Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie: 2019 [1 ed.] 9783666572296, 9783525572290


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Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie: 2019 [1 ed.]
 9783666572296, 9783525572290

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Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie

2019

Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 58. Band 2019

Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 58. Band – 2019

Herausgegeben von Jörg Neijenhuis Daniela Wissemann-Garbe Alexander Deeg Michael-Meyer-Blanck Irmgard Scheitler Matthias Schneider Helmut Schwier in Verbindung mit der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie, dem Interdisziplinären Arbeitskreis Gesangbuchforschung Mainz, dem Liturgiewissenschaftlichen Institut Leipzig, der Liturgischen Konferenz Deutschlands

Vandenhoeck & Ruprecht

Begründet 1955 von Konrad Ameln, Christhard Mahrenholz und Karl Ferdinand Müller

Schriftleiter: Prof. Dr. Jörg Neijenhuis, Mombertstr. 11, 69126 Heidelberg E-Mail: [email protected] (Liturgik) Dr. Daniela Wissemann-Garbe, Moischter Str. 52, 35043 Marburg E-Mail: [email protected] (Hymnologie) Manuskripte und Rezensionsexemplare bitte nur an die Schriftleiter schicken.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-3466 ISBN 978-3-666-57229-6

Inhalt Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Liturgik Das Gebet der Lebenden für die Toten Anmerkungen zur Fürbitte für die Verstorbenen  Johannes Greifenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Vom Politischen Nachtgebet zum Feierabendmahl Verantwortliches Handeln in der Welt im protestantischen Abendmahl der 1970er Jahre Katharina Herrmann und Annette Haußmann . . . . . . . . . . . . . . . 27 Literaturberichte zur Liturgik. Literaturbericht zum Neuen Testament und der antiken Welt ([2016] 2017–2018) Texte, Kulturen und Hermeneutik Helmut Schwier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Literaturbericht Liturgik Deutschsprachige Länder 2018 (2017) Jörg Neijenhuis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Hymnologie Vom Gebet zum Lied Paul Ebers „Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott“ Jens Lyster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Melodische Aufwärtsverlagerungen bei frühen Kirchenliedern Hans-Otto Korth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Balthasar Schnurr als Liederdichter Irmgard Scheitler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

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Inhalt

Neues von Komponisten und Dichtern des Evangelischen Gesangbuchs und vergleichbarer Gesangbücher (12) Wolfgang Herbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Zum Nachlass von Arno Pötzsch Michael Heymel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Literaturberichte zur Hymnologie. Literaturbericht Hymnologie Deutschsprachige Länder (2016, 2017) 2018 Daniela Wissemann-Garbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Literaturbericht Hymnologie Französischsprachige Länder 2018 Édith Weber / Beat Föllmi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236

Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Verzeichnis der Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Ständige Berater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

Geleitwort Der liturgische Teil des Jahrbuchs wird mit einem Beitrag von Johannes Greifenstein über die Fürbitte für Verstorbene eröffnet. Die Fürbitte der Lebenden für die Toten ist umstritten und auch von Missverständnissen geprägt. Eine differenzierte Sicht auf die Vielschichtigkeit des Gebets eröffnet sinnvolle Möglichkeiten, damit sich die Trauernden an Gott wenden können, ohne die Verstorbenen auszuschließen. Katharina Herrmann und Annette Haußmann legen Untersuchungen und Überlegungen zur Abendmahlsfeier der 1970er Jahre vor – Vom Politischen Nachtgebet zum Feierabendmahl –, so dass das verantwortliche Handeln in der Welt zum Thema wird. Sie beziehen in ihre Untersuchung auch solche Feiern ein, die keinen prominenten Status erreicht haben, aber empirische Einblicke in die Entwicklungen ermöglichen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der ethischen Dimension der Abendmahlsfeier. Helmut Schwier legt einen Literaturbericht zu dem Neuen Testament und der antiken Welt für die Jahre 2017 und 2018 vor, Jörg Neijenhuis einen Literaturbericht zur deutschsprachigen Liturgik des Jahres 2018. Im ersten Beitrag des hymnologischen Teils befasst sich Jens Lyster (Dänemark) 57 Jahre nach dem grundlegenden Artikel Konrad Amelns im JLH erneut umfassend mit dem Sterbelied „Herr Jesu Christ, wahr Mensch und Gott“ von Paul Eber und zeigt, dass ein Blick über Sprachgrenzen hinweg nicht nur Rezeption nachweisen, sondern auch für die Datierung hilfreich sein kann. Die Melodiestudie von Hans-Otto Korth fußt auf Beobachtungen, die er während seiner Editionstätigkeit der frühen gedruckten Kirchenliedmelodien (Das deutsche Kirchenlied. Kritische Gesamtausgabe der Melodien, Kassel 1993–2010) gewonnen hat und die er hier erstmals darlegt. Irmgard Scheitler entreißt Balthasar Schnurr (1572–1644) und seine geistlichen Dichtungen der Vergessenheit und beleuchtet dabei ein Stück Kirchenliedgeschichte der Zeit vor Martin Opitz. Wolfgang Herbst setzt seine Reihe „Neues von Komponisten und Dichtern des Evangelischen Gesangbuchs und vergleichbarer Gesangbücher“ fort, und Michael Heymel stellt in einer Miszelle den Nachlass von Arno Pötzsch vor, der seit kurzem im Unitätsarchiv der Herrnhuter Brüdergemeine liegt. Es folgen die Literaturberichte deutschsprachiger und französischsprachiger Länder von Daniela Wissemann-Garbe bzw. Édith Weber und Beat Föllmi. Mit dem vorliegenden Band scheidet Herr Prof. Dr. Dr. h. c. Michael Meyer-Blanck aus dem Herausgebergremium des JLH aus. Wir danken ihm herzlich für sein Mitwirken in den vergangenen Jahren und für seine stets umsichtige und kompetente Beratung, insbesondere bei der Prüfung und Beurteilung der zum Abdruck vorgelegten Beiträge. Im Juli 2019

Die Herausgeber

Das Gebet der Lebenden für die Toten Anmerkungen zur Fürbitte für die Verstorbenen

 Johannes Greifenstein

Für die Verstorbenen beten!?1 Wer hier das Ausrufezeichen setzt, der scheint sich entschieden auszusprechen dafür und wer hier ein Fragezeichen sehen möchte, der scheint zu bestreiten, dass diese Praxis sinnvoll ist oder zu Recht besteht. Auf den ersten Blick jedoch gibt es keinen Grund dafür, das Thema ‚Für die Verstorbenen beten‘ mit Ausrufe- oder Fragezeichen zu versehen, wird doch die Praxis der Fürbitte für die Verstorbenen gewissermaßen mit einem schlichten Punkt konstatiert. Sie ist in der evangelischen Kirche heute weithin fraglos etabliert und besteht nahezu selbstverständlich als Teil der Bestattung, gottesdienstlicher Abkündigungen oder Kasualfürbitten, im Rahmen eines eigenständigen Totengedenkens (vor allem am Totensonntag / Ewigkeitssonntag oder Altjahresabend) oder in einer Andacht nach Eintritt des Todes. Auch im wissenschaftlichen Austausch über eine sich erheblich verändernde Bestattungskultur – auf die ich mich als wichtigsten Kontext des Themas im Folgenden konzentriere – ist das Beten für die Verstorbenen, sofern es überhaupt berührt wird, kein Gegenstand kontroverser Debatte.2 Dieser Ausgangsbefund lässt sich damit begründen, dass die früher diskutierte Deutung dieser Praxis als Einwirken auf die Verstorbenen oder auf Gott sowie eine entsprechende Auseinandersetzung über ihre Legitimität heute entweder überhaupt keine Bedeutung mehr haben, oder ohne viel Aufhebens als nicht mehr zur – an sich evangeliumsgemäßen – Sache gehörig erklärt werden

1 Überarbeitung eines Vortrags auf der Jahrestagung der Lutherischen Liturgischen Konferenz Bayern e. V. vom 6. bis 8. Juli 2018 in Heilsbronn, deren Thema lautete: „Für die Verstorbenen beten!?“. Von der Möglichkeit einer Differenzierung der Begriffe Tote und Verstorbene sehe ich ab. Vgl. Nestele, Ernst: Die Aussegnung Verstorbener. Liturgische Feier unter seelsorgerlichem Aspekt. Stuttgart 1999, 41 f. 2 Wo vereinzelt Hinweise auf Diskussion und Dissens begegnen, scheinen sie eher die Tradition der Auseinandersetzung mit diesem Thema zu betreffen, als aktuelle Kontroversen. Vgl. Friedrichs, Lutz: Die kirchliche Bestattung. Tradition im Wandel. In: Klie, Thomas u. a. (Hg.): Praktische Theologie der Bestattung. Berlin / München / Boston 2015, 63–85, 66; Meyer-Blanck, Michael: Bestattung als Inszenierungsaufgabe unter besonderer Berücksichtigung von Wort und Zeichen. In: Thema: Gottesdienst 18 (2002), 62–74, 70; Ratzmann, Wolfgang: Neue evangelische Agenden zur Bestattung von Christen und Nichtchristen. In: Gerhards, Albert / Kranemann, Benedikt (Hg.): Christliche Begräbnisliturgie und säkulare Gesellschaft. Leipzig 2002, 153–169, 164.

Das Gebet der Lebenden für die Toten 

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können. Die Fragen, ob man für die Verstorbenen beten darf oder nicht, sollte oder nicht, scheinen weithin irrelevant.3 Es ist jedoch noch eine andere Perspektive möglich, die das Ausrufe- und Fragezeichen hinter diesem Thema nicht in erster Linie als Bejahung oder Infragestellung der Praxis begreift, sondern als Anzeige für praktischen Orientierungsbedarf. Die Fragen könnten lauten: Was tun wir eigentlich, wenn wir für die Verstorbenen beten (und was würden wir gegebenenfalls unterlassen)? Welches Verständnis haben wir überhaupt von dieser Praxis? Und im Modus der Zustimmung könnte man formulieren: In diesem Bewusstsein sollte man also für die Verstorbenen beten (und die Fürbitten entsprechend gestalten)! Eine solche Bedeutung sollte dieses Handeln für uns haben und in ihm auch praktisch zur Geltung kommen! Nun kann man verschiedene Richtungen einschlagen, um zum Verständnis der Fürbitte für die Verstorbenen einen Beitrag zu leisten. Man könnte die Sicht auf die Verstorbenen einzeichnen in die soziologische Diagnose einer ‚Gesellschaft der Singularitäten‘ (Was bedeutet der gleichmachende Tod im Horizont forcierter Individualisierung?). Man könnte auf Umformungen in der Kultur des Erinnerns und Gedenkens eingehen (Was bedeutet die kasualliturgische Fürbitte im Verhältnis zu einer Trauerpraxis in sozialen Medien und im Kontext medialer Sozialität?). Ich wähle demgegenüber einen vergleichsweise traditionellen Zugang und diskutiere die Fürbitte für die Verstorbenen als Gebet. Dabei werde ich zunächst ein Grundverständnis der Fürbitte als Ausdrucks- und Darstellungshandeln skizzieren (1.), um anschließend die Fragen nach dem Gehalt der Fürbitte (2.) und nach ihrer Ausrichtung auf die Verstorbenen und die Lebenden (3.) zu erörtern. Zum Schluss möchte ich dazu anregen, sich auch positionell zu diesem Thema zu verhalten (4.).

1. Die Fürbitte für die Verstorbenen als Ausdruck und Darstellung Beten verstehe ich als eine Praxis, die Glauben ausdrückt und darstellt.4 Theoriesprachlich gesagt, ist es ein zugleich expressives wie performatives Handeln, ist zum einen bezogen auf einen dem Gebet vorausliegenden Glauben, der in das 3 Vgl. Gottesdienstbuch für die Evangelische Landeskirche in Württemberg. Zweiter Teil. Sakramente und Amtshandlungen. Teilband: Die Bestattung. Hg. vom Evangelischen Oberkirchenrat Stuttgart. Stuttgart 2000, 34 [= ELKW], 35: „Eine Fürbitte für die Verstorbene oder den Verstorbenen entspricht dem Evangelium, solange sie nicht als Verfügung über Gottes Urteil oder als religiöse Leistung verstanden wird. Vielmehr befehlen wir im vertrauensvollen und Hilfe suchenden ‚Reden des Herzens mit Gott‘ (Württembergischer Katechismus) die Verstorbene oder den Verstorbenen gleichermaßen wie uns selbst dem Erbarmen Gottes an.“ Die ältere Literatur verhandelt das Thema oft – mit Seitenblick auf die römisch-katholische Theologie – im Modus der Legitimitätsprüfung. Vgl. exemplarisch Stirm, [Karl Heinrich]: Darf man für die Verstorbenen beten?. In: JDTh 6 (1861), 278–308. 4 Vgl. Greifenstein, Johannes: Ausdruck und Darstellung von Religion im Gebet. Studien zu einer ästhetischen Praxis des Christentums im Anschluß an Friedrich Schleiermacher. Tübingen 2016, v. a. 1–16.370–374.377–449.

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   Johannes Greifenstein

Beten eingeht, und steht zum anderen in Verbindung mit einem im Gebet vollzogenen Glauben, der durch das Beten Gestalt gewinnt.5 Zunächst zum Beten als Ausdruck. Das vielleicht bekannteste Wort, in dem eine ausdrucksästhetische Perspektive auf das Beten immerhin angedeutet wird, ist zugleich ein biblisches: „Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über“ (Mt 12,34). Zwar ist hier nicht vom Beten die Rede, aber eine entsprechende Übertragung liegt mehr als nahe. Beten ist „die zentrale religiöse Ausdrucksform“6, die „anthropologische Basis des Gebets“ ist „die expressive Artikulation“7. Von hier aus ist es nicht mehr weit zu einer direkten Verbindung des Gedankens an das Gebet als Ausdruck mit der Fürbitte für die Verstorbenen. Es habe die lutherische Kirche, so Georg Rietschels Lehrbuch der Liturgik, „niemals die Fürbitte für die Verstorbenen entschieden abgelehnt, wenn sie als unmittelbarer Ausdruck der Liebe gegen den Verstorbenen dem Herzen entquillt.“8 Zu beachten sind hier das ästhetisch wichtige Stichwort des Unmittelbaren und die Rede vom Entquillen, die eine Spontaneität, Absichtslosigkeit oder auch ein Gedrängtsein im Sinne des ‚nicht anders Können‘ andeuten. Dazu passen Hinweise auf eine ‚Natürlichkeit‘ dieses Betens beziehungsweise eine „Unnatur, die in dem Unterlassen solches Gebetes liegen würde“9. Wollte man das umgangssprachlich einholen, so könnte man sagen: Die Fürbitte für die Verstorbenen ist im Sinne eines Ausdrucksbedürfnisses völlig normal, ähnlich wie das für das Beten im Allgemeinen und noch allgemeiner für sonstige Formen menschlicher Artikulation gelten kann.10 Was aber bedeutet es, dass Gebet und die Fürbitte als Darstellung zu interpretieren? 5 Vgl. Friedrichs, Lutz: Beten. In: Eulenberger, Klaus u. a.: Gott ins Spiel bringen. Handbuch zum Neuen Evangelischen Pastorale. Im Auftrag der Liturgischen Konferenz. Gütersloh 2007, 185–192, 187. 6 Stollberg, Dietrich: Ora et labora. Beten und Gebet – Arbeitsthesen zur Information und Diskussion. In: PTh 94 (2005), 65–72, 66, Hervorhebung i.O. 7 Cornehl, Peter: „… Vorspiegelnd altgewesene Vertrautheit“. Gebet und Gebetserziehung heute. In: Bargheer, Friedrich W. / Röbbelen, Ingeborg (Hg.): Gebet und Gebetserziehung. Heidelberg 1971, 86–110, 89. 8 Rietschel, G.[eorg]: Die Kasualien (Lehrbuch der Liturgik 2). Berlin 1909, 326. Auch für Kliefoth, Theodor: I. Die Einsegnung der Ehe. II. Vom Begräbniß. III. Von der Ordination und Introduction. (Liturgische Abhandlungen 1). Schwerin / Rostock 1854, 283, ist nicht „das große Gewicht wegzuleugnen, welches das subjective Herzensbedürfniß“ für diese Praxis „in die Wagschale legt“, weshalb er urteilt, „der Trieb des Herzens mag den Einzelnen entschuldigen,“ – für offizielle kirchliche Praxis gilt das nicht – „wenn er auf seine eigene Hand zum Gebet für seine abgeschiedenen Lieben greift“ (a. a. O., 284). Bei Harnack, Theodosius: Einleitung und Grundlegung der Praktischen Theologie. Theorie und Geschichte des Cultus (Praktische Theologie 1). Erlangen 1877, 472, liest man, die evangelische Kirche habe zwar die „impetratorische Fürbitte mit Recht verworfen, aber nicht das dankende und votive, die Verstorbenen der Gnade empfehlende Gebet, als Ausdruck der Liebe und des Bewusstseins der in Christo fortbestehenden Gemeinschaft mit den in ihm Entschlafenen.“ 9 Rietschel, G.[eorg]: Die Kausalen (wie Anm. 8), 327. 10 Vgl. Daiber, Karl-Fritz: Pastoralsoziologische Einführung. In: Domay, Erhard (Hg.): Beerdigung. Trauerfeiern – Ansprachen – Liturgische Texte und Formulare (Gottesdienstpraxis Serie B). Gütersloh 1996, 10–18, 14.

Das Gebet der Lebenden für die Toten 

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Ein besonders zuspitzendes Urteil des als Novalis bekannten Dichters Friedrich von Hardenberg lautet: „Beten ist Religion machen“11. Diese Vorstellung mag aus der Sichtweise des christlichen Glaubens zunächst Anstoß erregen, sie bringt aber zur Geltung, dass Glaube nicht ohne Glaubenspraxis besteht und in diesem Sinne das Gebet „eine besondere Weise der Betätigung unseres Glaubens“12 ist oder eine „aktiv realisierte und darin zugleich empfangene Gemeinschaft mit Gott“13. Betrachtet man in dieser Perspektive konkret die Fürbitte für die Verstorbenen, so gerät sie weniger nach ihrem Ausgangspunkt, als nach ihrer Wirkung in den Blick. Wurde die Wirkung der Fürbitte in der älteren Auseinandersetzung vorwiegend als der illegitime Versuch verhandelt, an den Verstorbenen zu handeln oder Gottes Handeln zu beeinflussen, so legt sich heute der Blick auf Effekte oder Ziele nahe, die das Gebet auf die in diesem Gebet Handelnden selbst hat.14 Nicht nur im allgemeineren Horizont der Seelsorge ist die Einsicht in einen effektiven Charakter von Artikulation bekannt, wird darauf hingewiesen, dass „[i]m Erzählen und Aussprechen […] Freude, Trauer, Angst oder Wut spürbar“ werden und „oft […] erst dabei die emotionale Bedeutung eines Geschehens erlebbar“15 wird. Auch die Reflexion der Bestattung macht darauf aufmerksam, dass die hier begegnenden Darstellungs- oder Inszenierungspraxen nicht einfach nur abbilden, was so bereits vorhanden ist, sondern als Gestaltungs- und Realisationsform dessen, was dargestellt wird, zu verstehen sind.16

11 Novalis: Fragmente und Studien 1799/1800. In: Ders.: Das philosophisch-theoretische Werk. Hg. von Mähl, Hans-Joachim (Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs 2). Darmstadt 1999, 751–848, 770, Hervorhebung i.O. getilgt. 12 Seitz, Manfred: Beten lernen, lehren, üben. In: Ders.: Erneuerung der Gemeinde. Gemeindeaufbau und Spiritualität. Göttingen 1985, 83–94, 84. 13 Preul, Reiner: Die Anrede Gottes im Gebet. In: Härle, Wilfried / Ders. (Hg.): Personalität Gottes. Leipzig 2007, 99–122, 118, Hervorhebung i.O. getilgt. 14 Vgl. Spiegel, Yorick: Der Prozeß des Trauerns. Analyse und Beratung. München / Mainz 1973, 110: „Purismus aus der ursprünglichen reformatorischen Sorge heraus, man könne Gott das Gesetz des Handelns aufzwingen, ist heute wohl unnötig.“ Jordahn, Bruno: Das kirchliche Begräbnis. Grundlegung und Gestaltung. Göttingen 1949, 35: „Darin haben die Reformatoren recht, daß jeder Gedanke einer Einwirkung auf das Schicksal der Verstorbenen vermieden werden muß. Aber es muß eben doch gerade an dieser Stelle auffallen, daß man das Gebet für die Toten nicht völlig damit identifizierte. Wir haben heute nicht mehr die Ansicht, daß das Gebet für die Toten eine besondere Einwirkung sei.“ Ähnlich Ratzmann, Wolfgang: Neue evangelische Agenden zur Bestattung von Christen und Nichtchristen. (wie Anm. 2), 164. 15 Wagner-Rau, Ulrike: Seelsorge. In: Fechtner, Kristian u. a. (Hg.): Praktische Theologie. Ein Lehrbuch. Stuttgart 2017, 171–192, 175. 16 Vgl. Zimmermann, Petra: Den Totensonntag erleben. Zur liturgischen Gestaltung und seelsorgerlichen Bedeutung eines Gottesdienstes. In: PrTh 37 (2002), 209–214, 210; mit dem Darstellungsbegriff verbundene Hinweise auf Performanz bei Klie, Thomas: An Beerdigungen Religion lernen. Bestattungsagenden und ihre didaktische Relevanz. In: IJPT 8 (2004), 212–227, 213.224.225 f.227; Schneider-Harpprecht, Christoph: Die kirchliche Bestattung angesichts einer neuen Kultur im Umgang mit Tod und Trauer. In: JLH 40 (2001), 27–44, 42; Meyer-Blanck, Michael: Bestattung als Inszenierungsaufgabe unter besonderer Berücksichtigung von Wort und Zeichen. (wie Anm. 2), v. a. 63 f.

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   Johannes Greifenstein

Deutet man die Fürbitte für die Verstorbenen als Ausdrucks- und Darstellungspraxis, dann gelten offenbar vorwiegend diejenigen Personen als Handlungssubjekte, die nicht als professionelle Amtsträgerinnen, sondern als Betroffene oder Angehörige beten. Interpretiert man die Fürbitte für die Verstorbenen jedoch zugleich im Kontext der Bestattung, dann handelt es sich um eine liturgisch geordnete und gestaltete Form des Betens. Mag man privat für Verstorbene beten und bitten, was und wie man will, so steht hier der Regelfall eines von der Pfarrerin gesprochenen Gebets vor Augen. Hält man beide Aspekte gegeneinander, den ästhetischen Zugang auf der einen und den liturgischen auf der anderen, dann berührt man zunächst das grundsätzliche Problem, inwiefern überhaupt zu Recht von den Fürbitten als einer Aktivität derer die Rede sein kann, denen – in einer bestimmten Sichtweise – doch eigentlich „nur eine passive Rolle“17 zukommt. Doch wie interpretiert man das Mitverfolgen und den begleitenden, ein wenig nachgehenden Mitvollzug?18 Was es für das Verständnis des Gebets als Praxis der Angehörigen bedeutet, wenn sie einem Gebet der Pfarrerin zuhören, aber schweigen, muss hier nicht prinzipiell diskutiert werden – erinnert sei lediglich an die in der praktischtheologischen Diskussion vor allem geläufigen rezeptionsästhetischen Überlegungen zum Predigthören. Wichtig ist die Auseinandersetzung mit dem Gedanken, dass fürbittendes Beten nur dann ein „Mitbeten“ ist, nicht lediglich ein „Nachbeten“, wenn das Gebet „ursprünglich“, „unmittelbar und zugleich von Allen ausgeht“, was „nur durch ein formulirtes Gebet“ gelingen kann, das „Allen gegeben und allen bekannt“ ist, weshalb es „auch Alle als das ihrige“19 anerkennen können. Grundsätzlich wird die Bedeutung einer subjektiven Artikulation an diesem Punkt durchaus gesehen. Was vor allem bei der Taufe geläufiger Brauch ist, die selbständige Formulierung und der eigene Vortrag von Fürbitten, scheint jedoch womöglich auch im Blick auf die Gefahr einer Überforderung bei der Bestattung zurückhaltender beurteilt zu werden. Die Agende der Evangelischen Kirche der Union notiert: „An der Formulierung und Ausführung des Gebetes können Angehörige und Gemeindeglieder beteiligt werden.“20 17 Nölle, Volker: Vom Umgang mit Verstorbenen. Eine mikrosoziologische Erklärung des Bestattungsverhaltens. Frankfurt a. M. 1997, 61: „Generell übernimmt die Trauergemeinde nur eine passive Rolle. Sie hört dem / der Pfarrerin […] zu, spricht eventuell ein Gebet mit […].“ 18 Vgl. Jetter, Werner: Wir rufen dich an. Gebete mit der Gemeinde. Mit einem Nachwort über das Kirchengebet. Bielefeld 21988, 120–122; Gidion, Anne / Hirsch-Hüffell, Thomas: Wenn wir stockender sprächen …. Überlegungen zur Sprache der Fürbitten im Gottesdienst. In: Lehnert, Christian (Hg.): „Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen …“. Über die Kunst des öffentlichen Gebets. Leipzig 2014, 54–63. 19 Harnack, Theodosius: Einleitung und Grundlegung der Praktischen Theologie (wie Anm. 8), 473 (in freier Reihenfolge). Vgl. Sörries, Reiner: Leitfaden für die kirchliche Trauerarbeit und Totenfürsorge. In: Friedhof und Denkmal 43 (1998), H. 6, 7 f, zit. n. Naumann, Bettina: Totensonntagsgottesdienste. In: Fix, Karl-Heinz / Roth, Ursula (Hg.): Lebensvergewisserungen. Erkundungsgänge zur gegenwärtigen Bestattungs- und Trauerkultur in Kirche und Gesellschaft. Gütersloh 2014, 190–208, 201. 20 Bestattung. (Agende für die Union Evangelischer Kirchen in der EKD 5). Im Auftrag des Präsidiums hg. von der Kirchenkanzlei der UEK. Bielefeld 2004, 30 [= EKU].

Das Gebet der Lebenden für die Toten 

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Grundsätzlich aber könnte sich in dieser Perspektive der Schluss nahelegen: Insofern man vom Gebet als Ausdruck und Darstellung ausgeht, ist die Fürbitte als Gebet überhaupt nur als Gebet der Angehörigen oder für die Angehörigen echtes Gebet. Sollen sie als Subjekte dieser Praxis gelten können, dann dürfen sie nichts mitbeten, was sie eventuell nicht wirklich betrifft. Man kann die Sache aber auch von der anderen Seite ansehen und feststellen, „daß hier die Kirche mit den Angehörigen betet“21. Ist es sinnvoll, nochmals mit Harnack für das gemeinsame gottesdienstliche Gebet im Allgemeinen zu fordern, es müssten dies „Alle zu dem ihrigen machen können“22, so würde man zufolge des angesprochenen Perspektivwechsels darauf drängen, es müsse sich die Kirche die Anliegen der betroffenen Menschen aneignen. Wie weit das der Fall ist, kann weder pauschal noch objektiv beurteilt werden. Der folgende Durchgang wird das Spannungsfeld von – abstrakt gesagt – eigen und fremd aus verschiedenen Perspektiven beleuchten.

2. Der Gehalt der Fürbitte Betrachtet man die Fürbitte für die Verstorbenen als Gebet und versteht man Beten als Ausdrucks- und Darstellungsverhalten, dann ist es eine entscheidende Frage, wie man den Gehalt dieser Praxis interpretiert: Was gelangt zur Sprache, wenn man Gott für Verstorbene bittet? Mit Blick auf die Angehörigen scheint es plausibel, dass ein solches Gebet etwas von ihrer Beziehung zu der Person wiedergibt, für die gebeten wird: Wie man zu Lebzeiten das Gefühl artikuliert, dass ein anderer Mensch wichtig und nahe ist, indem man ihm alles Gute (oder auch Gottes Segen) wünscht und möglicherweise bereits in dieser Zeit einmal für ihn gebeten hat – etwa in Krisen oder bei schwerer Krankheit –, so ist die Fürbitte als Bitte darum, dass Verstorbene beispielsweise von Gott angenommen werden, Ausdruck für die Gefühle, die man ihnen gegenüber hat. Wäre in dieser Perspektive nicht ein allgemeinerer Horizont der Fürbitte für die Verstorbenen zu beachten? Wie verhält sich diese Fürbitte dazu, dass Menschen, die für ihre Angehörigen beten, viel auf dem Herzen haben, das artikuliert werden könnte? Ist mit Gefühlen zu rechnen, die nicht zu dem passen, was eine liturgische Fürbitte zur Sprache bringt, die aber sinnvollerweise zur Sprache kämen? Oder kann die Fürbitte für die Verstorbenen gerade den Rahmen abgeben, in den die jeweiligen Ausdrucksbedürfnisse Eingang finden? Geläufig ist der Gedanke, dass die liturgische Sprache Ausdrucksformen bereitstellt, die es vermittels einer empathischen Qualität erlauben, dass sie als

21 Jordahn, Bruno: Das kirchliche Begräbnis (wie Anm. 14), 35, Hervorhebung i.O. 22 Harnack, Theodosius: Einleitung und Grundlegung der Praktischen Theologie (wie Anm. 8), 469.

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solche angeeignet und gleichsam mit dem eigenen Erleben aufgefüllt werden.23 Subjektive Anliegen und Gestimmtheiten finden in Symbole, Vorstellungen und sprachliche Bilder der christlichen Tradition hinein.24 Zu denken ist hier auch an ein Moment des Ausprobierens und gleichsam Anprobierens: Wer nicht so recht weiß, was er und wie er artikulieren kann oder soll, kann sich durchaus in etwas hineinbeten, auf das er selbst nicht gekommen wäre und sich eine zunächst fremde Ausdrucksoption aneignen.25 Auf einer allgemeineren Ebene kann man in diesem Sinne erklären, es sei „die große Stärke kirchlicher Rituale, dass sie mit Sinnpotenzialen und Erfahrungen verbunden sind, die über aktuelle Bewusstseinsinhalte von einzelnen weit hinausgehen“26. Gleichwohl darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Fürbitte für die Verstorbenen prinzipiell vor einer Herausforderung steht, die dem kirchlichen Handeln und der theologischen Diskussion vor allem aus der Homiletik vertraut ist und die dort etwa lautet: Wie finden Lebensgeschichte und biblische Botschaft, wie finden Selbstauslegung und Textauslegung zueinander?27 Beim Blick auf die konkrete Praxis von Fürbitten ist jedoch auffällig, dass sie nicht unbedingt einen eigenständigen und womöglich sperrigen ‚Text‘ gegenüber dem ‚Leben‘ zu haben scheinen. Manche Gebete machen demgegenüber beinahe den Eindruck des Idealfalls sogenannter „Horizontverschmelzung“28. Was als ‚Text‘ möglicherweise nicht oder nur schwer einer subjektiven Aneignung fähig wäre (hier denkt man meist an Vorstellungen von Auferweckung, Gericht, Sündenvergebung und an den Bezug auf Jesus Christus), muss nicht eigens artikuliert werden – es scheint die Devise zu gelten: „Theologisch richtige Aussagen sind […] nicht unbedingt seelsorgerlich angemessen.“29 Und was artikuliert wird, kann so gestaltet sein, dass es die christliche Tradition doch zu einer gewissen Geltung bringt. 23 Vgl. zur Kategorie des Empathischen Meyer-Blanck, Michael / Weyel, Birgit: Arbeitsbuch Praktische Theologie. Ein Begleitbuch zu Studium und Examen in 25 Einheiten. Gütersloh 1999, 135. 24 Vgl. mit Bezug auf die Predigt Roth, Ursula: Tod und Leben verstehen. Zum Verhältnis von Grabrede und gesellschaftlichem Diskurs über Sterben und Tod. In: PrTh 37 (2002), 200–206, 205 f. 25 Das betrifft auch andere Gebete der Bestattung. Vgl. ELKW, 34: „Wenn unsere Sprache an ihre Grenzen kommt, können insbesondere Psalmen mit ihrem vertrauten und zugleich fremden Wortlaut der Erfahrung der Todesverfallenheit und dem Ruf nach Hilfe und Rettung Ausdruck verleihen.“ 26 Nüchtern, Michael: Kirchliche Bestattungskultur im Umbruch. Herausforderungen und Perspektiven. In: PrTh 37 (2002), 167–175, 173. Zum Dank- und Fürbittengebet notiert Agende IV. Die Bestattung. Hg. vom Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck [= EKKW]. Kassel 2006, 30: „Dieses Gebet wird Dank und Bitten im Hinblick auf den Verstorbenen und die Angehörigen enthalten, aber auch über die aktuelle Situation hinausgehen.“ 27 Vgl. zum Seitenblick der Liturgik zur Homiletik mit Rekurs auf Ernst Langes Gedanken an ein Versprechen von Tradition und Situation Ratzmann, Wolfgang: Neue evangelische Agenden zur Bestattung von Christen und Nichtchristen (wie Anm. 2), 169. 28 Zur poimenischen Rezeption dieses Begriffs vgl. Plieth, Martina: Seelsorge im Kontext von Sterben. Tod und Trauer. In: Engemann, Wilfried (Hg.): Handbuch der Seelsorge. Grundlagen und Profile. Leipzig 32016, 552–570, 558. 29 EKU-Entwurf Bestattungsagende (Berlin 2000), 8. Zitiert nach Ratzmann, Wolfgang: Neue evangelische Agenden zur Bestattung von Christen und Nichtchristen (wie Anm. 2), 168.

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Gott, du Fülle des Seins, du setzt unserem Leben Anfang und Ende. In deinen Händen steht unsere Zeit. Uns fällt es schwer, Abschied zu nehmen von einem Menschen, der uns lieb war. Wir möchten darauf vertrauen, dass N. N. bei dir geborgen ist. Uns fehlt sie / er. Aber deine Liebe ist stärker als der Tod. In ihr wird auch N. N. leben. Wir danken dir für alles, was du uns durch sie / ihn gegeben hast, für alle Liebe und Zuneigung, für jedes gute Wort und alles teilnehmende Zuhören. Wir bitten dich für alle, die um sie / ihn trauern. Tröste du sie. […] Lehre uns unsere Lebenszeit nutzen, dir zur Ehre und unseren Mitmenschen zur Freude. Gib, dass wir dabei das Ziel nicht aus den Augen verlieren, auf das wir alle zugehen: die umfassende Gemeinschaft mit dir.30

An diesem Beispiel fällt zwar auch auf, dass überhaupt nicht für eine verstorbene Person gebeten wird, sondern dass zunächst noch zurückhaltend („Wir möchten darauf vertrauen, dass N. N. bei dir geborgen ist.“), dann mit Bestimmtheit einfach erklärt wird, was Gegenstand einer Bitte sein könnte: In Gottes Liebe „wird auch N. N. leben.“ Doch kommt es mir jetzt auf etwas anderes an, nämlich auf die verstorbene Person als Thema dieses Gebets. An Fürbittgebeten kann man beobachten, dass Gott zwar auf der einen Seite prinzipiell Adressat des Gebets ist, auf der anderen Seite aber nicht direkt zu ihm gebetet werden muss, sondern das Gebet als Medium fungiert, um vor Gott auszusprechen, was es im Rückblick auf die Beziehung zu den Verstorbenen und zu entsprechenden Gefühlen zu sagen gibt. Die Worte ‚Was ich dir noch sagen wollte‘ führen im Internet zu einer Fülle von Hinweisen auf das aus Trauergesprächen bekannte Phänomen, dass Angehörige aus welchen Gründen auch immer – nicht nur bei plötzlichen Todesfällen – noch etwas auf dem Herzen haben, und zwar gegenüber der verstorbenen Person. Integriert man dieses Artikulationsbedürfnis in die Fürbitte, dann sagt man zwar nicht mehr zu den Verstorbenen: ‚Liebe N. N., ich bin dir so dankbar für dies‘, oder: ‚Ich erinnere mich so gerne an das, was wir gemeinsam erlebt haben‘ – solche direkte und konkrete Anrede (‚persönliches Gedenken‘) kann an anderer Stelle ihren Ort haben.31 In knapper und summarischer Allgemeinheit jedoch, die gleichsam Platz bereithält für individuelle Eintragungen im Modus begleitender Nachdenklichkeit und Besinnung, findet die Beziehung zu den Verstorbenen Eingang in das Fürbittgebet. Gott, wir tragen N. N. zu Grabe. Sie / Er war Teil auch unseres Lebens. Wir denken zurück. Vieles haben wir mit N. N. geteilt: Schönes und Schweres, Gelungenes und Bruchstückhaftes.32 Allmächtiger und barmherziger Gott, […]. Wir bedenken, was N. N. für unser Leben bedeutet hat: Wofür wir zu danken und was wir für unser Leben zu bewahren haben, aber auch, was wir versäumt und schuldig geblieben sind und was wir zu vergeben haben.33



30 EKU, 279 f. 31 Vgl. EKU 74.107, nicht ohne Grund jeweils vor den Fürbitten. 32 EKU, 284. 33 Ebd., 282.

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Gott, wir bringen dir all die Bilder, die wir vor Augen haben, wenn wir an NN denken, unsere Erinnerungen an ihn / sie, an all das Schöne, das wir mit ihm / ihr genießen durften und auch an das Schwere, das wir miteinander geteilt haben.34

Die Eindrücke vom Gehalt der Fürbitte für die Verstorbenen blieben freilich unvollständig, wenn nicht auch danach gefragt würde, was man dort artikuliert, wo man gleichsam doch noch explizit für die Verstorbenen betet. Im Vergleich zu all dem, was man für die noch Lebenden erbittet, fällt an diesem Punkt (zumal in historischer Perspektive) eine gewisse Einsilbigkeit auf. Zwar werden weiterhin ältere Formen bereitgehalten35, es stehen aber vor allem knappere und vermutlich zugänglichere Optionen bereit: „Gibt ihr / ihm die ewige Ruhe, die Ruhe in dir“36, „Nimm sie / ihn auf in die himmlische Heimat“37, „Nimm NN in Gnaden an“38 – mehr nicht. Auf den ersten Blick könnte dieser Befund eine Deutung entlang der folgenden Alternative nahelegen. Entweder ist die Frage, was Gott denn eigentlich genau an den Verstorbenen tun soll, nicht so wichtig, denn darüber lässt sich, so wäre die zugrundeliegende Haltung vielleicht zu reformulieren, doch ohnehin nichts Bestimmtes sagen. Freilich kann man „die biblischen Bilder der Hoffnung“ bemühen, „um sich dem eigentlich Unaussagbaren zu nähern“39, man kann es aber auch lassen, womöglich auch im Bewusstsein, dem Charakter dieses Unaussagbaren (eventuell auch in seelsorglicher Perspektive) am besten zu entsprechen, wenn man es als solches aushalte. Oder die Aussagen, die man im Horizont christlicher Traditionen hier durchaus machen kann – insbesondere zu Auferweckung, Gericht, Glaube (der Verstorbenen), Sündenvergebung, Gnade sowie zu einem Bezug auf Jesus Christus – sind angesichts der Aufgabe einer Vermittlung mit den jeweiligen Lebenswelten und Gefühlslagen abwegig. Man kann die Zurückhaltung hinsichtlich des Gehalts der Fürbitte für die Verstorbenen aber auch noch anders interpretieren und vermuten, dass eine seelsorglich-funktionale Perspektive entscheidend ist, der zufolge es so viel und so explizit nicht zu sein braucht: Wichtig ist letztlich allein die Bitte darum, dass die Verstorbenen aufgehoben sind und nicht einfach weg, dass mit Gott sozusagen ‚jemand‘ bei und mit ihnen ist, wenn man es selbst nicht mehr sein kann.40 Ob man hier von Liebe, Ruhe oder Gnade spricht, ist im Einzelnen dann nicht 34 Herrmann, Eckhard / Burkhardt, Ulrich (Hg.): Kasualgebete. Taufe, Konfirmation, Trauung, Beerdigung, besondere Anlässe. München 2014, 138. 35 ELKW, 134: „Lass sie ruhen in deinem Frieden. bis [sic!] du sie auferweckst an deinem Tag. Sei ihr gnädig im Gericht um Jesu Christi willen, und lass sie bei dir bleiben in Ewigkeit.“ 36 EKU, 288. Hier und im Folgenden ist aus dem Gesamtkomplex des Gebets jeweils die gesamte Fürbitte für den Verstorbenen zitiert. 37 A. a. O., 288. Ähnlich ELKW, 127. 38 EKU, 283. Ähnlich ELKW, 128. 39 EKU, 31. 40 Ebd.: „Die besondere Situation gebietet aber auch, in den Gebeten […] so zu sprechen, dass die Trauernden mit ihren schmerzlichen Gefühlen Wärme verspüren und dass sich auch ‚kirchlich Ungeübte‘ einbezogen fühlen.“

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entscheidend. Solche Vorstellungen dürften vielmehr vor allem für den Wunsch stehen, dass es den Verstorbenen gewissermaßen gut geht. In einem neueren Fürbittgebet, das fast zweihundert Worte umfasst, lautet die Fürbitte für den Verstorbenen: „Wir bitten dich für NN: schenke ihm / ihr deinen Frieden!“41

3. Die Ausrichtung der Fürbitte Es gilt als protestantische Sichtweise, dass „ausschließlich die Hinterbliebenen die Adressaten des Bestattungsgottesdienstes sein“ können, „keinesfalls der Verstorbene.“42 Gleichzeitig wird betont, dass diese Kasualie ihre „Leistungen für die Hinterbliebenen“ jedoch „zu einem guten Teil“ dadurch erfülle, „daß sie sich dem Leben und dem Tod des Verstorbenen widmet […]. Die Zuwendung zu ihm ist das Mittel der Zuwendung zu den Hinterbliebenen.“43 Dieser allgemeine Gedanke wird besonders plausibel, wenn man sich Gebete ansieht, die in Agenden als Fürbittgebete enthalten sind. Wie bereits deutlich wurde, ist zunächst allerdings keineswegs klar, was man eigentlich in einem präzisen Sinne sinnvoll als Fürbitten für die Verstorbenen bezeichnet. Zum einen wird dieser Teil der Bestattung auch als Dank- und Fürbittgebet bezeichnet, weil nicht nur gebeten wird, sondern auch gedankt –  zuweilen wird sogar überhaupt nur gedankt, auch wenn das genre als Fürbittengebete bezeichnet wird.44 Zum anderen richtet sich die Fürbitte nicht lediglich auf die Verstorbenen, sondern auch, meist sogar vor allem und ge 41 Herrmann, Eckhard / Burkhardt, Ulrich (Hg.): Kasualgebete (wie Anm. 34), 139. Dann ist auch hier der Fall vermieden, dass man genau weiß, was Gott tun sollte, es aber nicht umsetzen kann. Vgl. Gidion, Anne / Hirsch-Hüffell, Thomas: Wenn wir stockender sprächen … (wie Anm. 18), 57. 42 Albrecht, Christian: Kasualtheorie. Geschichte, Bedeutung und Gestaltung kirchlicher Amtshandlungen. Tübingen 2006, 214. Vgl. seinerzeit Uhlhorn, Friedrich: Die Kasualrede. Ihr Wesen, ihre Geschichte und ihre Behandlung nach den Grundsätzen der lutherischen Kirche. Nebst einer Sammlung von Texten zu Kasualreden nach dem hannoverschen Lectionar. Hannover 1896, 151: Hält man an dem „für Evangelische doch unanfechtbaren Satze“ fest, „daß die Kirche es nur mit den Seelen der Lebenden zu thun hat“, dann ist „auch das geringste, geistliche Handeln an dem Todten rundweg abzulehnen.“ Speziell zur Anrede Mezger, Manfred: Bestattung. In: Otto, Gert (Hg.): Praktisch Theologisches Handbuch. Hamburg 1970, 81–92, 91: „Alle Rede und Anrede richtet sich an die Lebenden; der Tote wird keinesfalls mehr persönlich angeredet.“ In der jüngeren Vergangenheit: Zeichen der Hoffnung angesichts des Todes. Theologische Erwägungen zum Umgang mit den Toten und zur Gestaltung der kirchlichen Bestattung. Ein Votum der Theologischen Kammer der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Kassel 22000, 73: „Wir befehlen unsere Verstorbenen der Gnade Gottes an. Mehr können wir nicht tun. Die Bestattungsfeier kann dem Urteil und der Gnade Gottes nicht vorgreifen.“ Bei einer Verwendung des Segensworts aus Ps 121,8 „Der HERR behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit!“ sei „in der liturgischen Praxis darauf zu sehen, daß das Psalmzitat nicht als direkte Anrede des oder der Verstorbenen mißdeutet wird.“ 43 Albrecht, Christian: Kasualtheorie (wie Anm. 42), 213. 44 Vgl. EKU, 281; ebd., 282.

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legentlich allein auf die Lebenden und Betenden selbst.45 Präzise ist es deshalb, von der Fürbitte für die Verstorbenen im engeren Sinne als Teil einer Für- und Dankbitte für die Verstorbenen und die Lebenden als Hybrid oder Gesamtkomplex zu sprechen. In solchen Gebeten kann die Selbstzuwendung so sehr im Vordergrund stehen, dass die Zuwendung zu den Verstorbenen wie ein Umweg oder eine Hinführung zum Entscheidenden wirkt, bei dem man nicht schnell genug ankommen kann. „Sieh N. N. gnädig an, und dann sieh auch auf uns. Begegne unserer Erschöpfung […], öffne uns den Weg, Schenke uns Menschen, schenke uns auch Freundinnen und Freunde […], lass uns nicht aus den Augen“46. Möglich ist es auch, die Zuwendung zu den Verstorbenen und zu den Lebenden so zu verbinden – und damit beides zu entdifferenzieren –, dass ohne zeitliche Zäsur dasjenige, was jetzt sinnvollerweise für die Verstorbenen erbeten wird, für die noch Lebenden gleich miterbeten wird: „Nimm N. N. und uns alle auf in das Reich deines ewigen Friedens“47. „[…] deiner Barmherzigkeit befehlen wir NN an, der / die so plötzlich zu Tode gekommen ist. Sei ihm / ihr und uns gnädig!“48 Schließlich begegnet auch der Fall, dass die Verstorbenen scheinbar in eine Bitte integriert werden, die sinnvollerweise ausschließlich den Lebenden als Lebenden gilt: „Wir bitten dich für sie / ihn und für uns alle: Höre, wenn wir dir Einsamkeit und Alter klagen“49. In solchen Beispielen kommt der mit dem Darstellungsbegriff beschriebene Effekt der Fürbitte für die Betenden selbst zur Geltung. Dies gilt besonders dann, wenn es nicht nur sowohl um die Verstorbenen, als auch um die Lebenden geht, sondern wenn man sagen kann: Gerade indem es um die Verstorbenen geht, geht es um die Lebenden, die stets auch für sich selbst ein Interesse daran haben können, dass den Toten das widerfährt, um das sie bitten. „Nimm sie / ihn auf in deinen Frieden. Schenke uns die Gewissheit, dass sie / er bei dir lebt.“50 „Stärke in uns das Vertrauen darauf, dass N. N. jetzt geborgen ist bei dir.“51 Vor diesem Hintergrund eines gewissen Übergewichts der Selbstzuwendung in der Fürbitte stellt sich umso mehr die Frage danach, inwiefern die Fürbitte sich als gewissermaßen ‚echte‘ Fürbitte den Verstorbenen zuwendet. Oder nennt man, so kann man erwägen, aufgrund der Beziehung der Betenden zu den Ver 45 Vgl. ebd., 293: „du hast […] N. N. nach einem langen Leben von uns genommen […] und sie / ihn nun friedlich einschlafen lassen. Dafür danken wir dir. Wir bitten dich: Richte unsere Gedanken von dem Vergänglichen auf die Ewigkeit, von unserer Trauer auf Jesus Christus, den Auferstandenen.“ 46 Ebd., 295. 47 Ebd., 273. Davon zu unterscheiden ist die traditionelle Form, die allgemeine Endlichkeit aller Betenden und so auch sie als künftig Verstorbene zum Bestandteil der Fürbitte zu machen. 48 Herrmann, Eckhard / Burkhardt, Ulrich (Hg.): Kasualgebete (wie Anm. 34), 141. 49 EKU, 293. 50 Ebd., 294. Vgl. Agende für die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern. Ansbach 1879, 108: „Bei dem Heimgang der Unsern, die in dem HErrn sterben, gib uns zu erkennen, daß sie selig sind von nun an, daß sie zu Dir kommen, wo nicht Leid ist“. 51 EKU, 297.

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storbenen ein Gebet Fürbitte (im Sinne von Für-Andere-Bitte), das mehr oder weniger ersichtlich gleichsam ‚nur‘ eine Für-einen-selbst-Bitte ist?52 In anderer Zuspitzung: Ist Gott ein „Gott der Lebenden oder auch ein Gott der Toten?“53 Weiterführend ist hier der Seitenblick auf den Fall einer gewöhnlichen gottesdienstlichen Fürbitte, wo Phänomene angesprochen werden, die im normalen menschlichen Erfahrungs- oder zumindest Vorstellungsbereich liegen (Krankheit, Armut, Hunger, Krieg, Verfolgung usw.). Denn während hier der Gegenstandsbereich der Bitte grundsätzlich (auch) in die Zuständigkeit menschenmöglicher Praxis fällt (Leidenden beistehen, ökologisch Verantwortung übernehmen, Migrationsfolgen bewältigen usw.) und während dort (deshalb?) die Ansicht plausibel scheinen kann, das Bitten sei weniger echte Für-AndereBitte, sondern ziele letztlich „auf die subjektive Veränderung der Betenden“54, ist es bei der Fürbitte für die Verstorbenen gerade umgekehrt. Weil schlechterdings nichts mehr möglich ist, kommt alles auf Gott an, mit Bezug auf Verstorbene ist überhaupt nur das Fürbitten sinnvoll. Dies aber nicht so sehr im Sinne der traditionellen Perspektive um ihr Seelenheil – weil sie nichts mehr für sich tun können55 –, sondern weil einem selbst, im Wortsinn, nichts anderes mehr übrigbleibt.56 In dieser Perspektive rückt die Fürbitte für die Verstorbenen in eine Nähe zum Segen.57 Wie man beim Segen weder nur bittet, dass Gott etwas macht, 52 Vgl. Mühling, Markus: Grundinformation Eschatologie. Systematische Theologie aus der Perspektive der Hoffnung. Göttingen 2007, 196. Dagegen Voigt, Gottfried: Allgemeines Kirchengebet. In: Schmidt-Lauber, Hans-Christoph / Seitz, Manfred (Hg.): Der Gottesdienst. Grundlagen und Predigthilfen zu den liturgischen Stücken. Stuttgart 1992, 156–165, 160: „Wäre Beten nur Selbstbeeinflussung, dann wäre Fürbitte sinnlos.“ 53 So im historischen Agendenvergleich jenseits des speziellen Themas der Fürbitte Binder, Christian: Dass er über Lebende und Tote Herr sei. Gottes Handeln an den Lebenden und an den Toten in den liturgischen Texten der Bestattungsagenden. In: Klie, Thomas u. a. (Hg.): Praktische Theologie der Bestattung (wie Anm. 2), 87–103, 100. Vgl. a. a. O., 98.102 f. Vgl. ähnlich Hermelink, Jan: Was ist eine Bestattung? Veränderungen im Verständnis kirchlicher Bestattungspraxis. In: Fix, Karl-Heinz / Roth, Ursula (Hg.): Lebensvergewisserungen (wie Anm. 19), 3–26, 17 f. 54 Reese, Günter: Das gottesdienstliche Gebet. In: WPKG 61 (1972), 489–503, 501, vgl. 496. 55 Vgl. dagegen den traditionellen Gedanken an eine Stellvertretungsfunktion der Für-Bitte als einer in persona defuncti gesprochenen An-Stelle-Bitte etwa bei Dirschauer, Klaus: Der totgeschwiegene Tod. Theologische Aspekte der kirchlichen Bestattung. Bremen 1973, 164; Bobert, Sabine: Die neuen Entwicklungen der Bestattungskultur aus theologischer Sicht. In: Grünwaldt, Klaus / Hahn, Udo (Hg.): Vom christlichen Umgang mit dem Tod. Beiträge zur Trauerbegleitung und Bestattungskultur. Hannover 22005, 55–86, 62; Bieritz, Karl-Heinrich: Bestattungsrituale im Wandel. Tendenzen in neueren Bestattungsagenden. In: Klie, Thomas (Hg.): Performanzen des Todes. Neue Bestattungskultur und kirchliche Wahrnehmung. Stuttgart 2008, 121–157, 153 f. 56 Dies wäre auch bei sogenannten Solitarbestattungen wichtig. Vgl. dagegen den Vorschlag eines Zeremoniells ohne Fürbitte (und Segen) bei Becker, Dieter: Solitarbestattung. Evangelische Bestattungen ohne Angehörige als theologische Herausforderung. In: PTh 102 (2013), 355–370, 368 f. 57 Vgl. gegen das Segnen der Toten Klaus, Bernhard / Winkler, Klaus: Begräbnis-Homiletik. Trauerhilfe, Glaubenshilfe und Lebenshilfe für Hinterbliebene als Dienst der Kirche. München 1975, 27; für ein aktuelles Beispiel Binder, Christian: Dass er über Lebende und Tote Herr sei (wie Anm. 53), 87.

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noch selbständig vollzieht, was zu vollziehen nur Gott zusteht (weshalb man in seinem Namen segnet), so ist bei der Fürbitte der religiös unstrittige Vorbehalt, Gott könnte auch anders handeln, beinahe nicht vorhanden und zugleich überlässt man sich Gott. Wir müssen zwar bitten, doch bittend können wir gewissermaßen nicht anders, als darauf vertrauen, dass diese Bitte gewährt wird.58 Werden die Toten in der Bestattung explizit auch gesegnet, ergänzen sich Fürbitte und Segen im Sinne eines zeitlichen Verlaufs: Die als Leiche (oder Asche59) noch anwesenden Verstorbenen werden jetzt – „zum letzten Mal“60 – in noch direktem zwischenmenschlichem Kontakt gesegnet, für ihren Kontakt mit Gott ab jetzt und in Zukunft wird gebetet, in beiden Fällen geht es aber inhaltlich um das gleiche.61 Was in der Fürbitte an Gott von Gott erbeten wird, wird im Segnen im Namen Gottes dem Verstorbenen zugesprochen und zugleich gewünscht: „Es segne dich Gott, der Vater, […]. Der Dreieinige Gott […] sei dir gnädig im Gericht und schenke dir das ewige Leben.“62 Es mag seltsam klingen, aber in dieser Perspektive ähnelt die Fürbitte dem Reden über Nichtanwesende mit Dritten. Beim Gebet für jemanden wendet man sich nicht diesem Menschen zu, sondern Gott, und indem man zu Gott über Verstorbene spricht, ist die Abwesenheit der Verstorbenen bestätigt. Anders gesagt: Indem die Verstorbenen zum Gegenstand einer Fürbitte werden, sind sie nicht nur durch das, was gesagt wird, sondern durch dieses Sagen als solches Gott übergeben. So wird in dem Gebet: „Wir bitten Dich für unsere entschlafene Schwester / unseren entschlafenen Bruder: Lass sie / ihn ruhen in Frieden, 58 EKKW, 200: „wir verlassen uns auf dein Wort, dass du den Verstorbenen / die Verstorbene in Frieden annimmst.“; a. a. O., 201: „wir glauben N. N. aufgehoben in deinem Frieden.“ 59 Hier wird zuweilen differenziert. Vgl. EKU, 158: „Bei einer Urnenbestattung entfällt der Abschiedssegen.“ EKKW, 13, kennt als „Symbol seiner [sc. des Toten, JG] Gegenwart“ nur den Leichnam oder den Sarg. 60 „… so sterben wir dem Herrn“ – Eine Handreichung zur Bestattung für Pfarrämter und Kirchenvorstände, hg. vom Landeskirchenamt der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. Hannover 2008, 12. 61 Jordahn, Bruno: Das kirchliche Begräbnis (wie Anm. 14), 35: „Wir legen unsern Toten betend ganz in Gottes Hand, wir tun, und damit geschieht hier etwas in Analogie zum Segen, das, was wir auch in der Kirche im Leben getan haben.“ Für Winter, Friedrich: Seelsorge an Sterbenden und Trauernden. Göttingen 1976, 100, ist der Segen am Grab zu verstehen als „Form des Zuspruchs des Wortes Gottes, auf dem die Verheißung der Erfüllung liegt, aber auch als eine Gestalt der Fürbitte, auf der die Verheißung der Erhörung ruht.“ Für Fechtner, Kristian: Der Lebensraum der Toten als praktisch-theologische Herausforderung gegenwärtiger Bestattungskultur. In: Klie, Thomas u. a. (Hg.): Praktische Theologie der Bestattung (wie Anm. 2), 47–60, 51, ist die Segnung „theologisch zutreffend und angemessen“. 62 Die Amtshandlungen. Teil 5. Die Bestattung (Agende für Evangelisch-Lutherische Kirchen und Gemeinden 3). Hg. von der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Neubearbeitete Ausgabe 1996. Hannover 1996, 35 [= VELKD], vgl. 222 f. Zum Valetsegen als Ausdruck eines Wunsches vgl. Kunz, Ralph: Ritus und Rede(n) am Grab. In: Klie, Thomas u. a. (Hg.): Praktische Theologie der Bestattung (wie Anm. 2), 141–167, 143, zur Deutung als Fürbitte ebd., 162, und Bobert, Sabine: Die neuen Entwicklungen der Bestattungskultur aus theologischer Sicht (wie Anm. 55), 64 f. Differenzierend Meyer-Blanck, Michael: Liturgische Rollen. In: Schmidt-Lauber, Hans-Christoph u. a. (Hg.): Handbuch der Liturgik. Liturgiewissenschaft in Theologie und Praxis der Kirche. Göttingen 32003, 778–786, 785.

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wecke sie / ihn auf“63, die verstorbene Person nicht mehr vonseiten der betenden Person erreicht, sondern begegnet als Objekt göttlichen Handelns. Wird gebetet: „Wir befehlen sie / ihn um Jesu willen in deine Hände und bitten dich“, dann wird eigens gesagt, was man ohnehin tut. Schließlich ist es auch möglich, dass man im Gebet den Zusammenhang zur Sprache bringt, der zwischen der Distanz und der Unmöglichkeit direkten Kontakts auf der einen Seite und der Hinwendung zu Gott auf der anderen Seite besteht, für den diese Distanz gerade nicht gilt und auf dessen Beziehung zur verstorbenen Person jetzt allein das Gewicht liegt. „Jetzt stehen wir hier an ihrem / seinem Sarg. Sie / Er ist uns fern gerückt, wir können sie / ihn nicht mehr erreichen. Aber du, Herr, bist ihr /  ihm nahe.“64 Die Fürbitte, so kann man diese Gedanken zuspitzen, „stellt Gott zwischen die Verstorbenen und die Beter, ohne daß daraus menschlicher Totenkult oder verdienstliche Aktion entstehen müssen.“65 Der Tote wird Gottes […] Willen übereignet und damit zugleich allen eigenmächtigen menschlichen Gedanken und Manipulationen entnommen. Die Fürbitte für die Toten will also nicht Gott gegen seinen Willen beeinflussen, sondern dazu verhelfen, daß sein Wesen und Wirken menschliche Selbstherrlichkeit […] gegenüber dem Toten zerstört. […] Wird sie nicht geübt, besteht die Gefahr, daß Menschen anfangen, Gott gegenüber eigene Wege mit ihren Toten zu gehen. […] es vollzieht sich über der fürbittenden Wendung zu Gott auch Gottes Seelsorge am Betenden, weil dieser begreifen lernt, wie Gott sich als gnädiger Herr – auch der Toten – bestätigt.66

In dieser Perspektive bedeutet die Fürbitte für die Verstorbenen also nicht den Versuch einer Verlängerung des eigenen Willens im Einwirken auf Gott, sondern im Gegenzug einen Vollzug der Selbstbegrenzung. Diese lässt sich auch als eine Form der Selbstzuwendung begreifen. Indem ich sage, was nicht ich, sondern nur Gott kann, bin ich auch auf mich selbst bezogen in meiner Endlichkeit und Ohnmacht. Die Fremdzuwendung im Modus der Für-Bitte kommt nicht aus ohne ein Moment der Anerkenntnis einer grundsätzlichen Entzogenheit. Wenn es schwerfällt, in Form einer expliziten Fürbitte für die Verstorbenen zu beten,

63 So in einer online zugänglichen Handreichung, https://bestattung.bayern-evangelisch.de/ downloads/ELKB-Gebete-2014.pdf, 2, Aufruf am 14. Juni 2018. Ebd. auch das nächste Zitat. 64 EKU, 285. Ähnlich ELKW, 128: „Sei du […] jetzt nahe, wie wir es nicht mehr sein können.“; EKKW, 202: „begleite du ihn / sie jetzt dorthin, wo Menschen keinen Zugriff mehr haben“. Vgl. Schäfer, Rolf: Pastoraltheologische Aspekte der Beerdigung. In: PTh 83 (1994), 199–209, 207: „Der Verstorbene oder die Verstorbene ist nur auf dem Umweg über Gott in Gedanken erreichbar. Deshalb ist heute das Gebet für die Toten im Beerdigungsgottesdienst unerläßlich, nicht weil wir an ihrem jenseitigen Schicksal etwas verbessern könnten, sondern weil es sinnlos wäre, von ihnen als unmittelbar Gegenwärtigen zu sprechen.“ Hervorhebung i.O. getilgt 65 Winter, Friedrich: Seelsorge an Sterbenden und Trauernden (wie Anm. 61), 99. Vgl. Harbsmeier, Götz: Was wir an den Gräbern sagen. In: Glaube und Geschichte. Festschrift für Friedrich Gogarten zum 13. Januar 1947. In Gemeinschaft mit Freunden und Schülern hg. von Runte, Heinrich. Gießen 1948, 83–109, 108. 66 Winter, Friedrich: Seelsorge an Sterbenden und Trauernden (wie Anm. 61), 99.

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dann könnte das auch damit zusammenhängen, dass sie zu einem bestimmten Grad mit einer Selbstabwendung einhergeht.

4. Für die Verstorbenen beten? Für die Verstorbenen beten! Die Diskussion der Fürbitte für die Verstorbenen als Gebet will zum Verständnis dieser Praxis und damit zur Orientierung des Umgangs mit ihr beitragen. Zu dieser Orientierung kann es jedoch auch dienlich sein, wenn abschließend so etwas wie Herausforderungen und Chancen in den Blick kommen. Aus Sicht der Praxis bleibt es ja nicht beim Verstehen dessen, was ohnehin geschieht, sondern es geht stets auch um Kritik und Konstruktion aufgrund eines Verständnisses. Deshalb will ich das Thema ‚Für die Verstorbenen beten‘ nun doch auch meinerseits – allerdings in folgender Richtung67 – mit einem Frage- und einem Ausrufezeichen versehen. Erstens: Es genügt, bei der Betrachtung der Bestattung einen kleinen Schwenk zu machen, um mit dem Thema – analog formuliert – ‚Für die Verstorbenen singen!?‘ auf ein Problem zu stoßen, das auch für das Beten von Bedeutung ist: Das Problem der Partizipation an kasualliturgischer Praxis. Wenn – zugespitzt – niemand mehr mitsingt, bekommt man das deutlich zu spüren. Wie aber ist es beim Beten? Ein Fragezeichen platziere ich hinter das Thema ‚Für die Verstorbenen beten‘ als Zeichen dafür, dass der allgemeine Kontext solcher Praxis gegenwärtig erheblich weniger von selbstverständlicher Beteiligung, von verhaltenssicherer Übernahme zugedachter Rollen und vom Bewusstsein um eine grundsätzliche Kollektivität liturgischen Handelns geprägt ist – auch hier gilt der Intention nach das ‚wir mit ihm‘ aus Luthers sogenannter Torgauer Formel –, als von Formen eines Konsumverhaltens, einer Publikumskultur oder vom Interesse an der soliden Erfüllung eigener Erwartungen an und vor allem durch den professionell (im Wortsinn) amtierenden Glaubenspraktiker.68 Vor diesem Hintergrund könnte sich auch hier der aktuell wohl für viele Phänomene kirchlicher Praxis plausible Schluss nahelegen: Letztlich ist es doch egal, was und wie der Pfarrer betet, Hauptsache, er macht es und Hauptsache, er macht es.69 Denkt man konkret an einen Fall, in dem Angehörige Abschied von einem geliebten Menschen nehmen, könnte man freilich meinen, es ließe sich die Für 67 Vgl. Anm. 1. 68 Vgl. Fendler, Folkert / Gattwinkel, Hilmar: Kundenhabitus trifft Kirchenlogik. Gottesdienst zwischen Wunsch und Wirklichkeit. In: Klie, Thomas u. a. (Hg.): On Demand. Kasualkultur der Gegenwart. Im Auftrag des Zentrums für Qualitätsentwicklung im Gottesdienst. Leipzig 2017, 25–35. 69 Vgl. Bieritz, Karl-Heinrich: Bestattungsrituale im Wandel (wie Anm. 55), 133 mit Anm. 40; zum Gedanken an eine „symbolische Funktion der Rolle“ der Pfarrerinnen Schneider-Harpprecht, Christoph: Die kirchliche Bestattung angesichts einer neuen Kultur im Umgang mit Tod und Trauer (wie Anm. 16), 40.

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bitte für die Verstorbenen aus diesem Kontext weithin herauslösen: Echter Anteilnahme entspricht echte Beteiligung, es geht dann nicht um Vollzüge, die stellvertretend vom institutionalisierten Berufsglauben erwartet werden, sondern man selbst meint es ernst und macht entsprechend mit – dies unabhängig davon gesagt, inwiefern es aus Gründen gerade einer persönlichen Betroffenheit nicht möglich ist, auch nur innerlich mit in das einzustimmen, was als Gebet zum Ausdruck und zur Darstellung kommt.70 Gleichwohl wird man das angesprochene Phänomen im Auge behalten müssen, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil es auch den in der fünften Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung betonten Aspekt des vorwiegend privaten, sozial-nahräumlichen Charakters religiöser Kommunikation berührt. Auf einer prinzipiellen Ebene stellt sich deshalb die Frage, wie in gegenwärtigen Religions- und Kommunikationskulturen das Verhältnis von Artikulationspraxen zu einer Öffentlichkeit und Gemeinschaftlichkeit zu fassen ist. Die Frage nach der Partizipation hat nicht allein deshalb praktisches Gewicht, weil der konkrete Verlauf einer Bestattung, ihr Charakter als Interaktion oder allgemein ihre Atmosphäre davon betroffen sind. Die Frage kann vielmehr regelrecht fundamentaltheologisch aufgeladen werden, wenn man an eine protestantische Betonung des Zusammenhangs von Gott und Glaube und auch von Wort und Glaube und eine dementsprechend auch normative Perspektive denkt, die sich noch in Begriffen wie etwa dem der Deutungsarbeit niederschlägt.71 In dieser Hinsicht wäre es beispielsweise leichtfertig oder jedenfalls missverständlich zu sagen, es gehörten von der „christlichen Glaubensgewissheit aus gesehen […] alle Fragen der Bestattungskultur zu den ‚adiaphora‘, insofern das Evangelium die Zusage ist, dass kein Leben verloren gehe, unabhängig von aller innerweltlichen Erinnerungskultur.“72 Denn eine Gewissheit ist die Gewissheit von Menschen, die gewiss sind und eine Zusage muss nicht nur zugesagt, sondern auch angeeignet werden. So gesehen braucht es an diesem Punkt Praxis und die Fürbitte darf nicht missverstanden werden als Gebet, das ein Pfarrer für Angehörige übernimmt.73 70 Zur rezeptionsästhetischen Sicht der Beteiligung vgl. Schirr, Bertram J.: Fürbitten als religiöse Performance. Eine ethnographisch-theologische Untersuchung in drei kontrastierenden Berliner Gottesdienstkulturen. Leipzig 2018, 394. 71 Hier ist vor allem an Gräb, Wilhelm: Gebet und Gedenken. Individuelle Arbeit am Sinn der Geschichte. In: Meyer-Blanck, Michael (Hg.): Geschichte und Gott. XV. Europäischer Kongress für Theologie (14.–18. September 2014 in Berlin). Leipzig 2016, 206–230, 228, zu denken, vgl. zum „Gebet […] als individuelle Arbeit am Sinn der erfahrenen und erwarteten Geschichte“. 72 Herausforderungen evangelischer Bestattungskultur. Ein Diskussionspapier, hg. vom Kirchenamt der EKD. Hannover 2004, 12. 73 Vgl. zur Bestattung als Ritual Roth, Ursula: Anlässlich des Todes predigen. Entwicklungslinien der praktisch-theologischen Reflexion über die Bestattungsansprache. In: Fix, KarlHeinz / Dies. (Hg.): Lebensvergewisserungen (wie Anm. 19), 27–60, 59: „Seine Wirkung entfaltet das Ritual über die direkte Teilnahme. Nur wer teilnimmt, wer zuhört und zusieht, wer mitspricht und mitgeht, kann in der mit Ohnmachtsgefühlen besetzten Situation der Trauer Sicherheit erfahren und das Ritual als Hilfe auf dem Weg in einen neuen Lebensabschnitt nach dem Tod eines nahe stehenden Menschen erfahren.“ Ähnlich Kunz, Ralph: Ritus und Rede(n) am Grab (wie Anm. 62), 145.

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Es ist dann auch wichtig, die betenden Personen nicht in die Rolle von nicht selbst handelnden Empfängern abzudrängen: Nicht eine abstrakte Gemeinde „begleitet“ die Hinterbliebenen „mit Seelsorge und Fürbitte“74, sondern Hinterbliebene beten selbst. Wenn die Fürbitte in Form eines kollektiven Gebets und damit als ein ‚Wir bitten dich‘ erfolgt, dann scheint es freilich schwierig, wenn Trauernde oder Angehörige dessen unerachtet in der Rolle nicht von Subjekten, sondern von Objekten dieses (ihres!) Gebets begegnen und man in Anwesenheit von Angehörigen zugleich mit ihnen, zu ihnen und über sie betet. „Schau sie / ihn an in Liebe und vergib ihr / ihm und uns, was wir dir und einander schuldig geblieben sind. Herr erbarme dich. Hilf der Familie und allen, die über den Tod von […] trauern, daß sie sich dir anvertrauen können.“75 Doch was aus der einen Perspektive als Problem möglicher Vereinnahmung oder Ausgrenzung erscheint, ist aus einer anderen Perspektive Ausdruck davon, dass die Fürbitten hinsichtlich der vom Todesfall betroffenen Menschen auch ein Moment des sich-ihnen-zur-Seite-Stellens und in gewissem Sinne auch Gegenübertretens haben. Nicht zuletzt der alte Gedanke an eine Gemeindebezogenheit dieser Praxis und an ihre Verwurzelung in einem der Idee nach gesamtchristlichen Ethos legt es nahe, dass Partizipation an der Fürbitte nicht nur engagierte Teilnahme der jetzt gerade Anwesenden bedeuten muss, sondern auch Teilhabe sein kann, die gewisse Distanz erlaubt. Der Sinn der Fürbitte steht und fällt nicht mit der Qualität oder Intensität, mit der Angehörige sich im Vollzug dieser Praxis als authentische Praxissubjekte bewähren. Zweitens: Will man das Thema der Fürbitte für die Verstorbenen mit einem Ausrufezeichen versehen, so können verschiedene Motive leitend sein. Blendet man die oft dominante, aber nicht zwingende Sicht auf eine Abgrenzung im ‚thanatokulturellen Markt‘ aus (Stichwort: „Markenzeichen“76), dann scheint mir an dieser Stelle durchaus eine Art Propriumsperspektive sinnvoll zu sein. Sie hat es mit der schlichten Frage zu tun: Was ist mir aus der Sicht meines christlichen Glaubens in dieser Situation wichtig zu tun? Auf diese Frage antworte ich mit einer Überlegung, die in seelsorglicher Hinsicht Gewicht haben kann und die – ich formuliere absichtlich tastend – aus der Sache selbst herzurühren scheint. Denkt man an die verschiedenen Praxisformen, die in der Bestattung üblicherweise begegnen können (Musikhören, Singen, Sprechen, Lesen, Predigen), dann ist die Fürbitte eines der Elemente (daneben vor allem: Psalm- oder Eingangsgebet, Vaterunser, Schlussgebet), durch 74 EKU, 19. 75 Vgl. VELKD, 158. 76 Uden, Ronald: Spätmoderne Bestattungskultur. In: Klie, Thomas u. a. (Hg.): Praktische Theologie der Bestattung (wie Anm. 2), 15–28, 26. Ebd.: „Dringend erforderlich ist dabei das Angebot üppig ausgestalteter Trauergottesdienste mit allem, was die christliche Tradition zu bieten hat, wenn sie denn von den Angehörigen gewollt werden. Der High-Speed-Trauerfeier im 20-Minuten-Takt sollte der christliche Abschiedsgottesdienst als wählbare Alternative entgegengesetzt werden: Gottesdienst, Lieder, Chöre, Prozession, weitere Musikdarbietungen, Lesungen, Predigt, evtl. Abendmahl. Das christliche Begräbnis kann dabei […] zu einem besonderen Markenzeichen werden“.

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die getan wird, was aus der Sicht des christlichen Glaubens in dieser Situation doch wohl vorzüglich wichtig zu tun ist, nämlich sich an Gott zu wenden. Ob im konkreten Fall vor allem Dankbarkeit angebracht ist, Lob, Bitte oder Klage: Bleibt Gott als Schöpfer Herr des Lebens und damit auch des Todes, stehen Kreuz und Auferstehung in einer Verbindung zu dem Vertrauen darauf, dass Gott auch im Tod mit uns ist und durch ihn hindurchführt, dann liegt es nahe, angesichts des Todes – vereinfacht gesagt – nicht nur über Gott, sondern auch zu ihm zu sprechen. Wenn man in dieser Weise die Bedeutung des Betens hervorhebt, dann ist es freilich eine eigene Aufgabe, das Verhältnis zu dem zu bestimmen, was als Zusage des Evangeliums oder als Verkündigung der Auferstehungshoffnung auf den ersten Blick gegenüber dem Gebet geradezu in Konkurrenz stehen könnte.77 Dabei ist jedoch zu bedenken, wie sehr eine solche Zusage im Gesamtkomplex ‚Fürbittgebet‘ neben der Fürbitte im engeren Sinne auch enthalten sein kann. Das scheint mir der tiefere Sinn einer Gebetspraxis zu sein, die man ohne Rücksicht auf diesen Aspekt kritisieren könnte als unsinnige und unnötige Mitteilung an Gott über Gott beziehungsweise über das, was er macht. Sagt in der Predigt oder in Lesungen der Pfarrer der Gemeinde, was Gott für sie ist und tut, sagt es im Hybrid ‚Fürbittgebet‘ die Gemeinde Gott gewissermaßen zurück und spricht es sich selbst zu.78 „Gott, du Fülle des Seins, du setzt unserem Leben Anfang und Ende. In deinen Händen steht die Zeit […]. Wir möchten darauf vertrauen, dass N. N. bei dir geborgen ist. […] deine Liebe ist stärker als der Tod. In ihr wird auch N. N. leben.“79 „Gott, unsere Zuflucht, du hast Macht über Leben und Tod. Du bist der Herr über die sichtbare und unsichtbare Welt. Du bleibst derselbe, heute, morgen und in Ewigkeit. Wir vergehen, aber bei dir ist keiner vergessen. Wir denken vor dir an […] Lass sie ruhen in deinem Frieden“80. „Gelobt seist du, Jesus Christus. Du hast den Tod erlitten und überwunden. Wir bitten dich für N. N., dass dein Erbarmen sie / ihn umfange, dass dein Licht sie / ihn umstrahle“81.

Gerade vor diesem Hintergrund wäre es wohl allerdings wichtig, an der geläu­ figen Praxis einer von der Pfarrerin (oder einer kirchlichen Agende) formulierten oder zumindest mitverantworteten Fürbitte festzuhalten und in diesem Zusammenhang darauf zu achten, wie in einem solchen Gebet eine spezifisch christliche Deutung auf Leben, Tod und ewiges Leben zum Ausdruck und zur Darstellung kommt – und dies meine ich weniger im Blick auf die oft im Zentrum der Auf 77 Vgl. EKU, 15: „Im Mittelpunkt des Gottesdienstes zur Bestattung steht das Evangelium von Jesus Christus.“ Christen „hören im Evangelium die Zusage Jesu Christi: ‚Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt‘ (Joh 11,25).“ 78 Hier besteht eine Nähe zum Bekennen, vgl. Reese, Günter: Das gottesdienstliche Gebet (wie Anm. 54), 500. Verwiesen sei auch auf die Prädikation als (möglichen) Bestandteil des Kollektengebets. 79 EKU, 279. 80 ELKW, 134. 81 EKU, 284.

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merksamkeit stehenden Inhalte, als vielmehr in Rücksicht auf die Praxisformen des Gebets selbst. Neben das Ausrufezeichen als Hinweis auf die Bedeutung der Fürbitte als Zuwendung zu Gott tritt deshalb das Ausrufezeichen als Hinweis auf die Bedeutung des Bittens als solches. Das gilt zunächst im Blick auf ein mögliches Missverständnis des hier mit dem Darstellungsbegriff beschriebenen performativen Moments des Gebets, das man anhand einer Deutung der Fürbitte als commendatio animae, einer Übergabe der Seele an Gott im Sinne von Psalm 31,6: „In deine Hände befehle ich meinen Geist“ (vgl. Lukas 23,46) veranschaulichen kann. Zwar lässt sich im Anschluss an einen vielzitierten Rat Luthers betonen, insofern man „die commendatio animae eines Verstorbenen als performatives Wortgeschehen, als Sprachhandlung“ verstehe, „erübrigt sich auch damit die ständige Wiederholung. Habe ich einen Menschen in Gottes Hand gelegt, so liegt er darin – und ist nicht mehr Gegenstand meiner Sorge! […] Ich darf gewiss sein: Gott wird für ihn sorgen, besser, als ich es je tun könnte.“82 Doch die wohlmeinende Absicht kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf diese Weise ein offensichtlich erwünschtes Ergebnis auch herbeigeschrieben beziehungsweise vorgeschrieben wird – ein homiletisch geschultes Ohr nimmt die Rede davon, man ‚dürfe‘ gewiss sein, als latenten Imperativ wahr.83 Die Fürbitte für die Verstorbenen kann man auch als Bitte im Sinne eines performativen Handelns deuten. Als Bitte weckt und befördert sie das Bewusstsein einer Grenze zwischen dem, was man zweifellos erhoffen und worauf man womöglich auch gewiss vertrauen kann, und zwischen dem, was als Gegenstand auch einer festen Gewissheit hinsichtlich der Verstorbenen (‚Sie sind jetzt bei Gott!‘) doch grundsätzlich entzogen bleibt. Das Gebet für die Toten steht als Ausdruck und Darstellung einer Bitte dafür ein, dass die christliche Hoffnung angesichts des Todes den ihr eigentümlichen Charakter einer Verbindung von Zuversicht und Demut bewahrt.

82 Zimmermann, Johannes: Beten für die Verstorbenen?. In: ThB 34 (2003), 256–269, 269. 83 Vgl. zur Bewegung zwischen Zuspruch und Anspruch: Die Bestattung. Ein Abschied, der zum Leben gehört. Hg. im Auftrag der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau im Oktober 2006. Darmstadt o. J. (https://bestattung.bayern-evangelisch.de/downloads/ELKB-Bestattungs� broschuere-EKHN-2014.pdf, aufgerufen am 14.06.2018), 6: „Es ist eine lebenslange Aufgabe, zu glauben: Unser Leben und Sterben hat Sinn, auch wenn wir es nicht immer verstehen können.“ Ebd., 7: „Ängste und Sorgen um ihn [sc. den Verstorbenen, JG] können abgestreift werden, denn wir können darauf vertrauen: Bei Gott sind die Verstorbenen gut aufgehoben.“ Womöglich war die ältere Praxis fordernder. Vgl. Heim, Burkhard / Krobath, Heinz (Hg.): Kasualgebete. Stuttgart 2 1970, 109 f: „Lieber Herr Jesus Christus! Du hast für uns gebeten, auch für unseren lieben Entschlafenen. Wie können wir da noch mutlos sein und zweifeln? Wie können wir da nicht alles vertrauend in deine Hand legen? Wir können dir nur danken […].“

Vom Politischen Nachtgebet zum Feierabendmahl Verantwortliches Handeln in der Welt im protestantischen Abendmahl der 1970er Jahre

Katharina Herrmann und Annette Hausmann1

1. Einleitung: Entwicklungen im Abendmahlsverständnis in ethischer und liturgischer Perspektive Als eines der beiden Sakramente des Protestantismus ist das Abendmahl immer schon Gegenstand von Diskussionen um sein Verständnis und seine symbolische Deutung in Theologie und individueller Frömmigkeitspraxis gewesen. Als interpretationsbedürftiges Symbol steht es in ständigem Wandel seiner theologischen Interpretation, und dies nicht nur in Fragen zum liturgischen Vollzug seiner äußerlichen Feiergestalt, sondern ebenso in Bezug auf die Frömmigkeit des Einzelnen und der Gemeinschaft. In den 1970er Jahren vollzog sich ein solcher Umbruch im Verständnis des Abendmahls als tiefgreifende Veränderung, die eine Analogie zu den dort zu lokalisierenden gesamtgesellschaftlichen und kirchlichen Veränderungen aufweist. „Politisierung“ der Kirche, Wandel der Lebensformen und des Lebensgefühls, Reformintentionen für Gesellschaft und Kirche, all das brachte seine Folgen auch für das Abendmahl mit sich. Insbesondere die Verbindung von Sakrament und Ethik ist durch die liturgischen Erneuerungsbemühungen wieder ins Bewusstsein getreten: „Auf der Ebene der Frömmigkeit sind der, auch von Schleiermacher betonte, Gemeinschaftsaspekt des A[bendmahls], oft unter Einbeziehung der Kinder, der urchristl. Charakter des A[bendmahls] als Freudenmahl sowie der Zusammenhang von Sakrament und Ethik neu bewußt geworden.“2 Dass sich all diese Aspekte auf komplexe Weise miteinander verbinden lassen, soll im Folgenden gezeigt werden. Denn eine spätestens seit den 1960er Jahren wieder akzentuierte ethische Ausrichtung des Sakraments kann nicht allein als ein Wandel der christlichen Frömmigkeitspraxis verstanden werden, sondern vielmehr geht es, das wird zu zeigen sein, um die Verbindung von individueller Frömmigkeit und gemeinschaftlichem 1 Der Artikel ist im Rahmen des Forschungsprojektes FOR 1765 „Der Protestantismus in den ethischen Debatten der Bundesrepublik Deutschland 1949–1989“ im praktisch-theologisch Unterprojekt „Protestantische Kommunikationsformen“ in Zusammenarbeit beider Autorinnen entstanden. 2 Lessing, Eckhard: Art. Abendmahl, in: 4RGG, 31.

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Handeln in der Welt, von festlicher Mahlgemeinschaft und Solidarität mit anderen, von Feierlichkeit und Verantwortung. Diese Entwicklung hin zur Welt und zum Handeln, heraus aus der rein innerlichen Frömmigkeit, die sich zwischen Mensch und Gott gewisser­maßen für andere unsichtbar vollzieht, war indessen nicht auf die Gestaltung des Abendmahls begrenzt. Vielmehr muss man diese Entwicklung in umfassenden liturgischen Reformintentionen der 1960er und 70er verorten, die ihrerseits eine Vielfalt an neuen Gottesdienstformen hervorbrachten. Diese gottesdienstlichen Erneuerungsversuche nahmen Impulse aus kirchlicher Jugendarbeit, Exegese und Liturgiegeschichte, Bruderschaften und ökumenischem Dialog auf. Sie reagierten auf die Wahrnehmung einer Krise von Gottesdienst und Verkündigung, die an sinkenden Zahlen der Gottesdienstbesucher, vor allem aber in dem Eindruck festgemacht wurde, dass die Menschen in ihrer aktuellen Situation nicht mehr erreicht werden, ihnen Glaubensaussagen und kirchliche Tradition nicht mehr verständlich gemacht werden können.3 Um dem zu begegnen und die Kirche mit ihrer Tradition wieder in Kontakt mit den Menschen in ihrer aktuellen Lebenswelt zu bringen, brachten u. a. Akteure im Bereich der kirchlichen Jugendarbeit, die in besonderer Weise mit Problemen der Katechese und der Notwendigkeit, Glaubensbestände und Traditionen verstehbar machen zu müssen, befasst waren, seit Beginn der 1960er Jahre ganz unterschiedliche Formen der „Gottesdienste in neuer Gestalt“ hervor, die sich durch die Nutzung außerkirchlicher Räume wie beispielsweise eines Kinosaales, die Wahl aktueller, auch politischer, Themen und offener, kommunikativerer Predigtformen auszeichneten.4 So lässt sich für die neuen Formen ein Anspruch auf größere Wirkungsbreite über den kirchlichen Binnenraum hinaus erkennen: „In der Tat waren diese Experimente ein energischer Versuch, von innen her die Isolierung des Gottesdienstes vom Leben aufzusprengen und die Grenzen des kernge-

3 So im Rückblick unter anderem: Schnath, Gerhard: Einleitung, in: Ders. (Hg.): Fantasie für Gott. Gottesdienste in neuer Gestalt. Stuttgart / Berlin 1965, 6 f.; Trautwein, Dieter: Gottesdienst der Jugend für die Gemeinde, in: Ders. / Roessler, Roman: Für den Gottesdienst. Thesen – Texte – Bilder. Gelnhausen / Berlin 31972, 15; Zinke, Ludger: Geleitwort von Professor Dr. Ludger Zinke, in: Trautwein, Dieter: Lernprozess Gottesdienst. Ein Arbeitsbuch unter besonderer Berücksichtigung der „Gottesdienste in neuer Gestalt“. Gelnhausen / Berlin 1972, XVf.; Albrecht, Alois / Baumann, Heinz / Bischoff, Paul: Gottesdienst für junge Menschen – Gottesdienst in neuer Gestalt, unter Mitarbeit von Hans Siefert. Mit einem Liedheft. Stuttgart 1972, 7; Ruddat, Günter / Schröer, Henning: Lebendige Liturgie – ein Programmwort und seine Geschichte, in: Ratzmann, Wolfgang (Hg.): Der Kirchentag und seine Liturgien. Auf der Suche nach dem Gottesdienst von morgen. Leipzig 1999, 87. 4 Siehe dazu beispielsweise: Schnath, Gerhard (Hg.): Fantasie für Gott (wie Anm. 3); Schnath, Gerhard (Hg.): Werkbuch Gottesdienst. Texte – Modelle – Berichte. Wuppertal 1967; Trautwein, Dieter / Roessler, Roman: Für den Gottesdienst (wie Anm. 3); Albrecht, Alois / Baumann, Heinz / Bischoff, Paul: Gottesdienst für junge Menschen (wie Anm. 3). Vermutlich ist es nicht rein zufällig, dass strukturelle Parallelen zwischen diesem Wunsch, traditionelle Glaubensbestände und kirchliche Praktiken in die aktuelle Lebenswelt der Menschen zu „übersetzen“, und dem Ansatz der „existentialen Interpretation“ in der neutestamentlichen Exegese der Bultmann-Schule bestehen.

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meindlichen Ghettos zu überschreiten“.5 Nur vereinzelt gab es „Gottesdienste in neuer Gestalt“, die sich auch um eine neue Form des Abendmahls bemühten, und gerade hier findet sich eine Verbindung zu ethischen oder politischen Themen.6 Damit geht die Bemühung um Tagesaktualität einher, die den Diesseitigkeitsbezug des Christentums stärken sollte und eine Konzentration auf jenseitiges Heil zu vermeiden suchte.7 Zum einen zeichnet sich also in diesen Versuchen mit neuen Gottesdienstformen ganz grundsätzlich eine Hinwendung zur Welt, zur konkreten aktuellen Situation der Gemeinde ab, die auch auf die Gestaltung von Gottesdiensten ganz grundsätzlich ausgestrahlt haben dürfte, zum anderen aber sind diese Versuche deswegen von Bedeutung, weil sie deutlich Impulse aus der Ökumene aufgenommen haben und da die an ihnen beteiligten Akteure oft auch an Gottesdiensten auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag beteiligt waren, für ihre Impulse also ein breites Multiplikationsforum nutzen konnten.8 Vermutlich gingen auch Impulse von der Konfirmandenarbeit auf die Gestaltung von Abendmahlsfeiern aus: Bereits ab 1960 wurden Abendmahlsfeiern in die Konfirmandenarbeit integriert, das Abendmahl wurde nun also auch ganz praktisch mit den Konfirmanden gefeiert, diese wurden nicht nur theoretisch auf es vorbereitet.9 Zudem hatten die exegetischen Disziplinen sowie liturgiegeschichtliche Un­ tersuchungen einen Einfluss auf die liturgischen Reformversuche insbesondere im Bereich des Abendmahls: Die Wiederentdeckung der altkirchlichen Agape und ihres – durchaus auch schon mit einem sozialkritischen Weltbezug aufgeladenen – Gemeinschaftscharakters speist sich maßgeblich auch aus diesem Bereich.10 Entscheidende Impulse kamen hier jedoch auch aus der Ökumene 5 Cornehl, Peter: Öffentlicher Gottesdienst. Zum Strukturwandel der Liturgie, in: Cornehl, Peter / Bahr, Hans-Eckehard (Hg.): Gottesdienst und Öffentlichkeit. Zur Theorie und Didaktik neuer Kommunikation. Hamburg 1970, 120. 6 Vgl. Kruse, Martin: Abendmahlspraxis im Wandel, in: Evangelische Theologie 35 (1975), 483 f. Einige Beispiele finden sich in: Schnath, Gerhard (Hg.): Fantasie für Gott (wie Anm. 3), 168 f.; Schnath, Gerhard (Hg.): Werkbuch Gottesdienst (wie Anm. 4), 122–129.144–148; Seidel, Uwe / Zils, Diethard (Hg.): Aktion Gottesdienst, Bd. 1. Evangelische und katholische Gottesdienstmodelle, Ökumenische Gottesdienste, Gebete – Meditationen – Bekenntnisse. Wuppertal 1970, 117–129.219–226.271–282; Trautwein, Dieter / Roessler, Roman: Für den Gottesdienst (wie Anm. 3), 197–200. Auch den Entwurf von Barth / Grenz / Horst stammt zumindest aus dem Umfeld der „Gottesdienste in neuer Gestalt“: Barth, Friedrich Karl / Grenz, Gerhard / Horst, Peter: Gottesdienst menschlich. Eine Agende, Bd. 1. Taufe, Konfirmation, Abendmahl, Eheschließung, Beerdigung. Wuppertal 1981, 51–57. 7 Dies war durch ein Aufgreifen von präsentischer Eschatologie, wie sie etwa durch Moltmann in der Theologie der Hoffnung vertreten wurde, besonders spürbar. 8 So waren beispielsweise Dieter Trautwein und Friedrich Karl Barth seit Anfang der 1970er Jahre Mitglieder des Ausschusses für Gottesdienst und Kommunikation, später des Ausschusses für Abendmahl, Gottesdienst, Fest und Feier auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag. Dieter Trautwein war zudem Mitglied des Projektausschusses „Forum Abendmahl“ auf dem Kirchentag 1979, gestaltete also das unten analysierte Feierabendmahl mit. 9 Vgl. Kruse, Martin: Abendmahlspraxis im Wandel (wie Anm. 6), 484–493; Grethlein, Christian: Abendmahl feiern in Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Leipzig 2015, 179.183–185. 10 So hat beispielsweise der Neutestamentler Eduard Schweizer bereits 1965 den Gemeinschaftscharakter der Abendmahlsfeier der urchristlichen Gemeinde betont: „Abendmahl muß so gefeiert

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und aus Bruderschaften: So rückten bereits die innerkonfessionellen ökumenischen Debatten um das Abendmahl, die zu den Arnoldshainer Thesen führten, den Gemeinschaftscharakter des Abendmahls neu in den Blick, wichtige Impulse gingen aber auch vom römisch-katholischen Bereich, sowohl von der römisch-katholischen Messe als auch von der in dieser Konfession in den 1960ern immer gebräuchlicher werdenden Hauseucharistie, aus.11 Nicht übersehen werden dürfen aber auch die Bemühungen evangelischer Bruderschaften um eine den Gemeinschaftscharakter stärker zum Ausdruck bringende Form der Abendmahlsfeier insbesondere in der Tischkommunion, welche dann wiederum durch die „Gottesdienste in neuer Gestalt“ aufgegriffen wurde.12 Und so ist es nicht überraschend, dass die erste ökumenische Agapefeier auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 1967 von der Bruderschaft der Herrnhuter verantwortet wurde, welche zudem gemeinsam mit anderen Bruderschaften, werden, daß darin das Beieinandersein der Gemeinde zum Ausdruck kommt.“, Schweizer, Eduard: Gottesdienst im Neuen Testament heute, in: Ders.: Beiträge zur Theologie des Neuen Testaments. Neutestamentliche Aufsätze (1955–1970). Zürich 1970, 258; vgl. dazu auch: Stoltz, Philipp: Tische statt Huthaken. Werner Simpfendörfers Konzeption des „Baulichen Provisoriums“ als Modell protestantischer Verantwortung in der Gesellschaft, in: Albrecht, Christian / Anselm, Reiner (Hg.): Teilnehmende Zeitgenossenschaft. Studien zum Protestantismus in den ethischen Debatten der Bundesrepublik Deutschland 1949–1989. Tübingen 2015, 270 f.; siehe allgemeiner: Riehm, Heinrich: Die Wiederentdeckung der Agape, in: JLH 20 (1976), 144–149; Lang, Friedrich: Abendmahl und Bundesgedanke im Neuen Testament, in: EvTh 35 (1975), 524–538; Meding, Wichmann von: 1. Korinther 11,26. Vom geschichtlichen Grund des Abendmahls, in: EvTh 35 (1975), 544–552; Hahn, Ferdinand: Zum Stand der Erforschung des urchristlichen Herrenmahls. In: EvTh 35 (1975), 553–563; auch die holländische Schalom-Gruppe griff im Kontext des jüdisch-christlichen Dialogs die Agape-Feier neu auf und wirkte damit auf den bundesdeutschen Protestantismus ein, vgl.: Schulz, Frieder: Das Mahl der Brüder. Herrenmahl in neuer Gestalt, in: JLH 15 (1970), 46 f.; Grethlein, Christian: Abendmahl feiern in Geschichte, Gegenwart und Zukunft, (wie Anm. 9), 105 f. 11 Vgl. Kruse, Martin: Abendmahlspraxis im Wandel (wie Anm. 6), 482 f.; Schulz, Frieder: Das Mahl der Brüder (wie Anm. 10), 32 f.; Reifenberg, Hermann (Hg.): Hauseucharistie. Gedanken und Modelle, München 1973; vgl. im Weiteren: Gassmann, Günther (Hg.): Um Amt und Herrenmahl. Dokumente zum evangelisch / römisch-katholischen Gespräch. Frankfurt a. M. 1974; Kretschmar, Georg: Konvergenz- und Konsensustexte als Ergebnisse bilateraler Dialoge über das heilige Abendmahl. in: ÖR 29 (1980), 1–21; Meyer, Harding / Papandreou, Damaskinos / Urban, Hans Jorg / Vischer, Lukas (Hg.): Dokumente wachsender Übereinstimmung. Sämtliche Berichte und Konsenstexte interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene, Bd. 1. 1931–1982. Paderborn / Frankfurt a. M. ²1991; Grethlein, Christian: Abendmahl feiern in Geschichte, Gegenwart und Zukunft (wie Anm. 9), 92–97; auf die Entdeckung des ethischen Gehalts der Eucharistie, ihres Weltbezuges im Katholizismus um 1960 weist das Leitwort des Eucharistischen Weltkongresses in diesem Jahr hin: „Für das Leben der Welt“, siehe dazu: Hilpert, Konrad: Pro mundi vita. Eucharistiefeier und ethische Lebensgestaltung, in: MThZ 62 (2011), 131–140. 12 Vgl. Löwe, Hartmut / Lütticken, Johannes / Zippert, Christian u. a.: Abendmahl in der Tischgemeinschaft. Neue Möglichkeiten zur Feier der Eucharistie. Kassel 1971; Schulz, Frieder: Das Mahl der Brüder (wie Anm. 10), 42–45; Kruse, Martin: Abendmahlspraxis im Wandel (wie Anm. 6), 485; aufgenommen wurde die Tischkommunion auch von den „Gottesdiensten in neuer Gestalt“, siehe: Trautwein, Dieter / Roessler, Roman: Für den Gottesdienst (wie Anm. 3), 197–200. Bereits in einigen Ausgaben des Evangelischen Kirchengesangbuches fanden sich Darstellungen des Ablaufs eines Tischabendmahls in Tradition der Brüdergemeinden, diese wirkten also schon im Zuge der Agendenreform auf die Abendmahlsliturgie ein, vgl.: Grethlein, Christian: Abendmahl feiern in Geschichte, Gegenwart und Zukunft (wie Anm. 9), 101 f.

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hochkirchlichen, freikirchlichen und ökumenischen Gruppen auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 1977 ein „Zentrum Abendmahl“ ausrichteten, das einen Anstoß für die Ausrichtung des „Forums Abendmahl“ auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 1979 gegeben haben dürfte.13 Gegen Ende der 1960er Jahre trat aber zunächst eine andere Art gottesdienstlicher Reformversuche ins Zentrum der Diskussion: Die 1968 erstmals auf dem Deutschen Katholikentag in Essen durchgeführten, später v. a. in der evangelischen Antoniterkirche in Köln fortgeführten „Politischen Nachtgebete“ zogen nun mehr Aufmerksamkeit auf sich als die weiterhin existierenden „Gottesdienste in neuer Gestalt“. Auch den „Politischen Nachtgebeten“ ging es um bereits benannte Aspekte: Die Frage nach dem Zusammenhang von Glauben und der konkreten politischen Situation und Aktion sowie die ökumenische Gemeinschaft. Hier wird also in besonderer Weise der Weltbezug des Gottesdienstes fokussiert, und dies in ganz praktischer Weise: „Das ‚Politische Nachtgebet‘ war das Experiment einer Gruppe, die den Satz, daß Glaube und Politik untrennbar sind, in die Praxis umsetzen wollte“14. Auf Lieder, liturgische Tradition und die Feier des Abendmahls wurde dagegen – anders als in den anderen eben skizzierten liturgischen Reformversuchen – bewusst verzichtet: Die Gottesdienste folgten dem Muster von Information, Meditation, Diskussion und Aktion.15 Gerade in diesem Kontext ist die Langenauer Pfingstnacht, auf die im Folgenden noch genauer eingegangen werden soll, eine interessante Weiterführung der „Politischen Nachtgebete“. Als das „Politische Nachtgebet“ und die Aktivitäten des zugehörigen Ökumenischen Arbeitskreises in Köln im Juli 1972 ein Ende fanden, gingen die mit ihm zusammenhängenden spezifischen Formen des dezidierten Weltbezuges des Gottesdienstes, die Ausrichtung auf und die Information über einen konkreten Problemkreis sowie die symbolische Aktion, nicht verloren. Vielmehr nahmen nun einige Formen der „Gottesdienste in neuer Gestalt“ diese Impulse auf, insbesondere die Liturgische Nacht, die ab 1973 auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag gefeiert wurde, sowie die ebendort seit 1975 stattfindenden 13 Vgl. Wolf, Carola: Kirchentagstaschenbuch Berlin ’77. Stuttgart 1977, 47–50. 14 Sölle, Dorothee: Gegenwind. Erinnerungen. Piper 1999, 70. 15 Vgl. Cornehl, Peter: Dorothee Sölle, das „Politische Nachtgebet“ und die Folgen, in: Hermle, Siegfried / Lepp, Claudia / Oelke, Harry (Hg.): Umbrüche. Der deutsche Protestantismus und die sozialen Bewegungen in den 1960er und 1970er Jahren. Göttingen 2007, 265–284; Weyer, Anselm: Liturgie von links. Dorothee Sölle und das Politische Nachtgebet in der Antoniterkirche. Köln 2016; Seidel, Uwe / Zils, Diethard (Hg.): Aktion Politisches Nachtgebet. Wuppertal 1971; Sölle, Dorothee / Steffensky, Fulbert (Hg.): Politisches Nachtgebet in Köln. Stuttgart / Berlin 1970; Sölle, Dorothee / Steffensky, Fulbert (Hg.): Politisches Nachtgebet in Köln, Bd. 2. Texte – Analysen – Kritik. Stuttgart / Berlin 1970; Schmidt, Klaus: Das „Politische Nachtgebet“, in: Schmidt, Heinz Günther (Hg.): Zum Gottesdienst morgen. Ein Werkbuch. München 1969, 117–126; interessanterweise gab es im Kontext des „Politischen Nachtgebetes“ bereits deutlich vor der im Folgenden noch zu untersuchenden Langenauer Pfingstnacht auf katholischer Seite Versuche, im Zusammenhang der „Politischen Nachtgebete“ das Abendmahl zu feiern, dies wurde aber nach wenigen Versuchen bewusst verworfen: Böckenförde, Hermann: Das Bochumer Modell. „Politische Experimente mit dem Mahl Jesu“, in: Schmidt, Heinz Günther (Hg.): Zum Gottesdienst morgen. Ein Werkbuch. München 1969, 127–133.

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Beat-Messen. Sie integrierten die Elemente, insbesondere den aktiven Weltbezug des liturgisch nüchternen Politischen Nachtgebets zudem in ihre u. a. durch Impulse aus Taizé, von H. Cox’ „Fest der Narren“ und J. Moltmanns „Die ersten Freigelassenen der Schöpfung“ beeinflusste, neu von „Fest“ und „Feierlichkeit“ geprägte Gottesdienstgestaltung: Glaube und die durch den Glauben bewirkte Befreiung sollten in diesen Gottesdienstformen ganzheitlich erfahrbar sein, nicht nur individuell und innerlich, sondern in der Gemeinschaft, bei der auch eine globale Gemeinschaft mitgemeint war, mit der man sich in symbolischer Aktion solidarisch zeigte.16 Beide genannten liturgischen Großformen umfassten in der Regel auch Abendmahlsfeiern. Insgesamt lassen sich also bis Anfang der 1970er Jahre zahlreiche Ansätze zur neuen Gestaltung von Gottesdiensten im Generellen, insbesondere aber auch von Abendmahlsfeiern beobachten, die alle durch ihren Weltbezug auf die aktuelle, auch politisch-aktuelle, Situation und ihre, meist ökumenisch geprägte, Fokussierung der Gemeinschaft gekennzeichnet sind. Vermutlich ist es auch diesen neuen Bemühungen um die Feier des Abendmahls, sowie dem sich nun durchsetzenden neuen, ganzheitlichen, Ethik und Kultus verbindenden Frömmigkeitsverständnis, das seinen Ausdruck in „Fest“ und „Feierlichkeit“ findet, geschuldet, dass ab 1971 allmählich, deutlich aber ab 1975 die Teilnehmerzahlen an Abendmahlsfeiern in den Gliedkirchen der EKD gestiegen sind.17 Was sich zunächst in einzelnen Reformversuchen angekündigt hatte, war jetzt nicht mehr zu ignorieren: Jetzt hatte sich nicht nur das „Abendmahl […] deutlich in das Bewußtsein des Protestantismus geschoben“18, sondern mit ihm wurden auch der Unmut und die Wünsche, die eine nicht geringe Zahl protestantischer Christen bezüglich der traditionellen Abendmahlsfeier hatten, im Diskurs über die Gestaltung von Abendmahlsfeiern verstärkt wahrgenommen: Die als steif und bedrückend wahrgenommene Atmosphäre einer agendarischen Abendmahlsfeier sowie der Ausschluss von Kindern, Ungetauften, Christen anderer Konfession und gelegentlich auch der Ausschluss Ausgetretener führten zur Unzufriedenheit zahlreicher protestantischer Christen, insbesondere der Milieus, die auch den Kirchentag besuchten.19 In dieser Situation wurde 1979 das „Forum Abendmahl“ auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag veranstaltet, in dessen Kontext das unten untersuchte Feierabendmahl in St. Lorenz stattfand – es entsprach also einem Bedürfnis seiner Zeit. 16 Vgl. Cornehl, Peter: Dorothee Sölle, das „Politische Nachtgebet“ und die Folgen (wie Anm. 15), 277 f.; ähnlich: Ruddat, Günter / Schröer, Henning: Lebendige Liturgie – ein Programmwort und seine Geschichte (wie Anm. 3), 88–92. 17 Vgl. KJ 106 (1979), 356 f. 18 Kugler, Georg: Bindeglied zwischen jung und alt. Nachwirkungen des Feierabendmahls von Nürnberg, in: LM 19 (1980), 145. 19 Exemplarisch sind solche Wünsche und Ängste – allerdings erst für das Jahr 1981 – dokumentiert in: Zippert, Christian: Unmut, Hoffnungen, Aufgaben. Die Hamburger ‚Denkzettel‘ zum Abendmahl, in: PTh 72 (1983), 72–82; deutlich werden sie aber für einen früheren Zeitraum auch in: Schulz, Frieder: Das Mahl der Brüder (wie Anm. 10), 32 f.; o. A.: Unser Gespräch. Was bedeutet das Abendmahl für mich?, in: ZdZ 33 (1979), 421–423.

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Dieser skizzierte Wandel in Gottesdienstverständnis, Abendmahlspraxis und Liturgie wurde bislang vorwiegend mit den Begriffen „Gemeinschaft“, „Feierlichkeit und Festlichkeit“, „Gegenwartsbezug“ beschrieben, ohne auf deren innerliche Verknüpfungen und theologische Logiken vertieft einzugehen. So diagnostizieren manche einen Verlust der theologischen Tiefendimension, der sich durch die Hinwendung zu Festlichkeit und Feier vollzogen habe und die ursprüngliche Bedeutung des Abendmahls als Sündenvergebung in den Hintergrund treten lasse.20 Auch Entwicklungen lassen sich nachverfolgen, die gar für eine Verabschiedung von Sündentheologie zugunsten einer Betonung von Fest und Feierlichkeit plädieren.21 Diese Standpunkte konzentrieren den Blick auf einzelne Aspekte des Wandels, z. B. auf die Frömmigkeit des Einzelnen, den Gemeinschaftsaspekt oder auf die äußerliche Gestalt der Feier. Die theologischen Zusammenhänge, die diesen Einzelaspekten zugrunde liegen, die ihrerseits in komplexer Relation zueinander stehen, werden indessen seltener beleuchtet. Der Artikel geht der Beobachtung eines Zusammenhangs von Sakrament und Ethik nach und postuliert, dass sich ab den späten 1960er Jahren wesentliche Veränderungen im Abendmahlsverständnis auf der Ebene der Ethik entwickelt haben, welche dann in den 1970er Jahren in eine von Feierlichkeit geprägte Liturgie integriert wurden, die ihrerseits eng mit theologischen Begründungsmustern aus einem veränderten Verständnis des Verhältnisses von Kirche und Welt verbunden sind. Die Betonung der Gemeinschaft im Abendmahl wurde eschatologisch als Heilsgeschehen begriffen, das seine Wirkung im Hier und Jetzt entfaltet, indem es zur Tat und zur Verantwortung in der Welt aufruft. Insofern kann man davon sprechen, dass der „Sinn des Abendmahls im Kontext einer neuen Theologie der Hoffnung und der Verpflichtung gegenüber der Welt und Gesellschaft neu entdeckt“22 wurde. Von einer neu akzentuierten Handlungsdimension ist deshalb zu sprechen, weil bereits in früheren theologischen Strömungen die tätigen Folgen des Abendmahls als wichtig erachtet wurden.23 An zwei Fallstudien soll die eben skizzierte Umbruchssituation exemplarisch entfaltet werden und dargelegt werden, wie die Feier des Abendmahls jeweils den Bezug auf gesellschaftspolitische Situationen herstellte. Beide Abendmahlsfeiern stehen im Kontext einer Entwicklung, die in den 1960er Jahren von einer 20 Vgl. z. B. Dahlgrün, Corinna: Von der ‚Speise der Seelen‘, in: Löhr, Hermut (Hg.): Abendmahl. Tübingen 2012, 220–223. 21 So z. B. Jörns, Klaus-Peter: Lebensgaben Gottes feiern. Abschied vom Sühnopfermahl. Eine neue Liturgie. Gütersloh 2007. 22 Niebergall, Alfred: Art. Abendmahlsfeier IV. In: TRE, Bd. 1, 310–328, 318. 23 So beispielsweise im Pietismus, der auf die aus dem Mahl hervorgehende Sittlichkeit des einzelnen Christen Wert legte, die sich im Handeln spiegeln solle, sich dies aber eher auf die individuelle Frömmigkeit bezieht. Philipp Jakob Spener hob die Bedeutung der „Früchte“ hervor und bemängelte eine Abendmahlspraxis, die eine Teilnahme ohne solche Folgen im Handeln vorsah. (vgl. Spener, Philipp Jakob: Pia desideria. Herzliches Verlangen nach gottgefälliger Besserung der wahren evangelischen Kirchen sammt einigen einfältig dahin abzwecjenden christlichen Vorschlägen. Dresden 1846, 35,9.80,20 f).

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zunehmenden Bedeutung des Weltbezuges, der ethischen Bewusstseinsbildung, der Politisierung und einer allgemeinen Hochschätzung der Praxis geprägt ist, wobei diese Aspekte in den 1970er Jahren eine verstärkte Einbindung in Liturgie, Feier, Festlichkeit, gottesdienstliche Tradition und Sakrament erfahren. Damit kann diese Zeit des Umbruchs im Sinne einer integrativen Bemühung verstanden werden, sakramentales Handeln und Handeln in der Welt wieder stärker miteinander zu verbinden und als eine Einheit protestantischer Frömmigkeitspraxis zu verstehen.

2. Zwei historische Fallstudien: Weltbezug und Festlichkeit Die Wahl der beiden Beispiele ergibt sich zum einen schon aus dem zuvor Dargestellten, zum anderen aber aus ihrer jeweiligen Wirkmächtigkeit und Rezeptionsgeschichte, die im Folgenden noch Erwähnung finden sollen. Es soll mit dieser Abfolge der Beispiele aber kein direkter kausaler Zusammenhang zwischen den beiden untersuchten Abendmahlsfeiern behauptet werden. Vielmehr soll versucht werden, diese Abendmahlsfeiern als Kulminationspunkte zu betrachten, die theologische und gesellschaftliche Wandlungsprozesse sichtbar werden lassen. 2.1 Sozialkritisches Engagement für Fremde: Politische Pfingstnacht mit Agapemahl im Emmental 1970 Die Idee zum Agapemahl entstammte der Feier Politischer Nachtgebete, die sich in den ausgehenden 1960er Jahren entwickelt hatten und nur in der kurzen Zeitspanne zwischen Oktober 1968 und Juli 1972 Bestand hatten.24 Eng verbunden mit der Protestkultur der 68er Generation, waren Provokation und Konflikte mit den lokalen Kirchengemeinden und überregionalen Kirchenautoritäten Begleitumstand dieser Bewegung und hatten nicht zuletzt darum zu weitreichender öffentlicher Wirkung geführt. Zentrales Kennzeichen der Bewegung war eine Verbindung von politischer Information und alltagsbezogener Aktion, die auf eine Veränderung in individueller und kollektiver Hinsicht zielte.25 Die Intention der Akteure war die einer gottesdienstlichen wie theologischen Erneuerung, die es verstand, den Glauben mit Politik zu verbinden, und dadurch gesellschaftsverändernde Wirkung entfalten sollte: „Der Vorgang ist demnach 24 Vgl. Cornehl, Peter: Dorothee Sölle (wie Anm. 15). 25 Diese Veränderung brachte aber auch die neu aufbrechenden Unsicherheiten und Zweifel mit sich, die als produktiv angesehen wurden: „Die spürbar gewordene Unsicherheit ist positiv, solange sie zu einer schöpferischen Unruhe führt, die die rein nach innen gelenkten, um die individuellen Heilssorgen zentrierten dogmatischen Zweifel und Unsicherheiten zu sozialer Sensibilität für außer­individuelle gesellschaftliche Nöte und Sorgen transformieren kann.“, Böckenförde, Hermann: Das Bochumer Modell (wie Anm. 15), 129.

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eindeutig: eine neue theologische Einsicht […] erzeugte eine neue Art von Gottes­dienst.“26 Kennzeichnend für diese neue Form war eine Orientierung am gesprochenen Wort und eine Konzentration auf Information bei weitreichender Enthaltsamkeit, was Gesang und sinnliche Liturgieelemente betraf. Die Nähe zum Seminarcharakter war dem Ursprung in der Studentenbewegung verdankt und beschränkte das Publikum der Nachtgebete auf intellektuelles Publikum, was auch bald zum Vorwurf an das Format wurde. Besonders wichtig war den Akteuren eine inhaltliche Erneuerung des Gottesdienstes, die sich als eine neue Suche nach Gott und dem Bezug der Religion zum Alltag und zur Welt gestaltete, wohingegen die konkrete Gestaltungsform eher als sekundär galt.27 Diese theologische Überzeugung wurde in einem neuen Gottesverständnis artikuliert: „Es ist der Gott, der die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse nicht legitimiert, sondern transzendiert […] ein Gott der sozialen Transzendenz.“28 Kennzeichnend dafür war auch eine kritische Relektüre biblischer Texte im Sinne der Akzentuierung ihrer politisch-gesellschaftlichen Relevanz. Kennzeichnend für die Organisation der Politischen Nachtgebete war, dass sie sich nicht nur charismatischen Persönlichkeiten wie Dorothee Sölle und Kurt Marti verdankten, durch die sie letztlich zu breiter Resonanz gelangt waren, sondern von lokalen Gruppen gestaltet wurden – so zumindest deren demokratische Intention: „In Köln wie in der Schweiz sind Gruppen die Träger dieser Gottesdienste. Es sind Arbeitsgruppen und die Gottesdienste das Ergebnis von Gruppenarbeit.“29 Bewusst in Kauf genommen oder gar intendiert war in den Politischen Nachtgebeten der Charakter des Protesthaften und Kritischen, der nicht selten zu lokalen oder überregionalen Konflikten und Kritik führte. Dies wurde vielmehr als Zeichen dafür gedeutet, dass die Gottesdienste den status quo in Frage stellten und somit politische und gesellschaftliche Wirkungen entfalteten. Kurt Marti resümiert diese Wirkung so: „Sobald einmal Nachtgebete unangefochten und ohne Diskussion oder Wellenschlag vorübergehen, ist auch ihre Zeit vielleicht – vorübergegangen.“30 Im Sinne dieser Grundzüge politischer Gottesdienste wurde in Langenau auch ein Versuch der Verbindung von Politischem Nachtgebet und Abendmahl unternommen. Er entstammt auch dem Mitte der 1960er bereits auftauchenden Unbehagen gegenüber der als traditionell und starr empfundenen Mahlfeierpraxis in den Gottesdiensten. 1969 formuliert Böckenförde diese im Rahmen von Gottesdienstreformexperimenten auftretende Beunruhigung so: „Hält nicht gerade der Gottesdienst in seiner kultischen Ausprägung von sozia-

26 Marti, Kurt: Vorwort, in: Ders. (Hg.): Politische Gottesdienste in der Schweiz. Fünf Beispiele. Basel 1971, 7–12, 7. 27 Dies folgte der Überzeugung, dass die Form dem Inhalt folgen müsse, wie Marti pointiert ausdrückte: „Ich bin vielleicht der naiven Meinung, wichtiger als das ‚Wie‘ sei das ‚Was‘, entscheidender als die Verpackung der Inhalt. Form ist eine Funktion des Inhalts. Alles andere ist Betrug.“ Marti, Kurt: Vorwort (wie Anm. 26), 7.  28 Marti, Kurt: Vorwort (wie Anm. 26), 8.  29 A. a. O., 9. Hervorhebung im Original. 30 Ebd.

