, in: Aus evangelischen Archiven 53 (2013), 186–194, hier S. 186. 21 Vgl. Schmitt, Johannes (Hg.): Französische Revolution an der Saar. Quellen und Materialien, Saarbrücken 1989; Strutz, Georg: Das prot. Kirchenwesen im Saar-Departement 1798–1814, in: In Deinen Händen. Evangelischer Kalender 1957, 104–110; Ecker, Franz: Das Saargebiet und die Französische Revolution 1789–1801 (= Mitteilungen des Historischen Vereines für die Saargegend Bd. 18), Saarbrücken 1929. 22 Vgl. Duda, Brigitte: Die Organisation der evangelischen Kirche des linken Rheinufers nach den Organischen Artikel 1802 (= Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 40), Düsseldorf 1971, 54 f.

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lutherische23 und in ein reformiertes24. Formales Kriterium zur Gründung einer solchen Konsistorialkirche als Zusammenfassung der bisherigen Ortsgemeinden25 war die Anzahl der Gemeindeglieder: 6.000 Einwohner gleicher Konfession wurden zu einer Konsistorialkirche zusammengefasst. Jean-Étienne-Marie Portalis, der französische Minister für religiöse Angelegenheiten, hatte mit der Einrichtung der Konsistorialkirchen die Präfekten beauftragt.26 In der Regel griffen die Konsistorialkirchen nicht über die Départementsgrenzen und entsprachen den Bezirken der Friedensgerichte. Das Amt der Lokalpräsidenten übernahmen in der Regel die früheren Inspektoren. Die Lokalkonsistorien wurden aus den Pfarrern der Konsistorialkirchen gebildet; zu ihnen traten nun Notabeln, die aus den fünfundzwanzig meist besteuertsten Bürgern gewählt wurden.27 In den lutherischen Lokalkonsistorien nahm ein Inspektor die Aufsicht wahr. Obwohl die Organischen Artikel vorsahen, eine mittlere Ebene28 aus jeweils fünf Konsistorialkirchen zu gründen, die auf lutherischer Seite Inspektionen, auf reformierter Seite Synoden heißen sollten, und obwohl als Oberbehörden noch zwei Generalkonsistorien in Mainz und Köln vorgesehen waren, blieb man bei der Umsetzung stecken:29 Die reformierten Synoden traten nie zusammen und zur Einrichtung der lutherischen Konsistorien kam es nur in Ansätzen. Allein die von Napoléon eingesetzten (General-)Konsistorialpräsidenten Johann Balthasar Pietsch (Mainz) und Johann Friedrich Jacobi (Köln) nahmen ihr Amt wahr. Das lutherische Konsistorium Saarbrücken leitete bis zu seinem Tod 1814 Pfarrer Johann Friedrich Röchling30, Glied einer langen Kette engagierter Kauf-

23 Es sind: 1. Saarbrücken mit Saarbrücken, St. Arnual, Malstatt, Kölln und Bischmisheim, 2. St. Johann mit St. Johann, Dudweiler, Neunkirchen, Dirmingen, Heusweiler und Völklingen und 3. Ottweiler mit Ottweiler, Niederlinxweiler, Dörrenbach und Wiebelskirchen. 24 Saarbrücken mit der reformierten Gemeinde Saarbrücken und mit Ludweiler. 25 Aus den Akten ist zu ersehen, dass die Kirchengemeinden ihre Arbeit innerhalb der Konsistorialkirchen einfach fortsetzten. 26 „Pour l’organisation prescrite par la loi, il es nécessaire de connaître 1. la population de chaque arrondissement de justice des paix und dans chaque département. 2. Le nombre et l’emplacement de chaque église protestante. 3. Quels sont les bien attachés à chacune de ces églises et le nombre des pasteurs qui les desservent.“ LA Speyer. Département Donnersberg I, 149. Zirkularschreiben von Jean-Étienne-Marie Portalis vom 22. Juli 1802 (3. Thermidor X). 27 Vgl. Duda, Brigitte: Die Organisation der evangelischen Kirche des linken Rheinufers, [s. Anm. 22], 68 f. 28 Vgl. Metzing, Andreas: Archivische Probleme einer Grenzregion [s. Anm. 20], 188. 29 Vgl. Metzing, Andreas: Die Überlieferungen der linksrheinischen evangelischen Lokalkonsistorien der napoleonischen Zeit [s. Anm. 19], 101. 30 Röchling, Johann Friedrich (1736–1814), 1757 Hauslehrer bei Pfalzgraf Johann von Birkenfeld-Bitsch; 1760–1767 Subrektor am Saarbrücker Gymnasium, 1767–1770 Pfarrer in Niederlinxweiler, 1770–1774 Zweiter Stadtpfarrer in Ottweiler, seit 1775 Zweiter Stadtpfarrer in Saarbrücken; 1805–1814 Präsident des luth. Lokalkonsistoriums Saarbrücken, 1806–1814 Inspektor für die lutherischen Inspektionen an der Saar; vgl. Conrad, Joachim: Art. Röchling, Johann Friedrich (1736– 1814), in: BBKL 26 (2006), Sp. 1254–1260. Es existiert ein Gemälde in der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, Saarlandmuseum Saarbrücken.

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leute und Unternehmer. Ihm folgte Ludwig Philipp Hildebrand.31 Das Lokalkonsistorium Ottweiler hatte mit Ludwig Heinrich Drach32 nur einen einzigen Konsistorialpräsidenten, während Georg Ludwig Schmidt33 in St. Johann 1808 bereits starb und mit Philipp Friedrich Gottlieb34 einen Nachfolger bekam. Das reformierte Konsistorium Saarbrücken stand unter Leitung von Karl Ludwig Zimmermann35, der zwischenzeitlich auch das Rektorat des Gymnasiums betreute sowie als Oberbürgermeister in Saarbrücken amtierte. Die Konsistorien blieben ihren Konfessionen verbunden; der Neuzuschnitt stellte die Gemeinden zum Teil vor erhebliche Probleme. Modern an diesem französischen System war, dass erstmals die Gleichberechtigung aller Konfessionen durch einen neutralen Staat garantiert wurde und dass die kirchlichen Strukturen nach objektiven Kriterien zu bilden waren.36

31 Ludwig Philipp Hildebrand (1764–1833), 1790–1794 Pfarrer in Neusaarwerden, 1794–1798 Pfarrer in Sarre-Union, 1798–1814 Pfarrer in Lorenzen, 1814–1833 Pfarrer in Saarbrücken, 1814– 1817 Präsident des luth. Lokalkonsistoriums Saarbrücken, 1817–1833 Superintendent in Saarbrücken im Wechsel; vgl. http:// www.saarland-biografien.de/ Hildebrand-Philipp-Ludwig [Zugriff 16. November 2015]. Es existiert ein Gemälde im Besitz von Waltraud Clara, Saarbrücken. 32 Ludwig Heinrich Drach (1757–1817), 1779–1781 Hauslehrer bei v. Maltitz in Saarbrücken, 1782 Hilfsdienst in Völklingen, 1782 Diakon in Ottweiler, 1782–1789 Diakon in Saarbrücken, zugleich Subrektor des Saarbrücker Gymnasiums, 1789–1804 Pfarrer in Niederlinxweiler, 1804– 1817 Pfarrer in Ottweiler, 1805–1817 Präsident des luth. Lokalkonsistoriums Ottweiler; vgl. http:// www.saarland-biografien.de/Drach-Ludwig-Heinrich [Zugriff 16. November 2015]. 33 Georg Ludwig Schmidt (1754–1808), 1782–1787 Konrektor des Gymnasiums Saarbrücken, 1787–1802 Prorektor des Gymnasiums Saarbrücken, 1794–1808 1. Pfarrer in St. Johann, 1805–1808 Konsistorialpräsident des luth. Lokalkonsistoriums St. Johann; vgl. http://www.saarland-biografien. de/ Schmidt-Georg-Ludwig [Zugriff 16. November 2015]. 34 Philipp Friedrich Gottlieb (1776–1827), 1794 Lehrer in Trarbach, 1802–1809 Pfarrer in Birkenfeld, 1809–1827 Pfarrer in St. Johann, 1808–1817 Präsident des lutherischen Lokalkonsistoriums St. Johann, 1817–1827 Superintendent in Saarbrücken in jährlichem Wechsel, vgl. http://www.saarland-biografien.de/Gottlieb-Philipp-Friedrich [Zugriff 16. November 2015]. 35 Karl Ludwig Alexander Zimmermann (1770–1835), 1801–1817 reformierter Pfarrer in Saarbrücken, 1804 zugleich 3. Lehrer am Saarbrücker Gymnasium, 1808–1834 Rektor des Saarbrücker Gymnasiums, 1805–1817 Präsident des reformierten Konsistoriums Saarbrücken, 23. Juli 1815 Ernennung zum Oberbürgermeister von Saarbrücken (bis September 1816), 1817–1835 Pfarrer in Saarbrücken, 1817–1833 in jährlichem Wechsel Superintendent der Synode Saarbrücken, 1833–1835 alleiniger Superintendent der Synode Saarbrücken; vgl. Conrad, Joachim: Art. Zimmermann Karl Ludwig Alexander (1770–1835), in: BBKL 29 (2008), Sp. 1590–1593. 36 Vgl. Metzing, Andreas: Die Überlieferungen der linksrheinischen evangelischen Lokalkonsistorien der napoleonischen Zeit [s. Anm. 19], 102. Metzing hat in seinem Beitrag deutlich gemacht, wie sehr die Erforschung dieser Periode erschwert wird. Teile der archivarischen Überlieferung des Lokalkonsistoriums Saarbrücken liegen im Landeskirchlichen Archiv in Boppard; das Protokollbuch hat sich im Besitz des Stiftes St. Arnual erhalten; weitere Schriftstücke liegen in Boppard. Das Protokollbuch des Konsistoriums St. Johann lag im Archiv der Kirchengemeinde St. Johann und ist – im Findbuch verzeichnet – zur Zeit nicht auffindbar. Akten des lutherischen Lokalkonsistoriums Ottweiler und des reformierten Lokalkonsistoriums Saarbrücken liegen im Zentralarchiv der Pfälzischen Kirche in Speyer. Die Akten sind bisher unverzeichnet. Der Verbleib der Protokollbücher von lutherisch Ottweiler und reformiert Saarbrücken ist z. Zt. ebenfalls unklar.

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2.2 Die Saarbrücker Union Als die besagten Territorien mit dem Wiener Kongress an Preußen fielen, war das Interim der französischen Verwaltung zu Ende. Mit Anordnung des Königlichen Konsistoriums in Koblenz vom 2. Februar 1817 wurden im nunmehr preußischen Rheinland37 Presbyterien gebildet. Die lutherischen Lokalkonsistorien im neuen Landkreis Saarbrücken wurden am 25. Februar zu einer Kreissynode zusammengefasst, während die beiden reformierten Gemeinden „mit Stillschweigen“ übergangen wurden. Am 27. August 1817 erging in Saarbrücken der Aufruf zur Saarbrücker Union.38 Erst einen Monat später forderte der preußische König Friedrich Wilhelm III. durch Allerhöchste Kabinettsordre zur Union auf. Der preußische Unionsaufruf wurde erst am 7. November 1817 verschickt, da war der förmliche Beschluss der Saarbrücker Union vom 24. Oktober bereits gefasst. Wörtlich heißt es, dass „sich die beyden evangelischen Gemeinden, die Lutherische und die Reformierte, in den Bezirken Saarbrücken und Ottweiler zu Einer Evangelischen vereinigt, und nach den schriftlich niedergelegten Urkunden allen Unterschied aufgehoben haben, welcher in Glaubenssachen bisher eine Scheidewand zwischen beyden gemacht hat […].“39 Die Unionsurkunde regelte interessanterweise weniger die theologischen Fragen als die wirtschaftlichen: So wurden die (reformierte) Kirchengemeinde Ludweiler und die (lutherische) Kirchengemeinde Karlsbrunn vereinigt, ebenso die beiden (Alt-)Saarbrücker Kirchengemeinden. Die zerstreut wohnenden reformierten Gemeindeglieder wurden den vor Ort befindlichen lutherischen Gemeinden zugewiesen. Den ehemals reformierten Gemeinden wurde im Gegenzug Anteil gegeben an der Pfarrwitwenkasse und am Kirchen- und Schulfonds St. Arnual. Lediglich zur Abendmahlsfrage, seit Jahrhunderten der Dissens der beiden reformatorischen Kirchen, hielt die Urkunde fest: „Da wo an einem und demselben Ort, wie in Saarbrücken, reformirte und lutherische Geistliche sich befinden, werden sie, so oft thunlich ist, wechselseitig für einander predigen, bey dem heiligen Abendmahl sich gegenseitig assistiren, selbst miteinander communiciren und so viel es einem jeden die Sorge für seine eigene Pfarrey erlaubt, 37 Ursprünglich waren 1815 zwei Provinzen gegründet worden: Jülich-Kleve-Berg mit der Hauptstadt Köln sowie das Großherzogtum Niederrhein mit der Hauptstadt Koblenz. Beide Provinzen erhielten ein Oberkonsistorium, und zwar für Jülich-Kleve-Berg in Düsseldorf und für die Provinz Niederrhein in Koblenz. Nach der Bildung der Rheinprovinz 1822 erhielt das Koblenzer Konsistorium 1826 die alleinige Verantwortung. Ende September 1934 zog das Konsistorium der Rheinprovinz nach Düsseldorf. 38 Vgl. Goeters, Johann Friedrich Gerhard: Die Einführung der Union im Bereich der alten Kreissynode Saarbrücken. In: Die evangelische Kirche an der Saar gestern und heute, hg. von den Kirchenkreisen Ottweiler, Saarbrücken und Völklingen. Saarbrücken 1975, 221–228. 39 Urkunde über die Einführung der Union in der Alten Kreissynode Saarbrücken. In: Conrad, Joachim (Hg.): Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken 1835–1897, Bd. 1 (= Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 160,1), 197.

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Alles thun, was sie thun können, um das Band der Vereinigung immer fester zu knüpfen.“40 Auch bezeugte die Urkunde, man wolle „einerley Liturgien, Gesang- und Schulbücher“ erreichen. Dass die bisherigen französischen Lokalkonsistorien als Mittelbehörde verstanden wurden, zeigt sich u. a. darin, dass im Dezember 1817 die bisherigen Konsistorialpräsidenten zu Königlichen Superintendenten ernannt wurden. Im neuen Kirchenkreis Saarbrücken, der den preußischen Teil des heutigen Saarlandes umfasste, führten sie ihr Amt alternierend bis zum Ausscheiden oder bis zum Tod.41 So versah am Ende der ehemals reformierte Superintendent von Saarbrücken, Karl Ludwig Zimmermann, den Dienst bis zuletzt. Als durch Allerhöchste Kabinettsordre vom 6. März 1851 die Möglichkeit beschrieben wurde, die Preußische Union in konfessionelle Blöcke aufzulösen, zeigte sich, dass die Saarbrücker Union erstaunlich stabil war, denn die Kreissynode Saarbrücken verwahrte sich: „Nach dem Standpunkte, den die hiesige Synode, mit ihren Gemeinden, Gemeinde-Gliedern und Dienern zur Union einnehmen, und schon vor der officiellen Vereinigung factisch eingenommen hatten, umfaßt die Union zwar auch die formale Einheit des Kirchenregimentes und der Cultus-Einrichtungen, aber noch mehr, als dies; – zwar auch die Anerkennung der Gleichberechtigung beider Confessionen und die Gemeinschaft der Predigt und des Abendmahls, aber auch noch mehr als dies; sogar noch mehr, als die Anerkennung der Gemeinschaft im lutherischen und reformirten Bekenntnisse; sie umfaßt den gemeinsamen Dienst für den Herrn und Heiland in Lehre, Cultus und Leben, und ruht auf der Gemeinschaft des evangelischen Geistes, welche immer reichere Früchte trägt, und immer innigere und höhere Glaubenseinheit an Tag bringt.“42 Die Rückkehr zu konfessionellen Bünden wurde als Rückschritt verstanden. Vielmehr feierte die Kreissynode Saarbrücken das Goldene Jubiläum der Union und ließ protokollieren: „Eine zweite bedeutungsvolle Feier wurde auf Veranlassung der hohen Kirchenbehörden am vorjährigen Reformationsfeste den 3. November zum Gedächtniß der vor 50 Jahren erfolgten Vereinigung der beiden evangelischen Schwesterkirchen in sämmtlichen Gemeinden der Kreissynode begangen, die sich in ihren Gottesdiensten des Segens der damals auch im hiesigen Lande eingeführten Union dankbar gefreut haben.“43

40 A. a. O., 198. 41 Der Ottweiler Konsistorialpräsident Ludwig Heinrich Drach war bereits am 1. März 1817 verstorben. Philipp Friedrich Gottlieb aus St. Johann starb am 29. April 1827. Der lutherische Superintendent von Saarbrücken, Philipp Ludwig Hildebrand, starb am 12. Juli 1833. 42 Vgl. 16. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 28. Juli 1856 in Saarbrücken, § 11. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken 1835–1897, Bd. 1 [s. Anm. 39], 360. 43 Vgl. 32. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 22. Juli 1868 in Saarbrücken, § 2. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken 1835–1897, Bd. 1 [s. Anm. 39], 801.

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2.3 Die Union vor Ort – ein Beispiel aus Völklingen Dem glücklichen Umstand, dass alle Protokollbücher des Presbyteriums Völklingen seit 1817 vorhanden sind, verdankt sich, dass sich eine „Historische Beschreibung der allhier in Voelklingen statt gehabten Feyerlichkeit des dritten Reformations-Jubiläums am 31ten October und 1ten November 1817“ aus der Feder von Pfarrer Karl Friedrich Zickwolff d. Ä. erhalten hat. Das Dokument berichtet nicht nur von den Vorbereitungen zum Fest, sondern auch von den Sitten, die denen der Gemeinden in der ehemaligen Grafschaft Saarbrücken entsprachen. Dazu gehörte etwa die dem Abendmahlsgottesdienst am Vortag vorausgehende Beichte mit Beichtandacht, aber auch das Knien beim Empfang des Altarsakramentes. Dass Pfarrer Zickwolff auch von der Teilnahme katholischer Christen am Reformationsgottesdienst berichtete, mag sich der Aufbruchstimmung verdanken, einerseits, weil das Land nach der französischen Herrschaft eine deutsche Perspektive unter dem preußischen Adler hatte, andererseits, weil die Saarbrücker Union als ein Signal verstanden werden konnte, jedweden Konfessionalismus zu überwinden. „Nachdem die evangelischen Christen mehrere Sonntage vor dem Feste in den Predigten auf das dritte Reformations-Jubelfest, auf seine Bedeutung und auf mehrere Wohlthaten der Reformation aufmerksam gemacht, in der Kirche wie in den Schulen die Hauptmomente der Reformations-Geschichte vorgetragen u. die Gemüther so viel als möglich zu einer würdigen Begehung dieses Fests vorbereitet, das Fest selbst am 21ten post Trinitatis den 26ten Octobris vorschriftsmäßig abgekündigt war, wurde am 30ten Octobris als am Vorabende des Fests mit den Communicanten des folgenden Tages eine Beicht-Andacht und Beichte gehalten. Das Einläuten des Fests, unmittelbar nach Sonnen-Untergang, begleitet mit dem Abfeuern etlicher Böller, |3| welches die weltliche Behörde veranstaltet hatte, und wobei der Schöffe, Herr Georg Leber der junge, sich besonders thätig bewies, indem er das Geld zum Ankauf des Pulvers collectierte und alles übrige dabei Nöthige betrieb, kündigte den herannahenden Tag an, an welchem Luther anfing das furchtbare Gebäude der Irrthümer zu erschüttern u. die Fesseln der Unwißenheit zu zerreißen und der Christenheit wieder das wohlthätig erleuchtende Licht des Evangeliums anzuzünden. Es machte dies einen tiefen Eindruck u. man nahm wahr, wie sich die evangelischen Christen zu ernsten, frommen u. des künftigen festlichen Tages würdigen Stimmung erhoben fühlten. Ein gleiches Läuten u. Abfeuern von mehreren Böllern am Morgen des 31ten Octobris erhöhte die Gefühle des hohen Ernsts u. Alles sah mit Verlangen der Stunde entgegen, in welcher man sich im Gotteshause versammle, um hier der mit Andacht u. Rührung angefüllten Brust durch Gebet, Dank u. Lob Luft machen zu können. Das ganze Benehmen der versammelten Menge in der Kirche, worunter man auch sehr viele der vornehmsten Glieder hiesiger kathol. Gemeinde bemerkte, bewies, daß alle von heiliger Andacht ergriffen waren. Gesang und Gebet hatten wirklich auch etwas ungewöhnlich Ernstes u. Hohes. Die feierliche Stille der zahlreichen Menge, die aufmerksame Andacht war herzerhebend, und besonders that dem Gemüthe die Feier der

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Communion wohl, welche zum ersten male so gehalten wurde, wie sich der Aufruf u. die Ermunterung an die evangelisch-lutherischen und evangelischreformirten Gemeinden in den Bezirken Saarbrücken u. Ottweiler zur Wiedervereinigung beider Confessionen zu Einer unter dem Namen: Evangelische Kirche, und wobei immer zwei Communicanten zugleich hervortraten. Dies veranlaßte, daß sich Vornehme zugleich mit den Dürftigsten niederließen und dadurch der Menge zeigten, wie gleich wir in den wichtigsten Angelegenheiten und vor Gott alle nur eins sind. Ungewöhnlich zahlreich wurde auch die Kirche des Nachmittags besucht.“44

3. Der Übergang an Preußen nach dem Zweiten Pariser Frieden 3.1 Die Gründung der Synode Saarbrücken und die Einführung der Agende Friedrich Wilhelms III. Superintendent Karl Ludwig Zimmermann war es, der die erste Kreissynode in Saarbrücken auf der Grundlage der neuen Rheinisch-Westfälischen Kirchenordnung auf den 13. Mai 1835 berief.45 Er starb jedoch noch im selben Jahr am 17. September; die Amtsgeschäfte führte bis zur Synode des Jahres 1836 der Synodalassessor Dr. Gottlieb Follenius. Das Protokoll der ersten Synodaltagung vom 13. Mai 1835 galt lange als verloren, tauchte aber überraschend in einem Pfarrarchiv wieder auf.46 Vornehmste Aufgabe dieser Synode war es, das erste Moderamen sowie die Abgeordneten zur rheinischen Provinzialsynode nach der neuen Kirchenordnung zu wählen. Zur Union verlor die Synode kein Wort; zu sehr war sie bereits Realität geworden. Dafür schaffte sie den Nassauischen Termin des Buß- und Bettages zugunsten des im Rheinland üblichen Termins ab, kümmerte sich um den Karfreitagsschutz und forderte Dispens vom Konfirmationsalter von 14 Jahren, weil grenznah wohnende Kinder auf bayerischem Gebiet früher konfirmiert werden konnten und dahin abwanderten. Für die niederrheinischen Gemeinden in der 1822 gebildete Rheinprovinz war es wichtig, mit der Rheinisch-Westfälischen Kirchenordnung das presbyterial-synodale Kirchenmodell zu retten. Deswegen war man bereit, dem König im Blick auf seine neue Agende entgegen zu kommen, die man eigentlich als zu lutherisch empfand. Die neue Synode Saarbrücken, die – auch nach dem Anschluss zweier reformierter Gemeinden – lutherisch geprägt war, schickte 44 Historische Beschreibung der allhier in Voelklingen statt gehabten Feyerlichkeit des dritten Reformations-Jubiläums am 31ten October und 1ten November 1817. In: Ev. Pfarrarchiv Völklingen. Best. A 1–1,1 Erstes Beschlussbuch des Presbyteriums 01.11.1817–08.12.1850. Sitzung vom 1. November 1817, S. 2–3. 45 Vgl. Conrad, Joachim: Die konstituierende Sitzung der alten Kreissynode Saarbrücken am 13. Mai 1835. In: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 57 (2008), 257–262. 46 Pfarrarchiv Kölln. Best. 72 Synodalprotokolle. Protokoll der Tagung der Kreissynode Saarbrücken vom 13. Mai 1835; vgl. auch Conrad, Joachim: Die konstituierende Sitzung [s. Anm. 45].

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dagegen eine Dankesadresse nach Berlin: „Im Gefühl des Dankes für die von Sr. Majestät unserem allergnädigsten König verliehene Landesagende u. Kirchenverfassung beauftragt die Versammlung das neu erwählte Directorium der Synode im Namen derselben ein Dankeswort an Sr. Majestät ergehen zu lassen.“47 Und am 11. August 1835 berichtete Synodalassessor Dr. Gottlieb Follenius an das Konsistorium, „daß in hiesiger Synode alle Gemeinden die von Sr. Majestät Unserem Allergnädigsten Könige verliehene Kirchenordnung und Agende mit Dank und Freude angenommen haben, und demgemäß auch die Repräsentanten und Presbyterien auf dem vorgeschriebenen gesetzmäßigen Wege erwählt und in ihr Amt eingeführt worden sind.“48 Das Gottesdienstbuch Friedrich Wilhelms III. war in den Jahren 1829 bis 1838 in den preußischen Provinzen als „Agende für die evangelische Kirche in den Königlich Preußischen Landen“ eingeführt worden. Ihre Revision stand 1848 zur Debatte. Dazu bestellte auch die Saarbrücker Kreissynode eine Agendenkommission49. Die Bemühungen versandeten vorerst, denn König Wilhelm I. verhinderte 1856 auf der Monbijou-Konferenz einen Eingriff in die Agende.50 Lediglich die liturgischen Gesänge wurden auf die Gemeinde übertragen. Über das gottesdienstliche Leben in den Gemeinden an der Saar gibt es nur vereinzelt Nachrichten: „Eine Vermehrung der Gottesdienste hat stattgefunden in der Pfarrei Dudweiler, wo in Folge der vorjährigen Kirchen-Visitation die Anordnung getroffen ist, daß im Sommer an jedem zweiten Sonntage Morgens um 8 Uhr ein Predigtgottesdienst und um ½2 Uhr Nachmittags eine Katechisation mit den Confirmirten gehalten wird. In Tholey hält der Pfarrer von Dirmingen vierteljährlich einen regelmäßigen Gottesdienst, wofür durch den H. Ev. Oberkirchenrath eine Beihülfe von 25 Thlrn. bewilligt worden ist. In Völklingen sind Wochengottesdienste für die Adventszeit angeordnet worden. Im Hospital zu Saarbrücken hielten die Geistlichen abwechselnd wöchentliche Betstunden.“51 Zur Belebung des gottesdienstlichen Lebens wurden 1856 Wochengottesdienste angeregt; die meisten Gemeinden führten dann auch Passionsandachten ein – „in Dudweiler und Bischmisheim Abends bei erleuchteter Kir-

47 Vgl. Conrad, Joachim: Die konstituierende Sitzung [s. Anm. 45], 262. 48 AEKR OB 002 Best. Konsistorium 678 (K33). Brief vom Synodalassessor Dr. Gottlieb Follenius an das Konsistorium vom 11. August 1835. 49 Mitglieder waren die Pfarrer Johann Gottfried Schirmer, Carl Voswinkel, Otto Friedrich Wilhelm Rindfleisch, Georg Conrad Brand sowie die Presbyter Wilhelm Niessen, Philipp Schmidtborn, Johann Elsermann und Ludwig Bonnet; vgl. 12. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 27./ 29. Juni 1848 in Saarbrücken, § 16. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 311. 50 Vgl. Meyer, Dietrich: Die Monbijou-Konferenz (1856) und Evangelische Allianz (1857). In: Die Verselbständigung der Kirche unter dem königlichen Summepiskopat 1850–1918, hg. von Rogge, Joachim/ Ruhbach, Gerhard (= Die Geschichte der Evangelischen Kirche der Union, Bd. 2), Leipzig 1994, 97–108. 51 Vgl. 21. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 12. August 1857 in Neunkirchen, § 2 Abs. 5. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 474.

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che“52. Doch diese Andachten fanden nicht die gewünschte Akzeptanz bei der Bevölkerung; der schwache Besuch der Passionsgottesdienste wurde allerorten beklagt. Das Völklinger Presbyterium ermöglichte dennoch zusätzliche Wochengottesdienste für die Adventszeit.53 Die Synode ihrerseits votierte für die Hebung des Kirchengesangs und empfahl die Wiedereinführung kirchlicher Sitten wie etwa die Aussegnung der Wöchnerinnen.54 Um die Schar aufmerksamer Predigthörer zu vermehren, plädierte die Synode für eine zuverlässige Seelsorge in Schule und Haus sowie für eine erbauliche Predigt. Zugleich bat sie das Königliche Konsistorium, sich dafür einzusetzen, dass Beamte alle vier Wochen sonntags für den Gottesdienst dienstbefreit würden und außerdem in den Schlafhäusern der Bergleute ein gottesdienstliches Angebot ermöglicht würde.55

3.2 Die Feier des heiligen Abendmahls 1867 bat der Präses der Rheinischen Provinzialsynode, Pfarrer Friederich Nieden, die Kreissynoden um einen Bericht, wie in den einzelnen Gemeinden die Vorbereitung der Abendmahlsfeier praktiziert werde. Die Saarbrücker Synode behandelte die Anfrage ausführlich und kam zu nachstehendem Ergebnis: Die Abendmahlsfeiern56 wurden durch Kanzelabkündigung am Sonntag zuvor bekannt gemacht, drei Gemeinden kündigten die Feier sogar zweimal ab. Eine Veröffentlichung im Kirchlichen Anzeiger wurde in zwei Gemeinden praktiziert; die Kirchengemeinde Merzig benutzte die am Anfang des Jahres ausgegebenen Gottesdienstordnungen. Nach erfolgter Bekanntgabe mussten sich die Gemeindeglieder zum Abendmahl anmelden; in den meisten Orten erfolgte die Anmeldung persönlich beim Pfarrer. Die Allgemeine Beichte diente der Vorbereitung der Abendmahlsfeier; die meisten Gemeinden hielten diese Beichte am Tag zuvor.57 „Der Beichtgottesdienst wird mit Gesang eröffnet, darauf folgt ein freies Gebet, auch wohl Verlesung eines Bußpsalms, Beichtrede und Formular. Das agendarische Formular wird in allen Gemeinden gebraucht. Für Gemeindeglieder, welche verhindert sind an der Beichte, wenn sie am Tage vor der Abendmahlsfeier stattfindet, 52 Vgl. 20. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 4. Juni 1856 in Saarbrücken, § 2. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 441. 53 Vgl. 21. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 12. August 1857 in Neunkirchen, § 2 Abs. 5. In Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 474. 54 Vgl. 20. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 4. Juni 1856 in Saarbrücken, § 11. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 451. 55 Vgl. 25. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 9. Oktober 1861 in St. Johann, § 4. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 571. 56 Vgl. 31. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 24. September 1867 in St. Johann, § 9. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 783. 57 In Karlsbrunn, Scheidt, Friedrichsthal und Kölln fand die Beichte am gleichen Tag statt. In Bischmisheim wurde die Beichte nur an hohen Festtagen am vorhergehenden Tage gehalten, in Neunkirchen war sie entweder am Abendmahlstag oder am Tag zuvor.

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Theil zu nehmen, wird vor dem Gottesdienste im Pfarrhause eine Vorbereitung gehalten.“58 Die Beichte selbst wurde in der Regel vor dem Altar gehalten; nur in Ottweiler verlas der Pfarrer das Beichtformular von der Kanzel aus. Auf die Beichtfrage antworteten die Anwesenden laut; zugegen waren nur die Gemeindeglieder, die am Abendmahl teilnehmen wollten. Allein in Karlsbrunn blieb die ganze Gemeinde versammelt. In den meisten Gemeinden traten die Beichtenden an den Altar und reichten dem Geistlichen die Hand zur Bekräftigung ihres abgelegten Beichtgelübdes. Dieser Brauch diente zugleich zur Wahrnehmung der einzelnen Kommunikanten. In den Gemeinden Wiebelskirchen und Ottweiler legten sie dabei kleine Gaben auf den Altar, die zur Anschaffung von Brot und Wein verwendet wurden. 1888 empfahl Pfarrer Julius Fechner als bestellter Referent für Gottesdienstfragen der Synode, in den Gemeinden sollte alljährlich ein oder mehrere Male über Wesen und Bedeutung des Altarsakraments sowie über den Sinn des rechten Gebrauches gepredigt werden.59 In diesem Zusammenhang erinnerte er die Synode daran, dass der Ausschluss vom Abendmahl nur erfolgen sollte aufgrund tatsächlicher Vergehen, nicht aufgrund subjektiver Urteile oder gar in Veranlassung fremder, unverbürgter Anklagen. In der Synode Saarbrücken gab es traditionell folgende Termine für die Abendmahlsfeiern, nämlich die ersten Feiertage an Weihnachten, Ostern und Pfingsten sowie das Erntedankfest; manche Gemeinden feierten am Himmelfahrtstag Abendmahl. Julius Fechner empfahl zudem den Landesbuß- und Bettag sowie einen Sonntag in der Passionszeit. In manchen Gemeinden hatte sich eingebürgert, am Gründonnerstag Abendmahl zu feiern; an diesem Tag fanden früher die Beichtgottesdienste für Karfreitag bzw. Ostern statt.60

3.3 Die Kasualgottesdienste Taufgottesdienste fanden in den Gemeinden zumeist nach beendetem Hauptgottesdienst statt. Zwei bis vier Paten standen den Eltern zur Seite; in den Dörfern spielte auch die Hebamme eine besondere Rolle. Für die Taufe unehelicher Kinder wurde 1859 geregelt, dass die Gemeinde zuvor zu entlassen war. In solchen Fällen entfielen Geläut und Gesang; auch durften nur zwei verheiratete Paten zugelassen werden.61 58 Vgl. 31. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 24. September 1867 in St. Johann, § 9. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 783. 59 Vgl. 51. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 25. Juli 1888 in Saarbrücken, § 7. In: Conrad, Joachim (Hg.): Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken 1835–1897, Bd. 2 (= Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 160,2). Bonn 2002, 1434. 60 Tatsächlich hatte bereits die Nassau-Saarbrückische Regierung 1762 angeordnet, das Abendmahl an Gründonnerstag zu feiern; vgl. LA Saarbrücken Best. Nassau-Saarbrücken II Nr. 3961 Verordnung, daß künftighin das heilige Abendmahl auf den grünen Donnerstag gehalten werden soll. 61 Vgl. 23. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 18. Juli 1859 in Saarbrücken, § 9. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 524.

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Das rasche Anwachsen der Gemeinden verursachte in der Folge vielfältige Probleme. So war zum Beispiel nicht gewährleistet, dass die erwählten auswärtigen Paten Glieder der evangelischen Kirche waren. Daher beantragte ein Synodaler, „daß alle Taufzeugen, welche nicht ihren Wohnsitz in den betreffenden Pfarreien haben, gehalten sein sollten, Kirchenzeugnisse beizubringen und daß sie ohne dieselben zu Pathenstellen nicht zugelassen werden dürfen.“62 Die Synode beschloss, von dem Antrag abzusehen. War schließlich das Ansinnen des Presbyteriums von Karlsbrunn aus dem Jahr 1866, wonach von den berufenen Paten mindestens die Hälfte der evangelischen Kirche angehören sollte, zwar durch die achte Provinzialsynode von 1853 erledigt, so zeugten doch die Umstände davon, dass die Saargemeinden unter dem Diktat der Bevölkerungsentwicklung auch mit rein katholischen Paten zufrieden waren. Im Blick auf die kirchliche Trauung ordnete die Kreissynode 1838 an, dass der Pfarrer am Wohnort der Braut verantwortlich zeichnen müsste.63 Dabei wehrte sich die Synode heftig gegen bürgerliche Trauungen auf der Grundlage des Code Napoléon, die womöglich noch vor der kirchlichen Proklamation stattfinden sollten. Noch 1853 beantragte die Kreissynode Saarbrücken, die „Hochwürdige Provinzialsynode wolle zu erwirken suchen, daß der Erlaß des Ev. Oberkirchenrathes vom 29. Jan. c., wonach gesetzlich geschlossene aber kirchlich nicht eingesegnete Ehen als kirchlich gültig anzuerkennen, für unsere Provinz außer Geltung gesetzt werde, weil es dem kirchlichen Bewußtsein und Leben widerstreite.“64 Im Jahre 1868 erbat die Provinzialsynode von den Kreissynoden erneut, alle Sitten im Blick auf Eheschließung und Proklamation zu sammeln, um eine Eheordnung entwerfen zu können. Als schwierig erwies sich jedoch, dass die Gemeinden teils unter deutschem Recht, teils unter dem Allgemeinen Preußischen Landrecht, teils unter französischem Recht standen. Die Kreissynode Saarbrücken setzte zur Klärung der anstehenden Fragen einen Ausschuss65 ein. Die Diskussion der folgenden Jahre kreiste immer wieder um die konfessionsverschiedene Ehe. Dass sie von Seiten der evangelischen Pfarrerschaft deutlich abgelehnt wurde – seit 1854 findet sich die entsprechende Statistik in den Synodalakten – beruhte vor allem auf der Praxis der römisch-katholischen Kirche. Denn um nicht in bloßer Zivilehe leben zu müssen, unterwarfen sich die Brautpaare den Bedingungen des trierischen Erlasses vom 15. März 1853, worin auch das eidliche Versprechen katholischer Kindererziehung enthalten war. So legte die Saarbrücker Kreissynode 1872 ihrerseits eine Eheordnung vor, durch die sie kirchliche Strafen in Aussicht stellte, wenn ein evangelisches Gemeindeglied die 62 Vgl. 18. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 4. Oktober 1854 in Saarbrücken, § 13. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 401. 63 Vgl. 4. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 20.–21. Juni 1838 in Dudweiler, § 19. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 401. 64 Vgl. 17. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 20. Juli 1853 in St. Johann, § 23. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 383. 65 Mitglieder waren die Pfarrer Carl Ludwig Herrmann von Kölln, Wilhelm Theodor Engel von Saarbrücken und der Presbyter Franz Nikolaus Ganns von Sulzbach.

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katholische Kindererziehung billigte.66 Diese Eheordnung wurde zwar von der vorgesetzten Behörde zurückgewiesen, aber der Ausschluss vom Abendmahl bürgerte sich dennoch in der Synode ein. Noch 1887 beantragte Pfarrer August Pieper eine Verschärfung der Kirchenzucht gegen den evangelischen Teil in jenen Mischehen, in denen die Kindererziehung ganz katholisch war.67 Der Ausschluss vom Abendmahl sollte durch Listen auch den Nachbargemeinden mitgeteilt werden, um betroffenen Gemeindegliedern das Ausweichen in andere Dörfer zu verwehren. Schon allein deswegen sollte die Anmeldung zum Abendmahl unbedingt beim Pfarrer erfolgen. Ein prominenter Fall machte in Gersweiler Furore: Pfarrer Adolf Ludwig Fauth68 hatte den Bürgermeister Sixt von Arnim, der in gemischter Ehe lebte, sich in der katholischen Kirche hatte trauen lassen, und das Versprechen katholischer Kindererziehung gegeben hatte, durch das Presbyterium von allen Rechten der evangelischen Kirche ausgeschlossen.69 Grundsätzlich hatte das dortige Presbyterium beschlossen: „1) Diejenigen Gemeindeglieder, welche alle ihre Kinder der römischen Kirche zuführen, werden von der Theilnahme am heil. Abendmahl und von der Taufpatenschaft ausgeschlossen. Ferner werden die Männer, welche das Versprechen katholischer Kindererziehung geben, des aktiven und passiven Wahlrechtes verlustig erklärt. 2) Wenn die betr. Gemeindeglieder durch fleißigen Besuch des Gottesdienstes bekunden, daß sie ihrem evangel. Glauben noch ergeben sind, so sollen sie nach Ablauf von 3 Jahren zum heiligen Abendmahl zugelassen werden, jedoch soll ihnen das heil. Abendmahl erst nach Entlassung der Gemeinde gereicht werden. Es haben sich dieselben persönlich beim Pfarrer anzumelden. 3) Auf dem Krankenlager soll ihnen das heil. Abendmahl nicht verweigert werden. 4) Beim Sterbefall soll die Leiche nicht vom Hause abgeholt werden. Am Grabe nur Personalien und agendarisches Gebet, keine Rede.“70 Dass die Trauungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Familienfeiern zunehmend zu „rauschenden Hochzeits-Belustigungen“71 ausarteten, beschäftigte die Kreissynode Saarbrücken seit 1858 immer wieder. Sie erwog die Wiederherstellung des tempus clausum in der Advents- und Passionszeit. Doch schon im folgenden Jahr heißt es: „Die in Folge des vorjährigen Synodalbeschlusses (§ 5) eingegangenen Erklärungen der Presbyterien sprechen sich sämmtlich gegen zwangsweise Einführung des tempus clausum aus. […] Die 66 Vgl. 35. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 30. Oktober 1872 in Saarbrücken, § 5. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 2 [s. Anm. 59], 959. 67 Vgl. 50. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 22. Juni 1887 in Saarbrücken, § 12. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 2 [s. Anm. 59], 1406. 68 Vgl. Conrad: Joachim Adolf Ludwig Fauth (1836–1912). Pfarrer – Homöopath – Volksschriftsteller. In: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 44 (1996), 174–206. 69 vgl. Archiv der Ev. Kirchengemeinde Gersweiler; Lagerbuch II Abt. A, S. 14; Abschrift des Beschlusses vom 2. November 1873. 70 Ebd. , S. 17–18; Abschrift des Beschlusses vom 24. Februar 1884. 71 Vgl. 22. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 27. Oktober 1858 in St. Arnual, § 5. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 504.

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Synode, in Erwägung 1) daß unserer Kreissynode keine Macht zusteht, die rauschenden Hochzeitsfeierlichkeiten zu verbieten; 2) daß nach vollzogener bürgerlicher Trauung die kirchliche nicht wohl verweigert werden könne; erkennt die Einführung eines temporis clausi für unsere Kreissynodal-Kirche auf disciplinarischem Wege für nicht wohl möglich.“72 Ebenso erkannte dies die Rheinische Provinzialsynode 1860. Die Kirchengemeinde Kölln wies im Übrigen darauf hin, dass in der Passionszeit Trauungen sowieso nur mit Genehmigung des Superintendenten gehalten würden. Die Trauerfeiern in den Gemeinden gingen traditionell von den Häusern aus, in denen die Verstorbenen aufgebahrt waren. Am Grab wurde der Lebenslauf verlesen; die Bestattung erfolgte mit agendarischem Gebet. Im Blick auf die Beerdigung von Suizidalen erbat die Kreissynode 1852 und nochmals 1853 eine Instruktion des Konsistoriums, doch griff sie dieser erbetenen Instruktion vor, als sie 1854 beabsichtigte, bei Suizid die kirchliche Bestattung zu verweigern. Dieses Ansinnen wurde durch Erlass des Evangelischen Oberkirchenrates vom 14. November 1854 ausdrücklich untersagt, sofern eine „notorische Unzurechenbarkeit“73 vorlag. Die zwölfte rheinische Provinzialsynode griff das Thema erneut auf und unterstrich, dass auf Wunsch der Angehörigen die Begleitung des Geistlichen in keinem Falle verweigert werden dürfte. 1868 hielt die Saarbrücker Synode nach einem Referat von Pfarrer Gustav Adolf Zillessen nunmehr daran fest, dass für die Bestattung eines Suizidalen die Zustimmung des Presbyteriums oder wenigstens des Superintendenten nötig sei.74 Am Ende legte sie aber die Entscheidung in das Ermessen des zuständigen Ortspfarrers. In den Verhandlungen des Jahres 1885 wurde deutlich, dass die Gemeinden sehr unterschiedlich mit dem Sonderfall der Bestattung eines Suizidalen umgingen: Während einige Pfarrer die vorgeschriebene Erlaubnis des Superintendenten einholten, fragten andere überhaupt nicht danach. Der Superintendent selbst sah sich außer Stande zu entscheiden. Die Differenzierung der Fälle unter dem Gesichtspunkt notorischer Unzurechnungsfähigkeit wurde allgemein als bedrückend empfunden; ein ärztliches Attest konnte auch nicht befriedigen. Die Synode bestand daher darauf, dass durch Predigt, Unterricht und Seelsorge die Gewissen zu schärfen waren. Zu einer allgemeinen Lösung konnten sich die Synodalen nicht einfinden.

72 Vgl. 22. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 13. Juli 1869 in Saarbrücken, § 5. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 521. 73 Vgl. 19. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 26. September 1855 in St. Johann, § 2. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 420. 74 Vgl. 32. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 22. Juli 1868 in Saarbrücken, § 6. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 823–824.

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3.4 Die Gesangbuchfrage Als Fürst Wilhelm-Heinrich von Nassau-Saarbrücken 1741 die Großjährigkeit erreicht und nach der Regentschaft seiner Mutter Charlotte Amalie von NassauUsingen die Regierung übernommen hatte, gehörte zu seinen zahllosen Initiativen auch die im Jahre 1746 erfolgte Herausgabe eines Nassau-Saarbrückischen Gesangbuches.75 Als Berater des Fürsten, als Bearbeiter und Herausgeber wird der Saarbrücker Superintendent und Konsistorialrat Mag. Thomas Balthasar Rollé76 angesehen, der das Vorwort verfasst hat. Das in Frankfurt am Main bei der renommierten Druckerei Knoch & Eßlinger verlegte Buch wurde zügig eingeführt. Der Superintendent des nassauischen Oberamtes Ottweiler, Konsistorialrat Georg Christian Woytt, drängte die Gemeinden mit einem Circular vom 17. Dezember 1746 zur Einführung. Wie viele Nachdrucke die Ausgabe von 1746 erlebte, ist nicht bekannt. Im Jahre 1779 erschien aber eine veränderte Ausgabe, nunmehr im Oktavformat und auch in gröberem Druck.77 Bis zum Jahre 1781 war das Gesangbuch im gesamten Fürstentum Saarbrücken eingeführt, ebenso im saarwerdischen Amt Harskirchen sowie im rheinhessischen Jugenheim.78 Das zweite Nassau-Saarbrückische Gesangbuch überdauerte die französische Besetzung, den Übergang des Fürstentums an Preußen nach dem Wiener Kongress 1815 und die Einführung der Saarbrücker Union im Jahre 1817. 1838 regte die Kreissynode Saarbrücken an, einen Anhang zum Nassau-Saarbrückischen Gesangbuch zu drucken79, empfahl aber schon 1843 in Korrektur der eigenen Vorschläge das Elberfelder Gesangbuch80, das im Verlag Samuel Lucas mit Genehmigung der Synoden Jülich, Kleve und Berg erschienen war. Das Votum fand dann in der Folge doch nur wenig Gehör. Noch 1846 gab sich die Synode der Illusion hin, das Saarbrücker Gesangbuch verdrängen zu können: „Die Unzulänglichkeit des in der hiesigen Synode noch üblichen alten nassauischen Gesangbuches, in welchem viele Kernlieder der evangelischen Kirche 75 Vgl. Conrad, Joachim: „Da unter deinen Töchtern unser Saarbrückisches Zion bishero kein eigenes Gesang-Buch gehabt …“. Die nassau-saarbrückischen Gesangbücher von 1746 und 1779. In: JLH 38 (1999), 227–241. 76 Vgl. Conrad, Joachim: Art. Rollé, Thomas Balthasar (1695–1780), in: BBKL 28 (2007), Sp. 1336–1343. 77 LA Saarbrücken Best. Nassau-Saarbrücken II Nr. 3963 Die Einführung des neuen nassauischen Gesangbuches in den Städten und auf dem Lande, ebenso des Seilerischen Katechismus 1780– 1790. 78 LA Saarbrücken Best. Nassau-Saarbrücken II Nr. 3963: Resolution des Konsistoriums Saarbrücken vom 28. September 1780. 79 Vgl. 4. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 20.–21. Juni 1838 in Dudweiler, § 31. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 227. 80 Vgl. 7. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 30. August 1843 in Neunkirchen, § 13. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 252. Das Gersweiler Presbyterium folgte erst 1881 dem Vorschlag, lehnte dafür 1890 die Einführung des rheinischen Provinzialgesangbuches ab; vgl. Archiv der Ev. Kirchengemeinde Gersweiler; Lagerbuch II Abt. A, S. 17. 20.

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ganz fehlen oder durch willkürliche Veränderungen entstellt und verschlechtert sind, sei schon seit geraumer Zeit in der Kreissynode schmerzlich empfunden und von der Provinzial-Synode, sowie von dem Hochwürdigen Consistorio mehrfach in Betracht gezogen worden.“81 Um ihr Ziel zu erreichen, wurde die Bildung von Sängerchören empfohlen; auch sollten Lehrerkonferenzen die originalen Choralmelodien einstudieren, um sie den Gemeinden zu vermitteln. Die Synode schlug die Ernennung von Musiklehrern vor, die durch das Stift St. Arnual besoldet werden sollten, und die – selbst in Orgelspiel und Kirchengesang unterrichtet – die Gemeinden anleiten sollten. „Doch bliebe für die Erreichung dieses Zweckes besonders von Seiten der Theilnahme der Gemeinde an dem Kirchengesange noch vieles zu wünschen übrig. Bei diesem Zustande schiene es einem Freunde des Kirchengesanges ein geeignetes Mittel zur Förderung desselben zu sein, wenn, zur Erleichterung des Ankaufes besserer Gesangbücher in einigen Gemeinden, eine kleine Summe zu Verfügung der Kreissynode gestellt würde, die gleichwohl nur in der Voraussetzung einer Gemeinde verabfolgt werden sollte, daß sie die richtigen ursprünglichen Choräle bei ihrem Kirchengesange schon angenommen hätte, oder für deren Einführung in nächster Zeit hinreichende Bürgschaft leiste. […] Der Geber wolle nicht genannt sein.“82 1856 erkannte die Kreissynode nunmehr im Provinzialgesangbuch die Alternative zum Saarbrücker Gesangbuch; doch sprachen sich die Presbyterien gegen dieses Provinzialgesangbuch aus.83 Kurz darauf drängte die Provinzialsynode auf eine Änderung der Verhältnisse an der Saar – während sie noch 1841 das Saarbrücker Gesangbuch vorläufig geduldet hatte –, denn inzwischen lag der Eisenacher Entwurf vor, durch den 150 Kernlieder festgeschrieben worden waren. Die Saarbrücker Synode votierte angesichts der Beharrlichkeit der Gemeinden im Jahre 1860 erneut für eine Revision des alten Gesangbuchs. Man forderte, „unserm gegenwärtigen Nassau-Saarbrückischem Gesangbuche recht bald zu einem Anhang verhelfen zu wollen, wozu ja in dem von den höchsten kirchlichen Behörden von fünfzehn deutschen Ländern, worunter auch das unsrige, berathenen und gutgeheißenen sogenannten Eisenacher Gesangbuche die feste Norm gegeben ist.“84 Sogar im ehemaligen Nassau-Saarbrückischen Oberamt Saarwerden, wo das alte Saarbrücker Gesangbuch immer noch in Gebrauch war, wurde ein solcher Anhang erbeten. Die Synode hielt fest: „Schon seit Jahren ist auch in unserem Synodalkreise das Bedürfniß fühlbar geworden, die alten Kernlieder, welche ein Gemeingut unserer deutschen evangelischen Kirche sind, in 81 Vgl. 10. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 21. Oktober 1846 in Saarbrücken, § 9. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 282. 82 Vgl. 10. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 21. Oktober 1846 in Saarbrücken, § 9. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 283. 83 Vgl. 20. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 4. Juni 1856 in Saarbrücken, § 13. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 452. 84 Vgl. 24. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 17. Oktober 1860 in Saarbrücken, § 9. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 553.

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ihrer ursprünglichen Gestalt zurückzuerhalten, da unser Gesangbuch viele derselben gar nicht, andere theilweise bis zur Unkenntlichkeit entstellt und verwässert enthält. Es sind daher in einer Conferenz der Pfarrer und Lehrer im Jahre 1851 ‚60 Lieder nach dem Texte des Prov.-Gesangbuches‘, und ebenso von einem Amtsbruder ‚125 unverfälschte Lieder, wie sie der Glaube in den vorigen und neuern Zeiten gedichtet, St. Johann-Saarbrücken 1851‘. – beide Büchlein zunächst für den Gebrauch in Schulen herausgegeben worden.“85 Die Kreissynode bestellte zur Erarbeitung des geplanten Anhangs eine Kommission86. 1864 lag das Ergebnis vor. Im Blick auf den ursprünglichem Stammteil des Saarbrücker Gesangbuches meldete die Druckerei Pecheur & Wolff in St. Johann 1880 an, dass die Bestände erschöpft seien und ein Nachdruck erfolgen müsse. Der Superintendent ergriff die Gelegenheit, das Saarbrücker Gesangbuch abzuschaffen. „Alsbald erhebt sich die Frage, welches Gesangbuch an die Stelle des bisherigen zu setzen sei? Vieles spricht für das Provinzialgesangbuch. Nicht nur ist dasselbe in den meisten Gemeinden der Provinz im kirchlichen Gebrauch, es bildet dasselbe auch das Lehrbuch in den Schullehrerseminarien, was nicht gering anzuschlagen ist; es ist ferner bereits in einer Anzahl von Gemeinden unserer Synode eingeführt und endlich ist es entschieden billiger als das hiesige alte Gesangbuch; nicht zu rechnen, daß der Verleger bereit ist, bei der ersten Einführung desselben den Gemeinden eine Anzahl ungebundene Exemplare zu schenken. Also die Einheit mit der Provinzialkirche, die Einheit in der Synode und größere Billigkeit empfehlen das Provinzialgesangbuch.“87 Die Synode aber war gespalten, weil ein Teil unter Führung von Pfarrer Wilhelm Theodor Engel88 das unrevidierte Provinzialgesangbuch rundweg ablehnte, während der einflussreiche Synodale Dr. Karl Schmidtborn die Vision eines deutschen Einheitsgesangbuches favorisierte und deswegen zögerte. Noch 1884 tendierte die Synode eher zu einer Übergangslösung als zur definitiven Abschaffung des Saarbrücker Gesangbuches bzw. zur Einführung eines anderen.

85 Vgl. 24. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 17. Oktober 1860 in Saarbrücken, § 9. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 1 [s. Anm. 39], 553. 86 Ihr gehörten die Pfarrer Gustav Ilse, Heinrich Julius König, Friedrich Wilhelm Röbenacke, Ferdinand Conrad Schott, Karl Friedrich Zickwolff d. J. und Gustav Karl Adolf Zillessen sowie die Presbyter Dr. Karl Schmidtborn und Dr. Friedrich Schröter an. 87 Vgl. 43. Tagung der Kreissynode Saarbrücken am 28. Juli 1880 in Saarbrücken, § 11. In: Conrad, Joachim: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken, Bd. 2 [s. Anm. 59], 1218. 88 Seit 1873 nahm die Kreissynode Stellung zur Revision des Provinzialgesangbuches. Als Fachreferenten fungierten für den Textteil der Saarbrücker Pfarrer Wilhelm Theodor Engel, für den musikalischen Teil der Sulzbacher Pfarrer Heinrich Julius König. Beide Referate wurden als Anhang gedruckt und zeugen von großer Kompetenz. Die Revision des provinzialkirchlichen Gesangbuches verzögerte sich derart, dass die Saarbrücker Synode 1887 vorschlug, auf dieses Vorhaben ganz zu verzichten und vielmehr das neue Militärgesangbuch zur Grundlage eines neu zu schaffenden Gesangbuches zu nehmen. Als das neue Provinzialgesangbuch schließlich 1893 der Kreissynode vorlag, führten es St. Arnual, Bischmisheim, Dudweiler, Elversberg, Friedrichsthal, St. Johann, Ludweiler, Ottweiler, Schwalbach, Sulzbach und Völklingen sofort ein. Bis 1894 waren zwanzig von dreißig Kirchengemeinden gefolgt.

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4. Ausblick Die „Saarbrücker Union“ hat das evangelische Leben an der Saar neu beflügelt. Die Festschreibung des konfessionellen Systems in Gestalt der französischen Konsistorialkirchen wurde überwunden; die Objektivierung gerade in strukturellen Fragen wurde allerdings bewahrt. Das gottesdienstliche Leben veränderte sich durch die Einführung einer gemeinsamen Abendmahlsfeier, doch lässt sich aufgrund der Quellenlage die Liturgie des Sonntagsgottesdienstes in Gänze erahnen. Beichte, Abendmahlsfeier, Trauung und Beerdigung ziehen die Aufmerksamkeit der Synode wie der Gemeinden auf sich und werden in den folgenden Jahrzehnten unter immer neuen Fragestellungen bisweilen heftig diskutiert. Die Saarbrücker Union, die ja der Preußischen Union voranschritt, machte es den Gemeinden an Saar und Blies leicht, die Agende Friedrich Wilhelms III. anzunehmen. Kurios dagegen wirkt der Umstand, dass das Nassau-Saarbrückische Gesangbuch, zaghaft verändert, den Untergang des Fürstentums Saarbrücken um rund einhundert Jahre überlebte. Selten stehen sich zwei Säulen des gottesdienstlichen Lebens so diametral gegenüber: Die Bereitschaft zur neuen Liturgie einerseits und das Verharren in den alten Liedern einer vergangenen Welt andererseits. Im Ergebnis war die Einführung der Saarbrücker Union für das gottesdienstliche Leben der Steigbügelhalter einer neuen Zeit.

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Das Reformationsjubiläum 1917 im Spiegel der Zeitschriften „Siona“ und „Monatschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst“ Konrad Klek

1. Einleitung Seit 1896 agierten im deutschen Protestantismus zwei Zeitschriften auf dem Gebiet der liturgischen Erneuerung mit Akzentuierung der künstlerischen Ausgestaltung der Gottesdienste. Beide trotzten den widrigen Kriegsbedingungen seit Sommer 1914 und kämpften engagiert weiter für ihre Sache. Demgemäß beteiligten sie sich einschlägig an der Kultivierung des Reformationsgedächtnisjahres 1917. Die bereits 1876 gegründete Siona (Zions-Stimme), bei Bertelsmann in Gütersloh verlegt, war in der lutherischen Restauration bayerischer Spielart verwurzelt und verstand sich als deren Sprachrohr.1 Ihr Gründervater Ludwig Schoeberlein (1813–1881) war zwar Professor in Göttingen, stammte aber aus Mittelfranken, redigiert wurde das Blatt jahrzehntelang vom Schwabacher, seit 1903 Neustädter (Aisch) Dekan Max Herold (1840–1921), der sich durch Forschungen zu Nürnberger Gottesdienstordnungen der Reformationszeit einen Namen gemacht hatte. Sein Sohn Wilhelm Herold (1870–1949), später ebenfalls Dekan in Schwabach, führte die Redaktion seit 1912 fort im Sinne der Gründergeneration mit etwas weiterem Horizont. Im Jubiläumsjahr 1917 war der auch als Komponist von Kirchenmusik profilierte Stadtpfarrer in der Bischofsstadt Eichstätt. Der Umfang der monatlich erscheinenden Siona-Hefte war auf 16 Seiten inklusive ggf. vier Seiten Notenbeilage beschränkt. Die 1896 von den Straßburger Professoren Friedrich Spitta (1852–1924) und Julius Smend (1857–1930) bei Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen initiierte 1 Die bisher einzige Würdigung verfasste zum 100-Jahr-Jubiläum der Zeitschrift Oskar Stollberg (Schwiegersohn von Wilhelm Herold): „Siona“. In: MuK 46 (1976), 115–125. Zum eigentümlichen Namen Siona siehe die programmatischen Ausführungen im ersten und zweiten Heft des Startjahrgangs Siona. In: Siona 1 (1876), 8–10, 22–24. (Die Beiträge wurden anfänglich namentlich nicht gekennzeichnet. Laut Eintragung in das Exemplar aus dem Hause Herold ist Autor hier Max Herold.) „Die ‚schönen Gottesdienste‘ Zions in Vergangenheit und Zukunft schweben unserer Seele vor“ beginnt der Beitrag.

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Monatschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst (MGKK) widersetzte sich theologisch positionellen wie ästhetisch stilistischen Vorgaben und verstand sich als offenes Gesprächsforum.2 Smends Berufung nach Münster als Gründungsdekan der theologischen Fakultät im Jahr 1914 führte dazu, dass das Prinzip der jährlich wechselnden Schriftleitung aufgegeben wurde und Spitta alleine die Redaktionsarbeit machte. Die MGKK-Hefte hatten mindestens doppelt so viele Seiten wie die der Siona, enthielten oft sehr viel Text in Kleindruck und brachten ebenfalls regelmäßig Notenbeigaben für die kirchenmusikalische Praxis. Die „liberalen“ Straßburger und „lutherischen“ Franken akzeptierten sich gegenseitig in ihren verschiedenen Ansätzen, kannten sich auch persönlich gut vom gemeinsamen Engagement im Evangelischen Kirchengesangverein für Deutschland,3 verkörperten gleichwohl unterschiedliche Haltungen in liturgicis. Es ist ein Desiderat für die liturgiewissenschaftliche Forschung, diese Differenz zu profilieren. Die hier gegebene Themenstellung „1917“ motiviert zu einer ersten Fallstudie diesbezüglich, verbunden mit der Fragestellung, inwieweit einerseits der Bezug auf das gemeinsame Gründungsdatum 1517, andererseits die für alle gleichermaßen bedrohliche Kriegssituation solche Differenzen nivelliert.

2. Das Jubiläumsjahr 1917 in der „Siona“ 2.1 Im Vorfeld Einziger Hinweis auf das Reformationsjubiläum in den Zeitschrift-Jahrgängen zuvor ist der im November-Heft 1916 abgedruckte Bericht von der „Kriegstagung“ des gesamtdeutschen Kirchengesangvereins am 5. Juli 1916 in Eisenach, die der Vorbereitung des Jubiläumsjahres diente.4 Die Referenten seien sich einig gewesen, „dass diese Feier, die eine Jubiläumsfeier der ganzen Reformation sein muss, nicht auf einige Tage beschränkt sein darf, sondern dass sie sich durch al l e Gottesdienste, durch alle musikalischen und alle Vereinsveranstaltungen des ganzen Jahres hinziehen muss, dass in erster Linie Luthers und aller Reformatoren Lieder in ihrer urwüchsigen Kraft wieder in der Gemeinde lebendig werden sollen, dass die Darbietungen der Chöre Beziehungen haben müssen auf die Reformationszeit und die Hauptgedanken der Reformation.“ Als sozusagen 2 Vgl. die Monographie von Klek, Konrad: Erlebnis Gottesdienst. Die liturgischen Reformbestrebungen um die Jahrhundertwende unter Führung von Friedrich Spitta und Julius Smend. Göttingen 1996, sowie den Jubiläumsbeitrag: Ders.: „Die Lebenden haben Recht“. Zur Gründung der „Monatschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst“ vor 100 Jahren. In: PTh 85 (1996), 272–291. 3 Aus persönlichen Dokumenten im Nachlass von Oskar Stollberg/ Max und Wilhelm Herold (im Archiv der Erlanger Universitätsmusik) geht hervor, dass Friedrich Spitta und Wilhelm Herold sich duzten. Spitta nennt in der MGKK 20 (1915), 309 W. Herold „meinen lieben Freund“, den Vater Max Herold in MGKK 15 (1910), 110, „mein verehrter Freund“. 4 Im Kleingedruckten unter „Chronik“, signiert mit „N.-V.“. In: Siona 41 (1916), 174–176, die Zitate 175.

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hauseigenes Votum wird referiert von Senior Max Herold „die dringende Mahnung, bei den Feiern des Jubiläumsjahres in konfessioneller Hinsicht Milde und Schonung walten zu lassen, bei geschichtlichen Darlegungen die nötige Vorsicht.“ Er habe auf die größere Nähe von kirchlicher wie volkstümlicher Sitte der Protestanten in Bayern zum Katholizismus verwiesen und allgemein plädiert: „Im Jahre so schwerer Kämpfe mit auswärtigen Feinden möge im Innern das trennende Element möglichst zurückgehalten werden.“ Die hymnologische Forschung solle auch stärker die vorreformatorischen Wurzeln des Liedgesangs aufarbeiten. Er verwies zudem auf ein neues, von seinem Sohn redigiertes „Heeresgesangbüchlein“ mit 27 Liedern in einem Anhang gemeinsamer Lieder5 und artikulierte die Hoffnung auf Fortschritte in Sachen Ökumene „durch die gemeinsame Kampfesübung auf dem blutigen Schlachtfelde“. Schließlich forderte er mehr „predigtfreie Gottesdienste“, deren Vorzug ihr „größerer Raum für Gesang und Musik, Anbetung und Bibelgebrauch (Lektion)“ sei. Auch für sein spezielles Steckenpferd „altkirchliche Psalmodie“, die „in der evangelischen Kirche durch mehr als zwei Jahrhunderte in frischer Übung stand“, sah er da speziell Chancen. Die vom westfälischen Hymnologen Wilhelm Nelle (1849–1918) in Eisenach vorgelegten 15 Thesen zur Liedstrategie für 1917 sind dann komplett abgedruckt.6 These 2 lautet: „Vor allem der sämtlichen Lieder Luthers im Gesangbuche muss die Gemeinde wieder mächtig und froh werden.“ These 3 hebt Luthers Eindeutschung des Te Deum als besonders zu fördern hervor, „damit es wieder in seiner einzigen Hoheit erglänze in unseren Sieges- und Friedensfeiern, in unseren Reformationsjubelfeiern, aber auch an unseren hohen kirchlichen Festen überhaupt.“ These 4 postuliert den „Sprechgesang“ als „eine n o t w e n d i g e Ergänzung des rein melodischen Gemeindegesangs“. Die im Einzelnen entfaltete Strategie zur praktischen Umsetzung in den kirchlichen Handlungsfeldern reicht bis zur Forderung nach Installation von Liedertafeln mit Platz für fünf Liednummern (statt vier) und kleineren Ziffern für die Strophen (These 12). Schließlich soll das reformatorische Lied wieder stärker auf die öffentlichen Plätze dringen mittels Kurrende, Turmblasen, Friedhofsingen (These 13). These 14 benennt „die Kriegszeit“ als „besonders geeignet“ zur Steigerung der Empfänglichkeit bei den Menschen. These 15 schließt: „Damit uns das Reformationsjubeljahr 1917 auf diesem Gebiete gerüstet finde, ist es hohe Zeit, die Arbeit allseitig, unverzüglich, ausdauernd in Angriff zu nehmen.“ Es ist ganz auf der Linie von Redakteur Wilhelm Herold, den Krieg als Herausforderung im Sinne des „jetzt erst recht“ aufzunehmen. In einer Abhandlung „Der Schmuck unserer Gotteshäuser und Gottesdienste in der Kriegszeit“7

5 Evangelisches Heeres-Gesangbuch. Mit einem Anhange: Gemeinsame Lieder für alle christlichen Bekenntnisse. Breitkopf & Härtel: Leipzig 1914/15. Siehe dazu Wittenberg, Andreas F.: Die deutschen Gesang- und Gebetbücher für Soldaten und ihre Lieder (Mainzer hymnologische Studien 23). Tübingen 2009, 233–237. 6 Ebd., 176. 7 Siona 41 (1916), 17–21, die Zitate 20 und 21.

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wendet er sich entschieden gegen Kargheit im Kirchenschmuck als Stempel der vom Krieg geforderten Buße. „Die Gotteshäuser sollen jetzt erst recht in heiliger Zierde prangend locken und rufen: …“ (folgt Psalm 34,9). Die Kirche solle gerade nicht „weinerlicher Stimmung“ Vorschub leisten. „Nein, Luthers Kraft und Eisen braucht unser Volk“. Der Schmerz der einzelnen Hinterbliebenen sei der „Freude der ganzen Nation“ unterzuordnen, „die Gott zu Lob bis jetzt singen darf: ‚Der Herr hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich!‘“ Ein Jahr zuvor hat Herold den Jubiläumsjahrgang der Zeitschrift (40 Jahre) eingeleitet mit einem pathetischen „Soli Deo Gloria!“8 als Motto, um sogleich „Los von England“9 anzuschließen, eine mit polemischen Wendungen reich bestückte Abrechnung mit einem englischen, letztlich deutschfeindlichen Mainstream, der sich in bedenklicher Weise in den Vorkriegsjahrzehnten durch den „über den Kanal zu uns gedrungenen Singsang und Klingklang“ auch in kirchlichen Kreisen Deutschlands breit gemacht habe. Der militärischen Front korrespondiert also eine hymnologische. Herolds Schlussappell lautet: „Fort mit Reichsliederbuch und Christlichen Sängerbund-Liedern, dem Heilsarmeegeklapper und der ganzen billigen Fabrikware, deren Invasion in Vereinen und Familien unser evangelisches Christentum zu verderben droht! Lasst uns wieder deutsch sein …“ Wilhelm Nelle hat dem 1916 sekundiert mit einem Plädoyer für fünf alte Passionslieder,10 indem er den weichlichen Ton vieler Passionslieder zurückweist und den „Manneston“ in den alten reformatorischen Gesängen auf den Schild hebt. Er endet da: „Singen wir die Passionsklage wieder in den Liedern, die zu Luthers und nach Luthers Zeit unsere Väter sangen, so wird die Nachwelt uns das Zeugnis geben, dass wir auch auf dem Gebiete der Bereicherung des gottesdienstlichen Lebens den Krieg nicht umsonst erlebt haben.“

2.2 Das Jubiläumsjahr Jetzt sind fast alle größeren „Abhandlungen und Aufsätze“ thematisch dem Jubiläum verpflichtet. Das größte Gewicht hat die auf fünf Hefte verteilte Abhandlung aus der Feder des Schriftleiters „Luther und die Kirchenmusik“11, womit der Jahrgang eröffnet wird. Der historischen Aufarbeitung von Luthers Äußerungen zur Musik gegenüber steht ein praxisbezogenes Plädoyer für die

8 Herold, Wilhelm: Soli Deo Gloria! „Siona“. Zum vierzigjährigen Jubiläum unserer Zeitschrift. In: Siona 40 (1915), 1–7. 9 Herold, Wilhelm: Los von England. In: Siona 40 (1915), 7–11, die Zitate 8 und 11. 10 Nelle, Wilhelm: Fünf Passionslieder. Ein Wort zu den Passionsfeiern des Kriegsjahres 1916. In: Siona 41 (1916), 49–56, signiert „Namens des Evangelischen Kirchengesangvereins für Westfalen, Superintendent D. Nelle.“; die Zitate 56. 11 Herold, Wilhelm: Luther und die Kirchenmusik. In: Siona 42 (1917), 1–6, 17–24, 86–89, 124– 129, 168–175.

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Verwendung einzelner Lutherlieder bei verschiedenen Gelegenheiten12, um zu „erreichen, dass am 31. Oktober 1917 die Gemeinden der Lutherlieder sich als eines ihr lieben, vertrauten Besitzes erfreuen.“ Herold profiliert in seinem Beitrag Luthers Wertschätzung der Kunstmusik inklusive lateinischer Sprache gegen die vereinfachende Sichtweise, entscheidend sei für ihn allein der Gemeindegesang im Gottesdienst gewesen. Es lohnte sich, Herolds Methodik in der Bewertung der bekannten Quellen genauer zu untersuchen. Seine Darlegung kann auch heute noch manche Lehrbuchmeinung relativieren, wenngleich die Schlussfolgerungen deutlich das eigene ästhetische Interesse als Leitprinzip verraten: „Unsere Kirchen müssen den musikalischen Ausdruck religiöser Gedanken und Gefühle allgemein wieder auf eine höhere Stufe ästhetischen Wertes erheben. Das Orgelspiel muss die prächtigen Mittel der modernen Orgel mehr zur Anwendung bringen. Der Chorgesang muss seine alten Privilegien, die er in Luthers Gottesdienst besaß, wieder erlangen. Der liturgische Aufbau muss für erhabene Steigerungen und Höhepunkte sorgen. … Im Rahmen eines nach künstlerischen Gesichtspunkten geordneten Gottesdienstes wird der nach der Quantität beschränkte Gemeindegesang seine rechte Qualität und Wirkung neu gewinnen.“13

Flankierend zu „Luther und die Kirchenmusik“ gibt es die Abhandlung „Luthers deutsche Messe von 1526“14, wo außer einer knappen Vorstellung von Luthers Schrift detailliert die christliche Gottesdienstgeschichte im Blick auf das Gegenüber von Klerus und Laien aufgearbeitet, die Leisen als volkssprachliche Gesänge in der spätmittelalterlichen Liturgie vorgestellt und schließlich der Anlass für Luthers Schrift von 1526 erörtert werden, nicht ohne mit Verweis auf Wolfgang Musculus (1536) zu bemerken: „Keinesfalls ist aber der Gemeindegesang, wie vielfach angenommen wird, sofort nach Einführung der deutschen Messe ein feststehender und allgemein gepflegter Bestandteil des Gottesdienstes geworden.“ Im direkten Anschluss an diesen Beitrag erhält im September-Heft, also unmittelbar vor dem Jubiläum, Senior Max Herold die Gelegenheit, in der Rubrik „Gedanken und Bemerkungen“15 sein Ceterum censeo zum Reformationsjubiläum anzubringen: „Für Recht und Unrecht, für Fortschritt und Rückschritt wird Luther angezogen. Oft genug der falsche Luther, der missverstandene, und noch häufiger der halbe Luther.“ „Luther wird gepriesen als Vertreter oder gar als Schöpfer des Kirchenliedes; dass er aber dabei den edlen, reichen Chorgesang, die Kunstmusik, festgehalten hat, wird übersehen.“ Die Deutsche Messe von 1526 sei dezidiert nicht „das ideale Vorbild für unseren Hauptgottesdienst nach Luthers Willen“. Mit einem Zitat aus Rochus von Liliencrons Chorordnung (1900) hält er fest, in Wittenberg sei der „solenne Gottesdienst“ nicht danach, sondern „mit vollständiger Liturgie und lateinischem Chorgesang abgehalten“ worden. „Darüber kann kein Zweifel herrschen.“ 12 Körner, Emil: Die Rüstung auf die Reformationsfeier 1917. In: Siona 42 (1917), 6–8, das Zitat 7. 13 Herold, Herold: Luther und die Kirchenmusik (s. Anm. 11), 175. 14 Von der Heydt, Fritz: Luthers deutsche Messe von 1526. In: Siona 42 (1917), 129–132, 140– 144, das Zitat 142. (Der Autor ist der Generalsekretär des Evangelischen Bundes.) 15 Herold, Max: Gedanken und Bemerkungen. In: Siona 42 (1917), 145.

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Der liturgiehistorischen Aufarbeitung steht wieder gegenüber die Erörterung einer aktuellen Frage in Aufnahme einer Diskussion im Schlesischen Kirchenblatt 1915 über mehr Anbetung im Gottesdienst und die Trennung von Predigtgottesdienst (ohne „Liturgie“) und liturgisch reichhaltiger Abendmahlsfeier.16 Luthers Deutsche Messe soll definitiv nicht das Vorbild für alle Zeiten sein … Für den Siona-Akzent Chorgesang steht auch eine werbende Abhandlung über Johann Walter aus berufenem Munde, von dessen Torgauer Nachfolger Otto Schröder, der sich die Erschließung des Walter-Chorrepertoires zur Lebensaufgabe gemacht hat.17 Das von Wilhelm Nelle und Johannes Plath (im Auftrag von Rheinischem wie Westfälischem Kirchengesangverein) edierte „Chorbuch 1917“ mit Sätzen zu reformatorischen Liedern, zuerst aus der Zeit von 1524 bis 1648, dann in Bach-Chorälen, schließlich von Zeitgenossen in kriegsbedingter Beschränkung auf drei gleiche Stimmen, zentrales Medium in Nelles Lied-Strategie, wird protegiert durch Abdruck des gesamten Vorworts.18 Darin wird u. a. auf die intendierte Nachhaltigkeit verwiesen: „Denn das Buch will nicht ein Feuer anzünden, das mit dem Ablaufe des Jahres 1917 wieder erlischt. … Vom Reformationsgedenkjahr 1917 erhoffen und erbitten wir vom Herrn der Kirche, dass es Frucht schaffet, die da bleibet, insbesondere auch auf dem Gebiete unseres gottesdienstlich-musikalischen Lebens.“ Sehr umsichtige Tipps zur Aufführungspraxis werden gegeben, zur liturgischen Verortung im Wechselspiel von Gemeindegesang und Chorgesang usw. Damit die Strategie auch wirklich aufgeht, wird schließlich sogar fast verboten, im Jahreslauf beliebte Lieder aus anderen Zeiten als dem Reformationsjahrhundert zu singen. Diese seine durch analoge reformatorische Gesänge zu ersetzen, Nun lob, mein Seel, den Herren also statt Lobe den Herren. Der pathetische Schlussabsatz ist signifikant: „Was wir hier dem Kirchengesange, dem Kirchenchorgesange darbieten, es ist ausschließlich d e u t s c h e , ausschließlich e v a n g e l i s c h e Musik. Möchte sie durch die Liebe und die Mühe unserer Kirchenchöre in unseren Reformationsjubelfeiern laut werden durchs ganze Jahr 1917 hin, möchte sie dann, einmal wieder erweckt, ein lebendiger, unveräußerlicher Bestandteil unserer gottesdienstlichen Feiern bleiben bis in ferne Geschlechter, unseren Gemeinden zur Erbauung, unserem Luther zu liebendem Gedenken, unserem Gott zu Anbetung, Preis und Ehre!“19

In der Rubrik „Chronik“ bringt die Siona dann einen Bericht von der „Reformationsjubiläumstagung des Evangelischen Kirchengesangvereins für Deutschland in Eisleben“20, in Luthers Geburt- und Sterbeort abgehalten Anfang Mai an den beiden Tagen nach dem Sonntag Kantate. Am Ende wird das Telegramm der Festversammlung an die „Mitglieder des Vereins im Feld“ wiedergegeben.

16 Bronisch, Matthias Gotthelf: Ein Zukunftsbild von Luthers deutscher Messe. In: Siona 42 (1917), 89–91, 102–105. 17 Schröder, Otto: Johann Walther (sic!). In: Siona 42 (1917), 153–161. 18 Die Herausgeber, Zum Chorbuch 1917, herausgegeben von Nelle, Wilhelm und Plath, Johannes. In: Siona 42 (1917), 66–71, das Zitat 67. 19 Ebd., 71. 20 Siona 42 (1917), 94–96, das Zitat 96.

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Es schließt: „Lutherlied, Lutherglaube, Luthertrotz helfen uns kämpfen und siegen. ‚Ein feste Burg ist unser Gott!‘“ Im Sommer- und Septemberheft ist je ein Formular für eine Vesper zum Reformationsgedenken „für einfachste Verhältnisse“, also ohne Kunstmusik, abgedruckt.21 Der Kasus Vespergottesdienst gehört schon immer zum SionaProgramm. Max Herold hatte sich ja mit Publikationen diverser Vesper-Liturgien profiliert. Jetzt handelt es sich um die inhaltlich stringente Abfolge von reformatorischen Liedern mit einem Lutherlied als „Hauptlied“ jeweils in der Mitte, Psalmgebet (möglichst als Psalmodie), drei Schriftlesungen (prophetisch, evangelisch, epistolisch) und Luthertexten anstelle einer Auslegung/ Ansprache. Auch bei den Gebeten ist Lutherwort integriert. So soll auch unter Kriegsbedingungen an jedem kirchlichen Orte der Reformation angemessen gedacht werden können. Historisches Gegenüber dazu ist im Juli/Augustheft die Dokumentation der opulenten Reformationsfeier (mit ad hoc komponierter Kantate) in Luckau 1717 durch den Meininger Kirchenmusiker Pauke, der Archivmaterialien dazu präsentiert und abschließend bedauernd bemerkt, wie kümmerlich demgegenüber die aktuellen Reformationsfeiern ausfallen werden.22 Die Notenbeigaben in diesem Jahrgang23 bringen neben Kriegsbezogenem vermehrt alte Sätze aus der Reformationszeit, aber meist auch neue Sätze zu reformatorischen Liedern für die aktuelle Aneignung. Das Sommerheft etwa bietet zuerst ein deutsches Kyrie vom fränkischen Altmeister Johann Georg Herzog (1822–1909), dann den Bach-Satz zu Luthers Aus tiefer Not, ein Kriegsgebet (Text: Helene Hoffmann) für Sologesang vom schlesischen Zeitgenossen Wilhelm Rudnick (1850–1927) und einen Satz zu Ein feste Burg für drei gleiche Stimmen vom Redakteur Wilhelm Herold in der rhythmischen Originalfassung der Melodie mit Ausführungsanweisung „Im straffen Rhythmus“. Im Folgeheft erscheint nur Reformatorisches: der Haßler-Satz zu Nun freut euch, lieben Christen g’mein und Luthers eigene Motette Non moriar sed vivam. Im Oktoberheft ist es wieder das übliche Spektrum: Walters Wach auf, wach auf, du deutsches Land; eine moderne Adaption von Luthers Erhalt uns, Herr-Bitte in der Vertonung des Albert Knapp-Textes Erhalt uns, Herr, dein Erbe durch J. G. Herzog und als „Bittgesang in Kriegszeit“ Du Friedefürst, Herr Jesu Christ im Satz von Johann Crüger. Am Ende des Jahrgangs24 steht fett und extra groß gedruckt ein Appell „An unsere Leser und Freunde unserer Sache“, der Zeitschrift treu zu bleiben trotz 21 Körner, Emil: Zur Rüste für die Reformationsfeier. Vespern für die Oktobersonntage 1917. In: Siona 42 (1917), 121–124, 137–140. 22 Pauke, Karl: Die Reformations-Jubelfeier 1717 zu Luckau (Lausitz). In: Siona 42 (1917), 132– 135. 23 Die jeweils vier Seiten umfassenden Notenbeigaben sind in die Seitennummerierung der Zeitschrift nicht integriert. Sie sind betitelt „Musikbeigabe. Beilage zur ‚Siona‘. Monatschrift für Liturgie und Kirchenmusik“ und haben eine Nummerierung nach Jahrgang und Heft, also 1917, 9; 1917, 10 usw. 24 Siona 42 (1917), 184.

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Reduzierung um vier Seiten ab dem Folgejahr „infolge der Papiernot“ und weitere Leser zu werben. „Während andere Zeitschriften seit Kriegsbeginn ruhen, hat die ‚Siona‘ durchgehalten … im Dienst und Kampf für die heilige Tonkunst und die Zukunft der evangelischen Kirche, für das Erbe Luthers und der Reformation!“

3. Das Jahr 1917 in der „Monatschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst“ 3.1 Im Vorfeld In der MGKK finden sich keine strategischen Vorüberlegungen für 1917. Trotz der herkömmlichen Nähe zur Kirchengesangvereinsarbeit gibt es auch kein Referat von der Eisenacher Tagung. Nur das „Chorbuch 1917“ wird im letzten Doppelheft kurz angekündigt25 und J. Walter-Experte Schröder darf auch in der MGKK für ein 1917 mit Johann Walter werben.26 Schließlich warnt ein kurzer Beitrag vorausschauend davor, dass 1917, wie 1883 geschehen, minderwertige Portraits der Reformatoren den Kirchengemeinden aufgeschwatzt werden könnten.27 Am Anfang heißt es da signifikant: „Es gehört zu den bedauerlichen Wirkungen der Kriegszeit, dass voraussichtlich das Reformationsjubiläum des Jahres 1917 nicht diejenige Vorbereitung erfahren wird, die zu wünschen wäre.“ Das herkömmliche, breite Themenspektrum der MGKK – Theorie und Geschichte des Gottesdienstes, gottesdienstliches Leben der Gegenwart, Hymnologie und kirchliche Dichtung, Musik, sonstige kirchliche Kunst28 (Architektur, Kirchenschmuck, Friedhofskultur, Glocken etc.) – wird trotz Kriegseinschränkungen weiter bedient. An Beiträgern herrscht kein Mangel. Um alles unterzubringen, ist oft die kleinere Schrifttype gewählt. Redakteur Spitta agiert liturgisch programmatisch in einer auf vier Folgen verteilten Abhandlung über den „Gottesdienst als liturgische Einheit“29, welche die gleichnamige Schrift von Theodor Voß (Göttingen 1915) kritisch würdigt und dezidiert verteidigt gegen das in der Siona (1916, S. 139 f.) verkündete Verdammungsurteil aus dem Hause Herold, das in der Bindung an die altkirchlichen Perikopen das einzig legitime Einheitsband sieht. In die Kriegssituation sprechen die am Anfang jedes Heftes 25 Glebe (Hamm i.W.), Chorbuch 1917, MGKK 21 (1916), 314. Die MGKK erscheint seit 1915 in der zweiten Jahreshälfte in Doppelheften, um Versandkosten zu reduzieren. 26 Schröder, Otto: Für die 4. Jahrhundertfeier der Martin Lutherschen Reformation. In: MGKK 21 (1916), 328 f. Dazu erscheint ein Chorsatz Walters zu „Gelobet seist du Jesu Christ“ in der Notenbeilage des letzten Heftes. 27 Flöring, Friedrich: Bilder der Reformatoren in den Kirchen. In: MGKK 21 (1916), 171 f., das Zitat 171. 28 So die Rubriken im Inhaltsverzeichnis. 29 Spitta, Friedrich: Der Gottesdienst als liturgische Einheit. In: MGKK 21 (1916), 3–5, 165– 168, 198–201, 250–254.

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in ansprechendem Großdruck präsentierten Dichtungen, zumeist von Zeitgenossen, pointierend zum Jahrgangsbeginn aber auch vom Reformator Ambrosius Blarer Wie’s Gott gefällt, so g’fällts mir auch, flankiert von Sätzen des Spitta-Freundes Arnold Mendelssohn (1855–1933) dazu in der Notenbeilage30. Spitta bekennt, er sei „ganz erschüttert worden von der Anwendungskraft dieser Worte auf unsere Zeit“.31 Auch die sonstigen Notenbeigaben sind überwiegend Gesänge für den Kasus Krieg, außer zwei Schütz-Bearbeitungen durchgängig Neukompositionen, wobei mit Clara Faißt (1872–1948)32 und Louise Mendelssohn (1863–1923)33 sogar Frauen („an der Heimatfront“) als Komponistinnen beteiligt sind und Marie Schmalenbachs Brich herein, süßer Schein selger Ewigkeit einen Chorsatz34 erhält. Als hymnologisches Kriegsthema setzt Spitta wieder einmal die Übersetzung des „niederländischen Dankgebets“ auf die Tagesordnung35, ein Mitstreiter empfiehlt als „kerniges Lied“ und „Gegenstück zu Luthers ‚Ein feste Burg‘“ für die jetzige Lage Verzage nicht, du Häuflein klein.36 Im Jahrgangs-Schlusswort kündigen Verleger und Herausgeber eine Preiserhöhung von 6 auf 8 Mark an, bitten um die Treue der Leser zum Dank für das „Durchhalten“ ihrerseits und geloben: „Die Aufgaben des neuen Jahres, wie sie sich aus der Kriegslage und dem nahen Reformationsjubiläum ergeben, sollen erfüllt werden: reiches Material dafür steht uns zur Verfügung.“37

3.2 Das Jahr 1917 Das zum Druck bereite „Material“ ist tatsächlich umfänglich, zunächst historische Untersuchungen, die dem Reformationsjubiläum in je spezifischer Weise dienen. Im ersten Heft referiert Paul Graff über die ersten „Reformationsjubelfeiern“ 1617, 1630, 1655.38 Später im Jahrgang folgt vom Magdeburger Generalsuperintendent Gennrich in drei Folgen die detaillierte Aufarbeitung der 30 Mendelssohn, Arnold: „Wies Gott gefällt, so gfällts mir auch“ für Frauen-, Männer-, gemischten Chor und Gemeindegesang. In: MGKK 21 (1916), 37–40. 31 Spitta, Friedrich: Ambrosius Blaurers Gruß an das deutsche Volk für das Jahr 1916. In: MGKK 21 (1916), 1 f., das Zitat 2. 32 Faißt, Klara: Requiem für unsre Gefallenen (Text: K. E. Knodt) für Singstimme und Klavier. In: MGKK 21 (1916), 68–72. Zu „Ein Jeder starb für eine hohe, hehrste Sache …“ wird in der Klavierbegleitung die Nationalhymne eingespielt. 33 Mendelssohn, Louise: Zu Gott (Text: Kurt von Rohrscheidt) für Singstimme und Klavier. In: MGKK 21 (1916), 163. Die Komponistin ist eine Schwester von Arnold Mendelssohn. 34 Teichfischer, Paul: Brich herein, süßer Schein! für gemischten Chor. In: MGKK 21 (1916), 338. 35 Spitta, Friedrich: Weitere Übersetzungen des niederländischen Dankgebets. In: MGKK 21 (1916), 187–190. 36 Vahldieck, Fritz: Ein altneues Kriegslied. In: MGKK 21 (1916), 323–326. 37 MGKK 21 (1916), 344. 38 Graff, Paul: Aus der Geschichte der lutherischen Liturgik des 17. Jahrhunderts. Reformationsjubelfeiern. In: MGKK 22 (1917), 10–13.

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1817er-Feiern (in Gegenüberstellung zu 1717) in der Kirchenprovinz Sachsen.39 Das Erinnern der vorausgehenden „Jubelfeiern“ soll zum aktuellen Feiern motivieren, hält der Gegenwart aber auch einen Spiegel vor für bestimmte fromme Wünsche, die der Feder des Kirchenleitenden sehr verschachtelt sich entringen: „Möchten auch die Reformationsfeiern dieses Jahres, die, wie wir hoffen, in liturgischer und kirchenmusikalischer Beziehung dem vertieften Verständnis und gereiften Geschmack auf diesem Gebiet entsprechend gegenüber denen des Jahres 1817 einen Fortschritt bedeuten werden, doch darin ihnen gleichen, dass ihnen die gleiche Begeisterung und freudige Anteilnahme der Gemeinden entgegenkommt, und sie in der Geschichte der Einigung und inneren Annäherung des deutschen Protestantismus bei vertiefter Einsicht in das gemeinsame innerste Wesen evangelischen Glaubens trotz seiner verschiedenen Ausprägungen einen ähnlichen Schritt vorwärts bedeuten wie 1817, wenn auch die Hoffnung … unerfüllt bleiben wird, dass keine Spur der Trennung mehr vorhanden sein wird, und die Namen Lutheraner und Reformierte nur noch der Geschichte angehören.“

Paul Graff darf auch noch die gesamte Geschichte des Altargesanges im Protestantismus (bis zu den gültigen, verschiedenen Restaurationsagenden) referieren, damit ein Lieblingsthema der Siona im gebotenen, historisch differenzierenden Horizont erscheint.40 Die für Spitta und Smend schon immer programmatische Diversität in Sachen Reformationsgeschichte kommt zum Zuge mit einem Smend-Beitrag zu süddeutschen Gottesdienstordnungen,41 die Neuerscheinungen zum Thema referiert und mit Smends früheren eigenen Arbeiten dazu in Relation setzt, und mit einer Untersuchung von Wilhelm Diehl gleich im ersten Heft zum Verlust des Psalmliedgesangs bei den Reformierten42. Spittas eigener (Teil-)Beitrag im ersten Heft43 soll der mit dem Jubiläum gestellten Aufgabe „einer schärferen und tieferen Erfassung der Art des evangelischen Gottesdienstes nach seinem Wesen wie nach seiner geschichtlichen Gestalt“ dienen und damit „einer Weiterentwickelung in der kommenden Zeit, und zwar in ausgesprochen deutscher Eigenart.“ Das dafür gewählte historische Sujet sind durchaus originell die Briefe der Herzogin von Orleans, geborene Liselotte von der Pfalz, die zunächst reformiert, dann bei ihrer Tante Herzogin Sophie in Hannover auch lutherisch sozialisiert, 1671 (in Straßburg, bzw. Metz) verheiratet und zur Konversion gezwungen wurde, aber weiter als wahrhaftige Christin um ihre Identität rang, sozusagen ihren persönlichen Kampf mit Frankreich führte „in ihren urwüchsig deutschen Briefen, die in dieser Zeit unsers Ringens mit der französischen Nation besonders stärkend und erhebend wirken.“ Spitta faszinieren am meisten 39 Gennrich, Paul: Die Reformationsjubelfeier des Jahres 1817 in der Provinz Sachsen. In: MGKK 22 (1917), 181–187, 220–226, 277–280, das Zitat 280. 40 Graff, Paul: Der Altargesang in der lutherischen Kirche Deutschlands. Eine geschichtliche Untersuchung zur Reformationsfeier 1917. In: MGKK 22 (1917), 297–305, 333–339. 41 Smend, Julius: Süddeutschlands Gottesdienstordnungen im Zeitalter der Reformation. In: MGKK 22 (1917), 265–267. 42 Diehl, Wilhelm: Zur Geschichte des Untergangs des Psalmengesangs in den deutsch-reformierten Gemeinden. In: MGKK 22 (1917), 26–29. 43 Spitta, Friedrich: Der Liselotte von der Pfalz Ansichten über katholischen und evangelischen Gottesdienst. Ein Beitrag zum Reformationsjubiläum. In: MGKK 22 (1917), 13–18, 59–66, 81–87, die ersten beiden Zitate 13 und 14.

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ihre als Erinnerungsmarken zu bestimmten Festtagen genannten Liedtitel aus dem lutherischen Repertoire: „Welch ein Bild von der Bedeutung des evangelischen Kirchenliedes, doppelt ergreifend, da es sich um dessen Nachhall in einem Leben handelt, das ein für alle Mal von der Teilnahme am evangelischen Gottesdienste ausgeschlossen war!“ Er hält dies auch der protestantischen Tendenz entgegen, dem Katholizismus allein mit der „Karte der Predigt“ und damit „einer wesentlich lehrhaften Gottesdienstpraxis“ Paroli bieten zu wollen.44 Das Gottesgnadentum der monarchistischen Obrigkeit zu stützen, ist für Spitta in der aktuellen Situation offensichtlich wichtig. Denn programmatisch geschieht dies mit dem Liedtext, den er an den Beginn des Jahrgangs 1917 stellt: All weltlich Treu und Zuversicht ist gricht im argen Sinn von Markgraf Albrecht (1490–1568), als zwölfstrophiges Akrostichon zum Namen des Dichters (inkl. aller Titel) ein dezidiertes Glaubensbekenntnis. Spitta stellt den (von ihm 1908 als Liederdichter identifizierten) Autor vor als „Ahnherr unsers Kaisers und zugleich der hervorragendste Vertreter der Reformation unter den deutschen Fürsten“.45 Im September/Oktoberheft legt er nochmals sehr engagiert nach und verficht erneut seine Zuschreibung an Albrecht von Brandenburg beim bekannten Lied Was mein Gott will, welche ausgerechnet von den aktuellen preußischen Gesangbüchern negiert werde.46 Sein Schlusswunsch lautet: „Es wäre doch schön, wenn das Reformationsjubiläum erreichte, dass der edle Hohenzoller wieder in den unbestrittenen Besitz seines gesegneten Liedes käme.“ Die Leser bittet er ausdrücklich um Rückmeldung über die Resonanz seines Appells. Es scheint ihm unerträglich, dass die Protestanten ihren fürstlichen Liederdichter der ersten reformatorischen Stunde verleugnen. In gleicher Weise erneuert Spitta „Zur Feier des Reformationsjubiläums“47 ein weiteres seiner hymnologischen Lieblingsthemen, die Datierung der Lieder Luthers, die er gegen den Rest der Hymnologen-Fachwelt viel früher ansetzt als deren Publikation im Liederjahr 1523/24, erstmals vorgelegt in einer Monographie 1905, dann auch in der MGKK 1906 in mehreren Studien. Er gibt an, damit der Bitte nachzukommen, seine „von den herkömmlichen Vorstellungen mannigfach abweichenden Meinungen“ „einmal in kurzer einfacher Weise“ zu präsentieren. Sein Interesse ist auch hier die Stärkung reformatorischer Diversität, indem er Luthers Lieddichtung relativiert, in Relation setzt zu früher Lieddichtung anderer Autoren. Die Kirchengesangvereinsstrategie für 1917 geht ihm

44 Ebd., 87 (Zitate aus dem Schlussabsatz). 45 Spitta, Friedrich: Zum Reformationsjubiläum. Das Bekenntnis Albrechts des Aelteren, Markgrafen von Brandenburg, zum Evangelium. In: MGKK 22 (1917), 1–3, das Zitat 3. 46 Spitta, Friedrich: Das Recht des Herzogs Albrecht von Preußen auf das Lied „Was mein Gott will, das gscheh allzeit“. Auch ein Beitrag zum Reformationsjubiläum. In: MGKK 22 (1917), 305– 313, das Zitat 313. 47 Spitta, Friedrich: Die Lieder Luthers. Zur Feier des Reformationsjubiläums. In: MGKK 22 (1917), 117–122, das Zitat 117, 165–173, 209–216, 249–259. Von Spitta (kleingedruckt) nachgereicht wird im letzten Heft des Jahrgangs noch die Einordnung von Luthers sonst als Erstling eingestuftem Lied von 1523 „Ein neues Lied wir heben an“, ebd., 354–356.

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offensichtlich gegen den Strich, obgleich dahinter auch seine engen Freunde Smend und Nelle stehen. Erhellend sind wieder Passagen vom Ende der doch umfangreich geratenen Abhandlung: „In einer die Einseitigkeit der Wittenberger Gesangbücher noch überragenden Ausschließlichkeit werden die Lieder Luthers als das hymnologische Material nicht bloß für die Reformationsfeiern, sondern für die Gottesdienste des Jubiläumsjahres überhaupt herangezogen; ja, es wird das Jubiläumsjahr als der erwünschte Anlass betrachtet, die Lutherlieder in vollem Umfang in den Gebrauch der ihrer zum Teil entwöhnten Gemeinden zu bringen. Die schöne Aufgabe dieses Jahres als eines Jubiläums nicht Luthers, sondern der deutschen Reformation, die Stimmen wieder zum Klingen zu bringen, mit denen das deutsche Volk auf Luthers Heldenwort geantwortet hat vom Fuß der Alpen bis zum Strande der Ostsee, ist kaum ernstlich in Angriff genommen worden. Und doch würde dadurch die Größe der reformatorischen Tat Luthers mehr ins Licht gerückt werden als durch Absingung aller seiner Verse, und die herrliche Einzigartigkeit seiner Lieder würde ganz anders hervortreten, wenn man neben ihm die anderen Typen stellte, die in ihrer Art so groß und schön sind, dass wir allen Grund haben, sie nicht zu verstecken.“48

Gegen diese getadelte Einseitigkeit hat Spitta bereits für das April-Heft49 Chorsätze geordert bei seinem alten Freund Arnold Mendelssohn und beim für die MGKK regelmäßig tätigen Ansbacher Kantor Edmund Hohmann (1858–1935) zu fünf in Luthers Gesangbuch von 1529 beieinander stehenden Liedern, dem „Lied der Königin Maria von Ungarn“ Mag ich Unglück nicht widerstahn und den vier Titeln, die er Markgraf Albrecht zuschreibt. Er ermahnt die Chorleiter: „Wir bitten sie so frühzeitig einzuüben, dass sie mit sicherem Schwung gesungen werden können, als die volltönende Antwort, welche Luthers Wort und Lied im Gesang seiner Zeitgenossen gefunden hat.“ Im Mai-Heft schon bringt Spitta dann das Programm einer „Liederfeier zum Reformations-Jubiläum“50 mit den Rubriken „Freude über die Offenbarung des Evangeliums“, „Bekenntnis des reformatorischen Glaubens“, „Bitte um evangelisches Leben“, „Evangelischer Trost im Sterben“, „Des Evangeliums Kampf und Sieg“, wo das ganze Spektrum früher evangelischer Lieddichtung vertreten ist inklusive Zwingli, der Süddeutschen Blaurer, Zwick und Reußner, der Nürnberger Hans Sachs und Lazarus Spengler usw. Luther stellt den Rahmen mit der Eingangsstrophe Nun freut euch, lieben Christen g’mein und dem stehend in allen vier Strophen abzusingenden Ein feste Burg am Schluss, ist ansonsten aber nur mit zwei Strophen von Mit Fried und Freud ich fahr dahin vertreten. Die Musikbeilagen bringen übers ganze Jahr fünf der in ihrer Polyphonie für die Kirchenchöre anspruchsvollen Johann Walter-Sätze zu Luther-Liedern. Zwei Lutherlieder werden vom später namhaften Otto Heinermann (1887– 1977) mit vierstimmigen Frauenchorsätzen bedacht (womit sich die MGKK

48 MGKK 22 (1917), 259. 49 Reformationslieder des Markgrafen Albrecht von Brandenburg, Herzogs von Preußen aus Luthers Gesangbüchern. In: MGKK 22 (1917), 152–164, das Zitat 152. 50 Spitta, Friedrich: Liederfeier zum Reformations-Jubiläum. In: MGKK 22 (1917), 195–198. Im September/Oktoberheft reicht er noch termingerecht Einleitungsworte zu den Rubriken nach: Spitta, Friedrich: Verbindender Text für die Liederfeier zum Reformationsjubiläum. In: MGKK 22 (1917), 326 f.

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über die bescheidene Dreistimmigkeit in der Siona erhebt).51 Einen nicht Wittenberger Farbtupfer setzt das „Reformationslied von Hans Sachs“ (Kontrafaktur Wach auf, meins Herzens Schöne),52 für dessen Vertonung regional authentisch der Erlanger Universitätsmusikdirektor Elias Oechsler (1850–1917) engagiert wurde, der, wie oft von Spitta geordert, gleich drei Fassungen liefert: für gemischten Chor, für Männerchor, für dreistimmigen Frauen- oder Kinderchor mit Orgel. Trotz des hohen Eigenanteils an Schriftleiter-Beiträgen bleibt das übliche breite MGKK-Spektrum erhalten. Für die Berücksichtigung der Bildkunst sei exemplarisch genannt der im ersten Heft platzierte Beitrag des Straßburgers Gustav Lasch zur Darstellung von Reformationsgeschichte auf Kirchen-Glasbildern.53 Die Auseinandersetzung mit der aktuellen Infragestellung von Luthers liturgischer Kompetenz durch Franz Rendtorff lässt Spitta den Göttinger Kollegen Karl Knoke führen.54 Der Jubiläums-Jahrgang kommt auf stolze 362 Seiten (nach 346 im Vorjahr) trotz Papiernot und steigenden Druckkosten, was Spitta im Schlusswort stolz bemerkt wie auch die Steigerung der Abonnentenzahlen trotz höheren Bezugspreises. „Mit Dank heben wir hervor, dass unsere Mitarbeiter uns so reich mit wertvollem Material versehen haben, dass davon noch fast die Hälfte des neuen Jahrgangs gespeist werden kann.“55

3.3 Nachklang 1918 Die kriegsbedingten Einschränkungen nehmen deutlich zu. Das Papier wird nicht nur weniger und so der Heft-Umfang kleiner, sondern auch schlechter.56 Dazuhin erkrankt Spitta, so dass das erste Heft mit sechs Wochen Verspätung erst Mitte Februar erscheint.57 Eine umfängliche 1917-Rückschau in Gestalt eines Berichts von Berliner Ausstellungen wird (wie vieles Weitere) in sehr kleiner Schrifttype wiedergegeben.58 Spittas historisch-kritischem Ansatz entspricht 51 Lieder Luthers für 4stimmigen Frauenchor. Gesetzt von O. Heinermann. 1. Komm heiliger Geist, Herre Gott. 2. Vater unser im Himmelreich. In: MGKK 22 (1917), 79 f. 52 Reformationslied von Hans Sachs. (Nürnberg 1611. Geistl. Psalmen). In: MGKK 22 (1917), 241–247. 53 Lasch, Gustav: Die Reformationsfenster in der Wiesenkirche zu Soest i. W. In: MGKK 22 (1917), 23–26. 54 Knoke, Karl: Ist es zutreffend, Luther einer liturgischen Interesselosigkeit zu zeihen? In: MGKK 22 (1917), 4–10, 51–59, explizit (s. ebd. 4 und 59) gerichtet gegen Rendtorff, Franz: Die Geschichte des christlichen Gottesdienstes unter dem Gesichtspunkt der liturgischen Erbfolge (Gießen 1914). 55 Spitta, Friedrich: Zum Schluss des 22. Jahrgangs der Monatschrift. In: MGKK 22 (1917), 360. 56 Bedingung für die Papierfreigabe ist offensichtlich der Abdruck einer einseitigen Bekanntmachung zur Zeichnung von Kriegsanleihen. In: MGKK 23 (1918), 32. Ebenso wird ein Appell „Kriegsanleihe zeichnen!“ abgedruckt: Aufruf! In: MGKK 23 (1918), 250. 57 Der Verlag/ Die Schriftleitung: An unsere Leser. In: MGKK 23 (1918), 31. 58 Stuhlfauth, Georg: Die beiden Luther-Ausstellungen in Berlin. In: MGKK 23 (1918), 47–51, 99–106, das Zitat 51.

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der Autor da exakt, wenn er feststellt, die Präsentation von Lutherbildnissen über drei Jahrhunderte sei „ein Schulbeispiel erster Ordnung, wie doch jede Zeit und jedes Geschlecht kraft inneren Zwanges sich aus einem objektiv gegebenen Bildnis ihr eigenes schafft.“ In ästhetisch ansprechendem Großdruck wie bisher üblich ist aber wiedergegeben das frühreformatorische Lied O Herre Gott, dein göttlich Wort. Im Kleindruck folgt die wieder detaillierte, historisch-kritische Analyse Spittas mit dem Ergebnis, dass auch dieser Gesang Herzog Albrecht von Preußen zuzuschreiben sei.59 Die Nebenrubriken Kleine Mitteilungen und Bücherschau, Abbildungen und Notenbeigaben müssen reduziert werden.60 Nicht verzichten kann Spitta da aber, nachdem er von einem Hymnologen-Freund den Tipp bekommen hat, auf die Einspielung der Passage, in welcher Heinrich Heine Ein feste Burg als „Marseiller Hymne der Reformation“ gekennzeichnet und historisch dem Zug zum Wormser Reichstag 1521 zugeordnet hat. „So wird unmittelbare Empfindung immer urteilen“, konstatiert Spitta,61 der ja genau dies mit seiner wissenschaftlichen Methodik meint plausibel machen zu können und zum Jubiläum erneut untermauert hat. Sekundiert wird die Dichter-„Empfindung“ noch vom aktuellen Zeugnis des Literaturhistorikers Roethe, das im Juli-Heft eingespielt wird. Dieser konstatiert eine „innere Glaubwürdigkeit“ der Mutmaßung, dieses Lied gehöre zur Fahrt nach Worms, „das in Wort und Weise, in dramatischer Energie und lyrischer Inbrunst, die symbolische Größe jenes heroischen Augenblicks der Weltenwende gestaltet.“62 Das Reformationsjubiläum scheint ansonsten kaum mehr zu interessieren, liturgisch drängend ist jetzt die Frage nach einem allgemeinen Buß- und Bettag63 als Reaktion auf den Kriegsverlauf, in der historischen Erinnerung nun der Kasus „Friedensfeiern“.64 Spitta entschuldigt sich im Jahrgangs-Schlusswort, mangels „Zuversicht“ nicht mehr zur Vorbereitung einer „Feier des Friedensschlusses“ unternommen zu haben. „Im neuen Jahrgang aber die Siegesfeier vorzubereiten, ist uns durch den Gang der Weltgeschicke aus den Händen genommen.“65 Spitta selber wird mit allen deutschen Professoren Ende des Jahres 1918 aus Straßburg ausgewiesen. Vielleicht soll mit dem erstmaligen Abdruck aller

59 Spitta, Friedrich : Ein Danklied für die Reformation. In: MGKK 23 (1918), 51–56, 106–109. 60 Spitta, Friedrich: Zum Schluss des 23. Jahrgangs der Monatschrift. In: MGKK 23 (1918), 286. 61 Spitta, Friedrich: „Ein feste Burg“ im Urteil Heinrich Heines. In: Kleine Mitteilungen, MGKK 23 (1918), 65f, das Zitat 66. 62 Stuhlfauth, Georg: „Ein feste Burg“ im Urteil Gustav Roethes. In: Kleine Mitteilungen, MGKK 23 (1918), 170f, das Zitat 171. 63 Spitta, Friedrich: Ein allgemeiner deutscher Buß- und Bettag nach dem Kriege. In: MGKK 23 (1918), 129–131; Lasch, Gustav: Der elsässische Buß- und Bettag, ebd. 190–191; Bronisch, Matthias Gotthelf: Zur Bußtagsfrage. Ebd. 192. 64 Diehl, Wilhelm: Was lehren uns die Friedensfeiern von 1648/50, 1814/15 und 1870/71? In: MGKK 23 (1918), 125–129, 149–154. 65 Spitta, Friedrich: Zum Schluss des 23. Jahrgangs der Monatschrift. In: MGKK 23 (1918), 286.

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immerhin 47 Beiträger-Namen am Jahrgangsende66 dem Eindruck gewehrt werden, auch das Schiff der MGKK sei im Sinken …

4. Résumé? Zunächst sei betont, dass anders als bei den Zentenar-Rückblicken von 1917 aus diesem Beitrag absolut kein „frommer Wunsch“ für das Jubiläumsjahr 2017 sich ergibt. Die Zeiten haben sich definitiv geändert. Niemand wird mehr irgendeine Art der Gleichzeitigkeit zwischen Reformationsepoche und Gegenwart suggerieren wollen. Lutherworte und Reformatoren-Lieder sprechen nicht unmittelbar in unsere Zeit. Signifikant diesbezüglich ist, dass es derzeit kaum Kampagnen zur Revitalisierung der Lutherlieder gibt67, wohl aber seit Jahren Liedwettbewerbe für Neudichtungen. Auch die Kriegs- und Konfrontationslage von 1917 als Motivation zur Vitalisierung religiöser Empfänglichkeit wie protestantischen Trotzes und „Jetzt erst recht“ ist zum Glück passé. Der hier gegebene Rückblick auf 1917 mag höchstens die Dankbarkeit stärken dafür, dass „der Gang der Weltgeschicke“ (s. o.) uns für alle Zeiten verwehrt hat, als deutsche Protestanten solchermaßen säbelrasselnd oder mit Besitzerstolz zu agieren. Was die hier vorgelegte Gegenüberstellung von Siona und MGKK fachwissenschaftlich, also liturgiehistorisch austrägt, mögen die Fachkundigen jeweils beurteilen. Verf. möchte sich dazu eines Résumés enthalten. Es wäre wohl weiterführend, die für 1917 erhobenen unterschiedlichen Akzentuierungen in Aufarbeitung und Aneignung der Reformationsgeschichte in Beziehung zu setzen zu Differenzen beim Luther-Jubiläum 1883, das für den damals 30 Jahre jungen Spitta Auslöser war für mancherlei Neubesinnung im Liturgisch-praktischen wie Historisch-wissenschaftlichen.68 Die Konstellation Lutherfixierung versus reformatorische Diversität hat sich zwischen 1883 und 1917 wohl nur wenig modifiziert und sie bleibt im 20. Jahrhundert erhalten, abzulesen etwa am unterschiedlichen Profil der Gesangbücher EKG (1950) und EG (1993). Spitta bekam erst mit letzterem wieder ein bisschen Recht …

66 Beiträge zum 23. Jahrgange lieferten. In: MGKK 23 (1918), 286 f. 67 Ein Kompositionswettbewerb des Kasseler Merseburger-Verlags für Orgelwerke zu „Ein feste Burg“ ist zu konstatieren. 68 Siehe die autobiographischen Ausführungen: Spitta, Friedrich: Liturgischer Rückblick auf die Erlebnisse eines halben Jahrhunderts, in mehreren Folgen in der MGKK 1909/10, namentlich MGKK 15 (1910), 107–112, 183–186. Vgl. dazu Klek, Konrad: Friedrich Spitta (1852–1924), 1099– 1117, in: Kranemann, Benedikt / Raschzok, Klaus (Hrsg.): Gottesdienst als Feld theologischer Wissenschaft im 20. Jahrhundert. Deutschsprachige Liturgiewissenschaft in Einzelporträts. Münster 2011.

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Evangelisch-reformierter Gottesdienst nach den traditionellen Bekenntnisschriften und in der ökumenischen Gegenwart Bruno Bürki

1. Der Gottesdienst in kirchlichen Verlautbarungen der Reformationszeit 1.1 Der Berner Synodus (1532) Man mag es mir – einem aus Bern gebürtigen Pastor mit speziell ökumenischer Motivation – nicht übelnehmen, die Darstellung der reformierten liturgischen Optionen gerade mit dem Berner Synodus zu beginnen.1 Der Text dieser Dienst-Ordnung für Pfarrer und Prediger ist aus den synodalen Verhandlungen wenige Jahre nach der Einführung der Reformation in Bern, zur Beruhigung der Spannungen zwischen Bevölkerung, Obrigkeit und Pfarrkonvent, hervorgegangen. Sein Erstverfasser war der vom Leiter der Berner Kirche Berthold Haller aus Straßburg zu Hilfe gerufene Wolfgang Capito (1481–1541) – eine in verschiedener Hinsicht interessante Persönlichkeit.2 Versierter Hebraist und Bibelkenner, von der spätmittelalterlichen Devotio moderna geprägt und Erasmusschüler, stand Capito zunächst täuferischen Ansichten nahe; in seiner späteren Laufbahn hat er sich dann Luther angeschlossen. Dieser weise und weitsichtige Diener Christi ist also in der ersten Reformationszeit Ratgeber für bernische reformierte Pfarrer in ihrer gesamten Amtsführung und auch in liturgischen Dingen geworden. In Straßburg wirkte Capito zusammen mit Martin Bucer, dem theologischen und ekklesiologischen Inspirator von Johannes Calvin. Der Synodus ist keine systematische Abhandlung über die kirchlichen Handlungen, sondern ein Ratgeber für die Amtsträger in ihren vielseitigen Aufgaben in der Gemeinde. Es scheint uns darum auch nicht sinnvoll, hier die angesprochenen liturgischen Abläufe in den richtigen Zusammenhang und in eine ekklesiologisch organische Ordnung einzureihen – die Ermahnungen an die Adresse 1 Locher, Gottfried W. (Hg.): Der Berner Synodus von 1532. Edition – Studien und Abhandlungen zum Jubiläumsjahr 1982, 2 Bde. Neukirche-Vluyn 1984 und 1988. Vgl. Guggisberg, Kurt: Bernische Kirchengeschichte. Bern 1958, 147–154. 2 Kittelson, James Matthew: Wolfgang Capito: From Humanist to Reformer. Leiden 1975. Stierle, Beate: Capito als Humanist, Gütersloh 1974.

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„der Prädikanten und Verkündiger des Wortes Gottes in Stadt und Landschaft Bern“ werden vielmehr übernommen, wie sie im Verlauf des Textes auftauchen. Auffällig und bedeutsam ist dabei der Schlüsselbegriff Geheimnis, also Mysterium. Das ganz knappe sechste Kapitel ist überschrieben: „Eine christliche Predigt kommt gänzlich und voll aus Christo“. Als Grundlage kirchlichen Amtes gilt: „Das Geheimnis des Vaters und Christi ist ein und dasselbe … Deshalb sollen wir einander treulich ermahnen, dass wir als Diener Christi einzig und allein diesen unsern Herrn predigen“. Kapitel 19 bis 22 handeln dann „Von den Heiligen Sakramenten und von der Taufe in der Gemeinde“. Die Sakramente „sind Geheimnisse Gottes oder Geheimnisse der Kirche Christi durch welche der Christus äusserlich den Gläubigen vorgehalten wird, der im Heiligen Geiste gegenwärtig ist, die Herzen befruchtet und erfüllt“. Von pastoraler Fürsorge inspiriert ist die Mahnung, „dass wir von den Sakramenten in solchen Worten handeln, die allgemein gebräuchlich sind“. Es ist dann im Einzelnen vom Vollzug der Taufe und vom Nachtmahl des Herrn die Rede. „Das Nachtmahl des Herrn ist eine Zusammenfassung des ganzen Evangeliums“ – also ein Sakrament und keine leere Zeremonie. Damit ist es natürlich mehr als ein „gewöhnliches Essen ohne Geheimnis und ohne Christus“. Aus dem letzten Teil des Synodus verdienen in unserem gottesdienstlichen Zusammenhang noch drei der kurzen Kapitel spezielle Erwähnung. Kapitel 35 wird mit der Erklärung eröffnet: „Die ganze Glaubenslehre ist klar enthalten in diesen drei Stücken: im Glauben (will heißen: dem Credo), im Vaterunser und in den zehn Geboten.“ Dann heißt es: „Das ganze Christentum ist darin – also in diesen drei katechetischen und auch liturgischen Summarien – begriffen … Tun sie doch nichts anderes, als dass sie den Seelen der Gläubigen das Geheimnis von der Einwohnung Gottes im Menschen vorhalten und in Erinnerung rufen.“ Vom Herrengebet wurde zuvor schon speziell gesagt: „Das Vaterunser ist das wahre christliche Gebet und der Wasserkrug …, mit welchem aus dem Brunnen der Gnade, aus Jesus Christus, solche Gnade geschöpft und im Herzen aufgenommen wird.“ Über die Vermittlung von Capito, den Kronzeugen aus Straßburg, wird das Tiefste spätmittelalterlicher Frömmigkeit in die bernische Reformation hinübergebracht – ausgerechnet im Bereich der Liturgie. In Kapitel 39 werden dem Prediger praktische Vorschläge zur homiletischen Vorbereitung gemacht: er soll einschlägige Schriften konsultieren und sich überlegen, was die Gemeinde im gegenwärtigen Kontext zur Erbauung hören müsste. Dazu kommt die persönliche Meditation der Heiligen Schrift. Dann wird die über technische Regeln gestellte geistliche Erkenntnis artikuliert, auf die der Prediger achten sollte: „Die Wahrheit selber wohnt in den Herzen, und die Liebe Gottes teilt sie aus.“ Damit werden der Prediger und seine Zuhörer angesprochen. Kapitel 41 artikuliert die Sorge für Ausdehnung und Regelmäßigkeit der Predigttätigkeit der Pfarrer (unter dem Titel: „Dass man alle Predigttage halten soll“). Nach der staatlich von „unsren Gnädigen Herren“ erlassenen Reformationsordnung ist der Pfarrer neben der sonntäglichen Predigt auch zur Wochenpredigt an drei Werktagen gehalten: am Montag, Mittwoch und Freitag. Diese Verpflichtung gilt abgesehen davon, wie dünn gesät die Zuhörerschaft

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sein sollte. Jesus hat mit der Samariterin am Brunnen ganz allein gesprochen. Neben der Pfarrkirche müssen auch die umliegenden Dörfer von der Predigt unter der Woche profitieren können. Besonders frappant in diesem Gesamtaufriss gottesdienstlichen Lebens im alten Bern ist – wie schon angedeutet – zweifelsohne die Verwendung des Begriffes Geheimnis, Mysterium zur Artikulation einer Theologie des Gottesdienstes und speziell der Sakramente. Wo stehen wir da zwischen altchristlicher eucharistischer Anamnese, mittelalterlicher Mystik und moderner heilsgeschichtlich-theologischer Konzeption von Kirche und Gottesdienst?

1.2 Die Confession de la Rochelle der reformierten Kirchen Frankreichs (1559) Im Mai 1559 haben etwa 20 Vertreter aus 72 über Frankreich zerstreuten Gemeinden, über Prokuration, an der sechstägigen, klandestinen ersten nationalen Synode in einem Privathaus in Paris ein kirchliches Glaubensbekenntnis erarbeitet, das dann – nach Bereinigung von Textvarianten – an einer etwas repräsentativeren Synode in La Rochelle 1571 zum grundlegenden, von da ab über Jahrhunderte bewahrten Bekenntnis der Eglises Réformées de France proklamiert worden ist. Seither bezeichnet man diesen Text als Confession de la Rochelle.3 Vorlage waren ein älterer französischer Entwurf und ein 1559 aus Genf nach Paris gebrachter, teilweise von Johannes Calvin erarbeiteter Bekenntnistext. Der Gottesdienst kommt im endgültigen Text in den Artikeln 28 und 29 und dann in den Artikeln 34 bis 38 zur Sprache. Die ebenso ekklesiologisch wie liturgisch gewichtigen Aussagen stehen in den beiden erstgenannten Artikeln. Diese halten fest, dass die Existenz der Kirche mit der Verkündigung des Wortes Gottes und der Feier der Sakramente in wesenhafter Einheit verbunden ist. Die als Kronzeugen beigebrachten Texte sind dem Matthäus- und dem Johannesevangelium sowie Abschnitten paulinischer Briefe entnommen. Gewichtig ist dann auch, dass die Verkündigung und die Feier der Sakramente mit der Institution der kirchlichen Ämter der Pastoren, der Ältesten (hier surveillants [also Episkopen] genannt) und der Diakone in Verbindung gebracht wird. Die in Artikel 32 der Bekenntnisschrift erwähnten Superintendenten / Bischöfe finden hier keine Erwähnung. Die eingesetzten, oder wie wir heute sagen: ordinierten Amtsträger erfüllen in Verkündigung und Sakramentsverwaltung ihren für das kirchliche Leben unentbehrlichen Auftrag. Der Artikel 34 bemüht sich um die Verhältnisbestimmung zwischen Wort und Sakrament. Wie beim Wort Gottes ist bei den Sakramenten das Handeln Gottes die Ursache der Wirksamkeit: ihr ganzes Wesen und ihre Kraft sind in 3 Confessions et Catechismes de la foi réformée. Ed. Fatio, Olivier e.a., Genève 1986, 111–138. Mehl, Roger: Explication de la Confession de foi de la Rochelle. Paris 1959. Jahr, Hannelore: Studien zur Überlieferungsgeschichte der Confession de foi von 1559 (Beiträge zur Geschichte und Lehre der reformierten Kirche, 16). Neukirchen 1964. Vgl. dazu die deutsche lutherische Confessio Augustana von 1530, Art. 7: De Ecclesia.

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Jesus Christus enthalten. Unter diesen Bedingungen kann sicher für die reformierte Tradition eine wesenhaft Ebenbürtigkeit von Wort und Sakrament – als von zwei in Gottes Handeln verwurzelten Geschehen – die Rede sein. Sicher ist dann auch, dass dem Sakrament gegenüber dem Wort eine subsidiäre Rolle zugewiesen wird. Diese ist aber nicht abwertend zu verstehen. Gottes oder Christi Handeln ist immer voll göttliches Geschehen. Tatsache ist einfach, dass das Sakrament – von Gott – dem Wort der Offenbarung zur Verdeutlichung göttlicher Gnade zugesellt wird (in dieser Rangordnung, nicht umgekehrt). Die Folgeordnung von Wort und Sakrament ist im Übrigen auch diejenige des liturgischen Ablaufes. In den Artikeln 35 und 36 ist sodann von der je eigenen Spezifität des sakramentalen Geschehens in der Taufe und im Abendmahl die Rede. Die Verächter der sakramentalen Ordnung werden in die Schranken gewiesen. Das eine Mal geht es beim Sakrament um die einmalige und endgültige Integration des Getauften in das Heilsgeschehen, das andere Mal um die fortlaufende Erhaltung im Gnadenstand. „Durch die verborgene und unfassbare Kraft seines Geistes nährt und belebt Er uns mit dem Gehalt seines Leibes und seines Blutes.“ Ein himmlisches Geschehen, das nur im Glauben erfasst werden kann. Zu unserem gottesdienstlichen Thema ist in den beiden letzten Paragraphen dann noch von der nicht in Frage zu stellenden Wirksamkeit der Sakramente von Taufe und Abendmahl die Rede. Der Glaube der Reformierten ist nun ganz entfaltet – die letzten Paragraphen der Bekenntnisschrift heben noch die gesellschaftliche und politische Verantwortung der Christgläubigen vor Gott und Menschen hervor. Wie wir im Berner Text die Verwurzelung des gottesdienstlichen Geschehens im Mysterium von Jesu Christi Tod und Auferstehung hervorhoben, ist im französischen reformierten Bekenntnis die kirchliche Dimension des gottesdienstlichen Geschehens spezieller Beachtung wert. Neben der Confession de foi ist in der französischen reformierten Kirche die Discipline oder Kirchenordnung ein wesentliches Element zur Strukturierung christlichen Lebens in der Gemeinschaft und für die Einzelnen – von den Anfängen bis in die Gegenwart.4 Natürlich hat der Gottesdienst auch seinen Platz in der Discipline – wir möchten hier nicht im Einzelnen darauf eingehen. Man soll aber nicht vergessen, dass die kirchliche Disziplin oder Ordnung nach Calvin ein wesentliches Element der christlichen Existenz im Glauben darstellt.5

4 Méjan, François: Discipline de l’Eglise réformée de France, annotée et précédée d’une introduction historique. Paris 1947. 5 Zu diesem Thema Ordnungen für die Kirche – Wirkungen auf die Welt. Evangelische Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts. Hg. Arend, Sabine/ Dörner, Gerald, Tübingen 2015.

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1.3 Das Zweite Helvetische Bekenntnis (Confessio Helvetica Posterior, 1566) Die Confessio Helvetica Posterior (CHP) – in ihrer ersten Redaktion zurückgehend auf den Nachfolger von Zwingli in Zürich, Heinrich Bullinger – kann als abschließender Konsenstext der Reformation des 16. Jahrhunderts in den reformierten Kirchen der Schweizerischen Eidgenossenschaft eingestuft werden.6 Sie stellt eine versöhnliche Übereinkunft des Zürcher Antistes Bulliger mit Théodore de Bèze in Genf dar, also den Nachfolgern von Zwingli und von Calvin. In der Folge hat das Zweite Helvetische Bekenntnis über den Kurfürsten Friedrich III von der Pfalz – wie der Heidelberger Katechismus – gesamtdeutsche und europäische Bedeutung erlangt (verbreitet in Polen, Ungarn und Österreich, auch in Holland). Erst im 18./19. Jahrhundert ist das Zweite Helvetische Bekenntnis im Gefolge der kulturellen und kirchlichen Entwicklungen nach der Aufklärung außer Gebrauch gekommen. „Abgeschafft“ oder revoziert wurde diese reformierte Bekenntnisschrift freilich niemals – heute bezieht man sich gerne auf diesen Text als zusammenfassenden und weitverbreiteten Abschluss traditioneller reformierter Theologie und Kirchenordnung, auf den Vorgaben der Reformationszeit. Unsere Thematik, also der Platz des Gottesdienstes im Leben der Kirche und die theologische Artikulierung des Gottesdienstes, behandeln vor allem die Kapitel 19 bis 22 der CHP. Sie werden eingeleitet mit der Erklärung: „Gleich am Anfang verband Gott in seiner Kirche mit der Predigt des Wortes seine Sakramente oder heiligen Bundeszeichen.“ Angeschlossen werden dann – unter der Kapitelnummer 23 – Empfehlungen zur liturgischen Praxis, allgemeine, keineswegs zeitgebundene Ratschläge (bloß in den letzten Zeilen mit einem abschätzigen Seitenhieb gegen das traditionelle Stundengebet der Kirche – in dem es „viel Abgeschmacktes“ gäbe). Die unterschiedlichen Tendenzen in den Reformationskirchen lassen sich gerade dank des CHP miteinander vereinbaren, die Opposition zum traditionellen katholischen Katechismus blieb protestantischem Diskurs (vorläufig) systeminhärent. Die vier hier näher zu betrachtenden, hintereinander stehenden Kapitel sind folgendermaßen betitelt: Die Sakramente der Kirche Christi (19), Die heilige Taufe (20), Das heilige Abendmahl des Herrn (21), Die Gemeindegottesdienste und der Kirchgang (22). Man mag sich wundern, dass die Predigt oder die Liturgie des Wortes in dieser Reihe liturgischer Akte nicht speziell thematisiert wird. Dafür handelt Kapitel 1 der CHP über die Heilige Schrift, das wahre Wort Gottes. Hier finden wir – gleichsam am Anfang des ganzen Bekenntnisses – die starke Aussage: „Wenn aber heute dieses Wort Gottes durch rechtmäßig berufene Prediger in der Kirche verkündigt wird, glauben wir, dass Gottes Wort 6 Das Zweite Helvetische Bekenntnis. Confessio Helvetica Posterior verfasst von Heinrich Bullinger. Hg. Hildebrandt, Walter/ Zimmermann, Rudolf. Zürich 1966 sowie Confessio Helvetica Posterior. Bearbeitet von Campi, Emilio, in: Reformierte Bekenntnisschriften. Hg. Mühling, Andreas u. a. 2/2. Neukirchen-Vluyn 2009, 243–345. Koch, Ernst: Die Theologie der Confessio Helvetica Posterior, Neukirchen-Vluyn 1968. Opitz, Peter: Heinrich Bullinger als Theologe. Zürich 2004.

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selbst verkündigt und von den Gläubigen vernommen werde, dass man aber auch kein anderes Wort Gottes erfinden oder vom Himmel her erwarten dürfe.“ Die Predigt von Gottes Wort durch den berufenen Diener steht also tatsächlich ganz vorne im kirchlichen Leben. Das Kapitel zu den Sakramenten im Ganzen behandelt die von Gott gestifteten und zum Gottesdienst gehörigen, von den ordinierten Dienern verwalteten Zeichen.7 Die Sakramente der Kirche Christi werden in der Fortschreibung der Sakramente des alten Bundesvolkes, der Beschneidung und dem Opfer des Passahlammes, vorgestellt. Christus ist „das eigentliche Wesen der Sakramente“ – mit seinem ganzen Heilswirken und insbesondere mit seinem Opfer als Lamm Gottes. In Anlehnung an den zwar nicht explizit genannten Augustinus wird von der „Weihe der Sakramente“ gesprochen, wenn „das Wort des Herrn dazukommt, unter Anrufung des Namens Gottes, mit der Wiederholung der ersten Einsetzung“, im Vertrauen darauf, dass „in der Kirche Gottes … die erste Einsetzung und Weihe der Sakramente dauernd wirksam (bleibt)“. Wie in der Predigt „Gottes Wort wahres Wort Gottes bleibt“, „so bleiben die Sakramente, durch Wort, Zeichen und bezeichnete Dinge unwandelbar, wirklich und vollkommene Sakramente, die nicht nur heilige Dinge bedeuten, sondern sie sind auch durch Gottes Angebot wirklich die bezeichneten Dinge selbst“. Die Zeichen bringen bei ihrem heiligen Gebrauch „Wiedergeburt“ und „Leib und Blut des Herrn“. Ohne dass man von einer „Wandlung“ sprechen möchte, nehmen die „Zeichen den Namen der bezeichneten Dinge an“, in „geheimnisvoller Bedeutung“. Im Vertrauen auf die sinnverleihende „Einsetzung“ durch den Herrn vertritt die CHP eine sehr realistische oder greifbare Sakramentstheologie, Taufe und Abendmahl in gleicher Weise betreffend. Im Kapitel zur Taufe – ebenso knapp wie entschieden im kirchlichen Tonfall – wird die Einmaligkeit des Taufsakramentes nach dem Vorbild der Taufe Jesu und der Taufpraxis der Apostel hervorgehoben. „Daher gibt es nur eine Taufe in der Kirche Gottes.“ Diese Taufe „gehört zu den kirchlichen Amtshandlungen“. Die reichen und komplexen Handlungen katholischer Taufpraxis werden ebenso abgelehnt wie die Weigerung der „Wiedertäufer“, die „neugeborenen Kindlein der Gläubigen“ zu taufen. Grundsatz ist eine einfache christliche Taufpraxis, denn „Wir glauben, dass die vollkommene Form der Taufe sei, mit der Christus selbst getauft wurde und mit der die Apostel getauft haben“. „Denn inwendig werden wir wiedergeboren, gereinigt und von Gott erneuert durch den Heiligen Geist, äusserlich aber empfangen wir die Bekräftigung der herrlichen Gaben durch das Wasser.“ Fast am Schluss des Kapitels steht zusammenfassend das in etwa vereinfachende Bekenntnis: „Denn wir glauben, nur eine Taufe sei in der Kirche bei der ersten Einsetzung Gottes geheiligt und durch das 7 Bullinger, Heinrich: Das Zweite Helvetische Bekenntnis. Die Gegenwart Christi im Abendmahl. Übersetzt von Hildebrandt, Walter/ Zimmermann, Rudolf, Zürich 1998. Zum näheren Verständnis McLelland, Joseph C.: Die Sakramentslehre der Confessio Helvetica Posterior, in: Glauben und Bekennen. Vierhundert Jahre Confessio Helvetica Posterior. Staedtke, Joachim (Hg.), Zürich 1966, 368–391.

