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Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie
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Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 59. Band 2020
Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 59. Band – 2020
Herausgegeben von Jörg Neijenhuis Daniela Wissemann-Garbe Alexander Deeg Irmgard Scheitler Matthias Schneider Helmut Schwier in Verbindung mit der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie, dem Interdisziplinären Arbeitskreis Gesangbuchforschung Mainz, dem Liturgiewissenschaftlichen Institut Leipzig, der Liturgischen Konferenz Deutschlands
Vandenhoeck & Ruprecht
Begründet 1955 von Konrad Ameln, Christhard Mahrenholz und Karl Ferdinand Müller
Schriftleiter: Prof. Dr. Jörg Neijenhuis, Mombertstr. 11, 69126 Heidelberg E-Mail: [email protected] (Liturgik) Dr. Daniela Wissemann-Garbe, Moischter Str. 52, 35043 Marburg E-Mail: [email protected] (Hymnologie) Manuskripte und Rezensionsexemplare bitte nur an die Schriftleiter schicken.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-3466 ISBN 978-3-666-55796-5
Inhalt Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Liturgik Wir Angewiesenen Die skandalöse Identität der Glaubenden in der Liturgie Johannes Michael Modeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 „Wer da will selig werden …“ Eine (fast) vergessene Quelle zur frühen Liturgiegeschichte der Wittenberger Reformation und ihr Kontext Ernst Koch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Die Merkmale evangelisch-reformierter Gottesdienstpraxis Bruno Bürki . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Die reformierte Gottesdiensttradition in der umkämpften Grafschaft Saarwerden im Krummen Elsass Joachim Conrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Literaturberichte zur Liturgik Literaturbericht Liturgik Altorientalische, israelitisch-jüdische Religion und Altes Testament (2018–2019) Reinhard Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Literaturbericht Liturgik Deutschsprachige Länder 2019 (2018) Jörg Neijenhuis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Hymnologie Vom französischen zum deutschen Lied Die Melodie des Liedes „Freu dich sehr, o meine Seele“ (EG 524) Andreas Marti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
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Inhalt
Eine Neuentdeckung: Die „Editio VIII.“ (1659) der „Praxis Pietatis Melica“ von Johann Crüger Wolfgang Miersemann, Monika Suchan, Hans-Otto Korth . . . . . . . . 139 The Hymn Repertory of the Dresden Court Chapel in the Later Seventeenth Century Mary E. Frandsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Restauration? Ludwig Schoeberleins „Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesangs“ und die liturgische Erneuerungsbewegung des 19. Jahrhunderts Christoph Henzel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Wolle statt Wonne Miszelle zu Lavaters „Winterlied“ Peter Ernst Bernoulli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Corrigendum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Literaturberichte zur Hymnologie Literaturbericht zur Hymnologie Deutschsprachige Länder (2017, 2018) 2019 Daniela Wissemann-Garbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Literaturbericht Hymnologie Französischsprachige Länder 2019 Beat Föllmi / Édith Weber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Verzeichnis der Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Ständige Berater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
Geleitwort Das Jahrbuch wird mit einem Beitrag von Johannes Michael Modeß eröffnet, der eine Leitkategorie für den evangelischen Gottesdienst vorschlägt, die den Skandal des Kreuzes in den Mittelpunkt rückt. Modeß legt dar, wie dieses kreuzestheologisch und skandaltheoretisch geklärte Paradigma die theologischen, performativen und politischen Perspektiven auf den Gottesdienst in ihrem inneren Zusammenhang erfassen kann. Ernst Koch stellt eine fast vergessene Quelle zur frühen Liturgiegeschichte der Wittenberger Reformation vor; es handelt sich um einen 14 Blätter umfassenden Quartdruck des Jahres 1544 aus der Druckerei Georg Rhaw in Wittenberg, der auf Bitte der Gemeinde in Halle an der Saale hergestellt wurde. Darin abgedruckt sind die Psalmen 1, 2, 3 und 90 sowie das Symbolum Athanasianum, jeweils mit Antiphon und Notation, die wahrscheinlich für die Matutin verwendet wurden. Bruno Bürki benennt die Merkmale evangelisch-reformierter Gottesdienste – als da sind: das biblische Fundament, die Verkündigung, die Beteiligung der Gemeinde am Gottesdienst, die ökumenische Ausrichtung des Gottesdienstes, die Feier des Herrenmahls, die Fürbitte, der Bezug zum gesellschaftlichen und politischen Leben, das Kirchenlied – und setzt sich kritisch mit der gegenwärtigen Gestaltung und Entwicklung des reformierten Gottesdienstes auseinander. Joachim Conrad stellt die reformierte Gottesdiensttradition der umkämpften Grafschaft Saarwerden im Krummen Elsass (ein Gebiet im Nordwesten des Elsass, es gehört heute zum Département Bas-Rhin) dar, wie sie sich aufgrund der religiösen und der damit eng verbundenen politischen Entwicklung von den reformatorischen Anfängen bis heute ausgebildet hat. Seit der Fusion der kleineren Église protestante réformée d’Alsace et de Lorraine mit der größeren Église protestante de la Confession d’Augsbourg d’Alsace et de Lorraine zu einer Union im Jahr 2006 verringert sich allmählich das Bewusstsein für eine eigene, reformierte Tradition. Reinhard Müller legt einen Literaturbericht zum Alten Testament für die Jahre 2018 und 2019 vor, Jörg Neijenhuis bietet einen Literaturbericht zur deutschsprachigen Liturgik des Jahres 2019. Im ersten hymnologischen Beitrag zeigt Andreas Marti in einer Melodieanalyse, wie eine Umtextierung – hier von einem französischen Psalm zu einem deutschen Kirchenlied – einer Melodiestruktur eine neue ästhetische Bedeutung verleihen kann. Wenn Bibliotheken und wissenschaftliche Forschungsstellen zusammen arbeiten, kann es Überraschungen geben wie in dem im nächsten Aufsatz dokumentierten Fall. In der Dombibliothek Hildesheim (Monika Suchan) ist bei Katalogisierungsarbeiten ein Buch aufgetaucht ist, das von den Mitarbeitern des Hallenser Crüger-Projektes (Hans-Otto Korth, Wolfgang Miersemann) als verschollen geglaubte Berliner Ausgabe der Praxis Pietatis Melica, Editio VIII identifiziert wurde. Es wird hier ausführlich vorgestellt. Die Gottesdienste am Kurfürstlichen Hof in Dresden sind in Hoftagebüchern
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aus den Jahren von 1660 bis 1679 beschrieben. Das Besondere ist, dass dort sehr häufig die Lieder genannt werden, die gesungen wurden. Darüber verschafft Mary E. Frandsen in ihrem Beitrag einen Überblick. Eine umfassende Studie hat Christoph Henzel dem „Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesangs“ von Ludwig Schoeberlein gewidmet und dabei die liturgische Erneuerungsbewegung des 19. Jahrhunderts in den Blick genommen. Er plädiert dafür, in diesem Zusammenhang mit Schoeberlein eher von „Fortbildung“ als von „Restauration“ zu sprechen. In einer Miszelle klärt Peter Ernst Bernoulli über einen Druckfehler auf, der lange Zeit das Verständnis eines Lavaterliedes getrübt hat – was wieder einmal beweist, dass sich ein Blick in die ältesten Quellen lohnt. Es folgen die Literaturberichte deutschsprachiger und französischsprachiger Länder von Daniela Wissemann-Garbe bzw. Édith Weber und Beat Föllmi. Im September 2020
Die Herausgeber
Wir Angewiesenen Die skandalöse Identität der Glaubenden in der Liturgie
Johannes Michael Modess
1. Einleitung: Theologie und Gottesdienst Systematische Theologie und Liturgiewissenschaft verbindet eine ambivalente Geschichte. Von Peter Cornehl ist diese etwa so beschrieben worden, dass sich die Liturgiewissenschaft seit den 1970er Jahren von der „erdrückenden Dominanz der dogmatischen Gottesdienstlehre“1, vor allem Peter Brunners habe befreien müssen. Diese Befreiung habe in ein „Entweder-Oder zwischen Theorie und Theologie“2 des Gottesdienstes geführt, das noch immer wirksam sei. Mit diesem Narrativ hat Cornehl wohl Richtiges beschrieben. In dem für die Theologie des Gottesdienstes überaus produktiven Streit zwischen Wilhelm Gräb und Karl-Heinz Bieritz vor etwa 15 Jahren war es schließlich wiederum diese Alternative, die im Zentrum stand, wenngleich leicht modifiziert. Nun ging es um die Frage, ob Gottesdienst die Aufführung eines – nach theologischen Kriterien niedergeschriebenen – ‚Stückes‘ sei oder ob die Performanz des Gottesdienstgeschehens für sich betrachtet das Eigentliche sei.3 Das EntwederOder lautete nun: Entweder Theologie oder Kulturhermeneutik. Doch unabhängig davon, wie genau man das Gegenüber zu einer theologi schen Perspektive auf den Gottesdienst nennen mag, ob Theorie, Kulturhermeneutik, Ästhetik oder Empirie: die Vorstellung einer Unvermittelbarkeit einer Theologie des Gottesdienstes mit anderen liturgiewissenschaftlichen Perspektiven hält sich hartnäckig. 1 Cornehl, Peter: Der theologische Rahmen einer modernen Gottesdiensttheorie. Überlegungen im Zwischenraum, in: Mildenberger, Irene / R atzmann, Wolfgang (Hg.): Was für ein Stück wird hier gespielt? Zur Theologie des Gottesdienstes (Beiträge zu Liturgie und Spiritualität 25), Leipzig 2011, 69–93, hier: 70. 2 Cornehl, Peter: Der theologische Rahmen einer modernen Gottesdiensttheorie (wie Anm. 1), 69. 3 Bieritz, Karl-Heinrich: Perspektiven der Liturgiewissenschaft, in: Mildenberger, Irene / Ratzmann, Wolfgang (Hg.): Liturgie mit offenen Türen. Gottesdienst auf der Schwelle zwischen Kirche und Gesellschaft (Beiträge zu Liturgie und Spiritualität 13), Leipzig 2005, 9–30. Gräb, Wilhelm: Der Gottesdienst in der Kultur der Gegenwart, in: Arbeitsstelle Gottesdienst 17 (2003), Heft 1, 5–16; Ders.: Religion in der Moderne und die Perspektiven der Liturgie wissenschaft, in: Mildenberger, Irene / R atzmann, Wolfgang (Hg.): Liturgie mit offenen Türen (wie Anm. 3), 31–49.
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An dieser Vorstellung sind verschiedene Ansätze einer Theologie des Gottesdienstes nicht unschuldig. Denn wenngleich systematisch-theologische bzw. dogmatische Perspektiven heute weit davon entfernt sind, im Rahmen der liturgiewissenschaftlichen Debatte ‚erdrückend dominant‘ zu sein, so ist es doch ein Fehler dieser Ansätze, wenn sie eine essentialistische Frage nach dem ‚Wesen des Gottesdienstes‘ als Kernfrage einer Theologie des Gottesdienstes benennen und damit zumindest so gelesen werden könnten, als seien alle anderen liturgiewissenschaftlichen Perspektiven nicht mit dem Wesentlichen beschäftigt. In diesem aus systematisch-theologischer Perspektive verfassten Beitrag wird die Auffassung vertreten, dass es im Kontext der skizzierten Situation der Gottesdiensttheologie zweierlei braucht: einerseits ein Verständnis von ‚Theologie des Gottesdienstes‘, das in der Lage ist, theologische und theoretische Perspektiven auf den Gottesdienst miteinander zu verschränken und andererseits eine reflektierte Sicht auf Normativität. Wie kann die Theologie ihr Innovationspotential für Gottesdienste entfalten, ohne ‚erdrückend normativ‘ zu werden? 1.1 Fundamentalliturgische Ansätze und die Leitkategorie des Skandals des Kreuzes Ausgangspunkt sind dabei die Ansätze einer ‚Fundamentalliturgik‘ bzw. ‚liturgischen Fundamentaltheologie‘ von Alexander Deeg und Michael Meyer-Blanck. Deeg plädiert für eine „[a]bduktive Theologie der Liturgie“4. Damit ist gemeint, dass die verschiedenen theoretischen Perspektiven auf den Gottesdienst – empirische, historische, ästhetische, biblische, ökumenische usw. – insgesamt Teil einer Gottesdiensttheorie seien, die mit systematisch-theologischen Aussagen zum Gottesdienst ebenso vermittelt werden sollen wie mit der konkret gefeierten Liturgie. Für Deeg ist also das Entscheidende, „die Ebene der Reflexion und die Ebene der konkreten Gestaltung beieinander zu halten […] Ästhetisches und Theologisches werden in ihrem In- und Miteinander bedacht.“5 Einen ähnlichen Zugang wählt Michael Meyer-Blanck, wenn er eine ‚liturgische Fundamentaltheologie‘ vorschlägt, die ebenfalls ein Ineinander verschiedener miteinander vermittelter Perspektiven gewährleisten soll.6 Dieser Beitrag möchte aufzeigen, wie in der Spur dieser beiden jüngeren Vorschläge ein konkreter Entwurf einer Theologie des Gottesdienstes möglich wird, der sich vor allem anderen diesem Ineinander der verschiedenen Perspektiven auf den Gottesdienst und dem Zusammenhalten von theoretischer Reflexion und gefeierter Gestalt des Gottesdienstes verpflichtet weiß. Grund-
4 Deeg, Alexander: Das äußere Wort und seine liturgische Gestalt. Überlegungen zu einer evangelischen Fundamentalliturgik (APTLH 68). Göttingen 2012, 65 (Überschrift). 5 Deeg, Alexander: Das äußere Wort und seine liturgische Gestalt (wie Anm. 4), 469. 6 Meyer-Blanck, Michael: Gottesdienstlehre (Neue Theologische Grundrisse), Tübingen 2011, 76.
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lage des Entwurfes ist die Kategorie „Skandal des Kreuzes“7, die hier die programmatische Grundausrichtung der Gottesdiensttheologie vorgibt. Die These lautet: Der Kreuzesskandal als ein kreuzestheologisch und skandaltheoretisch geklärtes Paradigma kann als Leitkategorie für den evangelischen Gottesdienst theologische, performative und politische Perspektiven auf den Gottesdienst in ihrem Ineinander fassen. Das hier vorgeschlagene Programm „Gottesdienst als Skandal“ will Theologie des Gottesdienstes in beiderlei Gestalt sein – in deskriptiver wie in (reflektiert) normativer. Denn wenngleich schon lange erkannt wurde, dass ‚Theologie des Gottesdienstes‘ sowohl als genitivus subiectivus und damit deskriptiv, als auch als genitivus obiectivus und damit normativ verstanden werden kann, schlagen doch die meisten Beiträge zur Sache deutlich nach einer Seite aus.8 Wo Liturgie etwa im Sinne einer ‚Theologia prima‘ als Quelle theologischen Nachdenkens gesehen wird9, ist die deskriptive Seite stärker betont, wo die dogmatische Sicht ‚erdrückend dominant‘ wird, ist die normative Seite leitend. Im Spannungsfeld beider Lesarten des Genitivs heißt Theologie des Gottesdienstes einerseits: Theologie für den Gottesdienst. In dieser Hinsicht geht es um Kriterien gottesdienstlichen Handelns. Systematische Theologie und Dogmatik dürfen durchaus diese theologisch normative Perspektive einnehmen, sofern sie nicht an empirischen, ästhetischen, historischen, politischen und anderen Perspektiven vorbei agieren. Normativ ist eine solche Theologie freilich in dem Sinne, dass sie eine plausible Grundlage für gottesdienstliches Handeln bereitstellt. Menschen, die Gottesdienst gestalten, folgen implizit oder explizit Richtlinien, die konkrete Entscheidungen generieren. Wenn diese Richtlinien keine theologischen sind, dann werden es andere sein, etwa empirische (z. B. „Gestalte den Gottesdienst so, wie Leute in empirischen Untersuchungen sagen, dass es ihnen gefällt“10). Ein Verzicht der Theologie darauf, normative Angebote für den Gottesdienst zu machen, würde daher nicht zu weniger Normativität insgesamt führen, sondern dazu, dass Gottesdienstgestaltende sich an anderen Kriterien als theologischen orientieren. Normativität bedeutet dabei nicht Alternativlosigkeit: immer wird es mehrere legitime Gottesdiensttheologien geben. Aber aus der Sicht des Programms „Gottesdienst als Skandal“ lässt sich konkret fragen: Welche Kriterien lassen sich aus der Kategorie Skandal des 7 Ausgearbeitet habe ich den Entwurf in meiner Dissertation. Modeß, Johannes Michael: Gottesdienst als Skandal. Der Skandal des Kreuzes und die Theologie des Gottesdienstes. Dissertation Greifswald 2019. Das Buch erscheint 2021 beim Verlag Mohr Siebeck in der Reihe Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie. 8 Mein Eindruck ist, dass auch bei Jochen Arnold, der den doppelten Genitiv der Formel besonders stark macht, letztlich die deskriptive Seite deutlich stärker präsent ist. Zum doppelten Genitiv bereits Arnold, Jochen: Theologie des Gottesdienstes. Eine Verhältnisbestimmung von Liturgie und Dogmatik (VLH 39), Göttingen 2004, 30. 9 Vgl. etwa Lathrop, Gordon W.: Was ist Liturgische Theologie?, in: LK 6 (2015), 10–21, hier: 14. 10 Kriterien böte Pohl-Patalong, Uta: Gottesdienst erleben. Empirische Einsichten zum evan gelischen Gottesdienst, Stuttgart 2011.
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Kreuzes ableiten, um gottesdienstliches Handeln zu gestalten? Theologie des Gottesdienstes meint aber eben andererseits auch: Theologie, wie sie sich aus dem Gottesdienst ergibt. Diese deskriptive Perspektive hat dann die Aufgabe, zu erforschen, was zwischen den Zeilen und zwischen den Zeichen gottesdienstlichen Handelns theologisch passiert. Im Folgenden soll das Programm „Gottesdienst als Skandal“ zunächst vorgestellt werden (2.). Im Anschluss soll seine Leistungsfähigkeit anhand eines Argumentationsstranges gezeigt werden, der verdeutlicht, wie sich die Identität der Glaubenden in der Liturgie verstehen lässt, wenn der Skandal des Kreuzes als hermeneutische Brille und Gestaltungskriterium des Gottesdienstes fungiert. Dazu ist es skandaltheoretisch nötig, vorab einen ganz konkreten aktuellen Kontext zu benennen, der als Hintergrundfolie der erarbeiteten konkreten Vorschläge dient. Als diese Hintergrundfolie dient der Umgang mit dem Begriff des „Volkes“ in der Theologie der ‚Neuen Rechten‘ (3.). Dieser Diskurs ist schon deshalb eine Herausforderung für die Liturgik, weil diese Wissenschaft von einem Geschehen handelt, dessen Subjekt ebenfalls ‚Volk‘ heißt. Am Ende des Beitrags soll einerseits die konkrete These deutlich geworden sein, dass die Gemeinschaft, die im Gottesdienst ‚Wir‘ sagt, auf skandalöse Weise ihre eigene Identität so entwirft, dass sie neurechten Identitäts- und Volkskonzepten performativ widerspricht. Andererseits hoffe ich, dass sich gezeigt haben wird: Der Skandal des Kreuzes kann als hermeneutische Brille und Gestaltungskriterium des evangelischen Gottesdienstes dienen und das Ineinander verschiedener liturgiewissenschaftlicher Perspektiven gewährleisten.
2. Gottesdienst als Skandal. Ein gottesdiensttheologisches Programm Der Begriff „Skandal des Kreuzes“ wird hier verstanden als Synthese aus Ergebnissen der Kreuzestheologie und der Skandalforschung. In der Zusammenschau kreuzestheologischer und skandaltheoretischer Fragestellungen und Einsichten kristallisiert sich der „Skandal des Kreuzes“ als eine belastbare Kategorie für die Theologie des Gottesdienstes und die konkrete Liturgie heraus. 2.1 Kreuzestheologie Schon die Kreuzestheologie, wie sie sich seit biblischer Zeit bis in heterogene Debatten der Gegenwart ausgeprägt hat, lässt sich mit einem genuin skandaltheoretischen und gottesdiensttheologischen Interesse in den Blick nehmen. Denn, so die hier vertretene Interpretation, schon der wichtigste kreuzestheologische Grundlagentext des Protestantismus, nämlich Luthers Heidelberger Disputation, bestimmt Kreuzestheologie als Theologie für den Gottesdienst. Selten wird in Interpretationen vertiefend gefragt, was es eigentlich bedeutet, dass
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Luthers theologus crucis aus seiner bekannten 21. These der Heidelberger Disputation ein Redender ist. Luther schreibt (WA 1,362,21 f.): „Theologus gloriae dicit malum bonum et bonum malum, Theologus crucis dicit, id quod res est“. So weit, so bekannt. Umso verwunderlicher ist es, dass kaum jemand diesen Satz auf die Frage hin liest, was für ein Mensch dieser Theologus crucis eigentlich sein könnte. Im Rahmen einer gottesdiensttheologisch interessierten Lektüre lässt sich behaupten: Luthers Theologus crucis ist keinesfalls ein Schreibtischtäter. Viel eher eine Predigerin und Liturgin, die Woche für Woche von Gott reden11 und damit etwas nahezu Unmögliches vollbringen muss. Luther orientiert also mit seiner Kreuzestheologie diejenigen, die theologisch reden dürfen und müssen. Wesentliche Aufgabe der Kreuzestheologie ist also vor allem die Generierung von Kriterien verantwortbarer religiöser Rede, deren theologischer Ausgangspunkt das Kreuzesgeschehen ist.12 Damit ergibt sich: Der Gottesdienst ist zwar keineswegs der einzig mögliche Sitz im Leben einer Kreuzestheologie, aber durch Luthers implizite Charakterisierung des Theologus crucis als theologisch redendem Menschen ist er als solcher doch prädestiniert. Eine so als Theorie gottesdienstlichen Redens verstandene Kreuzestheologie hat ihr materiales Zentrum dabei gar nicht so sehr im Leiden des Gekreuzigten.13 Eine genaue Lektüre der Heidelberger Disputation zeigt: In der Beantwortung der Frage, wie Kreuzestheologinnen und -theologen von Gott reden können, gibt Luther seinen Lesenden kein materiales Kriterium an die Hand, sondern eines, das vor allem die Wirkung des Gesagten in den Blick nimmt. Um das zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, wie Luther ‚falsche‘ Gottesrede, also: Herrlichkeitstheologie bestimmt. Nimmt man zur Beantwortung der Frage die probationes zu den Thesen 19 und 20 in den Blick, so wird deutlich: Falsche Gottesrede ergibt sich aus dem Missbrauch der scheinbar richtigen Gotteserkenntnis. Herrlichkeitstheologinnen und -theologen (als Negativfolie der Kreuzestheologinnen und -theologen) erkennen die ‚richtigen‘ Attribute Gottes wie Kraft, Weisheit, Gerechtigkeit und Güte, aber sie reden missbräuchlich davon – und zwar so, dass sie sich in ihrem Bild von Gott eigentlich nur selbst verehren (dazu probatio zu These 7: WA 1, 358,6 f.). Falsche Gottesrede ist unter dem ‚theologisch Richtigen‘ verborgen! Gott gut zu nennen, wird also in den meisten Fällen meinen, das selbst als ‚gut‘ Erfahrene und Beurteilte als göttlich zu legitimieren. Und schon wird Gott zur Letztbegründung eigener Vorstellungen vom Guten. Gott schön zu nennen, ist in der Regel die Überhöhung eigener Schönheitsideale. Die Idee der Gerechtigkeit Gottes wird in der Regel eigene Vorstellungen vom Gerechten zur Grundlage haben und diesen 11 In These 21 der Heidelberger Disputation samt ihrer probatio begegnet insgesamt sechs Mal eine Form von dicere. 12 Es ist das Verdienst Günter Baders, die wesentliche Frage der Kreuzestheologie formuliert zu haben: „Was sagt der Kreuzestheologe, wenn er sagt, was die Sache ist?“ Bader, Günter: Was heißt: Theologus crucis dicit id quod res est?, in: Grünwaldt, Klaus / Hahn, Udo (Hg.): Kreuzestheologie – kontrovers und erhellend. FS Volker Weymann, Hannover 2007, 167–181, hier: 167. 13 Dies zu betonen, scheint mir vor allem auch angesichts berechtigter Anfragen feministischer Theologien an die kreuzestheologische Tradition wichtig.
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dadurch Legitimität verleihen. Wie auch immer – es gibt kein Entkommen aus der Struktur: In jeder Gottesrede, die nicht vom Kreuzesgeschehen, sondern von Natur, Geschichte und Alltag ausgeht, ist Gott insofern unter dem ‚theologisch Richtigen‘ verborgen, als dieser Gott als Garant des eigenen Weltbildes und als Letztbegründung der eigenen Interessen missbraucht wird. Luther ist überzeugt: Wird die Kreuzestheologie zur Basis der Gottesrede, dann kann genau diese Struktur unterbrochen werden. Am Kreuzesgeschehen orientiert, kann und muss es religiöse bzw. gottesdienstliche Rede leisten, von Gott so zu reden, dass sich der Mensch in der Rede nicht eigentlich selbst verehrt. 2.2 Skandal Von Luthers Kreuzestheologie führt also ein gar nicht so weiter Weg zur gottesdienstlichen Rede. Das kann aber fundamentalliturgisch noch nicht genug sein. Schließlich ist Gottesdienst mehr als Rede. Die Möglichkeit, von einer Theorie religiöser Rede fortzuschreiten zu einer Theorie gottesdienstlichen Zeichenhandelns, ergibt sich nun über die Klärung der Kategorie ‚Skandal‘. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich ein interdisziplinärer14 Forschungszweig Skandalforschung ausgebildet, der sich aus zahlreichen Perspektiven mit dem Phänomen Skandal auseinandersetzt. Skandalforschung rekurriert oft auf die biblischen Begriffsprägungen des Skandalonbegriffs, allerdings hat die Theologie in der Skandalforschung bis jetzt kaum mitgeredet.15 Dabei erweisen sich Grundergebnisse dieses Forschungsbereichs als weiterführend gerade für eine ‚abduktive Theologie‘ der Liturgie, die danach strebt, theologische und ästhetische Perspektiven auf den Gottesdienst miteinander zu vermitteln. Anzusetzen ist zu diesem Zweck bei einer Grundbestimmung von Skandalen, wie sie sich in modifizierender Auseinandersetzung mit dem sensus communis der Skandalforschung16 entwickeln lässt: Skandale sind öffentlich enthüllte Überschreitungen diskursiver Normen, die Entrüstung hervorrufen. Skandale überschreiten also Grenzen von Diskursen. Diese Beschreibung führt in dem hier relevanten Kontext schon deshalb weiter, weil Diskurse nicht nur sprachlich verfasst sind. Nach Foucault ist ein Diskurs ein System mit bestimmten Regeln, ein ‚Ordnungsmuster‘. Diese Regeln finden sich nirgends auf 14 Wesentlich beteiligt sind die Soziologie, die Kultur- und Medienwissenschaften, die Geschichtswissenschaften und die Politikwissenschaft. 15 Mir sind nur zwei theologische Beiträge bekannt, bei denen der Skandalbegriff mehr als beiläufig erwähnt und das Gespräch mit der Skandalforschung zumindest angedeutet wird: Soukup, Paul A.: Church, Media and Scandal, in: Lull, James / H inerman, Stephen: Media Scandals. Morality and Desire in the Popular Cultur Market Place, New York 1997, 222–239; Hodler, Beat: Das „Ärgernis“ der Reformation. Begriffsgeschichtlicher Zugang zu einer biblisch legitimierten politischen Ethik (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte, Abt. Religionsgeschichte 158), Mainz 1995, konnte nur auf die allerersten Anfänge des Forschungszweiges Bezug nehmen. 16 Vgl. dazu etwa Hondrich, Karl Otto: Enthüllung und Entrüstung. Eine Phänomenologie des politischen Skandals (edition suhrkamp 2270), Frankfurt / Main 2002, 40.
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geschrieben. Dennoch ist Foucault von der „Positivität des Diskurses“17 überzeugt, meint also, dass es die Regeln tatsächlich ‚gibt‘. Sichtbar werden solche Regeln immer besonders dann, wenn sie gebrochen werden – also beispielsweise in einem Skandal. Skandale beweisen zugleich die Positivität von Diskursen und ihre Unbewusstheit. Denn durch die Empörung, die ein skandalisiertes Verhalten auslöst, zeigen sich ex negativo die überschrittenen Diskursregeln. Mithilfe eines bekannten Beispiels lässt sich das verdeutlichen: Niemand hätte wohl je bewusst ein Gesetz formuliert, dass ein Minister bei seiner Vereidigung keine Turnschuhe tragen darf. Doch der Skandal, den Joschka Fischers Vereidigung zum hessischen Umweltminister 1985 auslöste, hat gezeigt, dass es ein solches Gesetz als ungeschriebenes Gesetz durchaus gab. ‚Ein Minister trägt weiße Turnschuhe bei einer Vereidigung‘ war eine Aussage, die im Rahmen des politischen Diskurses der BRD 1985 nicht denkbar war. Ein Skandal war die Folge. Dieses Beispiel zeigt, was wir aus diesem Zugang nun gottesdiensttheologisch gewinnen können: Diskurse regeln das Handeln von Menschen allgemein, nicht nur deren Sprechen. Dementsprechend sind Aussagen, aus denen Diskurse bestehen, nicht nur sprachliche18 Aussagen.19 Skandale lassen sich in all jenen Sprachen, mit all jenen Codes evozieren, für die besonders semiotische Zugangsweisen die Liturgik sensibilisiert haben: Mit Wort-, Körper-, Klang-, Objekt- und Sozialsprachen.20 Wo der Skandal des Kreuzes als skandaltheoretische und kreuzestheologische Kategorie zur Leitkategorie des Gottesdienstes wird, wird es möglich, nicht nur Gesprochenes, sondern auch Fremdsprachigkeit (Halleluja, Amen etc.), die Performanz des Sprechens, Mimik, Gestik, Bewegungen, Aspekte des Raumes, die liturgische Kleidung, Geräusche, Musik und vieles mehr nicht nur ästhetisch, sondern auch theologisch zu würdigen. Skandale sind also Phänomene, die auch Nonverbales umfassen. Ein zweiter Aspekt macht sie für die Fundamentalliturgik interessant, weil Skandale immer kontextuelle Phänomene sind. Als Grenzüberschreitungen funktionieren sie eben nur innerhalb bestimmter Diskurse. Skandalkulturen nennt man in der Forschung die spezifischen historischen, religiösen, politischen Vorprägungen, von denen ein Skandal und seine Wirksamkeit abhängt.21 Skandaltheoretisch sind verschiedene Dimensionen von Skandalkulturen erforscht. So weiß man, dass (1) die gleichen Missstände zur gleichen Zeit in einer Gesellschaft als Skandal gelten können, in einer anderen Gesellschaft nicht; (2) die gleichen Missstände in einer Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit als Skandal gelten 17 Landwehr, Achim: Historische Diskursanalyse (Historische Einführungen 4), Frankfurt / Main 22009, 70. 18 Landwehr, Achim: Historische Diskursanalyse (wie Anm. 17), 10. 19 Landwehr, Achim: Historische Diskursanalyse (wie Anm. 17), 95 u. ö. 20 Vgl. dazu insgesamt: Neijenhuis, Jörg: Gottesdienst als Text. Eine Untersuchung in semiotischer Perspektive zum Glauben als Gegenstand der Liturgiewissenschaft, Leipzig 2007, 1–155, bes. 70–155. Vgl. auch den Forschungsüberblick: Meyer-Blanck, Michael: Semiotik und Praktische Theologie (Research Report), in: IJPT 5 (2001), 94–133. 21 Bulkow, Kristin / Petersen, Christer: Skandalforschung. Eine methodologische Einführung, in: Dies. (Hg.): Skandale. Strukturen und Strategien öffentlicher Aufmerksamkeitserzeugung, Wiesbaden 2011, 9–25, hier: 13 f.