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ler Praxis ab? […] Teilreformierung nur des Wortgottesdienstes bei Beibehaltung des sakramentalen Opferritus erschien uns fragwürdiger denn je.“31 Die Agapefeier wurde am 16. Mai 1970 in Langnau im Emmental gemeinsam mit italienischen Gastarbeitern als ein Tischabendmahl in einem Nachtgottesdienst32 gefeiert. Der dem Band „Politische Gottesdienste in der Schweiz“ entnommene Beitrag zum Agapemahl vermischt Bericht und Konzept so miteinander, dass die schriftliche Niederlegung nur einen Teil des Geschehens vor Ort abzubilden vermag, aber auch durch die Mischform ein Eindruck davon entsteht, wie in dieser Form das Abendmahl gefeiert wurde. Durch den Abdruck aller verwendeten Texte und den Hinweis darauf, wie der Gottesdienst vor Ort ablief und welche Veränderungen für die Gestaltung an anderen Orten vorgeschlagen werden, bildet dieser Text ein gut geeignetes Beispiel einer Abendmahlspraxis im Rahmen politischer Gottesdienste, das sich gut für eine hier angestrebte Analyse anbietet. Wie bei anderen politischen Nachtgebeten üblich, wurde auch dieses Agapemahl von Personen gestaltet, die sich vor Ort als Gruppe organisierten und sich den Namen „Aktionsgruppe kritischer Christen“ gegeben hatten.33 Bewusst wurde auf das Modell des Kölner Politischen Nachtgebets zurückgegriffen, auch Texte aus dem Zürcher Nachtgebet sind enthalten.34 Zudem ist in diesem Versuch eine bewusste Erweiterung der Politischen Nachtgebete auf sinnliche und erfahrbare Elemente hin intendiert, die dadurch einen Kontrast zur Liturgielosigkeit und Informationslastigkeit der Politischen Nachtgebete zu setzen vermochte. Der Abendmahlsgottesdienst widmete sich dem damals aktuellen sozial-politischen Thema der Gastarbeiter in der Schweiz und folgte einem liturgischen Dreischritt, wie er in den Politischen Nachtgebeten üblich war35. Zu Beginn wurde das Abendmahl in Form einer Agape gefeiert, dem eine auf das Thema „Fremde“ konzentrierte Textcollage folgte, die eine umfassende thematische Information der Teilnehmenden intendierte. Zuletzt wurde eine gesellschaftspolitische Aktion durchgeführt, die das ethische Bewusstsein in die konkrete Tat vor Ort transformieren sollte.

31 Böckenförde, Hermann: Das Bochumer Modell (wie Anm. 15), 133. 32 Inspiriert von den frühkirchlichen Vigil-Feiern wurde in der Nacht gefeiert, ebenso wie beim Politischen Nachtgebet. 33 Traxel, Gerhard: Anmerkungen zum Langnauer Versuch, in: Marti, Kurt (Hg.): Politische Gottesdienste in der Schweiz. Fünf Beispiele. Basel 1971, 33–35, 32. 34 Eggimann, Agathe / Eggimann, Ernst / Meier, Peter / Moser, Paul / Traxel, Gerhard: Politische Pfingstnacht Langnau im Emmental. Fremde, in: Marti, Kurt (Hg.): Politische Gottesdienste in der Schweiz. Fünf Beispiele. Basel 1971, 13–31, 21 und Traxel, Gerhard: Anmerkungen zum Langnauer Versuch (wie Anm. 33), 33. 35 Die Dreiteilung aus Information, Meditation und Aktion hatte zum Ziel, sowohl Motivation als auch Handlung der Teilnehmende zu verändern: „Es geht jedoch nicht nur um Aufklärung, Provokation, ums Wachrütteln. Intendiert ist eine neue Praxis. Aus Informationen und Meditationen sollen Aktionen hervorgehen.“ Cornehl, Peter: Öffentlicher Gottesdienst, (wie Anm. 5), 186.

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Der liturgische Ablauf der Politischen Pfingstnacht „Fremde“ in Langnau im Emmental Vor der Abendmahlsfeier

italienische Volksmusik vom Tonband, dazwischen Lesungen eines Textes von Max Frisch36.

Begrüßung Lesung

Pfingstbotschaft wird im Wechsel von katholischem und reformiertem Pfarrer gelesen.

Lied

Großer Gott wir loben dich

Kurzansprache

zur Einführung der Agape, deutsch und italienisch

Gebet Essen und Trinken

Feier des Abendmahls als Agapemahl Brot und Wein wird in Krügen gereicht, die Feiernden geben einander die Gaben weiter

Ethische Gewissensbildung Information und Meditation Lesungen, z. T. Bilder, zu den Themen Diskriminierung, Überfremdung, Fremdarbeiter in Langnau Jedes der Themen schließt ab mit einem Gebet Aktion

Planung und Diskussion von Aktionen zur Unterstützung von Fremdarbeitern

2.1.1 Essen und Trinken: Das Agapemahl als Sozialkritik im politischen Gottesdienst Im Zentrum der Abendmahlsfeier steht dessen politische Botschaft einer die Grenzen und Nationen überschreitenden Gemeinschaft der Solidarität. Durch die erlebte Gemeinschaftsfeier zwischen Fremden und Einheimischen sollte erfahrbar werden, dass die Botschaft des Evangeliums konkrete Bedeutung im Alltag der Feiernden erhält und dadurch nicht nur Unterbrechung des Alltäglichen durch die Feier, sondern bewusst die Verbindung von beidem sucht. Traxel betont die „sozialkritische Bedeutung des Sakramentes“37, das als „Basis für ein Gespräch ohne Haß und böswillige Verdächtigungen“38 dienen sollte. Dem gemeinsamen Sakrament wurde transformatorische Wirkung zugeschrieben, die sich in der Gemeinschaft unterschiedlicher Kulturen im Mahl realisierte: „In der Form eines ‚Agape‘ setzte das gemeinsame Mahl Diskriminierungen außer Kraft und gab die Erfahrung neuer Gemeinschaft“39. In der Abendmahlsfeier selbst war auch der Charakter der Ökumene besonders akzentuiert und der Weltbezug als gemeinsame Frage und verbindendes Element hervorgehoben, dem die Möglichkeit einer Überwindung von Diffe 36 Der Text lautet: „Ein kleines Herrenvolk sieht sich in Gefahr. Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.“ Eggimann, Agathe u. a.: Politische Pfingstnacht (wie Anm. 34), 16.  37 Traxel, Gerhard: Anmerkungen zum Langnauer Versuch (wie Anm. 33), 35. 38 Ebd. 39 Ebd.

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renzen in der Lehre zugetraut wurde: „Jedenfalls ist es nun an der Zeit, daß Katholiken und Protestanten miteinander auch nach der öffentlich-kritischen Bedeutung der christlichen Mahlfeier fragen.“40 So wurde versucht, das Problem eines ökumenischen Weltbezugs, der nur auf politische Gottesdienste aufbaut, aber keine gemeinsamen Sakramente teilt, durch die Feier der Agape und den Rückbezug auf frühchristliche Tradition zu lösen. Auf diese Weise, so hoffte man, würde mehr das Verbindende denn das Trennende des „neue[n] Ökumenismus“41 hervorgehoben und gemeinsame Wurzeln als Basis ökumenischer Verbundenheit wiedergefunden werden. Eine Neuerung gegenüber der Informationslastigkeit der Politischen Nachtgebete wurde im Langnauer Versuch der Abendmahlsfeier bewusst angestrebt. So sollte die Festlichkeit und die Feier als Gegenakzent zu Texten und Informationen dienen und zu einer neuen Balance zwischen ethischer Gewissensbildung und feierlichem Erleben führen. Gerade durch den Beginn mit einem gemeinsamen Essen sollte ein „Wärmestrom“ im Gegensatz zum „Kältestrom“42 die Gemeinschaft auf Erlebnisebene spürbar werden lassen, bevor inhaltliche und problembezogene Informationen folgten: „Protestanten und Katholiken, Einheimische und Fremdarbeiter (letztere z. T. mit ihren Kindern auf dem Schoß) tranken aus demselben Becher den Rotwein, der vom Banknachbar gereicht wurde, und aßen vom gemeinsamen Brot“43. Die Erfahrung von Gemeinschaft sollte also gezielt einer ethischen Reflexion der „kritischen Bewusstseinsbildung“44 als „eine Vision der offenen, humanen Gesellschaft ohne Diskriminierung und eine partielle Realisierung zugleich“45 vorausgehen. Denn in dieser Gemeinschaft, so die Hoffnung der Veranstalter, könnte sich bereits etwas von dem realisieren, was später nur noch durch Information unterfüttert werden müsste und so organisch ohne große Überzeugungsarbeit in die konkrete Aktion mündet.

40 Ebd., Hervorhebung im Original. 41 Ebd. 35. 42 Hier wird auf Hans-Eckehard Bahr Bezug genommen, der am Fernsehgottesdienst die Distanz der Zuschauer zur leiblichen Erfahrung zugunsten einer technisierten, eher informationsbezogenen Vermittlung beschreibt. Dieser bezieht sich wiederum auf die ursprüngliche Theorie zu Wärme- und Kältestrom von Ernst Bloch zur Homiletik des Marxismus (vgl. Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung). Das Christentum ist nach Bahr eine „Wärmelehre, insofern es bezogen bleibt auf diese verheißene, keiner Entzauberung unterliegende Aufhebung aller Entfremdungen“ Vgl. Bahr, Hans-Eckehard: Kältestrom und Wärmestrom bei der Vermittlung des Christlichen. Exemplifiziert am Fernsehen. In: Cornehl, Peter / Bahr, Hans-Eckehard (Hg.): Gottesdienst und Öffentlichkeit. Zur Theorie und Didaktik neuer Kommunikation. Hamburg 1970, 197–216, 207. 43 Traxel, Gerhard: Anmerkungen zum Langnauer Versuch (wie Anm. 33), 34. 44 Ebd. 45 Ebd.

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2.1.2 Ethische Gewissensbildung: Textcollage als Information und Meditation Im ans Abendmahl anschließenden Informationsteil wurde aus dem täglichen Leben, dem Alltag der Schweizer und der Fremdarbeiter berichtet und ihre Situation eng mit biblischen Texten verwoben. Alle gesprochenen Teile wurden sowohl auf Deutsch als auch auf Italienisch vorgetragen, um so die Gemeinschaft auch sprachlich herzustellen. Die heterogenen Inhalte legen sich gegenseitig aus, indem sie von unterschiedlichen Sprechern vorgetragen und durch Bilder46 angereichert wurden. Die Informationen sind unterschiedlichen medialen Kontexten entnommen, so wurden die Neue Zürcher Zeitung47, die Weltkirchenkonferenz von Uppsala 196848 sowie Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen49 zitiert. Dazu wurden Statistiken geliefert, die über die Verbreitung von Fremdarbeitern in der Schweiz aufklären.50 Schriftsteller und Poeten lieferten literarischen Tiefgang. Berichte von einzelnen Gastarbeitern, die ihre Lebenssituation und damit verbundene Probleme schildern, wurden eingefügt. Darunter mischten sich biblische Texte aus dem Alten und Neuen Testament, die in die Collage assoziativ eingewebt wurden und als Auslegung der informationslastigen Texte sowohl im Sinne einer christlichen Selbstvergewisserung als auch einer Betonung der ethischen Intention dienten.51 Immer wieder wurden Gebete als liturgische Elemente eingestreut, die im Sinne einer Meditation dazu dienten, das Gehörte auf sich wirken zu lassen.52 Der Aufbau der Texte folgt einer Logik, die vom Allgemeinen zum Konkreten fortschreitet. So bildeten Informationen zur grundsätzlichen Situation in der Schweiz und der Gastarbeitersituation den Anfang, während die Fallbeispiele mit Zuspitzung auf alltägliche Probleme vor Ort den Abschluss bildeten und direkt in die Aktion mündeten mit der Frage: „Was können wir hier in Langnau tun?“53

46 Die Bilder zeigten u. a. schweizerische Bauten, die unter Mitarbeit von Gastarbeitern entstanden sind und werden mit dem gesprochenen Text untermalt: „Die Fremdarbeiter bauen uns das Kirchengemeindehaus / Sie bauen uns das neue Pflegeheim Bärau / Sie bauen uns unsere Wohnungen /  Sie bauten uns den Gotthardtunnel…“, Eggimann, Agathe u. a.: Politische Pfingstnacht (wie Anm. 34), 24. 47 Ein Artikel von 1960 berichtet über die Unterstützung durch Fremdarbeiter in Landwirtschaft, Tourismus und Produktion. Vgl. ebd. 48 A. a. O., 25. 49 Zitiert wird Prof. Hoekendijk, New York, vgl. ebd. 50 Vgl. a. a. O., 23. Die Statistik gibt Auskunft über den „Anteil der ausländischen Bevölkerung in der Schweiz“ in der gesamten Nation und in einzelnen Städten und gibt einen Überblick über die Entwicklung der Zahlen seit der ersten Einwanderungswelle vor dem 1. Weltkrieg. 51 Theologisch wird auf Dietrich Bonhoeffer, Jürgen Moltmann, Hans-Eckehard Bahr explizit hingewiesen. 52 Auch dies ist aus den Politischen Nachtgebeten übernommen. 53 Eggimann, Agathe u. a.: Politische Pfingstnacht (wie Anm. 34), 31.

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2.1.3 Aktion: Ethische Umsetzungen vor Ort Die in drei Teilen gestaltete Liturgie schloss an Agapemahl und Informationsteil noch zuletzt die Aktion an. Wie üblich in Politischen Nachtgebeten sollte die Information nicht allein stehen, sondern durch Taten als Zeichen konkreten ethischen Engagements gefolgt sein: „Es soll gerade nicht allgemein-unverbindlich, sondern konkret informiert, meditiert, diskutiert und möglichst auch agiert werden.“54 Die Anwesenden erhielten ein Aktionsblatt, auf dem verschiedenes Engagement bekundet werden konnte. Neben einer tatkräftigen Hilfe z. B. im Freizeitzentrum beim „Erteilen von Deutschstunden“, „Kinderhüten“, „Überwachen der Aufgaben“ konnte auch Geld für Schallplatten, Bücher oder Schulmaterial gespendet werden. Ziel war es also, die konkreten Zustände vor Ort zu verändern und damit eine weitreichende Öffentlichkeitswirksamkeit zu initiieren. Die Aktion in Langenau wurde gemeinsam mit einer Gruppe Langnauer Bürger aufgenommen, die den Gemeinderat im Nachgang zum Gottesdienst um die Errichtung eines Freizeit- und Kontaktzentrums bat. Zudem fand vor Ort eine Zusammenkunft von Gastarbeitern statt.55 2.1.4 Rezeption: Ausstrahlkraft und liturgische Etablierung des politischen Agapemahls Gerhard Traxel hat 13 Jahre nach der Politischen Pfingstnacht und seiner Veröffentlichung die Weiterentwicklung und Ausstrahlkraft dieser Feiern beschrieben. Der Versuch hatte nicht nur vor Ort Nachahmung gefunden, sondern weit darüber hinaus liturgische Prozesse angestoßen. Bereits kurz nach der ersten Feier und gefolgt von der Veröffentlichung des Konzepts im Buch von Kurt Marti fand das Modell die ersten nachahmenden Gemeinden, und es bildeten sich lokale Gruppen, die sich regelmäßig zur Vorbereitung, Feier und Diskussion trafen, einige davon wöchentlich.56 Es folgte die „Bildung einer ökumenischen eucharistischen Basisgemeinschaft“57, die in weiteren Abendmahlsfeiern sinnliche Elemente integrierten und dadurch Feierlichkeit und ganzheitlichen Charakter verstärkten. Liturgische Formen wie Meditationswege, Film und Ton, neue geistliche Musik und Ausdruckstanz bereicherten die Feiern, gaben ihnen aber auch einen neuen Impuls der Innerlichkeit abseits von gesellschaftlicher Sozialkritik. Beibehalten wurden die Elemente der Ökumene und des gemeinschaftlichen Mahls, das meist in ein Fest überging. Die Besucher dieser Abendmahlsgottesdienste setzten sich zumeist aus kirchenfernen kritischen Christen zusammen, von denen ein Teil regelmäßig kam und ein weiterer Teil einmalige neugierige Besucher, „zum großen Teil kritische, suchende Menschen der jünge 54 Marti, Kurt: Vorwort (wie Anm. 26), 10. 55 Diese Aktionen sind im Band „Politische Gottesdienste“ stichwortartig dokumentiert. Vgl. Eggimann, Agathe u. a.: Politische Pfingstnacht (wie Anm. 34), 32. 56 1973 und 1975 fanden in Zürich-Witikon weitere reformiert-landeskirchliche Osternachtfeiern statt. Eine regionale Verbreitung der Feier wird daran ersichtlich. 57 Eggimann, Agathe u. a.: Politische Pfingstnacht (wie Anm. 34), 31.

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ren und mittleren Generation aus vorwiegend sozialen Berufen“58 waren. Traxel deutet dies als ein Resultat der Anziehungskraft solcher neuer Gottesdienstformen: „Hier verbinden sich uralte und schöne liturgische Feierformen mit heutiger Lebenserfahrung und spontaner Festlichkeit, gesellschaftskritisches Bewußtsein und soziale Leiblichkeit mit liturgischen Symbolen zu einer ursprünglichen und evangelischen Einheit.“59 Im Zuge der weitreichenden Rezeption erlangte die Feier des Osternachtabendmahls solche Ausstrahlkraft, dass sie in der Schweizerischen Liturgie-Kommission diskutiert und schließlich im neuen Liturgiebuch aufgenommen wurde.60 Hier wird der Weltbezug um ein vielfaches allgemeiner und ist deutlicher auf den Alltag der Gläubigen im unmittelbaren sozialen Nahraum bezogen.61 Dieser Prozess der Institutionalisierung des abendmahlsbezogenen Aufbruchs und Ausbruchs aus traditionellen kirchlichen Strukturen durch Gruppenbildung und agendarische Festlegung zeigt eine Tendenz zur Verfestigung dieser ursprünglich als Verflüssigung und Flexibilität gedachten neuen Formen, die dann allerdings das Innovative, Gesellschaftspolitische, das den

58 Traxel, Gerhard: Anmerkungen zum Langnauer Versuch (wie Anm. 33), 40. 59 Ebd. 60 Vgl. a. a. O.,37 f. Sowie Liturgiekonferenz der evangelisch-reformierten Kirchen in der deutschsprachigen Schweiz (Hg.): Liturgie. Band 3 Abendmahl. Bern 1983, 121–143. 374 (zur Entstehungsgeschichte mit Verweis auf Gerhard Traxel). 61 Der Verweis auf ethisches Handeln bezieht sich in der Liturgie v. a. auf den unmittelbaren alltäglichen Kontext des christlichen Handelns in der Welt, indem der soziale Kleinraum und das gute Tun in der Alltäglichkeit hervorgehoben werden. Lediglich in allgemeinen Formeln vom Einsatz für Hungernde, Schwache und für Frieden wird der politische Bezug noch erkennbar. Vgl. das Gebet zum Agapemahl: „Vor uns sehen wir Menschen, die täglich mit uns essen. Hilf, daß wir Zeit haben für sie und ihnen Teil geben an unserem Leben. Wir lassen uns an die Alleinstehenden erinnern, an die Fremden und Einsamen in unserer Nähe. Mit deiner Hilfe möchten wir ihnen Geborgenheit geben.“ (Liturgiekonferenz: Liturgie (wie Anm. 60), 314). Die ethische Dimension richtet sich eher auf das Alltägliche im individuellen sozialen Umfeld, wie an den Fragen zur ‚Gewissenserforschung‘ deutlich wird: „Im Lichte des göttlichen Erbarmens fragen wir uns jetzt: Stelle ich mich Gott und meinen Mitmenschen zur Verfügung? (Stille) / Kann mein Nächster sich neben mir entfalten, oder stehe ich ihm im Wege? (Stille) / Nehme ich meine Partner ernst? Kann ich zuhören? (Stille) / Teile ich Freude und Leid meiner Mitmenschen (Stille)“, a. a. O., 333–334). Allgemeiner Weltbezug ist in Agape 4 artikuliert, wo für die Not der Welt gebetet wird: „Wieviel Elend, wieviel nackter Hunger und bitterste Not schreit an allen Ecken und Enden unserer Erde zum Himmel. Eben erst haben uns Nachrichten aus […hier ist eine Leerstelle gelassen zum Einfügen von tagespolitischen Themen] erreicht, verbunden mit der Bitte um unsere tatkräftige Hilfe. Öffne, Herr, unsere Hände und Herzen, unsere Kleiderschränke und Brieftaschen. Wecke in unserer Mitte die Bereitschaft, diesen in Not geratenen Familien in .., unseren Schwestern und Brüdern wirksam zu helfen. Auch für die Nöte in unserer unmittelbaren Umgebung mach uns offen. Wo Schwache und Unbeholfene von Stärkeren übervorteilt und ausgenützt werden, da gib uns ein klares Wort des Protestes in den Mund.“ (Liturgiekonferenz der evangelisch-reformierten Kirchen in der deutschsprachigen Schweiz, Liturgie. Band 3 Abendmahl, 344). Und schließlich: „Wir denken an Menschen in dieser Welt vor leeren Schüsseln. Wir erinnern uns an Bilder, wo hungrige Augen und von Entbehrung gezeichnete Geseichter uns vorwurfsvoll anblicken. Wir rufen uns jene Berichte ins Gedächtnis, wo von Not und von Elend geredet wird. Herr, wecke uns aus aller satten Gleichgültigkeit; zeige uns, was wir tun können a. a. O., 349.

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Aufbrüchen vor Ort eigen ist und auf die konkrete Situation zielt, zugunsten der Breitenwirkung verliert. Der Wunsch nach einem Ausbruch aus der kirchlichen Routine, nach Neubeginn, Bewegung und Entdeckung charakterisierte die Absicht der Politischen Gottesdienste und sollten eine über die Liturgie hinaus bestehende Motivation zur Tat in den Gottesdienstbesuchern erzeugen. Kurt Marti fasst diesen Wunsch zusammen: „Sind die Nachtgebete nur ein Anfang? Oder nur ein zeitweiliger Versuch zum Aus- und Aufbruch aus theologischer und kirchlicher Routine, der eines Tages, wenn ‚politische Theologie‘, ‚politische Kirche‘ vielleicht nicht mehr Schreck- oder Tagesparolen sind, von der kirchlichen Routine wieder neutralisiert werden wird? Ich weiß es nicht, hoffe aber, sie seien ein Anfang.“62 Dies war die Hoffnung der Initiatoren Politischer Gottesdienste, deren ethische und gesellschaftspolitische Grundintention des Weltbezuges sich als Kennzeichen neuer Gottesdienste zu etablieren vermochte, jedoch in den Folgejahren um das Element des Festlichen und Feierlichen, wovon bereits Spuren im Langnauer Versuch sichtbar geworden waren, bereichert wurde. 2.2 Ein Fest der Solidarität und Weltverantwortung: Das Feierabendmahl auf dem Kirchentag 1979 Das Feierabendmahl, wie es 1979 auf dem Nürnberger Kirchentag erstmalig gefeiert worden ist, kann mit B. Naumann als „eine der wichtigsten Entwicklungen in der protestantischen Abendmahlspraxis in Deutschland innerhalb der letzten drei Jahrzehnte, die unmittelbar aus dem Kirchentag hervorgegangen ist,“63 bezeichnet werden. Die Akteure, die hier die bereits eingangs skizzierten unterschiedlichen Einflüsse auf die Gestaltung von Gottesdiensten aufgriffen und neu gestalteten, bildeten ihrerseits auch diese Einflüsse ab.64 Bewusst setzte das Feierabendmahl 1979 die mit der Liturgischen Nacht 1973 und den Beat-Messen 1975 begonnene Linie fort.65 Zentrale Impulse für die Gestaltung des Feierabendmahls in St. Lorenz auf dem Nürnberger Kirchentag 1979 gingen aber auch – wie im Folgenden noch deutlich werden wird – von den Politischen 62 Marti, Kurt: Vorwort (wie Anm. 26), 12.  63 Naumann, Bettina: Abendmahl feiern – auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag, in: PrTh 44 (2009), 121. 64 Die Zusammensetzung des Projektausschusses „Forum Abendmahl“ auf dem DEKT 1979 zeichnete sich bewusst durch eine „Bandbreite vom Gestalter neuer Gottesdienste über den Michaelsbruder und Jesuitenpater bis zum Vertreter des konservativen Pietismus“ (Wilm, Ernst / Kugler, Georg: Abendmahlsfeiern in Nürnberg. Anstiftung zum Weitermachen?, in: PTh 69 (1980), 476) aus. Gemeint sein könnten damit Dieter Trautwein, Christian Zippert, Hanns Heim und Franz Soellner. Auch in dieser Hinsicht sind also „Forum Abendmahl“ und „Feierabendmahl“ integrative Konzepte. 65 Vgl. Peters, Albrecht: Tischabendmahl – Agape – Feierabendmahl, in: JLH 25 (1981), 89; Kugler, Georg: Bindeglied zwischen jung und alt (wie Anm. 18), 145 f.; Kugler, Georg / Lindner, Herbert: Das Feierabendmahl in St. Lorenz. Überlegungen, Bericht, Redaktion, in: Kugler, Georg (Hg.): Forum Abendmahl. Gütersloh 1979, 73.

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Nachtgebeten aus, die schon in der vorangegangenen Fallstudie vorgestellt worden sind. Auch die am Projektausschuss des Forum Abendmahls auf dem Kirchentag 1979 Beteiligten selbst nahmen „ein immer weiteres Auseinanderdriften der kognitiven und emotionalen Dimension, ein Grundübel des Protestantismus“66 wahr, das in einem Nebeneinander von Arbeitsgruppen zu sozialethischen Themen und der Feierwelt des Kirchentages zum Ausdruck gekommen ist. Um diese „schizoide Situation protestantischer Frömmigkeit“67 zu überwinden, wurde, angeregt durch die Taizé-Losung „Kampf und Kontemplation“ und vermutlich auch durch das von unterschiedlichen Bruderschaften, hochkirchlichen und ökumenischen Gruppen verantwortete „Zentrum Abendmahl“ auf dem Kirchentag 1977 in Berlin,68 das „Forum Abendmahl“ für den Kirchentag 1979 ins Leben gerufen, das Diskussion über das Abendmahl und die Feier desselben verbinden sollte. Schon hier wird also deutlich, dass es sich bei dem Projekt „Forum Abendmahl“ und seinem Kern praktischer Umsetzung – dem Feierabendmahl – um dezidiert integrative Modelle69 handelt, denen es explizit darum geht, als disjunkt Wahrgenommenes zu einer Einheit zu verbinden: Ethisch-politische Anliegen und liturgische Feier sollten nicht mehr, wie im Politischen Nachtgebet oder im stärker agendarisch orientierten Gottesdienst, getrennt voneinander existieren. Für das Feierabendmahl sollte gelten: „Der Glaube wird hier feierbar. Reflexion und Erfahrung kommen zusammen.“70 Die dem Protestantismus zugeschriebene verkopfte Innerlichkeit sollte einer neuen Ganzheitlichkeit weichen, aus der ethisch-politisches Engagement erwächst. Nicht nur in dieser Hinsicht handelt es sich aber bei dem Feierabendmahl auf dem Kirchentag 1979 um ein „integratives Modell“ einer Abendmahlsfeier, sondern auch insofern als der Akzent der Feier auf der Gemeinschaft und der kreativen Partizipation ihrer Mitglieder liegt,71 wobei die „Gemeinschaft“ hier unbedingt ökumenisch verstanden wird und entsprechend der im Zusammenhang mit dem Feierabendmahl 1979 erstellten „Lorenzer Ratschläge“ auch Kinder einschließt.72 Das Abendmahl sollte Erlebnis einer Gemeinschaft in 66 Kugler, Georg: Bindeglied zwischen jung und alt (wie Anm. 18), 146; vgl. dazu auch die Darstellung in: Grethlein, Christian: Abendmahl feiern in Geschichte, Gegenwart und Zukunft (wie Anm. 9), 185–190. 67 Kugler, Georg: Bindeglied zwischen jung und alt (wie Anm. 18), 146. 68 Vgl. Wolf, Carola: Kirchentagstaschenbuch Berlin ’77 (wie Anm. 13), 47–50. 69 Dies gilt auch für das zuvor vorgestellte Langnauer Abendmahl, das ja die Agapefeier in das Konzept des Politischen Nachtgebets integriert. 70 Kugler, Georg: Standortbestimmung des Forum Abendmahl, in: Ders, (Hg.): Forum Abendmahl (wie Anm. 65), 13. 71 Vgl. Peters, Albrecht: Tischabendmahl – Agape – Feierabendmahl (wie Anm. 65), 89 f.; Schulz, Frieder: Das Mahl der Brüder (wie Anm. 10), 32 f. 72 Vgl.: Lorenzer Ratschläge mit Stellungnahmen. In: Kugler, Georg (Hg.): Forum Abendmahl (wie Anm. 65), 162; wie zentral die Bedeutung des Aspekts „Gemeinschaft“ ist, wird im Vortrag E. Käsemanns deutlich, der nicht nur die Teilnahme von Christen anderer Konfessionen, sondern auch von Ausgetretenen fordert: „Herrenmahl ist ökumenisch oder nicht mehr Herrenmahl, sondern Sektenfeier, weil der Gekreuzigte alle an seinen Tisch ruft, für die er starb. Die Dogmatiken wurden erst später geschrieben. Wenn selbst Judas nicht ausgeschlossen war und wenn die Taufe

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Christus sein, die alle Glieder in den einen Leib zu integrieren vermag. Dass diese Komponente des integrativen Modells „Feierabendmahl“ nicht von denen der ganzheitlichen Frömmigkeit und des ethisch-politischen Engagements getrennt werden kann, wird deutlich, wenn F. Walz retrospektiv 1981 unter Rückgriff auf die berühmte Rede von Martin Luther King über das Feierabendmahl in Nürnberg 1979 sagt: „Ja, wir hatten einen Traum. […] Wir hatten die Vision, daß die Gemeinschaft mit Christus und die Gemeinschaft miteinander, die ja unlösbar zusammengehören, wenigstens ansatzweise sichtbar werden könnten! Wir meinten, daß der Umgang mit Brot und Wein uns Respekt vor den Feldern und Weinbergen, Solidarität mit der erschöpften Schöpfung beibringen kann. Wir wünschten uns, daß die Rast am Tisch Christi uns die Füße kräftigt für den Weg zum Frieden und die Hände öffnet zum Teilen. Wir hatten einen Traum.“73 Das Feierabendmahl sollte politisch-ethische Reflexion und Aktion, liturgische Feier, solidarische Gemeinschaft miteinander und mit Christus ineinander integrieren. Glaube, Praxis und Solidarität gehören zusammen: Das Abendmahl ist „Vorzeichen einer anthropologischen Revolution“.74 Beispielhaft soll der integrative Charakter des Feierabendmahls anhand des 1979 auf dem DEKT in St. Lorenz durchgeführten Abendmahls verdeutlicht werden.75 Der zentralen Bedeutung von Gemeinschaft und Partizipation an Gemeinschaft entsprechend wurde der Gottesdienst von einem Team, nicht von einer Einzelperson, vorbereitet. Einzelne Teile des Gottesdienstes, wie beispielsweise die Fürbitten, wurden im Vorfeld nicht ausformuliert, um Raum für spontane Partizipation zu lassen.76 Der Aufbau des Feierabendmahls zeigt deutallgemein als gültig anerkannt wird, begeht ein Sakrileg nicht derjenige, der mit fremden Brüdern feiert, sondern der ihnen Gemeinschaft verweigert. […] Denn wer Gäste des Gekreuzigten nicht bei sich duldet, duldet den Gekreuzigten selber nicht mehr in seiner Mitte.“, siehe: Käsemann, Ernst: Gäste des Gekreuzigten, in: Kugler, Georg (Hg.): Forum Abendmahl (wie Anm. 65), 56 f. Dieser Vortrag löste einige Kritik aus (vgl.: Schilling, Werner: Heiliges Abendmahl oder Feierabendmahl?. Bielefeld 1980, 110–114), musste sich Käsemann doch von Andersdenkenden z. B. aus dem Umfeld der Bekenntnisbewegung nun seinerseits Sektiererei vorwerfen lassen, da er ihrer Meinung nach Christen mit einem anderen Abendmahlsverständnis vom Herrenmahl ausschloss. 73 Walz, Friedrich: Erinnerung an einen Traum, in: Christiansen, Rolf / Cornehl, Peter (Hg.): Alle an einen Tisch. Forum Abendmahl 2. Gütersloh 1981, 24 f. Gerade in der Form – der Anlehnung an die berühmte Rede Martin Luther Kings – wird deutlich, wie stark hier sozialethische, politische Überzeugungen und Frömmigkeit verbunden sind. 74 Vgl. den von J. B. Metz im Rahmen des „Forum Abendmahl“ auf dem Kirchentag 1979 gehaltenen Vortrag: Metz, Johann Baptist: Brot des Überlebens. Das Abendmahl der Christen – Vorzeichen einer anthropologischen Revolution, in: Kugler, Georg (Hg.): Forum Abendmahl (wie Anm. 65), 15–29. 75 Zeitgleich fanden in mehreren Gemeinden in und um Nürnberg ebenfalls Feierabendmahlsfeiern statt, der Gottesdienst in St. Lorenz ist aber das wohl prominenteste Beispiel für das Feierabendmahl, in jedem Fall ist es aber das am besten dokumentierte Beispiel, weswegen dieses dargestellt wird. Es muss dabei bedacht werden, dass die Dokumentation durch den Personenkreis erfolgt ist, der diesen Gottesdienst auch verantwortet hat. Die Zwischenüberschriften des folgenden Teils folgen nicht vollständig der liturgischen Untergliederung des Gottesdienstes, sondern stärker inhaltlichen Gesichtspunkten. 76 Kugler, Georg / Lindner, Herbert: Das Feierabendmahl in St. Lorenz (wie Anm 65), 74 f.

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liche Parallelen zum Aufbau einer Abendmahlsfeier nach der Agende, es folgen Eröffnung, Anrufung, Verkündigung und Bekenntnis – mit einer Erweiterung um eine Phase der Gabenbereitung, auch „große Kommunikationsphase“ genannt –, Mahlfeier und Sendung aufeinander.77 Hinzugefügt wurden dem Feierabendmahl im Vergleich zur Abendmahlsfeier der Agende eine Phase der Vorbereitung und der Nachfeier.78 Neu ist also weniger der liturgische Ablauf, sondern eher die inhaltliche Füllung der traditionellen Abendmahlsliturgie und auch hier wird erneut deutlich, dass das Feierabendmahl einen integrativen Charakter hat: Tradition soll hier nicht aufgelöst oder gar abgeschafft, sondern mit neuem Leben gefüllt werden. Dies spiegelt sich auch in der musikalischen Gestaltung des Feierabendmahls in St Lorenz 1979: Taizé-Gesänge fanden genauso Verwendung wie die zweite Strophe aus „Lobt Gott den Herrn, ihr Heiden all“, ferner wirkten an der musikalischen Gestaltung sowohl der Bach-Chor unter der Leitung von Kirchenmusikdirektor Harrasowitz wie die Studiogruppe Baltru­weit mit ihrem Neuen geistlichen Liedgut mit.79 „In dieser Feier verbanden sich [also] Elemente aus der Tradition der Messe mit neueren Frömmigkeitsformen von Taizé, waren mit ‚Bach und Beat‘ verschiedene Musikkulturen präsent, wurden soziales und politisches Engagement auf der einen, Kontemplation und Lob Gottes auf der anderen Seite zusammengebunden.“80 Der liturgische Ablauf des Feierabendmahls in St. Lorenz während des 18. Deutschen Evangelischen Kirchentages in Nürnberg Vor Gottesdienstbeginn

singen der Lieder und liturgischen Stücke mit den bereits anwesenden Kirchenbesuchern

Eröffnung

Glocken und Stille, Musik als Eröffnungssignal, Begrüßung, Stille und Eingangsmeditation, Lied

Ethische Gewissensbildung Klage und Anklage (Anrufung) Überleitung, Lesung des Textes „Kolumbien, von Buschmessern zerhackt“, Stille, Rede des Generalsekretärs von amnesty inter­national, spontan von den Anwesenden formulierte Fürbitten Aktion

Das Zeichen der Hoffnung (Verkündigung und Bekenntnis) Stille, Meditation des Triumphbogenkruzifixes in St. Lorenz, Lesung von Psalm 126, Lied



Miteinander Zeichen der Hoffnung suchen und senden (Verkündigung und Bekenntnis II / Gabenbereitung) Informationen über die beiden Gefangenen Ben Chavis und Oleska Tikhy, Verteilen und Schreiben von Briefen



77 Im Einzelnen werden die Parallelen im Ablauf des Feierabendmahls und des agendarischen Abendmahls tabellarisch auch von G. Kugler dargestellt in: Kugler, Georg: Feierabendmahl. Zwischenbilanz – Gestaltungsvorschläge – Modelle. Gütersloh 1981, 26–29. 78 Vgl. ebd. 79 Kugler, Georg / Lindner, Herbert: Das Feierabendmahl in St. Lorenz (wie Anm. 65), 74. 80 Naumann, Bettina: Abendmahl feiern – auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag (wie Anm. 63), 121.

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  Katharina Herrmann und Annette Haußmann und Karten, Formulierung eines Telegramms an Breschnew und Carter, währenddessen Musik, Einsammeln der Briefe, Karten und der Kollekte, Lied, Vorlesen des Telegramms an Breschnew und ­Carter, Bringen von Brot und Wein, Gabengebet, Zwischenspiel

Essen und Trinken

Der Lobpreis (Mahlfeier I) Gruß und Aufforderung zum Lobpreis, Eröffnung des Lobpreises mit einem Lied, Präfationsgebet, Abschluss des Lobpreises, Erinnerung an die Abendmahlsworte, Bitte um den Heiligen Geist, Vaterunser



Essen und Trinken (Mahlfeier II und Sendung) Einführung, Austeilung, Musik als Signal, spontan von den Gottes­dienstbesuchern formulierte Dankgebete, Segen, Zeichen des Friedens

Abschluss

Einsingen, Gute-Nacht-Geschichte, Lied, gemeinsames Aufräumen

2.2.1 Ethische Gewissensbildung: „Klage und Anklage“ als Beichte politischer Missstände Das Neue der Feierabendmahlsfeier in St. Lorenz 1979, die von Georg Kugler und Friedrich Walz geleitet wurde, wird nun wie geschrieben vor allem dann deutlich, wenn man die konkrete Gestaltung der einzelnen Phasen der Abendmahlsliturgie betrachtet: Während die Eröffnung des Gottesdienstes recht traditionell gestaltet worden ist,81 haben die Phasen der Anrufung sowie die von Verkündigung und Bekenntnis eine klare Ausweitung und Neuorientierung erfahren: Zu Beginn der ausgedehnten Phase von „Klage und Anklage“ wurde derer gedacht, die nicht an der Feier teilnehmen konnten, wie Ernesto Cardenal, der sein Kommen zugesagt hatte, dann aber aufgrund der aktuellen Ereignisse in Nicaragua von einer Reise abgehalten worden war. Zur Vergegenwärtigung der Situation derer, die nicht feiern können, sollte nun „[e]in Schrei unter Tausenden […] hörbar werden“ indem das Gedicht „Kolumbien, von Buschmessern zerhackt“ von einer Schauspielerin vorgetragen wurde, das von einer drastischen Schilderung der Not der kolumbianischen Bevölkerung über Selbstkritik und Kritik an den Mächtigen und am Klerus zu einer Bitte um Vergebung führt:82 Am Anfang dieses Gedichts steht die sehr plastische Schilderung der Leichenteile von Opfern eines Sprengstoffanschlags in Kolumbien, die übergeht in eine Selbstanklage („Schon haben wir uns daran gewöhnt, kleine geköpfte Kinder zu sehen“) und mit den Bitten um Vergebung („Herr, vergib uns unsere Mörder unsere / Politiker unsere Zeitungen Radio Fernsehen“) und um alle versöhnende Liebe („Herr, / gib, daß es keine Gewalt mehr gibt und / gib uns Liebe“) schließt.83 81 Kugler, Georg / Lindner, Herbert: Das Feierabendmahl in St. Lorenz (wie Anm. 65), 78–80. 82 Kugler, Georg / Lindner, Herbert: Das Feierabendmahl in St. Lorenz (wie Anm. 65), 82. 83 A. a. O., 82–84.

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Interessant ist an diesem Text die Verbindung von Information über eine aktuelle Problemlage, Selbstanklage / Klage und Bitte um Vergebung: Den Anwesenden wird nicht einfach das Elend anderer Menschen, sondern vor allem auch die eigene Schuld an deren Elend und die eigene Erlösungsbedürftigkeit vor Augen geführt. Auf eine Phase der Stille folgte eine Wiederholung eben dieses Schemas: Helmut Frenz, damals Generalsekretär von amnesty international in der Bundesrepublik, vorgestellt als Augenzeuge aus Chile, hielt eine Rede, in der er über die Situation in Nicaragua informierte, davon ausgehend auf die Frage „Was hat das mit uns zu tun?“ hin Vorwürfe gegen die BRD erhob, die eine finanzielle Unterstützung des Somoza-Regimes nicht verhindert habe.84 Er schloss diese Rede mit den Worten: „Keiner darf sich hier wegschleichen und sagen, das ist nicht mehr christliche Rede. Und wenn es das nicht mehr sein sollte, dann ist es wenigstens der Übersetzungsversuch eines Bruders, der mit vielen Leidenden unten dem Kreuz des Herrn steht und bittet und fleht: Herr, vergib uns.“85 Auch hier findet sich also die Trias von Information, Selbstanklage / Klage und Bitte um Vergebung. Anschließend sprachen spontan Teilnehmer Fürbitten, jeweils begleitet durch ein „Kyrie“ aus Taizé. 2.2.2 Aktion: „Zeichen der Hoffnung“ als Bekenntnis und Voraussetzung würdiger Teilnahme Auf diese Phase der Selbstanklage und der Bitte um Vergebung schloss nun die Phase von „Verkündigung und Bekenntnis“ an, überschrieben mit „Das Zeichen der Hoffnung“:86 Schriftlesungen, Glaubensbekenntnis und Predigt wurden ersetzt durch eine mehrteilige „Biblische Deutung der Situation“87: So folgte auf eine Phase der Stille eine Meditation des Triumphkreuzes von St. Lorenz, die ausgehend von den Informationen über Kolumbien und Nicaragua und der Wiederholung der Selbstanklage erneut um den Beistand Christi bittet („Herr, hilf mir zu schreien, hilf mir, einen Schritt zu tun.“) und abschließend den Blick auf die Triebe, die an diesem Triumphkreuz aus dem ‚toten Holz‘ des Kreuzes sprossen, lenkte: „Entdeckst du nicht heute schon an Kreuzen kleine Triebe, Zeichen der Hoffnung? Zeichen, daß der Tag kommen wird. Dann wirst du mitfeiern. Dann, wenn mein Vater alle Gefangenen dieser Erde erlöst.“88Dieses Prinzip leitete die Phase von ‚Verkündigung und Bekenntnis‘: Vom Schuldbekenntnis und der Bitte um Beistand sollte nun über Zeichen der Hoffnung zur gemeinsamen Mahlfeier als Vorwegnahme endzeitlicher Gemeinschaft übergeleitet werden. Als „Gelenkstelle“ fungiert dabei der gekreuzigte Christus: „In ihm ist ja Leid und Hoffnung, Kreuz und Auferstehung gegenwärtig.“89 Verstärkt wurde dies noch durch den vom Bach-Chor gesungenen und anschließend „für Ernesto

84 A. a. O., 87. 85 Ebd. 86 Vgl. a. a. O., 90. 87 Kugler, Georg: Feierabendmahl (wie Anm. 77), 28. 88 Kugler, Georg / Lindner, Herbert: Das Feierabendmahl in St. Lorenz (wie Anm. 65), 92. 89 Wilm, Ernst / Kugler, Georg: Abendmahlsfeiern in Nürnberg (wie Anm. 64), 477.

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Cardenal und alle Gefangenen“90 auf Spanisch vorgelesenen Psalm 126. Auf diese Verkündigung folgte die Phase des Bekenntnisses: Gemeinsam wurde das Lied „Wir haben einen Traum“ mit der Studiogruppe Baltruweit gesungen: „Wir haben einen Traum / der macht nicht taub, wir hören / der macht nicht stumm, wir rufen / der lähmt uns nicht, wir handeln.“ Bekenntnis des christlichen Glaubens meint hier also auch: Bekenntnis zum Handeln in der Welt aus dem christlichen Glauben heraus – dies ist integraler Bestandteil des Bekenntnisses. Noch deutlicher wird dies in der symbolischen Aktion, die ebenfalls zur Phase „Bekenntnis“ im Aufbau des Feierabendmahls gehörte: Von der Nürnberger amnesty international-Gruppe wurden exemplarisch zwei aufgrund ihres politischen Engagements Inhaftierte, also „Gefangene“, vorgestellt,91 woraufhin die Besucher des Feierabendmahls Gelegenheit erhielten, Hoffnungskarten und Briefe, die um eine Freilassung dieser beiden Gefangenen bitten, zu verfassen. Das eigene politische Aktivwerden durch das Verfassen von Protestbriefen ist symbolischer Ausdruck des christlichen Bekenntnisses. Spontan schlug der anwesende Paul Österreicher, der für amnesty international in London tätig war, „in einer kleinen Gruppe, die am Altar diskutiert, vor, an Breschnew und Carter, die wegen der Unterzeichnung des Salt II-Abkommens in Wien sind, ein Telegramm zu schicken.“92 Dass der Ort dieses spontanen Einfalls und der Diskussion – in der Nähe des Altars – in der Dokumentation eigens erwähnt wird, dürfte nicht zufällig sein: Der Altar ist hier nicht Grenzstein zwischen Himmel und Erde, sondern Bindeglied zwischen eschatologischer Hoffnung und irdischem Engagement. Und auch das irdische Engagement vollzog sich hier – einem Gottesdienst entsprechend und in der Tradition des Politischen Nachtgebets – mehr symbolisch als tatsächlich, denn dass Breschnew und Carter durch ein Telegramm vom Kirchentag nicht zu einem grundlegenden politischen Kurswechsel bewegt werden, dürfte den Anwesenden durchaus klar gewesen sein. Wichtig war wohl vor allem das Setzen eines Zeichens, nicht die realpolitische Wirkung der Handlung. Gottesdienst wird hier verstanden als symbolhafte Vorwegnahme eines besseren Miteinanders: „Das hat einst Karl Barth gemeint, als er in der ‚Kirchlichen Dogmatik‘ sagte, das Kirchenrecht müsse ‚liturgisches‘ Recht sein, also von der Mitte der Gemeinde her gestaltet werden. Nicht nur die Gemeinde, sondern auch die Gesellschaft ist analogiebedürftig.“93 Das Handeln und die ethische Reflexion darauf sind in die Liturgie integriert. Die Verbindung von eschatologischer Hoffnung und irdischem Engagement scheint überhaupt prägend für das „integrative Modell“ Feierabendmahl: In die traditionelle Liturgie einer Abendmahlsfeier wurden Elemente des Politischen 90 Ebd. 91 Es handelte sich um Ben Chavis (USA, schwarzer Bürgerrechtler) und Oleska Tikhy (UdSSR, Mitbrgünder der ukrainischen Helsinki-Gruppe). Während des anschließenden Verfassens von Karten und Briefen wurden Lieder wie „Entdeck bei mir, den ersten Schritt“, „Gib der Hoffnung langen Atmen“ und „Abschied von der Angst“ gesungen bzw. von der Studiogruppe Baltruweit gespielt. 92 Wilm, Ernst / Kugler, Georg: Abendmahlsfeiern in Nürnberg (wie Anm. 64), 95. 93 A. a. O., 477.

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Nachtgebetes94 – Information, Meditation, Diskussion und Aktion – integriert, die an die Stelle vor der gemeinsamen Mahlfeier als Vorwegnahme eschatologischer Gemeinschaft in befreiter Feier traten. Im Gegensatz zum zuvor vorgestellten Politischen Abendmahl95 gehen Information, Meditation, Diskussion und Aktion nun der gemeinsamen Mahlfeier voraus und treten damit an die Stelle, an der in der traditionellen Abendmahlsliturgie Sündenbekenntnis und Sündenvergebung stehen. Der Raum politischer Aktion wird damit nicht nur sakralisiert zum Raum der Bewährung christlichen Glaubens, sondern politisches Schuldbekenntnis und politische Aktion treten damit an die Stelle der Beichte und Reue individueller, alltäglicher Verfehlungen und werden damit zur Bedingung würdiger Teilnahme am Abendmahl: Wir haben uns im Protestantismus zu sehr um unsere eigenen Sünden bemüht, sind zu sehr um uns selbst gekreist, so daß wir das ‚unwürdig‘ des Paulus auf unsere private Frömmigkeit bezogen haben. Ernst Käsemann hat uns wieder deutlich gemacht, daß die soziale Dimension des Herrenmahles hier in Frage steht. Darum wiesen wir darauf hin, daß die Verweigerung der Solidarität mit den Hungernden und den Geringen im Leib Christi der eigentliche Skandal ist.96

Der häufig gegen neue Abendmahlsformen erhobene Vorwurf bzw. die Feststellung, diese würden das Abendmahl zugunsten der Betonung seiner gemeinschaftsstiftenden Funktion von der Sündenvergebung trennen, um es zu einer theologisch entleerten Feier zu machen, trägt also nur bedingt:97 Zumindest für das in St. Lorenz 1979 gefeierte Feierabendmahl ist dieser Schluss unzutreffend indem „Gemeinschaft“ hier als globale Solidarität verstanden wird, mithin also selbst politisch ist, und ihre Verweigerung die eigentliche Sünde darstellt. „Die mittelalterlich-reformatorische Zuordnung von Sündenbekenntnis („Zerknirschungsmahl“) und Losspruch, welche auf die eigene Schuld blickte, wird im Feierabendmahl in neuer Gestalt lebendig als Teilnahme an fremder Not (unter Aussprechen der Mitschuld) in der Klage (oder auch Anklage) sowie als Durchbruch zur Festfreude.“98 Für andere Durchführungen des Feierabendmahls, aber auch für Abendmahlsfeiern in anderen Kontexten – beispielsweise während der Liturgischen Nacht und der Beat-Messen auf den Kirchentagen der 94 Dass diese Verbindung von traditioneller Eucharistiefeier und politischem Nachtgebet bewusst verfolgt wurde, wird beispielsweise deutlich in: Kugler, Georg / Lindner, Herbert: Das Feierabendmahl in St. Lorenz (wie Anm. 65), 77. 95 Dass dieses Politische Abendmahl unter der Leitung von Kurt Marti von den Mitgliedern des Projektausschusses „Forum Abendmahl“ oder dem Vorbereitungsteam des Feierabendmahls in St. Lorenz auf dem Kirchentag 1979 rezipiert worden wäre, lässt sich allerdings nicht nachweisen; mutmaßlich gibt es also keinen Entwicklungszusammenhang zwischen beiden Abendmahlsfeiern. 96 Wilm, Ernst / Kugler, Georg: Abendmahlsfeiern in Nürnberg (wie Anm. 64), 477; in dieselbe Richtung weist auch die Forderung: „Unwürdig ist zuerst der, der Solidarität verweigert.“ Kugler, Georg: Vorwort, in: Ders. (Hg.): Forum Abendmahl (wie Anm. 65), 7.  97 So beispielsweise: Schilling, Werner: Heiliges Abendmahl oder Feierabendmahl? (wie Anm. 72), 25; Peters, Albrecht: Tischabendmahl – Agape – Feierabendmahl (wie Anm. 65), 90 f.; Dahlgrün, Corinna: Von der ‚Speise der Seelen‘ (wie Anm. 20), 202. 98 Peters, Albrecht: Tischabendmahl – Agape – Feierabendmahl (wie Anm. 65), 91.

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1970er Jahre – müsste die Behauptung, das Abendmahl werde hier losgelöst von Sündenbekenntnis und Sündenvergebung gefeiert werden, im Einzelfall geprüft werden. Für das Feierabendmahl in St. Lorenz auf dem Kirchentag 1979 wird man zumindest festhalten müssen: Als integrative Feier enthält es beides – Sündenbekenntnis/-vergebung und Gemeinschaftsmahl, Politisches Nachtgebet und traditionelle Liturgie. In St. Lorenz schloss sich 1979 an die Aktion des Karten- und Briefeschreibens die gegenüber der Agende zusätzliche Phase der „Gabenbereitung“ an: Auf ein Posaunensignal hin fand das Einsammeln der Karten und Briefe sowie der Kollekte zugunsten von amnesty international statt, wobei der Taizé-Kanon „Ostende nobis domine“ gesungen wurde. Das inzwischen von Paul Österreicher formulierte Telegramm an Breschnew und Carter wurde vorgelesen, „[l]anger Beifall ist das Zeichen der Zustimmung“, darauf folgte der feierliche Einzug von Brot und Wein, wobei in deren Erklärung erneut der integrative Charakter des Feierabendmahls symbolisch verdichtet wurde: Mit dem Wein „bringen wir unsere Hoffnung, daß am Ende der Geschichte nicht das Nichts steht, […] sondern das Fest mit dem, der für uns starb.“99 Gemeinschaft und Feier werden empfangen in der Hoffnung, die aus dem Glauben an den Jesus Christus stammt, sie wurden mitnichten losgelöst von Glaubensinhalten zum Selbstzweck. Mit dem Brot „bringen wir die Schöpfungsgaben, für die wir danken, die wir nicht ausbeuten, vergiften und zerstören dürfen.“100 Einsatz für die Schöpfung – auch eine Form des Weltbezugs – folgte also aus dem Empfang der Schöpfungsgabe.101 Durch diese Verbindung des Abendmahls mit dem Thema „Schöpfung“ wird deutlich, dass das Modell „Feierabendmahl“ und dessen konkrete Gestalt in St. Lorenz 1979 im ökumenischen Kontext verortet werden muss: Den Gedanken, dass jedes Abendmahl eine Art „Erntedankfest“ sein müsse, entnahmen die Verantwortlichen dem „Accra-Papier“ von 1974102 der Weltkirchenratskommission für Glaube und Kirchenordnung des Ökumenischen Rates der Kirchen, einem Dokument, das auf dem Weg hin zur Konvergenzerklärung über Taufe, Eucharistie und Amt (Lima-Erklärung) von 1982 entstanden ist.103 Das Feierabendmahl steht also im Kontext ökumenischen Nachdenkens über das Abendmahl. 99 Kugler, Georg / Lindner, Herbert: Das Feierabendmahl in St. Lorenz (wie Anm. 65), 97. 100 Ebd. 101 Dass das Feierabendmahl vor dem Hintergrund der ökologischen Bewegungen der 1970er Jahre steht, wird von G. Kugler auch deutlich gemacht in: Kugler, Georg: Bindeglied zwischen jung und alt (wie Anm. 18), 146 f. 102 Vgl.: Schilling, Werner: Heiliges Abendmahl oder Feierabendmahl? (wie Anm. 72), 107; Gemeint ist das Dokument: Müller-Fahrenholz, Geiko (Hg.): Eine Taufe. Eine Eucharistie. Ein Amt. Drei Erklärungen erarbeitet und autorisiert von der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung. Frankfurt a. M. ³1977, hier insbesondere S. 14. Gezielt in die deutschen Gemeinden sollte dies vermittelt worden durch: Trautwein, Dieter / Trautwein, Ursula / Gollin, Heidi / Gollin, Jochen (Hg.): Mehr Hoffnung, mehr Einheit. Fünf Kapitel für den ökumenischen Hausgebrauch, mit einem Beleitwort von Prof. Dr. Karl Lehmann. Gelnhausen / Berlin / Freiburg i. Br. 1975. 103 Wie stark die bundesdeutsche Suche nach neuen Formen der Abendmahlsfeier, in deren Kontext auch das Feierabendmahl entstanden ist, im Kontext globaler ökumenischer Entwicklungen

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2.2.2 Essen und Trinken: Das Abendmahl als Feier mitmenschlicher Gemeinschaft In St. Lorenz folgten Gabengebet, Lobpreis – das gemeinsame Singen des Oster­ kanons aus Taizé „Jubilate deo“ –, Präfationsgebet, Erinnerung und Abendmahlsworte, wobei sich die Besucher des Feierabendmahls die Hände reichten, wodurch der Gemeinschaftscharakter der Abendmahlsfeier augenfällig und erlebbar wurden, Bitte um den Heiligen Geist und ein gemeinsam gesprochenes Vaterunser.104 Anschließend wurden Brot und Wein nicht durch einen Pfarrer oder ein kleines Team am Altar ausgeteilt, sondern durch mehrere Helfer an unterschiedliche Stellen in der Kirche gebracht, wobei die Besucher des Feierabendmahls aufgefordert werden, einander Brot und Wein weiterzugeben und dabei zumindest „für dich“, „für Sie“ oder „Friede sei mit dir“ zu sagen: „Sagt ein gutes Wort zueinander. Zärtlichkeit muss kein Fremdwort sein.“105 Kommunikation und Partizipation sind zentrale Merkmale eines integrativen Feierabendmahls, das Individuen in eine Abendmahlsgemeinschaft zu integrieren versucht. Die Gemeinde kommt nicht mehr zum Empfang der Elemente zum Altar, vielmehr kommen die Elemente aus dem Altarraum heraus in die Gemeinde, werden mithin quasi in die Welt getragen. Während der Phase der Austeilung kam es zu spontanem Singen von Taizé-Gesängen und von Neuem geistlichem Liedgut, zeitgleich sang der Bach-Chor, erst gegen Ende der Austeilung „kommt es wieder zu einem Gleichklang aller“.106 Dies wird man kaum als Gegeneinander zu verstehen haben, vielmehr folgte die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher musikalischer Stile einem Prinzip des Feierabendmahls: „Das, was manche Stilbruch nennen, ist gerade für das Feierabendmahl geistliches Prinzip, weil es die Vielfalt, nicht eine gewollte Uniformität des Volkes Gottes widerspiegelt.“107

zu dieser Frage steht, würde durch einen Vergleich mit der Lima-Erklärung, der Lima-Liturgie und der Feier derselben beim Treffen des Ökumenischen Rates der Kirchen in Vancouver 1983 (an dieser Feier wirkte auch der am „Forum Abendmahl“ 1979 beteiligte Dieter Trautwein mit) deutlich werden, die hier aber leider aus Platzgründen unterbleiben muss. Auch hier handelt es sich – trotz aller offensichtlichen Unterschiede zwischen der Lima-Liturgie und der des Feierabendmahls – um eine dezidiert ökumenische Abendmahlsliturgie, die Elemente aus kirchlichen Traditionen und ethischem Weltbezug in einer festlichen, ganzheitlichen Feier zu integrieren sucht. Ganz ähnlich wie bei den hier vorgestellten Abendmahlsfeiern könnte man also bei der Lima-Liturgie, insbesondere in ihrem Vollzug in Vancouver 1983, von einer integrativen Liturgie sprechen. Vgl.: Lima-Papier von 1982. Zusammenwachsen in Taufe, Eucharistie und Amt, Abschnitt zur Eucharistie, Absätze 20–25; Link, Hans-Georg: Ein Fest des Lebens. Lima-Liturgie gefeiert, in: LM 23 (1984), 112–116; Trautwein, Dieter: Worship in the Oikoumene, in: ER 36 (1984), 139–149; Thurian, Max: Die eucharistische Liturgie von Lima, in: LJ 34 (1984), 21–31. 104 Vgl. Kugler, Georg / Lindner, Herbert: Das Feierabendmahl in St. Lorenz (wie Anm. 65), 98–102. 105 A. a. O., 103. 106 A. a. O., 104. 107 Kugler, Georg: Bilanz einer Anstiftung. In: Christiansen, Rolf / Cornehl, Peter (Hg.): Alle an einen Tisch (wie Anm. 73), 33.

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Das anschließende Dankgebet wurde wieder – wie zuvor die Fürbitten – spontan von Besuchern des Feierabendmahls gesprochen, die ans Mikrofon traten, erneut kamen die Merkmale „Kommunikation“ und „Partizipation“ zum Ausdruck.108 Auf den Segen folgte der Friedensgruß, wobei es den Feiernden freigestellt wurde, ob sie einander umarmen wollen: „Diese Worte lösen eine Bewegung in der Kirche aus. Menschen fallen sich um den Hals. Jeder geht zum anderen […] Die ersten tanzen. Andere folgen. Schließlich ist die ganze Kirche in Bewegung. Und immer wieder löst man sich und sucht andere. […] Immer wieder kommt es zu spontanen Liedern. Jemand beginnt: ‚We shall overcome‘.“109 Damit wurden Fest, Feier und Gemeinschaft ungeplant sinnfällig und körperlich erfahrbar. Der Spannungsbogen hat von politischer Information, Sündenbekenntnis, Bitte um Sündenvergebung, über Hoffnungszeichen und politische Aktion zu körperlich erfahrbarer Feier befreiter Gemeinschaft geführt. Vor diesem Hintergrund dürfte es wohl zutreffen, dass das Feierabendmahl in St. Lorenz auf dem Kirchentag 1979 laut Georg Kugler eine doppelte emotionale Wirkung auf die Teilnehmenden hatte: „Emotional […] sind viele Berichte von Menschen, die es miterlebt haben. […] Kaum ein Bericht, in dem nicht die Ambivalenz von tiefer Betroffenheit und ebenso spontaner Freude zum Ausdruck kommt.“110 2.2.3 Rezeption: Das Feierabendmahl und seine Wirkungsgeschichte G. Kugler, der an der Vorbereitung des Feierabendmahls in St. Lorenz 1979 beteiligt war und diesen Gottesdienst mit Friedrich Walz zusammen leitete, beschreibt die Reaktionen auf die Feier als durchweg positiv: „‚Das Feierabendmahl ist wiederholbar.‘ Mehrfach unterstrichen stand der Satz nach dem Kirchentag auf einer Plakatwand, die Nürnberger Pfarrer beschrieben hatten. Gleich daneben las man: ‚Eine Jahrhundertidee‘. Niemand stieß sich an dieser etwas eupho-

108 Vgl. Kugler, Georg / Lindner, Herbert: Das Feierabendmahl in St. Lorenz (wie Anm. 65), 104–106. 109 A. a. O., 106. 110 Kugler, Georg: Bindeglied zwischen jung und alt (wie Anm. 18), 145. Für die an der Durchführung des Feierabendmahls Beteiligten ergab sich aus dieser sich spontan entfaltenden Eigendynamik des Feierabendmahls die Notwendigkeit eines ruhigen Abschlusses, einer „Nachfeier“, die hier nicht weiter dargestellt wird, jedoch dem Dokumentationsband entnommen werden kann. Dass der Gottesdienst diese starke emotionale Wirkung entfalten konnte, verdankt sich der rhetorisch, liturgisch, psychologisch und theologisch aufgeladenen Dramaturgie: Auf das drastische Informieren über Missstände in der Welt und eine scharfe Selbstanklage, die emotional aufwühlend und erschütternd wirkte, folgten Verkündigung der Hoffnung auf Christus und die symbolische Befreiung von der Schuld durch politische Aktion. Die Gruppe der Teilnehmenden wurde so zum ethischen Handeln motiviert und konnte das Gefühl gewinnen, dem Leid der Welt aktiv etwas entgegengesetzt zu haben. Diese Emotionalität verstärkte infolgedessen auch das Gruppengefühl und die Teilnehmenden konnten sich durch den theologischen Komplex von Schuld und Entschuldung eng als handelnde und der Welt solidarisch zugetane Gemeinschaft verbunden fühlen und diese als tatsächliche Befreiung empfundene Erfahrung nun gemeinsam feiern.

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rischen Bemerkung. Alle, ob konservativ oder progressiv, waren sich einig. Man hatte Großes erlebt. Daran rüttelte keiner.“111 Kritik wurde tatsächlich vor allem von Abwesenden geübt, man befürchtete „Dionysus statt Christus, Gaudi anstelle von gaudium domini“,112 lehnte die neue Form gelebter Frömmigkeit ab, die sich um einen positiven Bezug zu Weltlichkeit und Leiblichkeit bemühte, oder bemängelte die Loslösung des Abendmahls von Sündenbekenntnis und -vergebung: „Auch heute gilt [Jesu Gabe des Abendmahls] ‚Jüngern‘, Menschen, die ihren Glauben und ihr Leben prüfen, ob sie dieser Gabe ‚würdig‘ sind und sie unter dem Trost der Sündenvergebung empfangen wollen, nicht unter dem Aufruf zu einem gekünstelten ‚Fest‘.“113 Wie wenig dieser Vorwurf das in St. Lorenz 1979 auf dem Kirchentag gefeierte Abendmahl trifft, ist oben deutlich geworden. Dafür, dass G. Kugler mit seiner Einschätzung der Wirkung des Feierabendmahls auf die Teilnehmenden nicht im Unrecht war, spricht aber die weitere Wirkungs- und Rezeptions­ geschichte des Modells „Feierabendmahl“: Es wurde von unterschiedlichen Gemeinden – oft angeregt durch Gemeindemitglieder, die auf dem Kirchentag in Nürnberg 1979 an einem Feierabendmahl teilgenommen hatten – und zu unterschiedlichen Anlässen aufgegriffen, wobei Verlauf und inhaltliche Ausrichtung stark den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort angepasst wurden, was zu einer Pluralisierung des Feierabendmahlsliturgien selbst führte.114 In der Gemeinde konnte es in kürzerer Form mit thematischer Ausrichtung auf alltägliche Probleme in der Gemeinde gefeiert werden,115 in der Studentengemeinde Erlangen

111 Kugler, Georg: Bindeglied zwischen jung und alt (wie Anm. 18), 145; ähnlich siehe: Kugler, Georg: Vorwort (wie Anm. 96), 7 f.; Kugler, Georg: Bilanz einer Anstiftung (wie Anm. 107), 30 f. 112 Kugler, Georg: Bindeglied zwischen jung und alt (wie Anm. 18), 145. Vgl. dazu weiterhin: Wilm, Ernst / Kugler, Georg: Abendmahlsfeiern in Nürnberg (wie Anm. 64), 470–478. 113 Schilling, Werner: Heiliges Abendmahl oder Feierabendmahl? (wie Anm. 72), 123; ferner kritisiert W. Schilling wie erwähnt die positive Leiblichkeit und den positiven Weltbezug der neuen Frömmigkeitsformen, die im Feierabendmahl zum Ausdruck kommen, etwa wenn er schreibt: „Im Geist der Zeit wird eine noch ‚freiere‘ Welt, noch mehr Anspruchsbefriedigung und Triebfreiheit in noch besseren Zukünften versprochen – statt hinzuweisen auf das, was die Bibel in Aussicht stellt: Das Gericht.“ (116) Hier schwingt aber auch eine gerade vor dem Hintergrund reformatorischer Theologie berechtigte kritische Anfrage an die Bestimmung des Verhältnisses von menschlichem Handeln und Heil mit. 114 G. Kugler unterscheidet entsprechend der folgenden Beispiele ebenfalls unterschiedliche Formen des Feierabendmahls, siehe: Kugler, Georg: Feierabendmahl (wie Anm. 77), 81–117; auf die Pluriformität der Feierformen des Abendmahles, zu der das Feierabendmahl 1979 beigetragen habe, weist auch Christian Grethlein hin, allerdings mit der Einschränkung, dass zugleich seit den 1970er Jahren „die kirchliche Mahlpraxis auch uniformer geworden“ ist, da Feierformen zu Hause oder im Krankenhaus seither sehr viel seltener praktiziert werden: Grethlein, Christian: Abendmahl feiern in Geschichte, Gegenwart und Zukunft (wie Anm. 9), 145. Damit ist es seit den 1970er Jahren nicht nur ein Anstieg der Zahl der Abendmahlsfeiern, sondern auch ein Wandel der Feierformen zu konstatieren – noch 1963 war die häufigste Form der Mahlfeier das Haus- und Krankenabendmahl: A. a. O., 127. 115 Vgl. Landorff, Lutz: Das Mahl in der Gemeinde, in: Christiansen, Rolf / Cornehl, Peter (Hg.): Alle an einen Tisch (wie Anm. 73), 25–27.

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wurde es im kleinsten Kreis wöchentlich durchgeführt,116 insbesondere zu besonderen Anlässen konnte es an einigen Stellen auch in einer ausgedehnten, dem in St. Lorenz auf dem Kirchentag 1979 gefeierten Abendmahl am ähnlichsten Form gefeiert werden.117 Gemeinsam ist all diesen Formen der Fokus auf die Gemeinschaft, auf Kommunikation und Partizipation – die Ausrichtung auf politisches Engagement wandelt sich oft zu einer Ausrichtung auf eher alltägliche Probleme, tritt aber mitunter auch völlig in den Hintergrund, wodurch das Feierabendmahl zu eben dem zu werden droht, was einige Kritiker ohnehin bemängeln: Eine Gemeinschaftsfeier ohne Bezug zu Sündenbekenntnis und -vergebung. H. Schröer befürchtete entsprechend angesichts des pluralen Bildes des Feierabendmahles, dass die „zugrundeliegende[] Tradition nur wenig bewusst“118 bleibe: Den Hauptakzent auf die „Feier“ zu legen, reiche für die Gestaltung eines Feierabendmahles nicht aus. Letztlich hat sich das Feierabendmahl so gut etablieren können, dass es schließlich in das Evangelische Gottesdienstbuch aufgenommen wurde,119 wobei der hier dargestellte Aufbau dem oben beschriebenen Ablauf des Feierabendmahls in St. Lorenz 1979 weitestgehend entspricht.120 Die Festschreibung dieser Liturgie könnte ein Versuch sein, bei aller positiven Bewertung von Pluralität121 doch eben auch Pluralität zugunsten der selbst zugrunde gelegten Tradition für die Zukunft einzuschränken.122

116 Vgl.: Eberlein-Riemke, Christiane: Das Mahl in der Gruppe, in: Christiansen, Rolf / Cornehl, Peter (Hg.): Alle an einen Tisch (wie Anm. 73), 27 f. 117 Vgl. eine Feierabendmahlsfeier in Augsburg während des Jubiläums des Augsburger Be­ kenntnisses 1980 zum Thema „Apartheid“: Kugler, Georg: Feierabendmahl (wie Anm. 77), 118– 132; sowie ein Feierabendmahle anlässlich von Kirchenjubliäen: Magaard, Hildegund: Das Mahl als Fest, in: Christiansen, Rolf / Cornehl, Peter (Hg.): Alle an einen Tisch (wie Anm. 73), 28–30; Gugeler, Walter / Wille, Hans-Dieter: Von der Abendmahlsfeier zum Feierabendmahl. Ein Werkstattbericht, in: Deutsches Pfarrerblatt 89 (1980), 119 f.; hierunter wären wohl auch die rund 200 Feierabendmahlsfeiern im Rahmen des Kirchentages 1981 zu subsumieren: Christiansen, Rolf: Bericht vom Feierabendmahl, in: Christiansen, Rolf / Cornehl, Peter (Hg.): Alle an einen Tisch (wie Anm. 73), 91–116. 118 Schröer, Henning: Theologische Grundlagen des Feierabendmahls, in: Deutscher Evange­ lischer Kirchentag (Hg): Kommt, lasst uns hinaufziehen! Materialheft zum Feierabendmahl. Stuttgart 1999, 36. 119 Vgl.: Evangelisches Gottesdienstbuch. Agende für die Evangelische Kirche der Union und für die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands. Berlin 1999, 214–218. 120 Insbesondere entspricht der Aufbau im Gottesdienstbuch weitgehend dem von G. Kugler skizzierten Aufbau, siehe: Kugler, Georg: Feierabendmahl (wie Anm. 77), 26–29. 121 „Vor knapp zwei Jahrzehnten trat die neue Gottesdienstbewegung mit dem Konzept an, daß der eine Gottesdienst vielfältige Formen bräuchte, um seine Fülle entfalten zu können. Pluriformität des Gottesdienstes wird heute kaum mehr bestritten. Das Feierabendmahl folgt nun der gleichen Erkenntnis. Damit ist zunächst gesagt, daß es die normalen agendarischen Abendmahlsfeiern nicht ersetzen, sondern ergänzen will.“ Kugler, Georg: Bindeglied zwischen jung und alt (wie Anm. 18), 146. 122 Um diese Vermutung zu bestätigen, müssten aber selbstverständlich genauere Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte des Gottesdienstbuches vorgenommen werden.

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3. Die Integration der Handlungsdimension in das Abendmahl Lange war in der liturgischen Tradition vergessen, dass das Abendmahl nicht nur eine Praxis der frommen Innerlichkeit ist, sondern auch auf die Handlung des Christen in und für die Welt hin ausstrahlt. Die beiden Fallbeispiele machen exemplarisch deutlich, wie sich das Abendmahl in seiner theologischen Interpretation verändert hat und welche Rezeptionsprozesse sich hieran jeweils angeschlossen haben, die die Handlungsdimension wieder neu in das Bewusstsein der Feiernden ruft. Obwohl sie in ihrer Wirkung deutliche Spuren hinterlassen haben, können beide nur Anhaltspunkte für eine Entwicklung sein und geben keinesfalls über lineare Prozesse Auskunft, sondern fügen sich skizzenhaft als Konkretionen in komplexere liturgische Entwicklungslinien ein, die durch bestehende Gleichzeitigkeiten, Verschiebungen und Wiederentdeckungen ethischer und theologischer topoi gekennzeichnet sind. Zudem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Dokumentationen zumeist von den handelnden Akteuren, die sich einer liturgischen Erneuerung verschrieben hatten, verantwortet wurden und demnach ihre Perspektive besonders deutlich hervortritt. Aber eben jenes gibt Auskunft über die protestantische Selbstwahrnehmung, die sich in jener Zeit dem Wandel von Praxis und Handeln verschrieben hatte. Vier Aspekte können im Blick auf die bisherigen Beschreibungen betont werden, die für eine Umformung des Abendmahls in ethischer Perspektive im Zuge der liturgischen Entwicklungen der 1970er Jahre bezeichnend sind. 3.1 Feiern und Handeln – Weltverantwortung und Glaube Das Abendmahl in seiner Wandlung lässt sich besonders im Blick auf seine Verbindung von Feiern und Handeln konkretisieren. Das Element der Aktion, wie es aus den Politischen Nachtgebeten übernommen wurde, fand sowohl in den schweizerischen Abendmahlsfeiern, als auch im Feierabendmahl seine Umsetzung. Die in den Politischen Nachtgebeten ihren Kritikern zufolge beinahe übermächtig gewordenen Aspekte des Politischen und Ethischen wurden hier also wieder in einem liturgischen Rahmen integriert und also das Handeln des Menschen wieder deutlicher auch liturgisch mit dem Wirken Gottes verbunden. Die neue Akzentsetzung auf das Handeln zeigt den Feiernden: Das Abendmahl hat Konsequenzen und ist nicht auf die Innerlichkeit und Frömmigkeit des Einzelnen zu reduzieren. Dabei steht das Handeln in der Welt nicht allein, sondern ist vielmehr eingebettet in den Zusammenhang der liturgischen Feier und von diesem Hintergrund nicht zu lösen. Entsprechend hat das Feierabendmahl nach G. Kugler ein doppeltes Profil: „Kommunion und Kommunikation“ sowie „Lobpreis und Weltverantwortung“123 – die Spannung zwischen den Polen dieser beiden Begriffspaare macht deutlich, dass im Hintergrund die Überzeu 123 Kugler, Georg: Bindeglied zwischen jung und alt (wie Anm. 18), 146.

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gung steht, dass Gottesdienst und Dienst an der Welt zusammengehören, dass christlicher Glaube ein Engagement in dieser Welt (entsprechend der Reihenfolge der Begriffspole) nach sich zieht. Dies steht in einer Linie mit der Überzeugung, „daß Glaube und Politik untrennbar sind; daß das Evangelium kritisch und entwerfend auf gesellschaftliche Zustände wirken muß“,124 die sich insbesondere im Rahmen der sog. Politischen Theologie etabliert hatte und dort nicht nur theoretisch, sondern praktisch wirksam werden wollte.125 Deren kritische Rezeption zeigt auch, dass eine wie im Feierabendmahl gestaltete Liturgie leicht als Selbstrechtfertigung des Menschen mit einem Übergewicht der menschlichen Verantwortung und Handlungsmacht missverstanden werden konnte.126 Dies jedoch lag nie in der Intention der Begründer des Feierabendmahls. Vielmehr scheint, sie wollten gerade die Dimension des menschlich möglichen Handelns und Gestaltens wieder ins Bewusstsein der Feiernden rücken, das gegenüber einer durch die Dialektische Theologie geprägten Anthropologie sehr in den Hintergrund getreten war. Sie versuchten, Tradition der reformatorischen Rechtfertigungslehre mit politischer weltbezogener Aktion zu verbinden und nicht mehr als Gegensätze zu betrachten.127 Dadurch bekamen der Handlungsbezug und die Ethisierung des Gottesdienstes in den Abendmahlsfeiern ein wirksames Gegengewicht durch Fest und Feier, das dann allerdings auch zur Abschwächung dieses Handlungsgedankens führen konnte. Wie sich in den Rezeptionsprozessen zeigt, ist in den Folgejahren das politische Bewusstsein immer mehr in den Hintergrund getreten und hat sich durch einen stärkeren Alltagsbezug der ethischen Dimension in der Abendmahlsfeier abgelöst, wodurch auf lange Sicht die neuen freieren Formen

124 Sölle, Dorothee / Steffensky, Fulbert (Hg.): Politisches Nachtgebet in Köln (wie Anm. 15), 7 f. 125 Vgl. zur Politischen Theologie: Greschat, Martin: Der Protestantismus in der Bundesrepublik Deutschland (1945–2005), Leipzig 2010, 140–147. 126 Vgl. die von Peter Cornehl geäußerte Kritik am „Allmachtswahn“, der sich im Politischen Nachtgebet ausdrückte, und dem Fulbert Steffensky eine gewisse Berechtigung einräumte: „Wir überforderten uns, entwichtigten unsere eigene Arbeit und verfielen einem gewissen Allmachtswahn, wie Peter Cornehl uns vorwarf. Allseitigkeitswahn vielleicht auch in einer anderen Hinsicht: Alles wurde uns Thema – Vietnam, Diskriminierung, Strafvollzug, Entwicklungshilfe, Stadtplanung und anderes. Wir erkannten einerseits richtig, wie all diese Themen zusammenhängen, andererseits aber bedrohte uns deren Globalität. Wir verloren das Gefühl für unsere eigene Endlichkeit.“ Steffensky, Fulbert: Kirchen als Agenten des Wandels, Vortragsmanuskript, online: https://www.st-markus-erlangen.de/sites/default/files/pdf/Steffensky%20-%20Kirchen%20als​ %20Agenten%20des%20Wandels.pdf; Zugriff am 2.11.2017. 127 Deutlich wird dies am Gebet bzw. Meditation und der Erfahrung der Gemeinschaft, die man von Gott empfängt als Gegengewicht zur politischen Aktion. Vgl. Fulbert Steffensky in selbstkritischer Darstellung des Politischen Nachtgebets: „Das Gebet korrigiert den Allmachtswahn, in dessen Gefahr viele linke Gruppen leben, denen angesichts des als wahr Erkannten der Atem und die Geduld ausgeht, so daß sie zu Kurzschlüssen verleitet werden oder verzweifeln. Unser Vertrauen braucht sich also nicht ausschließlich auf unsere jetzige Aktion zu richten.“ Fulbert Steffensky: Erinnerung und Hoffnung. Zur Funktion der religiösen Sprache im politischen Nachtgebet, in: Sölle, Dorothee / Steffensky, Fulbert (Hg.): Politisches Nachtgebet in Köln, Bd. 2 (wie Anm. 15), 226–233, 231.

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der Feier langfristig wirkmächtiger waren, als die ethisch-politische Ausrichtung des Gottesdienstes.128 3.2 Integrative Verbindung von feierlicher Emotionalität und aufrüttelnder Sachlichkeit Die Abendmahlsgestaltung dieser Zeit hatte – entgegen anderer Deutungen, die eine vermeintlich oberflächliche Festlichkeit oder nur ethische Handlungsaufforderung als Intention ins Zentrum rücken – die Absicht, ganzheitlich zu sein. Integrative Bemühungen zeigten sich bereits beim Abendmahl in Langnau, dass durch gezielte Verbindung von Emotion und Information versuchte, „Kältestrom“ und „Wärmestrom“, Erfahrung und Bildung zu erreichen. Das Feierabendmahl versuchte ebenso, die kognitive und die emotionale Dimension protestantischer Religiosität ganzheitlich zusammenzuschließen und erfahrbar zu machen. Enge Verbindungen von Glaube, Wort und Tat, von Denken und Erleben in ethischem Bewusstsein sollten die Ganzheitlichkeit des Abendmahls erfahrbar werden lassen: „Gott gibt sich nicht mit weniger zufrieden, wie die Liebe sich niemals mit weniger zufrieden geben kann als mit dem Ganzen. Darum gehört zur Verkündigung und zur Sorge der Kirche nicht nur ein innerliches, ein jenseitiges, ein späteres Heil, sondern das ganze Wohl des Menschen, sein individuelles und sein gesellschaftliches, sein leibliches und sein geistiges.“129 Das Anliegen, zukünftiges und gegenwärtiges Heil miteinander zu verbinden, sowie alle Ebenen des Menschseins in der Verkündigung anzusprechen, ist hier zentral. Ein psychologischer und theologischer Dreischritt, der Emotionalität mit Rationalität und Handeln verbindet, spiegelt sich in beiden Abendmahls-Liturgien: Das eigene fromme und sinnliche Erleben in einer emotionalen Hinsicht (Mahlfeier: Essen und Trinken) wird verbunden mit einer kognitiv orientierten Bewusstseinsdimension, die durch Information und Inhalte bestimmt ist (Ethische Bewusstseinsbildung), die dann wiederum in eine verhaltensbezogene ethisch motivierte Tat umgesetzt wird (Aktion). Ganz analog und ergänzend dazu hat Christian Grethlein für das Feierabendmahl festgehalten – und dies gilt unserer Ansicht nach genauso für den Langnauer Pfingstnachtentwurf –, dass es „die drei Modi der Kommunikation des Evangeliums aufeinander […] bezieh[t]: Lehren und Lernen, etwa durch Information über Notlagen und darauf bezogene biblische Lesungen; gemeinschaftliches Feiern durch gemeinsames Essen und Trinken; Helfen zum Leben durch vielfältiges Engagement angesichts

128 Dies zeigt sich insbesondere durch aktuellere Reaktionen auf das Abendmahl, die den Charakter von Gemeinschaft und Fest deutlich herausstellen, verantwortliches Handeln und Ethik aber in den Hintergrund treten lassen, z. B. Jörns, Klaus-Peter: Lebensgaben Gottes feiern (wie Anm. 21). 129 Sölle, Dorothee / Steffensky, Fulbert (Hg.): Politisches Nachtgebet in Köln, Bd. 2 (wie Anm. 15), 22.

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des vorgestellten Notstands.“130 Folglich ist die Feierlichkeit und Festlichkeit des Abendmahls keinesfalls als ein reiner Selbstzweck zu verstehen, der den Feiernden das Erleben einer emotionalen Gemeinschaft mit anderen sichern soll, oder wie es C. Dahlgrün zuspitzt: „Lediglich ein verkürzter, rein anthropologisch, zwischenmenschlich gefüllter Gemeinschaftsbegriff wurde rezipiert. Das Resultat besteht oft in einem Bemühen um die Vermittlung menschlicher (und nur menschlicher) Nähe und Wärme, in der Herstellung einer Art ‚Kuschelgruppe‘ anstelle des Leibes Christi.“131 Zumindest für das Feierabendmahl wie auch für den Langnauer Pfingstnachtsentwurf kann hingegen behauptet werden, dass hier eine Bindung der emotional erlebten Gemeinschaft an Aktionen und ein Hinausgehen in die Welt stattgefunden hat, die einer selbstgenügsamen Binnenkirchlichlichkeit eben nicht entspricht. Ebenso integrativ ist der Versuch, zugleich an frühchristliche Traditionen anzuknüpfen und einen innovativen liturgischen Aufbruch anzustreben, dabei neue Impulse aus der Ökumene und gottesdienstlichen Neuerungen aus der Bundesrepublik selbst (Gottesdienste in neuer Gestalt, Politisches Nachtgebet, Impulse aus Bruderschaften und der hochkirchlichen Bewegung) aufzunehmen, eben nicht um die eigene Tradition zu verabschieden, sondern um sie neu zu beleben. Folglich wird das Abendmahl in der Form des Feierabendmahls nicht von Beichte und Sündenvergebung losgelöst, sondern ihm wird die Gemeinschaft als zweiter wesentlicher Aspekt der Mahlsfeier zur Seite gestellt. Durch den Anschluss der Abendmahlsfeier an die Auseinandersetzung mit politischen oder ethischen Themen gewinnt die Feier nicht nur Aktualität, sondern zeigt eine untrennbare Verbindung von Kirche und Welt, von Tradition und Zeitgeschehen: Um die Tradition neu zu beleben, wird sie mit aktuellen Themen in Verbindung gebracht: Dies führt zu einer ethischen, im Falle des Feierabendmahls in St. Lorenz auf dem Kirchentag 1979 sogar zu einer politischen Aufladung des Abendmahls. 3.3 Demokratisches Handeln in Gemeinschaft Der Wandel des Abendmahls zeichnet sich dadurch aus, dass nicht mehr nur die private Frömmigkeit des Einzelnen in seiner Gottesbeziehung im Vordergrund steht, sondern die Gemeinschaft deutlicher betont wird: die Individualisierung der Mahlfeier wird also hinterfragt und durch den Gedanken des Miteinanders ergänzt.132 Von Beginn der Neugestaltung des Abendmahls an prägt das Arbeiten in Gruppen seine Gestaltung und Durchführung mit. Eine symbolische Umsetzung der Kernbotschaft der neuen Gottesdienste ist deren gemeinschaftliche Gestaltung, die von den Gottesdiensten in neuer Gestalt ausgeht und primär von 130 Grethlein, Christian: Abendmahl feiern in Geschichte, Gegenwart und Zukunft (wie Anm. 9) 202. 131 Dahlgrün, Corinna: Von der ‚Speise der Seelen‘ (wie Anm. 20), 222. 132 vgl. Roloff, Jürgen: Heil als Gemeinschaft. Kommunikative Faktoren im urchristlichen Herrenmahl, in: Cornehl, Peter / Bahr, Hans-Eckehard (Hg.): Gottesdienst und Öffentlichkeit. (wie Anm. 5), 88–117.89 f.

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dem Prädikat einer Laien- bzw. Basisbewegung gekennzeichnet ist. Das zeigt sich auch an der ökumenischen Ausrichtung der Gottesdienste: „Die Frage nach der Herkunft – katholisch, protestantisch oder was immer sonst – schien uns ebenso wichtig wie die Frage nach einem Dialekt.“133 Doch die demokratische Prägung geht weit über die konkrete ökumenische Umsetzung des Abendmahls und seine Vorbereitung im Team hinaus. Durch den Einbezug der Gemeinde soll auch deren Mitsprache an den Gottesdiensten gefördert werden. So wurden in den Mahlfeiern Impulse von Teilnehmenden in deren spontaner Mitwirkung integriert und Gruppen diskutierten gemeinsam über Zukunft und Veränderungen in Gemeinde, Kirche und Gesellschaft. Die Gestaltung der konkreten Aktionen war stets Ergebnis eines demokratischen Auseinandersetzungs- und Entscheidungsprozesses. Mit der wichtigen Rolle, die Gemeinschaft spielt, werden auch Kommunikation und Partizipation zentral für den Abendmahlsgottesdienst. Beide Beispiele zeigen diese Ausrichtung auf Gemeinschaft nicht nur in der Feier selbst: Vorbereitung geschieht im Team, in der Feier ist Raum für Kreativität im Gottesdienst, die sich vor allem auch in einer spontanen politischen Aussprache zeigt (z. B.: Schreiben von Hoffnungskarten, spontan geäußerte Fürbitten der Anwesenden statt zuvor ausformulierter Fürbitten, Planen von Hilfsaktionen für Fremdarbeiter). Sichtbar wurde nun auch, dass die Bedürfnisse der Gemeindemitglieder zu theologischer Deutung und Gestaltung des Abendmahls ernst genommen werden – eine wesentliche Errungenschaft dieser Zeit: „Vor allem in den Siebzigerjahren bemühte man sich, den Spannungen auf den Grund zu kommen, die zwischen starken dogmatischen Aufladungen der Abendmahlslehre und liturgischen Befrachtungen der Abendmahlspraxis einerseits und der unübersehbaren Unzufriedenheit vieler Abendmahlsteilnehmer andererseits herrschten.“134 Damit ist die Gestaltung des Abendmahls mehr auf eine Mitgestaltung durch Gemeindeglieder hin ausgerichtet, als lediglich der theologischen Deutungshoheit überlassen. Der Abendmahlsgottesdienst wird somit zum Forum demokratischen Handelns. 3.4 Das Abendmahl zielt auf Kirchenreform und Weltveränderung Wie alle neuen Gottesdienstformen in der Zeit der 1970er sollte das Abendmahl und seine Feier letztlich dazu beitragen, dass sich Kirche reformiert. Gerade das Feierabendmahl will, insbesondere in seiner politisch aufgeladenen Form wie in St. Lorenz 1979, nicht nur einen Beitrag zur christlichen Gewissensbildung, sondern auch zu einer Kirchenreform mit ethisch-sozialer Stoßrichtung leisten: „Abendmahlsreform ist Kirchenreform, oder sie ist nicht mehr als Restauration […]. Im Abendmahl steckt unsere Utopie einer neuen Kirche,

133 Sölle, Dorothee: Gegenwind (wie Anm. 14), 70. 134 Albrecht, Christian: Kreatives Verstehen. Die Deutung des Abendmahls sollte man nicht den Theologen überlassen, in: Zeitzeichen, 17 (2016), Heft 3, 30–32, 31.

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einer menschlicheren Gesellschaft.“135 Dabei blieb die Intention der Akteure also gerade nicht auf die Binnenkirchlichkeit beschränkt: Über eine erneuerte Kirche sollte die ganze Gesellschaft menschlicher werden. Die gesellschaftspolitischen Umwälzungen dieser Zeit hatten den Blick dafür geöffnet, dass die Welt jenseits der Kirchenmauern durch das aktive Tun von Christen beeinflusst werden kann. Daher hatten die Akteure der 1970er Jahre auch im Sinn, die Welt zu verbessern und zu verändern – ein Anliegen, das sie mit den Tendenzen zur Politisierung von Kirche und Christentum jener Zeit teilten und das im Politischen Nachtgebet seinen liturgischen Höhepunkt hatte.136 Das Ziel, durch das individuelle und gemeinschaftliche Handeln einen Einfluss in Welt und Gesellschaft auszuüben, lässt sich am Abendmahl exemplarisch beobachten und lässt damit die Politisierung, die Hinwendung zur Welt und die allgemeine Praxisund Handlungsorientierung dieser Zeit deutlich hervortreten. Im Abendmahl sollte in der Gemeinde ein „eucharistischer Lebensstil“ eingeübt werden, der ethisch-soziales Engagement unbedingt mit sich bringt.137 Dass dieser Wunsch als zeitgemäß empfunden wurde und die veränderte Abendmahlspraxis auch bei den Feiernden selbst Anklang fand, lässt sich an den steigenden Zahlen der in den Gottesdienst integrierten Abendmahlsfeiern bis 1994 ebenso ablesen wie an der der stetig steigenden Gesamtzahl der Kommunikanten.138 Das ethische Anliegen der neuen Abendmahlsfeiern zielt einerseits auf das Individuum und möchte dessen persönliches Bewusstsein durch Information und das Erleben von Aktion bewegen. Zum anderen bezieht es die kollektive Ebene mit ein, indem die Gemeinschaft (Organisation durch Gruppen, Ökumene) stärker betont wird und auf die Gesellschaft und Öffentlichkeit Veränderungen im Sinne aktiven ethischen Tuns angestrebt werden. In besonderer Weise verbindet sich hier das individuelle fromme Bewusstsein mit der gemeinschaftlichen Aktion. Dass dieses Ziel nur gemeinschaftlich erreicht werden konnte, wird an den Bemühungen um weltweite Ökumene, die auch in den Abendmahlsfeiern gepflegt wird, deutlich. Das ethische Handeln in der Welt wird zum konfessionsverbindenden Element, das über die trennenden Aspekte der Lehre weit hinausreicht und eine Basis für Ökumene schafft.

135 Kugler, Georg: Bilanz einer Anstiftung (wie Anm. 107), 41. 136 Die Politisierung des Protestantismus, die sich durch eine Zuwendung zur Welt, Diesseitigkeit und zur Weltverantwortung auszeichnete, erreichte eben in jenen Jahren zwischen 1968 und 1972 ihren Höhepunkt. Vgl. zur Politisierung als Analyse- und Kampfbegriff in dieser Zeit wie beschrieben bei Fitschen, Klaus / Siegfried Hermle, Katharina Kunter / Claudia Lepp / Antje Roggenkamp (Hg.): Die Politisierung des Protestantismus. Entwicklungen in der Bundesrepublik während der 1960er und 70er Jahre (AKiZ B/52). Göttingen 2011, darin bes. Lepp, Claudia: Einleitung, 11–24. 137 Vgl. Christiansen, Rolf: Erneuerung der Gemeinde aus dem Abendmahl, in: Pastoraltheologie 72 (1983), 91–93. 138 Vgl. Grethlein, Christian: Abendmahl feiern in Geschichte, Gegenwart und Zukunft (wie Anm. 9), 126 f. Diese Entwicklung gilt etwas verzögert auch für die Schweiz, vgl. ebd.

Vom Politischen Nachtgebet zum Feierabendmahl 

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4. Weitreichende Wirkungen bis heute: Der Weltbezug des Abendmahls Die Veränderungen im Gefolge des liturgischen Aufbruchs haben ihre Spuren bis heute in der Abendmahlspraxis und seiner Deutung hinterlassen. Nicht zuletzt dazu, dass das Abendmahl viele Dimensionen in sich birgt, die parallel zueinander bestehen, haben die Umformungen beigetragen. Das Feierabendmahl ist heute selbstverständlicher Bestandteil des Kirchentages und wird im Gottesdienstbuch als eine integrative Form des Abendmahls vorgeschlagen. Es diene der Verbindung verschiedener Aspekte, dem „Eingehen auf die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen der Zeit, Feiergestaltung mit neuen Stilelementen und Ausdrucksformen von Jugendlichen, neue Erfahrungen und Deutungen im Abendmahl (Schöpfungsdank, Gemeinschaft, eucharistischer Lebensstil). So wird das Abendmahl als ein Leib, Geist und Seele umfassendes Geschehen zu einem Quellort für die Erfahrung der Ganzheitlichkeit christlicher Lebenspraxis.“139 Der Weltbezug und das kritische und innovative Potenzial des Abendmahls sind so in die liturgische Alltagspraxis von Gemeinden eingeflossen. Feiern und Handeln verbinden sich also bis heute und haben eine bleibende Wandlung des Abendmahls vollzogen.140 Vor allem leistet das Feierabendmahl aber einen wesentlichen Beitrag dazu, das Abendmahl wiederzuentdecken. Die liturgische Neuinterpretation des Abendmahls und seiner vielschichtigen Dimensionen hat einen Beitrag dazu geleistet, dass die Feier des Abendmahls heute viele Erscheinungsformen hat: von der lutherischen Messe über ökumenische Feiern, Agape, Tischabendmahl bis zum Feierabendmahl können viele Formen nebeneinander bestehen oder gar abwechselnd gefeiert werden. Die 1970er Jahre sind mit wesentlichen Impulsen für die Wiederentdeckung der Mehrdimen­ sionalität des Abendmahls entscheidend gewesen. Demgegenüber hat sich das Politische des Abendmahls in seiner konkreten Form mit aktueller Information zum gegenwärtigen Weltgeschehen in den Liturgien heute deutlich abgeschwächt. Zwar sind in den Abendmahlsliturgien immer auch Handlungsbezüge zu finden, sie richten sich aber mehr auf den alltäglichen ethischen Vollzug und das kleinräumliche Sozialumfeld, bzw. relativ pauschal auf die Bitte um Frieden in der Welt. Und angesichts dessen warnt Christian Grethlein zu Recht, dass man darauf zu achten haben wird, „dass ‚Gemeinschaft‘ nicht zum Zusammensein der Gleichen mutiert und so den inklusiven Impuls verfehlt, der dem Wirken und Geschick Jesu eignete“141. Stattdessen müssen auch bei der Ausrichtung der Handlungsbezüge auf den Alltag die konkreten Probleme des Alltags wie Inklusion, Gentrifizierung und 139 Evangelisches Gottesdienstbuch (wie Anm. 119), 214. 140 Zu Möglichkeiten des Einbezugs einer politischen Dimension in den Gottesdienst heute vgl.: Greifenstein, Johannes: Wie ist der Gottesdienst politisch? Versuch einer Orientierung an einer Schnittstelle von Liturgik und Ethik, in: ZEE 62 (2018). 141 Grethlein, Christian: Abendmahl feiern in Geschichte, Gegenwart und Zukunft (wie Anm. 9), 250.

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soziale Segregation im Blick bleiben.142 Nur dann bleibt der Bezug zwischen Abendmahl und Welt bestehen, immer in der konkreten Ausrichtung auf die aktuelle Lebenswelt und das Zeitgeschehen: „[D]ie Themen unserer Lebenswelt sind Abendmahlsthemen. Sie werden nicht von außen herangetragen, sie sind im Mahl enthalten. Es handelt sich hermeneutisch um eine Doppelbewegung. Sie erschließt unsere Gegenwart, und sie führt uns hinein in die Schrift. Denn in dem Maße, in dem wir die Gesten, Sprechakte, Inhalte und Vollzüge des Herrenmahls auf die Schlüsselthemen unsrer Zeit beziehen lernen, in dem Maße entdecken wir den biblischen Reichtum des Sakraments, die Fülle der darin enthaltenen, zitierten und assoziierten, anklingenden, mitschwingenden, erinnernden und antizipierenden Verheißungen und Weisungen der Heiligen Schrift.“143 Eine Verbindung von Alltag und Abendmahl kann auch dazu führen, dass „wir stärker realisieren, dass es bei dem Weltbezug des Herrenmahls nicht primär um die Einschärfung der ethisch-sozialethischen Konsequenzen geht, sondern um eine grundlegende hermeneutische Wahrnehmung der Sache. ‚Die Eucharistie umfaßt alle Aspekte des Lebens‘, heißt es in der Lima-Erklärung. Das war die Entdeckung auch auf dem Kirchentag. Wir haben die Relevanz und Aktualität des Abendmahls entdeckt, als wir entdeckten, dass das Sakrament eine Antwort ist auf die elementaren Lebensfragen unserer Zeit.“144 Ethisch reflektiertes Handeln in der Welt und Erfahren von Gemeinschaft und der Sündenvergebung rücken also durch die liturgische Erneuerung in den 1960er und 1970er Jahre im Abendmahl wieder enger zusammen und sind bis heute ein Bestandteil der protestantischen Frömmigkeitspraxis.

142 Vgl. a. a. O., 224–233.250–252. 143 Cornehl, Peter: Gemeinschaft beim Herrenmahl? Probleme – Fragen – Chancen, in: Puls­ fort, Ernst / Hanusch, Rolf (Hg): Von der „Gemeinsamen Erklärung“ zum „Gemeinsamen Herrenmahl“, Regensburg 2002, 195–216, 209. 144 A. a. O., 208.

Literaturbericht zum Neuen Testament und der antiken Welt ([2016] 2017–2018) Texte, Kulturen und Hermeneutik

Helmut Schwier

Der Literaturbericht umfasst Monographien, Sammelbände und Aufsätze zum Neuen Testament der Jahre 2017–2018 (samt wenigen Nachzüglern aus 2016), die im weitesten Sinn für Liturgie, Gottesdienst, Ämter, Riten, Gesang relevant und von Interesse sind. Dass dazu dann auch die theologischen Kernbereiche Gotteslehre, Jesus, Christologie, Tod und Auferweckung zählen, ist selbstverständlich. Bei der derzeitigen Publikationsfülle wird Vollständigkeit nie erreicht werden können; dass hier jedoch eine exemplarische und gleichzeitig geeignete Auswahl geboten wird, ist zumindest die Intention des Verfassers.

1. Einleitungswissenschaft / Methoden Labahn, Michael (Hg.): Spurensuche zur Einleitung in das Neue Testament. Eine Festschrift im Dialog mit Udo Schnelle (FRLANT 271). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2017, 469 S. Im Dialog mit dem Nestor der neutestamentlichen Einleitungswissenschaft bietet diese Festschrift neben grundlegenden Überlegungen zu Aufgaben und Methoden der Einleitungswissenschaft eine Fülle von Beiträgen zu einzelnen Schriften des NT mit einleitungswissenschaftlichen, textkritischen, kanongeschichtlichen und theologischen Fragestellungen. Manuel Vogel beispielsweise zeigt unter Rückgriff auf einen antiken Papyrusbrief (einheitlicher Originalbrief), wie innerhalb eines Briefes stark unterschiedliche Themen und Stimmungen in der Abfolge von Versöhnung und Streit Auswirkungen auf das Verstehen des 2 Kor und dessen literarischer Einheitlichkeit zeitigt: „Dann wäre die Literarkritik auf dem Feld des 2. Korintherbriefes nicht mehr aber auch nicht weniger als ein produktiver Irrtum“ (107). Während Martin Meiser die diffizilen chronologischen Fragen des Gal luzide erörtert und für eine Abfassung vor Röm und 2 Kor, aber nach 1 Kor und zeitgleich mit Phil eintritt, zeigt Jens Herzer mit textkritischer Expertise, wie das auffällige und grammatisch harte heis in Gal 3,28b nicht unbedingt die älteste Lesart darstellt, sondern nachträglich eingefügt worden sein könnte, wozu es belastbare Hinweise in den verschiedenen Korrekturen des Sinaiticus gibt (134–139): „Es gibt keinen Juden mehr, auch keinen Griechen, es gibt keinen Sklaven mehr, auch keinen Freien, es gibt nicht mehr männlich und weiblich, denn ihr alle gehört Christus Jesus“ (142). Q, Mk und Apg, die weiteren Briefe und die

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johanneischen Schriften werden ebenfalls schwerpunktmäßig untersucht. Den Abschluss bildet ein Beitrag zur Ethik des NT und den damit verbundenen methodischen und hermeneutischen Herausforderungen (Jan van der Watt). Diese Festschrift zeigt eindrucksvoll, dass und wie der Jubilar die Einleitungswissenschaft zu Recht auch als theologische Disziplin bezeichnet und praktiziert hat. Heilmann, Jan / Klinghardt, Matthias (Hg.): Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert (TANZ 61). Narr Francke Attempto Verlag: Tübingen 2018, 322 S. In diesem im Wesentlichen auf eine Dresdener Tagung von 2015 zurückgehenden Sammelband wird die Endredaktionsthese diskutiert, die David Trobisch bereits 1996 (Die Endredaktion des NT, NTOA 31) veröffentlicht hatte, aber bisher wenig Beachtung finden konnte. Die Grundthese lautet: Das kanonische NT ist Ergebnis einer bewussten Endredaktion, die historisch in die Mitte des 2. Jh. zu verorten ist. Die Beiträge differenzieren und prüfen diese These, die gleichzeitig mit Klinghardts eigener Sicht der synoptischen Frage korreliert (vgl. JLH 56, 2017, 103). Hierbei wurde bisher immer auch die Hypothese einer frühen regelmäßigen Lesung der Evangelien in den Gottesdiensten als Movens für die Kanonisierung behauptet. Diese stark auf Justin bauende These wird vom Liturgiewissenschaftler Clemens Leonhard zurückgewiesen, der verdeutlicht, dass es erst im 4. Jh. verlässliche Zeugnisse für die liturgische Evangelienlesung gibt: „Gospel texts emerge in the middle of the second century as reading material of a group of intellectuals / philosophers (Justin). A century later, their reading is attested in the first traces of a Liturgy of the Word preceding the celebration of the Eucharist. The history of Christian liturgies does not require a date of origins for the Gospels before Justin. Even that time – as well as several decades after Justin’s death – Christianity did not practice any type of liturgy that required Gospel readings“ (106). Es ist zu hoffen, dass die Grundthese samt ihren Konsequenzen hinsichtlich der Methodik von Textkritik und Überlieferungskritik und des Verständnisses einer kanonischen Theologie des NT (bzw. der Bibel) weiter kontrovers diskutiert werden. Finnern, Sönke / Rüggemeier, Jan: Methoden der neutestamentlichen Exegese. Ein Lehrund Arbeitsbuch. A. Francke Verlag: Tübingen 2016, 330 S. Konzipiert als Lehrbuch zur NT-Exegese bietet dieses Buch eine Verbindung bekannter („klassischer“) Methoden der Textauslegung mit neuen Ansätzen. Ein erkennbarer Schwerpunkt liegt zu Recht in der Auslegung auf synchroner Textebene und in der gut nachvollziehbaren Darstellung der innovativen Methoden der Narratologie (Perspektiven-, Figuren-, Handlungs- und Raumanalyse), mit der beide Verfasser auch in ihren Dissertationen gearbeitet haben (zu Finnern vgl. JLH 53, 2014, 102; zu Rüggemeier s. u. Markus).

2. Geschichte des frühen Christentums Öhler, Markus: Geschichte des frühen Christentums. Vandenhoeck & Ruprecht / UTB: Göttingen 2018, 366 S. mit 9 Karten. In der Lehrbuchreihe „Basiswissen Theologie und Religionswissenschaft“ legt der Wiener Exeget ein anspruchsvolles wie gut lesbares Lehrbuch zur Geschichte des frühen Christentums vor, das bis zum Ende des Bar-Kochba-Aufstandes (135 n. Chr.) reicht und die antike Gesellschafts- und Zeitgeschichte erkennbar berücksichtigt. In den beiden abschließenden Kapiteln zeigt Vf. die inneren Krisen im Christentum der zweiten und dritten Generation samt den damit verbundenen Identitätskonstruktio-

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nen (299–313) und die inneren Wandlungen (315–331): von der Bekehrungsreligion zur Traditionsreligion, die religiösen Vollzüge, die Etablierung von Ämtern, die johanneische Bewegung, die Askese, die soziale Gestalt und das Ethos.

3. Theologie des NT / Hermeneutik Bormann, Lukas: Theologie des Neuen Testaments. Grundlinien und wichtigste Ergebnisse der internationalen Forschung. Vandenhoeck & Ruprecht / UTB: Göttingen 2017, 424 S. In der vom Vf. herausgegebenen Reihe „Basiswissen Theologie und Religionswissenschaft“ erscheint der NT-Theologie-Band als eine sowohl ausführliche wie gut verständliche Darstellung der Theologien des NT. Vf. verwendet einen offenen Theologiebegriff, in dem das Verhältnis von Gott, Welt und Mensch reflektiert wird, orientiert sich an der biblischen Rede über die Eigenschaften Gottes und analysiert die jeweils vorkommenden Sprach- und Ausdrucksformen. Nach einem theologiegeschichtlichen Überblick von Gabler über Bultmann bis in die Gegenwart folgen in einzelnen Kapiteln Darstellungen des antiken Judentums und Jesu von Nazareth als Grundlagen und dann strukturiert der einzelnen Konzeptionen des NT. Dabei wird nicht ein dogmatisch-begriffliches Raster zugrunde gelegt, sondern ein spezifischer Diskurs geführt: „Der Diskurs um die Eigenschaften Gottes, der sich vor allem in der Spannung zwischen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit bzw. zwischen Recht und Liebe bewegt, ist … zugleich der Ausgangspunkt wie auch der Zielpunkt, d. h. das Versprechen, dieser Theologie des Neuen Testaments“ (11 f). In diesem auch grafisch und didaktisch gut gestalteten Buch finden sich verlässliche, historisch wie systematisch reflektierte Darstellungen. Frey, Jörg: Von Jesus zur neutestamentlichen Literatur. Kleine Schriften II, hg. v. Benjamin Schliesser (WUNT 368). Mohr Siebeck: Tübingen (2016), Studienausgabe 2018; 940 S. Trotz des Untertitels liegen hier große Aufsätze des Zürcher Neutestamentlers mit Tübinger Wurzeln vor. In 22 höchstens geringfügig überarbeiteten Beiträgen wird ein vielfältiges Feld abgeschritten mit Untersuchungen zu Jesus (einschließlich zweier wichtiger Texte zur Deutung des Todes Jesu), zu Paulus und zu einzelnen exegetischen Fragestellungen der Soteriologie, Eschatologie und Ekklesiologie. Vf. zeigt stets, wie er Exegese als sorgfältige historisch-philologische Analyse mit theologischem Anspruch verbindet: „Neutestamentliche Exegese zielt auf theologische Aussagen, insofern sie – als Anwältin der ihr aufgegebenen Texte – deren Sachgehalt zur Sprache bringt und verständlich macht“ (24). Landmesser, Christof (Hg.): Bultmann Handbuch. Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 546 S. In der bekannten Handbuch-Reihe ist auch der Bultmannband strukturiert in Person, Werk und Wirkung, die in differenzierten, eher knapp gehaltenen Einzelartikeln entfaltet werden. Im Teil zur Person werden dabei beispielsweise die persönlichen und die gesellschaftlich-politischen Beziehungen dargelegt, also Beziehungen zu Rade, Gunkel, Gogarten, Barth, Heidegger, Jaspers, Jonas, Gadamer u. a. bzw. zur Kirche, zur Politik, zum Judentum und zur Kultur. Bultmanns theologisches, exegetisches wie systematisches, Werk wird unter den Gesichtspunkten Gattungen, Strukturen (Sünde und Rechtfertigung, Glauben und Verstehen, Selbstverständnis und Weltverständnis, Freiheit, Gehorsam, Bindung) und Themen (Gnosis, synoptische Frage, Jesus, Paulus, Johannes, Geschichte, Eschatologie, Glaube, Enzyklopädie u. a.) entfaltet. Christof

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Landmesser summiert dabei Hermeneutik und existentiale Interpretation: „Im Kontext der Hermeneutik Bultmanns wird der Ausleger eines biblischen Textes mittels der existentialen Interpretation in seiner eigenen Geschichte mit dem Anspruch des biblischen Textes konfrontiert. So werden dem Interpreten die Möglichkeiten seiner Existenz erschlossen. Der Akt der Interpretation versandet so nicht in einer vermeintlichen historischen Rekonstruktion, er hat – so der Anspruch Bultmanns – vielmehr eine die Möglichkeiten der Existenz eröffnende Funktion“ (382). Dalferth, Ingolf U.: Die Kunst des Verstehens. Grundzüge einer Hermeneutik der Kommunikation durch Texte. Mohr Siebeck: Tübingen 2018, 546 S. Der Zürcher Systematiker und Religionsphilosoph, dem 2018 auch eine fulminante Festschrift zum „Gott denken“ zugeeignet wurde (s. u.), hat stets hermeneutische Fragen in philosophischer wie theologischer Professionalität bearbeitet. Das umfangreiche Hermeneutikbuch zeigt dies konzis wie kohärent. Vf. entwickelt eine orientierungsphilosophische Theorie der Hermeneutik, „die Hermeneutik als Kunstlehre der Kunstpraxis des Verstehens in den Blick fasst und Verstehen als die Tätigkeit und das Vermögen von Menschen, sich durch das Kommunizieren mit anderen gemeinsamen Sinn-Welten des menschlichen Lebens verlässlich zu orientieren“ (V). Dieses weite Verständnis wird in vier umfangreichen Kapiteln zu den Topoi „Verstehen“, „Text“, „Dasein“ und „Glauben“ kritisch dargelegt und reflektierend entfaltet. In der Theologischen Hermeneutik werden fünf Aufgabenfelder skizziert: Handlungshermeneutik der Schrift, Texthermeneutik der Bibel, Ereignishermeneutik des Wortes Gottes. Praxishermeneutik des christlichen Lebens, Kulturhermeneutik der christlichen Tradition (vgl. 445–448), unter denen die Handlungs- und die Ereignishermeneutik theologisch zentral sind. Hieran werden sowohl die neutestamentliche wie die praktisch-theologische und hier nicht zuletzt die liturgische (vgl. 447) Hermeneutik mit Gewinn anschließen.

4. Gott Feldmeier, Reinhard / Spieckermann, Hermann: Menschwerdung (TOBITH 2). Mohr Siebeck: Tübingen 2018. 418 S. Im Anschluss an ihre biblische Gotteslehre (vgl. JLH 53 [2014], 65) präsentieren beide Verfasser erneut ein gemeinsames und theologisch bedeutendes Buch, als „komplementäre Tafel eines Diptychons“ (VII). Unter Menschwerdung verstehen sie „eine gewichtige Wahrnehmung Gottes in der jüdisch-christlichen Tradition …, endgültige Liebestat des Gottes, der in seiner Schöpfung, besonders in seinem liebsten Geschöpf, dem gottebenbildlichen Menschen, das Gegenüber geschaffen hat, ohne welches er nicht Gott sein will“ (1). Nach dem exegetisch-detaillierten wie systematisch orientierten Durchgang durch die biblischen Schriften und ihre theologischen Konzepte resümieren die Vf.: „Ging nach dem Mythos des ‚Sündenfalls‘ das Paradies verloren, weil der Mensch werden wollte wie der Gott, den er als Inbegriff von Übermacht in den Himmel projiziert hat, so wird dem Menschen, den Gott in Christus mit sich versöhnt hat, zugetraut und zugemutet, in Entsprechung zu dem vom Himmelsthron herabgekommenen Vater nun selbst zum menschlichen Menschen zu werden. Die Menschwerdung Gottes als Grund und Ziel der Menschwerdung des Menschen ist deshalb Zentrum jeder biblischen Theologie christlicher Provenienz“ (332). Großhans, Hans-Peter / Moxter, Michael / Stoellger, Philipp (Hg.): Das Letzte – der Erste. Gott denken, FS Ingolf U. Dalferth. Mohr Siebeck: Tübingen 2018, 504 S.