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Wort geweiht worden und sei noch jetzt wirksam wegen der ersten göttlichen Segnung.“ Eine gewissermaßen katholische Aussage in reformierter Version. Das nachfolgende Kapitel ist überschrieben: Das Heilige Abendmahl des Herrn. Beim Abendmahl oder der Eucharistie / Danksagung bleibt die CHP in derselben sakramentalen Denkkategorie wie bei der Taufe, insofern Jesus Christus der Stifter ist. Er hat das Mahl „zuerst für seine Kirche geheiligt. Diese Weihe oder Segnung dauert aber bis heute an bei all denen, die kein anderes als das Mahl feiern, das der Herr eingesetzt hat, und die dabei die Einsetzungsworte des Herrn vorlesen und in allem mit wahrem Glauben einzig auf Christus schauen, aus dessen Händen sie gleichsam empfangen, was sie durch den Dienst der kirchlichen Diener bekommen.“ Das Konzept der ein für alle Mal gültigen sakramentalen Einsetzung steht fest und bietet den Gläubigen Halt. Dann ist vom speziellen Wesen des geistlichen Essens des Leibes Christi durch den Heiligen Geist die Rede, im Abendmahl und außerhalb desselben. Die Reformierten halten darauf, dass der Leib Christi im Himmel zur Rechten des Vaters ist und man also die Herzen erheben soll, um nicht am Brot als solchem und an seiner Anbetung hängen zu bleiben. Sakramentale Institution und geistliches Geschehen im Heiligen Geist gehören eng zusammen. Von der Form der Abendmahlsfeier heißt es: „Sie besteht … in der Verkündigung des Wortes Gottes, in frommen Gebeten, in der Handlung des Herrn selbst und ihrer Wiederholung, im Essen des Leibes und im Trinken des Blutes des Herrn, im Gedenken an den heilbringenden Tod des Herrn, in der gläubigen Danksagung und in der heiligen Vereinigung mit allen Gliedern der christlichen Gemeinde.“8 Das letzte Kapitel zu unserem Thema trägt den Titel: „Die Gemeindegottesdienste und der Kirchgang“9. Zentrales Anliegen ist Folgendes: „Die kirchlichen Versammlungen sollen … nicht verborgen und heimlich, sondern öffentlich und regelmässig abgehalten werden.“ Was den Versammlungsraum angeht, sei man sich bewusst „an heiligem Orte … vor Gottes und seiner Engel Angesicht“ zu stehen. Einfachheit und Frömmigkeit sind bester Schmuck des Ortes und der Teilnehmenden. Darauf wird das Thema mit einem energischen Plädoyer für die Volkssprache im Gottesdienst abgeschlossen. Zum Ganzen ist festzuhalten, dass die in der Confessio Helvetica Posterior übereinstimmenden Reformierten, mit der unmissverständlichen und wiederholten Hervorhebung der liturgischen Einsetzung der Sakramente durch Christus (welche im gegenwärtigen Gottesdienst fortdauert), das aus der gesamtkirchlichen Tradition in der Reformation Bewahrte lebendig erhalten und als Grundlage des erneuerten Lebens der reformierten Gemeinden weiterentwickeln wollen.

8 Kapitel 21. 9 Kapitel 22.

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2. Der evangelische (gemeinhin protestantische) Gottesdienst in ökumenischer Gegenwartsperspektive 2.1 Von der Leuenberger Konkordie (1973 in Basel-Land) zu den Vollversammlungen der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) Die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) hat, nach vorbereitenden Gesprächen seit 1945, in Jahrzehnten beharrlicher Kontakte über sieben Vollversammlungen hin, einen eindrücklichen Weg theologischer Klärung zur Erlangung der seit der Reformationszeit problematischen Gottesdienstgemeinschaft zurückgelegt. In der Leuenberger Konkordie von 1973 ging es zunächst um die Erklärung und Entfaltung eines gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums, aufgrund des Zeugnisses der Apostel und Propheten beider biblischer Testamente, das in der Kirche über Verkündigung und Sakrament weitergegeben wird.10 In Nr. 13 bekennt die Konkordie: „In Verkündigung, Taufe und Abendmahl ist Jesus Christus durch den Heiligen Geist gegenwärtig.“ Anstelle gegenseitiger Verwerfungen, wie sie im 16. Jahrhundert ausgesprochen und dann verbreitet wurden, kann man jetzt über Abendmahl, Christologie und Prädestination gemeinsame Aussagen machen (Nr. 17–26). Mit diesem Konsens erklären die beteiligten Kirchen ihre Kirchengemeinschaft: „Sie gewähren einander Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Das schließt die gegenseitige Anerkennung der Ordination und die Ermöglichung der Interzelebration ein“ (Nr. 33). Die Gottesdienststudie Bleibe in der Zeit (2012) sieht den Gottesdienst als „Vergegenwärtigung der bunten Gnade Gottes (bezogen auf 1Petr 4,10)“11, die Gottesdienstkonsultation in Hildesheim im Dezember 2014 wurde unter das Motto gestellt „Einheit der Kirche – Vielfalt der Liturgien“. Diese Thesen werfen in der gegenwärtigen kirchlichen Situation und bezüglich der Traditionen der etablierten Kirchen auf dem ganzen Erdkreis etliche Fragen auf. Was ist in der Liturgie zu Recht bunt oder vielfältig und was lässt sich mit solcher Kategorie bezüglich der Liturgie nicht sachgemäß und vollständig erfassen? Neben der großen Zahl von Fallbeispielen kommt deshalb im Rapport Bleibe in der Zeit – Evangelischer Gottesdienst dem Kapitel Theologie und Gottesdienst spezielle Bedeutung zu.12 Am Eingang steht die Aussage, dass Gottesdienst eine Gabe Gottes ist. „Gott begegnet den Menschen in Verkündigung, Taufe und Abendmahl“ – die Gottesbegegnung mit vielen Menschen hat es schon in sich, dass 10 Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (Leuenberger Konkordie). Dreisprachige Ausgabe mit einer Einleitung von Friedrich Otto Scharbau. Frankfurt a. M. 1993. 11 Hüffmeier, Wilhelm/ Friedrich, Martin (Hg.): Bleibe in der Zeit. Evangelischer Gottesdienst in Süd-Mittel-Osteuropa zwischen Bewahrung und Veränderung. Eine Studie anhand von Fallbeispielen. GEKE-Regionalgruppe Südosteuropa im Auftrag der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa. GEKE 2012. 12 A.a.O., 53–57.

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diese vielfältig „dankend, lobend und bekennend“ antworten – allerdings nicht irgendwie und beliebig vielfältig, sondern im Einklang mit dem Geheimnis von Gottes eigener trinitarischen Gemeinschaft. Das in der Studie Bleibe in der Zeit vorgetragene Gottesdienstkonzept der GEKE wird mit dem Begriff Kommunikative Gemeinschaft artikuliert: Begegnung Gottes mit den Menschen und dankende Antwort derselben. Dahinter steht deutlich das lutherische Axiom von Gott, der in seinem Wort mit den Menschen redet und ihre Antwort hervorruft. Im Vergleich zu den Vorstellungen der Reformierten Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts, mit Predigt und Sakrament als liturgischen Eckpfeilern, ist die christologische Dimension im GEKE-Text meines Erachtens zu wenig betont. Ich finde dieselbe deutlicher und voller ausgedrückt bei Karl Barth in seinem frühen Werk „Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre“ mit dem Doppelpostulat vom kirchlichen Gottesdienst als göttlichem Handeln und dann vom kirchlichen Gottesdienst als menschlichem Handeln13. Die Heilgeschichte als Ereignis – nämlich Offenbarung Gottes und sakramentale Handlung der Kirche nach dem Geheiß Jesu Christi – steht bei Barth im Vordergrund. Auf dieser Vision des sakramental vergegenwärtigten christologischen Heilsgeschehens beruht auch die Theologie der Liturgie des Zweiten Vatikanischem Konzils der katholischen Kirche, die im ersten Kapitel von Sacrosanctum Concilium dargelegt ist.14 Gerne erinnere ich hier an frühere Stellungnahmen der GEKE. An der Vollversammlung in Budapest im Jahr 2006 mahnt das Präsidium: „Die Studie ‚Die Kirche Jesu Christi‘ (vorgelegt in Wien 1994) betont den Ursprung und Grund der Kirche im rechtfertigenden Handeln Gottes an seinem Volk und zeigt somit die Kirche als Gemeinschaft, die aus dem Dienst Gottes an ihr, in der Kraft des Heiligen Geistes, als ‚Gemeinschaft der Glaubenden‘ entsteht. Es ist das Wesen der Kirche, gottesdienstliche Gemeinschaft zu sein, die in der regelmäßigen Feier des Gottesdienstes ihren Ausdruck findet. Die GEKE als in Christus versöhnte Gemeinschaft lebt von der Verkündigung des Evangeliums und der Feier der Sakramente.“15 Kirchlicher Gottesdienst ist also Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi und Feier der vom Herrn und Heiland eingesetzten Sakramente Taufe und Abendmahl.

2.2 Schweizersicher Evangelischer Kirchenbund (SEK): Empfehlungen zum Abendmahl in evangelischer Perspektive (2004) Im Kirchenbund, der Dachorganisation der evangelischen und methodistischen Kirchen in der Schweiz (Kirchen, welche – was die Reformierten angeht – nach Kantonen und also regional autonom mit unterschiedlichen Traditionen leben), 13 Barth, Karl: Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre. Vorlesungen in Aberdeen über das Schottische Bekenntnis von 1560 (1937/38). Zollikon 1938, 183–203. 14 SC Nr. 5–11. 15 GEKE Budapest 2006. Hüffmeier, Wilhelm/ Friedrich, Martin. Frankfurt a. M. 2007, 189.

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haben gottesdienstliche Fragen zunächst keine hervorragende Rolle gespielt.16 Gegenüber der Reformationszeit und auch noch dem 19. Jahrhundert (mit seinem die Verbindlichkeit eines liturgischen und katechetischen Bekenntnisses betreffenden Apostolikum-Streits17) haben gottesdienstliche Angelegenheiten in der jüngsten Vergangenheit viel an Brisanz und Bedeutung verloren. Die Schaffung und Erneuerung der – natürliche sprachverschiedenen – Kirchengesangbücher war immerhin im 20. Jahrhundert und schon zuvor eine wichtige gesamtschweizerische oder mindestens regionale Aufgabe. Über den seit 1920 bestehenden Kirchenbund nahmen dann die evangelischen Kirchen der Schweiz an den Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten des Ökumenischen Rates der Kirchen und der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa mit nicht unwichtigen Beiträgen teil. Genf und Leuenberg befinden sich auf schweizerischem Territorium – das signalisiert mehr als nur geographische Kontingenz. Über den ÖRK und die GEKE, deren Intentionen und Weisungen sicher nicht automatisch, aber doch in ehrlicher Solidarität in den verschiedenen schweizerischen evangelischen Kirchen übernommen werden, sind auch gottesdienstliche Fragen in der jüngsten Vergangenheit auf die Tagesordnung gekommen. Aus der Sorge, am ökumenischen Gespräch teilzunehmen und zwischenkirchliche Verpflichtungen ehrlich zu erfüllen, sind 2004 „Überlegungen und Empfehlungen des Rates des SEK“ an die Mitgliedskirchen ausgegeben und in einem breiteren kirchlichen Dialog beachtet worden.18 Die Überlegungen19 stehen unter dem Titel „Grundzüge des evangelischen Abendmahlsverständnisses“ und werden, von Kernsätzen der Leuenberger Konkordie ausgehend, mit dem Bekenntnis eingeleitet: „Der gekreuzigte und auferstandene Jesus Christus ist im Abendmahl gegenwärtig.“ Diese Gegenwart ist nach evangelischem Begriff weder an die eucharistischen Gestalten gebunden, noch ist sie einfach erinnernd oder geistig zu verstehen. Sie ist auch nicht von der exklusiven Amtshandlung des Priesters abhängig, sondern die ganze Gemeinde verantwortet die Verkündigung des Evangeliums in Wort und Sakrament. Diener und Dienerinnen werden für den öffentlichen Dienst an Wort und Sakrament ordiniert. In der gottesdienstlichen Anamnese wird das gesamte Heilshandeln Gottes vergegenwärtigt. Die Epiklese gilt „in der reformatorischen Tradition in erster Linie der Gemeinschaft der versammelten Gläubigen“. Die Abendmahlsfeier erscheint als Mitte des kirchlichen Gottesdienstes, der von „Gegenwart und Geschenk Jesu Christi“ lebt und zu „Dank und Lob“ führt. Die Danksagung verbindet die Konfessionen, sie kommt in der Eucharistie besonders zum Ausdruck – wobei die evangelisch-

16 Siehe die Gesamtdarstellung eines langjährigen Verantwortlichen des Kirchenbundes: Schneider, Paul: Hier pour demain. Regard sur la Fédération des Eglises protestantes de Suisse (FEPS), Sainte-Croix (Vaud) 2006. 17 Dazu Guggisberg, Kurt: Bernische Kirchengeschichte, Bern 1958, 699–708 und Vischer, Lukas u. a.: Ökumenische Kirchengeschichte der Schweiz, Freiburg Schweiz, Basel 1994, 236–246. 18 Das Abendmahl in evangelischer Perspektive. Überlegungen und Empfehlungen des Rates des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes SEK – FEPS, Bern 2004. 19 A.a.O., 8–19.

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reformierten Kirchen „das ganze christliche Leben ausdrücklich unter dem Leitmotiv der Dankbarkeit gegenüber Gott stellen.“ In den Empfehlungen20werden „Eucharistische Gastfreundschaft und offene Einladung (von Getauften) zum Abendmahl“ als verantwortungsvolle Form ökumenischer Haltung und Erbauung anerkannt. Vor Inter- und Konzelebration ist aber abzusehen, um nicht „notwendige Schritte der Annäherung und Verständigung zwischen den Konfessionen (zu) überspringen“. Das von der Charta Oecumenica visierte „Ziel der eucharistischen Gemeinschaft“ ist eben noch nicht voll erreicht.21 Bezüglich der Evangelischen Abendmahlpraxis22 wird – mit Hinweis auf die approbierten reformierten Liturgie-Bände in den Kirchen der Schweiz und im deutschen Reformierten Bund, außerdem auf die Sinfonia Oecumenica der schweizerischen und deutschen Missionswerke – vor „unsachgemässen Verfremdungen und Umdeutungen“ gewarnt. „Zur stiftungsgemäßen Feier des evangelischen Abendmahls gehören, neben den zentralen Elementen Eucharistie (Danksagung und Lobpreis), Anamnese (Gedenken) und Epiklese (Bitte um die Gegenwart Gottes in seinem Heiligen Geist), konstitutiv die Einsetzungsworte.“ Es folgt dann – mit Berufung auf die Reformatoren Luther und Calvin – die Empfehlung häufiger, grundsätzlich allsonntäglicher Feier des eucharistischen Mahles. Auch der respektvolle Umgang mit den Abendmahlelementen und die Wahrnehmung der kirchlichen Episkopè in den Gemeinden (mit oder ohne personalen Episkopat) sind Anliegen des Kirchenbundes im Blick auf die liturgische Glaubwürdigkeit der evangelischen Kirchen. Im Schlusswort wird in Erinnerung gerufen: „Wesentlich grösser und wichtiger ist, was die Kirchen eint, als was sie trennt“23. Das gilt also auch für die gottesdienstliche Praxis.

2.3 „Worship Today“ nach Faith and Order (2004) Nach jahrelangen Vorbereitungen – zu denen der reformierte Neuenburger Theologe Jean-Jacques von Allmen, wie auch Max Thurian, Bruder von Taizé, Wesentliches beitrugen24 – hat die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung der ÖRK 1982 die Limatexte zu „Taufe, Eucharistie, Amt“ verabschie20 A.a.O., 20–35. 21 Über diese 2001 zwischen dem Rat der katholischen europäischen Bischofskonferenzen und der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) getroffenen Vereinbarung siehe: Conseil des Conférences épiscopales d’Europe – Conférences des Eglises d’Europe (Hg.): Charte Oecuménique. Un rêve, un texte, une démarche. Paris – Les Plans CH 2003. Englischer Text: Ionita, Viorel/ Numico, Sarah (Hg.): Charta Oecumenica. A text, a process and a dream of the Churches in Europe. Geneva WCC 2003. Deutsch online www.ekd.de/ EKD-Texte/ chaertaoecumenical_2001.html. 22 A.a.O., 30–35. 23 A.a.O., 36. 24 Wichtige Vorarbeit leistete Allmen, Jean-Jacques von: Ökumene im Herrenmahl. Kassel 1968.

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det.25 Die nachfolgendeweltweite Vernehmlassung unter den christlichen Kirchen hat zwar noch nicht den erhofften allgemeinen Konsens über die fundamentalen Sakramente und den Gottesdienst der Christen ergeben, aber doch Resultate von Übereinstimmung gezeitigt, die wir den reformatorischen Aussagen zum Gottesdienst gegenüberstellen können, im Interesse einer Verifikation unserer Nähe oder Ferne zu den Überzeugungen und der Praxis der Väter des 16. Jahrhunderts.26 Schlussfolgerungen und Fortschreibung des Limaprozesses sind in einem von Thomas Best und Dagmar Heller für Faith and Order herausgegebenen Band unter dem Titel Worship Today zusammengestellt worden.27 Die beiden Schlusskapitel dieses Bandes sind von zwei für Liturgiewissenschaft und Ekklesiologie namhaften Vertretern der Kirchen redigiert: dem Katholiken James Puglisi, Direktor des Centro Pro Unitate in Rom, und dem Baptisten Paul P. J. Sheppy, ehemaligem Sekretär des englischen Joint Liturgical Group (die Schaffung eines modernen zweijährigen biblischen Lektionars im anglophonen Bereich, als Gegenüber zu den historischen Perikopen-Ordnungen und der nachvatikanischen römischen Leseordnung, ist dieser Gruppe zu verdanken).28 Puglisi beginnt bei der Definition des Gottesdienstes mit seiner trinitarischen Dimension als einträchtige Preisung Gottes, des Vaters unseres Herrn Jesus Christus (Röm 15,5 f). Zur entscheidenden gegenseitigen Anerkennung der eucharistischen Feier bedarf es der Konversion der Kirchen, wie sie die Groupe des Dombes angemahnt hat. Die erfreuliche Übereinstimmung der Kirchen über das Wort Gottes als Ausgangspunkt aller gottesdienstlichen Feier soll sich fortsetzen in der Einmütigkeit betreffend die konstitutiven Elemente der eucharistischen Feier. Liturgische Anamnese und Epiklese sind damit angesprochen. Theologische Orthodoxie und christliche Orthopraxis müssen schlussendlich übereinstimmen, Divergenz zwischen einem populären und einem offiziellen Ökumenismus wäre fatal. Was der Katholik Puglisi als die ekklesiale Grundlage jeder Liturgie betrachtet, entspricht somit genau dem, was die reformatorischen Bestimmungen über die kirchliche Existenz in Wortverkündigung und Feier der Sakramente betrachteten. Daneben ist hervorzuheben, dass Puglisi die Spannung zwischen traditioneller oder institutioneller Liturgie und charismatischem Gottesdienst als aktuelles ökumenisches Problem empfindet. Paul P. J. Sheppy spricht die Notwendigkeit an, in unserem Gottesdienst im 25 Taufe, Eucharistie und Amt. Konvergenzerklärungen der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen. Frankfurt, Paderborn 1983. 26 Baptism, Eucharist and Ministry 1982–1990. Report on the Process and Responses. Geneva 1990 (Faith and Order Paper No 149). 27 Best, Thomas F., Heller, Dagmar (Hg.): Worship today. Understanding, Practice, Ecumenical Implications. Geneva 2004 (Faith and Order Paper No 194). 28 Publisi, James: Leitourgia – the „Work“ of the People and the Unity of God’s People. In: Best, Thomas F., Heller, Dagmar (Hg.): Worship today, 298–310 (s. Anm. 27). Sheppy, Paul P. J.: Worship and Ecumenism. In: Best, Thomas F., Heller, Dagmar (Hg.): Worship today, 311–322 (s. Anm. 27).

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Blick auf dessen ökumenische Zukunft den wechselnden demographischen und ideologischen Bedingungen kirchlicher Existenz Rechnung zu tragen. Bei den wechselnden Bedingungen denkt er an die Differenzen zwischen der nördlichen oder der südlichen Welt, zwischen West und Ost, auch an die Spannung zwischen Modernismus und Postmodernismus. Die bislang dominierende christliche Kirche, welcher Konfession auch immer, wird zunehmend marginalisiert. Inwiefern ist das Schlagwort lex orandi, lex credendi für unseren Gottesdienst Gefängnis oder wegweisende Befreiung? Sheppy kommt zur Feststellung, dass im liturgischen Bereich der verschiedenen christlichen Kirchen manches nicht so einvernehmlich und klar ist, wie es in den offiziellen Darstellungen und Stellungnahmen erscheinen möchte. Was machen wir aus der Tatsache, dass für zahlreiche christliche Gemeinschaften die Vorsteherschaft der Abendmahlsfeier nicht an ein ordiniertes Amt gebunden ist? Sind wir uns dessen bewusst, dass christlicher Gottesdienst nicht selbstverständlich immer durch die eucharistische Feier in traditioneller Form gekrönt oder legitimiert sein wird? Mancherorts ist der ordentliche Sonntagsgottesdienst vielmehr Feier des Wortes Gottes in vielfältiger Weise. Vielleicht haben schon unsere Väter in der Reformationszeit wie wir Heutige sich die Antworten zu einfach gemacht. Ökumene im Gottesdienst – so der abschliessende Gedanke von Sheppy – ist vielleicht eher eine Ziel-, respektive Wunschvorstellung als eine Realität. Wir sollen jetzt den Gottesdienst in der realen Welt der Gegenwart und ihrer globalisierten Kultur wahrnehmen und verantworten. In Wirklichkeit werden Theorie und Praxis nach wie vor von altkirchlichen Vorstellungen bestimmt, man tut sich allerseits Mühe mit dem nicht abzusehenden Ende der Veränderungen. Die Feststellung ist nicht ermutigend, aber möglicherweise doch realistisch.

3. Konklusion und Perspektiven Ich möchte den hier unternommenen Gang durch die Bekenntnisschriften der Reformationszeit und die summarische Übersicht von neueren Stellungnahmen zum Gottesdienst abschließen mit dem Hinweis auf vier regelmäßig wiederkehrende Kennzeichen der unter uns gefeierten Liturgie, oder des im breitmöglichsten Sinn evangelischen Gottesdienstes: – Gottesdienst ist wesentlich und allsonntäglich Feier des Geheimnisses oder Mysteriums der Menschwerdung, des Kreuzes und der Auferstehung des Gottessohnes und Heilandes Jesus Christus. Besonderer Erwähnung wert ist das Gewicht, welches der Berner Synodus von 1532 auf das Geheimnis im Gottesdienst legt. – Gottesdienst beinhaltet das verkündigte und gepredigte Wort Gottes und die Feier der Sakramente, die der Herr seiner Kirche anvertraut hat, mit dem Abendmahl oder der Eucharistie im Mittelpunkt (also Danksagung mit

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Anamnese und Epiklese, auch den konstitutiven sakramentalen Einsetzungsworten). – Der Gottesdienst wird getragen von der ganzen Gemeinschaft der glaubenden und getauften Christen und Christinnen, die miteinander, unter der Vorsteherschaft der dazu bestimmten oder ordinierten Diener und Dienerinnen, Dienst oder Liturgie Gottes feiern. – Gottesdienst ist – unter welchen äußerlichen Umständen auch immer – jedesmal ein ökumenischer Akt im eschatologischen Horizont (also weder eine Winkelmesse noch eine konfessionell geschlossene Veranstaltung), Dienst in brüderlicher und schwesterlicher Einheit der Kirche Jesu Christi gesamthaft. Einfachheit (selbst Armut oder prekäre Situation) wird ihn sowenig kompromittieren als möglicherweise glänzende Eindrücklichkeit. Diese zunächst aus unseren Bekenntnistexten erhobenen Merkmale sind ebenso Kennzeichen der Liturgie vieler – um nicht zu sagen: aller – christlichen Kirchen, zum Beispiel denjenigen der anglikanischen Gemeinschaft. Spezieller Erwähnung wert ist die Liturgie der Römisch-katholischen Kirche, die in der bekannten Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils und in der nachfolgenden Reform die ganze Liturgie auf eben gerade diese vier liturgischen Elemente abstellt.29 Ich möchte diese Perspektiven jetzt mit dem Anlass des Reformationsjubiläums von 2017 in Verbindung bringen.

4. Reformationsjubiläum und Gottesdienst Der Gottesdienst hat natürlich in den vorhergegangenen Jubiläen der Reformation seine Rolle gespielt. Man stellt sich kaum ein kirchliches Jubiläum ohne Festgottesdienst vor. Das alljährliche Reformationsfest bzw. der Reformationssonntag mit seinem Reformationsgottesdienst ist ein gewichtiger und populärer Merkpunkt im evangelischen Kalender. Zwei unserer geschätzten Kollegen in der Liturgiewissenschaft – Frieder Schulz (1917–2005) und Karl-Heinrich Bieritz (1936–2011) – haben einen je kleinen, doch gewichtigen Beitrag zum Thema Reformationsfest verfasst.30 Die Jahrhundertfeiern, von 1617 an, wurden in Deutschland jedes Mal durch eindrückliche Kirchenmusik ausgezeichnet. Frieder Schulz hingegen dachte an eine Neuausrichtung des Reformationsfestes durch Betonung der prophetischen Elemente reformatorischer Verkündigung mit Blick auf Pfingsten. Auf diesen Anstoß hin möchte ich hier mit dem vorliegenden Text für das Jubiläum 2017 einen liturgietheologischen und zugleich ökumenisch orientierten reformierten Beitrag einbringen. Mit den im liturgischen Jahr regelmäßig 29 Dazu die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1963 Sacrosanctum Concilium, vorab Nr. 2, sowie 5–10. 30 Schulz, Frieder in EKL 3 (Göttingen 1992), 1492f, und Bieritz, Karl-Henrich in RGG4, Bd. 7 (Tübingen 2004) 159.

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Bruno Bürki

wiederkehrenden Gottesdiensten – darunter also dem Reformationsgottesdienst – pflegen wir nie einfach die zufällige und auf jeden Fall begrenzte Spiritualität einer konfessionell oder wie auch immer bestimmten Gruppe; wir sind auch nicht darauf aus, uns etwas rituell oder kulturell Gefälliges oder Neues einfallen zu lassen und zu propagieren. Vielmehr nehmen wir unseren Platz ein als getaufte Christen und Christinnen – in Vergegenwärtigung der wunderbaren Geschichte Gottes zum Heil der Welt, auch in Erwartung ihrer eschatologischen Vollendung. Nur so macht es Sinn, den Gottesdienst zu eröffnen mit dem Bekenntnis, dass wir im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes hören und handeln wollen, in der Mitte dieses Gottesdienstes den eucharistischen Lobpreis zu singen oder einfach zu sagen: Durch Christus und mit ihm und in ihm ist dir, Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes alle Herrlichkeit und Ehre jetzt und in Ewigkeit, und schließlich in Frieden hinzugehen, unserer Sendung oder Mission bewusst: Ite, missa est – ihr seid als Jesu Jünger und Jüngerinnen berufen und ausgesandt. Ob die liturgische Form im Einzelnen dann eher evangelisch-reformiert oder katholisch oder orthodox gefärbt ist, macht schlussendlich keinen entscheidenden Unterschied mehr. Neu, überraschend innovativ, ist an dieser Perspektive nämlich die mögliche und sich sogar aufdrängende ökumenische Ausweitung unseres Reformationsjubiläums. Solches kam uns im Tagungsthema eines internationalen Treffens im Monasterium von Bose (Nord-Italien) im Mai 2015 entgegen. Es heißt da: „1517–2017: Riformare insieme la chiesa / Miteinander die Kirche reformieren“31. Reform ist in der Tat wesentliches Kennzeichen des postvatikanischen Katholizismus32 – mit den Trägerfiguren von Johannes Paul II. und Papst Franziskus. Ihre Anliegen treffen sich mit denjenigen der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa.33 Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund hat Thesen für das Evangelium 2017 in Umlauf gesetzt.34 Dann ist wohl nicht zu viel erwartet, wenn wir meinen, dass die für 2016 und die folgenden Jahre angesagte Panorthodoxe Synode eine entsprechende Vision für die orthodoxen Kirchen in Europa und in der Welt einbringen könnte.35 Die Liturgie steht – wie das für die Orthodoxen selbstverständlich ist – in der Mitte, doch auch hier umfasst kirchliche Reform das gesamte Leben und Zeugnis der Christen. 31 Katholische und evangelische theologische Fakultäten in Frankreich, Italien und der Schweiz bilden die Trägerschaft des breitangelegten Kolloquiums. Der Impuls dazu kommt vom Prior Enzo Bianchi mit seinen Brüdern und Schwestern in der in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gegründeten Comunità monastica di Bose. 32 Dazu Bedouelle, Guy/ Delgado, Mariano (Hg.): Die Rezeption des II. Vaticanums durch Schweizer Theologen. Freiburg Schweiz 2011 und Klöckener, Martin/ Jeggle-Merz, Birgit/ Spichtig, Peter (Hg.), Die sichtbarste Frucht des Konzils. Beiträge zur Liturgie der Kirche in der Schweiz. Freiburg Schweiz 2015. 33 Leuenberger Texte. Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa. Frankfurt a. M. 1995. 34 Bulletin des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes. Bern No 1 (2014), 33–43. 35 Zur langen Vorbereitung der Panothodoxen Synode siehe Ionita, Viorel: Towards the Holy and Great Synod of the Orthodox Church. The Decisions of the Pan-Orthodox Meetings since 1923 until 2009. Institut for Ecumenical Studies. University of Fribourg Switzerland. Basel 2014.

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Literaturbericht Liturgik Altorientalische und Israelitisch-Jüdische Religion (2011/2012–2015)

Hermann Michael Niemann

1. Alter Orient Maul, Stefan M./ Strauß, Rita: Ritualbeschreibungen und Gebete I (Wissenschaftliche Veröffentlichungen der Deutschen Orient-Gesellschaft 133. Ausgrabungen der Deutschen Orient-Gesellschaft in Assur. E: Inschriften. Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts, Bd. 4). Wiesbaden 2011, 240 S. Der stattliche Band dokumentiert 73 Keilschrift-Texte. Es handelt sich um bisher unveröffentlichte sogenannte „Löserituale“, die helfen sollen, durch Vorzeichen angekündigtes Unheil abzuwenden, Schutz-Amulette, Rituale gegen Schadenzauber und zur Abwehr von Unheil, Krankheit und Bösem, heilkundliche Rezepte, Rituale zur Herbeiführung eines Orakelentscheids und sogenannte „Handerhebungsgebete“. Die Interpretation ist durch Beschädigungen und durch den oft bruchstückhaften Erhaltungszustand erschwert. Die mustergültige Edition hat aber großen Wert, wenn man von der Bibel bzw. der israelitischen bzw. jüdischen Religionsgeschichte her verstehen und ermessen will, was hinter der Abwehr von Zauberei und Beschwörung in einem zunehmend monotheistischen Israel steht, aber auch hinter den Priestern zugeschriebener Kunst der Beurteilung von Krankheiten (z. B. Lev 13f). Eine Einleitung berichtet u. a. über die assyrischen „Beschwörer“, die Personen und Familien, denen die Ritualtexe gehörten, die sie nutzten, sich gegenseitig gelegentlich bei fehlenden Texten durch Abschriften ausgeholfen haben. Eine Übersicht (S. 6) zeigt, wie vielfältig im Leben und Alltag die Anlässe waren, sich bei Beschwörern Rat und Hilfe zu holen. Ein Katalog beschreibt detailliert die 73 Texte. Es folgt eine ausführliche Bearbeitung aller Texte, sehr differenzierte Indices und ein Literaturverzeichnis. Keilschriftautographien aller 73 Texte und Fotos von einigen ausgewählten Keinschrifttafeln schließen die mustergültige Edition ab. Loretz, Oswald/ Ribichini, Sergio/ Watson, Wilfred G. E./ Zamora, José Á. (Hg.): Ritual, Religion and Reason. Studies in the Ancient World in Honour of Paolo Xella (Alter Orient und Altes Testament 404). Münster 2013, 677 S. Aus den zahlreichen Beiträgen der stattlichen Festschrift sind für die Leserschaft dieses Jahrbuches folgende besonders nennenswert: G. Scandone Matthiae handelt über die Göttin Hathor in Qatna, C. Doumet-Serhal und J. Shahud stellen einen mittelbronzezeitlichen Tempel mit seinen Ritualen und kommunalen Feiern in Sidon vor. Maria E. Aubet berichtet über Totenverbrennungen im eisenzeitlichen Phönizien. F. Spatafora informiert über neue Ergebnisse in der Nekropole in Palermo und P. Bord-

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Literaturbericht Liturgik. Hermann Michael Niemann

reuil über den Gott Baal in der Rolle des Anklägers. G. del Olmo Lete analysiert einen Beschwörungstext gegen Schlangenbiss aus Ugarit und M. Dietrich/O. Loretz einen „Mustertext einer Beschwörung gegen Zauberer“. K. J. Cathcart behandelt Flüche in nordwestsemitischen Inschriften. H. Niehr untersucht die Inschrift auf dem Sarkophag des sidonischen Königs Eschmunazor II. F. Bron stellt weibliche Gottheiten Südarabiens aus vorislamischer Zeit vor. M.-F. Baslez handelt über das auch im AT (z. B. Amos 6,7) bekannte Phänomen der „Kult- oder Festversammlung“ (Marzeaḥ ) in hellenistischer Zeit. Dies ist nur eine kleine Auswahl aus den 53 Aufsätzen der Festschrift. Janowski, Bernd/ Schwemer, Daniel (Hg.): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Neue Folge Band 7: Hymnen, Klagelieder und Gebete. Gütersloh 2013, XXIII, 326 S. Janowski, Bernd/ Schwemer, Daniel (Hgg.): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Neue Folge Band 8: Weisheitstexte, Mythen und Epen. Gütersloh 2015, XIX, 534 S. Das monumentale Quellenwerk nähert sich der Vollendung mit dem in Kürze erscheinenden Band 9. Die beiden vorliegenden Bände 7 und 8 setzen den bisherigen sehr hohen Standard fort. Band 7 hat für dieses Jahrbuch ganz besonderen Wert, weil es den Kontext und das Vergleichsmaterial liefert für die biblischen poetischen Texte, besonders des Psalters. Die dargebotenen Texte stammen aus Mesopotamien (1–143), von den kleinasiatischen Hethitern (145–176), aus Syrien/Ugarit (177–301), aber der größte Teil kommt aus der überaus reichen Überlieferung Ägyptens (303–518). Über die hohe Qualität und die Nützlichkeit dieses Quellenwerks ist bei den früheren Bänden genug gesagt worden (s. JLH 47 [2008], 40f; 51 [2012], 49f). Wer sich in die dargebotene Poesie und Gebetswelt vertieft, wird bei aller möglichen Fremdheit doch auch immer wieder von der Farbigkeit und Bildlichkeit der Sprache berührt und kann durch die Texte eine Brücke menschlicher Nähe schlagen, vergleichbare menschliche Gefühle und Empfindungen entdecken, wie sie uns aus den biblischen Psalmen vertraut sind. Band 8 bietet in der Einleitung der Herausgeber eine Definition von „Mythos“ nach J. Assmann, der zwischen 7 Mythos-Begriffen differenziert (IX), von denen der funktionalistische, der narrative und der literarische im Band 8 im Vordergrund steht. Auch dieser Band beginnt in Sumer / Mesopotamien. Dem narrativen Mythosbegriff entsprechend finden die Nutzerinnen des Bandes oft sehr sprechende Überschriften, z. B. bei der mesopotamischen Dichtung „Innana holt das erste Himmelshaus auf die Erde“, bei dem hethitischen „Lied vom Ursprung“ (wörtlich: „Lied vom Hervorkommen“) oder dem Mythos „vom Königtum des Gottes LAMMA“ (vgl. das „Königtum Jahwes“). Für Bibliker dürfte der „Baʿal-Zyklus“ aus Ugarit wichtig sein. Unter den ägyptischen Texten ist „Die Lehre des Amenemope“ wohl am bekanntesten, die hier neu übersetzt und kommentiert wird. Texte aus Iran, Transjordanien darunter die neue Bearbeitung der berühmten aramäischen Wandinschriften vom Tell Deir ʿAlla (E. Blum), Idumäa und griechische Texte aus Ägypten beschließen den im doppelten Sinne „gewichtigen“ Band.

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Altorientalische und Israelitisch-Jüdische Religion (2011/2012–2015)

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2. Altes Testament 2.1 Sammelwerke, umfassende Werke 2.1.1 Zur Einleitung in das AT Willi, Thomas: Israel und die Völker. Studien zur Literatur und Geschichte Israels in der Perserzeit (Stuttgarter Biblische Aufsatzbände 55). Stuttgart 2012, 305 S. Die sogenannte Perserzeit (ca. 540/30 bis ca. 330 v. Chr.) wird in der bibelwissenschaftlichen Forschung immer wichtiger, nachdem sie vor nicht allzu langer Zeit noch als eher „dunkles“ Zeitalter für Israel und das Judentum angesehen wurde, über das man nicht viel wisse. Nicht nur berichtet die innerbiblische theologische Geschichtsaufarbeitung (Königebücher und Chronik) über diese Phase unverhältnismäßig viel weniger als über die monarchische und vormonarchische Epoche. Es hat sich auch herausgestellt, dass die Perserzeit die Epoche war, wo wesentliche Teile der biblischalttestamentlichen Literatur verfasst, gesammelt oder zumindest begonnen wurden. Und die Fortschritte der Archäologie haben viel Licht in die Perserzeit gebracht. Dass nach der Zerstörung Jerusalems 586 v. Chr. und der Deportation der Elite nach Babylonien „das Land leer war“, erweist sich als ideologische Behauptung bestimmter Gruppen. Und ein Schnitt, eine religiöse Revolution in Richtung Monotheismus (so E. Stern) hat in der Provinz Yehud nicht stattgefunden, sondern Kontinuität bestand neben Veränderungen, die freilich viele Jahrzehnte brauchten und Differenzen zwischen Yehud, Samaria und den umliegenden persischen Provinzen nicht ausschloss. Der Sammelband bietet 18 Beiträge zu Geschichte und Literatur dieser biblisch-literarisch enorm prägenden Epoche bis in die hellenistische Zeit von einem der besten Kenner dieser Zeit und ihrer Texte. Knauf, Ernst Axel: Data and Debates. Essays in the History and Culture of Israel and Its Neighbors in Antiquity. Daten und Debatten. Aufsätze zur Kulturgeschichte des antiken Israel und seiner Nachbarn (Alter Orient und Altes Testament 407). Münster 2013, 770 S. Ein wichtiges, inhaltsreiches Buch voller neuer, überraschender, oft origineller Erkenntnisse und Durchblicke nicht nur für HistorikerInnen, KulturwissenschaftlerInnen und ArchäologInnen, sondern auch und besonders für BibelwissenschaftlerInnen und TheologenInnen, obwohl das Alte Testament und die Bibel im Titel des umfangreichen Sammelbandes nicht vorkommen. Die eine Hälfte des Buches steht unter der Überschrift „Geschichte und Archäologie“. Ob philologischer, archäologischer, geographischer, historischer, anthropologischer, exegetischer oder methodologischer Provenienz tragen alle 28 Aufsätze dieses Teils des Buches zu einem neuen und besseren Verständnis des historischen und kulturellen Kontextes des Alten Testaments viel bei. „Exegese des Alten Testaments und Theologie“ ist der 2. Teil des Buches überschrieben, der 35 Aufsätze umfaßt. Bei der außergewöhnlich hohen Zahl der Beiträge können nicht einmal die Titel genannt, geschweige denn Zusammenfassungen geboten werden, aber sehr viel Erkenntnisgewinn und Anstöße sind garantiert, ob sie die Zustimmung der Leserschaft finden oder nicht. Für die Leserschaft des JLH seien exemplarisch aus dem 2. Teil besonders wichtige Aufsätze hervorgehoben: „Die Braut im Hohenlied“ (dieser Text ist zwar auch ein wissenschaftlicher Aufsatz, aber zugleich ein höchst sensibler Essay); „O Gott ein Tau vom Himmel gieß“: „Kanaanäische Mythologie im Kirchenlied“ schlägt eine Brücke von der Exegese zur Gemeinde-

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Literaturbericht Liturgik. Hermann Michael Niemann

praxis. Ein theologisches Schwergewicht jenseits der häufigen und endlosen, manchmal fast verzweifelten Suche nach einem Zentrum oder einem roten Faden im AT bildet der Aufsatz „Die Mitte des Alten Testaments“, ähnlich theologisch und kanongeschichtlich grundlegend: „Der Kanon und die Bibeln“. Ein großer Wurf und innovativ in einer sehr umstrittenen Forschungssituation scheint Rez. der Aufsatz „Audiatur et altera pars. Zur Logik der Pentateuch-Redaktion“ zu sein. Originell ist der Essay „Als Mann und Frau schuf er sie: Ein biblischer Versuch zur Gleichstellung von Mann und Frau“. Kabinettstücke sorgsamer und innovativer Exegese bieten u. a. „Die Priesterschrift und die Geschichten der Deuteronomisten“, „Does ‚Deuteronomistic Historiography‘ (DtrH) Exist?“ und „Ist die Erste Bibel monotheistisch?“ sowie „Der Exodus zwischen Mythos und Geschichte“. Speziell dem Thema Psalmen wenden sich folgende Aufsätze zu: „Psalm LX und Psalm CVIII“, „Salome Alexandra and the Final Redaction of Psalms“ und der höchst lesenswerte Aufsatz „Hymnische Exegese: der Psalter als Theologie des Alten Testaments“. Das Buch schließt (neben den Registern) mit einem Lesevergnügen, gleichwohl theologisch tiefgründig: „Ob ein Nilpferd auch im seligen Stand sein könne?“ Tolle – lege! Carr, David M.: Einführung in das Alte Testament. Biblische Texte – imperiale Kontexte. Stuttgart 2013, 334 S. Das Buch ist sehr anders als traditionelle deutsche Einführungs- oder EinleitungsLehrbücher aufgebaut. Das muss kein Schaden sein, im Gegenteil. Die Darstellung bemüht sich sehr um didaktische Klarheit. Sie geht nicht den biblischen Kanon entlang, sondern orientiert sich an Epochen und Gattungen, beginnt in der Frühzeit mit vermutlich mündlichen Traditionen und folgt dann den großen geschichtlichen Ereignisfolgen bzw. den Großreichen, zu denen Israel und Juda abgesehen von der kurzen Frühzeitphase gehörte und die Israel und Juda beeinflussten, und setzt Text- bzw. Traditionskomplexe in den jeweiligen historischen Kontext. Im Kap. 5 z. B. wird unter der Überschrift „Erzählung und Prophetie im Auf und Ab des Nordreiches“ zunächst über Prophetie im Alten Orient informiert, dann werden Amos und Hosea behandelt. Im Kap. 9 „Klagen, Geschichte und Prophetien nach der Zerstörung Jerusalems“ geht es um die „Exilsausgabe des Deuteronomistischen Geschichtswerkes“ und des Buches Jeremia sowie Ezechiel und Deuterojesaja. Kap. 11 behandelt „Die Tora, die Psalmen und der Wiederaufbau Judas mit persischer Uterstützung“, den Bau des 2. Tempels und die Entstehung eines „Tora-zentrierten Judentums“ sowie den Psalter als „Torazentrierte Sammlung älterer Psalmen“. Historische Überblicke an den Kapitelanfängen erleichtern die Kontextualisierung der biblischen Textkomplexe. Jedes Kapitel enthält auch einen „Rückblick“. Es gibt sog. „Fokus“-Texte, die hervorgehoben, in ihrer Wichtigkeit gekennzeichnet und behandelt werden, z. B. „Die Einleitung in das Buch der Psalmen in Psalm 1 und 2“. Abbildungen und Karten dienen dem Verständnis. Eine Zeittafel (16–17) enthält nicht nur historische Daten, sondern zeichnet auch die vermutliche Entstehungszeit biblischer Textkomplexe in die Tabelle ein. Immer wieder sind „Boxen“ mit Symbolbuchstaben eingestreut (B = Basisinformationen, M = Methodik, W = Weiterführende Informationen, L = Lektüreempfehlungen). Ein gut durchdachtes Arbeitsbuch! Zwickel, Wolfgang: Leben und Arbeit in biblischer Zeit. Eine Kulturgeschichte. Stuttgart 2013, 246 S. Das Buch umfaßt 12 Kapitel: Das Land der Bibel als Lebensraum – Die Entwicklung des modernen Menschen (seit dem Neolithikum!) – Die Stadt in biblischen Zeiten – Das Leben der Bauern im Jahreskreislauf – Kleinviehnomaden und Kamelbeduinen – Das Handwerk – Der Handel – Von kleinen Sippen zum Königtum – Das Militär –

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Altorientalische und Israelitisch-Jüdische Religion (2011/2012–2015)

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Das Leben im Alltag – Religion – Leben und Tod. Über manche Details der Darstellung werden Fachleute streiten, z. B. über die Rede von „Beamten“, ein Begriff, der unzutreffende und weit überdimensionierte Vorstellungen von staatlicher Administration und Strukturen in der israelitischen Königszeit assoziiert. Die Stärke des Buches, das für ein breites Publikum bestimmt ist und auf Anmerkungen und jeden Literaturhinweis verzichtet, liegt dagegen in der reichen Bebilderung, in Tabellen und Landkarten. So wird eine sehr hohe Anschaulichkeit erreicht. Kratz, Reinhard Gregor: Historisches und biblisches Israel. Drei Überblicke zum Alten Testament. Tübingen 2013, 357 S. Das Taschenbuch skizziert sehr zügig im ersten Teil (1–78) die Geschichte Israels und Judas, die Voraussetzungen, Quellen, den Schauplatz und die Anfänge und Geschichte der beiden „Reiche“, die nach den drei frühen Herrschern Saul, David und Salomo nur 200 bzw. ca. 330 Jahre später zu Provinzen altorientalischer Großreiche werden und im hasmonäischen und herodianischen Königtum noch einmal (abhängige) Staaten geworden sind. Der geschichtliche Teil wird mit einer bezeichnenden, dreifach gegliederten religionsgeschichtlichen Skizze (israelitisch-jüdischer Kult, biblische Tradition und jüdische Religion) abgeschlossen. Den zweiten Teil des Buches bildet eine – lesenswerte – biblische Literaturgeschichte (79–180). Beide Teile teilen das Schicksal knapper, zügiger Darstellungen, indem sie – besonders der erste Teil – zwar einen guten, griffigen Überblick bieten, durch die Kürze aber auch veschiedentlich verkürzend und ergänzungs- und korrekturbedürftig werden. Zum zweiten Teil kann – nebenbei gesagt – ergänzend auf die in diesem Bericht angezeigte Darstellungen von D. M. Carr (2013 und 2015) verwiesen werden. Der dritte Teil ist m. E. der originellste und besonders lesenswert: Er stellt als Grundlage der biblischen Tradition fünf „Jüdische Archive“ (181–274) vor, aus deren Textbestand sich ablesen und schlussfolgern lasse, „unter welchen historischen und soziologischen Bedingungen und auf welche Weise das Alte Testament zur autoritativen Leitüberlieferung, d. h. zur heiligen Schrift und zum Kanon des Judentums wie des Christentums geworden“ sei (XII). Erstens die jüdische Garnison Elephantine an der südlichen Grenze Ägyptens (um 400 v. Chr.), deren Briefwechsel mit Jerusalemer und samarischen Autoritäten sowohl Respekt als auch selbstbewußte Eigenheit erkennen läßt wie auch religiös-kultische Eigenarten, die mit Tora und Propheten nicht übereinstimmen. Zweitens: Qumran, in dessen Texten sich ein nicht durchschnittliches, eher radikales „biblisches Judentum“ spiegelt (zwischen ca. 250/200 vor bis 100/150 nach Chr.). Drittens eine Texttradition / ein Textkomplex unter der Überschrift „Garizim“, nach Kratz schon im 8. Jh. v. Chr. beginnend (Samaria-Ostraca), der bis zu den Papyrusfunden im Wadi ed-Daliyeh (4. Jh. v. Chr.) und Weiheinschriften auf dem Garizim aus dem 2. bis 1. Jh. v. Chr. reicht, also Samaria bzw. Samarien bis zu den Samaritanern umfasst und wie in Elephantine eine kaum biblisch-„orthodoxe“ (monotheistische) Jahwe-Religion spiegelt. Der vierte Teil befasst sich mit Jerusalem: Auch die verschiedenartigen Funde bis in das 4. Jh. v. Chr. lassen nach Vf. weder biblische Texte oder biblisches Judentum erkennen, vielmehr eine religiös durchaus gemischte Bevölkerung in Jerusalem und seinem Umland. Die Tora sei weder auf Druck der persischen Reichsregierung zustandegekommen noch als Kompromissdokument zwischen Jerusalem und Samaria ausgehandelt, sondern zunächst (seit Ende 4./Anfang 3. Jh. v. Chr.) nur in begrenzten „schriftgelehrten Kreisen studiert und beherzigt“ worden; erst unter den Hasmonäern erhielt die „Tora des Mose und die übrige biblische Überlieferung einen offiziellen, rechtlichen Status“ im Rahmen einer Staatsreligion (254–258). Fünfter Teil: Alexandria. Dort und in Leontopolis lag eine Elephantine ähnliche unabhängige Situation vor.

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Abgesehen von der Septuaginta um 250 v. Chr. sei von der Tora keine Rede, aber (erst) seit der Hasmonäerzeit sei Tora in den Synagogen gelehrt worden. Die biblische Überlieferung sei eher von Schriftgelehrten als von Tempelpriestern ausgegangen. Daher schließt Vf., dass es das klassische „biblische Judentum“ vor der Hasmonäerzeit nicht gegeben habe, wie es dann im samaritanischen Pentateuch, in Qumran und in der Septuaginta erkennbar sei. Das davorliegende „biblische Israel“ existierte nur in den schriftgelehrten Kreisen als Erben der historischen Traditionen Israels und Judas bzw. einer „vor- oder nichtbiblischen Kultur“ (279). Küchler, Max: Jerusalem. Ein Handbuch und Studienreiseführer zur Heiligen Stadt (Orte und Landschaften der Bibel, Bd. IV,2). 2., vollständig überarbeitete Auflage. Göttingen 2014, 816 S., 430 Abb. Das großartige, kaum zu übertreffende Werk wurde im Vergleich zur 1. Auflage (JLH 47 [2008], 74f) gekürzt, z. B. sind nicht mehr alle differierenden Forschungsmeinungen, sondern die dem Vf. plausibelste dargeboten und der wissenschaftliche Anmerkungsapparat ist reduziert. Der Handhabbarkeit als Reiseführer hat das gutgetan. Die ausführliche Fassung von 2007 mit 1266 Seiten und 648 Abbildungen kann weiter als Nachschlagewerk dienen. Köszeghy, Miklós: Keine Stadt lebt für sich allein. Jerusalem und seine Umgebung vor dem babylonischen Exil (AOAT 421). Münster 2015, 214 S. Vf. möchte – als Historiker, wie er betont – die geographischen Grundbedingungen der jahrtausendelangen Geschichte Jerusalems im Kontext seiner näheren Umgebung seit der Mittelbronzezeit darstellen, wobei als Lebensgrundlage die Landwirtschaft (Oliven-, Wein- und Getreideanbau sowie Gartenwirtschaft, und, am Rande, Kalkherstellung) und ihre Installationen eine entscheidende Rolle spielen. Materialiter bietet ihm der dreibändige „Survey of Jerusalem“ (2000–2003) eine wesentliche Basis. So bietet die Arbeit eine fleißige Sammelleistung, deren Ergebnisse dann versucht werden, topographisch und chronologisch (schwierig!) zu ordnen, bis schließlich historische Konsequenzen gezogen werden. Erst danach wertet Vf. schriftliche Quellen kritisch aus, biblische und außerbiblische. Da die lange Geschichte Jerusalems Jahrtausende umfaßt, gliedert Vf. seine Arbeit lediglich in Mittel-, Spätbronze- und Eisenzeit, ohne letztere zu unterteilen. Konkret wird nach einer kurzen Skizze „Die geographischen Gegebenheiten Jerusalems“ behandelt (Kapitel 2), ehe Kapitel 3 Jerusalem in der Mittelbronzezeit nach Größe, Umgebung und deren Siedlungen und Gräber beschreibt sowie einen Katalog der Siedlungen nach Kloners Survey in 3 Abschnitten bietet. Das Kapitel endet mit einem Abschnitt „Grunddaten der Stadt – die schriftlichen Quellen“. Ebenso ist auch das Kapitel 4 zur Spätbronzezeit aufgebaut wie auch Kapitel 5 zur Eisenzeit I-II, das freilich die zusätzliche Besonderheit eines Exkurses hat zu den Amuletten von Ketef Hinnom, auch „David, Jerusalem und die Philister“ betrachtet nach 2Sam 5,17–25, Jes 17,5–6 und Jerusalem in 2Chr 26,9–10; 27,3; 32,5; 33,14. Außerdem enthält das Kap. einen Exkurs zur Siloah-Inschrift und der Belagerung Jerusalems durch Sanherib 701 v. Chr. Zusammenfassenden Charakter hat Kapitel 6: „Jerusalem und seine Umgebung als Wirtschaftseinheit“ (Wein- und Ölproduktion und Kalkherstellung). Politische Strukturen Jerusalems werden auf etwas mehr als einer halben Seite abgehandelt (122), ohne nennenswerte Literaturangaben, wobei „Melkisedek“ (Gen 14) als historische Gestalt neben Abdi-Hepa gestellt wird. Dass über „Strukturen“ des Landes um Jerusalem in der Mittel- und Spätbronzezeit nichts gesagt werden könne, überrascht. Der umfangreichere Abschnitt „Die Strukturen im Lande“ (123–136) (Dorfleben, Militärdienst, königlichen Landbesitz, Frondienst, Abgaben) kommt mit einem Minimum von (z. T. älterer) Forschungsliteratur aus und

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würde bei Zuziehung weiterer Literatur anders und überzeugender ausfallen. Die häufige Betonung, dass Vf. die „longue durée“ (F. Braudel) im Auge habe, führt zu der ebenso häufigen Aussage, dass genauere Datierungen biblischer Texte keine oder „eine untergeordnete Rolle“ spielten (122 u. ö.). Die Zusammenfassung legt noch einmal den Finger auf die entscheidende Rolle der Landwirtschaft in der Umgebung Jerusalems. Carr, David M.: Schrift und Erinnerungskultur. Die Entstehung der Bibel und der antiken Literatur im Rahmen der Schreiberausbildung (Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments 107). Zürich 2015, 360 S. Ein grundlegender und faszinierender Neuansatz zu einem kontextuellen Verständnis der Entstehung der biblischen Texte! Vf. legt zunächst Grundsätzliches über „Schriftkultur, Mündlichkeit und die antike geistige Bildung“ in Mesopotamien und im Mittelmeerraum dar, in deren Rahmen Schreiber, sozusagen die Gelehrten der Antike, in ihrer Ausbildung und Tätigkeit als entscheidende Produzenten oder Träger der Texte und Schriften im Mittelpunkt stehen. Er bietet zunächst ein souveränes Bild Mesopotamiens als „das älteste und am besten dokumentierte Text- und Bildungswesen der Antike“ (Schreiberausbildung, Bildungswesen und sein Ziel, Textproduktion und Sammlung von Texten) und die Ausstrahlung dieses Bildungssystems in umgebende Regionen. Danach zeichnet er ein Bild von „Ausbildung und Schriftkultur in Ägypten“ unter ähnlichen Gesichtspunkten und vergleicht beide Systeme. In diesem Abschnitt wendet Vf. schon Aufmerksamkeit auf Verbindungen zwischen Ägypten und Israel und Belege für Einflüsse Ägyptens nach Israel. Als Beispiel ägyptischen und mesopotamischen Einflusses auf biblische Texte betrachtet er das Hohelied. Sodann beschreibt Vf. die „auf der Alphabetschrift basierende Schriftkultur und Ausbildung im antiken Griechenland“, die ebenso wie die Entwicklung in Israel hinter derjenigen Mesopotamiens und Ägyptens in Alter und Umfang deutlich zurücksteht. Besonders interessant wird verständlicherweise für LeserInnen dieses Jahrbuchs der Abschnitt „Schriftkultur und Bildung im alten Israel“ (133–198) sein, wobei dieser Abschnitt die vorhellenistische Schriftkultur behandelt und damit markiert, dass mit dem Ende der sogenannte Perserzeit im 4. Jh. eine wie auch immer geartete Veränderung (s. u.) eingetreten ist. Nach dem ersten Teil zum Alten Orient und dem Mittelmeerraum konzentriert sich der Blick des zweite Teils des Buches auf „Schriftkultur und Bildung in der östlichen hellenistischen Welt“ speziell und exemplarisch zunächst auf das hellenistische Ägypten, seine Bildungs- und Schriftkultur und ihre Ziele und Umfänge. Ab dem achten Kapitel konzentriert sich der Vf. auf „Tempel- und priesterzentrierte Schriftlichkeit und Bildung im hellenistischen Judentum“ mit den sog. „Testamenten“, pseudepigraphischen Schriften, Ben Sira und „Qumran als Fenster zur frühjüdischen Ausbildung und Schriftlichkeit“. Kapitel 10 zeigt, dass sich nach bisher tempel- bzw. elitenbasierter Schriftlichkeit und Ausbildung spätestens seit dem 1. Jh. n. Chr. eine Ausweitung in Richtung nichttempelbasierte Schriftlichkeit und Bildung besonders durch Sabbatversammlungen und Synagogen ereignet. Hier behandelt Vf. auch Schrift und Bildung bei Philo und Flavius Josephus. Spätestens in diesem Kontext beginnt ein definiertes Corpus hebräischer Schriften (Tora und Propheten) sichtbar zu werden, das schon ältere Wurzeln in der hasmonäischen Epoche des 2. Jh. v. Chr. hat als „hellenistisch stilisiertes antihellenistisches Curriculum“, deren Funktion im Rahmen einer „Enkulturation hebräischer Schriften“ der Vf. beschreibt. Kapitel 12 blickt noch einmal abschließend auf die „hellenistische Gestaltung jüdischer Schriften: vom Tempel zur Synagoge und zur Kirche“. Kapitel 13 fasst Folgerungen des Entwurfs für die biblisch-theologische Arbeit zusammen, die Bibel als „mündlich-schriftliche Ausbildungs- und Sozialisierungsliteratur“ zu verstehen (325); die Schreiberge-

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Literaturbericht Liturgik. Hermann Michael Niemann lehrten mit ihrer Arbeit haben „elitäre Untergruppen (und später breitere Gruppen) durch das … Schreiben bestimmter alter Traditionen in die Herzen“ geformt (340). Der sehr bedenkenswerte Gesamtentwurf zieht einerseits Konsequenzen aus dem in den letzten Jahrzehnten deutlich veränderten Bild von der Entstehung biblischer Literatur als angeblicher Autorentexte z. B. herausragender sozialkritischer Prophetenpersönlichkeiten und der fortgeschrittenen literatur- und redaktionsgeschichlichen Analyse und betont, dass man stärker als bisher „mit der Wahrscheinlichkeit mündlicher Überlieferung von mündlich-schriftlichen biblischen Traditionen rechnen“ solle, „insbesondere in Zeiten wie dem Exil, wo …Schriftgelehrte, die keinen Zugang mehr zu schriftlichen Fassungen hatten, aus dem Gedächtnis reproduziert“ hätten, was zugleich eine berechtigte Skepsis gegenüber der Möglichkeit verstärke, „einen eklektischen Urtext der biblischen Bücher für Zeiten rekonstruieren [zu können], die der Identifizierung autoritativer Referenzexemplare… vorangingen“ (326). Als Anhang skizziert und profiliert Vf. seine Position im Rahmen der bisherigen Forschung. Ein spannendes und sehr anregendes Buch!

2.1.2 Arbeiten zur Alttestamentlichen und Biblischen Theologie Berlejung, Angelika/ Heckl, Raik (Hg.): Ex Oriente Lux. Studien zur Theologie des Alten Testaments. Festschrift für Rüdiger Lux zum 65. Geburtstag (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 39). Leipzig 2012, 799 S. Der stattliche Band enthält 37 Aufsätze, die in fünf „Kernbereiche“ gruppert sind: Pentateuch und Geschichtsbücher, Lehrbücher, Prophetische Bücher, Thematische Aspekte und Hermeneutische Aspekte. Aus dem sehr reichen Themenspektrum der fünf Gruppen seien diejenigen herausgegriffen, die traditionell diesem Literaturbericht am ehesten zugehören: B. Ziemer: Schöpfung, Heiligtum und Sabbat in der priesterlichen Bundeskonzeption; T. Funke: Pinhas und Anti-Pinhas? Priestertum und Gewalt in 1 Makk und 1QM; C. Hardmeier: Der Lobpreis des verborgenen Gottes in Psalm 13. Paradigma einer performativen Theologie der Klagepsalmen; B. Janowski: Der Gute Hirte. Psalm 23 und das biblische Gottesbild; D. Mathias: Beobachtungen zum Verhältnis von Natur, Schöpfung und Schöpfer in den Psalmen; B. Weber: „Like a Bridge Over Troubled Water…“. Weisheitstheologische Wegmarkierungen im Psalter; S. Grätz: Jhwh, der Gott des Himmels. Erwägungen zu einer alttestamentlichen Vorstellung; K. Schmid: Der Kanon und der Kult. Das Aufkommen der Schriftreligion im antiken Israel und die sukzessive Sublimierung des Tempelkultes. Yamayoshi, Tomohisa: Von der Auslösung zur Erlösung. Studien zur Wurzel PDY im Alten Orient und im Alten Testament (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 134). Neukirchen-Vluyn 2013, 399 S. Die erste Hälfte der sehr sorgfältigen Studie behandelt die Wurzel PDY im Akkadischen, im Nordwestsemitischen und im Südsemitischen sowie in semitischen Personennamen nach den beiden Bedeutungen als rechtlich-wirtschaftliche sowie als kultisch-rituelle „Auslösung“. Die Anwendungen der Wurzel in sehr verschiedenen Kontexten werden differenziert dargeboten, die semantischen Ergebnisse in übersichtlichen Tabellen zusammengefaßt. Der zweite Teil ist der Wurzel PDY im Alten Testament gewidmet und stellt die vielfältige und differenzierte Verwendung ebenfalls einerseits in der Rechts- und andererseits in der Kultsprache dar. Ein Exkurs geht der Frage nach – und verneint sie mit Recht – , ob es Opfer (lebender!) Kinder bzw. Menschen im alten Palästina/Israel gegeben habe. Damit ist der breite Hintergrund

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geschaffen, um PDY im letzten Abschnitt in seiner theologischen Verwendung darzustellen: Auslösung bzw. Erlösung des Einzelnen (aus Todesnot, von Feinden, auch Erlösung von Personen: David, Abraham, Jeremia, Hiob) und in der „Kollektivierung“ des Begriffs als Erlösung des Volkes (aus ägyptischer Gefangenschaft, aus dem babylonischen Exil u. ä.). Die Beispiele in diesem Abschnitt stammen zahlreich aus den Psalmen, gehen aber weit darüber hinaus (Pentateuch, Samuel-, Königebücher, Propheten, Hiob). Ein Schlussabschnitt fasst die Ergebnisse bündig zusammen. Frevel, Christian/ Nihan, Christophe (Hg.): Purity and the Forming of Religious Traditions in the Ancient Mediterranean World and Ancient Judaism (Dynamics in the History of Religion 3). Leiden 2013, 601 S. In einer ausführlichen Einführung in die Thematik durch die Herausgeber werden u. a. die leitenden Hauptfragen des umfassenden Bandes herausgearbeitet: Welche Rolle spielt (das Konzept der) Reinheit in der Formierung von religiösen Traditionen und wie wird das Konzept dargestellt? Welche Rolle spielt es in den jeweiligen geographischen und zeitlichen Kontexten in Ritualen, Kulten und der gesellschaftlichen Organisation und in kollektiven bzw. individuellen Identitätsbildungen? Geht es vorrangig um physische, kultische, moralisch-ethische oder genealogische Reinheit/ Unreinheit? Wird deutlich zwischen moralischer und ritueller Reinheit unterschieden und wenn ja, wie werden die Bereiche differenziert? Beeinflussen sie einander? Was kann man sagen zur Unterscheidung von „Reinheit“ und „Heiligkeit“? Gibt es in den in diesem Band untersuchten Materialien (Texte, Bilder, archäologische Funde und Befunde) diachrone Entwicklungen, wenn ja, sind sie Ergebnis gegenseitiger Beeinflussungen oder interne Entwicklungen? Den Fragestellungen wird in teils monographischer Ausführlichkeit nachgegangen. Die Beiträge befassen sich mit der altbabylonischen und neuassyrischen Periode (M. Guichard und L. Marti), mit Ägypten (J. F. Quack), den anatolischen Religionen (M. Hutter), der phönizischen Welt (H.-P. Mathys), Reinheit im Zoroastrismus (A. F. de Jong), in griechischen Sakralgesetzen (N. Robertson), mit dem Konzept der Reinheit in Altgriechenland besonders hinsichtlich sakraler Orte (L.-M. Günther), mit griechischen Ess-Verboten in vergleichender Perspektive (P. Borgeaud), mit sakraler Reinheit und Sozialordnung im Alten Rom (B. Linke). Drei Beiträge untersuchen Formen, Funktionen und Konzeptionen von Reinheit in den biblischen Büchern Levitikus (C. Nihan), Numeri (C. Frevel) sowie Deuteronomium (U. Rüterswörden). M. Konkel untersucht „das System der Heiligkeit in Ezechiels Vision des Neuen Tempels“, B. Rausche „die Relevanz von Reinheit im nachexilischen Judentum nach Esra/Nehemia“. B. Ego widmet sich Reinheits-Konzepten in jüdischen Traditionen der hellenistischen Zeit und I. Werrett „der Entwicklung von Reinheit in Qumran“. G. Holtz betrachtet speziell Reinheitskonzeptionen in den Rollen vom Toten Meer hinsichtlich rituell-physischer und moralischer Reinheit in diachroner Perspektive. Der letzte Beitrag des reichhaltigen und umfassenden Buches stammt von J. K. Zangenberg, der mit zahlreichen Bildern Miqwa’ot und Steingefäße der jüdischen Praxis der Reinheit im nachexilischen Judentum vorführt. Neubert, Luke/ Tilly, Michael (Hg.): Der eine Gott und die Völker in eschatologischer Perspektive. Studien zur Inklusion und Exklusion im biblischen Monotheismus (Biblisch-Theologische Studien 137). Neukirchen-Vluyn 2013, 214 S. Es geht um „die heterogenen Endzeitvorstellungen im Alten Testament, in den Schriftrollen vom Toten Meer, in griechischen und römischen Texten sowie im Neuen Testament und in den christlichen Apokryphen“ und dabei speziell „die unterschiedlichen Formen und Funktionen expliziter und impliziter Aussagen über das Schicksal der Völker im Kontext der jeweiligen Endzeitvorstellungen“ (S. V). Der Komplex

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wird zunächst in der Sicht der (späten) alttestamentlichen Prophetie anhand von Jes 65f betrachtet, wo das Schwergewicht der Aussagen „auf den Motiven des Völkergerichts, des Völkerzugs zum Gottesberg, der Heimkehr aus der Diaspora und der Integration der Völker in das endzeitliche Gottesvolk“ liegt (J. Gärtner, S. V). Die priesterlich geprägte Sicht der Vorstellungen aus Qumran zeichnet S. Paganini nach und unterstreicht die „besondere Position des eschatologischen Priesters als Ausleger des Gesetzes und Führer des wahren Gottesvolkes im eschatologischen Endkampf“ (VI). G. Holtz fasst die universalistische paulinische Sicht auch auf die „nichtchristliche Völkerwelt“ ins Auge, im Römerbrief und vor allem ausführlicher im 1. Korintherbrief, wo auf die Frage der „Zukunft Gottes“ abgehoben wird, wobei immer wieder Rückbindungen auf jüdische Traditionen erkennbar werden. W. Kraus „weist auf die im Hebräerbrief fehlende Entgegensetzung von Israel und den Völkern hin [und] skizziert sodann unterschiedliche Positionen hinsichtlich der Bedeutung des ‚Neuen Bundes‘“ (VIf). K. Usener beschreibt den Begriff Ekpyrosis („Weltenbrand“) aus der griechisch-vorsokratischen und römischen Literatur von „einer unabwendbaren Endkatastrophe der existierenden Welt und eines Neubeginns des fortexistierenden Kosmos“. Diese Anschauung, die der 2. Petrusbrief aufgreift, untersucht W. Grünstäudl in Verbindung mit weiteren Texten (u. a. Apokalypse des Petrus). Janowski, Bernd/ Schwöbel, Christoph (Hg.): Gott – Seele – Welt. Interdisziplinäre Beiträge zur Rede von der Seele (Theologie interdisziplinär 14). Neukirchen-Vluyn 2013, 107 S. Als ebenso wichtig wie schwierig erweist sich immer wieder das Gespräch zwischen Naturwissenschaft, Philosophie und Theologie. Können wir noch von „Seele“ oder müssen wir eher von „Selbstbewußtsein“ oder „Subjektivität“ sprechen? Was aber ist „Identität“ und gibt es ein Pendant zur Leiblichkeit? Wieso die Sehnsucht nach spiritueller Erfahrung am Anfang des 21. Jahrhunderts? Die Beiträge des Buches möchten Gott, Seele und Welt wieder miteinander ins Gespräch und ins Verhältnis bringen und mehr als nur ein „Angebot zur Selbstaufklärung der spirituellen Bedürfnislage“ der Gegenwart sein. In der christlichen Theologie jedenfalls ist die Seele nicht völlig verschwunden, sondern zeigt sich „als Begegnungsstätte der biblischen Traditionen mit den philosophischen und weltanschaulichen Interessen und Prägungen der die Bibel Lesenden und im Gottesdienst als Schrift Gebrauchenden, die allerdings selten zu einer fest definierten lehrmäßigen Synthese führt“ (IX). So stellen die Hgg. in der Einleitung fest: „Was immer die Seele sonst noch ist, sie ist der im inneren Erleben erschlossene oder verschlossene Ort der Gottesbegegnung oder der Gottesferne, der seine eigene dramatische Geschichte hat, die als Geschichte der Innerlichkeit des Glaubens erzählt werden kann.“ (X). „Die Seele im Prozess der spirituellen (R)Evolution“ von R. Strunk weist die Vielfalt und Vielgestaltigkeit heutiger Spiritualität und zeigt „im Rekurs auf lyrische Texte…, dass innere Rezeption und bedeutungsstiftende Imagination als spirituelle Kapazitäten der Seele auf einen kulturellen Kontext von überlieferten Erinnerungen bezogen sind. Die Ablösung von dden Traditionen in Formen frei-flottierender und kreativ-kombinierender Spiritualität erscheint so nicht als Befreiung, sondern als Kappung der Verbindung der Seele zu ihren spirituellen Ressourcen.“ (XI). B. Janowskis Untersuchung des alttestamentlichen Begriffs næpæš weist eine „Multidimensionalität“ nach, „die sowohl unterschiedliche Dimensionen des Lebens umfasst (wie z. B. Vitalität, Affektivität, Kommunikativität, Personalität etc.) als auch unterschiedliche Raum- und Zeit-Koordinaten, die alle in der Gottesbeziehung, als Nähe oder Ferne, ihre bestimmte Konfiguration erhalten. Damit kommt der Mensch als psychosomatische Ganzheit in den das Menschsein prägenden Bezie-

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hungen in den Blick…“ (XI). Der Philosoph J. Halfwassen zeigt, dass dem „Seelenbegriff eine polydimensionale Komplexität“ zukommt zur „Bezeichnung des Prinzips des Lebens, des denkenden Ich, der geistigen Substanz, des Individuums und als Konstitutivum für die Erfahrung der Zeit und der erscheinenden Welt“ (XI). Der Systematische Theologe F. Hermanni schlägt in der Auseinandersetzung gegenwärtiger Philosophie zwischen Dualismus und Physikalismus über das Verhältnis von Leib und Seele eine dritte Lösung vor, die „die beiden Momente einer nicht-physikalischen Identitätstheorie und eines epistemischen Parallelismus miteinander verbindet“, so dass „die Erklärungsgeschlossenheit des Physikalischen respektiert, gleichzeitig aber der Handlungswirksamkeit des Psychischen Rechnung getragen und – drittens – an der Irreduzibilität psychischer Zustände auf physikalische festgehalten“ wird. Abschließend wird die Vereinbarkeit dieser Lösung geprüft an der „Ganztodtheorie, der Trennung der Seele vom Leib im Tod und Schellings Vorschlag der Essentifikation als Bewahrung des Menschen über den Tod hinaus“ (XII). J. Moltmann schreitet in einem Beitrag das Verhältnis von Gott und der Seele von Augustin über Mechthild von Magdeburg, Meister Eckhart, Luther und Calvin, Descartes, Kierkegaard und Schleiermacher bis Bultmann ab und stellt dem „als neues Paradigma ‚Gott und die Sinne‘ gegenüber, das er biographisch und theologisch entfaltet“. Der Schlußbeitrag „‚Erfahrungsseelenkunde‘: Zur empirischen Erforschung der Seele“ stammt von dem (inzwischen verstorbenen) V. Drehsen. Er zeigt, „wie die Seele der Metaphysik und der apriorisch verfahrenden rationalen Psychologie zur Psyche einer empirisch forschenden Seelenkunde wird“ (XII), und zwar an einem konkreten Beispiel im Rahmen von Karl Philipp Moritz’ Konzept der „Erfahrungsseelenkunde“. Janowski, Bernd: Ein Gott, der straft und tötet? Zwölf Fragen zum Gottesbild des Alten Testaments. Neukirchen-Vluyn 2013, 434 S. Das Buch ist ein wertvolles Konzentrat jahrzehntelanger und tiefschürfender theologischer Arbeit. Das erste Kapitel bedenkt sorgsam und verneint mit guten Gründen die Erwägung, dass im AT ein „anderer“, ein „böser“ Gott im Unterschied zum Gott Jesu, dem Gott der Liebe im NT erkennbar werde: Es ist „der eine Gott“, der in beiden Testamenten spricht. Kapitel 2 fragt, ob der Gott des AT „ein strafender Richter sei“. Vf. zeigt, dass JHWH Richter und Retter ist und das Ziel göttlichen Rechts und Gerichts die „Aufrichtung der Gerechtigkeit“ ist, eine „rettende Gerechtigkeit“. Kapitel 3 widmet sich dem „Gott der Vergeltung“, klärt den Begriff und versteht ihn neu unter Berücksichtigung der ausgleichenden „sozialen Dimension des alttestamentlichen Vergeltungsbegriffs“ und dem „Prinzip der Gegenseitigkeit“; es handelt sich um „eine Kategorie der sozialen Interaktion“ (83). Kapitel 4 über „Willkür und Gewalt“ differenziert Formen der Gewalt in ihrem „Doppelgesicht“, wobei in Gottes „Weltzugewandtheit“ die konstruktiv-positive Seite überwiegt. Kapitel 5 fragt: „Ist Gott grausam?“ und exemplifiziert das in einer sensiblen Deutung der schwierigen Erzählung Gen 22, die angesichts eines „dunklen, rätselhaften Gottes“ eine „Erzählung von Preisgabe und Rettung“ ist. Kapitel 6 fragt, ob tatsächlich „der glühene Zorn“ die „peinlichste“ Eigenschaft Gottes sei. Verdrängen hilft nicht. Der Begriff muss geklärt werden und hat erwartungsgemäß negativ-destruktive und positiv-konstruktive Aspekte. Ein sorgsamer Durchgang durch entsprechende Texte zeigt, dass Gottes Zorn kein despotischer Affekt ist, sondern ein „Handlungsmerkmal“, das sein Engagement gegenüber „lebensverneinenden Handlungen der Menschen“ und „seinen Einsatz für die Opfer gegen die Täter“ andeutet, gegen „Verweigerung von Gerechtigkeit“, insofern durchaus „rational“. Die Alternative zu dem spannungsvollen Bild eines liebenden und zornigen Gottes wäre ein gleichgültig-apathischer Gott. Kapitel 7

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geht es um eine angeblichen „Gott der Rache“(-psalmen), die es nicht gibt, aber „Feindpsalmen“. Auch hier ist Verdrängung mißlich; Vf. lehrt genaues Hinschauen. Die aus Verzweiflung, Ohnmacht und Leid kommenden Vernichtungswünsche gegen Feinde (vgl. Ps 69, 109, 137 u. ö.) richten sich an Gott, dem Gerechtigkeit und Hilfe zugetraut wird, sie sind „Ausdruck des Leidens am biblischen Gott“, mit der Bitte, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen und Recht und Gerechtigkeit für Opfer und Täter wieder herzustellen. Die sogenannten Rachepsalmen=Feindpsalmen haben auch den Wert, dass sie die alltäglichen „Mechanismen der Gewalt“ aufdecken, sie „bewahren die Opfer, sprachlos und apathisch zu werden“, denn sie nehmen Not und Leid im Gebet mit hinein in die Gottesbeziehung. Kapitel 8: „In der Hand eines Frevlers?“ behandelt das Theodizeeprobblem anhand des Hiobbuches. Kapitel 9 stellt die alttestamentlichen Antworten auf die Frage „Was ist Sünde?“ dar, wo die Verben „(sich) verfehlen“ und „beugen, verkrümmen, verdrehen“ die wichtigsten Ausgangspunkte und in ihrer bildlichen Bedeutung schon kennzeichnend sind. Kapitel 10: Was sollen „Opfer und Kult“, wenn selbst Theologen des 19. und 20 Jh.s sie als „Abgrund des Blödsinns“ oder „Magie“ bezeichnet haben, die sich „zwischen Gott und den Menschen“ schiebt, ein Versuch, sich mit eigener Leistung Erlösung zu schaffen (L. Köhler). Vf. kann mit der Erläuterung von Begriff und Sache des „Opfers“, der „Gabe“ und des Kults als „Begegnung mit dem Heiligen“, auch unter Einschluß biblich-prophetischer Kultkritik, die Dinge zurechtrücken. Kapitel 11 widmet sich dem (heute) schwierigen Begriff der „Sühne“. Selbst Theologen meinen gelegentlich, die „Erfinder des Opferwesens“ mit ihrem „pessimistischen Menschenbild“, seien verrückt gewesen wie diejenigen, die gern und viel von Schuld und Sünde schreiben, der Gott, der Opfer verlange und seinen Sohn opfere, sei „Sadist“ usw., alttestamentlichjüdischer Sühnekult stehe gegen neutestamentliche Versöhnungslehre. Diese Sachverhalte um Jesu Kreuzigung betreffen das Zentrum christlicher Theologie. Wie Vf. schrille Misstöne und z. T. absurde Mißdeutungen zeitgenössischer AutorInnen, aber auch problematische Deutungen unserer christlichen Tradition in Text und Kirchenlied darstellt und zurechtrückt, und zwar unpolemisch, sachlich, ruhig, ebenso sensibel wie kenntnisreich, lohnt die Lektüre Seite für Seite. Das abschließende Resümee bietet nicht nur Impulse für die Religionspädagogik, sondern malt noch einmal den tiefen Reichtum, die „spannungsvolle Einheit“ des biblischen Gottesbildes und erinnert an das schöne Diktum Luthers von Gott als „ein glühender Backofen voller Liebe“. Schnocks, Johannes: Das Alte Testament und die Gewalt. Studien zu göttlicher und menschlicher Gewalt in alttestamentlichen Texten und ihren Rezeptionen (WMANT 136). Neukirchen-Vluyn 2014, 173 S. Gott und die zahlreichen Gewalterzählungen in der Bibel: Gott, Religion und Gewalt? Bedrohen Religionen, bedroht Monotheismus den Frieden? Vf. stellt klar, dass sich das Phänomen nur konkret und kontextuell erschließt. Gewalt ist kontextuell ambivalent, Gott als Schöpfer ist gewaltig tätig, aber nicht gewalttätig (cf. potestas – violentia). Gott kann als „Krieger“ vorgestellt rettend gegen Gewalttäter wirken (Ex 15), aber auch, monotheistisch verstanden, in den Psalmen dem (unschuldig) Leidenden als gewalttätig erscheinen: Ambivalenz der Gewalt. Vf. bespricht vor diesem Hintergrund die Sintflutgeschichte mit ihrer gottgewirkten, destruktiven Gewalt gegen die menschliche Gewalt des Bösen, die Gott selbst aber nie wieder durch die Gegen-Gewalt einer Totalflut zu bekämpfen zusichert. Er behandelt auch Gen 22 und Ps 88. Menschliche Gewalt wird anhand von Texten zur Blutrache und zur (gottgewollten?) Todesstrafe in Gesetzescorpora besprochen neben 2Sam 21 und Gen 9,1–7, die bei näherem Hinsehen sehr differenziert mit den Problemen umgehen, was Gottesforderung und Men-

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schenhandeln betrifft. Die Makkabäerbücher mit den zahllosen Gewaltexzessen werden genau und differenziert betrachtet; ein „erster religiös motivierter Krieg der Weltgeschichte“, wie manchmal behauptet, seien diese Kämpfe nicht gewesen. Bemerkenswert ist auch Kapitel 9, das den in den Kreuzzugsaufrufen rezipierten Psalm 78 (79) betrachtet und feststellt, dass im Gegensatz zur Nutzung z. Zt. der Kreuzzüge als göttliches Gebot der Bekämpfung der „Heiden“ weder im hebräischen noch im lateinischen Text ein gewaltsames Handeln geboten sei. Vf. resümiert, „dass Gewalt weniger ein religiöses als ein zwischenmenschliches Problem ist“ (163). Vielleicht kommt das Thema der (göttlichen) Gewalt auch deshalb nicht selten vor, weil Gewalt als häufiges zwischenmenschliches Problem oft nicht menschlich gelöst werden kann, sondern „Hoffnung auf göttliche Rettung aus der Gewalt“ besteht, „was wiederum auch bedeuten kann, dass diese Rettung als Gegengewalt stilisiert wird“ (ebd.). „Biblische Texte können uns allerdings darin bestärken, Formen von Ungerechtigkeit und Gewalt … zu entlarven und ihnen so zu widerstehen – auch und gerade als Menschen, die an einen Gott glauben, der sich einmischt.“ (ebd.). Kaiser, Otto: Der eine Gott Israels und die Mächte der Welt. Der Weg Gottes im Alten Testament vom Herrn seines Volkes zum Herrn der ganzen Welt (FRLANT 249). Göttingen 2013, 524 S. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, dieses höchst lesenswerte Buch zu beschreiben: Es handelt sich um eine umfassende und souveräne christliche Theologie des Alten Testaments, ohne dass sie diesen klassischen Titel benutzt. Durch die Berücksichtigung der Geschichte und Religionsgeschichte Israels und Judas ist es auch eine diachrone Theologiegeschichte Israels, die bis in das Judentum und das Neue Testament führt. Man kann das Werk auch eine umfassende Biblische Theologie nennen, aber sie ist noch mehr als das, weil ihr Autor seine stupende Vertrautheit auch mit außerkanonischen (apokryphen, pseudepigraphischen, jüdischen [z. B. Philo] und griechischklassischen) Texten einfließen lässt wie auch kenntnisreiche Linien in die Religionen Ägyptens und Mesopotamiens zu ziehen versteht. Das die 18 thematisch abgerundeten, gut für sich studierbaren Kapitel ergänzende Kapitel 19 „Rückblick und Ausblick“ öffnet sich so fundamentalen Fragen wie der nach „Sinn und Notwendigkeit der Rede von Gott als dem Grund der Existenz und Geheimnis von Zeit und Welt, nach der Bedeutung der alttestamentlichen Heilsgeschichte als Mythos der Erwählung und Verantwortung Israels, nach der Sinngebung des Lebens im Augenblick der Entscheidung sowie der Bedeutung des Glaubens an Gott als Garanten der Sittlichkeit und des Glaubens an die Selbsthingabe Jesu Christi als Bedingung der Freiheit von der Sünde und der Angst vor dem Tod“ (6), dem sich Gedanken über das Verhältnis des Christen zu anderen Religionen anschließen. Vf. selbst betrachtet das Buch als Summe seiner mehr als ein halbes Jahrhundert umfassenden Lebensarbeit an der Bibel. Vor diesem Werk darf man sich respektvoll verneigen, aber vor allem soll man es studieren. Flynn, Shawn W.: YHWH is King. The Development of Divine Kingship in Ancient Israel (Vetus Testamentum, Supplements 159). Leiden/ Boston 2014, 207 S. Vf. untersucht mit Hilfe der anthropologischen Methode der „cultural translation“ die Frage, warum, wann und durch wen die ältere biblische Vorstellung von JHWH als königlichem Krieger/König, als Gott der Heerscharen (z. B. Ri 5; Ex 15; Ps 93; Deut 33, vgl. Num 23; Ps 29; 96) sich zu der Vorstellung eines Königs und Schöpfer der Welt wandelte. Er findet eine Parallele solcher Veränderung bei dem babylonischen Gott Marduk. Vf. meint, dass diese Veränderung in der Charakterisierung des Gottes Israels seinen zeitlichen und sachlichen Grund in einer literarisch-theologischen

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Gegenwehr gegen neoassyrischen „Imperialismus“ habe und sich diese Abwehr oder Gegenwehr vor allem in den Psalmen und im (Proto)-Jesajabuch zeige, wo das Bild JHWHs sich von einem „warrior king“ zu dem eines „creator king“ gewandelt habe. Spieckermann, Hermann: Lebenskunst und Gotteslob in Israel. Anregungen aus Psalter und Weisheit für die Theologie (Forschungen zum Alten Testament 91). Tübingen 2014, 500 S. Kann man ein Buch „liebens-würdig“ nennen? Dieses schon, denn H. Spieckermann spürt man beim Lesen Freude an der Beschäftigung mit der Bibel und der Theologie ab, eine Freude, die überspringt, die man als Lebensfreude aus dem biblischen Gotteswort bezeichnen kann. Dabei führen die Beiträge auch durchaus in (exemplarische) Tiefen, Angst und Nöte, die Menschen der Bibel durchlebt haben. Die Perspektive ist freilich immer das „Lob Gottes aus dem Staube: Psalm 103 als Quintessenz der Theologie des Gotteslobes“. Das um Psalmen und Weisheit der Bibel kreisende Buch mit 21 Beiträgen bietet in gewisser Weise ebenso wie „die kleine Biblia“, der Psalter selbst, ein Konzentrat biblischer Theologie. Auch die zu den 21 Beiträgen hinführende Einleitung „Lebenskunst und Gotteslob“ entfaltet den Reichtum der biblischen Weisheitsliteratur und der Psalmen sensibel und mit ansteckender Leidenschaft. Die fundierte Kenntnis der Fachliteratur hinter den Aufsätzen mündet in einer Sprache, die nicht nur die FachkollegInnen, sondern gerade auch die theologischen PraktikerInnen unmittelbar anspricht. Aus dem reichen Repertoire der drei Teile mit jeweils sieben Aufsätze seien exemplarisch folgende genannt aus dem 1. Teil („Lebenskunst zwischen Kairos und Krisis: Die Weisheit“): „Lebenskunst als Wegkunde: Proverbien“; „Die Satanisierung Gottes: Hiob“; „Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand: Sapientia Salomonis“. Der 2. Teil („Gotteslob zwischen Nacht und Tag: Der Psalter“) enthält u. a. „Gott und die Nacht: Gottes Welt und das Chaos“, „Schweigen und Beten: Von stillem Lobgesang und zerbrechender Rede im Psalter“ und „Lieben und Glauben: Psalm 116 als Schlüssel zur Theologie des Gebets“. Der 3. Teil („Alttestamentliche Theologie als Gotteslob und Lebenskunst“) bietet u. a. „Der nahe und der ferne Gott: Das Spannungsfeld des Gotteslobes“, „Gott und Mensch am Markt: Das Spannungsfeld der Lebenskunst“ und „Der Retter ist nah: Die Verheißung alttestamentlicher Theologie“. Ebner, Martin u. a. (Hg.): Geben und Nehmen. Jahrbuch für biblische Theologie 27, 2012. Neukirchen-Vluyn 2013, 446 S. Wie zu erwarten, gehen die Beiträge von dem berühmten Aufsatz „Essai sur le don“ (1925) von Marcel Mauss aus, nach dem eine Gabe nicht nur einfach gegeben, sondern auch angenommen und erwidert wird und damit alle Beteiligten und alles in einem sozialen Prozess umfaßt (vgl. I. Därmann); „jedes von dieser Bewegung der Gaben erfasste Gut [wird] als Teil der Person des Gebers“ verstanden (M. Hénaff). Diese für das menschliche Zusammenleben fundamentale Erkenntnis macht das Jahrbuch im Rahmen der Theologie fruchtbar. S. Moebius und J. Adderegg führen in die Thematik mit zwei literatursoziologischen und kulturgeschichtlichen Aufsätzen ein. A. Grund („Homo donans. Kulturanthropologische und exegetische Erkundungen zur Gabe im alten Israel“), I. Fischer („Die Gabe der Verheißung“) und C. Eberhart („Das Opfer als Gabe. Perspektiven des Alten Testaments“) steuern drei alttestamentlich-exegetische Analysen bei, zum NT finden sich die Beiträge von O. Davidsen („Geben und nehmen. Narrativer Austausch im Neuen Testament“) und M. Theobald („Gebt ihr ihnen zu essen [Mk 6,37]. Aspekte einer eucharistischen Theologie der Gabe im Neuen Tstament“) und K.-H. Ostmeyer („Nehmen ist seliger denn Geben. Das Reich Gottes als Gabe im Neuen Testament“). Vom NT zur Kirchen- und Theologiege-

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schichte leitet H. Löhr über („Vom apostolischen Lohn. Eine Fallskizze zum Verhältnis von Ökonomie und Theologie im entstehenden Christentum“). Kirchengeschichtlich referieren V. Leppin („die aller beste gâbe … von oben her abe. Zur Auslegung von Jak 1,17 bei Meister Eckhart“), B. Hamm („Pure Gabe ohne Gegengabe. Die religionsgeschichtliche Revolution der Reformation“) und G. Schneider-Ludorff („Der neue Sinn der Gabe. Stiftungen im Luthertum des 16. und 17. Jahrhunderts“). Drei Beiträge stammen aus der Systematischen Theologie: V. Hoffmann („Die Opfergabe Jesu Christi“), M. Wendte („Ansprechende Gabe. Luther und das Gabetheorem: Intrinsische Verbindungen, weitere Kontaktpunkte und neue Impulse“) sowie O. Beyer („Ethik der Gabe“). Aus der Praktischen Theologie kommen N. Peter („Geben und Leben. Was wäre die Gesellschaft ohne unsere Bereitschaft zu geben?“), O. Fuchs („Gott[esglaube] als Gabe“) und A. Odenthal („De tuis donis ac datis: Die Eucharistiefeier als Gabe. Eune liturgiewissenschaftliche Skizze zum christlichen Kultparadox“). Den Abschluss bildet ein judaistischer Beitrag von M. Morgenstern: „Geben und Zurückgeben. Halachische Erörterungen im Talmud zur Pflicht der Rückgabe gefundenen Eigentums nach Dtn 22,1–3“. Ebner, Martin u. a. (Hg.): Zeit. Jahrbuch für Biblische Theologie, Band 28 (2013). Neukirchen-Vluyn 2014, 366 S. Unter den 15 Beiträgen aus allen theologischen Hauptdisziplinen liegt diesmal ein Schwerpunkt auf den „Biblischen Zeiterfahrungen“. L. Schwienhorst-Schönberger („Die Ordnung der Zeit im Alten Testament“) widerspricht der lange vorherrschenden Auffassung, dass das Alte Testament von einer linearen Zeitvorstellung geprägt sei im Gegensatz zum zyklischen Zeitverständnis der Antike. Er zeigt anhand der priesterlichen Schöpfungsgeschichte Gen 1,1–2,3, dass das AT mythisch-zyklisches wie auch linear-geschichtliches Denken neben- und miteinander kennt. T. Krüger („Wahrnehmungen und Deutungen der Zeit im Buch Kohelet“) legt dar, dass nach Kohelet Gott „alles zu seiner Zeit“ und auch die Zeit erschaffen habe. Im Unterschied zu Stellen in der Prophetie und der Apokalyptik ist Kohelet aber überzeugt, dass dem Menschen der Blick in die Zukunft verschlossen bleibt, was den starken Bezug Kohelets für die Gegenwart und den Moment erklärt. P. Metzger fragt nach einem evtl. apokalyptischen Zeitverständnis („Tropfen und Rauch [4Esra 4,50]. Das Zeitverständnis im apokalyptischen Denken“). Es zeigt sich, dass es der Apokalyptik in ihrer als kritisch empfundenen Zeit darauf ankommt zu zeigen, dass Gott einen ganz exakten Plan mit Zeit und Welt habe, was dem Menschen Vertrauen zu geben vermag, dass die gegenwärtige Krisenhaftigkeit von Gottes Plan und seinem Heilswillen mit seiner Schöpfung(ordnung) begrenzt sei. C. Böttrich wendet sich dem lukanischen Doppelwerk zu („Die Zeichen der Zeit. Zeitvorstellungen im lukanischen Doppelwerk“). Als Theologe, als Historiker und als Erzähler geht Lukas mit verschiedenen Zeitperspektiven um. Das Wirken Jesu steht allerdings zwischen Vergangenheit und Zukunft in der „Mitte der Zeit“, zu der der Mensch in seiner zeitlichen Beziehung steht. Bei der Besprechung des paulinischen Zeitverständnisses („‚Schon jetzt‘ und ‚noch mehr‘. Gegenwart und Zukunft des Heils bei Paulus und in seinen Gemeinden“) weist V. Rabens auf eine Spannung hin, die nicht – wie oft – sich zwischen einem „schon jetzt“ und „noch nicht“ bewegt, sondern zwischen einem „schon jetzt“ angesichts der Versöhnung durch Jesus Christus und einem „noch mehr“ der „grandiosen Zukunft der Verherrlichung mit Christus bei seiner Wiederkunft und Herrschaft über die in Gott versöhnte und vereinte Welt“ (123). Nach J. Frey („Die Gegenwart von Vergangenheit und Zukunft Christi. Zur ‚Verschmelzung‘ der Zeithorizonte im Johannesevangelium“) weist das Johannesvangelium zwei Zeitebenen auf, eine Ebene des erzählten

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Geschehens, wo Jesus unter und mit den Menschen lebt und die Ebene des Verfassers des Evangeliums und seiner Gemeinde. Beide Ebenen interpretieren sich gegenseitig. M. Karrer („Eine Zeit des Lichts für Israel und die Völker. Das vom Himmel herabsteigende Jerusalem der Johannesapokalypse“) versteht das zukünftige Kommen des himmlischen Jerusalem nach der Johannesapokalypse als Teil der neuen Schöpfung, das als künftiges Handeln Gottes so stark wirke, dass es auch Auswirkungen auf die Gegenwart habe, „denn das himmlische Jerusalem kommt den irdischen Menschen vom Himmel aus entgegen. Das irdische Zeitdenken zerbricht darüber; die personale Begegnung löst die Strukturen eines zeitlichen Ablaufs ab…“, man könne von einer „Brechung der Zeit durch den Raum“ sprechen. Vf. weist auf die erstaunliche Aktualität der Johannesapokalypse, wenn sie nach einer Verständigung der Völker verlange „als Basis für eine Erneuerung der Welt und für das Ende der Zeiten des Schreckens, die der Mensch dem Menschen bereitet“, aber die Sicht der Apk bedürfe auch „der Öffnung hin auf die Fragen der Gegenwart“ (). A. Zerfaß („‚Er hat ein Gedächtnis an seine Wunder gestiftet‘. Liturgiewissenschaftliche Aspekte zur Wahrnehmung, Deutung und Gestaltung der Zeit“) weist auf die hohe Bedeutung der Unterscheidung von zyklischer und linearer Zeitvorstellung in und für die Liturgie („Gestaltung der Zeit durch Liturgie“, 253) hin, jener im Blick auf das Kirchenjahr und bei der Tagzeitenliturgie, dieser für die Vergegenwärtigung der „kanonischen Heilsgeschichte“. D. Mieth („Wert und Zeit. Über den richtigen Umgang mit der Zeit“) betont u. a. die Bedeutung einer Entschleunigung, der „Kunst der Langsamkeit“ und zählt in Form einer Satire 10 „Gebote des Zeitverzehrs bzw. der akzelerierten Zeitkultur“ (285f) auf. Weippert, Manfred: Götterwort in Menschenmund. Studien zur Prophetie in Assyrien, Israel und Juda (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments 252). Göttingen 2014, 304 S. Das Verständnis von Prophetie war sehr lange und weitgehend von den biblischen Prophetenbüchern geprägt. In den letzten Jahrzehnten ist Prophetie als Phänomen des Alten Orients durch eine Reihe von Publikationen stärker in das Bewußtsein und in die Forschung eingetreten. Prophetie ist viele Jahrhunderte vor den biblischen Propheten seit dem 2. Jahrtausend v. Chr. in Mesopotamien, Ägypten und der Levante bezeugt. Unter anderem hat das bedeutende Projekt „State Archives of Assyria“ mehrere Bände zu assyrischer Prophetie herausgebracht (z. B. S. Parpola, Assyrian Prophecies: SAA IX, Helsinki 1997; M. Nissinen, References to Prophecy in Neo-Assyrian Sources: SAA VII, Helsinki 1998). M. Weippert hat durch überragende semitistische Kompetenz und seine außergewöhnlichen Kenntnisse in der Altorientalistik und in der alttestamentlichen Wissenschaft seit Jahrzehnten Brücken zwischen diesen Gebieten schlagen können und dazu beigetragen, dass durch seine Analysen assyrischer Originaltexte die biblischen Propheten(texte) in den Kontext ihrer Zeit und ihres Raumes gestellt und auf dieser Basis angemessener als früher verstanden und interpretiert werden können. Seine hier abgedruckten wegweisenden acht Studien lassen mehrfach schon im Titel den Bezug auf das Alte Testament erkennen, z. B. „Die Herkunft des Heilsorakels für Israel bei Deuterojesaja“, „Königsprophetie und Königsideologie in Juda. Zur ‚Nathansweissagung‘ 2 Sam 7,4–17“, „‚Das Frühere, siehe, es ist eingetroffen…‘ Über Selbstzitate im altorientalischen Prophetenspruch“, „‚Ich bin Jahwe‘ – ‚Ich bin Ištar von Arbela‘: Deuterojesaja im Lichte der neuassyrischen Prophetie“ oder „‚König, fürchte dich nicht!‘: Assyrische Prophetie im 7. Jahrhundert v.Chr.“ Beigefügt sind u. a. eine Übersetzung der neuassyrischen Prophetensprüche und ein Nachwort, das für diesen Band geschrieben wurde und „die Erschließung der neuassyrischen Prophetie seit 1981 beleuchtet, meine [sc. M. Weipperts] Definition von ‚Pro-

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phetie‘ gegenüber Einwänden präzisiert und die Behandlung der Prophetie des 2. Jahrtausends aktualisiert“ (7). Oorschot, Jürgen van/ Wagner, Andreas (Hg.): Anthropologie(n) des Alten Testaments (Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 42). Leipzig 2015, 303 S. Seit der bahnbrechenden „Anthropologie des Alten Testaments“ von H. W. Wolff (1973), mit Recht neu und ergänzt herausgegeben von B. Janowski (2010) hat sich die Forschungslage erneut fortbewegt und verändert. Sie steht heute mit einem breiten kulturanthropologischen Ansatz in einem fruchtbaren inter- und transdisziplinären Diskurs. In die alttestamentliche Forschung der letzten Jahre ist viel Bewegung gekommen; abgesehen von zahllosen einschlägigen Aufsätzen soll nur auf zwei umfangreiche Sammelbände hingewiesen werden, die in diesem Jahrbuch vorgestellt wurden (s. JLH 51 [2012], 59f). Der hier anzuzeigende Band ist das erste Ergebnis eines längerfristig angelegten Arbeitsprojekts innerhalb der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie. Nach einer Problemanzeige und einer Einführung in die Forschungslage und Konzeption des Bandes durch A. Wagner legt E.-J. Waschke „Grundlagen einer theologischen Anthropologie des Alten Testaments“. In einem ersten Komplex von Studien unter dem Titel „Seele – Person“ referiert B. Janowski über „Das Herz – ein Beziehungsorgan. Zum Personverständnis des Alten Testaments“ und C. Frevel zu „Person – Identität – Selbst. Eine Problemanzeige aus alttestamentlicher Perspektive“. M. Bauks stellt „Neuere Forschungen zum altorientalischen ‚Seele‘begriff am Beispiel der Anthropologonien“ vor und J. van Oorschot wendet sich in „Lost in Translation, Regain by Exegesis. Näfäsch in alttestamentlicher Verwendung und Funktion“ einem besonders wichtigen und oft mißverstandenen Begriff zu. Ein zweiter Komplex von Beiträgen behandelt „Anthropologie einzelner Texte und Textbereiche“: A. Schellenberg referiert zum Thema „‚Ein beschwichtigender Geruch für JHWH‘. Zur Rolle der Sinne im Kult (nach den priesterlichen Texten)“ und J. Schaper zu „Schriftkultur und Orthodoxie. Anthropologische Beobachtungen zu einem theologischen Thema anhand des Alten Testaments“. J. Gärtner behandelt das Thema „Der Andere und der Fremde. Überlegungen zu einer spätprophetischen Anthropologie am Beispiel von Jes 56,1–7.8“ und I. Fischers Beitrag lautet „Zur Arbeit erschaffen. Zur Arbeitsteilung nach Intersektionalitätskriterien in Alt-Israel“. T. Wagners Vortrag ist überschrieben: „Von der Sehnsucht des Menschen nach Göttlichkeit. Natürliche Sterblichkeit als Thema der alttestamentlichen Weisheit“. Die Komplex wird abgeschlossen mit U. Schmidt: „Anthropologie, Körper und Macht in Daniel 2“. Der dritte Komplex umfaßt zwei Beiträge: Thomas Staubli steuert einen anschaulich illustrierten Vortrag bei zum Thema „Ikonographische Quellen als Grundlagenmaterial für die Rekonstruktion anthropologischer Themen der Südlevante“ bei und A. Beyers Thema heißt: „Vom Menschen erzählen. Implizite und explizite anthropologische Aspekte in narrativen Texten“. Das sehr anregende Buch endet mit einer Auswahlbibliographie.

2.1.3 Wichtige Beiträge zu religionsgeschichtlichen Themen Lykke, Anne/ Schipper, Friedrich T. (Hg.): Kult und Macht. Religion und Herrschaft im syro-palästinensischen Raum. Studien zu ihrer Wechselbeziehung in hellenistischrömischer Zeit (Wissenschaftliche Untersuchugen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 319). Tübingen 2011, 327 S. Es geht dem Band darum, „einen Diskurs über die Ausübung von Macht und Herr-

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schaft im syrisch-palästinischen Raum in hellenistisch-römischer Zeit und ihre Auswirkungen auf und Wechselbeziehungen mit Kult und Religion“ darzustellen. Der Diskurs ist interdisziplinär angelegt und hat bibelwissenschaftliche und archäologische Schwerpunkte, er stellt Fragen zu „politischen, ethnischen und religiösen Identitäten sowie zu Akkulturation und Inkulturation“. Es geht um „Kulturkontakte, Kulturkonflikte und Inkulturation“, um „individuelle und kollektive Identitäten in ihrer Selbstdarstellung und ihre Entwicklung unter ‚fremder‘ Herrschaft“, um „Religionen, Kulte, Heiligtümer: Institutionen in öffentlicher und privater Sphäre“ und um „Herrscherkulte – Kulte der Herrscher“ (V). Die Aufgabe ist deshalb so spannend, weil „die Geschichte und Kultur Palästinas … in hellenistischer und römischer Zeit einem kulturellen und religiösen Schmelztiegel“ glich. Wegen des reichen Inhalts der zwölf Beiträge können hier nur die Themata wiedergegeben werden. P. Arzt-Grabner: „Der ‚Herr Jesus Christus‘ und ‚Caesar, der Herr‘ – über die Anfänge einer Konfrontation“; P. Bilde: „Der Konflikt zwischen Gaius Caligula und den Juden über die Aufstellung einer Kaiserstatue im Tempel von Jerusalem“; K. Huber: „In der Vollmacht des Satans. Antirömische Herrschaftskritik in der Vision des Tieres aus dem Meer in Offb 13,1–10“; H.-P. Kuhnen: „Grenzen der Romanisierung. Massebenkulte und die Entstehung islamischer Kultbauten im Vorfeld des Limes Arabiae et Palestinae“; A. Lichtenberger: „Ein tropaeum Traiani in Arabia? Anmerkungen zur Tyche von Petra“; A. Lykke: „Politische und religiöse Identitäten auf jüdischen Münzen (bis 66 n. Chr.)“; M. Meyer: „Die Stadtgöttin von Caesarea Maritima – ‚Romanitas‘ im Bild“; I. Nielsen: „Herrscher und Bäder. Die Badegewohnheiten in Palästina in der hellenistischen und früh-römischen Zeit“; M. Öhler: „Ethnos und Identität. Landsmannschaftliche Vereinigungen, Synagogen und christliche Gemeinden“; S. Paganini: „Priester an der Macht. Beobachtungen zum Verhältnis von Kult und Macht innerhalb des utopischen Gesellschaftsbildes der Tempelrolle“; F. T. Schipper: „Herodes der Große und die griechische Athletik. Zwischen Hellenisierung, Romanisierung und Herrscherkult“; R. Wenning: „Tribale Frömmigkeit und royale Religionspolitik – Gottesverehrung der Nabatäer“. Martin, Evelyne (Hg.): Tiergestaltigkeit der Göttinnen und Götter zwischen Metapher und Symbol (Biblisch-Theologische Studien 129). Neukirchen-Vluyn 2012, 182 S. „Was gehört alles zum Theriomorphismus dazu? Wie ist ein Theriomorphismus zu verstehen? Als Metapher, als Symbol oder als echte Körperlichkeit? Und differenzieren sich die Vorstellungen zwischen den Kulturen?“ fragt die Herausgeberin. Die vier Beiträge antworten aus Ägyptologie, Vorderasiatischer Archäologie und Altem Testament. Das Phänomen wird in seiner Vielgestaltigkeit deutlich. Dabei sind im Beitrag der Herausgeberin die Flügel Gottes exemplarisch und werden mit Aussagen aus Ugarit verglichen. B. Hufft sichtet das einschlägige reiche Material zur Sache in Ägypten und M. Herles betrachtet Beispiele von Hörnern und Flügeln bei mesopotamischen Gottheiten. D. Klinglers Beitrag schließlich wendet sich Bildern und Texten im Alten Testament zu, wo Gott mit „Tiersprachbilden“ bezeichnet wird. Hauser, Stefan R.: Status, Tod und Ritual. Stadt- und Sozialstruktur Assurs in neuassyrischer Zeit. (Abhandlungen der Deutschen Orientgesellschaft 26). Wiesbaden 2012, 451 S., XIII Farbtafeln. Warum wird das Buch, eine herausragende Forschungsleistung, in diesem Jahrbuch vorgestellt? Es vermag ein ebenso gründliches wie erhellendes und exemplarisches Bild vom Leben und Sterben, von Tod und Begräbnis, von der Gesellschaft und der Sozialstruktur einer sehr wichtigen Stadt (Assur) eines Großreiches (Assyrien) zu bieten, das für Israel und Juda die meiste Zeit seiner staatlichen Existenz, knapp 200 Jahre,

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prägend und entscheidend war. Assyrien vernichtete Israel im Jahr 720 v. Chr. als Staat und beherrschte Israel als assyrische Provinz und Juda als Vasall ein weiteres Jahrhundert. Deportierte Israeliten in Assyrien (auch in Assur?) dürften Größe und Macht, kulturelle Entwicklung und Reichtum Assyriens und seiner Städte als Kulturschock erlebt haben, was sich in biblischen Texten spiegelt. Vf. geht von der archäologischen und sozialanthropologischen Analyse von Gräbern und ihren Kontexten in der alten Königs- und Kultstadt Assur im 9.–7. Jh. v. Chr. aus und vermag, auch durch philologische Analysen von Texten das Verhältnis der Stadtbewohner zum Tod und zu ihren Toten neu zu rekonstruieren. Aus den Gräbern, ihrer Anlage und Ausstattung kann auf rituelle Handlungen und die dabei genutzte symbolische Kommunikation und ihre Veränderungen, Statusmerkmale, Normen und Abweichungen sowie auf Sozialstrukturen geschlossen werden. Damit eröffnet sich eine Möglichkeit, die Bevölkerungsund Sozialgeschichte der Stadt Assur bis zu ihrem Untergang neu zu skizzieren. Das Inhaltsverzeichnis (VII – XII) ist so stark und fein differenziert, dass es wie ein Lexikon nach Spezialfragen durchsucht werden kann. So findet man im einleitenden, dreißigfach (!) untergliederten Kap. A „Tod in Assyrien“ als TheologIn Bestattungsriten auf mehrere Tage differenziert entfaltet, Informationen über Totengeister, Nekromantie, Erbprobleme oder Betrachtungen zu „physischem und sozialem Tod“ und kann mit Israel/Juda vergleichen. Ähnlich Kapitel B „Assur – Gott, Stadt und Land“, das religionsgeschichtlich für BibelwissenschaftlerInnen wertvoll zu studieren ist: Historische Linien, Sozial- und Bevölkerungsstrukturen in dieser „Besatzungsmacht“ Israels und Judas, Informationen zum Verständnis des Königtums in Assyrien u. v. a. Kapitel C und D dokumentiert und beschreibt die Gräber. Kapitel E ist wieder vergleichend für Israel und Juda interessant durch eine 33-fach gegliederte Darstellung zur Behandlung der Toten, Art und Form der Bestattung, Beigaben, Körpergrößen, Einzel- und Mehrfachgräber bis zu Armhaltungen, Ausrichtung der Toten, Primär- und Sekundärbestattungen, Kinder- oder Mutter-Kind-Gräber u. v. m. Kapitel F „Haus und Grab“ handelt von Hausbestattungen und Friedhöfen, sozialen Dfferenzierungen bei Hausbestattungen usw. Dies führt Kapitel G noch weiter aus: „Gräber und Soziale Differenzierung“, Differenzierung durch Grabgrößen und -formen, durch Beigaben, Gräber von nichtassyrischen Zuwanderern etc. Das Schlusskapitel H „Neuassyrische Bestattungen, ein System sozialer Präsenz“ bündelt die Ergebnisse, wieder stark und übersichtlich gegliedert nach sozialen Differenzierungen (Kinder/Erwachsene, Frauen/Männer, Tote/Ahnen, Arm/Reiche, Klein-/Großfamilie, Assyrer/Zuwanderer usw.) und kann im Ergebnis „Neue Überlegungen zur Geschichte der Stadt Assur“, z. B. zur Stadtentwicklung bieten. Appendices, Bibliographie, auch eine CD mit einer Datenbank, runden das inhaltsreiche und bemerkenswerte Werk ab. Pfälzner, Peter/ Niehr, Herbert/ Pernicka, Ernst/ Wissing, Anne (Hg.): (Re-)Constructing Funerary Rituals in the Ancient Near East. Proceedings of the First International Symposium of the Tübingen Post-Graduate School “Symbols of the Dead” in May 2009 (Qatna Studien Supplementa 1). Wiesbaden 2012, 312 S. mit zahlr. Abb., Plänen und Fotos. Die Themen des stattlichen Konferenz-Sammelbandes reichen zeitlich vom dritten bis zum ersten vorchristlichen Jahrtausend. Geographisch reicht der Blick von der zentralen Region Syrien aus, mit deren Funden und Befunden sich die meisten Aufsätze beschäftigen, nach Äypten und nach Palästina (Jericho), an die Mittelmeerküste nach Ugarit, Phönizien und bis nach Zypern, im Osten über Mesopotamien bis nach Elam bzw den Iran und Kirgistan. Regionale Analysen stehen neben konkreten Darstellungen einzelner Ortschaften und deren (Grab-)Funden und Befunden, nicht zu verges-

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Literaturbericht Liturgik. Hermann Michael Niemann sen grundsätzliche bzw. theoretische und ethnologische Beiträge. Den Anfang macht Marlies Heinz: „(Re-)Constructing Funerary Rituals in the Ancient Near East. A Reflecting Review“. Auf Alfonso Archi: „Cult of the Ancestors and Funerary Practices at Ebla“, der Ritualtexte, symbolische Handlungen, auch Bekleideungen der Toten und Beigaben bei Begräbnissen von Königen und Königinnen untersucht, folgt ein konkreter Beitrag mit einer Analyse der Fund-Artefakte von Li Sang: „A Potential Reconstruction of Funerary Rituals in the Monumental Mortuary Complex at Tell Ahmar“. Barbara Helwing: „An Age of Heroes ? Some Thoughts of Early Bronze Age Funerary Customs in Northern Mesopotamia“ arbeitet Differenzierungen zwischen der frühen und der späteren Phase der Frühbronzezeit heraus. Zu diskutieren ist, wer wann zum „Heros“ wird und was das für die Identität und das Gedächtnis der Gruppe bedeutet. Glenn M. Schwartz: „Era of the Living Dead: Funerary Praxis and Symbol in Third Millennium BC Syria“ rekonstruiert aufgrund des Gräberkomplexes Umm el-Marra „aspects of ritual perfomance involving place, timing, participants, treatment of the dead, and, sometimes, intentional desecration“, während andere Aspekte wie Gebete und Rezitationen unklar bleiben. Candida Felli: „Funerary Practices from the End of the Early to the Middle Bronze Age in Northwestern Syria: The Middle Euphrates Valley“ bemüht sich um eine möglichst umfassende Rekonstruktion aufgrund textlicher Belege und archäologischer Befunde, z. B. für Bankette bei den Begräbnissen, Sekundärbegräbnisse und Grabformen, Hypogäen, Tumuli usw. Anne Wissing: „Ritual Aspects of Middle Bronze Age Burial Practices in the Hurrian City of Urkesh“ stellt die einschlägigen Ergebnisse der Ausgrabung auf dem Tell Mozan in Nordostsyrien vor. Antoine Jaquet: „Funerary Rites and Cult of the Ancestors during the Amorite Period: the Evidence of the Royal Archives of Mari“ unterscheidet zwischen dem Begräbnis und seinen Riten einerseits und andererseits der wohl wichtigeren regelmäßigen Begehung des Gedächtnisses der (königlichen) Toten; er beschäftigt sich u. a. auch mit der Frage, wo der Ahnenkult begangen wurde, und dem Problem, wenn ein Begräbnis nicht möglich war oder ein Begräbnis verweigert wurde. Panayiotis Andreou: „Thanatography and the Contextualization of Ritual Activities: Preliminary Observations on Mortuary Ritual Practice at Middle Bronze Age Jericho“ beschreibt die mittelbronzezeitliche Nekropole, die bisherige Forschung und besonders die Funde von Alabasterschalen, Ziegelplattformen und die Keramik in ihrem „performativen“ Kontext, betont aber, dass viele Frage offen bleiben. Herbert Niehr: „Two Stelae Mentioning Mortuary Offerings from Ugarit (KTU 6.13 and 6.14)“ interpretiert die beiden Stelen sachgerecht in ihrem archäologischen und religionsgeschichtlichen Kontext. Sarah Lange: „Food and Libation Offerings for the Royal Dead in Ugarit“ analysiert in ihrem reichlich illustrierten Beitrag die entsprechenden Texte, fragt, wer die Gaben den Toten in welcher Opferart offerierte, mit welchem Ziel bei welchen Gelegenheiten und wie oft das geschah und an welchem Ort bzw. Orten. Priscilla Keswani: „Urban Mortuary Practices at Enkomi and Ugarit in the Second Millennium BC“ stellt eine „simultaneous yet apparently independent development of a close association of the tombs of the dead with the houses of the living“ fest. „At the transition between the Middle and Late Bronze Ages, both at Ugarit, a political power arising within a landscape of older urbanized state societies, and at Enkomi, an emergent polity on an island heterofore not urbanized or political complex, this mortuary phenomenon would seem to reflect the importance of the household as the locus of both social identity and socioeconomic reproduction. The ancestors, previously committed to larger communal burial grounds, were now appropriated and privatized by their descendants.“ (198). Dessenungeachtet bleiben Grabstil und Begräbnisgestaltung

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unterschiedlich. Andererseits sind Ähnlichkeiten z. B. bei Grabbeigaben bei dem intensiven Handelsaustausch besonders im 14./13. Jh. v. Chr. zwischen der Levante und Zypern verständlich. Peter Pfälzner: „How Did They Bury the Kings of Qatna?“ bietet einen souveränen Überblick über die Folge primärer, sekundärer, tertiärer und quartärer Begräbnisse in der sehr gut erhaltenen Königsnekropole von Qatna. Tina Köster: „Calcite-Alabaster as Grave Goods: Terminology and Sources“ gibt neben einem terminologischen Überblick auch eine Karte der Fundstellen im östlichen Mittelmeerraum. Katharina Teitz: „How to Become an Ancestor – some thoughts“ interessiert der „Statuswechsel“ von einem Toten zu einem „Ahnen“, einer Frage, der die Vfn. an zwei Beiepielen nachgeht, was dabei vorgeht und warum das geschieht; welche Bedeutung hat der zum Ahnen gewordene Tote? Andrea Kucharek: „‘Asiatics will not lay you to rest’ Egyptian Funerary Ritual and the Question of Mutual Influenc“ weist u. a. auf das Mißtrauen der Ägypter hin, dass Fremde beim Begräbnis, auf das man in Ägypten größten Wert legte, die notwendigen, in Ägypten üblichen und notwendigen Riten evtl. nicht korrekt kannten. Behzad Mofidi-Nasrabadi: „The Spatial Order in the Tomb Buildings of the Middle Elamite Period“ erläutert seine Fragestellung anhand zahlreicher Pläne und Tabellen. Steven Lundström: „Concerning the Dead – How to Bury an Assyrian King? Possibilities and Limits of the Archaeological and Written Evidence in the Second and First Millennium BC“ zeigt, dass überraschend karge Textinformationen zu Beerdigungsritualen existieren, so dass man nahezu ausschließlich auf archäologische Befunde angewiesen ist. Beerdigung und Grab waren anscheinend „a private affair“, daher die sehr verschiedenen Gestaltungen und keine schriftlichen „instructions“ (277). „Death as a private matter varied as much as life in Mesopotamia and this wide variety is mirrowed by the archaeological remains. The burials of Assyrian kings and queens are no exceptions“ (278). Matthias Lange: „The Role of Some Stelae in Phoenician Burial Customs“ weist u. a. darauf hin, dass die Gesichtszüge oder Figuren auf (anthropomorphen) Stelen anscheinend keine Götter oder apotropäische Kräfte repräsentieren, sondern Ahnen (in der Spätbronze- und Eisenzeit) und (später) Verstorbene. Daneben gibt es Stelen, die einen Schrein darstellen, deren Inhalt im Dunkel bleibt. Ebenso unklar bleibt, ob sie Götter oder Verstorbene sybmbolisieren. Robert Wenning: „No Cult of the Dead“ vertritt die Meinung, dass es keinen Totenkult im eisenzeitichen Juda gab, schließt aber nicht aus, dass es in den Familien/Häusern kultische Verehrung der Ahnen gab. Im Rahmen des Begräbnisses spielte Totenkult jedenfalls keine Rolle. Roland Hardenberg: „Kyrgyz Funerals and Memorials from an Ethnological Perspective“ beschreibt die schwierige Entwicklung der Beerdigungskultur im nachsowjetischen Kirgistan, die sich zwischen althergebrachter islamischer, dann sowjetzeitlicher und neuer Lebenwirklichkeit und unter vielerlei Kritik, u. a. von seiten eines konservativen „truly Islam“ entfaltet. Ein Symposiums-Beitrag von Dominik Bonatz „Death Ritual, Images, and the Creation of Subjects in the Syro-Anatolian City-States“, in der Einleitung von Marlies Heinz erwähnt, ist in dem Band nicht zu finden. Pietsch, Michael: Die Kultreform Josias. Studien zur Religionsgeschichte Israels in der späten Königszeit (FAT 86). Tübingen: Mohr Siebeck 2013, 542 S. Die gründliche und umfassende neue Studie zu dem wohl markantesten Veränderungspunkt in der religionsgeschichtlichen Entwicklung Altisraels arbeitet zahlreiche, heftig umstrittene Problemfelder auf. Wie kam es zu der einzigartigen monotheistischen Gottesvorstellung in Israel bzw. im Judentum? Vf. kommt in dem heftig umstrittenen Problemknäuel durch gründliche literarische Analyse von 2Könige 22– 23, einem seit spätmonarchischer Zeit gewachsenen, differenzierten Textkomplex zu

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dem Schluss, dass die Existenz einer sich über längere Zeit erstreckenden Kultreform Josias nicht zu bestreiten sei, auch wenn der Text nicht überall historisch detailgetreu sei. Die Reform betreffe den königlich-staatlichen Kult sowie die andere Götter eliminierende Kultreinheit und -einheit: „Der Einheit Jahwes korrespondiert der reine Jahwekult“ (476). Die Reform sei auch politisch als Zentralisierungsmaßnahme zu verstehen, aber nicht (gegen H. Spieckermann) auf assyrischen Druck zurückzuführen, eine „religionsinterne Grenzziehung“, die literarisch als „Abgrenzung nach außen interpretiert wird“ (M. Weippert). Der „Reformkatalog“ 2Könige 23,4–20 und das deuteronomische Gesetzeskorpus, gern (zu Unrecht literarisch) miteinander verbunden, wiesen aber nur auf ein „gemeinsames traditionsgeschichtliches Milieu“ (481). „Das Deuteronomium ist historisch … nicht als blueprint der josianischen Reform zu betrachten“; die Reform ist aber später „als normative Auslegung der dtn Tora interpretiert und rezipiert worden“, die „in einem monotheistischen Gotteskonzept ihren Abschluß findet“ (482). Im Hintergrund dieser Entwicklungen stehen Jerusalemer Kultttraditionen und dortiges Priestertum, staatlich-königliche Interessen und, wenn auch in diesem Zusammenhang umstritten, evtl. am ehesten Zef 1,4–6*, „prophetische Kritik an den Kultbildern“ (484–486). So ist die Reform Josias „das Ergebnis eines religionsinternen Differenzierungsprozesses“ (487), wo „deuteronomische, prophetische und priesterliche Traditionen zusammenflossen“, ein religionsgeschichtlicher Prozess, zeitweise „nicht zielgerichtet“, „nicht institutionell initiiert“, über längere Zeit verlaufend, der in der Reform Josias einen „zwischenzeitlichen Kulminationspunkt“, aber noch nicht den Abschluß fand (487). Keel, Othmar: Corpus der Stempelsiegel-Amulette aus Palästina / Israel. Von den Anfängen bis zur Perserzeit. Katalog Band IV: Von Tel Gamma bis Chirbet Husche. Mit Beiträgen von B. Brandl, D. Ben-Tor und L. Pajarola (OBO. Series Archaeologica 33). Fribourg/ Göttingen 2013, 714 S., zahreiche Abb. Keel setzt sein monumentales religionsgeschichtliches und ikonographisches Werk, das man ohne Übertreibung als ein Jahrhundertwerk bezeichnen kann, mit diesem Band fort. Nach dem Einleitungsband: O. Keel: Corpus der Stempelsiegel-Amulette aus Palästina / Israel. Von den Anfängen bis zur Perserzeit. Einleitung (OBO. Series Archaeologica 10). Fribourg und Göttingen 1995) und den Katalogbänden I-III (1997, 2010 und ebenfalls 2010) sowie dem Sonderband J. Eggler/O. Keel: Corpus der SiegelAmulette aus Jordanien. Vom Neolithikum bis zur Perserzeit, OBO. Series Archaeologica 25, Fribourg und Göttingen 2006 (vgl. JLH 51 [2012], 66f zu Anlage und großer Bedeutung dieses Werkes) kann man nur wünschen, dass die Reihe weitergeht und zu einem guten Abschluss kommt. Die Bedeutung der Dokumentation der Stempelsiegel-Amulette für die Erforschung der Kultur- und Religionsgeschichte Israels/Palästinas, überhaupt die Entdeckung dieser Bildträger als Forschungsgegenstand wird immer Othmar Keels großes Verdienst sein. Er gab vor Jahrzehnten den Anstoß dazu und hat seitdem mit einer Fülle von eigenen Werken und denen seiner Schülerinnen und Schülern und der mehr oder weniger von ihm und seinem Werk inspirierten Kollegenschaft Großartiges geleistet. Münnich, Maciej M.: The God Resheph in the Ancient Near East (Orientalische Religionen in der Antike 11). Tübingen 2013, 320 S. Der Gott Rescheph wird in der Hebräischen Bibel in acht Versen genannt (7 x im AT und 1 x in einem Fragment der hebräischen Version des Buchs Sirach). Das ergäbe allein kein deutliches Bild dieser Gottheit. Die umfassende Arbeit des polnischen Historikers klärt die Hintergründe dieser biblischen Belege. Rescheph, ein wahrscheinlich ursprünglich syrischer Gott, in Texten seit der Mitte des 3. Jt. v. Chr. in Ritualtexten,

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Mythen und Götterlisten sowie Personennamen belegt, dürfte aufgrund seines Namens („Der Brennende“ o. ä.) und Beinamen, die u. a. „Pfeil“ enthalten oder ihn als „Heiler“ bezeichnen, Fieber, Seuchen u. ä. Krankheiten verursacht oder gegen sie beschützt haben. Das bestätigen ikonographische Belege, die ihn mit schützendem Schild und Waffen (u. a. Pfeil und Bogen) zeigen. In den wenigen biblischen Belegen ist dieser Charakter z. T. noch erkennbar und war den Autoren sicher bekannt, hier aber als eine Art Dämon JHWH nach- bzw. untergeordnet (Hab 3,5; Dtn 32,24). Der Name wird zunehmend entpersonalisiert, Ps 91,5f (Pfeile!) erinnert an ihn, vgl. auch Ps 76,4, wo seine Waffen (Bogen, Schild und Schwert) erwähnt werden, vgl. Ps 78,48 mit schützenden Aspekten. In Hoheslied 8,6 erscheint das Wort metaphorisch für die brennende Liebe. In Hiob 5,7 tauchen fliegende (geflügelte) Rescheph-„Söhne“ auf, die anscheinend Krankheiten verbreiten. Sirach 43,17 ist schwer verständlich, wenn das Wort mit fallendem Schnee und Vögeln in bildliche Beziehung gesetzt wird. Die größte Belegdichte (auch in Personennamen) findet sich freilich im syrischen Ebla im 3. Jt. v. Chr., im 2. Jt. dort nicht mehr, aber zahlreich in Ugarit und Emar (und in Ägypten) in Personennamen, im 1. Jt. v. Chr. mit stark abnehmender Zahl in Ägypten, Zypern und Phönizien. Die israelitischen bzw. biblischen Belege bilden ein Randphänomen, deren breiter und früher Hintergrund durch den Vf. freilich sorgfältig ausgeleuchtet wird. Leider enthält das Buch nur 6 einschlägige Abbildungen. Fischer, Alexander Achilles: Tod und Jenseits im Alten Orient und im Alten Testament. Eine Reise durch antike Vorstellungs- und Textwelten (Studien zu Kirche und Israel, Neue Folge 7). Leipzig 2014, 301 S. Dem Vf. gelingt ein Brückenschlag: Das wissenschaftlich fundiert erarbeitete Buch ist so formuliert und dargeboten, dass es dem Praktiker in der Gemeindearbeit als Basis für das ebenso schwierige wie umfassende und fundamentale Thema von Tod und Jenseits dienen kann. Dazu hilft auch die einleitende Betrachtung, die von einer eindrücklichen Szene in Albert Camus’ unvollendetem Manuskript „Der erste Mensch“ ausgeht und das menschliche Ringen mit der Erkenntnis der Endlichkeit skizziert, die Sehnsucht, sie zu transzendieren, die Kräften, die daraus erwachsen können und die Rolle, die Religionen dabei spielen können. Im ersten Teil des Buches „durchwandert“ der Vf. mit der Leserschaft „Tod und Jenseits in den Kulturen des Alten Orients“ (Ägypten, Mesopotamien, Griechenland, Syrien und Kanaan), jeweils in gut gegliederten, mit sprechenden Überschriften versehenen Kapiteln. Erfreulich, dass Griechenland ein Abschnitt von 30 Seiten gewidmet ist, denn diese antike Kultur, die engstens zu unseren Wurzeln gehört, tritt in religionsvergleichenden Studien im Bereich des AT oft hinter Ägypten und Mesopotamien zurück. Die zweite Hälfte des Buches geht dann, wie Vf. sich ausdrückt, von der Betrachtung des altorientalischen „Museums“ in die „benachbarte Bibliothek“ Israels und des Judentums und durchwandert, „stärker exegetisch orientiert“ die „Textlandschaften des Alten Testaments sowie die Topographie ihres spätbiblischen Umfelds“. „Der Tod im Alten Testament“, „Tod und Gerechtigkeit in der Weisheit“, „Auferstehung der Toten in der Apokalyptik“ und „Unsterblichkeit der Seele“ heißen die Kapitel. Abbildungen, Karten und Literaturhinweise runden das empfehlenswerte Buch ab. Frevel, Christian/ Pyschny, Katharina/ Cornelius, Izak (Hg.): A ‚Religious Revolution‘ in Yehûd? The Material Culture of the Persian Period as a Test Case (Orbis Biblicus et Orientalis 267). Friebourg/ Göttingen 2014, 440 S. Der israelische Archäologe Ephraim Stern hat die lange kaum bestrittene These vertreten, dass nach dem Ende der (neo-)babylonischen Herrschaft in der 2. Hälfte des 6. Jh. v. Chr. in der nunmehr persischen Provinz Yehûd eine „religiöse Revolution“ statt-

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Literaturbericht Liturgik. Hermann Michael Niemann fand, die zum bilderlosen Monotheismus geführt habe. Ein Workshop an der RuhrUniversität Bochum 2010 widmete sich dieser für die Religionsgeschichte Palästinas/ Israels sehr wichtigen These. Der vorliegende Band dokumentiert die Beiträge und kommt zu dem Ergebnis, dass Sterns These nicht haltbar ist. Von einem revolutionären Bruch kann nicht die Rede sein, da sich in der Region sowohl materielle Kontinuitäten als auch Diskontinuitäten zeigen. Weiterhin lassen sich deutliche Differenzen zwischen den Fundmaterialien einzelner Regionen aufzeigen, so zwischen Yehûd einerseits und Samaria andererseits, ebenfalls zwischen Yehûd und seinen Nachbarregionen. C. Frevel und K. Pyschny führen zunächst in die Thematik ein, skizzieren die These von E. Stern als Ausgangspunkt und die Zielstellung des Bandes und geben einen Vorblick auf die Beiträge. Sie schließen mit einem klaren „Nein“ zu der Buchtitel-Frage und fünf (methodologischen) Aspekten, die sich daraus für die weitere Erforschung dieser früher als „dunkel“ bezeichneten Periode, die keineswegs dunkel war, ergeben. Das klare Ergebnis beruht auf folgenden Beiträgen: L. L. Grabbe zeigt die archäologischen, speziell ikonographischen Funde verschiedenster Kategorien zwischen später Eisenzeit und frühhellenistischer Zeit in ihrer Vielfalt auf, wobei z. B. nicht vorschnell Funde als kultisch-religiös gedeutet werden sollten, womit sich ein guter Überblick über die materielle Kultur der Region ergibt. O. Lipschits und D. Vanderhooft zeigen Kontinuität wie auch Veränderungen (!) anhand der zwischen dem späten 8. und dem späten 2. Jh. v. Chr., also über politische Brüche hinweg genutzten (verschiedenartigen) Krugstempel der judäischen Administration, die übrigens Stern nicht berücksichtigt hat. Da in Sterns Argumentation das völlige Fehlen von Terrakottafigurinen in Yehud eine wichtige Rolle spielte, bietet I. Cornelius eine Typologie der zwischenzeitlichen Funde, die in Yehud zwar nicht besonders zahlreich sind, aber doch einen auffallenden Kontrast zu Funden der umgebenden Regionen (Schephelah, Idumäa) bilden. Nennenswerte ikonoklastische oder monotheistische Tendenzen im Sinne der These Sterns lassen sich nach Cornelius so nicht in Yehud feststellen. In dieser Richtung geht auch R. Schmitts Beitrag „Continuity and Change in Post-Exilic Votive Practices“ der die Fundstätten En-Gedi, Gezer, Jericho, Jerusalem, Tell en-Nasbe und Ramat Rahel heranzieht. Dass in der Perserzeit Figurinen als Votivgabe graduell abnehmen, hat nach Schmitt keinen ikonoklastischen oder monotheistischen Hintergrund, sondern hat verschiedene andere Gründe, z. B. zunehmende finanzielle Votivgaben und Votiv-Inschriften. In einem sehr umfangreichen Beitrag behandeln C. Frevel und K. Pyschny „Perserzeitliche Räucherkästchen“. Stern hatte sie als (pagane, assyrische) Kultobjekte außerhalb von Yehud interpretiert und gemeinsam mit dem Fehlen von Figurinen in Yehud so interpretiert, dass Yehud im Rahmen seiner vermuteten „religiösen Revolution“ alle diese Objekte im Interesse eines reinen jahwistischen Monotheismus entfernt habe. Frevel und Pyschny stellen diese These in Frage, bezweifeln z. B. auch den pagan/assyrischen und den kultischen Charakter. Auch dass sie in Yehud nicht gefunden wurden, hänge eher z. B. mit Yehuds abseitiger Lage und dem ärmlichen ökonomischen Niveau zusammen. Auch sei das ikonographische Design nicht phönizisch, sondern lokal. Da Stern meinte, Samaria sei ebenso wie Yehud im Süden von der „religiösen Revolution“ berührt, sind die drei folgenden Beiträge wichtig. P. Wyssmann vergleicht die Münzbilder in Yehud und Samaria. Samarische Münzen zeigen persische, griechische, aber auch athenische und sidonische Motive und solche aus Tarsos, man findet Zeus, Baal, Herakles, Bes, Athene u. a., während Motivrepertoire in Yehud sehr begrenzt ist, worin sich der unterschiedliche religiöse und kulturelle historische Kontext der Regionen zeige. M. J. W. Leith weist dagegen im numismatischen Bereich auf kulturelle Kontinuitäten zwi-

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schen dem monarchischen Israel des 8. Jh.s und der persischen Provonz Samaria. Sie weist auf Beziehungen von samarischen Münzen des 4. Jh.s v. Chr. zu Bildern in der (israelitisch geprägten) Handelsstation Kuntillet Ajrud aus dem 8. Jh., zu dem anscheinend die samarischen Münzprägungen eine Traditionsverbindung herstellten. S. Schroer und F. Lippke beschäftigen sich mit spätpersischen Bullen aus dem samarischen Wadi ed-Daliye-Archiv, wo hellenische (viel), persische und lokale Motive auftreten, was auch wieder E. Sterns These widerspricht. A. Nunn beschließt den umfangreichen Band und zeigt, dass aufgrund recht begrenzter Quantität attischer Fundkeramik der Schluß naheliegt, dass nur wenige Griechen ständig hier siedelten und die Keramik wohl von Einheimischen genutzt wurde – als Modeerscheinung. Auch wenn dies so war, werde immerhin eine gewisse (ökonomische und kulturelle) Offenheit erkennbar. Snell, Daniel C.: Die Religionen des alten Orients. Darmstadt 2014, 208 S. An Darstellungen der Religionen des Alten Orients herrscht kein Mangel. Das vorliegende Buch hat Besonderheiten. Es ist kein umfangreiches, „erschöpfendes“ Werk. Das kann schon ein Vorteil sein. Ganz neue Erkenntnisse findet der Fachmann weniger, aber dafür bietet die didaktisch sehr geschickte Darstellung viele originelle Durchblicke. Vf. behandelt ungeachtet der beiden Schwerpunkte Mesopotamien und Ägypten sowie (kürzer) „Israel und sein Umfeld“ und (noch kürzer) Persien, Phönizien, Syrien, Griechenland, Etrurien und Rom, insgesamt also die religiöse Welt des Nahen Ostens und des Mittelmeerbereichs nicht als schroff separierte jeweilige Religionsbereiche, sondern als mehr oder weniger zusammenhängenden, mehr oder weniger diffundierenden Kulturraum. Die 14 Kapitel werden gerahmt von einer einleitenden „Definition von Zeit und Raum“ und zwei ausleitenden Kapiteln „Die tote Hand der Vergangenheit und der lebendige Gott“ und „Religiöse Erfahrung im alten Orient“. Auffallend und sehr angenehm ist der flüssige, geradezu faszinierende Erzählstil, auch die Verständlichkeit, in der z. B. Karl Jaspers Theorie der „Achsenzeit“ und das Konzept von „Sekundären Religionen“ dargelegt wird (im Kapitel „Die Wende“). Anmerkungen gibt es nicht, nur gelegentlich kurze Autorenhinweise im laufenden Text. Und Vf. holt mit einem originellen Kunstgriff die alten Religionen und Epochen lebendig in die Gegenwart, indem die Kapitel mit je einer imaginierten Szene aus der alten Zeit und Religion beginnen: So treten z. B. zahllose (arbeitslos werdende) Amun-Priester in el-Amarna auf, die dorthin beordert wurden, sehen verständnislos die völlig anders gearteten Aton-Tempel und müssen Pharao Echnaton huldigen, der zu ihrem Entsetzen ohne würdevolle Unnahbarkeit, aber dafür mit Königin und Töchtern auf seinem Wagen als durchaus menschlicher Familienvater an ihnen vorbei in den sonnendurchfluteten Hof des Atontempel fährt. Oder – um die Atmosphäre internationalen Austausches zwischen 1400 und 1000 v. Chr. zu kennzeichnen – es wird die beschwerliche Reise einer babylonischen Prinzessin zu Lande und zu Wasser an der Levanteküste hinab und den Nil hinauf zum Pharaonenhof zwecks diplomatischer Heirat sehr menschlich und fast humorvoll beschrieben. Oder Vf. „berichtet“ von Gesprächen zwischen einem exilierten Juden und einem skeptischen, aber durchaus frommen babylonischen Mathematiker und Astronomen und den Verstehens-Schwierigkeiten, die der babylonische „Polytheist“ und der jüdische „Henotheist/Monotheist“ miteinander bekommen oder er erzählt die letzten Meditationsgedanken Zarathustras vor seinem gewaltsamen Tod. Eine für breite Leserschaft sehr lohnende Lektüre! Feldmeier, Reinhard: Der Höchste. Studien zur hellenistischen Religionsgeschichte und zum biblischen Gottesglauben (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 330). Tübingen 2014, 561 S.