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können, zu anderen Zeiten aber nicht; und dass (3) gleiche Missstände in einer Gesellschaft in einer gewissen Zeit unter ganz anderen Aspekten thematisiert werden können als andernorts und / oder zu anderen Zeiten. Mit diesen Erkenntnissen ändert sich auch das Grundverständnis einer Theologie des Gottesdienstes. Denn wenn der Skandal des Kreuzes im angedeuteten kreuzestheologisch und skandaltheoretisch geklärten Sinn zur Leitkategorie des Gottesdienstes wird, kann die Gottesdiensttheologie gerade nicht nach dem ‚Wesen‘ des Gottesdienstes fragen, sondern muss sich auf die Suche nach kontextuell angemessenen Ausdrucksformen machen. Wo Gottesdienst vom Skandal des Kreuzes her gedacht wird, ist seine theologische ‚Wahrheit‘ nie eine absolute, sondern immer eine kontextuelle. Ein im vorgetragenen Sinn ‚skandalöser‘ Gottesdienst wird zu jeder Zeit an jedem Ort anders aussehen. 2.3 Der Skandal des Kreuzes – ein Bild, das nicht ins Bild passte Als ‚Gottesdienst als Skandal‘ sei also jenes Programm bezeichnet, das den Skandal des Kreuzes in der konkreten Situation einer Gemeinde re-inszeniert und zwar so, dass gottesdienstliches Handeln möglichst genau jene Wirkung erzeugt, deren Richtung die Heidelberger Disputation angezeigt hatte: Die Struktur menschlicher Selbst-Verehrung im Gottesbild soll unterbrochen, Gottes Missbrauch als Letztbegründung menschlicher Interessen unmöglich gemacht werden. Mithilfe des Skandals des Kreuzes lässt sich diese Wirkung noch konkretisieren. (1) Dabei ist zunächst eine ästhetische Modifikation des dargestellten skandaltheoretischen Grundkonsenses hilfreich. Die Ergebnisse der Skandaltheorie lassen sich auf eine prägnante Formel bringen: Skandale sind Bilder, die nicht ins Bild passen. Die bisherigen Ergebnisse verdichtend versucht diese Formel, die notwendige Bezogenheit von Skandalen auf einen konkreten Kontext zu beschreiben und mit dem Bildbegriff gleichzeitig einen Begriff zu finden, der die verschiedenen ‚Sprachen‘ und Codes des Gottesdienstes umfasst. Zusätzlich bietet diese Formel auch eine adäquate Beschreibung des historischen Kreuzesgeschehens, das ja das gottesdienstliche Handeln präfigurieren soll. Schließlich ergibt sich gerade aus der paulinischen Beschreibung dieses Geschehens als Skandalon (1Kor 1, 18 ff) die Option, Kreuzestheologie, Skandaltheorie und Verkündigung zusammenzudenken.22 Verstehbar wird das Kreuzesgeschehen als ‚Bild, das nicht ins Bild passte‘ vor dem Hintergrund eines anderen Bildes, das diesen Skandalmechanismus noch offensichtlicher vor Augen führt. Es handelt sich um Caravaggios Bild Johannes 22 Cornehl, Peter: Der Evangelische Gottesdienst. Biblische Kontur und neuzeitliche Wirklichkeit. Bd. 1: Theologischer Rahmen und biblische Grundlagen, Stuttgart 2006, 179–187, nimmt als biblische Grundlagen des Gottesdienstes grundsätzlich Ärgernis-Texte, u. a. jesuanische ärgernistheologische Traditionen mit Blick auf den Gottesdienst wahr; Campbell, Charles L. / Cilliers, Johann H.: Preaching Fools. The Gospel as a Rhetoric of Folly, Waco 2012, entwerfen mithilfe des erwähnten Paulus-Textes eine spannende Homiletik.
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der Täufer. Dieses 1602 geschaffene Bildnis zeigt einen nackten jungen Mann, der einen Widder umarmt, in einem von Lichtspielen und Rot dominierten Bild. In einem preisgekrönten Text23 hat die Kunsthistorikerin Valeska von Rosen das Problem des Bildes aufgezeigt, was auch für eine skandaltheoretische Deutung von hoher Relevanz ist. Von Rosen fragt: „Warum haben wir es bei der Figur eigentlich mit einem Johannes zu tun, oder: Was macht einen splitternackten Knaben, der einen Widder herzt, eigentlich zum Täufer?“24 Skandaltheoretisch ist genau das der entscheidende Punkt. Stellt man nämlich die Frage, was Caravaggio an dem Bild hätte ändern müssen, um seine skandalöse Wirkung zu vermeiden, so lautet eine sehr simple Antwort: den Titel. Wenn das exakt gleiche Bild den Titel Ein Hirtenjunge trüge, so wäre es mit ziemlicher Sicherheit nicht zu einem Skandal geworden. Von Rosen zeigt nämlich in weiterer Folge, wie spätere künstlerische ‚Trittbrettfahrer‘ eindeutig Caravaggios Johannes zum Vorbild nehmen, diesen aber entweder einen Johannes bleiben und bekleidet sein lassen oder aber das Bild anders betiteln.25 Ein Skandal war Caravaggios Bild also, weil er den Nackten in die „Johannes“-Bildtradition hineinstellte, in den Kontext von Heiligendarstellungen. Es war eben durch seinen Titel ein Bild, das nicht ins Bild passte. Skandalös war die Spannung zwischen dem Dargestellten und seinem Titel. Strukturanalog lässt sich nun auch das Skandalöse am Kreuzesgeschehen beschreiben. So scheint die paulinische Formel vom Skandalon des Kreuzes eine skandaltheoretisch angemessene Beschreibung dessen zu sein, was die historischen Kreuzeszeugen und -innen zu sehen bekamen. Denn skandaltheoretisch betrachtet inszenierte bereits Pilatus einen Skandal, indem er die gleiche Spannung zwischen Titel und Bild erzeugte wie Caravaggio mit seinem JohannesBild. Dass es tatsächlich einen titulus crucis gab, ist historisch ebenso plausibel26 wie die Tatsache, dass im Rahmen des zeitgenössischen Messiasdiskurses die Vorstellung eines königlichen Messias am weitesten verbreitet war27 und eben diese Vorstellung damit der wahrscheinlichste Diskurshintergrund, zu dem das Bild eines am Kreuz Sterbenden in Spannung treten musste. Es kann also als wahrscheinlich gelten, dass bereits Pilatus das Kreuz Christi im Rahmen eines bildpolitischen Aktes als Skandal inszenierte, als bildhafte Überschreitung des königlichen Messiasdiskurses, als „Bild, das nicht ins Bild passte“. 23 Rosen, Valeska von: Bedeutungsspiele in Caravaggios Darstellungen Johannes’ des Täufers, in: Kunsthistorische Arbeitsblätter 7/8 (2003), 59–72. 24 Rosen, Valeska von: Bedeutungsspiele in Caravaggios Darstellungen Johannes’ des Täufers (wie Anm. 23), 61. 25 Rosen, Valeska von: Bedeutungsspiele in Caravaggios Darstellungen Johannes’ des Täufers (wie Anm. 23), 64. 26 Am meisten überzeugt mich in dieser Hinsicht Förster, Niclas: Der titulus crucis. Demütigung der Judäer und Proklamation des Messias, in: NT 56 (2014), 113–133. Förster deutet den Kreuzestitel auf der Basis einer grundlegenden historischen Einordnung und macht dabei vor allem stark, dass römische Strafpraktiken Züge von Parodie, Ironie und Satire aufwiesen. 27 In diesem Urteil stütze ich mich vor allem auf Collins, John J.: The Messiah in ancient Judaism, in: BThZ 31 (2014), 17–40, 18; Kaiser, Otto: Der Messias nach dem Alten und Neuen Testament, in: BThZ 31 (2014), 64–107, 69.
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(2) Und der Wirkmechanismus dieses skandalösen Bildes des gekreuzigten Messias verbindet es mit heutigen Skandalen. Mithilfe eines biblisch-theologischen Blickes lässt sich etwas über die erzählten Wirkungen des Kreuzesskandals sagen. Dabei zeigt sich: sie decken sich mit der erstrebten Wirkung kreuzestheologischer Rede bei Luther. Markus z. B., der narrative Kreuzestheologe des Neuen Testaments28, setzt in seinem Evangelium mit Jüngerflucht und Hauptmannbekenntnis eine narrative Klammer um das Kreuz, die zeigt: Das Kreuzesgeschehen ruft Flucht, Rückwege, Neuaufbrüche hervor – ‚choreographisch‘ sichtbare Performanzen dessen, was Markus am Anfang des Evangeliums metánoia nennt.29 Der Skandal des Kreuzes macht es bei Markus unmöglich, dass Gott für Menschen zur Letztbegründungsinstanz bestehender Überzeugungssysteme wird. Er bewirkt ‚Sinnentzug durch Bedeutungsproduktion‘30. Den tragenden Sinnsystemen der handelnden Figuren im Markusevangelium wird der Boden entzogen – und dies geschieht sowohl bei denen, die dem Gekreuzigten am nächsten stehen, den Jüngern, wie auch beim Hauptmann, der Repräsentant des Jesus gegenüber feindlichen Systems ist. Für Glaubende und Nicht-Glaubende ist das Bild des Gekreuzigten auf gleiche Weise wirksam. Und die Wirkung wird erzeugt, indem Bedeutung zur Bedeutung hinzugefügt wird. Das mit dem Kreuzestitel hervorgerufene Bild „Jesus von Nazareth, König der Juden“ und das Bild des sterbenden Jesus überlagern sich und aus dem entstehenden Gesamtbild lässt sich keine sinnvolle Aussage mehr bilden. Sinnentzug ereignet sich, indem ein Hintergrund zum Bild hinzugefügt wird. Und so funktionieren Skandale noch heute. Das Beispiel der Steuerhinterziehung des ehemaligen Fußballers und Managers Uli Hoeneß macht dies ganz deutlich. Warum wurde aus diesem juristischen Vergehen ein medialer Skandal? Wesentlich dazu beigetragen hat der Umstand, dass das Bild von Hoeneß als Steuerhinterzieher gleichsam das „Negativ“31 des zuvor von ihm medial vermittelten Bildes darstellte. Mehrfach war Hoeneß zuvor als Moralist
28 Während in der neutestamentlichen Wissenschaft schon länger über narrative Kreuzestheologien der Evangelien debattiert wird, tut sich die Systematische Theologie schwer, deren Ergebnisse aufzunehmen und produktiv weiterzuführen. In meinem kreuzestheologischen Ansatz bemühe ich mich eben darum. Zu Markus vgl. etwa Klumbies, Paul-Gerhard: Narrative Kreuzestheologie bei Markus und Lukas, in: Landmesser, Christof / K lein, Andreas: Kreuz und Weltbild. Interpretationen von Wirklichkeit im Horizont des Todes Jesu, Neukirchen-Vluyn 2011, 47–65; Cuvillier, Elian: Die „Kreuzestheologie“ als Leseschlüssel zum Markusevangelium, in: Dettwiler, Andreas / Zumstein, Jean (Hg.): Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151), Tübingen 2002, 107–150. 29 Hupe, Henning: Choreographing the Unchoreographable. Repetition and Disappearance in the Gospel of Mark, in: Breu, Clarissa (Hg.): Biblical Exegesis without Authorial Intention? Interdisciplinary Approaches to Authorship and Meaning (BINS 172), Leiden 2019, 209–227. 30 Diese Formel ist aus kritischer Auseinandersetzung mit Günter Baders Rede vom ‚Sinnentzug durch Steigerung der Bedeutungsreduktion‘ entstanden: Bader, Günter: Was heißt: Theologus crucis dicit id quod res est? (wie Anm. 12) 31 Dazu Posor, Petja: Der Fall Hoeneß als Skandal in den Medien. Anschlusskommunikation, Authentisierung und Systemstabilisierung, Konstanz / München 2015.
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in Talkshows aufgetreten und hatte sich dabei unter anderem zu Steuerfragen geäußert. Der Hoeneß-Skandal lebte von einer inszenierten Fallhöhe, die aus der Differenz von altem und neuem Hoeneß-Bild entstand. Das ist der Mechanismus: „Die Konstruktion einer Erwartungshaltung und ihr anschließendes Unterminieren durch den Skandal sind also unweigerlich mit der Verinner lichung des durch das System Massenmedien eröffneten Sinnhorizonts zu einem Gegenstand verbunden.“32 Der Kreuzesskandal und Skandale heute sind also dadurch verbunden, dass sie als ‚Bilder, die nicht ins Bild passen‘ Sinnentzug durch Bedeutungsproduktion bewirken. Mithilfe von Skandalmechanismen wird konkret beschreibbar, wie die von Luther, aber wie gezeigt werden konnte auch von Markus, erstrebte Wirkung kreuzestheologischen Redens und Handelns erzielt werden kann. 2.4 Der Skandal des Kreuzes und der Gottesdienst. Einwand und Plausibilisierung Allerdings ist mit dem Erarbeiteten noch nicht liturgiewissenschaftlich plausibilisiert, dass und wie es auch aus Sicht von Gottesdiensttheorie und Gottesdienstgestaltung sinnvoll ist, mit dem gottesdienstlichen Handeln gerade diese Wirkung zu erzielen. Der Versuch einer solchen Plausibilisierung erfolgt hier auf der Basis von Fragen nach dem Menschenbild und der politischen Dimension der Liturgie. (1) Warum soll Gottesdienst also gerade in die metánoia hineinführen? Warum will man die Sinnkonstruktionen von Menschen zertrümmern? Wäre es nicht plausibler, Trost, Ruhe, Bestätigung als Wirkungen gottesdienstlichen Handelns anzustreben? Da ein solcher Einwand vor allem aus einem poimenischen Interesse am Gottesdienst heraus formuliert wurde und wird, muss der liturgiewissenschaftliche Plausibilisierungsversuch des Programms ‚Gottesdienst als Skandal‘ poimenische Aspekte einbeziehen. Auszugehen ist dabei grundlegend von der Frage nach der ‚liturgischen Anthropologie‘, wie sie Wilfried Engemann gestellt und so beantwortet hat, dass sich diese Antwort mit dem Anliegen eines skandalösen Gottesdienstes verbinden lässt. Gottesdienste dürfen, so Engemann, dem Menschen nicht ständig vorwerfen, dass er Mensch ist. Demgegenüber fordert er eine liturgische Anthropologie, die von einem durchdachten Verständnis von metánoia ausgeht, das der markinischen Version des Begriffes durchaus nahekommt: „Die christliche Tradition der Buße im Sinne von Metánoia, also im Sinne eines Meta-Nous, eines Metaverstands zur Betrachtung des eigenen Lebens vor Gott, gehört zu den höchsten Gütern einer Kultur der Auseinandersetzung des Menschen mit sich selbst. Buße ist u. a. die Kunst, sich bedingen zu lassen durch eine Wirklichkeit, die man bisher nicht wahrgenommen hat bzw. nicht gelten ließ. Diese Kultur im Gottesdienst zu pflegen, setzt notwendigerweise voraus, 32 Posor, Petja: Der Fall Hoeneß als Skandal in den Medien (wie Anm. 31), 47.
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Menschen sich neu verstehen zu geben, einen Raum der Reue zu schaffen und Möglichkeiten des Andersseins zu antizipieren.“33 Genau diese Kunst aber, sich durch eine neue Wirklichkeit bedingen zu lassen, wird mithilfe des Konzepts „Gottesdienst als Skandal“ konkret beschreibbar. Hamartiologischer Ansatzpunkt ist dabei, dass Menschen gefangen sind in Diskursen. Wie Menschen sprechen und handeln, ist durch das unsichtbare, aber doch positive Regelsystem der Diskurse vorgegeben, in denen sie sich bewegen. Das hamartiologische Dilemma ist nun, dass alle Menschen diese ‚positiv unbewussten‘ Regelsysteme befolgen, ohne es zu merken. Menschen können nicht anders sprechen und handeln, als es ihre diskursiven Vorprägungen erlauben. Ein gutes Beispiel dafür gibt Paul Zulehners Plädoyer „Entängstigt euch!“, eine der ersten fundierten sozialwissenschaftlichen Studien, die sich mit den Ängsten von Menschen im deutschsprachigen Raum gegenüber Flüchtlingen beschäftigt.34 Zulehners Methode ist, Menschen in geschlossenen und offenen Fragen nach ihren Ängsten zu befragen. Besonders die Antworten auf die offenen Fragen zeigen deutlich das angedeutete Verhalten. Die Menschen verwenden die Sprache, die vom öffentlichen Diskurs vorgegeben ist. Da gibt es explizite und bewusst politisch eingesetzte Metaphern wie z. B. vom vollen Boot. Das eigentlich Entscheidende aber ist, dass jenseits der im Diskurs geprägten Metaphern vom Flüchtlingsstrom, der Flüchtlingswelle oder der Flüchtlingskrise kaum Vokabular zur Verfügung steht, mit dem die Menschen sich ausdrücken könnten. An dieser entmenschlichenden Rede kann deutlich gemacht werden, was das Problem ist. Dieses Problem übrigens wird schon von Paulus beschrieben und zwar exakt im Kontext des Kreuzesskandals: Die Realität vieler ankommender Menschen ist nach den Regeln des öffentlichen Diskurses kaum beschreibbar, ohne die Wirklichkeit dieser Menschen auszublenden. Menschen werden versachlicht und – mit den Worten des Paulus aus 1Kor 1,28 – zu ‚Nichtsen‘ gemacht. Alles Reden und Handeln, das dem ‚unbewusst positiven‘ Regelsystem unserer Alltagsdiskurse folgt, funktioniert so: Die Realitäten von Menschen werden ausgeblendet, diese Menschen dadurch zu ‚Nichtsen‘ gemacht, zu Menschen, die nichts gelten. Die Verstrickung in diesen Diskurs-Zusammenhang macht das zwar unvermeidbar (peccatum originale), trotzdem ist jede Aktualisierung dieses Zusammenhangs problematisch, weil sie auf Kosten konkreter Menschen geht (peccatum actuale). Seelsorglich relevant ist nun, einerseits wahrzunehmen, wo Menschen andere Menschen ‚zu Nichtsen‘ machen, von anderen Menschen so behandelt werden, dass sie selbst sich als ‚Nichts‘ fühlen oder aber nicht gelernt haben, eigene Bedürfnisse zu artikulieren und so sich selbst negieren. 33 Engemann, Wilfried: Vom Umgang mit Menschen im Gottesdienst. Probleme der impliziten liturgischen Anthropologie, in: EvTh 72 (2012), 101–117, hier: 116. 34 Zulehner, Paul M.: Entängstigt euch! Die Flüchtlinge und das christliche Abendland, Ostfildern 2016.
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Bilder, die nicht ins Bild passen haben darin ihr poimenisches Kriterium, dass sie konkrete Befreiung aus der Gefangenheit in Alltagsdiskursen bedeuten. Sprachliche und performative Bildproduktion im Gottesdienst soll den Menschen dienen, indem die Wirklichkeit von Menschen eingeblendet wird, die ‚man bisher nicht gelten ließ‘, wie ja auch Engemann formuliert. Wenn es gelingt, mithilfe von Bildern, die nicht ins Bild passen, eine neue Welt mit neuen Möglichkeiten für die Menschen zu schaffen, und wenn es gelingt, Menschen in heilsame Veränderung zu führen ohne dafür moralisieren zu müssen, dann ist ‚Gottesdienst als Skandal‘ ein seelsorglich nicht nur tragbares, sondern überaus produktives Konzept. (2) Durch diese poimenische Überlegung schien eine politische Dimension bereits durch. Auch politisch lässt sich das Programm ‚Gottesdienst als Skandal‘ nämlich gut begründen – es fügt sich ein in gegenwärtige liturgiewissenschaftliche Debatten über das Politische des Gottesdienstes. Mithilfe der Kategorie ‚Skandal des Kreuzes‘ wird es nämlich möglich, das Politische und Transformative35 des Gottesdienstes in einem grundsätzlich weiten Sinne36 zu verstehen. Der Gottesdienst wird zum Ort, wo mithilfe verschiedener Zeichensprachen politisches framing37 innerhalb der Liturgie und der Predigt geschieht. Mit anderen Worten: Die Bilder, die nicht ins Bild passen, unterbrechen in ihrer Bezogenheit auf konkrete Kontexte politische Alltagslogiken. Dies aber wiederum nicht so, dass die Alltagslogiken negiert würden. Im Gottesdienst wird demgegenüber mit Hilfe dieser kreuzestheologisch-skandalösen Bilder eine Welt geschaffen, die anders funktioniert als der alltagspolitische Diskurs. Politischen Überzeugungssystemen und Logiken wird auf skandalöse Weise durch die Produktion gottesdienstlicher Bilder Sinn entzogen. Wie das aussehen kann, soll nun abschließend gezeigt werden. Dazu muss jedoch zunächst der konkrete Kontext skizziert werden, in den die liturgischen Überlegungen skandalös hineinsprechen sollen: die Theologie der Neuen Rechten.
35 Zu dem Begriff und der daraus folgenden Vorstellung vom transformativen Potenzial des Gottesdienstes vgl. Baschera, Luca: Die reformierte Liturgik August Ebrards (1818–1888). Entstehung, Gestalt und heutige Relevanz (Praktische Theologie im reformierten Kontext 5), Zürich 2013. 36 Zur Unterscheidung zwischen weitem und kairologisch-engem Verständnis des Politischen im Gottesdienst vgl.: Kusmierz, Karin / Plüss, David: Einleitung, in: Dies (Hg.): Politischer Gottesdienst?! (Praktische Theologie im reformierten Kontext 8), Zürich 2013. 37 Zu diesem Konzept siehe: Wehling, Elisabeth: Politisches Framing: Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht (edition medienpraxis 14), Köln 2016.
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3. Eine konkrete Herausforderung: Die Theologie der Neuen Rechten und die Rede vom ‚Volk‘ Die neurechte Bewegung hat sich inzwischen so weit differenziert, dass man schon von einer ‚Theologie der Neuen Rechten‘ sprechen kann, die durchaus Ansätze einer Systematik zeigt bzw. die zumindest einen erkennbaren Pool theologischer Argumentationsmuster ausgeprägt hat. Das ist wenig verwunderlich, drehen sich doch einige dieser Argumentationsmuster um den Begriff des Volkes. Was auf den Pegida-Demonstrationen durch den von der DDR-Friedensbewegung schamlos übernommenem Slogan „Wir sind das Volk“ sichtbar wird, findet sich ausdifferenziert bei den Theologen und -innen der Neuen Rechten wieder. Gut nachvollziehbar ist das etwa in dem Sammelband „Rechtes Christentum?“38, einer Art theologischen Selbstverortung der Neuen Rechten. In diesem Buch erfährt eines der wesentlichen Grundkonzepte der Identitären Bewegung, der Ethnopluralismus, eine theologische Begründung. Ethnopluralismus erstrebt, kurz gesagt, ein Nebeneinander verschiedener, aber möglichst homogener Völker. Was zunächst wie eine modernisierte Form älterer Rassismen wirken mag, ist aber kaum ohne ein Vorkommen von Gewalt zu Ende zu denken, „zumal von einer freiwilligen ‚Entmischung‘ der Menschheit entlang identitärer Raumzuweisung nicht auszugehen ist.“39 Dieses Konzept von Volk und Völkern ist es nun, das die Protagonisten und -innen eines neurechten Christentums auf theologische Weise zu behaupten oder begründen suchen. Thomas Wawerka, vom Dienst suspendierter ehemaliger evangelischer Pfarrer, schreibt: „Nach biblischer Auskunft hat Gott die ursprünglich geeinte Menschheit aufgrund der Anmaßung des Turmbaus von Babel in Völker unterteilt – eine gleichnishafte Erzählung, die die Vielfalt der Völker als Reichtum und deren Vereinigung zur ‚einen Welt‘ oder zur totalen ‚Menschheit‘ als Gefahr der Hybris darstellt. Gott verheißt Abraham, dass in ihm ‚alle Völker‘ gesegnet sein werden. Christus sendet seine Apostel ausdrücklich zu ‚allen Völkern‘ – die Völker sind als Adressaten der Gnade Gottes also positive Bezugsgrößen.“40 Behauptet wird weiter, „dass der demos einer Demokratie nur ein konkretes Volk sein kann, verbunden durch Sprache, Abstammung, Geschichte und Kultur und nicht etwa eine beliebige Ansammlung von Menschen, denen man bloß
38 Dirsch, Felix / Münz, Volker / Wawerka, Thomas (Hg.): Rechtes Christentum? Der Glaube im Spannungsfeld von nationaler Identität, Populismus und Humanitätsgedanken, Graz 2018. 39 So das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands, https://www.doew.at/ erkennen/rechtsextremismus/rechtsextreme-organisationen/identitaere-bewegung-oesterreichiboe, zuletzt aufgerufen am 28.5.2020. 40 Wawerka, Thomas: Christ sein und rechts sein. Versuch einer biblisch-theologischen Grundlegung, in: Dirsch, Felix / Münz, Volker / Wawerka, Thomas (Hg.): Rechtes Christentum? (wie Anm. 38), 173–189, hier: 180 f.
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die passenden Pässe ausstellen muss“41. Verteidigt wird das Recht eines Volkes auf sein „Eigenes“, und ein „wehrhaftes Christentum“ soll für die Verteidigung dieses Rechtes in Anspruch genommen werden.42 Mit der Ausbildung und Ausdifferenzierung einer neurechten Theologie ist eine zentrale Herausforderung für die gegenwärtige Theologie überhaupt gegeben. Sie ist insofern längst Teil unseres unmittelbaren politischen Kosmos geworden, als sich ihre Grundhaltungen inzwischen auch auf die Einstellungen politisch Verantwortlicher auswirken, zu sehen etwa an nationalistischen Sprach- und Argumentationsmustern auch europäischer Regierungen. Die neurechte Rede vom Volk bietet den Rahmen, um abschließend die Leistungsfähigkeit der Kategorie ‚Skandal des Kreuzes‘ für eine Theologie des Gottesdienstes zu zeigen, die sich sowohl deskriptiv als Hermeneutik des zwischen den Zeilen des Gottesdienstes Gesagten als auch normativ als Orientierung gottesdienstlichen Handelns versteht. Konkret nachvollziehbar wird die Leistungsfähigkeit des Kreuzesskandals, wo deutlich wird: Im evangelischen Gottesdienst, verstanden als Skandal, liegt eine Chance, neurechte Volks- und Identitätskonzepte intellektuell und performativ zu bestreiten. Ausgangspunkt ist dabei ein Verständnis der im Gottesdienst versammelten Gemeinschaft als ‚Volk‘ der Leiturgia.
4. Wir sind das Volk der Liturgie! Zum Skandalösen und Anti-Identitären des gottesdienstlichen ‚Wir‘ Mit der Etymologie ihres Gegenstands bekommt die Liturgiewissenschaft und damit auch die konkrete Liturgie die Herausforderung mit auf den Weg, sich zu gängigen Konzepten von ‚Volk‘ in Beziehung zu setzen. Wie verhält sich das Konzept des ‚Volkes‘, das dem Begriff der Liturgie eigen ist, zu Volks-Konzepten ihres politischen Kontextes? Welche Rolle spielt der Gottesdienst im Ringen einer Gesellschaft um Identität? Stimmt es, dass die Sprache der Liturgie zu häufig nur noch scheinbar unangefochtene Identitäten vergewissert?43 Angelehnt an Gedanken Christian Lehnerts kann gefragt werden: Wer sind wir – als ‚Volk‘ – im Kult?44 Als Quelle für die Bearbeitung dieser Frage sei Grundform I des Evangelischen Gottesdienstbuches herangezogen. Dieses wird 41 Lichtmesz, Martin: Notizen über Christentum, Populismus und die Religion des Globalismus, in: Dirsch, Felix / Münz, Volker / Wawerka, Thomas (Hg.): Rechtes Christentum? (wie Anm. 38), 90–116, hier 96. 42 Sommerfeld, Caroline: „Gegen Allahu akbar hilft nur Deus vult!“ Christentum und Identitäre Bewegung, in: Dirsch, Felix / Münz, Volker / Wawerka, Thomas (Hg.): Rechtes Christentum? (wie Anm. 38), 190–203, hier: 192. 43 Deeg, Alexander: Das äußere Wort und seine liturgische Gestalt (wie Anm. 2), 516, mit Verweis auf Catherine Pickstock. 44 „Wer bin ich im Kult?“ fragt Lehnert, Christian: Der Gott in einer Nuß. Fliegende Blätter von Kult und Gebet, Berlin 2017, 90.