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Gott ist denkwürdig. Ihn zu denken, protologisch wie eschatologisch zugleich, gehört zu den zentralen Anliegen des Theologen und Religionsphilosophen Ingolf U. Dalferth. Dies spiegeln die 24 Beiträge der inhaltsreichen Festschrift. Die drei exegetischen Beiträge behandeln nichtexplizite Denkformen Gottes im AT (Konrad Schmid) und die Aufgabe, Gott zu denken, im Gespräch mit Paulus (Christof Landmesser und Hans Weder). „Das Nachdenken des Paulus über Gott ist ein Denken unter der Voraussetzung des Christusglaubens, und zugleich ist es ein Akt der Konkretion des Lebens einer glaubenden Existenz“ (221), der schließlich in die hymnische Rede von der Weisheit und der Erkenntnis Gottes in Röm 11,33–36 mündet (vgl. 241) bzw. zum radikalen Denken der göttlichen Kreativität führt (vgl. 415 ff). Dohmen, Christoph / Söding, Thomas: Der Eine Gott (NEB Themen 1). Echter Verlag: Würzburg 2018, 133 S. Der Themenreihe der „Neuen Echter Bibel“ entsprechend bietet auch dieser Band in allgemeinverständlicher Sprache eine biblische Theologie zum Thema, also zum Verständnis Gottes im AT und NT. Thomas Söding zeigt das Bild Gottes in Jesu Basileia-Verkündigung in den Facetten: Freund der Armen und König der Welt, Gott Israels und der Völker, Schöpfer und Vollender, Herr über Zeit und Ewigkeit, Richter und Retter, Gebieter und Erlöser und legt dann das Vaterunser aus. Daran anschließend wird die Zentralität von Tod und Auferweckung Jesu entfaltet sowie das Gottesverständnis im paulinischen und johanneischen Schrifttum. Verkündet und geglaubt wird im AT und NT der Eine Gott. „Jesus hat sich nicht neben diesem einen Gott in Szene zu setzen versucht … Er hat sich vielmehr mit dem einen Gott voll und ganz identifiziert: mit seinem Wort, seiner Barmherzigkeit und seiner Gerechtigkeit. Dadurch wird die Gottesfrage neu gestellt. Im Neuen Testament wird der eine Gott als der Vater Jesu Christi verkündet und Jesus Christus als sein lieber Sohn, der ‚sich als Lösegeld hingegeben hat für alle, ein Zeugnis zur rechten Zeit‘ (1Tim 2,5 f)“ (122).

5. Jesus Christus Schmidt, Eckart David (Hg.): Jesus, quo vadis? Entwicklungen und Perspektiven der aktuellen Jesusforschung (BThSt 177). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2018, 295 S. In diesem Band, dessen Beiträge auf ein Mainzer Symposium von 2016 zurückgehen, wird die aktuelle Jesusforschung in ihren methodischen und hermeneutischen Herausforderungen präsentiert. Wohin geht die Jesusforschung nach der third quest? Neue Ansätze aus den Bereichen der Kulturanthropologie, Narratologie und des memory approach werden präsentiert. Jens Schröter, der diesen Zugang im deutschsprachigen Raum bekannt gemacht und vertreten hat (vgl. auch JLH 56 [2017], 81 f), zeigt die Notwendigkeit eines kritischen Zugangs, so dass am Ende nicht wieder die Frage nach einem Bestand „authentischer“ Jesusworte und -überlieferungen zu stehen kommt, sondern die Erinnerungskategorie eine hermeneutische Kategorie bleibt, die nach den kollektiven wie kulturellen Dimensionen und Relationen fragt. Dies wird forschungsgeschichtlich und systematisch entfaltet (vgl. 115–134) und dann am Reinheitstopos in der frühchristlichen Jesusüberlieferung detailliert vorgeführt, der bei Mk, Mt, PEg und POxy 840 in unterschiedlicher Weise mit Jesus verbunden worden ist (vgl. 134–142). Als hermeneutische Kategorie relativiert das Erinnerungsparadigma nach Schröter überzogene Ansprüche der historisch-kritischen Jesusforschung, verbindet die mit den Ausdrücken „historischer Jesus“ und „geglaubter Christus“ verbundenen Perspektiven und ermöglicht die Akzeptanz pluraler Zugänge zu Jesus

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(vgl. 146 f). Eine solche Pluralität der Jesusforschung befürwortet auch der Nestor der historischen Jesusforschung, Gerd Theißen. In seinem umfassenden Aufsatz zeigt er die bleibenden Spannungen und die Instabilität der Jesusforschung zwischen Skepsis und Zuversicht, der auch der memory approach, der im übrigen auf der alten formgeschichtlichen Einsicht der Umprägung der Erinnerung an Jesus durch Glauben und Leben der Tradenten basiert (vgl. 20–22), nicht entgehen kann. Forschungsgeschichtlich und erkenntnistheoretisch wird die Instabilität entfaltet als Schwanken zwischen methodischem Minimalismus und sachlichem Maximalismus, zwischen Distanz und Nähe, zwischen Pluralität und Einheit der Jesusbilder, zwischen Überlieferungskomplexen als Grund von Zuversicht und Skepsis, zwischen historisierender und relativierender Analogieauswertung (vgl. 23–51). Theißen votiert am Ende für eine plurales Bild Jesu und benennt als Stärken der Instabilität, dass Ungewissheit zur Toleranz erzieht, einen Reichtum der Deutungen ermöglicht und zur Eigenständigkeit im Denken erzieht (vgl. 52–55). „Ungewissheit stärkt die eigene Verantwortung. Sie gehört zur Nachfolge: Wer dem nachfolgt, der gesagt hat: Ihr habt gehört, Gott hat dies oder jenes befohlen, ich aber sage euch – der muss selbst Verantwortung für seine Ethik und Religion übernehmen“ (54). Schaller, Christian / Scotti, Giuseppe A. (Hg.): Die Jesus-Trilogie Benedikts XVI. Eine Herausforderung für die moderne Exegese (Ratzinger-Studien 11). Verlag Friedrich Pustet: Regensburg 2017, 257 S. Die Jesus-Triologie des emeritierten Papstes hat zu diversen exegetisch-systematischen Debatten und Symposien geführt (vgl. JLH 53 [2014], 67 f), zu denen auch der vorliegende Band gehört. In ihm präsentiert der Altmeister des „Jesus-Seminars“, John P. Meier, die historische Jesusforschung und anhand der Gleichnisse deren Beitrag für das Gespräch mit katholischer Theologie, während Thomas Söding zu Recht die Einladung zur Freundschaft mit Jesus als zentrale, aber leicht übersehene Dimension der Jesus-Trilogie hervorhebt. Andere präsentieren Forschungen zur Papyrologie (Juan Chapa) und zur antiken Biographie (Richard A. Burridge) als Beiträge zur Evangelienauslegung oder die Übergänge zur Patristik (Prosper Grech OSA) und zur Fundamentaltheologie (Angelo Amato SDB). Herzer, Jens / Käfer, Anne / Frey, Jörg (Hg.): Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Der zweite Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik. Mohr Siebeck / UTB: Tübingen 2018, 569 S. Der Sammelband präsentiert die Beiträge eines – eher selten stattfindenden – interdisziplinären Dialogs zwischen Neutestamentlicher und Systematischer Theologie zu den einzelnen christologischen Bekenntnisaussagen des Apostolicums. Nach einführenden Überlegungen zu Bekenntnis und Bekennen werden zu jeder Bekenntnisaussage je ein neutestamentlicher und ein dogmatischer Aufsatz geboten sowie eine in die Diskussion einführende Zuspitzung. Am Ende werden die Chancen solcher Dialoge mit Recht hervorgehoben und begründet: „Die gemeinsame Suche nach dem Sachgrund des Glaubens in Vergangenheit und Gegenwart, nach der gegenseitigen Erhellung und Klärung von Glaubens- und Lebensperspektiven und letztlich die Bemühung um das Ganze der Theologie steht im Hintergrund der Bemühungen, biblisch-historische und systematisch-theologische Fragestellungen und Diskurse in einen Dialog zu bringen“ (530). Hüttenhoff, Michael / Kraus, Wolfgang / Meyer, Karlo (Hg.): „… mein Blut für Euch“. Theologische Perspektiven zum Verständnis des Todes Jesu heute. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2018, 344 S.

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Auch dieser Band ist enzyklopädisch angelegt (einschließlich der Praktischen Theologie) und liefert Beiträge eines Symposiums zu Ehren von Wolfgang Kraus zu den Verständnisperspektiven des Todes Jesu. Dabei antworten auf die Hauptvorträge jeweils Respondenten eines anderen Fachs. In den neutestamentlichen Beiträgen wird die Pluralität der Deutungen hervorgehoben und die kultischen (Jörg Frey, response von Christian Neddens) wie nicht-kultischen (Martin Karrer, response von Stefanie Lorenzen) Deutungen präsentiert. Während einige Symposiumsteilnehmer für einen Verzicht auf die Deutungskategorie „Sühne“ votierten, hielten andere daran fest (vgl. 14). Eine anregende Lektüre ist daher garantiert. Klumbies, Paul-Gerhard: Soteriologische Wirklichkeitserschließung. Der Beitrag der synoptischen Evangelien, in: ThLZ 143 (2018), 859–872. Vf. zeigt Unterschiede und Übereinstimmungen der soteriologischen Konzepte innerhalb der synoptischen Jesuserzählungen. In ihnen wird der Bedrohungscharakter der Wirklichkeit stark betont. „Auf seine Bewältigung richtet sich das soteriologische Anliegen“ (872). Gemeinsam sehen sie im Akt der Zuwendung den Ansatz der Soteriologie: „Unisono wird in dem Verhalten Jesu die Bewegung Gottes zum Menschen abgebildet“ (ebd.). Schäfer, Peter: Jesus im Talmud. Mohr Siebeck: Tübingen [2007] 32017, 320 S. In diesem inzwischen in 3. Auflage erschienenen Buch zeigt Vf. – auch im Gegenüber zur minimalistischen und stark auf die Frage nach historischer Auswertbarkeit im Blick auf den „historischen Jesus“ fixierten Arbeit von Johann Maier (1979) – wie die rabbinischen Quellen in den babylonischen und palästinischen Rabbiner-Diskursen auf die Jesusgeschichte vor allem des Johannesevangeliums, dessen antijüdischer Grundtenor auffällt, polemisch antworten und Gegengeschichten zu Jesus, seiner Familie, seiner Toralehre, seinen Heilungen, seiner Hinrichtung und seinen Höllenstrafen (statt Auferstehung) entwerfen. Im gesamten „Ozean des Talmud“ sind dies nur wenige Hinweise, aber durchaus signifikant für die theologische Reaktion selbstbewusster Rabbiner im Sassanidenreich der Spätantike. „Insgesamt fügen sich die Texte im babylonischen Talmud, so bruchstückhaft und verstreut sie auch sein mögen, zu einem kühnen und kraftvollen Gegen-Evangelium zum Neuen Testament im allgemeinen und zu Johannes im besonderen“ (260).

6. Anthropologie und Ethik Landmesser, Christof: Der Mensch im Neuen Testament, in: Jürgen van Oorschot (Hg.): Mensch (TdT 11). Mohr Siebeck / UTB: Tübingen 2018, 65–104. In der anregenden Lehrbuchreihe stellt Landmesser die Anthropologie im NT dar. Ihr ist an Grundlinien gemeinsam, dass der Mensch immer in Relationen zu Gott, den Mitmenschen und der Welt gesehen wird, wobei die theologischen und soteriologischen Kontexte maßgeblich sind. Der Mensch ist der von Gott angesprochene, der ihm gegenüber sprachfähig wird und verantwortlich ist. Die Sprachfähigkeit zeigt sich nicht zuletzt in der Aufgabe, das Evangelium zu verkünden und Gott zu loben. Zimmermann, Ruben / Joubert, Stephan (Hg.): Biblical Ethics an Application. Purview, Validity, and Relevance of Biblical Texts in Ethical Discourse, FS Jan G. van der Watt, Kontexte und Normen neutestamentlicher Ethik / Contexts and Norms of New Testament Ethics 9 (WUNT 384). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 431 S. Wie im vergangenen Literaturbericht gezeigt (vgl. JLH 56 [2017], 92–96) spielt die Ethik des NT und die durchaus methodisch wie hermeneutisch unterschiedlichen

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Zugänge einen Schwerpunkt gegenwärtiger Forschung. Der vorliegende Sammelband bietet hierzu eine gute Ergänzung und einen Überblick über Einzelprobleme wie Ethikkonzepte des gesamten NT. Dabei wird „application“ keineswegs als bloße Anwendung neutestamentlicher Vorgaben verstanden, sondern „as the relevance and influence of biblical texts on moral behavier and further ethical debate“ (1), wodurch ein komplexer hermeneutischer Prozess indiziert wird. Drews, Alexander: Semantik und Ethik des Wortfeldes „Ergon“ im Johannesevangelium, Kontexte und Normen neutestamentlicher Ethik 7 (WUNT II, 431). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 324 S. In seiner durch Bernd Kollmann betreuten und durch Ruben Zimmermann initiierten Siegener Dissertation untersucht Vf. mit Hilfe der Korpuslingusitik das Wortfeld „ergon“ und fragt in modifizierter Aufnahme der durch Zimmermann vorgeschlagenen Methodologie einer impliziten Ethik (vgl. JLH 56 [2017], 95 f) nach der moralischen Signifikanz des Wortfeldes im Joh, dem als Makrostruktur die Unterscheidungen in Raum des Lichts, Raum der Dunkelheit und ambivalenter Handlungsraum zugeordnet wird (vgl. Joh 3,18–21). Hoegen-Rohls, Christina / Poplutz, Uta (Hg.): Glaube, Liebe, Gespräch. Neue Perspektiven johanneischer Ethik (BThSt 178). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2018, 220 S. Hatte man noch bis vor kurzem den johanneischen Schriften kaum eine relevante, über die Binnengruppe hinausgehende Ethik zugesprochen, wird die Frage von jüngeren Forscherinnen und Forschern hier neu aufgerollt. Dabei wird methodisch re­ flektiert der alleinige Blick auf ethische Imperative geweitet und narrative Konzepte, ideale Figuren und Rollen und intertextuelle Bezüge werden fruchtbar gemacht.

7. Rituale und Sakramente Theißen, Gerd: Veränderungspräsenz und Tabubruch. Die Ritualdynamik urchristlicher Sakramente (BVB 30). LIT-Verlag: Berlin 2017, 482 S. Der Heidelberger Theologe hat bereits verschiedene Veröffentlichungen zur ritualwissenschaftlichen Deutung von Taufe und Abendmahl vorgelegt (vgl. JLH 53 [2014], 92), die sich auch im vorliegenden Buch wiederfinden. Die 18 Beiträge des Buches sind dabei aber durchgängig überarbeitet, teilweise neu geschrieben, sechs sind erstmals publiziert (vgl. 17–32), so dass sowohl eine umfangreiche Monographie vorliegt, als auch die einzelnen Beiträge für sich verständlich sind. Nach einem Einleitungskapitel zur Ritualdynamik urchristlicher Sakramente werden fünf thematische Kapitel geboten: Ritualkulturen (akademische, protestantische, katholische), Ritualtheorie und Ritualtheologie (als Blick von außen und von innen), Ritualdynamik und Religionswandel, Transformation der Rituale im Urchristentum, Sakrament und Entscheidung. Vf. entfaltet hier exegetisch gründlich wie gleichzeitig anregend für die gegenwärtige Praxis seine Grundthese, dass am Anfang prophetische Symbolhandlungen stehen, die dynamisch variiert sich nachösterlich über die Verbindung mit Tabubrüchen (Kontakt zum Tod, symbolischer Suizid, symbolischer Kannibalismus) zu auch von Geheimnissen umgebenen Sakramenten entwickeln und dabei plurale, teils konkurrierende Formen ausbilden (28–30.315–380). Das ermöglicht auch eine Integration evangelischer und katholischer Grundbestimmungen: „Die Sakramente sind ein offenes Sündenbekenntnis zu dem, wozu der Mensch fähig ist, und symbolisieren gleichzeitig die Verwandlung des zum ‚radikal Bösen‘ fähigen Menschen in einen neuen Menschen,

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der von Gott angenommen und gerechtfertigt ist. Verwandlungspräsenz ist Vergebungspräsenz. Der katholisch inspirierte Gedanke der Verwandlungspräsenz vereint sich so mit dem protestantischen Gedanken der Rechtfertigung des Gottlosen“ (5). Vf. diagnostiziert gleichzeitig eine wachsende Intoleranz gegenüber öffentlich sichtbaren Ausdrucksformen von Religion in den westlichen Gesellschaften und bietet ebenso eigene katechetische Erschließungen zu Taufe und Abendmahl (387 ff) und eine eigene Abendmahlsliturgie (435–438), in der schöpfungstheologische, soteriologische, christologische, pneumatologische und ekklesiologische Motive verbunden werden und das Agnus Dei leicht variiert wird (‚der du trägst die Schuld [V.1] der Welt; … das Leid [V.2] der Welt; … der du bist das Licht der Welt‘ [V.3]). Vf. schließt mit einem meditativen Text, der ökumenisch verbindend die unterschiedlichen konfessionellen Abendmahlsdeutungen benennt und mit einer symbolischen Deutung der katholischen Messe endet: „Die Messe ist ein Protest gegen die Resignation, es bliebe alles unverändert, weil alles unverändert aussieht. Gott ist die Kraft, die schöpferisch verändern kann, wo Menschen keine Veränderung sehen. Gottes Präsenz ist Veränderungspräsenz“ (453; vgl. 19 f.22 f.89–105.157–192). Insgesamt bietet die ritualwissenschaftliche Analyse immer neu Anregungen zu einer Sakramentstheologie, die Vf. hier explizit nicht entfaltet. „Mir geht es um vier Grundgedanken: Sakramente sind verkörperte Botschaften, die Anwesenheit Gottes in ihnen ist Veränderungspräsenz; ihre transformative Kraft erhalten sie durch symbolische Tabubrüche und ihre Ritualvarianz lehrt uns Ritualtoleranz“ (32). Hellholm, David / Sänger, Dieter (Hg.): The Eucharist – Its Origin and Contexts, Vol. I (Old Testament, Early Judaism, New Testament), Vol. II (Patristic Traditions, Iconography), Vol. III (Near Eastern and Graeco-Roman Traditions, Archaeology), (WUNT 376). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, XXXV, 2199 S., mit zahlreichen Abb. In drei voluminösen Bänden werden Untersuchungen zur Eucharistie, ihren Ursprüngen, Kontexten und Entwicklungen einschließlich religionswissenschaftlicher, ikonographischer und archäologischer Perspektiven in deutscher und englischer Sprache geboten, die auf zwei internationalen Tagungen 2012 und 2013 vorgestellt und diskutiert worden sind. In historischer Tiefenschärfe wie wirkungsgeschichtlicher Weite bleiben dabei schlicht keine Fragestellungen der Forschung unberücksichtigt und keine Wünsche offen. Der Wiener Systematiker Ulrich Körtner stellt einführend verschiedene Beiträge vor und diskutiert exemplarisch deren systematisch-theologische, ökumenische und praktisch-theologische Implikationen und Konsequenzen. Eine Fundgrube für alle, die historisch und theologisch an Fragen des Abendmahls, der Mahlgemeinschaften und Gemeinschaftsmähler arbeiten und interessiert sind! Themenheft: Heiliges Mahl. Zu Tisch mit den Göttern, in: Welt und Umwelt der Bibel 22 (2017) Heft 1, S. 6–65. Das reich bebilderte Themenheft der Zeitschrift mit den Schwerpunkten Archäologie, Kunst und Religionsgeschichte bietet gut verständliche Darstellungen zu Essen und Religion und zu den religiösen und kultischen Dimensionen der Mähler im Alten Orient, im antiken Judentum, im antiken Mittelmeerraum, im frühen Christentum, zur Entwicklung der christlichen Abendmahlsliturgie im 2.–4. Jh., zum letzten Abendmahl in der Kunst und zum Ramadan als Fasten- und als Mahlmonat. Matthes, Claudia: Die Taufe auf den Tod Christi. Eine ritualwissenschaftliche Untersuchung zur christlichen Taufe dargestellt anhand der paulinischen Tauftexte (NET 25). Narr Francke Attempto Verlag: Tübingen 2017, 559 S. In dieser äußerst umfangreichen, durch Jens Herzer betreuten Leipziger Dissertation untersucht Vfn. die paulinischen Tauftexte (Gal 3,23 ff; 1 Kor 1,10 ff; 12,12 ff;

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Literaturbericht Liturgik.  Helmut Schwier Röm 6,1 ff) und die bekannten religionsgeschichtlichen Parallelen unter ritualwissenschaftlichen Gesichtspunkten. Die christliche Taufe, die Ritualelemente der Johannestaufe als Vorgängerritual aufnimmt, hat einen schlichten Ablauf: Untertauchen des Täuflings durch einen (sonst bedeutungslosen) Täufer, der eine Taufformel spricht (Paulus favorisiert dabei die eis-, nicht die onoma-Formel). Sterben, Begraben-werden und Auferweckt-werden Jesu bezeichnet Vfn. als Ursprungsereignis der christlichen Taufe, wobei die vor allem den lebensgefährdenden Aspekt von Wasser (anstelle des Reinigungsaspekts) hervorhebt. Die zentrale Funktion ist die der Initiation.

8. Gottesdienst Wolter, Michael: Das neutestamentliche Christentum und sein Gottesdienst, in: Elisabeth Gräb-Schmidt / Reiner Preul (Hg.): Gottesdienst (MJbTh 309). Ev. Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 1–22. In diesem Sammelband, in dem liturgiewissenschaftliche Beiträge im engeren Sinne fehlen, bietet Vf. einen Überblick über das Gottesdienstverständnis im frühen Christentum. Dabei versteht er „Gottesdienst“ als außeralltägliche soziale Institution (mit gemeinsamer Mahlzeit, Gebet und Rede), die im Spannungsverhältnis zum Alltag steht. Daraus ergeben sich bereits logisch drei idealtypische Konstellationen (Gottesdienst dominiert Alltag, Alltag dominiert Gottesdienst, beide sind autonom und unverbunden), die dann im Folgenden anhand der einschlägigen NT-Texte beschrieben und profiliert werden, wobei besonders die Außeralltäglichkeit des Gottesdienstes erkennbar sein soll. Diesen normativen Aspekt verstärkt Vf. in seinem Schlussabschnitt mit neutestamentlichen Bemerkungen zur trinitarischen Eröffnung, allerdings mit zwiespältigem Ergebnis: Einerseits beschreibt Wolter die alte These von Lars Hartman, dass die In-Nomine-Formulierung fälschlicherweise theologisch aufgeladen worden sei und es nur „um meinet-, seinet- oder ihretwillen“ heiße, andererseits soll aber diese Formel jeden Gottesdienst so eröffnen, dass dadurch – in alltäglicher Formulierung „um Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes willen“ – die Außeralltäglichkeit markiert sei. Frey, Jörg / Jost, Michael R. (Hg.): Gottesdienst und Engel im antiken Judentum und frühen Christentum (WUNT II, 446). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 447 S. Der Sammelband umfasst Spezialuntersuchung zur Verbindung der himmlischen und irdischen Gemeinde im Gottesdienst. Neben zwei liturgiewissenschaftlichen Beiträgen liegt der Schwerpunkt auf Untersuchungen zum AT, zum antiken Judentum und den rabbinischen Traditionen. In den beiden neutestamentlichen Beiträgen werden der Hebr (Georg Gäbel) und die Apk (Jan Dochhorn) analysiert.

9. Auferstehung Cornelius, Anna: Der auferstandene Jesus als erzählte Figur im Matthäus- und Lukasevangelium (NET 23). Narr Francke Attempto Verlag: Tübingen 2016, 315 S. In ihrer durch F. W. Horn betreuten Mainzer Dissertation untersucht Vfn. mit der literaturwissenschaftlichen Figurenanalyse den Auferstandenen bei Mt und Lk. Nach einer kompakten Einführung in ihre Methodik, gewonnen in kritischer Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen der Forschungsgeschichte (Literaturwissenschaft und Exegese), erfolgt die Detailuntersuchung und ein instruktiver

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Vergleich der beiden Evangelien und der Figurenzeichnung des irdischen und des auferstandenen Jesus. Vfn. formuliert als Fazit: „Im MtEv wird der auferstandene Jesus als hoheitsvoller Machtträger charakterisiert, dessen Vollmacht sich in diesem Aeon durch die universale Mission durchsetzen soll und der die bestehenden Seinswelten ins Wanken bringt. Dabei ist und bleibt er der Gekreuzigte, wie er von dem Engel nach seiner Auferstehung bezeichnet wird, und befindet sich bis zum Anbruch des neuen Aeons durch seine Beistandszusage in einer stetigen Nähe zu seinen Jüngern. Dagegen begegnete im LkEv ein völlig anderer Auferstandener, der sich viel stärker in Kommunikation mit den anderen Figuren begibt, ihnen als Hermeneut seine Rolle im göttlichen Heilsplan verdeutlicht, seine Jünger zur Metanoia-Predigt in seinem Namen aufruft und ihnen verspricht, den Geist zu senden. Im Gegensatz zum Auferstandenen im MtEv ist er nach Lk 24 der Lebende schlechthin. […] Vor seiner Himmelfahrt ist er der Auferstandene, der bereits eine Ambivalenz aus Nähe und Distanz aufweist, nach seiner Himmelfahrt ist er der Himmlische, der allen Bedingungen des menschlichen Lebens enthoben ist, sich in einer Distanz zu den Menschen befindet und gewissermaßen vom Geist ‚vertreten‘ wird“ (294). In und trotz aller Kontinuität zum irdischen Jesus zeigt sich auch in der Figurenzeichnung ein Bruch: „Nach seiner Auferstehung ist Jesus zwar noch derjenige, der er vorher war, aber dennoch zugleich ein anderer“ (295). Schwier, Helmut: Leidenschaft zum Leben. Eine kleine Zusammenschau neutestamentlicher Ostertheologien in praktischer Absicht, in: Dagmar Kreitzscheck / Heike Springhart (Hg.): Geschichten vom Leben. Zugänge zur Theologie der Seelsorge (FS Wolfgang Drechsel). Evang. Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 89–98. In der Festschrift für den Heidelberger Praktischen Theologen und Poimeniker präsentiert Vf. eine Zusammenfassung neutestamentlicher Formeln und Narrationen zur Auferstehung Jesu Christi unter den Aspekten der Chronologie, des Redens von Gott, von Christus als gekreuzigtem Auferstandenen und vom belebenden Geist. Auch in den praktischen Ausblicken wird deutlich, dass „Ostern zu denken, … eine theologische Revolution“ (97) bedeutet.

10. Glaube Frey, Jörg / Schliesser, Benjamin / Ueberschaer, Nadine (Hg.): Glaube. Das Verständnis des Glaubens im frühen Christentum und in seiner jüdischen und hellenistisch-römischen Umwelt (WUNT 373). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, XXV, 957 S. In diesem ebenso fulminanten wie voluminösen Sammelband liegt ein thematisches Kompendium vor, das die pluralen und divergenten Glaubenskonzeptionen detailliert analysiert. Die Einzelbeiträge untersuchen in sechs Abteilungen die Hebräische Bibel und die Septuaginta, das frühjüdische und rabbinische Schrifttum, die hellenistisch-römische Welt, das NT (Paulus, Lk / Apg, Mt, Joh, Jak, Hebr, Past, Jud/2 Petr), die frühchristlichen und altkirchlichen Perspektiven sowie als Ausblick kirchengeschichtliche, systematisch-theologische und ökumenische Aspekte. Auffälliger Ausgangspunkt ist die Wahrnehmung, „dass es im Kontext der frühen Jesusbewegung – und nur hier in der Antike – geradezu zu einer Explosion der Rede vom ‚Glauben‘ bzw. der Verwendung der Termini pistis und pisteuein kommt, die ursprungshaft zusammenhängt mit dem Christusgeschehen, dem Auftreten, der Verkündigung und dem Geschick Jesu von Nazareth, das pisteuein oder pistis aus sich heraussetzte bzw. provozierte“ (XX). Den zentralen christlichen Begriff zur Beschreibung des Gottes-

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verhältnisses auch exegetisch und historisch zu erkunden, war lange überfällig. Die Lektüre braucht einen langen Atem, aber sie lohnt. Horn, Friedrich W. (Hg.): Glaube (Themen der Theologie 13). Mohr Siebeck: Tübingen 2018, 276 S. Ein Pendant zum exegetisch maximalen Sammelband ist dieses Lehrbuch mit seiner Ausrichtung auf alle theologischen Disziplinen. Der Herausgeber hat den NT-Part verfasst, das Lexem im NT, Judentum und Antike untersucht und die Verwendungen und Bedeutungen in den Hauptschriften des NT dargestellt. Glaube als christliches Identitätsmerkmal wird vor allem durch Paulus und Johannes verwendet und neu signiert. Glaube „umfasst alle Dimensionen der Einstellungen und Hoffnungen des Christen, auch dessen Handlungen. Im Glauben partizipiert der Christ an den Heilsgütern … Demgegenüber tritt das sog. doxastische Moment des Glaubens, dem es um das Fürwahrhalten bestimmter Aussagen geht, merklich zurück. In den Pistis-Formeln hat es eher die Gestalt des Vertrauens“ (59).

11. Liebe Oeming, Manfred (Hg.): Ahava. Die Liebe Gottes im Alten Testament (ABG 55). Ev. Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 487 S. In diesem Sammelband, der im Wesentlichen Vorträge eines Heidelberger Symposiums zum 60. Geburtstag des Herausgebers präsentiert, werden ausführlich und theologisch differenziert die Vorstellung von der Liebe Gottes im AT untersucht. Damit verbieten sich die auch in theologischer Literatur und in kirchlichen Äußerungen anzutreffenden Klischees vom zornigen Gott des AT und vom liebenden Gott des NT. Unter dem Aspekt der Wirkungsgeschichte werden neben einem diakoniewissenschaftlichen und einem homiletischen Beitrag (Johannes Eurich bzw. Helmut Schwier) vier neutestamentliche Beiträge geboten: Matthias Konradt untersucht den frühjüdischen Kontext des Gebotes der Feindesliebe, Gerd Theißen die Liebe Gottes und das Theodizeeproblem in den johanneischen Schriften, Peter Lampe die Agape als eschatologische Größe in 1 Kor 13 und Wolfgang Kraus den Zusammenhang von Liebe und Züchtigung im Hebräerbrief und in der Antike.

12. Kirche Heckel, Ulrich: Wozu Kirche gut ist. Beiträge aus neutestamentlicher und kirchenleitender Sicht. Mit einem Geleitwort von Wolfgang Huber. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2017, 295 S. Der Tübinger Exeget und Württemberger Oberkirchenrat zeigt in diesem Aufsatzband mit Texten aus den letzten 10 Jahren, den besonderen Gewinn, den das NT für kirchliches und kirchenleitendes Handeln hat. Neben Beiträgen zu Mission und Bildung stehen solche zum Gottesdienst im Zentrum: eine weitausgreifende Studie zur Taufe im NT, zum Taufverständnis Luthers, zur Bestattung, zum Predigtgottesdienst, zur Musik und zum Segen, den Vf. in seiner 2002 veröffentlichten Habilitationsschrift (WUNT 150) umfassend behandelt hatte. Dabei versteht er die Taufe als „Ur-Segen“ (164), mit Konsequenzen für Verständnis und Praxis der anderen Kasualien. In Aufnahme von Luthers Einsicht, dass der Glaube die Taufe nicht macht, sondern empfängt (vgl. Gr. Katechismus: BSELK 1124,14 f), pointiert Vf.: „Der Glaube ist kein Werk des

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Menschen, sondern Gottes Gabe. In der Taufe gibt es eine objektive Größe, die über allem Individualismus steht. Nicht ich gebe der Taufe ihre Bedeutung, sondern die Taufe verleiht meinem Glauben das Fundament“ (127).

13. Wunder Zimmermann, Ruben (Hg. in Verbindung mit István Czachesz, Bernd Kollmann, Susanne Luther, Annette Merz, Tobias Nicklas): Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen, Bd. 2 (Die Wunder der Apostel). Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2017, 1157 S. Der umfangreiche Band bietet Übersetzung und Kommentierung der frühchristlichen Wundergeschichten, in denen ein Apostel Jesu als Wundertäter agiert. Dabei werden sämtliche Wundergeschichten aus der Apg und aus den Johannes- und den Barnabasakten ausgelegt; aus den übrigen sog. apokryphen Texten (Akten d. Paulus und d. Thekla, Petrusakten, Thomasakten, Andreasakten, Philippusakten, Wunder d. Thekla) wurde exemplarisch ausgewählt; allerdings wurden sämtliche Wundergeschichten tabellarisch erfasst (1007–1021). Wie im ersten Band (vgl. JLH 53 [2014], 68) werden auch hier vorbildlich sprachliche, historische und rezeptionsästhetische Dimensionen bei jeder Auslegung aufgenommen und aufeinander bezogen und Auslegungsalternativen dokumentiert. Eine Fundgrube für Predigt und Unterricht – nicht zuletzt hinsichtlich der mitunter unterhaltungsreichen sog. apokryphen Wundergeschichten!

14. Gleichnisse Frey, Jörg / Joas, Esther Marie (Hg.): Gleichnisse verstehen. Ein Gespräch mit Hans Weder (BThSt 175). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2018, 226 S. Der Band bietet die Beiträge zum 70. Geburtstag Hans Weders, der mit seiner Dissertation („Die Gleichnisse Jesu als Metaphern“, 1978/41990) die Gleichnisforschung bleibend geprägt hat. Das belegen die Beiträge zur Hermeneutik (Jörg Frey) und zur neuesten Gleichnisforschung (Ruben Zimmermann) ebenso wie die Auslegungen der Gleichnisse von der selbstwachsenden Saat (Andreas Dettwiler), den Arbeitern im Weinberg (Moisés Mayordomo) und den Ich-bin-Worten (Christina Hoegen-Rohls). Der Band wird beschlossen durch Reflexionen des Jubilars zur Tragweite des Redens von Gott angesichts der Weltlichkeit der Welt: „Die Wahrheitsfrage angesichts der metaphorischen Sprache der Gleichnisse Jesu stellt sich … nicht als Übereinstimmung von Intellekt und Sache. Sie stellt sich als Frage nach dem poetischen Umgang mit der Wirklichkeit … Die Sprache der Bilder ist auf Entdeckungen aus: wer sie interpretiert, muss eine Sprache der Wiederentdeckung wählen, welche sich der Evidenz der Angeredeten ganz und ausschließlich preisgibt, eine Sprache, welche die Botschaft in den Augen der Angeredeten gewinnen kann, wenn alles gut geht“ (215).

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15. Eschatologie Becker, Jürgen: Hoffnung. Der frühchristliche Dialog zur eschatologischen Vollendung (BThSt 171). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2018, 242 S. In seiner ebenso klaren wie gehaltvollen Studie erläutert Vf. in exegetischer wie systematischer Weise die frühchristlichen Vollendungsvorstellungen, zeigt deren Nucleus in der Ostererfahrung und die nicht immer lückenlos konstruierbaren Entwicklungslinien (Täufer, Jesus, Logienquelle; Paulus; Mk; Mt; Lk; Joh; Kol, Eph, Hebr; Apk) sowie darin insgesamt die Vielfalt christlicher Hoffnungen und Begründungen. An die Stelle der auch im NT eher randständigen apokalyptischen Szenarien ist auch heute die paulinische wie johanneische Einsicht in die unzerstörbare personale Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf, Christus und den Menschen von entscheidender Bedeutung und Tragfähigkeit. Ein Gottesdienst, (Trauer-)Predigt und Seelsorge orientierendes Buch! Gäckle, Volker: Das Reich Gottes im Neuen Testament. Auslegungen – Anfragen – Alternativen (BThSt 176). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2018, 304 S. In der vorliegenden Studie untersucht der Liebenzeller Neutestamentler akribisch wie umfassend das Verständnis von „Reich Gottes“ bei Jesus, den Synoptikern, Paulus, Johannes und der Apk samt einem Ausblick in das 2. Jh. Die Forschungsgeschichte des 20. Jh.s wird kritisch gemustert und in ihrem dynamisch-präsentischen Verständnis als Irrtum und Fehlweg apostrophiert. „Die meisten ntl. und nachkanonischen Belege verstehen den Begriff stattdessen in einem spatialen Sinn als einen futurischen Ort des Heils und einige wenige im Sinne einer futurischen Zeit des Heils“ (250 f). Die präsentischen Bedeutungen zielen nicht dynamisch auf Königsherrschaft, sondern auf die Heilsgabe, identisch mit dem ewigen Leben. Volp, Ulrich (Hg.): Tod (Themen der Theologie 12). Mohr Siebeck: Tübingen 2018, 269 S. In diesem enzyklopädischen Sammelband stellt Manuel Vogel den neutestamentlichen Befund (57–115) dar, indem die antiken Umgangsformen mit dem Tod und deren Beziehungen zum NT erläutert werden, im Zentrum die Deutungen des Todes Jesu differenziert entfaltet und schließlich die paulinischen Sichtweisen auf den Tod des Christus und der Christen präsentiert werden.

16. Synoptische Frage Burkett, Delbert: The Case for Proto-Mark. A Study in the Synoptic Problem (WUNT 399). Mohr Siebeck: Tübingen 2018, 316 S. Die Standardhypothesen der Zweiquellentheorie und der Markuspriorität benötigt auch eine überzeugende Antwort auf die minor agreements. Dies führte in jüngerer Zeit zur Annahme, dass Mt und Lk ein überarbeitetes Mk („Deutero-Markus“) als Quelle benutzten. Vf. präsxentiert neue Argumente und akribische Untersuchungen, um die alte Hypothese des Ur- oder Proto-Markus neu zu debattieren und spricht ihr eine große Wahrscheinlichkeit zu.

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17. Matthäus Ziethe, Carolin: Auf seinen Namen werden die Völker hoffen. Die matthäische Rezeption der Schriften Israels zur Begründung des universalen Heils (BZNW 233). De Gruyter: Berlin / Boston 2018, 479 S. In ihrer Heidelberger Dissertation, betreut durch Matthias Konradt (NT) und Manfred Oeming (AT), analysiert Vfn. intensiv alle Textbezüge des Mt auf Schriften des AT im Blick auf die Fragestellung des universalen Heils, also der Heilsteilhabe der Heiden in ihrer Verbindung mit der bleibenden Erwählung Israels, die Vfn. zu Recht von der Allversöhnung abgrenzt. Vfn. zeigt überzeugend die Komplexität wie Kohärenz des mt. Systems der Schriftverweise und der mt. Christologie. „Das Heil für die Völker ist von Matthäus … nicht nur durch die Schriften untermalt, sondern grundlegend aus ihnen begründet dargestellt und als schriftgemäß entfaltet“ (380). Konradt, Matthias: „Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir!“ (Mt 11,29). Mt 11,28–30 und die christologische Dimension der matthäischen Ethik, in: ZNW 109 (2018) 1–31. Zur christologischen Dimension der matthäischen Ethik gehören neben der Stellung Jesu zur Tora seine Beschreibung als sanftmütiger messianischer König, die Einladung, sich unter seine Herrschaft zu stellen und die Aufforderung, dem Vorbild Jesu zu folgen. Hölscher, Michael: Matthäus liest Q. Eine Studie am Beispiel von Mt 11,2–19 und Q 7,18–35 (NTA NF 60). Aschendorff: Münster 2017, 408 S. In seiner durch Christoph Heil angeregten und durch Konrad Huber betreuten Mainzer Dissertation untersucht Vf. detailliert die angegebenen Textabschnitte. Nicht zuletzt durch Einbeziehung des szenischen Gesamtaufrisses im Raumkonzept des Mt wird gezeigt, dass Mt sowohl auf mikro- wie auf makroredaktioneller Ebene mit Mk und Q eigenständig umgeht. Vf. votiert dabei für ein bzgl. des Umgangs mit Mk- und Q-Stoff integratives Modell: „Mt möchte die verschiedenen Quellen zusammenführen und erhalten“ (362). Vf. sieht dabei eine Analogie zur christologischen Integrationsleistung, die Matthias Konradt in seinem Kommentar zentral herausarbeitet (vgl. JLH 56 [2017], 105), sieht bei Mt aber nicht, wie Konradt, eine antimarkinische Strategie. Förster, Hans: Der Versucher und die Juden als seine Vortruppe. Überlegungen zum Einfluss der Rezeptionsgeschichte auf die Übersetzung einiger wirkungsgeschichtlich problematischer Passagen des Neuen Testaments, in: ZThK 115 (2018) 229–259. In dieser Untersuchung – wie in anderen zum Johannesevangelium (s. u.) – zeigt Vf. problematische Übersetzungen mit judenfeindlicher Auswirkung, hier zum Wortfeld peirazo im MtEv. und zur dortigen Zinsgroschenperikope. Nicht zuletzt spielen hier auch antijüdische Auffassungen in der im 19. Jahrhundert entwickelten christlichen Lexikographie eine nicht unerhebliche Rolle.

18. Markus Guttenberger, Gudrun: Das Evangelium nach Markus (ZBK.NT 2). TVZ: Zürich 2017, 372 S. In den wissenschaftlichen deutschen Kommentarreihen sind nur ältere Kommentare zum ältesten Evangelium zu finden. Der allgemeinverständliche und gleichzeitig stark auf den griechischen Text bezogene und ihn auch einer weiteren Leserschaft erschlie-

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ßende Kommentar von Gudrun Guttenberger ist daher sowohl für die Erfordernisse der Praxis wie für den akademischen Unterricht mehr als nützlich. Neben den philologischen Erschließungen zeigt er sich mit der neuesten Forschung vertraut, indem er neben traditionsgeschichtlichen Informationen jeweils narratologische Analysen der einzelnen Perikopen präsentiert. „Die Kommentierung rekonstruiert den Verfasser des MkEv weder als Literaturwissenschaftler, der einen Text nach allen Regeln der (modernen Erzähl-)Kunst ‚baut‘, noch als Einfaltspinsel, den die ältere Forschung zuweilen in ihm sah, sondern als einen intuitiven Erzähler“ (11). Rüggemeier, Jan: Poetik der markinischen Christologie. Eine kognitiv-narratologische Exegese (WUNT II, 458). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 623 S. In seiner Tübinger Dissertation (Betreuer: Hans-Joachim Eckstein) verbindet Vf. zwei große Fragestellungen neutestamentlicher Exegese: die klassische Frage nach der Christologie des ältesten Evangeliums und die innovative Frage nach der Ergänzung des historisch-kritischen Methodenreservoirs. Vf. rezipiert die kognitive Narratologie, die seit den 1990er Jahren entwickelt wird und die ältere narrative Zugänge strukturalistischer oder semiotischer oder rezeptionsästhetischer Couleur mit zentralen Einsichten der Kognitionswissenschaften verbindet. Dies ist ein erkennbarer Fortschritt, denn der „implizite Leser“ ist weder eine bloße Textstruktur noch ein leeres Blatt, sondern ein Leser mit Vorwissen. Im Bereich der deutschen Exegese ist dies Neuland und nicht zuletzt durch den Methodenband des Vfs. (mit Sönke Finnern) auch unterrichtstauglich umgesetzt worden (s. o.). Im Unterschied zu anderen wendet Vf. seine Methoden nicht auf ein kleines Textcorpus an, sondern auf eine umfassende Fragestellung des gesamten Markusevangeliums. Methodeninnovation dient der konkreten Textinterpretation. Dies ergibt ein differenziertes Bild, weil in der Perspektivenanalyse eine Erzählperspektive und neun Figurenperspektiven entwickelt und aufeinander bezogen werden. Das Fundament markinischer Christologie wird erkennbarer als bisher in der Auferstehung identifiziert. Die Hauptfunktion markinischer Christologie kennzeichnet Vf. als epistemologisch (Menschen können Jesu Identität faktisch nicht erkennen); hinzu treten ethische und didaktische Funktionen, nach denen Jesus nicht einfach ein menschliches Vorbild ist, sondern eine anzuerkennende Autorität. Insgesamt ein methodisch innovatives Buch, das in notwendiger Komplexität theologische und nicht nur philologische oder traditionsgeschichtliche Konstellationen bearbeitet. Becker, Eve-Marie: Der früheste Evangelist. Studien zum Markusevangelium (WUNT 380). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 461 S. Die Aarhuser Neutestamentlerin veröffentlicht ihre zwischen 2003 und 2016 erschienenen Aufsätze, dazu zwei bisher unveröffentlichte Texte, zum Markusevangelium. Vfn. untersucht schwerpunktmäßig den literaturgeschichtlichen (15–140) und den historiographischen (141–291) Ort des ältesten Evangeliums; hieran schließen sich sieben Textexegesen an (295–428), unter ihnen eine kleine Auslegung der Geschichte vom leeren Grab. Vfn. deutet hier unter Rückgriff auf die literaturwissenschaftliche Unterscheidung zwischen dem Wunderbaren (Übernatürliches wird als Wirklichkeit dargestellt) und dem Phantastischen (Übernatürliches bleibt imaginär) das offene Ende des Evangeliums: „Markus erzählt zwar vom leeren Grab als von einer übernatürlichen Wirklichkeit […] Im Blick auf die Erscheinung des Auferstandenen indes schafft er keine Gewissheit. So lässt sich über die Christophanien nicht wie über ein Wunder sprechen. […] Markus will die Erscheinung des Auferstandenen nicht als ein Wunder verstanden wissen. Vielmehr inszeniert er die Christophanien als Phantastisches, und zwar indem er sie gerade nicht erzählt“ (431 f).

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Klumbies, Paul-Gerhard: Das Markusevangelium als Erzählung (WUNT 408). Mohr Siebeck: Tübingen 2018, 252 S. Dieser Aufsatzband vereinigt vor allem Texte aus den vergangenen 10 Jahren, ergänzt um zwei überarbeitete ältere und zwei bisher unveröffentlichte, neu verfasste Aufsätze. Hier wird die Entwicklung wie Wandlung exegetischer Fragestellungen, die bei Mk vom Autor der Quelle über den Sammler und Tradenten bis hin zum Redaktor und Erzähler gefragt hat, deutlich. Vf. zeigt dann, wie das Mkev. als Erzählung zu deuten ist, in dem die erzählte Welt des Weges Jesu der Erzählwelt des Verfassers und seiner Gemeinde als Ätiologie dient. Dadurch ist die Exegese mit der historischen Dimension verbunden, legt aber ihren Schwerpunkt „auf die in der Erzählung präsentierten theologischen Inhalte“ (53). Lanzinger, Daniel: Petrus und der singende Hahn. Eine zeitgeschichtliche Anspielung in der markinischen Verleugnungsperikope (Mk 14,54.66–72), in: ZNW 109 (2018) 32–50. Es gibt einen wachsenden Forschungskonsens, die Verleugnung des Petrus im Kontext der neronischen Verfolgung zu lesen. Vf. zeigt hier detailliert, wie der Hahn als Anspielung auf Nero zu verstehen ist (Persiflage von dessen Selbstinszenierung als apollogleicher Künstler) und wie der zweifache Hahnenschrei auf einen noch ausstehenden dritten verweist, „nämlich auf die neronische Verfolgung, bei der Petrus seine Zugehörigkeit zu den Jesusjüngern nicht mehr verleugnete, sondern zum Märtyrer wurde“ (32) – ein Vorbild für die lapsi und alle anderen in der markinischen Gemeinde (vgl. 50)! Hultgren, Stephen: „A Vision for the End of Days“ – Deferral of Revelation in Daniel and at the End of Mark, in: ZNW 109 (2018) 153–184. Vf. sieht im in der Deutung umstrittenen Vers Mk 16,8 und dem abrupten Ende des MkEv. einen Bezug zu Dan 10–12 und dessen Schema von Offenbarung, Verborgenheit und zukünftiger Offenbarung. In Mk 16,8 wird die Auferstehungserscheinung ausgelassen, weil die Vision des Auferstandenen bis zur Parousie des Menschensohnes verborgen bleibt.

19. Lukas / Apostelgeschichte Jantsch, Torsten: Jesus, der Retter. Die Soteriologie des lukanischen Doppelwerks (WUNT 381). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 398 S. Im Gegenüber zur von Ernst Haenchen pointierten und forschungsgeschichtlich enorm wirksamen These vom ‚soteriologischen Loch‘ bei Lk analysiert Vf. in seiner Münchner Habilitationsschrift die Soteriologie des lukanischen Doppelwerks. Sie ist nicht kreuzes- oder sühnetheologisch profiliert, sondern zeigt den auferweckten und erhöhten Herrn als König Israels, als Retter und Wohltäter, an den sich die Glaubenden stets mit Zuversicht wenden können. „Lukas entwirft … das Bild eines konsequent in der Person Jesu begründeten Heils. Er stellt zwar nicht den Tod Jesu in das Zentrum seiner Soteriologie – aber die Person des erhöhten Retters. Lukas ist der Theologe des Heils, das für ihn allein durch Jesus als den Christus und Retter zu gewinnen ist: Er ist der Theologe eines konsequent gedachten solus Christus“ (351). Christopher, Dany: The Appropriation of Passover in Luke-Acts (WUNT II, 476). Mohr Siebeck: Tübingen 2018, 253 S. Bisher wurde das Passah-Motiv innerhalb des lukanischen Doppelwerkes meist ausschließlich bei der Erzählung vom letzten Abendmahl (Lk 22,1 ff) näher untersucht.

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Literaturbericht Liturgik.  Helmut Schwier Vf. wählt in seiner von Lutz Doering betreuten Dissertation einen weiten Zugriff und schlägt vor, dass neben der Passionsgeschichte Anspielungen auf Passah in drei anderen Textstellen gefunden werden können: in der Kindheitserzählung, dem Parusie-Diskurs in Lk 12 und Lk 17 und den Rettungserzählungen von Petrus (Apg 12) und Paulus (Apg 27). Er zeigt, dass das Passah-Motiv eine wichtige Rolle dafür spielt, wie Lukas seine Erzählungen strukturiert und die Heilsbotschaft vermittelt.

20. Johannes Zumstein, Jean: Das Johannesevangelium (KEK 2). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2016, 795 S. In dem ursprünglich auf Französisch verfassten Kommentar bietet Vf. eine detailgenaue Einzelexgese wie eine theologische Zusammenschau des vierten Evangeliums auf dem gegenwärtigen Forschungsstand. Er legt das Evangelium in seiner Endgestalt aus, ist bei literarkritischen Hypothesen zu Recht zurückhaltend, rechnet aber mit einer beschreibbaren Entstehungsgeschichte. In dem hier zugrundeliegenden „Relecture-Modell“ beschreibt er die intentio operis samt den diversen Ergänzungen und Vertiefungen des Textes und reflektiert theologisch Verständnis und Zusammengehörigkeit von Offenbarung, Christologie (Inkarnation, Sendung) und Passion. Das Evangelium ist nach 85 n. Chr. vom „Evangelisten“ wohl in Syrien verfasst und später, vermutlich in Kleinasien oder speziell: Ephesus, von Theologen der johanneischen Schule redigiert worden und war Ende des 1. Jh. abgeschlossen. Das Evangelium ist eine christologische Erzählung von Jesus als dem Offenbarer Gottes: „Allein im geistgeleiteten österlichen Rückblick kann der Sinn der Inkarnation, des irdischen Wirkens, der Passion und der Erhöhung des Sohnes vollständig erkannt werden. Das Evangelium ist also Zeugnis par excellence für den inkarnierten Christus in der Kraft des Geistes, das die Erinnerung an den irdischen Jesus bewahrt und zugleich seine Relevanz für das Heute des Glaubens formuliert“ (57). Klaiber, Walter: Das Johannesevangelium, Teilband 1 (Joh 1,1–10,42). Die Botschaft des NT. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2017, 307 S.; Teilband 2 (Joh 11,1– 21,25). Die Botschaft des NT. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2018, 319 S. Nach den neueren Kommentaren von Theobald und Beutler und den großen Sammelbänden von Frey (vgl. JLH 53 [2014], 82–85) sowie dem philosophisch-systematischen Kommentar von Ringleben (vgl. JLH 56 [2017], 108) und dem Kommentar von Zumstein (s. o.) wird hier ein allgemeinverständlicher Kommentar vorgelegt, der durch predigt- und unterrichtstaugliche genaue Auslegung mit systematischen wie praktischen Ausblicken profiliert ist. Die „johanneische Frage“, die nicht ausführlich diskutiert wird, beantwortet Vf. mit dem Hinweis auf den Lieblingsjünger in Joh 21, den er als den von Papias genannten Presbyter Johannes versteht, der auch den 2. und 3. Johannesbrief verfasst hat (vgl. I,14 ff; II,295 ff). Im Zentrum der Auslegung steht die Endgestalt des Textes, hin und wieder mit Berücksichtigung verarbeiteter Vorformen und Traditionen. Die theologische Hauptfrage bleibt: „Was sagt uns der Evangelist über die wahre Bedeutung Jesu?“ (I,19). Das besondere Profil der Jesusgeschichte für Johannes ist: „Jesus offenbart den Menschen Wesen und Wirklichkeit Gottes“ (II,277); in der „Begegnung mit Jesus Christus bekommen wir es wirklich mit Gott zu tun. Wer sich dieser Begegnung voll Vertrauen öffnet, erfährt, was wahres Leben ist. Es ist Leben aus der Liebe Gottes und darum Leben in liebender Gemeinschaft“ (II,300).

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Culpepper, R.  Alan / Frey, Jörg (Hg.): The Opening of John’s Narrative (John 1:19–2:22). Historical, Literary, and Theological Readings from the Colloquium Ioanneum 2015 in Ephesus (WUNT 385). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 377 S. Während meist zum Anfang des Joh der Prolog im Mittelpunkt des theologischen Interesses steht (so im Colloquium Ioanneum 2013: vgl. JLH 56 [2017], 109), widmet sich dieser Sammelband dem Anfang der johanneischen Erzählung. Er bietet Auslegungen und Kommentierungen der dortigen Perikopen (z. B. die Kommentierung der Geschichte von der Hochzeit zu Kana von Jörg Frey als Vorstufe zu dessen EKK-Kommentar zum Joh) oder stellt Fragen nach der Bedeutung des Täufers (George L. Parsenios) oder der Bezeichnung Lamm Gottes (Ruben Zimmermann), nach dem ungenannten Jünger in 1,40 (Udo Schnelle) oder den Engeln in 1,51 (Jan G. van der Watt) oder der Tempelreinigung (Michael Theobald, Jean Zumstein, R. Alan Culpepper). Ueberschaer, Nadine: Theologie des Lebens bei Paulus und Johannes. Ein theologisch-konzeptioneller Vergleich des Zusammenhangs von Glaube und Leben auf dem Hintergrund ihrer Glaubenssummarien (WUNT 389). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 398 S. In ihrer durch Jörg Frey betreuten Zürcher Dissertation untersucht Vfn. zwei umfangreiche und zentrale Theologien und Texte des NT: Paulus und Johannes. Sie zeigt in minutiöser Untersuchung, in welcher Weise hier die Lebensbegrifflichkeit in vorpaulinisch-frühchristliche Glaubenssummarien eingetragen und reflektiert wird. Nach detaillierten und genauen Exegesen zentraler paulinischer und johanneischer Texte zeigt Vfn. die Kontinuitäten und Analogien einer Theologie des Lebens bei Johannes und Paulus. Dies wird abschließend klar in Basisthesen summiert: Leben ist glaubende Teilhabe an Jesu Tod und Auferstehung; Leben ist die gegenwärtige soteriologische Gabe des Glaubens; Leben gewährt die Kontinuität zwischen diesseitigem und postmortalem Heil; Leben ist die Voraussetzung für die zukünftige Auferstehung; Leben qualifiziert die gegenwärtige Existenz der Glaubenden als neue Schöpfung; Leben setzt ein Sterben mit Jesus gegenüber der Todverfallenheit voraus; Leben entreißt dem Sünde-Tod-Zusammenhang; Leben führt zu einer neuen Erkenntnis Jesu und des Heilshandelns Gottes; Leben ist vermittelt durch Geist und Wort; Leben gestaltet sich als Nachfolge der Proexistenz Christi; Leben vollzieht sich im Lebensraum Christi; Leben empfängt die Taufe als sichtbares Zeichen; Leben ist Integration in die Lebensgemeinschaft von Vater und Sohn; Leben verdankt sich dem lebendigen Gott (330–340). In dieser letzten Basisüberzeugung zeigt sich „die beeindruckendste Analogie zwischen Paulus und Johannes. Sie liegt im Inhalt ihrer Glaubenssummarien, deren spezifisches Profil darin besteht, dass hier das Leben als gegenwärtige soteriologische Gabe des Glaubens begründet und entfaltet wird. Dies geschieht in Abgrenzung zu einer zukünftig erwarteten Auferstehung und unter Betonung einerseits der Diskontinuität, die zwischen dem Leben vor und nach dem Zum-Glauben-Kommen besteht, und andererseits der Kontinuität, die daraufhin zwischen diesseitigem und postmortalem Heil besteht. Damit sind Paulus und Joh beide Vertreter einer Theologie des Lebens, die sie auf dem Hintergrund ihrer Glaubenssummarien entwerfen“ (340 f). Ein beeindruckendes Buch mit einer starken und überzeugenden Biblischen Theologie, die thematisch mit dem o. g. Sammelband „Glaube“ zusammenklingt! Kammler, Hans-Christian: Die Theologie des Johannesevangeliums. Eine exegetische Skizze, in: KuD 63 (2017), 79–101. Unter den vier explizierten hermeneutischen Prämissen, dass das Joh Passionsevangelium, Osterevangelium und geistliches Evangelium ist und der Prolog theologisch sachgerecht eröffnet und das Verstehen leitet, untersucht Vf. Christologie, Soteriolo-

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gie, Eschatologie und Pneumatologie. Er fasst zusammen: „Dieses Werk ist in seinem theologischen Gehalt und in seiner geistlichen Tiefe letztlich unerschöpflich und unauslotbar. Es ist in der Haltung staunender Anbetung und meditierender, d. h. seinen ‚Gegenstand‘ immer aufs neue umkreisender Reflexion entstanden und geschrieben, und es will in genau dieser Haltung gelesen und rezipiert sein. Trotz all seines gedanklichen Reichtums ist das johanneische Denken zugleich durch eine enorme Konzen­ tration gekennzeichnet: durch die Konzentration auf das ‚unum necessarium‘, besser: auf den ‚unus necessarius‘, der allein die heillose Situation des Menschen vor Gott zu wenden vermag und wendet: Jesus Christus, den Sohn Gottes. Auf ihn ist die ganze Leidenschaft des Evangelisten gerichtet; ihn großzumachen und zu verherrlichen ist sein einziges Ziel. Und aus genau diesem Grund hat sein Evangelium nur ihn zu seinem Inhalt und ist die johanneische Theologie wie der christliche Glaube christologisch, ja christozentrisch bestimmt“ (100 f). Kramp CJ, Igna Marion: Die Gärten und der Gärtner im Johannesevangelium. Eine raumsemantische Untersuchung (FTS 76). Aschendorff: Münster 2017, 320 S. In der durch Ansgar Wucherpfennig SJ, St. Georgen, betreuten Dissertation werden die beiden Gärten der johanneischen Passionsgeschichte und „der Gärtner“ in der Ostergeschichte raumsemantisch untersucht, ohne die historische Topographie, die die bisherigen exegetischen Analysen zum Thema durchgängig dominierte, aus dem Blick zu verlieren. Der Evangelist regt zur historischen Rückfrage selbst an und lässt im ersten Garten (18,1.26) den Kidron, im zweiten (19,41) Golgotha erkennen; gleichzeitig und vor allem sind die Gärten und der Gärtner Teil der erzählten Welt, und zwar als Ort der Gemeinschaft mit Gott, dann personalisiert im Gärtner, der nicht der „Gärtner im Sinne des Grabgartens“, aber doch „im Sinne des Schöpfers des Gartens“ (291) ist, „insofern er im Erlösungswerk von Tod und Auferstehung als (neuer) Schöpfer agiert“ (ebd.). Aber dieser „Gärtner“ geht weiter zum Vater und bleibt nicht im Garten. Die reziproke Immanenz zwischen dem Vater, den Jüngern und Jesus als ein relationales Konzept wird im Garten einerseits verräumlicht und geht andererseits über ihn hinaus. Die Erlösung wird nicht primär im Garten erfahren, „sondern ureigentlich in der Beziehung zu Christus und dem Vater und in der sonntäglichen Versammlung der Kirche“ (292). Förster, Hans: Drei antijüdische Verzerrungen im achten Kapitel des Johannesevangeliums – am Beispiel der „Gute Nachricht“-Übersetzung, in: BZ 61 (2017), 219–229. Vf. zeigt auf, dass und wie die „Gute Nachricht“-Bibel ohne Anhalt am griechischen Text Joh 8,43.45.47 falsch übersetzt, den Textsinn nicht trifft und gleichzeitig die antijüdische Linie in diesem besonders sensiblen Kapitel verschärft. Die falschen Übersetzungen von 8,43.45 verdanken sich offenkundig der „Good News“ Bible, können sich aber gleichfalls auf verschärfende Kommentierungen berufen. Dass hier das Wörterbuch von Walter Bauer durchaus ideologisch geprägt ist und dringend einer weiteren Neubearbeitung bedarf, zeigt und fordert Vf. zu Recht mit Nachdruck. Im Übrigen wird ebenso deutlich, dass Luthers Übersetzungen dieser Verse (1545) gerade nicht antijüdisch sind. Förster, Hans: Ein Vorschlag für ein neues Verständnis von Joh 12,39–40, in: ZNW 109 (2018), 51–79. Bei Joh 12,40 (zitiert Jes 6,10) handelt es sich um eine crux interpretum, die moderne Übersetzungen durch Zufügung von „Gott“ als Handlungssubjekt lösen, der dadurch zum Verursacher der Verstockung der Juden wird. Vf. zeigt in detaillierter Analyse der Textüberlieferungen und der Syntax, „dass der Verfasser des Johannesevangeliums in souveräner Weise mit dem Propheten Jesaja als Prätext in hebräischer und griechi-

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scher Überlieferung umgeht. Die vorgeschlagene Lösung hat den Vorteil, dass – wie auch im Prätext – der Prophet die Ursache der Verstockung ist und dass – wie auch im Prätext – Gott Heilung und Rettung bewirkt“ (72). Übersetzung: „Er hat ihre Augen geblendet und ihr Herz hart gemacht, sodass sie nicht sehen mit ihren Augen, nicht wahrnehmen mit ihrem Herz und nicht umkehren. Und ich werde sie heilen“ (68).

21. Paulus Horn, Friedrich W.: Paulusstudien (NET 22). Narr Francke Attempto Verlag: Tübingen 2017, 429 S. In diesem Sammelband präsentiert der Mainzer Neutestamentler 21 Aufsätze aus den beiden letzten Jahrzehnten in chronologischer Abfolge. Vielfältig in den Einzelthemen kreisen die Texte um die großen Leitfragen nach den Wandlungen im paulinischen Denken, nach der paulinischen Ethik und nach den jüdischen Traditionen, verbunden mit der new perspective. Vf. verbindet durchgehend detaillierte und fundierte exegetische Argumentationen mit theologischen Grundfragen, z. B. bei der Rekonstruktion des herodianischen Tempels für ein paulinisches Denken, das gerade nicht in Tempelund Kultkritik endet oder bei den sexualethischen Fragen, die Paulus als jüdischen Ethiker zeigt, der allerdings auch antipaganen Stereotypen verhaftet bleibt. Insgesamt gründliche Exegese, die gründliche Lektüre verdient! Mitchell, Margaret M.: Paul and the Emergence of Christian Textuality. Early Christian Literary Culture in Context. Collected Essays Volume I (WUNT 393). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 394 S. In den 15 hier gesammelten Aufsätzen der letzten 25 Jahre zeigt die Neutestamentlerin der University of Chicago, dass und wie vor allem durch Paulus das frühe Christentum literarisch wurde und eine einflussreiche Kultur der Textualität entwickelte. Seitdem beziehen sich Christen in ihrem Glauben (und ihrer Theologie) auf Texte und Textinterpretationen. „Paul understood and presented ‚the gospel‘ … as an episodic narrative of divine power centered on Jesus Christ crucified that could be incorporated linguistically …, ritually …, socially …, and ethically …, and the role of mission was to set in place those mechanisms of replication“ (XIV). Paynter, Maximilian: Das Evangelium bei Paulus als Kommunikationskonzeption (NET 24). Narr Francke Attempto Verlag: Tübingen 2017, 483 S. In seiner umfangreichen, durch Oda Wischmeyer betreuten Erlanger Dissertation untersucht Vf. detailliert das paulinische Verständnis von Evangelium. Durch das grundlegende kommunikationswissenschaftliche Modell Gerhard Maletzkes (Psychologie der Massenkommunikation, 1963) geleitet (vgl. 111–136) systematisiert Vf. die zum Teil verstreuten Äußerungen des Paulus (vgl. 138) durch die vier Basisfaktoren: Aussage / Programm, Kommunikator, Medien, Rezipienten. Nur zusammengenommen zeigt sich die Bedeutung und Reichweite der Grundthese: Evangelium ist bei Paulus eine Kommunikationskonzeption, die durch Mehrdimensionalität und Prozessualität gekennzeichnet ist. „Als Kommunikationskonzeption integriert das Evangelium alle wichtigen Aspekte der Existenz, des Handelns und der Botschaft des Paulus … Darin erweist es sich als integratives Kommunikationsgeschehen, sowohl auf der Beziehungsebene, als auch auf der – letztlich unverfügbaren – Ebene des Kommunikationsprozesses“ (456). Eine anregende exegetische Untersuchung, die den mitunter floskelhaften praktisch-theologischen Redeweisen von der „Kommunikation des Evangeliums“ Korrektur wie Anschlussmöglichkeiten bietet!

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Stettler, Christian: Das Endgericht bei Paulus. Framesemantische und exegetische Studien zur paulinischen Eschatologie und Soteriologie (WUNT 371). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 415 S. In seiner Zürcher Habilitationsschrift untersucht Vf. ein in der Forschung eher marginalisiertes Thema, sei es durch die Vorstellung, dass Paulus hier nicht konsistent, sondern zufällig bzw. stark situationsabhängig argumentiere, sei es durch die new perspective, die Endgerichtsvorstellungen und Rechtfertigungsbotschaft zu eingeschränkt betrachte. Vf. zeigt, durch Rückgriff auf framesemantische Analysen ­(289–337) auch methodisch innovativ, dass Paulus hier ein konsistentes und differenziertes Gerichtsverständnis lehrte. „Das universale Beurteilungsgericht als Kulmination der geschichtlichen Gerichte Gottes ist die Voraussetzung der paulinischen Lehre von der Rechtfertigung, Rettung, Erlösung und Versöhnung durch den Messias Jesus (Röm 3,21–5,21). Das Beurteilungsgericht gilt für Heiden und Juden ohne Ausnahme; es schließt deshalb auch die (Heiden- und Juden-)Christen ein. […] Ohne die Erlösung durch den Messias Jesus ist der Ausgang dieses Beurteilungsgerichts faktisch das Vernichtungsgericht“ (281). Zwar ist niemand dem Gericht nach Werken enthoben, aber den an Jesus Glaubenden wird vergeben und sie sind mit dem Heiligen Geist begabt. „Im Gericht zählt für die Frage des ewigen Lebens nicht die Summe der Taten, etwa indem böse und gute gegeneinander abgewogen werden, sondern ob das ‚Leben im Geist‘ – inklusive Umkehrbereitschaft! – bis zum Ende durchgehalten wurde“ (287). Böhm, Christiane: Die Rezeption der Psalmen in den Qumranschriften, bei Philo von Alexandrien und im Corpus Paulinum (WUNT II, 437). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 284 S. In ihrer Kieler Dissertation (Betreuer: Dieter Sänger) analysiert Vfn. die Psalmenrezeption in 11QPsa, im Allegorischen Kommentar Philos und in den paulinischen Briefen. Sie zeigt die unterschiedlichen Vorgehensweisen der je divergenten Deutungshorizonte. Hermeneutische Regulative sind dabei die Figur des eschatologischen David (Qumran), die Autorität des Mose (Philo) und das Heilshandeln in Tod und Auferstehung Jesu Christi (Paulus). Gerade bei Paulus kommt dabei den Psalmen substantielle Bedeutung zu, da sie in anthropologischer, eschatologischer und theologischer Hinsicht Wirklichkeit erschließen. Die „wirklichkeitserschließende und identitätsstiftende Funktion“ (217) der Psalmen ist der in aller Divergenz gemeinsame Punkt dieser drei unterschiedlichen Strömungen des antiken Judentums. Wilk, Florian / Öhler, Markus (Hg.): Paulinische Schriftrezeption. Grundlagen – Ausprägungen – Wirkungen – Wertungen (FRLANT 268). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2017, 357 S. Dieser Sammelband vereint konzise Beiträge einer internationalen Fachtagung von 2014 zum Thema, die nicht allgemein nach Schriftrezeptionen bei Paulus fragen, sondern in drei Grundrichtungen analysieren: traditionsgeschichtliche und biographische Grundlagen, Prägungen durch situative Bedingungen der einzelnen Briefe, Wirkungen und Fortschreibungen der paulinischen Schriftrezeption in den deuteropaulinischen Schriften. Zur aktuellen hermeneutischen Relevanz votiert Stefan Alkier positionell und pointiert für einen dialogisch orientierten agonalen Schriftgebrauch: „Die aktuelle hermeneutische Relevanz des paulinischen Schriftgebrauchs besteht nicht in einem Vorbildcharakter seiner monologischen Strategie, vielmehr im theologischen und existentiellen Engagement und der damit zusammenhängenden Streitbarkeit seines Schriftgebrauchs. … Aktueller Schriftgebrauch muss die Schrift in theologische, gesellschaftliche, politische und existentielle Gegenwartsdiskurse ein-

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bringen, und zwar als positionierende Transposition, die sich als solche zu erkennen gibt, also dialogisch auf den Streit und nicht monologisch auf Konsens setzt“ (296). Despotis, Athanasios (Hg.): Participation, Justification, and Conversion. Eastern Orthodox Interpretation of Paul and the Debate between „Old and New Perspectives on Paul“ (WUNT II, 442). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 435 S. In diesem 14 Beiträge umfassenden Sammelband wird der Dialog zwischen der new perspective und den östlich-orthodoxen Sichtweisen angeregt und vertieft. Entscheidend ist, dass dies auf exegetischer Ebene erfolgt und die unter den Fragestellungen nach Partizipation, Rechtfertigung und Bekehrung immer wieder zur Debatte stehenden Texte (1 Kor 1,30; 2 Kor 4,7–11; 5,16–21; Gal 2,15–21; 3,6–9.23–29; Röm 3,21–26; 7,1–6; 8,14–17.28–30) detailliert analysiert werden. Intendiert wird ein „Beyond Old and New, West and East“ (313). Holtz, Gudrun: Paul, the Law and Judaism – Stoification of the Jewish Appoach to the Law in Paul’s Letter to the Romans, in: ZNW 109 (2018), 185–221. Vfn. sieht eine Stoifizierung des jüdischen Verhältnisses zum Gesetz im Röm. Schröter, Jens / Butticaz, Simon / Dettwiler, Andreas (Hg.): Receptions of Paul in Early Christianity. The Person of Paul and his Writings through the Eyes of his Early Interpreters (BZNW 234). De Gruyter: Berlin / Boston 2018, 910 S. In diesem voluminösen Sammelband, der 29 Beiträge von drei wissenschaftlichen Tagungen (Berlin, Genf, Lausanne) in deutscher, englischer und französischer Sprache (jeweils mit englischen abstracts) wiedergibt, werden perspektivenreich die verschiedenen Dimensionen der Rezeption der Person, der Schriften und theologischen Argumentationen des Apostels in dessen eigenen Schriften, innerhalb des NT und in außerkanonischer Literatur analysiert, ergänzt um archäologische wie epigraphische Evidenzen zum Wirken des Paulus in Kleinasien. Als zuverlässige Orientierung des gegenwärtigen Forschungs- und Methodenstandes bietet Andreas Lindemann, der sich 1977 zum Thema habilitiert hatte, den Einführungsbeitrag (23–58). Er verdeutlicht die Fülle von Anspielungen, Zitaten, Paraphrasen paulinischer Gedanken im frühen Christentum, weist aber die These eines „Paulinismus“ deutlich zurück; es gibt weder eine uneingeschränkt positive Paulusrezeption noch eine durchgehende Kritik oder ständige Missverständnisse. Schließlich gehört auch die Sammlung, Bewahrung und Vervielfältigung der Briefe in vorkanonischer Zeit zu den Indizien positiver Paulusrezeption. Thomas, Matthew J.: Paul’s ‚Work of the Law‘ in the Perspective of Second Century Reception (WUNT II, 468). Mohr Siebeck: Tübingen 2018, 269 S. In seiner Oxforder Dissertation analysiert Vf. die zur Verfügung stehenden patristischen Texte des 2. Jh.s im Blick auf ihr Verständnis der „Werke des Gesetzes“. Auf diese Weise bringt er in die Debatte um old and new perspective die early perspective(s) zum Tragen. Sie zeichnen sich inhaltlich durch eine große Nähe zur new perspective aus, ohne deren Argumentation zu übernehmen. Der entscheidende Punkt in den frühen Texten und Debatten ist, ob Jesus der Messias ist. Wer dem zustimmt, anerkennt auch seine Autorität als Geber eines neuen Gesetzes und eines neuen Bundes. „It is because Jesus is the Messiah and has established the new covenant that Paul implores the Galatians to become like him (Gal 4:12), as he similarly describes himself in the cognate passage of 1 Cor 9:21 – not bound by the old legislation and its works, but yet under the law of God, that is, the law of Christ“ (229 f).

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22. Römerbrief Schäfer, Simon-Martin: Gegenwart in Relation. Eine Studie zur präsentischen Eschatologie bei Paulus ausgehend von Römer 5–8 (WMANT 152). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2018, 586 S. In seiner Tübinger durch Hans-Joachim Eckstein betreuten Dissertation geht Vf. der komplexen Frage nach, was an der Eschatologie des Paulus präsentisch ist. Im Mittelpunkt steht die akribische Analyse von Röm 5–8, ergänzt um Röm 14,7–9; Phil 3,7–14 und die Korintherkorrespondenz. Vf. verbindet dies mit dem kulturphilosophischen Modell der modalisierten Zeit, die den antiken Gegenwartsbegriff verständlich macht („als gegenwärtig gilt das unmittelbar Gegenwärtige, Vergangenes, das noch erfahrbar, und Zukünftiges, das schon absehbar ist“ [502]) und dadurch gleichzeitig den neutestamentlichen Überschuss der Ewigkeit erkennbar werden lässt. Auf die Ausgangsfrage, was an die Eschatologie des Paulus präsentisch sei, antwortet Vf. schließlich: „die im Glauben durch den Geist wiederhergestellte, friedvolle Wirklichkeit der Beziehung des Menschen zu Gott, seinen Mitmenschen und sich selbst in Jesus Christus, dem Herrn, zu Gottes Ehre“ (521).

23. Korintherbriefe Wolff, Dominik: Paulus beispiels-weise. Selbstdarstellung und autobiographisches Schreiben im Ersten Korintherbrief (BZNW 224). De Gruyter: Berlin / Boston 2017, 545 S. In seiner durch Florian Wilk betreuten Göttinger Dissertation untersucht Vf. die Selbstdarstellung des Apostels im 1 Kor im Hinblick auf die Weisheitsthematik. Dabei kennzeichnet der Gedankenstrich im Titel das Hauptergebnis: Paulus ist gegenüber den Korinthern ein nachahmenswertes Vorbild als ein Weiser – er ist „beispiels-weise“. Vf. begründet dies durch genaue Analyse der antiken Kontexte und der Exegese des gesamten Briefes. Paulus malt von sich durchaus ein farben- und detailreiches Bild: „In Umrissen wird durchaus die Gestalt des hellenistischen Weisen sichtbar; ausgemalt ist das Bild jedoch in den Farben des Kreuzes, der aufopferungsvollen und selbstvergessenen Liebe und der Auferstehung“ (491). So wird Paulus den die Weisheit (zu) hoch einschätzenden Korinthern ein Weiser. Wilson, Andrew J.: The Warning-Assurance Relationship in 1 Corinthians (WUNT II, 452). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 223 S. In seiner am King’s College London gefertigten Dissertation untersucht Wilson alle relevanten Stellen im 1Kor, in denen Paulus die Erlösung zusichert und in denen er davor warnt, sie zu verwirken. Vf. zeigt, dass diese beiden Aspekte, obwohl die Auslegungen immer wieder irritierend, letztlich kohärente und gleichzeitig bewusst eingesetzte Pole eines Spannungsbogens sind. Marshall, Jill E.: Woman Praying and Prophesying in Corinth. Gender and Inspired Speech in First Corinthians (WUNT II, 448). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 255 S. In ihrer an der Emory University gefertigten Dissertation verbindet Vfn. die Äußerungen über das Schweigen der Frauen (1Kor 14,34 f) und deren Beten und prophetische Rede (11,2–16) und zeigt den breiten Hintergrund der inspirierten Rede von Frauen durch Analyse der damaligen literarischen und archäologischen Quellen. „Paul does not articulate a sexualized version of prophecy, as texts about Cassandra, the Sibyl, and the Delphic prophet do. He does, however, establish the body – both individual

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and communal – as the site for inspiration. … In Corinth, the communal body is both male and female, and gender issues cause Paul to view the communal body variously as hierarchical and interdependent. For Paul, the differences between male and female bodies justify their different roles in the social setting of the ekklesia“ (217). Li, Soeng Yu: Paul’s Teaching on the Pneumatika in 1 Corinthians 12–14. Prophecy as the Paradigm of ta Charismata ta Meizona for the Future-Oriented Ekklesia (WUNT II, 455). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 543 S. In ihrer von Reimund Bieringer betreuten Leuvener Dissertation untersucht Li das Verständnis der charismata in 1Kor 12–14 und stellt die besondere Bedeutung der Prophetie als wichtigstes charisma im paulinischen Verständnis heraus, das stets mit agape verbunden ist: „the most important aspect in the life of the pneumatikoi is agape which creates real togetherness among the members who are on a communal journey towards a future in which they will be standing face to face with what God has promised. In this light, the pneumatika are the things that characterize the life of the pneumatikoi who live in a future-oriented present and have been entrusted with the task to realize partially the promised eschatological future in the here and now“ (494). Weidner, Eric: Strategien zur Leidbewältigung im 2. Korintherbrief (BWANT 212). Kohlhammer: Stuttgart 2017, 320 S. In seiner zunächst durch Friedrich Avemarie (1960–2012) und dann durch Angela Standhartinger betreuten Marburger Dissertation untersucht Vf. die Strategien zur Leidbewältigung im 2 Kor. Nach eingehender exegetischer Untersuchung vor allem der Texte mit den Wortfeldern thlipsis und astheneia werden vier Leidbewältigungsstrategien erkannt (268–276): Parallelisierung zu Leiden und Auferweckung Christi, positive Wirkung des Leidens, in Gott begründete Standhaftigkeit und Bewahrung im Leiden, Beendung des Leidens durch Gottes Trost. „Paulus bleibt … auch im Leiden glaubhaft, weil er die Umgangsweisen mit dem Leiden anhand seiner eigenen Person ausführt und auf sein eigenes vielfach berichtetes Leiden beziehen kann. An einer Klärung, woher das Leiden kommt, ist Paulus nicht interessiert. […] Pointiert kann man festhalten, dass Paulus eher an einem möglichen ‚Wozu‘ des Leidens interessiert ist als an einem ‚Woher‘“ (289).

24. Galaterbrief Eckstein, Hans-Joachim: Christus in euch. Von der Freiheit der Kinder Gottes. Eine Auslegung des Galaterbriefs. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2017, 189 S. Dieser allgemein verständliche Kommentar bietet nach einer knappen Einleitung samt den Ergebnissen, dass der echte Paulusbrief als Zirkularschreiben an die mehrheitlich heidenchristlichen Gemeinden in der (nördlichen) Landschaft Galatiens um 55 n. Chr. (kurz vor dem Röm) verfasst worden ist, eine zusammenhängende Übersetzung im Anhang (S.173–185), eine abschnittsweise Auslegung und anregende exegetisch-theologische Exkurse zu Evangelium und Wort Gottes, zu Rechtfertigung und Recht, zu Glaube, Gesetz, Freiheit und Liebe / Gnade. Dunne, John Anthony: Persecution and Participation in Galatians (WUNT II, 454). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 248 S. In seiner durch N. T. Wright betreuten Dissertation zeigt Vf., wie bei Paulus bei der Beschneidungsfrage die Gefolgschaft zum gekreuzigten Jesus Christus auf dem Spiel steht und er daher auffordert, das Leiden zu ertragen statt dem Zwang zur Beschnei-

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Literaturbericht Liturgik.  Helmut Schwier dung nachzugeben. „The agitators advocate that the flesh must be circumcised, but Paul holds out that the flesh must be crucified“ (196).

25. Thessalonicherbriefe Ravasz, Hajnalka: Aspekte der Seelsorge in den paulinischen Gemeinden. Eine exegetische Untersuchung anhand des 1. Thessalonicherbriefes (WUNT II, 443). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 287 S. In dieser 2008 angenommenen Prager Dissertation, die durch Petr Pokorny, Ulrich Luz und Gerd Theißen betreut wurde, untersucht Vfn. die Seelsorge, praktisch-theologisch mit Jürgen Ziemer definiert als „kommunikativer Vorgang zwischenmenschlicher Hilfe mit dem Ziel einer konkreten Stärkung und Hilfe für Glauben und Leben“ (vgl. 226), im 1Thess. Dazu verarbeitet sie ebenso antike Modelle zur „Seelenführung“ wie moderne sozialpsychologische Konzepte (Modellernen, Rollentheorie, Trauerbewältigung, Gruppenprozesse) und verbindet sie mit den Aspekten des 1Thess: Funktionen von Nachahmung und Vorbild (vgl. 1Thess 1,2–10), seelsorgerisches Selbstbewusstsein des Paulus (vgl. 1Thess 2,1–12), Trauer und Trost in der Seelsorge (vgl. 1Thess 2,17–3,13), seelsorgende Gemeinde (vgl. 1Thess 5,11–15). Schreiber, Stefan: Der zweite Brief an die Thessalonicher (ÖTK 13/2). Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2017, 269 S. Schon drei Jahre nach seinem Kommentar zu 1Thess (vgl. JLH 56 [2017], 117) legt Vf. in der gleichen Reihe seine Kommentierung zu 2Thess vor, den er als pseudepigraphen Brief ansieht, geschrieben im Jahrzehnt nach der Tempelzerstörung. Ausführlich stellt Vf. die historischen Kontexte und Bedingungen antiker Pseudepigraphie dar und verdeutlicht, dass diese nicht aus der juristischen Perspektive der Fälschung, sondern aus der hermeneutisch-literarischen von Intertextualität und Autorfiktion zu verstehen ist. Dabei wird – ähnlich wie im neuen Kommentar von Hanna Roose (vgl. JLH 56 [2017], 117) – die unbestreitbare literarische Abhängigkeit des zweiten Briefs von 1Thess rezeptionsgeschichtlich ausgewertet, also als bewusste Bezugnahme auf 1Thess. „Es geht 2Thess überhaupt erst um die Etablierung der Paulus-Tradition als der verbindlichen Grundlage für die Überzeugung der Gemeinden. Er greift in den zu seiner Zeit stattfindenden Prozess der Aushandlung darüber ein, wie diese Tradition im Verhältnis zur städtischen Umwelt der Gemeinden zu erfassen ist“ (71 f). Inhaltlich weitet sich hier die Naherwartung (1Thess) „zu einer gedehnten Gegenwart und einer kritischen Perspektive auf die pagane Gesellschaft“ (31), und mit prinzipieller Auswirkung entsteht hier so etwas wie apostolische Tradition, also als „Formalprinzip die Orientierung der Gegenwart an den Anfängen, am Ursprung der eigenen Bewegung“ (72).

26. Philemonbrief Ebner, Martin: Der Brief an Philemon (EKK XVIII). Patmos Verlag / Vandenhoeck & Ruprecht: Ostfildern / Göttingen 2017, 193 S. Der kürzeste Paulusbrief ist keineswegs theologisch bedeutungslos, sondern zeigt vielmehr die Konsequenzen des Glaubens in Alltagsbezügen und mit gesellschaftlicher Sprengkraft und zudem Paulus „als theologischer Diplomat erster Garnitur“ (3). Vf. bestätigt die Kohärenz der amicus-domini-These, die Peter Lampe 1985 vor-

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geschlagen und in seinem Kommentar 1998 durchgeführt hatte, nach der Onesimus kein aus dem Sklavenstand Geflohener (fugitivus) war, sondern einer der zum Freund seines Herrn ging, um ihn um Intervention zu bitten. Vf. widerspricht bei den Einleitungsfragen der Auffassung, die Hausgemeinde des Philemon in Kolossä und die Gefangenschaft des Paulus in Ephesus zu vermuten, sondern legt hier wie Schluep-Meier (vgl. JLH 56 [2017], 115) Rom als Ort des Absenders, aber auch des Adressaten nahe. Paulus fordert Philemon auf, die durch die Taufe des Onesimus neue Beziehungsrealität im Haus (und damit der Hausgemeinde) zu verwirklichen – und damit in dem Bereich, den die antiken Rechtstheoretiker für die Konkretisierung des Sklavendaseins vorsahen. Das hat bzw. hätte Folgen: „prinzipielle soziale Gleichstellung mit einem leichten internen Ranking“ (145). „Die angezielte Bruderbeziehung gilt für Paulus … nicht nur en kyrio, also in der Glaubenswelt der Ekklesia, konkretisiert in den wenigen Stunden der Herrenmahlsfeier, wo dann auch er [Onesimus] auf der Liege Platz nehmen darf und nicht mehr bedienen muss, sondern auch en sarki, also in der ganz normalen Alltagswelt des Hauses, auch außerhalb der heiligen Stunden“ (ebd.). Hier ist „mit dem Ansinnen des Paulus eine subversive Veränderung der Gesellschaft angestoßen“ (ebd.).

27. Hebräerbrief Stolz, Lukas: Der Höhepunkt des Hebräerbriefs. Hebräer 12,18–29 und seine Bedeutung für die Struktur und die Theologie des Hebräerbriefs (WUNT II, 463). Mohr Siebeck: Tübingen 2018, 527 S. Vf. untersucht in seiner von der STH Basel angenommenen Dissertation minutiös den genannten Abschnitt und sieht in ihm den gemäß den antiken Rhetoriklehr­büchern und -theorien entscheidenden rhetorischen und theologischen Höhepunkt. Der Abschnitt „bildet aber nicht nur den Höhepunkt des Hebräerbriefes, sondern auch dessen peroratio … Hebr 12,18–29 erscheint als krönender Abschluss der Predigt, die Hebr 1–12 umfasst und durch den Verfasser mit einem brieftypischen Anhang versehen worden ist“ (443). Holmes, Christopher T.: The Function of Sublime Rhetoric in Hebrews. A Study in Hebrews 12:18–29 (WUNT II, 465). Mohr Siebeck: Tübingen 2018, 234 S. Auch diese Dissertation untersucht die rhetorische Funktion und die stilistische Gestaltung des zentralen Abschnitts des Hebr und benutzt als erster den Traktat De Sublimitate (1. Jh.) als primäre Referenz. Der Autor des Hebr sucht demnach, seine Leser über ihre Überzeugungen hinaus zu bewegen. Der untersuchte Abschnitt „invites the hearers to a new perception of the significance of their empirical gatherings and enables their participation in reality that lies beyond it, albeit through the imagination and language“ (187).

28. Johannesbriefe Rusam, Dietrich: Der erste, zweite und dritte Johannesbrief. Die Botschaft des NT. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2018, 236 S. Nach längerer Zeit erscheint – diesmal in der allgemeinverständlichen, Predigt und Unterricht anregenden Kommentarreihe „Die Botschaft des NT“ – ein Kommentar zu den drei Johannesbriefen. Alle Briefe sind nach dem Johannesevangelium verfasst

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Literaturbericht Liturgik.  Helmut Schwier worden und nehmen darauf inhaltlich Bezug („Johanneische Schule“), wobei der erste Brief beansprucht, von einem Augen-, Ohren- und Auferstehungszeugen verfasst worden zu sein, während die beiden kürzeren Briefe vom Presbyter stammen und kurz nach dem ersten Brief geschrieben wurden. Rusam verdeutlicht, dass im 1Joh nicht eine gnostische oder doketische Christologie bekämpft wird, sondern die christliche Gemeinde gestärkt wird, in der angesichts staatlicher Bedrohungen (unter Domitian) immer wieder Menschen die Gemeinde verlassen. In diesen Kontext gehören der Glaube an Jesus Christus als Gottes Sohn und die geschwisterliche Liebe.

29. Jakobusbrief Metzner, Rainer: Der Brief des Jakobus (ThHK 14). Ev. Verlagsanstalt: Leipzig 2017, 321 S. 17 Jahre nach dem letzten deutschsprachigen wissenschaftlichen Kommentar von Christoph Burchard, der eine Wende im Verständnis dieses Briefes und seiner eigenständigen Theologie signalisierte, legt Metzner, diesen Spuren folgend, eine neue Kommentierung vor. Er hält den Brief für ein orthonymes Schreiben eines ansonsten unbekannten Lehrers namens Jakobus, verfasst um 130/140, evtl. in Rom. Gattungsmäßig liegt hier ein paränetischer Brief vor, der zusammen mit den zahlreichen Anspielungen auf andere frühchristliche Literatur nahelegt, im Verfasser ein Mitglied der gebildeten christlichen Oberschicht zu sehen. Er arbeitet sich nicht an Paulus ab, der schon zu einer entfernten Vergangenheit gehört, sondern zeigt auf der Grundlage seiner theozentrischen Theologie die unterschiedlichen Konsequenzen für ein praktisches Christentum mit deutlichem Ethos. Nirgends ist ersichtlich, dass die kritisierten Christen „eine paulinische These ‚Glaube (rettet) statt Werke‘ vertreten hätten. Es geht um untätige Christen, die ihren Glauben mit weltlicher Gesinnung vermischt haben“ (166).

30. Apokalypse des Johannes Karrer, Martin: Johannesoffenbarung, Teilband 1 (Offb 1,1–5,14) (EKK XXIV/1). Patmos Verlag / Vandenhoeck & Ruprecht: Ostfildern / Göttingen 2017, 487 S. Nach den nicht wenigen Monographien, Untersuchungen und einem neuen Kommentar zur Apokalypse (vgl. JLH 56 [2017], 118–120) liegt nun der erste von drei geplanten Teilbänden vor, der die Kommentierung der ersten 5 Kapitel, aber auch einen Überblick über die Wirkungsgeschichte des gesamten Buches in Alter Kirche, Mittelalter und Reformationszeit (108–158) umfasst; exemplarische Wirkungen der einzelnen Themen und Perikopen werden wie im EKK gewohnt, an die Einzelauslegungen angeschlossen. Karrer datiert mit der Mehrheit der Forschung in die erste Hälfte der 90er-Jahre (mit etwas Spielraum nach vorn und hinten). Gleichzeitig verdeutlicht er aber – ähnlich wie Lichtenberger in seinem Kommentar (vgl. JLH 56 [2017], 118) –, dass nicht von einer allgemeinen Christenverfolgung unter Domitian auszugehen sei, die damit als Deutungsschlüssel beiseite zu legen ist. Vielmehr sei die gesellschaftlich-religiös-kulturelle Welt Kleinasiens in ihrer Vielfalt für die Apk zentral. „Judenchristlich ist die Apk im Sinne einer Position, die noch ein Miteinander von Judentum und Jesus-Nachfolge sucht … Apokalyptisch-weltkritisch schreibt der Seher und dennoch durchaus für griechisch-römische Leserinnen und Leser,

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gewahr der vielschichtigen Sozialkultur seiner Zeit. Die Apk bildet daher das Werk einer Gegenkultur und ist gleichwohl als Stück römisch-kaiserzeitlicher Literatur zu lesen“ (64). Berger, Klaus: Die Apokalypse des Johannes. Kommentar, 2 Teilbände. Verlag Herder: Freiburg / Basel / Wien 2017, XXIV, XIX, 1530 S. In diesem schon rein äußerlich fulminanten Kommentar legt Berger eine Gesamtauslegung vor, die sich gleichermaßen durch klare, meist knappe Sprache, eine Fülle von Quellenmaterialien unterschiedlichster Zeiten und Traditionen, Tabellen und Aufzählungen auszeichnet – für alle, die suchen können, eine Fundgrube! Vor Beginn der Einzelkommentierung präsentiert Vf. die verwendete Literatur (5 ff) und eine Gesamtschau der traditionsgeschichtlichen, literarischen, historischen und theologischen Fragen (51–163). Die Kommentierung geht dann von den Kapiteln und „Szenen“ zu den Einzelheiten, wird durch 84 „Abhandlungen“ (= Exkurse) ergänzt und vor allem durch die Wiedergabe der Rezeptionen in alten Liturgien, vor allem mozarabischen und zisterziensischen Ursprungs (158 f), bereichert, die es so hier erstmals zu entdecken gibt. Vf. sieht in der Apk ein prophetisches Buch, verfasst (kurz) vor 70, das aus judenchristlicher Perspektive scharfe Kritik an andersdenkenden Juden und Christen übt. Vor allem in den Hymnen wird bereits Gottes Sieg über das tyrannische Rom gefeiert, und im „Siegen des Märtyrers wird gottlose Macht unwiderruflich überwunden. […] Seit der Zeit der Märtyrer ist unbedingt klar: Widerstand leisten und auferweckt werden gehört zusammen. Das Thema der Apokalyptik ist nicht Angst zu machen, sondern keine Angst zu haben, denn wenn einer den Schatz gefunden hat, von dem her und für den er lebt, dann kann nichts seine Identität wirklich bedrohen“ (163). Dies beruht auf einer klar benennbaren theologischen Basis: Man kann „alle Aussagen der Apk gut verstehen als Konsequenz aus der Auferstehung Jesu Christi“ (1366); dies entspricht auch gallikanischer Liturgietheologie, nach der die Apk in der Osterzeit gelesen wird pro novitate gaudii paschalis, zur Erneuerung der Osterfreude (vgl. ebd.). Alkier, Stefan / Paulsen, Thomas: Der Kommende Gott. Philologische, literaturwissenschaftliche und theologische Beobachtungen zur Komposition der Johannesapokalypse, in: ThLZ 142 (2017), 453–472. Unter der Prämisse, dass Apk das kohärente Werk eines Autors ist, werden hier die theologischen Bezüge und Interdependenzen der Komposition exemplarisch untersucht. „Die Makrosyntax der Johannesapokalypse löst das Problem der Theodizee mittels der Transformation der Gottesvorstellung von einem dreigliedrigen zu einem zweigliedrigen Syntagma der Zeitlichkeit Gottes“ (470 f). Aus dem Kommenden, der ist und immer war, wird und bleibt im himmlischen Jerusalem „Gott, der Seiende, der Immer-War“ (470). Themenheft: Johannesoffenbarung, ZNT 21 (2018), Heft 42, 133 S. Das Themenheft bietet vielfältige Zugänge zur Apk: einen Forschungsüberblick (Tobias Nicklas), Beiträge zur Intertextualität mit nichtchristlichen griechischen Schriften (Thomas Paulsen), zum ikonographischen Zugang zu Apk 18 (Hanna Roose) und zur Numismatik (Michael Sommer, Brenda Willmann). Kontrovers diskutieren Manuel Vogel und Stefan Alkier die antiimperiale Interpretation, ob also die Apk eine „Kampfschrift gegen Rom“ ist. Marco Frenschkowski untersucht den „Applaus im Himmel“ in exegetischer und ästhetischer Ausrichtung, zeigt Verbindungen zur phantastischen Literatur und resümiert: „Der himmlische ‚Applaus‘ der Apokalypse ist … eine Art eschatologisches Pendant zum ‚Siehe, es ist alles sehr gut‘ des Schöpfungsberichtes. Er überspringt das Böse, das Leid, den Tod gerade nicht.

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Literaturbericht Liturgik.  Helmut Schwier Aber er stellt es in den Kontext einer sehr viel größeren Realität: und in dieser ist die Anbetung Gottes die sich selbstverständlich einstellende Reaktion auf die Vollendung der Welt, die der Seher kommen sieht“ (124).

31. NT allgemein Wolter, Michael: Theologie und Ethos im frühen Christentum. Studien zu Jesus, Paulus und Lukas (WUNT 236). Studienausgabe, Mohr Siebeck: Tübingen (2009) 2017, 539 S. Dieser Band gesammelter Aufsätze, die durchgängig gegenüber den Erstveröffent­ lichungen (1987–2008) bearbeitet und ergänzt wurden, ist nun als günstigere Studienausgabe erschienen. Die 21 Studien bearbeiten in exegetischer Gründlichkeit Detailfragen wie übergreifende theologische Aspekte des NT. Anregend bis ins Detail ist z. B. der Aufsatz zu den Hirten in der lukanischen Weihnachtsgeschichte, die an die kaiserzeitliche Bukolik samt Vorstellung eines Goldenen Zeitalters erinnert. Vf. zeigt dies nicht an der immer mal wieder aufgerufenen 4. Ekloge Vergils, sondern an Texten aus neronischer Zeit (Calpurnius). In der Weihnachtsgeschichte wird Jesus als der Herrscher gezeichnet, mit dem das Goldene Zeitalter tatsächlich beginnt und der auf dem Thron Davids sitzen wird, während Lukas die Hirten innerhalb der Enzyklopädie der Leser „als Repräsentanten der Völkerwelt in Israel verstanden wissen wollte“ (372). An übergreifenden Themen werden Reich Gottes, Ethos bei Paulus, paulinische Leidenstheologie, Apokalyptik und Sünde behandelt. Westerholm, Stephen: Law and Ethics in Early Judaism and the New Testament. (WUNT 383). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 448 S. Dieser Band bietet 21 Aufsätze (einer bisher unveröffentlicht) des 2017 emeritierten kanadischen Neutestamentlers und eine Einführung zu den Themen und forschungsgeschichtlichen Konstellationen und weiteren Entwicklungen der behandelten Themenfelder. Der erkennbare Schwerpunkt ist das Verständnis von Thora und Gesetz im antiken Judentum, bei Jesus, den Synoptikern und bei Paulus. Backes, Julian R. / Brünenberg-Bußwolder, Esther / Van den Heede, Philippe (Hg.): Orientierung an der Schrift. Kirche, Ethik und Bildung im Diskurs. FS Thomas ­Söding (BThSt 170). Göttingen 2017, 244 S. Die FS für den Bochumer Neutestamentler bietet zu den Bereichen Kirche, Ethik und Bildung exegetische Abhandlungen, die gleichzeitig Impulse für die Gegenwart geben. Dabei wurden in den Bereichen Kirche und Bildung praktisch-theologische Aspekte explizit berücksichtigt. Im Eröffnungsbeitrag untersucht Reimund Bieringer, angeregt durch die Thesen von Jonathan Sacks (The Dignity of Difference, 2002; dt. 2007), das Verständnis der Nächstenliebe als Liebe zum Anderen in Röm 14,1–15,13; er zeigt, wie Paulus hier und analog in 1Kor 12 für die Würde der Verschiedenheit eintritt. „Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass für Paulus wie für die hebräische Bibel die legitime Vielfalt immer dort ihre Grenze hat, wo die Würde des Menschen verletzt wird und die Wahrheit des Wortes Gottes auf dem Spiel steht“ (22). Alkier, Stefan / Böttrich, Christfried (Hg.): Neutestamentliche Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung. Studien im Anschluss an Eckart Reinmuth. Ev. Verlagsanstalt: Leipzig 2017, 442 S. In dieser Festschrift zu Ehren des langjährigen Rostocker Neutestamentlers Eckart Reinmuth werden die theologischen Diskurse aufgegriffen, die Reinmuth mit exegetischer Expertise, kulturwissenschaftlicher Ausrichtung und gesellschaftlicher Zeit-

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genossenschaft geprägt hat: Theologie des Paulus, Hermeneutik der „Jesus-ChristusGeschichte“, Performanz neutestamentlicher Texte, Anthropologie. Die Herausgeber würdigen daher den Jubilar zu Recht: „Eckart Reinmuth ermutigt … dazu, die Energie des Faches Neues Testament nicht ausschließlich in historische zu investieren, sondern die Potentiale der biblischen Schriften für die Gestaltung eines von der Jesus-Christus-Geschichte getragenen individuellen und gesellschaftlichen Lebens zu erforschen und in die Gegenwartsdiskurse kritisch und verantwortungsvoll einzubringen“ (5). Die 19 Beiträge führen mit exegetischer, systematischer, praktisch-theologischer und philosophischer Expertise die Anliegen und Anregungen Reinmuths weiter. Neben vielen interessanten exegetischen Detailuntersuchungen z. B. zu Röm 13,1–7 als Lobrede auf Verfolger (Manuel Vogel) oder grundsätzlichen Fragestellungen (Stefan Alkier: Das Kreuz ist keine Metapher) findet sich auch ein klärender Beitrag zum Begriff und Konzept des „Diskurses“ in der neutestamentlichen Wissenschaft (Christian Strecker). Themenheft: Sola Scriptura, in: ZNT 20 (2017) H. 39/40, 254 S. Das Doppelheft umfasst 14 exegetische und hermeneutische Beiträge zum Schriftprinzip. Söding, Thomas: Vergebung der Sünden. Soteriologische Perspektiven des Neuen Testaments, in: ZThK 115 (2018), 402–424. „Wenn deutlich wird, dass in der Nachfolge Jesu alle, die Sündenvergebung verheißen und vermitteln, sie immer zuerst empfangen haben und weiter empfangen müssen, gewinnt die Vermittlung der Vielfalt an Vielschichtigkeit, die Vielfalt der Aspekte an Eindeutigkeit und die Verheißung der Vergebung an Glaubwürdigkeit. Dies wiederum ist die Voraussetzung dafür, in der Verheißung der Vergebung weder nur die Täterperspektive einzunehmen noch die Opfer auf ihre Opferrolle festzulegen. Den Freiraum schafft der Glaube an Gott, der die Vergebung der Sünden in den Dimensionen der Auferstehung von den Toten als neuen Anfang, neue Freiheit und neue Verantwortung schenkt“ (424).

32. Diskurse und Einzelthemen Landmesser, Christof / Zimmermann, Ruben (Hg.): Text und Geschichte. Geschichtswissenschaftliche und literaturwissenschaftliche Beiträge zum Faktizitäts-Fiktionalitäts-Geflecht in antiken Texten (VWGTh 46). Ev. Verlagsanstalt: Leipzig 2017, 373 S. Die Frage nach Faktualität und Fiktionalität prägt spätestens seit Hayden White und Gérard Genette die Debatten in Geschichts- und Literaturwissenschaften und zunehmend auch die Exegese (vgl. JLH 56 [2017], 80). Der vorliegende Sammelband präsentiert grundsätzliche Beiträge aus Theologie, Geschichts- und Literaturwissenschaft sowie Fallstudien vor allem zu frühchristlichen Texten und Fragestellungen. In seiner instruktiven Einleitung bezeichnet Ruben Zimmermann das Verhältnis treffend als „Verschlungenheit und Verschiedenheit von Text und Geschichte“ (9): „Sprache und Text sind es, die einzig Zugang zur Vergangenheit schaffen können. Sie reduzieren die Komplexität historischer Ereignisse, Erfahrungen und Erinnerungen auf die Begrenzung narrativer Repräsentation und machen die Geschichte somit erst verstehbar. Doch zugleich sind es auch Sprache und Text, die gerade durch ihre Leistungsfähigkeit der Abstraktion und Deutung von der Vergangenheit distanzieren. ‚Text‘ und ‚Geschichte‘ sind somit ein unzertrennliches und gleichwohl unvereinbares Paar“ (40 f).

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Landmesser, Christof / Popkes, Enno Edzard (Hg.): Gerechtigkeit verstehen. Theologische, philosophische, hermeneutische Perspektiven. Ev. Verlagsanstalt: Leipzig 2017, 133 S. Der Band dokumentiert die Beiträge der 18. Jahrestagung der Rudolf-BultmannGesellschaft von 2016 und widmet sich den grundlegenden Fragestellungen des Themas, während die 19. Jahrestagung sich mit den konkreten gesellschaftlichen Auf­ gaben und Herausforderungen beschäftigt. Im neutestamentlichen Beitrag untersucht Christof Landmesser die Ambiguität (Mehrdeutigkeit in sprachlicher Kommunikation) und Ambivalenz von „Gerechtigkeit“ und „Leben“ im Matthäusevangelium und bei Paulus. Die Gerechtigkeitskonzepte weisen hier jeweils christologisch-soteriologische, theologische, ethisch-soziale und juridische Dimensionen auf; ebenso findet sich bei beiden die Ambivalenz im Blick auf das Endgericht. „Und nun geschieht etwas scheinbar Paradoxes. Die Ambivalenz hinsichtlich des Endgerichts wird in der Theologie des Paulus über die Gewissheit des Glaubens unterlaufen, nicht so im Matthäusevangelium. Nach dem Matthäusevangelium bleibt die existentielle Ambivalenz hinsichtlich des Endgerichts bestehen“ (70), wodurch ein steter Zwang zur Desambiguierung in der Konsequenz des Mt liegt, von der Paulus hingegen befreit. „Die Glaubenden können in ihrem endlichen Dasein … gelassen mit den ihnen begegnenden Ambiguitäten leben und umgehen, weil ihre Existenz in der ihnen von Gott zugespielten Gerechtigkeit im Glauben gründet“ (ebd.). Petersen, Silke: Der Körper Gottes und der Körper Jesu im Neuen Testament, in: EvTh 78 (2018), 19–31. Im Themenheft „Körper, Geschlecht und Glaube“ (EvTh 1/2018) untersucht Vfn. die Textbelege, die von Gottes und von Jesu Körper handeln. Nicht zuletzt durch die Sprachverschiebung vom Hebräischen zum Griechischen wird Gott im NT deutlich weniger körperbezogen als im AT beschrieben; manches hat sich hier auf den Körper Jesu verschoben. Bei ihm spielt das „Blut“ und die „Eingeweide“ auch quantitativ eine besondere Rolle, ebenso der Körper des Auferstandenen. Er wird außerdem kaum geschlechtsspezifisch beschrieben. Nach Apk 1,13 kann der himmlische Christus „auch Körperteile haben …, die sonst üblicherweise weiblich konnotiert sind“ (27). Im immer wieder als vergeistigt bezeichneten Johannesevangelium ist auch quantitativ der Körper Jesu stärker hervorgehoben als bei den Synoptikern – ein starkes Argument für die Inkarnation als christologischer Fokus im vierten Evangelium! Von Bendemann, Reinhard / Tiwald, Markus (Hg.): Migrationsprozesse im ältesten Christentum (BWANT 218). Kohlhammer: Stuttgart 2018, 297 S. Dieser Sammelband vereint alttestamentliche, frühjüdische, altertumswissenschaftliche, neutestamentliche und rabbinische Forschungsbeiträge zu der innovativen Fragestellung nach Migration und Migrationsprozessen. Dabei werden Fragestellungen und Methoden der Migrationssoziologie auf antike Texte und Phänomene bezogen. In den neutestamentlichen Beiträgen werden die Heimatlosigkeit als ethisches Argument (Hermut Löhr), Migration bei Matthäus (Karl-Heinrich Ostmeyer, Steffen Leibold), Priszilla und Aquila als Figuren missionierender Migranten in der Apg (Rita Müller-Fieberg), die Fremdheitskonzeption im ersten Petrusbrief (Uta Poplutz) und die Migration auf Erden im Hebräerbrief (Peter Wick) analysiert und anregend dargestellt. Exemplarisch heißt das Ergebnis zur Apg: „Erzählfiguren wie das Ehepaar Priszilla und Aquila, ihrerseits ein Beispiel für die Diversität des frühen Christentums und ein Paradigma für das Ineinandergreifen von Migration und Mission, gewinnen ihr missionarisches Profil und ihre Kompetenzen, Neuanfänge zu wagen und zu gestalten, Gastfreundschaft zu üben und innerhalb der Gemeinde für Vernet-

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zung und Kommunikation zu sorgen, auch und gerade auf der Basis ihrer (zumindest zeitweisen) migrantischen Lebensweise“ (203). Themenheft: Judas, ZNT 21 (2018) H. 41, 118 S. Ein anregendes Themenheft mit Beiträgen zur neutestamentlichen Figur des Judas und zum Judasevangelium. Nyström, David E.: The Apology of Justin Martyr. Literary Strategies and the Defence of Christianity (WUNT II, 462). Mohr Siebeck: Tübingen 2018, 182 S. In seiner durch Judith M. Lieu betreuten Cambridger Dissertation analysiert Vf. die apologetischen literarischen Strategien in Justins Apologie. Er kennzeichnet diese als Logoslehre, Diebstahltheorie, Beweis durch Prophezeiung und als weitere dämonologische Argumente. „What we find in the Apology could … be described as a competitive reality construction. It is an attempt at turning the tables, at shifting from defensiveness to offensiveness, at challenging ancient assumptions, as well as at inventing and re-inventing identity to meet the pressures from the outside world. But … the effort is not aimed at the outside world. It is aimed at the Christian community itself. […] it is an admonishment to Christians to understand who they are and why evil things happen to the morally just and righteous“ (155 f).