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Literaturbericht Liturgik. Hermann Michael Niemann

Hinter dem lakonischen Titel „Der Höchste“ verbergen sich 27 gehaltvolle Studien. Die ersten sieben behandeln „Philosophie und Religion in der späteren Antike“, vier davon beschäftigen sich mit dem „Philosophen und Priester“ Plutarch, eine mit dem Thema „Unsterblichkeitshoffnung“ und eine schlägt einen großen Bogen um „Die Interaktion von Weisheit und Religion in der späteren Antike“. Der zweite Teil mit zehn Studien steht unter der Überschrift „Biblische Theologie zwischen Abgrenzung und Überbietung“. Hier findet die Leserschaft im ersten Aufsatz den Buchtitel: „Das Gottesprädikat Hypsistos in der paganen Religiosität, in der Septuaginta und im lukanischen Doppelwerk“, weiterhin Studien, die biblische Gottesaussagen mit stoischen und jüdischen Texten und Themen in Verbindung setzen. Geradezu spannend und erhellend sind dabei z. B. die Aufsätze „Henoch, Herakles und die Himmelfahrt Jesu“ sowie die souveräne Darstellung „Vom Totengericht zum Jüngsten Gericht“. Bei dem dritten Teil „Der Heilige. Die Unverfügbarkeit des nahegekommenen Gottes“ mit zehn Studien fällt mir eine Auswahl schwer, weil fast alle Studien besonders bemerkenswerte Themen aufgreifen und sehr anregend sind, so „Biblischer Monotheismus und Toleranz“, „Der unsichtbare Gott und die menschlichen Sinne“, „Gott und die Zeit“, „Theodizee? Biblische Überlegungen zu einem unbiblischen Unterfangen“, „Die Erfahrung der Gottesfinsternis und die Verortung des Schrecklichen in Christus“ sowie „Ränder des Gottesglaubens: Die Engel“. Eshel, Esther/ Levin, Yigal (Hg.): „See, I will bring a scroll recounting what befell me“ (Ps 40: 8): Epigraphy and Daily Life from the Bible to the Talmud – Dedicated to the Memory of Professor Hanan Eshel (Journal of Ancient Judaism, Supplements 12). Göttingen 2014, 245 S. Das Besondere und Erwähnenswerte an diesem Band besteht darin, dass er durch die Veröffentlichung und Interpretation von außerbiblischen israelitischen, judäischen, philistäischen Inschriften, aramäischen und lateinischen Texten sowie Überlegungen zur Schriftlichkeit, Schriftentwicklung und dem Stand der Literalität in Israel/Palästina von der Königszeit (8. Jh. v. Chr.) bis in die Hasmonäerzeit, in die Zeit des frühen Christentums und des Talmuds unser Bild von Kultur und Leben Israels, Judas und seiner Nachbarn und damit den historischen Hintergrund und Wurzelboden der biblischen Schriften Alten und Neuen Testaments weiter erhellt und ausleuchtet. Im Einzelnen behandelt nach einer Würdigung des Werkes von H. Eshel, der sich u. a. um die Edition und Interpretation der Texte vom Toten Meer verdient gemacht hat, S. Ahituv die berühmten Inschriften von Kuntillet ʿAǧ rud nach ihren linguistischen und religionsgeschichtlichen Implikationen. Ahituv und A. Mazar bieten eine Zusammenfassung und Interpretation aller Inschriften des 10.–9. Jh. v. Chr., die auf dem wichtigen Tell Rehov südlich des Sees Genezaret bzw. von Beth-Schean gefunden wurden, Inschriften aus einer Epoche, wo die Inschriften ziemlich selten sind. Interessant sind sie auch, weil dort der Name *Nemesch, Vaters-/Clan-Name eines späteren Königs von Israel, Jehu ben Nimschi, gefunden wurde ebenso wie evtl. der Name Elischa. Über evtl. Verbindungen der Namensträger zu biblischen Gestalten wird sorgfältig und vorsichtig zu diskutieren sein. Die Vf. stellen die Inschriften vom Tell Rehov in den Kontext der bisher bekannten Inschriften des 10./9. Jh. v. Chr. Der nächste Beitrag von A. M. Maeir und E. Eshel stellen vier (sehr) kurze (Namens-)Inschriften aus der späten Eisenzeit IIA (2. Hälfte des 9. Jh. v. Chr.) von dem philistäischen Tell es-Safi/ Gath vor. Eine der Inschriften lautet RPᵓ und wird mit Vorsicht als Clan- bzw. Familien-Name gedeutet (pl. Rephaᵓim!). Die Vf. weisen darauf hin, dass der Inschriftenbestand damit bescheiden ist, aber im Gebirge Juda war er in dieser Zeit noch bescheidener, wenn überhaupt existent, so dass von kultureller Beeinflussung von Juda her nach

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Westen ins Schefela-Hügelland und in die philistäische Küstenebene nicht die Rede sein könne. A. Demsky gibt einen Überblick über die Literalität in Alt-Israel. L. L. Grabbe setzt das fort, indem er unter Rückgriff auf Ben Sira und das hellenistische Ägypten über (Dorf-)Schreiber und ihre Funktion, Grad der Schriftkundigkeit in der Zeit des 2. Tempels berichtet und die Situation in Juda/Yehud ähnlich wie in der hellenistischen Gesellschaft auch anderer Regionen beurteilt. Ein Team (B. Zissu u. a.) beschreibt ein aramäischsprachiges und ein lateinisches Graffito auf einer Ölpresse des 1./2. Jh. n. Chr. in einem Ort in der Schefela, das die Anwesenheit römischer Besatzungstruppen dort nahelegt. U. Rappaport gibt einen Einblick in Münzbeschriftungen und die Ikonographie seit persischer Zeit mit Schwerpunkt auf hasmonäischen Münzen. D. Amit beschreibt Brotstempel, die neben Namen auch Abbildungen wie Leuchter oder einen Palmzweig zeigen neben Siegel(bullen), die Gefäße mit Flüssigkeiten (Öl oder Wein) verschlossen haben. E. Klein und H. Mamalya stellen zwei christlichnabatäische Grabstätten in der Negev-Wüste (bei Nessana und Sobota) aus der byzantinischen Zeit mit ihren griechisch beschrifteten Grabsteinen vor. Sugimoto, David T. (Hg.): Transformation of a Goddess: Ishtar – Astarte – Aphrodite (Orbis Biblicus et Orientalis 263). Fribourg/ Göttingen 2014, XIV, 224 S., 100 Abb. Verbirgt sich hinter den Namen Ischtar bzw. Astarte bzw. Aphrodite nur eine Göttin oder welche Beziehungen bestanden zwischen diesen Namen evtl. völlig unabhängiger Göttinnen? Unter diesen Namen auftretenden Gottheiten wurden in verschiedenen Regionen der Mittelmeerwelt und in Mesopotamien zwischen dem 3. Jt. und der hellenistischen Zeit durchaus unterschiedliche Attribute, Aspekte und Wesenseigenschaften sowie Begleitungen zugeschrieben, auch unterschiedliche männliche Gottheiten. Die Frage wird gestellt, erhält aber keine klare Antwort. Die Verschiedenheiten der Beschreibungen der Göttin(nen) „may reflect the social demands of each society, in which a particular form of a goddess was worshipped“ (VIII). Klar wird aber, dass in die Beschreibungen dieser Göttinnen sich auch Aspekte anderer altorientalischer Göttinnen mischen (Inanna, Isis, Hathor, die sog. Himmelskönigin, Tanit u. ä.). Zwei einleitende Beiträge befassen sich mit der mesopotamischen Ischtar/Inanna als Göttin der Liebe und der Sexualität und untersuchen die sog. „Heilige Hochzeit“ in sumerischer und nachsumerischer Zeit sowie die Ikonographie der „Geflügelten Ischtar“, deren Flügel Omnipräsenz und Schutz symbolisieren. Mark S. Smith (ʿAthtart in Late Bronze Age Syrian Texts) bietet eine breite Übersicht der Göttin in Kulttexten, als Göttin der Jagd und des Krieges, ihre Beziehungen zu anderen Gottheiten, ihre Begleittiere und „internationale“ Kontakte mit anderen Gottheiten. Izak Cornelius („Revisiting“ Astarte in the Iconography of the Bronze Age Levant) weist auch auf Schwierigkeiten der Identifizierung aufgrund der Beziehungen mit anderen Göttinnen. Keiko Tazawa behandelt „Astarte in New Kingdom Egypt: Reconsideration of Her Role and Function“. Stéphanie Anthonioz behandelt „Astarte in the Bible and her Relation to Asherah“. Der Herausgeber widmet sich den in letzter Zeit (E. Darby) umfassend behandelten „Judean Pillar Figurines and the ‘Queen of Heaven’“. Elizabeth Bloch-Smith’s Beitrag bietet einen nützliche Zusammenstellung: „Archaeological and Inscriptional Evidence for Phoenician Astarte“, die von der Levanteküste weit nach Westen bis Karthago, Malta und Sizilien reicht. Am Ende behandelt Stephanie L. Budin („Before Kypris was Aphrodite“) den Weg von der erotischen (National-)Göttin des spätbronzezeitlichen Zypern, Kypris, die nachweislich spätestens seit dem 4. Jh. v. Chr. zur Aphrodite Kypria wurde. Lohwasser, Angelika (Hg.): Skarabäen des 1. Jahrtausends. Ein Workshop in Münster am 27. Oktober 2012 (Orbis Biblicus et Orientalis 269). Fribourg/ Göttingen 2014, 200 S.

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Literaturbericht Liturgik. Hermann Michael Niemann

Spätestens seit den bahnbrechenden Forschungen und Publikationen von Othmar Keel und seinen MitarbeiterInnen in Fribourg hat die Bibelwissenschaft und die Erforschung der Religionsgeschichte Israels und Judas den hohen Wert der Siegel, Bullen, Skarabäen und Amulette erkannt. Der von der Münsteraner Ägyptologin A. Lohwasser veranstaltete Workshop verbreitert die materielle Basis weiter, indem aus Ägypten, Phönizien, Nordsyrien bis in die Ägäis und Italien sowie aus Nubien Bildträger vorgestellt und interpretiert werden, die zeitgenössisch mit Israel und Juda deren kulturellen Kontext deutlicher machen. Besonders wichtig ist hier der Beitrag von Robert Wenning: „Stempelsiegel-Amulette aus den Gräbern der Eisenzeit in Juda im Kontext“, der enorm viel Material zusammenträgt. Wer die Publikationen von O. Keel, Chr. Uehlinger, S. Schroer, Chr. Herrmann u. a. zu diesen Materialien kennt, wird leicht in den hier dargestellten Fundstücken Ähnlichkeit und Differenz, Kontinuität und Wandel der Gattungen erkennen. Hulster, Izaak de/ Strawn, Brent A./ Bonfiglio, Ryan P. (Hg.): Iconographic Exegesis of the Hebrew Bible / Old Testament. An Introduction to Its Method and Practice. Göttingen 2015, 383 S., 303 Abb. Ein höchst nützliches Buch für die Leserschaft dieses Jahrbuches, und wohl das erste seiner Art überhaupt! Es handelt sich um ein Lehr- und Studienbuch, dessen Ziel und Inhalt Titel und Untertitel präzise benennen. Auf der Basis der bahnbrechenden Arbeiten der letzten Jahrzehnte von Othmar Keel (dem es gewidmet ist) und seiner Schülerschaft bietet das Buch zunächst eine methodische Einführung in „the use of visual materials (iconography) in textual analysis“ (11). Der Hauptteil führt die Exegese dann zwar mit Schwerpunkt Ikonographie, aber ohne Vernachlässigung üblicher Aspekte der Exegese durch den gesamten Kanon exemplarisch vor in fünf Kapiteln zur Tora/Pentateuch, sieben Kapiteln zu den Propheten und sechs Kapiteln zu den Ketubim/Schriften einschließlich Judith. Didaktisch sorgfältig vorgehend und reich mit Illustrationen versehen, handelt es sich bei den exemplarischen Exegesen sinnvollerweise um besonders wichtige Texte und Themen, im erstenTeil zur Tora z. B. um „Israel’s Cosmic Geography“ anhand von Gen 1,1–2,4a, oder „The ‚Pagan‘ Prehistory of Genesis 22,1–4: The Iconographic Background of the Redemption of a Human Sacrifice“, um die ikonographischen Aspekte des biblischen Gottesbildes im Vergleich zu den anderen altorientalischen Kulturen der Umwelt Israels oder um die Ikonographie der Exodus-Tradition. Der zweite Teil zu den Propheten behandelt z. B. Jes 6 als Beispiel für „Angels and Iconography“, Jes 14,9 im Blick auf „Throne in der Unterwelt/ Scheol“, Jes 56 und sein „bildloses Gottesbild“ („the Aniconic Image“, Yad waSchem!), die Jahwe-Vision Sacharja 4,1–14 oder die Metapher des Kriegsbogens/ Bogenschützen in Sacharja 9 und was (wer!) dahintersteckt. Der dritte Teil zu den „Schriften“ bietet erwartungsgemäß drei Kapitel zur Ikonographie der Psalmen, nämlich zur Löwenjagd (und wer alles hinter dem Löwenbild stecken kann), zu Ps 63 (es geht vor allem um den „Schatten der Flügel“) sowie um Ps 81 und Bilder göttlicher Gewalt, aber auch zur Ikonographie des überaus bilderreichen Hohenliedes, speziell zu HL 7,2–6. T. Staubli bietet, ausgehend von den Judith 15,12f erwähnten Zweigen eine enorme Fülle von ikonographischem Material und ihre Deutung weit über die Bibel hinaus bis in die muslimische und jüdische Gegenwart. Alle exemplarischen Darstellungen geschehen auf dem Hintergrund der das Buch eröffnenden, oben genannten methodischen Einführung (19–42), die nicht nur darauf hinweist, dass wir durch die Entdeckungen und Forschungen der letzten Jahrzehnte mehr Bildmaterial als Texte zur Verfügung haben. Es wäre auch ein verheerendes Missverständnis, Bilder als bloße Dekoration zu sehen, da sie in der antiken Welt mit einer sehr geringen Lite-

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ralität eine entscheidende Komponente der kulturellen Symbolsysteme waren. Und zahllose biblische Texte beziehen sich verbal direkt und indirekt auf Bilder und Bildträger aller Art, die durch ikonographisches Material überhaupt erst oder besser verstanden werden können. Das Verhältnis von Bild und Text wird in der Einführung theoretisch und an praktischen Beispielen erläutert, Bildtypen und Bildträger werden vorgeführt und die Methoden des Lesens und Interpretierens des Bildes (nach E. Panofsky und O. Keel) bis hin zur praktischen Frage, wie man Bilder in Studien (auch hinsichtlich der Bildrechte) präsentieren sollte. Eine im besten Sinne praktische Einführung in ein sehr wichtiges Thema! Wagner, Andreas (Hg.): Göttliche Körper – Göttliche Gefühle. Was leisten anthropomorphe und anthropopathische Götterkonzepte im Alten Orient und Alten Testament? (Orbis Biblicus et Orientalis 270). Fribourg/ Göttingen 2015, 275 S. Der Hg. führt zunächst in die Thematik und Zielstellung sowie die gegenwärtige Forschung ein: Körper als Produkt von Kultur und Geschichte, Körpergeschichte, Körper und Emotionen, der Körper und seine Funktion als sozialer Bedeutungsträger (bei Mensch und Gott/Göttern). I. Wunn setzt in der vorgeschichtlichen Religion ein. „Götter fielen nicht vom Himmel, sondern entwickelten sich aus sehr viel älteren Vorstellungen, an deren Anfang zunächst ein Verstorbener stand, der als in einer anderen Welt weiterexistierend gedacht wurde.“ (43f). Ahnen wurden zu Heroen, Darstellungen von einer Urmutter finden sich, von Gesten sowie die Betonung von Funktionen durch übergroß dargestellte Körperteile (7f). B. Pongratz-Leisten stelt sich der Frage des Verhältnisses von Person und Körper bei mesopotamischen Göttern, die nicht automatisch zusammenfallen. „Göttlichkeit ist nicht auf die anthropomorphe Gottesvorstellung beschränkt, sondern schließt leblose Objekte mit ein…“ (108). Eine göttliche Person ist ein „Konglomerat von Einzelteilen, die unabhängig für die ganze Person agieren“. Pongratz-Leisten spricht von einer „Extension des Körpers in sekundäre Handlungsträger, die sowohl belebte wie unbelebte Subjekte mit einschließt“ (S. 115). Was heißt dann „Inkarnation“? Ein Kultbild ist dann „vor allem als Medium der Kommunikation und nicht als Inkarnation der Gottheit“ anzusehen. Das Kultbild funktioniert als „Lokalität für die ständige Epiphanie der Gottheit, für die soziale Interaktion zwischen Mensch und Gottheit“ (114). Die Differenz von Körper und (göttlicher) Individualität betont auch der Beitrag von A. Nunn. So wird ein anthropomorpher mesopotamischer Gott allenfalls an der Hörnerkrone erkannt. Höchste Götter werden nicht teriomorph oder als Mischwesen dargestellt, weil der menschliche Körper als „Körpermetapher der Ordnung“ gilt, tierische und gemischte als Metaphern des Chaos. Interessant ist Nunns Hinweis auf eine „göttliche Präsenz ohne Körper“, die meist nur mit Israel verbunden wird, für die es aber zahlreiche Funde in Syrien und Anatolien, aus Mari und Ebla gebe mit „bildlosen Kultobjekten“, die als „Medium der Kommunikation“, als „bildlose symbolische Repräsentation“… „begleitet von mentalen Vorstellungen über zugehörige Götter“. P. Machinist ergänzt die Darstellung zu Mesopotamien, während Mark S. Smith sich den Anthropomorphismen in der Götterwelt Ugarits widmet. Erhellend ist der Beitrag von H. Niehr, der – ebenfalls zu Ugarit – auf des Königs zwei Körper (body natural und body politic) weist, dem des sterblichen Amtsinhabers und dem des unsterblichen Amtes. Und er zeigt, dass die Götter- und Menschenwelt in Ugarit durch zusammenhängende Hierarchien verbunden sind, zu einem kosmischen System gehörend. Durch Anthropomorphismen ist eine Visualisierung möglich, sprachlich mental und bildlich-materiell, so können Götter als Personen erscheinen, wie Niehr an ugaritischen Epen zeigt. Chr. Maier weist bei der Betrachtung von Gottes Körper im Alten Testament darauf hin,

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Literaturbericht Liturgik. Hermann Michael Niemann dass dort nicht von einem geschlechtlich differenzierten Körper zu sprechen sei, vielmehr seien bei Jahwe soziale Rollen prägend, die an den Rollen des Königs orientiert seien. Maier zeigt aber auch gegenüber dem Bild eines geschlechtslosen Gottes auf weibliche Rollen, die aber auch wieder nicht einseitig zu betonen seien. Zwar bleibe der Körper Gottes im AT „geschlechtlich indifferent“, Gottes „metaphorische Charakterisierung“ umgreife aber beide Geschlechter (188). M. Köhlmoos wendet sich dem Thema Gefühle und Emotionen zu (Emotionen: ein mehr oder weniger objektiver Sachverhalt, Gefühle seien deren subjektives Erleben) mit sorgfältigen begrifflichen Grundlegungen (für Gefühl und Fühlen gibt es im Hebräischen kein Wort), am ergiebigsten in den Psalmen, Jesaja, Jeremia und Deuteronomium, freilich kaum narrativ, allenfalls über Zorn, Reue und Mitleid Gottes, sonst eher in Redeform. Hos 11,1– 9 betrachtet Köhlmoos sorgfältig. Hier sei bei der Analyse der Gefühle Gottes auch auf die (mögliche) Wirkung auf die Hörerschaft zu achten. K. Müller konzentriert sich auf den Emotionsbereich „Liebe“. Sie untersucht zu Vergleichszwecken Beispielen deutscher Sprache, wo sie auf die „Behältermetapher“ trifft: „Voll sein“ von Liebe wie ein Gefäß mit Flüssigkeit, ein anderes Konzept im Deutschen sei das der Flamme, da „Liebe brennt“. Es findet sich kein einziges Beispiel für diese Metapher bei den 251 hebräischen Belegen von ʾhb. Bei dem sehr wichtigen Beleg Dtn 6,5, der die Liebe zu Gott zum Thema hat, werde der (ganze) Mensch nicht in Leib, Seele und Geist aufgeteilt, sondern nach hebräischem Verständnis des ganzen Menschen in Herz (=Rationalität), Näfäsch (=Bedürftigkeit/Lebendigkeit) und körperliche Kraft (230). „Liebe scheint also durch bestimmte Geschehnisse und Gegebenheiten bedingbar zu sein, dem Konzept des Redens über die Liebe liegt im biblischen Hebräischen ein gewisses ‚Kausalitäts-Denken‘ zugrunde.“ (230). Dann ist es, wie der Hg. feststellt, bemerkenswert, dass sich in der gesamten Bibel keine Begründung findet, warum Gott Israel liebt, so dass im Gegensatz zur Liebe des Menschen die Liebe Gottes „unbedingt“ ist (28).

3. Exegetische Arbeiten zu Fragen des Gottesdienstes 3.1 Umfassend zum Psalter Ruwe, Andreas: Die Psalmen zum Betrachten, Studieren und Vorlesen. Eine textanalytische Übersetzung. Zürich 2012, 224 S. Wesentliches über die Zielrichtung des Buches sagen Titel und Untertitel aus. Dass die Psalmen, „die Kleine Biblia“ (M. Luther) als poetisches Konzentrat biblischer Theologie immer wieder neu für die Gegenwart zu erschließen aller Mühen wert ist, hat auch den Vf. dazu verlockt, einen solchen Versuch zu unternehmen. Er hat die Psalmen neu übersetzt und in seinem Unterricht erprobt. Bei der Darbietung des Textes ist es ihm wichtig, „die individuelle Textgestalt der Psalmen durch grafische Mittel sinnfällig zu machen“. Die Kommunikationsformen „Mensch – Mensch“, „Mensch – Gott“ (Gebet) und „Gott – Mensch“ werden im Druck farblich unterschieden. Das hilft, „das argumentative Gefälle eines Psalms zu überblicken und bei der Lektüre präsent zu halten“. Wörtliche Rede (ersten, zweiten und dritten Grades) wird ebenfalls farblich differenziert, was bei Redetexten wie den Psalmen als Signal von Bedeutung ist. Haupt- und Unterabschnitte kennzeichnet Vf. durch Sternchen. Bilder des spätantiken

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Chludov-Psalters aus Konstantinopel schmücken die nützliche Arbeitshilfe, die mit kurzem Glossar und Literaturverzeichnis abgeschlossen wird. Rechberger, Uwe: Von der Klage zum Lob. Studien zum „Stimmungsumschwung“ in den Psalmen (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 133). Neukirchen-Vluyn 2012, 399 S. Vf. stellt fest, dass der vieldiskutierte, in der Regel mit einem (priesterlich-institutionellen) Zuspruch an den Psalmbeter in Zusammenhang gebrachte „Stimmungsumschwung“ von der Klage zum lobenden Dank anders zu erklären sei. Er zeigt anhand von Ps 3, 6 und 22, dass im und mit dem Vorgang des Betens des Psalms zugleich (durch Rezeption, Integration und Interaktion) die Erhörungs-Erfahrung bei dem Beter ankommt. Der Psalm ist ein „komprimierter Gebetsprozess“, der zeitlich mehr oder weniger lange auseinanderliegende Erfahrungen von Angst und Not sowie Bitte um Hilfe und Erhörung zusammenführt. Es handele sich bei den entsprechenden Psalmen um „gezielte und zielorientierte Prozesse der Gebets- und ‚Vertrauensarbeit‘“ (344). Die entsprechenden Psalmen haben Prozesscharakter. Der enthaltene „Stimmungsumschwung“ ist „kein Phänomen auf der Einzelsatzebene. Der Psalm als ganzer betreibt den Prozess der Wende und trägt den ‚Stimmungsumschwung‘“ (346). Der „Stimmungsumschwung“ als „Gelenk des Textes“ (W. Iser) „bietet jedem individuellen Leser durch das ganze Psalmengebet hindurch ein Beteiligungsangebot zum Mitvollzug und zur Sinnkonstruktion“ (349). Dabei ist wichtig, dass bei dieser Interaktion nicht nur Text und Beter, sondern auch Gott selbst als „Interaktant“ zugehörig ist. „Im Nachvollzug des psalminternen Sprechaktwechsels schenkt Gott Erhörungsgewißheit“ (350). Paradigmatischen Charakter bekommt die im „Stimmungsumschwung“ erscheinende Erhörung dadurch, dass die Psalmen „kanonisch gewordenes Gotteswort“ mit einer „‚sakramentalen Kraft‘“ sind. „Ausschlaggebend … bleibt jedoch immer Gottes Gnade“ (350). Insgesamt schlägt Vf. vor, statt von einem „Stimmungsumschwung“ künftig von einer „Wende“ zu sprechen, die, wenn man Ps 6,5 betrachtet, eine „Wende in Gott“ bedeutet, „verbunden mit seiner Hin-Wendung [zum Beter] und damit seiner Wendung der Wirklichkeit“ ist (351f). Weber, Beat: „Wie ein Baum, eingepflanzt an Wasserrinnen“ (Psalm 1,3). Beiträge zur Poesie und Theologie von Psalmen und Psalter für Wissenschaft und Kirche. Hg. T. Uhlig (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 41). Leipzig 2014, 543 S. Die stattliche Sammlung von Beiträgen hat einige Qualitäten und Besonderheiten: Sie stammt von einem „Praktiker“, der aber neben dem Pfarramt als Dozent Altes Testament lehrt, der weiterhin durch zahlreiche frühere Publikationen besonders zu den Psalmen gut ausgewiesen ist. Die Studien greifen konstruktiv in das laufende Fachgespräch ein, sprach- und literaturwissenschaftlich (poetologisch) fundiert, hinsichtlich der synchronen wie auch diachronen Auslegung von einzelnen Psalmen und deren Trägerkreisen als auch im Blick auf eine Psalter-Theologie insgesamt und seine Sammlungen mit einem kanonischen Ansatz. Drittens sind die Beiträge nicht einfach wieder abgedruckt, sondern überarbeitet und an den heutigen Forschungsstand angepaßt. Sie dienen dadurch wissenschaftlicher Theologie und angewandter Gemeindearbeit gleichermaßen. Im ersten Teil finden sich drei grundlegende Studien zu Forschungsgeschichte und dem Ansatz des Vf., zur Poetologie der Psalmen und Grundsatzüberlegugen zum Psalter als Buch und Kanon. Der zweite Teil bietet elf Aufsätze zu den Psalmen 1, 3, 13, 30, 74 und 79, 77, 78, 81, 83, 88 und 130, wobei „sprechende“ Überschriften die Zielrichtung der Analysen sehr schön klarstellen. Der dritte Teil enthält sieben Beiträge, die nach Trägerkreisen und der Theologie von Psalmengruppen und dem Psalter insgesamt fragen, z. B. von Ps. 1(–2), Ps. 1–3, dem Asaph-Psalter, Ps. 78 als

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„Mitte“ des Psalters, nach Weisheitstheologie, Makarismen und Eulogie und über den „Sondercharakter des Psalmenbuchs innerhalb der Heiligen Schrift“. Der vierte Teil bietet sieben Studien unter dem Thema: „Psalmen in Seelsorge und Predigt“. Hier findet man einen Aufsatz, der den meditativen Weg des Psalmgebets thematisiert, der nicht bei der Klage stehenbleibt, sondern im Gespräch mit Gott zur „Leidensbewältigung“ führt; zwei Predigten (zu Ps 4 und 31) exemplifizieren das neben Predigten zu Ps 49, 121, 126 und 127, die alle die Begabung des Vf. zu sprechenden Überschriften und Themen zeigen. So liegt ein wertvolles Buch zwischen Wissenschaft und Praxis vor. Saur, Markus (Hg.): Die kleine Biblia. Beiträge zur Theologie der Psalmen und des Psalters (Biblisch-Theologische Studien 148). Neukirchen-Vluyn 2014, 155 S. Die Beiträge teilen bei unterschiedlicher Thematik die Überzeugung, dass Exegese der einzelnen Psalmen und ihr Verständnis im Kontext des Psalters zusammengehören. Das zeigt sich gleich bei J. Bremer, der von fünf wesentlichen „Themenlinien“ durch den gesamten Psalter eine davon, die sog. „Armentheologie“ der Psalmen, in ihren Entwicklungen durch die fünf Psalmenbücher und das „Schluss-Hallel“ verfolgt und in acht „Strukturbeobachtungen“ differenziert. C. Körting hinterfragt die seit H. Gunkel klassische Definition der Zionslieder. Sie schlägt den Bogen weiter, bleibt nicht bei Gattungen, formalen Analysen der Texte stehen, bezieht Qumran und nicht nur Hymnen, sondern Klagen über das zerstörte Zion ein, ihr ist als inhaltliches Merkmal die Verbundenheit JHWHs mit Zion wichtig(er). R. Müller behandelt unter der Überschrift „Das befestigte Herz“ und mit einem interessanten Seitenblick auf ein fragmentarisches mesopotamisches Relief des späten 3. Jt. „Psalm 57 und die kosmologische Dimension der althebräischen Anthropologie“. M. Oeming beschreibt in seinem Beitrag „ER ist der König der Ehre“ nicht nur die Wandlungen in der neueren Forschungsgeschichte, sondern begründet gemäß seinem Untertitel „Die Königsherrschaft Gottes als ein theologisches Leitbild im Buch der Psalmen“, in der sich die Jerusalemer davidische Königsideologie spätestens der späten Königszeit spiegele (M. Leuenberger u. a.) seine These, dass in spätpersisch-hellenistisch-hasmonäischer Zeit die Vorstellung von der Königsherrschaft JHWHs in und über den Psalter hinaus tragende Bedeutung bekam. Er betrachtet in diesem Sinne exemplarisch Ps. 93. Der letzte Beitrag stammt vom Herausgeber M. Saur: „Die Weisheitspsalmen Ps 49 und Ps 73 und ihre Bedeutung für die theologische Architektur des Psalters“. Schnocks, Johannes: Psalmen. Grundwissen Theologie (UTB 3473). Paderborn 2014, 167 S. Vf. betont die aktuelle Forschungslage, die ohne völlige Aufgabe der traditionellen Formen- und Gattungsforschung inzwischen literaturwissenschaftlich von einem „geschichtlich gewachsenen Buchzusammenhang“ ausgeht und Exegese der einzelnen Psalmen in ihrem unmittelbaren Kontext und im Gesamtkontext des Psalters betreibt. Entsprechend geht das erste Kapitel davon aus, dass die Psalmen bekanntlich Poesie seien und zieht daraus die hermeneutischen Konsequenzen. Kapitel 2 beschreibt die Probleme neben den Verdiensten der traditionellen Formkritik. Kapitel 3 und 4 skizzieren die Methodik heutiger Psalterexegese, deren strukturelle Schwerpunkte (synchron) Kompositionsstrukturen und (diachron) Redaktionsgeschichte bilden. Kap. 5 widmet sich der Besonderheit des Psalmenbuches innerhalb der Hebräischen Bibel als poetisch konzentrierte Theologie, was auf die Rolle des Psalters in der Liturgie führt. Kapitel 6 und 7 beschreiben folgerichtig wichtige anthropologische und theologische Themen des Psalters. Eine der Stärken des Büchleins ist die klare, verständliche Sprache, eine andere die prägnante Kürze und Übersichtlichkeit der Darstellung. Weiter-

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hin werden mehrfach kurze Beispielpsalmen bei den Arbeitsschritten vorgeführt. Die Kürze des Buches kommt Studierenden und interessierten Laien sehr entgegen. Mtata, Kenneth/ Niebuhr, Karl-Wilhelm/ Rose, Miriam (Hg.): Das Lied des Herrn in der Fremde singen. Psalmen in zeitgenössischer lutherischer Interpretation (Lutherischer Weltbund. Dokumentation 59/2014). Leipzig 2014, 300 S. Nach einer 1. Internationalen Hermeneutik-Konsultation, die sich der Auslegung des Johannesvangeliums gewidmet hatte, dokumentiert der LWB hier eine Folgekonferenz, die sich mit ReferentInnen aus verschiedenen lutherischen Kontexten weltweit der Auslegung des Alten Testaments, speziell der Psalmen widmete. Dabei bei Luther und seiner ersten Psalmenvorlesung 1512 anzusetzen, wo literarische und theologische Interpretation sich mit konkreten Blicken auf die soziale Lage verband, liegt nahe. H.P. Grosshans skizziert einleitend „Luthers erste Auslegung der Psalmen und ihr Beitrag zur Hermeneutik“ und Monica I. Melanchthon analysiert – stark gegenwartsbezogen – Psalm 140. In einem zweiten, methodologischen Teil stellt C. Körting exegetische und historische Überlegungen zum Singen, Beten und Meditieren von Psalmen an und betont den letzteren, den kompositionellen und den Lehrcharakter der Psalmen. Und (der inzwischen verstorbene) F.-L. Hossfeld stellt dar, was er selbst mit E. Zenger Jahrzehnte praktizierte, die Entwicklung „von der Psalmen- zur Psalterexegese“. Schwierige Themen im Psalter behandeln J. Hausmann („Das Thema Gewalt“) und U. Nõmmik (Klagepsalmen, die aber im Gotteslob münden) und R. M. Wanke (Sind die manchmal „Rache- oder Fluchpsalmen“ genannten Psalmen nicht eher Trostpsalmen (so Luther) oder „Eiferpsalmen“ oder „Gerechtigkeitspsalmen“ (E. Zenger; B. Janowski)? Den Jonapsalm behandelt K.-W. Niebuhr, die Psalmen innerhalb des NT deutet C. R. Koester als „Zeugnis für Christus und die conditio humana“. A. Hentschel stellt „Die christologische Psalmenrezeption im Hebräerbrief“ dar. V. Westhelle, B. Brock und L. Batka behandeln „Luthers Psalmenauslgung aus zeitgenössischer Perspektive“ in ihren jeweiligen Beiträgen. M. Masenyas Beitrag hat die Überschrift „ʾādām sein: Eine kontextuelle Lektüre der Psalmen heute“ und A. Bieler referiert über „Kriegswunden: Die Verwendung der Klagepsalmen in der Seelsorgearbeit mit Kriegsveteranen vor dem Hintergrund der Hermeneutik Martin Luthers“, bevor D. Erbele-Küster mit dem letzten Beitrag noch einmal zu Luther zurückkehrt: „Luthers poetische Auslegung der Psalmen“; als Beispiele dienen besonders Ps 27 und Ps 17. Gerstenberger, Erhard S.: Arbeitsbuch Psalmen. Stuttgart 2015, 155 S. Ein ungewöhnliches, ein faszinierendes Buch! Aufgrund des Titels erscheint es technisch und trocken. Weit gefehlt! Hier leitet ein erfahrener Fachmann, aber auch einer zum lebendigen, engagierten Um-Gang mit der spirituellen Kraft der Psalmen an, der wohl selbst von diesen Texten ergriffen ist. Vf. hat länger in Brasilien gelebt und gelehrt und offenbar die Erfahrung gemacht, dass und wie die uralten Texte und tiefen menschlichen Erfahrungen, die authentischen Erfahrungen des Göttlichen, des Leides und der Tröstung, wie sie in heutiger Lebenswirklichkeit Leuchtkraft und Deutungsfähigkeit gewinnen können, durchsichtig auf unseren Alltag werden. Das Büchlein leitet an, sich mit diesem biblischen Schatz vertraut zu machen und ihn zu pflegen. Die unmittelbare Faszination der Psalmen besteht nach der Erfahrung des Vf. auch darin, dass „der in den Psalmen gelebte Glaube sehr weit entfernt ist von … doktrinären Konstruktionen“ (151) und heutige Leserinnen und Beterinnen so unmittelbar angehen kann. Neben dieser einladenden Begeisterung für den Psalter bietet das Arbeitsbuch handfeste (technische, bibliographische, exegetische, methodische, didaktische) Informationen, Ratschläge, Überblicke, Tabellen, Exkurse, Anregungen, Fragestellun-

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Literaturbericht Liturgik. Hermann Michael Niemann gen, auch sehr praktische Seminargestaltungstipps und Zielstellungsvorschläge. Das Buch ist nach der Einleitung und einem Überblick zu „Psalter- und Psalmengattungen“ (Kap. I) gegliedert in sieben nach Psalmengattungen unterschiedene Kapitel mit jeweiligen Beispielen (Kap. II-VIII). Kap. IX beschreibt die „theologischen Dimensionen des Psalters“, Kap. X behandelt praxisorientiert „Die Psalmen im Leben der Gemeinde“. Das – nicht nur für Gemeindepraktiker sehr empfehlenswerte – Buch schließt mit „Ressourcen zum Studium der Psalmen“ (Kap. XI) und Anhängen.

3.2 Zu einzelnen Psalmen oder Psalmengruppen Gärtner, Judith: Die Geschichtspsalmen. Eine Studie zu den Psalmen 78, 105, 106, 135 und 136 als hermeneutische Schlüsseltexte im Psalter (Forschungen zum Alten Testament 84). Tübingen 2012, 439 S. Nach einer Problemanzeige zum Thema „Geschichte in den Psalmen“ und einem Forschungsüberblick folgen hermeneutischen und methodischen Vorüberlegungen, die darlegen, dass Vfn. „Geschichte als paradigmatische Geschichte“ (nach E. Voegelin) auffasst, die „kulturwissenschaftliche Debatte um das kollektive Gedächtnis“ aufgreift und psalterkompositorische und -redaktionelle Tendenzen der Forschung berücksichtigt. In gründlicher Analyse wird zunächst Ps 78 als „Reflexionstext der Asafsammlung“ unter der Überschrift „Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Psalm 78“ behandelt. Die „Heilsgeschichte“ in Ps 105/106 steht unter der Doppelüberschrift „Die Bundestreue Jhwhs in der Geschichte mit seinem Volk“ und „Die Güte Jhwhs und das Vergessen des Volkes – die Konstruktion der Schuldgeschichte in Psalm 106“. Das nächste Kapitel widmet sich Pss 135/136: „Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart“. Zum Abschluss bündelt Vfn. den Ertrag der Arbeit, in der „Geschichte als Paradigma“ und hermeneutischer Schlüssel deutlich geworden ist und die Theologumena „Güte Jhwhs als Gott der Götter“, „Jhwh als Herr der Schöpfung und Geschichte“, „Die Barmherzigkeit des Schöpfers und die Verfehlung des Volkes“ sowie „Die Güte Jhwhs und das Vergessen des Volkes“ herausgestellt werden. Wälchli, Stefan H.: Gottes Zorn in den Psalmen. Eine Studie zur Rede vom Zorn Gottes in den Psalmen im Kontext des Alten Testaments und des Alten Orients (Orbis Biblicus et Orientalis 244). Fribourg/ Göttingen 2012, VII, 198 S. Vf. skizziert die bisherige Forschung zum Thema des Zorns Gottes und analysiert dazu 27 Psalmen: 2, 6, 7, 18, 21, 27, 30, 38, 56, 59, 60, 69, 74, 76, 77,78, 79, 80, 85, 88, 89, 90, 95, 102, 103, 106, 110. Wie ist das schwierige Theologumenon zu deuten und lassen sich die zahreichen Aussagen gliedern oder typisieren? Vf. findet zu jedem einschlägigen Psalm eine sprechende Überschrift und stellt drei Grundtypen des Gotteszorns heraus: „Zorn Gottes als Reaktion auf menschliche Schuld“, „Reaktion Gottes auf die Schuld der Feinde, was die Rettung der Bedrängten zur Folge hat“ und „Zorn Gottes, der unverständliches Leiden deutet, indem er selbst diese Leidenserfahrung mit Gott in Beziehung setzt“. Vf. zeigt weiter, dass die drei Typen sich im gesamten AT wiederfinden ebenso wie in Texten des Alten Orients (Ägypten, Mesopotamien, Kleinasien, Palästina), hinzu kommt ein weiterer Typ, der „Zorn Gottes als Reaktion auf die Verletzung des Heiligen“. Im Unterschied zu früheren Untersuchungen sieht Vf. die Rede vom Zorn Gottes nicht als Gegenstück zur „Liebe Gottes“. Der zornige

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Gott wird auch positiv und hoffnungsvoll als derjenige verstanden, der für Gerechtigkeit eifert. Brodersen, Alma: Die Bedeutung der Schöpfungsaussagen für die Theologie von Psalm 147 (Biblisch-Theologische Studien 134). Neukirchen-Vluyn 2013, 96 S. Vfn. analysiert den Psalm und seine innerbiblischen Bezüge sorgfältig und zeigt, dass der Gott Israels als Weltschöpfer, stark, zuverlässig und fürsorglich, die idealen Eigenschaften aufweist, um Israel in allen Nöten zu retten. Das Konzentrat theologischer Aussagen spricht nach Vfn. dafür, dass der Psalm für sich stehen kann. Fernandes OFM Cap, Salvador: God as Rock in the Psalter (Europäische Hochschulschriften, Reihe 23, Bd. 934). Frankfurt am Main 2013, 413 S. Vf. ist fasziniert von der Fülle metaphorischer Gottesaussagen in der Bibel, speziell im Psalter. Er konzentriert sich auf das Bild von „Gott als Fels“ und interpretiert das Bild in den Psalmen 18, 19, 28, 31, 42, 62, 71, 73, 78, 89, 92, 94 und 144. Dabei stellt er z. B. fest, dass ca. 70 % des Vorkommens von „Fels“ im Psalter sich auf Gott beziehen. Vf. erkennt einen gezielten Einsatz der Metapher von Gott als Fels als literarisches Signal am Anfang oder am Ende oder in der Mitte von Texten, auch z. B. am Anfang und Ende der Samuelbücher oder am Ende von Deuteronomium. Lee, Il-rye: Der Streit um das Gottesbild des leidenden Israeliten. Monotheismus und Theodizeefrage in ausgewählten Klagepsalmen des Einzelnen (Europäische Hochschulschriften, Reihe 23, Bd. 937). Frankfurt am Main 2013, 255 S. Vfn. widmet sich der eher selten gestellten Frage, ob und ggf. wie Klagepsalmen dem von Theodizee und Monotheismus geprägten biblischen Gottesbild entsprechen bzw. ob und wie solche Psalmen zu diesem Gottesbild geführt oder zu ihm beigetragen haben. Als Untersuchungsbasis dienen vor allem Pss. 3, 38 und 88, die sorgfältig untersucht werden. Die notleidende Stimme in den Psalmen kämpft nicht nur gegen die (Gottesauffassung der) Feinde, sondern auch gegen die eigenen (Gottes-)Zweifel. Die Psalmen erweisen sich als ein Gebets- und Meditationsweg, wo die Betenden gerade durch die Ausweglosigkeit ihrer Not allein auf Gott geworfen sind und ihre Hoffnung nur noch allein auf ihn setzen, mit und bei Gott allein Geborgenheit finden, was sie über das bisherige Gottesbild hinaus- und zu einem neuen (henotheistischen bzw. monotheistischen) Gottesbild führt. Seiler, Stefan: Text-Beziehungen. Zur intertextuellen Interpretation alttestamentlicher Texte am Beispiel ausgewählter Psalmen (Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament 202). Stuttgart 2013, 332 S. Vf. schickt Forschungsgeschichte und Präzisierungen seiner Intentionen sowie methodische Überlegungen zur Intertextualität in der Bibelexegese voraus und grenzt sich gegenüber „geschichtstheologisch orientierten Auslegungen“ ab. Er exegesiert dann exemplarisch die folgenden Psalmen: 66, 67, 68, 78, 81, 90, 95, 99, 105, 106, 114, 135 und 136. Abschließend fasst er „Besonderheten intertextueller Bezüge im Psalter“ bündig zusammen und schließt mit „Hermeneutischen Überlegungen“. Dabei benennt er sein Vorgehen intertextueller Lektüre als „Erinnerungsgeschehen“ und als „pneumatisch-kreativen Prozess“. Witte, Markus: Von Ewigkeit zu Ewigkeit. Weisheit und Geschichte in den Psalmen (Biblisch-Theologische Studien 146). Neukirchen-Vluyn 2014, 197 S. Mit Sensibilität und viel Sinn für die theologische Poesie des Psalters behandelt der Vf. sechs Psalmen (33, 37, 49, 73, 78 und 114). Sie kreisen „alle in je eigener Weise um das Thema Geschichte, um die in Dichtung überführte und in Dichtung symbolisierte und gedeutete Erfahrung vergangener Geschehnisse, denen eine Bedeutung für die Gegenwart und die Zukunft beigemessen wird. Dabei kommt aber nicht nur die Frühge-

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schichte Israels“ (Exodus; David, Ps. 78; 114), „auch die Lebensgeschichte einzelner Frommer“ in den Blick (Ps. 37, 49, 73), „Mythos und Geschichte“, aber auch „die Gegenwart der Lesenden“ (6). Die behandelten Psalmen weisen auch eine weisheitliche „Grundüberzeugung“ auf, „dass Gott als der Schöpfer in diese Welt eine gerechte Weltordnung eingesenkt hat, die dem Menschen, der sich und sein Handeln an ihr ausrichtet, ein glückliches Leben ermöglicht“: „Weisheit als umfassendes Orientierungsvermögen und theologisches Deutungsmuster“ (7). Lichtenstein, Michael: Von der Mitte der Gottesstadt bis ans Ende der Welt. Psalm 46 und die Kosmologie der Zionstradition (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 139). Neukirchen-Vluyn 2014, 478 S. Titel und Untertitel der gründlichen Arbeit bezeichnen treffend, worum es geht. Die Gliederung ist so durchsichtig, tief gestaffelt und fein ziseliert, dass die Leserschaft schon beim Blick in das sechsseitige Inhaltsverzeichnis einen deutlichen Eindruck von der Sorgfalt der Analyse, von der Zielrichtung und dem Ergebnis der Dissertation bekommt. Das Buch bietet eine Einführung in die bisherige Forschung und eine sehr gründliche Exegese. Den Mittelteil bildet mit fast 300 Seiten eine motiv-, traditionsund religionsgeschichtliche Analyse. Aus der enormen Fülle der Beobachtungen seien die Hauptaspekte zitiert: „Gott als bergender Lebensraum und als Hilfe in Nöten“, „Die Furchtlosigkeit angesichts des Aufruhrs in der Naturwelt“, „Die kosmische Dimensionierung der Gottesstadt“, „Beendigung des ‚Aufruhrs der Völker und Königreiche‘“ und „JHWH als universaler und erhabener Friedensstifter“, jeweils noch vielfältig weiter differenziert. Der vierte und fünfte Teil der Arbeit ist der Redaktionsgeschichte des Psalms und der Korachpsalmen sowie der Rezeptionsgeschichte des Psalms 46 gewidmet. Der letzte Teil des Buches bündelt die Ergebnisse für Ps 46 und die Zionstradition insgesamt mit ihrem Symbolsystem und schließt mit Blicken auf Martin Luthers Auslegung und einer Predigt von E. Jüngel zu Psalm 46. Die tüchtige Studie bildet die Grundlage für alle künftige Arbeit an diesem Psalm. Klein, Anja: Geschichte und Gebet. Die Rezeption der biblischen Geschichte in den Psalmen des Alten Testaments (Forschungen zum Alten Testament 94). Tübingen 2014, 435 S. Psalmen sind (auch) Meditationstexte. Deshalb, nicht nur in veränderter Forschungssituation, lohnt es immer wieder, sie neu zu betrachten, im Falle dieser Studie hinsichtlich der Rezeption der Geschichte Israels. Vfn. stellt eine „Wachstumslinie“ von Ex 15, dem Lied von der Errettung am Meer über die behandelten Psalmen (78, 105 und 106, 114, 135, 136 und 137) bis zu dem Bußgebet Neh 9 fest. In Ex 15 erkennt sie einen Ausgangspunkt, wo „sich Geschichte und Gebet … zum ersten Mal verbinden“. In den Psalmen werde die biblische Geschichte „in immer neuen Geschichtsentwürfen rezipiert und darin zugleich modifiziert“. Die betreffenden Psalmen stehen „an redaktionsgeschichtlichen Schaltstellen des Psalters“, sie „zeichnen die Geschichte Israels mit seinem Gott nach und setzen sich zu einem Geschichtsbild von der Schöpfung bis hin zur universalen Nahrungsversorgung als Vorschein des Reiches Gottes zusammen.“ Die behandelten Psalmen bilden einen „fortlaufenden Identitätsdiskurs ab, in dem das nachexilische Israel sich darüber verständigt, wer der Gott Israels und wer das Gottesvolk Israel ist.“ Diese „Identitätsarbeit“ mündet im Bekenntnis Israels zu seinem Gott. Vfn. sieht die Besonderheit der Rezeption der Geschichte Israels in den Psalmen darin, dass „in der Form des Gebets auch ein kultischer Rückraum eröffnet wird. Im spiritualisierten Gebetsvollzug kann der Einzelne in die Geschichte des Gottesvolkes eintreten und sich die Identität Israels aneignen.“ (S. 392).

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Wagner, Thomas/ Robker, Jonathan M./ Ueberschaer, Frank (Hg): Text – Textgeschichte – Textwirkung. Festschrift zum 65. Geburtstag von Siegfried Kreuzer (Alter Orient und Altes Testament 419). Münster 2014, 715 S. Aus der äußerst reichhaltigen Festschrift für den Jubilar, dessen ungewöhnlich breites Arbeitsfeld, das sich auch in seiner Festschrift weitgehend spiegelt, neben der Exegese des Alten Testaments auch historische, archäologische, religionsgeschichtliche, grundlegende theologische und methodologische Fragen wie auch den Bereich der Septuaginta, der Textgeschichte und -rezeption umfaßt, sind folgende Beiträge hier speziell zur Psalmenexegese, zum Kult Israels und zum religiösen Alltag hervorzuheben: A. Labahn: Deutung und Bedeutung erschließen. Die Leviten als Interpreten der Tora nach Neh 8,8 (155–172); D. Vieweger: „Es war aber an der Stätte, da er gekreuzigt ward, ein Garten, und im Garten ein neues Grab, in welches niemand je gelegt war“ (Joh 19,41). Eine biblisch-archäologische Rückfrage (211–224); M. Grohmann: Bemerkungen zu Textkritik, Semantik und Rezeptionen von Psalm 110,3 (245–262); E. S. Gerstenberger: Wie ist der Psalter entstanden? Von Sammlung, Gebrauch, Verschriftung und Kanonisierung der Psalmen (333–345); M. Karrer: Die Väter in der Wüste. Text und Rezeption von LXX Ps 94 in Hebr 3 (427–458); W. Kraus: Zur Aufnahme und Funktion von Gen 14,18–20 und Ps 109 LXX im Hebräerbrief (459–474); H. Zschoch: Psalm 14 – reformatorisch gelesen. Zur Auslegung durch Urbanus Rhegius von 1536 (581–602); J. von Lüpke: Elementarschule biblischer Theologie. Hinweise zur Auslegung des 119. Psalms und zur Theologie des Psalters bei Martin Luther und Friedrich Christoph Oetinger (603–625). Abart, Christine: Lebensfreude und Gottesjubel. Studien zur physisch erlebten Freude in den Psalmen (WMANT 142). Neukirchen-Vluyn 2014, 350 S. Kirchenvater Athanasius (299 ? bis 373 n. Chr.) meinte vom Psalter treffend, dass in diesem Buch das ganze menschliche Leben enthalten sei. Über Not und Klage, Trauer und Zorn in Psalmen wurde oft geschrieben. Dieses Buch widmet sich dagegen – bisher eher vernachlässigt – positiven Äußerungen speziell in den Psalmen, nämlich der Freude, der Lebensfreude, die sich u. a. in Dankbarkeit und Jubel gegenüber Gott äußert, und zwar physisch, äußerlich und innerlich, durch Tanzen und Singen, Rufen und Jubilieren, durch Herzensfreude und Luftsprünge usw.. Einführend wird „Emotion“ definiert im Rahmen der aktuellen Emotionsforschung, und der sprachliche Ausdruck von Emotionen, auch in der Bibel, wird vorläufig bedacht. Folgende Verben in zahlreichen Psalmen bilden die Basis der Untersuchung: „Sich freuen“ (śmḥ ) (Ps 4, 2–9; 16, 1–11; 19, 8–11; 33, 18–22; 86, 1b-7; 97, 10–12; 104, 10–18; 105, 1–6), „Jubeln“ (rnn) (Ps 32, 6–11; 42, 2–6; 47, 2–6; 51, 12–21; 63, 2–6; 71, 17–24; 84, 2–5; 118, 10–16; 126, 1–6), „Jauchzen“ (gyl) (Ps 13, 2–6; 16,9; 35, 9–10; 51, 3–11), „Froh sein“ (śwś) (Ps 35, 9; 119, 109–110), „Frohlocken“ (ʿlz) (Ps 28, 1–9), „Erquicken“ (šʿʿ) (Ps 94, 16–19). Dabei werden auch die Übersetzungen in der Septuaginta berücksichtigt. Exkurse bereichern die Untersuchung. Die Auswertung spezifiziert die hebräischen Verben und spricht von „Geschenkter Freude“, „Spontanem Jubel“, von „innerem und von außen wahrnehmbarem Jauchzen“, „reflektiertem Frohsinn“, und einem „frohlockenden Herzen“ und „Erquickung für die Kehle“. Die Darstellung profitiert davon, dass die Vfn. lange praktisch in der Bibelpastoral, Seelsorge und der Erwachsenenbildung tätig war und ist.

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4. Gottesdienstliche Handlungen 4.1 Feste Altmann, Peter: Festive Meals in Ancient Israel. Deuteronomy’s Identity Politics in Their Ancient Near Eastern Context (Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 424). Berlin/ Boston 2011, 299 S. In einem Satz: Dieses Buch „uses an eclectic, interdisciplinary approach to emphasize the centrality of meals for identity formation as well as for political and religious rhetoric in the texts of Deut 12: 13–19; 14: 22–29; and 16: 1–17“ (244). Für vorexilische Judäer, die die assyrische Oberherrschaft erlebten, seien diese Texte als eine „Yahwistic answer to the material and ideological hegemony“ zu verstehen. Die Texte „highlight Yhwhs beneficence and strength through his willingness and ability to provide the community of Israelites who accept his claim to convenantal kingship with rich concrete blessings in the form of plentiful feasts, especially at the central sanctuary, but also in their local villages“ (241). Als Basis für diese These müsse mehr als das sogenannten Bundesbuch dienen, eben die oben genannten Dtn-Texte, die Vf. genau untersucht, auch vor dem Hintergrund anthropologischer und soziologischer Studien („The Anthropology of Meals“; „Biology of Smell and Taste“) und natürlich der einschlägigen Forschungsliteratur zum „Essen in der Bibel“ (E. Schmitt u. a.) und zur Symbolik des Essens, des Gemeinschaftsmahles und z. B. zur symbolischen Bedeutung von Fleisch. Dazu werden entsprechende Texte und ikonographische Materialien zu (Opfer-)Mahlzeiten, Banketten in Emar und Ugarit und in Mesopotamien beigezogen. Dabei geht es nicht nur um’s Essen, sondern um „power relations and theological devotion“ (242). Vf. nimmt an, dass Deut 12: 13–19* „incorporates and responds to the particular concerns of a Judahite audience that experienced scarcity as a result of the Neo-Assyrian appropriation of Judahite resources with an vision of abundant Yahwistic provision at both the central sanctuary and the local villages“ (ebd.). „… communal identity is imagined as emerging from the shared ritual that brings together all parts of the society“ (ebd.). Dies verbinde assyrische und israelitische Mahl-Rituale, ebenso wie eine „joyful and lively nature“ dieser festlichen Mahle. Die einschlägigen dtn Rituale unterscheiden sich aber von den assyrischen darin, dass in Israel „one divine host and many human hosts“ teilnahmen, nämlich JHWH und alle Israeliten an den drei großen Jahresfesten (Deut 16: 1–17; vgl. beim Zehnten in Deut 14: 22–29). Die Gemeinschaftsmahle „serve as important group and individual identifiers because of their links both with memory and with dynamics of inclusion and exclusion“ (244). Körner, Christoph/ Jüngling, Hans-Winfried (Hg.): „…denn das ist der ganze Mensch“: Die Textrollen der jüdischen Feste. Kohelet, Ester. Hoheslied, Rut, Klagelieder (Stuttgarter Bibelstudien 227). Stuttgart 2012, 126 S. Das schmale, aber umso bemerkenswertere Buch widmet sich in fünf sensiblen und durchaus originellen Betrachtungen den fünf biblischen Büchern, die das jüdische Festjahr begleiten. Die „Festrollen“ sind sehr oft analysiert worden. Dies geschieht hier aus pastoralpsychologischer (Kohelet), aus religionsphilosophisch-erkenntnistheoretischer (Ester), exegetischer (Hoheslied), rezeptionsästhetisch-wirkungsgeschichtlicher (Rut) sowie aus pastoraltheologisch-liturgischer Sicht (Klagelieder). Dabei erweisen sich alle Betrachtungen als ebenso konkret und lebensnah wie wissenschaftlich kundig und gut lesbar und verständlich in der Darbietung. Viera Pirker denkt dem oft als philosophisch, wohl zu Unrecht als allzu skeptisch betrachteten

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Buch Kohelet nach und sie fragt, warum es an dem frohen Laubhüttenfest gelesen wird. Annette Pitschmann geht nicht nur der Frage nach, warum im zum Purim-Fest gehörenden Esterbuch Gott nie erwähnt wird, was diese „göttliche Leerstelle“ religiös bedeutet; sie greift zur Interpretation auf Ludwig Wittgensteins Überlegungen zur „Abgrenzung der Aspektwahrnehmung gegenüber dem einfachen Sehen“ („halb Seherlebnis, halb ein Denken“) zurück. Melanie Peetz legt „eine nichtallegorische Exegese von Hoheslied 4,1–7 und 5,9–16“ vor, die „den dynamischen Charakter der inneren und äußeren Schönheit“ von Frau und Mann beschreibt und „vom Suchen und Finden der Liebe“ erzählt. Und dieses „Buch der Liebe“ bildet den Text zum Pesach-Fest, das nichts weniger Fundamentales als das Gründungsereignis Israels, den Auszug und die Rettung aus Ägypten begeht! Sandra Hübenthal liefert eine Exegese des dem Wochen-/Erntefest gewidmeten Buches Rut in Text und Bild und ihrem Verhältnis zueinander, eine kleine, überschaubare Geschichte, die nicht nur Goethe begeisterte, in der aber viele Lücken bleiben, die zu unterschiedlichen Lektüremöglichkeiten (typologisch, patriarchal, feministisch, kontextuell) führen kann. Das zeigt sich auch in den Illustrationen in der Kunstgeschichte. Text wie Bild: „ein offenes Kunstwerk“. Im Blick auf die in letzter Zeit öfters angedeutete Vermutung, dass das Buch vielleicht das einzige in der Bibel sei, das auf eine Frau als Autorin zurückgehe, bleibt die Vfn. mit Recht skeptisch: „ein Frauenbuch aus patriarchaler Perspektive“. Henriette Crüwell beschließt das Buch mit einem „Alphabet der Klage“ und stellt fest, dass in der heutigen christlichen Gottesdienst-Liturgie „die Klage als ausgeprägte Gebetsform“ verloren gegangen sei, nicht mehr vorkomme, sie abgewertet werde oder störe (C. Westermann). Sie entdeckt in den Klagen im Alten Testament und besonders in dem zum Gedenktag der Tempelzerstörung am 9. Av gehörenden Text des biblischen Buches Klagelieder eine ebenso alte wie wichtige Klagekultur, verfolgt deren Spuren im Judentum und Christentum und führt zu einer Klageliturgie in ihrer Bonner Gemeinde am Karfreitagabend beim Gottesdienst zur Grablegung Christi. Insgesamt ein ebenso wissenschaftlich anspruchsvolles wie in der Gemeindepraxis ansprechendes und wertvolles Buch. Greer, Jonathan S.: Dinner at Dan. Biblical and Archaeological Evidence for Sacred Feasts at Iron Age II Tel Dan and Their Significance (Culture and History of the Ancient Near East 66). Leiden/ Boston 2013, 191 S. Vf. hat das Verdienst, in seinem zentralen dritten Kapitel das Kultareal in Tel Dan (Areal T) genau ins Auge gefasst zu haben und beschreibt es einschließlich der freigelegten architektonischen Strukturen, der Fundkeramik und der Opfer-Reste, weil er die kultischen Feste (und ihre Funktionen und Träger) rekonstruieren möchte, die dort in der israelitischen Königszeit (Eisenzeit II) begangen wurden. Vorangestellt ist im zweiten Kapitel eine Analyse biblischer Texte (vor allem 1Kön 12 und Ex 32 sowie Ri 17f), die vom Stier- oder polemisch vom Kalbs-/Kälber-Kult in Dan (und rückgespiegelt in der Zeit der Wüstenwanderung) handeln. In dieser Reihenfolge der Darstellung seiner Arbeit liegt vielleicht schon ein methodisches Problem. Vf. neigt dazu – trotz seiner Kenntnis eines Teils der Forschungsliteratur, die sich kritisch oder zurückhaltend mit einer israelitischen Kulttradition in Dan im 10./9. Jh.v.Chr. auseinandersetzt –, die biblischen Nachrichten von einem königlich-israelitisch geförderten JHWH-Kult in Dan seit Jerobeam I. im späten 10. Jh. als historisch korrekt zu akzeptieren, auch wenn es gute Gründe gibt zu der Annahme, dass Dan nicht vor dem zweiten Drittel des 9. Jhs. überhaupt zu Israel gehörte. Vf. meint aber, dass seit Jerobeam I. der Kult in Dan vom Königtum, wie 1Kön 12 geschildert, nicht nur antijudäisch und antijerusalemisch genutzt worden sei, um die nördlichen Stämme Israel eine gemein-

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same Identität zu verleihen. Die Omriden hätten neben ihrem Baal-Kult Dan als JHWH-Kult bewusst erhalten. Jehu und die Nimsiden hätten nur das Land Israel von dem Omridischen Baal-Kult reinigen müssen, während Bethel und Dan jahwistisch blieben, vermutlich unter Jerobeam II. ausgebaut (Dan Str. II). Im vierten Kap. zeichnet Vf. ein zusammenfassende Bild von kultischen Festen, wie sie die Anlage in Areal T und die dargestellten Funde und Befunde in der Tat ermöglicht haben dürften. Sie dürften – allgemein gesprochen – in der Eisenzeit II von staatlichen wie von kommunalen bzw. familiaren Festteilnehmern besucht worden sein. Diskussionswürdig ist aber die im zusammenfassenden fünften Kapitel vorausgesetzte Auffassung des Vf., dass es sich dabei um reine JHWH-Kultfeste gehandelt habe, zumal Dan nachweislich vor ca. 880 und dann zeitweise in der 2. Hälfte des 9. Jh. v. Chr. wieder stark unter aramäischem Einfluß stand (Str. III).

4.2 Priestertum, Kultpersonal Himmelfarb, Martha: Between Temple and Torah. Essays on Priests, Scribes, and Visionaries in the Second Temple Period and Beyond (Texts and Studies in Ancient Judaism 151). Tübingen 2013, 399 S. Die profilierte Judaistin legt in diesem kompakten Sammelband 20 Studien vor, die sowohl sehr verstreut erschienen sind als auch nicht häufig behandelte und schwierige Themen umfassen, für die es nicht viele Fachleute gibt. Für die Leserschaft dieses Jahrbuches dürften unter den 20 Aufsätzen folgende zu den Themen „Priester“ und „Tempel“ besonders interessant sein: „The Temple and the Garden of Eden in Ezekiel, the Book of the Watchers, and the Wisdom of Ben Sira“; „Levi, Phinehas, and the Problem of the Intermarriage at the Time of the Maccabean Revolt“; „Torah, Testimony, and Heavenly Tablets: The Claim of Authority of the Book of Jubilees“; „Earthly Sacrifice and Heavenly Incense: The Law of the Priesthood in Aramaic Levi and Jubilees“; „Temple and Priests in the Book of the Watchers, the Animal Apocalypse, and the Apocalypse of Weeks“; „‘Found Written in the Book of Moses’: Priests in the era of Torah“. Weitere vier Studien behandeln das wichtige Thema der „Reinheit“: „Sexual Relations and Purity in the Temple Scroll and the Book of Jubilees“; „Impurity and Sin in 4QD, 1QS, and 4Q512“; „The Purity Laws of 4QD: Exegesis and Sectarianism“; und „The Polemic against the Tevul Yom: A Reexamination“. Unter den übrigen Studien zum Judentum und Hellenismus, zu Pseudepigrapha und mittelalterlicher jüdischer Literatur ist besonders wertvoll und lesenswert: „The Practice of Ascent in the Ancient Mediterranean World“. Lynch, Matthew: Monotheism and Institutions in the Book of Chronicles. Temple, Priesthood, and Kingship in Post-Exilic Perspective (Studies of the Sofja Kovalevskaja Research Group on Early Jewish Monotheism, Vol. I; FAT 2. Reihe, Bd. 64). Tübingen 2014, 307 S. Das biblische Buch der Chronik ist bekanntlich keine Chronik im modernen Sinne. Das Hauptergebnis des Vf. ist daher die Feststellung, dass für die Chronik die Einzigartigkeit (oneness) und der Vorrang (supremacy) Jahwes einen angemessenen Ausdruck im Jerusalemer Tempel findet, in der Tempelpriesterschaft und der Herrschaft des königlichen Patrons des Tempels: „For a post-exilic audience lacking visible markers of national greatness that flow from divine favor, Chronicles weaves a sacred tapestry in

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which the temple and its supporting institutions mediate and participate in Yhwh’s preeminence as it was known and experienced in Israel’s glorious past.“ (261). Dabei ist der Tempel primär, „the king’s exalted participation in divine rule“ abhängig vom Gehorsam gegenüber Gott. Und die Priesterschaft bezeugt Jahwes Vorrang. Aber die Chronik bestreitet die gesicherte, unverlierbare Verbindung zwischen den drei „focal institutions“ Israels und Jahwe; das Ideal einer „unification around the temple“ aus der Vergangenheit müsse ständiges Ziel bleiben. Die drei „central institutions“ (Tempel, Priesterschaft und Königtum) beschreibt Vf. als „mediating embodiments of divine power“: „Yhwh’s distinctiveness was emphasized through his relatedness to institutions at the heart of Judean life and hopes.“ „…the temple participated functionally, qualitatively, and materially in divine uniqueness and supremacy.“ (262). „Chronicles forged unique bonds between the priesthood and Yhwh qua supreme deity“; die Priesterschaft ist auf einzigartige Weise von Jahwe „elected, selected, and designed“ und deutet in Kult und Ritus auf „Yhwh’s grandeur and supremacy“ hin (263). Und auch das Königtum weist auf Jahwes Erhabenheit, indem z. B. David als exemplarischer „gift-giver“ erscheint. So will die Chronik durch die Erzählung von Jerusalems Tempel, Priesterschaft und Königtum auf Jahwes überragende Macht und Verehrungswürdigkeit hinweisen und zu entsprechender eigener Antwort anregen. Allerdings wird in der Chronik auch deutlich, dass das enge Band zwischen Jahwe und Israels drei „central institutions“ nicht unauflösbar und unverlierbar sei. Jahwe kann davidische Könige auf „seinen“ Thron setzen, aber auch fremde Könige gegen Israel erheben (2Chr 12,8). „In short, divine supremacy was only occasionally realized via the Davidic kings in the past. It remained a contemporary possibility, burt was not a given.“ Und der Tempel ist privilegierte Ort für Jahwe, aber Jahwe ist nicht auf ihn beschränkt. „The temple was ‚only a place for sacrifice,‘ which could not fully contain God.“ (268). Die Vision der Chronik ist „a society where the nation, priesthood, and king were organized in worshipful unity around the temple as the primary locus of divine supremacy“ (270).

4.3 Opfer, Riten, Klage und Gebet Zernecke, Anna Elise: Gott und Mensch in Klagegebeten aus Israel und Mesopotamien. Die Handerhebungsgebete Ištar 10 und Ištar 2 und die Klagepsalmen Ps 38 und Ps 22 im Vergleich (Alter Orient und Altes Testament 378). Münster 2011, 407 S. Die sehr sorgfältig vorgehende Analyse kommt im Ergebnis zu feinen Differenzen bei strukturellen Übereinstimmungen. In Klage und Bitte als Grundstruktur besteht Übereinstimmung. Auch der sogenannte „Stimmungsumschwung“ als „seelsorgerliches Element“, das den Beter zum Vertrauen auf die Macht des Gottes und aus der Fixierung auf sich selbst lösen soll, ist in beiden religiösen Literaturen bekannt. Unterschiede zeigen sich z. B. darin, dass die biblischen Texte sehr häufig Vertrauen zu Jahwe ausdrücken, während die mesopotamischen Texte mit ausführlichem hymnischen Lob beginnen, ehe sie ihre Not und Klage vor der Göttin ausbreiten. Sie sind als allmählicher Zugang zu Ištar in der Art einer Audienz gestaltet und zielen darauf, dass der Beter von ihr als großer Göttin Hilfe und Vermittlung gegenüber dem eigenen Schutzgötterpaar erhält, zu dem das Verhältnis gestört ist. Demgegenüber gestaltet sich das Verhältnis des Beters zu Jahwe im biblischen Klagepsalm enger, weil er ja

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selbst der Schutzgott des Beters ist. Die Vfn. arbeitet auch zwischen den beiden Psalmen 38 und 22 Differenzen heraus. Die Gesamtstrategien der verglichenen vier Texte sind, abgesehen von dem deutlich engeren Verhältnis der Beter der Psalmen zu ihrem Gott, ähnlich. Auch die mesopotamischen Beter halten an der von ihnen angerufenen Gottheit fest, auch wenn sie mit deren Zorn konfrontiert sind und verteilen nicht Zorn und Erbarmen auf unterschiedliche Gottheiten. Vfn. betont (mit B. Janowski) die „Spannung zwischen erfahrener Gottverlassenheit und erhoffter Gottesnähe“, die „Kluft zwischen Glaube und Erfahrung“, die nicht nur in den biblischen Klagepsalmen, sondern auch in den mesopotamischen Texten erkennbar sei. Vfn. schließt mit dem schönen einschlägigen Lutherzitat (WA 5,204, 26f), dass die Beter ad deum contra deum configere. Jaques, Margaret (Hg.): Klagetraditionen. Form und Funktion der Klage in den Kulturen der Antike (Orbis Biblicus et Orientalis 251). Fribourg/ Göttingen 2011, 110 S. Die Herausgeberin klärt einleitend den in diesem Buch gemeinten Begriff der Klage, die sich mündlich in Weinen, Schreien bei Katastrophen u. ä., aber auch als Handlung der Selbstminderung, in Ritualen anläßlich eines Todes oder einer Zerstörung etc. äußert, als literarische Gattung auftritt mit typischen Ausdrucksformen, die sich entwickelt, transformiert und adaptiert wird. Sie berichtet im ersten Beitrag über „Metaphern als Kommunikationsstrategie in den mesopotamischen Bußgebeten an den persönlichen Gott“. Mit den klagenden Gebeten kann Trauer rituell „kanalisiert“ werden. Anne Löhnert referiert über „Motive und Funktionen der Göttinnenklage im Frühen Mesopotamien“. Göttinnen klagten über eigene Verletzungen oder Verluste (oft gegenüber dem Gott Enlil als deren Verursacher), traten auch als (mütterliche) Fürsprecherinnen von Klagenden auf. Vfn. fragt nach Zielen der Göttinnnen-Klagen, die von bestimmten Priestern im Kult vorgetragen wurden. Andrea Kucharek wendet den Blick nach Ägypten mit „Totenklage und Osirisklage zwischen Negierung und Transzendenz“ und betrachtet in Texten und Bildern die „private“ Klage um einen Verstorbenen im Vergleich mit der mythisch-rituellen Klage um den Gott Osiris im Tempel in den Differenzen, aber auch den Parallelen. Bei beiden Klagen stellt die Vfn. eine „verklärende“ Funktion fest. Georg Petzl vergleicht „Klage der Menschen – Klage der Götter: Aspekte der kleinasiatischen Beichtinschriften“. Die griechischsprachigen Inschriften zwischen der Mitte des ersten und dem ausgehenden dritten Jh. n. Chr., von denen bisher ca. 150 gefunden wurden (fünf sind abgebildet), haben bei aller Verschiedenheit einige gemeinsame Merkmale: Ein durch göttlichen Zorn verursachtes Unglück, dem wiederum ein religiöses Vergehen zugrundeliegt. Da bedarf es eines öffentlich im Heiligtum ausgestellten Schuldbekenntnisses und einer Preisung der Gottheit mit einer Stele, neben dem Text geschmückt mit Bildreliefs. Der „Stifter“ (oder später seine Erben) beklagt das Unglück, klagt sich (wegen des Vergehens) an wie auch andere involvierte Personen. Auch die Gottheit klagt über ein Vergehen (z. B. ein Mensch hat ein Podium der Gottheit besudelt oder es werden Ehebrüche gestanden), in der Götterversammlung kommt es zur Anklage und zu einem Urteil. Der Rundgang von Mesopotamien über Kleinasien und Ägypten nach Syrien-Palästina wird abgeschlossen durch den Beitrag von Silvia Schroer, die „Eine genderbezogene Skizze“ beisteuert: „Biblische Klagetraditionen zwischen Ritual und Literatur“. Überwiegend sind die Frauen für die Totenklage in Israel, die Vfn. lebendig beschreibt, zuständig im Gegensatz zum männlich geprägten Tempelkult. Das zur Totenklage der Frauen gehörende Leichenlied (qinah) findet sich verändert und entfernt vom ursprünglichen Sitz im Leben im Alltag und im Ritual dann literarisch in der Bibel wieder Männern zugeschrieben. Überhaupt zeigt sich, dass Klage und Klage-

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metaphern bemerkenswert oft präsent sind in Erzählungen, Prophetentexten, Gebeten, Psalmen, in den verschiedensten Formen und zu den verschiedensten Anlässen. Eberhart, Christian A. (Hg.): Ritual and Metaphor: Sacrifice in the Bible (Resources for Biblical Study 68). Leiden/ Boston 2012, XV, 175 S. Rituale und Metaphern aus dem Jerusalemer Tempel blieben terminologisch und konzeptuell auch nach der Zerstörung des Zweiten Tempels prägend für Judentum und Christentum, selbst bis in die säkulare Sprache hinein. Dabei spielen Ritual, Opfer und Sühnegedanke eine wesentliche Rolle, die Grundlagenaspekte z. B. für Ethik und Justiz bereitstellten. Andererseits gab es auch Kritik, dass Rituale, die (symbolisches) Töten, Todes-Metaphern einschlossen, so im Zentrum religiöser Rituale standen. Wie kann damit Versöhnung und Heil in Verbindung stehen, wird bis heute gefragt. J. W. Watts beginnt mit der Darlegung vergleichender Opfer-Theorien, die in Erzähungen entfaltet werden. C. A. Eberhart geht ebenfalls von der Terminologie aus und sieht Opfer (in frühen Gesellschaften) als dynamischen Prozess der Kontaktaufnahme mit Gottheiten und als Zeichen der Verehrung und Versöhnung. J. Tatlock untersucht die (umstrittene) Frage von Menschenopfern in Israel und stellt fest, dass fast jeder der (wenigen) Fälle von Kinder- und Erwachsenenopfer strukturell Tieropfern gleicht. Er glaubt, dass Menschenopfer in Israel existierten. G. Eidevall untersucht die Rolle der Opferterminologie rhetorisch und metaphorisch in der biblischen Prophetenliteratur mit Schwerpunkt Jes 66,20 und Ez 20,40–42. J. S. Siker betrachtet christologische Konzepte des Neuen Testaments und stellt fest, dass manche von ihnen die Tradition der Sühne am Yom Kippur mit Motiven der Passah-Tradition mischen. So konnte Jesus zugleich als „Sündenbock“ und „Passah-Opferlamm“ gesehen werden. S. Finlan unterscheidet sechs Stufen in der Spiritualisierung des Opfergedankens bei Paulus und im Hebräerbrief, wobei letzterer durch Allegorisierung des Opfers das größte Potential an „antisacrificial language“ im NT habe. T. Wardle beobachtet im frühen Christentum eine deutliche Zurückhaltung gegenüber der Idee des Priestertums. Er sieht die Begründung in der Entwicklung alternativer Tempel und Opfer neben dem Zweiten Tempel, nicht aber einer neuen Priesterschaft(skonzeption). D. Kurek-Chomycz untersucht die Bedeutung der Opfermetapher in 2Kor 2,14–16 und meint, dass „Paul’s olfactory metaphor is best understood in connection to the cluster of motifs associated with the figure of personified wisdom“ (XV). G. P. Heyman beschreibt das frühchristliche Opferverständnis im Kontext griechischer und römischer Religion und Kultur. Er zeigt, wie dies den frühen Christen nicht nur das Verständnis von Jesu Kreuzestod erleichterte, sondern auch eine „corporate identity“ zu gewinnen und zu stärken gegenüber dem Römischen Imperium. Zur Stabilisierung trugen die asketischen Wüstenväter ebenso bei wie die Opferbereitschaft der Märtyrer. Porter, Anne/Schwartz, Glenn M. (Hg.): Sacred Killing: The Archaeology of Sacrifice in the Ancient Near East. Winona Lake, Indiana 2012, 328 S. Es geht in dem Band um Tier- und Menschenopfer, zwischen denen gelegentlich nicht genügend differenziert wird. Es geht auch um Differenzierungen zwischen den verschiedensten Typen des rituellen Tötens, wobei der zeitliche Rahmen vom Neolithikum bis zur hellenistischen Zeit reicht. Es geht um tierische und menschliche Opfer in dem Sinne, dass Kommunikation mit der Götterwelt hergestellt werden soll, aber auch z. B. die rituelle Tötung von Dienerschaften, die ihre Herrschaften im Tode begleiten sollen. Bekanntestes Beispiel ist der Königsfriedhof von Ur in Südmesopotamien, wo 73 geopferte Personen neben Opfertieren festgestellt wurden, die nach den Autoren dieses Aufsatzes nicht selbst einen Giftbecher tranken, wie der Ausgräber Sir L. Wooley annahm, sondern mindestens z. T. durch äußere Gewalteinwirkung starben, wie

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Schädeluntersuchungen nahelegten. Es wird auch von einem vergleichbaren Fall in China aus dem späten 2. Jt. v. Chr. berichtet und einem nordsyrischen Begräbnis aus dem 3. Jt. v. Chr., wo („königliche“) Pferde mitbegraben wurden. Rituelle Tötungen von Tieren zur Besiegelung von politischen Verträgen (z. B. zwischen Aššur-nirari V. und Mati-ʾilu von Arpad) erinnern an Gen 15. Daneben stehen Bauopfer oder ein Opfertyp, wo „persons or animals killed in order to transport messages to a deity“, der entfernt hinter dem biblischen Sündenbockritual stehen mag. Die Aufsätze des Bandes haben diachrone und kulturübergreifende Ansätze, ziehen ethnologische, archäologische und textliche Materialien heran und stellen sie in ihre jeweiligen Kontexte. Im neolithische Çatalhöyük mit möglichen Kinderopfern in Bau-Gründungsdeposits wird deren Funktion diskutiert, in Domuztepe (6. Jt. v. Chr.) deutet ein „thick deposit of human and animal bone“ möglicherweise auf ein „communal event involving human sacrifice and cannibalistic feasting“ (24). Ein Beitrag behandelt den berühmten Königsfriedhof in Ur aus dem 3. Jt. v. Chr. (s. o.), ein anderer die Frage, ob sakrale Tieropfer von „profanen“ unterscheidbar seien. Ein Aufsatz untersucht Deposits von Menschen- und Tierknochen aus Gordion in Mittelanatolien (3.–2. Jh. v. Chr.), wo der Tod gewaltsam herbeigeführt worden sei, was die Vfn. dem Brauchtum von aus Zentraleuropa eingewanderten, keltisch sprechenden Galatern zuschreibt. Das Buch weist insgesamt auf eine große Variabilität durch Zeit und Regionen beim Phänomen des (Tier- und Menschen-)Opfers hin. Tacke, Nikolaus: Das Opferritual des ägyptischen Neuen Reiches. Band I: Texte. Band II: Übersetzung und Kommentar (Orientalia Lovaniensia Analecta 222). Leuven/ Paris/ Walpole, MA. 2013, 311 S., 82 Tafeln. Das Vorwort von J. Assmann macht deutlich, dass es sich um ein Werk von „überragender Bedeutung“ handelt. Da Religion das Zentrum, der Rahmen und die Grundlage der altägyptischen Gesellschaft sei, die Rituale das Zentrum der Religion und das Opfer wiederum Zentrum des Rituals sei, sei die vorliegende innovative Ausgabe und Interpretation so wichtig, zumal sich herausgestellt habe, dass es sich nicht um ein spezifisches Totenritual für Amenophis I. handele, sondern um das klassische Opferritual des ägyptischen Neuen Reiches für Amun-Re. Hier liege das „Drehbuch“ des Rituals „in hieroglyphischem Text, Übersetzung, und ausführlichem Kommentar sowie in einem Tafelteil auch das in monumentale Fassungen auf Tempelwänden umgesetzte ‚storyboard‘“ vor. Das täglich vollzogene Götter-Ritual umfaßt 50 bzw. 51 noch weiter untergliederte Szenen sowie 17 weitere Szenen in fünf Annexen für bestimmte Festtage. Die „Eröffnungssequenz“ ist, entsprechend dem „Morgenritual“, z. B. in 10 Teile unterteilt, die vom „Licht anzünden“ bis „den Gott enthüllen“ und schließlich „den Gott schauen“ reicht. Der ganz außerordentlichen Sorgfalt, Würde und liturgischen Dramaturgie kann auch der christliche Liturg nur mit Respekt begegnen, ebenso der großartigen Leistung des Verfassers für die Neuedition (auf der Basis der Papyri Cairo CGC 58030 + Turin CGT 54041, des Papyrus Chester Beatty IX und der Texte auf Tempelwänden von Karnak, Abydos und Medinet Habu sowie zahlreicher weiterer Texte) und der sorgfältigen Kommentierung der theologischen, historischen und ritualpraktischen Aspekte. Grund, Alexandra/ Krüger, Annette/ Lippke, Florian (Hg.): Ich will dir danken unter den Völkern. Studien zur israelitischen und altorientalischen Gebetsliteratur. Festschrift für Bernd Janowski zum 70. Geburtstag. Gütersloh 2013, 770 S. Die Beiträge dieser Festschrift entsprechen in ihrer thematischen Vielfalt dem außergewöhnlich breiten Arbeitsfeld des Jubilars in Bibelwissenschaft, Theologie, Altorientalistik und Ägyptologie. Den Herausgebern ist es gelungen, die 38 Aufsätze in vier

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Gruppen sachgerecht zu ordnen: Psalmenstudien (Untersuchungen zur Anthropologie der Psalmen, zur Kosmologie und zur Jerusalemer Kultkonzeption, Exegese ausgewählter Psalmen) – Alttestamentliche Gebete außerhalb des Psalters – Gebete aus dem Umfeld des Alten Testaments (Übergreifende Studien, Ägypten und alter Orient, Antikes Judentum und Islam) – Systematisch- und praktisch-theologische Beiträge. So kam ein erstaunlicher Reichtum an Erkenntnissen und Anregungen zusammen, der einerseits seinen Fokus in dem Thema Gebet bzw. Gebetsliteratur findet und andererseits den außergewöhnlich großen Kreis der Arbeitsgebiete spiegelt, in denen der Jubilar fruchtbar tätig ist. Da die Vielfalt der Beiträge so groß ist, können die Themen hier nicht detailliert genannt oder die Beiträge gar inhaltlich vorgestellt werden, aber das reichhalige Buch muss wärmstens empfohlen werden. Ambos, Claus/ Verderame, Lorenzo: Approaching Rituals in Ancient Cultures. Questioni di rito: Rituali come fonte di conscenza della religioni e delle concezioni del mondo nelle culture antiche. Proceedings of the Conference, November 28–30, 2011, Roma (Rivista degli Studi Orientali Nuova Serie 86, Supplemento No. 2). Pisa/ Roma 2013, 328 S. Eine immer weiterwachsende Zahl von Studien befaßt sich mit Ritualen aus dem Altertum, da sie sich durch Verschriftlichung erhalten haben und uns so Einblick in viele Facetten von Religion und Alltagsleben des Alten Orients bieten. Der vorliegende Band führt uns nach Assyrien und Babylonien, Ägypten, zu den Hethitern, nach Griechenland, Syrien und Israel und ins westliche Mittelmeergebiet. C. Ambos ergänzt in einem ersten Beitrag seine Monographie zu mesopotamischen Bauritualen aus dem 1. Jt. v. Chr. und behandelt in einem weiteren Aufsatz „Rites of passage in Ancient Mesopotamia: Changing status by moving through space: Bit rimki and the ritual of the substitute king“. E. M. Ciampini beschreibt Rituale für die populäre Göttin Hathor, die einen kleinen, aparten Tempel auf der Insel Philae besaß. Dabei bezieht Ciampini die Region Philae als „Rituelle Landschaft“ ein. Federico Contardi behandelt in seiner Studie „The Reception of Royal and Divine Rituals by Individuals in Egypt of the First Millennium“ das Phänomen der Sekundärnutzung von Ritualen, das besonders bei Begräbnissen häufig war. M. Erica Couto-Ferreira: „The River, the Oven, the Garden: the Female Body and Fertility in a Late Babylonian Ritual Text“, behandelt ein Ritual um Fruchtbarkeit (und Unfruchtbarkeit) und wie das Ritual auf und in der Schwangeren wirkt und wirken soll. A. Garcia-Ventura und Mireia López-Bertran („Figurines & Rituals. Discussing Embodiment Theories and Gender Studies“) betrachten eine weitgestreute Gruppe von Tonfigurinen des Mittelmeerraums und Mesopotamiens und interessieren sich für die Körperlichkeit, die manchmal zu einer abstrakten Darstellung, einer „Entkörperlichung“ führt, was sie als „Prozess“ der Figurinen bezeichnen, nicht als statisches Phänomen. P. Giammellaro („The beggar on the threshold. Spaces, ritual crossings and social identity in the Homeric epic“) untersucht die Funktion und Bedeutung der „Schwelle“ und der „Tür (en)“ in den homerischen Texten in Tempeln und Häusern und konzentriert sich dann auf die Verbindung des Phänomens „Schwelle“ und Odysseus bei seiner Rückkehr als „Bettler“ verkleidet nach Ithaka. H. M. Hays („The End of Rites of Passage and a Start with Ritual Syntax in Ancient Egypt“) betrachtet die Strukturen von Passageriten (besonders beim Begräbnis) nach der Methodologie verschiedener bisheriger Analysen und hat dabei ein Augenmerk auf die Ritendarstellung im bekannten Grab des Rekhmire. P. M. Michel: „Ritual in Emar“ stellt die verschiedenen Rituale (Opferdarbringungen, Verhüllung, Salbung, Verbringung in einer Prozession zu einem open-airKultplatz außerhalb der Stadt usw.), dar, die bei der Verehrung von Steinmalen (stan-

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ding stones) und Götterstatuen im spätbronzezeitlichen Emar auf über 1000 gefundenen Tafeln festgehalten sind. Nicola Modena fragt in „Lost in Description: The Missing Rituals of the Queen at the Court of Ancient Israel“, ob die Königinmutter in Jerusalem am Kult beteiligt war, und wenn ja, wie. Beschränkt auf die kärgliche Quellenlage in 1Kön 15,13//2 Chr 15,16 und vergleichbare altorientalische Hinweise läßt sich von einer Beteiligung der Königinmutter nur vorsichtig sagen, dass sie mit Bezug auf 2Kön 23,7 ein Bekleidungsritual für die Aschera-Statue ausgeführt haben könnte. Davide Nadali spürt in „When Ritual Meets Art. Rituals in the Visual Arts versus the Visual Arts in Rituals: The Case of Ancient Mesopotamia“ der gegenseitigen Beeinflussung, De-Codierung usw. von Ritual und physisch-visuellen Medien nach. Andreas H. Pries wendet in „On the use of a grammar of rituals. Reflections from an Egyptologist’s point of view“ diesen Zugang zur formalen Struktur und Bedeutung von Ritualen auf ägyptische Ritualtexte an. A.-C. Rendu Loisel: „Noise, Light and Smoke: the Sensory Dimension in Akkadian Rituals“ zeigt, dass und wie „the powerful incantations, gestures, and the particular use of objects help the priest experience the divine. Luminosity, colors, noise and fragrance create a special atmosphere and human and divine senses complement each other. They make the meeting real and efficacious“ (246). Marta Rivaroli: „The Ritualization of War: the Phases of Bellum and their Sacral Implications“ zeichnet mit Texten und Abbildungen nach, wie der (neo-)assyrische König rituell zu handeln hatte, beginnend mit dem Bruch des Friedenszustandes am Anfang eines Krieges über den Kriegs-/Schlachtbeginn, dessen Verlauf und bis zu einem den Krieg beendenden neuen Friedensschluß. Giulia Torri und Susanne Görke besprechen hethitische Baurituale in Verbindung mit ihrem archäologischen Kontext. Lorenzo Verderame schließt den inhaltsreichen Band mit dem Beitrag: „Means of substitution. The use of figurines, animals, and human beings as substitutes in Assyrian rituals“; dabei richtet er ein besonders Augenmerk auf die Identifikationsprozeß im Rahmen der Ersatzhandlung. Bei den Ritualtypen geht es ihm um Hexerei, Heilungsrituale und den „substitute king“. Maul, Stefan M.: Die Wahrsagekunst im Alten Orient. Zeichen des Himmels und der Erde (Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung). München 2013, 423 S., 45 meist farbigen Abb., 1 Farbkarte. Durch umfangreiche Forschungen zur Sache ausgezeichnet ausgewiesen, hat der Vf. hier eine Darstellung vorgelegt, die eine im Altertum überaus wichtige Seite des Lebens, die Opferschau und Wahrsagekunst, heute in den Einzelheiten kaum mehr bekannt und eher abschätzig als Humbug o. ä. diffamiert, in allen Einzelheiten und Facetten souverän und lebendig, in gut verständlichem Stil, ja, geradezu spannend darbietet. Wie, wann, wo und durch wessen Beteiligung lief eine Leberschau ab? Warum die Leber? Was führt zu einem (positiven oder negativen) Ergebnis der komplizierten Analyse? Wie muss die „Kunst des Fragens“ gestaltet sein? Was tut, wer sich kein Großvieh oder gar kein Tier als Opfergabe leisten kann? Wann und warum begannen Opferschauen und Zukunftsbefragungen? Wer ist dazu fähig? Wie bildet sich ein Stamm von Fachleuten mit (gehütetem) Fachwissen? Wer hat Zugang dazu? Wird das Wissen mündlich gehütet oder schriftlich niedergelegt und wie wird es weitergegeben? Wie ist das Verhältnis von Orakel-Fachleuten und der (Staats-)Macht, gab es eine „Politikberatung“ und wie funktionierte sie? Was wußten die Babylonier als Mütter oder Väter der Sternkunde? Gab es einen „wissenschaftlichen“, einen „interdisziplinären“ Austausch zwischen den Fachleuten? Es wird mindestens zweierlei durch dieses lesenswerte Buch deutlich: Erstens, dass die antiken Techniken heute zwar nicht mehr angewendet werden, unsere Sorge vor einer unbekannten Zukunft, unsere Sehnsucht

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nach Spuren des Kommenden, die uns helfen könnten, bewußter auf die Zukunft zuzugehen, der der Menschen in der Antike entspricht. Zweitens wird deutlich, dass es sich bei den antiken Bemühungen um Blicke in die Zukunft anhand von Opferschau und Wahrsagekunst um alles andere als billigen Humbug handelte. Bei den professionellen Akteuren, den Priester, Stern- und Traumdeutern und anderen Orakelfachleuten, die Wissen und Erfahrung in Schulen gelernt und durch Generationen vererbt bekamen, finden wir eine ernsthafte, mit größtem Aufwand, peniblen Beobachtungen und Aufzeichnungen, mit Sorgfalt betriebene Kunst (!), eine – von Diodor mit der (Lebens-)Philosophie verbunden gesehene – sehr ernstzunehmende frühe Form von Wissenschaft. Die Wurzeln liegen in Babylonien und beginnen bereits im 3. Jt. v. Chr. und werden von hellenistischen Griechen und Römern bewundert und weitergeführt, respektiert und gesucht, vom Herrscher bis zum armen Bauern; der letzte bekannte Text von einem babylonischen Astrologen datiert aus dem Jahr 75 n. Chr. Voraussetzung unseres detaillierten Wissens um diesen wichtigen Lebensbereich der Antike war die Entzifferung der Keilschrift, in der die Archäologie seit dem 19. Jh. wohl über eine Million Tontafeln mit Texten aller Art, Lehrtexten, Beschwörungen, Ritualen, beschrifteten Modellen für Leberschauen usw. entdeckte, an deren Deutung Vf. prominent mitgearbeitet hat. Sternbildnamen, Benennungen von Leber-Teilen gehen auf babylonische Gelehrte zurück. Die Sorgfalt der Beobachtungen von Tieren und Tierteilen, von Himmel, Umwelt und Natur durch die alten Weisen, die Vf. beschreibt, konsequent, scharfsinnig und systematisiert in den Keilschrifttexten, lassen nichts als hohen Respekt zu. Verständlich, dass in der Antike auch höchste Verantwortungsträger, Feldherren und Herrscher, vor nahezu allen wichtigen Entscheidungen den Rat der Weisen suchten. Wie das geschah, ist zu vielfältig und differenziert, um hier dargestellt zu werden. Aber dem Vf. gelingt es, dies alles in seinen teils unglaublich differenzierten Verzweigungen gut verständlich und übersichtlich zu erzählen und auch zu illustrieren. Nach heutigen Maßstäben könnte man befürchten, dass durch Sterndeutung und Leberschau, Vogelflug, Traumdeutung etc. kaum objektive und tragfähige Handlungsrichtlinien gewonnen worden sein können. Es zeigt sich aber, dass anscheinend im Großen und Ganzen durch solche Techniken keineswegs Chaos oder Katastrophen entstanden sind, wie Vf. in einem abschließenden Kapitel seines Buches („Von Sinn und Unsinn der Prognostik“) darlegt und begründet, im Gegenteil. Er zeigt, „dass es kurzsichtig und unangemessen wäre, die Wahrsagekunst des Alten Orients als Aberglaube und eine kulturgeschichtliche Fehlentwicklung abzutun. Sie erweist sich nicht nur als der Nährboden unserer heutigen Wissenschaftskultur. In ihrem Kontext stellt sie eine ausgesprochen wirkmächtige Institution dar, die der Zukunft eine konkrete, verhandelbare Gestalt zu geben vermochte, fortwährend zum Überdenken und Überprüfen der Gegenwartsbedingungen anhielt, erhebliche Freiräume für das besonnene Aushandeln wichtiger politischer Entscheidungen eröffnete und in der Lage war, einen gesellschaftlichen Konsens zu schaffen, um zielstrebiges Planen und Handeln zu ermuntern. So waren es gerade die Mechanismen der altorientalischen Wahrsagekünste, die dauerhaft eine sachbezogene, umsichtige Entscheidungsfindung beförderten und nicht unerheblich zu Erfolg und Beständigkeit der altorientalischen Kulturen beitrugen“ (323). Eine Leserschaft, die wegen des scheinbar abseitigen, überholten Gegenstandes wenig erwarten mag, dürfte am Ende mit Respekt vor den alten Weisen und mit Dankbarkeit gegenüber dem Autor die lehrreiche Lektüre beenden. Minunno, Giuseppe: Ritual Employs of Birds in Ancient Syria-Palestine (Alter Orient und Altes Testament 402). Münster 2013, 165 S.

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Das Buch widmet sich dem selten behandelten Phänomen von Vögeln als „Opfermaterie“ zunächst in (Ritual-)Texten und Siegelbildern aus Emar, einem wichtigen Euphrathafen im 3.–2. Jt. v. Chr. an der Stelle des heutigen Meskéné. Die Texte aus Ugarit zu Vogelopfern, ihren Zwecken und Empfängern sind lückenhaft und erschweren die Zeichnung eines konzisen Bildes. Vermutlich wurden Vögel (Tauben, auch Gänse) den vergöttlichten Ahnen der ugaritischen Könige geopfert, vermutlich auch chthonischen Gottheiten, unter den ugaritischen Hauptgöttern war Baal Zaphon ein Empfänger, aber sonst galten Vögel als Opfer für die Hauptgötter gegenüber Rindern und Schafen wohl meist als zu „billig“. Dass Vögel trotz ihres geringen Wertes geopfert wurden, hängt wohl mit symbolischen Bedeutungen der Vögel für bestimmte Gottheiten und Zwecke zusammen. Nach kurzen Blicken nach Ebla und Mari, wo Vögel in ritueller Verwendung nicht oder kaum erscheinen, eher schon in Alalach, geht Vf. auf den biblischen Befund ein, im wesentlichen auf Lev. 1–7 und 17–26 sowie Deut 12 und 18 (vgl. auch Gen 15,1–17). Vögel werden beim Brand- und beim Sündopfer dargebracht, deren Details Vf. skizziert. Abschließend behandelt Vf. die Verwendung von Vögeln in Ritualen der Phönizier, Punier sowie der Hethiter und Hurriter. U. a. auffallend ist die Tatsache, dass in phönizischen Heiligtümern von Heilgöttern Vogeldarstellungen gut vertreten sind. Im Zusammenhang mit dem punischen „Tofet“ („a funerary institution“) beobachtet Vf. neben vorherrschenden Schafen und Ziegen auch Überreste von Vogelopfern. In der hethitischen und hurritischen Kultur werden Vogelopfer den Göttern der Unterwelt mit einer reinigenden Absicht dargebracht, so dass „Unreinheit“ sozusagen in der Unterwelt fixiert wird. Dass Vögel in diesen wie in anderen Kulturen zu divinatorischen Zwecken benutzt wurden, steht daneben außer Frage. In fast allen behandelten Kulturen bzw. Religionen spielt also ein chthonischer und kathartischer Aspekt eine wichtige Rolle. Vf. vermutet, dass der chthonische Charakter der rituellen Nutzung von Vögeln im syrischen Raum (und der hurritischen und hethitischen Kultur?) eine (oder mehrere) Wurzel(n) hat und sich von dort, nicht zuletzt durch die fernhandeltreibenden Phönizier, ausbreitete. Ob die Verbindung mit der Unterwelt und dem Tod eine Verbindung mit dem „bird-like aspect of the dead“ hat (129, vgl. mesopotamische Belege, ugaritische vergöttlichte Ahnen [rpum] als Vögel und die ägyptische „Ba-Seele“ in Vogelgestalt sowie in der Bibel Jes 8,19; 29,4 und Ez 13,18–20)? Rosenberger, Veit (Hg.): Divination in the Ancient World: Religious Options and the Individual. (Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge 46). Stuttgart 2013, 177 S. In dem auf eine Konferenz im Oktober 2011 in Erfurt zurückgehenden Sammelband legt zunächst Jörn Rüpke dar, dass Divination mit der Notwendigkeit, sich auf ganz bestimmte Situationen einzustellen, deutlicher als viele andere Arten von Ritualen die Flexibilität des Wechselspiels von Tradition und individueller Aneignung, von Institution und Individuum zeigt. Hugh Bowden untersucht den Unterschied zwischen Orakel-Konsultationen in der klassischen Periode und solche Konsultationen in der römischen Kaiserzeit, als Orakel ein Teil einer breiteren Kultur der individuellen Selbstanzeige waren. Esther Eidinov untersucht die Bedeutung des Konzepts des religiösen Selbst für das Verständnis der Ritualpraxis von Orakel-Konsultationen im antiken Griechenland als einem Bereich gemeinsamer Prüfung, Verhandlung und möglicher Kooperation mit übernatürlichen Kräften. Lisa Maurizio fragt, warum fast alle Orakel, die Herodot von Delphi berichtet, exakt sind. Das liegt wohl daran, dass die delphische Weissagungspraxis den Fragestellenden die Freiheit ließ, die Orakel entsprechend ihrer eigenen Interessen zu interpretieren. Susanne William Rasmussen analysiert die (angebliche) Konsultation des delphischen Orakels durch Cicero. Richard

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Gordon zeigt, dass Personen, die Entscheidungen treffen müssen in deutlich unsicheren Situationen, in der Astrologie ein Mittel sahen, mit der Unsicherheit fertig zu werden. Es scheint keine nennenswerte Rolle gespielt zu haben, dass und wenn Prognose nicht bestätigt wurden – wichtiger war wohl, dass eine brauchbare Story herauskam. Wolfgang Spickermann legt dar, dass Lucian von Samosata, in dessen Texten Religion eine wichtige Rolle spielt, die Götter der griechisch-römischen Religion durchaus verehrte, aber Orakel, Magie, Aberglauben und allzu exotische Götter ablehnte. Veit Rosenberger stellt die These auf, dass der berühmte und glänzende Rhetor Aelius Aristides (2. Jh. n. Chr.) in seinen Hieroi Logoi sich selbst beschreibt: „The Hieroi Logoi can be read as an ongoing process of individuation by communicating with the gods. … Through his elaborate self-fashioning, Ailios Aristeides emerges as a unique person in antiquity: Aristides is not the chosen one, but he is a chosen one. This is individuation in perfection.“ (170) Broida, Marian W.: Forestalling Doom. „Apotropaic Intercession“ in the Hebrew Bible and the Ancient Near East (Alter Orient und Altes Testament 417). Münster 2015, XX, 282 S. Die Studie untersucht vergleichend in neoassyrischen und anatolischen Ritualtexten sowie biblischen Texten (Gen 18,23b-32a; Ex 32,11b-13; Ex 32, 31b-32; Num 14,13b19; Num 16,22aβ-b; Deut 9,26aβ-29; Ez 9,8bβ; Ez 11,13bβ; Am 7,2aβ-b, 5aβ-b; 1Chr 21,17aβ-b (vgl. 2Sam 24,17aβ-b) die Rolle menschlicher Handlungsfähigkeit in der Vermittlung bzw. Fürsprache, um vorausgesagtes Unheil und Verderben noch abzuwenden. Sie wendet dabei bei der Textanalyse die Sprechakttheorie an, beachtet rhetorische Sprachelemente und differenziert zwischen den angewendeten Sprachformen der Vermittlung (solche, die auf rituelle, auf magische und auf persuasive Wirksamkeit zielen). Bei den neoassyrischen und anatolischen Ritualtexten finden sich davon in der Regel Kombinationen. Dagegen treten bei den biblischen Textbeispielen (Prosagebete bzw. -reden) viel stärker und freier sachlich-kontextuell gestaltete Reden an Gott auf, die weitestgehend (vielleicht mit Ausnahme von Num 14,13b-19) nur persuasiven Charakter haben. „The speech acts use pathos, logos, and sometimes ethos as if to a human authority, in order to assuage divin anger and persuade the deity to change his decree. Several texts contest group punishment. In no case does the intercessor spell out a role for the beneficiaries in altering their fate. Nor does he aim to affect concretized evil or purify the beneficiary … The narrative genre allows readers to know the context and outcome of the intercession. The HB make it clear that YHWH has an interest in promoting apotropaic intercession and usually accedes to it, at least in part.“ (216). Vf. vergleicht in den neoassyrischen, anatolischen und biblischen Texten die Ziele und Zwecke der Diskurse zur Abwendung des drohenden Verderbens, die rhetorischen und magischen Strategien und warum „causative speech“ in den biblischen Belegen fehlt, fragt vergleichend nach den von den Gottheiten erkennbaren Vorstellungen und Bildern, nach den Schilderungen der menschlichen Handlungsweisen und den Wirkungen der Texte auf die Hörerschaft. Der Vergleich zeigt Übereinstimmungen, aber auch Differenzen zwischen dem neoassyrischen, anatolischen und dem biblischen Material und die festgestellten Differenzen schärfen das Profil der biblischen Beispiele. So zeigen letztere „the intercessors’s initiative, courage, rhetorical skills, and love for their people as they speak out in opposition to their deity“ (241). „In their depictions of human agency the biblical writers had far more freedom than writers of the ritual texts…“ „While the ritual texts were meant to assist intercessors in accomplishing their goal, the biblical texts, as sacred stories, had a different purpose: illustrating what YHWH seeks from his intercessors, and by extension, his people:

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standing up for others, with courage, in the face of injustice and near-certain doom – even injustice and doom from YHWH himself! YHWH’s secret applause as his people challenge his own decisions shows his ultimate interest in building human integrity in an uncertain world.“ (241f).

5. Sakralarchitektur 5.1 Tempel und Kultstätten Kamlah, Jens (Hg.) in cooperation with Henrike Michelau: Temple Building and Temple Cult: Architecture and cultic Paraphernalia of Temples in the Levant (2.–1.Mill. B.C. E.) (Abhandlungen des Deutschen Palästina-Vereins 41). Wiesbaden 2012, 586 S. mit zahlr. Abb., Tabellen, Karten im Text, 73 Tafeln. Das im doppelten Wortsinn gewichtige Buch erschien anlässlich einer Konferenz in Tübingen, die vom 28. – 30. Mai 2010 den 50. Gründungstag des dortigen BiblischArchäologischen Instituts beging. Der Inhalt des Buches ist reich und vielfältig bei relativ moderatem Ladenpreis. T. P. Harrison diskutiert sich wandelnde Formen und Funktionen des Tempels auf dem westsyrischen Tell Taʿyı̄nāt, der öfters mit dem Jerusalemer Tempel verglichen wird; dasselbe gilt für den syrischen Tempel in ʿAin Dāra, den M. Novák vorstellt. Seit den Verwüstungen Syriens im Verlauf des Krieges der letzten Jahre, bei denen der blinde Hass der IS-Kämpfer dazu neigt, alles zu zerstören, was nicht- und vorislamisch und alles, was nach ihrer Meinung nicht orthodox-islamisch ist, werden auch die Berichte über Ausgrabungen weiterer antiker Tempel zu kostbaren Dokumentationen, wie z. B. der Bericht über die eisenzeitlichen Tempel auf dem Tell ʿĀfı̄ṣ (S. Mazzoni), den Tempel des Wettergottes von Aleppo (K. Kohlmeyer) und den spätbronzezeitlichen Tempel von Emar (F. Sakal). Für die Palästinaarchäologie sind die Berichte über die Tempel im spätbronzezeitlichen Hazor (S. Zuckerman), im spätbronze- und eisenzeitlichen Beth-Schean (R.A. Mullins), die „kanaanäischen“ Tempel in Tabaqāt Faḥ il/Pella (S. Bourke), den eisenzeitlichen Tempel auf der Hirbet ʿAtạ̄ rūs (Chang-Ho Ji) und den philistäischen Tempel-Komplex 650 in Ekron (S. Gitin) wichtig. S. Ackerman fragt nach der Teilnahme von Frauen am Kult in Staatstempeln in Israel und Juda wie etwa Jerusalem und kann auf nur weniges hinweisen, im Unterschied zum Befund in anderen altorientlischen Gesellschaften. E. Blum untersucht minutiös den Tempelbaubericht 1Kön 6,1–22 und fragt, ob und wieweit er als historische Quelle für den salomonischen Tempel nutzbar sei, was in letzter Zeit stark in Frage gestellt wird, weil die Beschreibung eher für den Jerusalemer Tempel späterer Zeit infrage kommt. Blum gibt keine eindeutige Antwort, fragt aber mit Recht, ob es im 10. Jh. v. Chr. die Ressourcen für einen so prächtigen Tempel(bau) gegeben habe. O. Keel untersucht eine Gruppe in letzter Zeit entdeckter Siegel und Bullen aus Jerusalem, die etwa ab 880 v. Chr. datiert werden können und nimmt an, dass es aufgrund der Ikonographie der Siegel neben dem Jerusalemer Tempel (und anderen Heiligtümern) auch open-air-Heiligtümer in der Umgebung gab, wo unter Bäumen und bei Malsteinen (Masseben) Tänze bei religiösen Festen aufgeführt wurden. Er vermutet im Jerusalemer Tempel einen leeren Thron. Der Charakter JHWHs war ihm zufolge der eines Baal-Seth, ein Sturm-, Kampf- und Kriegsgott, nicht ein Wetter- und Fruchtbarkeitsgott, der in enger Verbindung mit dem Sonnengott stand

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und den eine „Kiste“ vergegenwärtigte. D. Edelman fragt, was wir über den Jerusalemer Tempel der Perserzeit wissen. Sie bietet eine gute Darstellung des gegenüber dem Ersten (sogenannten Salomonischen) Tempel deutlich veränderten, nicht mehr auf das Königtum bezogenen sogenannten Zweiten Tempels, der auf Priester, Bevölkerung, Traditionsbildung und Literatur bezogen war. B. Janowski behandelt unter der Überschrift „Der Ort des Lebens“ die „Kultsymbolik des Jerusalemer Tempels“ und J. K. Zangenberg faßt 20 Jahre Ausgrabungen des Heiligtums auf dem Berg Garizim zusammen, wo nach einem „paganen“ Heiligtum ein samaritanisches Heligtum seit ca. 450 v. Chr. entstand mit einer weiteren Phase um 200 v. Chr.. Ob die erste Phase ein Tempel oder nur eine Plattform mit Altar war, muss offenbleiben, auch ob sie noch „jahwistisch“ oder schon „samaritanisch“ war. Unter dem Seleukiden Antiochos III. wurde das Heiligtum dann zur Tempelstadt der Samaritaner, parallel zu Stratum II der Stadt Sichem. Johannes Hyrkan zerstörte dann die Tempelstadt kurz nach dem Jahr 111 v. Chr. Von den weiteren Beiträgen ist hinzuweisen auf D. Vieweger, der die kultische Ausstattung philistäischer Heiligtümer beschreibt und B. Morstadt, die dasselbe für phönizische Heiligtümer im Mittelmeerraum leistet. J. Kamlah gibt abschließend einen vergleichenden Überblick über Tempel in der Levante. Dabei kommt er noch einmal auf den Jerusalemer Tempel und seine Beschreibung in 1Kön 6 zurück und vertritt die Meinung, dass der Tempel in seinem Typ entgegen üblicher Auffassung als „syrischer Langraumtempel“ zu differenzieren sei, da dieser Typ nicht aus der Spätbronzezeit bis in die Eisenzeit hineinreiche – mit Ausnahme von Tell Taʿyı̄nāt. Elkowicz, Dominik: Tempel und Kultplätze der Philister und der Völker des Ostjordanlandes. Eine Untersuchung zur Bau- und zur Kultgeschichte während der Eisenzeit III (Alter Orient und Altes Testament 378). Münster 2012, X, 235 S., 77 Tafeln. Es handelt sich um eine sich um Vollständigkeit bemühende Aufnahme der bekannten Tempel, Heiligtümer, Gebäude mit („angeblichem“, „möglichem“) kultischem Charakter der Seevölker/Philister sowie der Geschuriter, Gileaditer, Ammoniter, Moabiter und Edomiter, wobei der Darstellung jeweils ein Überblick über die jeweilige Götterwelt vorangestellt ist (Kap. I–II). Kap. III betrachtet dann sachorientiert die Architektur, die kultischen Installationen, Baukonstruktionen, faßt die Strukturen des Kultbezirks ins Auge, die Lage in der Stadt, fragt nach einem „Ort besonderer Heiligkeit“ (einem Allerheiligsten, einer hervorgehobenen Stelle, Bank, Nische o. ä.) und der Orientierung der Heiligtümer (vgl. eine bildlich-graphische Darstellung dazu auf Tafel 77). Kapitel IV behandelt Opfer- und Kultgeräte: verschiedene Formen von Libationsgefäßen (Kernoi, Rhyta, zoomorphe Gefäße und anthropomorphe Krüge), unterschiedliche Räuchergeräte (Altärchen, Räucherkästchen, Räuchertassen, Räucherschaufeln), Kultständer, Kelche, Scapulae, Kultmasken, Granatäpfel, Messer und in einem Exkurs Opferarten. Eine „Auswertung“ gliedert die Kultstätten in „Stadttempel“, „Torheiligtümer“, „extra-muros-Schreine“ und „Grenzheiligtümer“. Sie stellt fest, dass die Heiligtümer der Eisenzeit in Palästina weitestgehend singuläre Bauten bzw. Einrichtungen waren ohne weitere Parallelen, die Orientierung uneinheitlich gewesen sei, zwischen Spätbronzezeit und Eisenzeit praktisch keine bauliche Kultkontinuität nachweisbar sei, jedoch in der Kultpraxis. Votivgaben hätten in Israel keine besondere Rolle gespielt, eher bei den Nachbarn im Osten und Westen. Während in der Eisenzeit I die Heiligtümer unabhängig von den Herrschern gewesen seien, könne man in der Eisenzeit II von Nationalheiligtümern in Jerusalem, Dan, Bethel, Dibon und vielleicht auch in Ammon sprechen. In der Eisenzeit I sei in Philistäa nur ein Stadttempel in Tell el-Qasile belegt, sonst überwogen wohl offene Kultplätze, wie biblisch Ri 17f und einige Ausgrabungen belegten. In Eisenzeit II haben Pella, Khirbet al-

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Mudayna, Khirbet ’Atarus und Ekron Stadttempel, nach schriftlichen Quellen Jerusalem, vielleicht Rabbat Ammon und Dibon. Vf. berichtet zusammenfassend über die Einrichtung der Heiligtümer: Allerheiligstes und Masseben (außerhalb des Philistergebietes); Metallene Götterbilder wie in der Spätbronzezeit fehlen in der Eisenzeit I, in der Eisenzeit II tauchen sie in Ton wieder auf. Lückenhafter ist die Kenntnis über Kultpersonal und deren Tätigkeiten; kultischer Tanz sei in Israel verbreitet gewesen (auch bibeltextlich gut belegt). Die Opferpraxis (Libationen, Brand-. Schlacht-, Räucheropfer usw.) habe sich über die Jahrhunderte verändert. Es scheint, dass nach Vf. in JHWH- wie in den Heiligtümern der Nachbarn im wesentlichen die gleichen Tiere geopfert wurden. Menschenopfer scheint in Israel und bei seinen Nachbarn – wenn überhaupt – eine Ausnahme gewesen zu sein (anders M. Bauks). Die 77 Tafeln enthalten Karten, Pläne und zahlreiche Illustrationen. Hundley, Michael B.: Gods in Dwellings. Temples and Divine Presence in the Ancient Near East (Writings from the Ancient World Supplement Series 3). Atlanta, Georgia 2013, XXVI, 425 S., zahlr. Abb. und Pläne. Der erste Teil des Buches bildet eine vergleichende Materialsammlung zu altorientalischen Tempeln und Tempelkomplexen in Ägypten, Mesopotamien, dem Hethiterreich in Anatolien und in Syrien-Palästina. Es geht dem Vf. um die „offizielle Religion“ großer Tempel und die Schnittstellen zwischen Gott und Mensch und ihre Kommunikation, die Funktion von Architektur, Nutzung, Kommunikation der Akteure bzw. Teilnehmer im Kult, die zugrundeliegende Ideologie. Wie äußert sich die Präsenz der Gottheiten und wie ist sie dargestellt (Kultbilder), in welchem Verhältnis stehen Bild und Gottheit? Wie versuchen die Kultakteure die Anwesenheit und Wirksamkeit der Gottheiten zu gewährleisten? Welche Rolle spielen dabei die Architektur, die Raumgestaltung, die Riten? Was ergeben Vergleiche zwischen den Daten und Fakten in den untersuchten Regionen? Der zweite Teil legt einen Schwerpunkt auf die Frage der göttlichen Präsenz in den altorientalischen Tempeln der verschiedenen Regionen, den konkreten Umgang mit den Gottheiten und ihren Bildern, dem Verhältnis von Mensch und Gott(esbild). Fragen von Typen der Gottesbilder und ihrer Herstellung werden behandelt. Dabei arbeitet Vf. Vergleichbarkeiten, aber auch Differenzen heraus. So seien die Götterstatuen in Mesopotamien durchaus funktionierende Götter auf Erden; bei Zerstörungsgefahr distanzieren sich Götter von ihrer Statue, sie fliehen gen Himmel. Die Statue bleibt als Hülle („body“) leer. Beschädigungen lösen die Verbindung zwischen Gott und Statue aber nicht, eine Reparatur („Heilung“) und neue Weihe ist möglich. Statuen werden oft als Götter identifiziert, aber der Gott sei doch nicht „coterminous with its statue“ (279). Die Statue sei nicht die „Fülle“ des Gottes, sondern nur eine Manifestation. In Syrien-Palästina verstehe man Götterbilder als „access points to the otherwise distant deities“ (356). Statuen seien als „Wohnungen der Götter“ (akkad. sikkānum) verstanden worden. Einfache Betyle bzw. Steinmale finde man in der offenen Landschaft oder in Dörfern, in Städten eher Statuen. Eine Entführung oder Exilierung einer Götterstatue sei als „humiliation“ zu verstehen, Zerstörung sei eine noch schlimmere Maßnahme. Deportation von Götterbildern deutet Vf. in seinem materialreichen Buch ausschließlich negativ. Dass jedoch die Assyrer die Götter(statuen) besiegter Orte und Länder auch nach Assur transportierten, um die Götter dort als Söhne oder Töchter ihrem Hauptgott bzw. ihren Göttern zu „adoptieren“, also zu akzeptieren und dann zurück zu schicken, sollte ergänzt werden. Kaniuth, Kai/ Löhnert, Anne/ Miller, Jared L./ Otto, Adelheid/ Roaf, Michael/ Sallaberger, Walther (Hg.): Tempel im Alten Orient. 7. Internationales Colloquium der Deut-

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schen Orient-Gesellschaft, 11.–13. Oktober 2009, München (Colloquien der Deutschen Orient-Gesellschaft 7). Wiesbaden 2013, 507 S., zahlr. Abb. Tempel prägen die Kultur und das Leben des Alten Orients ebenso entscheidend wie Kirchen unser Stadt- und Dorfbild prägen. Dem trägt auch der hier anzuzeigende Band Rechnung. Aus den 24 Beiträgen seien die für die Leserschaft dieses Jahrbuchs besonders interessanten Aufsätze herausgehoben: Uri Gabbay gibt Einblicke in sumerische Gebets- und Klagepraxis im Tempel. Susanne Görke beschreibt hethitische Tempelrituale. Für Bibelwissenschaftler dürfte der Beitrag von Markus Hilgert interessant sein: „‚Tempelbibliothek‘ oder ‚Tafeldepot‘? Zum rezeptionspraktischen Kontext der ‚Sippar-Bibliothek‘.“ Hilgert warnt mit konkreten Beispielen vor der vorschnellen, die Interpretation möglicherweise irreführenden Bezeichnung „Bibliothek“ beim Fund altorientalischer Texte. In einem gesicherten archäologischen Kontext wurde im neubabylonischen Sippar, nahe einem Sonnengott-Heiligtum ein Raum entdeckt, der in Nischen-Reihen in der Wand Platz für ca. 3400 Keilschrifttafeln bot und deren Nischen zu 15 % mit ca. 500 Texttafeln gefüllt waren, beschrieben fast ausschließlich mit altorientalischen Traditionstexten: Ca. 60 % waren Omensammlungen (28,2 %), lexikalische Texte (19,4 %) und Klagelieder (11,9 %). Mythisch-epische Texte machen 9,2 % aus, daneben magische, (pseudo-)historische Texte, Hymnen und Gebete, Textkommentare sowie medizinische, astronomische, theologische, mathematische u. a. Texte. Archäologischer Kontext und Kolophone lassen die Sammlung auf die Zeit zwischen 635 und 550 v. Chr. datieren. 44 Personen/Familien sind als Eigentümer bzw. Schreiber feststellbar. Es handelt sich also nicht um die „Bibliothek“ eines einzelnen Besitzers oder um eine nachweisbare Tempelbibliothek, sondern, wie Vf. vorsichtig meint, ein „Tafeldepot“ von Schreibern, Klagesängern, Opferschau-Experten und Beschwörer, die vermutlich u. a. während ihrer Ausbildung die Texte verfaßten, ein „Archiv von Übungskopien“, die eine „inhaltliche Affiität zu … Kulthandlungen in dem umgebenden Heiligtum“ hatten, eine „Anhäufung … separater ‚Privatsammlungen‘ von Gelehrtenfamilien“. Ob es Vergleichbares am Jerusalemer Tempel gab? Wir wissen durch 2Makk 2,13–15 aus dem 2. Jh. v. Chr. nur von evtl. Musterbüchern, die man im Tempel ausleihen konnte. M. Jursa berichtet über „Die babylonische Priesterschaft im ersten Jahrtausend v. Chr.“ und K. Kleber über Ökonomie, Politik und Kult im und um den babylonischen Tempel, W. Kuntner und S. Heinsch über „Die babylonischen Tempel in der Zeit nach den Chaldäern“. Angesichts der 200jährigen Oberherrschaft Assyriens über Israel und Juda ist es lesenswert, was W. Meinhold über „Tempel, Kult und Mythos: Zum Verhältnis von Haupt- und Nebengottheiten in Heiligtümern der Stadt Aššur“ ausführt. Für die Diskussion über evtl. (syrische) Vorläufer des Jerusalemer Tempels ist der Aufsatz von A. Otto („Gotteshaus und Allerheiligstes in Syrien und Nordmesopotamien während des 2. Jts. v. Chr.“) belangvoll. Von grundsätzlichem Interesse ist M. Roafs Aufsatz „Temples and the Origin of Civilisation“. Er meint, dass angesichts der gängigen Meinung von ökonomischen, ökologischen und sozialen Faktoren als Auslöser der „neolithischen Revoluton“ dem Aufkommen monumentaler Tempelanlagen parallel zu urbanen Strukturen mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden soll. Ragavan, Deena (Hg.): Heaven on Earth: Temples, Ritual, and Cosmic Symbolism in the Ancient World (Oriental Institute Seminars 9; The Oriental Institute of the University of Chicago). Chicago, Illinois 2013, VIII, 463 S., 174 Abb. Es geht um das wichtige Thema der kosmischen Symbolik sakraler Architektur, das vergleichend von der Archäologie, der Kunstgeschichte, der Religionsgeschichte und der Orientalistik bzw. Philologie her an Beispielen aus der nahöstlichen Antike (ein-

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schließlich Griechenland), Mittelamerika, China und Südasien bearbeitet wird. Tempel sind das Zentrum des Rituals, sie stehen nicht kontextlos für sich, sondern sind in der Regel Teil einer „ritual landscape“. Tempel, definiert die Hg., sind „a reflection, or embodiment, of the cosmos“ (1). Es geht in den Beiträgen darum, wie Ritual zwischen dem physischen Raum der sakralen Architektur, die den sakralen Raum bildet und auch begrenzt, bzw. dem visuell oder textlich beschriebenen Raum einerseits und andererseits dem symbolischen Raum des Kosmos, der sakralen Topographie in Mythen, Erzählungen, und der Kunst vermittelt. Die drei Themen sind also Tempel, Ritual(praxis) und Kosmologie. Die Beiträge entfalten einen Reichtum dessen, was ein Tempel, ein sakraler Raum, eine sakrale Landschaft sein kann, vom gewaltigen Tempelkomplex inner- und außerurban bis zum open-air-Platz. Ritual und sein Ort gehören eng zusammen, schon wegen des performativen Charakters des Rituals. Informationen dazu betrachten die Beiträge in rituellen, liturgischen und anderen Texten wie in Artefakten. Wenn die Beiträge von „Himmel“ sprechen, verstehen sie den Begriff vom griechischen „Kosmos“ her in seiner Entwicklung als „Ordnung“, „Universum“, „All(es)“, wobei der Gedanke der „Ordnung“, die sich im sakralen Raum manifestiert, anthropologisch bedeutend ist, denn Kosmologien sprechen nicht nur von einer ungeordneten oder geordneten Welt, sondern auch vom Platz des Menschen darin und der sozialen Ordnung. Wie spiegelt sich kosmische Ordnung in sakraler Architektur, wie beeinflussen sich Ritual und sakraler Raum, sakrale Architektur gegenseitig? Welche Rolle spielen Säulen, ein Raum, ein Gebäude, eine Stadt als Abbild oder Teil des Kosmos? Was bedeutet der Zugang/Eingang zum sakralen Raum und wie ist er gestaltet? In welchem Verhältnis und welcher evtl. Beeinflussung stehen gebauter und umbauter Raum einerseits und Natur/natürliche Formen andererseits zueinander? Natürlicher, sozialer und mythischer Raum durchdringen einander dynamisch, wenn kultische Feste im Rahmen der Landschaft (z. B. hl. Bergen) oder sakralen Komplexen (z. B. Toren, Tore zwischen Welt und Unterwelt) stattfinden und „movements“ der Götter nachstellen (Itinerare, Prozessionen). Dabei kann sich eine „miniaturized cosmic landscape“ von Götter- und Menschenprozessionen ergeben (11). Regelmäßige offiziell-institutionelle Prozessionen und „daily devotions of the religious elite“ kann man repräsentativ auf ägyptischen Tempelwänden beobachten. Oft ist der König zentrale Figur des offiziellen Staatskults (Mesopotamien, Iran, Ägypten), was sich in mesopotamischen Texten des 2. Jt. v. Chr. (metaphorisch, Hirtenbilder), aber auch in Abbildungen (Tempelwände u. ä.) ablesen lässt. Einer der beiden „Responses“ auf die Beiträge am Ende des Buches wirft die Frage auf, ob tatsächlich entsprechend den meisten Beiträgen sakrale Architektur eine Reflektion des Konzepts des Kosmos sei oder mindestens manchmal auch umgekehrt Architektur das Modell sei, aufgrund dessen kosmologische Konzepte entworfen worden seien. Dubovský, Peter: The Building of the First Temple. A Study in Redactional, Text-Critical and Historical Perspective (FAT 103). Tübingen 2015, 264 S. Nach einer Skizze der Buchintention und einem Überblick über die bisherige Forschung skizziert Vf. aufgrund altorientalischer Texte die regelmäßigen Restaurationen bzw. Umbauten von Tempeln im Alten Orient/Mesopotamien. Er fragt nach Restaurationen und den Gründen für ihren Notwendigkeit beim Jerusalemer Tempel und nach seinen Funktionen, geht die in der Hebräischen Bibel beschriebenen religiösen Reformen und Restaurationen des Jerusalemer Tempels von Joasch über Ahas, Hiskija, Manasse, Amon und Josia durch und sucht die Motive für die Veränderungen zu erkennen. Vor allem aber steht 1Könige 6–8 im Zentrum der Studie. Die „Stratigraphie“ des Textes wird genau untersucht, die Terminologie der Architektur (vor allem

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hekal und ulam), die Dimensionen des Tempels, die Baumaterialien und die Tempeldekoration sowie speziell die Cheruben. Im Ergebnis entwickelt Vf. eine Hypothese, die in einer ersten Phase mit einem „Cedar Temple“ rechnet, in einer zweiten Phase mit einem dreiteiligen Tempel plus Seitenräumen nd schließlich mit einem „Urban Temple“, einem Tempelkomplex. Er schließt mit der Feststellung, dass angesichts dieser Phasen nicht mehr pauschal vom „vorexilischen oder Salomonischen Tempel“ gesprochen werden sollte. Es gab keinen Zeitpunkt, wo „all the architectural and decorative elements ascribed to Solomon coexisted in the actual temple“ (216). Vieles wurde im Lauf der Zeit zugefügt, anderes ersetzt. Der üblicherweise abgebildete dreiteilige Tempel (vgl. Ain Dara und Tell Tayinat) stellt nur eine der Entwicklungsphasen des Ersten, des sogenannten Salomonischen Tempels dar.

