Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie: 2023 [1 ed.] 9783666500473, 9783525500477


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Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie: 2023 [1 ed.]
 9783666500473, 9783525500477

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Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie

2023

Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 62. Band 2023

Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 62. Band – 2023

Herausgegeben von Jörg Neijenhuis Daniela Wissemann-Garbe Alexander Deeg Erik Dremel Thomas Melzl Irmgard Scheitler Matthias Schneider Helmut Schwier in Verbindung mit der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie, dem Liturgiewissenschaftlichen Institut Leipzig, der Liturgischen Konferenz Deutschlands

Vandenhoeck & Ruprecht

Begründet 1955 von Konrad Ameln, Christhard Mahrenholz und Karl Ferdinand Müller

Schriftleiter: Prof. Dr. Jörg Neijenhuis, Mombertstr. 11, 69126 Heidelberg E-Mail: [email protected] (Liturgik) Dr. Daniela Wissemann-Garbe, Moischter Str. 52, 35043 Marburg E-Mail: [email protected] (Hymnologie) Manuskripte und Rezensionsexemplare bitte nur an die Schriftleiter schicken.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Brill Wageningen Academic, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-3466 ISBN 978-3-666-50047-3

Inhalt Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Liturgik Psychologische Ansätze in der evangelischen Liturgiewissenschaft Thomas Melzl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Nachdenkliche Bemerkungen zum Votum und zu den Studien Gemeinsam am Tisch des Herrn in Bezug auf das Gehörte und Gesehene in der tatsächlichen Liturgiefeier Jörg Neijenhuis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Das gottesdienstliche Leben der Deutschkatholischen Gemeinde in Saarbrücken Joachim Conrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

Literaturberichte zur Liturgik Literaturbericht Liturgik Altorientalische, israelitisch-jüdische Religion und Altes Testament (2020–2021) Reinhard Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Literaturbericht Liturgik Deutschsprachige Länder 2022 (2021, 2020) Jörg Neijenhuis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

Hymnologie Der neue alte Runge. Zum Nachdruck des verschollenen Runge-Gesangbuchs von 1653. Eine Anzeige Bernhard Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Erstdruck im Raubdruck? Überlegungen zum Charakter der 1660 in Stettin erschienenen Editio IX der „Praxis Pietatis Melica“ Johann Crügers und zur vermutlichen Erstpublikation einiger Lieder Paul Gerhardts darin Ralf Schuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

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Inhalt

Akademische Hymnologische Projekte Johann Wilhelm Simlers „Teutsche Gedichte“ Ein Editionsprojekt Julia Amslinger, Nathalie Emmenegger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Emotionale Zumutung oder Ressource? Geistliche Lieder des Dreißigjährigen Krieges als seelsorglicher Sprachraum nach dem Zweiten Weltkrieg Ein Promotionsprojekt Anja Conrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Die Berner Gesangbücher 1606–1853 Ein Promotionsprojekt Elie Jolliet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Die Poeto-Theologie Erdmann Neumeisters (1671–1756) Konstellationen, Konzeptionen und Konkretisierungen lutherisch-theologischer Kommunikation im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert Ein kirchenhistorisches Habilitationsprojekt Stefan Michels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Literaturberichte zur Hymnologie Literaturbericht Hymnologie Deutschsprachige Länder (2020, 2021) 2022 Erik Dremel, Daniela Wissemann-Garbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Literaturbericht Hymnologie Französischsprachige Länder (2021) 2022 Beat Föllmi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Literaturbericht Hymnologie Ungarn 2017–2020 Ágnes Papp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212

Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Verzeichnis der Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Ständige Berater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238

Geleitwort Der liturgische Teil des Jahrbuchs wird eröffnet mit einem Beitrag von Thomas Melzl zu den psychologischen Ansätzen in der evangelischen Liturgiewissenschaft. Melzl stellt diese seit der Berneuchener Bewegung dar, deren Vertreter Wilhelm Stählin z. B. selbst Religionspsychologe war. Bis heute werden tiefen-, persönlichkeits-, sozial-, motivations- und wirkungspsychologische Ansätze verwendet, die jeweils in ihrer Zeit von erheblichem Einfluss nicht nur auf die Liturgiewissenschaft waren bzw. sind. Jörg Neijenhuis setzt sich mit dem Votum Gemeinsam am Tisch des Herrn des Ökumenischen Arbeitskreises auseinander, er legt dabei Wert auf die tatsächlich gefeierte Abendmahls- bzw. Eucharistie­liturgie mit besonderem Schwerpunkt auf dem Gehörten und Gesehenen. ­Joachim Conrad beschreibt das nur einige Jahrzehnte dauernde gottesdienstliche Leben der Deutschkatholischen Gemeinde in Saarbrücken. Die Deutschkatholischen Gemeinden entstanden seit 1845, sie lehnten den Primat des Papstes ab, führten eine Presbyterialverfassung ein und näherten sich auch in anderen Fragen der evangelischen Kirche an. Conrad eruiert anhand des für diese Gemeinden schon 1846 erschienenen Gesangbuchs das gottesdienstliche Leben. Am Ende des 19. Jahrhunderts scheint das Interesse an den Deutschkatholischen Gemeinden erloschen zu sein. Reinhard Müller informiert mit seinem Literaturbericht Liturgik für die Jahre 2020–2021 über die einschlägigen Neuerscheinungen zur altorientalischen, ­israelitisch-jüdischen Religion und zum Alten Testament. Jörg ­Neijenhuis stellt die Neuerscheinungen im Bereich Liturgiewissenschaft deutscher Sprache in seinem Literaturbericht für das Jahr 2022 vor. Die beiden Haupt-Beiträge des hymnologischen Teils führen in die Gesangbuchwelt des 17. Jahrhunderts ein beziehungsweise knüpfen dort an. 1653 sind in der Offizin Christoph Runges zwei Gesangbücher erschienen, neben der Editio V der Praxis Pietatis Melica die heute verschollenen Geistlichen Lieder und Psalmen. Auf einen Nachdruck davon, der 1879 unter dem Titel Andachtsbuch Luise Henrietten’s von C[aroline] Irenäus herausgeben worden ist, ist Bernhard Schmidt aufmerksam geworden. Auch wenn dieses den Runge-Druck nicht ersetzen kann, wie Schmidts Vergleich mit erhaltenen Dokumenten zeigt, ist es doch ein interessantes und aufschlussreiches Zeugnis für seine Zeit. Ralf Schuster hat die 1660 in Stettin als Raubdruck herausgegebene Editio IX der Praxis Pietatis Melica untersucht und stellt die These auf, diese Auflage sei in der Rungesches Offizin notgedrungen ausgelassen worden und die darin erschienenen Lieder Paul Gerhardts seien damit erstmals in Stettin gedruckt worden. Diese These mag einen Diskurs eröffnen. Die im letztjährigen Jahrbuch eröffnete Rubrik mit Vorstellungen akademisch-hymnologischer Projekte präsentiert vier Arbeiten: Julia Amslinger und Nathalie Emmenegger stellen ihre Edition von

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Geleitwort

Johann W ­ ilhelm Simlers Teutschen Gedichten vor, mit der auch eine Promotion entstehen soll, Anja Conrad befasst sich in ihrer Promotion mit der Funktion von geistlichen Liedern des Dreißigjährigen Krieges in der Seelsorge nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Studie über die Berner Gesangbücher zwischen 1606–1853 ist das Promotionsprojekt von Elie Jolliet. Und die Studie von Stefan Michels über die Poeto-Theologie Erdmann Neumeisters ist als Habilitationsschrift angelegt. Die Literaturberichte schließen in gewohnter Form die deutschsprachigen (Erik Dremel, Daniela-Wissemann-Garbe), französischsprachigen (Beat Föllmi) und ungarischen (Ágnes Papp) hymnologischen Publikationen der letzten Jahre auf. Im Juli 2023

Die Herausgeberinnen und Herausgeber

Psychologische Ansätze in der evangelischen Liturgiewissenschaft Thomas Melzl

1. Einleitung Wer nach dem Verhältnis von Psychologie und Gottesdienst fragt, dem wird zunächst die weitgehend fehlende Rezeption der Psychologie in der Liturgiewissenschaft auffallen, ganz im Gegensatz zur Poimenik, Religionspädagogik oder Homiletik. Bezeichnend ist beispielsweise, dass Walter Rebells Überblick über psychologische Ansätze und deren Bedeutung für die Theologie, kein Kapitel über den Gottesdienst enthält.1 Psychologisches Wissen ist demnach vor allem für den Bereich der Seelsorge und der Religionspädagogik von Interesse. Die globalen Bezeichnungen „Psychologie“ und „Gottesdienst“ täuschen allerdings über zwei in sich selbst komplexe Sachverhalte hinweg. Im Grunde ist es nicht statthaft, schlichtweg von „der“ Psychologie zu sprechen, genauso wenig wie man von „dem“ Gottesdienst sprechen kann. Es haben sich seit der Etablierung der akademischen Disziplin der Psychologie vielmehr verschiedene psychologische Theorien und Schulen entwickelt, die jeweils ein spezifisches Licht auf den Gottesdienst werfen können. Insofern der Gottesdienst auch eine Veranstaltung ist, die aus der Interaktion von Menschen besteht, können dort psychologische Theorien Anwendung finden. Zwar hat die akademische Disziplinierung der Psychologie, die zum Ende des 19. Jahrhunderts hin vollendet worden ist, diese auf eine an der damaligen Naturwissenschaft geschulten empirischen Grundlage gestellt und damit zu einer objektiven Wissenschaft erhoben.2 Daneben haben sich aber die philosophischen

1 Rebell, Walter: Psychologisches Grundwissen für Theologen. Ein Handbuch, München 1988. Das scheint bis in die jüngste im Jahr 2008 erschienene Auflage so geblieben zu sein, obwohl die Liturgiewissenschaft seit der 1. Auflage im Jahr 1988 einen enormen Aufschwung erfahren hat. Es finden sich zwei Beiträge in Handbüchern: Haustein, Manfred: Gottesdienst und Seelsorge, in: Handbuch der Liturgik. Liturgiewissenschaft in Theologie und Praxis der Kirche, Göttingen 3 2003, 655–663, und Bieritz, Karl-Heinrich: Seelsorge in Gottesdienst, Predigt und Amtshandlungen, in: Handbuch der Seelsorge, Berlin 41990, 213–231. 2 Zur Geschichte der Psychologie vgl. Schönpflug, Wolfgang: Geschichte und Systematik der Psychologie, Weinheim 32013, bes. 241 ff.

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und theologischen Theorien der Seelenkunde, aus denen sich die akademische Disziplin der Psychologie entwickelt hat, noch länger gehalten.3 Konnte in den 1920er und 1930er Jahren daher auch in der Theologie noch relativ unbefangen psychologisiert werden, so wird diesem Vorgehen mit dem Aufkommen der dialektischen Theologie eine Absage erteilt.4 Psychologische Deutungsmuster finden sich auf den Gottesdienst bezogen dann nur noch als durchgehender Faden ab den 1920er Jahren in der Berneuchener Bewegung auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Erst mit dem nachlassenden Einfluss der dialektischen Theologie und der empirischen Wende in der Praktischen Theologie haben psychologische Überlegungen eine neue Wertigkeit für die Liturgik gewonnen. Dass gerade in der Berneuchener Bewegung psychologische Deutungsmuster eine Rolle gespielt haben, kommt nicht von ungefähr. Einer der Gründungsväter der Berneuchener Bewegung, Wilhelm Stählin, war selbst ein Pionier der Religionspsychologie in Deutschland.5 Aber auch andere Berneuchener standen der Psychologie nahe, wie z. B. Alfred Dedo Müller oder Walter Uhsadel. Das große Interesse an Meditation und Psychagogik führte zu einem Gespräch mit Carl Gustav Jung, der aufgrund seiner Archetypenlehre und seines Symbolbegriffs theologisch leichter zu integrieren war als Sigmund Freud. Gerade der Symbolbegriff spielte auch bei den Berneuchener nicht zuletzt bei Wilhelm Stählin eine tragende Rolle.6 Tiefenpsychologische Theorien – vor allem die Theorien Sigmund Freuds und Carl Gustav Jungs – erwiesen sich in besonderer Weise anschlussfähig an die Diskurse der Praktischen Theologie, da sie – genauso wie diese – hermeneutisch fundierte Theorien sind, die Symbolsysteme decodieren. Eine entsprechende tiefenpsychologische Begrifflichkeit drang jedenfalls schnell und tief in die Poimenik ein und erlangte alsbald einen dominierenden Status. Die

3 Von der Jahrhundertwende bis zum Zweiten Weltkrieg befand sich die deutsche akademische Psychologie noch im Aufbau. Bis in diese Zeit hinein war es unbeschadet möglich, dass auch solche Fakultäten, aus denen das Fach der Psychologie hervorging, einen Beitrag zur allgemeinen Psychologie liefern konnten. Bis zur Ausbildung einer eigenen Disziplin war es gang und gäbe, dass Philosophen und Theologen über psychologische Phänomene Vorlesungen hielten. Nicht wenige Psychologen waren entweder Philosophen oder Mediziner. Die Seelenkunde der Philosophen und Theologen wurde durch die Nervenheilkunde der Mediziner auf empirische und damit naturwissenschaftlich nachvollziehbare Beine gestellt. Die ersten Psychotherapheuten wie Freud, Jung oder Adler waren von ihrer Profession her ursprünglich Mediziner gewesen. Die spekulativen – um nicht zu sagen – esoterischen Elemente, wie z. B. bei Jung, waren in der Zeit von der Jahrhundertwende bis zum Zweiten Weltkrieg anzutreffen und wurden dann allmählich von der Theoriebildung ausgeschieden. Allerdings machten diese spekulativen Elemente die Psychologie anschlussfähig an die Theologie. 4 Eine Ausnahme war Otto Haendler, der eine psychotherapeutische Ausbildung absolviert hatte und tiefenpsychologische Erkenntnisse auf die Predigt anwandte. 5 Stählin promovierte bei dem Würzburger Philosophen und Psychologen Oswald Külpe, begründete im Jahr 1914 die Gesellschaft für Religionspsychologie und gab einige Jahre das Archiv für Religionspsychologie heraus. 6 Vgl. dazu: Lessing, Eckhard: Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Theologie von Albrecht Ritschl bis zur Gegenwart, Bd. 2: 1918 bis 1945, Göttingen 2004, 389 f.

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Rezeption tiefenpsychologischer Ansätze konnte dabei einen Beitrag leisten, eingefahrene Deutungsmuster der Frömmigkeit zu überholen.7 Hier ist freilich ein Konfliktpotential begründet, das auch den Gottesdienst betrifft, da Liturgie in ihren Handlungen und Texten verdichtete Frömmigkeit ist.

2. Die Rezeption psychologischer Modelle in der evangelischen Liturgiewissenschaft Im Folgenden werden tiefenpsychologische, persönlichkeitspsychologische, sozialpsychologische, motivationspsychologische und wirkungspsychologische Ansätze unterschieden. Die meisten dieser Ansätze haben sowohl individuelllebensgeschichtliche (entwicklungspsychologische und persönlichkeitspsychologische) als auch soziale (sozialpsyschologische) Aspekte, da sich beides gegenseitig bedingt, wechselseitig voraussetzt und beeinflusst. Alle diese Ansätze sind sich aber darin einig, dass sie zu ergründen versuchen, warum sich Menschen wie verhalten. 2.1 Tiefenpsychologische Ansätze 2.1.1 Insofern Gottesdienst immer auch Ort der Übung und Einübung von Sozialformen, von Verhalten und von Sprachformen ist, ist er auch psychologisch von Bedeutung. Dass dem so ist, liegt wiederum daran, dass der Gottesdienst als ein Ritual verstanden werden kann.8 Der Gottesdienst als Ort der Übung und Einübung von Verhalten hat damit aber auch Anteil an der dem Ritual eigenen Ambivalenz: Sosehr ein Ritual auf der einen Seite als Zugewinn erfahren werden kann, sosehr kann es auch in Einschränkung umschlagen. Einerseits wird dem Gottesdienst die Bearbeitung psychologischer Probleme durch das Ritual (und durch die Predigt als Bestandteil) des Gottesdienstes zugetraut, andererseits steht das Ritual des Gottesdienstes selbst unter dem Verdacht, psychologische Probleme, wenn nicht auszulösen, so zumindest doch

7 Diese Rezeption hat nicht zuletzt auch einen wichtigen Beitrag zur Professionalisierung der Seelsorge geleistet. Allerdings hat die fast rückhaltlose Hingabe an tiefenpsychologische Theorien andere psychologische Ansätze verdeckt und ihre Wirkung beschränkt. Erst in jüngerer Zeit hat es an dieser Stelle Aufbrüche gegeben, vgl. Karle, Isolde: Seelsorge in der Moderne. Eine Kritik der psychoanalytisch orientierten Seelsorgelehre, Neukirchen-Vluyn 1996. 8 Vgl. dazu neuerdings und umfassend: Graupner, Richard: Der Gottesdienst als Ritual. Entdeckung, Kritik und Neukonzeption des Ritualbegriffs in der evangelischen Liturgik (EKGP 5), Göttingen 2019 und Neijenuis, Jörg: Liturgik (Kompendium Praktische Theologie Bd. 5), Stuttgart 2020, 111–115. Für unsere Ausführungen legen wir ein vergleichsweise einfaches Ritualverständnis zugrunde, das dem durch den Freudschen Dreischritt implizierten Ritualbegriff entspricht. Zu dieser Zeit konnte von Einsichten der Ritual Studies noch keine Rede sein.

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zu verstärken. Insbesondere die tiefenpsychologisch beeinflusste Seelsorgebewegung der 1960er und 1970er Jahre hat sich die Freudsche Kritik an der Zwangshandlung zu eigen gemacht. Der dabei vorgebrachte Vorwurf regressiver Tendenzen wird aber auch vor dem Hintergrund des damaligen Diskurses verstanden werden müssen. Nur mühsam konnte sich die Liturgie von den gegen sie ins Feld geführten Verdächtigungen befreien, was beispielsweise an dem Umschwung Joachim Scharfenbergs in seinem Vergleich zwischen Gottesdienst und seelsorgerlicher Gesprächsführung abgelesen werden kann. Konnte Scharfenberg noch 1972 gegen eine autoritär missbrauchte seelsorgerliche Gesprächsführung polemisieren, die er mit einer Erinnerung an Eduard Thurneysen als „liturgisch“ bezeichnete, weil ein solches Gespräch einer religiösen „Begehung“ gleicht, „um etwas Vorgegebenes, an der Vergangenheit Orientiertes, Bekanntes und Verfügbares ‚auszurichten‘“9, war nun Mitte der 1980er Jahre bei ihm zu lesen, dass sich die Struktur des Gottesdienstes bei genauerem Zusehen als so etwas wie ein geheimes Curriculum herausstellt, welche als „die geheime Agenda und Geschäftsordnung eines seelsorgerlichen Gesprächs“ angesehen werden kann.10 Schon zuvor konnte Manfred Seitz – mit Helmut Tacke – vom Schutzbereich des Gottesdienstes bzw. vom Schutzbereich des Namens Jesu sprechen, in dem „auf der vertikalen Ebene das Gebet und auf der horizontalen Ebene das Seelsorgegespräch miteinander“ korrespondieren: „beide als Formen wiederhergestellter, geheilter und daher heilender Menschensprache.“11 Gerade diese letzte Aussage weist darauf hin, dass die Aufnahme von psychologischem Gedankengut, nicht allein der Erhellung von menschlichem Verhalten dienen soll. Damit verbindet sich mindestens auch die Annahme einer Wirkung auf den Menschen, die dann aber nicht länger nur auf der Ebene der psychologischen Theorie verbleibt, sondern auf die Ebene der Therapie wechselt. Dabei wird genau darauf zu achten sein, von welcher Art diese Wirkung ist oder sein soll. 2.1.2 Einer der ersten, der das tiefenpsychologische und (psycho-)therapeutische Schema von Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten auf den Gottesdienst übertragen hat, war Yorick Spiegel.12 Dabei muss die Signatur der Zeit beachtet werden, in der Spiegel diese Übertragung vornimmt. Zum einen waren die 1970er Jahre dem traditionellen liturgischen Gottesdienst nicht wohlgesonnen. Experimente mit ‚Gottesdiensten in neuer Gestalt‘ sollten die Krise des Gottesdienstes beheben helfen. Zum anderen verzeichnete die Rezeption (tiefen-)psychologischer Theorien in der Theologie einen Aufschwung, der vor allem der Seelsorge(lehre) zugutekam, dafür aber den tradierten Gottesdienst

9 Scharfenberg, Joachim: Seelsorge als Gespräch. Zur Theorie und Praxis der seelsorgerlichen Gesprächsführung, Göttingen 1972, 15 u. 19. 10 Vgl. Scharfenberg, Joachim: Einführung in die Pastoralpsychologie, Göttingen 1985, 101. 11 Seitz, Manfred: Ist der Gottesdienst die Mitte der Seelsorge?, in: ders.: Praxis des Glaubens. Gottesdienst, Seelsorge und Spititualität, Göttingen 1978, 64–72, hier :71 f. 12 Spiegel, Yorick: Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten. Therapeutisches Modell und neuer Gottesdienst, in: ders. (Hrsg.): Erinnern – Wiederholen – Durcharbeiten. Zur Sozialpsychologie des Gottesdienstes, Stuttgart 1972, 9–33.

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mit seinen Ritualen und Kommunikationsformen unter Verdacht geraten ließ. Die Zeichen der Zeit standen auf der seelsorgerlichen Arbeit mit einzelnen oder in der Gruppe, in der dialogisch die identifizierten Probleme bearbeitet werden konnten. Selbst der Religionsunterricht schien dafür geeigneter zu sein als der tradierte Gottesdienst, jedenfalls ließ sich dort leichter vom problemorientierten zum seelsorgerlichen Unterricht wechseln.13 Das liturgische Ritual des tradierten Gottesdienstes schien dagegen resistent zu sein. In der Sichtweise Spiegels ist eine solche Übertragung tiefenpsychologischer Schemata auf den Gottesdienst dadurch erlaubt, dass sowohl die zwanghafte Wiederholung eines Neurotikers als auch gewisse Aspekte des Gottesdienstes auf ritualisierten Verhaltensmustern beruhen.14 Im Gegensatz aber zur therapeutischen Situation, in welcher der Wiederholungszwang genutzt werden kann, um zur Heilung beizutragen,15 führt die Wiederholung des Gottesdienstes dazu, „daß der Gottesdienstbesucher immer neurotischer reagiert.“16 Für Spiegel, der den Gottesdienst auf die Welt beziehen will, besteht das neurotisch zwanghafte des gottesdienstlichen Rituals gerade darin, „das Individuum von der gesellschaftlichen Realität abzuschneiden“, weshalb die an diesem Punkt ansetzende Reform darauf aus sein muss, Wiederholung in Erinnerung zu verwandeln.17 Allerdings steht dem, nach Spiegel, die bisherige traditionelle Gestalt der Gottesdienste entgegen, die den Gottesdienstbesucher in eine passiv-responsive Haltung versetzen und gerade dadurch verhindern, dass er sich ausagieren kann.18 Spiegel kritisiert diese autoritär herbeigeführte Regression, die im Verhältnis von Liturgen und den zu schweigender Passivität verurteilten Besuchern das Verhältnis zwischen einem Vater und seinen irrenden, der Belehrung bedürftigen Kindern wiederholt.19 Es entspricht sowohl dem Tenor der Zeit, wenn Spiegel die einzig mögliche Form nicht autoritär herbeigeführter Regression im Spiel sieht,20 als auch, dass für ihn Regression nicht darin bestehen kann, sich im Gottesdienst „von den gesellschaftlichen Belastungen zu ‚erholen‘“, sondern das wahre Leben „modellhaft für die Gestaltung der Gesellschaft“ nachzuspielen.21 Im gottesdienstlichen Spiel sind dann auch Momente des Ausagierens enthalten, die für den Spielenden eine kathartische Funktion haben, durch die Wiederholung nicht nur Entlastung und Erholung bedeutet, sondern sich in Erinnern

13 Vgl. Bockwoldt, Gerd: Religionspädagogik. Eine Problemgeschichte, Stuttgart 1977, 93 ff. u. 109 ff. 14 Vgl. Spiegel, Yorick: Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten (wie Anm. 12), 9. 15 Vgl. ebd., 15. 16 Ebd., 17. 17 Vgl. ebd., 17 f. 18 Vgl. ebd., 18. 19 Vgl. ebd., 20. 20 Vgl. ebd., 21. Dieses Urteil legt sich durch die in dieser Zeit erschienenen Publikationen nahe, vgl. dazu Klie, Thomas: Zeichen und Spiel. Semiotische und spieltheoretische Rekonstruktion der Pastoraltheologie (PThK 11), Gütersloh 2003, bes. 21 ff. 21 Vgl. Spiegel, Yorick: Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten (wie Anm. 12), 21.

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wandelt.22 Daher kann Spiegel durchaus anerkennen, dass in den traditionellen Gottesdiensten nicht nur eine autoritäre Kommunikation vorherrscht. Es ist auch wahr, dass der Pfarrer zugleich stellvertretend für die versammelte Gemeinde agiert und damit in eine dem Therapeuten ähnliche Rolle gerät, der – wie dieser – nur das Wort hat.23 Letztlich ist es also das Wort, das dem Gottesdienstbesucher, der im Gottesdienst einen herrschaftsfreien Raum vorfindet, in dem er sich ausagieren kann, hilft, „im Prozeß des individuellen und gruppendyna­ mischen Durcharbeitens“ Wiederholen in Erinnern zu verwandeln.24 Auch für den vor allem durch seine Arbeiten zur beratenden Seelsorge bekannt gewordene Hans-Joachim Thilo stellt der therapeutische Dreischritt von Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten ein wichtiges Moment seiner Überlegungen zur therapeutischen Funktion des Gottesdienstes dar.25 Er liegt seiner Meinung nach als Aufbauprinzip religiösen Ritualen zugrunde und hat damit „grundlegend – wenn auch wohl unbewußt – den liturgischen Meßkanon der Kirche geformt“.26 Thilo bewertet den Begriff der Regression allerdings – anders als Spiegel – positiv: Während der Christenmensch unter der Woche den Wechselfällen des Lebens ausgesetzt ist, kann er sich im Gottesdienst „dem Vertrauten, dem Gewohnten ohne Gefahr hingeben.“ Die so im Gottesdienst gewährte Recreatio „schließt ein Stück positive Regression ein.“27 Dieser Sicht kann sich Michael Meyer-Blanck anschließen.28 Er sieht den Dreischritt von Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten insbesondere im zweiten Teil des Gottesdienstes, also in „Verkündigung und Bekenntnis“, verwirklicht, da hier die Schwerpunktverlagerung auf „Wort, Handeln und Wirklichkeit“ zur „Be-Handlung, Be-Arbeitung, Durch-Arbeitung von Wirklichkeit“ Anlass gibt.29 2.1.3 Die jeweils andere gesellschaftliche Konstellation sowie eine anders geartete Schätzung der Liturgie bedingen die unterschiedliche Rezeption der psychoanalytischen Theorie Freuds bei Spiegel, Thilo und Meyer-Blanck, was u. a. an der negativen bzw. positiven Füllung des Begriffs der Regression festgemacht werden kann: Während bei Spiegel der traditionelle Gottesdienst den Gottesdienstteilnehmer durch das eingeübte Ritual eine quasi-neurotische Haltung 22 Vgl. ebd., 23. 23 Vgl. ebd., 23–25. Spiegel verlässt dann allerdings anschließend für einen Moment die rein liturgische Ebene, wenn er die gemeindlichen Widerstände bei der Einführung von „Gottesdiensten in neuer Gestalt“ unter dem Aspekt des Durcharbeitens verhandelt (vgl. 26–29). 24 Vgl. ebd., 33. 25 Thilo, Hans-Joachim: Die therapeutische Funktion des Gottesdienstes, Kassel 1985. 26 Vgl. ebd., 22. 27 Ebd., 42. 28 Meyer-Blanck, Michael: Die Inszenierung des Evangeliums. Ein kurzer Gang durch den Sonntagsgottesdienst nach der Erneuerten Agende, Göttingen 1997, 20; Meyer-Blanck merkt an dieser Stelle auch an, dass nicht nur der einzelne Gottesdienst, sondern das ganze Kirchenjahr als therapeutischer Prozess zu verstehen sei, „als ‚Psychodrama‘, durch welches der Mensch unbewußte Phänomene besser verstehen und gegebenenfalls ausagieren kann, um so Heilung zu finden.“ 29 Vgl. ebd., 76 f.

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aufzwingt und ihn damit in ein längst überwundenes Stadium der Unmündigkeit hineindrängt, gewährt derselbe Gottesdienst nach Thilo und Meyer-Blanck dem Teilnehmer die Möglichkeit zum notwendigen Rückzug angesichts der ihn bedrängenden Probleme.30 Durch die verwendeten psychoanalytischen Denkstrukturen und Begriffe soll nicht allein das menschliche Handeln im Gottesdienst verständlicher gemacht werden, darüber hinaus kann, insofern immer ein Handeln Gottes am Menschen bereits vorausgesetzt ist, dieses Handeln Gottes am Menschen erhellt werden. Nach Meyer-Blanck wird gerade die im Gottesdienst geschehende „Setzung einer anderen Wirklichkeit“ durch den Freudschen Dreischritt erhellt. In Analogie zu Freud versteht er den Gottesdienst als „Zwischenreich“, „zwischen dem erinnerten und dem verheißenen Heilsgeschehen, zwischen der Alltagswirklichkeit und der himmlischen Wirklichkeit, zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln der Menschen.“31 Mit anderen Worten: als inszenierte Verheißung wird im Gottesdienst Wirklichkeit nicht nur behauptet, sondern gesetzt.32 Die therapeutische Wirkung bestünde dann darin – und Spiegel, Thilo und Meyer-Blanck stimmen hier überein –, dass der Gottesdienst Formen bereitstellt, die dem spielerischen Ausagieren und dem Durcharbeiten von äußeren und inneren Konflikten dienen und damit eine kathartische heilende Wirkung haben.33 Besonders der mit dem Begriff der ‚Erinnerung‘ verknüpfte Rückbezug auf die christliche Tradition soll das dafür notwendige Potential besitzen. Denn nur – so Spiegel – „wenn gottesdienstliches Spiel eine solche kathartische Funktion erreicht, bleibt Wiederholung nicht nur Entlastung und Erholung, sondern wandelt sich zum Erinnern.“34 Erinnern aber „setzt die kritischen Tendenzen frei, die in der christlichen Tradition verborgen und verdrängt worden sind.“35 Meyer-Blanck sieht dies vor allem in der Wiederholung gegeben, die durch die Erinnerung angestoßen wird, also in jenen gottesdienstlichen Formen, die das Heilsgeschehen vergegenwärtigen. Diese Anamnese besteht aus drei Komponenten: „die Gemeinde erinnert sich an Gottes Taten“; „die Gemeinde erinnert Gott an sein bisheriges Handeln“; „die Gemeinde erinnert das heilige Geschehen als Gegenwärtig-Setzen.“ Gerade das erste Verständnis der Anamnese kommt in den Schriftlesungen und durch die Schriftauslegung zum Tragen.36 Damit der kathartische Prozess in Gang kommen kann, sollen mehrere Texte gelesen werden, „die den Wiederholungszwang des Menschen zum Sündigen

30 Vgl. Klessmann, Michael: Seelsorge. Begleitung, Begegnung, Lebensdeutung im Horizont des christlichen Glaubens. Ein Lehrbuch, Neukirchen-Vluyn 2009, 318–326, v. a. 322 f. 31 Meyer-Blanck, Michael: Die Inszenierung des Evangeliums (wie Anm. 28), 80. 32 Vgl. ebd. 33 Vgl. Spiegel, Yorick: Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten (wie Anm. 12), 21 und MeyerBlanck, Michael: Die Inszenierung des Evangeliums (wie Anm. 28), 85–91. 34 Spiegel, Yorick: Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten (wie Anm. 12), 23. 35 Ebd., 32. 36 Vgl. Meyer-Blanck, Michael: Die Inszenierung des Evangeliums (wie Anm. 28), 81–85.

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aus unterschiedlicher Perspektive beleuchten.“ Dabei rekurriert Meyer-Blanck auf Variante B1 der Erneuerten Agende, in der der Wiederholungszwang des Menschen dreifach entfaltet wird: „Vor Jesus (AT), mit Jesus (Evangelium), nach Jesus (Epistel).“37 Notwendig muss aber in der Durcharbeitung die Reflexion auf das Bewußtmachen und Vergegenwärtigen hinzutreten. Wie der Patient erst dann aus dem Zwang der Wiederholung befreit werden kann, wenn er die Wiederholung als Wiederholung erkennt, er also ein reflexives Verhältnis dazu gewinnt, genauso ist auch das spezifisch protestantische Verhältnis zum Ritual ein durch die Reflexion gebrochenes und damit modernes. Erst dann aber, wenn nicht nur erinnert und wiederholt wird, was der Mensch vor Gott ist, sondern das Erinnern und Wiederholen als Erinnern und Wiederholen erkannt wird, kann im Gottesdienst von „Durcharbeiten“ gesprochen werden. Andererseits aber wäre es ein Irrweg, würde der Gottesdienst nur reflexiv verstanden, denn „die Feier der Nähe Gottes bedeutet eine Realität, die die Reflexionsfähigkeit des Menschen außer Kraft setzt“.38 2.1.4 So erhellend und weiterführend die Übertragung des therapeutischen Dreischritts von Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten auf den traditionsorientierten Gottesdienst auch ist – ob er auch für andere Gottesdiensttypen möglich und sinnvoll ist, müsste eigens erörtert werden –,39 so müsste doch kritisch hinterfragt werden, ob es sich dabei tatsächlich um mehr als nur um eine Übertragung, also um eine Metapher handelt. Dabei soll nicht das „wirklichkeitserschließende“, sondern das „wirklichkeitsschaffende“ Potential dieser Metapher infrage gestellt werden: Gibt es eine solche „therapeutische“ Wirkung des Gottesdienstes tatsächlich, oder wird sie lediglich auf der Ebene liturgiewissenschaftlicher Theoriebildung behauptet, ohne sagen zu können, was genau denn am Ritual des Gottesdienstes und vor allem in welcher Weise ‚therapeutisch‘ wirkt. Die Trunkierung des Begriffs des Therapeutischen wirft also die Frage auf, wie streng man ihn eigentlich nehmen möchte. Die sehr weitreichenden Schlussfolgerungen, die aufgrund seiner Anwendung auf das gottesdienstliche Geschehen gezogen werden, weisen jedenfalls darauf hin, dass er von den Autoren sehr streng genommen wird, vielleicht zu streng, wodurch es zu einer Diskrepanz zwischen der Erwartung, die man für gewöhnlich an eine Therapie stellt, und ihrer Gestaltwerdung im Gottesdienst, kommt. Gerade diese Erwartung macht deutlich, dass er so streng wohl doch nicht genommen werden kann, wie er zumindest vorgeblich genommen wird. Die Übertragung einer bestimmten Begrifflichkeit auf den Gottesdienst führt immer auch bestimmte Anschauungen mit sich; und bei einem so mächtigen Begriff wie dem der Therapie geht es beispielsweise um das Verständnis und das Verhältnis von 37 Ebd., 88 f. 38 Ebd., 91–93. 39 Es würde an dieser Stelle zu weit führen, auf besondere Gottesdienstformen einzugehen, die eine solche heilende oder heilsame Wirkung für sich reklamieren, ohne freilich eine Garantie für den Heilerfolg abgeben zu wollen. Man denke nur an die seit den 1980er Jahren heimisch gewordenen Segnungs- und Salbungsgottesdiensten.

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Krankheit und Gesundheit, ganz zu schweigen von den Rollen von Therapeuten und Klient. Die Liturgik muss an dieser Stelle nicht nur wissen, was sie tut, sie muss sich zuallererst den damit aufgeworfenen Fragen selbst stellen, wie der Frage nach dem Zusammenhang von dem im Gottesdienst dargestellten oder vermittelten Heil und einer angenommenen oder erwarteten Heilung.40 Aber vorausgesetzt, dass es eine solche therapeutische Wirkung tatsächlich gibt, dann wird man berücksichtigen müssen, ob der Aufbau des Gottesdienstes selbst unter psychologischen Prinzipien erfolgt ist, ob also die therapeutische Wirkung schon in der Gestalt des Gottesdienstes als Ganzem oder wenigstens einzelnen liturgischen Elementen zu finden ist,41 ob sie im Mitvollzug bestimmter Formen besteht, also beispielsweise in körperlichen Verhaltensweisen (z. B. Salbung, Handauflegung, usw.), im Mitsprechen von Gebeten oder im Hören von Texten, ob die gottesdienstliche Gemeinschaft dafür ausschlaggebend ist, oder ob es an der – geglaubten oder gespürten – Anwesenheit Gottes liegt? Einer psychologischen Gottesdienstforschung müsste daran gelegen sein, diese Zusammenhänge zu erhellen. 2.2 Persönlichkeitspsychologische Ansätze 2.2.1 Auch die seit Anfang der 1970er Jahre erfolgte empirische Hinwendung zu den Gottesdienstbesuchern enthält implizit eine psychologische Fragestellung, auch wenn die vorliegenden Umfragen dem ersten Anschein nach eher auf ein soziologisch kategorisierbares Sozialverhalten abheben und nicht auf eine psychische Disposition bei den Gottesdienstbesuchern, obwohl diese auch dort eine eminente Rolle spielen.42 Dabei ist die Frage von Interesse, ob und wie beides in einem Zusammenhang miteinander steht: Was sind das für Menschen, die einen Gottesdienst besuchen? Welche Persönlichkeiten bevorzugen einen agenda­ rischen Gottesdienst und welche alternative Gottesdienstformen? Kann man in Analogie zu einer in Milieus und Lebensstilen ausdifferenzierten Gesellschaft von einer Persönlichkeitstypologie sprechen, für die es je nach Persönlichkeitstyp einen entsprechenden Gottesdienst gibt? Welchem Persönlichkeitstyp entspricht beispielsweise eine Taizé-Andacht und welchem ein Lobpreisgottesdienst? Diese letzte Fragestellung hat auch eine entwicklungspsychologische Seite. Der Mitvollzug eines Gottesdienstes setzt eine gewisse kognitive und emotionale Reifung voraus. Nicht umsonst haben sich Gottesdienstformate herausgebildet, die auf die verschiedenen Lebensalter und den damit verbundenen

40 Wie dies auf dem 25. Liturgiewissenschaftlichen Fachgespräch in Leipzig im März 2023 geschehen ist. 41 Vgl. dazu z. B. Haustein, Walter: Gottesdienst und Seelsorge (wie Anm. 1), 655. Haustein nennt als Grund für diese therapeutische Wirkung die „empfängliche und mitvollziehende Partizipation“ und v. a. „Regression“, sowie später „Integration, Expression, Strukturierung“. Alle diese Funktionen verbindet Haustein dann mit liturgischen Elementen. 42 Wir werden unten auf sie zu sprechen kommen.

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Anforderungen und Herausforderungen in je besonderer Weise eingehen. Das betrifft nicht zuletzt auch die Frage nach der Inklusion.43 Ein von der Tiefenpsychologie herkommender persönlichkeitspsycholo­ gischer Ansatz, der in der Praktischen Theologie rezipiert worden ist, ist der des Tiefenpsychologen Fritz Riemann.44 Riemann unterscheidet „vier Grundformen der Angst“45, aus denen er „vier Persönlichkeitsstrukturen“ ableitet, als „vier Arten des In-der-Welt-Seins“46. Jeder Grundangst entspricht ein Persönlichkeitstyp: Dem schizoiden Persönlichkeitstyp die Angst vor Selbsthingabe,47 dem depressiven Persönlichkeitstyp die Angst vor Selbstwerdung,48 dem zwanghaften Persönlichkeitstyp die Angst vor Wandlung,49 dem hysterischen Persönlichkeitstyp die Angst vor Notwendigkeit.50 Jeweils zwei Ängste und Persönlichkeitstypen liegen auf entgegengesetzten Polen, sind also entgegengesetzte Strebungen. 2.2.2 Riemann selbst hat seine Persönlichkeitstypologie auf die Predigerpersönlichkeit übertragen,51 der freilich dann immer auch eine Hörerpersönlichkeit korrespondiert.52 Dabei wird deutlich, dass die Persönlichkeit des Predigers eminenten Einfluss auf Inhalt und Stil der Predigt hat und in seiner Wirkung immer nur einen Teil des Publikums anzusprechen vermag. Dies ist insofern von Belang, als die Predigt als das eigentliche Zentrum des Gottesdienstes angesehen wird, und dementsprechend die Predigt nicht nur über die Qualität des gesamten Gottesdienstes, sondern auch über den Kirchengang selbst entscheidet. Der Prediger mit einer überwiegend schizoiden Persönlichkeitsstruktur fördert „Kritik und Eigenständigkeit des Denkens, furchtlose Erkenntnis ohne Rücksicht auf Traditionen“53. Der Prediger mit einer überwiegend depressiven Persönlichkeitsstruktur „ist oft der geborene Seelsorger, einfühlend, mitleidig, hilfsbereit, tröstend und aufrichtend“54. Der Prediger mit einer überwiegend zwanghaften Persönlichkeitsstruktur „neigt … dazu, sich als Hüter

43 Vgl. dazu u. a. Bindseil, Christiane: Inklusiver Gottesdienst. Theorie und Praxis am Beispiel eines Heidelberger Projektes, in: Eurich, Johannes / Lob-Hüdepohl, Andreas (Hg.): Inklusive Kirche, Stuttgart 2011, 199–206; Peters, Frank: Inklusiv feiern. Anreizung zu einem partizipativen Gottesdienst, in: Geiger, Michaela / Stracke-Bartholmai, Matthias (Hg.): Inklusion denken. Theologisch, biblisch, ökumenisch, praktisch, Stuttgart 2018, 279–291; Jager, Cornelia: Gottesdienst ohne Stufen. Ort der Begegnung für Menschen mit und ohne geistige Behinderung, Stuttgart 2018; 44 Riemann, Fritz: Grundformen der Angst. Eine tiefenpsychologische Srudie, München 1986 (1. Auflage 1961). 45 Vgl. ebd., 15. 46 Vgl. ebd., 17 f. 47 Vgl. ebd., 20. 48 Vgl. ebd., 59. 49 Vgl. ebd., 105. 50 Vgl. ebd., 156. 51 Riemann, Fritz: Die Persönlichkeit des Predigers aus tiefenpsychologischer Sicht, in: ­R ichard Riess (Hg.): Perspektiven der Pastoralpsychologie, Göttingen 1974, 152–166. 52 Vgl. ebd., 153. 53 Ebd., 155. 54 Ebd., 157.

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der Tradition zu sehen.“55 Der Prediger mit einer überwiegend hysterischen Persönlichkeitsstruktur schließlich „kann in der Predigt mitreißen, begeistern, beschwingen und erheben“56. Für Riemann sind die vier von ihm herausgearbeiteten Persönlichkeitsstrukturen „vier Möglichkeiten religiösen Erlebens, vier Komponenten, die erst zusammen unser religiöses Erleben ausmachen und die mit unserer Existenz gegeben sind“57. 2.2.3 Helmut Liersch hat schließlich Riemanns Persönlichkeitstypologie auf den Gottesdienst übertragen.58 Liersch geht der Frage nach, „ob sich nicht die vier grundlegenden menschlichen Kommunikationsformen, wie Riemann sie aufzeigt, auch in der zentralen christlichen Kommunikation – dem Gottesdienst – niederschlagen.“59 Liersch verbindet dabei die vier von Manfred Josuttis60 herausgearbeiteten Grundpositionen des Gottesdienstes mit den vier von Riemann aufgezeigten Persönlichkeitstypen. Dem kultisch-liturgischen Gottesdienst, wie er in Agende I prototypische Gestalt gewonnen hat, eignet ein „Streben nach Dauer“ und wird dem zwanghaften Typ zugeordnet.61 Dennoch zielt hier eine Nebendominanz darauf, die Flexibilität der Ordnung aufzuzeigen und dem Wandel grundsätzlich aufgeschlossen zu sein.62 Der kerygmatische Gottesdienst zeichnet sich durch eine Trennung von Erkennen und Erleben aus und ist dem schizoiden Typ zuzurechnen.63 Trotz oder gerade wegen der Ablehnung alles Kultischen und der strikten Unterscheidung von Gott und Welt kann der kerygmatische auf die Predigt zentrierte Gottesdienst ungewöhnlich aufgeschlossen für die Welt sein, worin Liersch eine depressive Nebendominanz erkennt, die sich in der Würdigung politischer und kreativer Gottesdienste äußert.64 Der politische Gottesdienst zeichnet sich – im Gegensatz zum kerygmatischen Gottesdienst – durch eine „Nähe zum Anderen“ aus. „Hier kommt alles darauf an, das unbedingt Aufeinander-Gewiesensein von Gott und Mensch zu betonen.“65 Liersch sieht darin den depressiven Typ verwirklicht, dem auch eine „Neigung zum Meditativen“ entspricht.66 Der kreative Gottesdienst ist das Gegenstück zum kultisch-liturgischen Gottesdienst und gehört aufgrund seiner Betonung der „Freiheit für das Neue“ zum hysterischen Typ.67 55 Ebd., 160. 56 Ebd., 164. 57 Ebd., 165. 58 Liersch, Helmut: Der Gottesdienst und die vier tiefenpsychologischen Grundmuster, in: WPKG 66 (1977), 215–230. 59 Ebd., 215. 60 Vgl. Josuttis, Manfred: Das Ziel des Gottesdienstes. Aktion oder Feier?, in: ders.: Praxis des Evangeliums zwischen Politik und Religion, München 1974, 142–163. 61 Vgl. Liersch, Helmut: Der Gottesdienst und die vier tiefenpsychologischen Grundmuster (wie Anm. 57), 216–218. 62 Vgl. ebd., 218. 63 Vgl. ebd., 219–221. 64 Vgl. ebd., 220 f. 65 Ebd., 221. 66 Vgl. ebd., 221–223. 67 Vgl. ebd., 224–226.

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Diese Matrix ist nun nicht dazu geeignet einen Gottesdienst in der Mitte zu entwerfen, der allen vier Persönlichkeitstypen gerecht wird. Sie dient vielmehr dazu, Aspekte eines jeden Gottesdienstes im Bewusstsein zu halten, die in den vier Ausprägungen jeweils verstärkt in nur einem Gottesdienst zum Tragen kommen, in den anderen aber dennoch latent vorhanden ist.68 Die Matrix soll also der gegenseitigen Bereicherung dienen. Denn, sosehr es dem christlichen Glauben um den ganzen Menschen geht, wie Liersch herausstellt, sowenig dürfen von vornherein bestimmte Grundformen der menschlichen Kommunikation im Gottesdienst ausgeklammert werden.69 Als Konsequenz formuliert Liersch folgende Grundanforderungen an jeden Gottesdienst: „a) Durchschaubarer Ablauf, der es dem Gottesdienstteilnehmer ermöglicht, sich zu orientieren, zu konzentrieren und auf das einzustellen, was ihn erwartet (die zwanghafte Komponente). b) Entfaltungsmöglichkeiten für den Einzelnen; Erleben von Freiheit nicht nur im verkündigten Wort, sondern seelisch-leiblich im gottesdienstlichen Vollzug; Gottesdienst muß Spaß machen (die hysterische Komponente). c) Klar erkennbare Verkündigung, die durch Erzeugung kognitiver Dissonanzen Lernen ermöglicht; straffreie Rückzugsmöglichkeiten (die schizoide Komponente). d) Atmosphäre von Vertrauen und Gemeinschaft, Beteiligungsmöglichkeiten innerhalb des Gottesdienstes und Perspektiven für die Zeit zwischen den Gottesdiensten (die depressive Komponente).“70 Diese Grundanforderungen tragen selbstverständlich selbst die Signatur ihrer Zeit an sich und man wird daher 68 Vgl. ebd., 226–228. 69 Vgl. ebd., 229. 70 Ebd., 230.

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kritisch überprüfen müssen, ob sie heutigen Überlegungen standhalten können, gerade, weil sie Grundanforderungen an einen „jeden“ Gottesdienst sein wollen. Weil es nicht darum gehen kann, einen Einheitsgottesdienst zu konzipieren, können diese Grundanforderungen gar nicht anders als so verstanden werden, dass sie sich in jeder Gottesdienstform je anders realisieren. 2.2.4 Die aus der psychotherapeutischen Praxis gewonnene Persönlichkeitstypologie kann ihre Herkunft aus psychologisch-philosophischen Annahmen – z. B. aus der Temperamentenlehre, die wiederum aus der Humoralpathologie hervorging – nicht verleugnen. Was Riemann vorgelegt hat, ist im Grunde eine Phänomenologie fundamentaler Möglichkeiten des Menschseins. Es handelt sich also nicht ‚nur‘ um eine (tiefen-)psychologische Theorie, sondern um grundlegende Aussagen über das Verfasstsein des Menschen, das aufgrund einer lebensgeschichtlichen Prägung zu einem typischen Welt- und Selbstverhältnis führt. Als Phänomenologie beruht die Wahrheit dieser Theorie aber weniger auf objektiv nachvollziehbaren empirischen Erkenntnissen als vielmehr auf einer Evidenz durch Einsicht. In der Tat ist es ein Leichtes, sich in der einen oder anderen Beschreibung selbst wiederzuerkennen. Anders dagegen verfährt die Persönlichkeitsforschung des Kognitionspsychologen Hans Jürgen Eysenck,71 die zwar ebenfalls eine Ähnlichkeit mit der Temperamentenlehre erkennen lässt, aber im Gegensatz zur Persönlichkeitstypologie Riemanns auf empirisch nachweisbaren (z. B. mittels eines Fragebogens erhobenen) Faktoren beruht. Nach Eysenck lässt sich die Persönlichkeit eines Menschen dimensional zwischen den Polen Introversion – Extraversion72, Neurotizismus – Emotionale Stabilität sowie Psychotizismus – Impulskontrolle beschreiben. Es liegt nun keine liturgiewissenschaftliche Forschung zur Persönlichkeitspsychologie Eysencks vor. Interessant wäre freilich eine Korrelation der von Eysenck aufgestellten Dimensionen mit unterschiedlichen Gottesdienstformen. So könnte eine Arbeitshypothese lauten, dass meditative Gottesdienstformen vermutlich eher von introvertierten und diskursive Gottesdienstformen eher von extravertierten Menschen bevorzugt werden. 2.3 Sozialpsychologische Ansätze 2.3.1 In der Sozialpsychologie geht es um die umfassende sprachliche wie nichtsprachliche Interaktion zwischen Menschen nach dem Grundsatz, dass tatsächliche oder vorgestellte Gefühle, Handlungen oder Verhaltensweisen anderer Menschen die eigenen Gefühle, Handlungen oder Verhaltensweisen beeinflus 71 Vgl. dazu: Netter, Petra / Hennig, Jürgen: Biologische Persönlichkeitstheorien, in: Weber, Hannelore / R ammsayer, Thomas (Hg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie, Göttingen 2005, 71–80, hier: 71 f. und Angleitner, Alois / R iemann, Rainer: Eigenschaftstheoretische Ansätze, in: ebd., 93–103, hier: 97 f. Ein weiterführendes Modell ist das Fünf-Faktoren-Modell, auch Big Five-Modell genannt, vgl. ebd., 99 f. 72 Vgl. dazu im Speziellen: Rammsayer, Thomas: Extraversion, in: ebd., 257–265.

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sen.73 Gerade auch im Gottesdienst interagieren Menschen miteinander – und nicht nur in agendarisch ritualisierter Weise. Unter Rückgriff auf die Theorie der symbolischen Interaktion von George H. Mead und Erving Goffman untersucht Yorick Spiegel das Ritual im Ritual,74 wobei es sich – und das muss ausdrücklich betont werden – nur um einen Teilaspekt handelt. Die grundlegende Einsicht besteht darin, dass ein jegliches menschliche Verhalten im Grunde ein ritualisiertes, ein eingespieltes Verhalten ist. Sozialverhalten trägt Züge eines Schauspiels, bei dem sich die einzelnen Beteiligten in bestimmter Weise inszenieren und schon über diese Inszenierung miteinander kommunizieren. Denn die Form der Selbstinszenierung sagt etwas über das Selbst aus und verleiht diesem seine Identität. Alle Beteiligten nehmen außerdem bestimmte Rollen ein, die ihr Verhalten prägen. Wer zum Ensemble gehört und wer Publikum ist, ergibt sich aus der Situation und kann sich verändern und umkehren. Zwischen den Beteiligten gibt es ungeschriebene Regeln des Verhaltens, an die sich alle halten und die alle miteinander verbinden. Dennoch können Störungen auftreten, die das gesamte eingespielte System gefährden. Spiegel überträgt nun die Theorie der symbolischen Interaktion auf den Gottesdienst, der eine besondere Situation des Zusammenspiels zwischen Personen darstellt. Das Augenmerk liegt aber nicht auf der spezifisch liturgischen Interaktion zwischen den Gottesdienstbesuchern, dem Liturgen und Gott, sondern auf der „sprachlich nicht-offiziellen Interaktion, durch die eine Person ihre Identität als Gottesdienstbesucher und die Anerkennung der Regeln, die während eines Gottesdienstes herrschen, den anderen Besuchern mitteilt, von denen sie umgekehrt erwartet, daß sie sich als solche repräsentieren und ihrerseits die Regeln anerkennen.“75 Und all das kommt zum Vorschein „in der Haltung, den Bewegungen, der Gestik, dem Gesichtsausdruck, in der Kleidung und der gesamten Erscheinungsform, aber auch in den nicht-offiziellen Gesprächen vor, während und nach dem Gottesdienst.“76 2.3.2 Wenn wir die zeitgebundenen Beobachtungen Spiegels zu Beginn der 1970er Jahre außer Acht lassen,77 dann laufen seine Beobachtungen auf die Erkenntnis hinaus, dass ein inoffizielles Ritual neben dem offiziellen Ritual besteht, das aus diesem kulturgeschichtlich hervorgegangen und mit ihm verbunden ist. Das durch die Vorgaben der Agende erzeugte primäre Verhalten zwischen Gemeinde und Liturg setzt gewissermaßen ein sekundäres Verhalten aus sich heraus, das jenes bewahrt und langfristig überhaupt erst ermöglicht. Die Gefahr besteht dann allerdings darin, dass das sekundäre Verhalten zum ausschlaggebenden Faktor wird, um am primären Verhalten teilhaben zu können.

73 Vgl. die Definition von Gordon W. Allport, die zitiert wird in: Schmitt, Manfred / Gollwitzer, Mario: Sozialpsychologie kompakt, Weinheim 22019, 15. 74 Spiegel, Yorick: Der Gottesdienst unter dem Aspekt der symbolischen Interaktion, in: JLH 16 (1971), 105–119. 75 Ebd., 107. 76 Ebd. 77 Vgl. ebd., 108–113.

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Und genau das ist es, worauf Spiegel hinaus will. Denn seiner Meinung nach verlangt „die non-verbale Kommunikation eine solch hohe Anforderung an Einübung (…), daß sie nur durch sehr regelmäßigen Kirchgang erworben werden kann.“78 Dadurch aber wird es für den unregelmäßigen Gottesdienstbesucher schwierig (wenn nicht gar unmöglich) in einer für ihn zufriedenstellenden Weise am Gottesdienst teilzunehmen. Er weiß sich nicht zu verhalten, fällt deswegen unangenehm auf, fühlt sich unwohl und wird versuchen, solche Situation zukünftig zu vermeiden.79 Spiegel liefert damit eine sozialpsychologische Erklärung des Anfangs der 1970er Jahre mit Erschrecken festgestellten Rückgang des Gottesdienstbesuches, die freilich keine allumfassende oder alleinige Erklärung sein kann oder will; man wird vielmehr die Leistungskraft einer solchen Beobachtung immer kritisch zu hinterfragen haben. Interessant ist aber allemal die Einsicht, dass das sekundäre Ritual das Erleben des primären Rituals entweder fördert oder verhindert. Nur dann, wenn ich weiß, was ich zu tun habe, kann ich mich an das Ritual hingeben. Weiß ich es nicht, dann stehe ich in der Gefahr, aus dem Ritual geworfen zu werden und lediglich eine Beobachterrolle einzunehmen. Aus dieser Erkenntnis ließe sich die Konsequenz folgern, dass es Formen der Einübung in den Gottesdienst bedarf, um die Teilnahme an ihm zu einem gelingenden Erleben zu machen. 2.4 Motivationspsychologische Ansätze 2.4.1 Die kirchensoziologischen Untersuchungen zur Kirchenmitgliedschaft im Allgemeinen und zum Gottesdienst im Besonderen operieren implizit mit – im weitesten Sinne – motivationspsychologischen Theoremen. In Frage steht, was Menschen zu einem bestimmten Verhalten veranlasst – auf unsere Fragestellung bezogen: warum Menschen einen Gottesdienst besuchen oder auch nicht besuchen.80 Im Folgenden gehen wir auf lediglich zwei Dispositionen ein, auf welche kirchensoziologische Untersuchungen zum Gottesdienst rekurrieren: Einstellungen81 und Bedürfnisse. 2.4.2 Mit dem Begriff der Einstellung kommt weniger eine (tiefen-)psychologisch unbewusst wirkende Disposition der Befragten in den Blick als vielmehr die durch bewusst gemachte Erfahrungen gewonnene Bereitschaft, in einer bestimmten Weise auf einen Einstellungsgegenstand zu reagieren.82 Eine Ein-

78 Ebd., 108, vgl. auch 118. 79 Vgl. ebd., 112 und 118 f. 80 Vgl. dazu Schmitt, Clemens H. / Brunstein, Joachim C.: Motive, in: Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie (wie Anm. 70), 288–297. 81 Vgl. dazu schon: Neidhart, Walter: Psychologische Überlegungen zur Gestaltung von Gottesdiensten für die Gegenwart, in: ThPr 5 (1970), 233–245, hier: 238. 82 Vgl. Haddock, Geoffrey / Maio, Gregory R.: Einstellungen, in: Stroebe, Wolfgang / Jonas, Klaus / Hewstone, Miles (Hg.): Sozialpsychologie. Eine Einführung, Heidelberg 62014, 197–229.

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stellung setzt sich mithin aus drei Komponenten zusammen: aus einer affektiven Seite, aus einer kognitiven Seite und aus einem bestimmten Verhalten. Als ein frühes Beispiel einer auf Einstellungen rekurrierenden soziologischen Analyse des Teilnahmeverhaltens darf die VELKD -Studie Gottesdienst in einer rationalen Welt gelten, die im Jahr 1972 durchgeführt worden ist.83 In dieser Studie wird mit der Hypothese gearbeitet, dass die Bedeutung des Gottesdienstes weniger von seiner Gestaltung abhängt „als von der Situation der Menschen in der Gesellschaft und den sich daraus ergebenden Bewußtseinsproblemen.“84 Im Hintergrund steht dabei als erklärendes Modell die Theorie der kognitivaffektiven Konsistenz von Milton J. Rosenberg, die auf Leon Festinger zurückgeht.85 Das Teilnahmeverhalten am Gottesdienst resultiert entsprechend dieser Theorie aus der Diskrepanz zweier Wertesysteme: Es stehen sich auf der einen Seite das gesellschaftliche Wertesystem, in dessen Umfeld der Gottesdienst gefeiert wird und das maßgeblichen Einfluss auf die Einstellung zu Glaube, Kirche und Gottesdienst hat, und das kirchliche Wertesystem gegenüber.86 „Hohe Übereinstimmung zwischen individueller Wertorientierung und dem von Kirchenmitgliedern der Kirche zugeschriebenen Wertsystem, d. h. hohe ‚Wertinstrumentalität‘ von Kirche hat dieser Theorie entsprechend eher eine positive emotionale Beziehung zur Kirche zur Folge, woraus wiederum entsprechend größere Wahrscheinlichkeit für eine Teilnahme am Gottesdienst resultiert.“87 Dieser behauptete enge Zusammenhang zwischen Gottesdienstbesuch und Verbundenheit mit der Kirche hat nun freilich auch zur Folge, dass ein direkter Reformansatz beim Gottesdienst fehlgehen muss. Dieser muss vielmehr indirekt über die noch viel größere Aufgabe einer veränderten Haltung gegenüber der Kirche und dem, wofür sie steht und eintritt, erfolgen. Man wird freilich auch hier die zeitgeschichtlichen Umstände in Rechnung stellen müssen, vor deren Hintergrund diese erste großräumig angelegte empirische Erhebung zum Gottesdienst durchgeführt worden ist: Der traditionsorientierte Gottesdienst hat sich Ende der 1960er in einer Krise befunden, und eine Antwort auf diese Krise hatte in den zahlreichen Gottesdienstexperimenten bestanden, die unter dem Schlagwort der ‚Gottesdienste in neuer Gestalt‘ firmiert haben. Vor diesem Hintergrund erscheint die bereits zitierte 83 Gottesdienst in einer rationalen Welt. Religionssoziologische Untersuchungen im Bereich der VELKD, von Gerhard Schmidtchen in Verbindung mit dem Institut für Demoskopie Allensbach, mit einer Einführung und einem theologischen Nachwort von Manfred Seitz, Stuttgart 1973. 84 Ebd., 1. 85 Vgl. ebd., 9 u. 131 ff. Ob dieser Theorie-Rahmen überhaupt geeignet ist, um das anvisierte Problem adäquat zu erfassen, muss an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Er ist aber schon unmittelbar nach der erfolgten Studie kritisiert worden, vgl. dazu u. a.: Lukatis, Ingrid / Lukatis, Wolfgang: Überlegungen zur Erklärung des Gottesdienstbesuchs mit Hilfe sozialwissenschaftlicher Theorien. Alternative Theorieansätze und Auswertungsmodelle zur VELKD-Studie, in: Seitz, Manfred / Mohaupt, Lutz (Hg.): Gottesdienst und öffentliche Meinung. Kommentare und Untersuchungen zur Gottesdienstumfrage der VELKD, Stuttgart 1977, 47–63. 86 Vgl. Gottesdienst in einer rationalen Welt (wie Anm. 83), 9. 87 Lukatis, Ingrid / Lukatis, Wolfgang: Überlegungen zur Erklärung des Gottesdienstbesuchs mit Hilfe sozialwissenschaftlicher Theorien (wie Anm. 85), 47.

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Ausgangshypothese in einem anderen Licht. Demnach soll die konstatierte Krise des traditionsorientierten Gottesdienstes weniger aus seiner Gestaltung resultieren als vielmehr aus der gesellschaftlichen Umwelt, in der er gefeiert wird. Man gewinnt den Eindruck als solle die tradierte Gestalt des Gottesdienstes gegenüber allzu schneller Operationen an ebendieser Gestalt, wie es die ‚Gottesdienste in neuer Gestalt‘ versucht haben, geschützt werden. Zwar will die VELKD -Studie liturgische Reformen nicht ausschließen und plädiert daher für eine differenzierte Betrachtungsweise, in der auch das gottesdienstliche Experiment seinen Platz hat,88 letztlich überwiegt aber – zu Recht oder zu Unrecht sei hier dahingestellt – die Sorge, dass dem tradierten Gottesdienst durch eine Veränderung seiner Gestalt einige „psychisch sehr wichtige Komponenten“ verloren gehen könnten, „die den Gottesdienstbesuchern das Gefühl von Kontinuität geben, ein Heimatgefühl, das Gefühl, an einem altehrwürdigen Ritual teilzunehmen, in dem etwas anderes geschieht als in sonst üblichen Kommunikationszusammenhängen.“89 2.4.3 Wer von einem Bedürfnis spricht, der spricht sowohl von naturgegebenen als auch von kulturell angeeigneten Dispositionen, die untergründig aber wirkmächtig das menschliche Dasein bestimmen. Allerdings liegen die naturgegebenen Bedürfnisse auch den kulturell angeeigneten Bedürfnissen zu Grunde. Das vielleicht bekannteste Beispiel ist die von Abraham Maslow entwickelte Bedürfnishierarchie.90 Dabei bauen die von Maslow genannten Bedürfnisse hierarchisch aufeinander auf, d. h. erst dann, wenn ein Bedürfnis, das auf einer unteren Stufe liegt, befriedigt ist, kann ein Bedürfnis einer höheren Stufe überhaupt erst verhaltensbestimmend werden. In einer ganzheitlichen Sicht des Menschen ist die Befriedigung aller Bedürfnisse wichtig. Die von der Bayreuther Studie, einer qualitativen empirischen Untersuchung unter evangelischen Getauften in Bayern,91 zutage geförderten Ergebnisse sind zwar zunächst einmal soziologische Erkenntnisse, die aber einen sozialpsychologischen Unterbau haben, insofern die dabei herauskristallisierten Bedürfnisse Auswirkungen auf das Sozialverhalten von Menschen haben. Im Rahmen der Bayreuther Studie ist ‚Bedürfnis‘ als ein „subjektiv empfundener Mangelzustand verstanden“ worden, „der mit dem Bestreben nach Bedürfnisbefriedigung verbunden ist.“92 Der Gottesdienst als ein Ritual wird dabei als ein Weg der Bedürfnisbefriedigung angesehen.93 Aus der empirischen Untersuchung haben sich folgende Bedürfnisse herauskristallisiert: Lebensfreude94, Selbst 88 Vgl. Gottesdienst in einer rationalen Welt (wie Anm. 83), 147. 89 Ebd. 90 Vgl. Rammsayer, Thomas: Humanistische Persönlichkeitstheorien, in: Weber, Hannelore / ders. (Hg.): Handbuch der Persönlichkeitspsychologie und Differentuellen Psychologie, Göttingen 2005, 61–70, hier: 65 ff. 91 Martin, Jeannett: Mensch – Alltag – Gottesdienst. Bedürfnisse und Bedeutungszuschreibungen evangelisch Getaufter in Bayern, Berlin / Hamburg / Münster 2007. 92 Ebd., 37. 93 Vgl. ebd. 94 Ebd., 38–43.

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bestimmung95, Sinnvolles Leben96, Locality97, Selbstsorge98, Strukturierung und Orientierung99, Ästhetik100. Zunächst einmal dürfte es bemerkenswert sein, dass der Begriff des „Bedürfnisses“ in einem theologischen Zusammenhang in einer positiven Weise verwendet wird. Das ist alles andere als selbstverständlich, galten doch sonst die von Menschen geäußerten Bedürfnisse theologisch gesehen mindestens als bedenklich und mussten von den „wahren Bedürfnissen“ ihres geschöpflich unverfälschten Menschseins her korrigiert werden.101 Indem nun aber der Begriff des „Bedürfnisses“ aufgenommen wird, wird der Mensch als jemand ernst genommen, der in einer grundsätzlichen Weise auf Orientierung und Sinnstiftung im Leben aus ist. Dabei wird nicht einfach ein ‚religiöses Bedürfnis‘ behauptet, das als letzter Legitimationsgrund auch für kirchliches Handeln herangezogen werden kann. Die religiöse mithin gottesdienstliche Betätigung resultiert vielmehr aus einer Reihe ganz unterschiedlicher Bedürfnisse, die zwar allesamt zur schöpfungsmäßigen Grundausstattung gehören mögen, als solche aber nicht religiös sind. Allerdings lässt sich kein einliniger Bezug zwischen den erhobenen Bedürfnissen und einem möglichen Gottesdienstbesuch herstellen; vielmehr ist das „gottesdienstliche Nutzerverhalten (…) das Ergebnis des Zusammenwirkens verschiedener (…) Einflussgrößen“102. Demnach können die erhobenen Bedürfnisse einen Gottesdienstbesuch wahrscheinlicher machen, wenn es denn zu erwarten ist, dass ein bestimmter Gottesdienst ein bestimmtes Ensemble an Bedürfnissen zu befriedigen vermag; sie können aber genauso gut einen Gottesdienstbesuch ausschließen, weil ein solcher Besuch der Befriedigung der genannten Bedürfnisse entgegensteht. 2.4.4 Einstellungen werden im Laufe des Lebens angeeignet, werden erlernt, und können wieder verlernt werden. Einstellungen können sich also ändern; sie sind nicht ein für alle Mal festgelegt, kein unabänderliches Schicksal, das einen jeden Menschen von vorneherein festlegt. Darin besteht der Hoffnungsschimmer einer jeden Bestandsaufnahme gegenwärtigen Gottesdienstes: Beruht das Teilnahmeverhalten am Gottesdienst auf der zwar je individuellen aber dennoch von vielen externen Faktoren beeinflussten und mitbestimmten Einstellung zum Gottesdienst, dann ist es prinzipiell möglich, diese Einstellung zu 95 Ebd., 43–49. 96 Ebd., 49–53. 97 Ebd., 54–62. Dieser Begriff geht auf die Arbeiten Arjun Appadurais zurück, wie er sie u. a. in seinem Werk: Modernity at Large. Cultural Dimensions of Globalization, Minneapolis 2010, geäußert hat. 98 Martin, Jeannett: Mensch – Alltag – Gottesdienst (wie Anm. 91), 62–72. 99 Ebd., 72–79. 100 Ebd., 79–87. 101 Diese Sichtweise kommt interesannterweise auch in der Auswertung der VELKD-Studie zum Tragen, wo der theoretische Hintergrund doch ein anderer war, vgl. Gottesdienst in einer rationalen Welt (wie Anm. 82), 156. 102 Martin, Jeannett: Mensch – Alltag – Gottesdienst (wie Anm. 91), 114.

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verändern und damit Einfluss auf das Teilnahmeverhalten am Gottesdienst zu üben. Es müssten dann nur die richtigen Maßnahmen ergriffen werden, um eine solche Einstellungsänderung zu bewirken. Anders als das die VELKD -Studie gewollt hatte, steht zu vermuten, dass solche ‚richtigen Maßnahmen‘ doch eher auf Seiten der Gottesdienstgestaltung vermutet werden. Daraus folgt dann die kurzschlüssige Annahme, man müsse nur den herkömmlichen Gottesdienst attraktiver und lebendiger gestalten – was auch immer das heißen mag –, und schon würde sich der Gottesdienstbesuch wie von selbst erhöhen. Dabei bleibt aber eine wesentliche Einsicht der VELKD -Studie außer Acht, dass nämlich der Gottesdienst nur mehr ein Knotenpunkt in einem viel komplexeren oikodomischen Zusammenhang ist, den man auf die Kurzformel bringen kann: Gottesdienstreform ohne Kirchenreform ist ebenso ein Holzweg wie umgekehrt Kirchenreform ohne Gottesdienstreform.103 Demnach wäre es verkehrt, dem Gottesdienst – oder vielmehr einer bestimmten Gestalt von Gottesdienst – aufzubürden, was dieser allein gar nicht leisten kann und vermutlich auch noch nie konnte. Es kommt vielmehr darauf an, den Zusammenhang zwischen Gottesdienst und Gemeinde bzw. dem Gottesdienst und dessen Gemeinschaft noch genauer in den Blick zu nehmen.104 In dieser Hinsicht dürfte das Bedürfnis nach ‚Locality‘ eine wichtige Rolle spielen. Damit wechseln wir aber das zugrundeliegende psychologische Modell von ‚Einstellung‘ zu ‚Bedürfnis‘. ‚Locality‘ ist demnach keine Sache der persönlichen Einstellung, sondern des In-der-WeltSeins von Menschen. Der Begriff bezeichnet „Bereiche der sozialen und emotionalen Zugehörigkeit, häufig auch imaginierte, selbst erschaffene Welten, die für Menschen identitätsstiftend wirken.“105 Wenn ‚Locality‘ ein entscheidender Faktor für die Kultur eines Gottesdienstes ist, dann muss es demnach eine vordringliche oikodomische Frage sein, wie dieser Faktor gestärkt werden kann. Dabei geht es dann nicht um bestimmte liturgische Elemente, sondern darum, ob sich Menschen einem Gottesdienst zugehörig fühlen, weil er identitätsstiftend wirkt und eine „tragende Gemeinschaft“106 aufweist.

103 Darum ist es umso verwunderlicher, wie kirchliche Reformprozesse der 2020er Jahre dem Gottesdienst so wenig Beachtung zu schenken vermögen. Ein Beispiel dafür ist der Prozess „Profil und Konzentration“ der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. So kommt in den fünf Schwerpunktthemen der Zukunftsklausur, die im Jahr 2022 in Tutzing stattgefunden hat, der Begriff „Gottesdienst“ gar nicht vor. Er wird unter den Begriff der „Spiritualität“ subsummiert. 104 Das hat mit Blick auf die VELKD-Studie z. B. Rüdiger Schloz getan: ders.: Gottesdienst und Verständigung, in: Gottesdienst und öffentliche Meinung. Kommentare und Untersuchungen zur Gottesdienstumfrage der VELKD (wie Anm. 85), 169–197. 105 Martin, Jeannett: Mensch – Alltag – Gottesdienst (wie Anm. 91), 54. Vgl. zu diesem Begriff auch: Müller, Konrad: Gottesdienst, Bedürfnis und soziale Veränderung, in: ders., Gottesdienst und Lebenswelt. Praktisch-theologische Analysen, hrsg. v. Hanns Kerner und Jens Uhlendorf, Leipzig 2022, 29–55, bes. 34–40 sowie umfassend: ders.: Gottesdienst und Locality, in: Raschzok, Klaus / ders. (Hg.): Grundfragen des evangelischen Gottesdienstes. FS Hanns Kerner, Leipzig 2010, 79–113. 106 Konrad Müller ist dieser Begriff zu verdanken.

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2.5 Wirkungspsychologische Ansätze 2.5.1 In jüngster Zeit ist mit der Theorie der „Wirkfelder“ ein wirkungspsychologischer Ansatz des Gottesdienstes vom Arbeitskreis „Qualitätszirkel“ des EKD Reformzentrums für Qualitätsentwicklung im Gottesdienst erarbeitet worden.107 Ausgangspunkt der ersten Publikation ist die Erhebung von ‚Kundenwünschen‘ aus den letzten großen empirischen Untersuchungen zum Gottesdienst, die aufgrund ihrer nicht miteinander zu vereinbarenden Ergebnissen eher mit Ratlosigkeit zurücklassen.108 Im Gegensatz dazu hat der Arbeitskreis unter Rückgriff auf die morphologische Psychologie Wilhelm Salbers, die von „Wirkungseinheiten“ auf „Erlebnisqualitäten“ schließen lässt,109 „Wirkfelder“ des Gottesdienstes beschrieben. In der zweiten Publikation, die vor allem der praktischen Umsetzung dient, wird Salber dann allerdings nicht mehr erwähnt, stattdessen heißt es dort schlicht, dass auf Einsichten aus der Werbepsychologie zurückgegriffen wird.110 Wir beschränken uns hier aber auf die Wirkungspsychologie Salbers, die zu zwei Gedanken geführt hat: Zum einen wird vom „Produkt“ bzw. von der „Dienstleistung“ – also dem Gottesdienst – und den zu erwartenden Wirkungen her gedacht. Das unterscheidet den Ansatz der Wirkfelder von den erwähnten empirischen Untersuchungen, die den „Kunden“ des Gottesdienstes befragen.111 Damit wird auch gesagt, dass der Gottesdienst mehr zu geben vermag, als die Menschen erwarten.112 Denn „Gott will möglicherweise mehr, als der Mensch erwartet, und er tut möglicherweise mehr, als der Mensch sich wünschen kann.“113 Zum anderen wird gesehen, dass Wirkungen ambivalent sein können, so dass sie nur in einer Polarität zu erfassen sind.114 Der Arbeitskreis identifiziert vier Wirkfelder des Gottesdienstes,115 die sich jeweils zwischen zwei gegensätzlichen Polen bewegen: Sinndeutung (Selbstbestimmung ↔ Ewige Wahrheit), existentielle Erfahrung (Lebensfreude ↔ Lebensernst), Handlungsorientierung (Selbstsorge ↔ Nächstenliebe) und Beziehung (Nähe, Heimat ↔ Distanz, Andersweltlichkeit). Das Ziel der gottesdienstlichen Wirkfelder wird beschrieben als „Glaube und Leben der Teilnehmenden“; sie

107 Arbeitskreis „Qualitätszirkel“: Gegensätze ziehen sich an – Wirkfelder des Gottesdienstes, in: Gottes Güte und menschliche Gütesiegel. Qualitätsentwicklung im Gottesdienst. Im Auftrag des Zentrums Qualitätsentwicklung im Gottesdienst hrsg. von Folkert Fendler und Christian Binder (Kirche im Aufbruch 3), Leipzig 2012, 183–209 und: Zentrum für Qualitätsentwicklung im Gottesdienst: Gottesdienst wirkt! Wirkfelder des Gottesdienstes entdecken und gestalten (Gottesdienstqualität 2), Hildesheim 2014. 108 Vgl. Gegensätze ziehen sich an, 195 und: Gottesdienst wirkt!, 13. 109 Vgl. Gegensätze ziehen sich an, 195–201. 110 Vgl. Gottesdienst wirkt!, 14. 111 Vgl. Gegensätze ziehen sich an, 201. 112 Vgl. ebd., 202 f. u. Gottesdienst wirkt!, 13. 113 Ebd., 14. 114 Vgl. Gegensätze ziehen sich an, 202. 115 Vgl. ebd., 203 ff. u. Gottesdienst wirkt!, 14 f.

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zielen – etwas abstrakt gesprochen – auf „Transformation im Sinne von Umkehr im Wechselfeld von Rechtfertigung und Heiligung.“116 Um die Wirkfelder für die gottesdienstliche Gestaltungspraxis operationalisierbar zu machen, müssen sie mit Bestimmungen zu Form und Inhalt zusammengebracht werden. Auf der Inhaltsebene wird benannt, was einen christlichen Gottesdienst zu einem christlichen Gottesdienst macht: Die Feier von Wort und Sakrament; auf der Formebene wird benannt, „in welchem Modus sich ein Geschehen als gottesdienstlich qualifiziert: durch Feier, Spiritualität und Ritualität.“117 Als phänomenologische Beschreibungen dienen die Wirkfelder zunächst einmal der Wahrnehmung des Gottesdienstes.118 Die Wirkfelder sind „ein Instrument der Wahrnehmung und der Sensibilisierung für das, was im Gottesdienst geschieht oder eben nicht geschieht, es hilft Reaktionen und Rückmeldungen wahrzunehmen und einzuordnen.“119 Die Wirkfelder sollen schließlich aber auch dazu dienen, einen Gottesdienst wirkungsgemäß zu gestalten.120 Dabei besteht das Ziel darin, „den Gottesdienstteilnehmenden ein möglichst umfassendes Erleben aller Wirkfelder zu ermöglichen, in dem beide Pole der jeweiligen Felder berücksichtig werden.“121 Ob dies gelungen ist, kann freilich immer erst im Nachhinein festgestellt werden.122 Aus Versuch und Irrtum ergibt sich somit ein Regelkreis, der zu einer immer wirkungsvolleren Gestaltung führen soll.123 2.5.2 Die Theorie der Wirkfelder ist für den Zusammenhang von Gottesdienst und Psychologie nicht nur deswegen von Interesse, weil sie auf den Theorien eines Psychologen fußt, sondern weil die Frage nach der Wirkung – in diesem Fall des Gottesdienstes – auch eine psychologische ist. Freilich kann die innere Verwandtschaft mit den Ritualtheorien nicht verleugnet werden, insofern auch Ritualtheorien eine Antwort auf die Frage nach der Wirkung eines bestimmten Handlungskomplexes geben. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass es sich bei dieser Erhebung von Wirkungen zunächst einmal um phänomenologische Beschreibungen handelt, die auf die Zustimmung per Einsicht, nicht aber durch empirische Forschung ausgerichtet ist. Man kann also nur sagen, dass es diese Wirkungen des Gottesdienstes gibt, ohne schon gleich die sich anschließende Frage beantworten zu können, warum der Gottesdienst so wirkt. Denn die Frage nach den Ursachen der Wirkungen ist in mehrfacher Hinsicht nicht eindeutig zu beantworten. Allein schon die Ursächlichkeit der Wirkung hat nämlich zwei Orte. Auf der einen Seite hat die beabsichtigte Wir-



116 Vgl. ebd., 15. 117 Vgl. ebd., 15. 118 Vgl. ebd., 22 ff. 119 Gottesdienst wirkt!, 22. 120 Gottesdienst wirkt!, 32 ff. 121 Ebd., 34. 122 Ebd. 123 Vgl. ebd., 34.

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kung offenkundig etwas mit einer bestimmten Art und Weise der Gestaltung zu tun. Erst eine bestimmte Gestaltung setzt eine bestimmte Wirkung frei. Dies könnte man als die kausale Ursächlichkeit der Wirkung bezeichnen. Auf der anderen Seite liefe die Wirkung aber ins Leere, würde die Wirkung nicht auch etwas bewirken. In diesem Fall soll etwas bei den Gottesdienstteilnehmenden bewirkt werden. Es muss also etwas in den Gottesdienstteilnehmenden sein, das auf diese Wirkung hin ansprechbar ist. Eine Wirkung ohne ihre Zielerfüllung wäre aber sinnlos. Dies könnte man als die finale Ursächlichkeit der Wirkung bezeichnen. Auch wenn man sicher nicht einfach von der Wirkung auf die Ursache im Menschen schließen und diese dann z. B. als ‚Wünsche‘ bezeichnen darf, so können doch – z. B. empirisch aus Rückmeldungen erhoben – „allgemein empfundene Wirkungen“ festgestellt und von „vereinzelt empfundenen Wirkungen“ unterschieden werden.124 Hans van der Geest, der schon sehr früh von einer Wirkung von Gottesdienst und Predigt sprach, führt die Wirkung auf das Bezugssystem zurück, in dem Menschen leben.125 Dieses Bezugssystem wird von vielen Faktoren bestimmt, unter denen die psychische Disposition eines Menschen (nur) ein Faktor ist. Schließlich ist zwar die Diskrepanz zwischen der theologisch intendierten Wirkung und der tatsächlichen Wirkung – also zwischen der Wirkung, die sich nach der theologischen Bestimmung des Gottesdienstes ergeben sollte, und der Wirkung, die sich aus dem Geschehen tatsächlich ergibt –, gesehen und durch die Einführung eines Regelkreises produktiv aufgehoben worden. Dennoch werden zwei Anfragen als ständige Begleiter bestehen bleiben müssen: ob in der Theologie des Gottesdienstes nicht etwas behauptet wird, was sich in der Gestaltung des Gottesdienstes gar nicht ergeben kann? Und umgekehrt, ob durch die Gestaltung des Gottesdienstes nicht etwas bewirkt wird, was von der Theologie des Gottesdienstes gar nicht gedeckt wird?

3. Schluss Wir kehren am Ende dieses freilich nur bruchstückhaften Durchgangs durch unterschiedliche Theorien zu unserer Ausgangsfrage zurück: Was kann die Psychologie zum Verständnis des Gottesdienstes beitragen? Auf der Hand dürfte natürlich das hermeneutische Potential psychologischer Theorien liegen, also jenes Potential, das sich aus der Anwendung einer – um es so allgemein wie möglich zu sagen – kulturwissenschaftlichen Theorie auf ein bestimmtes kulturelles Phänomen ergibt. Im besten Fall kann es zur Erhellung einer bislang noch nicht wahrgenommenen Seite des Phänomens führen, zu

124 Vgl. Geest, Hans van der: Du hast mich angesprochen. Die Wirkung von Gottesdienst und Predigt, Zürich 21983, 20. 125 Vgl. ebd., 19.

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einer weiterführenden Erklärung bestimmter Vorgänge, zu produktiven Irritationen angestammter Deutungsmuster, usw. Mit diesem hermeneutischen Potential geht gewissermaßen als Schattenseite die Gefahr der Verabsolutierung, der ungerechtfertigten Dogmatisierung von kulturwissenschaftlichen Theorien innerhalb der Praktischen Theologie einher, und dies in einer zweifachen Weise: Es besteht zum einen die Gefahr, den gewählten kulturwissenschaftlichen Ansatz als alleiniges Erklärungsmuster zu verabsolutieren und es besteht zum anderen die Gefahr, nur einen Ansatz aus der Bandbreite einer kulturwissenschaftlichen Disziplin als alleiniges Erklärungsmuster zu verabsolutieren. Demgegenüber muss berücksichtigt werden, dass es nicht nur eine Vielzahl unterschiedlicher kulturwissenschaftlicher Zugänge gibt, unter denen die Psychologie nur einer ist, sondern auch eine Vielzahl unterschiedlicher psychologischer Theorien. Insofern steht die Erforschung des Gottesdienstes unter einer psycholo­ gischen Perspektive sicher erst noch am Anfang, und es ist dann eher die Frage, warum es bisher nicht zu einer solchen (breiter angelegten) Erforschung gekommen ist. Die Spurensuche in der evangelischen Liturgiewissenschaft hat ja tatsächlich nicht mehr als nur Ansätze zu Tage gefördert und keine umfassende Aufarbeitung. Das könnte zum einen am Phänomen selbst liegen, das einer umfassenden psychologischen Betrachtungsweise seiner selbst nicht zugänglich ist. Darin könnte sich auch eine kluge Selbstbeschränkung bemerkbar machen, die davon Abstand nimmt, ein so komplexes Phänomen, wie es der Gottesdienst ist, mit nur einer Theorie umfassend erklären zu wollen. Vielleicht sind daher nur Teilaspekte der Liturgie für eine psychologische Betrachtungsweise relevant und von Interesse. Das könnte zum anderen an einer bereits geläufigen Mitverwendung psychologischer Theoreme im Zusammenhang anderer kulturwissenschaftlicher Ansätze liegen. Bestimmte psychologische Theorien haben sich bereits weit verbreitet und sind längst explizit, implizit oder in einer popularisierten Weise Bestandteile anderer kulturwissenschaftlicher Theorien geworden, so dass also bei deren Übertragung auf den Gottesdienst auch psychologische Theorien längst Anwendung finden, was nicht zuletzt bei der sozialpsychologischen Fundierung empirischer Erkenntnisse der Fall ist. Das könnte schließlich aber auch an einem immer noch bestehenden Vorbehalt vor einer solchen Betrachtungsweise liegen. Ob ein solcher Vorbehalt berechtigt oder nicht berechtigt ist, kann an dieser Stelle nicht entschieden werden, er könnte aber verdecken, dass dennoch immer schon implizit psychologische Annahmen mit im Spiel sind, wenn über den Gottesdienst gesprochen wird. Darum wird es nicht zuletzt, sondern vielleicht zuerst bei diesem Verhältnis von Psychologie und Gottesdienst darauf ankommen, solche impliziten psychologischen Annahmen aufzudecken, ideologiekritisch zur Rede zu stellen und ein unbefangenes Psychologisieren einzuhegen. Dazu ist aber eine Kenntnis psychologischer Theorien auch in der Liturgiewissenschaft notwendig.

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Abstract: Thomas Melzl presents psychological approaches in Protestant liturgical studies that have had a certain impact on liturgical studies, but also on other areas of theo­logy, especially practical theology. Melzl presents these since the ­Berneuchen movement, whose representative Wilhelm Stählin, for example, was himself a psychologist of religion. To this day, approaches based on depth, personality, social, motivational, and impact psychology are used, each of which was or is of considerable influence in its time, not only on liturgical studies. Nevertheless, Melzl points out that although such psychological theoretical approaches have hermeneutical potential, they must not be absolutised in the sense that they can be used to explain worship in its entirety. The restriction already results from the fact that there is not just one, but many approaches within psychology.

Nachdenkliche Bemerkungen zum Votum und zu den Studien Gemeinsam am Tisch des Herrn in Bezug auf das Gehörte und Gesehene in der tatsächlichen Liturgiefeier Jörg Neijenhuis

1. Beobachtungen und Wahrnehmungen Der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK) spricht sich mit der Studie Gemeinsam am Tisch des Herrn (GaTH)1 und dem damit verbundenen Votum im Jahr 2020 dafür aus, dass „die Praxis der wechselseitigen Teilnahme an der Feier von Abendmahl / Eucharistie in Achtung der je anderen liturgischen Tradition als theologisch begründet“2 angesehen wird. „Aus der Sicht des ÖAK sind die erreichten Übereinstimmungen in der Lehre von Abendmahl / Eucharistie und Amt zwischen der römisch-katholischen Kirche und den evangelischen Kirchen hinreichend, um dafür zu votieren, sich wechselseitig zur Feier von Abendmahl / Eucharistie in den liturgischen Formen der jeweils anderen Konfession einzuladen und einladen zu lassen. Vorrangig bedeutsam ist dabei das gemeinsame Vertrauen auf Jesus Christus, der in der Kraft des Heiligen Geistes seine erlösende Lebenspreisgabe für alle Sünderinnen und Sünder im Zeichen des Mahles gegenwärtig werden lässt.“3 Die Studie und das Votum wollten Reaktionen hervorrufen, und in der Tat hat es zahlreiche zustimmende wie ablehnende Reaktionen gegeben. Der Wunsch, dass die Römisch-katholische Kirche diesem Votum zustimmen möge, ist allerdings nicht Erfüllung gegangen. Auch Kirchen in der reformatorischen Tradition, wie z. B. die Selbständige Lutherische Kirche in Deutschland, haben das Votum abgelehnt. Die Evangelische Kirche in Deutschland und die Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutsch-

1 Sattler, Dorothea / Leppin, Volker (Hg.): Gemeinsam am Tisch des Herrn. Ein Votum des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen (Dialog der Kirchen 17). Herder / Vandenhoeck & Ruprecht: Freiburg i. Br. / Göttingen 2020. 2 A. a. O., 82. 3 A. a. O., 8.

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land haben sich positiv geäußert. Die Enttäuschung über die Absage aus Rom ist bei einigen römisch-katholischen Theologen nicht zu überhören gewesen, auch der katholische Vorsitzende des Arbeitskreises, Bischof Dr. Bätzing, zeigte sich enttäuscht und fragte, wie es denn jetzt weitergehen solle.4 Seine Frage scheint mir nach wie vor im Raum zu stehen, und ich bin nicht derjenige, der sie beantworten kann oder wird. Ich habe auch bei einigen anderen Reaktionen herausgelesen, dass es zu Enttäuschungen gekommen ist. Wenn es dann noch zu gegenseitigen Beschuldigungen gekommen ist, lese ich heraus, dass sich ein Autor getroffen fühlt, sei es, weil eine Reaktion den Inhalt der Studie verzerrt wiedergibt, sei es, weil eine Reaktion doch den einen oder anderen sachlichen Hinweis auf einen Aspekt gibt, der in der Studie und im Votum vielleicht zu leicht gewichtet oder übersehen wurde. In solchen Fällen gewinne ich den Eindruck, dass der Autor ‚schon immer recht‘ hatte. Andere Momente allerdings halte ich durchaus für weiterführend, die ich im Weiteren anmerken möchte. 1.1 Argumente, insonderheit wissenschaftlich fundierte Argumente, die sich auf eine innerwissenschaftliche Diskussion und Übereinstimmung berufen können, sind etwas anderes als liturgische Erfahrungen. Als ich vor vielen Jahren meine Dissertation über das Eucharistiegebet abschloss und mit Ulrich Kühn, der eines der Gutachten erstellt hat, darüber diskutierte, warum selbst Lutheraner so wenig über das Eucharistiegebet wissen (oder oftmals auch gar nicht wissen wollen), antwortete er mir, dass im Grunde die Erfahrung einer Eucharistiefeier in der evangelischen Kirche bis auf wenige Ausnahmen fehle. Dass eine gewisse Befremdlichkeit eintritt, wenn ich im Gottesdienst ein Eucharistisches Gebet verwende – selbst eines aus dem Evangelischen Gottesdienstbuch –, ist für mich bis heute eine immer wiederkehrende Erfahrung. Gewöhnt ist man die lutherische Messe, die nach der Präfation mit Sanctus sofort die Einsetzungsworte, dann das Vaterunser (oder auch umgekehrt zuerst das Vaterunser und dann die Einsetzungsworte) folgen lässt. Nach dem Agnus Dei erfolgt die Kommunion. Der Aufbau des Eucharistiegebets ist dagegen umfänglicher und bringt das Heilsgeschehen umfänglich zum Ausdruck: Im ersten Teil, der Danksagung, wenden sich die Betenden Gott, dem Schöpfer zu, und der Lobpreis gipfelt im Sanctus. Im zweiten Teil, der Anamnese, wird mit den Einsetzungsworten der Erlösung durch Jesus Christus gedacht. Und im dritten Teil, der Epiklese, wird um das Wirken des Heiligen Geistes gebetet, es werden Bitten für die Kirche und die Glaubenden angefügt und der dritte Teil wird mit einem eschatologischen Ausblick beendet. Das ganze Gebet wird mit einem Lobpreis beschlossen.

4 Sattler, Dorothea / Leppin, Volker (Hg.): Gemeinsam am Tisch des Herrn. Ein Votum des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen. II. Anliegen und Re­ zeption (Dialog der Kirchen 18). Herder / Vandenhoeck & Ruprecht: Freiburg i. Br. / Göttingen 2021, 37.

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1.2 Wie weit will man gehen, die eigene kirchliche wie wissenschaftlich-theologische Tradition, die einen geprägt hat, kritisch zu betrachten, Stärken und Schwächen zu erkennen und so gemeinsam Formen, Texte, Formulare zu entwickeln, die die Stärken bewahren und die Schwächen beseitigen? Hier kommt es m. E. nicht allein auf wissenschaftliche Argumente und Erkenntnisse an, sondern auch auf die Erfahrung, die man mit dem liturgischen Feiern macht. Bei der Wahrheit des Glaubens ist nicht allein sein Verständnis von Bedeutung. Sondern zur Wahrheit gehört m. E. auch die Erfahrung des Glaubens, die das Verstehen des Glaubens hervorrufen kann. Da Erfahrungen des Glaubens in der liturgischen Feier ebenso gemacht werden können wie auch im Dienst am Nächsten, z. B. in der Diakonie, bedeutet das, dass die Erfahrungen des Glaubens umfänglicher sind, als die liturgische, gottesdienstliche Erfahrung es sein kann. Umgekehrt fließt die umfängliche Erfahrung des Glaubens, die den Alltag des Glaubens beinhaltet, in die Erfahrung des liturgischen Feierns mit ein. 1.3 Ein wenig erstaunt bin ich schon, wie die kirchlichen Positionen, die die jeweiligen Personen vertreten, seien sie evangelisch oder katholisch, beibehalten werden. Denn die meisten Beteiligten sind – wenn ich es richtig sehe – in ihre Kirche sozusagen hineingeboren bzw. hineingetauft worden. Es war also nicht ihre eigene Entscheidung, ob sie diese Kirche, der sie seit Kindertagen angehören, tatsächlich gewählt hätten, wenn sie denn die Wahl gehabt hätten. Weil dem aber so ist, dass die meisten sich nicht selbst für eine Kirche oder gar für die Wahrheit entschieden haben, ergibt sich daraus doch die Chance, die eigene Zugehörigkeit ein wenig zu relativieren. Zwar ist es selbstverständlich, in der eigenen Tradition, in der man aufgewachsen ist, zuhause zu sein und sich auszukennen, aber die eigene Tradition bzw. das eigene Zuhause ist kein Gefängnis. Die meisten Christen haben wohl gute wie schlechte Erfahrungen mit ihrer Kirche und ihrer Glaubenstradition gemacht. Das kann dazu ermuntern, die eigene Tradition nicht starr zu verteidigen, sondern sie weiterzuführen durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse und vielleicht auch durch Erfahrungen, die man macht, wenn man Gottesdienstfeiern anderer Traditionen und Kirchen miterlebt. 1.4 Und dann ist die Kraft des Beharrens zu erwähnen. Ich habe manches Mal bei den Transformationsprozessen der Kirchen auf der Ebene der Kirchengemeinden erlebt, dass zwei Kirchengemeinden, die fusionieren sollten, das mit aller Kraft ablehnten. Sie gehörten einer Kirche und einem Bekenntnis an und lehnten doch eine sinnvolle Fusion ab, die in Erwartung stellte, mehr Geld, mehr Personal etc. zur Verfügung zu haben. Warum wurde die Fusion und damit der Transformationsprozess abgelehnt? Weil man dabei soziale Verhältnisse, liebe Gewohnheiten, ja ganze Traditionen in eine neue Situation hinein transformieren musste, und das erschien unmöglich und völlig ausgeschlossen. Die Kraft des Beharrens erwies sich als negative, gar als destruktive soziale Kraft. Ich meine im Gegensatz dazu, dass man im positiven Sinne die Chance geboten bekam, soziale Verhältnisse, liebe Gewohnheiten, ja ganze Traditionen in eine

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neue Situation zu transformieren, um neue und zukunftsfähige Möglichkeiten für das Leben aus dem christlichen und kirchlichen Glauben zu erschließen. Ich glaube dagegen nicht, dass diese Art des „Konfessionalismus“ eine Zukunft für den Glauben oder für die Kirchen darstellt. 1.5 Wie viel Bekenntnis-Kenntnisse haben Kirchenmitglieder, die keine Theologen sind? Sie nehmen ihre Kirche bzw. ihre Kirchengemeinde wahr als eine soziale Einrichtung, als soziale Gemeinschaft, die anders geprägt ist als andere Konfessionen; aber diese Unterschiede, die im Bekenntnis und in den darauf fußenden Traditionen, auch in den Liturgietraditionen, vorhanden sind, können nur schwer oder fast gar nicht in Worte gefasst werden. Insofern haben theologische Übereinkünfte selbst dann, wenn Kirchenleitungen diese Gemeinsamkeiten oder Übereinstimmungen anerkennen, kaum Auswirkungen auf das tatsächliche Leben von Kirchengemeinden, weil sie sich im sozialen Leben von Kirchengemeinden und insbesondere in der Feier des Gottesdienstes nicht zeigen. Das würde sich erst dann ändern, wenn die konfessionellen Grenzen keine Grenzen mehr wären, sondern Schwellen, die in ein anderes Glaubensverständnis und in ein anderes Glaubensleben führen, das den eigenen Glauben bereichern kann. Vermutlich stellt sich dann auch die Erfahrung und Erkenntnis ein, dass die eigene Tradition manchmal einseitig ist und teilweise auch die Fülle des Christenseins gar nicht tradiert, weil unterschiedliche Traditionen gerade dann entstanden sind, wenn sich Zerwürfnisse, theologische Verurteilungen und Kirchenspaltungen ereignet haben. So sind gemeinsame Traditionen auseinandergebrochen und entwickeln teilweise in einseitigen Ausprägungen den christlichen Glauben fort. Solche Einseitigkeiten ergeben heutzutage immer weniger Sinn, weil in einer Gesellschaft wie z. B. der deutschen, der europäischen oder der amerikanischen einseitige (christliche) Traditionen in der Fülle des (säkularen) Lebens kaum plausibel sind. 1.6 Die modernen heutigen Menschen entscheiden selbst, was sie glauben wollen, wie sie ihr Glaubensleben gestalten und was sie für wahr oder falsch halten. Bekenntnisse und Kirchenleitungen haben nicht mehr die Aufgabe, hier eine Aufsicht oder Herrschaft über die Glaubenden auszuüben, sondern ermöglichen christliche Lebensentwürfe oder machen Angebote, die freie Menschen in Freiheit annehmen können, sofern sie damit ihr eigenes Glaubensleben gestalten wollen. Traditionen, die durch Kirchenkämpfe einseitig wurden, gar ihre Verletzungen an sich tragen, haben wenig Plausibilität, in einer heutigen, freien Gesellschaft fortgeführt zu werden, wenn die Gründe für diese Traditionen nicht nur verloren gegangen sind, sondern auch heute für das eigene Leben keinen Sinn haben und keine Lebens- und Glaubensperspektive schaffen. Denn vergangene Kämpfe mit vergangenen Kontexten muss man nicht nach Jahrhunderten erneut durchfechten. 1.7 Darum erscheint es mir angebracht zu sein, dass Abendmahls- bzw. Eucharistieliturgien mit Worten und Handlungen das zum Ausdruck bringen, was

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geglaubt wird – je nach Kirchenzugehörigkeit zumindest durch die Person, die die Feier leitet und für die gefeierte Liturgie verantwortlich ist, oder durch die jeweilige Gemeinde oder gar die ganze Kirche. Wer dann an der Kommunion teilnimmt, bekennt sich damit zu dem Glauben, der mit der Abendmahls- bzw. Eucharistieliturgie zum Ausdruck gekommen ist. Das scheint mir schon deshalb relevant zu sein, weil in vielen Situationen die leitende Person oder die das Brot und den Wein austeilenden Personen gar nicht wissen (können), ob die kommunizierenden Personen tatsächlich Kirchenmitglieder der Kirche sind, die die Feier verantwortet (oder ob die kommunizierwilligen Personen auch getauft sind). Die Verantwortung für die Teilnahme an der Kommunion kann also nicht allein bei den Kirchenleitungen (seien es einzelne Personen, die die Feier leiten, seien es Bischöfe oder kirchliche Gremien wie z. B. Synoden) liegen, sondern liegt auch bei den Personen, die kommunizieren. Das heißt, dass sich für jede Feier sowohl durch die Liturgie als auch durch die kommunizierenden Personen eine Glaubensgemeinschaft ergibt. Insofern kann die der Kommunion vorausgehende Liturgie in Wort und Handlung nicht relativiert werden – denn wer will wissentlich und willentlich an einer Kommunion im Glauben teilnehmen, den er selbst nicht teilt oder dem er gar widerspricht? 1.8 Wenn ich mich nicht täusche, haben wohl alle Beiträge im vom Markus ­Graulich herausgegebenen Buch Alles gleich gültig? Theologische Differenzie­ rungen zum Votum „Gemeinsam am Tisch des Herrn“5 die Perspektive der Glaubenden, die nicht Theologen sind, nicht (oder nur am Rande) zum Thema gemacht oder zumindest berücksichtigt. Das trifft allerdings nicht auf das Votum selbst zu. Es bringt die Hoffnung zum Ausdruck, dass, wenn dieses Votum von den Kirchenleitungen angenommen würde, Glaubende diese Möglichkeit, ihre eigene Perspektive einzubringen, auch wahrnehmen würden. Interessant wäre zu wissen, was (nicht wissenschaftlich-theologisch geschulte) Christen erfahren und denken respektive glauben, wenn sie in ihrer Kirche an der Feier des Abendmahls bzw. der Eucharistie teilnehmen. Denn die Sakramentsfeier dient ja nicht dazu, dass Lehren – welcher Art auch immer – als wahr bestätigt werden. Es geht ja eigentlich bei der Feier um die Wirkung der Sakramente auf die Glaubenden.

5 Graulich, Markus (Hg.): Alles gleich gültig? Theologische Differenzierungen zum Votum „Gemeinsam am Tisch des Herrn“. Herder: Freiburg i. Br. 2022.