33. Griechisch-römische Antike / Antikes Judentum /  Septuaginta / Welt des NT Avemarie, Friedrich / Bukovec, Pedrag / Krauter, Stefan / Tilly, Michael (Hg.): Die Makkabäer (WUNT 3823). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 471 S. Dieser Sammelband bietet die Beiträge einer interdisziplinären Tübinger Tagung von 2013 zu Ehren von Hermann Lichtenberger. Erstmals wird die Makkabäerzeit samt den Schriften 1–4 Makk literaturtheoretisch, literaturgeschichtlich, ereignisgeschichtlich, archäologisch, religionsgeschichtlich und rezeptionsgeschichtlich untersucht und präsentiert. Dadurch entsteht ein umfassendes Bild der Epoche, die das antike Judentum wie das frühe Christentum entscheidend prägte – vor allem durch die Herausbildung entscheidender Institutionen wie das Sanhedrion, stark wirkender religiöser Gruppierungen und Parteien, grundlegender Überzeugungen wie Messiaserwartungen und Märtyrertum und schließlich die Gestaltwerdung der normativen religiösen Schriften. Dass auch Paulus vor seiner Lebenswende vom makkabäischen Ideal des Eifers für Gott und seine Tora durchdrungen war und die ersten beiden Makkabäerbücher kannte, zeigt beispielsweise Gerbern S. Oegema (vgl. 345–360). Dafni, Evangelia G. (Hg.): Gottesschau – Gotteserkenntnis. Studien zur Theologie der Septuaginta I (WUNT 387). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 274 S. Während die großen wissenschaftlichen Septuaginta-Editionen und Tagungen notwendigerweise textkritisch, textgeschichtlich, sprachwissenschaftlich und literaturgeschichtlich orientiert waren (vgl. JLH 56 [2017], 71 f) und sind (s. u.), begann mit der Jahreskonferenz in Thessaloniki 2016, deren Beiträge hier vorliegen, die Erforschung der Theologie der LXX. Damit sind die schwierigen prinzipiellen wie methodischen Fragen verbunden, ob sich – auf dem Hintergrund der komplexen Textgeschichte – überhaupt eine Theologie der griechischen Übersetzung in Abgrenzung oder Unterschied zum hebräischen und aramäischen Textbestand erschließen lässt und wie dazu mit Begriffen, Worten, Wortverbindungen, Textabschnitten, Büchern zu operieren sei. Der vorliegende Band widmet sich dabei dem Offenbarungsverständnis und den

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Fragen nach kulturgeschichtlich geprägtem Reden vom Gott-Sehen und dem Erkannt-werden Gottes. Auch wenn nicht von einer LXX-Theologie der Gotteserkenntnis gesprochen werden kann, ist deutlich, dass die Übersetzer hier Vorstellungen modifiziert haben, wodurch das Gottesbild insgesamt transzendenter wird. Der Weg zu einer seriösen theologischen Zusammenschau ist noch lang; mögen diesem ersten Schritt weitere folgen! Meiser, Martin / Geiger, Michaela / Kreuzer, Siegfried / Sigismund, Marcus (Hg.): Die Septuaginta – Geschichte, Wirkung, Relevanz. 6. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 21.–24. Juli 2016 (WUNT 405). Mohr Siebeck: Tübingen 2018, 947 S. In den umfangreichen Beiträgen werden unter den im Titel genannten Perspektiven textgeschichtliche, philologische und historische Frage- und Problemstellungen detailliert analysiert, u. a. auch verschiedene Textaufnahmen von Septuagintaversen im NT. Mogens Müller bietet dabei einen zusammenfassenden Beitrag zur Bedeutung der LXX für die Entfaltung der Theologie des NT, rekurriert auf bekannte Zitate (Jes 7,14 in Mt 1,23; Dan 7,13 in Mk 13,26/Mt 24,30; Ps 8,3 in Mt 21,16; Am 9,11 f in Apg 15,16 ff; Jon 2,1 in Mt 12,40) und auf die Verwendung von kyrios, doxa, e­ uangelion, nomos, diatheke, dikaiosune u. a. (vgl. 730–755). Martin Meiser zeigt im ersten Beitrag, dass bei den Termini, die auf Gott und sein Wirken bezogen sind, die Übersetzer aber eher als Zeugen denn als Initiatoren theologischer Entwicklungen anzusehen sind (vgl. 3–28). Alkier, Stefan / Leppin, Hartmut (Hg.): Juden – Heiden – Christen? Religiöse Inklusion und Exklusion in Kleinasien bis Decius (WUNT 400). Mohr Siebeck: Tübingen 2018, 453 S. Der Sammelband bietet Beiträge einer interdisziplinären Frankfurter Tagung von 2014, die sowohl Grundsatzfragen zu den Inklusions- und Exklusionsprozessen als auch Fallstudien zum Thema präsentieren, die ihrerseits ein starkes Gewicht auf epigraphische und archäologische Quellen legen. Deutlich wird insgesamt, dass die terminologischen Bezeichnungen, die den Haupttitel bilden, wiewohl weit verbreitet, nicht tauglich sind. „Die Diversität der kleinasiatischen Gesellschaft wie die des Imperium Romanum im Ganzen verbindet sich mit der Diversität christlicher Gemeinschaften und Individuen, die ein Teil dieser Gesellschaft waren. Die Rede von der ‚Umwelt‘ des Christentums führt in jeder Hinsicht in die Irre und sollte daher vermieden werden“ (7). Die Herausgeber schlagen für die Hauptbezeichnungen vor, vom „Frühchristentum“ (samt lokaler Zusätze wie „Christusanhänger in Kleinasien“), von „Israeliten“ (für Juden, Samaritaner, Essener u. a.) und statt des historisch untauglichen Begriffs „Heiden“ von der „Mehrheitsbevölkerung“ (oder von „Polis- und Landkulten“) zu sprechen (vgl. 442). Ebenso ist es denkbar und notwendig, die in den Begriffen enthaltenen Perspektiven bestimmter Akteure kenntlich zu machen. „Aus der Sicht von Christen und Juden gab es unbestreitbar ‚Heiden‘ als kollektive Fremdbeschreibung all derjenigen, die nicht den Gott Israels verehrten, die sich jedoch selbst ganz anders beschrieben hätten und aus deren Sicht wiederum Christen Anhänger eines anderen Kults, ebenso aber auch verstockte, gemeingefährliche Opferverweigerer sein konnten, die man nicht als ein religiöses, sondern als ein strafrechtliches Problem wahrnahm“ (443). Bauckham, Richard: The Christian World Around the New Testament. Collected Essays II (WUNT 386). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 757 S. In dem umfangreichen Aufsatzband des Neutestamentlers der St. Andrews University werden 31 Untersuchungen zu verschiedenen Aspekten des frühen Christentums bis zur Patristischen Epoche geboten. Strukturierende Themen sind: Gospel Audiences,

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Gospel Traditions, Gospel and Canon, Early Christian People, Early Church (mit einer Untersuchung zu Sabbat und Sonntag in nachapostolischer Zeit bis zum 4. Jh. [385–433]), Early Christian Apocryphal Literature, Early Patristics. Alkier, Stefan / Kessler, Rainer / Rydryck, Michael: Wirtschaft und Geld, Lebenswelten der Bibel. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2016, 175 S. Im ersten Band der neuen Reihe werden allgemeinverständlich und präzise die Lebenswelten der Bibel in ihren sozialen und kulturellen Kontexten dargestellt. Der NT-Teil beinhaltet die Frage nach Münzen und Steuern, nach dem Zusammenhang von Kult und Ökonomie, nach den basalen Grundlagen von Essen und Obdach sowie nach den Bedingungen von Gewerbe, Handel, Arbeit und Kapitel. Abschließend zeigen die Autoren, wo und wie die Sprache der Wirtschaft religiöse Sprache und Vorstellungen in der Bibel geprägt hat, z. B. im Verständnis von Schuld und Schulden, Freikauf und Erlösung. Georges, Tobias (Hg.): Ephesos. Die antike Metropole im Spannungsfeld von Religion und Bildung (COMES 2). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 448 S. Zurückgehend auf eine Göttinger Tagung von 2013 behandeln die Beiträge die Fragen um Religion und Bildung aus den unterschiedlichen Fachrichtungen der Archäologie, Religionswissenschaft, Alten Geschichte, Medizingeschichte, Judaistik, Islamwissenschaft sowie der neutestamentlichen und patristischen Theologie. In den neutestamentlichen Beiträgen werden die Fragen einer paulinischen und einer johanneischen „Schule“ kontrovers diskutiert und die Bedeutung von Ephesos als Kreuzung frühchristlicher Traditionen hervorgehoben (vgl. 223–320: Jürgen Wehnert, Matthias Günther, Stephan Witetscheck, Petr Pokorny). Pichler, Josef / Rajic, Christine (Hg.): Ephesus als Ort frühchristlichen Lebens. Perspektiven auf einen Hotspot der Antike (Schriften der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Pölten Bd. 13). Friedrich Pustet: Regensburg 2017, 248 S. Der vorliegende Sammelband präsentiert die Beiträge eines Symposiums in St. Pölten und zeigt die archäologischen, exegetischen und patristischen Perspektiven auf das antike Ephesus. Leitend ist die Einsicht, dass hier exemplarisch der Umgang mit religiöser Pluralität erforscht werden kann. Das zeigt der archäologische Beitrag von Peter Scherrer, in dem die antiken Bauprogramme nachgezeichnet werden, aber auch die Verbindungen zu biblischen Personen wie Paulus, Johannes und Maria. Die exegetischen Beiträge fragen nach Paulus in Ephesus (Stefan Schreiber), nach der Lokalisierung des Johannesevangeliums (Martin Hasitschka), der Ekklesiologie (Thomas Söding) und der Eheethik (Josef Pichler) im Epheserbrief und nach den Sendschreiben der Apk (Martin Stowasser, Konrad Huber). Hilda Steinhauer lenkt abschließend den Blick auf das Konzil von Ephesus (431). Schröter, Jens / Schwarz, Konrad (Hg.): Die Nag-Hammadi-Schriften in der Literatur- und Theologiegeschichte des frühen Christentums (STAC 106). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 318 S. Der Aufsatzband sammelt die Beiträge des Berliner Symposiums, das 2015 zum 70. Jahrestag der Entdeckung der 13 Codices in der Nähe von Nag Hammadi. Wurden bisher meist die Fragen nach Gnosis und Berührung zum NT behandelt, werden hier die Texte unter dem Gesichtspunkt der Literaturentwicklung und der Gattungen untersucht. Im Mittelpunkt stehen daher die Apokalypsen, Evangelien, liturgischen Texte (zu Gebet und Taufe) und die theologischen und philosophischen Traktate. „Das Schrifttum der Nag-Hammadi-Codices ist … in vielfältiger Weise in Diskurse über Verständnis und Darstellung der christlichen Botschaft seit dem 2. Jahrhundert eingebunden, in die es pagane philosophische und mythologische Vorstellungen,

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eigene Auslegungen biblischer Texte, apokalyptische Traditionen sowie selbständige Deutungen des Wirkens Jesu einbringt“ (3). Bar-Asher, Michal / Grünstäudl, Wolfgang / Thiessen, Matthew (Hg.): Perceiving the Other in Ancient Judaism and Early Christianity (WUNT 395). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 196 S. In diesem durch das Heidelberger Forschungszentrum Internationale und Interdisziplinäre Theologie (FIIT) und den dortigen Lautenschläger-Preis für Theologische Forschung ideell und finanziell ermöglichten Sammelband werden in 11 Einzeluntersuchungen die literarischen Darstellungen des „Anderen“ in unterschiedlichen christlichen und jüdischen Texten der Antike untersucht. Gleichzeitig werden Formen religiöser Toleranz und Intoleranz erkundet und Intentionen und Anliegen der unterschiedlichen Auseinandersetzungen mit den „Anderen“ (Personen oder Gruppen) analysiert. Wilk, Florian (Hg.): Identität und Sprache. Prozesse jüdischer und christlicher Identitätsbildung im Rahmen der Antike (BThSt 174). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2018, 232 S. Der Sammelband bietet nach einer instruktiven Einführung in den diskurshistorischen Ansatz (Markus Reindorf) Abhandlungen zu Latein und Griechisch in der Antike (Thomas Paulsen), zum Psalter (Alexa F. Wilke, Eberhard Bons), zur Apokalypse (Martin Karrer) und zu den Rabbinen (Luke Neubert), um daran den Zusammenhang von Identität und Sprache zu konkretisieren. Zum Vorgängerband „Kultort und Identität“ vgl. JLH 56 (2017), 126.

34. Editionen / Übersetzungen antiker Texte Wehnert, Jürgen (Hg.): Kleine Bibliothek der antiken jüdischen und christlichen Schriften. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2015 ff. Um das frühe Christentum kennenzulernen und zu verstehen, ist nicht nur die Lektüre der kanonischen Schriften des NT notwendig, sondern auch der sog. zwischentestamentlichen jüdischen und der nicht kanonisch gewordenen christlichen Literatur empfehlenswert. Obwohl sie größtenteils in wissenschaftlichen Textausgaben auch in Deutsch zugänglich sind, fehlen doch handliche Leseausgaben. Sie werden hier einschließlich der Einführungen in Texte und Kontexte geboten (vgl. auch JLH 56 [2017], 127). Erschienen sind seit 2017 der bekannte, aber wenig gelesene Liebes- und Bekehrungsroman „Joseph und Aseneth“ (übers. Stefanie Holder, 2017, 84 S.), die gnostischen Blicke auf Jesus (übers. Johanna Brankaer, 2017, 61 S.) im „Evangelium nach Maria“ (Ende des 19. Jhs. entdeckt) und dem „Evangelium des Judas“, das erst 2006 veröffentlicht und mit den leider üblich gewordenen sensationsheischenden TV-Berichten nicht wenig verfälscht wurde sowie die philosophische Erzählung „Das Leben des Politikers oder Über Josef“ von Philo (übers. Bernhard Lang, 2017, 107 S.).

Literaturbericht Liturgik Deutschsprachige Länder 2018 (2017) Jörg Neijenhuis

I. Quellen Die Evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, begründet von Emil Sehling, fortgeführt von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, hg. v. Eike Wolgast, Bd. 23: Schleswig-Holstein. Die Herzogtümer Schleswig und Holstein, bearbeitet von Gerald Dörner, das Land Dithmarschen, bearbeitet von Sabine Arnd. Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 553 S., 1 Karte. Mit diesem Band wird nach 115 Jahren die Quellensammlung der Evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jh.s abgeschlossen. Sie umfasst 23 Bände in 30 Teilbänden. Der Erlanger Juraprofessor Emil Sehling begann das Projekt mit dem ersten Band zu Sachsen und Thüringen, der 1902 erschien. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Projekt vom Institut für Kirchenrecht der EKD fortgeführt; von 1955 bis 1980 erschienen zehn Bände. Als Herausgeber fungierten der Juraprofessor Rudolf Smend und die Theologieprofessoren Ernst Wolf und Otto Weber. Ab 2001 führte die Heidelberger Akademie der Wissenschaften unter Leitung des Theologieprofessors Gottfried Seebaß und des Geschichtsprofessors Eike Wolgast den „Sehling“ fort. Seither erschienen 12 Bände in 14 Teilbänden. Wie in den anderen Bänden wird in Band 23 als Erstes in die Geschichte der Territorien und Städte auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Schleswig-Holstein im 16. Jh. eingeführt; zunächst geht es um die Kirche in Schleswig-Holstein von ihren Anfängen bis zum Beginn der Reformation, dann um die Reformation in beiden Herzogtümern. Von den zahlreich gebotenen Quelleneditionen sei eine Deutsche Messe erwähnt, die nach 1526 zu datieren ist und Ähnlichkeiten mit der Messe Döbers für das Neue Spital in Nürnberg 1525 und mit Luthers Deutscher Messe von 1526 aufweist. Sie ist wohl die älteste bekannte deutsche Messe in diesem Gebiet. Auch in einigen Kirchenordnungen, z. B. aus den Jahren 1542, 1556, 1564, 1598, sind gottesdienstliche Anweisungen enthalten, die die Ordnung und auch Neuordnung von Gottesdiensten vorsehen. Es finden sich Eheordnungen, Schulordnungen, Mandate gegen die Täufer und Sakramentarier, Klosterordnungen für verbliebene Konvente, Anweisungen zur Abhaltung von Bettagen, Visitationsartikel etc., auch ein Examens-Katechismus von 1571, der von Paul von Eitzen verfasst wurde und Luthers Kleinem Katechismus nahesteht, oder ein Katechismus von Jakob Fabricius von 1602. Bemerkenswert ist ein Mandat aus dem Jahr 1614 zur Bestrafung von Personen, die nicht am Abendmahl teilnahmen. Darin wird verfügt, dass Personen, die schon jahrzehntelang das Abendmahl nicht empfangen haben, nicht christlich bestattet werden dürfen. Für das Land Dithmarschen, auch als Bauernrepublik bekannt, sind u. a. eine Abendmahlsordnung von 1532, eine Bescheid zur Ehe, Visitationsartikel, ein Mandat zur

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Superintendenten- und Pfarrwahl und ein Bekenntnis der Dithmarscher Kirche zum lutherischen Abendmahl von 1556 aufgeführt. Der Band ist mit zahlreichen Registern sehr gut ausgestattet: Bibelstellen, Lieder und Gesänge, Personen, Orte, Sachen. Eine Karte verschafft Überblick über die Territorien von Schleswig und Holstein im 16. Jh.

II. Agenden, Lektionare Taufe. Entwurf zur Erprobung. Taufbuch für die Union Evangelischer Kirchen in der EKD / Agende III, Teilband 1 der VELKD für evangelisch-lutherische Kirchen und Gemeinden. Hg. vom Kirchenamt der EKD und den Gottesdienstreferaten der VELKD und UEK. Hannover o. J. (2018), 408 S. Diese zur Erprobung vorgelegte Taufagende soll die Taufagende der VELKD von 1988 und das Taufbuch der Evangelischen Kirche der Union von 2000 ersetzen. Die enthaltenen Formen führen die Linien der beiden Taufagenden weiter als Form I für die lutherische Tradition und Form II für die unierte Tradition. Beide wurden in den jeweiligen gliedkirchlichen liturgischen Ausschüssen erarbeitet und dann aufeinander abgestimmt. Die Formen oder Traditionen wurden nicht ineinander gearbeitet, sondern sollen nebeneinander die Geschlossenheit der jeweiligen Entwürfe und Traditionen wahren. In der Einführung wird zudem mitgeteilt, dass die lutherische Form das Durchdringen von Lebenswelt und liturgischer Tradition im rituellen Vollzug in den Vordergrund stellt, während die unierte Form die Vermittlungsleistung von der versammelten Gemeinde erwartet und die Verkündigung akzentuiert. „Damit stehen der Erprobung zwei komplementäre Zugangsweisen als Antwortversuche auf die aktuellen Herausforderungen und Veränderungen der Taufpraxis zur Verfügung.“ (9) Die Herausforderungen und Veränderungen in der Taufpraxis waren auch der Anlass für dieses Taufbuch. Folgende Veränderungen werden genannt: Die Säuglingstaufe wird oftmals durch die Kleinkindtaufe ersetzt, ältere Kinder werden während der Zeit des Besuchs von Religionsunterricht oder der Konfirmandenzeit getauft. Eltern oder auch nur ein Elternteil gehören vielfach keiner christlichen Kirche mehr an. Für die Paten gilt dasselbe. Orte für die Taufe außerhalb der Kirchengebäude erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, so z. B. bei Tauffesten. Erwachsenentaufen ergeben sich durch den Besuch von Glaubenskursen. Ebenso werden Kinder im Zusammenhang von Trauungen getauft. Auch ihre Vorbereitung auf die Taufe und ihre Begleitung stellen Pfarrer und Gemeinden vor neuen Herausforderungen. Das Taufbuch sieht folgende Ordnungen vor: zunächst die Feier der Taufe als eigenständiger Gottesdienst oder als Einfügung in einen Gemeindegottesdienst. Alle Taufformulare unterscheiden, ob ein Kind, mehrere Kinder oder ob Erwachsene getauft werden. Dann folgen Liturgien für Taufe in Verbindung mit einer Trauung, Taufe von Jugendlichen in der Konfirmandenzeit, Tauffeste in der Kirche oder der Natur, Taufe in Lebensgefahr und gottesdienstliche Handlungen nach einer Taufe in Lebensgefahr. Es folgen Vorschläge im Zusammenhang der Aufnahme von Taufbewerbern, der Danksagung für ein neugeborenes Kind, des Eintritts oder Wiedereintritts in die Evangelische Kirche, des Taufgedächtnisses. Ein eigener Bereich sind auch Taufliturgien in englischer Sprache. Es folgt ein Kapitel mit Texten und Liedern zur Auswahl. Eine Synopse, die die Leitlinien des kirchlichen Lebens der VELKD und der EKU aufzeigt, ist hilfreich, um die unterschiedlichen und gemeinsamen Formulierungen

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zu erkennen, die die jeweilige Gewichtung in Bezug auf die Taufe und auch die unterschiedlichen Konzepte für die Taufliturgie verdeutlichen. Am Ende des Bandes ist ein Fragebogen für die Rückmeldung aus der Erprobung abgedruckt. Stellungnahmen sollen bis Ende November 2019 von Kirchengemeinden, Kirchenkreisen – oder wer dazu etwas mitteilen will – an die Kirchenämter geschickt werden. Sie werden ausgewertet und für die Endfassung der Agende berücksichtigt. Lektionar nach der Ordnung gottesdienstlicher Texte und Lieder. Hg. von der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und der Union Evangelischer Kirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (UEK). Luther-Verlag / Evangelische Verlagsanstalt: Bielefeld / Leipzig 2018, XXVI, 836 S. Das Vorwort weist darauf hin, dass das Vorlesen und Auslegen biblischer Texte und das Singen im christlichen Gottesdienst jüdische Wurzeln haben. Wie Jesus in der Synagoge aus der Schrift las, so haben es auch die frühen Christen praktiziert. Sie haben auch Psalmen gesungen und neue Lieder verfasst. „Denn christlicher Gottesdienst ist in seinem Kern eben dieses: dass Gott zu uns redet und wir ihm antworten. Gott hat sich in Sprache und Schrift, in Übersetzung und Auslegung, in Bibel und Kanon hineinbegeben und wird aus ihnen immer neu erfahrbar. Davon lebt die Kirche, und davon leben alle, die glauben.“ (XV) Dass schon im neuen Titel des Lektionars die Lieder erwähnt werden – hatte doch die Vorgängerordnung von 1978 noch geheißen: Ordnung der Lesungen und Predigttexte –, zeigt den eben zitierten Bezug auf die reformatorische Theologie an: Gott spricht zu uns und wir Menschen antworten ihm durch Gebet bzw. mit Liedern, die ja oft ebenfalls Gebete sind, wenn sie nicht Verkündigung im Predigtstil sind. Dem neuen Lektionar liegt die revidierte Lutherübersetzung von 2017 zugrunde. Die Einführung schildert die Entwicklungsgeschichte des Lektionars. Neue Akzentuierungen liegen in der Vermehrung der alttestamentlicher Predigttexte, vermehrt wurden auch Texte aufgenommen, die die spezifische Lebenswirklichkeit von Frauen und Männern vermitteln, und Texte, die eine besondere kulturgeschichtliche Resonanz erfahren haben, sowie Texte, die relevant sind für aktuelle Welt- und Lebenserfahrung. Die sechs Jahrgänge mit Predigttexten sind erhalten geblieben ebenso wie die Abfolge von Texten aus dem Alten Testament, den Episteln und den Evangelien für die gottesdienstlichen Lesungen. Der erste Teil des Lektionars umfasst die Sonnund Feiertage des Kirchenjahres, der zweite Teil die feststehenden weiteren Feste und Gedenktage, der dritte Teil bietet Themenfelder, wie z. B. Arbeit, Bildung, Frieden, Glaube / Gottesdienst, Gott, Kirche, Leben und Lebenslauf, Politik und Gesellschaft etc. Der vierte Teil führt die Texte der Passion und Auferstehung Jesu Christi nach den Evangelien auf. Folgende Anhänge sind dem Lektionar beigegeben: Hinweise für viele Sonntage und Feste, die den Gebrauch von Texten und Liedern betreffen, ein Register der Bibelstellen und ein Register zu den Stichworten der Themenfelder. Eine Liste der Lieder der Woche und des Tages beschließen die Anhänge. Perikopenbuch nach der Ordnung gottesdienstlicher Texte und Lieder. Mit Einführungstexten zu den Sonn- und Feiertagen. Hg. von der Liturgischen Konferenz für die Evangelische Kirche in Deutschland, Luther-Verlag / Evangelische Verlagsanstalt: Bielefeld / Leipzig 2018, XXXVII, 862 S. Das Perikopenbuch, das das obige Lektionar enthält, wurde in enger Zusammenarbeit mit den gliedkirchlichen Gremien von der Liturgischen Konferenz erarbeitet. Es bietet ein Vorwort, das den Sinn dieses Buches erläutert, auch Hinweise für den Vortrag einer Lesung sind enthalten. Neu gegenüber dem bisherigen Perikopen-

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buch ist, dass für jeden Sonn- und Feiertag eine Erklärung beigegeben ist, die sich im Dreischritt von Text – Kontext – Gestaltung vollzieht. Es werden die Texte erläutert und ihr Kontext wird aufgezeigt, es wird verdeutlicht, welche Korrelationen bestehen, und für die Gestaltung des Gottesdienstes werden Lieder, Wochenspruch etc. dargelegt. kraft gottes. Handbuch für Liturgie und Gottesdienst. Hg. v. Hirschberg, Corinna /  Plisch, Uwe-Karsten, edition aej: Hannover 2017, 229 S. Im Vorwort wird mitgeteilt, dass dieses Handbuch der Evangelischen Studierendengemeinden unmittelbar aus der Praxis entstanden ist. Studierende und Studierendenpfarrer und -pfarrerinnen haben in ihren Gemeinden liturgische Formate und Gottesdienstformen entwickelt und für dieses Handbuch jene zur Verfügung gestellt, die sie als gelungen ansehen. Mit dem Handbuch soll dieses Material allen Studierendengemeinden zugänglich gemacht werden und darüberhinaus kann es auch anderen Gemeinden als Anregung zur Innovation dienen. Zuerst werden liturgische Bausteine angeboten: zum Eingang des Gottesdienstes, Fürbittengebete, Segen und Sendung, biblische Gebete, Glaubensbekenntnisse (in verschiedenen Sprachen), Tagzeitengebete und Abendmahlsliturgien. Es folgen Andachten für den Morgen, den Mittag und den Abend; biblische Andachten, thematische Andachten und Andachten zu besonderen Anlässen, wie z. B. für den Semesterabschluss. Danach werden Gottesdienste geboten: Sonntags- und Hochschulgottesdienste, Gottesdienste für besondere Tage im Kirchenjahr, z. B. für eine liturgische Nacht auf den 1. Advent, Aschermittwoch, Osternacht oder den Hirtensonntag. In einer weiteren Rubrik finde sich ökumenische Gottesdienste, thematische Gottesdienste, z. B. Labyrinthgottesdienst, erotischer Gottesdienst, Körperspendegottesdienst, Dinner Church. Eine weitere Abteilung enthält die Kasualien Taufe, Trauung und Trauerfeiern, auch ein Gottesdienst zum Examen und ein Gottesdienst für den Abschied aus der ESG wird vorgestellt. Es folgt noch eine multireligiöse Feier zu Beginn des Studienjahres. Im Anhang finden sich Tischgebete und die Texte des Universal Day of Prayer for Students.

III. Monographien und Sammelbände Augustin, George / Schulze, Markus (Hg.): Liturgie im Leben der Christen. Glauben feiern. FS für Andreas Redtenbacher. Grünewald: Ostfildern 2018, 463 S., 1 Abb. des Geehrten (Frontispiz). Anlässlich seines 65. Geburtstag und 40. Jahrestages seiner Priesterweihe hat Andreas Redtenbacher diese umfangreiche Festschrift bekommen. Er ist Direktor des Pius-Parsch-Instituts am Stift Klosterneuburg und Professor für Liturgiewissenschaft an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Vallendar, die von den Pallottinern getragen wird. Die Festschrift widmet sich der Liturgie in vier Bereichen: Theologie der Liturgie, Geschichte der Liturgie, Praxis der Liturgie, Spiritualität der Liturgie. Ein Curriculum vitae und ein Schriftenverzeichnis des Geehrten sind dem Band beigegeben. Einige Beiträge seien genannt: In der Abteilung „Theologie der Liturgie“ schreibt Kurt Kardinal Koch über den Primat des Dienstes Gottes im Leben der Kirche und hebt damit die Grundzüge des konziliaren Liturgieverständnisses hervor. Gerhard Kardinal Müller legt den logoshaften Gottesdienst dar. In der Abteilung „Geschichte der Liturgie“ geht es z. B. um Firmung oder darum, dass auch Lieder ihr Schicksal haben. Werner Horn (Wien) hat sich mit den Aussagen Luthers

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über den Gottesdienst und ihrer Bedeutung für den Gottesdienst heute befasst. In der Abteilung „Praxis der Liturgie“ geht es um Gottesdienste mit Jugendlichen, um Überlegungen zu einer qualitativen Untersuchung der Eucharistiefeier; Stefan Kopp befasst sich mit dem Papst als Liturg im ökumenischen Kontext, Marc Witzenbacher hebt die Bedeutung der Liturgie im evangelischen Gottesdienst hervor. In der Abteilung „Spiritualität der Liturgie“ geht es z. B. um das Mysterium Gottes oder im Beitrag von Ewald Volgger um die Kirche als bleibendes Werkzeug der Barmherzigkeit Gottes. Augustin, Regina / Bukovec, Predrag / Haspelmath-Finatti, Dorothea / Wegscheider, Florian (Hg.): Liturgie als Chance und Herausforderung für die Ökumene. Beiträge der Liturgiewissenschaft zur Einheit der Kirchen (Pro Oriente XLI). Innsbruck: Tyrolia 2018, 156 S. Die Beiträge wurden auf einer Konferenz von Pro Oriente in Linz (Österreich) gehalten, die sich mit dem Buchtitel gebenden Thema befasste. Eingeladen waren Experten aus der katholischen, orthodoxen, orientalisch-orthodoxen und evangelischen Tradition. Es wurden nicht nur Vorträge und Diskussionen zur praktischen, systematischen und historischen Liturgie gehalten, sondern es wurde auch miteinander gebetet. Die Gebetstexte sind dem Band beigegeben und sollen verdeutlichen, dass aus dieser – aber wohl nicht nur aus dieser – Erfahrung die gute Aussicht resultiert, dass vielleicht die spirituelle Erfahrung mehr zur Ökumene beiträgt als die bisher so oft unternommenen Versuche, sich dogmatisch zu verständigen. „Wenn wir, welcher Kirche wir konkret auch angehören, im Stundengebet gemeinsam beten, dann ist die Einheit – ein Gebot Christi (s. Joh 17,21) – proleptisch schon im Modus des Feierns präsent.“ (13) Zuerst werden die ökumenischen Aspekte der Liturgie und ihre konfessionellen Traditionen reflektiert, worauf dann ganz unterschiedliche Beiträge zu ökumenischen Liturgie folgen: Es geht um den ersten evangelischen Gottesdienst, um den Einsetzungsbericht und die Anaphora von Addai und Mari, um die Heiligenfeste, um historische Liturgien und die Einheit der Kirche etc. Abschließend werden einige Kommentare zum Verlauf der Tagung und in Bezug auf das Ergebnis der Tagung abgedruckt. Bärsch, Jürgen / Kranemann, Benedikt (Hg.), in Verbindung mit Haunerland, Winfried / Klöckener, Martin: Geschichte der Liturgie in den Kirchen des Westens. Rituelle Entwicklungen, theologische Konzepte und kulturelle Kontexte, Bd. 1: Von der Antike bis zur Neuzeit, Bd. 2: Moderne und Gegenwart. Aschendorff: Münster 2018, Bd. 1: 667 S., Bd. 2: 604 S. Den Anlass zu dieser großen, zweibändigen Geschichte der Liturgie des Westens gab, so die Herausgeber in ihrer Einleitung, der Mangel an einer Gesamtdarstellung und eines Überblickswerkes über den Wissensstand, den die Liturgiewissenschaft bezüglich der Fragestellung heute erreicht hat. In den letzten Jahrzehnten ist für die Liturgiewissenschaft vieles in Bewegung gekommen, da neuere Forschungsergebnisse neue Perspektiven und Deutungen erbrachten, so dass ältere Entwürfe und Deutungen überholt sind. Nicht allein die liturgischen Quellentexte werden in die Darstellung mit einbezogen, sondern auch das Feiern selbst, so dass Riten, Musik, Kirchbau und Kirchenausstattung etc. nun angemessen gewürdigt werden. Dazu gehören auch politische, sozial- und mentalitätsgeschichtliche Entwicklungen, die auf die Liturgiefeier Einfluss genommen haben. Der erste Band umfasst die Antike, das Mittelalter und die Neuzeit bis etwa ins 19. Jh. hinein. Er beginnt bei den Anfängen des christlichen Gottesdienstes und behandelt die ersten Jahrhunderte; die Liturgie in der Alten Kirche des Ostens und Westens beschließt die Antike. Es folgt das Mittealter, unterteilt in Früh-, Hoch- und Spätmittelalter; ein eigenes Kapitel befasst sich

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mit der nichtrömischen Liturgiefamilie des Westens, so z. B. mit der altgallischen, altspanischen, ambrosianischen Tradition. Die Neuzeit setzt ein mit dem 16. Jh., behandelt die Liturgie der reformatorischen Kirchen, für die römisch-katholische Tradition das Konzil von Trient, dann die Barockzeit mit der weiteren Konfessionalisierung, abschließend die anglikanische, lutherische und reformierte Tradition vom 16. bis 19. Jh. Der zweite Band „Moderne und Gegenwart“ setzt in der nachtridentinischen Zeit, der Aufklärungsliturgik ein, es folgen die liturgischen Bewegungen des 19. und 20. Jh.s. Neben der Liturgik der römisch-katholischen Tradition wird auch die lutherische, reformierte, anglikanische und altkatholische Tradition der Gegenwart dargestellt. Ein Kapitel befasst sich mit der Christianisierung und Katholisierung Brasiliens durch die Eroberer aus Portugal vom 16. Jh. bis zur Gegenwart. Am Schluss ihrer Einleitung schreiben die Herausgeber: „Das Ziel des Buches ist ein wissenschaftlicher Diskurs über die Liturgie quer durch die geistes- und kultur­ wissenschaftlichen Disziplinen. Nur interdisziplinär kann der Gottesdienst in all seinen Facetten mehr und mehr erschlossen werden, wenngleich er als ein rituelles und hier als historisches Phänomen sich dem Verstehen immer auch entzieht. Zur Dynamik dieses Diskurses wird beitragen, dass es für die einen um Gottesdienst im engeren Sinne des Wortes, für die anderen allein um kulturgeschichtliche Phänomene geht. Doch gerade durch diese verschiedenen Perspektiven lassen sich immer neue Sichtweisen auf die christliche Liturgie entwickeln. Dazu beizutragen, ist das Anliegen dieser Liturgiegeschichte.“ (28) Bender, Annika: Der christliche Sonntag. Theologische Bedeutung und gesellschaftliche Relevanz aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive (Erfurter theologische Studien 114). Echter: Würzburg 2018, 245 S. „Ziel dieser Arbeit ist es, den Beitrag der Sonntagsliturgie für die Identität der christlichen Gemeinschaft aufzuzeigen und ihre Bedeutung für das Zusammenleben von Menschen darzustellen.“ (18) Um dieses Ziel zu erreichen, werden im ersten Teil der Arbeit soziologische Untersuchungen rezipiert, die die heutige Situation unter dem Stichwort Säkularisierung zu erfassen versuchen, erwähnenswert ist die Darstellung der britischen Religionssoziologin Grace Davie, die hier von Bender in der deutschsprachigen Liturgiewissenschaft zum ersten Mal rezipiert wird. Auch zeitsoziologische Untersuchungen (Rosa) werden herangezogen und weitere Untersuchungen zum „Wochenendverhalten“ werden analysiert. Im zweiten Teil geht es um das kirchliche Verständnis des Sonntags: Wie äußert sich die römisch-katholische Kirche dazu „im Spannungsfeld von kirchlicher Lehre, Theologie und Gesellschaft“ (19)? Anschließend werden zwei kirchliche Aktionen vorgestellt, die sich dafür engagieren, den Sonntag als arbeitsfreien Tag zu schützen. Im dritten Teil werden liturgiehistorische Erkundungen zur Geschichte des Sonntags und der Sonntagsliturgie sowie die Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils zum Sonntag der Liturgiekonstitution, dann auch kulturtheoretische (kulturelles Gedächtnis) und heortologische Zugänge zum Sonntag bzw. zum Fest erhoben. Der vierte Teil der Arbeit formuliert in Thesenform eine Synthese aus den bislang gewonnenen Erkenntnissen. Der Sonntagsgottesdienst bleibt aufgrund seiner theologischen Bedeutung für die christliche Gemeinschaft relevant trotz vielfältiger Veränderungen in der Partizipationsstruktur der Moderne. „Der Sonntagsgottesdienst hält das kulturelle Gedächtnis der christlichen Gemeinschaft in Gang.“ (212) Der Sonntag ist eine Fest-Zeit, er entschleunigt und stabilisiert die christliche Identität, hält den lebensweltlichen Bezug aufrecht und bezieht alternative Gottesdienstformen ein. Kirchliches Engagement für den Sonntag muss die Vielfalt christlichen Lebens akzeptieren, die Herausforderung des gesellschaftlichen

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Zusammenlebens mit Nicht-Christen annehmen, die Laien in die Verantwortung für die Liturgie einbeziehen und sie entsprechen liturgisch bilden. Böttigheimer, Christoph: Sinn[losigkeit] des Bittgebets. Auf der Suche nach einer rationalen Verantwortung. Herder: Freiburg i. Br. 2018, 181 S. Mag das Gebet allgemein in die Krise geraten sein, so ist das Bittgebet nicht nur in der Krise, sondern stellt unter dem Vorzeichen der Moderne auch das theistische Gottesbild infrage. Wenn man wie Böttigheimer das Bittgebet verteidigen will, dann muss es, so fordert er, zu einem Thema des Denkens werden und sich vor der Vernunft verantworten: „Es muss sowohl seine theoretische Konsistenz (immanente Widerspruchsfreiheit) als auch logische Kohärenz (Widerspruchsfreiheit zwischen theologischen, philosophischen und naturwissenschaftlichen etc. Aussagen) aufweisen.“ (12) Böttigheimer versucht Antworten zu geben, indem er zunächst das Gebet als Glaubensmitte vorstellt, dann unter den Überschriften Zuhören Gottes, Handeln Gottes, Wille Gottes und Affizierung Gottes immer zuerst die Anfragen formuliert, um danach Antworten zu vorzuschlagen. Freimütig hält er abschließend fest, dass nicht alle Probleme des Bittgebets rational zufriedenstellend zu beantworten sind. Er warnt vor einer allzu naiven, personalen Gottesvorstellung und stellt fest: „[S]o wenig Gott nach dem Modell des Menschen gedacht werden darf, sowenig ist das Gebet im Sinne eines gewöhnlichen Dialogs im Rahmen einer Ich-Du-Relation zu denken. Überhaupt ist das Modell des Zwiegesprächs zur Beschreibung der Grundstruktur des Gebetes gänzlich ungeeignet, geht es im Gebet doch um das Einswerden mit Gott. Mit dem Verwerfen des Modells von Anrede und Erwiderung hängt zusammen, dass auch die Erfahrung eines vermeintlichen Schweigens Gottes nicht ausbleiben kann.“ (166) Brons, Martin: Augustins Trinitätslehre praktisch: Katechese, Liturgie, Predigt. Ritual und Unterweisung auf dem Weg zur Taufe (STAC 105). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 253 S. Zwar wird das 15 Bücher umfassende Werk Augustins De trinitate als sein systematisches Hauptwerk angesehen, aber dank seiner fast 40-jährigen kirchlichen Praxis kommt sein trinitätstheologisches Denken ebenso in seinen Predigten zum Ausdruck. Brons untersucht die Predigten, die in der Zeitspanne von der Aufnahme in das Katechumenat über die Kompetentenzeit bis zur Taufe gehalten wurden. Dabei zeigt sich, dass Predigt und Ritualerfahrung bei Augustin auf das Engste verbunden sind. „Die spezifische Verbindung von Ritualerfahrung und inhaltlicher Einführung in den trinitarischen Glauben ist für Augustin in seinen Predigten selbst Ausgangspunkt für wiederholte Erinnerungen an das trinitarische Heilsmysterium. Diese Einheit aus Ritual und Unterweisung, zusammen mit den aus ihr resultierenden ethischen Implikationen, gründet für Augustin – so eine These der vorliegenden Arbeit – im Glauben an den trinitarischen Gott und ist selbst als Trinitätslehre zu verstehen. Sie besteht in gedeuteter Ritualerfahrung und lebt durch inhaltlich anreicherbare Erinnerung an sie durch die gottesdienstlichen Vollzüge der Kirche.“ (3) Brons stellt zuerst die neuere Ritual- und Gedächtnisforschung dar, wobei Rituale immer als Akte des Denkens und Handelns verstanden werden, anschließend werden Augustins eigene Ritual­ erfahrungen dargelegt. Es folgen daraufhin dezidiert die Analysen der Predigten und Rituale vom Beginn des Katechumenats an, dann geht es um den Osterfestkreis in Hippo und um die Kompetentenzeit. Bubmann, Peter / Deeg, Alexander (Hg.): Der Sonntagsgottesdienst. Ein Gang durch die Liturgie. Vandenhoeck & Ruprecht 2018, 285 S., 3 schwarz-weiße Abb. Die Herausgeber beginnen ihr Vorwort mit einer erstaunlichen Information: „Dieses Buch ist keine Festschrift … (für Martin Nicol zum 65. Geburtstag, der sich jegliche

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Festschrift verbat), sondern mehr als nur eine Festschrift. Es ist ein Buch zum ‚Evangelischen Gottesdienst‘, das den ‚Weg im Geheimnis‘, den Martin Nicol beschrieben hat, abschreitet und auslotet.“ (9) Der Gang durch die Liturgie wird mit 39 Beiträgen beschritten, die von Kollegen und Kolleginnen aus Sicht der Praktischen Theologie, Kirchenmusik und Pastoraltheologie sowie von Pfarrerinnen und Pfarrern stammen. Sie haben mit Martin Nicol zusammengearbeitet und waren zum Teil seine Schülerinnen und Schüler. Die zu erwartenden Beiträge zu den Rubriken des Gottesdienstes werden umrahmt von einigen Beiträgen, die sich mit dem Raum, den Gewandungen, mit der Musik, mit den Gefühlen oder der geistig-spirituellen Existenz der Liturgin bzw. des Liturgen befassen. Nach der Rubik Segen werden auch der verabschiedende Handschlag, das Kirchenkaffee und die Gottesdienstkritik in den Blick genommen. Caloun, Elisabeth / Habringer-Hagleitner, Silvia (Hg.): Spiritualitätsbildung in Theorie und Praxis. Ein Handbuch. Kohlhammer: Stuttgart 2018, 319 S. Spiritualitätsbildung ist ein (Forschungs-)Feld, das noch wenig bestellt ist und dem entsprechend findet sich dazu bisher wenig Literatur. Auch in der Religionspädagogik findet Spiritualität kaum Resonanz, da Spiritualität meist mitgedacht wird, wenn Religion und Glaube verhandelt werden. „Als Herausgeberinnen verstehen wir den Spiritualitätsbegriff als einen transreligiösen Begriff, der religiöse Traditionen miteinbeziehen und sichtbar machen kann, der aber auch Menschen anspricht, welche sich auf keine bestimmte religiöse Tradition beziehen und sich dennoch als spirituelle Menschen verstehen. Spiritualität, wie wir sie in diesem Buch verstehen, umfasst jene vielfältigen Dimensionen von Welt- und Transzendenz-Verbundenheit, von Zukunfts- und Weltorientiertheit sowie von Grenzen sprengender Liebesfähigkeit, wie sie bei spirituell gebildeten Menschen zu finden ist. (…) Anliegen dieses vorliegenden Buches ist es also, Spiritualitätsbildung in einem weiten Sinn zu verstehen und danach zu fragen, welche Art von Spiritualität für Kinder hilfreich und lebensförderlich ist.“ (14) Im ersten Teil des Buches werden die theoretischen Grundlagen gelegt. Mehrere Beiträge erörtern die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Spiritualitätsbildung heute, die entwicklungspsychologischen, bildungswissenschaftlichen Aspekte von Spiritualitätsbildung und die theologischen Aspekte von Spiritualitätsbildung. Im zweiten Teil geht es um die Praxis, also um die Spiritualitätsbildung in diversen Handlungsfeldern, es werden auch Praxisbausteine vermittelt. Einige Beiträge befassen sich mit der Spiritualitätsbildung in der frühen Kindheit, in der Primar- und Sekundarstufe des Religionsunterrichts, in der Schulseelsorge – hier kommen ausdrücklich gottesdienstliche Erfahrungen zu Wort – oder auch im Geschichts- und Deutschunterricht und im hochschuldidaktischen Kontext. Eck, Sebastian: Katholische Gebetbücher für das Bistum Münster (1850–1914). Historische Kontextualisierungen und heilsmediale Analyse (LQF 108). Aschendorff: Münster 2018, 351 S. In dieser Dissertation wird herausgestellt, wie Gebetbücher – untersucht für das Bistum Münster von 1850 bis 1914 – als Heilsmedien verwendet wurden, weil „die katholischen Gebetbücher das jenseitsorientierte Leben alltagskonkret zu prägen vermochten und der irdische Mensch mit Hilfe von Gebetbüchern einen unmittelbaren Zugang zum Heil erwerben konnte.“ (24) Im ersten Teil seiner Untersuchung umreißt Eck die bisherige Forschung zum Thema Milieu und Gebetbuch, um dann in nachfolgenden Teil die Gebetbücher des Bistums Münster für den fraglichen Zeitraum historisch zu kontextualisieren: die Lebensbedingungen, der moderne Buchmarkt, besondere Personen als Herausgeber, die Verlage etc. Danach werden die Gebetbücher inhaltlich beschrieben. Im dritten Teil wird das Gebetbuch als Heilsmedium themati-

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siert in Bezug auf die Jenseitsvorstellungen, in Bezug auf die Messliturgie und auf die Sterbeliturgie. Eine Zusammenfassung beschließt die Darstellung. Eckhardt, Benedikt / Leonhard, Clemens: Juden, Christen und Vereine im Römischen Reich. Mit einem Beitrag von Philip A. Harland (RGVV 75). De Gruyter: Berlin / Bos­ ton 2018, 400 S. Fast selbstverständlich hat man in der Forschung angenommen, ja vorausgesetzt, dass sich die frühen Christen in Analogie zum römischen Vereinswesen versammelten. Wenn Christen also z. B. am Abend zur Herrenmahlfeier zusammenkamen, wie Paulus es in 1Kor 11 schildert, taten sie es in Analogie zum Vereinswesen, das im römischen Reich weit verbreitet war. In der Forschung galt der Satz: Was nicht Staat war, war Verein. Also blieb keine andere Möglichkeit offen, das Treffen der frühen Christen zu beschreiben. Es wurde also angenommen, dass frühe Judenchristen am Sabbat die Synagoge aufsuchten und sich nach Sabbatende am Abend im „christlichen Verein“ zur Herrenmahlfeier einfanden. Das Buch von Eckhardt und Leonhard macht deutlich, dass in die Forschungsergebnisse offenbar das heutige Vereinsverständnis hineingelesen wurde, auch kann aus der Sicht der Autoren nicht generell von einem griechisch-römischen Vereinsverständnis gesprochen werden, da dieses im Laufe der Zeit Veränderungen unterworfen war. Insbesondere der implizite Vereinszweck, dass er eine Integration in die Gesellschaft bewirke, kann nicht so einfach für christliche und jüdische Vereine vorausgesetzt werden. Der Beitrag von Harland, der eigens in das Buch aufgenommen wurde, macht einen neueren Forschungsansatz deutlich, der diese Annahmen bezweifelt. „Juden und Christen bildeten also Vereine wie andere Personengruppen, sofern man damit abstrakt private Organisationen meint, die sich regelmäßig zum Mahl trafen, eigene Beamte wählten, Finanzierungsquellen erschlossen und neue Mitglieder rekrutierten. Sie bildeten jedoch keine Vereine wie andere Personengruppen, sofern man damit meint, dass sie sich wie andere private Organisationen des 1.–3. Jh.s n. Chr. eines allgemein anerkannten Begriffsspektrums bedienten, vom Staat ad exemplum rei publicae behandelt und von Patronen beschützt werden konnten, dem Stadt- und Kaiserkult nahestanden und in ihrer Organisationsstruktur, ihrem Selbstverständnis und ihrer Selbstdarstellung im öffentlichen Raum ihre Verwurzelung in den ethischen und organisatorischen Maximen der kaiserzeitlichen Gesellschaft ausdrückten.“ (334) Gerhards, Albert / Kranemann, Benedikt (Hg.): Dynamik und Diversität des Gottesdienstes. Liturgiegeschichte in neuem Licht (QD 289). Herder: Freiburg i. Br. 2018, 343 S. Die zahlreichen Beiträge zu den Geschichtsverständnissen und -bildern, die die Liturgiewissenschaft methodisch beeinflusst und teilweise auch selbst geschaffen hat, werden einer kritischen Analyse unterzogen. Bestimmten Bildern, wie z. B. der bekannten These, dass nach dem reinen Ursprung der Liturgie heute nur noch eine Verfallsgeschichte zu diagnostizieren sei, wird deutlich widersprochen. Auch andere über Jahrzehnte für sicher gehaltene historische Annahmen, wie z. B. das Verhältnis der Liturgie zwischen Judentum und Christentum, können nicht mehr so einfach aufrechterhalten werden. Nach einen Überblick, wie sich vorrangig im 20. Jh. Liturgiewissenschaft historisch orientiert hat, geht es um rituelle Erfahrung, um Lebensgeschichte und liturgische Wirklichkeit, um Geschlechterdifferenz, um Umbrüche in der Liturgie, die schon in der Alten Kirche vorkamen, um Kulturgeschichte, um Musik als Quelle der Liturgiewissenschaft, um die Liturgische Bewegung und um die Geschichtsverständnisse und Geschichtsbilder im 20. und 21. Jh. Festzustellen ist jedenfalls, dass nicht mehr allein der Text eines Gebets oder einer Agende bzw.

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Messbuchs liturgiewissenschaftlich relevant ist, sondern auch die real gefeierte Liturgie. In ihr kommen die Texte aus Agenden etc. vor und werden in diesem Zusammenhang zugleich interpretiert. Nicht allein die Philologie, sondern auch der rituelle Vollzug der Liturgie wird (und muss) auch hinsichtlich der Liturgiegeschichte Beachtung finden. Grethlein, Christian: Kirchentheorie. Kommunikation des Evangeliums im Kontext. De Gruyter: Berlin / Boston 2018, 307 S. Grethlein legt eine Kirchentheorie vor, die sich einreiht in seine Lehrwerke der letzten Jahre, die allesamt die Kommunikation des Evangeliums als Grundthema bearbeiten. Dass auch innerhalb der Kirchentheorie der Gottesdienst eine Rolle spielt, versteht sich von selbst. Grethlein behandelt in seiner Einführung zunächst die dogmatische Seite des Themas (Ekklesiologie) behandelt, um dann die praktisch-theologische Seite (Kirchentheorie) zu verdeutlichen: Kirche als Institution, als Organisation oder als ein hybrides Gebilde. Kirche wird anschließend aus unterschiedlichen Perspektiven dargelegt: religionssoziologisch, evangelisch und katholisch, kirchenrechtlich. Darauf folgen die biblischen Grundlagen, um danach die Geschichte der Kirche als Institution darzulegen. Für jeden Epochenschritt werden Ämter und die Tauf- und Mahlpraxis dargestellt, nachdem zuvor in die allgemeine Situation dieser Epoche und in ihren Kontext eingeführt wurde. Ein anderer Teil des Buches befasst sich mit der Kirchenmitgliedschaft als Option, auch hier wird die Tauf- und Mahlpraxis ausdrücklich beschrieben. Mit der Formulierung von Herausforderungen und Chancen in einer sich verändernden Lebenswelt, einer Zusammenfassung und einem Ausblick wird das Werk beschlossen. Guerriero, Elio: Benedikt XVI. Die Biographie. Mit einem Vorwort von Papst Franziskus und einem Interview mit Benedikt XVI. Herder: Freiburg i. Br. 2018, 653 S. Vermutlich ist in den Literaturberichten des JLH bisher noch keine Biographie besprochen worden; die Veranlassung dazu bietet nun diese Biographie über Papst Benedikt XVI., weil er in seinem Pontifikat vieles in Sachen Liturgie bewegt hat und manches auch schon in seiner Zeit als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre. Zu denken ist da an sein Buch Der Geist der Liturgie aus dem Jahr 2000, auch an die 2001 veröffentlichte Instruktion Liturgiam authenticam. Ihr Untertitel Über den Gebrauch der Landessprachen in den Büchern römischer Liturgie setzte Maßstäbe mit seinem Anspruch, dass die lateinische Sprache die verbindliche Vorlage für eine sehr sprachnahe Übersetzung in die Landessprachen darstellen soll. Das hat viel Kritik hervorgerufen. Als Papst hat Benedikt XVI. 2007 sein Motu proprio Summorum Pontificum zur Wiederzulassung der vorkonziliaren Messe veröffentlicht. Damit trat neben die ordentliche Form, die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil erarbeitet worden war und die Normalform bleiben soll, die vorherige (nun genannt: außerordentliche) Form. Sie setzte die Liturgie von 1962, also vom Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils, wieder in Kraft, die unter bestimmten Bedingungen wieder gebraucht werden darf. All dies und selbstverständlich noch manches andere in Sachen Liturgie kann in dieser Biographie nachgelesen, in das Leben und das Pontifikat Joseph Ratzingers / Benedikt XVI. eingeordnet und in einem größeren Kontext gesehen werden. Höhen und Tiefen des Lebens werden dabei nicht verschwiegen. Das ausführliche Inhaltsverzeichnis der Biographie ist übersichtlich gestaltet, so dass die Abschnitte, die für die liturgischen Zusammenhänge von Belang erscheinen, schnell auffindbar sind. Hanke, Gregor M.: Vesper und Orthros des Kathedralritus der Hagia Sophia zu Konstantinopel. Eine strukturanalytische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchung

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unter besonderer Berücksichtigung der Psalmodie und der Formulare in den Euchologien (JThF 21), 2 Bde. Aschendorff: Münster 2018, 961 S. Der Benediktinermönch Hanke hat diese umfangreiche Arbeit 1990 begonnen. 1993 wurde er in Plankstetten zum Abt daselbst gewählt, so dass er seine Forschungen erst Jahre später weiterführen konnte. Im Jahr 2002 wurde er mit dieser Untersuchung promoviert, und da er 2006 Bischof von Eichstätt wurde, zog sich die Veröffent­ lichung noch einmal viele Jahre hin. Erforscht wird in diesem Buch die Struktur und deren Entwicklung von Orthros (Morgenlob) und Vesper (Abendlob) an der Hagia Sophia von den Anfängen, die sich auf das beginnende 6. Jh. zurückführen lassen, bis zum Untergang des byzantinischen Reiches 1453. In einem ersten Schritt wird die Arbeitsmethode festgelegt und das reiche Quellenmaterial gesichtet. Im zweiten Schritt werden die liturgischen Elemente, danach die komplexeren Struktureinheiten unter entwicklungsgeschichtlichen Aspekten untersucht, so dass Orationen, Litaneien, Elemente aus der Hl. Schrift und der Psalmodie – daraus setzen sich die beiden Tagzeitengebete zusammen – in den Blick genommen werden. Abschließend wird ein entwicklungsgeschichtliches Gesamtbild von Orthros und Vesper geboten. Die Entwicklung beider Tagzeitengebete wird nicht ohne ihren Kontext gesehen, so dass z. B. der Bau der Hagia Sophia, der Ikonoklasmus etc. bedacht und auch daraus Erklärungen für die Entwicklung gewonnen werden. Hanke hält fest, dass Liturgie etwas Gewordenes und ständig im Werden Begriffenes ist. Am Ende der Untersuchung wird ein Resümee gezogen, das die Entwicklung als Leitidee der Interpretation in den Mittelpunkt stellt. Im Anhang findet sich ein Vesper- und Orthrosformular (in griechischer Sprache), das ein Auszug aus dem Kodex Barberini gr. 336 (8. Jh.) ist. Umfangreiche Register helfen, das reiche Material zu erschließen: Personen-, Handschriften- und Bibelstellenregister, Register patristischer und verwandter Quellen, Sachregister, Register liturgischer Initien. Hellholm, David / Sänger, Dieter (Hg.): The Eucharist – Its Origins and Contexts (WUNT 376). Vol. I: Old Testament, Early Judaism, New Testament, Vol. II: ­Patristic Traditions, Iconography, Vol. III: Near Eastern and Graeco-Roman Traditions, Archaeology. Mohr Siebeck: Tübingen 2017, 2199 S., 150 farbige Abb. Dieses monumentale Werk informiert in umfassender Weise über den derzeitigen Forschungsstand zum Thema Eucharistie: Es werden nicht nur die eucharistischen Texte und ihre christlichen Feiern, sondern – wie der Buchtitel schon signalisiert – auch die Kontexte der Eucharistiefeiern ausführlich dargestellt und ein reiches Bildmaterial dazu geboten. Der erste Band gibt eine Einführung in das gesamte Gebiet, danach werden die alttestamentlichen Feiern und Feste, die jüdischen Essensgewohnheiten, die Gemeinschaftsmähler von Qumran, die Erzählung von Joseph und Aseneth, die Darstellungen der Mähler bei Philo und Josephus sowie das Pesachfest beschrieben. Beiträge zum Neuen Testament schließen sich an: Johannes der Täufer, die Mähler bei Jesus, die Erzählungen dazu in den Evangelien etc., philologische und semantische Aspekte zur Terminologie von Eucharistie, der Bezug zwischen Eucharistie und Tempel, weitere Textstellen des Neuen Testaments, die für die Eucharistie von Belang sind, die Frage nach der Sakramentalität der Eucharistie, die Verbindung von Taufe und Eucharistie, die kulturanthropologischen, kognitionswissenschaftlichen und ritualwissenschaftlichen Perspektiven. Der zweite Band beinhaltet die patristischen Traditionen und die Ikonographie. Dargestellt werden die Entwicklung östlicher und westlicher frühchristlicher Eucharistiefeiern, das Aposteldekret, die Totenmahle, die Beziehung von Asketentum und Eucharistie, das Eucharistieverständnis in der Didache sowie bei Ignatius von Antiochien, Justin, Irenäus, Ter-

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tullian, Cyprian, Clemens von Alexandrien, in den Kirchenordnungen der frühen Kirche, wie z. B. die Traditio Apostolica, Constitutiones Apostolorum etc., das Eucharistieverständnis in den apokryphen Texten zum Neuen Testament, bei den Pseudoklementinen, Aphrahat, Ephrem, in den Mystagogischen Katechesen, bei Gregor von Nyssa, Johannes Chrysostomus, Theodor von Mopsuestia, Ambrosius, Augustinus, Schenute von Atripe (Oberägypten), Johannes von Damaskus und bei den Manichäern. Abschließend werden die Bildwerke zur Eucharistie vom frühen 3. bis zum 7. Jh. vorgestellt und erörtert. Im dritten Band geht es um die Gemeinschaftsmähler der östlichen und griechisch-römischen Tradition einschließlich der archäologischen Artefakte. Dargestellt werden die Mahlkontexte im Alten Ägypten, die heiligen Mahle im antiken Griechenland, die Mähler und Opferhandlungen in griechisch-römischen Vereinigungen; es geht um Symposion und Sexualität, sakrales Gebäck in attischen Kulturen, Speisen im 1. Jh. vor Christus, um das „philosophische“ Symposion in der griechischen Literatur, die römischen Priestermähler, öffentliche Bankette, die Begegnung von Gott und Mensch im Bibelepos von Sedulius, die Bankette zu Ehren Verstorbener, antike Mähler in archäologischen Zeugnissen, heilige Mahle in polemischer Auseinandersetzung, heilige Mahle in der iranischen Tradition, bei den Mandäern, bei Isis und Sarapis, bei Dionysus, bei Cybele und Attis, im Mithraskult, bei den Valentinianern und in apokalyptischen und eschatologischen Texten zum Leben nach dem Tod. Dieses beeindruckende Werk ist mit zahlreichen Registern ausgestattet. Die Beiträge sind in deutscher oder englischer Sprache verfasst, zu jedem Beitrag gibt es zu Beginn ein Abstract, das in der jeweils anderen Sprache geschrieben ist. Herms, Eilert: Systematische Theologie. Das Wesen des Christentums: In Wahrheit und aus Gnade leben, 3 Bde. Mohr Siebeck: Tübingen 2017, XXX, 3468 S. Herms gliedert seine monumentale Systematische Theologie in 100 Paragraphen, die wiederum in vier Teile eingeordnet sind. In Teil 1 geht es um Grund und Gegenstand der Theologie: das christliche Leben. In Teil 2 wird dargelegt, dass der Grundakt des christlichen Lebens der Glaube ist; der Grund und Gegenstand des Glaubens ist die Offenbarung. Das heißt, dass das christliche Leben als das Bekenntnis des christ­lichen Glaubens verstanden wird. Entsprechend schließen sich an Teil 3, der das Wort­ bekenntnis des Glaubens (Dogmatik), und Teil 4, der das Tatbekenntnis des Glaubens (Ethik) darstellt. So beschreibt Herms das Wesen des Christentums und gibt Auskunft darüber, dass das Christliche gut und wichtig ist für das allgemein Menschliche und ihm nicht widerspricht. „Das christliche Leben ist das ausgezeichnete Exemplar von menschlichem Zusammenleben überhaupt, das jeweils durch eine irgendwie geschichtlich gebildete Selbst-, Welt-, Weltursprungs- und Weltzielgewißheit der Interaktanten orientiert und motiviert ist und dieses Orientiert- und Motiviertsein auch leibhaft manifestiert. (…) Diese Gewißheit ist die ursprüngliche und unauflösliche Einheit von Selbstgewißheit, Umweltgewißheit, Weltgewißheit und Gottes-, also Weltursprungs- und Weltzielgewißheit.“ (XXVII) Wie weit in unserer Zeit und in unserem Land das Christliche oder dieses Christliche anzutreffen ist, bleibt zunächst offen – aber: „Es [dieses Werk] ist jedoch in dem Vertrauen geschrieben, daß dieses Christentum jedenfalls unter denen anzutreffen ist, die den christlichen Gottesdienst mitfeiern und zur Unterhaltung der christlichen Gemeinschaft beitragen.“ (XXIV) Eine Systematische Theologie, die das christliche Leben beschreibt, äußert sich auch zu Liturgie und Gottesdienst. So ist die Liturgie bzw. der Gottesdienst Identitätskern und Wirksamkeitszentrum: „Der Kirche ist verheißen, daß sich das lumen gratiae an der Feier des Evangeliums und seiner Erklärung durch Verkündigung und Lehre

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entzündet. (…) Damit ist ihr das Zentrum ihres Dienstes (…) gewiesen: der christliche Gottesdienst als Feier der Christusgemeinschaft, deren Grund und Gegenstand selber sich diese Gemeinschaft erhält.“ (2688) Dazu gehört auch die Kommunikation der christlichen Lebenssinngewissheit bzw. Daseinsgewissheit, die „grundlegend und umfassend im Gottesdienst, im Kultus, erfolgt.“ (557) Kerninstitution ist die „von Jesus zu seinem Gedächtnis eingesetzte Mahlfeier, durch die die Gemeinde sich zu ihrem Ursprung im Christusgeschehen bekennt und diesen ihren Ursprung feiert: Tod und Auferweckung des Herrn. Durch diese Feier verkündigt sie auch das Christusgeschehen (1 Kor 11,26). (…) In ihrem Gottesdienst feiert und verkündigt die Gemeinschaft der Glaubenden das Erschließungsgeschehen, das ihre Glieder ergriffen, sie zur Gemeinschaft des Glaubens verbunden hat und diese trägt.“ (557) Die Liturgie, von ihrer Wortbedeutung als Dienstleistung verstanden, ist „eine Dienstleistung für das gesamte Gemeinwesen, keineswegs nur für die Glaubensgemeinschaft. Das kann nicht anders sein, weil der Grund und Gegenstand der christlichen Gewißheit eben das Christusgeschehen als das leibhaft Manifestwerden der Wahrheit über Ursprung und Ziel des gesamten Weltgeschehens ist.“ (2580) Im Vorwort (XXVI) erläutert Herms, dass er abgesehen von Klassikern kaum Sekundärliteratur zitiert, die man ja in seinen übrigen Schriften nachlesen kann, dafür aber Bibel, Gesangbuch und Bekenntnisschriften. Texte aus Agenden werden nicht aufgeführt. Hödl, Hans Gerald / Pock, Johann / Schweighofer, Teresa (Hg.): Christliche Rituale im Wandel. Schlaglichter aus theologischer und religionswissenschaftlicher Sicht (WFTR 14). V&R unipress: Göttingen 2017, 226 S., 7 Abb. Rituale sind im Wandel: Wie sie sich wandeln und warum sie sich wandeln, wird in dieser Aufsatzsammlung an besonderen Beispielen demonstriert. Ein evange­ likaler Gottesdienst in Deutschland wird ebenso untersucht wie der Ritualwandel in westafrikanischen Kirchen. Besonders deutlich zu erfahren ist der Ritualwandel bei Trauungen. Es wird dargestellt, wie Hochzeiten bezüglich der Rituale zwischen Tradition und Moderne schwanken, wie das katholische Hochzeitsritual zur Traumhochzeit wird, wie sich zwischen Evangelium und Kultur dynamische Äquivalenzen ergeben. Inner- und postchristliche Transformationen und Entwicklungen von Ritualen werden an freien Ritualen in Österreich dargestellt, an Frauenliturgien, an der Ritual- und Festpraxis in multireligiösen Familienkonstellationen, und es wird die Frage gestellt, ob sich z. B. in Mecklenburg-Vorpommern als entchristlichtem Land eine religionshybride Festkultur mit post-christlichen Ritualen finden lässt. Drei Beiträge befassen sich mit dem rituellen Wandel aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive: Andreas Odenthal fragt nach dem Zusammenhang von ritueller Erfahrung, allgemeiner menschlicher Erfahrung, den Ritualen als archaischem Erbe der Menschheit und ihrer christlichen Ritualerfahrung und -gestaltung. Benedikt Kranemann schildert neue christliche Rituale in einer religiös pluralen Gesellschaft, insbesondere in Ostdeutschland, wo die Entkirchlichung und Entchristlichung bis heute besteht. Dort werden im Raum der römisch-katholischen Kirche Rituale für Konfessionslose angeboten, z. B. Rituale zur Lebenswende anstelle der Jugendweihe, zum Valentinstag oder das Weihnachtslob. Basilius J. Groen schildert heutige Veränderungsprozesse in der rituell-liturgischen Landschaft Mitteleuropas: Dass die Kirchen ihr Ritenmonopol verloren haben, lässt sich an herkömmlichen Liturgien ebenso beobachten wie an der Medienreligiösität, an Wallfahrten, an der Liturgiesprache etc. Gemeinhin kann man aber feststellen, dass die Lebenserfahrung und die Inhalte der Liturgiefeiern offenbar für viele Menschen nicht mehr zueinander zu bringen sind.

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Hoyer, Arend: Was Musik andächtig macht. Drei Leipziger Kirchenkantaten Johann Sebastian Bachs, liturgiewissenschaftlich unter die Lupe genommen. Theologischer Verlag Zürich: Zürich 2018, 487 S. Hoyer teilt gleich im Vorwort zu seiner Dissertation mit, dass er mit Musik und auch mit Bachs Kantaten im (lutherischen) Gottesdienst aufgewachsen ist. Er schreibt: „Das genaue Verhältnis von Musik zum Gottesdienst ist mir aber bis heute ein Rätsel geblieben, das ansatzweise zu lüften ich mir mit dieser Untersuchung als Aufgabe stelle.“ (13) „Der Fokus liegt dabei auf der Wahrnehmung des überlieferten Notenmaterials dreier Kirchenkantaten Bachs als Ausdruck seiner zielgerichteten Kommunikation zwischen Komponist und Gottesdienstgemeinde im Rahmen des liturgisch gestalteten Geschehens, für welches diese Werke bestimmt sind. Der stets mitgedachte Bezug zum Publikum, das Bach als Gottesdienstgemeinde wahrnehmen und ansprechen will, macht aus dieser Untersuchung eine praktisch-theologische Arbeit, in der die liturgisch-homiletische Dimension einer Kantatenaufführung im Mittelpunkt steht.“ (24) Hoyer führt zunächst in die reformatorische Bestimmung von Gottesdienst und Musik ein anhand von Luther, Zwingli, Calvin und dem Konzil von Trient. Er befasst sich in einem Abschnitt mit der Erforschung der Bach-Kantaten, dann mit den Leipziger Gottesdiensten zur Zeit Bachs und ihrer Bewertung als einer eigenen musikalischen Gattung, danach werden Theorien zu Text und Musik der Kirchenkantaten Bachs, ausgehend von Bach bis zur Gegenwart, ausführlich dargestellt. Hoyer untersucht die drei Kantaten, die für den 14. Sonntag nach Trinitatis gedacht waren: Es ist nicht Gesundes an meinem Leibe (BWV 25), Jesu, der du meine Seele (BWV 78), Wer Dank opfert, der preiset mich (BWV 17). Bach habe eine „andächtige“ Musik komponiert: „Er versteht darunter eine Musik, die den Auftrag wahrzunehmen versteht, im Rahmen der lutherischen Tradition die Hörerschaft zweifach mit dem göttlichen Wort in Beziehung zu bringen: Einerseits in Gestalt einer Hilfestellung zur mentalen Konzentration auf den Wortlaut der Heiligen Schrift und dessen durch die christliche Lehre vermittelte Botschaft, andererseits aber auch in der Stimulierung zur persönlichen Wahrnehmung des Anspruches, den Gott bzw. sein biblisch vermitteltes Wort an die Menschen richtet.“ (393) Insofern findet der Autor in Bachs Kantaten eine Lehrkonformität, eine Liturgieaffinität und einen Erbauungsgehalt vor, der den Alltag der Hörer einbezieht. Jager, Cornelia: Gottesdienst ohne Stufen. Ort der Begegnung für Menschen mit und ohne geistige Behinderung (Behinderung – Theologie – Kirche 11). Kohlhammer: Stuttgart 2018, 367 S., 15 schwarz-weiße Abb. Mit Gottesdienst ohne Stufen ist nicht ein Gottesdienst gemeint, der „für“ Behinderte gefeiert wird, sondern ein Gottesdienst, in dem selbstverständlich behinderte und nicht-behinderte Menschen miteinander Gottesdienst feiern. Jager, die selbst als Pastorin mit Behinderten arbeitet, eröffnet ihre Dissertation mit Annäherungen an das Phänomen der geistigen Behinderung. Es folgt ein Kapitel über das Menschbild aus technologisch-naturwissenschaftlicher, utilitaristischer und christlicher Perspektive. Anschließend wird die Lebenssituation der Menschen mit geistiger Behinderung erfasst, dazu gehören die Lebensphasen, Lebensorte und Wohnformen, dann geht es um die Lebensdimensionen, wozu auch die Religiosität gehört. Ein weiteres Kapitel beschreibt die Begegnung von Menschen mit und ohne geistige Behinderung anhand des Inklusionsprinzips sowie anhand der Einstellungen und Verhaltensweisen, die gegenüber Menschen mit Behinderung zu beobachten sind, danach werden Leitbilder für eine inklusive Gemeinde vorgestellt. Abschließend wird ein Gottesdienst ohne Stufen als Ort der Begegnung für Menschen mit und ohne geistige Behinderung beschrie-

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ben – auch in Auseinandersetzung mit dem Evangelischen Gottesdienstbuch und seinem Kriterienkatalog. Insbesondere werden die Sprache, die Musik und das Abendmahl exemplarisch dargestellt. „Im Rückblick auf alle in dieser Arbeit in Augenschein genommenen Aspekte bezogen auf den Gottesdienst ohne Stufen lässt sich sagen: Da jeder christliche Gottesdienst im Sinne seines Gastgebers, des dreieinigen Gottes, stets inklusiv ist, entspricht der Gottesdienst ohne Stufen mit seinem verstärkten Bemühen um Inklusion dem Wesen eines jeden christlichen Gottesdienstes. Die Gemeinschaft von Menschen in all ihrer Verschiedenheit, zu der auch die Gemeinschaft von Menschen mit und ohne geistige Behinderung gehört, ist den christlichen Kirchen aufgetragen und zugemutet. Sie ist eine ebenerdige und solidarische Gemeinschaft, die sich von Gott getragen und beschenkt weiß. Dass diese Gemeinschaft gelingen kann, darauf darf im Glauben an den menschenfreundlichen Gott, der alle Menschen in seinen Gottesdienst einlädt (vgl. Lk 14,15–24), vertraut werden.“ (330 f) Kaspari, Tobias (Hg.): Raumbildungen. Erkundungen zur christlichen Religionspraxis. FS Stephan Weyer-Menkhoff (Theologie – Kultur – Hermeneutik 26). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 431 S. Die Beiträge dieses Buches, das zu Ehren von Weyer-Menkhoff herausgebracht wurde, gehen der ästhetischen und leiblichen Raumbildung der christlichen Religion nach. Raumbildung wird verstanden als eine menschliche Grunderfahrung. Der Mensch als Leib ist selbst Raum und erfährt so den grundlegenden Zugang zum Phänomen Raum, also zu Sprachraum, Klangraum, Kirchenraum etc. Kaspari führt einleitend in die Raumbildungen ein, danach erkunden die Beiträge katechetische Bildungsräume, liturgische Spielräume, rituelle Zwischenräume, ökumenische Begegnungsräume, ethische Reflexionsräume, gebaute Artefakträume, historische Erzählräume und musikalische Klangräume. In liturgischer Hinsicht seien einige Beiträge erwähnt: Karlo Meyer, Begehung gottesdienstlicher Orte nichtchristlicher Religionen; Hartmut Rupp, Die Kirche als Haus der Liturgie erschließen; Christian Grethlein, Tauffeste als Zugang zum Christsein; Ansgar Franz, Räume zwischen Tag und Nacht – Das Abendgebet als Übergangsritus; Friedrich Wilhelm Horn, Die Taufe im frühen Christentum. Klie, Thomas / Fendler, Folkert / Gattwinkel, Hilmar (hg. im Auftrag des Zentrums für Qualitätsentwicklung im Gottesdienst, Bd. 24): On demand. Kasualkultur der Gegenwart. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2017, 248 S. Der Herausgeber Klie umreißt in seiner Einleitung die neue Sicht auf Kasualien: Immer mehr Kirchenmitglieder verstehen sich als Kunden und nehmen „die Kirche“ als religiöses Dienstleistungsunternehmen wahr. „Man weiß sich schließlich mit seiner Kirchensteuer schon jahrelang in Besitz einer kirchlichen Flatrate. Was also spricht schon dagegen, sie dann auch individuell nach eigenem Gusto in Anspruch zu nehmen?“ (16) Das betrifft nicht nur die vier klassischen Kasualien – es kommen weitere hinzu, wie z. B. Schulgottesdienste, Valentinstag, Gebäudesegnung etc. –, sondern auch die scheinbar unantastbare Predigt: Auch hier werden Mitsprache und Dienstleistung eingefordert. In diesem Rahmen bewegen sich die Beiträge. Sie befassen sich z. B. mit dem Kundenhabitus, mit der Kasualie als Aushandlungsprozess, mit Realbenediktionen, mit Trauerfeiern on demand, mit Kasualien für Konfessionslose etc. sowie mit Liturgiedidaktik und Religionspädagogik. Kopp, Stefan (Hg.): Gott begegnen an heiligen Orten (Theologie im Dialog 23). Herder: Freiburg i. Br. 2018, 428 S., 33 Abb. Die in diesem Buch veröffentlichte Vortragsreihe entstand in Paderborn, weil die 1000-jährige Bartholomäuskapelle und der 950-jährige Dom zu feiern waren. In

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den Vorträgen sind nicht nur katholische Theologen, sondern auch ein evangelischer Theologe, ein Künstler und ein Architekt zu Wort gekommen. Nachdem der Herausgeber in das Buch eingeleitet hat, wird die Vortragsreihe eröffnet mit einem Beitrag vom emeritierten Bischof von Würzburg, Friedhelm Hofmann, der promovierter Kunsthistoriker ist. Es folgen ein Interview mit dem Künstler Norbert Rademacher und ein Beitrag des Architekten Johannes Schilling. Der erste Teil des Buches widmete sich dem Dialog von Kirche und Kunst, der zweite Teil den heiligen Orten in philosophisch-theologischer Perspektive. Dabei geht es um die Phänomenologie des Ortes, um Sakralität, Jerusalem, Kirchenraum in evangelischer Perspektive, Ritual und moderne Gesellschaft, um Alltag als Ort der Gotteserfahrung, die Seele als Ort der Gottesbegegnung, Jerusalem und Rom, Sakralräume, Gebetsräume im öffentlichen Raum. Im dritten Teil geht es um bau- und kunsthistorische Perspektiven, wobei hier die Jubiläumsorte von Paderborn im Mittelpunkt kommen. Kopp, Stefan / Werz, Joachim (Hg.): Gebaute Ökumene. Botschaft und Auftrag für das 21. Jahrhundert? (Theologie im Dialog 24). Herder: Freiburg i. Br. 2018, 485 S., 83 schwarz-weiße und farbige Abb. Anlass zu diesem Buch war die Feier zum 25-jährigen Bestehen des ökumenischen Kirchenzentrums in Sindelfingen-Hinterweil, einem Ort im Gebiet der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Evangelischen Landeskirche Württemberg. Dort feiern katholische und evangelische Christen Tür an Tür Gottesdienste. Nicht nur dieses Projekt, sondern auch andere, ähnliche Bauprojekte werden in diesem Buch gewürdigt und es werden theologische Reflexionen angestoßen, die in Bezug auf die Ökumene in das 21. Jh. weisen sollen. Der Band enthält 22 Beiträge, die aus historischer, systematischer und praktisch-theologischer Perspektive von evangelischen wie katholischen Autoren verfasst wurden. Auch kunsthistorische und musikwissenschaftliche Aspekte kommen zum Zuge. Zuerst werden Beiträge zum jesuanischen Anspruch gelebter Ökumene geboten, wobei es um Einheit, Verschiedenheit, Pluralität etc. geht. Der zweite Teil befasst sich mit gottesdienstlichen Feiern als gemeinsamer Quelle gelebter Ökumene, zunächst aus katholischer, dann aus evangelischer Sicht. Wege zum ökumenischen Singen beenden diesen Teil. Der dritte Teil widmet sich der gebauten Ökumene als Spiegelbild der gelebten Ökumene. Es geht um die vielen Wohnungen im Haus Gottes (Joh 14,2), um liturgietheologische Grundlagen und um die in den Bauten gelebte Ökumene. Der vierte und letzte Teil setzt sich vielfältig mit dem ökumenischen Kirchenzentrum in Sindelfingen-Hinterweil auseinander. Es umfasst eine katholische Franziskuskirche und eine kleinere evangelische Nikodemuskapelle. So wird von beiden Namensgebern aus das Kirchenzentrum reflektiert, anschließend kommen geht es um ähnliche Bauten und ihre Formen. Auch Fragen nach dem Abendmahl und nach den Besonderheiten von katholischer und evangelischer Theologie kommen zum Tragen. Das Buch abschließend würdigen beide Herausgeber gemeinsam das ökumenische Kirchenzentrum und sehen Potenzial für das 21. Jh. Körner, Felix / Thönissen, Wolfgang (Hg.): Vermitteltes Heil. Martin Luther und die Sakramente. Bonifatius / Evangelische Verlagsanstalt: Paderborn / Leipzig 2018, 214 S. Anlässlich des Reformationsgedenkens 2017 haben die Päpstliche Universität Gregoriana in Zusammenarbeit mit dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen und das Johann-Adam-Möhler-Institut eine Tagung veranstaltet, die Martin Luthers Sakramentsverständnis in ökumenischer Perspektive diskutierte. Es kommen neben römisch-katholischen auch lutherische Theologen zu Wort. Kurt Kardinal Koch eröffnet den Band mit einem Beitrag über die Reformation und die katholische Kirche. Danach werden folgende Themen behandelt: die Taufe bei Luther,

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das Sakrament der Buße, Luther und das Bekenntnis, Luther und die Eucharistie (vom lutherischen Bischof Finnlands, Jari Jolkkonen), dann Amt und Ordination bei Martin Luther und in der lutherischen Dogmatik (von Friederike Nüssel), Dienst und Priesterschaft, von Gerhard Kardinal Müller die Kirche als Ort der Rechtfertigung, und von Thönissen wird die implizite und explizite Rezeption des Tridentinums, des Zweiten Vaticanums und Luthers dargelegt. Kunz, Ralph / Zeindler, Matthias (Hg.): Alle sind gefragt. Das Priestertum aller Gläubigen heute (denkMal 9). Theologischer Verlag Zürich: Zürich 2018, 164 S. Es ist gerade die reformierte Tradition der reformatorischen Kirchen, die das Priestertum aller Gläubigen stark in den Mittelpunkt ihres Kirchenverständnisses und ihrer Kirchenpraxis stellt. Dass dieses Konzept Chancen wie auch Schwierigkeiten birgt, wird in der Einleitung von beiden Herausgebern thematisiert: Ohne Laien bzw. ohne Nicht-Theologen würde die Kirche, würden insbesondere reformierte Kirchen und Kirchengemeinden gar nicht funktionieren. Aber es kann auch zu erheblichen Spannungen zwischen Pfarrpersonen und Nicht-Theologen kommen, die schwer aufzulösen sind, besonders dann, wenn das Priestertum aller Gläubigen als eine Infragestellung des Pfarramtes aufgefasst wird. Das Buch möchte zum Priestertum aller Gläubigen ermutigen und zu seinem Verständnis beitragen. Dafür werden einige grundlegende Beiträge abgedruckt, die in das Verständnis des Priestertums aller Gläubigen einführen, dazu Entfaltungen, die sich mit der Partizipation, der Gemeindeleitung und mit den distanzierten Kirchenmitgliedern befassen. Abschließend folgen Konkretisierungen, die Beispiele aufzeigen, wie das Priestertum aller Gläubigen gelingen kann, so z. B. der Kirchensonntag, an dem der Gottesdienst vorrangig von Nicht-Theologen vorbereitet und geleitet wird. Abschließend findet sich ein Kommentar eines römisch-katholischen Theologen und Priesters, der sich aus seiner Sicht mit dem Priestertum aller Gläubigen und mit den dargelegten Beiträgen befasst. Lüstraeten, Martin: Die handschriftlichen arabischen Übersetzungen des byzantinischen Typikons. Zeugen der Arabisierung und Byzantisierung der melkitischen Liturgie (JThF 31). Aschendorff: Münster 2017, 853 S. Oftmals wird der Gebrauch der arabischen Sprache mit Muslimen in Verbindung gebracht und dabei übersehen, dass auch viele Christen die arabische Sprache im Alltag sprechen und für ihr liturgisches und geistliches Leben verwenden. Lüstraeten untersucht für die Melkiten, wie der Übergang zur arabischen Sprache geschah. „Melkiten“ ist eine Sammelbezeichnung für die im Libanon und Syrien beheimatete rūm-orthodoxe Kirche und die melkitische griechisch-katholische Kirche (die mit der römisch-katholischen Kirche uniert ist), die eine gemeinsame Geschichte haben. Lüstraeten beantwortet mit seiner Untersuchung die Fragen, „seit wann die Melkiten Arabisch sprechen und seit wann sie ihre Liturgie auf Arabisch feiern. Wie vollzog sich dieser Prozess der Arabisierung und welche äußeren Umstände waren jeweils Impulsgeber für die Entwicklung? Analog muss nach der Byzantinisierung gefragt werden: Seit wann feiern die Melkiten nach dem Byzaninischen Ritus? Wie vollzog sich dieser Prozess der Byzantisierung? Und welche äußeren Umstände waren jeweils Impulsgeber für die Entwicklung? Und mit dem Blick auf die Erkenntnisse zu diesen beiden Prozessen wäre weiterhin zu fragen, wie sich die Prozesse von Arabisierung und Byzantisierung zueinander verhalten. Wer waren jeweils die Träger und wo sind sie geographisch zu lokalisieren? Was waren jeweils ihre leitenden Prinzipien? Wer hat die liturgischen Bücher an den Byzantinischen Ritus angepasst und ins Arabische übertragen und für wen?“ (20) Im ersten Teil werden die historische Entwicklung

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der Sprache und der Ritus der Melkiten einschließlich der kulturellen und politischen Umstände dargelegt. Im zweiten Teil werden die „bisher bekannten jedoch nicht edierten arabischen Übersetzungen des byzantinischen liturgischen Typikons“ verglichen (21) Ein Typikon enthält liturgische Ordnungen: Das Proprium der Tagzeitenliturgie und der Eucharistiefeier, Perikopenlisten, Kalender, Rubriken für Ordinarium und Proprium, ggf. Ernährungsvorgaben, Incipits für proprietäre Texte aus verschiedenen liturgischen Büchern, auch ein Vorwort des Redaktors und evtl. auch Kommentare zur Liturgie. Lüstraeten bietet hier auch zahlreiche arabische Texte in deutscher Übersetzung. So zeigt er auf, dass die syrische oder griechische Sprache wohl aus Anpassungsgründen als Gottesdienstsprache ersetzt wurde, auch wenn dieser Prozess langsam voranschritt. „Erst als die Mamlūken als arabisierte Nicht-Araber die Herrschaft übernahmen und diese die gesellschaftliche Integration über die Religion und über die Sprache suchten statt über die Ethnie, erfolgte die Arabisierung der Liturgie der Melkiten, die sich nun durch ihre Religion von der Gesellschaft abhoben und somit durch Betonung der gemeinsamen Ethnie und Sprache der sozialen Marginalisierung zu entkommen suchten. Dieser Prozess war nicht koordiniert und ereignete sich dezentral.“ (818) Entsprechend umstritten ist dieser Prozess offenbar auch immer wieder gewesen. Die Byzantisierung der Liturgie lässt sich allerdings so erklären, dass man in dieser Situation der Marginalisierung die Nähe zu Konstantinopel bzw. Byzanz suchte, um einen gewissen starken Gegenpart zum dominierenden Islam zu erlangen. Lutz, Samuel: Ulrich Zwinglis Spiritualität. Ein Beispiel reformierter Frömmigkeit. Theologischer Verlag Zürich: Zürich 2018, 159 S. Lutz zeichnet anhand der Schriften und Zeugnisse von Zwingli dessen Frömmigkeit nach. Der Zugang zu Zwinglis Spiritualität wird von ihm selbst gelegt, da, wie Lutz betont, Zwingli „seine theologischen Ausführungen jeweils mit Erwägungen über die Beziehung von Gott und Mensch beginnt und erst von diesem Ansatz her weiterschreitet zu den Lehrstücken, die es je nach Situation oder Adressaten zu verhandeln gilt.“ (10) Darum beginnt Lutz seine Darstellung mit der Spiritualität des persönlichen Lebens in Bezug auf Gott, Christus und Heiligen Geist. Es folgt die Spiritualität des kirchlichen Lebens, hier kommen der Gottesdienst und weitere geistliche Dinge (wie Heiligenverehrung, Gebet für Verstorbene, Reliquien etc.) vor. Die Spiritualität des politischen Lebens umfasst das Reich Gottes, Kirche und Staat und die humane Gesellschaft. Abschließend wird die Spiritualität des alltäglichen Lebens dargestellt. Alle Bereiche werden von Lutz zusammengeführt mit einer Betrachtung des Gebets z. B. im kirchlichen oder politischen Leben. Damit wird deutlich, dass Zwingli in seinem Denken und seiner Spiritualität ausgeht von der Beziehung zu Gott. Marburger Jahrbuch Theologie, Bd. 30: Gottesdienst, hg. v. Gräb-Schmidt, Elisabeth /  Preul, Reiner. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, XXX, 145 S. Konrad Stock führt in seiner Einleitung in das Thema Gottesdienst ein und stellt die Beiträge vor. Es handelt sich um vier zum Teil grundlegende Beiträge. Michael Wolter stellt das neutestamentliche Christentum und seinen Gottesdienst in der Weise dar, dass der Begriff Gottesdienst als eine soziale Institution aufzufassen ist. Zu dieser Institution gehören die gemeinsame Mahlzeit, das Gebet und die Christus-Gemeinschaft untereinander. Der christliche Gottesdienst ist von Anfang an außeralltäglich. Er steht in Spannung zum Alltag, in dem die Christen ja auch leben, so dass sich das Christentum von einer Gottesdienstreligion in eine Alltagsreligion verwandelte. ­Eilert Herms behandelt das Thema: Cultus Deorum / Cultus Dei veri – aus christlicher Perspektive. Zwischen wahrem und falschem Kult wird unterschieden im Hinblick auf das Ursprungsverhältnis, in dem sich jeder Mensch befindet und deutet.

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Für Christen ist es die Christusoffenbarung: „Wie die christliche Religion ist auch der christliche Cultus gestiftet durch die Selbstoffenbarung des Wesenswillens des Schöpfers in seiner Inkarnation in Jesus Christus durch den Heiligen Geist und somit in sich selbst nichts als die Feier dieser seiner Stiftung. Der christliche Cultus feiert den Ursprung des christlichen Glaubens und der Gemeinschaft im christlichen Glauben, indem er ihn bekennt und verkündigt: eben als die Selbstoffenbarung des Wesenswillens des Schöpfers in Jesus Christus durch den Heiligen Geist, der als ewiges selbst-offen­ barsein-Wollen-des-schaffenden-Personseins-für-das-geschaffene-Personsein die Welt-des-geschaffenen-Personseins als das Medium seiner Gemeinschaft mit dem geschaffenen Personsein unirritierbar auf ihr eschatisches Ziel (die vollendete und d. h. versöhnte Gemeinschaft der Menschen mit Gott) hin schafft und erhält.“ (43 f, erster Satz im Original kursiv). Cornelia Richter referiert über den Gottesdienst als Resonanzraum für Gottessehnsucht und Gottespräsenz. Sie stellt als Desiderat fest, dass – wie schon oft gefordert – das Thema Gottesdienst sowohl systematisch-theologisch als auch praktisch-theologisch intradisziplinär zu bewältigen sei. Sie formuliert als Ausblick, dass ekklesiologische Grundfragen ebenso wie praktische Fragen der gegenwärtigen Lebenssituation zu beachten sind. Eine Dogmatik sei dann nicht mehr eher abstrakt, sondern an den Lebensfragen der Menschen heute zu orientieren. In diesem Sinne setzt sie sich abschließend mit Melanchthon und mit der Gottesdienstlehre von Meyer-Blanck auseinander. Reiner Preul legt Überlegungen zur Morphologie und zum Erleben des evangelischen Gottesdienstes vor. Er geht von folgender Aussage Schleiermachers aus: „Der Cultus soll immer eine Darstellung des christlichen Lebens sein, wie es wirklich ist.“ (99) Darstellung versteht Preul funktional im deskriptiven und performativen Modus. Deskriptiv werden die Elemente des Gottesdienstes in reflektierender Vergegenwärtigung gewürdigt, performativ geht es um die Gemeinschaft mit Jesus Christus selbst, was ein Selbstzweck ist. Auf den Schluss des Schleiermacher-Satzes – wie es wirklich ist – geht er insofern ein, als nun auch diese Normativität von Gewicht ist, da es sich um ein durchdachtes christliches Wirklichkeitsverständnis handelt. Im zweiten Teil des Beitrags geht es um die Bedeutung der humanwissenschaftlichen Ansätze, die versuchen, den Gottesdienst zu erklären, obwohl das eigentliche Geschehen gar nicht erklärbar ist. Mohn, Jörg: Osternacht. Spiegel und Impulsgeberin eines veränderten evangelischen Gottesdienst- und Liturgieverständnisses (Ästhetik – Theologie – Liturgik 69). LIT: Berlin 2018, 397 S. Mohn stellt zunächst die Entwicklung der Osternacht von ihren Anfängen bis zur Gegenwart dar, um dann an fünf evangelischen Gemeinden zu demonstrieren, wie dort die Osternacht zum Teil ganz unterschiedlich gefeiert wird und wie sie sich auf die Gottesdienst- und Festpraxis des Osterfestes auswirkt. Anschließend fragt er, was eine evangelische Osternachtsfeier auszeichnet. Zuerst werden Kriterien und Kennzeichen einer evangelischen Osternachtsliturgie erhoben, wie sie von Christhard Mahrenholz und Karl-Bernhard Ritter formuliert und in Osternachtsformularen umgesetzt wurden und wie sie das Evangelische Gottesdienstbuch von 1999 in seinen Grundsätzen zum Ausdruck bringt, danach werden einige (private) Modelle aus der Literatur vorgestellt. Abschließend wird für eine umfassende Analyse jene der fünf schon kurz dargestellten Osternachtsfeiern ausgewählt, die Mohn in den Rahmen einer theatralen Liturgik einordnet und die ökumenisch-hochliturgisch bestimmt ist. Mohn urteilt, dass eine Untersuchung von Osternachtsfeiern mit theatralen Untersuchungskonzepten „sinnvoll und ertragreich sein dürfte“ (227). Im letzten Kapitel fasst er für die evangelische Liturgiewissenschaft und Gottesdienstkultur folgende

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Ergebnisse zusammen: Die Osternacht ist ein ökumenisches Projekt, ein exemplarisches Spielfeld der Gemeinde, sie ist Erlebnis und Event, sie ist eine liturgische Feier und hat Bedeutung für eine praktische Theologie des Osterfestes, sie ist eine theatrale Gestaltwerdung des christlichen Glaubens. Navon, Moshe / Söding, Thomas: Gemeinsam zu Gott beten. Eine jüdisch-christliche Auslegung des Vaterunsers. Herder: Freiburg i. Br. 2018, 174 S. Moshe Navon ist (liberaler) Landesrabbiner in Hamburg und hat einige Zeit am neutestamentlichen Lehrstuhl von Thomas Söding verbracht. Aus dieser Zeit stammt die Idee, eine gemeinsame Auslegung des Vaterunsers zu verfassen; denn Jesus hat als Jude seinen jüdischen Jüngern dieses Gebet gegeben. Das Buch fängt schon in einem besonderen Sinn „schön“ an, weil sich der Text des Vaterunsers in deutscher Sprache, dann in griechischer, aramäisch syrischer Peshitta, hebräischer und lateinischer Sprache abgedruckt findet. Es folgt eine Synopse mit Vaterunser und Amida und Kaddisch. Alle weiteren Kapitel sind jeweils von beiden Autoren mit einem eigenen Textbeitrag versehen worden. Drei einleitende Kapitel legen das christliche / das jüdische Beten, das Beten als Erneuerung des Bundes / als lebendige Nachfolge Jesu, das Beten als Klang der Evangelien / in der Gottesliebe Israels dar. Anschließend werden die Vateranrede, die sieben Bitten und der Lobpreis des Vaterunsers von den Autoren ausgelegt. Zuletzt folgt ein Kapitel über das gemeinsame Beten als Quelle des Friedens. In ihrem Vorwort schreiben diee Autoren: „Im Vaterunser fließt das Herzblut Jesu, den Juden als ihren Bruder erkennen und Christen als ihren Messias erkennen können. Eine jüdisch-christliche Exegese des Vaterunsers ist religiöse Herzensbildung. Wenn das Buch in einem solchen Geist gelesen werden könnte, wären wir froh.“ (11) Parsch, Pius: Laienrituale – Das Buch des Lebens. Neu eingeleitet von Manfred Probst (Pius-Parsch-Studien 13). Herder: Freiburg i. Br. 2016, 334 S. Parsch war bemüht, die Liturgie der Kirche den Laien nahezubringen. „Sein Ziel war es, die Feier der Liturgie zum Lebensquell des christlichen Volkes zu machen.“ (7) Darum wurde das Buch von Parsch ein Lebensbuch genannt. Er hat darin die wichtigsten Gebete und Handlungen, die mehrheitlich für den Priester bestimmt waren, in die deutsche Sprache übersetzt und so ein Aneignen und Verstehen der Liturgie ermöglicht, da ja die Riten zu Parsch Zeiten in lateinischer Sprache vollzogen wurden. Manche deutsche Übersetzung ist nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil sogar in die offiziellen deutschen Übersetzungen der Messbücher etc. eingegangen. Folgende Liturgien hat er aufgenommen: Taufe, Firmung, Eucharistie, Buße, Brautmesse, Hausund Wohnungsweihe, Prim als Arbeitsweihe und Komplet als Nachtgebet, Gebete zu besonderen Anlässen, Gebete im Kreislauf des Jahres, Krankensegnung, Sterbebegleitung, Bestattung, Totenmesse. Manfred Probst hat eine Einführung verfasst, die die Erstausgabe von 1932 mit der von 1939 vergleicht und inhaltlich die einzelnen Teile und Texte würdigt. Nach dieser Einführung findet sich das Buch von Parsch als Faksimile abgedruckt. Parsch, Pius: Breviererklärung. Mit einer Einführung von Alexander Zerfaß (PiusParsch-Studien 15). Herder: Freiburg i. Br. 2018, 511 S. Pius Parsch wollte das Brevier, das Gebetbuch der katholischen Kirche, zum Gebetbuch des katholischen Volkes machen. Zerfaß führt in die Breviererklärung von Parsch ein, zeigt seine Vorzüge und Grenzen ebenso auf wie seine bleibende Relevanz, denn nach dem Zweite Vatikanische Konzil wurde im Zuge der Liturgiereform mit der Liturgia Horarum ein erneuertes Brevier 1971 geschaffen. Das vorkonziliare Brevier wird allenfalls in der außerordentlichen Form des Römische Ritus wieder in Gebrauch genommen. die Breviererklärung von Parsch wird danach als Faksimile wieder ab-

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gedruckt. Im ersten Teil legt Parsch die Grundlagen für das Verständnis des Breviers dar, im zweiten Teil werden die einzelnen Elemente des Breviergebets erklärt, um im dritten Teil, der überschrieben ist mit „Geist“, die geistliche Bedeutung der Horen im Allgemeinen und dann auch der besonderen Horen am Sonntag und zu den Kirchenjahreszeiten zu beschreiben. Redtenbacher, Andreas (Hg.): Liturgie als Gnade und Rechtfertigung. Pius Parsch und die Liturgische Bewegung in ökumenischer Perspektive (Pius-Parsch-Studien 14). Herder: Freiburg i. Br. 2018, 165 S. Im Zusammenhang des Reformationsgedenkens 2017 wurde über die ökumenische Bedeutung des Wirkens von Pius Parsch nachgedacht. So werden in diesem Buch die Anfänge der Ökumenischen Bewegung und die interkonfessionelle Begegnung ebenso hervorgehoben wie die ökumenischen Dimensionen im Denken und Wirken von Pius Parsch. Zwei evangelische Theologinnen beleuchten diesen Zusammenhang aus evangelischer Perspektive: Dorothea Haspelmath-Finatti stellt Liturgie, Bibel und Gnade bei Martin Luther und Pius Parsch vor, da ja beide – wenn auch über vier Jahrhunderte getrennt – im Kloster von Liturgie und Bibel geprägt worden sind. Katharina Wiefel-Jenner stellt die jüngere liturgische Bewegung in der evangelischen Kirche des 20. Jh.s vor. Rudolf Pacik legt dar, wie sich seit Prosper Guéranger (1805–1875) bis hin zur Gegenwart die liturgische Bewegung in der katholischen Kirche entwickelte. Schirr, Bertram J.: Fürbitten als religiöse Performance. Eine ethnographisch-theologische Untersuchung in drei kontrastierenden Berliner Gottesdienstkulturen (APrTh 70). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 414 S. Dass Fürbitten im Gottesdienst mehr sein können als ein Abarbeiten von in Sprache gebrachte Notständen, zeigt Schirr mit dieser Dissertation auf. Er deutet das Fürbittengebet als eine Performance, die nicht nur von den leitenden Personen, sondern von allen Beteiligten produziert wird. Dafür befasst er sich mit den Fürbitten bzw. Interpretationen des Fürbittengebets in der liturgiewissenschaftlichen Literatur und mit den Performancetheorien. Anhand von drei Gemeinden, darunter zwei ganz nicht-traditionelle, schildert Schirr das Fürbittengebet als Teilnehmender und vertieft das Verständnis durch Interviews. Dabei geht es nicht vorrangig um die Gebetstexte, sondern um die Körperformierung, um die Kollektivbildung, um die Machtfrage, um den Gottesbezug etc. So kann festgestellt werden, dass die Betenden nicht einfach das „nachmachen“ oder „mitbeten“, was sich die Leitenden erdacht oder vorgestellt haben. Sie sind nicht einfach Zuschauer, sondern sind selbst Performer. Es findet eine horizontale Koordination durch die Körper statt, eine weitere Koordination dadurch, dass Gott und Menschen in Not vergegenwärtigt werden, und es ereignet sich eine Integration von Differenz und Pluralisierung durch die Gottesbezüge der Betenden. So wird von Schirr das Wissen der Gemeinde nicht als Nichtwissen abgewertet. „Liturgen und Liturginnen werden in dieser Sichtweise nicht zu Pädagogen und Pädagoginnen, sondern kanalisieren und leiten die Anwendung von explizitem und implizitem Wissen, das vor ihnen schon da war, unabhängig von ihnen weitergegeben und für eine Interaktion mit Gott eingesetzt wird. (…) Sie sind Mediatoren oder Katalysatoren für das, was schon vor sich geht und was nicht erst sie einbringen. Leitende unterbrechen und irritieren die Gemeinde, kitzeln aus den Betenden das, wozu sie in der Lage sind, heraus und zeigen, was sie können. Sie können durch Irritationen die Gottesbilder herausfordern, die in der Körperversammlung ‚feststecken‘. Ihre Arbeit ist mäeutisch; sie vermitteln nichts, sie helfen den Betenden, ihre Gottesbegegnung hervorzubringen.“ (395)

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Schubert, Anselm: Gott essen. Eine kulinarische Geschichte des Abendmahls. Beck: München 2018, 271 S., 28 schwarz-weiße Abb. Schubert eröffnet seine Darstellung der kulinarischen Geschichte von Brot und Wein mit der Schilderung eines kulinarischen Experiments: Die Sommelière eines Sterne-Restaurants in München sollte Weine beurteilen, die für die katholische Eucharistiefeier verwendet werden. Ihr Urteil fiel meist vernichtend aus – nicht angemessen, um das kostbare Blut Christi zu sein. „Der Herrgott hat in meinen Augen doch etwas Besseres verdient.“ (11) So verbindet Schubert das alte Fach Kirchengeschichte mit der neueren Disziplin Food History. Denn über Brot und Wein, über ihre Beschaffenheit, über das Verständnis, wer es essen und trinken darf und wer nicht, sind nicht nur heftigste Auseinandersetzungen geführt worden, sondern auch Bruchlinien der Kirchenentwicklungen zu entdecken. Gleichwohl erhielten die Abendmahlselemente kaum wissenschaftliches Interesse: „Da die Geschichte der Abendmahlselemente von der Forschung bis heute weitgehend ignoriert wurde, muss man sich die meisten Informationen aus liturgischen Überlieferungen, Landesgeschichten, historischen Anekdoten, Spezialstudien zur deutschen Brotgeschichte oder zu norditalienischen Bergkirchen, aus Memoiren französischer Önologen und portugiesischer Missionare, Kochbüchern, Zeitungsberichten oder polynesischen Fachzeitschriften zusammensuchen.“ (17) Die Darstellung der Geschichte von Brot und Wein wird dreigeteilt: Brot und Wein der ersten Christen, dann der Kirche (Mittelalter), abschließend Brot und Wein des Glaubens (Reformation und Neuzeit). Zur Sprache kommen auch andere Kontinente und andere Kulturen, in denen Brot und Wein gegen heimische Lebensmittel getauscht wurden – oder eben auch nicht. Schwindt, Rainer: Der Gesang der Engel. Theologie und Kulturgeschichte des himmlischen Gottesdienstes. Herder: Freiburg i. Br. 2018, 395 S., 21 farbige Abb. Der Engelsgesang zur Inkarnation Jesu ist einzigartig, weil die Engel, die seit Beginn der Schöpfung Gott preisen, ihren Platz im Himmel verlassen und ihr Lob unter den Menschen anstimmen. So stimmen Menschen bis heute ein in das Gloria in excelsis Deo. Schwindt legt im ersten Teil seines Buches die Ursprünge und die Geschichte des himmlischen Gottesdienstes dar. In fünf Kapiteln zeigt er die frühjüdischen und paganen Wurzeln der Engelvorstellung auf und erläutert in vier Kapiteln, wie sich diese Vorstellung in der christlichen Liturgie, Mystik und Frömmigkeit bis zur Zeit Dantes weiter entwickelt hat. Dabei können Diskurse über das Wesen und die Offenbarung Gottes nicht unberücksichtigt bleiben. Im zweiten Teil, der sich der Perspektiven der Systematischen Theologie annimmt, kommen raumphänomenologische Aspekte ebenso vor wie Perspektiven der Prozess- und Systemphilosophie. Da wird Erik Peterson wie auch Karl Barth, Michael Welker wie Alfred North Whitehead aufgeführt, Rainer Maria Rilke als Dichter sowie Theologen, die in Aufnahme der Systemtheorie Luhmanns ihre Angelologie formulieren. Das Buch schließt mit der Engel letztem Wort, mit jenem Gloria, das sie zur Heiligen Nacht anstimmten. Söding, Thomas (Hg.): Führe uns nicht in Versuchung. Das Vaterunser in der Diskussion. Herder: Freiburg i. Br. 2018, 188 S. Im Fernsehinterview eines italienischen Senders sagte Papst Franziskus im Dezember 2017, dass er die französische Neuübersetzung der sechsten Vaterunserbitte und führe uns nicht in Versuchung positiv beurteile. Weiter führte er aus, dass Gott nicht in Versuchung führe. Es sei der Satan, der in Versuchung führe, und Gott reiche einem die Hand in dieser Versuchung. Denn so tue es ein Vater, der aufhilft (98). Die französische Übersetzung – es ist mittlerweile die dritte Änderung binnen 50 Jahren – lautet nun: Ne nous laisse pas entrer en tentation! (98) Die päpstliche

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Äußerung hat zu allerhand Diskussionen geführt, auch in Deutschland. Sowohl die Deutsche Bischofskonferenz als auch der Rat der EKD haben sich dahingehend geäußert, dass sie die jetzige deutsche Übersetzung der Vaterunserbitte nicht ändern werden. Denn alle Exegeten bestätigen, dass diese Übersetzung aus dem griechischen Urtext nach Matthäus und Lukas durchaus richtig ist. In jedem Fall wird Gott hier als Subjekt der Handlung gesehen.Das Buch legt ganz unterschiedliche Blickwinkel auf die sechste Vaterunserbitte und auf die Papstäußerung dar. Söding als Herausgeber führt eher meditativ in das Thema ein, dann folgen Texte von Altund Neutestamentlern, systematischen und praktischen Theologen, auch von einem Liturgiewissenschaftler. Sie setzen sich dabei nicht allein mit der Übersetzungsfrage auseinander, sondern ebenso intensiv mit der damit verbundenen Gottesfrage bzw. Gottesvorstellung und der Tiefe des Glaubens, die sich in dieser Bitte äußert und darstellt. Sparre, Sieglinde: Bestatten in Kirchen. Eine praktisch-theologische Interpretation gegenwärtiger Kirchenkolumbarien und Urnenkirchen (PTHe 145). Kohlhammer: Stuttgart 2018, 323 S. So manches Kirchengebäude, das nicht mehr als Gottesdienstgebäude gebraucht wurde, ist zu einem Kolumbarium umgewidmet worden: Statt auf einem Friedhof werden dort Urnen beigesetzt. Neben dem Begriff Kolumbarium hat sich auch die Bezeichnung Grabeskirche oder Urnenkirche gebildet. Sparre verwendet in ihrer Dissertation bewusst das Kompositum Kirchenkolumbarium: „Dieses Kompositum soll die spätmoderne Melange sakraler Sepulkralarchitektur insofern spezifizieren, als es auf Antikenrezeption und kirchliche Bestattungstradition verweist, die innovativ fortgeschrieben werden.“ (10) Die ersten Kirchenkolumbarien sind zwischen 2004 und 2006 geschaffen worden (nachdem 2004 die Bestattung in Kirchen in Deutschland wieder erlaubt wurde). Die zweite Generation solcher Kirchen konnte an die Erfahrung der ersten Generation anknüpfen, so dass in Bezug auf die Architektur, Ästhetik, pastorale Konzeption, Bestattungsliturgie und poimenische Nutzung der Umgang mit der Urne, den Prinzipalstücken oder Prozessionen weiterentwickelt wurde. Die dritte Generation der Kirchenkolumbarien führt diese Entwicklung wieder zurück in ein parochiales Konzept. Die Erinnerungskultur wird wieder bewusst öffentlich begangen, nachdem manches Kolumbarium nur den engsten Familienangehörigen zugänglich gewesen war. Sparre hat im Juni 2015 als Bestand zwei altkatholische, achtzehn katholische und acht evangelische Kirchenkolumbarien gezählt. Die Urnen werden in Urnenkammern beigesetzt und nach Ablauf der Ruhezeit (je nach Friedhofsordnung z. B. nach 25 Jahren) in ein Sammelgrab in der Kirche überführt, das als Ewige Ruhe bezeichnet wird. In einem abschließenden Kapitel geht Sparre der Frage nach, inwieweit Kirchenkolumbarien eine christliche Erinnerungskultur konstituieren, und stellt die anamnetischen Aspekte dieser Bestattungsform dar. Sie reflektiert gedächtnistheoretische Konzepte von Maurice Halbwachs, Aby Warburg und Pierre Nora (aus den 1980er Jahren), das kulturelle und kommunikative Gedächtnis von Jan Assmann sowie das kultursemiotische Modell von Astrid Erll. So können Kirchen­kolumbarien als mnemische Energiekonserven oder mnemische Deutungskonserven angesehen werden. Gotteshäuser und Kirchenkolumbarien lassen sich als anamnetische Räume verstehen. „Sie evozieren über ihre materiellen und rituellen Objektivationen Erinnerungsprozesse, die Leben und Wirken Jesu Christi vergegenwärtigen, Ereignisse der Kirchen- und Regionalgeschichte, auch individuelle Glaubensbiographien. (…) Nicht zuletzt stehen sie aber auch für das individuelle memento mori.“ (292)

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Steiger, Johann Anselm (Hg.): Das Gebet in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit (Theologie – Kultur – Hermeneutik 25). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 253 S., 54 schwarz-weiße Abb. Zum Gebet in der Frühen Neuzeit werden hier unterschiedliche Fallstudien zusammengestellt, die von Bibelwissenschaftlern sowie Theologie-, Literatur- und Kunsthistorikern verfasst wurden. Es werden z. B. auch entsprechende visuelle Bildwerke vorgestellt. Die Autoren befassen sich mit den Psalmen und dem Vaterunser; Bilder von Albrecht Dürer werden als Auslegung gedeutet. Die Gebetstheorien von Conrad Celtis (1459–1508), Erasmus, Melanchthon und Abraham Scultetus (1566–1624), auch Lyrik und Gebet im italienischen 16. und 17. Jh. werden vorgestellt. Steiger setzt sich mit Martin Luthers Theologie des Gebets auseinander. Die visuelle Poesie in Andachts- und Gebetsliteratur wird ebenso dargelegt wie auch der katholische, gemalte Kultus in Antwerpen um 1600. Mit vielen Bildern ausgestattet ist der Beitrag über das Cabinet des Pères du Désert im Château Gaillard in Vannes (Morbihan): In diesem Raum sind 57 Gemälde zu sehen, die etwa zu einem Drittel das Beten als Hauptmotiv zeigen. Steinmetz, Uwe / Deeg, Alexander (Hg.): Blue Church. Improvisation als Klangfarbe des Evangelischen Gottesdienstes (Beiträge zu Liturgie und Spiritualität 31). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 314 S. Jazzmusik ist im (traditionellen) Gottesdienst in Deutschland eher selten anzutreffen. Ebenso selten ist das Improvisieren, sei es musikalisch oder textlich, zu erleben. Vielmehr wird (fast) alles für den Verlauf der Liturgie festgelegt. Das war nicht immer so: Von den Anfängen der Kirche an wurde bis ins 18. Jh. hinein offenbar bewusst auf die Improvisation gesetzt, und die heutige Erfahrung mit allzu festgelegten Liturgien zeigt, dass sie eine zu starre und nicht mehr situationsflexible Gestaltung des liturgischen Erlebens zur Folge haben. Insofern kann auch der Jazz als Klangfarbe zu mehr Improvisation Mut machen. Im ersten Teil des Buches werden dazu sieben Beiträge aus der Perspektive der Theologie abgedruckt, die Erfahrungen mit dem Improvisieren in textlicher und musikalischer Hinsicht reflektieren. Es folgen sechs Werkstattberichte und anschließend Perspektiven aus der Musik, die von sechs Berufsmusikern verfasst wurden, die ihrerseits Erfahrungen mit entsprechenden Gottesdiensten gemacht haben. Das Buch wird mit Rück- und Ausblicken beschlossen; die beiden Herausgeber argumentieren fundamentalliturgisch und auf die Zukunft bezogen in Thesen, dass z. B. Improvisieren eine andere Dimension des Gottesdienstes oder des eigenen Lebens, und dies in Auseinandersetzung mit der Gegenwartskultur, aufzeigen kann. „Diese Publikation führt mit ihren Beiträgen musiktheologische, sozio-kulturelle und musikpsychologische Perspektiven von jazzbegeisterten Theologen und religiös inspirierten Musikern zusammen und möchte Inspiration für die liturgische Praxis bieten.“ (14) Stuflesser, Martin / Geldhof, Joris / Theuer, Andy (Hg.): „Ein Symbol dessen, was wir sind“ Liturgische Perspektiven zur Frage der Sakramentalität (Theologie der Liturgie 13). Friedrich Pustet: Regensburg 2018, 192 S. In diesem Band werden die wichtigen Vorträge zum Abdruck gebracht, die bei der Tagung der Societas Liturgica im August 2017 in Leuven (Belgien) gehalten wurden. Die Tagung befasste sich mit dem Thema Sakrament und Sakramentalität. Der Band enthält auch das Tagungsprogramm, die Eröffnungsrede des Kongresses und die Predigt des Abschlussgottesdienstes sowie eine Liste der in Arbeitsgruppen gehaltenen Vorträge und das den Kongress abschließende Congress Statement. Die Vorträge wurden in sieben Forschungsachsen gehalten: Forschungsachse 1 befasste sich mit interdisziplinären Perspektiven der Sakramentalität unter der besonderen Berück-

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sichtigung von Philosophie und Kulturtheorie. Forschungsachse 2 setzte sich mit Sakramentalität und Sakralität auseinander unter Einbeziehung der Anthropologie, Religionswissenschaft und der Ritual Studies. Forschungsachse 3 beschäftigte sich mit der Sakramentalität in Schrift und früher Christenheit in bibelwissenschaftlicher und kirchengeschichtlicher Hinsicht. Forschungsachse 4 befasste sich mit Sakramenten und Liturgie aus systematisch-theologischer und theologiegeschichtlicher Perspektive. Forschungsachse 5 widmete sich aus ökumenischer Sicht den Auseinandersetzungen um Sakramente und Sakramentalität. Forschungsachse 6 widmete sich der Sakramentalität und Pastoral-Liturgik aus praktisch-theologischer Sicht. Forschungsachse 7 setzte sich mit Sakramentalität, Heil, Heiligkeit und Heiligung aus liturgietheologischer und liturgisch-spiritueller Perspektive auseinander. In diesen Rahmen eingebunden drehten sich die Hauptvorträge um Ritual und Sprache, um Liturgie, die zwischen Lebenswirklichkeit und Glaubenswahrheit platziert ist, um Offenbarung der Göttlichkeit und der Menschlichkeit Gottes, um Sakramente und die globalen Realitäten, auch in den nicht-westlichen Christentümern, um Sakramente in der postsäkularen und postchristlichen Welt. Stuflesser, Martin / Weyler, Tobias (Hg.): Liturgische Normen. Begründungen, Anfra­ gen, Perspektiven (Theologie der Liturgie 14). Friedrich Pustet: Regensburg 2018, 262 S. Die Vorträge eines Forschungskolloquiums im Rahmen des DFB-Projekts „Liturgische Akteure: Normen und ihre gottesdienstliche Praxis“ werden in diesem Band dokumentiert. Für die römisch-katholische Kirche gilt, dass die Liturgie, wie sie in den entsprechenden Messbüchern etc. steht, für die Priester und Liturgievorsteher etc. vor Ort normativ ist und dass nur Papst oder Bischöfe Veränderungen vornehmen dürfen. Die tatsächliche Praxis sieht anders aus, und das Forschungsprojekt will diesen Sachverhalt ergründen: „Wenn Liturgie und ihre normativen Vorgaben durch liturgische Akteure abgeändert werden, dann geschieht dies keinesfalls beliebig, sondern sehr bewusst. Der wissenschaftlichen Ergründung und dem Verstehen-Wollen der Motive, die zu einer solchen Abänderung von liturgischen Vorgaben und Normen führen, dient unser Forschungsprojekt“ (10). Nach einführenden Beiträgen wird in weiteren Beiträgen die Begründung dieser Normen historisch, dogmatisch, rechtlicher und praktischer Sicht beleuchtet. Anschließend werden Anfragen formuliert: welches Normverständnis haben die Akteure, welche die Bedeutung hat die liturgische Theologie für die normative Ordnung, welchen Einfluss nimmt die Gesellschaft auf die Feierform, was bedeutet die Persönlichkeit des liturgischen Akteurs für die Feier und ihrer Norm, und abschließend: Gibt es auch in den Ostkirchen liturgische Reformen und wie verhält sich dazu das Normverständnis? Im Schlussteil werden Perspektiven für die Pastoralliturgie in den Gemeinden genannt, wie sich religiöse Ritualität in der Postmoderne darstellt und welche Akzeptanz katholische Liturgie in der öffentlichen, medialen Wahrnehmung hat. Theißen, Gerd: Veränderungspräsenz und Tabubruch. Die Ritualdynamik urchristlicher Sakramente (Beiträge zum Verstehen der Bibel 30). LIT: Berlin 2017, 482 S. Theißen verbindet in den Beiträgen dieses Buches exegetische und humanwissenschaftliche Ansätze miteinander. Insbesondere die Erkenntnisse der Ritualwissenschaft werden in allen Beiträgen herangezogen. Im ersten Kapitel führt Theißen in die Ritualkulturen ein: religiöse und akademische, dann die protestantische und anschließend die katholische Ritualkultur. Das zweite Kapitel befasst sich mit Ritualtheorie und Ritualtheologie, wobei Theißen den Blick von innen und den Blick von außen kombiniert. Es geht um die Sakramente und damit zugleich um die Körpersprache, um Gottes Gegenwart, um Tabubruch. Das dritte Kapitel stellt im Hinblick auf die

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Ritualdynamik und den Ritualwandel den vergessenen Zauber des Anfangs für die Taufe und das Abendmahl heraus. Das vierte Kapitel hebt die prägende Kraft des Anfangs hervor, weil die Rituale des Urchristentums eine Transformation geleistet haben. Das fünfte und letzte Kapitel widmet sich der Ritualpraxis der Gegenwart. Theißen bietet einen katechetischen Entwurf zu Taufe und Abendmahl, eine Taufmeditation zur Taufe im Urchristentum und in der Gegenwart, eine Erörterung zum Sinn des Abendmahls und eine eigene Abendmahlsliturgie. Abschließend werden zusammenfassende Gedanken zur Ritualtheorie urchristlicher Sakramente geboten. Von dem insgesamt 18 Beiträgen sind die meisten in den letzten zehn Jahren entstanden; Theißen hat alle überarbeitet, vier durchgesehen und acht ganz neu geschrieben; sechs wurden erstmals in diesem Band publiziert. Volgger, Ewald / Wegscheider, Florian (Hg.): Urne wie Sarg? Zur Unterscheidung zwischen Erd- und Feuerbestattung (Schriften der Katholischen Privat-Universität Linz 5). Friedrich Pustet: Regensburg 2018, 128 S. In Deutschland sind mittlerweile mehr als die Hälfte der Bestattungen Urnenbestattungen. Ab 1963 wurde für die römisch-katholische Tradition eine Urnenbeisetzung akzeptabel, zugleich wurde aber betont, dass die Bestattung eines Leichnams in einem Sarg den Glauben an den Auferstehungsleib des Verstorbenen deutlicher zum Ausdruck zu bringen vermag. Darauf haben die Bestattungsliturgien inzwischen reagiert, denn es ist kaum sinnvoll, bei der Urnenbestattung zu sprechen: Asche zu Asche und Staub zu Staub. So wurden andere Formulierungen gefunden, wenngleich sie nicht immer als gut geeignet empfunden werden. Neben diesen Aspekten des Themas gibt ein Beitrag Einblick in die Geschichte der Feuerbestattung und des Krematoriumsbaus; aus rechtlicher Perspektive wird nach der Würde des Leichnams gefragt und zwischen Leichnam und „Asche“ unterschieden; es wird über den Umgang mit der menschlichen Leiche nachgedacht, und abschließend werden praktische Herausforderungen formuliert, die Urne wie Sarg betreffen. Wahle, Stephan: Die stillste Nacht. Das Fest der Geburt Jesu von den Anfängen bis heue. Herder: Freiburg i. Br. 2018, 223 S., 56 schwarz-weiße und farbige Abb. Bei diesem Buch handelt es sich um die allgemeinverständliche Version einer wissenschaftlichen Arbeit mit dem Titel: Fest der Menschwerdung. Weihnachten in Glaube, Kultur und Gesellschaft, die 2015 erschienen ist. Im Wesentlichen, so teilt Wahle in der Einleitung mit, sind die Kapitel erhalten geblieben, auch wenn es zu Überarbeitungen und Ergänzungen gekommen ist. Im ersten Abschnitt geht es um die biblischen Texte zur Geburt Jesu, im nachfolgenden um das Doppelfest Weihnachten / Epiphanias, im dritten Abschnitt um die Liturgie und Theologie des Weihnachtsfestkreises. Es folgen im vierten Abschnitt unter den Stichworten Spiele, Lieder, Krippe und Christbaum Einblicke in die deutsche Weihnachtskultur. Der fünfte Abschnitt befasst sich mit dem Weihnachtsfest als bürgerlichem Fest der Familie. Der letzte Abschnitt reflektiert die stillste Nacht des Jahres in Bezug auf das öffentliche und persönliche Weihnachtserleben, auf den Weihnachtsgottesdienst und auf das Fest der Menschwerdung. Zahlreiche Bilder illustrieren den Text und vermitteln eine Atmosphäre, die die „Weihnachtsstimmung“ zu unterschiedlichsten Zeiten deutlich macht. Ein Glossar mit Fachworterklärungen für Laien rundet das Buch ab. Weiss, Christoph: Das Bußsakrament im Kontext der sakramentalen Initiation von Kindern. Eine historisch-theologische Studie (Studien zu Spiritualität und Seelsorge 9). Friedrich Pustet: Regensburg 2018, 427 S. Diese Dissertation geht der Frage nach, welche Bedeutung das Bußsakrament für die Initiation von Kindern hat bzw. haben könnte. Der ursprüngliche, einheitliche

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und einmalige Initiationsakt wurde im Lauf der Geschichte in drei Teile (Taufe, Firmung, Eucharistie) aufgesplittet, zudem kam dann die Erstkommunion noch vor der Firmung zu stehen. Seit dem 13. Jh. rückt das Bußsakrament zwischen diese drei Sakramente. Weiss legt einen großen Teil seiner Untersuchung historisch an: Vom Beginn der Taufe im Neuen Testament bis zur Gegenwart wird die Entwicklung für die lateinische Tradition dargestellt. Er plädiert dafür, dass das Bußsakrament in Verbindung mit der Firmung und Erst-Eucharistie begangen wird, weil es ja gerade die Gnade der Taufe (und der Firmung) auf die Eucharistie hin erneuert. Zager, Werner (Hg.): Hier stehen wir – können wir auch anders? Reformation und Aufklärung: Impulse für den Gottesdienst (Veröffentlichungen des Bundes für Freies Christentum 2). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 168 S. Die in diesem Büchlein abgedruckten Vorträge wurden auf einer Tagung gehalten, die der Bund für Freies Christentum 2017 in Kritik an den Reformationsfeiern der EKD veranstaltete, weil im Rahmen der Reformationsdekade das Thema „Aufklärung und Reformation“ nicht thematisiert wurde. Der Bund für Freies Christentum sieht einen Schwerpunkt seiner Arbeit und seines Selbstverständnisses darin, dafür zu sorgen, dass die Aufklärung als wesentliche Epoche nach der Reformation für protestantische Christen eine deutlichere Rolle spielt und eine stärkere Gewichtigkeit erhält als bisher in den evangelischen Kirchen üblich. Die Tagung befasste sich insbesondere mit dem Gottesdienst. Der eröffnende Beitrag von Alf Christophersen befasst sich als Ortsbestimmung und Perspektive des Bundes für Freies Christentum mit dem Thema: Liberaler Protestantismus zwischen Reformation und Aufklärung. Andreas Rössler referiert über die Religion der Wahrheitsliebe und thematisiert die Bedeutung der Reformation und der Aufklärung für den Protestantismus. Wolfgang Pfüller nimmt die herkömmliche Homiletik kritisch in den Blick, er problematisiert die Predigt als religiöse Rede oder als Verkündigung des Wortes Gottes und vermisst die interreligiöse Rede. Ingo Zöllich beschäftigt sich mit Beten und Bekennen, was nicht nur mit dem Herzen, sondern auch mit der Vernunft in Gottes Gegenwart geschehen sollte. Jan Hermelink nimmt das Abendmahl in den Blick als eine Inszenierung von Kirche zwischen reformatorischer Dogmatik und aufgeklärter Mündigkeit. Dorothea und Werner Zager bieten Impulse zu einer Gesangbuchreform an, indem sie undogma­ tische Texte zu vertrauten Melodien anbieten. Helmut Fischer schildert Erfahrungen mit thematischen Dialog-Gottesdiensten, die zu einem Dialog in der Gemeinde und mit der Gemeinde ermutigen. Abschließend ist die Predigt abgedruckt, die während der Tagung gehalten wurde: Luther bei die Fische! Zimmerling, Peter (Hg.): Handbuch Evangelische Spiritualität, Bd. 2: Theologie. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2018, 729 S. Der erste Band des Handbuchs Evangelische Spiritualität erschien 2017. Nun liegt auch der zweite Band vor. Er befasst sich mit der Theologie der Spiritualität, während der erste Band die Geschichte der Spiritualität erörterte (vgl. JLH 57 [2018], 154 f). Aus dem ersten Band wurde sowohl die einleitende Darlegung von Zimmerling über die Idee und Vorgeschichte des Gesamtwerkes t wie auch das Geleitwort des ehemaligen Ratsvorsitzenden der EKD, Nikolaus Schneider, übernommen. Zimmerling hatte in Band 1 noch auf eine Begriffsbestimmung von Spiritualität verzichtet. Nun wird in Band 2 in eine Theologie der Spiritualität eingeführt. Eingeleitet wird mit Überlegungen zur Interdependenz zwischen Spiritualität und Theologie, wobei Bildung einen besondere Beachtung für eine evangelische Spiritualität verdient, da seit der Reformation Glaube und Bildung korrelativ verstanden werden. Es folgen zahlreiche Klagen über den Mangel an Spiritualität in evangelischen Kirchen, insbesondere

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die akademische Theologie wird in die Pflicht genommen, nicht nur Denken und Reflektieren zu lehren, sondern die Studierenden auch in die spirituelle Praxis des Glaubens einzuführen. Als weitere Defizite werden genannt ein mangelndes trinitarisches Gottesverständnis, ein Zurücktreten von Emotionalität, Sinnlichkeit und Natur, die Vernachlässigung der Übung, der Verlust von Form, Ritual und Symbol, auch die Dimension des Heiligen Geistes werde zu wenig berücksichtigt, so dass es zum Verlust von Erfahrung, zur Vernachlässigung der Sozialität und zu Einbußen an Pluralität spiritueller Formen komme, weil der Protestantismus „weitgehend von Individualität, Subjektivismus und Innerlichkeit geprägt ist.“ (32) Darum favorisiert Zimmerling ein trinitarisches Gottesverständnis, das als Trinitätslehre allerdings den metaphysisch-philosophischen Ansatz überwindet und stattdessen geschichtlich im Sinn der Bibel bei den drei Personen ansetzt, so dass die Schöpfung, die Erlösung und die Heiligung auch als Erfahrung in den Blick kommen können. „Nur ein leidenschaftlicher Gott kann ein echtes Gegenüber des Menschen sein. Ein vom menschlichen Schicksal unberührt bleibender metaphysischer Gott ist letztlich uninteressant und irrelevant.“ (34) Daran anknüpfend führt Zimmerling neun Kriterien für evangelische Spiritualität auf: 1. Evangelische Spiritualität ist Spiritualität im Horizont des dreieinigen Gottes. 2. Evangelische Spiritualität ist offen für eine Vielfalt und Unterschiedlichkeit von Formen. 3. Ausgangspunkt evangelischer Spiritualität ist die Erkenntnis der voraussetzungslosen Annahme des Menschen durch Gott (sola gratia). 4. Evangelische Spiritualität wird bestimmt von den beiden Polen Wort und Glaube. 5. Evangelische Spiritualität hat einen individuell-personalen und einen ekklesiologischen Aspekt, beide Aspekte sind komplementär aufeinander zu beziehen. 6. Evangelische Spiritualität führt zur Überschreitung des Ichs. 7. Evangelische Spiritualität ermöglicht die Integration von Leiden und Schmerz in das Leben. 8. Evangelische Spiritualität ist demokratisch und alltagsverträglich. 9. Evangelische Spiritualität und Freiheit bedingen sich gegenseitig. Die zahlreichen Beiträge, die im Anschluss daran vorliegen, gliedern sich entsprechend trinitarisch anhand des Glaubensbekenntnisses und sind drei Buchteilen – Schöpfung, Erlösung, Heiligung – zugeordnet.