5.2 Kultinventar Dohmen, Christoph: Studien zu Bilderverbot und Bildtheologie des Alten Testaments (Stuttgarter Biblische Aufsatzbände Altes Testament 51). Stuttgart 2012, 253 S. Durch seine – sogar in zweiter, erweiterter Auflage (1987) erschienene – Dissertation zum Bilderverbot von 1985 ist Vf. für das Thema bestens ausgewiesen. Die 26 Beiträge (einer war bisher unveröffentlicht) bilden gesammelt ein angesichts des wichtigen Themas willkommenes, kompaktes Arbeitsinstrument. Äußerlich-formal handelt es sich um Lexikonbeiträge, „normale“ exegetisch-theologische Zeitschriftenaufsätze, aber auch Essays in praktisch-theologischen und populärwissenschaftlichen Publikationen, eine Rezension und sogar eine Rede zu einer Ausstellungseröffnung. Dabei zeigt Vf. die Fähigkeit, selbst schwierige theologische Sachfragen klar und verständlich auf den Punkt, auf den Begriff zu bringen oder in eine Metapher zu kleiden. Das Buch enthält vier Abschnitte: Es beginnt mit exegetisch-philologischen „Grundlagen“, wo hebräische Begriffe geklärt werden (z. B. päsäl, nsk, sämäl, massekāh, temūnāh). Der zweite Abschnitt setzt die Dissertation des Vf. („Das Bilderverbot. Seine Entstehung und seine Entwicklung im Alten Testament“, BBB 62, Bonn 1985, 2. Aufl. 1987) voraus und ist deshalb kürzer; er bietet darauf aufbauend die Aufsätze „Religion gegen Kunst? Liegen die Anfänge der Kunstfeindlichkeit in der Bibel?“, einen kompakten Lexikonartikel zum Bilderverbot im AT und im NT sowie „Du sollst dir kein Bild machen… . Was verbietet das Bilderverbot wem?“. Dabei wird deutlich, dass das Bilderverbot engstens mit dem Fremdgötterverbot zusammenhängt, jenes entstand aus diesem bzw. ist die Konsequenz. Das Bilderverbot ist also kein Kunstverbot, hat mit Kunst, künstlerischer Gestaltung und Wertung gar nichts zu tun. Seine Funktion ist die eines „Wächters der Theo-logie“, u. a. wahrt es die Transzendenz Gottes. Der dritte Abschnitt bietet acht sehr lesenswerte exegetische Texte u. a. zu Ps 19, zur Gottesbeschreibung des Ezechiel und seiner Visionen-Welt, zur theologischen Konzeption des Jerusalemer Tempels als „Gottes Treffpunkt“ und verfolgt die innerbiblische „Dynamik des Bilderverbots“. Der vierte Abschnitt, schlicht mit „Wirkungen“ überschrieben, verfolgt das Bildthema auf dem Konzil von Nikaia im Jahr 787, betrachtet auf der Basis des Bildthemas „Kirche und Synagoge: Getrennte Einheit?“ und verfolgt entdeckerfreudig „Das Alte Testament in Bildprogrammen christlicher Kunst“. Auch eine Ansprache zu einer Ausstellungseröffnung sowie eine meditative Betrachtung zu einer Plastik in der Regensburger Universitätskapelle und u. a. „Überlegungen zur Visualisierungen von Gottesvorstellungen“ in Texten (eine höchst sensible Betrach-

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tung der Gottesbegegnung Abrahams in Gen 18!) sowie auf Ikonen, Gemälden und in Filmen gehören zu den acht wirkungsgeschichtlichen Beiträgen. Alle Texte des Vf. sind sehr gehaltvoll und lohnen ein sorgsames Lesen. Solche exegetische und theologische Arbeit kann in der Praxis der Kirche Wirkung entfalten. Luiselli, Maria Michela/ Mohn, Jürgen/ Gripentrog, Stephanie (Hg.): Kult und Bild. Die bildliche Dimension des Kultes im Alten Orient, in der Antike und in der Neuzeit (Diskurs Religion. Beiträge zur Religionsgeschichte und religiösen Zeitgeschichte 1). Würzburg 2013, 245 S., 63 Abb. Kultbilder erlauben einem „transzendenten Wesen“ nach antiker Vorstellung, „präsent“, „erreichbar“ und auch „erfahrbar“, eine Kontaktmöglichkeit für Menschen mit dem Göttlichen in sakralem Bereich zu sein, der Zugang unterlag Voraussetzungen und Regeln. Dabei kann das Kultbild die Gottheit (zeitweise) repräsentieren oder die Gottheit in demselben „einwohnen“, was beides die Bedeutung des Bildes als Medium des Kontakts mit der Transzendenz unterstreicht. Kenntnis des Kultbildes und dessen ritueller Verehrung bieten die Möglichkeit der Rekonstruktion des Kults. Im kultischen Vollzug können performative bzw. bildliche Elemente die Umsetzung von Mythen darstellen. Kultbilder können auch „umfunktioniert“ werden und dann Gegenstand nichtritueller Handlungen oder Zusammenänge sein. Es gibt verschiedene „Transformationen“ im Rahmen sozialer und kultureller Prozesse. Das Verhältnis von Kult und Bild zeigt sich gegenständlich in der Verehrung des Bildes im Kult, im Kontext des Kultes insgesamt bzw. der rituellen Handungen und als Quelle der Rekonstruktion von kultischen Vollzügen. Die unterschiedlichen Zusammenhänge zwischen Kult und Bild werden hier in drei Beiträgen aus der Ägyptologie behandelt (M. M. Luiselli: „Images of Personal Religion in Ancient Egypt: An Outline“; S. Bickel: „Altägyptische Schöpfungsvorstellungen im Kult: Mythos, Text und Bild“; M. Bommas: „Pyramids in Ancient Rome: Images without Cult?“), wobei Luiselli Bild-KultPraktiken auf privaten Grabdenkmälern untersucht, wo die Stifter opfern und beten. Bommas geht der Frage nach, wie die architektonische Form der Pyramiden im antiken Rom in diesem sekundären Kontext funktional (noch kultisch-funerär?) zu verstehen sind. Bickel sieht sich in ihrem Beitrag dem Problem gegenüber, dass es in Ägypten nicht einen zusammenhängenden Schöpfungsmythos gab, sondern sehr viele. Bildet man aus dieser Vielfalt „Grundvorstellungen“, so kann „durch einen punktuellen Verweis, durch ein kleines Fragment aus dem Gesamtfundus“ eine „fragmentierte Evokation“ im Kult sinnstiftend aktualisiert werden. M. Guggisberger („Lebendige Götter? Zum Verhältnis von Gottheit und Götterbild im antiken Griechenland“) interessiert, wie Götterbilder als „Kontaktpunkte“ zwischen Mensch und Gottheiten verstanden wurden. Eine „Lebendigkeit“ der Götterbilder, so das Ergebnis, zeigt sich durch die Hinweise auf Sinnesorgane der Götterbilder. H.-P. Mathys („Bilder und Bilderverbot in Israel – der Mensch als Bild Gottes“) geht von der Tatsache aus, dass es Gottes-/Götter-Bilder in Israel zweifelsfrei gab und nimmt den Faden bei mesopotamischen Götterbildern und ihrer (rituellen) Herstellung auf, um dann die dem Bilderreichtum (in Mesopotamien und Israel) entgegenstehende Bilderpolemik und deren Begründung in der Hebräischen Bibel zu thematisieren. Er fragt: Waren anikonische Götterdarstellungen eine Vorstufe des Bilderverbots? Mathys skizziert eine bejahende These des schwedischen Forschers T. N. D. Mettinger, die freilich starken Widerspruch erfuhr, und die entsprechenden textlichen, bildlichen und archäologischen Belege, dann die Frage verschiedener bildlicher Darstellungen Jahwes, u. a. die These H. Niehrs von einem Jahwebild im Jerusalemer Tempel, bespricht sprachliche Bilder für Jahwe und die Aufnahme religiöser Bilder aus Israels Umgebung im AT. Abschlie-

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ßend behandelt er „die Gottebenbildlichkeit des Menschen“ nach Gen 1,26f, die Bedeutung diesesTheologumenons und abschließend die Frage, ob die Gottesebenbildlichkeit des Menschen und das Bilderverbot sich widersprächen; sie tun es nicht. Die mit 35 Abbildungen ausgestattete Darstellung von Mathys in diesen viel diskutierten Themenbereichen ist von souveräner Sachkenntnis und klugem Urteilsvermögen gekennzeichnet. B. U. Schipper („Kultbilder im antiken Israel. Das Verhältnis von Kult und Bild am Beispiel der anikonischen Kultobjekte“) zeigt in guter Ergänzung zu dem Beitrag von Mathys, dass die in Bibel und Archäologie gut belegten anikonischen sog. „Masseben“ durchaus als Kultbilder angesehen werden können, da sie in ihrem Kontext rituelle Funktion und kultische Bedeutung hatten und deshalb wie ikonische Gegenstände als Kultbilder angesehen werden sollen. U. Brunotte („Bilderkult und Ikonoklasmus. Die Lehre von der Inkarnation und das reformatorische Problem der Verkörperung“) zeigt den Zusammenhang von Idolatrie und Ikonoklasmus u. a. daran auf, dass Bilderzerstörung den Bildern Aktivität und Kraft zuschrieb. Sie weist auch darauf hin, dass in reformatorischen Bilderstürmen Verstümmelungen zeigen, dass nicht nur an Repräsentation, sondern an eine „tatsächliche Verkörperung des Abgebildeten“ geglaubt wurde. J. Mohn („Von den Kult-Bildern zum Bilder-Kult ‚romantischer‘ Kunstreligion: Religionsgeschichtliche Interpretationen zu Philipp Otto Runges Zeiten-Zyklus in religionsaisthethischer Perspektive“) zeigt: „Nicht der Kult kontextualisiert und bestimmt die Bilder, die zum Ausgangspunkt eines Kultes werden sollen, der den individuellen Rezipienten anspricht und ihn in den Mittelpunkt des Vermittlungsanliegens der Kunstwerke stellt. Die Bilder von [Caspar David, H. M. N.] Friedrich und das intendierte Gesamtkunstwerk des Zeitenzyklus bei Runge werden daher als Objekte eines kultischen Umgangs und als Transformationsgestalten religiöser Anliegen in der Verehrung der Natur interpretiert.“ (11). Golani, Amir: Jewelry from the Iron Age II Levant (Orbis Biblicus et Orientalis, Series Archaeologica 34). Fribourg/ Göttingen 2013, 313 S. Schmuck von Frauen wie Männern findet man in archäologischen Grabungen sowohl in privaten Häusern als auch in Tempeln als Opfergaben, als Bestandteile von Bau-/ Gründungsdeposits und als Grabbeigaben. Die Formen sind natürlich sehr verschieden. Schmuckfunde bereichern unser Bild der Lebenswelt und Kultur der Besitzerinnen und Stifterinnen, in diesem Fall der Levanteküste in der Eisenzeit II (ca. 900–600/ 550 v. Chr.). Das Buch berichtet darüber und über die verschiedenen Materialien (Metalle, Halbedelsteine, Stein, Keramik, Holz, Knochen, Elfenbein, Muscheln), Herstellungstechniken und Beschaffung/Handelswege sowie Werkstätten und ihre Einrichtungen. Kulturelle Merkmale lassen auf Beeinflussungen (Ägypten, Mesopotamien, Syrien und Griechenland) schließen. Regionale und lokale Stile (phönizisch, spätphilistäisch, israelitisch und judäisch) werden erkennbar. Ein Abschnitt analysiert die soziale Bedeutung und Funktion des Schmucks (sozialer Status, Rang, Ämter, ethnische oder kulturelle Marker, religiöse Funktionen im Kult und als Amulett und als Handelsware). In einer konzisen Zusammenfassung vermag Vf. eine Typologie und die technische Entwicklung der Schmucktypen zu skizzieren mit den archäologischen Fundkontexten, einem Abriß des handwerklichen Profils der „Schmuckhandwerker“, der Handelswege und regional-lokalen Schwerpunkte und der Bedeutung von Schmuck. Den zweiten Teil des stattlichen Bandes bildet ein typologischer, sorgfältig und ausführlich kommentierender Katalog, mit zahlreichen Tabellen, die den Fundort, Material, Anzahl der Fundstücke, genaue Fundstelle bzw. -art, Datierung, literarische Referenz und ggf. Bemerkungen aufführen, gegliedert in Ohrringe verschiedenster Art und Typen, kleine Ringe, große Ringe, Fußringe/-spangen, Armringe, Armbän-

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der, Armketten, Anhänger, Amulette, Perlen und Stirnbänder. 35 Tafeln schließen den Band. Asher-Greve, Julia/ Goodnick-Westenholz, Joan: Goddesses in Context. On Divine Powers, Roles, Relationships and Gender in Mesopotamian Textual and Visual Sources (Orbis Biblicus et Orientalis 259). Fribourg/ Göttingen 2013, 454 S., 155 Abb. Ein so kompaktes und fesselndes, textlich und bildlich sehr gut dokumentierendes Werk zum Thema hat es bisher kaum gegeben. Titel und Untertitel des Buches bezeichnen treffend, was die Leserschaft erwartet. Aus verschiedenen Perspektiven und Fragestellungen wird durch 3000 Jahren bis in die hellenistische Zeit die immer bedeutende, aber sich oft verändernde Rolle von Göttinnen in Mesopotamien verfolgt, wie sie Texte und Bilder, Repräsentationen in den verschiedensten Medien erkennen lassen, theologische Strategien bei der Darstellung, Funktionen und Funktionswechsel (auch „gender switch of deities“!) in Religion, Kult und Alltagsleben. Die Vfn. zeigen – unter dem Begriff des „Synkretismus“ – zahlreiche Fusionen, Aufspaltungen, Mutationen bei den Rollen und Funktionen von Göttinnen im Rahmen der Entwicklung von Religionen und Kulten. Wenige Göttinnen bewahren ihre „Identität“ unverändert durch Jahrtausende. Bei allen Wandlungen bleiben sie aber immer wichtig und mächtig, werden nie marginalisiert. Im Einzelnen findet die Leserschaft zunächst eine Einleitung der beiden Vfn. mit einer Karte Mesopotamiens und einer ausführlichen Zeittafel. J. M. Asher-Greve stellt „Gender Theory and Issues“ vor. J. Goodnick-Westenholz zeichnet für die Göttinnen „The Processes: Syncretism, Fusion, Fission, and Mutation“ nach, zunächst seit ca. 3300–2000 v. Chr. „The First Stage: Profusion“, dann „The Second Stage: Recession“ (ca. 2000–1000 v. Chr.), schließlich „The Third Stage: Homogenity and Simplification“ (ca. 740–141 v. Chr.). J. Asher-Greve konkretisiert „Facets of Change“ und „Images“ im Rahmen der Religion und einem „Survey Through Time, Space and Place“. Beide Vfn. führen die Ergebnisse in einem „Epilogue“ zusammen. Das sehr empfehlenswerte Arbeitsbuch wird durch ausführliche Indices gut erschlossen und endet mit 155 sehr guten Fotos, Umzeichnungen und Plänen. Braun-Holzinger, Eva Andrea: Frühe Götterdarstellungen in Mesopotamien (Orbis Biblicus et Orientalis 261). Fribourg/ Göttingen 2013, 238 S., 46 Tafeln. Vfn. führt in ein schwer überschaubares „Gelände“ in eine „neblige“ Frühzeit, wo Menschen beginnen, sich ein Bild von ihren Göttinnen und Göttern zu machen, wo auf frühen Bildszenen auf Siegeln und Weiheplatten noch nicht einmal klar ist, ob Menschen (Herrscher) oder Götter bei Bankett- oder Kultszenen abgebildet sind, was erst seit dem südmesopotamischen Herrscher Urnansche von Lagasch (um 2520 v. Chr.) in der sogenannten Späten Frühdynastischen Zeit durch Hörnerkronen bei Göttern klarer wird, Götter also anscheinend zunächst fehlen. Urnansche scheint ein Wendepunkt zu sein, der als Bauherr Bilddarstellungen beherrscht, aber Götter mit ins Spiel bringt, erstmals mit Hörnerkrone. Vfn. erweist sich in dieser schwierigen Forschungslage als vorsichtige, erfahrene und kundige Führerin, z. B. bei den sog. „Bootgottszenen“ oder der weiteren Entwicklung auf der „Götterseite“ der sogenannten Geierstele, wo die Gottheit als Kriegsherr mit göttlichem Gefolge auftritt. Vfn. kann Entwicklungen bei den charakteristischen Götterkronen feststellen, von einfachen Hörnerpaar zu pflanzlich geschmückte Hörnerkronen. Sie betrachtet die Ikonographie der Rollsiegel seit der frühsumerischen Zeit, das von Herden, von Vieh- und Ackerwirtschaft beherrscht wird (mit der Tempelwirtschaft im Hintergrund), wo auch Gefahren und Schutz angedeutet und der „Tierkampf“ bis zum Ende des 2. Jh. v. Chr. abgebildet sind. In der Akkad-Zeit tritt der „vergleichbar komponierte Götterkampf“

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Altorientalische und Israelitisch-Jüdische Religion (2011/2012–2015)

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zur Abwehr „feindlicher Mächte gegen das zivilisierte Leben“ auf Siegeln auf. Gegen Ende der frühdynastischen Zeit bildet sich eine „allgemein verbreitete Götterikonographie“ heraus, am Beginn der Akkad-Zeit werden Kultszenen zahlreicher und Siegelbesitzer lassen sich vor einer Gottheit stehend abbilden, die durch Begleittiere und Attribute individuell erkennbar ist. In die frühdynastische Zeit gehören schließlich auch die bekannten „Beterstatuetten“, mit denen Menschen mit ihren Gottheiten im Tempel Kontakt suchen. Alles wird mit einem Katalog und 46 Tafeln belegt. Darby, Erin: Interpreting Judean Pillar Figurines. Gender and Empire in Judean Apotropaic Ritual (Forschungen zum Alten Testament, 2. Reihe, 69) Tübingen 2014, 588 S. Darby setzt die nach wie vor grundlegende Studie von Raz Kletter: Judean PillarFigurines and the Archaeology of Asherah, 1996, fort. Die lokal und regional von verschiedenen Töpfern/Handwerkern hergestellten, nicht importierten Figurinen repräsentieren nach Darby durchaus große Göttinnen, nicht etwa nur einen Aspekt der Fruchtbarkeit o. ä., sie werden in der „Volksreligion“ genutzt, sowohl von Menschen, die einen niedrigeren, aber auch Menschen, die einen höheren gesellschaftlichen und sozioökonmischen Status einnahmen, meist, aber nicht ausschließlich Frauen. Ziel und Zweck der Nutzung waren wohl oft „Frauenangelegenheiten“, aber auch dies keineswegs ausschließlich. Denn die Funktion der Figurinen war kaum so eindeutig und einseitig, wie früher meist angenommen, die Förderung der Fruchtbarkeit oder allgemein apotropäisch, sondern vor allem Schutz und Heilung. Sie dienten sozusagen als Vermittler zu den Göttern/Gott und waren insofern auch keine direkte Gefahr für den Jahweglauben. Ihr Design weist nicht auf eine bestimmte Göttin. Die damit verbundenen Rituale fanden in der Regel in Häusern (vielleicht gelegentlich auch an/in Grabstätten, aber das ist unsicher), nicht in Tempeln statt. Damit ist auch angedeutet, dass sie keine Votivgaben und keine Hausgöttinnen waren. Das Vorkommen der Figurinen ist anscheinend nicht berührt durch eine der vermuteten religiös-kultischen Reformen in Juda (Hiskia, Josia) und läuft im 6. Jh. v. Chr. allmählich aus, wobei die Gründe unklar bleiben („collapse of production industries and the deportation of ritual officiants“). Das umsichtige Buch endet mit zwei umfangreichen Appendices, die die Fundstücke sorgfältig auflisten und gliedern (409–536!), einer Bibliographie (537–578) und Indices, aber keinen Abbildungen von Figurinen. Kletter, Raz/ Ziffer, Irit/ Zwickel, Wolfgang: Yavneh II. The „Temple Hill“ Repository Pit, Fire Pans, Kernos, Naos, Painted Stands, ‚Plain‘ Pottery, Cypriot Pottery, Inscribed Bowl, Dog Bones, Stone Fragments, and Other Studies. With Contributions by A. Amrani, D. Ben-Shlomo, L. K. Horwitz, R. G. Lehmann, D. Namdar, K. Novotny, N. Panitz-Cohen, J. S. Smith, and N. Straßburger (OBO. Series Archaeologica 36). Fribourg/ Göttingen 2015, XI, 288 S., 63 Farb- und Schwarz-Weiss-Tafeln. R. Kletter entdeckte auf einem kleinen Hügel („Temple Hill“) nördlich des Ruinenhügels von Yavneh, 25 km südlich von Tel Aviv, eine „Fundgrube“ (repository pit) mit tausenden von „beerdigten“ bzw. entsorgten philistäischen Votivgaben eines Tempels. Das war schon in dieser Masse eine Sensation und ein einzigartiger Glücksfall für die Religionsgeschichte Palästinas. Den ersten Band des Berichts über diesen Fund („Yavneh I“, OBO.SA 30, 2010), habe ich in JLH 51 (2012), 94f ausführlich vorgestellt. Im Zentrum stand die Dokumentation und Interpretation der über hundert sogenannten „Kultständer“ mit anthropomorphen und zoomorphen Figurinen, von denen bisher in den vielen Jahrzehnten der Ausgrabungen in Palästina wenige Dutzend Exemplare gefunden wurden. Der hier angezeigte, abschließende Band II präsentiert zahlreiche weitere kultische Fundstücke (Votivgaben) und beim Kult verwendete Gefäße und Geräte, wie z. B. metallene oder aus Ton gefertigte Kohle-/Räucherpfannen/Räucher-

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schaufeln (hebr. maḥ tāh), Kernoi (Tonringe mit aufgesetzten „Tassen“, die zu Opferzwecken z. B. Salbei, Mohn, Getreide, Erbsen, Linsen Bohnen, Honig Öl, Wein, Milch, Räucherwerk usw. enthalten konnten), ein rechteckiges Schrein-Modell, Gefäße in Tierform und eine große Menge von Keramik, auch zyprische Importe, Hundeknochen (zu religiösen Zwecken?), auch eine eventuelle Widmungs-Inschrift auf einem Schalenrand (l-ʿzz), deren Interpretation offen bleibt, bearbeitete Werksteine, vielleicht von Altären. Durch chemische Analysen wurden in kleinen Krügen und Kelchen Räucherwerk und Rausch verursachende Stoffe gefunden. Zu den im Band I dokumentierten ikonographischen Interpretationen der Kultständer werden Ergänzungen geboten; ein Überblick über „The World of Cult Stands“ (W. Zwickel) findet sich ebenfalls. N. Straßburger liefert einen zügigen und nützlichen Überblick über Favissae in Israel/Palästina von der Spätbronzezeit bis zur Perserzeit. Wirtschafts- und kulturgeschichtlich interessant ist der Beitrag „Cult and Trade in Yavneh through the Study of Organic Residues“ (D. Namdar, A. Amrani und R. Kletter). R. Kletter fasst die Funde des Bandes einschließliuch der Frage der „Philistine Ethnicity“ am Ende souverän zusammen, bevor ein dokumentierender Appendix (Excavation File – Daily Diary) und Indices den Band schließen. Beide Bände bilden ein sehr wertvolles Instrument zur Rekonstruktion der Religionsgeschichte Palästinas.

6. Musik, Musiker, Musikinstrumente Reinke, Stephan A. (Hg.): Musikgeschichten der Bibel. Stuttgart 2013, 186 S. Das Taschenbuch weist darauf hin, dass die Bibel voller Musik(geschichten) ist. Musik steht nach biblischem Bericht am Anfang der Welt, wenn ein Nachfahre Kains, Jubal, der Ahnherr aller Zither- und Flötenspieler ist (Gen 4,21): Musiker ist neben dem Hirten und dem Schmied ein menschlicher „Ur-Beruf“! Musik ist seit der Schöpfung Teil der Zivilisation, und zwar einer der wichtigsten. Menschsein ohne Musik? Nach der Bibel ist das nahezu unmöglich, im religiösen wie im säkularen Leben. Musikgeschichten, Metaphern, Instrumente begegnen uns in der Bibel auf Schritt und Tritt. Das Büchlein druckt 34 „Musikgeschichten“ der Bibel (nach dem Text der „Gute Nachricht Bibel“, Ausgabe 2000) ab, vom Herausgeber jeweils eingeleitet. Sie sind in folgende Abschnitte gegliedert: 1. „Musik im Himmel und auf Erden“ (z. B. „Heilig, heilig, heilig“ – Jesajas Vision); 2. „Alltagsmusik und Festmusik“ (z. B. „Gesungener Geschichtsunterricht – Deboras Siegeslied“); 3. „Musik in Freud und Leid“ (z. B. „Trommeln vor Freude – Mose und Mirjam“ oder „Hoffnung in der Klage – Klagelieder“); 4. „Tanz in der Bibel“ ( z. B. „Ekstatischer Tanz – Gottes Geist ergreift Saul“ oder „Unwürdiger Tanz? – David tanzt vor der Bundeslade“); 5. „Musik mit besonderer Wirkung“ (z. B. „Kriegsmusik mit Durchschlagskraft – Die Mauern Jerichos fallen“ oder „Musik mit Heilkraft – David und Saul“ oder „Musik sprengt Ketten – Paulus und Silas im Gefängnis“); 6. „Hymnen und Lobgesänge“ (z. B. „Magnifikat – Lobgesang der Maria“). Am Ende steht ein Extra-Kapitel: „Das schönste aller Lieder – Das Hohelied der Liebe“. „Ohne Musik ist alles nichts“ – dies ist die Überzeugung des Nachworts, der viele Musikliebhaber und Liebhaber der Bibel wohl zustimmen können.

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Altorientalische und Israelitisch-Jüdische Religion (2011/2012–2015)

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7. Judentum Zangenberg, Jürgen K./ Schröter, Jens (Hg.): Bauern, Fischer und Propheten. Galiläa zur Zeit Jesu (Zaberns Bildbände zur Archäologie; Sonderband der ANTIKEN WELT). Darmstadt 2012, 144 S., mit zahlreichen farbigen Abb. Schon auf den ersten Blick ist dies ein Prachtband, ein Bilder-Genuss für die Sinne. Kurz: Fotos, Pläne und Textbeiträge fügen sich zu einem lebendig-gegenwärtigen Panorama der lange vergangenen Lebenswelt Jesu und seiner Zeitgenossen. Wer meinte, über Galiläa Bescheid zu wissen, wird viel Neues finden, da durch Forschungen, Grabungen der letzten Zeit sich das Bild, die vielleicht gängige Vorstellung eines romantisch-verschlafenen bukolisch-dörflichen Fischer- und Hirtenlebens der Region z. Zt. Jesu neu gemalt werden muss. Es gab hier größere Städte wie Magdala mit einem großen Hafen, stattliche Synagogen und zeitweise mehr Wohlstand als oft gedacht. Alles das Neue wird in zahlreichen Plänen und Fotos vor Augen geführt. M. Aviam schildert einleitend sehr lebendig den Alltag der jüdischen Bewohner nach allen Seiten, fußt dabei besonders auf den Befunden in den Städten Jotapata und Gamla. Unter seinen Abbildungen findet man interessante Beispiele früher Ritualbäder und Synagogen. J. Schröter setzt ebenso ansprechend diesen Lebenshintergrund mit dem Leben Jesu in Beziehung: Kann man sagen, dass Jesus, „der Galiläer“ und seine Botschaft besonders mit Galiläa verknüpft war? Abenteuerlich wird es im Beitrag von Y. Shiftiʾel: Der Höhlenforscher hat zahlreiche Fluchthöhlen, ganze Höhlensysteme, schwer zugängliche Felsverstecke, Klippen und Tunnel in Galiläa untersucht, die im ersten und zweiten Jüdischen Aufstand gegen die Römer (oder auch sonst) Aufständischen als Rückzugsorte oder auch Dorfbewohnern als Fluchtort gedient haben. Eine neue Ausgrabung von Magdala wird mit ihren bis in vorchristlich-hellenistische Zeit zurückreichenden Ergebnissen, z. B. Ritualbädern aus der Zeit Jesu, vorgestellt. A. Lichtenberger und R. Raja präsentieren, reich bebildert, die neuesten Ergebnisse aus „Gadara – Stadt der Tempel und Philosophen“. Die stattliche hellenistisch-römische Stadt Hippos/ Sussita in der sog. Dekapolis am See Genesaret wird samt ihrer Umgebung im Beitrag von A. Segal lebendig, u. a. durch ein Odeum und eine prächtige Kathedrale mit drei Apsiden aus dem 6. Jh., die 749 einem Erdbeben zum Opfer fiel. Am Ende des Prachtbandes berichtet J. K. Zangenberg von einem neu ausgegrabenen Dorf (Horvat Kur) oberhalb von Tabgha und Kapernaum auf einem Hügel, wo u. a. eine Synagoge mit interessanten Einbauten, einem Stein-Sitz des Gemeindeleiters und einem sehr originellen, bisher funktional kaum deutbaren Steintisch gefunden wurde. Oberhänsli-Widmer, Gabrielle: Bilder vom Bösen im Judentum. Von der Hebräischen Bibel inspiriert, in jüdischer Literatur weitergedacht. Neukirchen-Vluyn 2013, 220 S. Das Buch zeichnet sich durch einen besonders weiten Horizont aus: Vfn. behandelt sieben biblische Geschichten, Gestalten bzw. Themen, die heute besonders schwierig, ja, absurd erscheinen, Anstoß erregen, für Judentums-, Christentums- oder Religionskritik genutzt werden, erklärt und verfolgt sie wirkungsgeschichtlich im Judentum und in (die Literatur) der Moderne. Ausgehend von Jes 45,6–7: „Ich bin JHWH und keiner sonst, der das Licht bildet und die Finsternis schafft, der Heil vollbringt und Unheil schafft…“ wird das Rätsel des Bösen in Gottes Schöpfung verfolgt. „Schafft Gott das Böse?“ (der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse), „Leviathan und Behemot: Archaische Chaosmächte als Symbole des Bösen“, „Kain: Das Böse an Kains Tür“, „Der Fall der Engel“ (Gen 6, 1–4: „unheilvolle Allianz als Urgrund des Bösen“), „Der böse Trieb“ (Gen 6,5; 8,21), „Die Bindung Isaaks“ und „Esau: Zur Biographie

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eines Feindbildes“. Vfn. deutet diese Ansätze, „um das Böse zu veranschaulichen und die Theodizee als Verantwortlichkeit Gottes für das Böse im Rahmen monotheistischen Denkens zu fassen“ (197). Diese Erzählungen, bemerkenswerterweise in der „Schöpfungs-, Ur- bzw. Frühzeit“ des Menschen verankert und weitgehend zur nichtpriesterschriftlichen J-Quelle gerechnet, sind alle von eindrucksvoller Bildkraft und in ihrer Wirkungsgeschichte oft erstaunlich umgestaltet und verändert worden. Es liest sich geradezu spannend, das zu verfolgen. Und Vfn. weist auf die „Ambivalenz des Bösen“, das „unbotmäßig mit dem Guten verklammert ist“ (der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, Esau als Feind und Bruder). Und immer entzieht sich das Böse als „Gesamtphänomen“ der Erklärung: „Weshalb schafft Gott das Böse…?“ … „Oder hat Gott nach wie vor mit einem präexistenten oder unbezwingbaren Bösen zu kämpfen?“ (199). „Die eigentliche Hoffnung des traditionellen Judentums gründet jedoch letztlich nicht im Verstehen des Bösen, sondern darin, dass das Böse im messianischen Eschaton unwiderruflich untergehen werde…. Kein Bild fängt dies anschaulicher ein als der jesajanische Tierfriede mit seiner kulturübergreifenden Topik, der archetypischen Idylle abendländischen Denkens par excellence“. Dieses Textbild Jesajas (Jes 11) ist das Gegenbild zum düsteren Eingangstext des Buches in Jes 45,6 f. Das Buch ist zum eigenen Studium und für die Gemeindearbeit sehr zu empfehlen. Stemberger, Günter: Pharisäer Sadduzäer Essener. Fragen – Fakten – Hintergründe. Stuttgart 2013, 152 S. In diesem (fest gebundenen) handlichen Taschenbuch breitet einer der international profiliertesten Fachleute soverän den Stand der Forschung zu prägenden „jüdischen Religionsparteien zur Zeit des Neuen Testaments“ aus. Dabei werden innerhalb dieses viel behandelten Bereichs auch neue Ergebnisse erkennbar, so z. B. dass aufgrund der Qumranforschung die Sadduzäer und die Essener sich wohl näher standen als bisher gedacht. Mit der schärferen Profilierung der Pharisäer, Sadduzäer und Essener wird auch Leben und Glauben derjenigen deutlicher, die keiner der drei Gruppen angehörten. Vf. betont, dass keineswegs so sicher wie bisher angenommen sei, dass „die rabbinischen Texte direkt als Zeugen pharisäischer Geschichte und Lehre zu verstehen“ seien. Das Buch ist auch deshalb für die Leserschaft dieses Jahrbuchs besonders zu empfehlen, weil es in einem gut verständlichen Stil geschrieben ist, dem man gern und gespannt folgen kann. Zeittafel, Hinweise zum Weiterlesen, Literaturverzeichnis und ein Glossar erhöhen die Benutzbarkeit. Die exakten wissenschaftlichen Belege in Anmerkungen sind ans Buchende gerückt, so das der Lesefluss für diejenigen, die sich erst einmal orientieren wollen, nicht gestört wird. Die Anmerkungen bieten dann der evtl. weiteren Vertiefung und eigenen Weiterarbeit reichlich Material. Hachlili, Rachel: Ancient Synagogues – Archaeology and Art: New Discoveries and Current Research (Handbook of Oriental Studies / Handbuch der Orientalistik. Section 1, Ancient Near East, Vol. 105). Leiden/ Boston 2013, XXXIV, 738 S., mit zahlreichen Fotos und Zeichnungen, 64 Farbtafeln. Das doppelt „gewichtige“ Nachschlagewerk aus der Feder der weltweit führenden Fachfrau auf dem Gebiet der Synagogen-Architektur, -Kunst und -Geschichte lässt keine Wünsche offen. Vfn. beschreibt einleitend nicht nur grundsätzlich „die Synagoge“, Ursprünge und Entwicklungen, sondern auch wichtige bisher bekannte Beispiele (Kapernaum, Gamla, Herodium, Jericho, Korazim, Masada, Qumran u. v .a.), in einem umfangreichen Abschnitt danach auch neu ausgegrabene oder neu bearbeitete bzw. publizierte Synagogen in allen Teilen Palästinas/Israels. Separate Abschnitte gelten der Synagogen-Architektur und der Synagogenausstattung/-kunst, den jüdischen Symbolen wie Menorah, Lulav, Ethrog, Schofar, Räucherschaufel, Lampen, Schau-

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Altorientalische und Israelitisch-Jüdische Religion (2011/2012–2015)

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brot-Tisch. Auch der jüdische Kalender „in the Zodiac design“ wird durch die Jahrhunderte verfolgt. Mosaiken und anderen Abbildungen mit biblischen Erzählungen und Personen ist ein Kapitel gewidmet, ebenso eines über Tier-, Pflanzen- und Mythendarstellungen sowie eines über Künstler, ihre Werkstätten und ihr Repertoire. Weitere Kapitel behandeln Inschriften, Münzen, die Bilder und Repräsentationen von Frauen und den Status von Frauen in Synagogen. Vor einer Zusammenfassung des Buches folgt noch ein Kapitel über die nicht immer einfache Datierung der Synagogen, nach Regionen (Galiläa, Golan, andere Regionen) gegliedert. Ein zusätzliches Kapitel widmet sich dem monumentalen Synagogenkomplex „Qazion – A Galilean Riddle“ aus dem späten 2. Jh. / frühen 3. Jh. n. Chr., der schon durch seine Nord-Süd-Orientierung und die zwei großen Teiche an der bemerkenswerten Nord- sowie der Westfassade einzigartig ist. Handelt es sich um eine Synagoge (mit Widmungsinschrift an die kaiserliche Familie des Septimius Severus!) oder einen römischen Tempel? Vfn. interpretiert aufgrund ihrer Arbeit in Qazion die Anlage als die zentrale jüdische Kultstätte in Galiläa nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels, während ihre Mitausgräberin Ann E. Killebrew die Anlage eher sieht als „a public gathering place – probably an open-air sanctuary – that was constructed, at least in part, to honor the Roman imperial family“ (669). Jeder an Synagogen, ihrer Geschichte, Gestalt, Dekor und Funktion Interessierte findet hier reiches Material. Eck, Werner: Judäa – Syria Palästina. Die Auseinandersetzung einer Provinz mit römischer Politik und Kultur (Texts and Studies in Ancient Judaism 157). Tübingen 2014, 307 S. Die hier gesammelten 24 Beiträge sind von besonderem Wert für alle an der Geschichte Judäas, des Judentums, des römischen Reiches sowie der Geschichte des frühen Christentums und des Neuen Testaments Interessierten. Die Bezeichnung „Experte“ leidet heute unter einer inflationären Verwendung, bei dem Vf. ist sie aber wirklich angebracht. Er schöpft immer direkt aus dem Quellen, zumal er sie wie nur wenige andere kennt u. a. durch die Herausgabe des monumentalen Corpus Inscriptionum Iudaeae/Palaestinae. Die Beiträge sind in zwei Blöcke geliedert: Ein Teil der Studien beschäftigt sich mit Methoden der Auswertung epigraphischer Quellen, ein anderer mit der entsprechenden Interpretation von Inschriften, die die römische Provinzialgeschichte, speziell Judäas betreffen, etwa z. Zt. des Bar Kochba-Aufstands mit seinen Hintergründen. Mehrere Studien analysieren und beschreiben die römische Administration und Finanzverwaltung und ihre inschriftlichen Äußerungen sowie römische Funktionäre und Militärs. Verdienstvollerweise hat der Vf. die in den letzten zwei Jahrzehnten erschienenen Studien wo möglich und nötig bearbeitet. Die Studien tragen wesentlich zu einem klareren Bild des römischen Palästina-Syrien bei.

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Literaturbericht Liturgik Deutschsprachigen Länder 2015 (2014)

Jörg Neijenhuis

I. Quellen Die Evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, begründet von Emil Sehling, fortgeführt von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, hg. v. Eike Wolgast, Bd. 21: Nordrhein-Westfalen I: Die Vereinigten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg, das Hochstift und die Stadt Minden, das Reichsstift und die Stadt Herford, die Reichsstadt Dortmund, die Reichsabtei Corvey, die Grafschaft Lippe, das Reichsstift und die Stadt Essen, bearbeitet von Sabine Arend. Mohr Siebeck: Tübingen 2015, 551 S., 1 Karte. Die Vorarbeiten zu diesem Band gehen auf J. F. Gerhard Goeters zurück, der schon Material gesammelt und den Band XIV. erarbeitet hat und seit 1971 sogar Alleinherausgeber dieser Reihe wurde. Gleichwohl ist es nicht zu einer Bandherausgabe durch ihn gekommen, aber seine Materialiensammlung hat sich als kostbar erwiesen, da seine Kopien aufgrund der Verluste durch den Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln 2009 eine besondere Bedeutung haben. Das umfangreiche Material für Nordrhein-Westfalen lässt sich nicht in einem Band unterbringen, es wird ein zweiter folgen. Nicht berücksichtigt werden konnte die Reformationseinführung in Münster, denn durch das Regiment der Täufer ist dort eine reformationsgeschichtlich besondere Situation entstanden, deren Dokumentation den Rahmen dieser Ausgabe sprengen würde. Ebenfalls nicht aufgenommen wurden die Ordnung von Hermann von Wied, die er als Erzbischof in Köln erließt, sowie die von Bucer verfasste Kölner Kirchenordnung, greifbar in Martin Bucers Deutschen Schriften Bd. 11,1, welcher auch von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften herausgegeben wurde. Zu jeder Edition gibt eine Einleitung Einblicke in die territoriale und politische Entwicklung einschließlich der chronologischen Datierung der Kirchenordnungen. Da zahlreiche Ordnungen in niederdeutscher Sprache verfasst wurden, wurde in der Kommentierung auf die Erklärung einzelner Worte verzichtet zugunsten eines sehr umfänglichen Glossars für den ganzen Band, da überdurchschnittlich viele Worte für jeden einzelnen Text hätten erklärt werden müssen. In den Kirchenordnungen finden sich grundsätzliche Ordnungen für die reformatorischen Kirchen. Bemerkenswert ist die sehr umfangreiche Lippische Kirchenordnung aus dem Jahr 1571. Ebenso finden sich auch zeitbedingte Regelungen wieder, wie z. B. Bestimmungen gegen die Täufer. Vielfach in den allgemeinen Kirchenordnungen, gelegentlich auch in eigenständigen Erlassen, finden sich Regelungen z. B. für die Feier des Abendmahls und die Freigabe des Empfangs in beiderlei Gestalt, für die deutschen Messe, die deutsche Taufe, die deutschen Zeremonien, die Ordination, die Zulassung

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Deutschsprachige Länder 2015 (2014)

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der evangelischen Predigt, die Beichte und Absolution, die Zulassung zum Abendmahl mit Katechismusfragen, die Eheschließung, das Begräbnis. Origenes: Über das Gebet. Eingeleitet und übersetzt von Maria-Barbara von Stritzky (Werke in deutscher Übersetzung 21). Walter de Gruyter: Berlin/ Verlag Herder: Freiburg i. Br. 2014, 329 S. Die Schrift über das Gebet ist in zwei Teile gegliedert: Origenes legt zunächst seine christliche Gebetstheorie dar, um dann in das Vaterunser einzuführen. Verfasst hat er diese Schrift wahrscheinlich zwischen 232 und 235. Ambrosius hatte ihn darum gebeten, weil gnostisierende Richtungen, z. B. Doketen, Markioniten, Valentianer, aufgrund ihrer Auffassung von der Vorsehung Gottes das Gebet als nutzlos und unnötig bezeichneten. Maria-Barbara von Stritzky erläutert in ihrer Einleitung auch die Sprache und den Stil dieser Schrift, um dann Origenes’ Ausführungen über das Gebet vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Philosophie zu würdigen. Es folgt ein Kapitel über die Theologie des Gebets und über die Vaterunsererklärung. Die Gebetsschrift des Origenes ist nur in einem einzigen Exemplar überliefert, das wahrscheinlich ursprünglich aus Byzanz stammt: dem Codex bombycinus, der heute in Cambridge aufbewahrt wird. In dieser Ausgabe ist der griechische Text ist auf der linken, die deutsche Übersetzung auf der rechten Buchseite gedruckt. Fußnoten machen auf Querverweise, Literatur etc. aufmerksam. Folgende Register schließen das Buch ab: Quellen, Literatur, Bibelstellen, Origenesstellen, Namen und Sachen. Schmidt, Franz: Sitten und Gebräuche bei Hochzeiten, Taufen und Begräbnissen in Thüringen. Nach mündlichen, brieflichen und aktlichen Quellen bearbeitet. Verlag Rockstuhl: Bad Langensalza 2015, 97 S. Dieses Büchlein ist erstmals 1863 bei Hermann Böhlau in Weimar erschienen und ist nun wieder neu aufgelegt worden. Es gibt sehr interessante Einblicke in Sitten und Gebräuche, die meist auf dem Land üblich waren. Die Hochzeit wird ausführlich behandelt, ihre Darstellung umfasst die Werbung, das Aufgebot, die Kosten, den Polterabend, das Geläut, die Geistlichkeit, den Zug zur Kirche usw.; auch die Zeit nach der Hochzeit wird behandelt. Bei Taufe und Begräbnis werden die Zeit vor der Taufe bzw. dem Begräbnis, die Kasualie selbst und dann die Zeit danach beschrieben. Die Sitten und Gebräuche werden ausführlich geschildert und teilweise nach Ortschaften u. a. sogar unterschieden. Es ist bedeutsam, wie die liturgische Feier in die Sitten und Gebräuche eingegliedert war und mit ihnen einen Lebenszusammenhang bildete. In seinem Vorwort gibt Franz Schmidt Rechenschaft darüber ab, welche Quellen er benutzt hat und welche Personen ihm mündlich über Sitten und Gebräuche berichtet haben.

II. Monographien und Sammelbände Arend, Sabine/ Dörner, Gerald (Hg.): Ordnungen für die Kirchen – Wirkungen auf die Welt (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 84). Mohr Siebeck: Tübingen 2015, 322 S., 3 Abb. Die beiden Herausgeber haben zahlreiche Bände der Evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts (Sehling) erarbeitet, die in den Jahrgängen dieses Jahrbuchs regelmäßig angezeigt wurden. Nun legen beide einen Rückblick auf den „Sehling“ vor, da im Jahr 2016 der Abschluss der Ausgabe bevorstehen wird. Der Titel dieses

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Buches signalisiert die Breitenwirkung, die die Kirchenordnungen der Reformation hatten und teilweise noch haben: Sie haben die Strukturen der Evangelischen Kirchen neu geordnet, Ämter, Liturgien, Predigt und Lehre neu definiert. Es folgen aber auch Regelungen für gesellschaftliche Fragen, z. B. der Ehe und Familie, der Fürsorge und der sozialen Ordnung. Folgende Themen werden in den abgedruckten Beiträgen behandelt: lutherische und reformierte Kirchenordnungen im Vergleich, Pfarranstellung, oberdeutsche Agenden, Lieder, die Rezeption des Alten Testaments in Bugenhagens Braunschweiger Kirchenordnung von 1528, das Landauer Kirchenamt von 1534, eine Augsburger Kirchenordnung, Kirchenausstattungen, religiöse Kunstwerke, Eherecht, öffentliche Fürsorge, Zins und Wucher, Ordnung der Kirche in England, Kirchenordnungen in Dänemark-Norwegen, die Kirchen-, Schul- und Spitalordnung von Johannes Mathesius im katholischen Böhmen. Die Beiträge verdeutlichen, wie grundlegend und umfassend die Kirchenordnungen die Struktur der Evangelischen Kirchen und die Lebensform und Lebensweise der damaligen Menschen geordnet und geprägt haben. Das Buch, in gewohnt gediegener Qualität wie die Bände des „Sehling“, wird beschlossen mit einem Verzeichnis der Autoren und einem Personen-, Orts- und Sachregister. Beinhauer-Köhler, Bärbel/ Roth, Mirko/ Schwarz-Boenneke, Bernadette (Hg.): Viele Religionen – ein Raum?! Analysen, Diskussionen und Konzepte. Frank & Timme: Berlin 2015, 239 S., viele farbige Abb. Räume der Stille oder multireligiöse Räume finden sich in Krankenhäusern, Schulen, Gefängnissen, Universitäten, Parlamenten, Flughäfen. Der Frankfurter Flughafen hat sogar sieben Gebetsräume, ein Haus der Religionen wurde in Bern eröffnet. Was da vor sich geht, wird in diesem Buch in drei Teilen thematisiert. Der erste Teil definiert den Gegenstand und fragt nach adäquater Bezeichnung dieser Räume: Raum der Stille, multi- oder interreligiöser Raum, auch das sogenannte Raumarrangement, bei dem sich mehrere Räume unter einem Dach befinden, werden reflektiert. Es wird nach Macht- und Kommunikationsstrukturen gefragt, wenn mehrere Religionen in einem Raum „ihren Ort“ und ihre Gebetszeit haben sollen. Der zweite Teil geht den Raumtypen an Schulen und Universitäten nach und erörtert, warum und wie an staatlichen Institutionen religiöse Räume zur Verfügung gestellt werden, wie sich Staat und Religion zueinander verhalten. Der dritte Teil stellt konkrete Räume vor: das Bet- und Lehrhaus St. Petri in Berlin, Haus der Stille in Frankfurt am Main, Räume am Frankfurter Flughafen, Haus der Religionen in Bern, eine ehemalige katholische Kirche im Besitz eines Bestattungsunternehmens. Ein letzter Beitrag als Ausblick bietet Orientierung auf dem Weg zum religiös pluralen Raum. Multireligiöse Räume bringen – so die These dieses Buches – „beispielhaft den Aushandlungsprozess zum Ausdruck, den unsere Gesellschaft führt und noch stärker führen sollte.“ (10) Das kann unter vier Fragestellungen geschehen: (a) „Die Bundesrepublik Deutschland ist eine weltanschauungsneutrale, aber nicht wertfreie Gesellschaft“ (10) – wie können religiöse Bekenntnisse gelebt werden? (b) Wie kann das interreligiöse Gespräch auf Augenhöhe gelebt werden? (c) Wie kann ein Raum multireligiös gestaltet werden? (d) Wie kann in diesen Räumen Begegnung, Dialog, Verständigung und gemeinsames Agieren stattfinden? Bethge, Clemens W.: Kirchenraum. Eine raumtheoretische Konzeptualisierung der Wirkungsästhetik (PTh 140). Kohlhammer: Stuttgart 2015, 351 S., 8 schwarz-weiß Abb. Innerhalb der protestantischen Theologie gibt es zwei gegensätzliche Positionen zur Heiligkeit des Kirchenraums: Die eine Position lehnt eine substantielle Heiligkeit des Kirchenraums kategorisch ab, die andere, eher phänomenologisch orientierte Position

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geht grundsätzlich von der Heiligkeit des Kirchenraums aus. Dazwischen haben sich in den letzten Jahren unterschiedliche Standpunkte entwickelt, die vermehrt das Erleben des Kirchenraums inklusive des Erlebenden mitbedenken und für eine aus den geschilderten Gegensätzen herausführende Kirchenraumtheorie nutzen. Auch Bethge legt darauf den Schwerpunkt seiner Arbeit: „Vielmehr soll das Geschehen, das der Kirchenraum auslöst, im Mittelpunkt des Interesses stehen und so die Frage leitend sein, wie die Verarbeitungsprozesse im Raumrezipienten aussehen, die allererst diese Resultate hervorbringen, und was seitens der Raumgegebenheiten sie auslöst.“ (39) Er hebt hervor, dass zuerst das Geschehen und nicht so sehr das Ergebnis der Begegnung im Fokus seines Interesses steht. Zur methodischen Grundlegung greift er Wolfgang Isers Rezeptionsästhetik auf. Der erste Hauptteil setzt sich mit dem Kirchenbau als Kirchenraumtext auseinander, der Kirchenraum wird also „gelesen“, besonders mit Blick auf seinen künstlerisch-architektonischen Pol. Namentlich setzt Bethge sich mit Rainer Volps und Klaus Raschzoks Theorien des Kirchenraums auseinander. Der zweite Hauptteil widmet sich der Phänomenologie der Raumlektüre, so dass nun der ästhetische Pol des Kirchenraums gewürdigt wird und der Rezipient, z. B. durch Gernot Böhmes Gedanken des Raums als leibliche Anwesenheit, vorrangig in den Blick genommen wird. Seine Erfahrungen im Kirchenraum differenziert Bethge als ästhetische, poietische und kathartisch-kommunikative Dimensionen. Bethge nimmt dabei Elisabeth Jooß’ theologische Raumtheorie auf. So werden die subjektiv-psychischen und objektiv-physischen Komponenten gebündelt und als ein Geschehen verstanden: „Kirchenraum entsteht als ästhetischer Gegenstand in der Interaktion zwischen Raumtext und Rezipient und wird erfahren in einem Ineinander von Aufnehmen, Hervorbringen und Kommunizieren.“ (307) Bianca, Andrea Marco: Scheidungsrituale. Globale Bestandsaufnahme und Perspektiven für eine glaubwürdige Praxis und Gesellschaft. Theologischer Verlag Zürich: Zürich 2015, 965 S., 1 CD-ROM. Die Untersuchung ist in vier Teile gegliedert: I. Die Ausgangslage wird beschrieben, da die Scheidung ein vielschichtiges Geschehen ist. Rituale werden verstanden als vielfältiges Begehen. II. Eine umfassende Bestandsaufnahme wird präsentiert: Scheidungsrituale werden im kulturhistorischen Kontext beschrieben, anschließend christliche Scheidungsrituale im angelsächsischen und im kontinentaleuropäischen Raum; Scheidungsrituale im Kontext von Therapie und Mediation, religiöse und säkulare Scheidungsrituale. Scheidungsrituale sind ein globales Phänomen. III: Es werden Überprüfungen präsentiert anhand von repräsentativen empirischen Untersuchungen in den USA und in Europa. Scheidungsrituale werden als Kasualien geschildert. IV. Abschließend folgt eine Entfaltung: Es werden die Grundvoraussetzungen benannt für einen kirchlichen Ritualraum, in dem das Scheidungsritual vollzogen wird, es werden die spirituelle Dimension im Scheidungsprozess reflektiert und die Gelingensbedingungen von Scheidungsritualen dargelegt, dann die Teilnehmenden und Leitenden von Scheidungsritualen bedacht. In der Seelsorge wurden schon in den 1960er Jahren Gedanken zu Scheidungsritualen geäußert, die sich bis in die Gegenwart fortentwickelt haben. Das Scheidungsritual wird als ein Verwandeln durch rituelles Begehen ausgelotet mit den Schritten Ablösung, Umwandlung und Angliederung und wird als Umwandlungsritual verstanden. Ein Fazit stellt fest, wie die Ausgangsthesen sich bewahrheitet haben, und der Ausblick fordert Konsequenzen für die kirchliche Praxis. Bewahrheitet hat sich, dass Scheidungsrituale verarbeiten helfen und die geschiedene Ehe integriert wird in eine zukünftige Lebenswelt. Im seelsorgerlichen Gespräch und im Scheidungsritual wird bis zum Heiratsversprechen zurückgegangen, das Eheversprechen wird

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aufgelöst und in ein Scheidungsversprechen und ggf. in ein Elternversprechen umgewandelt. Scheidungsrituale stärken die Bedeutung der Ehe, weil Trauer über die gescheiterte Ehe, aber auch Dank für die glücklichen Jahre der Ehe ausgesprochen werden. Der Ausblick wird in 40 Postulaten gefasst, die sich auf die Kirche, die Leitenden, die Teilnehmenden, die Vorbereitung und die Durchführung des Scheidungsrituals beziehen. Bianca hat eine Zwischenbilanz seiner Untersuchung im JLH 41 (2002) 68–103 unter dem Titel „Kirchliche Rituale bei Trennung und Scheidung“ veröffentlicht. Bickelhaupt, Jörg: Taufe, Glaube, Geist. Ein Beitrag zur neueren innerevangelischen Diskussion (Arbeiten zur Systematischen Theologie 8). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2015, 775 S. Dass es zur Taufe bzw. zur Tauftheologie einen Konsens gibt, wird gerne angenommen, entspricht aber nicht den Gegebenheiten, wie ein Blick auf die protestantische Gemengelage zum Taufverständnis zeigt. Schon allein die Verständnisse zum Verhältnis von Taufe und Glauben sowie Taufe und Heiligem Geist zeigen erhebliche Unterschiede auf. So haben z. B. die Freikirchen täuferischer Tradition die Magdeburger Tauferklärung von 2007 nicht unterzeichnet. Bickelhaupt legt die Differenzen und Divergenzen dar und lotet Gemeinsamkeiten aus. Zwei Fragestellungen leiten die Darstellung: Warum wurde im 16. Jahrhundert die Säuglingstaufe von den reformatorischen Täufern in Frage gestellt, obwohl sie über ein Jahrtausend lang praktiziert wurde? Sind die innerprotestantischen Taufkontroversen um Säuglings- oder Gläubigentaufe bzw. um Geist- und Wassertaufe fundamentaltheologische Differenzen oder haben sie ihre Ursachen in unterschiedlichen anthropologischen und hermeneutischen Vorannahmen? Ausgehend vom Lima-Text zur Taufe sind mehrere Dokumente unterschiedlicher Provenienz entstanden, sechs Dokumente werden vorgestellt und untersucht: (1) Zwischen der Union aus der italienischen Waldenser- und Methodistenkirche und der italienischen Baptistenkirche ist 1990 ein Dokument zur gemeinsamen protestantischen Identität entstanden, das die unterschiedliche Taufpraxis nicht ausschließt. (2) Die Dialoge zwischen dem Reformierten Weltbund und den Pfingstkirchen von 1996 bis 2000 und 2002 bis 2007. (3) Der Schlussbericht Der Anfang des christlichen Lebens und das Wesen der Kirche zwischen der Europäisch-Baptistischen Föderation und der Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen in Europa von 2005. (4) Das Konvergenzdokument Voneinander lernen – miteinander glauben von 2009 der Bayerischen Lutherisch-Baptistischen Arbeitsgruppe. (5) Die Beschlussfassung zum Erbe der lutherischen Verfolgung von Täuferinnen und Täufern der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes 2010 und das diesem Beschluss zugrundeliegende Dokument Healing memories: Reconciling in Christ Report of the Lutheran-Mennonite International Study Commission. (6) Die Gründungsdokumente dreier kleiner schwedischer Kirchen: der Svenska Missionskyrkan, der Svenska Baptistsamfundet und der Metodistkyrkan i Sverige von 2012/2013. In allen Dokumenten geht es nicht nur um das Taufverständnis, sondern auch um das damit verbundene Kirchenverständnis. Bickelhaupt entfaltet nun eine biblisch-theologische Grundlegung von Taufe, Glauben und Geist im Neuen Testament, danach die vorreformatorische Kirchen- und Theologiegeschichte zu Taufe, Glauben und Geist, anschließend befasst er sich mit dem Taufverständnis der Reformatoren Luther, Zwingli, der Täuferbewegungen am Beispiel von Hubmaier, des Spiritualismus am Beispiel von Schwenckfeld, schließlich Calvins. Es folgt anhand der Begriffe von Sünde, Freiheit und Gottebenbildlichkeit eine systematisch-theologische Reflektion

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zur Mündigkeit des Menschen und des Kinderglaubens, dann zu der tauftheologischen Bedeutung von signum und res, significatio und efficacia. Als Fazit zeigt sich, dass tatsächlich vorhandene unterschiedliche anthropologische und hermeneutische Annahmen und verschiedene Verständnisse z. B. über das Neue Testament oder über das Wesen der Kirche neben den unterschiedlichen Tauftheologien und -praxen eine gegenseitige Anerkennung nicht erleichtern, die aber doch für eine gemeinsame Zukunft der Kirche notwendig erscheint. Böntert, Stefan (Hg.): Gemeinschaft im Danken. Grundfragen der Eucharistiefeier im ökumenischen Gespräch (StPaLi 40). Verlag Friedrich Pustet: Regensburg 2015, 394 S. Dieser reiche Sammelband ist Irmgard Pahl gewidmet, die viele Jahre in Bochum den Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft innehatte und nun ihren 80. Geburtstag feiern konnte. Anhand der Autorenliste zeigt sich, dass sie sowohl international auch als auch ökumenisch hoch anerkannt und wertgeschätzt wird. Die Beiträge stammen aus dem deutschen Sprachgebiet, aber auch aus England, Skandinavien und den USA. Die Autoren und Autorinnen gehören verschiedenen Konfessionen an und verbinden mit der Eucharistie unterschiedliche theologische und spirituelle Aspekte. So werden historische Zusammenhänge erörtert, die wechselseitigen Einflüsse der Konfessionen aufgezeigt; eine wichtige Rolle spielt der normative Charakter der Feier, interessant sind die Inkulturation und die Rezeption in den verschiedenen kulturellen Kontexten. Weiterhin werden behandelt das theologische Fundament der Eucharistie, die Funktion der liturgischen Bücher, Fragen nach Sprache und des Gesangs, aber auch Fragen nach den Methoden für die wissenschaftliche Forschung. All diese Beiträge sind unter zwei Überschriften eingeordnet worden: Tradition und Erneuerung, Innovation und Rezeption. Ihre Perspektiven zeigen auf, dass eine ökumenische und internationale Reflexion über die Eucharistie heute eigentlich selbstverständlich sein sollte. Bruckmann, Florian (Hg.): Phänomenologie der Gabe. Neue Zugänge zum Mysterium der Eucharistie (QD 270). Verlag Herder: Freiburg i. B. 2015, 269 S. Die Schrift von Marcel Mauss über die Gabe aus dem Jahr 1925 stand am Anfang einer auch für die Theologie bedeutenden Debatte, die in den letzten Jahrzehnten eher an Wichtigkeit zugenommen hat. Im Gabe-Diskurs können in vier Richtungen unterschieden werden: (a) Metaphysikkritik, (b) Ökonomiekritik, (c) Neubegründung der Phänomenologie, (d) die soziologische Frage von Anerkennung auf Augenhöhe. Die Beiträge des Buches nehmen verschiedene dieser Aspekte auf. Die Eucharistie wird mit Hinblick auf Yom Kippur gedeutet und die Einsetzungsworte werden eher als Gebeworte denn als Deuteworte verstanden. Wird die Gabe im Kontext des Wunders bedacht, wird viel deutlicher, dass die Eucharistie eine Gabe ist, die auf die Feiernden zukommt, und dass sie Empfangende sind. Unter dem Leib-Aspekt wird verdeutlicht, dass die Hinwendung zum Anderen als eine leibliche Gabe verstanden werden muss, die leiblich empfangen wird. Das wird am Isaak-Opfer exemplifiziert. Ein weiterer Aspekt ist der Aspekt der Zeitlichkeit, so dass die Frage der Realpräsenz bzw. ihre Dauer in den Blick gerät. Die empfangene Gabe ermöglicht eine Verwandlung des Empfangenden. Es stellt sich auch die Frage, wie die allgemeine Präsenz Christi und die eucharistische Real-Präsenz im Verhältnis zueinander zu verstehen sind. Caspers, Charles/ Tongeren, Louis van (Hg.): Unitas in pluralitate. Libri ordinarii als Quelle für die Kulturgeschichte/ Libri ordinarii as a Source für Cultural History (LQF 103). Aschendorff Verlag: Münster 2015, 411 S. Bestand der frühe Liber ordinarius zunächst ausschließlich aus Texten, die während der Liturgie verwendet wurden, enthielt der spätere Liber ordinarius auch Anweisungen für den Zelebranten und den Kantor, war gleichsam ein Drehbuch. Da die Feier

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der Liturgie ein zentraler Ort in der mittelalterlichen Gesellschaft war, sind diese libri auch interessant als Quellen für die mittelalterliche Kultur- und Geistesgeschichte. In zahlreichen Beiträgen werden Quellentexte vom frühen Mittelalter an bis zur Reformationszeit aus unterschiedlichsten Blickwinkeln von Liturgiewissenschaftlern, Kirchenhistorikern und Musikwissenschaftlern untersucht. Da geht es neben den libri ordinarii z. B. auch um Liturgiekommentare, um besondere libri an Bischofssitzen oder Klöstern, um Stiftungsvermerke, Scheibenkreuze oder um Finanzen, es geht um Totenliturgie und um die Rolle der Frauen im Mittelalter bei Tod und Bestattung. Wie reich die Liturgie mit Kultur gesättigt sein kann, wird durch diese Beiträge ebenso deutlich wie die hohe Bedeutung, die ihrer Feier beigelegt wurde. Chauvet, Louis-Marie: Symbol und Sakrament. Eine sakramentale Relecture der christlichen Existenz (Theologie der Liturgie 8). Verlag Friedrich Pustet: Regensburg 2015, 527 S. (Übersetzung des französischen Originals: Symbole et sacrement. Une relecture sacramentelle de l'existence chrétienne, von Thomas Fries. Les Éditions du Cerf: Paris 1987 [2008, 2011] (Cogitatio fidei 144). Stuflesser, Martin (Hg.): Fundamentaltheologie des Sakramentalen. Eine Auseinandersetzung mit Louis-Marie Chauvets „Symbol und Sakrament“ (Theologie der Liturgie 9). Verlag Friedrich Pustet: Regensburg 2015, 220 S. Das Werk von Louis-Marie Chauvet befasst sich mit der Plausibilitätskrise der bislang metaphysisch grundierten Sakramententheologie. Die Originalausgabe ist bereits 1987 erschienen, das Werk hat jedoch an Aktualität und Gewicht nichts verloren, weil Chauvet sich als postmetaphysischer Theologe auf dem Hintergrund der Kritik an der klassischen Metaphysik durch Martin Heidegger mit der Sakramententheologie des Thomas von Aquin auseinandersetzt. Chauvet fasst die Plausibilitätskrise in Worte, die die Sakramententheologie im 20. Jahrhundert bedrängt. Diese Krise erörtert er auch im Gespräch mit zeitgenössischen Autoren, so z. B. mit Jacques Lacan, Jacques Derrida, Paul Ricœur, Maurice Merleau-Ponty usw., so dass eine interessante Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Geistesströmungen der Fundamentalontologie, der analytischen Sprachphilosophie, der Phänomenologie, des Strukturalismus, des Dekonstruktivismus, der Psychoanalyse etc. geführt wird. Ebenso findet eine intensive Auseinandersetzung mit entsprechenden Werken nicht nur französischer Theologen statt, wie z. B. Yves Congar, sondern z. B. auch mit Edward Schillebeeckx, Karl Rahner, Walter Kasper, Jürgen Moltmann, Eberhard Jüngel oder Karl Barth. In die Mitte seines sakramententheologischen Gesamtentwurfs stellt Chauvet seine Symboltheorie, mit der er nicht mehr ein essentialistisches Denken verfolgt, also ein Denken vom Wesen der Dinge her, sondern ein existentielles Denken, das die sakramentale Erfahrung in der christlichen Existenz zum Inhalt hat. Folglich erhalten die Sachverhalte der Sprache, der Leiblichkeit oder des Ritus großes Gewicht und prägen den Entwurf. Als „Symbol“ definiert Ch. die Vermittlung zwischen Gott und Mensch, die grundsätzlich sakramental zu verstehen ist. Das umfangreiche Werk ist in vier Teile gegliedert: I. Vom Metaphysischen zum Symbolischen; II. Die Sakramente im symbolischen Netz des Glaubens der Kirche; III. Symbolisierungshandlungen der christlichen Identität; IV. Sakramentenlehre und trinitarische Christologie. Als Gegenprobe setzt sich Ch. mit der Nicht-Sakramentenlehre der Taufe bei Karl Barth auseinander. Er hält fest, dass Barth das gnädige Handeln Gottes und das freie Handeln der Menschen nicht zugleich ohne Konkurrenz oder Synergieverdacht denkt, weil er die Transzendenz Gottes in Gegensatz zum Menschen setzt. Gottheit und Menschheit werden getrennt und das Sakrament der Taufe kann demnach nicht als Sakrament verstanden werden, das den Leib Christi

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konstituiert. Denn nach Chauvet wirkt das Wort Gottes nicht nur im und durch das Fleisch, sondern ist Fleisch. Nach Erscheinen der deutschen Übersetzung von Chauvets Werk hat Martin Stuflesser als Herausgeber der Buchreihe zur „Theologie der Liturgie“ ein Forschungskolloquium veranstaltet, das sich intensiv mit Chauvets Entwurf auseinandergesetzt hat. Der daraus entstandene Band enthält etwa ein Dutzend Beiträge, die sich mit der Rezeption von Chauvets Sakramententheologie, mit ihren philosophischen Grundlagen und mit den theologischen Anfragen an diesen Entwurf befassen. Abschließend werden Perspektiven entworfen, wie mit Chauvet über ihn hinaus weitergedacht und an einer erneuerten, allgemeinen Sakramententheologie weitergearbeitet werden könnte. Coors, Dietmar: Theater als Gottesdienst. Das geistliche Schauspiel als moderne Verkündigungsform. Rezeption eines historischen Modells (Heidelberger Studien zur Praktischen Theologie 20). LIT Verlag: Berlin 2015, 446 S. Kult und Kultur, Gottesdienst und Theater gehören enger zusammen, als heute allgemein bedacht und auch erlebt wird. Diese Verbindung wieder deutlicher in den Vordergrund zu rücken, ist das Ziel dieser Arbeit: „Jeder Gottesdienst ist im Kern ein großartiges Schauspiel, das das Unsichtbare der göttlichen Verheißung sichtbar machen möchte. (…) Gottesdienst als Theater kann den Verkündigungsauftrag der Kirche wieder umfassend entfalten. Biblische Texte erscheinen dabei in einem neuen Kontext und geben ungeahnte neue Einblicke frei. (…) Dies zu zeigen soll die Aufgabe der vorgelegten Untersuchung sein.“ (14) Dafür führt Coors zunächst in die Problemstellung und Anlage seiner Untersuchung ein, um anschließend das geistliche Spiel in Theologie und Kirche seit 1880 Revue passieren zu lassen und mit aktuellen Beispielen zu belegen. Im nächsten Schritt werden der Gottesdienst als darstellendes Spiel beschrieben, so dass eine theateranthropologische Beschreibung des Gottesdienstes erfolgt in Auseinandersetzung mit aktuellen Liturgiken, wie z. B. mit Josuttis oder Bieritz, mit ästhetischen Fragen vom „Heiligen“ im modernen Theater etc. Anschließend werden Bausteine zu einer Theologie des geistlichen Spiels formuliert und das geistliche Drama als eine zeitgemäße Form des modernen Gottesdienstes präsentiert. Als Exkurs werden Elemente geistlichen Spiels bei Germanos von Konstantinopel beschrieben. In einem Schlusswort fasst Coors sein Engagement zusammen. Ehrensperger, Alfred: Der Gottesdienst im Appenzellerland und Sarganserland-Werdenberg vor, während und nach der Reformation bis ca. 1700. Theologischer Verlag Zürich: Zürich 2015, 340 S. Dieser Band mit der Gottesdienstgeschichte im Appenzellerland und Sarganserland schließt sich dem vorhergehenden dritten Band der Gottesdienstgeschichte (vgl. JLH 52 [2013] 111, dort auch Hinweise auf die schon erschienenen anderen Bände) an, der sich mit St. Gallen Stadt, Kloster und fürstäbtlichen Gebieten befasste. Es werden also zwei weitere osteidgenössische Regionen dargestellt. Im ersten Teil werden für das Appenzellerland Gesellschaft und Religion vor der Landteilung 1597 beschrieben. Es beginnt mit der Situation vor der Reformation, die Anfänge der Reformation, dann Glaube und Gottesdienst werden dargestellt. Die Landteilung 1597 – der katholische Teil beschloss ein militärisches Bündnis mit Spanien – hatte zur Folge, dass sich Kirchen und Gemeinden umorganisierten in Inner- und Ausserrhoden. Hierbei spielten auch die Appenzeller Klöster eine gewichtige Rolle. Abschließend werden Kirchenund Gottesdienstordnungen dargestellt. Für das Sarganserland wird ebenfalls die kirchliche und gesellschaftliche Situation dargestellt, dann der Gottesdienst in der Benediktinerabtei Pfäfers, der prägend gewesen ist, danach die Gottesdienste der Pfarrgemeinden und Kollaturen sowie die Volksfrömmigkeit. Anschließend werden

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die Reformationsversuche und der Gottesdienst in Wartau-Gretschins aus der Zeit der Vorreformation und Reformation beschrieben; diese Ortschaft ist nach 1531 evangelisch geblieben. Das Buch wird beschlossen mit einem Abkürzungs- und Literaturverzeichnis, mit Personen-, Begriffs- und Sachregistern und dem Verzeichnis der Patrozinien im Sarganserland-Werdenberg. Faggioli, Massimo: Sacrosanctum Concilium. Schlüssel zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Aus dem Englischen übersetzt von Stefan Meetschen (Original: True Reform. Liturgy and Ecclesiology in Sacrosanctum Concilium. Liturgical Press, Saint John's Abbey, Collegeville 2012). Verlag Herder: Freiburg i. Br. 2015, 240 S. In seinem Vorwort zu diesem Buch hebt Benedikt Kranemann hervor, dass der Historiker und Theologe Faggioli betont, die Liturgiekonstitution habe nicht nur eine Reform der Liturgie bzw. ihrer Riten im Sinn, sondern auch in Bezug auf die Ekklesiologie tiefgreifende Veränderungen mit sich gebracht. Faggioli vertritt die These, die Liturgiekonstitution sei der hermeneutische Schlüssel für das Konzil und sein Verständnis. Kranemann hält fest: „Im Mittelpunkt solcher Veränderungen steht für ihn das sakramentale Verständnis von Kirche in SC 2, die eben nicht mehr in ihrer juridischen Gestalt beschrieben wird, sondern in ihrer Beziehung zum Heilswerk Christi. Liturgie ist Werk Christi und gehört daher zum Wesentlichen der menschlich-göttlichen Dimension der Kirche.“ (12) Auch hebt Faggioli die neue Beziehung der Kirche zur Welt hervor, z. B. durch das Eintreten für soziale Gerechtigkeit. Faggioli befürchtet eine Beschädigung der Kirche durch das Motu Proprio von Summorum Pontificum aus dem Jahr 2007. Ökumene und interreligiöser Dialog sind wesentliche Errungenschaften der Reform der Kirche. Faggiolis Buch ist in sechs Kapitel gegliedert: Sacrosanctum Concilium und die Bedeutung des II. Vatikanums, Liturgiereform und Ressourcement, Liturgiereform und Ekklesiologie, Liturgiereform und Rapprochement, Die Liturgie reformieren – die Kirche reformieren, die Liturgie des II. Vatikanums und fünfzig Jahre Konzilsrezeption. Fechtner, Kristian: Diskretes Christentum. Religion und Scham. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2015, 192. S. Dass Scham in der Religion, mithin auch in der Kirche und ihrer Seelsorge eine gewichtige Rolle spielt, bestreitet wohl kaum jemand. Dass Schuld und Scham eng zusammengehören, wird jeder, der in der Seelsorge tätig ist, erfahren haben. Wo nun überall Scham wirkt und oftmals auch verschwiegen wird oder Schwierigkeiten macht, stellt Fechtner in diesem Buch dar. Erkundungen in der Gegenwart führen das Phänomen vor Augen, es wird in gefühlstheoretischer Sicht erklärt und durch biblisch-theologische Betrachtungen vertieft. Sodann wird dem Phänomen in praktisch-theologischen Handlungsfeldern nachgegangen: im Gottesdienst, in der Kasualpraxis, der Seelsorge und der Religionspädagogik. Für den Gottesdienst werden das Gebet, die Predigt und das Abendmahl herangezogen. Das Gebet ist etwas ganz Intimes und Innerliches, da will niemand beobachtet werden, weswegen auch die Augen geschlossen, die Hände gefaltet werden und der Blick gesenkt wird. Die Predigt ist zwar eine Anrede, aber niemand will vermittels der Predigt durch den Prediger von der Kanzel aus persönlich angesprochen werden – das käme einer Bloßstellung gleich, für die man sich schämt. Das Abendmahl ist sogar erheblich schambesetzt, da es um Sündenvergebung gehen kann, die Abendmahlspartizipanten lösen sich aus der Anonymität der kirchlichen Sitzordnung und zeigen sich im Altarraum, vielerorts reicht man sich die Hände nach der Feier, wobei zwischen bekannten und unbekannten Menschen nicht unterschieden wird. Auch kann sich eine Scheu gegenüber dem Heiligen einstellen, da man dicht am Altar ist und Brot und Wein empfängt. Fechtner sieht in der distanzierten

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Volkskirchlichkeit auch eine Reaktion auf die Scham, an kirchlichen Handlungen teilzunehmen, und spricht daher vom diskreten Christentum. Feulner, Hans-Jürgen/ Bieringer, Andreas/ Leven, Benjamin (Hg.): Erbe und Erneuerung. Die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils und ihre Folgen (Österreichische Studien zur Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie 7). LIT Verlag: Wien 2015, 346 S. Die Beiträge haben die „unbeabsichtigten Folgen“ im Blick, die jedes Ereignis, hier die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, zeitigen wird. Die Konzilsväter formulierten mit der Liturgiekonstitution eine Intention der Reform, eine andere Sache dagegen ist, welche tatsächlichen Entwicklungen nach dem Konzil zu beobachten waren und noch sind. „So stehen die verschiedenen Beiträge dieses Bandes nicht im Dienst einer harmonistischen Geschichtsschreibung von Konzil und Reform, sondern beleuchten anhand von Einzelbeispielen, wo die Reform überraschende Wechselwirkungen hervorrief und unvorhergesehene Dynamiken auslöste, wo sie zu widersprüchlichen Ergebnissen führte oder auf ungeahnte Widerstände stieß, und welchen Verlauf sie angesichts ganz verschiedenartiger kultureller Rahmenbedingungen nahm.“ (12) Die zahlreichen Beiträge orientieren sich an einzelnen Abschnitten der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium, die zitiert werden. Einige Beispiele: In SC 1 wird mit einer ökumenischen Spurensuche eingeführt und anhand der anglikanischen Episcopal Church in den USA werden unbeabsichtigte Folgen aufgezeigt. Unter SC 3 werden Normen auch für andere Liturgien, hier der griechisch-katholischen Kirche, namhaft gemacht. Mit SC 8 wird konstatiert, dass das Konzil kaum über Säkularisierung und Moderne nachdachte oder sie berücksichtigte, gleichwohl aber für die Reformen Wirkungen verursachten. Unter SC 36 wird nach der Bedeutung von Sakralsprache bzw. des Verbleibs der lateinischen Sakralsprache gefragt. Mit SC 100 wird thematisiert, ob die Reform des Stundengebets auch für die Gemeinde stattgefunden hat. Freudenberg, Katharina: Kloster Volkenroda 1990–2001. Westdeutsche Kommunitäten in einem ostdeutschen Dorf. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2015, 329 S., 43 meist farbige Abb. Das Kloster Volkenroda ist zu einer Begegnungsstätte von Ost- und Westdeutschen geworden und hat sich zu einer geistlichen Begegnungsstätte entwickelt. Diese Entwicklung wird im Zeitraum von 1990 bis 2001 untersucht. Zunächst wird aber die Geschichte des Klosters seit seinen Anfängen bis 1989 dargestellt; 1990 setzt die Phase des Wiederaufbaus ein, die Freudenberg von 1990 bis 1993 konstatiert, ihr folgt eine Konsolidierungsphase von 1994 bis 1998. Dabei kommen auch die Jesus-Bruderschaft und die Christusbruderschaft zur Darstellung, die sich auf dem Klostergelände niederließen und das weitere Werden des Klosters mitbestimmten. Anhand dieser beiden westdeutschen Kommunitäten in dem ostdeutschen Dorf können sowohl die Bemühungen um Verständigung nachvollzogen werden wie auch das Gewicht von Prägungen, die die Begegnungen erschwerten. Es folgte die Expansionsphase von 1999 bis 2001, im Jahr 2000 wurde der berühmte Christus-Pavillon der EXPO 2000 von Hannover in Volkenroda, wieder aufgebaut. Biographische Erfahrungen und ein Resümee beschließen das Buch. Bemerkenswert an dieser geschichtlichen Darstellung ist das Einbeziehen von 50 Interviews als mündliche neben den schriftlichen Quellen. Darin wird auch deutlich, wie sehr das Kloster ein geistlicher Ort ist, der sich im Feiern von Liturgie und Gottesdienst manifestiert. Fugger, Dominik/ Kranemann, Benedikt/ Lagaude, Jenny (Hg.): Ritual und Reflexion. Historische Beiträge zur Vermessung eines Spannungsfeldes. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 2015, 233 S., 13 teils farbige Abb.

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Rituale gelten als vorreflexiv – sie wirken im Vollzug. Eine Reflexion dazu oder darüber scheint für den Ritualvollzug nicht wesentlich, wenn nicht gar als schädlich. Dabei hat die christliche Tradition von ihren Anfängen an über die ihre Rituale, die Liturgien, reflektiert. Diese Reflexion ist bislang eher selten ein Forschungsthema gewesen. In diesem Buch sind Beiträge zusammengestellt, die die Zeit der Reformation, Konfessionalisierung und Aufklärung in den Blick nehmen. Dafür kommen Theologen unterschiedlicher Konfessionen, Historiker, Philosophen u. a. zu Wort. So finden sich Beiträge zu den Reflexionen der frühen Wittenberger Reformation über Rituale, zu der Altarretabel von Lucas Cranach d. Ä. in Wittenberg, zu Äußerungen von Thomas Hobbes zu religiösen Ritualen, zur Liturgik der Aufklärung sowohl evangelischerwie katholischerseits, zu Herders Einlassungen zum Freimaurerritual und zu den reformjüdischen Gottesdiensten in Berlin. Abschließend werden Möglichkeiten und Grenzen der Ritualkritik und Liturgiegeschichtsforschung ausgelotet. Geldhof, Joris/ Minch, Daniel/ Maine, Trevor (Hg.): Approching the Threshold of Mystery. Liturgical Worlds and Theological Spaces (Theologie der Liturgie 10). Verlag Friedrich Pustet: Regensburg 2015, 216 S. Das Verhältnis von Systematischer Theologie und Liturgie(wissenschaft) wird von Seiten der Systematiker so verstanden, dass liturgisch das vollzogen wird, was systematisch gedacht wird. Dass dabei keine liturgische Theologie entstehen kann, sondern eher verhindert wird, liegt auf der Hand. Die Beiträge – bis auf einen sind sie alle in englischer Sprache verfasst – versuchen nun, nicht nur über, sondern auch von der Liturgie zu sprechen, so dass das Mysterium, das mit der Liturgie zum Ausdruck gelangt und gefeiert wird, in den Blick kommt. Jeweils zwei Beiträge stehen unter einem Aspekt: es geht um den liturgischen Raum, der auf der Grenze zwischen Sakral und Säkular zu finden ist, um die Vermittlung des ganzen Christus durch die Liturgie, um die Eucharistie als Mitte des liturgischen Feldes, um den römischen Ritus außerhalb des Westens in Indien und Afrika, um liturgische Besonderheiten in Osten Europas, um die Bedeutung der Liturgie für die Werte der Gesellschaft. Gerhards, Albert/ Chronz, Tinatin (Hg.): Orientierung über das Ganze. Liturgische Vielstimmigkeit der Ökumene und das Zweite Vatikanische Konzil (Ästhetik – Theologie – Liturgik 60). LIT Verlag: Berlin 2015, 147 S., 7 Abb. Das Seminar für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Bonn veranstaltete ein Kolloquium unter dem Leitwort: „Orientierung über das Ganze“. Es wurde die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils bedacht, die Buchveröffentlichung von Anton Baumstarks Meisterwerk „Liturgie comparée“ und der 70. Geburtstag von Heinzgerd Brakmann gefeiert. Das Leitwort stammt von Baumstark, der in Bonn die vergleichende Liturgiekunde begründete, die heute als ökumenischen Liturgiewissenschaft firmieren könnte. Denn schon vor und ebenso nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil sind die orientalischen Riten wieder in das Blickfeld gerückt worden und haben zu einer Anerkennung der hohen Wertigkeit dieser Liturgien geführt, die sich auch in manch amtlicher Anerkennung durch Rom zeigt. Brakmann ist ein Bonner Liturgiewissenschaftler, der sich auch um die orientalischen Liturgien sehr verdient gemacht hat. Entsprechend finden sich in diesem Band Beiträge zu orientalischen Liturgien und Themen, wie z. B. über ein Begräbnisgebet aus Armenien, zu georgischen Hymnen zum Fest der Verklärung Christi und über die Himmelfahrtskirche in Jerusalem, zu Brotbrechungsgebeten der koptischen Liturgie, über einen in griechischer Sprache verfassten akrostichen Marienhymnus, zur äthiopischen Jakobusanaphora und zu altkirchlichen Anaphoren mit Blick auf die jetzigen Hochgebete der römisch-katholischen Kirche.

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Grethlein, Christian: Abendmahl feiern in Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2015, 270 S. Grethlein legt in seinem Vorwort dar, dass mit diesem Band seine Erkundungen einen vorläufigen Abschluss gefunden haben, die von seiner Praktischen Theologie (s. JLH 52 [2013] 124) ausgehend zentrale Praxisfelder der Kirche als eine Kommunikation des Evangeliums beschreiben und verstehen. Zuerst hatte er seinen kommunikationstheoretischen Ansatz auf die anstehende Perikopenrevision (s. JLH 53 [2014] 116) angewandt, dann auf die Taufpraxis (s. JLH 54 [2015] 75f), das Evangelische Kirchenrecht (s. in diesem Band unter V. Einführungen und Lehrbücher) und nun auf das Abendmahl. Das Buch ist dreigeteilt: Zuerst wird die geschichtliche Entwicklung der Mahlfeier dargestellt von der offenen Mahlzeit Jesu zum kirchlichen Ritual; es folgen die Mahlfeiern der Gegenwart, die als Pluriformität zwischen Tradition und Aufbrüchen verstanden werden, abschließend wird das Feiern des Abendmahls in der Zukunft unter dem Leitgedanken der Einheit im Herrn und der Vielfalt im Feiern in den Blick genommen. Ein Ausblick zeigt an, dass die Mahlfeier eine Orientierung für die Kirche darstellt. Das Buch steht unter der Frage, wozu ein heutiger Mensch das Abendmahl braucht. Damit ist die Kontextverbundenheit der Menschen, der Kirchen, der Mahlfeiern in den Fokus gerückt, weil die Kontextverbundenheit sowieso in der gegenwärtigen Kommunikation des Evangeliums präsent ist. Grethlein sieht in Jesu Mahlfeiern eine Offenheit, die heutigen Mahlfeiern nicht mehr eigen ist. Das liegt an den Kontexten der Antike und des Mittelalters, ihre „Ergebnisse“ werden bis heute hochgehalten, auch wenn sie völlig unwichtig sind für den heutigen Menschen. Insofern legt Grethlein dar, dass Veränderungen der Mahlfeier auch Veränderungen in der Organisationsform von Gemeinde und Kirche nach sich ziehen werden. Denn auch die Mahlfeier ist eine Kommunikation des Evangeliums, die aber nicht mehr vorrangig auf die Innerlichkeit des Subjekts wie im 18. und 19. Jahrhundert ausgerichtet ist. Sie zeichnet sich heute durch drei Modi aus: „Lehr- und Lernprozesse, die die Wirklichkeit auf das Wirken Gottes hin durchsichtig machen; gemeinschaftliches Feiern, das die anbrechende Gottesherrschaft erfahren lässt; Helfen zum Leben, bei dem Christus selbst als Hilfsbedürftiger begegnet.“ (259f) Haim, Maria Lisa: Die Eucharistie als Lebensprinzip der Kirche (Schriften der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Pölten 9).Verlag Friedrich Pustet: Regensburg 2015, 119 S. Mit diesem Büchlein wird die Beziehung von Eucharistie und Ekklesiologie in den Blick genommen, wie es auch schon die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. getan haben. Dazu werden zunächst die biblischen Grundlegungen aufgeführt, dann die systematische Entfaltung der Eucharistie als Lebensprinzip der Kirche erörtert. Denn die Eucharistie bildet durch Vergegenwärtigung, Kommunion, Kontemplation und Mission die Kirche. Die Autorin vertieft sowohl Marias Bedeutung für die Kirche und Eucharistie als auch die eschatologische Dimension der Eucharistie, um abschließend die Eucharistie als Quelle und Höhepunkt des Lebens und der Sendung der Kirche zu würdigen. Happe, Annika: Auf der Suche nach dem „Anderen Advent“?! Gelebte Religiosität im Weihnachtsfestkreis. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2015, 376 S. Immer wieder gibt es Klagen über das Weihnachtsfest: zu viel Konsum, zu viel kitschige Stimmung, alles nur noch ein Familienfest. Wo bleiben die christlichen Inhalte? Der Verein Andere Zeiten e. V. in Hamburg hat mit seinem Kalender Der Andere Advent ein Angebot bereitgestellt, „das gezielt die biblische Weihnachtsgeschichte,

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die christlichen Inhalte und die Botschaft vom Kommen Gottes in die Welt in den Mittelpunkt stellt.“ (25) Der Kalender beginnt am Vorabend des ersten Advent und reicht bis zum Epiphaniasfest am 6. Januar, orientiert sich also am Kirchenjahr und hat liturgische Bezüge. Im Jahr 2010 haben über eine Million Menschen den Kalender verwendet. Wie sich das Angebot auf die gelebte Religiosität auswirkt, wird anhand von zwei qualitativen Interviews untersucht, die mit einem Mann und einer Frau durchgeführt wurden. Ebenso wurde eine Leserbefragung zum Kalender berücksichtigt, die der Verein bei einem Marktforschungsinstitut in Auftrag gegeben hatte. Noch vor der Darlegung des empirischen Materials wird aber die moderne Weihnachtsreligiosität erörtert, ausgehend von Friedrich Schleiermachers Weihnachtsfeier von 1806 bis zu spätmodernen Überlegungen durch Matthias Morgenroths Weihnachts-Christentum von 2002. Hinzu kommen Überlegungen zur Festtheorie, zur Adventszeit, zum Heiligabendgottesdienst, zum Familienritual Weihnachten und zum ‚Kindheitsroman‘ Weihnachten. Das Ergebnis der beiden Interviews ist, dass der Kalender sowohl niedrigschwellig als auch individuell zu verwenden ist, dass er im täglichen Gebrauch eine gedankliche Beschäftigung mit den weihnachtlichen Inhalten fördert, dass er zu Gesprächen in Familie, Bekanntenkreis etc. anregt, dass für beide Interviewpartner das Weihnachtsfest als Menschwerdung Gottes bzw. das Kind in der Krippe das entscheidende Symbol ist. Dies Ergebnis wird mit weiteren sechs Interviews abgeglichen. Dadurch zeigt sich, dass es den Kalenderlesern im modernen Weihnachtschristentum nicht nur um die Stimmungsreligiosität, sondern auch um Inhalte geht: „Auch weihnachtliche Religiosität lebt von der Ästhetik, dem Schwebenden und Offenen, von sinnlichen und tiefgreifenden Erfahrungen des Heiligen und ›Anderen‹, von symbolischer und bildhafter Sprache und einer ansprechenden und anregenden Form, aber eben auch von aussagekräftigen Inhalten, anschlussfähigen Botschaften, konkreten und anregenden Deutungsperspektiven, einer transzendenten Perspektive auf die Welt und das Leben.“ (351) Hässig, Maria: Tanzendes Wort Gottes. Wegmarken für eine afrikanische Sakramententheologie (Begegnungen. Kontexutell-dialogische Studien zur Theologie der Kulturen und Religionen 23). Bonifatius: Paderborn 2015, 275 S. Der Leib ist für die afrikanisch-christliche Liturgie der locus theologicus. Zugleich ist der Leib der Schlüssel zur afrikanischen Kultur. Durch den Inkulturationsprozess sind in Afrika neue Rituale entstanden, in die römische Liturgie sind Elemente der indigenen Kultur eingefügt worden. Das hat selbstredend Bedeutung für eine Sakramententheologie. Nach Einleitungsfragen werden zunächst mit Maurice Merleau-Ponty die rituellen Gesten einer phänomenologischen Grundlegung unterzogen; die Gesten werden gleichsam als Kunstwerk aufgefasst. Die Leibthematik wird weitergeführt mit einer Reflexion über das Menschsein, wie es die Psalmen beschreiben und in der Bedeutung, die es bei Paulus in Taufe und Herrenmahl für die christliche Existenz hat. Daraus werden drei Wegmarken formuliert: Die Sakramententheologie wird in der Perspektive der Initiation (z. B. vermittels Zeugung und Geburt oder Gemeinschaft), des gegenseitigen Bündnisses (z. B. Gabe und Selbstgabe oder das gegenseitige „Sichtrinken“ als Gottes Freundschaft) und der Großfamilie Gottes (die z. B. als protologische Vor-Gabe und als eschatologische Ziel-Gabe, auch als großfamiliales Heilspalaver verstanden wird) betrachtet. Die Schlussbeobachtungen zeigen einen möglichen Weg für eine afrikanische po(i)etische Sakramententheologie auf. Hässig hält fest: „Die Kontextualisierung der Liturgie ist ein entscheidender und unersetzbarer Beitrag zur Inkarnation der jesuanischen Botschaft im jeweiligen Kulturraum. (…) Eine solch gestaltete Liturgie macht die Feier des Sakraments für die Gottesdienstteilnehmenden

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zum Ereignis des großfamilialen Heilspapalvers, in dem die geschwisterlichen Beziehungen im Sinne einer lebenslangen, verbindlichen, fürsorglichen gegenseitigen Freundschaft zur Gabe der Lebensfülle werden.“ (243) Helms, Dominik/ Körndle, Franz/ Sedlmeier, Franz (Hg.): Miserere mei, Deus. Psalm 51 in Bibel und Liturgie, in Musik und Literatur. Echter Verlag: Würzburg 2015, 560 S., 66 Abb. Dieser stattliche Band geht zurück auf ein Symposion aus dem Jahr 2011, das die reiche Wirkungsgeschichte des Psalms 51 besser verstehen wollte. Die Wirkungsgeschichte zeigt eine Vielfalt an Rezeptionen, die die innovative und inspirierende Kraft des biblischen Wortes weitergetragen haben. Die Tagung war international, transdisziplinär und ökumenisch ausgerichtet. Als Erstes sind in dem Band Beiträge zur alttestamentlichen Grundlegung abgedruckt, es folgen Beiträge zur jüdischen und christlichen Rezeption von der Antike bis zur frühen Neuzeit. Drei Beiträge widmen sich der liturgischen Vergegenwärtigung, weitere Beiträge handeln über Ps 51 in Musik und darstellender Kunst sowie über das „Miserere“ in moderner und postmoderner Kultur. Herberichs, Cornelia/ Kössinger, Norbert/ Seidl, Stephanie: Liturgie und Literatur (Lingua Historica Germanica 10). Walter de Gruyter: Berlin 2015, 371 S. Ganz unterschiedliche Beiträge sind in diesem Band versammelt, die aber doch alle die Relation von Liturgie und Literatur bedenken. Dabei sind sich die Herausgeber und Autoren darüber im Klaren, dass die beiden Begriffe nicht so einfachhin deutlich abgegrenzte Forschungsfelder oder Sachfelder bezeichnen, sondern das es zu mannigfaltigen Überschneidungen kommt – zumal, wenn Liturgiker zugleich Literaten sind oder umgekehrt. So werden Texte bedacht, die vom Glauben handeln, es geht um eine Litanei, um Legenden, Gesänge und Gegengesänge, um mystische Erfahrungen als Berichte, die Liedproduktion der mittelalterlichen Geißlerbewegung, um das Innsbrucker Osterspiel, um ein volkssprachliches Gebetbuch, um Schillers Geisterseher und Maria Stuart, um Hegels Religionsphilosophie. Heringer, Dominik: Die Anaphora der Apostel Addai und Mari. Ausdrucksform einer eucharistischen Ekklesiologie. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013, 231 S. Die Besonderheit der Anaphora der Apostel Addai und Mari besteht im Fehlen des Einsetzungsberichts und wohl auch darin, dass die Assyrische Kirche des Ostens diese Anaphora bis heute ohne Einsetzungsbericht in Gebrauch hat. Nun ist in der römisch-katholischen Theologie darüber eine wissenschaftliche Debatte entstanden, weil die römisch-katholische Kongregation für die Glaubenslehre im Januar 2001 diese Anaphora als gültige Eucharistiefeier anerkannte. Sie nennt dafür drei Gründe: Diese Anaphora geht auf die Anfänge der Kirche zurück und ist eine der ältesten Anaphoren; die Assyrische Kirche feiert die Eucharistie mit der Intention, in voller Kontinuität mit dem letzten Abendmahl Jesu zu stehen. Die römisch-katholische Kirche anerkennt die Assyrische Kirche als wahre Teilkirche. Zwar wird in der Anaphora der Einsetzungsbericht nicht wortwörtlich verwendet, aber die entsprechenden Worte kommen an verschiedenen Stellen als euchologische Formulierung durchaus vor. Die wissenschaftliche Diskussion kreiste um mehrere Fragen, aber hauptsächlich darum, ob denn nun der Konsekrationsmoment, der mit der Rezitation der Einsetzungsworte angenommen wird, nicht durch das Fehlen der Einsetzungsworte ganz ausfällt, so dass deshalb auch keine Konsekration angenommen werden kann. Heringer hat die Debatte aufgenommen, nachgezeichnet und auf die Frage fokussiert, ob eine theologische Antwort formuliert werden kann, die diese Anaphora als gültig beschreibt und zugleich die eigene Tradition, die sogar die Wandlung mit den Einsetzungsworten ver-

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bindet, nicht als illegitim erscheinen lässt. Dafür setzt er sich mit der Theologie dieser assyrischen Sondertradition und der ökumenischen Annäherung der Assyrischen und römisch-katholischen Kirche auseinander und reflektiert die Anerkennung der Anaphora. Er zeichnet die Argumente der wissenschaftlichen Debatte nach und beginnt mit dem biblischen Befund bis hin zum Konzil von Trient mit der Frage nach der lehramtlichen Festlegung des Konsekrationsmomentes. Er arbeitet heraus, dass ein Konsekrationsmoment in der lateinischen Tradition mit den Worten Jesu, in der griechischen Tradition mit der Epiklese angenommen wird. Eine letztendliche Festlegung hat es aber in der lateinischen Tradition nicht gegeben, vielmehr wird die östliche Tradition gewürdigt. Daraufhin geht er der Frage der Verhältnisbestimmung von Eucharistie und Kirche nach und fragt auch nach den Verstehensmöglichkeiten angesichts der Postmoderne, ob eine Intention als Kirche bzw. Priester ausreicht, um die Eucharistie im Sinne Jesu zu feiern, auch wenn die Einsetzungsworte nicht verwendet werden. Da diese Intention vorsprachlich loziert wird, kann sie mit postmodernem Denken nicht korrelieren. Aber aufgrund der gemeinsam gleichen Intention von Assyrischer und römisch-katholischer Kirche – auch im Vergleich mit den drei neuen Hochgebeten II bis IV des neuen Messbuchs – spricht kein Argument dagegen, diese Anaphora auch aus theologischer Sicht als gültig anerkannt zu haben. Hesse, Michael: Die Eucharistie als Opfer der Kirche. Antwortsuche bei Odo Casel – Karl Rahner – Hans Urs von Balthasar (BDS 56). Echter Verlag: Würzburg 2015, 628 S. Hesse eröffnet sein Buch mit einer Untersuchung zum alltäglichen Begriff des Opfers bzw. zu seinem Verschwinden im theologischen Verständnis, die er mit der Frage nach dem Messopfer kombiniert. Die Entwicklung des Opfergedankens von der Patristik bis zum Mittelalter wird ebenso dargelegt wie die reformatorische Kritik an den mittelalterlichen Opfertheologien. Es folgt eine Darstellung der Antwort auf diese Kritik, wie sie das Trienter Konzil formuliert hat, und der sich daran anschließenden Messopfertheorien. Gleichwohl bleiben offene Fragen bezüglich des Messopfers, da weder das Konzil noch die darauf fußenden Opfertheorien erschöpfende Antworten gefunden haben. Neu eingesetzt haben – auch aufgrund von umfassenden patristischen Studien – Odo Casel mit seiner Mysterientheologie und der Frage nach dem Opfer der Kirche in der Eucharistie sowie Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar mit ihrem Verständnis der Eucharistie als Opfer der Kirche. Abschließend werden ihre Positionen in ihrer gegenseitigen Konvergenz wie Differenz zusammengefasst. Hesse formuliert daraufhin eine Antwortsynthese auf die Frage, wie die Eucharistie als Opfer der Kirche verstanden werden kann: Das Opfer Christi wird verstanden als Opfer, das für die Menschen dargebracht wurde. Von dorther wird das Verhältnis von Kirche und Christus beleuchtet. Abschließend wird zum Ausdruck gebracht, dass die Eucharistie die Vergegenwärtigung des Opfers Christi durch die Kirche ist. Insofern wird die Eucharistie als Opfer der Kirche verstanden. Hervorgehoben werden bei diesen Aussagen das „für“, das „und“, das „durch“ und das „der“. Darum hält Hesse fest: „Der Erlöser handelt aus tiefer Liebe, eine Liebe, die den Sünder nicht zum Objekt des Geschenkes der Erlösung degradiert, sondern auch zum Subjekt, zum Geber des Geschenkes beruft. Dies als Kirche und insbesondere als Glied am Leibe Christi zu leben, heißt zu realisieren, dass der Erlöser sich so sehr aus Liebe bindet, dass er nichts ohne die Erlösten tun will. Sich dieses großen Geschenkes in der Eucharistie bewusst zu sein, beruft die Glieder des Leibes Christi dazu selbst Sakrament werden zu wollen.“ (604)

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Keplinger, Josef: Der Vorstehersitz. Funktionalität und theologische Zeichenstruktur (Pius-Parsch-Studien 11). Verlag Herder: Freiburg i. Br. 2015, 431 S. Diese Dissertation über den Vorstehersitz wurde 2011 mit dem Pius-Parsch-Preis ausgezeichnet und in die Reihe Pius-Parsch-Studien aufgenommen. Die Frage nach der Bedeutung des Vorstehersitzes ist erst seit den 1980er Jahren virulent, hatte sich die Liturgiereform doch zuerst um Texte und Riten gekümmert, und rasch umgesetzte Raumlösungen wirken heute nicht mehr überzeugend. Darum ist zu fragen, ob der Vorstehersitz und damit auch der Vorsteher selbst im funktionalen Sinn einen Leitungssitz innehat oder ob damit nicht auch ein symbolischer Ort für den Vorsteher als Priester gemeint ist. Das stellt wiederum Fragen an die Raumkonzeption. In dieser Untersuchung geht es um die liturgietheologische Einordnung des Vorstehersitzes und seine Bedeutung für den Vollzug der Feier. Im ersten Teil der Untersuchung werden literarische, liturgische und archäologische Quellen beigezogen, um den Symbolgehalt des Vorsitzes zu eruieren. Anschließend wird auch der Verfall dieses Symbolsystems bedacht. Im zweiten Teil wird aufgrund der Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils die Wiederentdeckung des Vorstehersitzes erörtert, danach auch die nachfolgenden kirchenamtlichen Festlegungen. Im dritten Teil wird der Ort des Vorstehens anhand von maßgeblichen Texten und am liturgischen Vollzug untersucht. Dabei kommen die Feier der Bischofsordination, die Dedikation des Kirchengebäudes und die Benediktion des Vorstehersitzes zum Zuge. Keplinger hält fest, dass der Vorsteherort als ein Zusammenspiel von funktionalen, personalen und symboltheologischen Gesichtspunkten zu verstehen ist. „Der Sitz wird in diesem Sinne zum monumentalen Verweiszeichen hin auf die eigentlich konstitutive und endgültige Wirklichkeit, welche der liturgischen Feier verborgen zu Grunde liegt.“ (396) Kerner, Hanns: Gottesdienst im Wandel. Hg. v. Müller, Konrad/ Melzl, Thomas. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2015, 281 S. Zu seinem 65. Geburtstag ist Hanns Kerner diese Aufsatzsammlung überreicht worden, in der die Herausgeber die wichtigen Beiträge seines wissenschaftlichen Forschens und seiner kirchlichen Tätigkeit sowohl als Ökumenereferent als auch als Initiator und Leiter des Gottesdienst-Instituts der evangelisch-lutherischen Landeskirche in Bayern wieder abdrucken. Der erste Bereich umfasst Beiträge zur Geschichte und Gestalt des Gottesdienstes. Formfragen und Fragen nach Erneuerung und Bewahrung des gottesdienstlichen Lebens stehen im Vordergrund. Der zweite Bereich beinhaltet Beiträge zur Wahrnehmung des Gottesdienstes, hier kommen die Predigt, die Ordnung des Sonntagsgottesdienstes, der Kirchenraum und die Kirchenmusik zum Zuge. Im dritten Teil finden sich Beiträge zur Ökumene und Spiritualität, die vielseitig orientiert sind und sowohl Lust und Frust an der Ökumene, aber ebenso ihre Chance für die Zukunft anzeigen. Nachweise der Erstveröffentlichungen schließen den Sammelband ab. Klie, Thomas/ Kumlehn, Martina/ Kunz, Ralph/ Schlag, Thomas: Praktische Theologie der Bestattung (Praktische Theologie im Wissenschaftsdiskurs 17). Walter de Gruyter: Berlin 2015, 595 S. Die Bestattungskultur befindet sich im Wandel, nicht zuletzt verursacht durch die zunehmende Individualisierung, Pluralisierung und allgemeine Verunsicherung. Die Bestattungsliturgien sind davon ebenso betroffen wie die Predigten, die Seelsorge, die Musik etc. Dieses Feld wird in vielfältigen Perspektiven aus praktisch-theologischer Sicht von unterschiedlichsten Autoren im interdisziplinären, kulturwissenschaftlichen Kontext untersucht: Bestattungskultur, Liturgie, Predigt, Pastoraltheologie, neue Rituale, Friedhof, Seelsorge, Kasualmusik, Bestattungen von Frühgeborenen, Bestatter, Bildung, Bestattungen in der Gegenwartskultur, Bild. Festgehalten wird, dass

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nichts dagegen spricht, „sich der Pluralisierung auch und gerade auf dem Terrain der Sepulkralkultur zu stellen – im Gegenteil. Nicht alles, was hier in zunehmend fluiden Formen zum Ausdruck kommt, ist darum auch schon religionskulturell zu verdammen. Oft verhindern theologische Einfaltslosigkeit und mangelnde Kontextsensibilität ein angemessenes kirchliches Handeln bei sepulkralen Anlässen. Je mehr aber der kulturelle Kontext der Bestattung durch Verunsicherungen bestimmt ist, desto mehr ist die Kirche den Christenmenschen wie der kulturellen Mitwelt ihre Sicht der Dinge schuldig.“ (12) Klöckener, Martin/ Jeggle-Merz, Birgit/ Spichtig, Peter (Hg.): „Die sichtbarste Frucht des Konzils“. Beiträge zur Liturgie der Kirche in der Schweiz. „Le fruit le plus visible du Concile“. Études sur la liturgie en Suisse. Academic Press Fribourg/ Paulusverlag Freiburg Schweiz: Fribourg 2015, 383 S. Unter dem Ausspruch des Papstes Johannes Paul II., dass die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils dessen erste Frucht gewesen ist, wurde in der Schweiz ein Kongress abgehalten, der sich mit der Liturgiekonstitution und ihren Wirkungen 50 Jahre nach dem Konzil befasste. Zugleich wurde auch das 50-jährige Bestehen des Liturgischen Instituts der Schweiz gefeiert. Die Beiträge des Kongresses finden sich in drei Abteilungen gegliedert in diesem Buch: Die erste Abteilung befasst sich mit Grundsatzfragen zur Liturgiekonstitution und mit der Liturgiereform sowohl im Rückblick als auch mit Blick auf die Zukunft. Die zweite Abteilung vereint Beiträge zur Liturgiereform in der Schweiz, wobei die verschiedenen Landesteile und Diözesen berücksichtigt werden. Die dritte Abteilung beinhaltet zahlreiche Beiträge, die Aspekte für das liturgische Feiern in der Gegenwart in den Blick nehmen. Auch kommen Stimmen aus der Ökumene zu Wort. Insgesamt wird der Hoffnung Ausdruck verliehen, „dass die Konstitution Sacrosanctum Concilium nicht nur ein Dokument der Geschichte ist, sondern mit ihrer Theologie genauso wie mit ihrer pastoralen, auf den Menschen bezogenen Sicht der Liturgie eine grosse Herausforderung für die Gegenwart bleibt.“ (16) Den Beiträgen vorangestellt wurden das Vorwort der Herausgeber, zwei Grußworte und die Predigt des Präsidenten der Schweizer Bischofskonferenz. Die Beiträge sind in deutscher, französischer oder italienischer Sprache verfasst, einige sind übersetzt worden und erscheinen zweisprachig. Ein Register schließt das Buch ab. Kraft, Sigisbert: Danksagung. Gesammelte Aufsätze zur Liturgie (Geschichte und Theologie des Alt-Katholizismus 5), hg. v. Ring, Matthias/ Groß, Florian. Alt-Katholischer Bistumsverlag: Bonn 2015, 215 S. Sigisbert Kraft war Bischof der Alt-Katholischen Kirche in Deutschland und Dozent für Liturgiewissenschaft am Bischöflichen Seminar in Bonn. Einige Beiträge von ihm sind nach wie vor Pflichtlektüre für Studenten; die Aufsätze zeigen, wie seine Arbeiten in den ökumenischen Kontext eingebunden sind. Die elf Beiträge thematisieren z. B. Grundsätze und Ziele der altkatholischen Liturgiereform; Adolf Thürlings, den altkatholischen Wegbereiter der Liturgiewissenschaft; die Erneuerung der altkatholischen und anglikanischen Liturgie; die ekklesiologische Bedeutung der Liturgie; die eucharistische Epiklese als ökumenisches Problem; die Eucharistische Liturgie von Lima. Der Titel dieses Bandes nimmt das Grundverständnis der altkatholischen Liturgie auf, die die Danksagung in den Mittelpunkt stellt, die in vielen der Beiträge zu Wort kommt. Leppin, Volker/ Sattler, Dorothea (Hg.): Reformation 1517–2017. Ökumenische Perspektiven (Dialog der Kirchen 16). Verlag Herder: Freiburg i. Br./ Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2014, 119 S.

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Mit Blick auf das Reformationsjahr 2017 hat der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen eine Schrift vorgelegt, die die ökumenischen Perspektiven der Reformation thematisiert. Alle Texte wurden dem Band auch in einer englischen Übersetzung beigegeben. In einer Einführung werden die Entstehung des Projekts und sein theologisches Profil dargelegt. Die Ökumenischen Perspektiven setzen ein mit einigen Begriffsklärungen, um dann ausführlicher die historischen Perspektiven der Reformation aus evangelischer wie katholischer Sicht zu beschreiben. Ein weiterer Abschnitt widmet sich in drei Schritten den systematischen Perspektiven: Reformation als theologische Kategorie, die Attribute der Kirche als Kriterien ihrer Erneuerung, Ecclesia est semper reformanda et purificanda. Abschließend werden ökumenische Herausforderungen formuliert. In diesem Textabschnitt werden die gegenseitigen Wahrnehmungen der Kirchen thematisiert, die damit verbundenen Lerngeschichten, auch die Konkretisierungen in der ökumenischen Praxis auf Zukunft hin, also die gemeinsamen Herausforderungen in der Gesellschaft heute und die Fortführung der ökumenischen Dialoge. Abschließend werden ökumenische Herausforderungen im Blick auf das Jahr 2017 formuliert. Es wird auch zum Ausdruck gebracht, dass es wünschenswert sei, dass Gemeinden ermutigt werden, möglichst oft und auch insbesondere 2017 ökumenische Gottesdienste zu feiern. Marschler, Thomas: Praelati et praedicatores. Albertus Magnus über das kirchliche Leitungs- und Verkündigungsamt (Lectio Albertina 16). Aschendorff Verlag: Münster 2015, 77 S. Ekklesiologische Themen kamen in der scholastischen Theologie bzw. in ihren Traktaten nicht in geschlossener Form vor, sondern waren weit verstreut. Von besonderer Bedeutung, auch bei Albertus Magnus, sind daher die Schriftkommentare. Dort ist der Übergang von Exegese und Predigt fließend, entsprechend nahe legen sich Kommentare zu den Ämtern der Leitung und Verkündigung, aber auch zu den Menschen, die diese Leitung innehatten. Zudem finden sich mit erheblichem Umfang Äußerungen, die sich mit Wesen und Sendung der Kirche befassen. Der Band von Marschler gliedert sich in vier Kapitel: Zuerst wird der Begriff praelatio bei Albertus Magnus herausgearbeitet, um dann Aufgaben und Pflichten des kirchlichen Leitungshandelns in Bezug auf Predigt und Sakramente darzustellen. Das dritte Kapitel befasst sich mit Aussagen über die Tugenden und Laster der kirchlichen praelati. Das letzte, vierte Kapitel bietet eine Zusammenschau des bisher Dargestelltem mit abschließenden Bemerkungen. Poscharsky, Peter: Gestalteter Glaube. Gesammelte Aufsätze aus der christlichen Archäologie und Kunstgeschichte. Hg. v. Raschzok, Klaus. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2014, 600 S., einige schwarz-weiß Abb. Peter Poscharsky, der am 1. Januar 2016 verstorben ist, hat dieses Buch konzipiert, weil er wollte, dass seine Aufsätze, die teilweise in Zeitschriften erschienen sind, die es gar nicht mehr gibt, in der wissenschaftlichen Diskussion präsent bleiben. Die Realisierung hat Klaus Raschzok übernommen, der auch eine Einleitung verfasst hat. So wird instruktiv in die sechs Abteilungen eingeführt, in welche die Beiträge eingeordnet wurden: (a) Christliche Archäologie, (b) Byzantinische Kunst, (c) Protestantischer Kirchenbau, (d) Altar – Kanzel – Taufstein, (e) Kirchenbau des 20. Jahrhunderts, (f) Bilder. Ein Nachweis der zahlreichen Aufsätze schließt den Sammelband ab. Poscharsky hob hervor, dass die meisten Aufsätze entstanden sind, weil er darum gebeten wurde oder weil die aktuelle Fragestellung Anlass bot, einen Diskussionsbeitrag zu verfassen. Schon die Abteilungen zeigen sein breites Forschungsinteresse an, das sich von der Alten Kirche über die Reformationszeit, insbesondere den lutheri-

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schen Kirchenbau und seine Tradition, bis zum Kirchenbau des 20. Jahrhunderts und zu den Bildern erstreckt. Redtenbacher, Andreas (Hg.): Liturgie lernen und leben – zwischen Tradition und Innovation. Pius Parsch Symposion 2014 (Pius-Parsch-Studien 12). Verlag Herder: Freiburg i. Br. 2015, 345 S. Das Pius-Parsch-Institut am Chorherrenstift Klosterneuburg hat zu Ehren von Pius Parsch ein Symposion veranstaltet. Die Beiträge sind in diesem Buch publiziert. Anlass bot, dass die Augustiner Chorherren die Wiederkehr der Grundsteinlegung der Stiftskirche vor 900 Jahren feierten, Pius Parsch vor 60 Jahren starb und vor 50 Jahren die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils promulgiert wurde. Die grundlegende Bedeutung von Parsch für die volksliturgische Bewegung wird ebenso in den Beiträgen hervorgehoben wie seine Wirkung auf die Konzilsbeschlüsse zur Liturgie und ihre Wirkung für die einsetzende praktische Reform der Liturgie. Die Beiträge nehmen sich darüber hinaus weiterer Themen an wie z. B.: der religiöse Pluralismus als Herausforderung der Liturgie, die Anthropologie der Liturgie, die Predigt, Theologie der Liturgie oder liturgische Theologie, Kirchenmusik, liturgische Bildung usw. Richter, Klemens: Feiernde Gemeinde. Die Identität der Kirche und ihr Gottesdienst – eine Aufsatzsammlung, hg. v. Kranemann, Benedikt/ Sternberg, Thomas/ Stuflesser, Martin. Aschendorff Verlag: Münster 2015, 423 S. Zu seinem 75. Geburtstag wurde Klemens Richter diese Aufsatzsammlung zugedacht. Im Vorwort beschreiben die Herausgeber Richter (Kranemann und Stuflesser haben bei ihm promoviert und habilitiert) als einen Theologen, dem es um die Erneuerung des Gottesdienstes der Kirche geht, so dass den Schwerpunkt seiner Arbeiten das Zweite Vatikanische Konzil und die Nachkonzilszeit bilden. Dabei hat Richter auch immer im Blick gehabt, dass sich die damalige Volkskirche in Deutschland als gesichert empfand, was sich für ihre Existenz in der gegenwärtigen Gesellschaft nicht mehr in derselben Weise sagen lässt, da sich Bindungen gelockert und Traditionen nachgelassen haben. Das hat auch die Liturgiewissenschaft vor neue Fragen gestellt, die Richter aufgenommen hat. So sind Themen wie interreligiöser Dialog, Ökumene, moderne Kunst etc. in seinen liturgiewissenschaftlichen wie pastoralliturgischen Publikationen wiederzufinden. Die Sammlung der Aufsätze wird eröffnet mit einen Beitrag darüber, dass die Liturgie das zentrale Thema der Theologie ist. Anschließend werden folgende Themen behandelt: Liturgie und Diakonie, Erneuerung der Liturgie, Theologie der Sakramentenliturgie, Liturgie in der pluralen Gesellschaft, jüdische und christliche Liturgie, der gottesdienstliche Raum, Liturgie – Mystagogie – Katechese. Im Anhang werden die von Richter betreuten Lizentiatsarbeiten, Dissertationen und Habilitationen aufgelistet. Sauter, Gerhard: Schrittfolgen der Hoffnung. Theologie des Kirchenjahres. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2015, 272 S. „Die Feste des Kirchenjahres sind gewissermaßen Portale für den Eintritt in den Innenraum der Christusgeschichte.“ (8) Das Kirchenjahr wird als Kunstwerk aufgefasst. Zunächst wird grundlegend anhand von Verkündigung und Feier in den Rhythmus des Kirchenjahres eingeführt mit historischer und theologischer Perspektive. Theologisch wird das Kirchenjahr als eine Entfaltung der Christusgeschichte aufgefasst. Es folgen die Darstellungen der Kirchenjahresfeste und -zeiten Advent, Weihnachten, Passionszeit, Karfreitag, Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten, das Fest Trinitatis und der Ausgang des Kirchenjahres. Das abschließende Kapitel beschreibt das Kirchenjahr als eine öffentliche Theologie und als Einführung in die christliche Existenz.

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Erörtert wird auch die theologische Existenz im Kirchenjahr, die Feier der Festtage und, wie man mit dem Kirchenjahr vertraut wird. Schenk, Richard: Die Deutung vorchristlicher Riten im Frühwerk des Albertus Magnus (Lectio Albertina 15). Aschendorff Verlag: Münster 2014, 40 S. In dieser Reihe werden einzelne Untersuchungen zu Aspekten des Werkes von Albertus Magnus veröffentlicht. Im Beitrag von Schenk geht es um die Deutung vorchristlicher Riten, was insbesondere bezüglich der Riten des Alten Testaments für die christliche Theologie von Belang ist. Aber nicht nur in dieser Hinsicht, sondern auch mit Blick auf eine Religionstheologie sind entsprechende Aussagen von Albertus Magnus von Interesse. Betrachtet werden der Sentenzenkommentar und die Schrift De sacramentis. Beigezogen werden auch die vergleichbaren Aussagen bei Hieronymus, Augustinus, Petrus Lombardus, Hugo von St. Viktor. Schneider, Michael: Theologie des christlichen Gebets. Echter Verlag: Würzburg 2015, 389 S. In der Neuzeit wurden das Beten und das Gebet stark in Frage gestellt. Kann man zu Gott einfach „Du“ sagen? Ist das Beten nicht ein Selbstgespräch, um Ängste, Hoffnungen und Wünsche auszusprechen, um vom Alltag Abstand nehmen zu können? Mit ganz unterschiedlichen Problemanzeigen eröffnet Schneider seine Untersuchung, indem er Thomas von Aquin, den Nominalismus und Deismus, dann Spinoza, Kant, Schleiermacher, Hegel, Feuerbach, Marx und Nietzsche zu Wort kommen lässt. Für die Gegenwart werden Karl Rahner, Hans Urs von Balthasar, Richard Schaeffler und Abraham Joshua Heschel angeführt. Es folgt die Grundlegung des christlichen Gebets. Schneider gründet seine Gebetstheologie im Leben Jesu, der seine Jünger in das Gebet zum Vater einführte. So fundiert Schneider eine theo-anthropologische bzw. trinitätstheologische Gebetslehre. Sie ist christologisch und pneumatologisch, mit der Heiligen Schrift und der Feier der Liturgie begründet. Ziel ist das immerwährende Beten, das sich im innertrinitarischen Leben Gottes und seines Heilswirkens wiederfindet. Darüberhinaus werden die Spezifika des christlichen Gebets, wie z. B. das innere Beten, ekklesiales Beten, das Beten mit der Heiligen Schrift, liturgisches Beten, Beten unter Seufzen und Flehen etc., ausgeführt und das immerwährende Gebet als das Stundengebet qualifiziert. Jedes Kapitel wird mit einem Ertrag abgeschlossen. Zum Schluss werden die Grunddaten einer Theologie des christlichen Gebets formuliert: Das christliche Gebet ist ein Vollzug der Freiheit, ist eine Theologie des Herzens. Das christliche Gebet wird in seinem anthropologischen und trinitätstheologischen Gehalt dargestellt. Schulz, Meinhard-Wilhelm (Hg.): Thesaurus Hymnicus. Große Hymnen der Christenheit und wiederentdeckte Schätze der Dichtkunst der Zisterzienser, weitgehend nach Vorlage von Fritz Wagner † gestaltet; neu herausgegeben, übersetzt und interpretiert von Meinhard-Wilhelm Schulz. Patrimonium-Verlag: Aachen 2015, 236 S. In diesem Band sind 15 Hymnen in Übersetzung abgedruckt und mit zum Teil ausführlichen Kommentaren versehen, die auf Fritz Wagner zurückgehen. Aufgenommen sind Hymnen von Ambrosius von Mailand, dem Zisterzienser Christian von Lilienfeld (nach 1330 verstorben), Stephan Langton († 1228, war zuletzt Erzbischof von Canterbury), Thomas von Aquin, hl. Alexius (wahrscheinlich im 5. Jh.), Ambrosius Autpertus († 784), Petrus Damiani († 1072). In den Anhang sind acht Aufsätze verschiedener Autoren aufgenommen, die Themen der Hymnen bearbeitet haben. Das Buch endet mit Schlussbetrachtungen, einem Quellenverzeichnis und biographischen Informationen zu Fritz Wagner und Meinhard-Wilhelm Schulz.