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2. Die Wirkungen der Feier des Abendmahls / der Eucharistie Es soll nun hervorgehoben werden, welche Wirkungen der Abendmahlsfeier / der Eucharistiefeier sowohl in den Bekenntnissen der Kirchen genannt als auch in ihren Sakramentsfeiern in Worte gefasst werden. Ein Blick in die Katechismen der lutherischen, der reformierten und der katholischen Kirche wird hierfür aufschlussreich sein. Auch das Votum hat an mehreren Stellen die Wirkung des Sakraments betont, so z. B. unter Punkt 5.4.3, S. 63: „Das Abendmahl / die Eucharistie ist ein Gemeinschaftsmahl und stiftet Gemeinschaft (koinonia). Indem sich Christus uns mit Brot und Wein schenkt, vergibt er uns unsere Sünden und befreit uns zu einem neuen Leben aus Glauben. Indem er sich mit uns zur Gemeinschaft verbindet, verbindet er uns mit den Gliedern der Gemeinde am Ort und in der una sancta ecclesia zu seiner communio sanctorum. Der durch das Mahl gewirkten Realität der Gemeinschaft gehen das Bekenntnis der Schuld und die Gnadenzusage der Vergebung voraus.“ 2.1 Bekenntnisse Lutherische Kirchen In CA 136 wird ausgesagt, dass man am äußeren Gebrauch der Sakramente Christen erkennen kann und dass diese Sakramente Zeichen und Zeugnis des ihnen geltenden göttlichen Willens sind, wobei die Mitteilung des göttlichen Willens als etwas Inneres angesehen wird. Durch den Gebrauch der Sakramente wird ihr Glauben ermutigt, belebt (excitandam) und gestärkt (confirmandam), der Gebrauch setzt darum diesen Glauben voraus. In CA 107 wird formuliert, dass der wahre Leib und das wahre Blut Christi wahrhaftig unter den Gestalten des Brotes und Weines im Abendmahl gegenwärtig sind, ausgeteilt und genommen werden. Im Kleinen Katechismus Luthers8 wird auf die Frage, was denn solches Essen und Trinken nützen soll, geantwortet, dass die Glaubenden durch den Gebrauch des Abendmahls die Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit haben durch das Wort, das mit den Einsetzungsworten gesprochen wurde. Das heißt, wer dem Wort Gottes glaubt, hat die Vergebung der Sünden und als Folge Leben und Seligkeit. In CA 7 und 89 wird betont, dass die Gemeinschaft der Glaubenden durch Wort und Sakrament konstituiert wird und dass die christliche Kirche die Versammlung der Glaubenden und Heiligen ist. 6 Dingel, Irene (Hg. im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland): Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2014, 108 f. 7 A. a. O., 104 f. 8 A. a. O., 888–891. 9 A. a. O., 102 f.

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Reformierte Kirchen Im Heidelberger Katechismus wird unter Frage 65 und 6610 geantwortet, dass der Heilige Geist Glauben wirkt durch die Predigt des heiligen Evangeliums und dass er diesen bestätigt durch den Gebrauch der heiligen Sakramente. Gott habe diese Sakramente als sichtbare heilige Wahrzeichen und Siegel eingesetzt, damit der Zuspruch des Evangeliums besser verständlich und der Glaube versiegelt wird. Der Glaubende glaubt, dass durch Christi Opfer am Kreuz Vergebung der Sünden und ewiges Leben aus Gnade geschenkt werden. Frage 7611 führt weiter aus, dass die Glaubenden mit seinem verherrlichten Leib immer mehr vereinigt werden, da der Heilige Geist sowohl in Christus als auch in den Glaubenden wohnt. Römisch-katholische Kirche Im Katechismus der Katholische Kirche12 wird unter den Früchten der Kommunion die innige Vereinigung mit Christus genannt. Sie ist sogar die Hauptfrucht. Durch sie wird das in der Taufe erhaltene Gnadenleben bewahrt, vermehrt und erneuert. Diese Vereinigung wird es nur geben, wenn von Sünde gereinigt und vor neuen Sünden bewahrt wird. Die Kommunion stärkt die Liebe, die neubelebte Liebe tilgt die lässlichen Sünden; umso tiefer die Vereinigung mit Christus ist, desto stärker bewahrt sie vor Todsünden. Da Christus sich mit den Glaubenden vereint, vereint er sie auch untereinander zu einem einzigen Leib, der Kirche. 2.2 Liturgien Ein Blick in die Liturgien zeigt, wie in der Feier dieses Glaubenswissen artikuliert und die Erfahrung dazu ermöglicht wird. Dafür greife ich Texte auf, die von den Kirchen als offizielle Liturgien veröffentlicht wurden und als repräsentativ für ihren Glaubensausdruck gelten. Für die lutherische, unierte und reformierte Tradition wie für die römischkatholische Tradition gelten die ähnlich formulierten Einsetzungsworte. Es wird immer gleich ausgesagt, dass das Brot der Leib Christi und der Kelch mit Wein das Blut Christi ist. Das Blut Christi bzw. dieser Kelch ist der neue Bund, der für die Vergebung der Sünden vergossen wurde. Weitere in den Bekenntnissen genannten Wirkungen finden sich in den Gebetstexten zur Abendmahls- bzw. Eucharistiefeier, die ja immer die Einsetzungsworte beinhalten. 10 Evangelisch-reformierte Kirche, Lippische Landeskirche, Reformierter Bund (Hg.): Heidelberger Katechismus. Revidierte Ausgabe 1997. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 82022, 42 f. 11 A. a. O., 49. 12 Katechismus der Katholischen Kirche. Oldenbourg / Benno / Paulusverlag / Veritas: München / Wien / Leipzig / Freiburg (Schweiz)/Linz 1993, 1391–1396, S.  381–383.

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Für die evangelischen Kirchen in Deutschland gilt das Evangelische Gottesdienstbuch in zweiter Auflage von 2020/2022 als grundlegend.13 Nimmt man als Beispiel den repräsentativen Text der Grundform I14, die für die lutherische Tradition steht, dann wird schon nach der Präfation ausgesprochen, dass die Glaubenden durch Christi Tod die Vergebung der Sünden haben und durch seine Auferstehung das Leben. Die Vergebung der Sünde wird mit den Einsetzungsworten nochmals wiederholt. Der auf die Einsetzungsworte folgende Gebetsteil formuliert, dass die Glaubenden den Leib und das Blut Christi zu ihrem Heil empfangen. Bei der Austeilung wird nochmals hervorgehoben (Christi Leib / Christi Blut für dich gegeben), dass die Glaubenden Christi Leib und Blut empfangen. Für die unierte Tradition steht die Grundform II.15 Gleich zu Beginn der Abendmahlsbetrachtung wird formuliert, dass Gott in Jesus Christus den Glaubenden das ewige Leben schenkt und die Glaubenden untereinander verbindet. Die reformierte Tradition formuliert in ihren Gebeten ähnlich.16 Durch die Zeichen seiner Gegenwart Brot und Wein verbindet Christus die Glaubenden mit sich selbst und auch untereinander. Er schließt sie zu einer Gemeinde zusammen. Die römisch-katholische Tradition formuliert in ihrem zweiten Hochgebet,17 dass Christus am Kreuz gestorben ist, um Gott, dem Vater, ein heiliges Volk zu erwerben. Die darauffolgende Epiklese formuliert die Bitte, dass er seinen Geist auf diese Gaben senden möge, damit die Kommunizierenden Leib und Blut seines Sohnes empfangen. Im dritten Hochgebet18 wird im Gebetsteil nach den Einsetzungsworten darum gebeten, dass die Glaubenden gestärkt werden durch den Leib und das Blut Christi, und Gott möge die Glaubenden mit seinem Heiligen Geist erfüllen, damit sie ein Leib und Geist werden in Christus.

13 Evangelisches Gottesdienstbuch. Agende für die Union Evangelischer Kirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (UEK) und für die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD). Nach der „Ordnung gottesdienstlicher Texte und Lieder“ (2018) überarbeitete Fassung. Im Auftrag des Präsidiums der UEK und der Kirchenleitung der VELKD hg. von den Amtsbereichen der UEK und der VELKD im Kirchenamt der EKD. Evangelische Verlagsanstalt / Luther-Verlag: Leipzig / Bielefeld 2020 (Handausgabe), 2022 (Altarausgabe). 14 A. a. O., 80–85. 15 A. a. O., 144–147. 16 Reformierte Liturgie. Gebete und Ordnungen für die unter dem Wort versammelte Gemeinde. Im Auftrag des Moderamens des Reformierten Bundes erarbeitet und hg. von Peter Bukowski / A rend Klompmaker / Christiane Nolting / A lfred Rauhaus / Friedrich Thiele. FoedusVerlag / Neukirchener Verlag: Wuppertal / Neukirchen-Vluyn 1999, 347–352. 17 Messbuch. Die Feier der Heiligen Messe. Hg. im Auftrag der Bischofskonferenzen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz sowie der Bischöfe von Luxemburg, Bozen-Brixen und Lüttich. Für die Bistümer des deutschen Sprachgebietes. Authentische Ausgabe für den litur­ gischen Gebrauch. Teil I: Die Sonn- und Feiertage deutsch und lateinisch. Die Karwoche deutsch. ­Benziger / Herder / Friedrich Pustet / St. Peter / Veritas: Einsiedeln und Köln / Freiburg i. Br., Basel und Wien / Regensburg / Salzburg / Linz 1975, 152–167. 18 A. a. O., 180–189.

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2.3 Ergebnis Schon diese kurze Übersicht zeigt, dass die grundlegenden Wirkungen der Sakramentsfeier, wie sie in den Katechismen benannt sind, in den Gebeten der Kirchen formuliert, ja erbeten werden. Mit der Rezitation der Einsetzungsworte wird immer ausgesagt, dass Jesus selbst sagt, dass dieses Brot und dieser Wein sein Leib und Blut sind und dass sein Blut vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Das wird auch von der reformierten Tradition nicht bestritten, auch wenn sie annimmt, dass dafür eine Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi nicht notwendig ist, da die Kommunizierenden durch den Heiligen Geist Anteil an Christi Leib und Blut erhalten, wenn sie Brot und Wein als „heilige Wahrzeichen“ (Frage 79)19 empfangen.

3. Folgerungen 3.1 Inhalt und Form oder das Gehörte und das Gesehene Obwohl die Feier des Abendmahls / der Eucharistie keine Vergewisserung über die rechte Lehre ist (z. B. Transsubstantiation oder Konsubstantiation), zeigt sich doch in der Art und Weise, wie diese Feier begangen wird, mit welchem Verständnis und mit welcher Lehre diese Feier Gestalt bekommen hat. Oder wie die Feiergestalt die Lehre initiiert hat, da die Feier auf Jesu eigene Einsetzung zurückgeführt wird. Das Verständnis des Abendmahls / der Eucharistie und die Gestaltung sollen – oder eigentlich: müssen sich entsprechen. Wenn dem nicht so wäre, so würden sich zumindest die nicht theologisch geschulten Christen ein womöglich falsches Verständnis der Feier aneignen aufgrund der fehlenden Übereinstimmung von gehörten Worten und gesehenen Handlungen und die theologisch geschulten und / oder geistlich erfahrenen Christen würden befremdet sein, wenn sie ein Abendmahls- oder Eucharistiegebet hören und mitbeten sollen, dessen Inhalt sie nicht nachvollziehen und sich zu eigen machen können. Sie würden daraufhin vielleicht sogar nicht an der Kommunion teilnehmen wollen. Exkurs: Das Verhältnis von Innerem und Äußerem oder Inhalt und Form zu beschreiben bietet immer wieder grundlegende Erkenntnisstrukturen. Die Unterscheidung von Innerem und Äußerem halte ich für wenig hilfreich; sie ist oftmals nicht klar zu treffen und scheint mir die Sache, um die es geht, eher zu verdunkeln, wenn nicht gar in die Irre zu führen. Gemeinhin wird dann gerne das gesprochene Wort als Inneres und die Handlung mit Brot und Wein als etwas Äußeres, wenn nicht gar als etwas Äußerliches, also auch Austauschbares

19 Heidelberger Katechismus (wie Anm. 10), 51 f.

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angenommen bzw. fehlverstanden. Darum wähle ich die phänomenologische Differenzierung von Hören und Sehen: Das gesprochene Wort vermittelt eine Bedeutung (Inneres), aber es ist nicht nur etwas Inneres, sondern das Innere, das gemeint ist, kann nur gesprochen und gehört werden, wenn dafür Schallwellen (Äußeres) benutzt werden. Auch das Brot und der Wein haben etwas Inneres als Bedeutung, sei es als Grundnahrungsmittel oder sei es als Getränk für besondere Anlässe, und sind in ihrer materialen Gestalt etwas Äußeres. Wenn Brot und Wein nun gar als etwas Äußerliches angesehen werden, dann werden Brot und Wein als Äußerlichkeit abgetan, die gegenüber dem Wort zweitrangig ist oder um die es eigentlich nicht geht, und können unter Umständen auch ausgewechselt oder ersetzt werden. Das würde aber der Überlieferung der Einsetzung des Abendmahls / der Eucharistie durch Jesus selbst widersprechen, da Brot und Wein zu dieser Feier konstitutiv dazugehören. Wenn nur diese Unterscheidung gemacht wird, dass das Wort das Innere ist und Brot und Wein das Äußere sind, dann kommt man zu verkehrten Schlussfolgerungen. Wenn dagegen angenommen wird, dass sowohl das Wort Inneres und Äußeres bedarf, um gehört zu werden, und dass sowohl dem Brot als auch dem Wein Inneres und Äußeres eigen ist, um gesehen zu werden, dann werden beide Ebenen einander so zugeordnet, dass sie auf sich gegenseitig verweisen – das Äußere auf das Äußere und das Innere auf das Innere – und nur so zusammengehören und zusammengesehen für die Betenden und Kommunikanten einen Sinn ergeben: nämlich, dass dieses Brot der Leib Christi und dieser Wein das Blut Christi ist. Denn das eine soll und muss auf das andere verweisen – Inneres und Äußeres, Gehörtes und Gesehenes –, um in dieser Relation dem Glaubenden einen Sinn, eine Erfahrung und einen der Lehre gemäßen Eindruck zu vermitteln. So kommt der Glaube auf relationale Weise zur Darstellung. 3.2 Ästhetik M. E. kommen mindestens noch zwei weitere Dimensionen hinzu: Jede Feier hat ihre eigene Ästhetik. Sie kann schlicht und einfach, aber auch feierlich und erhaben begangen werden. Sei es, dass z. B. die Einsetzungsworte gesprochen oder gesungen werden, sei es, dass die Kommunion im kleinen Kreis sehr persönlich oder in einer Feier mit Hunderten von Glaubenden sehr prächtig begangen wird – es wird sich jeweils eine andere ästhetische Erfahrung einstellen. Eine Feier ohne eine wie auch immer geartete Ästhetik gibt es nicht. Das kann man an den Feiern der Eucharistie in der römisch-katholischen Messe und an der Feier des Abendmahls in der reformierten Kirche nachvollziehen: Da die römisch-­katholische Kirche die Realpräsenz von Jesus Christus in Brot und Wein annimmt und die Glaubenden mit Brot und Wein den wahren Leib und das wahre Blut Christi empfangen, wird diese Feier feierlich als Kult begangen. Da die reformierte Kirche annimmt, dass Jesus Christus nicht in Brot und Wein realpräsent ist, sondern die Glaubenden direkt durch den Heiligen Geist Anteil an Christi Leib und Blut Christi erhalten ohne verwandelte Gaben (Frage 79), wird

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diese Abendmahlshandlung weder feierlich noch als ritueller Kult begangen, da das hier angenommene Wirken des Geistes nicht in besonderer Weise ästhetisch darstellbar ist, sondern rein innerlich wirkt. Da das Brot und der Wein äußere Zeichen sind zur Versiegelung des Glaubens und damit dieser Glaube besser verständlich ist, wird eine schlichte Feier bevorzugt, die ihre ganz eigene, wenn auch schlichte Ästhetik hat. Daran ist sichtbar, dass die Ästhetik konstitutiv für die Gestaltung der Feier ist, und, wie im Folgenden gezeigt werden soll, es auch das Ritual ist. 3.3 Ritual Ein Ritual ist nicht etwas, was noch irgendwie zur Feier des Abendmahls / der Eucharistie hinzukommt oder auch verhindert werden könnte. Die neuere Ritualforschung ist sich darüber im Klaren, dass ein Ritual ein Handlungstyp sui generis ist und sich von anderen Handlungstypen unterscheidet.20 Bei den Ritualen, die in den verschiedenen Traditionen gefeiert werden, kommt noch hinzu, dass sich in ihnen die Glaubenserfahrungen über Jahrhunderte hin verfestigt haben. Das nimmt man bei Ritualfeiern auch als Ästhetik wahr. Das Ritual ist also mehr als nur eine Durchführung der Feier, denn es beinhaltet, bewahrt und verdichtet Glaubenserfahrungen, an denen die heute Feiernden partizipieren.21 Die Feier als Ritual ist eine ganz eigene Glaubensdarstellung, die sich aus der Glaubenstradition und den Glaubenserfahrungen der aktuell feiernden Glaubenden speist. Das bedeutet, dass diese Feier nicht allein aufgrund von lehrmäßigen Entscheidungen entstanden ist, sondern die verdichtete Glaubenserfahrung seit dem Beginn der Feier, die die Evangelisten und Paulus auf Jesus selbst zurückführen, bis auf den heutigen Tag beinhaltet. Das heißt, dass der gelebte Glaube ebenso wie der reflektierte Glaube als lehrmäßige Überzeugung die Feier geprägt haben und prägen. Auch hier gilt, dass der Glaube der lehrmäßigen Überzeugung vorausgeht bzw. mit ihr zusammen entsteht: Denn wer kann oder möchte etwas glauben, was er nicht irgendwie auch reflektiert oder zumindest zu verstehen versucht? Selbst wenn der Glaube grundlegend als Vertrauen gekennzeichnet wird, wird sich mit diesem Glauben auch ein Reflektieren dieses Vertrauens einstellen. Blindes Vertrauen halte ich nicht für christlich.

20 Neijenhuis, Jörg: Liturgik (Kompendien Praktische Theologie 5). Kohlhammer: Stuttgart 2020, 111–115. 21 Odenthal, Andreas: Rituelle Erfahrung. Praktisch-theologische Konturen des christlichen Gottesdienstes (PTHe 161). Kohlhammer: Stuttgart 2019, 23–25.

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3.4 Der „Gehalt der Feier“ Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das auch vom Votum intendiert wurde, da es ihm um den Gehalt der Feier geht.22 Im Abschnitt 5.3.6 (Seite 62) wird unter dem Stichwort der ökumenischen Hermeneutik festgehalten, dass die Glaubenden, besonders jene, die in konfessionsverbindenden Ehen leben, für hochdiffizile theologische Begründungen kaum Verständnis aufbringen, wenn sie daran gehindert werden, gemeinsam als Ehepaar an einer Kommunion teilzunehmen. Denn folgende Gewichtung soll gelten: „Vorrangig ist das gemeinsame Verständnis des Gehalts der eucharistischen Feier, nachrangig ist die Frage der spezifischen liturgischen Gestaltung sowie die Frage nach den angemessenen Leitungsdiensten.“ Wie schon erwähnt, scheint mir das problematisch zu sein, wenn Inhalt und Form, das Gehörte und das Gesehene, einander nicht adäquat zugeordnet werden. Damit ist keiner Einheitsliturgie das Wort geredet, die es nie gegeben hat. Aber gerne wird gesagt, dass der Inhalt gleich bleibt, aber die Verwirklichung – also die äußere Gestalt respektive die Form – kann variieren. Das kann wohl schon allein deswegen nicht stimmen, weil auch der eine und immer gleichbleibende Inhalt bzw. der Gehalt, wie sich das Votum ausdrückt und damit vermutlich meint, was Jesus mit der Einsetzung des Abendmahls gewollt hat, mit immer wieder unterschiedlichen Worten ausgedrückt werden kann. Entsprechend kann der gleichbleibende Inhalt auch mit verschiedenen Formen gestaltet und zum Ausdruck gebracht werden. 3.5 Der tatsächliche Vollzug der Feier Die Handlungen der Feier werden im katholischen Messbuch bis in die Bewegungen des Priesters hinein festgelegt, in der evangelischen Tradition bleiben sie der jeweiligen Pfarrperson überlassen. Aber damit ist die Feier noch nicht vollständig erfasst, weil es nicht allein darauf ankommt, was in Agenden steht, sondern vielmehr darauf, was tatsächlich gefeiert wird. Erst im Vollzug kann man von Wirkungen sprechen, die sich ereignen. Und von diesen Wirkungen wird geglaubt, dass sie sich auch dann ereignen, wenn z. B. nicht theologisch geschulte Christen mit ihrer Erfahrung und mit ihrem Wissen, das sie gegebenenfalls im Religionsunterricht, im Konfirmanden- oder Kommunionsunterricht, aber auch im Mitbeten der Abendmahls- bzw. Eucharistiegebete erfahren und gelernt haben, an diesen Feiern teilnehmen. Wäre es da nicht wichtig, dass Kirchenleitungen und Gemeindeleitungen sehr genau hinschauen, was in diesen Feiern tatsächlich gehört und gesehen wird? 22 Gerhards, Albert / S chwier, Helmut: Ambiguitätstoleranz. Liturgiewissenschaftliche Anmerkungen zur Frage der gegenseitigen Einladung zum Tisch des Herrn, in: Sattler, Dorothea /  Leppin, Volker (Hg.): Gemeinsam am Tisch des Herrn, II. Anliegen und Rezeption (wie Anm. 4), 67–77.

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Damit bekommt das sogenannte Äußere eine Gewichtung, die zumindest im evangelischen Bereich meist gerne mit Äußerlichkeiten verwechselt wird. Äußerlichkeiten mögen gegenüber dem Eigentlichen eher unwichtig sein, aber das Äußere und das Innere stehen immer in einem unauflöslichen Zusammenhang. Eine Abendmahlsfeier wird nicht ohne äußeres Brot und äußeren Wein gefeiert werden können, wird nicht ohne das äußere, gehörte Wort gefeiert werden können und ebenso wenig, ohne dass die Kirche bzw. die Feiernden, seien es Pfarrpersonen als Theologen oder Glaubende als Nichttheologen, diesen Worten und diesem Brot und Wein einen Inhalt, das Innere, entnehmen können. Der unauflösliche Zusammenhang von Äußerem und Innerem ergibt für die Glaubenden einen Sinn, ohne den sie diese Feier nicht mitvollziehen, sei es, weil sie nicht verstehen, was da vor sich geht, sei es, weil sie diesen Glaubenssinn nicht mit ihren eigenen Glaubensansichten verbinden können. 3.6 Wirkung für alle Christen Darüber hinaus denke ich, dass die von mir mehrfach betonte Unterscheidung zwischen Theologen und Nichttheologen hinfällig ist, wenn es um die Wirkung der Sakramentsfeier geht. Die Wirkung der Sakramentsfeier ist unabhängig davon, ob die teilnehmenden Christen Theologinnen bzw. Theologen sind oder nicht. Ich will damit nicht sagen, dass die theologische Reflektion unwichtig ist. Aber ihre Funktion hat sie darin, dass die Theologen bzw. die Theologinnen mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung für die rechtmäßige Leitung und rechtmäßige Ausführung der Sakramentsfeier stehen und diese verbürgen, weil sie dazu das Wissen einschließlich der Reflektionsfähigkeit und zudem die Beauftragung haben, diese Feier zu leiten. Sie garantieren aufgrund ihres Amtes die Rechtmäßigkeit im Sinne der beauftragenden Kirche. Aber die Wirkung der Feier gilt allen Christen in gleichem Maß. Darum muss auf eine geeignete Liturgie geschaut werden, die den Glauben der jeweiligen Kirche zur Darstellung bringen kann. Denn in jeder Liturgie ist mehr enthalten, als was die reine Lehre ausdrücken kann. Die Liturgie ist keine Anwendung, kein Resultat der Umsetzung von Lehre, gar noch der Umsetzung einer Theorie in die Praxis, deren Resultat oftmals eine beliebige Liturgiebastelei ergibt. In den Liturgien ist über den Ausdruck der Lehre hinausgehend Glaubenserfahrung enthalten. Es sind auch Momente enthalten, die über die alltäglichen Erfahrungen hinausgehen, denn ob das Brot und der Wein nun verwandelte Gaben (römisch-katholisch) oder unverwandelt (reformiert) sind, ist beim Essen und Trinken der Gaben erstmal keine Glaubenserfahrung, sondern ein Glaubenswissen. Dieses Glaubenswissen, das zu einer geistlichen Erfahrung werden kann, wird in der Liturgiefeier ansichtig: Wenn Hostien nach der Feier im Tabernakel aufbewahrt werden (römisch-katholisch) oder nach der Feier keine besondere Beachtung finden (reformiert), dann wird das jeweilige Glaubenswissen in dieser Handlung zum Ausdruck gebracht und wird damit der Erfahrung zugänglich aufgrund der jeweiligen Glaubensüberzeugung.

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4. Schlussgedanken Von diesen Handlungsfragen kann auch bei einem gemeinsamen Votum nicht abgesehen werden. Ebenso muss nach der Bedeutung der Liturgie gefragt werden, die erst als gefeierte Liturgie als vollzogenen Handlung ihre Gestalt findet. Wenn aber Gegenteiliges ausgesagt wird (werden die Gaben verwandelt oder nicht) und die jeweiligen Glaubensüberzeugungen Gestalt in der Tradition angenommen haben, ist eine Einigung nur möglich, wenn die Gestalt der liturgischen Tradition und letztendlich auch die Lehre verändert wird. Denn die Gestalt und die Lehre des Abendmahls / der Eucharistie müssen sich entsprechen, wenn sie denn einen Sinn für die Glaubenden bereithalten wollen bzw. sollen. Äußere Gestalt, also das Gesehene, und innere Bedeutung bzw. Inhalt, also das Gehörte, müssen sich entsprechen, andernfalls ist wohl von Willkür oder entsprechender geistlicher und theologischer Unkenntnis auszugehen, die die Kirchen bzw. die Kirchenleitungen nicht verantworten können und wohl auch nicht wollen. Im Beispiel: Wenn die reformierte Kirche die nicht verwandelten Gaben in einem Tabernakel aufbewahren würde, so wäre dies widersinnig, denn wozu sollte sie das tun, wenn sie nicht glaubt, dass Jesus Christus in den verwandelten Gaben realpräsent bleibt? Letztlich geht es, so das Votum, um den Gehalt, den Jesus mit der Einsetzung des Abendmahls gewollt hat. Und letztendlich ist genau dies das Mysterium, das mit dem Abendmahl / der Eucharistie gefeiert wird. Sicherlich kann und wird dieses Mysterium mit unterschiedlichen Worten, Handlungen und Ästhetiken rituell gefeiert. Aber das entbindet keine Kirche, keine Liturgie davon, doch genau das in Worte, Handlungen, Ästhetiken und Rituale zu fassen, was die Kirche bzw. die Feiernden glauben. Es kann keinen Gegensatz geben zwischen dem, was man glaubt, und dem, was man im Glauben in Worte bzw. Handlungen etc. fasst. Sicherlich liegt der Liturgie dieses Mysterium voraus, dass hier Gott, der Vater in Jesus Christus durch den Heiligen Geist handelt. Wir glaubende Menschen können nur immer wieder letztendlich und letzthinnig versuchen, dieses Mysterium in Worten, in Handlungen, in Liturgien zum Ausdruck zu bringen. Wir tun dies immer in der Hoffnung, dass wir damit Gottes Handeln zum Ausdruck bringen. Insofern können unsere Worte und Handlungen als Zeichen verstanden werden, die auf dieses Mysterium hinweisen. Aber wenn man an der Realpräsenz festhalten will, greift an dieser Stelle das Zeichenverständnis nicht mehr: Denn Brot und Wein einschließlich der Worte weisen nicht auf Jesus Christus hin, sondern sind Jesus Christus. Die Worte, die mit den Gaben Brot und Wein verbunden werden, sind dieses Mysterium selbst. Damit wird aufgenommen, was Paulus und die Evangelisten tradiert haben, denn Jesus hat sich in Gegenwart seiner Jünger mit dem von ihm ausgeteilten Brot und Wein identifiziert: Das ist mein Leib, das ist mein Blut.

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Abstract: Jörg Neijenhuis explores the motto Together at the Lord’s Table of the Ecumenical Working Group, placing emphasis on the liturgy of the Lord’s Supper or Eucharist actually celebrated, with particular emphasis on what is heard and seen. Since the motto has been received by theologians and church leaders both approvingly and, for example, by the Roman Catholic Church disapprovingly, further possible arguments are listed which seem worth considering for a continuation of the discussion on mutual admission to and participation in the Lord’s Supper / Eucharist. The substantive discussion is about the effects of the celebration of the Lord’s Supper / Eucharist and the liturgies actually celebrated. In this way, what is heard and seen as a unity of form and content, and thus also the aesthetics and the ritual, are given special weight.

Das gottesdienstliche Leben der Deutschkatholischen Gemeinde in Saarbrücken Joachim Conrad

1. Vorgeschichte Zwei Ereignisse förderten im Rheinland die Entstehung des Deutschkatholizismus. In Köln tobte seit 1837 der Mischehenstreit.1 Erzbischof Clemens August von Droste zu Vischering beharrte darauf, dass in gemischten Ehen die Eltern die katholische Kindertaufe zu versprechen hatten, wollten sie katholisch getraut werden. Auch lehnte er eine Sitte ab, die in den Regionen verbreitet war, dass nämlich die Hebamme das Kind zur Taufe brachte – und in den evangelischen Territorien war die Amme in der Regel evangelisch.2 Daneben provozierte der Trierer Bischof Wilhelm Arnoldi mit der HeiligRock-Wallfahrt 1844 einen offenen Brief des schlesischen Kaplans Johannes Ronge3, der sich zur Speerspitze des aufgeklärten Widerstandes ernannte und im Januar 1845 die Gründung einer „rom-freien“ Kirche propagierte. Sein Ansinnen verband sich mit den Gedanken von Johann Czerski, Vikar in Schneidemühl. Am 23. März 1845 fand in Leipzig ein „Konzil“ statt, bei dem fünfzehn Gemeinden die Deutschkatholische Kirche gründeten. Hauptredner auf dem Konzil war Robert Blum, Vorsitzender der Leipziger Gemeinde und zugleich Führer der Linken in der Frankfurter Nationalversammlung.4 Die neue Kirche verwarf nicht nur den Primat des Papstes, sondern zugleich die Hierarchie. Es wurde eine Presbyterialverfassung etabliert; immer zu Pfingsten sollten Wahlen stattfinden. Verworfen wurden allmählich alle römischen Bräuche: die Ohrenbeichte, der Zölibat, die Anrufung der Heiligen, die Verehrung der Bilder und Reliquien, die Ablässe, das Fasten und alle Wallfahrten. Die deutschkatholische Bewegung erreichte 1847 ihre größte Ausdehnung mit 88 Geistlichen in 259 Gemeinden: Die Zahl der Mitglieder wird auf 70.000 Personen geschätzt. Der Deutschkatholizismus trat „mit dem Anspruch [auf], zur 1 Keinemann, Friedrich: Das Kölner Ereignis. Sein Widerhall in der Rheinprovinz und in Westfalen. Aschendorff: Münster 1974. 2 Stollenwerk, Alexander: Der Deutschkatholizismus in den Preußischen Rheinlanden (= Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte Bd. 15), Mainz 1971, 16. 3 Ebd. 4 Ebd.

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Einheit und inneren Freiheit Deutschlands zu führen; er wollte Elemente des Protestantismus und des Katholizismus in einer neuen rationalistischen Religion verschmelzen.“5 Als der Deutschkatholizismus im Rheinland Fuß fasste, war er besonders erfolgreich in den Gebieten, in denen die Katholiken in vorherrschend evangelischen Gebieten in der Diaspora lebten. „Darum begegnet uns der Deutschkatholizismus in überwiegend protest[antischen] Städten […]. Die Anhänger kamen hier fast nur aus dem Katholizismus, und die Verheirateten unter ihnen lebten [fast alle] in gemischter Ehe. Während der evang[elische] Teil und die evang[elischen] Kinder in der Regel bei ihrer Religion blieben, schlossen sich der katholische Teil und die katholischen Kinder der neuen Gemeinde an.“6 Nach der bürgerlichen Revolution begann der Verfall. Die Theologie der deutschkatholischen Gemeinden bewegte sich hin zu Rationalismus und Pantheismus, verschmolz mit den „Protestantischen Lichtfreunden“7, fühlte sich 1859 als freie protestantische Gemeinde – es blieben nur neunzig Gemeinden am Leben – und nannte sich später den atheistischen „Bund freier religiöser Gemeinden Deutschlands“, seit 1921 der Freidenkerbund.

2. Die deutschkatholische Gemeinde Saarbrücken 2.1 Die Gründung Mitte April 1845 wandten sich drei Männer namens Eickhoff, J. Ch. Mayer und E. K. Dörr an den Glasfabrikanten und Kaufmann Johann Ludwig Wagner (1789–1871), seit September 1844 kommissarischer Bürgermeister von Saarbrücken, um „ganz ergebenst anzuzeigen, daß in Gefolge einer gestern in einem Privathause abgehaltenen Versammlung von Katholiken, sich Eine Deutsch-katholische Gemeinde dahier gebildet, indem wir Ihnen diese Anzeige ergebenst machen, beehren wir uns Ihres Wohlgewogenseins für diese junge Gemeinde zu erbitten und noch die Bemerkung hinzuzufügen, daß, indem wir uns von der römisch-katholischen Kirche, welche wir nach der ächten Christuslehre leben, für katholisch halten, gänzlich lossagen, wir jedoch als bleibende wahre Katholiken uns alle Rechte ausdrücklich vorbehalten, welche uns an dem hiesigen katho­ lischen Kirchenvermögen zustehen.“8 Der Brief hat kein Datum, Eingangsdatum ist der 21. April 1845. Der Gründungsgottesdienst9 wurde auf den 8. Juni 1845 festgesetzt. Die Teilnehmerzahl wurde auf fünftausend Menschen geschätzt, besonders aus den 5 Ebd., 15. 6 Ebd., 17. 7 Uhlig, Christian: Art. Lichtfreunde, in: TRE 21 (1991), 119–121. 8 Stadtarchiv Saarbrücken. Best. Bürgermeisterei Alt-Saarbrücken 723. 9 LHA Koblenz Best. 442 Bezirksregierung Trier. Nr. 5202 Behandlung der Angelegenheiten der Dissidenten 1845–1857. Bericht des Saarbrücker Landrates Friedrich Hesse vom 13. Juni 1845.

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Landkreisen Saarlouis und Ottweiler seien Besucher gekommen.10 Die evangelische Bevölkerung der Stadt Saarbrücken war stark vertreten; es seien aber auch zahlreiche Katholiken gekommen, die sich „ruhig und besonnen“ verhalten hätten. Gerade die evangelische Bevölkerung sah sich verpflichtet, die Dissidenten zu fördern. Daher kam eine Sammlung von 2.300 Thalern zusammen, sicherlich nicht aus dem Geldbeutel der 88 Deutschkatholiken und – wenn überhaupt – eher sparsam aus dem der römischen Katholiken. Im Kontext der formalen Gründung der deutschkatholischen Gemeinde in Saarbrücken bemühte sich der Gemeindevorsteher, Forstmeister Eickhoff, um einen Pfarrer. Er wandte sich am 21. April 1845 an den aus Beuren nahe Saarburg stammenden Priester Nikolaus Driesch11, der als Deutschlehrer an der Militärschule Collège Henri-IV de La Flèche arbeitete. Aber der erteilte Eickhoff eine Absage, vielmehr habe er seine Irrtümer erkannt und sei von ihnen abgerückt. Nun wandte sich Eickhoff an den Lockweiler Pfarrer Johann Faß.12 In einem Bericht informierte der Trierer Regierungspräsident Rudolf von Auerswald am 23. August 1845 Friedrich Eichhorn, den Minister für geistliche etc. Angelegenheiten, der Priester Johann Faß sei aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten „Der Pfarrer Faß ist im besten Mannesalter und ein fähiger Mann, dagegen sein Lebenswandel nicht ohne erhebliche Ausstellungen. Er lebte mit seiner Gemeinde in großem Unfrieden und in verwickelten Geldverhältnissen, die selbst zu gerichtlichen Klagen Anlaß gegeben.“13 Schon als Pfarrer von Krettnach war Faß in den Trierischen Reformkreisen aktiv.14 Bischof Wilhelm Arnoldi von Trier gab am 20. August 1845 dem Regierungspräsidenten Nachricht, dass er Faß vier Tage zuvor suspendiert habe, auch solle man ihm das Gehalt nur bis zu diesem 16. August zahlen.15 Faß verhandle zu 10 Ebd. 11 Nikolaus Driesch, *11. März 1803 in Beuren bei Saarburg, 1827 Priesterweihe, †29. März 1883 in Beuren. Er hatte nach der Weihe Philologie in Bonn studiert, dann nach dem Staatsexamen am Trierer Gymnasium unterrichtet, sich aber deutlich rein deistischen Überlegungen angeschlossen und sich um 1837 von der Kirche getrennt. Anfangs in Paris als freier Schriftsteller und Dolmetscher tätig, nahm er bald die Stelle an der Militärschule an. Vgl. Fox, Nikolaus: Aus dem Leben von Nikolaus Driesch, Saarlouis 1933, 73 f. Driesch versöhnte sich mit der katholischen Kirche und starb in seinem Geburtsdort. 12 Johann Faß, geboren am 25. Oktober 1802 in Trier, empfing am 17. September 1825 die Priesterweihe. Nach dem Kaplanat in Merzig wurde er 26jährig Pfarrer in Krettnach, bereits 1831 in Bleiderdingen und 1834 in Lockweiler. Vgl. Stollenwerk, Alexander: Der Deutschkatholizismus (wie Anm. 2), 163–169. 13 LHA Koblenz Best. 403 Oberpräsidium der Rheinprovinz. Nr. 10755 Bildung von sogenannten deutsch-katholischen oder katholisch-christlichen Gemeinden bzw. Dissidentengesellschaften, Bd. 1 (1845–1859). Bericht des Trierer Regierungspräsidenten Rudolf von Auerswald an das Oberpräsidium vom 23. August 1845. 14 Vgl. Thomas, Alois / Günther, Wilhelm Arnold: 1763–1843. Staatsarchivar in Koblenz. Generalvikar und Weihbischof in Trier (= Veröffentlichungen des Bistumsarchivs Trier Heft 4), Trier 1957, S. 58. 15 Bistumsarchiv Trier Abt. 70 Pfarrakten des Bischöflichen Generalvikariates Trier 1821 ff. Best. 3507 Nr. 102; LHA Koblenz Best. 403 Oberpräsidium der Rheinprovinz. Nr. 10755 Bildung von sogenannten deutsch-katholischen oder katholisch-christlichen Gemeinden bzw. Dissiden-

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dem mit den Deutschkatholiken in Saarbrücken. Und schon mit Datum vom 22. August 1845 teilte der Gemeindevorsteher Eickhoff mit, man habe Johann Faß zum deutschkatholischen Pfarrer der Gemeinde gewählt. Hatte der Trierer Regierungspräsident von Auerswald noch am 28. Juni des Jahres dem Oberpräsidenten Franz Eichmann erklärt, „einen eigenen stehenden Geistlichen hat der Verein bis jetzt noch nicht“16, und hatte der Oberpräsident durch die Regierung in Trier der deutschkatholischen Gemeinde Saarbrücken mitteilen lassen, an eine formale Anerkennung als Religionsgemeinschaft sei nicht zu denken, so beantragte die Gemeinde nach den Verhandlungen mit Faß am 5. September in einem Brief an König Friedrich Wilhelm IV. erneut die Anerkennung durch den Staat.17 Die Saarbrücker gaben an, die Gemeinde habe bereits zweihundert Mitglieder gewonnen. Minister Eichhorn wies aber noch einmal das Ansinnen zurück.18 2.2 Das Leben der Gemeinde Der Saarbrücker Landrat Friedrich Hesse schrieb in einem Bericht an die Regierung, es seien anfangs 54 erwachsene Personen zum Deutschkatholizismus konvertiert, also mit den Kindern etwa einhundert.19 Schon für Juni 1846 wurde die Zahl mit 150 angegeben, im September mit 182.20 Das einzige Kirchenbuch der deutschkatholischen Kirchengemeinde Saarbrücken ist ein Sammelkirchenbuch und befindet sich im Stadtarchiv Saarbrücken.21 Es gibt Eintragungen von 1845 bis 1851, und zwar 75 Taufen (pag. 3–12), dreißig Konfirmationen (pag. 100–101), 23 Trauungen (pag. 170–172) und 37 Bestattungen (pag. 270–272). Fünfzehn Familien ließen zwei Kinder, und drei Familien sogar vier Kinder in der kurzen Zeit der Existenz dieser Pfarrei taufen; insgesamt sind es nur 51 namentlich erfasste Familien. Die exemplarische Auswertung der 75 Taufen nach den Berufen der Väter ergibt ein interessantes Bild: Elf Bergknappen und vier Bergleute sowie zwei Bergbeamte und ein Steiger werden genannt. Das ist wenig tengesellschaften, Bd. 1 (1845–1859). Brief von Bischof Wilhelm Arnoldi an Regierungspräsidenten Rudolf von Auerswald vom 20. August 1845. 16 LHA Koblenz Best. 403 Oberpräsidium der Rheinprovinz. Nr. 10755 Bildung von sogenannten deutsch-katholischen oder katholisch-christlichen Gemeinden bzw. Dissidentengesellschaften, Bd. 1 (1845–1859). Brief des Regierungspräsidenten Rudolf von Auerswald an den Oberpräsidenten Franz Eichmann vom 28. Juni 1845. 17 Ebd. Am 12. Oktober 1845 schickte Oberpräsident Franz Eichmann die unmittelbar an den König gerichteten Gesuche zurück. 18 LHA Koblenz Best. 441 Deutsch-katholische Dissidentenvereine im Regierungsbezirk Koblenz 1845–1893 Nr. 15506 Brief des Oberpräsidenten Franz Eichmann an die Regierung in Koblenz vom 1. September 1845 wegen der deutschkatholischen Gemeinde in Kreuznach. 19 LHA Koblenz Best. 442 Bezirksregierung Trier. Nr. 5202 Behandlung der Angelegenheiten der Dissidenten 1845–1857. Bericht des Saarbrücker Landrats Friedrich Hesse vom 30. Mai 1845. 20 Und zwar 56 verheiratete Männer, 30 verheiratete Frauen, 21 unverheiratete Männer, 2 unverheiratete Frauen, der Rest Kinder. 21 Stadtarchiv Saarbrücken KB 38 Deutschkatholisches Kirchenbuch 1845–1851.

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für die Saargegend. Ein Leutnant des 9. Husaren-Regimentes, ein Arresthausverwalter, ein Maurermeister, ein Schichtmeister und ein Gutsbesitzer gehören einer gehobeneren Klasse an. Ansonsten sind Handwerker und Tagelöhner die Gemeindeglieder.22 Bei den Konfirmationen werden sechs Bergknappen, drei Wirte sowie je zwei Kaufmänner und zwei Schlosser genannt, ansonsten der erwähnte Arresthausverwalter, der Gemeindevorsteher Forstmeister Eickhoff, ein Steiger und ein Tierarzt. Auch hier sind die meisten Handwerker.23 Im Bericht des Landrates Hesse werden neben dem Forstmeister und dem Tierarzt zwei Bergbeflissene, fünf Offiziere – davon vier unverheiratet –, eine Offiziersfrau und eine adlige Förstersfrau genannt.24 Tatsächlich scheint die Mischehenfrage in Saarbrücken von Relevanz, denn die evangelischen Kinder verblieben in ihrer Konfession.

3. Liturgie und Liedgut im Saarbrücker deutschkatholischen Gesangbuch Der vollständige Titel des Saarbrücker deutschkatholischen Gesangbuches lautet: „Deutschkatholisches Gebet- und Gesangbuch. Herausgegeben von Johann Fass, deutschkatholischem Pfarrer und genehmigt von dem Gemeinde-­ Vorstande und den Ältesten zu Saarbrücken. Saarbrücken 1846.“25 Drucker war Heinrich Arnold († nach 1853). Die Lieder stehen ohne Noten und verweisen auf Melodien mit Nummern. Es gibt weder ein Vorwort noch ein Nachwort. Das Saarbrücker Gesangbuch besteht aus zwei Abteilungen und orientiert sich damit an zeitgenössischen Gesangbüchern, die ebenfalls in Abteilungen gegliedert sind. 3.1 Die Morgen- und Hausandachten Die erste Abteilung26 präsentiert ein langes Morgengebet sowie Lieder für die Morgen- und Hausandachten, namentlich: 22 Es sind neun Tagelöhner, sieben Schneider, je vier Schäfer und Schuhmacher, je drei Schmiede, Steingutarbeiter und Wollspinner, je zwei Dachdecker, Federreiniger, Gärtner, Sandgießer und Schreiber sowie je ein Bierbrauer, Förster, Gerber, Gerichtsbote, Häfner, Schieferdecker, Schlosser, Schreiner, Seiler, Sekretär und Tapezierer. Bei drei Täuflingen wird kein Beruf genannt. 23 Es sind je ein Bäcker, Gefangenenwärter, Maler, Maurer, Schreiner, Steingutarbeiter, Tagelöhner und Tapezierer. 24 LHA Koblenz Best. 442 Bezirksregierung Trier. Nr. 5202 Behandlung der Angelegenheiten der Dissidenten 1845–1857. Bericht des Saarbrücker Landrats Friedrich Hesse vom 30. Mai 1845. 25 Landesarchiv Saarbrücken. Best. St. Arnual Stiftsbibliothek. Nr. 279-01 Deutschkatho­ lisches Gebet- und Gesangbuch. Im „Saarboten“ erschien eine „Literarische Anzeige“, in der der deutschkatholische Pfarrer Johann Faß ein deutschkatholisches „Gebet und Gesangbuch für 6 Sgr. anbot, mit besserem Papier und gebunden bis zu 25 Sgr.“ Zitiert nach: Stollenwerk, Alexander: Der Deutschkatholizismus (wie Anm. 2), 167. 26 Vgl. Deutschkatholisches Gebet- und Gesangbuch (wie Anm. 25), 1–7.

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Gestärkt vom sanften Schlaf der Nacht, fünf Strophen Mein Erstgefühl sei Preis und Dank, acht Strophen Des neuen Tages heiteres Licht, drei Strophen Wach auf mein Herz und singe, drei Strophen

Das genannte Morgengebet27 beginnt mit dem klassischen Dank für die Behütung in der Nacht und wendet sich dann – um Gottes Segen bittend – dem neuen Tag zu. Bemerkenswert ist aber die Betonung der Achtsamkeit für die Nachfolge: „Dir, meinem Gott und Vater weihe ich deßhalb diesen Tag, Dir alle Tage meines Lebens mit allen Gaben und Kräften meines Leibes und meiner Seele. Dir meinem Herrn will ich durch einen frommen Wandel dienen, und deinen herrlichen Namen preisen durch alle meine Gedanken, Worte und Werke. Segne, o Herr, mich dein Geschöpf, das zu Deiner Barmherzigkeit fleht, und Dir all seinen Willen in Demuth aufopfert. Schenke mir heilige Liebe zu Dir, daß ich Dich stets mit kindlicher Ehrfurcht als meinen besten Vater verehre, Dir mit ganzer Seele vertraue, und dankbar aus deiner Vaterhand annehme, was immer Deine liebevolle Weisheit über mich beschlossen und zu meinem Heile angeordnet hat.“28

Der Dienst in der Welt und der Gehorsam vor Gott, der auch das Schwere aus der Hand Gottes annimmt, werden im Glauben als zwei Seiten derselben Medaille verstanden. 3.2 Der Haupt-Gottesdienst Es folgt der Haupt-Gottesdienst29 – das Wort „Messe“ wird nicht verwendet –, beginnend mit einem Vorbereitungsgebet, dessen Schwerpunkt lautet: „Erfülle nun, Herr! das Flehen Deiner Diener, wie es zu unserem zeitlichen und ewigen Heile gereichen mag. Verleihe uns in dieser Welt die Erkenntnis der Wahrheit und in der künftigen das ewige Leben durch Jesum Christum unsern Herren. Amen.“30 Das Gebet betont die Heiligung des Glaubenden, nicht aber die Unterweisung durch Gottes Wort im Gottesdienst, und bleibt damit in der katholischen Tradition. Die deutschkatholische Liturgie besteht aus den nachfolgenden Stücken: – Votum „Im Namen des Vaters …“ – Eingangslied – Confiteor – Kyrie (deutsch) – Gloria (deutsch) – Salutatio und Kollektengebet31

27 Ebd., 1–3. 28 Ebd., 2. 29 Ebd., 7–18. 30 Ebd., 7–8. 31 Es werden S. 13–15 drei Gebete angeboten.

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Lied Epistel und Evangelium Halleluja Predigt Lied Glaubensbekenntnis Lobpreisung32 und Sanctus Einsetzungsworte33 Austeilung unter einem Abendmahlslied Salutatio und Dankgebet34 Schlusslied Segen

3.2.1 Das Ordinarium Die Ordinariumsstücke zeigen sich stark verkürzt: Das Kyrie besteht aus vier Teilen. Da die Melodien fehlen, bleibt offen, ob das Kyrie in der gregorianischen Tradition gesungen wird, dass also das erste Kyrie dreimal, das Christe dreimal, das zweite Kyrie zweimal und das letzte einmal gesungen wird. Es könnte auch das erste Kyrie vom Geistlichen vorgesungen sein, um die Melodie anzugeben, und dann singt die Gemeinde nur ein dreifaches Kyrie, stilistisch nach dem Modell von Luthers Kyrie (EG 178.3). Jedenfalls ergibt sich folgende Gliederung: „Geistl. singt: Herr erbarme dich unser! Gem.: Herr erbarme dich unser! Christe erbarme dich unser! Herr erbarme dich unser!“35

Das Gloria ist ebenfalls sehr stark verkürzt: „Geistl.: Ehre sei Gott in der Höhe! Gem.: Und Friede den guten Menschen! Amen.“36

Als Credo wurde weder das Nicaenum noch das Apostolicum verwendet, und zwar aus fundamentaler Kritik der Deutschkatholiken an den alten Formen und Formeln, die niemand mehr – so die Meinung – verstehe. Schon am 19. Oktober 1844 hatte Johann Czerski eine erste Fassung für ein Credo erarbeitet.37 Dieses Glaubensbekenntnis verlangte das Abendmahl sub una utraque und verwarf die katholischen Sitten.38 Czerski legte es am 27. Oktober 1844 der Regierung in 32 Formal eher eine Abendmahlsvermahnung als eine Präfation, es folgt aber das Sanctus als Lobpreisungslied. 33 „Geistlicher liest ein Stück aus der Leidensgeschichte mit den Einsetzungsworten des heiligen Abendmahles“, vgl. Deutschkatholisches Gesangbuch (wie Anm. 25), 12. 34 Ebd. Es werden S. 15–17 drei Gebete angeboten; es folgt ein Gebet für den Landesherrn. 35 Ebd., 9. 36 Ebd. 37 Vgl. Bretschneider, Carl Gottlieb: Für die Deutschkatholiken. Ein Votum, Jena 1845, 4 f. 38 Besonders das Fegefeuer, die Heiligsprechung, die Heiligenverehrung, die Sündenvergebung durch den geweihten Geistlichen, das Fasten, die Kirchensprache, den Zölibat, die Mischehenbestimmungen und den Primat des Papstes.

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Bromberg vor und beantragte die staatliche Anerkennung der Gemeinde. Drei Tage später wurden er und seine Leute exkommuniziert. In Saarbrücken verwendete man dagegen das auf dem sogenannten Leipziger Konzil aufgestellte Glaubensbekenntnis. Das lautet ganz knapp: „Ich glaube an Gott den Vater, der durch sein allmächtiges Wort die Welt geschaffen und sie in Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe regiert. Ich glaube an Jesum Christum, den Sohn Gottes, unsern Heiland. Ich glaube an den heiligen Geist, eine heilige, allgemeine, christliche Kirche, Vergebung der Sünden und ein ewiges Leben.“39

Im Breslauer Credo, das in Leipzig ebenfalls zur Beschlussfassung vorlag, hieß der 2. Artikel noch ausführlicher: „Ich glaube an Jesum Christum, unseren Heiland, der uns durch seine Lehre, sein Leben und seinen Tod von der Knechtschaft der Sünde erlöst hat.“40 Es fällt auf, dass der zweite Artikel der Leipziger Fassung, der ja eigentlich durch die Passionsgeschichten biblisch gut fundamentiert ist, auf einen einzigen schlichten Satz zusammengeschrumpft ist. Dadurch entfielen alle dogmatisch anstößigen Elemente: die Jungfrauengeburt, die Höllenfahrt, die Auferstehung, die Himmelfahrt und die Wiederkunft einschließlich des Jüngsten Gerichtes. Es blieben das Wort „Heiland“ und die Schlussformel „ein ewiges Leben“ – was schon genug verwundert. Das Sanctus wird durch ein „Lied der Lobpreisung“ ersetzt, in Klammern aber das Wort „Sanctus“ ergänzt.41 Es sind mehrere Sanctus-Lieder im Gesangbuch vorgesehen. Das Agnus Dei entfällt ganz. 3.2.2 Das Proprium Das Proprium, das erwartungsgemäß das Kirchenjahr aufnehmen sollte, ist stilistisch eher neutral einzustufen. Das Confiteor ist ohne jeden Bezug zur Kirchenjahreszeit: „Allmächtiger und allwissender Gott, siehe, wir Deine Kinder erscheinen vor Deinem Angesichte, zu verherrlichen Deinen Namen und zu preisen Deine Werke. Du hast uns mit Gnaden und Wohlthaten überhäuft, während wir auf der uns vorgezeichneten Bahn strauchelten und oft Deinem Willen entgegen handelten. Verzeih uns, gütiger Vater, verzeihe deinen Kindern, deren Herz blutet unter den Schmerzen aufrichtiger Reue! Ja, wir haben gesündigt, heiliger Gott, oft und schwer gesündigt durch böses Thun und Unterlassung des Guten. Nur Deine Liebe und Gnade kann uns bewahren vor den Folgen unsere Schuld und retten vor dem Tode des Sünders. So sieh denn unsere Reue, o Gott, und wende Dein Angesicht nicht von uns ab! Wir bekennen und bereuen unsere Fehler und flehen zu Dir um Gnade und Barmherzigkeit. Wir versprechen Dir Besserung unseres Lebens, geloben treu zu handeln nach Deinem göttlichen Willen und uns Deiner Gnade würdig zu machen. Leite uns ferner auf dem Pfade des Heils und laß uns wandeln in Deinem Lichte, dass uns zum ewigen Leben führt.“42

39 Vgl. Deutschkatholisches Gebet- und Gesangbuch (wie Anm. 25), 10. 40 Vgl. Stollenwerk, Alexander: Der Deutschkatholizismus (wie Anm. 2), 93. 41 Vgl. Deutschkatholisches Gebet- und Gesangbuch (wie Anm. 25), 12. 42 Ebd., 8–9.

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Die Präfation, eigentlich eine Abendmahlsvermahnung, nennt Christus den „Führer unserer Seelen zu Gott“43 Daneben aber spielt die vorliegende Textfassung immer wieder auf biblische Texte an: „[…] im Gehorsam gegen Gott bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz“

Phil 2,8 „[…] er ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz.“

„Aus Liebe zu uns hat er den Tod erduldet […]“

Hebr 12,3 „Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat.“

„[…] uns des Rathschlusses Gottes zu unserer Beseligung durch ihn trösten und der Früchte seines Todes theilhaftig werden möchten […]“

2 Tim 1,9 „Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss […]“

„[…] mit Majestät und Herrlichkeit bist du bekleidet und unaussprechlich ist Deine Größe […]“

Ps 8,6 „Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.“

„[…] der Himmel ist Dein Thron, die Erde Deiner Füße Schemel“

Jes 66,1 „So spricht der HERR: Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße!“

„[…] die ganze Welt Deiner Hände Werk“

Ps 8,7 „Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk“

Zur Wahrung des Propriums werden Lieder für die Kirchenjahreszeiten angeboten, und zwar für den Advent, die Weihnacht, den Karfreitag, für Ostern, Pfingsten und für die gewöhnlichen Sonntage nach den Kategorien A, B, C analog den Lesejahren. Es folgen eine Vorbereitungsandacht zum Empfang des Hl. Abendmahles und Gebete vor dem Empfang des Hl. Abendmahles, und zwar: 1. Zur Gewissenserforschung 2. Vier Reuegebete 3. Vor dem Empfang des Hl. Abendmahls 4. Gebete zu Glaube, Hoffnung und Liebe 5. Nach dem Genuss des Hl. Abendmahls. Die Einleitung des Gebetes zur Gewissenserforschung ist auch im evangelischen Kontext bekannt: „Barmherziger, langmüthiger Gott! Du willst nicht den Tod des Sünders, sondern, daß er sich bekehre und lebe.“44 Die folgende Formel „nicht mehr werth zu sein Deiner väterlichen Huld und Liebe“ ist inspiriert durch Lk 15,21b. Der Kern des Gebetes besteht aus den beiden Dreiergruppen Reue – Demut – Besserungslust bzw. Huld – Gnade – Vergebung: „Doch Vergebung ist bei Dir, und auch dem verirrten Sünder, wenn er voll Reue, Demuth und Besserungslust zu dir zurückkehrt, hast Du Wiederaufnahme in Deine väterliche Huld und Gnade und volle Vergebung seiner Sünden versprochen. Siehe!

43 Ebd., 10–11, hier 10. 44 Ebd., 45.

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ich komme Deine Erbarmungen zu umfassen, meine Sünden zu bekennen, und durch gänzliche Änderung meines Sinnes und Lebens mich Deiner Huld und Gnade zu versichern.“45 Das eigentliche Gebet zur Gewissenserforschung ist aus der Beichttradition entnommen. Die Reuegebete sind ebenfalls teilweise biblisch inspiriert, etwa im ersten Gebet durch Lk 18,13 „Gott, sei mir Sünder gnädig!“, im zweiten Gebet durch Lk 15,11–32 „der auch nach dem verlorenen Sohn seine Arme ausbreitet“46, im dritten Gebet durch Lk 15,18 „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen“. 3.2.3 Die Lieder als Ausdruck des Propriums Tatsächlich werden im Saarbrücker deutschkatholischen Gesangbuch die Lieder genau den liturgischen Stücken zugewiesen, etwa zum Advent47 wie folgt. – zum Eingang: „Jesus trocknet alle Thränen“, eine Strophe – zum Gloria: „Gott in der Höh sei Ehre, Preis seiner Herrlichkeit“, eine Strophe – vor der Epistel: „Hört der Stimme Widerhallen“, eine Strophe – nach der Predigt: „Gnade, wer aus deinem Munde“, eine Strophe – zur Lobpreisung: „Heilig, heilig, heilig! Bist du unser Herr und Gott!“, eine Strophe – nach der Abendmahlsfeier: „Kommst du, Jesu, Licht der Heiden“, eine Strophe – zum Schluss: „Thauet, Himmel, den Gerechten“, zwei Strophen Es ist auffällig, dass immer nur eine Strophe gesungen wird, außer zum Ende des Gottesdienstes. Es wäre weiter zu vermuten, dass zur Weihnacht bekannte geistliche Volkslieder vorgesehen sind. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr sind angegeben:48 – zum Eingang: „Seht ein helles Licht erglänzend“, eine Strophe – zum Gloria: „Ehre sei Gott in der Höhe! Frieden den Menschen auf Erden!“, eine Strophe – vor der Epistel: „Stark in Glauben sieht die Seele“, eine Strophe – nach der Predigt: „Selig ist, der diesen Frieden“, eine Strophe – zur Lobpreisung: „Heilig, heilig, unaussprechlich heilig!“, eine Strophe – nach der Abendmahlsfeier: „Am letzten Abendmahle“, zwei Strophen – zum Schluss: „Heute kommt der große Tag zurück“, drei Strophen



45 Ebd., 45–46. 46 Ebd., 49. 47 Ebd., 18–21. 48 Ebd., 21–24.

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Der Karfreitag fällt aus dem bisherigen Schema merklich heraus, was angesichts der römischen Karfreitagsliturgie nicht überrascht. Überraschend ist eher, dass die Deutschkatholiken mit zwei Liedern auskommen:49 – Vor der Predigt: „O Golgatha! Zu deinen Höhen“, sieben Strophen – Nach der Predigt: „Jesus Christus ruht im Grabe“, vier Strophen An gewöhnlichen Sonntagen sind drei Modelle vorgesehen; als Beispiel sei Modell A benannt:50 – zum Eingang: „Hier liegt vor Deiner Majestät“, eine Strophe – zum Gloria: „Lasst uns den Höchsten preisen!“, eine Strophe – vor der Epistel: „Was führt den Pilger dieser Erde“, eine Strophe – nach der Predigt: „Wir haben, Herr, der Seelen Speise“, eine Strophe – zur Lobpreisung: „Wer ist, wie du, so heilig“, eine Strophe – nach der Abendmahlsfeier: „Ja, unser Gott, der Herr der Macht“, zwei Strophen – zum Schluss: „Großer Gott wir loben dich“, vier Strophen 3.3 Die Vesper Die zweite Abteilung ist deutlich umfangreicher. Sie beginnt mit Vesper-Gottesdiensten zum Advent (S. 58–62), zur Weihnacht (S. 63–66), für den Gründonnerstag (S. 67–71), zu Ostern (S. 71–75), zu Pfingsten (S. 75–79) und für die gewöhnlichen Sonntage nach den erwähnten Kategorien A, B, C (S. 79–92). Die Vespern sind einfach aufgebaut; das Magnifikat fehlt. – Initium und Gloria patri – Psalm 56–57, dazwischen die Schriftlesung51 – Salutatio und Tagesgebet, zwei zur Auswahl – Lied: „Welch himmlisch Frühroth glüht heraus“52, fünf Strophen In der Rubrik „Nachmittagsandachten“ (S. 93–107) finden sich „Betrachtungen über das Gebet des Herrn aus den Briefen des Apostels Paulus“ sowie Ordnungen für Gründonnerstag und Karfreitag. Schließlich werden Abendandachten (108–113) angeboten, aber ohne nähere Spezifizierung. Die Lieder für den Abend lauten: – „Nimm von deinen Kindern“, sechs Strophen – „Stille Ruhe senket wieder“, fünf Strophen – „Wer unter deinem Schirm ruht“, sieben Strophen 49 Ebd., 25–27. 50 Ebd., 34–38. 51 An Weihnachten werden Psalm 59 und 60 gelesen / gesungen, an Gründonnerstag Psalm 62 und 63, an Ostern Psalm 65 und 66, an Pfingsten Psalm 68 und 69. 52 An Weihnachten wird gesungen „Geboren ist das Heil der Welt“ (fünf Strophen); an Gründonnerstag „Heut ist des Herren Tag“ (neun Strophen), an Ostern „Liebe, die du mich zum Bilde“ (sieben Strophen), an Pfingsten „Geist gesandt vom Himmelsthrone“ (vier Strophen).

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3.4 Die Kasualien Die dann folgenden Lieder beginnen mit Liedern zu den Kasualgottesdiensten, also Beerdigung53, Taufe54 und Trauung55. Dann folgen Lieder in einer sehr eigenen Diktion – immer wieder unterbrochen durch Gebete – und zwar jeweils nur ein Lied. Zu diesen Liedern gehören folgende Überschriften: „Am letzten Tage des Jahres“, „Zur göttlichen Vorsehung“, am Neujahrstag und am Geburtsfest des Königs. Es folgen Themenlieder: – bei Fehljahren56 – über Gottes Vollkommenheit – Gott ist die Liebe – die Kraft des Glaubens – die Hoffnung – Liebe Gottes – Nächstenliebe – Gebet des Herrn Die Sammlung schließt mit Gebeten für die Eltern, für die Kinder, für Kranke, für unsere Feinde, um die Gnade und Liebe Gottes, im Leiden, um Frieden und um Liebe. 3.5 Die Lieder Da die deutschkatholische Gemeinde in Saarbrücken 1845 gegründet wurde, ist es erstaunlich, dass ihr gerade gewählter Pfarrer Johann Faß 1846 bereits ein Gesangbuch vorlegen konnte. Die Nähe der deutschkatholischen Gemeinde zu den evangelischen Gemeinden lässt zuerst vermuten, dass das Nassau-Saarbrückische Gesangbuch57 die Lieder für das neue Gesangbuch der Deutschkatho­ liken lieferte. Tatsächlich war der evangelische Widerstand gegen ein rheinisches Provinzialgesangbuch in Saarbrücken so groß, dass man immer wieder das alte Saarbrücker Gesangbuch nachdruckte, so dass das Gesangbuch das Fürstentum Saarbrücken um Jahrzehnte überlebte. Die Ausgabe von 1831 gliedert die Lieder in vier Abteilungen: (1) Lieder von dem öffentlichen Gottesdienste, (2) Lieder über die Glaubenslehren, (3) Lieder über die christlichen Lebenspflichten, (4) Lieder für besondere Stände, Zeiten und Vorfälle des Lebens. 53 Drei Lieder: „Stimme dich herab zur Klage“ (vier Strophen), „Trocknet eures Jammers Thränen“ (fünf Strophen), „Wenn oft in feierlicher Stille“ (vier Strophen). 54 Ein Lied „Herr, Herr! du sprichst, wir Menschen sind“ (vier Strophen). 55 Ein Lied „So gib den Deinen Segen“ (sechs Strophen). 56 Was unter Fehljahren verstanden wurde, ist nicht erläutert; vielleicht waren Jahre mit Missernten gemeint. 57 EZAS Best. 08,1 Alte Sammlung Nr. 2 Fürstl. Nassauisches neues verbessertes Gesangbuch zur Beförderung der öffentlichen und häuslichen Erbauung. St. Johann-Saarbrück. In Verlag bey Georg Pfeiffer, Buchhändler. 1831.

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Der Abgleich der Lieder zwischen dem Nassau-Saarbrückischen Gesangbuch von 1831 und dem Saarbrücker deutschkatholischen Gesangbuch von 1846 ergibt aber ein eindeutiges Bild. Genau vier Lieder sind in beiden Gesangbüchern identisch: – Der Herr ist Gott und keiner mehr – Liebe, die du mich zum Bilde – Mein Erstgefühl sei Preis und Dank – Wach auf, mein Herz, und singe Aber alle diese Lieder kommen auch in zeitgenössischen katholischen Gesangbüchern vor. Johann Faß, der vor seiner Saarbrücker Zeit römisch-katholischer Pfarrer in Lockweiler war, kannte vermutlich das Nassau-Saarbrückische Gesangbuch nicht oder lernte es zu spät kennen, als dass es ihn beeinflusst haben könnte. Er bediente sich der Unterstützung der evangelischen Gemeinden, baute aber die deutschkatholische Kirche nicht auf den evangelischen Fundamenten auf. Bei einem Abgleich mit zeitgenössischen römisch-katholischen Gesangbüchern58 zeigt sich, dass mehr als drei Viertel der rund einhundert Lieder des deutschkatholischen Gesangbuches aus Saarbrücken der katholischen Tradition verpflichtet sind. Nur drei Lieder sind liturgische Stücke, und zwar ein Gloria in excelsis und zwei Sanctus-Lieder. Viele der Lieder sind der spätbarocken-­ aufgeklärten Tradition entnommen, etwa „Am letzten Abendmahle“59 von Christoph von Schmid60 (1768–1854) oder „Uns zum sichern Leitungssterne“61. Von Joseph Hübner stammt „Was führt den Pilger dieser Erde“, publiziert im Saganer Gesangbuch 1806, nach dem Gesangbuch von Johann Anastasius Freylinghausen (1704).

58 Vgl. u. a. Der heilige Gesang. Ein Gebet- und Gesangbuch für römisch-katholische Christen, zum Gebrauch beim öffentlichen Gottesdienste in der Diözese Trier; mit Genehmigung des hochwürdigen Bischöflichen Ordinariats; vermehrt mit einer Andacht vom heiligen Rocke, und Anweisung, wie die Betstunden bei der ewigen Anbetung des allerh. Sakraments des Altars gehalten werden sollen, herausgegeben von Joseph von Hommer, Trier. Druck und Verlag der Fr. Lintz’schen Buchhandlung, 1845; Gesang- und Gebetbuch für die Diözese Trier, herausgegeben vom Bischöflichen General-Vicariat, Trier. Druck und Verlag der Fr. Lintz’schen Buchhandlung, 1846; Katholisches Gesangbuch zur Feier des öffentlichen Gottesdienstes im Bisthum Rottenburg, Stuttgart 1857. 59 Heute „Beim letzten Abendmahle“. 60 Meier, Uto: Art. Christoph von Schmid, in: NDB 23 (2007), 144–145. 61 Zum Credo am Epiphaniastag; vgl. Katholisches Gesangbuch zur Feier des öffentlichen Gottesdienstes im Bisthum Rottenburg, Stuttgart 1857, S. 42.

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4. Der Niedergang der Saarbrücker Gemeinde Die deutschkatholische Gemeinde in Saarbrücken hatte ihren Zenit bereits überschritten, als sich Pfarrer Johann Faß entschied, in die USA auszuwandern. Nach der letzten Bestattung, die im Saarbrücker deutschkatholischen Kirchenbuch dokumentiert ist, ist mit Bleistift eingetragen „[Pfarrer] Faß ist am 9/4 1851 nach Amerika ausgewandert und war dieses also seine letzte Amtshandl[ung].“62 Alexander Stollenwerk glaubt schreiben zu können, dass auch politische Gründe für die Auswanderung relevant waren.63 Landrat Friedrich Hesse informierte am 18. September 1851 die Regierung in Trier, dass sich die Deutschkatholiken in Saarbrücken mehr politisch als religiös betätigt hätten.64 Weil Johann Faß 1848/49 so sehr politisch aktiv war, traten seine religiös eingestellten Mitglieder aus der Gemeinschaft aus. Auch habe die evangelische Gemeinde Saarbrücken die Deutschkatholiken als „Verächter des Christentums“ erkannt und die Nutzung der evangelischen Schlosskirche untersagt. Jedenfalls zog Johann Faß nach Buffalo und übernahm die Schriftleitung einer rationalistischen Zeitung mit dem Namen „Lügenfeind. Wochenblatt der freien christlichen Gemeinde zu Buffalo und ihrer Gesinnungsgenossen in den Vereinigten Staaten“.65 Diese Zeitung war im November 1850 durch Johann de Marle gegründet worden, dessen Nachfolger Faß wurde.66 Faß starb aber schon im August 1852 in Buffalo. Nach dem Weggang von Faß bemühte sich der Mannheimer Heribert Rau67 um die Sammlung der Saarbrücker Gemeinde, bekam aber als Nicht-Preuße keine Erlaubnis der Trierer Regierung. Alexander Stollenwerk vermutet, dies sei seitens der Regierung deswegen geschehen, weil man die permanente Polemik gegen die römisch-katholische Kirche als destruktiv ablehnte.68 Im April 1852 bemerkte der neue Saarbrücker Landrat Franz Karl Rennen, schon 1850 sei das

62 Stadtarchiv Saarbrücken KB 38 Deutschkatholisches Kirchenbuch 1845–1851, pag. 272. 63 Vgl. Stollenwerk, Alexander: Der Deutschkatholizismus (wie Anm. 2), 168. 64 LHA Koblenz Best. 442 Bezirksregierung Trier. Nr. 5202 Behandlung der Angelegenheiten der Dissidenten 1845–1857. Brief von Landrat Friedrich Hesse an die Regierung in Trier vom 18. September 1851. 65 Vgl. Kampe, Ferdinand: Geschichte der religiösen Bewegung der neueren Zeit, Bd. 4, Leipzig 1860, 24 und 45. 66 Johann de Marle war vor seinem Wechsel in die USA seit 1847 der Herausgeber der Zeitschrift „Lesehalle. Monatsschrift für Deutschkatholiken u. ihre Freunde“. In Buffalo gründete er zum 1. November 1850 den Lügenfeind; dort hatte er auch eine freie christliche Gemeinde gegründet. Die Abgabe der Zeitschrift an Faß 1850 war der Anfang seines Rückzugs. Am 1. November 1851 berichtete er aus Portsmouths / Ohio in Die Fackel, die einen meldeten, er sei ins Wasser gegangen, die anderen, er habe sich erhängt. Tatsächlich nähme er wieder eine Pfarrstelle an; vgl. Die Fackel. Literaturblatt zur Förderung geistiger Freiheit, hg. von Samuel Ludvigh, 5 (1851), 33. 67 Schüller berichtet, Rau habe nur ein halbes Jahr Theologie studiert; vgl. Schüller, Andreas: Der Deutschkatholizismus in der Diözese Trier. Eine Übersicht, in: Pastor bonus 1933, 392. 68 Vgl. Stollenwerk, Alexander: Der Deutschkatholizismus (wie Anm. 2), 168.

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Interesse am Deutschkatholizismus erloschen. Einige Handwerker leiteten die Gemeinde weiter. Jedenfalls wurde der Kreissynode Saarbrücken am 28. Juli 1852 berichtet: „In St. Johann haben 4, in Dudweiler 3 Deutschkatholiken und außerdem ein Römisch-katholischer ihren Beitritt zur evangelischen Kirche erklärt.“69 Das Saarbrücker deutschkatholische Gesangbuch aber fand keine Verwendung mehr und geriet vollkommen in Vergessenheit. Als sich 1874 die bis heute bestehende altkatholische Gemeinde in Saarbrücken gründete,70 kam die Legende auf, die letzten Deutschkatholiken seien in der altkatholischen Gemeinde aufgegangen. Das ist mit fast 25 Jahren Abstand und der Entwicklung des Deutschkatholizismus hin zum Freidenkertum nicht sehr wahrscheinlich.

Abstract: Joachim Conrad describes the worship life of the German Catholic congregation in Saarbrücken, which lasted only a few decades. The German Catholic congregations had been in existence since 1845, they rejected the primacy of the Pope, introduced a presbyterial constitution and also came closer to the Protestant Church in other matters. Conrad investigates the worship life of these congregations on the basis of the hymnal published for them as early as 1846. At the end of the 19th century, interest in the German Catholic congregations seems to have waned.

69 Verhandlungen der sechzehnten Versammlung der Kreissynode Saarbrücken vom 28. Juli 1852. § 2 Bericht des Superintendenten, Saarbrücken 1852, in: Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken 1835–1897, hg. von Conrad, Joachim (= SVRKG 160,1), Bd. 1, Bonn 2002, 352. 70 Conrad, Joachim: „Wir haben jeden Sonntag ein gefülltes Gotteshaus.“ Die altkatholische Gemeinde im Saarland, in: ZGS 70 (2022), 249–294.

Literaturbericht Liturgik Altorientalische, israelitisch-jüdische Religion und Altes Testament (2020–20211)

Reinhard Müller

1. Alter Orient 1.1 Umfassende Beiträge zu Kultur- und Religionsgeschichte Kamlah, Jens / Lichtenberger, Achim (Hg.): The Mediterranean Sea and the Southern Levant. Archaeological and Historical Perspectives from the Bronze Age to Medieval Times (Abhandlungen des Deutschen Palästina-Vereins 48). Harrassowitz: Wiesbaden 2021, VI, 366 S., 118 Abbildungen, 6 Karten, 5 Tabellen. Der Band, eröffnet von einer kurzen Einleitung der beiden Herausgeber, sammelt zehn Beiträge, die sich den komplexen Wechselbeziehungen zwischen Mittelmeer und südlicher Levante widmen. Die Beiträge gehen auf eine Tagung des Deutschen Vereins zur Erforschung Palästinas zurück. Die behandelten Zeiträume spannen sich – dem Spektrum des Vereins entsprechend – i. W. von der Mittleren und Späten Bronzezeit bis zur Epoche der Kreuzfahrer. Fünf Beiträge gelten konzeptionellen und übergreifenden Themen (u. a. mythologische Aspekte des Mittelmeers, Seevölker, Landeskunde Palästinas in griechisch-römischer Zeit), weitere fünf einzelnen Städten (Gaza, Cäserea am Meer, Askalon, Arsur am Meer). Ein Schwerpunkt liegt auf älteren, neueren und neuesten archäologischen Untersuchungen. Die Erforschung des Mittelmeerraums („Mediterranean research“), angelehnt an Fernand Braudel, findet in dem Band eine Reihe wichtiger Impulse.

1.2 Zu religionsgeschichtlichen Einzelphänomenen Ayali-Darshan, Noga: The Storm-God and the Sea. The Origin, Versions, and Diffusion of a Myth throughout the Ancient Near East, transl. by Liat Keren (Orientalische Religionen in der Antike 37). Mohr Siebeck: Tübingen 2020, XXI, 282 S. Das Buch ist die revidierte und erweiterte Fassung einer auf Ivrit verfassten Dissertation an der Bar-Ilan University. Die Verfasserin behandelt umfassend die ägyptischen, hurro-hethitischen, ugaritischen, babylonischen, biblischen und syrischen Quellen



1 Mit Nachträgen zu 2018 und 2019.

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Literaturbericht Hymnologie. Reinhard Müller

zum Mythos über den Kampf des Wettergottes gegen das Meer. Sie rekonstruiert, wie sich die Erzählung von dem Kampf in den altorientalischen Kulturen entwickelt hat. Wichtige Einsichten gelten vor allem den en détail verschiedenen Motivkonstellationen, die in den Quellen zu beobachten sind. Die Verfasserin zeigt hervorragende Kenntnisse des anspruchsvollen Quellenmaterials und einen sicheren Blick für gemeinsame und verschiedene Strukturen in den jeweiligen Erzählungen. Vielfach gelingt es ihr, wichtige Differenzierungen zwischen unterschiedlichen Zweigen des Mythos vorzunehmen. Die biblischen Zeugnisse, zu denen die grundlegenden Psalmen 93, 29 und 24 zählen, werden nur knapp und eher kursorisch behandelt. Insgesamt eine wichtige motiv- und traditionsgeschichtliche Studie, die die historisch-philologische und kulturgeschichtliche Erschließung des grundlegenden mythologischen Stoffes bündelt und an nicht wenigen Stellen weiterführt und vertieft. Still, Bastian: The Social World of the Babylonian Priest (Culture and History of the Ancient Near East 103). Brill: Leiden / Boston 2019, XVI, 311 S. Das Buch, das aus einer Leidener Dissertation hervorgegangen ist, bietet eine umfassende Darstellung dessen, was zur sozialen Realität der babylonischen Priesterschaft in neubabylonischer und frühpersischer Zeit bekannt ist. Fußend auf einer detallierten Auswertung der einschlägigen, vor allem archivalischen Quellen, und in Anwendung neuerer anthropologischer und soziologischer Modelle werden die sozialen Zusammenhänge, die für die Priesterschaft dokumentiert sind, präzise erschlossen und sozialgeschichtlich ausgewertet. Ausgehend von den zentralen Themenfeldern Heirat, Landbesitz, Geldverleih und Freundschaft wird ein plastisches Bild des Alltagslebens gezeichnet, das die Priester außerhalb der Tempel führten, und es ergeben sich zahlreiche Einsichten über die babylonische Gesellschaft im Ganzen. Eine wichtige, erfreulich konzise Studie, die aus alttestamentlicher Perspektive für die historische und sozialgeschichtliche Erschließung der sogenannten exilisch-nachexilischen Epoche in Babylonien neue Perspektiven eröffnet. Susnow, Matthew: The Practice of Canaanite Cult. The Middle and Late Bronze Ages (Ägypten und Altes Testament 106). Zaphon: Münster 2021, 374 S. Die Studie, die aus einer Dissertation an der Universität Haifa hervorgegangen ist, enthält eine breit angelegte und materialreiche Rekonstruktion des sogenannten kanaanäischen Tempelkults in der mittleren und späten Bronzezeit. Ausgehend von einer forschungsgeschichtlichen und methodologischen Einleitung werden zunächst die vorliegenden archäologischen Befunde zu Tempeln in der südlichen Levante, die im fraglichen Zeitraum aktiv waren, gesammelt und synoptisch ausgewertet. Auf dieser Grundlage wird dann Praxis und „Ideologie“ („Ideology“) der Tempelkulte synthetisierend beschrieben. Das Buch erweist sich als überaus nützlich, sowohl in der Sammlung der weit verstreut publizierten, teils schwer zugänglichen archäologischen Befunde als auch in den religions- und kultgeschichtlichen Synthesen. Für jede Untersuchung der mittel- und spätbronzezeitlichen Religionsgeschichte bietet die Studie eine Fülle von Material und weiterführenden Einsichten. Die heuristische Priorität wird dabei ganz bewusst den archäologischen Befunden und nicht den textlichen Zeugnissen gegeben, auch wenn diese im Horizont der Untersuchung liegen. Die grundlegenden Zusammenhänge zwischen Tempelkult und Gemeinwesen werden auf vielfache Weise beleuchtet. Zahlreiche Karten- und Bildmaterialien sind dem Band beigegeben. Végh, Zsuzsanna: „Feste der Ewigkeit“. Untersuchungen zu den abydenischen Kulten während des Alten und Mittleren Reiches (Orientalische Religionen in der Antike 43). Mohr Siebeck: Tübingen 2021, XV, 497 S.

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Die überarbeitete Fassung einer Dissertation an der Universität München bietet eine umfassende Untersuchung der jährlichen Feste, die zu Ehren des ägyptischen Gottes Osiris, des Herrschers des Totenreiches, in der Stadt Abydos gefeiert wurden, wo die frühesten Könige Ägyptens ihren Begräbnisort fanden. Fußend auf einer umfassenden Erschließung der einschlägigen Quellen, zu denen vor allem ein Korpus von Steleninschriften zählt, die Teilnehmer des Festes in Abydos aufstellen ließen, bietet die Verfasserin eine kultgeschichtlich orientierte Synthese zur Geschichte von Abydos im Alten (ca. 2686–2160 v. Chr.) und Mittleren Reich (2055–1650 v. Chr.). Die textlichen Quellen werden philologisch detailliert behandelt, und es werden historische Synthesen entwickelt, die unter anderem die Anlage von Stadt und Tempeln, die Kulttopographie und den Ablauf der Feste betreffen. Namentlich die Festlichkeiten samt ihren Prozessionen werden detailgenau nachgezeichnet. Als ein wichtiges Ergebnis zur Gottesvorstellung werden die Beziehungen der Götter Osiris, Chontamenti und Upuaut herausgearbeitet. Die zahlreichen Textquellen sind im Anhang in Gestalt von Tabellen aufgelistet, außerdem findet sich dort einschlägiges Karten- und Abbildungsmaterial.

1.3 Zur Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit Becking, Bob: Israel’s Past. Studies on History and Religion in Ancient Israel and Judah (Beiheft zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 535). De Gruyter: Berlin / Boston 2021, XX, 250 S., 4 Abbildungen, 19 Tabellen. Der Band sammelt dreizehn Beiträge des Utrechter Alttestamentlers zu histo­r ischen und religionsgeschichtlichen Fragen, einschließlich eines bislang unpublizierten Nachrufs auf den Sheffielder Forscher Philip Davies. Die knapp und konzise geschriebenen Aufsätze geben Einblicke in die stupende historische Gelehrsamkeit des Autors, die – verbunden mit ungewöhnlichen Zugangsweisen  – viele neue und überraschende Einsichten zu Schlüsselproblemen der Geschichte und Religionsgeschichte Israels erbringen. Themen, die pars pro toto für das Œuvre Beckings stehen, sind u. a. das Königreich Davids und die damit verbundenen historischen Probleme, die assyrische Epoche, namentlich im Blick auf die Jahre 722–20 (Ende des Königreiches Samaria) und 701 v. Chr (Sanheribs Feldzug gegen Juda), das sogenannte babylonische Exil und sein tatsächlicher historischer Kern sowie der Tempel auf dem Garizim. Der Aufsatztitel A Fragmented History of the Exile mag exemplarisch für das Ganze stehen: Becking zeigt, wie fragmentarisch das Wissen über die Geschichte Israels bleibt, und er entlarvt die biblischen ‚Mythen‘, die einem historischen Verständnis dieser Geschichte vielfach im Wege stehen. Eine inspirierende Lektüre, die eine Fülle von Impulsen für die historische und religionsgeschichtliche Forschung bietet. Schmitt, Rüdiger: Die Religionen Israels / Palästinas in der Eisenzeit. 12.–6. Jahrhundert v. Chr. (Ägypten und Altes Testament 94). Zaphon: Münster 2020, XIV, 230 S. Das großformatige Buch, mit reichen Bildmaterialien ausgestattet (v. a. Abbildungen von Fundstücken, Bildkunst und archäologischen Rekonstruktionen), bietet konzise Überblicke über die „spätkanaanäische“ und die „israelitisch-judäische Religion“ sowie die „Religion der Philister“, die „Religion der Geschuriter, Gileaditer und der aramäischsprachigen Entitäten“, die „Religion der Ammoniter“, die „Religion der Moabiter“ und die „Religion der Edomiter“; ein querschnitthaftes Kapitel zu „Strukturen der Religionen Israels / Palästinas in komparatistischer Perspektive“ rundet die Studie ab.

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Literaturbericht Hymnologie. Reinhard Müller Beigegeben sind „Übersichten der epigraphisch belegten Gottheiten in theophoren Personennamen und der ikonographisch bezeugten Genien und Mischwesen“ sowie Karten und ausführliche Indices. Die nach geographischen Räumen und kleineren kulturellen Entitäten unterteilten Abschnitte differenzieren jeweils zwischen der Ebene der Familienreligion einschließlich Hauskult und Totenfürsorge sowie den Ebenen der „lokalen“ und „offiziellen Religionsausübung“. Der Abschnitt über die „israelitisch-judäische Religion“ bildet den gegebenen Schwerpunkt und ist deutlich breiter angelegt. Die Darstellung besticht durch die Fülle und Dichte der herangezogenen Quellen, die das Buch zu einer Fundgrube grundlegender Materialien machen, die exzellente Materialbeherrschung des Autors, seine überzeugende religionssoziologische Methodik und nicht zuletzt durch den erfreulich schlanken Darstellungsstil. Eindrucksvoll wird entfaltet, wie eng die Religion des königszeitlichen Israel und Juda mit den Religionen der umgebenen Kulturen verwandt war, was nicht ausschließt, dass sie in einzelnen Aspekten besondere Züge ausgebildet haben mag. Die biblischen Quellen, die für den Teil über die israelitisch-judäische Religion herangezogen werden, werden vom Autor differenziert und mit wohltuender Skepsis gegenüber unmittelbaren religionshistorischen Rückschlüssen ausgewertet. Ein wichtiges Buch, das die Untersuchung der Religionsgeschichte Israels in ihrem kulturgeschichtlichen Kontext auf substantielle Weise voranbringt.

1.4 Alter Orient, frühes Judentum und hellenistisch-römische Antike Bauks, Michaela / Galor, Katharina / Hartenstein, Judith (Hg.): Gender and Social Norms in Ancient Israel, Early Judaism and Early Christianity: Texts and Material Culture (Journal of Ancient Judaism Supplements 28). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2019, 384 S., 100 Abbildungen. Der Sammelband, der auf ein Symposium an der Universität Koblenz-Landau zurückgeht, vereint achtzehn, teils englischsprachige, teils deutschsprachige Beiträge zum Themenfeld Gender und soziale Normen, die auf die Bereiche Altes Israel / A ltes Testament, frühes Judentum sowie frühes Christentum und Spätantike bezogen sind. Die Beiträge behandeln Bildquellen, archäologische Befunde sowie textliche Primärquellen und Texte aus der biblischen und parabiblischen Literatur. Im Fokus stehen die Überschneidungen zwischen textlich-literarischen und materialbezogenen Zugängen. Die Bedeutung von Gender und Sexualität wird im Horizont privater und öffent­ licher, religiöser und säkularer Räume erschlossen. Wichtige Teilaspekte betreffen Kleidung und ihren sozialen Zusammenhang, verschiedene Fragen zur Rolle von Frauen einschließlich Göttinnen und Prophetinnen, das Phänomen gender-spezifischer Verunreinigung im Alten Testament und die antiken Wahrnehmungen von Menstruation und Gebären. Im Ganzen wird ein breites Spektrum von Phänomenen und Fragen behandelt, das im Ergebnis zur historisch-kulturwissenschaftlichen Genderforschung beiträgt und die Verzahnung von text- und materialbezogenen Zugängen vertieft. Hervorzuheben sind die zahlreichen und hochqualitativen Abbildungen antiker Funde und Kunstobjekte, die dem Band beigegeben sind.

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2. Altes Testament 2.1 Zur Einleitung in das Alte Testament Krause, Joachim J. / Oswald, Wolfgang / Weingart, Kristin (Hg.): Eigensinn und Entstehung der Hebräischen Bibel. Erhard Blum zum siebzigsten Geburtstag (Forschungen zum Alten Testament 136). Mohr Siebeck: Tübingen 2020, X, 628 S. Die Festschrift sammelt dreiunddreißig Beiträge von Weggefährten, Kollegen und Schülern des Jubilars. Die große Zahl der Aufsätze, die auf Deutsch und Englisch verfasst sind, ist in sieben Sektionen gegliedert, in denen sich das breite exegetische und methodische Interessenspektrum Blums abbildet: Pentateuch, Vordere Propheten, Hintere Propheten, Schriften, historische Fragen, linguistische Fragen, hermeneutische Fragen. Auf die grundlegenden und intensiv rezipierten Modelle des Jubilars zur Entstehung der alttestamentlichen Literatur, namentlich des Pentateuchs, wird auf vielerlei Weise reagiert. Die eindrucksvolle Sammlung spiegelt die herausragende Bedeutung, die Blums Arbeiten für die alttestamentliche Wissenschaft gewonnen haben.

2.2 Kommentare zu biblischen Büchern Böhler, Dieter: Psalmen 1–50 (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament). Herder: Freiburg / Basel / Wien 2021, 960  S. Der Band komplettiert den großangelegten, unvollendeten Kommentar von Frank-­ Lothar Hossfeld und Erich Zenger in der Reihe Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament (Band 2 zu Psalm 51–100, erste Aufl. 2000; Band 3 zu Psalm 101–150, erste Auflage 2008). Der Kommentar knüpft an das von Hossfeld und Zenger entwickelte redaktions- und kompositionsgeschichtliche Programm Von der Psalmen- zur Psalterexegese an und setzt es eigenständig fort, wobei laut der Einleitung stärkeres Gewicht auf die Individualität der Einzeltexte und die synchrone lectio continua gelegt wird. Die Gliederung der Einzelauslegungen entspricht i. W. der Konzeption bei Hossfeld und Zenger und hat die Schritte: „Text“ (Übersetzung), Erläuterungen „zu Text und Übersetzung“, „Analyse“, „Auslegung“ (versweise Kommentierung) sowie „Kontext, Rezeption und Bedeutung“ (wobei über Hossfeld und Zenger hinaus die Kirchenväter ausführlich berücksichtigt werden). Wie bei Hossfeld und Zenger sind den Auslegungen einzelne Bildmaterialien meist altorientalischer Provenienz beigegeben. Insgesamt ein überaus substantieller Beitrag zur Psalmenforschung, der nicht nur im Zusammenhang mit Hossfelds und Zengers Kommentar, sondern auch für sich genommen als Meilenstein gelten kann. Die Übersetzungen und sprachlichen Erläuterungen erweisen sich als präzise und hervorragend begründet, die Auslegungen stehen in einem sinnvollen Dialog mit der älteren und neueren Forschung und bieten eine Fülle von wichtigen historischen, rezeptionsgeschichtlichen und theologischen Einsichten und Anstößen. McKenzie, Steven L.: 1 Kings 16 – 2 Kings 16 (International exegetical Commentary on the Old Testament). Kohlhammer: Stuttgart 2018, 566 S. Ein umfangreicher Teilkommentar zum Königebuch, das in der neuen Kommentarreihe im Ganzen von mehreren Autoren behandelt wird. Der Autor ist eine wichtige Stimme im redaktionsgeschichtlichen Forschungsdiskurs und verknüpft nordamerikanische Perspektiven mit Theorien europäischer und namentlich deutschsprachiger

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Literaturbericht Hymnologie. Reinhard Müller Provenienz. Grundlegend für den Kommentar ist, dass er sich in der Tradition Martin Noths vorsichtig dem Modell eines exilischen Erstverfassers des Deuteronomis­tischen Geschichtswerks anschließt („DtrH“); von der Ebene des DtrH (und der darin verarbeiteten Quellen) werden wiederum eine Reihe von jüngeren Supplementen abgehoben, was grob dem sogenannten Göttinger Schichtenmodell entspricht. Die Kommentierung selbst differenziert schon im Druckbild literarkritische Grundentscheidungen, erläutert die komplexe Textgeschichte detailliert und legt den Text zunächst synchron und anschließend diachron aus. Da die behandelten Abschnitte zentrale Epochen der Geschichte Israels betreffen, liegt auf der historischen Erklärung naturgemäß großes Gewicht. In motivlicher und religionsgeschichtlicher Perspektive erhalten die prophetischen Überlieferungen, die sich in dem kommentierten Textabschnitt finden (namentlich zu Elia und Elisa) große Aufmerksamkeit. Der übersichtlich gegliederte und gut geschriebene Kommentar lässt sich auch in Auszügen leicht rezipieren. Ein im Ganzen überaus substantieller Beitrag, der in der Erforschung des Königebuches deutliche Spuren hinterlassen wird.

2.3 Zur alttestamentlichen Semantik Eckstein, Juliane Maria: Die Semantik von Ijob 6–7. Erschließung ihrer Struktur und einzelner Lexeme mittels Isotopieanalyse (Forschungen zum Alten Testament, 2. Reihe 125). Mohr Siebeck: Tübingen 2021, XXI, 306 S. Die an der Universität München entstandene Dissertation untersucht die philologisch schwierigen Kapitel Hiob 6 und 7, in denen zahlreiche Wörter verwendet sind, deren Bedeutung schwer zu fassen ist. Dabei wird die in der Linguistik entwickelte Methode der „leksematischen [sic] Isotopieanalyse“ erstmalig für die alttestamentliche Exegese angewendet. Die Erprobung führt auf Stärken und Schwächen der Methode, wobei letztere u. a. anhand des nicht-indoeuropäischen Charakters des Hebräischen deutlich werden. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Isotopieanalyse eine „Entscheidungshilfe bei philologischen Problemen“ bieten und „neue Antworten auf philologische Fragestellungen“ geben kann. Die linguistische Methode erweist sich somit als „Hilfe zum tieferen Verständnis des Textes“, die sich – wie das Beispiel von Hiob 6 und 7 zeigt – gerade an einem hochpoetischen Text bewährt. Kelly, William L.: How Prophecy Works: A Study of the Semantic Field of ‫ נביא‬and a Close Reading of Jeremiah 1:4–19, 23:9–40 and 27:1–28:17 (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments 272). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2019, 332 S. Die an der Universität Edinburgh entstandene Dissertation zielt auf eine genaue Profilierung des hebräischen ‫„ איבנ‬Prophet“, die anhand sämtlicher Belege im Jeremiabuch sowie einer detaillierten Lektüre der im Untertitel genannten Abschnitte aus dem Jeremiabuch entwickelt wird. Ein zentraler Teilaspekt ist die Frage nach wahrer und falscher Prophetie, die sich mit dem Blick auf die religionsgeschichtlichen Hintergründe von Prophetie in den kultischen Zusammenhängen altorientalischer Religionspraxis verbindet. Im Ergebnis treten vor allem die kommunikativen Aspekte hervor, die sich mit Prophetie verbinden. Prophetie erweist sich auch im Licht der Begriffssemantik als ein kommunikatives Geschehen zwischen Gott und Mensch, was sie menschlicherseits zu einer Spielart der Erkundung des göttlichen Willens, der Divination, macht. Bei der Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Prophetie geht es vornehmlich darum, ob ein Prophet tatsächlich von der Gottheit gesandt ist. Es geht somit nicht

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um einen abstrakten Wahrheitsbegriff, sondern um Legitimität und Autorität der Propheten. Die Untersuchung richtet sich vornehmlich an dem sogenannten Endtext in seiner masoretischen Gestalt aus. Eine historische Perspektive, die gerade von der religionsgeschichtlichen Dimension des Themas nahegelegen hätte, entsteht kaum. Stahl, Michael J.: The „God of Israel“ in History and Tradition (Vetus Testamentum Supplements 187). Brill: Leiden / Boston 2021, XXII, 476 S. Das Buch bietet die revidierte Fassung einer Dissertation an der New York University. Gegenstand ist die im Alten Testament sehr häufig bezeugte Wendung „der Gott Israels“ (’ælohê jiśrā’el), die vom Vf. in ihrer gesamten Breite untersucht wird. Schwerpunkte liegen auf dem Deboralied (Ri 5) als einem vorgeblich frühen Zeugen dieser Wendung, einigen weiteren Belegen, die – wie der Autor annimmt – aus dem königszeitlichen Juda stammen (Ex 24,10; 1Sam 1,17; 1Kön 8; 2Kön 22,15–20), einer Gruppe von Bezeugungen aus dem nachköniglichen Jehud (v. a. Esra und Chronik) sowie einem breiten Überblick über den Gottestitel in der hebräischen Bibel einschließlich der Textgeschichte. Schon diese Anlage der Untersuchung erweist sich als problematisch, da sie auf Annahmen zur Datierung der jeweiligen Texte fußt, die vom Autor nicht ansatzweise plausibel argumentativ begründet werden können. Stattdessen schließt sich der Autor, wie bereits beim Deboralied, einer Mehrheitsmeinung der Forschung an. Der wegen der Fülle der Belege sehr weit gespannte Gegenstand wird in der Untersuchung trotz deren breiter Anlage (372 Seiten ohne Literaturverzeichnis) nur in Ansätzen sinnvoll erfasst, was sich schon daran zeigt, dass das Buch kein Schlusskapitel bietet, in dem das Gesamtergebnis konzise zusammengefasst wird.

2.4 Zur Hermeneutik des Alten Testaments Gröger, Martin: Wellhausens Wegbereiter. Studien zur alttestamentlichen Hermeneutik im 19. Jahrhundert (Beiträge zur historischen Theologie 202). Mohr Siebeck: Tübingen 2021, XIII, 416 S. Die alttestamentlich-systematisch-theologische Dissertation der Universität Jena widmet sich den wissenschaftlichen Wegbereitern für das bis heute grundlegende alttestamentliche Werk Julius Wellhausens: Wilhelm Martin Leberecht de Wette, Johann Friedrich Leopold George, Georg Heinrich August Ewald, Karl Heinrich Graf, Johann Karl Wilhelm Vatke, Abraham Kuenen und Abraham Geiger. Die genannten Gelehrten werden jeweils werkbiographisch und wissenschaftsgeschichtlich eingeordnet, auf die von ihnen verwendete theologisch-philosophische Hermeneutik befragt und in Beziehung zu den Arbeiten Wellhausens gesetzt. Der geistesgeschichtliche Bogen von de Wette zu Wellhausen, der hier entfaltet wird, ist sowohl für die Erkenntnisfortschritte der alttestamentlichen Wissenschaft dieser Epoche als auch für die Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts aufschlussreich. Eine hochgelehrte Studie, die in etlichen Aspekten neues Licht auf dieses grundlegende Zeitalter der Bibelwissenschaften wirft.