IV. Kirchenbau, Paramentik, Kunstwerke Gigandet-Imsand, Sarah: Perspektiven einer theologisch verantworteten Ästhetik. Am Beispiel des Hochaltars der Pfarrkirche von Münster im Wallis (Studia Oecumenica Friburgensia 82). Aschendorff: Münster 2018, 296 S., 35 meist farbige Abb. Die Dissertation der Theologin und Kunsthistorikerin Gigandet-Imsand verbindet ihre beiden Fachbereiche auf dem Gebiet der Ästhetik. Im ersten Kapitel wird der Hochaltar beschrieben, der für die 1509 geweihte Kirche in Münster im Wallis geschaffen wurde und seitdem dort seinen Platz hat, auch wenn er mehrfach in seiner Geschichte umgestaltet wurde. In die Beschreibung werden auch der Kontext der Kirche und die beiden Seitenaltäre mit einbezogen. Ein Bildanhang verdeutlicht die Darstellungen anhand von historischen Bildern und mit Bildern, die den jetzigen Zustand zeigen. Anschließend stellt die Autorin die grundlegende Frage: „Was geschieht, wenn Menschen im Hier und Jetzt, als Touristen oder als Gemeindemitglieder, dem Altar in seiner heutigen Gestalt begegnen? Kann der heute lebende Betrachter dieser Retabel, dessen Entstehungskontext so gänzlich verschieden von seiner Lebens­ situation ist, überhaupt ‚verstehen‘?“ (13) Um die Frage der Wahrnehmung zu klä-

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ren, werden zunächst im dritten Kapitel die philosophischen Ästhetiken von Denis ­Diderot, Immanuel Kant, Georg F. W. Hegel, Martin Heidegger und Theodor W. Adorno dargelegt. Diese Personen werden fiktiv vor den Hochaltar gestellt, so dass sich ihre Ästhetik bewährt (oder nicht). Das vierte Kapitel widmet sich der anthro­ pologischen Perspektive in Bezug auf das ästhetische Erkennen, woraufhin im fünften Kapitel vier Thesen zum ästhetischen Erkennen aufgestellt werden. Diese Thesen werden im sechsten Kapitel aufgenommen und theologisch reformuliert. Das siebte Kapitel reflektiert das ästhetische und theologische Erkennen als Wechselspiel, bevor im achten Kapitel der Hochaltar ästhetisch erschlossen wird unter Berücksichtigung des gläubigen Betrachters. Das neunte Kapitel beschließt die Arbeit. „Ästhetisches Erkennen ist eine Form des Wirklichkeitszugangs, der stets von einer uneinholbaren Offenheit geprägt ist. Ästhetisches Erkennen und begriffliches Erkennen prägen sich jeweils gegenseitig.“ (251) Darum gilt: „Die sakraltopographische Situierung des spätgotischen Retabels, die Berücksichtigung des räumlichen Kontextes sowie seiner Bedeutung für die Feier der Liturgie beeinflussen seine Wirkweise ebenso wie der individuell geprägte Verstehenshorizont des Betrachters.“ (251 f) Sladeczek, Martin: Vorreformation und Reformation auf dem Land in Thüringen. Strukturen – Stiftungswesen – Kirchenbau – Kirchenausstattung (Quellen und Forschung zu Thüringen im Zeitalter der Reformation 9). Böhlau: Köln 2018, 720 S., 66 schwarzweiße Abb., 23 farbige Abb. Das etwas vorschnelle Urteil, dass auf dem Land die allgemein-gesellschaftliche Veränderung nur verzögert aufgenommen und angenommen wird, lässt sich für die Entwicklung der Reformation in Thüringen nicht bestätigen. Sladeczek hat die Zeit von 1470 bis 1570 untersucht und ganz unterschiedliche Texte, wie geistliche Schriften, aber auch Rechnungen etc., ausgewertet. Dabei hat er Bauern und Niederadelige in den Blick genommen. So kann gezeigt werden, wie die Annahme der Reformation in den Dörfern und den Flecken die Mess-, Kapellen- und Spendenstiftungen sowie die Prozessionen und Wallfahrten veränderten. Auch der Kirchbau und die Ausstattung der Kirchen unterlagen Veränderungen. Hierfür stehen nicht nur die Beinhäuser, sondern auch die Vasa Sacra, die Bibliotheken, die Bilder, selbst der Klingelbeutel erlangte Bedeutung. Wichtig in Bezug auf diese Veränderungen waren die weltlichen Herrschaften, die erheblichen Einfluss auf die geistlichen Geschehnisse nahmen. Gleichwohl verliefen die Veränderungen nicht in allen Dörfern und Flecken gleich, sondern es entstanden erhebliche Unterschiede – genau wie auch in den Städten –, da nicht alle Menschen die Veränderungen guthießen und annahmen.

V. Artikel Dannecker, Klaus Peter / Wald-Fuhrmann, Melanie: Wirkungsästhetik. Ein neuer Ansatz für eine transdisziplinäre empirische Liturgieforschung, in LJ 68 (2018), 83–108. Kopp, Stefan: Liturgie und Ökumene aus katholischer Perspektive, in: Catholica 72 (2018), 120–133. Kranemann, Benedikt: Gesellschaft im Katastrophenalarm. Liturgiewissenschaftliche Perspektiven auf öffentliche Trauerfeiern, in: IKaZ 47 (2018), 263–271. Laumer, August: Karl Rahner und die Liturgiewissenschaft, in: LJ 68 (2018), 127–143. Löhlein, Johannes: Die Feier der Kindertaufe in zwei Stufen. Chancen und Grenzen in der Praxis am Beispiel des Pastoralverbundes Eggevorland (Erzbistum Paderborn), in: LJ 68 (2018), 55–72.

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Meßner, Reinhard: Die angebliche Traditio Apostolica. Eine neue Textpräsentation, in: ALw 58/59 (2016/2017), 1–58. Neumann, Thomas: Recht und Ritual. Eine kanonistische Annäherung an den normativen Charakter der Liturgie, in: LJ 68 (2018), 109–126. Odenthal, Andreas: Resonanz-Raum Gottesdienst? Überlegungen zu einer zeitsensiblen Liturgiewissenschaft im Anschluss an Hartmut Rosa, in: LJ 68 (2018), 32–54. Schramm, Luise: „Anfänge neuen Lebens“. Gottesdienste der Anti-AKW-Bewegung, in: Mitteilungen zur kirchlichen Zeitgeschichte, in: 12 (2018), 67–86. Standhartinger, Angela: Frauen in die Geschichte einschreiben. Zum liturgischen Ort der Einsetzungsworte, in: Early christianity 9 (2018), 255–274. Zerfass, Alexander: „Siebenmal am Tag singe ich dein Lob“ (Ps 119.164). Die Liturgie der Tagzeiten als Thema der Wissenschaft und pastorale Aufgabe, in: ThRv 114 (2018), 355–370.

VI. Einführungen und Lehrbücher Adam, Adolf / Haunerland Winfried: Grundriss Liturgie. Herder: Freiburg i. Br. 112018, 528 S. Der 1985 erstmals von Adolf Adam veröffentliche Grundriss Liturgie ist nun in der elften Auflage erschienen, wobei es sich bei dieser Auflage um die dritte überarbeitete und ergänzte Auflage der Neuausgabe von 2012 (vgl. JLH 52 [2013], 124 f) handelt, die Winfried Haunerland besorgt hat und die 2013 eine italienische Übersetzung erfahren hat. Dieser Grundriss hat den Vorteil, dass er umfassend über die katholische Liturgie informiert; er hat sicherlich zahlreichen Studierenden eine Hilfe beim Einstieg in die Liturgiewissenschaft geboten – und tut dies nach wie vor. Diese elfte Auflage weist einige Änderungen gegenüber der vorherigen Auflage auf: Das dogmatisch angelegte Kapitel über das Wesen und die Bedeutung der Sakramente ist durch ein Kapitel über die Theologie der Liturgie ersetzt worden. Taufe und Firmung sind nun in das Kapitel über die christliche Initiation eingegliedert. Im Ganzen ist das Werk durchgesehen und aktualisiert worden. Körtner, Ulrich H. J.: Dogmatik (Lehrwerk Evangelische Theologie 5). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, XVII, 706 S. Für die Liturgiewissenschaft, die auch in systematisch-theologischen Kategorien denkt und forscht, ist eine Dogmatik als Lehrbuch durchaus relevant, da zu erwarten ist, dass auch jene Topoi, die liturgisch gestaltet werden, wie z. B. Taufe oder Abendmahl, Glaube, Buße etc., darin behandelt werden. Und so ist es auch in diesem Lehrbuch der Fall. Körtner eröffnet seine Dogmatik: „Der christliche Glaube gibt zu denken. Er ist denkender und verstehender Glaube, der nicht nur den Glaubenden selbst, sondern auch die Welt und die Wirklichkeit im Ganzen in bestimmter Weise zu sehen und zu verstehen lehrt.“ (1) Diese bestimmte Weise ist die soteriologische Interpretation der Wirklichkeit, die immer für Mensch, Gott und Welt durchgeführt wird. Nach einer einleitenden Übersicht wird die soteriologische Interpretation der Wirklichkeit in vier Schritten vorgelegt: die Erschließung der Wirklichkeit, die von Gott geschaffene Wirklichkeit, die erlösungsbedürftige Wirklichkeit, die Wirklichkeit der Erlösung. Beim letzten Schritt kommen unter dem Teilaspekt „Welt“ die Heilsmittel vor, die im engeren Sinn unmittelbar liturgisch relevant sind: Predigt, leibliches Wort und Sakrament, Wort und symbolische Handlung, Taufe, Abendmahl, Absolution, Segen, Wort und Bild, Wort und Musik. Im folgenden Absatz, der

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den Themenzusammenhang der Gemeinschaft des Heiligen Geistes darlegt, werden mittelbar liturgisch relevante Themen behandelt: Ekklesiologie, Gemeinde, Gestalten von Kirche, Priestertum aller Gläubigen und kirchliche Ämter, Kirche, Konfession und Ökumene. Eine eigene Darstellung von Gottesdienst oder Liturgie findet sich nicht, auch im Stichwortregister werden beide Begriffe nicht aufgeführt. Körtner, Ulrich H. J.: Ökumenische Kirchenkunde (Lehrwerk Evangelische Theologie 9). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 375 S. Lehrbücher der Kirchenkunde waren zu früheren Zeiten meistens Konfessions­ kunden, die ein apologetisches Interesse verfolgten, um die anderen Konfessionen aus der eigenen Perspektive zu beurteilen. Diese Haltung ist einem deskriptiv-hermeneutischen Vorgehen gewichen, das die Pluralität des Christentums zunächst wahrnimmt und beschreibt. Körtner fügt darüber hinaus ein Kapitel über die Ökumene und ihre Entwicklung, die Unionsbewegungen im 19. und 20. Jh., die Leuenberger Konkordie, Kirche und Judentum, Dialog der Religionen etc. hinzu. Im ersten Kapitel legt er den Gegenstand und die Aufgabe einer ökumenischen Kirchenkunde dar. Das zweite Kapitel referiert über Ursprung und Vielfalt der Kirchen. Die nachfolgenden Kapitel beschreiben die Kirchen, wobei hervorzuheben ist, dass das gottesdienstliche Leben oftmals in einem eigenen Unterpunkt behandelt wird: orthodoxe Kirchen, altorientalische Kirchen, katholische Kirchen (!, nämlich römisch-katholisch und altkatholisch), protestantische Kirchen (von den lutherischen Kirchen bis hin zur Heilsarmee und zu dem Bund Freier evangelischer Gemeinden in Deutschland), pfingstlich-charismatisches Christentum und christliche Sondergemeinschaften, und – wie erwähnt – die Ökumene. Für die Liturgiekenntnis der Gegenwart und auch für die Beurteilung historischer Liturgien sind die Grundkenntnisse anderer (und vielleicht auch der eigenen) Konfession notwendig und werden in diesem Lehrbuch anschaulich und übersichtlich dargestellt. Van der Leeuw, Gerardus: Liturgik. Hg. v. Baschera, Luca / Kunz, Ralph (Praktische Theologie im reformierten Kontext 16). Theologischer Verlag Zürich: Zürich 2018, 48* und 300 S. Der niederländische reformierte Theologe van der Leeuw hat 1940 seine Liurgiek (2. Auflage 1946) publiziert. Sie wird hier erstmals ins Deutsche übersetzt vorgelegt. Die Liurgiek war bisher wohl als Werk bekannt, aber sie ist in der deutschsprachigen Diskussion kaum wahrgenommen worden. Das könnte sich nun dank der Übersetzung ändern, weil, so schreiben die beiden Herausgeber in ihrem Vorwort, „sie sich durch beeindruckende theologische Geschlossenheit und Formstrenge auszeichnet.“ (8*) Die Diskussion wird gleich begonnen: Im Anschluss an die Darbietung der Übersetzung und eine ausführliche Einleitung von Baschera in Werk, Leben und Liturgik van der Leeuws befassen sich vier Kommentare mit seiner Liturgik. Birgit Jeggle-Merz liest sie aus römisch-katholischer Sicht als Einladung zum interkonfessionellen Gespräch, Michael Meyer-Blanck aus lutherischer Sicht unter dem Blickwinkel der Begriffe Form und Performanz, Stefan Schweyer aus freikirchlicher Perspektive und Ralph Kunz aus reformierter Sicht unter dem Gesichtspunkt des Unwillens zur Form und des Widerstands der Form. Die Liturgik van der Leeuws ist folgendermaßen aufgebaut: In zwei Kapiteln wird Grundsätzliches zum Begriff Liturgik geklärt, um dann die Liturgizität der Handlung, der Gemeinschaft, der Zeit und des Ortes, des Wortes und des Tons zu beschreiben. Weitere Kapitel befassen sich mit dem Sonntagmorgengottesdienst, dem Festgottesdienst und den separaten Abendmahlsfeiern, dem Stundengebetsgottesdienst und dem Gottesdienst im Privat- und Gemeindeleben. Ein Anhang schildert kurz bestimmte Themen oder gibt Textstücke wieder, die von

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Bedeutung sind: Epiklese und Konsekration, Calvins Text über die Abendmahlsfeier, Litanei, instrumentale und mehrstimmige Kirchenmusik, ein Epiklesentext, Erklärung des Wortes Sakrament, die Abendmahlsfeier in Straßburg und die Predigt in der Alten Kirche. In deutscher Übersetzung werden auch die im Original vorhandene Bibliographie, das Register und die Anmerkungen wiedergegeben.

VII. Arbeitshilfen Arnold, Jochen / Gidion, Anne / Oxen, Kathrin / Schwier, Helmut (Hg.): Mit Bach predigen, beten und feiern. Kantatengottesdienste durch das Kirchenjahr (gemeinsam gottesdienst gestalten 29). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 447 S. Über 30 Kantatengottesdienste mit ihrem Verlauf, einschließlich einer Predigt für die Sonn- und Feiertage des Kirchenjahres sind in diesem Band abgedruckt. Dazu fünf thematisch orientierte Kantatengottesdienste: Glauben lernen, Liebe, Politik, Bekennen, das Lebenslied. Arnold führt in seinem einleitenden Beitrag in Bachs Kantaten als gottesdienstliche Quellen ein, Schwier legt unter dem Stichwort „Mit Bach predigen“ homiletische Erkundungen vor. Alexander Deeg reflektiert über Worte im Klangraum im Kontext einer dramaturgischen Kantatenpredigt, Dorothea Haverkamp und Kai Koch informieren über die Inszenierung von Kantatengottesdiensten und geben praktische Hinweise. Arnold, Jochen / Gorka, Eckhard / Meyer-Blanck, Michael / Peters, Frank (Hg.): Öffentliche Liturgien. Gottesdienste und Rituale im gesellschaftlichen Kontext (gemeinsam gottesdienst gestalten 30). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 217 S. Es geht in diesem Band um Liturgie und Predigt in der gesellschaftlichen, auch der politischen Öffentlichkeit, so dass hier Kirche expressiv verbis öffentlich tätig wird, manchmal auch im Sinne der Öffentlichkeit. Die praktisch-theologische Einleitung reflektiert diese Verhältnisbestimmung kritisch, da jeder Gottesdienst „eigentlich“ öffentlich ist. Die zahlreichen Beispiele für öffentliche Liturgien, die vollständig abgedruckt sind, werden in drei Abteilungen präsentiert: Zuerst geht es um Lebensfreude, Anfänge und Übergänge. Es werden Gottesdienste anlässlich eines Schützenfestes, eines Karnevalsgottesdienstes, Einweihungen und auch einer Pferdesegnung etc. abgedruckt. Im zweiten Teil geht um Leid: Gottesdienste anlässlich von Flutkatastrophe, Amoklauf, Selbstmord, Attentat etc. Im dritten Teil werden Vergegenwärtigungen geboten, also Gottesdienste anlässlich von Gedenktagen, wie z. B. zum Tag der Deutschen Einheit oder der Befreiung des KZs Ravenbrück vor 70 Jahren. Viele der Liturgien wurden mit einer erklärenden Einleitung versehen. Das Vorwort macht darauf aufmerksam, dass solche Liturgien als Exempel dienen können, wenn neue, aber in der Sache ähnliche Gottesdienste zu feiern sind. Bares, Rudolf Peter (Hg.): Wir haben seinen Stern gesehen. Feierformen und Gestaltungsideen in Advents- und Weihnachtszeit. Friedrich Pustet: Regensburg 2018, 144 S. Es werden zahlreiche Vorschläge für gottesdienstliche Feiern in der Advents- und Weihnachtszeit angeboten, die vor allem besinnlich sein sollen. Neben den bekannten Formen der Andacht und des Tagzeitengebets werden auch niedrigschwellige Angebote dargestellt, wie z. B. eine Atempause für die Seele, eine Frühschicht oder ein Taizégebet. Darin enthalten sind Lesungen, Lieder, Meditationen, Anspiele oder ein Predigtgespräch. Brand, Fabian: „Ein Geist und viele Gaben“. Gottesdienstvorbereitung durch Ehrenamtliche. Herder: Freiburg i. Br. 2018, 136 S. Brand führt Ehrenamtliche in die Vorbereitung von Gottesdiensten ein. Auf gängige

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Fragen werden treffende Antworten gegeben, dazu gehören auch Auskünfte darüber, welche Bibeln, Gesangbücher, Fürbittenbücher etc. verwendet werden können. Auskunft gibt es auch über die unterschiedlichen Feierformen. Es folgen Texte und Anregungen für den Ablauf des Kirchenjahrs, auch für die besonderen Festtage der Heiligen und ebenso z. B. für Erntedank. Brand, Fabian (Hg.): Das Romano Guardini Gottesdienstbuch. Impulse und Lesetexte. Herder: Freiburg i. Br. 2018, 223 S. Romano Guardini war ein Lehrer der Religionsphilosophie und der christlichen Weltanschauung. Auch als Denker und Impulsgeber für die Liturgiewissenschaft ist er weithin bekannt durch seine 1964 gestellte Frage, ob der moderne Mensch überhaupt liturgiefähig sei. Hanna-Barabara Gerl-Falkovitz hat ein lesenswertes Lebensbild von Guardini zu diesem Buch beigesteuert, Fabian Brand hat aus dem reichen Schaffen Guardinis Texte ausgewählt. Zunächst werden geordnet nach dem Kirchenjahr geboten, daran schließen sich Texte zu Gebet und Nachfolge an; hier finden sich zahlreiche Texte, die die Liturgie und ihr Umfeld betreffen. Die Texte sind vorrangig den geistlichen Schriften Guardinis entnommen. Brand, Fabian: „Wer von diesem Brot isst …“. Werkbuch Eucharistie. Herder: Freiburg i. Br. 2018, 136 S. Die Feier der Eucharistie kann je nach Situation erfordern, dass sie besondere Gestaltung erfährt. Das kann sogar für die Predigt gelten, wie Brand durch den Abdruck von Predigtimpulsen zu Beginn seiner Materialsammlung deutlich macht. Es folgen Vorschläge für Fronleichnamsprozessionen oder eucharistische Prozessionen, eucharistische Anbetung und Andachten zu unterschiedlichen Themen. Abschließend werden Gottesdienstbausteine zu Liedern, Bibeltexten oder Fronleichnamsprozessionen angeboten. Das Material kann für die eigene Verwendung per QR-Code heruntergeladen werden. Egger, Klaus: Eingeladen zum Mahl des Herrn. Ein spiritueller Wegweiser durch die Eucharistie. Tyrolia: Innsbruck / Wien 2018, 111 S. Egger stellt im Vorwort die Frage, warum er im Herbst seines Priesterlebens (geboren 1934) noch einmal über das Geheimnis des Glaubens, die Eucharistie, nachdenke. Diese Frage wurde ihm von älteren Kirchgängern gestellt und er erkannte, dass dies nach einem langen Leben auch seine eigene Frage ist. Er gibt eine Antwort, indem er die heutige Lebens- und Glaubenssituation aufgreift, dann das Vermächtnis Jesu zur Herrenmahlfeier schildert, anhand der Eucharistiefeier einzelne Stationen auswählt – Erlebnisraum Kirche, Introitus, Tisch des Wortes, Tisch des Herrn, Segen und Sendung –, um abschließend neben vielen Aspekten festzustellen, dass die Eucharistie für ihn Heimat, Geborgenheit und Zuversicht ist. Er schließt mit einem Psalmwort: Gott nahe zu sein, ist gut für mich (Ps 73,28). Goldschmidt, Stephan: Denn du bist unser Gott. Gebete, Texte und Impulse für die Gottesdienste im Kirchenjahr. Neukirchener Verlag: Neukirchen-Vluyn 2018, 352 S. Für alle Sonn- und Feiertage des Kirchenjahres werden hier Texte bereitgestellt. Dazu wurde die neue Perikopenordnung, die seit dem 1. Advent 2018 in Geltung ist, selbstverständlich von Goldschmidt in Gebrauch genommen. Das Ziel des Buches ist, „Pfarrerinnen und Pfarrer, aber auch ehrenamtlich für den Gottesdienst Verantwortliche bei der wichtigen Arbeit der Gottesdienstvorbereitung zu unterstützen.“ (11) Dafür werden für jeden Sonn- und Feiertag der Wochenspruch, der Wochenpsalm, die Lesungen, zahlreiche Liedvorschläge für den gesamten Gottesdienst, eine Meditation zum Wochenpsalm, ein Tagesgebet, ein Fürbittengebet und ein Impuls zum Evange-

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lium gegeben. Manchmal finden sich auch weitere meditative Texte oder Alternativvorschläge für die Lesungen. Gebete zur Abendmahlsfeier finden sich allerdings nicht. In Bezug auf die Gebete hebt Goldschmidt hervor, dass er bei ihrer Formulierung nicht eine indirekte Ansprache an die Gemeinde im Blick hatte, sondern der vertikalen Richtung zu Gott den Vorzug gegeben hat. „Werden diese im Gottesdienst gebetet, wenden sich die liturgisch Handelnden in ihrer Gebetshaltung im Namen der anwesenden Gemeinde an Gott. Das klingt eigentlich selbstverständlich. Wer jedoch Agenden, Vorbereitungsliteratur und Materialien genauer betrachtet, wird feststellen, dass sich erstaunlich viele Gebete nicht nur an Gott, sondern auch mehr oder weniger an die Gemeinde richten. Sie informieren, fordern zum Handeln auf oder sind eine Art Verkündigung in der Gattung des Gebets.“ (11) Green, Michael und Rosemary: Höre mich, mein Gott. Mit biblischen Gebeten durch den Advent. Neukirchener Verlag: Neukirchen-Vluyn: 2018, 157 S. Das Original in englischer Sprache ist 2017 in London erschienen. Es handelt sich um ein Andachtsbuch für den Advent, das das Beten in den Vordergrund stellt anhand meist alttestamentlicher Beispiele: Abraham, Jakob, Mose, Hanna, David, Salomo, einige Propheten, dann Hiob, die Psalmen, schließlich aus dem Neuen Testament Zacharias, Maria und abschließend die Engel und Hirten. Anhand dieser Beispiele des Betens wird die Vorbereitung auf das Christfest begangen, jede Andacht wird mit einem Gebet beschlossen. Heuerding, Barbara / Berger-Zell, Carmen (Hg.): Niemand soll vergessen sein. Bestatten – Gedenken – Erinnern. Ein Praxisbuch. Neukirchener Verlag: Neukirchen-Vluyn [2017] 22018, 239 S., viele farbige Abb. Dass die Bestattungskultur sich im Wandel befindet, ist mittlerweile allgemein bekannt. Gleichwohl muss dieser Wandel auch bewältigt und gestaltet werden. Auch davon zeigt dieses Buch einiges, aber nicht nur, sondern es wird auch die diakonische Perspektive von Bestattungen deutlich. Mit dieser Perspektive wird das Buch eröffnet: Namen- und zeichenlose Bestattungen, Ordnungsamtsbestattungen, Sozialbestattungen, Bestattungen ungeborener oder kurz nach der Geburt verstorbener Kinder. Es folgen mehrere Beiträge aus praktisch-theologischer Perspektive sowie Überlegungen zur Friedhofskultur. Anschließend werden viele Beispiele, Erörterungen, Überlegungen und Informationen geboten, die den schon im Titel des Buches genannten Dreiklang aufgreifen: Bestatten – Gedenken – Erinnern. An den Beiträgen unter diesen drei Rubriken wird auch deutlich, dass der Abschied von einem Menschen sich sicherlich nicht ausschließlich, aber doch wesentlich mit seinem Grab und dem Friedhof verbindet. In diesem Buch fallen neben den vielen gelungenen Texten die vielen guten Fotografien auf. Texte und Bilder gehen oftmals eine Symbiose ein. Jung, Martina (Hg.): Trauer und Abschied. Vorlagen, Ideen und Gestaltungselemente für Begräbnisfeiern und Trauergottesdienste. Herder: Freiburg i. Br. 2018, 128 S. Da in der römisch-katholischen Kirche immer öfter Laien die Begräbnisfeiern durchführen, kann dieses Büchlein eine Arbeitshilfe sein. Im ersten Teil werden vollständig fertiggestellte Trauerfeiern zu ganz unterschiedlichen Situationen angeboten, so z. B. für einen plötzlich verstorbenen Familienvater, für ein totgeborenes Kind, für eine engagierte Lehrerin, für einen aus der Kirche Ausgetretenen (aber mit gläubigen Angehörigen) etc. Im zweiten Teil werden ebenfalls nach Kasualsituationen geordnete Ansprachen und Predigt-Bausteine aufgeführt, so z. B. für eine Geschäftsfrau, für eine Bücherfreundin, für einen Familienmenschen, für einen Sportler etc. Im dritten Teil folgen Texte, Impulse und Anregungen, so z. B. Fürbitten, alternative Gebete, Lieder, Betrachtungen etc.

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Lehmann, Leonhard: Vom Beten zur Kontemplation. Hinführung zur franziskanischen Praxis des Verweilens vor Gott (Franziskanische Akzente 18). Echter: Würzburg 2018, 94 S. Eine kleine, kompakte Einführung in das Beten, die bewusst das nützliche Denken, das auch das Beten zu beherrschen (und auch zu verunmöglichen) scheint, überwindet und in franziskanischer Tradition aufzeigt, dass das Beten zur Kontemplation führt: einfach vor Gott sein. Lehmann führt zunächst allgemein in das Beten ein, danach speziell in die franziskanische Tradition des Betens. Lensch, Marten: Die drei Detektive und andere ungewöhnliche Krippenspiele. Neu­ kirchener Verlag: Neukirchen-Vluyn 2018, 251 S. Lensch hat alle hier vorgestellten zwölf Krippenspiele in seiner Gemeinde aufgeführt. Sie sind also erprobt und für den Abdruck so eingerichtet, dass sie direkt übernommen werden können. Dazu dient auch die CD-ROM, die dem Buch beiliegt. Es werden ganz ungewöhnliche Perspektiven gewählt, die Gottesdiensteilnehmenden „erfahren, wie im Himmel die Vorbereitungen für Weihnachten akribisch geplant werden und ein geheimer Tierbund seine Finger bzw. Hufe mit im Spiel hat. Die drei Weisen aus dem Morgenland entpuppen sich als Detektive. Eine Live-Fernsehsendung verfolgt die Weihnachtsereignisse und zwei Kinder aus der Zukunft versuchen, die Weihnachtsbotschaft zu erforschen.“ (9) Das Buch bietet eine Einführung in die Krippenspiele, es folgen Materialliste und technische Hinweise, das Stück selbst und eine Predigt. Lumma, Liborius Olaf: Für-Bitten. Verstehen – Verfassen – Vortragen. Tyrolia: Innsbruck / Wien 2018, 136 S. Für Gottesdienst Fürbitten zu verfassen oder verfassen zu müssen, kann mitunter recht mühsam werden; das bekennt Lumma im Vorwort sogar im Blick auf sich selbst. Umso verdienstvoller ist es, dass er sich dieser Aufgabe in praktischer Hinsicht an­genommen hat und den Leser auf einen Weg mitnimmt, der zeigt, wie Fürbitten „theologisch sinnvoll – und zugleich klar strukturiert, verständlich und schön“ (136) werden können. Ausgehend von der Wiedereinführung des Allgemeinen Gebets durch das Zweite Vatikanische Konzil werden z. B. die Großen Fürbitten an Karfreitag oder die Friedensektenie in den Blick genommen, ebenso das Kollektengebet und natürlich die Fürbitten. Theologische Fragen, wie die nach der Bedeutung des Betens für die Betenden oder, welche Gebete in der Eucharistiefeier und Wort-Gottes-Feier vorkommen, welche Theologie für das Fürbittengebet es gibt, wie die Rolle des Betenden in seiner priesterlichen Würde als Getaufter zu sehen ist oder an wen sich das Gebet richtet, bilden zahlreiche Stationen dieses Praxisbuches. Muchlinsky, Frank / Grigat, Claudius (Hg.): Drei Hände voll Wasser und Gottes Segen. Das Begleitbuch zur Taufe. Evangelische Verlagsanstalt (edition chrismon): Leipzig 2018, 160 S. Wenn man so will, wird in diesem Buch rund um die Taufe für die Eltern bereitgehalten, was sie für eine Taufe wissen, beachten und vorbereiten sollten. Darum werden zuerst wohl typische Fragen von Eltern aufgenommen und beantwortet. Es folgen Hintergrundinformationen zur Taufe, also darüber, was Taufe bedeutet, was die Bibel zur Taufe sagt etc., danach wird informiert über Patenschaft, Taufspruch, Tauf-Gottesdienst, Tauffest in der Familie, Geschenke. Ein letzter Teil legt nahe, dass Kinder nach ihrer Taufe begleitet werden sollten. Nadjé-Wirth, Christiane: In tiefster Nacht erschienen. Andachten und Gottesdienst­ entwürfe für die Advents- und Weihnachtszeit. Neukirchener Verlag: NeukirchenVluyn 2018, 132 S. Ganz offen schreibt Nadjé-Wirth, dass gerade die Advents- und Weihnachtszeit

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oftmals kaum Zeit lässt, sich Gedanken zu machen, um immer wieder neue Ideen zur Gottesdienstgestaltung zu finden. Sie selbst war froh, Ideen anderer verwenden zu können, und stellt hier ihre Andachten und Gottesdienstentwürfe vom 1. Advent bis zu Epiphanias zur Verfügung. Andachten und Texte für den Gemeindebrief sind ebenso dabei wie Predigten als Bildbetrachtung, Kurzansprache beim Krippenspiel etc. Bei allen Modellen sind die Predigten, Gebete, Impulse ausformuliert; Lieder etc. werden angegeben. Neuhaus, Lisa: Aufstehen aus dem Schatten des Todes. Andachten und Gottesdienstentwürfe von Invokavit bis Exaudi. Neukirchener Verlag: Neukirchen-Vluyn 2018, 251 S. Im Vorwort teilt Neuhaus mit, dass sie – nun im Ruhestand – ihre zahlreichen Entwürfe für die Gottesdienste durchgesehen hat, die sie in vielen Jahren mit ihrer Gemeinde in Frankfurt am Main gefeiert hat. Der Osterfestzyklus ist ihr dabei besonders wichtig. Von Invokavit bis Exaudi werden für jeden Sonntag und jedes weitere Fest Predigten, Gottesdienstabläufe, Gebete, Lieder etc. geboten. Die Texte für jeden Festtag werden mit einer Einstimmung versehen, auch an Texte für den Gemeindebrief ist gedacht und Hinweise für das Organisatorische fehlen nicht. Deutlich steht die Predigt im Mittelpunkt, die Abendmahlsfeier, selbst in der Osternacht, ist auf das Kürzeste reduziert, wie es in der Kirche von Hessen und Nassau üblich ist. Neuhaus schlägt dazu vor: Einleitende Worte – EG 110,1 – Gebet – EG 100,4–5 – Vaterunser – Einsetzungsworte (ggf. gesungen) – EG 100,2–3 – Friedensgruß – Kommunion – Dankgebet. Sauter, Hanns: Gottesdienste mit allen Generationen. Modelle – Gebete – Impulse. Schwabenverlag: Ostfildern 2018, 208 S. Gottesdienst mit allen Generationen wird in den von Sauter angebotenen Materialien im engen Sinn des Wortes wahrgenommen: An der aktiven Feier dieser Gottesdienste sollen sich alle Generationen. Kinder, Eltern, Großeltern, Enkel sollen an der Gestaltung beteiligt werden und bringen allein schon durch ihre Präsenz zum Ausdruck, dass das Volk Gottes immer aus mehreren Generationen besteht. Sauter führt in seine Gedanken und Vorgaben ein, um dann Modelle anzubieten, die für bestimmte Sonntage des Kirchenjahres bestimmt sind. Es folgen Themengottesdienste, z. B.: Was brauchen wir zum Leben? Gemeinsam Gottes Wort hören. Familienfeste in der Pfarrei, etc. Scholz, Stefan: Liebes-Wort. Gebete, Fürbitten und Ansprachen zur Trauung (Konkrete Liturgie). Friedrich Pustet: Regensburg 2018, 117 S. In seinem Vorwort veranschaulicht Scholz die derzeitige Entwicklung der Trauungen: Hochzeitshows und Royal Weddings prägen den Geschmack; Traditionelles ist wieder gefragt aber wird nicht verstanden. So entwickelt sich bei ihm nach einer vollzogenen Trauung zunehmend das Gefühl, „zum Statisten in einer Soap Opera degradiert worden zu sein.“ (7) Die hier vorgelegten Texte wollen Lust wecken „zum sprachlichen Experiment, Kunstsprache und Umgangssprachliches verquicken“ (7). Textexperimente für Gebete, Lieder, Predigten werden unter ganz verschiedenen Themen angeboten, z. B.: Neu lieben nach gescheiterter Liebe, Janusköpfig, das A und O: Treue, Liebe kommt vom Hören, vergebliche Liebesmüh’, Worte wirken Wirklichkeit. Sill, Bernhard (Hg.): Beten. Wort sucht Gott. Katholisches Bibelwerk: Stuttgart 2018, 103 S. Die abgedruckten Gebete sind von Teilnehmenden eines Seminars formuliert worden, das Sill durchgeführt hat, und dementsprechend für junge Menschen gedacht. Sie sind geordnet mit demselben Gebetsanfang „Gott sucht …“ nach Weg, Dank, Zeit,

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Schöpfung, Vertrauen, Antwort, Begegnung, Glaube. Die Texte nehmen Gedanken zu Glauben, Lebenserfahrungen, Konflikte, Herausforderungen etc. auf und sind meist in poetischer Form gestaltet. Die Texte sind anregend und klar, sie fassen Dank und Bitte, Klage und Sorge, Zuversicht und Hoffnung in Worte. Sill beschließt die Gebetssammlung mit einer kleinen Gebetsschule für junge Leute. Thielmann, Wolfgang (Hg.): Feste feiern. Wie wir christliche Feiertage heute begehen können. Neukirchener Verlag: Neukirchen-Vluyn 2018, 192 S. Thielmann hat viele profilierte Autoren nicht nur dazu veranlasst, etwas Informierendes über die Feiertage im Kirchenjahr zu schreiben, sondern sie auch motiviert, dass sie auch das Besondere und manchmal sogar ganz Persönliches in die Betrachtungen mit einfließen lassen. Bei den Feiertagen sind nicht nur die erwartbaren üblichen dabei, wie Advent, Weihnacht, Ostern, Pfingsten, Erntedank und Reformation, sondern – weil es ja um christliche Feiertage geht, wie der Untertitel des Buches anzeigt – auch Mariä Lichtmess, Allerheiligen, Sankt Martin oder der Nikolaustag. Ein Anhang nimmt darüber hinaus das Fest der Hochzeit in den Blick. Vogl, Wolfgang: Meisterwerke der christlichen Kunst zu den Schriftlesungen der Sonntage und Hochfeste, Lesejahr C. Friedrich Pustet: Regensburg 2018, 680 S., 70 meist farbige Abb. Wie schon beim vorhergehenden Band für das Lesejahr B (vgl. JLH 2018 [57], 163 f) hat Vogl auch für diesen Band für das Lesejahr C vorrangig Bilder Alter Meister, auch der frühchristlichen Kunst, ausgewählt. Hinzugenommen wurden Vincent van Gogh als Vertreter der beginnenden Moderne und zwei Bilder des Priesters und Malers Sieger Köder (1925–2015). Seine Bilder repräsentieren die gegenständliche religiöse Kunst der Gegenwart. Zu jedem Sonntag und Hochfest werden die Schriftlesungen erläutert und das Bild eingehend und ausführlich erklärt. Ein reicher Anmerkungsteil hält Literaturangaben und weitere Hinweise bereit. Ein Abkürzungs- und ein Literaturverzeichnis runden das schöne Werk ab. Vogt, Fabian: Feier die Tage. Das kleine Handbuch der christlichen Feste. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 141 S., mit Illustrationen von Julia Kluge. Vogt führt im Vorwort in das Feiern ein und auch in diverse Schwierigkeiten, die dabei auftreten konnten und können. In der Einleitung befasst er sich mit der Zeitmessung und dem Zeitempfinden ein. Darauf folgt als Thema die Kunst des Feierns, hier legt er in Kürze Festtheorien vor. Danach werden die vielen Feste und Festtage im Kirchenjahr erklärt. Im Nachwort verbindet Vogt die Grundanliegen des Kirchenjahres mit den philosophischen Grundfragen nach der Existenz des Menschen: Die Frage Wo komme ich her korrespondiert mit der Weihnachtsgeschichte, Warum bin ich da korrespondiert mit Karfreitag, Ostern und Pfingsten, Wo gehe ich hin korrespondiert mit dem Herbst des Kirchenjahres. Willers-Vellguth, Christine: „Alles hat seine Zeit“. Gottesdienste zum Anfang und Ende der Grundschule. Herder: Freiburg i. Br. 2018, 137 S. Gottesdienste zum Anfang der Grundschulzeit haben sich zu einer eigenen Art Kasualie entwickelt. Entsprechend umfangreich sind die Vorbereitungen und entsprechend groß sind die Erwartungen der Kinder, der Eltern und auch von Lehrerseite an die, die den Gottesdienst vorbereiten. Das gilt besonders, wenn Eltern- und Schülerschaft heterogen sind oder wenn Kinder aus nicht-kirchlichen oder anders­religiösen Lebenssituationen kommen. Die hier vorgelegten Gottesdienste sind erprobt. DasBuch bietet jeweils zehn Gottesdienste für den Beginn und für den Beschluss der Grundschulzeit an.

Vom Gebet zum Lied Paul Ebers „Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott“

Jens Lyster

Ein Kirchenlied hat sein eigenes Leben und unternimmt manchmal neckische und unerwartete Kapriolen auf seinem Weg in die Welt. Es berücksichtigt weder Landesgrenzen noch Konfessionen. Mitunter lohnt es sich, wie man in Dänemark sagt, über den Bach zu gehen, um Wasser zu holen. Wenn man den Blick über die Ostsee hinweg tut, wird man in der dänischen (und schwedischen) Frömmigkeitsliteratur überraschende Spuren des deutschen Sterbegebetes Ebers finden, die auf ursprünglichere Quellen als bisher angenommen hindeuten. Grundlegend hat sich Konrad Ameln 1962 mit dem Lied beschäftigt. Danach sei der Text 1560 gedichtet und 1562 in einem undatierten Einblattdruck erstmals publiziert.1 Nicht zuletzt angesichts der dänischen Überlieferung sind einige seiner Quellenbewertungen und Schlussfolgerungen jedoch neu zu überdenken. Auch die zuletzt veröffentlichte Aussage von Daniel Gehrt und Philipp Knüpffer braucht ein Korrektiv: „Bereits zu Lebzeiten [Paul Ebers (1511–1569)] genoss das Lied Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott, das er anlässlich des Todes eines seiner Söhne 1560 dichtete, so große Beliebtheit, dass es in Latein, Griechisch, Niederdeutsch und Schwedisch umgedichtet und häufig in Gesangund Gebetbücher sowie Leichenpredigten aufgenommen wurde.“2

1 Ameln, Konrad: „Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott“. In: JLH 7 (1962), 109–115, Zusammenfassung: 114 f. 2 Gehrt, Daniel / Knüpffer, Philipp: Der vergessene Nachfolger von Johannes Bugenhagen und Philipp Melanchthon in Wittenberg. Bericht und Ausblick über Forschung zu Paul Eber. In: Gehrt, Daniel / Leppin, Volker (Hg.): Paul Eber (1511–1569). Humanist und Theologe der zweiten Generation der Wittenberger Reformation (Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, Bd. 16). Leipzig 2014, 31. Die Verfasser weisen hier auf Franziska Königs erstellte Bibliographie der gedruckten, auch fremdsprachigen Werke und Beiträge Paul Ebers im selben Band S. 511–564 hin. Dass das Sterbelied anlässlich des Todes eines Sohnes gedichtet ist, ist ein Mißverständnis wegen eines Fehlers („filiolus“ statt „filiolis“) in der Bibliographie S. 522 [25,01].

Vom Gebet zum Lied 

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1. Der frühe dänische Empfang des Sterbegebets Bereits Hans Thomissøns (1532–1573) dänisches Gesangbuch 15693 enthält im Abschnitt „Om Døden oc begraffuelse“ [Vom Tod und Begräbnis] das Lied Herre Jesu Christ sand Mennisk oc Gud in zwölf vierzeiligen Strophen mit der Überschrift En Bøn til Christum / om en salige død / oc affgang fra dette ælendige bedrøffuit Leffnit / til det euige Liff. D. Paulus Eberus filiolis suis faciebat. M. D.lvij [Ein Gebet zu Christus um einen seligen Tod und Abschied von diesem elenden betrübten Leben zu dem ewigen Leben. Dr. Paul Eber schrieb es 1557 für seine kleinen Söhne].

Überraschenderweise findet man etwa fünf Jahre später in dem undatierten, dänischen Gebetbuch Nogle merckelige vdkaarne Bøner, das aus zeitgenössischen Gebetbüchern und Flugblättern zusammengebracht ist, dieselbe Übersetzung, hier aber als ein zusammenhängendes Gedicht. Ohne Zweifel ist dieses Gedicht oder Gebet eine Vorstufe des Liedes im Gesangbuch 1569. Eine Reihe von Varianten zeigt, dass Hans Thomissøn metrische und andere Verbesserungen vorgenommen hat.4 Der anonyme Übersetzer ist laut einer späten Bezeugung des Personalhistorikers Detlev Gotthard Zwergius (1699–1757) der spätere Professor für Dialektik und Stiftsprobst in Seeland Rasmus Katholm (gestorben 1581), der 1561–62, also zu Ebers Lebzeiten, in Wittenberg studierte und dort Magister wurde. Er hat auch dessen Helft mir Gotts Güte preisen ins Dänische übersetzt. Um die Jahreswende 1574–75 hat Rasmus Hansen Reravius das umfangreiche En Ny Bønebog5 herausgegeben, wo er eine neue Übersetzung von Ebers Sterbegebet geliefert hat: HERRE JEsu Christ sand Gud oc Mand in acht sechszeiligen Strophen und mit der Überschrift En Bøn til CHristum / om it saligt Endeligt / Aff denne bedrøffuede Verden / huilcken D. Paulus Eberus, dictede for sine Børn / Aar M. D.LVII . [Ein Gebet zu Christus um ein seliges Ende von dieser betrübten Welt, welches Dr. Paul Eber für seine Kinder im Jahre 1557 gedichtet hat.] 3 Den danske Psalmebog / met mange Christelige Psalmer / Ordentlig tilsammenset / formeret oc forbedret. Aff Hans Thomissøn. Kopenhagen [1569]. 4 Lyster, Jens: Dr. Paul Ebers bøn om en salig død [Dr. Paul Ebers Gebet um einen seligen Tod]. In: Lundgreen-Nielsen, Flemming / Akhøj Nielsen, Marita / Kousgård Sørensen, John (Hg.): Ord, Sprog oc artige Dict. Et overblik og 28 indblik 1500–1700. Festskrift til Poul Lindegård Hjorth. Kopenhagen 1997, 127–155. S. 139 f sind die beiden dänischen Texte, Gebet und Lied, synoptisch aufgelistet. Die Überschrift im Gebetbuch ist: En Bøn til Christum / om en salig Affgang fra denne Elendige oc bedrøffuede Verden til det Euige liff. D. Paulus Eberus. 5 Die älteste erhaltene Ausgabe ist entweder 1606 (Titelblatt) oder 1611 (Impressum) gedruckt mit dem Titel: En Ny Bønebog / tilsammen dragen aff de gamle Lære fædre / Augustino, Ambrosio, Cypriano, Bernhardo, &c. Disligeste aff nogle Lærere vdi vor tid / Luthero, Philippo, Hemmingio, Crucigero, &c. Cf. Anm. 50 und 51.

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Vier Monate später hat Reravius diese Übersetzung in sein neues, alternatives und preiswertes En Ny Psalmebog / met Calendario im Duodezformat aufgenommen6 und damit offenbar ganz bewusst nicht Katholms und Thomissøns vierzeilige Übersetzung aufgegriffen.7 Nach Reravius’ Tod 1582 haben neue Herausgeber des En Ny Psalmebog / met Calendario beiden Übersetzungen Platz gegeben: Zuerst Katholms vierzeilige und danach Reravius’ sechszeilige Übersetzung mit der Überschrift „En anden Bøn til Christum“ [Ein anderes Gebet an Christum]. Doch diese friedliche Koexistenz dauerte nicht lange. Schon 1586 kam das priviligierte und langlebige En Ny Psalmebog ordentlig tilsammen sæt aff M. Hans Thomissøn heraus. Es erneuerte Thomissøns Gesangbuch 1569 und eleminierte die meisten Lieder von Reravius, darunter auch seine Eber-Übersetzung. Von nun an war für die nächsten zwei Generationen Katholms und Thomissøns Eber-Übersetzung alleinbestimmend, immer mit der Überschrift: En Bøn til Christum / om en salig affgang oc endeligt. D. Paulus Eberus filiolis faciebat. Anno M. D.LVII .

In einem Anhang zu Hans Christensen Sthens vielverbreitenen En liden Vandrebog, Lübeck um 1590, steht dieselbe Übersetzung mit genau derselben Überschrift.8 Der Rezeptionsbericht über Ebers Sterbegebet in der dänischen Frömmigkeitsliteratur ist damit aber nicht zu Ende. Schon 1572 hatte Reravius in Det Gyldene Klenod / om det fortaffte Faar das Sterbegebet übersetzt, und zwar in Prosa mit folgendem Anfang: „O HERRE Jesu Christe / sand Gud oc Mand /  som haffuer lidt Martyr / angist / spot / Pine oc endelige døde paa Kaarssit / for mig oc alle Syndere…“9. Hier liegt die Vermutung nahe, dass Ebers Gebet ebenfalls in deutscher Prosa vorlag oder wenigstens eine Gestalt hatte, die zu Prosaübersetzung eingeladen hat. Auffallend ist jedenfalls die frühe dänische Vorliebe für Ebers Sterbegebet als reines Gebet. Schon erwähnt ist sein Vorkommen in Nogle merckelige udkaarne Bøner in einer Ausgabe ungefähr 1574. Auch eine Neuauflage dieses Gebetbuches in 1599 und vermutlich auch 158210 haben es als unstrophisches Gedicht gebracht. Dieselbe frühe Übersetzung von Katholm

6 Den danske Psalmebog 1569, Faksimileausgabe København 1968 mit Nachwort von Dal, Erik, 39–41, 53, 58; Lyster, Jens: Reravs salmebog 1575. In: Hymnologiske Meddelelser, 5. årg. 1976, 78–89; Lyster, Jens: Hans Thomissøns salmebog – mutatis mutandis. Et bidrag til Dansk Salmebogshistorie 1569–1608. In: Hvad Fatter gjør … Boghistoriske, litterære og musikalske essays tilegnet Erik Dal. Herning 1982, 313–320. 7 In dieser Weise ist Ebers Sterbegebet in einen Konkurrenzkampf zwischen Thomissøns offiziellem und Reravius’ offiziösem Gesangbuch einbezogen. 8 Lyster, Jens / Højgård, Jens (Hg.): Hans Christensen Sthens Skrifter I, En liden Vandrebog. Det Danske Sprog- og Litteraturselskab, København 1994, 148 und 201 f. 9 Dieses Prosagebet ist in extenso in Lyster, Jens: Dr. Paul Ebers bøn om en salig død (s. Anm. 4), 148 f abgedruckt. 10 Lyster, Jens: Avenarii bønner i Sthens oversættelse [Habermanns Gebete in Sthens dänische Übersetzung]. In: Kirkehistoriske Samlinger 1976, 82.

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lebt außerdem in dem Erbauungsbuch Helgens Speyel, 159511 weiter, wo zwar der Text wie im Thomissøns Gesangbuch 1569 in zwölf vierzeilige Strophen gegliedert ist, aber ohne Thomissøns redaktionelle Textänderungen. Als eine ganz freie Bearbeitung der oben erwähnten Liedfassung HERRE JEsu Christ sand Gud oc Mand von Reravius gab der dänische Edelmann Hans Oldeland das Sterbegebet 1610 als unstrophisches Gedicht heraus12, anonym und ohne Überschrift und mit diesem Anfang: „Sand Gud oc Mand HErre Jesu Christ / Du som ledst spaat oc angest vist / For mig paa Kaarset opgaffst din Aand / Flyde mig din Faders Venskaff sand…“. In dieser vielfältigen Weise erschien Ebers Sterbegebet in Dänemark in der ersten Generation nach seiner Entstehung. Dass es auch nachher eine bemerkenswerte Position in den dänischen Gesangbüchern gefunden hat, ergibt sich daraus, dass es bis heute seinen festen Platz in „Den danske Salmebog“ von 2003 behauptet, während es schon längst sowohl aus dem deutschen Evangelischen Gesangbuch von 1993 als aus „Den svenska Psalmboken“ von 1986 gerutscht ist. Obendrein in zwei Gestalten! Vor Herre Jesus, Gud og mand (Nr. 526) hat seine heutige Form in sieben sechszeiligen Strophen Nikolai Frederik Severin Grundtvig zu verdanken (1845). Når syn og hørelse forgår (Nr. 527) in vier vierzeiligen Strophen, rührt via Rasmus Katholm von dem Norweger Wilhelm Andreas Wexels her (1840). Angesichts dieser bunten historischen Entwicklung fand ich es in 1997 an der Zeit, das reiche nordische Material über Ebers Sterbegebet zu einem Aufsatz zu sammeln und analysieren.13 Da diese in einer akademischen Festschrift veröffentlichte Arbeit in der deutschen Eber-Forschung noch nicht berücksichtigt ist, erlaube ich mir, sie zum 450. Todesjahr Paul Ebers mit weiteren Ergebnissen meiner Untersuchungen für deutschsprachige Leser vorzulegen.

2. Der Dessauer Einblattdruck In seinem Aufsatz über „Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott“, hat Ameln den im Jahre 1938 von Adolf Boës entdeckten, aber unbeachteten und nach 1945 verschollenen Einblattdruck als Foto aus dem Besitz von Boës publiziert.14 Der Finder hatte berichtet, es läge „im Dessauer Superintendentenarchiv ein Brief Paul Ebers, in dem er von einem Liede spricht, das er für seine Kinder gemacht 11 Katholms Übersetzung hat, wahrscheinlich als Flugblatt, ein freies Leben gehabt, was die Textänderungen in 1595 andeuten. 12 In Hans Oldelands Übersetzung: Manuale de Præparatione ad Mortem. Det er. En Haandbog. En Skøn oc meget nyttelig Betractelse […] Af Martino Mollero. Guds hellige Evangelii ords Tiener til Görlitz i Slesien. Kiøbenhaffn 1610, 244–246. Cf. Anm. 55. 13 Lyster, Jens: Dr. Paul Ebers bøn om en salig død (s. Anm. 4). 14 Ameln, Konrad: „Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott“ (s. Anm. 1), Tafel I zu S. 112. Amelns Bildtext ist kategorisch: „Erstdruck, Wittenberg 1562“.

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habe und von dem er mit diesem Brief zusammen ein Exemplar übersende“15. Boës und mit ihm nun auch Ameln folgern, dass der Einblattdruck sehr wahrscheinlich dieses Exemplar war.16 Der undatierte Einblattdruck, von Boës als Urdruck, seit Ameln als der Erstdruck des Liedes bezeichnet, hat folgende Überschrift: Ein Gebet zu Christo vmb einen seligen abschied aus diesem elenden betrübten leben / welches auch kan gesungen werden im Thon des Vater vnsers / vnd sunst vff vielerley Thon / die vff vier vers gesungen werden/ als / Christe der du bist tag vnd liecht / oder / Nu last vns den leib begraben / vnd der gleichen.

Darunter steht links neben einem Holzschnitt, einer Kreuzigung von Lukas Cranach d. Ä., der Text des Liedes in dieser Weise:17 HErr Jhesu Christ war mensch vnd Gott/ Der du lidst marter / angst / vnd spot/ Fur mich am Creutz auch endlich starbst/ Vnnd mir deins Vaters huld erwarbst/ Ich bit durchs bitter leiden dein/ Du wolst mir sünder gnedig sein/   Wenn ich nu kom in sterbens not/ Vnnd ringen werde mit dem Todt/ Wenn mir vergeht all mein gesicht/ Vnd meine Ohren hören nicht/ Wenn meine zunge nichts mehr spricht/ Vnd mir vor angst mein hertz zerbricht/   Wenn mein verstand sich nichts versint/ Vnd mir all menschlich hülff zerrint/ So kom o Herr Christ mir behend/ Zu hülff an meinem letzten end/ Vnd führ mich aus dem jammerthal/ Verkürtz mir auch des Todes qual.   Die bösen geister von mir treib/ Mit deinem Geist stets bey mir bleib/

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[15]

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Bis sich die seel vom leib abwend/ [So] nim sie HErr in deine hend/

15 Boës, Adolf: Die liturgische Arbeit der Reformation in Dessau. In: Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt. Jg. 33/34 (1938), 1–22, zitiert nach Ameln, Konrad: „Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott“ (s. Anm. 1), S. 113 f. 16 Ameln, Konrad: „Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott“ (s. Anm. 1), 113. Sowohl Ebers Brief als auch das Lied, die in dem „Breviarium Georgii Principis ad Anhalt“ lagen, sind im zweiten Weltkrig verlorengegangen. 17 Vokale mit überschriebenem e habe ich durch Umlaute ersetzt. – Der leicht vergrößerte Abstand nach jeder vierten Zeile ist da, wo zugleich die folgende Zeile eingerückt ist, nicht immer durchgehalten. Er fehlt zwischen den Zeilen 12/13, 24/25 und 36/37.

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Vom Gebet zum Lied  Der leib hab in der erd sein rhu/ Bis sich der Jüngst tag naht herzu.   Ein frölich vrstend mir verley/ Am Jüngsten Gricht mein fürsprech sey/ Vnd meiner sünd nicht mehr gedenck/ [Auß] gnaden mir das leben schenck/ [Wie] du hast zugesaget mir In deinem wort / das traw ich dir/   Furwar / furwar euch sage ich / Joh. 5.8. Wer mein wort helt vnnd gleubt an mich/ Der wird nicht kommen ins gericht/ Vnd den Todt ewig schmecken nicht/ Vnd ob er gleich hie zeitlich stirbt/ Mit nichten er drumb gar verdirbt.   Sondern ich wil mit starcker hand In reissen aus des Todes band/ Vnnd zu mir nemen in mein reich/ Da soll er denn mit mir zugleich

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In freuden leben ewiglich/ Dazu hilff vns ia gnediglich.  Ah HERR vergib all vnser schuld/ Hilff das wir warten mit geduld [Biß vnser stün]dlein kümbt herbey/ [auch vnser Gla]ub stets wacker sey [Deim Wort zu] trawen vestiglich/ [biß wir entschl]affen seliglich.18

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[Amen].19 [D. Paulus] 20 Eberus filiolis suis faciebat Anno 1560.

Überschrift und Einteilung des Textes geben dem Leser die Freiheit, das Lied in verschiedenen Strophenformen und mit verschiedenen Melodien zu singen. Erstens weist er auf Luthers Vater unser im Himmelreich mit der grösseren Strophenform hin. Danach kommen zwei Melodien in vierzeiligen Strophen: Das Abendlied Christe der du bist Tag und Licht und das Begräbnislied Nun lasst uns den Leib begraben.

18 Die unleserlichen Stellen ergänzt nach Psalmen / geystliche Lieder, Straßburg 1569 (DKL 156917), in: Wackernagel, Philipp: Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts, Bd. IV. Leipzig 1874, Nachdruck Hildesheim 1964, Nr. 2. 19 Nur der Punkt ist sichtbar. Amen ergänzt nach der Oratio von Lucas Lossius, 1563, Wackernagel, Philipp: Das deutsche Kirchenlied (s. Anm. 18), Bd. V, Nr. 1593. 20 „D. Paulus“ ergänzt nach Enchiridion / Geistliker leder, Hamborch 1565 (DKL 156504), Wackernagel, Philipp: Das deutsche Kirchenlied (s. Anm. 18), Bd. IV, Nr. 3.

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  Jens Lyster

3. Die Ausgabe von Lucas Lossius in Gedichtform In der bisher ältesten Quelle, dem von Lucas Lossius (1508–1582) herausgegebenen Druck im Oktavformat „Oratio reuerendi et clarissimi Viri, D. Pauli Eberi“ von 156321, war Ebers Gebet auf Blatt 4v-5v als ein zusammenhängendes Gedicht gedruckt22. Die vollständige Überschrift lautet: ORATIO *VIRI REVERENDI ET CLARISSIMI DOctrina, uirtute, & pietate,* D. Pauli

Eberi *Pastoris Ecclesiæ Vuittembergensis* ad Christum, pro placido ac beato discessu ex hac uita: scripta Germanicè & edita Anno 1562. dicenda quotidie à pijs ad Christum, præcipuè in his periculosis, & pestiferis temporibus.

Die bei Wackernagel V 1593 ausgelassenen Angaben habe ich in * eingeschlossen. Der Text hat folgende Fassung: HERR Jesu Christ / war Mensch vnd Gott/

  Der du leydst marter / angst vnd spott/ Für mich am Creutz auch endtlich starbst/   Vnd mir deins Vatters huld erwarbst. Ich bitt durchs bitter Leiden dein/   Du wöllst mir sünder gnädig sein. Wann ich nun komm in sterbens nodt/   Vnd ringen werde mit dem todt/ Wann mir vergeht all mein gesicht/   Vnd meine ohren hören nicht. Wann meine zunge nicht mehr spricht/   Vnd mir vor angst mein hertz zerbricht. Wann mein verstand sich nit mehr bsinnt/   Vnd mir all Menschlich hülff zerrinnt. So komm Herr Christe mir behend   Zu hülff an meinem letsten end/ Vnd für mich auß dem jamerthal/   Verkürtz mir auch des todes qual. Die bösen geyste von mir treib/

[5]

[10]

[15]

21 Oratio reuerendi et clarissimi viri, D. Pavli Eberi, Pastoris Ecclesiae Vuittembergensis ad Christum, pro placido & beato discessu ex hac uita calamitosa, breui & incerta: scripta ab eo & edita Germanicè, Anno 1562. reddita nunc etiam Latinè, & quaedam alia, pro morituris & metuentibus mortem, in his instantibus periculosis & pestiferis temporibus, breuiter & piè collecta, à LVCA LOSSIO … Frankfurt 1563. 22 Wackernagel, Philipp: Das deutsche Kirchenlied (s. Anm. 18), Bd. V, Nr. 1593 und S. 1378. Wackernagel kannte nur ein Exemplar von Lossius’ Schrift in der Breslauer Stadtbibliothek und hatte es nicht selber gesehen. Heute liegt ein Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek digital vor: https://reader.digitale-sammlungen.de/resolve/display/bsb11371561.html (Aufruf am 7.5.2019). Ich zitiere aus einem Exemplar in Det Kongelige Bibliotek, Kopenhagen, Signatur 181,-200–8vo, vgl. Lyster, Jens: Dr. Paul Ebers bøn om en salig død (s. Anm. 4), 130. Die Überschrift ist umfassender als bei Wackernagel V 1593 und an der Zeile 31 sind marginale Schrifthinweise vorhanden. Abkürzungsstriche habe ich mit Kursivbuchstaben markiert, Vokale mit überschriebenem e durch Umlaute ersetzt.

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Vom Gebet zum Lied    Mit deinem Geyst stäts bei mir bleib/ Biß sich die seel vom leib abwendt/   So nimm sie / Herr / in deine hend. Der leib hab in der erd sein rů/   Biß sich der Jüngstag naht herzů. Ein frölich auffstend mir verleih/   Am Jüngsten gericht mein Vorsprech sei/ Vnd meiner sünd nicht mehr gedenck/   Auß gnaden mir das leben schenck/ Wie du hast zůgesaget mir   In deinem Wort / das traw ich dir: Fürwar fürwar euch sage ich/ Ioan. 5   Wer mein wort hält vnd glaubt an mich/ & 8. Der wirt nicht kommen ins Gericht/   Vnd den todt ewig schmecken nicht. Vnd ob er schon hie zeitlich stirbt/   Mit nichten er drumb gar verdirbt/ Sonder ich wiln mit starcker handt   Entreissen auß des todes band/ Vnd jn mit nemen in mein Reich/   Da soll er dann mit mir zugleich/ In freuden leben ewigklich/   Darzů helff vns ja gnädigklich. Ach Herr vergib vns vnser schuldt/   Hilff daß wir warten mit gedult/ Biß vnser stündlin kompt herbei/   Auch vnser glaub stäts wacker sei/ Deim Wort zutrawen vestigklich/   Biß wir entschlaffen seligklich.  Amen.

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[25]

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[45]

Ameln notiert, dass Lossius’ Überschrift eine so getreue lateinische Übersetzung der deutschen Überschrift des Einblattdruckes sei, dass dieser die ältere Quelle sein müsse; „ja, es besteht die größte Wahrscheinlichkeit dafür, daß er die bei Lossius gen[annte] Q[uelle] ist: „scripta Germanicè & edita Anno 1562“.23 Dieser Schlußfolgerung hat Martin Rößler24 vorbehaltlos zugestimmt: „Lossius, der sich auf dieses Liedblatt [den Einblattdruck] bezieht, berichtet glaubhaft […] über dieses Lied: ‚scripta Germanicè & edita Anno 1562‘“. Später hat sich Stefan Michel daran angeschlossen, aber trotzdem verwechselt Michel merkwürdigerweise die Entstehungsjahre des Einblattdruckes und Lossius’ Oratio und berichtet, dass das Sterbelied „1563 erstmals im Druck erschien“.25 23 Ameln, Konrad: „Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott“ (s. Anm. 1), 114. 24 Rößler, Martin: „Helft mir Gotts Güte preisen“ Der Wittenberger Liederdichter Paul Eber. In: Loehr, Johanna (Hg.): Dona Melanchthoniana. Festgabe für Heinz Scheible zum 70. Geburtstag. Stuttgart / Bad Cannstatt 2005, 357. 25 Michel, Stefan: Das gesungene Wort Gottes. Paul Ebers Gebrauch Geistlicher Lieder in Haus, Schule und Kirche. In: Gehrt, Daniel / Leppin, Volker (Hg.): Paul Eber (1511–1569). Humanist und Theologe (s. Anm. 2), 434.

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  Jens Lyster

4. Entstehungsjahr des Sterbegebets: 1557 oder 1560? Ameln stellt dem im Hamburger Gesangbuch von 156526 genannten Jahr 1557 („D. Paulus Eberus Filiolis suis faciebat, M . D.LVII.“27) zahlreiche hochdeutsche Quellen entgegen, die 1560 als das Entstehungsjahr angeben und vermutet einen Lesefehler des Hamburger Setzers, der eine römische Zehn (X) als eine Fünf (V) gelesen und zudem Entstehungs- und Druckjahr verwechselt haben könnte. Unter Verweis auf den Einblattdruck spricht er sich für 1560 als Entstehungsjahr aus.28 Während die deutsche Eber-Forschung mit Amelns Schlussfolgerungen einverstanden ist, ist die dänische29 reserviert. In „Den Danske Salmebog“ von 2003 wird unter Nr. 526 und 527 „Paul Eber 1557 und 1560“ angegeben. Das Problem besteht vor allem darin, dass Ameln und mit ihm Rößler und Michel den Lüneburger Rektor Lucas Lossius so vorbehaltlos als ihren Kronzeugen betrachten. Ich bezweifele, dass Lossius jemals den herangezogenen Einblattdruck gesehen hat. Warum hat der musikalische Lossius, der auch als Kantor in Lüneburg tätig war, nicht dankbar die vier- oder sechszeilige Strophenform mit den Melodievorschlägen der Überschrift aufgegriffen, die er in dem Einblattdruck hätte sehen können? Warum begnügt sich Lossius mit dem nackten Text des Sterbegebetes und beachtet nicht seine avancierte wahlfreie Form im Einblattdruck? Wenn dieser Druck mit seinem lesbaren Text Lossius’ Vorlage gewesen ist, warum entstehen dann die markanten Textabweichungen in Lossius’ Oratio Zeile 13, 15, 37–39 und 43, die eine direkte Abhängigkeit vom Einblattdruck fraglich erscheinen lassen? Ameln legt das Gewicht auf die Übereinstimmung zwischen der Überschrift im Einblattdruck und in Lossius’ Oratio, die „eine so getreue Lateinische Übersetzung der deutschen Überschrift des Einblattdrucks [ist], dass dieser die ältere Quelle sein muss“. Aber so getreu ist diese Übersetzung doch nicht, wenn „seligen abschied“ tautologisch in „placido ac beato discessu“ erweitert wird, und die beiden Adjektive in „aus diesem elenden betrübten leben“ in „ex hac uita“ verschwinden. Ameln hält den Einblattdruck für die bei Lossius genannte Quelle: „scripta Germanicè & edita Anno 1562“. Das ist jedoch eine zweifelhafte Vermutung, denn ob sich das Jahr auf „scripta & edita“ bezieht oder nur auf „edita“ ist nicht eindeutig. Und auf letzteres weist der ähnliche, aber etwas präzisere Titel der Schrift, in der es heißt: „scripta ab eo & edita Germanicè, Anno 1562“30 Und warum eigentlich „edita Anno 1562“? Lossius hat vermutlich eine datierte Quelle benutzt, die wir nicht mehr kennen, die er aber als so 26 Enchiridion Geistliker leder, Hamborch 1565. 27 Wackernagel, Philipp: Das deutsche Kirchenlied (s. Anm. 18), Bd. IV Nr. 3. VD16 G 952. 28 Ameln, Konrad: „Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott“ (s. Anm. 1), 113–115. Ameln kannte nicht die vielen dänischen Drucke, die das Entstehungsjahr 1557 angeben. Auch nicht die niederdeutsche Flugschrift Negen schöne Lede, Johan Balhorn, Lübeck um 1580 (Exemplar HAB Wolfenbüttel, Signatur 161.23 Qu H) mit dem Entstehungsjahr 1557. 29 S. Anm. 4. 30 S. Anm. 21.

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wertvoll betrachtet, dass sie für ihn erwähnenswert ist. Lossius schreibt nicht ausdrücklich, dass diese Quelle der erste Druck des Sterbeliedes ist, sondern nur, dass er von einem Druck Anno 1562 weiß.31 Der fragmentarisch überlieferte Einblattdruck, dem das Druckjahr fehlt, wird von Ameln, Rößler und Michel auf schätzungsweise 1562 datiert – aber eben vor allem, weil ihr Kronzeuge Lucas Lossius einen Druck aus diesem Jahr kennt.

5. Magister Johannes Gese als Kronzeuge Ich möchte die Historie des Sterbegebetes anders erzählen. Als meinem Kronzeugen gebe ich dem Magister Johannes Gese den Vorzug. Er hat uns das früheste Zeugnis von dem Gebrauch des Sterbegebets gegeben. In seiner Lebensbeschreibung von Fürst Joachim zu Anhalt32 schildert Gese nach dem Tod des Fürsten am 6. Dezember 1561, wie sich der Entschlafene das ganze Jahr hindurch mit einer christlichen Bereitung zum Sterben beschäftigt hatte. Als er „das Christliche Lied, vmb ein seliges Ende zu bitten, gemacht von dem hochgelarten Herrn D. Ebero, [empfangen hatte], … hat S. F. G. [Seine Fürstlichen Gnaden] daran nicht allein, alle hertzliche lust vnd liebe gehabt, vnd fur sich selbs teglich zubeten, auswendig gelernet, sondern hat auch verordnet, das mans des Sontags nach geschehener Predigt, auff der cantzel lesen muste, auch in vnser Kirchen allhie zu Dessaw vnd S. F. G. Landschafft, alle wochen zu singen befohlen…“. Ebers Text hat somit im Laufe des Jahres 1561 im ganzen Fürstentum Dessau und Anhalt als Gebet und Lied Verbreitung gefunden. Jedenfalls im Jahre 1561 muss Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott für die Pfarrer und die Gemeinden vervielfältigt vorliegen, vermutlich in gedruckter Form. In der Literatur über Ebers Lieder wird Fürst Joachims Vorliebe für das Sterbegebet manchmal als eine fromme Legende ohne historischen Wert gewertet, und der Gewährsmann Johannes Gese wird nicht erwähnt. In „Die Lieder unserer Kirche“33 wird der Bericht zwar mit der Einleitung: „so berichtet Pfarrer Joh. Gese aus Dessau“ anführt, aber ohne weitere Vorstellung des Erzählers. 31 Dieser Druck hat für Lossius eine autoritative Form gehabt, nicht weil er ein Erstdruck sei, sondern weil er ihn von Eber selbst zugeschickt bekommen hat. Dr. Theodor Wotschke berichtet Seite 10 in „Paul Ebers Beziehungen zu Niedersachsen“ (Zeitschrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte, Jg. 28 [1924], 9–37), dass ein reger schriftlicher Verkehr von September 1560 bis 1563 den Wittenberger Theologen mit dem Lüneburger Schulmann verband. Ständig pflegte Eber diesem die Erzeugnisse seiner Feder zu senden, und er schickte ihm auch 1562 sein Lied „Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott“. 32 Gese, Johannes: Historia vnd kurtzer Bericht von dem Christlichen vnd seligen Abschied aus diesem elenden Leben, weiland des Durchleuchtigen, Hochgebornen Fürsten vnd Herrn, Herrn Joachim zu Anhalt etc. den 6. Decembris, Anno 1561. Hans Lufft, Wittenberg 1562. 33 Kulp, Johannes / Büchner, Arno / Fornaçon, Siegfried: Die Lieder unserer Kirche. Eine Handreichung zum Evangelischen Kirchengesangbuch. Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch. Sonderband. Göttingen 1958, 488.

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Er war doch kein Pastor Jedermann. Magister Johannes Gese (gestorben 1578 und staatlich zur Erden bestattet) war der hoch anvertraute Superintendent zu Dessau und Hofprediger des Fürsten und hat deshalb die beste Einsicht in die fürstlichen Neigungen und die daraus folgenden Dekrete und Bestimmungen wegen des Sterbegebets gehabt. Ameln hat Fürst Joachims Interesse am Sterbelied und den Bericht Johannes Geses mit keinem Wort erwähnt. Das ist umso problematischer, als dass der Einblattdruck zusammen mit einem Brief Paul Ebers über das Sterbelied eben im Dessauer Superintendentenarchiv gefunden wurde, wie Ameln selbst berichtet hat. Der Druck lag zuletzt in dem „Breviarium Georgii Principis ad Anhalt“.34Ameln berichtet weiter, dass aus dem Zustand des Einblattdrucks eine ehemalige Befestigung mit Siegellack im Vorderdeckel zu erkennen ist. Vor dem Hintergrund von Johannes Geses Bericht mögen wir nun annehmen, dass eben dieses Exemplar des Einblattdrucks mit Siegellack als ein persönlicher Gruß von Paul Eber an Fürst Joachim gesandt worden war. Also muss der Einblattdruck 1560 oder 1561 und jedenfalls nicht 1562 gedruckt sein. Lossius’ Auskunft scripta germanicè & edita Anno 1562 über das Sterbegebet kann danach nicht zu einer Datierung des Einblattdruckes verwendet werden.35

6. Die Bezeichnung „Gebet“ muss ernst genommen werden Lossius ist seiner Rolle als Zeuge doch keineswegs enthoben. Meine These ist, dass wir in seiner Oratio eine frühere Form des Sterbegebetes als im Einblattdruck haben. Warum sonst gibt Lossius nicht ein Lied mit Melodievorschlag, sondern ein unstrophisches Gebet heraus? Indiz dafür ist zudem das kleine Wort „auch“ in der Überschrift des Einblattdruckes: „Ein Gebet zu Christo […] welches auch kan gesungen werden“. Dieses kennzeichnet eine sekundäre Verwendung des Gebetes. Die primäre Verwendung eines Gebetes ist natürlich, gebetet oder gelesen36 zu werden. Die sekundäre Verwendung als Lied ist deutlich in der Strophenteilung ersichtlich. In einem Lied ist es nicht besonders elegant, eine Strophe mit „Vnd“ (Z. 17), „Biß“ (Z. 21 und 45) und „Sondern“ (Z. 37) anzufangen sowie angefangene Sätze in der Folgestrophe fortzuführen (20/21, 32/33, 40/41). Auch darum ist die Ernennung des Einblattdruckes zur Urform bzw. zum Erstdruck des Gebetes fragwürdig. Die Verwendung des Gebetes als Lied ist zu differenziert und fortgeschritten, um eine erste Stufe darzustellen. 34 Ameln, Konrad: „Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott“ (s. Anm. 1), 113 f. 35 Wie die Argumentation sich im Kreis dreht zeigt sich bei Michel, wo der Bericht, dass Joachim von Anhalt-Dessau (1509–1561) das Lied oft nach der Predigt habe singen lassen„ als Legende bezeichnet mit der Begründung in der Fußnote: „Die Angabe ist zweifelhaft, da Joachim von Anhalt bereits 1561 starb, das Lied aber erst 1563 gedruckt wurde“. Michel, Stefan: Das gesungene Wort Gottes (s. Anm. 25), 434. 36 Vgl. Fürst Joachims Verordnung von 1561, dass man Ebers Sterbegebet „des Sontags nach geschehener Predigt, auff der cantzel lesen muste“.

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In dieses Bild passt dann wieder ein Entstehungsjahr 1557, nämlich für die ungesungene Gebetsfassung, die sowohl in dänischer als auch deutscher Überlieferung zu finden ist.

7. Die dänische Überlieferung des Sterbegebets Wie oben beschrieben, hat Rasmus Katholm das Sterbegebet als ein Gedicht ins Dänische übersetzt, das Thomissøn nachher zum Lied im dänischen Gesangbuch 1569 redigiert hat. Seine vierzeilige Version geht nicht auf das Hamburger Enchiridion von 1565 mit seinen acht Strophen à sechs Zeilen und zwei Melodiehinweisen zurück. Für seine Datierung 1557 kann Thomissøns guter Freund Rasmus Katholm die Quelle mit Verbindung zu Eber sein. Außerdem korrespondierten Katholms Kollegen, die Kopenhagener Theologieprofessoren Johannes Machabæus (gestorben 1557) und Erasmus Lætus (1526–82) mit Eber.37 Lætus hatte am 28. November 1559 in Wittenberg nebst Paul Eber pro Licentia disputiert und mit ihm zusammen am 7. Dezember die theologische Doktorwürde empfangen.38 Lætus kann die Quelle sein. Aber auch Thomissøn selbst und sein Vater, Kanonikus Thomas Knudsen (1503–1581), der wesentlich zum Gesangbuch beigetragen hat, haben beide den Magistergrad in Wittenberg erworben (1.8.1555 und 25.1.1543) und scheinen ihre Beziehungen nach Wittenberg aufrechterhalten zu haben. Ihre Melodie für Ebers Gebet haben sie mit fachlichem Überblick in Nikolaus Hermans Sonntagsevangelien von 156039 gefunden,40 nämlich die Melodie zu Wer hie für Gott will sein gerecht41 (heute z. B. EG 442 zu Steht auf ihr lieben Kinderlein). Gewiß kannten sie Paul Ebers Vorwort42 zu diesem Werk. Größte Sorgfalt prägt das Gesangbuch von Thomissøn / Knudsen, und wir können damit rechnen, dass sie ihre Vorarbeit zum Gesangbuch gut getan haben.

37 Ilsøe, Harald: Christian og Johannes Machabæus. Nogle breve og nogle dansk-skotske forbindelser [Einige Briefe und dänisch-schottische Verbindungen]. In: Kirkehistoriske Samlinger 1965, 467 f; Neuendorf, Paul A.: Die Korrespondenzpartner Paul Ebers in den Beständen der Forschungsbibliothek Gotha. In: Gehrt, Daniel / Leppin, Volker (Hg.): Paul Eber (1511–1569). Humanist und Theologe (s. Anm. 2), 594. 38 Sixt, Christian Heinrich: Paul Eber. Ein Stück Wittenberger Lebens aus den Jahren 1532 bis 1569, Ansbach 1857, 44; Rørdam, Holger Fr.: Kjøbenhavns Universitets Historie fra 1537 til 1632, II, Kjøbenhavn 1869–72, 467. 39 Herman, Nikolaus: Die Sontags Euangelia vber das gantze Jar Jn Gesenge verfasset, […] Mit einer Vorrede D. Pauli Eberi. Wittenberg 1560 (DKL 1560 08). 40 Widding, S.: Dansk Messe, Tide- og Psalmesang 1528–1573, Vol. II, Kopenhagen 1933, 234. 41 Zahn, Johannes: Die Melodien der deutschen evangelischen Kirchenlieder I. Gütersloh 1889, Nr. 376. 42 Diese Gesangbuch-Vorrede von Paul Eber ist von Martin Rößler 344–347 und von Stefan Michel 429–432 in ihren Beiträgen (s. Anm. 24 und 25) beschrieben.

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8. Ebers Sterbegebet in deutschen Gebetbüchern Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass Ebers Gebet auch eine bisher wenig beachtete Verbreitung in den deutschen Gebetbüchern gehabt hat. So beschließt Ebers Gebet z. B. mehrere Auflagen von Andreas Musculus’ Betbuchlein, das in Frankfurt/O 1559 erschien. In einer von Hans Steinmann in Leipzig 1574 gedruckten Ausgabe hat das Gebet die Überschrift „Ein gebet zu Christo, vmb ein seligen Abschied, aus diesem elenden betrübten leben. Paulus Eberus filiolis suis faciebat“, aber ohne Jahreszahl. Hier und in anderen Auflagen des Betbuchleins ist Ebers Gebet von dem verwandten „O HErr biß du mein Zuuersicht / So mein mund kein wort nimmer spricht […]“ begleitet.43 Im Gebetbuch des Dresdner Pfarrers Petrus Glaser von 157544 befindet sich Ebers Gebet unter den Abendgebeten, ohne Überschrift und Verfassernamen und mit dem gewöhnlichen zwölfstrophigen Text, doch mit einer zusätzlichen 13. Strophe, die gewiß von dem wortreichen Glaser geschrieben wurde: Das helff vns Christus vnser trost / der vns durch sein Blut hat erlöst / von des Teuffels gewalt vnd ewiger pein / Dem sey lob, preis vnd ehr allein / Amen. Dazu hat Glaser ein Prosagebet für Kranke und Sterbende und eine Gebetsbelehrung verfasst, beide von Ebers Gebet inspiriert.45 Ähnliche Spuren von Ebers Gebet finden wir in Johann Habermanns46 weit verbreitetem Gebetbuch von 1567,47 wo der Abendsegen zum Mittwoch so endet: Erhalte mich auch an meinem letzten Stündlein. Wenn meine Augen nimmer sehen /  Meine Ohren nimmer hören / vnd wenn mein Zunge nimmer redet / Wenn meine Hende nimmer greiffen / vnd die Füsse nimmer gehen mögen / So stehe mir bey du Hochgelobte Dreifaltigkeit / das der böse Feind keine Macht an mir finde / AMEN .

Habermanns Danksagung am Freitag für das Leiden Christi, die über die Leidensgeschichte meditiert, beginnt mit diesem breiten, aber trotzdem erkennbaren Anfang: ICh dancke dir Herr Jhesu Christe / warer Gott vnd Mensch / das du mich armen Sünder vnd verdampten menschen / on alle meine Werck / verdienst vnd wirdigkeit erlöset hast / durch dein heilig Leiden / sterben vnd Blutuergiessen. O HErr Jhesu Christe / Wie gros ist dein Leiden / Wie schwer ist deine Pein / Wie viel ist dein Marter / Wie tieff sind 43 Wackernagel, Philipp: Das deutsche Kirchenlied (s. Anm. 18), Bd. III, Nr. 1268 druckt dieses „gebett vmb ein seligs end“ ab nach „Ein new außerlesen Gesangbüchlin“, Strasburg 1568 (DKL 156809) und nennt den Dichter Georg Berckenmayr (s. Anm. 70). 44 Glaser, Petrus: Ein new Lehr, trost, Beicht, vnd Gebetbüchlein, Leipzig 1575 – Exemplar in Det kongelige Bibliotek, Kopenhagen, Signatur: 92,-271–8vo, hat Frederik II’s Königin Sophia 1582 gehört. 45 Abgedruckt in Lyster, Jens: Dr. Paul Ebers bøn om en salig død (s. Anm. 4), 143. 46 Es gab einen engen Briefwechsel zwischen Eber und Habermann. In Gotha sind ein Brief von Eber an Habermann und 15 Briefe von Habermann an Eber aus dem Zeitraum 1558–1569 erhalten. Vgl. Neuendorf, Paul A.: Die Korrespondenzpartner Paul Ebers in den Beständen der Forschungsbibliothek Gotha (s. Anm. 37), 593. 47 Christliche Gebet für alle Not vnd Stende, Hoff 1567 – Edition von Jens Lyster unter: http:// iah-hymnologie.de/material/material-zu-kirchenlied-gesangbuch-und-liturgiegesang/.

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deine Wunden / Wie Bitter vnd schmertzlich ist dein Tod / Wie vnaussprechlich ist deine Lieb / damit du mich deinem lieben Vater versönet hast…

Auch in anderer Weise hatte Habermanns Gebetbuch Bedeutung für die Verbreitung des Sterbegebets. In der dritten Ausgabe (mit Vorwort Wittenberg am 29. September 1574) und in mehreren Folgeauflagen steht Ebers Gebet am Ende des Buches unter der Überschrift Ein Gebet zu Christo, vmb einen seligen abschied aus diesem elenden betrübten leben, welches auch kan gesungen werden auff vielerley thon, die auff vier verss gesungen werden.

Eine Nürnberger Ausgabe von 162048 hat obendrein die Datierung vom deutschen Einblattdruck: Paulus Eberus filiolis suis faciebat, Anno 1560 und dessen marginalen Schrifthinweis „Johan 5. 8.“. In zwei niederdeutschen Ausgaben von Habermanns Gebetbuch, Hamburg 1600 und 1614, aber mit einem Vorwort des Übersetzers Hermann von Hagen aus dem Jahr 1570, ist Ebers „Ein schön Gebedt tho Christo“ als Anhang zu dem Gebetbuch angebracht. Dass Ebers Gebet schon um diese Zeit als Anhang zu Habermanns Gebetbuch publiziert worden ist, sehe ich in Petrus Johannis Gothus’ schwedischer Übersetzung „Gudheligha Bööner och Tacksäyelser“, Rostock 1572, bestätigt. Diese Habermann-Übersetzung endet mit vier neuen Liedern, und das erste ist eben O Jesu Christ sann Gudh och Mann mit der Überschrift „Een andeligh wijsa, om ena saliga Endelycht, vnder the Noter som man siunger, Fadher wår som i Himlom äst, aff P. I. G. förswenskat“.49

9. Eine kurze 39zeilige Ausgabe des Sterbegebets Noch interessanter sind zwei skandinavische Gebetbücher, die beide eine 39zeilige Fassung von Ebers Gebet enthalten. 1564 erschien das schwedische „En ny christeligh Böneboock“ und 1574–75 das dänische „En Ny Bønebog“ von Rasmus Hansen Reravius.50 Eine ebenfalls 39zeilige Gebetfassung ist in einem Lübecker niederdeutschen Gebetbuch von 1564 zu finden. Nochmals lohnte es sich, über das Bach zu gehen, um Wasser zu holen. Diesmal war die Quelle jenseits der Nordsee, im British Museum in London zu finden.51 Unter einer Reihe von „Gebede in dem Dodtbedde, vnde yn der lesten stunde“ steht: 48 Exemplar in Nationalbibliothek Wien, Signatur: 21. Mm. 211. 49 Die schwedische Übersetzung erschien schon im Jahr vorher in einer Flugschrift: Twa Andeliga Wijsor, Then Första är Een Christeligh Böön till Gudh om Een Saligh ändelijcht, Rostock 1571. 50 S. Anm. 5. 51 Ein Schön Nye Christlick vnd nütte Bedebock. Vth den Olden Lerers der Kercken, Alse Augustino, Ambrosio, Cipriano, Cyrillo, Bernhardo, Chrisostomo, & c. Thosamende gethagen. In allerley anfechtingen vnde nöden tho Bedende, denstlick vnd tröstlick. Thom andern male wedder Gedrücket, vnde mit mehr andern herliken vnde schönen Gebeden, Sampt einer Christliken

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  Jens Lyster Ein Gebedt tho Christo, vmme einen saligen Affschedt vth dessem elenden vnde bedröueden Leuende. Doct. Paul. Eber. HERR JHesu Christ war Minsch vnd Godt,

De du ledst Marter, Angst vnd spot. Vor my am Crütz ock endtlick starffst, Vnd my dyns Vaders huldt erwarffst. Ick bidd 52 dorcht bitter Lydent dyn, Du willst my Sünder gnedich syn. Wenn ick nu kahm yn steruens nodt, Vnd kempen werde mit dem Dodt. Wenn my vorgeith all myn Gesicht, Vnd myne Ohren hören nicht. Wenn myne Tung nicht mehr kan spreken, Vnd my myn Hert begünt tho breken. Wenn myn Vorstandt nu gar wech geit, Nen Minschlick hülp my mehr by steit. So kum O HERR Christ my behendt, Tho hülp an mynem lesten endt. Vnd föhr my vth dem Jamerdal, Vorkört my ock des Dodes qual. De bösen Geiste van my dryff, Mit dynem Geist stedts by my blyff. Beth sick de Sehl vam Lyff affwendt, So nym se HERR yn dyne hendt. Gyff dat myn Lyff wol rouwen mach, Beth dat anbrickt de Jüngste dach. Vorlehn ein frölick vpstandt my, Am Jüngsten Gericht myn Vorsprack sy. Vnd do my armen Sünder geuen, Vth lutter gnadt dat ewich Leuen. Wo du ock heffst my thogesecht, In dynem Wordt dem truw ick recht. Vorwar, vorwar juw segge ick, Wol myn wordt hölt vnd gelöfft an mick. De wert nicht kamen ynt Gericht, Vnd den Dodt ewich schmecken nicht. Vnd efft he schon ein mal moth steruen, Schal he doch darumb nicht vorderuen. Vnd yn dem Dodt nicht blyuen stan, Sonder dat ewich leuendt han. Gyff dat wy dar mit fröwdn yn ghan. AMEN.

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Betrachtinge, des Lydendes vnses HEren vnde Heylandes Jhesu Christi, vorbetert vnde vormehret. Lübeck, Jurgen Richholff M. D. LXIIII. Ebers Gebet steht Blatt 137r. – London, Bibliothek des British Museum, Signatur unter „Christian Prayerbook“, 4402. bb. 50 (1). 1565 kamen Editionen des Gebetbuches in Hamburg und 1565, 1567 und 1569 auch in Magdeburg. 52 Original: „didd.“ (Druckfehler).

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Die schwedische Prosaübersetzung 1564 beginnt und endet (vgl. Zeile 1–4 und 31–38) so: En Bön om en Saligh endhalycht och affgangh. O HERRE Jhesu Christe sanner Gudh och Menniskia, tu som leedh försmädelse, spot och bittra pijna, och till thet sijdzsta Corssens smälighe dödh för mina skull, ath thu mich thins Fadhers wenskap förwerffua skulle […] Sannerlighe, sannerlighe, Jach seyer edher, then min ordh holler och tror påå migh, han skall icke koma för Domen, eller smaka Dödhen ewinnerligha, och om han än dödh wore, skall han doch leffwa ighen, och besitthia then ewigha gledien, AMEN .53

Die gleich lange dänische Prosaübersetzung von Rasmus Hansen Reravius54 rührt nicht von der schwedischen Übersetzung her: En Bøn til Christum, om it saligt Endeligt aff denne bedrøffuelige Verden, oc en glædelig Opstandelse. D: Paulus Eberus. O HERRE Jesu Christe, sand Gud oc Mand, som haffuer lidt Martyr, angist, spot, Pine oc endelige døde paa Kaarssit, for mig oc alle Syndere, met huilcket du forhuerffuede oss din Faders venskaff, yndist oc Naade. […] min Tunge icke kand tale, mine Lemmer icke mere røre sig, mit Hierte begynder at bryste, min Fornufft oc Forstand vil forgaa, all Menniskelig hielp oc bistand vil sla feil for mig […] At huo som hører dit Ord, oc troer den som dig vdsende, hand haffuer det euige Liff, oc kommer icke til Dommen, men hand er trengd igiennem fra Døden til Liffuet. Det forlen oc giff mig, min kiere HERRE Jesu Christe, for din store Kierligheds skyld til oss arme Syndere, oc din deylige seyeruinding, du som met Faderen oc den hellig Aand, est en euig Gud, lofflig oc priselig vdi all Euighed, AMEN .55

Das niederdeutsche Gebet in der 39zeiligen Fassung lässt sich in den von mir hervorgehobenen Wörtern „begynder“ (vgl. Z. 12: begünt) und „bistand“ (vgl. Z. 14: by steit) deutlich erkennen.56 Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass das niederdeutsche „hölt“ (Z. 32) und nicht das hochdeutsche „hällt“ von dem dänischen Übersetzer als „hört“ (Danisch: hører) gelesen ist. Übrigens mit Joh 5,24 übereinstimmend! 53 Lyster, Jens: Dr. Paul Ebers bøn om en salig død (s. Anm. 4) 145 bringt das schwedische Gebet in extenso. 54 In: Lasius, Christopher: Det Gyldene Klenod, Kopenhagen 1572. Vermutlich sind Ebers Sterbegebet und mehrere andere Gebete in dieser Ausgabe aus Ein Schön Nye Christlick vnd nütte Bedebock (s. Anm. 51) geholt. 55 Lyster, Jens: Dr. Paul Ebers bøn om en salig død (s. Anm. 4), 148–149, bringt diese breite Übersetzung in extenso. Oben ist nur der Auszug zitiert, der mit der niederdeutschen Version Zeile 1–4, 11–14, 32–33 und 38 sich vergleichen läßt. Dazu kommt der freie trinitarische Abschluss des Übersetzers, den ich kursiviert habe. Auch Reravius’ Sterbelied HERRE JEsu Christ sand Gud oc Mand von 1574–75 und Hans Oldelands davon herleitete Sand Gud oc Mand HErre Jesu Christ (s. Anm. 12) zeigen in ihren Zeilen 8, 11, 13 f, 23, 27 f und 35 Spuren der 39zeiligen niederdeutschen Vorlage. 56 Noch im niederdeutschen Enchiridion Geistliker Leder vnde Psalmen, Magdeborch 1596, DKL 159607 (Exemplar in meinem Besitz), leben Zeile 1–36 ungeändert weiter, mit „kempen“ Z. 8, „kan spreken“ Z. 11, „begünt tho breken“ Z 12 und „bysteit“ Z. 14.

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  Jens Lyster

Ebers Gebet in schwedischer und dänischer Prosaübersetzung beweist nicht, dass Ebers Gebet ursprünglich in Prosa geschrieben ist. Die Prosaform kann „Notlösung“ unter Zeitdruck des Übersetzers sein.

10. Vom Gebet zum Lied in drei Schritten: 1557 – 1560 – 1563 Angesichts des vorliegenden Materials ist eine erneute Stellungnahme zum Entstehungszeitpunkt des Gebetes erforderlich. Meine Vermutung ist, dass das kürzere unstrophische Gedicht in 39 Zeilen eine ältere Stufe in der Entwicklung des Gebetes vertritt, und dass Eber sein Sterbegebet im Jahre 1557 verfasst hat. Wenn das Entstehungsjahr 1557 an niederdeutschen und dänischen Texten steht, ist es wohl Ebers guten Verbindungen in den Norden zu verdanken.57 Möglicherweise gab es auch eine frühe polnische Verbindung. In einem defekten polnischen Cantional, das Gottfried Döring als das „Pieśni chrżescíańskie“ des Seclucyan von 1559 identifiert hat, kommt Ebers Sterbegebet in folgender Übersetzung vor: Panie Jezu tyś człowiek i Bog.58 Spätere Forschung hat diese frühe Datierung bestritten.59 Nichtdestoweniger bestehen anerkannte Forscher noch 1958 auf der alten Datierung: „Schon im Jahre 1559 schuf der Prediger Jan Seclutianus in Königsberg eine polnische Übersetzung unseres Liedes“.60 Vor dem Hintergrund vorliegender Untersuchung sei es für polnische Forscher nicht schwierig festzustellen, ob die polnische Übersetzung, die in der neuesten Eber-Forschung nicht erwähnt ist61, von dem 39zeiligen oder dem 48zeiligen Sterbegebet herrührt – womit die Datierung des polnischen Cantionals zu klären wäre. Ich vermute weiter, dass Eber sein Gebet im Jahre 1560 mit einer Erweiterung von 39 auf 48 Zeilen sangbar gemacht hat. Die Lesart auf dem Einblattdruck hat den Charakter eines Experiments. Erstens ist der Text ein Gebet, geschrieben um gebetet zu werden. Darüber hinaus kann das Gebet nun auch entweder in acht sechszeilige oder in zwölf vierzeilige Strophen gegliedert und gesungen werden.

57 Vgl. Anm. 37 über die Kopenhagener Verbindungen und Wotschke, Theodor: Paul Ebers Beziehungen zu Niedersachsen (s. Anm. 31) mit Briefwechseln nach Hamburg, Celle, Bremen, Lüchow, Lüneburg, Braunschweig, Schleswig und Ostfriesland. 58 Döring, Gottfried: Choralkunde: in drei Büchern. Danzig 1865 (http://mdz-nbn-resolving. de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10593007-8, Aufruf 14.5.2019), 433 f. 59 Dr. Weiß im Evangelischen Gemeindeblatt, Königsberg i. Pr. 1861, Nr. 23 f, cf. Ameln, Konrad: „Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott“ (s. Anm. 1), 113, und A. F. W. Fischer: KirchenliederLexicon I, Gotha 1878, 276. 60 Kulp, Johannes / Büchner, Arno / Fornaçon, Siegfried: Die Lieder unserer Kirche (s. Anm. 33) 487. 61 In: Gehrt, Daniel / Leppin, Volker (Hg.): Paul Eber (1511–1569). Humanist und Theologe (s. Anm. 2) wird sie weder in Franziska Königs umfassenden Eber-Bibliographie S. 522–529 noch von Gehrt und Knüpffer S. 31 über die Verbreitung des Sterbegebets berücksichtigt.

Vom Gebet zum Lied 

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Die Frage ist, ob Eber mit diesem Sterbelied den Gemeinden ein eindeutig segensreiches Geschenk gemacht hatte, oder ob dieses Geschenk Anno 1560 mit eingebauten Konflikten versehen war? Denn wie sollte das Lied am besten gesungen werden? In acht sechszeiligen oder in zwölf vierzeiligen Strophen? Eine Wahl darf getroffen werden. Und sehr bald, als man vergessen hatte, dass die Wahlfreiheit von Eber selbst autorisiert war, meldet sich die Frage: Was ist die rechte, und was ist die falsche Einteilung? Diese Unsicherheit spiegelt sich, vermute ich, in einem Flugblatt von 1568, unter dem Titel „Ein Gebet zu Christo, vmb einen seligen Abschied, aus diesem elenden betrübten Leben, etc.“,62 wo Ebers Gebet ausschließlich in acht sechszeilige Strophen eingeteilt ist und mit dieser nicht bisher beachteten Zeitangabe versehen ist: Paulus Eberus Filiolis suis faciebat. Anno 1563. Wenn man die Jahreszahl nicht als einen Fehler wegdeuten will, bedeutet wohl die Aussage, dass Eber 1563 in der schwebenden Auseinandersetzung und Ratlosigkeit durchgriffen hat und mit der Autorität des Verfassers seine endgüldige Wahl getroffen hat: Acht sechszeilige Strophen, bitte!

11. Mittelalterliche und lutherische Züge im Sterbegebet Es liegt ein Duft von Mittelalter über Ebers Gebet, und zufällig ist es nicht, dass das katholische Bamberger Betbüchlein von 160663, das Gebet des Wittenberger Theologen mit der Überschrift „Ein gar uraltes katholisches Gebet um ein christliches Ende in Todes-Nöthen …“ versehen hat. Der schwedische Hymnologe Emil Liedgren vermutet,64 dass der Text mit der realistischen Darstellung der Ohnmacht des Sterbenden und der Vorstellung von dem Ansturm der bösen Geister im Augenblick des Todes auf ein mittelalterliches Sterbegebet zurückgeht. Diese Annahme wird von Sigfrid Estborn unterstützt,65 der ein altes Gebet zu Christus um Hilfe in der Sterbestunde als Ebers Vorlage bezeichnet.66 Meines Erachtens ist es kaum möglich, ein einzelnes Gebet als einzige Inspirationsquelle zu benennen. Eher hat Eber Anregungen von mehreren Stellen geholt. Z. B. von der mittelalterlichen Tradition, Jesu körperlichen Verfall am Kreuz bis ins Einzelne zu schildern (cf. Arnulf von Löwen sieben meditative 62 Das Flugblatt ist in Ludovicus, Laurentius: Christliche, Schöne, außerlesene Gebet Philippi Melanthonis, vnd Valentini Trocedorfij. Ambrosius Fritzsch, Görlitz 1568, eingefügt, um die drei letzten Blätter auszufüllen. Exemplar in der Universitätsbibliothek Breslau, Signatur 303660. VD16 L 3137. Foto in: Lyster, Jens: Dr. Paul Ebers bøn om en salig død (s. Anm. 4), 151. 63 Christliches Betbüchlein, darinnen außerlesene schöne Catholische gebettlein zusammen getragen. Bamberg 1606 (DKL 160611). 64 Liedgren, Emil: Svensk psalm och andlig visa, Uppsala 1926, 186. 65 Estborn, Sigfrid: Evangeliska svenska bönböcker under reformationstidevarvet, Lund 1929, 202 und 82. 66 Geete, Robert: Svenska böner från medeltiden, Stockholm 1907–09. In: Svenska Forn­ skriftssällskapets Samlingar. Bd. 38, 36. Dasselbe Gebet auf dänisch in: Nielsen, Karl Martin (Hg.): Middelalderens danske Bønnebøger, IV, København 1963, Nr. 847, 21,15–22,2, cf. Lyster, Jens: Dr. Paul Ebers bøn om en salig død (s. Anm.4), 152 f.

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Betrachtungen zu den einzelnen Gliedern Jesu). In einem anderen häufigen Gebet um einen seligen Tod wird Maria um ihre Nähe in der Todesstunde gebeten: „Oh Maria, Jungfrau aller Jungfrauen, sei mir nahe, wenn die Seele vom Leib ausgeht und die Sinne versagen, die Zunge sich nicht rühren kann, die ­Augen brechen und nicht sehen und die Ohren nicht hören können, dann gedenk meiner Gebete um Hilfe wider den Fürsten der Finsternis, so dass ich dich in ewiger Klarheit sehen darf“.67 Nicht überraschend, wenn Eber eine zählebige Tradition für Maria-Anrufung auf dem Sterbelager mit einem ähnlichen Gebet zu Christus verdrängen will. Umgekehrt ist es ergangen, wenn Ebers Sterbegebet unter Katholiken später verbreitet wurde. Dann haben sie oft Zeile 15–16 so umgedichtet und „rekatholisiert“: „So komm, Maria, mir behend / zu Hilf an meinem letzten End“.68 Mehrere mit Ebers Gebet verwandte Gebete mit Beschreibung der Szene, wenn die Seele vom Leib ausgeht und die Sinne versagen, sind auch in gleichzei­ tigen lutherischen Gebetbüchern gedruckt und haben also 1557 Eber zur Verfügung gestanden. Z. B. in „Ein Schöne Nye Andechtich Bedebökeschen, Vor allerley Gemene anliggent“, Magdeborch 1556,69 Gebet Nr. 41. In diesem Gebetbuch ist als Nr. 49 bereits das gereimte Gebet O Here, wes du myn thouorsicht, wo myn mundt nen wordt mehr spricht, Ja so de ohren nicht mehr hören …, das sonst erst 1568 auf hochdeutsch bekannt ist, enthalten.70 Dieses Gebet ist also nicht ein Nachhall von Ebers Gebet, was man bis jetzt hätte meinen können, sondern ist eher unter Ebers Voraussetzungen zu zählen. In seiner Vertrautheit mit der Frömmigkeitsliteratur seiner Zeitgenossen und seiner Vergangenheit hat Eber das Vermögen besessen, ein Gebet hervorzu­ bringen, das schön in der Tradition ruht und gleichzeitig mit einer solchen theologischen Stringenz aufgebaut ist, dass es als eine Neuschöpfung bezeichnet werden muss. In der einleitenden Anrufung des Herrn als „Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott“71 ist die nachfolgende Struktur des ganzen Gebetes vorgebildet.72 Zeile 67 Nielsen, Karl Martin (Hg.): Middelalderens danske Bønnebøger, I–V, København 1945–1982 (s. Anm. 66), Nr. 122, 360 und 977. 68 Kulp, Johannes / Büchner, Arno / Fornaçon, Siegfried: Die Lieder unserer Kirche (s. Anm. 33), 488. 69 Exemplar in Göttingen Universitätsbibliothek, Signatur: 8vo H. E. R. I. 14417. 70 Wackernagel, Philipp: Das deutsche Kirchenlied (s. Anm. 18), Bd. III, Nr. 1268, aus Ein new außerlesen Gesangbüchlin, Strasburg 1568 (DKL 156809) genommen. Cf. Anm. 43. 71 Dieser Ausdruck der Inkarnation wurde in mittelalterlichen Gebeten meistens in Verbindung mit Jungfrau Maria verwendet, die ohne Sünde würdig war, Jesus als den wahren Gott und Mensch zu gebären. Ferner kam der Ausdruck über die Verwandlung von Brot und Wein im Abendmahl in vielen Gebeten vor. Selten trat „wahr’ Mensch und Gott“ in den Gebeten über Kreutztod, Krankheit und Sterben auf, vgl. Nielsen, Karl Martin (Hg.): Middelalderens danske Bønnebøger (s. Anm. 66) Bd. I, 86,38; 241,18 f; Bd. II, 70,11; 93,14. An diese Tradition knüpfte Eber mit seinem Sterbegebet an. 72 Die Reihenfolge „Mensch und Gott“ ist also nicht zufällig, was unter den skandinavischen Übersetzern nur Katholm und Thomissøn achten, während Reravius, P. J. Gothus, B. C. Ægidius, J. O. Wallin, W. A. Wexels, M. B. Landstad und N. F. S. Grundtvig mit Rücksicht auf bequeme Reime umtauschen und „Gud og Mand“ [Gott und Mann] schreiben.