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Schwarz, Reinhard: Martin Luther – Lehrer der christlichen Religion. Mohr Siebeck: Tübingen 2015, 544 S. In seinem Vorwort teilt Schwarz mit, dass seiner Meinung nach Luther ein Grundverständnis der christlichen Religion hervorgebracht hat, das sich von der damaligen kirchlichen Lehre unterscheidet. Mit dem Artikel zu Luthers Theologie in der vierten Auflage der RGG hatte Schwarz bereits einen Entwurf vorgelegt, der mit diesem Buch ausführlich und präzisiert ausgeführt worden ist. Denn man wird Luthers Theologie nicht gerecht, wenn seine Äußerungen zu typischen Lehrpunkten eruiert werden. Das legt sich zwar nahe, weil Luther keine eigene systematische Darstellung seiner Theologie vorgelegt hat. Dabei droht aber verlorenzugehen, dass – so Schwarz – Luthers Theologie viel umfassender und tiefer das Grundverständnis von christlicher Religion berührt, als man durch eine an Lehrpunkten orientierte Methode zum Ausdruck bringen kann. Luthers Rechtfertigungslehre ist daher nicht einer von vielen Lehrpunkten, sondern in der Rechtfertigungslehre wird das Heilshandeln Jesu Christi für die Menschen als Voraussetzung gesehen, die sich in allen für die Lehre relevanten Relationen auswirkt und somit die christliche Religion konstituiert. Nachvollziehbar wird dies auch im Aufbau des Buches. Zuerst wird über diesen methodischen Ansatz informiert, dann über das reformatorische Grundverständnis der heiligen Schrift, und es wird dargelegt, wie die christliche Religion in ihren elementaren Relationen aufgebaut ist. Dargestellt wird nun, dass der Mensch in geschöpflicher Verantwortung vor Gott und den Menschen steht, dass er durch das Evangelium vom Unheil zum Heil befreit wird, wie Jesus Christus in seinem Dienst zum Heil der Menschen wirkt, gefolgt von den Themen der Lebensmacht des christlichen Glaubens (Gewissheit, Anfechtung, Gebet) und der christlichen Ethik der Nächstenliebe. Abgeschlossen wird diese Darstellung mit dem Auftrag der christlichen Kirche: Es geht um die Unterscheidung und Verbundenheit der zwei Gemeinschaftsgestalten der Christenheit, um die geistliche Vollmacht des allgemeinen Priestertums, um das öffentliche Amt mit seinen Diensten, um das Sakrament der Taufe und des Abendmahls. Da zeigt sich, wie das grundlegend andere Verständnis der christlichen Religion, wie es die mittelalterliche Theologie verfolgte, Auswirkungen auf das Verständnis des christlichen Gottesdienstes und auf seine Gestaltung haben musste. Umbach, Helmut: Heilig – in Christus. Studien zu Raumaspekten der Christologie im Neuen Testament, zur Kirchenraum-Pädagogik und zum protestantischen Kirchenbau heute. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2014, 146. Umbach hat in diesem Band eine Reihe seiner an anderen Orten publizierten Beiträge gesammelt. Exegese, Religionspädagogik und Architektur sind in phänomenologischer Perspektive die Leitstichworte. Es geht um den neuen Menschen in Christus anhand des Raum- und Gewandmotives im Kolosser- und Epheserbrief, es findet eine Auseinandersetzung mit Luthers Theologie statt, insbesondere mit Gottesdienst und Kirchengebäude im Gefolge der Rückbesinnung auf das rechtfertigende Wort Gottes. Erörtert wird die Kirchenraum-Pädagogik in ihrer Relevanz für die religiöse Erziehung heute. Der protestantische Kirchenbau zwischen Säkularisierung und Sakralisierung wird bedacht; Räume und Rituale werden für die Rekonstruktion des Religiösen verstanden unter der Prämisse der Transformationen in „Andere Räume“ und „Umfriedete Bezirke“. Walser, Stefan: Beten denken. Studien zur religionsphilosophischen Gebetslehre Richard Schaefflers (Scientia & Religio 13). Verlag Karl Alber: Freiburg i. Br./ München 2015, 496 S. Walser eröffnet sein Buch mit einem Zitat des Dichters Novalis: „Beten ist in der Reli-

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gion, was Denken in der Philosophie ist“ (13). Die vorgelegte Studie befasst sich mit der Frage, wie über das Beten vernünftig nachgedacht werden kann. Sie begibt sich damit in ein religionsphilosophisches Grenzgebiet: „Wie lässt sich mit Hilfe eines philosophisch-theologischen Denkens nachvollziehen, dass religiöse Menschen nicht nur von der Existenz eines Gottes ausgehen, sondern sogar davon überzeugt sind, mit diesem Gott in einen persönlichen und existenziellen Dialog eintreten zu können?“ (14) Dabei wird beim Akt des Gebetes selbst angesetzt – so werden dieser religiöse Akt und die Vernunft konfrontiert. Walser greift dabei die diesbezüglichen Arbeiten des Philosophen Richard Schaeffler zum Gebet auf, der das Beten als etwas auffasst, das zu denken gibt. So werden der methodische Ansatz und die Quellen der Gebetslehre Schaefflers dargestellt, dabei wird die Bedeutung der Religionsphilosophie von Hermann Cohen berücksichtigt. In darauffolgenden Teil wird philosophisch reflektiert, wie das Gebet als Eintritt des Menschen in die Korrelation mit Gott verstanden werden kann, dazu wird eine sprachphilosophische und transzendentale Analyse dargelegt, die verschiedenen Gebetsmodi, den Gottesbegriff und den Namen Gottes zum Inhalt hat. Es werden die Doxologie als Antwort des Menschen auf die Herrlichkeit Gottes und die intersubjektive Dimension des Gebets herausgearbeitet. Danach wird das Gebet im Verhältnis zu Theologie und Philosophie erörtert. Am Ende der Untersuchung folgt eine theologische Erprobung der Gebetslehre Schaefflers und es wird gefragt, wie das ‚Beten denken‘ sich zwischen dem transzendentalen und dem dialogischen Paradigma bewegt. Wütherich, Matthias D.: Raum Gottes. Ein systematisch-theologischer Versuch, Raum zu denken (FSÖTh, Bd. 134). Göttingen 2015, 558 S. Mit dem Begriff Raum verbinden sich in liturgischer Hinsicht weitere Begriffe, wie z. B. Kirchenraum oder Gottesdienstraum, die die architektonische Dimension betonen. Daneben finden sich auch geographische Raumbezeichnungen, die Länder oder Regionen benennen. Dass aber der Begriff Raum nicht nur eine Fläche oder einen Behälter meint, sondern auch für Beziehungen verwendet wird, wie z. B. der Sprachraum, der Denkraum, der Beziehungsraum, wird kulturwissenschaftlich als spatial turn bezeichnet. Wütherich fragt nun, wie sich die Theologie dazu verhalten kann. Denn in Raumkategorien hat die Theologie schon immer gedacht. Auf die Liturgiefeier bezogen wird man sagen können, dass diese sowohl im Modell des Behälters als auch im Modell der Beziehungen verstanden werden kann. Wütherichs Ziel ist es, ein theologisches Raumverständnis zu entwickeln. Dafür führt er in den spatial turn ein und stellt dar, wie sich die Theologie vor die Raumfrage gestellt sieht. Mit dem Kapitel Gott und Raum wird der Himmel als Ort Gottes bei Luther, Zwingli und Calvin diskutiert, um dann die neuzeitliche Krise dieser Raumbestimmung durch das neuzeitliche Weltbild zu erörtern. Es werden nicht nur in naturwissenschaftlicher und philosophischer Perspektive Newton, Descartes, Leibniz und Kant diskutiert, sondern es wird auch Schleiermachers Rede von der Allmacht Gottes als Paradigma des theologischen Raumproblems dargelegt. Für die Theologie des 20. Jahrhunderts wird die Raumfrage anhand von Paul Tillich, Karl Barth, Jürgen Moltmann und Wolfhart Pannenberg bearbeitet. Da aufgrund des neuzeitlichen Weltbildes Gott sozusagen in eine Wohnungsnot geraten ist, werden die Relationen der Trinität als trinitarischer Raum Gottes begriffen. Weiterhin wird reflektiert über den Raum der Ekklesiologie und den Raum als Sinnordnung (Cassirer). Wütherich hält fest, dass das Christentum wie andere Religionen auch Gottes- bzw. Glaubenserfahrungen als räumliche Erfahrung verstanden hat, in welcher der Leibbezug relevant ist. Mit diesem Raumverständnis kann eine tragfähige theologische Deutung des Kirchenraums formuliert werden,

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zudem der relationale Raumbegriff sowohl die sichtbare wie die unsichtbare Kirche erfassen kann. Mit dem neuzeitlichen entwickelten Raumbegriff geht einher eine Selbstaufklärung der Theologie hinsichtlich ihres Verständnisses von Raum, die auf eine lange Tradition blicken kann. So wird ihr Reden vom Raum anschlussfähig sowohl hinsichtlich der universitas der Wissenschaften als auch hinsichtlich der öffentlichen Theologie, die z. B. Belange der Gesellschaft thematisiert. Zager, Werner (Hg.): Liberale Frömmigkeit? Spiritualität in der säkularen und multireligiösen Gesellschaft. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2015, 231 S. Zager schreibt in seinem Vorwort, dass die Begriffe liberal und fromm gegensätzlich verwendet werden. Eine intensive Frömmigkeit wird mit traditionellen Formen, ein liberales Christentum mit Beliebigkeit oder gar mit Verzicht auf Frömmigkeitsformen verbunden. Selbst von einer atheistischen Frömmigkeit wird heutzutage gesprochen. „Die Beiträge des vorliegenden Bandes gehen der Frage nach, wie christliche Spiritualität glaubwürdig gelebt werden kann in einer Gesellschaft, in der einerseits Religion nur eine untergeordnete Rolle spielt und andererseits der religiöse Pluralismus zunimmt. Sie zeigen Wege auf zu einer liberalen Frömmigkeit mit Herz und Verstand.“ (5) Die abgedruckten Beiträge wurden auf einer Tagung des Bundes für Freies Christentum gehalten. Die Themen sind die liberale protestantische Frömmigkeit an Beispielen des 20. Jahrhunderts, die polyphone Bibelhermeneutik und die protestantische Spiritualität, die Frage nach dem kontemplativen Schriftsinn, Leben aus der Geisteskindschaft, die atheistische Spiritualität – Patchwork-Religiosität – mehrfache Religionszugehörigkeit, die moderne Naturwissenschaft und Spiritualität, die Fragen nach dem Beten heute, die liberale Frömmigkeit in der Pfalz. Der Sammelband wird beschlossen mit einer Predigt von Zager. Zilleßen, Dietrich: Luther. Tischgesellschaft. Bei Brot und Wein (Studienreihe Luther 5). Luther-Verlag: Bielefeld 2015, 157 S., einige schwarz-weiße Abb. Im strengen Sinn ist dieses Buch nicht wissenschaftlich gearbeitet, zitiert wenig Literatur und hat fast keine Fußnoten. Aber es argumentiert mit Luthers Abendmahlslehre, die Zilleßen mit Fragen heutiger Kultur, heutigen Altar-Vorkommnissen, z. B. die Aktion von Pussy Riot in Moskau, bekannten wie neuen Altar- bzw. Abendmahlsbildern, interessanten Philosophen, mit dem kulturellen Gedächtnis etc. in Verbindung, in eine Auseinandersetzung bringt. Argumentieren, oftmals eher Meditieren, ist seine Vorgehensweise. Zuerst geht es um Luther, dann um Auseinandersetzung bezüglich des Abendmahls, dazu wird auch Pussy Riot gezählt. Weiter wird bedacht, wie das Bilderverbot und die Abendmahlsfeier zusammen zu denken sind, was das Opfer Christi und die Satisfaktion miteinander zu tun haben. Unter dem Stichwort Tischordnungen wird Jesu letztes Abendmahl diskutiert, die Gedanken gehen weiter zum gepredigten Christus, das unkultische Abendmahl wird reflektiert. Die heutigen Schwierigkeiten mit der lebendigen Präsenz Christi und der verklärten Körperlichkeit beschließen den Gedankenreichtum, aber im Nachblick wird nochmals ein Blick auf Luther und das Leitmedium Abendmahl geworfen. Zimmerling, Peter: Evangelische Mystik. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2015, 283 S., 11 schwarz-weiße Abb. Das Verhältnis von Mystik und Protestantismus kann als eine Problemgeschichte aufgefasst werden. Manchmal wird auch die Unvereinbarkeit zwischen beiden konstatiert. Zimmerling hält dagegen einen mystikfreien evangelischen Glauben für eine Unmöglichkeit. Eine Wiederkehr der Mystik ist dagegen auch im Protestantismus festzustellen. Das erste Kapitel befasst sich deshalb mit dem Begriff Mystik, dann mit der wechselvollen Geschichte zwischen Mystik und Protestantismus. Es werden Ursa-

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chen und Hintergründe für die Wiederkehr der Mystik im Protestantismus nach dem Zweiten Weltkrieg benannt. Das zweite Kapitel führt neun evangelische Mystikerinnen und Mystiker in ihrer eigenen und besonderen Mystik auf: Martin Luther, Philipp Nicolai, Paul Gerhardt, Johann Sebastian Bach, Gerhard Tersteegen, Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, Dag Hammarskjöld, Dietrich Bonhoeffer, Dorothea Sölle. Im dritten Kapitel wird eine kleine Theologie evangelischer Mystik entfaltet. Dafür werden die biblischen Grundmuster benannt, der Erfahrungsaspekt des Glaubens hervorgehoben, die Mystik als einen Gegenentwurf zu einem rationalistischen Wirklichkeitsparadigma dargestellt, sogar der Zusammenhang von Mystik und Wohlstand bzw. Mangel und Armut benannt, eine neue Sprache des Glaubens entsteht. Es werden die Relationen von Mystik und Kirche, Esoterik, Weltverantwortung beschrieben und abschließend die Notwendigkeit einer evangelischen Lehre mystischer Erfahrungen festgehalten in Form von zusammenfassenden Kriterien. Der Abschluss des Buches ist der Praxis gewidmet, denn – so die Überschrift – der Christ von morgen wird ein Mystiker sein. Entsprechend wird im Ausblick dargelegt, warum Mystik für Kirche und Welt überlebenswichtig sind.

III. Kirchenbau, Paramentik, Kunstwerke Impler, Georg: Glockenland. Bayerns klangsvollste Kirchengeläute. Verlag Friedrich Pustet: Regensburg 2015, 231 S., sehr viele farbige Abb., 1 CD-ROM mit Aufnahmen zahlreicher Geläute. Dieses schöne Werk ist in zwei Teile gegliedert: Im ersten Teil werden die Geschichte, der Klang, die Kunst und der Mythos der Glocken beschrieben. Eine kurze Glockengeschichte eröffnet den Reigen, dann werden Klang, Guss, Glockenzier, Klöppel, Totenglocke, Glockenläuter, Türme, Glocken und Krieg, Weihe und Wunder, Glocke und Gemüt, Glockensagen und abschließend Schillers Lied von der Glocke beschrieben. Viele Abbildungen verdeutlichen das Geschriebene. Im zweiten Teil geht es um die klangvollsten Kirchengeläute Bayerns. Es wird jeweils das Kirchengebäude vorgestellt, in einer anschließenden Tabelle werden die Glockennamen, ihr „Ton“, ihr Gewicht, der Glockengießer und das Jahr des Gusses vermerkt. Auf der dem Buch beigelegten Audio-CD kann man das Geläut hören. Insgesamt 35 Kirchengebäude mit ihrem Geläut werden vorgestellt. Das Buch wird abgerundet durch ein Glossar, ein Verzeichnis der erwähnten Orte und Glockengießer, ein Literaturverzeichnis, das einschlägige Publikationen nennt, ein Quellenverzeichnis der Audio-CD und ein Bildverzeichnis. Helmstedt, Martin/ Stötzner, Ulrich: Vernichtet, vergraben, neu erstanden. Die Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig. Hg. v. Paulinerverein – Bürgerinitiative zum Wiederaufbau von Universitätskirche und Augusteum in Leipzig e. V. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2015, 248 S., sehr viele meist farbige Abb. Nicht nur die Zerstörung der Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig 1968, sondern auch die Wiedererrichtung der Kirche ist eine Geschichte von Verletzungen. Folgerichtig kommen nicht nur Befürworter, sondern auch Kritiker des Wiederaufbaus zu Wort. Zudem geben die Abbildungen einen eigenen Einblick, wie die Kirche aussah, wie sie zerstört wurde, wie sie in anderer Form wieder aufgebaut wurde. Das Buch wird eröffnet mit der Geschichte der Universitätskirche, es folgt eine Darstellung der

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Vernichtung der Kirche. Danach wird die Geburt der Bürgerinitiative (Paulinerverein) beschrieben, die nach der Wende 1989 den Wiederaufbau forderte, das Spannungsfeld zwischen Universität und Paulinerverein wird deutlich gemacht. Ein Kapitel dokumentiert Entwürfe und Meinungen, Pro und Kontra werden dargestellt. 2009 feierte die Universität ihr sechshundertjähriges Bestehen, was einige Reaktionen bezüglich der im Bau befindlichen Universitätskirche hervorrief. Ein abschließendes Kapitel nimmt Gegenwart und Zukunft in den Blick. Zwei Zeittafeln geben eine Übersicht über die Geschichte der Universitätskirche und eine Übersicht über die Konfliktgeschichte.

IV. Artikel Bickelhaupt, Jörg: Taufe, Glaube, Heiliger Geist – ein Versuch, den innerprotestantischen Taufdissensen auf den Grund zu gehen. In: ÖR 64 (2015), 244–254. Brakmann, Heinzgerd: Eine griechische Jakobos-Liturgie aus der Umayyaden-Moschee zu Damaskus. Zu einem Depot gottesdienstlicher Bücher aus dem Patriarchat Antiochien. In: ALw 55 (2013), 182–194. Cornehl, Peter: Den Gottesdienst erleben. Zu Chancen und Grenzen qualitativ-empirischer Studien. Eine Annäherung in fünf Schritten. In: PTh 104 (2015), 285–306. Deeg, Alexander: Faktische Kanones und der Kanon der Kirche. In: PTh 104 (2015), 269–284. Deeg, Alexander: Tradition, Klangraum und die Zukunft des Gottesdienstes. In: Lebendige Seelsorge 66 (2015), 399–404. Grethlein, Christian: Die Fragen bleiben. Trotz „Klangraum“ und „Traditionskontinuität“. Die Replik von Christian Grethlein auf Alexander Deeg. In: Lebendige Seelsorge 66 (2015), 405–406. Deeg, Alexander: Zwei Paradigmen der Liturgiewissenschaft? Die Replik von Alexander Deeg auf Christian Grethlein. In: Lebendige Seelsorge 66 (2015), 407–410. Feulner, Hans-Jürgen: Die Krankensalbung in der Praxis der Ostkirchen. Eine liturgievergleichende Übersicht. In: Bibel und Liturgie 88 (2015), 80–93. Fischer, Ingrid: Zur Tagzeitenliturgie an den drei Tagen vor Ostern. Vom römischen (und monastischen) Offizium zur heutigen Liturgia Horarum. In: LJ 65 (2015), 105– 124. Gerhards, Albert/ Wildt, Kim de: Zwischen modernem Event und traditionellem Katholizismus. Liturgiewissenschaftliche Anfragen an Nightfever. In: LJ 65 (2015), 91–104. Grethlein, Christian: Die Fragen bleiben (vgl. oben). Grethlein, Christian: Die „weltliche“ und „sakramentale“ Bedeutung der kirchlichen Trauung aus praktisch-theologischer Sicht. In: EvTh 75 (2015), 34–44. Grillo, Andrea: Die Liturgische Bewegung im Licht der aktuellen Situation der Liturgie. „Tragische“ oder „prophetische“ Liturgiereform? In: ALw 55 (2013), 65–94. Handke, Emilia: Immerhin mich wird umgeben Gotteshimmel, dort wie hier. Waldbestattungen als Herausforderungen für Theologie und Kirche. Einige Anmerkungen im Anschluss an Paul Tillich. In: PTh 104 (2015). 91–105. Hoping, Helmut: Sein und Zeichen. Zur karolingischen Eucharistiekontroverse. In: Theologie und Philosophie 90 (2015), 321–335.

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Kuppler, Gerhard: Welchen Gott beten wir an? Gedanken zu einer notwendigen Liturgiereform in den lutherischen Kirchen. In: DtPfrBl 115 (2015), 292–294. Langenbahn, Stefan K.: Romano Guardini und Maria Laach aus der Perspektive Kunibert Mohlbergs. Drei unbekannte Quellentexte zu den Anfängen der Liturgischen Bewegung und systematischen Liturgiewissenschaft in Deutschland. In: ALw 55 (2013), 24–64. Lathrop, Gordon W.: Was ist Liturgische Theologie? In: Liturgie und Kultur 6 (2015), 10–21. Lüddeckens, Dorothea: Rituelle Selbstermächtigung und strukturelle Flexibilität. Neue Bestattungsrituale als Coping Ressource im Trauerprozess. In: PrTh 50 (2015), 156– 160. Lurz, Friedrich: Das Paradigma der tätigen Teilnahme angesichts der heutigen kulturellreligiösen Bedingungen. In: LJ 65 (2015), 192–205. Meyer-Blanck, Michael: Qualität von Gottesdiensten. Ein evangelisches Projekt. In: Lebendige Seelsorge 66 (2015), 416–419. Odenthal, Andreas: „Wenigstens Weihnachten sollen uns die Christen lassen“. Thesen zum christlichen Gottesdienst im religiösen Pluralismus. In: LJ 65 (2015), 172–191. Paschke, Boris: „Herr, rette uns!“ – Hilferufe an den matthäischen Jesus als liturgische Christusgebete der matthäischen Gemeinde(n)? In: Ephemerides Liturgicae 129 (2015), 188–205. Stoll, Christian: Cultus publicus. Begriffsgeschichtliche Bemerkungen zum öffentlichen Charakter von Liturgie und Kirche. In: Theologie und Philosophie 90 (2015), 19–37. Rentsch, Christian: Adaptionen liturgischen Gebets. Ein Beitrag zur empirischen Liturgiewissenschaft. In: LJ 65 (2015), 27–44. Rouwhorst, Gerard: Eucharistie als Pfingstfest. Frühsyrische Epiklesen. In: Geist und Leben 88 (2015), 83–92. Roth, Cornelius: Auf der Suche nach einem Sterbesakrament. Zwischen einer Neuinterpretation der Krankensalbung und einer Krise der Wegzehrung. In: Theologie und Glaube 105 (2015), 35–51. Thönissen, Wolfgang: Eucharistie und Communio der Kirche(n). Ist Kirchengemeinschaft ökumenisch heute möglich? In: Catholica 69 (2015), 14–36.

V. Einführungen und Lehrbücher Bärsch, Jürgen: Kleine Geschichte des christlichen Gottesdienstes. Verlag Friedrich Pustet: Regensburg 2015, 204 S. Der Titel des Buches sagt eine kleine Geschichte des christlichen Gottesdienstes an, es ist gleichwohl eine intensive Darstellung des gottesdienstlichen Lebens von seinen Anfängen bis zur Gegenwart. Nicht nur die einzelnen Etappen werden beschrieben, auch die kulturhistorischen Einflüsse, die sich durch die Liturgie erklären lassen, aber auch auf die Liturgie eingewirkt haben, zeigen, wie sich der Gottesdienst gewandelt hat. Dabei sind deutlich kirchliche und gesellschaftliche Beeinflussungen zu konstatieren. Das Buch wird eröffnet mit der Frage, warum man sich denn mit der Geschichte des Gottesdienstes befassen soll. Antwort: „Den Sinn für diese geschichtlichen Entwicklungen zu wecken und verständlich zu machen, welche Kräfte und Einflüsse den Gottesdienst in den verschiedenen Epochen prägten, ist das vorrangige Ziel dieses

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Buches.“ (15) Es werden daraufhin die Epochen dargelegt, beginnend von den jüdischen Wurzeln des christlichen Gottesdienstes und der Alten Kirche, dann die konstantinische Zeit und die Spätantike. Ein Kapitel über die ostkirchlichen Liturgietraditionen wird eingeschoben. Danach wird der Gottesdienst in der mittelalterlichen Gesellschaft und Kirche beschrieben, um im Anschluss daran die reformatorische Neugestaltung des Gottesdienstes in ihrer theologischen Intention am Beispiel Luthers (Messe, Abendmahl, Taufe, Begräbnis) aufzuzeigen. Es folgt eine Darstellung der tridentinischen Reform und der sich anschließenden römischen Einheitlichkeit. Ein Kapitel widmet sich der Gottesdienstentwicklung der protestantischen Tradition vom 16. bis 20. Jahrhundert in der Bipolarität zwischen Auflösung und Erneuerung. Die römische Entwicklung wird weiterhin dargestellt im Barockzeitalter, in der Aufklärungszeit und ihren Ansätzen, danach die Liturgische Bewegung des 20. Jahrhunderts bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil, das anschließend in Bezug auf den Gottesdienst dargelegt wird einschließlich eines Ausblicks bis in die jüngste Vergangenheit. Jedes Kapitel wird mit weiterführenden Literaturhinweisen beschlossen. Grethlein, Christian: Evangelisches Kirchenrecht. Eine Einführung. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2015, 229 S. Dass das evangelische Kirchenrecht auch für den Gottesdienst und die Liturgie von Bedeutung ist, zeigen schon die Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts und auch die jeweiligen Kirchenrechte der Evangelischen Landeskirchen in Deutschland. Grethlein beschränkt seine Einführung auf das Kirchenrecht der Landeskirchen und behandelt nicht das Staatskirchenrecht. Auch unterscheidet er das evangelische vom römischkatholischen Kirchenrecht mit der zugespitzten These, dass die römisch-katholische Kirche die christliche Religion im Leitmedium des Rechts organisiert, die evangelischen Kirchen dagegen die christliche Religion im Leitmedium der (wissenschaftlichen) Theologie organisieren (15f). In sieben Kapiteln wird das evangelische Kirchenrecht dargelegt. Die Darstellung beginnt mit den reformatorischen Grundlagen, wie sie z. B. in CA XXVIII formuliert sind, es werden reformierte Akzente, z. B. durch Calvin, beschrieben. Es folgt eine kurze Wirkungsgeschichte bis zum 19. Jahrhundert. Daran schließen sich konzeptionelle Bestimmung des Evangelischen Kirchenrechts an (Sohm, Barmen III, Heckel, Wolf, Reuter). Das nächste Kapitel behandelt die Organisation evangelischer Kirchen und ihre Kirchenordnungen bzw. -verfassungen. Es schließen sich die Ordnungen der Kirchengemeinden und die Lebensordnungen an, ihnen folgen das Dienst- und das Arbeitsrecht, dann werden die kirchliche Gerichtsbarkeit und die Lehrverfahren dargelegt. Ein Ausblick mit der Wahrnehmung aktueller Fragen schließt das Buch ab. Grethlein fragt: „Bietet die stark staatsanaloge Rechtsform heutiger evangelischer Landeskirchen den besten Rahmen, um die Kommunikation des Evangeliums zu fördern?“ (220, im Original kursiv) Damit die Kommunikation gefördert wird, gibt Grethlein folgende Antwort: „Das Ziel ist eine Transformation des Kirchenrechts aus seiner bisherigen staatsanalogen Struktur in zivilgesellschaftlich plausible Regeln zur Förderung der Kommunikation des Evangeliums.“ (220) Das träfe dann auch für die Regeln des Gottesdienstes und der Liturgie zu. Klie, Thomas/ Langer, Markus J.: Evangelische Liturgie. Ein Leitfaden für Singen und Sprechen im Gottesdienst. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2015, 121 S. Die beiden Autoren betonen in ihrer Einleitung, dass dieses Buch das Singen- und Sprechenlernen begleiten und ergänzen, aber nicht ersetzen kann. So werden die liturgischen Stücke erklärt und es wird in die Grundstruktur des evangelischen Gottesdienstes eingeführt. Entsprechend beschreibt das erste Kapitel das Singen in Bezug auf die Liturgie, z. B. den Gemeindegesang, das Psalmodieren oder die liturgischen

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Gesänge, um dann die dafür notwendigen vorbereitenden Übungen, wie z. B. Körperbewusstsein, Atmung etc. zu thematisieren. Im nachfolgenden Kapitel werden die liturgischen Gesänge des lutherischen Gottesdienstes in all seinen vier Teilen dargestellt. Das dritte Kapitel erörtert das Sprechen und Singen mit Mikrofon, ein weiteres Kapitel widmet sich der Stimmhygiene. Ein kleines Glossar und weiterführende Literaturhinweise schließen sich an. An passenden Stellen werden ganz praktische Übungen zum Singen und Sprechen geboten, die entweder die eigenen Kenntnisse vertiefen oder begleitend zu einer praktischen Stimmausbildung hinzugezogen werden können. Leuenberger, Martin (Hg.): Segen (Themen der Theologie 10). Mohr Siebeck: Tübingen 2015, 239 S. Der Segen, und wie er verstanden wird, ist derzeit ein aktuelles Anliegen. Das mag an unserer Zeit liegen, da der Segen nicht allein typisch christlich, sondern ein grundsätzlich religiöses Phänomen ist. Denn mit dem Segen wird ein gelingendes, glückliches, sinnvolles Leben verbunden. Da der Segen meist auf das diesseitige Leben bezogen wird, kann er schnell funktionalisiert werden als Kontingenzbewältigung. Mit dem Segen könnte auch das Verfügbarmachen des letztendlich doch Unverfügbaren versucht werden. Der Band wird vom Herausgeber eingeleitet mit einer Annäherung an das Thema, es folgt die Darstellung des Segens aus der Perspektive der Religionswissenschaft, des Alten Testaments, der Judaistik, des Neuen Testaments, der Kirchengeschichte (hier mit ausführlichen liturgischen Entfaltungen), der Systematischen Theologie und der Praktischen Theologie. Der Herausgeber schließt das Buch mit einer Zusammenschau unter der Fragestellung: An Gottes Segen ist alles gelegen?

VI. Arbeitshilfen Ankenbauer, Johanna (Hg.): Keep calm und pray. Schulgebete von Jugendlichen. Echter Verlag: Würzburg 2015, 96 S., viele farbige Abb. Die von Jugendlichen verfassten Gebete sind im ersten Teil geordnet nach dem Verlauf des Kirchenjahres, es folgen Gebete, die aus Anlässen und Vorkommnissen des Schullebens herrühren, danach Gebete mit allgemeinen Anliegen, z. B. sind darunter ein Sportlergebet, ein Zeitungsgebet, aber auch Dank- und Bittgebete. Die letzte Abteilung bietet Gebete in den Sprachen Deutsch, Französisch, Englisch, Lateinisch an. Antz, Christian/ Berkemann, Karin: 100 spirituelle Tankstellen. Reisen zu christlichen Zielen. Verlag Herder: Freiburg i. Br. 2015, 255 S., sehr viele farbige Abb. Menschen verbringen ihren Urlaub auf Pilgerwegen, fasten in Klöstern oder unterbrechen ihren Alltag durch den Besuch einer City-Kirche. Nicht nur Entspannung und Unterhaltung, auch Sinnsuche kann das Urlaubsbegehren sein. In diesem Buch werden 100 solcher spirituellen Orte vorgestellt, die sehr unterschiedlich sind: am Wasser (Meer, See, Fluss), im Grünen (Natur, Park, Garten), auf Kur (Gesundheit, Wellness), im Kloster (Rückzug, Bildung), auf dem Weg (Pilgern, Wallfahrten), in der Kirche (Liturgie, Musik), auf der Rast (Verweilen), in der Ausstellung (Kunst, Museum), auf dem Markt (Stadt, Event), in die Ferne (weite Welt). Jeder Ort wird vorgestellt anhand der fünf „W“: Was, Warum, Wo, für Wen, von Wem, die Begründung diesen Ort aufzusuchen wird mit „Deshalb!“ gekennzeichnet. Mithilfe der Bilder kann man sich

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einen Eindruck vom Ort verschaffen. Adressenangaben machen eine Buchung gleich möglich. Berthold-Scholz, Christiane: Gedanken und Gebete zu biblischen Texten im Kirchenjahr (Dienst am Wort 159). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2015, 199 S. Zu den Sonn- und Feiertagen im Kirchenjahr werden biblische Texte, Gebete und Gesänge geboten. Die Gebete werden oftmals durch kurze Gesänge bereichert. Die Gebetstexte können bei meditativen Gottesdiensten, aber auch bei Andachten verwendet werden. Dafür wird eine Ordnung als Vorschlag unterbreitet. Anleitungen zur Gestaltung und zum Umgang mit den Gebetstexten sind ihnen vorangestellt. Bichler, Albert/ Bullin, Wolfgang (Hg.): O himmlische Frau Königin. Franken beten zu Maria. Echter Verlag: Würzburg 22015, 104 S., einige, meist farbige, Abb. Der Untertitel Franken beten zu Maria kann wortwörtlich genommen werden, denn in diesem Büchlein sind viele Mariengebete abgedruckt worden, die aufgrund eines Aufrufs im Würzburger katholischen Sonntagsblatt vom Oktober 2014 eingesandt worden sind. Die Absender haben teilweise auch den Anlass des Gebets oder einen Teil ihrer Lebensgeschichte, der sich mit dem Mariengebet verbindet, geschildert. Nicht nur die Gebete, sondern auch solche Mitteilungen sind in diesem Buch abgedruckt worden. Die Bilder zeigen Marienstatuen und Marienbilder aus Franken. Blackstein, Achim: Auf dem Weg zur Auferstehung. Andachten und Gottesdienste zur Passions- und Osterzeit. Neukirchener Verlagsgesellschaft: Neukirchen-Vluyn 2015, 136 S. Es wird ein Ablauf für die Passionsandachten vorgestellt, dem sich fünfzehn Ansprachen zu biblischen Texten inklusive der Kreuzwegstationen anschließen. Auch für den Karfreitag wird ein Gottesdienstablauf mit Abräumung des Altars vorgestellt, dem vier Predigten folgen. Es geht weiter mit dem klassischen Festgottesdienst zu Ostern; sieben Predigten werden geboten, die teilweise besondere Aktionen vorsehen, welche eigens zu Beginn der Predigten erwähnt werden. Brändlin, Sabine (Hg.): glaubensstark. Männergebete aus dem Aargau. Theologischer Verlag Zürich, Zürich 2015, 107 S., vier Abb. Die Frage, ob Männer überhaupt beten (!), stellt Brändlin in ihrem Vorwort selbst. Sie wird mit dieser Gebetsammlung positiv beantwortet. 45 Gebete werden thematisch geordnet: Vertrauen, Fragen, Bitten und Danken. Die Gebete sind in ihrer Diktion sehr unterschiedlich, die Inhalte wagemutig, die Länge mal kurz oder lang. Viele Gebete sind eine Mischung aus Nachdenken, Staunen, Meditieren und direkt Gott Ansprechen. Deutsches Liturgisches Institut/ Gottesdienst-Institut der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern, erarbeitet von Amon, Eberhard/ Kerner, Hanns/ Müller, Konrad/ Poschmann, Andreas: Ökumenische Gottesdienste. Anlässe, Modelle und Hinweise für die Praxis. Verlag Herder: Freiburg i. Br. 2014, 187 S. Dieses Buch ist 2003 erstmals erschienen (siehe JLH 46 [2007], 138), nun wird eine zweite Auflage vorgelegt. Die Angaben zu den Gesängen wurden bearbeitet, weil 2013 das neue Katholische Gebets- und Gesangbuch Gotteslob erschienen ist; auch andere Liederbücheranpassungen wurden berücksichtigt. Dexelmann, Albert: Dies ist der Tag. Fastenzeit und Ostern in der Gemeinde gestalten. Verlag Herder: Freiburg i. Br. 2015, 143 S., 1 CD-ROM. Es sind 18 ausformulierte Gottesdienste abgedruckt, die mit Aschermittwoch einsetzen, die Fastensonntage entlanggehen, für Palmsonntag, Gründonnerstag, Karfreitag, Osternacht und beide Ostertage Gottesdienstvorschläge unterbreiten. In diese Gottesdienste werden verschiedene Gruppen aus der Gemeinde besonders einbezogen: Fami-

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lien, Kinder, Erstkommunikanten, Jugendliche. Für jede Gruppe werden besondere Elemente angeboten. Effhauser, Matthias: Geistliche Verschnaufpausen. Kurze Andachten für jeden Tag. Verlag Friedrich Pustet: Regensburg 2015, 120 S. Den Alltag mit einer Andacht zu unterbrechen, ist das Ziel dieses Buches. Zu Beginn wird der Aufbau einer Andacht beschrieben, anschließend folgen viele Texte, die für diese Andachten verwendet werden können, z. B.: Augenblicke, die verwandeln, oder: Lügen haben kurze Beine. Zuerst werden thematisch geordnete Texte, dann Texte für Heiligenfeste oder andere Festanlässe, wie z. B. den Weltfriedenstag, geboten. Texte für die geprägten Kirchenjahreszeiten Advent, Fasten- und Osterzeit folgen, das Buch wird beschlossen mit Segensworten. Eisenbach, Franziskus: Eucharistie und Exerzitienweg. Das Leben feiern und gestalten. Echter Verlag: Würzburg 2015, 89 S. Die Feier der Eucharistie und der Übungsweg der ignatianischen Exerzitien entsprechen sich, in ihrer geistlichen Dynamik erläutern sie sich gegenseitig. Diese und weitere Gedanken sind in den Vorüberlegungen festgehalten, bevor die Eucharistiefeier als geistlicher Übungsweg dargelegt wird und parallel dazu die ignatianischen Exerzitien aufgenommen werden. Zahlreiche Erklärungen werden gegeben, um sowohl die Eucharistiefeier als auch die Exerzitien tiefer erfahren zu können. Fabry, Heinz-Josef: Glaube, der froh macht. Kurzimpulse für Gebet und Gottesdienst. Verlag Herder, Freiburg i. Br. 2015, 207 S. Zu allerhand Themen sind Kurzimpulse für Gebet und Gottesdienst in diesem Buch zu finden: zu Glauben, Beten, Leben, Lieben, Hoffen, Vertrauen, Erinnern, Danken und Feiern. Fabry hat über viele Jahre hin diese Texte geschrieben und in der Kapelle des Studenten-Wohnheimes Stella Matutina in Bonn verwendet. Die meisten Texte sind für die Meditation nach der Kommunion verfasst worden, um einen Gedanken von Lesungen und Predigt als Impuls mit in die Woche zu geben. Fendler, Folkert (Hg. im Auftrag der Liturgischen Konferenz): Qualität im Gottesdienst. Was stimmen muss – Was wesentlich ist – Was begeistern kann. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2015, 335 S. Die dieses Buch erarbeitende Arbeitsgruppe hat sich die in Untertitel formulierten Aspekte zum Ziel gesetzt, um die Qualität von Gottesdiensten bewerten und beurteilen zu können: was stimmen muss, was wesentlich ist und was begeistern kann. Diese Arbeitshilfe kann zur Selbstprüfung dienen, aber auch Kirchenvorständen und liturgischen Ausschüssen interessante und zugleich unterhaltende Diskussionsimpulse geben. Fendler führt zunächst in die Sache von Qualität und Gottesdienst ein, dann werden die zahlreichen Beiträge im Rahmen von drei Abteilungen geboten: I. Gottesdienstformate, hier kommt z. B. der traditionelle Gottesdienst ebenso vor wie die Kasualien; der Heiligabend oder die Osternacht; der Schulgottesdienst oder der Gottesdienst nach traumatischen Ereignissen. II. Querschnitte: Damit sind Gottesdienstelemente gemeint, wie z. B. Gebet, Predigt, Abendmahl, Segen, aber auch Musik, die persönliche Vorbereitung und die Raumgestaltung. III. Exkurse: Aktuelle Themen und Fragen werden erörtert, z. B.: Akustik, Beleuchtung, Fotografieren und Filmen, Kleidung, Moderation, Gottesdienstvertretung, Gottesdienst und Multireligiosität. Fuchs, Ottmar: Sakramente – immer gratis, nie umsonst. Echter-Verlag, Würzburg 2015, 208 S. Mit diesem Buch wird keine Theologie der Sakramente dargelegt, sondern es will auf die Seelsorge, das Pastorale einwirken. Der Leitgedanke besagt: Den Menschen soll deutlich werden, dass die Kirche die Sakramente an sie verschenkt, aber nie umsonst

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verschenkt hat, sondern dass diese eine Wirkung entfalten. Bevor sich Fuchs den Sakramenten zuwendet, führt er zunächst in die Kraft der Rituale ein, die auf die christlichen Sakramente bezogen die Gnade ist. Nun werden allgemein verständlich Taufe, Eucharistie, Beichte und Sühne, Sakrament für Ehe und Familie und das Sakrament in der Not beschrieben. Das Buch schließt ab mit Überlegungen zum Fest, das ja mit jedem Sakrament gefeiert wird. Geißendörfer, Paul (Hg.): Kirchen und Klöster der Zisterzienser. Das evangelische Erbe in ökumenischer Nachbarschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg im Allgäu 2015, 319 S., sehr viele Abb. In diesem Buch wird das derzeitige evangelische Zisterzienser-Erbe deutlich: Es werden nicht weniger als 91 Zisterzienser-Klosteranlagen oder -Klosterkirchen aufgeführt, die heute zur evangelische Kirche gehören. Die heutigen Erben sind sich der Tradition bewusst, viele gestalten mit dem Erbe heute ein geistliches Leben. Jene, die ihr Erbe geistlich weiterführen, treffen sich jährlich. Der Initiator, Pfarrer i. R. Paul Geißendörfer aus Heilsbronn, hat auch diesem Buch den Weg bereitet, in dem die Erben „ihre“ Kirchen vorstellen. Zunächst wird jeweils in die Geschichte des Gebäudes eingeführt und das Sehenswerte hervorgehoben, danach wird das geistliche Leben, wie es heute gestaltet wird, geschildert. Beigegeben sind auch die Kontaktdaten, Gottesdienst- und Öffnungszeiten, Führungen, dazu einige wenige Literaturhinweise. Ein oder zwei Photos zeigen das Gebäude von außen und innen. Es werden auch eine ganze Reihe von katholischen Zisterzienserklöstern in Deutschland, Österreich/Südtirol und in der Schweiz in das Buch aufgenommen. Geißendörfer eröffnet in das Buch mit einem Vorwort, der katholische Abt em. Lauterer von Wettingen-Mehrerau, der Generalabt des Zisterzienserordens Lepori und der evangelische Abt von Loccum Hirschler würdigen mit Geleitworten das Erbe und die daraus erwachsende Verantwortung. Eine kurze Geschichte des Zisterzienserordens von Arnd Friedrich und eine Literaturauswahl sind den Einzeldarstellungen der Zisterzienserorte vorangestellt. Haak, Rainer: Dir neu begegnen. Gebete. Verlag Katholisches Bibelwerk: Stuttgart 2015, 110 S. Viele Gebete sprechen die Situation des Beters vor Gott aus. In diesem Sinne sind die Gebete thematisch geordnet, z. B.: unterwegs im Leben, die Zeit nutzen, wo Hoffnung ist, in Krankheit, in dunklen Zeiten, nicht allein auf der Welt. Die meisten Gebete sind in Strophen gegliedert, gedichtete Gespräche mit Gott. Die einzelnen Gebetsinhalte sind in einem Verzeichnis gut auffindbar. Hahn, Udo (Hg.): Du bist mir nahe. Tagesgebete. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2015, 80 S. Morgen- und Abendgebete sind in diesem handlichen Büchlein zusammengestellt worden. Die Gebete stammen aus der reichen Tradition des Christentums, ein Autorenverzeichnis gibt dazu Auskunft. Darunter sind bekannte Namen wie Augustinus, Martin Luther, Paul Gerhardt, Mutter Teresa sowie eher unbekannte Namen, deren Träger aber dichterisch hervorgetreten sind. Es sind nicht nur Theologen, sondern auch aus anderen Lebensfeldern und mit anderen Lebenserfahrungen ausgestattete Menschen, deren Gebetstexte hier abgedruckt worden sind. Hahn, Udo (Hg.): Gott segne diese Gaben. Tischgebete. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2015, 79 S. Zahlreiche Tischgebete sind in diesem Büchlein zu finden – manche mögen einem als gute Bekannte begegnen, andere dagegen sind eher fremd, weil sie Tischgebete aus anderen Ländern und Kontinenten, anderen Kulturen und Sprachen sind. Ein Autorenverzeichnis macht die Breite des Traditionsstroms deutlich, aber Tischgebete glei-

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chen sich doch vielfach, da es um die Gaben des Essens und den Dank bzw. manchmal auch die Bitte an den Schöpfer der Gaben geht. Hempelmann, Heinzpeter/ Schließer, Benjamin/ Schubert, Corinna/ Weimer, Markus (Hg.): Handbuch Bestattung. Impulse für eine milieusensible kirchliche Praxis (Kirche und Milieu). Neukirchener Verlagsgesellschaft: Neukirchen-Vluyn 2015, 288 S., 18 farbige Abb. Dass Traditionen auch bei Bestattungen abbrechen, neue Wünsche an die Bestattungsformen geäußert werden, Lebensfragen neu beantwortet werden wollen etc., zeigt, dass sich die Bestattungskultur weiter ausdifferenziert. Der erste Teil des Buches befasst sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit diesem Phänomen. Es wird nach Milieus, Megatrends und Mentalitäten gefragt, nach der evangelischen Trauerfeier als Ritual, nach der biblisch-theologischen Perspektive, nach der pastoraltheologischen Perspektive, nach dem Kirchenrecht etc. Der zweite Teil setzt Impulse für eine milieusensible kirchliche Bestattung, die aufgrund der Sinusstudie bzw. des Sinus-MilieuModells formuliert werden. Es werden zehn Milieus unterschieden: konservativ-etabliert, liberal-intellektuell, performerisch, expeditiv, bürgerliche Mitte, adaptiv-pragmatisch, sozialökologisch, traditionell, prekär, hedonistisch. Für jedes Milieu werden praktische Tipps und Hinweise gegeben vom Bestattungsgespräch über die Musikwahl bis hin zur Bestattung selbst. Homolka, Walter/ Kämpchen, Martin/ Krausen, Halima/ Scherer, Burkhard/ Schridde, Katharina (Hg.), neu zusammengestellt von Biallowons, Simon: Licht über Licht. Die schönsten Gebete und Meditationen der Weltreligionen. Verlag Herder: Freiburg i. Br. 2015, 283 S. Zu vielen Themen wurden in diesem Buch Gebete aus den fünf Weltreligionen zusammengestellt. Manche werden mit wenigen Worten oder einigen Sätzen erklärend kommentiert. Zu jedem Thema sind aus jeder Religion etwa vier bis sechs Gebete ausgewählt worden. Die Themen sind z. B.: Gott und göttlich, Geheimnis und Gnade, Freiheit und Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Vergebung, Suche und Sehnsucht, Heil und Hoffnung etc. Im Vorwort heißt es, dass Unterschiede nicht negiert werden, sondern dass sie bei der Gebetszusammenstellungen durchaus erkennbar sind. Aber bei „der Lektüre dieses Buches wird klar, dass das Gebet oder die Meditation des Menschen ein existenzieller Akt ist, der existenzielle Erfahrungen ausdrückt und daher auf etwas Urmenschlichem beruht, das uns allen zugrunde liegt und uns so über Nationalitäten, Alter und Religion hinaus verbindet.“ (8) Jeggle-Merz, Birgit/ Kirchschläger, Walter/ Müller, Jörg (Hg.): Das Wort Gottes hören und den Tisch bereiten. Die Liturgie mit biblischen Augen betrachten (Luzerner Biblisch-Liturgischer Kommentar zum Ordo Missae 2). Verlag Katholisches Bibelwerk: Stuttgart 2015, 198 S. Der zweite Band dieser Reihe (zum ersten Band vgl. JLH 54 [2015] 79f) nimmt die Wortverkündigung auf. Gemäß der Ordnung für jedes Kapitel wird in vier Schritten das gesetzte Thema bearbeitet. Der erste Schritt beinhaltet die erste liturgische Verortung der Wortverkündigung, der zweite Schritt befasst sich mit dem biblischen Ort des Lesens aus der Schrift, auch die Begleitriten, wie z. B. der Zuruf „Wort des lebendigen Gottes“, werden bedacht. Alle Vorgänge werden mit biblischen Stellen begründet und erläutert. Es folgt als dritter Schritt der biblisch-liturgische Kommentar, der vierte Schritt bietet ein Fazit. In dieser Schrittfolge werden das Halleluja, Segen und Gebete im Kontext der Verkündigung des Evangeliums sowie das Glaubensbekenntnis dargelegt. Es folgen jene Teile der Liturgie, die für die Tischbereitung der Eucharistiefeier von Belang sind: Segensgebete über Brot und Wein, stille Begleitgebete und

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-handlungen, Einladung und Ausleitung des Gabengebets, der Eröffnungsdialog des Eucharistischen Hochgebets, das Sanctus. Literaturverzeichnis, Abkürzungsverzeichnis und Mitarbeitendenverzeichnis beschließen diesen Band. Jeggle-Merz, Birgit/ Kirchschläger, Walter/ Müller, Jörg (Hg.): Mit der Bibel die Messe verstehen. Bd. 1: Die Feier des Wortes Gottes (Luzerner Biblisch-Liturgischer Kommentar zum Ordo Missae – Erschließung 1). Verlag Katholisches Bibelwerk: Stuttgart 2015, 174 S. Die Herausgeber haben nicht nur die wissenschaftlichen Fachkollegen im Blick (vgl. dazu die vorhergehende Werkbesprechung), sondern auch die interessierten Laien, die keine Theologen sind, aber gerne die Messe feiern und dieses Feiern vertiefen wollen. Für sie ist dieser Band – ein zweiter wird folgen – gedacht. Das Material wird vereinfacht und verständlich dargelegt. Der erste Band beginnt mit dem Votum zu Beginn der Messe und verfolgt die Rubriken bis zum Credo. Ein Exkurs über Ritualität und Wortgestalten ist dem Band beigegeben. Jung, Martina (Hg.): Frauengottesdienste. Modelle und Elemente für Wort-GottesFeiern. Verlag Herder: Freiburg i. Br. 2015, 128 S. Es werden ausformulierte Wort-Gottes-Feiern als Frauengottesdienste geboten, die auch von Laien geleitet werden können. Das reichhaltige Material ist nach Themen sortiert: Maria – Schwester, Freundin, Weggefährtin; starke Frauen aus Bibel und Geschichte; Jesus und die Frauen; Leben in Fülle haben; Gott: Mutter, Schwester, liebe Frau, … Ein Stichwort- und ein Bibelstellenregister sind dem Materialheft beigegeben. Knecht, Dagmar: Mit jedem Leben wendet eine Weltgeschichte. Praxismodelle für besondere Bestattungen. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2015, 175 S., 1 CD-ROM. Dass immer mehr Bestattungen zu besonderen Bestattungen werden, können viele Pfarrer und Pfarrerinnen bestätigen: seien es Gottesdienste mit ungewöhnlichen Symbolen, mit Musik aus der Popmusik oder seien es Bestattungen für Verstorbene, die aus der Kirche ausgetreten sind oder anonyme Bestattungen. Einige ausführliche Überlegungen reflektieren diese Fragen zu Beginn des Buches, danach werden Materialien geboten, z. B. für unterschiedliche Bestattungsformen wie Urnenbeisetzung in einer Urnenwand, mit Luftballons, im Friedwald. Es folgen Bestattungsformen für besondere Situationen, wenn z. B. ein Kind bestattet werden muss, oder für eine Bestattung nach einer Selbsttötung. Anschließend werden Predigtbeispiele sowie Lieder und Musik für die Bestattung geboten, wobei ausführlicher auf Pop-Lieder auch in der Predigt eingegangen wird. Mordhorst, Ute Elisabeth/ Jung, Martina: Ich will dir neue Namen geben. Ein Frauenbrevier. Verlag Herder: Freiburg i. Br. 2015, 221 S. Dieses Brevier ist an der klassischen Form des Vier-Wochen-Rhythmus orientiert. Es werden für jeden Tag ein Morgen- und ein Abendgebet ausgeführt, die in ihrer Kürze auch für den Alltag außerhalb eines Klosters tauglich sind. Am Ende jeder Woche ist eine Geschichte zum Nachdenken angefügt. Dieses Brevier ist ausdrücklich ein Frauenbrevier, die männliche Form der Sprache kommt so gut wie gar nicht darin vor. Ob Gebete oder biblische Texte – wenn die männliche Form vorgegeben ist, wird sie für dieses Brevier durch die weibliche Form ersetzt. Das ist schon an den Themen der vier Wochen erkennbar: Aus deinem Atem – Du deckst mir die Tafel – Auf, Gott, du Löwin – Allmächtige Königin, gerechte Richterin. Auch das Vaterunser wird ersetzt: „Große Mutter Gott, geheiligt werde dein Name, …“ (217) oder das Schuldbekenntnis: „Ich erkenne mit Gott, der Allmächtigen, und manchen Schwestern und Brüdern, dass sich versündigt wird an mir seit Jahrtausenden bis heute in Gedanken und Wor-

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ten, Werken und Taten, in Verkündigung, Kirche, Staat und Gesellschaft, durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld weiblich zu sein.“ (218) Jütten, Helga: Anbetungsstunden. Im Kirchenjahr und für besondere Anlässe. Verlag Herder: Freiburg i. Br. 2015, 160 S., 1 CD-ROM. Menschen suchen die Stille auf, um sich Gott anzuvertrauen, um Gott zu verehren. Gottesdienste mit eucharistischer Anbetung sind dafür konzipiert. Solche ausformulierten Gottesdienste werden für alle wichtigen Feste des Kirchenjahres angeboten, auch für jene Feste, die nicht immer im Mittelpunkt stehen wie das Herz-Jesu-Fest oder das Fest der Kreuzerhöhung. Weitere Gottesdienstmodelle wurden unter bestimmten Themenstellungen angeboten, z. B.: ein Leib und viele Glieder; zeige mir deine Wege, Herr; in inniger Gemeinschaft. Käser, Xaver: Brot des Lebens. Eucharistische Andachten. Verlag Friedrich Pustet: Regensburg 2015, 135 S. Käser führt in seinem Vorwort aus, dass nach römisch-katholischer Lehre Jesus Christus in Gestalt von Brot und Wein nicht nur real gegenwärtig ist, sondern auch nach Beendigung der Messfeier gegenwärtig bleibt. Deshalb ist eine eucharistische Anbetung auch heute noch sinnvoll, weil es darum geht, Jesus anzuschauen und sich von ihm anschauen zu lassen. Ein wesentliches Element solch einer Feier ist darum die Stille. Zahlreiche Andachten werden in drei Abteilungen angeboten: (a) nach der Heiligen Schrift, (b) im Kirchenjahr, (c) in bestimmten Anliegen. Die Andachten sind mit allen Texten vollständig ausformuliert. Lehmann-Etzelmüller, Monika: Freut euch, der Herr ist nahe! Andachten und Gottesdienste für die Advents- und Weihnachtszeit. Neukirchener Verlagsgesellschaft: Neukirchen-Vluyn 2015, 135 S. Für die Advents- und Weihnachtszeit werden in drei Abteilungen Andachten und Gottesdienste angeboten: für die Adventszeit an Themen orientierte Andachten, danach Gottesdienste für die vier Adventssonntage. Für die Weihnachtszeit sind es Gottesdienste für den Heiligen Abend (Familiengottesdienst, Christvesper, Christmette), die beiden Weihnachtsfeiertage und den ersten Sonntag nach Weihnachten. Es folgen Gottesdienste für das Jahresende, für Neujahr, den zweiten Sonntag nach Weihnachten und den Epiphaniastag. Alle Andachts- und Gottesdienste bieten den vollen Text. Müller, Luzius/ Ritter, Hans-Adam/ Thiriet, Roger (Hg.): Feste feiern! Warum wir unsere Festtage haben. Theologischer Verlag Zürich: Zürich 2015, 107 S. Die Evangelisch-reformierte Kirche Basel-Stadt hat 2014/15 eine Kampagne für das Feiern von Festen durchgeführt. In diesem Büchlein werden dazu von vielen Autoren Gedanken etc. dokumentiert. Die Statements sind nach dem Verlauf des Kirchenjahres geordnet und gruppieren sich um Advent und Weihnachten, um Passion, Karfreitag und Ostern, um Auffahrt und Pfingsten, um Erntedank und Buß- und Bettag sowie den Reformationssonntag. Jeder Festzyklus wird mit einer biblischen Betrachtung eröffnet, dann folgen die unterschiedlichen Zugänge zum jeweiligen Fest. Muntanjohl, Felizitas: Schaut die Lilien auf dem Felde. Symbol-Gottesdienste in einfacher Sprache. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2015, 136 S., 1 CD-ROM. Es werden zahlreiche Gottesdienste für Demente angeboten. Sie haben fast alle den gleichen Aufbau, verwenden immer Ps 23 und haben alle ein Symbol, das sich anfassen lässt: Lilien für jeden, Pralinen, einen Topf Heidekraut, Brot und Wein. Alle Gottesdienste orientieren sich an einem Thema und sind in einfacher Sprache gehalten. Päpstlicher Rat zur Förderung der Neuevangelisierung: Barmherzigkeit feiern. Jubiläum der Barmherzigkeit 2015–2016. Aus dem Italienischen von Ottermann, Monika. Schwabenverlag: Ostfildern 2015, 95 S.

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Papst Franziskus hat das Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen und damit die Öffnung der Heiligen Pforte verbunden. Hierfür sind in diesem Buch die Riten abgedruckt, die für die Feiern in den Bistümern verwendet werden können; der Ortsbischof soll solch eine Feier zur Eröffnung und zum Abschluss des Jahres der Barmherzigkeit durchführen. Zuvor wird in den Inhalt dieses besonderen Jahres eingeführt und der Sinn dieses Jubiläums beschrieben. Es folgen Ausführungen zum Kirchenjahr, zur Feier der Sakramente, zum gemeinsamen Beten und zu den Schriftlesungen. Putzinger, Johannes (Hg.): … und zeig uns Jesus, deinen Sohn. Rosenkranzandachten. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2015, 167 S. Sozusagen an der Hand Mariens wird mit diesen Rosenkranzandachten zur Begegnung mit Jesus geführt. Jeweils fünf Andachten führen zur Begegnung mit Jesus Christus im Wort, Sakrament und im Nächsten, führen auf den Weg mit Jesus, nehmen fünf neutestamentliche Gesänge auf, haben besondere Anliegen wie z. B. Angst, Enttäuschung oder Trauer zum Thema, zeigen besondere Motive wie z. B. die Bundeslade Gottes, das Herz Jesu oder die Schöpfung Gottes. Im Anhang werden drei Lieder beigegeben, mit denen die hier vorgelegten 25 Andachten, die mit allen Texten ausgeführt sind, bereichert werden können. Radziwon, Maria: Mein Erstkommunion Messbuch. Tyrolia-Verlag: Innsbruck-Wien 2015, 78 S. Mit leicht verständlichen Texten und kindgerechten Bildern wird den Erstkommunionkindern die Messe mit ihren Bestandteilen der Eröffnung, des Wortgottesdienstes, der Eucharistiefeier erklärt. Danach wird unter dem Titel Gemeinschaft über das Beten gesprochen, wie es Kinder am Morgen und zu Mittag üben können, am Abend auch zum Schutzengel, zu Maria oder dem Namenspatron. Segenswünsche schließen das Büchlein ab. Rapsch, Matthias: Andachten vorbereiten. Praktische Tipps und Ideen. Neukirchener Verlagsgesellschaft: Neukirchen-Vluyn 2015, 90 S. Andachten vorzubereiten bedarf eines methodischen Vorgangs, so dass auch in diesem Büchlein zuerst das Grundsätzliche geklärt wird und dann die eigene Auseinandersetzung mit dem biblischen Text erfolgt. Danach werden der Aufbau der Andacht und der Unterschied zwischen Schreiben und Sprechen erörtert. Beispielandachten und ihr Bezug zum Gottesdienst werden hergestellt. Unterschiedliche Methoden und Hilfen werden gegeben, wie man passende Texte und Themen für eine Andacht bzw. für einen Gottesdienst finden kann. Sauter, Hanns: Gott, der nach mir schaut. Besinnungsnachmittage mit Senioren. Verlag Friedrich Pustet: Regensburg 2015, 159 S. Hier werden 15 Andachten für Besinnungsnachmittage mit Senioren geboten. Die Themen entsprechen Fragen, die ältere Menschen bewegen. Jedes Andachtsangebot ist in zwei Teile gegliedert: Der erste Teil bietet Denkanstöße, Informationen und Gesprächsimpulse, z. B. über das Älterwerden, nach dem Bild Gottes geschaffen sein, über den Tod hinausdenken, Loslassen etc. Der zweite Teil enthält einen Gottesdienstvorschlag, der für eine Wort-Gottes-Feier geeignet ist und auch mit einer Eucharistiefeier fortgeführt werden könnte. Wie im ersten Teil sind auch im zweiten Teil alle Text wie Gebete oder Lesungen vollständig abgedruckt. Schmitt, Arno: Im Takt der Zeiten und Gelegenheiten. Bd. 1: Liturgisches Werkbuch zu Pfingsten, Früh- und Hochsommer, Bd. 2: Liturgisches Werkbuch zu Spätsommer, Herbst und Ende des Kirchenjahres. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2015. Bd. 1: 317 S., Bd. 2: 328 S. Jeder Band mit einer CD-ROM. In diesen beiden Bänden, wie auch schon in dem vorangegangenen Werkbuch zu

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Ostern (JLH 52 [2013] 131), wird reiches und phantasievolles Material dargeboten. Zum einen orientiert sich das Material an den kirchlichen Sonntagen und Festen, zum anderen aber auch an den Vorkommnissen des Lebens: z. B. Kindergarten, Abitur, Taufgottesdienst, Orgelsommer, Schulgottesdienst, Senioren unterwegs, Gottesdienst am Antikriegstag, ökumenischer Schöpfungstag. Es werden Gottesdienste entworfen, Textkollagen gegeben, Lieder bearbeitet, Handlungen und Choreographien erörtert, Ansprachen und Predigten dargeboten. Jedem Band ist eine CD-ROM beigefügt, mit der die Materialfülle für je eigene Zwecke bearbeitet werden kann. Schönfuß, Thomas: Fromm und frei. Geistlich leben (Theologie für die Gemeinde III/3). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2015, 106 S. Schönfuß sieht Menschen auf der Suche nach Gott. Sie suchen sowohl Freiheit als auch Orientierung. Mit beidem geht der evangelische Glaube um, was Schönfuß mit grundlegenden evangelischen Glaubenseinsichten darlegt: Orientierung an der Heiligen Schrift, Glaube als Geschenk empfangen, Glaube im Alltag gestalten, Orientierung an der Wahrheit, die frei macht, keine Norm erfüllen müssen, den eigenen Weg finden. Das nachfolgende Kapitel sucht die ökumenische Weite, indem zuerst die Begriffe Frömmigkeit und Spiritualität geklärt werden, dann folgen Darstellungen der orthodoxen, der römisch-katholischen und der evangelischen Spiritualität. Abschließend wird auch Spiritualität außerhalb des Christentums beschrieben. Es schließt sich ein Kapitel über die Geschichte der christlichen Spiritualität an. Sie beginnt bei der Heiligen Schrift, stellt die Spiritualität der Klöster dar, dann jene von Martin Luther. Das letzte Kapitel benennt Elemente gegenwärtiger evangelischer Spiritualität: Kirchenjahr, Gottesdienst, Tagzeitengebete, Sakramente, Musik, Kommunitäten und Einkehrhäuser. Schredl, Erich (Hg.): Großes Werkbuch Krippenspiele. Ideen, Modelle und Anregungen. Herder: Freiburg i. Br. 2015, 221 S., 1 CD-ROM. Die Inhalte der Krippenspiele sind auf drei Kapitel verteilt: Zuerst geht es um bestimmte Botschaften, wie z. B. um Hirten und Könige oder um Engel (evtl. für den Religionsunterricht). Dann werden Spiele für die vorweihnachtlichen Gottesdienste geboten, wie z. B. zum Paradiesbaum, zum Geschenk der Zeit, zum Teilen (evtl. für die Schulgottesdienste). Das dritte Kapitel enthält Krippenfeiern für den Heiligen Abend, wie z. B. Hirten gehen zum Jesuskind; Es ist ein Ros entsprungen. Es werden insgesamt 26 Modelle aufgeführt, die jeweils eingeleitet und erklärt werden, die Form wird bezeichnet (biblisches Anspiel, Stabpuppenspiel, Schattenspiel etc.), die Zielgruppe, die Akteure und die Zeitdauer des Spieles finden Erwähnung. Schuppener, Friederike: Loslassen dürfen mit allen Sinnen. Texte, Gebete und Rituale in der Begleitung Sterbender und Trauernder. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2015, 192 S. Wie Abschiede seelsorgerlich gestaltet werden können, wird mit dieser reichen Sammlung an Gebeten und Ritualen für viele Situationen konkret benannt: Abschied gestalten mit einem Menschen, der durch eine plötzlich eingetretene Erkrankung sterben wird oder der mit dem Tod ringt, der mit geistiger Behinderung lebt oder einen Unfall verschuldet hat. Es werden noch viele mögliche Fälle genannt, für die Gebete, Texte und Rituale angeboten werden. Anschließend bietet der zweite Teil Andachten mit den Angehörigen, Freunden etc. nach dem Versterben eines Menschen. Hierbei richten sich die Andachten nach der Situation des Verstorbenen, z. B. wenn ein Mensch nach langem, erfülltem Leben, durch einen Unfall oder durch Suizid verstorben ist. Schwarz, Christian (Hg.): Konfirmation (GottesdienstPraxis Serie B). Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2015, 175 S., 1 CD-ROM.

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Viel und vielgestaltiges Material für Gottesdienste rund um die Konfirmation ist in diesem Band versammelt. Zuerst wird Material für Gottesdienste zur Vorstellung der Konfirmanden, Gottesdienste von und für Konfirmandengruppen, Abendmahlsgottesdienste vor der Konfirmation geboten und anschließend Material für den Gottesdienst zur Konfirmation. Mal sind es Predigten, dann wieder komplett ausgeführte Gottesdienste, die hier zu finden sind. Schwarz, Christian (Hg.): Ostern (GottesdienstPraxis Serie B). Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2015, 156 S., 1 CD-ROM. Das Osterfest wird in vielfältigen Formen gefeiert, entsprechend findet sich Material zur Osternacht, für die Auferstehungsfeier und das Osterfest. Beigegeben sind auch liturgische Stücke wie ein Osterlied, Fürbitten zu Ostertexten und Gebete für Ostern. Es finden sich ein Entwurf für einen Osterspaziergang der Gemeinde und Entwürfe für Taufen an Ostern. Schwarz, Christian (Hg.): Volkstrauertag, Buß- und Bettag, Ewigkeitssonntag (GottesdienstPraxis Serie B). Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2015, 175 S., 1 CD-ROM. Gottesdienste zum Totengedenken sind in diesem Band gesammelt. Er umfasst die Themen des kirchlichen Buß- und Bettags und des Ewigkeitssonntags sowie des säkularen Volkstrauertags. Angehängt sind auch liturgische Bausteine, wie z. B. eine Collage zu Ps 140, Totengedenken, Gebete und weitere Texte. Schwarz, Christian (Hg.): Vom Beten und Tun des Gerechten. Gottesdienstmodelle zu den Texten von Dietrich Bonhoeffer. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2015, 251 S. Predigten und Gottesdienstmodelle zu Texten von Dietrich Bonhoeffer von unterschiedlichen Autoren sind hier zusammengestellt. Bonhoeffers Texte werden mittels der Predigt ausgelegt, als liturgische Stücke verwendet oder bilden insgesamt die Grundlage dieser Gottesdienstmodelle. Der eine Teil diese Modelle hat Bonhoeffers bekanntes Lied „Von guten Mächten“ zur Grundlage, der andere Teil orientiert sich an anderen Texten und impliziert auch die wichtigsten Sonntage des Kirchenjahres. Treutlein, Josef: Großes Werkbuch Marienfeste. Verlag Herder. Freiburg i. Br. 2015, 224 S., 1 CD-ROM. Nachdem Treutlein in seiner Einführung alle Marientage erkärt hat, werden zahlreiche ausformulierte Marienandachten und Marienfeiern, Rosenkranzgebete und Texte für Wallfahrten zu Marienorten geboten. Es werden sowohl traditionelle als auch neuere Formen verwendet. Die Impulse sind vielfältig: Marienandachten nicht nur im Marienmonat Mai, für die Adventszeit, für ökumenische Anlässe, für Jugendliche oder für Paare in Erwartung eines Kindes. Wagner-Rau, Ulrike (Hg. im Auftrag der Liturgischen Konferenz): Zeit mit Toten. Eine Orientierungshilfe der Liturgischen Konferenz. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2015, 159 S. Diese Orientierungshilfe nimmt die Zeit zwischen Tod und Bestattung aus verschiedenen Perspektiven (theologisch, ethisch, medizinisch, juristisch, soziologisch, ritualtheoretisch) in den Blick. Grundlegende Informationen wecken Verständnis für diese Übergangszeit. Die für diese Phase tradierten sowie neue Handlungsweisen werden erörtert und verschiedene Sterbeorte (zu Hause, Krankenhaus, Hospiz, Altenhilfe) berücksichtigt. Weiterhin finden sich Überlegungen zu den Funktionen von Hauptund Ehrenamtlichen in der kirchlichen Arbeit, die im Umfeld des Todes mit anderen Einrichtungen, Berufsgruppen etc. zusammenarbeiten. Die Vorbereitung auf das Sterben und die Gestaltung der dem Tod unmittelbar folgenden Tage werden als Bildungsaufgabe betrachtet. Eine Sammlung von Formularen für Rituale, Gebete, Lieder und Texte schließen die Orientierungshilfe ab.

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Quem queritis lutherisch – ein fakultativer Teil der Osterliturgie im Reformationsprozess1 Ute Evers

Einleitung Auf den ersten Blick erscheint die Existenz einer lutherischen Quem queritisFeier paradox. Andererseits wiederum ist deren Existenz nicht verwunderlich, erfreute sich doch die Osterfeier mit dem Quem queritis-Dialog in mitteleuropäischen Quellen noch im 16. Jahrhundert großer Beliebtheit und war vielerorts Bestandteil des Stundengebets. Und dieses Stundengebet wurde zumindest an manchen Orten auch nach der lutherischen Reformation beibehalten. Zwar wurden im Zuge der Reformation oftmals die dramatischen Elemente aus der Liturgie gestrichen, eine Osterfeier musste aber nicht zwangsläufig als dramatisch aufgefasst werden. Im Zusammenhang mit dem Quem queritis im lutherischen Kontext werden drei Beispiele ausführlicher vorgestellt, die belegen, dass zumindest an manchen Orten die vorreformatorische Osterfeier auch nach der Reformation weiterhin in Gebrauch war. Im anti-lutherischen Kontext wurde möglicherweise eine Osterfeier aus Braunschweig verwendet, was insbesondere aufgrund der komplizierten Reformationsgeschichte der Braunschweiger Stifte anzunehmen ist. Diese Feier wird zum Abschluss vorgestellt. Zu Beginn steht ein Überblick über die Tradition der Osterfeiern, gefolgt von einer kurzen Darstellung zum Stundengebet nach der lutherischen Reformation.

I. Die Tradition der Osterfeiern Das sogenannte Quem queritis, der Osterdialog am leeren Grab, war ein fakultativer, jedoch beliebter Bestandteil der mittelalterlichen Osterliturgie. Da es sich nicht um einen Teil der Standardliturgie handelte, gibt es keine einheitliche Form. Stattdessen haben sich unzählige verschiedene, meist ortsgebundene Traditionen herausgebildet.2 1 Dieser Aufsatz ist die überarbeitete und erweiterte Fassung eines Referats, das ich im Juli 2012 auf der Medieval and Renaissance Music Conference in Nottingham gehalten habe. 2 Für eine neue Edition sämtlicher Osterfeiern mit Melodieüberlieferung vgl. Evers, Ute/ Janota,

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Der biblisch abgeleitete, aber in keinem der Evangelien so überlieferte Osterdialog ist zuerst im 10. Jahrhundert in St. Gallen und in Aquitanien belegt.3 Er besteht immer aus drei Sätzen: Ein oder mehrere Engel fragen die drei Marien:4 Quem queritis in sepulcro, o christicole?, die Marien antworten mit: Iesum Nazarenum crucifixum, o celicole, der oder die Engel antworten wiederum mit: Non est hic, surrexit sicut predixerat. Ite, nuntiate, quia surrexit de sepulcro. Von Anfang an kann der Osterdialog an verschiedenen liturgischen Orten stehen: im Zusammenhang mit dem Introitus der Ostermesse, eingebettet in Prozessionsantiphonen oder am Schluss der Matutin. Die Feier am Schluss der Matutin wird üblicherweise als Typ I-Feier bezeichnet.5 Sogenannte Typ II-Feiern, die einen abgeänderten Osterdialog verwenden, treten ab dem 12. Jahrhundert in deutschen und anderen mitteleuropäischen Quellen auf. Der Typ II-Dialog behält die Textincipits des Typs I bei, dann wird der Text jedoch anders fortgesetzt: Ein oder zwei Engel fragen die Marien: Quem queritis, o tremule mulieres, in hoc tumulo plorantes?, die Marien antworten mit: Iesum Nazarenum crucifixum querimus, und der oder die Engel antworten darauf mit: Non est hic, quem queritis, sed cito euntes nuntiate discipulis eius et Petro, quia surrexit Iesus. Die Typ II-Feiern stehen in den allermeisten Fällen am Schluss der Matutin.6 In den Typ III-Feiern wird eine Erscheinungsszene zu einem Typ I- oder einem Typ II-Dialog hinzugefügt. In der Erscheinungsszene besucht Maria Magdalena das leere Grab, wobei ihr der Auferstandene selbst erscheint. Typ III-Feiern sind üblicherweise am Schluss der Matutin anzutreffen.7 Osterfeiern bestehen aus Gesängen, die nur zusammen mit dem Osterdialog belegt sind, und aus solchen, die auch sonst in der Liturgie vorkommen. Sie werden bis ins 16. Jahrhundert überliefert; im 17. und 18. Jahrhundert finden sie sich fast nur noch in deutschen Quellen. Osterspiele stehen im Gegensatz zu den Osterfeiern in einem nicht-liturgischen Kontext. Außerdem kommen im Vergleich zu den Feiern zusätzliche Szenen sowie volkssprachliche Texte und Gesänge hinzu.8 Johannes (Hg.): Die Melodien der lateinischen Osterfeiern, 4 Teilbände. Berlin/ Boston 2013. In: Bd. 2,1 Überblicksdarstellungen zur Gesamttradition. Für die Osterfeiern ohne Melodieüberlieferung muss nach wie vor auf die Edition Walther Lipphardts (LOO) zurückgegriffen werden: Lipphardt, Walther (Hg.): Lateinische Osterfeiern und Osterspiele, 9 Bde (Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts. Reihe Drama V). Berlin/ New York 1975–1990. Die Osterfeiern werden gewöhnlich mit der Nummer aus Lipphardts Edition zitiert. Diese Nummerierung haben wir auch in unserer Melodieedition beibehalten, wobei wir die nicht in Lipphardts Edition enthaltenen Feiern mit 0LOO+laufender Nummer bezeichnet haben. 3 Feiern mit Melodieüberlieferung: LOO 52 (Limoges), LOO 78 (St. Gallen), LOO 79 (St. Gallen). 4 Die drei Marien sind: Maria Magdalena, Maria Iacobi und Maria Salome. 5 Vgl. Evers, Ute/ Janota, Johannes: Lateinische Osterfeiern (s. Anm. 2), Bd. 2,1, 104–147. 6 Vgl. Evers, Ute/ Janota, Johannes: Lateinische Osterfeiern (s. Anm. 2), Bd. 2,1, 147–170. 7 Vgl. Evers, Ute/ Janota, Johannes: Lateinische Osterfeiern (s. Anm. 2), Bd. 2,1, 170–190. 8 Zu der Unterscheidung von Feier und Spiel vgl. Janota, Johannes: Osterfeier oder Osterspiel? Zur Klärung der Terminologie. In: Huwiler, Elke/ Meyer, Elisabeth/ Quak, Arend (Hg.): Wat nyeus

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II. Das lutherische Stundengebet Die Weiterführung des lateinischen Stundengebets nach der lutherischen Reformation ist bis dato nur ansatzweise erforscht.9 Es gibt daher keine umfassende Überblicksdarstellung über die gesamte nachreformatorische Praxis. Theobald Schrems kommt nach Analyse von lutherischen Cantionalien und Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts zu dem Schluss, dass in nachreformatorischer Zeit das lateinische Stundengebet meist auf Mette und Vesper reduziert wurde, wobei die Mette die Matutin und Teile der Laudes umfasste und die Vesper Vesper und Teile der Komplet. Nur an wenigen Orten blieben auch die kleinen Horen als Bestandteile des Stundengebets erhalten.10 Waren an die Kirchen Schulen angeschlossen, kam dem lateinischen Stundengebet auch eine Funktion als Bildungsinstrument zu.11 Anhand neuerer Fallstudien ist bekannt, dass in Halberstadt, Havelberg, Magdeburg, Naumburg, Brandenburg und Berlin das Stundengebet auch nach der Reformation als Chorgebet gebräuchlich war.12 An einigen Orten wurden die vorreformatorischen Chorbücher weiterhin verwendet, was anhand späterer Einträge in handschriftlichen und gedruckten liturgischen Quellen z. B. für Naumburg nachweisbar ist. Im gemischt konfessionellen Domkapitel von Halberstadt wurde der weitere Gebrauch von vorreformatorischen liturgischen Büchern im Jahr 1591 offiziell geregelt.13 An den meisten Orten jedoch wurde das Stundengebet in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts abgeschafft, in einigen Stiftskirchen wurde es dagegen bis zur Abschaffung der Stiftskapitel im frühen 19. Jahrhundert beibehalten.14 verfraeyt dat herte ende verlicht den sin. Studien zum Schauspiel des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Festschrift für Carla Dauven-van Knippenberg zum 65. Geburtstag (Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 75). Leiden/ Boston [2015], 1–31. 9 Die erste ausführlichere Arbeit zum Thema ist Schrems, Theobald: Die Geschichte des Gregorianischen Gesanges in den protestantischen Gottesdiensten (Veröffentlichungen der gregorianischen Akademie zu Freiburg in der Schweiz 15). Freiburg (Schweiz) 1930. In neuerer Zeit hat sich einzig der Tübinger Liturgiewissenschaftler Andreas Odenthal umfassend mit dieser Thematik befasst. 10 Schrems, Theobald: Die Geschichte des Gregorianischen Gesanges in den protestantischen Gottesdiensten (s. Anm. 9), 12, 18, 24, 30–33, 61 f., 75 f. Vgl. dazu auch Odenthal, Andreas: Liturgie vom Frühen Mittelalter zum Zeitalter der Konfessionalisierung: Studien zur Geschichte des Gottesdienstes. Tübingen 2011, 254–282. 11 Schrems, Theobald: Die Geschichte des Gregorianischen Gesanges in den protestantischen Gottesdiensten (s. Anm. 9), 18 f.; Odenthal, Andreas: Liturgie vom Frühen Mittelalter zum Zeitalter der Konfessionalisierung (s. Anm. 10), 243, 249, 315. 12 Odenthal, Andreas: Liturgie vom Frühen Mittelalter zum Zeitalter der Konfessionalisierung (s. Anm. 10), 213. 13 Odenthal, Andreas: Liturgie vom Frühen Mittelalter zum Zeitalter der Konfessionalisierung (s. Anm. 10), 272, 347. Zur Situation in Halberstadt vgl. auch: Odenthal, Andreas: Die Ordinatio Cultus Divini et Caeremoniarium des Halberstädter Domes von 1591. Untersuchungen zur Liturgie eines gemischtkonfessionellen Domkapitels nach Einführung der Reformation (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 93). Münster 2005. 14 Schrems, Theobald: Die Geschichte des Gregorianischen Gesanges in den protestantischen

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III. Nachreformatorischer Gebrauch des Quem queritis In vorreformatischen Quellen steht das Quem queritis gewöhnlich am Schluss der Matutin zwischen dem letzten Responsorium und dem abschließenden Te Deum. Da die Matutin im nachreformatorischen Stundengebet erhalten geblieben war und in vorreformatorischen deutschen liturgischen Quellen oft der Osterdialog enthalten ist, könnte man annehmen, dass es viele Belege für das Quem queritis aus lutherischem Umfeld geben sollte. Allerdings wurden Prozessionen und dramatische Elemente wie eine szenische Darstellung des Jüngerlaufs zum leeren Grab in der Liturgie nach der Reformation in der Regel abgeschafft. Für Halberstadt ist z. B. belegt, dass 1591 sämtliche das Heilige Grab betreffenden Riten eliminiert wurden.15 Unter diesen Umständen hatte die Osterfeier keine guten Chancen, die Reformation zu überleben, denn sie konnte sowohl Prozessionen als auch dramatische Elemente enthalten, außerdem kam oft ein Heiliges Grab vor.16 Dennoch hat das vorreformatorische Quem queritis an einigen Orten die Reformation überdauert. Dies lässt sich an drei Beispielen belegen: an einer vorreformatorischen Handschrift aus Merseburg, die nachweislich weiter verwendet wurde, an einer lutherischen liturgischen Handschrift aus Berlin aus der Mitte des 16. Jahrhunderts und an mehreren liturgischen Büchern aus dem Dom in Naumburg. Merseburg Aus dem Merseburger Dom stammt ein Graduale und Antiphonarium17, das in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts geschrieben und nach Ausweis von 1556 bis 1740 datierten Sängernamen mindestens bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts verwendet worden ist. Es enthält eine Typ II-Feier mit den üblichen Gesängen. Innerhalb der Osterfeier stehen mehrere Namen und zwei Jahreszahlen: In der Initiale des Quis revolvet „Baptista Schwemler 1560“, neben dem Non est hic „Joachim Drucher vonn Aldenburg“, neben dem Currebant duo simul „Casparus Eckert Anno 1608“ und in der Initiale des Cernitis, o socii „Andreas Schönichen 1570“. Während der Name Joachim Drucher vonn Aldenburg nur hier auftritt, werden die übrigen Namen auch an anderen Stellen in der Gottesdiensten (s. Anm. 9), 104f; Odenthal, Andreas: Liturgie vom Frühen Mittelalter zum Zeitalter der Konfessionalisierung (s. Anm. 10), 316. 15 Odenthal, Andreas: Liturgie vom Frühen Mittelalter zum Zeitalter der Konfessionalisierung (s. Anm. 10), 335, 363. 16 Nicht in jeder Osterfeier kommt zwangsläufig ein Heiliges Grab als eigene Konstruktion vor. Ein Altar kann als Heiliges Grab dienen, es ist aber auch möglich, dass ein Heiliges Grab in den Rubriken gar nicht erwähnt wird. 17 Leipzig, Stadtbibliothek, Becker-Sammlung, II 1 2° 1, fol. 98r–100v; 0LOO 920. Für eine Edition der Feier vgl. Evers, Ute/ Janota, Johannes: Lateinische Osterfeiern (s. Anm. 2), Bd. 1,2, 1125– 1127 sowie den dazugehörigen Kommentar Bd. 2,2, 1068–1071. Für eine ausführliche Handschriftenbeschreibung sowie ein Digitalisat der Handschrift vgl. http://www.manuscripta-mediaevalia.de/ dokumente/html/obj31601075.

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Handschrift genannt. Es ist anzunehmen, dass es sich um Sänger handelt, die Lehrer bzw. Schüler der Merseburger Domschule waren. Nach den Jahreszahlen war die Osterfeier nicht so lange wie andere Teile der Handschrift, aber immerhin mindestens bis ins erste Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts in Gebrauch. In Merseburg hatte es bereits in den 1530er Jahren reformatorische Bestrebungen gegeben, obwohl die Bischöfe zunächst romtreu blieben. 1544 wurde die Reformation schließlich durchgeführt, wobei die Gottesdienste im Dom wie auch in zwei weiteren Kirchen weiterhin in vorreformatorischer Form gehalten werden durften. In den 1550er Jahren folgte unter Bischof Michael Helding eine kurze Phase der Gegenreformation, bis sich 1562 die lutherische Lehre endgültig durchsetzte.18 Da im Dom die vorreformatorische Form des Gottesdienstes – zumindest gemäß den Regelungen von 1544 – weiterhin Verwendung fand, ist davon auszugehen, dass ebenso das lateinische Stundengebet fortgeführt wurde, in welchem dann die Osterfeier ihren Platz hatte. Dass das Quem queritis noch mindestens ein halbes Jahrhundert nach der endgültigen Einführung der Reformation in Gebrauch war, dürfte darauf zurück zu führen sein, dass die Typ II-Feier aus Merseburg keine dramatischen Elemente und auch keine Prozessionen enthält, zumindest geben die spärlichen Rubriken keinerlei Auskunft darüber. Berlin Eine Handschrift Berliner Provenienz aus der Mitte des 16. Jahrhunderts sieht wie ein gewöhnliches Antiphonarium aus, ist aber tatsächlich eine liturgische Quelle aus der damals lutherischen Stiftskirche Heilig Kreuz.19 Dies erklärt sich dadurch, dass Berlin zwar seit 1539 lutherisch war, doch blieb die vorreformatorische Liturgie fast unverändert bestehen. Nur einige wenige Abschnitte, die eindeutig der lutherischen Lehre widersprachen, wurden entfernt oder modifiziert. Zu einer grundlegenden Änderung der Liturgie kam es erst, als der Berliner Hof im frühen 17. Jahrhundert zum Calvinismus übertrat.20 Erst 1536 war die Stiftskirche Heilig Kreuz neben dem Cöllner Stadtschloss von Kurfürst Joachim II. von Brandenburg gegründet worden. Die Liturgie 18 Jadatz, Heiko: Wittenberger Reformation im Leipziger Land. Dorfgemeinden im Spiegel der evangelischen Kirchenvisitationen des 16. Jahrhunderts (Herbergen der Christenheit Sonderband 10). Leipzig 2007, 167–186, insbesondere 169, 172, 180–182. 19 Erlangen, Universitätsbibliothek, ms. 141 (471), fol. 11r–16v; LOO 533a (=LOO 486). Für eine Edition der Feier vgl. Evers, Ute/ Janota, Johannes: Lateinische Osterfeiern (s. Anm. 2), Bd. 1,2, 602–607 sowie den dazugehörigen Kommentar Bd. 2,2, 689–693. 20 Zur Situation in Berlin zu dieser Zeit vgl. Tacke, Andreas: Quellenfunde und Materialien zu Desideraten der Berliner Kirchengeschichte des 16./17. Jahrhunderts. Mit Anmerkungen zu dem Hallenser Vorbild des Kardinal Albrecht von Brandenburg. In: BthZ 5 (1988), 237–248; Tacke, Andreas: ‚Johan Tewbern von Liebenwerde, Buchschreijber‘. Zu einer vergessenen Berliner Handschriftengruppe aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. In: JBLG 39 (1988), 33–43; Tacke, Andreas: Zu einem Erlanger Handschriftenkonvolut mit Berliner Provenienz des Brandenburg-Preußischen Hauses. In: Bibliotheks-Forum Bayern 16 (1988), 230–238.

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lehnte sich an die der Stiftskirche von Halle an, die der Onkel des Kurfürsten, Kardinal Albrecht von Brandenburg, errichtet hatte.21 Aus diesem Grund weist das Berliner Quem queritis eine große Ähnlichkeit mit der Hallenser Vorlage auf.22 Die lutherische Fassung der Osterfeier ähnelt stark der vorreformatorischen Berliner Feier aus den 1530er Jahren.23 Sie enthält ungewöhnlicherweise immer noch ein Heiliges Grab und eine Prozession.24 In der vorreformatorischen Fassung beschreiben die Rubriken darüber hinaus detailliert die Prozession zu Beginn der Feier wie auch den Jüngerlauf. Diese Rubriken fehlen in der lutherischen Fassung, was allein der Tatsache geschuldet sein kann, dass die Rubriken in der späteren Version deutlich kürzer sind. Diese Kürzungen können aber im Zusammenhang mit der Reformation stehen, weil damit zumindest eine der Prozessionen und der szenische Jüngerlauf unter Umständen wegfallen. Jedoch wurden zwei Veränderungen definitiv von der Reformation verursacht: 1. In der vorreformatorischen Fassung beweihräuchern die Marien das Heilige Grab, nachdem sie erfahren haben, dass dieses leer und Christus auferstanden ist, bevor sie das Ad monumentum venimus singen: Tunc mulieres thurificato sepulcro revertentur et stantes inter sepulcrum et altare Sancte Crucis cantabunt aperta voce: Ad monumentum venimus.25

In der lutherischen Version ist dagegen der Weihrauch weggefallen: Mulieres revertentes e[t] stantes inter sepulcrum et altare S. Cruc[is] aperta voce cantabun[t]: Ad monumentum venimus gementes […]26

2. In der vorreformatorischen Fassung beweihräuchert und küsst der prepositus das Kreuz vor dem Hochaltar. Während die Kündungsantiphon Surrexit Dominus de sepulcro dreimal gesungen wird, wird das Kreuz gezeigt. Danach wird eine Stola um das Kreuz gewickelt. Die Pfeifer spielen zweimal die „beste Motette“, und das Kreuz mit der Stola wird denen gereicht, welche die Auferstehung verkünden: Interim prepositus solus thurificabit et osculabitur crucem ante altare. Et cantant illi tres simul ter cum ostentione crucis: Surrexit Dominus de sepulcro. Chorus: Qui pro nobis pependit in ligno. Alleluia. Deinde ligant cruce[m] cum stola. Et tibicines fistulabunt bis optimam mutetam. Interim dant crucem ligatam divulgantibus resurrectionem.27

21 Tacke, Andreas: Quellenfunde und Materialien zu Desideraten der Berliner Kirchengeschichte des 16./17. Jahrhunderts (s. Anm. 20), 238. 22 Feier ohne Melodieüberlieferung: LOO 585 (Halle; vgl. LOO III [s. Anm. 2], S. 962–964). 23 Feier ohne Melodieüberlieferung: LOO 533 (Berlin; vgl. LOO III [s. Anm. 2], S. 804–806). 24 Das Heilige Grab wird in der Rubrik vor dem Ad monumentum venimus erwähnt (s. u.), die Prozession in der Rubrik vor dem Dicant nunc Iudei (Tunc processio intrabit chorum cantando Versum sequentem). 25 LOO 533 (Berlin; vgl. LOO III [s. Anm. 2], S. 805; orthographisch an die Normalisierungen der Melodieedition angepasst). 26 Evers, Ute/ Janota, Johannes: Lateinische Osterfeiern (s. Anm. 2), Bd. 1,2, 604. 27 LOO 533 (Berlin; vgl. LOO III [s. Anm. 2], S. 806; inklusive der Korrigenda in LOO VII, S. 426 und orthographisch an die Normalisierungen der Melodieedition angepasst).

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In der nachreformatorischen Fassung wird das Kreuz nicht mehr beweihräuchert und geküsst. Es wird allerdings nach wie vor gezeigt, während das Surrexit Dominus de sepulcro gesungen wird. Keine Stola wird um das Kreuz gewickelt, aber es wird immer noch denen gereicht, welche die Auferstehung verkünden, während die Trompeter zweimal das „beste Lied“28 spielen, das sie kennen: Tunc tres illi iam nominati ante summum altare cum ostensione crucis ter simul cantabunt: Surrexit Dominus de sepulcro. Chorus: Qui pro nobis pependit in ligno. Alleluia. Et tubicines fistulabunt bis optimum canticum, quod noverint. Et interim tradunt crucem divulgantibus resurrectionem audita[m].29

Diese Veränderungen zeigen, was definitiv nicht zur lutherischen Lehre passte: Weihrauch, der liturgische Kuss und der Gebrauch von im reformatorischen Kontext nicht mehr benötigten liturgischen Gewändern. Naumburg Das dritte Beispiel kommt aus dem Naumburger Dom.30 In der dortigen Bibliothek sind acht Antiphonarien aus dem 15. und frühen 16. Jahrhundert überliefert, und zwar drei Sommerteile (Nr. 1, 3, 7) und fünf Winterteile (Nr. 2, 4, 5, 6, 8).31 In vier der letztgenannten ist eine bisher unbekannte und auch nicht edierte Typ IIFeier enthalten,32 lediglich in Nr. 6 fehlt sie. Die Feier verfügt über keinerlei Ru28 In der vorreformatorischen Version wird muteta statt canticum verwendet. Zur Verwendung des Begriffs „Motette“ im 16. Jh. vgl. Beiche, Michael: Motet/ motetus/ mottetto/ Motette. In: Handwörterbuch der musikalischen Terminologie (2004), insbesondere S. 15; https://www.vifamusik.de/search?id=hmtbsb00070512f223t246&db=372&q=motette++&showFulltextPage=237. „Canticum“ wird für Lied und Gesangsstück verwendet, kann sich aber auch auf ein mehrstimmiges Stück beziehen (vgl. den Artikel „Canticum“ im Lexicon musicum Latinum medii aevi; http://www. woerterbuchnetz.de/LmL?lemma=canticum). Mit beiden Begriffen dürfte wahrscheinlich dasselbe gemeint sein, nämlich ein wohl mehrstimmiges Stück geistlicher Provenienz. Dies kann in der lutherischen Version auch ein reformatorisches geistliches Lied sein. Bruno Stäblein zitiert im Artikel „Canticum“ in der alten MGG (Bd. 2, Sp. 770) diese Stelle als Beleg dafür, dass auch Instrumentalstücke als canticum bezeichnet werden konnten. 29 Evers, Ute/ Janota, Johannes: Lateinische Osterfeiern (s. Anm. 2), Bd. 1,2, 607. 30 Den Hinweis auf die Naumburger Handschriften verdanke ich Prof. Dr. Franz Körndle, Augsburg, der mir dankenswerterweise seine Aufzeichnungen von seinem Besuch in der Domstiftsbibliothek im Jahr 1987 zur Verfügung gestellt hat. 31 Naumburg, Domstiftsbibliothek, Nr. 1–8, vgl. die Handschriftenbeschreibungen: Einleitung: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/dokumente/html/obj31602727; Nr. 1: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/dokumente/html/obj31602728; Nr. 2: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/dokumente/html/obj31602745; Nr. 3: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/dokumente/html/obj31602819; Nr. 4: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/dokumente/html/obj31602821; Nr. 5: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/dokumente/html/obj31602833; Nr. 6: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/dokumente/html/obj31602845; Nr. 7: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/dokumente/html/obj31602864; Nr. 8: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/dokumente/html/obj31602866. Alle Handschriften sind vollständig digitalisiert (siehe die Handschriftenbeschreibungen). 32 Naumburg Domstiftsbibliothek, Nr. 2, fol. 143v–144r; ebd. Nr. 4, fol. 178r–179r; ebd. Nr. 5, fol. 210r–211r; ebd. Nr. 8, S. 306 f. Die Typ II-Feier umfasst die Gesänge Maria Magdalena et alia

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briken, so dass Aussagen über etwaige Prozessionen, ein Heiliges Grab oder eine szenische Darstellung des Jüngerlaufs nicht getroffen werden können.33 Die erste lutherische Kirchenordnung Naumburgs aus dem Jahr 1527 hatte die lateinische Messe beibehalten, um die wenig reformatorisch gesinnten Domherren nicht zu verärgern. Eine neue lutherische Kirchenordnung von 1537/38 beließ zwar wiederum die lateinischen Gesänge in der Liturgie, die deutsche Sprache erhielt aber deutlich mehr Raum als in der vorhergehenden Kirchenordnung.34 Die Reformation ging zunächst nicht weiter, da zwischen 1546 und 1564 Julius von Pflug, der Wunschkandidat von Papst Paul III., Bischof von Naumburg wurde. Erst nach seiner Amtszeit setzte sich die Reformation endgültig durch.35 Das Naumburger Domkapitel war danach theoretisch gemischtkonfessionell, jedoch wurden seit 1576 nur noch lutherische Domherren aufgenommen.36 Im Rahmen der endgültigen Reformation wurde die Offiziumsliturgie geändert, jedoch Latein als Liturgiesprache wie auch die vorreformatorischen Gesänge beibehalten. Daher konnten die Antiphonarien nach dieser Umgestaltung weiterverwendet werden.37 Diese Offiziumsliturgie wurde in reduzierter Form sogar bis 1874 weitergeführt. In diesem Jahr wurde sie wegen der Renovierung des Doms eingestellt und danach nicht wieder aufgenommen.38 Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Osterfeier auch nach der Reformation weiterhin praktiziert wurde.39 Von einer kontinuierlichen VerMaria (Add1), Quis revolvet nobis ab ostio lapidem (IIa), Quem queritis, o tremule mulieres (IIb), Iesum Nazarenum crucifixum (IIc), Non est hic, quem queritis (IId), Ad monumentum venimus (IIe), Currebant duo simul (IIf), Cernitis, o socii (IIg), Surrexit Dominus de sepulcro (A66). 33 In Nr. 2 und Nr. 4 tritt als Rubrik nur Antiphona vor jedem Gesang auf, was in Nr. 5 und Nr. 8 fehlt. 34 Odenthal, Andreas: die evangelische Dom undt andere Collegiat kirchen ohne Predigen, singen undt klingen. Gottesdienstliche Kontinuität und Diskontinuität im Halberstädter und Naumburger Dom nach Einführung der Reformation. In: Wendland, Ulrike (Hg.) … das Heilige sichtbar machen. Domschätze in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (Veröffentlichungen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt Arbeitsberichte 9). Halle 2010, 349–370, hier 356; Odenthal, Andreas: Liturgie vom Frühen Mittelalter zum Zeitalter der Konfessionalisierung (s. Anm. 10), 339 f. 35 Odenthal, Andreas: die evangelische Dom undt andere Collegiat kirchen ohne Predigen, singen undt klingen. (s. Anm. 34), 359; Odenthal, Andreas: Liturgie vom Frühen Mittelalter zum Zeitalter der Konfessionalisierung (s. Anm. 10), 342. 36 Odenthal, Andreas: die evangelische Dom undt andere Collegiat kirchen ohne Predigen, singen undt klingen. (s. Anm. 34), 359; Odenthal, Andreas: Liturgie vom Frühen Mittelalter zum Zeitalter der Konfessionalisierung (s. Anm. 10), 343. 37 Odenthal, Andreas: die evangelische Dom undt andere Collegiat kirchen ohne Predigen, singen undt klingen. (s. Anm. 34), 360f; Odenthal, Andreas: Liturgie vom Frühen Mittelalter zum Zeitalter der Konfessionalisierung (s. Anm. 10), 344. 38 Odenthal, Andreas: die evangelische Dom undt andere Collegiat kirchen ohne Predigen, singen undt klingen. (s. Anm. 34), 361; Odenthal, Andreas: Liturgie vom Frühen Mittelalter zum Zeitalter der Konfessionalisierung (s. Anm. 10), 355. Zur Weiterführung des Stundengebets im Naumburger Dom siehe auch Wießner, Heinz: Das Bistum Naumburg, Bd. 1,1: Die Diözese (Germania Sacra Neue Folge 35,1: Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg). Berlin/ New York 1997, 357f. 39 Für diese Weiterverwendung spricht außerdem, dass die Handschriften Nr. 2, 3, 4, 6 und 7 in

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wendung im 17. und 18. Jahrhundert zeugen Beilagen wie auch spätere Eintragungen in den Handschriften.40 In Nr. 5 und Nr. 8 ist neben Maria Magdalena et alia Maria mit Bleistift notiert: Ad Completorium.41 In denselben Handschriften steht mit Bleistift neben dem Quem queritis, o tremule mulieres: Super Nunc dimittis.42 Es ist anzunehmen, dass diese Eintragungen ins 18. Jahrhundert zu datieren sind. Sie deuten darauf hin, dass noch zwei Melodien aus der Osterfeier in Gebrauch waren, nämlich Maria Magdalena et alia Maria zur Komplet und Quem queritis als Antiphon zum Nunc dimittis, das ein fester Bestandteil der Komplet war. Zu diesem Befund passt ein in Nr. 6 – der Handschrift, in der die Osterfeier fehlt – eingelegter Zettel, der frühestens aus dem 17. Jahrhundert stammt.43 Darauf stehen die beiden Gesänge Maria Magdalena et alia Maria und Quem queritis, o tremule mulieres jeweils mit Melodie und nachfolgender Psalmdifferenz. Zu Maria Magdalena et alia Maria lautet die Rubrik: Ad Completorium Antiph., zum Quem queritis: Super Nunc dimittis Ant. Diese Angaben entsprechen den Bleistifteintragungen in Nr. 5 und Nr. 8. Ebenfalls zu diesem Befund passen die nachträglich mit Rötel eingetragenen Psalmdifferenzen nach Maria Magdalena et alia Maria und nach Quem queritis, o tremule mulieres in Nr. 2 sowie die am Rand an denselben Stellen mit Bleistift eingetragenen Psalmdifferenzen in Nr. 4 (inklusive Angaben zu den jeweiligen Tönen). In Nr. 5 wurden Psalmdifferenzen und Angaben zu den Tönen neben Maria Magdalena et alia Maria und Currebant duo simul ergänzt, während neben dem Quem queritis keine Psalmdifferenz, sondern nur 4. To. [4. tonus] steht. In Nr. 8 finden sich Angaben zu den Tönen neben Maria Magdalena et alia Maria, Quem queritis und Currebant duo simul. Es ist daher möglich, dass in einer ersten Verkürzungsphase die Osterfeier zunächst auf diese drei Gesänge reduziert wurde, bevor schließlich nur noch Maria Magdalena et alia Maria und Quem queritis übrig blieben. Dieser Befund passt zur Kürzung der Liturgie im 18. Jahrhundert, die Odenthal für die Naumburger Offiziumsliturgie in dieser Zeit festgestellt hat.44 1751 wurde für das Stundengebet im Naumburger Dom ein neues liturgisches Buch gedruckt: Antonius Sutorius: Officium divinum, complectens Antiphonas, Responsoria, Invitatoria. […] quae in Ecclesia Cathedrali Numburgensi […] decantari solent […], Weißenfels 1751. Es enthält auf Seite 366–367 Maria Magden späten 1570er Jahren neu gebunden wurden (vgl. http://www.manuscripta-mediaevalia.de/ dokumente/html/obj31602727). 40 http://www.manuscripta-mediaevalia.de/dokumente/html/obj31602727. 41 Ad Compl: (Nr. 5) bzw. Ad Complet: (Nr. 8). 42 Super Nunc dimitt: (Nr. 5) bzw. Super Nunc dim. (Nr. 8). 43 Dieser Zettel befindet sich heute vor der ersten Seite (siehe die moderne Bleistiftaufschrift „zu Nr. 6 vor Bl. 1“ unten auf dem Blatt), lag aber gemäß den Aufzeichnungen von Prof. Dr. Franz Körndle 1987 noch an der liturgisch richtigen Stelle, nämlich zwischen fol. 131v und fol. 132r. 44 Odenthal, Andreas: Liturgie vom Frühen Mittelalter zum Zeitalter der Konfessionalisierung (s. Anm. 10), 361.

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dalena et altera Maria und Quem queritis, o tremule mulieres.45 Wieder stehen die beiden Gesänge im Rahmen der Komplet am Ostersonntag.46 Da es sich um den letzten Druck von Melodien aus der Osterfeier überhaupt handelt, sollen diese hier wiedergegeben werden:47 Antiphona ad Completorium:48

Antiphona ad Nunc dimittis:49

Obwohl im Vorwort als Grund für die Drucklegung die Schonung der alten Handschriften genannt wird, ist unklar, ob dieser Druck tatsächlich in der 45 Ich danke PD Dr. Stefan Michel, Leipzig, der diesen Druck in der UB Leipzig für mich durchgesehen hat. 46 Im Naumburger Officium divinum beginnt die Liturgie zum Ostersonntag mit der Vesper, gefolgt von der Komplet, der Matutin, den Laudes sowie erneut Vesper und Komplet. In der Liturgie des Karsamstags gibt es dagegen nur Matutin und Laudes. Diese Reihenfolge ist so zu verstehen, dass die an erster Stelle notierte Vesper, die Komplet mit den beiden Gesängen des Quem queritis und die Matutin bereits am Vorabend gesungen wurden. Damit wäre der Osterdialog wie beim traditionellen liturgischen Ort am Schluss der Matutin immer noch am Vorabend gesungen worden, nun allerdings als offizieller Teil der Komplet und nicht mehr als Zusatz am Schluss der Matutin. 47 Im Druck sind alle Notenzeichen Semibreven, sie werden hier als Notenköpfe ohne Hälse wiedergegeben, die Psalmdifferenzen sind mit kleinen Rhomben notiert. Der unterlegte Text ist orthographisch an die Normalisierungen der Melodieedition von Evers, Ute/ Janota, Johannes: Lateinische Osterfeiern (s. Anm. 2), angepasst. 48 Im Druck: Antiphon. ad Complet., über der Psalmdifferenz: 1. Ton. 49 Im Druck: Antiphon. ad Nunc dimittis., über der Psalmdifferenz: 4 Ton.

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Liturgie verwendet wurde, denn in der Domstiftsbibliothek finden sich nur die ungebundenen Druckbögen, aber kein einziges gebundenes Exemplar.50 Es ist also möglich, dass auch weiterhin aus den alten handschriftlichen Antiphonarien gesungen wurde und nicht aus dem Druck, der diese eigentlich ersetzen sollte. Das Stundengebet wurde 1806 nochmals deutlich reduziert, ein weiteres Mal in der Mitte des 19. Jahrhunderts: Mette und Vesper wurden jetzt nur noch an einigen Tagen im Jahr gesungen, u. a. die Vesper am Abend vor Ostern und die Mette am Ostersonntag.51 Da in dieser Vesper oft Vesper und Komplet miteinander kombiniert wurden, ist anzunehmen, dass die beiden Melodien Maria Magdalena et altera Maria und Quem queritis noch bis zur Einstellung des Stundengebets 1874 gesungen wurden. Damit sind diese beiden Melodien die am längsten gebräuchlichen Gesänge aus der Osterfeier überhaupt.

IV. Quem queritis anti-lutherisch? In einem Lektionar der Stiftskirche St. Blasien in Braunschweig aus dem ersten Viertel des 14. Jahrhunderts ist eine mit detaillierten Rubriken versehene Typ III-Feier überliefert, die bisweilen auch als „Braunschweiger Osterspiel“ bezeichnet wird.52 Es sind zwei Versionen der Erscheinungsszene überliefert, wobei die zweite Fassung einen durchaus dramatischen Charakter hat: Die Rubriken schreiben ungewöhnlich detailliert vor, wie sich Maria Magdalena auf der Suche nach dem Auferstandenen durch das Kirchenschiff bewegen soll und was sie auf welchem Weg zu singen hat.53 Auf der letzten Seite der Osterfeier, auf dem nachfolgenden Blatt, auf den Vorsatzblättern und auf den Innenseiten der Buchdeckel stehen die Namen der Darsteller aus den Jahren 1527, 1536, 1537 und 1539.54 Bisher55 wurde ange50 Odenthal, Andreas: die evangelische Dom undt andere Collegiat kirchen ohne Predigen, singen undt klingen. (s. Anm. 34), 362; Odenthal, Andreas: Liturgie vom Frühen Mittelalter zum Zeitalter der Konfessionalisierung (s. Anm. 10), 352. 51 Albrecht, Otto: Mitteilungen aus den Akten der Naumburger Reformationsgeschichte. In: ThStKr 77 (1904), 32–82, hier 63 f. 52 Wolfenbüttel, Niedersächsisches Staatsarchiv, ms. B VII Hs 203, fol. 23r–27v; LOO 780. Für eine Edition der Feier vgl. Evers, Ute/ Janota, Johannes: Lateinische Osterfeiern (s. Anm. 2), Bd. 1,2, 897–908 sowie den dazugehörigen Kommentar Bd. 2,2, 927–935. 53 Primo a columna versus magnum ostium urbis vadit cantando: „Cum venissem“ usque ad altare Sancti Bartholomei. Ibi incipit: „Munierunt“ Deinde transit cantando ad australem partem versus turrim usque ad extremam columnam. Ibi incipit: „Heu, heu“ (zitiert nach Evers, Ute/ Janota, Johannes: Lateinische Osterfeiern [s. Anm. 2], Bd. 1,2, 905). 54 Auf den mir vorliegenden Abbildungen der Handschrift sind die Namen praktisch nicht lesbar. Die Angaben stammen daher aus der vorläufigen Handschriftenbeschreibung, die mir dankenswerterweise vom Handschriften-Zentrum der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel zur Verfügung gestellt wurde. Von allen aufgezählten Namen sind nur zwei anderweitig belegt: Johannes Rave war Vikar und Schulrektor bei St. Blasien, und Andreas Brugeman ist von 1559–1572 als Kanoniker bei St. Blasien nachweisbar (vgl. die genannte vorläufige Handschriftenbeschreibung). 55 Evers, Ute/ Janota, Johannes: Lateinische Osterfeiern (s. Anm. 2), Bd. 2,2, 928.

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nommen, dass auch diese Osterfeier in einem lutherischen Kontext zur Aufführung kam, da 1528 in Braunschweig die lutherische Kirchenordnung eingeführt worden war.56 Dies ist jedoch nicht der Fall, da die Stifte – und damit auch St. Blasien – nicht der Stadt Braunschweig, sondern dem Herzog von Braunschweig-Lüneburg unterstanden, der wiederum die Reformation erst 1569 durchgeführt hat.57 St. Blasien war daher zur Zeit der in der Handschrift eingetragenen Daten nicht lutherisch. Der Braunschweiger Rat versuchte St. Blasien wie andere Stifte und Klöster in der Stadt an der Ausübung der nicht-reformatorischen Gottesdienste zu hindern bzw. zu verhindern, dass Braunschweiger Bürger sie besuchten. So ordnete der Rat im November 1529 an, dass vor St. Blasien ein städtischer Wächter aufgestellt werden sollte, der alle Besucher aufschreiben und melden sollte, damit diese anschließend bestraft werden konnten. Im März 1530 beschloss der Rat des Weiteren, dass jeder, der dreimal wegen des Besuchs von St. Blasien bestraft worden ist, aus der Stadt ausgewiesen werden sollte.58 Dies zeigt, dass zahlreiche Braunschweiger Bürger nach der Einführung der lutherischen Kirchenordnung nicht reformatorisch gesinnt waren und daher die Gottesdienste in St. Blasien besuchten. Im Oktober 1540 ließ der Rat die Stiftskirche schließen, darüber hinaus wurden sämtliche Gesänge und Zeremonien verboten. Gleichzeitig ordnete der Herzog von Braunschweig-Lüneburg an, die Liturgie und das Glockengeläut so lange fortzusetzen, bis die Stiftsherren aus der Stadt vertrieben sein würden. Ein knappes Jahr später verbot der Herzog den Stiftsherren schließlich den Aufenthalt in der Stadt. Im Oktober 1542 wurde das Stift lutherisch, und die verbliebenen Stiftsherren mussten sich dem Rat der Stadt Braunschweig unterwerfen.59 Dies alles zeugt von einem äußerst ausgiebigen Konflikt zwischen St. Blasien und der Stadt Braunschweig. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, ob die Aufführung der Typ III-Feier in St. Blasien in den Jahren 1527, 1536, 1537 und 1539 nicht mit diesem Konflikt zusammenhängt. Die erste datiert ein Jahr vor der Einführung der lutherischen Kirchenordnung in der Stadt. Ob sie bis dahin ein regelmäßiger Bestandteil der Liturgie war oder erst 1527 wieder hervorgeholt wurde, lässt sich nicht feststellen.60 Es ist aber durchaus vorstellbar, dass die Feier als explizit anti-reformato56 Krumwiede, Hans-Walter: Braunschweig, I. Historisch. In: TRE 7 (1981), 142. 57 Jürgens, Klaus: Um Gottes Ehre und unser aller Seelen Seligkeit. Die Reformation in der Stadt Braunschweig von den Anfängen bis zur Annahme der Kirchenordnung 1528. In: Landeskirchenamt der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig (Hg.): Die Geschichte der Reformation in der Stadt Braunschweig (Quellen und Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig 13). Wolfenbüttel 2003, 9. 58 Jünke, Wolfgang A.: Bugenhagens Einwirken auf die Festigung der Reformation in Braunschweig (1528–32). In: Landeskirchenamt der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig (Hg.): Die Geschichte der Reformation in der Stadt Braunschweig. (Quellen und Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig 13). Wolfenbüttel 2003, 100 f. 59 Döll, Ernst: Die Kollegiatstifte St. Blasius und St. Cyriacus zu Braunschweig (Braunschweiger Werkstücke 36). Braunschweig 1967, 62–64. 60 Es gab im 15. und frühen 16. Jahrhundert nachweislich ein Heiliges Grab in der Stiftskirche,

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risches Zeichen 1527 wieder in die Liturgie aufgenommen wurde. Gleiches würde auch für die Aufführungen in den 1530er Jahren gelten, die von der Stadt Braunschweig als gegen sie gerichtete Provokation verstanden werden mussten. Denn diese Typ III-Feier enthält alles, was nicht zur lutherischen Auffassung von Gottesdienst passt: hochdramatische Elemente und ein Heiliges Grab. Sollte dieser Zusammenhang tatsächlich bestehen, würde dies belegen, dass Osterfeiern auch als politisches Instrument verwendet werden konnten.

dies lässt sich anhand von Kerzenstiftungen sowie anhand von Stiftungen, die das Heilige Grab selbst betreffen, ableiten (zu diesen Stiftungen vgl. Haas, Irmgard: Leben im Kollegiatstift St. Blasii in Braunschweig. Die liturgischen Stiftungen und ihre Bedeutung für Gottesdienst und Wirtschaft [Braunschweiger Werkstücke 113, Reihe A 54]. Braunschweig 2011, 254, 271, 358–360, 483). Es ist daher möglich, dass die Osterfeier kontinuierlich in Gebrauch war, jedoch kann aufgrund eines Heiliges Grabes nicht zwangsläufig auf die Existenz eines Quem queritis geschlossen werden. Außerdem ist aus dem 14. Jahrhundert noch eine Typ II-Feier aus St. Blasien überliefert (LOO 535; vgl. LOO III [wie Anm. 2], S. 810 f.), so dass ebenso denkbar ist, dass diese einfachere Feier verwendet wurde.

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Lutherus redivivus. Das Reformationsjubiläum 1617 Mit einem Ausblick auf das Jubiläum 1717

Irmgard Scheitler

Das Alte Testament kennt das Jobel- oder Halljahr, in dem Schulden erlassen und israelitische Sklaven freigelassen wurden (Lev 25,8–54; 27,17–24; Num 36,4). Nach dessen Vorbild führte der Papst 1300 ein „jubileus annus“ als „annus requietionis, gaudii, leticie, remissionis“ (Jahr der Ruhe, Fröhlichkeit, Freude und Vergebung) ein.1 Bedenkt man, dass die Gewährung von Ablass ein wesentlicher Bestandteil des „jubileus annus“ war, so muss der Beschluss, im protestantischen Gebiet das Jahr 1617 als solches zu feiern, geradezu paradox erscheinen.2 1617 freilich wurde kein Jubeljahr begangen, sondern eine Wiederkehr: Das Wort ‚Jubiläum‘ veränderte seine Bedeutung. Schon allein diese Umwidmung eines Begriffes zeigt die Außerordentlichkeit des Ereignisses. Eine Zentenariumsfeier legt den Gedanken nahe, die evangelische Kirche habe sich über ihr hundertjähriges Bestehen gefreut. Gefeiert wurde jedoch nicht eine nach 100 Jahren bewährte ‚neue Konfession‘, als vielmehr die Auffindung des wahren Christentums durch Martin Luther. Die – keineswegs selbstverständliche – Entscheidung für das Jahr 1617 wählte ein bestimmtes Ereignis aus dem Leben des Reformators und der Serie der Denkwürdigkeiten. Der Thesenanschlag als Kritik an der alten Kirche wurde zum Kern und zur Quelle der Reformation erklärt. Von Abgrenzung, Kritik, ja Polemik ist denn auch die 1 Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. IV/2. Leipzig 1877, Sp. 2339, s. v. Jubel. 2 Flügel, Wolfgang: „Und der legendäre Thesenanschlag hatte seine ganz eigene Wirkungsgeschichte“. Eine Geschichte des Reformationsjubiläums. In: BthZ 28 (2011), 28–43. Nach Flügel ging die Initiative zur Feier von der Wittenberger Universität aus, die bereits 1602 das Zentenarium ihrer Gründung gefeiert hatte. Deren Professoren unternahmen am 22. April 1517 die „reichsweit erste nachweisbare Initiative für ein Reformationsjubiläum“ (30). Freilich einigten sich – unabhängig davon – einen Tag später die auf dem Heilbronner Konvent versammelten reformierten und die lutherischen Stände auf eine Feier. Schönstädt, Hans-Jürgen: Antichrist, Weltheilsgeschehen und Gottes Werkzeug. Römische Kirche, Reformation und Luther im Spiegel des Reformationsjubiläums (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 88). Wiesbaden 1978, 14. Ebd. 16–19 zur Vorbereitung der Festlichkeiten in Kursachsen. Flügel 29 sieht den Ursprung von Anniversarfeiern in den Universitäten. Allerdings ist eine Erinnerungskultur auch bei Schauspielen zu beobachten. Siehe unten Anm. 53.

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Lutherus redivivus. Das Reformationsjubiläum 1617

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Feier mindestens ebenso geprägt wie von Gotteslob, Freude und Dank. Angesichts der religionspolitischen Situation muss dies nicht verwundern. Die römische Kirche hatte mit dem Tridentiner Konzil ein verändertes Format gefunden, war nicht zuletzt dank der Gründung der Gesellschaft Jesu überraschend wiedererstarkt und hatte Ansehen zurückgewonnen. Die Konkurrenz zu den äußerst rührigen Jesuiten stellte zweifellos eine wichtige Triebfeder für die Entscheidung zum Jubiläum dar. Das Dresdner Oberkonsistorium und der sächsische Kurfürst Johann Georg I. griffen bereitwillig eine von der Wittenberger Universität kommende Anregung zu einem großen Gedenken auf. Die Feiertage sollten, wie sonst allenfalls nach Kriegen oder anderen überstandenen schweren Gefahren üblich, von Dankgottesdiensten geprägt sein, für die an Stelle der fälligen Lesungen eigene Perikopen ausgewählt wurden. Nun stand es freilich jedem Landesfürsten frei, eigene Bestimmungen für die Durchführung des Jubiläums zu treffen. Gleichwohl hatten die kursächsischen Verordnungen Leitfunktion. Die dortigen Lesungen waren durch eine Predigtserie des Oberhofpredigers sorgfältig aufbereitet und müssen als maßgeblich für das Bild von Luther und der Reformation angesehen werden.3 Nicht zuletzt zeigt sich an den vertonten Texten und noch mehr an der Liedauswahl, von welchen Anliegen das Jubiläum bestimmt war. Nach dem Willen der evangelischen Landesherren wurden überall Festgottesdienste und Predigten gehalten. Sehr viele dieser Ansprachen kamen in rascher Folge zum Druck, wie denn überhaupt 1617 die gedruckte Predigt das hauptsächliche Medium der Selbstpräsentation und der Verewigung der Feierlichkeiten war.4 Akademische Feierstunden standen dahinter zurück. Es ist aufschlussreich zu beobachten, wo diese Veröffentlichungen auf Widerspruch stießen. Schauspiele erreichten im Jubiläumsjahr als öffentliche Veranstaltungen wohl ein ebenso zahlreiches Publikum wie Predigten. Auffallend viele Dramatiker griffen den Anlass auf, konnten sich dabei aber auch schon auf eine dramatische Tradition beziehen: Luther und das Thema der Reformation waren 1617 nicht neu auf der Bühne. In ihrer speziellen Weise übermitteln auch die Schauspiele ein bestimmtes Bild. Auch ihr Liedeinsatz legt Zeugnis von der Verbreitung wie auch von der Bedeutung einzelner Gesänge ab.

3 Es steht außer Zweifel, dass bereits im Verlauf des 16. Jahrhunderts dieses Luther- und Reformationsbild vorbereitet wurde. Vgl. dazu Kolb, Robert: Die Umgestaltung und theologische Bedeutung des Lutherbildes im späteren 16. Jahrhundert. In: Rublack, Hans-Christoph (Hg.): Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1988. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 197). Gütersloh 1992, 202– 231. Zur Bedeutung des Antichrist-Motivs und dessen Herleitung vgl. Leppin, Volker: „…das der Römische Antichrist offenbaret und das helle Liecht des Heiligen Evangelii wiederumb angezündet“. Memoria und Aggression im Reformationsjubiläum 1617. In: Schilling, Heinz/ Müller-Luckner, Elisabeth, Elisabeth (Hg.): Konfessioneller Fundamentalismus. Religion als politischer Faktor im Europäischen Mächtesystem um 1600. (Schriften des Historischen Kollegs 70). München 2007, 115–131. 4 Die bei Schönstädt, Hans-Jürgen: Antichrist, Weltheilsgeschehen und Gottes Werkzeug (s. Anm. 2), XIV-XXX versammelten Quellen sind zumeist Predigten.

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Vierhundert Jahre nach der ersten Reformationsfeier sind uns nicht nur die Denk- und Ausdrucksart dieser Zeit sehr fremd, sondern auch die damaligen Probleme und ihre Lösungen sehr entrückt. Die Zusammenschau der Theologumena und Geschichtsinterpretationen verschiedener Medien, von argumentativer Prosa, dramatischer Vermittlung und Lied, dient vielleicht deren wechselseitiger Erhellung und ermöglicht uns somit ein deutlicheres Bild.

Hoës Dresdner Predigtsammlungen und ihre Interpretation der Reformation Es war ein kluger Schachzug des kursächsischen Oberhofpredigers Matthias Hoë von Hoënegg, durch zwei Veröffentlichungen bereits im Vorfeld die eigentliche Feier vorzubereiten, die vom 31. Oktober bis zum 2. November dauern sollte. In einer Sammlung von vier Predigten machte er die Schrifttexte, die für das Jubiläum ausgewählt waren, bekannt und setzte Leitlinien zu deren Verständnis fest. Parasceve ad Solennitatem Iubilaeam Evangelicam. Das ist: Christliche und aus Gottes Wort genommene Anleitung/ wie das instehende Evangelische Jubelfest/ recht und nützlich solle begangen/ insonderheit aber/ das vor hundert Jahren/ von dem Allerhöchste[n] durch Herrn D. Mart. Luther seligen/ angefangene/ und hernach glücklich vollbrachte Reformationwerck/ heilsamlich betrachtet werden / Dem Allmechtigen trewen barmhertzigen Gott/ zu schuldigem Lob […] in Druck verfertiget. Leipzig: Lamberg, Kloseman 1617.

Das 128 Seiten starke Konvolut stellt an den Anfang eine allgemeine Einführungspredigt, dann folgen die Ansprachen zu den angeordneten Schrifttexten: Ps 76: Gott, der furchtbare Richter, Ps 87: Zion, die Mutter der Völker, sowie das apokalyptische Kapitel Dan 12 (in Luthers Zählung, nach heutiger Zählung Dan 11,36–45). Der vierte Lesetext fehlt. Es ist dies Offb 14,6–12, worin die Engel den Fall der Hure Babylon verkünden. Diesem Thema hatte Hoë schon 1610 in einer Predigtreihe fünf Ansprachen gewidmet. Die Veröffentlichung ließ er unverändert 1617 wieder auflegen: Sanctus Thaumasiander Et Triumphator Lutherus. Das ist: Bericht von dem heiligen Wundermanne/ und wieder das Bapsthumb/ auch andere Rotten und Secten/ Triumphierenden Rüstzeug Gottes/ Herren D. Martino Luthero: Wer er seiner Ankunfft und Geburt nach: Wie und wo er erzogen: Durch was gelegenheit er zum grossen Werck der Reformation des Bapstthumbs kommen: Wie glücklich/ Christlich und ey[l]fertig er es verrichtet: Mit was hohen fürtrefflichen Gaben und Tugenden er gezieret: Wie hoch er von Gott und den Menschen geehret: Welche reine heilige unüberwindliche Lehr er geführet: Und in Summa/ wie er sich als einen trewen Evangelisten und hochgewünschten dritten Eliam erzeiget habe. In zehen Predigten gründlich ausgeführet. Leipzig: Lamberg 1610, 21617.

Ziel war die „Christliche Betrachtunge des hohen grossen Gnadenwercks/ welches der Allmächtige vor Ein hundert Jahren/ durch seinen trewen Diener und Weckzeug/ Herrn D. Martin Luthern/ der gantzen Christenheit erzeiget hat“ (Titel von Hoës erster Predigt in Parasceve). Obgleich der Reformator selbst den Literalsinn bei der Schriftauslegung bei weitem vorzog, wurden die Texte einer

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konsequenten allegorischen Auslegung unterzogen. Sie erwies Luther als Gottes Gesandten, die alte Kirche jedoch als die Verworfene. Hoë dürfte den Titel seiner Sammlung mit Bedacht gewählt haben. „Parasceve“ bedeutet Vorbereitung, denn die Ansprachen sind vorweg veröffentlicht, um Prediger und Volk auf die Feier vorzubereiten. Jedoch ist auch der kriegerische Sinn nicht zu überhören, denn das Wort hat auch die Bedeutung von (Zu-)Rüstung im militärischen Sinn. Schon der erste Satz des Vorwortes benennt den Hauptgegner. „Demnach die Jesuiten es wol gerochen […] daß wir hewer eine sonderliche Evangelische Jubelfrewd anstellen würden/ (weil gleich/ Gott lob/ hundert Jahr voll zu ende lauffen/ da der trewe barmhertzige Gott/ seinen Knecht und trewen Diener/ Herrn D. Martin Luthern/ seligen/ erwecket […] durch denselben/ uns aus den Bäpstischen Gefängnis zu erretten angefangen hat) so haben sie mit Macht sich bemühet/ wie sie doch D. Luthers Lehr und Person/ auffs eusserste suspect, verdächtig/ und verhaßt machen/ wie sie solche nach höchstem vermögen/ verfolgen und verdammen möchten.“ Nicht mehr stellt wie für Luther der Papst den Hauptfeind dar; dieser ist als Antichrist endgültig gefallen und sein Sturz bedeutet in Hoës Predigt über Dan 12 einen Gegenstand des Jubels. Der Kampf gilt nun den „blutdürstigen Practicen der unsauberen Teuffelsgeister/ der Jesuiten“.5 Hoë präsentiert seiner Lesergemeinde nicht eine Reformation als Wandel der Riten, Lehren und Gesinnungen, die er ihr zur Erbauung vor Augen stellt, schon gar nicht interessiert ihn Reformation als bleibende Aufgabe. Vielmehr ist er fasziniert von der Rolle und der Person Luthers, der durch seine Heldenleistung die Kirche auf ihren eigentlichen Grund gestellt hat, auf dem sie nun ohne Wanken richtig steht. Die Predigten interpretieren Zeitgeschichte als Heilsgeschichte. Sie reihen die Reformation ein in die Serie der großen Taten Gottes an seinem Volk. Sie steht in einer Linie und ist vergleichbar mit dem Auszug aus dem Diensthaus Ägypten,6 der Entfernung des alten Sauerteiges,7 der Befreiung aus der Finsternis,8 der Abschaffung des Götzendiensts,9 der Posaune, die Jericho zum Einsturz brachte,10 dem Sieg Davids über Goliath,11 dem Triumph Moses über den Pharao.12 Diese Interpretationen finden sich auch anderswo, wie die Titel von Jubiläumspredigten zeigen. Auch dort ist von der „Außfegung des Alten Sündensawerteigs“13 und vom Sinken des päpstlichen Stuhls die Rede. Häufig findet sich auch die Lichtmetaphorik für besonders eingängige Oppositionsbildung.14 5 Hoë von Hoënegg, Matthias: Parasceve (s. S. 176), 44. 6 Ebd., 2. 7 Ebd., 4. 8 Ebd., 4 f.; siehe Ex 10; Jes 60. 9 Ebd., 6. 10 Ebd., 17. 11 Ebd., 17. 12 Ebd., 74. 13 Zwo eintfeltige Predigten. Dern Erste in sich hat Eine Auffmunterung zur Dancksagung für das Liecht des H. Evangelii/ welches Gott durch Doct. Martin Lutherum nun mehr vor Hundert Jahren herfür zu bringen angefangen […]; Die Andere Eine Vermahnung zur Außfegung des Alten

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Die Gedenkmünzen im Kurfürstentum Sachsen tragen u. a. folgende Inschriften: „Wie Moyses Israel gefuhrt aus dem schweren egyptischen Diensthaus. Also hat Martin Lutherus uns gefuhrt aus des Papsts Finsternus.“ „Gott zu Ehren Lutherus hat ans Licht gebracht Gottes Wort aus der finstern Nacht, Darfür danckt Gott die christliche Schaar, Weil er erhalten hundert Jahr, Gott immerdar sein Kirch bewahr.“ „Das klare Licht verdecket war D. M. L. bracht ins offenbar.“15 Dass Luther den Papst vom Thron gestürzt habe, ist die geläufigste Metapher. Dieses Bild ist eng mit der Interpretation von Offb 14 verknüpft, jedoch werden auch andere Schriftstellen dafür herangezogen, insbesondere aus der Apokalyptik, etwa Dan 11,4416 oder der Engelskampf Offb 12. Dass für das Jubiläum die Perikope Offb 14,6–12 ausgewählt wurde, hat zweifellos seine Wurzel in Johann Bugenhagens Leichenpredigt vom 22. Februar 1546, in der er genau auf diese Stelle rekurriert und von Luther sagt: „Denn er war ohn Zweifel der Engel, davon in Apokalypsi 14. Kapitel steht: Und ich sahe einen Engel fliegen mitten durch den Himmel, der hatte ein ewig Evangelium zu verkünden“.17 Neben der Hl. Schrift dienen Hoë auch bewährte Kirchenlieder für seine Argumentation. Nachdem bereits Luthers Liedtexte aktualisierende Interpretationen wo nicht selbst bieten so doch nahelegen, kann Hoë Wär Gott nicht mit uns diese Zeit, Strophe II: „Auff uns ist so zornig ihr Sinn“ und Strophe III: „Gott Lob und Danck/ der nicht zugab/ daß ihr Schlund uns thet fangen“ statt auf die Heiden (Ps 124) auf die römische Kirche deuten.18 Vor deren Nachstellungen hat Gottes machtvolle Tat die evangelische Kirche als sein Volk Israel Sündensawerteigs […]/ Gehalten auff den 21. Sontag nach Trinitat. und den Ostertag […] Durch M. Henricum Hölscher/ Predigern in Hannover zum heiligen Creutz. Hannover: Ulrich 1617. 14 Drey Christliche Jubelpredigt: Die Erste von der ungehewren Finsterniß/ darinnen Weyland unsere liebe vorfahren unter dem Abgöttischen Pabstumb geschwebet haben: Die Andre von der überschwenglichen Gnad Gottes/ nach deren er uns vor Hundert Jaren/ das Liecht deß ewigen Evangelii/ durch den Dienst Herrn Lutheri Seeligen/ widerumb hat lassen herfür brechen: Die Dritte von der verruchten Simoney/ und Babylonischen gewerbschafft/ welche inn vorigen Zeiten im Pabstumb getrieben worden/ Zu Danck/ Preiß unnd Ehre des Namens Gottes deß Allerhöchsten/ und zu rühmlichen gedächtniß seiner heiligen Wolthaten Gehalten/ Zu S. Laurentzen in Nürnberg/ im Jahr nach der Geburt deß Herrn/ 1617. den letzten Octobr. und 2. und 7. Novembris. Durch M. Johannem Schröderum, Predigern daselbsten. Nürnberg: Lauer 1618. 15 Zeeden, Ernst Walter: Martin Luther und die Reformation im Urteil des deutschen Luthertums. Studien zum Selbstverständnis des lutherischen Protestantismus von Luthers Tode bis zum Beginn der Goethezeit. Bd. 2: Dokumente zur inneren Entwicklung des deutschen Protestantismus von Luthers Tode bis zum Beginn der Goethezeit. Freiburg 1952, 69. 16 Hoë handelt in der Widmung zu Sanctus Thaumasiander (s. S. 176) breit von Offb 11, in der 2. Predigt spricht er über Offb 3, in der 3. Predigt über Offb 5. Auf Dan 11,44 bezieht sich das Flugblatt: Wunderwerck D. Martin Luthers. Der Päpstliche Stuel will sincken. Das ist: Eine kurtze Abbildung auß der Weissagung desz heiligen Propheten Daniels/ wie ein Geschrey von Mitternacht/ Nemlich/ Doctor Luther den Papst zu Rom dermassen erschreckt/ daß er bey nahe von seinem Sessel gefallen/ Und wie ihm seine Helffers Helffer/ Jesuiten/ und dergleichen Geschmeiß mit Stützen […]. Erstlich Gedruckt zu Freybergk/ Im Jahr 1618/ Durch einen Warheitliebenden Mann F. F. in ein Lied verfasset: Im Thon: Ach Gott Thue dich erbarmen/ etc. o. O. 1618. 17 Zeeden, Ernst Walter: Martin Luther und die Reformation im Urteil des deutschen Luthertums (s. Anm. 15), 15. 18 Hoë von Hoënegg, Matthias: Parasceve (s. S. 176), 22.

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errettet, was als ein deutlicher Beweis für deren Erwähltheit zu werten ist. Er fährt fort mit Strophe II von Ein feste Burg: „Mit unser Macht ist nichts gethan“, um mit noch größerem Nachdruck darauf hinzuweisen, dass das Gelingen der Reformation nicht Menschenwerk sein konnte. Vielmehr ist sie Vollendung der Heilstat Gottes, was Hoë mit Johann Gramanns Dichtung nach Ps 103 unterstreicht: „Er hat uns wissen lassen/ Sein herrlich Recht und sein Gericht“ (Nun lob, mein Seel, den Herren, Strophe II). Die eingängigen und vertrauten Formulierungen der Lieder stehen argumentativ gleichgewichtig neben Schriftstellen.