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im Wissen um die dort nicht niedergeschriebenen gottesdienstlichen Zeichen danach befragt, in welchen Texten, Überleitungen und Zitaten des Ordinariums die Gottesdienstgemeinde ‚wir‘ (oder ‚uns‘, ‚unsere‘ usw.) sagt – wo und wie also das ‚Volk‘ der Liturgie eine Identität von sich entwirft. Brisant sind solche Wortverwendungen, weil neurechte Denker und -innen wie Martin Lichtmesz oder Caroline Sommerfeld gefordert hatten, das Recht eines Volkes auf ‚sein Eigenes‘ zu verteidigen und sahen das Volk verbunden ‚durch Sprache, Abstammung, Geschichte und Kultur‘. Das neurechte Konzept von ‚Volk‘ fasst darunter eine durch geschichtliche, gegenwärtige und zukünftige Stärke sich selbst definierende Gemeinschaft. 4.1 Wir Angewiesenen – zur anti-identitären Gegenwart des liturgischen ‚Volkes‘ Demgegenüber entwirft die Liturgie des Evangelischen Gottesdienstes ein Bild der Versammelten als ‚Volk‘, das nicht ins Bild neurechter Volkskonzepte passt. Von Beginn an wird das gottesdienstliche ‚Wir‘ als ein ‚Wir‘ konstituiert, das maßgeblich durch Angewiesenheit geprägt ist. Angewiesen ist dieses ‚Wir‘ auf Gott, auf die Mitmenschen, auf den Geist im Verstehen. (1) Wo mit dem aus Psalm 124 entnommenen Adjutorium45 und somit mit dem Verweis darauf, dass wir Gottes Hilfe bedürftig sind, der Gottesdienst eröffnet wird, ist der Einstieg ein radikales Bekenntnis zur Angewiesenheit auf Gott. Dieses ‚Wir‘ vermag aus eigener Kraft kaum selbst zu überleben46, es versteht sich selbst als existenziell angewiesen. (2) Kanzelgruß47 und Kanzelsegen inszenieren ebenfalls die Angewiesenheit des gottesdienstlichen ‚Wir‘ und zwar die Angewiesenheit im Verstehen. Am Beispiel des Kanzelgrußes etwa zeigt sich, wie mithilfe einer theologischen Deutung dieses liturgischen Stückes ein Perspektivenwechsel gegenüber den üblichen Fragestellungen möglich ist, der zugleich das Ineinander von Theologie und politischer Dimension des Gottesdienstes aufzeigt. Denn wenn über den Kanzelgruß liturgiewissenschaftlich gehandelt wird, dann geschieht das in jüngerer Zeit meistens pragmatisch oder dramaturgisch. Der Vorschlag des Evangelischen Gottesdienstbuches (EGb), wie mit dem Kanzelgruß umgegangen werden soll, führt auch bereits auf eine dramaturgische Spur.48 Das EGb 45 Vgl. dazu Etzelmüller, Gregor: …zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn. Eine biblische Theologie der christlichen Liturgiefamilien, Frankfurt / Main 2010, 145. 46 Zum Psalm-Hintergrund: Hossfeld, Frank-Lothar / Z enger, Erich: Psalmen 101–150 [HThKAT], Freiburg i. Br. 2008, 485. 47 „Gnade sein mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus“ (2Thess 1,2) ist vom EGb als Kanzelgruß vorgeschlagen. 48 Evangelisches Gottesdienstbuch. Agende für die Evangelische Kirche der Union und für die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands. Herausgegeben von der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und im Auftrag des Rates von der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union (1999), Taschenausgabe, 5. Auflage 2012, 42.
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sieht den Kanzelgruß nur für den Fall vor, dass Liturg und Liturgin und Prediger und Predigerin unterschiedliche Personen sind. Der Vorschlag ist dramaturgisch sinnvoll und wird in der Liturgiewissenschaft auch mit diesem Argument weitgehend zustimmend rezipiert.49 Aus dem Blickwinkel der skandaltheoretischen und kreuzestheologischen Frage nach der Identität der Gottesdienstgemeinschaft ergibt sich allerdings hier eine neue Perspektive. Der Kanzelgruß inszeniert die Angewiesenheit im Verstehen der Gottesdienstgemeinschaft. Vor dem am stärksten worthaften Teil des Gottesdienstes erfolgt eine Bitte um Gnade. Verstehen, so wird dadurch deutlich, versteht sich nicht von selbst. Der Kanzelgruß ist eine Unterstreichung jener Grundüberzeugung theologischer Hermeneutik, dass Glauben und Verstehen nicht aus eigener Kraft erreichbar, sondern Wirkungen des Geistes Gottes sind. Das ‚Volk‘ der Liturgie ist auch darin ein Bild, das nicht ins Bild passt. Es versteht das ihm Zugesagte nicht aus eigener Kraft. (3) Auch die Angewiesenheit von Menschen aufeinander wird im Gottesdienst erlebbar. Und zwar in einem liturgischen Stück, das wahrlich ein Skandal ist – im Sanctus.50 Gehen wir davon aus, dass Skandale Diskursüberschreitungen sind, also Überschreitungen der Grenzen des Sag-, Mach-, und Darstellbaren, dann ist das Sanctus ein Paradebeispiel. Denn in diesem liturgischen Zitat von Jes 6 gebraucht ‚das Volk‘ die Worte der Serafim. Es verwendet Worte, die ihm nicht zustehen. Hier übernehmen Menschen durch ihre Worte eine ‚falsche‘ Rolle – diese ‚falsche‘ Rolle wird deutlich, wenn ein Minister Turnschuhe trägt oder eine Managerin eine Regierungserklärung vorträgt. Ein Mensch kann nicht die Worte von Engeln verwenden. Denkt man auf dieser Spur weiter, dann ist es allerdings nicht nur die Angewiesenheit auf die Worte der Serafim, die sich zeigt. Generell verwendet das ‚Volk‘ der Liturgie immer wieder geliehene Worte. Dieses Volk leiht sich die Worte anderer ‚Völker‘, weil es sich sonst nicht ausdrücken könnte. Es sagt Kyrie, Halleluja, Amen, es spricht im Credo mit Formulierungen, die nicht die eigenen sind. Eine wesentliche Eigenschaft des ‚Volkes‘ der Liturgie ist es, mithilfe geliehener Worte und fremder Sprachen zu sprechen. Es ist ein Bild, das nicht ins Bild identitärer Volkskonzepte passt, die die gemeinsame Sprache zur Bedingung ‚wahrer Zugehörigkeit‘ machen wollen.
49 Vgl. etwa Hertzsch, Klaus-Peter: Die Predigt im Gottesdienst, in: Schmidt-Lauber, HansChristoph / Bieritz, Karl-Heinrich (Hg.): Handbuch der Liturgik. Liturgiewissenschaft in Theologie und Praxis der Kirche, Leipzig / Göttingen 1995, 728–739, hier: 738. 50 Im Hintergrund der folgenden Überlegungen steht Lehnert, Christian: Teilchen. Cherubinischer Staub. Zur Verwandtschaft von poetischer und religiöser Rede, in: Tück, Jan-Heiner / Mayer, Tobias (Hg.): Nah – und schwer zu fassen. Im Zwischenraum von Literatur und Religion, Freiburg / Br. 2017, 97–120.
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4.2 Wir Angewiesenen – zur anti-identitären Zukunft des liturgischen ‚Volkes‘ Auch für das Verständnis des Segens lässt sich etwas gewinnen, wenn man ihn vom Skandal des Kreuzes her denkt und identitätstheoretisch befragt. Magdalene Frettlöh hat gezeigt, dass sich Luthers Kreuzestheologie auch in seinem Segensverständnis niederschlug, sie spricht in dieser Hinsicht von „Gottes Segenswirken sub contrario“51. Kreuzestheologie und Segen zusammenzudenken, bewahrt vor einem Missverständnis des Segens als Garantie gelingenden Lebens. Segen bleibt Verheißung, mit ihm ist noch nichts über den Verlauf des irdischen Lebens gesagt. Dieses kreuzestheologische Verständnis des Segens, das auch skandaltheoretisch plausibel ist, hat sich übrigens auch in seiner performativen Ausgestaltung erhalten. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, an welcher Stelle das Kreuzzeichen in der Sequenz „und gebe dir + Frieden“52 vorgesehen ist. Das Kreuzzeichen ist zu sehen, während das Wort Frieden zu hören ist.53 Das heißt, dass ‚Ton- und Bildspur‘ der Segensperformanz einander widersprechen. Der abschließende Friedenswunsch ist gleichzeitig mit dem Kreuzzeichen zu vernehmen, und damit wird der gesamte Segen mit dem Kreuzzeichen verbunden. Der Segen erhält so eine gewisse Ambivalenz, denn das Zeichen, das die Wünsche des Friedens und der Gottesnähe untermalt, steht für eine Geschichte der Gewalt und der erlebten Gottferne. Gerade durch diese Spannung kann der Segen aber erlebbar machen, dass sich am Kreuz Gott von Gott unterscheidet. Im Segen wird spürbar, dass Gott der ist, auf den sich niemand berufen, jeder und jede aber immer verlassen kann. Das Kreuzzeichen im Segen ist beides: Bezeichnung mit dem christlichen Schutzzeichen, zugleich aber macht es ein Missverständnis des Segens als Garantie für gelingendes Leben unmöglich. Für die so gesegneten Menschen entzieht sich Gott als Instanz dieser Garantie. Das Volk der Liturgie blickt nicht in eine aus eigener Kraft und Stärke erfolgreiche Zukunft. Das Volk der Liturgie blickt in eine gesegnete – und das heißt: in aller Angewiesenheit, in allem Leid, gottbegleitete Zukunft. Wenn Segen so verstanden wird, können sich daraus – im Sinne einer Theologie für den Gottesdienst weitere Kriterien zur Ausgestaltung der Segensperformanz ergeben. Dies gilt etwa für die durch die Segensgeste eröffneten Segensraum. Hier gilt: Niemand sollte ausgeschlossen werden aus dem Segensraum, weil als Angewiesene alle Menschen in diesem Raum ‚etwas gelten‘. Die Hände der Liturgin sollten im Segen einen imaginären Raum begrenzen, aus dem niemand herausfällt. Der durch diese Segensgeste hergestellte Raum ist dann theologisch sinnvoll begrenzt, wenn er keine anwesende Person ausschließt. Denn 51 Frettlöh, Magdalene L.: Theologie des Segens. Biblische und dogmatische Wahrnehmungen, Gütersloh 52005, 114 (Überschrift). 52 Evangelisches Gottesdienstbuch (wie Anm. 48), 85. 53 Meine Deutung will der jüngst reformulierten klassischen Deutung als „Signierung“ alttestamentlicher Worte bei Ebach, Jürgen: Das Alte Testament als Klangraum des Evangelischen Gottesdienstes (wie Anm. 20), 338 f nicht widersprechen, sie nur kreuzestheologisch ergänzen.
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wo die politische Theorie feststellt, dass es im Bereich des Politischen ‚NichtExklusion‘ nicht gibt, dass also Exklusion immer da ist, wo Gemeinschaft ist54, und wo dieser Zusammenhang im Bereich neurechter Theologie nicht nur hingenommen wird, sondern Exklusion sogar zur Grundlage des Denkens wird, da zeigt der Segensraum eine Ahnung von der Utopie der Nicht-Exklusion. Wo Gottes Segen gespendet wird, wird sichtbar: Jegliche Form der Exklusion ist nicht schon dadurch gut, dass sie unter den Bedingungen der Welt unvermeidbar ist. Das Volk der Liturgie wird so gerade durch die Kombination verschiedener verbaler und nonverbaler Elemente der Gesamtperformanz des Segens zu einem Bild, das nicht ins Bild neurechter Volkskonzepte passt. Es entzieht als gesegnetes, angewiesenes Volk den starken und identitären Volkskonzepten Sinn. So konnte das Bild des angewiesenen Volkes eine Ahnung von der hermeneutisch-deskriptiven und reflektiert-normativen gottesdiensttheologischen Leistungsfähigkeit der Kategorie ‚Skandal des Kreuzes‘ vermitteln. Und es wurde spürbar, dass ‚Angewiesenheit‘ auch eine Kategorie auf liturgiewissenschaftlich-theoretischer Ebene ist: Theologie des Gottesdienstes, die sich als angewiesen auf andere Perspektiven versteht, wird nicht ‚erdrückend dominant‘ werden. Theorie des Gottesdienstes, die sich als angewiesen auf theologisches Denken versteht, wird Liturgie und Liturgik zugute kommen.
54 Zur Rede von der ‚konstitutiven Exklusion‘ vgl. Laclau, Ernesto / Mouffe, Chantal: Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus, Wien 1991.
„Wer da will selig werden …“ Eine (fast) vergessene Quelle zur frühen Liturgiegeschichte der Wittenberger Reformation und ihr Kontext
Ernst Koch Bernhard Gröbler zur Vollendung des 80. Lebensjahrs
Die Erschließung der Geschichte der von Martin Luther und seinen Freunden und Begleitern in Wittenberg ausgehenden Neuordnung der mittelalterlichen Messliturgie kann in der musikwissenschaftlichen und theologischen Forschung auf gute Früchte verweisen. Demgegenüber steht, aus welchem Grund auch immer, die Beschäftigung mit den täglichen Gottesdiensten der Stundenliturgie im Gefolge der Reformation derzeit etwas im Schatten. Wohl widmeten ihr die großen Standardwerke der Liturgiewissenschaft gebührende Aufmerksamkeit.1 In jüngster Zeit haben aber die Forschungen und Quellenveröffentlichungen des römisch-katholischen Liturgiewissenschaftlers Andreas Odenthal darauf aufmerksam gemacht, dass ganze Quellenbereiche aus der Tradition der Wittenberger Reformation nach wie vor der Erschließung und damit auch der liturgiewissenschaftlichen wie auch kirchengeschichtlichen Einordnung harren.2 Die vorliegende Untersuchung versteht sich als Beitrag zur Aufarbeitung dieses Forschungsdesiderats. Sie möchte auf eine Quelle aufmerksam machen, die zwar nicht ganz unbekannt ist, aber bisher keine gebührende Beachtung erfahren hat, und auf ihren Ort sowie ihre Wirkung im Kontext der Wittenberger Reformation hinweisen.
1 Vgl. z. B. Rietschel, Georg: Lehrbuch der Liturgik. Bd. 1: Die Lehre vom Gemeindegottesdienst. Hg. von Paul Graff, Göttingen 21951, 381–383 u. ö. Goltzen, Herbert: Der tägliche Gottesdienst, in: Leiturgia. Handbuch des evangelischen Gottesdienstes, hg. von Karl Ferdinand Müller / Walter Blankenburg, Bd. 3, Kassel 1955, 99–294. 2 Odenthal, Andreas: Die Ordinatio Cultus Divini et Caeremoniarum des Halberstädter Domes von 1591. Untersuchungen zur Liturgie eines gemischtkonfessionellen Domkapitels nach Einführung der Reformation, Münster 2005. Ders.: Das Vesperale und Matutinale des Havelberger Domdechanten Matthaeus Ludecus, Bonn 2007. Ders.: „…totum psalterium in usu maneat“. Martin Luther und das Stundengebet, in: Ders.: Liturgie vom frühen Mittelalter zum Zeitalter der Konfessionalisierung, Tübingen 2011, 228–250. Ders.: „…matutinae, horae, vesperae, completorium maneant“. Zur Umgestaltung der Offiziumsliturgie in den Kirchen des frühen Luthertums anhand ausgewählter liturgischer Quellen, in: ebd., S. 251–282.
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1. Die Quelle und ihre Aufnahme in der Forschung 1.1 Der Druck Im Jahre 1544 erschien bei Georg Rhaw in Wittenberg ein 14 Blätter umfassender Quartdruck, dessen Titel seinen Autor nicht nannte, wohl aber verriet, dass die Anregung für die Publikation von der christlichen Gemeinde in Halle an der Saale gewünscht und ausgegangen war: Ettliche Psalm // sampt dem Symbo-// lo odder Bekentnis Sancti Athana- // sij / Den Christlichen Gemeinen zu // nutz / Vnd sonderlich auff bitte / der // Kirchen zu Hall: // jnn Gesang bracht vnd // zugericht. // Wittemberg. // 1544 4o. 14 Bl. Foliierung: Bl. A 2–A 4. B 1–2. A [sic!] 3–4 (im Folgenden zitiert: A 3/2 bis A 4/2). C 1– 4. D 1–2.3 VD 16 ZV 1595
Für diese Beschreibung wurde das Exemplar Anhaltische Landesbibliothek Dessau – Wissenschaftliche Bibliothek – Signatur: Georg 1421 benutzt.4 Ein Exemplar in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin (Signatur: an: Hymn, 2256a) ist unvollständig. Es fehlen Bl. A 3/2–A 4/2.5 Die British Library London besitzt ein weiteres vollständiges Exemplar.6 Der Druck bietet im Anschluss an das Titelblatt folgende Texte: Bl. A 2r–v: Antiphon mit Notation sowie Text von Ps 1, beginnend mit einem Modellvers Bl. A 2v–3v: Antiphon mit Notation sowie Text von Ps 2, beginnend mit einem Modellvers Bl. A 3v–4v: Antiphon mit Notation sowie Text von Ps 3, beginnend mit einem Modellvers Bl. A 4v–B 1v: Antiphon mit Notation sowie Text von Ps 90, beginnend mit einem Modellvers Bl. B 1v: Überschrift: „Die Antiphon vber das Symbolum Sancti Athanasij“ Bl. B 2r: Antiphon mit Notation zum Symbolum Athanasianum Bl. B 2v + A 3/2r – A 4/2v + C 1r – D 2v: Text des Symbolum Athanasianum mit durchlaufender Notation Bl. D 2v: Kolophon: „Gedruckt zu Wit-//temberg durch // Georgen Rhaw.“ Die Notation ist in zeitgenössischer Spätform der Quadratnotation im fünfzeiligen System erfolgt.
3 Die ungewöhnliche Foliierung hinsichtlich der teilweise doppelten Verwendung einer Signierung als Druckbogen A bedürfte noch einer druckgeschichtlichen Untersuchung. 4 Im Folgenden zitiert: Ettliche Psalm. 5 http:/www.resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0000B1E100000000. 6 http://www.copac.jisc.ac.uk/id/23443331?style.
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Abb 1: Antiphon zu Ps 1 mit Modellvers (Ps 1,1) und Text von Ps 1,2 (Druckvorlage: Exemplar der Anhaltischen Landesbibliothek – Wissenschaftliche Bibliothek - Bl. A 2r – mit freundlicheer Genehmigung der Landesbibliothek)
Abb 2: Antiphon zm Symbolum Athanasianum (Druckvorlage: Exemplar der Anhaltischen Landesbibliothek – Wissenschaft liche Bibliothek – Bl. B2r – mit freundlicher Genehmigung der Landesbibliothek)
Erwähnt wurde der Druck erstmals 1941.7 Otto Brodde bezeichnet ihn als „Psalterium“ und widmet ihm Aufmerksamkeit als Zeugnis für die Aufnahme des gregorianischen Chorals in der Reformationsepoche.8 In der von Marie Schlüter gebotenen Liste der von Georg Rhau zwischen 1538 und 1548 in Wittenberg verlegten Musikdrucke findet er keine Erwähnung.9 Ungewiss ist es, ob gelegentliche Verweisungen in der Forschungsliteratur auf „Halle“ auf Autopsie beruhen.10 Arbeiten zur Reformations- und Liturgiegeschichte Halles im
7 Handbuch der deutschen evangelischen Kirchenmusik, hg. von Konrad Ameln, Christhard Mahrenholz und Wilhelm Thomas, Bd. I 1, Göttingen 1941, S. 637 (Nr. 507): S. 638 verkleinertes Faksimile einer Seite. Ebd., S. 412–414: vollständige Übertragung des Symbolum Athanasianum in moderne Notation. S. 483: Übertragung der zugehörigen Antiphon. 8 Brodde, Otto: Evangelische Choralkunde, in: Leiturgia (wie Anm. 1), Bd. 4, Kassel 1961, 409. 9 Schlüter, Marie: Musikgeschichte Wittenbergs im 16. Jahrhundert, Göttingen 2010, 147–165. 10 „Ganz vereinzelt“ werde im 16. und 17. Jahrhundert das Athanasianum anstelle des Nicaenum am Trinitatisfest oder an bestimmten Tagen in der Vesper zusammen mit allen drei Symbolen verlesen [!]. Karl Ferdinand Müller: Das Ordinarium Missae, in: Leiturgia (wie Anm. 1), Bd. 2, Kassel 1955, S. 32 Anm. 71.
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16. Jahrhundert11 kennen den Wittenberger Druck bzw. seinen Ort im Gottesdienst von Halle nicht. 1.2 Vier Psalmen – Text und musikalische Gestaltung Schwer zu entscheiden ist, welche der Psalmenübersetzungen Martin Luthers zur Grundlage von „Ettliche Psalm“ gewählt worden ist. Vergleiche lassen es am ehesten wahrscheinlich erscheinen, dass dafür die Textfassung der Übersetzung von 1541 gedient hat.12 Die Psalmtexte bieten auch die ‚Sela‘-Angaben nach Luthers Übersetzung. Was die Textunterlegung der Antiphonen betrifft, wird, abgesehen von deren Initien, auf die Hervorhebung der Gottesnamen durch Großschreibung von deren Buchstaben verzichtet. Verzichtet worden ist auch, wohl unter Berücksichtigung der in der Tradition selbstverständlichen Übung des Gebets des Gloria patri am Schluss jedes Psalms, auf die Wiedergabe dieses Textes im Druck der Psalmtexte. Das Druckbild der wiedergegebenen Psalmen lässt eine Berücksichtigung ihrer Bestimmung für den Gesang durch Markierung von Druckspatien in der Versmitte nicht erkennen. Die Druckspatien sind jedoch ersetzt durch Großbuchstaben – wie am jeweiligen Versbeginn auch beim ersten Wort nach der Mediante, dort meist durch einen senkrechten Strich durch die Notenzeile ergänzt. Für die musikalische Gestaltung der Psalmtexte nach zeitgenössischer Spätform der Quadratnotation einschlägig ist die jeweils eine Modellzeile mit dem jeweils ersten Vers des Psalms. Sie gibt den Sängern Sicherheit für die musika lische Ausführung, bei den Psalmen 2, 3 und 90 ergänzt durch Angabe des Modus am Schluss der Antiphon: für Ps 2 und 90 der 2., für Ps 3 der 3. Modus.13 Die Texte der Antiphonen für die drei Psalmen lassen keinen Bezug zur überlieferten Tradition erkennen. Sie sind den jeweiligen Psalmtexten neu entnommen und damit auch, allerdings in unverkennbarer Anlehnung an Vorlagen aus der Tradition musikalisch neu gestaltet. Hilfreich für die musikalische Ausführung ist die Anbringung von Custoden am Ende jeder Notenzeile.
11 Geschichte der Stadt Halle. Bd. 1: Halle im Mittelalter und im Zeitalter der Reformation, Halle (Saale) 2006; Serauky, Walter: Musikgeschichte der Stadt Halle, Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Beginn des 1700. Jahrhunderts. Halle (Saale) / Berlin 1935 (Nachdruck Hildesheim / New York 1971). 12 Der Deudsch Psalter mit den Summarien D. M. Luthers, Wittenberg 1541. 13 Hier handelt es sich nach modern differenzierender Kennzeichnung um die Modi D 2 bzw. um eine Entsprechung zu III g.
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2. Das Symbolum Athanasianum 2.1 Text und musikalische Gestaltung Das Symbolum Athanasianum, nach seinem Initium auch Symbolum Quicunque genannt, wurde in deutscher Sprache erstmals 1538 von Martin Luther veröffentlicht.14 Der in der Quelle komponierte Text des Symbolum unterscheidet sich von dem der vorausgehenden Psalmen durch durchlaufende Notation in zeitgenössischen Quadratneumen und unterstreicht damit zugleich sein sachliches Gewicht als gesungener Gebetstext. Die Beachtung des vorgesehenen Chorwechsels nach jeder Textzeile wird unterstützt durch die ganze Notenzeile durchlaufenden senkrechten Doppelstrich. Als Antiphon wurde ein Text aus dem Symbolum selbst gewählt: „DJs ist aber der rechte Christliche glaube / Das wir ein einigen Gott in drey personen / Vnd drey personen in einiger Gottheit ehren / Vnd nicht die personen in einander mengen / noch das Göttliche wesen zertrennen“.15 Auch für diese Antiphon ist in ihrer Komposition die Anlehnung an Vorlagen aus der Tradition unverkennbar. Die Entscheidung des Komponisten, den Text des Symbolum im Sinne der überlieferten klassischen Psalmodie im 1. Modus musikalisch zu gestalten,16 führte ihn dann doch dazu, an einer ganzen Reihe von Textstellen des Symbolum die Regeln der Psalmodie zu durchbrechen. Er entschied sich, nicht nur für die erste Vershälfte vor der Mediante die Möglichkeit der Einfügung von bis zu drei Flexae vorzusehen, sondern diese Möglichkeit auch für die zweite Vershälfte vorzusehen.17 14 WA 50, S. 264 f. Der Veröffentlichung der Druckfassung wurde bereits 1536 begonnen (vgl. ebd., S. 253). Die Textfassung, die der Quelle zu Grund liegt, enthält folgende Änderungen gegenüber WA / B SELK: S. 264: Z. 2 (1): halten; Z. 36 (21): geboren. S. 265: Z. 4: kleineste; Z. 6 (25): gesaget; Z. 11 (27): mensche; Z. 13 (28): mensche; Z. 26 (35): (ein) mensche; Z. 30 (37): zu der; Z. 36 (39): (böses gethan) haben. 15 Ettliche Psalm, Bl. B 2r. BSELK, S. 57. 16 Gewählt ist der in der modernen Theorie als I g bezeichnete Modus. 17 Die Blattzählung betrifft den Text von Ettliche Psalm, die in Klammern gesetzten Ziffern betreffen die durchlaufende Zählung in BSELK, S. 57–60. 2 Flexae vor der Mediante: „glaube“ „(eini) gen Gott“. „miteinander“ „gleich ewig“. Bl. A 2v / 3r (3). „not“ „(se)ligkeit“ Bl. C 3r (27). – 3 Flexae vor der Mediante: „also“ „gesaget“ „personen“ (Bl. C 3r (25). – 1 Flexa in der zweiten Vershälfte: „herrligkeit“ (Bl. A 3/2v (6). „für (sich)“ (Bl. C 1v (19). „(vn)ser“ Bl. C 3v (27). „(Got)tes“ (Bl. C 3v (28). „natur“ Bl. C 4r (29). „nicht“ Bl. C 4v (32). „die (Gotheit)“ (Bl. C 4v (33). „gefaren“ (Bl. D 1r (36). „(rech) ten“ (Bl.D 1v (37). „(ge)than“ (Bl. D 2r (38). „(trew)lich“ (Bl. D 2r (40). – 2 Flexae in der zweiten Vershälfte: „(we)der gemacht“ „geschaffen“ (Bl. C1v/2r (20). „geschaffen“ „geborn“ (Bl. C 2r (22). „drey Söne“ „(heil)ger“ (Bl. C2v (23). „die (letzte) „die gröseste“ (Bl. C 2v (24). Nimmt man die in der Notation überwiegend beachteten Regeln zum Maßstab, sind eine Reihe von Druckfehlern zu bemerken: Bl. A 2v (2) Zeile 4 zu „der“, Bl. D 1r „mensch“ und Bl. C 3v (28) Zeile 4 zu „das“: Note g muss jeweils lauten: a., Bl. C 2v (25) letzte Zeile „gleich“. An zwei Stellen hat sich der Komponist (aus unterschiedlichen Gründen hinsichtlich des Textes?) von der sonst angewandten Regel für die Terminatio gelöst und einen Pes fa statt ga gewählt: Bl. C 2v (25) letzte Zeile „gleich ewig / gleich gros“ sowie Bl. C 3v (28) vorletzte / letzte Zeile „Gott vnd mensche“.
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Für den Fall, dass das Symbolum nicht bereits für die Wittenberger Liturgie eine Komposition erfahren hatte,18 kann seine in der vorliegenden Quelle überlieferte Form als in der Liturgiegeschichte erste für den Gottesdienst bestimmte selbständige musikalische Fassung des Textes gelten, ausgezeichnet durch eine eigene neu komponierte Antiphon und die Zufügung des Gloria patri. 2.2 Theologische und liturgische Aspekte in der Frühzeit der Wittenberger Reformation Das Symbolum wurde von Martin Luther zu den „drey Symbola oder Bekenntnis des Glaubens Christi“ gerechnet, von ihm „fast ein Schutz Symbolon des ersten Symboli [sc. des Apostolicum]“ genannt.19 Das Symbolum erschien seit dem 7. Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts in vielen Bekenntnisdokumenten und wurde 1580 als solches zusammen mit dem Credo Apostolicum und dem Symbolum Nicaenum in das Konkordienbuch aufgenommen.20 Diese Zusammenstellung hatte eine Vorgeschichte im hohen Mittelalter. Sie taucht in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts bei Alexander von Hales auf.21 1208 wurde diese Zusammenstellung den Waldensern als Bekenntnis des Glaubens vorgeschrieben.22 Seine Bedeutung für Martin Luther und Philipp Melanchthon lag unter Berufung auf den Textinhalt im Nachweis der Kontinuität mit dem Glauben der Alten Kirche in Auseinandersetzung mit der römischen Kirche und den „Schwärmern“,23 aber auch mit der Abendmahlstheologie der schweizerischen Reformation und dem Islam.24 Für Martin Luther war der Text wichtig im Zusammenhang der dogmatischen Begründung der Christologie, deren biblische Wurzeln er in der Auslegung des Textes betonte.25 „ICh hab erfaren und gemerckt jnn allen geschichten der gantzen Christenheit, das alle die jenigen, so den heubtartickel von Jhesu Christo noch recht gehabt und gehalten haben, sind fein und sicher jnn rechtem Christlichen glauben blieben […] Denn wer hierinn recht und fest bestehet, Das Jhesus Christus rechter Gott und mensch ist, fur uns gestorben und aufferstanden, dem fallen alle andere Artickel zu und stehen jm fest bey“.26
18 Siehe unten (mit Fußnoten 31 und 37). 19 WA 50, S. 263, 6. 20 Vgl. BSELK, 42.57–60. 21 Ritter, Adolf Martin: Das Athanasianum, in: BSELK, 55. 22 Heinrich Denzinger / Peter Hünermann: Enchiridion symbolorum […], 44. Ausgabe, Freiburg – Basel – Wien 2014, Nr. 790 (S. 328). 23 Ritter (wie Anm. 21), S. 56 Anm. 29. Vgl. WA 50, 255 f. 24 Vgl. WA 40 II, S. 253, 30–32 (Auslegung von Psalm 2, 1546). 25 WA 50, 273,29– 274, 15. Vgl. Markschies, Christoph: Luther und die altkirchliche Trinitätstheologie, in: Ders. und Michael Trowitzsch (Hg.): Luther – zwischen den Zeiten, Tübingen 1999, 37–85. 26 WA 50, 266, 32–38.