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2.5 Zur alttestamentlichen Anthropologie und Theologie Berlejung, Angelika: Divine Secrets and Human Imaginations. Studies on the History of Religion and Anthropology of the Ancient Near East and the Old Testament (Orientalische Religionen in der Antike 42). Mohr Siebeck: Tübingen 2021, XVI, 678 S. Der umfangreiche Band sammelt zwanzig englischsprachige Beiträge der Leipziger Alttestamentlerin; einer davon war bislang unpubliziert. Die Beiträge, die entsprechend dem Titel in zwei Sektionen („Divine Secrets“, „Human Imagination“) gegliedert sind, geben Einblicke in die außerordentlich breite altorientalistische Gelehrsamkeit und die religionsgeschichtlichen und anthropologischen Interessen der Verfasserin. Wichtige Teilaspekte gelten u. a. der altorientalischen Tempeltheologie, dem Phänomen sogenannter Kultreformen, der göttlichen Sanktionierung von Sünde im Alten Orient und im Alten Testament, Leben und Tod sowie „Disaster and Relief Management“. In einigen Beiträgen spielt die altorientalische Ikonographie eine Schlüsselrolle (etliche Abbildungen sind beigegeben). Zu den behandelten alttestamentlichen Texten zählen u. a. Num 19; Dtn 6; Ez 13; Nah 2 und Ps 137. Grund-Wittenberg, Alexandra: Lebenswelt und Gemeinschaft. Beiträge zur Anthropo­ logie des Alten Testaments (Biblisch-Theologische Studien 183). Vandenhoeck & ​ Ruprecht: Göttingen 2019, XI, 265 S., 5 Abbildungen. Der Band sammelt acht Beiträge der Marburger Alttestamentlerin, die die Anthropologie des Alten Testaments in sozial- und kulturanthropologischer Perspektive behandeln. Ein einleitender Aufsatz beschreibt den Stand der Forschung zur Anthropologie des Alten Testaments und geht dabei vor allem auf die Rezeption der neueren Kulturanthropologie ein. Drei Beiträge gelten sodann dem Themenfeld „Lebenswelt. Zur natürlichen und kulturellen Umwelt des Menschen“ und handeln von „Rhythmus, Dauer, Epiphanie“, „Raum und Zeit“, „Literalität und Institution“, vier weitere dem Themenfeld „Gemeinschaft. Zur Konstitution von Sozialität im alten Israel“ und gelten den Gegenständen „Anthropologie der Scham“, „Erinnerungsarbeit in Israel“, „Vergeltung“ und „Gabe im alten Israel“. Exegetische und kultur- wie sozialanthropologische Zugänge sind in den Beiträgen jeweils auf unterschiedliche Weise miteinander verknüpft, was im Ergebnis ein breites Spektrum wichtiger Perspektiven auf die Wahrnehmung und Deutung des Menschen im alten Israel und im Alten Testament ergibt. Janowski, Bernd: Leben in Gottes Gegenwart. Beiträge zur Theologie und Anthropologie des Alten Testaments (Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 7). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2021, VIII, 379 S., 14 Abbildungen. Der Band, der die bereits 1993 begonnene Reihe gesammelter Studien des Verfassers weiterführt, enthält zwölf Beiträge zu Menschen- und Gottesbild des Alten Testaments. Exegetisch grundlegend ist die Auslegung der Psalmen, an der der Verfasser (gemeinsam mit Friedhelm Hartenstein für den Biblischen Kommentar) arbeitet: Gewichtige Abschnitte gelten den Psalmen 8 und 22, der Transformation des Opfers in den Psalmen, Raumkonzepten in den Psalmen, Hymnen und Gebeten in Israel und seiner Umwelt sowie der Rezeption der Psalmen in der Markuspassion. Sachliche Schwerpunkte wiederum sind „Menschenbild und Personbegriff“, „Anerkennung und Empathie“, „Gottverlassenheit und Rettung“, „Versöhnung und Opfer“, „Gottesbild und Lebenswelt“. Die Beiträge vereinen präzise Beobachtungen zu den Aussagen der biblischen Texte mit Hinweisen auf religionsgeschichtliche Hintergründe, rezeptionsgeschichtliche Zusammenhänge bis zu systematisch-theologischen Ausblicken. Als exemplarisch für die Zugangsweise und das anthropologische Interesse des Verfas-

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sers sei der Beitragstitel „Der Angst widerstehen. Psalm 22 und der Resilienzbegriff“ hervorgehoben. Meyer zum Felde, Nina: Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott. Studien zur Interpretation von Psalmentheologie im Hiobbuch (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 160). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2019, 267 S. Die an der Universität München entstandene Dissertation zeichnet nach, wie im Hiobbuch „Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott“ entfaltet wird und wie darin die Theologie der Psalmen aufgenommen und rezipiert ist. Nach einer forschungsgeschichtlichen Einleitung, die vor allem auf das Hiobbuch fokussiert, wird zunächst der „Vorstellungskomplex Leben und Tod“ nachgezeichnet, anhand dessen die Psalmen und das Hiobbuch verglichen werden sollen. Wichtige Bezugstexte hierfür sind namentlich Ps 13, der – angelehnt an Gunkel – als „Musterbeispiel für die Gebetsdynamik von der Klage zum Lob“ ausgelegt wird, sowie das grundlegende „Vertrauenslied des Einzelnen“ Ps 23. Vor diesem Hintergrund zeichnet die Verfasserin Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott nach, indem sie mit Hi 3 „als Ernstfall der (gestörten) Gottesbeziehung und Beginn des langen Leidens- und Erkenntnisweges Hiobs“ beginnt, „Hiobs Suche nach Entlastung von der bedrohlichen Gottesnähe“ anschließt (anhand von Texten aus Hi 6; 7; 10 und 14), sodann „Hiobs Ringen um (kontrafaktisches) Vertrauen auf JHWH trotz dessen feindlicher Attacken auf ihn“ thematisiert (anhand von Texten u. a. aus Hi 6; 16 und 19) und schließlich „weitere Stationen von Hiobs Weg in der Buchkomposition“ in den Blick nimmt (anhand von Hi 29–31; 38–41 sowie Kap. 42). Im Ganzen tritt hervor, dass sich das Hiobbuch als „traditionskonform“ erweist, indem es „geprägte theologische Überzeugungen aus den Psalmen aufnimmt“, wozu das göttliche Antworten auf das Rufen der Geschöpfe, die Verwandlung der Klage zum Lob und das tröstende Mitsein Gottes zählen. Sanders, James A.: Scripture in Its Historical Contexts. Volume II: Exegesis, Hermeneutics, and Theology (Forschungen zum Alten Testament 126). Hg. von Craig A. Evans. Mohr Siebeck: Tübingen 2019, XVI, 336 S. Der zweite Band gesammelter Beiträge des Verfassers enthält einundzwanzig Aufsätze, die an verschiedenen anderen Orten publiziert worden waren, der erste von 1966, der zweite von 2018. Gegliedert sind die Beiträge in die Abschnitte „Exegesis“, „Hermeneutics“ und „Theology“. Die Gegenstände umfassen Altes und Neues Testament einschließlich der deuterokanonischen Schriften und der Schriften vom Toten Meer sowie die frühchristliche Theologie. Unter den biblischen Gegenständen seien Jes 61, die Psalmen 118 und 151, Jeremia, Hiob, Paulus und das Lukasevangelium hervorgehoben. Die knapp und konzise geschriebenen Beiträge bieten eine anregende Lektüre, die Einblicke in den breiten theologisch-hermeneutischen Horizont des Verfassers geben. In einem Anhang ist dem Band ein Curriculum Vitae des US-amerikanischen Gelehrten beigegeben.

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3. Beiträge zum Psalter 3.1 Umfassende Beiträge zum Psalter Berges, Ulrich / Bremer, Johannes / Steiner, Till Magnus (Hg.): Zur Theologie des Psalters und der Psalmen. Beiträge in memoriam Frank-Lothar Hossfeld. Mit einem Vorwort von Frank-Lothar Hossfeld (Bonner Biblische Beiträge 189). Bonn University Press / V&R Unipress: Göttingen 2019, 495 S., 1 Abbildung. Der Band, der auf eine Bonner Tagung zur Theologie des Psalters zurückgeht, sammelt achtzehn, teils deutsch, teils englisch verfasste Beiträge, die in folgende sechs Abschnitte gegliedert sind: „Die Spannung von Klage und Lob“, „Das Echo auf die Geschichte“, „Das Thema der Präsenz Gottes in Raum und Zeit“, „David als Autorität des Psalters“, „Die Armentheologie“ und „Die kanonische Bedeutung des Psalters“. Neben thematischen Querschnitten, z. B. zu den Jahwe-Königs-Psalmen oder zur Armentheologie, steht die Frage nach „psalterkompositorischen“ Zusammenhängen, die u. a. mit Teilsammlungen der Psalmen und den Büchern des Psalters verbunden sind. Der Band gibt wichtige Einblicke in die neuere Psalmen- und Psalterforschung. Barbiero, Gianni / Pavan, Marco / S chnocks, Johannes (Hg.): The Formation of the ­Hebrew Psalter. The Book of Psalms Between Ancient Versions, Material Transmission and Canonical Exegesis (Forschungen zum Alten Testament 151). Mohr Siebeck: Tübingen 2021, IX, 454 S. Die Beiträge des Bandes gehen großenteils auf ein Panel beim International Meeting der Society of Biblical Literature 2019 in Rom zurück, das anlässlich des 80. Geburtstags des 2010 verstorbenen Alttestamentlers Erich Zenger dem Forschungsstand zur sogenannten Psalterexegese gewidmet war – einer Frage, die von Zenger gemeinsam mit Frank-Lothar Hossfeld † programmatisch auf die Tagesordnung der Psalmenforschung gebracht worden war. Neben einer kurzen Einleitung durch die Herausgeber sind die insgesamt achtzehn Beiträge des Bandes, die auf Englisch und Deutsch verfasst sind, in die Abschnitte „Methodological and Theological Aspects“, „Case Studies on Groups of Psalms“ (noch einmal unterteilt in „The First Davidic Psalter“, „Books IV and V“ und „The Final Hallel“) und „Erich Zenger (1939–2010) gegliedert. Leitend sind die Fragen nach „intertextuellen Bezügen“ zwischen den Psalmen, aus denen sich eine kompositorische Absicht erschließen lässt. Auch manch skeptische Stimmen kommen zu Wort. Wissenschaftsgeschichtlich einschlägig ist der abschließende Abschnitt zu Erich Zengers Leben und Werk, der drei – allerdings recht knappe – Beiträge enthält. Im Ganzen ein für die Psalmen- und Psalterauslegung wichtiges Buch, das eine Fülle von Anstößen für künftige Forschung bietet. Gillingham, Susan: Psalms Through the Centuries, Volume 2: A Reception History Commentary on Psalms 1–72 (Wiley Blackwell Bible Commentaries). Wiley B ­ lackwell: Chichester / Hoboken / Oxford 2018, 480  S. Der zweite Band der großangelegten rezeptionsgeschichtlichen Kommentierung des Psalters ist den Psalmen 1–72 und damit dem ersten (Pss 1–41) und zweiten Buch des Psalters (Pss 42–72) gewidmet. Die erschlossene Rezeptionsgeschichte beginnt bei den innerbiblischen Kontexten, wie sie namentlich durch die Überschriften und Sammlungen gegeben sind, und spannt sich bis zur Gegenwart. Wichtige Stationen bilden die antiken Übersetzungen, allen voran die Septuaginta, altkirchliche, mittelalterliche, reformationsgeschichtliche Kommentare sowie Verwendungen der Psalmen in neuzeitlicher und moderner Musik, künstlerischen Darstellungen und Nachdichtungen. Farbige Tafeln bieten Beispiele von Buchmalereien und Kirchenfenstern.

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Grundlegend wird auf die Bedeutung des jeweiligen Psalms für die jüdische und die christliche Tradition verwiesen. Die Fülle des herangezogenen Materials eröffnet eindrucksvolle Perspektiven zur Auslegung und Rezeption der Psalmen in mehr als zwei Jahrtausenden. Von der Rezeption wiederum ergeben sich nicht wenige Vertiefungen zum Verständnis des ursprünglichen Textes. Neben der umfassenden rezeptionsgeschichtlichen Grundlegung des Kommentars, die in Band 1 (2008) geleistet wurde, ist der Kommentar dank des klaren Aufbaus auch gut als Nachschlagewerk zu den einzelnen Psalmen zu nutzen.

3.2 Zu einzelnen Psalmen, Psalmengruppen und Teilthemen der Psalmen Choi, Yung Hun: Patterns of Movement in the Hebrew Psalter. A Holistic Thematic Approach with an Exemplar, Psalms 69–87 (Studies in Biblical Literature 174). Peter Lang Verlag: New York / Bern / Berlin / Brüssel / O xford / Wien 2021, XXIV, 280  S., 30 Abbildungen, 11 Tabellen. Die Studie untersucht den Psalter auf die darin enthaltenen Bewegungsmuster von der Klage zum Lob und vom Gebet des Einzelnen zum Lobpreis der Gemeinde und der Völker. Ein besonderer Fokus liegt auf den Psalmen 69–87. Die Methode ist holistisch-strukturalistisch, nimmt also den Text im Ganzen in den Blick, ohne dies mit entstehungsgeschichtlichen Überlegungen zu verbinden. Allerdings ist ein kurzer Anhang der Anordnung der Psalmen in der großen Psalmenrolle 11QPsa aus den Schriftrollen vom Toten Meer gewidmet. Die Auslegung geht sowohl makro- als auch mikroskopisch vor. Mit der Frage nach den Strukturen verbindet sich ein dezidiert theologisches Interesse. Im Ergebnis zeigt sich, dass die genannten Bewegungsmuster nicht linear entfaltet sind. Vielmehr zeigt sich ein „progressiv-paralleles Muster“, das sich auf verschiedenen Ebenen wiederholt und die doxologische Fünfteilung des Psalters überschreitet. Folgende „Bewegungen“ gehören dazu: von der Klage zum Lob, vom Einzelnen zu den Völkern, von der Gegenwart oder Vergangenheit zur Zukunft, von Israel durch die Scheol zum Zion, vom mosaischen zum davidischen Bund, vom gescheiterten menschlichen Königtum durch das messianische zum göttlichen Königtum. Gies, Kathrin: Strebe nach Schalom! Eine biblisch-ethische Lektüre von Psalm 34 (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 161). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2021, 343 S. Die leicht überarbeitete Münsteraner Dissertation bietet eine detaillierte Auslegung von Ps 34, die die Struktur und die Aussagen des Psalms auf die darin enthaltene ethische Dimension hin befragt: Welche Relevanz hat der Psalmentext in ethischer Hinsicht für den Leser? Die Untersuchung verknüpft Strukturbeobachtungen, die sich vor allem an lexematischen Mustern festmachen lassen, mit begriffs- und motivgeschichtlichen Beobachtungen, die wiederum auf ihre ethischen Dimensionen hin ausgewertet werden. Fußend auf Beiträgen zur Ethik des Alten Testaments sowie auf hermeneutischen Überlegungen, namentlich im Anschluss an Paul Ricœur, wird das Programm einer „ethischen Bibellektüre“ entwickelt, das die „Welt des Textes“ als „Möglichkeitsraum ethischen Handelns“ begreift. Im Ergebnis erweist sich Ps 34 als ein „Kompendium ethischer Schlüsselbegriffe“, zu denen unter anderem die „Gottesfurcht“, die „Solidarität mit den Armen“, ein umfassendes Konzept der Heiligkeit, das Tun des Guten, die „Orientierung an Gerechtigkeit“ und die pädagogisch aus-

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Literaturbericht Hymnologie. Reinhard Müller

gerichtete Gegenüberstellung von Gerechten und Frevlern zählen. Im Blick auf diese Konzeptionen lässt sich der Psalm als „Zeugnis“ ethischen Handelns „coram Deo“ beschreiben. Von hier aus ergeben sich Folgen für eine ethische Lektüre des gesamten Psalters. Riegert, Sarah: Die „Ich-Sphäre“ des Beters. Eine anthropologische Untersuchung zur Selbstreflexion des Beters am Beispiel von Ps 42/43 (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments 275). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2019, 276 S., 2 Abbildungen. Die geringfügig überarbeitete Münsteraner Dissertation bietet eine detaillierte und umfassende Auslegung des wichtigen Psalms 42/43. Im Zentrum steht die Frage nach der vorausgesetzten Anthropologie. Angelehnt an Bernd Janowskis These einer Leib- und Sozialsphäre des Menschen postuliert die Verfasserin eine dritte anthropologische Größe, die der „Ich-Sphäre“, die sie anhand der in dem Psalm enthaltenen Selbstreflexion des Beters entfaltet. Der Psalm wird text-, literar- und redaktionsgeschichtlich beleuchtet, vor allem aber wird seine Motivik auf Wort- und Satzebene detailgenau untersucht und auf die anthropologische Fragestellung hin profiliert. Die These einer Ich-Sphäre des Beters wird sodann auch anhand anderer Texte des Psalters erprobt, und es werden intertextuelle Bezüge innerhalb der Korachpsalmen in den Blick genommen. Ein Kapitel wendet sich dem Thema „Frauen als Beterinnen selbstreflexiv ausgestalteter Psalmen“ zu. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Ich-Sphäre des Beters sprachlich-strukturell beschrieben werden kann. Sie verbindet sich mit einer bestimmten textpragmatischen Dynamik, die sich als ein Bündel von „Stimmungs-“ und „Beziehungsumschwüngen“ beschreiben lässt. Seo, Jaeduck: Gottesgegenwart im Tempel. Studien zur Spiritualisierung der Tempeltheologie in den Psalmen 29, 48, 68, 74, 84 und 114 (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 71). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2021, 256 S. Die bearbeitete Fassung einer Dissertation an der Universität Jena untersucht die im Titel genannten sechs Psalmen in literar- und religionsgeschichtlicher Perspektive. Die Psalmen werden, anknüpfend an neuere Untersuchungen, zunächst literarkritisch auf die jeweilige Urfassung und deren Erweiterungen hin rekonstruiert. Anschließend wird die Motivik in ihre alttestamentlichen Zusammenhänge eingezeichnet sowie vor dem Hintergrund einschlägiger altorientalischer Kontexte beleuchtet. Im Ergebnis erweisen sich die sechs Psalmen als Zeugnisse einer weitgespannten religions- und theologiegeschichtlichen Entwicklung, die von der vor allem in den frühen Psalmen 29, 48, und 68 greifbaren Vorstellung der Anwesenheit Jahwes in seinem Heiligtum, die mit der kosmologischen Dimension der Tempeltheologie verbunden war, hin zu der Spiritualisierung der Gottesgegenwart in den späteren Psalmen und Psalmschichten reicht. Eine wichtige Studie, die Impulse der neueren literar- und religionshistorischen Psalmenforschung aufnimmt und weiterführt. Für die Einzelexegese der ausgewählten Psalmen finden sich zahlreiche weiterführende Überlegungen. In einem Anhang werden die Übersetzungen der Texte in der rekonstruierten literarkritischen Schichtung dargestellt, was für die Erschließung der Analysen hilfreich ist. Das Ganze ergibt eine exemplarische Geschichte der Tempeltheologie von den Anfängen bis zur Spätzeit.

Altorientalische, israelitisch-jüdische Religion (2020–2021)

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4. Zeit des Zweiten Tempels / Frühes Judentum Ganzel, Tova / Holtz, Shalom E. (Hg.): Contextualizing Jewish Temples (The Brill Reference Library of Judaism 64). Brill: Leiden / Boston 2020, X, 232 S.  Der Band sammelt zehn Beiträge einer Tagung an der Bar-Ilan-Universität im Jahr 2018. Gegenstand sind, wie die Einleitung der Herausgeber beschreibt, die Darstellungen, Wahrnehmungen und Konzeptionen jüdischer Tempel in Jerusalem von der Zeit des Ersten Tempels bis zur Epoche nach der Zerstörung des Zweiten. Der auffällige und ganz bewusst verwendete Plural im Buchtitel verweist auf die Vielfalt der Konzeptionen und Perspektiven, was ein breites Feld von kultur- sozial- und religionsgeschichtlichen Zugängen sowie konzeptionellen und theologischen Aspekten eröffnet. Wichtige Vergleichspunkte bieten Beiträge zu neubabylonischen Tempeln (Yuval Levavi; Caroline Waerzeggers), Teilaspekte gelten sodann dem Kultkalender und dem Sabbat (Jeffrey Stackert), Privatheit und Reinheit in Haushalt und Tempel (Avraham Faust), literarischer Kunst und göttlicher Gegenwart (Gary Anderson), bestimmten Problemen des Ezechielbuches (Simeon Chavel; Paul Joyce), der Tempelrolle und der Mischna Middot (Lawrence Schiffman) sowie christlichen und jüdischen Wahrnehmungen des Tempels nach seiner Zerstörung 70 n. Chr. (Eyal Regev; Risa Levitt). Ein im Ganzen anregender Band, der zahlreiche ungewöhnliche und neuartige Perspektiven auf tausend Jahre des Jerusalemer Tempelkults bietet. Sandoval, Timothy J. / Feldman, Ariel (Hg.): Petitioners, Penitents, and Poets. On Prayer and Praying in Second Temple Judaism (Beiheft zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 524). De Gruyter: Berlin / Boston 2020, XI, 288 S., 6 Abbildungen, 24 Tabellen. Der Band enthält dreizehn Beiträge einer Konferenz an der Texas Christian University, die dem Thema Gebet in der Zeit des Zweiten Tempels gewidmet war. Zu den materialen Gegenständen zählen alttestamentliche Texte und Textzusammenhänge wie das Gebet des Jona, die Psalmen, die Worte Agurs in Prov 30, sowie die Schriften vom Toten Meer, die 2. Baruch-Apokalypse, das griechisch verfasste Leben von Adam und Eva, schließlich die neutestamentlichen Schriften des Lukas- und des Matthäusevangeliums. Methodologisch werden exegetische, historische und religionsgeschichtliche Zugänge miteinander verknüpft. In der Vielfalt der Perspektiven bildet sich die Komplexität der Frage ab, was Gebet eigentlich ist bzw. wie Gebet zu definieren ist.

Literaturbericht Liturgik. Deutschsprachige Länder 2022 (2021, 2020) Jörg Neijenhuis

I. Quellen Dobos, András: Prassi e Teologia circa l’Eucaristia nella Storica eparchia di Mukačevo. Dall’unione di Užhorod fino alla metà del XX secolo (SECL 3). Aschendorff: Münster 2022, 728 S., 22 farbige Abb. Nach dem Ende der kommunistischen Unterdrückung haben sich auch die griechisch-katholischen Kirchen Mitteleuropas in den 1990er Jahren der liturgischen Erneuerung zugewandt. Zugleich hat man sich mit der liturgischen Tradition befasst. Dobos’ Arbeit hat ein doppeltes Ziel: Zum einen sollen die Praxis und die Theologie der Eucharistie in den byzantinischen Kirchen der Union von Uzhorod [1646] (ukra­ inische Stadt direkt an der slowakischen Grenze) dargestellt werden, dabei wird nicht nur die Feier der Liturgie, sondern auch die Frömmigkeit berücksichtigt, wie sie in Katechismen, Handbüchern, Predigten etc. dokumentiert ist. Zum anderen sollen die Veränderungen nachgezeichnet werden, die durch die Union mit Rom bis zur Mitte des 20. Jh.s vorangebracht werden. So wird die Geschichte der Eparchie Mukačevo der ruthenischen griechisch-katholischen Kirche mit Sitz in Uzhorod beschrieben, danach die Quellen. Anschließend werden unterschiedliche Aspekte des sakramentalen Lebens im Zusammenhang der Eucharistie untersucht, wie sie sich z. B. aus Quellen der liturgischen Praxis, aber auch aus Kommentaren und Abhandlungen zur Eucharistie entnehmen lassen. Enns, Fernando (Hg.), im Auftrag der Mennonitischen Weltkonferenz, des Lutherischen Weltbundes und des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen: Die Taufe und die Eingliederung in die Kirche. Lutherisch / mennonitisch / römisch-katholische trilaterale Gespräche 2012–2017. Evangelische Verlagsanstalt / Bonifatius: Leipzig / Paderborn 2022, 163  S. Enns legt hier die deutsche, offizielle Übersetzung des ursprünglich englischen Originalberichts aus dem Jahr 2020 vor. „Der trilaterale Dialog zwischen den lutherischen, mennonitischen und römisch-katholischen Kirchen von 2012 bis 2017 hat zwei Ziele verfolgt: das gegenseitige Verständnis zu verbessern und einander zu helfen, im Glauben an Jesus Christus zu wachsen.“ (13) Der Bericht umfasst drei Kapitel. Das erste Kapitel befasst sich mit der Taufe in Bezug auf Sünde und Gnade, da die Gnade die Sünde, das grundsätzliche Getrenntsein des Menschen von Gott, überwindet; das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Taufe, wie Gnade und Glauben vermittelt werden. Hier wird die Tauffeier reflektiert und gesehen, dass die Taufe ein Moment im lebenslangen Prozess des Glaubens ist. Das dritte Kapitel befasst sich mit der Taufe als Leben in der Nachfolge. Dabei kommt die individuelle, ekklesiologische und öffentliche Dimension zum Tragen. Jedes Kapitel gibt wieder, wie die Kirchen diese Inhalte glauben,

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verstehen und praktizieren, und jedes Kapitel schließt auch mit Gemeinsamkeiten und Differenzen ab. Den drei Kapiteln folgen abschließende Überlegungen aus der mennonitischen, lutherischen und römisch-katholischen Sicht unter den Überschriften: Überzeugungen, zu denen wir stehen / Gaben, die wir erhalten haben / Herausforderungen, denen wir uns stellen / Weitere Erwägungen. Ein Quellenverzeichnis und eine Bibliographie beschießen den Bericht. Dieser deutschen Ausgabe wurde noch ein Anhang hinzugefügt, in dem delegierte Dialogteilnehmer von Lernerfahrungen berichten. William Henn (römisch-katholisch) reflektiert zum ersten Kapitel über Sünde und Gnade, Fernando Enns (mennonitisch) reflektiert über die Vermittlung von Gnade und Glaube, Friederike Nüssel reflektiert über die Taufe als Leben in der Nachfolge. Odenthal, Andreas / Frauenknecht, Erwin: Gottesdienst im Kloster Fulda. Eine Spurensuche im Registrum Chori der Ratgarbasilika aus dem Jahre 1615. Mit der Edition der Handschrift (FuSt 27). Herder: Freiburg i. Br. 2022, 311 S. Die Ratgarbasilika aus dem 9. Jh. ist der Vorgängerbau der heutigen barocken Basilika. Sie wurde zu Beginn des 18. Jh.s erbaut, was zum Abriss der Ratgarbasilika führte. Das Registrum Chori zeigt, wie in der Ratgarbasilika durch den Benediktinerkonvent Liturgie gefeiert wurde. Es spiegelt auch die Phase der Konfessionalisierung wider, die dem Kloster zusetzte. Eine Visitation von 1627 beendete abrupt die Bräuche, die in dem Registrum Chori beschrieben sind, weil nun eine Liturgiereform im Sinne des Trienter Konzils durchgeführt wurde nach dem Vorbild des Reformklosters St. Gallen. So gibt diese Handschrift Auskunft darüber, wie das liturgische Leben des Konvents bis 1615 aussah und gibt Einblicke in eine lange Tradition. Gleichwohl zeigt die Handschrift auch, wie die Bräuche immer wieder neu ausgehandelt und neu akzentuiert wurden. Odenthal zeichnet den Gottesdienst im Kloster Fulda von seiner Gründung 744 her nach. Entwicklungsphasen zeigt er wie folgt auf: Bonifatius und die Romanisierung der Liturgie, die Zeit der Karolinger und Ottonen einschließlich des Sacramentarium Fuldense. Weitere Phasen sind das Kloster im Mittelalter im Kontext monastischer Reformverbünde und anschließend das Registrum Chori von Pater Michael Drisch im Jahr 1615. Odenthal stellt zwei Beispiele für die liturgischen Akzentsetzungen vor, die Prozession am Fest der Purificatio Mariens und die Prozession am Palmsonntag. Damit wird deutlich, wie Liturgie bzw. Prozession und die baulichen Gegebenheiten im Zusammenspiel einen eigenen Brauch hervorbrachten, also eine Sakraltopographie, die in einer Übersicht im Anhang abgedruckt ist. Odenthal beschreib die Liturgiegeschichte in Fulda bis zum 17. und 18. Jh. Danach folgt die Textedition des Registrum Chori von 1615, die ca. zwei Drittel der Buchseiten einnimmt. Zuerst wird die Handschrift beschrieben, dann die Editionskriterien, die Textedition, das Register der liturgischen Initien und der Kalender des Registrums. Pahl, Irmgard / Böntert, Stefan (Hg.): Sacrum convivium. Die Eucharistiegebete der westlichen Kirchen im 20. und 21. Jh.. Bd. II: Römisch-katholische Kirche, Alt-Katholische Kirche, Kirchen der Reformation (SpicFri 50). Aschendorff: Münster 2022, 504 S. Mit diesem zweiten Band wird die Edition von Eucharistiegebeten der westlichen Kirchen des 20. und 21. Jh.s fortgesetzt. Im ersten Band (vgl. JLH 61 [ 2022], 72 f) wurden die Eucharistiegebete der reformatorischen Kirchen in lutherischer und unierter Tradition, der methodistische Tradition einschließlich der Herrnhuter Tradition, des Berneuchener Kreises wie das ökumenische Eucharistiegebet von Lima ediert. Das Editionskonzept gegenüber dem ersten Band wurde nicht verändert, sodass auch in diesem Band eine Einführung in die jeweilige Tradition und danach die Edition der Eucharistiegebete erfolgt.

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Jürgen Bärsch hat die Eucharistiegebete der Römisch-katholischen Kirche ediert. Zunächst den Canon Romanus nach dem Missale Romanum von 1570 und 1962, dann die neuen Hochgebete II. bis IV., die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil eingeführt worden sind. Anschließend die beiden Versöhnungshochgebete, das Hochgebet für Messen für besondere Anliegen und für Messfeiern mit Kindern. Die Edition der Eucharistiefeier der Alt-Katholischen Kirche wurde besorgt von Angela Berlis und Joachim Pfützner für den deutschsprachigen Raum, für die Niederlande von Wietse van der Velde, für die Schweiz von Thomas Zellmeyer. Das reformierte Abendmahl in der deutschsprachigen Schweiz, in Deutschland und Frankreich wurde ediert von Bruno Bürki und Friedrich Lurz. Für die reformierte und unierte Tradition in den Niederlanden hat Marcel Barnard die Gebete ediert, William McClelland und David Gambrell haben die presbyterianische Tradition in Nordamerika ediert. Für die Ang­ likanischen Kirchen hat Colin Buchanan die Eucharistiegebete in England, USA, Australien, Irland, Kanada, Kenia, Neuseeland, Südafrika, Sri Lanka, Südindien ediert. Mit diesem Band wird eine enorme Edition von Eucharistiefeiern und Abendmahlsfeiern zur Verfügung gestellt, die ihresgleichen sucht. Irmgard Pahl und Anton Hänggi hatten mit dem Band Prex Eucharistica, der 1968 erschienen ist und altkirchliche Hochgebete edierte, mit dieser Edition begonnen. Die neueren Hochgebete der Römisch-katholischen Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil sind durch diese Edition beeinflusst worden. Weitere Bände, so Coena Domini I und II mit den Abendmahlsliturgien der reformatorischen Kirchen vom 16. bis zum frühen 20. Jh. sind auf ihre Initiative hin erschienen. Einen Tag vor der Druckfreigabe des hier besprochenen Bandes ist Irmgard Pahl im April 2022 verstorben, wie der Mitherausgeber Stefan Böntert in seinem Vorwort mitteilt. Parenti, Stefano: L’anafora di Crisostomo. Teste  e contesti (JThF 36). Aschendorff: Münster 2020, 661 S. Die in italienischer Sprache publizierte Untersuchung über die Anaphoren des ­Johannes Chrysostomus fragt nach den Quellen und ihrer Fortführung und ggf. Bearbeitung über fast eintausend Jahre. Dabei wird nicht nur der Text gewürdigt, sondern auch der Kontext, in dem die Anaphoren verwendet und fortgeschrieben wurden. Es werden über 400 Manuskripte gesichtet, die zwischen dem 8. und 17. Jahrhundert verwendet wurden. Die meisten Quellentexte sind nicht mit veröffentlicht, aber digital zugänglich. Parenti führt ausführlich in die Arbeit und ihre Methoden ein, stellt zuerst die Quellentexte dar, die er auf Basilius und Chrysostomus zurückführt, dann ihrer Erforschungsgeschichte. Es folgt die Anaphorenaufnahme in der antiochenischen Tradition, in Konstantinopel sowie in weiteren Dokumenten wie z. B. der Apostolischen Konstitution. Der Text in der Zeit vor und nach dem Bilderstreit, im 12. Jh., die Fürbitten und Gedenken nach Gariele Winkler, die Anaphore in Italien und die kurialen Korrekturen im 14. Jh. schließen sich an. Abschließend zeigt Parenti auf, wie der Text zelebriert wurde bzw. wird. Es legt einen Reformvorschlag vor für die heutige Verwendung und bietet eine Zusammenfassung an. Der Untersuchung sind zahlreiche Register beigegeben: Abkürzungen und Siglen, eine chronologische Liste der Manuskripte, ein Bibelstellenregister, altkirchliche Autoren, Lebensbeschreibungen, Verweise auf die verwendeten Manuskripte im Untersuchungstext, Namen- und Sachverzeichnis. Troupeau, Martin: L’unité du sacrement de l’ordre dans la réforme des ordinations de 1968 (LQF 113). Aschendorff: Münster 2022, 737 S. In dieser Untersuchung geht es um die Frage nach der Einheit des Weihesakraments, denn bekanntlich hat das Zweite Vatikanische Konzil hier neue Akzente gesetzt. Ge-

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weiht werden Bischof, Priester und Diakon, aber die Weihe des Diakons wird nicht als Vorstufe zur Priesterweihe verstanden, womit sich die Frage nach der Einheit des Sakraments stellt. Troupeau präsentiert die theologischen Texte samt Kommentar, die zu einer Reform geführt haben, anschließend die dazu gehörenden Vortexte. Im dritten Teil werden die Texte kommentiert, wie die Einheit des Sakraments für die Weihe von Diakon, Priester und Bischof von 1968 vorgesehen sind und als Ritus im Pontificale Romanum 1968 veröffentlicht wurden. Ein Drittel des Buches nimmt der Abdruck von Dokumenten ein, die für die Reform bestimmend waren. Ein Literatur-, Namen- und Sachverzeichnis und ein Resümee beschließen das Buch. Zanetti, Ugo: La Liturgie de S. Marc dans le Sinaï arabe 237. Édition et traduction annotée avec un état de la question par Heinzgerd Brakmann (JThF 38). Aschendorff: Münster 2021, 240 S., 8 farbige Abb. Die Markus-Liturgie aus Ägypten unterscheidet sich deutlich von anderen Anaphoren, so werden z. B. die Interzessionen vor den verba testamenti gesprochen. Sie wird heute kaum noch verwendet, allerdings bei den Kopten unter dem Namen der Liturgie des hl. Cyrill. Die Historie ist schwer darzustellen, da es wenige Manuskripte gibt und diese oftmals in unvollständigem Zustand sind. Hier wird der arabische Text (Sinaï arabe 237) wiedergegeben, der mit Abbildungen versehen im Anhang abgedruckt ist. Dann wird zuerst ein Beitrag von Heinzgerd Brakmann vorangestellt: Die alexandrinische Markus-Liturgie und ihre arabische Version im Codex Sinaiticus arabicus 237. Es folgt eine Einleitung in die Edition des arabischen Textes, der auf 60 Buchseiten in arabischer Schrift abgedruckt wird. Es folgen die Rekonstruktion eines griechischen Textes und eine französische Übersetzung; beide Texte sind nebeneinander abgedruckt.

II. Agenden, Lektionare Einweihung – Widmung – Entwidmung. Agende für die Union Evangelischer Kirchen in der EKD (Band 7), Agende IV, Teilband III der VELKD für evangelisch-lutherische Kirchen und Gemeinden. Entwurf zur Erprobung. O. J., 113 S. (als pdf-Datei zur Verfügung gestellt) Die hier vorgelegten Ordnungen sind zur Erprobung freigegeben worden. Nach der Erprobungs- und Stellungnahmephase wird diese Agende den Abschnitt Einweihungen in der Agende für die Evangelische Kirche der Union (1964), Bd. II: Die kirchlichen Handlungen ersetzen, für die VEKD wird in der Agende IV (1987) der Teil III ersetzt werden. Die beiden Kirchenleitungen haben am 1. Juli 2021 die Erprobung beschlossen und gebeten, diesen Entwurf innerhalb von 18 Monaten zu erproben und eine Stellungnahme bis zum 31. Oktober 2023 an die Kirchenämter zu schicken. In der Einführung wird mitgeteilt, dass Einweihungen ein allgemeines Phänomen sind, weil sie „offenbar einem elementaren Bedürfnis der menschlichen Gemeinschaft Rechnung tragen“ (…). Nach einer Einweihung verlangen anscheinend besonders solche Objekte, die über das Alltägliche und Individuell-Persönliche hinausreichen, sei es durch ihre besondere Bestimmung, sei es durch den Aufwand, den sie erfordern, sei es durch die intendierte Dauer ihres Gebrauchs o. a.“ (4). Anschließend wird festgestellt: „Zu den Trägern von Einrichtungen, die eingeweiht werden, gehören auch Religionsgemeinschaften.“ (4) Sie weihen für ihre Religionsausübung Gebäude und Gegenstände ein und ggf. entweihen sie diese auch wieder, wenn sie außer Dienst gestellt werden. Es sei darauf zu achten, dass die Religionsgemeinschaften die Einweihung von Gottesdiensträumen nicht in ausschließender Form vornehmen, sondern sensibel

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sind für interkonfessionelle, interreligiöse und gesellschaftliche Belange. Dabei ist zu unterscheiden, ob ein Gebäude für die Religionsgemeinschaft selbst eingeweiht wird oder ob ein Repräsentant der Religionsgemeinschaft bei einer Einweihungsfeier eines öffentlichen, staatlichen Gebäudes, wie z. B. ein Krankenhaus, mitwirken soll. Ferner wird ausgeführt, dass das Wort einweihen oder Einweihung unbefangen verwendet wird, weil diese Worte im allgemeinen Sprachgebrauch verankert sind. Nach wie vor gilt, dass nach evangelischem Verständnis Gotteshäuser und Gottesdiensträume nicht heilig an sich sind. „Sie gewinnen aber Anteil an der Heiligkeit der Gottesbegegnung, zu der sich Menschen in ihnen versammeln: die sie in Gebet und Predigt, Sakrament und Feier erfahren, die ein gemeinsames Gedächtnis stiftet und die sowohl bei den Menschen als auch in den Räumen Spuren hinterlässt.“ (4) Darum geschieht eine Einweihung durch das Wort Gottes und mit Gebet nach 1Tim 4,4 f., die Räume sind durch diese geheiligt. Die Heiligung besteht darin, dass in diesem zu weihenden Gebäude das Wort Gottes verkündet und darauf mit Gebet (und Lobgesang) geantwortet wird. Der versammelten Gemeinde soll das Gebäude, bzw. was darin geschieht, zum Segen werden. Die Ordnungen sind in zwei Abteilungen untergebracht: Der erste Teil bezieht sich auf den Gottesdienst: „Einweihung von Kirchen und Gottesdienststätten sowie von Gegenständen für den Gottesdienst“. Der zweite Teil bezieht sich auf sonstige Gebäude: „Einweihung von sonstigen Gebäuden, Einrichtungen und Gegenständen in kirchlicher und nichtkirchlicher Trägerschaft.“ Im ersten Teil werden vorgelegt eine Ordnung zur Grundsteinlegung einer Kirche oder Gottesdienststätte, dann Ordnungen zur Einweihung von Gebäuden und Gegenständen für den Gottesdienst: Widmung einer neuen oder renovierten Kirche, Widmung von Prinzipalstücken, Orgel und Glocken. Es folgen eine Ordnung für die Entwidmung einer Kirche, dann eine Variante, um nach der Entwidmung mit einer Widmung einer neuen Gottesdienststätte fortfahren zu können. Im zweiten Teil finden sich Ordnungen und Materialien für Einweihungen von sonstigen Gebäuden etc. in kirchlicher wie nichtkirchlicher Trägerschaft: zuerst die Grundsteinlegung bzw. das Richtfest, dann die Einweihung eines Gebäudes oder eines Gegenstandes. Es folgen liturgische Bausteine für Wohnhaus bzw. Wohnung, öffentliches Gebäude, Bildungswesen, Gesundheitswesen, Friedhof / Bestattungswald / Urnenstätte, Sicherheit und Hilfe, Kultur, Verkehr, Wirtschaft. Zwei Anhänge sind beigegeben: zum einen für ökumenische Einweihungen, zum anderen für Einweihungsfeiern mit Beteiligung unterschiedlicher Religionen. Den verschiedenen Ordnungen werden jeweils eigene Einführungen und Hinweise zur Gestaltung beigegeben, auch ein Quellenverzeichnis ist vorhanden. Evangelisches Gottesdienstbuch. Agende für die Union Evangelischer Kirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (UEK) und für die Vereinigte EvangelischLutherische Kirche Deutschlands (VELKD). Nach der „Ordnung gottesdienstlicher Texte und Lieder“ (2018) überarbeitete Fassung. Im Auftrag des Präsidiums der UEK und der Kirchenleitung der VELKD herausgegeben von den Amtsbereichen der UEK und der VELKD im Kirchenamt der EKD [Altarausgabe]. Evangelische Verlagsanstalt / Luther-Verlag: Leipzig / Bielefeld 2022, 872  S. Im JLH 60 (2021) auf Seite 155 hatte ich noch festgehalten, dass es von der Taschenausgabe der überarbeiteten Fassung des Evangelischen Gottesdienstbuches von 1999, die 2020 erschienen ist, keine Altarausgabe geben werde. Doch nun liegt sie vor: Sie ist 2022 publiziert worden. Bei der Altarausgabe handelt es sich um einen Wiederabdruck der Taschenausgabe, aber natürlich im größeren Format (27 × 21 cm), die Seitenzahlen sind gleich geblieben. Ein eigenes Vorwort hat die Altarausgabe nicht erhalten.

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Die Feier der Trauung. Regensburger Manuale. Hg. v. Bischöflichen Ordinariat Regensburg, Hauptabteilung Seelsorge. Friedrich Pustet: Regensburg 2022, 127 S. Im Jahr 2020 ist die zweite authentische Ausgabe der Feier der Trauung in den katho­ lischen Bistümern des deutschen Sprachgebietes erschienen, und hier folgt nun ein Manuale als Ergänzung dazu. Der Umfang wurde reduziert und es wurden auf Texte verzichtet, die für den gottesdienstlichen Vollzug nicht unbedingt benötigt werden. Auch liturgische Elemente, die vom Zelebranten nicht vorgetragen werden müssen, sind nicht aufgeführt. Das Manuale führt drei Feierformen auf: die Feier der Trauung in der Messfeier oder in der Wort-Gottes-Feier, die Trauung eines Katholiken mit einem nichtgetauften Partner, der an Gott glaubt, und die Trauung eines Katholiken mit einem Partner, der nicht an Gott glaubt. Die Formulare sind wie in der authen­ tischen Ausgabe gestaltet.

III. Monographien und Sammelbände Van Acken, Johannes: Christozentrische Kirchenkunst  – Ein Entwurf zum liturgischen Gesamtkunstwerk. Herausgegeben, bearbeitet und ergänzt um eine Biographie von Ralph Eberhard Brachthäuser und eine kunsthistorische Einordnung von ­Manuela Klauser. Mit einem Geleitwort von Albert Gerhards. LIT: Berlin 2022, 289 S., 10 schwarz-weiße Abb. In ihrem Vorwort beschreiben die beiden Herausgeber das Anliegen von Johann van Acken: „Die Ideen des Johannes van Acken sind auch nach einem Jahrhundert aus den modernen Kirchen nicht wegzudenken. Christus in die Mitte zu holen, die Gläubigen um ihn herum zu versammeln, von seinem eucharistischen Opfer das Leben der Einzelnen und der Gemeinschaft neu prägen zu lassen und dies alles in der architektonischen Form der Kirche auszudrücken, das waren van Ackens Anliegen. Architektur, künstlerische Gestaltung und die liturgische Musik sollten dazu mehr als probate Hilfsmittel sein  – sie sollten sich zum Gesamtkunstwerk vereinen.“ (3) 1922 und in zweiter Auflage 1923 hatte van Acken seine Schrift „Christozentrische Kirchenkunst“ veröffentlicht und breite Resonanz erfahren. Albert Gerhards ordnet seine Schrift ein in den Aufbruch nach dem Ersten Weltkrieg, der sich auch zeigte durch Otto Bartnings Buch „Vom neuen Kirchenbau“ (1919) und Romano Guardinis Schrift „Vom Geist der Liturgie“ (1918). In diesem ein Jahrhundert später erschienenen Buch wird nun „Christozentrische Kirchenkunst. Ein Entwurf zum liturgischen Gesamtkunstwerk“ wieder zum Abdruck gebracht. Van Acken hat seine Schrift in vier Teile gegliedert. Sie wird eröffnet mit der Darstellung der Liturgie als Lehrmeisterin einer christologischen Sakralkunst, fortgeführt mit der christozentrischen Raumkunst im Gotteshause sowie der christozentrischen Kirchenmusik und abgeschlossen mit der Mitwirkung des opfernden Priesters am christozentrischen Kunstwerk. Die beiden Herausgeber legen eine Synopse der Textunterschiede der ersten und zweiten Auflage vor. Manuela Klauser beschreibt van Acken als geistigen Vater des modernen Kirchenbaus und frühen Vertreter einer modernen Pastoraltheologie, Ralph Eberhard Brachthäuser stellt van Ackens Leben und Wirken einschließlich des bisherigen Forschungsstands zu van Ackens Wirken dar. Ein Anhang versammelt Personenkommentare, einen Bericht über die Einrichtung des Textes, ein Quellen- und Literaturverzeichnis, einen Personenindex und eine Autoreninformation.

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Allolio-Näcke, Lars / Bubmann, Peter (Hg.): Spiritualität. Theologische und humanwissenschaftliche Perspektiven. Kohlhammer: Stuttgart 2022, 217 S. Das Forschungsthema Spiritualität kommt aus unterschiedlichen Wissenschaftsperspektiven zu Wort und zugleich mit einem Interesse an Interdisziplinarität. Drei große Bereich sind erkennbar: Spiritualität in Theologie und Glaubenspraxis – hier kommen z. B. Beiträge über das Heilige, die Mystik, die Spiritualität unserer Zeit, die Spiritualität in den Orden etc. zum Zuge. Der zweite Bereich ist die Medizin, hier wird z. B. die Frage nach einer Spiritualität ohne Transzendenz oder die Frage nach Heilung durch Transzendenz gestellt. Der dritte Bereich umfasst Beiträge aus soziologischer oder psychologischer Sicht. Da geht es z. B. um das Absolute, um populäre Spiritualität, um Spiritualität als Bewusstseinszustand. Dabei wird thematisiert, dass in den letzten Jahrzehnten in der Wirtschaft, in der Medizin und in der Psychologie gerne das Wort Spiritualität verwendet wird, aber der Bezug zur Religion negiert wird, sodass es zu einem Gegensatz von Religion und Spiritualität kommen kann. Umso interessanter ist es dann zu sehen, wie Theologen diese Verbindung beschreiben und für unsere Zeitkoordinaten neu justieren. Bärsch, Jürgen / Köhle-Hezinger, Christel / Raschzok, Klaus (Hg.): Heilige Spiele. Formen und Gestalten des spielerischen Umgangs mit dem Sakralen. Friedrich Pustet: Regensburg 2022, 368 S. Die Herausgeber führen aus katholischer, evangelischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive in das Phänomen Spiel und sakrale Welt bzw. Liturgie ein. Dabei zeigt sich, wie unterschiedlich das Spielmotiv für die Liturgie in diese Disziplinen wahrgenommen wurde. Anschließend folgt die Darstellung der Grundlagen, wie z. B. Anthropologie der Liturgie oder die Relation von Theater und Liturgie. Zahlreiche Formate schließen sich an, z. B. Palmesel, Krippe, die Messe spielen, Puppenspiele etc. Es wird dargestellt, wie zahlreich und vielfältig geistliches Leben und Spiel sich befruchtet haben und dadurch interessante wie amüsante Spiele, Spielsachen bis hin zur zeitgenössischen Kunst entstanden sind und sich noch heute in Gebrauch befinden. Auf diese Weise wird die Verschränkung von Fest und Alltag, sakraler und profaner Welt, die Aneignung religiösen Lebens durch das Spiel schon seit Kindertagen bis in das Erwachsenenalter deutlich. So wird das Heilige Spiel erlebbar, aber auch domestiziert. Bauer, Thomas / Bodenheimer, Alfred / Seewald, Michael: Welche Sprachen spricht Gott? Versuche aus Judentum, Christentum und Islam. WBG Theiss: Darmstadt 2022, 157 S., drei schwarz-weiße Abb. In ihrem Vorwort legen die drei Autoren dar, warum sie diese Essays über die Sprache Gottes geschrieben haben: weil Judentum, Christentum und Islam voraussetzen, dass Gott spricht. Der transzendente Gott teilt sich den Menschen mit, was gemeinhin als Offenbarung qualifiziert wird. Der Begriff der Offenbarung in diesen drei Religionen impliziert drei Aspekte: (1) Gott ist transzendent, er ist jenseitig. (2) Zwar kann die menschliche Vernunft einiges sinnvolle über Gott erfassen, aber darüber hinaus gibt sich Gott selbst zu erkennen. Dieses Geschehen wird analog zur zwischenmenschlichen Kommunikation verstanden. (3) Die Offenbarung Gottes ist aber nun nicht eine Sache des Glaubens allein, da Gott sich den Glaubenden zeigt und zugleich entzieht. Die Erfahrungen des Glaubens machen deutlich, dass Gott spricht und Gott schweigt. Dass dabei der Sprache in allen drei Religionen eine besondere Aufmerksamkeit zukommt, liegt auf der Hand. Dass das auch für den Gottesdienst, für die Liturgie gilt bis hin zur Frage nach der rechten Liturgiesprache, wird immer wieder von Neuem in den Religionen verhandelt. Die drei Autoren betonen, dass ihre Essays „tentativ,

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assoziativ und subjektiv“ (9) sind und sein sollen. Denn: „Zu versuchen, den Reichtum der in Judentum, Christentum und Islam zu findenden Vorstellungen über die Sprache(n) Gottes auf den gemeinsamen Nenner einer Idealsprache zu bringen, wäre töricht. Gleichwohl prägt diesen Band bei aller Unterschiedlichkeit der in ihm vereinten Beiträge die Absicht, die beiden eingangs genannten Schwierigkeiten zu meiden, welche mit Offenbarungsreligionen verbunden sein können: Offenbarung als Chiffre eigener Überlegenheit zulasten anderer Religionen und Offenbarung als Chiffre eines sich der Vernunft entziehenden religiösen Denkens.“ (9f) Der Judaist Alfred Bodenheimer beschreibt die drei Sprachen Gottes im Judentum: Gesetz, Geist und Geschichte. Der römisch-katholische Theologe Michael Seewald zitiert Ps 62,12: „Eines hat Gott gesprochen, zweierlei habe ich gehört“ und schreibt über die Sprache Gottes als Thema der christlichen Theologie. Der Islamwissenschaftler Thomas Bauer zeigt die undeutlich-deutliche Sprache Gottes im Islam mit dem bemerkenswerten Abschnitt über Arabisch als Liturgiesprache. Buchinger, Harald / Leonhard, Clemens (Hg.): Liturgische Bibelrezeption / Liturgical Reception of the Bible. Dimensionen und Perspektiven interdisziplinärer Forschung / Dimensions and Perspectives of Interdisciplinary Research (FKDG 108). Vandenhoeck & ​Ruprecht: Göttingen 2022, 515 S. Die Rezeption der Bibel ereignet sich auch im Gottesdienst – nicht nur während der Lesungen, sondern auch bei Gebeten und Gesängen. Dem entsprechend ist der Sammelband mit zahlreichen Beiträgen auch aufgebaut. Es werden nicht nur Lektionare, sondern auch Gesänge und Gebete in unterschiedlichen Traditionen untersucht, wobei die neuzeitlich-reformatorische Tradition nicht vertreten ist. Zuerst werden fundamentale Fragen aufgeworfen, wie z. B. die nach der neutestamentlichen Textgeschichte und der liturgische Bibelrezeption und ob das Verhältnis eher durch Rezeption oder durch Kreation zu bestimmen ist. Es folgen Beiträge zu den Lesungen aus verschiedenen Lektionaren unterschiedlicher kirchlicher Traditionen. Anschließend werden Gesänge untersucht, z. B. aus den frühen Riten von Jerusalem, aus der byzantinischen Tradition, im gregorianischen Choral etc. Vier Beiträge widmen sich Gebeten, z. B. aus der römischen euchologischen Tradition, dem Eucharistiegebet oder den äthiopischen Anaphoren. Weitere zwei Beiträge bearbeiten biblische Texte in Ritualen, hier das altkirchliche Trauungsritual und das Fußwaschungsritual der spätantiken gallischen Tradition. Der letzte Beitrag, ein Nachwort, kommentiert die Ergebnisse. Der umfangreiche Sammelband zeigt, wie unterschiedlich die Perspektiven von Liturgiewissenschaft und Bibelwissenschaft sein können, auch wenn die Patrologie und die Musikwissenschaft noch hinzukommen. Die Verwendung biblischer Texte in der Vielfalt der liturgischen Gattungen wirft hermeneutische Fragen auf. Indem in den Beiträgen Riten des westlichen und östlichen Christentums berücksichtigt werden, entwickelt sich ein eigener ökumenischer Horizont. Crāciun, Adrian Florentin / Lossky, Andrée / Pott, Thomas (Hg.): Liturgies de Pèlerinages. 66e Semaine d’études liturgiques Paris, Institut Saint-Serge, 1–4 juillet 2019 (SÉtL 66). Aschendorff: Münster 2021, 294 S. Eingangs geht es um die Liturgie der Pilgerreisen, in die mit zwei Beiträgen eingeführt wird. Es folgen Beiträge zur Zeit des Neuen Testaments, der Alten Kirche, anschließend Beispiele aus Orient und Okzident, eine Reise zur Sakramentsfeier z. B. nach Lourdes. Es wird dem Einfluss des Pilgerns nach Jerusalem, z. B. anhand der Pilgerfahrt der Egeria, nachgegangen, dann werden Texte und Lieder für die Liturgie der Pilgerreise untersucht. Zwei Beiträge widmen sich dem russischen Pilgern. Abschließend werden einige Fragen für unsere Zeit erörtert, z. B. wie der Schöpfung

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gedacht werden kann, wie Kirchen eingeweiht werden können, wie die Mobilität in der Kirche aussehen könnte oder wie Reliquien aufgesucht werden. Deeg, Alexander / Lehnert, Christian (Hg.): Krieg und Frieden. Metaphern der Gewalt und der Versöhnung im christlichen Gottesdienst (Beiträge zu Liturgie und Spiritualität 34). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2022, 182 S. Metaphern der Gewalt und der Versöhnung, des Krieges und des Friedens kommen sowohl in ethischer, eschatologischer als auch in liturgischer Hinsicht zur Sprache. Das wird besonders virulent, wenn um Frieden in Kriegszeiten (Ukraine)  gebetet wird. Dass aber Gottesdienste nicht immer spannungsfrei nur vom Frieden gekennzeichnet sind, zeigt allein schon die nicht immer friedvolle Auseinandersetzung um die Abendmahls-/Eucharistiefeier, beginnend bereits im Neuen Testament mit den Konflikten in Korinth. Das führt der Herausgeber Deeg in seinem Beitrag um liturgische Semantiken und Praktiken des Friedens aus. Es folgen Beiträge zu Bildern von Gericht und Erlösung im Johannesevangelium, zur ethischen Perspektive im Gottesdienst, zur Versöhnung, zum Gottesdienst in der Pandemiezeit mit der Aufgabe, Spannungen zu inszenieren und zu halten, zur Kampfsemantik im Liedgut, zu Frieden und Liturgie in der Evangelischen Schwesternschaft Ordo Pacis. Bei all den Überlegungen und Darstellungen macht das Nachwort des Herausgebers Lehnert doch deutlich, wie ambivalent die Rede vom Frieden und vom Krieg ist. „Wir haben es mit Kräften zu tun, die tiefer reichen als das begriffliche und methodische Denken und von diesem nur schwer zu bändigen sind.“ (177) Es sind die Sicht und das Nachempfinden des Opfers (und des Opfers Christi), die ins Erleiden führen und andere Dimensionen des Friedens zeigen als solche, die inszeniert werden können. Delgado, Mariano / Leppin, Volker (Hg.): Homo orans. Das Gebet im Christentum und in anderen Religionen (ScRKG 30). Schwabe Verlagsgruppe / Kohlhammer: Basel /  Stuttgart 2022, 545 S. Diese Sammlung von Beiträgen zum Gebet im Christentum und in anderen Religionen geht zurück auf das Symposion Homo orans, das im Frühjahr 2020 stattfand und einen interdisziplinären Blick aus kirchen-, kultur-, sozial-, kunst- und religionshistorischer Perspektive auf das anthropologische Phänomen Gebet warf. Die beiden Herausgeber führen in die Thematik ein und beziehen sich auf Friedrich Heilers berühmtes Buch Das Gebet, in dem das Gebet als das Wesen von Religion bezeichnet hat. Diesem anthropologischen Phänomen wird in der multikulturellen Welt begegnet am Arbeitsplatz, in Bildungseinrichtungen, in Medien etc., also in vielfältigen Formen der Religionen. Dieser gemeinsamen Grundlage gehen Theologen, Philosophen, Religionswissenschaftler, Germanisten und Historiker nach. Ihre Beiträge sind in drei Abteilungen gegliedert: Zuerst werden das biblische Beten im Judentum, das christliche Beten mit dem Alten Testament und den Psalmen sowie Formen und Inhalte frühchristlichen Gebets erörtert. In der zweiten Abteilung geht es um das Beten in christlicher Tradition von der Antike bis zur Frühen Neuzeit. Es geht z. B. darum, ob Beten hilft; was mit dem immerwährenden Gebet – Beten ohne Unterlass – gemeint ist; was Meister Eckhart übers Beten gesagt hat; wie mit franziskanischen Anleitungen zum Gebet im 13. Jh. das Beten gelernt wurde; wie das innere Beten zum Haupttrend in der spanischen Mystik der Frühen Neuzeit wurde; wie das Vaterunser in der vielstimmigen Reformationszeit gebetet wurde, etc. In der dritten Abteilung geht es um das Beten in der Moderne im Christentum, Buddhismus und Neo-Sufismus sowie interreligiös. Hier werden dargestellt das Politische Gebet, das transversale Gebet, das Gebet im Zen-Buddhismus und im Neo-Sufismus, das interreligiöse Gebet am Beispiel des Friedensgebets in Assisi von 1986, das bekannte Laudato si’, die Frage,

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ob ein Agnostiker beten kann, etc. Abschließend wird nach dieser Abfolge eher empirischer und historischer Untersuchungen ein systematischer Umriss einer Theologie des Gebets vorgelegt. Ein Bibelstellen- und Personenregister und ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren sind beigegeben. Dirscherl, Erwin / Weißer, Markus: Wirksame Zeichen und Werkzeuge des Heils? Aktuelle Anfragen an die traditionelle Sakramententheologie (QD 321). Herder: Freiburg i. Br. 2022, 376 S. Die beiden Herausgeber formulieren in der Einführung ihre gemeinsame Zielrichtung: „Angesichts massiver Verunsicherungen, Glaubwürdigkeitsverluste und Krisenphänomene in der römisch-katholischen Kirche soll mit diesem Tagungsband eine Kernfrage der Dogmatik aufgegriffen werden: Worin liegen die Stärken und Schwächen heutiger Sakramententheologie und vor welche Herausforderungen sieht diese sich gestellt? Gelingt es der traditionellen dogmatischen Sakramententheologie noch, Menschen von heute zu erreichen und das kirchliche Leben positiv zu prägen?“ (13) Folgende Fragen werden thematisiert: Sind gängige Ansätze (wie z. B.: Das Sakrament ist ein Realsymbol, ein Zeit-Zeichen der Nähe Gottes, ein performativer Sprechakt, ein ästhetisches Geschehen), in der Lage, die soteriologische Bedeutung für die Menschen heute überzeugend zum Ausdruck zu bringen? Wie kann angesichts der Glaubwürdigkeitskrise der Kirche und des allgemeinen Kulturwandels von der Bundestreue Gottes gesprochen werden? Wie kann das Verhältnis von Neuem Bund und Altem Bund in Bezug auf die Sakramente bestimmt werden? Wie kann die heilsame Funktion der Sakramente für die Menschen heute ausgesagt werden? Damit ist verbunden die Frage nach dem kirchlichen Recht und der Gnade Gottes, die allem vorausgeht. Wie können die Sakramente eine wirksame Wahrnehmung und spürbare Erfahrung für Menschen heute besitzen? Wie sieht die damit verbundene Ästhetik und Sprache aus? Es stellt sich immer wieder für die westliche Theologietradition die Frage nach der Pneumatologie, die nach wie vor vernachlässigt wird, wodurch es zu einem eher statischen Verständnis von Theologie und Kirche kommt. Ist es möglich „hinter diesen einzelnen Feiergestalten ein und dieselbe sakramentale Wirklichkeit, nämlich das Mysterium gott-menschlicher Verbundenheit“ zu sehen, „das in unterschiedlichen Formen vielfältig zum Ausdruck kommen kann?“ (20) Zudem stellt sich die Frage nach der Rolle und Aufgabe des Priesters: ist er Spender der Sakramente oder doch vielmehr ein Diener? Würde die Pneumatologie stärker berücksichtigt, würde auch besser zwischen Gehalt und Gestalt der Sakramente unterschieden werden können. So müsste auch die Kirche als Institution neu reflektiert werden, da sie auf der einen Seite ein strukturiertes Rechtsgefüge und auf der anderen Seite ein Zeichen und Instrument des Heilswillens Gottes ist. Und wie ist es angesichts der Missbrauchsskandale um das Verständnis des ex opere operato der Sakramente bestellt, wenn damit zwar objektiv das Heilshandeln Gottes ausgesagt wird, aber subjektiv die schuldig gewordenen Priester als Hindernis des gemeinschaftlichen Feierns von Gemeindemitgliedern wahrgenommen werden? Angesichts der Pandemieerfahrungen ist zu fragen, wie es um Sakramentalität und Medien bestellt ist: Wie kann „der innige Zusammenhang von Mysterium und Medium heute“ (25) verstanden werden? Die Beiträge sind folgenden Rubriken zugeordnet: Zugänge zur Sakramentalität, interdisziplinäre Perspektiven, Blick auf die Ökumene, die sieben Sakramente, im Dialog mit dem kirchlichen Lehramt. Die Autoren und Autorinnen bearbeiten dieses Feld aus dogmatischer, fundamentaltheologischer, exegetischer, liturgiewissenschaftlicher, kirchenrechtlicher und pastoraltheologischer Sicht.

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Gässlein, Ann-Katrin: Religionsverbindende Feiern. Theologisch-liturgische Linien in Handreichungen und Positionspapieren der Kirchen im deutschen Sprachraum (StPaLi 47). Friedrich Pustet: Regensburg 2022, 300 S. Gässlein nennt Feiern mit Glaubenden mehrerer Religionen religionsverbindend und nicht interreligiös, multireligiös oder gemischtreligiös, weil mit letzteren Begriffen immer schon Programme verbunden sind. Sie untersucht Handreichungen, Positionspapiere und Arbeitshilfen, die die Frage nach religionsverbindenden Feiern seit 1992 thematisieren. Diese Feiern eröffnen einem neuen Erfahrungsraum, der sich auftut in Schulen, bei Eheschließungen, bei Trauerfeiern, im Krankenhaus, in der Altenpflege, im Strafvollzug. Sie hat insgesamt 85 Papiere im Zeitraum von 1992 bis 2020 untersucht. Im Anschluss daran werden die Positionen der katholischen und der evangelischen Kirche dargelegt, die Frage nach dem einen Gott und den vielen Bildern von ihm thematisiert und nach der Gebetspraxis in phänomenologischer Sicht gefragt. Es folgt die Darstellung unterschiedlicher Modelle von religionsverbindenden Feiern und daran anschließend beleuchtet Gässlein die theologischen Deutungen, die in den Handreichungen niedergelegt sind. Sie thematisiert auch die Probleme solcher religionsverbindenden Feiern, weil z. B. die Frage nach Identitätsverlust, Vereinnahmung oder Synkretismus auftaucht. Abschließend werden liturgische Empfehlungen der Handreichungen vorgestellt. Im letzten Teil der Untersuchung folgen eine kritische Würdigung und ein Ausblick. Darin wird u. a. festgehalten, dass nach anfänglicher Offenheit für religionsverbindende Feiern eine gewissen Ernüchterung und Zurückhaltung zu beobachten ist. Das liegt sicherlich auch daran, dass vermehrt Erfahrungen mit solchen Feiern gemacht wurden und die eigenen Fehler ebenso wie die Reaktionen der Menschen aus anderen Religionen, insbesondere aus dem Islam, zu Erkenntnisfortschritten verholfen haben. Nach dem Literaturverzeichnis bietet das Buch eine Auflistung aller Handreichungen, die hier bearbeitet wurden. Geldhof, Joris: Liturgical Theology as a Research Program. Brill: Leiden 2020, 128 S. Dieser Beitrag zum Forschungsprogramm einer Liturgischen Theologie orientiert sich an fünf Fragen: „(i) What ist the proper place of liturgical theology? (ii) What past evolutions have there been and what tendencies are the currently in the field of liturgical theology? (iii) What contents should liturgical theologians focus on? (iv) How can liturgical theologians engage in research? And (v): How can liturgical theology appropriately respond to events occurring in Church and society?“ (1) Diese Fragen werden in fünf Abschnitten bearbeitet. Im ersten Abschnitt geht es um unterschiedliche Positionen, die reichlich vorhanden sind, im zweiten Abschnitt um Entwicklungen, wie z. B. vor oder nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, und um derzeitige Tendenzen, im dritten Abschnitt um „Visions“: Mystik, Eucharistie, Symbol, Ritual, Gebet, Predigt, Kommunion und Solidarität. Im vierten Abschnitt werden verschiedene Arbeitsfelder behandelt: Geschichte, Phänomenologie, Musik, Feste, Gebäude, Normen und Gesetze. Im letzten Abschnitt werden unterschiedliche Möglichkeiten erörtert, die die Liturgische Theologie in der sich wandelnden Kultur oder in der fragmentierten Lebenswelt hat. Der Beitrag wird mit einem kommentierten Literaturverzeichnis zur Liturgischen Theologie beschlossen. Glibetic, Nina / Radle, Gabriel (Hg.): Explorations in Eastern Christian Liturgy. Selected Papers of the Sixth International Congress of the Society of Oriental Liturgy (Studies in Eastern Christian Liturgies 4). Aschendorff: Münster 2022, 354 S. Die in diesem Band publizierten Beiträge sind im Wesentlichen historisch orientiert. Sie wurden vorgetragen auf dem sechsten Kongress für orientalische Liturgien, die im September 2016 in Etchmiadzin in Armenien stattfand. Die Beiträge befassen sich

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z. B. selbstverständlich mit östlichen Ritualen, ebenso auch mit Methodenfragen und analysieren unedierte syrische liturgische Texte; sie erforschen die Entwicklung des liturgischen Kalenders in der späten Antike, gehen dem Ursprung des Epiphaniasfestes nach, beschäftigen sich mit der byzantinischen Hymnographie, mit der Taufe und der Eucharistie in den arabischsprachigen Thomasakten und mit der Diskussion über die Erneuerung der Liturgie in der Armenisch Apostolischen Kirche. Graulich, Markus (Hg.): Alles gleich gültig? Theologische Differenzierungen zum Votum „Gemeinsam am Tisch des Herrn“. Herder: Freiburg i. Br. 2022, 298 S. Der Herausgeber versammelt in diesem Band Beiträge, die sich im positiven Sinne kritisch mit dem Votum des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen Gemeinsam am Tisch des Herrn auseinandersetzen. Vorrangig beteiligen sich katholische Theologen, die Dogmatik, Ökumenische Theologie, Liturgiewissenschaft, aber auch neutestamentliche Wissenschaft und Pastoraltheologie lehren. Ein Beitrag ist von Kurt Kardinal Koch verfasst worden, dem Präfekten des Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen im Vatikan. Der Herausgeber selbst wirkte als Professor für Grundfragen und Geschichte des Kirchenrechts und ist jetzt Untersekretär des Dikasteriums für Gesetztestexte im Vatikan. Ein Beitrag reflektiert das Votum aus der Sicht der Freikirchen, ein anderer aus der Sicht der Selbstständigen Lutherischen Kirche in Deutschland und ein weiterer Beitrag aus der Sicht orthodoxer Theologie. Grethlein, Christian: Sterben und Tod. Teil des Lebens. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2022, 256 S. Sterben und Tod kommen im gesellschaftlichen Alltag nicht mehr als etwas Selbstverständliches vor, so dass sich der Umgang mit Sterben und Tod in den letzten zwei Jahrhunderten erheblich verändert hat. Grethlein stellt die These auf, dass damit auch das Sich-Selbst-Begrenzen, ja das Aufhören kaum noch eine Option ist, wie an der Unfähigkeit, mit der ökologischen Krise sinnvoll umzugehen, zu erkennen ist. Das Thema hat also nicht nur eine pastorale, sondern auch eine gesellschaftliche Bedeutung. Gleichwohl gibt es auch eine Gegenbewegung, die das Ausblenden von Sterben und Tod nicht hinnehmen will: zum einen die Hospice and Palliativ Care und zum anderen auch das Bestattungswesen, das mit eigenen Innovationen aufwartet. Zuerst führt Grethlein in das Thema ein, dann wird eine geschichtliche Perspektive über Sterben und Tod, beginnend im Alten und Neuen Testament, dann in der Alten Kirche, in Mittelalter und Neuzeit geboten. Es schließt sich eine gegenwartsbezogene Perspektive auf das Verschwinden von Sterben und Tod aus dem Alltag an, die viele Gründe und gesellschaftliche Entwicklungen schildert. Diese Perspektive wird weitergeführt mit der Darstellung von gesellschaftstheoretischen Entwürfen, wie z. B. der Risikogesellschaft, Erlebnisgesellschaft, der Resonanztheorie von Hartmut Rosa und den psychologischen Ansätzen vom erfüllten Leben. Zum Abschluss kommt die innovative Perspektive zum Tragen mit Hospice and Palliative Care, den neuen Entwicklungen im Bestattungswesen. Auch die Gründe für den Suizid und die Frage nach dem selbstbestimmten Sterben werden erörtert. Alle vier Perspektiven enden mit einem eigenen Kapitel, das Einsichten formuliert. Zum Abschluss des Buches bietet Grethlein einen Ausblick, der Sterben und Tod als Teil des Lebens formuliert und die Perspektive in der Weise ändert, dass vom „Immer-Mehr“ herkommend das „Aufhören“ in den Blick kommt. Dass bei allen Perspektiven auch die theologische und pastorale Sicht der Dinge zur Sprache gebracht wird, versteht sich von selbst. Gutsuliak, Mykhailo: Die Priesterbildung in der griechisch-katholischen Kirche Ostgali­ ziens seit dem Josephinismus (Koinonia – Oriens 56). Aschendorff: Münster 2022, 447 S.

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Die griechisch-katholische Kirche Ostgaliziens ist aus der Union von Brest (1595/96) hervorgegangen und nennt sich seit dem Zweiten Weltkrieg Ukrainische griechischkatholische Kirche. Der Priesterausbildung wird ein sehr hoher Stellenwert zugemessen, denn, so zitiert Gutsuliak das Zweite Vatikanische Konzil, das Priesterseminar ist das Herz der Diözese. Darum untersucht der Autor die Gemeinschaft der Priesteramtskandidaten ebenso wie das in den Blick zu nehmende Theologiestudium, die politische Situation, die Weisungen der Kirchenoberen etc. Ein Desiderat sind die Methoden und Inhalte der Priesterausbildung, die in dieser Untersuchung im Mittelpunkt stehen und mit folgenden Leitfragen dargestellt werden: „Was machte Priesterbildung in den untersuchten Zeitabschnitten aus? Woher stammen die angewandten Erziehungs- und Bildungsmethoden? Wie gut haben sie einst ihre Ziele erreicht und wie nützlich können sie – natürlich in zeitgemäßer Aktualisierung – unter gewandelten Bedingungen auch heute noch sein?“ (20) Die Untersuchung setzt mit der Zeit des Josephinismus ein und legt einen Schwerpunkt in die Zeit des Untergrunds (1945– 1989). Das erste Kapitel führt in das Thema und in die Geschichte der Priesterbildung bis zum Beginn des 20. Jh.s ein. Das zweite Kapitel beschreibt die Priesterausbildung bis 1939 anhand des Lemberger Seminars, die Entstehung der Lemberger Theologischen Akademie und die Diözesanpriesterseminare in Peremyšl’ und Stanislau, auch die Priesterausbildung in den damals bestehenden Mönchsorden. Das dritte Kapitel zeigt die Ausbildung während des Zweiten Weltkriegs und die Zwangseingliederung der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche in die Russische Orthodoxe Kirche 1946. Alle Bischöfe der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche und zahlreiche Kleriker wurden in die Gulags nach Sibirien verbannt. Die verbliebenen Priester hielten, so gut es ging, geheimen Kontakt zu ihren Gläubigen. Das vierte Kapitel befasst sich mit der Priesterausbildung der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche im Untergrund bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion 1989. Diese Ausbildung kann als fragil und improvisiert bezeichnet werden. Beachtenswert ist auch, dass diese Kirche seit dem Josephinismus mehreren Machthabern und ihren Religionsinteressen ausgesetzt war: Österreich-Ungarn, Russisches Kaiserreich, Zweite Polnische Republik, Nationalsozialistisches Deutschland, Sowjetunion. Das fünfte und letzte Kapitel beschreibt den letzten Zeitabschnitt in der Priesterausbildung der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche. Bemerkenswert ist, dass die Priesterausbildung seit dem Josephinismus durch jesuitische und protestantische Ausbildungsstätten angeregt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Ausbildungsstätten wieder eingerichtet und Priesteramtskandidaten oftmals zu Studienzwecken ins westliche Ausland geschickt. Insgesamt öffnete man sich der westlichen Ausbildungssituation. Personen in Leitungsverantwortung haben vielfach im westlichen Ausland studiert. Im Jahr 2009 wurde die Priesterausbildung nochmals neu geordnet. Der Untersuchung sind zahlreiche Anhänge beigegeben: Transliterationstabellen, beispielhafte Tagesordnungen, Theologiestudien am Lemberger Seminar in den 1930er-Jahren, Interviews mit Rektoren ukrainischer Seminare, Kurzbiografien von Persönlichkeiten bis ca. 1960, schematische Übersicht über die Priesterausbildungsstätten der Ukrainischen griechischkatholischen Kirche. Das Buch schließt mit einem Quellen- und Literaturverzeichnis. Heid, Stefan / Schmidt, Markus (Hg.): Kult des Volkes. Der Volksgedanke in den liturgischen Bewegungen und Reformen. Eine ökumenische Revision. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Academic: Darmstadt 2022, 517 S., 30 Abb. Das Buch bietet die Beiträge einer Tagung des Römischen Instituts der Görres-­ Gesellschaft vom November 2021, die sich mit dem Volksgedanken hinsichtlich der Liturgie und ihrer Geschichte befasste. Der Impuls dazu erhielten die Herausgeber

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durch den sich ausweitenden Populismus. Insofern verstehen sie den Titel ihres Buches doppelsinnig: zum einen geht es um den Kult des Volkes, den das Volk in der Liturgie vollzieht, zum anderen aber auch um den Kult, den man um das Volk machte bzw. immer wieder macht. Diesbezüglich gilt für Deutschland die Zeit seit der Romantik als prägend, weil sich der nationale Volksgedanke formierte, auf Homogenitätsvorstellungen beruhte, die kulturell, national und ethnisch begründet wurden. Die Frage ist, inwieweit sich davon auch das liturgische Feiern bzw. die liturgischen Erneuerungsbewegungen beeinflussen ließen oder diese Vorstellungen bewusst übernommen haben. Dass dabei nicht nur katholische, sondern auch evangelische Liturgien zu bedenken sind, ist selbstverständlich. Zuerst wird der Kult Israels dargestellt, da ja das Volk in Israel als Kultgemeinschaft verstanden wurde. Es folgt der cultus publicus der frühchristlichen Liturgie, dann die Darstellung des Volkes in der mittelalterlichen Liturgie. Es folgen Beiträge von der Romantik bis zur Liturgischen Bewegung: das Volk bei Herder und der katholischen Liturgischen Bewegung, die deutsche Jugendbewegung, Volk und Volkstümlichkeit in der älteren evangelischen Liturgischen Bewegung, Volk bei Wilhelm Stählin und der jüngeren evangelischen Liturgischen Bewegung sowie das allgemeine und besondere Priestertum in der katholischen Liturgischen Bewegung. Weitere Beiträge unter dem Obertitel Völkischer Zeitgeist und Nationalsozialismus schließen sich an, dabei geht es um Friedrich Heiler, die Hochkirche und die völkische Bewegung, evangelische Lieder zur Zeit des Dritten Reiches, evangelische Agenden im Nationalsozialismus, die Ideologie des Volkes und den katholischen Modernismus, die katholische Liturgische Bewegung des 20. Jh.s und den völkischen Zeitgeist. Dann folgen vier Beiträge zur Gottesdienstgemeinde im Kirchenraum: Messandachten in privaten Gebetbüchern, evangelischer Kirchenbau bei Otto Bartning, das Verhältnis von Ortsgemeinde und gottesdienstlicher Versammlung in der liturgischen Theologie, Liturgiereform und der Einfluss des Mikrophons. Im letzten Teil geht es um erneuerte Liturgien und um erneute Reformen: die Stellung des Volkes im Ordo missae des Missale Pauls VI., Volk und Völker im Evangelischen Gottesdienstbuch 1999/2020 und um den VolkGottes-Gedanken in (pfingstlich-)charismatischen Bewegungen. Hermelink, Jan: Spielräume der Kirchenleitung. Studien zu Praxis und Theorie kybernetischer Inszenierung. Kohlhammer: Stuttgart 2022, 253 S. Hermelink legt der Kirche bzw. den Kirchenleitungen ein Bild ihrer selbst nahe, das eher Spielräume eröffnet als Grenzen setzt. Dafür nimmt er Bezug auf Ernst Lange, der die Perspektive des Theaters ins theologische Denken einbrachte und auf Gottesdienst, Predigt, Bildung etc. bezog. Infolgedessen befasst sich Hermelink mit verschiedenen Theatertheorien, mit systemischen Beratungsmodellen und architektonischen Planungspraktiken. Der erste Beitrag befasst sich mit Ernst Langes Impulsen für die Auseinandersetzung mit dem Theater, darauf folgt ein Beitrag über die Kirche und Kirchenleitung in theatraler Perspektive. Dazu gehören Gottesdienst, Predigt, Unterricht und daran anschließend werden theatrale Impulse für die Kirchentheorie geboten unter dem Leitgedanken, dass es von der Aufführung zur Inszenierung kommt, so dass Kirchenleitung in Szenen gedacht und als szenisch-darstellende Praxis erlebt wird. Der nachfolgende Beitrag nimmt die Debatte um den Heiligabend-Gottesdienst 2020 mit seinen Corona-Beschränkungen in den Blick und nutzt diese Debatte als Paradigma kybernetischer Inszenierungspraxis. Es folgen ein Beitrag über Bertolt Brechts Theatertheorie, ein Beitrag über die Chance von systemischer Beratung bei kirchlichen Verstrickungen am Beispiel des Familienstellens, dann ein Beitrag, um Möglichkeitsräume des Kirchengebäudes zu entwerfen, zu erkunden und zu prä-

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sentieren. Zum Abschluss werden unter dem Leitgedanken des Kirche-Inszenierens zwei exemplarische Szenen beschrieben, nämlich die Ordination als Leitungsszene in ihrer theatralischen Dimension und ebenso die Visitation als Leitungsszene in ihrer theatralischen Dimension. „Die Güte einer Theaterinszenierung bemisst sich nicht nach der Wahrheit einzelner Sätze oder des gesamten Stücks. Ebenso führt es bzgl. der Kirchenleitung in die Irre, wenn zuerst nach den Inhalten einer Verlautbarung, nach den Gründen einer Entscheidung oder den ‚richtigen‘ Ergebnissen einer Beratung gefragt wird. Eine leitende Inszenierung ist vielmehr zuerst und zuletzt nach ihrer Wirkung zu beurteilen: Eröffnet sie Spielräume für das kirchliche Leben? Verlockt sie ihr Publikum dazu, sich für den Glauben zu engagieren?“ (248f) Das gilt auch für den Gottesdienst: „Indem die gottesdienstliche Aufführung das alltägliche Leben sehr klar unterbricht, (…) eröffnet sie den Beteiligten einen Spielraum, in dem sie ihre Wirklichkeit, ja sich selbst in neuer, verwandelnder Weise wahrzunehmen vermögen. Die liturgischen Vollzüge des Gottesdienstes lassen eine Wirklichkeit aufscheinen, in der alles menschliche Wirken zu Ende ist und allein die ‚Vollendungsgestalt‘ des Glaubens zur Darstellung kommt.“ (24) Hofmann, Tobias: Das Kirchenamt des Pastoralreferenten. Eine kanonistische Studie zu den Rahmenstatuten der DBK von 2011 (Kirchen- und Staatskirchenrecht 34). Aschendorff: Münster 2022, 271 S. Von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) wurden 2011 erneut Rahmenstatuten für Pastoral- und Gemeindereferenten herausgegeben. Dieser Beruf geht auf das Zweite Vatikanische Konzil zurück, das Wert auf das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen legte und damit die Sendung aller Getauften in den Blick nahm. Diese Sendung aller Getauften machte es überhaupt erst möglich, dass Laien einen eigenverantwortlichen Auftrag innerhalb der Kirche erhalten konnten. Die Würzburger Synode, die von 1971 bis 1975 tagte und den Anspruch für das damalige Westdeutschland hatte, das Zweite Vatikanische Konzil in Deutschland zu verwirklichen, legte allerdings fest, dass ein Pastoralreferent nicht hauptamtlich, sondern hauptberuflich tätig ist. Hier kommt nach Hofmann das vorkonziliare Modell des unselbstständigen Hilfsdienstes für die Priester wieder zum Vorschein. Wie das Konzil betonte auch diese Synode die notwendige theologische Bildung der Pastoralreferenten. Dasselbe stellt Hofmann auch für die Rahmenstatuten der DBK von 2011 fest. Es entwickelt sich eine eigentümliche Aufteilung der Arbeitsbereiche: Der Priester ist für das Geistliche, der Pastoralreferent in Abhängigkeit vom Priester für das Weltliche zuständig. Da aber das Kirchenrecht (CIC/1983) hier von einem Amt spricht, geht Hofmann davon aus, dass Pastoralreferenten möglicherweise auch selbstständig in der Kirche tätig sein könnten. Denn der Beruf des Pastoralreferenten befindet sich noch in der Entwicklung und die Kirche in einem Transformationsprozess, so könnten sich für die Pastoral- und Gemeindereferenten neue Perspektiven ergeben. Hoping, Helmut: Mein Leib für euch gegeben. Geschichten und Theologie der Eucharistie. Herder: Freiburg i. Br. [2011] 32022. Hopings Einführung in die Geschichte und Theologie der Eucharistie ist nun in dritter Auflage erschienen. Gegenüber der ersten Auflage (JLH 51 [2012] 126f) wurde die zweite Auflage z. B. um ein Kapitel über die Theologie der Einsetzungsworte und um Texte und Textvergleiche zum Ersten und Zweiten Eucharistischen Hochgebet erweitert. In diese dritte Auflage ist nun neue Forschungsliteratur aufgenommen worden, ein Nachtrag befasst sich mit der Zulassung der Messe von 1962 als außerordentliche Form durch Papst Benedikt XVI. im Jahr 2007 und mit der Rücknahme derselben durch Papst Franziskus im Jahr 2021. Im Kapitel zur eucharistischen Ekklesiologie

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und Ökumene wurde ein Exkurs über die Ökumene mit den reformatorischen Kirchen eingefügt zum Votum des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen Gemeinsam am Tisch des Herrn. Hier werden aus katholischer Perspektive die dogmatischen Fragen an dieses Votum dargestellt und erläutert, dazu auch die offiziellen Stellungnahmen der katholischen und evangelischen Kirche(n) und Beiträge einzelner Theologen. Im darauffolgenden Kapitel über die Eucharistie als Sakrament der Gabe wurde ein Exkurs zur leiblichen, sakramentalen und virtuellen Präsenz angefügt, der die Darstellung über die Gabe der Gegenwart und Kommunion zum Inhalt hat. Kaschub, Annemarie: Liturgie der Kirchenschließung. Eine kirchentheoretische und empirische Studie zu Entwidmungen. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2022, 476 S. Die Untersuchung zur Entwidmung von Kirchen beginnt im ersten Teil mit einem Forschungsüberblick. Es werden mehrere Studien vorgestellt, die die Bedeutung von Kirchengebäuden erheben, anschließend werden mehrere evangelische Kirchenraumtheologien referiert (Luther, 19. Jahrhundert, Volp, Raschzok, Erne, MeyerBlanck). Drei Entwidmungsformulare  – der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, der Evangelischen Kirche im Rheinland und Westfalen  – folgen. Abschließend wird die Häufigkeit von Entwidmungen innerhalb der EKD erhoben. Der zweite Teil zieht die Kirchentheorie von Hermelink hinzu und bezieht die vier Dimensionen von Kirche als Organisation, Institution, Interaktion und Inszenierung des Glaubens auf den Entwidmungsvorgang und die Entwidmungsliturgien. Es wird deutlich, dass der Prozess der Entwidmung einer Kirche Dynamiken auslöst, die nur multiperspektivisch zu verstehen sind. Der dritte, umfangreichste Teil der Arbeit über qualitative empirische Studien zur Entwidmung schließt sich an. Nach einem Forschungsüberblick folgt die empirische Erhebung, die Kaschub selbst durchgeführt hat: Es wurden die an einer Entwidmung beteiligten Pfarrpersonen, kirchenleitende Personen und Personen, die an einem Entwidmungsgottesdienst teilgenommen haben, mit qualitativen Interviews befragt. Kaschub selbst hat diese Gottesdienste auch miterlebt. Weiteres Material, wie den Gottesdienstverlauf, Gemeindebriefe etc. wurden berücksichtigt. Konkret wurden Daten erhoben von einer Entwidmung einer kleinen Dorfkirche, eines Gemeindezentrums und einer Kirche in einer Kleinstadt. Anschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst. Im vierten Teil wird die Methodik reflektiert mit dem Ergebnis, dass die multiperspektivische qualitative Untersuchung von Gottesdiensten eine richtungsweisende Methodik ist. Entwidmungsgottesdienste sind eine liturgische Herausforderung, weil es sich hier um starke emotionale Vorgänge handelt und um das Erinnern von persönlichem Erleben mit dem zu entwidmenden Gebäude. Eine Konsequenz für das kirchenleitende Handeln sollte sein, dass Gemeinden, denen eine Entwidmung bevorsteht, eine professionelle Begleitung angeboten werden. Kaschub hält für die praktisch-theologische Forschung fest, dass bei diesem Thema die Kirchentheorie, die Liturgiewissenschaft und die empirisch forschende Praktische Theologie gefragt sind insbesondere die Homiletik, die Kirchenraumtheologie, die Weiterentwicklung von Entwidmungsformularen. Kerner, Hanns / Müller, Konrad / Raschzok, Klaus (Hg.): Gottesdienste und Andachten in ausgewählten Feldern diakonischen Handelns. Eine empirische Studie im Auftrag des Gottesdienst-Instituts der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2022, 408 S. Wie Gottesdienste und Andachten in der Diakonie der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern gefeiert werden, ist kaum erforscht. Umso interessanter ist diese

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empirische Studie, die sich mit vier Bereichen der Diakonie befasst: „Die Andachten und Gottesdienste für Mitarbeitende in der Diakonie, in der Altenarbeit, in den Kindertagesstätten und in der Behindertenarbeit. Dabei sollte von der Vorbereitung über die Gestaltung und die Durchführung alles rund um die jeweiligen Gottesdienste in den Blick genommen werden.“ (20) Es wurden Gottesdienst- und Andachtsentwürfe ebenso in das Forschungsvorhaben integriert wie quantitative und qualitative Erhebungen. Die Erforschung dieser Handlungsfelder geschah durch acht Fokusgruppengespräche, die die Geistlichen Zusammenkünfte (Impulse, Andachten, Gottesdienste) aus ihrer Perspektive anhand eines Fragebogens analysiert. Es folgen Experten-Interviews mit theologischen und nicht-theologischen Experten aus den Handlungsfeldern Kindertagesstätten, Senioreneinrichtungen, Behinderteneinrichtungen und aus dem Bereich Mitarbeitende. Abschließend werden Telefon-Interviews mit Personen in leitenden Funktionen von Kindertagesstätten und stationären Einrichtungen der Altenhilfe dokumentiert. Ein weiterer umfangreicher Teil des Buches enthält Beiträge von Experten, die bestimmte Fragestellungen aufnehmen und anhand des erhobenen Datenmaterials reflektieren, z. B. ob Geistliche Zusammenkünfte nicht Fremdkörper im diakonischen System sind, wie Geistliche Zusammenkünfte das Profil von Diakonie mitbestimmen, wie um Mitarbeitende bei der Vorbereitung von Geistlichen Zusammenkünften geworben und gerungen wird, wie eine an der Diakonie orientierte Lehre vom Gottesdienst aussehen kann. Abschließend wird von den Herausgebern Raschzok und Müller der Ertrag zusammengefasst. Im Anhang und auch an entsprechender Stelle im Textverlauf werden die Fragebögen, Leitfäden etc. wiedergegeben. Kiss, Gábor: Die Reform der Messliturgie in Ungarn nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (StPaLi 48). Friedrich Pustet: Regensburg 2022, 487 S. Diese Untersuchung reiht sich ein in die historische Erforschung der Einführung der erneuerten Messliturgie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, wie sie mittlerweile für manche Länder und Sprachen vorgelegt wurde. Denn nicht nur die veränderte Messliturgie, sondern auch die jeweilige Landessprache war eine Neuerung, die bewerkstelligt werden sollte. Kiss nimmt sich für seine Untersuchung den Zeitraum von 1964 bis 1970 vor und untersucht die einschlägigen Dokumente. Dabei ist von besonderem Interesse, wie solch eine Reform im sowjetischen Machtbereich, also hinter dem Eisernen Vorhang, durchgeführt wurde. Aber Kiss zeichnet nicht nur den Weg der Reform nach, sondern untersucht auch, wie die von Rom vorgegebenen Reformen tatsächlich im Ungarn umgesetzt wurden. Nach der Darlegung der Methode und Zielsetzung der Arbeit werden zunächst die ungarische Delegation auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil und ihre liturgische Tätigkeit und daran anschließend die Entwicklung anhand der Jahre, also von 1964 bis 1970, dargestellt. 1964 wurde eine Liturgische Landeskommission gegründet und erste Sitzungen fanden statt. 1965 wurden die Reformen in Angriff genommen: Schriftlesungen, Landessprache, Übersetzung des Messordinariums, Fürbitten, die Heilige Schrift, Gesangbuch etc. und erste Versuche mit der erneuerten Liturgie. 1966 wurden der neue ungarische Ordo missae eingeführt, das neue Fürbittenbuch herausgegeben, die Riten der Konzelebration festgelegt, die Frage nach der Musik gestellt, die Reform der Perikopenordnung und die Übersetzung der Präfationen vorgelegt. 1967 ging es wieder um das Fürbittenbuch, die Herausgabe eines vorläufigen Altarmessbuchs, die Homilie. Aus Rom kam die zweite Instruktion zur ordnungsgemäßen Durchführung der Liturgiekonstitution, dann die Instruktion zur Verehrung der Eucharistie und die zur Musik. Die Hochgebete wurden ins Ungarische übersetzt. 1968 ging es weiter mit der Reform

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der Perikopenordnung, man befasste sich mit der Veröffentlichung der liturgischen Bücher und die Frage der Handkommunion wurde aufgeworfen. 1969 wurden weitere Texte ins Ungarische übersetzt, die Frage nach dem Volksgesang innerhalb der Eucharistiefeier wurde gestellt, es ging um das Altarmessbuch und um ein Volksmessbuch, um die Reform des Kalenders und den Ausblick auf die nichteucharistischen Liturgien der Weihe, der Trauung und der Kindertaufe. 1970 ging es um die Veröffentlichung des Altarmessbuchs, des Lektionars, um die Kommunion und um die Teilnahme der Kinder an den Eucharistiefeiern in Ungarn. Das letzte Kapitel dieser Untersuchung fasst die Ergebnisse, geordnet nach den Diözesen, zusammen. Kiss hält fest, dass die Reformen in Ungarn von den Laien mit Begeisterung aufgenommen wurden, nicht zuletzt deshalb, weil die Liturgische Landeskommission die tätige Teilnahme in den Mittelpunkt ihrer Arbeit setzte. Dadurch gerieten andere wichtige theologische Motive, wie z. B. die Eucharistiefeier als Vergegenwärtigung des Pascha-Mysteriums, in den Hintergrund. Gleichwohl gilt für die Kommission, dass sie die Erfahrungen des Reformprozesses für den fortlaufenden Erneuerungsprozess fruchtbar machte. Köpf, Ulrich: Frömmigkeitsgeschichte und Theologiegeschichte. Gesammelte Aufsätze. Mohr Siebeck: Tübingen 2022, 775 S. In diesem Buch sind Aufsätze aus vier Jahrzehnten der Forscherarbeit von Ulrich Köpf wieder abgedruckt. Köpf hebt in seinem Vorwort hervor, dass Frömmigkeitsgeschichte und Theologiegeschichte immer miteinander verflochten waren. Das lässt sich schon an den Institutionen sehen, die Frömmigkeit und Theologie getragen haben. Darum sind im ersten Teil Grundfragen Aufsätze wiederabgedruckt, die beide Schwerpunkte in sich vereinen. Z. B. Johannes von Walter und die Konzeption einer Religionsgeschichte des Christentums, Dogmengeschichte oder Theologiegeschichte, Protestantismus und Mittelalter. In den beiden nachfolgenden Teilen finden sich Aufsätze über Frömmigkeitsgeschichte und dann anschließend Theologiegeschichte, aber nur aus praktischen Gründen in dieser Zweiteilung, weil der Schwerpunkt der Aufsätze entweder auf Frömmigkeit oder auf Theologiegeschichte liegt. Z. B. für den Schwerpunkt Frömmigkeit: Produktive Christusfrömmigkeit, Kreuz – Leiden – Mitleiden. Zur Auffassung des Mitleids im abendländischen Mittelalter, Protestantismus und Heiligenverehrung, das Kreuz in Frömmigkeit und Theologie der Reformation, das Blut Christi in Frömmigkeit und Theologie des Protestantismus. Z. B. für den Schwerpunkt Theologiegeschichte: Gabriel Biel als Mainzer Domprediger, die Hermeneutik Martin Luthers, Melanchthons Loci und ihre Bedeutung für die Entstehung einer evangelischen Dogmatik, Heilige und Modelle des Verhaltens in der protestan­ tischen Gesellschaft. Dem Band sind ein Verzeichnis der bibliographischen Nachweise, der Abbildungsnachweise und ein Personenregister beigegeben. Kranemann, Benedikt / Winter, Stephan (Hg.): Im Aufbruch. Liturgie und Liturgiewissenschaft vor neuen Herausforderungen. Aschendorff: Münster 2022, 250 S. Die Herausgeber machen in ihrer Einführung unter dem Titel Liturgiewissenschaft in Transformation deutlich, vor welchen Aufgaben die Liturgiewissenschaft im Konzert aller theologischen Disziplinen steht und vor welchen sie insbesondere als Liturgiewissenschaft steht. Für die Theologie insgesamt stehen erhebliche Veränderungen an, die sich in Kirche, Gesellschaft, Universität und Kultur zeigen. Für die katholische Liturgiewissenschaft gab es die langwirkende Veränderung durch das Zweite Vatikanische Konzil, nach der Jahrtausendwende zeigen sich neue Herausforderungen. Zitiert wird aus dem Votum des deutschen Wissenschaftsrates von 2010, dass angesichts der größer werdenden religiösen Pluralität und angesichts der Verunsicherung, wie überhaupt mit Religion und Bekenntnis in der Öffentlichkeit umgegangen werden

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kann, die Expertise von Theologie gefragt ist. Für die katholische Kirche und Theologie kommt noch die Missbrauchskrise hinzu, für die katholische wie die evangelische Kirche die Corona-Pandemie mit ihren kirchlichen und gottesdienstlichen Langfolgen, was die beiden Herausgeber als weiteren Säkularisierungsschub deuten, da ein weiterer Singularisierungsschub zu konstatieren ist. Zudem muss die Rolle von wissenschaftlicher Theologie für Kirche und Öffentlichkeit neu geklärt werden, auch, ob die angenommenen Theologumena, dass die Liturgie Gipfel und Quelle des Glaubens ist, noch so bestehen können. In den Beiträgen werden folgende Fragen erörtert: „Wie soll die Geschichtsforschung, wie die Theologie der Liturgie von heute aussehen? Welches Profil muss eine an der Praxis des Gottesdienstes interessierte Liturgiewissenschaft heute vorweisen können? Was leistet das Fach für die wissenschaftliche Theologie insgesamt, was für Geistes- und Kulturwissenschaften? Was ist seine Aufgabe gegenüber Kirche und Gesellschaft?“ (11f) Die Artikel leisten einen Beitrag zur Selbstklärung der Liturgiewissenschaft. Es handelt sich bis auf einen ausschließlich um katholische Beiträge, was nicht wundert, da ja die katholischen Liturgiewissenschaftler selbst sich diese Frage für ihr Fach stellen, der eine evangelische Beitrag von Meyer-Blanck zeigt die Perspektive der evangelischen Liturgiewissenschaft auf. Die Beiträge sind nicht nur von Liturgiewissenschaftlern erarbeitet worden, sondern auch von Exegeten, Systematikern, Kirchengeschichtlern. Sie sind folgendermaßen geordnet: bibel- und geschichtswissenschaftliche Perspektive, systematisch-theologische Perspektive, ökumenische und interreligiöse Perspektive, kulturwissenschaftliche Perspektive, praktisch-theologische Perspektive. Am Ende findet sich ein Epilog, dessen Inhalt kurz angedeutet werden soll, weil er vielleicht zeigen kann, mit welcher Tragweite hier nachgedacht wird. Thomas Schärtl-Trendel stellt die Frage nach dem liturgischen Realismus aufgrund der Beobachtung, dass die Eucharistiefeier bzw. ihre theologische Deutung von Sichtbarem und Unsichtbarem zu einer Dualität von religiöser Wirklichkeit führen kann. Das ist aber ein problematisches Verständnis von sakramentaler Wirklichkeit bzw. von Transsubstantiation. Schärtl-Trendel nimmt den chassidischen Idealismus auf, in dessen Mitte die Lehre von der ontologischen Einzigartigkeit Gottes steht. Dabei kommt der jüdische Glaube an die Schöpfungssouveränität zum Zuge: „Gott existiert einzig und allein im wahren und echten Sinne“. (244) Alles Endliche steht in einer Relation zu Gottes Sein, weil es das von Gott Geschaffene ist. Das heißt, alles, was uns heute bewegt, was wir denken oder feiern, ist auf dieses letztlich wirklich Existierende ausgerichtet und wird von diesem erfüllt, nämlich „dass Gott das anfänglich Ersonnene in den mit unseren Intentionen angereicherten Bedeutungsbezügen ersinnend auf eine endgültige Bedeutung zuführt, bei dem auch unser eigenes Ersinnen und Bedeuten einen ultimativen Sinn erhält.“ (247) Krause, Katharina / Stetter, Manuel / Weyel, Birgit (Hg.): Kasualien als Familienfeste. Familienkonstitution durch Ritualpraxis (PTHe 186). Kohlhammer: Stuttgart 2022, 241 S. Mit den Beiträgen dieses Bandes werden die Kasualien nicht zuerst als kirchliche Amtshandlungen gesehen, sondern als Feste der Familien verstanden. Die Familien werden nicht mehr nur als kulturelle Hintergrundbedingungen für kirchliche Amtshandlungen verstanden. „Familien deuten das kasuelle Geschehen nicht nur, sie gestalten es mit, investieren rituelle Kompetenzen und knüpfen die liturgischen Inszenierungen in das Netz familialer Rituale und familienkonstituierender Praktiken ein.“ (9) „Kasualien lassen sich im Lichte des gewählten Zugangs vielmehr als performative Vollzugsorte der Darstellung, Aushandlung, Bekräftigung und Veränderung familiärer Lebensformen untersuchen.“ (10) Im ersten Teil des Buches sind vier Beiträge abgedruckt, die die Kasualien aus dieser Perspektive in den Blick nehmen, indem die

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Familien als Ritualagenten in den Blick genommen werden, auch in ihrer konfessionellen evangelischen oder katholischen Prägung. Im zweiten Teil folgen Beiträge, die sich mit einzelnen Kasualien befassen und dazu auf konkrete Daten zugreifen können, z. B. geht es um Segen für Trans*Menschen, um Kasualgespräche, um Familiarität und Taufe, um Trauung in gesellschaftlichen Veränderungsprozessen, auch um das Jenseits der Familie etc. Kučkovský, Ladislav: Auf dem Weg zur theologischen und existentiellen Erneuerung. Krise und vertiefte Grundlegung des Priesterbildes bei Joseph Ratzinger (RatzingerStudien 21). Friedrich Pustet: Regenburg 2022, 405 S. Kučkovský ist selbst aktiver Priester, und aufgrund seines theologischen Werdegangs hat er sich mit Ratzingers Beitrag zum Thema Priestertum und der besonderen Perspektive, die Ratzinger einnimmt, auseinandergesetzt. Dabei ging immer die Frage mit, inwieweit Ratzingers Priesterbild zur Überwindung der Priesterkrise in der katho­ lischen Kirche beitragen kann. Zuerst legt Vf. die Konzeption des Priestertums in der neuscholastischen Theologie vor dem Zweiten Vatikanum dar anhand der Theologen Ludwig Ott und Michael Schmaus. Er würdigt beide kritisch mit dem Fazit, dass eine kultisch-juridische Sicht nicht die Anfragen an das Priestertum im 20. Jh. beantworten kann, insbesondere dann nicht, wenn die eigenen Gemeindemitglieder sich als moderne, autonome Christen verstehen. Das nachfolgende Kapitel legt das Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils dar. Fazit: Das Konzil blieb auf der Grundlage stehen, die das Trienter Konzil gelegt hatte, der Text zum Priestertum wurde aber aus der antilutherischen Haltung gelöst, und es wurde ein organisches Konzept formuliert, das den Dienst der Verkündigung, der Heiligung und der Leitung als sich gegenseitig durchdringend sieht. Der Konzilstext geht aber nicht auf die Verunsicherung der Priesteridentität ein, die sich in den 1960er-Jahren immer deutlicher zeigte. Kučkovský stellt zunächst die Person Ratzinger als Priester vor, dann sein Werk und in diesem das Priesterthema. Es folgt die Darstellung von Ratzingers Ausgangspunkt, nämlich die Realität der priesterlichen Existenz heute. Ratzinger wehrt die Fragen nicht ab, sondern sieht, dass sie mit der herkömmlichen scholastischen Theologie nicht ausreichend beantwortet werden können, insbesondere nicht die Infragestellung des Priestertums als sakramentales Amt durch den Protestantismus. Im nächsten Kapitel wird Ratzingers Auseinandersetzung um die bibeltheologische, christologische und ekklesiologische Grundlegung des Priestertums dargelegt. Es werden brennende Fragen der Zeit formuliert: das Priestertum nur für Männer, Priester und Zölibat, der Skandal des Missbrauchs. Anschließend geht es um die existentiell-theologische Erneuerung des Priestertums nach Ratzinger, die dieser ganz aus der Christologie entwickelt. In der Nachfolge und der Beauftragung durch Christus entwickelt sich eine Selbstlosigkeit des Amtsträgers, ja seine Selbstenteignung zugunsten von Jesus Christus, der der Hohepriester schlechthin ist. Dies vollzieht der Priester allerdings als ein Mensch von heute, der die Fragen der Gegenwart nicht abweist, sondern mit ihnen in seinem Glauben ringt. Kusmierz, Katrin / Plüss, David / Berlis, Angela (Hg.): Sag doch einfach, was Sache ist! Sprache im Gottesdienst. Theologischer Verlag Zürich: Zürich 2022, 275 S. Es geht in diesem Band um das Unbehagen an der kirchlich gebrauchten oder vielleicht auch verbrauchten Sprache. Auslöser für eine Fachtagung, deren Beiträge hier abgedruckt sind, stand das Buch von Erik Flügge: Jargon der Betroffenheit. Warum die Kirche an ihrer Sprache verreckt, das 2016 erschienen ist. Im ersten Teil des Buches sind vier grundlegende, zugleich ganz unterschiedliche Beiträge zur Bedeutung der Sprache im Gottesdienst abgedruckt. Der reformierte Theologe David Plüss beschreibt