Luthers Reformation als nationale Tat Während sich Hoë in der Auslegung von Ps 76 (zweite Predigt) und Ps 87 (vierte Predigt) an den Feinden Gottes abarbeitet, gibt er sich in seiner Interpretation von Dan 12 (dritte Predigt) nicht mit den oft schon gehörten Deutungen des Papsttums als Hure Babylon und Antichrist zufrieden, sondern meißelt eine nationale Deutung aus der Perikope heraus. Entschieden bestreitet er die Behauptung, das Deutsche Reich sei päpstliches Lehen.19 Vielmehr belege ein Gang durch die Geschichte, wie bereits in den ältesten Zeiten, ja schon im römischen Reich, die Deutschen eine führende Rolle spielten. Voll Empörung schildert der Oberhofprediger Szenen der Demütigung deutscher Kaiser durch den Papst.20 Damit klingt ein Motiv an, das im 16. Jahrhundert wesentlich war: Die Reformation wird zum Garanten nationalen Selbstbewusstseins.21 Mehr noch als durch die „Translatio Imperii“, so die These, offenbare sich durch Luthers Tat Deutschlands herausgehobene Position, es werde zur Quelle des Heils für andere Nationen. Am deutlichsten hat Johann Rist dieses Motiv her19 Ebd. 60. 20 Ebd. 61 f. Desgleichen in Sanctus Thaumasiander (s. S. 176), Widmungsvorrede Bl. b4r-c1v. Zu politischen Aspekten bei Hoë vgl. Herbst, Wolfgang: Das religiöse und das politische Gewissen. Bemerkungen zu den Festpredigten anläßlich der Einhundertjahrfeier der Reformation im Kurfürstentum Sachen. In: Schütz-Jahrbuch 18 (1996) 25–37, hier S. 34: Herbst bezeichnet ein „politisches Trauma“, die Verhaftung Johann Friedrichs durch Moritz von Sachsen (1547), als die Triebfeder des religiösen Eifers und sieht ihn in Konflikt zu politischen Aussagen. 21 Zu dem komplexen Identitätsdiskurs, in dem neben der Translatio Imperii die Heroisierung der Germanen eine wesentliche Rolle spielte, vgl. Münkler, Herfried/ Grünberger, Hans/ Mayer, Kathrin: Nationenbildung. Die Nationalisierung Europas im Diskurs humanistischer Intellektueller. Italien und Deutschland (Politische Ideen 8). Berlin 1998. – Andreas Althamer: Commentaria Germaniae in P. Cornelij Taciti Equitis Rom. libellum de situ, moribus, & populis Germanorvm. ad magnanimos Principes D. Georgivm & D. Albrechtvm iuniorem Marchiones Brandenburgen[ses] &c. Andreae Althameri diligentia […] elucubrata. Nürnberg: Petreius 21536, 123 vergleicht Arminius mit Luther. Vgl. Münkler, Herfried / Grünberger, Hans: Arminius/Hermann als nationales Symbol im Diskurs der deutschen Humanisten (1500–1570). In: Nationenbildung, 264–308, hier 286. Althamers Werk war Unterrichtstext.

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ausgearbeitet, freilich in einem erst Jahre nach dem Reformationsjubiläum veröffentlichten Lied (nach der Weise: Herzlich tut mich verlangen). Der allzu routinierte Dichter drückt darin in ziemlich schwachen Reimen die Bedeutung Luthers und seiner Bibelübersetzung für Deutschlands Ehre aus. Auf Teutschland/ Meine Freude/ Du grosse Königinn/ Und nim/ in dem Ich scheide/ Diß Lied noch von Mir hin/ Ermuntre dich zu loben Dem [sic] Herren tausend mahl/ Der dich so hoch erhoben In disem Trähnenthal. Gott hat dir zwahr gegeben Die höchste Krohn der Welt/ Dein Kaiser kan erheben Nur daß/ was Ihm gefält/ Der Christenheit zu rahten Bist du geschikt allein/ Ja Teutschland/ deine Thaten Läst du verewigt sein. Noch ist diß schlecht zu achten/ Wen wir ohn’ eitlen Wahn Das Grosse Werk betrachten/ So Gott in dir gethan/ In dem Er uns Japhiten Hat offenbahrt Sein Wohrt Und wider alles wühten Hält fest an manchem Ohrt.22

Luthers Bibelübersetzung gehört heute ebenso wie sein Auftreten auf dem Reichstag zu Worms zu den Gründungsmythen Deutschlands. Merkwürdigerweise spielt dieses kulturnationale Element in den Feiern 1617 so gut wie keine Rolle. Gleichwohl ist es bemerkenswert, dass im Jubeljahr 1617 die Fruchtbringende Gesellschaft gegründet wurde, die sich die Pflege der deutschen Sprache und die Liebe zum Vaterland zur Aufgabe setzte. Sie gab sich zwar neutral, indem sie konfessionellen Disput verbot, trotzdem galten ihr Nation und Protestantismus fast gleich, wurden doch Katholiken so gut wie nicht aufgenommen. Johann Wolfgang von Goethe war davon überzeugt, dass die nationale Selbstfindung ein Werk der Reformation gewesen sei, wenn er schreibt: „Und so sind denn die Deutschen erst ein Volk durch Luthern geworden.“23

22 Insgesamt 10 Strophen. Rist, Johann: „Hertzliches Dank= und Beschluß=Lied zu Gott/ Für die selige Verteutschung der Heiligen Bibel/ geschehen und in das Werk gerichtet/ durch den theuren Gottesmann/ Doctor Martin Luther. Dises kann auch gesungen werden nach der Melodie des wolbekanten Liedleins: Hertzlich thut mich verlangen nach einem Seligen Ende.“ In: Ders.: Neue musikalische Festandachten. Lüneburg: Stern 1655, 344 f. 23 Brief an Adolph Otto Blumenthal 28. Mai 1819: Goethes Werke. Hg. im Auftr. d. Großherzogin Sophie von Sachsen (Weimarer Sophien-Ausgabe). IV. Abt. Goethes Briefe. Bd. 31. Weimar 1905, S. 160, Nr. 160.

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Solch hochfliegende Thesen sollten späteren Jahrhunderten vorbehalten bleiben. Festzuhalten ist aber, dass das Jubeljahr 1617 keinesfalls partikularistische Ideen aus der Reformation ableiten wollte. Im Gegenteil: Hoës loyale, reichstreue Gesinnung äußert sich wiederholt dadurch, dass er betont, in welch hohen Ehren Luther bei den kaiserlichen Majestäten Karl, Ferdinand und Maximilian gestanden habe.24 Mit Genugtuung betont er, „in wie vielen Königreichen/ Chur= und Fürstenthümern die Predigt erschollen“ sei.25 An der Spitze der Liebe und Verehrung steht freilich Sachsen. Schon die Vorrede der Parasceve verleiht dem Kurfürsten Johann Georg den Ehrentitel „Unser Christlicher Josias“.26

Dresdner Festgottesdienst und sächsische Jubiläumsmusik In Hoës Parasceve sollten die Liedtexte die Reformation als Gottes Tat erweisen. Im Ablauf der Dresdner Festgottesdienste begleiten sie selbstredend die Liturgie; aber auch hier kommt ihnen über diese Funktion hinaus eine besondere Botschaft zu. Über den Ablauf der drei Gottesdienste des Jubiläums unterrichtet Hoë von Hoënegg in: Chursächsische evangelische Jubel=Freude in der Churfürstlichen Sächsischen Schlosskirchen zu Dressden gehalten. Leipzig: Lamberg, Kloseman 1617.27

Zum 1. Feiertag am 31. Oktober wurden gesungen: das Bußlied Allein zu dir, Herr Jesu Christ (Konrad Hubert); ein Teil aus Luthers Te Deum („Nun hilf uns, Herr, den Dienern dein“ bis zum Ende); zum Abendmahl Gott sei gelobet und gebenedeiet sowie Jesus Christus, unser Heiland. Im Nachmittagsgottesdienst erklangen zwischen den Versen des Magnificat Strophen aus Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort und zum Beschluss: Verleih uns Frieden mit Gib unsern Fürsten. Der Einsatz von Trompeten und Heerpauken entsprach der staatstragenden Funktion der Musik ebenso wie das enorme Aufgebot an Sängern und Instrumentalisten.28 Am 2. Festtag war Justus Jonas’ Wo Gott, der Herr, nicht bei uns hält (nach 24 Sanctus Thaumasiander (s. S. 176), 210: „Damit der Christliche Leser sehe/ wie die fürnembsten und berühmtesten Leute/ so viel vom Herren Luthero seligen gehalten/ als hab ich nachfolgende Zeugniß hieher setzen wollen.“ Angeführt wird an erster Stelle ein Schreiben Kaiser Ferdinands. 25 Hoë von Hoënegg, Matthias: Parasceve (s. S. 176), 120. 26 Ebd. Vorrede Bl. B1v. Josias gilt der Bibel als einer der wenigen der Religion der Väter wahrhaft treuen Könige, zudem tat er sich als Kultreformer hervor. 2Kön 22–23; 2Chron 34–35. 27 Abdruck bei Mahrenholz, Christhard: Heinrich Schütz und das erste Reformationsjubiläum 1617. In: Müller, Karl Ferdinand (Hg.): Musicologica et liturgica. Gesammelte Aufsätze von Christhard Mahrenholz. Kassel u. a. 1960, 196–204, hier 196–199. Im Folgenden wird aus diesem zitiert. 28 11 Instrumente, 11 Sänger, 3 Organisten, 4 Lautenisten, 1 Theorbist, 3 Organistenknaben, 5 Diskantisten, zwei Orgelwerke, 2 Regale, 3 Clavizymbel. Eine eigene Bemerkung wert ist der Einsatz von 18 Trompetern und zwei Heerpaukern, wobei die hohe Zahl von Trompeten jeden Rahmen sprengt.

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Ps 124) angezeigt, ferner Verleih uns Frieden gnädiglich. Aus Es spricht der Unweisen Mund wohl erklang die VI. Strophe: „Wer soll Israel dem Armen“. Zum Abschluss wurde Ein feste Burg mit fünf Chören und Trompeten und Heerpauken musiziert. Zum Nachmittagsgottesdienst sang man Nun lob, mein Seel, den Herren sowie Allein Gott in der Höh sei Ehr. Am 3. Festtag stimmte die ganze Gemeinde in Nun lob, mein Seel, den Herren ein; vor dem Vaterunser wurde Strophe V aus Ach Gott, vom Himmel sieh darein gesungen: „Das Silber durch Feuer siebenmal“. Bei den Chorälen ist in den meisten Fällen die Beteiligung der Gemeinde vermerkt, ungeachtet des Figuralgesangs des Chors oder des Instrumenteneinsatzes.29 Dass Luthers Lieder in der Überzahl waren, verwundert nicht. Außerdem sind Vorlieben festzustellen: Alle drei in Hoës Parasceve zitierten Lieder Ein feste Burg, Nun lob, mein Seel, den Herren und Wär Gott nicht mit uns diese Zeit kehren wieder. Die Reformation, so die Botschaft, ist nicht Menschenwerk, sondern Gottes befreiende Tat. Unverzichtbar ist daher auch der Schlüsseltext Ach Gott, vom Himmel sieh darein als Hilferuf der bedrängten Christenschar. Offenbar war das Bewusstsein, von Feinden umringt zu sein, auch im rein lutherischen Sachsen präsent oder sollte präsent gehalten werden. Dass zur Kommunion des Kurfürsten neben dem alten Leis Gott sei gelobet und gebenedeiet auch Luthers Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Gotteszorn wandt erklang, muss als Bekenntnis zur unterscheidend lutherischen Abendmahlslehre gewertet werden. Seitenhiebe gegen die Calvinisten kamen auch in Hoës Predigten immer wieder vor. Nun lob, mein Seel, den Herren sowie Allein Gott in der Höh sei Ehr tragen dem Anlass eines Dankfestes Rechnung. Dies trifft weniger auf den Ausschnitt aus dem Te Deum zu, denn bei ihm handelt es sich mehr um ein Bittgebet. Dem staatlichen Aspekt der Feier entspricht der Gesang von Verleih uns Frieden gnädiglich mit dem zweiten Teil: Gib unsern Fürsten. Während sich die Dresdner Kapelle unter der Leitung von Heinrich Schütz neben den liturgischen Texten (Kyrie, Gloria) auf Psalmtexte konzentrierte (Ps 81; 98; 100; 115; 117; 136 – die vorgeschriebenen Psalmen 76 und 87 kommen nicht vor), ließ sich Michael Altenburg in Tröchtelborn direkt von der kursächsischen Leseordnung anregen.30 In seiner triumphalen Jubiläumsmusik Gau-

29 Die Bedeutungsbeladenheit der Musik wurde von der Gegenseite sehr wohl wahrgenommen. Hundert Jahre später, anlässlich der zweiten Säkularfeier der Reformation, diskutierte sie der Jesuit Johannes Kraus. Hoës Bericht über die Festgottesdienste zum ersten Tag ist vollständig abgedruckt in Kraus, Johannes: Das gegen einander gehaltene Luthrische/ und Catholische Jubel=Jahr. Gesprächsweis vorgestellet. Prag: Wickhart 1716, 74–76. 30 Altenburg, Michael: Gaudium Christianum. D. i. christliche musikalische Freude. Begreifend 1) das Lutherische Jubelgeschrei, 5 St., 2) die Prophezeiung von Luthero Apocalipsis am 14., 12 od. 16 St., 3) das Lutherische Schloß od. Feste Burg, 5, 15 od. 18 St., 4) die Engelische Schlacht Apoc. 12, 12 od. 16 St. […], darin zugleich 3 Trp. u. 2 Pauken, die eine in das kleine c, die andere in das große G gestellet können gebraucht werden, 5) das Amen. Item: Von nun an bis in Ewigkeit, 12 St., 6) das Amen Gott Vater und Sohne etc. Nach der alten Melodie, 12 St. Jena: Johann Weidner 1617. Vgl. die Aufnahme Kammerchor Bad Homburg v. d. Höhe; Johann Rosenmüller-Ensemble, Leip-

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dium Christianum spielt Offb 14 eine bedeutende Rolle (Nr. 2).31 In die Vertonung des Bibeltextes montierte Altenburg drei auf Luther bezügliche Strophen aus Der Papst hat sich zu Tod(e) gefalln ein: „Der Papst, der hat den Schlüssel verlorn“; „Ein frommer Mann aus Sachsenland“ sowie „Der schleust uns wieder auf die Tür“ (Strophen VII-IX).32 Nun folgt eine ausgedehnte konzertierende, bis zu achtzehnstimmige Bearbeitung von Ein feste Burg (Nr. 3), bei der wie schon in Nr. 2 ein Trompeten-Pauken-Chor hinzutritt. Abschließend vertonte Altenburg die Michaelsschlacht Offb 12.33 Für das protestantische Selbstverständnis hat gerade diese Stelle eine überragende Bedeutung, lässt sie sich doch als Verheißung himmlischen Beistandes für die Gerechten interpretieren.

Die Reformationsfeier in Pommern Für das Herzogtum Pommern schrieb Philipp II. eine eigene Feier- und Leseordnung vor: Unsere von Gottes gnaden Philipsen/ Hertzogen zu Stettin Pommern/ der Cassuben und Wenden […] Bevehl unnd Ordnung/ welcher gestalt in unsern Fürstenthümen unnd Landen/ das Christliche Evangelische Jubilaeum sol gehalten/ unnd begangen werden. Stettin: Reichard 1617.

Der sehr schöne, kleine Druck mit kolorierten Holzschnitten, dem Bild des Herzogs und der Inschrift „Gottes Wort Lutheri Lehr Vergeht nun und nimmermehr“ zeigt in der Metaphorik der Jubiläumsbegründung deutliche Übereinstimmung mit Dresden. Auch der Schweriner Text mythologisiert die Reformation als Herausführung aus der ägyptischen Finsternis und als Befreiung aus der Babylonischen Gefangenschaft. Seitenhiebe gegen die Calvinisten sucht man aber vergeblich. Die Feiern sind ausgedehnter, nach der Abkündigung am 26. Oktober beginnen sie schon am 30. Oktober und dauern bis zum 2. November. Vor allem aber zeigen die Lesetexte keinerlei Übereinstimmung mit den sächsischen. Insgesamt wirken sie etwas ruhiger und weniger triumphalistisch. Lk zig. Leitung: Susanne Rohn. Heidelberg: Note 1 Music 2012. Rathey, Markus: Gaudium christianum. Michael Altenburg und das Reformationsjubiläum 1617. In: Schütz-Jahrbuch 20 (1998), 107– 122. Rathey betont 111, dass Tröchtelborn als mainzisches Territorium eine andere Instruktion hatte, sich Altenburg aber trotzdem an die schärfere sächsische hielt. 31 Werkfolge bei Rathey, Markus: Gaudium christianum (s. Anm. 30), 114. 32 Wackernagel, Philipp: Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts. 5 Bde. Leipzig 1864–1877, Hildesheim 1964, Bd. III, Nr. 932. Rathey: Gaudium christianum (s. Anm. 30), 116 f. verweist mit Recht auf die Parallele zu Kielmanns Theaterstück (siehe unten S. 197), glaubt aber die Verse aus Kielmann übernommen, während sie schon aus einem Druck um 1535 stammen und seither wieder gedruckt worden waren. Näheres bei Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik. Funktion und Ästhetik im deutschsprachigen Drama der Frühen Neuzeit. Bd. I: Materialteil (Würzburger Beiträge zur Musikforschung 2.1). Tutzing 2013, Nr. 551 f., Erläuterung zu II,6. 33 Zur polemischen Potenz dieser Perikope vgl. etwa deren Dramatisierungen von Johannes Micraelius und Christian Funcke, Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. I (s. Anm. 32), Nr. 676– 678.

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10,17–22 berichtet von der Rückkunft der ausgesendeten Jünger und ihrem Sieg über ihre Feinde samt dem Satan. 2Thess 2,1–12 spricht vom Auftreten des Widersachers vor dem Kommen Christi. Lk 2,49–52 ist das Ende der Geschichte über den zwölfjährigen Jesus im Tempel. 1Timoth 4,1–5 handelt vom falschen Fasten, das manche Heuchler und Verführer lehren. Es fällt der völlige Verzicht auf die in Sachsen so wichtige Apokalypse auf. Die Ordnung geht davon aus, dass einige Geistliche Liederpredigten halten werden, will jedoch dafür keine verbindliche Liederliste aufstellen, sondern hebt nur folgende Choräle als besonders geeignet für die Auslegung in Ansprachen hervor: Ach Herre Gott, dein göttlichs Wort; Ein feste Burg und Wär Gott nicht mit uns diese Zeit. Außer der „guten figural Music“, die der Herzog für die Kirchen wünscht, sollen „auch dazwischen umb des gemeinen Manns willen deutsche geistliche Lieder gesungen werden“, neben den genannten noch das Te Deum lateinisch und deutsch (Herr Gott, dich loben wir), Nun lob, mein Seel, den Herren, Allein Gott in der Höh, Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort, Wo Gott, der Herr, nicht bei uns hält sowie An Wasserflüssen Babylon. Mit Ausnahme des ersten Liedes, Ach Herre Gott, dein göttlichs Wort (Anarg Herr zu Wildenfels, Schonkirchen und Ronneburg) und des letzten, An Wasserflüssen Babylon (Wolfgang Dachstein), standen die gleichen Lieder auch in Dresden auf der Agenda. Die Auswahl bietet Danklieder, aber auch Klagen des bedrängten Christen und Trostlieder. In einigen kommt der Triumph der Erwählten deutlich zum Ausdruck, so auch in An Wasserflüssen Babylon, das ebenso wie Ach Herre Gott in Schauspielen mit Reformationsthematik Verwendung findet.

Feiern in Bildungsanstalten Das Reformationsgedächtnis war eine landesherrlich gelenkte Veranstaltung. Herzog Philipp schrieb für das Fürstliche Pädagogium in Stettin am Montag, den 3. November „eine auff diß Fest gerichtete Declamation, prosa oder ligata Oratione, neben einer guten Vocal unnd Instrumental Music“ sowie einen Redeactus für den Folgetag vor.34 Im Unterschied zum Jubiläum 1717 sind jedoch von 1617 kaum schulische Festactus überliefert. In Luthers Heimat Eisleben gedachte die deutsche Schule des großen Sohnes der Stadt: Siehe! Es ist ein grosser Prophet erstanden/ Gott hat sein Volck Creffticlich heimgesucht: Dessen Erinnert sich inn diesem Iubilaeo Evangelico […] nicht unbillich Auch die Blühende liebe Jugend Classicum Inferiorum der Alten Stad Eißleben/ Unnd dancket von Hertzen Gott im Himmel vor das gnedige Reformations-Werck mit Beystand Gottes durch D. Martin Luther ihren lieben Landsmann verbracht. Unnd Gebets Weise gestellet/ Durch Salomon Engelhard Cant. zu S. Andr: und Pfarrer zu S. Catharin. in der alten Stadt Eißleben. Eisleben: Gaubisch 1617. 34 Unsere von Gottes gnaden Philipsen (s. S. 183), letzte Seite.

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Es handelt sich nicht um einen Redeactus im akademischen Sinne. Statt gelehrter Ansprachen trugen die Kinder deutsche Gebete vor. Wichtig ist aber der lokalpatriotische Aspekt. Die Schüler blicken mit Stolz auf „ihren lieben Landsmann“. Diese besondere Verbundenheit der Mansfelder mit Luther fällt auf und ist auch in den Schauspielen zu beobachten. Freilich reklamierte auch Wittenberg den Reformator für sich. Luther hatte durch seine Zugehörigkeit zum Lehrkörper der dortigen Universität dieser nicht nur de facto zur Blüte verholfen, sondern Wittenberg idealiter zum sächsischen „Jerusalem“ erhoben. Aus diesem Grund hatten die Professoren im Frühjahr 1617 beim Oberkonsistorium um die Erlaubnis eingegeben, am 31. Oktober ein „primus [annus] Jubilaeus Lutheranus“ durchführen zu dürfen.35 Die „Instruction“ Herzog Johann Georgs I. verordnete, die theologischen Fakultäten von Leipzig und Wittenberg sollten „die gantze Wochen nach den 2. Novembris, mit exquisitis Disputationibus und Orationibus zubringen/ in denselben die erschrecklichen Finsternissen voriger Zeiten/ Hingegen auch das jetzige helle GnadenLiecht des Evangelii […] gründlichen ausführen“.36 Die Wittenberger Theologen ließen es mit dem universitären Festakt nicht genug sein, sondern hielten auch öffentliche Predigten, die gedruckt wurden. Dabei machten sie schon im Titel deutlich, dass sich ihr Stolz auf Luthers akademische Auseinandersetzung mit der alten Kirche richtete, schließlich feierte man den Thesenanschlag als Geburtsstunde der Reformation. Christliche/ Evangelische Lutherische JubelPredigten/ Auff das Erste/ hohe Lutherische Jubelfest/ so […] durch den Churfürsten zu Sachsen […] 1617. feyerlich zu halten angeordnet worden: Als nunmehr hundert Jahr durch Gottes Gnaden von dem 31. Octobr. Anno 1517. abgeloffen/ an welchem D. Luther […] wider das Pabsthumb öffentlich zu disputiren angefangen […]/ Gehalten Durch die vier Doctores und Professores der Theologischen Facultet in der Universitet Wittenberg. Wittenberg: Gorman, Helwig 1618.

Die Widmung geht an den Kurfürsten. Die zehn öffentlichen Predigten der Professoren Wolfgang Franz, Friedrich Balduin, Nicolaus Hunnius und Balthasar Meisner befassten sich mit den vorgeschriebenen Texten, den Psalmen 76 und 87 sowie den Auszügen aus Daniel und der Geheimen Offenbarung. Die Universität Tübingen ließ ihre akademischen Festaktreden drucken. Iubilaeum Academiae Tubingensis, in lavdem et honorem Omnipotentis DEI; in memoriam Admirandae liberationis è regno Babylonis mystico; Restaurataeque in Germaniâ, operâ B. Lutheri, purioris doctrinae Evangelicae; grati animi ergo Quâ voce, quâ stylo, celebratum: anno seculari 1617, prid. cal. Novembr. et dieb. aliquot seqq. [Tübingen: Cellius] 1617.

35 Schönstädt, Hans-Jürgen: Antichrist, Weltheilsgeschehen und Gottes Werkzeug (s. Anm. 2), 16. 36 Die Instruction ist abgedruckt in Tentzel, Wilhelm Ernst: Historischer Bericht vom Anfang und ersten Fortgang der Reformation Lutheri: Zur Erläuterung des Hn. v. Seckendorff Historie des Lutherthums/ Nebst einer besondern Vorrede, auch nützlichen, noch niemahls publicierten Uhrkunden, und nöthigen Registern mitgetheilet von Ernst Salomon Cyprian, Consistorial- und Kirchen-Rath zu Gotha. Gotha: Reyher 1717, Vorrede Bl. c4v-c8r, hier c7v.

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Irmgard Scheitler

Der Druck enthält acht Ansprachen, eine in lateinischen Versen, eine in Griechisch. Musik ist nicht vermerkt. Zwei Tübinger deutsche Predigten zeigen, dass in Württemberg andere Lesungen vorgeschrieben waren, denn sie befassen sich mit 2Thess 2, einem auch in Pommern gebrauchten Text, sowie 1Kor 1.37 Großen Aufruhr verursachten die Jubelfeiern in Straßburg.38 Das 1538 eingerichtete Gymnasium hatte einen vorzüglichen Ruf. 1566 war es zur Akademie erhoben worden. Zu seinen Professoren zählten so angesehene Männer wie Matthias Bernegger. Seine öffentlichen Veranstaltungen, insbesondere sein bewundertes Theater, wurden überall wahrgenommen. 1617 veranstaltete das Gymnasium einen groß angelegten Actus, bestehend aus Reden der Professoren verschiedener Fächer, sowie einer akademischen Disputation. Iubilaeum Lutheranum Academiae Argentoratensis sive: Acta Secularis Gaudii, Quod In Honorem Aeterni Patris luminum, à quo omne datum optimum, & omne donum perfectum è supernis descendit, & […] Argentoratensis Academia devotâ pietate celebravit, Anno M. DC. XVII. Divisa in partes duas, quarum in priore Orationes, in posteriore Disputationes solennes. Straßburg: Ledertz 1618.

Anders als Dresden, Wittenberg, Stettin oder Tübingen grenzte Straßburg an katholisches Gebiet, das vorderösterreichische Elsass. 1580 hatte der Straßburger Bischof Johann V. die Gründung eines Jesuitenkollegs mit Gymnasium im nur 25 km von Straßburg entfernten Molsheim erwirkt. Seither lag Straßburgs Gymnasium in steter Konkurrenz und Feindschaft mit dieser Schule.39 Die Jesuiten betrieben ihre Lehranstalt mit großem Erfolg, so dass sie 1618 durch die Erhebung zur Akademie dem Straßburger protestantischen Institut gleichgestellt wurde. In dieser Situation verwundert es nicht, dass die Straßburger Jubiläumsreden nicht unwidersprochen bleiben konnten, zumal sie mit Invektiven nicht gespart hatten. Nach der Veröffentlichung meldete sich umgehend der streitbare Pater Petrus Roestius und ließ noch 1618 erscheinen: Pseudoiubilaeum. Anno Septimo Decimo Supra Millesimum Sexcentesimum, Calendis Novembribus, Insolenti Festivitate A Lutheranis, Tum Ob Dari Coeptas Maiorum Nostrorum Religioni In Germania Tenebras, Tum Ob memoriam Martini Lutheri, Apostatae selectissimi, celebratum. Molsheim: Hartmannus 1618.40

37 Jubilaeum seculare ecclesiae Tubingensis; Das ist: Zwo Christliche Predigten, welche auff dem Jubel= und Danck=Fest Sontags den 2. Novemb. 1617 zu Tübingen sind gehalten worden. Tübingen: Cellius 1617. 38 Vgl. Schillinger, Jean: Jubilé ou Pseudojubilé? Polémiques entre protestants de Strasbourg et jésuites de Molsheim à l’occasion de la commémoration du centenaire de la Réforme (1617). In: Nicklas, Thomas (Hg.): Glaubensformen zwischen Volk und Eliten. Praktiken und Diskurse zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich. (Wissensdiskurse im 17. und 18. Jahrhundert 1). Halle a.d.S. 2012, 179–201. Zur Außenwirkung Straßburgs vgl. Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik. Funktion und Ästhetik im deutschsprachigen Drama der Frühen Neuzeit. Bd. II: Darstellungsteil (ortusstudien 19). Beeskow 2015, 47. 39 Vgl. Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. II (s. Anm. 38), 69 f. 40 Übersetzung durch den bayrischen Pater Conrad Vetter: Pseudojubilaeum. Das ist: Falscher Jubel/ So Anno 1617. Den 1. Tag Novembr. mit ungewöhnlicher Solennitet Von den Lutheranern Angestelt und gehalten worden […]/ erstlich in Lateinischer Spraach durch P. Petrum Roestium der

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Gegendarstellungen folgten. Als erster meldete sich Jakob Bobhart (d. J.), ein witziger Kopf, der noch über Jahre die Polemik fortführte. Ein Praesent und Verehrung Einer Elsässischen MartinsGanß/ für Pater Peter Roesten, auff sein zu Molßheim/ mit Confirmation diß Jesuitischen Provincials Johann Coppers/ und Generals Mutii Vitellesii, außgesprengt lästerlich und gefälscht Lutherisch Jubeljahr/ von I. B. D. S. und von seiner Paternitet genantem Noto […] wie auch desselbigen mit Ungrund beschuldigtem lebendigem Lucianissimo, Famosbüchern/ und Straßburgischen Hafenkäß. Straßburg: Bobhart, Heyden 1618.41

Es folgten der Straßburger Hebräisch- sowie der Geschichtsprofessor: Warhaffte und gründliche Widerlegung der Gottsgreulichen Schandlugen/ und Lästerungen/ so Petrus Roestius ein Jesuit zu Molßheim in seinem Pseudojubilaeo, oder Sewgeschrey wieder deß herrlichen Manns Doctor Luthers seligen Person/ Leben/ Lehr/ und Todt […] ausgespeyet […] Durch Fridrich Blanckenburg. Straßburg [s. n.] 1619. Hypobolimaea Divae Mariae Deiparae Camera, Seu Idolum Lauretanum, Eversis Baronii Cardinalis, Canisii, Turriani ac Tursellini Jesuitarum fulcimentis deiectum: Ubi passim ex re nata contra Pseudoiubilaeum Petri Roestii, Jesuitae Molsheimensis Academiae, disseritur. Autore Matthia Berneggero. Straßburg: Heyden 1619.

Von den akademischen Feiern unberührt wurden in der Stadt Predigten gehalten. Teils stiegen freilich hier wieder die Professoren der Akademie auf die Kanzel. Auch steuerte der Kantor und Hauskomponist des Gymnasiums, Thomas Walliser, ein Te Deum samt Deutscher Litanei bei.42 Als Prediger traten auf Wolfgang Schaller (mit vier Predigten), Johannes Bechtold (mit zwei Ansprachen), Johannes Faber, Johannes Schilling, Tobias Speccer, Nicolaus Eisenius, Johannes Lippius, Johannes Monachus, Ambrosius Speccer, Johannes Huber. Die Serie erschien im Folgejahr: Vierzehen Christliche Predigten. In dem Evangelischen JubelFest/ Der Kirchen zu Straßburg/ Anno M.DC.XVII. Vom letzten Octobris, biß auff den 9. Novembris, zu underschiedlichen Zeiten und Stunden Gehalten. Straßburg: Heyden 1618.

Die Serie unterschied sich von anderen Predigten dadurch, dass nicht nur Bibelstellen ausgelegt, sondern zugleich kontroverse Themen wie Fegefeuer, Zölibat, Sakramente breit besprochen wurden. Den Anfang machten eine „Bußpredigt“ über Luk 3, die aber auch viel zu Johann Tetzel zu sagen hatte, sowie eine „Jubelfestpredigt“ über Offb 18,1–6, den Fall Babylons. Die Bedeutung dieser Thematik wird durch eine zweite Predigt zur gleichen Perikope unterstrichen (Nr. 8). Auf diese Veröffentlichung reagierte ein Anonymus: Societet Jesu […] Professorem verfertigt. Und jetzo Durch P. Conradum Vetter obgemelter Societet Jesu Priester […] verteutscht. Molsheim: Hartmann 1620. 41 Bobhart ließ noch mehrere Pamphlete folgen z. B.: Jubelkram und Meß/ Deß H. Römischen und Catholischen Hafenkäß. 1618. Der Alt unnd New Römisch Glaub: Beyneben einer gebürlichen Verantwortung und Beweisung/ daß durch die Jesuiten und ihrem Anhang/ in ihrem jüngst außgesprengtem Pseudoiubilaeo […] Jacob Bobharten […] unrecht beschehen seye. o. O. 1619. 42 Das Uhralte Kirchen Gesang Te Deum Laudamus Sampt derselben Litania Teutsch. Uffs new/ mit v. vnd vi. Stimmen gesetzt. Vnd […] auff drey vnterschidliche Choros […] auff vorstehendes Jubelfest/ sonderlich im Münster […] zu Musiciren angestellt. Straßburg: Wyriot, Ledertz 1617.

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Irmgard Scheitler

Predicanten FewerZeug/ Damit die Diener am Lutherischen wort Zu Straßburg/ das helle klare Liecht/ so Martin Luther vor hundert Jahren in die Welt bracht/ sich understanden im jüngst gehaltenem Jubelfest zuvermehren/ und in die Hertzen ihrer Zuhörer Wider die Häupter und Praelaten […] Catholischer Religion […] hefftiger anzuzünden/ Auß ihren Jubelpredigten/ etc. Durch einen Liebhaber der Wahrheit außgezogen/ und ihnen auff ihre ChristMeß widerumb zu Hauß geschickt Sampt gebürlichem Verwiß eines unverantwortlichen Despects, so ein Evangelischer Sudelmann/ Wie dann auch ein Reimenschmit zu Straßburg ihren eigenen Predicanten und dem gantzen Verbi Ministerio bewisen […] An jetzo zum anderen mahl getruckt. Molsheim: Hartmann 1619.43

Der anonyme Autor verschleiert die polemische Absicht seiner Schrift, indem er im Titel – zunächst jedenfalls – den Eindruck erweckt, zur protestantischen Seite zu gehören. Es handelt sich um ein öfter praktiziertes Verfahren, um den Gegner zu verblüffen und für sich zu interessieren. Die Straßburger Darstellungen widerlegt der Autor besonders wirkungsvoll, indem er einzelne Textabschnitte aus den 14 Ansprachen mit Seitenangaben versehen und typographisch abgesetzt zitiert und sodann kommentiert. Teils bleiben die Zitate auch, weil sie durch ihre deftige Formulierung für sich sprechen, unkommentiert stehen oder werden nur mit Ironie oder kräftigen Unmutsäußerungen annotiert. Die Namen der Prediger werden jeweils genannt. Das Werk gibt sich also den Anschein eines exakten Umgangs mit der Quelle. In einem 2. Teil stellt der Verfasser seine Gründlichkeit unter Beweis und verhandelt sieben Themen: Ob der Papst der Antichrist sei, vom Messopfer, von der Heiligenverehrung, vom Ablass, vom Fegefeuer, vom Eheverbot für Geistliche und von den Jesuiten. Auch diese Veröffentlichung blieb nicht unwidersprochen. Wolverdienter Meßkram/ für den köstlichen (scilicet) Fewerzeug. Welchen ein Jesuwider zu Moltzheim/ der seinen Orden verlassen/ und ein Schloßer worden/ wieder der Statt Straßburg Jubelpredigten/ Disputationes und Orationes geschmidet/ unnd […] Anno 1619. Jahrs […] den Leuthen verkaufft: Neben kurtzen angehenckten bericht/ von Peter Roesten/ der wieder unser rechtes Jubeljahr ein Pseudoiubilaeum geroestet: und von Philip Curtzen/ der mit Herren D. Joach. Clutenii carmine den Cuntzen spielen wollen; Bewusten Jesuiwiderischen Fewrzeughändler verehrt/ unnd ihme auff Moltzheimischen Wochenmarck in sein collegium widerumb zugeschicket. Von einem liebhaber der warheit. Straßburg: Heyden 1619.

Der anonyme Autor, der in Wortspielen exzelliert, hat seine Erwiderung ganz in Reimen abgefasst.44 Den ersten Teil, der sich gegen das Fewerzeug richtet, lässt er mit der berühmten ersten Strophe von Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort ausklingen. So witzig diese Titel klingen, so scharf sind die Inhalte. Als Meister in spaßhaften Einkleidungen erwies sich der Straßburger Diaconus an Alt St. Peter, Oseas Schad [Schadaeus]. Er erweist dem Jubelfest eine besondere Ehre, indem er nach ihm datiert: Gebührliche Abfertigung Deß vnverschampten Molßheimischen Zundelmans […]. Straßburg/ Nach gehaltenem Evangelischen JubelFest/ Jn dem Andren Jahr. Anno 1619.

43 „An jetzo zum anderen mahl getruckt“: Eine erste Auflage ist nicht erhalten. Vermutlich ist insinuiert, dass der vorliegende Druck der 2., gewissermaßen verbesserte Druck der Jubelpredigten ist. 44 Der 2. Teil des Pasquills handelt den Fall Roestius ab, der 3. Teil macht einen Wortwitz mit dem Namen Curtz und der Redensart: den Cuntzen spielen, d. i. Schabernack treiben.

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Straßburgisches Fasznacht Küchlein/ Welches Dem in nechstverschiner WeyhenachtMesz gebürlich abgefertigten vnverschampten Molßheimischen Zundelmann Als er nun zumandren mahl/ mit seinem Predicanten Fewrzeug […] auffgezogen kommen: Zu einer Faßnachtsverehr […] zugesand worden. Straßburg/ Nach gehaltenem Evangelischen JubelFest/ Jn dem Andern Jahr. Anno 1619.

Für den Historiker ist der Straßburger Streit wertvoll, behandelt er doch alle kontroversen Punkte und stellt somit ein Sammelbecken der Motivik dar. Als besonders beherrschend stechen die Antichrist-Thematik und die Messe hervor. Zu letzterem gehört die Ausprägung des Namens „Sacramentierer“ für die Altgläubigen. Im Vordergrund stehen jedoch keine dogmatisch relevanten Kontroversen, auch nicht in den scheinbar thematischen Predigten. Vielmehr sind die Texte durch zahlreiche von Assoziationen bestimmte Abschweifungen geprägt und bieten die bewährten Allegoresen. Die Straßburger Beiträge zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich angesichts ihrer konkreten Situation direkt mit den Jesuiten beschäftigten. Damit wird ein Thema, das sonst auch immer wieder aufscheint und einen wesentlichen Stein des Anstoßes bildet, ausführlicher abgehandelt. Vornehmlich die 2., 12. und 13. der Straßburger Predigten kommen auf die Gesellschaft Jesu zu sprechen. Die 14. und letzte Predigt (von Johannes Huber) zählen die europäischen Intrigen der Jesuiten und ihre Mordanschläge auf europäische Häupter auf. Bemerkenswert ist die 7. Ansprache, die Münsterpfarrer Magister Wolfgang Schaller über den Antichrist und den Predigttext 2Thess 2 hielt. Sie mündet in das dreistrophige Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort und weist in ihren Ausführungen über den Antichrist auf die politisch zersetzende Funktion des Papsttums hin, demonstriert am Beispiel der Demütigung des deutschen Kaisers Barbarossa durch den Papst. Die Episode ist schon bei Hoë behandelt. In der Straßburger Predigt wird sie, nachdem Schaller die Bedeutung der weltlichen Obrigkeit hervorgehoben hat, folgendermaßen erzählt: Als Keyser Friederich Barbarossa genant/ zu Venedig in S. Marx Kirchen/ Alexander dem 3. ein demütigen Fußfall gethan/ wegen seines gefangenen Sohns/ hat der Bapst auß Teufflischen Stolz/ Hochmut unnd Ehrgeitz/ dem Keyser mit Füssen auff den Hals getreten/ und auß dem 91. Psalm gesprochen/ auff Löwen und Ottern wirst du gehen/ und treten auff die Jungen Löwen und Drachen. Welche ubermachte Boßheit/ weil sie dem frommen Keyserlichen Hertzen uber die massen wehe that/ und sich derowegen auffrichtet/ und sagt/ non tibi, sed Petro, so stiesse ihn der stoltze Pfaff noch einmal zuboden/ und sagt/ et mihi et Petro, du bist solche Underthänigkeit schuldig/ beides mir unnd Petro.45

Überblickt man die bisher durchgegangenen Texte, so lässt sich Folgendes festhalten: Die Instruktionen zum Jubiläum, die danach ausgerichteten Gottesdienste mit ihren Lesungen sowie die weltlichen Feiern demonstrieren die heilsgeschichtliche Qualität der Reformation. Durch Vergleiche wird sie in die Folge der Heilstaten Gottes seit dem Exodus eingereiht. Das Lob des Reformators als Rüstzeug Gottes, Prophet, Wundermann und neuer Elias, die Verherrlichung seines Lebens und Werkes waren bereits etabliert, als das Jubeljahr zu diesen

45 Vierzehen Christliche Predigten (s. S. 187), 123.

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Epitheta und Interpretationen noch neue hinzufügte.46 Zugleich ist das Fest ein staatstragendes Ereignis: Die Wiederherstellung der Würde weltlicher Obrigkeit gilt als wesentliches Ergebnis der Reformation. Luthers und seiner Freunde Lieder, die gleichberechtigt neben Gottes Wort stehen, übernehmen bei der Feier mehrere Funktionen: Gotteslob, Stärkung des Selbstbewusstseins, Polemik. Das Repertoire ist erstaunlich klein und konstant: Ein feste Burg, Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort, Wär Gott nicht mit uns diese Zeit, Wo Gott, der Herr, nicht bei uns hält, Ach Gott, vom Himmel sieh darein sowie die Lobgesänge Te Deum, Nun lob, mein Seel, den Herren, Allein Gott in der Höh. Diese Wiederkehr bedeutet freilich nicht, dass immer nur diese Lieder und Gesänge vorgetragen wurden und sagt erst recht nichts über die Art des Vortrags. Diese nämlich war keineswegs auf den Gemeindegesang beschränkt, sondern konnte, wie an den Kompositionen von Heinrich Schütz, Michael Altenburg, Michael Praetorius oder Melchior Franck abzulesen, großartige, ja pompöse Form annehmen.47

Schauspiele und das Entstehen von Erinnerungskultur Ohne Zweifel erreichten zu Anfang des 17. Jahrhunderts angesichts der herrschenden Gottesdienstdisziplin die überall gehaltenen Predigten so gut wie alle evangelischen Christen. Gleichwohl spricht ein Schauspiel andere Seiten im Menschen an als eine Predigt oder als die zahlreich erschienenen Flugschriften.48 Das Drama stellt Figuren mit ihrem Handeln und ihrem Charakter als Vorbild oder abschreckendes Beispiel lebendig vor Augen. Der communis opinio der Frühen Neuzeit zufolge tut Gehört- und Gesehenes eine weit stärkere Wirkung 46 Bugenhagens Leichenpredigt nennt ihn „Hohen Lehrer und Propheten“; Zeeden, Ernst Walter: Martin Luther und die Reformation im Urteil des deutschen Luthertums (s. Anm. 15), 15. Michael Coelius’ Leichenpredigt: „ein rechter Elias und Jeremias und vor dem Tage des Herrn Johannes, der Vorläufer, oder ein Apostel“. Ebd. 13, vgl. 14. Mit Luther als neuem Elias befasst sich die 4. und 5. Predigt Hoës in Thaumasiander (s. S. 176). 47 Der damals in Sondershausen tätige Michael Praetorius zählt 28 Gesänge auf, die er für das Reformationsfest zur Verfügung gestellt habe und verweist auf 15 weitere in anderen Teilen der Polyhymnia. Praetorius, Michael: Polyhymnia IV. Biblaea Darinnen Die fürnembste Psalmen unnd Geistliche Lieder: So Uff das/ im abgewichenen Jahre/ an den Evangelischen Orten Teutsches Landes Solenniter celebrirte herrliche Evangelische Frewd: und Jubelfest in den Kirchen zu singen seind verordnet worden. Mit 2.3.4.5. biß auff 27 Stimmen/ Uff II. III. IV. V. und VI. Chor gesetzet und gerichtet: Sowol mit Lebendiger Menschlicher Stimme und allerley Art Musicalischen Instrumenten/ als auch mit Trompetten und Heerpaucken zugebrauchen. In: Syntagma musicum Tom III. o. O. 1619, 210–212. Von Melchior Franck ist bekannt: Musicalischer Freudenschall zu dem vorstehenden evangelischen Jubelfest, den […] Bürgermeister und Rat des heiligen Reichs Stadt Nürnberg […] den 31. Octob., 1. und 2. Novembris dieses 1617. Jahrs; mit zwölff Stimmen auff drey Chör zu Musiciren Componiret. Coburg: Hauck 1617. 48 Vgl. Kastner, Ruth: Geistlicher Rauffhandel. Form und Funktion der illustrierten Flugblätter zum Reformationsjubiläum 1617 in ihrem historischen und publizistischen Kontext (Mikrokosmos 11). Frankfurt a. M. u. a. 1982.

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als die bloße Rede.49 Das Theater bindet als multimediale Präsentation auch noch die Musik ein, die die Gemüter bewegt.50 Person und Werk Martin Luthers waren als historischer Stoff grundsätzlich dramenfähig, ihre Behandlung als rezente Ereignisse freilich etwas ungewöhnlich. Nachdem das ernsthafte Drama der Frühen Neuzeit, ob biblisch, mythologisch oder historisch, grundsätzlich bekannte und keine neuen Charaktere auf die Bühne stellte, ergibt sich die Frage, wie informiert die Zeitgenossen hundert Jahre nach der Reformation über Ereignisse und Personen sein konnten. Martin Rinckart legt seinem Schauspiel Monetarius Sedetiosus eine Liste von 16 Schriften bei, aus denen er Informationen bezog und hat damit die Fülle der Quellen sicherlich nicht ausgeschöpft.51 Grundlegend war die ca. 200 Seiten starke, 1566 in Nürnberg erschienene Lebensbeschreibung des Johannes Mathesius: Historien/ Von des Ehrwürdigen in Gott Seligen thewren Manns Gottes/ D. Martin Luthers/ Anfang/ Lehre/ Leben/ standhaffter Bekäntnüß seines Glaubens/ und Sterben. Ordentlich der Jahrzahl nach/ wie sich solches alles habe zugetragen/ beschrieben/ Durch M. Johannem Mathesium den ältern/ und für seinem Christlichen Ende von ihm selbst in Truck verfertiget. Nürnberg: Neuber 1566.

Dieses Werk erlebte in Nürnberg bis zum Jubeljahr elf weitere Auflagen. 1617 erschien als etwas dürre Zusammenfassung Kurtzer Discurß Von deß Ehrwürdigen und Hochgelährten Herrn D. Martini Lutheri Geburt/ Lehr/ Leben und Sterben/ Auß der Ehrwürdigen und Hochgelährten Herrn Philippi Melanchthonis und Herrn Johannis Mathesii Beschreibung Vitae Lutheri genommen. Nürnberg: Scherff 1617.

Die Tatsache, dass das nur sechs Blatt starke Büchlein noch heute in zahlreichen Bibliotheken anzutreffen ist, legt von seiner großen Verbreitung Zeugnis ab. So extrem knapp dieser Durchgang durch Luthers Leben auch ist, so eindeutig ist doch auch die Sympathielenkung. Das Hauptgewicht liegt auf dem frühen Lebensabschnitt. Luthers Klosterleben wird als Zeit der Bedrückung dargestellt, aus der ihn die Universität befreit habe. Die Mönche, so heißt es, hätten ihm sogar die Bibel weggenommen und Luther habe später sein Messelesen als seine größte Sünde angesehen. Ausführlich ist der Bericht vom Reichstag in Augsburg 1518, am meisten Raum aber nimmt die Darstellung des Reichstags zu Worms 1521 ein. Hier ergibt sich die Gelegenheit, Luthers Unerschrockenheit und Standhaftigkeit zu verherrlichen, bevor er sich auf die Wartburg als sein „Patmos“ zurückzog. Dramatiker konnten also mit einem durch mündliche und schriftliche Überlieferung, durch geprägte Interpretationsmuster und Metaphern vorinformierten 49 Vgl. Rivander, Zacharias: Lutherus redivivus 1593 (Scheitler: Schauspielmusik Bd. I [s. Anm. 32], Nr. 866), Widmungsvorrede Bl. B1r. Hirtzwig, Heinrich: Lutherus 1617 (ebd. Nr. 497), Widmungsvorrede Bl. A3r. Zum Verhältnis von Predigt und Drama vgl. Merz, Detlef: Das protestantische Drama. Evangelisches geistliches Theater in der Reformationszeit und im konfessionellen Zeitalter. Köln u. a. 2013, 194–212. 50 Zur Musik in der dramatischen Affektenlehre vgl. Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. II (s. Anm. 38), 257–264 u. ö. 51 Monetarius Sedetiosus (s. S. 205), Bl. B2v: „Autores und Schrifften daraus die Realia vornemlichst genommen.“

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Irmgard Scheitler

Publikum rechnen. Mit dem Schauspiel bot sich ein besonders geeignetes Medium für die Heroisierung der Person des Reformators und die Deutung der Kirchenspaltung als Offenbarwerden der Kirche, wie Gott sie immer wollte. Das dramatische Schaffen setzt jedoch nicht erst im Jubiläumsjahr 1617 ein. Vielmehr stellt die Schauspielgeschichte die ersten Beispiele für eine Erinnerungskultur der runden Jahreszahlen bereit: Nicodemus Frischlins Phasma wurde 1592 ausdrücklich zu einem Gedächtnisanlass veröffentlicht: Phasma: Hoc est; comoedia posthuma, nova et sacra: de variis haeresibus et haeresiarchis […] auctore Nicodemo Frischlino, doctore, Oratore et Philosopho […] clarißimo, sacri-Palatij-Comite, necnon Poëta-Coronato. Impressum in Iazygibus-metanastis, Anno Christi nati 1592 Antichristi verò revelati 75. [Straßburg: Bernhard Jobin].52

Die Datierung erfolgt nicht nur in gewöhnlicher Weise nach Christi Geburt, sondern lässt mit dem Thesenanschlag eine neue Epoche beginnen. Das Stück wurde zum 75. Jubiläum des Ereignisses veröffentlicht; so wird mit dieser Datierung die erste Feier des Thesenanschlags greifbar.53 Die Uraufführung 1580 aber fand in Tübingen 50 Jahre nach der Confessio Augustana statt. Auch hierin ist das Schauspiel Vorbote: Im Jahr 1630 wurde die hundertste Wiederkehr des Bekenntnisses sehr festlich begangen. Phasma handelt die verschiedenen konfessionellen Spielarten ab: Andreas Karlstadt, die Schwärmer, den Abendmahlsstreit mit Johannes Calvin und das vom Teufel inspirierte Tridentiner Konzil; nur Johannes Brenz und Luther können bestehen. Am Ende singen „Christus cum suis“ Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort, „Satanas cum suis“ hingegen eine papistische Parodie. Luthers Lied – und zwar in deutscher Sprache, obgleich das Stück sonst lateinisch geschrieben ist – dient als Schibboleth. An ihm scheiden sich die Böcke von den Schafen, der Anhang Christi vom Anhang des Antichrist. 1580 erschien ein weiteres, aber deutschsprachiges Werk, das als Meilenstein in der Interpretationsgeschichte der Reformation angesehen werden darf. Eine schoene und lustige newe Action/ Von dem Anfang und Ende der Welt/ darin die gantze Historia unsers Herrn […] Jhesu Christi begriffen: Gemacht durch Bartholomeum Krueger von Spernbergk/ Stadtschreiber und Organisten zu Trebyn. o. O. 1580.54

Bartholomäus Krügers Werk steht in der Tradition der mittelalterlichen Weltoder Fronleichnamsspiele, strukturiert diese aber um, indem es der Reformation als heilsgeschichtlichem Ereignis einen bedeutenden Platz einräumt. Im vierten Akt möchte Luzifer mit seinen Teufeln das Werk Christi zerstören und findet an Mönchen und Klerikern die brauchbarsten Mitarbeiter. Die Lutheraner hal52 Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. I (s. Anm. 32), Nr. 282. Vgl. auch die Übersetzungen ebd. 283; 284. 53 Insofern ist Schönstädt, Hans-Jürgen: Antichrist, Weltheilsgeschehen und Gottes Werkzeug (s. Anm. 2) zu korrigieren, der nach Anführung einer Reihe von Beispielen für Reformationsgedächtnistage und -jahre resümiert, bis zum Jahr 1617 habe in der Gedächtniskultur weder der 31. Oktober noch das Jahr 1517 eine Rolle gespielt (11). 54 Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. I (s. Anm. 32), Nr. 591. Hier zu Einzelheiten des Liedeinsatzes.

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ten unter schwierigsten Bedingungen am wahren Glauben fest. Was sie zu leiden haben, wird an der Figur des Christophorus demonstriert. Er entspricht der bekannten Gestalt des christlichen Ritters.55 Nicht nur die Reformation als Ereignis, sondern auch die Folgen der Konfessionalisierung mit all ihren Wirren und Leiden werden als Teil der Weltgeschichte auf die Bühne gestellt. Endlich bringt der V. Akt das Weltgericht, die Verurteilung des Papsttums und die Verherrlichung der Gläubigen. Die Bedeutung des Spiels liegt nicht zuletzt in seinem Liedeinsatz. Kirchenlieder begleiten das Heilsgeschehen; für Christophorus und seine Familie aber bedeuten sie Stärkung im Glauben. Durch den Gesang von Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort können die evangelischen Christen allen Nachstellungen und Bekehrungsversuchen widerstehen (IV,3f). Nach seinem Tode stimmt Christophorus mit den Engeln im Himmel Ein feste Burg ist unser Gott an (IV,6); Akt V schließt mit Luthers deutschem Te Deum (Herr Gott, dich loben wir). Krügers Action bringt zwar nicht die Gestalt Luthers auf die Bühne, sie nimmt aber voraus, was 1617 von den Kanzeln aus verkündigt werden sollte: Die Reformation brachte nicht eine „neue“ Religion, wie dies die Katholiken gerne sehen wollten, sondern führte Gottes Heilsplan durch. Luthers Wirken ist Gottes Tat, seine Lieder sind – wie schon bei Frischlin – die Lieder Christi und der Engel. Krügers Konzept stand damals ein wenig außerhalb des Mainstream. Das Hauptinteresse der Dramatiker richtete sich eher auf dogmatische Fragen. Johannes Bertesius, Rektor in Mühlhausen, hatte bereits Phasma übersetzt.56 Frischlins Einfluss ist deutlich zu spüren bei Bertesius’ Originalstück Vinea. Eine kurtze doch schöne Comoedia vom Weinberg deß Herren/ und Arbeitern darinnen/ Matthaei am 20. Capitel. Gestellet durch Iohannem Bertesium. Leipzig: Nerlich 1606.57

Die Metaphorik und ihr konfessionspolemisches Potential sind bekannt und finden sich auch auf Gemälden.58 Wieder geht es um die Desavouierung von Splittergruppen, v. a. der Täufer, aber auch die Katholiken und ihr Pilgerwesen nimmt das Spiel aufs Korn. Luther selbst tritt nicht auf, aber die religiöse, moralische und lebenspraktische Überlegenheit seiner Konfession wird eingeschärft. Ein dogmatisch-polemisches Drama in der Frischlin-Nachfolge ist Lutherus Redivivus, Eine newe Comoedia Von der langen und ergerlichen Disputation bey der Lehre vom Abendmal/ derer so man Lutherisch und Calvinisch/ So wol der andern/ die man Philippisch und Flacianisch heist. Darinnen Historischer Bericht/ wenn/ von wem/ und wie solch erbermlich wesen Anno 24. angefangen/ und gefüret worden biß zum ende des 92. Jahres. Aus denen darvon ausgegangenen mehr als drey hundert Streitschrifften mit fleis colligiret/ und menniglichen zur Lehr/ Trost/ Warnung und Vermahnung/ keinem Theil weder zu lieb noch zu leid/ auffs aller glimpflichst für augen gestellet/ Durch D. Zachariam Rivandrum, Pfharherren und Superattendenten [sic] zu Bischoffswerda. o. O. 1593.59

55 56 57 58 59

Vgl. Desiderius Erasmus’ oft aufgelegtes Büchlein Enchiridion Militis Christiani (1503). Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. I (s. Anm. 32), Nr. 284. Ebd., Nr. 101. Vgl. Epitaph für Paul Eber von Lucas Cranach d. J., 1569, Stadtkirche Wittenberg. Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. I (s. Anm. 32), Nr. 866.

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Irmgard Scheitler

Der Autor nimmt in der Vorrede das thüringische Erdbeben von 1588 als Fingerzeig Gottes. Es gelte mit allen Mitteln die Menschen aufzurütteln. Das Stück ist eine Frucht der andauernden bitteren Auseinandersetzungen zwischen Reformierten und Lutheranern und behandelt den Abendmahlsstreit. Freilich ist die Thematik wenig dramengerecht und ihre Umsetzung kommt umso trockener heraus, als Rivander auf Musikangaben und Lieder verzichtet hat. Bemerkenswert ist aber das Lutherbild. Die Handlung lässt den Reformator und seinen Freund Melanchthon wieder auf die Erde kommen, um nach dem Rechten zu sehen. Vorbild ist Frischlins berühmte Komödie Julius Redivivus; in ihr werden Caesar und Cicero aus der Unterwelt entlassen, am Ende aber ordnungsgemäß von Hades zurückgerufen. Wenn nun bei Rivander der dem Grab entstiegene Luther anders als sein Freund Melanchthon nicht in die Gruft zurückkehren muss, so zeigt das eine geradezu metaphysische Verherrlichung des Redivivus als Auferstandenem. Zur Begründung heißt es: „Das ist der Mann ǀ Durch den Gott alles hat gethan“.60 In der Nachfolge von Krügers Action steht das Weltgeschichtsspiel Ecclesia Militans, & Triumphans. Eine sehr schöne/ Anmütige/ liebliche und gantz Christliche/ zuvor niemals in Druck außgegangne Comoedia, von der jetzt noch streittenden und triumphirenden Christlichen Kirchen Gottes/ und derselben Gelegenheit und Zustande/ immassen solche erstlich: Durch den Ehrwirdigen unnd Wolgelahrten Herrn Georg Ebharten Seeligen/ weiland Pfarrern zu Schöndorff concipirt. Jetzo aber mehrerstheils anderweit auffs new ubersehn/ corrigirt/ gebessert/ in deutsche Reim verfasset/ und in Druck gegeben/ Durch Samuelem Eberhardum seinen Brudern/ Bürgern und jetzigen bestalten Organisten in der Kirchen zu S. Johann zur Newstadt an der Orla/ etc. Jena: Weidner 1611.

Dargestellt wird v. a. die Unterdrückung der evangelischen Kirche durch die „Inquisition“, wie es im Text heißt, wobei die Fülle der Widerstände gegen die Konfessionsbildung gemeint ist. Somit handelt es sich nicht um ein rein historisches Drama; der Stoff musste vielmehr durchaus aktuell wirken. Wie bei Phasma oder bei Krüger schafft das Weltende klare Verhältnisse und vergilt jedem nach Gebühr. Lieder kommentieren und interpretieren an zahlreichen Stellen die Handlung. Sogar der Vortrag bestimmter mehrstimmiger Tonsätze bekannter Komponisten wird vorgegeben. 17 verschiedene Kirchenlieder sind erwähnt; einige davon sind allerdings Alternativvorschläge.61 Unter den Liedern, die von den Christen in ihrer Bedrängnis gesungen werden, sind hervorzuheben: Nun bitten wir den Heiligen Geist, Ach Gott, vom Himmel sieh darein, Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort. Nachdem am Ende von Akt III, Szene 4 der Teufel mit seinem Gefolge „horribili clamore“ abgegangen war, tritt Ecclesia tri60 Rivander, Zacharias: Lutherus Redivivus, Argumentum Bl. A4v. 61 Sie ist mir lieb die werde Magd; Zion spricht, der Herr; Zion, die werde feste Stadt; Nun bitten wir den Heiligen Geist; Ach Gott, vom Himmel sieh darein; Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort; Mag ich Unglück nicht widerstahn; Ein feste Burg; Wo Gott, der Herr, nicht bei uns hält; Nach dir steht mein Verlangen; Wenn wir in höchsten Nöten sein; Nun lob, mein Seel, den Herren; Ich freu mich in meinem Gott; Wer Gott vertraut; Te Deum Laudamus Teutsch; Nun lob den Herren mit Andacht; Sei Lob und Ehr mit hohen Preis. Erläuterungen bei Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. I (s. Anm. 32), Nr. 249.

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umphans auf: „Decantato Psalmi Ein feste Burck etc.“ Der V. Akt bringt mit der endgültigen Befreiung die Danklieder Nun lob, mein Seel, den Herren sowie Luthers deutsches Te Deum (Herr Gott, dich loben wir). Auch wenn der Organist Eberhard über ein erweitertes Repertoire verfügt, so finden sich doch auch bei ihm die bewährten Gesänge. Neben den konfessionspolemischen Schauspielen bekamen die Dramen um Luthers Person zunehmende Bedeutung. Weniger Friedrich Dedekinds Papista conversus (1596), in dem Luther und Melanchthon dank der Überzeugungskraft ihrer Rechtfertigungslehre einen Katholiken bekehren,62 als vielmehr Dedekinds Der Christliche Ritter sollte für spätere Lutherdramen fruchtbar werden, obgleich der Reformator hier gar nicht vorkommt.63 Das „Miles christianus“Genre, wozu Dedekind wiederholt aufgeführtes Stück gehört, bietet das Gerüst, eine christliche Vorbildfigur zu zeigen. Erstmals treffen wir dieses Konzept in Martin Rinckarts Der Eißlebische Christliche Ritter (1613; s. S. 199), worauf zurückzukommen sein wird. Scheint schon dieses Drama das Reformationsfest vorwegzunehmen, so gilt dies noch viel mehr für ein noch früheres: Erster Theil/ des Curriculi Vitae Lutheri. Das ist Warhafftige und kurtze Historische Beschreibung/ der Geburt und Ankunfft/ Auch Lehr/ Lebens/ Wandels […] Und sonderlich […] Glaubensbekendtnis […] Des […] Herrn D. Martini Lutheri/ etc. Heiliger Gedächtniß/ Jetzo gantz New Inn etlichen unterschiedenen/ sehr schönen und Christlichen Comoedien repraesentiret und an Tag gegeben/ Durch Andreen Hartmann. o. O. 1601.64

Anders als bei Rinckart, der seinem Drama einen allegorischen Mantel übergeworfen hat, erscheint Luther bei Andreas Hartmann in historischem, ja nationalem Gewand und die Personen tragen die aus der Geschichte bekannten Namen. Der Autor nennt in der Vorrede seine Quellen, allen voran Mathesius. Nur dieser erste Teil erschien. Er stellt den Lebensabschnitt vom Klostereintritt bis zur Flucht auf die Wartburg dar. Besonderer Wert wird, ebenso wie bei Rinckart, auf Tetzels Ablasshandel, das Verhör durch Cajetan in Augsburg und

62 Papista Conversus. Ein Newes Christlich Spiel von einem Papisten/ der sich zu der rechten warheit bekeret und darüber in Gefengniß und gefahr des lebens kompt. Darauß er durch Gottes hülffe gnediglich erlöset wirdt. Nützlich zu lesen. Gefertiget/ Durch M. Fridericum Dedekindum den Elteren. Hamburg, Lüneburg: Binder, Stern 1596. Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. I (s. Anm. 32), Nr. 239. Dedekind stellt als einziger Luther in eine erfundene Handlung. 63 Erstaufführung 1576, siehe Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. I (s. Anm. 32), Nr. 237. Der Christliche Ritter/ aus dem sechsten Capitel der Epistel Sanct Pauli zu den Ephesern. In ein Geistlich Spiel oder Comedien gefasset durch M. Fridericum Dedekindum von der Newenstadt. Ietzt von newem ubersehen/ gemehrt und gebessert. Uelzen, Lüneburg: Kröner, Stern 1590. – Miles christianus Der Christliche Ritter. In ein Geistlich Spiel oder Comoedien/ darinnen der gantz lebenslauff eines ChristenMenschen aus der Epistel Pauli Ephes. 6. sehr lustig fürgebildet wird/ verfasset durch M. Friedericum Dedekindum. Nun aber augiret und agiret Zu Braunschweig/ im Februario/ Anno 1604. Durch M. Johannem Bechmanum R. Der Schulen zu S. Catharinen. Braunschweig: Duncker 1604. 64 Siehe Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. I (s. Anm. 32), Nr. 450. Die 2. Auflage Halle a. d. S.: Schmied 1624 erhielt den (wegen der Doppelung zu Rivander verwirrenden) Titel Lutherus redivivus. Scheitler ebd. Nr. 451.

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Luthers Standhaftigkeit in Worms gelegt. Schon die Unterschrift des Konterfeis auf der ersten Seite rühmt Luther als Propheten. Die Vorrede verleiht dem Reformator unter Berufung auf Armin den Cheruskerfürsten den Ehrentitel „Liberator Germaniae“, weil er „als ein rechter Christlicher/ Geistlicher und Streitbarer Ritter und Held/ gantz Deutschland und viele andere benachbarte/ Königreiche“ aus der Finsternis des Papsttums befreit habe.65

Dramen zum Reformationsfest Durch das Jubiläum bekamen Lutherdramen einen deutlichen Anschub.66 Zu den ca. acht Dramen, die sich bereits vor 1617 mit Luther und der Reformation beschäftigt hatten, kamen fünf weitere aus Anlass des Jubiläums hinzu. Diese Fülle überrascht umso mehr, als 1617 offenbar keine Verordnung oder Anregung von Seiten der Regierung zu solchen Darbietungen bestand und die Schulen auf eigene Initiative das Thema wählten. Zweifellos versprachen sich die Autoren, die oft genug Geistliche waren, von dramatischen Aufführungen eine intensivere affektive Wirkung als von einer Predigt. Ihr Beitrag wirkte unterstützend, konnte aber auch neue Aspekte hinzufügen. Eine historische Anlage wie Andreas Hartmanns Curriculum Vitae Lutheri weist auf: Lutherus. Drama M. Henrici Hirtzwigii Gymnasii Mœno Francofurtani Rectoris; Megalandri Martini Lutheri Islebio Mansfeldii infinitos Circa ortum progreßumque repurgati à se Evangelij Labores ostendens. Anno Jubilæo Evangelico primo Qui est à nato Christo M. 1617. Wittenberg: Heiden, Matthaeus 1617.

Der Frankfurter Rektor Heinrich Hirtzwig hat sein äußerst personenreiches Werk ausdrücklich „Anno Jubilæo Evangelico primo“ datiert, also zur Reformationsfeier verfasst und in Wittenberg veröffentlicht.67 Die Widmung an Johann Georg von Sachsen, unterschrieben September 1617, preist Wittenberg als „alter Sion“.68 Dargestellt wird Luthers Leben von der Berufung nach Wittenberg bis zu seinem Tod. Die letzte Szene mündet in die Worte: 65 Hartmann, Andreas: Curriculum vitae Lutheri, Bl. A5r. 66 Mit Luther- und Reformationsdramen beschäftigten sich vornehmlich ältere Darstellungen, allerdings unter anderem Blickwinkel als dem hier eingenommenen: Holstein, Hugo: Die Reformation im Spiegelbilde der dramatischen Litteratur des 16. Jahrhunderts (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 14/15). Halle 1886, Nieuwkoop 1967. Erdmann, Gustav Adolf: Die Lutherfestspiele. Geschichtliche Entwicklung, Zweck und Bedeutung derselben für die Bühne. Litterarhistorisch-kritische Studien. Wittenberg 1888. Zabel, Amalie: Lutherdramen des beginnenden 17. Jahrhunderts. Diss. München 1910. 67 Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. I (s. Anm. 32), Nr. 497. Dass., Editio correctior. Frankfurt: Latomus 1618. 68 Die Übersetzung durch den damaligen Wittenberger Konrektor Johann Seger ist im Krieg verloren gegangen (freundliche Auskunft Frau Eva Rothkirch, Staatsbibliothek Berlin): Lutherus Drama, dass ist Warhafftiger, Historischer, gründlicher vnnd Aussführlicher bericht von dem grossen Werck der reformation, wie dasselbe […] durch […] Martinum Lutherum […]: Anfang fortgang

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Lutherus triumphat vivus, Triumphat mortuus!

Hirtzwig hat in sein lateinisches Drama eine deutschsprachige Stelle eingebaut: Luther befindet sich auf dem Reichstag zu Worms (IV,5), als es im Nebentext heißt: „Intercini potest: Ein veste Burg/ etc.“ Das Lied war mit Luthers unverrückbarer Standhaftigkeit so innig verbunden, dass es in deutscher Sprache gesungen werden musste. Wir erinnern uns an Herzog Philipps Wunsch, es solle am 3. November eine „Declamation“ und gute Musik am Stettiner Pädagogium gehalten werden. Der Text verfügt weiter, es möge „folgendes Tags der Con: und Subrector ein ebenmessiges leisten“. Möglicherweise war damit ein Schulactus gemeint, aber die Aufführung des Theaterstückes tat auch eine gute Wirkung.69 Tetzelocramia. Das ist Eine Lustige Comoedie/ Von Johan Tetzels Ablaß Kram: Wie Gott der Herr denselben/ Itzo für Hundert Jahren durch sein erwehltes Rüstzeug D. Martinum Lutherum […] umbgestossen unnd außgetrieben/ und sein Göttlichs wort dakegen lauter und rein/ wieder die Antichristischen Römischen grewel in Teutschlandt zu Predigen angefangen/ und weit unnd breit hat erschallen lassen. Zum Jubel Jahr unnd frewden Fest Gott zu Ehren und menniglich zum nutz gemacht/ und in druck verfertigt. Stettin: Duber 1617.

Der Autor Heinrich Kielmann, Konrektor des Fürstlichen Pädagogiums in Stettin, gab bescheiden seinen Namen erst nach den Versen „Ad lectorem“ preis. Das im gleichen Jahr auch in Wittenberg aufgelegte Stück gewährleistet die heilsgeschichtliche Interpretation der Reformation durch das Auftreten von unirdischem Personal. Es sind dies die Teufel Thesauratius70 und Römischer Hofteufel, Religio und ihre Kinder Gnathaster (die römische Schmeichelei), Hypocrisis (die Heuchelei in den Klöstern) sowie die von allen verachtete Veritas. Die Allegorien offenbaren zugleich eine politische und hofkritische Tendenz, die auf die Verbindung von Religion und Macht abzielt. Wenn Veritas schon im ersten Akt die Mutter tröstet, ihr wäre eine Engelsgestalt erschienen, die ihr die Bibel als das höchstes Gut empfohlen habe, so ist in dieser Vision der Ausgang des Stückes vorweggenommen. Die allegorischen Figuren spielen auch dann auf der gleichen Szene mit, wenn der Papst, Tetzel oder Ablassbriefkäufer als „reale“, historische Figuren auftreten (Akt II-IV). Der V. Akt zeigt endlich Luther und Bugenhagen triumphierend an der Seite der Erzengel. Die Vermengung von historischem und unirdischem Personal stellt Kielmann in die Tradition der mittelalterlichen Mysterienspiele. Ungeachtet des Titels „Von Johan Tetzels Ablaßkram“ bringt er kein Geschichtsdrama auf die Bühne vnd Aussgang genommen […]/ In gestalt einer Comoedien vom Herrn Henrico Hirtzwigio […] im Latein beschrieben; Jtzo aber allen Wahren Evangelischen vnnd Lutheranischen Christen zu wahrer nachrichtung […] in gut zierlich Teutsch gebracht Durch einen der Gottlichen Warheit vnd freyen Künste Liebhabern. Wittenberg 1518. 69 Die Aufführungen in Stettin und in Stargard riefen laut Daniel Cramers Kirchenchronik bei den katholischen Polen Ärger hervor. Schönstädt, Hans-Jürgen: Antichrist, Weltheilsgeschehen und Gottes Werkzeug (s. Anm. 2), 33. 70 Anspielung auf den Thesaurus Ecclesiae als dem Fond für die Gewährung von Ablass.

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und bleibt damit hinter Krüger zurück, der die reale Bedrängtheit der Evangelischen durch die Gegenreformation zeigte. Kielmanns Lieder sind daher auch nicht die aktuellen Kirchenlieder, sondern die Intonatio „Oho lector lectorum“, eine Satire auf katholische Heiligenverehrung und Ehrfurcht vor dem Papst, sowie das ebenfalls satirische Kindertanzlied Der Papst hat sich zu Tod(e) gefalln.71 Der Impetus, zum Fest mit einem Schauspiel hervorzutreten, führte zu mancherlei Übernahmen, zumal die Thematik im Wesentlichen die Gleiche war. Der oben erwähnte Schulactus von Eisleben wurde durch eine Theateraufführung des Mansfeldischen Gymnasiums ergänzt: Lutherus Reformator Das ist: Evangelische JubelComoedi/ Darinn angeführt/ Wie der tewre Rüstzeug Gottes D. Martinus Lutherus, Aus sonderm antrib des H. Geistes/ die Kirche von Finsterniß des Pabsthumbs purgiret […] Exhibirt und agirt Am ersten Evangelischen Jubelfest/ Im Gräfflichen Mansfeldischen Gymnasio zu Eißleben. Halle a. d. S.: Bißmarck 1618.72

Das anonyme Stück hat Ähnlichkeit mit dem noch zu besprechenden Rinckartschen Indulgentiarius Confusus.73 In beiden Stücken psallieren die Mönche und Ablasshändler „Ave pecunia gratia plena“, eine Parodie des Ave Maria.74 Hier wie dort wird in der Bedrängnis des Wormser Reichstags und angesichts des unerschütterlichen Luther „ein Feste Burg ist unser Gott emphatice gesungen“75 und in beiden Stücken erklingt das „Sie ist gefallen, Babylon“ aus der für Sachsen vorgeschriebenen Perikope Offb 14.76 Eine weitere anonyme Komödie betreibt Mummenschanz: Echo iubilaei Lutherani. Das ist Ein Christlich Gedicht und Widerschall vom Lutherischen Jubelfest/ so deß abgewichenen 1617. Jahrs in der Christlichen Catholischen uhralten und Lutherischen Kirchen Celebrirt worden/ mit Personen als eine Comedia zugericht/ dessen Innhalt folgender Prologus anzeigt/ Patri Sixto zu Rom Dedicirt. Gestellt vom einem liebhaber der Catholischen Warheit. o. O. 1618.77

Keinesfalls steckt hinter der Veröffentlichung ein Katholik, im Gegenteil, das ganze Spiel ist Satire. Es gibt sich als katholischer Widerhall auf das Jubiläum, zeigt aber in Wahrheit kein Echo, sondern lauter Missklang. Das Echo ist eine damals moderne musikalische Form. Es im Zusammenhang mit der Reforma-

71 Zu beidem vgl. Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. I (s. Anm. 32), Nr. 551 f., Kommentare zu II,2 und II,6. 72 Ebd., Nr. 1269. 73 Dünnhaupt, Gerhard: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock. 6 Bde. 2., verb. u. wesentl. verm. Aufl. (Hiersemanns bibliographische Handbücher 9,1–6). Stuttgart 1990–1993, 3355 schreibt das Drama Rinckart zu. 74 Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. I (s. Anm. 32), Nr. 1269, II,1; Ebd. Nr. 846, II,3. 75 Ebd., Nr. 1269, IV,9; ebd. Nr. 846, IV,9: „Luther canit deambulans: Ein feste Burg ist unser Gott/ etc.“ 76 Ebd., Nr. 1269, Ende von Akt V; ebd., Nr. 846, V,7. 77 Ebd., Nr. 1377. Zabel, Amalie: Lutherdramen des beginnenden 17. Jahrhunderts (s. Anm. 66), 22 gibt ohne Begründung Balthasar Voidius als Autor an, eine Meinung, die sich nicht durchsetzen konnte.

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tionsfeier zu gebrauchen, war schon Johann Stadens Einfall gewesen. So nannte er seine Nürnberger Festmusik Jubila Sancta Deo, per Hymnum et Echo.78 Echo iubilaei Lutherani operiert mit den bekannten Handlungselementen: Luther, hier ganz Triumphator, ist von den Toten auferstanden und soll nun den Völkern das Evangelium verkündigen; er stürzt Tetzel und entthront den Papst. Seiner musikalischen Leitidee folgend, zeigt das Stück, wie die Katholiken in jeder Hinsicht stören und Harmonie, Metrum und Wort durcheinander bringen. Die katholische Welt will den Jubel der Evangelischen verhindern, was ihr nicht gelingt, denn am Ende steht ein lateinischer Gesang mit Pauken und Tanz, der sogar – höchst ungewöhnlich und modern – dem daktylischen Metrum folgt: Tympana tangite Cymbala clangite Carmina plangite Vincula daemonis Frangite et angite.

Rinckarts Lutherzyklus Den zweifellos wichtigsten und gehaltvollsten Beitrag leistete das dramatische Schaffen Martin Rinckarts. Der aus Eilenburg im Mansfeldischen stammende Autor, der uns heute v. a. als Schöpfer von Nun danket alle Gott bekannt ist, war als Thomaner Schüler von Seth Calvisius gewesen, was ihn nach eigenem Bekunden außerordentlich prägte. Seine berufliche Laufbahn zeigt die in der Frühen Neuzeit häufige Doppelung von Kantor und Theologe. Bereits 1613 führte er, damals Diakonus bei St. Anna zu Eisleben, mit dem dortigen Gymnasium auf: Der Eißlebische Christliche Ritter/ Eine newe und schöne/ Geistliche Comoedia, Darinnen nicht allein die Lehr/ Leben und wandel des letzten deutschen Wundermans Lutheri/ sondern auch seiner/ und zu förderst des Herrn Christi zweyer vornemsten Hauptfeinden/ Papsts, und Calvinisten, so wol als anderer vielfeltige Rath= und Fehlschlege/ auch endlicher in Gottes Wort offenbarter und gewisser außgang/ biß an den nunmehr bald zukünfftigen Jüngstentag: beydes nach schöner Poetischer und verblühmter Art/ und denn auch historischer richtiger Warheit/ inn 3. Rittern Brüdern/ Pseudopetro, Martino und Johanne, als die umb die erbschafft und Testamment streiten/ abgemahlet und auffgeführet/ Durch Martinum Rinckhart/ Diac. zu Eißle: in der Newstadt: Agiret aber vom Gym. daselbst post ferias Caniculares. Eisleben: Gaubisch 1613.79

Der Titel hält für Luther das geläufige Ehrenwort „Wundermann“ bereit, vornehmlich aber bezeichnet er ihn als „Ritter“ in Anlehnung an Eph 6,10–20 und 78 Staden, Johann: Jubila Sancta Deo, per Hymnum et Echo, in ecclesia Noribergensium Festum Evangelico-Jubilæum ii. Novemb: celebrante, Octo vocibus decantata. Nürnberg: Scherff 1617. 79 Vgl. Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. I (s. Anm. 32), Nr. 845. Neuausgabe: Müller, Carl (Hg.): Der Eislebische Christliche Ritter. Ein Reformationsspiel von Martin Rinckhart [sic]. Halle a. d. S. 1883.

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die „Miles christianus“-Tradition. Ein Lutherportrait schmückt wie bei vielen anderen Lutherspielen und Predigtsammlungen den Druck. Der Reformator wird zwar als heldenhafter Sieger über Papst, Calvin und den Teufel dargestellt, das Drama ist aber ein allegorisches Schlüsseldrama. Rinckart hat die Decodierung bereits im Index personarum mitgeliefert. Für die Verschlüsselung bediente er sich der Sage von den Königssöhnen, die um das Erbe streiten, einer mit Giovanni Boccaccios bzw. Gotthold Ephraim Lessings Ringparabel verwandten Erzählung.80 Christus ist der Vater-König der Parabel, die Söhne aber sind der Papst, Johannes Calvin und Martin Luther. In seiner Widmungsvorrede an die Gräfin von Mansfeld stilisiert der Autor Martin Luther als Ritter vom Goldenen Vlies, der „das Lämblein Gottes im Hertzen“ getragen und gekämpft habe gegen „die gantze Welt voll Teufel, (wie sein Geistreiches TriumphLiedlein deutet)“.81 Vor seinem Eintritt zur Disputation (II,9) spricht Rinckarts Luther das oft zitierte, mutige Wort: „Ich wil in Gottes Namn hinnein. Und sollt er so voll Teufel seyn, Als er Haar auff sein Kopffe tregt“. Der Ehrenname „Ritter“ für den Reformator ist auch eine Verbeugung gegenüber der Mansfelder Herrschaft, der der Druck gewidmet ist und die den auf der Titelseite abgebildeten heiligen Georg im Wappen führte. Aus ihrem Herrschaftsgebiet hat Gott den Ritter Luther erweckt. Dieser, so die Widmung, streitet gegen „Papst und Sacramentirer“, er zieht zu Felde gegen „entweder den hellischen Babylonischen Siebenköpffigten Drachen mit seinen 7. Sacramenten, den Antichrist so […] zu Rom gesessen […] oder aber das gifftige Ottergezüchte der Sacramentschänder, und Zwinglio=Calvinianer“. Und er befreit die Jungfrau, nämlich die gefährdete Kirche.82 Rückt Luther als überhöhter Georgsritter in die Kategorie der beatifizierten Streiter auf, so setzt ihn das Zitat aus Mich 5,1 fast neben den Heiland: „Unnd du Eißleben bist mit nichten die Kleineste unter den tausenden inn Deutschland: Denn aus dir soll mir kommen, der uber mein geistliches Volck Israel ein Ritter unnd der letzte Prophet sey“.83

80 Gesta Rhomanorum cum applicationibus moralizatis ac mysticis. Hagenau: Rynman de Oringaw 1517, Kapitel 45: Vier Söhne streiten um die Herrschaft und beschließen den Vater zu exhumieren und nach ihm zu schießen. Nur der 4. Sohn weint darüber und ist demgemäß der rechte. Angefügt ist eine „Moralizatio“, die die Geschichte auf die Heiden, Juden, Häretiker und wahren Christen deutet. Die Gesta enthalten auch schon die Ringparabel (89. Kapitel). Vgl. aber Carl Müllers Vorwort zu seiner Neuausgabe (s. Anm. 79), VII: Rinckart muss die Geschichte keineswegs direkt aus den Gesta bezogen haben, denn sie war sehr weit verbreitet. Ebd. X: Die unmittelbare oder mittelbare Quelle Rinckarts war nach Müller vielmehr Boaistuau, Pierre: Theatrum Mundi, Et Speculum Vitae Humanae, Das ist: Schauwplatz der Welt: Unnd Spiegel des gantzen Menschlichen Lebens/ Darinnen von Elend und Armutseligkeit deß Menschen/ durch alle und jede Alter und Stände Menschliches Lebens/ gehandelt wird […] An jetzo aber in unser gemein Teutsch transveriert/ und zu dem Truckh befördert. Durch Marxen Forstern/ Buchdruckern. Lindau: Forster 1609. 81 Widmungsvorrede ed. Müller, Carl (Hg.): Der Eislebische Christliche Ritter (s. Anm. 79), 6 f. 82 Ebd. 7 f. 83 Ebd. 8.

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Zum Schluss der Vorrede thematisiert Rinckart seine Motivation zum Schreiben. Wie denn der Herr D. Polycarpus Lyserus, seliger Gedechtnüß, in einer Vorrede uber solche Arbeit saget: daß sich dieselbe auch in deutsche Sprache zu setzen, wegen des allgemeinen und unzehlichen frommens niemand schemen, noch die Mühe unnd verachtes Ansehen verdriessen lassen solle. Zu geschweigen, daß uns die Kinder der Finsternüß, die Jesuiten, mit ihrem auch in diesem Stück besondern Fleiß und Eyfer allein excitiren köndten, sonderlich den lieben Lutherum in dem Fall inn gebührende Acht zu nehmen und zu retten, alldieweil derselbe bey ihnen fast alle Jahre ein mal oder etliche in ihren Satyris unnd Teufelßgetichten allermeist muß herhalten unnd uberbücken.84

Der Verweis auf Leyser legt den Finger in die Wunde: Der Stachel im Fleisch war das Wirken der Jesuiten.85 Er offenbart zudem, dass Dedekinds Miles christianus Rinckarts Vorbild war. In der Vorrede für dieses Drama hatte 1590 der Braunschweiger Superintendent Polycarp Leyser die evangelischen Lehrer ermuntert, Spiele zu verfassen und aufzuführen, weil er die Wirkung der Jesuitendramen als sehr gefährlich ansah: Dis verstehen unsere Widersacher/ die Jesuiten gar wol/ welche nicht allein mit lehren/ lesen/ schreiben und predigen/ die arme Jugend/ und jre Zuhörer schändlich verfüren/ sondern auch viel und offt Comoedias; und dieselbige mit großer pomp und pracht halten/ in welchem sie jren unglauben und Abgötterey dem gemeinen Mann also fürgetragen für augen stellen/ und ins hertz einbilden/ das es jnen hernacher nimmermehr/ oder ja mit grosser mühe heraus genomen werden kan.86

Rinckart geht in der Nacheiferung der Jesuitenspiele nicht so weit wie die Straßburger.87 Aber er gestaltet seine Texte wesentlich farbiger und lebendiger als seine Zeitgenossen und dürfte sich in dieser Beziehung an den Aufführungen der verhassten Ordensleute orientieren. Musik spielt bei ihm, dem Kantor und Musiker, eine große Rolle. Im Ritter dient sie als Hommage gegenüber der Mansfelder Herrschaft und Luthers Abstammung aus dem Mansfelder Land, einem Bergbaugebiet, denn alle Chöre sind Bergreihen. Teils stammen sie von Melchior Franck (Akt I und IV), teils von Rinckart selbst (Akt II), teils von Seth Calvisius (Akt III). Gesungen werden sie vom Chor der Bergleute. Der Mansfelder Dialekt sprechende Bauer und v. a. der Bergmann sind aufrechte Leute. In der Betonung der wechselseitigen Sympathie zwischen Luther und den Bergleuten ist der Lokalpatriotismus des Spiels unüberhörbar. Ende von Akt II wollen

84 Ebd. 9. Zumindest für Dramen trifft dieser Befund nicht zu. Szarota, Elida Maria: Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Eine Periochen-Edition. Texte und Kommentare. 4 Bde. München 1979–1987 führt kein Lutherdrama und keine Lutherfigur an. Jedoch ist „Lutheranismus“ eine Allegorie in einem Bennodrama (München 1598). Valentin, Jean-Marie: Le théâtre des Jésuites dans les pays de langue allemande. Répertoire chronologique des pièces représentées et des documents conservés (1555–1773). 2 Bde. Stuttgart 1983 f., Nr. 35: Dialogus de Luthero, Calvino et Anabaptistis. Köln 1565; Nr. 487: Lutheri Betlermandl. München 1602. 85 Auch die Unterschrift unter dem Lutherbild erklärt den Reformator – unhistorisch – zum Feind der Jesuiten. „Turba Suitarum nescit provolvere Saxum, | Quod pius Ipsorum Lutherus jecit in hortum.“ 86 Vorrede zu Dedekinds Miles christianus, Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. I (s. Anm. 32), Nr. 237. 87 Vgl. Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. II (s. Anm. 38), 58.

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Irmgard Scheitler

die Bergleute den von der Disputation mit Cajetan erschöpften Luther aufmuntern und schlagen ihm den Gesang eines Bergreihens vor. Erfreut antwortet er: Darecht, die hort mein Vater gern. Wo daher, jhr lieben Landßleut? Bergleut, Werckleut, arbeitsam Leut: Macht was auff, ihr kommt eben recht, Daß ihr mir mein Teufel verjächt.

Luther bedient sich auch seiner eigenen Lieder. Bei seinem ersten Auftreten seufzt er: „Ach Gott vom Himml, wie kanstu sehn | Daß in der Welt so zu soll gehen?“ (I,5). In seiner Bedrängnis vor dem Reichstag zu Worms betet er und macht sich Mut mit Ein feste Burg. Da er eben singt: „Und wenn die Welt voll Teufel wär“ erscheint der papistische Drachen und Luther besiegt ihn. Danach wird angestimmt: „Sie ist gefallen, Babylon die Grosse“ (III,4). Diesen Gesang setzt Rinckart 1617 auch in Indulgentiarius Confusus ein und er wird auch im anonymen Lutherus Reformator des gleichen Jahres angestimmt.88 Dort erklärt er sich unschwer aus dem für die Jubelfeier vorgeschriebenen Lesetext Offb 14. Bei Michael Altenburgs Gaudium Christianum dient in Teil 1 „Sie ist gefallen, Babylon, Lob sei Gott in des Himmelsthron“ als Refrain; in Teil 2 desselben Zyklus’ gehört „Sie ist gefallen, Babylon, die große Stadt“ mit zur Vertonung von Offb 14,6–8.89 Rinckart freilich hat den Gesang in seinem ersten Spiel schon eingeführt. Es bleibt ungelöst, welche Musik ihm dazu vorschwebte. Als Alternative nennt der Eißlebische Ritter „Du schnöde Tochter Babylon“, Strophe V des Liedes An Wasserflüssen Babylon. Dieser Choral nach Ps 137 gehörte zu dem für das Reformationsfest in Pommern empfohlenen Repertoire. In ihm schütten die von Babel Geknechteten ihre Klage aus; die letzte Strophe aber nimmt den Triumph über den Zwingherrn vorweg (entsprechend Ps 137,8 f.). Die vom päpstlichen Joch befreite evangelische Christenheit stimmt, sich identifizierend, in den Triumph mit ein. Rinckarts Spiel präsentiert Luther als groß, tapfer, standhaft und innerhalb der Logik der Parabel als einzig treuen und liebenden Sohn des göttlichen Vaters. Gleichwohl stellt sich auch sehr deutlich das Bild eines leutseligen, deftig sprechenden und zu lauter Freude fähigen, seinen Landleuten besonders zugetanen Mannes ein. Jovialität ist ein hervorstechendes Merkmal. Luthers Freude an geistlichen Bergreihen gewinnt ihm die Herzen seiner im Bergbau arbeitenden Mansfelder. Rinckart gestaltet die Schlussszene von Akt IV in subtiler Sympathielenkung. Krass hebt sich von Luthers Warmherzigkeit die kalte Musikfeindlichkeit Huldrych Zwinglis ab, der die Bergleute mit ihrem „Gescharr und Sawgebleck“ wegschickt. Calvins Spiritus familiaris verhöhnt Gesang als unnatürlich, was die Bergleute kommentieren: wer so denke, komme nicht in den Himmel. Endlich lässt sich Calvins Phrenophilia, die Verkörperung seines Rationalismus, für einen weltlichen Bergreihen gewinnen (IV,10).

88 Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. I (s. Anm. 32), Nr. 846, V,7; Nr. 1269, Ende von Akt V. 89 Altenburg, Michael: Gaudium Christianum (s. Anm. 30).

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Lieder spielen bei Rinckart, der auch als Pastor die Beschäftigung mit Musik nicht aufgab, eine entscheidende Rolle. Sie sind Emotionsausdruck und Emotionslenkung, machen Mut und schaffen Vertrautheit. Dies gilt auch für die zweite Luther-Komödie: Indulgentiarius Confusus, Oder Eißlebische Mansfeldische Jubel-Comoedia, Von der öffentlichen/ Wundermächtigen Beschämung deß grossen und grewlichen Gottslesterers Johann Tezels: Sampt der unverschämbten/ Bäpstischen Ablaß-Crähmerey; Wie noch des gantzen Römischen und AntiChristischen Bapsthumbs: So Gott/ die hohe Majestät/ durch die hellklingende Evangelische JubelPosaun seines hierzu außerwehlten/ hochfliegenden Posaun-Engels/ Des Deutschen/ Mansfeldischen Wunder-Propheten/ D. Martini Lutheri, nunmehr vor hundert Jahren glücklich anfahen/ und bißhieher heilsamblich continuiren lassen: Von Anno 1517. biß uff 1521. ein und angeführet/ auch bey jüngstgehaltenem Jubelfeste/ Vom Gr. Mansf. Gymn. zu Eißleben/ in Volckreicher Versamlung agiret: A. A. M. Mart. Rinckhardo, Eilenb. tum Erdeborn. P. & M. Christophoro Stöltzero, Illust. Gym. ConR. Eisleben: Gaubisch 1618.

Rinckart hat das Stück, obwohl damals schon als Seelsorger in Erdeborn tätig, mit den Eislebenschen Schülern „in Volckreicher Versamlung agiret“. Der Konrektor des Gymnasiums als Actor der Aufführung wird eigens genannt. Die Widmung des Verlags gilt wiederum dem gräflichen Haus Mansfeld. Da es sich wie beim Eißlebischen Ritter um eine Schulaufführung handelte, stand ein Chor zur Verfügung, der figuraliter singen konnte. Er trägt nach Akt I und III Es spricht der Unweisen Mund wohl motettisch vor und kommentiert somit das Treiben in der verwahrlosten alten Kirche; er beantwortet vom Himmel her die Klage am Ende des II. Aktes und jubiliert am Schluss „Sie ist gefallen, Babylon“ oder singt alternativ Rinckarts Komposition von Horaz’ Carmen Saeculare. Der Darsteller des Luther musste zugleich ein tüchtiger Sänger sein, denn er hatte an zwei Stellen Soli zu absolvieren: In seiner Bedrängnis (IV,3) hebt er „ex abrupto aussm 3. Psalm D. C. B.“ an zu singen: Ach wie groß ist der Feinde Rott, bedient sich also der Worte des Beckerpsalters und dazu, wie angegeben, der Melodie von Mag ich Unglück nicht widerstahn. Etwas später macht er sich mit seinem Ein feste Burg Mut, das er „deambulans“ singt (IV,5). Auffallend ist die Einführung von Allegorien, die auf den ersten Blick so ähnlich zu sein scheinen wie die in Kielmanns Tetzelocramia. Bei Rinckart sind dies Religio und ihre Töchter Veritas und Fides. Bei näherer Betrachtung unterscheiden sich aber nicht nur Namen und Charakter, sondern vornehmlich die Figurenführung. Kielmanns Allegorien stehen als mythische Einzelgestalten noch ganz auf einer Stufe mit den Teufeln. Im Indulgentiarius wird deutlich, dass Rinckart von den gefürchteten Jesuiten gelernt hat.90 Seine Allegorien vertreten eine Idee. Religio, Veritas und Fides sind Luthers Verbündete, eigentlich sogar Luthers Seelenkräfte, denn sie kommen erst zu sich mit dem Fortgang der Reformation. Daher können sie stellvertretend für ihn und sein Werk stehen. Sie können beten, singen, ja sogar tanzen wie er. Ende von Akt II klagen sie ange-

90 Zu Konzeption der Allegorien in Ordensspielen und zu ihrem Gesang vgl. Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. II (s. Anm. 38), 64 f.; 107 f.

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sichts des zerrütteten Zustandes der Kirche „gegen den Himmel/ mit auffgehabenen Henden: Ach Gott, vom Himmel sieh darein“. Auf den Gesang der I.-III. Strophe antworten die Engel im Figuralsatz mit den zwei folgenden Strophen: „Darum spricht Gott“ und „Das Silber im Feuer siebenmal“, worauf die Allegorien das Lied beenden. Auch in diesem Spiel also widerfährt einem Lied Luthers die Ehre, dass es im Himmel gesungen wird bzw. dass sein Gesang durch die Wolken dringt. In der 2. Szene des III. Aktes freut sich Veritas über Luthers Eintreten gegen Tetzel und beendet ihren Monolog, indem sie mit Strophe III von Luthers Wär Gott nicht mit uns diese Zeit „Gott ein Danckliedlein“ singt: „Gott Lob und Dank, der nicht zugab“. Noch deutlicher wird die Verbindung zwischen Luther und den Allegorien als seinen – jesuitisch gesprochen – „Artgeistern“, wenn er mit ihnen O Herre Gott, dein göttlich Wort vierstimmig singt (IV,5). Während des Gesangs werden die Vorbereitungen für den Auftritt in Worms getroffen. Am Ende des Aktes, in dem sich Luther so trefflich bewährt hat, führen Religio, Fides und Veritas „einander beym Henden/ kommen mit Freuden/ springen und singen: Der Babst hat sich zu tode gefalln“. Dieses Spottlied kam auch in Kielmanns Tetzelocramia vor (II,6) und erklang auch in Michael Altenburgs Jubiläumsmusik. Als Komödie schließt Indulgentiarius mit Tänzen: Die Allegorien tanzen (als Vertreter des schon verstorbenen Luther) ebenso wie Kurfürst Friedrich der Weise, Johann von Staupitz und Friedrich Myconius.91 Die Allegorien stellen also weit mehr dar als nur „Virtutes“. Mit ihnen demonstriert Rinckart, ohne dass es weiterer Erklärungen bedurfte, dass mit Luther Religion, Glaube und Wahrheit stehen oder fallen. Welch hohe Meinung das Schauspiel von Luther hat, erweist das Argumentum zum IV. Akt, der mit dem Auftritt in Worms Höhepunkt und Peripetie bildet. Hier nämlich greift der Text zu soteriologischen Formulierungen: So merckt nun auff: nehmt’s wol in acht/ Daß ist der Tag den Gott gemacht/ Deßgleichen man in tausend Jahrn: Nicht hat gesehen noch erfahrn: Da hat der thewre Gottes Mann Ein Sach erhalten auff dem Plahn: Da mein und deine Seligkeit/ im Grund zu reden/ daran leit.

Ungeachtet dieser Überhöhung legt Rinckart wieder alles daran, die Gestalt des Reformators leutselig zu zeichnen. Es hat den Anschein, dass der Dichter im Eintauchen in die Sprache Luthers die Deftigkeit der Formulierungen und die Freude an Sprichwörtern, redensartlichen Wendungen und Wortspielen mit übernahm. St. Peter herrscht den Papst, der an der Himmelstür eingelassen werden möchte, an: 91 Rinckart, Martin: Indulgentiarius, Personenliste: „Fridericus Myconius; Ein Studiosus; So nachmals Superintendens zu Gotha worden.“

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Solstu du hellisches Mastschwein/ Mein StuelErb und Successor seyn? Das reimt sich, du stoltzer Schmehrbauch Ja/ gleich wie ein Faust auff ein Aug. (V,1)

Das Poltern des Himmelspförtners drückt sich auch in den derben Tonbeugungen der Verse aus, die sonst nicht Rinckarts Art sind. Luther hingegen wird begrüßt: „Du bist der recht Mansfeldisch Mann“ – was mit doppelt großen Lettern gedruckt dasteht (V,2). Insgesamt heben sich Rinckarts Spiele mit ihren dialektalen und bäurischen Einlagen, ihren Volksszenen und Grotesken durch Lebhaftigkeit von den oft akademisch wirkenden dogmatischen Stücken anderer Dramatiker ab. Als historischen Spaßmacher hat der Dichter den Hofnarren Friedrichs des Weisen, Claus (von Ranstädt), eingeführt. Diese Tendenz zum Volkstümlichen, ja bewusst Mansfeldischen verstärkt sich noch in Monetarius Seditiosus Sive Incendia Rusticorum Bellica, & reliqua ejus lustri memorabilia. Der Müntzerische Bawren=Krieg/ so Anno 1525. in das Evangelische Reformationwerck mit eingefallen: Und was Gott […] durch […] Doct. Martinum Lutherum dabey gethan und verrichtet. Auch sich sonst/ sint [sic] dem Wormischen Reichs=Tage an/ Anno 21. 22. 23. 24. und sonderlich 1525. in Geist= und Weltlichen sachen/ in und außerhalb Landes begeben und zugetragen. Aus Luthero/ Philippo/ Schleidano; und andern […] Chronologis […] nicht allein Comedien=weise/ sondern auch als ein richtiges und lustiges Compendium Historicum Ordentlich verfasset und zugerichtet: Und der jetzigen sichern Welt/ zum nothwendigen Lehr= und Warnungs=Spiegel Beym instehenden Seculo vor Augen gestellet/ Durch M. Martinum Rinckhardum, P. L. In Patria Ileberga ArchiDiaconum. Leipzig: Rehfeld, Grosse [1625].92

Auf der Rückseite des Titelblattes und im Vorwort informiert der Dichter, der inzwischen als Archidiakon in seine Geburtsstadt zurückgekehrt ist, über eine Reihe von sieben Lutherdramen: „Reformationis Evangelico-Lutheranae Historia integra Comoediis septem absolvetur.“ Die Formulierung „absolvetur“ legt nahe, diese Schauspiele lägen vor.93 Nur drei davon wurden gedruckt. Es fehlen: „Lutherus desideratus: sive Reformationis desiderata“, eine Darstellung der Hinweise auf die kommende Reformation aus der Zeit zwischen 1300 und 1500. „Lutherus magnanimus“, eine Darstellung des Wormser Reichstages (1521), von Rinckart „Der grosse Lutherische ReichsTag“ genannt. „Lutherus confirmatus: sive Comitia Augustan-augustissima“, eine Darstellung der Jahre von 1526 bis 1536. „Lutherus Triumphator: sive Reformatoris Cygnea“, eine Darstellung der späten Jahre von 1536 bis 1546. Rinckart beabsichtigte also, das gesamte Leben des Reformators und sogar noch die mittelalterlichen Hinweise auf die Reformation auf die Bühne zu bringen. Damit erkennt er der Biographie des Reformators eine der Bibel vergleichbare erbauliche Wirkung zu. Auch hier drängt sich der Vergleich zu Ordens-

92 Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. I (s. Anm. 32), Nr. 847. 93 Die gleiche Schauspielreihe in Rinckart, Martin: Summarischer Discurs und Durch=Gang von Teutschen Versen, Fuß=Tritten und vornehmsten Reim=Arten. Leipzig: Ritzsch 1645, Vorrede. Hier erfährt man von Aufführungen in Eisleben, Eilenburg, Altenburg und Grimma.

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spielen und ihren Heiligensujets auf, nur behandelt Rinckart sein Thema monumentaler. Monetarius Seditiosus, das Schauspiel vom Bauernkrieg, ist wiederum ein Zentenarstück, veröffentlicht hundert Jahre nach dem historischen Ereignis. Schon durch die Widmung an die Bürgermeister und Ratsherren von Mühlhausen, Langensalza und Eisleben zeigt es sich lokal gebunden. Die Personenliste sieht neben landständischen Adeligen auch die „Consules“ und „Senatores“ von Mühlhausen, Langensalza und Orlamünde als Rollen vor. Wieder singen die Bergleute; es sind sogar die Noten zu zwei Rinckartschen Bergreihen beigefügt. Die „Metallici“ sind ohne Zweifel die eigentlichen Helden des Stückes. Sie halten, im Unterschied zu den aufrührerischen, überheblichen Bauern, treu zu ihrer Herrschaft. Die Bauern hingegen stellt Rinckart nach der Weise der Frühen Neuzeit als ungebildet und daher hirnlos dar. Nur weil sie so grunddumm sind, lassen sie sich verführen, erheben sich über den Stand, den ihnen Gott angewiesen hat, und rennen in ihr Unglück. Inmitten der Schießerei des V. Aktes fängt der Bauer Heinz „an zu singen/ mit den andern/ auff bahren Knien/ und gefaltenen Händen fein Bäwrisch:“ Nun betten mehr den hellign Gehst/ Emme den rechten Globen allermehst/ Das heda uns behüte/ an unserm enge Wemmer hehmfahre/ uhß dessem Elenge/ Gircholeis.

Wie in Eberhards Ecclesia die bedrängten Christen, so retten sich auch hier die Bauern zu Luthers Nun bitten wir den Heiligen Geist. Heintzens Replik „Pfuy daß mers och so hoch anfingn“ bezieht sich nicht nur auf die zu hohe Lage im Singen, sondern ist im übertragenen Sinn zu verstehen: Er begreift allmählich (vielleicht unter dem Einfluss des Hl. Geistes), dass die Bauern zu hoch gegriffen haben. Luthers Rolle in dem blutigen Treiben ist, wie nicht anders zu erwarten, untadelig. Dass Rinckart das heikle Thema überhaupt aufgreift, spricht für sein unerschütterliches Vertrauen in die Mansfelder Herrschaft und in die Integrität des Reformators. Schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurden die Bauernkriege und Luthers Rolle dabei auch ganz anders gesehen, freilich von der Gegenseite. Wolfgang Schaller hatte in seiner 7. Straßburger Predigt gegen Rom vom Leder gezogen: „Die Babylonische Hur der Pabst zu Rom/ hat mit liegen und Abgötterey sein gantzes Reich erfüllet. Auch mit Strang/ Schwerdt/ Fewer und Wasser hingericht.“ Der ungenannte Verfasser der jesuitischen Gegendarstellung Predicanten FewerZeug kommentiert: „Hat kein Papst ein Blutbath angericht/ wie Lutherus im Bewrenkrieg.“94 Rinckarts Absicht, Leben und Werk des Reformators zu dramatisieren, ist umso auffallender, als sie weder vom Jubiläum initiiert wurde, noch mit ihm abebbte. Vielmehr dürfte Lokalpatriotismus die Triebfeder gewesen sein: Luther war für Rinckart der mansfeldische Landsmann, auf den man stolz sein konnte. 94 Predicanten FewerZeug (s. S. 188), Bl. B4r.

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Vielleicht liegt hier einer der frühesten Fälle für solch intensive Identifikation mit einem kleinen Landstrich vor.

Die Interferenz zwischen den Predigten und den Schauspielen Sachsen als das Mutterland der Reformation hatte die Initiative zu den Jubiläumsfeiern ergriffen. Es liegt auf der Hand, dass die beschwörende Wiederkehr von gleichbleibenden Themen und Motiven von der sächsischen Auswahl der Lesetexte und den Predigten über apokalyptische Texte beeinflusst war. Die Mehrzahl der Schauspiele wurde in Mitteldeutschland aufgeführt. Nur Kielmanns Tetzelocramia gehört nach Stettin, wurde aber in zweiter Auflage in Wittenberg gedruckt. Im Vordergrund stehen in Predigten und Schauspielen Tetzels Ablasskrämerei und die Antichristfigur des Papstes. Beides ließ sich auf der Bühne besonders drastisch darstellen, sowohl durch Requisiten als auch durch Sprache. Rinckart liefert überzeugende Beispiele: Im Monetarius steckt der Spiritus familiaris des Papstes in einem Drachenkostüm mit sieben Köpfen, die man sogar abnehmen kann. Bei aller Derbheit der damaligen Predigtsprache bleiben Kanzelreden doch in ihren Ausdrucksmöglichkeiten und vor allem im Sprachrelief hinter dem zurück, was etwa Rinckarts Dramen bieten. Kontroverstheologische und dogmatische Themen spielen selbst in Schauspielen eine überraschend wichtige Rolle. Dabei richten sich die Stacheln sowohl gegen die Katholiken als auch gegen andere protestantische Gruppierungen. Schauspiele befinden sich insofern im Vorteil, als sie die Vertreter der gegnerischen Partei direkt zeigen, verunglimpfen und lächerlich machen können. Zu diesem Zweck eignen sich auch konfessionstypische Gesänge, etwa das Ave Maria oder das Lied der Jakobspilger, das in Bertesius’ Vinea Indikator für die Katholiken ist.95 Bei aller Polemik gegen den Papst wird doch klar, dass im 17. Jahrhundert der Jesuitenorden und nicht eigentlich mehr Rom als aktueller Gegner empfunden wurde. Nirgends ist dies so brennend wie in Straßburg, wo sich die Fronten fast berührten. Erstaunlicherweise ist aber auch in Mitteldeutschland die Feindseligkeit sehr präsent und zwar in Gebieten, in denen der Orden keine Niederlassungen hatte und man die Konkurrenz des auch von seinen Gegnern als sehr attraktiv gelobten Ordenstheaters nicht zu fürchten hatte. Jesuitendramen, die Luther oder die Reformation zum Thema hatten, sind hingegen äußerst selten.96 Im Zusammenhang mit der Reformationsfeier sind keine bekannt. 95 Vgl. auch Scheitler, Irmgard: Das Jakobslied und seine Rezeption in der Frühen Neuzeit. In: JLH 53 (2014), 183–199. 96 Siehe oben Anm. 84. Rädle, Fidel: Das Jesuitentheater in der Pflicht der Gegenreformation. In: Daphnis 8 (1979) 167–199, hier 185 kommt zu dem Schluss, die Jesuiten hätten sich „mit direkter konfessioneller Polemik auf der Bühne in erstaunlichem Maße zurückgehalten“. Vgl. auch Merz, Detlef: Das protestantische Drama (s. Anm. 49), 774–777. Ebd. 786–788 zu protestantischen Äußerungen über das Jesuitentheater.

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Predigten wie auch Dramen zeichnen sich durch eine deutliche Neigung zur Monumentalisierung und Sanktifizierung der Person des Reformators aus. Hierin gehen Dramen womöglich noch weiter. Luthers Figur wird bis zur Christusähnlichkeit überhöht. Der Dramatiker neigt zur Emphase. Er legt sich keine dogmatische Selbstbeschränkung auf; die Zensur der Geistlichkeit oder der Scholarchen nahm aber offensichtlich auch keinen Anstoß. Ungeachtet dieser Heroisierung lädt speziell bei Rinckart der Bühnenluther als jovialer Landsmann zur Identifikation ein. Wer ihn von seiner Liebe zur Musik und zum Bergreihen sprechen hört, muss Sympathie zu ihm fassen. Wer ihn – wie am Ende von Monetarius – „Mit einem züchtigen Priestertantz“ sieht, erkennt klar, dass die Calvinisten mit ihrer Verwerfung des Tanzens unrecht tun. Ohne weiterer Erklärung zu bedürfen, haben Handlungen positiv konnotierter Bühnenfiguren Vorbildwirkung. So erfahren und erleben die Zuschauer an Luther die stärkende Wirkung des Kirchenliedes, wie sie schon Krüger mit seiner Christophorus-Figur demonstrierte. Aus dieser Warte erklärt sich auch das auffallend häufig verwendete Motiv der Wiederauferstehung des Reformators. Mag dieses auch durch Frischlins Julius Redivivus souffliert sein, so stellt doch eigentlich die Bühne genau das Forum für Wiederbelebung dar: Sie lässt Figuren unmittelbar sichtbar werden, macht sie leibhaft gegenwärtig. Hundert Jahre nach dem Tod des Reformators führt sie einem staunenden Publikum seine Autorität, seine Überzeugungskraft und seine Unangefochtenheit vor Augen und erfüllt damit vielleicht auch die Sehnsucht nach dem Elan der Anfangszeit. Zahlreiche wichtige Motive und Metaphern der Schauspiele wird man erst mit dem Blick auf die zeitgenössische Interpretation der Reformation richtig verstehen. Luthers Ehrennamen als Prophet und Wundermann kehren auch in den Schauspielen wieder; die Reformation wird als Herausführung aus Finsternis und Knechtschaft interpretiert. Allgegenwärtig ist die Überzeugung, das Papsttum in der Hure Babylon und dem Antichrist präfiguriert zu finden. Durch die Auswahl von Offb 14 als Festperikope wird diese Typologie noch bekräftigt. Die Spiele unterstreichen sie einerseits durch den Gesang „Sie ist gefallen, Babylon“, andererseits durch das Scherzlied Der Papst hat sich zu Tod(e) gefalln. Das Gefühl der Häme, des Auskostens von Überlegenheit, die hemmungslose Freude über den Fall des Feindes (vgl. Offb 18,6) sind bezeichnend für die Dramatik der Frühen Neuzeit, genauso aber auch für argumentative Texte. Entsprechende Szenen, in denen der Papst lächerlich gemacht, vom Himmel abgewiesen und in die Hölle gestürzt wird, sind in nahezu allen Schauspielen breit angelegt. Dass die Reformation und ihr Jubiläum ein wesentliches Mittel zur Stabilisierung des frühmodernen evangelischen Staatswesens darstellte, liegt offen zu Tage. Speziell das Kurfürstentum Sachsen war einheitlich lutherisch, der Landesfürst, der die Feier verordnet hatte, zugleich geistliches Oberhaupt, was den Staat nach innen einte. Kein Fürstenname steht häufiger auf Widmungsadressen des Jubiläumsjahres als der Johann Georgs I. Gleichwohl wollte noch keine Veröffentlichung auf den Kaiser als deutsches Symbol verzichten. Die Reformation

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konnte sich den frühdeutschen, antirömischen Nationalismus des beginnenden 16. Jahrhunderts mit ihrem Kampf gegen den Papst als Gegenspieler der Kaisers zu Nutze machen und gab sich somit loyal und deutsch.97 Noch am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges vermeiden Prediger wie Dramatiker, einen Keil zwischen Luther und das katholisch gebliebene Kaisertum zu treiben. Oben wurde auf Hoës Predigten verwiesen, in denen er die Hochachtung der Kaiser für Luther hervorhebt. In den dramatischen Darstellungen der Reichstage sind nicht die Kaiser Luthers Gegenspieler; Hirtzwig hebt das ehrerbietige Verhalten Karls V. an Luthers Grab eigens hervor (V,10). Hartmann reklamiert für Luther den Ehrennamen des Arminius: „Liberator Germaniae“. Einige besonders anstößige Geschichten aus diesem Ideenkomplex waren offenbar Gemeingut. Die in Schallers Straßburger Predigt über die Demütigung des Kaisers erzählte, oben S. 189 angeführte Anekdote findet sich mit frappierender Ähnlichkeit schon 1611 in Ecclesia Militans & Triumphans der Brüder Georg und Samuel Eberhard. Im ersten Akt, der sich mit dem Mittelalter beschäftigt, wird gezeigt, wie der überhebliche, mit dem Antichrist verbündete Papst Kaiser Barbarossa erniedrigt, indem er auf ihn tritt. „Hie singen Bischoff/ Jesuiten/ Monachi/ Inquisitor/ und das ander Pfaffen=gesind auß dem 91. Psalm. Super alpidem [muss heißen aspidem] & basiliscum ambulabis & et conculcabis Leonem & Draconem Gloria patri […]“. Die Autoren geben sogar die Melodie zu den Worten Ps 91(90),13 in Noten bei, eine Modifikation des 4. Psalmtons.98 Zwar war im Protestantismus des angehenden 17. Jahrhunderts die Gregorianik keineswegs ausgestorben, gleichwohl wurde sie bereits als katholisches Spezifikum empfunden. Kielmanns Tetzelocramia lässt den Papst und die Mönche auf einen mit Noten verzeichneten, nachgeahmten phrygischen Ton eine blasphemische Litanei singen. Im Rinckartschen Indulgentiarius Confusus und dem anonymen Lutherus Reformator psallieren sie Ave Maria. Als lächerliches Responsorium wird man sich auch den Gesang Tetzels vorstellen müssen, der mit seinen Gefährten vergeblich Einlass in den Himmel begehrt (Indulgentiarius V,6). Typisch katholischen, aber in Text und Melodie parodistisch veränderten Gesängen stehen die protestantischen Kernlieder als Stützen aller Reformationsfeiern gegenüber. Bestimmend für die Schauspiele sind im Wesentlichen die gleichen Choräle, die für das Jubeljahr vorgeschrieben und in deren Gottesdiensten benützt wurden. Dabei fällt auf, dass Ein feste Burg vornehmlich vom Reformator selbst zu seiner eigenen Stärkung gesungen wird. Für diese merkwürdige Reservierung ist sicher kein hymnologischer Biographismus verantwortlich, wie wir ihn aus dem 19. Jahrhunderts kennen. Vielmehr soll die ermutigende Wirkung des Gesangs sogar für den Reformator selbst gezeigt werden. Weitere, sehr häufig gebrauchte 97 Pars pro toto sei erwähnt: Ulrich von Hutten: Clag und Vormanung gegen den übermäßigen unchristlichen Gewalt des Bapsts zu Rom. 1520. 98 Ecclesia Militans & Triumphans (Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. I [s. Anm. 32], Nr. 249), I,5 Bl. B4v.

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Irmgard Scheitler

Lieder sind Wär Gott nicht mit uns diese Zeit, Ach Gott, vom Himmel sieh darein, Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort sowie Luthers deutsches Te Deum (Herr Gott, dich loben wir). Oben konnte festgehalten werden, dass den Liedern eine Beweiskraft zukommt, die sie an die Seite der Bibel stellen. Schauspiele kennzeichnen die Würde der Kirchenlieder, indem sie sie den Engeln im Himmel, ja Christus selbst in den Mund legen.

Ausblick: Die Reformationsfeiern 1717 Zwar war in Sachsen 1667 das jährliche Reformationsfest eingeführt worden,99 dennoch sollte das zweite Zentenarium in besonderer Weise begangen werden. Vorschriften über die Gestaltung der Gottesdienste sind in großer Zahl erhalten. Auch Predigten wurden gedruckt. Insgesamt ist der Tenor des zweiten Jubiläums weniger aufgeregt und milder. Die überschwänglichen Ehrentitel für Luther, mit denen sich die Autoren 1617 gegenseitig übertrafen, sucht man (fast) vergebens.100 Mit August dem Starken war das kurfürstliche Haus konvertiert – schon deswegen verboten sich in Sachsen scharfe Invektiven. Auffallend ist das Fehlen des Schultheaters, das 1617 mit seinen spezifischen Möglichkeiten einen wesentlichen Beitrag zum Reformationsjubiläum geleistet hatte. So präsent die Bühne 1617 war, so unwichtig erschien sie hundert Jahre später. Um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert hatte das Theater im evangelischen Deutschland eine schwere Krise durchgemacht. Unter dem Einfluss pietistischer Theaterfeindlichkeit gerieten öffentliche Aufführungen in Misskredit, an Schulen wurden sie – wiewohl nicht überall, so doch vielerorts – verboten oder doch eingeschränkt.101 Das Schuldrama hat sich nie mehr von diesem Schlag erholt. Es überlebte der Actus, eine schulische oder universitäre Redeübung, die zu allen Zeiten unbestrittener Bestandteil des Lehrplans gewesen war. Weil sie ohne Rollen, Kulissen und Kostüme vonstattengehen konnte, verursachte sie weder Proben, noch jene komödiantische Unordnung, vor der sich strenge Schulmeister fürchteten. So sind denn die von Augsburg bis Rostock, von Tübingen bis Hamburg an Schulen und Universitäten gehaltenen Actus eine Besonderheit des Jahres 1717. Professoren wie auch Schüler taten sich mit lateinischen und deutschen Ansprachen hervor. Die Anordnungen zu Gestaltung der Gottesdienste ähneln denen von 1617. Nicht der Ablauf, sehr wohl aber die Lesetexte unterscheiden sich. In den Vor99 [Kapp, Johann Erhard:] Schauplatz Des Tezelischen Ablaß=Krams, Und des Darwider streitenden sel. D. Martini Lutheri, Bey diesem zweyten hohen Evangelisch=Lutherischen Jubel=Fest. Nebst einem Anhang, Gelehrten und Ungelehrten zum besten eröffnet. Erfurt [s. n.] 1717, Vorrede 1. 100 Heroica Facta, Megalandri atque Theandri Mart. Lutheri […] Delineat Georgius Bach, Sch. Lubben. Con.-R. Wittenberg: Fincelius [1717]. Dies ist eine akademische Rede in Distichen. 101 Zu den Zusammenhängen vgl. Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. II (s. Anm. 38), 639– 642; 647–649.

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Lutherus redivivus. Das Reformationsjubiläum 1617

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schriften für das Kurfürstentum Sachsen fehlen die Kapitel Offb 14 und 18 vollständig.102 Mancherorts wurden in Gottesdiensten auch schon die modernen Kantaten gesungen. Genau genommen handelt es sich freilich bei den meisten dieser Werke nicht um Cantatas im eigentlichen Sinne, sondern um Kirchenstücke. Der Anlass nämlich bewog die Komponisten, die Rezitative und Arien um Chöre auf Bibeltexte und Choräle zu ergänzen.103 In dem kleinen Landstädtchen Luckau in der kursächsischen Niederlausitz nahm sich Kantor Johann Christoph Raubenius die Freiheit, doch wieder die Verse Offb 14,6f; 15,2; 18,2 und 14,8 und damit auch „Sie ist gefallen, Babylon“ prominent werden zu lassen.104 Eingestreut sind zahlreiche Strophen aus den bewährten Luther-Chorälen. Wesentlich weniger Choräle enthielt die in der Wittenberger Schlosskirche gesungene Kantate, doch zeigt auch sie einen eher kämpferischen Geist und klingt mit „Und wenn die Welt voll Teufel wär“ aus. Eine der beiden Strophenarien führt die von 1617 bekannten Worte an: „Denn Gottes Wort und Luthers Lehr | Vergehet nun, und nimmermehr.“105 Luthers Ein feste Burg war 1717 nach wie vor unerlässlich. Dies zeigen auch die Beiträge des Darmstädter Kapellmeisters und deutschlandweit bekannten Komponisten Christoph Graupner. Überliefert sind die gedruckten Texte und das Autograph der Kompositionen.106 Die erste Kantate („Jauchzet dem Herrn alle Welt“) für fünf Singstimmen, Streicher und Basso Continuo mit Rezitativen, Chören, Arien verwendet Ps 100,1–5; Ps 102,19–21 und schließt mit Strophe II von Ein feste Burg: „Mit unsrer Macht ist nichts getan“. Die zweite Kantate für den Nachmittag („Der Herr ist unsere Stärke“) ist vergleichbar aufgebaut und enthält neben Ps 28,8 f. zwei Choräle: „Unter Jesus Schirmen“ (Aus Johann Francks Jesu, meine Freude) und „Hilf deinem Volk, Herr Jesu Christ“ (vier Zeilen aus Luthers Te Deum (Herr Gott, dich loben wir). Beide Kantaten sind ganz auf Lobpreis gestimmt. Mit der zunehmend verbreiteten Kantate fanden Schul- und Universitätsactus ein probates Mittel, die meist kunstlosen und langen Redevorträge angenehmer zu 102 Anordnung/ Wie es Bey dem instehenden Evangelischen Jubilaeo und Danck=Feste 1717. Im Chur=Fürstenthum Sachßen/ auch incorporirten und andern Landen beym öffentlichen Gottesdienste gehalten werden soll. Dresden: Riedel, Stößel 1717. 103 Zur Definition vgl. Scheitler, Irmgard: Die Kantate als literarische Form und die geistlichen Kantaten der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Hirschmann, Wolfgang/ Wollny, Peter (Hg.): Wilhelm Friedemann Bach und die protestantische Kirchenkantate nach 1750. (Forum Mitteldeutsche Barockmusik 1). Beeskow 2012, 33–51, hier 33 f. 104 Bey der Alle Hundert Jahr einmahl […] rühmlich angestellten nunmehro andern Lutherischen grossen Reformations Gedächtniß=Feyer wird Gott zu Ehren gegenwärtige Cantata Bey sehr solennen Gottes=Dienste erstern Feyer=Tages Als den 31. Octobr. 1717. in der Haupt=Kirchen allhier zu Luckau In einer Music aufführen J. C. Raubenius, Cantor. Wittenberg: Gerdes [1717]. 105 Bey dem Andern Evangelischen Jubilaeo Anno 1717. Wurden in der Schloß und Stiffts=Kirche zu Aller Heiligen in Wittenberg Am Ersten Feyer=Tage Den 31. Octobr. Wie auch bey der Oratione Seculari Den 3. Novembr. Nachfolgende Arien und Cantata abgesungen. Wittenberg [1717]. 106 Texte zur Kirchen=Music, welche den 31. Oktober im Jahr 1717. als dem grossen Evangelischen Jubel=Fest der Reformation Lutheri in der Hoch=Fürstl. Darmstädtischen Hoff-Capelle musiciret worden. Darmstadt: Klug (RISM ID no.: 450005863).

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Irmgard Scheitler

machen und zugleich belehrend einzurahmen. Zwar konnte auch eine neue Strophendichtung gesungen werden;107 vielfach ist aber die moderne Kombination mit einer Kantate belegt. Die Universitätsfeier in Rostock war sogar von drei Kantaten begleitet.108 An der Domschule in Güstrow wurden eine lateinische Rede und lateinische Versvorträge gehalten.109 Dazu steuerte der Chor eine Kantate bei, deren Text sich – für 1717 etwas ungewöhnlich – an Offb 14 orientierte.110 Das Gymnasium in Wittenberg ließ ebenfalls vor dem Actus Declamatorius eine Kantate absingen. Sie beginnt mit den Worten: „Theurer Luther/ deine Lehren“, enthält aber keinen Choral.111 Komponist muss der seit 1713 in Wittenberg tätige Kantor Johann Gottfried Thomae aus Pesterwitz gewesen sein. Es ist verständlich, dass sich angesichts der Fülle der Darbietungen der Wunsch nach etwas Außergewöhnlichem regte. In Wittenberg tat sich ein Theologiestudent mit einer in Ich-Form vorgetragenen Erzählung hervor. Sie schildet, von zahlreichen vokalmusikalischen Einlagen unterbrochen, eine 107 In Leipzig war zu Universitätsfeiern eine von einem Professor gedichtete, vom Universitätsmusikdirektor komponierte Ode üblich; daher wurde 1717 eine zwölfstrophige lateinische Ode aufgeführt: Oda Secularis In Solennibus Jubilæi Secundi Divinis Auspiciis Ab Ecclesia Evangelico Lvtherana In Memoriam Restauratæ Per Lutherum Salutaris Doctrinæ Celebrati Inter Concentus Musicos A. M DCC XVII. III Non. Novembr. In Templo Academiæ Lipsiensis Pavlino Decantanda. Leipzig 1717. Eine vierstrophige deutsche „Aria“ erklang zu: Actus Oratorius Auff das Zweyte Evangelisch-Lutherische Den 31. Oct. 1717. einfallende Jubel-Fest, Welcher den 1. Nov. 1717. In unserem Magdeburgischen Gymnasio öffentlich wird gehalten werden/ Von und unter Anführung Samuel Walthers. Magdeburg: Müller 1717. 108 Cantata Welche als das Grosse Lutherische Jubel=Fest So unter der glücklichen Regierung […] Fürsten und Herrn, Herrn Carol Leopolds, Regierenden Herzogen zu Mecklenburg […] in […] Universität zu Rostock […] den 2. Nov. A. 1717. begangen worden, bey der in grössesten Auditorio gehaltenen Oration, in, zwischen und unter derselben musiciret und dazu entworffen ward von Jacobo Carmon, D. P. P. Rostock: Weppling 1717. – Als Ihr demühtigstes und freudiges Jubel=Opffer, zu Lobe und Ehren Des Dreyeinigen und Majestätischen Beschirmers, Seines verherrlichten Evangelischen-Christ-Lutherischen Zions […] Am 3. Novembris 1717. des andern erfreueten Jubel=Jahres […] die sämptlich zu Rostock Studirende […] Wurde diese […] Cantata […] begleitet. Rostock: Schwiegerau [1717]. – Demühtigstes Freuden= und Danck=Opffer dem glor=würdigsten und drey=einigen Gott, Vater, Sohn und Heiligen Geist, […] am 29. Oct. des andern evangel.-luth. Jubel=Jahres Zur Erweckung der Rostockischen Academischen Andacht […] in einer Cantata […]/ dargebracht Von Albrecht Joachim von Krakevitz. Rostock: Weppling [1717]. 109 Thesium Miscellanearum Decadem, In Publica Laetitia, Ob Celebratum Ecclesiae Purioris Alterum Jubilaeum, In Gymnasio Gustroviensi. Güstrow 1717. – Jacobus Dürfeldius/ David Sandow: Seculare Laudis Sacrificium Regi Regum & Domino Dominantium Jesu Christo Aeterno Dei Filio Victori Draconis & Squamarum Ejus Ob tam benigne per duo haec secula A salutari reformatione Magni Lutheri […] Güstroviensis Collegis. Güstrow 1717. 110 Auff den grossen andern Lutherischen Jubel-Fest/ welches auff gnädige Hoch-Fürstliche Verordnung/ den XXXI. Octobr. A. M. DCCXVII. in der Hoch-Fürstl. Residenz-Güstrau höchstfeyerlich celebriret wurde/ wolten Ihr Glaubens Triumph-Lied/ Nach der schönen Walterschen Composition zugleich mit absingen. Güstrow 1717. Festkantate „Auff/ auff mein Zion auff!“ – Mit dem genannten Walter ist vermutlich der Güstrower Stadtmusiker („Kunstpfeiffer“) Conrad Walter, allenfalls dessen Sohn Johann gemeint. Freundliche Auskunft von Frau Doris Dieckow-Plassa, Stadtarchiv Güstrow. 111 Memoria Divini herois Martini Lutheri […] in Lyceo Vittembergiensi […] pie renovabunt […] invitat M. Godofredus Wagenerus. Wittenberg 1717. Auf der Rückseite des Druckes befindet sich eine Liste sämtlicher Schulkollegen.

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Lutherus redivivus. Das Reformationsjubiläum 1617

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Vision von Luthers Tod und Fortleben – nämlich durch seine Tat. Von den Luther Redivivus-Phantasien des Jahres 1617, die nun Bedenken hinsichtlich ihrer Orthodoxie erregt hätten, ist nichts mehr zu spüren.112 Im Herzogtum Braunschweig war die Stimmung etwas theaterfreundlicher. Die Schule von Clausthal führte 1717 einen Actus oratorio-dramaticus auf, der insofern dem Actus dramatische Elemente beimischte, als sich eine Handlung ausmachen lässt. Gezeigt wurden Szenen aus der Reformationszeit.113 Mehrere Da-capo-Arien demonstrieren den modernen Charakter der Aufführung. Umso verwunderlicher ist der Gesang von Kirchenliedern durch den Chor. Der Einsatz solch übernommener Elemente war zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Theater längst nicht mehr zeitgemäß. Es erklangen Ach Gott, vom Himmel sieh darein mit I., II., IV. und VI. Strophe und aus dem auch bei Graupner verwendeten Jesu, meine Freude die Strophe „Unter deinen Schirmen“. Ferner sangen „zwey Engel unter Fleutes Douses folgende Ode: Wer Gott ein Hertze giebet.“ Für dieses Lied von Martin Opitz wurde aller Wahrscheinlichkeit nach eine Komposition von Andreas Hammerschmidt benützt. Die Lieder Luthers beherrschten also immer noch das Feld und wurden allenfalls durch wenige neuere ergänzt. Sie sind in den Zusammenhang von Rezitativen und Arien eingebaut oder stehen neben ihnen. Diese einseitige Konzentration auf das Œevre des Reformators ist nicht typisch für das Kantatenschaffen der Zeit, sondern erklärt sich aus dem Festzusammenhang. Insgesamt machen die Schulfeiern von 1717 mit ihren akademischen Reden und lehrhaften Kantaten einen kühlen Eindruck, insbesondere im Vergleich zu den Schauspielen des vorangegangen Jubeljahres. Von diesem Gesamtbild sticht die Feier in Zittau ab, die zudem außerordentlich gut belegt ist. Eine Fundgrube stellt schon die genaue Schilderung des gottesdienstlichen Ablaufes an den Feiertagen dar. Zudem ist eine Liste von 26 Liedern, „so auf das JubelFest sollen gesungen werden“ zusammengestellt. Unter diesen war Jesu, meine Freude von Johann Franck (1653) das modernste, gefolgt von Christe, du Beistand deiner Kreuzgemeine von Apelles von Löwenstern (1644).114 Die weit überwiegende Mehrzahl der Choräle entstammt dem Kernbestand des 16. Jahrhunderts. Wie den Niederschriften zu entnehmen ist, wurde Wie schön leuchtet der Morgenstern mehrfach, jedoch nicht von der Gemeinde, sondern von einem „deutschen Sänger“ vorgetragen. Die eindeutige Bevorzugung des reformationszeitlichen Liedes entspricht wohl kaum dem gewöhnlichen Gebrauch in der Lausitz. Das in Zittau seit 1712 erschienene Andächtiger 112 Der Todte Doch Lebendige D. Martin Luther Allen Christen zum Trost Hingegen Allen Feinden der Lutherischen Kirchen Zu Uberzeugung seiner richtigen Lehre als das Grosse Jubilaeum Auf der Weltberühmten Universität Wittenberg Diesem Theurem Manne zu Ehren Solenniter celebriret wurde Ist abgebildet worden in einem Gesicht Von Bartholomaeo Mayer. S.S.Th.St. Wittenberg: Koberstein [1717]. 113 Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. I (s. Anm. 32), Nr. 1262. 114 Dieses Lied verwendet auch Rektor Samuel Grosser in Görlitz für seine lateinische Jubiläums-Oration „Immensam Numinis Divini Gratiam“, die am 3. November 1717 mit „Musicalischer Devotion“ gehalten wurde.