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Friedhelm Krüger sieht auch in Artikel 17 der Confessio Augustana das Symbolum Athanasianum aufgenommen.27 Zu den frühesten Dokumenten für eine Lehrverpflichtung unter Aufnahme des Symbolum gehört der bereits 1533 formulierte Doktoreid der theologischen Fakultät der Wittenberger Universität.28 Bereits seit dem 9. Jahrhundert war das Symbol Bestandteil des morgendlichen Stundengebets des Klerus geworden. Es hatte seinen Ort in der Prim der Sonntage, die nicht mit einem weiteren Fest des Kirchenjahrs zusammenfielen und wurde im Anschluss an das Gebet der Psalmen ohne eigene Antiphon rezitiert.29 Das bedeutete, dass zumindest die unter den Trägern der frühen Reformationsbewegung, die aus dem Mönchsstand kamen, Erfahrungen in liturgischem Umgang mit dem Symbolum mitbrachten. So überrascht es nicht, dass Martin Luther bereits im „Unterricht der Visitatoren“ 1528 Wert darauf legte, dass, verbunden mit pädagogischen Erwägungen, das Symbol im Kontext der Liturgie erhalten bleiben sollte. Sein Vorschlag lautete, dass es seinen Ort in der zu großen Teilen lateinisch gesungenen Vesper haben sollte. Nach der biblischen Lesung „solt man heissen ein vater vnser beten. Danach mo(e)cht man singen / das Magnificat / odder / Te deum laudamus / odder Benedictus / odder Quicun(que) vult saluus esse […]“.30 Möglicherweise war das Symbolum zu dieser Zeit bereits Bestandteil des gottesdienstlichen Lebens in Wittenberg. Jedenfalls sah die Kirchenordnung von 1533 vor: Vor der Frühpredigt an Sonnund Feiertagen sollten die Schulknaben nach der wechselweisen Rezitation des Katechismus in lateinischer Sprache, dem Gesang von Psalmen, vier biblischen Lesungen, einem von der Gemeinde gesungenen Lied, der Predigt und einem weiteren Gemeindelied in wöchentlichem Wechsel mit dem Tedeum das Symbolum Quicunque – lateinisch im 1. Psalmton mit einer Antiphon versehen – singen.31 Einzelne Befunde in der Überlieferung weisen darauf hin, dass auch Justus Jonas zusammen mit Johannes Bugenhagen Einfluss auf die Gestaltung der frühen Ordnungen für Wittenberg hatte.32
27 Pöhlmann, Horst Georg / Austad, Torleiv / K rüger, Friedhelm (Hg.): Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, Gütersloh 1996, 188. 28 Förstemann, Carl Eduard (Hg.): Liber Decanorum Facultatis Theologicae Academiae Vitebergensis, Leipzig 1838, 158. 29 Vgl. Martimort, Aimé-Georges (Hg.): Handbuch der Liturgiewissenschaft, Bd. 1, Leipzig 1965, 139, Bd. 2, 374. 30 Martin Luther Studienausgabe, hg. von Hans-Ulrich Delius, Bd. 3, Berlin 1983, S. 449, 34– 450, 1. Die Aussage entspricht einem von Luther vor dem Druck des „Unterrichts“ vorgelegten Gutachten und erscheint im Zusammenhang einer der Einfügungen, die Luther selbst vor Drucklegung veranlasst hatte (vgl. WA 26, 181). Das bedeutet, dass der Text im „Unterricht“ auf Luther selbst zurückgeht. 31 Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, hg. von Emil Sehling (künftig zitiert: EKO mit Band- und Seitenzahlen), Bd. I 1, Tübingen 1904, 703 f. 32 Ebd., S. 698–700.
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2.3 Das Symbolum im gottesdienstlichen Leben in Halle an der Saale 2.3.1 Reformation und Umgestaltung des Gottesdienstes in Halle Die Wittenberger Reformation hatte seit dem Frühjahr 1541, zunächst durch den Einfluss des Erzbischofs von Magdeburg als Landesherrn und Widerstände in der Bürgerschaft verzögert, in Halle Fuß gefasst. Unter der Leitung von Justus Jonas als Pfarrer und (seit 1541) als Superintendent konnte sich 1544/45 nach Jahren der Unsicherheit die Situation der Reformation in Halle stabilisieren.33 Auch die Parochialschulen an St. Marien, St. Ulrich und St. Moritz hatten der Reformation zugetane Leitungen erhalten. Bereits am 28. März 1541 beschlossen die Sprecher der vier Pfarrsprengel, „daß die schulen christlich vnd besser“ bestellt werden sollten und dass „die jugent ethwas Rechtschaffens lernnen vnd in Gotts wordt vnd forcht ertzogen wordde“.34 Die Schule an St. Moritz hatte neu aufgebaut werden müssen. Die Einrichtung eines Gymnasiums brauchte noch einige Zeit.35 Der Hallesche Superintendent begann frühzeitig mit der Arbeit an einer Kirchenordnung.36 Sie lag, als Fragment überliefert, 1543 vor und enthielt den Hinweis auf den Gottesdienst in Wittenberg als Vorbild37 sowie umfangreiche Vorschriften für die Beteiligung von Schülern am Gemeindegottesdienst, die somit zu Trägern der Gottesdienste wurden. Ihnen kam der Gesang von „christliche[n] gesenge[n] oder psalmen“ im Frühgottesdienst an Sonn- und Feiertagen zu. Diese Gesänge waren zuvor von den Geistlichen der Kirchen St. Marien, St. Ulrici und St. Moritz auszuwählen. Die Frühgottesdienste begannen im Sommer um 4 Uhr, im Winter um 5 Uhr und waren nach Wittenberger Vorbild „dem armen gesinde und dienstboten“ zugedacht.38 Ein spezieller gottesdienstlicher Einsatz der Schüler war ferner für die jeweils in einer Woche im Frühjahr und Herbst stattfindenden Katechismuspredigten vorgesehen. In diesen Gottesdiensten „solte gesungen werden symbolum Athanasii, an stat der psalmen geteilt in drei teil, […] das die christliche jugent sich gewehne, die hochsten und heuptartikel christlicher lere zu lernen und zu behalten“.39 Dass für die sonntägliche Messe das Vorbild der Form gelten sollte, „wie in der kirchen Wittenberg, Torgau, Leipzig im schwang gehet und bisanher alhier auch geübt und angefangen“, kann nur bedeuten, dass damit die sogenannte Heinrich-Agende 33 Delius, Walter: Die Reformationsgeschichte der Stadt Halle a./S., Berlin 1953, 120 f. 125 f. Van Spankeren, Malte: Justus Jonas und der Beginn der Reformation in Halle, in: Lutherjahrbuch 84 (2017), 208–223. 34 Bräuer, Siegfried: Die reformatorische Bewegung in Halle im Vorfeld des Wirkens von Justus Jonas, in: Dingel, Irene (Hg.): Justus Jonas (1493–1555) und seine Bedeutung für die Wittenberger Reformation, Leipzig 2009, 173. 35 Delius (wie Anm. 33), 96–103. 36 Vgl. den Hinweis aus dem Jahr 1623 auf die Verfasserschaft von Justus Jonas, in: EKO Bd. I 1, Tübingen 1904, 443. 37 Ebd., 435. 38 Ebd., 434. 39 Ebd., 435.
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von 1539 gemeint war40 – mit einer Ausnahme: „Zu nutz der kirchen“ sollte jeweils vierzehntägig vor dem Introitus der Messe das Symbolum Athanasii gesungen werden. Dafür wurde jedoch mit Rücksicht auf die Gemeinde eine deutschsprachige Fassung dieses Bekenntnisses benötigt. Darum bemerkte die Kirchenordnung: „[…] wo mit der zeit zu dem deutschen text gute deutsche melodei und noten konten gemacht werden, were auch nüzlich, darzu man den musicum alhier Wolf Heynzen mecht vermanen und brauchen“.41 Es lässt sich derzeit nicht nachweisen, ob Wolfgang Heintz der Komponist der im Druck von 1544 fassbaren musikalischen Fassung gewesen ist. Eine weitere Besonderheit sollte für Halle gelten: Es sei wünschenswert, dass man nach einem Gemeindelied wie der von Martin Luther stammenden gereimten Fassung des 130. Psalms „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ „die ganze kirche etlicher gueter trostlicher nüzlicher psalmen gewiss gewone, und man kente mit der zeit anrichten, das aller psalmen im ganzen psalter das volk durch solche fleissige übung, wan man der psalmen nacheinander brauchet, gewenete“, wofür als Vorbild die Kirche von Jena galt.42 Auffallend an der ersten Kirchenordnung für Halle ist, dass sie keine Regelungen für von Schülern getragene Morgen- und Abendgebete Matutin (Mette) und Vesper enthält – vielleicht ein Indiz dafür, dass die Ordnung nur als Fragment erhalten ist. 2.3.2 Der gottesdienstliche Ort des Symbolum Bei dem vorgestellten Druck von 1544 handelt es sich seiner Anlage nach um einen liturgischen Gebrauchstext in deutscher Sprache. Festzuhalten ist der Hinweis – außer auf die beiden Katechismuspredigtreihen – auf seinen Ort in der sonntäglichen Messe. Offen bleiben muss, ob der Messe am frühen Morgen die Matutin als Morgengebet vorangestellt war und das Symbolum Quicunque in diesem Zusammenhang gesungen wurde. Andernfalls ist sein liturgischer Ort zu anderer, jedoch unbekannter Tageszeit in der Matutin als dem Morgengebet des von der Wittenberger Reformation gewünschten bzw. täglich praktizierten gemeinschaftlichen Gebetszyklus zu suchen. In jedem Fall sprechen die in der Quelle an der Spitze stehenden drei ersten Psalmen des Psalters, gefolgt von Psalm 90 für die Verortung in der Matutin. In vergleichbaren Zusammenhängen der frühen Reformation beginnt die Matutin am Sonntag bzw. Montag mit den Psalmen 1 bis 3.43 Auch der 90. Psalm dürfte mit seinem 14. Vers („Fülle uns frühe mit deiner Gnade, so wollen wir rühmen und fröhlich sein“) als Psalm für 40 Agenda. Das ist / Kyrchen ordnung / wie sich die Pfarrherrn vnd Selsorger in jren Ampten vn(d) diensten halten sollen […] Leipzig 1540, Bl. XXIIv-XXiiiv. XXXIXv-LX r. 41 EKO Bd. I 1, Tübingen 1904, 436. Zu Wolfgang Heintz und seiner Freundschaft mit Martin Luther, Koch, Klaus-Peter: Art. Heintz, Wolfgang, in: MGG2 Pers. 8, Sp. 1221–1224. 42 Ebd. Derzeit ist nicht zu beantworten, auf welche spezielle Jenaer Praxis sich die Aussage bezieht. 43 Vgl. Rietschel / Graff (wie Anm. 1), S. 382 („gewöhnlich“). Beispiele sind bei Odenthal, matutinae (wie Anm. 2), S. 96–97 aufgeführt.
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das Morgengebet zu verstehen gewesen sein – in den Laudes, dem feierlichen Morgengebet der mittelalterlichen Überlieferung, leitete dieser Vers an Werktagen vom Hymnus zum täglich wiederholten Benedictus, des Lobgesangs des Zacharias aus Lukas 1, 68–79, über. Allerdings ist der letztgenannte liturgische Ort für das Symbolum in Halle erst durch die nach 1570 entstandene Kirchenordnung nachweisbar. Hier ist der Gesang des deutschsprachigen Quicunque wie im „Unterricht der Visitatoren“ von 1528 vorgesehen, jedoch für den Schluss der Mette. Es soll zur ersten Hälfte in der Mette am Montag, zur anderen Hälfte am Dienstag gesungen werden.44 Man wird nicht fehlgehen, wenn diese Einteilung seines Textes jeweils den Inhalt der Trinitätstheologie und den Inhalt der Christologie meint. In der Mette am Mittwoch sollte das Tedeum, am Donnerstag und Sonnabend das Benedictus und am Freitag der Gesang des Liedes von Martin Luther „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“ seinen Ort finden.45 Das bedeutet, dass, wie in Wittenberg, so auch das im Druck für Halle bestimmte Modell den Gesang des Symbolum Quicunque im Morgengebet voraussetzte, hier allerdings in deutscher Sprache. Die Kirchenordnung, die nach 1570 verfasst ist, beruft sich darüber hinaus auf eine Choragende bzw. ein Cantional46 und erwähnt ein „schriftlich verzeichniss“ der vorgesehenen Gesänge.47 Auch sollte die Gestaltung des Gottesdienstes an die Ordnungen halten, die in Wittenberg, Leipzig und Torgau galten.48 Leider ist nicht ausgeführt, was es bedeutet, dass es in Halle „mit gesengen, ceremonien und liechter, ornats etc. wie bisher bleiben“ solle.49 Die einschlägigen Quellen zur frühen Reformationsgeschichte bieten also keine eindeutigen Aussagen zum konkreten liturgischen Ort der Ordnung, wie sie sich in der Veröffentlichung von 1544 vorfindet. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass es bereits in den Anfängen der Reformation in Halle an der Saale Justus Jonas, der halleschen Stadtgeistlichkeit – und vielleicht auch Geistlichen in der unmittelbaren Umgebung der Stadt50 – wichtig gewesen sein muss, für einen deutschsprachigen Druck zu sorgen, der für regelmäßigen Gebrauch in einem Morgengottesdienst geeignet erschien.
44 EKO Bd. I 1, Tübingen 1904, 438. 45 Ebd. 46 Ebd. 47 Ebd., 448. 48 Ebd., 438. 49 Ebd., 437. 50 Siehe unten (mit Fußnoten 74 bis 76).
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3. Das Symbolum im Kontext der Liturgiegeschichte des 16. Jahrhunderts Angesichts der bisher nur bruchstückhaft gelungenen Rekonstruktion der Gottesdienstgeschichte der Stadt Wittenberg um 1540 ist nicht sicher zu beantworten, was im Einzelnen die Berufung auf Wittenberg in der Kirchenordnung für Halle von 1543 bedeutet und wie sich dazu der 1544 erschienene Druck verhält. Unbezweifelbar ist, dass zwischen beiden Städten nicht nur enge Kontakte existierten, sondern es auch zu einem Austausch bezüglich der Gestaltung des Gottesdienstes gab. Allein die Tatsache, dass die Veröffentlichung „auff bitte der Kirchen in Hall“ erfolgte und in Wittenberg gedruckt wurde, spricht dafür. Es bleibt aber auch erwägenswert, ob in den Druck von „Ettliche Psalm“ Teile der Wittenberger Stundenliturgie eingegangen sind, die bisher in Wittenberg selbst nicht greifbar sind, dass also in der Veröffentlichung von 1544 für Halle Quellen für die Wittenberger Liturgiegeschichte enthalten wären. In der Fachliteratur ist allerdings gelegentlich – allerdings ohne weitere Nachweise – wahrgenommen worden, dass das Symbolum im weiteren Verlauf des Reformationsjahrhunderts eine nicht unbedeutende Rolle gespielt habe. Der römisch-katholische Patristiker Johannes Quasten stellte mit Recht bereits 1963 fest: „Bei den Reformatoren erfreute es sich besonderer Hochschätzung“.51 Auf die Auswirkung für die Liturgiegeschichte der Reformation soll im Folgenden auswahlweise hingewiesen werden. Über die Aufnahme in für die liturgische Praxis wichtige Sammelwerke gewann das Symbolum Quicunque weite Verbreitung. Georg Major nahm es in ein von ihm gestaltetes Handbuch in Oktavformat auf. Es enthielt – einem Brevier ähnelnd – die lateinischen Texte von Psalmen und alttestamentlichen Cantica „zum Gebrauch für Pastoren, Diakone und die Schuljugend“, erfuhr nach einer Erweiterung des Inhalts der 1547 erschienenen Fassung weitere 16 Auflagen zwischen 1558 und 1596 und bot zusammen mit Magnificat, Nunc dimittis, Benedictus, dem Invitatorium der Matutin und dem Symbolum Nicaenum auch das Symbolum Athanasianum.52 Über eine ähnliche Veröffentlichung von Christoph Corner, erschienen in 8 Auflagen zwischen 1568 und 1597, fand der Umgang mit dem Symbolum weitere Verbreitung.53 Unmittelbar für den liturgisch-musikalischen Gebrauch im lateinischen Stundengebet bestimmt und damit mindestens ebenso bedeutend war eine Veröffentlichung von Lukas Lossius, erschienen in Nürnberg 1553 und in weiteren
51 Quasten, Johannes: Art. Quicumque, in: LThK 2 8, Freiburg / Br. 1963, 938. 52 Major, Georg: Psalterium Davidis Ivxta Translationem Veterem, iam postremum repur gatum, & ad Hebraicum veritatem recognitum, Wittenberg 1558. Eingesehen wurde die Auflage von 1596, das Symbolum Quicunque dort S. 29–34. Die Auflage von 1570 ordnete das Symbolum zwischen Tedeum und Symbolum Nicaenum ein (Bl. 14v–15r). 53 Corner, Christoph: Cantica Selecta Veteris Noviqve Testamenti […], Leipzig 1575, 43–51. Der Hinweis auf Georg Major findet sich ebd., Bl. A 5r.
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Auflagen verbreitet.54 Das Symbolum war in diesen Ausgaben der Matutin zugeordnet und bot am Schluss auch das Gloria patri.55 Dass auch das 1568/69 veröffentlichte deutschsprachige Brevier für das kurbrandenburgische Stift in Berlin-Cölln das Symbolum enthielt, wird nicht verwundern. Es hatte seinen Ort ganz der mittelalterlichen Tradition entsprechend an Sonntagen in der Prim im Anschluss an die Psalmodie ohne eigene Antiphon.56 Im Zusammenhang mit der Einführung der Reformation wurde auch anderswo in Klöstern und Stiften das Stundengebet neu geregelt. Für die diesbezügliche Ordnung für Schleswig-Holstein von 1542 verfügte Johannes Bugenhagen in einer Beilage, es solle dabei bleiben, dass zur Prim am Sonntag im Anschluss an die Psalmen ihren Platz ohne eigene Antiphon behalten solle.57 Auch im Kloster St. Walburgis in Soest blieb es 1543 in deutscher Sprache in der Prim zusammen mit einem oder zwei Psalmen erhalten bzw. sollte „fein deutlich“ vor der Prim gelesen werden.58 Für die Stifte der Markgrafenschaft Brandenburg-Ansbach-Kulmbach galt die Verordnung von 1533, das Symbolum sonntags beizubehalten.59 In dem von Domdechant Matthaeus Ludecus für das Domstift Havelberg verfassten Vesperale und Matutinale war es mit seinem lateinischen Text im Anschluss an den gesamtem Psalter und die alttestamentlichen Cantica eingeordnet.60 Unter den territorialen Kirchenordnungen ist die von Brandenburg-Nürnberg (1533) zu nennen – hier konnte das Symbolum zur Mette an die Stelle der vorgesehenen drei Psalmen treten.61 Für Schleswig-Holstein wurde 1542 angeordnet, dass zum Morgengebet in den Schulen drei Psalmen, dazu ein Oktonar (Gruppe von 8 Versen) aus Ps 119 und das Symbolum Quicunque zu singen seien.62 Ähnlich ist die Bestimmung der von Johannes Bugenhagen, Anton Corvinus und Martin Görlitz 1543 erstellte Ordnung für Braunschweig-Wolfenbüttel. Nach ihr wurden am Schluss der Mette am Sonntag in 14-tägigem Wechsel das Tedeum und das Symbolum Athanasianum gesungen.63 Die Kirchenordnung für Schwarzburg (1549) erwähnt es als fakultativ anstelle des Gloria in excelsis in der Messliturgie.64 Zusammen mit einer Kirchenordnung für Pommern wurde 1569 eine Agende veröffentlicht. Sie gab Anleitung zum musikalischen Umgang mit dem Symbolum in Wochengebets- und Sonntagsgottesdiensten, indem hier sowohl der niederdeutsche Text als auch sein erster und letzter Vers als Modell 54 Lossius, Lukas: Psalmodia, hoc est, Cantica Sacra Veteris Ecclesiae Selectae […], Nürnberg 1553. Weitere Auflagen u. a. 1561, 1579 und 1595. 55 Ebd., Bl. 335v–336r. 56 Der alten reinen Kirche gesenge […], Frankfurt a. d. Oder 1568/69, 90–96. Die deutschsprachige Fassung weicht allerdings von der Übersetzung Luthers von 1538 ab. 57 EKO Bd. XXIII, Tübingen 2017, 143. 58 EKO Bd. XXII, Tübingen 2017, 470. 59 EKO Bd. XI 1, Tübingen 1955, 313. 60 Vgl. Odenthal, Vesperale (wie Anm. 2), Register S. 570. 61 EKO Bd. XI 1, Tübingen 1955, 199. 62 EKO Bd. XXIII, Tübingen 2017, 87. 63 EKO Bd.VI 1, Tübingen 1955, 52. 64 EKO Bd. I 2, Tübingen 1904, 129.
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zeile mitgeteilt wurde.65 Noch in der Ausgabe der Kirchenordnung von 1690 ist diese Verordnung anzutreffen.66 Hier wurde wiederholt auch den Pfarrern auferlegt, darauf zu achten, „daß alle Woche einmahl / oder ja alle Monat / das Symbolum Athanasii, Lateinisch oder Deutsch / cum Tono / in der Kirchen gesungen werde / auff den Sontag / oder an Werckeltage / zur Psalmodie / wie es zum besten gelegen ist“.67 Die Kirchenordnung des Herzogs Johann Casimir von 1626 bestimmte seinen Gesang für die Mette am Sonnabend „auff 2. Chör auch deutsch: oder Lateinisch“.68 Auch eine große Zahl von Städten sah in ihren Kirchenordnungen das regelmäßige Gebet des Symbolum an Sonntagen bzw. Festtagen vor. Das gilt für die von Justus Jonas entworfene Kirchenordnung von 1553 für Regenburg. Nach ihr war sein Ort, in zwei Chören lateinisch gesungen, im Morgengebet an den Feiertagen, an denen kein Gottesdienst mit Kommunion gefeiert wurde.69 In Hildesheim sollte es an Werktagen lateinisch im Anschluss an den Psalm der Mette lateinisch gesungen werden.70 In Schweinfurt (1543) fand das Symbolum seinen liturgischen Ort am Sonntag Trinitatis, gelesen vor der Frühpredigt und zur Vesper.71 Ebenfalls gelesen werden sollte es am Vorabend des Trinitatissonntags wie auch am Sonntag nach der Leseordnung von 1587.72 Bis nach Steyr in Oberösterreich reichte die Anregung, „beim Catechismo“, also während der Unterweisung der Jugend, das Symbolum zu singen. Es war der ehemalige Wittenberger Student Basilius Cammerhofer, der diese Anregung in eine Ausgabe von Martin Luthers Katechismus aufnahm.73 In unmittelbarer geographischer Nähe zu Halle an der Saale und damit vermutlich stark vom kirchlichen Leben der Stadt beeinflusst existierte noch bis in das 19. Jahrhundert hinein als selbstständige Ortschaft Neustadt mit seiner Pfarrkirche St. Laurentius. Hier wurde nach einer um 1570 datierten Überlieferung „einen Sontag vmb den andren Lateinisch vndt Deutsch“ die Vesper gesungen.74 Das bedeutete: Wurde die Vesper in lateinischer Sprache gesungen, gehörte zu ihr ein Psalm. Wurde am darauf folgenden Sonntag die Vesper in deutscher Sprache gesungen, gehörte zu ihr statt des Psalms der erste Teil des 65 EKO Bd. IV, Tübingen 1911, 440–441. Agenda Dat is / Ordninge der hilligen Kerckenempter vnde Ceremonien […] Gestellet vor de Kercken in Pamern, Wittenberg 1569, Bl. 475r–459r. 461r–v. Als Modell dient Modus VII b der gregorianischen Psalmodie. 66 Agenda (wie Anm. 65), Altenstettin 1690, Bl. 457r–460v. Als Modell dient Modus IV d. 67 Ebd., Bl. 80r. 68 Ordnung Wie es in deß […] Herrn Johann Casimiri […] Landen gehalten werden solle, Coburg, 1626, 42. 69 EKO XIII 3, Tübingen 2017, 421. 1543 war bestimmt worden, das Symbolum in deutscher Fassung im Wechsel mit dem lateinisch gesungenen Benedictus vorzusehen (ebd., 413). In der nach 1560 erlassenen Kirchenordnung ist das Symbolum für die Sonntagsvesper angeordnet (ebd., 478). 70 EKO Bd. VII 2, Tübingen 2016, 849. 71 EKO Bd. XI 1, Tübingen 1961, 638. 72 Ebd., 744. 73 Cammerhofer, Basilius: Kinder-Bibel […], Wittenberg 1570, Bl. Ee 2r–5r. Hier war für die Ausführung der Modus I g (ohne Antiphon) vorgesehen. 74 Handbuch (wie Anm. 7), S. 62*.
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Symbolum Quicunque in deutscher Sprache. Der zweite Teil wurde „gespart bis vber 14 tage“. Beide Teile sollten immer unter der gleichen Antiphon gesungen werden.75 Diese Verteilung erinnert unmittelbar an die zur gleichen Zeit in Halle selbst geübte Praxis.76 Hinter ihr dürften stark (religions)pädagogisch geprägte Motive gestanden haben, die die Verständlichkeit des Textes auch für jüngere, nicht in der lateinischen Sprache geübte Schüler und weitere der lateinischen Sprache Unkundige ermöglichen sollten. Eine besonders lange Tradition des liturgischen Umgangs mit dem Symbolum ist in den Kirchenordnungen für Hessen bezeugt. 1566 wurde festgelegt, das Nicaenum oder das Symbolum Quicunque an Feiertagen (ohne nähere Bestimmung) vorzulesen oder zu singen.77 Die Ausgabe von 1574 veränderte die Regelung: Nach dem Evangelium möge man das Symbolum Apostolicum oder das Nicaenum oder auch „jhe bißweilen […] das teutsch Grates nunc omnes: oder einen andern kurtzen Gesang singen / vnd darauff das Symbolum Nicenum oder Athanasianum mit klarer stim(m) / dem volck für dem Altar fürlesen“.78 Diese Ordnung galt bis zur Ausgabe, erschienen in Darmstadt 1662.79 Sie existierte ihrem Gehalt nach noch im Neudruck der Ausgaben von 1657, 1678 und 1723 in der Agenda von Rengshausen 1853.80 Nicht in jedem Falle liegen eindeutige Aussagen darüber vor, ob die lateinische oder die deutsche Textfassung des Symbolum Quicunque in den Orten in Übung war, für die Quellen vorliegen. Für Regensburg und Hildesheim berichten sie von Ordnungen mit der lateinischen Fassung. Deutsch bzw. Niederdeutsch war für Brandenburg-Nürnberg und Pommern sowie für das Frauenstift St. Walburgis in Soest vorgesehen. Über fakultativen Gebrauch bzw. zwischen beiden Textfassungen wechselnd berichten die Quellen zu Neustadt bei Halle und die Kirchenordnung von Herzog Johann Casimir von 1626. Eindeutig ist seit 1573 der Verzicht auf die gesungene Textform zu Gunsten der Verlesung durch den Geistlichen in Hessen. Jedoch scheint in anderen Quellen das „Lesen“ des Symbolum den gesungenen Umgang mit einzuschließen, speziell dort, wo es sich um Chöre handelt, die als Träger einer liturgischen Funktion erscheinen. Außer im besprochenen Druck von 1544 berichten die Quellen selten davon, dass für den Gesang des Symbolum eine eigene Antiphon vorgesehen war. In Wittenberg war dies 1543/44 die Antiphon „Adesto Deus“, in der 75 Ebd., S. 63* und 64*. 76 Vgl. Anm. 43. Das Handbuch zur deutschen evangelischen Kirchenmusik (wie Anm. 7) bemerkt unter Bezugnahme auf die zu Grunde liegende handschriftliche Quelle: „In dieser Ordnung wie auch in dem Noteninhalt des Bandes kehrt die von J. Jonas 1544 […] gedruckte Fassung des Athanasianums […] wieder“ (552). 77 EKO Bd. VIII, Tübingen 1965, 243. Text des Symbolum S. 243 f. 78 Ebd., 411. Vgl. AGENDA Das ist: Kirchenordnung wie es im Fürstenthumb Hessen […] gehalten werden soll, Marburg 1574, Bl. 7v. Text des Symbolum Bl. 10r–13v. 79 Dort S. 14. Text des Symbolum S. 19–26. 80 Agenda […], Rengshausen 1853, 14, dort vorgesehen für Mittagsgottesdienste an Festtagen und vermehrt um das Chalcedonense von 451 – gelesen, „damit sie den Leuten bekannt werden“. Das Symbolun Athanasium wird für den Neujahrstag und das Osterfest genannt.
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mittelalterlichen Überlieferung war für den ersten Psalm die erste Nokturn der Matutin des Trinitatisfestes vorgesehen.81 Sie taucht im gleichen zeitlichen Zusammenhang (1543) in der Kirchenordnung für das Herzogtum Wolfenbüttel in der Mette an Sonntagen auf82 und nochmals 1569 in der Kirchenordnung für Pommern.83 Lucas Lossius bietet für das Trinitatisfest den gekürzten Text der Benedictus-Antiphon des Festes an.84 Einen Sonderfall stellte eine Versdichtung des Textes des Symbolum Quicunque im Gesangbuch von Valentin Triller von 1555 dar,85 das in zweiter veränderter Ausgabe 1559 erschien.86 Triller bietet den Text mit der Bemerkung: „(D)er Glaube Athanasij durch aus auff vj Syllaben gestelt“.87 Ihm ist als Antiphon in zeitgenössischer Quadratnotation im Modus I g mit dessen Terminatio beigegeben: „Lob ehr vnd preis vnnd herrligkeit / sey Got inn Dreyfaltigkeit / dem Vater vnd auch dem Son vnd dem heiligen Geist im höchsten thron / in einem wesen drey person“.88 Der exemplarische Rückblick auf die Rolle des Symbolum Quicunque im 16. Jahrhundert lässt erkennen, dass die für Halle im Jahre 1544 erschienene Veröffentlichung nicht die früheste gottesdienstliche Quelle der Reformationszeit ist, die die Erhaltung der liturgischen Praxis für das Symbol im Auge hatte. Bereits einige Kirchenordnungen der ersten Jahre des 5. Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts lassen solche Bemühungen erkennen. Fragt man nach den Trägern für diese Bemühungen, wird man immer wieder auf den Namen von Johannes Bugenhagen stoßen. Sein Name lässt sich auch für Kontinuitäten im Rahmen von Kirchen-, Kloster- und Stiftsordnungen nennen, die sich in den folgenden Jahrzehnten in Umrissen zeigten.