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die Eigentümlichkeiten liturgischer und homiletischer Sprache für die Reformierte Kirche und benennt grundlegende Kriterien der liturgischen Sprache. Der römischkatholische Theologe Peter Spichtig nimmt die Eucharistiefeier als Beispiel dafür, dass die kirchliche Sprache wie eine alte Villa ist, in der Geübte gut leben können. Das Gegenteil davon formuliert der freikirchliche Theologe Stefan Schweyer, da die Kennzeichen von freikirchlichen Gottesdiensten Alltagssprache, Niederschwelligkeit und spontanes Sprechen und das immer wiederkehrende Neue sind. Der lutherische Theologe Alexander Deeg befragt die Unterscheidung von Kult und Predigt und damit von liturgischer und homiletischer Sprache dahingehend, dass im Gottesdienst doch viel mehr Sprachen im Spiel sind als mit dieser Unterscheidung angezeigt werden kann, und plädiert daher für Klangräume, mit denen Gottesdienst erlebt wird – es braucht also eine integrativere und komplexere Kommunikationstheorie des Gottesdienstes. Im zweiten Teil des Buches geht es um die Wirkkräfte liturgischer Sprache, es wird plädiert für die Erneuerung der Kirche durch Erneuerung ihrer Sprachfähigkeit, es wird die Verwandlungskraft liturgischer Sprache vorgestellt, die Wunden heilen kann. Im dritten Teil werden Variationen liturgischer Sprache thematisiert: es geht um Dialekt und Hochdeutsch, um Leichte Sprache und um Übersetzungsarbeit anhand des Nunc dimittis von Martin Luther. Der vierte Teil befasst sich mit Konturen der Predigtsprache: was die Predigt mit dem Leben zu tun hat, die Bildhaftigkeit von Predigtsprache, olfaktorisch predigen, vom Wie zum Was der Predigt. Latinovic, Vladimir: Christologie und Kommunion, Bd. 3: Auswirkungen auf die Frömmigkeit und den Eucharistieempfang. Aschendorff: Münster 2022, 359 S. Mit diesem dritten Band liegt das Werk über den Zusammenhang von Christologie und Kommunion vollständig vor (Bd. 1 und 2 in JLH 60 [2021] 171f). Auch in diesem Band werden die Gesamtanlage und die Grundfrage der Untersuchung genannt, nämlich dass die Hervorhebung der Gottheit Christi den Kommunionempfang abnehmen ließ, weil sich eine vermehrte Ehrfurcht vor der Hostie einstellte. Damit verbunden ist, dass die Mittlerschaft Christi in den Hintergrund trat und das Christus-Hohepriester-Konzept sozusagen in Vergessenheit geriet. Hatte der erste Band die kirchengeschichtlichen Aspekte bearbeitet und der zweite Band die liturgiegeschichtlichen, folgt in diesem dritten Band die Darstellung der frömmigkeitsgeschichtlichen Entwicklungen, wobei die eucharistische Frömmigkeit im Mittelpunkt steht. Die ersten drei Kapitel befassen sich mit dieser Veränderung, da die Glaubenden Gott als einen unzugänglichen Gott ansehen, dem sie in großer Ehrfurcht begegnen. Zuerst geht es um die neue Rolle Christi in der Frömmigkeit, die sich im Niedergang der vornicänischen Mittlerschaftstheologie zeigt und im Wandel des Hohepriesterkonzepts nach Nicäa. In die dadurch entstandene „Lücke“ treten als „neue“ Mittler die Gottesmutter, die Märtyrer und Heiligen und zuletzt dann auch die Kleriker. Das zweite Kapitel befasst sich mit dem eucharistischen Realismus, also mit dem Wandel von der symbolisch-typologischen zur somatisch-substantiellen Präsenz. Das dritte Kapitel befasst sich mit der Ehrfurcht, die die eucharistische Eucharistie veränderte, was sich in einer „Furchtsprache“ ebenso zeigt wie in der Regel des nüchternen Empfangs der Gaben, in den Vorsichtsmaßnahmen bei der Handkommunion oder dem sorgfältigen Umgang mit den eucharistischen Gaben. Das vierte und fünfte Kapitel befassen sich mit den Folgen dieser veränderten Eucharistiepraxis, die sich in der Enthaltung, der Verehrung und im Aberglauben zeigten. So kommt es zur Elevation der Gaben und zu einer Aufbewahrung der Gaben, der Moment der Konsekration wird hervorgehoben. Der Missbrauch zeigt sich z. B. darin, dass die Eucharistie als abwehrendes Schutzmittel verwendet oder gar als Zaubermittel angesehen wurde. Aus Furcht bzw. Angst

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enthielt man sich der Kommunion, eine Buße und Beichte oder asketische Vorbereitungen gingen dem seltenen Empfang voraus. Latinovic zeichnet diese problematische Entwicklung anhand vieler Quellen nach und beendet seine dreibändige Studie mit einer Mahnung, die sich auch an Kirchenleitungen wendet: „Wir müssen begreifen, dass unsere Entscheidungen und Worte nicht nur ihr und unser Leben beeinflussen, sondern auch das Leben von Generationen derer, die nach uns kommen werden. So haben Entwicklungen der Christologie die eucharistische Frömmigkeit und den Empfang der Eucharistie unbeabsichtigt so stark beeinträchtigt, dass es fast fünfzehn Jahrhunderte gedauert hat, einige dieser Entwicklungen umzukehren.“ (257) Leppin, Volker: Ruhen in Gott. Eine Geschichte der christlichen Mystik. Beck: München 2021, 476 S., 17 farbige Abb. Leppin beantwortet in der Einleitung zu seinem Buch die Frage, was denn unter Mystik verstanden werden kann und was er unter Mystik versteht, denn danach richten sich die Texte bzw. die Auswahl der Personen, die er als Mystikerinnen und Mystiker vorstellt. Sowohl die Sache als auch der Begriff Mystik ist nicht unumstritten. In der Geschichte des Christentums wurden Mystikerinnen und Mystiker oftmals der Häresie verdächtigt und sogar verbrannt. Mystik kann verstanden werden als Ruhen in Gott, ist eine Nähe zu Gott, die Raum und Zeit überschreitet und hinter sich lässt. Grundlegend sind Erfahrungen, die Mystiker in Worte zu fassen versuchten, wobei sie aber selbst immer wieder betonten, dass solche Erfahrungen der unio mit Gott nicht in Worte zu fassen seien. Zur Mystik gehört neben der Erfahrung die Reflexion dieser Erfahrung. Es gilt: „,Mystik‘ umfasst in diesem Sinne sowohl eine Frömmigkeit, die eine bestimmte Erfahrung für sich beansprucht, als auch eine mystische Theologie, die Gottes Nähe ohne expliziten Erfahrungsbezug reflektiert. (…) Die Stärke und Größe mystischer Theologie kann gerade darin liegen, Reflexion und Erfahrung aufeinander zu beziehen.“ (14) Vage bleibt trotzdem, welche Erfahrungen denn nun als mystisch klassifiziert werden sollen – insofern bleibt auch der Begriff der Mystik etwas vage und man wird nicht zu einer handfesten Definition gelangen können. Darum listet Leppin acht Merkmale auf, die für die Mystik gelten bzw. in Texten zu finden sind: (1) es geht um die geistliche Wirklichkeit Gottes, (2) die Erfahrung seiner unmittelbaren Nähe, (3) innere Erfahrung und äußerste Entrückung, (4) die Erfahrung der Nähe Gottes ist nichtkognitiv, vor- oder überbegrifflich und oftmals nur als Paradox fassbar, (5) die Nähe Gottes verändert den glaubenden Menschen, (6) die mystische Erfahrung wird als Prozess verstanden als purgatio, illuminatio und unio, (7) die momenthafte unio mit Gott hebt die eigene Existenz auf, nach der unio-Erfahrung kehrt der Mensch aber in seine Individualität zurück, (8) diese Erfahrung wird heilsgeschichtlich verstanden als Vorwegnahme des Eschatons, als letzte Verwirklichung des Heils. Leppin beginnt seine Darstellung der Mystik bei Jesus, Paulus und der Gemeinde, geht weiter durch die Alte Kirche, auch die Ostkirche mit der Liturgie- und Bilderverehrung wird dargestellt, dann das lateinische Mittelalter mit seinen Klöstern und Theologenschulen und einige besondere Gestalten, z. B. Hildegard von Bingen, Mechthild von Magdeburg, Franziskus von Assisi, Johannes Reuchlin, Meister Eckhart, Johannes Tauler, Heinrich Seuse, dann Martin Luthers Neuakzentuierung der Mystik oder Ignatius von Loyola mit den Übungen zur Klärung der Seele. Auch wird die amerikanische Freiheit und der Geist der Mystik vorgestellt, dann auch Paul ­Gerhardt und Angelus Silesius, Blaise Pascal, der Pietismus, um nur einige Personen und Themen zu nennen. Die Romantik, die Moderne, das frühe 20. Jahrhundert, wie die Mystik im Dritten Reich instrumentalisiert wurde, abschließend die Neubelebung der Mystik nach dem Zweiten Weltkrieg werden beschrieben. Der Epilog trägt den Ti-

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tel: Was bleibt. Leppin erinnert an Karl Rahners bekannten Spruch, dass der Fromme von morgen ein Mystiker sein wird, weil er etwas erfahren hat. Mystikerinnen und Mystiker haben etwas erfahren, was die normalen Grenzen, auch die Kirchen- und Institutionsgrenzen übersteigt. Es ist diese kaum beschreibbare Nähe Gottes, die unio-Erfahrung, die Grenzen, auch die der Sprache, übersteigt. „Es ist eine Welt, in der kein Wort das letzte Wort hat. Sondern gelassenes Schweigen.“ (421) Mathis, Jan / K retzschmar, Gerald (Hg.): versprochen. Interdisziplinäre Zugänge zur liturgischen Sprache. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2022, 361 S. Mit dem Projekt Interdisziplinärer Zugänge zur liturgischen Sprache wird ein Nachdenken über diese Sprache ermöglicht, das andere oder neue Perspektiven aufzeigen will. Veranstaltet wurde es von der Evangelischen Predigeranstalt in Tübingen und dem Zentrum für evangelische Gottesdienst- und Predigtkultur in Wittenberg. Ein gemeinsam erlebter Gottesdienst wird von einer Ethnologin, einem Rhetoriker, einer Kommunikationswissenschaftlerin, einem Literaturwissenschaftler und einer Musiktheaterregisseurin in Hinsicht auf seine liturgische Sprache beschrieben. Darauf antworten und reagieren anschließend Theologen und Theologinnen. Modeß, Johannes Michael: Gottesdienst als Skandal. Eine kreuzestheologische Fundamentalliturgik (HUTh 85). Mohr Siebeck: Tübingen 2022, 472 S. In seiner Einleitung stellt Modeß klar, was er mit dieser Untersuchung nicht will: Es soll nicht darum gehen, Skandale im Gottesdienst zu beschreiben, oder den Gottesdienst als Skandalkommentar zu gebrauchen oder den Gottesdienst gar als Skandalbewältigung zu begreifen. Modeß möchte dagegen „den Skandal des Kreuzes als eine kreuzestheologisch und skandaltheoretisch geklärte theologische Kategorie ins Spiel bringen“ (4), um dann zu klären, wie Gottesdienste aussehen, „deren theologisches Zentrum der Skandal des Kreuzes ist“ (4). Dafür wird im ersten Kapitel die Kreuzestheologie als Theorie religiöser Rede dargestellt. Es wird der aktuelle Stand der Diskussion um die Kreuzestheologie wiedergegeben, dann auf Luthers Heidelberger Disputation von 1518 verwiesen als einen Entwurf von Kreuzestheologie, anschließend die Kreuzestheologie reflektiert als Vorzeichen aller religiösen Rede und dann die Verbindungen von Kreuzestheologie und Soteriologie, Gotteslehre und dem Politischen beschrieben. Anschließend wird der Diskussionsstand von Exegese und Systematischer Theologie erhoben, um darauf die eigene Position zu beschreiben als das Sagen des Unsagbar-Gewordenen, wobei das Unsagbare nicht das Kreuz, sondern das Kreuz Christi ist. Im zweiten Kapitel geht es um das Verständnis von Skandal. Ausgehend vom biblischen Skandalbegriff werden seine Wirkungsgeschichte bei Thomas von Aquin, Philipp Melanchthon, Sören Kierkegaard, Gustav Stählin, Emil Brunner, Otto Schmitz, Karl Barth und René Girard nachgezeichnet. Es folgt eine Darstellung der historischen und gegenwärtigen Skandalforschung. Zum einen geht es darum, die auch in der Theologie aufgenommene Skandalforschung zu beschreiben, zum anderen werden gegenwärtige Skandalforschungslinien aufgezeigt. So sind Skandale z. B. Normüberschreitungen, Diskursüberschreitungen, Machtkritik, öffentliche Phänomene etc. Im dritten Kapitel werden die vorherigen Kapitel über die Kreuzestheologie und die Skandalforschung zusammen betrachtet mit dem Fazit, dass die Verkündigung des Paulus – wir verkündigen einen Gekreuzigten als Christus – weder im jüdischen Denken über den Messias noch im griechischen Denken über Gott sagbar gewesen ist. Der Skandal des Kreuzes betrifft alle glaubenden wie nichtglaubenden Menschen, da ihre Überzeugungen zerstört werden und zu einem Glauben führen, der als „Vertrauen in die Konfrontation mit dem Skandal des Kreuzes“ (299) entsteht. Der Skandal des Kreuzes überführt Sünde. Der Skandal des Kreuzes bestreitet auch Gott

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als Letztbegründung und ist Selbstunterscheidung Gottes von Gott. Daraus kann ein Wir der Christen entstehen, das politische Sprengkraft haben kann, da die Konstruktion des Wir nicht erfüllt wird von Christen, sondern von Gott. Im vierten Kapitel geht es um den Gottesdienst als Skandal. Zuerst werden bisherige Ansätze wiedergegeben, dann die Möglichkeiten der religiösen Rede reflektiert unter der Leitkategorie von Bildern, die nicht ins Bild passen. Letztendlich ist das Kreuz ein Datum des Sinnentzugs, der Verstörung, der Unterbrechung. „Der Gottesdienst soll es leisten, den in die Regeln des Diskurses verstrickten Menschen zu befreien zu einem Leben, mit dem er sich selbst und seinen Mitmenschen gerecht werden kann. Er spielt deshalb Bilder, die nicht ins Bild passen ein, damit vom Diskurs ausgeblendete Geschöpfe zu ihrem Recht kommen, auch coram mundo angesehen zu werden als von Gott Erwählte. Der Skandal des Kreuzes und der aus ihm begründete skandalöse Gottesdienst ist also kein Selbstzweck, sondern eine Form, Gottesdienste so zu feiern, dass der gekreuzigte Gott in seinem Zentrum steht.“ (375) Dass diese Annahme eminente politische Folgen haben kann, versteht sich von selbst auch hinsichtlich des Verständnisses von politischem Gottesdienst. Es folgen liturgische Konkretionen zu den Lesungen, den Gebeten, der Predigt, dem Glockengeläut, dem Talar. Beschrieben wird die soteriologische Dimension des Gottesdienstes, denn Sünder haben Möglichkeiten, und die anti-identitäre Identität der Christen wird dargestellt mit Blick auf den Skandal des Kreuzes und auf den politischen Charakter von gottesdienstlicher Identitätsbildung. Modeß hat im JLH 59 (2020), 9–27 seine Untersuchung vorgestellt unter dem Titel: Wir Angewiesenen. Die skandalöse Identität der Glaubenden in der Liturgie. Müller, Konrad: Gottesdienst und Lebenswelt. Praktisch-theologische Analysen. Hg. v. Hanns Kerner / Jens Uhlendorf. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2022, 274 S. Als Gabe zu seinem 65. Geburtstag hat Konrad Müller diesen Band bekommen, in dem elf seiner Aufsätze, die zwischen 2004 und 2022 publiziert worden sind, wieder abgedruckt werden, zuzüglich einer Neuveröffentlichung. Es geht in diesen Aufsätzen um die Beziehung von Gottesdienst und Heiliger Schrift, um die Bedürfnisse und sozialen Veränderungen menschlichen Lebens, die die Gottesdienstteilnahme beeinflussen, um die Diskussion um Agendenreform und Traditionskontinuität, um das biblische Bilderverbot und den Gottesdienst, um liturgische Präsenz, wie sie Thomas Kabel lehrt, im Vergleich mit dem Evangelischen Zeremoniale der Liturgischen Konferenz, um Kirchenmusik in ihrer Bedeutung für das Leben der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und als Gestaltungsaufgabe, um die evangelische Predigtkultur anhand von Gesellschaft, Recht, Gesetz und Gnade (Neuveröffentlichung), um die Predigt im Spannungsfeld von Gesetz und Evangelium, um die Zweckbestimmung des Gottesdienstes in Beziehung zum Confiteor, um Struktur, Milieu und Verbundenheit mit Blick auf die gottesdienstlichen Reformprozesse, um Gottesdienst im konfessionslosen Raum, in dem die Pluralität als Herausforderung oder als Chance gesehen wird. Das Buch wird abgeschlossen durch eine Abhandlung über die Bedeutung des Friedhofs als Gemeinschaft von Lebenden und Toten. Nánási, Sámuel: Wenn Himmel und Erde sich berühren. Die Eucharistiefeier als spirituelle und kognitive Dimension der Ekklesiologie bei Peter Brunner und Alexander Schmemann (Eastern Churches Indentities 9). Brill / Schöningh: Paderborn 2022, 297 S. Nánási gehört der ungarischen Minderheit in Siebenbürgen (Rumänien) an und ist evangelisch-lutherischer Theologe. Die Initialzündung zu dieser Dissertation war ein Erlebnis bei einem lutherischen Festgottesdienst mit Abendmahl, an dem auch orthodoxe Gemeindeglieder und orthodoxe Geistliche teilnahmen. Zur Verwunderung Nánásis nahmen an der Kommunion des Abendmahls auch einigen orthodoxe Gläubige

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teil. Die Geistlichen der orthodoxen Kirche werteten das Verhalten der Gläubigen als Verwirrung, da sie wahrscheinlich das Abendmahl mit dem Antidoron in der orthodoxen Kirche verwechselten, das an alle Besucher eines Gottesdienstes, auch an nichtorthodoxe Gäste, ausgeteilt wird. Nánási fragte sich daraufhin, ob diese nicht „vielmehr die Stimme des Hohepriesters JESUS CHRISTUS vernommen [haben], der alle, die nach seinem Leib und Blut hungern und dürsten, an seinen Tisch einlädt? Hatte sich nicht vielleicht doch die Ecclesia CHRISTI im Vollzug des Abendmahls in der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinde in Oltszakadát offenbart?“ (2) Diese, wie vielleicht auch viele andere Erfahrungen im interkonfessionellen Raum sind Grenzerfahrungen, die möglicherweise denen, die sie erleben, andere und neue Erfahrungen und Einsichten eröffnen. Peter Brunner und Alexander Schmemann sind für Nánási Beispiele solcher Grenzgänger, was er an ihren Lebensläufen aufzeigt. Er vergleicht Peter Brunners Gottesdienstlehre (der Dogmatiker als Liturgiker) mit Alexanders Schmemanns Liturgietheologie (der Liturg als Dogmatiker). „Peter Brunner fühlte sich durch die historischen und gesellschaftlichen Umstände dazu gezwungen den orthodoxen Charakter des Wortes GOTTES und der Lehre der lutherischen Kirche hochzuhalten und sie in der Gesellschaft seiner Zeit neu zu etablieren. Alexander Schmemann hingegen war in seinem Minderheitsstatus als Russe erst in Frankreich, dann in den USA, dazu berufen, die Orthodoxie als Bestandteil seiner Identität neu zu bestimmen und als Andersartigkeit in einer multikulturellen Gesellschaft zu leben.“ (227) Für Schmemmann war die Göttliche Liturgie der Ausgangspunkt seiner Liturgietheologie. Zudem vergleicht Nánási noch die Liturgieformulare der Agende der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Rumänien und die Liturgiefeier in der Rumänischen Orthodoxen Kirche. Er fasst mit Brunner und Schmemann die Gemeinsamkeiten beider Feiern in neun Thesen zusammen. Zusätzlich benennt Nánási als Gemeinsamkeiten die Wiederentdeckung der altkirchlichen Tradition im Licht der biblischen Offenbarung, wobei die altkirchliche Tradition den Glauben der Ekklesia bezeugt. Beide Theologen halten fest, dass die Ortsgemeinde durch die Gottesdienstfeier Teil der Gesamtkirche ist, wobei dafür der Feier des Abendmahls / der Eucharistie eine konstitutive und fundamentale Rolle zukommt. Durch die Betonung sowohl des anabatischen (Schmemann) als auch des katabatischen (Brunner) Charakters der gottesdienstlichen Versammlung wird durch die anamnetische Perspektive des Wortes Gottes und der liturgischen Feier die Vergegenwärtigung des Himmelreiches erfahrbar. Abschließend hält Nánási fest, dass das Vermächtnis beider Theologen darin besteht, für den Glauben und die Substanz der Kirche das Notwendige grundgelegt zu haben. Jetzt gelte es, sich dieses Vermächtnis für die Erneuerung des Glaubens und der christlichen Identität anzueignen und zu begehen. Denn in dem Gottesdienst, in dem auch orthodoxe Gläubige kommunizierten, haben sich nach Nánási tatsächlich Himmel und Erde berührt. Nord, Ilona / Schlag, Thomas (Hg.): Wer hat die Autorität? Evangelische Kirche in der Dynamik neuer Institutionalisierungsformen. Interdisziplinäre Perspektiven und praktisch-theologische Einschätzungen (VWGTH 69). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2022, 244 S. Autorität – und was immer darunter verstanden wurde und wird – befindet sich in einem dynamischen Veränderungsprozess. Das herkömmliche Anerkennungsverhältnis qua Amt funktioniert immer weniger, stattdessen tritt die Frage nach dem Vertrauen in den Vordergrund: Wer Autorität haben möchte, muss diese auf Vertrauen gründen und sein Handeln kommunizieren und plausibilisieren. In diesem Band geht es um viele Aspekte, wie z. B. um die Autorität von Institutionen, um pastorale

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Autoritätsansprüche, um Authentizität, um Autorität in der Religionspädagogik und auch um die Autorität der Predigt bzw. der Predigenden. Damit befassen sich zwei Beiträge. Der erste Beitrag ist von Hanna Jacobs, die 2018 in der Beilage Christ & Welt der Wochenzeitung Die Zeit einen Artikel mit dem Titel Schafft die Predigt ab veröffentlichte. Sie beschreibt hier, wie sie in einer Gemeinde und ihrem Gottesdienst ohne Predigt wirkt. In dieser Form geht es vor allem um Meditation, Tischabendmahlfeier, ums Zuhören. Hier steht die Fesh-X-Bewegung Pate. Sonja Keller nimmt dazu Stellung, nimmt Kirchgangsstudien und die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung auf und fragt, welche anderen Formen denn die Predigt ersetzen oder ergänzen könnten. Redtenbacher, Andreas / Seper, Daniel (Hg.): Die Liturgietheologie von Pius Parsch. Klosterneuburger Symposion 2021 (Pius-Parsch-Studien 18). Herder: Freiburg i. Br. 2022, 261 S. Während des Symposions wurden viele Beiträge gehalten, die in diesem Band nun vorliegen, mit denen die Liturgietheologie von Parsch von vielen Seiten aus beleuchtet worden ist. Parsch geht ganz von der gefeierten Liturgie aus und steht mit dem theologischen Denken seiner Zeit in Austausch. Allerdings unterscheidet ihn die Gnadentheologie, da er das Vertrauen auf Gottes Gnade starkmacht und die Drohbotschaft der Sündigkeit des Menschen ablehnt. Darin ist seine Zielrichtung als Pastoraltheologe bzw. Pastoralliturg gut zu erkennen. Die Beiträge sind in vier Gruppen gegliedert. Unter Verortung werden Parschs Volksliturgie, seine Gnadentheologie und sein pastoraltheologisches Wirken gewürdigt. Unter Ekklesiologie werden die Kirche als mystischer Leib Christi und die Gemeinde thematisiert, wobei Parsch das Christentum als eine Kult- und Gnadenreligion ansieht. Der dritte Teil ist der Messe gewidmet, es geht um die Eucharistietheologie, um das Opferbewusstsein, um Parschs Wort-Gottes-Theologie. Im letzten Teil folgen Einflüsse aus Ost und West, zuerst ostkirchliche Einflüsse, dann die der evangelischen liturgischen Bewegung. Abschließend folgt ein Resümee mit einem Ausblick, der die Vorträge kritisch sichtet und weitere Perspektiven eröffnet. Roth, Cornelius: Liturgie in Geschichte und Gegenwart. Systematische, historische und praktische Beiträge zur Liturgiewissenschaft (FuSt 28). Herder: Freiburg i. Br. 2022, 376 S. Roth legt hier den Wiederabdruck vieler seiner liturgiewissenschaftlichen Beiträge vor, hinzugekommen sind einige Erstveröffentlichungen. In einer ausführlichen Einleitung stellt er die Beiträge vor, die er drei Abteilungen zugeordnet hat: der systematischen, der biblisch-historischen und der praktischen Liturgiewissenschaft. Zuerst wird die systematische Liturgiewissenschaft von Romano Guardini an bis in die Gegenwart mit weiteren Autoren reflektiert. Es folgt eine Betrachtung zum homo ludens im Anschluss an das epochemachende Werk von Guardini. Anmerkungen zur Inkulturationsdebatte in der Liturgie schließen sich an, dann die Liturgietheologie von Pius Parsch, einige Beiträge zur Liturgie im Internet und zur Bedeutung der Leiblichkeit der Liturgie. Die Abteilung mit Beiträgen zur biblisch-historischen Liturgiewissenschaft wird mit der Verwendung von Propheten- und Weisheitsliteratur in den Lesungen der Sonntagsmesse eröffnet. Es folgt ein Beitrag zu „Martin Luther und die Liturgie“, der mit dem Ergebnis aufwartet, dass „das Urteil zu Luther als Liturgiker ambivalent“ ist: „Hat er zum einen viele Impulse durch die Konzentration auf das Wort Gottes, die Beteiligung der Gemeinde und den Gemeinschaftscharakter der Liturgie gegeben, so ist die pädagogische Tendenz in der Liturgie und der Verlust der symbolisch-rituellen und bildhaften Dimension des Gottesdienstes doch eine Einseitigkeit, die auch heutige evangelische Liturgiker mit Skepsis betrachten.

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Luthers Hauptinteresse lag bei den liturgischen Reformen eben nicht in der Mystagogie, sondern in der Glaubensunterweisung und Evangeliumsverkündigung. Für die Mysteriendimension der Liturgie, wie sie später in der Liturgischen Bewegung eine so große Rolle spielte, hatte er wenig Verständnis.“ (XII) Der nächste Beitrag setzt sich mit Georg Witzels (1501–1573) Stellung im Streit um das Messopfer und das Abendmahl auseinander. Weitere Beiträge befassen sich mit dem Dom als liturgischem Ort, mit Cypriano Vagaggini als traditionsbewusstem Erneuerer der Liturgie, mit der Rezeption der Liturgiereform im Bistum Fulda, mit der Rolle des Buches in der Liturgie. In der dritten Abteilung zur praktischen Liturgiewissenschaft geht es zuerst um die Mystagogie, um die ars celebrandi und die Priesterausbildung und um die Liturgie der Priesterweihe. Dann um die Frage, ob auch Laiendienste Ausdruck der participatio acutuosa sind. Es folgt eine Analyse der Tagesgebete in der Messfeier, im Weiteren geht es um das Sterbesakrament, um die Liturgie des Fronleichnamsfestes und um Vorüberlegungen zu einer quantitativen Untersuchung zur sonntäglichen Messfeier. Roth, Ursula / Gilly, Anne (Hg.): Die religiöse Positionierung der Dinge. Zur Materialität und Performativität religiöser Praxis. Kohlhammer: Stuttgart 2021, 251 S. In den Beiträgen dieses Buches geht es um materielle Dinge und darum, wie diese positioniert werden. Wenn solche Dinge in bestimmte Kontexte gestellt werden, in eine religiöse Performativität gelangen, sind sie sozusagen auch Akteure. Anhand unterschiedlicher Praxiskontexte werden ethnologische, artefaktsoziologische und praxistheoretische Theorieansätze aufgerufen und mit theologischen und religionswissenschaftlichen Diskursen verknüpft. Die ersten drei Beiträge befassen sich mit Theorieperspektiven: Es geht um die Materialität zwischen Alltag und Religion, um die Sakralisierung von Dingen, um die materielle Kulturforschung und Praktische Theologie. Anschließend werden zahlreiche Praxisfelder beschrieben und bearbeitet. Es geht um die Bundeslade, um Schweißtücher und brennende Zauberbücher, um Brot und Wein als Leib und Blut Christi, es geht auch um die Materialität und Performativität des Abendmahls aus Sicht der Abendmahlsteilnehmenden, dann auch um materielle Dinge während einer Adventsandacht und zur Weihnachtsfeier, um Festpraxis, um Kreuze am Wegesrand, um Performanz und Resonanz in der Religionspädagogik, um Erklärfilme, wie das Ansehen von Artefakten erlebt wird, und um Leo Baecks Widerstand im Spiegel einer Ausstellung. Hervorgehoben sei der Beitrag über Brot und Wein als Leib und Blut Christi, wobei hier aus resonanztheoretischer Sicht ein altes konfessionelles Streitthema neu gesehen wird. Stefan Alkier liest Luthers Abendmahlstheologie anhand seiner Schriften aus Sicht der Resonanztheorie von Hartmut Rosa und macht deutlich, dass Luther unbedingt bewahren oder wieder hervorheben wollte, dass mit der Abendmahlsfeier eine Resonanz erlebt wird, nämlich die Begegnung mit Gottes Wort, das unverfügbar ist. Nur so kann eine Resonanz, also ein gegenseitiges Wahrnehmen und Antworten, von freien Akteuren erlebt werden, das darauf abzielt, dass zwar Gott nicht verfügbar gemacht werden kann, dass aber, wenn man es doch versucht, diese Resonanz verloren geht. Da die materiellen Dinge wie Brot und Wein vom Menschen aus gesehen verfügbar sind, legt Luther den eigentlichen Wert bzw. die Resonanz des Abendmahls bzw. der Kommunion ganz in das Wort Gottes, das in jedem Fall unverfügbar ist. Röttger, Sarah: Eine unerträgliche Weihe von Frauen? Zur Geschichte der Äbtissinnenweihe (MKHS 11). Kohlhammer: Stuttgart 2022, 351 S. Die „Äbtissinnenweihe“, die Gegenstand der Untersuchung von Röttger ist, wurde nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil im Jahr 1970 veröffentlicht als Ordo Benedic-

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tionis Abbatis et Abbatissae. Der Titel legt nahe, dass Abt und Äbtissin mit gleichem Ritus geweiht werden, aber das ist nicht der Fall. In den frühen Quellen zur Weihe von Äbten und Äbtissinnen ist zu erkennen, dass sie immer mehr der Bischofsweihe angeglichen wurde. Äbte und Äbtissinnen hatten geistliche und jurisdiktionelle Macht auszuüben. Der Ritus sah vor, dass die Weihe mit Handauflegung und einer Präfation durchgeführt wurde und der Geweihte bzw. die Geweihte Stab und Ring als Zeichen ihrer Würde erhielten analog zur Bischofweihe. Das Tridentinum strich diese Übergaben bei der Äbtissinnenweihe und setzte damit zur Unterscheidung von Männern und Frauen in diesem Amt ein Zeichen dergestalt, dass eine Frau nicht als quasi Bischöfin gelten kann. Auch die Handauflegung wurde gestrichen, stattdessen werden die Hände des Segnenden über die Äbtissinnen gehalten. Für die Männer blieb die Übergabe von Stab und Ring bestehen. Damals war allerdings noch nicht klar, ob die Bischofsweihe ein Sakrament darstellt oder eher eine Segnung. Erst das Zweite Vatikanische Konzil legte fest, dass die Bischofweihe ein Sakrament ist. Das Konzil hat die Tradition der zwei Gewalten von potestas ordinis und potestas iurisdictionis aufgegeben und hat ein Konzept angenommen, das una sacra potestas annimmt, aus der sich die Ämter der Heiligung, der Lehre und der Leitung ableiten lassen. Auch die lateinische Ausgabe der Ätissinnenweihe von 1970 hat die Übergabe nicht wieder aufgenommen, obwohl sie offenbar in Deutschland allgemein in Gebrauch war. Erst dem erheblichen Protest der Frauenklöster ist es zu verdanken, dass entgegen dem Ritus in der lateinischen Ausgabe von 1970 in der deutschen Übersetzung mit Billigung aus Rom die Übergabe wieder aufgenommen wurde. Bleibt die Frage nach der Sakramentalität. Die Forschung ist sich uneins darüber, ob es wirklich zu sakramental geweihten Frauen gekommen ist oder ob es sich nicht immer um eine Benediktion gehandelt habe. Rom hat jedenfalls festgelegt, dass eine Abts- und Äbtissinnenweihe kein Sakrament ist, sondern eine Sakramentalie. Damit ist nach Auffassung von Röttger entschieden worden, dass Frauen der Weg zur sakramentalen Weihe, z. B. zur Priesterinnenweihe, endgültig verwehrt wurde. So hat Johannes Paul II. in seinem Apostolischen Schreiben Ordinatio Sacerdotalis von 1994 festgelegt, dass die Kirche keine Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden. Röttgers Untersuchung beginnt mit der Problembeschreibung, um dann die Äbtissinnenweihe vom Frühmittelalter bis zum Pontificale Romanum 1962 zu beschreiben und die Neugestaltung der Äbtissinnenweihe nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil darzulegen. In einem Fazit hält sie die Ergebnisse fest und kritisiert, dass die Römisch-katholische Kirche die eigentliche Tradition der Äbtissinnenweihe verlassen und sozusagen kurzerhand eine neue Tradition erfunden habe. Sedmak, Clemens: Gottsuche und Selbsterkenntnis im Gebet. Bitten, Flehen und Dank in biblischen Texten. Herder: Freiburg i. Br. 2022, 394 S. Sedmak will der Relation von Beten und Erkennen nachgehen und verdeutlicht diese anhand von biblischen Gebeten. Er untersucht die Gebetsformen Erbitten, Flehen, Versöhnen, Ringen und Danken. In jede Gebetsform wird zunächst eingeführt, dann wird sie anhand von vier biblischen Gebeten dargestellt. Im Vorausgang führt Sedmak erst einmal ausführlich in die Relation von Beten und Erkennen ein, „allerdings nicht in Form einer abstrakten allgemeinen Abhandlung, sondern in respektvoller Auseinandersetzung mit Bibelstellen, die als Fallstudien jeweils Fenster hinaus in die Landschaft der großen erkenntnistheoretischen Fragen sind.“ (33) In diesem Buch kommen zwei Ebenen zum Zuge: Zum einen wird das Beten dreidimensional dargestellt, da das Erkennen das Beten prägt, dass Beten auch zum Erkennen führt und das Erkennen und Beten in der sozialen Welt das Leben formen. Zum anderen beinhaltet

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das Buch auch ein Suchen nach Gott, indem es darum um das Beten, aber auch um das Nachdenken über das Beten geht. Seidler, Martin: Römische Liturgien in armenischen Ordensgemeinschaften. Zur Eucharistiefeier der Bartholomiten und Fratres Unitores. Darstellung der ältesten Quellen und liturgiehistorische Einordnung (ÖSLS 14), LIT: Wien 2022, 414 S. Die beiden Ordensgemeinschaften sind während der Zeit des Hochmittelalters entstanden aufgrund ökumenischer Kontakte, aber auch aus politischen Erwägungen heraus, da das armenische Gebiet von den Mongolen und Mameluken besetzt wurde. Die Fratres unitores sind um 1330 im Orient entstanden. Sie waren armenische Christen, die mit der lateinischen Tradition in Kontakt kamen. Im etwa selben Zeitraum gründeten in Italien armenische Christen, die aus Kleinarmenien geflüchtet ware, den Orden der Bartholomiten. Beide Ordensgemeinschaften unterstellte Papst Innozenz IV. dem Dominikanerorden. Beide Orden behielten ihre armenische Sprache bei und übersetzten lateinischen liturgische Texte ins Armenische. Die hier vorgelegte Arbeit untersucht, wie beide Orden nach römischem Ritus in armenischer Sprache Liturgie feierten. Die liturgischen Texte werden in armenischer Sprache abgedruckt. Die Unitoren legten 1337 eine eigene Übersetzung vor, die nicht auf Vorarbeiten zurückgreifen konnte; diese immer wieder weiterbearbeitete Übersetzung wurde bis ins 18. Jh. verwendet. 1344–1345 übersetzte der Franziskaner Pontius das römische Messbuch ins Armenische. Es werden in diesem Buch Handschriften und Übersetzungen vorgelegt, eine liturgiehistorische Einordnung des Ordo Missae und eine liturgiehistorische Einordnung der Heiligengedenktage geboten. Zwei Kapitel schließen die Untersuchung ab: Das erste fragt nach dem Spannungsfeld der Inkulturation in den armenischen Messbuchübersetzungen, das zweite bietet eine Synthese und einen Ausblick einschließlich Forschungsperspektiven. Sommer, Sarah / Schaufelberger, Thomas (Hg.): Vom Staatsbeamten zur Team-Pfarrerin. Pfarrausbildung in den Schweizer Konkordatskirchen 1862–2022. TVZ: Zürich 2022, 189 S. Das Konkordat von 1862 ist ein Vertrag der Mehrheit der Deutschschweizer Reformierten Kirchen, um eine gemeinsame Ausbildung der Pfarrpersonen zu gewährleisten und ihre Zulassung zum Kirchendienst zu strukturieren. Dies Konkordat existiert bis heute, hat aber in seiner Geschichte vielen Wandlungen durchgemacht. Ein neuer Abschnitt begann 2004, als die Prüfungen der ersten Ausbildungsphase den Fakultäten anvertraut wurden, die Prüfungen nach dem Vikariat liegen bei der kirchlichen Prüfungskommission. 2011 wurde ein Reformprozess für ein Gesamtcurriculum begonnen, der 2019 abgeschlossen wurde und bis jetzt gilt. Die Darstellung der Geschichte des Konkordats nimmt etwa die Hälfte des Buches in Anspruch, es handelt sich dabei um die Veröffentlichung der Masterarbeit von Sarah Sommer. Thomas Schaufelberger stellt im weiteren Teil des Buches das neue Konzept vor. Dazu werden in drei Anläufen Zukunftsvisionen geboten, wie es mit dem Pfarrberuf in einer sich weiterhin verändernden Gesellschaft auch hinsichtlich der religiösen Vielfalt und Säkularisierung weitergehen könnte. Es wird mit viel Phantasie und Kreativität eine Aussicht bis zum Jahr 2072 geschrieben. Stückelberger, Johannes / Seyffer, Ann-Kathrin (Hg.): Die Stadt als religiöser Raum. Aktuelle Transformationen städtischer Sakraltopographien. Pano: Zürich 2022, 292 S., 137 farbige Abb. Die Beiträge dieses Buches gehen auf ein Forschungsprojekt zurück mit dem Thema Transformation der städtischen Sakraltopographien in der Schweiz 1850–2010. Das Projekt war, „nicht nur einzelne Sakralräume, sondern die Gesamtheit der Sakral-

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bauten einer Stadt in ihrer Beziehung zueinander und zum Raum der Stadt in den Blick zu nehmen und die Entwicklung der städtischen Sakraltopographien über eine Zeitspanne von 150 Jahren darzustellen.“ (9) Die abschließende Tagung, deren Beiträge hier abgedruckt sind, hat den aktuellen Wandel in den Blick genommen und ihn ausgeweitet auf die Sakralbauten aller Religionsgemeinschaften. So kommen neben den Kirchen auch die Synagogen, die Moscheen und die Tempel der Hindus und Buddhisten in der Erörterung darüber vor, wie sich gegenwärtig der religiöse Raum einer Stadt verändert. Als erster ist ein Beitrag über die Religion im Wandel abgedruckt, der vorrangig die rituelle und sakrale Gestalt der Religion beschreibt. Im Weiteren geht es um Kirchen und Räume christlicher Gemeinschaften, anschließend um Synagogen, Moscheen und Tempel. Es folgen daraufhin multireligiöse Räume und Friedhöfe, dann auch zivilreligiöse Orte, wie z. B. ein Regierungsgebäude oder Museen. Die Autoren sichten das Feld aus religionswissenschaftlicher, theologischer, städtebaulicher, architekturgeschichtlicher und soziologischer Perspektive. Dabei wird der Sakralraum sozial gedeutet, wenn es um die Fragen geht, wie Kirchen heute genutzt werden, wo die kleineren christlichen Gemeinschaften bleiben, warum Moscheen und Tempel eher unsichtbar bleiben, da sie am Rand der Städte gebaut werden, was zivilreligiöse Bauten für den Sakralraum darstellen. Ein einheitliches Ergebnis lässt sich nicht formulieren, wohl aber beschreiben, wie auch der religiöse Raum in seiner eigenen Perspektive und Wirkung am allgemeinen Transformationsprozess der Moderne teilhat. Surau-Ott, Veronika: Erfahrung und Vollzug. Ansätze zu einer Theorie performativer Glaubensakte im Anschluss an Edmund Husserl und Richard Hönigswald (Religion in Philosophy and Theology 123). Mohr Siebeck: Tübingen 2022, 266 S. Die Theorie performativer Glaubensakte, die hier entwickelt wird in Aufnahme von Husserls phänomenologischem Begriff religiöser Erfahrung und Hönigswalds erkenntnistheoretischer Konzeption einer Theorie der Gegenständlichkeit, eröffnet eine Sicht auf eine Gottesdiensttheorie, die die Erfahrung grundlegt. Damit grenzt sich Surau-Ott von einer Hermeneutik ab, die vorrangig als Verstehen von Texten konstituiert ist. Dass diese Hermeneutik ihr Recht hat, wird von ihr nicht bestritten, hier wird aber angenommen, dass religiöse Erfahrungen den Texten vorausgehen und in diesen verbalisiert wurden. Diese Erfahrungen sind performativ zu verstehen, da die Worte, die z. B. während einer Gottesdienstfeier gesprochen werden, das bewirken, was sie aussagen. Darum: „Erfahrung, Sprache und kritische Reflexion resp. Denken sind in der Theorie performativer Glaubensakte eine unhintergehbare Trias. Vorgestellt wird darum ein Begriff von Performativität, der auf den drei Dimensionen a) Erleben und Erfahrung, b) performative Präsentation (Vollzug) und c) Versprach­ lichung und kritische Diskursivität beruht. So kann das wirklichkeitsschaffende, sinnstiftende und das Selbst- und Weltverständnis des glaubenden Menschen transformierende Potential des Glaubens systematisch neu beleuchtet werden.“ (7) Für dieses Ziel führt Surau-Ott in diese Arbeit ein und skizziert die philosophische und religionsphilosophische Ausgangssituation. Danach werden Husserls phänomenologischer Ansatz und seine phänomenologische Glaubensphilosophie und Hönigswalds Theorie der Gegenständlichkeit und seine Glaubensphilosophie dargelegt. Anschließend formuliert Surau-Ott ihre Ansätze einer Theorie performativer Glaubensakte auch in Auseinandersetzung mit gegenwärtiger Literatur, die sich mit dem gottesdienstlichen Geschehen auseinandersetzt. Das ist nicht zuletzt deshalb von Belang, weil Theologie sich auf gelebten Glauben stützt und nicht aus bloßen Sätzen besteht, die zu glauben wären. Theologie schwebt nicht über der Glaubens- und Lebenswirklichkeit. Der Untersuchung sind drei Textanhänge beigegeben, die dies verdeutlichen

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sollen. Ein Literaturverzeichnis, ein Namen- und Begriffsregister beschließen das Buch. Vogt, Markus / Gigl, Maximilian (Hg.): Christentum und moderne Lebenswelten. Ein Spannungsverhältnis voller Ambivalenzen (Gesellschaft  – Ethik  – Religion 19). Brill / Schöningh: Paderborn 2022, 339 S. Die späte Moderne zeitigt immer deutlicher hervortretende Ambivalenzen, die sowohl Risiken für die Gesellschaft, aber auch Chancen beinhalten. Der gewaltige Transformationsprozess, in dem sich die Moderne befindet, lässt sich nur dann human bewältigen – so die These dieser Aufsatzsammlung –, wenn Verständnis für das Unverfügbare herrscht. Es ist dasjenige, was sich der Planbarkeit entzieht. Die These macht das Christentum stark, um sein Verständnis für das Unverfügbare zu entfalten als orientierende und auch befreiende Kraft –, aber nur dann, wenn sich das Christentum selbst wandelt. Der gegenwärtige Transformationsprozess zeigt sich vielfältig, jedes Thema wird mit zwei bis vier Beiträgen erörtert: Desakralisierung und Sakralisierung, Individualisierung, Beschleunigung, Digitalisierung, Ökonomisierung, ReNationalisierung, Befriedung, Entwicklung, Medikalisierung. In ihrer Einleitung zu diesem Buch stellen die beiden Herausgeber den Bezug zu Eugen Biser heraus, der die Moderne mit ihrem Fortschrittsgedanken als eklatante Rückschlägigkeit bezeichnet, wenn sie den Transzendenzbezug verliert und sich in ihr Gegenteil verkehrt. Denn nicht alles ist machbar und planbar – wie man an den Fragen des Klimaschutzes oder Naturschutzes deutlich erkennen kann. Trotz aller Forschung und großem Wissen hat man die Natur nicht im Griff. Die sich weiter säkularisierende Moderne lässt fragen, wo denn Gott hin ist. Antwort: „Das Theologoumenon ‚Zeichen der Zeit‘ setzt implizit voraus, dass es Gott selbst ist, der in den Umbrüchen und Aufbrüchen der Gegenwart zum Menschen spricht und ihn zu seinen je eigenen Antworten herausfordert.“ (XV) Darum können sich die Theologie und die Kirche nicht auf noch so bewährte Sätze und Konzepte verlassen, wenn Gott im Heute spricht, darum ist eine Offenheit dafür unabdingbar. In diesem Lernprozess ist Ambiguitätstoleranz nötig, weil Mehrdeutigkeiten auszuhalten sind. „Darin liegt heute vielleicht der wichtigste Beitrag der Religionen zum Gelingen des Projekts der Moderne und zur Abwehr alter und neuer Ideologien.“ (XVI) Denn Letztere sind im politischen wie religiösen Bereich im Kommen, weil gedacht wird, dass mit geschlossenen Modellen die Krisen und Fragen der Zeit gelöst werden können. In diesen Reaktionen steckt letztendlich Angst, die es zu überwinden gilt, weil Angst keine neuen Lösungen präferiert. „Die Überwindung der Angst aus der Mitte des christlichen Glaubens müssen neu als die alles entscheidende Aufgabe von Theologie und Kirche entdeckt werden. Der Glaube (…) besteht im Kern nicht aus einem Fürwahrhalten von Sätzen, sondern aus einem Akt des Vertrauens auf eine Person.“ (XVII) Als ein Beispiel sei der Beitrag über Desakralisierung und Sakralisierung hervorgehoben. Heilig ist nach christlicher Auffassung nur Gott, sakral ist dasjenige, was ihm zugeordnet wird. Dass diese Bestimmungen in der sich im Wandel befindlichen modernen Gesellschaft ganz unterschiedlich gedeutet werden, lässt sich an der unterschiedlichen Relevanz der Säkularisierungsthese erkennen. Die Feiertage wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten gelten als sakral und unantastbar auch in der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft, aber kaum aufgrund ihrer Inhalte, sondern wohl eher aufgrund von Familienfeiern (Weihnachten) und den mit diesen Feiertagen verbundenen Urlaubszeiten. Insbesondere, weil der Urlaub in der Gegenwart als etwas „Heiliges“ angesehen wird und die schönste Zeit im Jahresverlauf sein soll. Was das bedeutet für die Bestimmung, was nun sakral ist oder nicht, und wie sich dazu die Kirchen und die Gottesdienste verhalten können oder sollen,

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ist ein nicht leicht zu lösende Aufgabe. Letztendlich kann man feststellen, dass hier viele Prozesse zur selben Zeit ablaufen und auch nebeneinander her ablaufen, so dass ihre Wechselwirkungen und ihre Wirkungen auf Kirche und Gesellschaft sowohl sakralisierend als auch desakralisierend zu beschreiben sind. Zorn, Sabine: Eines Christen Handwerk ist beten. Der Ort des Stundengebetes in der evangelischen Gottesdienstlandschaft (PTHe 184). Kohlhammer: Stuttgart 2022, 269 S. Sabine Zorn († 2021) beginnt ihre Untersuchung mit zwei Dichten Beschreibungen (im Anschluss an C. Geertz) einer Morgenhore der Communität Casteller Ring auf dem Schwanberg und eines Morgengebets in der Evangelischen Tagungsstätte Haus Villigst in Schwerte. Der Unterschied zwischen beiden Gebeten liegt vorderhand darin, dass die Morgenhore in der benediktinischen Tradition steht und eher als zeremoniell beschrieben werden kann, während das Morgengebet eher in lockerer Form stattfindet. Anschließend beschreibt Zorn den Raum, die Akteure / Rollen, die Teilhabe, die Üblichkeiten, die Zeit-Raum-Strukturierung und die Kontexte in fundamentalliturgischen Hinsichten. Im darauffolgenden Kapitel beschreibt sie die Geschichte und Form des Stundengebets von seinen jüdischen Wurzeln bis ins 20. Jh. hinein. Dabei setzt sie die Teilhabe als fundamentalliturgische Perspektive voraus, mit der sie die Stundengebetsgeschichte in der Weise darstellt, dass christologische, ekklesiale und kommunikative Aspekte zum Tragen kommen. War das Stundengebet im Laufe der Jahrhunderte zu einem Gebet für Kleriker und Ordensleute geworden, war es das Bestreben der Reformation bzw. Luthers, es wieder zu einem Gottesdienst der Gemeinde zu machen im Sinne der grundlegenden Teilhabe. Das ist aber nicht gelungen und Luther hatte ja auch eher ein individuelles Gebet allein oder in der Hausgemeinschaft vorgeschlagen. So kommt erst wieder mit den liturgischen Bewegungen des 19. und 20. Jh.s das Tagezeitengebet in den Evangelischen Kirchen zum Zuge – und auch hier vorrangig in geistlichen Gemeinschaften, Tagungshäusern etc. Das dritte Kapitel ist Gottesdienst und Spiritualität gewidmet; seit den 1980er und 1990er Jahren kommt es zu einer neuen Wahrnehmung der liturgischen Formen. Hier setzen das Evangelische Gesangbuch von 1993 und das Evangelische Gottesdienstbuch von 1999 zum Schluss des Kapitels wichtige Wegmarken; anschließend beschreibt Zorn die evangelische Gottesdienstlandschaft und wirft abschließend aus religionssoziologischer Sicht einen Blick auf die Spiritualität in liturgischer Perspektive. Im vorletzten Kapitel werden der Ort des Stundengebets in der evangelischen Gottesdienstlandschaft und seine integrative Kraft dargelegt in partizipationstheoretischer, milieutheoretischer, liturgiedidaktischer und zeitdiagnostischer Perspektive. Ein das Buch abschließendes Completorium umkreist das „schöne Mysterium“.

IV. Kirchenbau, Kunstwerke Birkenmaier, Christa (Hg.): Wolf-Dieter Kohler (1928–1985). Leben und Werk. Imhof: Petersberg 2021, zahlreiche, meist farbige Abb. Die von Kohler geschaffenen Kirchenfenster sind durchaus bekannt und werden in diesem Buch mittels zahlreichen Fotos gezeigt. In seiner fünfunddreißigjährigen Schaffenszeit hat Kohler in über 200 Kirchen Glasfenster, aber auch Wandmalereien, Kreuze, Altargegenstände, Paramente etc. geschaffen. Seine Fenster kennzeichnet eine starke Formen- und Farbsprache, oder wie es der württembergische Landesbischof July in seinem Geleitwort ausdrückt: „Kunst, die allein durch ihre starke

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Farb- und Formensprache berührt und sich als Fingerzeig verstehen lässt auf den hin, den kein Bild ganz fasst.“ (8) Wolf-Dieter Kohlers Sohn Christian erinnert sich an den Vater mit der Bibel in der Hand: „Hoch konzentriert. Nachdenklich nachdenkend, in das Gelesene hinein lauschend vertieft. Fragend, inwieweit sich etwas erschließen könne vom Geheimnis Gottes, aus dem Wort heraus. Auf Inspiration wartend.“ (159) Der Band erschließt das Wirken Kohlers, das vorrangig in Württemberg geschah. Es wird sein Leben von Kindheit und Schulzeit an erzählt, dann die Studienszeit an der Kunstakademie Stuttgart, anschließend sein Leben als freischaffender Künstler. Seine Tochter Raili berichtet von einem ihrer Werkstattbesuche. Den größten Teil des Bandes nimmt sein Werk ein; die formale und künstlerische Gestaltung in sakralen und profanen Bauten wird aufgeführt. Zuerst wird die Verbundenheit mit dem Vater geschildert, der ebenso Malerkünstler wie Glasfenstergestalter war. Danach werden die Gestaltungen von Fenstern in historischen Kirchengebäuden, die Gestaltung von Fenstern und Wänden in neu gebauten Kirchen, die Gestaltung von kirchlichen Gegenständen und liturgischen Geräten, die Gestaltung von Metallplastiken und Mosaiken im Außenbereich und Arbeiten an öffentlichen Gebäuden wie z. B. an einem Rathaus oder einer Grundschule darstellt. Drei Beiträge beschreiben seine theologischen Schwerpunkte. Sein Sohn Christian erschließt seine Glasmalerei, eine Gemeindepfarrerin berichtet von ihrem Erleben mit den Kohler-Fenstern in ihrer Kirche, anhand von fünf Kirchen in der Stadt Göppingen, in den Kohler tätig war, wird seine Variationsbreite erschlossen. Ein weiteres Kapitel befasst sich mit Kunst und Natur und Kohlers Werk auf der Insel Sylt. Die Herausgeberin zeichnet zum Schluss ein Bild von Kohler als Künstler und Mensch und lässt Zeitzeugen zu Wort kommen. Ein Katalog mit weiteren baugebundenen Werken, die nicht in das oben genannte Schema aufgenommen wurden, gleichwohl aber dokumentiert werden sollen, wird geboten. Sie werden hier mit Fotos angezeigt, aber nicht erschlossen. Es folgt ein Werkverzeichnis, das jeweils den Ort, das Gebäude, das Kunstwerk, sein Entstehungsjahr und die herstellende Werkstatt aufführt. Ein Personen- und Ortsregister und Anmerkungen runden diesen Band ab. Booz, Rüdiger Marco: Kölner Dom. Die vollkommene Kathedrale. Imhof: Petersberg 2022, 283 S., zahlreiche farbige Abb. Mit diesem Band ist ein gut lesbares und reich bebildertes Buch entstanden, das Lesen und Sehen erwartet und beide Momente so anordnet, dass sich Lesen des Textes und Sehen der Bilder wirkungsvoll ergänzen. Die gesamte Geschichte des Kölner Doms einschließlich seiner baulichen Vorgänger wird nachgezeichnet, 1164 kamen die Reliquien der Heiligen Drei Könige nach Köln, 1248 wurde mit dem Bau begonnen und bis 2022 wird seine Geschichte dargestellt einschließlich der daran mitwirkenden Künstler und Dombaumeister, bzw. zuletzt Dombaumeisterin. Durch ein Kapitel mit der Überschrift Die vollkommene Kathedrale wird das Buch abgeschlossen. Ein Literaturverzeichnis und ein Lageplan markieren, wo welche Räume, Altäre, Chorgestühl, Orgel, Grabmäler, Fenster, Skulpturen etc. und natürlich der Dreikönigsschrein im Dom zu finden sind. Damit liegt erstmals ein Werk vor, das die gesamte Baugeschichte des Doms beschreibt und abbildet. Der jeweilige Kontext der Zeit wurde bei der Beschreibung der Bauabschnitte ebenso berücksichtigt wie wichtige Fragen der Domforschung. Aber es wird nicht nur die Baugeschichte nacherzählt, sondern auch vom geistlichen Leben im Dom, von Intrigen, Niederlagen und Siegen, der langen Zeit der Bauunterbrechung und der Vollendung des Doms im 19. Jh. Kaiser Wilhelm I. weihte den Dom 1880 ein und erhob ihn zugleich zu einem Nationaldenkmal. Den Zweiten Weltkrieg überstand er wie durch ein Wunder mehr oder weniger unversehrt im zer-

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störten Köln. Das stärkte den Nationalgedanken. Dieser Gedanke hielt sich noch längere Zeit: Konrad Adenauers Staatsbegräbnis 1967 fand im Kölner Dom statt. Doch der Gedanke verblasste spätestens, als nach der Wiedervereinigung die Regierung von Bonn nach Berlin zog. Aus den letzten Jahrzehnten wird berichtet, dass die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. den Dom besucht haben. Eine neue Orgel wird 1998 als Schwalbennestorgel im Langhaus errichtet, Gerhard Richter erschafft 2007 im Fenster des Südquerhauses ein Kunstwerk aus 11.000 Farbquadraten. Das letzte Kapitel Die vollkommene Kathedrale schließt mit den Worten: „Der Kölner Dom aber repräsentiert den gotischen Kathedralbaugedanken in höchster Vollendung. Er stellt die Erfüllung eines jahrzehntelangen Strebens nach vollkommener Schönheit in einem monumentalen und dennoch schwebend leicht erscheinenden Baukörper dar.“ (268) Buchner, Maximiliane: Kirchenbaukunst des 20. Jh.s in Österreich. Architektur für Glaube, Gemeinschaft und Kontemplation. Imhof: Petersberg 2022, 201 S., 305 meist farbige Abb. Diese umfangreiche Arbeit widmet sich der Frage, wie Kirchenbauten in Österreich in der Moderne, also im 20. Jh., als Herausforderung gesehen und mit entsprechenden modernen Formen und Materialien gestaltet wurden. „Wie groß die Erwartung an die Architektur des 20. Jh.s war, einen zeitgemäßen sakralen Raum zu schaffen, lassen der immense Variantenreichtum bezüglich Grundrissform, Raumkonzept, Material und Einbindung der Bauten in das städtebauliche Umfeld erahnen.“ (11) Erforscht und dokumentiert werden zahlreiche katholische wie protestantische Kirchenbauten bekannter und weniger bekannter Architekten, wobei hier auch ihre Kirchenbauten in anderen Ländern, wie Deutschland oder der Schweiz, berücksichtigt wurden. Zuerst nimmt Buchner eine kurze Klärung der Begriffe ‚Moderne‘ und ‚Sakralbau‘ vor. Dabei geht es nicht um eine Inventarisierung möglichst vieler Kirchenbauten, sondern um die Beantwortung folgender sechs Fragekomplexen: (1) „Inwieweit finden die Baumaterialien der Moderne (Beton, Stahl, Glas, Kunststoffe) Anwendung? Welche Raumschöpfungen werden durch ihren Einsatz ermöglicht?“ (2) „Welche Konzepte versuchen in der Kirchenarchitektur der Verbindung von Raum und Gemeinschaft als bestimmende Komponenten der christlichen Feier eine neue Ausrichtung zu geben?“ (3) „Inwieweit lassen sich an Sakralbauten in Österreich gestalterische Merkmale feststellen, die für die Kirchenarchitektur im 20. Jh. allgemein charakteristisch sind? Wodurch finden diese Anschluss an tradierte Formvorstellungen?“ (4) „Mit welchen gestalterischen Mitteln formulieren Bauten der beiden großen christlichen Konfessionen einen Anspruch darauf, als Monumente des Glaubens verstanden zu werden?“ (5) „Wie werden Natur und Landschaft als Ausdruck der göttlichen Schöpfung einerseits und als für Österreich identitätsstiftende Merkmale andererseits in die Sakralarchitektur einbezogen?“ (6) „Wie äußert sich das gegen Ende des 20. Jh.s verstärkt artikulierte Bedürfnis nach Kontemplation und individueller Glaubensausübung in Raumgestalt und Architektur?“ (12f) Diese Fragestellungen haben Folgen für die methodische Anlage der Arbeit, da nicht nur bau- und kunstgeschichtliche Aspekte eine wesentliche Rolle spielen, sondern auch interdisziplinäre Theologie, hier insbesondere die Liturgiewissenschaft, Soziologie, Städtebau, Kultur- und Zeitgeschichte. Dabei werden auch die Ursprünge der christlichen Versammlungsräume und die Kategorie des Heiligen bedacht. Die Arbeit ist in drei Teilen aufgebaut. Zuerst werden eine Einführung mit ebendiesen bislang erwähnten Fragen und eine Darstellung der Forschungssituation geboten. Im zweiten Teil sind Akteure des Kirchenbaus im 20. Jh. in Österreich aufgeführt: Pius Parsch, Otto Mauer, Günter Rombold, Herbert Muck, dazu Sozialstudien von Erich Bodzenta und Norbert Greinacher. Der dritte und um-

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fänglichste Teil ist dem Kirchenbau des 20. Jh.s in Österreich anhand von Themen und Fallbeispielen gewidmet: Raum und Gemeinschaft / Material und Licht, Tradition im Weiterbauen / Monumentalisierte Glaubensarchitektur / Natur und Landschaft / Kontemplation und Individuum. Ein abschließendes Resumee hält fest, dass diese Kirchenbauten auch in ihren gesellschaftlichen, historischen und theologischen Kontexten ihrer Zeit gesehen werden müssen und in ihrer Bauform eine Reflexion darauf darstellen. In ihnen zeigt sich das Phänomen ‚Moderne‘ in ihrer vielfältigen wie widersprüchlichen Erscheinungsweise. Die zahlreichen guten Fotos geben einen gelungenen Einblick in die vielfältige Kirchenbauarchitektur von gotisierten Neubauten bis hin zur Architektur des Brutalismus. Stückelberger, Johannes (Hg.): Moderner Kirchenbau in der Schweiz. Theologischer Verlag Zürich: Zürich 2022, 155 S., 88 schwarz-weiße Abb. Die hier abgedruckten Beiträge wurden auf dem 3. Kirchbautag der Schweiz in Bern 2019 gehalten. Stückelberger definiert „modernen Kirchenbau“ ab dem Jahr 1950, denn seitdem wurden in der Schweiz „um die tausend römisch-katholische und evangelisch-reformierte Kirchen, Kapellen und Klöster (…) errichtet.“ (7) Der moderne Kirchenbau wird aus verschiedenen Perspektiven in den Blick genommen, da Kirchenbauten aus dem Dialog zwischen Auftraggebern und Architekten entstehen; die Beiträge nehmen die Perspektive von Architekturgeschichte, Kunstgeschichte, katholischer und reformierter Theologie, Glockenkunde, Orgelbau, Sanierungspraxis, Denkmalpflege ein und ausdrücklich auch die Sicht der Kirchennutzer. Die Beiträge thematisieren die neuen Kirchenbauten als Zelt oder Skulptur, ihre Bilderlosigkeit und die künstlerische Art des Kirchbaus, das Liturgie- und Gemeindeverständnis, das sich im modernen katholischen wie reformierten Kirchbau zeigt, die Kirchtürme und die Glockenlärmproblematik, den Orgelbau in diesen Kirchen, das Gemeindezentrum und was spätere Generationen damit machen, den denkmalpflegerischen Umgang mit diesen Kirchen. Abschließend werden Potenziale von modernen Kirchen aus Sicht der Nutzerinnen und Nutzer dargestellt. Die zahlreichen Abbildungen von Kirchen außen und innen, von Kirchtürmen, von Gemeindeveranstaltungen etc. ergänzen nicht nur den Text, sondern stellen eine eigene Bildersprache dar. Thümmel, Hans Georg: Ikonologie der christlichen Kunst. Bd. 4: Ostkirche. Paderborn: Brill Schöningh 2022, 314 S., 162 schwarz-weiße Abb. Mit diesem vierten Band ist das Gesamtwerk Hans Georg Thümmels († 2022) zur Ikonologie der christlichen Kunst abgeschlossen (Bd. 1 und 2 in JLH 60 [2021)] 187f, Bd. 3 in JLH 61 [2022] 102). Er wird eröffnet mit der Beschreibung der Zeit seit dem 3. Jh. in politischer sowie in theologischer und kirchlicher Hinsicht. Damit ist das Feld umrissen, in dem sich die östliche Ikonologie entwickelte und entfaltete. Nach einer kurzen Einführung in die Stilentwicklung folgt eine ausführliche Beschreibung der im 6. Jh. entstehenden Ikone, indem Definition, Vorstufen der Ikone, die Phänomene der Ikone, dann die Acheiropoieten (das sind Bilder, die nicht von menschlichen Händen, sondern wunderbar, z. B. von Christus oder von Engeln, gemacht wurden), abschließend die frühen Ikonen. Das nächste Kapitel zeichnet die Bilderfrage im 9. Jh. in Bezug auf ihre Begründung und den Bilderstreit nach. Es folgt die Kirchdekoration bis zum 11. Jh., z. B. die Christusbilder in der Apsis, die Teil des sich ausbildenden klassischen Systems sind, das sich trotz des Bilderstreits entwickelt hat. Die mittel- und spätbyzantinische Kirchdekoration, der Templon (trennt als Wand den Ort des Altars für den Klerus von dem Ort für die Laien) und die Ikonostas, die zu den Betenden gerichtete Seite des Templons mit den Ikonen, werden beschrieben wie die Ausbreitung der Ikone seit dem 11. Jh.. Es folgen ein Abschnitt über die byzantinische

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Buchmalerei und einige Hinweise zu Patenen, die ähnliche Motive tragen, wie sie in der Buchmalerei verwendet wurden. Dann die Beschreibung der Heiligen in Byzanz mit vielen Abbildungen. Es folgt eine Darstellung des Italobyzantinischen, also der Stilrichtung jener Gebiete bis nach Italien, z. B. Venedig, die deutlich byzantinische Tradition aufweist, die sich mit westlichen Einflüssen mischten. Ein letztes Kapitel ist Russland gewidmet. Seine Geschichte, dann die russische Kirchdekoration, die Ikonostas und die Ikonen werden gewürdigt. Die zahlreichen Abbildungen vermitteln einen Einblick der beeindruckenden Bauwerke, Ikonostasen, Wandmalereien etc.

V. Artikel Abel, Dominik: Das „Zweite Programm“. Zwischen gemeinsamer Praxis und reflektiertem Glauben, in: StLi 52 (2022), 120–131. Deeg, Alexander: Gabe, Gemeinschaft und beständige Transformation. Über die Chance, das Abendmahl in digitalen Medien (ökumenisch) neu zu entdecken, in: Com 51 (2022), 264–276. Gerhards, Albert: Die Zukunft der Kirchengebäude. Zu einem Forschungsprojekt Sakralraumtransformation, in: LJ 72 (2022), 3–16. Hoff, Jonas Maria: Liturgische Wirklichkeit? Systematisch-theologische Anregungen zu einer liturgiewissenschaftlichen Realismus-Debatte, in: LJ 72 (2022), 232–245. Jeggle-Merz, Birgit: Liturgie und Körper. Auf den Spuren der Leiblichkeit in der Begegnung mit Gott, in: transformatio 1 (2022), 16–31 (https://doi.org/10.35093/tf.vlil.911) Kranemann, Benedikt: Das Ringen um die Sprache lebendiger Liturgie. Debatten in der jüngeren und jüngsten katholischen Liturgiegeschichte, in: BThZ 39 (2022), 184–203. Kranemann, Benedikt: Digital Eucharistie feiern? Liturgiewissenschaftliche Anmerkungen zu einer Debatte in Theologie und Kirche, in: Com 51 (2022), 277–286. Kranemann, Benedikt: Danksagung – Gnadengabe – Mahnung. Benediktionen in populären Liturgiken des 19. Jahrhunderts, in: LJ 72 (2022), 117–136. Luckhardt, Christiane: Rassistische Sprach- und Denkmuster im Gottesdienst, in: PTh 111 (2022), 457–472. Melzl, Thomas: Arbeit am Sein der Dinge. Das einweihende Handeln der Kirche und die materielle Kultur, in der wir leben, in: ZThK 199 (2022), 174–194. Ohly, Lukas: Skizzen einer Theologie der Trauung. Systematisch-theologische, kasualtheoretische und kirchentheoretische Perspektiven, in: PTh 111 (2022), 417–426. Roleder, Felix: Vielfalt und Komplexität des evangelischen Gottesdienstbesuchs. Zur Interaktion von Partizipationsdimensionen und Gottesdiensttypen, in: PTh 111 (2022), 65–96. Schweyer, Stefan: Corpus Christi – Brot des Lebens. Liturgievergleichende Beobachtungen zu den Spendeformeln beim Herrenmahl, in ALw 62/63 (2020/2021), 248–288. Wiesinger, Christoph: Gottesdienst und Authentizität, in: ZThK 119 (2022), 87–105

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VI. Einführungen und Lehrbücher Brüske, Gunda: Und Gott gab uns sein Wort. Einführung in die Wort-Gottes-Feier. Friedrich Pustet: Regensburg 2022, 164 S. Die Einführung in die Wort-Gottes-Feier beginnt mit der Frage, wo der Unterschied zwischen der Wort-Gottes-Feier und dem Wortgottesdienst liegt, und fährt fort mit der Vorstellung der liturgischen Bücher für die Wort-Gottes-Feier und der Erklärung, dass das Wort Gottes am Sonntag und im Kirchenjahr gefeiert wird. Dann folgt ein Kapitel mit den theologischen Grundlagen, so wird z. B. die Gegenwart Christi im Wort der Heiligen Schrift thematisiert, des Weiteren das Wort als Nahrung und abschließend der Ablauf einer Wort-Gottes-Feier. Es folgt ein Kapitel über praktische Grundlagen, wie z. B. zum Lektionar, zur Leseordnung, zu liturgischen Diensten, zur Albe oder zum Ambo als Ort des Buches. In den weiteren Kapiteln werden die Gottesdienstabschnitte vorgestellt: In die Gegenwart Gottes treten  – Eröffnung  / Gottes Wort hören – Verkündigung / Auf das Wort antworten – Zeichenhandlung und Lobpreis / Wort-Gottes-Feier mit Kommunionspendung / Gottes Wort hinaustragen – Abschluss. Ein das Buch abschließendes Kapitel beschreibt die Verbindung von Wort-Gottes-Feier und alltäglichem Leben. Klöckener, Martin / Meßner, Reinhard (Hg.): Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft. Teil 1: Wissenschaft der Liturgie. Teilband 1: Begriff, Geschichte, Konzepte. Friedrich Pustet: Regensburg 2022, 784 S. Die beiden Herausgeber gehen in ihrem Vorwort auf die lange Geschichte des mehrbändigen Handbuchs ein und zeichnen seine Entwicklung bis zu diesem Band nach. Begründet hat dieses Werk Hans Bernhard Meyer zusammen mit Balthasar Fischer, Bruno Kleinheyer, Hansjörg Auf der Maur, Angelus Albert Häußling. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und den Neuausgaben der liturgischen Bücher lag es auf der Hand, „den Sinn und Geist, die Grundlagen und das Verständnis des Gottesdienstes sowohl innerhalb der Theologie als auch bei den in der Kirche für den Gottesdienst Verantwortlichen zu vermitteln.“ (9) Ende 1999 wurde der Herausgeberkreis um Martin Klöckener und Reinhard Meßner erweitert, mit dem Tod von Häußling 2017 sind nunmehr alle oben genannten Gründungsherausgeber verstorben. Das erste des auf acht Bände konzipierten Handbuchs ist 1983 erschienen als Band 5. Die weiteren Bände erschienen nach und nach, der zuletzt erschienene Band 2.2 stammt aus dem Jahr 2008. Zur langen Vorgeschichte dieses Bandes schreiben die Herausgeber von Rückschlägen, die hingenommen werden mussten. Karl-Heinrich Bieritz, der 2011 starb, hatte schon einen Beitrag vom 2009 verstorbenen Hans-Christoph Schmidt-Lauber übernommen. Den unvollendeten Beitrag von Bieritz hat wiederum Michael Meyer-Blanck fortgeführt und vollendet. Darüberhinaus musste sogar ein Beitrag eines anderen Autors zurückgewiesen und nach einem Ersatz gesucht werden. Weitere Belastungen der Herausgeber und Autoren haben zu Verzögerungen geführt, aber nun ist der Band erschienen. Zu Recht ist auf dem Buchrücken zu lesen: „Eine solch komplexe Gesamtdarstellung der Wissenschaft der Liturgie stellt ein Novum in der theologischen Forschung dar.“ Denn es geht nicht allein, wenn auch vorrangig, um die römisch-katholische Liturgiewissenschaft, sondern es kommen, wie in den vorhergehenden Bänden auch, weitere Konfessionen zu Wort: die lutherische, reformierte, anglikanische und orthodoxe. Im Einzelnen: Nach dem Vorwort der Herausgeber folgt ein umfassendes allgemeines Abkürzungsverzeichnis des Handbuchs auf 50 Seiten, das allgemeine Abkürzungen

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und die abgekürzten zitierten Quellen, Ausgaben, Literatur und Institutionen enthält. Der erste Betrag ist dem Begriff der Liturgie gewidmet und wurde von Reinhard Meßner verfasst. Es folgt dann eine Darstellung der Gottesdienste bzw. Liturgien des Luthertums durch Augustinus Sander (der römisch-katholischer Theologe ist, was ein wenig erstaunt, da alle anderen konfessionellen Beiträge von Theologen verfasst wurden, die auch der entsprechenden Kirche angehören), der reformierte Gottesdienst wird durch Bruno Bürki, die Liturgie der Anglikanischen Gemeinschaft durch Paul F.  Bradshaw, die Liturgie der östlichen Kirchen durch Stefanos Alexopoulos dargestellt. Im nächsten Kapitel stellt Benedikt Kranemann die Geschichte, den Stand und die Aufgaben der Liturgiewissenschaft vor. Es folgt ein Kapitel über die römisch-katholische Liturgiewissenschaft in anderen Sprachgebieten vom 19. bis zum 21. Jahrhundert: französisch durch Hélène Bricout, englisch durch John F. Baldovin, italienisch durch Andrea Grillo. Das nächste Kapitel ist der Liturgiewissenschaft in der evangelischen Theologie gewidmet. Zuerst kommt der oben erwähnte Beitrag von Michael Meyer-Blanck für die evangelische Liturgiewissenschaft im deutschsprachigen Raum zum Abdruck, dann im frankophonen reformierten Protestantismus von Bruno Bürki, abschließend die protestantische Liturgiewissenschaft im englischsprachigen Raum von Gordon Lathrop. Es folgen weitere Kapitel für die anglikanische Liturgiewissenschaft von Paul F. Bradshaw und die orthodoxe Liturgiewissenschaft von Mikhail Zheltov. Dem Band beigegeben ist ein umfängliches Register für Bibelstellen, für Namen, Orte, Sachen und Initien; ebenso ein Mitarbeiterverzeichnis. Diesem Teilband 1 soll ein Teilband 2 folgen, der überwiegend eine Quellenkunde der Liturgiewissenschaft bieten wird. In jedem Fall kann schon jetzt für den ersten Teilband gesagt werden, dass es sich dabei wie bei den bisher erschienenen Bänden um ein Standardwerk handelt. Es spiegelt den Stand der Liturgiewissenschaft wider und stellt in einer außerordentlich umfassenden Weise die Grundzüge der Liturgiewissenschaft dar. Langer, Michael / Redtenbacher, Andreas / Sajak, Clauß Peter (Hg.): Unterwegs zum Geheimnis. Handbuch der Liturgiepädagogik. Herder / Freiburg i. Br. 2022, 347 S., 12 farbige Abb. Da die Säkularisierung und der Traditionsabbruch immer deutlicher auch in der liturgischen Praxis zu erkennen und zu erleben sind, sodass immer mehr Teilnehmende von liturgischen Feiern diese mangels Kenntnis und Einübung weder mitfeiern noch nachvollziehen können, sei es an der Zeit, endlich ein Handbuch der Liturgie­ pädagogik vorzulegen, äußern die Herausgeber dieses Buches. Denn dazu gebe es nur sehr wenig Material. Das Buch gliedert sich in vier Teile. Der erste Teil unter dem Titel Erkundungen wirft religiöse und profane Grundfragen im Bereich Liturgie auf. Es werden Themenfelder wie Liturgie, Geheimnis, Ästhetik, Räume etc. behandelt. Auf diesem Hintergrund werden im zweiten Kapitel spirituelle und rituelle Vollzüge behandelt mit Blick auf anthropologische Grundfragen, wie z. B. Schauen, Hören, Essen und Trinken, Beten, Trösten Tanzen, Segnen etc. Diese werden praxisbezogen für Schule und Gemeinde erschlossen und bieten konkrete Hilfestellungen. Auch im dritten und vierten Kapitel werden unter Sakramentalien und Sakramente, z. B. Beziehungssegnung, Tiersegnung, Natursegnungen, Wallfahrten, Taufe, Eucharistie, Weihe etc. beleuchtet und pädagogische Gestaltungshinweise gegeben. Zu Beginn des Buches legt der Herausgeber Redtenbacher eine Einleitung als Grundlegung zur liturgischen Bildung und Liturgiepädagogik vor. Es werden die Feier und die Verkündigung, die Erfahrung und die Mystagogie, die liturgische Bildung und die Liturgische Bewegung in ihren liturgiepädagogischen Anliegen gezeigt, dann auf Pius Parsch (von der Praxis zur Theorie) und auf Romano Guardini (von der Theorie

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zur Praxis) Bezug genommen. Abschließend wird auf das Zweite Vatikanische Konzil verwiesen, das ja zur tätigen Teilnahme aller Feiernden ermuntert hatte, damit es zu einem fruchtbaren Mitvollzug der Feier kommt.

VII. Arbeitshilfen Erichsen-Wendt, Friederike / Ruck-Schröder, Adelheid: Pfarrer:in sein (Praktische Theologie konkret 5). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2022, 154 S. Diese Reihe möchte sowohl Theorie und Praxis verbinden als auch zu den einzelnen Themen ein Update darstellen, sodass Theologinnen und Theologen, Pfarrer und Pfarrerinnen sich relativ schnell mit wenig Zeitaufwand einen Überblick über praktischtheologische Themen verschaffen können. In diesem Band geht es um den Pfarrberuf und seine recht rasche Veränderung, die mit den Veränderungen in Kirche und Gesellschaft Schritt halten will. Darum wird im ersten Kapitel die gegenwärtige Situation des Pfarrberufs anhand von Zahlen, Fakten und Beobachtungen beschrieben. Dabei kommt die sich wiederholende Grundstruktur aller Kapitel zum Tragen, in denen immer nach dem Kontext des Pfarrberufs in der Gesellschaft, nach der eigenen Person und nach dem Kontext der Kirche gefragt wird. Im zweiten Kapitel werden praktischtheologische Ansätze und Aufbrüche vorgestellt. Dabei werden nicht nur neuere Konzepte, sondern auch die gesellschaftlichen und kirchlichen Rahmenbedingungen und derzeitige Entwicklungen thematisiert. Das dritte Kapitel befasst sich mit Essentials: Pfarrerin, Pfarrer sein in der Gesellschaft sowohl erkundend und entäußernd, sowohl vernetzt als auch entnetzt, Pfarrerin, Pfarrer sein in Person sowohl assistierend und leitend als auch postparochial und professionell, Pfarrerin, Pfarrer sein in der Kirche erprobend und experimentell. Das vierte Kapitel umfasst nur zwei Seiten und legt Impulse vor, mit der sich die Leser als Pfarrerinnen und Pfarrer selbst befragen können in Hinsicht auf ihre Tätigkeit in der Gesellschaft, als Person und in der Kirche. Das fünfte Kapitel befasst sich mit den besonderen Herausforderungen von struktureller Bedeutung: mit dem Quereinstieg in den Pfarrberuf, mit dem Wechsel der Pfarrstelle, mit interprofessionellen Teams und mit kirchlichen Orten. Das sechste und letzte Kapitel führt einige Verben auf, die wiederzugeben den Pfarrberuf versuchen, wie z. B. hüten, hören und beten, beginnen, tun und lassen, mitgehen etc. Ein Literaturverzeichnis beschließt diesen Band. Frère Roger, Taizé: Aus der Stille des Herzens. Gebete. Herder: Freiburg i. Br. 2022, 124 S. (aus dem Französischem übersetzt: Prier dans le silence du coeur. Les Presses de Taizé, 2005) An dieser Gebetssammlung hat Frère Roger noch bis kurz vor seinem Tod gearbeitet; sie enthält etwa einhundert Gebete, die er in der Versöhnungskirche von Taizé gesprochen hat. Eine kleine Einführung weist auf das Wirken des Heiligen Geistes im Gebet hin. Das Buch steht unter dem Leitgedanken, dass wir durch nichts unsere Verantwortung mehr wahrnehmen als durch unser Gebet. Die Gebete stehen unter folgenden Rubriken: Zu wem sollen wir gehen? Ein kontemplativer Blick. Sich Gott überlassen. Er begleitet uns. Gebete zu den christlichen Festen und für besondere Anliegen. Alle Rubriken werden mit kleinen Besinnungen eröffnet. Harbsmeier, Eberhard: Das Alltagsbrevier. Mit Worten der Lutherbibel durch das Jahr. Wartburg-Verlag: Weimar 2022, 555 S. Harbsmeier war Pfarrer und Praktischer Theologe in Dänemark und hat in diesem Buch mit Versen aus der Lutherbibel zu jedem Werktag eine Auslegung verfasst. Das

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Brevier ist nicht nach Tagesdaten, sondern nach der Wochenzählung geordnet. So kommen für 52 Wochen die Texte für die Tage Montag bis Freitag zusammen, denn es soll ja ein Alltagsbrevier sein. Ein Bibelstellenregister gibt Auskunft über die verwendeten Bibelstellen. Harbsmeier hat in das Brevier eingeführt und legt dar, dass er nicht nur die Lutherübersetzung verwendet hat, sondern seine Auslegungen auch eine Auseinandersetzung mit Luthers Auslegung darstellen, manchmal auch in kritischer Hinsicht. Jantzen, Annette: Gotteswort, weiblich. Wie heute zu Gott sprechen? Gebete, Psalmen und Lieder. Herder: Freiburg i. Br. 2022, 144 S. Jantzen legt dieses Buch vor, um sich einerseits einem Diskurs über die impliziten Machtansprüche des Patriarchats und des Sexismus hinsichtlich der religiösen Sprache zu stellen und andererseits Gebetstexte mit einer Gottesrede vorzulegen, die nicht behauptet, sondern sucht. Weil Feiernde sagen, dass sie in der Kirche, im Gottesdienst mit ihrem Leben nicht mehr vorkommen, meint Jantzen: „Diese Erfahrung wird die römisch-katholische Konstruktion der Wirklichkeit über kurz oder lang zum Einsturz bringen.“ (29) Darum legt sie in einem Kapitel die Probleme patriarchaler und imperialer Gottesrede vor, um dann im nachfolgenden Kapitel über weibliche und nichtpatriarchale Gottesrede ihre Vorschläge zu unterbreiten. Konkrete, zahlreiche Beispiele finden sich für Eingangsgebete, Psalmgebete, Fürbittengebete und für den Segen. Jede einzelne der Gebetsgattungen wird wiederum auf ihre Besonderheiten bezogen eingeleitet. Zum Abschluss des Buches werden weitere Texte neu formuliert: z. B. Exsultet, Pfingsthymnus oder ein Lied nach Ps 103. Korsch, Dietrich / Schilling, Johannes (Hg.): Geistesgegenwart. Spiritualität in der theologischen Ausbildung und im Pfarramt. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2022, 190 S. Es geht in diesem Buch darum, das Phänomen Spiritualität einerseits als Begriff zu bestimmen und es andererseits als Phänomen im kirchlichen Kontext zu beschreiben. Beide Herausgeber legen zunächst ihre Begriffsbestimmung vor. Schilling fokussiert sich dabei auf den Begriff Frömmigkeit / fromm, zuerst anhand der Sprache, dann aber letztendlich an und mit Luther theologisch präzisiert. Als Ergebnis hält Schilling fest, dass der Begriff fromm eine Chance hat: „Menschen als ‚fromm‘ zu bezeichnen, deren Leben sich durch das Vertrauen auf Gott und eine aus diesem Glauben hervorgehende Lebenstüchtigkeit auszeichnet.“ (31) Korsch formuliert anschließend eine systematisch-theologische Hermeneutik der Spiritualität: Die menschliche Existenz, bestehend aus Leib und Seele, verlangt nach einer Einheit, die durch den Geist (spiritus) gewährleistet wird. Der Geist verhandelt Sinnfragen und zielt auf die Selbstbestimmung des Menschen. Er wird das denken und handeln, was ihm einleuchtet und was für ihn unbedingte Gültigkeit beansprucht. Diese Unbedingtheit findet der Geist in Gott, der selbst Geist ist. „Gott bestimmt den Menschen so, dass er ihn durch sich selbst in der Gestalt des Geistes bestimmt. Daraus folgt, dass man Gott selbst in seiner Einheit als Geist denken muss – und dass der menschliche Geist gerade durch den göttlichen Geist so bestimmt wird, dass der Mensch (dank Gott) zu sich selbst kommt. Dieser Gedanke ist es, der sich in das Stichwort der Geistesgegenwart fasst. (…) Geistesgegenwart ist das Wesen christlicher Spiritualität.“ (44f, im Original kursiv). Im zweiten Teil werden gelebte Spiritualitäten beschrieben, wie sie bei Theologiestudierenden, im Vikariat, im Pfarramt und im ehrenamtlichen Verkündigungsdienst zu beobachten sind. Im dritten Teil geht es darum, wie Spiritualität in theologischer Bildung zu gestalten ist, also in der Lehre und in bildungstheoretischer Hinsicht. Im vierten Teil schließt Korsch als Mitherausgeber dieses Buch mit einem kleinen Nach-

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wort Gebildete Spiritualität. Erstaunlich ist, dass weder Gottesdienst noch Liturgie Aufmerksamkeit geschenkt wird, sind sie doch in der Kirche gelebte Spiritualität. Pagel, Maria: Stärker als der Tod ist die Liebe. Gedenkgottesdienste in Alten- und Pflegeheimen. Friedrich Pustet: Regensburg 2022, 78 S. In ihrer Einführung berichtet Pagel, dass es in Alten- und Pflegeheimen des Caritasverbandes üblich ist, an Allerseelen oder eine Woche nach Ostern Gedenk- bzw. Auferstehungsgottesdienste zu feiern. Mit einer Wort-Gottes-Feier wird der Verstorbenen des letzten Jahres gedacht. Da viele Heimbewohner sehr alt oder dement sind, ist die Form der Gottesdienste eher schlicht. Eröffnungs- und Schlusslied sind immer gleich, vor den Altar werden das Gedenkbuch und eine Osterkerze gestellt, auf der anderen Seite ein Erinnerungsbuch. Namensschilder und Kerzen für jeden Verstorbenen sind vorhanden. Insgesamt sind in diesem Buch 13 Gedenkgottesdienst mit unterschiedlichen Themen abgedruckt, z. B.: Stärker wie der Tod ist die Liebe, Lebensspuren, Ich bin das Licht der Welt, Das Senfkorn wird zum Baum, So nimm denn meine Hände. Aus dem Spruch nach Hld 8,6 Stärker als der Tod ist die Liebe ist sogar eine eigene Liedkomposition geworden, die im Anhang zu finden ist. Plötter, Otto: Plattdüütsch Gebedebook. Aschendorff: Münster 2022, 224 S. Der Satz aus Apg 2,7.11 gilt als Leitmotiv, dass die Menschen in ihren Sprachen beim Pfingstereignis die Apostel Gottes große Taten verkündigen hörten. Das plattdeutsche Gebetbuch will ein Begleiter sein für Menschen, denen Plattdeutsch eine vertraute Sprache ist, in der sie auch beten können. Neue Gebete, alte Texte, vertraute Gebete etc. sind in diesem Buch versammelt und nach Rubriken geordnet (hier in deutscher Sprache wiedergegeben): Gottvertrauen, an Gottes Segen ist alles gelegen, Gebote und Grundgebete, wie z. B. das Vaterunser, die Zehn Gebote, das apostolische Glaubensbekenntnis etc., Gott hält uns, Maria, Rosenkranz, Maiandacht, allezeit mit Andacht, Gebete für alle Tage, Heilige und Feste für das ganze Jahr, die Heilige Messe mit allen Texten und zum Schluss Kerkenwacht. Eine Gesangbuchliste zeigt an, dass viele Lieder übersetzt worden sind. Ratzmann, Wolfgang: Andacht verstehen und gestalten (gemeinsam gottesdienst gestalten 34). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2022, 279 S. Ratzmann legt hier eine Fortführung seines 1999 erschienenen Buches Der kleine Gottesdienst im Alltag vor. Wie der Titel des Buches schon anzeigt, ist es in zwei Teile gegliedert: Andacht verstehen und Andacht gestalten. Der Teil zum AndachtVerstehen beginnt mit Erfahrungen, die bei Andachten gemacht werden, auch werden Begriff und Bedeutung von Andacht dargelegt. Es folgt ein historischer Rekurs zur Geschichte der Andacht, um dann die Andacht im Kontext heutiger Lebenserfahrungen zu reflektieren: neue Offenheit für Spiritualität, Säkularität, heutige Lebenserfahrungen, Spiritualität oder Frömmigkeit, evangelische Spiritualität etc. Im zweiten Teil zur Gestaltung von Andachten wird zuerst die persönliche und die gemeinsame Andacht reflektiert, danach die Rahmenbedingungen beschrieben: Anlass, Zeit, Gruppe, Leiter, Raum. Abschließend geht es um das Zusammenwirken von einzelnen Elementen und der Gesamtgestaltung. Es wird die Frage aufgeworfen, wie man zu guten Ideen für Andachten kommt, welche Formen für Gruppenandachten es gibt, z. B. Textauslegung, thematische Andacht, Bildbetrachtung, symbolische Aktion, Tagzeitengebet etc. Zum Schluss geht es um Andachten und ihre Reduktion oder Neuerfindung in digitaler Form während der Corona-Zeit. Reibenschuh, Christine: Gott, warte auf mich. Eine Gebetsschule für Einzelne und Gruppen. Theologischer Verlag Zürich: Zürich 2022, 180 S. Die Frage, warum es einer Gebetsschule bedarf, beantwortet Reibenschuh damit,

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dass es immer weniger Menschen gibt, die das Beten gelernt haben. Die aber vielleicht beten wollen, aber es nicht richtig können und daher den Zugang nicht finden. Denn Beten versteht Reibenschuh als Gespräch, und zum Gespräch gehört nicht nur das Reden (zu Gott), sondern auch das Hören (was Gott sagt). Das erste Kapitel legt die Gründe für eine Gebetsschule dar. Weitere sieben Kapitel bilden die Gebetsschule, die Kapitel sind gleich aufgebaut. Zuerst kommt das Thema – die Leere und die Stille, die eigenen Gebetserfahrungen, die Gemeinschaft, die Tradition, das Warten, sich überraschen lassen, der Geist Gottes –, dann folgen Hinweise für Einzelübungen, dann für Gespräche in der Gruppe, anschließend Texte und Erfahrungsberichte. Am Ende des Buches stehen pfingstliche Texte. Reinmuth, Eckart / Scharnweber, Karl: Werkbuch Gottesdienst. 120 Texte und Gesänge. Im Auftrag des Zentrums für evangelische Predigtkultur hg. v. Dietrich Sagert. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2020, 238 S. Die Texte stammen von Reinmuth, die Kompositionen von Scharnweber. Beide schreiben in ihrem Vorwort, dass solche Anregungen hin und her gingen, und das schon seit der gemeinsamen Schulzeit. In diesem Buch werden 120 Texte und Kompositionen vorgelegt, die für bestimmte Kirchenjahreszeiten geeignet sind. Auf eine solche Anordnung wurde aber verzichtet, stattdessen unter den Begriffen hören, sehen, folgen, danken, bitten, fühlen, leben, denken gesammelt. Ein Bibelstellenregister hilft die biblischen Bezüge nachzuvollziehen. Zusammengekommen sind Texte und Gesänge für Meditation und Gottesdienst. Dazu gehören Lieder, Kanons und Chorsätze. Sagert, Dietrich: Wo bin ich, wenn ich vor dem Bildschirm bin? Liturgisch-ästhetische Untersuchungen. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2022, 135 S. Durch die Corona-Pandemie bedingten Beschränkungen und Verbote von sozialem Leben sind die bildgestützten Medien noch wichtiger und wirksamer geworden, als sie bisher schon gewesen sind. Für die medialen Gottesdienstübertragungen gilt dasselbe wie für die reale Mitfeier eines Gottesdienstes in einem Kirchengebäude: Die Menschen sollen nicht zuschauen, sondern sind auch vor dem heimischen Bildschirm Mitfeiernde. Sagert hat hier zwanzig kleinere, sehr anregende Essays versammelt, die ganz unterschiedliche Aspekte von medialer Öffentlichkeit, Bild, Theater, Aufführung, Sprache, Gesten, Gottesdienst etc. bedenken. Sakramentale Formen werden ebenso bedacht wie Bildtheorien, wie analoges Feiern, was alles auch für den digital Mitfeiernden „analog“ werden könnte. Immer wieder kommt das Ästhetische des Liturgischen zum Vorschein. Schmid, Karin / Schulte, Frank (Hg.): Die ganze Welt gehört Gott. Gottesdienste und Liturgien aus der Iona Community (gemeinsam gottesdienst gestalten 33). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2022, 158 S., 24 schwarz-weiße Abb. Hier werden Gottesdienste und Liturgien der Iona Community abgedruckt, die vom Englischen in die deutsche Sprache übertragen wurden, aber keine wortgetreuen Übersetzungen sein wollen. „Sie sind vielmehr der Versuch, die englischen Liturgien im Sinne der Iona Community in den deutschen Sprach- und Lebenskontext zu übertragen.“ (10) Die Einleitung legt nicht nur dar, in welchem Sinne die Sprachübertragung stattfand, sondern erklärt auch die Iona Community selbst und wie diese Liturgien verwendet werden können. Die jeweiligen Liturgiesorten werden durch kurze Erklärungen eingeleitet. Zuerst kommen die Willkommens- und Abschiedsliturgien. Denn an jedem Samstag werden Menschen in der Community willkommen geheißen und auch verabschiedet. Es folgen Tagzeitenliturgien. Die Einleitung weist darauf hin, dass es für die Iona Community keine Trennung zwischen Gottesdienst und Alltag gibt, darum endet

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das Morgengebet im Stehen ohne Amen, denn man geht nun direkt an die Arbeit. Das Amen wird erst am Ende des Abendgebets gesprochen. Auch mittags gibt es ein Tagzeitengebet, das gesellschaftliche Themen aufnimmt, wie z. B. Gerechtigkeit und Frieden. Es wird auch ein allgemeines Tagzeitengebet abgedruckt. Des Weiteren Abendmahlsliturgien: zuerst eine allgemeine Form, dann das Cèilidh-Abendmahl, das das traditionelle schottische Beisammensein aufnimmt und für Gruppenfeiern eignet ist, abschließend eine Abendmahlsfeier in der Zeit des Wartens. Damit ist das Warten auf Christus gemeint, wie z. B. in der Adventszeit. Es folgen Gebete im Lauf des Kirchenjahres: Adventsliturgie am Morgen zum Magnificat, ein liturgischer Rahmen für kurze Adventsandachten, die Eröffnung eines Weihnachtsgottesdienstes, für Karfreitag die Sieben Worte am Kreuz, eine Pfingstliturgie und eine Liturgie für Trinitatis. Abschließend werden thematische Liturgien geboten: Schöpfung, Stille, Ruhestand, Einführung von Mitarbeitenden, Bitte um Heilung. Die Gebetssprache dieser vielen Liturgien zeichnet sich durch Frische, Traditionsgebundenheit und eine ausgesprochene Aktualität aus.

Der neue alte Runge. Zum Nachdruck des verschollenen Runge-Gesangbuchs von 1653. Eine Anzeige Bernhard Schmidt

Christoph Runge (1619–1681) ist allgemein als Verleger der Gesangbücher Johann Crügers bekannt. Doch hat er auch selbst Kirchenlieder geschrieben1 und ein Gesangbuch herausgegeben. Es handelt sich um ein Werk aus dem Jahre 1653 mit dem barocken Titel: D. M.  Luthers | Vnd anderer vornehmen geistreichen und | gelehrten Männer | Geistliche Lieder | und Psalmen. | Auff sonderbarem | Jhrer Churfürstl. Durchlaucht. | zu Brandenburg/ | Meiner gnädigsten Churfürstin und | Frauen/ | Gnädigstem Befehl/ | Zu Erweckung mehrer Andacht | bey frommen Hertzen | zusammen getragen. | Darin die fremde und zum Theil annoch | unbekandte Lieder / mit ihren nothwendigen | Melodien versehen. | Z | Zu Berlin/ | Gedruckt und verleget von Christoff Runge/ | Jm 1653. Jahr.2

Runges Gesangbuch erschien im gleichen Jahr wie die 5. Ausgabe der Praxis Pietatis Melica (PPM). DKL I (wie Anm. 2) ordnet Runge der 5PPM vor. Doch es ist eine offene Frage, welches Gesangbuch zuerst erschienen ist.3 1 Vgl. Bachmann, Johann Friedrich: Zur Geschichte der Berliner Gesangbücher. Berlin 1856, 30, Anm. 3. 2 DKL I 165301 (Das deutsche Kirchenlied. Kritische Gesamtausgabe der Melodien. I Verzeichnis der Drucke, Kassel usw. 1975–1980). Im laufenden Text ist bei Runge oder Runge 1653 immer dieses Gesangbuch gemeint. Bachmann (wie Anm. 1) fügt in seiner Titelwiedergabe noch das Format hinzu: „in kl. 8.“, ebd. 31. Abgekürzt werden zukünftig weiterhin verwendet: FT: Fischer, Albert / Tümpel, Wilhelm: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts. Bd. 1–6. Gütersloh 1904–1916/ Hildesheim 1964 / KLL: Fischer, Albert Friedrich Wilhelm: Kirchenlieder-Lexicon, Gotha 1878–1886/ Hildesheim 1967/ PPMEDW: Korth, Hans-Otto / M iersemann, Wolfgang (Hg): Johann Crüger. Praxis Pietatis Melica. Edition und Dokumentation der Werkgeschichte. Halle seit 2014 – Band I, Teil 1 Praxis Pietatis Melica Editio X. Berlin 1661. Text, 2014/Band I, Teil 2 Praxis Pietatis Melica Editio X. Berlin 1661. Apparat, 2015/Band I, Teil 3 Johann Habermann, Gebätbüchlein. Berlin 1661. Text und Apparat, 2017/Band II, Teil 2 Praxis Pietatis Melica. Tabellarische Übersicht über die Entwicklung des Liedbestands, 2016 / W: Philipp Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des 17. Jahrhunderts, 5 Bände. Leipzig 1864–1877/ Hildesheim 1964 / Z: Zahn, Johannes: Die Melodien der deutschen evangelischen Kirchenlieder, Bd. 1–6. Güters­loh 1889–1893/ Hildesheim 1963. 3 5PPM: DKL I 165304. Zwar hatte Johannes Zahn behauptet: „Dieses Gesangbuch ist ohne Zweifel eher gedruckt als die in gleichem Verlag in demselben Jahr erschienene Ausgabe der Praxis

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Wie dem Titel des Werkes zu entnehmen ist, hatte Luise Henriette, die erste Gemahlin des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, dem Verleger Christoph Runge einen diesbezüglichen Auftrag erteilt. Aus der Widmung, die uns Bachmann überliefert hat, erfahren wir, dass die Kurfürstin durch ihren Kanzler und Beichtvater Otto von Schwerin bereits 1651 ein solches Gesangbuch bei Runge bestellt hatte. Runge schreibt: E. Churfl. Durchl. geruhen nun selbst gnädigst zu urtheilen, mit was großer Freude dersoelben gnädigsten Befehle ich unterthänigst auffgenommen, den sie mir durch dereo Obristen Hoffmeister, Herrn Otto von Schwerin, vor zwey Jahren allbereit thun lassen, daß ich die schönen Lutherischen Gesänge zusammen suchen, und dieselbe nebst des Ambrosii Lobwassers Psalmen, Catechismo und täglichen Gebätlein in ein Buch zusammen drucken und herfür geben sollte.4

Sämtliche Exemplare dieses „gemischten“ Gesangbuches, gemischt aus lutherischem und reformiertem Liedbestand, sind seit dem 2. Weltkrieg verschollen.5 Johann Friedrich Bachmann lag noch ein Exemplar vor, als er 1856 die Geschichte der Berliner Gesangbücher schrieb. Zwar ist die von ihm annoncierte Abschrift des Gesangbuchs von Emanuel Christian Gottlieb Langbecker ebenfalls nicht auffindbar,6 doch glücklicherweise konnten Albert Fischer und Wilhelm Tümpel7 noch auf Runge zurückgreifen, so dass einige seiner Textrezensionen erhalten geblieben sind. Außerdem liegt von Bachmann eine einzigartige Beschreibung des Werkes vor. Daher wissen wir, dass der Plan, den Lobwasser-Psalter und „die schönen Lutherischen Gesänge“ nebst Heidelberger Katechismus und Gebetbuch in einem Buch zu vereinen, offenbar nicht realisiert wurde.8 Auch kann mit Bachmanns Hilfe, vor allem mit der von ihm

Pietatis.“ (Z VI, 187). Auch Elisabeth Fischer-Krückeberg vertritt diese These (Johann Crüger’s Praxis pietatis melica, in: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte 26 [1931], 27–52, 37). Doch die PPM-Experten Hans-Otto Korth und Wolfgang Miersemann mahnen zur Vorsicht: „Die tatsächliche Reihenfolge des Erscheinens der beiden Drucke indes darf daraus nicht abgeleitet werden.“ (PPMEDW I/2, 452). 4 Zitiert nach Bachmann, Johann Friedrich: Zur Geschichte der Berliner Gesangbücher (wie Anm. 1), 33. 5 Vgl. PPMEDW I/2, 451. 6 Bachmann schreibt: „Das Exemplar dieses Gesangbuchs, welches ich verglichen habe, ist im Besitze der Hamburger Stadtbibliothek. – Uebrigens wurden von demselben drei Exemplare auf Pergament gedruckt, eins für den Churfürsten, das andere für die Churfürstin, das dritte für den Grafen Otto von Schwerin (C. v. Orlich, Geschichte des Preuß. Staats. I. Theil, Berlin 1838, S. 546.) Letzteres ist von einem Herrn von Künitz zu Betleben am 24. Novbr. 1754 dem Grafen von Stolberg-Wernigerode geschenkt, und befindet sich noch in der Gräflichen Bibliothek zu Wernigerode. – Die hiesige Königliche Bibliothek besitzt nur eine Abschrift desselben, welche der selige Langbecker veranstalten ließ.“ (Bachmann, Johann Friedrich: Zur Geschichte der Berliner Gesangbücher [wie Anm. 1], 36). 7 FT (wie Anm. 2). 8 Bachmann, Johann Friedrich: Zur Geschichte der Berliner Gesangbücher (wie Anm. 1), 45. Allerdings erschien im gleichen Jahr bei Runge in Berlin ein separater Lobwasser-Psalter, vgl. DKL 165302.