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Irmgard Scheitler

Seelen vollständiges Gesang=Buch enthält in seinem reichen Liederschatz sehr viel Neues.115 Vergleicht man die Liedverwendung 1617 mit derjenigen von 1717, so fällt auf, dass unter den neueren Gesängen nur Jesu, meine Freude eine überregionale Bedeutung zukommt. Rektor des berühmten Zittauer Gymnasiums war Johann Christoph Wentzel. Als guter Musiker hatte er schon 1696 einen Federkrieg gegen den Pietisten, Musik- und Theaterfeind Gottfried Vockerodt geführt.116 1713 war Wentzel von Altenburg auf das Direktorat nach Zittau berufen worden, kein ganz bequemes Terrain, denn seine beiden Vorgänger hatten in der Lausitz Schwierigkeiten mit Theaterkritikern zu bestehen gehabt. Das Reformationsjubiläum nun gestaltete Wentzel in seiner Schule besonders glanzvoll, stand es doch unter dem sicheren Schutzmantel einer frommen Veranstaltung und konnte schwerlich als eitles weltliches Tun verurteilt werden.117 Die gottesdienstliche Musik komponierte Johann Krieger, Organist der Hauptkirche St. Johannis. Für den schulischen Teil gab es eine lateinische Rede des Rektors am 1. November sowie eine Rede desselben in deutschen Versen am 4. November. Am 9. November folgte auf Anordnung des Rats ein vom Konrektor Adam Erdmann Mirus geleiteter Actus. Die Musik zu seinen beiden Auftritten schrieb Wentzel selbst, was für einen Rektor ganz außergewöhnlich war. Für seine lateinische Rede erfand er eine raffinierte Variationenfolge für 15 Liedstrophen mit drei verschiedenen Melodien, verschiedener Besetzung und exquisitem Instrumentaleinsatz (Incipit: „Du Höchst=erwünschte Zeit/ sei tausendmahl willkommen“). Die Versrede war von fünf Arien durchzogen, deren Texte ebenfalls von Wentzel stammten und teilweise für den Actus des Konrektors wiederverwendet wurden. Ein weiterer Actus des Subrektors war durch zwei Rezitative mit Arien aufgelockert.118 Darüber hinaus präsentierten die Schüler an allen drei Festtagen eine Laterna

115 Andächtiger Seelen Vollständiges Gesang=Buch. Darinnen nicht allein alle Lieder D. Martini Lutheri, und anderer geistreichen Männer, sondern auch des seel. Herrn Christian Weisens zu finden, Welcher sich ein frommer Christ bey dem öffentlichen Gottesdienste, in Chur= und Fürstl. Landen auch anderer Evangel. Orten, an Sonn= und Fest=Tagen, Bey den Begräbnissen, und zu seiner täglichen Hauß=Andacht bedienen kann. Nebst einem Morgen= Abend= und etlichen Kirchen=gebeten u. Collecten wie auch einer Erklärung der schweren Wörter/ Mit einer Vorrede M. Mart. Grünwalds/ Mittags-Pred. zu SS. Petri und Pauli. Andere Auflage. Zittau/ Leipzig: Schöps 1714. Die von mir eingesehene 4. Aufl. ohne Titelblatt enthält 739 Lieder. 116 Vgl. Scheitler, Irmgard: Der Streit um die Mitteldinge. Menschenbild und Musikauffassung bei Gottfried Vockerodt und seinen Gegnern. In: Sträter, Udo (Hg.): Alter Adam und neue Kreatur. Pietismus und Anthropologie. Beiträge zum II. Internationalen Kongress für Pietismusforschung 2005 (Hallesche Forschungen 28/2). Tübingen 2009, 513–530. 117 Vgl. Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik Bd. I (s. Anm. 32), Nr. 1194–1200. Die handschriftliche Festbeschreibung ist betitelt: Gaudium Zitta altero anno secular: Das ist Historische Nachricht mit was vor Ceremonien und Freudens=Bezeugung Anno 1717. den 31. Octobr. 1. u. 11. Nov. wie auch die andern folgenden Tagen das andere große Evangelische Lutherische Jubilaeum […] celebriret worden. 118 Natalis per div. Lutherum repurgatae ecclesiae 1717 celebratur oratione saeculari de communione subutraque etc. ad quam [anagrammate etc.] invitat Christian Gottlob Pitschmann, Tertius en Gymn. Zittaviensi.

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Lutherus redivivus. Das Reformationsjubiläum 1617

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Magica-Vorführung: Die Lade des Bundes in dem Haus Obed-Edom.119 Am 23. November aber brachte der Rektor ein Schauspiel auf die Bühne, wofür er sogar das große, seit Jahren nicht mehr benützte Rathaustheater wieder eröffnen ließ. Die Aufführung musste wegen des Andrangs zweimal wiederholt werden: Das Glorieuse Leben und Regierung des theuresten Churfürstens zu Sachsen Friedrich des Weisen/ Wurde […] Zittau/ Den 23. Novembr. 1717. Zum glücklichen Schluß Des Evangelischen Jubilaei In einem modesten Dramate Zum beweglichen Beyspiel Christlich=Evangelischer Beständigkeit/ eilfertig vor Augen gestellt von Jo. Chr. Wentzeln/ D. Gymn. Direct. Zittau: Hartmann.

Statt Martin Luthers Leben und Werk zu dramatisieren, wählte Wentzel das Leben Friedrichs des Weisen. Die Handlung berichtet u. a. von der Gründung der Universität Wittenberg und rühmt den Kurfürsten wegen seiner „heldenmüthige[n] und unbewegliche[n] Beständigkeit bey der einmahl erkannten Göttl. Wahrheit des Evangelii zu verbleiben“. Ob dies ein versteckter Hinweis auf Dresden und die Konversion des Kurfürsten war, sei dahingestellt. Zum Stück gehören sechs Arien. Dies ist, so weit ist sehe, das einzige Theaterstück, das aus Anlass des Reformationsjubiläums 1717 in Deutschland aufgeführt wurde. Luther ist nicht Titelheld, aber er tritt doch auf, und zwar, wie vor 100 Jahren, auch als Sänger. Zwar trägt er nicht eines seiner eigenen Lieder vor, jedoch kann sich das Zittauer Publikum an einem auf der Bühne wiederbelebten, singend betenden Luther erbauen. Zum festlichen Abschluss des Jubeljahres setzte Wentzel noch einen besonders Akzent. Er gestaltete den üblichen Weihnachtsactus zu einem Drama um. An dessen Ende „sahe man in einer schönen Illumination 10 besondere Devisen, bey und unter welchen eine herrliche Music aufgeführet ward.“ Gemeint sind musikbegleitete Projektionen mithilfe der Laterna magica. Die Zittauer Feiern wirken wie ein Kontrapost zu den übrigen zurückhaltenden, fast etwas blutleeren Begängnissen. Schon mit dem Schulspiel schert Wentzel aus der Reihe. Der Einsatz der Laterna magica stellte zwar kein absolutes Novum dar, musste aber als außergewöhnliches Medienereignis Aufsehen erregen. Dass ein Schulleiter selbst komponierte, war geradezu normwidrig. Unter seinem eigenwilligen Rektor nahm sich die kleine Stadt in der Lausitz die Freiheit, das Jubiläum mit Pauken und Trompeten zu feiern.

119 Die Lade des Bundes in dem Haus Obed-Edom. Wurde/ an dem […] Jubilaeo Anno 1717. Den 31 Octobr. 1. und 2. Nov. frolockend erwogen/ und […] durch einen Schatten=Riß vorstellig gemacht von denen sämtlichen Studirenden Im Obersten Auditorio Durch Samuel Seideln/ Schmoella-Altenburg. Gymn. Zitt. Civ. Zittau: Hartmann [1717]. Der Autor, Samuel Seidel (1698– 1755), machte sich später als Dichter und Freund Johann Christoph Gottscheds einen Namen.

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Graduale Ecclesiae Hungaricae Epperiensis, 16351 Isoliert gebliebene Bemühung um die Erschaffung einer Kirchenmusik ungarischer Sprache

Ilona Ferenczi

Mit der Verbreitung der Reformation gehörte die Bevölkerung von Eperies2, wie die vieler oberungarischer Städte in der Mitte des 16. Jahrhunderts zur lutherischen Kirche. Anfangs wurde nur deutscher Gottesdienst gehalten. Mit der Stärkung der ungarischen und slowakischen Einwohnerschaft bekam diese später auch eigene Pfarrer. Schließlich hatte die Gemeinde vier Pfarrer: einen deutschen (sehr selten einen ungarischen) leitenden Pfarrer und je einen Pfarrer für die drei Nationalitäten. Die deutschen Lutheraner hielten Gottesdienst in der Anfang des 15. Jahrhunderts erbauten St.-Nikolaus-Kirche. 1565 musste für die Ungarn eine eigene Kirche in der „Windischen Gasse“ gebaut werden, die daraufhin zur „Magyar utca“ (Ungarischen Gasse) wurde. Die Zahl der ungarischen Einwohner wuchs in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts so stark, dass eine neue ungarische Kirche notwendig und errichtet wurde. Die Slowaken bekamen 1635 eine eigene Kirche. Obwohl die Eperieser Schule nicht so bekannt war wie die von Leonhard Stöckel 1539–1560 geleitete Bartfelder „Schola“, wurde sie gegen Ende des Jahrhunderts immer bedeutender. Stöckel setzte auf der Eperieser Synode von 1546 durch, dass die Schulen der königlichen Freistädte3 nach ähnlichen Grundsätzen wie die von Bartfeld organisiert werden sollten, woraufhin die Eperieser den Lehrplan übernahmen, den er ausgearbeitet hatte. Nachdem man unter dem Einfluss des Bartfelder Vorbilds Lehrer aus Wittenberg oder einer anderen bekannten Universität nach Eperies gerufen hatte, erlebte der Schulunterricht in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts unter den hervorragenden Rektoren auch in Eperies einen Aufschwung: Lucas Fabinus (1571–1586) gab für die Eperieser Jugend ein Grammatiklehrbuch heraus, und der aus Schlesien stammende 1 Széchényi-Nationalbibliothek, Signatur: Fol. Hung. 2153. Format: 315 x 195 mm, der gleichaltrige Ledereinband mit Eckbeschlägen und Mittelstück. Die Handschrift enthält nun 389 Folios, ihr ehemaliger Umfang (1118 Paginas) wurde um annähernd ein Drittel verringert. Die Faksimiles werden mit freundlicher Genehmigung der Széchényi-Nationalbibliothek wiedergegeben. 2 Ungarisch Eperjes, lateinisch Fragopolis, heute Prešov, Slowakei. 3 Die fünf königlichen Freistädte sind (heute alle in der Ostslowakei): Bartfeld (Bardejov), Eperies (Prešov), Kaschau (Košice), Leutschau (Levoča), Zeben (Sabinov).

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Graduale Ecclesiae Hungaricae Epperiensis, 1635

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Pädagoge und Dichter Johann Bock (= Bocatius, 1594–1599) zählte zu den von Kaiser und König Rudolf als „poeta laureatus caesarius“ Ausgezeichneten.4 Die Schule stand schon im Verlauf des 16. Jahrhunderts in enger Beziehung zur Kirche, aber diese Beziehung entfaltete sich erst richtig in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als verantwortungsvoll arbeitende Pfarrer und Lehrer aus allen drei Nationalitäten die zwei Institutionen leiteten und Rektor, Pfarrer und Kantor, einander in ihrer Arbeit unterstützend und ergänzend, gemeinsam an der Erziehung der Schüler und der Erbauung der Gemeinden wirkten.5 Einige Widmungs-Texte jener Zeit stellen die leitende Körperschaft von Kirche und Schule vor.6 Während den am Anfang des 17. Jahrhunderts auf eine hundertjährige muttersprachliche Vergangenheit zurückblickenden deutschen Gemeinden die Beschaffung der kirchlichen Literatur, der Bibeln, Gesangbücher, Katechismen und Predigtbände, keine Sorgen bereitete, bedeutete dies in der ungarischen Kirche größere Schwierigkeit. Der Mangel wurde einesteils mit ungarischen Drucken, zum anderen unter Mitwirkung der örtlichen Geistlichen mit Übersetzungen und eigenen Werken behoben. Zur Entstehungszeit des Eperieser Graduals hatte die kirchliche Literatur der ungarischen Sprachinsel durch die Tätigkeit des in Eperies wirkenden Pfarrers Márton Madarász7 (1618–1664) in bedeutendem Maße zugenommen. Madarász übersetzte Martin Luthers Kleinen Katechismus ins Ungarische, verfasste ein Gebet- und Gesangbuch und übertrug Predigtbände und Meditationen aus dem Lateinischen oder Deutschen in die ungarische Sprache. Wie auf der Titelseite zu lesen ist, wurde unter seiner Aufsicht das große Gesangbuch der Eperieser ungarischen Kirche fertiggestellt, das Graduale Ecclesiae Hungaricae Epperiensis, das der ungarische Kantor Dániel Banszki redigiert und geschrieben hatte.8 4 Über die Geschichte der Stadt, der Kirche und der Schule von Eperies siehe Gömöry, János: Eperjes és az evangélikus kollégium története [Geschichte von Eperies und dem evangelischen Kollegium]. Reprint. Evangélikus Országos Múzeum [Budapest] 1994. 5 Die Arbeit der Pfarrer und des Kantors, die das Eperieser Gradual redigierten und schrieben, sind auf verschiedene Art und Weise miteinander verbunden. Beim zweiten Te Deum im Gebetbuch von 1629 merkt der Herausgeber und hie und da Verfasser Pfarrer Madarász an: „Auf andere Weise: wie als man hier bei uns in der Kirche an Festtagen zu singen pflegt“ – und sechs Jahre später gelangt eben diese zweite Textfassung in das Gradual. Weitere Beispiele siehe später. 6 Als der aus dem Komitat Scharosch stammende Wittenberger Student Johann Serédi seine Dissertation (Dissertatio Theologica de Bonis Operibus … publice Johannes Seredi Sarossio-Hungarus, S. Theol. Studiosus Wittenberg 1626) herausgab, waren von den sechs Adressaten vier Eperieser Pfarrer: Caspar Preller (erster Pfarrer), Daniel Goltz, Márton Madarász, Johannes Hersa. – Ein ehemaliger Eperieser Student namens Johann Poláni widmete sein Werk (Dialogismos Theologikos Decem Crassiores […]. Königsberg 1639) dem Eperieser Stadtrat, den Eperieser Pfarrern Caspar Preller, Daniel Goltz und Márton Madarász, dem Pfarrer von Berzevice László Poláni, seinem Vater, Propst des Komitats Scharosch, sowie seinem ehemaligen Lehrer, dem Rektor der Eperieser Schule, Johann Serédi. 7 Márton Madarász steht in der Wittenberger Universitätsmatrikel als „Martinus Damascenus Epperiensis“. Vgl. Asztalos, Miklós: A wittenbergi egyetem magyarországi hallgatóinak névsora. 1601–1812 [Namensliste der ungarischen Studenten der Wittenberger Universität 1601–1812]. In: Magyar protestáns egyháztörténeti adattár XIV (1930), 116. 8 Siehe Faksimile 1.

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Ilona Ferenczi

Die Titelseite des Graduals bietet einige wichtige Anhaltspunkte in Bezug auf Entstehung, Zusammenstellung und die Schreiber der Handschrift.9 Demnach wurde das Gradual der Eperieser ungarischen Kirche „zu Ehre und Lob der Heiligen Dreifaltigkeit geschrieben“ – „und mit heiligen mehrstimmigen Gesängen sowie Hymnen, Antiphonen, Psalmen und süßen Liedern geschmückt“ – „während der Amtszeit des unermüdlichen ungarischen Pfarrers, des sehr ehrbaren und vortrefflichen Márton Damascenus“ – „unter der Aufsicht von Andreas Grollmann und Jonas Kadass, gelehrten und weisen Männern“ – „durch mich, Dániel Banszki aus Bries10, zu der Zeit ordinierter ungarischer Kantor“ – „Im Jahr 1635“ – „ es schrieb Andreas Glosius eigenhändig“.11 Der große Teil des Graduals wurde also 1635 für die ungarische lutherische Kirche von Eperies aufgezeichnet. (1642, 1650 und 1652 fügte man noch einige Sätze hinzu.) Das gesamte Gradual stammt, mit Ausnahme von zwei Sätzen und etlichen kleineren Eintragungen, von der Hand des ungarischen Kantors von Eperies Dániel Banszki. Er war in einer Person Notator und Scriptor. Als Notator verwendete er verschiedene Notationsarten für die Kopierung der Gregorianik, der Cantionen und der mehrstimmigen Sätze.12 Die Arbeit als Scriptor legt nahe, dass seine Muttersprache nicht das Ungarische war.13

9 Es mag aufgefallen sein, dass wir die Eperieser Handschrift nicht als „Graduale“ bezeichnen, wie auf dem Titelblatt steht, sondern das nach der Definition der liturgischen Buchgattung davon abweichende Wort „Gradual“ verwenden. Die Bezeichnung Gradual, die für die ungarischen liturgischen Bücher des 16.–17. Jahrhunderts allgemein gebraucht wurde, engt weder auf die bekannte mittelalterliche Buchgattung, noch auf die liturgischen Gesänge der Messe ein. Die protestantischen Graduale, welche die Gregorianik in ungarischer Sprache bewahren, enthalten in erster Linie nicht die Liturgie des Hauptgottesdienstes, der Messe, sondern die aus den mittelalterlichen Stundengebeten beibehaltenen wichtigsten Nebengottesdienste. Das Gradual ist also ein Kantorenbuch zusammenfassenden Charakters, das eventuell dem Kantor zur Verfügung stehende Sänger benutzen mochten. Darüber ausführlicher s. Schulek, Tibor: Kurzer Abriß der Geschichte des ungarischen Kirchengesangbuchs und des Standes hymnologischer Forschung in Ungarn. In: JLH 13 (1968), 130–140; ferner Ferenczi, Ilona: Die ungarische Gregorianik im 16. und 17. Jahrhundert. In: JLH 32 (1989), 158–165. 10 Heute Brezno, Slowakei. 11 Die Bestimmung des Schreibers der Handschrift stellte schon bei der ersten Studie ein Problem dar, s. Bárdos, Kornél/ Csomasz Tóth, Kálmán: Az Eperjesi Graduál, I. Gregorián kapcsolatok, II. Kórusok és népénekdallamok [Das Eperieser Gradual, I. Beziehungen zur Gregorianik, II. Chorsätze und Volksgesänge]. In: Zenetudományi Tanulmányok VI. Budapest 1957, 165–198, 199– 264; hierzu 169. Auf Grund des Titelblattes kommen sowohl Dániel Banszki als auch Andreas Glosius in Frage. Nach dem Titel hat Dániel Banszki das Gradual redigiert und geschrieben, doch unter der Jahreszahl des äußeren Rahmens erscheint in kleinen Buchstaben auch der Name von Andreas Glosius als Scriptor. Dieser zweite Name kann auf den Schreiber der einigen späteren Eintragungen hinweisen. 12 Das gregorianische Schriftbild zeigt die durch die tschechische Notation beeinflusste Metzer Notation. Der Grundton, die Einheit der gregorianischen Stücke sowie seiner Cantionen ist das schwalbenschwanzförmige Punctum. In der Notation der mehrstimmigen Sätze ist die weiße Mensuralnotation zur modernisierten Fassung vereinfacht. 13 Dániel Banszki stammte aus einer Gegend mit mehrheitlich slowakischer und deutscher Bevölkerung. In seiner Schrift kommen viele Fehlertypen vor, die bei einem Schreiber ungarischer Nationalität vielleicht nie auftreten würden.

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Abb. 1: Das Eperieser Gradual, Titelseite

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Die Kopierarbeit begann er mit dem Adventsteil und setzte sie entsprechend der Einteilung des Kirchenjahres bis zu Ende fort. Dem abgeschlossenen Kirchenjahr folgen allgemeine mehrstimmige Sätze, Psalmen und Cantiones, anschließend einstimmige Gesänge. An den Anfang der Handschrift setzte er die sämtliche Feste des Kirchenjahres betreffenden, zu den Stundengebeten gehörenden Gattungsreihen. Der leichteren Überschaubarkeit halber ist der Inhalt, die originalen lateinischen Titel beibehaltend, in große Abschnitte eingeteilt. I II III

IV V VI VII VIII IX X XI XII XIII XIV

Responsorium Commune, Versiculi responsionis, Benedictiones De Incarnatione [De Adventu] Domini Nostri Jesus Christi De Nativitate Domini Nostri Jesu Christi Dominica post Natalem, In die Circumcisionis In Epiphania, post Epiphaniam Weihnachts- und Neujahrs-Cantionen Dominica Septuagesima, Sexagesima, Quinquagesima, Quadragesima, Invocavit, Reminiscere, Oculi, Laetare, Judica De Passione Jesu Christi Litaniae, Lamentationes, Oratio, Passiones De Resurrectione Domini Nostri Jesus Christi De Ascensione Domini Nostri Jesu Christi De Spiritu Sancto De Sancta Trinitate De Operibus sex dierum Hymni Quotidiani Responsoria Dominicalia, Antiphonae Dominicales Dominica Trinitatis, post Trinitatem Mehrstimmige Sätze – allgemeiner Teil Cantio-Anhang

Gemäß dem Titelblatt und einer Eintragung, die den Sätzen zum 25. Sonntag nach Trinitatis folgt (f. 316v), wurde das Stammmaterial am 9. Oktober 1635 fertig. In ihm sind alle Arten von liturgischen Gattungen zu finden: einstimmige Gregorianik und Cantionen sowie auch mehrstimmige Stücke zu den einzelnen Festen und allgemeine mehrstimmige Sätze. Der Schreiber des Graduals hat aber nicht nur vollständige Sätze in das Gradual eingetragen; er schlägt nach der Liturgie für die einzelnen Sonntage in den Rubriken Cantionen mittels Angabe der Anfangszeilen Lieder und Psalmen vor.14 Die vorgeschlagenen Lieder sind mit wenigen Ausnahmen nicht im Gradual enthalten, so dass sie aus anderen Gesangbüchern herausgesucht werden müssen.15 Dagegen kann man die emp14 Sie unterscheiden sich von den ursprünglichen, im Mittelalter in liturgischen Büchern allgemein verwendeten Rubriken dadurch, dass sie empfohlene Lieder und keine bindende Reihenfolge angeben. – Der Kantor hat die Titel der Cantionen in Rubriken zusammengefasst, ebenso wie in dem Predigtband „Predikatioc egesz esztendö altal minden vasarnapra rendeltetet euangeliombol“ von Péter Bornemisza (Detrekő 1584) die empfohlenen Liederanfänge zu finden sind. 15 Der Cantio-Teil von Gál Huszárs großem Gesangbuch (A keresztyéni gyülekezetben való isteni dicséretek és imádságok. Komjáti 1574) und das Gesangbuch Bornemiszas (Énekek három rendbe. Detrekő 1582) sind auch nur teilweise eine Hilfe, da mehrere Lieder zum ersten Mal gleichzeitig mit dem Gradual in dem Leutschauer Gesangbuch (Keresztyéni Isteni dicséretek. Lő cse 1635) erscheinen.

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fohlenen Psalmen alle bis auf einen in der Handschrift finden; der Schreiber hat sie im allgemein sogar selbst mit dem Pagina-Verweis versehen.

*** Das ganze Material des Eperieser Graduals wurde in der 1988 erschienenen Quellenausgabe in 609 Einheiten eingeteilt.16 413 wurden mit Noten aufgezeichnet, bei 196 wurde nur der Text notiert. Die Zahl der nach der Handschrift singbaren Sätze ist dagegen wesentlich größer, weil der Psalm-Ton durch die Differenz der vorangehenden Antiphon, oder auch ohne die Psalmdifferenz, durch den Ton der Antiphon bestimmt ist. Außerdem wird bei den aufeinander folgenden Hymnen mehrfach auf die vorherige, mit Noten versehene Hymne hingewiesen. Die für die Feste des Kirchenjahres gegebenen Versiculus-Reihen lassen sich auf eine Melodie, die Benedicamus auf dreierlei Melodien singen, und die „ad notam“ Hinweise der Cantionen bezeichnen gelegentlich eine irgendwo in der Handschrift enthaltene Melodie. In das Eperieser Gradual nahm man in erster Linie die liturgischen Stücke der Nebengottesdienste, der Stundengebete auf, von den Hauptgottesdiensten dagegen die nach Festen wechselnden Teile.17 Aufgrund der in den Rubriken empfohlenen und im Gradual nicht vorhandenen Lieder wie auch der lückenhaften Hauptgottesdienstliturgie ist sicher anzunehmen, dass neben dem Gradual auch andere Gesangbücher benutzt wurden. Am nächstliegenden ist an Gál Huszárs Gesangbuch von 157418 zu denken, dessen liturgischer erster Teil noch heute in Eperies aufbewahrt wird. Dieses ergänzt die Hauptgottesdienststücke des Eperieser Graduals sehr gut: Die ständigen Messstücke und die Abendmahlsliturgie konnte man aus ihm singen und die in der evangelischen Tradition noch übriggebliebenen wechselnden Stücke (Introitus, Sequenz) aus dem Gradual. Die übrigen wechselnden Stücke wurden in der Eperieser Praxis – wie schon in Luthers hundert Jahre früheren Messordnung – durch Gemeindelieder ersetzt. Aber auch anstelle des Introitus und der Sequenz, ja sogar der ständigen Messstücke wurden andere, in ihrem Inhalt identische Gemeindegesänge oder sonstige liturgische Stücke gesungen. Die wichtigste musikalisch-liturgische Gattung des Graduals ist der vor und 16 Siehe Ferenczi, Ilona (Hg.): Graduale Ecclesiae Hungaricae Epperienis 1635. Musicalia Danubiana 9. MTA Zenetudományi Intézet. Budapest 1988. Die vorliegende Studie ist die überarbeitete Fassung des Vorwortes dieser Ausgabe. – Die erste Studie über das Gradual und über seine einzelnen Gattungen s. Bárdos, Kornél/ Csomasz Tóth, Kálmán: Az Eperjesi Graduál, I. Gregorián kapcsolatok, II. Kórusok és népénekdallamok [Das Eperieser Gradual, I. Beziehungen zur Gregorianik, II. Chorsätze und Volksgesänge]. In: Zenetudományi Tanulmányok VI. Budapest 1957, 165–198, 199–264. 17 Sätze für Stundengebete: Antiphon, Psalm, Hymnus, Versiculus, Responsorium breve, Canticum, Benedicamus, Invitatorium, Te Deum; Sätze für Hauptgottesdienst: Introitus, Sequenz, Symbolum Apostolicum, Symbolum Athanasium; für die Karwoche: Litanei, Passio, Lamentatio, Oratio Jeremiae; ferner Cantiones. 18 S. Anm. 15.

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nach den Psalmen gesungene Kehrvers, die Antiphon.19 Besonders beachtenswert sind die rund hundertfünfzig Antiphonen, die nur im Eperieser Gradual vorkommen. Der Redaktor des Graduals hat meistens ganze Liturgien und nicht Gattungsreihen mitgeteilt, so hat er mehrere mittelalterliche Antiphonen übernommen, die sonst in liturgischen Handschriften kleineren Umfangs keinen Platz fanden. Für die Sonntage nach Trinitatis gibt er zwei Reihen: zuerst eine Antiphonenreihe für 25 Sonntage und dann die traditionellere, mittelalterlichen Quellen folgende detaillierte liturgische Ordnung für 27 Sonntage.20 In der ersten Reihe befolgt der Redaktor das Prinzip der „series tonorum“, bei dem der Ton der Antiphonen der Zahl der Sonntage entspricht, so dass er für die 25 Sonntage drei Tonreihen zusammenstellt. Da er aber dafür nicht immer ein mittelalterliches Vorbild fand, schuf er neue Antiphonen, manchmal auch dort, wo ihm eine lateinische Antiphon mit entsprechendem Ton zur Verfügung gestanden hätte.21 Die vielen unikaten Antiphonen lassen sich ferner damit erklären, dass der Redaktor des Graduals die mittelalterlichen Antiphonen mit solcher Freiheit behandelte, die in den übrigen Gradualen unbekannt ist: die längeren teilt er oft in zwei Teile, wodurch sich der ursprüngliche Melodie-Charakter änderte.22 Für den Text der Antiphonen, aus den Evangelien und Psalmen hat der Schreiber zum Teil die protestantischen Übersetzungen gewählt.23 Der andere Teil der Texte kann mit dem lokalen Zusammenhang erklärt und identifiziert werden. Der Eperieser Pfarrer Madarász arbeitete in den 1630er Jahren an der Übersetzung der Meditationen des lutherischen Theologen und Wittenberger Professors Balthasar Meisner24, wahrscheinlich sogar parallel mit dem Redigieren und dem Kopieren des Eperieser Graduals.25 In den Predigtband kamen nicht nur die Auslegungen, sondern auch die zugrunde liegenden Bibelabschnitte. Dazu verwendete der ungarische lutherische Pfarrer von Eperies nicht eine protestantische Bibelübersetzung, sondern die katholische, die sprachlich modernere von 19 Mehr Antiphonen als im Eperieser Gradual finden sich nur im von János Keserüi Dajka und István Geleji Katona zusammengestellten gedruckten Öreg (Großen) Gradual (Gyulafehérvár 1636), das allerdings keine Originalquelle, sondern eine Sammlung zusammenfassenden Charakters ist. 20 Pro Sonntag führt er drei Antiphonen an: zwei mit Evangelien- und eine mit Psalmentext. 21 Beispielsweise die gemäß der Antiphon im 1. Ton Primum querite geschaffene ungarische Antiphon Legelő ször keressétek steht in der Reihe im 7. Ton, da sie für den 15. Sonntag nach Trinitatis bestimmt war. Für die Antiphon-Serie siehe Faksimile 2. 22 Die Freiheit des Redaktors zeigt sich auch darin, dass er die aus dem Evangelientext entnommenen beiden Antiphonen gegenüber der aus den mittelalterlichen Quellen bekannten Reihenfolge umkehrt: zuerst bringt er die Zusammenfassung und dann das Detail. 23 Die Übersetzung des Psalters und des Neuen Testaments von Gáspár Heltai (Zsoltár. Kolozsvár 1560; A Jézus Krisztusnak Újtestamentuma. Kolozsvár 1561), die ganze Bibelübersetzung von Gáspár Károlyi (Szent Biblia. Vizsoly 1590), Psalmenübersetzungen von Márton Kálmáncsehi im Gesangbuch von Gál Huszár (A keresztyéni gyülekezetben való Isteni dicséretek. Debrecen 1560– 61). 24 Der erste Band der Meditationen von Meisner (1587–1626) erschien in Lübeck 1621. Der ungarische Titel: Boldisar Meisner sz. elmelkedeseinek a vasarnapi evangeliomokba Magyar nyelvvel valo megajandékozása Madarász Mártontól, az eperjesi magyar ecclesiának lelkipásztorától. 25 Madarász beendete das „Beschenken mit der ungarischen Sprache“ der Meditationen am Tage des hl. Laurentius (10. Aug.) 1635, und das Stammmaterial des Eperieser Graduals war am 9. Oktober gleichen Jahres fertig.

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Abb. 2: Das Eperieser Gradual, f. 292r

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György Káldi, die erst einige Jahre zuvor erschienen war.26 Vielen AntiphonMelodien wurde ein Text zugrunde gelegt, dessen „Vorbild“ in einem Bibelabschnitt des Predigtbandes vorkommt. Der Abfassung des Graduals und der Textwahl ging also eine sehr sorgfältige und bewusste Arbeit voraus. Die Vertonung neuer, bisher als Antiphon unbekannter biblischer und freier Texte schafft „neue Kompositionen“, die allgemein nach irgendeinem der bekannten Antiphon-Modelle entstanden.27 Als Ergebnis der redaktionellen und Übersetzungsarbeit weist das Eperieser Gradual nicht nur gegenüber den mittelalterlichen Quellen, sondern auch im Vergleich mit den übrigen Gradualen ungarischer Sprache und sogar an sich eine sehr reiche Variationstechnik auf. Eine Sonderschicht des Graduals bilden die ungebunden zu den Zeremonien gehörenden Gesänge, die Cantionen.28 Die meisten Cantionen sind gregorianisch inspiriert bzw. hussitischer oder reformatorischer Herkunft und nach irgendeinem Muster geschaffen, was beim Notieren im Titel auch vermerkt wurde.29 Bei der Assimilierung des fremden Musters gelang es nicht immer, das Problem der Übersetzung restlos zu lösen: Auf die metrischen Melodien lässt sich der ungarische Text oft nur unnatürlich anwenden.30 In das Gradual wurden wenige typisch ungarische Gesänge aufgenommen. Die Melodien von einigen Cantionen ungarischer oder deutscher Herkunft weichen von den bekannten traditionellen Weisen dermaßen ab, dass sie schon als charakteristische, individuelle Varianten zählen.31 Unter jenen Melodien, die im Eperieser Gradual zum ersten Mal vorkommen, sind manche weiter verbreitet, und ihre volkstümlichen Varianten wurden noch im 20. Jahrhundert gesungen.32 Unter den protestantischen Gradualen ungarischer Sprache ist das Eperieser Gradual nicht nur das einzige lutherische evangelische,33 sondern auch das einzige, welches mehrstimmige Stücke und sogar mehrstimmige Passionen enthält, wodurch seine Sonderstellung noch mehr unterstrichen wird.34 Die 55 mehr26 Szent Biblia. Wien 1626. 27 So etwa besonders die paulinische Intentionen beinhaltenden neuen Antiphonen. 28 Die Melodien und Texte der Gesänge gewinnen dadurch an Bedeutung, dass einige von ihnen in dieser Quelle zum ersten Mal erscheinen oder sich nirgendwo anders finden lassen. 29 Beispielsweise Resonet in laudibus, In dulci jubilo, Septem verba Christi, Agnus Dei, Credo in unum Deum, Pater noster, Cur mundus militat, Da Jesus an dem Kreutze hang, Wir danken Dir für Deinen Tod, Hilf Gott, dass mir’s gelinge 30 Einige Lieder wurde von dem Rektor der Eperieser Schule Johann Serédi übersetzt; sie wurden vom Schreiber mit seinem Namen oder Monogramm versehen. 31 Mennybő l jövök most hozzátok = Vom Himmel hoch, da komm ich her; A mennyei nap immár feljött = Die himmlische Sonn’ leuchtet hervor; Krisztus ártatlan bárány = Christus, Lamm unschuldig; Jövel, Szentlélek Úristen = Komm, Heiliger Geist, Herre Gott 32 Vgl. Szendrei, Janka/ Dobszay, László/ Rajeczky, Benjamin: XVI.-XVII. századi dallamaink a népi emlékezetben [Die ungarischen Melodien aus dem 16.–17. Jahrhundert im Gedächtnis des Volkes]. Akadémiai Kiadó. Budapest 1979. – Für die fünfzeilige Melodie (mit dem Titel Pro impetrandis Pluvijs auf der vorigen Seite) siehe Faksimile 3. 33 Die meisten Graduale sind reformiert, nur einige kleine unitarische Handschriften gehören zu dieser Buchgattung. 34 Die Hauptrollen müssen einstimmig rezitiert werden, die Turbae sind einfach akkordisch komponiert.

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Abb. 3: Das Eperieser Gradual, f. 366r

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stimmigen Stücke des Graduals lassen sich drei Stilschichten zuordnen.35 Den einheitlichsten Block bilden die von Claude Goudimel vertonten einfachsten Bearbeitungen der französischen metrischen Psalmen.36 Unter Goudimels Bearbeitungen fügte man die Psalmen-Übersetzungen von Albert Szenci Molnár ein.37 Außerdem wählte man zu vier weiteren Bearbeitungen unbekannter Autoren und wahrscheinlich ungarischer Herkunft dessen Text.38 Unter den mehrstimmigen Psalmen ist eine heimische Komposition bei Psalm 128 auf die Melodie des Salve benigne Rex Ladislae zu vermuten.39 Die Musik der mehrstimmigen Kantionalsätze ist zum Teil deutscher Herkunft40 und findet sich in verschiedenen Varianten in den Schulsammlungen vom Ende des 16. Jahrhunderts.41 Die Sammlungen von Michael Praetorius gelangten auch in mehrere oberungarische Städte, und auch beim Eperieser Gradual betrachten wir in erster Linie seine Werke als Quellen.42 Vier- bis fünfstimmige Varianten von Heut triumphieret Gottes Sohn wurden an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert von Bartholomäus Gesius und Melchior Vulpius herausgegeben, während sich in Ungarn der sechsstimmige Satz von Seth Calvisius mit der Übersetzung des Eperieser Rektors Johann Serédi verbreitete.43 35 Der Schreiber hielt es nicht für wichtig, die Verfasser der Werke zu erwähnen, so dass von ihrer Herkunft erst die Identifizierung durch Zoltán Gárdonyi und Kálmán Csomasz Tóth informierten. S. Bárdos, Kornél/ Csomasz Tóth, Kálmán: Az Eperjesi Graduál (s. Anm. 11). Aufgrund der seither entdeckten oberungarischen Sammlungen wuchs die Zahl der identifizierbaren oder als Varianten zu bestimmenden Stücke. 36 Vgl. Goudimel, Claude: Les 150 Psaumes d’après les Éditions de 1564 et 1565. Transcription de Pièrre Pidoux. Oeuvres complètes 9, New York/Bâle 1967. 37 Es ist nicht sicher, dass dem Redaktor und seinen Mitarbeitern die Erstausgabe von 1607 zur Verfügung stand, eher ist zu vermuten, dass sie den Text der der Oppenheimer Bibel (Szent Biblia. Oppenheim 1612) angefügten Psalmen oder das Psalterium Ungaricum des Leutschauer Gesangbuches von 1635 (s. Anm. 15) benutzten. 38 Die Musik der Stücke erscheint in späteren Gesangbüchern mit deutscher bzw. slowakischer Sprache. Darüber s. Ferenczi, Ilona/ Hulková, Marta: Gemeinsame ein- und mehrstimmige Stücke in dem Gradual von Eperjes und in dem Gesangbuch aus L̓ ubica (17. Jh.). In: Studia Musicologica 22 (1980), 345–396. 39 F. 353v–364r; siehe Faksimile 4. 40 Komponisten: Michael Praetorius, Bartholomäus Gesius, Hans Leo Hassler, Johann Hermann Schein, Adam Gumpelzhaimer, Seth Calvisius und eine Oden-Bearbeitung von Paul Schalnreuter. 41 Gesius, Bartholomäus: Hymni scholastici. Frankfurt/O. 1597; Ders.: Geistliche Deutsche Lieder. Frankfurt/O. 1601; Melodeyen Gesangbuch. Hamburg 1604 – In dem unlängst in den Besitz der Bibliothek der Ungarischen Lutherischen Kirche gelangten, vermutlich aus Sachsen stammenden Cantionale aus den 1620er Jahren sind auch einige mehrstimmige Stücke in deutscher Sprache zu finden, die im Eperieser Gradual ungarisch vorkommen. – Das Cantionale hat mehr als 300 unnumerierte Folios, kein Titelblatt und nur bei einem Magnificat ist der Name des Komponisten, David Thusius aus Mansfeld angegeben. 42 So mochte z. B. das Lieblings-Tanzstück des 16. Jahrhunderts „Fortune a bien couru sur moi“ (vgl. Apel, Willi: Die Notation der polyphonen Musik 900–1600. Leipzig 1962, 70–72) als vierstimmige Weihnachts-Cantio Uns ist ein Kindlein heut geborn durch die 1609 gedruckte Sammlung Musiae Sioniae VI von Michael Praetorius (Nr. XLIX) nach Oberungarn gelangt sein. Der ungarische Text des Eperieser Graduals lautet in Übersetzung: Vom Himmel hoch, da komm ich her. 43 Eperieser Gradual, f. 203v–204r. Als einziger Satz von Seth Calvisius erschienen in Schein, Johann Hermann: Cantional oder Gesangbuch Augsburgischer Confession 1627/1645. Teil 1. Hg. von Adam Adrio. Kassel 1965, Nr. 54. (Erschienen auch in Cantiones sacrae … 1603, f. 58)

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Abb. 4: Das Eperieser Gradual, f. 353v–354r

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*** Die 609 Stücke des Eperieser Graduals waren in erster Linie zu praktischen Zwecken, für den schulischen und kirchlichen Gebrauch bestimmt. Deshalb hielt man es nicht für wichtig, von Satz zu Satz fortschreitend die Quellen anzugeben, den Textdichter, Übersetzer oder die Komponisten zu benennen. Dagegen wird man reichlicher über die lokale Zusammenarbeit informiert: dass das Gradual zur Zeit des Pfarrers Márton Madarász fertiggestellt wurde, wann der ungarische Kantor Dániel Banszki es zum ersten Mal beendete und dann fortsetzte und dass er unter die Lieder auch die Übersetzungen des einstigen Rektors Johann Serédi aufnahm. Vorrangiger Gesichtspunkt bei der Redaktion der Eperieser musikalischliturgischen Handschrift war ihre Verwendung im schulischen Musikunterricht und zur Vorbereitung der Kinder auf ihre aktive Teilnahme an den Gottesdiensten. In der zumeist von Deutschen und Slowaken bewohnten Umgebung muss es als höchst wichtige Initiative gelten, dass man sich parallel mit der Hebung des Niveaus der Schule von Eperies um die Bereicherung der muttersprachlichen Liturgie in der ungarischen Kirche bemühte. In der Liturgie stützte man sich auf die Teilnahme der Kinder (der Schüler) und des Chores, wie darauf die Aufschrift „Pueri-Chorus“ bei den Responsorium-, Introitus- und Invitatorium-Sätzen des Graduals und die nähere Erklärung der Vortragsweise vor dem ersten Versiculus verweisen.44 Beim Vortrag gewisser mehrstimmiger Sätze rechnete man ausschließlich mit der Ausführung durch die Kinder. Aufgrund des nicht immer einheitlichen sprachlichen, literarischen und musikalischen Niveaus des Graduals ist anzunehmen, dass die Quellenbenutzung, die Übernahme viel stärker war als die Außenwirkung. Die größte Bedeutung hat jenes Hintergrundmaterial, von dem möglichst viel ins Gradual übernommen werden sollte. Man schöpfte aus dem lateinischen Repertoire des Mittelalters ebenso wie aus der Hussiten-, Reformations- und Humanismus-Dichtung sowie aus den neuesten Textübersetzungen, aus ungarischen, slowakischen und deutschen Liedern. So ist das Quellenmaterial, das der Redaktor bei der Zusammenstellung des Graduals benötigte, fast unabschätzbar. Für weitere Entwicklungen war aber keinen Platz mehr, da die gegenreformatorischen Bewegungen die Eperieser Bemühungen völlig eliminierten. So ist die Kirchenmusik ungarischer Sprache für Jahrhunderte stehen geblieben.45

44 F. 2v: priorem cantant pueri posteriorem Verò Chorus. 45 Es gibt nur eine einzige Art mehrstimmiger Kirchenmusik in ungarischer Sprache bis zum 20. Jahrhundert, das sogenannte „harmonische“ Singen. Vgl. Csomasz Tóth, Kálmán: Maróthi György és a kollégiumi zene [György Maróthi und die Musik in den ungarischen Kollegien]. Akadémiai Kiadó, Budapest 1978. – Die diesbezüglichen Drucke und Handschriften ungarischer Sprache aus dem 18.–19. Jahrhundert beinhalten die französischen Psalmenmelodien, die deutschen und ungarischen Gesänge mit einfacher (nicht selten primitiver) harmonischer Begleitung.

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Dänische Kirchenlieder zum Jubeljahr 1817

Jens Lyster

Nur durch einen glücklichen Zufall hat das Jubeljahr 1817 das dänische Kirchengesangbuch mit Liedern bereichert, die noch heute gerne gesungen werden. Die offiziellen Beiträge zur Jubelfeier der Reformation1 haben keine nachhaltige Wirkung gehabt und sind bald vergessen worden. Ein bizarrer Einfall des Domprobstes in Roskilde, Jens Michael Hertz (1766–1825), ist aber doch bemerkenswert.2 Als Ehrenbezeugung für den Reformator Martin Luther gibt er Te Deum Laudamus3 mit dem Versmaß und der Melodie von Ein feste Burg ist unser Gott wieder. Die ersten zwei Strophen genügen, um diese eigentümliche ad hoc Erneuerung des Te Deum zu genießen.4 O store Gud vi love Dig! Vor Tak vi Dig frembære. Din Magt er urandsagelig, Og evig er Din Ære! Din Herlighed hvor stor! I Himle og paa Jord, I Tid, i Evighed, Hver Aand skal knæle ned, Lovsynge Dig, o Herre! D.h.: O grosser Gott, wir loben Dich! Unser Dank wir Dir darbieten. Deine Macht ist unergründlich, und ewig ist deine Ehre! Deine Herrlichkeit wie gross! Im Himmel und auf der Erde, in Zeit, in Ewigkeit jeder Geist soll niederknien, Dich loben, o Herr! Cherubers Himmelharpers Klang, Seraphers Lovsangstoner Foreene sig med Jubelsang Fra Jordens Millioner: Hellig est Du vor Gud! Hellig est Du vor Gud! Hellig est Du vor Gud!

1 Bibliotheca Danica I. Kopenhagen 1877, Sp. 155–157, notiert Lieder, Cantaten, Jubelgesänge, Kinderlieder, Lobgesänge anlässlich des Jubelfeiers 1817. 2 Bibliotheca Danica I. Kopenhagen 1877, Sp. 349. 3 In Dänemark gab es Probleme mit der rechten Gestalt des Te Deum Laudamus, vermutlich weil die traditionelle, dänische Form von Thomas Müntzer herrührte, cf. Lyster, Jens: Marderhunde im dänischen Kirchengesangbuch. In: JLH 53 (2014), 200–207. 4 Alle neun Strophen sind zugänglich unter http://www.kb.dk/e-mat/dod/110408016983_bw. pdf.

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Jens Lyster

Du Himlens, Jordens Gud, Som var og er og bliver! D.h.: Der Himmelharfenklang der Cheruben und die Lobgesangstöne der Seraphen vereinen sich mit Jubelgesang von den Millionen der Erde: Heilig bist Du, unser Gott! Heilig bist Du, unser Gott! Heilig bist Du, unser Gott! Du Gott des Himmels und der Erde, Du, der warst und bist und bleibst!

Einer, der die Größe als Kirchenliederdichter hatte, Nicolai Frederik Severin Grundtvig (1783–1872), verhielt sich damals schweigend als Stimme in der Kirche. Obgleich ordiniert war er wegen seiner Angriffe auf die rationalistischen Prediger in Kopenhagen Persona non grata in der dänischen Kirche, und ein Pfarramt wurde ihm verweigert. Als Konsequenz hatte er beschlossen, keine Beiträge zu der kirchlichen Lutherfeier zu liefern, es sei denn, dass er von einem ,,christlichen", d. h. nicht-rationalistischen, Pfarrer ausdrücklich aufgefordert wurde.5 Im allerletzten Augenblick kam die Aufforderung von einem Dorfpfarrer. Eine Woche später, am 28. Oktober, wurden zwei Lieder, als Sonderdruck „Psalmer ved Jubel-Festen 1817“6 [Kirchenlieder anlässlich der Jubel-Feier 1817] veröffentlicht (die Auflage betrug 500 Exemplare) und an drei ,,christliche" Dorfpfarrer und ihre Gemeinden gesandt.7 Das erste Lied fängt mit seiner ersten Strophe als eine bewusste Provokation an, anspielend auf ein zu der Zeit von den rationalistischen Theologen abgelehntes, großes Osterlied von dem barocken Meisterdichter Thomas Kingo 1634– 1703), das folgendermaßen beginnt (daneben die deutsche Übersetzung von Andreas Øster [1887–1982]): Som dend Gyldne Sool frembryder Giennem dend kulsorte Sky, Og sin straale-Glands udskyder, Saa at Mørk og Molm maa fly, Saa min Jesus aff sin Grav, Og det dybe Dødsens Hav Opstood ærefuld aff Døde, Imod Paaske Morgen-røde.

Wie die goldne Sonne prächtig durch die schwarzen Wolken bricht und mit Strahlenspeeren mächtig gegen Nacht und Dunkel ficht, so entstieg des Todes Meer und dem Grabe unser Herr. Osterglanz und Glockenläuten jubelnd seinen Sieg uns deuten.8

Grundtvig dichtet so: Som den gyldne Soel udbryder Vældig af den sorte Skye, Og sin Straale-Glands udskyder, Indtil Mulm og Mørke flye; Saa i helligt Morgengrye, Gjennem Pavedømmets Skye, 5 Malling, Anders: Dansk Salmehistorie, Bd. II. Kopenhagen 1962, 87. 6 Grundtvig, Nicolai Frederik Severin: Psalmer ved Jubel-Festen. o. O. 1817. Gleichzeitig wurden die zwei Lieder, mit kleinen Änderungen, auch im Wochenblatt Nyeste Skilderie af Kjøbenhavn, 28. 10. 1817, aufgenommen. 7 Die beiden Lieder sind abgedruckt in: Nik. Fred. Sev. Grundtvig Sang-Værk, Bd. III. Kopenhagen 1948, Nr. 63–64. 8 Salmer på dansk og tysk. Deutsch-Dänisches Kirchengesangbuch. Kopenhagen 2015, Nr. 227 Strophe 1.

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Dänische Kirchenlieder zum Jubeljahr 1817

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Ordets Lys udbrød med Ære, Herrens Navn velsignet være!

Er übernimmt für sein Jubellied also nur die ersten vier Verse9 und fügt seine ekklesiologische Botschaft an: die Auferstehung und Befreiung vom Grabe gilt dem gefangenen Wort. In Prosaübersetzung: „Ebenso in der heiligen Morgendämmerung/ durch die Wolken des Papsttums/ brach mit Ehren das Licht des Wortes aus (dem Gefängnis) hervor/ der Name des Herrn sei gesegnet.“ Die folgenden Strophen, hier eine Auswahl, wurden als Kirchenlied von 185010 bis zur vorigen Kirchengesangbuchausgabe 195311 als Reformationslied verwendet: Lover Gud, I Christne fromme! Gjæster ved Hans Naadebord! Lad med Fryd os ihukomme Herrens Gjerninger paa Jord! Himmel-Ordets klare Guld Var som siunket under Muld, Men, trods Keiser, Band og Pave, Herren lod sit Guld opgrave. D.h.: Lobet Gott, Ihr frommen Christen/ Gäste an seinen Gnadentisch!/ Lasst uns mit Freuden der Werke des Herren gedenken./ Das klare Gold des Himmelwortes war wie unter die Erde gesunken/ doch, trotz Kaiser, Bann und Papst ließ der Herr sein Gold ausgraben. Sandheds Ord var lagt paa Hylden, Løgn og Tant i Kirken lød, For en Krone, for en Gylden, Himmerig tilfals man bød; Lovens Bud og Korsets Ord Var som gravet ned i Jord, At de skulde ei fordømme Pave-Løgn og Munke-Drømme. D.h.: Das Wort der Wahrheit war an den Nagel gehängt/ Lüge und Unsinn in der Kirche hallten./ Für eine Krone, für einen Gulden/ war das Himmelreich feil./ Das Gebot des Gesetzes und das Wort des Kreuzes waren wie in der Erde begraben,/ dass sie die Papst-Lügen und Mönche-Träume nicht verdammen sollten. Herrens Raad ei Støv udgrunder, Verden aldrig dem forstaaer; I Hans Haand gjør Smaating Under, Fattig Munk gjør Jubel-Aar; Morten Luther med Guds Ord Tændte Lys igjen paa Jord, Og hans Navn skal gaae med Solen, Thi han reiste Naade-Stolen.

9 Prosaübersetzung der ersten vier Verse: Wie die goldne Sonne aus den schwarzen Wolken gewaltig ausbricht und ihre Strahlenspeere abschiesst, bis Nacht und Nebel flieht, 10 Psalmebog. Samlet og udgivet af Roskilde-Konvents Psalmekomite. Kopenhagen 1850. 11 Den Danske Salmebog. Kopenhagen1953, hatte noch Grundtvigs Lover Gud, I kristne fromme als Nr. 302. Den Danske Salmebog. Kopenhagen 2003, hat das Jubellied dagegen ausgelassen, vermutlich aus kirchenpolitischen (ökumenischen) Gründen.

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D.h.: Der Staub die Ratschläge des Herren nicht ergründet/ die Welt sie nicht versteht;/ In seiner Hand machen die Kleinigkeiten Wunder,/ ein armer Mönch macht Jubeljahr;/ Martin Luther mit dem Wort Gottes zündete wieder Licht an auf Erden,/ und sein Name soll mit der Sonne gehen,/ denn er hat den Gnadenstuhl errichtet. Lover Gud, I Folk! og sjunger: Guds Apostler vidt paa Jord Nu igjen med vore Tunger Tale klart Guds dybe Ord! Lover, takker, priser Gud, Som os drog af Mørket ud! Beder: Gud os vel bevare, Ved sin Aand, for Mørkets Snare! D.h.: Lobet Gott, Ihr Völker, singet:/ Ihr Apostel Gottes über die Erde/ Nun sprecht wieder mit unseren Zungen das tiefe Wort Gottes/ Lobet, danket, preiset Gott, der uns aus der Finsternis zog!/ Betet: Gott uns wohl behüte / durch seinen Geist vor dem Fallstrick der Finsternis.

Das zweite Lied der beiden „Psalmer ved Jubel-Festen“ von 1817 war eine freie neue Übersetzung von Luthers Ein feste Burg, und zwar ein starkes Korrektiv zu der geschwächten, rationalistischen Fassung des Liedes im offiziellen Kirchengesangbuch 179812. Für Grundtvig ist die feste Burg die Kirche Gottes: Guds Kirke er saa fast en Borg, Den staaer paa Zions Bjerge; Kast kun, min Sjæl, paa Gud al Sorg! Han vil med Kraft den værge; Som fordum, saa og nu, Han kommer grandt ihu, Den trænger til Hans Vagt, Omringet og belagt Af Mørkets Helved-Skare. D.h.: Die Kirche Gottes ist so fest eine Burg, / sie steht auf dem Berge Zion;/ Wirf nur, meine Seele, auf Gott allen Kummer!/ Er will mit Kraft sie wehren;/ Wie früher so auch nun,/ genau er ihr gedenkt,/ sie seine Wache braucht,/ von der Höllen-Schar der Finsternis / umringt und belagert.

Als Ganzes ist Grundtvigs frische und kühne Übersetzung von der offiziellen Kirche abgelehnt worden. Stattdessen wird bis heute autorisiert und unantastbar eine Nachdichtung von Bischof Jakob Peter Mynster (1775–1854) aus einer Sammlung von 184513 gedruckt.14 Grundtvigs Kraftprobe in 1817 mit Ein feste Burg war jedoch nicht ganz umsonst. Eine fünfte Strophe nämlich – ohne Beleg in Luthers Text – hatte er als seine eigene Pointe und als Programm für seine kommende, theologische Tätigkeit hinzugefügt. Diese Schlussstrophe wurde bald als Einzelstrophe in alle Gesangbücher übernommen15 und ist auch heute in vielen Gemeinden so beliebt, dass sie Beerdigungen auf dem Friedhof abschließt. 1974 ist eine deutsche Übersetzung von der Grundtvig-Werkstatt 12 Evangelisk-kristelig Psalmebog til Brug ved Kirke- og Huus-Andagt. Kopenhagen 1798, Nr. 190: Vor Gud han er saa fast en Borg. 13 Tillæg til evangelisk-christelig Psalmebog. Kopenhagen 1845 14 Den Danske Salmebog. Kopenhagen 2003, Nr. 336. 15 Den Danske Salmebog. Kopenhagen 2003, Nr. 401.

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Dänische Kirchenlieder zum Jubeljahr 1817

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hinzugekommen, und beide Texte sind synoptisch im Deutsch-Dänischen Kirchengesangbuch16 von 2015 so zu finden: Guds ord det er vort arvegods, det skal vort afkoms være; Gud, giv os i vor grav den ros, vi holdt det højt i ære! Det er vor hjælp i nød, vor trøst i liv og død; o Gud! ihvor det går, lad dog, mens verden står, det i vor æt nedarves!

Dein Wort ist unser Erbteil, Herr, soll durch die Zeiten währen; dies Lob im Grabe uns bescher: Wir hielten es in Ehren! Es hilft uns in der Not, im Leben wie im Tod; o gib, wie es auch geht, so lang die Welt besteht, dein Wort an unsre Erben!

Die Tätigkeit Grundtvigs im Jubeljahr 1817 war aber noch nicht zu Ende. Am 23. Dezember des Jahres ist in dem Wochenblatt „Nyeste Skilderie af Kjøbenhavn“ ein episches Weihnachtslied in 24 Strophen mit der Überschrift ,,Morten Luthers Jule-Psalme. (Frit fordansket)" abgedruckt, d. h. ,,Das Weihnachtslied Martin Luthers (frei danisiert)".17 Zugrunde liegt Vom Himmel hoch, da komm ich her, und hier und dort ist auch diese Inspirationsquelle zu beobachten. Die freie Danisierung ist wirklich frei. Grundtvig hatte seit seiner Kindheit eben dieses Weihnachtslied Luthers sehr lieb, und typisch und kennzeichnend für die gewaltsamen Liebeserklärungen dieses Dichters ist oft, dass der geliebte Gegenstand in seinen Umarmungen erwürgt wird. Aber das glückliche Schlussergebnis, und darauf kommt es doch an, ist, dass das dänische Kirchengesangbuch seitdem sowohl Luthers Vom Himmel hoch, da komm ich her in einer alten Übersetzung als auch Grundtvigs freie Weihnachtsdichtung enthält.18 Anfangs wurde Grundtvigs Lied mit der deutschen und wahrscheinlich von Luther selbst komponierten (1539 bei Valentin Schumann gedruckten) Melodie gesungen, welche aber später von einer dänischen Melodie von 1850 völlig verdrängt worden ist. Ein dänischer Weihnachtsabend-Gottesdienst ohne dieses Det kimer nu til julefest mit neuen Strophen ist heute undenkbar! In der deutschen Grundtvigausgabe von 201019 ist eine von Grundtvig 1837 revidierte Ausgabe des Liedes in 19 Strophen abgedruckt, mit einer synoptischen deutschen Übersetzung, die von der Grundtvig-Werkstatt erstellt wurde20. Die neun heute gewöhnlich verwendeten Strophen gebe ich mit ihrer deutschen Übersetzung nach dem Deutsch-Dänischen Kirchengesangbuch21 wieder:

16 Salmer på dansk og tysk (wie Anm. 8), Nr. 401. 17 Nik. Fred. Sev. Grundtvig Sang-Værk, Bd. III (s. Anm. 7), Nr. 67. 18 Den Danske Salmebog. Kopenhagen 2003, Nr. 95 und 94. 19 Bugge, Knud Eyvin/ Lundgreen-Nielsen, Flemming/ Jørgensen, Theodor (Hg.): N.F.S. Grundtvig: Schriften in Auswahl. Göttingen 2010, 826–831. 20 Die Grundtvig-Wertstatt hat nicht das Ziel, der deutschen Kirche einen größeren Gesangsschatz zu schenken, sondern nur Rücksicht auf Deutsche zu nehmen, die kein Dänisch verstehen. 21 Salmer på dansk og tysk (s. Anm. 8), Nr. 94.

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1. Det kimer nu til julefest, det kimer for den høje gæst, som steg til lave hytter ned med nytårsgaver: fryd og fred.

1. Es läutet nun zum Weihnachtsfest, es läutet für den hohen Gast, der tief zu Hütten niederstieg, mit Neujahrsgaben, Freud und Fried.

2. O, kommer med til Davids by, hvor engle sjunge under sky; o, ganger med på marken ud, hvor hyrder høre nyt fra Gud!

2. O kommt doch mit zur Davidsstadt, wo Engel jubeln laut bei Nacht! Geht mit ins Feld, wo Hirten hör'n nun Botschaft neu von Gott dem Herrn!

3. Og lad os gå med stille sind som hyrderne til barnet ind, med glædestårer takke Gud for miskundhed og nådebud!

3. Und lasst uns wie die Hirten gehn mit stillem Sinn, das Kind zu sehn, mit Tränen danken Gott voll Freud für Gnade und Barmherzigkeit!

4. O Jesus, verden vid og lang til vugge var dig dog for trang, for ringe, om med guld tilredt og perlestukken, silkebredt.

4. Die weite Welt, o Jesus fein, als Wiege wär dir doch zu klein, zu arm, wenn auch mit Gold bereit’, mit Perlenschmuck und Seidenkleid!

5. Men verdens ære, magt og guld for dig er ikkun støv og muld; i krybben lagt, i klude svøbt, et himmelsk liv du har mig købt.

5. Doch Ehre, Macht und Gold der Welt bei dir wie Sand und Staub nur zählt; in Krippe, Stroh und Lumpen hier ein Himmelsbett du kauftest mir!

6. Velan, min sjæl, så vær nu glad, og hold din jul i Davids stad, ja, pris din Gud i allen stund med liflig sang af hjertens grund!

6. Wohlan nun, Seele, sei voll Freud! In Davids Stadt halt Weihnacht heut! Preis deinen Gott zu jeder Stund mit Lobgesang aus Herzensgrund!

7. Ja, sjunge hver, som sjunge kan: Nu tændtes lys i skyggers land, og ret som midnatshanen gol, blev Jakobs stjerne til en sol.

7. Ja singe, wer da singen kann: Nun kam das Licht ins Schattenland; beim Hahnenschrei um Mitternacht ward Jakobs Stern zu Sonnenpracht!

8. Nu kom han, patriarkers håb, med flammeord og Himmel-dåb; og barnet tyder nu i vang, hvad David dunkelt så og sang.

8. Nun kam er, den die Schrift verheißt, der tauft mit Flammenwort und Geist, und in dem Kind nun wird uns klar, was David dunkel sang und sah!

9. Kom, Jesus, vær vor hyttegæst, hold selv i os din julefest! Da skal med Davids-harpens klang dig takke højt vor nytårssang.

9. Sei, Jesus, unser Hüttengast! Halt selbst in uns dein Weihnachtsfest! dann wird mit Davids Harfenklang dir danken unser Neujahrssang.

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Nun freut euch, lieben Christen g’mein (EG 341; RG 273)1 Liedpredigt

Martin Rössler

Μουσικὴν ἐράω – Ich liebe die Musik, und es gefallen mir die Schwärmer nicht, die sie verdammen.

Weil sie 1. ein Geschenk Gottes und nicht der Menschen ist, 2. Weil sie die Seelen fröhlich macht, 3. Weil sie den Teufel verjagt, 4. Weil sie unschuldige Freude weckt. Darüber vergehen die Zornanwandlungen, die Begierden, der Hochmut. Ich gebe der Musik den ersten Platz nach der Theologie. Das ergibt sich aus dem Beispiel Davids und aller Propheten, weil sie all das Ihre in Metren und Gesängen überliefert haben. 5. Weil sie in der Zeit des Friedens herrscht. Haltet also aus, und es wird bei den Menschen nach uns besser mit dieser Kunst stehen, weil sie im Frieden leben. Ich lobe die Fürsten Bayerns deshalb, weil sie die Musik pflegen. Bei uns Sachsen werden die Waffen und Bombarden gepredigt.2

Das sind, liebe Gemeinde, die musikalischen Thesen Martin Luthers im Originalton, und zudem ein gewichtiges Thema für einen Reformationstag. Luther bringt sie zu Papier, als er 1530 auf der Veste Coburg festsitzt und mit Zittern und Bangen auf die Ergebnisse des Augsburger Reichstags wartet. Ist ihm die Musik so wichtig angesichts der verhängnisvollen politisch-kirchlichen Lage? „Ich liebe die Musik“ – mit ganz einfachen Worten zählt Luther auf, was sich durch die Jahrhunderte bestätigt und ausgeweitet hat. Musik ist eine urtümliche, natürliche und kreatürliche Gabe, die an sich schon Gott den Schöpfer lobt und ehrt – Nachtigall ist hierfür das beliebte Symbol, und viele Komponisten setzen das Soli Deo Gloria an den Schluss ihrer vollendeten Partituren. Musik erreicht eine Wirkung, die bis ins Innerste des Menschen dringt. Von Herzen – möge es wieder zu Herzen gehen, schreibt Beethoven im Titel seiner Missa Solemnis, und in der Seele schafft die Musik Ausgeglichenheit, Menschenfreundlichkeit und Lebensfreude – zu Gottes Ehre und Rekreation des Gemüts, so umschreibt Bach das Wesen der Musik. Ja, sie entfaltet therapeutisch heilende und stabilisie1 Liedpredigt zum Reformationstag am 31.10.2012 im Münster in Ulm. 2 Luther, Martin: Skizze Περι τῆς μουσικῆς, 1530; WA 30 II, 696; zit. nach der Übersetzung bei: Söhngen, Oskar: Theologie der Musik, Kassel 1967, 87 f.

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rende Kräfte – Trösterin Musik heißt sie seit der Romantik. Musik nimmt letztlich die Form einer umfassenden menschlichen Kommunikation an, die in uns und um uns Verständigung und Frieden bewirkt und ein anderes, besseres Glück schenkt als Geiz und Gier, als Machtstreben und Gewinnsucht, als Leistungsdenken und Selbstverherrlichung. „Ich liebe die Musik …“ – und kurz danach steht geschrieben: „Ich gebe der Musik den ersten Platz nach der Theologie“. Also doch: Der Musik ist bei allem Lob und aller Liebe etwas vorgeordnet, nämlich die Theologie; allerdings nicht eine Theologie als Summe der Dogmen und Moralgesetze, der Sitten und Gebräuche, sondern die Theologie als Stimme des Evangeliums, der frohen Botschaft von Befreiung und Erlösung, von Liebe und Vertrauen. Luther spürt, wie geschwisterlich verwandt, ja im Grunde identisch in ihrer Wirkung die beiden Ebenen Theologie und Musik sind: Wort und Ton sind die beiden Künste, die durch das Ohr, durch das Hören in den Menschen eingehen. Und bei der Übersetzung des Neuen Testaments geht es ihm auf: „denn Euangelion ist ein griechisch Wort und heißt auf deutsch: gute Botschaft, gute Mär, gute Neuzeitung, gut Geschrei, davon man singet [als erstes genannt!], saget und fröhlich ist“.3 Gottes Wort will sich als lebendiges, mündig mündliches Wort im Ton ausbreiten, um das Ohr der Hörer zu erreichen und zur vollen Wirkung von Frieden und Freude zu kommen. So ist es nicht verwunderlich, dass Luther die Schnittmenge von Theologie und Musik im geistlichen Lied erkennt: Das Wort formt und füllt den Ton, der Ton verstärkt und vertieft das Wort. Darum hören wir heute das Evangelium zum Reformationstag als „gut Geschrei“ in einer Liedpredigt. Seltsam verschlungen sind die Wege, wie Luther zum Dichter und Sänger des geistlichen Liedes wird – er ist bereits 40 Jahre alt. Er bewegt sich nicht auf den traditionellen Gleisen, wie eben ein Mönch seine Psalmen und Hymnen singt oder ein Musikliebhaber den kunstreichen Motetten und Messen lauscht. Er sprengt den Kirchenraum und geht auf die Straße; er verlässt die heilige Liturgie und mischt sich im Lied in die aktuellen Fragen der Zeit. Am 1. Juli 1523 werden auf dem Marktplatz in Brüssel zwei junge Augustinermönche auf dem Scheiterhaufen verbrannt; sie haben ihr Bekenntnis zu dem von Luther neu entdeckten Evangelium mit dem Märtyrertod bezahlt. In Zittern und Zorn über dieses ungeheuerliche Geschehen lässt Luther sein nachweislich erstes Lied hinausgehen: Ein neues Lied wir heben an, / des walt Gott, unser Herre, zu singen, was Gott hat getan / zu seinem Lob und Ehre …4

3 Luther im September-Testament 1522, WADB 6, 2.4.; ausführlicher zitiert bei Hahn, Gerhard: Evangelium als literarische Anweisung. Zu Luthers Stellung in der Geschichte des deutschen kirchlichen Liedes (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 73). München 1981, 110 f. 4 Vollständiger Text bei Wackernagel, Philipp: Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts. Bd. III. Leipzig 1870/ Hildesheim 1964, Nr. 1. – Und mit Kommentar in Jenny, Markus: Luthers geistliche Lieder und Kirchengesänge. Vollständige Neuedition in Ergänzung zu Band 35 der Weimarer Ausgabe (Archiv zur Weimarer Ausgabe der Werke Martin Luthers. Texte und Untersuchungen 4). Köln/ Wien 1985, Nr. 18.

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Nun freut euch, lieben Christen g’mein

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Ein Protestsong gegen die listigen Tücken und brutalen Tricks der kirchlichstaatlichen Inquisition; ein Zeitungslied mit einer aufrüttelnden und zeitkritischen Information; ein Trostgesang für die bedrängten und angefochtenen Christen. Das Lied hat gewirkt; als Flugblatt geht es durch die Lande, von Markt zu Markt, von Mund zu Mund, vergleichbar den journalistischen Schlagzeilen unserer Zeitungen. Könnte diese Art der Nachrichtenübermittlung – so fragt sich Luther – nicht auch seinem eigentlichen Anliegen, nämlich der Verbreitung des Evangeliums nützlich sein? Könnte das Lied einer aktuellen Geschichte nicht auch zum Träger der Heilsgeschichte werden? Ein solches Lied müsste erzählen, Personen müssten auftreten und miteinander reden, und das Geschehen, das Himmel und Erde bewegt, müsste packend und gewinnend dargestellt sein. Luther fragt nicht mehr lange, sondern formt die Startstrophe zu seinem zweiten Lied in Art eines volksliedhaften Tanzliedes: Nun freut euch, lieben Christen g’mein, und lasst uns fröhlich springen, dass wir getrost und all in ein mit Lust und Liebe singen, was Gott an uns gewendet hat und seine süße Wundertat; gar teu’r hat er’s erworben. (Str. 1)

Wie plakativ sind die Stabreime gesetzt: „mit Lust und Liebe singen“! Als Thema ist genannt: „Gottes Wundertat“, und mit den verlockenden Adjektiven wirbt Luther um das Ohr und Herz der Hörer: „süß“ ist die Kunde und überaus wertvoll die Gabe, weil sie teuer erworben ist, weil sie viel gekostet hat. Und die Melodie, die Luther zugleich selbst zur Begleitung auf der Laute erfindet, setzt das mit „Lust und Liebe“ in musikalische Vorgänge um: die kurzen antreibenden Auftakte zu jeder Verszeile, die übereinander getürmten Sprünge der Quarten-Intervalle, sie lassen die Worte geradezu springen, tanzen. Wer wollte da dem singenden Erzähler nicht gerne zuhören, wenn er eine neue Nachricht als gute Nachricht ankündigt? Der Kontakt ist geknüpft, das Lied kann beginnen. Was aber ist in den nächsten beiden Strophen zu hören? Nachrichten, die uns eher erschrecken und schockieren; Strophen, die wir lieber ausblenden und verschweigen möchten; das fröhliche Tanzlied schlägt um in eine quälende Todesfuge. Dem Teufel ich gefangen lag, im Tod war ich verloren, mein Sünd mich quälte Nacht und Tag, darin ich war geboren. Ich fiel auch immer tiefer drein, es war kein Guts am Leben mein, die Sünd hatt’ mich besessen. (Str. 2)

Offenbar müssen wir erst das Dunkel des Unheils über der Erde, in uns und um uns begreifen, bevor wir das Licht des Heils sehen und ergreifen können. Eine Horrorvision in den wenigen Versen: die in Bildern und Begriffen personifizier-

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ten Mächte des Bösen; die Verben wie gefangen, verloren, gequält, verzweifelt als Abbild einer absoluten Gebundenheit. Luther blendet auf die Urereignisse der Menschheit zurück, die wir aber alle im eigenen Lebenslauf durchleben und durchleiden müssen. In der Tat, wir erfahren uns in vielfältiger Weise als Gefangene. Unheimliche Mächte und unentrinnbare Zwänge schlagen uns in Bann und Banden. Sie gipfeln in den drei Begriffen, die Luther oft als Kürzel für die abgrundtiefe menschliche Verlorenheit verwendet: Sünde, Tod und Teufel – eine unheilige Dreieinigkeit! Da ist die Sünde: nicht die kleinen Fehltritte hie und da, sondern die Gleichgültigkeit gegenüber Gott, unserm Herrn; ein Verlangen, ohne ihn, ja gegen ihn leben zu wollen; die letzte Vermessenheit und Besessenheit, zu sein wie Gott selbst; und diese Ursünde der Gottesferne entlädt sich fortwährend in ungezählten Einzelsünden und Vergehen. Da ist der Tod: der „Sünde Sold“, wie der Apostel Paulus sagt (Röm 6,23), Quittung für unsere Existenz fernab von Gott, der Quelle des Lebens; und der Tod wirft seine Schatten weit voraus in unser Leben und verdunkelt es in Sorge und Angst; am Ende stürzt uns der Tod in Nichtigkeit und Namenlosigkeit. Da ist zuerst und zuletzt der Teufel: Verkörperung des Bösen, immer wieder präsent als Verlockung zum Widerspruch, als Anreiz für die Versuchung unsrer Sehnsüchte und Triebe. Dieses mächtige Dreigestirn, diese unheimliche Front Sünde-Tod-Teufel stützt sich gegenseitig, fesselt und knebelt den Menschen von allen Seiten. Die Erfahrung einer Ausweglosigkeit ist perfekt – wenn wir es wagen, uns und unsre Welt einmal ehrlich kritisch zu sehen. Mein guten Werk, die galten nicht, es war mit ihn’ verdorben; der frei Will hasste Gotts Gericht, er war zum Gutn erstorben; die Angst mich zu verzweifeln trieb, dass nichts denn Sterben bei mir blieb, zur Höllen musst ich sinken. (Str. 3)

Wir werden uns natürlich abmühen, unaufhörlich und mit allen Kräften. Luther spielt in seinem Lied in der Fachsprache der Theologie unsere Absatzbewegungen, unsere Fluchtversuche, unsere Wege zur Selbsthilfe durch. Der Mensch versucht, die von Gott erwarteten guten Werke zu leisten; aber ein verdorbener Baum trägt keine guten Früchte; die Fassade einer eigenen Gerechtigkeit ist bloß wieder eine Spielart der Sünde. Der Mensch beruft sich auf seinen freien Willen, aber er kann nur wählen innerhalb der Klammer des bösen Herrschaftsbereichs. In Luthers Versen ist fast körperlich die schiefe Ebene zum Verderben zu spüren: Die Sünde treibt uns in Verzweiflung, der Tod reißt uns ins Sterben und in die Hölle, und das Böse triumphiert. Alle Hoffnung scheint verloren; es bleibt in dieser beklemmenden Enge kein Raum zum Atemholen. All dies analysiert Luther in seinem Lied gnadenlos, illusionslos. Aber er sagt „Ich“; zweifellos sind in die Färbung des Berichts seine persönlichen Glaubenserfahrungen eingegangen. Doch im Lied sind alle Momente der Zufälligkeit abgestreift; er sagt „Ich“ im Namen der „lieben Christen allgemein“. Sein eige-

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Nun freut euch, lieben Christen g’mein

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nes Erleben sieht er als Modell für das Geschehen, das jeder Mensch so oder so ähnlich durchstehen muss: Erfahrung der Gebundenheit, total und global; Ergreifen der Befreiung und Erlösung, unvermutet und gnadenvoll. Das hat Luther von Paulus gelernt. Die beiden Liedstrophen lesen sich wie eine verdichtete Zusammenfassung von Römer 7 bis hin zum letzten Aufschrei: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?“ (Röm 7,24). Und hart daneben – wie dann bei Luther auch – der voraussetzungslose Einbruch der Errettung: „Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!“ (Röm 7,25). Die Befreiung kann nur von einer anderen Seite kommen; zum Menschen, nicht vom Menschen. Aber wann und wie wird die Todesfuge zur Lebensmelodie? Da kommt Luther für die Erzählweise seines Liedes ein längst vorgeformtes „Lehrstück vom Ratschluss Gottes zur Erlösung“ zu Hilfe, damals in einer Predigt von Bernhard von Clairvaux verbreitet und von mittelalterlichen Mysterienspielen aufgegriffen.5 Dieses Lehrstück schildert eine Verhandlung im himmlischen Thronsaal, ein Welttheater jenseits von Ort und Zeit, und es geht um die Frage: Soll der Schöpfer sein Geschöpf, gequält durch Sünde, Tod und Teufel, einfach so verderben lassen? Die vier Tugenden oder Eigenschaften Gottes treten als Personen zum Wettstreit an: Auf der einen Seite Wahrheit und Gerechtigkeit, sie fordern den Tod; auf der anderen Seite Barmherzigkeit und Friede, sie bitten um Gnade vor Recht. Nach langen Disputationen siegt die Barmherzigkeit; nur ganz so einfach geht es nicht, wenn Wahrheit und Gerechtigkeit nicht endgültig hinfällig werden sollen. Es bleibt nur ein Ausweg: Einer muss aus Liebe sterben, stellvertretend für die anderen; einer, der nicht von der Gottesferne betroffen und darum nicht den Fesseln des Verderbens verfallen ist. Entscheidende Wende ist jenes Zwiegespräch zwischen Gott Vater und Gott Sohn in der Gestalt der Sophia oder des Logos, der sich zur Rettungsaktion bereit erklärt. Ein Mysterienspiel gewiss, kindlich-naiv und mythologisch-urtümlich. Aber drückt es nicht, entmythologisiert verstanden, gerade Luthers umwerfende Entdeckung aus: Gottes Gerechtigkeit zeigt sich in Gottes Barmherzigkeit! Die Zeit des Zornes ist der Zeit der Zuwendung gewichen. Das ist das Ereignis, das Luther als Zeitungslied erzählen und ausrufen will. Da jammert Gott in Ewigkeit mein Elend übermaßen; er dacht an sein Barmherzigkeit, er wollt mir helfen lassen; er wandt zu mir das Vaterherz, es war bei ihm fürwahr kein Scherz, er ließ’s sein Bestes kosten. (Str. 4)

Der Umschlag von der Todesfuge zur Lebensmelodie wurzelt in Gottes Ratschluss zur Erlösung. Luther lässt, ganz typisch für den Stil seines Erzählliedes, 5 Ausführliche Darstellung bei Hahn, Gerhard: Evangelium als literarische Anweisung (s. Anm. 3), ab S. 119.

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Martin Rössler

die singenden und glaubenden Menschen teilnehmen an Gottes Gedanken vor aller Geschichte in Raum und Zeit. Er wagt es sogar, Gott sehr menschlich in Gefühlen zu umschreiben: Der Jammer jammert ihn! Der Anblick des Elends ruft Überlegungen zur Abhilfe hervor; er lässt es sich viel, ja alles kosten. Es gibt keinen anderen Grund zur Erlösung als diesen: Der Richter lässt allen Ernstes – ohne Scherz, wie Luther sagt – sein Vaterherz sprechen. Und dann lässt Luther den ewigen Gott wirklich in wörtlicher Rede sagen: Er sprach zu seinem lieben Sohn: „Die Zeit ist hier zu erbarmen; fahr hin, meins Herzens werte Kron, und sei das Heil dem Armen und hilf ihm aus der Sünden Not, erwürg für ihn den bittern Tod und lass ihn mit dir leben.“ (Str. 5)

Gottes Heil ist Zuwendung, Zusage, Zuspruch, zunächst einmal an Christus, seinen lieben Sohn, und dann – wie der Verlauf des Liedes zeigen wird – an die Menschen, die glaubend und vertrauend das Wort des Sohnes annehmen. Zunächst also ist das Wort an Christus selbst gerichtet: fahr hin, geh ihnen entgegen; die Zeit des Erbarmens ist da! Gott gibt sein Eigenstes, sein Liebstes, seines Herzens werte Kron, wie es zurecht mit einem poetischen Kosewort der Liebenden umschrieben wird. Zugleich entwirft das Wort des Vaters die Strategie der Befreiung: kein flüchtiger Besuch, keine gut gemeinte Tröstung, sondern Schritte einer Rettungsaktion, mit der die Fesseln der unheiligen Dreieinigkeit gesprengt werden sollen. Stufenweise rollt Luther die Front der Feinde auf: Der Sünde Macht ist zu brechen, dem Tod ist die vernichtende Kraft zu nehmen. Vom Teufel ist schon gar nicht mehr die Rede. Die Befreiung aus dem Herrschaftsbereich des Bösen bedeutet das Heil dem Armen, das Geschenk der Lebensgemeinschaft mit Gott, die Rückkehr aus dem Elend, dem Ausland, in die Heimat der Geborgenheit. Jetzt, genau in der Mitte des Liedes, beginnt nach der Erfahrung der Todesfuge und dem Anklingen der Lebensmelodie die Durchführung des Heilswerkes, und sie bestimmt dieses Zeitungslied bis zum Schluss: „Das lass ich dir zur Letze“ (Str.10, Z.7), zum Abschied. Luther sucht sich einen Leitfaden, um nicht an Nebensächlichkeiten hängen zu bleiben, die den Blick auf die Mitte des Evangeliums verstellen könnten. Er findet ihn in jenem bekennenden und lobpreisenden urchristlichen Hymnus, den Paulus im Philipperbrief (Phil 2,5–11) zitiert: Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

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Und so spricht Luther den urchristlichen Hymnus nach: Der Sohn dem Vater g’horsam ward, er kam zu mir auf Erden von einer Jungfrau rein und zart; er sollt mein Bruder werden. Gar heimlich führt er sein Gewalt, er ging in meiner armen G’stalt, den Teufel wollt er fangen. (Str. 6)

In Luthers Versen antwortet der Sohn dem Vater nicht. Stillschweigend und wortlos setzt er seinen Gehorsam in die Tat um. Die erste Station ist Inkarnation, Menschwerdung: er kam […] auf Erden. Aber wie wird hier das Geschehen von Weihnachten umschrieben? Alle Requisiten von Krippe und Stall, von Lichterglanz und Lobgesang fehlen. Lediglich Maria ist erwähnt, und der aus dem Glaubensbekenntnis entnommene Satz von der reinen Jungfrau dient nur zur Bestätigung der wahren, wirklichen Menschwerdung. Christus kam zu mir, um mein Bruder zu werden. Er will mir ganz nahe sein; alles was er sagt und tut, ist mir zugut getan. Christus pro me, Jesus für mich – Zentrum des Evangeliums, Ziel des Himmel und Erde bewegenden Ratschlusses zur Erlösung. Das Ich des Unheils ist nun Beschenkter des Heils. Tröstlicher und direkter kann es kaum umschrieben werden: mein Bruder … Und doch wird es noch persönlicher. Luthers Bericht vom Heil wird zur Anrede, die bewegte Erzählung zur ansprechenden Verkündigung. Was Jesu Weg und Werk für mich bedeutet, kann nur ganz persönlich gehört und bestätigt, angenommen und vertrauend geglaubt werden. Er sprach zu mir: „Halt dich an mich, es soll dir jetzt gelingen; ich geb mich selber ganz für dich, da will ich für dich ringen; denn ich bin dein und du bist mein, und wo ich bleib, da sollst du sein, uns soll der Feind nicht scheiden.“ (Str. 7)

Die Rede Gottes zum Sohn setzt sich fort in der Rede des Sohnes zu dem menschlichen Ich, das sich als gefangen und verzweifelt erfahren hat. Er, der das Werk der Liebe Gottes ausführt, interpretiert es selbst und spricht es uns zu. Und was wird er bringen? Das Angebot des fröhlichen Wechsels, des seligen Tausches, wie Luther an anderer Stelle sagt.6 Jesus tritt an meine Stelle, und ich kann und soll an seine Seite treten; in seiner Nähe und Nachfolge wird die Befreiung gelingen. Seinen Teil hat er beigetragen; mein Teil wird es sein, mich mit allen Fasern meines Wesens an ihn zu klammern – der Tausch ist wechselseitig gemeint. So verlockend, so einladend klingt Jesu Rede, dass Luther sie mit dem unglaublich kühnen, plötzlich binnengereimten Parallelismus, mit dem uralten Liebes- und Verlöbniswort verstärkt, das für ihn die verbindliche Formel des Eheversprechens ist: „Ich bin dein, und du bist mein, des sollst du 6 Von der Freiheit eines Christenmenschen, 1520; WA 49,124,30–32.

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gewiss sein!“7 Er ist von Römer 7 zu Römer 8 weitergeschritten: „Gott ist hier, der gerecht macht. […] Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt. […] Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben […] uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.“ (Röm 8,33.34.38 f.) Hier auf dem Höhepunkt des Liedes breche ich ab. Luther geht in den restlichen Strophen – wir werden sie nachher singen – den Stationen des Heilsweges in aller Ausführlichkeit nach. Es bleibt ja noch ein Rest: Der Kampf mit jener unheiligen Dreieinigkeit muss durchgestanden und berichtet werden. Ohne diesen Teil könnte der Zuspruch der Liebe Gottes leicht als billige Gnade missverstanden werden. „Vergießen wird er mir mein Blut, dazu mein Leben rauben; das leid ich alles dir zugut, das halt mit festem Glauben. Den Tod verschlingt das Leben mein, mein Unschuld trägt die Sünde dein, da bist du selig worden. (Str. 8) Gen Himmel zu dem Vater mein fahr ich von diesem Leben; da will ich sein der Meister dein, den Geist will ich dir geben, der dich in Trübnis trösten soll und lehren mich erkennen wohl und in der Wahrheit leiten. (Str. 9) Was ich getan hab und gelehrt, das sollst du tun und lehren, damit das Reich Gotts werd gemehrt zu Lob und seinen Ehren; und hüt dich vor der Menschen Satz, davon verdirbt der edle Schatz: das lass ich dir zur Letze.“ (Str. 10)

*** Bald nach diesem seinem zweiten Lied hat Luther weitere Gesänge in Wort und Ton verfasst, nunmehr eher für seine sich konsolidierende Kirche gedacht; aus dem erzählenden Sololied wird ein gemeindliches Kirchenlied. Luther entdeckt die biblischen Psalmen als geeignete Liedvorlagen. Wenn sie nicht nur von der geübten Schola in Klöstern und Kirchen in gregorianischer Weise gesungen werden sollen, müssen sie für das Volk zu eingängigen Strophenliedern umgestaltet werden. Luther sucht eifrig nach Mitarbeitern und verfasst selbst sechs Psalmlieder in Text und Melodie, als Beispiele seien genannt: Aus tiefer Not schrei ich zu dir – Ach Gott, vom Himmel sieh darein. Zugleich wendet er sich der tausendjährigen Tradition des geistlichen Singens zu. Er übersetzt lateinische Hymnen 7 Bei Luther im Sermon von dem ehelichen Stand, 1519; WA 2,169,8–17; WA 9,216,31–34.

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und bearbeitet die Melodien: Nun komm, der Heiden Heiland – Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist, und fügt den deutsch gesungenen Leisen neue Strophen nach seinem Verständnis der Christusfeste hinzu: Gelobet seist du, Jesu Christ – Nun bitten wir den Heiligen Geist; später ergänzt durch sein weihnachtliches Krippenspiel-Lied Vom Himmel hoch, da komm ich her. Und gleichzeitig stellt Luther seine poetisch-musikalische Kraft in den Dienst der Bemühung um Unterricht und Seelsorge: Buße und Beichte – Dies sind die heilgen zehn Gebot; Absolution und Gnadenzusage im Abendmahl; die Fragen um Sterben und Tod – Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen; später ergänzt durch sogenannte Katechismuslieder – Vater unser im Himmelreich. Nie aber vergisst er das Grundmotiv seiner Theologie: Kampf zwischen Himmel und Hölle, zwischen Gott und den Verderbensmächten, und in diesen Kampf will er mit den Mitteln von Wort und Ton eingreifen. Das Lied hat teil an der Entlarvung der Versklavung, an der Austreibung der Dämonen, am Bemühen um Frieden und Gerechtigkeit: Ein feste Burg ist unser Gott – Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort. Sein allerletztes Wort zu Theologie und Musik schreibt Luther, einige Monate vor seinem Tod, in seiner letzten Gesangbuch-Vorrede, die er 1545 dem Drucker Valentin Babst in Leipzig zur Verfügung stellt. Darin fasst er noch einmal alles zusammen, was ihn ein Leben lang in der Beschäftigung mit dem geistlichen Lied motiviert hat, und er bekräftigt seine grundsätzlichen musikalischen Thesen: Singet dem Herrn ein neues Lied; singet dem Herrn alle Welt [Ps 96,1]. Denn Gott hat unser Herz und Mut fröhlich gemacht durch seinen lieben Sohn, welchen er für uns gegeben hat zur Erlösung von Sünden, Tod und Teufel [die unheilige Dreieinigkeit]. Wer solchs mit Ernst glaubet, der kanns nicht lassen, er muss fröhlich und mit Lust davon singen [wieder ist singen an erster Stelle genannt] und sagen, dass es andere auch hören und herzukommen. Wer aber nicht davon singen und sagen will, das ist ein Zeichen, dass ers nicht glaubet und nicht ins neu fröhliche Testament, sondern unter das alte, faule, unlustige Testament gehöret.8

Des walt Gott, unser Herre. Amen.

8 Vom Verfasser modernisierte Schreibweise nach: Ameln, Konrad (Hg): Das Babst’sche Gesangbuch von 1545. Faksimiledruck (Documenta Musicologica. Erste Reihe 38). Kassel/ Basel/ London/ New York 1929 (4. Auflage 2004).

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Neues von Komponisten und Dichtern des Evangelischen Gesangbuchs und vergleichbarer Gesangbücher (11)

Wolfgang Herbst

Gesangbuch-Sigel: BEP BT CG EG ghs GL GL2 HE KG EM NB NEK Öst RG West Wü

EG-Regionalteil für die Ev. Landeskirchen in Baden, Elsass, Lothringen und der Pfalz (1995) EG-Regionalteil für die Ev.-luth. Kirchen in Bayern und Thüringen (1994) Gebet- und Gesangbuch der Christkatholischen Kirche der Schweiz (2004) Evangelisches Gesangbuch, Stammausgabe der Evangelischen Kirche in Deutschland (1993) „glauben-hoffen-singen“. Liederbuch der Freikirche der Siebenten-TagsAdventisten (2015) Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch (1975) Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch (2013) EG-Regionalteil für die Ev. Kirche in Hessen und Nassau und die Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck (1994) Katholisches Gesangbuch. Gesang- und Gebetbuch der deutschsprachigen Schweiz (1998) Gesangbuch der Ev.-methodistischen Kirche (2002) EG-Regionalteil für die Ev.-luth. Landeskirche in Niedersachsen und für die Bremische Ev. Kirche (1994) EG-Regionalteil für die Nordelbische Ev.-luth. Kirche (1994) EG-Regionalteil der Ev. Kirche in Österreich (1994) Gesangbuch der Ev.-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz (1998) EG-Regionalteil für die Ev. Kirchen im Rheinland, von Westfalen und für die Lippische Landeskirche (1996) EG-Regionalteil für die Ev. Landeskirche in Württemberg (1996)

Cartford, Gerhard M.: Im Alter von 92 Jahren verstarb in Minneapolis (USA) am 8. Februar 2016 Dr. phil. Gerhard Malling Cartford, der lutherische Hymnologe und Kirchenmusiker, der maßgeblich an der Veröffentlichung des Lutheran Book of Worship beteiligt war. Seine liturgischen Kompositionen und Kirchenlieder sind echte „Andachtsmusik“, wie er sie selbst bezeichnete. Ihm verdanken wir die Melodie zu EG 431 Gott, unser Ursprung, Herr des Raums

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Neues von Komponisten und Dichtern des Evangelischen Gesangbuchs

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Gohl, Ulrich: Am 12. April 2015 verstarb in Mössingen im Alter von 85 Jahren Pfarrer i. R. Ulrich Gohl (geb. am 13.2.1930 in Tübingen). Er war Pfarrer an der Peter- und Paulskirche in Mössingen hat 1970 sowohl Text als auch Melodie zu dem Lied Der Herr segne dich und behüte dich geschaffen. Das Lied steht in den Regionalteilen folgender EG-Ausgaben: Wü 563, BT 570 und Öst 570. Für seine zahlreichen biblischen Singspiele und Musicals für Kinder ist er mit dem Bibelpreis 1992 der Evangelischen Landeskirche in Württemberg ausgezeichnet worden. Henkys, Jürgen Am 22. Oktober 2015 verstarb in Petershagen (Gemeinde Zeschdorf, Landkreis Märkisch-Oderland) Prof. Dr. theol. Jürgen Henkys. Er war ab 1965 Studieninspektor und Dozent in Brandenburg a. d. Havel, später Dozent und Rektor der Ostberliner Kirchlichen Hochschule (Sprachenkonvikt) und ab 1991 Professor für Praktische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin. Er hat für das EG zahlreiche Übertragungen geistlicher Lieder aus dem Englischen, Französischen, dem Niederländischen und aus skandinavischen Sprachen geschaffen sowie eigene Psalmen für das EG West gedichtet. Seine Lieder haben Eingang gefunden in die Gesangbücher CG, EM, GL2, KG, RG und in das neue Adventistengesangbuch ghs. Krautwurst, Franz Am 30.11.2015 verstarb in Erlangen Prof. Dr. phil. Franz Krautwurst. Er war am 7.8.1923 in München geboren. Nach dem Studium der Musikwissenschaft mit Promotion und Habilitation widmete er sich wissenschaftlichen Forschungen zu zahlreichen musikalischen Sachgebieten. Als Ordinarius an der jungen Universität Augsburg ist ihm der Aufbau des dortigen Instituts für Musikwissenschaft zu verdanken, dessen erster Lehrstuhlinhaber er gewesen ist. Er schuf 1991 die Melodie zu dem Lied Geborgen, geliebt und gesegnet nach einem Text von Georg Schmid (1990). Das Lied befindet sich in den Gesangbüchern CG 785, KG 174, RG 39, sowie in „Unterwegs – Lieder und Gebete“ hg. vom Deutschen Liturgischen Institut Trier, 32013, Nr. 240. Hertzsch, Klaus-Peter: Am 25. November 2015 verstarb in Jena Prof. Dr. theol. Klaus-Peter Hertzsch. Nach dem Theologiestudium in Jena und Zürich war er zunächst Gemeindepfarrer und Studieninspektor am Theologenkonvikt in Jena, danach Professor für Praktische Theologie an der dortigen Friedrich-Schiller-Universität. Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre waren Homiletik, Liturgik, Gemeindeaufbau und die Verbindung von Theologie und Literatur. Die Bibel will nach Hertzsch Geschichten erzählen, nicht Sachverhalte erklären. Deshalb schuf er Gedichte und biblische Balladen in großer Zahl, und nicht zuletzt verdanken wir ihm den Text zu dem kurz vor der Wende entstandenen Lied Vertraut den neuen Wegen (EG 395, EM 387, RG 843, ghs 394 und in Diözesananhängen des GL2). Hertzsch gehörte zu den ersten, die neue Texte auf bekannte Kirchenliedmelodien gedichtet haben. Schweizer, Rolf Im Alter von 80 Jahren verstarb am 06.06.2016 KMD Prof. Rolf Schweizer in Selb, wo seine Tochter Constanze Schweizer-Elser Bezirkskantorin ist und wo er seiner schweren Krankheit wegen seine letzte Lebenszeit verbracht hat. Ihm verdanken wir zahlreiche Melodien und Kanons im EG und in mehreren Regionalteilen des EG, außerdem in den Gesangbüchern: GL, GL2, RG, EM, KG, CG und ghs, dazu in vielen weiteren in- und ausländischen Liederbüchern. Seine Wirksamkeit als Kirchenmusiker und Landeskantor hat nicht nur die Evangelische Landeskirche in Baden, sondern die gesamte EKD und mehrere andere Kirchenbünde wesentlich beeinflusst. Vor allem

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Wolfgang Herbst

seine Bemühung um eine Kirchenmusik und Liedkultur, die nicht nur das Bildungsbürgertum im Blick hat, sondern auch andere Bildungsschichten, hat durch Schweizers künstlerisch hochwertige Arbeit auch die Ausbildungsstätten für Kirchenmusik zu neuem Überdenken ihrer pädagogischen Konzeptionen angeregt. Unter den von ihm geschaffenen Liedern sind die in vielen Gemeinden gesungenen Singet dem Herrn ein neues Lied, Das ist ein köstlich Ding und O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens. Rolf Schweizer wurde auch durch viele Kompositionen von Chor-, Orchester- und Orgelwerken bekannt.

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Literaturbericht Hymnologie Deutschsprachige Länder (2013, 2014) 2015

Daniela Wissemann-Garbe

Zeitschriften-Sigel: FKM Forum Kirchenmusik, München (früher: Der Kirchenmusiker) KMJ Kirchenmusikalisches Jahrbuch, Regensburg/Köln LK Liturgie und Kultur, Hannover MGD Musik und Gottesdienst, Basel MuK Musik und Kirche, Kassel MS(D) Musica Sacra, Regensburg MuL Musik und Liturgie, Gossau CH (früher: Singen und Musizieren im Gottesdienst/Katholische Kirchenmusik) SiK Singende Kirche, Wien ThG Thema: Gottesdienst, Evang. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz / Evang. Kirche im Rheinland WBK Württembergische Blätter für Kirchenmusik, Stuttgart Wir danken Leserinnen und Lesern des Jahrbuchs für Hinweise auf Neuerscheinungen. Schneider, Matthias/ Bretschneider, Wolfgang/ Massenkeil, Günther (Hg.): Enzyklopädie der Kirchenmusik. Laaber: Laaber 2011–2015. Band 1/1–4: Geschichte der Kirchenmusik in 4 Bänden. 2011–2014. Band 2: Zentren der Kirchenmusik. 2011. Band 3: Der Kirchenmusiker. Berufe – Institutionen – Wirkungsfelder. 2015. Band 4/1–2: Der Gottesdienst und seine Musik. 2014. Band 5/1–2: Die Kirchenmusik in Kunst und Architektur. 2015. Band 6/1–2: Lexikon der Kirchenmusik. 2013. Band 7: Supplementband: Chronik der Kirchenmusik, Register, Dokumente. In Vorb. Die EdKM, so liest man als Abkürzung auf den Buchrücken (außer von Bd. 6), ist mit den drei 2015 erschienenen Bänden nahezu abgeschlossen, nur ein Supplementband ist noch zu erwarten. Sie ist ein epochales Werk geworden, das sich unter verschiedenen Fragestellungen der Kirchenmusik im weitesten Sinne nähert. Während die vierbändige Geschichte chronologisch-systematisch vorgeht, könnte man die Bände zwei, drei und fünf als thematisch konzentrierte Sammlung von Fallstudien historischer und gegenwärtiger Phänomene bezeichnen, die umfassenden Darstellungen spezieller Entwicklungen an die Seite gestellt ist, so dass Kirchenmusik quasi als mosaikartiges Bild erscheint. Bd. 4 befasst sich mit dem katholischen und evangelischen Gottesdienst, stellt musikalische und liturgische Elemente systematisch und historisch vor und berücksichtigt auch theologische Konzepte. Es kann bei einer solchen Gesamtdisposition nicht ausbleiben, dass eine Reihe von Fragestellungen mehrfach in verschiedenen

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Literaturbericht Hymnologie. Daniela Wissemann-Garbe

Bänden behandelt wird. Dies ermöglicht eine Betrachtung aus unterschiedlichen Perspektiven und weckt Interesse, sich zu vertiefen und zu stöbern. Artikel zu Kirchenlied und Gesangbuch z. B. findet man abschnittsweise in allen Teilbänden der Geschichte, aber auch in Bd. 2 bei den Zentren Riga, Straßburg/ Genf und Pennsylvania, in Bd. 4/1 sind sie ganz zentral, in Bd. 5 wird diesbezügliches Wissen in Hinblick auf den Raum der singenden Gemeinde und auf Gesangbuchillustrationen vermittelt, und schließlich gibt es betreffende Artikel im Lexikon Bd. 6. – Dass der Verlag „Das gesamte Wissen der Kirchenmusik in 6 Bänden“ verspricht, mag ein wenig vollmundig sein, doch ermöglicht das Projekt EdKM durch seine Disposition gleichermaßen Überblicks- und Detailwissen zu gewinnen. Selbstverständlich sind nicht alle Entscheidungen, die notwendig bei einem solchen Werk getroffen werden mussten, über jede Kritik erhaben, sind Lücken nicht zu auszuschließen. So könnte man beispielsweise fragen, warum bei den Komponistenportraits in Band 1/1 Heinrich Isaac fehlt, oder warum das neuere Kirchenlied der Niederlande und aus Skandinavien in Band 4/ 1 keine Beachtung findet, oder ob die Gesangbücher kleinerer europäischer Konfessionen ebenda nicht auch hätten erwähnt werden müssen, oder ob der Abschnitt über die Musik der Ostkirchen im Band 1/4 nicht ein wenig verloren wirkt. Das tut dem Gesamtkonzept jedoch keinen Abbruch. Neu ist nicht nur, dass in der Anlage auf eine konfessionelle Trennung – wie sie etwa im ersten Handbuch der Musikwissenschaft 1931 von Otto Ursprung und Friedrich Blume oder bei den Geschichten der Kirchenmusik von Blume und Karl Gustav Fellerer in den 1960er und 70er Jahren praktiziert wurde – verzichtet wurde, sondern auch, dass – heute gar nicht anders möglich – ein Gemeinschaftswerk entstanden ist. Schließlich sind die interdisziplinäre Anlage hervorzuheben sowie der Blick über den Tellerrand der großen europäischen Kirchenmusikgeschichte. -Großzügige Absätze und ein breiter Mittelrand erzielen ein klares übersichtliches Druckbild. Notenbeispiele und Abbildungen sind in sehr guter Qualität wiedergegeben. Nur bei Faksimilies von Quellen hätte man sich manchmal eine größere Auswahl sowie weniger Verkleinerung gewünscht. – Um einen Eindruck vom groß angelegten Konzept der EdkM zu vermitteln, werden im Folgenden die genauen Titel der Bände, ihre Gliederung (kursiv) und die Titel der einzelnen Artikel aufgeführt. Der Verfassername wird jedoch nur da angefügt, wo ein Artikel auch als Einzelner im engeren Sinne Gegenstand des vorliegenden Literaturberichts ist. Auf eine Einzelauflistung in den verschiedenen Rubriken wird daraufhin entsprechend verzichtet. Hochstein, Wolfgang/ Krummacher, Christoph: Geschichte der Kirchenmusik in 4 Bänden (EdKM 1/1–4). 1. Von den Anfängen bis zum Reformationsjahrhundert (EdKM 1/1). 2011, 352 S. Kirchenmusik im ersten Jahrtausend: Biblische Befunde zur Musik; Die Entstehung und Ausbreitung des Christentums. Liturgische Entwicklung und Herausbildung gottesdienstlicher Formen; Der Gregorianische Choral: Entstehung – Repertoirebildung – Notation; Byzantinische Musik. – Vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 900 bis ca. 1500): Historische, kirchenpolitische und geistesgeschichtliche Entwicklungen; Musikanschauung im Mittelalter; Gottesdienst im Wandel. Reformen als Garant der Identität christlichen Gottesdienstes; Die Erweiterung des gregorianischen Repertoires: Tropus und Sequenz; Einstimmiger volkssprachiger Gesang; Die Orgel vom 9. bis zum 15. Jahrhundert; Frühe Mehrstimmigkeit. Gattungen: Organum und Conductus; Motette; Messe; Orgelmusik. Porträts: John Dunstaple; Guillaume Dufay; Johannes Ockeghem. – Reformation und Gegenreformation (bis 1600): Das Zeitalter der Reformation (en) und die Musik (Jochen Arnold); Liturgische Reformen (Jochen Arnold); Gesangbücher im Reformationsjahrhundert (Joachim Stalmann); Satztechnische Aspekte

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geistlicher Musik zwischen 1520 und 1600. Gattungen: Messe und Requiem; Passionsvertonungen; Vesperpsalmen, Hymnen, Cantica, Magnificat, Lamentationen; Motette und vokale Choralbearbeitung; Musik für den anglikanischen Gottesdienst 1547–1649 (Patrick Russill); Orgelmusik. Porträts: Josquin Desprez; Johann Walter (Joachim Stalmann; Giovanni Pierluigi da Palestrina; Orlando di Lasso; William Byrd; Andrea Gabrieli/ Giovanni Gabrieli; Jan Pieterszoon Sweelinck. 2. Das 17. und 18. Jahrhundert. Kirchenmusik im Spannungsfeld der Konfessionen (EdKM 1/2). 2012, 341 S. Das Zeitalter des konzertierenden Stils (1600 bis ca. 1730): Die politische und religiöse Situation zu Beginn der Neuzeit; Gottesdienstliches Leben (Christoph Krummacher), Kirchenlied und Gesangbücher (Christian Bunners); Alte und neue Stile. Gattungen: Messe und Requiem; Kirchenmusikalische Gattungen außerhalb der Messe in Italien und Deutschland; Vokale Gattungen evangelischer Kirchenmusik; Französische Sonderformen; Oratorium; Passion und Historien; Orgelmusik. Porträts: Claudio Monteverdi, Michael Praetorius; Girolamo Frescobaldi; Heinrich Schütz; Dietrich Buxtehude; Johann Josef Fux und Antonio Caldara; Jan Dismas Zelenka; Georg Philipp Telemann; Johann Sebastian Bach; Georg Friedrich Händel. – Von der Aufklärung zur musikalischen Klassik: Die politische, geistes- und kirchengeschichtliche Situation; Liturgische Formen in der Zeit der Aufklärung; Kirchenlied und Gesangbücher im 18. Jahrhundert (Dietrich Meyer); Stil und Form in der Kirchenmusik. Gattungen: Die Messe; Das Requiem; Die Musik zu den katholischen Nachmittags-Gottesdiensten; Solomotette und Marianische Antiphonen; Die protestantische Kirchenkantate; Französische Sonderformen; Oratorium und Passion; Orgelmusik und gottesdienstliche Instrumentalmusik (Friedrich Wilhelm Riedel). Porträts: Johann Adolf Hasse; Carl Philipp Emanuel Bach; Joseph Haydn; Johann Michael Haydn; Wolfgang Amadeus Mozart. 3. Das 19. und frühe 20. Jahrhundert. Historisches Bewusstsein und neue Aufbrüche (EdKM 1/3). 2013, 398 S. Zwischen „Romantik“ und „Historismus“. Das 19. Jahrhundert: Politische, geistesund kirchengeschichtliche Entwicklungen; Geistliche Musik als ästhetisches Problem (Friedhelm Krummacher); Gottesdienstliche Formen (Konrad Klek); Die Weiterentwicklung des gregorianischen Repertoires bis um Ende des 20. Jahrhunderts (Stefan Klöckner), Kirchenlied und Gesangbuch (Ilsabe Seibt), Kirchenmusikreform, Cäcilianismus und Palestrina-Renaissance (Winfried Kirsch), Die „ältere“ evangelische liturgische Bewegung und ihre Vorläufer (Konrad Klek); Zwischen Fortschritt und Rückwendung. Stilfragen im 19. Jahrhundert. Gattungen: Die Messe; Das Requiem; Te Deum, Stabat Mater, Psalmen und weitere kirchenmusikalische Gattungen; Die evangelische Kirchenkantate; Das Oratorium; Orgelmusik. Porträts: Luigi Cherubini; Ludwig van Beethoven; Franz Schubert; Felix Mendelssohn Bartholdy; Franz Liszt; César Franck; Anton Bruckner; Johannes Brahms; Josef Gabriel Rheinberger; Max Reger. – Die Zeit der Umbrüche und „Bewegungen“ (ca.1900 bis 1945): Aufbrüche im frühen 20. Jahrhundert; Zeit der Umbrüche und „Bewegungen“; Das Kirchenlied (Britta Martini), Kirchliche Bläserarbeit und ihre Entwicklung bis zur Gegenwart (Wolfgang Schnabel); Traditionelle Satztechniken und neue musikalische Idiome; Englische Kirchenmusik von 1880 bis zur Gegenwart (Patrick Russill), Skandinavische Kirchenund Orgelmusik (Harald Herresthal). Gattungen: Lateinische und landessprachliche Kirchenmusik; Das Oratorium; Die Orgelmusik. Porträts: Frank Martin; Johann Nepomuk David; Ernst Pepping; Hermann Schroeder; Hugo Distler; Benjamin Britten.

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Literaturbericht Hymnologie. Daniela Wissemann-Garbe

4. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Herausforderungen der Gegenwart (EdKM 1/4). 2014, 376 S. Aufbruch zu neuen Ufern (ca. 1945 bis zur Gegenwart): Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg; Liturgische und kirchenmusikalische Aufbrüche nach 1960 (Eckhard Jaschinski); Kirchenlied und Gesangbücher (Ernst-Ulrich Kneitschel); Musikalische Satztechniken. Porträts: Olivier Messiaen; Siegfried Reda; Dieter Schnebel; Sofija Gubajdulina; Krzysztof Penderecki; Arvo Pärt. Musik der Ostkirchen. – Außereuropäische Kirchenmusik: Spiritual und Gospel; Musik in jungen Kirchen. Populäre Kirchenmusik der Gegenwart. Schneider, Matthias/ Bugenhagen, Beate: Zentren der Kirchenmusik (EdKM 2). 2011, 429 S. Sankt Gallen. Die mittelalterliche Abtei als Zentrum einstimmigen Gesangs; Die Reichenau. Neue liturgische Gesangsformen seit dem 9. Jahrhundert; Paris. Die Musik von Notre Dame um 1200; Prag. Die musikalische Tradition der Hussiten (Hana Vlhová-Wörner), Innsbruck. Paul Hofhaimer und das Orgelspiel am kaiserlichen Hof (Monika Fink). Riga. Das niederdeutsche Gesangbuch von 1530 (Vilis Kolms), Straßburg und Genf. Der reformierte Psalmengesang (Jan R. Luth); München. Orlando di Lasso und das goldene Zeitalter der Münchner Hofmusik; Venedig. Neue Impulse für die Kirchenmusik an San Marco im „Cinquecento“; Rom. „Cantus Romanus“, Kolossalbarock und Römische Schule; Amsterdam. Der „Organistenmacher“ Jan Pieterszoon Sweelinck; Lübeck. Die Abendmusiken und die Pflege der Kirchenmusik bis in das 18. Jahrhundert; Dresden. Von Heinrich Schütz; Danzig. Acht Jahrhunderte Kirchenmusik; Leipzig. Das Thomaskantorat im 17. und 18. Jahrhundert; London. Geistliche Musik auf weltlichen Bühnen; Wien. Kirchenmusik am kaiserlichen Hof im 17. und 18. Jahrhundert; Pennsylvania. Deutsche Kirchenliedtradition seit dem 18. Jahrhundert (Ute Evers); Berlin. Die „Hauptstadt Johann Sebastian Bachs im 19. Jahrhundert?“; Regensburg. Die Reform der katholischen Kirchenmusik im 19. Jahrhundert; Paris. Perle der Orgelwelt um 1900; Stuttgart. Heimliche Chorhauptstadt Deutschlands; Köln. Musikstadt im 20. Jahrhundert – „Musica sacra“ als Raum kompositorischer Freiheit; Halberstadt. John-Cage-Orgelprojekt oder: Wie langsam ist „so langsam wie möglich“? Eingestreut sind Essays über: Die unangefochtene Autorität: Gregor der Große; Die Messe – eine zentrale Gattung der Kirchenmusik?; Johann Sebastian Bach. Körndle, Franz/ Kremer, Joachim (Hg.): Der Kirchenmusiker. Berufe – Institutionen – Wirkungsfelder (EdKM 3). 2015, 447 S. „Kirchenmusiker“ – Vielfalt und Wandelbarkeit kirchenmusikalischen Handelns in 2000 Jahren; Kirchenmusikerinnen zwischen Ausgrenzung und Professionalisierung. – Vom Gemeindegesang zur institutionalisierten Kirchenmusik: Singen in der Kirche. Vom urchristlichen Gemeindegesang zum karolingischen Klerikerrepertoire; Der Cantor im Mittelalter; Die Bestimmungen über den Oberkantor in den Constitutiones des Reformklosters Hirsau; Waren Leonin und Perotin Cantoren an Notre Dame? Chordienst an der Pariser Kathedrale im 12. und 13. Jahrhundert; Die Bruderschaften und Zünfte und die kirchenmusikalische Praxis in den Niederlanden (14.–16. Jahrhundert); Tongern, ein Mikrokosmos; Neue Berufe im späten Mittelalter: Orgelmacher und Organist; Kirchenorgeln in Privatbesitz; Die Wandlungen kirchenmusikalischer Berufe im Reformationsjahrhundert; Höfische und kirchliche Kapellen des 15. und 16. Jahrhunderts. Auf dem Weg zur kirchenmusikalischen Institution; Johannes von Soest; Stadtpfeifer, Türmer, Hofmusiker, Hoboisten. Die Stellung und Bedeutung von Berufsmusikern in weltlichen Diensten für die Kirchenmusik über die Jahrhunderte;

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Von „varenden leuten“. (Kirchen-)musiker bei Reichstagen im 16. Jahrhundert. – Spezialisierung und Pluralismus: Die „gemischte Kantorei“ und ihr „Capellmeister“. Neue Organisationsformen der Kirchenmusik im 16. Jahrhundert zwischen geistlicher und weltlicher; Paul Hainleins Briefe aus Venedig an Friedrich Behaim; Johann Hildebrand (1614–1648), Organist zwischen Krieg und Frieden; Die lutherischen „musici ecclesiastici“ im 17. Jahrhundert; Die Musiker der französischen Kirchen; „Director musices“, „Solmisations-Ritter“ oder eifriger „Korrespondent“. Zur „Cantor-Materie“ im 18. Jahrhundert; Der Musiker im klösterlichen Kosmos; Franz Joseph Leonti Meyer von Schauensee: Musiker, Offizier, Politiker, Geistlicher und eine einflussreiche Stimme in Sachen katholischer Kirchenmusik der alten Eidgenossenschaft; „Mulier non taceat in ecclesiae“. Die vier venezianischen Frauenkonservatorien – Beispiele kirchenmusikalischer und institutioneller Ausbildung; Maria Teresa Tagliavacca: Karriere, Spitzenposition, aktives Alter. Eine hochmoderne Lebenskonzeption. – Modernisierungsprozesse: Professionalisierung der Kirchenmusik im 19. und frühen 20. Jahrhundert; Orgelschulen; Lehrerorganisten im 19. Jahrhundert. Zwischen kirchenmusikalischem Handwerk und künsterlischem Anspruch; Christian Fink (1831– 1911) – mehr als nur ein Seminarmusiklehrer im Königreich Württemberg; Die Leiter und Sänger der Dom- und Schlosskirchenchöre in Berlin, Schwerin, Hannover und Salzungen im 19. Jahrhundert; Gegen den „klimpernden und trällernden Dilettantenjammer“. Heinrich Giehne (1821–1887) und der Schlosschor in Karlsruhe, Domkapellmeister im 19. Jahrhundert; Brucker – ein missglückter Versuch, in Salzburg Fuß zu fassen; Fortführung der Traditionen und Kirchenmusikerausbildung heute; Statt eines Ausblicks: Alte Fragen – neue Antworten für die Zukunft? Schneider, Matthias/ Gerhards, Albert (Hg.): Der Gottesdienst und seine Musik in 2 Bänden (EdKM 4/1–2). 1. Grundlegung: Der Raum und die Instrumente. Theologische Ansätze. Hymnologie: Die Gesänge des Gottesdienstes (EdKM 4/1). 2014, 344 S. Grundlagen. Der Raum und die Instrumente. Theologische Ansätze: Historischer Überblick (Eckhard Jaschinski), Orte der Kirchenmusik (Albert Gerhards), „Seele des Wortes“ – Die Stimme im Gottesdienst (Josef-Anton Willa), Posaunenchor (Garry Crighton), Die kirchlichen Bands und ihr Beitrag zum modernen Gottesdienst (Wolfgang Teichmann), Das gottesdienstliche Orgelspiel (Ingo Bredenbach), Die Glocke – Die Stimme Gottes (Heinz-Walter Schmitz), Katholischer Ansatz einer Theologie der Kirchenmusik (Thomas Eicker), Evangelischer Ansatz einer Theologie der Kirchenmusik (Corinna Dahlgrün). – Hymnologie. Die Gesänge des Gottesdienstes: Gregorianik: Das Kernrepertoire (Harald Buchinger), Zwischen Alt und Neu: Die Erweiterung des Repertoires (Michael Klaper), Gesang und Konfession (Franz Karl Praßl), Vom Ein-Blatt-Druck zum Liederschatz (Barbara Lange), Mittelalterliche Liedformen: Hymnus, Sequenz, Leise (Franz Karl Praßl), Liedpsalter der Reformationszeit (Jan R. Luth), Lieder der Reformationszeit – gottesdienstlicher Kontext und Typen (Ada Kadelbach), Die weitere Entwicklung des Kirchenlieds im Spannungsfeld von Konfessionalismus, Frömmigkeitsbewegungen und Aufklärung (Ada Kadelbach), Die Gesangbuchrestauration im 19. Jahrhundert (Ilsabe Seibt), „Geht hinaus in die ganze Welt…“ Lieder zu Sendung und Mission (Annette Albert-Zerlik), Singen im 20. Jahrhundert (Christian Finke) 2. Liturgik: Gottesdienstformen und ihre Handlungsträger (EdKM 4/2). 2014, 323 S. – vgl. JLH 54 (2015), S. 93. Fürst, Ulrich (Hg.): Die Kirchenmusik in Kunst und Architektur. 2 Bände (EdKM 5/1– 2). 2015, 310 und 304 S.

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1. Teilband. I Kunstgeschichte der Kirchenmusik – eine Einführung. – II Musikikonographie zwischen Himmel und Hölle: Ikonographie der Musikinstrumente; Ikonographie der Engelsmusik – der himmlische Lobpreis bis 1600/ ab 1600; Hiob, König David, Hl. Gregor, Hl. Cäcilia: Die Autorisierung der Kirchenmusik; Die tröstende Wirkung und heilende Kraft der Musik; Die Musik der Apokalypse; Die musizierende Hölle. – III Konzeptionelle Bilder – Schemata, Personifikationen und Allegorien in der Ikonographie der Kirchenmusik: Personifikationen und Schemata in Theorie und Praxis mittelaterlicher Kirchenmusik; Musik im Bild – sinnbildliche Darstellungen zur Kirchenmusik auf Titelblättern der Frühen Neuzeit. – IV Kirchenmusiker und kirchenmusikalische Praxis im Bild: Autorenbild, Tätigkeitsbild und Porträt – der Status von Kirchenmusikern im Bild; Bilder der kirchenmusikalischen Praxis. Ein kursorischer Überblick. – V Der Raum der Kirchenmusik – zur Relation von Kirchenmusik und Sakralarchitektur: Zur Einführung. Sakralarchitektur und Kirchenmusik in ihrer liturgisch definierten; Sanktuarium und „chorus psallentium“ – die Orte von Messgesang und gesungener Tagzeitenliturgie; Das Kirchenschiff und Annexbauten außerhalb des Hohen Chores – Prozessionswege, Kapellen, Vorkirchen, Raum der singenden Gemeinde und Aufführungsorte 2. Teilband: V Fortsetzung: Musikchöre, Musikemporen und Sängerkanzeln; Die Integration der Orgel in das architektonische Gefüge des Kirchenraums; Akustik des Kirchenraums; Raum und Klang in den Kirchen Venedigs – ein Forschungsbericht; Außenraum und Umgebung der Kirchenbauten als kirchenmusikalischer Ort; Glockentürme. – VI Ikonographische Konzeptionen an den Orten der Kirchenmusik: Zu einer Topographie musikbezogener Themen im Kirchenraum; Ausstattungsprogramme im Bereich von Altar- und Chorräumen; Ausstattungsprogramme von Chorgestühlen; Malerische und bildhauerische Ausstattung der Orgeln und Orgelemporen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. – VII Synthesen: Notenschrift, Bilder und Texte: Einführende Überlegungen zu Medienkombinationen mit musikalischer Notation; Miniaturmalerei in liturgischen Büchern des Mittelalters; Andacht, Macht, Memoria – Illuminierte Chorbücher der Frühen Neuzeit; Druckgraphische Darstellungen in protestantischen wie katholischen Gesangsbüchern (Tilman Seebass); Symbolische Figurationen als ›Augenmusik‹. Visualisierungsstrategien geistlicher Musik in der Frühen Neuzeit; Bildmotetten – Motettenbilder. – VIII Ausblick: Kompositionen der Kirchenmusik als Anregung für bildende Künstler; Die Kirchenmusik in den Medien der Moderne. Massenkeil, Günther/ Zywietz, Michael: Lexikon der Kirchenmusik. Bd. 1 A–L, Bd. 2 M–Z (EdKM 6/1–2). 2013, 1429 S.

I. Theologie und Kirchenmusik A. Grundsätzliche Besinnung Arnold, Jochen: Vom Reiz des musikalisch Neuen. Überlegungen und Beobachtungen zu einer religiösen Wahrnehmungskunst. In: MuK 85 (2015), 178–185. Bacciagaluppi, Claudio: „Bisogna che le messe si sfornino a guise di mele cotte“. Giovanni Battista Pergolesis Messen – Aufträge, Aufführungen und Kontext. In: KMJ 98 (2014), 85–94.

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Capelle, Irmlind: „mit Kuhreihen, mit Musetten- und Schalmeienklang“. Anmerkungen zu Abbé Voglers „Missa pastoritia“. In: KMJ 98 (2014), 95–106. Claussen, Johann Hinrich: Gottes Klänge. Eine Geschichte der Kirchenmusik. In Zusammenarbeit mit Christof Jaeger. C.H.Beck: München 2014. Essays zur Kirchenmusik in chronologischer Folge. Fischer, Christian: Blicke über den Tellerrand. Beobachtungen in der christlichen Popularmusik. In: MuK 85 (2015), 170–176. Grabs, Charlotte: Denkanstöße für kirchenmusikalischen Reformprozesse in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. In: Unsagbares zur Sprache bringen: Musik und Verkündigung im Raum der Kirche. Prof. Dr. Dr. h. c. Christfried Brödel zur Verabschiedung in den Ruhestand. Hg. von der Hochschule für Kirchenmusik Dresden (VS-Edition 9158). Strube: München 2015, 97–106. Groote, Inga Mai: „quod pium, quod grave, quod dignum … compositum est“. Impulse aus der Musiktheoriegeschichte für die Kirchenmusikforschung. In: KMJ 98 (2014), 23–38. Betr. die dominierende Rolle kirchenmusikalischer Werkgattungen in den Theoriewerken der frühen Neuzeit. Höink, Dominik: Oratorium und Säkularisierung. In: KMJ 98 (2014), 125–134. Kritische Reflexion der Säkularisierungstheorien und ihrer herkömmlichen Verbindung mit der Entwicklung der außerliturgischen geistlichen Musik. Kreuels, Matthias: Die Musik von Taizé und die Folgen. Zum 75jährigen Bestehen der ökumenischen Gemeinschaft. In: MuK 85 (2015), 186–193. Krummacher, Christoph: Kirchenmusik in Theorie und Praxis. Ausgewählte Texte aus der Hochschularbeit und der kirchenmusikalischen Lehrtätigkeit (Hochschule für Musik und Theater ,,Felix Mendelssohn Bartholdy" Leipzig. Schriften 10). Olms: Hildesheim 2014, 322 S. Enthält u. a. folgende Beiträge: Kirchenmusik – Luxus oder Notwendigkeit? (191– 202), Kirchenmusik an der Schwelle zum 21. Jahrhundert (203–215), Musik und Seelsorge (217–233), Zwischen Anspruch und Unterhaltung. Kirchenmusik heute (235– 246), Musik im Gottesdienst – ein missionarisches Mittel? (247–270), „Alles mit, nichts aus Religion“ – F. D. Schleiermacher und die gegenwärtige Theoriediskussion zur Kirchenmusik (271–288), Von Luther zur ökumenischen Perspektive der Kirchenmusik (289–297), Krummacher, Christoph: „Ein neues Lied wir heben an“. Luthers „Canticum novum est canticum crucis“. In: MuK 85 (2015), 166–168. Rolf, Hans-Joachim: Vom Auftrag der Kirchenmusik in Gemeinde und Gesellschaft. In: MuK 85 (2015), 368–372. Smets, Anne: Das Endgericht in der Endzeitrede Mt 24–25 und im Evangelischen Gesangbuch (Mainzer hymnologische Studien 27). Francke: Tübingen 2015, 421 S. Die in den Disziplinen Neues Testament, Hymnologie und Praktische Theologie angesiedelte Dissertation analysiert zunächst die Gerichtsvorstellungen des Bibeltextes bevor deren Rezeption im Evangelischen Gesangbuch untersucht wird. Von den 50 im Liedregister aufgeführten Liedern werden sieben in den Abschnitten „Analyse und Intertext“, „Zum Gericht“, „Wirkungsgeschichte“ und „Das Lied im Gottesdienst“ behandelt, letzteres jeweils im Hinblick auf „Rollenangebote und Identifikationspotentiale“ sowie „Das Lied im Kirchenjahr“: Gottes Sohn ist kommen, Nun jauchzet, all ihr Frommen, „Wachet auf“, ruft uns die Stimme, Es ist gewisslich an der Zeit, Ermuntert euch, ihr Frommen, Mache dich, mein Geist, bereit, So jemand spricht: „Ich liebe Gott“.

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Vicarová, Eva: Die Reform der Kirchenmusik in der Kathedrale in Olomouc vor dem Hintergrund des Kyrillismus in Böhmen. In: KMJ 98 (2014), 107–124. Weymann, Volker: Was macht ein Lied zum „neuen Lied“? Biblische Rechenschaft. In: MuK 85 (2015), 160–165.

B. Kirchenlied und Musik in der Ordnung des Gottesdienstes Besser, Beate: Der neue Wochenliedplan und die gemeindliche Praxis. In: LK 6 (2015), H. 2, 38–43. Blume, Cäcilie: Populäre Musik bei Bestattungen. Ein empirische Studie zur Bestattung als Übergangsritual. Kohlhammer: Stuttgart 2014, 320 S. Betrifft evangelisches Bestattungsritual. Collarile, Luigi: Die „Missa super La Bataille“ im Zeremoniell und Repertoire der venezianischen Cappella Ducale. In: KMJ 98 (2014), 59–84. Gall, Sieghard: Gesang im Gottesdienst. Emotion und Spiritualität. Rezeption traditioneller und neuerer Kirchenlieder (Studien zur Rezeptionsforschung [4]). ReactosMedienforschung: München 2013, 156 S. Der Verfasser hat als Physiker das Reactoscope-Verfahren entwickelt, um Reaktionen auf von einer Reizquelle ausgehende Reize darzustellen. Der Untersuchung liegen Befragungen in katholischen Gemeinden aus den Jahren 2003 in Wien und 2005/ 2006 in und um München zu Grunde. Außer Tabellen, in denen Lieder, Bewertungen und soziologische Parameter in Beziehung gesetzt werden, sind auch eine Reihe von verbalen Äußerungen wiedergegeben. Leube, Bernhard: Neue Chancen für das Wochenlied? Der Entwurf der neuen Wochenliedordnung im Rahmen des neuen Perikopensystems. In: WBK 82 (2015), H. 5, 4–10. Marti, Andreas: Welche Lieder wünschen wir uns für die Zukunft. In: Hanisch-Wolfram, Alexander/ Horn, Werner (Hg.): StimmKraft. Kirchenlieder schreiben Geschichte. Beiträge zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft evangelischen Singens. Wissenschaftlicher Begleitband zur Sonderausstellung im Evangelischen Kulturzentrum Fresach 2015. Verlag des Kärntner Landesarchivs: Klagenfurt 2015, 321–342. Nach einer umfassenden, stets auf Quellen bezogenen Übersicht über Qualitätskriterien in verschiedenen Epochen der Kirchenliedgeschichte, referiert Marti unter zahlreichen Rückbezügen die Kriterienliste bei der Entstehung des deutschschweizer Reformierten Gesangbuches (RG, 1998) und entwickelt daraus eine Perspektive für Gegenwart und Zukunft. Pietschmann, Klaus: Der Fürst hört die Messe. Formen musikvermittelter Partizipation, Interaktion und Repräsentation in der höfischen Liturgie. In: KMJ 98 (2014), 7–22. Betr. Quellen für den Gottesdienst an den Höfen von Philipp dem Guten, Maximilian I. und Karl V. und die Reaktion der Messkompositionen auf die „inszenierte Frömmigkeit“, dies anhand der „Missa Mille regretz“ von Cristobál de Morales. Stalmann, Joachim: Singend beten? Was hat das Vaterunser im Gesangbuch zu suchen? In: MuK 85 (2015), 14–18. Betrifft die Vaterunser-Gesänge und Lieder im Evangelischen Gesangbuch (EG) von liturgischen Gesängen (Nr. 186–188) über Vaterunser-Zitate in verschiedenen Liedern bis hin zu vollständig gereimten Vaterunser-Strophen in den Liedern Es ist das Heil

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uns kommen her (EG 342, Strophe 8 und 9) und Vater unser im Himmelreich (EG 344) Weber, Beat: „Ausgang und Eingang, Anfang und Ende …“ Fragmente zu musikalischen und biblischen Ein-, Über- und Ausgängen. In: Seubert, Harald/ Thiessen, Jacob (Hg.): Die Königsherrschaft Jahwes. Festschrift zur Emeritierung von Herbert H. Klement (Studien zu Theologie und Bibel 13). LIT: Wien 2015, 75–96 Betrifft S. 75–82 den Kanon Ausgang und Eingang bevor Erwägungen zu biblischen Ein-, Über- und Ausgängen dargelegt werden. Wiesenfeldt, Christiane: Musik in Bewegung – Bewegende Musik. Prozessionen als musikalisierte Rituale. In: KMJ 98 (2014), 39–58. Musik und Kirche (MuK) 85 (2015), Heft 4 Themenheft: „Tanz in der Kirche – Beten mit den Beinen“: Schnütgen, Tatjana K.: Tanz in Bibel und Kirchengeschichte. Auf dem Weg zu Tanz als Kunst in Liturgie und Spiritualität (230–236). – Macht, Siegfried: Tanz im Raum der Kirche (240–244). – Karas, Markus: Tanz auf der Orgel. „Trois Danses“ von Jehan Alain (250–253). Literaturbesprechungen ergänzen die Schau auf das Thema.