81 Boes, Adolf: Die reformatorischen Gottesdienste in der Wittenberger Pfarrkirche von 1523 an und die Ordenung der gesenge der Wittembergischen Kirchen von 1543/44, in: JLH 4 (1958/59), 25 („Adesto, Deus unus omnipotens Pater et Filius et Spiritus Sanctus“). 82 EKO Bd. VI 1, Tübingen 1955, 52. 83 Agenda (wie Anm. 65), Bl. 401r. 84 Lossius (wie Anm. 54), Bl. 370v (Benedicta sit creatrix & gubernatrix omnium, sancta & individua Trinitas). 85 Triller, Valentin: Ein schlesisch Singebuechlein aus Goettlicher Schriftt / von den fuernemsten Festen des Jares […] gestelt auff viel alte gewoenliche Melodien […] zum Teil […] lateinisch, zum Teil Deutsch, Breslau 1555. Den Text bietet auch Philipp Wackernagel: Das deutsche Kirchenlied […], Bd. 4, Leipzig 1874, Nr. 72, S. 41–42. 86 Eyn Christlich Singebuch / fur Layen vnd Gelerten / Kinder vnd alten […] von den furnemsten Festen des gantzen jares […] Zum teil auch aus reinem Latinischen Coral / newlich zugerichtet, Breslau 1559. http://www.resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0002089B00000000 (abgerufen 5.5.2018). Hieraus wird im Folgenden, wenn nicht anders vermerkt, zitiert. 87 Wackernagel (wie Anm. 85), 41. 88 Triller (wie Anm. 85), Bl. P 1r.
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4. Zusammenfassung In der im Vorausgehenden skizzierten selektiven Zusammenstellung zeigt es sich, dass die Einschätzung von Adolf Martin Ritter zutrifft: Der gottesdienstliche Gebrauch des Symbolum Quicunque sei in den der Reformation folgenden Jahrhunderten „ganz geläufig“ gewesen.89 Das Symbol erweist sich also als bei den Vertretern der Wittenberger Reformation besonders hoch geschätzt.90 Es bleibt festzuhalten, dass bei Vorschlägen für die Neuordnung des Gottesdienstes am Beginn der Wittenberger Reformation auf das Symbolum Quicunque zuerst durch Martin Luther 1528 hingewiesen worden ist. Dort erscheint es in seinem liturgischen Rang auf gleicher Ebene mit den neutestamentlichen Cantica, nämlich dem Benedictus, dem Magnificat, dem Nunc dimittis sowie dem Tedeum, also nicht nur in der Reihe der Psalmen des Stundengebets, wie sein Ort in der mittelalterlichen Officiumsliturgie nahegelegt hätte. Diesen Rang behielt es in der Folgezeit dort, wo es bewusst für die Liturgie rezipiert wurde. Für seine Rezeption ist zu beachten, dass seine Verbreitung durch die drei weiteren Auflagen des „Unterrichts der Visitatoren“ von 1528 (1538, 1539 und 1545) mitbedingt sein dürfte. Dass die Rezeption gelegentlich durch musikalische Anleitung unterstützt wurde, unterstreicht diese Bestimmung für die Aufnahme in den Gottesdienst. Nicht deutlich festzustellen ist, in wieweit durch den Druck von 1544 die gottesdienstliche Ausführung vorbereitet oder gar durchgesetzt worden ist. Er war er für die „christlichen Gemeinen“ bestimmt. Sein unmittelbarer Einfluss auf die Liturgie der Wittenberger Reformation lässt sich bisher nicht klar erfassen. Besonders hinzuweisen ist darauf, dass in liturgietheologischer Perspektive die Aufnahme des Symbolum Quicunque als dogmatischer Text in den gottesdienstlichen Vollzug mit der Wittenberger Reformation einen starken Impuls erhalten hat. Er erreichte über die monastische Lebenswelt hinaus auch die Ortsgemeinden und war geeignet, den gottesdienstlichen Horizont der Bekenntnisbildung der Wittenberger Reformation zu erweitern: Hatten die antiken Bekenntnisse, nämlich das Symbolum Apostolicum und das Symbolum Nicaeno-Constantinopolitanum, längst eine zentrale Rolle im Gottesdienst gewonnen, so gewann nun auch das Symbolum Quicunque einen öffentlich wahrnehmbaren Ort im Gottesdienst und bestätigte die altkirchliche Regel: „… ut lex credendi legem statuat supplicandi“ (Prosper von Aquitanien, ep. 8). Das Symbolum war in der liturgischen Tradition des Mittelalters lediglich in den psalmodischen Umgang ohne weitere musikalische Auszeichnung eingeordnet. Der Vergleich mit der Wittenberger Reformation lässt darauf schließen, dass die mit gesonderter Antiphon versehene musikalische Gestaltung seines Textes und seine Gleichstellung mit den neutestamentlichen Cantica und dem Tedeum sich als liturgiegeschichtlich einmalig erweist. Daran, dass hier der 89 Ritter (wie Anm. 21), 55, Anm. 25. 90 Vgl. Anm. 51.
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liturgische Umgang mit dem Symbolum Quicunque – buchstäblich: sang- und klanglos – im 19. Jahrhundert verschwand, war auch die theologische Umwertung seines Textes beteiligt. Unter den theologischen Schülern von Georg Wilhelm Friedrich Hegel sollte das Symbolum als „Anschauungsmaterial für die spekulativ gefasste Idee der Gottmenschheit“ verstanden werden.91 Eine „Glaubenslehre für die Gebildeten in der Gemeinde“, 1829 erschienen, kam am Schluss auf die Trinitätslehre zu sprechen und beschrieb das Symbolum quicunque wie folgt: „[…] das ganze Christenthum ruht darin, als in einer verschlossenen Knospe.“ Verstanden werden dürfe diese Knospe „nicht als Dogma, wofür sie von der Kirche genommen werde, sondern nur als Sinnbild christlicher Ideen“. Der dem Matthäusevangelium 28, 19 entstammende biblische Tauf befehl, aus dem die Trinitätstheologie erwachsen sei, bedeute – so die 3. Auflage des Werkes – demnach: „Gott ein Vater über alles, mit ihm die Menschheit durch den Menschensohn, der ein Gottessohn wurde, in neuer Liebe vereint, auf daß wir alle Söhne werden durch der Kirche freien und heiligen Gemeingeist, und Gott alles in allem“.92 Adolf von Harnack, der sehr wohl die „liturgischkunstvolle Gestalt“ des Symbolum zu würdigen verstand,93 sah in der Tendenz dieses Bekenntnistextes dann doch eine „Umbiegung der Trinitätslehre als eines innerlich anzueignenden Glaubensgedankens in eine Rechtsordnung“.94 Die bisherige Begründung für den gottesdienstlichen Umgang mit ihm war nicht mehr einleuchtend. Die in der Liturgie der Wittenberger Reformation theologisch begründete Hochschätzung des Symbolum blieb auf die frühe Neuzeit mit ihrem Ausklang im 19. Jahrhundert beschränkt.
91 Vgl. Hornig, Gottfried: Lehre und Bekenntnis im Protestantismus, in: Carl Andresen / Adolf Martin Ritter: Handbuch der Theologie- und Dogmengeschichte, Göttingen 21998, 161. 92 Hase, Karl: Gnosis oder Evangelische Glaubenslehre, für die Gebildeten in der Gemeinde dargestellt, Bd. 3, Leipzig 1829, 519–520. Das Werk erschien in zwei weiteren, teilweise veränderten Auflagen 1869/70 und 1893. 93 Adolf von Harnack: Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd. 2, Tübingen 1909 (ND 1990), 312. 94 Ebd., 313.
Die Merkmale evangelisch-reformierter Gottesdienstpraxis Bruno Bürki
Der evangelische und speziell evangelisch-reformierte Gottesdienst in den Kirchen der Gegenwart ist an einer Reihe von Kennzeichen als effektiv evangelisch erkenntlich – davon soll im Folgenden respektvoll, aber auch kritisch die Rede sein.
1. Biblisches Fundament Evangelischer und nun speziell evangelisch-reformierter Gottesdienst ist eh und je durchgehend biblisch verankert und an seiner biblischen Tonart zu erkennen. Es ist kein Zufall und auch nicht bloß formale Gegebenheit, dass das bemerkenswerteste und weittragendste Liturgiebuch der Reformierten französischer Zunge – La Forme des Prières et Chants Ecclésiastiques (1542 von Johannes Calvin in Genf verfasst und herausgegeben) – über Generationen hinweg in die für die Hand der Gläubigen bestimmten Bibeln eingebunden und mit diesen verbreitet wurde.1 Die Formulierung der Gebete für den Gemeindegottesdienst, dazu natürlich die für den Gesang in der Gemeinde, aber auch in den Häusern, bestimmten Psalmen, sind der Bibel entnommen und bleiben dieser nach Gehalt und Sinn verbunden. Man kann so von einer Stilverwandtschaft zwischen dem reformierten Gottesdienst und der biblischen Botschaft, oder bescheidener ausgedrückt: vom biblischen Tonfall solchen Gottesdienstes reden. Es ist auch kein Zufall, dass der einflussreiche Neuerer der reformierten Liturgie im 18. Jahrhundert Jean-Frédéric Ostervald (mit seiner im Übrigen wesentlich vom anglikanischen Book of Common Prayer abhängigen Liturgie … établie dans les Eglises de la Principauté de Neufchatel et Vallangin aus dem Jahre 1713) auch – und vielleicht allem liturgischen Engagement vorgängig – Leser, Übersetzer, Kommentator sowie Prediger der Heiligen Schrift des Alten und des Neuen Testamentes gewesen ist.2 Die Bible d’Ostervald ist in 1 Bestzugängliche kritische Ausgabe in Ioannis Calvini Opera selecta II, ed. Petrus Barth / Dora Scheuner, München 1952, 1–58. 2 Barthel, Pierre: Jean-Frédéric Ostervald, l’Européen. 1668–1747. Novateur neuchâtelois. Genève 2001. Bürki, Bruno: Cène du Seigneur – Eucharistie de l’Eglise. Le cheminement des Eglises réformées romandes et françaises depuis le 18e s. d’après leurs textes litugiques. Fribourg 1985. Bd. I, 21–36.
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allen reformierten Häusern und den Temples im französischen Sprachgebiet vom 18. bis ins 20. Jahrhundert an ihrem Ehrenplatz zu finden und natürlich auch regelmäßig gebraucht worden. Gottesdienst und Bibelgebrauch sind miteinander verbunden. Es ist hier auch daran zu erinnern, dass die zwei Einführungsbände zur reformierten Kirchlichen Dogmatik (also die Prolegomena) von Karl Barth in zwei Bänden als Die Lehre vom Wort Gottes vorgetragen wurden. Damit ist die Abhängigkeit alles kirchlichen Redens und Handelns, und eben auch des liturgischen Gottesdienstes, vom Wort Gottes und seiner Offenbarung klar ausgedrückt. Noch deutlicher kommt bei Karl Barth die Zusammengehörigkeit von Gotteswort und Gottesdienst in der programmatischen Schrift von 1938, den Vorlesungen zum Schottischen Bekenntnis von 1560 zum Ausdruck. Gottesdienst ist nach dem Zeugnis der Schrift göttliches Handeln und menschlicher Gehorsam gegenüber dem Gotteswort.3 Die Bibel wird im traditionellen Protestantismus nicht nur im Gemeinde gottesdienst gebraucht. Sie befindet sich auch in der Hand der einzelnen Gläubigen jeden Standes und jeder Altersgruppe und wird von diesen in verschiedener Weise zur persönlichen Andacht individuell oder in Gruppen genutzt. Die pietistischen Gruppierungen seit dem 17. Jahrhundert – und in neuerer Zeit die evangelikalen Bewegungen – waren und sind in dieser Weise zweifelsohne aktiver als die Mitglieder der traditionellen Großkirche. Man hüte sich jedoch vor Simplifizierungen und Verallgemeinerungen, denn bei den französischen reformierten Hugenotten ist allerdings ganz besonders – schon wegen ihrer gesellschaftlichen Zerstreuung – der Umgang mit der Bibel in der Familie und ebenso von Einzelnen für Spiritualität und alles gottesdienstliche Leben immer markant gewesen und geblieben.
2. Gepflegte Kultur der Verkündigung Die biblisch verankerte oder dann mindestens biblisch dekorierte oder bereicherte Predigt ist im traditionellen Protestantismus so wichtig, dass der ordentliche Sonntagsgottesdienst mindestes im deutschsprachigen und schweizerischen Kontext einfach als „die Predigt“ bezeichnet wird – in Unterscheidung von der katholischen Messe. Die praktizierenden Protestanten sind effektiv Predigtgänger. Evangelisch-reformierter Gottesdienst steht und fällt mit der biblischen Predigt – wie auch immer der Zusammenhang solcher Predigt mit anderen liturgischen Elementen und insbesondere mit der Abendmahlsfeier oder Eucharistie verstanden und ausgestaltet wird.4 3 Barth, Karl: Die Kirchliche Dogmatik, Bd. I/1 und 2. Zollikon-Zürich 1939. Ders., Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre. Zollikon 1938. 4 Die historisch beglaubigte offizielle Bezeichnung des reformierten Amtsträgers lautet ensprechend Verbi Divini Minister. Dazu ein typisches Lehrbuch von einem in Paris tätig gewesenen
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Die gottesdienstliche Schriftlesung – seit nun vielleicht zwei Generationen mit Bedacht und im Allgemeinen unter Aufbietung der geeigneten Kräfte von Laiengliedern der Gemeinde vorgetragen – ist ein zentrales Element im gottesdienstlichen Ablauf. Man erhebt sich dazu zwar nicht, wie die Katholiken das zur Proklamation des vorzutragenden Evangeliums zu tun pflegen. Das Gewicht der Bibellesung ist dessen ungeachtet im gottesdienstlichen Ablauf deutlich spürbar. Der biblische Predigttext ist erste Vorgabe für den protestantischen Gottesdienstredner – was auch immer dann vielleicht an seinem Umgang mit der Bibel zu loben oder zu kritisieren ist. Die Vorbereitung des sonntäglichen oder sonst – je nach dem Pflichtenheft des kirchlichen Amtsträgers / der Amtsträgerin – periodisierten Gemeindegottesdienstes stellt nach wie vor einen gewichtigen Anteil der Aufgaben und der Interessen im kirchlichen Beruf dar. Angesichts der modernen Diversifizierung der pastoralen Tätigkeiten sind Anteil und Wichtigkeit dieser speziellen Aufgabe wohl nicht mehr zeitfüllend, wie es etwa um die Mitte des 20. Jahrhunderts wohl noch gewesen ist. Aber sie behalten doch Gewicht. Die Realisierung kennt individuelle Verschiedenheiten: Vielleicht folgt der Amtsträger einer kirchlichen Leseordnung für Bibeltexte oder die Auswahl von Text und Predigtthema ist von den Umständen und von persönlichen Optionen bestimmt. Das neue römisch-katholische Lektionar für das nachkonziliare Messbuch von Papst Paul VI. (1969/70) mit ihrem dreijährigen Zyklus (A / B / C , je eines der synoptischen Evangelien in privilegierter Stellung) hat auch im evangelischreformierten Bereich Anhänger gefunden. Daneben hat die westschweizerische Communauté de travail des Commissions romandes de liturgie (zwischen 1979 und 1986) eine eigene, ebenfalls dreijährige biblische Leseordnung aufgestellt.5 Diese ist vom Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund seinen Mitglied kirchen zur Übernahme empfohlen worden. Übereinstimmungen zwischen katholischen und evangelischen Textvorschlägen speziell für die hohen Festtage ergeben sich von selber und sind willkommen. Die jedenfalls im schweizerischen protestantischen Umkreis häufig in Anspruch genommene Wahlmöglichkeit zwischen einem vorgebenen und einem individuell gewählten Text zur gottesdienstlichen Predigt bietet natürlich viel Spielraum, der je nach den beteiligten Personen und den Umständen mehr oder weniger genutzt wird. Nach unserer Beobachtung liegen Entgleisungen immer nahe. Dies ist freilich auch der Preis für den im Übrigen in mancher Hinsicht wertvollen freien Umgang mit der biblischen Botschaft. Von Bedeutung ist die interessante, im Publikum geschätzte und gebrauchte biblische Predigtliteratur der Protestanten. Berühmte Namen aus der jüngeren Vergangenheit waren dabei der Berner und der Basler Münsterpfarrer Walter Lüthi und Eduard Thurneysen. reformierten Professor Laurent Gagnebin: Le culte à choeur ouvert. Introduction à la liturgie du culte réformé. Paris / Genève 1992. 5 Siehe die systematische Präsentation des Lektionars im Beiheft zur Liturgie Romande (1986): Lectionnaire des dimanches et des fêtes à l’usage des Eglises réformées de la Suisse romande, Communauté de travail des Commissions romandes de Liturgie, Lausanne 1988.
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Die Predigtlehre von Rudolf Bohren (1920–2010), eines in der reformierten Schweiz geborenen und in Deutschland als Professor in Wuppertal und Heidelberg tätig gewesenen Theologen, hat zusammen mit seinen lyrischen Texten zum Weiterbeten eine Brückenfunktion zwischen Bibelwort und liturgischer Feier im 20. Jahrhundert wahrgenommen.6
3. Beteiligung der Gemeinde am Gottesdienst Der reformatorische Übergang von der mittelalterlichen Kleriker- und Mönchsliturgie zum Gottesdienst in der Muttersprache war ein eingreifender und sichtbarer, konsequenzenreicher liturgischer Eingriff. Von diesem Zeitpunkt an feierten die evangelisch-reformierten Kirchen einen anderen Gottesdienst als es die traditionell abendländisch mittelalterliche Liturgie der Kloster- und Diözesankirchen gewesen war. Der populäre Ansatz war sichtbar und hörbar, auch tiefgreifend und konsequenzenreich auf breiter Ebene. Protestantischer Gottesdienst war nunmehr eine von Bescheidenheit und volkstümlicher Einfachheit geprägte Veranstaltung, im Prinzip jedermann zugänglich und verständlich. Das Wort der Heiligen Schrift ertönte in allgemein verständlicher Sprache – die an Gott gerichtete Anrufung war unkomplzierte direkte Anrede. Bei solcher Direktheit und Einfachheit – in moderner Sprache ausgedrückt: in der Spontaneität – ist es dann im Protestantimus über Generationen hin geblieben bis in unsere Gegenwart, im reformierten Raum noch ausgeprägter und betonter als in jeder anderen konfessionellen Denomination. Aber hier tauchen gewisse Fragen auf: Schließt solche Direktheit und Einfachheit nicht die Gefahr der Banalisierung der Kommunikation in sich? Sind wir uns in solchem Gottesdienst noch hinreichend bewusst, dass wir es in der Beziehung und im Verkehr mit Gott nicht einfach mit einem gewöhlichen Gegenüber zu tun haben, sondern ein Geheimnis respektieren sollen? Ist unser Gottesdienst noch wirklich und immerzu Begegnung und Erfahrung mit den Herrn über Himmel und Erde? Wo liegt die Grenze zwischen einem Gottesdienst in populärer oder volkstümlicher Form und einer banalen, weil einfach formlosen respektive formvergessenen (und damit ipso facto a-liturgischen) Veranstaltung? Neben dem populären Volksredner gibt es auch den intellektuell frustrierten Theologen auf der Kanzel oder den Gemeindeleiter, den einen pastoralen Ton anschlägt und damit die Zuhörer nervt anstatt sie für die Botschaft zu gewinnen. Ist solcher Gottesdienst des göttlichen Geheimnisses würdig? Und ist er nach außen wie innerhalb der Kirchengemeinde würdig, die Wahrheit auszudrücken und ist er damit glaubwürdig? Denn wir müssten in einem normalen und authentischen Tonfall die Wahrheit ausdrücken können. In einem Kontext wie demjenigen unserer Postmoderne – in der alles prob lematisch und fragwürdig werden kann – wird solch religiöse und liturgische
6 Bohren, Rudolf: Predigtlehre. München 1971. Ders.: Texte zum Weiterbeten.
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Unsicherheit speziell spürbar. Was macht es jetzt für einen Sinn und welches sind unsere Möglichkeiten, eine gottesdienstliche Feier zu begehen? Von einer Auflage oder auch nur einer schicklichen Gewohnheit bezüglich allsonntäglichem oder mindestens regelmäßigem Kirchgang – von einer Sonntagspflicht, wie Katholiken sie vor nicht allzu langer Zeit zu erfüllen trachteten –, kann jetzt kaum noch die Rede sein. Sinkt der Gottesdienst der reformierten Kirche auf die Ebene einer gesellschaftlichen Randveranstaltung? Er könnte zu einer Club-Veranstaltung verkommen. Die Frustration des Pfarrers wird hörbar. Was kann man nun im evangelisch-reformierten Raum aus der allgemeinchristlichen und seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil insbesondere katholischen Aufforderung einer allgemeinen aktiven Beteiligung am gottesdienstlichen Geschehen noch machen? In dem weitverbreiteten Auflösungsprozess können sich jedoch in Wirklichkeit auch neue gottesdienstlichen Möglichkeiten anbieten. Es gibt den Wunsch und die Bereitschaft etlicher Zeitgenossen zu einem Gottesdienst in anderer Form. Improvisation und Kreativität können auch auf liturgischem Feld nicht uninteressante neue Wege öffnen. Die sogenannten Thomasmessen (in Anspielung auf die neutestamentliche Jüngerfigur des Thomas, dem die Auferstehungsbotschaft von Jesus unglaublich Mühe bereitete und der sich nach Berührung des auferstandenen Heilandes sehnte, um sich von der Auferstehungsbotschaft überzeugen zu lassen), sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Wir denken auch an die Taizé-Gottesdienste, die von der ökumenischen Bruderschaft in Taizé (im französichen Burgund) ausgehend in zahlreichen europäischen Städten stattfinden – mit lebendiger Musik und tiefsinniger, packender Meditation. Man möchte den heutigen Menschen bei seinen zeitgenössischen Fragestellungen abholen anstatt ihn unvorbereitet mit einer autoritativen Botschaft oder kirchlichen Lehre zu konfrontieren. Das hat bei manchen Menschen echt evangelische Prozesse in Gang gebracht. Taizé-Gottesdienste mit ihren ergreifenden und repetitiven Gesängen haben manche Türen aufgemacht. Gottes Wege sind in mancher Hinsicht überraschend. Solche Überraschungen im banalen Kontext sind unter Umständen interessante Spätfolgen des reformatorischen Übergangs von der klassischen lateinischen oder auch byzantinischen Kultsprache zum Gottesdienst in der Umgangssprache. Man möchte also nicht nur die möglicherweise negativen Folgen des Übergangs zum populären Gottesdienst in der Volkssprache ins Auge fassen, sondern auch neue Möglichkeiten nicht ungenützt übersehen – gute Gelegenheiten zur Weitergabe des Evangeliums in breitem Kreis gibt es im 21. wie seinerzeit im 16. Jahrhundert. Gehört dazu die in der Schweiz auf höchster Ebene des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes zum Auftakt des Reformatoponsjubilums im Jahr 2017 von der Aargauer Mitgliedkirche lancierte Idee einer Abendmahlsfeier in drei Musikformen: Chor-, Pop- oder Jodel-Gottesdienst?7 Wir möchten diese Frage offen lassen. 7 Brändlin, Sabine / Locher, Gottfried Wilhelm / Wagner, Dieter: Reformierter Abendmahlsgottesdienst. Liturgieheft zur Aargauer Jubiläumsliturgie. Zürich 2016. Den Sitz im Leben für
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4. Heilsgeschichtliche Verwurzelung und ökumenische Ausrichtung im Gottesdienst Um die Mitte des 20. Jahrhunderts wirkten an der Universität Basel zwei große Theologen, die beide, in je eigener Weise, und meines Wissens ohne viel persönlichen Kontakt untereinander, Gestalt und Zukunft des evangelisch-reformierten Gottesdienstes beeinflusst haben: Karl Barth (1886–1969, in Basel ab 1935) und Oskar Cullmann (1902–1999, in Basel ab 1938). Während Cullmann mit seinen historischen Untersuchungen die alt- und sogar urkirchlichen Wurzeln der gottesdienstlichen Feiern nachwies und deren ökumenisch motivierte und nach wie vor eschatologisch ausgerichtete Neugestaltung empfahl, trug Karl Barth, insbesondere in seiner Schrift von 1938 mit dem Titel Gotteserkenntnis und Gottesdienst (Vorlesungen zum schottischen Bekenntnis von 1560), ein doppeltes dogmatisches Konzept zum kirchlichen Gottesdienst vor, als göttliches und dann als menschliches Handeln.8 Geradezu eine Glanzleistung für einen Theologen, der sich mit vielen passenden und manchmal auch unpassenden Bemerkungen die Reputation eines Gegners liturgischer Gestaltung überhaupt ausgehandelt hatte! Persönlich hatte Karl Barth auch einfach wenig Geschick für die Rolle eines Zelebranten – und damit verfiel er der banalen Tendenz, eine Not zur Tugend zu machen. Im Übrigen ist es wohl angemessen, neben Karl Barth und Oscar Cullmann noch einen weiteren Theologen aus Basel als Promotor neuer theologischer Verwurzelung des Gottesdienstes zu nennen: wir denken an Wilhelm Vischer, der die längste Zeit seiner theologischen Laufbahn als Professor an der reformierten theologischen Fakultät im südfranzösischen Montpellier verbracht hat. Einen theologischen Namen hat er sich vor allem durch seine beiden Bände über Das Christuszeugnis des Alten Testamentes: I. Das Gesetz – II. Die früheren Propheten (1949/51) erworben. Für das gottesdienstliche Leben wurden Vischers Psalmbereimungen praktisch wichtig, nachdem sie in den deutschsprachigen schweizerischen Kirchengesangbüchern Platz gefunden hatten. In Montpellier habe ich (damals als Student) Wilhelm Vischer als begeisterten und inspirierten Anhänger und Propagator der Psaumes de Gelineau kennen gelernt – damit war sein Engagement in liturgischen Fragen vorgezeichnet. Wie schon für die protestantischen Reformatoren war für Gelineau der Kirchengesang mit Psalmen und Hymnen nicht einfach als dekorative oder künsterlisch bereichernde Zugabe diesen liturgischen Entwurf bot die europäische Feier des Reformationsjubiläums im Jahre 2017. G. Locher war zu dieser Zeit Präsident des Rates des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes. 8 Barth definiert das Sakrament als „Aktion, in der Gott handelt und der Menasch dient, und zwar in Form des Vollzugs einer Vorschrift Gottes, laut derer …Gottes Gnade bezeugt und damit der Glaube des Menschen erweckt, gereingt und befördert wird.“ Und er kommt zu folgendem Schluss: „Der kirchliche Gottesdiernst ist das Wichtigste, Dringlkichste und Herrlichste, was auf Erden überhaupt geschehen kann, weil sein primärer Inhalt kein Menschenwerk, sondern Werk des Heiligen Geistes…ist.“, in: Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre (wie Anm. 3), 184 und 190.
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zur Liturgie oder gottesdienstlichen Feier zu verstehen, sondern als Träger der evangelischen Botschaft und greifbarer Ausdruck von Opfer und Hingabe einer christlichen Gemeinschaft. Mit ihren Gott in einfachen Worten lobenden Aussagen sind die Psalmen dazu angetan, die Menschen in ihrem eigenen konkreten Leben ernst zu nehmen und so zu berühren. Der Psalm entspricht unserem eigenen Erleben – und kann so von Gelineau als Träger unseres Dialoges mit Gott eingesetzt werden. Er kommt den Menschen in ihrem eigenen Erleben entgegen. Es ist als ein kirchengeschichtlicher Glücksfall zu werten, dass die theologischen Persönlichkeiten von Karl Barth und Oskar Cullmann im Vorfeld und im Verlauf des Zweiten Vatikanischen Konzils im Katholizismus und insbesondere in der Römischen Kurie und bei den regierenden Päpsten ehrliches Interesse und Anerkennung gefunden haben. Mit seiner heilsgeschichtlichen und theologischen Verankerung in einem nunmehr unumgänglich ökumenischen Austausch der Erfahrungen und Erkenntnisse wird der evangelische Gottesdienst herausgeholt aus der dekorativen und im besten Fall erbaulichen Rolle einer sonntäglichen oder vielleicht auch alltäglichen frommen Praxis gewisser Bevölkerungskreise, die angesichts eines stets wachsenden Angebotes von möglichen Beschäftigungen und einer sich intensivierenden Beanspruchung unserer Zeitgenossen mehr und mehr marginalisieren wird. Im Gottesdienst ereignet sich nach wie vor die Begegnung zwischen Gott und den Menschen. Theologisch-ekklesiale Gewichtung und ökumenische Dimension sind nicht mehr bloß mögliche Optionen für den Gottesdienst. Liturgie oder Gottesdienst ist ein zugleich göttliches und menschliches Ereignis, also für beide beteiligten Seiten nicht nebensächliches Geschehen, sondern gewichtig und entscheidend.
5. Allsonntägliche (oder jedenfalls häufige) Feier des Herrenmahls Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts konnte man bezüglich des Gottesdienstes, aber auch für die christlichen Existenz überhaupt, die Frage stellen, ob man den Gottesdienst grundsätzlichen als Institution oder vielleicht doch eher als immer neues Ereignis verstehen wollte. Der schrittmachende Theologe Karl Barth und sein französischsprachiger, verheissungsvoller Schüler Jean-Louis Leuba haben sich an dieser Frage zerstritten. In seiner Dissertation von 1950, mit dem programmatischen Titel L’Institution et l’évènenment, vertrat Leuba das Konzept der Zusammengehörigkeit der zwei nach biblischem Zeugnis grundlegenden Handlungsweisen Gottes: Institution und Ereignis.9 Wir denken heute insbesondere nach den ökumenischen Diskussionen über die Limadokumente zu Taufe, Eucharistie und Amt von 1982, dass über die Anamnese (also dem Gedächtnis des göttlichen Handelns in der ganzen Heilsgeschichte) und in der 9 Leuba, Jean-Louis: L’Institution et l’événement. Les deux modes de l’œuvre de Dieu selon le Nouveau Testament. Leur différence, leur unité. Neuchâtel 1950.