Vom Gebet zum Lied 

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2–6 zeichnen das Bild von dem ohnmächtigen Christus als dem wahren Menschen mit dem menschlichen Tod am Kreuz uns zuliebe, wie er in unzähligen mittelalterlichen Gebeten geschildert ist. Demgegenüber wird in Z. 7–14 ein krasses Bild von Ohnmacht, Verkommenheit und Versagen in eben der menschlichen Wirklichkeit gezeichnet, auf die die mitmenschliche Solidarität Christi hingezielt hat. Der nachfolgende Text in den Zeilen 15–28 ist ein Gebet in der Not des Menschen, ein Gebet zu Christus als dem wahren Gott. Es ist die Bitte, dass er zugunsten des sterblichen Menschen die in Zeile 2–6 geschilderte Liebe mit göttlicher Allmacht wirken lässt. Christus als der wahre Gott hat die Macht die Todesqual zu lindern, mit den bösen Geistern zu ringen, die Seele zu sich zu führen, dem Körper eine fröhliche Auferstehung zu geben, die Sünde zu verzeihen und ewiges Leben zu schenken. Das Vertrauen auf die kommende und lebendig machende Allmacht Christi gründet sich in einem lutherischen Gebet auf der Heiligen Schrift und der Zusage des Herrn. Die kryptische Rand­ bemerkung „Joh.5.8.“ – in dem deutschen Einblattdruck, in Lossius’ Oratio und im dänischen Gesangbuch 1569 – verweist auf zwei Allmachtsworte Christi. Joh 5,24: „Warlich / warlich / sage ich euch / Wer mein Wort höret / vnd gleubet Dem / der mich gesand hat / der hat das ewige Leben / Vnd kompt nicht in das Gerichte / Sondern er ist vom Tode zu Leben hin durch gedrungen.“73 Und Joh 8,51: „Warlich / warlich / Ich sage euch / So jemand mein Wort wird halten / der wird den Tod nicht sehen ewiglich.“ Ich finde, dass auch die Zusage in Mt 16,28 (cf. Mk 9,1 und Lk 9,27) in Zeile 34 („schmecken“) und Z. 39 („mein reich“) mitklingt: „Warlich ich sage euch / Es stehen etlich hie / die nicht schmecken werden den tod / Bis das sie des menschen Son komen sehen in seinem Reich“. In diesem Zusammenhang wird von Martin Rößler auch Joh 11,25 f zur Sprache gebracht: „Ich bin die Aufferstehung vnd das Leben / wer an Mich gleubet / der wird leben / ob er gleich stürbe (cf. Z. 35) / Vnd wer da lebet vnd gleubet an mich / der wird nimer mehr sterben (cf. Z. 36).“ Ich halte Rößlers Beobachtung für richtig, doch wird Ebers Gebrauch von Joh 11,26 noch einleuchtender in Z. 37–38 des unstrophischen Gedichtes: „Vnd yn dem Dodt nicht blyuen stan / Sonder dat ewich leuendt han“. So bestätigt diese Bibelstelle die Ursprünglichkeit des unstrophischen Gedichtes, weil Eber mit den vier Verheißungen Christi einen zusammenhängenden Abschluß gestaltet hat. Wie hat Eber die Verheißungen einleiten sollen? Mit „Warlich, warlich“ oder „Fürwahr, fürwahr“? Einerseits hat der Rhythmus im Gedicht die letztere Möglichkeit geboten. Andererseits betont das „Fürwahr“ die inhaltliche Nähe zum dogmatischen Ausdruck „wahr’ Mensch und Gott“. 1560 hat Eber sein Gebet mit zwölf neuen Zeilen in ein Lied verwandelt. Nachdem er sein Gebet von den letzten drei primitiv gereimten Zeilen (Z. 37–39) befreit hat, fügt er zwei / drei Schlussstrophen (Z. 37–48) hinzu. Die Zeilen 37–41 führen die direkte tröstende Anrede des Herren Christi an den Menschen 73 Dies Bibelzitat und die nächsten sind nach der Biblia Germanica von 1545 zitiert. Biblia. Wittenberg (Hans Lufft) 1545 / Faksimile Stuttgart 1967.

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  Jens Lyster

fort. Zeile 37–38 können eine christologische Lesung von 5Mos 6,21 sein: „der HERr füret vns aus Egypten mit mechtiger Hand“, wenn sie nicht auf den Gipfelpunkt der Lazaruserzählung abzielen, da Jesus mit lauter Stimme rief: „Lazare kom her aus. Vnd der Verstorbene kam her aus“, Joh 11,43 f. Zeile 39–41 erinnert an Jesu Worte am Kreuz Lk 23,42 f: „HErr gedencke an mich / wenn du in dein Reich komest. Vnd Jhesus sprach zu jm / Warlich ich sage dir / Heute wirstu mit mir im Paradis sein“ und an Kol 1,13: Wie auch der Vater „vns errettet hat von der Oberkeit der finsternis / vnd hat vns versetzt in das Reich seines lieben Sones.“ Martin Rößler nennt Z. 43–48 „die Conclusiostrophe“ und sieht sie als „verkürzte Vaterunser-Paraphrase“. Und weiter schreibt Rößler: „Eber setzt mit der fünften Bitte (Mt 6,12) im Wortlaut von Luthers Vaterunser-Lied Str. 6 ein [cf. Z. 43]: ‚All vnser schuld vergib vns Herr‘“. Ebenso klingt auch die siebte Bitte in Luthers Erklärung des Kleinen Katechismus in Zeile 44 mit: „dass uns der Vater im Himmel […] erlöse und […] wenn unser Stündlin kömmpt ein seliges Ende beschere“.74 Mit einer neuen Auskunft „D. Paulus Eberus filiolis suis faciebat Anno 1560“ bestätigt Eber, dass er sich selbst für die neuen Abschlussstrophen verbürgt. Nach Philipp Melanchthons Tod am 19. April 1560 hatte Paul Eber die geistliche Leitung in Wittenberg übernommen. In dieser Situation ist es für ihn sicherlich zweckmäßig gewesen, dass sein Sterbelied unter Verwendung von lutherischem Erbeigentum und mit erkennbaren lutherischen Wendungen signalisiert, dass der rechte Glaube noch immer in Wittenberg zu Hause ist. Als Trumpf auf solche gedachte Überlegungen wählt er endlich Luthers Vater vnser im himelreich als die bevorzugte Melodie des Sterbeliedes. Es ist also nicht nur eine spektakuläre, aber übliche Metapher, die den Verfall der Sinne im Tod schildert, sondern noch mehr die formvollendete Gestalt des ganzen Gedichts und das theologische Gewicht, die Ebers Gebet zu einem klassischen Gebet um einen seligen Tod werden ließen.

12. Konklusion Die niederdeutschen und dänischen Traditionen zeigen sich wertvoller für das Bild der Entwicklung des Sterbegebets Ebers als die Forschung bisher gesehen hat. Drei bis vier dänische Übersetzungen gab es innerhalb der ersten fünfzig Jahre. Die erste Übersetzung ist ein zusammenhängendes Gedicht, das bald in vierzeiligen Strophen im offiziellen Kirchengesangbuch 1569 aufgenommen wurde. 1572 kommt eine neue Übersetzung hinzu, und zwar in Prosa. 1575 wird diese Übersetzung weiterentwickelt und erscheint zuerst in einem Gebetbuch, „En Ny Bønebog“, möglicherweise als ein 39zeiliges Gedicht und vier Monate 74 Rößler, Martin: „Helft mir Gotts Güte preisen“ (s. Anm. 24), 362 f.

Vom Gebet zum Lied 

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später erweitert auf acht sechszeilige Strophen in einem offiziösen Gesangbuch 1575. Endlich wird diese Übersetzung als zusammenhängendes Gedicht, aber ganz frei überarbeitet, 1610 herausgegeben. Bemerkenswert ist, dass in Dänemark das Entstehungsjahr 1557 (oft M . D. LVII geschrieben) des Sterbeliedes eine allgemein anerkannte Tatsache war. Das geschah durch zwei Kirchengesangbücher: „Den danske Psalmebog“, 1569, Oktavausgabe (neun Auflagen) und „En Ny Psalmebog“, 1586, Duodezausgabe (15 Auflagen). Und durch zwei Gebetbücher: „En Ny Bønebog“, 1575 (zwei Auflagen) und „En liden Vandrebog“, 1590 (zehn Auflagen). Das Entstehungsjahr 1557 ist auch in einem niederdeutschen Gesangbuch Hamburg 1565 und einer Flugschrift Lübeck 1580 bekannt. Ein niederdeutsches Gebetbuch Lübeck 1564 mit dem Sterbegebet als einem 39zeiligen Gedicht unterstützt das umstrittene Entstehungsjahr 1557. Das 39zeilige Gedicht wurde durch dieses Gebetbuch 1564 auch in neuen Auflagen Hamburg 1565 und Magdeburg 1565 und 1567 gedruckt und hat sich sowohl in „Enchiridion Geistliker Leder vnde Psalmen“, Rostock 1577 und Magdeburg 1596 als auch in dem schwedischen „En ny Christeligh Böneboock“, Rostock 1564, Spuren gesetzt. Man darf vermuten, dass sich das 39zeilige Gedicht so oder so im Aufbau des Sterbeliedes in anderen Gesangbüchern verbirgt.

Melodische Aufwärtsverlagerungen bei frühen Kirchenliedern 1

Hans-Otto Korth

In der zweiten Hälfte des für das deutsche Kirchenlied so bedeutsamen Jahres 1524 erschien in Wittenberg das „Geystliche gesang Buchleyn“2 des Johann Walter (1496–1570). Es gehört zu den zentralen Säulen der Entwicklung des jungen Reformations-Liedes und ist in seiner Bedeutung für dessen Erforschung kaum zu hoch einzuschätzen, was hinsichtlich der Beiträge Martin Luthers (1483–1546) und deren Melodien noch besonders hervorgehoben zu werden verdient. Sowohl Lieder als Ganze als auch manche Melodie zu einem bereits früher nachweisbaren Text erschienen bei Walter neu oder sind zumindest hier erstmals greifbar. Mit Sicherheit hat Walter auch selber Melodien geschaffen; daneben aber wurden von ihm auch Weisen herangezogen, die bereits vorlagen. Indem Walter sie für mehrstimmige Sätze verwandte, liegt es auf der Hand, dass sie auf der einen Seite Festlegungen erfuhren, auf der anderen aber hier und dort auch als Grundlage von Bearbeitungen dienen konnten. Doch reichen dabei die Bemühungen und Beschlagenheiten des Luther-Freundes und „protestantischen Urkantors“ weiter, als dass der Hinweis auf Einbindung in Figuralkompositionen als Erklärung ausreichen würde. Allenthalben äußert sich in Walters Schaffen eine tiefe Vertrautheit mit der Genetik und Geschichte des abendländischen geistlichen Liedes und seiner Melodik seit dem Mittelalter insgesamt. Vieles Neue und Andere ist nur so zu erklären. Hierzu gehört, dass bezogen auf das gedruckte Kirchenlied im „Geystlichen gesang Buchleyn“ von 1524 ein eigenwilliger Reigen melodischer Veränderungen eröffnet wird. So vielfältig die zahllosen Unterschiede im Tonhöhenverlauf sind, die im Vergleich verschiedener Quellen, Fassungen und Stadien von Melodien zutage treten: gelegentlich zeichnen sich, mal unverkennbar, mal vage, konzeptionelle Zusammenhänge ab. Für eine solche Gemeinschaftsbildung innerhalb des Melodiengutes also bezeichnet das „Geystliche gesang Buchleyn“ Johann Walters einen – zumindest überlieferungsgeschichtlichen – Eckpunkt. Sie sei als melodische Verlagerungen bezeichnet und ist als Beitrag zum Kirchenliedschaffen insbesondere des 16. Jahrhunderts einer Vorstellung wert.



1 Zu den abgekürzt sigliert zitierten Literaturtiteln s. die Auflistung am Ende des Beitrags. 2 DKL/RISM B VIII Mi Walt 152418 / EdK ec1a.

Melodische Aufwärtsverlagerungen bei frühen Kirchenliedern 

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1. Christ lag in Todesbanden Luthers Christ lag in Todesbanden ist im „Geystlichen gesang Buchleyn“ von 1524 Grundstock dreier Kompositionen (Nr. IX–XI). Erstmals erhalten aber ist das Lied heute durch das früher im Jahr erschienene „Enchiridion“ des Johannes Loersfeld in Erfurt, das sogenannte Färbefaß-Enchiridion.3 Für die erste seiner Kompositionen (Nr. IX) übernahm Walter die vorhandene Melodie unverändert; für die beiden anderen (Nr. X und XI) aber erfuhr die Weise gleichkommend eine Umgestaltung des Abgesangs. Beide Fassungen sind in Notenbeispiel 1 synoptisch übereinandergestellt.4 I. 1 Christ lag in To- des-ban - - den 3 der ist wie-der er - stan - - den

2 für un - ser Sünd ge - - ge- ben, 4 und hat uns bracht das Le-ben.

II.

I. 5 Des wir sol - len fröh-lich sein,

6 Gott lo - ben und

dank-bar

sein

II.

I. 7 und

sin

-

- gen Al

-

le - lu - ja.

-

lu - -

II. 7 und sin-gen Al

-

le

- ja. Al - le - - lu - ja.

Notenbeispiel 1: I: ErfL 1524a/03 / ea1, Bl. [Bviijv] (Semibrevis = Viertelnote. Z IV 7012b; JennyL, 194 oben; EdK 1/2, Ea8; KorthL, 74 oben) – II Mi Walt 152418 / ec1a-Tenor, Nr. X (Semibrevis = Viertelnote. EG 101; Z IV 7012a; JennyL, 194 f.; EdK 1/2, Ea8A; KorthL, 74 unten)

3 DKL/RISM B VIII ErfL 1524a/03 / EdK ea1. Daneben zu nennen ist das Augsburger Liederblatt DKL/RISM B VIII 1LBl Luth 1524d/20 / EdK b22. 4 In allen Notenbeispielen ist die originale Textschreibung durch moderne Orthographie ersetzt.

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  Hans-Otto Korth

Die zweimal im „Geystlichen gesang Buchleyn“ vertretene Version setzte sich rasch durch. Bereits die richtungsweisenden Wittenberger und Leipziger Gesangbücher des Joseph Klug (um 1490–1552) und Valentin Babst († 1556) führen allein sie auf; und auch das derzeitige „Evangelische Gesangbuch“ von 1993 enthält das Lied mit dieser Melodiefassung (EG 101).5 Nun kommt Figuralmusik auch der Restaurierung und Bewahrung von Vorhandenem oder gar bereits Versunkenem zugute; die „Newen Deudschen Geistlichen Gesenge“ bei Georg Rhau 1544 in Wittenberg6 etwa liefern hierfür vielfältige Belege. Daraufhin und angesichts der geringen Anzahl vorhandener Quellen darf die bei Walter zweimal vertretene Fassung zwar nicht von vornherein als die jüngere und damit Bearbeitung vorausgesetzt werden, doch spricht weiteres entschieden dafür. Die Weise im Färbefaß-Enchiridion folgt nämlich einer althergebrachten Anlage; sie steht auf dem Boden der Tradition, entspricht einem fast schon als urwüchsig zu bezeichnenden Plan: Die Melodie bewegt sich zum größten Teil oberhalb ihres Grundtons und steigt erst in ihrer zweiten Hälfte vorübergehend zum ersten Strukturton unter diesem hinab, bei der hier vorliegenden d-Tonalität das c im Übergang von der ersten zur zweiten Abgesangzeile. Die Zahl hoch- und spätmittelalterlicher Melodien, die diesem Schema entsprechen, ist Legion, durch alle Tonarten hindurch. Um für jede ein Beispiel zu nennen: Bei d-Melodik etwa Erschienen ist der herrlich Tag (EG 106), bei e-Melodik Es wollt uns Gott genädig sein (EG 280, dort auf d versetzt), bei f-Melodik das berühmte All mein gedencken dy ich hab aus dem Lochamer-Liederbuch (D-B Mus. Ms. 4013)7 und bei g-Melodik Gelobet seist du, Jesu Christ (EG 23, dort auf f versetzt). Auch der Osterleis Christ ist erstanden von der Marter alle (EG 99; GL2 318), auf dem Christ lag in Todesbanden beruht, ist im Grundsatz nach diesem Plan gestaltet. Die Fassung im „Geystlichen gesang Buchleyn“ hat als die jüngere zu gelten; und sie geht wohl auf kaum jemand anderen als Johann Walter selber zurück. – Was ist geschehen? Genau jenes traditionsverhaftete Erscheinungsbild mit dem klassischen Abstieg im Abgesang wurde der Melodie genommen. Der vertraute Nonenambitus wurde um einen Ton heraufgezogen; statt von der Unter­ sekunde c zum Grundton bis zum d’ reicht er jetzt vom Grundton d selber bis zum e’. Die kleinen Ansätze plagaler Disposition also wurden beseitigt; die Melodie erscheint jetzt ganz und gar authentisch. 5 Der anderen verblieben einige Nischen; vgl. in den EdK-Textbänden zu Melodie Ea8. 6 DKL/RISM B VIII Mi WitR 154413 / EdK c10. 7 Böhme, Franz Magnus: Altdeutsches Liederbuch. Volkslieder der Deutschen nach Wort und Weise aus dem 12. bis zum 17. Jahrhundert. Leipzig 1877, 1913, 1925, Neudr. Hildesheim und Wiesbaden 1966, Nr. 127; Salmen, Walter / Petzsch, Christoph (Hg.): Das Lochamer-Liederbuch. Wiesbaden 1972 (Denkmäler der Tonkunst in Bayern. Neue Folge. Sonderbd. 2), Nr. 39; Faksimile der Handschrift, hg. von Konrad Ameln. Kassel [u. a.] 21972 (Documenta Musicologica, Zweite Reihe III), dort 37; https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht?PPN=PPN645230707​ &PHYSID=PHYS_0041&DMDID=DMDLOG_0001 (letzter Zugriff Mai 2019). Auch Korth, Hans-Otto: Aus An Wasserflüssen Babylon wird Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld. (s. Anm. 29), 60.

Melodische Aufwärtsverlagerungen bei frühen Kirchenliedern 

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Walters Vorgehen8 zeugt von einem neuen, erweiterten Textverständnis: Lu­ ther hat sein Lied als Paraphrase des Osterleis Christ ist erstanden von der Marter alle ausgegeben. Dessen Text wird in der ersten Strophe zusammengefasst; und die Weise des Färbefaß-Enchiridions wurde ganz und gar aus der Leisenmelodie abgeleitet. Zugleich aber ist das Verhältnis zum Leis damit abgegolten; die Folgestrophen reichen über ihn hinaus, mehr noch: sie können sich gar nicht mehr unmittelbar auf ihn beziehen. Hier genügt die Feststellung, dass Luther in ihnen jetzt Brücken auch zum Victimae paschali laudes (GL2 320)9 geschlagen hat, der Stammsequenz des Osterleis. Beispielsweise bezieht sich die vierte Strophe „Es war ein wunderlicher Krieg, da Tod und Leben rungen“ auf die Wiederholung des zweiten Sequenzversikels „Mors et vita duello conflixere mirando“. Dem aber wird die Neuzurichtung der Liedmelodie gerecht. Mit dem versetzten Ambitus werden jetzt die Vorgaben des Osterleis verlassen, der wie die ältere Fassung des Färbefaß-Enchiridion den klassischen Nonenambitus c–d’ hat. Zwar reicht auch die kunstvolle Sequenz, die nicht weniger als die Undezime A-d’ umspannt, nicht höher als der Leis; dennoch findet der neue Spitzenton e’ der Walter’schen Fassung doch über die Sequenz seine Erklärung. Denn der verlagerte Abgesang bezieht sich zwar nicht tatsächlich als Zitat, aber doch einem solchen vergleichbar auf ein emphatisches Motiv der Sequenz, die Tonfolge a c’ d’, die dort so insgesamt dreimal erscheint. Bei der Kürze der Liedweise ist ein solches mehrmaliges Auftreten der prägnanten Wendung nicht gut möglich; und genau das mag durch eben jenes aus dem Rahmen fallende e’ kompensiert werden. Bezüge auf die im dritten Sequenzversikel auftretenden tiefen Partien hingegen sind nicht nötig, denn auf deren Text greift Luther nicht zurück. Die Melodie Christ lag in Todesbanden in ihrer jüngeren Version erweist sich in der Analyse als eine jener kenntnis- und beziehungsreichen einschlägigen Meisterleistungen, die den jungen Johann Walter als brillanten, gewissermaßen ‚praktischen‘ Hymnologen erscheinen lassen.

2. Melodische Verlagerungen und das Problem ihrer Abgrenzung gegenüber anderen Tonhöhenvarianten Gewiss lässt sich der eindrucksvolle Fall Christ lag in Todesbanden für sich erklären. Doch ist seine Bedeutung nicht auf sich selber beschränkt, sondern reicht darüber hinaus: Christ lag in Todesbanden steht innerhalb des Repertoires gedruckter Kirchenlieder mit am Beginn einer Reihe von Melodien, bei denen Eingriffe eine Aufwärtsverlagerung bewirkt haben, ja bei denen der melodische Fluss zuweilen richtiggehend emporgerissen wird. Das ist zunächst einmal nichts Außergewöhnliches. Wenn das bekannte Kinderlied aus der Zeit um 1900 Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald den

8 Zum Folgenden vgl. KorthL, 74–80 zu Nr. 6. 9 LU 780; GR 198 f.; vgl. auch EdK 1/2, D16 und D16A.

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Schluss der dritten Zeile „von Pfefferkuchen fein“ mal als e’ fis’ fis’ fis’ g’ a’ hat, mal aber als e’ fis’ e’ fis’ h’ a’ oder ähnlich, so ist das letztlich nichts Anderes; sogar die obere Ambitusgrenze ist durch die Variante betroffen und unterschiedlich. Überblickt man aber die Liedproduktion des 16. Jahrhunderts, so zeigen sich solche Aufwärtsverlagerungen dort immer wieder, ja das 16. Jahrhundert scheint gar eine hohe Zeit für sie gewesen zu sein.10 Das ist auch unschwer nachzuvollziehen: Die mehr oder minder spontan einsetzende Lawine einerseits neuer, andererseits ständig rekapitulierend immer wieder neu redigierter Weisen zog nach sich, dass mit diesen experimentiert und gerungen wurde, dass über der Frühgeschichte eines Liedes und dem Wiederaufgriff und der Neuverwendung von Bekanntem Unruhe lag. Belege für Abänderungen von Melodien sind ebenso zahlreich wie vielfältig; die Variantenverzeichnisse der Editionen füllen Bände. Auch viele Text-Melodie-Beziehungen festigten sich erst mit der Zeit. Die Wege von Luthers Jesus Christus, unser Heiland, der den Tod überwand und des von Luther bearbeiten Nun lasst uns den Leib begraben zu beständigen Versionen etwa können fast schon als verschlungen bezeichnet werden.11 Anteil daran hat auch, dass dem Kirchenliedgut der Reformationszeit anfangs noch nicht die mit Kanonisierung vergleichbare Bedeutung und Unantastbarkeit eignete. Wenig später dann war es genau umgekehrt: Gerade jene Kanonisierung bestimmte, indem sie Veränderungen umso mehr hervortreten ließ, den Weitergang der Verlagerungen mit. Darauf wird noch zurückzukommen sein. In dem allen kommt Verlagerungen eine Sonderstellung eigentlich nicht zu, sie sind zunächst einmal nur etwas genauer bezeichnete Varianten. Sie sind auch gegenüber der Fülle schlichter, unbedeutend anmutender Tonhöhenunterschiede schwer abzugrenzen (s. o. Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald). Wiederum lässt sich bereits Walters „Geystliches gesang Buchleyn“ von 1524 zum Zeugen anrufen, indem erstmals dort (Nr. V) eine eigenwillige Melodiefassung des Luther-Liedes Gott sei gelobet und gebenedeiet bzw. des hinter ihm stehenden Fronleichnamsleis aufgeführt ist.12 Heute gebräuchlich (EG 214; EG 217; GL2 215) ist die Weise in der Fassung, wie sie ebenfalls seit 1524 vorliegt und dann in den Klugschen Gesangbüchern seit spätestens 1533 ihre endgültige Version erhalten hat. Dabei wird der Stollenschluss zur Unterquinte des Eingangstons und Hauptschlusses geführt, was gänzlich der plagalen g-Tonalität gerecht wird, in der die Melodie ausgeführt ist (bei Klug auf c versetzt; s. die Angaben zu Notenbeispiel 2). Von dieser Fassung unterscheidet sich die bei Johann 10 Früheres wurde kürzlich am Rande mit berührt durch die packenden Überlegungen von Lewon, Mark: Zwischen Bordun, Fauxbourdon und Discantus: Zum Dilemma instrumentaler Begleitungsstrategien für mittelalterliche, weltliche Einstimmigkeit. In: Basler Jahrbuch für Historische Musikpraxis XXXV/XXXVI (2011/12 – erschienen 2018), 87–118. 11 Vgl. dazu zuletzt KorthL, 124–128 zu Nr. 13 und 256–263 zu Nr. 32; ferner Korth, HansOtto: Die beiden Luther-Lieder Jesus Christus, unser Heiland: Rezeption in sich. In: Hirschmann, Wolfgang / Korth, Hans-Otto / Miersemann, Wolfgang (Hg.): Mit kräfftigen Gesängen die Gemeinde GOttes zu erbauen. Das Lied der Reformation im Blickpunkt seiner Rezeption. Halle 2018 (Hallesche Forschungen 52), 1–21. 12 Insgesamt dazu vgl. zuletzt KorthL, 116–123 zu Nr. 12.

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Walter an zwei Stellen: durch eine einzelne Tonhöhenvariante in Zeile 8 und durch den Stollenschluss. Walter lässt den Stollen nicht auf der Unterquinte des Grundtones enden, sondern führt ihn zu diesem zurück; siehe Notenbeispiel 2:

1 Gott sei ge - lo - bet und ge - be - ne - dei-et, 2 der uns sel - ber hat ge-spei - set 3 mit sei-nem Flei-sche und mit sei-nem Blu-te, 4 das gib uns, Herr Gott, zu - gu - te.

5 Ky - ri - e - lei -

7 der von

dei - ner

i - son.

6 Herr, durch dei - nen

Mut - - ter Ma - ri - a

li - ge Blut, 9 hilf uns, Herr, aus

heil - li - gen Leich-nam,

kam,

8 und das

al - ler Not. 10 Ky - ri - e - le -

hei -

i - son.

Notenbeispiel 2: WitK 1533 02 / ee4, Bl. 29vf (Semibrevis = Halbenote; auf c versetzt. EG 214; EG 217; GL2 215; KorthL, 116, dort auf c versetzt) – Übersatz: Varianten in Mi Walt 152418 / ec1a-Tenor, Nr. V (Z IV 8078, dort auf c versetzt; JennyL, 163; EdK 1/2, Eb1Aα; als Faksimile KorthL, 121)

Anders als bei Christ lag in Todesbanden freilich bleiben der Ambitus als Ganzer und der Tonalitätscharakter unverändert. Dennoch sind die Auswirkungen beträchtlich, indem sich die Fassung des „Geystlichen gesang Buchleyns“ nämlich auf nur noch einen Abstieg zur strukturellen Unterquinte des Grundtons im zweiten Teil beschränkt. Erst jetzt folgt die Melodie jenem oben umrissenen tonalitätsübergreifenden traditionellen Konzept mit Abstieg in der zweiten Hälfte. Nun lassen sich zwar beide Schlussbildungen aus dem Stammgesang der Leisenmelodie, der Fronleichnamssequenz Lauda Sion salvatorem13 ableiten, so dass im Unterschied zu Christ lag in Todesbanden die „Urwüchsigkeit“ jenes Konzeptes hier nicht für ein höheres Alter der Walter’schen Fassung geltend gemacht werden kann. Der Stollenschluss auf dem Grundton kommt im Gegenteil nach heutigem Wissensstand in der vorreformatorischen Überlieferung des Leis nicht vor. Wieder ist mit einigem Anspruch auf Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass Johann Walter mit seinen Kenntnissen spielte und die im „Geystlichen gesang Buchleyn“ mitgeteilte Fassung des Gott sei gelobet und gebenedeiet ihm 13 LU 945–949; GR 379–383; vgl. auch EdK 1/3, Eg75.

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selber zu verdanken ist.14 Die Reihenfolge im „Geystlichen gesang Buchleyn“ zugrundegelegt, wäre dies dann die erste gedruckte Kirchenliedmelodie-Verlagerung (als dort Nr. V). Sind das auch erste Vorboten eines sich ändernden Tonalitätsverständnisses, so weit hin es zu diesem noch ist? Die Behauptung sei gewagt, dass Gott sei gelobet und gebenedeiet heute als Lied in C-Dur empfunden wird, mit Stollenschluss auf der Tonika und Schluss des Abgesangs offen auf der Quinte.15 Darin äußert sich ein verbreitetes Vermittlungsproblem hoch- und spätmittelalterlicher Melodik bei plagaler Disposition. So wird ähnlich gewiss auch die hypophrygische Melodie Conditor oder Creator alme siderum (unten Notenbeispiel 7-IV, dort um eine Quarte heraufgesetzt mit a beginnend; vgl. EG 3, dort mit g’ beginnend; GL2 230, dort mit fis’ beginnend) nicht als mit dem Grundton einsetzend empfunden werden, sondern als in C-Dur (Notenbeispiel 7-IV in f; im EG Es-Dur; im GL2 D-Dur) und auf der Terz anhebend. Bei phrygischen Melodien überhaupt, auch bei authentischer Disposition, erscheint der Grundton im neuzeitlichen Empfinden häufig nicht als solcher. Phrygische Schlüsse in Chorälen erscheinen häufig wie dominantisch; insbesondere Johann Sebastian Bach (1685–1750) hat nicht selten sogar die dazugehörige Septime gestreift, etwa bei Wie soll ich dich empfangen in der ersten Kantate des „Weihnachtsoratoriums“. – Gleichwohl verblieb die Walter’sche Fassung von Gott sei gelobet und gebenedeiet im Schatten der anderen, ungeachtet auch ihrer Übernahme in die Babstschen Gesangbücher seit 1545.

Kurz, die Auswirkungen des geänderten Stollenschlusses bei Gott sei gelobet und gebenedeiet sind erheblich; und dabei handelt es sich um nicht mehr als eine Variante von zwei bis vier Tönen, die in anderem Zusammenhang als nebensächlich erscheinen würde.16 Zwar ist nicht der Gesamtambitus betroffen aber das Netz der Zeilenecktöne; deren durchschnittliche Höhe ist bei Johann Walter insgesamt etwas heraufgesetzt. Ähnlich verhält es sich mit Fassungen der e-Melodie von den Sieben Worten Jesu am Kreuz. Auch diese vorreformatorische Weise (Notenbeispiel 3-I) schließt in der dritten ihrer fünf Zeilen auf dem nächstgelegenen Strukturton darunter, bei der zugrundeliegenden e-Tonalität also der Unterterz c. Die Weise hat dann zahlreiche Fassungen ausgebildet, die sich nicht wenig unterscheiden, mehrheitlich aber jenen Zeilenschluss unterhalb des Grundtons gemeinsam haben. Aber das erste Vorkommen der Melodie als gedrucktes Kirchenlied im Babstschen Gesangbuch von 154517 schert aus. Dort erscheint sie unter dem Text In dich hab ich gehoffet, Herr und in einer eigenen Gestalt (Notenbeispiel 3-II). 14 Vgl. allerdings EdK 4, Eb1B, in DKL Ag Mnz 160508 / EdK d28 und die Überlegungen dazu im Textbd. EdK 4, 233 f.: Einiges spricht dafür, dass diese späte Fassung des Fronleichnamsleis sich nicht auf eine vorreformatorische Überlieferung stützt, sondern auf die Walter’sche Fassung des Luther-Liedes. 15 Dieser Gedanke ist nicht neu; vgl. Mahrenholz, Christhard / Söhngen, Oskar (Hg.): Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch. Bd. III: Liederkunde. Erster Teil, Göttingen 1970, 542; dazu auch KorthL, 123 und 305 f. 16 Bei EdK wurde ursprünglich erwogen, die Walter’sche Fassung als Variante der Straßburger zu behandeln. Das wurde etwas zu spät wieder verworfen, woraufhin es zu der aus dem Rahmen fallenden Siglierung der Fassungen von Melodie Eb1 gekommen ist; vgl. dazu EdK 1/2, Textbd., 110. 17 DKL/RISM B VIII LpzBa 154501 / EdK ek1a.

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I. 1 Da

Je - sus an dem Kreu - ze stund

2 und

ihm sein Leich-nam ward ver-wundt

II. 1 In

dich hab ich ge - hof - fet, Herr,

2 hilf, dass ich nicht zu-schan-den werd

I. 3 in bit - ter - li - chen Schmer - zen,

4 sie - ben Wort, die er da sprach,

II. 3 noch e - wig - lich zu Spot -

- te.

4 Des bitt ich dich, er - hal - te mich

I. 5 die be-tracht in

dei-nem Her - zen.

II. 5 in dei - ner Treu, Herr Got - -

te.

Notenbeispiel 3: I: A-Wn 3027, Bl. 295v (GGdM I 85) – II: LpzBa 154501 / ek1a-II, Nr. VIII (Semibrevis = Viertelnote. Z I 1706; EdK 1/3, Ek7)

Bei Babst ist der betreffende Schluss von Zeile 3 zum g heraufgezogen (und die nächste Zeile beginnt sogar auf demselben Ton). Ob das von anderswoher übernommen wurde oder neu war, ist ungewiss; außerhalb der Reihe der Babst-Abkömmlinge ist diese Biegung nur vereinzelt zu finden, etwa im Gesangbuch Johann Keuchenthals (um 1522–1583) von 157318. Freilich hat dann auch Johann Crüger (1598–1662) in seinen Gesangbüchern die Melodie mit dem hochgezogenen dritten Zeilenschluss und, vermutlich in Anlehnung daran, später auch Johann Anasthasius Freylinghausen (1670–1739).19 In jedem Fall bleibt mit ihm die Syntax der Tonalität gewahrt: Statt auf dem ersten Strukturton unterhalb des Grundtons e schließt die Weise quasi symmetrisch dazu auf dem ersten darüber. Wiederum ist daraufhin die Durchschnittshöhe der Zeilenecktöne angehoben, ebenso die untere Ambitusgrenze. Überdies tritt, anders als bei Christ lag in Todesbanden und Gott sei gelobet und gebenedeiet, im Netz der Zeilenecktöne eine Höhe neu hinzu (das g) und findet sich auch nicht bereits an anderer Stelle in der Melodie. Insgesamt bietet sich das Bild eines überlegten, nicht etwa auf Nachlässigkeit beruhenden Vorgehens. Der namentlich nicht bekannte Babst’sche Redaktor, dessen tiefgreifende hymnologische Kenntnisse wie die Johann Walters 18 DKL/RISM B VIII Mi Keuch 157311 / EdK a67; EdK 2, Ek7F. Über weitere Vorkommen des hochgezogenen Zeilenschlusses bis 1610 unterrichten die Fassungen von Ek7 bei EdK und die betreffenden Variantenverzeichnisse. 19 PPMEDW I/1, Nr. 154; GGEK I/3, 613, Nr. 16.

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immer wieder aufs Neue beeindrucken, konnte die Variante übernehmen, oder diese geht gar auf ihn selber zurück. Und der Berliner Nicolai-Kantor Johann Crüger griff sie dann auf und reichte sie weiter. Noch geringfügiger ist ein Unterschied zwischen Fassungen der Melodie des Kranzsingens, der ursprünglichen Melodie zu Luthers Vom Himmel hoch, da komm ich her (Notenbeispiel 4-I). Erstmals erhalten ist sie im Codex des Nikolaus Apel (D-LEu Ms. 1494) aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert. Als Luther-Lied liegt sie seit dem Klugschen Gesangbuch von 153520 vor, wobei die dortige Version mit der des Apel-Codex bemerkenswert weit übereinstimmt.21 Doch war das Kranzsingen ein alter Brauch, und so dürfte auch die dazuge­ hörige Melodie deutlich vor ihrem ältesten Nachweis entstanden sein; zugleich liegt auf der Hand, dass sie Fassungen ausgebildet hat. Eine solche teilt dann das „Schlesich singebüchlein“ des Valentin Triller von 155522 mit. In Notenbeispiel 4 sind die Weisen nach Klug und Triller synoptisch übereinandergestellt: I. 1 Vom Him-mel hoch, da komm ich

her,

2 ich bring euch gu - te

neu- - -e Mär,

II. 1 Es kam ein En - gel hell

und klar

2 von Gott auf's Feld zu'n Hir- - ten dar,

I. 3 der gu - ten Mär bring ich so

viel,

4 da - von

ich sin-gen und sa- - - gen will.

II. 3 der war gar sehr von Her - zen froh

4 und sprach fröh-lich zu

ihn'n

al - so.

Notenbeispiel 4: I: WitK 153506 / ee5, Bl. 4vf (Semibrevis = Viertelnote. EG 25; Z I 344a; JennyL, 287; EdK 1/2, Ee18; KorthL, 236 oben – II: Tril 155507 / EdK a34a, Bl. Fiijv (Semibrevis = Viertelnote. Z I 344c; EdK 1/2, Ee18B)

Beide Fassungen stehen in f plagal.23 Im vorliegenden Zusammenhang ist nur der Beginn der dritten Zeile von Belang, als Grundton f bei Klug, als strukturelle Unterquarte c bei Triller. Der in Trillers Fassung vorhandene Nonen­ ambitus von der Unterquarte zum Grundton bis zur Sexte über ihm gehört zum verbreiteten Formelrepertoire plagaler f-Melodik. Beispielsweise ist das 20 DKL/RISM B VIII WitK 153506 / EdK ee5. 21 Zur Bedeutung dieses Sachverhaltes vgl. Korth, Hans-Otto: Martin Luthers Lied Vom Himmel hoch, da komm’ ich her. Zur Herkunft der beiden jüngeren Melodien. In: Hirschmann, Wolfgang / Korth, Hans-Otto Korth (Hg.): Das deutsche Kirchenlied. Bilanz und Perspektiven einer Edition. Kassel [u. a.] 2010, 40–51; und geraffter KorthL, 236–246 zu Nr. 30. 22 DKL/RISM B VIII Tril 155507 / EdK a34a. 23 Es ist ein verbreitetes Missverständnis zu meinen, eine Melodie mit unterer Ambitusgrenze nicht tiefer als der Grundton könne nicht als plagal gelten. Unter bestimmten Voraussetzungen kann das sehr wohl sein, worauf sogleich einzugehen sein wird.

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so auch in Nun bitten wir den Heiligen Geist (EG 124; vgl. auch GL2 348) verwirklicht, Luthers Lied auf der Grundlage des alten Pfingstleis; und auch dort ist der unterste Ton zugleich ein Zeileneckton. Nicht Trillers Version der Kranzsingen-Melodie ist also diesbezüglich bemerkenswert, sondern vielmehr die bei Apel bzw. Klug, indem sie sich auf den Sextambitus vom Grundton an aufwärts beschränkt. Dieser kleine Bereich ist gleichermaßen bei authentischen wie plagalen f-Melodien möglich; und damit wird der Unterschied zwischen authentisch und plagal verwischt.24 Der substantielle Unterschied zwischen beiden Fassungen wird durch einen einzigen Ton bestritten! So ist es für sich genommen nicht verwunderlich, dass hin und wieder auch die Melodie des Luther-Liedes mit c als Anfangston der dritten Zeile begegnet.25 Erstmals ist das im Nürnberger Gesangbuch von 154526 der Fall, also noch vor Trillers „Schlesich singebüchlein“. Was hingegen sehr wohl Aufmerksamkeit verdient ist das Erscheinen der Nürnberger Variante zu einer Zeit, zu der bereits eine Firmierung der Lesarten früher Kirchenlieder auf dem Weg war, insbesondere der Luthers – immerhin im selben Jahr wie das Babstsche Gesangbuch und das gediegene Straßburger27. Will sagen: Der berühmte Name des Liedschöpfers stand jener Abweichung gegenüber Klug und Apel nicht im Wege; die Variante ist Ausdruck eines allgemeinen Verständnisses der Melodiesyntax und deren Wertschätzung weist über sich hinaus. Die Annahme ist wohl nicht überzogen, dass es auch verschollene oder allein mündlich tradierte Versionen der Melodie des Kranzsingens mit Nonenambitus von c bis d’ gab. Daraus ergibt sich dann aber zwangsläufig, dass nicht Trillers Fassung als Ausweitung des Ambitus zu begreifen ist, sondern umgekehrt die des Apel-Codex bzw. im Klugschen Gesangbuch als dessen Verringerung. Diese Fassung ist bei plagaler Anlage vom Verzicht auf den unteren Teil des verfügbaren Tonraumes geprägt. Indem aber die tiefgelegenen Zeilenecktöne entfallen, ergibt sich auch hier eine Aufwärtsverlagerung deren mittlerer Höhe: Die Verkleinerung des Ambitus für sich allein läuft auf eine Aufwärtsverlagerung hinaus. All das mag als Überphilologie, lax ausgedrückt: als ‚Erbsenzählerei‘ erschei­ nen, aber das ist es nicht. Der am Beginn dieser Eigenwilligkeiten im gedruckten Kirchenlied stehende Johann Walter hat seine Melodien in schriftlich niedergelegte Mehrstimmigkeit – Res facta – eingebunden. Wie bemerkt, werden dadurch zwar Veränderungen von Melodien nicht hinreichend erklärt; umgekehrt aber scheidet von vorn herein aus, dass Walter solche Veränderungen leichtfertig vornahm; und für Eingriffe ins Netz der Zeilenecktöne muss das nur umso mehr gelten. Selbstverständlich bleiben Fehler vorbehalten; ein solcher mag vielleicht28 24 Auch das machte freilich Schule; vgl. etwa Lobt Gott, ihr Christen, alle gleich (EG 27; GL2 247, dort auf es versetzt) aus der Zeit um 1550. 25 Vgl. EdK 1/2, Ee18 im Textbd., 204, und in den Folgebänden. 26 DKL/RISM B VIII NbgP 154503 / EdK ed7a. 27 DKL/RISM B VIII Straß 154505 / EdK eb16. 28 Ungeachtet ihrer Zählebigkeit, auch alsbald fassungsübergreifend. Vgl. EdK 1/2, Eb1 und Eb1Aα mit den jeweiligen Variantenangaben im Textbd. und den Folgebänden; dazu auch KorthL, 123.

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hinter der Einzelton-Abweichung von Gott sei gelobet und gebenedeiet, Zeile 8, stehen (s. o. Notenbeispiel 2). Ferner lässt sich doch eine gewisse Gesetzmäßigkeit im Vorgehen bei solchen Veränderungen feststellen: Die Melodie des Kranzsingens begegnet also bei Triller und als Vom Himmel hoch, da komm ich her in der Variante des Nürnberger Gesangbuches von 1545 mit Nonenambitus und einzelner struktureller Unterquarte im zweiten Teil. In dieser Gestalt aber entspricht die Weise jetzt auch jenem traditionellen, althergebrachten Konzept, für das oben einzelne Beispiele von Tonart zu Tonart aufgeführt wurden, und zu dem auch die Melodie von den Sieben Worten Jesu am Kreuz gehört. Damit ist die an einem einzigen Ton auszumachende Veränderung bei Vom Himmel hoch, da komm ich her in letzter Instanz sehr wohl dem von Christ lag in Todesbanden vergleichbar, wie die Melodie von den Sieben Worten auch. Dieser Melodientyp hat alsbald weit verzweigte Unterfamilien ausgebildet. Für dur-ähnliche Weisen, also solchen in plagal f bzw. c, ist hier insbesondere die Anlage in der nach wie vor so genannten Barform mit einmaligem Abstieg unter den Grundton im Abgesang zu nennen, wie sie erstmals wohl durch All mein gedencken dy ich hab im Lochamer-Liederbuch verwirklicht ist. Demselben Modell folgen beispielsweise die Melodie des Agnus Dei-Liedes O Lamm Gottes, unschuldig des Nikolaus Decius (um 1485 bis nach 1546) in der heute (EG 190.1, dort von f auf es versetzt; GL2 203, dito; vgl. Notenbeispiel 6-I) vertrauten Version, die Melodien An Wasserflüssen Babylon (1525; EG 83, dort von f auf es versetzt), Es ist ein Ros entsprungen (1599; EG 30; GL2 243, dort von f auf es versetzt) und im 19. Jahrhundert Kommet, ihr Hirten (EG 48).29 Indem ferner bei dur-ähnlichen Tonarten neben dem Nonen- auch der Oktav-Ambitus beliebt gewesen ist, gilt das auch für Weisen des vorliegenden Zusammenhangs: Der Ambitus erstreckt sich dann von der Unterquarte zur Oberquinte des Grundtons. Hierzu gehört beispielsweise die heute als Es ist gewisslich an der Zeit (EG 149, dort auf g versetzt), Auf Christi Himmelfahrt allein (EG 122, dito) und Lobpreiset all zu dieser Zeit (GL2 258) gebräuchliche, ursprünglich freilich dem Luther-Text Nun freut euch, lieben Christen gmein zugehörige f-Melodie des Klugschen Gesangbuches (spätestens) von 1533 (Notenbeispiel 5-I). Sogar Ludwig van Beethovens (1770–1827) berühmte „Ode an die Freude“ im Schlusssatz der „Neunten Symphonie“ entspricht diesem Modell, wenn nämlich die ersten vier Zeilen als Stollen mit prima und seconda volta begriffen werden und das Übrige als Abgesang. Unübersehbar dann ist die Zahl der Weisen, die nicht vollständig, sondern nur in Teilen diesem Typus entsprechen. Bei der eben genannten Klug’schen Melodie Nun freut euch, lieben Christen gmein nun findet sich seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hier und dort eine Tonhöhenabweichung im Abgesang,30 die einerseits der bei der Melodie des 29 Zu diesem Sachverhalt vgl. auch Korth, Hans-Otto: Aus An Wasserflüssen Babylon wird Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld. Die Melodie von Paul Gerhardts Agnus-Dei-Lied. In: Beiträge der Paul-Gerhardt-Gesellschaft 8. Berlin 2014, 51–67. 30 EdK 1/2, Ee7, s. dort im Textbd. und in den Folgebänden zu Ton 23.

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Kranzsingens und der Melodie von den Sieben Worten durchaus ähnlich ist, daneben andererseits aber doch eine eigene Prägung hat: Erstmals im Augsburger Gesangbuch von 156231 endet die erste Abgesangzeile (Zeile 5) nicht auf der Unterquarte des Grundtons, sondern ist zu dessen Obersekunde hochgezogen:

1 Nun freut euch, lie - ben Chri-sten gmein, 2 und lasst uns fröh-lich sprin-gen, 3 dass wir ge - trost und all in ein 4 mit Lust und Lie - be sin - gen,

5 was Gott an uns ge - wen-det hat

6 und sei - ne süs - se Wun-der - tat,

7 gar teur hat er's er - wor - ben.

Notenbeispiel 5: I: WitK 1533 02 / ee4, Bl. 24vf (Semibrevis = Halbenote. EG 122, dort auf g versetzt; EG 149, dito; GL2 258; Z III 4429a; JennyL, 155 oben; EdK 1/2, Ee7; als Faksimile KorthL, 51)

Dadurch gewann die Melodie an Spannung, mehr noch als die auf den Sext­ ambitus reduzierte Kranzsingen-Melodie. Nur blieb diesmal der Gesamtambitus erhalten. Und als dann auch der Eingangston von Zeile 6 zum g’ wurde, erfolgte dies stets im Zusammenhang mit einer Tonhöhenvariante c innerhalb der vorletzten Zeile, so dass auch dann der vorherige Ambitus weiterhin unverändert blieb.32 Heute ist sie dergestalt insbesondere durch den Choral Ich steh an deiner Krippen hier in der sechsten Kantate von Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“ bekannt. Auch die Gesangbücher Johann Crügers teilen sie ähnlich mit.33 (Die schlichte Variante des Zeilenübergangs als g g für sich allein, durch die sich eine Änderung der unteren Ambitus-Grenze zum d ergibt, ist demgegenüber die Ausnahme.34) Wie bei Gott sei gelobet und gebenedeiet ist lediglich die durchschnittliche Tonhöhe des Kadenznetzes betroffen. Diese zur Obersekunde hochgezogene Abweichung in der Klug’schen Melodie Nun freut euch, lieben Christen gmein gibt es also seit der zweiten Hälfte 31 DKL/RISM B VIII Augs 156202 / EdK en2. 32 EdK 4, Ee7C; ferner vgl. die Variantenverzeichnisse von EdK 1/2, Ee7. 33 Mit dem Zeilenübergang als g a (nach g transponiert, also a h), s. PPMEDW I/1, Nr. 80. Vgl. auch die weiterverweisende Anmerkung dazu in PPMEDW I/2, 106. 34 Offenbar auch erst im 17. Jahrhundert, mit DKL/RISM B VIII Dres 160804 / EdK es5, vgl. EdK, Abschließender Kommentarbd. zu Bd. 3–4, 281.

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des 16. Jahrhunderts. Wie bei der Babst’schen Fassung der Melodie von den Sieben Worten Jesu am Kreuz ist dabei eine bis dahin nicht vorkommende Zeileneckton-Positionierung neu hinzugekommen. Damit einhergehend, bringt der Fall zugleich etwas zum Ausdruck, was in Wahrheit schon früher begann: nämlich die innerhalb der f-Melodik wachsende Bedeutung der Obersekunde als zusätzlicher Strukturton neben den üblichen Dreiklangstönen. Und wie bei Neuerungen und Extravaganzen nicht ungewöhnlich, wurde das alsbald auch gern exponiert eingesetzt; und dafür bot sich die gewichtige Stelle im Abgesang besonders an. Bereits das Buxheimer Orgelbuch (D-Mbs Mus. ms. 3725) aus dem dritten Viertel des 15. Jahrhunderts enthält mit dem Stück Woluff gesell von hynnen hierfür ein Beispiel, das zudem in denselben weit ausgreifenden melodiegeschichtlichen Zusammenhang wie Nun freut euch, lieben Christen gmein gehört.35 Innerhalb des gedruckten Kirchenliedes verkörpert Herr Christ, der einig Gottes Sohn (EG 67) im Färbefaß-Enchiridion, eine Bearbeitung der Cantio Ave rubens rosa, den frühesten betreffenden Fall. Später bei Valentin Triller findet sich dann das Lied Merck auff merck auff du schöne,36 dessen Melodie „auff eine alte Tageweis“ – ein Tagelied ist auch Woluff gesell von hynnen – zu singen ist, gemeint ist Wach auf, wach auf du Schöne bzw. Wach auf, meins Herzens Schöne. Diese Weise ist der Klug’schen von Nun freut euch, lieben Christen gmein bereits sehr nahe verwandt; und auch bei Triller erscheint die erste Abgesangzeile zur Obersekunde hochgezogen. – Desgleichen gibt es von Nikolaus Decius’ O Lamm Gottes, unschuldig seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entsprechende Versionen, und wiederum hat Johann Crüger das für seine „Praxis pietatis melica“ übernommen (Notenbeispiel 6-II).37 Solche Fälle erschienen seinerzeit gegenüber Gott sei gelobet und gebenedeiet, der Melodie von den Sieben Worten und der des Kranzsingens, gewiss drastischer, denn die noch nicht gänzlich selbstverständliche Obersekunde als Zeileneckton wog wohl mehr als ein zusätzlicher solcher auf dem Grundton; und im Falle von O Lamm Gottes, unschuldig kam eine Verringerung des Ambitus hinzu (vgl. Notenbeispiel 6). – Fast schon unorganisch wirkt demgegenüber eine Fassung der Klug’schen Melodie Nun freut euch, lieben Christen gmein bei Seth Calvisius (1556–1615) mit dem heute (EG 149) vertrauten Text Es ist gewisslich an der Zeit: Dort schließt nicht die erste Abgesangzeile in der Obersekunde, sondern die nächstfolgende, als die vorletzte der Melodie.38 Letztendlich also, so scheint es, kann dann jede Tonhöhenvariante als Verlagerungsmaßnahme begriffen werden – eine Zwischenbilanz, die weder als Provokation noch als Abwiegeln verstanden werde! Man schaue etwa die vor 35 Hierzu und zum folgenden vgl. die Anmerkung zu EdK 1/1, A247, im Textbd., 104–106, mit Synopse V in EdK 1/2, Notenbd., 205–208, sowie die vielfältigen Verweisungen in den Folgebänden, die über den Abschließenden Registerbd. zu EdK 2–4 erschlossen werden können. 36 EdK 1/1, A247. 37 PPMEDW 1/1, Nr. 167; Vgl. auch die Anmerkungen dazu in PPMEDW 1/2, 143 f., und Korth, Hans-Otto: Aus An Wasserflüssen Babylon wird Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld (s. Anm. 29) mit Faksimile dort, 63. 38 EdK 4, Ee7B; vgl. die Anmerkung dazu im Textbd., 243 f.

Melodische Aufwärtsverlagerungen bei frühen Kirchenliedern 

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nehmlich als Es ist das Heil uns kommen her (EG 342; EG 113; GL2 334) bekannte Weise:39 Gedruckt liegt sie erstmals im Achtliederdruck von 152440 vor. Außer mit jenem Text von Paul Speratus (1484–1551) war und ist sie mit weiteren Texten verbunden; während des 16. Jahrhunderts ist die auf einen Regina caeli laetare-Tropus zurückgehende die vielleicht am häufigsten gedruckte Kirchenliedmelodie überhaupt. Dementsprechend kam es alsbald zu reichlich Fassungen und Varianten, und die Auswirkungen erstrecken sich bis in die Gegenwart: Die Lesarten im „Evangelischen Gesangbuch“ von 1993 und im neuen „Gotteslob“ von 2013 (GL2 334, als O Licht der wunderbaren Nacht) stimmen nicht überein. Das heutige evangelische Es ist das Heil uns kommen her (EG 342) entspricht mit Ausnahme der Schlusskadenz im Tonhöhenverlauf der Version in den Gesangbüchern Johann Crügers seit 164041. Dieser bereits recht nahe kommt die Lesart der Augsburger Gesangbücher seit 156242; nur ist dort der Anfangston der Schlusszeile noch eine Terz tiefer und im Gegenzug der vorletzte Ton eine Terz höher als bei Crüger. Eine sicher lesbare Version der Vorgänger-Melodie43 beginnt mit einem Quintsprung vom Grundton aufwärts – das wurde im gedruckten Kirchenlied sogleich aufgegeben, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen.44 Die ursprünglich der vorreformatorischen Melodie entsprechende zweite Abgesangzeile wurde Ziel reichlicher Veränderungen, und weitere Einzelton-Varianten fallen an. Die vorletzte Zeile schließt in einigen Versionen auf der Quinte statt auf der Terz. – All das äußert sich bei der weit verbreiteten Melodie hier so und dort so, mal im Verbund, mal in wechselseitiger Relativierung. Mit etwas Vorsicht lässt sich aber zusammenfassen, dass die Weise seit dem Achtliederdruck eine geringfügige Anhebung des Mittelwertes ihrer Tonhöhen erfahren hat.45 Die heutige Version von Es ist das Heil uns kommen her, wie bemerkt, entspricht fast der Crüger’schen; lediglich der dritt- und vorletzte Ton stehen heute eine Terz höher als dort – wurden also aufwärtsverlagert.

39 Zum Folgenden vgl. EdK 1/2, Ea2; EdK 2, Ea2BN; EdK 2, Ea2C N; EdK 2, Ea2DN, jeweils mit den Kommentaren in den dazugehörigen Textbänden bis zum Abschließenden Kommentarbd. zu Bd. 3–4. 40 DKL/RISM B VIII 8LBl Nbg 1524a–c/12–14 / EdK b16b–d. 41 DKL/RISM B VIII CrügJ 1640 04; PPMEDW I/1, Nr. 79. 42 DKL/RISM B VIII Augs 156202 / EdK en2; EdK 2, Ea2BN. 43 GGdM II 249. 44 So das Böhmische Brüder-Lied Gelobt sei Gott, der seinen Sohn (Z III 4452; EdK 1/2, Ea2A) seit DKL/RISM B VIII BBr 153102 / eg1; auch bei Heinrich Finck (1444/45–1527) in DKL/RISM B VIII Mi Finck 153604 / EdK c7, vgl. die Angaben zu EdK 1/2, Ea2, im Textbd., 79 f und Das Tenorlied. Mehrstimmige Lieder in deutschen Quellen 1450–1580. Hg. vom Deutschen Musikgeschichtlichen Archiv Kassel und vom Staatlichen Institut für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz Berlin. Zusammengestellt und bearbeitet von Norbert Böker-Heil, Harald Heckmann und Ilse Kindermann. Bd. 1: Drucke (Catalogus Musicus IX). Kassel [u. a.] 1979, dort Eintrag 18.11. 45 Mit der nicht unerheblichen Ausnahme, dass in GL2 334 wie bei Crüger die Schlusskadenz von unten erfolgt, dies im Unterschied zwar nicht zu allem, aber doch vielen frühen Lesarten der Weise. Andererseits kommt es so einer Vorgänger-Version wieder näher; vgl. GGdM II 249.

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Obige Zwischenbilanz also, jeden Tonhöhenunterschied (selbst Druckfehler, die immer mal wieder mit der Zeit zu Varianten aufrücken46) als Verlagerung begreifen zu können, wäre bei aller Überzogenheit doch nicht vollends haltlos. Allerdings dürfen Tonhöhenunterschiede umgekehrt auch nicht für sich genommen werden, können doch melodische Varianten jeglicher Art durch andere ein Gegengewicht erhalten. Ferner können als Verlagerungen erscheinende Veränderungen in Wahrheit Bestandteile über sie hinausgehender Maßnahmen sein, etwa der tonalen Transformation einer Melodie47 oder eines ganz neuen Umgangs mit dem Material.48 Abweichungen können auch auf unterschiedliche Versionen einer Vorgängermelodie zurückgehen, so dass in Wahrheit diese betroffen ist. Dazu werden im Folgenden noch weitere Beispiele gebracht. – Trotz all dieser Schwierigkeiten aber möge doch deutlich geworden sein, dass es melodische Varianten gibt, bei denen die Definition als Verlagerungsmaßnahmen berechtigt bleibt, und dass dem 16. Jahrhundert hierbei eine Bedeutung zukommt. Einige weitere besonders deutliche und prominente Belege aus dem Jahrhundert der Reformation seien nachfolgend noch etwas näher vorgestellt.

3. Melodien mit verschiedenen Schlusszeilen Zu den Melodien, die in Walters „Geystlichem gesang Buchleyn“ von 1524 in einer bis dahin noch nicht vorliegenden Fassung enthalten sind, gehört auch die von Ein neues Lied wir heben an49 (Nr. VI), Luthers erstem Lied. Es entstand 46 In der Tat lassen sich ‚Verlagerungen‘ nennen, die in Fehlern oder gar gänzlichem Unverständnis gegenüber dem Sachverhalt ihren Ursprung haben. Ein besonders drastischer Fall begegnet gleich im Färbefaß-Enchiridion: Bei dem dortigen In Jesu Namen heben wir an (Z I 1704a; EdK 1/2, Ea13) wurden Ausschnitte eines zweistimmigen Bergreihen-Satzes (EdK 1/2, Ea13A) zu einer ausgreifenden einzelnen Melodie zusammengefügt, die ganz und gar unsingbar ist. Vgl. Ameln, Konrad: „In Jesus Namen heben wir an“. In: JLH 22 (1978), 23–26 und die Anmerkungen in EdK 1/2, Textbd., 100 f. – Ein vergleichbares anderes Vorkommnis hat sich dann sogar weiter ausgewirkt: Die Melodie zu Burkart Waldis’ (um 1490–1556) Psalmlied Ich ruf, o Gott, in dieser Not (Z V 8524; EdK 1/1, A176) wurde erstmals im Straßburger Gesangbuch DKL/RISM B VIII StraßR 1569a/16 /  EdK eb26 mit einem Schlüsselfehler mitgeteilt, also tatsächlich „verlagert“; vgl. die betreffenden EdK-Textbände. Dieser Fehler bestimmte über lange Zeit die Überlieferungsgeschichte des Liedes mit; er wurde nicht nur weitergereicht, sondern erfuhr auch Verschlimmbesserungen, die sogar zu ganz neuen Versionen der Melodie geführt haben (EdK 3, A176A; EdK 4, A176B). – Zu der einzelnen Tonhöhenvariante im Abgesang von Gott sei gelobet und gebenedeiet s. weiter oben im Text mit Anm. 28. 47 Z. B. die „Dur-Fassungen“ der Walter’schen Melodie Ach Gott, vom Himmel sieh darein (Z III 4432a; JennyL, 176 oben; EdK 1/2, Ec3; als Faksimile KorthL, 59): EdK 1/2, Ec3A; EdK 2, Ec3B (vgl. Z III 4432b); EdK 3, Ec3C; PPMEDW I/1, Nr. 524. Oder umgekehrt Z II 2463 / EdK 4, Ek24D, als eine „Moll-Fassung“ der heute u. a. als Mein schönste Zier und Kleinod bist (EG 473; GL2 361) gebräuchlichen Melodie. 48 Bereits Christ lag in Todesbanden im Verhältnis zum Osterleis Christ ist erstanden von der Marter alle wäre mit betroffen. 49 Z IV 7245 mit Variantenangabe; JennyL, 217; EdK 1/2, Ea12, mit Varianten im Textb., 98 und EdK 2 Ea12A N; KorthL, 29 und 35 (DKL/RISM B VIII Mi Walt 152418 / EdK ec1a als Faksimile).

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1523, seine früheste erhaltene Quelle ist das Erfurter Färbefaß-Enchiridion; dort schließt die neunzeilige f-Melodie auf dem Grundton bzw. dessen Oberoktave. Bei Walter hingegen erscheint als einzige Variante eine vollkommen andere Schlusszeile zur Quinte c’ hin. Während also im Färbefaß-Enchiridion die Weise tonal geschlossen ist, hat Walter sie als tonal offen – ein Unterschied, der deutlich mehr wiegt als eine Verlagerung eines Zeilenendes von Struktur- zu Strukturton im Innern einer Weise nach dem Muster der Kranzsingen-Melodie oder der von den Sieben Worten Jesu am Kreuz. Das umfangreiche, zehn- bis zwölfstrophige „lied von den zween Merterern“ berichtet von der Verbrennung der beiden Augustinermönche Johannes van Esschen und Hendrik Vos am 1. Juli 1523 in Brüssel aufgrund ihres Bekenntnisses zur Reformation. Es hat in der Tat alle Züge eines Erzählliedes; und die immer mal geäußerte Vermutung, dass die unterschiedlichen Zeilen als Teil- und Hauptschluss zu sehen seien,50 leuchtet ein. Wenn das aber von Anfang an so gehalten, nur nicht schriftlich fixiert worden war, würde die Verlagerungsmaßnahme von Ein neues Lied wir heben an noch vor Gott sei gelobet und gebenedeiet und Christ lag in Todesbanden anzusetzen sein. Doch ist zugleich ein wesentlicher Punkt geltend zu machen, aufgrund dessen das Erzähllied diesbezüglich anders als die beiden letztgenannten begriffen werden muss: Wenn die unterschiedlichen Zeilen Teilschlüsse und zuletzt den Ganzschluss des Erzählliedes verkörpern, dann ist dieses als Zusammenhang zu sehen. Verlagerung einer für sich stehenden Weise liegt dann gar nicht vor, sondern die einzelnen Abschnitte sind gemäß ihrer Position zugerichtet. – Vergleichbar ist die Sachlage im „Quempas“, wenn seit dem Görlitzer Sammelwerk von 159951 bei der vierzeiligen Cantio Quem pastores laudavere als Eingangsteil deren letzte Zeile statt zurück in den Grundton in die Quinte geführt wird und zum anschließenden Nunc angelorum gloria überleitet. Mit einer abweichenden, zur Quinte hochgezogenen Schlusszeile erscheint auch Michael Weißes (um 1488–1534) Lied Vater in dem höchsten Thron52 aus dem Böhmische Brüder-Gesangbuch von 1531 in den Bonner Gesangbüchern spätestens seit 155053 und in Straßburger seit 156854. Es ist dies einer jener Fälle, dass die Variante bereits in der Vorgänger-Melodie angelegt ist: In den unterschiedlichen Schlusszeilen der Weise Vater in dem höchsten Thron spiegeln sich verschiedene Versionen der vorreformatorischen tschechischen Melodie und 50 JennyL, 76 unter Berufung auf Hans Joachim Moser; EdK 1/2, Ea12A, Textbd., 99 (dito); KorthL, 36 (dito). 51 DKL/RISM B VIII Mi Görl 159911 / EdK c24; EdK 4, A236A. Das erfolgte also nicht erst bei Michael Praetorius (1571–1621); vgl. EdK 4, Textbd., 120. 52 Z I 1142 mit Variantenangabe; EdK 1/3, Eg67, mit Variantenangaben im Textbd., 55; EdK 2, Eg67A N; zum Folgenden vgl. jeweils dort und Korth, Hans-Otto: Zur Verbindung von böhmischem und calvinistisch geprägtem Liedschaffen. In: Grunewald, Eckhard / Jürgens, Henning P. / Luth, Jan R. (Hg.): Der Genfer Psalter und seine Rezeption in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden. 16.–18. Jahrhundert (Frühe Neuzeit 97). Tübingen 2004, 131–144, dort 139–141. 53 DKL/RISM B VIII Bonn 1550 05 / EdK el2. 54 DKL/RISM B VIII StraßA 1568 09 / EdK eb23.

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lateinischen Cantio wider, auf die das Lied zurückgeht. Ähnlich sind die verschiedenen Schlusszeilen einer Melodie zu erklären, die als deutsches Kirchenlied erstmals im Brüder-Gesangbuch von 154455 unter dem Text Da Christus von uns scheiden wollt erscheint; hier haben sich zugleich auch unterschiedliche Verkürzungen der Weise niedergeschlagen.56 Die Fassungen werden zwar doch jeweils in den Grundton zurückgeführt, hingegen ist durch die Schlusszeile – und erst durch sie – die untere Ambitusgrenze strukturell betroffen. Von zwei gänzlich verschiedenen Schlusszeilen geprägt ist auch die Melodie, die im Klugschen Gesangbuch von (spätestens) 1533 als Luther-Lied Wohl dem, der in Gottes Furcht steht und daneben – unter Verwendung derselben Druckstöcke – als Wo Gott zum Haus nicht gibt sein Gunst von Johann Kolrose (um 1487– vor 1550) enthalten ist.57 Die Weise schließt auf ihrem Grundton f; wenig später aber erscheint auch eine Fassung, die auf der Quinte endet; erstmals liegt sie im Straßburger Gesangbuch um 1536/3758 vor. Da die Weise aus nur vier schlichten Zeilen besteht, erscheint der Unterschied als erheblich. Indem es sich bei beiden Texten um Psalmlieder handelt, bietet sich wie bei Ein neues Lied wir heben an als Erklärung an, in den beiden Versionen Teil- und Ganzschluss eines einzigen mehrteiligen Gesangs zu sehen. – Beide Fassungen machten durchaus ihren Weg, die in die Quinte führende vornehmlich im evangelisch-reformierten Bereich als Wo Gott zum Haus nicht gibt sein Gunst. Fälle ausgewechselter bzw. erhebliche Varianten bildender Schlusszeilen sind nicht selten, sei es mit, sei es ohne unterschiedlich gelagerten Endton. Schlusszeilen waren überhaupt ein beliebter Gegenstand von Variantenbildungen.59 Freilich gibt es auch reichlich tonal offene Weisen, ohne dass daneben eine tonal geschlossene Fassung besteht. Hierzu gehört die in Walters „Geystlichem gesang Buchleyn“ von 1524 zu Luthers Es wollt uns Gott genädig sein erschienene, alsbald aber nur noch unter dem ebenfalls von Luther stammenden Text Christ, unser Herr, zum Jordan kam bekannte in (transponiert) d (EG 202, dort auf c versetzt).60 Die geniale neunzeilige Melodie hätte mit der achten, zum Grundton führenden Zeile einen angemessenen, abrundenden Abschluss. Die neunte, zur Quinte führende Zeile erscheint wie ein An 55 DKL/RISM B VIII BBr-NbgGü 154401 / EdK eg6a. 56 Z I 356; EdK 1/3, Eg112 und Heiliger, ewiger Gott: Z I 1182; EdK 1/3, Eg112A und Gott, dem Vater, sei Lob und Ehr: EdK 3, Eg112B; zum Folgenden vgl. jeweils bei EdK. 57 Z I 305 mit Variantenangabe; JennyL, 172 oben; EdK 1/2, Ee10, mit Varianten im Textbd. und den betreffenden Folgebänden; EdK 3, Ee10A N; KorthL, 195, dazu auch das Faksimile, 198. 58 DKL/RISM B VIII Straß um 1536/3703 / EdK eb11a. 59 Als nur noch ein weiteres Beispiel unter vielen sei der weitverbreitete „Lindenschmid“-Ton genannt, die Melodie Kommt her zu mir, spricht Gottes Sohn (EG 363; EG 249; Z II 2496; EdK 1/1, B37 und B37A): Vgl. die auf B37 folgenden jüngeren Fassungen mit ihren Varianten in EdK 1/1 und den Folgebänden; PPMEDW I/1, Nr. 371; vgl. auch das Faksimile von DKL/RISM B VIII Schlesw 167621, dem sogenannten „Husumer Hofgesangbuch“, hg. von Ada Kadelbach. Husum 1986, 553. Und viele mehr. 60 Z IV 7246; JennyL, 185 und 299; EdK 1/2, Ec4; KorthL, 264, u. a. Dazu vgl. Korth, HansOtto: Ein Beitrag Böhmens zur Melodiegeschichte. In: Napp, Thomas / Speer, Christian (Hg.): Musik und Konfessionskulturen in der Oberlausitz der Frühen Neuzeit (Beihefte zum Neuen Lausitzischen Magazin 12). Görlitz und Zittau 2013, 25 –37, dort insbesondere 37 und KorthL, 174.

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Melodische Aufwärtsverlagerungen bei frühen Kirchenliedern 

hang, durch den jene Abrundung nachgerade gewaltsam aufgegeben wird, passend zu den emphatischen Textzeilen „Und sich zu Gott bekehren“ und dann noch stärker „Es galt ein neues Leben.“

4. O Lamm Gottes, unschuldig I. 1 O Lamm Got-tes, un- schul-dig 2 am Stamm des Kreu - zes ge- schlach-tet, 3 all - zeit ge- fun-den dul - dig, 4 wie - wohl du wurdst ver - ach - tet, II.

III.

5 all Sünd hast du

ge-tra -

7 er - barm

7 er

-

- - gen,

6 sonst müss-ten wir ver-za - gen,

dich un - ser, o

7 er - barm dich

un - ser,

barm dich

-

un

ser,

o

Je

-

Je

-

o

-

-

-

-

su.

-

su.

Je - su.

Notenbeispiel 6: I: Mi SpanJ 1545a–d/14–17 / a20-II, Bl. 25r (Semibrevis = Halbenote. Z III 4361a; HEK I 1, 93b; EdK 1/2, D21A; ähnlich EG 190.1, dort auf es versetzt, und GL2 203, dito) – II: PraxBln 166111, Nr. 167 (Semibrevis = Halbenote. PPMEDW I/1, Nr. 167) – III: Straß 156012 / EdK eb20, S. *103 f (Bipunctum = Halbenote. HEK I 1, 93a; EdK 1/2, D21B)

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Das Agnus Dei-Lied des Nikolaus Decius ist oben schon im Zusammenhang mit den Fällen plagaler f-Melodien aufgeführt worden, bei denen ein Zeilenschluss innerhalb des Abgesangs von der Unterquarte zur Obersekunde des Grundtons heraufgezogen worden ist (Notenbeispiel 6-II). Noch davor aber sind von der Melodie zwei Versionen erhalten, deren Unterschiede als Verlagerungsmaßnahmen erscheinen; und damit ist O Lamm Gottes, unschuldig von der vorliegenden Thematik doppelt betroffen. Ältester erhaltener Druck einer Melodie O Lamm Gottes, unschuldig ist die Erfurter Agende des Antonius Corvinus (1501–1553) von 154261; etwas schlichter dann erscheint diese Fassung wieder 1560 in Straßburg (Notenbeispiel 6-III). Die andere Version findet sich erstmals bei Johann Spangenberg (1484–1550) im Jahre 1545 (Notenbeispiel 6-I). Wahrscheinlich aber entstanden die Lieder des Nikolaus Decius viel früher, im Winterhalbjahr 1522/23, und gehören damit zu den ältesten evangelischen Kirchenliedern überhaupt.62 Angesichts der ungewöhnlich langen Zeit bis zu den ersten erhaltenen Drucken ist die Ausbildung verschiedener Fassungen bei O Lamm Gottes, unschuldig nachvollziehbar. Zugleich aber verbietet es sich bei der eigenwilligen Frühgeschichte, die Reihenfolge der Drucke auch stillschweigend für die Fassungen vorauszusetzen. Welche Version also stand am Beginn? Wie oben bei Christ lag in Todesbanden – und selbstverständlich auch sonst – ist das nicht ohne Belang, denn davon hängt ab, ob die Veränderungen als Abwärts- oder als Aufwärtsverlagerungen zu begreifen sind. Für das eine wie für das andere ließen sich bei O Lamm Gottes, unschuldig Punkte geltend machen. Aufgrund ihrer Lebenswege und -stationen erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass Decius und Corvinus sich kannten. Corvins Wiedergabe der Melodie dürfte dann von Decius gebilligt worden sein; und damit mag es näher liegen, in ihr die ursprüngliche Version zu sehen. Nur ist das Gegenteil ebenso gut möglich: Decius könnte mit Corvin eine Umarbeitung der längst vorhandenen Weise seines Liedes unternommen oder bewilligt haben. Die andere Fassung nämlich, nach der das Lied auch heute mitgeteilt wird (EG 190.1), gehört eben jener weit verzweigten Melodiensippe an, die die beschriebenen Fälle von Aufwärtsverlagerung des Schlusses der ersten Abgesangzeile nach sich gezogen hat: Die erste Stollenzeile geht bis zur Sexte hinauf, die zweite schließt auf dem Grundton, die erste Abgesangzeile führt in dessen Unterquarte, und der Schluss beschreibt einen Bogen nochmals über die Sexte zum Grundton zurück. Damit entspricht die Melodie, wie weiter oben schon bemerkt, strukturell der von All mein gedencken dy ich hab im Lochamer-Liederbuch, ebenfalls in f. Eigentlich erscheint es wenig glaubhaft, dass die Weise diese altvertraute Anlage erst mittels eines zweiten Schrittes erhalten haben soll, 61 DKL/RISM B VIII Th Cor 154213 / EdK d14a. 62 Vgl. Mahrenholz, Christhard / Söhngen, Oskar (Hg.): Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch. Bd. III: Liederkunde. Erster Teil. Göttingen 1970, 270; Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume. Zweite, neubearbeitete Ausgabe hg. von Ludwig Finscher. Personenteil. Bd. 5. Kassel [u. a.] 2001. Artikel „Decius, Nicolaus“, Sp. 643–645 (Siegfried Fornaçon / Hans-Otto Korth), dort Sp. 644.

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gewissermaßen als eine Art Rekonstruktion. Luthers Christ lag in Todesbanden im Färbefaß-Enchiridion hat ja im Grundsatz die gleichkommende traditionelle Disposition, und auch dort wurde das als Argument für die ältere Version geltend gemacht. (Übrigens kommt dem Modell mit zur Obersekunde hochgezogener erster Abgesangszeile auch die f-Melodie Allein Gott in der Höh sei Ehr [EG 179; GL2 170] nahe, ebenfalls von Nikolaus Decius.63) Was nun die Corvin’sche bzw. Straßburger Fassung anbelangt, so erfolgt der Übergang vom Stollen zum Abgesang mittels Oktavsprung, in den höchsten Ton der Melodie, der in der ersten Abgesangszeile gleich zweimal erscheint, auf die einsilbigen Worte „All“ und „du“, und sonst nicht mehr. Die Aussage „All Sünd hast du getragen“ wird unterstrichen; und die Betonung des „du“, also Christus“, mag im Sinne der Reformation gewesen sein. Zugleich aber nimmt sich der Sprung und die dichte Aufeinanderfolge des Spitzentones im Verhältnis zu den zweimal zwei Zeilen des Stollens und deren schlichter und klarer Gliederung etwas sehr emphatisch aus, wenn nicht gar unorganisch.64 Das mag einerseits als Eingriff in etwas bereits Bestehendes erscheinen, wirft andererseits aber wieder die Frage auf, ob es nicht doch vielleicht die Ausbildung der traditionellen anderen Fassung zumindest mit veranlasst hat; und damit drehen sich die Überlegungen im Kreis. Kurz, über die Reihenfolge der beiden Fassungen sei hier nicht entschieden. Mit jenem Übergang von Stollen zu Abgesang bei der Corvin’schen bzw. Straßburger Fassung ergibt sich schlaglichtartig eine Gemeinsamkeit mit der Melodie Es sind doch selig alle, die (1525; EG u. a. 76, dort von f auf d versetzt, und GL2 267, dort von f auf c versetzt; beide als O Mensch, bewein dein Sünde groß) von Mathias Greiter (um 1495–1550). Auch bei dieser f-Melodie erfolgt ein Übergang als Oktavsprung vom Grundton aus, und die Ähnlichkeiten setzen sich anschließend noch verhalten fort. Dass die betreffende Fassung O Lamm Gottes, unschuldig zunächst vornehmlich von Straßburger und von ihnen mitgeprägten Quellen aus ihren Weg machte, passt dazu. Zwar ist eine Verbindung Decius’ zu Straßburg nirgends zu erkennen, doch war er der reformierten Glaubensrichtung gegenüber nicht abgeneigt (vermutlich ist das der Grund dafür, dass er für Luther offenbar eine Unperson war).65 Das aber könnte sehr wohl dazu beigetragen haben, dass sein Lied in Straßburg lebhaft aufgenommen wurde und eine entsprechende eigene Tradition ausbildete. Man hat die beiden Fassungen auch regional zwischen süd- und norddeutsch unterschieden.66 Das alte „Evangelische Kirchengesangbuch“ von 1950 bot sie noch beide, das aktuelle „Evangelische Gesangbuch“ (1993) beschränkt sich auf die Spangen-

63 Und dort ist jegliche Abwandlung hin zur klassischen Anlage mit Abstieg zur Unterquarte im Abgesang unterblieben. Siehe Anm. 93. 64 Vielleicht erklärt das die etwas aufgelockerte Version der Melodie bei Corvin. 65 Vgl. Die Musik in Geschichte und Gegenwart 2001. Artikel „Decius (s. Anm. 62). Sp. 644. 66 Vgl. zuletzt die Angaben zu EG 190.1 dort und dazu Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch Bd. III. Liederkunde, Heft 6/7, hg. von Gerhard Hahn und Jürgen Henkys, Göttingen 2003, 100.

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  Hans-Otto Korth

berg’sche „süddeutsche Form“. Als Choral-Cantus firmus im Eingangschors von Johann Sebastian Bachs „Matthäus-Passion“ ist sie unsterblich geworden. Die Unterschiede zwischen den beiden Versionen sind erheblich. Die eine steht mustergültig für authentische Anlage, die andere für plagale. Beide Male aber bleibt das Verhältnis zur Vorlage, dem Agnus Dei der XVII. Messe (GL2 119), erhalten. Die Agnus-Melodie in f67 (im GL2 auf d versetzt) umspannt den Ambitus einer Undezime, von c bis f ’. Dadurch wird sowohl der authentische als auch der plagale Tonbereich abgedeckt. Der Dualismus authentisch-plagal ist in der Praxis aufgehoben, wie Ähnliches bereits bei der Kranzsingen-Melodie im Apel-Codex bzw. der ursprünglichen Version von Luthers Vom Himmel hoch, da komm ich her zu verzeichnen war. Dort aber erfolgte das mittels eines sinnvoll positionierten geringen Tonraumes, hier nun genau umgekehrt durch einen überspannenden großen. Bei liedhaften Melodien war ein solcher seinerzeit aber nicht die Regel,68 und so ging er auch nicht in die beiden Versionen von O Lamm Gottes, unschuldig ein. Stattdessen haben diese den traditionellen Nonen- und den bei f-Melodik daneben beliebten Oktavambitus über dem Grundton und ist die eine plagal angelegt, die andere authentisch. Indem die Liedmelodie verlagert wurde, es sei aufwärts oder abwärts, wurde die Anlehnung an die Vorlage lediglich wie eine zu kurze Decke verschoben. Gegenstand der Abwandlung aber ist wieder allein der Abgesang. Von der Unsicherheit hinsichtlich der Reihenfolge der Fassungen abgesehen, ist der Sachverhalt dem von Christ lag in Todesbanden dermaßen ähnlich, dass sich die Frage nach gemeinsamen Wurzeln stellt.

5. Königin der Himmele und Martin Luthers Lieder Jesus Christus, unser Heiland Das katholische Königin der Himmele ist erstmals im Gesangbuch des Johann Leisentrit (1527–1586) von 1567 abgedruckt (Notenbeispiel 7-Ia). Zwar nicht mit letzter Sicherheit, aber doch sehr wahrscheinlich ist neben dem Text auch die plagale f-Melodie mit einem vorreformatorischen Tropus zur marianischen Antiphon Regina caeli laetare (GL2 666.3)69 identisch.70 67 LU 61 f; GR 766. 68 Ausnahme etwa die Cantio Ave hierarchia; dazu vgl. auch Anm. 92. Aus dem 18. Jahrhundert wäre die Melodie Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude (EG 66) bzw. Jesu, hilf siegen, du Fürste des Lebens (EG 373) zu nennen. Freundlicher Hinweis von Frau Prof. Dr. Christa Reich, viele Jahre zurückliegend. Gleichwohl ist das Spiel mit den Möglichkeiten großer Ambitus bei Melodien poetischer Texte älter; typisch dafür ist etwa das OEuvre der Hildegard von Bingen (1098–1179), vgl. Richert Pfau, Marianne / Morent, Stefan Johannes: Hildegard von Bingen. Der Klang des Himmels (Europäische Komponistinnen 1). Köln [u. a.] 2005 passim. 69 LU 275; vgl. auch EdK 1/2, Eg34 und Eg34A. 70 Vgl. EdK 1/1, A396, Textbd., 151 und EdK 1/2, Ee8, Textbd., 193; zum Folgenden vgl. auch EdK 1/2, Notenbd., Synopse VI, 209–212 zu EdK 1/1, A256, mit Anmerkung in EdK 1/1, Textbd., 109 f.

Melodische Aufwärtsverlagerungen bei frühen Kirchenliedern 

179

Ia. 1 Kö - ni

-

gin

der

Him -

- me

-

le,

Ib. 1 Je - sus

Chris - tus,

un - ser

Hei - land,

II. 1 Freu dich,

du

Him - mels - kö

-

ni

-

gin,

III. 1 Je - sus

Chris - tus,

un - ser

Hei - - land,

IV.

1 Cre - a

-

tor

2 freu

dich, Ma -

2 der

den Tod

2 freu

2 ae

-

uns

-

den

Got

ter - na

ri

ü

dich,

2 der von

si - de - rum,

al - me

-

Ma

-

-

-

a,

ber

-

wand,

ri

-

a!

tes - zorn

lux cre - den

wandt,

-

ti

-

um,

Notenbeispiel 7: Ia: Leis 156707 / EdK a53-II, Bl. XXIIIIv (Semibrevis = Viertelnote. EdK 1/1, A396) – Ib: Ausschnitt aus FfmE 156503 / em2, Bl. 161r und folgende (Semibrevis = Viertelnote. Z I 1979c; Ausschnitt aus EdK 1/3, Eg34A – II: Kst 1600a–b/04– 05 / eq9a–b, Bl 75v (Semibrevis = Halbenote. GL2 525; EdK 4, A396D) – III: WitK 1533 02 , Bl. 28vf (Semibrevis = Viertelnote. Z I 1577; JennyL, 168 unten; EdK 1/2, Ee8) 71 – IV: Hymnus Conditor /  Creator alme siderum (hier um Quarte nach oben versetzt – LU 324–326; MonMon I, 30, Nr. 232 , dort auf h versetzt)

71 In KorthL nicht enthalten und nur nebenbei erwähnt (130 und 136). Die vielfältige Aussagekraft der Weise hatte ich damals nicht erkannt; vgl. seitdem Korth, Hans-Otto: Die beiden Luther-Lieder Jesus Christus, unser Heiland (s. Anm. 11). Vgl. auch Wissemann-Garbe, Daniela: Neue Weisen zu alten Liedern: Die Ersatzmelodien im Klugschen Gesangbuch von 1533. In: JLH 37 (1998), 118–138, dort 120, 122, 126 f.

180

  Hans-Otto Korth

Im Konstanzer Gesangbuch von 1600 erscheint die Tropus-Melodie als Freu dich, du Himmelskönigin (Notenbeispiel 7-II), welches Lied so auch heute in Gebrauch ist (GL2 525). Der typische Abstieg plagaler f-Melodien zur Unterquarte des Grundtons in der zweiten Hälfte ist beseitigt, wie solches schon mehrfach zu verzeichnen war: bei der Melodie des Kranzsingens bzw. Vom Himmel hoch, da komm ich her und bei den Fällen von Verlagerungen des Zeilenendtones auf die Obersekunde. Bei Freu dich, du Himmelskönigin indes wird die Zeile mit der vorangehenden zu einer verschmolzen und zum Abschluss kraftvoll in die Oberquinte geführt. Zum Ausgleich entfällt einer der beiden Spitzentöne d. Zuvor wirkte das Königin der Himmele auch auf die beiden mit der Zeile Jesus Christus, unser Heiland beginnenden Lieder Luthers von 1524 ein: das Abendmahlslied Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Gotteszorn wandt und das Osterlied Jesus Christus, unser Heiland, der den Tod überwand. Sie bilden ein verhalten erkennbares Diptychon, dessen Tiefsinnigkeit und Subtilität sich auch in ihrer beider bewegten Frühgeschichte niedergeschlagen hat.72 Brücken zu der wahrscheinlichen Tropus-Melodie zeigen sich von Anfang an, seit der ältesten Melodie zu Jesus Christus, unser Heiland, der den Tod überwand im Färbefaß-Enchiridion.73 Hier jedoch soll es allein um die Gestaltannahmen der Tropus-Melodie selber und ihrer unmittelbaren Abkömmlinge gehen.

Erstmals durch das Frankfurter Gesangbuch von 1565 dann ist eine evangelische Bearbeitung des Regina caeli laetare durch Erasmus Alber (um 1500–1553) mit dem Text O sponsa Christi laetare erhalten, bei der Jesus Christus, unser Heiland, der den Tod überwand mit der Melodie des Königin der Himmele als Tropus erscheint (Notenbeispiel 7-Ib). Zwar bestehen Varianten, aber in der Substanz handelt es sich beide Male um dieselbe Weise. Noch davor enthält das Klugsche Gesangbuch von (spätestens) 1533 eine neue Weise zum Abendmahlslied Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Gotteszorn wandt (Notenbeispiel 7-III), die auf die Melodie des Königin der Himmele (Notenbeispiel 7-Ia) zurückgeht. Das Gesangbuch führt die Weise neben der allgemein bekannten zum Abendmahlslied (EG 215) als „Ein ander melodey“ auf; sie blieb eine Randerscheinung. Anders als bei Erasmus Alber (Notenbeispiel 7-Ib) sind hier die Unterschiede zur wahrscheinlichen Vorlage beträchtlich. Die drei Zeilenecktöne auf f, ihrer zwei immerhin als Anfangsund Schlusston, sind eine Terz nach oben zum a heraufgerückt. Wie später im Konstanzer Gesangbuch (Notenbeispiel 7-II) unterbleibt der Abstieg zur Unterquarte des Grundtons und liegt eine andere Zeilenanordnung vor – letztgenannte der des Konstanzer Gesangbuches durchaus vergleichbar.74 Was hat es mit der seltsamen Verlagerung dreier Ecktöne von f nach dem auch sonst gut vertretenen a auf sich? Bei Lichte besehen, steht die Melodie bei Klug 72 Vgl. hierzu und zum Folgenden KorthL, 124–136 zu Nr. 13–14 passim und weitergehend Korth, Hans-Otto: Die beiden Luther-Lieder Jesus Christus, unser Heiland (s. Anm. 11). 73 Z I 1977; JennyL, 198 oben; EdK 1/2, Ea9; als Faksimile KorthL, 126. 74 Weitere Abweichungen zwischen den herangezogenen Weisen, so erheblich sie sind, können hier außer Betracht bleiben.

Melodische Aufwärtsverlagerungen bei frühen Kirchenliedern 

181

gar nicht mehr in f, sondern in nach a transponiertem e – Transpositionen um eine Quarte aufwärts waren im 16. Jahrhundert das Übliche. So bestehen jetzt nicht geringe Ähnlichkeiten zur plagalen e-Melodie Creator oder Conditor alme siderum (Notenbeispiel 7-IV; dort ebenfalls um eine Quarte heraufgesetzt). Die Anhebung der drei Töne ginge dann mit einer tonalen Transformation einher – oder umgekehrt.

6. Luthers Lieder zur Melodie Veni redemptor gentium I.

1 Ve - ni

re-dem-ptor gen-ti

-

um,

2 o - sten - de

par-tum vir - gi - nis;

II. 1 Nun

komm,

der

Hei-den Hei-land, 2 der Jung - frau

-

en

Kind er-kannt,

III. 1 Ver-leih uns Frie-den gnä-dig

-

lich,

2 Herr Gott,

zu un - sern Zei-ten,

IV.

1 Er-halt uns, Herr, bei dei-nem

Wort

3 mi - re - tur om - ne sae - cu - lum, 4 ta

3 dass

-

2 und steur des Papsts und Türken Mord,

lis de-cet par

-

tus

sich wun-der al - le

Welt,

4 Gott solch Ge - burt

ihm

3 es ist doch hier kein an-der

nicht,

4 der

-

3 die Je-sum Chri-stum, dei-nen Sohn, 4 woll

für uns könn-

-

De - um.

be - stellt.

te strei - - ten,

ten stür-zen von dei-nem Thron.

Notenbeispiel 8: I: Hymnus Veni redemptor gentium (MonMon I, 273 f., Nr. 5032 mit Varianten) – II: ErfL 1524a/03 / ea3, Bl. Cijr (Semibrevis = Viertelnote. EG 4, dort auf g versetzt; Z I 1174, dito; JennyL, 202 oben; EdK 1/2, Ea10; KorthL, 176, dort auf g versetzt; als Faksimile KorthL, 180) – III: 2LBl NbgG 1529 05 / b42, Bl. [8r] (auf g statt auf d – Semibrevis = Viertelnote. Z I 1945a; JennyL, 274 oben; EdK 1/2, D1A; als Faksimile KorthL, 225) – IV: WitK 1544a/05 / ee8b, Bl. 65v (EG 193, dort auf e versetzt; EG 246, dito; Z I 350a; JennyL, 304 oben; EdK 1/2, Ee21; KorthL, 280 und als Faksimile 281)

Gleich drei Luther-Lieder haben eine Beziehung zur Hymnenmelodie Veni redemptor gentium (Notenbeispiel 8-I). Das älteste ist Nun komm, der Heiden Heiland von 1524, Luthers Überführung des Hymnus in ein deutsches Kirchen-

182

  Hans-Otto Korth

lied. Dessen vertraute Weise (Notenbeispiel 8-II) unterscheidet sich allerdings nicht wenig von der des Hymnus, wie sie hier wiedergegeben ist; gleichwohl ist manches davon in anderen Fassungen der Hymnenmelodie schon vor dem Luther-Lied angelegt,75 insbesondere der strenge, symmetrische Aufbau. Demgegenüber ist der Schluss der zweiten Zeile auf der Terz bei Nun komm, der Heiden Heiland möglicherweise neu,76 woraufhin dann die Weise als geringfügig abwärtsverlagert dastehen mag. Einzelne Male in den „Newen Deudschen Geistlichen Gesengen“ bei Georg Rhau 1544 und in Straßburg erscheint sie dann wieder mehr der verbreiteten Hymnenmelodie angenähert oder ist sogar diese selbst mit dem Text Nun komm, der Heiden Heiland verbunden.77 Bezogen auf die erste Melodie läuft das nun wieder auf Aufwärtsverlagerungen hinaus. Indem sodann auch die vorderen Zeilen von Verleih uns Frieden gnädiglich von 1529 (Notenbeispiel 8-III , ähnlich auch EG 421 und EG 784.10, jeweils auf e versetzt) der Hymnenweise näher stehen als die ursprüngliche Melodie von Nun komm, der Heiden Heiland, kommt diese Neuaufnahme der Hymnenweise ebenfalls letztendlich einer Aufwärtsverlagerung gleich. Auch hier schließt die zweite nicht mehr auf der Terz, sondern kehrt zur Quinte zurück. Um 1542 dann entstand das Kinderlied Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort, erstmals erhalten durch das Klugsche Gesangbuch von 154478 (Notenbeispiel 8-IV).79 In seiner Melodie ist einerseits die des Hymnus Veni redemptor gentium erkennbar; auch der traditionelle jambische Dimeter wurde übernommen. Doch ist die Textierung jetzt ganz und gar syllabisch; die Melodie ist also strikt auf 32 Töne beschränkt – ungewöhnlich für Luther. Dafür wurde aus den Binariae je ein Ton getilgt; und jede Einfügung geht mit einer Streichung an anderer Stelle einher. Die Weise insgesamt erscheint um etwa ein Drittel verlagert, und zwar fast durchweg nach oben hin. Dennoch bewirkt die an den Tag gelegte Kunstfertigkeit, dass die zugrundeliegende Hymnenmelodie als solche erkennbar bleibt, trotz der erheblichen Veränderungen. (Weiterhin befördert die Wiedergabe in Choralnotation bei Klug das Verständnis als altehrwürdiger, bereits vorhandener geistlicher Gesang.) – Der bisherige, für eine d-Melodie bemerkenswert geringe Sextambitus wurde zum Oktavambitus von der Untersekunde des Grundtons bis zur Septime darüber erweitert und hat damit jetzt eine für d-Tonalität klassische Anordnung. Trotz dieses Schrittes zu einer üblichen Disposition hin aber erscheint alles, gemeinsam mit der holzschnittartigen Syllabik, nachgerade als überzogen eindringlich; die Septime als einmalige obere Ambitusgrenze bietet ungeachtet ihrer strukturellen Bedeutung, wie sie ihr innerhalb der d-Melodik zukommt, einen fast schon schrillen Kontrast zu den bis dahin 75 Vgl. EdK 1/2, Ea10, Textbd., 94; KorthL, 181 und 353 unten. 76 Mir ist keine vorreformatorische Lesart der Hymnenweise mit Ende der zweiten Zeile auf der Terz bekannt, was angesichts der weiten Verbreitung der Melodie und ihrer Fassungen und der vielen Editionen mit Vorsicht zu nehmen ist. Für Hinweise also auf etwa doch bestehende entsprechende Versionen wäre ich sehr dankbar! 77 EdK 1/2, D1B – JennyL, 202 unten; EdK 1/2, D1C; als Faksimile KorthL, 179. 78 DKL WitK 1544a/05 / EdK ee8b als Titelauflage von 154310; ee8a. 79 Zu dem Lied, seinem Hintergrund und Verständnis vgl. auch KorthL, 280–286 zu Nr. 35.

Melodische Aufwärtsverlagerungen bei frühen Kirchenliedern 

183

bekannten Fassungen der Hymnenweise. Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort spiegelt die allgemeine Furcht vor einem Krieg innerhalb des Reiches wider, der das Ende der Reformation hätte bedeuten können, und die Furcht vor einem Einfall der Osmanen, dem kaum noch etwas entgegenzusetzen gewesen wäre. Das Lied ist ein angstvolles, im Sinne von Lk 11,8 drängendes Gebet, und die Melodie passt bestens dazu. Offenkundig wurde sie auch eigens für den Text hergerichtet. Nachfolgend dann hat sie noch weitere Texte bekommen, wobei hier die „Veteres ac piae cantiones“ des Christoph Schweher (1520–1593) aus dem Jahre 156180 genannt seien: Dort ist sie lateinisch-deutsch als Sit laus, honos et gloria und Sei Lob, Ehr, Preis und Herrlichkeit enthalten (Nr. 32).81 Wenig später im großen Gesangbuch der Böhmischen Brüder von 1566 erscheint sie mit letztgenanntem deutschen Text, aber Sit laus, honos & gloria ist dazu als Überschrift angegeben.82 Hat es also nicht vielleicht doch eine vorreformatorische Hymnenmelodie Sit laus, honos et gloria gegeben, von der das Luther-Lied eine schlichte Kontrafaktur ist?83 Es gibt sonst aber keinerlei Hinweis darauf. Im Gegenteil, als Sit laus, honos et gloria beginnende Texte erscheinen nachfolgend mit anderen Melodien. Das katholische Gesangbuch von Johann Leisentrit verweist bei einem solchen auf Spiritus Sancti gratia;84 die Melodie Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort hingegen wird dort an anderer Stelle nur als „wolbekant“ bezeichnet.85 Kurz, einen vorreformatorischen Hymnus Sit laus, honos et gloria hat es offenbar nicht gegeben. Ohnehin ist davon auszugehen, dass Luther sich ausdrücklich auf die Weise als Veni redemptor gentium bezog. Der Hymnus hatte für ihn eine Bedeutung bekommen, die über den Weihnachtsfestkreis hinausging; das zeigt die dreimalige Verwendung in unterschiedlichem Sinnzusammenhang bereits für sich allein. Ihren ersten Ausdruck aber fand diese ‚Verallgemeinerung‘ gleich bei Nun komm, der Heiden Heiland, indem dort aus dem Weihnachtshymnus nicht etwa ein Weihnachts-, sondern ein Adventslied wurde: Das Kommen und Wirken des Erlösers wurde von dem hohen Fest als Gedenken an ein einzelnes Ereignis losgelöst; und das musste auf eine Erhöhung hinauslaufen, eine Abstraktion im Sinne des dritten Glaubensartikels. Die Bitte Verleih uns Frieden gnädiglich ist damit nicht subjektiv, sondern überparteilich. Und sehr wohl überparteilich ist daraufhin auch die Bitte um Schutz vor Papst und Türken, jedenfalls dem Verständnis Luthers und seiner zeitgenössischen Glaubensbrüder nach: nämlich als Schutz vor dem Teufel in Menschengestalt und als Schutz vor Heiden. Der Begriff der Aufwärtsverlagerung trifft die Bearbeitung der Hymnenweise Veni redemptor gentium zu Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort kaum noch. 80 DKL/RISM B VIII Mi Schweh 156121 / EdK c13. 81 Vgl. EdK 1/2, Ee21, Textbd., 207. 82 DKL/RISM B VIII BBr 1566a–b/04–05 / EdK eg7; II, Bl. XVIIIv. 83 So als Vermutung bei: Winterfeld, Carl von: Der evangelische Kirchengesang und sein Verhältnis zur Kunst des Tonsatzes. Bd. I. Leipzig 1843. Neudr. Hildesheim 1966, vgl. dort 160. 84 DKL/RISM B VIII Leis 156705 / EdK a53-I, Bl. CCr. 85 DKL/RISM B VIII Leis 156705 / EdK a53-I, Bl. CCLXXIXr, bei der katholischen Replik Bei deiner Kirch erhalt uns, Herr.

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  Hans-Otto Korth

Vielmehr wurde der Vorgänger machtvoll auseinandergezogen, verändert und nach oben hin gestreckt; und indem der neue Spitzenton ohne Bezug auf die Vorgängermelodie erfolgt, erscheint die Neuzurichtung fast schon als Überdehnung. Gemeinsam mit der neuen Syllabik macht das die gelungene TextMelodie-Beziehung des emphatischen Kindergebetes aus.

7. Christus, der uns selig macht (Patris sapientia) I. 1 Chri-stus, wah-rer Got-tes - sohn,

2 auf Er - den leib-haf -

1 Chri-stus, der uns se - lig macht,

2 kein Bös hat be - gan

-

- tig

II.

3 er-schien in

all sei-nem Tun

3 der war für uns in der Nacht

5 in

Ju - dä - a fing er an,

5 ge-führt vor gott - lo - se Leut

7 wo er auch ums Le - ben kam

7 ver-lacht, ver-höhnt und ver-speit,

4 gü-tig, mild und kräf -

-

3 als ein Dieb ge - fan

6 sein Werk zu be - wei

-

- gen,

- tig,

-

- gen,

-

-

- sen,

6 und fälsch-lich ver - kla - - get,

8 durch Neid der Schrift-wei -

8 wie denn die Schrift sa

-

-

- sen.

- get.

Notenbeispiel 9: I: BBr 1531  / eg1, Bl. C VIIv (Semibrevis = Viertelnote. EG 77, dort auf d versetzt; Z IV 6283a; EdK 1/1, B7, und EdK 2, B7A N) 86 – II: PraxBln 166111, Nr. 150 (dort auf d versetzt – Semibrevis = Halbenote. PPMEDW I/1, Nr. 150, dort auf d versetzt) 02

86 Die Übertragung der Melodie als EdK 1/1, B7 ist misslungen; sie erfolgte als EdK 2, B7A N, neu.

Melodische Aufwärtsverlagerungen bei frühen Kirchenliedern 

185

Im Jahre 1592 erschien in Greifswald „Ein Psalmbvch“87 mit einer Aufwärtsverlagerung der vorreformatorischen e-Melodie Patris sapientia veritas divina. Die neue Fassung hat den Text Michael Weißes Christus, der uns selig macht,88 der seit dem Brüder-Gesangbuch von 153189 (dort ohne Noten mit Melodieverweis) allen anderen Texten mehr und mehr den Rang ablief und unter dem die Patris sapientia-Melodie bis heute vertraut ist (EG 77, dort auf d versetzt). Weitere ähnliche jüngere Patris sapientia-Fassungen verblieben in der Nachfolge der Greifswalder Version. Bei allen Schwierigkeiten der Abgrenzung, wie sie oben unterbreitet wurden – in ihrer Prägnanz bezeichnen diese Verlagerungen der Patris sapientia-Weise wohl den letzten betreffenden Fall im gedruckten Kirchenlied, der noch im 16. Jahrhundert seinen Anfang nahm. Die Melodie war seit ihrem ersten Auftreten als gedrucktes Kirchenlied in einem Liederblatt von 151090 (dort lateinisch-deutsch als Patris sapientia und Die Weisheit und göttlich Wahrheit) überkonfessionell weit verbreitet. Hier wiedergegeben (Notenbeispiel 9-I) ist sie als Christus, wahrer Gottessohn nach dem Gesangbuch der Böhmischen Brüder von 1531 (darauf wird im Druck beim notenlosen Christus, der uns selig macht verwiesen; s. o.), wobei die Lesart diastematisch gleichkommt (desgleichen EG 77). Überhaupt unterscheiden sich die zahlreichen Vorkommen der Weise vor dem im Greifswalder „Psalmbvch“ hinsichtlich des Tonhöhenverlaufes bemerkenswert wenig. Die verlagerte Fassung dann ist heute insbesondere durch Choräle in Johann Sebastian Bachs „Johannes-Passion“ bekannt; sie entspricht dort im Wesentlichen der aus Johann Crügers „Praxis pietatis melica“ (Notenbeispiel 9-II); und Crüger bezog sich wohl auf die von Seth Calvisius von 1597.91 (In Bachs Schaffen begegnen sowohl die ursprüngliche Version als auch die Verlagerung.) Ursprünglich hatte die e-Melodie einen Dezimen-Umfang von c bis e’. Ein weiteres Mal ist damit eine Weise betroffen, bei der der Unterschied von authentischer und plagaler Disposition als verwischt wenn nicht gar aufgehoben erscheint. Durch die Verlagerungen aber bewegt sie sich nur noch streng authentisch oberhalb ihres Grundtons. Weitere Abweichungen im Tonhöhenverlauf kommen hinzu. Dabei unterscheiden sich die betreffenden Vorkommen seit dem Greifswalder „Psalmbvch“ durchaus; insgesamt aber laufen sie stets auf allgemeine Anhebung der durchschnittlichen Tonhöhe hinaus.

87 DKL/RISM B VIII Gwald 159206 / EdK ea40. 88 EdK 3, B7B (im Notenbd., 183; dort in der Kopfzeile Druckfehler: „B3B“ statt „B7B“). 89 DKL/RISM B VIII BBr 153102 / EdK eg1, Bl. D IIIrf. 90 DKL/RISM B VIII 1LBL Nbg 1510b/02 / EdK b8. 91 DKL/RISM B VIII Kant Calv 159704 / EdK h7. Calvisius’ Fassung: Z IV,6283b (nicht eigens bei EdK), von Zahn als „verschlechternde Umbildung“ bezeichnet. Zu ihr vgl. auch McMullen, Dianne M.: The Resonance of Texts and Melodies from Michael Weiße’s „Ein New Gesengbuchlen“ (1531) in the Eighteenth Century. In: Hallesche Forschungen 52 (s. Anm. 11), 179–209, dort 197–203.

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  Hans-Otto Korth

8. Verlagerungen als Gesamterscheinung Die betrachteten Melodieverlagerungen lassen sich mehrheitlich nicht nur erklären, sondern sogar ein wenig ordnen. Einige sind als erneuerte und veränderte Erklärungsansätze bereits bestehendender Lieder oder als Erklärungsansätze neuer Lieder über vertraute Weisen begründbar: Bei Christ lag in Todesbanden wurde die strikte Anlehnung an den Osterleis zugunsten der dazugehörigen Sequenz aufgegeben, was eine Intensivierung des Verhältnisses der Weise zu Luthers Textdichtung bedeutet. Bei O Lamm Gottes, unschuldig hingegen blieb die Anlehnung an den Vorgänger der Melodie bestehen; diesem selbst und seinem großen Ambitus wurde mit der Verlagerung Reverenz erwiesen. Davon abgesehen aber zeigt sich im Vergleich der Fassungen von Christ lag in Todesbanden und O Lamm Gottes, unschuldig eine frappierend ähnliche Sachlage. Luthers drei Lieder zur Melodie Veni redemptor gentium sind gemeinsam betroffen. Sie bezeichnen einerseits das Verhältnis des Autors zum „Solus Christus“ und dem Verlangen nach einem unparteiischen, allgemeinem Frieden, wie ihn „die Welt nicht geben kann“, verkörpern dieses aber unterschiedlich. Das drängende, den Boden der Tradition zwar nicht verlassende, dabei aber doch als ein Ausbruch aus dem Vorherigen erscheinende Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort bezeichnet vielleicht den Gipfel dessen, was das Bearbeitungsverfahren durfte und ermöglichte. – Als Zusammenhalt stiftende Größe lassen sich auch die Fälle angehobener Schlusszeilen begreifen, unabhängig von ihrer Begründbarkeit im Einzelnen. Nochmals aber: Eine Sache kann sehr wohl als Einzelfall erklärbar und zugleich dennoch als Teil eines größeren Zusammenhangs zu begreifen sein. Schon das vielfältige Aufblühen von Verlagerungen bereits seit 1524 und die Verlagerungen als verbreitete Erscheinung lassen fragen, was es mit dieser auf sich hat. Beschränken die vorgestellten Fälle sich auf die Darlegung schlichter Gegebenheiten, bestenfalls Kuriositäten, in die allenfalls ein wenig Ordnung gebracht werden kann? Oder lassen sich übergreifende Momente der Gemeinsamkeit und des Zusammenhalts finden? Am ehesten noch wäre an eine Veränderung des Ambitus zu denken, ein Punkt, der im vorliegenden Zusammenhang ja durchaus Ansprache fand. Doch auch er zeigt sich nicht ausnahmslos. Indem das 16. Jahrhundert jenes einzigartige Aufleben des Kirchenliedes als Gattung erbrachte, wurde das Publizierte auch rezipiert. Es blieb nicht aus, dass die beteiligten Disziplinen das neu Erlernte bzw. neu Vermittelte aufgriffen und ihm gegenüber schöpferisch Stellung bezogen; und wie für das Kirchenlied schlechthin waren auch dafür die Voraussetzungen bestens. Nun war das Kirchenlied der Reformationszeit ja nicht in jeder Hinsicht neu, in seinem theologischen Anspruch und seiner konstitutiven Bedeutung für Gottesdienst, Privatandacht und Lehre aber weitgehend doch. Allein schon die schiere Menge dessen, was, mitgetragen von der Faszination, die von dem noch jungen Druckwesen ausging, seit den 1520er Jahren erschien, hebt sich vom Bisherigen ab. Selbstverständlich lag darin sofort auch eine Aufforderung zu schöpferischer Auseinandersetzung mit dem Erschienenen. Dies gilt umso mehr, als das neue

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Liedgut sich seinerseits bereits als Auseinandersetzung mit Bisherigem zu erkennen gab oder sogar ausdrücklich so verstand. Die oben betrachteten Melodien oder auch ganze Lieder weisen sämtlich hinter sich zurück. Sie haben Vorgänger, die hier übernommen, dort frei umgestaltet worden oder auch mal auf den altertümelnden Bauplan oder wie bei Ein neues Lied wir heben an gar nur auf grundsätzliche Charakteristika einer Weise beschränkt sind. Daraufhin konnte gar nicht ausbleiben, dass Veränderungen auch geringen Ausmaßes als solche bemerkt wurden. Das freilich musste sich alsbald auf die Gattung insgesamt, zumindest aber auf deren unter prominenten Namen erschienenen ersten Grundbestand erstrecken, wie er alsbald so empfunden wurde und vorlag. Das neue Kirchenlied wurde seinerseits zum Altehrwürdigen, in Teilen gar zu einem Fundament, woraufhin die anfängliche Dialektik vertraut-neu sich zwar wandelte, als schöpferische Inspiration aber erhalten blieb. Bezeichnenderweise ist der Anteil von Liedern Martin Luthers mit Bezug zu unserer Thematik nicht gering. Nun steht freilich die volkstümliche Melodie wie kaum etwas sonst für die Schlagworte „mündlich“ und „wandelbar“. Damit ist dem eben dargelegten Variantenverständnis aber nicht der Boden entzogen. Denn die neuaufstrebende Gattung wurde vom Medium des Druckes getragen, das alsbald genau umgekehrt jene Wandelbarkeit mindestens in Bahnen lenkte. Die leichtgewichtige Wandelbarkeit des mündlichen Weitervermittelns ist nicht dasselbe wie die neue schwergewichtige der gedruckten Überlieferung. All das nun kann zwar allgemein den Reichtum an Bearbeitungen, Neuzurichtungen und Varianten verstehen helfen, der dem Kirchenlied des 16. Jahrhunderts eignete. Doch ist damit die Frage, ob melodische Aufwärtsverlagerungen als eigenständiger Zusammenhalt zu begreifen sind, nicht erledigt. Indem aber das Kirchenliedschaffen des 16. Jahrhunderts und der Umgang mit ihm sich als größere Fluktuation darstellt, liegt vielleicht darin die Antwort: Denn innerhalb größerer Fluktuationen bildet die Gesamtheit der Erscheinungen in der Regel selbstorganisierend Untergruppen. Möglicherweise sind die Verlagerungen schlicht nur als eine solche zu begreifen – und der Bestand dieser so begriffenen Untergruppe kann ja auch noch weiter untergliedert werden. Bei O Lamm Gottes, unschuldig ließ die Vorgängermelodie, das Agnus Dei der XVII. Messe, aufgrund ihres großen Ambitus eine Verlagerung zu oder forderte sie gar heraus. Im Gegensatz dazu wurden etwa bei Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort die Vorgaben der zugrundeliegenden Hymnenmelodie Veni redemptor gentium emphatisch überschritten. Allerdings blieb dabei die seinerzeit übliche Syntax der zugrundeliegenden d-Tonalität gewahrt, ja Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort entspricht ihr insgesamt sogar besser, jedenfalls ‚schulmäßiger‘ als die beiden anderen Lieder zu dem Hymnus. Auf der einen Seite also machten die Veränderungen auf sich aufmerksam. Andererseits aber blieben doch die allgemeinen Grundlagen melodischer Grammatik unangetastet. Letztgenanntes scheint zunächst kaum der Erwähnung wert; selbstverständlich ist eine Melodiefassung des 16. Jahrhunderts nach Art des 16. Jahrhunderts angelegt – im Unterschied beispielsweise zu einem Choralsatz des Generalbasszeitalters über eine Jahrhunderte ältere Melodie. Nur geraten jetzt eben diese Grundlagen mehr

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und mehr ins Blickfeld, nämlich die Gepflogenheiten melodischer Gestaltung, als der Nährboden, dem die Verlagerungen entwuchsen. In der Tat deutet einiges darauf hin, dass nächst dem Spiel mit der Dialektik „vertraut“ bzw. „unantastbar“ auf der einen Seite und „neu“ bzw. „dennoch verändert“ auf der anderen das Jonglieren mit Grundlagen melodischer Syntax als Zusammenhalt stiftende Größe begriffen werden darf. Insbesondere fällt jetzt die mehrfach angeführte typologische Verwandtschaft eines Großteils der betroffenen Weisen auf, einhergehend mit ähnlichen bis hin zu gleichkommenden Veränderungsmaßnahmen: Von Anfang an, seit der d-Melodie Christ lag in Todesbanden, sind plagal angelegte Melodien mit Abstieg unter den Grundton im Abgesang bzw. in der zweiten Hälfte als Gegenstand von Verlagerungen besonders beliebt, wobei dann die Abstiege abgemildert, beseitigt oder sogar ins Gegenteil verkehrt worden sind. Im Fall der f-Melodie Vom Himmel hoch, da komm ich her bzw. der Melodie des Kranzsingens wurde einfach der Ambitus beschnitten. Bei einer Reihe anderer solcher f-Weisen wurde der Abstieg zur Unterquarte in eine Anhebung zur (zwar immer noch bemerkenswerten, aber bereits zum Formelbestand gehörenden) Obersekunde verkehrt; in anderen Tonalitäten wurde analog verfahren, so bei der e-Melodie der Sieben Worte Jesu am Kreuz, die im Babstschen Gesangbuch an der betreffenden Stelle zum Strukturton der Terz geht. Bei der d-Melodie Königin der Himmele als Freu dich, du Himmelskönigin wurde gar die Oberquinte erreicht, was als im buchstäblichen Sinn des Wortes überzogen erscheint. Auch bei der doppelt betroffenen f-Melodie O Lamm Gottes, unschuldig, die gleichfalls in diesen Zusammenhang gehört, erscheint eine Fassung wenigstens in Teilen als unorganisch, ebenso Es ist gewisslich an der Zeit bei Calvisius. Allgemeiner noch, und auch jenen Belegen einer gemeinsamen ausgreifenden Melodien-Großfamilie übergeordnet, äußern sich die Verlagerungen als ein Spiel mit dem Dualismus authentisch-plagal, seine Verwischungen eingeschlossen, sei es durch sinnreiche Einschränkung des Ambitus (Vom Himmel hoch, da komm ich her), sei es umgekehrt um ein Ergreifen der Möglichkeiten, wie ein besonders großer Ambitus sie bietet (O Lamm Gottes, unschuldig und cum grano salis auch Christ lag in Todesbanden).92 Auch die Bearbeitung Christus, der uns selig macht zum Ende des 16. Jahrhunderts betrifft ersichtlich gezielt den Unterschied authentisch-plagal. Die betrachteten Melodien erscheinen in ihren Veränderungen fast durchweg als Aufwärtsverlagerungen, oder solches ist mit Anspruch auf Wahrscheinlich-

92 Die f-Melodie der Cantio Ave hierarchia, seit 1410 belegt und seit DKL/RISM B VIII BBr 153102 / EdK eg1 unter verschiedenen Texten ins deutsche Kirchenlied eingegangen (EG 5 [Gottes Sohn ist kommen], in es; Z II 3294; EdK 1/3, Eg4), umspannt den Undezimenambitus von der Unterquarte (c) bis zur Oberoktave (f ’) des Grundtons. Es erscheint fast ein wenig seltsam, dass sie von Verlagerungen offenbar überhaupt nicht betroffen ist. Allenfalls im katholischen Leisentrit-Gesangbuch DKL/RISM B VIII Leis 156705 / EdK a53 und seiner Nachfolge fällt eine betreffende geringfügige Variante an; vgl. EdK 1/3, Eg4, und die dazugehörigen Angaben in den Textbänden.