II. Hymnologie A. Hymnologische Forschung, Geschichte und Quellen des Kirchenliedes Dremel, Erik/ Poetzsch, Ute: Choral, Cantor, Cantus firmus. Die Bedeutung des lutherischen Kirchenliedes für die Schul- und Sozialgeschichte (Hallesche Forschungen 42). Franckeschen Stiftungen Halle/ Harrassowitz in Kommission: Halle 2015, 184 S. Der Band versammelt eine Reihe von Beiträgen, die im Themenjahr 2012 der Lutherdekade „Reformation und Musik“ zu einer wissenschaftlichen Tagung in Halle entstanden sind und sich aus musikhistorischer, aufführungspraktischer und bildungsgeschichter Sicht mit dem „Medium“ Choral (Vorwort) beschäftigten. Die Verwendung des Begriffs Choral anstelle von Kirchenlied im Titel begründet Erik Dremel in seinem zweiten Beitrag damit, dass die Lieder des 16. und 17. Jahrhunderts, um die es primär geht, den Rang eines liturgischen Chorals bekommen hätten. Ein Aspekt ist auch die Bildung eines Kanons – „Kernlieder“, wie man in jüngster Zeit gerne sagt. Matthias Schneider kommt anhand von historischen Quellen zu lutherischen Gottesdiensten zu sieben Thesen. Improvisation, Alternatimpraxis und Probespiele sowie die erst Ende des 17. bzw. Anfang des 18. Jahrhunderts einsetzende Liedbegleitung, wie wir sie heute kennen, stehen dabei im Mittelpunkt. Enthält folgende Beiträge: Einleitung. Musik als die „Mutter der Schule“ (Erik Dremel, 1–27) – Lehrer und Kantor – zwei Berufe im Wandel der Geschichte (Friedhelm Brusniak, 29–40) – Zur Organisation der lutherichen Lateinschule im 16. und 17. Jahrhundert als Träger der Kantorei und des Schulchors (Jean-Luc Le Cam, 41–77) – Schule und musikalische „Dienstleistungen“. Ihre Bedeutung für die Visualisierung Performanz der „Guten Ordnung“ in der Frühen Neuzeit. Konturen eines vernachlässigten interdisziplinären Forschungsfeldes zwischen Musik- und Bildungsgeschichte (Thomas Töpfer, 73–92) – Das musikalische Repertoire der Lateinschulen (Dietlinde Rumpf, 93–107) – Der Lutherische Choral als melodische „Gestalt“ und sein Verhält-

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nis zum Text (Erik Dremel, 109–126) – Aufführungspraxis und Besetzungsfragen in den Choralbearbeitungen von Michael Praetorius (Thomas Synofzik, 127–138) – Die Rolle und Funktion der Orgel im Gottesdienst (Matthias Schneider, 139–150) – Plakativ und verborgen – Gedanken zur Präsenz des Luther-Chorals in der Musik des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts (Dietmar Hiller, 151–158) – Der lutherische Chroal im Schaffen von Hugo Distler und Ernst Pepping (Sven Hiemke, 159–167). Evers, Ute: Die Liedtradition der schlesischen Schwenckfelder. In: Napp, Thomas/ Speer, Christian (Hg.): Musik und Konfessionskulturen in der Oberlausitz der Frühen Neuzeit (Neues Lausitzisches Magazin. Beiheft 12). Oettel: Görlitz 2013, 63–71. Im selben Band beschäftigen sich zwei weitere Artikel mit den Schwenckfeldern: Kempgen, Margrit: Die Schwenckfelder. Eine kurze Einführung (49–52); Meyer, Dietrich: Die theologische Auseinandersetzung Caspar Schwenckfelds mit der lutherischen Bewegung (53–62). Hanisch-Wolfram, Alexander/ Horn, Werner (Hg.): StimmKraft. Kirchenlieder schreiben Geschichte. Beiträge zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft evangelischen Singens. Wissenschaftlicher Begleitband zur Sonderausstellung im Evangelischen Kulturzentrum Fresach 2015. Verlag des Kärntner Landesarchivs: Klagenfurt 2015, 348 S. Beiträge aus den Bereichen Theologie, Musik- und Literaturwissenschaft, Geschichte und Volkskunde befassen sich mit verschiedenen Aspekten des Kirchenliedes in allen deutschsprachigen Ländern und verschiedenen Konfessionen. Enthält folgende Beiträge: I Zur Geschichte: Kirchenlieder als Brennpunkte der Glaubens- und Frömmigkeitsgeschichte (Jochen Arnold, 11–32) – Frauen als Kirchenlieddichterinnen (Elisabeth Schneider-Böklen, 33–51) – „Ich singe mit, wenn alles singt“. Das Singen in Paul Gerhardts Dichtung (Werner Horn, 65–69) – Das Gesangbuch als Träger geheimprotestantischer Frömmigkeit (Alexander Hanisch-Wolfram, 78–88) – Albert Knapp: „Oesterreichische Exulantenlieder evangelischer Christen aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges“ (Werner Horn, 89–103) – Neue Lieder, neuer Geist und die Frage nach der evangelischen Identität. Der Gesangbuchstreit in den Kärntner Toleranzgemeinden (Alexander Hanisch-Wolfram, 114–128) – Katholische Gesangbücher in Kärnten (Franz Karl Praßl, 129–150) – Meine Begegnung mit Jochen Klepper und seinen Liedern. Im Gedenken an meinen Lehrer Paul Pellar (Karl W. Schwarz, 151–164) – „Ein feste Burg ist unser Gott“. Kirchenlied, identitätsstiftender Choral und politische Projektionsfläche (Alexander Hanisch-Wolfram, 165–176) – Die Gesangbuchsammlung des Museumsvereins in Fresach (Anita Ernst, 177–194). II Zur Gegenwart: Neue Themen im Kirchenlied des 20. Jahrhunderts (Matthias Krampe, 195–100) – Zeitgenössische Kirchenlieder (Ders., 201–212) – Die Theologie der neueren Lieder unserer Kirche (Werner Horn, 213–223) – Gesungene Ökumene (Ders., 224–241) – Protestantismus und Volkslied (Erika Jung-Mittergradnegger , 242–262) – Das Gesangbuch als Lebensbegleiter. Wie Seelsorge mit Kirchenliedern möglich wird (Michael Heymel, 263–275) – Zur Entstehung der Kernliederliste (Matthias Krampe, 276–281) – Österreichische Dichter und Komponisten im Österreichteil des Evangelischen Gesangbuches (Werner Horn, 282–291). III Zur Zukunft: Singen im Protestantismus heute und morgen – Problemanzeigen und Chancen (Peter Bubmann, 293– 299) – Das evangelische Lied als lebensprägende Kraft (Thomas Wrenger, 300–307) – Kreativer Umgang mit dem Gesangbuch (Christa Kirschbaum, 308–321) – Welche Lieder wünschen wir uns für die Zukunft (Andreas Marti, 321–342). Klugseder, Robert: Cantare amantis est. Festschrift zum 60. Geburtstag von Franz Karl Praßl. Brüder Hollinek: Purkersdorf 2014, 384 S.

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33 kurze Aufsätze aus verschiedenen Bereichen (Liturgiewissenschaft, Quellenstudien, Gregorianischer Choral. Korth, Hans-Otto: Ein Beitrag Böhmens zur Melodiegeschichte. In: Napp, Thomas/ Speer, Christian (Hg.): Musik und Konfessionskulturen in der Oberlausitz der Frühen Neuzeit (Neues Lausitzisches Magazin. Beiheft 12). Oettel: Görlitz 2013, 25–37. Betrifft: Christ, unser Herr, zum Jordan kam und seine vielfältigen Beziehungen. Kurzke, Hermann/ Schäfer, Christiane: Mythos Maria. Berühmte Marienlieder und ihre Geschichte. C.H.Beck: München 2014, 303 S., Abb. Hymnologie kann man erzählen – spannend, lehrreich, belesen, einfühlsam, nachdenklich, begeistert, inspirierend. Und ohne den Boden des Wissenschaftlichen zu verlassen, Quellen und Literaturnachweise sind beeindruckend. Christiane Schäfer und Hermann Kurzke zeichnen den Weg zu den Ursprüngen der behandelten Lieder nach beschreiben Fassungen und Wirkungen. „Der Mythos singt. Anstatt in Andacht versunken mitzusingen, wird in diesem Buch der Mythos philologisch zergliedert und auf seine Techniken befragt.“ (S. 273) Auf diese Weise wird der Blick freigelegt auf die Bedürfnisse, die die Lieder hervorgebracht und wieder und wieder verändert haben. Auch Evangelische können nach der Lektüre besser verstehen, was es mit Marienliedern auf sich hat. Zahlreiche Bilder runden das bibliophil gestaltete Buch ab. Maria durch ein Dornwald ging; Ave Maria zart; Die Schönste von allen; Maria Maienkönigin; Gegrüßet seist du, Königin; Mein Zuflucht alleine; Segne du, Maria; Maria breit den Mantel aus; Maria zu lieben ist allzeit mein Sinn; Meerstern, ich dich grüße; Sagt an, wer ist doch diese; Wunderschön prächtige Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik. Funktion und Ästhetik im deutschsprachigen Drama der Frühen Neuzeit. Bd. 1 Materialteil (Würzburger Beiträge zur Musikforschung 2.1). Hans Schneider: Tutzing 2013, xxxi/ 1099 S., 1 CD. Bd. 2 Darstellungsteil (ortusstudien 19). ortus musikverlag: Beeskow 2015, 752 S. Es ist ein wahrhaftes opus magnum, das Irmgard Scheitler mit der „Schauspielmusik“ vorgelegt hat und das trotz des Verlagswechsels auch optisch geschlossen wirkt. Dass es hymnologisch relevant ist und Ausgangspunkt für weitere Studien sein kann, zeigt sie selber im vorliegenden Band des JLH mit ihrem Aufsatz „Luther redivivus. Das Reformationsjubiläum 1617“. Das Repertorium erfasst, alphabetisch nach Verfassern angeordnet und übersichtlich mit weiterführenden Hinweisen versehen, deutschsprachige Schauspiele von ca. 1500 bis 1700 (1730), die Musik enthalten. Die Musik zu zehn davon ist auf der beiliegenden CD auf höchstem Niveau eingespielt. Ein Blick in das 18spaltige Register der Lieder und Gesänge zeigt, wie überraschend häufig geistliches Liedgut zur Anwendung kam bzw. als Melodie zitiert worden ist. Beim Blättern im Materialteil fallen Namen auf wie Heinrich Albert, Sigmund von Birken, Christian Keimann, Christian Knorr von Rosenroth, Martin Rinckart, Bartholomäus Ringwaldt, Johann Rist, Nikolaus Selnecker, Cyriakus Spangenberg – um nur einige zu nennen, deren Namen heute noch in den Gesangbüchern zu finden sind. Lied und Musik waren kein schmückendes Beiwerk zum Schauspiel des 16. und 17. Jahrhunderts, wie bis in die jüngste Zeit angenommen, sondern integraler und inhaltlich relevanter Bestandteil. Das ist in kürzester Form ausgedrückt das Forschungsergebnis, das Scheitler gründlich und angenehm lesbar in Quellen- und Darstellungsteil belegt. Die Theorie von der Veroperung von Sprechstücken erst im 17. Jahrhundert wird hier also widerlegt. Ein ausführliches Kapitel zu liturgischen Gesängen und Kirchenliedern zeigt in erster Linie deren Bedeutung für das Schauspiel, aber auch umgekehrt, welchen Einfluß dieses für die Liedgeschichte, vor allem im lutherischen Umfeld hatte,

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wo Scheitler rund 100 verschiedene Lieder gefunden hat. Sie hatten nicht nur als Eingangs-, Zwischenakt- und Schlusslieder formale Funktion, sondern dienten innerhalb einzelner Szenen der Verkündigung und konnten Ausdruck von Parteizugehörigkeit sein. Die Erkenntnis, dass der Liedgebrauch einzelner Darsteller zu Vorbildern für das Singen im Alltag werden konnte, liest man hier wohl zu ersten Mal. Aufschlussreich ist auch die Beobachtung wie Melodien semantisiert eingesetzt wurden. In ihrer Einführung zum zweiten Band merkt Scheitler an, dass Schauspielmusikforschung per se interdisziplinär sei: neben der Literaturwissenschaft sind auch Musik und Theaterwissenschaft gefragt, dazu Bereiche von Volkskunde und Theologie. Diese Interdisziplinarität ist auch der Hymnologie in die Wiege gelegt, was die vorliegende Publikation umgekehrt wieder einmal veranschaulicht. Werz, Joachim: „Wollen sie aber anstadt solches gesanges singen Salve, rex Christe etc., ist man wol zufriden.“ Der Zisterzienserchoral in der Spannung zwischen Tradition und Reformation am Beispiel der Zisterze Walkenried. In: MS(D) 135 (2015), 72–74. Weymann, Volker: Was macht ein Lied zum „neuen Lied“? Biblische Rechenschaft. In: MuK 85 (2015), 160–165.

B. Leben und Werk der Dichter und Melodieschöpfer (nach deren Namen alphabetisch geordnet) Seit vielen Jahren schon ist es ein Desiderat der Forschung, die hymnologische und die künsterlische Tätigkeit Johann Crügers wissenschaftlich und praktisch zu erschließen. 2014 und 2015 nun sind gleich drei diesbezügliche Projekte zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Hallenser Ausgabe ediert die „Praxis Pietatis Melica“ in Text und Melodie mit dem beigegebenen „Fundament“ in wissenschaftlicher Gründlichkeit nach der „Editio X“ (PPM; DKL PraxBln 166111) und dokumentiert die Werkgeschichte. In der historisch-kritischen, an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster verankerten Ausgabe sind Crügers „Geistliche Kirchen-Melodien“ (GKM; DKL Mu CrügJ 164915) mit ihrem vierstimmigen Kantionalsatz und den – zumeist zwei – hohen Instrumentalstimmen zur praktischen Nutzung als Paperback- und zusätzlich als kostenlose Internetausgabe vorgelegt. Das dritte Projekt schließlich ist ohne institutionelle Bindung unter wissenschaftlichem Anspruch für die Praxis als Gesamtausgabe ausgewählter Crüger-Werke angelegt; drei leinengebundene Bände wiederum mit Kantionalsätzen und zwei bis fünf Instrumentalstimmen sind bisher erschienen: „Geistliche Kirchen-Melodien“ (GKM; DKL Mu CrügJ 164915), „[…] Geistliche Lieder und Psalmen“ (GLP; DKL Kant CrügJ 165705) und „Psalmodia Sacra“ (PS; DKL Kant CrügJ 165805), ein Lobwasser-Psalter. Crüger, Johann: Praxis Pietatis Melica. Edition und Dokumentation der Werkgeschichte. Im Auftrag der Franckeschen Stiftungen zu Halle herausgegeben von Hans-Otto Korth und Wolfgang Miersemann unter Mitarbeit von Maik Richter. Band I, Teil 2. Praxis Pietatis Melica Editio X. Berlin 1661. Apparat. Franckeschen Stiftungen Halle/ Harrassowitz in Kommission: Halle 2015, 464 S. Der zweite Band der PPMEDW, so die Abkürzung, die die Editoren selbst verwenden, enthält nicht nur den kritischen Bericht zu den in Band I, Teil 1 (vgl. JLH 54, 167 f.) edierten Liedern (Kapitel II), sondern eine Fülle weiterer Informationen. Hervorzuheben ist vor allem Kapitel IV, „Ausgeschiedene Texte, Melodien sowie

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Text- und Melodiefassungen Voriger [sic] Ausgaben“. Da die „Editio X.“ der Praxis Pietatis Melica (PPM) wohlbegründet als Ausgabe letzter Hand von Johann Crüger als Editionsgrundlage gewählt worden war, sind hier weitere 101 Lieder aus den vorausgehenden Ausgaben vorgelegt (Abschnitt IV.1) und mit kritischem Bericht versehen (IV.2). Kapitel I behandelt „Titelei, Register und Nachbemerkung“ und bezieht sich dabei auf Bild- und Textdokumente, die in PPMEDW II/1 erscheinen werden. Kapitel III bietet „Verzeichnisse der Lieder in den Herangezogenen [sic] Ausgaben“, das sind neben der Editionsvorlage die Ausgaben Berlin 1640 (Newes vollkömliches Gesangbuch), Leipzig 1649 (Geistliche Kirchen=Melodien), Berlin 1653 (PPM Editio V), Frankfurt a. M. 1656 (PPM), Berlin 1657 (PPM Editio VII) und Stettin 1660 (PPM Editio IX). In Kapitel V schließlich werden Bezüge zu Crügers Psalmodia Sacra I und II (Berlin 1657–1658; als Psalmodia I wird hier analog zu DKL „Geistliche Lieder und Psalmen“ DKL Kant CrügJ 165705 edierte Quelle geführt) und zum verschollenen Rungeschen Gesangbuch (Berlin 1653, „D. M. Luthers Vnd anderer […] Geistliche Lieder und Psalmen“) hergestellt. – Damit dieses unüberschaubar scheinende Liedgut Crügers, innerhalb dessen eben auch die Kombination von Text und Melodie nicht immer fest ist, dargestellt werden kann, bedarf es eines Sigelsystems, für das Korth und Miersemann ein mathematisch anmutendes, im Grunde aber einfaches Prinzip gefunden haben. Die kritischen Berichte zu den einzelnen Liedern sind übersichtlich angeordnet und liefern in den Rubriken Editionsvorlage, Text, Melodie, Vorige Ausgaben, Melodiezuweisung/ alternative Melodiezuweisung, Überschrift [im Gesangbuch 1640], Textvarianten, Notenvarianten sowie Anmerkung alle Informationen, die man in einer wissenschaftlichen Ausgabe erwartet. Die meist knappen Anmerkungen enthalten nützliche Hinweise, die in der tiefen Sachkenntis der Autoren wurzeln. Oft werden Verbindungen zu anderen Liedern hergestellt. Ggf. ist auf ein erschlossenes Vorkommen in der verschollenen PPM Berlin 1647 verwiesen. Rosenberger, Burkard (Hg.): Johann Crügers Geistliche Kirchen-Melodien (1649). Textkritische Edition (Wissenschaftliche Schriften der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster XVIII/ 3). Monsenstein und Vannerdat: Münster 2014, 419 S. Rosenberger ediert alle vier Vokal- und die beiden Instrumentalstimmen sowie den Bassus Continuus auf je einer Notenzeile, dadurch nimmt jeder der 161 Sätze zwei bis drei Seiten ein. Das Druckbild ist wunderbar klar, was auch notwendig ist, denn in den geradtaktigen Sätzen wurde auf eine Ergänzung von Taktstrichen verzichtet und nur die Zeilentrennstriche der Quelle gesetzt – gewöhnungsbedürftig ist, dass die zwischen diesen Strichen stehenden Abschnitte als Takte gezählt und in den Anmerkungen auch so bezeichnet sind. Von den Texten ist jeweils die erste Strophe unterlegt. Am Schluss der Ausgabe werden Informationen zu Editionsvorlage und Vergleichsquelle (PPM Editio V, 1653) sowie Einzelanmerkungen zu den Sätzen mitgeteilt. Eine Konkordanz zur PPMEDW ermöglicht einen raschen Zugriff auf weitere Nachweise. Nützlich ist schließlich ein Incipit-Register zum raschen Auffinden von Melodien. – Über miami.uni-muenster.de ist eine digitale Ausgabe des Buches zum Download angeboten, die Notenquelltexte liegen zusätzlich im LilyPond-Format zur Weiterverarbeitung vor. Über www.johann-crueger.de/ kann darüber hinaus auf Einzelsätze in kritischer und in praktischer Ausgabe zugegriffen werden, letztere bietet auch die Folgestrophen in moderner Rechtschreibung an. Die Nutzung beider Adressen setzt nur die Anerkennung der Creative Commons-Lizenz CC BY-SA voraus. Eichhorn, Holger/ Lubenow, Martin (Hg.): Johann Crüger. Kritische Ausgabe ausgewählter Werke. Crüger Concert Choräle. Mvsiche varie. Musikverlag Martin Lubenow: Germersheim 2014–2015

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Bd. 1: Geistliche / Kirchen-Melodien […] 1649. 2014, 196 S. Bd. 2: D. M. Luthers wie auch anderer […] Geistliche Lieder und Psalmen […] 1657. 2014, 268 S. Bd. 3: Psalmodia sacra […] 1658. 2015, 288 S. Eichhorn und Lubenow als ausgewiesene Praktiker mit Editionserfahrung haben für ihre Ausgabe nicht nur die Unterstützung verschiedener Gesellschaften gehabt, sondern konnten auch auf einen wissenschaftlichen Beirat von hymnologischer Relevanz, nämlich Christian Bunners, Konrad Klek und Andreas Marti zurückgreifen. Herausgekommen ist eine zuverlässige Ausgabe, in der immer wieder satztechnische Entscheidungen aus musikalischen Gründen getroffen und selbstverständlich im kritischen Bericht übersichtlich belegt sind. Der Notendruck kommt mit zwei Notenzeilen für die vier Vokalstimmen (Klaviersatz mit diplomatisch wiedergegebenem Text in der Mitte) und ggf. zwei Zeilen für die Instrumentalstimmen aus. Dadurch braucht ein Satz nur zwischen einer halben und zwei Seiten Platz. Wohlwissend, dass es in der Musik des 17. Jahrhunderts keine Taktstriche gibt, haben sich Eichhorn und Lubenow dazu entschieden, bei geraden Metren 4/2-Takte, bei ungeraden meist 3/1-Takte zu notieren, was bei den vielseitigen Rhythmen und schnellen Läufen überaus praktisch ist. Der sicherlich nicht zuletzt wegen der Alliteration gewählte und ab dem Vorwort zu Bd. 3 als CCC abgekürzte Titel „Crüger Concert Choräle“ bringt die in allen drei Ausgaben wesentlichen Merkmale zum Ausdruck: Kirchenliedsätze (die vielerorts wieder als Choräle bezeichnet werden) mit konzertierenden Ergänzungen, einer Erfindung Crügers – aber mit unterschiedlichen Intentionen. Hervorzuheben sind die lesenswerten Einführungstexte, die diese verschiedenen Werke Crügers musikalisch und hymnologisch einordnen. Musikwissenschaft und Gesangbuchforschung sind damit um wichtige Erkenntnisse reicher. Balders, Günter/ Bunners, Christian (Hg.): … die Edle und niemals genug gepriesene Musica". Johann Crüger – (nicht nur) der Komponist Paul Gerhardts (Beiträge der Paul-Gerhardt-Gesellschaft 8). Frank & Timme: Berlin 2014, 254 S. Vgl. den Inhalt im JLH 53 (2014), 259. Bunners, Christian: Paul Gerhardt und der Pietismus. Eine Skizze. In: Mager, Inge (Hg.): Überliefern – Erforschen – Weitergeben. Festschrift für Hans Otte zum 65. Geburtstag (Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 113). Hannover 2015, 143–155. Rödding, Gerhard: Ein neues Lied wir heben an. Martin Luthers Lieder und ihre Bedeutung für die Kirchenmusik. Neukirchener Theologie: Neukirchen-Vluyn 2015, 201 S. Balders, Günter: Luthers Lieder in freikirchlicher Rezeption. In: Spangenberg, Volker (Hg.): Luther und die Reformation aus freikirchlicher Sicht. Göttingen 2013, 9–30. Münchow, Christoph: Den gemeinsamen Glauben singen – Luthers Lieder in ökumenischer Perspektive. In: Unsagbares zur Sprache bringen: Musik und Verkündigung im Raum der Kirche. Prof. Dr. Dr. h. c. Christfried Brödel zur Verabschiedung in den Ruhestand. Hg. von der Hochschule für Kirchenmusik Dresden (VS-Edition 9158). Strube: München 2015, 43–56. Rößler, Martin: Die Wittenbergisch Nachtigall. Martin Luther und seine Lieder. Calwer. Stuttgart 2015, 70 S., 8 Abb. Das Heft ist eine überarbeitete Fassung des Artikels „Martin Luther“ aus Rößlers eigenem Buch „Liedermacher im Gesangbuch“ (Stuttgart 2001) und stellt Luthers

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Beziehung zur Musik sowie seine Vorreden und Lieder zusammenfassend dar – immer in Hinblick auf seine theologischen Erkenntnisse. Miersemann, Wolfgang: „einige nützliche Sitten= und Tugend=Lieder / so theils aus Opern genommen“. Spuren einer pietistischen Opernpraxis in Heinrich Georg Neuß’ Heb=Opfer Zum Bau der Hütten Gottes (1692). In: Merzbacher, Dieter/ Miersemann, Wolfgang (Hg.): Wirkungen des Pietismus im Fürstentum Wolfenbüttel. Studien und Quellen (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 53). Wiesbaden 2015, 225– 312. McMullen, Dianne: A Study of the Music in Heinrich Neuß’ Heb=Opfer Zum Bau der Hütten Gottes (1692). In: Merzbacher, Dieter/ Miersemann, Wolfgang (Hg.): Wirkungen des Pietismus im Fürstentum Wolfenbüttel. Studien und Quellen (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 53). Wiesbaden 2015, 313–330. Pfister, Stefanie/ Spankeren, Malte van (Hg.): Johann Jacob Rambach. Erbauliches Handbüchlein für Kinder (1734). Herausgegeben und eingeleitet (Religiöse Bildung im Diskurs 4). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2014, 246 S. Das Handbüchlein enthält einen Liedteil (in der Edition S. 156–165) mit sieben Liedtexten zu vorab genannten Melodien: Ein Jahr geht nach dem andern hin, Die alte Woch ist nun vorbei, O Vater, der so viel zu gut, Vater, dir sei Lob gegeben, Gott, ich preise deine Güte, Der Tag ist nun zu Ende, Ich bin getauft auf deinen Namen, Eins hab’ ich, liebster Vater Oehler, Eberhard: Friedrich Silcher und das württembergische Kirchenlied. In: WBK 82 (2015), H. 5, 18–21. Busch, Gudrun: Gandersheimer „geist=reicher Gesang. Das Liedschaffen der Kanonissin Sophia Eleonora zu Braunschweig-Lüneburg (Bevern)“. In: Merzbacher, Dieter/ Miersemann, Wolfgang (Hg.): Wirkungen des Pietismus im Fürstentum Wolfenbüttel. Studien und Quellen (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 53). Wiesbaden 2015, 465–506.

C. Untersuchung und Auslegung einzelner Lieder C.1 Kommentarwerke Evang, Martin/ Seibt, Ilsabe (Hg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Ausgabe in Einzelheften H. 20. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2015, 96 S., Notenbeispiele Enthält Kommentare zu folgenden Liedern: Herr Jesu Christ, dich zu uns wend (Andreas Marti, 3–8), O Christe, Morgensterne (Ilsabe Seibt/ Helmut Lauterwasser, 9–12), Fröhlich wir nun all fangen an (Ilsabe Seibt/ Helmut Lauterwasser, 13–17), Dies sind die heilgen zehn Gebot (Gerhard Hahn, 18–22), Herr, vor dein Antlitz treten zwei (Wolfgang Herbst, 23–26), Das ist ein köstlich Ding (Siegfried Meier, 27–31), Nun danket Gott, erhebt und preiset (Hans-Jürg Stefan/ Andreas Marti, 32–40), Danket Gott, denn er ist gut (Hans-Jürg Stefan, 41–48), Du meine Seele, singe (Britta Martini, 49– 55), Gott verspricht: Ich will dich segnen (Bernhard Schmidt, 56–58), So nimm denn meine Hände (Wolfgang Herbst, 59–63), Es mag sein, dass alles fällt (Joachim Stalmann, 64–68), Ein wahrer Glaube Gotts Zorn stillt (Bernhard Leube, 69–76), Verleih uns Frieden gnädiglich gnädiglich (Andreas Marti, 77–80), Ruhet von des Tages Müh

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(Anne Smets, 81–82), Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit (Barbara Lange/ Helmut Lauterwasser, 83–90), Noch kann ich es nicht fassen (Elisabeth Fillmann, 91–96) Evang, Martin/ Seibt, Ilsabe (Hg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Ausgabe in Einzelheften H. 21. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2015, 96 S., Notenbeispiele Enthält Kommentare zu folgenden Liedern: Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort (Andreas Marti, 3–8), Ich bin getauft auf deinen Namen (Bernhard Leube, 9–14), Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Gotteszorn wandt (Gerhard Hahn/ Helmut Lauterwasser, 15–22), Treuer Wächter Israel’ (Barbara Lange, 23–28), O dass doch bald dein Feuer brennte (Wolfgang Herbst, 29–33), Einer ist’s, an dem wir hangen (Wolfgang Herbst, 34–38), Der du in Todesnächten (Wolfgang Herbst, 39–43), Zieht in Frieden eure Pfade (Wolfgang Herbst, 44–46), Kommt her, des Königs Aufgebot (Konrad Klek, 47–50), Sonne der Gerechtigkeit (Andrea Ackermann/ Helmut Lauterwasser, 51– 59), Singt, singt dem Herren neue Lieder (Andreas Marti, 60–62), Jesus zieht in Jerusalem ein (Joachim Stalmann, 63–65), Man lobt dich in der Stille (Ernst-Dietrich Egerer/ Bernhard Leube, 66–69), Auf meinen lieben Gott (Jochen Kaiser, 70–73), Warum sollt ich mich denn grämen (Elke Liebig, 74–79), Nun schläfet man (Martin Evang/ Daniela Wissemann-Garbe, 80–88), Himmel, Erde, Luft und Meer (Christa Reich, 89–96) Thust, Karl Christian: Die Lieder Evangelischen Gesangbuchs. Band 2: Biblische Gesänge und Glaube – Liebe – Hoffnung (EG 270–535). Kommentar zu Entstehung, Text und Musik. Bärenreiter: Kassel 2015, 564 S. Mit dem zweiten Band von Thusts Kommentarwerk ist der Stammteil des EG erstmals komplett beleuchtet – und das von einem einzelnen Autor, der als pensionierter Kantor und Pastor kenntnisreich zu jedem Lied etwas zu sagen hat. Dabei ist der Rezension im JLH 52 (2013), S. 234 nur wenig hinzu zu fügen. Dem Literaturverzeichnis ist nun ein Abschnitt zu – in Band 1 vermissten – Quellenwerken vorangestellt. Außerdem ist der Generalhinweis auf seine 2006 erschienene „Bibliografie über die Lieder des Evangelischen Gesangbuchs“ in den Vorspann zum Literaturnachweis zu den einzelnen Liedern verschoben. Auf die dort nachgewiesene Literatur hat er nämlich ebenfalls zurückgegriffen, wie er im ersten Band mitgeteilt hat. Nützlich sind zwei Synopsen der Liednummern in EG und GL (gemeint ist GL2) sowie umgekehrt. Einige Nummern unter GL sind eingeklammert. Stichproben ergaben, dass hier offenbar auch Lieder erfasst wurden, die dieselbe oder ähnliche Melodie, aber verschiedene – wohl verwandte – Texte haben, was bei Liedern mit gemeinsamer Vorlage naheliegend ist, durch ein alphabetisches Textregister aber nicht aufgefunden werden kann.

C.2 Einzeluntersuchungen (nach Liedanfängen alphab. geordnet) Miersemann, Wolfgang: Johann Crüger als Textredaktor Zur „Berlinischen“ Version des Neujahrsliedes Das alte Jahr vergangen ist. In: Balders, Günter/ Bunners, Christian (Hg.): … die Edle und niemals genug gepriesene Musica. Johann Crüger – (nicht nur) der Komponist Paul Gerhardts (Beiträge der Paul-Gerhardt-Gesellschaft 8). Berlin 2014, 33–50. Wissemann, Antje: Ein neues Lied. Du bist da (Text: Jan von Lingen; Melodie: GerdPeter Münden). In: MuK 85 (2015), 343. Fischer, Michael: Religion, Nation, Krieg. Der Lutherchoral Ein feste Burg ist unser Gott zwischen Befreiungskriegen und Erstem Weltkrieg (Populäre Kultur und Musik 11). Waxmann: Münster/ New York 2014, 350 S.

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Ausgehend von Wartburgfest und Reformationserinnerung 1817 untersucht Fischer anhand zahlreicher Quellen die Entwicklung, die zur propagandistischen Verwendung des Liedes im ersten Weltkrieg geführt hat sowie diese selbst. Schließlich unterscheidet er fünf Funktionen des Religiösen, die sich an diesem Lied beobachten lassen: Fundierung, Integration, Legitimierung, Kempensation und Protest. Klek, Konrad: Luther Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ in Meyerbeers „Hugenotten“. Erklärungsversuch zu einem kapitalen Irrtum. In: Risi, Clemens/ Brandl-Risi, Bettina/ Weßler, Kai (Hg.): Giacomo Meyerbeer. Dramen der Eskalation. Bericht über das Symposium zum 150. Todestag von Giacomo Meyerbeer am 16. November 2014 im Staatstheater Nürnberg (Musiktheater im Dialog 3). Staatstheater Nürnberg: Nürnberg 2014, 24–36. Karas, Markus: Ein neues Lied. Erhör, o Gott, mein Flehen (Text: Edith Stein zugeschrieben; Melodie: Roman Schleischitz). In: MuK 85 (2015), 199. Bubmann, Peter: Ein neues Lied. Erinnere uns [an den Anfang] (Text: Ilona SchmitzJeronim; Melodie: Ralf Grössler). In: MuK 85 (2015), 131. Korth, Hans-Otto: „Das Lied S. Johannes Hus …“. Wegmarke im Kirchenlied. In: Winzeler, Marius (Hg.): Jan Hus. Wege der Wahrheit. Das Erbe des böhmischen Reformators in der Oberlausitz und in Nordböhmen (Zittauer Geschichtsblätter 52). Oettel: Görlitz 2015, 209–216. Betrifft: Jesus Christus nostra salus, Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Gotteszorn wandt, Jesus Christus, Gottes Sohn von Ewigkeit Arnold, Jochen: Ein neues Lied. Über allem ist die Liebe (Text: Hans Jürgen Netz; Melodie: Wolfgang Teichmann). In: MuK 85 (2015), 51. Von guten Mächten (Text: Dietrich Bonhoeffer; Melodie: Jean Sibelius; Satz: Erno Seifriz- Kopieren erlaubt. In: WBK 82 (2015), H. 5, 23–25. Reich, Christa: Ein neues Lied. Wenn du denn bist, sei gegenwärtig. (Text: Jürgen Henkys, Melodie: Willem Barnard). In: MuK 85 (2015), 417.

D. Gesangbücher und Liedersammlungen (Ausgaben und Kommentare; Personenbezogene Ausgaben und Kommentare s. II.B) Brauchen wir ein neues evangelisches Gesangbuch? (I) Schneider, Matthias. In: MuK 85 (2015), 200–201. (II) Reich, Christa. In: MuK 85 (2015), 344–345. Herbst, Wolfgang: Das Hofgesangbuch von 1694 und die Familie eines Dresdner Finanzbeamten. In: Unsagbares zur Sprache bringen: Musik und Verkündigung im Raum der Kirche. Prof. Dr. Dr. h. c. Christfried Brödel zur Verabschiedung in den Ruhestand. Hg. von der Hochschule für Kirchenmusik Dresden (VS-Edition 9158). Strube: München 2015, 57–62. Janota, Johannes/ Evers, Ute(Hg.): Die Melodien der lateinischen Osterfeiern. Bd. 1 Editionen, Teilbd. 1 Tropus-Feiern und Visitatio-Typ I mit Einleitung ins Gesamtwerk. Teilbd. 2 Visitatio-Typ II und Visitatio-Typ III. Bd. 2 Kommentare. Teilbd. 1 TropusFeiern und Visitatio-Typ I mit Überblicken zu den Melodien und zur Textgestalt der lateinischen Osterfeiern. Teilbd. 2 Visitatio-Typ II und Visitatio-Typ III. Verzeichnisse. De Gruyter: Berlin 2013, 565, 569, 646, 649 S. Besprechung folgt

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Literaturbericht Hymnologie. Daniela Wissemann-Garbe

Laue, Rüdiger: Johann Leisentritt (1527–1586) und sein Gesangbuch. In: Napp, Thomas/ Speer, Christian (Hg.): Musik und Konfessionskulturen in der Oberlausitz der Frühen Neuzeit (Neues Lausitzisches Magazin. Beiheft 12). Oettel: Görlitz 2013, 39–48. Mit einer synoptischen Zusammenstellung des Hymnus Conditor alme siderum und den Übersetzungen von R. Flavus, Thomas Müntzer, Johann Leisentrit und der in neuen Gesangbüchern gebrauchten: Erhabener Schöpfer der Gestirne; Gott, heilger Schöpfer aller Stern Mailänder, Richard: Die Gliederungszeichen im Genfer Psalter und ihre Umsetzung in GL2. Der praktische Umgang mit Pausen. In: MS(D) 135 (2015), 322–325. Mailänder, Richard: Neue Klanggewänder für Hymnen. Gedanken zur Melodiensuche und -findung für das neue GGB am Beispiel der Hymnen. In: MS(D) 135 (2015), 66– 68 und SiK 62 (2015), 91. Bericht aus dem Entstehungsprozess des neuen Gotteslob, das hier nach seinem Untertitel (Katholisches Gebet- und Gesangbuch) GGB abgekürzt ist. Nickel, Wolfgang: Kleine Änderung – große Wirkung. Geänderte Melodiefassungen im neuen Gotteslob. In: MS(D) 135 (2015), 17 und SiK 62 (2015), 89. Führt kursorisch eine größere Anzahl von betreffenden Melodien auf.

E. Verzeichnis im Internet Anlässlich des 500. Geburtstag von Johann Habermann (Johannes Avenarius) hat Jens Lyster eine Biographie und eine synoptische Edition von dessen Gebetbuch in den Ausgaben von 1565 und 1567 auf der Homepage der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie publiziert (http://iah-hymnologie.de/), erreichbar unter: Publikationen/ Aufsätze und Studien/ Datenbanken, Quellen, Sammlungen.

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Literaturbericht Hymnologie Französischsprachige Länder 2015 Édith Weber

I. Liturgie und Musik Frank, Évelyne: La liturgie pour la grâce. In: Préludes Nr 89 Ottrott, Janvier 2015, 4–5. Rothmund, Elisabeth: Liturgie ou concert? L’oratorio dans l’évolution de la Passion en Allemagne aux XVIIe et XVIIIe siècles. In: Quetin, Laurine/ Le Moël, Sylvie (Hg.): Revue Musicorum 16, 2015: Métamorphoses de l’oratorio du XVIIe au XXIe siècle, 9–31.

II. Hymnologie B. Lutherchoral Weber, Édith: Le Choral luthérien (43e partie). 43 chants de Martin Luther: Paraphrases françaises IV. Chorals pour le temps liturgique de Pentecôte n°19–21. In: Préludes Nr 89 Ottrott, Janvier 2015,10–11. Betrifft Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist; Komm, Heiliger Geist, Herre Gott und Nun bitten wir den Heiligen Geist. Weber, Édith: Le Choral luthérien (44e partie). 43 chants de Martin Luther: Paraphrases françaises V. Chorals Trinité, Réforme, n°22–24. In: Préludes Nr 90 Ottrott, April 2015, 7–8. Betrifft: Mitten wir im Leben sind (Nr 22), Ach Gott, vom Himmel sieh darein (Nr 23), Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort (Nr 24). Es handelt sich um französische gereimte Strophenfassungen zu den deutschen Melodien.

C. Psalm und Hugenotten-Psalter Desmet, Marc (Hg.): La monodie du Psautier en vers français du XVIIe siècle, Symétrie: Lyon 2015, 203 S. Gœury, Julien: Mis en lumiere soubs espérance de les chanter, ou l’histoire malheureuse des Saincts Cantiques de Théodore de Bèze. In: Millet, Olivier/, Tacaille, Alice (Hg.): Poésie et musique à la Renaissance, Cahiers V. L. Saulnier, Nr 32, PUPS: Paris 2015, 189–208.

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Literaturbericht Hymnologie. Édith Weber

His, Isabelle (Hg.): Claude Le Jeune: Dix Pseaumes en forme de motets -1564- Brepols, Centre d’Études Supérieures de la Renaissance, Collection Épitome musical, Turnhout 2014, Sommaire xxxiv – Musique, Notes critiques, variantes, table alphabétique, 195 S. Porter, James (Hg.): Jean Servin, Psalmi Davidis (1579), Brepols, Centre d’Études Supérieures de la Renaissance, Collection Épitome musical. Turnhout 2015, cxxviii, 775 S. Betrifft: Psalmi Davidis a G. Buchanano versibus expressi, nunc primum modulis IIII, V, VI, VII et VIII vocum, a I. Servino decantati. Genf, 1579. Erste moderne Ausgabe mit Musik, Text, Übersetzung und englischen und französischen Kommentaren.

D. Gregorianik Bisaro, Xavier: Une tradition en chantier: les méthodes de plain-chant „nouvelles et faciles“ sous l’Ancien Régime. In: Acta musicologica, LXXXVII/1 (2015), Baerenreiter, Kassel, 1–29.

III. Kirchenmusik A. Zur Geschichte und Bibliographie der Kirchenmusik Rothmund, Elisabeth: Liturgie ou concert? L’oratorio dans l’évolution de la Passion en Allemagne aux XVIIe et XVIIIe siècles. In: Revue Musicorum 16, Métamorphoses de l’oratorio du XVIIe siècle au XXIe siècle, Université François Rabelais. Tours 2015, 137 S. Betrifft die Entwicklung der deutschen evangelischen Passion im Zusammenhang mit dem Oratorium.

B. Zur Theorie der Kirchenmusik Fardet, Éric: Pour une nouvelle définition du terme vocalese. In: Acta Musicologica, LXXXVII (2015/1), Kassel, 75–98. Hascher, Xavier/ Ayari, Mondher/ Bardez, Jean-Michel (Hg.): L’analyse musicale aujourd’hui. Music Analysis Today, Delatour France, Sampzon 2015, 478 S. Bernard de Raymond, Louis/ Bartoli, Jean-Pierre/ Schneider, Herbert (Hg.): Reicha, Antoine. Compositeur et théoricien. Olms, Hildesheim 2015, 462 S. Weber, Édith: L’enseignement musical du Moyen Âge à la Renaissance (I). In: Préludes, n°92, octobre 2015, Association Nationale de Formation des Organistes Liturgiques, Ottrott, 6–8.

C. Zur Aufführungspraxis der Kirchen- und Orgelmusik Association Nationale de Formation des Organistes Liturgiques: L’orgue au fil du temps liturgique. Anthologie. Le temps de Carême et de Pâques, Association Nationale de Formation des Organistes Liturgiques. Ottrott, 2015.

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Betrifft Orgelmusik: Lutherchoräle von Johann Gottfried Walter, Samuel Scheidt, Johann Pachelbel, Johann Michael Bach, Johann Sebastian Bach; alte, neue und zeitgenossische katholische Gesänge (Guillaume Gabriel Nivers, Jean Boivin, Joseph Gélineau, Pierre Perdigon u. a.). Arom, Simha/ Martin, Denis-Constant: L’enquête en ethnomusicologie. Préparation, terrain, analyse, Vrin, Paris 2015, 285 S. Bisaro, Xavier: Dialectiques du culte et de la culture. In: Revue de Musicologie, Société Française de Musicologie, Paris 2014, n°2, Tome 100, 379–404. Burgelin, Cédric: À la découverte de l’art de la registration à l’orgue, 2 Bde. Selbstverlag Cédric Burgelin (29 bis, rue Dangibeaud F-17100 Saintes). 202 S. Bd 1: betrifft Orgelfaktur; Bd 2: Register. Cartayrade, Alain: Les concerts d’orgue au Palais de Chaillot de1939 à 1972 et pendant la Seconde Guerre mondiale. In: Association Maurice & Marie-Madeleine Duruflé: Bulletin 14/2014, Association Maurice & Marie-Madeleine Duruflé. Paris 2015, 91–317. Centre de Documentation pour l’Art Choral, Cahier répertoire n°11: Le mouvement orphéonique français. LAB (Liaison Arts Bourgogne). Dijon 2015, 43 S. Colette, Marie-Noël/ Iversen, Gunilla: La parole chantée. Invention poétique et musicale dans le Haut Moyen-Âge occidental, Brepols, Turnhout 2014, 508 S. Giron-Panel, Caroline: Musique et musiciennes à Venise. Histoire sociale des ospedali (XVIe-XVIIIe siècles), Bibliothèque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome, Rome 2015, 1082 S. Betrifft Waisenhaus (ospedale) und musikalische Erziehung der Sängerinnen zur Zeit der Gegenreformation. Jardin, Étienne/ Taïeb, Patrick (dir.): Archives du concert. La vie musicale française à la lumière de sources inédites (XVIIIe-XIXe siècles), Actes Sud, Arles/Palazzetto Bru Zane 2015, 384 S. Betrifft insbesonders neue Programmquellen der sg. Concerts spirituels. Joubert, Dominique: La mission de l’orgue. In: Préludes, Association Nationale de Formation des Organistes Liturgiques, Ottrott, Nr. 91, juillet 2015, 4–5. Leroy, Marc: De quelques usages de l’orgue français aux XVIIe et XVIIIe siècles. In: Préludes Nr 89 Ottrott, Janvier 2015, 7–9. Longchamps, Jacques: La musique au jour le jour. Bouquet de fleurs 1 (1961–1973), L’Harmattan, Paris 2015, 310 S. Marconnet, Denis: Thomas Ospital. In: Préludes, Association Nationale de Formation des Organistes Liturgiques, Ottrott, Nr 91, juillet 2015, 12–14. Mazouer, François: L’orgue historique de Mitry-Mory. In: Préludes Nr 89, Ottrott, Janvier 2015, 6. Offret, Pierre: L’orgue à Paris en 1880: les concerts d’orgue du Trocadéro, entre idéalisme et opportunisme. In: Association Maurice & Marie-Madeleine Duruflé: Bulletin 14/2014, Association Maurice & Marie-Madeleine Duruflé, Paris 2015, 81–90. Muller, Welleda: L’instrumentarium au Moyen Âge. La restitution du son, L’Harmattan, Paris 2015, 242 S. Rébut, Jean-Louis: Atout-chœur. Un demi-siècle de direction chorale. Entretiens avec Jacqueline Heinen, L’Harmattan, Paris 2015, 108 S. Risset, Jean-Claude: Composer le son. Repères d’une exploration du monde sonore numérique, Éditions Hermann, Paris 2015, 444 S. Betrifft neue Klanggebiete. Roden, Alain von: Essai d’initiation aux musique médiévales polyphoniques ou contrapuntiques. Création d’une chapelle et d’une école musicale parisienne: Capella &

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Literaturbericht Hymnologie. Édith Weber

Schola Parisis, L’Harmattan, Collection Univers musical, Paris 2015, 118 S. Betrifft Gründung einer Kapelle und einer Musikschule in Paris und Umgebung. Sabatier, François: Bach à la Cathédrale de Soissons, par Maurice et Marie-Madeleine Duruflé. In: Association Maurice & Marie-Madeleine Duruflé: Bulletin 14/2014, Association Maurice & Marie-Madeleine Duruflé, Paris 2015. Seiten Schwenkedel, Suzy: L’organiste au fil des dimanches de l’Avent…. In: Préludes, n°92, octobre 2015, Association Nationale de Formation des Organistes Liturgiques, Ottrott, 9–11. Weber, Édith: Les Abendmusiken de Lübeck en Allemagne du Nord. In: Musique sacrée-L’organiste, Juillet 2015, n°309, Fontenay, 4–5. Weber, Édith: Les formes de la musique d’orgue en Allemagne du Nord. In: Musique sacrée-L’organiste, janvier 2015, n°307, Fontenay, 2–4. Weber, Édith: Les principaux compositeurs de musique d’orgue en Allemagne du Nord. In: Musique sacrée-L’organiste, Avril 2015, n°308, Fontenay, 2–3.

D. Leben und Werk der Meister (nach Komponistennamen alphab. geordnet) Leboucher, Marc: Bach. Gallimard: Paris 2013, 376 S. Betrifft: Zeitgenössische Sicht auf J. S. Bachs Wirken durch die Zeit hindurch. Hameline, Daniel: L’œuvre d’orgue de Jacques Berthier (1923–1994) ou le chaînon manquant. In: Préludes, n°92, octobre 2015, Association Nationale de Formation des Organistes Liturgiques, Ottrott, 4–6. Allouche, Harry: Les Trois Danses op. 6 de Maurice Duruflé: L’univers de l’enfance. In: Association Maurice & Marie-Madeleine Duruflé: Bulletin 14/2014, Association Maurice & Marie-Madeleine Duruflé, Paris 2015, 33–50. Cartayrade, Alain: Les Trois Danses op. 6 de Maurice Duruflé: première exécutions et critiques, Association Maurice & Marie-Madeleine Duruflé: Bulletin 14/2014, Association Maurice & Marie-Madeleine Duruflé, Paris 2015, 31–32. Le Moël, Sylvie: Den Menschenfreund willst du verrathen? La Cantate de la Passion de Carl Philipp Emanuel Bach et l’oratorio poétique de l’Aufklärung. In: Revue Musicorum, Nr 16, Université Fr. Rabelais, Tours, Métamorphoses de l’oratorio du XVIIe siècle au XXIe siècle. 2015 Betrifft Literatur zur Zeit der Aufklärung. Cantagrel, Gilles: J. S. Bach sous le signe de l’eau. In: L’Éducation Musicale, Lettre d’information n°91, Avril 2015, Beauchesne, Paris, 7–16. Cook, Martha: L’art de la fugue. Une méditation en musique, Fayard/ Paris 2015, 271 S. Betrifft: Neue Auffassung der Bedeutung des Werkes, Anspielung auf das Lukas Evangelium (14, 27–35). Vergleiche auch mit der CD: Bach: Die Kunst der Fuge, Martha Cook (harpsichord), Passacaille 1014 (2015). Pluyaut, Sylvain: L’œuvre d’orgue de Jacques Berthier (1923–1994) ou le chaînon manquant. In: Préludes, Association Nationale de Formation des Organistes Liturgiques, Ottrott, Nr 91, juillet 2015, 8–9. Class, Olivier (Hg.): Christophe Bertrand: Écrits, entretiens, analyses et témoignages. Éditions Hermann, Paris 2015, 176 S.

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Association Maurice & Marie-Madeleine Duruflé: Bulletin 14/2014, Association Maurice & Marie-Madeleine Duruflé, Paris 2015, 341 S, CD. Betrifft Aufführungspraxis: Werke von J. S. Bach, Maurice Duruflé. Ganne, Élisabeth-Marie: Louis Ganne et le sang des Arvernes, Delatour France, Sampzon 2014, 290 S. Interview de Naji Hakim. In: Préludes Nr 90 Ottrott Avril 2015,10–12. Betrifft das Thema „Freude“ in seinem Werk. Quetin, Laurine: La Nativité (1774) de F. J. Gossec et M. P. G. de Chabanon, un oratorio ou une pastorale? in: Revue Musicorum, Nr 16, Métamorphoses de l’oratorio du XVIIe siècle au XXIe siècle, Université Fr. Rabelais, Tours 2015, 49–64. Betrifft die Entwicklung des Oratoriums vom 17. bis zum 21. Jahrhundert und das Oratorium von Gossec. Tchamkerten, Jacques: Cris du Monde d’Arthur Honegger: heurs et malheurs d’une partition mal-aimée. In: Revue Musicorum, Nr 16, Métamorphoses de l’oratorio du XVIIe siècle au XXIe siècle. 2015. Pacheo, Cristina Diego: Cristobal de Morales en Espagne. Symétrie, Lyon 2015, 304 S. Betrifft auch Handschrift von Valladolid. Joubert, Dominique: Hommage au chanoine Jehan Revert. In: Préludes, Association Nationale de Formation des Organistes Liturgiques, Ottrott, Nr 91, juillet 2015, 6–7. Rouet, Pascale: Le songe de Jan Pieterszoon Sweelinck, de Christophe Marchand. Une analyse. In: Préludes Nr 89, Ottrott Janvier 2015, 14–16. Betrifft Auftragswerk von Christophe Marchand (geb. 1972); Dialog zwischen alter (16. und 17. Jh.) und zeitgenössischer Musik. Aufnahme: Orgel von Pranzac (2011) von Bernard Boulay nach italienischer Faktur.

IV. Zur Geschichte Cantagrel, Gilles: Passion baroque. Cent cinquante ans de musique en France, Fayard, Paris 2015, 245 S. Gancarczyk, Pawel: La musique et la révolution de l’imprimerie, les mutations de la culture musicale au XVIe siècle, Symétrie, Lyon 2015, 242 S. Hennebelle, David: Les Concerts de la Reine. Symétrie, Lyon 2015, 352 S. Betrifft die Tradition von Residenzkonzerten für die Königin in Versailles. Le Moël, Sylvie: Den Menschenfreund willst du verrathen? La cantate de la passion de Carl Philipp Emanuel Bach et l’oratorio poétique de l’Aufklärung. In: Quetin, Laurine/ Le Moël, Sylvie (Hg.): Revue Musicorum Nr 16 2015: Métamorphoses de l’oratorio du XVIIe au XXIe siècle, Université Fr. Rabelais, Tours, 33–47. Petit, Élise/ Giner, Bruno: Entartete Musik. Musiques interdites sous le IIIe Reich, Bleu Nuit éditeur, Paris 2015, Coll. Horizons Nr 49, 176 S. Chimènes, Myriam/ Gétreau, Florence/ Massip, Catherine (Dir.): Henry Prunières (1886–1942). Un musicologue engagé dans la vie musicale de l’Entre-Deux-Guerres, Lyon, Édition Symétrie 2015, 580. Quetin, Laurine/ Le Moël, Sylvie (Hg.): Revue Musicorum, Nr 16, 2015: Métamorphoses de l’oratorio du XVIIe au XXIe siècle, Université Fr. Rabelais, Tours 137 S. Robert, Pierre: Motets manuscrits. Éd. Thomas Leconte, Centre de Musique Baroque Versailles. Versailles 2015, cxxxv, 144 S.

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Literaturbericht Hymnologie. Édith Weber

Schmitt, Michel: L’Alsace et ses compositeurs, de la Renaissance à nos jours, Delatour France, 2015 Sampzon BDT 0036, 2 Bde, 929 S. Betrifft Komponisten und Instrumentalisten die im Elsass geboren oder tätig sind. Weber, Édith: Le Patrimoine hymnologique protestant. In: Bulletin de la Société de l’Histoire du Protestantisme Français, Nr 161/4, Octobre-Novembre-Décembre 2015, Droz, Genève-Paris, 609–626 Betrifft hymnologische evangelische Befunde in Frankreich.

V. Ästhetik Becha, Samir: Musicologie face au mystère musical, l’aventure d’un débat interminable… , Karim Sharif Éditions, Tunisie 2015. Budd, Malcolm: La musique et les émotions. Théories philosophiques. Éditions Hermann, Paris 2015, 302. Betrifft die philosophische Entwicklung seit A. Schopenhauer. Chèvremont, Alexandre: L’esthétique de la musique classique. De Winckelmann à Hegel, Rennes, Presses Universitaires de Rennes 2015, 291. Lalitte, Philippe: Analyser l’interprétation de la musique du XXe siècle. L’interprétation des Dix Pièces pour quintette à vent de G. Ligeti, Éditions Hermann, Paris 2015, 276. Betrifft systematische Studie, neue analytische Begriffe und Verwendung von neuen Informationsquellen. Mâche, François-Bernard: Musique-Mythe-Nature, Aedam Musicae, Château-Gonthier 5 2015, 224 S., CD McAdams, Stephen: Perception et cognition de la musique, Vrin, Paris 2015, 243 S. Millet, Olivier/ Tacaille, Alice (Hg.): Poésie et musique à la Renaissance, Cahiers V. L. Saulnier, Nr 32, Université Paris-Sorbonne, Paris 2015, 274 S. Münch, Marc-Mathieu (essais réunis par): Formes et réception. Rencontres interartistiques de l’Effet de vie. Honoré Champion, Paris 2015, 269 S. Pierrakos, Hélène: L’ardeur et la mélancolie. Voyage en musique allemande, Fayard, Paris 2015, 199 S. Ravet, Hyacinthe: Sociologie des Arts. Armand Colin, Paris 2015, Collection Cursus, 204 S. Wolff, Francis: Pourquoi la musique? Fayard, Paris 2015, 464.

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Literaturbericht Hymnologie Ungarn 2009–2012

Ilona Ferenczi

I. Quellenausgaben Missale secundum morem alme ecclesie Quinqueecclesiensis, Venetiae 1499, Johannes Emericus de Spira, impensis Johannis Paep. Faksimile Ausgabe. Studien von Tamás Fedeles, József Török, Éva Pohánka. Schöck Kft.: [Szekszárd] 2009, 287, LXXVI S. Die Pécser/Fünfkirchner Diözese feierte 2009 das Millennium ihrer Gründung. Auf die Feier bereiteten sich die Diözese, die Mitarbeiter der Fünfkirchner Universität und zahlreicher Bibliotheken mit Studienbänden und wissenschaftlichen Tagungen vor. Die Faksimile-Ausgabe des die liturgische Ordnung der Fünfkirchner Kathedrale „vor Mohács“ enthaltenden Missale, erschienen 1499 in Venedig, ist nicht nur aus liturgie- und druckgeschichtlicher, sondern aus bibliophiler Sicht die prachtvollste Veröffentlichung. Die Ausgabe beanspruchte aber nicht nur drucktechnische Verwirklichung, sondern auf gleiche Weise gewisse Textergänzung. Von den erhaltenen vier Exemplaren ist nämlich keines vollständig. Glücklicherweise fehlen in den einzelnen Bänden nicht die gleichen Folios, so wurde es möglich, das Faksimile zu einem vollständigen Exemplar zu ergänzen. – Das Fünfkirchner Bistum war dem Erzbistum Gran unterstellt, somit verlieh der Graner Ritus dessen Liturgie die Grundlage. Dies bedeutete aber nicht, dass die einzelnen bischöflichen Kathedralen keine lokalen Eigenheiten gehabt hätten. Csomó, Orsolya: The Manuscript 541 of the Bibliothèque Mazarine, Paris – The Processional of Châlons-en-Champagne. Institute for Musicology of the Hungarian Academy of Sciences/ MTA Zenetudományi Intézet: Budapest 2010, 254 S. Studie und Übertragung des Prozessionale von 1544. Die Studie enthält die Geschichte und kodikologische Beschreibung der Handschrift, Beschreibung der Quellen, mit denen sie verglichen ist, und die historische Topografie der Kirchen von Châlons-enChampagne. Sie zeigt die verschiedenen Ebenen des Prozessionale, die Litaneien nach den Heiligen, die gemeinsame Prozession der Stadt, die liturgischen und musikalischen Merkmale der Handschrift. Übertragung der Sätze von 108 Folios. Graduale Romanum (1623) ad usum monasterii Paulinorum de Újhely. Szendrei, Janka (Hg.): Musicalia Danubiana 24. MTA Zenetudományi Intézet: Budapest 2010, 310 S., 1 CD. Die Handschrift, auf deren erstem Folio der Titel Graduale Romanum zu lesen ist, wurde für das Paulinerkloster St. Egidius von Újhely (= Sátoraljaújhely) 1623 fertiggestellt. Die Pauliner Zweckbestimmung ist sofort zu erkennen. Das Graduale enthält die Feste der Pauliner-Heiligen, die in einem klassischen Graduale Romanum keinen Platz finden. Das Temporale weist besondere Dualität auf. Der Text ist nachtridenti-

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Literaturbericht Hymnologie. Ilona Ferenczi

nisch, die Liturgie ist also von Rom. Die Notation ist aber die Pauliner-Version der mittelalterlichen Graner Notenschrift, und die Melodien sind Pentaton-Varianten.

II. Selbstständige Werke Kovács, Andrea: Corpus Antiphonalium Officii – Ecclesiarum Centralis Europae VII/A Transylvania-Várad. Temporale. Adiuvante: Zsuzsa Czagány. MTA Zenetudományi Intézet/ Institute for Musicology of the Hungarian Academy of Sciences and Hungarian Academy of Sciences – Liszt Ferenc Academy of Music Research Group for Church Music: Budapest 2010, 288 S. Kovács, Andrea: Corpus Antiphonalium Officii – Ecclesiarum Centralis Europae VII/B Transylvania-Várad. Sanctorale. Adiuvante: Zsuzsa Czagány. MTA Zenetudományi Intézet-Liszt Ferenc Zenemű vészeti Egyetem Egyházzenei Kutatócsoportja: Budapest 2010, 240 S. Anhand von fünf Quellen (2 Antiphonalen und 3 Breviarien) enthalten diese zwei Bände die Zusammensetzung des Temporale und Sanctorale von Offizien des Bistums (gegründet 1009 vom ersten ungarischen König, Stephan dem Heiligen) und deren charakteristische Züge. Die allgemeinen Methoden, nach denen die einzelnen Bände der Reihe CAO ECE aufgebaut sind, wurden ausführlich in A Preliminary Report besprochen (darüber s. JLH 37/1998, 235).

III. Forschungsergebnisse Czagány, Zsuzsa: Historia Sancti Mathiae Apostoli – Wege eines spätmittelalterlichen Reihenoffiziums zwischen Prag und Trier. In: Cantus Planus. Papers read at the 13th meeting of the IMS study group Niederaltaich/Germany, 2006. Aug. 29 – Sept. 4. Institute for Musicology of the Hungarian Academy of Sciences: Budapest 2009, 143– 156. Im Frühstadium der Entwicklung des Matthias-Kultes in Böhmen hat Prag die westeuropäische historia propria nicht übernommen. Stattdessen wurde ein Offizium mit einer Commune-Matutin und proprialen Laudes-, bzw. Vesperantiphonen eingeführt. Diese böhmische Offiziumsform hat sich als derart stabil erwiesen, dass sie sogar im weiteren Verlauf der Entwicklung des Prager Offiziumsrepertoires nicht verdrängt werden konnte. Die deutsche Matthias-Historia hat nur teilweise Eingang ins Prager Sanctorale gefunden: Die Matutin trat zwar an Stelle des böhmischen Commune-Zyklus, die bereits eingebetteten Antiphonen des Laudes und der beiden Vespern blieben jedoch bewahrt. Das Prager Matthias-Offizium fasst demnach zwei Schichten in sich zusammen. Aufgabe der zukünftigen Forschung wird zu klären, unter welchen Umständen die Übernahme der Trierer Historia erfolgte; ob sie auf direktem Wege oder über Zwischenstationen verlief und ob die Gesänge tatsächlich als Prager bzw. Trierer Eigenschöpfung anzusehen sind. Gilányi, Gabriella: Zenei archaizmusok és neologizmusok a 18. századi pálos zsolozsmában [Musikalische Archaismen und Neologismen in dem Pauliner Stundengebet des 18. Jahrhunderts]. In: Zenetudományi Dolgozatok 2009, MTA Zenetudományi Intézet: Budapest 2009, 69–92.

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In den ungarischen und kroatischen Bibliotheken wurde in der letzten Zeit eine bemerkenswerte anachronistische Quellengruppe entdeckt. Die mehr als ein Dutzend großen Chorbücher waren für den ungarischen Orden der Pauliner-Eremiten im 18. Jahrhundert angefertigt worden. Die Quellen, hauptsächlich Gradualien und Antiphonarien, sind die letzten liturgischen Handschriften mit Gregorianik in Ungarn. Die Chorbücher sind nicht nur für ihr archaisches Aussehen beachtenswert, sondern für die musikalische Manier der gregorianischen Gesänge. Die Verfasser der Pauliner gregorianischen Gesänge des 18. Jahrhunderts bestanden zwar auf der archaischen Tradition, sie konnten aber die Geschmacksrichtung der Zeit, den vereinfachten cantus romanus, nicht außer Acht lassen. Der sich daraus ergebende Stil kann als eine spezielle Mischung von archaischen und neuen Elementen betrachtet werden. Gilányi, Gabriella: Retrospective or not? Pauline Introits in the 18th century Hungary. In: Sarbak, Gábor (Hg.): Der Paulinerorden. Geschichte – Geist – Kultur. Szent István Társulat: Budapest 2010, 503–510. Mit Hilfe der liturgischen Gattung Introitus prüft die Forscherin die Gregorianik des Paulinerordens im 18. Jahrhundert. Die hervorgehobenen Stellen der gregorianischen Melodien wurden im Geist des humanistischen nachtridentinischen Vorbildes auf solche Weise verbessert, dass die Melodien mittelalterlich blieben. Es ist verwunderlich, wie wichtig die Musik und die Notenschrift für die Pauliner waren, und zwar bedeutender als selbst die Liturgie. Kiss, Gábor: Tridentinum elő tt és után. A magyarországi pálosok ordinarium-hagyománya [Vor und nach der Reform von Trient. Die Ordinarium-Tradition der ungarischen Pauliner]. In: Zenetudományi Dolgozatok 2009, MTA Zenetudományi Intézet: Budapest 2009, 97–133. In der Geschichte des Paulinerordens kann man vier Stadien unterscheiden. Das Pauliner Ordinarium-Repertoire wurzelte im Graner Brauch, blieb mit ihm in Verbindung und folgte seiner Entwicklung. Die Pauliner Quellen des 17. Jahrhunderts zeigen schon etliche Eigenschaften der nachtridentinischen Entfaltungen. Die nächste Stufe in der Romanisierung wird durch die handschriftlichen Pauliner Chorbücher des 18. Jahrhunderts repräsentiert. Zwar sind die tridentinischen Richtlinien in diesen einheitlichen Handschriften deutlich feststellbar, sie bewahren einige frühere Graner Merkmale. Die späteste Pauliner-Quelle, das Orgelbuch von Pater Gábor, bricht mit der Tradition und übermittelt ein völlig römisches Ordinarium-Repertoire, welches in den gedruckten Gradualien ungarischer Verwendung im 18. Jahrhundert zu finden ist. Kovács, Andrea/ Földváry, Miklós István: Egy ismeretlen Szent Gellért-offícium [Ein unbekanntes St. Gerhard-Offizium]. In: Magyar Könyvszemle 126 (2010), 1–23. Ein Zagreber Breviarium aus dem 14. Jahrhundert (Knjižnica Metropolitana MR 29) enthält die Historia von St. Gerhard, dessen Offizium bis heute nur aus einem Venezianischen Antiphonale, gleichfalls aus dem 14. Jahrhundert, bekannt war. Für den Text des Zagreber Breviars hat man ungarische Quellen verwendet, die sogenannte große und kleine Legende und vielleicht die Deliberatio (das einzig erhaltene Werk von St. Gerhard). Richter, Pál: Die Musik der ungarischen Pauliner im 17.–18. Jahrhundert. In: Studia Musicologica 51 (2010), 405–418. Die Informationen über das Musikleben und die Musik der ungarischen Pauliner im 18. Jahrhundert sind zwei Quellentypen zu entnehmen: einerseits Angaben, die die Anlässe des Musizierens beschreiben, andererseits den von den Paulinern verfassten und verwendeten Handschriften und Drucken. Im täglichen Gottesdienst sangen die Mönche gregorianische Weisen. Je nach dem Ort bzw. der materiellen Lage des Klos-

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Literaturbericht Hymnologie. Ilona Ferenczi

ters oder der Kirche feierten die Pauliner den Gottesdienst an größeren Festen mit Instrumentalbegleitung. Wie die erhaltenen Musikquellen bestätigen, war der Orgelgebrauch allgemein verbreitet, und die Organisten, deren Namen häufig überliefert sind, kamen überwiegend aus den Reihen der Ordensmitglieder. Das Kirchenliedrepertoire war gemischt: es wurden teils alte mittelalterliche Gesänge, teils Lieder aus dem 16.–17. Jahrhundert und die neuesten Barock-Cantiones gesungen. Einige Aufzeichnungen zeugen von vereinzelter mehrstimmiger Praxis. Diese Pauliner-Mehrstimmigkeit war aber keine komplizierte Polyphonie, die einen geübten oder professionellen Sänger und Musiker voraussetzte, sondern eine volkstümliche Homophonie pastoraler Art, die auf einfachen, parallelen Terzgängen beruhte. Richter, Pál: Ungarische Kirchenlieder in den Paulinerhandschriften des 18. Jahrhunderts. In: Sarbak, Gábor (Hg.): Der Paulinerorden. Geschichte – Geist – Kultur. Szent István Társulat: Budapest 2010, 493–502. Im Jahre 1526 hatte der Paulinerorden in Ungarn mit Ausnahme der kroatischen Gebiete 68 Klöster. In den folgenden Jahrzehnten wurden die meisten Klöster zerstört, darunter das Zentrum des Ordens. Der Orden gab seine eigene Liturgie auf dem 1600 in Lepoglava (Schönhaupt, Kroatien) gehaltenen Generalkapitel auf und schrieb den Gebrauch des Missale und Breviarium Romanum als obligatorisch vor. Die im 18. Jahrhundert entstandenen handschriftlichen Quellen bezeugen aber, dass die Pauliner die eigenartige ungarische Notenschrift ihrer alten Tradition bewahrten und die neuen Texte, wo immer möglich, mit der alten Melodie sangen. – Über den Orgelgebrauch des Ordens berichten zwei Orgelbücher aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, aufbewahrt in der Universitätsbibliothek Budapest. Beide Bücher wurden vom Paulinermönch Pater Gábor Koncz geschrieben, der unter anderem in Pest, Pápa, Sátoraljaújhely und Mocsár (Komitat Ung) tätig war. Das Buch A 131 enthält Messordinarien, Hymnen, Marienantiphonen und zwei Instrumentalpräludien, das andere Buch A 130 umfasst lateinische und ungarische Kirchenlieder. Im Beitrag wird das letztere Buch ausführlicher behandelt. Kiss, Gábor: Késő középkori periférikus miseforrásaink és az esztergomi hagyomány [Spätmittelalterliche peripherische Meß-Quellen und die Graner Tradition]. In: Zenetudományi Dolgozatok 2011, MTA BTK Zenetudományi Intézet: Budapest 2012, 49– 81. Die spätmittelalterliche ungarische Choraltradition war ziemlich einheitlich in Struktur und Musikrepertoire. Die Quellen, die stark in Verbindung mit dem kirchlichen Zentrum Esztergom/Gran standen, behielten die Eigentümlichkeiten, die den Graner Brauch von dem der anderen Regionen unterschieden. Die Besonderheit der ungarischen Kirchengeschichte ist aber, dass einige – hauptsächlich periphere – Ortschaften und Regionen immer selbstständiger wurden, obwohl sie die Verbindung zur Hauptströmung der Tradition nicht verloren. Infolgedessen haben die Quellen dieser Orte zuweilen zweifachen Charakter und kombinieren die einheimischen Eigenschaften mit denen der Nachbarregionen. Der Beitrag beleuchtet dieses Phänomen und bietet eine Gliederung der Quellen mit vielen Beispielen, in denen der erwähnte Zwiespalt begreiflich dargestellt werden kann. Kovács, Andrea: A segesvári psalterium [Der Schässburger Psalter]. In: Zenetudományi Dolgozatok 2011, MTA BTK Zenetudományi Intézet: Budapest 2012, 97–108. Der Beitrag behandelt den in der Biblioteca Documentara in Schässburg (heute Sighişoara, Rumänien) unter der Signatur 20679 aufbewahrten notierten Psalter aus dem ausgehenden 14. Jahrhundert. Die fragmentarisch überlieferte Handschrift besteht aus 41 vollständigen und 8 unvollständigen Folios. – Das liturgische Material und dessen

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Melodiebestand werden mit den mittelalterlichen ungarischen Offiziumsquellen verglichen. Miteinbezogen werden Denkmäler sämtlicher ungarischer Diözesanriten, wobei an erster Stelle Handschriften aus dem benachbarten Gebiet um Kronstadt (Braşov) und Hermannstadt (Sibiu) als Vergleichsquellen in Frage kommen. Das Ergebnis der vergleichenden Untersuchung sind folgende Feststellungen: Sowohl die Zusammensetzung des Repertoires als auch die Melodiewahl entsprechen überwiegend der zentralen ungarischen Überlieferungslinie der Graner Quellen. Einige Varianten sind lediglich aus Handschriften der Siebenbürger Sachsen bekannt. Merkwürdig erscheint die relativ hohe Zahl von Antiphonen, die sonst für die Tradition der ungarischen Franziskaner typisch sind. Es ist zu vermuten, dass es sich bei diesen Gesängen um eine archaische Repertoireschicht handelt, die bereits vor der Niederlassung der Sachsen in Siebenbürgen in deren Liturgie vorhanden war, und die später von der liturgischen Tradition des neuen Heimatgebietes beeinflusst und im neuen Kontext allmählich umgestaltet wurde. Czagány, Zsuzsa: Magyar-normann zenei kapcsolatok a középkorban II. [Musikalische Verbindungen zwischen Ungarn und dem Normannenreich im Mittelalter II]. In: Zenetudományi Dolgozatok 2010, MTA Zenetudományi Intézet: Budapest 2011, 11– 22. Im Jahre 1097 äußerte der ungarische König Koloman (genannt der Buchkundige) durch seine Heirat mit einer der Töchter des Grafen Roger I. von Sizilien seine Absicht, sich im Investiturstreit an die Seite des Papstes zu stellen. Der normannische Graf Roger war ja einer der treuesten Unterstützer Urbans I. im Kampf gegen Kaiser Heinrich IV. Als Folge der politischen und dynastischen Verbindungen zwischen Ungarn und dem Normannenreich auf Sizilien begann eine kurze Epoche kultureller Wechselbeziehungen, die eine Wirkung auf Kirche, Kultur und Bildung ausübten. Im Beitrag wird versucht, den Spuren dieser Kontakte auf dem Gebiet der Musikgeschichte nachzugehen. Es werden zwei Musikbeispiele dargestellt, um mittels dieser zwei bzw. drei Ebenen der Transmission zwischen dem normannischen und ungarischen Choral im 12. Jahrhundert zu erfassen. Czagány, Zsuzsa: Töredék, kódex, rítus, hagyomány. A Zalka Antifonále győ ri és modori töredékeinek tanúsága [Fragment, Kodex, Ritus, Tradition. Fragmente des Antiphonale Waradiense in Győ r/Raab und Modra]. In: Zenetudományi Dolgozatok 2011, MTA BTK Zenetudományi Intézet: Budapest 2012, 123–141. Der Beitrag präsentiert inhaltliche Untersuchungen mehrerer Fragmente des Antiphonale Waradiense, einer spätmittelalterlichen ungarischen Prunkhandschrift, verfasst zwischen 1477 und 1490 für die Kathedrale Várad (Oradea, Großwardein, Waradinum) im östlichen Teil des mittelalterlichen Ungarn, im heutigen Rumänien. Herangezogen werden zwei Fragmenten-Bestände: das seit langem bekannte, jedoch wenig erforschte Material der Diözesanbibliothek in Győ r und der vor kurzem entdeckte Bestand von 13 Fragmenten im Archiv der slowakischen Stadt Modra. Die Untersuchung des liturgischen Repertoires einzelner Fragmente bestätigt einerseits die Anlehnung der Handschrift an den Ritus des ungarischen südöstlichen Diözesangebietes Transylvanien – Várad. Einige Fragmente bewahren sogar substantielle Elemente des Waradiner Offiziums: Elemente, die von der heimischen Graner Hauptströmug abweichen, die aber zugleich die Hinwendung der Waradiner Tradition zur breiteren mitteleuropäischen Regionalüberlieferung bezeugen. Eine zweite Repertoireschicht ist durch böhmische Vorlagen zu erklären. Ferenczi, Ilona: Az első „magyar énekeskönyv“ – a Psalterium Strigoniense mint a protestáns graduálok forrása [Das erste „ungarische Gesangbuch“ – das Psalterium Strigo-

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Literaturbericht Hymnologie. Ilona Ferenczi

niense, als Quelle der protestantischen Gradualen]. In: Zenetudományi Dolgozatok 2011, MTA Zenetudományi Intézet: Budapest 2012, 143–149. Das Vorwort des Debrecener Gesangbuches von 1602 enthält die Bibliographie der bis zu jener Zeit erschienenen ungarischen Gesangbücher. An erster Stelle, vor den eigentlichen ungarischen Gesangbüchern, steht das einzige lateinische „Gesangbuch“, das Psalterium Strigoniense. Da die Titelbeschreibung ungenau und lückenhaft, und vor allem, weil sie lateinisch ist, wurde sie in der Forschung der Gregorianik ungarischer Sprache kaum berücksichtigt. – Das Thema wird hier zum Teil anders als vor zwanzig Jahren bei der Konferenz Cantus Planus (Pécs/Fünfkirchen, 1990, darüber s. JLH 38/1999, 281) behandelt. Neben den neuen Gesichtspunkten wird in diesem Beitrag auch der Zusammenhang zwischen dem Psalterium Strigoniense und den ungarischen Gradualen erörtert. Ferenczi, Ilona: Az organális többszólamúság nyomai egyszólamú dallamainkban. Egy kolozsvári énekeskönyv tanulságai [Spuren organaler Mehrstimmigkeit in ungarischen einstimmigen Melodien. Erkenntnisse aus einem Klausenburger Gesangbuch]. In: Szalay, Olga (Hg.): Tükröző dések. Ünnepi tanulmánykötet Domokos Mária népzenekutató-zenetörténész tiszteletére. L’Harmattan – Könyvpont Kiadó: Budapest 2012, 535–546. Unter den ungarischen Melodien des 16.–17. Jahrhunderts gibt es Varianten, welche, ergänzt durch ebensolche eines Klausenburger Gesangbuches aus dem 18. Jahrhundert, auf die Praxis der organalen Mehrstimmigkeit verweisen. Obwohl die im Beitrag vorgestellten Melodien alle einstimmig sind, ist es vielleicht mit überzeugenden Argumenten und Beispielen gelungen zu zeigen, dass im Hintergrund dieser Melodien Spuren der in Ungarn jahrhundertelang erhalten gebliebenen mehrstimmigen Gesangsweise zu entdecken sind. Bei einem so ausdauernden Gebrauch der organalen Mehrstimmigkeit mag die Annahme nicht unbegründet sein, dass die Erscheinung in Ungarn in weiten Kreisen verbreitet war. Jedenfalls hat sie den Grund für eine erregende melodiegeschichtliche Untersuchung geliefert, die nachgewiesen hat, dass sich nicht nur hinter den rhythmuslosen Melodien gregorianischer Herkunft, sondern auch den Varianten einzelner Gemeindegesänge und Volksgesänge die Wurzeln des Organumstils verbergen.

IV. Praxis in der Liturgik und Hymnologie Ecsedi, Zsuzsa: Keresztyén-énekeskönyv. Énekeskönyv-centenárium [Christliches Gesangbuch. Gesangbuch-Zentenarium]. In: Magyar Egyházzene 19 (2011/2012), 169–176. Das Christliche Gesangbuch oder das Gesangbuch aus Transdanubien von 1911 war zu seiner Zeit ein großer Schritt vorwärts und blieb siebzig Jahre lang in der ungarischen Lutherischen Kirche im Gebrauch. Der Aufsatz bewertet seine Bedeutung auch für die nächsten ungarischen Gesangbücher. Iváncsó, István: Az „egységes éneklés“ problematikája a magyar görög katolikus egyházban, a XX. század első felében [Problematik des „einheitlichen Singens“ in der ungarischen griechisch-katholischen Kirche]. In: Magyar Egyházzene 17 (2009/2010), 65–80. Die ungarische griechisch-katholische Kirche hat sich immer um den einheitlichen liturgischen Gesang bemüht und war bestrebt, für die ungarischen Gläubigen die

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Ungarn 2009–2012

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ungarische liturgische Sprache zu schaffen. Aus dem 18. Jahrhundert stammen handschriftliche Übersetzungen, aus dem 19. Jahrhundert gedruckte Gebet- und Gesangbücher. Im 20. Jahrhundert hatte man den Anspruch, die Gesangbücher mit Noten herauszugeben. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte Ungarn drei griechisch-katholische Diözesen, die danach zum Teil nicht mehr zu Ungarn gehörten: Hajdudorog blieb ungarisch, Munkács (Mukatschewe) wurde ukrainisch und Eperjes (Prešov) slowakisch. Diese Verhältnisse erschwerten den Arbeitsablauf, so hat man bis heute kein Gesangbuch mit Melodien, obwohl sich die Griechisch-Katholische Theologische Hochschule Heiliger Athanasius seit Jahrzehnten um seine Verwirklichung bemüht. Heute ist die sogenannte Nyíregyházer Melodie zum größten Teil der ganzen Griechisch-Katholischen Kirche in Ungarn bekannt. Kinczler, Zsuzsanna: A felvilágosodás hatása az Egyház liturgikus életére [Der Einfluss der Aufklärung auf das liturgische Leben der Kirche] – I. In: Magyar Egyházzene 17 (2009/2010), 405–420. Kinczler, Zsuzsanna: A felvilágosodás hatása az Egyház liturgikus életére [Der Einfluss der Aufklärung auf das liturgische Leben der Kirche] – II. In: Magyar Egyházzene 18 (2010/2011), 13–34. Der Beitrag untersucht in zwei Teilen, welche Veränderungen die Aufklärung im Leben und Gottesdienst der lutherischen Kirche verursachte: in den Agenden, im Ordinarium, im Altargesang, in den Gemeindegesängen, im Chor und im Orgelspiel. Kármán, György/Déri, Balázs: A zsidó istentisztelet zenéje az ezredfordulón [Die Musik des jüdischen Gottesdienstes um die Jahrtausendwende]. In: Magyar Egyházzene 17 (2009/2010), 365–378. Fekete, László: A nap a zsidó imádkozási hagyományban [Der Tag in der jüdischen Gebetstradition]. In: Magyar Egyházzene 19 (2011/2012), 265–270. Bubnó, Tamás: A keleti zsolozsma – a kántorképzés mai távlatában [Das byzantinische Stundengebet – in der Perspektive der Kantorenbildung heute]. In: Magyar Egyházzene 19 (2011/2012), 271–274.

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Verzeichnis der zitierten Strophen und Lieder A mennyei nap immár feljött 224 Ach Gott, tu dich erbarmen 178 Ach Gott, vom Himmel sieh darein 182, 190, 194, 204, 210, 213, 242, 265 Ach Gott vom Himml, wie kanstu sehn 202 Ach Herre Gott, dein göttlichs Wort 184 Ach wie groß ist der Feinde Rott 203 All weltlich Treu und Zuversicht ist gricht im argen Sinn 41 Allein Gott in der Höh sei Ehr 182, 184, 190 Allein zu dir, Herr Jesu Christ 181 An Wasserflüssen Babylon 184, 202 Auf, Deutschland, meine Freude 180 Auf meinen lieben Gott 262 Auf uns ist so zornig ihr Sinn 178 Aus tiefer Not schrei ich zu dir 37, 242 Ausgang und Eingang 255 Ave Maria 198, 207, 209 Ave Maria zart 257 Ave pecunia gratia plena 198 Benedicamus 221 Cherubers Himmelharpers Klang, 229 Christ, unser Herr, zum Jordan kam 257 Christe, du Beistand deiner Kreuzgemeine 213 Christus, Lamm unschuldig 224 Conditor alme siderum 264 Da Jesus an dem Kreutze hang 224 Danket Gott, denn er ist gut 261 Darum spricht Gott 204 Das alte Jahr vergangen ist 262 Das ist ein köstlich Ding 246, 261 Das Silber durch Feuer siebenmal 182 Das Silber im Feuer siebenmal 204 Dein Wort ist unser Erbteil, Herr 233 Denn Gottes Wort und Luthers Lehr 211 Der du in Todesnächten 262

Der Herr segne dich und behüte dich 245 Der Papst, der hat den Schlüssel verlorn 183 Der Papst hat sich zu Tod(e) gefalln 183, 198, 204, 208 Der schleust uns wieder auf die Tür 183 Der Tag ist nun zu Ende 261 Det kimer nu til julefest 233 Die alte Woch ist nun vorbei 261 Die himmlische Sonn’ leuchtet hervor 224 Die Schönste von allen 257 Dies sind die heilgen zehn Gebot 243, 261 Du bist da 262 Du Friedefürst, Herr Jesu Christ 37 Du meine Seele, singe 261 Du schnöde Tochter Babylon 202 Ein feste Burg ist unser Gott 37, 42, 44, 179, 182–184, 190, 193–195, 197–198, 202–203, 209, 211, 229, 232, 243, 256, 262–263 Ein frommer Mann aus Sachsenland 183 Ein Jahr geht nach dem andern hin 261 Ein neues Lied wir heben an 236 Ein wahrer Glaube Gotts Zorn stillt 261 Einer ist’s, an dem wir hangen 262 Eins hab’ ich, liebster Vater 261 Er hat uns wissen lassen 179 Erhabener Schöpfer der Gestirne 264 Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort 181, 184, 188–190, 192–194, 210, 243, 262, 265 Erhalt uns, Herr, dein Erbe 37 Erhör, o Gott, mein Flehen 263 Erinnere uns [an den Anfang] 263 Ermuntert euch, ihr Frommen 253 Es ist das Heil uns kommen her 254 Es ist gewisslich an der Zeit 253 Es mag sein, dass alles fällt 261 Es spricht der Unweisen Mund wohl 182, 203

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Verzeichnis der zitierten Strophen und Lieder Fröhlich wir nun all fangen an 261 Geborgen, geliebt und gesegnet 245 Gegrüßet seist du, Königin 257 Gelobet seist du, Jesu Christ 243 Gib unsern Fürsten 181–182 Gloria patri 209 Gott hat dir zwar gegeben 180 Gott, heilger Schöpfer aller Stern 264 Gott, ich preise deine Güte 261 Gott Lob und Dank, der nicht zugab 178, 204 Gott sei gelobet und gebenedeiet 181–182 Gott, unser Ursprung, Herr des Raums 244 Gott verspricht: Ich will dich segnen 261 Gottes Sohn ist kommen 253 Guds Kirke er saa fast en Borg 232 Guds ord det er vort arvegods 233 Herr Gott, dich loben wir 184, 193, 195, 210–211 Herr Jesu Christ, dich zu uns wend 261 Herr, mach uns stark im Mut, der dich bekennt 7 Herr, vor dein Antlitz treten zwei 261 Herrens Raad ei Støv udgrunder 231 Herzlich tut mich verlangen 180 Heut triumphieret Gottes Sohn 226 Hilf deinem Volk, Herr Jesu Christ 211 Hilf Gott, dass mir’s gelinge 224 Himmel, Erde, Luft und Meer 262 Ich bin getauft auf deinen Namen 261– 262 Ich freu mich in meinem Gott 194 In dulci jubilo 224 Jesu, meine Freude 211, 213–214 Jesus Christus, Gottes Sohn von Ewigkeit 263 Jesus Christus nostra salus 263 Jesus Christus, unser Heiland 181 Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Gotteszorn wandt 182, 262–263 Jesus zieht in Jerusalem ein 262 Jövel, Szentlélek Úristen 224

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Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist 243, 265 Komm, Heiliger Geist, Herre Gott 224, 265 Kommt her, des Königs Aufgebot 262 Krisztus ártatlan bárány 224 Lobe den Herren 36 Lover Gud, I Christne fromme! 231 Lover Gud, I Folk! og sjunger 232 Lover Gud, I kristne fromme 231 Mache dich, mein Geist, bereit 253 Mag ich Unglück nicht widerstahn 42, 194, 203 Man lobt dich in der Stille 262 Maria breit den Mantel aus 257 Maria durch ein Dornwald ging 257 Maria Maienkönigin 257 Maria zu lieben ist allzeit mein Sinn 257 Meerstern, ich dich grüße 257 Mein Zuflucht alleine 257 Mennybő l jövök most hozzátok 224 Mit allen Heilgen beten wir dich an 7 Mit Fried und Freud ich fahr dahin 42 Mit unsrer Macht ist nichts getan 179, 211 Mitten wir im Leben sind 243, 265 Nach dir steht mein Verlangen 194 Noch ist dies schlecht zu achten 180 Noch kann ich es nicht fassen 262 Non moriar sed vivam 37 Nun bitten wir den Heiligen Geist 194, 206, 243, 265 Nun danket Gott, erhebt und preiset 261 Nun freut euch, lieben Christen g’mein 37, 42, 235 Nun hilf uns, Herr, den Dienern dein 181 Nun jauchzet, all ihr Frommen 253 Nun komm, der Heiden Heiland 243 Nun lob den Herren mit Andacht 194 Nun lob, mein Seel, den Herren 36, 179, 182, 184, 190, 194 Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit 262 Nun schläfet man 262 O Christe, Morgensterne 261 O dass doch bald dein Feuer brennte 262

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Verzeichnis der zitierten Strophen und Lieder

O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens 246 O Herre Gott, dein göttlich Wort 44, 204 O store Gud vi love Dig! 229 O Vater, der so viel zu gut 261 Resonet in laudibus 224 Ruhet von des Tages Müh 261 Sagt an, wer ist doch diese 257 Salve benigne Rex Ladislae 226 Salve, rex Christe 258 Sandheds Ord var lagt paa Hylden 231 Segne du, Maria 257 Sei Lob und Ehr mit hohen Preis 194 Sie ist mir lieb, die werte Magd 194 Singet dem Herrn ein neues Lied 246 Singt, singt dem Herren neue Lieder 262 So jemand spricht: „Ich liebe Gott“ 253 So nimm denn meine Hände 261 Som den gyldne Soel udbryder 230 Som dend Gyldne Sool frembryder 230 Sonne der Gerechtigkeit 262 Te Deum 181–182, 184, 187, 190, 193– 195, 210–211, 217, 229 Treuer Wächter Israel’ 262 Über allem ist die Liebe 263 Und wenn die Welt voll Teufel wär 200, 202, 211 Uns ist ein Kindlein heut geborn 226 Unter deinen Schirmen 213 Unter Jesus Schirmen 211 Vater, dir sei Lob gegeben 261

Vater unser im Himmelreich 243, 255 Verleih uns Frieden gnädiglich 181–182, 261 Vertraut den neuen Wegen 245 Verzage nicht, du Häuflein klein 39 Vom Himmel hoch, da komm ich her 224, 226, 233, 243 Von guten Mächten 263 Vor Gud han er saa fast en Borg 232 Wach auf, meins Herzens Schöne 43 „Wachet auf“, ruft uns die Stimme 253 Wach auf, wach auf, du deutsches Land 37 Wär Gott nicht mit uns diese Zeit 178, 182, 184, 190, 204, 210 Warum sollt ich mich denn grämen 262 Was mein Gott will 41 Wenn du denn bist, sei gegenwärtig 263 Wenn wir in höchsten Nöten sein 194 Wer Gott ein Herze gibet 213 Wer Gott vertraut 194 Wer soll Israel dem Armen 182 Wie die goldne Sonne prächtig 230 Wie schön leuchtet der Morgenstern 213 Wie's Gott gefällt, so g'fällts mir auch 39 Wir danken Dir für Deinen Tod 224 Wo Gott, der Herr, nicht bei uns hält 181, 184, 190, 194 Wunderschön prächtige 257 Zieht in Frieden eure Pfade 262 Zion, die werte feste Stadt 194 Zion spricht, der Herr 194

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Verzeichnis der Personennamen Abart, Christine 97 Ackermann, Andrea 262 Alain, Jehan 255 Albert, Heinrich 257 Albert-Zerlik, Annette 251 Albrecht, Otto 171 Albrecht von Brandenburg 165–166 Aldenburg, Joachim Drucher von 164 Alexander III. (Papst) 189 Allouche, Harry 268 Altenburg, Michael 182–183, 190, 202, 204 Althamer, Andreas 179 Altmann, Peter 98 Ambos, Claus 105 Amon, Eberhard 152 Anarg Herr zu Wildenfels, Schonkirchen und Ronneburg 184 Ankenbauer, Johanna 151 Antz, Christian 151 Apel, Willi 226 Arend, Sabine 13, 49, 124–125 Arminius (Cheruskerfürst) 179, 196, 209 Arnold, Jochen 248, 252, 256, 263 Arom, Simha 267 Asher-Greve, Julia 118 Asztalos, Miklós 217 August der Starke s. Friedrich August I. 210 Avenarius, Johannes s. Habermann, Johann 264 Ayari, Mondher 266 Babst, Valentin 243 Bacciagaluppi, Claudio 252 Bach, Carl Philipp Emanuel 268–269 Bach, Georgius 210 Bach, Johann Michael 267 Bach, Johann Sebastian 235, 267–269 Bach, Wilhelm Friedemann 211 Bärsch, Jürgen 149 Balders, Günter 260, 262

Balduin, Friedrich 185 Balthasar, Hans Urs von 138 Banszki, Dániel 217–218, 228 Barbarossa s. Friedrich I. 189 Bardez, Jean-Michel 266 Bárdos, Kornél 218, 221, 226 Barnard, Willem 263 Baronius, Caesar 187 Barth, Karl 54 Bartoli, Jean-Pierre 266 Becha, Samir 270 Bechmann, Johann 195 Bechtold, Johannes 187 Bedouelle, Guy 60 Beethoven, Ludwig van 235 Beiche, Michael 167 Beinhauer-Köhler, Bärbel 126 Bergholz, Thomas 13 Berkemann, Karin 151 Berlejung, Angelika 68 Bernard de Raymond, Louis 266 Bernegger, Matthias 186–187 Bernhard von Clairvaux 239 Bertesius, Johannes 193, 207 Berthier, Jacques 268 Berthold-Scholz, Christiane 152 Besser, Beate 254 Best, Thomas 57 Bethge, Clemens 126 Biallowons, Simon 155 Bianca, Andrea Marco 127 Bichler, Albert 152 Bickelhaupt, Jörg 128, 148 Bieringer, Andreas 133 Bieritz, Karl-Heinrich 59 Birken, Sigmund von 257 Bisaro, Xavier 266–267 Blackstein, Achim 152 Blanckenburg, Friedrich 187 Blarer, Ambroisius 39 Blume, Cäcilie 254 Blume, Friedrich 248

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Verzeichnis der Personennamen

Blumenthal, Adoph Otto 180 Boaistuau, Pierre 200 Bobhart, Jakob 187 Bobhart, Jakob d. J. 187 Boccaccio, Giovanni 200 Bock, Johann 217 Böhme, Gernor 127 Böntert, Stefan 129 Börst, Hans 11 Boivin, Jean 267 Bonfiglio, Ryan P. 88 Bonhoeffer, Dietrich 263 Bork, Gerhard 13 Bornemisza, Péter 220 Brändlin, Sabine 152 Brakmann, Heinzgerd 148 Brandl-Risi, Bettina 263 Braun-Holzinger, Eva Andrea 118 Bredenbach, Ingo 251 Brenz, Johannes 192 Bretschneider, Wolfgang 247 Brodersen, Alma 95 Broida, Marian W. 109 Bronisch, Matthias Gotthelf 36 Bruckmann, Florian 129 Brugeman, Andreas 171 Brusniak, Friedhelm 255 Bubmann, Peter 256, 263 Bubnó, Tamás 277 Bucer, Martin 46 Buchanan, George 266 Buchinger, Harald 251 Budd, Malcolm 270 Bürki, Bruno 46 Bugenhagen, Beate 250 Bugenhagen, Johannes 178, 190, 197 Bugge, Knud Eyvin 233 Bullin, Wolfgang 152 Bullinger, Heinrich 50–51 Bunners, Christian 249, 260, 262 Burgelin, Cédric 267 Busch, Gudrun 261 Caesar, Gajus Julius 194 Cajetan, Thomas 195, 202 Calvin, Johannes 46, 48, 192, 200–202 Calvisius, Seth 199, 201, 226 Campi, Emilio 50 Canisius, Petrus 187

Cantagrel, Gilles 268–269 Capelle, Irmlind 253 Capito, Wolfgang 46 Carmon, Jakob 212 Carr, David M. 64, 67 Cartayrade, Alain 267–268 Cartford, Gerhard M. 244 Casel, Odo 138 Caspers, Charles 129 Chabanon, Michel Paul Guy de 269 Chauvet, Louis-Marie 130 Chèvremont, Alexandre 270 Chimènes, Myriam 269 Chronz, Tinatin 134 Cicero, Marcus Tullius 194 Class, Olivier 268 Claussen, Johann Hinrich 253 Clutenius, Joachim 188 Coelius, Michael 190 Colette, Marie-Noël 267 Collarile, Luigi 254 Conrad, Joachim 11–13, 15–18, 20–21, 25, 27 Cook, Martha 268 Coors, Dietmar 131 Coppers, Johann 187 Cornehl, Peter 148 Cornelius, Izak 83 Cramer, Daniel 197 Cranach, Lucas d. J. 193 Crighton, Garry 251 Crüger, Johann 37, 258–260, 262 Csomasz Tóth, Kálmán 218, 221, 226, 228 Csomó, Orsolya 271 Curtz, Philip 188 Cyprian, Ernst Salomon 185 Czagány, Zsuzsa 272, 275 Dachstein, Wolfgang 184 Dahlgrün, Corinna 251 Damascenus, Márton s. Madarász, Márton 218 Darby, Erin 119 Dauven-van Knippenberg, Carla 163 de Bèze, Théodore 50 Dedekind, Friedrich 195, 201 Deeg, Alexander 148 Delgado, Mariano 60 Déri, Balázs 277

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Verzeichnis der Personennamen Desmet, Marc 265 Dexelmann, Albert 152 Diehl, Wilhelm 40, 44 Distler, Hugo 256 Dobszay, László 224 Döll, Ernst 172 Döner, Gerald 125 Dörner, Gerald 49 Dohmen, Christoph 115 Dremel, Erik 255–256 Dubovský, Peter 114 Duda, Brigitte 14–15 Dünnhaupt, Gerhard 198 Dürfeld, Jakob 212 Duruflé, Maurice 269 Eber, Paul 193 Eberhard, Georg 194, 209 Eberhard, Samuel 194–195, 206, 209 Eberhart, Christian A. 103 Ebhardt, Georg s. Eberhard, Georg 194 Ebner, Martin 74–75 Eck, Werner 123 Ecker, Franz 14 Eckert, Casparus 164 Ecsedi, Zsuzsa 276 Effhauser, Matthias 153 Egerer, Dietrich 262 Ehrensperger, Alfred 131 Eichhorn, Holger 259–260 Eicker, Thomas 251 Eisenbach, Franziskus 153 Eisenius, Nicolaus 187 Elkowicz, Dominik 111 Erasmus, Desiderius 193 Erdmann, Gustav Adolf 196 Ernst, Anita 256 Eshel, Esther 86 Eshel, Hanan 86 Evang, Martin 261–262 Evers, Ute 161–162, 164–167, 170–171, 250, 256, 263 Faber, Johannes 187 Fabinus, Lucas 216 Fabry, Heinz-Josef 153 Faggioli, Massimo 132 Faißt, Clara 39 Fardet, Éric 266

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Fatio, Olivier 48 Fechtner, Kristian 132 Fedeles, Tamás 271 Fekete, László 277 Feldmeier, Reinhard 85 Fellerer, Karl Gustav 248 Fendler, Folkert 153 Ferdinand I., Habsburg 181 Ferenczi, Ilona 216, 218, 221, 226, 271, 275–276 Fernandes, Salvador 95 Feulner, Hans-Jürgen 133, 148 Fillmann, Elisabeth 262 Fink, Monika 250 Finke, Christian 251 Fischer, Alexander Achilles 83 Fischer, Christian 253 Fischer, Ingrid 148 Fischer, Michael 262 Flöring, Friedrich 38 Flügel, Wolfgang 174 Flynn, Shwaxn W. 73 Földváry, Miklós István 273 Franck, Johann 211, 213 Franck, Melchior 190, 201 Frank, Évelyne 265 Franz, Wolfgang 185 Freudenberg, Katharina 133 Frevel, Christian 69, 83 Friedrich August I. von Sachsen (August der Starke/ August II., Polen) 210 Friedrich I. Barbarossa 189, 209 Friedrich III. von der Pfalz, Kurfürst 50 Friedrich III. von Sachsen (der Weise; Kurfürst) 204–205, 215 Friedrich, Martin 53–54 Fries, Thomas 130 Frischlin, Nicodemus 192–194, 208 Fritzemeyer, Irmgard 11 Fuchs, Ottmar 153 Fürst, Ulrich 251 Fugger, Dominik 133 Funcke, Christian 183 Gärtner, Judith 94 Gall, Sieghard 254 Gancarczyk, Pawel 269 Ganne, Élisabeth-Marie 269 Ganne, Louis 269

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Verzeichnis der Personennamen

Gárdonyi, Zoltán 226 Geißendörfer, Paul 154 Geldhof, Joris 134 Geleji Katona, István 222 Gélineau, Joseph 267 Gennrich, Paul 40 Gerhards, Albert 134, 148, 251 Gerhardt, Paul 256, 260, 262 Gerstenberger, Erhard S. 93 Gesius, Bartholomäus 226 Gétreau, Florence 269 Gilányi, Gabriella 272–273 Giron-Panel, Caroline 267 Glosius, Andreas 218 Gömöry, János 217 Goeters, J. F. Gerhard 17, 124 Goethe, Johann Wolfgang von 180 Gœury, Julien 265 Gohl, Ulrich 245 Golani, Amir 117 Goltz, Daniel 217 Goodnick-Westenholz, Joan 118 Gossec, Francois-Joseph 269 Gottsched, Johann Christoph 215 Goudimel, Claude 226 Grabs, Charlotte 253 Graff, Paul 40 Gramann, Johann 179 Graupner, Christoph 211, 213 Greer, Jonathan S. 99 Grethlein, Christian 135, 148, 150 Grillo, Andrea 148 Gripentrog, Stephanie 116 Grössler, Ralf 263 Grollmann, Andreas 218 Groote, Inga Mai 253 Groß, Florian 140 Grosser, Samuel 213 Grünberger, Hans 179 Grünwald, Martin 214 Grund, Alexandra 104 Grundtvig, Nicolai Frederik Severin 230– 233 Guardini, Romano 149 Guggisberg, Kurt 46, 55 Gumpelzhaimer, Adam 226 Haak, Rainer 154 Haas, Irmgard 173

Habermann, Johann 264 Hachlili, Rachel 122 Hässig, Maria 136 Hahn, Gerhard 236, 239, 261–262 Hahn, Udo 154 Haim, Maria Lisa 135 Hakim, Naji 269 Hameline, Daniel 268 Hammerschmidt, Andreas 213 Handke, Emilia 148 Hanisch-Wolfram, Alexander 254, 256 Happe, Annika 135 Hartmann, Andreas 195–196, 209 Hascher, Xavier 266 Hassler, Hans Leo 226 Hauser, Stefan R. 78 Heckl, Raik 68 Heinen, Jacqueline 267 Heinermann, Otto 42 Heinrich IV. (Salier) 275 Helding, Michael 165 Heller, Dagmar 57 Helms, Dominik 137 Helmstedt, Martin 147 Heltai, Gáspár 222 Hempelmann, Heinzpeter 155 Henkys, Erika (geb. Gooßes) 7 Henkys, Jürgen 7, 245, 263 Hennebelle, David 269 Herberichs, Cornelia 137 Herbst, Wolfgang 179, 244, 261–263 Heringer, Dominik 137 Herold, Max 31 Herold, Wilhelm 33, 37 Herresthal, Harald 249 Herrmann, Hans-Walter 11, 13 Hersa, Johannes 217 Hertz, Jens Michael 229 Hertzsch, Klaus-Peter 245 Herzog, Johann Georg 37 Hesse, Michael 138 Heymel, Michael 256 Hiemke, Sven 256 Hildebrandt, Walter 50–51 Hiller, Dietmar 256 Himmelfarb, Martha 100 Hirschmann, Wolfgang 8, 211 Hirtzwig, Heinrich 191, 196–197, 209 His, Isabelle 266

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Verzeichnis der Personennamen Hochstein, Wolfgang 248 Hoë von Hoënegg, Matthias 176–179, 181–182, 189–190, 209 Höink, Dominik 253 Hölscher, Heinrich 177 Hofhaimer, Paul 250 Hohmann, Edmund 42 Holstein, Hugo 196 Homolka, Walter 155 Honegger, Arthur 269 Hoping, Helmut 148 Horaz, Quintus (Quintus Horatius Flaccus) 203 Horn, Werner 254, 256 Huber, Johannes 187, 189 Hubert, Konrad 181 Hüffmeier, Wilhelm 53–54 Hulková, Marta 226 Hulster, Izaak de 88 Hundley, Michael B. 112 Hunnius, Nicolaus 185 Hus, Johannes 263 Huszár, Gál 220–224 Hutten, Ulrich von 209 Huwiler, Elke 162 Impler, Georg 147 Ionita, Viorel 56, 60 Iváncsó, István 276 Iversen, Gunilla 267 Jadatz, Heiko 165 Jaeger, Christof 253 Jahr, Hannelore 48 Janota, Johannes 162, 164–167, 170–171, 263 Janowski, Bernd 62, 70–71, 104 Jardin, Étienne 267 Jaschinski, Eckhard 250–251 Jeggle-Merz, Birgit 60, 140, 155–156 Jenny, Markus 236 Joachim II. von Brandenburg 165 Johann Friedrich I. von Sachsen 179 Johann Georg I. von Sachsen 175, 181, 185, 196, 211 Johann V. (Bischof von Straßburg) 186 Jonas, Justus 181 Jørgensen, Theodor 233 Joubert, Dominique 267, 269

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Jüngling, Hans-Winfried 98 Jünke, Wolfgang A. 172 Jürgens, Klaus 172 Jütten, Helga 157 Jung, Martina 156 Jung, Wolfgang 13 Jung-Mittergradnegger, Erika 256 Kadass, Jonas 218 Kadelbach, Ada 251 Kämpchen, Martin 155 Käser, Xaver 157 Kaiser, Jochen 262 Kaiser, Otto 73 Káldi, György 224 Kálmáncsehi, Márton 222 Kamlah, Jens 110 Kaniuth, Kai 112 Kapp, Johann Erhard 210 Karas, Markus 255, 263 Karl V. von Habsburg 181, 209 Karlstadt, Andreas 192 Kármán, György 277 Károlyi, Gáspár 222 Kastner, Ruth 190 Keel, Othmar 82 Keimann, Christian 257 Kempgen, Margrit 256 Keplinger, Josef 139 Kerner, Hanns 139, 152 Keserüi Dajka, János 222 Kielmann, Heinrich 183, 197–198, 203– 204, 207, 209 Kinczler, Zsuzsanna 277 Kingo, Thomas 230 Kirchner, Fritz 11 Kirchschläger, Walter 155–156 Kirsch, Winfried 249 Kirschbaum, Christa 256 Kiss, Gábor 273–274 Kittelson, James Matthew 46 Klaper, Michael 251 Klein, Adolf 11 Klein, Anja 96 Klek, Konrad 31, 45, 249, 260, 262–263 Klement, Herbert H. 255 Klepper, Jochen 256 Kletter, Raz 119 Klie, Thomas 139, 150

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Verzeichnis der Personennamen

Klöckener, Martin 60, 140 Klöckner, Stefan 249 Klugseder, Robert 256 Knapp, Albert 37, 256 Knauf, Ernst Axel 63 Knecht, Dagmar 156 Kneitschel, Ernst-Ulrich 250 Knodt, Emil 13 Knoke, Karl 43 Koch, Ernst 50 Körndle, Franz 137, 167, 169, 250 Körner, Christoph 98 Körner, Emil 35, 37 Kössinger, Norbert 137 Köszeghy, Miklós 66 Kolb, Robert 175 Kolms, Vilis 250 Koloman I, Ungarn 275 Koncz, Gábor 273–274 Korr von Rosenroth, Christian 257 Korth, Hans-Otto 8, 257–259, 263 Kovács, Andrea 272–274 Kraft, Sigisbert 140 Krakevitz, Albrecht Joachim von 212 Krampe, Matthias 256 Kranemann, Benedikt 45, 133, 142 Kratz, Reinhard Gregor 65 Kraus, Johannes 182 Krausen, Halima 155 Krautwurst, Franz 245 Kremer, Joachim 250 Kreuels, Matthias 253 Krieger, Johann 214 Krüger, Annette 104 Krüger, Bartholomäus 192–194, 198, 208 Krummacher, Christoph 248–249, 253 Krummacher, Friedhelm 249 Krumwiede, Hans-Walter 172 Küchler, Max 66 Kumlehn, Martina 139 Kunz, Ralph 139 Kuppler, Gerhard 149 Kurzke, Hermann 257

Lagaude, Jenny 133 Lalitte, Philippe 270

Lange, Barbara 251, 262 Langenbahn, Stefan K. 149 Langer, Markus J. 150 Lasch, Gustav 43 Lathrop, Gordon W. 149 Laue, Rüdiger 264 Lauterwasser, Helmut 261–262 Le Cam, Jean-Luc 255 Le Moël, Sylvie 265, 268–269 Leboucher, Marc 268 Leconte, Thomas 269 Lee, Il-rye 95 Lehmann-Etzelmüller, Monika 157 Leisentritt, Johann 264 Lepp, Claudia 7 Leppin, Volker 140, 175 Leroy, Marc 267 Lessing, Gotthold Ephraim 200 Leube, Bernhard 254, 261–262 Leuenberger, Martin 151 Leven, Benjamin 133 Levin, Yigal 86 Leyser, Polycarp 201 Lichtenstein, Michael 96 Liebig, Elke 262 Ligeti, György 270 Lingen, Jan von 262 Lipphardt, Walther 162 Lippius, Johannes 187 Lippke, Florian 104 Locher, Gottfried W. 46 Löhnert, Anne 112 Löwenstern, Matthäus Apelles von 213 Lohwasser, Angelika 87 Longchamps, Jacques 267 Loretz, Oswald 61 Lubenow, Martin 259–260 Lüddeckens, Dorothea 149 Luiselli, Maria Michaela 116 Lundgreen-Nielsen, Flemming 233 Lurz, Friedrich 149 Luth, Jan R. 250–251 Luther, Martin 144, 174–215, 221, 229, 232–233, 235–243, 253, 259–260, 263 Lux, Rüdiger 68 Lykke, Anne 77 Lynch, Matthew 100 Lyster, Jens 229, 264

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Verzeichnis der Personennamen Mâche, François-Bernard 270 Macht, Siegfried 255 Madarász, Márton 217, 222, 228 Mager, Inge 260 Magnus, Albertus 141, 143 Mahl, Roger 48 Mahrenholz, Christhard 181 Mailänder, Richard 264 Maine, Trevor 134 Malling, Anders 230 Marchand, Christophe 269 Marconnet, Denis 267 Maróthi, György 228 Marschler, Thomas 141 Marti, Andreas 254, 256, 260–262 Martin, Denis-Constant 267 Martin, Evelyne 78 Martini, Britta 249, 261 Massenkeil, Günther 247, 252 Massip, Catherine 269 Mathesius, Johannes 191, 195 Maul, Stefan M. 61, 106 Mauss, Marcel 129 Maximilian I. von Habsburg 181 Mayer, Bartholomäus 213 Mayer, Kathrin 179 Mazouer, François 267 McAdams, Stephen 270 McLelland, Joseph C. 51 McMullen, Dianne 261 Meier, Siegfried 261 Meisner, Balthasar 185, 222 Méjan, François 49 Melanchthon, Philipp 191, 194–195, 205 Melzl, Thomas 139 Mendelssohn, Arnold 39 Mendelssohn, Louise 39 Merz, Detlef 191, 207 Merzbacher, Dieter 261 Metzing, Andreas 14–16 Meyer, Dietrich 21, 249, 256 Meyer, Elisabeth 162 Meyer-Blanck, Michael 149 Meyerbeer, Giacomo 263 Michel, Stefan 170 Michelau, Henrike 110 Micraelius, Johannes 183 Miersemann, Wolfgang 258–259, 261–262 Miller, Jared L. 112

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Millet, Olivier 265, 270 Minch, Daniel 134 Minunno, Giuseppe 107 Mirus, Adam Erdmann 214 Mohlberg, Kunibert 149 Mohn, Jürgen 116 Molnár, Albert Szenci 226 Monachus, Johannes 187 Morales, Cristobál de 254, 269 Mordhorst, Ute Elisabeth 156 Moritz von Sachsen 179 Mtata, Kenneth 93 Mühling, Andreas 50 Müller, Carl 199–200 Müller, Jörg 155–156 Müller, Konrad 139, 152 Müller, Luzius 157 Müller-Luckner, Elisabeth 175 Münch, Marc-Mathieu 270 Münchow, Christoph 260 Münden, Gerd-Peter 262 Münkler, Herfried 179 Münnich, Maciej M. 82 Müntzer, Thomas 229 Muller, Welleda 267 Muntanjohl, Felizitas 157 Musculus, Wolfgang 35 Myconius, Friedrich 204 Mynster, Jakob Peter 232 Napp, Thomas 256–257, 264 Neijenhuis, Jörg 124 Nelle, Wilhelm 33, 36 Netz, Hans-Jürgen 263 Neubert, Luke 69 Nickel, Wolfgang 264 Niebur, Karl-Wilhelm 93 Niehr, Herbert 79 Niemann, Hermann Michael 61 Nihan, Christophe 69 Nivers, Guillaume Gabriel 267 Numico, Sarah 56 Oberhänsli-Widmer, Gabrielle 121 Odenthal, Andreas 149, 163–164, 168– 169, 171 Oechsler, Elias 43 Oehler, Eberhard 261

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Verzeichnis der Personennamen

Offret, Pierre 267 Oorschot, Jürgen van 77 Opitz, Martin 213 Opitz, Peter 50 Origenes 125 Øster, Andreas 230 Otte, Hans 260 Ottermann, Monika 157 Otto, Adelheid 112 Pachelbel, Johann 267 Pacheo, Cristina Diego 269 Paschke, Boris 149 Pauke, Karl 37 Paul III. (Papst) 168 Pellar, Paul 256 Pepping, Ernst 256 Perdigon, Pierre 267 Pernicka, Ernst 79 Pfälzner, Peter 79 Pfister, Stefanie 261 Pflug, Julius von 168 Philipp II. von Pommern-Stettin 183–184, 197 Pierrakos, Hélène 270 Pietsch, Michael 81 Pietschmann, Klaus 254 Pitschmann, Christian Gottlob 214 Platz, Johannes 36 Pluyaut, Sylvain 268 Poetzsch, Ute 255 Pohánka, Éva 271 Poláni, Johann 217 Poláni, László 217 Porscharsky, Peter 141 Porter, Anne 103 Porter, James 266 Poschmann, Andreas 152 Praetorius, Michael 190, 226 Praßl, Franz Karl 251, 256 Preller, Caspar 217 Prunières, Henry 269 Puglisi, James 57 Putzinger, Johannes 158 Pyschny, Katharina 83 Quak, Arend 162 Quetin, Laurine 265, 269

Radziwon, Maria 158 Rädle, Fidel 207 Ragavan, Deena 113 Rahner, Karl 138 Rajeczky, Benjamin 224 Rambach, Johann Jacob 261 Ranstädt, Claus von 205 Rapsch, Matthias 158 Raschzok, Klaus 45, 141 Rathey, Markus 183 Raubenius, Johann Christoph 211 Rave, Johannes 171 Ravet, Hyacinthe 270 Rébut, Jean-Louis 267 Rechberger, Uwe 91 Redtenbacher, Andreas 142 Reich, Christa 262–263 Reinke, Stephan A. 120 Rendtorff, Franz 43 Rentsch, Christian 149 Revert, Jehan 269 Ribichini, Sergio 61 Richter, Carl Roderich 11 Richter, Klemens 142 Richter, Maik 258 Richter, Pál 273–274 Riedel, Friedrich Wilhelm 249 Rinckart, Martin 191, 195, 198–209, 257 Ring, Matthias 140 Ringwaldt, Bartholomäus 257 Risi, Clemens 263 Risset, Jean-Claude 267 Rist, Johann 179–180, 257 Ritter, Hans-Adam 157 Rivander, Zacharias 191, 193–195 Roaf, Michael 112 Robert, Pierre 269 Robker, Jonathan M. 96 Roden, Alain von 267 Röchling, Johann Friedrich 15 Rödding, Gerhard 260 Rößler, Martin 235, 260 Roestius, Petrus 186–188 Roger I, Sizilien 275 Rogge, Joachim 21 Rohn, Susanne 183 Rolf, Hans-Joachim 253 Rose, Miriam 93 Rosenberger, Burkard 259

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Verzeichnis der Personennamen Rosenberger, Veit 108 Roth, Cornelius 149 Roth, Mirko 126 Rothkirch, Eva 196 Rothmund, Elisabeth 265–266 Rouet, Pascale 269 Rouwhorst, Gerard 149 Rublack, Hans-Christoph 175 Rudnick, Wilhelm 37 Rudoph II von Habsburg 217 Rug, Karl 11 Ruhbach, Gerhard 21 Rumpf, Dietlinde 255 Runge, Christoph 259 Russill, Patrick 249 Ruwe, Andreas 90 Sabatier, François 268 Sachs, Hans 42–43 Sallaberger, Walther 112 Sandow, David 212 Sarbak, Gábor 273–274 Sattler, Dorothea 140 Saur, Markus 92 Sauter, Gerhard 142 Sauter, Hanns 158 Schad/Schadaeus, Oseas 188 Schäfer, Christiane 257 Schaeffler, Richard 144 Schaller, Wolfgang 187, 189, 206, 209 Schalnreuter, Paul 226 Scharbau, Friedrich Otto 53 Scheidt, Samuel 267 Schein, Johann Hermann 226 Scheitler, Irmgard 174, 183, 186, 191–196, 198–199, 201–203, 205, 207, 210–211, 213–214, 257 Schenk, Richard 143 Scherer, Burkhard 155 Schilling, Heinz 175 Schilling, Johannes 187 Schillinger, Jean 186 Schipper, Friedrich T. 77 Schlag, Thomas 139 Schleidanus, Johannes 205 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 253 Schleischitz, Roman 263 Schließer, Benjamin 155

289

Schmalenbach, Marie 39 Schmid, Georg 245 Schmidt, Bernhard 261 Schmidt, Franz 125 Schmitt, Arno 158 Schmitt, Johannes 14 Schmitt, Michel 270 Schmitz, Hans-Walter 251 Schmitz-Jeronim, Ilona 263 Schnabel, Wolfgang 249 Schneider, Herbert 266 Schneider, Matthias 247, 250–251, 255– 256, 266 Schneider, Michael 143 Schneider, Nikolaus 8 Schneider, Paul 55 Schneider-Böklen, Elisabeth 256 Schnocks, Johannes 72, 92 Schnütgen, Tatjana K. 255 Schoeberlein, Ludwig 31 Schönfuß, Thomas 159 Schönichen, Andreas 164 Schönstädt, Hans-Jürgen 174–175, 185, 192, 197 Schopenhauer, Arthur 270 Schredl, Erich 159 Schrems, Theobald 163 Schridde, Katharina 155 Schröder, Johann 178 Schröder, Otto 36, 38 Schröter, Jens 121 Schubert, Corinna 155 Schütz, Heinrich 181–182, 190 Schulek, Tibor 218 Schulz, Frieder 59 Schulz, Meinhard-Wilhelm 143 Schumann, Valentin 233 Schuppener, Friederike 159 Schwartz, Glenn M. 103 Schwarz, Christian 159–160 Schwarz, Karl W. 256 Schwarz, Reinhard 144 Schwarz-Boenneke, Bernadette 126 Schweizer, Rolf 245–246 Schwemler, Baptista 164 Schwemmer, Daniel 62 Schwenckfeld, Caspar 256 Schwenkedel, Suzy 268 Schwöbel, Christoph 70

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Verzeichnis der Personennamen

Seckendorff, Veit Ludwig von 185 Sedlmeier, Franz 137 Seebass, Tilman 252 Seger, Johann 196 Sehling, Emil 124 Seibt, Ilsabe 249, 251, 261–262 Seidel, Samuel 215 Seidl, Stephanie 137 Seifriz, Erno 263 Seiler, Stefan 95 Selnecker, Nikolaus 257 Serédi, Johann 217, 224, 226, 228 Servin, Jean 266 Seubert, Harald 255 Sheppy, Paul P. J. 57 Sibelius, Jean 263 Silcher, Friedrich 261 Smend, Julius 31, 40 Smets, Anne 253, 262 Snell, Daniel C. 85 Söhngen, Oskar 235 Sophia Eleonora zu Braunschweig-Lüneburg 261 Sophie von Sachsen 180 Spangenberg, Cyriakus 257 Spangenberg, Volker 260 Spankeren, Malte van 261 Speccer, Ambrosius 187 Speccer, Tobias 187 Speer, Christian 256–257, 264 Spengler, Lazarus 42 Spichtig, Peter 60, 140 Spieckermann, Hermann 74 Spitta, Friedrich 31, 38–45 Staden, Johann 199 Stäblein, Bruno 167 Staedtke, Joachim 51 Stalmann, Joachim 248–249, 254, 261–262 Staupitz, Johann von 204 Stefan, Hans-Jürg 261 Stein, Edith 263 Stephan I, Ungarn 272 Sternberg, Thomas 142 Sternberger, Günter 122 Stierle, Beate 46 Stöckel, Leonhard 216 Stötzner, Ulrich 147 Stoll, Christian 149 Stollberg, Oskar 32

Strauß, Rita 61 Strawn, Brent A. 88 Stritzky, Maria-Barbara von 125 Strutz, Georg 14 Stuflesser, Martin 130, 142 Stuhlfauth, Georg 43 Sugimoto, David T. 87 Sutorius, Antonius 169 Sweelinck, Jan Pieterszoon 269 Synofzik, Thomas 256 Szalay, Olga 276 Szarota, Elida Maria 201 Szendrei, Janka 224, 271 Tacaille, Alice 265, 270 Tacke, Andreas 165–166 Tacke, Nikolaus 104 Taïeb, Patrick 267 Tchamkerten, Jacques 269 Teichfischer, Paul 39 Teichmann, Wolfgang 251, 263 Tentzel, Wilhelm Ernst 185 Tetzel, Johann 187, 195, 197, 199, 203– 204, 207, 209 Thiessen, Jacob 255 Thiriet, Roger 157 Thönissen, Wolfgang 149 Thomae, Johann Gottfried 212 Thurian, Max 56 Thusius, David 226 Thust, Karl Christian 262 Tilly, Michael 69 Töpfer, Thomas 255 Török, József 271 Tongeren, Louis van 129 Torres, Franciscus 187 Treutlein, Josef 160 Tursellinus, Horatius 187 Ueberschaer, Frank 96 Umbach, Helmut 144 Urban I., Papst 275 Ursprung, Otto 248 Vahldieck, Fritz 39 Valentin, Jean-Marie 201 Verderame, Lorenzo 105 Vetter, Conrad 186 Vicarová, Eva 254

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Verzeichnis der Personennamen Vischer, Lukas 55 Vitellesius, Mutius 187 Vlhová-Wörner, Hana 250 Vockerodt, Gottfried 214 Voidius, Balthasar 198 Von Allem, Jean-Jacques 56 Von der Heydt, Fritz 35 Vulpius, Melchior 226 Wackernagel, Philipp 183, 236 Wälchli, Stefan H. 94 Wagener, Gottfried 212 Wagner, Andreas 77, 89 Wagner, Fritz 143 Wagner, Thomas 96 Wagner-Rau, Ulrike 160 Walliser, Thomas 187 Walser, Stefan 144 Walter, Conrad 212 Walter, Johann (aus Güstrow) 212 Walter, Johann 36 Walter, Johann Gottfried 267 Walther, Samuel 212 Watson, Wilfred G. E. 61 Weber, Beat 91, 255 Weber, Édith 265–266, 268, 270, 273 Weimer, Markus 155 Weippert, Manfred 76 Weise, Christian 214 Wentzel, Johann Christoph 214–215 Werz, Joachim 258 Weßler, Kai 263 Weymann, Volker 254, 258 Wiesenfeldt, Christiane 255

Wießner, Heinz 168 Wildt, Kim de 148 Willa, Josef-Anton 251 Willi, Thomas 63 Winzeler, Marius 263 Wissemann, Antje 262 Wissemann-Garbe, Daniela 247, 262 Wissing, Anne 79 Witte, Markus 95 Wittenberg, Andreas F. 33 Wolff, Francis 270 Wolfram-Hanisch, Alexander 256 Wolgast, Eike 124 Wollny, Peter 211 Wrenger, Thomas 256 Wütherich, Matthias D. 145 Xella, Paolo 61 Yamayoshi, Tomohisa 68 Zabel, Amalie 196, 198 Zager, Werner 146 Zamora, José Á. 61 Zangenberg, Jürgen K. 121 Zeeden, Ernst Walter 178, 190 Zernecke, Anna Elise 101 Ziffer, Irit 119 Zilleßen, Dietrich 146 Zimmerling, Peter 146 Zimmermann, Rudolf 50–51 Zwickel, Wolfgang 64, 119 Zwingli, Huldrych 202 Zywietz, Michael 252

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Ständige Berater Dozent Günter Balders, Berlin Kantor Pfarrer Peter Ernst Bernoulli, Zürich Prof. Dr. Christfried Böttrich, Greifswald Prof. Dr. Paul F. Bradshaw, Notre Dame/ Ind., USA Pfarrer Dr. Christian Bunners, Berlin Prof. Dr. Bruno Bürki, Neuchâtel Prof. Dr. Joachim Conrad, Püttlingen Prof. Dr. Peter Cornehl, Hamburg Prof. Dr. Christian Felmy, Erlangen Dr. Ilona Ferenczi, Budapest Prof. Dr. Gerhard Hahn, Regensburg Prof. Dr. Andreas Heinz, Auw a. d. Kyll Canon Prof. Dr. David R. Holeton, Toronto/Prag Prof. Dr. Konrad Klek, Erlangen Prof. Dr. Hermann Kurzke, Mainz Dozentin Barbara Lange, Mirow Rev. Prof. Dr. Robin A. Leaver, Dover, USA Rev. Alan Luff, Cardiff, Wales

Prof. Dr. Jan R. Luth, Groningen Pfarrer em. Dr. h. c. Jens Lyster, Broager, Dänemark Prof. Dr. Christian Möller, Heidelberg Prof. Dr. Michael Niemann, Rostock Prof. Dr. Franz Karl Praßl, Graz Prof. Dr. Klaus Raschzok, Neuendettelsau Pfarrer Heinrich Riehm, Heidelberg Prof. Dr. Martin Rößler, Bronnweiler Propst Dr. Eberhard Schmidt, Göttingen Pfarrerin Dr. Ilsabe Seibt, Potsdam Lic. theol. Hannu Vaapavuori, Vantaa, Finnland Superintendent i. R. Alexander Völker, Minden (Westf.) Prof. ém. Dr.ès lettres Édith Weber, Paris Prof. Dr. Paul Westermeyer, St. Paul/Mn., USA Pfarrer Dr. Karl-Friedrich Wiggermann, Münster Dr. Andreas Wittenberg, Bamberg

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Autorinnen und Autoren Autoren Liturgik

Autoren Hymnologie

Prof. em. Dr. Bruno Bürki Rue de la Cote 25 CH – 2000 Neuchatel http://www.unifr.ch/liturgie/BrunoBurki,560

Dr. Ute Evers Nymphenburger Str. 131 80636 München E-Mail: [email protected] https://www.philso.uni-augsburg.de/ lmz/institute/mmm/Musikwissenschaft/MitarbeiterInnen/Evers/

Prof. Dr. Joachim Conrad Sprenger Str. 28 66346 Püttlingen www.uni-saarland.de/fak3/fr32/conrad/kontakt/kontakt.htm Prof. Dr. Konrad Klek Universitätsmusikdirektor Schlossgarten 1/Orangerie 91054 Erlangen E-Mail: [email protected] www.musik.uni-erlangen.de/index. php?pers=0 Prof. Dr. Jörg Neijenhuis Mombertstr. 11 69126 Heidelberg E-Mail: [email protected] www.neijenhuis.de www.theologie.uni-heidelberg.de/ fakultaet/personen/neijenhuis.html Prof. em. Dr. Hermann Michael Niemann Theologische Fakultät der Universität Rostock Schwaansche Straße 5 18051 Rostock www.theologie.uni-rostock.de/niemann.html

Dr. Ilona Ferenczi Úri u. 12. fsz. 4. H-1014 Budapest [email protected] Prof. Dr. theol. Wolfgang Herbst Kleinschmidtstraße 52 D-69115 Heidelberg E-Mail: [email protected] Dr. theol. Jens Lyster Drosselvänget 8 DK-6310 Broager E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Martin Rößler Schönblickstr. 18 72770 Bronnweiler E-Mail: [email protected] Prof. Dr. phil. Irmgard Scheitler Schneebeerenweg 2 D-85072 Eichstätt E-Mail: irmgard.scheitler@altmuehlnet. de http://www.ndl2.germanistik.uniwuerzburg.de/mitarbeiter/ehemalig_mitarbeiter_und_professoren_im_ruhestand/scheitler/ Prof. ém. Dr. Édith Weber 10–16 rue Thibaud F-75014 Paris E-Mail: [email protected] Dr. Daniela Wissemann-Garbe Moischter Str. 52 35043 Marburg E-Mail: [email protected]

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Wichtige Luthertexte für jeden lesbar

Luther lesen Die zentralen Texte Auf der Grundlage von Kurt Alands »Luther deutsch« bearbeitet und kommentiert von Martin H. Jung, herausgegeben vom Amt der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) 2016. 216 Seiten, mit 10 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-69003-1 Mengenpreise ab 15 Exemplaren! Auch als Hörbuch lieferbar! ISBN 978-3-525-69004-8

Das Buch bietet nahezu alle wichtigen Luthertexte in Auszügen. Die Textfassungen beruhen auf Kurt Alands „Luther deutsch“, wurden aber durchweg anhand der Originaltexte überprüft, überarbeitet und korrigiert und noch einmal der heutigen deutschen Sprache und Rechtschreibung angepasst. Ergebnis ist ein sowohl authentischer, als auch leicht lesbarer und gut verständlicher Luther. Wie das Buch bietet auch das von Peter Bieringer gelesene Hörbuch nahezu alle wichtigen Luthertexte in Auszügen. »Jung glückte insgesamt ein Meisterstück, das weit über 2017 hinaus für EinzelleserInnen, wie auch für seminarartige Veranstaltungen in den Gemeinden von Bedeutung sein wird.« theology.de (Gerhard Maier)

www.v-r.de

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Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie Herausgegeben von Eberhard Hauschildt, Franz Karl Praßl, Anne M. Steinmeier (Hg.)

88: Ulrike Bittner »Und wenn sich die Lebenssituation ändert, ist das o.k.«

84: Thorsten Moos / Simone Ehm / Fabian Kliesch / Julia Thiesbonenkamp-Maag Ethik in der Klinikseelsorge

Eine Untersuchung der evangelischen Kirche als Gemeinschaft unter den Bedingungen postmoderner Mobilität 2016. 311 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-62438-8

Empirie, Theologie, Ausbildung 2016. 403 Seiten mit 5 Grafiken und 7 Tabellen, Paperback ISBN 978-3-525-62431-9

87: Christian Walti Gottesdienst als Interaktionsritual Eine videobasierte Studie zum agendenfreien Gottesdienst im Gespräch mit der Mikrosoziologie und der Liturgischen Theologie 2016. 715 Seiten mit 220 Abbildungen, 26 Tabellen und 11 Grafiken, Paperback ISBN 978-3-525-62437-1

86: Angela Rinn Die Kurze Form der Predigt Interdisziplinäre Erwägungen zu einer Heraus-forderung für die Homiletik 2016. 237 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-62434-0

85: Ute Nürnberg Der Jahreswechsel im Kirchenlied Zur Geschichte, Motivik und Theologie deutscher und schweizerischer Lieder 2016. 414 Seiten mit 7 Abb. und 6 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-62436-4

83: Hans Martin Dober Von den Künsten lernen Eine Grundlegung und Kritik der Homiletik 2015. 248 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-62433-3

82: Wilfried Sturm »Was soll man da in Gottes Namen sagen?« Der seelsorgerliche Umgang mit ethischen Konfliktsituationen im Bereich der Neonatologie und seine Bedeutung für das Verhältnis von Seelsorge und Ethik 2015. 368 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-62432-6

81: Eberhard Hauschildt / Bernd D. Blömeke (Hg.) Telefonseelsorge interdisziplinär 2015. 439 Seiten, mit 8 Graphiken und 4 Tabellen, kartoniert ISBN 978-3-525-62435-7

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