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epikletischen Bitte (also der Anrufung des handelnden Geistes um Gottes Eingreifen hier und jetzt zur Verwirklichung des Heils für uns), wir eh und je einem gegenwärtigen Eingreifen Gottes auf dem Hintergrund des bleibenden Bundes Gottes mit den Menschen gegenüberstehen. Mit beiden Dimensionen unauflöslich verbunden ist die Feier des Bundes in Christus als die österlich geprägte sonntägliche Eucharistie. Wir meinen nicht, dass man die Eucharistie immerzu und also an jedem Tag feiern sollte. Wir brauchen zwischen den liturgischen Feiern die Entfaltung des Lebens und unserer Berufung, in Verwirklichung einer Existenz in Christus und in seinem sowie des himmlischen Vaters Geist, auf der Ebene des tätigen oder einfach gewöhnlichen Alltages. Die Eucharistie ist nicht ein so oft wie möglich zu wiederholender magischer oder zauberhafter Akt zur Lösung aller Probleme. Aber mit dem nächsten Sonntag wird auch die eucharistische Feier wiederum aktuell werden. In unserer heilsgeschichtlichen oder eschatologischen Perspektive kann es nicht wirklich Sonntag werden, ohne dass wir uns miteinander am Tisch des Herrn treffen.10 - Es ist interessant, dass in unserem speziell evangelisch-reformierten Lebensraum ausgerechnet die Schöpfer einer betont reformierten oder calvi nistischen Liturgie in der um 1950 neu geordneten reformierten Eglise Réformée de France das entscheidende Signal gegeben haben. Wir denken dabei an die völlig neu gestaltete und doch unverkenntlich reformierte französische Liturgie (zunächst probeweise und schließlich 1963 in definitiver Form gedruckt): Liturgie de l’Eglise Réformée de France.11 Ihr federführender Redaktor war der Pastor und Professor Jean-Daniel Benoit, in Strassburg tätig, aber in den hugenottischen Cevennen verwurzelt. Das Herzstück dieses neuen liturgischen Buches der Nachkommen von Johannes Calvin ist eine sonntägliche Gottesdienstordnung, in vollem Wortlaut ausgedruckt, mit vier Teilen: Eingangsliturgie (der Gottesdienstvorsteher hat sich dem euchartischen Tisch genähert) – Liturgie des Wortes – Eucharistische Tisch-Liturgie – Entlassung. - Es ist freilich zu bedauern, dass dieser Anstoß der Eglise Réformée de France jedenfalls im mitteleuropäishen Raum nicht mehr Gefolgtschaft gefunden hat. Die Tradtion des Wortgottesdienstes als ordentliche Form der evangelischen Gottesdienstfeier ist offensichtlich stärker als der liturgisch und ekklesiologisch wohl begründete Vorstoß zur allsonntäglichen Eucharistiefeier als Grundform evangelischer Feier. Das gilt nicht nur für die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufwendig erarbeitete Liturgie der Evangelischreformierten Kirchen in der Deutschsprachigen Schweiz, sondern auch für die Reformierte Liturgie des Reformierten Bundes in Deutschland von 1999. Neben dem Gewicht der Gewohnheit ist dafür natürlich die noch nie – weder in der Theologie noch in der Kirche – wirklich geklärte Beziehung der Re 10 Foi et Constitution, Conseil Œcuménique des Eglises: Baptême – Eucharistie – Ministère. Paris / Frankfurt a. M. 1982. 11 Dazu Benoit, Jean-Daniel: Initiation à la Liturgie de l’Eglise Réformée de France. Paris 1956. Eglise Réformée de France: Liturgie. Paris 1963.
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formierten zum Sakrament und seiner Liturgie verantwortlich. Dann muss hier auch darauf hingewiesen werden, dass eine einfache liturgische Form des vollen Gottesdienstes mit Feier der Eucharistie und Kommunion noch erarbeitet werden müsste. In Altersheimen und bei anderer Gelegenheit – eben an einem gewöhnlichen Sonntag in der Ortsgemeinde – könnte man eine gestraffte und nichtsdestoweniger vollständige liturgische Form der Feier von Wort und Sakrament wohl gebrauchen. Die beliebte katholische, nach der Uhrzeit benannte, „Elf-Uhr-Messe“ am spätern Sonntagvormittag könnte dafür einen beachtenswerten Anstoß bieten. - Einen Lichtblick in der mühsam zu meisternden pastoralen und liturgischen Situation bietet die Aufmunterung zur regelmäßigen und ordentlichen Feier des Herrenmahls in den Empfehlungen des Rates des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes über Das Abendmahl in evangelischer Perspektive (2004). Ein Abschnitt handelt explizit von der Regelmäßigkeit der Abendmahlsfeier.12 Die vom evangelischen Schweizerischen Pfarrverein initiierte Tagung zur Vertiefung des protestantischen Abendmahlsverständnis und zur Erneuerung der Abendmahlsfeier vom 11. Mai 2019 in Basel diente demselben Anliegen: Miteinander Kirche sein – mit gegenseitger Vergebung und Lebenshingabe.
6. Fürbitte im Allgemeinen (will heißen: im universalen) Gemeindegebet Der liturgietheologisch und pastoral gewichtige Teil des sonntäglichen oder auch werktäglichen Gottesdienstes (zwischen der Wortverkündigung und der sakramentalen eucharistischen Feier) wird zutreffend – wie die Katholiken es sich angewöhnt und andern Konfessionen vermittelt haben – als allgemeines (d. h. universales) Gebet bezeichnet.13 Der Kreis der Jünger und Jüngerinnen Jesu Christi hat die Botschaft des Evangeliums vernommen – in dieser Jüngerschaft wird sodann im sakramentalen Brotbrechen die eschatologische Vollendung der Heilsgeschichte vorweggenommen. Bei diesem Schritt oder Übergang denken die Jünger daran, dass Gottes Heil nicht allein für ihren Kreis von Auserwählten bestimmt ist, sondern vielmehr universal heilsame Bedeutung hat, da ja das in Jesus Christus offenbarte und vollendete Evangelium für die Welt bestimmt ist. Unser Bekenntnis zu Christus besteht in der Liebe, die Leib und Gut hingibt: es geht um die Bereitschaft zum persönlichen Verlust, um das Reich Gottes zu fördern. Dieser Einsatz vollzieht sich im Leben, nicht in einem liturgischen oder eucharistischen Handeln. Ich bin bereit, meinerseits Leib und 12 Das Abendmahl in evangelischer Perspektive. Überlegungen und Empfehlungen des Rates des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes SEK – FEPS. Bern 2004. 13 Dazu Schulz, Frieder; Das Gebet, in: Handbuch der Liturgik. Hg. v. Hans-Christoph Schmidt-Lauber / M ichael Meyer-Blanck / Karl-Heinrich Bieritz, Göttingen 32003, 742–762.
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Blut hinzugeben. So rechtfertigt sich dieses Gebet in der Liturgie hier und jetzt – eine ostkirchliche Bezeichnung spricht vom Gebet der Gläubigen. Die einzelnen Gebetsinhalte und die Ausrichtung des Ganzen werden wohl von einem Vorbeter oder dem Vorsteher der liturgischen Feier artikuliert – aber die ganze Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen trägt das Gebet in aktiver Beteiligung mit. Das Allgemeine Gebet ist nicht einfach eine im Übrigen mit gutem Recht beliebte oder populäre liturgische Sequenz, sondern ein legitimer Höhepunkt des liturgischen Geschehens. Es ist exzellenter Ort der actuosa participatio, von der das Zweite Vatikanische Konzil der Römsich-katholischen Kirche nicht nur geträumt hat, sondern für die es sich betont einsetzt. Das Allgemeine Gemeindegebet in dem uns anvertrauten protestantischen (hier also evangelisch-reformierten) Gottesdienst, ist aus drei Quellen hervorgegangen: einmal aus der liturgischen Tradition der christlichen Kirche, die vom Altertum her und durch das Mittelalter hindurch gepflegt und bereichert worden ist. Die ostkirchlichen Gebetsformeln (entsprechend ihrem liturgischen Vortrag Ektenien genannt) mit breit entfalteten Gebetsanliegen kommen hier in Frage. Dann kennen wir die lateinischen Anrufungen, für die das Karfreitagsgebet besonders einprägsame Formulierungen entwickelt hat. Daneben standen die fürbittenden Anliegen der Kollektengebete am Eingang der Messe Modell für ein zusammenhängendes monologisches Gebet nach der Predigt. Als Gebet nach der Predigt bezeichneten die Protestanten schließlich den Monolog, der durch ein Vaterunser abgeschlossen wurde. Man brauchte auch den Namen Predigergebet, welcher sich im Kontext angesichts des Amen am Ende einer evangelischen Predigt erklärt. Solches Amen ist erleichterndes Schlusszeichen. Betend könnte der Prediger Vergessenes nachholen, Wichtiges nochmals einprägen. Zum richtigen Verständnis der gottesdienstliche Fürbitte ist in der neuzeitlichen Gegenwart glücklicher Weise die theologische Reflexion über die Fürbitte dazugekommen, wie sie insbesondere Karl Barth14 und Alfred de Quervain im 20. Jahrhundert vertieft haben – und schließlich berühren uns die Gebetserfahrungen einer geprüften Generation, für die insbesondere Dietrich Bonhoeffer einsteht. Der Lehrer für evangelische Ethik, de Quervain, eröffnet um die Mitte des 20. Jahrhunderts die Lehre der Ethik in seinem mehrbändigen Standartwerk im Paragrafen Die Anbetung Gottes und die Danksagung in der Gemeinde mit der Frage nach der Form des Gottesdienstes. Er vertritt dezidiert die Meinung: „Zum Gottesdienst gehört die Invocatio, die Anrufung Gottes, das Bittgebet nach der Predigt. In diese Fürbitte für die Gemeinde (und alle Bedürftigen) mündet die Predigt ein. Auf dieses Gebet soll die ganze Predigt hinführen.“15 Der verdienstvolle Liturgiewissenschaftler Frieder Schulz in Heidelberg hat auf
14 Barth, Karl: Die Kirchliche Dogmatik, Bd. III/3, 319–326, und Bd. IV/2, 863–936, ZollikonZürich 1950 und 1955, und Quervain, Alfred de: Die Heiligung, Bd. I, 335–337 und 377–380, Zollikon-Zürich 1946. 15 Quervain, Alfred de: Ethik. Bd. I, Zollikon-Zürich 1946, 335, vgl. 377 f.
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dieser Linie die Verdienste und auch die Schwächen des traditionell evangelischen und speziell des reformierten Fürbitten- oder Gemeindegebetes oder auch des Predigergebetes (Homiletisches Gebet) untersucht und dargestellt.16 Dazu führt der Dogmatiker Karl Barth aus: „Zum Gemeinsamen des rechten Privatund des rechten Gemeindegebetes gehört vor allem dies, dass es als Bitte hier wie dort immer auch den Charakter der Fürbitte haben wird.“17 Ebenso gewichtig als die theologischen Überlegungen zur Fürbitte sind die konkreten Erfahrungen mit dieser Gebetsform – jedenfalls die durch persönliche und gemeinschaftliche Prüfungen des Lebens erprobte Erfahrungen eines Dietrich Bonhoeffer, im Rahmen seines außer-legalen Pastorenseminars in Finkenwald (Pommern). In seiner Schrift Gemeinsames Leben ist vom Platz der Fürbitte im Kapitel Der gemeinsame Tag ausführlich und differenziert die Rede: „Fürbitte tun heißt nichts anderes als den Bruder vor Gott bringen, ihn unter dem Kreuz Jesu sehen als den armen Menschen und Sünder, der Gnade braucht… Dem Bruder dasselbe Recht einräumen, das wir empfangen haben, nämlich vor Christus zu stehen und an seiner Barmherzigkeit Anteil zu haben.“18 Aus diesen Vorgaben haben die evangelisch-reformierten Kirchen im 20./21. Jahrhundert in ihren Liturgiebüchern eine gängige Form des Allgemeinen Gebetes nach der Predigt und vor der Abendmahlsliturgie (oder der Entlassung der Gemeinde) entwickelt. Es seien hier im Folgenden drei mehr oder weniger gelungene Versuche zu diesem Schritt genannt. Im Gemeindeheft der deutschsprachigen schweizerischen Liturgie finden wir 1983 zwei von der Liturgischen Bewegung übernommene Kurzformen für die Fürbitte – zusammengesetzt aus einer Reihe von 6 bis 12 Intentionen mit gesungenen kurzen Bittrufen der Gemeinde.19 Entsprechendes gilt für die ebenfalls deutchschweizerische reformierte Liturgie. Taschenausgabe von 2011. Die Liturgie de l’Eglise Réformée de France von 1996 (weiterhin in Gebrauch in den reformierten Gemeinden der Eglise Protestante Unie de France) meint zum Fürbittegebet: „L’intercession est dans la liturgie comme l’écho en prière de la volonté de Dieu exprimée dans la première partie du culte. Elle manifeste l’engagement spirituel et diaconal des chrétiens et se trouve en relation étroite avec le lieu même de la communion et du partage: La Cène. Il est souhaitable que cette prière soit préparée par un ou plusieurs membres de la communauté.“20
Schließlich ist vor allem darauf hinzuweisen, dass unsere Epoche die Entdeckung und Erfahrung gemacht hat, wie die Fürbitte zur ökumenischen Gelegenheit, Erfahrung und Realität wird. In vielen konvergierenden oder gemeinsamen Veranstaltungen wird das gemeinsame Gebet als Abbild – eschtologische Vor
16 Schulz, Frieder: Das Gebet (wie Anm. 13). 17 Barth, Frieder: Die Kirchliche Dogamtik, Bd. III/4, 122 (wie Anm. 14). 18 Bonhoeffer, Dietrich: Gemeinsames Leben. München 1939, 39 f. 19 Gemeindeheft der deutschschweizerischen Litugie, Bern 1983, 36–39. 20 Liturgie de l’Eglise Réformée de France 1996. Introduction, S. 11.
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wegnahme oder heilsgeschichtliche Erfahrung – des himmlischen Geschehens erfahren, von dem das biblische Buch der Apokalypse redet. Darauf hat auch Alexander Deeg hingewiesen.21
7. Gottesdienstliche Implikation in das gesellschaftliche und politische Leben In unvermeidlichem Widerspruch zu den Auflagen und Verboten eines unter Umständen religionsfeindlichen politischen Regimes – zu welchem Zeitpunkt der Geschichte auch immer –, ist christlicher Gottesdienst immerzu an der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in der Nähe und der Ferne interessiert, von ihr angesprochen und in sie impliziert, ganz abgesehen davon, ob die einzelnen Christen oder eine christliche Gemeinde darauf überhaupt konkret Einfluss zu nehmen die Möglichkeit haben. In der modernen und zunächst einmal einfach in unserer westeuropäischen Gesellschaft gibt es immerzu wieder Anlass, dass im kirchlichen Gottesdienst das Weltgeschehen angesprochen wird. Das gilt für die Predigt ebenso wie für das Gebet. „Die Kirche soll keine Politik betreiben“ – darüber ist man sich im Allgemeinen einig, wenn es um parteipolitische Stellungnahmen und machtpolitische Einflussnahme geht. Konkret ist freilich die Grenze zwischen missbräuchlicher Intervention und legitimer oder vielleicht sogar unumgänglicher Stellungnahme schwer festzulegen. Aber jedenfalls spielen gesellschaftliches Leben und politische Entscheidungen eine unumgängliche Rolle in unserem Gottesdienst. Eine Zurückhaltung in dieser Hinsicht wäre im heutigen Kontext ebenso unrealistisch wie unverantwortlich. Die Sorge für die vom Leben benachteiligten Mitmenschen, aber auch die Förderung eines erfreulichen Lebens für jedermann müssen auf jeden Fall ein Anliegen und eine Sorge der zum Gottesdienst berufenen Christenmenschen sein. Das kommt im Wortlaut und im Tonfall der christlichen Liturgie, im ordentlichen Sonntagsgottesdienst und in speziellen Gebetsveranstaltungen, zum Ausdruck. Mehr und spürbarer als in vielen Epochen der Geschichte und in anderen Verhältnissen ist der heutige evangelische Gottesdienst darum selbstverständlich gesellschaftlich und öffentlich in das allgemeine Leben impliziert. Alles andere wäre unrealistische Illusion, oder gerade für Christen, als Kinder Gottes, des Schöpfers der Welt, unverantwortliche Isolation. Im Blick auf den evangelisch-reformierten Gottesdienst sind wir ehrfürchtig dankbar für den mutigen und prophetisch inspirierten Predigtdienst zur Zeit der Nazibedrohung in Europa von Pastoren wie den aus der Schweiz stammenden, aber in Frankreich tätigen reformierten Roland de Pury. In der Nach 21 Deeg, Alexander: Der evangelische Gottesdienst als gemeinsames Gebet, in: Baschera, Luca / Berlis, Angela / Kunz, Ralph: Geminsames Gebet. Form und Wirkung des Gottesdienstes. Zürich 2014, 39–60.
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kriegszeit mit ihren neuen, insbesondere anti-kommunistischen Fronten, kommt einem Prediger wie Walter Lüthi vergleichbares – wenn auch weniger heroïsches – Lob zu. Die Situation war jetzt weniger angespannt, aber trotzdem konfliktträchtig. Das alles gehört zum christlichen Gottesdienst in der politischen und gesellschaftlichen Aktualität der Gegenwart. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg haben zahlreiche kirchliche Hilfsaktionen für die Schwachen und Bedürftigen in der Nähe und der Ferne ihren Ausgangspunkt in einer gottesdienstlichen Veranstaltung gefunden. Dann und wann ist das vielleicht eine mehr oder weniger edle karitative Nutzung der Gelegenheit bei einer kirchlichen Zusammenkunft gewesen. Aber oft ging es doch auch um eine geistliche und nun eben liturgische Verankerung der Hilfsaktion, die mehr und tiefer sein sollte und es auch durfte als manche gutmütige und herablassende Wohltätigkeitsgeste oder konventionelle Verpflichtung. Caritas ist zutiefst göttliche Gabe, und diese Gabe wird zu Recht in unumgänglicher Notwendigkeit ihren Herkunftsort im Gottesdienst zu Tage treten lassen. Respektvolle Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang die reformierte Kirche Saint- Laurent in der Innenstadt von Lausanne. Während mehreren Jahrzehnten haben in ihren Räumlichkeiten – neben den gewohnten Veranstaltungen einer städtischen Kirchgemeinde, in gegenseitigem Respekt – verschiedenste Tätigkeiten für gesellschaftlichen Außenseiter stattgefunden. Der reformierte Gemeindepfarrer Jean Cholet war vermittelnde und initiative Figur in einem vielseitigen und bunten Nebeneinander.
8. Kirchenlied – die biblischen Psalmen als vorbildlicher Gemeindegesang Die Rolle der Lutherlieder in den evangelisch-lutherischen Kirchen übernahm der Psalmengesang im reformierten Gottesdienst. Calvin hat mit Hilfe seiner Mitarbeiter in Genf ein vollständiges psalterisches Gesangbuch für die frankophonen Gemeinden in der Westschweiz und in Frankreich geschaffen, das entsprechende Übersetzungen und Vertonungen in den reformierten Kirchen der anderen Sprach- und Herrschaftsgebieten veranlasste.22 Ebenso verwunderlich wie dieses umfassende Unternehmen zur Sicherstellung der Gemeindebeteiligung am reformierten Gottesdienst ist die Ausschließlichkeit, mit der sich in den reformierten Kirchen der Gesang der biblischen Psalmen über Jahrhunderte erhalten hat. Nach dem Vorbild vor allem der pietistischen Gemeinden verbreitete sich vom Ende des 17. Jahrhunderts an ein weiterer Schatz an gottesdienstlichen Liedern. Auch Lutherlieder wurden von den Reformierten übernommen. Aber 22 Grunewald, Eckhard / Jürgens, Henning P. / Luth, Jan R. (Hg.): Der Genfer Psalter und seine Rezeption in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden (16.–18. Jh.). Tübingen 2004. Ebenso: Le Psautier de Genève 1562–1865. Images commentées et essai de bibliographie. Genève 1986.
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Bedeutung und Dominanz der gesungenen biblischen Psalmen blieben beachtenswert. Bemerkenswert ist für uns die Erneuerung des Psalmengesangs in den reformierten Kirchen des 20. Jahrhunderts, wo doch zur gleichen Zeit neues Liedergut in modernem Wortlaut und Tonfall – wenn auch nicht ausschließlich, aber doch bemerkenswert oft – durch dieselben oder auch vergleichbare Komponisten und Liederdichter geschaffen wurde. So verfügen die zeitgenössischen protestantischen und speziell reformierten Gemeinden über einen beachtlichen Liederschatz in ihren Kirchengesangbüchern, den sie auch im Gottesdient verwenden. Als namhafte Psalm- und Liedschöpfer speziell im französischen Sprachbereich sind für die Moderne die westschweizerischen Brüder Edmond und Pierre Pidoux zu nennen. Daneben steht René-Louis Piachaud – Gewährsmann für den modernen reformierten Psalmgesang in Frankreich. Aus der deutschsprachigen Schweiz sind für die jüngste Verganghenheit Theophil Bruppacher und Wilhelm Vischer, dann auch Kurt Marti als Kirchenliedschöpfer zu erwähnen.23 Gewichtiger und repräsentativer als einzelne Komponisten oder Liederdichter sind für den evangelisch-reformierten Kirchengesang die mehr als nur örtlich und regional konzipierten und dann vor allem auch gebrauchten Kirchengesangbücher. Sie dienen der Bewahrung des erprobten Liedgutes, auch seiner Erneuerung von einer Generation zur andern, dann dem Austausch des Liedgutes unter den Sprachregionen und nicht zuletzt auf ökumenischer Ebene. Es ist allerdings festzustellen, dass die Aufgeschlossenheit für andere Gesangstile und die gegenseitige konfessionelle Lernbereitschaft sich in Grenzen halten. Kirchenlieder, die in mehreren Konfessionen und Sprachgebieten Gefallen und Gebrauch finden, sind in der Gegenwart eher eine Ausnahme. Der mehrfach übersetzte und weitherum gebrauchte französische Hugenottenpsalter – von der in Genf oder von Genf aus durch Johannes Calvin zusammen mit Théodore de Bèze in der Reformationszeit in Gang gebrachte Arbeit der Übersetzung und Adaptation – blieb eine bemerkenswerte und fruchtbare Ausnahme. Der erste moderne Rückgriff auf das Psalmgebet ist dem Jesuiten Joseph Gelineau und der Bruderschaft von Taizé in ihrem monastischen Stundengebet zu verdanken, dass zuerst in der kleinen Dorfkirche und dann in der neubegauten Hallenkirche auf dem Hügel gebetet wurde. Für die Bewahrung des evangelisch-reformierten Kirchengesangs und seine Entfaltung scheint uns die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Kirchenregionen in der Erarbeitung eines gemeinsamen Gesangbuches zu sein. In mustergültiger – ebenso inhaltlich fruchtbar wie respektvoll in der kollegialbrüderlichen Zusammenarbeit, die auch ökumenisch erweitert werden konnte – war das der Fall beim Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz von 1998, das gleichzeitig und im Kontakt mit der Arbeit am Römisch-katholischen und am Christkatholischen (altkatholischen) Gesangbuch der Schweiz entstanden ist. Dasselbe – allerdings mit nicht immer durchsichtigem Prozedere – wurde 2005 für das französischsprachige Alléluia 23 Dazu Brunner, Adolf: Musik im Gottesdienst. Zürich / Stuttgart 1960, und Jenny, Markus: Die Zukunft des evangelischen Kirchengesanges. Zürich 1970.
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unternommen: „Avec le Christ dépasser les frontières“, ein „Receuil de chants au service des Eglises francophones.“24
9. Konklusion Wir kommen zur Erkenntnis, dass der Gottesdienst letzlich dem Dreieinigen Gott gehört – und nicht einfach den Menschen, die sich auf die Suche machten nach einer religiösen Animation ihrer irdischen Existenz. Anstatt religiöse Zeremonie, ist er eschatologischer Akt in Erwartung der Vollendung aller Dinge. Damit ist Begründung und Gestaltung des Gottesdienstes eine im tiefsten Sinn des Wortes theo-logische Angelegenheit. Von der Schöpfung der Welt bis zur endzeitlichen Vollendung bilden die himmlische Liturgie und die kirchliche liturgische Feier (in aller protestantischen oder evangelischen Einfachheit) eine Begleitmusik zum Ablauf der göttlichen Heilsgeschichte. Damit bekommt der Gottesdienst, über eine Veranstaltung zur persönlichen oder gemeinschaftlichen Erbauung der Teilnehmer hinausgehend, einen sakramentalen Charakter. Dabei ist es gleichgültig, ob in der konkreten Veranstaltung eines der eingesetzten Sakramente, also die Taufe oder die Eucharistie, am entsprechenden Tag gefeiert werden.25
24 Herausgegeben durch Editions Olivétan und FFPR, Lyon 2007 (2e édition). 25 Vgl. zu dieser Einstufung und Bewertung meinen Artikel „Der reformierte Gottesdienst in der Westschweiz und in Frankreich“ im Sammelband: Gottesdienst in der reformierten Kirche, hg. v. Plüss, David u. a., Zürich 2017, 57–70 mit der abschließenden Feststellung: „Liturgie wird zum Glaubensbekenntnis in der Gesamtkirche.“
Die reformierte Gottesdiensttradition in der umkämpften Grafschaft Saarwerden im Krummen Elsass Joachim Conrad
1. Saarwerden – frühes Beispiel der Toleranz 1.1 Das Ende der konfessionellen Einheit in der Grafschaft Saarbrücken Am 27. Januar 1521 wurde der Reichstag in Worms eröffnet, am 17. April trat Luther im Bischofshof, wo der Kaiser logierte, vor Kaiser Karl V. Das Verhör führte Johann von Eck, der Offizial des Trierer Kurfürsten Richard von Greiffenklau zu Vollrads. In Nassau-Saarbrücken regierte zu dieser Zeit Johann Ludwig der Ältere1. Er war ein treuer Sohn der Kirche und ganz der mittelalterlichen Frömmigkeit verpflichtet, ja hatte sogar mit seinem Schwager Herzog Alexander von Pfalz-Zweibrücken 1495/96 eine Wallfahrt ins Heilige Land unternommen.2 Seinen 22-jährigen Vetter Philipp von Weilburg vermahnte er, weil er „der luterischen oder evangelischen Secten anhängen solle“, er solle sich mühen, Dinge, „die auf die dauer nicht bestehen könnten, abzustellen und sich da nicht darein zu vertiefen.“3 Die Priester in Saarbrücken mussten ein Revers unterschreiben, dass sie nichts am Bekenntnisstand der Gemeinden ändern würden. So gelobte ein Priester 1527, „alle gottesdienst mit meß singen, lesen, predigen einem und anderm nit anderst halten, dan wie von altersher ye und alweg gebruchlich und yeblich gewesen. Ouch mich in keinem weg der luterischen secten und nuwen leren zu underwinden, noch dem gemeinen man inzubilden, so lang bis ein gemeine vereinigung in der christlichen Kirchen beschicht.“4
1 Ruppersberg, Albert: Geschichte der ehemaligen Grafschaft Saarbrücken, Teil 1. Saarbrücken 21908, 231–261. 2 Karbach, Jürgen: Die Reise Herzog Alexanders von Pfalz-Zweibrücken und Graf Johann Ludwigs von Nassau-Saarbrücken ins Heilige Land 1495/96 nach dem Bericht des Johann Meisenheimer, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend (ZGS ) 45 (1997), 11–118. 3 Herrmann, Hans-Walter: Die Reformation in Nassau-Saarbrücken und die nassau-saarbrückische Landeskirche bis 1635, in: Die evangelische Kirche an der Saar gestern und heute, hg. von den Kirchenkreisen Ottweiler, Saarbrücken und Völklingen. Saarbrücken 1975, 42–111, bes. 46 f. 4 Landesarchiv Saarbrücken, Bestand Nassau-Saarbrücken II, Nr. 2444, Nr. 103–113.
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Zweimal verheiratet, hatte Johann Ludwig fünfzehn Kinder, von denen sein gleichnamiger Sohn5 drei Domkanonikate innehatte, während sieben Töchter den Schleier nahmen.6 Sein Onkel und ehemaliger Vormund Graf Philipp von NassauWeilburg hatte 1491 einen nassauischen Erbvertrag7 erwirkt, nach dem die weibliche Linie nur erbberechtigt sein sollte, wenn die beiden Häuser Weilburg und Saarbrücken im Mannesstamm erloschen waren. Für Johann Ludwig d. Ä. war der Vertrag nebensächlich, hatte er doch aus der zweiten Ehe mit Katharina von Moers-Saarwerden drei weitere Söhne, die ihm in der Regierung folgen sollten: Adolph8, Philipp II.9 und Johann IV.10 In seinen letzten Lebensjahren widmete sich der kränkelnde alte Graf der „Bereitung von Lebenstincturen und Goldmacherei“.11 In einem Inventar des Schlosses von 1554 wird eine „Liberey“ aufgeführt, in der sich „etlich bücher und vil gleser zur alchimei gehörig“12 befanden. Den Tod vor Augen regelte Johann Ludwig „am Dienstag nach Jubilate“ 1544 seine Erbfolge: Philipp II. bekam die Grafschaft Saarbrücken mit der Vogtei Herbitzheim sowie den Schirmvogteien über die Benediktinerabtei St. Avold, die Prämonstratenserabtei Wadgassen und das Augustinerinnenstift Fraulautern, dazu die Schlösser und festen Häuser in Saarbrücken, Quierschied, Saarwellingen sowie Schloss Bucherbach im Köllertal. Johann IV. erhielt das Oberamt Ottweiler, das nun als gesonderte Grafschaft behandelt wurde, und die Herrschaft Homburg mit den Schlössern Ottweiler, Neunkirchen und Homburg sowie die Schirmvogtei über die Benediktinerinnenabtei Neumünster und die Zisterzienserabtei Wörschweiler. Adolph erhielt den Saarbrücker Anteil an der Herrschaft Kirchheim, also Schloss Tannenfels, Burg und Stadt Kirchheim, Burg Stauf nebst den zu diesen Herrschaften gehörigen Orten, ferner die saarbrückischen Anteile an Frankenstein, Wöllstein und Alten-Baumberg. Zusammen regierten die drei Brüder die Grafschaft Saarwerden13 und die Herrschaft Lahr und Malberg.14 5 Conrad, Joachim: Art. Johann Ludwig d. J. von Nassau-Saarbrücken (1524–1542), in: BBKL 28 (2007), Sp. 872–874. 6 Ruppersberg, Albert: Geschichte der ehemaligen Grafschaft Saarbrücken (wie Anm. 1), 259 f. 7 Köllner, Friedrich: Geschichte des vormaligen Nassau-Saarbrück’schen Landes und seiner Regenten. Saarbrücken 1841, 228 f. 8 Conrad, Joachim: Art. Adolph von Nassau-Saarbrücken (1526–1559), in: BBKL 27 (2007), Sp. 7–10. 9 Conrad, Joachim: Art. Philipp II. von Nassau-Saarbrücken (1509–1554), in: BBKL 25 (2005), Sp. 1054–1059. 10 Conrad, Joachim: Art. Johann IV. von Nassau-Saarbrücken (1511–1574), in: BBKL 25 (2005), Sp. 666–673. 11 Köllner, Friedrich: Geschichte des vormaligen Nassau-Saarbrück’schen Landes und seiner Regenten (wie Anm. 7), 251. 12 LA Saarbrücken, Bestand Nassau-Saarbrücken II, Nr. 4706. 13 Der Saarbrücker Anspruch auf Saarwerden erwuchs aus der 2. Ehe Johann Ludwigs mit Katharina von Moers-Saarwerden (gest. 16. September 1547). Die Erbschaft führte zu lehnsrechtlichen Komplikationen mit dem Bistum Metz und den Herzögen von Lothringen, die einen Rechtsstreit vor dem Reichskammergericht zur Folge hatten und erst lange nach dem Dreißigjährigen Krieg geklärt wurden. Vgl. Köllner, Friedrich: Geschichte des vormaligen Nassau-Saarbrück’schen Landes und seiner Regenten (wie Anm. 7), 251. 14 Köllner, Friedrich: Geschichte des vormaligen Nassau-Saarbrück’schen Landes und seiner Regenten (wie Anm. 7), 251 f.