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keit anzunehmen.93 Auch Ein neues Lied wir heben an, wo die Schlusszeile bei Johann Walter streng genommen unter statt über der des Färbefaß-Enchiridions mit ihrem hochgelegenen Grundton verläuft, darf guten Gewissens, als bestätigende Ausnahme so gesehen werden. Allein bei O Lamm Gottes, unschuldig empfiehlt es sich, die Reihenfolge der Fassungen offenzulassen. Von einem übergreifenden „Aufwärts“ zeugt auch das gemeinsame Vorkommen der hochgezogenen Melodie von den Sieben Worten, der Walter’schen Fassung Christ lag in Todesbanden und der zu der Zeit schon ungewöhnlichen Walter’schen Fassung von Gott sei gelobet und gebenedeiet innerhalb des Babstschen Gesangbuches – dessen so beschlagener Redaktor wird wohl nie zu identifizieren sein. Immer mal auch finden sich bei Luther Worte und Wendungen wie „hoch gesungen“, „notten auffs hochst stymmenn“94 und dergleichen mehr. Aus alledem daraufhin jetzt bei O Lamm Gottes, unschuldig gleich mit auf Aufwärtsverlagerung rückzuschließen und dessen heute vertraute Fassung mit Abstieg zur Unterquart im Abgesang (EG 190.1; Notenbeispiel 6-I) als die älteste zu definieren, wäre hingegen zu gewagt. Auch wenn diese vereinheitlichende Schlussfolgerung eine Abrundung des Bildes bedeutete und überdies die Ähnlichkeiten mit dem Fall Christ lag in Todesbanden nachgerade zu ihr herausfordern mögen – ihr steht die besondere, weiter zurückreichende und undurchsichtige Frühgeschichte der Decius-Lieder im Wege, aufgrund derer der Fall O Lamm Gottes, unschuldig ebenso als Abwärtsverlagerung vorstellbar bleibt. Es ist ja auch nicht so, dass es Abwärtsverlagerungen im Sinne vorliegender Ausführungen überhaupt nicht gegeben hätte. Ein solcher Fall sei zum Abschluss vorgestellt: Die heute überkonfessionell insbesondere als Mein schönste Zier und Kleinod bist bekannte plagale f-Melodie hat in der Version der gegenwärtigen Gesangbücher (EG 473; EG 474; GL2 361) den vertrauten Oktavambitus von der Unterquarte zur Oberquinte des Grundtons. Sowohl der höchste als auch der tiefste Ton werden dabei von Zeilenecken belegt; der höchste freilich kommt häufiger vor, schon gleich in der Eingangszeile. Diese Anlage mit Oktavambitus aber erfuhr die Weise erst 1594 durch Seth Calvisius.95 Als die Melodie mit dem Text In dich hab ich gehoffet, Herr gut zwei Jahrzehnte zuvor erstmals erschien,96 reichte sie nur bis zur Terz unter den Grundton herab, und das auch nur im Innern einer Zeile, gleich der ersten. (Vor 1594 allerdings begegnet die Unterquarte 1581 bei Gregor Sunnderreiter schon flüchtig innerhalb eines Melismas.97) – Umgekehrt freilich kommt dann seit den letzten Jahren des 93 So ist mir auch kein Fall bekannt, dass bei der strengen Anlage plagaler f-Melodien in Barform umgekehrt ein Zeilenschluss auf der Obersekunde des Grundtons im Abgesang zur Unterquarte verändert worden wäre und die Melodie damit im Nachhinein die Disposition von All mein gedencken dy ich hab erhalten hätte. 94 Luther, Martin: An den Christlichen Adel teutscher Nation (1520). In: D. Martin Luthers Werke. Weimarer Ausgabe, Schriften, Bd. 6 (1888), 381–469, dort 468 f.; jüngere Studigenausgabe, hg. von Armin Kohnle, Stuttgart 2015 (Reclam 19300), 114; u. a. Vgl. dazu auch KorthL, 36. 95 DKL/RISM B VIII Mi Calv 159416 / EdK c21; Z II 2461c; EdK 3, Ek24B. 96 DKL/RISM B VIII LpzM 157304 / EdK ek26; EdK 2, Ek24. 97 DKL/RISM B VIII Sund 158109 / EdK ga1; Z II 2461a; EdK 3, Ek24A.

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16. Jahrhunderts die Anlage mit Grundton (f ) als tiefstem Ton und im Gegenzug Ambitus nach oben hin bis zur Sexte (a) ausgeweitet vor.98 Johann Sebastian Bach zieht später für die Choräle Mich hat die Welt trüglich gericht’t in der „Matthäus-Passion“ und Dein Glanz all Finsternis verzehrt in der fünften Kantate des „Weihnachtsoratoriums“ eine solche Fassung heran. Will sagen: Aus der Abwärts- wurde nun doch nachfolgend wieder eine Aufwärtsverlagerung. Insgesamt ist der Fall dem der Kranzsingen-Melodie bemerkenswert ähnlich. Auch dieses Mal ist eine Melodie betroffen, die zeitlich hinter sich zurückweist,99 wieder auch plagale f-Tonalität; und einmal mehr spielt der Sextumfang vom Grundton an aufwärts eine Rolle.100 Melodien sind im Tonhöhenverlauf verändert worden: Das ist das Einzige, was die Verlagerungen ausnahmslos gemeinsam haben; als Definitionsgrundlage aber reicht das nicht aus. Zu achten ist darüber hinaus auf ein sinnhaftes Spielen mit Zusammenhängen oder auch nur Konzepten, mit Begründbarkeiten, wie solches hier und dort zu erkennen ist oder auch nur durchschimmert. Das ist es, aufgrund dessen zu schließen ist, dass sich hinter der Angelegenheit doch mehr verbirgt als in Editionsberichte abgeschobene Unstimmigkeiten. Melodieschaffende, Gesangbuchredaktoren, Sänger und Hörer unterzogen sich einer ersichtlich nicht ungeordneten, subtilen Konversation, über die ein Bericht im vorliegenden Rahmen torsohaft bleiben muss. So schwer das eigenwillige musikalische Bearbeitungs- und Variierungsverfahren einzugrenzen ist, lässt es sich anhand des erhaltenen Liedgutes doch belegen und als solches beschreiben. Zudem war offenkundig das 16. Jahrhundert für Verlagerungen eine hohe Zeit, wenn nicht gar die hohe Zeit. Zusammengehalten werden sie hier als ein regelhaftes Jonglieren mit vertrautem Material, einer vertrauten Syntax und vertrauten Dispositionen, weil dies alles dazu einlud und der kultur- und frömmigkeitsgeschichtliche Hintergrund beste Voraussetzungen dafür bot.101

98 Z II 2461d; EdK 4, Ek24E (1604); aber verwandt bereits Z II 2462; EdK 4, Ek24C (1597) Auch die in Anm. 47 aufgeführte „Moll-Fassung“ Z II 2463 / EdK 4, Ek24D (1598) hat Sextambitus vom Grundton aus. 99 Zumindest vom Charakter ist die Weise Mein schönste Zier weit zurückverfolgen; vgl. beispielsweise bereits in der Jenaer Liederhandschrift (D-Ju El. f. 101, Bl. 30r–31r) In dieser wise daz erste liet (GGdM III 400), eine ausgreifende plagale f-/c-Melodie mit Dezimenambitus von f bis a’. 100 Es ließe sich jetzt gar darüber sinnieren, ob nicht wie mutmaßlich bei der KranzsingenMelodie auch bei der Weise Mein schönste Zier bereits die erste erhaltene Fassung eine Aufwärtsverlagerung verkörpere. Doch bliebe das reine Spekulation; der Fall ist weniger konkret als der der Kranzsingen-Melodie bzw. der Erstfassung von Vom Himmel hoch, da komm ich her; zudem lässt die Weise Mein schönste Zier sich auch anderweitig verwandtschaftlich eingebunden begreifen. Wenig nachvollziehbar wäre auch, warum dann die Einrichtung mit Sextambitus vom Grundton aufwärts nicht sogleich im Erstdruck erfolgte und der Abstieg zur Unterterz nachfolgend durchaus mit weiterbestand, so bei Johann Crüger, s. PPMEDW I/1, Nr. 102. 101 Mein tiefempfundener Dank gilt Irmgard Scheitler und Daniela Wissemann-Garbe, ohne die die vorliegende Arbeit nicht erschienen wäre.

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Abgekürzte Literatur DKL/RISM B VIII Das deutsche Kirchenlied. DKL. Kritische Gesamtausgabe der Melodien. Hg. von Konrad Ameln, Markus Jenny und Walther Lipphardt, Bd. I, Teil 1–2: Verzeichnis der Drucke (zugleich Réper­toire International des Sources Musicales B VIII). Kassel [u. a.] 1975–1980 EdK [Edition deutsches Kirchenlied =] Das deutsche Kirchenlied. Kritische Gesamtausgabe der Melodien. Abteilung III: Die Melodien aus gedruckten Quellen bis 1680. Hg. von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Edition des deutschen Kirchenlieds. Vorgelegt von Joachim Stalmann [Vier Bände in insgesamt 15 Teilbänden mit den Melodien bis zum Jahr 1610]. Kassel [u. a.] 1993–2010 EG Evangelisches Gesangbuch. Stammausgabe 1993, acht Regionalausgaben GGdM Das deutsche Kirchenlied. Kritische Gesamtausgabe der Melodien. Abteilung II: Geistliche Gesänge des deutschen Mittelalters. Melodien und Texte handschriftlicher Überlieferung bis um 1530. Bd. 1–3, 5–6 hg. von Max Lütolf. Kassel [u. a.] 2003–2009; Bd. 4, 7–8 hg. von Laurenz Lütteken, Kassel [u. a.] 2018–2019 GGEK Johann Anastasius Freylinghausen: Geistreiches Gesangbuch. Edition und Kommentar. Im Auftrag der Franckeschen Stiftungen zu Halle hg. von Dianne Marie McMullen und Wolfgang Miersemann [Zwei Bände in bislang fünf Teilbänden]. Tübingen 2004–2013. Letzter Band (Bd. II/3) im Druck GL2 (+ Zahl) (Nummer in:) Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch. Stammausgabe 2013 (‚Gotteslob zwei‘ – ‚Neues Gotteslob‘) GR (+ Zahl) (Seite in:) Graduale Sacrosanctæ Romanæ Ecclesiæ de Tempore et de Sanctis. Solesmes 1979. (Imprimatur Tornaci, die 24 decembris 1973 [Tournai: Desclée 1974]) HEK I Handbuch der deutschen evangelischen Kirchenmusik. Nach den Quellen hg. von Konrad Ameln, Christhard Mahrenholz und Wilhelm Thomas. Bd. I: Der Altargesang. 1. Teil: Die einstimmigen Weisen. Göttingen 1941 JennyL Luthers Geistliche Lieder und Kirchengesänge. Vollständige Neuedition in Ergänzung zu Band 35 der Weimarer Ausgabe, bearbeitet von Markus Jenny (Archiv zur Weimarer Ausgabe der Werke Martin Luthers 3). Wien 1985 KorthL Lass uns leuchten des Lebens Wort. Die Lieder Martin Luthers. Im Auftrag der Franckeschen Stiftungen anlässlich des Reformationsjubiläums 2017 vorgelegt und erläutert von Hans-Otto Korth. Mit einem Nachwort von Patrice Veit. Halle und Beeskow 2017 LU (+ Zahl) (Seite in:) Liber usualis missae et officii. Paris [u. a.] 1950 MonMon I Hymnen (I). Die mittelalterlichen Hymnenmelodien des Abendlandes. Hg. von Bruno Stäblein (Monumenta Monodica Medii Aevi I). Kassel und Basel 1956 [Unveränderte Neuauflage mit Anhang 1995, (1996)] PPMEDW Johann Crüger: PRAXIS PIETATIS MELICA. Edition und Do-

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  Hans-Otto Korth kumentation der Werkgeschichte. Im Auftrag der Franckeschen Stiftungen hg. von Hans-Otto Korth und Wolfgang Miersemann [Zwei Bände in bislang vier Teilbänden]. Halle 2014–2017. Letzte beiden Teilbände (Bd. II/1a–b), in Vorbereitung Die Melodien der deutschen evangelischen Kirchenlieder, aus den Quellen geschöpft und mitgeteilt von Johannes Zahn [Sechs Bände]. Gütersloh 1889 –1893.Neudr. Hildesheim [u. a.] 21997

Balthasar Schnurr als Liederdichter Irmgard Scheitler

Balthasar Schnurr (25. Februar 1572 Lengsiedel / Hohenlohe – November 1644 Hengstfeld bei Crailsheim) ist als geistlicher Dichter wenig bekannt. In dem 2016 erschienenen, für die derzeitige und die kommende Forschergeneration wohl bestimmenden bio-bibliographischen Artikel in dem führenden Nachschlagewerk, dem Literaturwissenschaftlichen Verfasserlexikon, wird er fast nur als Autor von medizinisch-pharmazeutischen Ratgebern, Hausbüchern und Schwankliteratur gewürdigt.1 Als solcher gehört Schnurr in die Reihe der bekanntesten Satiriker wie Johann Fischart und Georg Rollenhagen oder der erfolgreichen Autoren von Kalender- und Hausväterliteratur wie Johannes Coler. Schnurrs heute schwer zugängliche und weitgehend vergessene Beiträge auf dem Gebiet der religiösen Gebets- und Liedliteratur bekommen hingegen nur einen Satz in der Gesamtdarstellung.2 Dabei ist das einschlägige Œuvre beachtlich groß. Der vorliegende Beitrag kann es in keiner Weise erschöpfend behandeln, sondern will nur ein paar Schlaglichter werfen. Diese zeigen einen Landgeistlichen im deutschen Südwesten, aus der Grafschaft Hohenlohe stammend und unter den Patronatsherren von Crailsheim und Wolmershausen tätig, der auf das zeitgenössische Bedürfnis nach geistlicher Erbauung, nach neuen Gebeten und neuen Liedern im Zusammenhang mit verschiedenen Textsorten reagierte: Er begann mit Liedeinlagen in Schauspielen, übersetzte lateinische Gebete und formte sie zu gut merkbaren Gesängen um. 1611 publizierte er einen Jahrgang Acrosticha auf die Evangelien, der sich zur praktischen Verwendung anbot (vgl. Johann Michael Dilherrs und Johann Erasmus Kindermanns Evangelische Schlußreime 1652).3 Zwischen 1615 und 1622 brachte er mehrere, teils umfangreiche deutsche Sammlungen von Reimgebeten und Liedern heraus;4 möglicherweise griff er 1 Unger, Thorsten: Schnurr, Balthasar. In: Kühlmann, Wilhelm u. a. (Hg.): Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon (im Folgenden VL16). Bd. 5. Berlin u. a. 2016, Sp. 534–541. 2 VL16 (s. Anm. 1): „Ferner wurden von Schnurr etliche geistliche Lieder und Gelegenheitsgedichte auf Hochzeiten und Todesfälle sowie Leichenpredigten gedruckt.“ Sp. 539. 3 Acrosticha sacra de dulcissimo nomine Jesu Immanuelis ac salvatoris nostri unici in quibus omnium evangeliorum totius anni […] summariae et loci praecipui comprehenduntur; his acc. acrosticha varii generis sacras materias continentia, concinnata & elaborata per Balthasarum Schnurrium. Rothenburg o.d.T.: Körnlein 1611. 4 Schöne / Christliche Andächtige ReimenGebetlein. In allerley Nöten unnd Anligen nutzlich und fruchtbarlich zugebrauchen / Jetzt erstesmals auß vieler Christlicher Hochgelehrter Lateinischer Poeten hiebevorn außgegangenen Gebetlein auffs allergetrewlichst verteutscht […] Durch

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dafür ursprünglich auf eine Sammlung von Johann Altenberger (Aldenberger), Pfarrer in Marktbergel, zurück.5 Dann wandte sich wieder dem Lateinischen zu und publizierte 1621 zehn Psalmen in Liedform, ein Unternehmen, das er 1630 mit anderen Liedinhalten fortsetzte.6 Wie in seinen anderen Veröffentlichungen ist Schnurr auch auf religiösem Gebiet nicht immer Originaldichter, sondern schreibt auch in Anlehnung an vorgefundene Werke oder übersetzt diese. Das tut seiner Bedeutung keinen Eintrag. Schnurr hat Teil an einem für die Frühe Neuzeit bezeichnenden Bestreben nach Wissenserschließung und -vermittlung. Die Wege, die er dabei einschlägt, sind bemerkenswert. Er ist kein national bedeutender, aber ein in seiner Region gut vernetzter Autor, an dessen Beispiel sich das literarische Alltagsleben der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert beobachten lässt. Schnurr begann die Serie seiner literarischen Veröffentlichungen mit Übersetzungen für den praktischen Gebrauch seiner Pfarrkinder. Sie wollte er durch Theaterspielen auf erfreuliche Weise religiös unterrichten. So legte er 1598 eine Verdeutschung von Nikolaus Selneckers Theophania vor, unter dem Titel: Ein

Balthasarum Schnurrn von Lendsidel / Pfarrern zu Amlitzhagen. Straßburg: Johann Carolus 1615 (Widmung an Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg, Gräfin von Hohenlohe). – Geystliches Schatzkämmerlein /  Schöner /  außerlesener /  Christlicher andächtiger Gebet und Gesänge /  sambt andern schönen gottseeligen Materien […] / zusammengetragen. Frankfurt a. M.: Eifridt 1619. – Geistliche Schatzkammer schöner ausserlesener Christlicher andächtiger Gebet und Gesänge. Jetzo auffs neuw wider auffgelegt. Frankfurt a. M.: Eifridt 1622 (Titelausgabe der Editio 1619). – Heute nicht mehr nachzuweisen ist: Ein Kurtzes Sehr Schönes […] Hand- und GebetBüchlein […] durch Balthasarn Schnurrn. Rothenburg o.d.T.: Körnlein 1626, siehe Fischer, Albert / Tümpel, Wilhelm (Hg.): Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts. 6 Bde. Gütersloh 1904–1916, Nachdr. Hildesheim 1964 (im Folgenden Fischer / Tümpel), Bd. III, S. 240. Dies ist nach Mützel eine Neuauflage der ebenfalls verschollenen ersten Auflage Rothenburg o. d. T.: Körnlein 1616. Mützel, Balthasar Nicolaus: Vita Et Acta Lamberti Hengstfeld. Reformati. Oder: Merckwürdige Lebens- und Amts-Geschichte der Evangelisch-Lutherischen Pfarrer und Vorsteher der Kirche zu St. Lambrecht in Hengstfeld. Zum Preiß Göttl. Vorsorge und wohlverdientem Ehren-Gedächtniß Seiner Amts-Vorfahrer, beschrieben von Balthaß Nicolaus Mützeln, Hochfürstl. Würzburgis. und Hochfreyherrl. Creylsheimischen gemeinschafftl. Pfarrern allda. Rothenburg o.d.T.: Holl 1756, Kap. IV. Lebens- und Amts-Geschichte Herrn Balthasar Schnurrn / des jüngern, und Vierten Evangelisch-Lutherischen Pfarrers zu Hengstfeld, S. 35–52, hier S. 41. 5 Vgl. Waldberg, Max von: Schnurr, Balthasar. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 32 (1891), S. 196, wonach das Buch von 1615 „als eine wesentlich bereicherte deutsche Uebersetzung der in Johann Altenberger’s Reimen-Gebetbüchlein abgedruckten lateinischen Gebete erscheint“. Gemeint ist: Gebetbüchlein Reimenweiß. Darinn Lateinische und Teusche [sic] Gebettlein zu finden / die ein jeder […] für sich und andere nohtleydende [sic] Christen sprechen kan / Auß vieler Christlicher Poeten Schrifften zusam[m]en gebracht / und ordentlich in zween unterschiedene Theil verfasset / Durch Johann Aldenberger von Kitzingen / Pfarrern zu Marck Bergel. Nürnberg: Fuhrmann 1611. 6 Odarum sacrarum rhythmicarum decas prima. Rothenburg: Körnlein 1621. – Odarum Sacrarum Rythmicarum [sic] Balthasari Schnurrij Lendsidelij P. L. Caes. Decas ; Sequentes Odas continens. 1. De laudatißimo Nomine Jesu. 2. De Beneficiis beati Jesuli […]. Rothenburg: Körnlein 1630.

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schön Lehr und Trostreich Spil. Darinnen von dem Zustand unserer ersten Eltern.7 Zuzustimmen ist der Einschätzung von Max von Waldberg, nach der das lateinische Schauspiel „geradezu in der deutschen Fassung an Wirkung gewonnen“ hat.8 Das lehrhafte Spiel war geeignet, jungen Leuten die soziale Pyramide als gottgegebene Ordnung nahezubringen. Schnurr veröffentlichte die deutsche Version kurz vor seinem Weggang aus der ersten Pfarrstelle im fränkischen Fröschstockheim. Der Übersetzer widmete das Stück seinen Pfarrkindern, damit sie es spielen, was von einem Druck einfacher sei. Die lateinische Comoedia ist vieraktig, verzeichnet aber nur nach Akt I und II Chöre. Beide sind durch Halbchöre alternierend vorzutragen, eine Aufführungsart, die gewöhnlich mit Tanz verbunden ist. Der erste Chor besteht aus jambischen Strophen mit vier vierhebigen Zeilen und beruht auf Psalm 149. Der zweite Chor ist in Sapphischen Strophen geschrieben und behandelt das 3. Kapitel des Buchs Sirach. Beide Vorlagen, der Psalm mit seinem Erwählungsbewusstsein wie auch die Haustafel, passen zur Handlung. Ganz anders die Zwischenaktmusiken bei Schnurr. Der Pfarrherr legt verschiedene Lieder vor, deren inhaltlicher Zusammenhang mit der Aufführung nicht einleuchtet, die aber für die religiöse Alltagspraxis nützlich sind. Mit dieser Vorgehensweise steht er tatsächlich einzig da. In aller Regel bemühen sich Dramatiker um Chöre, die den Inhalt der vorangegangenen Akte aufgreifen.9 Allenfalls hätten die von Schnurr angeführten Lieder in einen Anhang gepasst, weil sie für eine fromme christliche Hausgemeinschaft gedacht sind und insofern der Absicht des Spiels entsprechen, das die ständische und familiäre Hierarchie religiös untermauert. Sämtliche Melodien sind dem Lobwasserschen Psalter entnommen, d. h. es handelt sich um Genfer Melodien. Zu Beginn steht ein Gebetslied auf die Weise von Psalm 8. Nach Akt I setzt der Autor ein Morgen- und ein Abendlied auf die Melodie von Psalm 1. Zwischen Akt II und III stehen ein Tischgebet auf die Melodie von Psalm 18, ein versifiziertes Vaterunser im Thon des 131. Psalms sowie ein Tischgebet auf die Melodie von Psalm 6, ferner zwei Dankgebete nach Tisch im Thon des 81. Psalms bzw. des 6. Psalms. Auch nach

7 Selnecker, Nikolaus: Theophania Comoedia Nova, Et Elegans, De Primorum Parentum Conditione, Et Ordinum Sive Graduum In Genere Humano Institutione. Wittenberg: Schwenck 1560. – Ein schön Lehr und Trostreich Spil. Darinnen von dem Zustand unserer ersten Eltern / und von der Bestellung und einsetzung der Ständ und Empter im Menschlichen Geschlecht gehandelt wirdt. Auß dem Lateinischen in Teutsch und verstendliche Reymen gebracht. Durch Balthasarn Schnurrn von Lendsidel / Pfarrern zu Fröschstockheim / in Francken. Solcher gestalt vor niemals in Truck außgangen. Nürnberg: Heußler 1598. Sehr fraglich erscheint die Vermutung Mützels (s. Anm. 4), Kap. IV, S. 40, Schnurr hätte seinen melancholischen Patronatsherrn aufheitern wollen. Die Spiele haben sämtlich einen schulischen und pädagogischen Hintergrund. An Mützels Darstellung ist die apologetische Absicht allzu durchsichtig. Er geht von der anachronistischen, weil pietistischen Voraussetzung aus, ein Pfarrer sollte keine Schauspiele schreiben. 8 Waldberg, Max von: Schnurr, Balthasar (s. Anm. 5), 196. 9 Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik. Funktion und Ästhetik im deutschsprachigen Drama der Frühen Neuzeit. Bd. I: Materialteil. Tutzing 2013, Nr. 1008 f. und Bd. II: Darstellungsteil. Beeskow 2015, 297, 651.

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Akt III hat Schnurr, anders als Selnecker, ein Lied vorgesehen: Das Gebet eines Pfarrers im Thon von Psalm 42. Die Lieder sind mithin Originalbeiträge Schnurrs. Sie waren gleichsam das Legat des scheidenden Fröschstockheimer Pfarrers für die Christen seines Sprengels. Die Vorliebe für den Psalter und seine Genfer Melodien bestimmt immer wieder die Veröffentlichungen Schnurrs. Seine Herkunftsgrafschaft Hohenlohe gehörte zur Augsburger Konfession, zeichnet sich aber durch eine besondere Affinität zum Psalter auch in ihren Gesangbüchern aus. Dafür gibt es vor allem einen musikalischen Grund: die vierstimmen Sätze zu den Psalmmelodien. 1604 sorgte der Komponist Erasmus Widmann, Lehrer und Musiker an der Weikersheimer Lateinschule, für eine Sammlung Geistliche Psalmen und Lieder,10 in die er als eigene Abteilung 19 Lobwasser-Psalmen aufgenommen hat.11 Die Neuausgabe durch seinen Nachfolger Johann Jeep 1629 erweiterte auf 24 – eine herausragend hohe Zahl.12 Jeep erklärt sich dazu ausführlich in der „Vorrede an den Christlichen Leser“. Schnurrs Hohenlohischer Kollege Johann Wüstholtz schrieb zwar einen Lutherisch Lobwasser, um die Vorausdeutung auf Christus in den Psalmen gegen die Kalvinisten zu verteidigen, verwendete aber die Genfer Melodien. Schnurr steuerte ein lateinisches und ein deutsches Ehrengedicht bei.13 In diesem Zusammenhang muss also Schnurrs Vorliebe für die französischen Psalmmelodien nicht überraschen. Auch die folgenden beiden Theaterstücke, die Schnurr übersetzte, dürften für den praktischen Gebrauch seiner Pfarrkinder bzw. der Schüler seiner Pfarreien gedacht gewesen sein, handelt es sich doch um Schul-Klassiker aus der Feder des „Terentius Christianus“ Cornelis Schonaeus. Dessen Pseudostratiotae ließ er 1607 deutsch erscheinen.14 Da es sich um ein reines Lustspiel handelt, fügt Schnurr keine Chöre zwischen die Akte ein. Die Komödie erreichte einige Bekanntheit, was daran zu erkennen ist, dass sie wiederverwendet wurde. Nicht nur konnte Johann Rist Teile aus ihr für seine Irenaromachia (1630) brauchen,

10 Widmann, Erasmus (Hg.): Geistliche Psalmen und Lieder / wie sie deß Jars uber auff alle Fest / Sonn unnd Feyertag zu Weickersheim in der Gravenschafft Hohenloe etc. gebraucht werden / etc. mit vier Stimmen componirt. Nürnberg: Fuhrmann 1604. Neuausgabe von Sabine Mielke-Cassola und Dirk Hangstein. Weikersheim 2002. 11 Neuausgabe (s. Anm. 10), 51–87. 12 Jeep, Johannes (Hg.): Geistliche Psalmen und Kirchengesänge / wie sie in Christlichen Kirchen und Gemeinen / auff alle Fest- Sonn- und Feyertäge / Bevorab zu Weickersheimb / […] gebräuchlich. Mit vier Stimmen / mügliches Fleisses / dem Choral nach / componirt. Nürnberg: Wagenmann 1629, Anhang, Bl. 310–368. 13 Wüstholtz, Johann: Der Lutherisch Lobwasser. Das ist: Der gantze Psalter Davids / auff Christum den rechten Scopum oder Zweck der heiligen Göttlichen Schrifft / sonderlich auff das Newe Testament unnd diese letzte Zeit gerichtet. Rothenburg: Körnlein 1618. 14 Schonaeus, Cornelis: Pseudostratiotae. Heidelberg 1594. – Pseudostratiotae, Das ist: Die vermeinten Landtsknecht: Eine sehr lüstige / artige / kurtzweylige und zu Ehrlicher Frewd und Ergetzlichkeit dienende Comoedi unnd FaßnachtSpiel / Erstlich in Latein beschrieben durch […] Cornelium Schönaeum […] Jetzund aber […] in Teutsche und verständliche Reymen […] verfasset / Durch Balthasarn Schnurrn von Lendsidel. Frankfurt a. M.: Saur 1607.

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sondern sie diente auch als Zwischenspiel in einer Neuauflage der Straßburger Fassung von Sophokles’ Ajax lorarius.15 Im gleichen Jahr 1607 veröffentlichte Schnurr seine dritte Dramen-Übersetzung. Sie macht wiederum ein Stück des Schonaeus zugänglich, den österlichen Triumphus Christi.16 Das Original17 enthält keine Chöre. Schnurr gibt dem Stück wiederum geistliche Lieder bei, die nun wenigstens teilweise auf die Handlung abgestimmt sind. Nach Akt I steht Erstanden ist der heilig Christ in zwei Fassungen. Übersetzungen der mittelalterlichen Cantio Surrexit Christus hodie reichen bis ins 13. Jahrhundert zurück. Der Text, der ursprünglich zweizeilige Strophen aufweist, prägte eine große Zahl von Varianten aus.18 Bei Schnurr sind beide Lieder dreizeilig; sie stimmen mit keiner der bei Philipp Wackernagel oder Wilhelm Bäumker verzeichneten Fassungen überein. Hingegen haben die beiden Fassungen bei Schnurr Ähnlichkeiten untereinander, unterscheiden sich aber durch die Melodien, die freilich fehlen. Fassung 1: S. 43–45: „Ein schöner Osterlicher Lobgesang wie man denselben in etlichen Kirchen nach dem / Christ ist erstanden / etc. zusingen pflegt. In seiner eygen Melodey“. Das Lied fügt in jeder seiner neun Strophen „Halleluia“ und die Zeile „Gelobet seystu…“ hinzu. Fassung 2: S. 45–46: „Ein ander Ostergesänglein. In der Melodey wie man das Osterlied in Frag und Antwort gestellet / zusingen pfleget.“ In jeder der neun Strophen wird das Halleluia hinzugefügt und die letzte Zeile wird ohne Halleluia wiederholt.19

15 Ajax lorarius seu Tragica Comaedia [sic] de Ajacis Telemonii […]. Exornata post Sophoclem. Scenis necessariis & septem cantionibus inter actus decantandis, Olim a Josepho Scaligero Julii filio translate, et in Theatro Argentinensi exhibita, Anno 1587. Darunter sein eingeführet Pseudostratiotae, Ein Teutsches Spiel. Von newen gedruckt Anno 1631. 16 Triumphus Christi Das ist: Die Historia von dem herrlichen Triumpf unnd Sieg der Hochtröstlichen und Heylwärtigen Aufferstehung unsers Herrn unnd Heylandes Jesu Christi / auß den Heyligen Evangelisten zusammen gezogen / und in ein schöne anmütige Lateinische Comœdi und Spiel verfasset durch den Hochgelehrten Herrn Cornelium Schonaeum Goudanum, Gymnasiarchen der Schulen zu Harlem in Niderlanden. Jetzund aber auß dem Latein in Teutsche und verständliche Reymen auffs aller fleissigest und getrewlichst / fast Wort zu Wort / so viel jmmer müglich gewesen / verfasset. Durch Balthasarn Schnurrn von Lendsidel Pfarrherrn zu Amlißhagen. Frankfurt a. M.: Saur 1607. 17 Schonaeus, Cornelis: Triumphus Christi. In: Pars Altera Terentii Christiani Seu Comoediarum Cornelii Schonaei Gymnasiarchae Harlemensis. Wittenberg: Hoffmann 1599. 18 Wackernagel, Philipp: Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts. 5 Bde. Leipzig 1864–1877. Nachdruck Hildesheim 1964, Bd. II, Nr. 952–959, Ebd. Bd. IV, Nr. 64; 66. – Bäumker, Wilhelm: Das katholische deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen. 4 Bde. Freiburg i. Br. 1883–1911, Bd. I, Nr. 244–245a. 19 In der Tat gibt es bei Jeep (s. Anm. 12) zwei Varianten des Erstanden ist der heilig Christ. Die erste Bl. 52v passt auf Schnurrs Fassung 2 (!) und ist ihr auch in den Strophen I–IV ähnlich. Sie erscheint als Teil II von Christ ist erstanden und fügt (nach Taktwechsel) noch an: „Alleluia, Alleluia, Alleluia / Deß sollen wir alle froh sein / Christ soll unser Trost sein / Alleluia.“ Vgl. Widmann, Neuausgabe (s. Anm. 10), Nr. 60, S. 122 f. Der zweite Tonsatz (Bl. 55 v) mit anderer Melodie steht bei einem längeren, in seiner zweiten Hälfte dialogisch konnotierten, zweizeiligen Text. Für Schnurrs jeweils dreizeilige Fassungen passt die Komposition so nicht, man müsste sie erweitern.

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Fassung 1

Fassung 2

Erstanden ist der Heylige Christ/ Halleluia /  Halleluia. Der aller Welt ein Tröster ist. Halleluia Gelobet seystu Herr Jesu Christ.

Erstanden ist der heylige Christ / Halleluia Halleluia Der aller Welt ein Tröster ist / Halleluia Der aller Welt ein Tröster ist.

Er hat erlitten grosse Not/ Um unsertwillen den bittern Todt.

Es kamen drey Marien zu dem Grab/ Sie wolten den Herrn gesalbet han.

Drey Marien kamen zu dem Grab/ Sie wolten den Herrn gesalbet han.

Sie wolten ihm salben seinen Leib/ Zu dieser Osterlichen Zeit.

Der Engel sprach wen sucht ir hie? Und den ihr suchet der ist nit hie.

Da saß ein Engel bey dem Grab/ Ihr betrübten Marien wen sucht ihr da?

Er ist erstanden / er ist nit hie/ In Galilaea wird er für euch gehen.

Wir suchen den Herrn Jesum Christ/ Der aller Welt ein Tröster ist.

Und da sie gen Galilaeam kamen/ Da fanden sie Jesum selber da.

Er ist erstanden und ist nit hie/ In Galilaea da findt ihr ihn.

Verkündigt den Jüngern newe mehr/ Erstanden sey unser aller Herr.

Er ist erstanden in weissem Kleydt/ Das ist den Jüden ein grosses Leyd.

Er führet ein Creutz in seiner Hand/ Er ist ein König über alle Land.

Auff diesen Osterlichen Tag/ Ein jegliches Mensch Gott lobe sag.

Auff diesen Osterlichen Tag/ Ein jeglicher Mensch Gott loben mag.

O Mensch glaub du unnd sag Gott preiß So wird dir beschert das Paradeiß.

Der zweite Zwischenakt ist wiederum mit zwei Liedern gefüllt: S. 68–72 „Ein schön tröstlich Gesang / von dem hochgelobten / edlen und thewren Namen Jesu. Im Thon: Helfft mir Gottes Güte preisen“. Die Verehrung des Namens Jesu, sonst zum Weihnachtsfestkreis gehörig, steht auch in Widmanns Gesangbuch bei den Osterliedern.20 Schnurrs Jesus der edle Name ist offenbar eine Originaldichtung. Sie rühmt in zehn Strophen die umfassende heilende Wirkung des Namens Jesu. Die zehnte Strophe beginnt doxologisch. Schnurrs Interesse an Krankheiten und sein einschlägiges Wissen werden sichtbar. Erwähnt werden die Toten, Lahmen, Blinden, Aussätzigen, Gefangenen, Tauben, Stummen, Fiebrigen, Verwachsenen, Wassersüchtigen, Herzschwachen, die Sünder, Vertriebenen, Schiffbrüchigen, denen der Name Jesu Rettung bringt; noch viele andere wunderbare Wirkungen des Namens Jesu sowie Vergleiche mit allerlei Heilmitteln findet Schnurr. Während bei diesen Strophen ein Hinweis auf eine Vorlage fehlt, sind die folgenden Dichtungen sämtlich als Übersetzungen gekennzeichnet. Hier zeigt sich bereits Schnurrs lebhaftes Interesse an lateinischer Hymnendichtung. Sie wurde in den Gymnasien gepflegt und wuchs dadurch den Gebildeten ans Herz. Kein Wunder, dass ein Seelsorger wie Schnurr diese Schätze seinen Pfarrkindern, die kein Latein verstanden, erschließen wollte. Zudem stand im 16. Jahrhundert die 20 Widmann Neuausgabe (s. Anm. 10), Nr. 62, S. 125: Jesus ist ein süsser Nam[e], den wir Sünder rufen an.

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Erbauungsliteratur der lateinischen Kirche des Mittelalters hoch im Kurs, sie erlebte gewissermaßen eine Renaissance, wie aus zahlreichen Gebetssammlungen zu ersehen ist.21 Das zweite Lied (S. 72 f.) nach Akt II entnimmt die letzten drei Strophen aus der Bernhard von Clairvaux zugeschriebenen salutatio ad faciem des Arnulf von Löwen: Salve caput cruentatum. „Ein schön Christlich Gesänglein auß dem alten Kirchenlehrer Sanct Bernhardo. Morti tuae tam amarae etc. Im Thon: O Welt ich muß dich lassen / etc.“ Jesu von gantzem Hertzen/ Für deine bittere Schmertzen Und schwere Todtes Pein Sag ich dir Lob und Ehre/ Gnädig dein Knecht gewehre/ Laß ihn von dir ungschieden seyn.

Morti tuae tam amarae Grates ago, Jesu care, Qui es Clemens, pie Deus, Fac, quod petit tuus reus, Ut absque te non finiar.

Wenn ich in diesem Leben/ Werde mein Geist auffgeben/ So sey von mir nit ferr. Wenn mich der Todt mit grimme. Wegreissen wil mit ihme Komm und hilff bald Jesu mein Herre.22

Dum me mori est necesse, Noli mihi tunc deesse: In tremenda mortis hora Veni, Jesu, absque mora, Tuere me et libera.

Wenn du mich Herr diß Leben Heist dermahleins begeben/ Ach mir als dann erschein/ Jesu du mein verlangen/ Zeig dich mir wie du ghangen/ Für mich am Stamm deß Creutzes dein. Amen.

Quum [cum] me jubes emigrare, Jesu care, tunc appare: O amator amplectende, Temetipsum tunc ostende In cruce salutifera.

Die „Rhythmica oratio ad unum quodlibet memborum Christi patientis et a cruce pendentis“ gehört zum Grundbestand der Bewegung religiöser Verinnerlichung. Übersetzungen der Salutationes reichen bis ins 14. Jahrhundert zurück.23 Gleichwohl ist Schnurrs frühe protestantische Übertragung bemerkenswert. Sie muss als gut gelungen bezeichnet werden. Das Strophenschema von vier trochäischen und einer jambischen Zeile konnte Schnurr nicht nachahmen, es war nicht deutsch. Daher wandte er sich einer affektverwandten Form zu, der Melodie des Sterbeliedes O Welt, ich muss dich lassen. Tonbeugungen versuchte er zu vermeiden, eine unterlief ihm trotzdem (II ,2); Kontraktionen waren ihm als Süddeutschem selbstverständlich und galten 1607 noch in keiner Weise als verpönt. Die störende Interpunktion mag auf den Setzer zurückgehen, solche Eigentümlichkeiten finden sich noch im 18. Jahrhundert. 21 Moller, Martin: Meditationes sanctorum Patrum. Schöne, andechtige Gebet […] Aus den heyligen Altvätern: Augustino, Bernhardo, Taulero, vnd andern, fleissig vnd ordentlich zusamen getragen vnd verdeutschet. 2 Teile. Görlitz 1584. 1591. – Musculus, Andreas: Precandi formulae piae et selectae, ex veterum Ecclesiae sanctorum doctorum scriptis. Frankfurt a.d. O.: Eichorn 1553 – später auch in Deutsch. 22 Sollte heißen: „Herr“. 23 Wackernagel, Philipp: Das deutsche Kirchenlied (s. Anm. 18), Bd. II, Nr. 454.

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Anders als dieser Hymnus sind die Vorlagen der Lieder nach Akt III nicht so weit verbreitet: S. 93–95 „Ein schön andächtig Gesänglein umb einen gottseligen Wandel und Christliches Leben. Im Thon: Vater unser im Himmelreich.“ – Am Ende: „Ex M. Antonio Flamminio, etc. translata“. Die nicht näher bezeichnete Vorlage ist das unstrophische Reimgebet „Tutela praesens omnium“ des italienischen Humanisten Marc Antonio Flaminio (1498–1550). Seine Verse erlebten zahlreiche Neuauflagen.24 Jesu Beschützer aller Leut/ Die dich zuehren sein bereyt. Wenn ich was red / gedenck / und thu/ So gib du deine Gnad darzu. Daß solches sey nit schädlich mir/ Sondern zu Lob gereiche dir.

Tutela praesens omnium Qui mente pura te colunt, Da, quaeso, nil ut cogitem, Agam, loquar quod Numini Tuo placere non queat:

Gib Herr daß ich die Frommen lieb/ Und auch die Bösen nit betrüb. Damit ich nit erfunden werd/ Dein ungerahtens Kind auff Erd. Der du speist / tränckst / gibst Sonnenschein/ Guten und Bösen in gemein.

Comis, benignus in bonos Malosque sim, ne degener Sim natus optimi Patris; Qui Solis almo lumine Illustrat omnes, omnibus Potum cibumque sufficit.

Erhalt in deinen Wegen mich/ Durch deine Gnade stätiglich/ Auff daß so ich was gutes thu/ Solchs deiner Gnad allein schreib zu/ Dir und sonst niemand dancke drumb/ Und alles richt zu deinem Ruhm.

Legum tuarum per vias Me continenter dirige, Bonique quidquid egero, Id esse totum muneris Tui sciamque et praedicem.

Wenn ich kranck an dem Fieber lig/ Oder umbgeben bin mit Krieg/ Und deß Gottlosen Kriegers Handt/ Mir Hauß und Hof steckt in den Brandt Ich dennoch unverdrossen sey Dein Güt und Gnad zu rühmen frey.

Seu febris artus pascitur, Seu miles urit impius Domum paternam, dicere Laudes tibi ne desinam;

Und daß ich gar nit zweiffel dran/ Du habst es mir zu gut gethan/ Und ich mich gebe nur zu Ruh/ Denn was den Kindern dein steht zu/ Es sey gut oder böß / so muß Es dienen ihn zu Fürdernuß.

Sed cuncta Numinis tui Nutu regi nil ambigens, Vivam quietus. filios Dei secunda et aspera Juvent oportet. Gloriam Tuam Patrisque maximi Meae saluti praeferam;

Gib auch O Jesu lieber Herr/ Daß dein und deines Vatters Ehr/ Ich höher halt zu aller zeit/ Denn mein selbs Heil und Seligkeit. Und was ich jmmermehr nem für/ Ihme zu Lob gereich / und dir.

24 Aus: Marci Antonii, Joannis Antonii Et Gabrielis Flaminiorum Forocorneliensium Carmina. (Hg.: Franciscus Maria Mancurtius). Padua: Cominus 1743, 269 f.

Balthasar Schnurr als Liederdichter  Es ist nichts liebers das ich weiß/ Auff diesem gantzen Erdenkreiß/ Das ich O Herr / mir wünschen wolt/ Denn daß viel Schmach ich leiden solt/ Umb deinetweillen / meine Frewd Hett ich an viel Trübseligkeit. Ja der Todt wer mir angenem/ Fürs Leben ich denselben nem/ Wie geren wolt ich in das Grab/ Mein bschwerten Leichnam legen ab/ Daß in dein ewig Reich zu dir Ich fliegen möchte mit Begier. Amen.

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Nec ulla res optatior Queat mihi contingere, Quam contumelias pati Te propter. ipsa carior Sit luce mors, ut corpore Exutus ad tui volem Regni, beata gaudia.

Die Übersetzung zeigt, dass gewagte Zeilensprünge, wie sie etwa in der vorletzten Strophe zu beobachten sind, ihren Ursprung im Lateinischen haben. Für das Singen sind sie ungünstig. Sich das bewusst zu machen, braucht es mehr Abstand zur Leitsprache Latein, als viele Dichter der voropitzianischen Epoche hatten. „Tutela praesens omnium“ war kein ganz unbekannter Text. Auch Daniel Czepko hat ihn um die Mitte des 17. Jahrhunderts überliefert.25 Zusammen mit anderen Texten von Flaminio steht das Gebet um ein frommes Leben in einer Sammlung von Privatgebeten des englischen 16. Jahrhunderts.26 Bekannter als dieses Reimgebet dürfte aber der folgende Hymnus gewesen sein. Er stammt aus der Feder des Franzosen und Freundes von Clément Marot, Salmon Macrin (1490–1557). Für die Verwendung in Schulen war das sapphische Metrum, das alle Lateinschüler singen konnten, günstig. Schnurr übersetzte den Text seinen Lesern zuliebe, d. h. er rechnete nicht unbedingt mit seiner Verwendung bei der Schauspielaufführung: „will ich dem guthertzigen Leser / mit dem schönen außbündigen Hymno, Salmonii Macrini, der sich anfäht / Christe confusae medicina mentis, etc. […] gratificirt haben / den er nach seiner Gelegenheit ihme / wol wird wissen nutz zumachen. Ein schöner andächtiger Lobgesang. In der Melodey wie das Lateinische Sapphicum gehet.“ (S. 113–115). Christe / den hertzen die in ängsten schweben/ Labsal in schmertzen thustu gnädig geben/ Höher dein Rhume als die edelst Blume Erhebt der frumme.

Christe, confusae medicina mentis, Dulce solamen, requies amica, Suavius nomen teneris Sicanae Floribus Hyblae,

Der ich mit Sünden hefftig bin beladen/ Wo werd ich finden / trost in solchen schaden? Wie werd ich bstehen / wirst mich nit ansehen Und mir zugehen?

Mole noxarum coopertus atra, Quo gemens ibo veniam precatum? Me nisi occurrens miserum sereno Lumine cernas?

25 Daniel Czepko. Sämtliche Werke. 2,1. Vermischte Gedichte; 1: Lateinische Gedichte. Bearb. von Lothar Mundt und Ulrich Seelbach. Berlin [u. a.] 1996, 710–712. Die Edition erweckt den Anschein, als sei Czepko der Verfasser. 26 Private Prayers Put Forth by Authority During the Reign of Queen Elizabeth. Hg. von William K. Clay. New York 1968, 410.

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Wie unsre zehren dich so sehr erbarmen/ Und wie gar geren du nur helffst uns Armen/ Der Schecher lehret / und die dich verehret/ Mit Salben / bewähret.

Fletibus quantum moveare nostris, Quamque sis erga facilis dolentes, Latro testetur, mulierque odorum Quae tulit unguen:

Diese voll schanden thet in Unzucht leben/ Ins Teufels banden / jener thete streben Mit grimm und wüte / nuhr nach menschen Blute Unnd hast27 das gute.

Haec in obscoenis habitare lustris Suata, vulgarat meretrix pudorem, Multus at stricto iugulatus illi est Ense viator;

Doch hast mit gnaden sie beid angesehen/ Als sie dich baten / und dir theten flehen/ Vatter voll gnaden / und den schweren schaden/ Von ihm28 abgladen.

Sed tamen verbis utriusque flexus, Et prece effusa, veniam dedisti, O Pater Clemens, oneroso et ambos Fasce levasti.

Aber auff Erden uns man nichts kan weisen/ Das in beschwerden / dein lieb mer thu preisen. Dann dz du geben hast am Creutz dein Leben/ Sünd zu vergeben.

Maius at nullum specimen tuorum est Munerum, quam quod cruce fixus alta, Sponte in humani generis salutem Funera perfers.

Solch todtes schmertzen thun uns klärlich lehren/ Wie du von hertzen / uns thust lieben / ehren/ Weil durch dein todte und fünff wunden rote/ Uns hilffst aus Note.

Illa mors quanti docet aestimemur, Quam sit exundans Charitum tuarum, Christe, fons in nos, roseo redemptos Sanguinis imbre.

Darumb o Herre / wir dir dancken sollen/ Rühmen dein Ehre / weil wir Athem holen. Mit grossen frewden dein lob auch außbreiten Zu allen zeiten.

Gratias ergo tibi agi decebit, Quandiu nostros animabit artus Aura, et effectu meritas profundo Dicere laudes.29

Die fünfhebigen Zeilen machten Schnurr mehr Schwierigkeiten als die gewohnten vierhebigen. Wiederholt muss er ein unangebrachtes „schlesisches“ End-e anhängen: Ruhme, wüte, todte, rote, Note. Hier wie auch in den anderen Liedern zeigt sich, mit wie viel Recht Opitz 1625 von einer Reihung einsilbiger Wörter abraten sollte. Sie erschweren Les- und Verstehbarkeit. Gleichwohl muss man der Übersetzung Bewunderung zollen. Schnurr hat jeweils den für das frühneuzeitliche Sapphicum typischen daktylischen Zeileneingang treffend nachgeahmt.30 Nach dem Ende des Stückes (S. 131–140) wartet Schnurr noch mit einer Besonderheit auf: einer Übertragung des Frühlingshymnus „Versus de Resurrectione Domini“ von Venantius Fortunatus: Tempora florigero rutilant distincto sereno.31 „Der lange außführliche / schöne / und über alle massen tröstliche und 27 Gemeint ist: haßt. 28 Gemeint ist: ihnen. 29 Aus: Odarum liber sextus 1537. – Schumann, Marie-Françoise (Hg.): Salmon Macrins Gedichtsammlungen von 1537. Edition mit Wortindex (Hamburger Beiträge zur Neulateinischen Philologie 8). Münster 2012, 324 f. 30 Vgl. Frank, Horst: Handbuch der deutschen Strophenformen (UTB 1732). Tübingen 1993, Nr. 4.83. 31 Venantius Fortunatus: Carminum […] libri IX. Mainz 1617, Buch III, Nr. 9, S. 77–80: „ Ad Felicem episcopum, de paschate resurrectionis Domini“. – Auch in: Dreves, Guido Maria (Hg.): Analecta hymnica Medii Aevi. Hymnographi latini. Lateinische Hymnendichter des Mittelalters. 2. Folge. Leipzig 1907, 76–79.

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anmütige Hymnus und Lobgesang deß alten Kirchenlehrers Fortunati, welcher sich anfähet Salve Festa dies, etc. In welchem der herrliche und frewdenreiche Triumph und Sieg der heylwertigen Aufferstehung unsers lieben Herrn unnd Heylandes Jesu Christi / mit schönen außerlesenen verblümbten Worten und Figuren / auffs aller künstlichst und zierlich beschrieben ist / Jetzund auffs fleissigst und getrewlichst von Wort zu Wort verteutschet / unnd in verständliche Reymen verfasset.“ Salve festa dies ist über die Jahrhunderte hinweg auf verschiedene Feste adaptiert worden, gut 50 Hymnen dieses Anfangs sind verzeichnet.32 Das Original, ein Distichengedicht von 110 Zeilen, bringt den Text, der jetzt zu Beginn steht, Salve festa dies, erst als Zeile 39.33 Die Dichtung kommt in ihrer ersten Hälfte Schnurrs naturkundlichen Interessen sehr entgegen, und so breitet der Übersetzer all sein einschlägiges Wissen und Vokabular aus. Die lange Übertragung in paargereimten vierhebigen Jamben ist lebhaft und anschaulich. Sie dürfte ihresgleichen suchen, denn der ganze Text wurde liturgisch nie gebraucht, man ließ den Natur­ eingang einfach fallen, kürzte, veränderte, adaptierte nach jeweiligem Bedürfnis. Die für das 17. Jahrhundert repräsentative Sammlung von Albert Fischer und Wilhelm Tümpel hat Schnurr die Ehre erwiesen, sieben Texte von ihm aufzunehmen.34 Sechs davon entstammen den oben erwähnten Gebetbüchern. Auch diejenigen, die keine Tonangabe bei sich haben, lassen sich auf bekannte Melodien singen, weil es sich um geläufige jambische Dimeter von vier Zeilen handelt. Das siebte Lied ist dasjenige, das Schnurr am meisten bekannt gemacht hat: O großer Gott von Macht. Allerdings ist seine Autorschaft zweifelhaft. Angesichts der Fülle der von ihm stammenden, durchaus auch qualitätvollen Texte gibt es keinen Zweifel, dass Schnurr in der Lage gewesen wäre, dieses Lied zu verfassen. Der Text, der sich der Fürbitte Abrahams für Sodom verdankt (Ex 18), ist von sehr einfacher Faktur. Die letzten drei Zeilen der acht achtzeiligen Strophen sind gleich (mit einer kleinen Variation in der letzten Strophe). Die Zeilen 1 und 5 wechseln bei gleichem Gerüst des Wortlauts nur wenige Wörter aus. Lediglich die Zeilen 2–4 sind jeweils neu. Das Lied gehört somit zu einer Gruppe von Kirchenliedern, deren litaneiartiger Reihencharakter zu immer neuen Fortsetzungen anregt. So auch in diesem Fall. 1. O großer Gott von Macht und reich von Gütigkeit / Wiltu das gantze Land straffen mit Grimmigkeit / Vielleicht möchten noch Fromme seyn / Die theten nach dem Willen dein Der [Drum] wollestu verschonen / Nicht nach den Wercken lohnen. 32 Analecta hymnica (s. Anm. 31), Nr. 23712–23769. 33 Überhaupt ist der kirchliche Osterhymnus nur ein Exzerpt aus dem Frühlingsgedicht. Vgl. Kayser, Johann: Beiträge zur Geschichte und Erklärung der ältesten Kirchenhymnen. Mit besonderer Rücksicht auf das römische Brevier. 2., umgearb. und verm. Aufl. Paderborn 1881, 393. 34 Fischer / Tümpel (s. Anm. 4), Bd. III, S. 240–244, Nr. 315–321.

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  Irmgard Scheitler 2. O großer Gott von Ehr / diß ferne sey von dir / Daß Bös und Fromb zugleich die Straffe mit [strenge Straf] berühr/ Der möchten etwa fünffzig seyn /  Die theten nach dem Willen dein / Der [Drumb] wollestu verschonen / Nicht nach den Wercken lohnen 3. O großer Gott von Rath / laß die Barmhertzigkeit / Ergehen / und halt inn mit der Gerechtigkeit / Der möchten fünff und viertzig seyn / Die theten nach dem Willen dein / Der [Drumb] wollestu verschonen / Nicht nach den Wercken lohnen 4. O großer Gott von Stärck / schau an das arme Land Und wende von der Straff dein ausgestreckte Hand / Der möchten etwa viertzig sein /  Die theten nach dem Willen dein / Der [Drumb] wollestu verschonen / Nicht nach den Wercken lohnen. 5. O großer Gott von Krafft / laß doch erweichen dich / Weil das elend Gebet so offt erholet sich / Vielleicht der möchten dreißig seyn / Die theten nach dem Willen dein / Der [Drumb] wollestu verschonen / Nicht nach den Wercken lohnen. 6. O großer Gott von Gnad / erhör auch diese Stimm / Und in deim hohen Thron das seufftzen tieff vernimm / Der möchten etwa zwantzig sein /  Die theten nach dem Willen dein / Der [Drumb] wollestu verschonen / Nicht nach den Wercken lohnen. 7. O grosser Gott von That / schaw wie die arme Erd / Von deiner Mildigkeit noch einen Wunsch begehrt / Der möchten etwa zehne sein / Die theten nach dem Willen dein / Der [Drumb] wollestu verschonen / Nicht nach den Wercken lohnen. 8. O großer Gott von Lob / wenn zehn [ja] das Maß erfüllt Der Sünden / und aus Zorn uns gar verderben wilt / So möchten doch die Kinderlein / Thun nach dem rechten Willen dein / Der wollestu verschonen / Uns nicht nach Sünden lohnen.

Das Lied erscheint erstmals als Teil 2 einer Komposition Melchior Francks, die der Coburger Kapellmeister 1628 in 40 Exemplaren an den Rat der Stadt Nürnberg zum Gebrauch der dort vorgeschriebenen Buß- und Bettage schickte:

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Suspirium Germaniae Publicum.35 Das Werk beginnt mit einem siebenstimmigen Teil (SSSATB ,B.c.): Zunächst wird gesungen: „Impetum inimicorum ne timueritis. Memores estote quomodo salvi facti sunt patres nostri, et nunc clamemus in caelum.“ An dieser Stelle unterbricht Franck das Responsorium (nach 1 Makk 4,8–10) und fährt stattdessen fort: „Herr wir liegen für Dir mit unserm Gebet […]“ (Dan 9,18b–19). Erst dann schließt er Teil 1 der Komposition mit dem letzten Vers des Responsoriums „et miserebitur nostri Deus noster“. Es folgt als vierstimmiger Kantionalsatz das Lied mit acht Strophen. Franck äußert sich zu seinen Textvorlagen nur partiell: Er benennt lediglich Dan 8 und den Quelltext des Liedes 1 Mos 18, das Responsorium und der Dichter des Textes bleiben unerwähnt. Der Nürnberger Rat ließ das Werk durch Johann Staden und Valentin Drexel begutachten, die einen Druckkostenersatz durch die Reichsstadt empfahlen. Die ersten beiden Texte konnte Franck aus der Bibel bzw. Liturgie entnehmen, woher aber hatte er die Versifizierung der Bitten Abrahams? Viele Dichter und Komponisten ließen es sich angelegen sein, für die Bußandachten der Gemeinden Verse und Musik zur Verfügung zu stellen. Obwohl das Suspirium sehr selten als ursprünglicher Druck angeführt wird, hat sich die Kenntnis, dass die Melodie des Liedes von Franck stammt, erhalten. Dies mag dazu geführt haben, dass der anonyme Text von zahlreichen Hymnologen Francks Kollegen Matthäus Meyfarth zugeschrieben wurde. Auf welchem Weg auch immer gelangte das Lied samt seiner Melodie in einen Leipziger Kleindruck, der seither fälschlich für den Erstbeleg gehalten wird: „Ein Andächtiges Buß-Lied: Aus der Vorbitt Abrahams für die Sodomiter / Gen. 18. Ob vielleicht das Väterliche Hertz Gottes sich noch wolte bewegen lassen / das wolverdiente Verderben von uns abzuwenden. Leipzig: Ritzsch 1632“.36 Die Tatsache, dass Gregor Ritzsch37 als Verleger auftritt, hat dem elektronischen Katalog VD17 zu der Bemerkung Anlass gegeben, dieser selbst, ein profilierter Kirchenlieddichter, könnte der Autor sein. Diese Vermutung verliert an Wahrscheinlichkeit, wenn man Francks Komposition von 35 Suspirium Germaniae Publicum, Das ist: Allgemeine des betrübten Vaterlandes Seufftzerlein […] auss dem Propheten Daniel am 9. und ersten Buch Mos. am 18 Cap. […] in zwo unterschiedliche musicalische Compositiones, zu 7. und 4. Stimmen gebracht. Coburg: Johann Forckel 1628. Moderne Ausgabe in: Friedensgesänge 1628–1651. Musik zum Dreißigjährigen Krieg. Werke von Johannes Werlin, Sigmund Theophil Staden, Melchior Franck und Andreas Berger. Hg. von Stefan Hanheide. Denkmäler der Tonkunst in Bayern. N. F. Bd. 22. Wiesbaden, Leipzig, Paris 2012, S. 103–108, sowie Einleitung des Hg. S. XLIV–XLIX. – Hanheide, Stefan: Melchior Franck. Suspirium Germaniae Publicum (1628). In: Ders.: Pace. Musik zwischen Krieg und Frieden. Vierzig Werkportraits. Kassel u. a. 2007, 32–37. 36 Als Erstbeleg auch bei VL16 (s. Anm. 1), Sp. 540 angeführt. Ebenso, um nur ein Beispiel zu nennen, bei Zahn, Johannes: Die Melodien der deutschen evangelischen Kirchenlieder aus den Quellen geschöpft. 6 Bde. Gütersloh 1889–1893. Nachdruck Hildesheim 1963, Nr. 5105a, der Schnurr als Dichter und Melchior Franck als vermuteten Komponisten angibt. Weitere Melodien bzw. Melodievarianten siehe Zahn Nr. 5105b–5117. Die große Zahl der Melodien zeugt von der Bekanntheit des Liedes. 37 Rietzsch oder Ritzsch bei Fischer / Tümpel (s. Anm. 4), Bd. I, Nr. 492–506 sowie 11 Drucke.

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1628 bedenkt und die These scheint bislang auch noch keine Anhänger gefunden zu haben. Die Autorfrage wird zuallermeist unter der Prämisse diskutiert, das Lied fange die Situation nach dem Tode Gustav Adolphs ein.38 In Wahrheit gibt es den Kausalkonnex mit der Schlacht von Lützen nicht. Obgleich Johann Christoph Olearius einräumt, dass das Lied meist ohne Textautor tradiert wird, hält er doch eine Zuschreibung an Meyfarth für wahrscheinlich.39 Er begründet dies in Hinblick auf dessen Trauer-Actus von 1633 anlässlich der Überführung der Leiche des schwedischen Königs. Schnurr war zu Beginn des 18. Jahrhunderts schon weitgehend unbekannt.40 Olearius gibt basale Information über ihn und erwähnt die Veröffentlichung des Gebetbuches von 1615, fügt aber an, diese sei kein Grund, Schnurr das Lied zuzuschreiben. Meyfarth wird als Autor des Textes zuerst schon in Johann Sauberts Nürnbergischem Gesangbuch 1676 genannt.41 Dass dies keine etablierte Lokaltradition spiegelt, zeigt eine frühere Nürnberger Veröffentlichung: 1648 schuf Sigmund Theophil Staden für den 2. Teil seiner Seelen-Music eine Neukomposition, gibt aber keinen Textautor an.42 Ebenso wenig findet sich ein Autorname 1650 in Samuel Scheidts Görlitzer Tabulaturbuch von 1650; dort blieb Francks Melodie erhalten und nur der Tonsatz ist neu.43 In Stadens Seelen-Music ist der Text, wie häufig, um 38 Wetzel, Johann Caspar: Hymnopoeographia oder Historische Lebens-Beschreibung der berühmtesten Lieder – Dichter. Anderer Theil. Herrnstadt: Roth-Scholtz 1721, Bd. II, 177 folgt Olearius. Wie Olearius kennt und zitiert er eine 9. Strophe. Bd. III (1724), S. 15 erwähnt er Basilius Sattler als möglichen Autor, hält aber „ohnstreitig […] Mayfarth, welcher eben zu der Zeit gelebet, da Gustavus Adolphus die Schlacht von Lützen hielte“ für den Dichter. Ebd. S. 119 f. gibt er biographische Nachrichten über Schnurr und erwähnt Literatur, die diesen als Autor annimmt. 39 Olearius, Johann Christoph: Evangelischer Lieder-Schatz darinn allerhand Auserlesene Gesänge / so sich auff alle Sonn- und Fest-Tags Evangelia schicken / angezeiget / zugleich auch Von jedes Liedes Autore /  Werth /  Krafft /  Fatis /  Historien /  Mißbrauch derer Adversariorum, Verfälschungen / Commentatoribus, u. d. m. ausführlich gehandelt / und darauff schließlich eine kurtzgefaste Disposition beygefüget hat. Jena: Bielcke 1707, Vierdter Theil, S. 95–99: Diskussion von Textautor und Komponist, S. 95: „In meisten Gesangbüchern stehet gar kein Nahme über diesem Liede / In etlichen B. S. P. L. C.“ 40 Neumeister, Erdmann: De Poetis Germanicis. O. O. 1695, S. 97 f., der immer wieder herangezogen wurde, ist in seinen Angaben unvollständig und in seinem Tenor süffisant. 41 Nürnbergisches Gesang-Buch: Darinnen 1160. außerlesene / so wol alt als neue / Geist- Lehrund Trostreiche Lieder / auf allerley Zeit- Freud- und Leid-Fälle der gantzen Christenheit gerichtet / und mit Voransetzung der Autorum Namen / auch theils vortreflich-schönen Melodien / Noten und Kupffern gezieret / zu finden / Alles zu Gottes Ehr […] zusammen getragen. Mit einer Vorrede Herrn Johann Sauberts. Nürnberg: Goebel 1676, S. 1073. Vgl. Fischer, Albert Friedrich Wilhelm: Kirchenlieder-Lexikon. Hymnologisch-literarische Nachweisungen über ca. 4500 der wichtigsten und verbreitetsten Kirchenlieder aller Zeiten. Gotha 1878 f., Nachdruck Hildesheim 1967, Bd. II, 159. 42 Staden, Sigmund Theophil: Seelen-Music […] Geist- und Trostreicher Lieder / in allerley Anligen / zu Trost und Erquickung der Seelen zu gebrauchen: Auß Gottsförchtiger Leut Andachten genommen und […] mit vier Stimmen simpliciter, doch also: daß sie auch nur auß dem Discant, bey welchem der Bass: ad Organ: allein zu brauchen gesetzt. Nürnberg: Sartorius 1648, Nr. 11. Die fehlende Angabe des Textverfassers ist hs. (von einem Vorbesitzer oder Bibliothekar) ergänzt: „B. Schnurr“. [Exemplar D-WRz: 19 A 8436, keine Provenienzangabe]. 43 Scheidt, Samuel: Das Görlitzer Tabulaturbuch aus dem Jahre 1650. Einhundert vierstimmige Choräle für die Orgel, hg. von Fritz Dietrich. Kassel u. a. 1965, Nr. 92, S. 84 f.

Balthasar Schnurr als Liederdichter 

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eine neunte Strophe ergänzt. Diese Erweiterung stammt aus dem Jahr 1633. Sie erscheint zuerst 1638 in Jeremias Webers New-Zugerichtetem Lutherischem GesangBüchlein:44 O großer Gott von Trew / weil für dir niemand gilt/ Als dein Sohn Jesus Christ / der deinen zorn gestillt/ So sih’ doch an die Wunden sein/ Sein’ marter / angst und schwere pein/ Umb seinet willen schone/ Uns nicht nach sünden lohne.

Über dem Text des Liedes, das ohne Melodie gedruckt ist, liest man: „Des Ertzvaters Abrahams inbrünstiges Hertzgebet / Außm 1. Buch Mose / cap 18. v. 23. & seqq. Auff jetzige höchstbetrübte zeiten / gesangsweise verfertiget. B. S. P. L. C.“ Vor der neunten Strophe („O grosser Gott von Trew“) aber steht: „M. J. W. addidit Anno 1633, ca. 12. Augusti. Lipsiae.“ Damit bringt Webers Gesangbuch erstmals Licht in die Autorfrage. Nach seiner Dichterkrönung 162645 konnte sich Balthasar Schnurr Poeta Laureatus Caesareus nennen. Eine andere Auflösung der Initialen (nämlich als Basilius Sattler) wurde auch von den Hymnologen des 18. Jahrhundert gleich wieder verworfen. Webers Angabe ist älter als die Ansicht, Meyfarth sei der Autor. Gleichwohl zog sich diese These weiter. Sie kehrt in mehreren der zahlreichen Gesangbücher wieder, die das Lied aufnahmen46 und Meyfarths Name ist auch von alter Hand ergänzt in einem weiteren Kleindruck, in dem O großer Gott von Macht mit neun Strophen an zweiter Stelle erscheint.47 Das Coburger Gesangbuch, das es eigentlich am ehesten wissen müsste, schreibt in seiner 7. Auflage von 1655 über den neunstrophigen Text: „J. M. M.“,48 korrigiert aber bei gleicher Überschrift („Abrahamitischer Hertzen-Seufftzer“) in seiner 13. Auflage: „B. S. P. L.C.“; nach Wetzel erfolgt diese Veränderung schon in der Ausgabe von 1677.49 Durch Belege aus Gesangbüchern, die sich 44 Weber, Jeremias: New-Zugerichtetes Lutherisches GesangBüchlein: In welches zuförderst des Hocherleuchten Mannes Gottes / Herrn Martini Lutheri und denn anderer geistreicher Lehrer und Christen […] Geistliche und in Lutherischen Kirchen ubliche Lieder / nach Ordnung der Jahreszeit / und der Häuptstück Christlicher Lehre […] Sampt vorgesetzten unterschiedenen Vorreden / und angehengten nützlichen Registern […] Auffs newe zusammen getragen […] corrigiret / und in Druck verfertiget. Leipzig: Grosse / Mintzel 1638, 565–568. 45 VL16 (s. Anm. 1), Sp. 535. 46 Fischer, Kirchenlieder-Lexikon (s. Anm. 41), Bd. II, 159. Rätselhaft scheint zunächst die Angabe bei VL16 (s. Anm. 1), Sp. 540 zu O großer Gott von Macht; nach dem Druck von Leipzig: Ritzsch 1632 als erster Quelle, heißt es: „4 weitere Drucke bis 1658.“ Nachdrucke des Liedblattes liegen nach heutigem Stand nicht vor. Die Angabe ist abgeleitet aus Merkel, Ute: Pharmazie im frühneuzeitlichen Hausbuch. Studien zu Balthasar Schnurr. Diss. Heidelberg 2000, 175 f., wo ein paar exemplarische Gesangbuchaufnahmen genannt sind. Tatsächlich fand das Lied vor und nach 1658 sehr große Verbreitung. 47 Sechs geistliche Lieder. Für Die Gemeine zu Staßfurth. Quedlinburg: Ockel 1681, 5–7. 48 Zum Siebenden mahl neu-aufgelegtes und vermehrtes Coburgisches Gesang-Buch. Coburg: Eyrich 1655, 449. 49 Zum dreyzehenden mal Neu-auffgelegtes und Viel-vermehrtes Coburgisches Gesang-Buch. Coburg: Mönch 1693, 820. Nach Wetzel (s. Anm. 38), Bd. III, S. 120 schon in seiner Ausgabe 1677.

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in etwa die Waage halten und zudem mit dem irrigen Argument der Nähe zur Schlacht von Lützen operieren, wird das Rätsel der Autorschaft für das weitverbreitete Lied nicht zu lösen sein. Für Meyfarths Autorschaft spricht die größere Nähe zu Franck; er war Francks Kollege und hat öfters mit ihm zusammengearbeitet. Der Grundsatz der lectio difficilior spricht für Schnurr, allerdings nicht nur dieser. Schnurr hat in seinem Geystlichen Schatzkämmerlein 1619 19 Gebete und Gesänge verschiedener Autoren und auch aus eigener Feder „in gemeiner Noth und öffentlichen Landstraffen zu gebrauchen“ bereitgestellt, ferner weitere 18 „zur Zeit des Kriegs / Auffruhr und verfolgung“.50 O großer Gott von Macht ist nicht dabei. Allerdings ist es vorstellbar, dass Schnurr, der im Oktober des gleichen Jahres 1619 seine Pfarrstelle in Hengstfeld antrat, vor 1628, dem Jahr von Francks Veröffentlichung, weitere Dichtungen für die bedrängte Zeit verfasste. Die Lage verschlechterte sich im Lauf der 1620er Jahre drastisch. 1626 wütete die Pest, das Jahr 1627 brachte mehrere Einquartierungen mit zahlreichen Übergriffen, die wachsende Übermacht der katholischen Seite beängstigte die evangelische Bevölkerung.51 Schon 1620 wurde in Hohenlohe ein wöchentlicher Bußtag angeordnet, um Gottes Zorngericht abzuwenden.52 Balthasar Nicolaus Mützel, einer der Nachfolger Schnurrs als Pfarrer in Hengstfeld und der erste, der eine ausführlichere Biographie Schnurrs verfasst hat, gibt an, er wolle gern glauben, dass O großer Gott von Macht „von dem berühmten Coburgischen Theologo sey verbessert, und unter die Coburgischen Gesänge zuerst gesetzt worden“ sei; er sei aber „von den ältesten Männern hier versichert worden, daß dieses Lied von dem Herrn Pfarrer Schnurrn gemachet“.53 In Hengstfeld hatte man die Tradition eines von Schnurrs gleichnamigen Großvaters eingeführten Bettages, genannt „Hagel- oder Erndte-Feyertag“, der mit einer „Wallfahrt“ verbunden war.54 In der Tat passt der Reihencharakter des Bittliedes gut zu einer Prozession. Mützel schreibt, das Lied sei „bey Gelegenheit des […] Hagel- oder Erndt-Feyertags, auch selbiger Zeit gewesnen grossen Theurung und Kriegs-Unruhen, auf solchen Tag zu singen allhier angefangen worden. Dahero auch solches des Herrn Balthasars Lied genennet wurde.“55 Die genannte Teuerung setzt Mützel an anderer Stelle ins Jahr 1626.56 50 Ich bedanke mich sehr herzlich für die Bereitstellung von Scans durch Frau Anne-Katrin Artel, Universitätsbibliothek Greifswald. Die Ausgabe von 1622 ist identisch. Für freundliche Hilfe bedanke ich mich bei Frau Luitgard Nuß, Württembergische Landesbibliothek Stuttgart. 51 Kleinehagenbrock, Frank: „Nun müsst ihr doch alle wieder katholisch werden.“ Der Dreißigjährige Krieg als Bedrohung der Konfession in der Grafschaft Hohenlohe. In: Asche, Matthias / Schindling, Anton (Hg.): Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Beiträge aus dem Tübinger Sonderforschungsbereich „Kriegserfahrungen – Krieg“. 2., durchges. Aufl. Münster 2002, 59–122, hier 99, 70, 118. 52 Ebd., 105. 53 Mützel (s. Anm. 4), Kap. IV, 42. 54 Ebd. Kap I „Lebens- und Amts-Geschichte Herrn Balthasar Schnurrn, von Würzburg, des ersten Evangelisch-Lutherischen Pfarrers in Hengstfeld, 16.  55 Ebd. Kap. IV, 42. 56 Ebd. Kap. IV, 46.

Balthasar Schnurr als Liederdichter 

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Ohne Zweifel ist Schnurrs weltliches Werk umfangreicher und heute von größerem Interesse als sein geistliches. Er selbst würde vielleicht keine Trennlinie zwischen seinen Wirkungsbereichen gezogen haben. Auch in seinen lebenspraktischen und satirischen Schriften ist der religiöse Bezug nicht zu übersehen. Als Seelsorger erweist er sich sogar bei seinen Schauspielübersetzungen mit ihren (dramentechnisch ungeschickten) geistlichen Liedern in den Zwischenakten. Als Pfarrer in kleinen Orten tätig, publizierte er doch in Nürnberg und Frankfurt, Hanau und Straßburg. Ohne Zweifel war er, wie seine Zeitgenossen auch, im Lateinischen noch besser zuhause, doch ist sein muttersprachliches Dichten und Schreiben beachtlich. Als mit Martin Opitz eine neue Epoche anbrach, wurde sein Werk obsolet. Dieses Schicksal teilte er mit vielen Autoren seiner Zeit. Der Südwesten Deutschlands aber, weit entfernt von den Zentren der Dichtkunst und Kulturpolitik, geriet ganz besonders in Vergessenheit. So verwundert es nicht, dass schon 1705 Wilhelm Ernst Tentzel in seiner Curieusen Bibliothec angiebt: „Das Lied aus dem ersten Buch Mosis am 18. O grosser Gott von Macht und reich von Gütigkeit / wird in den meisten Gesang-Büchern Balthasar Schnurren / Poëta Laureato Cæsareo zugeschrieben / mit denen ichs gern hielte / wenn man nur wüste / wer und wo er gewesen.“57

57 Tentzel, Wilhelm Ernst (Hg.): Curieuse Bibliothec, oder Fortsetzung der Monatlichen Un­ terredungen einiger guten Freunde von allerhand Büchern und andern annehmlichen Geschichten. Frankfurt: Stock 1705, 12.

Neues von Komponisten und Dichtern des Evangelischen Gesangbuchs und vergleichbarer Gesangbücher (12) Wolfgang Herbst

Gesangbuch-Sigel: BEP BT CG EG ELKG EM F&L ghs GL GL2 HE KG Men NB NEK Öst RG West Wü

EG-Regionalteil für die Ev. Landeskirchen in Baden, Elsass, Lothringen und der Pfalz (1995) EG-Regionalteil für die Ev.-luth. Kirchen in Bayern und Thüringen (1994) Gebet- und Gesangbuch der Christkatholischen Kirche der Schweiz (2004) Evangelisches Gesangbuch, Stammausgabe der Evangelischen Kirche in Deutschland (1993) Evangelisch-Lutherisches Kirchengesangbuch der Selbständigen Ev.-Luth. Kirche (SELK) 7.Aufl. 2005 Gesangbuch der Ev.-methodistischen Kirche (2002) „Feiern&Loben“ Die Gemeindelieder Evang.-Freikirchlicher Gemeinden (2003) „glauben-hoffen-singen“. Liederbuch der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten (2015) Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch (1975) Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch (2013) EG-Regionalteil für die Ev. Kirche in Hessen und Nassau und die Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck (1994) Katholisches Gesangbuch. Gesang- und Gebetbuch der deutschsprachigen Schweiz (1998) Mennonitisches Gesangbuch (2004) EG-Regionalteil für die Ev.-luth. Landeskirche in Niedersachsen und für die Bremische Ev. Kirche (1994) EG-Regionalteil für die Nordelbische Ev.-luth. Kirche (1994) EG-Regionalteil der Ev. Kirche in Österreich (1994) Gesangbuch der Ev.-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz (1998) EG-Regionalteil für die Ev. Kirchen im Rheinland, von Westfalen und für die Lippische Landeskirche (1996) EG-Regionalteil für die Ev. Landeskirche in Württemberg (1996)

Neues von Komponisten und Dichtern 

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Berg, Klaus: Geb. 1912 in Bremen, gest 2001 in Bremen, Pastor in Bremen-Hastedt, Krankenhausseelsorger und Liederdichter. In einer Höhle zu Bethlehem West 547, Nun ziehen wir die Straße West 558, EM 215. Bergsma, Johannes: Geb. 1.2.1928 in Rotterdam, gest am 8.7.2011 in Harsum. Der niederländische kath. Theologe war Pfarrer in Göttingen, Hildesheim und Hannover und Prof. für Liturgik. Texte: Wer leben will wie Gott auf dieser Erde (nach Huub Oosterhuis) BT 553, GL 183, GL2 460, EM 221; Du rufst uns, Herr, trotz unsrer Schuld GL 523, GL2 161. Bittger, Hans-Hermann: Geb. 1933 in Bottrop, gest. 23.9.2012 in Essen. Er war kath. Domvikar in Essen und Pfarrer in Duisburg, außerdem Leiter des katholischen Bibelwerks. Text: Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht West 591, ghs 152, EM 429, Men 367. Carawan, Guy: Geb. 27.7.1927 in Los Angeles, gest. 2.5.2015 in New Market / Tennessee. Der Text seines bekanntesten Liedes stammt von einer Gruppe, der auch Carawan angehörte neben seinen Freunden Zilphia Horton, Frank Hamilton, Pete Seeger. Seine und seiner Freunde Lieder gehörten zum Repertoire der amerikanischen Bürgerrechts-Bewegung. We shall overcome He 636, NB 616, Wü 652, RG 860. Duffe, Helmut: Geb. 2.9.1948 in Münchberg (Oberfranken), gest. 22.4.2016 in Windsbach. Duffe war jahrelang Chorassistent beim Windsbacher Knabenchor und später Dekanatskantor in Windsbach. Text und Melodie: Zum Tisch des Herrn lasst uns gehen BT 578, Öst 586. Geerken, Gerd: Geb. 22.2.1935 in Wildeshausen b. Bremen, gest. 3.10.2015 in Altenberge. Geerken gehörte seit 1971 zum Ensemble von Piet Janssen und war seit 1974 Musiklehrer in Münster. Von ihm stammt die Melodie des Liedes das einen Siegeszug durch fast alle Regionalteile des EG angetreten hat: Liebe ist nicht nur ein Wort BT 650, He 629, NB 613, West 665, Wü 650, EM 135, ghs 435. Hermes, Michael: Der Schöpfer des Kanons Schweige und höre, Pater Michael Hermes OSB , ist am 14.3.2014 in der Abtei Königsmünster in Meschede verstorben. Der Text ist nach der Regel des Benedikt von Nursia gestaltet. Der Kanon befindet sich in NEK 614, KG 600, CG 911, RG 166, GL2, 433 (Str.2).

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Jelsma, Simon: Geb. 21.8.1918 in Groningen (NL), gest. 15.11.2011 in Amsterdam. Kath. Priester, gründete 1956 eine niederländische Organisation für internationalen Beistand für Entwicklungsländer. Von ihm stammt das Abendmahlslied Alle mensen luistert, übersetzt von Gerhard Valentin: Wie der Herr vor Zeiten mit den Jüngern aß NEK 572. Juhre, Arnim: Geb. 6.12.1925 in Berlin, gest. 28.9.2015 in Wuppertal. Schriftsteller, Redakteur, Verlagslektor, Liedtexter. Manchmal kennen wir Gottes Willen BEP 642, NB 594, Wü 626, Öst 633, EM 351, RG 832, Men 90, GL 299, Zu Ostern in Jerusalem He 556, NB 555, West 569, EM 428, Auf den vielen Lebenswegen EM 587. Kraft, Sigisbert: Geb. 7.9.1927, gest. 6.1.2006 in Waghäusel, Dr. theol., 1951 röm.-kath. Priester, 1961 Anschluss an die Altkatholiken. 1985–1991 Bischof der Altkatholischen Kirche in Bonn. Texte: Am Pfingsttag unter Sturmgebraus West 567, Der Herr ist mein getreuer Hirt ghs 70, RG 15, Gelobt sei Gott im höchsten Thron (Str.3+4) Men 310, F&L 258, RG 466 (Str.5+6), Ich bitt dich, Herr, durch deine Macht RG 620. Krenzer, Rolf: Geb. 11.8.1936 in Dillenburg, gest. 16.3.2007 in Greifenstein. Sonderschulpädagoge, Kinderbuchautor, Liedtexter. Du hast uns deine Welt geschenkt NB 640, BT 612, West 676, ghs 617, F&L 499, EM 59, Große Leute, kleine Leute feiern fröhlich Ostern heute BEP 564, Schenk uns Zeit aus deiner Ewigkeit ghs 586, Gemeinsam hier in unserm Kreis ghs 592, Gottes guter Segen sei mit euch F&L 123, Wie groß, wie groß ist Gottes Liebe EM 50, Ihr Freunde, lasst euch sagen EM 220, Halte zu mir, guter Gott EM 620. Metternich, Josef: Geb. 30.8.1930 in Bickendorf (Köln), gest. 15.7.2003 in Köln, Kath. Pfarrer in Köln-Mühlheim und Textdichter. Seine Initiative führte zu regelmäßigen Messfeiern in kölnischem Dialekt. Gemeinsam mit Alois Albrecht, Bernd Ferkinghoff und Karin Heinen hat er gedichtet Unser Leben sei ein Fest He 555, NB 557, West 571, Wü 636, EM 574, Men 477. Michel, Josef: Geb. 28.3.1928 in Hamburg, gest. 25.3.2002 in Radolfzell, Kantor in Heidelberg, Schwetzingen, Gaggenau. Musiklehrer und Bezirkskantor in Gaienhofen, Komponist. Von seinen Melodien stehen in den Regionalteilen des EG: Nun werden die Engel im Himmel singen West 563, BEP 563 (auch Str. 4), Wir sitzen an gedeckten Tischen NEK 631, Wohin wollt ihr am frühen Ostermorgen EM 235.

Neues von Komponisten und Dichtern 

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Mul, Jan: Geb. 20.9.1911 in Haarlem (NL), gest. 30.12.1971 in Overveen (NL). Niederländischer Organist und Komponist, Dozent am Konservatorium in Maastricht. Melodie: Singet dem Herrn eine neues Lied. Er ist in allem, was geschieht West 599. Nitsch, Johannes: Geb. 10.7.1953 in Iserlohn, gest. 5.9.2002 in Haiger / Lahn-Dill-Kreis. Komponist, Arrangeur, Pianist. Musikreferent beim Evangeliums-Rundfunk. Mitarbeiter der Deutschen Evangelischen Allianz. Musikreferent beim CVJM . Melodien: Du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben Wü 619, Wie ein Fest nach langer Trauer Wü 660, BEP 666, ghs 94, Men 491, F&L 371. Pilz, Winfried: Der kath. Priester hat über 200 Lieder geschrieben. Sein bekanntestes ist Laudato si (EG 515, RG 529, CG 919). Titel und Refrain stammen aus dem Sonnengesang des Franz von Assisi. Die weiteren Strophen schuf Pilz in Anlehnung an den Gesang der Jünglinge Dan 3,52–90. Plas, Michel van der: Geb. 23.10.1927 in Den Haag (NL), gest. 21.7.2013 in Leidschendam (NL). Niederländischer Dichter, Schriftsteller, Journalist. Pseudonym von Bernardus Gerhardus Franciscus Brinkel. Er nahm als Schriftsteller den Decknamen „van der Plas“ an. Sein niederländisches Abendmahlslied ist übersetzt von Diethard Zils: Singet dem Herrn eine neues Lied. Er ist in allem, was geschieht West 599. Pötzsch, Arno: Der Nachlass von Arno Pötzsch befindet sich seit 2018/19 im Unitätsarchiv der Herrnhuter Brüdergemeine in Herrnhut. Vgl. den Beitrag von Michael Heymel im vorliegenden Band. Ruopp, Johann Friedrich: Das im HEG 2 als verloren aufgeführte Gesangbuch des Autors „Jesuslieder“ von 1704 ist in der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen Halle / Saale greifbar. – Information von Joachim Scherf, Wiesbaden. Schmeel, Dieter: Geb. 31.12.1923 in Hamburg, gest. 6.3.2001 in Hamburg. Kirchenmusiker in Hamburg, Landeskirchenmusikdirektor der Nordelbischen Kirche, Komponist. Melodie: Herr, von dir kommt alles Leben NEK 619, Öst 640. Schnebel, Dieter: Geb. 14.3.1930 in Lahr / Schwarzwald, gest. 20. Mai 2018 in Berlin. Theologe, Musikwissenschaftler und Avantgarde-Komponist Dieter Schnebel, Professor für experimentelle Musik an der Hochschule für Künste Berlin. Für seine Werke

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wurde er mehrfach preisgekrönt (z. B. Preis der Europäischen Kirchenmusik 1999). Melodie: Menschen gehen zu Gott in ihrer Not (Dietrich Bonhoeffer) Wü 547. Schröter, Martin: Geb. 1918, gest. 1991. Studentenpfarrer in Heidelberg 1956–1965, später in Dortmund, Mitglied im EKD -Ausschuss Kriegsdienstverweigerung. Text: Gott ist unsre Zuversicht (Str. 2+3) Öst 567 ELKG 490. Seeger, Peter („Pete“): Geb. 3.5.1919 in Patterson (NY), gest. 27.1.2014 in New York, engagiert in der Bürgerrechtsbewegung der USA , Folk-Musiker, Liedermacher. Zusammen mit seinen Freunden Guy Carawan, Zilphia Horton und Frank Hamilton, schuf er We shall overcome Wü 652, NB 616, He 636. RG 860. Seidel, Uwe: Geb. 8.9.1937 in Soest, gest. 19.12.2007 in Düsseldorf., Ev. Pfarrer im Volksmissionarischen Amt in Düsseldorf, Erarbeitung neuer Gottesdienstformen, Liederdichter. Text: Aus der Tiefe rufe ich zu dir NB 597, BT 629, West 655, Men 350, EM 383. Seuffert, Josef: Geb.1.6.1926 in Steinheim a. M. gest. 22.12.2018 in Mainz. Der emeritierte Mainzer Domkapitular war an dem Entstehen des kath. Gesang- und Gebetbuchs Gotteslob 1975 maßgeblich beteiligt und schuf dazu mehrere Lieder und liturgische Gesänge. Sein Kyrie fand auch Eingang in das EG (178.10). Vogt, Emanuel: Geb. 1925 in Schwabach b. Nürnberg, gest. 9.4.2007 in Windsbach. Melodie: Der Herr ist mein Hirte Öst 598. Wikfeldt, Erhard: Geb. 2.5.1912 in Kårsta (Schweden), gest. 19.2.2000 in Gimo (Schweden), schwedischer Schulkantor, Organist und Komponist. Melodien: Sagt, wer kann den Wind sehen? NEK 556, Öst 565, Wind kannst du nicht sehen West 568, Men 323, ghs 304, RG 516, EM 261. Willms, Wilhelm: Geb. 4.11.1930 in Linnich-Rurdorf, gest. 25.12.2002 in Heinsberg. Kath. Priester, Propst in Heinsberg. Dichter, Texter religiöser Musicals und Lieder. Texte: Alle Knospen springen auf BEP 633, He 637, ghs 236, Der Himmel geht über allen auf BT 562, He 594, NB 588, West 611, Welcher Engel wird uns sagen He 559, Weißt du, wo der Himmel ist He 622, Wir teilen die Äpfel aus Men 499.

Neues von Komponisten und Dichtern 

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Wurm, Adolf: Geb. 1913 in Pressburg (Bratislava / Slowakei), gest. 9.6.1998 in Wien. Schüler Karl Straubes, Organist, Komponist. Kantor an der luth. Stadtkirche Wien. Dozent f. Hymnologie an der Uni Wien. Melodien: Die Sach ist dein, Herr Jesu Christ Öst 590, Brich herein, süßer Schein Öst 671. Zenetti, Lothar: Der kath. Priester, Schriftsteller und Liederdichter Lothar Zenetti verstarb am 24.2.2019 in Frankfurt am Main im Alter von 93 Jahren. Nach Krieg, Verwundung und Gefangenschaft studierte er Theologie und wurde Pfarrer in Hessen. Als Stadtjugendpfarrer in Frankfurt und Rundfunkbeauftragter veröffentlichte er 27 Bücher und etwa 150 Liedertexte und Übersetzungen. Im EG ist er vertre­ ten mit Seht das Brot, das wir hier teilen (226, RG 318), Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr (382, RG 213, CG 895, KG 544), außerdem mit 7 weiteren Liedern in den Regionalteilen des EG. Zink, Jörg: Geb. 22.11.1922 in Elm / Hessen, gest. 9.9.2016 in Stuttgart. Dr. theol., Ev. Pfarrer, Publizist, Landespfarrer für Fernsehen. Texte: Der Abend kommt, nun enden unsre Wege Wü 673, ghs 572, Du Schöpfer des Lebens Men 30, Kyrie eleison, höre unsre Klage Men 116, Gesegnet seien deine Wege Men 145, Wenn ein Gott ist, höre, Gott Men 293, Ich traue Gott, was soll ich sorgen? ghs 667, Wir glauben an Gott, wir sind nicht allein RG 266, Gott aller Güte, ich denke zurück RG 744.

Zum Nachlass von Arno Pötzsch Michael Heymel1

Arno Pötzsch starb am 19. April 1956 im Alter von 55 Jahren in Cuxhaven. Seinen Nachlass verwaltete zunächst seine Witwe Helene Pötzsch. Sie gab auch kleine Sammlungen ausgewählter Gedichte ihres Mannes heraus, die die von ihm selbst edierten Gedichtbände vervollständigten. Nach ihrem Tod im Jahr 1979 befanden sich die nachgelassenen Dokumente und Materialien verstreut im Besitz der vier Töchter Kathrin, Christiane, Sabine und Renate. Die älteste hatte die Tage- und Notizbücher des Vaters, die dritte Tochter verwahrte einen Großteil des übrigen Nachlasses und kümmerte sich um Angelegenheiten der Rechteverwertung, die bei Publikationen von Pötzsch-Texten zu regeln waren. Die bisherige Forschung über sein Leben und sein dichterisches Werk war begreiflicherweise davon abhängig, dass der Zugang zu unveröffentlichtem Material bis 2018 fast ausschließlich über seine Töchter und über Cuxhaven vermittelt wurde, wo Pötzsch als einer von drei Pfarrern an St. Petri (der früheren Garnisonkirche) amtiert hatte. Das Forscherinteresse konzentrierte sich auf seine geistlichen Gedichte und Lieder, durch die er nach Kriegsende bekannt geworden ist. Wichtige Arbeiten dazu hat der Bad Pyrmonter Pfarrer Detlev Block (geb. 1934) vorgelegt, der selber als Lieddichter hervorgetreten ist. Sowohl er wie auch die Cuxhavener Autorin Sonja Wolff-Matthes (geb. 1930), die im Jahr 2000 ein „Lebensbild“ über Pötzsch veröffentlichte, haben auf Material zurückgegriffen, das ihnen im wesentlichen von den Töchtern zur Verfügung gestellt wurde. Am 3. Dezember 2018 wurde der Nachlass von Arno Pötzsch von seinem Enkel Andreas Schlee, dem Sohn der ältesten Tochter Kathrin Schlee, geb. Pötzsch, dem Unitätsarchiv der Herrnhuter Brüdergemeine in Herrnhut als Schenkung übergeben.2 Weitere vom Verfasser Oktober 2018 in St. Petri (Cuxhaven) wiederentdeckte Briefe und Dokumente folgten am 8. Februar 2019. Arno Pötzsch war in den Jahren 1921–1928 durch seine Tätigkeit als Erzieher in Kleinwelka und eine Ausbildung an der Missions- und Bibelschule Herrnhut eng mit der Brüdergemeine verbunden. Seine eigene Frömmigkeit wurde durch deren Einfluss geprägt. Wie die Herrnhuter wollte Pötzsch ein Christ sein, der 1 Die Informationen beruhen auf der Beschäftigung des Verfassers mit dem Nachlass von Pötzsch. Vgl. Heymel, Michael: Arno Pötzsch. Briefe und Schriften 1938–1952. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 2019. 2 Vgl. Archivarius. Mitteilungen aus dem Unitätsarchiv 35/2019, 2.

Zum Nachlass von Arno Pötzsch 

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nüchtern und schlicht aus einem tätigen Glauben lebt. In einem Referat, das er im Wintersemester 1932/33 während seines Theologiestudiums an der Leipziger Universität erarbeitete, schreibt er über die Herrnhuter, ihr Glaubensbewusstsein von den Vätern her komme in den Liedern der Gemeine zum Ausdruck. Die Dogmatik der Brüder liege „in ihrem Gesangbuch.“ Dasselbe gilt auch für Pötzsch: in seinen Liedern ist Glaubenslehre gefasst, und die im Gesangbuch gesammelten Choräle geben das Maß, an dem er sich orientiert. 14 Lieder mit seinen Texten stehen heute im Herrnhuter Gesangbuch, und in den Herrnhuter Losungen begegnen immer wieder Liedstrophen von Arno Pötzsch. So ist es durch seine Biographie und sein dichterisches Werk begründet, dass die nachgelassenen Manuskripte und Schriften aus seinem Besitz nun in Herrnhut aufbewahrt werden. Der Nachlass umfasst: 1. ca. 200 überwiegend handschriftliche Predigten samt Verzeichnis der gepredigten Bibeltexte auf Karteikarten; 2. ungefähr ein Dutzend Vortragsmanuskripte; 3. Tagebücher von 1918–1955 (40 Bde. bzw. Hefte mit Aufzeichnungen, darunter auch Tagebücher von 1942–1944, die nicht von Pötzsch, sondern einem anderen Pfarrer in Cuxhaven geführt wurden); 4. Dokumente und Briefe zur Freundschaft mit dem Arzt, Pfarrer und Künstler Kurt Reuber (1906–1944), dessen Zeichnung ‚Stalingradmadonna‘ (1942) Pötzsch zu einem Gedichtzyklus anregte; 5. Briefe, darunter Briefe an das Cuxhavener Buchhändler-Ehepaar Käthe und Hans Neubauer (1938–1952) und an den mit Pötzsch befreundeten Arzt Dr. Werner Jost in Bad Wiessee (1949–1955); 6. private Fotos (Porträts, Familienfotos usw.); 7. Bücher aus Pötzschs Besitz, insbesondere Choral- und Liederbücher; 8. Publikationen von und über Pötzsch (Schriften, Sonderdrucke, Artikel in Zeitungen und Zeitschriften, Noten usw.) Im Unitätsarchiv wurde bereits damit begonnen, ein Verzeichnis sämtlicher Gedichte von Pötzsch zu erstellen, wozu auch alle Textvarianten und die in den Tage- und Notizbüchern enthaltenen nicht publizierten Gedichte gehören. Eine vollständige Edition aller geistlichen Lieder und Gedichte existiert derzeit noch nicht; auch die relativ umfangreiche Textausgabe von Marion Heide-Münnich aus dem Jahr 2008 ist unvollständig. Für die hymnologische Forschung dürfte neben dem Verzeichnis der Gedichte auch der Bestand an Noten und Notenhandschriften interessant sein, der zeigt, welche Komponisten Pötzsch-Texte vertont haben. Der Nachlass von Arno Pötzsch bietet die Möglichkeit, sich ein genaueres Bild von dem Theologen und Prediger zu machen und biographische Aspekte zu untersuchen, die in den vorliegenden Darstellungen nur gestreift oder allgemein behandelt werden. Mithilfe der Tagebücher lässt sich z. B. Pötzschs Studienzeit in Leipzig 1930 bis 1934 und seine erste Pfarrtätigkeit im sächsischen Wiederau, Kirchenkreis Rochlitz, 1935 bis 1937 präziser dokumentieren und historisch kontextualisieren. Aus den Tagebüchern ist zu entnehmen, wie Pötzsch Zeit-

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  Michael Heymel

ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg und nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten kommentierte, aber auch, dass er unveröffentlichte eigene Gedichte an Personen schickte, an deren Urteil ihm gelegen war, wie etwa an Käthe Kollwitz (1867–1945). Pötzschs Marinezeit am Ende des Ersten Weltkriegs (1917/18), vor allem aber seine Zeit als Marinepfarrer in den von der deutschen Wehrmacht besetzten Niederlanden (1940–1945) gehören zu jenen Phasen seiner Biographie, über die wir zwar grob orientiert sind, aber im Einzelnen nur lückenhafte Kenntnis haben. Rund 120 Briefe, die Pötzsch während des Krieges an die Cuxhavener Buchhändlerin Käthe Neubauer geschrieben hat (die Briefe der Adressatin sind leider nicht erhalten), können Licht ins Dunkel bringen. Sie lagen nur als Fotokopien vor, die meisten in schwer leserlicher Handschrift und unter Zeitnot geschrieben. Die Originale, die im Jahr 2000 für eine Gedenkfeier zu Pötzschs 100. Geburtstag in Cuxhaven noch vorgelegen hatten, waren verschollen bis ich sie bei meinen Recherchen zusammen mit anderen Materialien in einem Aktenschrank des Kirchenbüros von St. Petri wiedergefunden habe. Nun liegen sie, zusammen mit vielen anderen Papieren, wohlverwahrt im Archiv in Herrnhut.

Literaturbericht Hymnologie Deutschsprachige Länder (2016, 2017) 2018 Daniela Wissemann-Garbe

Abkürzungen: DKL EG FKM GL2 KMJ LK MGD MuK MS(D) MuL SiK WBK

Das deutsche Kirchenlied. Kritische Gesamtausgabe der Melodien. I Verzeichnis der Drucke. II Geistliche Gesänge des deutschen Mittelalters. III Die Melodien aus gedruckten Quellen Evangelisches Gesangbuch, Stammausgabe 1993 Forum Kirchenmusik, München (früher: Der Kirchenmusiker) Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch, 2013 Kirchenmusikalisches Jahrbuch, Regensburg / Köln Liturgie und Kultur. Zeitschrift der Liturgischen Konferenz für Gottesdienst, Musik und Kunst, Hannover Musik und Gottesdienst, Basel Musik und Kirche, Kassel Musica Sacra, Regensburg Musik und Liturgie, Gossau CH (früher: Singen und Musizieren im Gottesdienst / Katholische Kirchenmusik) Singende Kirche. Zeitschrift für katholische Kirchenmusik, Salzburg Württembergische Blätter für Kirchenmusik, Stuttgart

Wir danken Leserinnen und Lesern des Jahrbuchs für Hinweise auf Neuerscheinungen.

Übergreifende Sammelschriften Assel, Heinrich / Steiger, Johann Anselm / Walter, Axel E. (Hg.): Reformatio Baltica. Kulturwirkungen der Reformation in den Metropolen des Ostseeraums (Metropolis. Texte und Studien zu Zentren der Kultur in der europäischen Neuzeit 2). De Gruyter: Berlin / Boston 2018, 1052 S., Abb., Noten Der Band versammelt die Vorträge, die im September 2015 bei dem gleichnamigen Kongress in Vilnius gehalten worden sind. Wissenschaftler kulturhistorischer und theologischer Disziplinen aller Anrainerstaaten des „mare balticum“ sowie Italien, Kanada und USA waren vertreten. – Für den vorliegenden Literaturbericht sind folgende Artikel von Interesse: Küster, Konrad: Musikalische Topographie des Ostseeraums zwischen 1500 und 1650/1700 (135–161; betr. Orgelbau und Orgelspiel); Werbeck, Walter: Choralbearbeitung: Orte, Formen, Funktionen (163–175; beschreibt

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Literaturbericht Hymnologie.  Daniela Wissemann-Garbe

das Vordringen des protestantischen Chorals durch Chor und Orgel, Kantionalsatz und Choralbearbeitung und skizziert die Bedeutung der Schul- und Hausmusik und den Weg zur gottesdienstlichen Orgelbegleitung und zum künstlerischem Orgelspiel); Tenhaef, Peter: Auswirkungen der Reformation in Gelegenheitsmusiken des Ostseeraums (221–236; Anlässe, Formen, Inhalte; Musikalische Formen); Schneider, Matthias: Bugenhagens Kirchenordnungen und die liturgische Orgelmusik im Ostseeraum (275–290; untersucht werden Kirchenordnungen, Berichte von Probespielen, das Celler Tabulaturbuch von 1601, die Visbyer Orgeltabulatur von 1611, Kyrie- und Gloriabearbeitungen, Improvisation und Komposition); Frandsen, Mary E.: Buxtehude’s „Membra Jesu nostri“ and Lutheran Passion Contemplation (329–343); Holze, Heinrich: „Mit unbesiegbarer Kraft griff das bereits durchgebrochene Licht um sich …“. Historiographische Beobachtungen zu Joachim Slüter und der Rostocker Reformation (345–357; Slüters Gesangbuch wird nur am Rande erwähnt); Kociumbas, Piotr: Das Hymnologische im Rätselhaften. Zu Michael Conovius’ (1609–1692) intermedialen Kirchenlied-Rebussen (523–536; Gelegenheitsgedichte, bei denen Silben durch Noten ersetzt werden, die damit eine Melodie bilden; Nun höret zu, ihr Christenleut; Wo Gott zum Haus nicht gibt sein Gunst; Was mein Gott will, das gscheh allzeit; Wohl dem, der in Gottesfurcht steht; Hört auf mit Weinen und Klagen; Mit Fried und Freud ich fahr dahin; Kommt her zu mir, spricht Gottes Sohn; Nun lasst uns den Leib begraben; Ich hab mein Sach Gott heimgestellt); Grudule, Māra: Reformation as the beginning of written poetry in Latvian (619–632; Im Zentrum stehen zwei Gesangbücher „Psalmen und Geistliche Lieder“, Riga 1616 (evangelisch) und „Geistliche Catholische Gesänge“, Braunsberg 1621); Lundberg, Mattias: Korporative Identitäten in nicht-liturgischen Schulgesängen während der Reformationszeit in Schweden: Einige repertoire- und institutionshistorische Beobachtungen (769–782); Walter, Axel E.: Zwölf Bücher aus der Universitätsbibliothek Vilnius. Die Wechselwirkungen der Reformation im südöstlichen Ostseeraum […] im Spiegel historischer Buchbestände (961–1026; darunter auch Gesangbücher: Vilentas, Baltramiejus: Enchiridion, Königsberg 1579; Rikovijus, Jonas: Neues […] Littauisches Gesangbuch, Königsberg 1685; Elger, Georg: Geistliche Katholische Gesänge, Braunsberg 1621). Hoondert, Martin J. M. / Hamnes, David Scott / Fillmann, Elisabeth / Lange, Barbara (Hg.): Kirchengesang und Hymnologie in Zeiten der Transformation. Hymnody and Hymnology in Times of Transformation. Tagungsbericht der 29. Studientagung der IAH. Løgumkloster, DK. Teil I: Hauptreferate (I. A. H. Bulletin 45), Tilburg 2018, 157 S. Holm, Anders: The Luther of Denmark – N. F. S. Grundtvig: reformer and hymn writer (10–23); Weincke, Peter: The Lutheran Credo hymn in Denmark: An outline of its reception over a period of 500 years (24–57); Chiang, Yu-Ring: Die Rezeption der Lutherlieder in Taiwan (58–81); Schäfer, Christiane: Die Lieder Martin Luthers in der deutschsprachigen katholischen Gesangbuchrezeption (82–96); Fischer, Michael: Hymnologie als Kulturwissenschaft. Eine rezeptions- und diskursgeschichtliche Studie zum Lutherlied Ein feste Burg ist unser Gott (97–113); Marti, Andreas: The Reception of the spiritual song (geistliches Lied) as an object of hymnology (114–129); Harbsmeier, Eberhard: Musikalische Theologie. Kierkegaards und Schleiermachers Musikphilosophie (130–145); Hoondert, Martin: Hymnology, globalization and performance: a programme (146–157).

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I. Theologie und Kirchenmusik A Grundsätzliches, Übergreifendes, Aktuelles, Verschiedenes Arnold, Jochen: Kirchenmusik bewegt. Gottes „volles Programm“ für Leib, Seele und Geist. In: WBK 85 (2018), H. 3, 4–16. Brödel, Christfried: Unter Kreuz, Hammer, Zirkel und Ährenkranz. Kirchenmusik in der DDR. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 203 S. – Ausschnitte in: MuK 88 (2018), 362–367. Der kompetente und angenehm lesbare Bericht ist nicht nur ein Zeugnis aus vergangener Zeit, sondern gibt Hinweise für Zukunftsperspektiven. Bubmann, Peter: „… weil sie die Seelen fröhlich macht“. Musik und Spiritualität. In: Zimmerling, Peter: Handbuch Evangelische Spiritualität. Bd. 2 Theologie. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2018, 249–266. Grüter, Verena: Klang – Raum – Religion. Ästhetische Dimensionen interreligiöser Begegnung am Beispiel des Festivals Musica Sacra International (Beiträge zu einer Theologie der Religionen 13). TVZ. Theologischer Verlag Zürich: Zürich 2017, 456 S. Das interreligiöse Musikfestival wurde 1992 von der Musikakademie Marktoberdorf ins Leben gerufen und findet alle zwei Jahre statt. Die vorliegende Untersuchung wurde an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau 2015/2016 als Habilitationsschrift angenommen. Für das Christentum wurden die im Rahmen des Festivals gebotenen „Hymnen, Orgelmusik und Bigband-Jazz (85–93) sowie die Religiöse Musik in der Diözese Augsburg und im (evangelischen) Kirchenkreis Augsburg (227–257) näher untersucht. Interviews mit Musikerinnen und Musikern des Festival sowie mit Angehörigen verschiedener Religionsgemeinschaften vermitteln Einblicke in interreligiöse Deutungen von ästhetischer Erfahrung durch Musik. Heymel, Michael: Eine Geschichte der Kirchenmusik in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Verlag Hartmut Spenner: Kamen 2016, 552 S., Abb. Heymels Ziel ist es, die Stellung der Kirchenmusik in Kirche und Gesellschaft in der Vergangenheit bis heute aufzuzeigen (S. 10). Dabei liegt der Schwerpunkt deutlich auf der jüngeren Vergangenheit. Je gut 40 Seiten sind der so genannten „Vorgeschichte“ von 1526–1933, der Zeit des Nationalsozialismus und dem Neuanfang ab 1945 gewidmet. Viel Raum haben die Beschreibung der Einrichtungen und Arbeitsfelder der Kirchenmusik (120 S.), der Epochen der vier Landeskirchenmusikdirektoren seit 1946 Philipp Reich, Dietrich Schuberth, Michael Graf Münster und Christa Kirschbaum (45 S.), der kirchenmusikalischen Einrichtungen der EKHN (118 S.) und der Themen und Probleme, zu denen nicht zuletzt das kirchliche Singen zählt (48 S.). Im Vorwort hat sich der Autor als teilnehmender Beobachter bezeichnet – dass sein Herzblut daran hängt, wird nicht zuletzt im kurzen Abschnitt über die Aufgaben für die Zukunft sichtbar. Nützlich sind die 33 Seiten mit Biogrammen am Schluss des Buches. König, Bernhard / Isik, Tuba / Heupts, Cordula (Hg.): Singen als interreligiöse Begegnung: Musik für Juden, Christen und Muslime (Beiträge zur komparativen Theologie 28). Verlag Ferdinand Schöningh: Paderborn 2016, 226 S. Leube, Bernhard: Die „Kernliederliste“ – eine elementare Klaviatur des Glaubens. In: LK 9 (2018), H. 3, 71–81. Marti, Andreas: Wichtiges weitergeben! Kirchenmusikvermittlung zwischen Verkündigung und Marketing. In: MGD 72 (2018), 170–180.

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Schmidt, Beate Agnes: „Lauter Berenhäuterey“? Heinrich Schütz und das Lob der Musik. In: Schütz-Jahrbuch 40 (2018), 21–42. Schneider, Matthias: Kirchenlieder – mit Begleitung auf der Orgel. In: MuK 9 (2018), H. 2, 26–31. Der Beitrag, der nur am Rande die Orgel behandelt, beschäftigt sich mit den unterschwelligen Botschaften von Kirchenliedern im Evangelischen Gesangbuch: dem Verhältnis von Text und Melodie, der Kontextualisierung von beiden und dem Verhältnis von Text und Rhythmus und zeigt damit, wie über das Singen hinaus tiefere Schichten der Sänger und Hörer angesprochen werden. Tenbergen, Teresa: „Can a Song save your Life?“ Das Singen im Religionsunterricht im Spiegel seiner Perspektiven. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2017, 284 S. Die religionspädagogische Promotionsschrift entwickelt Perspektiven für die didaktische Bedeutung des Singens für den Religionsunterricht. Willer, Stefan: „Ich singe mit, wenn alles singt“. Gemeinschaft, Gemeinde, Gesang. In: LK 9 (2018), H. 2, 5–15.

B Kirchenlied und Musik in der Ordnung des Gottesdienstes Arnold, Jochen: „Kann man das denn heute noch singen?“ Überlegungen zu älteren und neueren Passionsliedern und ihrer Bedeutung. In: MuK 88 (2018), 100–106. Im letzten Abschnitt des Beitrags sind zwei neuere Lieder abgedruckt: Lord of the Dance (I danced in the morning / Ich tanzte im Himmel; Text Sydney B. Carter, deutscher Text: Joachim Georg, Ulrike Voigt; Melodie: nach einer Shaker-Melodie aus dem 19. Jahrhundert, USA von Sydney B. Carter) und A: Christus, Antlitz Gottes / B: Christe, du Lamm Gottes (Christ, whose bruises heal our wounds; Text A: Susanne Kayser, Ilona Schmitz-Jeronim, Text B und Melodie: Jochen Arnold; englischer Text: Terry MacArthur). Arnold, Jochen / Gidion, Anne / Oxen, Kathrin / Schwier, Helmut (Hg.), „Mit Bach predigen, beten und feiern. Kantatengottesdienste durch das Kirchenjahr“ (gemeinsam gottesdienst gestalten 29). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 447 S. Der Band enthält außer Gottesdienstabläufen und Predigten zu 46 Gottesdiensten im Kirchenjahr und zu speziellen Themen grundsätzliche Überlegungen: Arnold, Jochen: Bachs Kantaten als gottesdienstliche Quellen. Theologische Entdeckungen und liturgische Gestaltungsaufgaben (17–31); Schwier, Helmut: Mit Bach predigen. Homiletische Erkundungen (32–40); Deeg, Alexander: Worte im Klangraum. Unterwegs zu einer dramaturgischen Kantatenpredigt (41–50); Haverkamp, Dorothea / Koch, Kai: Zur Inszenierung von Kantatengottesdiensten. Rahmenbedingungen und praktische Hinweise am Beispiel einer Kleinstadt (51–67). Becker, Hansjakob / Bitsch-Molitor, Mechthild: Der Gründonnerstag im Kirchenlied. In: MS(D) 138 (2018), 6–10. Hausammann, Andreas: Auf der Suche nach neuen Liedern. Das Repertoireprojekt der St. Galler Kantonalkirche. In: MuK 88 (2018), 202–205. Liederkompass für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig (2. überarbeitete Auflage) 2018, 299 S. Herausgeber dieses Bandes ist die Liturgische Konferenz Niedersachsen. Auf der Basis der seit dem 1. Advent 2018 geltenden Perikopenordnung wird der Klangraum jedes Sonntags im Kirchenjahr sowie zu Lichtmess, Johannis, Michaelis, Erntedank und

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zum Reformationsfest übersichtlich vorgelegt. Dafür sorgen die Rubriken Leitbild, liturgische Farbe, Wochenspruch sowie Leitverse zum Psalm und alternative Psalmen und Psalmversauswahl. Für die Lieder zum Eingang, Psalm, zur Predigt nach allen 6 Predigtreihen und zum Schluss gibt es jeweils mehrere Vorschläge, auch die Lieder des neuen Wochenliedplanes sind aufgeführt. Darüber hinaus gibt es Anregungen zu sonntagsspezifischen Liedern, die als Kyrie, Gloria oder Halleluja gesungen werden können, Lieder zu Taufe und Abendmahl, für Kinder, Konfirmanden und zum Kirchenjahr (hier soll eine Repertoirebildung angeregt werden). Eine separate Reihe elementarisiert die Proprien der Sonn- und Feiertage für Predigtstätten, wo nur einmal im Monat Gottesdienst gefeiert wird. Da der Kompass für die niedersächsischen Landeskirchen erstellt wurde, ist das EG mit dem entsprechenden Regionalteil die Basis. Darüber hinaus aber werden ausdrücklich weitere Regionalteile sowie neuere kirchlich initiierte Gesangbücher herangezogen. Interessant ist im Rahmen einer Liste mit Ausweichmelodien der Vorschlag, das Credolied EG 184 durch das Kirchenjahr hindurch mit verschiedenen Melodien zu singen. Eine wertvolle Hilfe für Haupt- und Ehrenamtliche (Lektoren, Prädikanten) bei der Gottesdienstvorbereitung. Marti, Andreas: Liturgisch jodeln? Eine Kontroverse über die Jodel-Messe in Zofingen. In: Praktische Theologie 53 (2018), H.4., S. 212–216 (mit Harald Schroeter-Wittke). Meyer, Michael: Die Einführung der Orgel im reformierten Zürich im 19. Jahrhundert. „Es bebt das Herz, des Tempels Säulen beben, wenn ihre Harmonien sich beleben“. In: MuL 143 (2018), H. 6, 15–17. Schuler, Christoph: Bläser-Ensembles in den reformierten Kirchen des Kantons Bern. In: MGD 72 (2018), 100–112. Betr. Begleitung des Gemeindegesangs im 17. bis 19. Jahrhundert. Smejkal, Jan David: Das alte Lied? Ein neues Lied? Beobachtungen zum revidierten Wochenliedplan. In: LuK 9 (2018), H. 2, 32–43. Wendte, Martin: O Lamm Gottes, am Stamm des Kreuzes geschlachtet. Zur Opferthematik traditioneller Passionslieder. In: MuK 88 (2018), 92–98.