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erstellten Tabelle, der Liedbestand des Rungeschen Gesangbuchs weitgehend rekonstruiert werden. Trotzdem fehlen uns durch den Verlust des Gesangbuchs wichtige Informationen. Zwar wissen wir dank Bachmann,9 dass das Buch im Oktav-Format gedruckt war und dass der Liedteil 595 Seiten hatte, aber wie sah es sonst aus, wie war der Titel gestaltet? Auf welche Melodien wurden die Lieder gesungen, die – wie Bachmann mitteilt – teilweise mitabgedruckt waren? Und natürlich: Welche Textgestalt hatten die Lieder? Viele dieser Fragen werden womöglich für immer unbeantwortet bleiben. Immerhin auf einige kann jetzt wenigstens eine vage Antwort versucht werden. Ich fand zufällig im Zettel-Katalog der Wernigeröder Gesangbuchsammlung in der Berliner Staatsbibliothek unter dem Stichwort Runge einen Zettel mit dem Titel: Andachtsbuch Luise Henrietten’s von Brandenburg, Gemahlin des Großen Kurfürsten Auf ihren Befehl zusammengetragen und herausgegeben von Christoph Runge, im Jahre 1653. Neu bearbeitet, mit einem biographischen Vorwort von C. Irenäus, Berlin 1880.10

Bei der flüchtigen Durchsicht dieses „Andachtsbuches“ stellte ich fest, dass es sich dabei um eine Art Nachdruck des Runge-Gesangbuchs aus dem Jahre 1653 handelt. Zuerst stellt sich die Frage: Wer ist C. Irenäus? Klar ist, dass es sich um eine Frau handelt, denn die Widmung (s. Abb. 2) ist mit „die Verfasserin“ unterzeichnet. Das Pseudonym hat man mit Caroline Rinne oder Caroline Gieseler aufgelöst.11 Mehr wissen wir derzeit nicht. Am Ende ihres „Hannover 1879“ datierten „biographischen Vorwortes“ (S. XVI) schreibt die Herausgeberin mit dem bezeichnenden Pseudonym Irenäus: Auch wir ringen um den verlornen Gottesfrieden, und beten mit dem Enkel Luise Henriettens,12 daß dem Volke die Religion erhalten werde; möchten an der wunderbaren Schönheit dieser alten Lieder, dieser Perlen geistlicher Poesie, Viele ihre Herzen laben, möchten sie ein Segen für Viele werden! Das walte Gott!

9 Vgl. Bachmann, Johann Friedrich: Paul Gerhardt. Ein Vortrag im Evangelischen Verein für kirchliche Zwecke gehalten. Nebst einem Anhange über die ersten Ausgaben der Praxis Pietatis Melica von Johann Crüger. Berlin 1863, 35. 10 Signatur: Hb 1485. Das Büchlein wurde verlegt im Verlag von L. Schleiermacher (Leipzigerstraße 109). In der Berliner Staatsbibliothek existiert ein 2. Exemplar, mit geprägtem Buchdeckel, Erscheinungsjahr 1879, sonst vollkommen identisch, Signatur SBB Rara 17 A 12 765. Ein Digitalisat der Ausgabe von 1880 stellt die Bayerische Staatsbibliothek zur Verfügung (https://t1p. de/3zroj; Abruf 11.5.2023), ihm sind die Abb. 1–3 mit freundlicher Genehmigung entnommen. 11 Lt. VIAF (Virtual International Authority File). – Andere Beispiele für das Pseudonym als „Tarnname“ produktiver Frauen im 19. Jh. sind z. B. die französische Schriftstellerin Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil, alias George Sand (1804–1876), oder die deutsche Schriftstellerin Sophie Andresen alias S. Wörishöffer (1838–1890). 12 Gemeint ist Friedrich Wilhelm I. (1688–1740), der spätere für seine Frömmigkeit bekannte „Soldatenkönig“.

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Abb. 1: Titelblatt (Quelle s. Anm. 10)

Abb. 2: Widmung (Quelle ebd.)

Den Worten ist zu entnehmen, dass die Herausgeberin das friedenstiftende Anliegen der Kurfürstin schätzte, das dieses Gesangbuch hervorgebracht hat und darin zum Ausdruck kommt. Irenäus weist in ihrem Vorwort zu Recht darauf hin, dass der „Westfälische Friede“ (1648) eher der Erschöpfung der Kriegsparteien geschuldet war und keinen inneren Frieden bedeutete, schon gar nicht zwischen den Religionen. So ordnet die Herausgeberin den Auftrag an Runge in das konfessionsvermittelnde Bestreben der Kurfürstin und ihres Gatten Anfang der 50er Jahre ein. Im Vorwort schreibt sie (S. X und XIII): Die Kurfürsten von Brandenburg […] wünschten, daß beide Kirchen, weil sie ja in allem Wesentlichen übereinstimmten, in freundlicher Verträglichkeit, in einem Frieden, wie Jesus Christus ihn gewollt, neben einander lebten. […] Die Kurfürstin suchte das Reich Gottes auf Erden nicht in nutzlosen Streitigkeiten und leeren Worten, sondern sie betete Gott den Herrn in der Kraft, in der Liebe und der Wahrheit an, und auch ihr Wunsch war es, Reformirte und Lutheraner brüderlich zu vereinigen.

Zugleich lässt das Vorwort erahnen, dass Frau Irenäus mit Wehmut an Luise Henriette erinnert. Was sie jedoch mit dem „verlornen Gottesfrieden“ meint, wissen wir nicht. Womöglich bezieht sich dieser Ausdruck auf den sog. Kulturkampf ab 1871, in den auch die evangelischen Kirchen hineingezogen wurden. Jedenfalls hegte Irenäus die Hoffnung, dass die „wunderbare[n] Schönheit dieser

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alten Lieder“ dem gesuchten „Gottesfrieden“ dienen möge. Möglich, dass Irenäus die innerprotestantischen Streitigkeiten aus der Mitte des 17. Jahrhunderts auf die innerchristlichen Spannungen zwischen Protestanten und Katholiken im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts projizierte.13 Ob und ggf. wie das Gesangbuch den „verlorenen Gottesfrieden“ befördern konnte, muss eine Prüfung der Liedtexte zeigen. Von Caroline Rinne / Gieseler, alias Irenäus ist noch eine weitere Veröffentlichung bekannt, eine Biographie von Hermann Wilhelm Bödeker, in der Name und Geschlecht der Autorin wiederum verschleiert werden und die Widmung („Dem Volke“) mit „der Verfasser“ unterschrieben ist.14 Dieses Lebensbild, im schwärmerischen Ton der Heroenliteratur des 19. Jahrhunderts verfasst, trägt für unsere Frage nach Caroline Irenäus nicht viel aus. Doch lässt auch diese Publikation die Bewunderung der Verfasserin für den Pragmatismus und das frieden- und gemeinschaftsstiftende Wirken des damaligen Hannoveraner Hauptpastors hervortreten, indem es heißt, dass dieser sich um die „äußeren Formen“ nicht scherte und sich über konfessionelle Selbstbehauptung hinwegsetzte. „Das Humane stand ihm höher, als jede Confession.“ Gleichsam resümierend schreibt Irenäus: „Ja, den Frieden wollte er und das Wohl seiner Mitmenschen.“ Und am Ende: „Erst im vollen Frieden mit Gott kann der Mensch auch den Frieden mit sich und den Seinigen genießen. Diesen Frieden den Seinigen zu erstreben und zu sichern, trachtete Bödeker während seiner langen gesegneten Amtsführung.“15 Es passt in diesen Kontext, dass Martin Rinckarts Friedenslied Nun danket alle Gott mehrfach erwähnt und zitiert wird. 13 In einer Monographie konstatiert Jung.: „Der Konfessionsgegensatz war im 19. Jahrhundert noch immer eine Grundtatsache des deutschen Lebens.“ (Jung, Martin H.: Der Protestantismus in Deutschland von 1870 bis 1945. Leipzig 2002, 87). Er berichtet von einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen Protestanten und Katholiken nach 1870 und benennt als Gründe u. a. das Unfehlbarkeitsdogma, den Neuthomismus, den Ultramontanismus und den sog. „Kulturkampf“ (der Ausdruck wurde 1873 von Rudolf Virchow geprägt; ebd., 88). „Die konfessionelle Polemik trug somit zu einer konservativen, nationalistischen, antiliberalen Orientierung sowohl des Katholizismus als auch des Protestantismus bei. Der Tonfall wurde im Laufe der Zeit deutlich aggressiver. Protestanten sprachen von einem ‚konfessionellen Kriegszustand‘ und einem ‚Guerillakrieg‘ der römisch-katholischen Kirche gegen die protestantische.“ (ebd.) Jung weist darauf hin, dass Bismarcks Kulturkampf auch die protestantische Kirche traf und belegt diese These damit, dass das erste Opfer des sog. Kanzelparagraphen von 1871, der unterschiedslos allen Geistlichen verbot, „Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand einer Verkündigung oder Erörterung zu machen“ (ebd. 90), 1874 ein evangelischer Pfarrer in der Nähe von Unna war. So wurde der Kulturkampf zumal in konservativen protestantischen Kreisen nicht nur als ein Kampf gegen die römische Kirche, sondern überhaupt als ein Kampf zwischen dem modernen Liberalismus und dem traditionellen Christentum wahrgenommen. Jung. über die konservativen Protestanten (ebd. 91): „Die meisten akzeptierten sie [die antikatholische Staatspolitik, B. S.] aus tief verwurzelter Staatstreue, wurden aber den Verdacht nicht los, der Liberalismus wolle mit diesem ‚Krieg‘ letztlich alle Kirchen treffen.“ 14 Hermann Wilhelm Bödeker, Past. prim. und Senior minist. in Hannover. Ein Lebensbild von C. Irenäus, Hannover 1874. Ein Exemplar dieses Büchleins befindet sich in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek in Dresden (Sign. Biogr.erud.D.2158). 15 Ebd., 22, 23 und 42.

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Doch neben der hintergründigen „irenischen“ Absicht hatte Frau Irenäus vordergründig eine andere: Sie wollte nach eigener Aussage die alten Lieder dem Vergessen entreißen und in ihrer Originalgestalt präsentieren. Im Vorwort heißt es: Die Lieder der nachstehenden Sammlung sind genau geordnet wie in jenem Buche; viele derselben sind bekannt, da sie längst den Weg in unsere Gesangbücher gefunden haben, freilich oft genug entstellt durch Zusätze, oder Ausgelassenes; viele aber sind verschollen, vergessen; die erstern zu befreien von der entwerthenden Zuthat, die letztern unverdienter Vergessenheit zu entreißen, war mein Bestreben. Wo eine Aenderung der Ausdruckswesie, die unsern heutigen Sprachbegriffen unanpaßbar war, geboten schien, ist sie mit äußerster Vorsicht vollzogen.16

Es wird zu prüfen sein, in welcher Zahl und in welcher Gestalt die Lieder des Rungeschen Gesangbuchs im Andachtsbuch enthalten sind. Zuvor aber noch kurz ein Blick auf den Aufbau des Andachtsbuches im Ganzen. Sozusagen als biblisches Motto sind dem Liedteil folgende Verse vorangestellt: Singet dem Herrn ein neues Lied, die Gemeine der Heiligen soll ihn loben. Sie sollen loben seinen Namen im Reigen, mit Pauken und Harfen sollen sie ihm spielen. Die Heiligen sollen fröhlich sein, und preisen und rühmen auf ihren Lagern. Psalm 149, V. 1, 3, 5.

Nach Vorwort und Liedteil bringt Irenäus ein „Liederdichter-Verzeichniß“, ein „Alphabetisches Liederverzeichniß“ sowie den „Inhalt“ (Aufführung von 40 Rubriken).17 Das Liederdichterverzeichnis stellt sich recht heterogen und unvollständig dar. Von manchen Dichtern werden nur die entsprechenden Liednummern mitgeteilt,18 bei manchen auch Lebens- und andere biographische Daten. So heißt es etwa bei Paul Gerhardt, freilich merkwürdig tendenziös und ungenau: Gerhard, Paul, (1606–1676), geb. im Gebiete von Meißen von 1657–1666 Prediger in Berlin, wurde aber vom großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Preußen entlassen, weil er sich der öffentlichen Bekämpfung der reformirten Lehre nicht begeben wollte; starb als Archidiakonus in Lüben. Seine geistlichen Lieder verfaßte er meist während des dreißigjährigen Kriegs.

16 Andachtsbuch (Abb. 1), XV f. 17 In Bachmanns „Referat“ sind es nur 29, wobei dieser viele Unterrubriken wie z. B. „Mariä Verkündigung“ oder „Die sieben Worte Christi am Kreuz“, „Am Charfreitag“ nicht eigens erwähnt. Auch die Einzelrubriken der Katechismuslieder (Glaube, Taufe, Abendmahl) werden von ihm nicht extra aufgeführt. So ist leider nicht mehr sicher rekonstruierbar, wie sich die Rubrizierung und Systematisierung bei Runge im Einzelnen darstellte. 18 Z. B. Seb.[astian] Artom, Wolfgang Capito, Wolfgang Dachstein u. a. Bei Heinrich Albert (Gott des Himmels und der Erden, Nr. 6) heißt es: „Alberti (1604–1668) 6.“. Diese Schreibweise begegnet auch bei Koch, Eduard Emil: Geschichte des Kirchenlieds etc., 8. Bd. Stuttgart 1876, 186, dort allerdings mit korrekten Lebensdaten: 1604–1651.

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Es folgen die Liednummern. Generell fällt auf, dass die Biogramme gern Rang und Titel sowie politische Begebenheiten mitteilen.19 Einige Lieder werden fälschlicherweise fürstlichen Personen zugeschrieben.20

Zum Liedbestand des Andachtsbuches Ich hatte von „einer Art Nachdruck des Runge-Gesangbuchs“ gesprochen. Tatsächlich handelt es sich, wie schon das Vorwort insinuiert („Neu bearbeitet“), nicht um einen Reprint, eher um eine Neubearbeitung von Runges Gesangbuch, bei der sich die Herausgeberin etliche Freiheiten erlaubt hat. Zunächst wird man enttäuscht, denn das Andachtsbuch enthält weder Melodien noch die von Bachmann gezählten 375 Lieder. C. Irenäus’ Andachtsbuch zählt lediglich 338 Nummern, so dass sich sogleich die Frage stellt: Welche Lieder sind drin, welche fehlen? Dazu muss mit Bachmanns Hilfe eine vollständige Aufstellung der Lieder des Runge-Gesangbuchs erstellt werden. Diese wird dadurch erschwert, dass es bei Bachmann bezüglich des Rungeschen Liedbestandes Unstimmigkeiten gibt. Einerseits schreibt er, dass das Runge-Gesangbuch „CCCLXXV Nummern“ enthält,21 andererseits führt die seiner Untersuchung anhängende Lied-Tabelle insgesamt 380 Titel auf.22 Dieser Widerspruch lässt sich so auflösen, dass manche Nummern doppelt vergeben waren (Nr. 164 und Nr. 304), und dass Verleih uns Frieden keine Nummer hat. Auf der anderen Seite standen zwei Titel im Register, die im Gesangbuch nicht enthalten waren (Da Jesus nun zu Tische saß und Laß mich dein sein und bleiben). Da Bachmann bei Erstellung seiner Liederliste offenbar das Register nutzte, sind diese beiden Lieder von der Gesamtzahl abzuziehen. So kommt man auf insgesamt 378 Titel, die das originale Runge-Gesangbuch enthalten haben dürfte. Dagegen sind im Andachtsbuch nur 338 Nummern verzeichnet, ein effektives Minus von 40 Liedern. Irenäus hat ihre Lieder nach eigener Angabe wie in ihrer Vorlage angeordnet.23 Die Titel der 40 Rubriken sind der Abb. 3 ihres Inhaltsverzeichnisses zu entnehmen. Bei dem Versuch, die 40 fehlenden Liedtitel zu ermitteln sowie den Rubriken, in denen sie mutmaßlich standen, zuzuordnen, komme ich auf folgendes Ergebnis: 19 Z. B. dass Paul Speratus „durch Luthers Empfehlung Hofprediger des Herzogs Albrecht von Preußen“ wurde oder dass Ludwig Helmbold von Kaiser Maximilian den Dichterlorbeerkranz erhielt. Seltsamerweise taucht im Verzeichnis – freilich ohne Liednummer – auch Philipp Jacob Spener auf. 20 So wird z. B. das Lied des Reformierten Johann Posthius Zu Gott allein hab ich’s gestellt (Nr. 207) Kurfürst Christian II. von Sachsen zugeschrieben, obwohl Posthius als Verfasser damals schon bekannt war, vgl. KLL II, 422. Oder Johann Fabricius’ Verzage nicht, o Häuflein klein (Nr. 275) König Gustav Adolf von Schweden. Zu den tatsächlichen Autoren vgl. PPMEDW I/2, 217 und 258. 21 Bachmann, Johann Friedrich: Zur Geschichte der Berliner Gesangbücher (wie Anm. 1), 34. 22 Ebd., 261–351. 23 „Die Lieder der nachstehenden Sammlung sind genau geordnet wie in jenem Buche.“ Andachtsbuch Luise Henrietten’s (S. 121), S. XV.

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Abb. 3: Andachtsbuch Luise Henrietten’s (S. 121), S. 335 f.

Der neue alte Runge  Lfd. Incipit (nach Bachmann [wie Anm. 1], Nr.  in alphabetischer Reihenfolge) 1. 2. 3. 4.

Ach Gott, dein arme Christenheit Ach Gott, dessen Reich ist Freud Allein auf Gott setz dein Vertraun Allein nach dir, Herr Jesu Christ

5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27.

Mutmaßliche Rubrik

Verfasser / Verfasserin (heutiger Forschungsstand)24

XXX. XVI. XXVIII.

Heinrich Meyfart Johann Heermann Bartholomäus Ringwaldt Nicolaus Selnecker

XXXVI. oder XXXVIII.25 XV. XIII. XVI. XXIV. XV. XIV. XVIII. XXV. XIV. XVII. XX. XL. XXV. XXXVI. oder XXXVIII. XXXIV. XXVI. XXVIII. XL. XXXIX. [unbekannt] XVI. [unsicher] oder XX. XX. XXIX.

Als gleich die Jünger saßen Als Gottes Sohn am Kreuze stund Als Jesus Christus, Gottes Sohn Als Jesus Christus in der Nacht Als vierzig Tag nach Ostern Christo, dem Osterlämmelein Den Herren meine Seel erhebt Den Vater dort oben wollen wir Erschienen ist der herrlich Tag Gelobet sei Israels Gott Heb hoch des Herren Herrlichkeit Herr Christe, mir verleihe Herr Gott, nun sei gepreiset Herr Jesu Christ, weil ich empfind Herzallerliebster Vater mein Hilf Gott, mein Herr, wo kömmts Hilf mir, Herr Jesu, weil ich leb Höret, o ihr Kinder Gottes, höret Ich will still und geduldig sein Kyrie eleison (die deutsche Litanei) Lob, Ehr und Preis sei unserm Gott Lobet Gott, unsern Herren Mag ich denn nicht von Angst und Pein 28. Mein Herz ist fröhlich 29. O frommer und getreuer Gott aller 30. O Gott, verleih mir deine Gnad

XXIV. XXXV. XXIX.

31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40.

XXXV. XXI. XXVIII. XIV. XXVIII. [unbekannt] Psalm 23 XXXVIII. [unbekannt] Psalm 42 XXXVIII. XXVI.

O Herr, dein Ohren neig zu mir O Mensch, willst du vor Gott bestahn Recht denken, reden und recht thun Sobald des großen Sabbaths Nacht Vergebens ist all Müh und Kost Was kann uns kommen an für Noth Was? Soll ein Christ sich fressen? Wie der Hirsch, den man will fangen Wie ist der Mensch doch so bethört Wohlauf, du süßes Saitenspiel

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Johann Heermann Georg Lilius Michael Weiße Johann Heermann Nikolaus Herman Nikolaus Herman Johann Heermann Michael Weiße Nikolaus Herman Johann Heermann Martin Opitz Jeremias Nicolai nicht bekannt Bartholomäus Ringwaldt nicht bekannt Nathan Chyträus Bartholomäus Ringwaldt Johann Heermann Johann Hermann Schein Martin Luther Martin Moller nicht bekannt nicht bekannt nicht bekannt Bartholomäus Ringwaldt Johann Sanfdörfer (Sandorffer)26 Bartholomäus Ringwaldt Johann Hermann Schein nicht bekannt Johann Heermann Lazarus Spengler Andreas Cnophius (Knöpken) Simon Dach Martin Opitz Christoph Wilkow Georg Werner

24 Vgl. PPMEDW I/2. 25 Irenäus bringt vier Rubriken mit Sterbeliedern (XXXVI. bis XXXIX.), die Spezialfälle „Beim Tod eines Ehegatten“ (XXXVII.) und „Bei dem Tode eines Kindes“ (XXXIX.) kommen hier nicht in Betracht. 26 Von Johann Sanfdörfer oder Sandorffer. Der Name weist unterschiedliche Schreibweisen auf, vgl. KLL II, S. 156. Das Lied bittet um Beistand bei den Anschlägen des Teufels.

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Umgekehrt ausgedrückt: Die 40 fehlenden Lieder wurden aus folgenden Rubriken gestrichen. In Anführungsstrichen gekennzeichnete sind nach Irenäus benannt, zusammengefasste Bezeichnungen stammen von mir: – „Morgen- und Abendlieder“ (I. / I I.): keine27 – „Im Elend der Sünde“/ „Lieder von der Rechtfertigung“ (III. / I V.): keine – Kirchenjahr (V. bis XIX .): 11, darunter: – „Am Charfreitag“ (XIII.): 1 – „Osterfest“ (XIV.): 3 – „Christi Himmelfahrt“ (XV.): 2 – „Pfingstfest“ (XVI.): 328 – „Am Johannistage“ (XVII.): 1 – „Mariä Heimsuchung“ (XVIII.): 1 – „Lob- und Danklieder“ (XX .): 2 – Katechismuslieder und Tischlieder (XXI. bis XXV.) 5, darunter: – „Lieder von der christlichen Lehre“ (Gebote) (XXI.): 1 – „Vom Abendmahl“ (XXIV.): 3 – „Tischgebete“ (XXV.): 1 – „Gottes Wort“ und „Am Sonntag“ (XXVI. bis XXVII.) wahrscheinlich 3:29 – „Vom christlichen Leben und Wandel“ (XXVIII.): 4 – „In schwerem Leid“ (XXIX .): wahrscheinlich 330 – Friedenslieder (XXX bis XXXI.): 1 – Wetterlieder (XXXII. bis XXXIII.): keine – „Reiselieder“ (XXXIV.): 1 – „In Pestzeiten“ (XXXV.): 2 – Sterbelieder (XXXVI. bis XXXIX .): 5, darunter: – „Bei dem Tode eines Kindes“ (XXXIX .): 1 – „Vom jüngsten Tag und Auferstehung der Todten“ (XL .): 2 Außerdem fehlt die Litanei „Kyrie eleison“. Die eliminierten Psalmlieder Wie der Hirsch, den man will fangen (Ps 42) und Was kann uns kommen an für Noth (Ps 23) können keiner Rubrik sicher zugeordnet werden.31 Die Herausgeberin hat zu den Gründen ihrer Kürzungen keine Angaben gemacht. Doch fällt auf, dass diese relativ gleichmäßig auf die Rubriken verteilt sind. Allerdings verzeichnen wir prozentual mehr Streichungen bei den verkündigenden Liedern (vor allem im Kirchenjahr, wo insgesamt 13 Lieder fehlen) als bei den persönlichen, was bei einem „Andachtsbuch“ nicht verwundert. Vermut 27 Bachmann, Johann Friedrich: Zur Geschichte der Berliner Gesangbücher (wie Anm. 1), 34, nennt 18 Morgenlieder, während Irenäus nur 17 Nummern hat. Ich gehe davon aus, dass die Zahl ein Versehen darstellt, da sich unter den bei Bachmann „überschüssigen“ Liedern kein Morgenlied befindet. 28 Hierzu zählt auch das Trinitatislied Lob, Ehr und Preis sei unserm Gott. 29 Das Lied Was kann uns kommen an für Noth kann nicht sicher zugeordnet werden. 30 Das Lied Wie der Hirsch, den man will fangen kann nicht sicher zugeordnet werden. 31 In 5PPM 1653 stehen die Lieder zu Ps 23 in der Rubrik „Vom Worte Gottes und Christlicher Kirchen“ und die Lieder über Ps 42 in der Rubrik „Vom Creutz und Anfechtung“.

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lich ging es Irenäus darum, zu straffen und im Zuge der Straffung den Bestand an vermeintlichen Doppelungen sowie an „erzählenden“ Liedern zu reduzieren. Letzterem Bestreben ist auch ein prominenter Titel wie Nikolaus Hermans Osterlied Erschienen ist der herrlich Tag zum Opfer gefallen. Ähnlich erging es den Osterliedern Sobald des großen Sabbats Nacht und Christo, dem Osterlämmelein, den Himmelfahrtsliedern Als gleich die Jünger saßen und Als vierzig Tag nach Ostern, dem Pfingstlied Als Jesus Christus, Gottes Sohn und dem Abendmahlslied Als Jesus Christus in der Nacht. Auch das Lied von Nathan Chyträus Hilf Gott, mein Herr aus der Rubrik „Vom Worte Gottes“ enthält einige Erzählstrophen. Doch vor allem zeichnet sich dieses durch eine unverhohlene Konfessionspolemik aus. In der 1. Strophe heißt es: Da doch ohn leid Pabst / Jüd und Heyd Jhrn raum und platz stets finden.32 Ähnliches gilt für das Friedenslied Ach Gott, dein arme Christenheit, wo Strophe 4 lautet: „Herr Jesu / thu bey uns das best / Treib von uns solche fremde gäst / Den papst und alle andre feind / Die deinem wort zu wider seynd.“33 Auch hier dürfte die Auslassung durch inhaltliche Bedenken veranlasst sein. Des Weiteren fehlen manche Lieder, die als stoffliche Doubletten gelten können. Das betrifft etwa das Karfreitagslied Als Gottes Sohn am Kreuze stund, da Da Jesus an dem Kreuzesstamm drin ist. Oder das Trinitatislied Lob, Ehr und Preis, während Sei Lob, Ehr, Preis und Herrlichkeit geblieben ist. Oder das Johanneslied Gelobet sei Israels Gott, während sich Gelobt sei der Herr, der Gott Israels behaupten konnte. Ebenso Opitz’ Loblied Heb hoch des Herren Herrlichkeit, da es zwei weitere Lieder zu Psalm 103 gibt (Nun lob, mein Seel, den Herren von Johann Gramann und Mein Herz, du sollst den Herren billig preisen von Johann Franck) oder das anonyme Loblied Lobet Gott, unsern Herren, eine Bereimung des 147. Psalms, dem bereits Francks Laßt uns zugleich itzt Lob dem Herren geben zugrunde liegt. Dasselbe Schicksal ereilte das Lied auf Psalm 45 Wohlauf, du süßes Saitenspiel, das in Philipp Nicolais Wie schön leuchtet der Morgenstern einen prominenten Rivalen hatte. Da es mit Luthers Dies sind die heilgen zehn Gebot und Mensch, willst du leben seliglich schon zwei Dekalog-Lieder gab, mag Scheins O Mensch, willst du vor Gott bestehn als entbehrlich erschienen sein. Von sieben Abendmahlsliedern sind nur vier vorhanden.34 Aus der großen Zahl der Tischlieder ist das blasse Herr Gott, nun sei gepreiset ausgeschieden. Auch Weißes Lied Den Vater dort oben fehlt.35 Die Streichung des Liedes Was kann uns kommen an für Noth erklärt sich am besten mit dem Vorhandensein zweier Lieder zu Psalm 23 (Gott ist mein Hirt, ich soll

32 5PPM, Nr. 293, 544. – Nathan Chyträus (1543–1599), viele Jahre Professor in Rostock, nach Vorwürfen des Kryptocalvinismus entlassen, zuletzt Gymnasialrektor in Bremen. Vgl. KLL I, 300. 33 5PPM, Nr. 390. Ein Lied von Heinrich Meyfart, vgl. FT II, Nr. 36. Dort heißt die Zeile: „Den Türcken und all andre Feind“. FT teilt mit, dass zuerst Crüger 1640 den Papst eingeführt hatte. 34 Gestrichen wurde auch das seltene, in Blut und Wunden „badende“ Abendmahlslied Mein Herz ist fröhlich (KLL II, 71), von einem unbekannten Verfasser, vgl. Wittenberger Gesangbuch, letzte Ausgabe 1779, Neuausgabe 1866, Nr. 428, vgl. https://t1p.de/daxxp; Abruf 11.5.2023. 35 Es steht in 5PPM, Nr. 271, unter den Tischliedern (Nach dem Essen).

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nicht Mangel leiden und Der Herr, der aller Enden).36 Ähnlich das Fehlen des Opitzschen Hirschliedes Wie der Hirsch, den man will fangen wegen Gerhardts Wie der Hirsch in großen Dürsten, beides Paraphrasen über Psalm 42. Dasselbe gilt wohl auch für das Lied über Psalm 127 Vergebens ist all Müh und Kost, das sich neben Wo Gott zum Haus nicht gibt sein Gunst nicht behaupten konnte. Schließlich erweist sich Mag ich denn nicht von Angst und Pein als Variation des Maria, Königin von Ungarn, zugeschriebenen Gesangs Mag ich Unglück nicht widerstahn (Nr. 242).37 Schwieriger sind die Auswahl- bzw. Abwahlkriterien bei Gesängen aus den Rubriken „Vom christlichen Leben und Wandel“ und „Von Kreuz und Anfechtung etc.“ nachzuvollziehen. Das holprige Lied von Ringwaldt Hilf mir, Herr Jesu, weil ich leb ist in Form eines Gebetes um ein frommes Leben gestaltet und ähnelt den besseren Liedern O Gott, du frommer Gott (Heermann), Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ sowie Mein Gott, ich habe mir gar festgesetzet für und Zweierlei bitt ich von dir (beide von Paul Gerhardt). Das Reiselied Herzallerliebster Vater mein konnte sich neben dem ähnlichen, doch stärkeren Jetzt reis ich aus in Jesu nam von Heermann, nicht halten. Bei den Pestliedern sind zwei Titel von Ringwaldt ganz entfallen (O frommer und getreuer Gott sowie O Herr, dein Ohren neig zu mir). Dagegen haben sich das kurze Ach Gott, in Gnaden von uns wend und das stark gekürzte Ach lieben Christen, trauret nicht, beide ebenfalls von Ringwaldt, halten können. Die Behandlung dieser Rubrik lässt ahnen, dass das Thema Pest Ende des 19. Jahrhunderts an Dringlichkeit verloren hatte. Hingegen erschließt sich mir die Streichung des Liedes Recht denken, reden und recht thun nicht, zumal schon Ringwaldts Lied Allein auf Gott setz dein Vertraun ausgeschieden wurde, somit zwei Tugendspiegel-Lieder. Bei den Sterbeliedern hat Irenäus ebenfalls aussortiert. Auch hier sind die Beweggründe oft nicht leicht zu erfassen. Mag sein, dass Simon Dachs Sterbelied Was? Soll ein Christ sich fressen? in den Ohren der Leserinnen und Leser um 1880 zu drastisch klang. Oder dass Christoph Wilkows Lied Wie ist der Mensch doch so betört? das irdische Leben zu sehr herabsetzt. Doch für die Streichung von Herr Jesu Christ, weil ich empfind (Ringwaldt) und Nikolaus Selneckers Strophe Allein nach dir, Herr Jesu Christ habe ich keine Erklärung. Bedauerlich ist, dass Scheins Ich will still und geduldig sein auf den Tod eines Kindes entfallen ist, da hier der Kindstod aus der Sicht der betroffenen Eltern geschildert wird, während die drei Kinderbegräbnislieder (Ein Kindlein bin ich arm und klein, Nun lieg ich armes Kindelein, Gottlob die Stunde ist gekommen) die Perspektive des verstorbenen Kindes einnehmen. Ebenfalls zu bedauern ist die Streichung des Liedes Herr Christe, mir verleihe (Rubrik „Vom jüngsten Tage und Auferstehung der Toten“) von Jeremias Nicolai, einem Bruder Philipp Nicolais, da dieses Lied als einziges eine bildreiche Beschreibung des Paradieses bietet. 36 Vgl. W III, Nr. 147. Das Lied fehlt in 5PPM 1653 und Psalmodia Sacra II 1657 (wie Anm. 41), steht aber bei Porst, Johann: Geistliche und liebliche Lieder, Berlin 1713, 442, Nr. 506. Weitere Gesangbücher, die das Lied aufgenommen haben, in KLL II, 333. 37 Tatsächlich heißt der Autor Albrecht von Preußen, Markgraf von Brandenburg, vgl. PPMEDW I/2, 239.

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Häufig sind auch Strophenkürzungen zu beobachten. So hat Irenäus beispielsweise von Heermanns Osterlied Früh morgens, da die Sonn’ aufgeht (19 Strophen)38 eigentlich nur sieben Strophen übernommen, sie hat jede Strophe geteilt. Hier sind vor allem die historischen Strophen entfallen. In Erasmus Albers Ihr lieben Christen, freut euch nun gab es wohl theologische und politische Bedenken. Es fehlen 12 von 18 Strophen. Irenäus hat die beiden SimeonStrophen ausgeschieden (Str. 5–6, vgl. Lk 2,21–39), sämtliche Teufelsstrophen (3,7–13) sowie wiederum die Strophen mit Papst- und Türkenpolemik (15–16). Insgesamt haben die Sterbelieder die meisten Kürzungen erfahren. Bei 30 Liedern, die mehr als eine Strophe weniger haben als die entsprechende PPM-Version, handelt es sich um 18 Lieder von den letzten Dingen (mit Pestliedern). Diese Lieder sind je 3mal um 2 und 3 Strophen, 2mal um 4 Strophen, 1mal um 5 Strophen, 4mal um 6 Strophen, 2mal um 7 Strophen, 2mal um 10 Strophen und 1mal um 12 Strophen gekürzt worden. Spitzenreiter unter den fragmentierten Titeln ist allerdings kein Sterbelied, sondern Paul Gerhardts Liedpassion O Mensch, beweine deine Sünd, wo Irenäus von 29 Originalstrophen nur 3 übernommen hat. Aus heutiger Sicht sind unter den komplett gestrichenen Liedern – mit Ausnahme der von Luther verdeutschten Litanei und Hermans Osterlied Erschienen ist der herrlich Tag – keine prominenten Titel. Anders sieht es bei den Autoren aus. So finden sich unter den aussortierten Liedern auch solche namhafter Autoren wie z. B. Simon Dach, Nikolaus Herman, Johann Heermann oder Martin Opitz. Dagegen hat der konfessionelle Aspekt bei der Aus- bzw. Abwahl von Liedern keine erkennbare Rolle gespielt. Bei fünf ausgeschiedenen Liedern ist der Autor bzw. die Autorin unbekannt. Zusammenfassend halte ich fest, dass Irenäus vor allem erzählende und inhaltsverwandte Lieder eliminiert hat. Auch bei direkter (antirömischer) Konfessionspolemik war sie empfindlich. Sieben Lieder Johann Heermanns fielen der Straffung zum Opfer. Den brandenburgischen Dichterpfarrer Bartholomäus Ringwaldt hat Irenäus wohl nicht geschätzt; fünf seiner Lieder aus Runge wurden nicht übernommen. Andere Ringwaldt-Lieder sind stark gekürzt worden.39 Bei ihren Strophenkürzungen ist die Herausgeberin wohl denselben Prinzipien gefolgt wie bei der Liedauswahl. Während im Andachtsbuch 40 Titel aus Runge fehlen, hat Frau Irenäus keine Lieder neu aufgenommen. Womöglich gibt es eine Ausnahme: das Lied Da Jesus an dem Kreuzesstamm (Nr. 119, 9 Strophen). Hierbei handelt es sich um die Bearbeitung des alten Liedes von Johannes Böschenstein über die sieben letzten Worte am Kreuz Als Jesus an dem Kreuze stund durch einen unbekannten Verfasser. Lt. Bachmann stand dieses Lied nicht im Runge. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat Bachmann das Lied übersehen oder Irenäus ist 38 Vgl. FT I, Nr. 335. 39 Z. B. das Pestlied Ach lieben Christen, trauret nicht, wo Irenäus nur 6 von 16 Strophen übernommen hat. Da das Lied hier mit Originalstrophe 8 beginnt, lautet das Incipit: Gott weiß, was jedem nützlich sei (Nr. 293).

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hier tatsächlich von der ehernen Regel abgewichen und hat ein – wenn auch verwandtes – Lied neu in die Sammlung aufgenommen.40 Für letzteres könnte sprechen, dass Irenäus gelegentlich Zusatzstrophen bringt. Dieser Befund ergibt sich, wenn man das Andachtsbuch mit den Texten in 5PPM (1653) und Psalmodia Sacra (PS II , 1657) vergleicht.41 Dabei handelt es sich entweder um Originalstrophen, die in 5PPM oder PS II fehlen, oder um echte Zusatzstrophen aus lokalen Überlieferungen. Betroffen von solchen Vervollständigungen oder Erweiterungen sind etwa die Lieder Aus tiefer Noth (Nr. 54),42 Ihr Christen auserkoren (Nr. 95),43 O du mein Heiland, Jesu Christ 40 Zu diesem Lied teilt Fischer mit: „Passionslied über die 7 Worte Christi am Kreuz in 10 Str. (Mel. des Originals). – […] Das Lied, eine Ueberarbeitung des alten Passionsgesanges ‚Da Jesus an dem Kreuze stund‘ findet sich zuerst in dem Hannöverschen Gesangb. von 1646 und mag von einem der beiden Herausgeber desselben, Justus Gesenius oder David Denicke, herrühren. […] Aufgenommen: in Joh. Crügers Praxis piet. mel. seit 1656, in dessen Psalmodia sacra 1657.“ KLL I, 85. Runges Gesangbuch wird nicht erwähnt. – Im Vergleich mit Psalmodia Sacra Nr. 46, und Hannover 1646 (New Ordentlich Gesang-Buch, … Hannover, gedruckt und verleget von Johann Friederich Glasern (s. FT II 1905, Nr. 374, S. 383 f.) gibt es im Andachtsbuch zwei signifikante Abweichungen. Irenäus lässt die letzte Strophe aus (Verleih uns diß […]) und vereinfacht die 6. Strophe, indem sie den Rollenwechsel innerhalb der Strophe (Jesus – frommer Betrachter) eliminiert: „Zum fünften: O mein Gott, mein Gott! Wie läßt du mich so in der Noth Wie hast du mich verlassen. Das Elend, das ich leiden muß Ist über alle Maßen.“ Hannover 1646, Str. 10: „Verleih uns diß  / Herr Jesu Christ, Der du für uns gestorben bist: Gib daß wir deine Wunden, Dein Leyden, Marter, Creutz und Todt Betrachten alle Stunden.“ Hannover 1863, Nr. 164, 10 Strophen (ähnlich wie das vorige). Hannover 1881, Nr. 81, wie die vorigen, dort die Quellenangabe: „Hann. Gsb. 1646 nach Joh. Böschenstain g. 1472 † 1540.“ 41 Johann Crügers Psalmodia Sacra ist in zwei Teilen erschienen. Der erste Teil trägt den Titel „Psalmodia Sacra: Das ist: Des Königes und Propheten Davids Geistreiche Psalmen durch Ambrosium Lobwasser […]“ und ist erst in einer Ausgabe 1658 erhalten (DKL 1658 04). Der zweite Teil trägt den Titel „D. M. Luthers wie auch anderer gottseligen und Christlichen Leute Geistliche Lieder und Psalmen […] und liegt bereits 1657 vor (DKL I 165704). – Ich bezeichne im Folgenden die „Geistlichen Lieder und Psalmen“ als Psalmodia Sacra II (PS II) und nehme damit auf Elisabeth Fischer-Krückeberg Bezug, die zum Berliner Doppelgesangbuch „Psalmodia Sacra“ feststellt: „Der Titel des ersten Teiles ist zugleich der Haupttitel des ganzen Werkes.“ dies., Zur Geschichte der reformierten Gesangbücher etc., in: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte 25/1930, 156–180, 171. – Vgl. auch Schmidt, Bernhard: Johann Crügers Psalmodia Sacra (1657/58): ein Doppelgesangbuch für den reformierten Berliner Hof, in: Henkys, Albrecht / Korth, Hans-Otto /  Miersemann, Wolfgang (Hg.): Crüger 1622. Ein Berliner Kantor schreibt Musikgeschichte. Beeskow 2022, 207–224. 42 Hier erscheint – abweichend von 5PPM (Nr. 54) und PS II (wie Anm. 41, Nr. 135) – folgende trinitarische Schluss-Doxologie: „Ehr sei dem Vater und dem Sohn, Und auch dem heil’gen Geiste, Als es im Anfang war und nun, Der uns sein’ Gnade leiste, Damit wir gehen auf seinem Pfad, Daß uns das Böse nimmer schad; Wer das begehrt, sprech: Amen!“ Dieser Zusatz begegnet fast gleichlautend auch in den Hannoverschen Gesangbüchern (1684, Nr. 112; 1863, Nr. 524, dort als Zusatzstrophe mit * gekennzeichnet. Fast gleichlautend heißt, dass Irenäus die Zeile „Daß uns des teufels list nicht schad“ wie folgt entschärft hat: „Daß uns das Böse nimmer schad“. Fischer teilt zu dieser Strophe mit: „Die in vielen Gesangbüchern enthaltene Zusatzstrophe ‚Ehr sey Gott Vater und dem Sohn etc.‘ ist das Gloria, welches Ludwig Oeler im 2. Theil des Straßburger Kirchengesanges 1525 seiner Bearbeitung des 1. Psalms angefügt hat.“ (KLL I, 60). 43 Hier bringt Irenäus eine Finalstrophe, die das Lied Ihr Christen auserkoren von Georg ­Werner abschließend in die Wir-Form versetzt: „Drum wollen wir dich loben, O Jesu, mächt’ger Held; Daß du vom Himmel oben, Bist kommen in die Welt: Komm auch in uns’re Herzen, Und

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(Nr. 127),44 O Vater aller Frommen (Nr. 180),45 Zwei Ding’, o Herr (Nr. 194),46 Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort (Nr. 196).47 Bei den genannten Liedern handelt es sich überwiegend um echte Zusatzstrophen aus lokalen Überlieferungen (z. B. Nr. 54, 95, 180, 194). Doch es gibt auch andere Fälle: Heermanns Sterbelied Lasset ab, ihr meine Lieben (Nr. 303) bringt Irenäus gegenüber 5PPM und PS II komplett.48 Und bei Paul Gerhardts Pfingstlied Zeuch ein zu meinen Thoren (Nr. 149 [sic: „meinen“]) bietet das Andachtsbuch sämtliche 16 Strophen, die überliefert sind.49 Geht man allgemein von einem ähnlichen Lied-, Strophenbleib drin für und für; Daß weder Freud’ noch Schmerzen Uns trennen mag von dir.“ Die Strophe stammt lt. Hannover 1881, Nr. 45, aus dem Hannoverschen Gesangbuch 1657. In dem mir vorliegenden Gesangbuch, Hannover 1684, Nr. 53, lautet die Strophe: „Drum wir auch nun dich loben Jesu zweystämmger Held / Daß du vom Himmel oben Bist kommen in die welt. Komm auch in unser hertze / Und bleib drinn für und für / Daß weder freud noch schmertze Uns trennen mag von dir.“ Das Lied steht in 5PPM, Nr. 103 (4 Str.), fehlt aber in PS II (wie Anm. 41). Vgl. auch FT III, Nr. 48, S. 34 f. nach PPM 1648, Nr. 80 (4 Str.). 44 Vgl. die Liedstrophe in FT II, Nr. 124, 119. FT gibt als Quelle PPM 1648, 225, an. Fischer (KLL II, 141) mutmaßt Georg Werner als Verfasser bzw. als Übersetzer. Fischer vermutet, dass das Lied bereits im Königsberger Gesangbuch 1543 enthalten war und bestätigt, dass die Strophe im Runge stand. – Woher allerdings die individualisierende Zusatzstrophe stammt: „Auch ich, in Kummer Noth und Schmerz Ward einst mit Galle getränket Der Hohn und Spott zerriß mein Herz Ich wurde schwer gekränket. O Heiland hilf mir, daß ich kann Vergeben All’ und Jedermann“, ist unklar. Das Lied steht einstrophig in 5PPM, Nr. 157, fehlt aber in PS II (wie Anm. 41) und in den Hannoveraner Gesangbüchern. 45 Im Vergleich mit 5PPM, Nr. 251, und PS II (wie Anm. 41), Nr. 105, bietet das Andachtsbuch noch eine zweite Strophe, die die Vaterunser-Doxologie aufnimmt („Denn dein, Herr, ist die reiche und auch die große Kraft…“). Lt. Fischer im KLL II, 207, und PPMEDW I/2, 198, Nr. 294, ist der Verfasser von O Vater aller Frommen unbekannt. Nach Fischer steht die doxologische Strophe zuerst in Nürnberg 1607 und 1611, später auch in Erfurt 1648. Ob sie schon bei Runge stand oder woher Irenäus sie genommen hat, ist unklar. In FT fehlt das Lied. 46 Ein Lied von Paul Eber, vgl. KLL II, 423, und PPMEDW I/2, Nr. 314, 209. Zusatzstrophe 7 lautet bei Irenäus: „Und wenn vorhanden ist mein End’, Nimm meine Seel’ in deine Händ’, Gieb mir und allen Christen gleich Das ew’ge Leben in deinem Reich.“ 5PPM Nr. 270 und PS II (wie Anm. 41) Nr. 271, haben je 6 Strophen. Lt. KLL II, 423, erscheint diese Strophe zuerst im Leipziger Gesangbuch (Beyer) von 1582. Fischer bestätigt, dass das Lied bei Runge stand, aber nicht, mit wie vielen Strophen. Bei dem gleichnamigen, 6-strophigen Gesang eines unbekannten Verfassers in FT I, Nr. 146, handelt es sich um eine abweichende Version des Eber-Liedes. 47 Dazu s. u. zu Anm. 101/102. 48 Vgl. PPM 1640, Nr. 230, 5PPM, Nr. 434, und PS II (wie Anm. 41), Nr. 281, je 10 Strophen. Andachtsbuch, Nr. 303, hat 12 Strophen. Str. 4: „Richtig hab ich stets gewandelt, Dies Lob Jedermann mir giebt; Redlich vor der Welt gehandelt, Niemals Heuchelei geliebt. Ja war Ja bei mir, Nein, Nein, Mund und Herze stimmten ein, Das Recht hab ich nicht gebeuget, Wie es mein Gewissen zeuget.“ Str. 5: „Gottes Wort und reine Schriften Liebt ich über alles Gold; Durch nichts ließ ich mich vergiften, Was damit nicht stimmen wollt. Eigner Witz und Menschentand Hält in Noth und Tod nicht stand: Christi Wort vor allen Dingen Kann in Angst Erquickung bringen.“ FT I, Nr. 360, bringt alle 12 Strophen. Julius Mützell, Geistliche Lieder der evangelischen Kirche, 1. Bd., Braunschweig 1858, Nr. 98, 131 f., teilt mit, dass die Str. 4–5 bei Crüger u. a. fortgelassen sind. KLL II, 22 f. bestätigt, dass Runge das Lied hatte, verschweigt aber die Strophenzahl. – In den Hannoveraner Gesangbüchern fehlt das Lied. 49 Vgl. FT III, 343–345. Im Andachtsbuch sind nach Str. 8 (Du, Herr, hast selbst in Händen) drei Strophen eingeschaltet (Ach edle Friedensquelle, O laß dein Volk erkennen, Auf Buße folgt der Gnaden-, auf Reu der Freudenblick), dann folgen die Strophen Erhebe dich und steure, O wolle

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und Textbestand bei Runge, 5PPM (1653) und PS II (1657) aus, dann müssen die o. g. Zusatzstrophen auf Irenäus’ Redaktion zurückgehen. Das betrifft offenbar auch das Neujahrslied Das alte Jahr vergangen ist (Nr. 108), bei dem Irenäus eine von 5PPM und Runge abweichende Strophenfolge präsentiert.50 Generell zeigen die mutmaßlichen Zusatzstrophen einerseits die Intention zur Verbesserung der spirituellen Gebrauchsfähigkeit, indem einstrophige Gesänge eine Partnerstrophe erhalten (Nr. 127, 180), andererseits die Intention zur Abrundung der Lieder, sowohl in liturgischer (Nr. 54, 95, 180, 194, 196) als auch in theologischer Hinsicht, indem die subjektive Betroffenheit und Aktivität des gläubigen Menschen verstärkt wird (Nr. 127, 194, 303). Dass man bei den Zusatzstrophen immer wieder auf Hannoveraner Sonderüberlieferungen stößt (Nr. 54, 95, 108, 180), kann nicht überraschen. Zu den Besonderheiten der Anordnung und des Liedbestandes im originalen Runge-Gesangbuch hat Bachmann das Nötige gesagt, nämlich dass Runge mit den Tagzeitenliedern beginnt, dass im Vergleich mit Crügers Gesangbuch von 1640 fast alle lateinischen Gesänge fehlen,51 und dass Runge zum Wohlgefallen seiner Auftraggeberin viele Lieder reformierter Autorinnen und Autoren aufgenommen hat. Wie schon erwähnt, hat der innerprotestantische Proporz für Irenäus keine Rolle mehr gespielt. Zu den genannten Liedern reformierter Autorinnen und Autoren zählen diejenigen, die der Kurfürstin Luise Henriette zugeschrieben wurden. Irenäus hat sie weitgehend unverändert aufgenommen. Hier haben uns Fischer und Tümpel glücklicherweise die Originalversionen des Runge überliefert.52 In ihrem Vorwort (S. XV) plädiert Frau Irenäus energisch auf Anerkennung der Autorinnenschaft der Kurfürstin für die Lieder Ich will von meiner Missethat (Nr. 44), Jesus, meine Zuversicht (Nr. 136),53 Gott, der Reichthum deiner Güte Schutz verleihen auch unsrer Fürsten Thron (orig. Beschirm die Policeyen), Erfülle die Gemüther, Gieb Freudigkeit und Stärcke und schließlich Richt unser ganzes Leben. Es ist zu prüfen, ob diese Strophenfolge, die auch Eberhard von Cranach-Sichart (Hg. von: Paul Gerhardt. Wach auf, mein Herz, und singe. Vollständige Ausgabe seiner Lieder und Gedichte. Wuppertal 32007, 111–114), bietet, noch anderswo begegnet. Runge hatte sie offenbar nicht. KLL II, 417 teilt mit, dass die Strophe Gieb Freudigkeit und Stärcke bei Runge fehlte. 5PPM, Nr. 190, weist dieselbe Folge der 12 Strophen auf wie FT ohne die drei o. g. eingeschalteten Strophen und ohne Gieb Freudigkeit und Stärcke. In PS II (wie Anm. 41) fehlt das Lied. 50 Das Andachtsbuch (Nr. 108) hat 6 Strophen, dabei lauten die Strophen 1–2 so ähnlich wie in 5PPM (Nr. 121) und in PS II (wie Anm. 41, Nr. 31), dann geht es anders weiter. 5PPM und PS II haben jeweils 6 Strophen. Hier handelt es sich wiederum um eine Hannoveraner Sondertradition aus dem Gesangbuch von Gesenius und Denicke 1648, vgl. KLL I, 89. Der Verfasser der ersten zwei Strophen ist unbekannt. Vgl. FT II, Nr. 373, S. 383 (dort lautet allerdings Str. 6: Durch dein verdienst / durch deinen tod bei Irenäus: Durch deine Lieb’, durch deinen Tod. Lt. KLL hat die PPM-Fassung so auch im Runge gestanden. 51 Vgl. Bachmann, Johann Friedrich: Zur Geschichte der Berliner Gesangbücher (wie Anm. 1), 36 ff. Darüber hinaus hat Irenäus auch die Litanei Kyrie eleison hinauskomplimentiert. – Der Vergleich mit Crüger 1640 rührt daher, dass Bachmann 2PPM erst 1863 „entdeckt“ hatte. 52 Vgl. FT V, Nr. 647–650. 53 Bei Irenäus und offenbar schon bei Runge steht das Lied unter den Osterliedern, in PS II (wie Anm. 41, Nr. 311) bei den Sterbeliedern.

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(Nr. 174) und Ein ander stelle sein Vertrauen (Nr. 235). Damals war die Diskussion darüber noch im Gange. Heute kann das Urteil von Siegfried Fornaçon, der die genannten Lieder, insbesondere Jesus, meine Zuversicht Luise Henriettes Beichtvater, Kanzler Otto von Schwerin, zuschreibt, vorläufig als abschließend gelten.54 Bezüglich der Paul-Gerhardt-Lieder bleibt festzuhalten, dass von den insgesamt 37 Titeln, die Runge lt. Bachmann enthielt,55 die auch alle im Andachtsbuch stehen, 20 erstmals 1653 erschienen sind, während 17 Lieder bereits in 2PPM 1647 standen.56 Bei den 20 neu aufgenommenen handelt es sich um folgende Gedichte: Lobet den Herren alle, die ihn fürchten, Wie soll ich dich empfangen, Warum willst du draußen stehen?, Nun lasst uns gehn und treten, Zeuch ein zu deinen [Irenäus: „meinen“] Thoren, Du, meine Seele, singe, Ich singe dir mit Herz und Mund, Der Herr, der aller Enden, Warum sollt ich mich denn grämen?, Wohl dem Menschen, der nicht wandelt,57 Gott ist mein Licht, der Herr mein Heil, Wohl dem, der den Herren scheuet, Wie der Hirsch in großen Dürsten, Herr, der du vormals hast dein Land, Ist Ephraim nicht meine Kron?, Schwing dich auf zu deinem Gott, Was Gott gefällt, mein frommes Kind, Wie ist so groß und schwer die Last, Nun ist der Regen hin58 und Die Zeit ist nunmehr nah. Alle diese Titel stehen auch in der 1653 erschienenen fünften PPM-Ausgabe,59 die darüber hinaus noch weitere 45 Paul-Gerhardt-Lieder enthält. Dieser Befund legt tatsächlich nahe, damit zu rechnen, dass Runges Gesangbuch vor der 5PPM erschien, so dass es sich bei den oben genannten Liedern um die Erstveröffentlichung handeln dürfte. Andernfalls müsste man erklären, warum Runge die bereits veröffentlichten Gerhardt-Lieder abgelehnt haben sollte. Zwar sind wir dank Fischer und Tümpel (wie Anm. 2) in der glücklichen 54 Fornaçon, Siegfried: Jesus, meine Zuversicht, in: Musik und Gottesdienst. Zeitschrift für evangelische Kirchenmusik 31 (1977), 109–119. Diesem Urteil schließt sich jetzt auch Eberhard Cherdron an: Jesus, meine Zuversicht, in: Höppner, Bernd / Cherdron, Eberhard / Wittmann, Dieter: Jesus, meine Zuversicht. 3 Studien. Books on Demand: Norderstedt 2020, 34–143, 80. Zuvor allerdings hat Lukas Lorbeer diese Autorenzuschreibung als „nicht belegbare Hypothese“ bezeichnet, in: Alpermann, Ilsabe / Evang, Martin (Hg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch, Heft 26. Göttingen 2020, 91. 55 Vgl. die Titel bei Bachmann, Johann Friedrich: Zur Geschichte der Berliner Gesangbücher (wie Anm. 1), 41 f. 56 Nur das Lied O Gott, mein Schöpfer, edler Fürst aus PPM 1647 hatte Runge nicht übernommen. In seinem Vortrag „Paul Gerhardt. Ein Vortrag im evangelischen Verein für kirchliche Zwecke“, Berlin 1863 (https://t1p.de/casy3; Abruf 11.5.2023), teilt Bachmann die 18 Paul-­GerhardtGedichte im Wortlaut der 2PPM 1647 mit, welche ihm noch vorlag. Zu diesen Gedichten gehört nicht Gott Vater, sende deinen Geist, das Wikipedia fälschlicherweise in seiner Liste führt, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Praxis_Pietatis_Melica (Abruf 11.5.2023). 57 Die Mitteilung, dass dieses Lied bereits in Crüger 1640 stand, siehe PPMEDW II/2, 276, stellt wohl ein Versehen dar. 58 Die Information, dass dieses Lied erstmals in 7PPM (Berlin 1657) steht, siehe PPMEDW II/2, 196), ist wohl ein Versehen, vgl. aber 5PPM, Nr. 411, S. 790. 59 Danach bringt sie auch FT III, S. 295–449, Nr. 380–495. Freilich sind Runges Varianten sorgfältig verzeichnet, so dass Textvergleiche zwischen Runge und Irenäus angestellt werden können.

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Lage, Runges Textrezensionen rekonstruieren zu können, doch fällt bei deren Vergleich mit den Textfassungen im Andachtsbuch auf, dass Frau Irenäus sich bei den Paul-Gerhardt-Liedern eher an den von Ebeling herausgegebenen Geistlichen Andachten als an Runge orientiert hat.60

Zur Textgestalt der Lieder Viele Lieder im Andachtsbuch sind bis in die Schreibweise hinein identisch mit den Texten, die vermutlich auch Runge hatte, doch nicht alle. Zur Identifizierung der Textgestalten ist methodisch so vorzugehen, dass zunächst geprüft wird, ob Fischer / Tümpel (wie Anm. 2) Runges Textfassung dokumentiert hat, andernfalls müssen Textvergleiche mit den Liedern der ebenfalls 1653 herausgekommenen 5PPM oder mit den wenig später erschienenen „Geistlichen Liedern und Psalmen“ (PS II 1657) angestellt werden. Ein systematischer Vergleich aller Runge-Texte aus Fischer / Tümpel mit den Texten des Andachtsbuches steht noch aus. Allerdings hat eine Stichprobe der 42 Lieder, die zum Weihnachtsfestkreis gehören, gegenüber den entsprechenden Titeln in 5PPM 1653 eine relativ hohe Texttreue bestätigt.61 Nur zwei Lieder weichen bei der Strophenzahl ab.62 Freilich müssen Textänderungen nicht von Irenäus selbst stammen. Sie kann sie beispielsweise auch einem der zeitgenössischen Hannoveraner Gesangbücher entnommen haben.63 Viele Textabweichungen lassen sich als redaktionelle Änderungen einordnen, doch es gibt auch inhaltlich bedingte. Generell können inhaltlich bedingte Textumbildungen zwei Ursachen haben: Entweder gehen sie bereits auf Runge zurück (Typ I) oder Frau Irenäus hat die entsprechenden 60 Vgl. FT III, S. 296: Pauli Gerhardi Geistliche Andachten etc. Hervor gegeben und verlegt von Johann Georg Ebeling 1666 f./1669. – Zwei Beispiele von vielen: In dem Lied über Ps 112 Wohl dem, der den Herren scheuet FT III, Nr. 431, Andachtsbuch Nr. 222 liest Irenäus in Str. 5 Wie ein Täublein in der Kluft statt mit 5PPM und Runge: Wie ein vöglein in der klufft. Oder: In dem „Kreuz- und Trostlied“ Was Gott gefällt, mein frommes Kind (FT III Nr. 446, Andachtsbuch Nr. 261) entscheidet sich Irenäus in Str. 19 für Ebelings Textfassung: „Der Glaub’ ergreift des höchsten Huld, Die Hoffnung bringt und schafft Geduld“ gegen die Lesart von 5PPM und Runge: „Glaub, hoffnung, sanftmuth und gedult Erhalten Gottes gnad und huld.“ Auch die Lesart Zeuch ein zu meinen Thoren findet sich bei Ebeling. 61 Runges Lesarten sind von FT nur bei den Paul-Gerhardt-Liedern dokumentiert. 62 Nr. 95 Ihr Christen auserkoren von Georg Werner hat im Andachtsbuch 5 Strophen, in 5 PPM (Nr. 103) und FT III, Nr. 48 nur 4 Strophen (vgl. Anm 37). – Ein Kind geborn zu Bethlehem hat im Andachtsbuch, Nr. 99, 7 Strophen, 5PPM (Nr. 110) hat 9 Strophen, vgl. KLL II, 223 (Puer natus in Bethlehem). 63 Ich gehe – da Caroline Irenäus Hannoveranerin war – von dieser Arbeitshypothese aus, wenn es textliche Übereinstimmungen mit einem der folgenden Gesangbücher gibt: Lünebur­ gisches Kirchen-Gesang-Buch nebst einem Gebet-Buche, Lüneburg 185215 (Staatsbibliothek Berlin, Signatur 50MA46628). Die Ausgabe von 1876 ist in Lied- und Textbestand identisch (ebd. Signatur Hb 3179M). Hannoversches Kirchen-Gesangbuch, Hannover o. J. [1863] (ebd. Signatur El 8058). Und Evangelisch-lutherisches Gesangbuch der Hannoverschen Landeskirche: Entwurf zur Vorlage an die Landes-Synode bestimmt (ebd. Signatur Hb 2861D).

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Änderungen vorgenommen bzw. auf vorhandene abweichende Lesarten zurückgegriffen (Typ II). Typ I beinhaltet die Abänderungen aus konfessionellen Gründen. Hier kann ich vorläufig nur zwei Beispiele bringen, allerdings zwei prominente. In der Rubrik Katechismusgesänge präsentiert Runge drei Dekalog-Lieder, darunter die Lutherlieder Dies sind die heilgen zehn Gebot und Mensch, willst du leben seliglich. Erstaunlicherweise bietet das erste – wie später auch Psalmodia Sacra II 1657, Nr. 96 – eine Zusatzstrophe mit dem Bilderverbot: „Kein ebenbild solt machen dir / Noch einen Gottsdienst tichten dir / Daß meinem zorn du und dein kind Entflieht / und gnad für mich findt. Kyrieleis.“64 Diese Zugabe muss als ein theologisches Zugeständnis Runges an die Widmungsträgerin sowie an die reformierten Nutzerinnen und Nutzer verstanden werden. Ausdrücklich sei vermerkt, dass das Bilderverbot in den beiden anderen Liedern fehlt.65 Erwartbar beginnt das Vaterunserlied im Andachtsbuch Unser Vater im Himmelreich (Nr. 179). Dieses Incipit war schon Bachmann aufgefallen.66 Freilich handelt es sich hier gar nicht um Luthers Vaterunserlied,67 sondern um das Lied: „Unser Vater im Himmelreich, Wir, dein’ arm’ Kinder allzugleich“.68 Ob sich bereits Runge für dieses Lied entschieden hatte oder ob Irenäus das Lied ausgetauscht hat, ist schwer zu sagen. Bachmann schweigt. Da er die Zusatzstrophe im 10-Gebote-Lied nicht bemerkt zu haben scheint, könnte ihm auch diese Merkwürdigkeit entgangen sein. Andernfalls fragt man sich, was Irenäus veranlasst haben sollte, Luthers Klassiker gegen dieses weitgehend unbekannte und schwächere Lied zu ersetzen? Eine weitere Eigentümlichkeit besteht in der Auslassung der 8. Strophe (Führ uns aus diesem Jammerthal). Handelt es sich um ein Versehen oder um bewusste Eliminierung? Während die letzte Frage kaum zu entscheiden ist, plädiere ich bei der ersten für die Übernahme des Liedes aus dem Runge. Runge könnte seinerzeit dem konfessionellen Symbolstreit um „Vater unser“ vs. „Unser Vater“ durch die Aufnahme eines anderen Liedes ausgewichen sein. 64 Schreibweise nach PS II (wie Anm. 41), Nr. 96. Wo die Strophe herkommt und wo sie zum ersten Mal auftaucht, konnte ich noch nicht ermitteln. Stichproben in älteren reformierten Gesangbüchern bei Google Books ergaben jedoch, dass die Strophe hier nicht zum ersten Mal begegnet, vgl. z. B. Psalmen Davids nach Frantzösischer Melodey etc., Neustadt an der Hardt 1594, S. 67, oder Psalmen Davids etc. Amberg 1608, S. 612. 65 Vgl. auch Schmidt, Bernhard: Johann Crügers Psalmodia Sacra (wie Anm 41), 207–224, 217. – Wie ich jetzt erfuhr, hatte diese Beobachtung vor mir schon Eberhard Cherdron gemacht, in: Ein ‚Berliner Doppelgesangbuch‘. Bezüge zur Pfalz, in: Blätter für Pfälzische Kirchengeschichte. 83 (2016), 81–91, 88. 66 Vgl. Bachmann, Johann Friedrich: Zur Geschichte der Berliner Gesangbücher (wie Anm. 1), 45. 67 So aber in 5PPM, Nr. 249, und PS II (wie Anm. 41), Nr. 104. 68 Die Informationen über das Lied sind verwirrend. Vgl. Tucher, Gottlieb Freiherr von: Schatz des evangelischen Kirchengesangs, 1848–1867, 1. Teil, Nr. 350, S. 221 f. Lt. W IV, Nr. 686 stammt das Lied von Johannes Leon. – Nach PPMEDW II/2, 245, erscheint das Lied in der PPM erstmals 1703 in Hamburg, dann 1713 in Lübeck. Es scheint also vorrangig in Norddeutschland rezipiert worden zu sein. In KLL fehlt das Lied.

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In diesem Zusammenhang blickt man auch gespannt auf Luthers Abendmahlslied Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Gotteszorn wandt (Nr. 182), dessen 2. Strophe je nach Konfession unterschiedlich überliefert wurde.69 Irenäus bringt die originale Lutherversion, so dass wir nicht wissen, ob sie darin Runge gefolgt ist, oder – hier wahrscheinlicher – den „Urtext“ wiederhergestellt hat. Typ II sind die mutmaßlich durch Frau Irenäus veränderten Texte. Im Vorwort (S. XVf.) schreibt sie: „Wo eine Aenderung der Ausdrucksweise, die unsern heutigen Sprachbegriffen unanpaßbar war, geboten schien, ist sie mit äußerster Vorsicht vollzogen.“ Solche „Aenderungen der Ausdrucksweise“, die keineswegs immer gelungen sind, lassen sich vielfach belegen. Es gibt verschiedene Sorten. Zum einen Änderungen, die primär sprachlich bedingt sind, die eine „Veredlung“ des Ausdrucks, die Abschwächung von barocker Körperlichkeit und drastischer Ausdrucksweise, aber auch Modifizierung von Sprachbildern bezwecken. Gern hat Frau Irenäus bei Marien-Strophen Hand angelegt und die oft sehr direkten Quellentexte verwässert und entmaterialisiert. Einige Beispiele: In Hermans Weihnachtslied Lobt Gott, ihr Christen, allzugleich (Nr. 90) heißt es in Strophe 4: „Er ligt an seiner mutter brust / Ihr Milch die ist sein speis / An dem die engel sehn ihr lust / Dann er ist Davids reis.“70 Irenäus: „Er liegt an seiner Mutter Brust, Sie pfleget sein mit Fleiß“. In Ein Kind geborn zu Bethlehem heißt es in Strophe 5 über Maria: „Sein Mutter ist die reine magd / Die ohn einn mann geboren hat“,71 bei Irenäus buchstäblich vergeistigt: „Sein’ Mutter ist die reine Magd, Die ihn aus dem Geist geboren hat“ (Nr. 99,4). In Luthers Christum wir wollen loben schon (Nr. 89)72 lautet Strophe 4 im Original: Von Gottes Wort man schwanger fand, bei Irenäus: Von Gottes Wort erfüllt man fand. All die genannten Weihnachtslieder fehlen in den Hannoverschen Gesangbüchern. Beispiele für die Eliminierung drastischer Ausdrücke sind: Das Incipit von Johann Heermanns Lied „Ein toller Hund, der viel macht wund und pflegt unschuldigs Blut in sich zu saufen“ aus der Rubrik „Flucht nach Ägypten“ wird abgemildert zu: „Der tolle Wahn, der ihn umfah’n, Und ihn vermocht schuldlos 69 Diese lautet: „Daß wir nimmer es vergessen, Gab er uns sein’n Leib zu essen, Verborgen im Brote so klein, Und zu trinken sein Blut im Wein.“ Vgl. dazu Cherdron, Eberhard: Die Abendmahlslieder im reformierten Berliner Gesangbuch 1657/58, in: Ders. Kirchen-Musikalisches. Studien I (2020), 78–108, 89 f. Die reformierte Fassung finden wir in PS II (wie Anm. 41), Nr. 111. Hier fehlt der Ausdruck „verborgen im Brote so klein.“ In dieser Textdifferenz drückt sich der alte Streit um den Satz „finitum (non) est capax infiniti“ aus, vgl. zur innerprotestantischen Kontroverse um das Abendmahl und das sog. Extra Calvinisticum im 16./17. Jh. bei Koch, Ernst: Das konfessionelle Zeitalter (Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen II/8). Leipzig 2000, 211–319, 231–234. Interessant: Das Hannoversche Gesangbuch 1863, Nr. 434, bringt zur Stelle „Verborgen, im brot so klein“ folgende Anmerkung: „Das ist: Christus giebt uns mit und unter dem gesegneten, wenigen oder kleinen brote seinen wahren leib auf eine verborgene und geheimnißvolle weise zu essen.“ Lüneburg 1876, Nr. 434,2 und Hannover 1881, Nr. 208,2 lesen: „Daß wir nimmer deß vergessen, Läßt er seinen leib uns essen Mit dem brot, und uns zu gut Auch trinken mit dem wein sein blut.“ 70 5PPM, Nr. 95. 71 5PPM, Nr. 110, 9 Strophen. 72 Luthers Lied heißt Christum wir sollen loben schon, vgl. 5PPM, Nr. 94.

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Blut zu vergießen“ (Nr. 114).73 Auch an Luthers Christ lag in Todesbanden hat sich Irenäus herangewagt. In Strophe 5 redigiert sie auf Kosten des Reims, nicht eben zum Vorteil des Liedes: „Hier ist das rechte Osterlamm, Davon Gott hat geboten, Das ist hoch an dem Kreuzesstamm In heißer Lieb’ verblutet.“74 In Johann Rists Osterlied Lasset uns den Herren preisen (Nr. 133) lautet Strophe 4 im Andachtsbuch: Tod! Wo sind nun deine Waffen? Hölle! Wo ist dein Triumph? Satan kann nun nichts mehr schaffen, Seine Pfeile wurden stumpf. Seine Macht ist nun gewesen, Christus nicht die Seinen läßt; Welt und Sünde liegen fest, Und wir Menschen sind genesen, Singe nun durch Christi Streit: Freue dich, o Christenheit!“75 Noch einmal Rist: In O Ewigkeit, du Donnerwort wird der Ausdruck „Ach fliehe doch des teufels strick / die wollust kan ein Augenblick / Und länger nicht ergötzen“ (10. Strophe) abgeschwächt zu: „… Die Lust kann einen Augenblick…“ (Nr. 333,7).76 In Strophe 15 heißt es im Original Da mehr denn tausent hencker seyn, hingegen bei Irenäus blass: Wo mehr denn tausend Plagen sein. Wo Paul Gerhardt in seinem Adventslied Warum willst du draußen stehen? drastisch wird: „Fall ich vollends in den Kot“, bügelt Irenäus ab: „Geh ich vollends in den Tod“ (Nr. 78,4).77 Ähnlich in dem Friedenslied Wie ist so groß und schwer die Last (Nr. 269,17), wo Gerhardt das Leiden des Krieges realistisch beschrieben hatte („Wir sind an bösen wunden kranck, Voll eyter, striemen, koth und stanck“), ist C. Irenäus nichts besseres eingefallen als Wir leiden schon so lang, so lang.78 Auch in dem Kurfürstin Luise Henriette zugeschriebenen Gott, der Reichtum deiner Güte (Nr. 174) verwässert Irenäus. Über die irdische Welt heißt es in Strophe 9: „Daß mir ihre Herrlichkeit Ihre Zier und falsche Lust Sei mir nur ein öder Wust“ statt: „Daß mir ihre herrlicheit / Ihre zier und falsche lust / Sey ein lauter stank und wust“.79 Häufig ist eine Mäßigung barocker Lebendigkeit und Dämpfung barocker Lebensfreude zu beobachten. So wird z. B. in Rists Weihnachtslied Ermuntre dich, mein schwacher Geist der plastische Ausdruck „zu springen in die Welt hinein“ (Str. 3) durch das farblose „kommen“ ersetzt.80 Während diese Variante auch andernorts begegnet, dürfte die folgende von Irenäus stammen. In Weil unser Trost Herr Jesu Christ (Nr. 137) ist die hüpfende Sonne zurückgenommen. 73 5PPM, Nr. 130. Vgl. FT I, Nr. 367. In Hannover 1863 nicht enthalten. 74 5PPM, Nr. 161. In Hannover 1863, Nr. 180, unverändert. 75 5PPM, Nr. 166, Str. 4: „Tod / wo sind nu deine waffen? Hölle / wo ist dein triumph? Satan kunte gar nichts schaffen / Seine pfeile wurden stumpf / Christus ist sein gift gewesen / Ja der Höllen seuch und pest / Welt und Sünde ligen vest / Und wir menschen sind genesen / Nur durch seinen dapffern streit. Freue dich / o Christenheit.“ So auch in FT II, Nr. 187. In Hannover 1863, Nr. 185, unverändert. 76 5PPM Nr. 487 (12 Strophen), vgl. FT II, Nr. 204. Diese Änderungen begegnen auch in Hannover 1863, Nr. 943. 77 5PPM, Nr. 82. Vgl. FT III, Nr. 402. Die nächsten drei genannten Lieder sind in den Hannoveraner Gesangbüchern nicht enthalten. 78 5PPM, Nr. 389, vgl. FT III, Nr. 452. 79 Vgl. PS II (wie Anm. 41), Nr. 230, 9. Strophe. Vgl. FT V, Nr. 649. 80 5PPM, Nr. 87. Vgl. auch FT II, Nr. 184. Diese Lesart hat allerdings auch Hannover 1863, Nr. 66,3. Und Hannover 1881, Nr. 46,3.

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Strophe 2: „Da Jesus Christ, Mariens Sohn, Aufstehet, scheint die Ostersonn’“, statt: „Aufstehet / hüpft die liebe Sonn“.81 Oft werden auch Diminutive aufgelöst, z. B. in Lobt Gott, ihr Christen (Nr. 90, Strophe 7): „O treuer Jesu mein“, statt: „das hertze Jesulein“.82 Oder im Adventslied Freu’ dich du werthe Christenheit, wo es im Andachtsbuch Nr. 80, Strophe 3 heißt: „Ihr Herz so rein, so keusch und rein“ statt: „Das Jungfräulein so keusch und rein.“83 Die Bearbeitungsergebnisse können selten befriedigen. Gelegentlich gibt es auch sprachliche Anpassungen in Bezug auf die Person des Widmungsträgers, Kaiser Wilhelm I. Ein Beispiel: Im Neujahrslied Nr. 106 (Nachdem die Sonn’ beschlossen) heißt es in Strophe 6: „Den Kaiser uns behüte, Den Geist der Weisheit send’, Bescher’ durch deine Güte, Gottselig Regiment, Verleih daß er und wir mit wahrer Lieb dich stillen“, dagegen steht in 5PPM und sicher schon bei Runge: Die Herrschaft auch behüte.84 Überhaupt habe ich beobachtet: Wo in Liedern vermeintlich eine pauschale Herrschafts- bzw. Obrigkeitskritik geübt wird, ist gleichsam zensierend eingegriffen. In Michael Schirmers Adventslied Nun jauchzet all ihr Frommen sind die negativ konnotierten Potentaten durch Ihr Mächtigen auf Erden! ersetzt (Nr. 75,4). Begegnet diese Retusche auch andernorts,85 so könnten die folgenden wiederum von Irenäus selbst stammen:86 Das Incipit Der große Kriegs- und Siegesheld ist ohne Rücksicht auf das Versmaß abgeändert zu Kaiser Augustus, der große Held (Nr. 86).87 Luthers Titel Was fürchst du feind Herodes sehr ist abgeschwächt zu Was fürchtest du Herodes sehr? (Nr. 110).88 Auch in Heermanns Epiphaniaslied Als Christ, der Herr, zu Bethlehem (Nr. 111) ist am Ende der 11. Strophe der „Bluthund“ durch den Namen Herodes ersetzt.89 Hier fallen wohl Sprach- und Inhaltskritik auf der einen sowie loyale Selbstzensur auf der anderen Seite zusammen. Wo Frau Irenäus selbst Hand angelegt hat und wo sie auf vorhandene Bearbeitungen zurückgegriffen hat, lässt sich oft schwer sagen. Vorläufig gehe ich davon aus, dass sie bei selteneren Liedern wie z. B. den oben genannten (Nr. 86, 110, 111) selbst tätig geworden ist, wie auch das Vorwort nahelegt. Dagegen dürfte sie bei verbreiteten Liedern auf bereits vorhandene Textvarianten zurückgegriffen haben, vgl. Nun jauchzet all ihr Frommen. Ein weiteres Beispiel für diese Praxis stellt das beliebte Abendmahlslied von Johann Franck Schmücke dich, o liebe Seele (Nr. 184) dar. Wegen der unverhohlen erotischen Anspielungen (z. B. „Komm / mein Liebster / laß dich küssen / Laß mich deiner nit mehr 81 5PPM, Nr. 170. 82 5PPM, Nr. 95. Das Lied fehlt seltsamerweise in Hannover 1863/Lüneburg 1876. Hannover 1881, Nr. 41,7 hat den O-Ton. Auch das vorgenannte und die beiden nachgenannten Lieder stehen nicht in den Hannoveraner Gesangbüchern, so dass hier von Irenäus’ Redaktion auszugehen ist. 83 5PPM, Nr. 86. 84 5PPM, Nr. 119. 85 Z. B. in Hannover 1863, Nr. 58,4, und Hannover 1881, Nr. 25,4. Vgl. aber FT III, Nr. 504. 86 Die Lieder Andachtsbuch Nr. 86, 110 und 111 fehlen in den Hannoveraner und Lüneburger Gesangbüchern. 87 5PPM, Nr. 91. 88 5PPM, Nr. 125. 89 5PPM, Nr. 126. Vgl. auch FT I, Nr. 372.

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missen“) war der Liedtext seit dem 18. Jh. umstritten. Irenäus bediente sich hier möglicherweise einer Textversion, die z. B. auch im Hannoverschen Gesangbuch von 1863 stand.90 Immer wieder sind auch dogmatisch bedingte Abwandlungen zu beobachten, vor allem die Substitution mythologischer Bilder und Ausdrücke wie Hölle, Teufel usw.,91 wohl oft, um die zeitgenössische Rezeption nicht zu hemmen. So wird z. B. in der 4. Strophe des Engelsliedes Herr Gott dich loben alle wir (Nr. 159) der Ausdruck „Der alte drach und böse feind“ umgeformt zu: „Zu schützen uns vor’m bösen Feind, Der uns zu schaden wohl vermeint.“92 Allzu wunderhafte Ausdrücke oder Bilder werden gern entmythologisiert. So heißt es etwa in Rists Osterlied Lasset uns den Herren preisen (Nr. 133) in Strophe 3: „Und nach dreier Tage Frist Bist du, Herr zurückgekommen, Hast das Leben und die Macht Aus dem Grabe mit gebracht“ statt: „Bist du aus der Erden kommen / Hast das leben und die macht Aus der grufft herwieder bracht.“93 Wie so oft muss auch in diesem Lied die Hölle weichen, dafür gibt es die Sünde doppelt (!), vgl. Strophe 10: „Ueberwinde Sünde, Tod, Teufel, Welt und Sündennoth“ (statt höllennoth). Ähnlich in dem Osterlied Also heilig ist der Tag (Nr. 141), wo die Passage „Der die Hölle überwand / Und den leidigen teufel darin band“ ersetzt wurde durch: „Denn der einig Gottes Sohn, Der die Sünd’ überwand, Als er den bittern Tod überwand“94, wodurch der Teufel gleich mitverschwand. Neben den Osterliedern sind vor allem die Himmelfahrtslieder Schauplatz von Entmythologisierungsmaßnahmen. So heißt es etwa in dem Lied „Nun freut euch Gottes, Kinder all, der Herr fährt auf mit großem Schall“ im Andachts 90 Vgl. Hannoversches Kirchen-Gesangbuch, Hannover o. J. [1863; wie Anm 63], Nr. 433. Sehr ähnlich auch Lüneburgisches Kirchen-Gesang-Buch nebst einem Gebet-Buche, Lüneburg 151852 (wie Anm 63), Nr. 433 wie Anm 63. Dass diese Textfassung bereits im 18. Jh. verwendet wurde, belegt das rationalistische Gesangbuch „Heilige Lieder aus alten und neuen zum Gottesdienst­ lichen Gebrauche der Evangelisch-lutherischen Gemeinde zu Ravensburg in Schwaben gesammelt, Augsburg 1772 (https://t1p.de/23s6b [1.9.2023]), Nr. 67. – KLL II, 238, teilt mit, dass das Lied zum ersten Mal vollständig in Runges Gesangbuch erschien. FT IV, Nr. 96, S. 87 f. bietet den Text zwar nach 5PPM 1653, Nr. 254, notiert aber Rungesche Abweichungen. 91 Die partielle Austreibung von Hölle, Teufel etc. war schon für die Gesangbuchkommission des Berliner Gesangbuchs von 1829 eine große und nicht unumstrittene Aufgabe gewesen, vgl. Schleiermacher, Friedrich: Ueber das Berliner Gesangbuch. Ein Schreiben an Herrn Bischof Dr. Ritschl in Stettin, Berlin 1830, in Kritische Gesamtausgabe I/9. Berlin-New York 2000, 473–512. Schleiermacher verteidigt sich gegen Kritik: „Bald mußte ich lesen, es handle sich vorzüglich um die in dem Gesangbuch theils ganz verwischten theils sehr ausgebleichten Lehren vom Teufel und von der ewigen Verdammniß.“ Ebd., 477. Zu den theologischen Kriterien der Liedbearbeitung durch die „Gesangbuchs-Commission“ vgl. auch Schmidt, Bernhard: Lied – Kirchenmusik – Predigt im Festgottesdienst Friedrich Schleiermachers. Berlin-New York 2002, 205–211. 92 Vgl. 5PPM, Nr. 213. 93 5PPM, Nr. 166. FT II, Nr. 187 liest Hölen (Höhlen) statt Erden. – In Hannover 1863, Nr. 185, liest man: „Ob mein heiland gleich gestorben Und in’s grab geleget ist, Blieb er gleichwohl unverdorben, Denn nach dreier tage frist Bist du, held, zurückgekommen, Hast das leben und die macht Aus der schwarzen Gruft gebracht Und des todes raub genommen, Schenkst uns nun die seligkeit: Freue dich, o christenheit.“ 94 5PPM, Nr. 178. Das Lied fehlt in Hannover 1863. Hannover 1881, Nr. 104, liest: „der die Hölle überwand und den leidigen Teufel darinnen band.“

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buch Nr. 142 abstrakter: „Nun freut euch, Gottes Kinderlein Der Heiland geht zum Himmel ein.“95 Auch Paul-Gerhardt-Lieder waren keineswegs sakrosankt. In der Kopfstrophe des Friedensliedes Wie ist so groß und schwer die Last korrigiert Irenäus Gerhardts ‚polytheistischen‘ Ausdruck „aller Götter Gott“ in „O allerhöchster Gott“.96 Seit jeher Stein des Anstoßes und ein ‚Klassiker‘ der dogmatisch bedingten Textrevision war der Ausdruck „Gott selbst liegt tot“ aus Rists O Traurigkeit, o Herzeleid (Nr. 126, 2. Strophe). Hier folgt Irenäus den Hymnologen des 19. Jahrhunderts Christian K. Josias von Bunsen, Rudolf Stier, Albert Knapp u. a., indem sie den anstößigen Ausdruck nicht übernimmt und ihn stattdessen wie folgt entschärft: „O große Noth! Den bittern Tod Ist er am Kreuz gestorben: Doch hat er das Himmelreich Mir dadurch erworben.“97 Schließlich beobachte ich gleichsam konzeptionell bedingte Umbildungen, die durch das besondere Konzept des Andachtsbuches mit seinem Anliegen, den innergesellschaftlichen Frieden zu fördern, verursacht sind. Als Demonstrationsobjekt bietet sich wieder einmal Luthers Lied Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort an.98 Hier ein synoptischer Textvergleich von 5PPM (1653) mit Runge nach Irenäus: 5

PPM 1653, Nr. 273, S. 513, Rubrik: Vom Worte Gottes und der christlichen Kirchen, Eigene Melodie99

Andachtsbuch 1879, Rubrik XXVI Gottes Wort, Nr. 196, S. 187, Eigene Melodie100

Erhalt uns / Herr / bey deinem wort / Vnd steur des Bapsts und Türcken mord / Die Jesum Christum deinen Sohn Stürtzen wollen von seinem thron.

Erhalt’ uns Herr bei deinem Wort, Und steure deiner Feinde Mord, Die Jesu Christum deinen Sohn Wollen stürzen von deinem Thron.

2. Beweis dein macht / Herr Jesu Christ / Der du ein Herr allr Herren bist / Beschirm dein arme Christenheit / Daß sie dich lob in ewigkeit.

Beweis’ dein Macht, Herr Jesu Christ, Der du Herr aller Herren bist: Beschirm dein’ arme Christenheit, Daß sie dich lob in Ewigkeit.

95 5PPM, Nr. 179. 96 Vgl. Andachtsbuch Nr. 269, vgl. auch FT III, Nr. 452. Diese Lesart lässt sich in den älteren Paul-Gerhardt-Ausgaben (vgl. FT III, S. 397) nicht nachweisen. Das Lied fehlt in den Hannoveraner Gesangbüchern. 97 Vgl. Hoffmann, Heinz: Tradition und Aktualität im Kirchenlied. Berlin 1967, 88 f. Die subjektivistische Zuspitzung „mir“ statt „uns“ begegnet auch schon in Hannover 1863, Nr. 170. 98 Das Lied war ein Paradebeispiel der Textrevision im 19. Jh., vgl. Hoffmann, ebd., 43 u. ö. Besonders die 1. Strophe spielte in den Fachdebatten eine herausragende Rolle. So widmete etwa Gerhard Stip im Zusammenhang seines sakramentellen Liedverständnisses der Verteidigung des Urtextes über 130 Seiten in seiner Schrift: Stip, Gerhard Chryno Hermann: Beleuchtung der Gesangbuchsbesserung insbesondere aus dem Gesichtspunkte des Cultus. Hamburg 1842. 99 5PPM bietet das Lied in der um 2 Strophen erweiterten Fassung von Justus Jonas, vgl. W III, Nr. 44. Die PPM-Version ist textidentisch mit PS II (wie Anm. 41), Nr. 120. 100 Bei der hier hinzugefügten 6. Strophe handelt es sich um eine trinitarische Bündelung, die wir bereits in Straßburg 1566 finden, in der Schrift „Geystliche Kriegßrüstung, Wider den Turcken. Das ist Gebett, Psalmen und Christliche Gesäng […] Straßburg 1566“, vgl. Koch, Eduard Emil: Geschichte des Kirchenlieds etc., 8. Bd., Stuttgart 1876, 132 f., und die den Gedanken der Überschrift („Ein Kinderlied“) verallgemeinert noch einmal aufnimmt, vgl. auch W III, Nr. 47.

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3. Gott Heilger Geist / du Tröster wehrt / Gib deinm volck einrley sinn auf erd / Steh bey uns in der letzten noth / Gleit uns ins leben aus dem tod.

Gott heil’ger Geist, Du Tröster werth, Gieb dein’m Volk frommen Sinn auf Erd’, Steh’ uns bei in der letzten Noth, Führ uns in’s Leben aus dem Tod.

4. Ihr anschläg / Herr / zu nichte mach / Laß sie treffen ihr böse sach / Vnd stürtz sie in die grub hinein / Die sie machen den Christen dein.

Ihr’ Anschläg’, Herr, zu nichte mach, Laß sie treffen die böse Sach’, Und stürz’ sie in die Grub hinein, Die sie machen den Christen dein.

5. So werden sie erkennen doch / Daß du unser Gott / lebest noch / Vnd helfst gewaltig deiner schaar / Die sich auf dich verlassen gar.

So werden sie erkennen doch, Daß du, unser Gott lebest noch Und hilfst gewaltig deiner Schaar, Die sich auf dich verlassen gar. Und werden wir, die Kinder dein, Bei uns selbst und auch in der G’mein, Dich heilige Dreifaltigkeit Loben darum in Ewigkeit. [Martin Luther]

Dass Irenäus hier Runges Fassung übernommen hat, ist mehr als unwahrscheinlich und wäre Bachmann kaum entgangen. Auch gibt es keinen ersichtlichen Grund, der Runge veranlasst haben könnte, diese Variante zu bringen. Die Änderungen, die sehr wahrscheinlich auf Irenäus’ Eingriff zurückgehen, und die hier nicht ausführlich behandelt werden können, betreffen neben stilistischen Glättungen (Strophe 3: das zweisilbige „frommen“ statt das dreisilbige „einerlei“, „führ“ statt „gleit“) die erste und dritte Strophe. Am Ende der ersten Strophe („wollen stürzen von deinem Thron“) ist der Urtext wiederhergestellt. Die Entschärfung der Polemik zu Beginn der Kopfstrophe, die wir bereits seit 1565 beobachten können, und die auch – gegen Wackernagels Einspruch – in das erste deutsche Einheitsgesangbuch Einzug hielt,101 betrifft die explizite Benennung der „zween Ertzfeinde Christi“ Papst und Türken. Dass Irenäus hier vermutlich von der Lesart des Eisenacher Einheitsgesangbuchs Gebrauch machte, die sich heute durchgesetzt hat, dürfte vor allem auf ihr irenisches Anliegen zurückzuführen sein, auf das sie bereits im Vorwort verwiesen hatte.102

101 Koch, ebd., 135. Vgl. Deutsches Evangelisches Kirchen-Gesangbuch. In 150 Kernliedern, Stuttgart und Augsburg 1854, Nr. 61: Dort: „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort und steure deiner Feinde Mord.“ Nach Koch, ebd., 132, fand sich diese Fassung (vgl. EG 193), die sich im 19. Jh. durchgesetzt hat, zuerst in der Schrift „Ettliche christliche Frag, und Antwort, gestelt zu einem Eingang in den Catechismus, Straßburg 1565. Vgl. dazu auch Korth, Hans-Otto: Lass uns leuchten des Lebens Wort. Die Lieder Martin Luthers. Halle / S . 2017, 281 f. 102 Leider wissen wir auch hier nicht, wo sich Irenäus ihrer Textrezensionen bedient hat. Bei den zeitgenössischen Hannoverschen Gesangbücher stellt sich die Lage wie folgt dar: Hannover 1863, Nr. 469, hat 6 Strophen (plus 2 Strophen Verleih uns Frieden) und ist in den Strophen 1–3 mit PPM nahezu identisch. Lüneburg 1876, Nr. 469, bietet in Str. 1 zwei Varianten: „Und steur des papsts und türken mord / Wehr deiner feinde list und mord“, sonst identisch mit Hannover 1863. Hannover 1881, Nr. 168, hat die originale 3-strophige Fassung, allerdings mit folgendem Wortlaut in der 1. Strophe: „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort, und steure deiner Feinde Mord, die Jesum Christum, deinen Sohn wollen stürzen von deinem Thron.“

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Ein ähnliches Motiv dürfte der Redaktion des Liedes Nr. 275 Verzage nicht, o Häuflein klein von Johann Fabricius, Hofprediger Gustav Adolfs (von Irenäus merkwürdigerweise noch dem schwedischen König selbst zugeschrieben) zugrunde liegen.103 Hier ändert sie die Verszeile „Muß teufel / Bapst und höllenpfort“ ab in: „Muß Teufel, Welt und Höllenpfort“ oder übernimmt eine entsprechende Vorlage.104 Ähnlich in dem Neujahrslied Das neugeborne Kindelein (Nr. 100). Hier liest Irenäus in Strophe 3: „Ist Gott versöhnt und unser Freund, Was kann uns thun der arge Feind? Trotz Noth und Tod und Höllenpein Es hilft mir ja der Heiland mein.“ Statt: „trotz Türcken, Pabst und Höllenpfort, das Jesulein ist unser Hort.“105 Wiederum in Lied Nr. 101 (Das alte Jahr ist nun vergahn), Strophe 4: „Es hat sich Krieg und theure Zeit, Der Teufel, Noth und Tod und Streit wohl sehen lassen und uns bedrängt“ statt: „Es hat sich krieg und theure zeit / Der Teufel / Pabst / Türck, andre leut…“106 Wie wichtig Irenäus der Friedensgedanke war, zeigt auch die Wiederherstellung der Friedensstrophen in Paul Gerhardts Pfingstlied Zeuch ein zu deinen Toren.107 Auch in Rists Lasset uns den Herren preisen (Nr. 133, Strophe 9) gibt es gleichsam friedensbezogene Textänderungen. Statt: „Weil nach diesem fried ich dürste / wie nach wasser / tag und nacht / den du grosser Kriegesfürste durch den kampff hast wiederbracht“ heißt es mit doppelter Interjektion: „Ach! Ich seufze ach! Ich dürste nach dem Frieden Tag und Nacht, Den du großer Lebensfürste! Durch den Kampf hast wiederbracht“.108

Die Melodien Zur Melodien-Problematik hier nur so viel: Bedauerlicherweise hat C. Irenäus die Melodien im Andachtsbuch nicht abgedruckt. Nur in Einzelfällen sind die Weisen des Rungeschen Gesangbuchs ausdrücklich bezeugt, z. B. Heinrich Alberts Melodie zu seinem Morgenlied Gott des Himmels und der Erden.109 Obwohl uns viele „eigene Melodien“ bekannt sind, fällt ihre große Anzahl im Andachtsbuch auf. Es ist davon auszugehen, dass Irenäus hier Runge gefolgt

103 Quellenangabe bei Irenäus: „Gustav Adolf von Schweden. Schlachtgesang bei Lützen“. Str. 1–3 stammen von Fabricius, Str. 4–5 von einem Anonymus, vgl. PPMEDW I/2, 258. J. Crüger, 5 PPM, Nr. 397, nennt Johann Altenburg als Verfasser, ebenso KLL II, 300 (Michael Altenburg) und FT II, Nr. 56. 104 5PPM, Nr. 397,3. Interessanterweise lesen sämtliche Fassungen in FT II, Nr. 56: Muß Teuffel, Welt und Hellen Pfort. Irenäus’ Version findet sich so ähnlich auch in Hannover 1881, Nr. 170,3. 105 5PPM, Nr. 113,3. 106 5PPM, Nr. 114,4. 107 S. o. zu Anm. 49. 108 5PPM, Nr. 166. FT II, Nr. 187. Irenäus’ Lesart findet sich allerdings schon in Hannover 1863, Nr. 185,9. 109 Vgl. Fischer-Krückeberg, Elisabeth: Johann Crüger’s Praxis pietatis melica (wie Anm. 3), 35, Anm. 30.

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ist. 163 bzw. 165 Lieder im Andachtsbuch sollen auf eine „eigene Melodie“ gesungen werden. Das macht fast die Hälfte aller Lieder aus.110 Schon Bachmann vermutete, dass Johann Crüger seinem Verleger „eine nicht geringe Zahl neuer Melodien dazu geliefert hat“ und teilt mit, dass 37 Melodien von Crüger hier zum ersten Mal erschienen sind.111 Dies dürfte z. B. die Paul-Gerhardt-Lieder Lobet den Herren, alle die ihn fürchten (Nr. 7), Wie soll ich dich empfangen (Nr. 76) oder Zieh ein zu deinen Toren (Nr. 149; bei Irenäus: „meinen Toren“) betreffen. Auch Korth / Miersemann resümieren: „Neue Weisen stammten fast alle von Crüger oder waren Bearbeitungen wohl durchweg von seiner Hand.“112 Folgenden weiteren Paul-Gerhardt-Liedern sind im Andachtsbuch eigene Melodien zugewiesen: Warum willst du draußen stehen? (Nr. 78), O Welt, sieh hier dein Leben (Nr. 124), Auf, auf, mein Herz, mit Freuden (Nr. 140), Nicht so traurig, nicht so sehr (Nr. 216), Warum sollt ich mich denn grämen? (Nr. 219), Gott ist mein Licht, der Herr mein Heil (Nr. 221), Wie der Hirsch in großen Dürsten (Nr. 249), Herr, der du vormals hast dein Land (Nr. 252), Ich erhebe, Herr, zu dir (Nr. 255), Ist Ephraim nicht meine Kron? (Nr. 258).113 Bei dem Lied Wie ist so groß und schwer die Last (Nr. 269) fehlt eine Angabe.114 Gleichwohl zeugen die Melodieangaben von einer gewissen Unbrauchbarkeit dieses Gesangbuches, denn – um bei den Morgenliedern zu bleiben – wer z. B. kennt heute noch die „Eigene Melodie“ von Der Tag vertreibt die finstre Nacht? Obwohl wir nicht genau wissen, welche Melodien damals wo und wie bekannt waren, trifft dieses Problem auf viele Lieder zu, denen eine „eigene Melodie“ zugewiesen wird, ohne dass der Notentext abgedruckt ist. Das mag auch ein Indiz dafür sein, dass Frau Irenäus gar nicht an ein Gemeindegesangbuch gedacht hatte, sondern an ein Lesebuch oder – wie der Titel insinuiert – an ein Andachtsbuch für die stille häusliche Andacht, bei der die Texte gelesen und meditiert werden.115 Die aus inhaltlichen Gründen erfolgte und ohne Rücksicht auf Silbenzahl und Melodie erfolgte Abänderung des Incipits des Heermannschen Weihnachtsliedes Der große Kriegs- und Siegesheld Augustus zu Kaiser Augustus, der große Held (Nr. 86) ist ein weiterer Beleg dafür, dass Frau Irenäus die Lieder nicht gesungen hat.

110 Die Variante rührt daher, dass zwei Titel Nun freut euch lieben Christen als Zweitmelodie anbieten. 111 Bachmann, Johann Friedrich: Zur Geschichte der Berliner Gesangbücher (wie Anm. 1), 34. Voriges Zitat ebd., 31. Zum Problem der Originalität der Crügerschen Melodien vgl. Fischer-­ Krückeberg, Elisabeth: Johann Crüger und das Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, in Monatschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst 34 (1929), Heft 11, 310–315, 311 f. 112 PPMEDW I/2, 452. 113 Alle diese Paul-Gerhardt-Lieder weisen in 5PPM eine eigene Melodie mit Noten auf. 114 In 5PPM, Nr. 389, ist dem Lied die Melodie Warum betrübst du dich zugewiesen. 115 Doch davor warnte schon August Friedrich Christian Vilmar: „Unsere geistlichen Lieder­ bücher sollen nicht zu Lesebüchern werden, und ein Lied, welches nicht gesungen wird, ist kaum ein Lied oder gar nicht.“ zitiert nach Dietz, Philipp: Die Restauration des evangelischen Kirchenliedes. Marburg 1903, 231. Dass die Melodien trotzdem angegeben sind, zeigt, dass Frau Irenäus mit ihrem Andachtsbuch an Runges Gesangbuch erinnern wollte.

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Fazit Diese Neuausgabe stellt keinen Ersatz für das verlorene Runge-Gesangbuch dar, um so weniger, als sie nur eine Auswahl der Lieder und auch nicht durchgehend die Rungeschen Originaltexte bietet. Ja, es hat sich sogar gezeigt, dass Frau Irenäus den Runge-Texten gelegentlich andere Rezensionen vorgezogen hat.116 Dennoch leistet das Andachtsbuch einen interessanten Beitrag zur weiteren inhaltlichen Erschließung des verlorenen Gesangbuches. Der Wert dieses „RungeRemake“ besteht darin, dass wir einen nicht bloß referierenden Eindruck vom – freilich unvollständigen – Textcorpus,117 von der Abfolge der Lieder sowie von den Rubriken des verschollenen Runge bekommen und damit auch von seiner inhaltlichen Schwerpunktsetzung. Wie seiner Dedikation zu entnehmen ist, beeindruckte Runge seinerzeit das ausgleichende Wirken der Kurfürstin, das er mit seinem Gesangbuch unterstützen wollte. Dieses Anliegen teilte Johann Crüger mit seinem vier Jahre später erschienenen Doppelgesangbuch Psalmodia Sacra (1657/58).118 Und eben dieses Anliegen vertrat auch Frau Irenäus zu ihrer Zeit, wie aus der Vorrede, ihrer Liedauswahl und manch signifikanten Textänderungen hervorgeht. Während die innerprotestantischen Streitigkeiten des 17. Jahrhunderts damals längst überwunden waren,119 ging es in Zeiten des Kulturkampfes eher um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und um Entspannung zwischen den beiden großen Kirchen.120 In diesem Kontext konnte Runges Werk durchaus als Prototyp eines friedenstiftenden Gesangbuches gelten. Über entsprechende Wirkungen des Runge-Remake wissen wir zwar nichts, doch könnte 116 Z. B. bei der Überlieferung der Paul-Gerhardt-Lieder, s. o. Anm. 60. 117 So kann z. B. die Angabe von E. Cherdron, Runge 1653 hätte nur 3 Abendmahlslieder enthalten, nämlich Schmücke dich, o liebe Seele, Jesus Christus, unser Heiland und Als Jesus Christus in der Nacht korrigiert werden. Auch die Lieder O Jesu, du mein Bräutigam (J. Heermann) und Luthers Gott sei gelobet und gebenedeiet waren enthalten, vgl. Cherdron, Eberhard, Die Abendmahlslieder (wie Anm. 69), 80. 118 Fischer-Krückeberg: „Die ‚Geistlichen Lieder und Psalmen‘ erscheinen noch viel mehr [als Runge, B. S.] von der bestimmten Absicht geleitet, ein Bindeglied zwischen beiden sich befehdenden Konfessionen zu bilden und den Weg zu einer friedlichen Einigung mitanzubahnen.“ FischerKrückeberg, Elisabeth: Zur Geschichte der reformierten Gesangbücher (wie Anm. 41), 176. – Dass es auch im konfessionellen Zeitalter durchaus irenische Bestrebungen auf beiden protestantischen Seiten gab, beschreibt Ernst Koch: Das konfessionelle Zeitalter (wie Anm. 69), 301–306. 119 Das zeigt der entspannte Umgang mit kontroverstheologischen Stellen in Lutherliedern wie z. B. der 3. Strophe in Dies sind die heilgen zehn Gebot und der 2. Strophe in Jesus Christus, unser Heiland. 120 Philipp Dietz referiert die Diskussion auf der Hannoverschen Landessynode 1882 über die Textfassung von Erhalt uns Herr. Ein Synodaler teilte mit, „er schätze das Lied hoch und wünsche es erhalten zu sehen in einer Fassung, die es gestatte, dasselbe in der Meinung des Vers 3 zu singen: Gott heilger Geist du Tröster wert, gieb dein’m Volk ein’rlei Sinn auf Erd.“ Der ‚einerlei Sinn‘ werde offenbar durch die Herstellung des Originals zur Zeit zerstört. Nachdem auch noch von anderer Seite hervorgehoben war, daß man mit den Katholiken in Frieden leben und nicht ohne Grund verletzen wolle, wird der Antrag Lichtenberg-Hahn angenommen und damit der Beschluß erster Lesung wieder rückgängig gemacht.“ Dietz, Philipp: Die Restauration des evangelischen Kirchenliedes (wie Anm. 115), 583.