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Johann Ludwig behielt sich für seine letzten Lebensjahre lediglich ein Viertel aller Einkünfte vor. Am 18. Juni 1545 schließlich starb der Graf und wurde in der Stiftskirche zu St. Arnual beigesetzt. Nach seinem Hinscheiden beschworen die drei gräflichen Brüder Philipp II., Johann IV. und Adolph die getroffene Erbvereinigung am Donnerstag „nach Vincula Petri“ (1. August). Als Karl V. im Jahr darauf am 21. März auf einer Reise in die Niederlande durch Saarbrücken kam, bestätigte er den drei Brüdern die Reichslehen und den Erbvertrag.15 1.2 Die Einführung des lutherischen Bekenntnisses in Saarwerden und die Ansiedlung reformierter Glaubensgenossen Adolph von Nassau-Saarbrücken war von den drei Brüdern der Reformation gegenüber am ehesten aufgeschlossen. Von seinem evangelischen Vetter und Vormund Philipp III. von Nassau-Weilburg geprägt,16 konnte reformatorisches Gedankengut in Adolphs Herrschaftsbereich aufblühen. 1554 veranlasste er die Säkularisierung der Propstei Rodenkirchen – ein Indiz für den Beginn der neuen Lehre in Saarbrücker Landen.17 Als dann am 19. Juni 1554 Adolphs ältester Bruder Philipp II. starb und die verbleibenden Brüder Johann und Adolph die Herrschaftsgebiete neu aufteilten, fiel Saarwerden mit der badischen Herrschaft Lahr ungeteilt an Adolph.18 Nunmehr alleine verantwortlich, ergriff Adolph die Initiative. In den Kirchenvisitationen von 1603 wird das Jahr 1557 als Zeitpunkt der Reformation in Saarwerden angegeben. Adolphs Bestreben ging dahin, „rechte christliche Reformation und Bekanndtniß göttlichs Wortts den prophetischen und apostollischen Schriefften gemeß in meiner Graveschafft Sahrwerden anzurichten, darzue ich dann etlicher der heilligen Schriefft Gelerten von notten, dieweil aber dieselben die Zeit, meinem Versehen nach, bei mir nit ankhommen.“19
Auf den Rat des Weilburger Superintendenten Caspar Goltwurm20 hin gewann Adolph in dem Theologen Israel Achatius genannt Bossler21 einen fähigen Superintendenten und Visitator für Saarwerden und konnte so am 13. Juni 1558 die
15 Conrad, Joachim: Art. Adolph von Nassau-Saarbrücken (wie Anm. 8), Sp. 7–10. 16 Herrmann, Hans-Walter: Die Reformation in Nassau-Saarbrücken und die nassau-saarbrückische Landeskirche bis 1635 (wie Anm. 3), 50. 17 Remling, Franz Xaver: Urkundliche Geschichte der ehemaligen Abteien und Klöster im jetzigen Rhein-Bayern, Bd. 2. Neustadt an der Haardt 1836 (ND Pirmasens 1973), 136. 18 Conrad, Joachim: Art. Adolph von Nassau-Saarbrücken (wie Anm. 8), Sp. 7–10. 19 Herrmann, Hans-Walter: Die Reformation in Nassau-Saarbrücken und die nassau-saarbrückische Landeskirche bis 1635 (wie Anm. 3), 51. 20 Müller, Rudolf: Kaspar Goldwurm 1524–1559. Reformator der Grafschaft Nassau-Weilburg unter Graf Philipp III., in: Weilburger Blätter 179 (2013), 1437–1442 sowie 180 (2013), 1445–1450; Thumm, Christine: Reformation fürs Volk. Der Weilburger Hofprediger Kaspar Goldtwurm als Reformpublizist, in: Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung 67 (2016), 56–74. 21 Bergholz, Thomas: Art. Israel Achatius, in: BBKL 25 (2005), Sp. 1–3, bes. Sp. 1.
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allgemeine Kirchenvisitation ankündigen.22 Von dieser Visitation ist nur das Einladungsschreiben erhalten. Als Kirchenordnung wurde in Saarwerden wie schon in Kirchheim-Bolanden die Pfalz-Zweibrückische Kirchenordnung23 von 1557 in Geltung gesetzt. Die Grafschaft Saarwerden war infolge der vorangehenden Kriege stark entvölkert,24 und so überraschte Graf Adolph seine Nachbarn, als er im Jahr 1559 wohlhabende hugenottische Bürgerfamilien aus dem Metzgau25 in den sogenannten sieben welschen Dörfern26 ansiedelte, wodurch eine reformierte Minderheit in die noch sehr junge lutherische Grafschaft kam.27 In Frankreich waren die Hugenotten durch das Edikt von Compiègne (1557) der weltlichen Gerichtsbarkeit unterstellt worden und durch das Edikt von Écouen (1559) im Falle eines öffentlichen Bekenntnisses mit dem Tod bedroht. Das Herzogtum Lothringen und das Fürstbistum Metz orientierten sich an den französischen Gepflogenheiten. Die Hugenotten empfanden die neue Heimat Saarwerden als Befreiung, was sich daran erkennen lässt, dass sie ihre Söhne häufig auf die Namen der „drei Männer im Feuerofen“ (Dan. 3) taufen ließen.28 Nun kam es in Saarwerden zu einem Miteinander der beiden evangelischen Konfessionen, ja
22 Conrad, Joachim: Art. Adolph von Nassau-Saarbrücken (wie Anm. 8), Sp. 7–10. 23 Kirchenordnung wie es mit der Christenlichen Leer, Raichunge der heiligen Sacramenten, Ordination der diener des Evangelii und ordentlichen Ceremonien, Erhaltung Christlicher Schulen und Studien, auch anderer der Kirchen notwendigen Stuecken etc. in Unser, Wolfgangs, von Gottes Gnaden Pfalzgravens bey Rhein, Hertzogen in Bayern und Gravens zu Veldentz, Fuerstenthumb gehaten werden sol. Anno M. D.LVII., abgedruckt in: Bergholz, Thomas (Hg.): Evangelische Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts (EKO), Bd. 18 Rheinland-Pfalz I: Zweibrücken, Veldenz, Sponheim u. a. Tübingen 2006, 71–259. 24 Über den Zustand der Grafschaft Saarwerden zur Mitte des 16. Jh.s vgl. Eyer, Frédéric: Die Einwanderung von Reformierten nach Nassau-Saarbrücken und ihr Verhältnis zur lutherischen Landeskirche, in: Die evangelische Kirche an der Saar gestern und heute, hg. von den Kirchenkreisen Ottweiler, Saarbrücken und Völklingen. Saarbrücken 1975, 112–121, hier 112. 25 Der Metzgau ist die mittelalterliche Gaugrafschaft mit der Stadt Metz als ihrem Zentrum und entspricht heute in etwa dem Arrondissement Metz. 26 Die Hugenotten trafen zuerst in der Verwaltungsstadt Bockenheim ein und wurden dann auf die Dörfer Altweiler, Burbach, Diedendorf, Eyweiler, Görlingen, Kirrberg und Rauweiler verteilt. Die meisten Ortschaften waren seit mehr als dreißig Jahren menschenleer. Wegen der französischen Sprache wurde der Begriff „welsche Dörfer“ geprägt. Die hugenottische Handwerkerfamilien blieben wohl überwiegend in der Stadt. In den Bockenheimer Kirchenbüchern finden sich Kürschner, Goldschmiede, Hutmacher, Pasteten- und Weißbäcker, die ab Ende der 1550er Jahre mit dem Zusatz „welsch“ geführt wurden. Vgl. Matthis, Gustav: Die Leiden der Evangelischen in der Grafschaft Saarwerden. Bd. 1. Reformation und Gegenreformation 1557–1700. Straßburg 1888, 9. 27 Über das konfessionelle Miteinander in Saarwerden sind aus der jüngeren Zeit besonders die Untersuchungen von Laurent Jalabert zu beachten; vgl. Jalabert, Laurent: Catholiques et protestants sur la rive gauche du Rhin. Droits, confesssions et coexistence religieuse de 1648 á 1789. Brüssel u. a. 2009; Jalabert, Laurent / Léonard, Julien: Les protestantismes en Lorraine. V VIe-XXIe Siécle. Lille 2019; Jalabert, Laurent: L’un contre l’autre ou l’un avec l’autre? Les confessions catholiques et protestantes dans la région de la Sarre: politique et religion aux XVIIe et XVIIIe siècles (bisher unveröffentlichter Aufsatz). 28 Matthis, Gustav: Die Leiden der Evangelischen in der Grafschaft Saarwerden (wie Anm. 26), 9.
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sogar zu simultaner Kirchennutzung, was im südwestdeutschen Raum sicherlich selten ist.29 Und während die Hugenotten in Frankreich im 16. und frühen 17. Jh. erheblichen Verfolgungen ausgesetzt waren, überstanden die reformierten Gemeinden in Saarwerden – mehr oder weniger schadlos – diese spannungsreiche Zeit, so dass noch heute reformierte Traditionen neben den lutherischen an der oberen Saar lebendig sind. Israel Achatius und Graf Adolph vertraten ein gemäßigtes Luthertum; sie gestanden den Hugenotten die Beibehaltung ihrer reformierten Traditionen zu, solange sie die kirchliche Leitungskompetenz des Landesherrn anerkannten. Damit die „sieben welschen Dörfer“ in Saarwerden aber eine pfarramtliche Versorgung erfuhren, wandte sich der Genfer Reformator Guillaume Farel unter anderem an den saarwerdischen Amtmann Johann Streiff von L auenstein.30 Daraufhin wurden erst einer, Jean Loquet / Johannes Loquetus, später ein zweiter französisch-reformierter Prediger, Petrus Armosanius, angestellt, denen Superintendent Achatius zur einzigen Bedingung machte, dass sie sich der Augsburger Konfession gemäß verhalten müssten. Am 16. August 1559 schrieb Loquet, dem Vernehmen nach ein ehemaliger Augustiner, an Jean Calvin nach Genf: „Wir fürchteten besonders, dass uns die sächsischen Chorröcke und Ceremonien aufgenötigt würden, die bei den deutschen Pfarrern allhier in Gebrauch sind. Aber es war keine Rede davon, und obgleich der Superintendent unsere Lehre zuerst im Verdacht des Zwinglianismus hatte, so wurde er doch schließlich, nach einigen vertrauten und friedlichen Unterredungen unser guter Freund, der, den wir anfänglich für unseren Gegner hielten.“31 1.3 Die Entwicklung reformierter Gottesdiensttradition im lutherischen Umfeld Adolph blieben nur wenige Monate zur Einführung der Reformation in Saarwerden, denn er starb bereits am 26. November 1559 im Alter von 33 Jahren kinderlos. Die Herrschaft fiel an den letzten lebenden Bruder Johann IV., der als Offizier Karls V. und Obrist der kaiserlichen Leibgarde dem Katholizismus verpflichtet war. Doch entließ dieser lediglich den Superintendenten,32 während die übrigen Pfarrer beider Konfessionen im Amt bleiben konnten, so dass die fünfzehn lutherischen und drei reformierten Gemeinden bis zum Katastrophen 29 Eyer, Frédéric: Die Einwanderung von Reformierten nach Nassau-Saarbrücken und ihr Verhältnis zur lutherischen Landeskirche (wie Anm. 24), 112–121. 30 Conrad, Joachim: Art. Adolph von Nassau-Saarbrücken (wie Anm. 8), Sp. 7–10. 31 Brief von Jean Loquet an Jean Calvin, zitiert nach: Eyer, Frédéric: Die Einwanderung von Reformierten nach Nassau-Saarbrücken und ihr Verhältnis zur lutherischen Landeskirche (wie Anm. 24), 117. 32 Achatius nahm nach seiner Entlassung im Sommer 1560 die Pfarrstelle im elsässischen Weißenburg (heute Wissembourg, Dép. Bas-Rhin) an. In den zehn Dienstjahren übersetze er Martin Bucers letzte Schrift „De Regno Christi“ ins Deutsche – ein Indiz für seine Verbindung zum älteren Straßburger Theologenkreis.
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jahr 1629 weiter existierten.33 Guillaume Farel hatte unmittelbar nach dem Tod Adolphs mit Schreiben vom 1. Mai 1560 Graf Johann IV. aufgefordert, das ihm von Gott anvertraute Kirchenwesen zu schützen und nichts als allein Gottes Wort zuzulassen.34 Bereits wenige Monate später konnte Monsieur Lenfant, Sire de Chambrey, der an der Spitze der Hugenotten in Saarwerden stand, in einem Brief an Calvin bestätigen: „Der Fürst hat nichts geändert in den Dingen, die sein unvergesslicher Bruder Adolph begründet hatte. Es scheint, dass Gott sein Reich hier weit ausbreiten will, denn unsere sieben welschen Gemeinden, an deren Spitze Loquetus steht, vergrößern sich mächtig.“35
Nach dem Tod des letzten katholischen Grafen von Saarbrücken Johann IV. kam es zum 1. Januar 1575 zur Einführung der lutherischen Reformation in den Oberämtern Saarbrücken und Ottweiler sowie in der Herrschaft Homburg. Und obwohl die Confessio Augustana Variata in Gebrauch kam, ging es den reformierten Gemeinden in der Grafschaft Saarwerden deutlich schlechter als in den Jahren zuvor. Neben der konfessionellen Trennung waren auch Sprache und Kultur natürliche Barrieren, und infolge der Hugenottenkriege strömten immer mehr Franzosen in die vermeintlich tolerante Grafschaft Saarwerden. Die neue lutherische Landesherrschaft duldete die freie Religionsausübung der Hugenotten nur noch in den welschen Dörfern. Wohnten sie jenseits dieser Banngrenzen, waren sie der Nassau-Saarbrückischen Kirchenordnung unterstellt und mussten am lutherischen Gottesdienst teilnehmen. Das Wachstum der reformierten Minderung aber sorgte dafür, dass Hugenotten zunehmend überall in der Grafschaft wohnten, vor allem die Handwerker und Kaufleute zogen in die Städte der Region, etwa nach Bockenheim und Harskirchen. In Bockenheim wurde kein reformierter Gottesdienst geduldet; es wurde den Hugenotten zur Pflicht gemacht, am lutherischen Gottesdienst teilzunehmen, „als ob sie selbst Lutheraner wären“.36 Zu ihren Abendmahlsfeiern wichen sie nach Altweiler und Burbach aus. In den lutherischen Dörfern Berg und Drulingen stellten die Reformierten bald die Bevölkerungsmehrheit; gemischtkonfessionelle Eheschließungen waren an der Tagesordnung. Die lutherische Geistlichkeit sah sich zum Einschreiten genötigt und ließ Reformierte nicht mehr wie bisher zum Patenamt zu. In Orten wie Burbach wurde der bisher getrennte Gottesdienst durch einen einzigen lutherischen ersetzt, an dem alle teilzunehmen hatten. Aus dem Jahr 1602 wird sogar berichtet, dass ein lutherischer Diakon bei der Bestattung eines Hugenotten über 33 1629 ereignete sich die Annexion Saarwerdens durch Lothringen, das sofort die Gegenreformation einleitete, vgl. Bergholz, Thomas: Art. Israel Achatius (wie Anm. 21), Sp. 1. 34 Farel hatte dem Grafen seine Schrift „Du vrai usage de la croix de Jesu-Christ“ gewidmet, vgl. Richter, Carl Roderich: Wie das Saargebiet evangelisch wurde, in: Unsere Saarheimat 10 (1925), 9–139, hier 38. 35 Brief von Lenfant an Johannes Calvin vom 19. August 1560, zitiert nach Richter, Carl Roderich: Wie das Saargebiet evangelisch wurde (wie Anm. 34), 38. 36 Matthis, Gustav: Die Leiden der Evangelischen in der Grafschaft Saarwerden (wie Anm. 26), 24.
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1. Joh. 1,7 predigte und am offenen Grab gegen die reformierte Abendmahlslehre polemisierte.37 Die Frau eines Bierbrauers, so die Überlieferung, habe sich die Ohren zugehalten, ausgespuckt und den lutherischen Geistlichen einen Lügner genannt. Sie wurde vom Grafen zu einer Strafe von hundert Talern verurteilt.38 1623 berichtet der Amtmann Brasi von Pfalzburg dem Grafen: „Dass sie [scil. die Hugenotten] dem luth. Inspektor unterstellt sein sollen, können sie schlechterdings nicht glauben. Sie verwerfen die Kirchen-Ordnung und wollen ihre eigene Disziplin befolgen, wie es den reformierten Kirchen im Herzogthum Zweibrücken erlaubt ist. Die Feier der Apostel- und Marientage erscheint ihnen katholisch, die monatlichen Buß- und Bettage vergleichen sie mit den heidnischen Neumonden. Die Nothwendigkeit einer schleunigen Kindertaufe leuchtet ihnen nicht ein, da die Kinder christlicher Eltern schon im Mutterleib durch den Glauben der Eltern, nach 1. Cor. VII. 14, geheiligt seien.39 Im Blick auf die Kirchenzucht verlangten die reformierten Prediger öffentliche Kirchenbuße, etwa wenn jemand beim Tanz gewesen war. Dies versuchte der Altweiler Pfarrer auch auf die Lutheraner in den Nachbargemeinden auszuweiten, weswegen er sich eine Klage wegen Amtsanmaßung einhandelte. Ironischerweise wurde gerade Altweiler, inzwischen stark angewachsen, zur Hochburg von „Kunkelstuben, Trink- und Spielgesellschaften“. So war also die reformierte Kirchenzucht zusammengebrochen. Das Herzogtum Lothringen betrachtete die Grafschaft Saarwerden nach dem Tod von Katharina von Moers-Saarwerden 1527 als erledigtes Mannlehen, anerkannte die Saarbrücker Rechte nicht und klagte vor dem Reichskammergericht in Speyer. Im Kontext des Dreißigjährigen Krieges bemächtigte sich nun das Herzogtum der kleinen so lange begehrten Grafschaft, und seit 1629 lief eine strenge Rekatholisierung, die Lutheraner und Reformierte mit gleicher Härte traf. Sechzehn der achtzehn lutherischen Pfarrer und alle drei reformierten Prediger mussten das Land verlassen; in den Kirchen wurde wieder Messen nach dem lateinischen Ritus gelesen.
2. Der reformierte Kirchbau in Saarwerden Die reformierten und lutherischen Kirchbauten in Saarwerden werden in der Forschung wenig beachtet.40 Heiko Forstmann, der 2018 eine umfangreiche Studie zum evangelischen Kirchenbau in Saarbrücken vorgelegt hat, begründet 37 Matthis, Gustav: Bilder aus der Kirchen- und Dörfergeschichte der Grafschaft Saarwerden. Straßburg 1894, 222–224. 38 Ebd., 223 f. 39 Aus einem Bericht des Amtmanns Brasi von Pfalzburg aus dem Jahr 1623 an Graf Ludwig II. von Nassau-Saarbrücken, zitiert nach Matthis, Gustav: Bilder aus der Kirchen- und Dörfer geschichte der Grafschaft Saarwerden (wie Anm. 37), 255. 40 Im „Bulletin de la Société pour la Conservation des Monuments Historiques d’Alsace“ (Paris / Straßburg 1857) werden die frühneuzeitlichen Kirchen in Saarwerden nicht beachtet, ebenso
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den Umstand damit, dass diese Kirchen reine Zweckbauten waren, die mit geringen Mitteln und in kurzer Zeit errichtet wurden, deren Baumeister unbekannt geblieben sind und die immer wieder der Lebenswirklichkeit der Gemeinden angepasst werden mussten.41 Aber sogar die barocken lutherischen Prachtbauten des bedeutenden Architekten Friedrich Joachim Stengel in Berg oder in Harskirchen werden von Georg Dehio 1911 übergangen.42 Erst mit dem Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Ludwigskirche in Saarbrücken, die Stengels Hauptwerk ist und heute in einem zu 70 % katholischen Bundesland das ZweiEuro-Stück ziert, wuchs das Interesse an seinen wunderbaren Kirchbauten, – auch im Krummen Elsass.43 Unter den reformierten Kirchen in Saarwerden wurde – vor der umfassenden Studie von Heiko Forstmann – nur die ebenfalls von Stengel gebaute Kirche in Neusaarwerden44 in den Blick genommen. Dieser Kirchbau ist längst profaniert und dient dem Geschichtsverein von Saarwerden u. a. als Museum für eine kleine Dauerausstellung zu den Stengelkirchen der Grafschaft Saarwerden. Die lutherische Kirche steht nicht weit entfernt und ist heute die Gemeindekirche. Der erste reformierte Tempel soll 1560 in Görlingen45 auf Kosten der Gemeinde errichtet worden sein.46 Das Gebäude ist vermutlich in Holz ausgeführt worden, was in der Anfangszeit der Normalfall gewesen sein wird. In den meisten Gemeinden fand der reformierte Gottesdienst im Freien statt, auch wurden profane Gebäude wie Schulen, Gasthäuser und Scheunen benutzt. Der erste in Stein ausgeführte Hugenottentempel wurde in Rauweiler 1567 errichtet, worauf eine Inschrift über einem heute vermauerten Portal verweist. Forstmann konnte wenig in dem bedeutenden Kunstdenkmalinventar von Franz Xaver Kraus (Kunst und Alterthum in Elsass-Lothringen. Straßburg 1876). Die einfache reformierten Dorfkirchen von Altweiler, Burbach, Diedendorf, Eyweiler oder Rauweiler, also Neubauten des 17. und frühen 18. Jh.s und bis heute zumindest in Teilen noch erhalten, wurden von Kraus ebenso vernachlässigt wie die lutherischen Barockkirchen, die man im 19. Jh. wohl für zu modern hielt, als dass sie Platz in einer Denkmalsammlung hätten finden können. Lediglich die lutherisch gewordene Stiftskirche von Domfessel und die Stadtkirche von Bockenheim von 1578, die erste große Kirchenbaumaßnahme nach Einführung der Reformation, werden im Text erwähnt. 41 Forstmann, Heiko: Der Einfluss der Liturgie auf den evangelischen Kirchenbau am Beispiel der Grafschaft Nassau-Saarbrücken. (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte 54), Saarbrücken 2020, S. 27. 42 Dehio, Georg: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Bd. 4: Südwestdeutschland. Berlin 1911. Erst Walter Holtz verweist auf die Urheberschaft von Stengel und nennt einige Daten; vgl. Hotz, Walter: Handbuch der Kunstdenkmäler im Elsass und in Lothringen. Darmstadt 1965. 43 Dimmig, Oranna: Stengel-Kirchen im Krummen Elsass, in: Saarheimat 7/8 (1987), 154–162. 44 Hauck, Marie Luise: Die Kirche von Neu-Saarwerden, ein Werk des Friedrich Joachim Stengel, in: Saarheimat 8 (1964), 318–325. 45 Girardin, Albert: Görlingen in der ehemaligen Grafschaft Saarwerden. Geschichte eines Hugenottendorfes im Krummen Elsass. Bad Neustadt an der Saale 1988. 46 Christoph Dittscheid macht darauf aufmerksam, dass weder die Kirche in Görlingen noch die in Kirrberg im Visitationsbericht von 1603 erwähnt werden; womöglich ist die Nachricht über diese frühen Kirchbauten nicht belastbar; vgl. Dittscheid, Hans-Christoph: Evangelischer Kirchenbau in Nassau-Saarbrücken, in: Die evangelische Kirche an der Saar gestern und heute, hg. von den Kirchenkreisen Ottweiler, Saarbrücken und Völklingen. Saarbrücken 1975, 139–195, hier 140.
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am heutigen Bau den ursprünglich quadratischen Grundriss nachweisen;47 die Kirche wurde im 18. Jh. überformt. Die Rauweiler Kirche ist wohl der einzige reformierte Kirchbau in Saarwerden in dieser Zeit; für Altweiler, Burbach und Eyweiler fehlt jeder Hinweis für das 16. Jh. Im reformierten Diedenhofen48 wurde 1588/89 eine lutherische Kirche auf den Ruinen einer vor 1523 verfallenen katholischen Kirche gebaut;49 der mittelalterliche Kirchturm blieb erhalten. Initiator war der Saarbrücker Amtmann Johann Streiff von Lauenstein, der am Ort seit 1577 ein Schloss bewohnte. Diese Kirche wich im 18. Jh. einem Neubau. In Diedenhofen durfte auf Befehl des Amtsmanns der lutherische Pfarrer von Wolfskirchen einen deutschsprachigen Gottesdienst halten, während die Reformierten ihre Gottesdienste im Schulhaus feierten. In Eyweiler erfolgte 1615, so das Rundbogenportal, der dritte Kirchbau in Saarwerden; die Kirche wurde nach den Zerstörungen der Reunionszeit saniert (1711), zeigt aber bis heute das Gesicht eines reformierten Tempels des 17. Jh.s in Saarwerden. Es scheint so, als habe die lutherische Kirchenschaffnei die Kosten getragen. Nach einem verloren gegangenen Visitationsbericht von 1624 habe die reformierte Gemeinde zu den Baukosten wenig beitragen können.50 Nach der Sanierung 1711 wurde die Kirche den Lutheranern gegeben.
3. Die Gegenreformation Die Errichtung eines Jesuitenkollegs in Bockenheim 1631 war der Auftakt zur Gegenreformation. Von hier aus wurden Visitationen in den Landgemeinden durchgeführt und Druck aufgebaut, um die Menschen wieder zum alten Glauben zurückzuführen. Die kriegsbedingten Truppendurchmärsche und die Rechtsunsicherheit im Blick auf die Herrschaftsverhältnisse führte die Grafschaft Saarwerden immer mehr unter lothringische Oberhoheit. Zwar brachte der Westfälische Frieden 1648 die Anerkennung der reformierten Konfession, doch war Lothringen vom Frieden ausgeschlossen und damit der Schutz des reformierten Bekenntnisses nicht zu erwarten.51 Nur in den südlich von Bockenheim 47 Forstmann, Heiko: Der Einfluss der Liturgie auf den evangelischen Kirchenbau am Beispiel der Grafschaft Nassau-Saarbrücken (wie Anm. 41), S. 28 f. 48 Dittscheid, Hans-Christoph: Evangelischer Kirchenbau in Nassau-Saarbrücken (wie Anm. 46), 140. 49 Siehe Schmidt, Christian: 400 Jahre evangelisches Diedendorf 1559–1959. Diedendorf 1959 (unveröffentlicht), 4. 50 So fasste Matthis einen Abschnitt des damals aber offenbar schon nicht mehr verfügbaren Visitationsberichts aus dem Jahr 1624 zusammen, der zahlreiche Streitigkeiten zwischen den damaligen lutherischen und reformierten Gemeinden schilderte; vgl. Matthis, Gustav: Die Leiden der Evangelischen in der Grafschaft Saarwerden (wie Anm. 26), 49. 51 Zum genauen Ablauf der Ereignisse während des Dreißigjährigen Krieges in der Saarregion finden sich zahlreiche Darstellungen. Beispielhaft sei hier auf die wahrscheinlich früheste Beschreibung bei Köllner verwiesen; vgl. Köllner, Friedrich: Geschichte des vormaligen NassauSaarbrück’schen Landes und seiner Regenten (wie Anm. 7), 318–330.