II. Hymnologie A Hymnologische Forschung, Geschichte und Quellen des Kirchenliedes Ackermann, Andrea: Die Einheitslieder der deutschen Bistümer 1916 und 1947. In: LK 9 (2018), H. 3, 37–52. Aumüller, Gerhard: Die „Psalmen Davids“ von Heinrich Schütz im Spiegel der geist­ lichen Kompositionen von Caspar Textorius und Michael Praetorius. In: Schütz-Jahrbuch 40 (2018), 56–78. Auch Liedpsalter der Zeit kommen zur Sprache. Daniel, Thomas: Vierstimmiger Kantionalsatz im 16. und 17. Jahrhundert. Eine historische Satzlehre. Verlag Christoph Dohr: Köln 2017, 548 S., Noten Für seine in mehr als 10jähriger Arbeit entstandene umfangreiche Satzlehre hat Daniel 15 Kantionalien von Lucas Osiander (1586) über Seth Calvisius (1597/8), Joachim Burmeister, Bartholomäus Gesius (1601), Johann Georg Schott (1603), Melchior Vulpius (1604/9), Erhard Bodenschatz, Hans Leo Haßler (1608), Michael Praetorius (1607/10), Johann Hermann Schein (1627), Heinrich Schütz 1628/61), Johann Crüger (1649/53),

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Johann Georg Ebeling (1666/1667), Georg Falck (1672) bis zu Gottfried Vopelius (1682) ausgewählt. Im Vorwort nennt er die „ungeheure Materialfülle“, die sich „erst im Laufe der Vorarbeiten“ erschlossen habe. Da er weder im Abkürzungs- noch im Quellen- und Literaturverzeichnis die Bibliographie DKL (Das deutsche Kirchenlied. Verzeichnis der Drucke von den Anfängen bis 1800, Kassel 1975–1980) und schon gar nicht die Kirchenliededition (Das deutsche Kirchenlied. Kritische Gesamtausgabe der Melodien. Abteilung III: Die Melodien aus gedruckten Quellen bis 1680 [nur bis 1610 erschienen], Kassel 1993–2010) nennt, wundert man sich nicht, hätte er hier doch eine schnelle Übersicht über die Kantionalien (Sigel „Kant“) und deren Verfügbarkeit bekommen können. Daniels Buch beginnt bei den allgemeinen Grundlagen (Tonsysteme, Tonarten, Takt / Metrum / Rhythmus), Choralarten (z. B. Hymnenstrophen, Leisen, Lutherstrophe, Barform), Grundlagen zur Satzlehre (Intervalle, Dreiklänge, Stimmlagen, -führung), baut in einem ersten Teil den konsonanten Satz auf (Klänge, Schlüsse, Harmonik, Satzgestaltung) und erweitert im zweiten Teil auf Dissonanzen, Chromatik und Querstände. Auf den letzten 60 Seiten werden 14 Sätze ausführlich erläutert: Ach Gott, vom Himmel sieh darein (Lucas Osiander 1586), Nun lasst uns den Leib begraben (Calvisius), Nun bitten wir den Heiligen Geist (Gesius), Gott ist so gut dem Israel (Schott), Dich bitten wir, deine Kinder (Vulpius), Herr, wie lang willst vergessen mein (Haßler), Wer in dem Schutz des Höchsten ist (Praetorius), Die Zeit nunmehr vorhanden ist (1627), O Gott, du mein getreuer Gott (Schütz), Nun danket alle Gott (Crüger), Merkt auf, merkt Himmel, Erde (Ebeling), Meine Seele, Gott, erhebt (Vopelius), Gelobt sei Gott im höchsten Thron (Vulpius), Auf, auf, mein Herz, mit Freuden (Crüger). Dicke, Gerd: Ein Muskatplüt als Kirchenlied? Zum Gebrauchsspektrum eines geistlichen meisterlichen Liedes im Kontext der Predigt. In: Rothenberger, Eva / Wegener, Lydia (Hg): Maria in Hymnus und Sequenz. Interdisziplinäre mediävistische Perspektiven (Liturgie und Volkssprache 1). De Gruyter: Berlin / Boston 2017, 233–264. (open ­access, Zugriff 23.7.2019) [E]in iunckfrau zart gekronet ward (UB Eichstätt, Cod. st 438, loses Blatt zwischen Bl. 28/29; 15,7 × 11 cm). Föllmi, Beat: Die Entstehung des reformierten Psalters als Ausdruck von Identitäts­ konstruktion. In: LK 9 (2018), H. 3, 11–27. Franz, Ansgar / Schäfer, Christiane: „Es ist doch unser Tun umsonst“? Die Aufnahme der Lieder Martin Luthers „wie auch anderer seiner getreuen Nachfolger und reiner Evangelischer Lehr Bekenner“ in die katholische Gesangbuchtradition. In: KMJ 101 (2017), 51–73. Im Wesentlichen wurde die Rezeption in den Gesangbüchern von Michael Vehe (1537), Johann Leisentrit (1567), im Rheinfelsischen Gesangbuch (1666), der Sammlung Kirchenlied (1938), den Einheitsliedern von 1947 und dem Gotteslob 1 und 2 (1975 und 2013) dargestellt. Franz, Ansgar / Schäfer, Christiane: Integration oder Assimilation? Die Haltung der westdeutschen Bistümer zum Liedgut der heimatvertriebenen Katholiken nach 1945. In: LK 9 (2018), H. 3, 53–70. Jehle, Volker: Musikhistorische Sammlung Jehle. Bestandsverzeichnis. 6. Auflage, Stadt Albstadt 2019, 4176 S., nur online unter https://www.museum.de/museen/musikhisto​ rische-sammlung-jehle oder https://www.albstadt.de/Musikhistorische-SammlungJehle (Abruf 11.7.2019) Zur Sammlung Jehle, die auch zahlreiche Gesangbücher enthält vgl. JLH 53 (2014), 263.

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Klöckner, Stefan: Neue Melodien im Geist der Gregorianik – „Neuendettelsauer Psalter“ weiterentwickelt. In: FKM 69 (2018), H. 3, 11–13. Krüger, Ekkehard (Hg.), Daniel Magnus Gronau. Ein Danziger Organist und seine Choralvariationen (ortus studien 21). ortus musikverlag: Beeskow 2017, 122 S., Abb. Der Tagungsband (Stralsund 2015) enthält drei hymnologisch relevante Beiträge: Schmidt, Bernhard: Gottesdienstordnungen in Danzig im 18. Jahrhundert (1–18); Miersemann, Wolfgang: Daniel Magnus Gronaus Choralvariationen vor dem Hintergrund der Entwicklung des geistlichen Liedes im 17. und frühen 18. Jahrhundert (19–28); Korth, Hans-Otto: Bibliographische Angaben zu den von Daniel Magnus Gronau bearbeiteten Liedern (29–54). Heidrich, Jürgen: Psalmkompositionen im Reformationszeitalter und bei Heinrich Schütz. In: Schütz-Jahrbuch 40 (2018), 7–20. Heitmeyer, Erika / Kohle, Maria: Geschichte der Gesangbücher und Kirchenlieder im (Erz-) Bistum Paderborn. Bd. 2: 1726–1818 (Studien und Quellen zur Westfälischen Geschichte 85). Verlag Ferdinand Schöningh: Paderborn 2018, 392 S., Abb. – Von denselben Autorinnen ist unter demselben Titel erschienen: Bd. 1: 1600–1720 (Studien und Quellen zur Westfälischen Geschichte 71). Verlag Bonifatius: Paderborn 2013, 387 S., Abb. – Digitales Begleitmaterial zu beiden Bänden enthält Übersichten, Incipits, Melodien, Zuweisungen u. ä. sowie Digitalisate der Gesangbücher 1737, 1765 und des Gesangbuchs Tillmann nach 1807. Es ist auf der Homepage des Verlags und als DVD zu beziehen. Der vorliegende Band 2 hat die Hauptkapitel: Entstehungsbedingungen der Paderborner Gesangbücher (1726–1818) in Barock und Aufklärung – Aufbau, gehaltliche Schwerpunkte und geistliches Profil der in Paderborn gedruckten Gesangbücher (1726–1818) – Liturgische und außerliturgische Verwendung des Liedguts. Im Quellenverzeichnis sind 44 Paderborner Gesangbücher aufgeführt. Die näher behandelten werden in vier Reihen geteilt: Die erste betrifft Band 1 der Studie, die zweite: „Christ=Catholisches Gesangbuch“, Paderborn 1737 mit Vorgängern 1726 und 1734 und Nachfolgern 1758 bis 1790, die dritte: „Gott und der allerseeligsten Gottes-Gebährerin und Jungfrauen Mariae gewidmetes […] catholisch-Paderbornisches Gesang-Buch“, Paderborn 1765, 1767, 1770 und 1780, die vierte: „Katholisches Gesangbuch“ 1796 und nach 1807. Hirschmann, Wolfgang / Korth, Hans-Otto / Miersemann, Wolfgang (Hg): „Mit kräfftigen Gesängen die Gemeinde GOttes zu erbauen“. Das Lied der Reformation im Blickpunkt seiner Rezeption (Hallesche Forschungen 52). Verlag der Franckeschen Stiftungen Halle. Harrassowitz Verlag in Kommission: Halle / Saale 2018, 410 S., Noten, Abb. Der Sammelband besteht überwiegend aus Beiträgen, die im März 2017 bei dem Symposium in Halle / Saale vorgetragen worden sind, das die Franckeschen Stiftungen in Zusammenarbeit mit der Abteilung Musikwissenschaft am Institut für Musik […] der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg unter Leitung der Herausgeber veranstaltet haben. Im Mittelpunkt stehen liedgeschichtliche Phänomene, die verdeutlichen, wie spätere Generationen an die Vorgaben und Leistungen der Reformation anknüpften, sie fortführten, aber auch adaptierten und transformierten. Das Spektrum der Themen ist beeindruckend breit und geeignet, das im Vorwort beklagte Forschungsdefizit zu dezimieren. Die Lektüre der musikalischen, literarischen, theologischen und kulturgeschichtlichen Artikel zur Rezeption des Reformationsliedes über die Grenzen hinaus ist überaus anregend: Korth, Hans-Otto: Die beiden Luther-Lieder Jesus Christus, unser Heiland: Rezep-

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tion in sich (1–21; Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Gotteszorn wandt; Jesus Christus, unser Heiland, der den Tod überwand); Marti, Andreas: Sprachdeklamation im Gesang – von Genf nach Berlin: Johann Crüger (23–37); Waczkat, Andreas: „daß mans in der Kirche bey den alten / approbirten Liedern LUTHERI … bewenden lassen solle“. Rubrizierung und Rechtfertigung „alter“ und „neuer“ Lieder im späten 17. Jahrhundert (39–47); Miersemann, Wolfgang: „so wohl ausgelassen / als verstümmelt und geändert“. Auseinandersetzungen über Veränderungen an „alten Lutherischen Kirchen=Gesängen“ im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert (49–89); Rosenberger, Burkard: Strukturen für eine Datenbank zur Erschließung von Kirchenliedern (91–103); Veit, Patrice: Das lutherische Lied aus kulturgeschichtlicher Perspektive (105–125); Harbsmeier, Eberhard: Martin Luthers Lieder in der dänischen Tradition (127–133; darin: Lobet være du, Jesus Krist [Gelobet seist du, Jesu Christ]; Det komer nu til julefest [Vom Himmel hoch, da komm ich her] mit je eigenen Melodien); Kjærgaard, Jørgen: Liederfrühling im Norden von der Reformationszeit bis heute (135–141); Neitsov-Mauer, Kristel: Martin Luthers Lieder in Estland (143–161); Kendrová, Zlatica: Reformatorisches Liedgut in slowakischen Gesangbüchern (163–178); McMullen, Dianne M.: The Resonance of Texts and Melodies from Michael Weiße’s Ein New Gesengbuchlen (1531) in the Eighteenth Century (179–209; darin ausführlich zu Christus, der uns selig macht; Es wird schier der letzte Tag herkommen; Weltlich Ehr und zeitlich Gut); Scheitler, Irmgard: Christian Weises Zittauer hymnologische Weihnachtsactus (211–233; darin die Texte: Ach nun wird der Freuden-Tag und Ach so muss das Engel-Lied [Dies est laetitiae]; Seht wie Gott sich selbst vergnüget und Welcher stets im Lichte wandelt [Corde natus ex parentis]; Nun Gottlob der Engel-Schar und Seht, wie macht es Jesus wohl [In natali Domini]; Kommt, ihr Hirten, und schauet und Sehet die seligen Zeichen [Huc ad Regem pastorum ]; Ihr Völker, macht die Tore weit [Fit porta Christi pervia]; Vom Aufgang bis zum Niedergang [A Solis ortus cardine]; Ach wohl dem Volke, das ein Band [Nunc angelorum gloria]; Das Jahr ist wieder um [Festum nunc celebre]); Meyer, Dietrich: Luther-Lieder bei Zinzendorf und in der Brüdergemeine (235–247); Richter, Maik: Reformatorisches Liedgut in lutherischen Messen zwischen 1670 und 1720 (249–264); Wollny, Peter: Gemeindechoral und Figuralmusik. Zur Popularisierung der Kantate bei Johann Schelle (265–273); Krüger, Ekkehard: Daniel Magnus Gronaus Choralvariationen für Orgel und ihre Bedeutung für die Kenntnis des Danziger Kirchenliedgesangs (275–293); Klek, Konrad: Felix Mendelssohn Bartholdy und Martin Luther (295–317); Merzbacher, Dieter: Ist das geistliche Lied noch erbaulich? Zur prosimetrischen Verwendung geistlicher Lieder bei Sibylla Ursula und Anton Ulrich zu Braunschweig-Lüneburg („Aramena“), bei Jean Paul („Der Jubelsenior“) und bei Fontane („Vor dem Sturm“) (319–352); Hirschmann, Wolfgang: Hilaria evangelica: Luthers Lieder und die Festmusiken zum Reformationsjubiläum 1717 (353–371); Schmidt, Bernhard: Lied und Musik bei den Feiern zum Reformationsjubiläum 1817 unter besonderer Berücksichtigung der Berliner Dreifaltigkeitskirche (373–395; darin: Sei hoch gesegnet, Jubeljahr / Hoch sei gesegnet dieses Jahr; Freuet hoch euch, all ihr Frommen; Vereint mit uns im Heiligtum; Lobet den Herren, den mächtigen König der Ehre! Wallet). Hubert, Gabriella H.: Ungarischsprachige lutherische Gesangbücher der Frühen Neuzeit. Entstehung, Verbreitung und Verflechtungen mit den Gesangbüchern der ungarischen Reformierten und der anderssprachigen Lutheraner im Königreich Ungarn. In: Fata, Márta / Schindling, Anton (Hg.): Luther und die Evangelisch-Lutherischen in Ungarn und Siebenbürgen. Augsburgisches Bekenntnis, Bildung, Sprache und Nation

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vom 16. Jahrhundert bis 1918 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 167). Münster 2017, 645–668. Mackert, Christoph: Ein neues Zeugnis deutschsprachigen Kirchengesangs aus der Zeit der Reformation. Das Chorhandschrift-Doppelblatt Deutsche Fragmente 82 der Universitätsbibliothek Leipzig. In: Czajkowski, Luise / Ulbrich-Bösch, Sabrina /  Waldvogel, Christina: Sprachwandel im Deutschen (Lingua Historica Germanica 19). De Gruyter: Berlin / Boston 2018, S. 441–458. (open access, Zugriff 19.6.2018) Erhalten haben sich das Magnifikat in deutscher Sprache (Anfang fehlt wegen Textverlust), die Antiphon Christum, unsern Heiland, Ewigen Gott, das Canticum Simeonis Herre nú lestú deinen diener im fride faren und das Responsorium Christus factus est. Aufgrund der sprachlichen Gestalt kommt ein ostmitteldeutscher Bereich für die Provenienz in Frage. Format und Inhalt nach könnte es der Praxis der Gottesdienste im reformatorischen „Epizentrum“ um 1530 gedient haben (S. 452). Marti, Andreas: Aus der hymnologischen Bachforschung. In: MGD 72 (2018), 181–184. Satirischer Beitrag zu Analysen mit dem „Zahlenalphabet“. Wolf, Gabriele / Ernst, Willibald (Hg.): Gesänger Buch. Der erste Theill worinnen die Geistlichen Gesänger zu finden seind: Anno 1796 gesammelt und geschrieben von  Phillipp Lenglachner (*1769, +1823). Edition der Handschrift Cgm 7340 der Bayerischen Staatsbibliothek München. Transkribiert von Willibald Ernst (Quellen und Studien zur musikalischen Volkstradition in Bayern 5; Stubenberger Handschriften 2,1). Kommission für Bayerische Landesgeschichte, Institut für Volkskunde: München 2014, 577 S., Abb. Das Buch ist Teil der sog. „Stubenberger Handschriften“ (Staatsbibliothek München: Cgm 7340). Ihr Kompilator, der Lumpenhändler Phillipp Lenglachner, ist auch der Schreiber eines Geistlichen „Zeitten Buchs“ (Cgm 7341, ediert 2012) sowie weltlicher Sammlungen. Keines seiner Werke enthält Noten, Tonangaben sind selten. – Die Ausgabe und ihre Register sind vorbildlich in ihrer Übersichtlichkeit. Alle Lieder (sowie die wenigen nicht liedhaften Texte) sind durchgezählt. Die Handschrift ist anschaulich beschrieben und zusätzlich durch Abbildungen illustriert. Die Prinzipien der Texttranskription sind klar dargelegt. Eine Einführung gibt Auskünfte zur Entstehungszeit der Handschrift, der Gesamtzahl der Texte, zur Sprache, den Verwendungszusammenhängen und den Themen der Lieder. Es folgt ein eher allgemein gehaltener Abschnitt über ermittelte Quellen und Vorlagen. Leider fehlt – bis zum anvisierten Erscheinen eines Kommentarbandes – jeder nähere Hinweis darauf, wie und mit welchen bibliographischen Mitteln Provenienzen festgestellt, welche hymnologischen Nachschlagewerke benützt wurden. Das ist misslich, denn Forscher hätten sich gern sonst unnötige Arbeit erspart. – Gemäß S. 31 f. entstammen ganze Liederreihen aus Johann Georg Seidenbuschs „Alltägliches Oratorium“, Regensburg 1724 (30 Lieder), dem jesuitischen „Gott-Lob Singendes Jahr“, Wien 1737 (32 Lieder) sowie Johann Franz Seraph Kohlbrenners „Der heilige Gesang zum Gottesdienste“, Landshut 1777 (25 Lieder). Stichproben ergeben, dass einige dieser Angaben zu kurz gegriffen sind, da Varianten berücksichtigt werden müssen. In manchen Fällen lassen sich Texteingriffe Lenglachners beobachten. – Das Faszinierende an den „Geistlichen Gesängern“ ist, dass sich hier in hohem Maße die wirkliche Verbreitung von Liedern fassen lässt. Ein Druck in einem Gesangbuch ist keine Gewähr für tatsächlichen Gebrauch und Kenntnis eines Liedes. Anders verhält es sich mit dieser Handschrift. Lenglachner konnte bestenfalls ein paar gedruckte Bücher als Vorlagen benützen. Meist zitierte er wohl aus dem Gedächtnis. Denn dass er nicht im eigentlichen Sinn abschrieb, bezeugt schon die Orthographie. Man kann annehmen, dass die Lieder ihm

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oder seinen Gewährsleuten bekannt waren. Darunter sind genau jene, die auch schon im 17. Jahrhundert in praxi verbreitet waren, etwa Der grimmig tod mit seinem Pfeil (Nr. 239) und der Ruf O hochheiliges Kreuze (Nr. 262); Johann Khuens In schwarz will ich mich kleiden (Nr. 215) und Sols sein so seys (Nr. 248), aber auch das wohl schon im Spätmittelalter wurzende Ave Maria klare, du lichter Morgenstern (Nr. 357). Geistliche Lieder erweisen sich als erstaunlich robust, haben sie doch unter Umständen eine Lebensdauer von mehreren hundert Jahren. Nicht wenige der von Lenglachner aufgezeichneten Texte sind heute noch bekannt. Erstaunlich groß ist auch die Übernahme protestantischer Lieder – nicht etwa von Gesängen der deutschen Aufklärung, sondern von alten Liedern, die längst über Konvertitengesangbücher ihren Weg in den katholischen Gebrauch gefunden hatten. – Die Sammlung bestätigt die Verwendungsschwerpunkte katholischen Singens bei Wallfahrten, Bußandachten, Kreuzwegen und Bruderschaftsgottesdiensten. Hinzu kommen im 18. Jahrhundert Messgesänge. Die für die evangelische Hausfrömmigkeit so wichtigen Morgen- und Abendlieder sowie Tischgebete treten zahlenmäßig vollkommen in den Hintergrund, Psalmlieder oder biblische (Erzähl-)Lieder fehlen weitgehend. Vorsicht ist geboten, Dialoge ins Genre des geistlichen Spiels zu verweisen (S. 17), denn Dialoglieder sind generell beliebt. – Wir wissen nicht, warum und mit welchen Hilfsmitteln Lenglachner seine Sammlungen anlegte. Wir können aber an den Gebrauchsspuren erkennen, dass sie viel benutzt wurden. Sicher haben sie also ihrerseits zur Ausbreitung der Liedkultur in breiten Volksschichten beigetragen. Somit stellen Lenglachners Aufzeichnungen einen großen Schatz dar. Die vorzügliche Edition hat ihn nun zugänglich gemacht, was den beiden Herausgebern sehr zu danken ist. – (Eine ausführliche Rezension wird im „Jahrbuch Lied und Populäre Kultur“ 2019 erscheinen.) – Irmgard Scheitler

B Leben und Werk der Dichter und Melodieschöpfer (nach deren Namen alphabetisch geordnet) Benini, Marco (Hg.): Gott preisen in Hymnen und Gesängen. Friedrich Dörr. Dichter für Gotteslob und Stundenbuch. EOS: Sankt Ottilien 2018, 192 S. Der bibliophil gestaltete Band enthält nach einem kurzen Abschnitt zu Leben und Werk von Friedrich Dörr (1908–1993) eine Edition seiner 88 deutschen Hymnen und Kirchenlieder; den Hymnen sind lateinische Vorlagen gegenüber gestellt. Viele davon sind im Gotteslob, einige auch in evangelischen Gesangbüchern enthalten. Gehrt, Daniel / Leppin, Volker (Hg.): Paul Eber (1511–1569). Humanist und Theologe der zweiten Generation der Wittenberger Reformation (Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie 16), Leipzig 2014, 622 S., Abb. Der Band versammelt die 2011 auf Schloss Friedenstein in Gotha gehaltenen Vorträge über den Wittenberger Theologen, der auch als Liederdichter bekannt ist. Explizit genannt seien zwei Beiträge: Michel, Stefan: Das gesungene Wort Gottes. Paul Ebers Gebrauch geistlicher Lieder in Haus, Schule und Kirche (424–443) und König, Franziska: Bibliographie der gedruckten Werke und Beiträge Paul Ebers (511–564; „Lieder wurden nur erfasst, wenn sie Teil von separaten Lieddrucken waren oder in Werken anderer Autoren zu finden sind.“ [S. 512]. Dass dabei längst nicht alle gefunden wurden, liegt nahe. Folgende Lieder sind aufgenommen: Herr Gott, dich loben alle wir [Nr. 17] Quam laeta perfert nuncia [Nr. 23+74], Herr Jesu Christ, wahr Mensch und Gott [Nr. 25, 67 , 81 , 84

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], Wenn wir in höchsten Nöten sein [Nr. 52, 82], Helft mir Gotts Güte preisen [Nr. 82]; außerdem sind die Sonntags Evangelia von Nikolaus Herman [Nr. 27] und das Psalterium Davidis [Nr. 51] wegen Ebers Vorreden erfasst; ganz fehlen Herr Gott im Himmelsthrone, Wie wohl soll werden, Zwei Ding, o Herr, bitt ich von dir). Alpermann, Ilsabe / Evang, Martin (Hg.): Mit Lust und Liebe singen. Lutherlieder in Portraits. Vandenhoeck & Ruprecht / neukirchener theologie: Göttingen 2018. Ziel der Publikation ist nicht, historisches Interesse zu befriedigen – dazu gibt es zahlreiche viel umfassendere wissenschaftliche Veröffentlichungen – sondern, aus der Beschäftigung mit den Liedern „Schwung und Sprache“ (Vorwort) für den Glauben und damit Lutherlieder für Gottesdienst zurück zu gewinnen. Das Format, 23 dreibis neunseitige Artikel von 11 Autorinnen und Autoren, erinnert an die „Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch“ (Göttingen seit 2000), auf die auch explizit verwiesen wird, oder auch die Anthologie „Geistliches Wunderhorn“ (München 2001). Nach Melodie- und Textabdruck in moderner Fassung werden in anregender Form der historische Kontext, Text und Melodie behandelt. Ein optisches Manko sind zum Teil die Melodien, die in sehr unterschiedlicher Größe und Dichte ein uneinheitliches Bild abgeben – zur Orientierung taugen sie aber allemal. Hahn, Gerhard: Ein neues Lied wir heben an (16–23); Ders.: Nun freut euch, lieben Christen gmein (24–30); Ders.: Ein feste Burg ist unser Gott (113–120); Ders.: Sie ist mir lieb, die werte Magd (130–136); Marti, Andreas: Nun komm, der Heiden Heiland (33–38); Ders.: Gelobet seist du, Jesu Christ (39–44); Ders.: Christ lag in Todesbanden (52–57); Franz, Ansgar: Vom Himmel hoch, da komm ich her (45–51); Ders.: Gott sei gelobet und gebenedeiet (101–106); Ders.: Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen (137–143); Alpermann, Ilsabe: Jesus Christus, unser Heiland [, der den Tod überwand] (58–60); Dies.: Nun bitten wir den Heiligen Geist (61–64); Dies.: Komm, Heiliger Geist, Herre Gott (65–68); Dies.: Mit Fried und Freud ich fahr dahin (126– 129); Schmidt, Bernhard: Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort (71–74); Ders.: Verleih uns Frieden gnädiglich (107–110); Leube, Bernhard: Dies sind die heilgen zehn Gebot (75–78) und Mensch, willst du leben seliglich (78–79); Block, Johannes: Wir glauben all an einen Gott (80–84); Ders.: Die beste Zeit im Jahr ist mein (144–149); Schilling, Johannes: Vater unser im Himmelreich (85–90); Merten, Werner: Christ, unser Herr, zum Jordan kam (91–95); Evang, Martin: Jesaja dem Propheten das geschah (96–100); Ders.: Aus tiefer Not schrei ich zu dir (121–125). Ammermann, Norbert: Luther und die Musik (Studienreihe Luther 13). Luther-Verlag: Bielefeld 2017, 100 S. Ein gut lesbares Büchlein, das von persönlicher Beschäftigung und Verständnis zeugt. Die „Klang-Zeitreise“ anstelle eines Vorwortes zeigt, dass interessierte Leser, kein Fachpublikum, angeregt werden sollen, sich in das Thema zu versetzen. Metzner, Ernst Erich: Die drei frühesten Luther-Lieder 1521 bis 1523. Zu ihrem historischen, geografischen und literarischen Hintergrund in Deutschland und den Niederlanden seit Ein feste Burg und dem Reichstag von Worms. In: Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte 24 (2017), 42–50. Betr.: Ein feste Burg ist unser Gott; Ein neues Lied wir heben an; Nun freut euch, lieben Christen gmein. Der Autor insistiert auf einer von ihm 2004/05 propagierten Entstehung von Ein feste Burg ist unser Gott im Frühjahr 1521 und stellt es mit den beiden anderen Liedern in einen Zusammenhang. Der Argumentation zu folgen fällt aber schwer. Eine Erklärung, warum Ein feste Burg erst 1529 in gedruckten Quellen auftaucht, fehlt.

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Zimmerling, Peter / Ratzmann, Wolfgang / Kohnle, Armin (Hg.): Martin Luther als Praktischer Theologe (VWGTh 50). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 538 S. Der Band vereint die Vorträge zweier Tagungen 2015 und 2016 in der Leucorea in Wittenberg, die von der Projektgruppe „Luther als Praktischer Theologe“ initiiert worden war. Vier Beiträge befassen sich mit hymnologischen und musikalischen Themen: Hofmann, Andrea: Luthers Liedschaffen als Synthese zwischen biografischen Erfahrungen, Wissenschaft und Praxis (211–222); Klek, Konrad: Luther und das Lied. Beobachtungen zu Luthers Melodiegestaltung und Gesangbuchkonzeption (223–236; im Detail beschäftigt Klek sich mit Nun freut euch, lieben Christen gmein, Vom Himmel hoch, da komm ich her und dem Phänomen Gesangbuch); Heesch, Matthias: „Singen hat nichts mit der Welt zu tun“. Luthers Deutung der Musik als Schritt auf dem Weg zur Vorstellung vom absoluten musikalischen Kunstwerk. Eine wirkungsgeschichtliche Studie (237–259); Schilling, Johannes: „… vnd wilt das Beten von vns han“. Beten lernen mit Martin Luther (523–536; Öffentlicher Abendvortrag über Vater unser im Himmelreich). Dublanc, René: Poesie der Sprache. Huub Oosterhuis – Biblische Visionen „herbeisingen“. In: MuL143 (2018), H. 4, 16–18. Rist, Johann / Selle, Thomas: Sabbahtische Seelenlust (1651). Kritisch herausgegeben und kommentiert von Johann Anselm Steiger. Kritische Edition des Notentextes von Oliver Huck und Esteban Hernández Castelló (Neudrucke deutscher Literaturwerke. Neue Folge 92). De Gruyter: Berlin 2018, 642 S., Noten., Abb. Die Sammlung (DKL 165108–09) enthält 58 Lieder zu den Sonntagsevangelien eines ganzen Kirchenjahres, die teilweise größere Verbreitung erlangt haben. Noch im EKG z. B. stand Auf, auf, ihr Reichsgenossen samt Selles Melodie. In gewohnt professioneller Weise (vgl. die im JLH 53 [2014] 259–260 und JLH 56 [2017], 267–269 ausführlich vorgestellten Editionen Rist’scher Werke) liegt hier ein Werk vor, das einen wichtigen Meilenstein in der Perikopenlyrik der frühen Neuzeit darstellt, wie die Herausgeber in ihrer informativen Einführung mitteilen (S. 543). Beispielsweise erfährt man hier, auch wenn man die selbstverständlich mit edierte Vorrede Rists nicht selbst gelesen hat, dass die Lieder dazu dienen sollten, das in der Predigt Gehörte zu Hause Satz für Satz den Hausgenossen, Kindern und dem Gesinde zu wiederholen (S. 548). Rechnete Rist also damit, dass die Kirchgänger den Druck selbst besaßen und mit in den Gottesdienst brachten? Heidrich, Jürgen: Die Sammlung KirchenGeseng und Geistliche Lieder D. Martini Lutheri und anderer frommen Christen (1604) von Melchior Vulpius. In: Goltz, Maren / Schabram, Kai Marius (Hg.): Melchior Vulpius – Beiträge zu Leben, Werk und Wirkung (Forum Mitteldeutsche Barockmusik 10). ortus musikverlag: Beeskow 2018, 13–20. Heidrich, Jürgen: Die frühreformatorische Kirchenmusik im Spannungsfeld von Tradition und Innovation: Johann Walters „Geystliches gesangk Buchleyn“. In: Kohnle, Armin / Rudersdorf, Manfred (Hg.): Die Reformation: Fürsten – Höfe – Räume (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 42). Leipzig 2017, 231–240. Opitz, Peter / Saxer, Ernst (Hg.): Zwingli lesen. Zentrale Texte des Zürcher Reformators in heutigem Deutsch. TVZ. Theologischer Verlag Zürich: Zürich 2017. Enthält je mit Einleitung auch das Pestlied Hilf, Herr Gott, hilf in dieser Not (17–21) und das Kappelerlied Herr, nun selbst den Wagen halt (297–298; zuvor enthält die Sammlung auch zwei Briefe aus dem Kappeler Feldlager).

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C Untersuchung und Auslegung einzelner Lieder (Zu Liedern, die in thematischen Zusammenhängen berücksichtigt sind s. auch andere Rubriken) C.1 Kommentarwerke Alpermann, Ilsabe / Evang, Martin (Hg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Ausgabe in Einzelheften. H. 24. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2018, 95 S. Enthält Kommentare zu folgenden Liedern: Herr, dein Wort, die edle Gabe (Joachim Stalmann, 3–5); Ich möcht, dass einer mit mir geht (Gudrun Mawick, 6–9); Gott sei gelobet und gebenedeiet (Ansgar Franz, Andreas Marti, 10–18); Strahlen brechen viele aus einem Licht (Frieder Dehlinger, 19–24); Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser (Bernhard Schmidt, 25–28); Lobt Gott den Herrn, ihr Heiden all (Andreas Marti, 29–31); Lobt Gott, den Herrn der Herrlichkeit (Andreas Marti, 32–37); Lobe den Herren, o meine Seele (Andreas Marti, 39–43); Sollt ich meinem Gott nicht singen (Joachim Stalmann, 44–49); Danke für diesen guten Morgen (Bernhard Leube, 50–55); Danket, danket dem Herrn (Thomas Schmidt, 56–57); Lobet und preiset, ihr Völker, den Herrn (Thomas Schmidt, 58–60); Gott rufet noch (Martin Evang, 61–64 ); Aller Augen warten auf dich, Herre (Siegfried Meier, Andreas Marti, 65–69); Herr, gib uns unser täglich Brot (Peter Ernst Bernoulli, 70–74); Die Sonn hat sich mit ihrem Glanz gewendet (Karl Heinrich Lütcke, 75–78); Nun sich der Tag geendet (Christa Reich, 79–87); O Gott, du frommer Gott (Christine Jahn, 88–95).

C.2 Einzeluntersuchungen (nach Liedanfängen alphab. geordnet) Wissemann, Antje: Ein neues Lied. Du bettest die Toten [= Refrain; Strophenanfang: Vor unseren Augen bleibt Erinnerung] (Text: Johannes Hoffmann, Melodie: Jan Simowitsch). In: MuK 88 (2018), 448–449. Arnold, Jochen: Ein neues Lied. Go gently / Geht achtsam (Text: Shirley Erena Murray, deutscher Text: Hartmut Handt, Melodie: Colin Gibson). In: MuK 88 (2018), 370–371. Walter, Meinrad: Ein neues Lied. Herr, nimm auch uns zum Tabor mit (Text: Peter Gerloff, Melodie: Richard Mailänder). In: MuK 88 (2018), 210. Zündorf, Carsten: Ein neues Lied. Ich steh vor dir mit leeren Worten (Text: Lothar Veit, Melodie: Martin Heider). In: MuK 88 (2018), 296. Wissemann, Antje: Ein neues Lied. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle (Text und Melodie: Gerhard Schnitter). In: MuK 88 (2018), 134. Albrecht, Christian: Wenn Schlichtes bewegt. 200 Jahre „Stille Nacht!“ und: „Stille Nacht!“ zum Zweiten. Nachschlag. In: MuL143 (2018), H. 5, 9–17 und H. 6, 18–21. Breckwoldt, Tina: Stille Nacht. Ein Lied mit Geschichte. Servus Verlag: Elsbethen 2018, 200 S., Abb., Noten Was mit goldglänzendem Einband und zum Teil ebensolchen Seiten oder Lettern daher kommt ist eine umfangreich recherchierte und interessant illustrierte Studie über das Lied. Allein 82 Seiten sind dem historischen Umfeld gewidmet (Gesellschaftlicher Hintergrund und geistige Landschaft in Salzburg, Salzachschifffahrt und die Oberndorfer Schiffer, Der Textdichter: Joseph Mohr, Der Komponist: Franz Xaver Gruber, Weihnachten im 18. und 19. Jahrhundert). Das 31seitige Kapitel über das Lied selbst wartet mit zahlreichen Faksimiles auf (Bericht Grubers über die Entstehung,

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verschiedene Autographen Mohrs und Grubers), umfassenden Worterklärungen zum sechsstrophigen Text und vollständigen Wiedergaben von Liedern, die Breckwoldt zum Vergleich heranzieht: Bey stiller Nacht (Friedrich von Spee 1649), Schlaf wohl, du Himmelsknabe du (Christian Friedrich Daniel Schubart (1786), Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist (Martin Luther 1524), Besitz ich nur ein ruhiges Gewissen (Christian Fürchtegott Gellert 1774), Dies ist der Tag, den Gott gemacht (Ders. 1755), Heiligste Nacht! Finsternis weichet (1783, von Michael Haydn 1786 neu vertont) sowie Hinweisen auf die Verwendung der Melodie in klassischer Musik. Erst darauf folgt das Kapitel „Verbreitung und Rezeption“, das auf 27 Seiten darüber berichtet. Unter den Anhängen ist auch eine Liste, in der 203 Sprachen, in denen das Lied gesungen wird, aufgeführt und verifiziert werden – von pauschal 300–330 in der Literatur genannten. Bender, Michael Benedict: 200 Jahre „Stille Nacht, Heilige Nacht“. Eine Lanze für ein verpöntes (?) Weihnachtslied. In: WBK 85 (2018), H. 6, 6–13. Fischer, Michael: Eine andere Welt erahnen. 200 Jahre Stille Nacht, heilige Nacht. In: MuK 88 (2018), 442–445. Hochradner, Thomas: Weihnacht, Ökumene, Friede. Stille Nacht und seine Botschaften. In: KMJ 101 (2017), 118–126. Hochradner, Thomas / Neureiter, Michael (Hg): Stille Nacht. Das Buch zum Lied. Verlag Anton Pustet: Salzburg 2018, 285 S., Abb. Unglaublich, wieviel Aspekte des Liedes beleuchtet werden können. Das kann kein Autor alleine. Hochradner und Neureiter haben gut zusammengetragen. Hochradner, Thomas: „Stille Nacht! Heilige Nacht!“: Das Lied und seine Autoren (10–41); Mitter­ ecker, Thomas: Was vom Glanze übrig blieb – der Niedergang Salzburgs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (44–54); Veits-Falk, Sabine / Weiß, Alfred Stefan: Sozialgeschichtliche Aspekte einer Zeit des Umbruchs – Salzburg Ende des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts (55–73); Mitterauer, Michael: Zwischen Gemeinde und Familie. Das Weihnachtsfest im frühen 19. Jahrhundert (74–89); Herteux, Leonie: Weihnachtsmusik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (90–98); Hochradner, Thomas: Im Blickfeld der Nachwelt: Mohr und Gruber zwischen Zweifel und Ruhm (99–116); Ebeling-Winkler, Renate: Auf den Spuren von „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ in Mittel- und Norddeutschland (117–134); Gajek, Esther: „Wilde Nacht! Streikende Nacht!“ Politische Weihnacht im 20. Jahrhundert und ihr Niederschlag in ausgewählten Stille Nacht-Umdichtungen (135–146); Prosinger, Wolf-Dieter / Petermayr, Klaus: Von der mechanischen Spieldose zum elektronischen Download. Die Verbreitung des Stille Nacht-Liedes durch neu entstandene mediale Formen (147–161); Strasser, Christian: Stille Nacht in der filmischen Interpretation (162–174); Unkelbach, Peter: Die religiöse Botschaft des Liedes (175–183); Holl, Hildemar: Die Dichtkunst Joseph Mohrs und die Lyrik des Biedermeiers in Salzburg (184–203); Walterskirchen, Gerhard: „Stille Nacht! Heilige Nacht!“: Franz Xaver Grubers „einfache Composition“ und ihre authentischen Überlieferungen (204–211); Hutter, Ernestine: Weihnacht in der alpenländischen Lebenswelt (212–219); Flieher, Bernhard: Stille Nacht als Pophit – Ein Essay (220–224); Hochradl, Karin: Stille Nacht – Balanceakt zwischen Gedenkkultur und Marketing (225–233); Neureiter, Michael: Stille Nacht Gesellschaft und Stille-Nacht-Region (234–237). Hupfauf, Sandra: Die Lieder der der Geschwister Rainer und „Rainer Family“ aus dem Zillertal (1822–1843). Universitätsverlag Wagner: Innsbruck 1916, 246 S. Enthält auch Abschnitte zu Stille Nacht. Klek, Konrad: 200 Jahre „Stille Nacht!“. In: FKM 69 (2018), H.6, 4–11.

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Marti, Andreas: „… ein merkwürdiges Gebilde“ [zu „Stille Nacht! Heilige Nacht!“]. In: Heiliger Dienst 72 (2018), S. 254–258. Reiter, Martin: Stille Nacht. Ein Lese-, Bilder- & Reisebuch mit dem Liedtext in 125 Sprachen! Edition Tirol: Reith i.A.: 2017, 192 S., Abb., Noten In je einer Text- und Bildseite sind 60 Aspekte für den interessierten Laien aufbereitet, Textinterpretation gehört nicht dazu. Bei der Zusammenstellung der Liedtexte ist leider nur manchmal die Quelle genannt. Die erste Strophe ist sogar in Gebärdensprache abgebildet. Arnold, Jochen: Ein neues Lied. Dein Wort (Wir sorgen uns um Menschen; Text: Christa Atten, Melodie: Horst Hinze). In: MuK 88 (2018), 56–57.

D Gesangbücher und Liedersammlungen (Ausgaben und Kommentare; Ausgaben und Kommentare einzelner Personen s. II.B) Halter, Thomas: Halbzeit oder Schlussgerade? 20 Jahre KG und RG in Gebrauch – ein Rück- und Ausblick. In: MuL143 (2018), H. 5, 4–7. Schäfer, Christiane: „Sammelt die besten, kernhaften, kräftigen und begeisterten Gesänge …“. Überlegungen zum „Deutschen Evangelischen Kirchen-Gesangbuch. In 150 Kernliedern“ (1854). In: LK 9 (2018), H. 3, 28–36. Praßl, Franz Karl: Regionalität und Kirchenlied – Der Österreichteil des Gotteslob 2013. In: LK 9 (2018), H. 3, 82–91. Ich wünsch dir einen Engel. Neue Tauflieder zu bekannten Melodien. Hg. in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Gottesdienst und Kirchenmusik im Institut für Aus-, Fort- und Weiterbildung der Evangelischen Kirche von Westfalen. Lutherverlag: Bielefeld / Strube Verlag: München 2018, 32 S., Noten Taufsprüche, in denen die Begleitung eines Engels zugesagt wird, gehören zu den beliebtesten. Daher passt der Titel der Liedersammlung, auch wenn (zum Glück) nicht jedes Lied von Engeln singt. Es gibt Lieder für verschiedene liturgische Situationen: Taufe von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, solche, die zur Taufe hinführen, und solche, die danach gesungen werden, und auch welche zur Tauferinnerung. Vielleicht können sogar Familien ein Lied finden, das jährlich am Tauftag der Kinder gesungen werden kann. Zu den ausgewählten Melodien der 34 Lieder gehören Spirituals (O when the Saints) genauso wie Kinderlieder (Weißt du, wieviel Sternlein stehen) und Melodien, die aus dem Gesangbuch bekannt sind (Morning has broken / Morgenlicht leuchtet; Liebster Jesu, wir sind hier). Manche Text-Melodieverbindungen sind dabei so ungewöhnlich wie gelungen, z. B. Hört die Glocken: Auf zum Fest zur Melodie Bruder Jakob – hier vermitteln die 10 Strophen von Christian Schmidt auf kindgerechte Art die christliche Botschaft. Lebensgrund. Die St. Galler Singtaglieder 2014–2017. Herausgegeben von der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St. Gallen. TVZ. Theologischer Verlag Zürich: Zürich 2017. Enthält 48 Lieder mit Kurzkommentaren. Lieder und Psalmen für den Gottesdienst. Ergänzungsheft zum Evangelischen Gesangbuch. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 119 S. Das schmale Heft im Gesangbuchformat enthält alle 32 Lieder des zum 1. Advent 2018 eingeführten Wochenliedplanes, die nicht im Stammteil des EG enthalten sind, sowie

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Literaturbericht Hymnologie.  Daniela Wissemann-Garbe

fortlaufend ab Nr. 33 weitergezählt die Psalmen, die in der Ordnung gottesdienstlicher Texte verändert worden sind. Inzwischen hat sich die Abkürzung „EG.E“ etabliert. Strübel, Bettina (Hg.): Trimum. Interreligiöses Liederbuch. Gemeinsam feiern und singen. Breitkopf und Härtel: Wiesbaden 2017, 80 S., Noten Es ist eine alte Erfahrung, dass gemeinsames Singen verbindet. Umgekehrt kann es diejenigen ausschließen, die aus welchen Gründen auch immer nicht mitsingen können. Lieder zu finden, die von Angehörigen der drei abrahamitischen Religionsgemeinschaften gesungen werden können, ist aber nicht nur aus religiösen, sondern auch aus musikpraktischen Gründen gar nicht einfach. Im TRIMUM-Projekt haben Musiker, Theologen, Kantoren, Komponisten und Wissenschaftler gemeinsam „Musik des Trialogs“ zusammengestellt, zum Teil für den praktischen Gebrauch transformiert oder auch neu komponiert und im TRIMUM-Chorlabor, einem Chor für Juden, Christen und Muslime ausprobiert. 40 Lieder davon liegen in den Kapiteln „Brücken bauen und Gastfreundschaft“, „Lob und Dank – Schöpfung“, „Gottesliebe – Menschenliebe“, „Tehillim / Psalmen“, „Vaterunser und andere Gebete“, „Religiöse Feste: Opferfest, Iftar (Ramadan), Chanukka, Weihnachten, Pfingsten“, „Eine Melodie – viele Lieder“ vor. Die Texte aller Sprachen sind in lateinischen Buchstaben unterlegt, ggf. in hebräischer und / oder arabischer Schreibung nachgestellt. Alle sind auch ins Deutsche übersetzt, teilweise in singbarer Fassung. Einige wenige Lieder sind vielsprachig unterlegt, z. B. der auch in Deutschland bekannte Kanon Hine ma tow. Informationskästen geben wertvolles Wissen zu den Autoren, der Entstehung oder der Tradition der Lieder jeweils auf Deutsch und Englisch. Den Melodien sind häufig Akkordsymbole, manchmal zwei- oder vierstimmige Sätze oder Rhythmuspattern beigegeben, Kanons sind nicht selten. Auf der homepage des Verlages stehen Hörbeispiele zahlreicher Lieder zur Verfügung, was sowohl bei der Aussprache als auch der musikalischen Umsetzung helfen kann. – Aus europäisch-christlicher Tradition stammen folgende Lieder: Wie schön ist es, wenn Fremdheit weicht (zur Melodie: Wie schön leuchtet der Morgenstern), Großer Gott wir loben dich (1. Strophe deutsch, türkisch, hebräisch und arabisch unterlegt), Psalm 1 mit Melodie und Satz nach Loys Bourgeois / Claude Goudimel in „makamisierter“ (in die türkische Musiksprache transformierter) Fassung nach Wojciech Bobowski (= Ali Ufkî) aus dem 17. Jahrhundert, Macht hoch die Tür, wo vorgeschlagen wird, zwischen den Strophen, in denen ja Gottes Eigenschaften besungen werden (sanftmütig, heilig, barmherzig …) einige der „99 schönsten Namen Gottes“ arabisch rezitieren zu lassen (der Erbarmer, der Barmherzige, der Verzeiher, der Versorger …), Es kommt ein Schiff geladen, wo auf die erste Strophe je eine jüdische und muslimische und vier trialogische folgen, Tochter Zion, das schon 1936 von Levin Kipnis zum Chanukkalied Hawa narima kontrafiziert worden war, Maria durch die Wüste ging (Maria durch ein Dornwald ging), wo die Weihnachtsgeschichte nach dem Koran besungen wird. – Wer beim interreligiösen Dialog auf gemeinsames Singen setzt, sollte hier fündig werden. Nicht umsonst hat die Sammlung den Deutschen Musikeditionspreis 2018 gewonnen. Traub, Andreas: Erasmus Widmann. – Die geistlichen Werke. In: Musik in Baden-Württemberg. Jahrbuch 23 (2016), 93–101. Betr. u. a. die Kirchenliedsammlungen „Geistliche Psalmen und Lieder“, Nürnberg 1603 [DKL 160412 / 163912] sowie „40 Teutsch geistliche Gesänglein“, Nürnberg 1622 [DKL 162214], „Piorum suspiria“, Nürnberg 1629 [DKL 162918]. Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder plus. Strube Verlag: München 2018 (VS 4111 für die Evangelische Kirche in Baden), 432 S. / (VS 4049 für die Evangelischen Kirchen in

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Württemberg und in der Pfalz und in der Union der Evangelischen Kirchen in Elsass und Lothringen) 320 S.  Die Liederbücher basieren auf der gleichnamigen (ohne „plus“) 2005 erschienenen Liedsammlung, enthalten aber 124 Lieder mehr. Sie enthalten alle Lieder des seit dem 1. Advent 2018 geltenden Wochenliedplanes, die im EG fehlen sowie die neu aufgenommenen oder anders ausgewählten Psalmen der Leseordnung. Damit ersetzen sie in den o.g. Landeskirchen das EG.E (s. o. „Lieder und Psalmen für den Gottesdienst“). Zahlreiche Lieder sind zusätzlich mit anderssprachigen Texten (englisch, französisch, spanisch, hebräisch) unterlegt. Hanke, Matthias / Leube, Bernhard: Das neue Liederbuch „Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder plus“ und die aktuelle Gesangbuchlandschaft. In: WBK 85 (2018), H. 6, 14–17.

Literaturbericht Hymnologie Französischsprachige Länder 2018 Édith Weber / Beat Föllmi

I. Liturgie und Musik Bellanger, Emmanuel: En liturgie, on faict ce qu’on peut. In: Préludes 104, Association Nationale de Formation des Organistes Liturgiques, Ottrott, octobre 2018, 5. Dumas, Bertrand: Les séquences liturgiques, une interpellation. In: Préludes 102, Association Nationale de Formation des Organistes Liturgiques, Ottrott, Avril 2018, 5–6. Steinmetz, Michel: Le rapport entre musique et liturgie dans les textes romains du Motu Proprio de Pie X à Sacrosanctum concilium. In: Dumont, Martin (Dir.): Musique et religion aux époques modernes et contemporaines. XVIe–XXe siècles, Honoré Champion, Paris 2018, 115–125.

II. Hymnologie C. Psalm und Hugenotten-Psalter Bonnet, Alain: À la rencontre d’un Psaume : le Psaume 115. In: Préludes 102, Association Nationale de Formation des Organistes Liturgiques, Ottrott, Avril 2018, 12–13.

D. Gregorianik Cazaux-Kowalski, Christelle: Autour du manuel de paléographie grégorienne de Gregori Maria Sunyol. Polemiques politiques et musicologiques. In: Revue de musicologie 104 (2018), 469–478. Goudesenne, Jean-François: Emergence du chant grégorien. Les strates de la branche Neustro-insulaire (687–930), Brepols, Turnhout 2018 (Musicalia Antiquitatis & Medii Aevi 1), 2 vol., 588 p. Velly, Jean-Jacques: Joseph d’Ortigue et la musique d’Église. In: Dumont, Martin (Dir.) : Musique et religion aux époques modernes et contemporaines. XVIe –XXe siècles, Honoré Champion, Paris 2018, 71–84. Betrifft Wiederbelebung des gregorianischen Gesangs.

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III. Kirchenmusik A. Zur Geschichte und Bibliographie der Kirchenmusik Fath, Sébastien: Gospel et francophonie, éditions Empreinte temps présent, Tharaux 2018, 228. Föllmi, Beat: Esthétique et kérygme : la musique sacrée protestante du XVIe siècle à l’époque baroque. In: Hétier, Denis / Cottin, Jérôme (Éd.) : La théologie au risque de la création artistique, Paris, Cerf 2018 (Cerf Patrimoine), 257–276. Föllmi, Beat: Moïse et Aaron d’Arnold Schönberg. In: Foi & Vie n°3, octobre 2018 (Moïse en kaléidoscope), 90–92. Steinmetz, Michel: La fonction ministérielle de la musique sacrée. L’approche originale de la tradition par Vatican II, Paris, Cerf, 2018 (Lex orandi 7), 379 p. Weber, Édith: L’hymnologie au service de la Réforme. In: Dumont, Martin (Dir.) : Musique et religion aux époques modernes et contemporaines. XVIe –XXe siècles, Honoré Champion, Paris 2018, 21–39.

B. Zur Theorie der Kirchenmusik Benoit-Otis, Marie-Hélène: Lire, écouter, écrire. Initiation à la recherche à partir des méthodes des sciences humaines, Les Presses de l’Université de Montréal 2018, 256.

C. Zur Aufführungspraxis der Kirchen- und Orgelmusik Baston, Jean-Pierre: Pédagogie. Comment débuter et travailler l’orgue ? Quelles méthodes? In : Préludes 102, Association Nationale de Formation des Organistes Liturgiques, Ottrott Avril 2018, 7–9. Calais, Patrick: Bach en Concert. Essai sur les Variations Goldberg, L’Harmattan, Paris 2017 (2de édition augmentée), 115 p. Cartayrade, Alain (Éd.): Association Maurice & Marie-Madeleine Duruflé, Bulletin n°16/2017–2018, Paris 2018, 140 p. Cartayrade, Alain: Entretien avec Stéphane Mottoul, idem 113–121. Drèze, Céline: Le chant du catéchisme chez les Jésuites de la Province franco-belge (XVIe–XVIIe siècle). In: Dumont, Martin (Dir.): Musique et religion aux époques modernes et contemporaines. XVIe–XXe siècles, Honoré Champion, Paris 2018, 40–53. Geay, Gérard: Pratique de la musica ficta au XVIe siècle dans les tablatures de luth, Volume 1, Delatour France, Sampzon, 2018, 2 Bde, 382 p. Geoffroy, Olivier: Le père Joseph Plug et la cause de l’orgue en Guyane. In: Musique sacrée / L’organiste, N°321, Fontenay juillet 2018, 5–6. Geoffroy, Olivier: Les orgues au Maghreb, idem N°319, janvier 2018, 5–7. Geoffroy, Olivier: Les orgues du Liban, idem N°321, juillet 2018, 4. Geoffroy, Olivier: Les variations et paraphrases sur les Noëls populaires dans le répertoire pour orgue en France au XXe siècle. In: Préludes 104, Association Nationale de Formation des Organistes Liturgiques, Ottrott, octobre 2018, 28–29.

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Literaturbericht Hymnologie.  Édith Weber / Beat Föllmi

Moulinet, Daniel: Chanter en Église, Beauchesne, Coll. Le point théologique, Paris 2018, 178 p. Petersen, Birger (Hg.): Festschrift Daniel Roth zum 75. Geburtstag. Licht im Dunkel. Lumière dans les ténèbres, Dr. J. Butz, Bonn 2018, 432 (mit CD). Pichard, Jacques: Le problème de la restitution des œuvres pour orgue de Dietrich Buxtehude. In: Orgues nouvelles, Nr 39, Paris Janvier 2018, 10–11. Betrifft Restitutionsprobleme und neue Partitur von einem Weihnachtslied und Ciacona (BuxWV160) neu hergestellt und gespielt von Jacques Pichard, Organist an der Cathédrale de Nanterre, mit CD. Schwenkedel, Suzy: Principes de l’accompagnement du clavecin de Jean-François Dandrieu. In: Préludes 104, Association Nationale de Formation des Organistes Liturgiques, Ottrott, octobre 2018, 56–59. Sorg, Jean-Paul: Hommage à Daniel Roth. In: Cahiers Albert Schweitzer n°174, juin 2018, 106–110. Warnier, Vincent: Daniel Roth et Marie-Claire Alain. Chronique d’une amitié et célébration d’un idéal humaniste. In: Alain Cartayrade (Éd.): Association Maurice & Marie-Madeleine Duruflé, Bulletin n°16/2017–2018, Paris, 2018, 103–112. Betrifft Daniel Roth, Organist von Saint-Sulpice (Paris), und Marie-Claire Alain (1926–2013), Organistin der Église Saint-Germain in Saint-Germain-en-Laye, und deren pädagogische Tätigkeit. Weber, Édith: Le monde des Chorals de J. S. Bach. In: Musique sacrée / L’Organiste no. 322, Fontenay juillet 2018, 2–3. Weber, Édith: Georg Muffat (1653–1704) et l’Apparatus Musico-Organisticus, idem no. 322, octobre 2018, 2–4.

D. Leben und Werk der Meister (nach Komponistennamen alphab. geordnet) Schwenkedel, Suzy: Un CD de Michel Chapuis et Harald Vogel. In: Préludes 102, Association Nationale de Formation des Organistes Liturgiques, Ottrott, Avril 2018, 28–29. Betrifft von Michel Chapuis (1930–2017) aufgeführte Werke von Jacques Boivin und Georg Böhm und die Orgeln der reformierten Kirche in Stapelmoor (auf Anregung von Harald Vogel) und der Georgskirche in Weener (Orgelbauer Arp Schnitger). Étienne, Jean-Luc: La Messe pour tous les temps pour orgue de Jacques Charpentier. In: Préludes 104, Association Nationale de Formation des Organistes Liturgiques, Ottrott octobre 2018, 31–32. Weber, Édith: Maurice Emmanuel à travers sa correspondence. In: Musique sacrée /  L’organiste, Fontenay Avril 2018, n°320, 3–4. Bourcier, Michel: Jean-Louis Florentz et l’orgue. Essai analytique et exégétique, Édition Symétrie, Lyon 2018, 900 p. Betrifft Spiritualität von J.-L. Florentz (1947–2004) zwischen westlicher und afrikanischer Kultur. Guillot, Pierre: Religion et musique chez Déodat de Séverac. In: Dumont, Martin (Dir.) : Musique et religion aux époques modernes et contemporaines. XVIe –XXe siècles, Honoré Champion, Paris 2018, 101–114. Étienne, Jean-Luc: L’orgue mystique de Charles Tournemire, un itinéraire (3). In: Préludes 102, Association Nationale de Formation des Organistes Liturgiques, Ottrott Avril 2018, 32–33.

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Chevallier, Lucien: Un entretien avec Widor (in Guide du Concert, 15 novembre 1929), in Alain Cartayrade (Éd.) : Association Maurice & Marie-Madeleine Duruflé, Bulletin n°16/2017–2018, Paris 2018, 95–99.

IV. Zur Geschichte Delahaye, Étienne: La vie organistique caennaise de 1912 à 1944. In: Alain Cartayrade (Éd.): Association Maurice & Marie-Madeleine Duruflé, Bulletin n°16/2017–2018, Paris 2018, 7–92. Dumont, Martin (Éd.) : Musique et religion aux époques modernes et contemporaines. XVIe–XXe siècles, Honoré Champion, Paris 2018, 160 p. Föllmi, Beat: Quand la musique fait impression. De Gutenberg aux logiciels de musique. Musik unter Druck. Catalogue d’Exposition (13.09–23.11.2018), Éditions de la Société luthérienne, Strasbourg 2018, 48 p. Betrifft Ausstellungskatalog, Médiathèque protestante und Thomaskirche, Strassburg, zum Thema : Gutenberg, von der Holzplatte zur Software. Petit, Élise: Musique et politique en Allemagne, du IIIe Reich à la guerre froide, PUPS Presses de l’Université Paris-Sorbonne, Paris 2018, 394 p. Betrifft u. a. entartete Musik.

V. Ästhetik Chouvel, Jean-Marc: La crise de la musique contemporaine et l’esthétique fondamentale, Delatour France, Sampzon 2018, 612 p. Favier, Thierry / Hache, Sophie (Éd.) : Réalités et fictions de la musique religieuse à l’époque modernie. Essai d’analyse des discours, Presses Universitaires de Rennes, Rennes 2018, 350 p. Betrifft Erweiterung des Begriffs Kirchenmusik angesichts sozialer, moralischer und aesthetischer Herausforderungen. Joly, Alain: Bach, maître spirituel, Tallandier, Paris 2018, 206 p. Betrifft Bachs Verhältnis zum Lutheranismus, zu Inkarnation, Erlösung, Tranzendenz, zu den Beziehungen zwischen Mensch und Gott; seine Musik strahlt über Jahrhunderte, Kulturen, Überzeugungen und Glaubensrichtungen aus. Papadimitriou, Nicolas: Modernité, l’identité européenne dans le monde contemporain, Delatour France, Sampzon 2018, 148 p. Ramaut, Alban / Carenco, Céline (Éd.) : La série Musique de l’Encyclopédie méthodique (1791–1818). Lexique, nomenclature, idéologie. Textes réunis par Béatrice Didier et Emmanuel Reibel, Honoré Champion, Paris 2018, Le dialogue des arts 5, 262 p. Weber, Édith: Hymnologie protestante et émotions spirituelles. In: Revue internationale d’Art et d’Artologie, Nr. 2, 2018, 79–85. Behandelt Wirkungen der religiösen Musik im Zusammenhang mit der Theorie von Marc-Mathieu Münch = „l’effet de vie“.

Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen Ach Gott, vom Himmel sieh darein  ​172, 224 Ach nun wird der Freuden-Tag  ​226 Ach so muss das Engel-Lied  ​226 Ach wohl dem Volke, das ein Band  ​226 Agnus Dei  ​168, 176, 178, 187 Allein Gott in der Höh sei Ehr  ​177 Alle Knospen springen auf  ​214 Alle mensen luistert  ​212 Aller Augen warten auf dich, Herre  ​231 All mein gedencken dy ich hab  ​160, 168, 176, 189 Am Pfingsttag unter Sturmgebraus  ​212 Anton Ulrich zu Braunschweig-Lüneburg  ​226 An Wasserflüssen Babylon  ​160, 168, 170 A Solis ortus cardine  ​226 Auf, auf, ihr Reichsgenossen  ​230 Auf, auf, mein Herz, mit Freuden  ​224 Auf Christi Himmelfahrt allein  ​168 Auf den vielen Lebenswegen  ​212 Aus der Tiefe rufe ich zu dir  ​214 Aus tiefer Not schrei ich zu dir  ​229 Ave hierarchia  ​178, 188 Ave Maria klare, du lichter Morgenstern  ​ 228 Bei deiner Kirch erhalt uns, Herr  ​183 Besitz ich nur ein ruhiges Gewissen  ​232 Bey stiller Nacht  ​232 Brich herein, süßer Schein  ​215 Bruder Jakob  ​233 Christe, confusae medicina mentis  ​201 Christe, den Herzen die in Ängsten schweben  ​201 Christe, der du bist Tag und Licht  ​140 f. Christe, du Lamm Gottes  ​222 Christ ist erstanden  ​197 Christ ist erstanden von der Marter alle  ​ 160 f., 172

Christ lag in Todesbanden  ​159–161, 163, 165, 168, 172 f., 176–178, 186, 188 f., 229 Christum, unsern Heiland, Ewigen Gott  ​ 227 Christ, unser Herr, zum Jordan kam  ​174, 229 Christus, Antlitz Gottes  ​222 Christus, der uns selig macht  ​184 f., 188, 226 Christus factus est  ​227 Christus, wahrer Gottessohn  ​185 Christ, whose bruises heal our wounds  ​ 222 Conditor alme siderum  ​164, 181 Corde natus ex parentis  ​226 Creator alme siderum  ​164, 179, 181 Da Christus von uns scheiden wollt  ​174 Danke für diesen guten Morgen  ​231 Danket, danket dem Herrn  ​231 Das Jahr ist wieder um  ​226 Dein Glanz all Finsternis verzehrt  ​190 Der Abend kommt, nun enden unsre Wege  ​215 Der grimmig Tod mit seinem Pfeil  ​228 Der Herr ist mein getreuer Hirt  ​212 Der Herr ist mein Hirte  ​214 Der Himmel geht über allen auf  ​214 Det komer nu til julefest  ​226 Dich bitten wir, deine Kinder  ​224 Die beste Zeit im Jahr ist mein  ​229 Die Sach ist dein, Herr Jesu Christ  ​215 Dies est laetitiae  ​226 Dies ist der Tag, den Gott gemacht  ​232 Die Sonn hat sich mit ihrem Glanz gewendet  ​231 Dies sind die heilgen zehn Gebot  ​229 Die Zeit nunmehr vorhanden ist  ​224 Du bettest die Toten  ​231 Du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben  ​213 Du hast uns deine Welt geschenkt  ​212

Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen Du rufst uns, Herr, trotz unsrer Schuld ​​ 211 Du Schöpfer des Lebens  ​215 Ein feste Burg ist unser Gott  ​220, 229 Ein iunckfrau zart gekronet ward  ​224 Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld  ​ 160, 168, 170 Ein neues Lied wir heben an  ​172–174, 187, 189, 229 Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort  ​182 f., 186 f., 229 Erschienen ist der herrlich Tag  ​160 Erstanden ist der heilig Christ  ​197 Erstanden ist der Heylige Christ  ​198 Es ist das Heil uns kommen her  ​171 Es ist ein Ros entsprungen  ​168 Es ist gewisslich an der Zeit  ​168, 170, 188 Es kommt ein Schiff geladen  ​234 Es sind doch selig alle, die  ​177 Es wird schier der letzte Tag her­kommen​  ​ 226 Es wollt uns Gott genädig sein  ​160, 174 Festum nunc celebre  ​226 Freu dich, du Himmelskönigin  ​180, 188 Freuet hoch euch, all ihr Frommen  ​226 Geht achtsam  ​231 Gelobet seist du, Jesu Christ  ​160, 226, 229 Gelobt sei Gott, der seinen Sohn  ​171 Gelobt sei Gott im höchsten Thron  ​212, 224 Gemeinsam hier in unserm Kreis  ​212 Gesegnet seien deine Wege  ​215 Go gently  ​231 Gott aller Güte, ich denke zurück  ​215 Gott, dem Vater, sei Lob und Ehr  ​174 Gottes guter Segen sei mit euch  ​212 Gottes Sohn ist kommen  ​188 Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht ​211 Gott im Himmelsthrone  ​229 Gott ist so gut dem Israel  ​224 Gott ist unsre Zuversicht  ​214 Gott rufet noch  ​231 Gott sei gelobet und gebenedeiet  ​162– 165, 168–170, 172 f., 189, 229, 231 Große Leute, kleine Leute feiern fröhlich  ​ 212

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Großer Gott wir loben dich  ​234 Halte zu mir, guter Gott  ​212 Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald  ​ 161 f. Hawa narima  ​234 Heiliger, ewiger Gott  ​174 Heiligste Nacht! Finsternis weichet  ​232 Helft mir Gotts Güte preisen  ​137, 143, 156, 229 Herr, dein Wort, die edle Gabe  ​231 Herre Jesu Christ sand Mennisk oc Gud ​​ 137, 139, 151 Herre nú lestú deinen diener im fride faren  ​227 Herr, gib uns unser täglich Brot  ​231 Herr Gott, dich loben alle wir  ​228 Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott  ​136, 139 f., 143–146, 152, 228 Herr, nimm auch uns zum Tabor mit  ​231 Herr, nun selbst den Wagen halt  ​230 Herr, von dir kommt alles Leben  ​213 Herr, wie lang willst vergessen mein  ​224 Hilf, Herr Gott, hilf in dieser Not  ​230 Hine ma tow  ​234 Hoch sei gesegnet dieses Jahr  ​226 Hört auf mit Weinen und Klagen  ​220 Hört die Glocken: Auf zum Fest  ​233 Huc ad Regem pastorum  ​226 Ich bitt dich, Herr, durch deine Macht  ​​ 212 Ich bitt dich, Herr, durch deine Macht  ​ 212 Ich hab mein Sach Gott heimgestellt  ​220 Ich möcht, dass einer mit mir geht  ​231 Ich ruf, o Gott, in dieser Not  ​172 Ich steh an deiner Krippen hier  ​169 Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr  ​ 215 Ich steh vor dir mit leeren Worten  ​231 Ich tanzte im Himmel  ​222 Ich traue Gott, was soll ich sorgen?  ​215 Ich will dem Durstigen geben von der Quelle  ​231 I danced in the morning  ​222 Ihr Freunde, lasst euch sagen  ​212 Ihr Völker, macht die Tore weit  ​226

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Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen

In dich hab ich gehoffet, Herr  ​164, 189 In dieser wise daz erste liet  ​190 In einer Höhle zu Bethlehem  ​211 In Jesu Namen heben wir an  ​172 In Jesus Namen heben wir an  ​172 In natali Domini  ​226 In schwarz will ich mich kleiden  ​228 Jesaja dem Propheten das geschah  ​229 Jesu Beschützer aller Leut  ​200 Jesu, hilf siegen, du Fürste des Lebens  ​ 178 Jesus Christus, unser Heiland  ​162, 178–180, 225 Jesus Christus, unser Heiland, der den Tod überwand  ​162, 180, 226, 229 Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Gotteszorn wandt  ​180, 226 Jesus, der edle Name  ​198 Jesus ist ein süsser Nam[e]  ​198 Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude  ​ 178 Jesu von ganzem Herzen  ​199 Kommet, ihr Hirten  ​168 Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist  ​232 Komm, Heiliger Geist, Herre Gott  ​229 Kommt her zu mir, spricht Gottes Sohn  ​ 174, 220 Kommt, ihr Hirten, und schauet  ​226 Königin der Himmele  ​178, 180, 188 Kyrie eleison, höre unsre Klage  ​215 Lauda Sion salvatorem  ​163 Laudato si  ​213 Liebe ist nicht nur ein Wort  ​211 Liebster Jesu, wir sind hier  ​233 Lobe den Herren, o meine Seele  ​231 Lobet den Herren, den mächtigen König der Ehre!  ​226 Lobet und preiset, ihr Völker, den Herrn  ​ 231 Lobet være du, Jesus Krist  ​226 Lobpreiset all zu dieser Zeit  ​168 Lobt Gott, den Herrn der Herrlichkeit  ​ 231 Lobt Gott den Herrn, ihr Heiden all  ​231 Lobt Gott, ihr Christen, alle gleich  ​167 Lord of the Dance  ​222

Macht hoch die Tür  ​234 Manchmal kennen wir Gottes Willen  ​212 Maria durch die Wüste ging  ​234 Maria durch ein Dornwald ging  ​234 Meine Seele, Gott, erhebt  ​224 Mein schönste Zier und Kleinod bist  ​172, 189 f. Menschen gehen zu Gott in ihrer Not  ​214 Mensch, willst du leben seliglich  ​229 Merkt auf, merkt Himmel, Erde  ​224 Mich hat die Welt trüglich gericht’t  ​190 Mit Fried und Freud ich fahr dahin  ​220, 229 Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen  ​229 Morgenlicht leuchtet  ​233 Morning has broken  ​233 Morti tuae tam amarae  ​199 Nun bitten wir den Heiligen Geist  ​167, 224, 229 Nunc angelorum gloria  ​173, 226 Nun danket alle Gott  ​224 Nun freut euch, lieben Christen gmein ​​ 168–170, 229 f. Nun Gottlob der Engel-Schar  ​226 Nun höret zu, ihr Christenleut  ​220 Nun komm, der Heiden Heiland  ​181– 183, 229 Nun lasst uns den Leib begraben  ​140 f., 162, 220, 224 Nun sich der Tag geendet  ​231 Nun werden die Engel im Himmel singen  ​ 212 Nun ziehen wir die Straße  ​211 O Gott, du frommer Gott  ​231 O Gott, du mein getreuer Gott  ​224 O großer Gott von Macht  ​203, 207 f. O großer Gott von Treu  ​207 O hochheiliges Kreuze  ​228 O Jesu Christ sann Gudh och Mann  ​149 O Lamm Gottes, am Stamm des Kreuzes geschlachtet  ​223 O Lamm Gottes, unschuldig  ​168, 170, 175–178, 186–189 O Licht der wunderbaren Nacht  ​171 O Mensch, bewein dein Sünde groß  ​177 O sponsa Christi laetare  ​180

Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen O Welt, ich muss dich lassen  ​199 O when the Saints  ​233 Patris sapientia  ​184 f. Quam laeta perfert nuncia  ​228 Quem pastores laudavere  ​173 Regina caeli laetare  ​171, 178, 180 Sagt, wer kann den Wind sehen?  ​214 Salve caput cruentatum  ​199 Salve festa dies  ​203 Schenk uns Zeit aus deiner Ewigkeit  ​212 Schlaf wohl, du Himmelsknabe du  ​232 Schweige und höre  ​211 Sehet die seligen Zeichen  ​226 Seht das Brot, das wir hier teilen  ​215 Seht wie Gott sich selbst vergnüget  ​226 Seht, wie macht es Jesus wohl  ​226 Sei hoch gesegnet, Jubeljahr  ​226 Sei Lob, Ehr, Preis und Herrlichkeit  ​183 Sie ist mir lieb, die werte Magd  ​229 Singet dem Herrn eine neues Lied. Er ist in allem  ​213 Sit laus, honos et gloria  ​183 Sollt ich meinem Gott nicht singen  ​231 Sols sein so seys  ​228 Spiritus Sancti gratia  ​183 Steht auf ihr lieben Kinderlein  ​147 Stille Nacht  ​231–233 Strahlen brechen viele aus einem Licht  ​ 231 Surrexit Christus hodie  ​197 Tempora florigero rutilant distincto sereno  ​202 Tochter Zion  ​234 Tutela praesens omnium  ​200 f. Unser Leben sei ein Fest  ​212 Vater in dem höchsten Thron  ​173 Vater unser im Himmelreich  ​140 f., 200, 229 f. Veni redemptor gentium  ​181–183, 186 f. Vereint mit uns im Heiligtum  ​226 Verleih uns Frieden gnädiglich  ​182 f., 229 Victimae paschali laudes  ​161

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Vom Aufgang bis zum Niedergang  ​226 Vom Himmel hoch, da komm ich her ​​ 166, 168, 178, 180, 188, 190, 226, 229 f. Vor Herre Jesus, Gud og mand  ​139 Vor unseren Augen bleibt Erinnerung  ​231 Was mein Gott will, das gscheh allzeit ​ 220 Weißt du, wieviel Sternlein stehen  ​233 Weißt du, wo der Himmel ist  ​214 Welcher Engel wird uns sagen  ​214 Welcher stets im Lichte wandelt  ​226 Weltlich Ehr und zeitlich Gut  ​226 Wenn ein Gott ist, höre, Gott  ​215 Wenn wir in höchsten Nöten sein  ​229 Wer hie für Gott will sein gerecht  ​147 Wer in dem Schutz des Höchsten ist  ​224 Wer leben will wie Gott auf dieser Erde  ​ 211 We shall overcome  ​211, 214 Wie der Herr vor Zeiten mit den Jüngern aß  ​212 Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser  ​231 Wie ein Fest nach langer Trauer  ​213 Wie groß, wie groß ist Gottes Liebe  ​212 Wie schön ist es, wenn Fremdheit weicht  ​ 234 Wie schön leuchtet der Morgenstern  ​234 Wie soll ich dich empfangen  ​164 Wie wohl soll werden  ​229 Wind kannst du nicht sehen  ​214 Wir glauben all an einen Gott  ​229 Wir glauben an Gott, wir sind nicht allein  ​215 Wir sitzen an gedeckten Tischen  ​212 Wir sorgen uns um Menschen  ​233 Wir teilen die Äpfel aus  ​214 Wo Gott zum Haus nicht gibt sein Gunst  ​ 174, 220 Wohin wollt ihr am frühen Ostermorgen  ​ 212 Wohl dem, der in Gottes Furcht steht  ​ 174, 220 Woluff gesell von hynnen  ​170 Zum Tisch des Herrn lasst uns gehen  ​211 Zu Ostern in Jerusalem  ​212 Zwei Ding, o Herr, bitt ich von dir  ​229

Verzeichnis der Personennamen Ackermann, Andrea  ​223 Adam, Adolf  ​128 Adolph, Gustav  ​206 Akhøj Nielsen, Marita  ​137 Alain, Marie-Claire  ​237–239 Albrecht, Alois  ​28 Albrecht, Christian  ​17, 30, 59, 231 Aldenberger, Johann  ​194 Alkier, Stefan  ​91 f., 96 f. Alpermann, Ilsabe  ​229, 231 Altenberger, Johann  ​194 Ameln, Konrad  ​136, 139 f., 143–146, 152, 160, 172, 191 Ammermann, Norbert  ​229 Anselm, Reiner  ​30 Apel, Nikolaus  ​166 f., 178 Arnd, Sabine  ​99 Arnold, Jochen  ​130, 221 f., 231, 233 Arnulf von Löwen  ​153, 199 Asche, Matthias  ​208 Assel, Heinrich  ​219 Atten, Christa  ​233 Augustin, George  ​102 Augustin, Regina  ​103 Aumüller, Gerhard  ​223 Avemarie, Friedrich  ​95 Babst, Valentin  ​160, 165, 170 Bach, Johann Sebastian  ​164, 169, 178, 185, 190, 222, 237 Backes, Julian R.  ​92 Bahr, Hans-Eckehard  ​29, 38 f., 58 Bar-Asher, Michael  ​98 Bares, Rudolf Peter  ​130 Bargheer, Friedrich  ​10 Bärsch, Jürgen  ​103 Barth, Friedrich Karl  ​29 Baston, Jean-Pierre  ​237 Bauckham, Richard  ​96 Baumann, Heinz  ​28 Bäumker, Wilhelm  ​197 Becker, Dieter  ​19 Becker, Eve-Marie  ​78 Becker, Hansjakob  ​222

Becker, Jürgen  ​76 Beethoven, Ludwig van  ​168 Bellanger, Emmanuel  ​236 Bender, Annika  ​104 Bender, Michael Benedict  ​232 Benini, Marco  ​228 Benoit-Otis, Marie-Hélène  ​237 Berckenmayr, Georg  ​148 Berg, Klaus  ​211 Berger, Andreas  ​205 Berger, Klaus  ​91 Berger-Zell, Carmen  ​132 Bergsma, Johannes  ​211 Bernhard von Clairvaux  ​199 Bernoulli, Peter Ernst  ​231 Bieritz, Karl-Heinrich  ​19, 22 Binder, Christian  ​19 Bischoff, Paul  ​28 Bitsch-Molitor, Mechthild  ​222 Bittger, Hans-Hermann  ​211 Bloch, Ernst  ​38 Block, Detlev  ​216 Block, Johannes  ​229 Blume, Friedrich  ​176 Bobert, Sabine  ​19 f. Bobowski, Wojciech  ​234 Böckenförde, Hermann  ​31, 36 Bodenschatz, Erhard  ​223 Boës, Adolf  ​139 f. Böhm, Christiane  ​84 Böhme, Franz Magnus  ​160 Böker-Heil, Norbert  ​171 Bonhoeffer, Dietrich  ​39, 214 Bonnet, Alain  ​236 Bormann, Lukas  ​65 Böttigheimer, Christoph  ​105 Böttrich, Christfried  ​92 Bourcier, Michel  ​238 Bourgeois, Loys  ​234 Brand, Fabian  ​130 f. Breckwoldt, Tina  ​231 Brinkel, Bernardus Gerhardus Franciscus  ​ 213 Brödel, Christfried  ​221

Verzeichnis der Personennamen Brons, Martin  ​105 Brünenberg-Bußwolder, Esther  ​92 Bubmann, Peter  ​105, 221 Büchner, Arno  ​145, 152, 154 Bugenhagen, Johannes  ​136, 220 Bukovec, Pedrag  ​95, 103 Burkett, Delbert  ​76 Burkhardt, Ulrich  ​16–18 Burmeister, Joachim  ​223 Butticaz, Simon  ​85 Buxtehude, Dieterich  ​238 Buxtehude, Dietrich  ​220 Calais, Patrick  ​237 Caloun, Elisabeth  ​106 Calvisius, Seth  ​170, 185, 188 f., 223 f., 228 Carawan, Guy  ​211, 214 Carenco, Céline  ​239 Cartayrade, Alain  ​237 Carter, Sydney B.  ​222 Castelló, Esteban Hernández  ​230 Cazaux-Kowalski, Christelle  ​236 Chapuis, Michel  ​238 Chevallier, Lucien  ​239 Chiang, Yu-Ring  ​220 Chouvel, Jean-Marc  ​239 Christiansen, Rolf  ​4 4, 51, 53 f., 60 Christopher, Dany  ​79 Clay, William K.  ​201 Coler, Johannes  ​193 Conovius, Michael  ​220 Cornehl, Peter  ​10, 29, 31, 34, 36, 38, 44, 51, 53 f., 56, 58, 62 Cornelius, Anna  ​72 Corvinus, Antonius  ​176 f. Cottin, Jérôme  ​237 Crüger, Johann  ​165 f., 169–171, 185, 190 f., 223 f., 226 Culpepper, R. Alan  ​81 Czachesz, István  ​75 Czajkowski, Luise  ​227 Czepko, Daniel  ​201 Dafni, Evangelia  ​95 Dahlgrün, Corinna  ​33, 49, 58 Daiber, Karl-Fritz  ​10 Dalferth, Ingolf U.  ​66 Daniel, Thomas  ​223 f.

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Dannecker, Klaus Peter  ​127 de Séverac, Déodat  ​238 Decius, Nikolaus  ​168, 170, 176 f., 189 Deeg, Alexander  ​105, 122, 222 Dehlinger, Frieder  ​231 Delahaye, Étienne  ​239 Despotis, Athanasios  ​85 Dettwiler, Andreas  ​85 Dicke, Gerd  ​224 Didier, Béatrice  ​239 Dietrich, Fritz  ​206 Dilherr, Johann Michael  ​193 Dirschauer, Klaus  ​19 Dohmen, Christoph  ​67 Domay, Erhard  ​10 Döring, Gottfried  ​152 Dörner, Gerald  ​99 Dörr, Friedrich  ​228 d’Ortigue, Joseph  ​236 Dreves, Guido Maria  ​202 Drews, Alexander  ​70 Drexel, Valentin  ​205 Drèze, Céline  ​237 Dublanc, René  ​230 Duffe, Helmut  ​211 Dumas, Bertrand  ​236 Dumont, Martin  ​236–239 Dunne, John Anthony  ​87 Ebeling, Johann Georg  ​224 Ebeling-Winkler, Renate  ​232 Eber, Paul  ​136–156, 228 f. Eberlein-Riemke, Christiane  ​54 Ebner, Martin  ​88 Eck, Sebastian  ​106 Eckhardt, Benedikt  ​107 Eckstein, Hans-Joachim  ​87 Egger, Klaus  ​131 Eggimann, Agathe  ​36 f., 39 f. Eggimann, Ernst  ​36 Elger, Georg  ​220 Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg  ​ 194 Emmanuel, Maurice  ​238 Engemann, Wilfried  ​14 Ernst, Willibald  ​227 Estborn, Sigfrid  ​153 Étienne, Jean-Luc  ​238 Eulenberger, Klaus  ​10

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Verzeichnis der Personennamen

Evang, Martin  ​229, 231 Falck, Georg  ​224 Fata, Márta  ​226 Fath, Sébastien  ​237 Favier, Thierry  ​239 Fechtner, Kristian  ​11, 20 Feldmeier, Reinhard  ​66 Fendler, Folkert  ​22, 113 Fillmann, Elisabeth  ​220 Finck, Heinrich  ​171 Finnern, Sönke  ​6 4 Finscher, Ludwig  ​176 Fischart, Johann  ​193 Fischer, Albert Friedrich Wilhelm  ​152, 194, 203, 206 f. Fischer, Michael  ​220, 232 Fitschen, Klaus  ​60 Fix, Karl-Heinz  ​12, 19, 23 Flaminio, Marc Antonio  ​200 f. Flieher, Bernhard  ​232 Florentz, Jean-Louis  ​238 Föllmi, Beat  ​224, 236 f., 239 Fontane, Theodor  ​226 Fornaçon, Siegfried  ​145, 152, 154, 176 Förster, Hans  ​77, 82 Fortunatus, Venantius  ​202 Franck, Melchior  ​204–206, 208 Frandsen, Mary E.  ​220 Franz, Ansgar  ​224, 227, 229, 231, 233 Franz von Assisi  ​213 Frey, Jörg  ​65, 68, 72 f., 75, 81 Freylinghausen, Johann Anasthasius  ​ 165, 191 Friedrichs, Lutz  ​8 , 10 Gäckle, Volker  ​76 Gajek, Esther  ​232 Gassmann, Günther  ​30 Gattwinkel, Hilmar  ​22, 113 Geay, Gérard  ​237 Geerken, Gerd  ​211 Geete, Robert  ​153 Gehrt, Daniel  ​136, 143, 147, 152, 228 Geiger, Michaela  ​96 Geldhof, Joris  ​122 Gellert, Christian Fürchtegott  ​232 Geoffroy, Olivier  ​237 Georg, Joachim  ​222

Georges, Tobias  ​97 Gerhards, Albert  ​8 , 107 Gerloff, Peter  ​231 Gese, Johannes  ​145 f. Gesius, Bartholomäus  ​223 f. Gibson, Colin  ​231 Gidion, Anne  ​12, 17, 130, 222 Gigandet-Imsand, Sarah  ​126 Glaser, Petrus  ​148 Gogarten, Friedrich  ​21 Goldschmidt, Stephan  ​131 Gollin, Heidi  ​50 Gollin, Jochen  ​50 Goltz, Maren  ​230 Gorka, Eckhard  ​130 Gothus, Petrus Johannis  ​149 Goudesenne, Jean-François  ​236 Goudimel, Claude  ​234 Gräb, Wilhelm  ​23 Gräb-Schmidt, Elisabeth  ​72, 116 Green, Michael  ​132 Green, Rosemary  ​132 Greifenstein, Johannes  ​8 f., 61 Greiter, Mathias  ​177 Grenz, Gerhard  ​29 Greschat, Martin  ​56 Grethlein, Christian  ​29 f., 53, 58, 60 f., 108 Grigat, Claudius  ​133 Gronau, Daniel Magnus  ​225 f. Großhans, Hans-Peter  ​66 Gruber, Franz Xaver  ​231 f. Grudule, Māra  ​220 Grundtvig, Nikolai Frederik Severin  ​ 139, 154, 220 Grunewald, Eckhard  ​173 Grünstäudl, Wolfgang  ​98 Grünwaldt, Klaus  ​19 Grüter, Verena  ​221 Guerriero, Elio  ​108 Gugeler, Walter  ​54 Guillot, Pierre  ​238 Gustav Adolph  ​206 Gutenberger, Gudrun  ​77 Habermann, Johann  ​138, 148 f. Habringer-Hagleitner, Silvia  ​106 Hache, Sophie  ​239 Hahn, Ferdinand  ​30

Verzeichnis der Personennamen Hahn, Gerhard  ​177, 229 Hahn, Udo  ​19 Halter, Thomas  ​233 Hamilton, Frank  ​211, 214 Hamnes, David Scott  ​220 Handt, Hartmut  ​231 Hanheide, Stefan  ​205 Hanke, Gregor M.  ​108 Hanke, Matthias  ​235 Hanusch, Rolf  ​62 Harbsmeier, Eberhard  ​220, 226 Harbsmeier, Götz  ​21 Harland, Philip A.  ​107 Härle, Wilfried  ​11 Harnack, Theodosius  ​10, 12 f. Haspelmath-Finatti, Dorothea  ​103 Haßler, Hans Leo  ​223 f. Haunerland, Winfried  ​103, 128 Hausammann, Andreas  ​222 Haußmann, Annette  ​27 Haverkamp, Dorothea  ​222 Haydn, Michael  ​232 Heckel, Ulrich  ​74 Heckmann, Harald  ​171 Heesch, Matthias  ​230 Heide-Münnich, Marion  ​217 Heider, Martin  ​231 Heidrich, Jürgen  ​225, 230 Heilmann, Jan  ​6 4 Heim, Burkhard  ​26 Heim, Hanns  ​42 Heinen, Karin  ​212 Heitmeyer, Erika  ​225 Hellholm, David  ​71, 109 Henkys, Jürgen  ​177 Herbst, Wolfgang  ​210 Herman, Nikolaus  ​147, 229 Hermelink, Jan  ​19 Hermes, Michael  ​211 Hermle, Siegfried  ​31, 60 Herms, Eilert  ​110 Herrmann, Eckhard  ​16–18 Herrmann, Katharina  ​27 Herteux, Leonie  ​232 Herzer, Jens  ​68 Hétier, Denis  ​237 Heuerding, Barbara  ​132 Heupts, Cordula  ​221 Heymel, Michael  ​216, 221

Hildegard von Bingen  ​178 Hilpert, Konrad  ​30 Hinze, Horst  ​233 Hirschberg, Corinna  ​102 Hirsch-Hüffell, Thomas  ​12, 17 Hirschmann, Wolfgang  ​225 f. Hochradl, Karin  ​232 Hochradner, Thomas  ​232 Hödl, Hans Gerald  ​111 Hoegen-Rohls, Christina  ​70 Hoffmann, Johannes  ​231 Hofmann, Andrea  ​230 Holl, Hildemar  ​232 Holm, Anders  ​220 Holmes, Christopher T.  ​89 Hölscher, Michael  ​77 Holtz, Gudrun  ​85 Holze, Heinrich  ​220 Hoondert, Martin J. M.  ​220 Horn, Friedrich W.  ​74, 83 Horst, Peter  ​29 Horton, Zilphia  ​211, 214 Hoyer, Arnd  ​112 Hubert, Gabriella H.  ​226 Huck, Oliver  ​230 Hultgren, Stephen  ​79 Hupfauf, Sandra  ​232 Hutter, Ernestine  ​232 Hüttenhoff, Michael  ​68 Ilsøe, Harald  ​147 Isik, Tuba  ​221 Jager, Cornelia  ​112 Jahn, Christine  ​231 Janssen, Piet  ​211 Jantsch, Torsten  ​79 Jeep, Johann  ​196 f. Jehle, Volker  ​224 Jelsma, Simon  ​212 Jenny, Markus  ​191 Jetter, Werner  ​12 Joachim zu Anhalt  ​145 f. Joas, Esther Marie  ​75 Jordahn, Bruno  ​11, 13, 20 Jörns, Klaus-Peter  ​33 Jost, Michael R.  ​72 Jost, Werner  ​217 Joubert, Stephan  ​69

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Verzeichnis der Personennamen

Juhre, Arnim  ​212 Jung, Martina  ​132 Jürgens, Henning P.  ​173 Kadelbach, Ada  ​174 Käfer, Anne  ​68 Kammler, Hans-Christian  ​81 Karrer, Martin  ​9 0 Käsemann, Ernst  ​4 4 Kaspari, Tobias  ​113 Katholm, Rasmus  ​137–139, 147, 154 Kayser, Johann  ​203 Kayser, Susanne  ​222 Kendrová, Zlatica  ​226 Kessler, Rainer  ​97 Khuens, Johann  ​228 Kierkegaard, Sören  ​220 Kindermann, Ilse  ​171 Kindermann, Johann Erasmus  ​193 King, Martin Luther  ​4 4 Kipnis, Levin  ​234 Kirschbaum, Christa  ​221 Kjærgaard, Jørgen  ​226 Klaiber, Walter  ​80 Klaus, Bernhard  ​19 Kleinehagenbrock, Frank  ​208 Klek, Konrad  ​226, 230, 232 Klie, Thomas  ​8 , 11, 19 f., 22, 24, 113 Kliefoth, Theodor  ​10 Klinghardt, Matthias  ​6 4 Klöckener, Martin  ​103 Klöckner, Stefan  ​225 Klug, Joseph  ​160, 162, 166–170, 180, 182 Klumbies, Paul-Gerhard  ​69, 79 Knudsen, Thomas  ​147 Knüpffer, Philipp  ​136 Koch, Kai  ​222 Kociumbas, Piotr  ​220 Kohlbrenner, Johann Franz Seraph  ​227 Kohle, Maria  ​225 Kohnle, Armin  ​230 Kollmann, Bernd  ​75 Kollwitz, Käthe  ​218 Kolrose, Johann  ​174 König, Bernhard  ​221 König, Franziska  ​136, 228 Konradt, Matthias  ​77 Kopp, Stefan  ​113 f., 127 Körner, Felix  ​114

Korth, Hans-Otto  ​158, 160, 162, 166, 168, 170, 173 f., 176, 179 f., 191 f., 225 Körtner, Ulrich H. J.  ​128 f. Kousgård Sørensen, John  ​137 Kraft, Sigisbert  ​212 Kramp CJ, Igna Marion  ​82 Kranemann, Benedikt  ​8 , 103, 107, 127 Kraus, Wolfgang  ​68 Krauter, Stefan  ​95 Kreitzscheck, Dagmar  ​73 Krenzer, Rolf  ​212 Kretschmar, Georg  ​30 Kreuzer, Siegried  ​96 Krobath, Heinz  ​26 Kruse, Martin  ​29 f. Krüger, Ekkehard  ​225 f. Kugler, Georg  ​32, 42–54, 60 Kühlmann, Wilhelm  ​193 Kulp, Johannes  ​145, 152, 154 Kunter, Katharina  ​60 Kunz, Ralph  ​20, 23, 115 Küster, Konrad  ​219 Labahn, Michael  ​63 Landmesser, Christof  ​65, 69, 93 f. Landorff, Lutz  ​53 Lang, Friedrich  ​30 Lange, Barbara  ​220 Lanzinger, Daniel  ​79 Lasius, Christopher  ​151 Laumer, August  ​127 Lætus, Erasmus  ​147 Lehmann, Karl  ​50 Lehmann, Leonhard  ​133 Lehnert, Christian  ​12 Leisentrit, Johann  ​178, 183, 188, 224 Lenglachner, Phillipp  ​227 f. Lensch, Marten  ​133 Leonhard, Clemens  ​107 Lepp, Claudia  ​31, 60 Leppin, Hartmut  ​96 Leppin, Volker  ​136, 143, 147, 152, 228 Lessing, Eckhard  ​27 Leube, Bernhard  ​221, 229, 231, 235 Lewon, Mark  ​162 Liedgren, Emil  ​153 Lindner, Herbert  ​42, 44–47, 49–51 Link, Hans-Georg  ​51 Lipphardt, Walther  ​191

Verzeichnis der Personennamen Li, Soeng Yu 87 Lobwasser, Ambrosius 195 f. Loehr, Johanna 143 Loersfeld, Johann 159 Löhlein, Johannes 127 Löhr, Hermut 33 Lossius, Lucas 141–146, 155 Löwe, Hartmut 30 Ludovicus, Laurentius 153 Lumma, Liborius Olaf 133 Lundberg, Mattias 220 Lundgreen-Nielsen, Flemming 137 Lüstraeten, Martin 115 Lütcke, Karl Heinrich 231 Luth, Jan R. 173 Luther, Martin 141, 156, 158 f., 161 f., 164, 166–168, 172, 174, 177–183, 186 f., 189, 191, 220, 224–226, 229 f., 232 Luther, Susanne 75 Lütolf, Max 191 Lütteken, Laurenz 191 Lütticken, Johannes 30 Lutz, Samuel 116 Lyster, Jens 136–139, 142, 148, 151, 153 MacArthur, Terry 222 Machabæus, Johannes 147 Mackert, Christoph 227 Macrin, Salmon 201 Magaard, Hildegund  ​54 Mähl, Hans-Joachim  ​11 Mahrenholz, Christhard  ​164, 176, 191 Mailänder, Richard  ​231 Mancurtius, Franciscus Maria  ​200 Marot, Clément  ​201 Marshall, Jill E.  ​86 Marti, Andreas  ​220 f., 223, 226 f., 229, 231, 233 Marti, Kurt  ​35 f., 40, 42, 49 Matthes, Claudia ​71 Mawick, Gudrun  ​231 Mayfarth, Matthäus  ​206 McMullen, Dianne M.  ​185, 226 Meding, Wichmann von  ​30 Meier, Peter  ​36 Meier, Siegfried  ​231 Meiser, Martin  ​96 Melanchthon, Philipp  ​136, 156 Mendelssohn Bartholdy, Felix  ​226

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Merkel, Ute  ​207 Merten, Werner  ​229 Merz, Annette  ​75 Merzbacher, Dieter  ​226 Meßner, Reinhard  ​128 Metternich, Josef  ​212 Metz, Johann Baptist  ​4 4 Metzner, Ernst Erich  ​229 Metzner, Rainer  ​9 0 Meyer, Dietrich  ​226 Meyer, Harding  ​30 Meyer, Karlo  ​68 Meyer, Michael  ​223 Meyer-Blanck, Michael  ​8 , 11, 14, 20, 23, 130 Meyfarth, Matthäus  ​205–208 Mezger, Manfred  ​17 Michel, Josef  ​212 Michel, Stefan  ​143–147, 228 Miersemann, Wolfgang  ​162, 191 f., 225 f. Mirchell, Margaret M.  ​83 Mitterauer, Michael  ​232 Mitterecker, Thomas  ​232 Mohn, Jörg  ​117 Mohr, Joseph  ​231 f. Moller, Martin  ​199 Moltmann, Jürgen  ​39 Morent, Stefan Johannes  ​178 Moser, Paul  ​36 Moulinet, Daniel  ​238 Moxter, Michael  ​66 Muchlinksy, Frank  ​133 Mühling, Markus  ​19 Mul, Jan  ​213 Müller-Fahrenholz, Geiko  ​50 Münch, Marc-Mathieu  ​239 Mundt, Lothar  ​201 Murray, Shirley Erena  ​231 Musculus, Andreas  ​148, 199 Mützel, Balthasar Nicolaus  ​194, 208 Mützels, Balthasar Nicolaus  ​195 Nadjé-Wirth, Christiane  ​133 Napp, Thomas  ​174 Naumann, Bettina  ​12, 42, 45 Navon, Moshe  ​118 Neijenhuis, Jörg  ​99 Neitsov-Mauer, Kristel  ​226

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Verzeichnis der Personennamen

Nestele, Ernst  ​8 Neubauer, Hans  ​217 Neubauer, Käthe  ​217 f. Neuendorf, Paul A.  ​147 f. Neuhaus, Lisa  ​134 Neumann, Thomas  ​128 Neumeister, Erdmann  ​206 Neureiter, Michael  ​232 Nicklas, Tobias  ​75 Niebergall, Alfred  ​33 Nielsen, Karl Martin  ​153 f. Nitsch, Johannes  ​213 Nölle, Volker  ​12 Novalis (Friedrich von Hardenberg)  ​11 Nüchtern, Michael  ​14 Nuß, Luitgard  ​208 Nyström, David E.  ​95 Odenthal, Andreas  ​128 Oelke, Harry  ​31 Oeming, Manfred  ​74 Öhler, Markus  ​6 4, 84 Oldeland, Hans  ​139, 151 Olearius, Johann Christoph  ​206 Oosterhuis, Huub  ​211, 230 Opitz, Martin  ​202, 209 Opitz, Peter  ​230 Osiander, Lucas  ​223 f. Otto, Gert  ​17 Oxen, Kathrin  ​130, 222 Papadimitriou, Nicolas  ​239 Papandreou, Damaskinos  ​30 Paul, Jean  ​226 Paulsen, Thomas  ​91 Paynter, Maximilian  ​83 Petermayr, Klaus  ​232 Peters, Albrecht  ​42 f., 49 Peters, Frank  ​130 Petersen, Birger  ​238 Petersen, Silke  ​94 Petit, Élise  ​239 Petzsch, Christoph  ​160 Pichard, Jacques  ​238 Pichler, Josef  ​97 Pilz, Winfried  ​213 Plas, Michel van der  ​213 Plieth, Martina  ​14 Plisch, Uwe-Karsten  ​102

Pock, Johann  ​111 Popkes, Enno Edzard  ​94 Poplutz, Uta  ​70 Pötzsch, Arno  ​213, 216–218 Pötzsch, Helene  ​216 Praetorius, Michael  ​223 f. Preul, Reiner  ​11, 72, 116 Probst, Manfred  ​118 Prosinger, Wolf-Dieter  ​232 Pulsfort, Ernst  ​62 Rajic, Christine  ​97 Ramaut, Alban  ​239 Ratzmann, Wolfgang  ​8 , 11, 14, 28, 230 Ravasz, Hajnalka  ​88 Redtenbacher, Andreas  ​102, 119 Reese, Günter  ​25 Reibel, Emmanuel  ​239 Reich, Christa  ​178, 231 Reich, Philipp  ​221 Reifenberg, Hermann  ​30 Reiter, Martin  ​233 Reravius, Rasmus Hansen  ​137–139, 149, 151, 154 Reuber, Kurt  ​217 Rhau, Georg  ​160, 182 Richert Pfau, Marianne  ​178 Riehm, Heinrich  ​30 Rietschel, Georg  ​10 Rikovijus, Jonas  ​220 Rist, Johann  ​230 Ritzsch, Gregor  ​205 Röbbelen, Ingeborg  ​10 Roessler, Roman  ​28–30 Roggenkamp, Antje  ​60 Rollenhagen, Georg  ​193 Roloff, Jürgen  ​58 Rørdam, Holger Fr.  ​147 Rosenberger, Burkard  ​226 Rößler, Martin  ​143–145, 147, 155 f. Roth, Daniel  ​238 Roth, Ursula  ​12, 14, 19, 23 Rothenberger, Eva  ​224 Ruddat, Günter  ​28, 32 Rüggemeier, Jan  ​6 4, 78 Runte, Heinrich  ​21 Ruopp, Johann Friedrich  ​213 Rusam, Dietrich  ​89 Rydryck, Michael  ​97

Verzeichnis der Personennamen Salmen, Walter  ​160 Sänger, Dieter  ​71, 109 Sattler, Basilius  ​206 f. Saubert, Johann  ​206 Sauter, Hanns  ​134 Saxer, Ernst  ​230 Schabram, Kai Marius  ​230 Schäfer, Christiane  ​220, 224, 233 Schäfer, Peter  ​69 Schäfer, Rolf  ​21 Schäfer, Simon-Martin  ​86 Schaller, Christian  ​68 Scheidt, Samuel  ​206 Schein, Johann  ​223 Scheitler, Irmgard  ​193, 195, 226, 228 Schelle, Johann  ​226 Scherf, Joachim  ​213 Schilling, Johannes  ​229 f. Schilling, Werner  ​4 4, 49 f., 53 Schindling, Anton  ​208, 226 Schirr, Bertram J.  ​23, 119 Schlee, Andreas  ​216 Schlee, Katrin  ​216 Schleiermacher, Friedrich  ​9, 220 Schliesser, Benjamin  ​73 Schmeel, Dieter  ​213 Schmidt, Beate Agnes  ​222 Schmidt, Bernhard  ​225 f., 229, 231 Schmidt, Christian  ​233 Schmidt, Eckart David  ​67 Schmidt, Heinz Günther  ​31 Schmidt, Klaus  ​31 Schmidt, Thomas  ​231 Schmidt-Lauber, Hans-Christoph  ​19 f. Schmitz-Jeronim  ​222 Schnath, Gerhard  ​28 f. Schneider, Matthias  ​220, 222 Schneider-Harpprecht, Christoph  ​11, 22 Schnitter, Gerhard  ​231 Schnurr, Balthasar  ​193–199, 202 f., 205–209 Schnurr, Johann  ​196 Scholz, Stefan  ​134 Schonaeus, Cornelis  ​196 f. Schönberg, Arnold  ​237 Schott, Johann Georg  ​223 f. Schramm, Luise  ​128 Schreiber, Stefan  ​88 Schröer, Henning  ​28, 32, 54

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Schröter, Jens  ​85, 97 Schröter, Martin  ​214 Schubart, Christian Friedrich Daniel  ​ 232 Schubert, Anselm  ​120 Schuler, Christoph  ​223 Schulz, Frieder  ​30, 32, 43 Schulze, Markus  ​102 Schütz, Heinrich  ​222–225 Schwarz, Konrad  ​97 Schweher, Christoph  ​183 Schweighofer, Teresa  ​111 Schweizer, Eduard  ​30 Schwenkedel, Suzy  ​238 Schwier, Helmut ​63, 73, 130, 222 Schwindt, Rainer  ​120 Scotti, Guiseppe A.  ​68 Seclutianus, Jan  ​152 Seeger, Pete  ​211, 214 Seelbach, Ulrich  ​201 Seidel, Uwe  ​29, 31, 214 Seidenbusch, Johann Georg  ​227 Seitz, Manfred  ​11, 19 Selle, Thomas  ​230 Selnecker, Nikolaus  ​194–196 Seuffert, Josef  ​214 Sibylla Ursula zu BraunschweigLüneburg  ​226 Siefert, Hans  ​28 Sigismund, Marcus  ​96 Sill, Bernhard  ​134 Simowitsch, Jan  ​231 Simpfendörfer, Werner  ​30 Sixt, Christian Heinrich  ​147 Sladeczek, Martin  ​127 Slüter, Joachim  ​220 Smejkal, Jan David  ​223 Söding, Thomas  ​67, 93, 118, 120 Soellner, Franz  ​42 Söhngen, Oskar  ​164, 176 Sölle, Dorothee  ​31, 56 f., 59 Sophokles  ​197 Sorg, Jean-Paul  ​238 Sörries, Reiner  ​12 Spangenberg, Johann  ​176, 178 Sparre, Sieglinde  ​121 Speer, Christian  ​174 Spener, Philipp Jakob  ​33 Speratus, Paul  ​171

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Verzeichnis der Personennamen

Spieckermann, Hermann  ​66 Spiegel, Yorick  ​11 Springhart, Heike  ​73 Stäblein, Bruno  ​191 Staden, Johann  ​205 Staden, Sigmund Theophil  ​205 f. Stalmann, Joachim  ​191, 231 Standhartinger, Angela  ​128 Steffensky, Fulbert  ​31, 56 f. Steiger, Johann Anselm  ​122, 219, 230 Steinmann, Hans  ​148 Steinmetz, Michel  ​236 f. Steinmetz, Uwe  ​122 Stettler, Christian  ​84 Steurlein, Johann  ​228 Sthen, Hans Christensen  ​138 Stirm, Karl Heinrich  ​9 Stoellger, Philipp  ​66 Stollberg, Dietrich  ​10 Stoltz, Philipp  ​30 Stolz, Lukas  ​89 Strasser, Christian  ​232 Straubes, Karl  ​215 Strübel, Bettina  ​234 Stuflesser, Martin  ​122 f. Sunnderreiter, Gregor  ​189 Tenbergen, Teresa  ​222 Tenhaef, Peter  ​220 Tentzel, Wilhelm Ernst  ​209 Textorius, Caspar  ​223 Theißen, Gerd  ​70, 123 Theuer, Andy  ​122 Thielmann, Wolfgang  ​135 Thiessen, Matthew  ​98 Thomas, Matthew J.  ​85 Thomas, Wilhelm  ​191 Thomissøn, Hans  ​137–139, 147, 154 Thönissen, Wolfgang  ​114 Thurian, Max  ​51 Tilly, Michael  ​95 Tiwald, Markus  ​94 Tournemire, Charles  ​238 Traub, Andreas  ​234 Trautwein, Dieter  ​28–30, 42, 50 f. Trautwein, Ursula  ​50 Traxel, Gerhard  ​36–38, 41 Triller, Valentin  ​166–168, 170 Tümpel, Wilhelm  ​194, 203, 205

Uden, Ronald  ​24 Ueberschaer, Nadine  ​73, 81 Ufkî, Ali  ​234 Uhlhorn, Friedrich  ​17 Ulbrich-Bösch, Sabrina  ​227 Unger, Thorsten  ​193 Unkelbach, Peter  ​232 Urban, Hans  ​30 Valentin, Gerhard  ​212 Van den Heede, Philippe  ​92 Van der Leeuw, Gerardus  ​129 van Esschen, Johannes  ​173 van Oorschot, Jürgen  ​69 Vehe, Michael  ​224 Veit, Lothar  ​226, 231 Veit, Patrice  ​191, 226 Veits-Falk, Sabine  ​232 Velly, Jean-Jacques  ​236 Vilentas, Baltramiejus  ​220 Vischer, Lukas  ​30 Vogel, Harald  ​238 Vogl, Wolfgang  ​135 Vogt, Emanuel  ​214 Vogt, Fabian  ​135 Voigt, Gottfried  ​19 Voigt, Ulrike  ​222 Volgger, Ewald  ​124 Volp, Ulrich  ​76 von Bendemann, Reinhard  ​94 von Hagen, Hermann  ​149 von Spee, Friedrich  ​232 Vopelius, Gottfried  ​224 Vos, Hendrik  ​173 Vulpius, Melchior  ​223 f., 230 Wackernagel, Philipp  ​141 f., 144, 148, 154, 197, 199 Waczkat, Andreas  ​226 Wagner-Rau, Ulrike  ​11 Wahle, Stephan  ​124 Waldberg, Max von  ​194 f. Wald-Fuhrmann, Melanie  ​127 Waldvogel, Christina  ​227 Walter, Axel E.  ​219 f. Walter, Johann  ​158–165, 167, 172–174, 189 Walter, Meinrad  ​231 Walterskirchen, Gerhard  ​232 Walz, Friedrich  ​4 4, 46

Verzeichnis der Personennamen Warnier, Vincent  ​238 Weber, Édith  ​236–239 Weber, Jeremias  ​207 Wegener, Lydia  ​224 Wegscheider, Florian  ​103, 124 Wehnert, Jürgen  ​98 Weider, Eric  ​87 Weincke, Peter  ​220 Weise, Christian  ​226 Weiß, Alfred Stefan  ​232 Weiss, Christoph  ​124 Weiße, Michael  ​173, 185, 226 Werbeck, Walter  ​219 Werlin, Johannes  ​205 Wernz, Joachim  ​114 Westerholm, Stephan  ​92 Wetzel, Johann Caspar  ​206 f. Wexels, Wilhelm Andreas  ​139, 154 Weyel, Birgit  ​14 Weyer, Anselm  ​31 Weyer-Menkhoff, Stephan  ​113 Weyler, Tobias  ​123 Widding, S  ​147 Widmann, Erasmus  ​196–198, 234 Wikfeldt, Erhard  ​214 Wilk, Florian  ​84, 98 Wille, Hans-Dieter  ​54 Willer, Stefan  ​222 Willers-Vellguth, Christine  ​135 Willms, Wilhelm  ​214 Wilm, Ernst  ​42, 47–49 Wilson, Andrew J.  ​86 Winkler, Klaus  ​19

Winter, Friedrich  ​21 Winterfeld, Carl von  ​183 Wissemann, Antje  ​231 Wissemann-Garbe, Daniela  ​179, 219 Wolf, Carola  ​31, 43 Wolf, Gabriele  ​227 Wolff, Dominik  ​86 Wolff-Matthes, Sonja  ​216 Wolgast, Eike  ​99 Wolter, Michael  ​72, 92 Wotschke, Theodor  ​145, 152 Wurm, Adolf  ​215 Wüstholtz, Johann  ​196 Zager, Werner  ​125 Zahn, Johannes  ​147, 185, 192, 205 Zeindler, Matthias  ​115 Zenetti, Lothar  ​215 Zerfaß, Alexander  ​118, 128 Ziethe, Carolin  ​77 Zils, Diethard  ​29, 31, 213 Zimmerling, Peter  ​125, 230 Zimmermann, Johannes  ​26 Zimmermann, Petra  ​11 Zimmermann, Ruben  ​69, 75, 93 Zink, Jörg  ​215 Zinke, Ludger  ​28 Zinzendorf, Nikolaus Graf  ​226 Zippert, Christian  ​30, 32, 42 Zumstein, Jean  ​80 Zündorf, Carsten  ​231 Zwergius, Detlev Gotthard  ​137 Zwingli, Huldrych  230

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Ständige Berater Pfarrerin Dr. Ilsabe Alpermann, Berlin Dozent Günter Balders, Berlin Kantor Pfarrer Peter Ernst Bernoulli, Rümlingen / BL (Schweiz) Prof. Dr. Christfried Böttrich, Greifswald Prof. Dr. Bruno Bürki, Neuchâtel (Schweiz) Prof. Dr. Joachim Conrad, Püttlingen Prof. Dr. Peter Cornehl, Hamburg Dr. Ilona Ferenczi, Budapest (Ungarn) Prof. Dr. Gerhard Hahn, Regensburg Canon Prof. Dr. David R. Holeton, Toronto / Prag (Kanada / Tschechische Republik) Dr. Ada Kadelbach, Lübeck Prof. Dr. Konrad Klek, Erlangen Prof. Dr. Dr. Elsabé Kloppers, Pretoria (Südafrika) Prof. Dr. Hermann Kurzke, Mainz Dr. Helmut Lauterwasser, München Rev. Prof. Dr. Robin A. Leaver, Dover (USA) Pfarrer em. Dr. h. c. Jens Lyster, Broager (Dänemark) Dr. Andreas Marti, Liebefeld (Schweiz) Prof. Dr. Michael Meyer-Blanck, Bonn Prof. Dr. Michael Niemann, Rostock Prof. Dr. Franz Karl Praßl, Graz (Österreich) Prof. ém. Dr.ès lettres Édith Weber, Paris

Autorinnen und Autoren Autoren Liturgik Dr. Joahnnes Greifenstein Evangelisch-Theologische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München Geschwister-Scholl-Platz 1 80539 München Mail: [email protected] www.pt1.evtheol.uni-muenchen.de/ personen/greifenstein/index.html Dr. Annette Haußmann Westendstr. 36 80339 München Mail: annette.haussmann@outlook. com Katharina Herrmann Gronsdorferstr. 10 85540 Haar Mail: [email protected]

Prof. Dr. Jörg Neijenhuis Ruprecht-Karls Universität Heidelberg Praktische Theologie Mombertstr. 11 69126 Heidelberg E-Mail: [email protected] www.neijenhuis.de www.theologie.uni-heidelberg.de/ fakultaet/personen/neijenhuis.html Prof. Dr. Helmut Schwier Theologische Fakultät der Universität Heidelberg Karlstraße 16 69117 Heidelberg E-Mail: [email protected] www.theologie.uni-heidelberg.de/ fakultaet/personen/schwier.html

Autoren Hymnologie Prof. Dr. Beat Föllmi Professeur de Musique sacrée et d’hymnologie Université de Strasbourg Faculté de Théologie Protestante Palais Universitaire 9 place de l’Université / BP 90020 F-67084 Strasbourg Cedex [email protected] http://theopro.unistra.fr/presentation/ enseignants-chercheurs/equipeactuelle/b-foellmi/ Prof. Dr. theol. Wolfgang Herbst Kleinschmidtstraße 52 69115 Heidelberg [email protected]

Pfr. i. R. Dr. habil. Michael Heymel Nietzschestr. 25 65191 Wiesbaden [email protected] www.michaelheymel.de Dr. Hans-Otto Korth Heckenpfad 16 341034 Kassel [email protected] Dr. theol. Jens Lyster Drosselvänget 8 DK-6310 Broager [email protected]

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Autorinnen und Autoren

Prof. Dr. phil. Irmgard Scheitler Schneebeerenweg 2 D-85072 Eichstätt [email protected] http://www.ndl2.germanistik.uniwuerzburg.de/mitarbeiter/ehemalig_ mitarbeiter_und_professoren_im_ ruhestand/scheitler/ Prof. ém. Dr. Édith Weber 1016 rue Thibaud F-75014 Paris [email protected]

Dr. Daniela Wissemann-Garbe Moischter Str. 52 35043 Marburg [email protected]