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das dem Vorwort vorangestellte benediktinische Motto „Ora et labora“ durchaus als ein ökumenisches Signal verstanden worden sein. Darüber hinaus erweist sich das Andachtsbuch als ein spätes Dokument der Kirchenlied- und Gesangbuchrestauration im 19. Jh.121 Standen in der ersten Hälfte des Jahrhunderts die Auseinandersetzung mit dem Kirchenlied der Aufklärung und das Ringen um ein Einheitsgesangbuch im Vordergrund, so zählt zu den hymnologischen Früchten der zweiten Jahrhunderthälfte, dass sie Faksimiles und Nachdrucke alter und selten gewordener Gesangbücher hervorbrachte.122 Zu solchen Hervorbringungen gehört das Andachtsbuch. Bei der Konzeption von neuen Liedsammlungen oder revidierten Neuausgaben ging es stets um die Frage: Welche Lieder sind aufzunehmen und in welcher Textgestalt? Beim Andachtsbuch war der Liedbestand im Prinzip durch Runge vorgegeben. Vom historisch-konservatorischen Standpunkt aus ist es ausdrücklich zu bedauern, dass Irenäus diesen nicht in Gänze übernommen hat und ebenso, dass sie Runges Textfassungen nicht eins zu eins übernommen hat. Doch als Zeugnis ihrer Zeit ist das Andachtsbuch für sich selbst überaus wertvoll und hat überdies zur Bildung eines stylus ecclesiasticus beigetragen. Bezüglich der Textgestaltung lässt sich vielleicht sagen, dass Irenäus mit ihrem Konzept der „mit äußerster Vorsicht vollzogenen Aenderung der Ausdrucksweise“ in der moderaten Tradition eines Rudolf Stier steht. In seiner epochalen Streitschrift „Gesangbuchsnoth“ hatte Stier gefordert: Also unsere besten alten Lieder wollen wir wieder haben, und zwar wesentlich in ihrer sprachlich und sachlich klassischen Grundgestalt, die nie veralten mag; ungemodelt und ungehudelt, ächt und rein, wie sie lauten, überall, wo es nur gilt, sich wieder in sie hineinzusingen; gereinigt aber von den Flecken und Anstößen, die wir der fortschritt­ lichen Zeit mit Unrecht gegen ihre Bildung wieder aufdrängen, den schönen Liedern zum Schaden aus Eigensinn lassen müßten.123

Interessanterweise findet sich bei Stier auch der Unionsgedanke, der bereits für Runge konstitutiv gewesen war: Die neuen Gesangbücher seien auch in diesem Sinne der Union gemäß, der wahren, welche Gottes Geist überall anbahnt; man finde in ihnen einen gleichen Kern der guten Lieder von Lutheranern und Reformirten, aus dem Norden und Süden deutscher Zunge, im Ton verschiedener Schulen gesungen.124 121 Vgl. dazu u. a. Dietz, Philipp: Die Restauration des evangelischen Kirchenliedes (wie Anm. 115); Hoffmann, Heinz: Tradition und Aktualität im Kirchenlied (wie Anm. 97); Wüstenberg, Ulrich: Das 19. Jahrhundert, in: Möller, Christian (Hg.): Kirchenlied und Gesangbuch. Quellen zu ihrer Geschichte. Tübingen 2000, 214–266. 122 Vgl. Ameln, Konrad: Nachdrucke alter Gesangbücher, Agenden und Liederblätter I / I I, in JLH 2 (1956), 141–144 und JLH 4 (1958/59), 137–141. Besonders der Fortsetzungsbeitrag ist für uns interessant, da Ameln darauf hinweist, dass diese Nachdrucke oft im Neusatz erfolgten und keine Faksimile-Wiedergaben waren. 123 Stier, Rudolf: Die Gesangbuchsnoth. Eine Kritik unserer modernen Gesangbücher mit besonderer Rücksicht auf die preußische Provinz Sachsen. Leipzig 1838, 309. 124 Ebd.. Den überkonfessionellen Aspekt hatte bekanntlich zuerst Ernst Moritz Arndt ins Spiel gebracht mit seiner Programmschrift „Von dem Wort und dem Kirchenlied“ (1819).

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Es ist dieser gemäßigte, gleichsam inklusive Geist der Restauration, der das Andachtsbuch durchweht, der die alten Lieder verschiedener konfessioneller Provenienz den modernen Rezipientinnen und Rezipienten wieder nahe bringen will, und der sich darin etwa von der Buchstabentreue eines Gerhard Chryno Hermann Stip (wie Anm. 98) oder Wackernagel (s. S. 143) unterschied.125 Auch in Bezug auf seine Gebrauchsfunktion steht das Andachtsbuch in der Tradition Rudolf Stiers, der seinerzeit für die Einheit von Kirchen- und Hausgesangbuch eingetreten war.126 Rechtlich betrachtet gehört das Andachtsbuch freilich zur Gattung der Privatgesangbücher – im Gegensatz zu den Produkten der offiziellen kirchlichen Gesangbuchreform, die mit dem Berliner Gesangbuch von 1829 begann.127 Jedoch will ich den Begriff „Privatgesangbuch“ nicht nur so verstanden wissen, dass die Herausgeberin keinen kirchenamtlichen Auftrag hatte, sondern auch in dem Sinne, dass das Andachtsbuch offensichtlich vor allem für den privaten und häuslichen Gebrauch gedacht war.128 Diese Zweckbestimmung macht sich u. a. in dem Titel „Andachtsbuch“, aber auch darin bemerkbar, dass Irenäus ihrem „biographischen Vorwort“ das benediktinische Motto „Ora et labora“ voranstellt und aus den Rubriken I–IV, die dem Kirchenjahr vorgeordnet sind, alle Lieder von Runge übernimmt.129 In diesem Sinne atmet das Andachtsbuch auch den Geist, den Theodor Fontane sieben Jahre später in der Sterbeszene seines Romans „Irrungen und

125 Nach Kochs Klassifizierung der Gesangbücher in einen milden, einen strengen und einen vermittelnden Standpunkt wäre das Andachtsbuch bezüglich der Textgestaltung dem vermittelnden Standpunkt zuzuordnen, Koch, Eduard Emil: Geschichte des Kirchenlieds und Kirchengesangs der christlichen, insbesondere der deutschen evangelischen Kirche. Erster Haupttheil: Die Dichter und Sänger. Bd. 7. (hg. von Adolf Wilhelm Koch). Dritte umgearbeitete, durchaus vermehrte Auflage. Stuttgart 1872, 51. Dieser Geist lag auch dem neuen Hannoverschen Gesangbuch zugrunde, das 1883 nach langer Vorarbeit und Diskussion erschien: Evangelischluthe­r isches Gesangbuch der Hannoverschen Landeskirche, Hannover 1883. Vgl. dazu Wilhelm Bode, Der Neue Gesangbuchs-Entwurf, Hannover 1880. Ich benutze hier den Entwurf von 1881, weil dieser dem Andachtsbuch zeitlich am nächsten steht. Auch Dietz, Philipp: Die Restauration des evangelischen Kirchenliedes (wie Anm. 115), 567–588, weist ausdrücklich auf den demokratischen Entstehungsprozess und die hohe Qualität dieses Gesangbuches hin und erwähnt, dass es trotz seines lutherischen Gepräges auch reformierte Lieder enthielt, ebd. 578. Bezüglich der Textfassungen bescheinigt Dietz dem Gesangbuch „einen engen Anschluß an die Originale“, 579. – Eine Beeinflussung von Frau Irenäus durch den Gesangbuchprozess in Hannover ist zwar nicht explizit nachweisbar, doch aufgrund der räumlichen Nähe auch nicht unwahrscheinlich. 126 Vgl. Stier, Rudolf: Die Gesangbuchsnoth (wie Anm. 123), 273 f. Ähnlich Wackernagel, vgl. Hoffmann, Heinz: Tradition und Aktualität im Kirchenlied (wie Anm. 97), 104. 127 Vgl. Dietz, Philipp: Die Restauration des evangelischen Kirchenliedes (wie Anm. 115), IX–XI. 128 Hoffmann konstatiert sogar für die Zeit der Aufklärung: „Vielfach behielt das alte Lied seinen Platz in den Hausandachten und der privaten Erbauung.“ Hoffmann, Heinz: Tradition und Aktualität im Kirchenlied (wie Anm. 97), 18. 129 S. o. zu Anm. 27. Das ‚laborare‘ und die komplette Aufnahme der Andachtslieder verweisen auf den berufsbezogen weltlichen und auf den privaten – und jedenfalls nicht nur gottesdienstlichen – Gebrauch.

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Wirrungen“ zum Ausdruck bringen wird, und der von der lebensbegleitenden Bedeutung eines Hausgesangbuches zeugt: Frau Nimptsch war ersichtlich in Angst und Unruhe […], denn mit einem Male sagte sie: ‚Lene, Kind, ich liege nich hoch genug. Du mußt mir noch das Gesangbuch unterlegen.‘ Lene widersprach nicht, ging vielmehr und holte das Gesangbuch. Als sie’s aber brachte, sagte die Alte: ‚Nein, nich das, das ist das neue. Das alte will ich, das dicke mit den zwei Klappen.‘ Und erst als Lene mit dem dicken Gesangbuche wieder da war, fuhr die Alte fort: ‚Das hab’ ich meiner Mutter selig auch holen müssen und war noch ein halbes Kind damals und meine Mutter noch keine fuffzig und saß ihr auch hier und konnte keine Luft kriegen, und die großen Angstaugen kuckten mich immer so an. Als ich ihr aber das Porstsche, das sie bei der Einsegnung gehabt, unterschob, da wurde sie ganz still und ist ruhig eingeschlafen. Und das möchte’ ich auch. Ach, Lene. Der Tod ist es nich… Aber das Sterben… So, so. Ah, das hilft.‘130

‚Alte‘ Gesangbücher als Hilfsmittel der häuslichen ars vivendi und ars moriendi. Dass es immer lohnt, in alte Gesangbücher zu schauen, weil Themen, die vermeintlich der Vergangenheit angehören, plötzlich wieder aktuell sind, das zeigen auch solche von Runge eingerichtete und von Irenäus übernommene Gesangbuchrubriken wie „Um den lieben Frieden“, „Wetterlieder“ oder „In Pestzeiten“ mit ihren Liedern. Dass diese Rubriken, trotz Kürzungen durch Frau Irenäus, so gut gefüllt sind (bei Runge immerhin 26 Titel), erklärt sich aus den Zeitläuften um 1653. Doch es leuchtet auch uns heute wieder ein, weil die großen Themen unserer Zeit: Krieg, Klimawandel, Pandemie, mitsamt den Gefühlen, die sie auslösen, auch nach religiösem und dichterischem Ausdruck verlangen.

Abstract: The hymnbook „Geistliche Lieder und Psalmen etc.“, published in 1653 by the Berlin publisher Christoph Runge and dedicated to the Brandenburg Electress Luise Henriette, has been lost since 1945. A new edition of this „Runge“ has not yet received attention: „Andachtsbuch Luise Henrietten’s von Brandenburg“. It was published in Berlin in 1879 and was edited by C. Irenäus. The alias Irenäus masks Caroline Rinne or Caroline Gieseler. The pseudonym says it all: C. ­Irenäus was impressed by the irenic intentions of the Electress at the time, who had wanted to mediate between the denominations with Runge’s hymnal,

130 Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen, Leipzig 1888, 210. Vgl. auch Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen, Große Brandenburger Ausgabe, hg. von Gotthard Erler, Berlin (AufbauVerlag) 1997, 142.

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and she tried to transform them into her present. This was the guiding intention of her edition, which was reflected both in the choice of songs (the work has only 338 instead of 378 songs) and in the text. Although Mrs Irenaeus has printed melodic information, her work is not a hymnbook but – as the title suggests – a devotional book. This devotional book cannot replace the lost Runge hymnal, but it is an interesting hymnological document of the late 19th century.

Erstdruck im Raubdruck? Überlegungen zum Charakter der 1660 in Stettin erschienenen Editio IX der „Praxis Pietatis Melica“ Johann Crügers und zur vermutlichen Erstpublikation einiger Lieder Paul Gerhardts darin

Ralf Schuster

Einordnung der Stettiner Editio IX von 1660 in die Folge der frühen Ausgaben der „Praxis Pietatis Melica“ 1660 brachte der Stettiner Drucker Daniel Starcke (gest. 1698)1 eine Ausgabe des erfolgreichen Gesangbuchs „Praxis Pietatis Melica“ [künftig: PPM] von Johann Crüger2 (1598–1662) heraus, die er auf dem Titelblatt als „Editio IX“ deklarierte. Die Rechte an diesem Werk lagen eigentlich beim Berliner Verleger Christoph Runge (1619–1681).3 Es war erstmals 1640 – noch unter einem anderen Titel (s. u.) – erschienen, dann 1647 zum zweiten Mal in einer veränderten und stark erweiterten Fassung, der Editio II. Die ältere Forschung konnte noch auf diese Ausgabe zugreifen, heute ist kein Exemplar mehr bekannt.4 Es folgten von da an in regelmäßigen Abständen neue, erweiterte und veränderte Ausgaben – die 1 Zu ihm s. Reske, Christoph: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing. Wiesbaden 2007 (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 51), 864. 2 Zu ihm s. etwa Bunners, Christian: Johann Crüger (1598–1662): Berliner Musiker und Kantor, lutherischer Lied- und Gesangbuchschöpfer. Berlin 2012; Miersemann, Wolfgang: Art.: Crüger, Johann, in: Frühe Neuzeit in Deutschland 1620–1720. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Bd. 2. Berlin / Boston 2020, Sp. 377–388. Zur Werkgeschichte der PPM und wissenschaftlichen Ausgabe der Editio X s. die PPMEDW: Korth, Hans-Otto / M iersemann, Wolfgang (Hg): Johann Crüger. Praxis Pietatis Melica. Edition und Dokumentation der Werkgeschichte. Halle seit 2014 – Band I, Teil 1 Praxis Pietatis Melica Editio X. Berlin 1661. Text, 2014/Band I, Teil 2 Praxis Pietatis Melica Editio X. Berlin 1661. Apparat, 2015/Band I, Teil 3 Johann Habermann, Gebätbüchlein. Berlin 1661. Text und Apparat, 2017/Band II, Teil 2 Praxis Pietatis Melica. Tabellarische Übersicht über die Entwicklung des Liedbestands, 2016. 3 Zu ihm s. Reske, Christoph: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet (wie Anm. 1), 104 f. 4 Vgl. die ausführliche Charakterisierung der Editio II. bei Fischer-Krückeberg, Elisabeth: Johann Crüger’s Praxis pietatis melica, in: Jahrbuch für brandenburgische Kirchengeschichte 26 (1931), 27–52, hier 29–36.

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Erfolgsgeschichte des Werkes erstreckt sich weit über das 17. Jh. hinaus.5 Für die frühen Ausgaben ergibt sich folgendes Bild:6 1. Newes Vollkömliches Gesangbuch, Berlin 1640 2. PPM Editio II , Berlin 1647 (nicht erhalten) 3. PPM Editio III , Berlin um 1649 (nicht erhalten) 4. PPM Editio IV, Berlin um 1651 (nicht erhalten) 5. PPM Editio V, Berlin 1653 6. PPM Editio VI , Berlin um 1655 (nicht erhalten) 7. PPM Frankfurt a. M. / Wittenberg 1656 8. PPM Editio VII , Berlin 1657 9. PPM Editio VIII , Berlin 1659 10. PPM Editio IX , Stettin 1660 11. PPM Editio X, Berlin 1661

Die Editio X ist die letzte von Crügerselbst noch verantwortete Ausgabe; er starb 1662. Danach führte der Verleger Runge das Werk in Eigenregie weiter.7 Die Ausgabe Frankfurt a. M. / Wittenberg 1656 markiert den ersten Versuch eines anderen Verlegers, am Erfolg des Werkes zu partizipieren. Runge hat diesen Druck in der Editio VII von 1657 als unrechtmäßig gebrandmarkt.8 Auch den Stettiner Druck von 1660 hat Runge in einer Nachbemerkung der Editio X von 1661 – erneut verbunden mit einer Kritik am Frankfurter Druck von 1656 – verurteilt.9 Die lange Zeit ebenso wie die Ausgaben II , III und IV als verloren geltende Editio VIII (Berlin 1659) wurde kürzlich in der Dombibliothek Hildesheim wiederentdeckt.10 Dieser Fund ist nicht nur für die Vervollständigung des Wissens über die Folge der Berliner Ausgaben der PPM von großer Bedeutung, sondern ermöglicht auch eine neue Einschätzung der Stettiner Ausgabe.

5 Vgl. PPMEDW 2/2 (wie Anm. 2). 6 Vollständige Titelaufnahmen der erhaltenen frühen Ausgaben der PPM finden sich im Anhang; vgl. Anhang 1. 7 Vgl. Fischer-Krückeberg, Elisabeth: Johann Crüger’s Praxis pietatis melica (wie Anm. 4), 39–52. Von der Editio X liegt eine kritische Edition vor; vgl. Anm. 2. 8 Die erste in Frankfurt gedruckte Ausgabe von 1656 verlegte der Wittenberger Buchhändler Balthasar Mevius (gest. 1664), die nächstfolgende ebenfalls in Frankfurt gedruckte Ausgabe brachte dessen in Frankfurt tätiger Stiefsohn Balthasar Christoph Wust (1630–1708) 1662 heraus, der bis zu seinem Tod mehrere weitere Ausgaben folgen ließ. Zu Runges sich über viele Jahre hinziehenden Streitigkeiten mit den Verlegern der in Frankfurt gedruckten Ausgaben der PPM, die sich anhand verschiedener Äußerungen beider Seiten in Vor- und Nachspannen mehrerer Ausgaben der PPM rekonstruieren lassen, vgl. Fischer-Krückeberg, Elisabeth: Johann Crüger’s Praxis pietatis melica (wie Anm. 4), 43–45; PPMEDW 1/2 (wie Anm. 2), 61–65. 9 Vgl. dazu ausführlich PPMEDW 1/2 (wie Anm. 2), 61–68. 10 Zu diesem für die Forschung bedeutsamen Fund vgl. Miersemann, Wolfgang / Suchan, ­Monika / Korth, Hans-Otto: Eine Neuentdeckung: Die „Editio VIII.“ (1659) der „Praxis Pietatis Melica“ von Johann Crüger, in JLH 59 (2020), 139–148.

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Der Vorspann der Stettiner Ausgabe Auch der Stettiner Druck war lange Zeit der Forschung unbekannt gewesen; er wurde 1931 erstmals von Elisabeth Fischer-Krückeberg etwas ausführlicher vorgestellt.11 Auf dem Titelblatt ist er ausdrücklich als „Editio IX“ deklariert und reiht sich somit demonstrativ in die Folge der Berliner Ausgaben ein. Er unterscheidet sich aber insofern von den vorangehenden Berliner Ausgaben, als Widmung und Widmungszuschrift nicht von Johann Crüger stammen, sondern vom Drucker Starcke selbst.12 Außerdem findet sich noch ein kurzes Vorwort „An den christlichen Leser“ von Starcke. Der Aufbau des Vorspanns der Stettiner Ausgabe von 1660 ist folgender: – – – –

Titelblatt Widmung an acht bedeutende schwedische Amtsinhaber in Pommern.13 Widmungsvorrede („Dedication=Schrifft“) von Starcke Liedregister, das die Lieder einzelnen Feiertagen zuordnet (Abfolge der Feiertage gemäß dem Kirchenjahr) – Kurze Vorrede „An den christlichen Leser“ von Starcke

Starcke ahmt darin die Editio VII (und die anderen vorangehenden PPM-Ausgaben, deren Aufbau immer sehr ähnlich strukturiert ist), nach.14 Pikanterweise nutzt er die kurze Vorrede „An den christlichen Leser“, also genau die Stelle, an der Runge in der Editio VII den Frankfurter Druck von 1656 als unrechtmäßig brandmarkt,15 dazu, seinen Druck zu rechtfertigen. Starcke begründet sein Unternehmen damit, dass trotz der Berliner Ausgaben der PPM und auch des Frankfurter Drucks von 1656 in seiner Region ein erheblicher Mangel an Exemplaren bestünde, dem er abhelfen wolle. Starckes Lagebeurteilung dürfte zutreffend gewesen sein: Aufgrund der Kriegshandlungen der vorangehenden Jahre werden wohl tatsächlich eher wenig Bücher aus Berlin in die Stettiner Region

11 Fischer-Krückeberg, Elisabeth: Johann Crüger’s Praxis pietatis melica (wie Anm. 4). Vgl. dazu Weichenhan, Susanne: Ein Gesangbuch zwischen den Fronten – die „Praxis Pietatis Melica“ 1660 in Stettin, in: Böttler, Winfried (Hg.): „Wach auf, mein Herz, und singe“. Paul ­Gerhardts Lieder im Ostseeraum. Berlin 2020 (Beiträge der Paul-Gerhardt-Gesellschaft 11), 39–44, hier 39. 12 Zur Widmung und zu Starckes „Dedication=Schrifft“ vgl. Fischer-Krückeberg, Elisabeth: Johann Crüger’s Praxis pietatis melica (wie Anm. 4), 46 f.; Weichenhan, Susanne: Ein Gesangbuch zwischen den Fronten (wie Anm. 11), 39–41. 13 Zu ihnen vgl. Weichenhan, Susanne: Ein Gesangbuch zwischen den Fronten (wie Anm. 11), 39 f. 14 In der Editio VII findet sich allerdings zusätzlich nach der Widmungsvorrede noch ein Hinweis, dass der Leser demnächst ein ergänzendes Buch mit „4. Vocal= und (Pro complemento) 6. Instrumental=Stimmen“ zu erwarten habe. 15 In der Editio VIII teilt Runge dann statt einer Kritik an den Raubdrucken sein kurfürstliches Privileg von 1649 mit, durch das illegale Nachdrucke unter Strafe gestellt werden. Die Botschaft an die Raubdrucker ist dieselbe.

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geliefert worden sein; außerdem war der deutschsprachige Ostseeraum im 17. Jh. ohnehin eher schlecht an den Buchhandel im deutschen Reich angeschlossen.16 Als weiteres Argument führt er an, dass die PPM lange nicht mehr in dem von ihm verwendeten Format greifbar gewesen sei: „absonderlich deswegen / weil solches nicht mehr in diesem format aufgeleget und zu bekommen gewesen / und doch vielen auf diese art beliebte und gefallen“.17 Dieses Argument irritiert allerdings, da Starckes Ausgabe genau wie die erhaltenen vorangegangenen Berliner Exemplare und auch der Frankfurter Druck von 1656 im Duodez-Format gedruckt ist. Anschließend gibt Starcke noch einen kurzen Hinweis auf Johann Habermanns18 (1516–1590) Gebetbuch, das im Anschluss an seine Ausgabe der PPM mitgeteilt werde. Es ist häufig zusammen mit der PPM gedruckt worden.19 Bei Starcke findet sich zusätzlich auch auf dem Titelblatt ein Hinweis auf das beigefügte Gebetbuch, was in den vorangehenden Berliner PPM-Editionen nicht der Fall ist.20 In der Widmungsvorrede selbst thematisiert Starcke zunächst den kürzlich geschlossenen Frieden (von Oliva, 3. Mai 1660),21 dann streicht er die Leistungen Crügers als Herausgeber der PPM heraus und betont die besondere Bedeutung dieses Gesangbuchs sowohl für den Gottesdienst als auch für den Hausgebrauch. Schließlich kommt er auf die von ihm herausgebrachte neunte Auflage zu sprechen, die durch eine glückliche Fügung gerade zum Friedensschluss erscheinen könne.

Die Stettiner Ausgabe als Nachdruck einer Berliner Editio IX Die Stettiner Ausgabe von 1660 wurde bisher in der Forschung als – möglicherweise modifizierter – Nachdruck einer verlorenen Berliner Editio IX angesehen:

16 Das belegen etwa vielfältige Klagen der Korrespondenzpartner des Nürnberger Dichters Sigmund von Birken (1626–1681), die im Ostseeraum ansässig waren; vgl. Laufhütte, Hartmut / S chuster, Ralf (Hg.): Der Briefwechsel zwischen Sigmund von Birken und den Mitgliedern des Pegnesischen Blumenordens und literarischen Freunden im Ostseeraum. 2 Teilbände (Sigmund von Birken. Werke und Korrespondenz 13.1). Berlin / Boston 2012. 17 Editio IX, Stettin 1660, Vorrede „An den Christlichen Leser“. 18 Zu ihm s. Steiger, Johann Anselm: Art.: Habermann, Johann, in: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Bd. 3. Berlin / B oston 2014, Sp. 148–155. 19 Vgl. Habermann, Johann: Christliche Gebet für alle Not vnd Stende der gantzen Christenheit (1567). Kritisch hg., kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Johann Anselm Steiger unter Mitwirkung von Corinna Flügge (Doctrina et Pietas Abt. II, Bd. 4). Stuttgart-Bad Cannstatt 2009; PPMEDW I/3 (wie Anm. 2). 20 Vgl. die Titelaufnahmen in Anhang 1. 21 Vgl. dazu ausführlicher Weichenhan, Susanne: Ein Gesangbuch zwischen den Fronten (wie Anm. 11), 39–41.

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Die achte und neunte Auflage sind zwar verloren, doch haben wir wenigstens für die letztere einen Ersatz in dem Stettiner Nachdruck von 1660, der abgesehen von ganz geringen Zusätzen ein wortgetreuer Abdruck der neunten Auflage zu sein scheint.22

Oder: Ganz ähnlich ist der Fall „Stettin 1660“. Zwar stammt hier die Widmungsvorrede […] nicht von Crüger selbst, sondern von dem Stettiner Drucker Daniel Starcke als dem Produzenten des Buches, doch geht in diesem Falle die Legitimierung im Grunde noch weiter, indem die Ausgabe auf dem Titelblatt ausdrücklich als „Editio IX .“ deklariert ist und so als offizieller Teil einer bis dahin 20-jährigen Editionsreihe erscheint. Eine Relativierung erfährt diese Deklaration dann allerdings in der (undatierten) Widmungsvorrede dadurch, dass Starcke in deren Hauptteil von einer „verneuerten neundten Edition“ spricht, was besagt, dass es sich hier lediglich um einen Neudruck jener – leider gleichfalls verschollenen – Ausgabe handelt, die 1659 bei Christoph Runge als ‚eigentliche‘ „EDITIO IX .“ (PraxBln 1659) herausgekommen war und auf die der Stettiner Drucker in seiner „Dedication=Schrifft“ schon kurz zuvor abgehoben hatte.23

Dieser Auffassung der beiden Herausgeber der PPMEDW (vgl. Anm. 2) aus dem Jahr 2015 folgt noch 2020 Weichenhan in ihrem Aufsatz zur Stettiner Ausgabe: In der Widmungsvorrede erläutert der Drucker [Starcke], dass er sich der „publicirung solcher verneuerten neundten Edition zu erkühnen unterwunden“, also einen Nachdruck der im Vergleich zur (ebenfalls verschollenen) VIII . Edition von Crüger selbst vermehrten IX . Edition vornahm.24

Man sieht, dass sich die Auffassung, es handele sich bei Starckes Werk um den Nachdruck der verlorenen Editio IX , auf eine Formulierung in der Widmungsvorrede stützt.25 Dabei interpretiert Weichenhan die Charakterisierung des Stettiner Drucks als „verneuerte neundte Edition“ so, als ob Starcke eine neunte Edition nachgedruckt habe, die wiederum eine erweiterte Fassung der achten gewesen sein soll. Die Möglichkeit, dass Starcke sein eigenes Werk als „verneuert“ und damit als „neundte Edition“ angesehen haben könnte, wird nicht thematisiert.26 Es ist darauf hinzuweisen, dass sich Starcke in seiner Widmungsvorrede, was Stil, Aufbau und sogar einzelne Formulierungen angeht, sehr an den Vorreden Crügers in den vorangehenden Editionen orientiert. Sowohl in der siebten als auch in der achten Edition gibt es an der hier interessierenden Stelle ganz entsprechende Formulierungen Crügers: In der Editio VII heißt es 22 Fischer-Krückeberg, Elisabeth: Johann Crüger’s Praxis pietatis melica (wie Anm. 4), 39; vgl. auch ebd., 47: „Die Stettiner Ausgabe ist mit wenigen Zusätzen ein genauer Nachdruck der (verlorenen) neunten Edition der P. p. m.“ 23 PPMEDW 1/2 (wie Anm. 2), 65. 24 Weichenhan, Susanne: Ein Gesangbuch zwischen den Fronten (wie Anm. 11), 39. 25 Der Text der entsprechenden Passage aus Starckes Widmungsvorrede wird im Anhang 2 mitgeteilt. 26 Ebenso wird von den Herausgebern der PPM-Ausgabe eine andere Stelle in Starckes Widmungsvorrede auf eine vermeintliche Berliner Editio IX bezogen, die man problemlos, ja einfa-

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(fol. A5r): „Als habe ich bei Publicirung dieser verneuerten Siebenden Edition mich zu erkühnen unterwunden […]“ und in der Editio VIII ganz entsprechend (fol. A5v): „Daß aber bei Publicirung dieser verneuerten Achten Edition ich mich zu erkühnen unterwunden […]“. Es besteht ja an diesen beiden Stellen kein Zweifel, dass Crüger das jeweils vorliegende Buch meint. Bei Starcke heißt es gleichlautend (fol. )( 5r): „Als habe ich mich bei publicirung solcher verneuerten neundten edition zu erkühnen unterwunden […]“. Warum sollte also hier nicht das vorliegende eigene Werk gemeint gewesen sein, in den Berliner Ausgaben aber jeweils schon? Die Auffassung der Forschung, Starckes Werk sei ein Nachdruck der verlorenen Berliner Editio IX , war ohne Kenntnis der Editio VIII zwar in der Tat naheliegend; der Versuch, diese These durch die wenig überzeugende Auslegung der angeführten Aussagen Starckes in der Widmungsvorrede zu untermauern, hätte aber hinterfragt werden müssen.

Vergleich der Stettiner Ausgabe mit den Editionen VII, VIII und X der „Praxis Pietatis Melica“ Die (Wieder-)Entdeckung der Editio VIII ermöglicht es nun nachzuweisen, dass die bisherige Auffassung der Forschung nicht haltbar ist. Allein schon der Umstand, dass diese Ausgabe auf das Jahr 1659 datiert ist, stellt die bisherige Ansicht in Frage; denn eine Berliner Editio IX hätte dann ja entweder noch im Jahr 1659 oder sehr früh im Jahr 1660 gedruckt worden sein müssen, damit Starcke seinen ‚Nachdruck‘ noch 1660 hätte publizieren können. Während Runge in der 1650er Jahren in schöner Regelmäßigkeit die neuen Ausgaben der PPM alle zwei Jahre herausgebracht hat, müsste demzufolge zwischen dem Erscheinen der 8. und der 9. Edition nicht einmal ein Jahr angesetzt werden – das wäre sehr ungewöhnlich. Vergleicht man nun den Inhalt der Editio VIII mit dem der umliegenden Ausgaben, so ergibt sich ein sehr aufschlussreiches Bild. Exemplarisch kann das anhand eines Vergleichs der Reihung der Lieder im ersten Kapitel („Morgengesänge“) des 1. Teils27 aufgezeigt werden:

cher auf Starckes eigenes Werk beziehen könnte (PPMEDW 1/2 [wie Anm. 2], 65): „Gerade jener Verweis aber gab dem Neudruck von 1660 noch mehr den Anschein des Legitimen, stellte Starcke doch auf solche Weise einen engen Zusammenhang her zwischen seinem eigenen Unternehmen und politischen Ereignissen, wie sie die Zeitgenossen bereits ‚umb diese Zeit / da dis Büchlein [von Runge in Berlin] zum neunden mahl aufgeleget / vermehret und verfertiget/‘ bewegt hätten.“ Die Anmerkung in den eckigen Klammern stammt von den Herausgebern der PPM-Ausgabe und bezieht diese Ausführungen so auf eine in Berlin gedruckte Editio IX. Auch hier spricht aber vom Kontext her nichts dagegen, dass Starcke sein eigenes „Büchlein“ gemeint haben könnte. 27 In der Editio VII (Berlin 1657) ist er auf S. 1 überschrieben: „Erster Theil dieses Büchleins Jn welchem verfasset Tägeliche Morgen= Abend= und Bußgesänge. Item Von der Rechtfertigung.“ In den anderen drei verglichenen Ausgaben ist er ganz entsprechend betitelt.

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Erstdruck im Raubdruck?  Tabelle 128 Editio VII (Berlin 1657)

Editio VIII (Berlin 1659)

Editio IX (Stettin 1660)

Editio X (Berlin 1661)

8

DAnck sey Gott in der höhe

LObet den Herren /  DAnck sey Gott in der höhe Alle / die ihn fürchten

9

O Gott / ich thu dir dancken

JN dieser morgenstund

O Gott / ich thu dir dancken

JN dieser morgenstund

13

DJe helle Sonn leuchtt jtzt herfür

DAnck sey Gott in der höhe

DJe helle Sonn leuchtt jtzt herfür

DAnck sey Gott in der höhe

14

LObet den Herren /  O GOtt / ich thu dir dancken Alle / die jhn fürchten

15

DAs walt GOtt Vater und GOtt Sohn

1–7 LObet den HErren /  Alle / die ihn fürchten

10–12

16

DJe helle Sonn leuchtt itzt herfür

LObet den Herren /  O GOTT / ich thu Alle / die ihn dir dancken fürchten DAs walt GOtt Vater und GOtt Sohn

DAs walt Gott Vater und Gott Sohn

DAs walt GOTT Vater und GOtt Sohn 16–17

17–18

DJe helle Sonn leuchtt itzt herfür

16–17

17–18

19

ZU dir von hertzengrunde

ZU dir von hertzengrunde

20

DEr tag bricht an

DEr tag bricht an

18

21

18

21

Man kann anhand dieser Übersicht unschwer ersehen, dass Crüger in der Editio VIII Umstellungen und Erweiterungen gegenüber der Editio VII vorgenommen hat. Es sind drei Lieder hinzugekommen ( JN dieser morgenstund, ZU dir von hertzengrunde und DEr tag bricht an) und mehrere Lieder sind an andere Stellen in der Reihung verschoben worden: die Lieder 8 und 9 sowie 13–15 der Editio VII stehen in der Folgeausgabe an anderen Stellen. Genau diese Art von Erweiterungen und Umstellungen rechtfertigen es ja für Verlag und Herausgeber, einen Druck als erweiterte Neuausgabe zu deklarieren und in der Zählung der Editionen dem neuen Druck eine höhere Nummer zuzuweisen. Nun fällt aber auf, dass keine dieser Neuerungen in der Stettiner Ausgabe übernommen worden ist. Sie folgt ohne Abweichung der Editio VII. Die Reihung in der Editio X hingegen folgt wieder genau derjenigen der Editio VIII. Dieses Bild lässt sich für alle weiteren Kapitel der vier herangezogenen PPM-Ausgaben 28 Erläuterungen zur Tabelle: In Spalten, in denen sich nur Liednummern befinden, sind die Lieder in allen vier Fassungen dieselben. Die Orthographie der Incipits folgt der jeweiligen Quelle.

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bestätigen. Natürlich gibt es in der Editio X gegenüber der Editio VIII dann später Erweiterungen und Änderungen und ebenso bei der Editio IX gegenüber der Editio VII (dazu Genaueres unten), es besteht aber kein Zweifel, dass die Editio X eine erweiterte Neufassung der Editio VIII ist und die Editio IX eine solche der Editio VII. Wäre nun die Stettiner Ausgabe ein Nachdruck einer Berliner Editio IX , würde das bedeuten, dass Crüger und Runge in einer Berliner Editio IX sämtliche Änderungen der Editio VIII gegenüber der Editio VII rückgängig gemacht hätten. Hinzu kommt noch, dass in der Editio X wieder alles so ist wie in der Editio VIII. Crüger und Runge hätten dann die in einer Berliner Editio IX gegenüber der Editio VIII rückgängig gemachten Änderungen erneut rückgängig gemacht und wären von da an wieder der Editio VIII gefolgt. Es lassen sich keine Gründe für ein solch seltsames Vorgehen finden. Die einzige plausible Erklärung ist, dass es nie eine Berliner Editio IX gegeben hat. Diese erheblichen Abweichungen des Stettiner Druckes sowohl von der Editio VIII als auch von der Editio X sind auch von den Herausgebern der PPMAusgabe erkannt worden, was sie dazu veranlasst hat, die bisherige Auffassung, die Stettiner Ausgabe sei ein weitgehender Nachdruck einer Berliner Editio IX vorsichtig zu revidieren: Wie aus Druckbeschreibungen und den Kritischen Kommentaren im Apparatband PPMEDW I/2 zu ersehen ist, weist die Stettiner „Editio IX .“ gegenüber der „Editio X .“ nicht geringe Eigenständigkeit auf. Angesichts jener großen Ähnlichkeit der beiden Berliner Ausgaben X und VIII nun tritt diese Eigenständigkeit jetzt noch schärfer hervor. Es ist nicht gut anzunehmen, dass die Berliner neunte Edition die Abfolgen von Gemeinsamkeiten zwischen der achten und der zehnten vorübergehend unterbrochen hat, aus ihnen ausgeschert ist. So bleibt der Schluss, dass sich der Stettiner Druck trotz der ausdrücklichen Bezeichnung als „Editio  IX .“ in einigem von der verschollenen Runge’schen neunten Ausgabe unterschieden haben muss.29 Damit erscheinen die Angaben in PPMEDW I/2, S. 41 oben unter 5, und S. 65, wonach der Stettiner Druck im Wesentlichen eine Neuausgabe der Berliner neunten sei und gegenüber dieser nur geringe Zusätze enthalten habe, nunmehr zu stark vereinfacht.30

Diese aufgrund der Entdeckung der Editio VIII notwendige Revision der bisherigen Forschungsauffassung geht nach meiner Auffassung nicht weit genug; denn weiterhin wird die Existenz einer Berliner Editio IX angenommen, auch wenn deren Vorlagencharakter für Starckes Druck nun problematisch wird. Die Orientierung des Stettiner Druckes an der Editio VII wird hingegen nicht thematisiert. Deshalb bleibt so insgesamt offen, wie der Stettiner Druck einzuordnen ist. Wenn man aber die Auffassung aufgibt, es habe eine Berliner Editio IX gegeben, fügen sich die bisherigen Beobachtungen zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen. Folgendes Szenario scheint mir sehr wahrscheinlich: Starcke hat einen erweiterten Nachdruck der Editio VII von 1657 geplant, den er als Editio VIII auf den 29 Miersemann, Wolfgang / Suchan, Monika / Korth, Hans-Otto: Eine Neuentdeckung (wie Anm. 10), 146 f. 30 Ebd., 147, Anm. 26.

Erstdruck im Raubdruck? 

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Markt bringen wollte. Vor Fertigstellung des Druckes muss er Kenntnis vom Erscheinen (1659) der Berliner Editio VIII erhalten haben.31 Bei Erscheinen seines Gesangbuchs 1660 hat er es deshalb als Editio IX deklariert, um gegenüber der im Vorjahr erschienenen Berliner Ausgabe eine größere Aktualität bei potentiellen Käufern zu suggerieren. Der Berliner Verleger Runge hat dann – wie üblich im Zweijahresrhythmus – 1661 die nächste Ausgabe des Gesangbuchs als Editio IX herausbringen wollen, muss aber vor Erscheinen seiner neuen Ausgabe von Starckes Werk Kenntnis erlangt haben, was die oben bereits behandelte ‚Nachbemerkung‘ in der Editio X belegt. In dieser Situation war es aus marktstrategischen Gründen sinnvoll, die neue Ausgabe als 10. Edition anzugeben, um zu zeigen, dass es sich um die aktuellste Ausgabe handelt und nicht etwa um einen Nachdruck der Stettiner Ausgabe, die ja älter war. Crüger und Runge haben sich aber natürlich bei ihrer neuen Ausgabe an ihrer Editio VIII orientiert und nicht etwa am Stettiner Druck. Eine Berliner Editio IX hat es also wohl nie gegeben.32

Vergleich der Liederabfolge in den Editiones VII und IX Alle Lieder der Editio VII sind auch in der Editio IX vorhanden.33 Die Tabel­ larische Übersicht über den Liedbestand der PPM in der PPMEDW34 erweckt 31 Zu Einflüssen der Editio VIII auf Starckes Druck s. u. 32 Zur Auseinandersetzung mit Zeugnissen, die diese These problematisch machen, siehe den letzten Abschnitt dieses Aufsatzes. 33 Die frühen Ausgaben der PPM weisen in unterschiedlichem Ausmaß Fehler in der Liedernummerierung auf. Manchmal handelt es sich um Versehen, die bereits nach einem oder wenigen Liedern wieder korrigiert sind, so dass von da an die Nummerierung wieder korrekt ist; an anderen Stellen aber wird nach den Fehlern die gesamte folgende Zählung fehlerhaft fortgeführt – bis zum nächsten größeren Fehler. In der Editio VII gibt es – abgesehen von zahlreichen kleinen Zählfehlern – mehrere solcher schwerwiegenden Verwerfungen in der Zählung: Nr. 333 fehlt, dafür ist die Nr. 365 doppelt vergeben, so dass die Zählung von da an wieder stimmt; auch Nr. 394 ist doppelt vergeben, dafür fehlt Nr. 444, so dass die Zählung von hier an erneut korrekt ist; und schließlich ist Nr. 469 doppelt vergeben, was durch das Fehlen von Nr. 483 wieder ausgeglichen wird. Im Schlussteil fehlt die Nr. 516 (vielleicht war sie für das auf S. 990 beginnende Lied, das die Litanei zusammenfasst, vorgesehen gewesen und dann vergessen worden; man kann das Lied aber auch als mit der Nr. 515 [Litanei] zusammengehörig verstehen; in der Editio IX ist dieses Lied – ganz entsprechend der Editio VII – nicht eigens gezählt worden. Bezeichnenderweise hat dieses Lied hingegen in den Editiones VIII und X eine eigene Nummer, was ebenfalls die Abhängigkeit der Editio IX von der Editio VII erweist). Insgesamt beträgt also die tatsächliche Anzahl der gezählten Lieder in Editio VII 518, und nicht 519, wie die Nummer des letzten Liedes suggeriert. Im Stettiner Druck gibt es auch einige kleinere Zählfehler, aber nur einen, der sich weitergehend auswirkt: Nr. 423 ist doppelt vergeben. Somit enthält die Sammlung ein gezähltes Lied mehr, als die Nummer des letzten Liedes vermuten lässt: 536 statt 535. Starckes Druck enthält also 18 gezählte Lieder mehr als die Editio VII. Vgl. dazu auch das ganz entsprechende Ergebnisse der Zählung aller Lieder in der Tabelle in der PPMEDW 2/2 (wie Anm. 2), 280. Wenn im Folgenden Liednummern angegeben werden, beziehen sie sich immer auf die in der jeweiligen PPM-Ausgabe real vergebene Nummer; fehlerhafte Zählungen werden also übernommen. Allenfalls bei den kleineren, offenkundigen Fehlern, wird stillschweigend korrigiert. Durch dieses Verfahren sind alle Lieder leichter aufzufinden, als wenn eine korrigierende Zählung verwendet werden würde. 34 Vgl. Tabelle in der PPMEDW 2/2 (wie Anm. 2).

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zwar für die Lieder Es sei das treue Vaterherz und Es sei ferne von mir Rühmen den Eindruck, sie seien in der Editio VII vorhanden, nicht aber in der Editio IX ,35 dabei handelt es sich aber um eindeutige Fehler: Es sei das treue Vaterherz ist in beiden Ausgaben enthalten,36 Es sei ferne von mir Rühmen hingegen findet sich in keiner der beiden Ausgaben.37 Die Editio IX fügt zwar an verschiedenen Stellen neue Lieder in die Folge der Lieder ein, verändert die Reihung gegenüber der Editio VII aber nur an zwei Stellen: Zum einen ist einmal die Folge zweier Lieder vertauscht worden,38 und zum anderen wird das vorletzte Lied der Ausgabe von 1657 in der Stettiner Ausgabe weit vorgezogen.39 Während die Gründe für die erste Umstellung nicht auszumachen sind, folgt Starcke mit der zweiten Umstellung im Grunde einer Vorgabe der Editio VII ,40 so dass selbst an dieser Abweichung zu erkennen ist, dass die Editio VII die Vorlage seiner Edition war. Das wird auch durch eine – stichprobenartig durchgeführte – Kollation der beiden Ausgaben erkennbar: Starcke folgt sehr weitgehend der Orthographie und Interpunktion der Editio VII. Hinzu kommt, dass in Starckes Edition alle Lieder mit Notensätzen versehen sind, die auch in Editio VII Noten besitzen, und umgekehrt gilt: alle Lieder, denen in Editio VII statt Noten Lehnmelodien zugeordnet sind, führen auch bei Starcke nur Melodieangaben. Insgesamt ergibt sich also, dass Starckes Edition alle Merkmale eines Raubdrucks aufweist, für den die Editio VII die Vorlage war. 35 Vgl. ebd., 82. 36 Vgl. Editio VII, S. 1000, Nr. 519 und Edition IX, S. 1016, Nr. 535. 37 Dieses Lied findet sich erst in PPM Berlin 1718, S. 552 f., Nr. 535. 38 Es handelt sich um die Lieder WOllt ihr euch nun und HOeret / o ihr kinder GOttes (Nr. 528/529 in Editio IX, S. 991–995, und Nr. 511/512 in Editio VII, S. 975–979). 39 Es handelt sich um das Lied LAsset ab von euren thränen (in Editio VII, S. 997–1000, Nr. 518, in Editio IX, S. 961–964, Nr. 516). Starcke hat damit eine gewisse inhaltliche Entscheidung getroffen; denn das Lied wurde aus dem zweiten und letzten Kapitel (‚Vom jüngsten Tage und Auferstehung der Todten.‘, ab S. 972 in Editio IX) des 5. Teils (‚Fünfter theil dieses Büchleins / Darinnen begriffen Sterbegesänge. Jtem Von Auferstehung der Todten.‘, ab S. 877 in Editio IX) in das erste Kapitel (‚Sterbelieder.‘, ab S. 877 in Editio IX) vorgezogen. Der Grund für Starckes Vorgehen ist leicht auszumachen: Das Lied ist in der Editio VII unter eine eigene Kopfrubrik gestellt: „Ein Sterbelied“. Starcke war also der Ansicht, dieses Lied sei nachträglich der Ausgabe von 1657 angefügt und durch die Kopfrubrik dem eigentlich richtigen Kapitel zugeordnet worden. Er hat es dann in seiner Edition entsprechend eingeordnet. Die Einschätzung des Stettiner Druckers war sicher zutreffend; denn die letzten beiden Lieder der PPM Berlin 1657 sind in dieser Ausgabe erstmals hinzugekommen, also vermutlich wirklich erst kurz vor Fertigstellung des Satzes aufgenommen worden. Obwohl die genannte Kopfrubrik sich in der Editio VII auch noch über dem letzten Lied, dem bereits genannten ES sey das treue vaterhertz, findet, das auf derselben Seite wie der Schluss des vorangehenden Liedes steht, hat Starcke die Zuordnung der Kopfrubrik – wohl aufgrund des Singulars – nur auf ein Lied bezogen und das letzte Lied an seinem Platz belassen. Das hat seine Berechtigung, weil sich das letzte Lied der Editio VII durchaus als Abschlusslied des fünften Teils eignet; man hätte es aber auch zu den Sterbeliedern ziehen können. Starckes Umstellung des vorletzten Liedes war also durch die Darbietung in der Editio VII nahegelegt; in der Editio VIII von 1659 und auch in der Editio X von 1661 hingegen ist das Lied – in Editio VIII mit der gleichen Kopfrubrik, in der Editio X mit der neuen Kopfrubrik „Anhang“ – an vergleichbarer Stelle wie in Editio VII belassen worden. 40 S. dazu die vorangehende Anmerkung.

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Die in der Stettiner Ausgabe gegenüber der Editio VII neu hinzugefügten Lieder Interessant ist aber nun, dass Starcke gegenüber der Vorlage das Gesangbuch um 18 neue Lieder erweitert hat.41 Hier zunächst eine Übersicht der neu hinzugefügten Lieder: 1) Nr. 87: GOtt sey danck durch alle welt. Lehnmelodie. Verfasserangabe: Heinrich Held.42 2) Nr. 88: MAcht hoch die thür / die thor macht weit. Noten. Verfasserangabe: Georg Weißel.43 3) Nr. 89: MJt ernst / o menschenkinder / Das hertz in euch bestellt. 2 Lehnmelodien. Verfasserangabe: Valentin Thilo.44 4) Nr. 90: SUch / wer da wil. Lehnmelodie. Verfasserangabe: Georg Weißel. 5) Nr. 167: DA Jesus an das [!] creutzes stamm. Lehnmelodie. Ohne Verfasserangabe. 6) Nr. 168: O Mensch merck auf was ich dir sag. 2 Lehnmelodien. Überschrift: „Jesus das purpurrothe Blutwürmlein Ps. 22. v. 7.“ Verfasserangabe: Johann Heermann.45 7) Nr. 169: JEsu / meiner seelen licht. Lehnmelodie. Verfasserangabe: Heinrich Held. 8) Nr. 194: JAuchzet / lobt und singet. Noten. Verfasserangabe: Heinrich Held. 9) Nr. 213: KOmm / o komm du Geist des lebens. Noten. Verfasserangabe: Heinrich Held. 10) Nr. 319: WEnd ab deinen zorn / lieber GOtt mit gnaden. Ohne Lehnmelodie. Überschrift: „Aufer immensam, verdeuscht.“46 Ohne Verfasserangabe. 11) Nr. 347: ALso hat GOtt die welt geliebt. Lehnmelodie. Überschrift: „Also hat GOtt die Welt geliebet.“ Verfasserangabe: Paul Gerhardt. 12) Nr. 348: HErr / aller weißheit qvell und grund. Lehnmelodie. Überschrift: „Herrn Johann Arnds Gebät umb Weißheit und Verstand.“ Verfasserangabe: Paul Gerhardt. 13) Nr. 349: JEsu / allerliebster bruder. Lehnmelodie. Überschrift: „Herrn Johann Arnds Gebät umb Christliche beständige Freundschafft.“ Verfasserangabe: Paul Gerhardt. 41 Wenn man sich nur die Nummern der jeweils letzten Lieder in beiden Ausgaben ansieht (535 in Editio IX und 519 in Editio VII) kommt man nur auf 16. Die Differenz zur richtigen Zahl 18 ergibt sich aus den zahlreichen Fehlern und Verwerfungen in der Zählung der Editio VII und der auch nicht ganz korrekten Zählung in Editio IX; s. o. Anm. 33. Fischer-Krückeberg, Elisabeth: Johann Crüger’s Praxis pietatis melica (wie Anm. 4), 39, behauptet – unzutreffend –, die Stettiner Ausgabe enthalte nur vierzehn neue Lieder im Vergleich mit der Ausgabe von 1657. 42 In der Tabelle der PPMEDW 2/2 (wie Anm. 2), 102, fehlerhaft als in Editio VII vorhanden markiert. Zu Held vgl. Scheitler, Irmgard: Art.: Held, Heinrich, in: Frühe Neuzeit in Deutschland 1620–1720. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Bd. 3. Berlin / Boston 2021, Sp. 926–958. 43 Zu Georg Weißel (1590–1635) vgl. Block, Johannes: Art.: Weissel, Georg, in: Herbst, W ­ olfgang (Hg.): Wer ist wer im Gesangbuch? Göttingen 22001, 344 f. 44 Zu Valentin Thilo d. J. (1607–1662) vgl. Gerber, Gotthard: Art.: Thilo, Valentin, in: Herbst, Wolfgang (Hg.): Wer ist wer im Gesangbuch? Göttingen 22001, 324 f. 45 Zu Johann Heermann (1585–1647) vgl. Liess, Bernhard: Art.: Heermann, Johann, in: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Bd. 3. Berlin / ​ Boston 2014, Sp. 211–217. 46 Dass man diese Überschrift auch als Hinweis auf die zu verwendende Lehnmelodie verstehen kann, wird im Kommentar zu diesem Lied in der PPM-Ausgabe plausibel aufgezeigt; vgl. PPMEDW 1/2 (wie Anm. 2), S. 440 f., Nr. x97.

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14) Nr. 350: GEdult ist euch von nöthen. Lehnmelodie. Überschrift: „Gedult ist euch noth.“ Verfasserangabe: Paul Gerhardt.47 15) Nr. 434: ES ist nunmehr fried im lande. Noten. Ohne Verfasserangabe. 16) Nr. 490: LAß sterben was bald sterben kan. Lehnmelodie. Ohne Verfasserangabe.48 17) Nr. 499: ACh wie nichtig / ach wie flüchtig ist der menschen leben. Noten. Ohne Verfasserangabe.49 18) Nr. 534: ZWey ding / o frommer Gott. Lehnmelodie. Überschrift: „Vmb Gottes Segen / ohne gar zu grossen überfluß zur Wollust / auch ohne grossen mangel in Ar­ muth.“ Ohne Verfasserangabe.

Die nachfolgende Tabelle liefert eine Übersicht darüber, welche dieser Lieder bereits in der Editio VIII von 1659 und noch in der Editio X von 1661 vorhanden sind. Es werden zur Editio VIII die Nummern angeben, unter der die Lieder zu finden sind (etwaige Verwerfungen in der Nummernfolge bleiben dabei unberücksichtigt), zur Editio X werden die Nummern angegeben, die diese Lieder in der PPM-Edition tragen. Wenn Lieder in dieser Spalte Nummern mit einem vorangehenden x versehen sind, dann sind sie zwar in der PPM von 1661 nicht vorhanden, es gibt aber im Apparate-Band zu ihnen unter dieser Nummer eine Textwiedergabe und einen Kommentar. Man kann also zu allen 18 Liedern im Apparate-Band der PPMEDW unter den angegebenen Nummern weitergehende Informationen finden. Man sieht, dass Starcke elf Lieder in drei Blöcken (87–90/167–169/347–350) sowie sieben einzelne Lieder in den aus der Editio VII übernommenen Bestand eingefügt hat. Die ersten beiden Blöcke sowie Lied 499 finden sich auch in der Editio VIII. Da Starcke von diesem Werk Kenntnis gehabt haben muss, liegt die Vermutung nahe, dass hier die Editio VIII die Vorlage gewesen sein könnte. Das wird dadurch bestärkt, dass die Lieder des ersten Blocks genau in derselben Reihenfolge stehen wie in der Editio  VIII. Ein Vergleich der Texte ergibt, dass die Editio IX beim ersten Block nur minimale Abweichungen gegenüber der Fassung in Editio VIII aufweist. Beim zweiten Block gibt es eine im Vergleich zum ersten erhöhte Zahl von Abweichungen, die aber noch völlig im Rahmen dessen liegen, was damals bei Raub- und Nachdrucken üblich war. Das Lied ACh wie nichtig / ​ ach wie flüchtig ist der menschen leben hingegen weist gravierende inhaltliche Unterschiede zwischen den Drucken auf.50 Aufgrund des Textbefunds ist es also sehr wahrscheinlich, dass die Texte der Editio VIII die Vorlage des ersten Blocks waren, für den zweiten Block ist das durchaus möglich, für das einzelne Lied hingegen völlig ausgeschlossen. Bemerkenswert ist noch, dass Starcke die 47 In der Tabelle der PPMEDW 2/2 (wie Anm. 2), 88, fehlerhaft als in der Stettiner Ausgabe von 1660 und der Editio X der PPM von 1661 nicht vorhanden angegeben. 48 Verfasser des Liedes ist Simon Dach, vgl. zu ihm Anm. 57. 49 Verfasser des Liedes ist Michael Franck (1609–1667); zu ihm s. Schlage, Thomas: Franck, Michael, in: Herbst, Wolfgang (Hg.):Wer ist wer im Gesangbuch? Göttingen 22001, 95 f. 50 Die Herausgeber der PPMEDW haben das Lied in der Stettiner Fassung im Anhang mit der Nummer x100 abgedruckt, weil es im Vergleich zum Lied 530 der Editio X, das dem der Editio VIII entspricht, so viele Abweichungen aufweist, das es bereits eigenständigen Charakter besitzt; vgl. die zugehörigen Kommentare in PPMEDW 1/2 (wie Anm. 2).

163

Erstdruck im Raubdruck?  Tabelle 2 Lied (Orthographie nach der Stettiner Ausgabe.)

PPM Berlin 1659 (Editio VIII)

PPM Stettin 1660 (Editio IX)

PPM Berlin 1661 (Editio X)

GOtt sey danck durch alle welt

85

87

85

MAcht hoch die thür / die thor macht weit

86

88

86

MJt ernst / o menschenkinder / Das hertz in euch bestellt

87

89

87

SUch / wer da wil

88

90

88

DA Jesus an das [!] creutzes stamm

165

167

165

O Mensch merck auf was ich dir sag

163

168

163

JEsu / meiner seelen licht

169

169

169

JAuchzet / lobt und singet



194

x95

In PPM dann nur noch Stettin 1676

KOmm / o komm du Geist des lebens



213

x96

In PPM im 17. Jh. nur noch Stettin 1676

WEnd ab deinen zorn / lieber GOtt mit gnaden



319

x97

Später nur in den Frankfurter Ausgaben der PPM

ALso hat GOtt die welt geliebt



347

372

HErr / aller weißheit qvell und grund



348

373

JEsu / allerliebster bruder



349

374

GEdult ist euch von nöthen



350

375

ES ist nunmehr fried im lande



434

x98

In PPM dann nur noch Stettin 1676

LAß sterben was bald sterben kan



490

x99

In PPM dann nur noch Stettin 1676

526

499

530 und x100

534

x101

ACh wie nichtig / ach wie flüchtig ist der menschen leben ZWey ding / o frommer Gott

Anmerkungen

Starke textliche Abweichungen In PPM dann nur noch Stettin 1676

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beiden Blöcke im Vergleich zur Editio VIII an etwas anderen Stellen platziert hat. Während der erste Block in der Editio VIII (gegenüber der Editio VII) an dritter Stelle des Kapitels ‚Von der Menschwerdung JEsu Christi’ eingefügt worden ist, steht er in der Editio IX am Ende des Kapitels. Die drei Lieder des zweiten Blocks wiederum finden sich in der Editio VIII nicht als zusammenhängende Einheit wie in Editio IX , sondern sind durch andere Lieder getrennt und weisen auch eine andere Reihenfolge auf. Dieser Befund führt zu neuen Problemstellungen. Wenn die Editio VIII wirklich Starckes Vorlage für die sieben Lieder der ersten beiden Blöcke gewesen wäre, stellt sich die Frage, ob ihm das Buch bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Satzes der Editio IX vorgelegen hat oder eher zu einem späten. Hätte die Editio VIII ihm zu einem frühen Zeitpunkt vorgelegen, wäre es unproblematisch gewesen, die beiden Blöcke in das Gesamtgefüge einzubauen. Dann wäre aber zu klären, warum er sie nicht an den Stellen platziert hat, an denen sie in der Editio VIII stehen, wo er doch ansonsten wenig Neigung zu Umplatzierungen erkennen lässt – bis auf die zwei erwähnten Ausnahmen folgt er bei seinem Druck der Reihung seiner Vorlage, der Editio VII , ganz penibel. Außerdem stellt sich dann die Frage, warum er nicht auch andere in der Editio VIII gegenüber der Editio VII neu hinzugekommene Gedichte (etwa die vier neuen Gedichte am Ende des Kapitels ‚Von der Geburt Jesu Christi‘) aufgenommen hat? Ja, im Grunde ist zu fragen, warum er nicht gleich die Editio VIII statt der Editio VII nachgedruckt hat, wenn sie ihm frühzeitig vorgelegen hätte? Hätte ihn der Druck der Editio VIII aber erst in einer späten Phase des Satzes vorgelegen, hätte es eines enormen setzerischen Aufwandes bedurft, um die sieben Lieder nachträglich einzufügen. Das ist unwahrscheinlich, da Paginierung und Liedzählung mühsam hätten angepasst werden müssen. Auch hier müsste begründet werden, warum er, wenn er wirklich bereit gewesen wäre, einen solchen Aufwand zu betreiben, nicht noch weitere Lieder aus der Editio VIII integriert hat? Angesichts des jetzigen Kenntnisstandes ist also davon auszugehen, dass Starcke für die sieben Lieder eine Vorlage (oder mehrere Vorlagen) zur Verfügung hatte, die in einem sehr engen Verhältnis zur Editio VIII gestanden hat (haben). Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass ihm der Druck dieser Ausgabe der PPM während des Satzes seines Werkes vorgelegen haben muss. Es ist sogar eher unwahrscheinlich, dass er einen vollständigen Druck der Editio VIII zur Verfügung gehabt hat. Denn sonst hätte er ja gewusst, wo die Lieder in der Editio VIII genau eingefügt worden sind, und hätte sie nicht nach eigenem Gutdünken platzieren müssen. Dass diese Vorlage nicht in einem Zusammenhang mit der Editio VIII gestanden haben kann, ist hingegen zumindest für den ersten Block unwahrscheinlich, wenn man bedenkt, dass er dieselbe Reihung wie in der Editio VIII aufweist und dass das Textbild nahezu identisch ist. Für den zweiten Block ist es angesichts der abgeänderten Reihung und der etwas stärkeren typographischen Unterschiede etwas eher wahrscheinlich. Man kann vermuten, dass Starcke für den ersten Block ein Auszug des Druckes, für den zweiten hingegen nur einzelne (vielleicht handschriftliche) Vorlagen zur Verfügung standen.

Erstdruck im Raubdruck? 

165

Werfen wir nun einen Blick auf die zehn anderen gegenüber der Editio VII neuen Lieder in Starckes Druck, die auch in der Editio VIII nicht vorhanden sind. Vier von diesen Liedern (Nr. 347–350) finden sich dann auch in der Editio X von 1661. Sie stammen alle von Paul Gerhardt51 (1607–1676). Bemerkenswert ist, dass sich für sie kein früherer Druck als die Stettiner Fassung nachweisen lässt. Das war bisher in der Forschung kein besonderes Problem, da man davon ausgegangen ist, bei Starckes Werk handele es sich um den Nachdruck einer verschollenen Berliner Editio IX , so dass diese Lieder wie die anderen Gerhardt-Lieder auch ihren Weg über Crüger und Runge in die PPM gefunden hätten. Da es aber – wie oben aufgezeigt – sehr wahrscheinlich keine Berliner Editio IX gegeben hat, verursacht der Umstand, dass ausgerechnet der Stettiner Drucker Starcke diese Lieder anscheinend erstmals präsentiert, Klärungsbedarf.52 Dass Starcke diese Lieder vom Berliner Verleger Runge erhalten haben könnte, ist angesichts dessen harscher Kritik am Stettiner Druck in seinem Nachwort zur Editio X ausgeschlossen. Es ist auch kaum denkbar, dass die Texte von Gerhardt selbst oder Crüger nach Stettin gesandt worden sind. Der Vorspann seines Werkes erweist ja, dass Starcke ein ausgesprochen großes Bedürfnis hatte, seinen Druck zu rechtfertigen und zu legitimieren. Wären ihm wirklich vom Herausgeber der PPM Crüger oder von einem der wichtigsten Autoren dieser Reihe, Gerhardt, Texte zur Nutzung zur Verfügung gestellt worden, hätte er kaum darauf verzichtet, dies im Vorspann herauszustreichen. Festzuhalten ist, dass Starcke sieben Lieder eingefügt hat, deren Vorlage in einem engen Zusammenhang mit der Berliner Editio VIII stehen, und gar vier neue Gerhardt-Lieder, die in der Berliner Reihe erst in der Editio X von 1661 erscheinen. Mangels weiterer Quellen lässt sich nichts Sicheres dazu sagen, wie Starcke an diese Texte gelangt ist. Wäre es aber so abwegig zu vermuten, dass der Stettiner Drucker einen Kontakt in Runges Betrieb besessen haben könnte, der ihn gelegentlich mit Auszügen und / oder Abschriften von gerade in Arbeit befindlichen Ausgaben der PPM versorgt hat? Vielleicht hat ein Druckergeselle zunächst Texte vom Druck der Editio VIII und dann später Abschriften aus der Vorbereitungsphase der Editio X nach Stettin gesandt53 – ein früher Fall von Industriespionage sozusagen. Diese These ist aber natürlich mangels weiterer Informationen nur eine Spekulation. Für Starcke jedenfalls war der Abdruck von vier neuen Gerhardt-Liedern, also von Texten eines Autors, der maßgeblich

51 Zu ihm s. Grosse, Sven / Steiger, Johann Anselm: Art.: Gerhardt, Paul, in: Frühe Neuzeit in Deutschland 1620–1720. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Bd. 3. Berlin / Boston 2021, Sp. 311–327. 52 Natürlich ist nicht auszuschließen, dass es andere Erstdrucke der vier Lieder gegeben hat, die Starcke dann herangezogen hätte. Aber solche Drucke sind bisher nicht bekannt. Und es stellt sich dann auch die Frage, wie Starcke es geschafft haben könnte, vor Crüger und Runge darauf zuzugreifen. 53 Vom Lied Ach wie nichtig / ach wie flüchtig ist der menschen leben könnte jener Informant vielleicht nur den Titel genannt haben, so dass Starcke bei der Aufnahme des Liedes dann an eine andere Textfassung geraten ist.

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für den Erfolg der PPM mitverantwortlich war, ein großer Coup. Wir haben es hier vermutlich mit dem kuriosen Fall zu tun, dass die Erstpublikation von vier Liedern Paul Gerhardts ausgerechnet in einem Raubdruck erfolgte. Die anderen sechs von Starcke neu hinzugefügten Lieder54 stehen in keinem Zusammenhang mit der Editio VIII oder X. Keines von ihnen hat es geschafft, in Berliner Ausgaben der PPM aufgenommen zu werden; sie finden sich nur in späteren Stettiner oder Frankfurter Ausgaben.55 Die Aufnahme des Friedensliedes ES ist nunmehr fried im lande könnte durch die in der Widmungsvorrede von Starcke vorgenommene Begrüßung des Friedensschlusses motiviert worden sein. Zwei Lieder dieser Gruppe ( JAuchzet / lobt und singet und KOmm / o komm du Geist des lebens) stammen von Heinrich Held56 (1620–1659), und eines (LAß sterben was bald sterben kan) von Simon Dach57 (1605–1659). Man kann also vermuten, dass Starcke vielleicht regionale Autoren des deutschen Ostseeraums bevorzugt hat; denn Dach war ja in Königsberg tätig, und Helds Lebenslauf weist vielfältige Bezüge zum Ostseeraum und gar zu Stettin auf: Er ist zwar in Schlesien geboren worden, hat aber in Thorn das Gymnasium besucht und u. a. in Königsberg und Rostock studiert; seine letzten Lebensjahre verbrachte er in Altdamm bei Stettin. Allerdings sind von Held, der 1643 mit seiner Liedersammlung ‚Deutscher Gedichte Vortrab‘58 hervorgetreten war, ja bereits in der Editio VIII drei Lieder zu finden (ERheb / du wehrte Christenheit (Nr. 122, S. 231 f.), GOtt sey danck durch alle welt und JEsu / meiner seelen licht),59 von denen Starcke die beiden Letztgenannten ebenfalls aufgenommen hat, und Simon Dach gehört ohnehin zu den wichtigeren Dichtern der PPM .60 Neben dem regionalen Bezug dürfte es Starcke also wichtig gewesen sein, Texte von Dichtern hinzuzufügen, die ohnehin bereits mit Liedern in der PPM vertreten waren. Das fügt sich gut zu den bisherigen Überlegungen zu den 18 neuen Liedern: Starcke war offenbar sehr daran interessiert, Lieder aufzunehmen, die gerade neu in der achten Edition erschienen waren oder in Kürze in der Editio X hinzugefügt werden sollten. Auch wenn unklar ist, wie er an die diesbezüglichen Informationen bzw. – insbesondere im Fall der Gerhardt-Lieder – an die Texte solcher Lieder gekommen ist, muss er dafür einigen Aufwand betrieben haben. Bei den anderen neu hinzugefügten Liedern hat er sich offenbar bemüht,

54 Aus welchen Quellen Starcke die Texte dieser Lieder und in zwei Fällen auch die zugehö­ rigen Noten entnommen hat, ist unermittelt. 55 Das Lied Komm, o komm, du Geist des Lebens ist ins Evangelische Gesangbuch aufgenommen worden (EG 134). 56 Zu ihm s. Scheitler, Irmgard: Art.: Held, Heinrich (wie Anm. 42). 57 Zu ihm s. Walter, Axel E.: Art.: Dach, Simon, in: Frühe Neuzeit in Deutschland 1620–1720. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Bd. 2. Berlin / Boston 2020, Sp. 433–453. 58 Heinrich Heldes Deutscher Gedichte Vortrab. Franckfurt an der Oder Jn Verlegung Johan Eichorns witben 1643. 59 Zu Helds Liedern in der PPM vgl. ausführlicher Scheitler, Irmgard: Art.: Held, Heinrich (wie Anm. 42), 952 f. 60 So stammen etwa in der PPM-Ausgabe von 1653 die Lieder Nr. 66, 403, 439, 460, 463, 465 und 468 von ihm.

Erstdruck im Raubdruck? 

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solche auszuwählen, die problemlos mit der Ausrichtung der vorangehenden Ausgaben der PPM vereinbar waren. Das war am einfachsten zu gewährleisten durch Aufnahme von Liedern, deren Autoren ohnehin schon mit vielen Liedern in der PPM vertreten waren. Insgesamt ergibt sich also für die achtzehn neuen Lieder der Befund, dass Starcke versucht hat, sie ganz im ‚Geiste‘ der vorangehenden Ausgaben auszuwählen. Bei Starckes Ausgabe handelt es sich gewissermaßen um einen ‚Raubdruck de luxe‘. Trotzdem hat der Stettiner Drucker durch die neuen Lieder natürlich durchaus eine erweiterte Fassung der Editio VII geschaffen, die er somit als eigenständig angesehen und deshalb nicht ganz zu Unrecht als Editio IX deklariert hat.

Auseinandersetzung mit Zeugnissen Runges und Bodes, die für die Existenz einer Berliner Editio IX sprechen Es gibt Zeugnisse von Christoph Runge selbst und von dem Kirchenlied-­ Forscher Wilhelm Bode aus dem 19. Jh., die zu belegen scheinen, dass – entgegen meiner Annahme – doch eine Berliner Editio IX existiert haben müsse. Da es sich zum einen um eine Aussage des Verlegers selbst und andererseits um einen Drucktitel handelt, ist es schwer möglich, diese Zeugnisse völlig zu widerlegen, zumal es ja auch schwierig ist, sicher nachzuweisen, dass es ein Buch nie gegeben hat. Dennoch bin ich der Ansicht, dass die beiden Zeugnisse nicht ausreichen, um die Existenz einer Berliner Editio IX sicher zu belegen: Christoph Runge behauptet in seiner Widmungsvorrede der Editio XI (1664) an seine Schwiegermutter Marie Fischer, geb. Röber, in einer Passage, in der er erneut die Unrechtmäßigkeit der PPM-Drucke aus Frankfurt a. M. und aus Stettin betont, er habe bereits „zehen Editiones durch […] schwere Mühe heraus gebracht“61. Diese Aussage kann man als Beleg dafür ansehen, dass es eine Berliner Editio IX gegeben haben muss. Andererseits kann Runge beim Vorlegen einer Editio XI ja schlecht in seiner Vorrede schreiben, es habe zuvor nur neun Ausgaben gegeben, weil das einen ziemlich umständlichen Erklärungsbedarf verursacht und implizit die Anerkennung des Stettiner Drucks als Bestandteil der PPM-Folge bedeutet hätte. Runges Aussage ist auch insofern nicht ganz genau, als die erste Ausgabe des Gesangbuchs von 1640 nicht von ihm, sondern von seiner Mutter verantwortet worden ist. Nach dem Tod des Vaters 1638 hat dessen Witwe das Familienunternehmen weitergeführt, während Runge 1638 zum Studium nach Frankfurt a. d. Oder gegangen ist und erst 1644 die Leitung der Druckerei übernommen hat.62 Entsprechend findet sich auf dem Titelblatt

61 PPM XI (1664), fol. )( 3v; der vollständige Text dieser Ausführungen wird in Anhang 3 mitgeteilt. 62 Vgl. Noack, Lothar / Splett, Jürgen: Bio-Bibliographien. Brandenburgische Gelehrte der Frühen Neuzeit. Berlin-Cölln 1640–1688. Berlin 1997 (Veröffentlichungen zur brandenbur­

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des „Neuen vollkömmlichen Gesangbuches“, das nachträglich als Editio I der PPM gezählt wird, die Drucker- und Verlagsangabe: „Gedruckt und zu finden in Berlin bey Georg: Rungens Sel. Witwe, 1640.“63 Runges Aussage in der Widmungsvorrede der Editio XI kann also kaum als zwingender Nachweis für die Existenz einer Berliner Editio IX angesehen werden. Aus dem 19. Jh. liegen mehrere Zeugnisse vor, die auf die Existenz einer Berliner Editio IX hindeuten könnten. Karl Friedrich Theodor Schneider (1821–1895) berichtet 1857 von einer Ausgabe der PPM , die er kürzlich entdeckt habe, bei der es sich aber um „ein ganz verwittertes Exemplar“ handelte, dem das Titelblatt fehlte. Deshalb nahm er die Bestimmung der Ausgabe durch das angehängte Habermannsche Gebetbuch vor, das auf das Jahr 1659 datiert war. Daraus schloss Schneider, dass es sich bei dieser PPM-Ausgabe um die 9. Fassung handeln müsse, da er die auf 1661 datierte 10. Ausgabe kannte: Von der letzteren bißher ganz unbekannten Ausgabe [der PPM-Ausgabe von 1659] ist vor einigen Monaten ein freilich ganz verwittertes Exemplar in meine Hände gelangt, aus dem ich jedoch mit Sicherheit ersehe, daß (abgesehen von den drei letzten Liedern, über die ich bei der Unvollständigkeit des Exemplars nicht zu urtheilen vermag) der alleinige Unterschied der 10. Ausgabe der Praxis melica v. J. 1661 von der zweifelsohne 9. v. J. 1659 – dieses Erscheinungsjahr ergiebt sich allerdings nur aus dem angefügten „Gebätbüchlein …. Berlin, Gedruckt und Verleget von Christoph Runge, Jm Jahr 1659“ – in der Einschiebung der obigen vier Lieder von Paul Gerhard nach Nr. 371 besteht.64

Julius Mützell (1807–1862) wertete dieses Exemplar für sein Werk ‚Geistliche Lieder der evangelischen Kirche aus dem siebzehnten und der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts‘ (1858)65 aus – immer noch in dem Glauben, es handele sich um die Editio IX . Miersemann, Suchan und Korth konnten aber inzwischen überzeugend darlegen, dass es sich um ein Exemplar der Editio VIII gehandelt haben muss.66 Wilhelm Bode verweist 188167 an drei Stellen, jeweils zu Liedern Heinrich Helds, auf eine Berliner Editio IX der PPM: Nr. L58, S. 196, Nr. 71, S. 199 und Nr.  120, S.  214. Miersemann / Suchan / Korth vermuten, dass Bodes Angaben sich auf Mützell stützen, er sich somit auch auf das Schneidersche Exemplar bezieht, gischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit o. Nr.), Art.: Runge, Christoph, 369–372. 63 Vgl. Anm. 79. 64 Schneider, Karl Friedrich Theodor: Beiträge zur Liedergeschichte Paul Gerhards, in: Deutsche Zeitschrift für christliche Wissenschaft und christliches Leben 8 (1857), Nr. 17, S. 135–138, das Zitat S. 136. 65 Mützell, Julius: Geistliche Lieder der evangelischen Kirche aus dem siebzehnten und der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, von Dichtern aus Schlesien und den umliegenden Landschaften verfaßt. Braunschweig 1858. 66 Vgl. Miersemann, Wolfgang / Suchan, Monika / Korth, Hans-Otto: Eine Neuentdeckung (wie Anm. 10), 147 f. 67 Bode, Wilhelm: Quellennachweis über die Lieder des hannoverischen und des lünebur­ gischen Gesangbuches samt den dazugehörigen Singweisen. Hannover 1881.

Erstdruck im Raubdruck? 

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das fälschlich für die 9. Ausgabe gehalten wurde.68 Bode beruft sich aber nicht auf Mützell, sondern gibt zu Lied Nr. L58, auf S. 196, eine Titelaufnahme einer Berliner Editio IX , auf die er sich zu den anderen beiden Liedern bezieht. Die Titelaufnahme lautet (Auslassungen von Bode): PRAXIS PIETATIS MELICA . Das ist: Ubung der Gottseligkeit in Christlichen und trostreichen Gesängen … vermehret. Auch … mit … Melodeyen … verfertiget von Johann Crügern … Editio IX . Gedruckt zu Berlin … 1659.69

Der Umstand, dass Bode den Titel zitiert, bedeutet aber nicht, dass er eine Berliner Editio IX selber in den Händen gehalten hat; denn er liefert zu dieser Titelaufnahme in Klammern die Angabe: „Frl. Jul. Bachmann in Berlin.“ Im Vorwort seines Werkes bedankt sich Bode ausdrücklich für „mannigfache schriftliche Mitteilungen und Nachweise“.70 Das Fräulein Bachmann war offenkundig eine dieser Informationsquellen. Bode hat seine Kenntnisse über die drei Held-Lieder und die Berliner Editio IX also aus zweiter Hand. Bei dem „Frl. Jul. Bachmann in Berlin“ kann es sich eigentlich nur um Julie Bachmann (1833–1900) handeln. Sie war die Tochter des Berliner Theologen Johann Friedrich Bachmann (1799–1876), der 1856 eine wichtige Studie zu den Berliner Gesangbüchern71 und 1866 eine Ausgabe der Lieder Paul Gerhardts72 herausgebracht hatte. Bachmann hat aber offenkundig für diese beiden Arbeiten keine Ausgabe der PPM aus dem Jahr 1659 zur Verfügung gehabt, da er eine solche Ausgabe in seiner Studie von 1856 nicht erwähnt und in der Gerhardt-Edition von 1866 ausdrücklich hervorhebt, er habe das Schneidersche Exemplar nicht eingesehen.73 Im Hause Bachmann war also im Jahr 1866 zwar das Schneidersche Exemplar aus dessen Bericht bekannt, Bachmann selber besaß aber weder die Editio VIII noch eine Berliner Editio IX . Vielleicht war es ihm bis zu seinem 10 Jahre später erfolgten Tod gelungen, eine solche Ausgabe zu finden und zu erwerben; aber hätte er einen solchen aufsehenerregenden Fund nicht publik gemacht? Denkbar ist eher, dass ­Bachmann Kontakt mit Schneider aufgenommen hat und auf diesem Weg an nähere Informationen zu dessen Exemplar, etwa in Form eines Inhaltsverzeichnisses, gelangt war, auf die seine Tochter dann im Nachlass zurückgreifen konnte. Da allgemein angenommen wurde, bei dem Schneiderschen Exemplar handele es sich um die 9. Ausgabe, könnte man entsprechend zu den Titeln anderer PPM-Ausgaben den bei Bode wiedergegebenen Titel ‚erschlossen‘ haben. Dafür, dass Bode / Julie Bachmann eher Informationen zur Editio VIII vorlagen,

68 Vgl. Miersemann, Wolfgang / Suchan, Monika / Korth, Hans-Otto: Eine Neuentdeckung (wie Anm. 10), 148, Anm. 33, wo sich nur auf das Lied Nr. 71 bei Bode bezogen wird. 69 Bode, Wilhelm: Quellennachweis über die Lieder des hannoverischen und des lünebur­ gischen Gesangbuches samt den dazugehörigen Singweisen (wie Anm. 67), 196. 70 Ebd., VII. 71 Bachmann, Johann Friedrich: Zur Geschichte der Berliner Gesangbücher. Berlin 1856. 72 Bachmann, Johann Friedrich (Hg.): Paulus Gerhardts geistliche Lieder. Historisch=kri­ tische Ausgabe. Berlin 1866. 73 Vgl. ebd., S. 7, Nr. 6.

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spricht, dass alle Seitenangaben und Liednummern und auch die sonstigen Angaben genau zur Editio VIII passen.74 Außerdem ist auffällig, dass sich bei Bode in seinen Angaben zu Paul Gerhardt-Liedern keinerlei Bezugnahmen auf eine PPM-Ausgabe von 1659 finden. In seinem Gerhardt-Kapitel (S. 74 f.) wird eine solche Ausgabe nicht erwähnt, und Bode behauptet dort, dass die Ausgabe von 1661 gegenüber der von 1656 (gemeint ist der Frankfurter Druck) 5 neue Lieder Paul Gerhardts enthalte. Dabei kann es sich nur um die vier Lieder Nr. 372–375 sowie um das Lied Nr. 255 Herr, dir trau ich all mein Tag der Editio X handeln, von denen ja die ersten vier erstmals im Stettiner Druck von 1660 nachweisbar sind, den Bode nicht kannte, das letztere aber wohl erstmals 1661 in der PPM gedruckt worden ist. Wenn es eine Berliner Editio IX gegeben hätte, wäre doch zu vermuten gewesen, dass sie zumindest die vier Gerhardt-Lieder Nr. 372–375 enthalten hätte.75 Es ist kaum anzunehmen, dass sich Bode bei Julie Bachmann nicht nach neuen GerhardtLiedern erkundigt haben sollte, auch ist nicht anzunehmen, dass man im Hause Bachmann nicht gerade auf Gerhardt-Lieder ein besonderes Augenmerk gelegt hätte. Wenn also das Julie Bachmann vorliegende Exemplar bzw. die ihr dazu vorliegenden Informationen neue Gerhardt-Lieder gegenüber der Frankfurter Edition von 1656 aufgewiesen hätte(n), wäre dies sicher in Bodes Werk vermerkt worden bzw. wäre es bereits früher von Johann Friedrich Bachmann publik gemacht worden. Bestärkt wird die These, dass die vermeintliche Berliner Editio IX , die Julie Bachmann vorlag bzw. zu der sie Informationen besaß, gegenüber dem Schneiderschen Exemplar, also der Editio VIII , keine neuen GerhardtLieder enthielt, durch einen weiteren Umstand: Von den fünf Liedern Nr. 255 und 372–375 der Editio X hat Bode nur eines, das Lied Jesu, allerliebster Bruder, behandelt, da die anderen vier in den hannoverischen und lüneburgischen Gesangbüchern, die im Zentrum seines Interesses standen, nicht vorhanden waren. Zu diesem Lied gibt er aber an, es sei in der PPM von 1661 erstmals gedruckt worden.76 Es ist kaum denkbar, dass er nicht bei Bachmanns Tochter wegen dieses Liedes nachgefragt haben sollte. Also wird es im ihr vorliegenden Druck oder in den Informationen zu einer PPM-Ausgabe von 1659, auf die sie zurückgreifen konnte, nicht vorhanden bzw. nicht erwähnt worden sein. Das alles deutet doch eher darauf hin, dass die Informationen, die Bode von Julie Bachmann erhalten hat, die Editio VIII von 1659 betreffen und nicht eine Berliner Editio IX . Aber auch wenn begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit 74 Die nachfolgenden von Bode nach Informationen von Julie Bachmann mitgeteilten Angaben entsprechen genau der Editio VIII: – Nr. L58, GOtt sey danck durch alle welt: nach Bode im PPM-Exemplar S. 170 f., Nr. 85. – Nr. 71 ERheb / du werte Christenheit: nach Bode im PPM-Exemplar S. 231 f., Nr. 122. – Nr. 120 JEsu / meiner seelen licht: nach Bode im PPM-Exemplar S. 339–341, keine Liednummernangabe (in Editio VIII Nr. 169). 75 Eine Berliner Editio IX wäre dann als Quelle für die vier neuen Gerhardt-Lieder im Stettiner Druck anzusehen, so dass das Rätsel von deren Herkunft gelöst wäre. 76 Vgl. Bode, Wilhelm: Quellennachweis über die Lieder des hannoverischen und des lüneburgischen Gesangbuches samt den dazugehörigen Singweisen (wie Anm. 67), S. 337, Nr. 718.

Erstdruck im Raubdruck? 

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der von Bode gelieferten Titelaufnahme bestehen, so kann doch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass Julie Bachmann eine Berliner Editio IX vorlag. Wenn dem aber so wäre, dann würden die aus Bodes Werk erschließbaren Informationen zu dieser PPM-Ausgabe folgendes Bild ergeben: – Die Berliner Editio IX wäre wie die Editio VIII 1659 erschienen. – Mindestens bis zum Lied JEsu / meiner seelen licht auf S. 339–341, wäre die Seitenzählung identisch mit der Editio VIII , mindestens bis zum Lied Erheb / du wehrte Christenheit als Nr. 122 auch die Liednummernfolge.77 Die Unterschiede zwischen beiden Ausgaben können also nur minimal gewesen sein. – Die vier Gerhardt-Lieder Nr. 372–375 sowie das Lied Nr. 255 der Editio X wären in ihr nicht enthalten gewesen. Der Stettiner Druck müsste weiterhin als Erstdruck der erstgenannten vier Lieder gelten, für das Letztgenannte wäre weiterhin die Editio X der Ort des Erstdrucks.

Wenn man also die Existenz einer Berliner Editio IX annimmt, muss man davon ausgehen, dass Runge, der sonst in schöner Regelmäßigkeit alle zwei Jahre eine neue, und zwar jeweils stark veränderte PPM-Ausgabe auf den Markt gebracht hat, im Jahr 1659 zwei weitgehend identische Ausgaben gedruckt und dann bereits 1660 mit dem Druck der nächsten Ausgabe, der Editio X, begonnen hätte.78 Das wäre zumindest ungewöhnlich und aus verlegerischer Sicht auch eher uneffektiv. Wäre es hingegen nicht wahrscheinlicher, dass die von Julie Bachmann an Bode gelieferten Informationen – auf welchen Umwegen auch immer – sich letztlich doch auf das Schneidersche Exemplar, also die Editio VIII , beziehen? Wenn ein renommierter Gerhardt- und Gesangbuchforscher wie Johann Friedrich Bachmann ein neues Exemplar der PPM entdeckt hätte, dann hätte er diesen Fund doch sicher bekannt gemacht. Sollte es aber wirklich eine Berliner Editio IX gegeben haben, dann würde es sich – nach allem was sich zu ihr erschließen lässt – letztlich um einen wenig veränderten Nachdruck der Editio VIII handeln; Starckes Stettiner Druck wäre dagegen sehr viel eigenständiger und trüge die Bezeichnung ‚Editio IX‘ mit mehr Berechtigung. Trotz der beiden Zeugnisse Runges und Bodes scheint mir also angesichts der momentanen Quellenlage meine These, es habe nie eine Berliner Editio IX gegeben, weiterhin durchaus plausibel zu sein.

Anhang 1: Titel der erhaltenen frühen Ausgaben der „Praxis Pietatis Melica“ 1. Newes Vollkömliches Gesangbuch, Berlin 1640: Newes vollkömliches Gesangbuch / Augspurgischer Confession, Auff die in der Churund Marck Brandenburg Christliche Kirchen / Fürnemlich beyder ResidentzStädte 77 S. o. Anm. 74. 78 Die „Zuschrifft“ der Editio X ist auf den 15. Januar 1661 datiert, und das Werk wird dort als „Neue=Jahres offerte“ bezeichnet; es muss also noch im Januar 1661 erschienen sein.

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Berlin und Cölln gerichtet: In welchem nicht allein vornemlich des Herrn Lutheri, und anderer gelehrten Leute / Geist- und Trostreiche Lieder / so bißhero in Christl: Kirchen bräuchlich gewesen sondern auch vielschöne newe Trostgesänge / Insonderheit des vornehmen Theol: und Poeten Herrn Johan Heermans / zu finden / mit aussenlassung hingegen der unnötigen und ungebräuchlichen Lieder / In richtige Ordnung gebracht / und mit beygesetzten Melodien / nebest dem Gen: Bass, Wie auch absonderlich / nach eines oder des andern beliebung in 4. Stimmen verfertiget / Von Johan Crüger / Direct: Mus: Berol: ad D. Nicol: Berlin: Runge 1640.79

[2. Editio II , Berlin 1647] [3. Editio III , Berlin um 1649] [4. Editio IV, Berlin um 1651] 5. Editio V, Berlin 1653: PRAXIS PIETATIS MELICA . Das ist: Ubung der Gottseligkeit in Christlichen und trost-

reichen Gesängen / Herrn D. Martini Lutheri fürnemlich / wie auch anderer vornehmer und gelehrter Leute: Ordentlich zusammen gebracht / Und / über vorige Edition / mit gar vielen schönen / neuen Gesängen (derer ingesamt 500) vermehret: Auch zu Beforderung des so wol Kirchen= als Privat=Gottesdienstes / mit beygesetzten Melodeyen / nebest dazu gehörigem Fundament / verfertiget Von Johann Crügern Gub. Lus. Direct. Mus. in Berlin / ad D. N. Mit Churf. Brand. Freyheit nicht nachzudrucken / etc. Editio V. Gedruckt zu Berlin / und verleget von Christoff Runge / Anno 1653.

[6. Editio VI , Berlin um 1655:] 7. Frankfurt a. M. 1656: PRAXIS PIETATIS MELICA . Das ist: Ubung der Gottseligkeit in Christlichen und

trostreichen Gesängen / Herrn D. Martini Lutheri fürnemlich / wie auch anderer seiner getreuen Nachfolger / und reiner Evangelischer Lehre Bekennerer. Ordentlich zusammen gebracht / und über vorige Edition mit noch gar vielen schönen Gesängen de novo vermehret und verbessert. Auch zu Befoderung des so wohl Kirchen= als Privat=Gottesdienstes mit beygesetztem bißhero gebräuchlichen / und vielen schönen neuen Melo­ dien / nebenst dazu gehörigen Fundament / verfertiget Von Johan Crügern / Gub. Lusato. Direct. Musico in Berlin. Jn Verlegung Balthasaris Mevn. Wittenb. Gedruckt zu Franck­ furt / bey Casp. Röteln Anno 1656.

8. Editio VII , Berlin 1657: Praxis Pietatis Melica. Ds ist: Ubung der Gottseligkeit in Christlichen und trostreichen Gesängen / H. D. Martini Lutheri fürnemlich / wie auch anderer seiner getreuen Nachfolger / und reiner Evangelischer Lehre Bekenner: Ordentlich zusammen gebracht / Und / über vorige Edition / mit noch gar vielen schönen trostreichen Gesängen vom neuen 79 Dem erhaltenen Exemplar der Forschungsbibliothek Gotha (Sign.: Cant. spir 8° 00389) fehlt das Titelblatt. Die Titelaufnahme hier folgt der im VD17 nach RISM und GBV: VD17 547:718285M (eingesehen am 16.2.2022). Die Exemplare der Marienbibliothek Halle / Saale und der Königlichen Bibliothek Kopenhagen konnten nicht eingesehen werden.

Erstdruck im Raubdruck? 

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vermehret und verbessert / Auch zu Beforderung des so wol Kirchen= als Privat=Gottes­ dienstes / mit beygesetzten bißhero gebräuchlichen und vielen schönen neuen Melodien / nebest darzu gehörigem Fundament / verfertiget Von Johann Crügern / Gub. Lus. Direct. Mus. in Berlin / ad D. N. Mit Churf. Brand. Freyheit nicht nachzudrucken / etc. Editio VII . Gedruckt zu Berlin / und verleget von Christoff Runge / Anno 1657.

9. Editio VIII , Berlin 1659: Praxis Pietatis Melica. Das ist: Ubung der Gottseligkeit in Christlichen und trostreichen Gesängen / Herrn D. Martini Lutheri fürnemlich / wie auch anderer seiner getreuen Nachfolger / und reiner Evangelischer Lehre Bekenner: Ordentlich zusammen gebracht / Und / über vorige Edition / mit noch gar vielen schönen trostreichen Gesängen von neuen vermehret und verbessert / Auch zu Beforderung des so wol Kirchen= als Privat=Gottesdienstes / mit beygesetzten bißhero gebräuchlichen und vielen schönen neuen Melodien / nebenst darzu gehörigem Fundament / verfertiget Von Johann Crügern / Gub. Lus. Direct. Mus. in Berlin / ad D. N. Mit Churf. Brand. Freyheit nicht nachzudrucken. Editio VIII . Gedrückt zu Berlin / und verleget von Christoff Runge / Anno 1659.

10. Editio IX , Stettin 1660: Praxis Pietatis Melica. Das ist: Ubung der Gottseligkeit in Christlichen und trostreichen Gesängen / H. D. Martini Lutheri fürnemlich / wie auch anderer seiner getreuen Nachfolger / und reiner Evangelischer Lehre Bekenner: Ordentlich zusammen gebracht / Und / über vorige Edition mit noch gar vielen schönen trostreichen Gesängen vom neuen vermehret und verbessert / Auch zu Befoderung des so wol Kirchen= als Privat=Gottesdienstes / mit beygesetzten bißhero gebräuchlichen und vielen schönen neuen Melodien / nebenst darzu gehörigem Fundament / verfertiget Von Johann Crügern / Gub. L ­ usat. Direct. Mus. in Berlin / ad D. N. Editio IX . Wobey befindlich D. Johann Habermanns Gebetbuch / nebst trostreichen Sprüchen / von denen / so zum Tische des Herrn gehen wollen / nützlich zu gebrauchen. In Alten Stettin / Druckts Daniel Starcke / K. P. Buchdr. Anno 1660.

11. Editio X, Berlin 1661: PRAXIS PIETATIS MELICA . Das ist: Ubung der Gottseligkeit in Christlichen und

trostreichen Gesängen / Hn. D. Martini Lutheri fürnemlich / wie auch anderer vornehmer und gelehrter Leute: Ordentlich zusammen gebracht / Und / über vorige Edition, mit gar vielen schönen neuen Gesängen (derer ingesamt 550.) vermehret: Auch zu Beforderung so wol des Kirchen= als Privat=Gottesdienstes / mit beygesetzten Melodeyen / nebest dazu gehörigem Fundament / verfertiget von Johann Crügern Gub. Lusat. Direct. Mus. in Berlin / ad D. N. Mit Churf. Brand. Freyheit nicht nachzudrucken. Editio X. Gedruckt zu Berlin / und verleget von Christoff Runge / Anno 1661.

12. Editio XI , Berlin 1664: PRAXIS PIETATIS MELICA : Das ist: Ubung der Gottseligkeit in Christlichen und

Trostreichen Gesängen / Herrn D. Martini Lutheri fürnemlich wie auch anderer seiner getreuen Nachfolger / und reiner Evangelischer Lehre Bekenner. Ordentlich zusammen gebracht / und über vorige Editionen mit noch verschieden schönen Geist= und Trost-

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Ralf Schuster

reichen Gesängen / von neuen vermehret / und die Stimmen / nach dem Manuscripto des Auctoris Seligen / übersehen und verbessert: Und zu Beforderung beides des Kirchen= als Hauß=Gottesdienstes also geordnet Von Johan Crügern / Gub: Lusato, Directore Musices in Berlin / ad Div. Nicol. CANTUS & BASIS . Mit Churfürstlicher Brandenb. Freyheit / in keinerley Edition nachzudrucken / etc. EDITIO XI . Zu Berlin / gedruckt und verleget von Christoff Runge / Anno 1664.

Anhang 2: Auszug aus der Widmungsvorrede der Ausgabe Stettin 1660 von Daniel Starcke (fol. )( 4v–)( 5r) Jn dem es aber mit der Christlichen und Evangelischen Kirchen durch Gottes Gnade diesen Zustand gegewonnen / das Sie eben umb diese Zeit / da dis Büchlein zum neunden mahl aufgeleget / vermehret und verfertiget / durch einen allgemeinen und ewigen Friede / wider alles verhoffen / von Gott beseliget / und es also auch billig seyn wird / vor solches unaußsprechliche Gnadenwerck / nach eines und andern Danckliedes / denselben zu loben / und das so viel höher und fleissiger / als solcher Friede allgemein / durchgehend und unverhofft uns widerfahren; Als habe ich mich bey publicirung solcher verneuerten neundten Edition zu erkühnen unterwunden / selbige E. HochGräffl. Gnad. und Excell. auch HochEdl. Gestr. und Herrligkeiten durch diese Dedication=Schrifft gehorsambst und unterdienstwilligst zuzueignen/ […].

Anhang 3: Auszug aus der Widmungsvorrede der Editio XI der PPM aus dem Jahr 1664 von Christoph Runge (fol. )( 3v–)( 4r) Der selige Mann Hr. Johann Crüger hat nebst mir viel dergleichen schöne Gesänge zusammen gebracht / und habe ich dererselben bereit zehen Editiones durch meine schwere Mühe heraus gebracht: Und ungeachtet Jch solches Erb= und Ehrlich von dem Auctore erkauffet / ist mir solches von denen geitz= und eigennützigen Nachdruckern zu meinem höchsten Schaden / ob gleich unter dem Namen einer neuen Edition nachgedrucket worden. Wiewol ich dahero an den Consens dieses Sel. Mannes zweifeln muß: Erstlich / weil ich dieses Buch also ehrlich und erblich erkaufft / daß es einem andern nicht verkaufft werden können. 2. Weil so viel Lieder und Melodien in denen andern außwärtigen Editionen hineingesetzet worden / die der Auctor je und je abominiret: Wie sonderlich derogleichen in des Johann Balthasar Wusten Edition in Franckfurt am Mäyn / mit Kupfferbildern gedruckt (worauf die Jugend mehr ihre Andacht / wie ich wahrgenommen / als auf das innere Bildniß Christi / zu wenden pfleget) überflüßig zu ersehen seyn wird. Jch geschweige / daß mir geklagt worden / wie in der Stettinischen Edition wol halbe Gesänge außgelassen. Jch solte mich dahero / und auch dieser außwärtigen Verfolgung halber bemühen / einer hohen Hand Beystand zu ersuchen: Gott aber / der die Eltern geehrte wissen wil / wird alles zu meinem besten wenden: Und aus diesem Fundament habe ich mir schon längst fürgenommen der Frau Mutter diese Eilffte Edition zuzuschreiben.

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Abstract: The „Praxis Pietatis Melica“ edited by Johann Crüger is one of the most successful hymnbooks of the 17th century. The Berlin publishing house of Christoph Runge released new, expanded editions at regular intervals. Due to its great success, however, reprints were produced early on by other printers that were not authorised by the Berlin publisher. In 1660, for example, an edition was published in Stettin by Daniel Starcke, which is declared on the title page as „Editio IX“. For a long time, this print was considered by scholars to be a reprint of a non-preserved Berlin Editio IX . The recent discovery of the long-lost Berlin Editio VIII of the work makes a revision of the previous classification of the Stettin print necessary and possible. By comparing the Berlin editions VII (1657), VIII (1659), and X (1661), it can be shown that the Stettin print can hardly be a reprint of a Berlin Editio IX ; rather, Starcke’s edition is a reprint of Editio VII of 1657 extended by 18 songs. The insights gained from this comparison make the thesis seem plausible that there probably was no Berlin Editio IX at all. In support of this thesis, the evidence that seems to speak for the existence of a Berlin Editio IX is discussed in detail and critically examined. The assessment of the Stettin print thus gained, however, raises new problems with regard to some of the songs newly included by Starcke, which concern above all four of the songs of Paul Gerhardt.

Johann Wilhelm Simlers „Teutsche Gedichte“ Ein Editionsprojekt

Julia Amslinger, Nathalie Emmenegger

Die Gedicht- und Liedsammlung „Teutsche Gedichte“1 des Zürcher Barockautors Johann Wilhelm Simler (1605–1672) zählt zu den bedeutendsten literarischen Werken der deutschsprachigen Schweiz im 17. Jh. Zwischen 1648 und 1688 viermal und jeweils vermehrt herausgegeben (1648; 1653; 1663; 1688) und auch über die Landesgrenzen hinaus rezipiert, gilt die Sammlung als „dasjenige Buch, das erstmals die Zugehörigkeit einheimischen literarischen Schaffens zur […] deutschen Kultur manifestieren wollte“,2 wie sie von den Sprachgesellschaften gefördert und propagiert wurde. Neben diversen Epigrammen, Lehr- und Gelegenheitsgedichten besteht das Werk zum größten Teil aus geistlichen und weltlichen Gesängen, die vereinzelt mit drei- und fünfstimmigen,3 zumeist aber mit vierstimmigen Notensätzen in Chorbuchmanier abgedruckt sind. Darunter befinden sich Bearbeitungen der Psalmen in einfachen Strophenformen, die sich gruppenweise auf vierstimmige Sätze singen lassen, außerdem religiöse Festtagsgesänge und diverse Casualcarmina. Die Vertonungen stammen von den wenig bekannten Komponisten Andreas Schwilge und Caspar Diebolt, aber auch von Daniel Friderici und weiteren, bisher noch nicht identifizierten Komponisten. Dazu kommen Kontrafakturen auf verschiedene weltliche Lieder sowie die Verwendung einzelner Melodien des Genfer Psalters für geistliche Lieder.

1 Simler, Johann Wilhelm: Johann Wilhelm Simlers Teutsche Gedichte: darinnen I. Vierverse /  oder summbegriffenliche Jnhälte der Psalmen Davids: II. Vnderscheidenliche / auf zeiten und anlässe gerichtete Gesänge: III. Allerhand Vberschrifften. Zürich 1648. 2 Bircher, Martin: „Gegen der Teutschen Dicht- und Reymkunst sehr verliebt“. Das literarische Zürich im Frühbarock, in: Im Hof, Ulrich / Stehelin, Suzanne (Hg.): Das Reich und die Eidgenossenschaft 1580–1650. Kulturelle Wechselwirkungen im konfessionellen Zeitalter (7. Kolloquium der Schweizerischen Geisteswissenschaftlichen Gesellschaft 1982). Freiburg 1986, 293–317, hier 294. 3 Drei- und fünfstimmige Tonsätze treten nur im vierten Teil der dritten und vierten Ausgabe auf.

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Der Komponist Andreas Schwilge In der ersten Ausgabe der „Teutschen Gedichte“ wird als einziger Komponist Andreas Schwilge4 (1608/09–1688) genannt. Schwilge war 1639 nach Zürich gekommen. Er war Katholik und wollte zum reformierten Protestantismus übertreten, um in der Stadt zu predigen. In seinem Bericht für die Zürcher Proselyten-Kammer schildert Schwilge seine Bildungsbiographie:5 Er wurde im Elsass geboren, durch Betreiben seines Vaters in den freien Künsten unterrichtet und war als Fünfzehnjähriger in der Lage, Latein zu sprechen und zu schreiben, mehrere Instrumente zu spielen und zu singen. Es folgten musikalische und theologische Ausbildungsstationen bei den Jesuiten in Colmar und in Würzburg, wo er in den Barfüßerorden eintrat und nach Luzern entsandt wurde. Über Freiburg im Uechtland und Wien gelangte er 1636 nach Italien, genauer: nach Rom und Mailand. Mit seiner Reise nach Zürich überschreitet er – abgestoßen vom italienischen Katholizismus und zur Konversion bereit – die Konfessionsgrenze und bringt Wissen über italienische Musik und Kompositionslehre (wie beispielsweise die zeitgenössisch in Zürich ungebräuchliche Einführung einer separaten Continuo-Stimme) in die reformierte Stadt.6 Andreas Schwilge plante zwar, als Prediger in Zürich zu wirken, seine Ambitionen wurden aber von der Obrigkeit zurückgewiesen. Zunächst erhielt er lediglich den Posten des Vorsängers im Großmünster und eine Stelle als Lehrer. Obwohl er sich darum bemühte, wurde ihm nie das Zürcher Bürgerrecht zuerkannt. Als kirchlicher Organist in einer Stadt ohne Orgel in der Kirche, als tendenziell verdächtiger Konvertit, als „Bacchus Bruder“ und als schwieriger Charakter (so berichten es verschiedene zeitgenössische Quellen) blieb sein sozialer Status an der Limmat prekär. Wie sich die Zusammenarbeit zwischen Simler und dem Berufsmusiker Schwilge gestaltete, konnte bisher nicht ansatzweise rekonstruiert werden. Wahrscheinlich ist, dass die Zusammenarbeit mit Simler im Zuge der mit dem bildenden Künstler Conrad Meyer ausgestalteten Neujahrsblätter für die Zürcher Bürgerbibliothek im Jahr 1646 begann. In diesen Neujahrsblättern, erbaulichen illustrierten Flugschriften, finden sich zwischen 1646 und 1649 Lieder mit Kompositionen von Schwilge, die Simler in der Folge in die Teutschen Gedichte aufnahm. Auch das Neujahrsblatt von 1658 enthält einen Tonsatz von Schwilge, hier zu Simlers „Gesang von lieb- und lobwürdiger Einigkeit“. Doch ging die Zusammenarbeit über die Neujahrsblätter hinaus, denn bereits in der ersten Ausgabe der „Teutschen Gedichte“ von 1648 sind Texte mit Melodienverweisen enthalten. So erscheint etwa der Hochzeitsgesang Drey Dinge vor allen mit dem Verweis auf Schwilges 4 Zu Schwilge vgl. Nagel, Wilibald: Andreas Schwilge, in: Monatshefte für Musikgeschichte 24 (1892), 121–131; Ders.: Andreas Schwilge, in: Schweizerisches Jahrbuch für Musikwissenschaft 2 (1927), 61–67. 5 Staatsarchiv Zürich, E I 9.1, Proselyten 1545–1664, Nr. 36 (22/11/1639). 6 Vgl. Schuh, Willi: Die Sterbegesänge des Meyer’schen Totentanzes von 1650, in: Schweize­ risches Jahrbuch für Musikwissenschaft, Bd. 5 (1931), 127–145, hier 136.

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Melodie zu Simlers „Morgengesang“ (Aurora mit ihren verguldeten stralen), der ebenfalls in den „Teutschen Gedichten“ abgedruckt ist.7 Schwilge wird in der ersten Ausgabe der Sammlung als „wohlbestellter Sänger / Kirchen und Schuldiener“ bezeichnet und sein Beitrag explizit gemacht: Schwilge habe Simlers zuvor nur auf altbekannte Weisen gerichtete Gesaenge teihls transponiert / teihls natürlich / aber neü und zu vier Stimmen also außsetzen lassen / daß sie acht die begrifflichste / samt des b. mollarischen Gesangs mischtohn bey sich haben / in welchen der Discant die gemeine Weis durchauß verbleibt; und absonderlich zu dem Baß (welches auch von dem Tenor und Alt zu verstehen) kan gesungen / und zu allen Jnstrumenten gebraucht werden […].8

In den folgenden Ausgaben wird Schwilge in der Vorrede nicht mehr namentlich genannt. Dies hat vermutlich damit zu tun, dass Schwilge bei der Veröffent­ lichung der weiteren Ausgaben in Zürich in Ungnade gefallen war und die Stadt verlassen hatte: Seine 1652 erlangte Pfarrstelle musste er wegen eines Skandals bereits nach wenigen Wochen aufgeben und er zog nach Ulm, wo er erneut konvertierte – diesmal zum Luthertum. Schwilge starb 1688, im Jahr der letzten Ausgabe von Simlers „Teutschen Gedichten“.

Unkonventionelle Psalmenbearbeitungen Der erste Teil der „Teutschen Gedichte“ besteht aus Simlers Psalmenbearbeitungen, denen fünf vierstimmige, auf Melodien des Genfer Psalters basierende Notensätze von Schwilge beigegeben sind. Psalmengesang war in Zürich inte­ graler Teil des Schul- und Katechismusunterrichts, so wurde auch der erste Teil der „Teutschen Gedichte“ für den Katechismusunterricht konzipiert. Mit seinem Buch der eigenen Übertragungen und mit neuen Melodien schlug Simler aber einen neuen Weg ein, weg vom üblichen „Lobwasser“. Das maßgebliche Gesangbuch der Gemeinde in Zürich war „Der gantz Psalter“ (Basel 1606) mit den vierstimmigen Kantionalsätzen von Samuel Mareschall. Simler übernimmt die Konvention des vierstimmigen Psalmengesangs, bearbeitet die Texte der Psalmen aber radikal. Es führt keine Linie von Am­ brosius Lobwassers oder Martin Luthers Übersetzungen der Psalmen zu Simlers Texten in den „Teutschen Gedichten“ – Simlers Bibeldichtung steht vielmehr in der Tradition der Zürcher humanistischen lateinischen Bibeldichtung von Rudolf Gwalther.9 Simler ist kein Psalmenübersetzer, kein Psalmennachdichter, sondern ein dichtender Didaktiker. Unter der Prämisse von Kürze, Wiederho-



7 Simler, Johann Wilhelm: Teutsche Gedichte (wie Anm. 1), 123. 8 Ebd., (iiii r). 9 Gwalther, Rudolph: Argumenta omnium, tam Veteris quam Novi Testamenti. Zürich 1547.

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lung und Einprägsamkeit etablierte bereits Rudolf Gwalther im 16. Jh. in Zürich eine Form der Bibelaneignung, die besonderen Wert auf die metrisch ausgefeilten argumenta legte. Seinen lateinischen Psalmenübertragungen vorangestellt sind jeweils eine Inhaltsangabe des betreffenden Psalms in Prosa und eine vierzeilige – aus zwei Distichen bestehende – metrisch geformte Zusammenfassung. Simler übernimmt von Gwalthers Psalmensummarien die kurze Strophenform und stellt sozusagen vertonte argumenta zusammen. Inwieweit Simler nicht nur von Gwalthers lateinischer Dichtung, sondern auch von der deutschen Übersetzung durch Burkard Waldis deutschen argumenta zu seinen Psalmensummarien angeregt wurde, muss noch geklärt werden – in der Frankfurter Ausgabe von Gwalthers Summarien der ganzen Bibel von 1556 finden sich die lateinischen argumenta und die deutsche Reimübersetzung von Waldis.10 Das Prinzip der summarischen Inhaltsangabe zieht sich dabei durch die Anlage der geistlichen Gesänge Simlers, die der Vorstellung einer schlichten, einfachen und kurzen Frömmigkeitspraxis verhaftet sind. Bedeutsam erscheint an Simlers mathematisch-poetischem Verfahren des Summen-Ziehens, dass er seine Texte in Zusammenarbeit mit Andreas Schwilge als Gesänge herausgibt. Die Psalmeninhaltsangaben aus der neulateinischen Tradition werden mit dem in anderen reformierten Gemeinden längst erprobten, zeitgenössisch kürzlich in Zürich eingeführten vierstimmigen Psalmengesang kombiniert: Zu deutschen versifizierten Inhaltsangaben erklingen die von Andreas Schwilge bearbeiteten Melodien des Genfer Psalters. In Hinblick auf die Psalmenbearbeitung erscheint Simler als Vermittler auf drei Ebenen: – Er schliesst an die neulateinische Bibeldichtung des Zürcher Humanismus an. – Er bearbeitet seine argumenta-Dichtung nach neuen, reformpoetischen Maßgaben. – Er stellt sich in die musikalische Tradition des Genfer Psalters.

Ausgaben, Rezeption und Wirkung Die vier im Umfang stets wachsenden Ausgaben der „Teutschen Gedichte“ sprechen für die große Popularität von Simlers Lied- und Gedichtsammlung. Die zweite Ausgabe von 1653 ist gegenüber der Erstausgabe um 13 Tonsätze erweitert, die meisten davon entstammen der Feder von Schwilge. Mit insgesamt 52 neuen Tonsätzen weist die dritte Ausgabe von 1663 die größte Veränderung auf. 20 dieser Melodien stammen wiederum von Schwilge, obwohl dieser bereits elf Jahre zuvor Zürich verlassen hatte. In dieser Ausgabe sind außerdem sechs „Fugen“ („im kontrapunktischen Stil gesetzte Gesänge“11) von Schwilge enthalten. Elf der neuen Tonsätze werden dem Glasmaler und Komponisten Caspar

10 Waldis, Burckhardt: Summarien über die gantz Bibel. Frankfurt a. M. 1556. 11 Schuh, Willi: Die Sterbegesänge des Meyer’schen Totentanzes von 1650 (wie Anm. 6), 136.

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Diebolt (1601–1674) zugeschrieben,12 zwei können mangels Initialangaben nicht zugeordnet werden. Zudem sind 19 Vertonungen des deutschen Komponisten und Musiktheoretikers Daniel Friderici (1584–1638) abgedruckt.13 Die 1688 postum erschienene vierte Ausgabe der „Teutschen Gedichte“ enthält 17 weitere Gesänge Fridericis. Während seine Stücke in der dritten Ausgabe lediglich mit den Initialen D. F. gekennzeichnet sind, wird Friderici in der vierten Ausgabe explizit genannt: „Folgende Gesäng sind als die üblichesten auß den bekan[n]ten Partibus D. Friderici, nach deßselben ordnung / hier beygesetzt.“14 Als Hauptquelle für die entnommenen Werke könnte Fridericis zweiteiliges Liederbuch „Deliciae iuveniles“ (Rostock 1630) gedient haben,15 da mehrere der darin enthaltenen Gesänge in der exakt gleichen Reihenfolge auch in den „Teutschen Gedichten“ aufgeführt werden. Fridericis Werke wurden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in der deutschsprachigen Schweiz breit rezipiert; auch in Zürich gehörten sie in mindestens einem der Collegia musica zum Übungsstoff.16 Die vierte Ausgabe der „Teutschen Gedichte“ enthält gegenüber der dritten nochmals 39 neue Tonsätze. Ein bislang noch nicht identifizierter A. B. erscheint hier als „Musik-Redaktor“:17 Er ersetzt die Mehrheit von Diebolts sowie wenige von Schwilges Arbeiten durch seine eigenen, steuert die Melodien zu neuen Gesängen bei und ergänzt Tonsätze zu Liedtexten, die in den vorausgehenden Ausgaben noch ohne Musiknotation erscheinen. Die Beliebtheit der „Teutschen Gedichte“ wird nicht nur anhand der vier Ausgaben deutlich, sondern auch, wenn Zeitgenossen wie Johann Melchior Hardmeyer ihre eigenen Texte auf „Herren Simlers“ Gesänge richten.18 22 von Simlers Gesängen wurden 1682 in die Erstausgabe der Sammlung „Geistliche Seelen-Music“ aufgenommen, die zu den wichtigsten Gesangbüchern in der reformierten deutschen Schweiz gehörte.19 Auch im Engadin waren Simlers Lieder bekannt: Mehrere der Gesänge wurden ins Rätoromanische übersetzt und 1684 im Gesangbuch „Philomela“ veröffentlicht, das den geistlichen Gesang im 12 Vgl. Nagel, Wilibald: Andreas Schwilge (wie Anm. 4), 128. 13 Es handelt sich um die Gesänge Nr. 24 bis 42 (vgl. Simler, Johann Wilhelm: Teutsche Gedichte. Zürich 31663, 460–497). 14 Simler, Johann Wilhelm: Teutsche Gedichte. Zürich 41688, 394. 15 Friderici, Daniel: Deliciæ juveniles. Das ist: Geistliche, Anmutige, Vier Stimmige Liedlein, vor junge Studirende Jugend […] der Erste Theil. Rostock 1630; Ders.: Deliciarum Iuvenilium Ander Theil […]. Rostock 1630. Uns lag die postum erschienene Auflage von 1654 vor. 16 Dies belegt ein Kaufvermerk diverser mehrstimmiger Sätze Fridericis in den Akten der „Lobl. Gesellschaft Der Music Liebhaberen in der Teütschen Schul“ von 1692. Vgl. Aerni, Heinrich: Zürichs musikalisches Gedächtnis. Die Bibliothek der Allgemeinen Musik-Gesellschaft Zürich. Henau 2017, 36 f. 17 Nagel, Wilibald: Andreas Schwilge (wie Anm. 4), 128. 18 Hardmeyer, Johann Melchior: Vier Bücher Geistlicher und Weltlicher Gedichten. Schaff­ hausen 1661, 18 und passim. 19 Vgl. [Huber, Christian]: Geistliche Seelen-Music / Das ist / Geist- vnd Trostreiche Gesäng / in allerley Anligen / zu Trost und Erquickung Gottliebender Seelen. St. Gallen 1682, 110–199. Wohl zugunsten einer grösseren musikalischen Vielfalt wurde der Anteil von Simlers Liedern in den späteren Auflagen um etwa die Hälfte verringert.

Johann Wilhelm Simlers „Teutsche Gedichte“ 

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Engadin des 17. und 18. Jahrhunderts maßgeblich prägte.20 Einige Lieder da­ raus stehen noch heute im offiziellen Engadiner Kirchengesangbuch „Il Coral“. Laut Hans-Peter Schreich-Stuppan stellen die enthaltenen Kompositionen von Schwilge und Diebolt heute Unikate dar und werden nur noch hier zusammen mit den romanischen Texten gesungen.21

Das Projekt Trotz der großen Verbreitung der „Teutschen Gedichte“ hat die bisherige literatur- und musikhistorische Forschung dem Werk kaum Beachtung geschenkt. Die wenigen existierenden, teils über 100 Jahre alten Forschungsbeiträge konzentrieren sich auf Simlers Texte und analysieren diese hauptsächlich im Hinblick auf reformpoetische und -orthographische Tendenzen.22 Eine Untersuchung der Vertonungen in den „Teutschen Gedichten“, etwa im Hinblick auf ihre Entstehungskontexte und Einflüsse sowie Bearbeitungen und Übertragungen, liegt bislang noch nicht vor. In welchen Kontexten wurde das Werk rezipiert und benutzt? War es vornehmlich für das Singen im familiären Kreis oder für das gesellschaftliche Musizieren in den lokalen Collegia Musica vorgesehen? Gingen die Gesänge über die Aufnahme in Gesangbücher nicht doch in den Gemeindegesang über und was machte sie dort attraktiv? Mithilfe einer multidisziplinär ausgerichteten digitalen Edition der „Teutschen Gedichte“ sollen die skizzierten Forschungslücken geschlossen werden. Eine Edition der Texte und Musikalien in digitaler Form eröffnet vielfältige 20 Martinus, Johannes: Philomela, quai ais canzuns spirituales sün divers temps & occasions in part da noev componidas & in part our da autras linguas vertidas / drizadas la plü part à 4 vuschs in las melodias dal cudesch musical dal’revd. Iohan Vilhelm Simler da Turi. Tschlin 1684. 21 Vgl. der dreisprachige Aufsatz von Schreich-Stuppan, Hans-Peter: 500 Jahre evangelischer Kirchengesang in Graubünden / 500 onns chant da baselgia evangelic en il Grischun / 500 anni di canto evangelico nel cantone dei Grigioni, in: Annalas da la Societad Retorumantscha 129 (2016), 223–245, hier 235. 22 Mal mehr, mal weniger ausführlich werden Simler und sein Werk in den Literaturgeschichten von Jakob Baechtold (Geschichte der deutschen Literatur in der Schweiz. Frauenfeld 1892), Ernst Jenni und Virgile Rossel (Geschichte der schweizerischen Literatur. Bern / Lausanne 1910), Josef Nadler (Literaturgeschichte der deutschen Schweiz. Leipzig 1932) und Emil Ermatinger (Dichtung und Geistesleben der deutschen Schweiz. München 1933) behandelt. Die Dissertationen von Joachim Schumacher (Johann Wilhelm Simler. Die Rezeption des Opitz-Barock in der deutschen Schweiz. Heidelberg 1933) und Ernst Nägeli (Johann Wilhelm Simler als Dichter. Uster 1936) untersuchen die „Teutschen Gedichte“ aus literaturhistorischer Perspektive. Sprachhistorisch wird Simler von Jakob Zollinger (Der Übergang Zürichs zur neuhochdeutschen Schriftsprache unter Führung der Zürcher Bibel. Freiburg im Breisgau 1920) und Virgil Moser (Ein Züricher Reformorthograph des 17. Jahrhunderts, in: Münchener Museum für Philologie des Mittelalters und der Renaissance 4 [1924], 77–86) als Orthographiereformer beurteilt. Diese Einschätzung wurde von James C. Thomas (An Edition of Johann Wilhelm Simler’s „Teutsche Gedichte“ with an Orthography and Morphology of his Language. Chapel Hill 1967) relativiert und teilweise widerlegt.

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Julia Amslinger, Nathalie Emmenegger

Untersuchungsmöglichkeiten des intermedialen Zusammenspiels von Musik und Poesie sowie von Text und Bild in Simlers Werk. Die geplante Edition steht im Kontext eines größeren von den Autor:innen geplanten Projekts zur deutschsprachigen Schweizer Literatur des 17. Jahrhunderts. Projekt:

Digitale Edition von Johann Wilhelm Simlers „Teutschen Gedichten“ Universitäten: Universität Bern, Institut für Germanistik / Georg-AugustUniversität Göttingen, Seminar für Deutsche Philologie Förderung: in Vorbereitung HerausgeberInnen: Dr. Julia Amslinger (Göttingen), M. A. Nathalie Emmenegger, Prof. Dr. Nicolas Detering (Bern) Publikation: Amslinger, Julia  /  Emmenegger, Nathalie: ‚Zucht und lehr‘ – Johann Wilhelm Simlers Teutsche Gedichte (1648), in: Artes. Zeitschrift für Literatur und Künste der frühmodernen Welt 2/2 (2023), 343–369 Kontakte: [email protected]; [email protected]; [email protected]

Emotionale Zumutung oder Ressource? Geistliche Lieder des Dreißigjährigen Krieges als seelsorglicher Sprachraum nach dem Zweiten Weltkrieg Ein Promotionsprojekt

Anja Conrad

Arbeitshypothese und Fragestellung Meine Arbeitshypothese lautet: Geistliche Lieder des Dreißigjährigen Krieges dienten nach NS -Diktatur und Zweitem Weltkrieg un- oder vorbewusst dem Versuch, eigene Kriegserfahrungen und die damit verbundenen ambivalenten, verbotenen oder unerträglichen Gefühle (Angst, Scham, Hilflosigkeit, Wut, Schuld, Hoffnung etc.) in Wort und Melodie zu bannen und kontrolliert zum Ausdruck zu bringen. Dabei kommen u. a. seelische Reaktionen wie Verdrängung, Verleugnung oder Rationalisierung zum Tragen, die zwar zu keiner Verarbeitung im therapeutischen Sinne führen, jedoch angesichts fehlender therapeutischer und seelsorglicher Begleitung als rudimentäre eigene Verarbeitungsversuche der Seele gesehen werden können. Daraus ergibt sich die Frage, was der Umgang mit geistlichen Liedern im Angesicht von Krisen- und Leiderfahrungen leisten kann und wo seine Grenzen liegen. Lieder des Dreißigjährigen Kriegs sind gerade in dieser Hinsicht interessant, weil dieser Krieg bis mindesten 1918 in bürgerlichen Kreisen als maximale Traumatisierung und Verheerung deutscher Territorien galt und im 19. Jh. maßgeblich der national-politischen Identitätskonstruktion diente. Spätestens 1945 verging diese politisch motivierte Erinnerung endgültig, während sich jedoch in der evangelischen Hymnologie eine restaurative Ausrichtung auf das 16. und 17. Jh. hielt. Einerseits diente diese der Abgrenzung von der NS -Zeit, konnte aber andererseits an eine u. U. nicht mehr bewusst gepflegte, aber emotional vorstrukturierte Erinnerungskultur an den Dreißigjährigen Krieg anknüpfen. Ich blicke auf diese Frage aus psychoanalytisch-kulturwissenschaftlicher Perspektive und arbeite mit dem Konzept container / contained des britischen Psychiaters und Psychoanalytikers Wilfred Bion (1897–1979). Bion war als Offizier im Ersten Weltkrieg und als Militärpsychiater im Zweiten Weltkrieg tätig. Ausgehend von der Entwicklungspsychologie hat dieses Konzept die

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Anja Conrad

klinische Arbeit sowie die psychoanalytisch orientierte Kunst- und Literaturwissenschaft bis heute grundlegend beeinflusst.1 Meine Frage lautet auf diesem Hintergrund: Lassen sich geistliche Lieder des Dreißigjährigen Krieges als musikalisch-literarische Behälter (container) für unverstandene, widersprüchliche und konfliktbehaftete Gefühle (contained) beschreiben und verstehen? Unter welchen Bedingungen dienen sie der seelischen Entlastung? Und in welcher Hinsicht dienen sie ihr nicht? Für die heutige Praxis ergeben sich daraus Fragen, die im letzten Teil der Arbeit in einen thesenartigen Ausblick münden sollen: Welche „Gefühlserbschaft“ aus Kriegs- und Nachkriegszeit geht mit den Liedern einher und wie prägte sie u. U. Selbstverständnis und Frömmigkeit evangelischer Christinnen und Christen nach 1945? Wie lassen sich diese Lieder innerhalb der Forschung zur transgenerationalen Weitergabe von Traumata an Kriegskinder und Kriegsenkel verorten?

Quellengrundlage Ausgangspunkt meiner Recherche ist zunächst der Bestand von Liedern, der zwischen 1618–1648 erstmals publiziert worden und auf dem Weg zum deutschen Einheitsgesangbuch bis ins 20. und 21. Jh. durch das EKG (1950) und das EG (1993) im Gebrauch ist. Damit nehme ich die Lieder in den Blick, die nach Aleida und Jan Assmann zum „Funktionsgedächtnis“2 evangelischer Christin­ nen und Christen in Deutschland gehören, d. h. jene, die heute ohne größere Recherche für den praktischen Gebrauch mittels Gesangbuch zugänglich sind. Anhand ausgewählter Beispiele nehme ich weiterhin Lieder der ersten zehn Nachkriegsjahre in den Blick. Hierzu gehören v. a. Lieder Paul Gerhardts aus der 5. Auflage der PPM von 1653 mit besonderer Wirkungsgeschichte, darunter exemplarisch Befiehl du deine Wege.3 Insgesamt handelt es sich hier um einen Liedkorpus von 84 Liedern. Aus diesem Bestand habe ich vier Lieder ausgewählt, die ich – ausgehend von der Gestalt ihrer Erstpublikation – auf die theologischen 1 Vgl. zum Containment als entwicklungspsychologischem Konzept Bion, Wilfred: Lernen durch Erfahrung. Übersetzt und eingeleitet durch Erika Krejci. Frankfurt a. M. 82017; zur Anwendung in der Literaturwissenschaft u. a. Angeloch, Dominic: Psychoanalyse und Literaturtheorie, in: Koppenfels, Martin von / Zumbusch, Cornelia (Hg.): Handbuch Literatur & Emotionen. Berlin / Boston 2016, 100–121, hier 115–118; Ders., Die Beziehung zwischen Text und Leser. Grundlagen und Methodik psychoanalytischen Lesens. Mit einer Lektüre von Flauberts Éducation sentimentale. Gießen 2014, 169–259. 2 Vgl. u. a. Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München 42009, hier Kap. VI Funktionsgedächtnis und Speichergedächtnis. Zwei Modi der Erinnerung, 130–145; Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 82018, hier Kap. II Formen kollektiver Erinnerung, 48–66. 3 Gründe der Ausweitung sind u. a. die weiche Identität der Lieder, bei denen nicht immer eindeutig zu klären ist, wann sie entstanden sind, sowie der Umstand, dass mit dem offiziellem Kriegsende das Ende der Kriegsfolgen nicht in eins fällt, sondern der Krieg über Jahre bis Jahr-

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und emotionalen Szenerien untersuche, in die sie den Rezipienten oder die Rezipientin verwickeln. Dabei handelt es sich um zwei nach wie vor sehr beliebte Lieder (Befiehl du deine Wege, Wer nur den lieben Gott lässt walten) sowie zwei weniger bekannte (Treuer Wächter Israel; Verzage nicht, du Häuflein klein). Ergänzt wird die analytische Arbeit an den Liedern durch deren kulturgeschichtliche Einbettung mittels Auswertung von relevanten Korrespondenzen und Sitzungsprotokollen zum EKG und EG aus dem Evangelischen Zentralarchiv Berlin sowie von schon bestehenden Zeitzeugeninterviews anderer Forschungsarbeiten und der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin.

Methodik Ich arbeite mit den ausgewählten Quellen historisch-kritisch und hermeneutisch. Dabei bringe ich gewonnene Erkenntnisse und Überlegungen mit Liedkommentaren, Sekundärliteratur und bereits bestehendem empirisch erhobenem Material zur Liedrezeption ins Gespräch. Des Weiteren fußen die geschichtlichen Überblickskapitel auf Sekundärliteratur der Kultur- und Geschichtswissenschaft. Der erste Teil der Arbeit dient der kulturgeschichtlichen Hinführung, der zweite Teil der Analyse von emotionalen Übertragungsszenerien am Beispiel der einzelnen Lieder. In einem dritten Teil folgen Auswertung, Fazit und Ausblick in Form von Thesen zur poimenischen und kirchenmusikalischen Praxis.

Konkrete Fragen an die Leserschaft Recherche und Materialerhebung sind abgeschlossen. Im gegenwärtigen Arbeitsprozess des Sortierens und Schreibens wäre ich an Gesprächspartnern oder Gesprächspartnerinnen interessiert, die im Hinblick auf mein Thema eine Expertise in historischer Emotionsforschung oder Affektenlehre, u. U. auch in der Psychoanalyse haben. Hinweise zu weiteren Dokumenten von Zeitzeugen (Tagebücher, Briefe etc.) nehme ich weiterhin entgegen. Projekt: Dissertation Universität: Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Evangelische Theologie Betreuung: Prof. Dr. Maike Schult, Lehrstuhl für Praktische Theologie Verfasserin: Anja Conrad, Diplom-Kirchenmusikerin (B), Liturgiewissenschaftlerin M. A., Diplom-Theologin, Pfarrerin Kontakt: Kirchhof 9, 98574 Schmalkalden, Tel. 03683/666264, Mail: anja. [email protected] zehnte nachwirkt. Ein weiterer Grund liegt insbesondere bei Paul Gerhardt darin, dass spätere Rezipienten, die um die Zeitgenossenschaft Gerhardts wissen, Lieder wie Befiehl du deine Wege auch unabhängig von ihrem Publikationsdatum mit dem Dreißigjährigen Krieg als biographisch prägendem Ereignis assoziieren.

Die Berner Gesangbücher 1606–1853 Ein Promotionsprojekt

Elie Jolliet

Im Jahr 1606 wurde bei Johann Le Preux in Bern das erste Gesangbuch für Stadt und Landschaft Bern gedruckt.1 Der Zeitpunkt mag aus deutscher Perspektive spät erscheinen, liegt aber im reformierten Vollzug der Reformation begründet: Mit der Erhebung des Predigtgottesdienstes nach Zürcher Vorbild zum Zentrum des gottesdienstlichen Lebens und der Abschaffung der Messe verloren Gesang und Musik ihren Platz zur liturgischen Entfaltung. Nach der Reformation bedurfte es mancherorts eines Aufbaus von rund achtzig Jahren, bis die Gemeinde ihr Gesangbuch in den Händen hielt. Einen Prototyp dazu stellte das von Hand geschriebene Berner Kantorenbuch von 1603 dar, von welchem die überwiegende Mehrheit der Lieder übernommen wurde. Mit dem Gesangbuch von 1606 beginnt eine bernische Gesangbuchgeschichte, die zweihundertfünfzig Jahre später mit dem für den jungen Kanton Bern geschaffenen kantonalen Gesangbuch2 1853 ihren Abschluss findet. Ein gemeinsames Merkmal der bernischen Gesangbücher findet sich in der – für reformierte Gesangbücher typischen – zweiteiligen Anlage, wobei der Singpsalter, ab 1655 in der Form des vollständigen Genfer Psalters, einem zweiten Teil mit kirchenjahrbezogenen Liedern („Festlieder“) und weiteren geistlichen Liedern vorangeht. Ziel des im Jahr 2019 begonnen Dissertationsprojekts ist es, die Geschichte der rund zehn sich maßgeblich unterscheidenden Gesangbücher zu erarbeiten. Im Mittelpunkt steht dabei das Repertoire der Festlieder und geistlichen Lieder; der Genfer Psalter wird bewusst ausgeklammert. Ab dem 17. Jh. bildete dieser den Grundbestand der Schweizer Gesangbücher und war in der reformierten Schweiz so dominant, dass er an manchen Orten fast 200 Jahre lang die im kirchlichen Gebrauch stehenden Gesangbücher bestimmte und sich auch durch sogenannte „verbesserte Fassungen“ nicht ablösen ließ. In Bern wurde er erst 1 Christenliche Kilchengesang. Das ist: Die usserläsnesten unnd brüchlichesten Psalmen Davids / sampt den Fast-Gesangen / und gemeinesten Geistlichen Liederen / ouch angehencktem Catechismo / und etlichen Gebatten / zůsammen verfasset. Für die Christenliche Gemeynd der Kilchen und Schulen der Statt Bern. Getruckt zu Bern / bey Johann le Preux / Im Jahr 1606. 2 Berner Gesangbuch. Psalmen, Lieder und Festlieder. Auf Veranstalten der Synode. Bern, Druck und Verlag von K. J. Wyß. 1853.

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ab 1655 in jedem Gesangbuch vollumfänglich abgedruckt und löste die „alten“ Psalmen Luthers und aus Straßburger und Konstanzer Tradition endgültig ab – erst in der Nachdichtung von Ambrosius Lobwasser, ab 1775 in der Neubereimung durch Johannes Stapfer. Das Liedrepertoire soll unter anderem nach folgenden Gesichtspunkten analysiert werden: – Provenienz: Herkunft bzw. Ursprungstradition der Lieder, Auffälligkeiten / Häufungen, damit verbunden auch fassungsgeschichtliche Aspekte und konfessionelle Fragen (lutherische Lieder im reformierten Gesangbuch); – Paratexte: Vorreden, Überschriften, Bibelzitate oder Kommentare zu einzelnen Liedern; – Rubriken: Gliederung (Ort im Gesangbuch), Benennung, zugeordnete Lieder; – Quantitative Verhältnisse: Psalmen, Festlieder, geistliche Lieder; – Zusammenhang mit der gottesdienstlichen Praxis (soweit aus Quellen erschließbar); – Exemplarische, diachrone Liedanalysen einiger Lieder, die über die ganze Periode gedruckt wurden. Voraussetzung für diese Arbeiten ist die Erstellung einer Bibliografie der im erwähnten Zeitraum in Bern gedruckten Gesangbücher. Die Katalogisierung der Berner Gesangbücher wurde in der Vergangenheit bereits mehrmals in Angriff genommen, allerdings liegen diese Projekte zum Teil längere Zeit zurück und wurden nicht abgeschlossen, sodass sie keinen sicheren Überblick über die Quellenlage bieten; zudem ist der Forschungsstand zur bernischen Kirchenmusikund Gottesdienstgeschichte eher bescheiden. Die Erstellung einer zuverlässigen Bibliografie wird insbesondere dadurch erschwert, dass viele Gesangbücher mit anderen Drucken zusammengebunden wurden und in Bibliothekskatalogen nicht selten mangelhaft oder überhaupt nicht erfasst sind, wenn ihnen in Konvoluten andere Drucke vorangehen. Ferner ist die Identifzierung der unzähligen Nachdrucke, die teilweise über Jahrzehnte jährlich erschienen, nicht einfach, da sie sich in Buchformat, Stimmenanzahl, Layout und zuweilen sogar Titel vom Erstdruck unterscheiden. Auch wird die Zuordnung durch asynchrone Revisionen einzelner Gesangbuchteile und inhaltliche Doppellungen innerhalb eines Konvoluts erschwert, sodass der Stammbaum der Gesangbücher oftmals nicht linear und in mehreren Strängen verläuft. Für die Entstehungsgeschichte der Gesangbücher sind folgende Aspekte zu berücksichtigen: Auswirkungen der privaten oder halboffiziellen Ausgaben sowie Anhänge auf das Repertoire der nächsten Gesangbücher; schulische / bildungsfördernde Funktion des Gesangbuchs; Rollen der verschiedenen Akteure – Rat, Pfarrherren, Kantor, Drucker – bei Redaktion und Druck der Gesangbücher; Benutzerfreundlichkeit und damit verbunden die Frage nach der bzw. den Zielgruppe(n) der sich in Format, Layout und Druck stark unterscheidenden Ausgaben. Da die offiziellen Gesangbücher ausnahmslos in der hochobrigkeitlichen Druckerei Berns im Auftrag des Berner Rats gedruckt

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Elie Jolliet

wurden, können sie als plausible Zeitzeugen der theologischen Ausrichtung ihrer Zeit gelten. Der Abschluss der Arbeiten an diesem Dissertationsvorhaben soll nach Möglichkeit im Jahr 2025 erfolgen. Nach Abschluss des Promotionsverfahrens ist eine Publikation in Buchform geplant, die durch digitale Ressourcen ergänzt werden soll. Projekt: Dissertation Universität: Universität Bern, Philosophisch-historische Fakultät, Institut für Musikwissenschaft / Walter Benjamin Kolleg, Graduate School of the Arts and Humanities Betreuung: Prof. Dr. Anselm Gerhard, Universität Bern Prof. Dr. Ansgar Franz, Johannes Gutenberg-Universität Mainz Beratung: Dr. Andreas Marti, ehemals Universität Bern Verfasser: Elie Jolliet, M. A., Kirchenmusiker, Konzertorganist, Sekretär und Vorstandsmitglied der IAH , Vertreter der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz bei der AÖL Kontakt: [email protected]

Die Poeto-Theologie Erdmann Neumeisters (1671–1756) Konstellationen, Konzeptionen und Konkretisierungen lutherisch-theologischer Kommunikation im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert Ein kirchenhistorisches Habilitationsprojekt

Stefan Michels

Der spätere Hamburger Hauptpastor Erdmann Neumeister (1671–1756) ist aufgrund der Reichhaltigkeit und Multiperspektivität seines Schaffens kaum mit klassischen Kategorien zu fassen. Zugleich ist er ein exemplarischer Vertreter der kultur-, geistes- wie ideengeschichtlich wichtigen Scharnierzeit um 1700. Die Zeit zwischen 1680 und 1730 ist eine in interdisziplinärer Wahrnehmung hoch transformative und innovative Spanne, die in ihren Wandlungsprozessen nahezu alle Felder der Kultur in Deutschland berührt. Auch Erdmann Neumeisters Werk ist intensiv von den vielfältigen Transformationen um und nach 1700 beeinflusst. In umgekehrter Blickrichtung ist Neumeisters Werk vor allem im Bereich von Poetik und Poesie aus sich selbst heraus epochemachend. Das hier vorzustellende kirchenhistorische Habilitationsprojekt widmet sich aus theologischer Sicht dem kulturellen Laboratorium um 1700 und fokussiert das Werk des lutherisch-orthodoxen Theologen, Poeten, Poetologen und Pastors Erdmann Neumeister als Exempel der sich auch innerhalb der Theologiegeschichte vollziehenden Metamorphosen in den Kommunikationsformen und -gattungen deutscher Sprache. Dabei fragt das Projekt auf mehreren Ebenen nach der eigenständigen theologischen Dignität geistlicher Poesie im Zeitalter der sog. lutherischen (Spät-)Orthodoxie, deren Innovationsgehalt noch in jüngeren Handbucheinträgen tiefgehend infrage gestellt wird. Eine leitende Annahme der Studie ist, dass diese Infragestellung auf einer unzumutbaren Einengung des Quellenmaterials sowie auf fehlenden wirklich konkreten interdisziplinären Perspektiven auf die Zeit zwischen 1680 und 1730 fußt. Recht leichtfüßig lässt sich diese Wahrnehmung durch eine Weitung der Perspektiven zwischen Theologie, Germanistik, Philosophiegeschichte, Kulturgeschichte wie Musikwissenschaft korrigieren. Aber nicht allein auf der Basis einer konsequenten interdis-

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Stefan Michels

ziplinären Arbeit, sondern auch durch eine Weitung der Quellenbasis an sich soll der Fokus der Studie profiliert werden. Es überrascht, dass gerade der im benannten Untersuchungszeitraum sichtbare und nahezu berühmte Erdmann Neumeister bisher kein Gegenstand einer vertieften kirchenhistorischen Forschung war. Das mag nicht zuletzt an den interdisziplinären Voraussetzungen der Quellenbasis liegen. Der Germanistik wie der Musikwissenschaft ist Neumeister schon länger ein Bekannter, der aufgrund seiner poetologischen Theorie sowie seiner geistlichen Dichtungen bis hin zur ausgereiften Form der Kantate nach 1700 immer wieder in den entsprechenden Diskussionen auftaucht. Die theologischen Grundlagen dagegen, die exegetischen und seelsorglich zu verstehenden Entscheidungen Neumeisters bei der Wahl der Auslegungsformen biblischer Texte in geistlicher Lyrik sind bisher nur sporadisch in den Fokus geraten, stellen aber einen wesentlichen Schlüssel zum Verstehen des Werkes Neumeisters dar. Gerade in seiner Zeit in Sorau (1705/6–1715) und vor allem dann in Hamburg (1715–1756) stand Neumeister in kirchenleitender Funktion und sah sein Schaffen vor völlig neuen Herausforderungen, die bei der Interpretation der Dichtungen Neumeisters berücksichtigt werden müssen. Z. B. ist bis heute nicht sicher geklärt, inwiefern Neumeisters Amtsstellung in Hamburg das eigentlich gute Verhältnis zu Georg Philipp Telemann, aber auch zu ehemaligen poetischen Wegbegleitern veränderte. Erst die geplante erweiterte Quellenbasis der Untersuchung, kann Aufschluss über diese und andere Problemkreise geben. Erste Beobachtungen an der Entwicklung der geistlichen Dichtung Neumeisters lassen darauf schließen, dass er sich zunehmend auf die gottesdienstliche Applikation seiner Texte in Beziehung zum Höhepunkt der lutherischen Schriftauslegung in Form der Predigt konzentrierte, während der ‚junge‘ Neumeister freien Textformen einen gewissen Vorzug zu geben schien. Der Vergleich mit dem literarischen Umfeld lässt Neumeister als einen Reformpoeten aufscheinen, der sich gleichzeitig um die theologisch-seelsorgliche Funktion seiner Texte zu bemühen schien. In dieser Zwischenstellung zwischen poetisch-innovativer und gottesdienstlich orientierter Grundhaltung liegt die Reibung, die Neumeisters Leben bestimmte. Sein theologischer Kampf galt seiner Interpretation der absoluten Reinheit lutherischer Theologie in Auseinandersetzung mit Geistesströmungen, die Neumeister für schädlich hielt. Darunter fällt in erster Linie der Pietismus in den Ausprägungen, die Neumeister wahrnahm, aber eben auch die Bemühungen um eine reformiert-lutherische Unionstheologie. Beide Strömungen, der ‚Fanatismus‘ des Pietismus wie der ‚Synkretismus‘ der Unionstheologie, gefährden den wahren lutherischen Glauben, verwässern das Erbe der kraftvollen Theologie Luthers in Neumeisters Lesart. Neumeister bietet, etwa in seiner sich immer weiter präzisierenden Kantatenform, eine Art orthodoxes ‚Alternativprogramm‘ zu den ‚schwärmerischen‘ Tendenzen seiner Zeit. Darüber hinaus gilt Neumeisters Kampf gerade in seinen späteren Hamburger Jahren auch der stark um sich greifenden Frühaufklärung mit ihrem aus seiner Sicht verheerenden Skeptizismus gegenüber dem Wahrheitsgehalt der biblischen Texte. Gerade das akademische

Die Poeto-Theologie Erdmann Neumeisters (1671–1756) 

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Gymnasium in Hamburg galt Neumeister als Hochburg dieser problematischen Strömung, wie er sie fasste. Neumeister sah die theologische Kommunikation vor die Herausforderung gestellt, Antworten auf die aus seiner Sicht plakativen und oberflächlichen Ansichten all dieser Strömungen zu finden. Die Form der geistlichen Dichtung, aber auch der konzentrierten lutherischen Predigten mit konkretem Lebensbezug erschien ihm dabei als ‚pastoralstrategische‘ Möglichkeit zur Eindämmung seelenschädlicher Formen einer unchristlichen Verinnerlichung des Glaubens oder der Verwässerung unionstheologischer Ansätze wie einer existenziellen Gefährdung des christlichen Glaubens in frühaufklärerischen Ideen. Die pastorale Strategie Neumeisters zielte auch auf Verinnerlichung, auch auf das Herz als Sitz der Gotteserkenntnis, denn Neumeister war kein akademischer Theologe im Sinne der lutherischen Universitäts-Orthodoxie. Neumeister war in erster Linie Pastor und als solcher bediente er sich der Instrumente, die ihm zur Verfügung standen und in seiner theologischen Existenz eine wesentliche Rolle spielten. Daher reichen die Quellen von geistlichen Gelegenheitsgedichten, über seine Predigten und Kirchenlieder bis hin zu den Kantatensammlungen, die mehrfach nachgedruckt und publiziert wurden. Neumeisters Texte gehörten zu den beliebtesten Dichtungen seiner Zeit und fanden gerade bei Musikschaffenden dieser Zeitspanne einige bedeutende Rezipienten, von Johann Philipp ­K rieger über Georg Philipp Telemann bis zu Johann Sebastian Bach und anderen. Die vielschichtigen Forschungen zu Neumeister sollen in eine Buchpublikation in deutscher Sprache münden. Mit einem Erscheinen des Buches ist etwa 2026 zu rechnen. Projekt: Habilitation Universität: Goethe-Universität Frankfurt / M. (Entstehung) Universität Hamburg (Habilitation) Begleitung: Johann Anselm Steiger / Bernhard Jahn / Birger Petersen Förderung: in Vorbereitung Verfasser: Prof. Dr. Stefan Michels (W1-Professur für Kirchengeschichte) Kontakt: Goethe-Universität, Fachbereich Ev. Theologie, Fachgebiet Kirchengeschichte, Norbert-Wollheim-Platz 1, 60323 Frankfurt / M. Mail: [email protected]

Literaturbericht Hymnologie Deutschsprachige Länder (2020, 2021) 2022

Erik Dremel, Daniela Wissemann-Garbe

Abkürzungen: EG FKM GL2 KMJ LK MGD MuK MS(D) MuL SiK WBK

Evangelisches Gesangbuch, Stammausgabe 1993 Forum Kirchenmusik, München (früher: Der Kirchenmusiker) Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch, 2013 Kirchenmusikalisches Jahrbuch, Regensburg / Köln Liturgie und Kultur, Hannover Musik und Gottesdienst, Basel Musik und Kirche, Kassel Musica Sacra, Regensburg Musik und Liturgie, Gossau CH (früher: Singen und Musizieren im Gottesdienst / Katholische Kirchenmusik) Singende Kirche. Zeitschrift für katholische Kirchenmusik, Salzburg Württembergische Blätter für Kirchenmusik, Stuttgart

Wir danken Leserinnen und Lesern des Jahrbuchs für Hinweise auf Neuerscheinungen.

Übergreifende Sammelschriften Hoondert, Martin (Hg.): Religious Singing in Childhood, Youth and Education. Proceedings of the 30th Biennial IAH Conference. Halle / Saale DE 2019. Part II / Papers. Geistliches Singen in Kindheit, Jugend und Erziehung. Tagungsbericht der 30. Studientagung der IAH. Halle / Saale DE 2019. Teil II / Beiträge (I. A.H.  Bulletin 48 [2020/21]). Tilburg 2021, 160 S. Wittenberg, Andreas: Von So treiben wir den Papst hinaus bis zu Weil ich Jesu Schäflein bin. Kinder im Kirchenlied und Kirchenlieder für Kinder von Luther bis heute (10–27); Nawrocka-Wysocka, Arleta: Matins and shepherds  – Christmas customs, performed by child actors from  a Lutheran community in Poland. An overview of their history, repertoire and social functions (28–38); Klek, Konrad: Geistliches Singen im Universitätschor (39–47); Grešová-Sekelská, Adriana: The reconstruction of the „Magnificat octavi toni“ from the repertoire of Latin schools in Levoča and Bardejov in the 16th and 17th centuries (48–55); Ruščin, Peter: Katechismuslieder in den slowakischen Quellen des 17. und 18. Jahrhunderts (56–65); Neitsov-Mauer, Kristel: Volkspädagogik durch gemeinschaftliches Singen. Hallesche Einflüsse in Estland in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts (66–76); Watzatka, Agnes: „Zur höchsten

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Begeisterung entflammen“ – Josef Ferdinand Kloss und der kirchliche Schulgesang (77–94); Hong, Lionel Li-Xing: ‚Singing is Believing‘ – songs taught by missionaries to children in China (95–109); Hakkarainen, Jenni-Tuuli: Religious songs and their educational function in the Orthodox Church in Finland in the 1920s–1940s (110–116); Chiang, Yu-Ring: O du Hüter Israel – Quellenreise durch Okzident und Orient. Zum Einfluss des Freylinghausen-Gesangbuchs in Taiwan (117–139); Herl, Joseph / Reske, Peter C.: The Significance of the Lutheran Service Book Companion (140–160).

I. Theologie und Kirchenmusik A Grundsätzliches, Übergreifendes, Aktuelles, Verschiedenes Conrad, Anja / Schneider, Matthias: Hymnologie-Unterricht der Zukunft, in: FKM 73 (2022), H. 1, 15–16. Die Autoren liefern einen kurzen, aufschlussreichen Bericht von der ersten Konferenz der deutschsprachigen Dozierenden im Fach Hymnologie. Die Konferenz hatte im September 2021 in Halle (Saale) stattgefunden. Auf Initiative der Direktorenkonferenz Kirchenmusik gab es erstmals einen intensiven Austausch über Zugänge und Ansprüche, Methoden und Materialien im akademischen Hymnologie-Unterricht (an Hochschulen, Universitäten wie auch in der Aus- und Weiterbildung von Ehren- und Nebenamtlichen), der auch in den Blick nahm, wie sich der Hymnologie-Unterricht gegenwärtig verändert bzw. sich zukünftig verändern muss. Krummacher, Friedhelm: Luther  – Josquin  – Bach. Über Luthers Musikbegriff und Bachs Kirchenmusik, in: Bach-Jahrbuch 106 (2020), 11–44. Krummacher denkt darüber nach, wie eine von Luther bewunderte Chanson ­Josquins mit zwei Sätzen von Johann Sebastian Bach verglichen werden kann und zitiert ­Luthers Wort vom Sangmeister, bei dem die Noten „habens müssen machen, wie er wolt.“ Marti, Andreas: Leid – Klage – Trost: Was die Musik leisten kann, in MuL 147 (2022), H. 5, 24–28. Der als Referat bei den Luzerner Kirchenmusiktagen 2022 konzipierte und zwischen Pergolesis „Stabat Mater“ und Bachs Kantate „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ vorgetragene Text ist ein Plädoyer dafür, dass „Musik nicht schmücken, sondern wahr sein soll“ (S. 26) und beschreibt damit auch einen Auftrag der Kirche. Seitz, Theresa: Musik und Gesang im Islam. Religiöse Musik in den abrahamitischen Weltreligionen (1), in: MS(D) 142 (2022), 145–147. Siering, Timm: Kirche, Musik und ästhetische Bildung. Kirchenmusikpädagogik am Beispiel kirchlichen Singens, J. B. Metzler: Berlin 2022, 239 S. Die an der Universität Münster angenommene Promotionsschrift nimmt Kirchenmusik und kirchliches – insbesondere liturgisches – Singen aus der Perspektive der Musikpädagogik (ausdrücklich nicht aus musikwissenschaftlicher, theologischer oder hymnologischer Perspektive) in den Blick und entwickelt neue musikpädagogische Formate der Aus- und Fortbildung, um liturgische Beteiligungsformen durch Gemeindegesang zu stärken und neu zu entwickeln. Zentrales Projekt ist dabei das Ausbildungskonzept ehrenamtlicher „Kirchensänger*innen“, die in Kirchengemeinden eingesetzt werden, nicht um den Gemeinden etwas vorzusingen, sondern um die

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Literaturbericht Hymnologie. E. Dremel, D. Wissemann-Garbe

Menschen zum Singen anzuleiten und zu aktivieren. Das hat auch Auswirkungen auf (Neu-)Konzeptionen „gemeindlicher Kirchenmusik“, auf Singkonzepte und Ausbildungskonzepte, um Singen in liturgischen Vollzügen mit musikpädagogischen Methoden zu reflektieren, neu zu bewerten und weiter zu entwickeln.

B Kirchenlied und Musik in der Ordnung des Gottesdienstes Braun, Lucinde: Konfessionelle Konflikte – konfessionelle Allianzen. Toleranz in deutschen Orgelpredigten der Frühen Neuzeit, in: KMJ 106 (2022), 31–53. Die Autorin zeigt unter anderem, dass die untersuchten Orgelpredigten zwischen 1600 und 1800 eine allmähliche Akzeptanz der Praxis, Gemeindegesang mit der Orgel zu begleiten, dokumentieren. Gottesdienst im Wandel. [Themenheft:] MuK 92 (2022), Heft 1. Enthält u. a.: Böntert, Stefan: Am Heiligen Feuer leben. Spirituelle Wegweiser aus Gottesdienst und Kirchenmusik in Zeiten des Wandels (6–10); Volkmann, Evelina: Krise oder Aufbruch. Zur Entwicklung der Gottesdienstlandschaft seit 1990 (12–17); Uhl, Markus: Wie gelingt gottesdienstliche Dramaturgie? Ein Blick auf die Werkzeuge (24–30). Herrmann, Katharina: Gesungene Katechese. Kommunikation durch Popularisierung. Kulturelle Repräsentationen eines engagierten protestantischen Christentums im Neuen Geistlichen Lied. Mohr Siebeck: Tübingen 2021, 422 S. Die vorliegende Arbeit wurde von Katharina Herrmann im Rahmen der DFG-Forschergruppe „Der Protestantismus in den ethischen Debatten der Bundesrepublik Deutschland 1949–1989“ angefertigt und an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Der Fokus liegt auf der Entwicklung der „Gottesdienste in neuer Gestalt“ seit den 1960er Jahren in landeskirchlichen Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland, in die die Entstehung des Neuen Geistlichen Liedes eingeordnet wird. Entwicklungen in der Katholischen Kirche, Freikirchen, Ökumene und den Landeskirchen der DDR sind nur am Rande berücksichtigt. Dabei geht es nicht um die Lieder selbst – im ganzen Buch wird kein einziges, weder Text noch Melodie, analysiert. Auf eine Einführung in Fragestellung und Aufbau der Arbeit sowie die Begriffe „Protestantismus“ und „Neues Geistliches Lied“ folgt der Hauptteil unter dem alternativen Titel „Die Popularisierung einer engagierten christlichen Lebensführung im Neuen Geistlichen Lied“. Da Kirchentage als Experimentierfelder und Multiplikatoren der neuen Gottesdienstformen und der darin verhafteten Neuen Geistlichen Lieder aufgefasst werden, sind die Liederhefte der Deutschen Evangelischen Kirchentage von 1957 bis 1989 Dreh- und Angelpunkt der Arbeit. In zwei Anhängen sind die Lieder aufgelistet, die in wenigstens einem Kirchentagsliederheft sowie im Stammteil bzw. mindestens einem Regionalteil des EG gedruckt sind. Eine wichtige Rolle wird der „Arbeitsgemeinschaft Musik“, dem Frankfurter Seminar für neue Lieder und ihrer Vernetzung in ihrer Zusammenarbeit mit den Kirchentagen zugewiesen. Der These, die Neuen Geistlichen Lieder böten eine Art „Basistheologie“ widerspricht Herrmann. Sie sieht in ihnen vor allem eine katechetische Absicht. Sie zeichnet nach Peter Bubmann 2009 eine Entwicklung vom Bekenntnis kirchlicher Gemeinschaft zum Ausdruck individueller religiöser Bedürfnisse, vom Verständnis Gottes als Autorität zum Anbieter von Lebensbegleitung, von dogmatischer Sprache zu vorsichtigen Neuformulierungen

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theologischer Topoi, vom in die Pflicht nehmenden Bekenntnis- und Gebetslied zum vorsichtigen Angebotslied. Hermann bescheinigt den Akteuren eine „evolutionäre Grundhaltung“, die einen Ausgleich zwischen Tradition und Innovation suchten. Das betrifft ein Bemühen um Verbindung alter und neuer Liedstile und liturgischer Elemente, ein Ansprechen des „ganzen Menschen mit allen Sinnen“ und das Erlernen von Verantwortung in der Welt. Kopp, Stefan / Schwemmer, Marius / Werz, Joachim (Hg.): Mehr als nur eine Dienerin der Liturgie. Zur Aufgabe der Kirchenmusik heute (Kirche in Zeiten der Veränderung 4). Herder: Freiburg 2020, 280 S. Der Sammelband von 16 in der Kirchenmusikforschung prominenten Autoren (es sind nur Männer) ist eine präzise und pointierte Standortanalyse der Kirchenmusik angesichts der teilweise radikalen Umbrüche in Kirche und Gesellschaft in einer ökumenischen Perspektive, aber mit einem Schwerpunkt auf der katholischen Blickrichtung. Dabei werden theologische und liturgische Grundlagen vorgeschaltet, um dann missionarische Möglichkeiten, seelsorgerlich-pastorale sowie sozio-kulturelle Themenfelder in Einzelstudien zu erörtern. Auch Berufsbilder der Akteure, die nur temporäre Verbindlichkeit von Projektchören und das Freizeitverhalten von Choristen werden analysiert und bieten ein breites und lesenswertes Spektrum gegenwärtiger Kirchenmusikkultur. Ein besonderes Augenmerk gehört dem popularmusikalischen Anteil liturgischer Musik und dazugehörigen Ausbildungskonzepten von ehrenamtlichen Lobpreisleitenden. Eine grundsätzliche Verhältnisbestimmung von Theologie und Musik aus protestantischer Perspektive (Michael Meyer-Blanck) fasst die theoretischen Grundlagen der Musik und der Kirchenmusik trefflich zusammen. Schwemmer, Marius / K löckner, Stefan: Euangelion. Vertonte Evangelien für das liturgische Jahr (ACV-Schriftenreihe 33). ConBrio: Regensburg 2022, 428 S. Das großformatige und gewichtige Buch (im Quartformat) ist ein vollständiges Evangeliar, das die Evangelienperikopen der Römisch-Katholischen Lesejahre A, B und C in einstimmigen mit Noten wiedergegebenen Vertonungen enthält, so dass ein Lektor (katholischerseits also nur ein Diakon, Priester oder Bischof)  den Evangelientext singend-rezitierend vortragen kann. Ziel des Buches ist die Wiedergewinnung des kantillierten Vortrags des Evangeliums in der Messe. Dabei wird nicht auf schematische Lektionstöne oder Modelltöne zurückgegriffen, sondern jede einzelne Lesung ist individuell ausgeführt und mit Tönen und Kadenzen unterlegt. Natürlich gibt es jeweils einen Tenor, auf dem der Großteil des Textes kantilliert wird, aber die Initia und Periodi, die Kommata und Kolons sind eben komponiert und bewusst ausgestaltet, was für die Praxis immens hilfreich ist, sich die Texte nicht einrichten zu müssen, sondern absingen zu können. Das Buch ist für die Verwendung in der Liturgie aufwendig und mit großer Sorgfalt gestaltet. Neben dem mit Noten unterlegten Text wird auch ein gesprochener Lesetext mit Sinngliederung durch Absätze abgedruckt. Für den Evangelischen Gebrauch wäre ein solches Projekt mit dem Wortlaut des Perikopenbuchs auch wünschenswert. Vielleicht würde zunächst kein vollständiger Jahrgang erforderlich sein, aber  – vergleichbar mit den ausgesetzten Lesungen im Anhang der Osteragende  – für herausragende Feste würde sich eine dergestaltige Umsetzung empfehlen.

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II. Hymnologie A Hymnologische Forschung, Geschichte und Quellen des Kirchenliedes Dehlinger, Frieder: Schwere Zeiten – starke Lieder. Das Kirchenlied in Krisenzeiten, in: WBK 89 (2022), H. 2, 4–11 und um Schweizer Aspekte ergänzt durch Verena Friedrich in: MGD (2022), H. 6, 4–11. Der Beitrag ist die Schriftfassung eines Vortrags von 2022. Ehmann, Johannes: Geschichte der Evangelischen Kirche in Baden. Band 2: Die Kirche der Markgrafschaft. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2021, 807 S. Die zweibändige Geschichte bietet eine umfassende und materialreiche historiographische Darstellung der Ev. Landeskirche Badens. Kirchenordnungen / Agenden von 1556, 1649, 1686, 1720, 1750 und 1775 werden genannt und teilweise tabellarisch verglichen. Auf den Seiten 671–679 von Bd. 2 werden Gesangbücher (hg. von Christian Heinrich Rabus, Philipp Jakob Bürcklin und Johann Leonhard Walz) kurz besprochen und teilweise mit Rubriken vorgestellt. Streitigkeiten über neue „Hallische Lieder“ und Aufklärungsbestrebungen des Landesherrn werden kurz erwähnt, bieten aber kaum Erweiterungen des Forschungsstandes von Hermann Erbacher: Die Gesang- und Choralbücher der lutherischen Markgrafschaft Baden-Durlach 1556–1821, Karlsruhe 1984. Fillmann, Elisabeth: Vier, acht, 36, 111  – Zahlen-Titel für geistliche Liederhefte, in: Grutschnig-Kieser, Konstanze / Schlechter, Armin / Sorbello Staub, Alessandra / Stork, Hans-Walter (Hg.): Aus kirchlichen Bibliotheken und Archiven im deutschen Südwesten. Festgabe für Udo Wennemuth zum 65. Geburtstag (Jahrbuch kirchliches Buch- und Bibliothekswesen, NF 6, 2021). Schnell & Steiner: Regensburg 2022, 25–46. Der anschaulich bebilderte Aufsatz beschäftigt sich mit dem im Titel genannten Bestand innerhalb der Gesangbuchsammlung der Landeskirchlichen Bibliothek Karlsruhe. Fillmann betrachtet dabei weit mehr als die Zahlen enthaltenden Titel, auch Zahlensymbolik spielt nur eine untergeordnete Rolle, sondern sie spannt einen Bogen vom Achtliederbuch (nachträglicher Titel, der in den Sprachgebrauch übergegangen ist) bis zu den „36 Liedern“ von 1986 und arbeitet dabei die Funktion von begrenzten Liedersammlungen als Keimzellen von Gesangbüchern heraus. Fincke, Andreas / Rein, Matthias: Gottes Wort in Erfurt. Protestantische Lebensbilder aus fünf Jahrhunderten. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2021, 240 S. Das Buch enthält eine biographische und theologiegeschichtliche Einordnung des Lieddichters Johann Matthäus Meyfart, ohne auf seine Lieddichtung einzugehen (37–44). Eine lebendig erzählte Darstellung über den „Erfurter Liederstreit“ von 1712 um Johann Kießling und seine Kaufmanns-Kurrende (81–89) und ein aufschlussreiches Kapitel über Karl Christian Wilhelm Reinthaler und seine zu gering rezipierte „Deutsche Liederbibel“ als liturgisch-hymnologisches Schulprojekt der 1850er Jahre (109–119) bieten hymnologisch Interessantes. Gissel, Siegfried: Alte Hymnenmelodien und ihre Tonarten. Florian Noetzel, Verlag der Heinrichshofen-Bücher: Wilhelmshaven 2020, 104 S. Die wie ein Lehrbuch aufgemachte Publikation enthält zwei Beiträge. 1. Die Tonarten alter Hymnenmelodien im vorglareanischen Tonartensystem (9–66): Hier werden zunächst die Merkmale der Modi erläutert und dann über je sechs bis sieben Merkmale in

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36 Beispielen mechanisch abgearbeitet („analysiert“). Eine kurze „Zusammenfassung“ bestätigt oder verwirft die Richtigkeit der Regelanwendung in einigen der Melodien, ohne nach Gründen dafür zu suchen. 2. Alte Hymnenmelodien und ihre Übertragung in evangelische Gesangbücher (67–104). Hier werden wiederum rein mechanisch sechs Melodien lateinischer Hymnen (nach Lucas Lossius’ Psalmodia 1561) mit ihrer Übertragung in deutsche Kirchenlieder in das Gesangbuch Eisleben 1568, das EKG 1951 und das EG in Stuttgarter Auflage von 2007 verglichen. Das betrifft Veni creator spiritus (Komm, Gott Schöpfer, [du] Heiliger Geist); Rex Christe factor omnium (O Christe, Schöpfer aller Ding / Christe, du Schöpfer aller Welt); Conditor alme syderum (O Herr Gott, Schöpfer aller Stern / Gott, heil’ger Schöpfer aller Stern); A solis ortus cardine (Christum wir sollen loben schon); Veni redemptor gentium (Nun komm, der Heiden Heiland); O lux beata trinitas (Der du bis drei in Einigkeit). Im zweiseitigen Schlusswort bemängelt Gissel in vier Beispielen die Übertragung ins EG und EKG, kommt dabei aber über seine Zählmethode nicht hinaus. Hofmann, Andrea: Das gedruckte Lied als Propagandainstrument, in: Lies, Jan Martin (Hg.): Wahrheit – Geschwindigkeit – Pluralität. Chancen und Herausforderungen durch den Buchdruck im Zeitalter der Reformation (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Supplement 132). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2021, 65–81; https://doi.org/10.13109/9783666560378.65 [12.7.2023]. Der Beitrag geht exemplarisch auch über die Reformationszeit hinaus. Junker, Johannes: Immer wieder neue Lieder. Aus der Gesangbuchgeschichte der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK). Sola-Gratia-Verlag: Rotenburg /  Wümme 2022, 173 S. Der Sammelband enthält fünf Beiträge von Artikeln, die zuerst in den Lutherischen Beiträgen 2020–2022 erschienen sind, und drei, die ebd. erst danach 2023 publiziert wurden. Die ersten drei sind bereits in den JLH 60 (2021), S. 355 und 61 (2022), S. 207 berücksichtigt worden. Zu den anderen: Ders.: Gesangbücher aus der Geschichte der SELK. Ein Schmuckgesangbuch aus Breslau (4), auch in: Lutherische Beiträge 27 (2022), 123–133. – Gemeint ist die 1926 erschienene Ausgabe von „Das Gesangbuch für die Evangelisch-Lutherische Kirche“ mit acht Zeichnungen von Rudolph Schäfer, die hier publiziert sind mit einem Text von Gottfried Nagel über das genannte Gesangbuch aus dem Jahr 1926 (Quelle: Kirchenblatt für evangelisch-lutherische Gemeinden in Preußen). Ders.: Gesangbücher aus der Geschichte der SELK. Missouri und die Sachsen (5), auch in: Lutherische Beiträge 27 (2022), 255–267. – Betrifft das Gesangbuch der Missouri-Synode (Kirchen-Gesang-Buch für Evangelisch-Lutherische Gemeinden ungeänderter Augsburgischer Konfession, St. Louis 1847), das Zwickauer Gesangbuch (Kirchen-Gesang-Buch für Evangelisch-Lutherische Gemeinden ungeänderter Augsburgischer Konfession zum Gebrauch in Kirche, Schule und Haus, Zwickau 1930) und das „LKG“ 1956. Ders.: Gesangbücher aus der Geschichte der SELK. Das Harms’sche Missionsgesangbuch (6), auch in: Lutherische Beiträge 28 (2023), 41–48. – Betrifft das von Ludwig Harms herausgegebene „Das singende und betende Zion“, Hermannsburg 1860 und die daraus abgeleiteten Ausgaben in Landessprachen für Südafrika. Ders.: An der Schwelle zum eigenen Kirchengesangbuch (7), auch in: Lutherische Beiträge 28 (2023), 71–81. – Hier werden die Probleme der SELK mit dem EKG 1950 und der Weg zum EKG mit SELK-Anhang sowie die Vorgeschichte des ELKG von 2021 geschildert. Ders.: Das evangelisch-lutherische Kirchengesangbuch 2 (8), auch in: Lutherische Bei-

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träge 28 (2023), 82–87. – Der Beitrag trägt im Sammelband den Untertitel: Nur eine exemplarische Rezension. Schließlich beschäftigt sich der Sammelband im Anhang I mit den eigenen Abendmahlsliedern Herr, du lädst zur Feier ein von 1980 und Geheimnis des Glaubens (Refrain; Strophenbeginn: Das ist mein Leib im Brote). Anhang II befasst sich unter der Überschrift „Ein unmögliches Abendmahlslied!?“ mit Singt nun fröhlich ein neues Lied (Gottfried Martens), und vergleicht es mit der Schwesterübertragung Kommt mit Gaben und Lobgesang (Detlev Block). Dieser Beitrag war schon erschienen in: Lutherische Beiträge 25 (2020), 260–263. Loetz, Francisca  /  M issfelder, Jan-Friedrich: Singen als Herzensgebet. Die Praxis des Kirchengesangs in der Stadt und auf der Landschaft, in: Loetz, Francisca (Hg.): Gelebte Reformation. Zürich 1500–1800. Theologischer Verlag (TVZ): Zürich 2022, 185–208. Die Autoren gehen der 73jährigen „musikalischen Stille“ in den Zürcher evangelischen Gottesdiensten (1525 Abschaffung der Messe, 1598 Einführung des Gemeindegesangs) nach und verfolgen in ihrer umfassenden und mit zahlreichen Quellen belegten Studie die Annahme des Psalmengesangs. Gemäß Zwinglis Verständnis geistlichen Singens als Herzensgebet hat Singen in Zürich und Umgebung durchweg außerhalb der Kirchen stattgefunden und wurde Ende des 16. Jahrhunderts in den Gottesdienst zurückgeholt (und nicht wie bisher geglaubt, von außen eingetragen). Das im Kämmerlein gesungene Gebet des 16. Jahrhunderts hat sich dann während eines längeren Reformationsprozesses im 17. und 18. Jh. auf den Chor- und Gemeindegesang in der Kirche erweitert. Im 19. Jh. begann mit Einführung instrumentaler Begleitung eine neue Etappe in der Kirchengesangspraxis. Schilling, Johannes: „Kraft- und Kerngesänge“ für Geist und Herz: Ludwig Gotthard Kosegartens Ausgabe der „Lieder Luthers“ aus dem Jahr 1818 und die Aktualität seiner Idee guter evangelischer Lieder, in: Luther 93 (2022), 42–55. Siering, Timm: Onkel Heini und die letzten Dinge. Kurt Schwitters mit dem Evangelischen Gesangbuch quergelesen, in: Theomag, Heft 126 (2020). https://www.theomag. de/126/ts01.htm (12.7.2023). Siering liest den „Onkel-Heini-Schlager“ von Kurt Schwitters (Und wenn die Welten untergehn; eine eigene Vertonung ist beigegeben) wie ein Gesangbuchlied und zieht mit humoristischem Ernst Parallelen. Zerfaß, Alexander: „Er gab mir ein neues Lied in den Mund“ (Ps 40,4). Qualitätskriterien für Texte (Neuer) Geistlicher Lieder, in: SiK 69 (2022), 3–9. Eingangs erörterte Überlegungen werden an zwei Beispiele angelegt: Wo Menschen sich vergessen (Thomas Laubach) und Stimme, die Stein zerbricht (Jürgen Henkys nach Anders Frostenson).

B Leben und Werk der Dichter und Melodieschöpfer (nach deren Namen alphabetisch geordnet) Deckert, Peter: Alois Albrecht (*1936). Prägende Gestalten des Neuen Geistlichen Lieds (9), in: MS(D) 142 (2022), 148–151. Daniel, Thomas: Carl Philipp Emanuel Bachs Choralsätze aus der Sammlung der SingAkademie zu Berlin und ihre Auswirkungen auf die Bewertung der Choraldrucke von Birnstiel und Breitkopf, in: Bach-Jahrbuch 106 (2022), 187–208. Betrifft die Sätze zu O Gott, du frommer Gott; Helft mir, Gotts Güte preisen; Befiehl

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du deine Wege; Jesus, meine Zuversicht; Ich bin ja, Herr, in deiner Macht; Wer nur den lieben Gott lässt walten; Komm, Heiliger Geist. Daniel, Thomas (Hg.): Johann Sebastian Bach (1685–1750). Sämtliche Choralsätze für vierstimmigen gemischten Chor. Breitkopf & Härtel: Wiesbaden 2021. Kaum ein Kirchenmusik- oder Tonsatzstudierender kannte nicht die alte Breitkopf & Härtel-Ausgabe sämtlicher Bach-Choräle. Jetzt kommt die Neuausgabe in neuem Layout, sehr übersichtlich mit klarem Notensatzbild und basierend auf dem Urtext. Unter jedem der rund 400 Choralsätze finden sich Anmerkungen zur Verwendung in den Kantaten und sonstigen Werken Bachs sowie Hinweise auf die Textdichter und Melodisten. Ein ausführlicher Apparat liefert Details zur Überlieferung und edito­ rischen Praxis. Der Inhalt des Bandes wird durch mehrere Register erschlossen (nach Text-Incipit, Melodie-Incipit, BWV, Namen der Dichter und Komponisten), was sich für die Benutzung des Bandes als sehr hilfreich erweist. Schilling, Johannes: Evangelische Stundenliturgie im Lutherischen Lübeck. Hermann Bonnus, Hymni et Sequentiae 1559, in: Lutherjahrbuch 89 (2022), 142–188. Schillings umfassender Beitrag bringt auch hymnologische Erträge: Er erwähnt einen Beleg für die Funktion des Liedes Ach Gott, vom Himmel sieh darein bei der Einführung der Reformation in Lübeck (146), befasst sich mit Nikolaus Hermans Übersetzung Wir wollen sing’n ein Lobgesang von Philipp Melanchthons Hymnus Aeterno gratias patri (167–169) und geht auf die Übersetzung von Martin Luthers Lied Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort (fünfstrophige Fassung von Justus Jonas) ins Lateinische zu Serva Deus Verbum tuum ein. Die letzte Strophe des Buches ist eine Rückübersetzung von Luthers Verleih uns Frieden zu Pacem tuam te poscimus (175–178). Zum Schluss teilt Schilling das de-tempore und das alphabetische Register von Bonnus’ Druck mit (183–188). Henkys, Albrecht / Korth, Hans-Otto / M iersemann, Wolfgang (Hg.): Crüger 1622. Ein Berliner Kantor schreibt Musikgeschichte. ortus musikverlag: Beeskow 2022, 260 S. Kein runder Geburtstag und kein Todestag boten den Anlass, den vorliegenden Sammelband herauszugeben, sondern das 400jährige Amtsjubiläum von Johann Crüger als Nikolaikantor. Dies ist so ungewöhnlich wie plausibel, denn dem 40 Jahre währenden Wirken folgte eine bis heute andauernde Nachwirkung seines Schaffens. Ungewöhnlich ist aber auch die Breite, in der Leben und Werk eingebettet in die Berliner Stadtund Kulturgeschichte dargestellt werden. Im Katalogformat ist dabei ein Lesebuch mit wissenschaftlichem Anspruch, auch neuen Erkenntnissen, in Bildbandqualität entstanden – die authentischen Illustrationen beginnen auf dem aufklappbaren Umschlag und ziehen sich durch alle Aufsätze. – Folgende Beiträge sind enthalten: Allihn, Ingeborg: Berlin-Cölln zur Crüger-Zeit. Von den mittelalterlichen Stadtgründungen zu den kurfürstlichen Residenzstädten Cölln und Berlin (1–16); Henkys, Albrecht: Johann Crüger. 40 Jahre Berliner Leben (17–36. Anhand eines zeitgenössischen Stadtplans werden Wege, die Crüger gegangen sein könnte, nachvollzogen und Orte und Ereignisse wie in einer Stadtführung erläutert: Lebenswege.); Klingberg, Lars: „Cantor Nicolaitanus“ und „Director Musicus Berolinensis“: Amtsbezeichnungen und Amtsaufgaben (37–44); Knackmuß, Susanne: Im Schulstaub. Johann Crüger als Collega gymnasii (45–58); Wendebourg, Dorothea: Der Gottesdienst des Kantors Johann Crüger (59–68. Wendebourg skizziert die Liturgie nach der geltenden Brandenburgischen Kirchenordnung von 1572 und fügt weitere Entwicklungen ein); Weichenhan, Susanne: „Im Himmel erhebt der Herr seine Diener“. Crüger und die Pfarrerschaft (69–104. Einige Pfarrer haben Lieder hinterlassen, die berücksichtigt werden: Nicolaus Elerdt [Ewiger Gott, Herr Zebaoth], Johann Berkow [Herr Christ, mein armes

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Seelelein], Georg von Lilien [Als Gottes Sohn am Kreuze stund; Wohlauf, zu guter Stunde; Herr Jesu Christe, Weltheiland], Paul Gerhardt [ausführlich zum Lied Jesu, allerliebster Bruder, in dem die Freundschaft mit Crüger mit der zwischen David und Jonathan verglichen wird – Entdeckung von Günter Balders]. Komplett abgedruckt, übersetzt und kommentiert wird auch das anonyme, nun Joachim Schultze zugeschriebene dialogische Gedicht zu Crügers zweiter Hochzeit 1637.); Knackmuß, Susanne: Stammbuch, nicht Stimmbuch. Ein neues Musikautograph von Johann Crüger: die Stammbuch-„Fuga“ (1627) (105–116); Krüger, Ekkehard: Johann Crügers Gelegenheitskompositionen (117–140. U. a. geht Krüger dem Lied Ich hab mein Lauff vollendet nach, das in Text und Melodie von Johann Hermann Schein stammt, von Crüger aber mit weiteren Strophen versehen für ein „Leichbegängniß aufgesetzt“ wurde.); Klingberg, Lars: Johann Crüger als Komponist figuraler Kirchenmusik (141–160); Liess, Fynn: Johann Crüger als Musiktheoretiker (161–174); Miersemann, Wolfgang: Vom Newen vollkömlichen Gesangbuch / Augspurgischer Confession (1640) zur Praxis pietatis melica (1647 ff.): ein Gesangbuch auf Erfolgskurs (175–198); Korth, Hans-Otto: Ein einzigartiger Freund: der Stadtmusiker Jacob Hintze (199–206. Mit dem obersten Ratsmusiker Berlins gab es eine kurze gemeinsame Amtszeit. Von diesem sind einige Melodien auch zu Paul Gerhardts Liedern überliefert.); Schmidt, Bernhard: Johann Crügers Psalmodia sacra (1657/58): ein Doppelgesangbuch für den refomierten Berliner Hof (207–224); Korth, Hans-Otto: Johann Crüger als Gesangbuch-Redaktor (225–238. Als Notenbeispiele sind die Sätze von Ein feste Burg ist unser Gott und Zion klagt mit Angst und Schmerzen abgedruckt.); Klek, Konrad: Johann Crüger. Aspekte der Wirkungsgeschichte (239–256. Berücksichtigt sind u. a. die Lieder Nun danket alle Gott; Jesu, meine Freude; Schmücke dich, o liebe Seele; Wie soll ich dich empfangen und Nun danket all und bringet Ehr. Widersprochen werden muss Kleks – vielleicht nur unglücklich formulierter? – Aussage [S. 241], der Melodienachweis im EG Nr. 361 zu Befiehl du deine Wege sei von „Gesius 1603/ Telemann 1730“ zu „Freylinghausen 1708“ zu korrigieren: Befiehl du deine Wege ist dort ohne Noten abgedruckt; stattdessen gibt es zwei Melodieverweise auf Herzlich tut mich erfreuen und Valet will ich dir geben.) Böttler, Winfried: Paul Gerhardt und der Dreißigjährige Krieg. Das geistliche Lied als Seelsorge, in: MuK 92 (2022), 114–117. Deckert, Peter: Winfried Heurich (*1940). Prägende Gestalten des Neuen Geistlichen Lieds (12), in: MS(D) 142 (2022), 376–378. Klöckner, Stefan / Schneider, Dominik / Wilhelm, Ursula (Hg.): Symphoniae. Gesänge der Hildegard von Bingen. Praxisbuch (ACV-Schriftenreihe 26). Vier-Türme-Verlag: Münsterschwarzach 2020, 329 S. Der Band enthält erstmals sämtliche Gesänge Hildegards in einer modernen zum Singen eingerichteten Notation im 5-Linien-System. Zielgruppe der Ausgabe sind also nicht nur spezialisierte Choral-Scholen, sondern auch Solistinnen, (Frauen-) Chöre und Liebhaberensembles. Grundlage der Edition ist der Riesencodex (Wiesbaden Cod. 2), es werden weitere Quellen vergleichend herangezogen und in einem umfangreichen Apparat mit höchster wissenschaftlicher Sorgfalt erörtert. Eine historisch-biographische Einleitung ermöglicht eine willkommene Kontextualisierung der Gesänge in lebensweltlichen und liturgischen Zusammenhängen. Die Themenfelder Theologie und Therapie, die für das Verständnis der Arbeitsfelder Hildegards wesentlich sind, werden ausführlich entfaltet. Das vielfältige Repertoire wird nach Gattungen gesondert erschlossen, was es ermöglicht, in der Fülle der wunderschönen Gesänge einen Überblick zu behalten. Eine besonders kostbare Editionsleistung auf höchstem Niveau, der eine weite Verbreitung zu wünschen ist.

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Quast, Thomas: Arnim Juhre (1925–2015). Prägende Gestalten des Neuen Geistlichen Lieds (11), in: MS(D) 142 (2022), 294–296. Küster, Konrad: Luther als Komponist. Gesangbücher und Philologie, in: Lutherische Theologie und Kirche 46 (2022), 82–105. Küster analysiert – wohl bedenkend, dass der Nachweis für Luthers Autorschaft zumeist nicht zu erbringen ist – eine Reihe von Melodien, indem er die Hexachord-Lehre Guido von Arezzos darauf anwendet und kommt zu dem Schluss, dass eine „klare Kluft zwischen seiner [Luthers] Komposition und der musiktheoretischen Lateinschul-Pädagogik“ (104) zutage tritt. Beispiele sind Nun komm, der Heiden Heiland; Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort; Vom Himmel hoch, da komm ich her; Ein feste Burg ist unser Gott; Gelobet seist du, Jesu Christ; Aus tiefer Not schrei ich zu dir, die verworfene Melodie zu Vater unser im Himmelreich und Dies sind die heilgen zehn Gebot. Quast, Thomas / Büsch, Andreas: Wilfried Pilz (1940–2019) – Seelsorger und Liederautor. Prägende Gestalten des Neuen Geistlichen Lieds (8), in: MS(D) 142 (2022), 86–88. Limbeck, Sven / Schmitt, Rainer / Wirth, Sigrid (Hg.): Musik im Umbruch. Studien zu Michael Praetorius (Wolfenbütteler Forschungen 172). Herzog August Bibliothek: Wolfenbüttel 2022, 344 S. Um den am langjährigen Wirkungsort von Michael Praetorius herausgegebenen Sammelband mit 16 Aufsätzen verschiedener Autorinnen und Autoren kommt niemand herum, der sich mit dem kompositorischen und wissenschaftlichen Werk beschäftigt. Hymnologisch ausgerichtet ist der Beitrag von Andrea Hofmann: Das evangelische Kirchenlied im 16. und 17. Jahrhundert – konfessionelle Profilierung oder Interkonfessionalität? (45–56). Werbeck, Walter (Hg.): Schütz Handbuch. Bärenreiter: Kassel / Metzler: Stuttgart 2022, 444 S. Das Handbuch bietet einen umfassenden, gründlich recherchierten und gut lesbaren Einblick in Leben und Werk von Heinrich Schütz. Eröffnet mit einer Zeittafel (3–17), eingeleitet von einer Durchsicht und Verortung von Bildern (18–31), über biographische Stationen (32–125), separat untersuchte Orte und Bedingungen musikalischen Handelns (126–173) hin zu einer systematischen Darstellung des Werkes inklusive eines Abschnittes zur Aufführungspraxis (174–369) und einem Kapitel zur Rezeption (370–419). Abgeschlossen wird das Handbuch mit verschiedenen Registern, darunter einem vollständigen Werkverzeichnis in alphabetischer Form sowie nach SWV-Nummern. Es ist über weite Strecken von hymnologischem Interesse. Besonders relevant die Abschnitte ‚Texte‘ (Irmgard Scheitler, 194–214) sowie ‚Becker-Psalter und Zwölf geistliche Gesänge‘ (Klaus-Jürgen Sachs; 296–310). Hingewiesen sei auch auf ‚Kirche und Liturgie‘ (Thomas Illg; 140–154) und ‚Rezeption‘ (17. Jh.: Peter Wollny; 19. Jh.: Walter Werbeck; 20. Jh.: Matthias Herrmann und Walter Werbeck; 370–419). Heinrich Schütz – Wort und Musik. MuK 92 (2022), Heft 2. Themenheft. Schwerpunkt Heinrich Schütz in: MS(D) 142 (2022), Heft 5. Themenheft. Kreuels, Matthias: Rolf Schweizer (1936–2016). Prägende Gestalten des Neuen Geistlichen Lieds (7), in: MS(D) 142 (2022), 16–18. Verwiesen wird auf den Download-Bereich von musica-sacra-online.de, wo ein Liedund Werkverzeichnis Schweizers von Kreuel abrufbar ist. Allerdings ist ein Code aus dem Impressum des Heftes oder eines jüngeren erforderlich. Jers, Norbert: Lothar Zenetti (1926–2019). Prägende Gestalten des Neuen Geistlichen Lieds (10), in: MS(D) 142 (2022), 224–226.

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C Untersuchung und Auslegung einzelner Lieder C.1 Kommentarwerke Alpermann, Ilsabe / Evang, Martin (Hg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Ausgabe in Einzelheften H. 29 (Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch 3). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2022, 95 S. Enthält Kommentare zu folgenden Liedern: Gott hat das erste Wort (Andreas Marti, 3–6); Herr, unser Gott, lass nicht zu Schanden werden (Alexander Bitzel, 7–10); Ich will dir danken, Herr (Thomas Schmidt, 11–13); Meine Seele erhebt den Herren (Andreas Marti, 14–15); Abraham, Abraham, verlass dein Land (Martin Evang, 16–18); Kam einst zum Ufer (Martin Evang / A ndreas Marti, 19–23); Ich will den Herrn loben allezeit (Andreas Marti, 24–25); Ach bleib mit deiner Gnade (Joachim Stalmann, 26–28); Ich freu mich in dem Herren (Konrad Klek, 29–33); Alles ist an Gottes Segen (Karl-Heinrich Lütcke / Konrad Klek, 34–39); Kommt her zu mir, spricht Gottes Sohn (Bernhard Leube / A ndreas Marti, 40–45); Was mein Gott will, gescheh allzeit (Joachim Stalmann, 46–49); In allen meinen Taten (Johannes Schilling, 50–54); Erneure mich, o ewigs Licht (Alexander Bitzel, 55–58); Herzlich lieb hab ich dich, o Herr (Bernhard Schmidt, 59–65); Christus, das Licht der Welt (Martin Evang / A ndreas Marti, 66–69); Gib Frieden, Herr, gib Frieden (Martin Evang, 70–74); Lobet den Herren alle, die ihn ehren (Kanon; Thomas Schmidt, 75–76); Die güldne Sonne, voll Freud und Wonne (Bernhard Leube, 77–84); Segne, Herr, was deine Hand (Thomas Schmidt, 85–87); Mit meinem Gott geh ich zur Ruh (Ansgar Franz, 88–91); Bleib bei mir, Herr! Der Abend bricht herein (Helmut Kornemann / Ilsabe Alpermann / A ndreas Marti, 92–95).

C.2 Einzeluntersuchungen (nach Liedanfängen alphabetisch geordnet) Rohland-Stahlke, Susanne: Ein neues Lied. Du glättest die Wogen [= Refrain; Strophenanfang: Du bist mein Lotse, mein Leuchtturm in der Nacht] (Text: und Melodie: Miriam Buthmann), in: MuK 92 (2022), 398. Lauterwasser, Helmut: Die ‚Marseillaise‘ der Reformation (Heinrich Heine). Vom Gebrauch und Missbrauch einer Kirchenliedmelodie, in: KMJ 106 (2022), 73–85. Lauterwassers Beitrag über Ein feste Burg ist unser Gott entstand für die Jahrestagung der Görres-Gesellschaft zum Thema Toleranz. Er zeigt, dass Heines Ausdruck im Exil entstand, als dieser versuchte, den Franzosen deutsche Kultur, Philosophie und evangelische Theologie nahe zu bringen (übersetzt 1834), obwohl die Dichtung eher als persönliches Gebet in Anfechtung, denn als Kampflied gedacht war. Lauterwasser untersucht diesen Bedeutungswandel und insbesondere den Anteil der Melodie daran. Dabei führt er neben dem Film ‚Das weiße Band‘ von Michael Haneke (2009) Werke der Musikgeschichte auf: Felix Mendelssohn-Bartholdys ‚Reformationssinfonie‘ (1830), Richard Wagners ‚Kaisermarsch‘ (1871), Michael Altenburgs ‚Gaudium christianum‘ (1617). In Debussys ‚En Blanc et noir‘ (UA 1916), wo die Melodie mit der echten Marseillaise kombiniert wird, sieht er eher einen Versuch, um Verständnis und Toleranz zu werben.

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Heymel, Michael: Es glänzet der Christen inwendiges Leben. Geschichte und Interpretation, in: Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung 71/72 (2019/2020; erschienen 2022), 77–102. Heymel widmet sich dem Text, der Überlieferung, der Melodie, dem Dichter (und möglichen Komponisten) [Christian Friedrich] Richter und im Teil „Interpretation“ den Vorlagen, der Form, dem Inhalt, den Adressaten, dem historischen Kontext sowie der Rezeption. Wersin, Michael: Die Choralmelodie Herzlich tut mich verlangen im geistlichen Werk Johann Sebastian Bachs. Eine musikalisch-theologische Studie (Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag. Musikwissenschaft 17). Tectum: Baden-Baden 2022, 393 S. Eine umfangreiche und inhaltlich profunde Untersuchung der vielfachen Verwendung der Melodie Herzlich tut mich verlangen im Werk J. S. Bachs. Nach einer histo­r ischen Analyse der weltlichen Melodie Mein gmüth ist mir verwirret und ihrer ersten Kontra­fakturen, sowie nach einer Entfaltung unterschiedlicher Verwendungsmodi von Choralmelodien in Bachs Kantaten- und choralgebundenem Orgelmusikschaffen, nimmt Wersin jede Nutzung und Anwendung der Melodie – selbstverständlich mit allen unterschiedlichen Textierungen – gründlich in den Blick. Dabei geht er sowohl auf kompositorische Verwendungstechniken und Harmonisierungsmodelle ein als auch auf theologische, textuelle, kontextuelle und intertextuelle Besonderheiten. Hinzu kommen auch Erwägungen über die intendierten Affekte, seelsorgerlichen Aspekte und Fragen der Gemeindebeteiligung durch Wiedererkennbarkeit der Melodie. Das Buch ist sehr gründlich recherchiert, spannend und anspruchsvoll geschrieben und reich an neuen Erkenntnissen. Es lädt zu einer umfassenden Entdeckungsreise ein und bietet durch die spezielle Perspektive, sich von einer Melodie herkommend den verschiedenen Werken zu nähern, viel Ungeahntes und Überraschendes. Auf die berühmte Melodie werden Texte wie O Haupt voll Blut und Wunden; Du edles Angesichte; Wenn ich einmal soll scheiden; Wie soll ich dich empfangen; Ihr Christen auserkoren; Herzlich tut mich verlangen; Ach Herr, mich armen Sünder; Befiehl du deine Wege und einige mehr gesungen, die Wersin ausführlich einordnet und bespricht. Auch Melodie-Zitaten (ohne Text), seien sie direkt oder in die Komposition eingewebt, widmet er seine Aufmerksamkeit. Zahlreiche Notenbeispiele und Abbildungen machen das Buch zu einem kostbaren Schatzkästlein der Liedgeschichte. Mathias Kissel, „Im Friede faren.“ Das Nunc Dimittis in der Übersetzung Martin Luthers als sprachliches und theologisches Kunstwerk, in: Kusmierz, Katrin / Plüss, David / Berlis, Angela (Hg.): Sagt doch einfach, was Sache ist! Sprache im Gottesdienst, Theologischer Verlag (TVZ): Zürich 2022, 163–185. Kissels erklärtes Ziel ist zu zeigen, „wie Sprache selbst zu Musik werden kann. In einem solchen Fall kommt es zu einer Explosion von Bedeutung: Text wird zu Musik, die so entstandene Musik legt selbst den Text aus, der Text aber wiederum die „Sprachmusik“ – das Ergebnis ist eine immerwährende zirkuläre Bewegung, ein perpetuum mobile.“ (163). Unter dieser Prämisse werden lateinischer und deutscher Bibeltext und Luthers Lied Mit Fried und Freud ich fahr dahin betrachtet. (Zum gesamten Buch s. den Literaturbericht Liturgik, S. 95 f.) Lengerich, Martina van: Ein neues Lied [recte: Zwei neue Lieder]. Ich lebe Tag um Tag und Ich berge mich bei dir (je Text: Lothar Zenetti; Melodie: Barbara Kolberg), in: MuK 92 (2022), 42. Koll, Julia: Ein neues Lied. In uns kreist das Leben (Text: Kurt Marti; Melodie: Friedemann Gottschick), in: MuK 92 (2022), 118.

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Höppner, Bernd / Cherdron, Eberhard / Wittmann, Dieter: Jesus, meine Zuversicht. 3 Studien. Books on Demand: Norderstedt 2020. Platzer, Hermann: Komm zu uns mit deinem Licht. Entstehung eines neuen Adventliedes, in: SiK 69 (2022), 11–14. Text des Liedes ist von Eugen Eckert und die Melodie 2019 von Hermann Platzer. Straub, Barbara: Ein neues Lied. Lebensbaum – Kreuzesbaum [Liedanfang: Lebensbaum, Wasserkreise laufen leis im Wurzelreiche] (Text und Melodie: Markus Ege), in: MuK 92 (2022), 260. Lederer, Franz: Nun sei uns willkommen, Herre Christ. Anmerkungen zu dem bisher ältesten bekannten deutschsprachigen Weihnachtslied, in: MS(D) 142 (2022), 366–368. Älteste Überlieferungen zum Text Nu seit unß willekome hero Kerst / Sys willekomen heire kerst / Nu sijt wellekome, Jesu lieven Heer. Sandermann, Leonard: Ein neues Lied. Frieden. [Liedanfang: Sehnsucht nach Frieden pocht an die Tür] (Text: Franz Josef Tremer; Melodie: Manfred Schlenker), in: MuK 92 (2022), 332. Hörler, Bernhard: Tochter Zion, freue dich. Im Advent, an Weihachten, am Palmsonntag – ja wann denn?, in: MuL 147 (2022), H. 2, 7–8. Über die bereits in der „Liederkunde zum EG“ mitgeteilten Informationen geht hinaus, dass das Lied in Frankreich und Italien sogar als Osterlied gesungen wird. Leube, Bernhard: Das „Gute-Mächte“-Gedicht von Dietrich Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer, in: WBK 89 (2022), H. 5, 4–9. Leube zeigt in seinem biographischen Beitrag Elemente in Maria von Wedemeyers Briefen an Dietrich Bonhoeffer, die wohl in sein Gedicht Von guten Mächten wunderbar geborgen eingeflossen sind. Wissemann, Antje: Ein neues Lied. Wieviel Erde braucht der Mensch? (Text: Margret und Lothar Wand; Melodie: Christoph Spengler), in: MuK 92 (2022), 198 f.

D Gesangbücher und Liedersammlungen (Ausgaben und Kommentare; Ausgaben und Kommentare einzelner Personen s. II.B) Bitsch-Molitor, Mechthild / Franz, Ansgar / S chäfer, Christiane (Hg.): Die Lieder des Mainzer Gotteslob. Geschichte – Musik – Spiritualität. Herausgegeben […] unter Mitarbeit von Anne-Dore Harzer. Matthias Grünewald Verlag: Ostfildern 2022, 1000 S. Nach dem Kommentarwerk zum Stammteil des Gotteslob (s. JLH 57 [2018], 245 f.) schließt der vorliegende Band die Lieder des Mainzer Regionalteils auf. Format und Grundprinzipien sind – nicht verwunderlich, denn zwei der Herausgeber sind dieselben – beibehalten, nur die Ausstattung ist ein wenig bescheidener. Die Lieder sind nicht alphabetisch, sondern nach den Nummern des Gesangbuches angeordnet. Da fast ausschließlich Strophenlieder, aber kaum Kehrverse, Kanons und liturgische Gesänge berücksichtigt sind, verstehen sich Lücken in der Numerierung von selbst. Text und Noten samt dem hymnologischen Nachweis des Gesangbuchs sind komplett abgedruckt. Das ermöglicht, die Lieder des Mainzer Eigenteils zu erkunden, ohne ihn zur Hand nehmen zu müssen. Er enthält vier Liedgruppen: Vom Morgen bis zum Abend. Der Tag im Licht des Heils / Der Sonntag. Die Woche im Licht des Heils / Die geprägten Zeiten. Das Jahr im Licht des Heils / Von der Taufe bis zum Tod. Das Leben im Licht des Heils. So kann man nach Liedern stöbern und sich gleich über sie

Deutschsprachige Länder (2020, 2021) 2022

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informieren. Leser verschiedener Konfessionen werden sich über die Erweiterung des gemeinsamen Liedbestandes freuen und darüber, Kommentare zu Liedern der eigenen Konfession aus katholischer Perspektive zu finden. Über 40 Autorinnen und Autoren haben ihre Kompetenzen eingebracht, alle hatten vom Mainzer Gesangbucharchiv bereitgestellte Grundlagen zur Verfügung. Der Fokus der straff, aber gut lesbar gestalteten und mittels Zwischenüberschriften übersichtlich gegliederten Kommentare liegt auf dem „Lebenslauf“ (S. 8) der Lieder von ihren Anfängen bis in die Gegenwart. Das allgemeine Literaturverzeichnis am Ende des Buches und die liedspezifischen Literaturangaben am Fuß jeden Kommentars sind bewusst knapp gehalten. Eine „Kleine Mainzer Gesangbuchgeschichte“ verankert den Eigenteil in der Tradition des Bistums. Dazu betrachten Franz und Schäfer das erste katholische Gesangbuch von Michael Vehe, das in zweiter Auflage 1567 in Mainz erschien, das „Mainzer Cantual“ von 1605, die „Himmlische Harmony“ von 1628, die Gesangbücher von 1661, 1683 und 1745, das von Ernst Xaver Turin 1787 herausgebrachte Gesangbuch, das „Cantate“ von Heinrich Bone aus dem Jahr 1847, das von Bischof Emmanuel von Ketteler in Auftrag gegebene von 1865, den Anhang an die Einheitslieder von 1916, die Diözesangesangbücher von 1935 und 1952 sowie den Diözesan-Anhang zum Gotteslob von 1975. Ergänzend muss man das „Sternchenverzeichnis“ ab S. 927–973 wahrnehmen, um die vielfältigen Quellen des GL2-Mainz zu erfassen. Hanisch, Evelyn: Weltweit einzigartig und jetzt online: Das Klugsche Gesangbuch von 1533 – eine Kooperation der Staatsbibliothek zu Berlin mit der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt (16.3.2022): https://blog.sbb.berlin/weltweit-einzigartigund-jetzt-online-das-klugsche-gesangbuch-von-1533/ (12.7.2023). Im Zuge der im Titel genannten Kooperation wurden 17 Drucke aus dem frühen 16. Jh. und das lange verschollene Stammbuch von Valentin Winsheim (1521–1591) digitalisiert. In dem bebilderten Blogbeitrag wird das Klugsche Gesangbuch knapp in die Gesangbuchgeschichte eingeordnet und es wird kurz auf die Besitzeinträge eingegangen. Zerfaß, Alexander / Ackermann, Andrea / Praßl, Franz Karl / Volgger, Ewald (Hg.): Die Lieder des Gotteslob Österreich und Bozen-Brixen. Liturgie – Kultur – Geschichte. Wiener Domverlag: Wien 2022, 1059 S. Der vorliegende Band ist der (bisher) dritte im Bunde der Liederkommentare zum Gotteslob (s. o. zum Mainzer Eigenteil). Die Ähnlichkeit mit dem zum Stammteil ist noch größer als beim Mainzer. Sie beginnt bei Format und Umfang, erstreckt sich über die Seitengestaltung und Schrifttypen und lehnt sich auch im Aufbau an: Abdruck von Melodie und vollständigen Texten, Beschränkung auf wenige Seiten, Gliederung durch schlaglichtartige Zwischenüberschriften, viele Autoren bringen ihre Kompetenzen ein (hier sogar gut doppelt so viele), äußerst kurze Literaturhinweise, Anhang. Der Untertitel scheint auf eine andere Gewichtung der Kommentare zu weisen: 2017 hieß er „Geschichte – Liturgie – Kultur“; aber das macht sich beim ersten Leseeindruck nicht bemerkbar. Was den Band auszeichnet, liegt bereits im Wesen eines Gesangbuch-Regionalteils begründet: Eine Vielfalt von Gesängen abseits des Mainstream wird beleuchtet. Für die hier betroffenen Diözesen kommt hinzu, dass weitere Konfessionen und Sprachen eine Rolle spielen. So ist ein Einblick in das betreffende Liedgut besonders nötig. Einem Zugang und erstem Verständis dienen zwei einführende Texte im Anhang: Franz Karl Praßl erläutert vor allem für den Österreich-Teil „Die Nähe des christlichen Ostens – Gesänge aus orthodoxen Traditionen im Gotteslob“ (945–949) und Ewald Volgger behandelt „Mehrsprachiges Liedgut in der Diözese Bozen-Brixen“ (950–956) und damit landinisches und italienisches

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Literaturbericht Hymnologie. E. Dremel, D. Wissemann-Garbe

Liedgut. Aufschlussreich ist auch das umfangreiche Quellenverzeichnis (957–1016), weil hier ansatzweise nachvollzogen werden kann, aus wieviel Gesangbüchern (und anderen Quellen) geschöpft wurde. Ein wenig schade ist, dass es kein ausdrückliches Verzeichnis der Dichter und Komponisten gibt, sie sind aber immerhin über das allgemeine Personenverzeichnis auffindbar. Insgesamt ein Werk, dass Interessierten auch außerhalb der Diözesen Österreich und Bozen-Brixen ans Herz gelegt werden kann, weil so manch ein Lied und seine Bedeutung auf Entdeckung warten.

Literaturbericht Hymnologie Französischsprachige Länder (2021) 2022

Beat Föllmi

II . Hymnologie Veit, Patrice: Un livre constitutif de la piété et de la culture: le Gesangbuch, in: Martin, Philippe (Hg.): Produire et vendre des livres religieux. Europe occidentale fin XVe – fin XVIIe siècle (Faits de religion 7). Presses Universitaires: Lyon 2022, 145–161.

D. Gregorianik Hala, Patrick: Dom Guéranger et la ‚restauration musicale‘, de son impulsion fondatrice jusqu’aux premières publications. Ses rapports avec les musicographes de son temps, in: Études grégoriennes XLIX (2022), 125–188. Nishimagi, Shin: Fragment d’un tonaire aquitain de la fin du XIIe siècle (Paris, BnF, Lat. 7185, F. 109, 117–125). Édition et commentaire, in: Études grégoriennes XLIX (2022), 1–60.

III. Kirchenmusik A Zur Geschichte und Bibliographie der Kirchenmusik Bonnec, Damien: Une passion après Auschwitz. La Passion selon Marc de Michaël Levinas, in: Auzoll, Cécile / Réra, Nathan, Les Champs musicaux et sonores de la barbarie moderne (Musiques XXe –XXIe siècles). Aedam Musicae: Château-Gontier sur Mayenne 2022, 167–180.

C Zur Aufführungspraxis der Kirchen- und Orgelmusik Bovet, Guy: Jean-Jacques Gramm, 1926–2022, in: La Tribune de L’Orgue 74/2 (2022), 7–8. Bovet, Guy: La région de Vicenza et les orgues ‚phonochromiques‘ de Giovanni Battista Giuseppe de Lorenzi (1806–1883), in: La Tribune de L’Orgue 73/4 (2021), 30–33.

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Literaturbericht Hymnologie. Beat Föllmi

Bovet, Guy: La Zollingerhalle de Valley (Allemagne). Un nouveau Musée de l’Orgue, in: La Tribune de L‘Orgue 74/4 (2022), 31–36. Bovet, Guy: Le nouvel orgue Kuhn de la Tonhalle de Zurich, in: La Tribune de L’Orgue 73/4 (2021), 34–39. Bovet, Guy: Les ‚Pièces d’orgue sur les Psaumes huguenots‘ de Henri Gagnebin (I), in: La Tribune de L’Orgue 74/2 (2022), 16–32. Bovet, Guy: Les ‚Pièces d’orgue sur les Psaumes huguenots‘ de Henri Gagnebin (II). in: La Tribune de L’Orgue 74/3 (2022), 27–37. Bovet, Guy: Les 16 concertos pour orgue de Haendel (1), in: La Tribune de L’Orgue 74/1 (2022), 12–15. Bovet, Guy: Les 16 concerts pour orgue de Haendel (II), in: La Tribune de L’Orgue 74/2 (2022), 12–15. Bovet, Guy: Les 16 Concertos pour orgue de Haendel (III), in: La Tribune de L’Orgue 74/3 (2022), 19–25. Bovet, Guy: Les deux orgues de L’Île de Rheinau, in: La Tribune de L’Orgue 73/4 (2021), 22–23. Bovet, Guy: Un orgue exceptionnel à Gland, in: La Tribune de L’Orgue 73/4 (2021), 25–27. Boyer, Michel: L’orgue vu par un organiste témoin de la Revolution, in: La Tribune de L’Orgue 73/4 (2021), 19–21. Carlier, Bernard: Les mystères des orgues Gheude des Écaussinnes, in: L’Organiste 54, n°213 (2022), 16–20. Clerc, Myriam / Clerc, Pierre-Alain: Le Musée Suisse de l’Orgue à Roche, in: La Tribune de L’Orgue 74/3 (2022), 7–10. Clerc, Pierre-Alain: Petit catalogue sonore des orgues du Musée, in: La Tribune de L’Orgue 74/3 (2022), 11–17. de La Tullaye, Christophe: Organiste à La Chaise-Dieu au XVIIIe siècle, in: L’Orgue francophone, n°63/64 (2022), 80–99. De Vos, Luc: La légende console ‚César Franck‘ du Cavaillé-Coll (1859) de Sainte-Clotilde, actuellement à Liège, in: L’Organiste 54, n°213 (2022), 21–23. Ferrard, Jean / Zoutendijk, Johan: Une étude exploratoire sur l’histoire de la musique d’orgue imprimée de 1512 à c. 1660, in: L’Organiste 54, n°214 (2022), 51–68. Ferrard, Jean: L’orgue dans la Revue et Gazette musicale de Paris (1834–1880), in: L’Organiste 54, n°213 (2022), 3–15. Ferrard, Jean: L’orgue dans la Revue et Gazette musicale de Paris (1834–1880), in: L’Organiste 54, n°214 (2022), 39–50. Gasnier, Jean-Marie: Le grand orgue Charles Anneessens de l’église Saint-Joseph de Clermont-Ferrand, in: L’Orgue francophone, n°63/64 (2022), 156–164. Guéritey, Pierre Marie: Bénigne Boillot (1725–1795). Un facteur d’orgues en Bourgogne au XVIIIe siècle, in: L’Orgue francophone, n°63/64 (2022), 100–111. Hardouin, Pierre: Le trois pénétrations de l’orgue ‚à la flamande‘ en France du nord (1553–1620), in: L’Orgue francophone, n°65 (2022), 15–37. Herold, Basil / Jaccottet, Guy-Baptiste: Georg Muffat, Apparatus musico-organisticus, in: La Tribune de L’Orgue 74/1 (2022), 19–21. Micoulaut, Claude Jean: Deux ‚petits‘ instruments sauvés à Clermont-Ferrand, in: L’Orgue francophone, n°63/64 (2022), 165–170. Nemtsov, Yascha: Culture musicale spirituelle juive (II), in: La Tribune de L’Orgue 74/2 (2022), 9–11. Perrot, Jean-Luc: L’orgue de Mokpo en Corée. Interview du facteur Michel Jurine, in: L’Orgue francophone, n°63/64 (2022), 145–155.

Französischsprachige Länder (2021) 2022

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Perrot, Jean-Luc: Une armoire à partitions en province: quelques indices pour le répertoire d’un organiste au XIXe siècle, in: L’Orgue francophone, n°63/64 (2022), 112–131. Roose, Patrick: Aperçu historique concis sur les interactions dans la facture d’orgues en Flandre, de part et d’autre de l’actuelle frontière franco-belge, in: L’Orgue francophone, n°65 (2022), 38–53. Thévenaz, Vincent: Fugue á trois sujets. Conclusion de l’histoire de l’orgue à Genève, in: La Tribune de L’Orgue 74/1 (2022), 22–26. Thévenaz, Vincent: L’ancien orgue Kuhn de 1924 de Cossonay installé à Sciez (HauteSavoye), in: La Tribune de L’Orgue 74/1 (2022), 31–33. Thévenaz, Vincent: L’orgue dans la vie musicale genevoise, in: La Tribune de L’Orgue 73/4 (2021), 7–14. Thévenaz, Vincent: L’orgue Walcker de la Chapelle des Macchabées à Genève, in: La Tribune de L’Orgue 74/3 (2022), 39–44. Thomas, Dominique: L’orgue Thomas de l’église catholique Saints-Pierre-et Paul à Singen, in: L’Orgue francophone, n°63/64 (2022), 132–144. Un article des années 60 au sujet de l’orgue du camp de prisonniers de guerre de Rimini, in: La Tribune de L’Orgue 73/4 (2021), 28–29.

D Leben und Werk der Meister Tufféry, Pascal: Les Suites anglaises de Bach. Une méditation sur la mort?, préface de Gilles Cantagrel. L’Harmattan: Paris 2022.

IV. Zur Geschichte Dompnier, Bernard / Duron, Jean (Hg.): Le métier du maître de musique d’église (XVIIe – XVIIIe siècles). Activités, sociologie, carrières (Épitome Musical). Brepols: Turnhout 2020. Sammelband mit Beiträgen zum (katholischen) Kirchenmusikeramt des 17. und 18. Jahrhunderts: Dompnier, Bernard: Le métier de maître de musique, entre normes et pratiques, 11–35; Mailhot, Bastien: L’exercice du métier de maître de musique dans les ‚petites églises‘: simple différence de degré ou statut singulier?, 37–51; Leconte, Thomas: Le maître de la Musique de la Chapelle du roi: hiérarchie, prérogatives et fonctions, 53–73; Caillou, François: Les maîtres de musique des églises de Paris dans la seconde moitié du XVIIIe siècle, 75–87; Corswarem, Émilie: De l’efficacité d’un modèle local: être maître de chant à la cathédrale Saint-Lambert de Liège (1581–1650), 89–102; Carbonnier, Youri: ‚Un jeune homme se présente pour être maître de musique‘: Débuter dans la carrière au XVIIIe siècle, 105–118; Granger Sylvie: Itinérance ou stabilité des maîtres de musique de 1790, à travers la base prosopographique Muséfrem, 155–167; Maillard, Christophe: La figure du maître de musique dans les villes où rivalisent deux corps de musique prestigieux à la fin du XVIIIe siècle, 205–219; Kocevar, Érik: L’organiste de collégiale et de cathédrale aux XVIIe et XVIIIe siècles: réflexions sur le statut d’un des hommes-clé des cérémonies religieuses en France, 169–179; Depoutot, René: Maître de musique d’église à Nancy au XVIIIe siècle: du chœur de la primatiale à la salle du Concert et de la Comédie, 221–241; Favier, Thierry: Le maître

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Literaturbericht Hymnologie. Beat Föllmi

de musique d’Église et le concert en province au XVIIIe siècle, 243–259; Duron, Jean: Le maître et son œuvre: la nécessité d’un classement, l’espoir d’une préservation, 263–280; Guillo, Laurent: Les maîtres de chapelle entre institution et édition (XVIIe – XVIIIe siècles), 281–296; Berton-Blivet, Nathalie: Le maître de musique à l’épreuve de l’édition, 297–316; Bisaro, Xavier: L’enfance de l’art: les maîtres de musique et l’enseignement du plain-chant au XVIIIe siècle, 319–328; Smeesters, Aline: Collaborations de poètes néo-latins et de compositeurs de musique à l’époque moderne: deux cas d’étude, 329–360; Duron, Jean: Le maître théoricien aux XVIIe et XVIIIe siècles: l’apprentissage de la composition musicale, 361–380; Montagnier, Jean-Paul C.: La messe polyphonique en livre de chœur comme outil pédagogique, 381–395; Hours, Bernard: Maître de musique. Une fonction au profil mouvant, 399–406. Élissèche, Charles-Yvan: Le personnel musical de la Sainte-Chapelle de Paris. XVIe et XVIIe siècles (Musicologie 15). Classiques Garnier: Paris 2022. Dieses Buch befasst sich mit dem kirchlichen Personal und dem musikalischen Leben in der Pariser Sainte-Chapelle im 16. und 17. Jh. und hebt eine Besonderheit der Sainte-Chapelle hervor: die Verflechtung von kirchlichem Status und Kantorentätigkeit. Gribenski, Fanny (Hg.): Musiques et pratiques religieuses en France au XIXe siècle (Musicologie 16). Classiques Garnier: Paris 2022. Sammelband zur französischen Kirchenmusik des 19. Jahrhunderts: Bisaro, Xavier: La Messe royale de Dumont. Une musique concordataire?, 21–39; Davy-Rigaux, Achille: Au miroir d’un ‚genre‘. Les recueils de contrepoints à trois voix sur le plainchant de Jean-Baptiste Métoyen et Adrien de La Fage, 41–59; Velasco, Maria Josefa: Le lieu, le chant, la langue. Éléments de la restauration des pratiques religieuses dans le diocèse de Bayonne (1800–1830), 61–96; Buvron, Jean-Marcel: L’inventaire de la psallette de la cathédrale du Mans (1844–1880). Une bibliothèque musicale au service du culte catholique, 97–140; Gribenski, Fanny: Les exercices du mois de Marie, des pratiques musicales et religieuses controversées, 143–173; Rollin, Vincent: Les cérémonies funèbres en l’honneur de musiciens à Paris au XIXe siècle. Dispositifs musicaux, répertoires et signes funéraires, 175–205; Ramaut, Alban: Berlioz, la spiritualité et la musique. Une enquête, 207–225; Jardin, Étienne: Les concerts d’Alexandre Choron, 229–247; Tchorek, Denis: Alexandre Guilmant et la musique religieuse. De Saint-Nicolas de Boulogne-sur-Mer à la Schola Cantorum, itinéraire d’un maître de chapelle, organiste et compositeur au temps de la restauration liturgique, 249–273; PorretDubreuil, Amélie: Laïcat catholique et art religieux. L’exemple des engagements de la Société Saint-Jean au sein des comités catholiques, 275–303; Ellis, K ­ atharine: Dialogues d’archives. Autour d’une histoire du plain-chant vers 1900, 305–324; Corbier, Christophe: Philologie, esthétique et politique. La prononciation du latin dans le chant liturgique en France (1880–1914), 325–358. Robinson Alexander: ‚At tibi quid gratum Religione magis?‘. Musique, cérémonies et allégories dans les entrées françaises de dignitaires ecclésiastiques (ca 1590–1629), in: Revue de musicologie 108/2 (2022), 299–351. Thoraval, Fañch / van Wymeersch, Brigitte (Hg.): La musique en Hainaut aux XVIIe et XVIIIe siècles. Brepols: Thurnhout 2021. Sammelband zur Musikgeschichte des Hennegau, darunter einige über die Kirchenmusik: Clarinval, Delphine / T horaval, Fañch: Les congrégations oratoriennes. Enjeux esthétiques et politiques, 121–137; Degrutère, Marcel: Les organistes du Hainaut français, 219–225; Guilloux, Fabien: Le répertoire d’orgue: le livre de Jacques-Ignace Cocquiel (1741), 225–229; Van Eyndhoven, Carl: Les carillonneurs et leur répertoire,

Französischsprachige Länder (2021) 2022

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229–231; Maillard, Christophe: Les musiciens d’église dans le Hainaut français en 1790, 243–257; Léon, Jean-Charles: La maîtrise de la collégiale Saint-Vincent, 259–279; Berton-Blivet, Nathalie / Davy-Rigaux, Achille: L’exceptionnelle collection musicale de Pierre-Louis Pollio, 281–286; Jérémie Couleau – Le Traité abrégé du chant sur le livre, 286–297; Drèze, Céline: Chant et musique dans un chapitre de chanoinesses nobles: l’exemple montois, 299–319; Scarcez, Alicia: L’office de sainte Waudru sous l’Ancien Régime, 321–351; Degrutère, Marcel: La facture d’orgues dans le Hainaut français après le traité de Nimègue, 445–463.

Literaturbericht Hymnologie Ungarn 2017–2020

Ágnes Papp

Zeitschriften- und Reihenschau Die Quartalschrift „Magyar Egyházzene“ (Ungarische Kirchenmusik) der interkonfessionellen „Magyar Egyházzenei Társaság“ (MEZ; Gesellschaft für Ungarische Kirchenmusik) dient der Wissensvermittlung über Kirchenmusik, Liturgik und Organologie, veröffentlicht neue Forschungsergebnisse und beschäftigt sich sowohl mit Quellen der Vergangenheit, als auch mit gegenwärtiger Problematik und mit den zukünftigen Perspektiven der Musik im Gottesdienst. Die Hefte des Jahrgangs 24 wurden wegen Verschiebung der Erscheinungstermine auf die Jahre 2016–2020 verteilt. Heft 24/2 enthält in größerem Umfang Studien über das Benedictionale Strigoniense – eine neu entdeckte Quelle der lateinischen Literatur im Gebiet des mittelalterlichen Ungarn – samt Projektbericht und Details der Textausgabe mit textkritischen Kommentaren (s. unter IV. Földváry / Józsa / Déri). Im Februar 2018 veranstaltete die Forschungsgruppe für Liturgiegeschichte der Fakultät für Geisteswissenschaften (Zentrum für den Studienbereich Religion) der Eötvös-Loránd-Universität (ELTE) Budapest anlässlich eines wichtigen Projekt-Meilensteins eine Konferenz unter dem Titel „Landschaften, Zeitalter, Traditionen“. Die Beiträge, die zu Recht von breiterem Interesse sind, wurden im Heft 24/3 publiziert. (Die Eröffnungsvorträge der Konferenz s. unter I. Déri 2018/2019 und Földváry 2018/2019.) Zum Internationalen Eucharistischen Kongress Budapest, der für 2020 geplant war, wegen der Pandemie aber erst 2021 stattgefunden hat, beschäftigte sich eine Studie mit den Musikaufnahmen des vorherigen Budapester Eucharistischen Kongresses 1938 (Heft 24/4; s. unter IX. Kaskötő). Die Hefte des Jahrgangs 24 sind auf der Webseite egyhazzene.hu erreichbar und herunterladbar: https://t1p.de/1df8t (2.5.2023). Unter dem Titel „Keresztény Magvető“ (Christliche Aussaat) erscheint – herausgegeben von der Ungarischen Unitarischen Kirche in Siebenbürgen – eine Quartalschrift mit über hundertfünfzigjähriger Geschichte, welche die Gebiete protestantischer Theologie, Kirchengeschichte, Liturgie und Hymnologie eingehend behandelt (Zugriff unter https://t1p.de/ail8o [1.9.2023] möglich). In den Heften 2 und 3 des Jahrgangs 123 (2017) wurden 16 Vorträge der Konferenz „Te Deum laudamus: Theologie, Liturgik und religiöses Leben in Siebenbürgen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts“ veröffentlicht. Konferenzveranstalter waren die Ungarische Unitarische Kirche, die Széchényi Nationalbibliothek und die Forschungsgruppe für Humanismus in Ost-Mittel-Europa (Ungarische Akademie der Wissenschaften / Eötvös-Loránd-Universität, Budapest). Forscher verschiedener Fachgebiete zeichneten ein detailliertes Bild über protestantische Bewegungen, Ausbau und Befestigung unitarischer religiöser Anschauungen

Ungarn 2017–2020

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und Liturgik sowie des Kirchengesangs (s. unter VII. Benkő, Hubert, Kurta, Pap und An. Papp). Dieser Konferenzband ist von hier erreichbar: https://t1p.de/oo254 (15.5.2023). In späteren Jahrgängen von „Keresztény Magvető“ findet man Studien, die neue grundlegende Forschungsergebnisse über die unitarische Psalterium-Übersetzung von Miklós Bogáti Fazakas (1582/1583) und über die vermuteten frühesten unitarischen Gesangbücher präsentieren (s. unter VII. Etlinger, Etlinger / Szatmári und Szatmári). Die Forschungsgruppe „Barokk Irodalom és Lelkiség Kutatócsoport“ für Literatur und Frömmigkeit im Barockzeitalter an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Katholischen Universität Péter Pázmány (PPKE BTK) hat ihre Konferenzen und Veröffentlichungen von Sammelbänden nach wie vor weitergeführt. In der Reihe „Lelkiségtörténeti Tanulmányok“ (Studien zur Frömmigkeitsgeschichte)  werden spirituell-religiöse Strömungen und literarisch-künstlerische Gestaltung der Frömmigkeit vor 1800 im Karpatenbecken untersucht. Im gegenwärtigen Literaturbericht (Abschnitt VII+VIII) werden nur Studien und Studienbände mit hymnologischem Bezug aufgelistet. Alle Publikationen der Forschungsgruppe sind hier erreichbar: https://t1p.de/t7f0j (29.6.2023).

I. Liturgik, liturgische Kunst Déri, Balázs: A liturgiai kutatások jelentősége és interdiszciplináris összefüggései [Bedeutung der Liturgieforschung und ihre interdisziplinäre Zusammenhänge], in: ­Magyar Egyházzene 24/3 (2018/2019), 229–242. Földváry, Miklós István: Hogyan és miért építsünk liturgikus adatbázist? [Wie und warum? Datenerfassung und Gestaltung von Datenbanksystemen für die Liturgieforschung], in: Magyar Egyházzene 24/3 (2018/2019), 243–254. Ivancsó, István (Hg.): A „Homo liturgicus“ ünnepi szimpozion előadásainak anyaga, 2017. szeptember 29–30 [Kongressband des Symposiums „Homo liturgicus“, veranstaltet an der Sankt-Athanasius-Hochschule für Griechisch-Katholische Theologie in Nyíregyháza, 29–30. September 2017] (Liturgikus örökségünk 21). Nyíregyháza 2017, 500 S. Medgyesy S[chmikli], Norbert: Liturgikus hitoktatás egy közösség saját zenei anyanyelvén, a vasi Perenye példáján [Auf eigene Musiktradition basierender liturgischer Religionsunterricht einer Gemeinde – ein Beispiel aus dem Komitat Vas in Ungarn], in: Balogh, Péter Piusz O. Praem. / Réger, Ádám (Hg.): Insigni die sollemnitatis. Írások Ullmann Péter Ágoston O. Praem. 80. születésnapjára. Gödöllő 2020, 183–232. Miklós, Réka: Egyházzenész mint liturgus? Egy új egyházi szolgálat modellje a 21. század elején [Kirchenmusiker als Liturgiker? Eine Neudefinition des liturgischen Dienstes am Beginn des 21. Jahrhunderts], in: Barna, Gábor (Hg.): „Leborulva áldlak…“ Az Oltáriszentség és az Úrvacsora  a magyarországi vallási kultúrában. [Leborulva áldlak … Eucharistie und Kommunion in der religiösen Kultur Ungarns]. Budapest 2020, 383–400. Szakács, Béla Zsolt (Hg.): Ars Sacra. A liturgikus művészet kézikönyve [Handbuch der liturgischen Kunst]. Budapest 2019, 474 S.

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Literaturbericht Hymnologie. Ágnes Papp

II. Liturgiegeschichte: Mittelalter, lateinische Kirche Bartók, Zsófia Ágnes / Horváth, Balázs (Hg.): Írások a Pray-kódexről [Studien über den Kodex Pray] (Műhelytanulmányok 5). Budapest 2019, 178 S. Dieser Studienband gehört zu der Vorbereitung der textkritischen Edition vom Kodex Pray, einer grundlegenden Quelle der Liturgiegeschichte und auch aller Kulturgeschichtszweige im Karpatenbecken am Ende des 12. Jahrhunderts. Die bisherigen Forschungsergebnisse erstreckten sich auf die Erstellung einer Edition der Handschrift, die genaueste Bestimmung des Ritus als auch auf die Kontextualität der ungarischen Texte. Eine Mehrzahl der Studien beschäftigt sich mit dem letzteren Themenkreis – Trauerrede und Gebet. Als Anhang wird die vollständige Transkription des Ordo exsequiarum beigefügt. Das Buch ist online frei verfügbar: https://t1p. de/05ekn (2.5.2023). Czagány, Zsuzsa: Szenthistóriák Közép-Európában. A középkori magyar és cseh zsolozsmaforrások szanktoráléjának összehasonlító vizsgálata [Historiae der Heiligen in Mitteleuropa. Vergleichende Untersuchung der Sanctorale in mittelalterlichen Offiziumsbücher aus Ungarn und Böhmen], in: Balogh, Péter Piusz O. Praem. / Réger, Ádám (Hg.): Insigni die sollemnitatis. Írások Ullmann Péter Ágoston O. Praem. 80. születésnapjára. Gödöllő 2020, 93–117. Földváry, Miklós István: Napszaki himnuszok a zsolozsmában. Tipológia és történelem [Hymnen zu Tagzeiten im Stundengebet während der Zeit im Jahreskreis. Typologie und Geschichte], in: Magyar Egyházzene 24/1 (2016/2017), 3–26. Földváry, Miklós István: Egy úzus születése. A Chartvirgus-pontifikále és a magyaror­ szági liturgia megalkotása a XI. században I [Entstehung eines Usus: Das sog. Pontificale Chartvirgus und die Erschaffung des liturgischen Usus in Ungarn im 11. Jh.] (Műhelytanulmányok 4). Budapest 2017, 143 S. Gegenstand dieser eingehenden Studie ist nicht nur die bisher von Rätseln behaftete Agenda pontificale der Metropolitanska Knjižnica in Zagreb, Kroatien (Signatur MR 165), sondern auch die Frühgeschichte und Entwicklung der spezifischen lateinischen Liturgievariante Ungarns. Der Zagreber Kodex stammt aus der Kathedrale von Esztergom / Gran, ist aber schon bald nach seiner Entstehung im 11. Jh. nach Zagreb gelangt. Aus liturgiegeschichtlicher Betrachtung wird das Pontificale Chartvirgus als früheste liturgische Quelle Ungarns gewertet, deren Inhalt und Merkmale in der liturgischen Tradition durch das ganze Mittelalter bis ins 16. Jh. weiter verfolgt werden konnten. Das Buch ist frei online verfügbar: https://t1p.de/84795 (2.5.2023). Földváry, Miklós István: A magyarországi zsolozsma-lekcionárium temporáléjának jellegzetességei III. Eredet, rokonság, megkülönböztető jegyek [Charakteristik im Proprium des Lektionars für Stundengebete im mittelalterlichen Ungarn. Herkunft, Verwandschaft, Unterscheidungsmerkmale], in: Magyar Egyházzene 24/2 (2017/2018), 115–128. Földváry, Miklós István: Nagypéntek a Hartvik-agendában. Az első ismert magyaror­ szági ordó hazai és európai összefüggésben [Karfreitag in der Agenda Chartvirgus. Die früheste bekannte ungarische Liturgie im einheimischen und europäischen Kontext.], in: Balogh, Péter Piusz O. Praem. / Réger, Ádám (Hg.): Insigni die sollemnitatis. Írások Ullmann Péter Ágoston O. Praem. 80. születésnapjára. Gödöllő 2020, 47–77. Sanda, Anna: Sapientia aedificavit  – Egy késő középkori ünnep kodifikációjának és zsolozsmaváltozatainak állomásai [Phasen der Entstehung des Offiziums und der

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Kodifikation eines spätmittelalterlichen Festes], in: Gilányi, Gabriella / K iss, Gábor† (Hg.): Zenetudományi Dolgozatok 2015–2016. In memoriam Kiss Gábor. Budapest 2018, 61–85 (mit abstract).

III. Liturgisches Drama Kilián, István / Medgyesy S[chmikli], Norbert / Kővári, Réka / Kovács, Eszter / Földváry, Miklós István (Hg.): A karácsonyi ünnepkör színjátékai Magyarországon (11–18. század) [Liturgische Dramen des Weihnachtsfestkreises in Ungarn, 11.–18. Jh.]. Budapest 2017, 893 S. Während die neuzeitlichen, noch im 20. Jh. gespielten Hirtenszenen, Weihnachtskrippen- und Dreikönigsspiele aus der ungarischen Volkstradition größtenteils schon publiziert waren, wurden die liturgischen Weihnachtsspiele aus früheren Jahrhunderten jetzt erstmals aufgrund historischer Quellen vollständig veröffentlicht. Der historisch-kritischen Textausgabe auf Latein und in Vernakularsprachen (entsprechend dem historischen Sprachgebrauch der Intelligenz des damaligen Ungarns auf Ungarisch, Deutsch und Slowakisch) wurden erläuternde Vorworte und ein ausführliches Inhaltsregister der szenisch-dialogischen Teile der Weihnachtsspiele beigefügt. Dank interdisziplinärer Zusammenarbeit wurde eine vollständige Transkription der erhaltenen Notenteile der Dramen beigefügt. Eine Besprechung des Buches durch Rumen István Csörsz findet sich in: Csörsz, Rumen István (Hg.): Doromb. Közköltészeti tanulmányok 6. Budapest 2018, 301–307.

IV. Faksimile-Ausgaben, Nachdrucke, Quellen Földváry, Miklós István / Józsa, Attila / Déri, Balázs (Hg.): Benedictionale Strigoniense. 1075–1100, Zagrabiae, Knižnica Metropolitana MR 89. (Bibliotheca Scriptorum Medii Recentisque Aevorum 19; Monumenta Ritualia Hungarica 3). Budapest 2018, cxxii + 152 + [35] S. Das sog. Benedictionale Strigoniense, eine liturgische Handschrift aus dem letzten Viertel des 11. Jahrhunderts, bietet bischöfliche Segen für das ganze Kirchenjahr und enthält auch Rituale der Firmung und der Kirchweihe. Obwohl das Benedictionale seit dem Mittelalter samt liturgischer Bücher der Kathedrale in Zagreb / Zágráb / Agram bewahrt war, entstand jüngst eine begründete Vermutung, dass es der erste Band eines für den Graner (Esztergomer) erzbischöflichen Stuhl geeigneten mehrbändigen Pontificale sein könnte. Seine Herkunft wird in der beigefügten Studie mithilfe von ausführlichen historischen, philologischen und liturgischen Argumenten erläutert und belegt. Die Bedeutung des liturgischen Kodex besteht darin, dass er Lücken sowohl in der Liturgie- als auch in der Literaturgeschichte füllt und eine Beurteilung der Relevanz späterer Quellen ermöglicht. Auch im internationalen Vergleich handelt es sich um die umfangreichste Sammlung päpstlicher Segen (etwa 300 an der Zahl) innerhalb eines lateinischen Rituale. Das Buch ist frei online verfügbar unter: https:// t1p.de/qsav8 (2.5.2023). Eine Besprechung siehe Földváry, Miklós István: Kora Árpádkori irodalmunk újonnan fölfedezett emléke, az Esztergomi benedikcionále szövegkiadása. Kutatási beszámoló [Eine neu entdeckte Quelle der lateinischen Literatur in Ungarn aus dem Zeitalter der Árpád-Dynastie: Textedition des Benedictionale Strigoniense. Forschungsbericht], in: Magyar Egyházzene 24/2 (2017/2018), 129–132.

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Literaturbericht Hymnologie. Ágnes Papp

Kőszeghy, Péter (Hg.)/ Hubert, Gabriella H. (Einleitung): Az keresztyéni gyülekezetben való isteni dicséretek. Bártfa 1593 [Gesänge zum Gotteslob in der Christlichen Gemeinde. Bartfeld 1593. Faksimile-Ausgabe] (Bibliotheca Hungarica Antiqua 47). Budapest 2019, 428 + 70 S. Vásárhelyi, Judit P. (Hg.): Szenci Molnár Albert: Psalterium Ungaricum – Kis katekizmus. Herborn 1607 [Albert Szenci Molnár: Psalterium Ungaricum und Kleine Katechese. Faksimile-Ausgabe] (Bibliotheca Hungarica Antiqua 46). Budapest 2017, 102 + 54 S.

V. Gesangbücher (Ausgaben und Sekundärliteratur) Bence, Gábor (Hg.): Iskolai énekeskönyv – az Evangélikus énekeskönyv kivonata iskolai használatra. 2., javított kiadás [Gesangbuch für die Schule. Eine Auswahl von Gesängen aus dem Evangelisch-Lutherischen Gesangbuch zum Schulgebrauch. Zweite, verbesserte Ausgabe]. Budapest 2020, 244 S. Bence, Gábor / Ecsedi, Zsuzsa / Pócs, Miklós (Hg.): „Általa élünk“. Úrvacsorai kórus­ művek [„Wir sollen durch ihn leben.“ Chorwerke zum Abendmahl]. Fót / Budapest 2020, 184 S. Auf Anfrage der Kommission für Kirchenmusik der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn haben zeitgenössische einheimische Komponisten neue einstimmige geist­liche Lieder und Chorwerke für Gemeinden und Chöre anlässlich des Jahresprogramms 2020–2021 „Abendmahl“ komponiert, außerdem wurde ältere Chormusik (Motetten, Kantatensätze und Ordinariumsgesänge der Kommunionsliturgie)  von Mitarbeitern des Instituts für Kantorenausbildung ausgewählt und veröffentlicht – teilweise mit ungarischer Textunterlegung. Ecsedi, Zsuzsa (Hg.): Énekkincstár. Evangélikus énekeink kézikönyve [Liederschatz. Handbuch der Gesänge der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn]. Budapest 2017, 536 S. Das Handbuch  – eine enzyklopädische Zusammenfassung über die Choräle und den evangelisch-lutherischen Kirchengesang in Ungarn  – erfüllt eine seit langem gewünschte Forderung. Es ist für vielfältige Nutzung geeignet: es dient als primäre Informationsquelle für diejenigen, die sich für Kirchenmusik und Hymnologie interessieren; gleichzeitig bietet es geistige Nahrung für privates und öffentliches Gebet. Zarándokének. Ifjúsági énekeskönyv. MEVISZ könnyűzenei szakcsoport. [Wahlfahrtslied. Ein Gesangbuch für junge Leute von der Abteilung für populäre Musik des Ungarischen Evangelisch-Lutherischen Jugendverbandes]. Budapest (2., verbesserte Ausgabe) 2020, 232 S.  Farkas, Domonkos: A „Temetési szertartáskönyv“ magyar nyelvű gregorián tételei [Gregorianische Gesänge auf ungarisch im römisch-katholischen Ordo exsequiarum /  Funebrale], in: Balogh, Péter Piusz O.  Praem. / Réger, Ádám (Hg.): Insigni die sollemnitatis. Írások Ullmann Péter Ágoston O.  Praem. 80. születésnapjára. Gödöllő 2020, 145–154. Papp, Ágnes: Az „Éneklő Egyház“ [Singende Kirche] ‚magyar‘ zsoltársorozatának forrásai [Untersuchungen der Quellen der „ungarischen“ Psalmtöne im römisch-katholischen Gesangbuch „Éneklő Egyház“], in: Balogh, Péter Piusz O.  Praem. / Réger, Ádám (Hg.): Insigni die sollemnitatis. Írások Ullmann Péter Ágoston O. Praem. 80. születésnapjára. Gödöllő 2020, 125–143.

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VI. Kirchenmusik: Aktuelles, Verschiedenes Während der Jubiläumsvorbereitung „500 Jahre Reformation“ und im Feierprozess wurden repräsentative Sammelbände breiteren Spektrums zum Thema der Reformation in Ungarn und der historischen reformierten Kirchen veröffentlicht, welche auch Studien zur Liturgiegeschichte, Kirchenmusik und Hymnologie enthalten. Diese werden hier in einem Überblick aufgelistet. Kollega Tarsoly, István / Kovács, Eleonóra (Hg.): A reformáció kincsei I. A Magyaror­ szági Evangélikus Egyház [Schätze der Reformation I. Die Evangelisch-Lutherische Kirche Ungarns]. Budapest 2015, 352 S. Darin: Hubert, Gabriella H.: Gálszécsi István énekeskönyve [Das Gesangbuch von István Gálszécsi] (135); Dies.: Az evangélikus énekeskönyvek évszázadai. [Jahrhunderte der Evangelisch-Lutherischen Gesangbücher] (136–137); Ferenczi, Ilona: Evangélikus egyházzene – műzene [Evangelisch-Lutherische Kirchenmusik – Kunstmusik] (138–141); Kormos, Gyula: Orgonák  a magyarországi evangélikus templomokban [Orgel in den Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Ungarn] (142–146); Ferenczi, Ilona: Egy egyházzenész portréja: Johann Wohlmuth [Porträt des Kirchenmusikers Johann Wohlmuth] (147); Ittzés, Mihály: Szokolay, a hitvalló [Sándor Szokolay, der Komponist und Bekenner] (336). Kollega Tarsoly, István / Kovács, Eleonóra (Hg.): A reformáció kincsei II. A Magyaror­ szági Református Egyház [Schätze der Reformation: Reformierte Kirche in Ungarn]. Budapest 2017, 415 S. Darin: Fekete, Károly: A magyar református liturgia rövid története [Kurzer Abriss der Geschichte der ungarischsprachigen reformierten Liturgie] (34–39); Bódiss, ­Ta­más: Református egyházzene [Musik der reformierten Kirche in Ungarn] (267–271); Ferenczi, Ilona: Egy különleges református énekeskönyvműfaj – A graduál. Kéziratos graduálok és a nyomtatott Öreg Graduál [Ein spezifisches Kirchengesangbuch für die reformierte Kirche in Ungarn. Das sog. Gradual: Handschriftliche Gradualien und das gedruckte „Öreg Gradual“ (grossformatiges Gradual)] (272–275). Vásárhelyi, Judit P. (Hg.): A reformáció könyvespolca: Reprezentatív kiadványok Magyarországon a reformáció korából. [Das Bücherregal der Reformation: Repräsentative Drucke in Ungarn aus der Zeit der Reformation.] Budapest 2017. 148 S. Darin: Hubert, Gabriella H.: Graduál-énekeskönyv, mint reformációs műfaj [Das Gradual-Gesangbuch als eine spezifische Gattung während der Reformationszeit] (64–71); Vásárhelyi, Judit P.: A reformáció zsoltárkönyve: Psalterium-kiadások Európában [Buch der Psalmen während der Reformationszeit. Die Ausgaben des Psalters in Europa] (72–84). – Deutsche Zusammenfassung und Besprechung durch Katalin Németh S. auf „reciti“, Website des Instituts für Literaturwissenschaft, Budapest: https://www.reciti.hu/2019/5233 (1.6.2023). Fabiny, Tibor (Hg.): A lutheri reformáció 500 éves öröksége. Tanulmányok  a lutheri reformáció 500 éves történetének örökségéből [500 jähriges Erbe der Lutherischen Reformation. Studien]. Budapest 2018, 252 S. Darin: Kamp, Salamon: Luther, Bach és  a zene [Luther, J. S. Bach und die Musik.] (11–41); Hubert, Gabriella H.: Luther és az éneklő egyház. Adiaphoron. [Luther und die singende Kirche: Adiaphoron] (123–130); Ecsedi, Zsuzsa Luther és az éneklő egyház. Cantionale [Luther und die singende Kirche: Das Cantionale] (131–142).

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Literaturbericht Hymnologie. Ágnes Papp

Kiss, Erika / Zászkaliczky, Márton / Zászkaliczky, Zsuzsanna / Székely, Júlia (Hg.): IgeIdők. A reformácó 500 éve. Magyar Nemzeti Múzeum, 2017. április 26.–november 5. A kiállítási katalógus első kötete: Tanulmánykötet [„Tempora“ für Gotteswort. 500 Jahre Reformation. Ausstellung im Ungarischen Nationalmuseum. Erster Band des Katalogs: Studien]. Budapest 2019, 463 S. Darin: Fekete, Károly: Igeközpontúság  a református istentiszteleten [Gottes Wort im Zentrum des reformierten Gottesdienstes] (49–51); Hafenscher, Károly: Evangélikus istentisztelet [Der Evangelisch-Lutherische Gottesdienst] (53–62); Hubert, Gabriella H.: Éneklés a magyarországi reformáció első két századában [Kirchengesang in den esten zwei Jahrhunderten der Reformation in Ungarn] (175–183); Fekete, Csaba: Magyar ének és reformáció [Gesang auf ungarisch und die Reformation] (184–194).

VII. Hymnologische Forschung, Geschichte und Quellen des Kirchenliedes Barna, Gábor (Hg.): „Leborulva áldlak…“ Az Oltáriszentség és az Úrvacsora a magyar­ or­szági vallási kultúrában [Eucharistie und Kommunion in der religiösen Kultur Ungarns] (Szent István Tudományos Akadémia Kiadványai I. Értekezések 1). Budapest 2020, 426 S. Dieser Sammelband ist anlässlich des 52. Internationalen Eucharistischen Kongresses mit der Zielsetzung erschienen, Auswirkungen der zentralen römisch-katholischen Kirchenlehre auf die Kunstwerke der Architektur, Malerei und der Musik wie auch auf die Gemeinschaftskultur zu veranschaulichen. Die Beiträge zum Thema Hymnologie und Kirchenmusik sind folgende (siehe auch unter I. Miklós.): Papp, Ágnes: Adalékok a magyar nyelvű miseének történetéhez [Beiträge zur Geschichte des ungarischen Messgesangs] (313–333); Szalay, Olga: Két régi magyar szentségi ének [Zwei alte Kirchenlieder über die Eucharistie] (335–360); Kővári, Réka: Az Oltáriszentség tisztelete Kájoni János Cantionale Catholicum énekeskönyvében és erdélyi ferences kottás kéziratokban [Verehrung des Heiligen Sakraments im Gesangbuch Cantionale Catholicum von Joannes Kájoni und in Notenhandschriften der siebenbürgischen Franziskaner] (361–382). Benkő, Tímea: Bűnbánati és könyörgő napok mint  a litánia és  a Te Deum lehetséges alkalmainak nyomai Erdélyben [Buß- und Bettage als mögliche protestantische Anlässe für das Singen der Litanei und des Te Deums in Siebenbürgen], in: Keresztény Magvető 123/2–3 (2017), 201–217. Etlinger, Mihály: A Bölöni-kódexről és egy unitárius énekeskönyvről [Über den Kodex Bölöni und ein unitarisches Gesangbuch], in: Keresztény Magvető 124/1 (2018), 21–47. Etlinger, Mihály / Szatmári, Áron: Unitárius „Psalterium“-fordítások [Unitarische Übersetzungen des Psalters], in: Keresztény Magvető 125/3 (2019), 254–271. Ferenczi, Ilona (Hg.)/ Csomasz Tóth, Kálmán: A XVI. század magyar dallamai. 2. átdolgozott, bővített kiadás. Régi magyar dallamok tára I [Die ungarischen Melodien des 16. Jahrhunderts. Zweite erweiterte und bearbeitete Ausgabe. Repertorium alter ungarischer Melodien I]. Budapest 2017 (Inhaltsverzeichnis und Zusammenfassung auf Deutsch: S. 1047–1069). In der Abteilung für Ungarische Musikgeschichte des Instituts für Musikwissenschaft im Forschungszentrum für Humanwissenschaften in Budapest (Bölcsészettudományi

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Kutatóközpont Zenetudományi Intézet) wurde für das Reformationsjubiläum eine Neuausgabe des 1958 erschienenen grundlegenden Werkes von Kálmán Csomasz Tóth (1902–1988) erarbeitet. Die Überarbeitung schien bereits vor 40 Jahren, seit der Entdeckung weiterer Fragmente des ersten ungarischen Gesangbuches von 1536 und des ersten Gesangbuches von Gál Huszár von 1560 dringend erforderlich zu sein, war jedoch zu Lebzeiten von Csomasz Tóth nicht mehr realisierbar. Im ersten Band der Neuauflage wurden die Studien des Verfassers und der Notenteil im Original mitgeteilt und um drei spätere Studien von Csomasz Tóth aus den Jahren 1970, 1975, 1976 ergänzt. Der zweite Band enthält die Erweiterungen der Herausgeberin Ilona Ferenczi, vor allem moderne Übertragungen der Melodien. Die neue Nummerierung wird parallel mit der alten bei den Anmerkungen, Noten und Register durchgeführt, weiterhin helfen Tabellen in der Orientierung beim Vergleich beider Editionen. Ferenczi, Ilona: A besztercebányai kancionálé (1623) [Das Kantionale aus Neusohl /  Besztercebánya / Banská Bystrica], in: Mányoki, János / Pintér, Gábor (Hg.): Bivio. Tanulmányok az Evangélikus Országos Könyvtár műhelyéből [Studien der Evangelisch-Lutherischen Zentralbibliothek Budapest]. Budapest 2018, 20–47. Hevesi, Andrea: „velünk együtt énekeljenek és imádkozzanak az Úrnak“ A 17. századi unitárius gyülekezeti ének [„Singen Sie mit uns und beten zum Herrn“. Unitarischer Gemeindegesang im 17. Jh.] (Adattár XVI–XVIII. századi szellemi mozgalmaink történetéhez 38). Budapest / Szeged 2018, 281 S. Eine Besprechung des Buches von Szigeti Molnár, Dávid siehe in: Keresztény Magvető 126/3 (2020), 336–339. Hevesi, Andrea: Az Újfalvi-féle énekeskönyvek hatása  a 17. századi unitárius  ének­ gyűjteményekre [Die Wirkung der Gesangbücher von Újfalvi auf die unitarischen Liedersammlungen im 17. Jh.], in: Oláh, Róbert (Hg.): Újfalvi Imre pere és műveltsége. Tanulmányok és szövegközlések [Der gegen Imre Újfalvi geführte Prozess und die Gelehrtheit von Újfalvi. Studien und Dokumente]. Debrecen 2019, 146–159. Hubert, Gabriella H.: Az unitárius éneklés kezdetei [Anfänge des unitarischen Kirchengesangs], in: Keresztény Magvető 123/2–3 (2017), 165–176. Hubert, Gabriella H.: Közös örökségünk a 17. században. Magyar nyelvű evangélikus énekek német és szlovák kapcsolatai [Gemeinsames Erbe im 17. Jh. Verbindungen zwischen ungarischen, deutschen und slowakischen evangelisch-lutherischen Kirchenliedern], in: Kónya, Peter / Kónyová, Annamária / K incses, Katalin Mária (Hg.): Reformácia v Strednej Európe / Reformáció Közép-Európában / Reformation in Mitteleuropa II. Prešov 2018, 733–742 (enthält eine Zusammenfassung auf Englisch und Slowakisch). Hubert, Gabriella H.: Újfalvi Imre 1602-es énekeskönyvének szövegei [Liedertexte des 1602 in Debrecen erschienenen Gesangbuchs von Imre Újfalvi], in: Oláh, Róbert (Hg.): Újfalvi Imre pere és műveltsége. Tanulmányok és szövegközlések. [Der gegen Imre Újfalvi geführte Prozess und die Gelehrtheit von Újfalvi. Studien und Dokumente]. Debrecen 2019, 137–145. Kecskés, András L[antos]: Betekintés  a magyar népének alázatos szolgája, Bozóky ­M ihály (1755–1829) kántor életébe és munkásságába [Einblicke ins Leben und Wirken von Mihály Bozóky, dem Kantor und demütigen Diener des ungarischen Kirchenliedes]. Kicsind / Esztergom / Dömös / Pilismarót 2017, 234  S. Mihály Bozóki wird der bedeutendste Notendruck im Bereich des ungarisch-katholischen Kirchengesangs im 18. Jh. zugeschrieben: er veröffentlichte 1797 sein Gesangbuch „Katolikus karbéli kótás énekeskönyv“ mit Noten in Vác. Darin hat er das einstimmige Kirchenrepertoire seiner Zeit erneut zusammengefasst. Seine hand-

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schriftliche Notensammlung enthält sogar zahlreiche zweifellos von ihm stammende Gesangstexte und Melodien. Kovács, Andrea: A középkori liturgikus költészet magyarországi emlékei. Szekvenciák. Kritikai dallamkiadás [Denkmäler mittelalterlicher liturgischer Dichtung aus Ungarn. Sequenzen. Kritische Ausgabe der Melodien] (Musica Sacra Hungarica 1). Budapest 2017, 385 S. und Kovács, Andrea: Szekvenciák  a középkori Magyarországon. Repertoár, tradíciók, ­dallamok [Sequenzen im mittelalterlichen Ungarn. Repertoire, Tradition, Melodien] (Musica Sacra Hungarica 2). Budapest 2017, 432 S. Seit dem Erscheinen Benjamin Rajeczkys bahnbrechender kritischer Gesamtausgabe von Hymnen und Sequenzen aus dem mittelalterlichen Ungarn (Melodiarium Hungariae Medii Aevi I. Budapest 1956; Supplementband 1982) konnte man einen erheblichen Zuwachs der Quellen und Gesängen feststellen, was neue Perspektiven für die Inventarisierung des Text- und Melodierepertoires von Sequenzen eröffnet hat. Nach der möglichst vollständigen bibliographischen Erfassung und Erforschung aller Kodizes und liturgischen Drucke aus Ungarn erfolgte die Edition des gesamten Bestandes an Hymnen und Sequenzen. Textincipits aus Rubriken und unvollständig notierte Stücke wurden ebenfalls aufgenommen, um ein fundiertes und differenziertes Gesamtbild zu gewinnen. Die vollständigen kritischen Text- und Melodieübertragungen sind unter Berücksichtigung von stilistischen, formalen, tonalen und musikalischen Kriterien angeordnet, wurden mit ungarischen Übersetzungen der lateinischen Verse versehen und um einen kritischen Apparat ergänzt. Die im Laufe der Erschließung aufgetauchten Neuheiten, Angaben, Hinweise und Bemerkungen haben die Herausgabe eines selbstständigen Kommentarbandes notwendig gemacht. Kurta, József Tibor: Egy liturgiai átmenet folyamata az erdélyi református egyházközségekben a 18. században közvetett forrásokból ismert graduálok és énekeskönyvek előfordulásai tükrében [Übergangsprozess in der Liturgie der reformierten Kirchengemeinden Siebenbürgens im 18. Jh., wie dies anhand von Gradualien und Gesangbücher in den Sekundärquellen reflektiert wird], in: Keresztény Magvető 123/2–3 (2017), 158–164. Pap, Balázs: Az 1602. évi énekeskönyv újdonságai [Neuheiten des 1602 in Debrecen erschienenen Gesangbuches], in: Keresztény Magvető 123/2–3 (2017), 227–246. Papp, Ágnes: A „tonus peregrinus“ zsoltárdallamának változatai a középkortól a 20. századig [Melodievarianten der Psalmformel Tonus peregrinus vom Mittelalter bis zum 20. Jh.], in: Gilányi, Gabriella / K iss, Gábor† (Hg.): Zenetudományi Dolgozatok 2015–2016. In memoriam Kiss Gábor. Budapest 2018, 37–60 (mit abstract). Papp, Anette: Az MSU 1042 jelzetű forrás antifóna anyaga [Antiphonen im Gesangbuch Sign. MSU 1042, Bibliothek der Rumänischen Akademie, Filiale in Cluj], in: Keresz­ tény Magvető 123/2–3 (2017), 177–200. Riskó, Kata: Megőrzés és megújítás. Népénekek, népszokásdallamok  a Muravidéken [Bewahrung und Erneuerung. Volkshymnen, Lieder zu Volksriten im Übermurgebiet / Prekmurje], in: Magyar Egyházzene 24 (2016–2020), 1. szám (2016/2017), 27–40. Szacsvai Kim, Katalin / Elek, Martin / Horváth, Pál (Hg.): Zenei repertoár és zenei gyakorlat a 18. századi Magyarországon [Musikrepertoire und Musikpraxis in Ungarn im 18. Jh.] (Műhelytanulmányok a 18. század zenetörténetéhez 2). Budapest 2017, 450 S. Die Reihe „Műhelytanulmányok“ ist zur Publikation von Forschungen gedacht, die vorläufige Studien, Fragestellungen, Datengrundlagen und Ergebnisse über die Musikgeschichte des 18. Jahrhunderts in Ungarn liefern. Der Band enthält folgende Beiträge über Kirchenmusik und -gesang: Richter, Pál: Tota pulchra es Maria. Egy

Ungarn 2017–2020

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újkori antifóna a népi emlékezetben [Eine neuzeitliche Antiphon in der mündlichen Überlieferung] (81–89); Gilányi, Gabriella: A latin egyszólamú liturgikus ének Magyarországon a 18. században [Einstimmiger lateinischer liturgischer Gesang in Ungarn im 18. Jh.] (91–127); Dies.: Zenei archaizmusok és neologizmusok a 18. századi pálos zsolozsmában [Archaismus und Neologismus im gesungenen Stundengebet der Pauliner im 18. Jh.] (129–148); Papp, Géza†/ Papp, Ágnes: A katolikus egyházi népének a 18. században [Katholischer Kirchengesang in Ungarn im 18. Jh.] (149–191); Richter, Pál: Szerzetesrendek – jezsuiták, ferencesek, pálosok [Römisch-katholische Ordensgemeinschaften: Jesuiten, Franziskaner und Pauliner] (193–217); Szacsvai Kim, Katalin: A jezsuita központok zenei élete [Musikleben in den Institutionen des Jesuitenordens] (219–253); Papp, Géza†/ Hubert, Gabriella H.: A 18. századi gyülekezeti ének [Gemeindegesang in Ungarn im 18. Jh.] (255–281). Szádoczki, Vera (Hg.): Népénekek és gyülekezeti énekek a 17. századi Magyarországon [Kirchenlieder und Gemeindegesang in Ungarn des 17. Jahrhunderts] (Pázmány Irodalmi Műhely. Lelkiségtörténeti Tanulmányok 16). Budapest 2017, 175 S., kostenfrei zugänglich: https://t1p.de/7dy70 (2.6.2023). Darin: Hubert, Gabriella H.: A 17. századi gyülekezeti énekek kutatásának új lehetőségei [Neue Möglichkeiten in der Gemeindegesangsforschung des 17. Jahrhunderts] (59–65); Kővári, Réka: A Kájoni Cantionale Jézus nevéről szóló énekcsoportjának dallamai [Melodien der Gesänge über den Namen Jesu im Cantionalbuch von Kájoni] (73–90); Papp, Ágnes: A mise állandó énekei magyarul az 1674-es Cantus Catholiciben [Ordinariumsgesänge auf ungarisch im Gesangbuch „Cantus Catholici“ von 1674] (111–130). Szatmári, Áron: Bogáti nyomtatásban. A Psalterium és az unitárius énekeskönyvek [Bogáti im Druck. Der Psalter von Miklós Bogáti Fazakas und die unitarischen Gesangbücher], in: Keresztény Magvető 124/1 (2018), 48–65. Szatmári, Áron: Isten, angyal, krisztus. Változatok a 8. zsoltárra [Gott, Engel, Christus. Textfassungen der Übersetzungen vom Psalm 8], in: Keresztény Magvető 125/2 (2019), 170–187. Szelestei N[agy], László (Hg.): Eucharistia és Úrvacsora  a 16–18. századi Magyaror­ szágon [Eucharistie und Kommunion im 16.–18. Jh. in Ungarn] (Pázmány Irodalmi Műhely, Lelkiségtörténeti Tanulmányok 21). Budapest 2018, 310 S., kostenfrei zugänlich: https://t1p.de/s5ii7 (2.6.2023). Darin: Hubert, Gabriella H.: Úrvacsora-énekek  a 16–17. században [Gesänge zur Kommunion im 16.–17. Jh.] (81–93); Kovács, Eszter: Biblikus cseh nyelvű liturgikus népénekek az Eucharisztiáról és az Úrvacsoráról a 17. századi magyarországi énekeskönyvekben [Liturgische Volkshymnen über Eucharistie und Kommunion auf tschechisch in Gesangbüchern aus Ungarn des 17. Jahrhunderts] (151–158); Szádoczki, Vera: Oltáriszentségi énekek  a 18. században [Gesänge über das Heilige Sakrament in Ungarn im 18. Jh.] (255–264). Szelestei N[agy], László (Hg.): Az idő és tér szerepe a barokk kori lelkiség alakulásában [Die Rolle von Raum und Zeit in der Entwicklung der barocken Spiritualität] (Pázmány Irodalmi Műhely, Lelkiségtörténeti Tanulmányok 28). Budapest 2020, 167 S., kostenfrei zugänglich: https://t1p.de/y1usg (2.6.2023). Darin: Farmati, Anna: A zsolozsmahimnuszok időszervező szerepének változásai a protestáns graduálokban [Die Hymnen des Stundengebets in den protestantischen Gradual-Gesangbüchern: ihre veränderte Rolle in der Organisation des Tagesablaufs] (29–42); Kovács, Eszter: Határátlépések térben, időben és felekezetek között: A „Cantus catholici“ szlovák változatának cseh huszita eredetű énekei [Grenzübertritte in

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Literaturbericht Hymnologie. Ágnes Papp

Raum und Zeit sowie zwischen den Konfessionen. Böhmisch-hussitische Gesänge im slowakischen Gesangbuch „Cantus Catholici“] (83–91). Szoliva, Gábriel OFM: Ki írta  a Kájoni-graduále gregorián hangjegyeit? Egy zenei paleográfiai vizsgálat tanulságai [Von wem stammen die gregorianischen Noten des Graduale von Kájoni? Die Lehre aus einer musik-paläographischen Untersuchung], in: Acta Pinteriana 6 (2020), 35–46.

VIII. Untersuchung und Auslegung einzelner Lieder und Gesänge Barna, Gábor: Egy 18. századi dallam és egy 19. századi adventi énekszöveg egymásra találása [Wie eine Melodie aus dem 18. und ein Text für die Adventszeit aus dem 19. Jh. zusammenfinden], in: Bajáki, Rita / Báthory, Orsolya / Bogár, Judit / Déri, Eszter /  Kónya, Franciska / Maczák, Ibolya / Szádoczki, Vera (Hg.): Lelkiség és irodalom. Tanulmányok Szelestei N. László tiszteletére [Spiritualität und Literatur. Festschrift für László Szelestei N.] (Pázmány Irodalmi Műhely, Lelkiségtörténeti Tanulmányok 17). Budapest 2017, 51–57; kostenfrei zugänglich: https://t1p.de/9nhpw (2.6.2023). Ferenczi, Ilona: Üdvözlégy, Mária – Üdvözlégy, Krisztus. Keresztény felekezetek közös dallamkincse a 16–17. században [Sei gegrüßet, Maria – Sei gegrüßet, Christe. Gemeinsamer Melodienschatz der christlichen Konfessionen im 16.–17. Jh.], in: Ittzés, Gábor (Hg.): Viszály és együttélés. Vallások és felekezetek a török hódoltság korában [Streit und Zusammenleben. Religionen und Konfessionen in Ungarn zur Zeit der osmanischen Besetzung]. Budapest 2017, 469–483 (deutsche Zusammenfassung S. 535). Hargittay, Emil / Réger, Ádám: O gloriosa, o speciosa…  – „Pázmány Péter után?“ [O gloriosa, o speciosa… „Nach Péter Pázmány?“], in: Bajáki, Rita / Báthory, Orsolya /  Bogár, Judit / Déri, Eszter / Kónya, Franciska / Maczák, Ibolya / Szádoczki, Vera (Hg.): Lelkiség és irodalom. Tanulmányok Szelestei N. László tiszteletére [Spiritualität und Literatur. Festschrift für László Szelestei N.] (Pázmány Irodalmi Műhely, Lelkiségtörténeti Tanulmányok 17). Budapest 2017, 178–186; kostenfrei zugänglich: https:// t1p.de/9nhpw (2.6.2023). Richter, Pál: Az újkori tömegmédia első sikere: az angol szuper-dallam [Der erste Erfolg der Massenmedien in der Neuzeit: die englische „Super-Tune“ Fortune, my foe], in: Csörsz, Rumen István (Hg.): Doromb. Közköltészeti tanulmányok 7. Budapest 2019, 377–387.

IX. Religiöse Musikaufnahmen Kaskötő, Marietta B.: „Daloljatok az Úrnak“ – Az 1938-as Nemzetközi Eucharisztikus Kongresszus fennmaradt zenei hangfelvételei a cecilianizmus magyarországi áramlatának tükrében [„Singet dem Herren.“ – Die erhaltenen Musikaufnahmen vom Internationalen Eucharistischen Kongress in Budapest 1938 im Lichte des Cäcilianismus in Ungarn], in: Magyar Egyházzene 24/4 (2019/2020), 385–400. Szabó, Ferenc János: Keresztény egyházzenei hangfelvételek Magyarországon (1920– 1948) [Kirchenmusik christlicher Konfessionen auf Tonaufnahmen in Ungarn zwischen 1920 und 1948], in: Magyar Egyházzene 24/4 (2019/2020), 361–384.

Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen

A solis ortus cardine  197 Abraham, Abraham, verlass dein Land  202 Ach bleib mit deiner Gnade  202 Ach edle Friedensquelle  133 Ach Gott, dein arme Christenheit  127, 129 Ach Gott, dessen Reich ist Freud  127 Ach Gott, in Gnaden von uns wend  130 Ach Gott, vom Himmel sieh darein  199 Ach Herr, mich armen Sünder  203 Ach! Ich seufze ach! Ich dürste nach dem Frieden  144 Ach lieben Christen, trauret nicht  130 f. Ach wie nichtig, ach wie flüchtig  165 Aeterno gratias patri  199 Allein auf Gott setz dein Vertraun  127, 130 Allein nach dir, Herr Jesu Christ  127, 130 Alles ist an Gottes Segen  202 Als Christ, der Herr, zu Bethlehem  140 Als gleich die Jünger saßen  127, 129 Als Gottes Sohn am Kreuze stund  127, 129, 200 Als Jesus an dem Kreuze stund  131 Als Jesus Christus, Gottes Sohn  127, 129 Als Jesus Christus in der Nacht  127, 129, 146 Als vierzig Tag nach Ostern  127, 129 Also heilig ist der Tag  141 Am letzten Abendmahle  57 Auch ich, in Kummer Not und Schmerz ​ 133 Auf, auf, mein Herz, mit Freuden  145 Auf Buße folgt der Gnaden-, auf  133 Aurora mit ihren vergoldeten Strahlen  178 Aus tiefer Not schrei ich zu dir  132, 201 Befiehl du deine Wege  184 f., 199 f., 203 Beschirm die Polizeien  134

Beweis’ dein Macht, Herr Jesu Christ ​ 142 Bleib bei mir, Herr! Der Abend bricht herein  202 Christ lag in Todesbanden  139 Christe, du Schöpfer aller Welt  197 Christo, dem Osterlämmelein  127, 129 Christum wir sollen loben schon  138, 197 Christum wir wollen loben schon  138 Christus, das Licht der Welt  202 Conditor alme syderum  197 Da Jesus an dem Kreuze stund  132 Da Jesus an dem Kreuzesstamm  129, 131 Da Jesus Christ, Mariens Sohn  140 Da Jesus nun zu Tische saß  125 Da mehr denn tausend Henker sein  139 Das alte Jahr ist nun vergahn  144 Das alte Jahr vergangen ist  134 Das ist mein Leib im Brote  198 Das neugeborne Kindelein  144 Dass mir ihre Herrlichkeit  139 Dass wir nimmer dess’ vergessen  138 Dass wir nimmer es vergessen  138 Den Herren meine Seel erhebt  127 Den Kaiser uns behüte  140 Den Vater dort oben  127, 129 Denn dein, Herr, ist die reiche und auch die große Kraft  133 Der du bis drei in Einigkeit  197 Der Glaub ergreift des Höchsten Huld ​ 136 Der große Kriegs- und Siegesheld  140, 145 Der Herr, der aller Enden  130, 135 Der Herr ist Gott und keiner mehr  60 Der Tag vertreibt die finstre Nacht  145 Der tolle Wahn, der ihn umfah’n  138 Des neuen Tages heiteres Licht  53

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Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen

Die güldne Sonne, voll Freud und Wonne ​ 202 Die Herrschaft auch behüte  140 Die Zeit ist nunmehr nah  135 Dies sind die heilgen zehn Gebot  129, 137, 146, 201 Drey Dinge vor allen  177 Du bist mein Lotse, mein Leuchtturm in der Nacht  202 Du edles Angesichte  203 Du glättest die Wogen  202 Du, Herr, hast selbst in Händen  133 Du, meine Seele, singe  135 Durch dein Verdienst, durch deinen Tod ​ 134 Durch deine Lieb’, durch deinen Tod  134 Ehr sei dem Vater und dem Sohn  132 Ehr sei Gott Vater und dem Sohn  132 Ehre sei Gott in der Höhe! Frieden den Menschen auf Erden  57 Ein ander stelle sein Vertrauen  135 Ein feste Burg ist unser Gott  200–202 Ein Kind geborn zu Bethlehem  136, 138 Ein Kindlein bin ich arm und klein  130 Ein toller Hund, der viel macht wund ​ 138 Er liegt an seiner Mutter Brust  138 Erfülle die Gemüter  134 Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort  133, 142 f., 146, 199, 201 Erheb, du werte Christenheit  170 Erhebe dich und steure  133 Ermuntre dich, mein schwacher Geist ​ 139 Erneure mich, o ewigs Licht  202 Erschienen ist der herrlich Tag  127, 129, 131 Es glänzet der Christen inwendiges Leben ​ 203 Es hat sich Krieg und teure Zeit  144 Es sei das treue Vaterherz  160 Ewiger Gott, Herr Zebaoth  199 Fortune, my foe  222 Freu’ dich, du werte Christenheit  140 Früh morgens, da die Sonn’ aufgeht  131 Führ uns aus diesem Jammertal  137

Geboren ist das Heil der Welt  58 Geheimnis des Glaubens  198 Geist gesandt vom Himmelsthrone  58 Gelobet sei Israels Gott  127, 129 Gelobet seist du, Jesu Christ  201 Gelobt sei der Herr, der Gott Israels  129 Gestärkt vom sanften Schlaf der Nacht ​ 53 Gib Freudigkeit und Stärke  134 Gib Frieden, Herr, gib Frieden  202 Glaub, Hoffnung, Sanftmut und Geduld  136 Gnade, wer aus deinem Munde  57 Gott, der Reichtum deiner Güte  134, 139 Gott des Himmels und der Erden  124, 144 Gott hat das erste Wort  202 Gott heilger Geist, du Tröster wert  143, 146 Gott, heilger Schöpfer aller Stern  197 Gott in der Höh sei Ehre, Preis seiner Herrlichkeit  57 Gott ist mein Hirt, ich soll nicht Mangel leiden  130 Gott ist mein Licht, der Herr mein Heil  135, 145 Gott sei Dank durch alle Welt  170 Gott sei gelobet und gebenedeiet  146 Gott Vater, sende deinen Geist  135 Gott weiß, was jedem nützlich sei  131 Gottes Wort und reine Schriften  133 Gottlob, die Stunde ist gekommen  130 Großer Gott wir loben dich  58 Heb hoch des Herren Herrlichkeit  127, 129 Heilig, heilig, heilig! Bist du unser Herr und Gott  57 Heilig, heilig, unaussprechlich heilig  57 Helft mir, Gotts Güte preisen  198 Herr Christ, mein armes Seelelein  200 Herr Christe, mir verleihe  127, 130 Herr, der du vormals hast dein Land  135, 145 Herr, du lädst zur Feier ein  198 Herr Gott, dich loben alle wir  141 Herr Gott, nun sei gepreiset  127, 129 Herr, Herr! du sprichst, wir Menschen sind  59

Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen

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Herr Jesu Christ, weil ich empfind  127, 130 Herr Jesu Christe, Weltheiland  200 Herr Jesu, tu bei uns das Best  129 Herr, unser Gott, lass nicht zu Schanden werden  202 Herzallerliebster Vater mein  127, 130 Herzlich lieb hab ich dich, o Herr  202 Herzlich tut mich erfreuen  200 Herzlich tut mich verlangen  203 Heut ist des Herren Tag  58 Heute kommt der große Tag zurück  57 Hier ist das rechte Osterlamm  139 Hier liegt vor Deiner Majestät  58 Hilf Gott, mein Herr, wo kommt’s  127, 129 Hilf mir, Herr Jesu, weil ich leb  127, 130 Höret, o ihr Kinder Gottes, höret  127 Hört der Stimme Widerhallen  57

Jesus, meine Zuversicht  134 f., 199, 204 Jesus trocknet alle Thränen  57

Ich berge mich bei dir  203 Ich bin ja, Herr, in deiner Macht  199 Ich erhebe, Herr, zu dir  145 Ich freu mich in dem Herren  202 Ich hab mein Lauf vollendet  200 Ich lebe Tag um Tag  203 Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ  130 Ich singe dir mit Herz und Mund  135 Ich will den Herrn loben allezeit  202 Ich will dir danken, Herr  202 Ich will still und geduldig sein  127, 130 Ich will von meiner Missetat  134 Ihr’ Anschläg’, Herr, zunichte mach  143 Ihr Christen auserkoren  132, 136, 203 Ihr lieben Christen, freut euch nun  131 Ihr Mächtigen auf Erden!  140 In allen meinen Taten  202 In uns kreist das Leben  203 Ist Ephraim nicht meine Kron?  135, 145 Ist Gott versöhnt und unser Freund  144

Lass mich dein sein und bleiben  125 Lasset ab, ihr meine Lieben  133 Lasset ab von euren Tränen  160 Lasset uns den Herren preisen  139, 141, 144 Lasst uns den Höchsten preisen  58 Lasst uns zugleich jetzt Lob dem Herren geben  129 Lebensbaum, Wasserkreise laufen leis im Wurzelreiche  204 Liebe, die du mich zum Bilde  58, 60 Lob, Ehr und Preis sei unserm Gott ​ 127–129 Lobet den Herren alle, die ihn ehren (Kanon)  202 Lobet den Herren alle, die ihn fürchten ​ 135, 145 Lobet Gott, unsern Herren  127, 129 Lobt Gott, ihr Christen, allzugleich  138, 140

Ja, unser Gott, der Herr der Macht  58 Jesu, allerliebster Bruder  200 Jesu, meine Freude  200 Jesu, meiner Seelen Licht  170 Jesus Christus ruht im Grabe  58 Jesus Christus, unser Heiland  138, 146 Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Gotteszorn wandt  138

Mag ich denn nicht von Angst und Pein ​ 127, 130 Mag ich Unglück nicht widerstahn  130 Mein Erstgefühl sei Preis und Dank  53, 60 Mein G’müt ist mir verwirret  203 Mein Gott, ich habe mir gar festgesetzet für  130

Kaiser Augustus, der große Held  140, 145 Kam einst zum Ufer  202 Komm, Gott Schöpfer, du Heiliger Geist ​ 197 Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist ​ 197 Komm, Heiliger Geist  199 Komm, o komm, du Geist des Lebens ​ 166 Komm zu uns mit deinem Licht  204 Kommst du, Jesu, Licht der Heiden  57 Kommt her zu mir, spricht Gottes Sohn ​ 202 Kommt mit Gaben und Lobgesang  198 Kyrie eleison (Litanei)  127 f., 134

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Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen

Mein Herz, du sollst den Herren billig preisen  129 Mein Herz ist fröhlich  127, 129 Meine Seele erhebt den Herren  202 Mensch, willst du leben seliglich  129, 137 Mit Fried und Freud ich fahr dahin  203 Mit meinem Gott geh ich zur Ruh  202 Nachdem die Sonn’ beschlossen  140 Nicht so traurig, nicht so sehr  145 Nimm von deinen KIndern  58 Nu sijt wellekome, Jesu lieven Heer  204 Nun danket all und bringet Ehr  200 Nun danket alle Gott  123, 200 Nun freut euch, Gottes Kinder all  141 Nun freut euch, Gottes Kinderlein  142 Nun ist der Regen hin  135 Nun jauchzet all ihr Frommen  140 Nun komm, der Heiden Heiland  197, 201 Nun lasst uns gehn und treten  135 Nun lieg ich armes Kindelein  130 Nun lob, mein Seel, den Herren  129 Nun sei uns willkommen, Herre Christ ​ 204 O Christe, Schöpfer aller Ding  197 O du Hüter Israel  193 O du mein Heiland, Jesu Christ  132 O Ewigkeit, du Donnerwort  139 O frommer und getreuer Gott  127 O gloriosa, o speciosa  222 O Golgatha! Zu deinen Höhen  58 O Gott, du frommer Gott  198 O Gott, mein Schöpfer, edler Fürst  135 O Gott, verleih mir deine Gnad  127 O große Not! Den bittern Tod  142 O Haupt voll Blut und Wunden  203 O Herr, dein Ohren neig zu mir  127, 130 O Jesu, du mein Bräutigam  146 O lass dein Volk erkennen  133 O lux beata trinitas  197 O mein Gott, mein Gott!  132 O Mensch, beweine deine Sünd  131 O Mensch, willst du vor Gott bestehn ​ 127, 129 O Traurigkeit, o Herzeleid  142 O Vater aller Frommen  133 O Welt, sieh hier dein Leben  145 O wolle Schutz verleihen  134

Ob mein Heiland gleich gestorben  141 Pacem tuam te poscimus  199 Puer natus in Bethlehem  136 Recht denken, reden und recht tun  127, 130 Rex Christe factor omnium  197 Richt unser ganzes Leben  134 Richtig hab ich stets gewandelt  133 Schmücke dich, o liebe Seele  140, 146, 200 Schwing dich auf zu deinem Gott  135 Segne, Herr, was deine Hand  202 Sehnsucht nach Frieden pocht an die Tür  204 Seht ein helles Licht erglänzend  57 Sei Lob, Ehr, Preis und Herrlichkeit  129 Sein Mutter ist die reine Magd  138 Selig ist, der diesen Frieden  57 Serva Deus Verbum tuum  199 Singt nun fröhlich ein neues Lied  198 So gib den Deinen Segen  59 So treiben wir den Papst hinaus  192 So werden sie erkennen doch  143 Sobald des großen Sabbats Nacht  127, 129 Stark in Glauben sieht die Seele  57 Stille Ruhe senket wieder  58 Stimme dich herab zur Klage  59 Thauet, Himmel, den Gerechten  57 Tochter Zion, freue dich  204 Tod, wo sind nun deine Waffen?  139 Tota pulchra es Maria  220 Treuer Wächter Israel  185 Trocknet eures Jammers Thränen  59 Und wenn die Welten untergehn  198 Und wenn vorhanden ist mein End’  133 Und werden wir, die Kinder dein  143 Unser Vater im Himmelreich  137 Valet will ich dir geben  200 Vater unser im Himmelreich  201 Veni creator spiritus  197 Veni redemptor gentium  197 Vergebens ist all Müh und Kost  127, 130

Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen Verleih uns dies  132 Verleih uns Frieden  125, 143, 199 Verzage nicht, du Häuflein klein  185 Verzage nicht, o Häuflein klein  125, 144 Vom Himmel hoch, da komm ich her  201 Von Gottes Wort erfüllt man fand  138 Von Gottes Wort man schwanger fand  138 Von guten Mächten wunderbar geborgen  204 Wach auf, mein Herz, und singe  60 Wach auf mein Herz und singe  53 Warum betrübst du dich  145 Warum sollt ich mich denn grämen?  135, 145 Warum willst du draußen stehen?  135, 139, 145 Was führt den Pilger dieser Erde  58 Was fürchtest du, Herodes, sehr?  140 Was fürcht’st du, Feind Herodes, sehr ​ 140 Was Gott gefällt, mein frommes Kind ​ 135 f. Was kann uns kommen an für Not ​ 127–129 Was mein Gott will, gescheh allzeit  202 Was? Soll ein Christ sich fressen?  127, 130 Weil ich Jesu Schäflein bin  192 Weil unser Trost Herr Jesu Christ  139 Welch himmlisch Frühroth glüht heraus  58 Wenn ich einmal soll scheiden  203 Wenn oft in feierlicher Stille  59 Wer ist, wie du, so heilig  58 Wer nur den lieben Gott lässt walten  185, 199

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Wer unter deinem Schirm ruht  58 Wie der Hirsch, den man will fangen ​ 127 f., 130 Wie der Hirsch in großen Dürsten  130, 135, 145 Wie ein Täublein in der Kluft  136 Wie ein Vöglein in der Kluft  136 Wie ist der Mensch doch so betört  127 Wie ist so groß und schwer die Last  135, 139, 142, 145 Wie schön leuchtet der Morgenstern  129 Wie soll ich dich empfangen  135, 145, 200, 203 Wieviel Erde braucht der Mensch?  204 Wir haben, Herr, der Seele Speise  58 Wir leiden schon so lang, so lang  139 Wir sind an bösen Wunden krank  139 Wir wollen sing’n ein Lobgesang  199 Wo Gott zum Haus nicht gibt sein Gunst  130 Wo mehr denn tausend Plagen sein  139 Wo Menschen sich vergessen  198 Wohl dem, der den Herren scheuet  135 f. Wohl dem Menschen, der nicht wandelt ​ 135 Wohlauf, du süßes Saitenspiel  127, 129 Wohlauf, zu guter Stunde  200 Zeuch ein zu deinen Toren  135, 144 Zeuch ein zu meinen [sic] Toren  133, 136 Zieh ein zu deinen Toren  145 Zion klagt mit Angst und Schmerzen ​ 200 Zu Gott allein hab ich’s gestellt  125 Zwei Ding’, o Herr  133 Zweierlei bitt ich von dir  130

Verzeichnis der Personennamen

Abel, Dominik  111 Aerni, Heinrich  180 Alber, Erasmus  131 Albert, Heinrich  124, 144 Albrecht, Alois  198 Albrecht von Preußen (Herzog)  125, 130 Alexopoulos, Stefanos  113 Alkier, Stefan  102 Allihn, Ingeborg  199 Allport, Gordon W.  22 Altenburg, Johann  144 Altenburg, Michael  202 Ameln, Konrad  147 Amslinger, Julia  176, 182 Andresen, Sophie  121 Angeloch, Dominic  184 Appadurais, Arjun  26 Arndt, Ernst Moritz  147 Arndt, Johann  161 Arnold, Heinrich  52 Arnoldi, Wilhelm  48, 50 Artom, Sebastian  124 Assmann, Aleida  184 Assmann, Jan  184 Auerswald von, Rudolf  50 Auf der Maur, Hansjörg  112 Ayali-Darshan, Noga  63 Bach, Carl Philipp Emanuel  198 Bach, Johann Sebastian  191, 193, 199, 203, 209, 217 Bachmann, Johann Friedrich  119–121, 124 f., 127 f., 131, 134 f., 137, 143, 145, 169–171 Bachmann, Julie  169–171 Baechtold, Jakob  181 Balders, Günter  200 Baldovin, John F.  113 Barna, Gábor  213, 218, 222 Barnard, Marcel  78 Bärsch, Jürgen  78 Becking, Bob  65

Bence, Gábor  216 Benkő, Tímea  218 Berkow, Johann  199 Berlejung, Angelika  70 Berlioz, Hector  210 Berlis, Angela  78, 95, 203 Berton-Blivet, Nathalie  210 Bieritz, Karl-Heinrich  9, 112 Binder, Christian  28 Bindseil, Christiane  18 Bion, Wilfred  183 f. Bircher, Martin  176 Birken, Sigmund von  154 Birkenmaier, Christa  107 Bisaro, Xavier  210 Biser, Eugen  106 Bismarck, Otto von  123 Bitzel, Alexander  202 Block, Detlev  198 Block, Johannes  161 Blum, Erhard  67 Blum, Robert  48 Bockwoldt, Gerd  13 Bode, Wilhelm  148, 167–171 Bödeker, Hermann Wilhelm  123 Bódiss, Tamás  217 Bogáti, Miklós  221 Böhler, Dieter  67 Boillot, Bénigne  208 Bone, Heinrich  205 Bonhoeffer, Dietrich  204 Bonnec, Damien  207 Bonnus, Hermann  199 Böntert, Stefan  77, 194 Booz, Rüdiger Marco  108 Böschenstein, Johannes  131 f. Böttler, Winfried  200 Bovet, Guy  207 f. Boyer, Michel  208 Bozóky, Mihály  219 Brachthäuser, Ralph Eberhard  81 Bradshaw, Paul F.  113 Brakmann, Heinzgerd  79

Verzeichnis der Personennamen Braun, Lucinde  194 Bretschneider, Carl Gottlieb  54 Bricout, Hélène  113 Brunner, Peter  99 Brüske, Gunda  112 Bubmann, Peter  82 Buchanan, Colin  78 Buchner, Maximiliane  109 Bunners, Christian  151 Bunsen, Christian K. Josias von  142 Bürcklin, Philipp Jakob  196 Bürki, Bruno  78, 113 Büsch, Andreas  201 Buthmann, Miriam  202 Buvron, Jean-Marcel  210 Caillou, François  209 Cantagrel, Gilles  209 Capito, Wolfgang  124 Carbonnier, Youri  209 Carlier, Bernard  208 Cherdron, Eberhard  135, 137 f. Chiang, Yu-Ring  193 Choi, Yung Hun  73 Choron, Alexandre  210 Christian II. von Sachsen  125 Chyträus, Nathan  127, 129 Clerc, Pierre-Alain  208 Cnophius, Andreas  127 Cocquiel, Jacques-Ignace  210 Conrad, Anja  183, 185 Conrad, Joachim  48, 62 Corbier, Christophe  210 Corswarem, Émilie  209 Couleau, Jérémie  211 Cranach-Sichart, Eberhard von  134 Crüger, Johann  119–121, 129, 132–135, 137, 144–146, 151–159, 161, 165, 169, 172–175, 199 f. Csomasz Tóth, Kálmán  218 f. Csörsz, Rumen István  215, 222 Czagány, Zsuzsa  214 Czerski, Johann  48, 54 Dach, Simon  127, 130 f., 162, 166 Dachstein, Wolfgang  124 Daniel, Thomas  198 f. Davy-Rigaux, Achille  210 f. de La Fage, Adrien  210

229

de La Tullaye, Christophe  208 de Lorenzi, Giovanni Battista Giuseppe  207 de Michaël Levinas, Marc  207 De Vos, Luc  208 Debussy, Claude  202 Deckert, Peter  198, 200 Deeg, Alexander  96, 111 Degrutère, Marcel  210 f. Dehlinger, Frieder  196 Denicke, David  132, 134 Depoutot, René  209 Déri, Balázs  213, 215 Detering, Nicolas  182 Diebolt, Caspar  176, 180 f. Dietz, Philipp  145–148 Dingel, Irene  38 Dobos, András  76 Dompnier, Bernard  209 Dremel, Erik  192 Drèze, Céline  211 Driesch, Nikolaus  50 Droste zu Vischering, Clemens August von  48 Dupin de Francueil, Amantine Aurore Lucile  121 Duron, Jean  209 f. Ebeling, Johann Georg  136 Eber, Paul  133 Eckert, Eugen  204 Eckstein, Juliane Maria  68 Ecsedi, Zsuzsa  216 f. Ege, Markus  204 Ehmann, Johannes  196 Eichmann, Franz  51 Élissèche, Charles-Yvan  210 Ellis, Katharine  210 Emmenegger, Nathalie  176, 182 Enns, Fernando  76 Erbacher, Hermann  196 Ermatinger, Emil  181 Etlinger, Mihály  218 Evang, Martin  202 Evans, Craig A.  71 Eysenck, Hans Jürgen  21 Fabiny, Tibor  217 Fabricius, Johann  125, 144

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Verzeichnis der Personennamen

Farkas, Domonkos  216 Farmati, Anna  221 Faß, Johann  50–52, 59–61 Favier, Thierry  209 Fekete, Csaba  218 Fekete, Károly  217 f. Feldman, Ariel  75 Fendler, Folkert  28 Ferenczi, Ilona  217–219, 222 Ferrard, Jean  208 Fillmann, Elisabeth  196 Fischer, Albert Friedrich Wilhelm  119 f., 132–135 Fischer, Balthasar  112 Fischer, Marie  167 Fischer-Krückeberg, Elisabeth  120, 132, 144–146, 151–153, 155, 161 Flügge, Corinna  154 Flügge, Erik  95 Földváry, Miklós István  213–215 Föllmi, Beat  207 Fontane, Theodor  148 f. Fornaçon, Siegfried  135 Fox, Nikolaus  50 Franck, César  208 Franck, Johann  129, 140 Franck, Michael  162 Franz, Ansgar  188, 202 Frauenknecht, Erwin  77 Frère Roger (Taizé)  114 Freud, Sigmund  10 Freylinghausen, Johann Anastasius  60, 193, 200 Friderici, Daniel  176, 180 Friedrich, Verena  196 Friedrich Wilhelm (Kurfürst von ­Brandenburg)  120, 124 Frostenson, Anders  198 Gagnebin, Henri  208 Gálszécsi, István  217 Gambrell, David  78 Gasnier, Jean-Marie  208 Gässlein, Ann-Katrin  86 Geest, Hans van der  30 Geldhof, Joris  86 Gerber, Gotthard  161 Gerhard, Anselm  188 Gerhards, Albert  111

Gerhardt, Paul  121, 124, 130 f., 133–136, 139, 142, 144–146, 151, 153, 161 f., 165 f., 168–171, 175, 184 f., 200 Gesenius, Justus  132, 134 Gesius, Bartholomäus  200 Gieseler, Caroline  121, 123, 149 Gigl, Maximilian  106 Gilányi, Gabriella  221 Gillingham, Susan  72 Gilly, Anne  102 Gissel, Siegfried  196 Glasern, Johann Friederich  132 Goffman, Erving  22 Gollwitzer, Mario  22 Gottschick, Friedemann  203 Gramann, Johann  129 Gramm, Jean-Jacques  207 Granger Sylvie  209 Graulich, Markus  37, 87 Graupner, Richard  11 Grešová-Sekelská, Adriana  192 Grethlein, Christian  87 Gribenski, Fanny  210 Grillo, Andrea  113 Gröger, Martin  69 Grund-Wittenberg, Alexandra  70 Guardini, Romano  113 Guéritey, Pierre Marie  208 Guillo, Laurent  210 Guilloux, Fabien  210 Guilmant, Alexandre  210 Günther, Wilhelm Arnold  50 Gustav Adolf (König von Schweden)  144 Gustav Adolf von Schweden  125, 144 Gutsuliak, Mykhailo  87 Gwalther, Rudolf  178 f. Habermann, Johann  119, 151, 154, 168, 173 Haendler, Otto  10 Hafenscher, Károly  218 Hakkarainen, Jenni-Tuuli  193 Hala, Patrick  207 Händel, Georg Friedrich  208 Haneke, Michael  202 Hänggi, Anton  78 Hanisch, Evelyn  205 Harbsmeier, Eberhard  114 Hardmeyer, Johann Melchior  180

Verzeichnis der Personennamen Hardouin, Pierre  208 Harms, Ludwig  197 Hartenstein, Judith  66 Harzer, Anne-Dore  204 Häußling, Angelus Albert  112 Haustein, Manfred  9 Heermann, Johann  127, 130 f., 133, 138, 140, 145 f., 161 Heine, Heinrich  202 Held, Heinrich  161, 166, 168 f. Helmbold, Ludwig  125 Henkys, Albrecht  199 Henkys, Jürgen  198 Henning, Jürgen  21 Herman, Nikolaus  127, 129, 131, 138, 199 Hermelink, Jan  89 Herrmann, Katharina  194 Herrmann, Matthias  201 Hesse, Friedrich  51, 61 Heurich, Winfried  200 Hevesi, Andrea  219 Hewstone, Miles  23 Heymel, Michael  203 Hildegard von Bingen  200 Hintze, Jacob  200 Hoff, Jonas Maria  111 Hoffmann, Heinz  142, 147 f. Hofmann, Andrea  197, 201 Hofmann, Tobias  90 Holtz, Shalom E.  75 Hong, Lionel Li-Xing  193 Hönigswald, Richard  105 Hoondert, Martin  192 Hoping, Helmut  90 Hörler, Bernhard  204 Horváth, Balázs  214 Horváth, Pál  220 Hossfeld, Frank-Lothar  67, 72 Hours, Bernard  210 Huber, Christian  180 Hubert, Gabriella H.  217–219, 221 Hübner, Joseph  60 Husserl, Edmund  105 Huszár, Gál  219 Illg, Thomas  201 Irenäus, Caroline  121–125, 127–150 Ittzés, Gábor  222

Ittzés, Mihály  217 Ivancsó, István  213 Jaccottet, Guy-Baptiste  208 Jacobs, Hanna  101 Jager, Cornelia  18 Janowski, Bernd  70, 74 Jantzen, Annette  115 Jardin, Étienne  210 Jeggle-Merz, Birgit  111 Jenni, Ernst  181 Jers, Norbert  201 Jolliet, Elie  186, 188 Jonas, Justus  142, 199 Josquin Desprez  193 Josuttis, Manfred  19 Juhre, Arnim  201 Jung, Carl Gustav  10 Jung, Martin H.  123 Junker, Johannes  197 Jurine, Michel  208 Kájoni, János  218 Kamp, Salamon  217 Kampe, Ferdinand  61 Karle, Isolde  11 Kaschub, Annemarie  91 Kaskötő, Marietta B.  222 Kecskés, András Lantos  219 Keinemann, Friedrich  48 Kelly, William L.  68 Kerner, Hanns  27 Kießling, Johann  196 Kincses, Katalin Mária  219 Kiss, Gábor  92, 215, 220 Klauser, Manuela  81 Kleinheyer, Bruno  112 Klek, Konrad  192, 200, 202 Klessmann, Michael  15 Klie, Thomas  13 Klingberg, Lars  199 f. Klöckener, Martin  112 Klöckner, Stefan  195 Kloss, Josef Ferdinand  193 Klug, Joseph  205 Knackmuß, Susanne  199 f. Knapp, Albert  142 Knöpken, Andreas  127 Kocevar, Érik  209

231

232

Verzeichnis der Personennamen

Koch, Eduard Emil  124, 142 f., 148 Koch, Ernst  138, 146 Koch, Kurt Kardinal  87 Kohler, Wolf-Dieter  107 Kolberg, Barbara  203 Koll, Julia  203 Köpf, Ulrich  93 Kormos, Gyula  217 Korth, Hans-Otto  119 f., 143, 151 f., 158, 168 f., 200 Kosegarten, Ludwig Gotthard  198 Kőszeghy, Péter  216 Kovács, Andrea  220 Kovács, Eleonóra  217 Kovács, Eszter  221 Kővári, Réka  218, 221 Kranemann, Benedikt  111, 113 Kretzchmar, Gerald  98 Krieger, Johann Philipp  191 Krüger, Ekkehard  200 Krummacher, Friedhelm  193 Kučkovsky, Ladislav  95 Külpe, Oswald  10 Kurta, József Tibor  220 Küster, Konrad  201 Langbecker, Emanuel Christian Gottlieb  120 Lange, Ernst  89 Lathrop, Gordon  113 Latinovic, Vladimir  96 Laubach, Thomas  198 Lauterwasser, Helmut  202 Le Preux, Johann  186 Leconte, Thomas  209 Lederer, Franz  204 Lehnert, Christian  84 Lengerich, Martina van  203 Léon, Jean-Charles  211 Leon, Johannes  137 Leonhard, Clemens  83 Leppin, Volker  33, 84, 97 Lessing, Eckhard  10 Leube, Bernhard  202, 204 Lichtenberger, Achim  63 Liersch, Helmut  19 Lies, Jan Martin  197 Liess, Bernhard  161 Liess, Fynn  200

Lilius, Georg  127 Lob-Hüdepohl, Andreas  18 Lobwasser, Ambrosius  120, 132, 178, 187 Loetz, Francisca  198 Lorbeer, Lukas  135 Lossius, Lucas  197 Luckhardt, Christiane  111 Ludvigh, Samuel  61 Luise Henriette von Oranien-Nassau (Kurfürstin von Brandenburg)  ­120–122, 125, 134 f., 139, 149 Lukatis, Wolfgang  24 Lurz, Friedrich  78 Luther, Martin  96, 119, 125, 127, 129, 131 f., 137–140, 142 f., 146, 172 f., 178, 187, 192 f., 198 f., 201, 203, 217 Mailhot, Bastien  209 Maillard, Christophe  209, 211 Maio, Gregory R.  23 Mareschall, Samuel  178 Maria von Ungarn  130 Marle, Johann de  61 Martens, Gottfried  198 Marti, Andreas  188, 193, 202 Marti, Kurt  203 Martin, Jeannett  25 Martin, Philippe  207 Martinus, Johannes  181 Maslow, Abraham  25 Mathias Kissel  203 Maximilian (Kaiser)  125 McClelland, William  78 McKenzie, Steven L.  67 Mead, George H.  22 Medgyesy Schmikli, Norbert  213 Meier, Uto  60 Melanchthon, Philipp  199 Melzl, Thomas  9, 111 Mendelssohn-Bartholdy, Felix  202 Meßner, Reinhard  112 f. Métoyen, Jean-Baptiste  210 Mevius, Balthasar  152 Meyer, Conrad  177 Meyer, Hans Bernhard  112 Meyer-Blanck, Michael  14 f., 94, 112 f., 195 Meyer zum Felde, Nina  71 Meyfart, Heinrich  127, 129

Verzeichnis der Personennamen Meyfart, Johann Matthäus  196 Michels, Stefan  189, 191 Micoulaut, Claude Jean  208 Miersemann, Wolfgang  119 f., 145, 151 f., 158, 168 f., 199 f. Miklós, Réka  213 Missfelder, Jan-Friedrich  198 Modeß, Johannes Michael  98 Mohaupt, Lutz  24 Moller, Martin  127 Montagnier, Jean-Paul C.  210 Moser, Virgil  181 Muffat, Georg  208 Müller, Alfred Dedo  10 Müller, Konrad  99 Müller, Reinhard  63 Mützell, Julius  133, 168 f. Nadler, Josef  181 Nagel, Gottfried  197 Nagel, Wilibald  177, 180 Nägeli, Ernst  181 Nánási, Sámuel  99 Nawrocka-Wysocka, Arleta  192 Neidhart, Walter  23 Neijenhuis, Jörg  11, 33, 43, 76 Neitsov-Mauer, Kristel  192 Németh, Katalin  217 Nemtsov, Yascha  208 Neumeister, Erdmann  189–191 Nicolai, Jeremias  127, 130 Nicolai, Philipp  129 f. Nishimagi, Shin  207 Odenthal, Andreas  43 Ohly, Lukas  111 Oláh, Róbert  219 Opitz, Martin  127, 129–131 Otto von Schwerin  120, 135 Pagel, Maria  116 Pahl, Irmgard  78 Pap, Balázs  220 Papp, Ágnes  212, 216, 218, 220 f. Papp, Anette  220 Papp, Géza  221 Parenti, Stefano  78 Parsch, Pius  101, 113 Pergolesi, Giovanni Battista  193

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Perrot, Jean-Luc  208 f. Peters, Frank  18 Petersen, Birger  191 Pfützner, Joachim  78 Pilz, Wilfried  201 Pintér, Gábor  219 Platzer, Hermann  204 Plötter, Otto  116 Pócs, Miklós  216 Pollio, Pierre-Louis  211 Porret-Dubreuil, Amélie  210 Porst, Johann  130 Posthius, Johann  125 Pott, Thomas  83 Praetorius, Michael  201 Praßl, Franz Karl  205 Quast, Thomas  201 Rabus, Christian Heinrich  196 Radle, Gabriel  86 Rajeczkys, Benjamin  220 Ramaut, Alban  210 Rammsayer, Thomas  21, 25 Raschzok, Klaus  82, 91 Ratzmann, Wolfgang  116 Rebell, Walter  9 Réger, Ádám  213 f., 216, 222 Reibenschuh, Christine  116 Rein, Matthias  196 Reinthaler, Karl Christian Wilhelm  196 Rennen, Franz Karl  61 Réra, Nathan  207 Reske, Christoph  151 Reske, Peter C.  193 Richter, Christian Friedrich  203 Richter, Pál  220–222 Riegert, Sarah  74 Riemann, Fritz  18 Riemann, Rainer  21 Riess, Richard  18 Rinckart, Martin  123 Ringwaldt, Bartholomäus  127, 130 f. Rinne, Caroline  121, 149 Riskó, Kata  220 Rist, Johann  139, 141 f., 144 Röber, Marie  167 Robinson, Alexander  210 Rohland-Stahlke, Susanne  202

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Verzeichnis der Personennamen

Roleder, Felix  111 Rollin, Vincent  210 Ronge, Johannes  48 Roose, Patrick  209 Rosenberg, Milton J.  24 Rossel, Virgile  181 Roth, Cornelius  101 Röttger, Sarah  102 Ruck-Schröder, Adelheid  114 Runge, Christoph  119–122, 124 f., ­131–138, 140–153, 155 f., 158 f., 165, 167 f., 171 f., 174 f. Runge, Georg  168 Ruščin, Peter  192 Sachs, Klaus-Jürgen  201 Sagert, Dietrich  117 Sajak, Clauß Peter  113 Salbers, Wilhelm  28 Sand, George  121 Sanda, Anna  214 Sander, Augustinus  113 Sandermann, Leonard  204 Sanders, James A.  71 Sandorffer, Johann  127 Sanfdörfer, Johann  127 Scarcez, Alicia  211 Schäfer, Christiane  204 Schäfer, Rudolph  197 Scharfenberg, Joachim  12 Scharnweber, Karl  117 Schärtl-Trendel  94 Schaufelberger, Thomas  104 Schein, Johann Hermann  127, 129 f., 200 Scheitler, Irmgard  161, 166, 201 Schilling, Johannes  115, 198 f., 202 Schirmer, Michael  140 Schlag, Thomas  100 Schlage, Thomas  162 Schleiermacher, Friedrich  141 Schlenker, Manfred  204 Schloz, Rüdiger  27 Schmemann, Alexander  99 Schmid, Christoph von  60 Schmidt, Bernhard  132, 137, 141, 200, 202 Schmidt, Christoph von  60 Schmidt, Markus  88 Schmidt, Thomas  202

Schmidt-Lauber, Hans-Christoph  112 Schmidtchen, Gerhard  24 Schmitt, Rüdiger  65 Schneider, Karl Friedrich Theodor  168–171 Schneider, Matthias  193 Schnocks, Johannes  72 Schönpflug, Wolfgang  9 Schreich-Stuppan, Hans-Peter  181 Schuh, Willi  177, 179 Schüller, Andreas  61 Schult, Maike  185 Schulte, Frank  117 Schultze, Joachim  200 Schumacher, Joachim  181 Schuster, Ralf  151, 154 Schütz, Heinrich  201 Schweizer, Rolf  201 Schweyer, Stefan  96, 111 Schwier, Helmut  44 Schwilge, Andreas  176–181 Schwitters, Kurt  198 Sedmak, Clemens  103 Seewald, Michael  82 Seidler, Martin  104 Seitz, Manfred  12, 24 Seitz, Theresa  193 Selnecker, Nicolaus  127 Seo, Jaeduck  74 Seper, Daniel  101 Seyffer, Ann-Kathrin  104 Siering, Timm  193, 198 Simler, Johann Wilhelm  176–182 Smeesters, Aline  210 Spener, Philipp Jacob  125 Spengler, Christoph  204 Spengler, Lazarus  127 Speratus, Paul  125 Spichtig, Peter  96 Spiegel, Yorick  12, 15, 22 Splett, Jürgen  167 Stahl, Michael J.  69 Stählin, Wilhelm  10 Stalmann, Joachim  202 Stapfer, Johannes  187 Starcke, Daniel  151, 153–156, 158–162, 164–167, 171, 174 f. Steiger, Johann Anselm  154, 165 Steiner, Till Magnus  72

Verzeichnis der Personennamen Stier, Rudolf  142, 147 f. Stip, Gerhard Chryno Hermann  142, 148 Stollenwerk, Alexander  48, 55, 61 Stork, Hans-Walter  196 Stracke-Bartholmai, Matthias  18 Straub, Barbara  204 Stückelberger, Johannes  110 Suchan, Monika  152, 158, 168 f. Surau-Ott, Veronika  105 Susnow, Matthew  64 Szabó, Ferenc János  222 Szacsvai Kim, Katalin  221 Szádoczki, Vera  221 f. Szakács, Béla Zsolt  213 Szalay, Olga  218 Szatmári, Áron  218, 221 Székely, Júlia  218 Szelestei Nagy, László  221 f. Szenci Molnár, Albert  216 Szigeti Molnár, Dávid  219 Szokolay, Sándor  217 Szoliva, Gábriel OFM  222 Tacke, Helmut  12 Tchorek, Denis  210 Telemann, Georg Philipp  190 f., 200 Thévenaz, Vincent  209 Thilo, Hans-Joachim  14 Thilo, Valentin  161 Thomas, Dominique  209 Thomas, James C.  181 Thoraval, Fañch  210 Thümmel, Hans Georg  110 Thurneysen, Eduard  12 Tremer, Franz Josef  204 Troupeau, Martin  78 Tucher, Gottlieb Freiherr von  137 Tufféry, Pascal  209 Tümpel, Wilhelm  119 f., 134–136 Turin, Ernst Xaver  205 Uhl, Markus  194 Uhlendorf, Jens  27, 99 Uhlig, Christian  49 Uhsadel, Walter  10 Újfalvi, Imre  219 Ullmann, Péter Ágoston O. Praem.  213 f., 216

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Van Acken, Johannes  81 Van Eyndhoven, Carl  210 van Wymeersch, Brigitte  210 Vásárhelyi, Judit P.  216 f. Végh, Zsuzsanna  64 Vehe, Michael  205 Veit, Patrice  207 Velasco, Maria Josefa  210 Vilmar, August Friedrich Christian  145 Virchow, Rudolf  123 Volgger, Ewald  205 Volkmann, Evelina  194 von der Velde, Wietse  78 von Ketteler, Emmanuel  205 von Lilien, Georg  200 von Wedemeyer, Maria  204 Wackernagel, Philipp  119, 148 Wagner, Johann Ludwig  49 Wagner, Richard  202 Waldis, Burkard  179 Walter, Axel E.  166 Walz, Johann Leonhard  196 Wand, Lothar  204 Wand, Margret  204 Watzatka, Agnes  192 Weichenhan, Susanne  153–155, 199 Weingart, Kristin  67 Weiße, Michael  127 Weißel, Georg  161 Weißer, Markus  85 Wellhausen, Julius  69 Wendebourg, Dorothea  199 Wennemuth, Udo  196 Werbeck, Walter  201 Werner, Georg  127, 133, 136 Wersin, Michael  203 Werz, Joachim  195 Weyel, Birgit  94 Wiesinger, Christoph  111 Wilhelm, Ursula  200 Wilkow, Christoph  127 Winter, Stephan  93 Wirth, Sigrid  201 Wissemann, Antje  204 Wissemann-Garbe, Daniela  192 Wittenberg, Andreas  192 Wittmann, Dieter  204 Wohlmuth, Johann  217

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Verzeichnis der Personennamen

Wollny, Peter  201 Wörishöffer, S.  121 Wust, Balthasar Christoph  152 Wust, Johann Balthasar  174 Wüstenberg, Ulrich  147 Zahn, Johannes  119 Zanetti, Ugo  79

Zellmeyer, Thomas  78 Zenetti, Lothar  201, 203 Zenger, Erich  67, 72 Zerfaß, Alexander  198 Zheltov, Mikhail  113 Zollinger, Jakob  181 Zorn, Sabine  107 Zoutendijk, Johan  208

Ständige Berater Pfarrerin Dr. Ilsabe Alpermann, Berlin Dozent Günter Balders, Berlin Kantor Pfarrer Peter Ernst Bernoulli, Rümlingen / BL (Schweiz) Prof. Dr. Christfried Böttrich, Greifswald Prof. Dr. Bruno Bürki, Neuchâtel (Schweiz) Prof. Dr. Joachim Conrad, Püttlingen Dr. Ilona Ferenczi, Budapest (Ungarn) Prof. Dr. Gerhard Hahn, Regensburg Dr. Ada Kadelbach, Lübeck Prof. Dr. Konrad Klek, Erlangen Prof. Dr. Dr. Elsabé Kloppers, Pretoria (Südafrika) Prof. Dr. Hermann Kurzke, Mainz Dr. Helmut Lauterwasser, München Rev. Prof. Dr. Robin A. Leaver, Dover (USA) Pfarrer em. Dr. h. c. Jens Lyster, Broager (Dänemark) Dr. Andreas Marti, Liebefeld (Schweiz) Prof. Dr. Michael Meyer-Blanck, Bonn Prof. Dr. Michael Niemann, Rostock Prof. Dr. Franz Karl Praßl, Graz (Österreich)

Autorinnen und Autoren Autoren Liturgik Prof. Dr. Joachim Conrad Sprenger Str. 28 66346 Püttlingen E-Mail: [email protected] www.joachim-conrad.de www.uni-saarland.de/fak3/fr32/conrad/ kontakt/kontakt.html Dr. Thomas Melzl Gottesdienst-Institut der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern Sperberstr. 70 90461 Nürnberg E-Mail: [email protected] www.gottesdienstinstitut.org/Team. html

Prof. Dr. Reinhard Müller Georg-August-Universität Seminar für Altes Testament Platz der Göttinger Sieben 2 D-37073 Göttingen E-Mail: Reinhard.Mueller@theologie. uni-goettingen.de www.uni-goettingen.de/de/prof.+dr.+ reinhard+müller/56732.html Prof. Dr. Jörg Neijenhuis Ruprecht-Karls Universität Heidelberg Praktische Theologie Mombertstr. 11 69126 Heidelberg E-Mail: [email protected] berg.de www.neijenhuis.de www.theologie.uni-heidelberg.de/fakul taet/personen/neijenhuis.html

Autoren Hymnologie Prof. Dr. Erik Dremel Institut für Praktische Theologie Franckeplatz 1/30 06099 Halle (Saale) E-Mail: [email protected] https://www.theologie.uni-halle.de/pt_ rp/praktische_theologie/147850_178702/ Prof. Dr. Beat Föllmi Professeur de musique sacrée et d’hymnologie Université de Strasbourg Faculté de Théologie Protestante Palais Universitaire 9 place de l’Université / BP 90020 F-67084 Strasbourg Cedex E-Mail: [email protected] http://theopro.unistra.fr/presentation/ enseignants-chercheurs/equipe-actuelle/ b-foellmi/

Dr. Ágnes Papp Bölcsészettudományi Kutatóközpont -Zenetudományi Intézet Forschungszentrum für Humanwissenschaften  – Institut für Musikwissenschaft (Budapest) Mester 7 HU 2040 Budaörs E-Mail: [email protected] Dr. Ralf Schuster Wissenschaftlicher Mitarbeiter Institut für Kirchen- und Dogmengeschichte Universität Hamburg Gorch-Fock-Wall 7, #6 20354 Hamburg E-Mail: [email protected]

Autorinnen und Autoren  Pfarrer Dr. Bernhard Schmidt Vorsitzender der Kollegialen Leitung des Kirchenkreises Falkensee Feuerbachstraße 22 D – 14612 Falkensee Tel. +49–172–6342556 E-Mail: [email protected]

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Dr. Daniela Wissemann-Garbe Moischter Str. 52 35043 Marburg E-Mail: [email protected]