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gelegenen Gemeinden Görlingen, Kirrberg52 und Rauweiler hielt sich der Einfluss der Jesuiten in Grenzen, so dass die reformierten Gemeinden – formal nicht geduldet53, aber faktisch aktiv – leben konnten, ja dass sogar viele Calvinisten aus der Schweiz die saarwerdischen Dörfer als neue Heimat wählten. So gab es in den 36 Dörfern der Grafschaft gegen Ende der lothringischen Herrschaft gerade einmal noch 50 bis 60 katholische und immerhin gut 220 evangelische Haushaltungen. Nur in den Städten Bockenheim und Harskirchen sowie in wenigen benachbarten Gemeinden wie Lorenzen und Domfessel überwog das katholische Bekenntnis noch.54 Am 12. Oktober 1670 kehrte die Grafschaft Saarwerden wieder in den Besitz der nassauischen Erbengemeinschaft zurück, lediglich die alte Residenzstadt Saarwerden und die alte Verwaltungsstadt Bockenheim blieben bei Lothringen und fielen 1766 an Frankreich. Die Katholiken im nunmehr nassauischen Gebiet nahmen wie selbstverständlich den lutherischen Glauben an.55 Die nassauische Obrigkeit errichtete lutherische Pfarrstellen in Harskirchen, Lorenzen, Wolfskirchen und Drulingen.56 Anfangs lehnte man aus Kostengründen die Wiedererrichtung einer reformierten Pfarrstelle ab, wählte dann aber Burbach als Sitz, wobei die Kosten durch Spenden finanziert werden mussten. Von Burbach aus wurden die reformierten Gemeinden in Altweiler, Görlingen, Kirrberg und Rauweiler57 bedient. Das neue evangelische Leben in Saarwerden währte nur kurz, denn die Hegemonialbestrebungen Frankreichs führten erneut zu einer Besetzung der Grafschaft Saarwerden und zur Eingliederung in die Saarprovinz. Erklärtes Ziel war die Beseitigung aller protestantischen Strömungen in den besetzten Gebieten. 1684 wurde verfügt, dass in Orten mit zwei Kirchen die kleinere der katholischen Minderheit zu übergeben war, wo aber nur eine Kirche war, war sie simultan zu nutzen. Mit dem Edikt von Fontainebleau vom 18. Oktober 1685 wurde die Gleichberechtigung der evangelischen Bürger aufgehoben. Nun
52 Girardin, Albert: Kirrberg im Krummen Elsass. Geschichte eines Hugenottendorfes im deutsch-französischen Grenzraum. Bad Neustadt an der Saale 1983. 53 Zahlreiche Hugenottenfamilien wichen nach 1648 in die Pfalz aus. Girardin berichtet etwa von Görlinger Familien, die aufgrund der lothringischen Besatzung in die Hugenottengemeinde nach Bischweiler im Unter-Elsass übersiedelten, die damals zur Pfalz gehörte, vgl. Girardin, Albert: Kirrberg im Krummen Elsass (wie Anm. 52), S.102. 54 Diese Zahlen bei Matthis, Gustav: Die Leiden der Evangelischen in der Grafschaft Saarwerden (wie Anm. 26), 156, der sich dabei auf die Bockenheimer Kirchenbücher des Jahres 1668 bezieht. Es ist nicht klar, ob es sich tatsächlich um die Zahl der Haushaltungen oder die Anzahl der Bürger handelt. 55 Matthis, Gustav: Die Leiden der Evangelischen in der Grafschaft Saarwerden (wie Anm. 26), 167–169. 56 Matthis, Gustav: Die Leiden der Evangelischen in der Grafschaft Saarwerden (wie Anm. 26), 172. 57 Die Versorgung der Rauweiler Reformierten von Burbach aus legt nahe, dass der Rauweiler Tempel zu jener Zeit nicht nutzbar war. Vermutlich wurde er während des Dreißigjährigen Krieges zerstört.
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rückte der französische Amtmann unter militärischer Bedeckung in Burbach ein, nahm den reformierten Pfarrer gefangen und demolierte die Kirche. Alle Calvinisten mussten zum Katholizismus konvertieren. Ähnlich erging es Kirrberg, Rauweiler und Görlingen. Nicht immer ging man mit roher Gewalt vor; bisweilen zahlten die Franzosen ein Trinkgeld, wenn einer den Konversionsrevers unterschrieb. Das Treiben endete 1697 mit dem Frieden von Rijswijk; Saarwerden fiel wieder an den walmramschen Stamm des Hauses Nassau, aber in Klausel IV des Friedensvertrages wurde die katholische Religion in der Grafschaft garantiert. Für die reformierten Christen wurde nun zuerst Diedendorf Zentrum, denn die Gemeinde wurde bereits 1699 wiederhergestellt.58 Samuel de Perroudet wurde zur Lichtgestalt der Reformierten zu Beginn des 18. Jh.s; den Bau der Diedendorfer Kirche organisierte der dortige Schlossherr Otto Eberhardt Streiff von Lauenstein, der aus zahlreichen reformierten Ländern Kollektengelder herbeischaffte.59 Auch die Burbacher Kirche wurde rasch wieder aufgebaut, es folgten Rauweiler (1720) und Altweiler (1723). Beide Orte wurden mit eigenen Pfarrstellen versehen. Am 9. Mai 1743 erließ Fürst Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken60 eine Verordnung, dass die reformierte Religion in Saarwerden generell zugelassen war, woraufhin es zur Einwanderung weiterer Reformierter in der Region kam.61 Die Linien Nassau-Weilburg und Nassau-Saarbrücken arrangierten sich im Blick auf die Landesherrschaft. Auf der anderen Saarseite des französisch gebliebenen Bockenheim gründeten die Weilburger die neue Verwaltungsstadt Neusaarwerden mit einer lutherischen und einer reformierten Kirche (1750/51); in Harskirchen bauten die Saarbrücker ihren Amtssitz mit einer prachtvollen lutherischen Kirche aus. Und überall wirkten der Saarbrücker Generalbaudirektor Friedrich Joachim Stengel und seine Schüler.
58 Dittscheid, Hans-Christoph: Evangelischer Kirchenbau in Nassau-Saarbrücken (wie Anm. 46), 152. 59 Finanzielle Unterstützung kam unter anderem aus Holland, der Schweiz, aus Straßburg, Frankfurt und Zweibrücken; vgl. Schmidt, Christian: 400 Jahre evangelisches Diedendorf 1559–1959 (wie Anm. 49), 6 f. 60 Conrad, Joachim: „Unseres Herrgotts Kartenspiel“ – Fürst Wilhelm Heinrich und das landesherrliche Kirchenregiment, in: Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken. Staatsmann – Feldherr – Städtebauer, hg. von Roland Mönig, Saarbrücken 2018, 34–39. 61 Zitiert nach Mohns, Friedrich: Geschichte der evangelischen Hugenottengemeinde und ihrer Pfarrer zu Ludweiler im Warndt, Ludweiler-Warndt 1954, 70.
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4. Das gottesdienstliche Leben der reformierten Gemeinden am Beispiel einer Gemeindeordnung 4.1 Die Feiertagsordnung Im Archiv der ehemals reformierten Kirche in Neusaarwerden findet sich ein Dokument unter dem Titel „Nachricht | Wie es mit der Einrichtung des GottesDienstes in den-|en Reformierten Gemeinden zu Neusaarwerden und Burbach soll gehalten werden.“62 Pfarrer und Vorsteher der Gemeinden regelten das Verhältnis der beiden genannten reformierten Gemeinden, die pfarramtlich verbunden waren. Aus diesem seltenen Dokument lässt sich das gottesdienstliche Leben der Reformierten in der Grafschaft Saarwerden ersehen, über das wir nur wenige Quellen besitzen. Das Dokument wurde zum Verkauf angeboten: „Zum Besten der Armen kostet ein Exemplar 2 Soli Französisch Geld.“ Für die Lutheraner der Grafschaft liegt seit 1574/75 mit der Nassau-Saarbrückischen Kirchenordnung63 eine grundsätzliche Anweisung vor. Was die Gottesdienste64 betraf, so setzte die Kirchenordnung zunächst die Tage fest, „an welchem gemeine Versamlung gehalten und die offentliche Kirchendienste verrichtet werden sollen“65. In erster Linie ist es der Sonntag als der Auferstehungstag des Herrn, „daran Gottes Werk verkuͤndiget und allerley Gottselige Ceremonien und Kirchenubung gehalten werden“66. Für die reformierte Tradition wird in der Neusaarwerdener Verfügung unter der Überschrift „Wegen des Gottes-Dienstes“ lediglich die wechselnden Gottesdienste geregelt: „Von Michaelis bis Ostern wird zu Burbach der oͤffentliche Gottes-Dienst alle 14 Tage des nachmittags um 1. Uhr, und von Ostern bis Michaelis alle 14 Tage des Morgens um 7. und 8. Uhr, welche Zeit vorhero verkuͤndet werden soll, gehalten. Und zu Neusaarwerden, wann des Morgens zu Burbach gepredigt worden, geht der Gottes-Dienst um 10. Uhr an.“67 Es verwundert auf den ersten Blick, dass das Michaelisfest eine Gliederungshilfe darstellte. Für die Lutheraner hatte die Kirchenordnung die Feiertage festgelegt auf Weihnachten (dreitägig), Neujahr, Epiphanias, Mariae Reinigung (2. Februar), Mariae Verkündigung (25. März), 62 Das Dokument befindet sich im Espace culturel du Temple in Sarre Union, Dép. Bas Rhin. 63 Knodt, Emil: Die von den Grafen Albrecht und Philipp im Jahre 1576 publizierte NassauSaarbrücken’sche Kirchenordnung und Agende und ihre Weiterentwicklung, Ein Beitrag zur nassauischen Kirchengeschichte. Herborn 1905; Nassau-Weilburg. Kirchenordnung, in: Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Zehnter Band: Hessen III. Die Grafschaften Nassau, Hanau-Münzberg und Ysenburg, bearbeitet von Sabine Arend. Tübingen 2012, 208–319. 64 Liturgisch orientierte sich der Gottesdienst in Saarbrücken am Straßburger Modell, das auch in der Weilburger Kirchenordnung vorgesehen war; vgl. Conrad, Joachim: Der Gottesdienst in der Nassau-Saarbrückischen Landeskirche, in: Jahrbuch für Liturgie und Hymnologie 45 (2006), 103–111. 65 Nassau-Weilburg. Kirchenordnung (wie Anm. 63), 226. 66 Nassau-Weilburg. Kirchenordnung (wie Anm. 63), 227. 67 Nachricht | Wie es mit der Einrichtung des Gottes-Dienstes in den-|en Reformirten Gemeinden zu Neusaarwerden und Burbach soll gehalten werden. Abs. 2: Wegen des Gottes-Dienstes.
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Ostern (dreitägig), Christi Himmelfahrt, Pfingsten (dreitägig), Trinitatis, Mariae Heimsuchung (2. Juli), Johannis des Täufers (24. Juni) und St. Michaelis (29. September). Da wird St. Michaelis also ausdrücklich genannt. Und weiter: „Diese Feyertage so zum gedaͤchtnuß der wolthaten unsers Herrn Jhesu Christi verordenet seind, werden mit Gesang, Predigten unnd Communion gleich den gemeinen Sontagen gleich und gantz feyerlich celebrirt […] und der Heyligen Apostel Tage sollen mit einer Predigt gehalten werden, unnd gehet das Volck nach Mittag wiederumb zu seiner Arbeit.“68 Außerdem wurden bei den Lutheranern Wochenpredigten gehalten, und zwar in den Städten zwei, auf den Dörfern eine, in der Woche vor Ostern oder Karwoche möglichst täglich, aber wenigstens am Mittwoch, Donnerstag und Freitag, damit die Geschichte des Leidens und Sterbens Jesu Christi gelesen und erklärt werde. Besondere allgemeine Bettage waren in Notzeiten vorgesehen. 4.2 Die Feier des Abendmahls Das Abendmahl wurde in den größeren lutherischen Gemeinden der Grafschaft Nassau-Saarbrücken sonntäglich gefeiert. In kleineren Gemeinden konnte man sich auf einen vierzehntägigen Rhythmus beschränken, ggf. sogar nur monatlich oder alle sechs Wochen Brot und Wein empfangen. Die Krankenkommunion wurde ausdrücklich empfohlen. Doch wie überall fallen Theorie und Praxis auseinander: So zeigt eine Kirchenrechnung aus Fechingen, dass hier das Abendmahl nur sechs- bis siebenmal im Jahr begangen wurde.69 Die Neusaarwerdener Verfügung kennt nur vier Abendmahlstermine – ganz und gar in der reformierten Tradition. Drei Termine stehen fest: Weihnachten, Ostern und Pfingsten. Der vierte ist wieder überraschend: „Auff Michaelis“. Die Verfügung musste zuerst den Wechsel zwischen Burbach und Neusaarwerden regeln. Dazu kam die Frage, wann die Allgemeine Beichte stattfinden konnte. Doch war das Abendmahl den Reformierten in Saarwerden offenbar sehr wichtig: In der Amtsstadt Neusaarwerden wurde an allen drei Hauptfesten jeweils zweimal das Abendmahl gefeiert: An Weihnachten war die erste Feier am ersten Christtag, die zweite am Neujahrstag. Der Heilige Abend spielte in dieser Zeit keine Rolle, so dass die Allgemeine Beichte an diesem Tag stattfinden konnte. Und weil am Ostersonntag bereits um 9.00 h die erste Abendmahlsfeier stattfand, war die Beichte an Karfreitag, der im gottesdienstlichen Leben der reformierten Gemeinden vor Ort offenbar ebenfalls keine Rolle spielte. Die zweite Feier fand an Quasimodogeniti statt. Am ersten Pfingsttag kam der Pfarrer vom Frühgottesdienst aus Burbach und hielt in Neusaarwerden einen Spätgottesdienst mit Abendmahl; die zweite Pfingstkommunion war am Trinitatisfest. In dem ehemals für die reformierte Tradition bedeutenden Burbach war an Weih 68 Nassau-Weilburg. Kirchenordnung (wie Anm. 63), 228. Ergänzung in der Fassung der Agende von 1616. 69 LA Saarbrücken. Best. Nassau-Saarbrücken II, Nr. 2603.
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nachten nur am zweiten Christtag Abendmahl vorgesehen und die Beichte fand tags zuvor statt. An Ostern fanden bemerkenswerterweise auch in Burbach zwei Abendmahlsfeiern statt: eine an Palmsonntag, die zweite am zweiten Ostertag, und zwar mit einer Beichte am Nachmittag des ersten Ostertages. Am ersten Pfingsttag fand die Abendmahlsfeier morgens um 7.00 h statt, damit der Pfarrer rechtzeitig in Neusaarwerden eintraf. Der erwähnte vierte Termin „Auff Michaelis“ zeigt, dass der eigentliche Festtag am 29. September nicht begangen wurde, sondern nur eine historisch abgeleitete Zäsur darstellte, denn die beiden Abendmahlsfeiern wurden am Sonntag zuvor oder danach gefeiert, und zwar „zu Neusaarwerden am Sonntag von denen 10 Aussaͤtzigen, die Erste. Die Zweyte am Sonntage vom Juͤngling von Nain, die Vorbereitung zu jedem am Samstag Nachmittags um 2. Uhr. Zu Burbach die erste am Sonntage, Niemand kann zweyen Herren dienen. Die Zweyte am Sonntag vom Wassersuͤchtigen. Die Vorbereitung jedes mahl Samstag um 2. Uhr.“70
4.3 Das Gesangbuch Der Gesang spielte in der lutherischen Landeskirche von Nassau-Saarbrücken eine hervorragende Rolle.71 Trotzdem erging die Mahnung, die Länge der Gesänge nicht hinzuziehen, damit die Gemeinde nicht vor der Predigt ermüdet: „Es sollen auch die Gesenge auß den bewehrten Gesangbuͤchlein der reinen Evangelischen Kirchen ohngeenderter Augspurgischer Confession auffs kuͤr tzest angestellt unnd vor der Predigt auff die Sonn- und Feyertage ungefehr uber anderthalb viertheil, auff die Wercktage aber über ein viertheil stunde nicht erstrecket werden, damit das Volck nicht auffgehalten und, ehe dann die Predigt angehet zum uberdruß verursacht werden moͤge, und sol das Volck in Predigten, so offt es die gelegenheit gibt, erinnert unnd vermahnet werden, daß sie die gebreuchlichen Kirchengeseng lehrnen unnd allwegen, wann in gemeinen Versamlungen gesungen, auch selbßt ein jeder vor sich in sonderheit mit singen und also eintrechtiglich Gott loben.“72
Bei den Visitationen sollte ausdrücklich gefragt werden, ob die Gemeinde mitsinge. Als Fürst Wilhelm-Heinrich von Nassau-Saarbrücken 1741 die Großjährigkeit erreicht und nach der Regentschaft seiner Mutter, der Fürstin Charlotte Amalie von Nassau-Usingen, die Regierung übernommen hatte, gehörte zu 70 Nachricht | Wie es mit der Einrichtung des Gottes-Dienstes in den-|en Reformirten Gemeinden zu Neusaarwerden und Burbach soll gehalten werden. Abs. 1: Wegen der Communionen. 71 Die Grafschaft Nassau-Saarbrücken erhielt erst 1746 ein eigenes Gesangbuch, also vergleichsweise spät; vgl. Conrad, Joachim: „Da unter deinen Töchtern unser Saarbrückisches Zion bishero kein eigenes Gesang-Buch gehabt …“ Die nassau-saarbrückischen Gesangbücher von 1746 und 1779, in: Jahrbuch für Liturgie und Hymnologie 38 (1999), 227–241. 72 Nassau-Weilburg. Kirchenordnung (wie Anm. 63), 229. Wie es in gemeinen Versamlungen mit Singen, Lesen, Predigen, Sacrament reichen, Beten und dergleichen gehalten werden sol. Ergänzungen aus der Agende von 1616.
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seinen zahllosen Initiativen auch die im Jahre 1746 erfolgte Herausgabe eines Nassau-Saarbrückischen Gesangbuches. Als Berater des Fürsten, als Bearbeiter und Herausgeber des Gesangbuches wird der Saarbrücker Superintendent und Konsistorialrat Mag. Thomas Balthasar Rollé73 angesehen, der das Vorwort verfasst hat: „So sind Ihro Hoch-Fürstliche Durchlaucht, unser gnädigster Landes-Herr bewogen worden, ein neues Gesang-Buch drücken, und solches bey allen Gemeinden des Saarbrückischen Zions einführen zu lassen.“74 Das in Frankfurt am Main bei der renommierten Druckerei Knoch & Eßlinger verlegte Buch wurde zügig eingeführt. Der Superintendent des nassauischen Oberamtes Ottweiler, Konsistorialrat Georg Christian Woytt75, drängte die Gemeinden mit einem Circular vom 17. Dezember 1746 auf die Einführung. Er ließ dabei auch feststellen, wieviele Exemplare „sothaner Neuen Gesangbücher Vor die Evangelische Kirchen und Schulen hiesiger Dioeces erfordert“ würden. Woytt stellte dabei auch die verschiedenen Preise – je nach Einband – vor: Dreißig Batzen kostete ein Buch „in gemeinem Bande“ oder „schwartzem Kalb-Leder“. In „braunem Frantzband verguldet“, d. h. Kalbleder mit echten oder erhabenen Bünden und Rückenvergoldung nach französischer Manier kostete dreizehn Batzen, in „rothem Leder verguldet“ einen Gulden, in „Corduan verguldet“, d. h. gut genarbtes Ziegenleder, zumeist rot, ebenfalls einen Gulden. In einem weiteren Rundschreiben teilte das Konsistorium mit, „daß man schon an dem heiligen Pfingstfeste 1747 den Herrn mit einem und dem anderen Liede aus dem Neuen Gesangbuche loben und die Gesänge nicht mehr nach den Nummern des Marburger – sondern des Saarbrücker Gesang-Buches an die Tafeln schreiben werde.“76 In seiner Vorrede zum Gesangbuch schreibt Thomas Balthasar Rollé: „Da unter deinen Töchtern unser Saarbrückisches Zion bishero kein eigenes GesangBuch gehabt, und der grosse Vorrath derselben dem einen dieses, dem anderen jenes dargereicht, deren Unterschied verursachet hat, das manche in öffentlicher Versammlung die angestimmten Lieder nicht mitsingen können, weilen dieselben nicht in dessen Buch enthalten.“77
Nun gab es ein Saarbrücker Einheitsgesangbuch. 73 Conrad, Joachim: Art. Thomas Balthasar Rollé (1695–1780), in: BBKL 28 (2007), Sp. 1336–1343. 74 Nassau-Saarbruͤckisches | Gesang-Buch, | worinnen | Des sel[igen] Lutheri und anderer erleuchteter | Maͤ n ner geistreiche Gesaͤ nge enthalten, | Mit beygefuͤg tem Gebet-Buͤchlein | Wie auch denen Sonn- und Festtaͤglichen | Evangelien und Episteln, | Der Geschichte vom Leiden Jesu Christi, | Der Zerstoͤr ung Jerusalems | und dem Catechismo Lutheri, | auf | Hoch-Fuͤ rstl[ichen] Landes Herrschaftl[ich] | sonderbahren gnaͤd igen Befehl, | Zum Behuf des oͤf fentlichen Gottesdienstes in denen | Fuͤ rstlich-Nassau-Saarbruͤckischen Landen, | ausgefertigt | Mit Fuͤ rstl[icher] Special-Privilegio | Franckfurt am Mayn | In Verlegung der Knoch- und Eßlingerischen Buchhandlung 1746, Hier: Vorrede, 10. 75 Conrad, Joachim: Art. Georg Christian Woytt (1694–1764), in: BBKL 23 (2004), Sp. 1581–1585. 76 Pfeiffer, Gustav: Bilder aus der Vergangenheit der evangelischen Pfarrgemeinde und Synode Ottweiler. Ottweiler 1925, 92. 77 Nassau-Saarbrückisches | Gesang-Buch. Vorrede (wie Anm. 74), 10.
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Das Saarbrücker Gesangbuch war bei den Reformierten in Saarwerden allerdings nicht in Gebrauch, denn schon die Lutheraner hatte sich 1557 auf die Zweibrücker Kirchenordnung gestützt, in deren Anhang auch 85 deutsche und 75 lateinische Gesänge abgedruckt waren. 1587 erschien dieser Anhang als eigenständiges Zweibrücker Gesangbuch.78 Nachdem aber Pfalz-Zweibrücken zum Calvinismus konvertiert war, orientierten sich die Reformierten deutlich wieder nach den Gepflogenheiten des neuen Territorium. So hielt die Verfügung von Neusaarwerden „wegen der Gesang-Bücher“ fest: „Haben wir noch zu erinnern und zu bitten, daß man sich an das neue Marburger und Zweybrücker vornehmlich zu halten habe.“79 Es handelt sich wohl um das Pfalz-Zweibrückische Gesangbuch80 von 1757 bzw. um das Hessisch-Hanauisch-Pfälzische Gesangbuch81, das 1752 in Marburg verlegt wurde. 4.3 Katechese und Konfirmation Die Saarbrücker Grafen hatten größten Wert auf den Katechismusunterricht gelegt.82 Wie „die ganzen Predigten“ als Speise den Erwachsenen zustehen, so gab es den Katechismus für die Jugend. Was „der Apostel Milch nennet, das nennen wir nach alter Gewohnheit der Kirchen Catechismus, das ist eine solche Lehr, so mit lebendiger Stimm fürgetragen, und von den Zuhörern, daß sie es nachsagen kundten, erfordert, daß hierinnen die Kinder bald in der Jugend angeführt und unterwiesen werden sollen: Wiewohl auch die Alten, so noch nicht genugsamen Verstand haben Göttlichen Worts, hierinnen stätigs nicht weniger als die Kinder angewiesen und geübt werden müssen.“83 In den wenigen Städten der Grafschaft 78 Psalmen Und Geistli-|che Lieder, welche inn den Kirchen und Schulen | des Fuͤ rstenthumbs Zweybruͤcken | vermoͤg desselben Fürstenthumbs Kir-|chenordnung ordenlich gesungen | und gebraucht werden. | Ist auch herzu gesetzt, ein kur-|tze Forme des Tauffs, des Catechis-|mi, des Nachtmals, des gemeinen Gebets, | der Ehe einleitung, Besuchung der Kran-|cken und Ordnung der Begrebnus und | Kirchen Censur, wie solche in gemelter Kirchenordnung wei-|ter zu finden. Hiebevor im Jar 1571 zu Straßburg | getruckt, jetzt aber zu gewoͤn lichem gebrauch der | einfaltigen Christen und gemeiner | Jugendt von neuem uͤberse-|hen und in Truck | gefertigt. M. D.LXXXVII. 79 Nachricht | Wie es mit der Einrichtung des Gottes-Dienstes in den-|en Reformirten Gemeinden zu Neusaarwerden und Burbach soll gehalten werden. Abs. 5: Wegen der Gesang-Buͤcher. 80 Pfaltz-Zweibruͤck-Evangelisches Gesang-Buch, welches Auf gnaͤd igsten Befehl des Durchlauchtigsten Fuͤ rsten und Herrn, Herrn Christian des Vierten, Pfaltz-Grafen bey Rhein | Zwei bruͤcken: Johannes Christian Geiss 1757. 81 Kern | Alter und neuer, in 700. bestehender | Geistreicher | Lieder, | Welche sowohl | bey dem oͤf fentlichen Gottesdienste | in denen | Reformirten Kirchen | Hessisch-Hanauisch-Pfaͤ ltzische und mehreren | andern angraͤ ntzenden Landen, | Als auch zur | Privat-Andacht und Erbauung | nuͤtzlich können gebraucht werden | Marburg 1752. 82 Der Saarbrücker Gymnasiallehrer und Cantor Mag. Michael Mosch (amt. 1602–1635) übersetzte für den Schulunterricht Luthers Kleinen Katechismus ins Lateinische; zu dem Katechismus wurden in deutscher Sprache Fragen formuliert, die als „Saarbrücker Fragestücke“ in den Akten begegnen; vgl. Ruppersberg, Albert: Geschichte des Ludwigsgymnasiums zu Saarbrücken 1604–1904. St. Johann 1904, 128. 83 Nassau-Weilburg. Kirchenordnung (wie Anm. 63), 234. Von Catechismo oder Kinderlehr.
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sollte der Katechismusunterricht sonntags, dienstags und donnerstags stattfinden, in den von Landwirtschaft geprägten Dörfern wurde er nur sonntags gehalten. Wo der Unterricht sonntags war, fand er ohne Gesang im Anschluss an die Predigt statt, wo wochentags unterrichtet wurde, war verfügt, den Unterricht mit dem Gesang: „Komm heiliger Geist“ zu eröffnen und mit „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“ zu schließen. Wie ernst die Katechismuslehre behandelt wurde, wird erhellt aus den Schlussbestimmungen der Saarbrücker Kirchenordnung, dass „keine Person, sie sei gleich jung oder alt, zur christlichen Taufe zu Gevatter stehen und Gebrauch des heiligen Abendmahls, desgleichen zur Einsegnung der christlichen Ehe zugelassen werden soll, sie wisse denn ihren Katechismus von Stück zu Stück erzählen“84.
Also war mit der Konfirmation in Nassau-Saarbrücken die Zulassung zum hl. Abendmahl, zur kirchlichen Eheschließung und zum Patenamt verbunden. Die Konfirmation war durch den Einfluss von Martin Bucer seit 1575 in Praxis. Das Kapitel wurde überschrieben: „Confirmation der Kinder, das ist, wie den Kindern, nachdem sie erwachsen und dermassen von ihren Eltern und Predicanten underrichtet, daß sie ires Glaubens bekanndtniß thun koͤn nen, die hende auffgelegt werden sollen“85.
Während das Konfirmationsalter in Saarbrücken nicht festgelegt wurde (es heißt: „erwachsen“, aber auch sog. Erwachsene waren durchaus zu unterrichten und ggf. zu konfirmieren), wurde im allgemeinen dreimal jährlich konfirmiert und zwar am Stephanstag (26. Dezember), am Ostermontag und Pfingstmontag. Drei oder vier Wochen vor dem Fest wurde der Gemeinde durch Kanzelabkündigung bekannt gemacht, dass Eltern, die „Kinder hetten, die sie in den Heupstuͤcken Christlicher Lehr underwiesen und nun gerne wolten zum heiligen Nachtmahl zugelassen haben“, dies „dem Pfarrherr oder Caplan presentiren und anzeigen [sollten]; damit er sie bey zeiten hierzu gnugsam preparirn, bereit und geschickt machen kuͤndte.“86. Zwei oder drei Tage vor dem Konfirmationsgottesdienst fand dann eine Katechismusprüfung der Kinder statt, die „sich gegen das Kirchenampt Christlich und gehorsamlich erzeigt“ haben mussten. Der eigentliche Konfirmationsgottesdienst wurde mit der versammelten Gemeinde gefeiert: Die Kinder erschienen in der Kirche, verharrten „an einem gewissen ort, nicht weit vom Altar, biß zu ende des Gesangs unnd der Predigt zuͤchtigklich unnd erbarlich […] unnd nach vollendung der Predigt unnd deren ding, so nach beschlossener Predigt auffm Predigtstul […] verrichtet werden muͤssen, vor dem
84 Agenda. Was die Superintendenten in jhren ordentlichen Visitationibus fürnemen vnd verrichten sollen, 290–300, zitiert nach Richter, Carl Roderich: Wie das Saargebiet evangelisch wurde (wie Anm. 34), 76. 85 Nassau-Weilburg. Kirchenordnung (wie Anm. 63), 251. Von der Confirmation der Kinder. 86 Nassau-Weilburg. Kirchenordnung (wie Anm. 63), 252.
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Altar her in der ordenung, darzu sie vom Pfarrherrn oder Caplan angewiesen, stehen, da dann bey sie tretten moͤgen ihre Eltern unnd Paten“87.
Die reformierte Tradition in Saarwerden scheint sich an diesen Saarbrücker Vorgaben für die Lutheraner orientiert zu haben. Die Katechese war nicht nur für die Kinder, sondern ausdrücklich auch für die in Glaubensdingen ungebildeten Erwachsenen. Zu den Katechesen heißt es: „Dieselbe werden im Winter zu Burbach nach der Nachmittags-Predigt, im Sommer aber am Samstag Nachmittag um 6. Uhr gehalten. Zu Neusaarwerden im Sommer alle Sonntage Nachmittag um 2. Uhr, im Winter in der Wochen-Predigt.“88
Im Blick auf die Konfirmation regelte die Verordnung: „Dieselbe geschiehet auf Fastnacht. Es müssen sich aber die Eltern welche ihre Kinder wollen Confirmiren lassen auf eine von denen Michaelis Communionen entweder hier, oder zu Burbach bey Pfarrer und Vorsteher melden, und ihre Kinder selbst darstellen, damit man dieselbe untersuchen, unterrichten und nach Befinden gewissenhafft annehmen könne.“89
Unschwer ist in der knappen Anweisung das Saarbrücker Modell zu erkennen, unerwartet aber, dass der Unterricht – wie die Winterschule in dieser Zeit – auf St. Michaelis beginnt und die Konfirmation auf „Fastnacht“ stattfindet.
5. Ausblick Von dem einst blühenden reformierten Kirchenwesen in den „sieben welschen Dörfern“ der Grafschaft Saarwerden zeugen heute nur noch die barocken Kirchen, die sich in den kleinen Dörfern des Krummen Elsass – teils stilgerecht saniert, teils unangenehm mit Tapeten an den Wänden und satten Farben verunstaltet – erhalten haben. Die Trennung von Kirche und Staat in Frankreich 1905 hat die Gemeinden im ehemaligen Reichsland Elsass-Lothringen nicht mit voller Wucht getroffen, waren sie doch zu diesem Zeitpunkt deutsch, weswegen ihre Pfarrer immer noch Staatsangestellte sind und auf der Grundlage des Code Napoléon vom französischen Innenminister ernannt und alimentiert sind. Aber der französische Laizismus hat auch die Ostregion Frankreichs längst im Griff. Beim Wechsel vom 20. ins 21. Jh. profitierten die Gemeinden im Elsass und in Lothringen von dem Umstand, dass viele deutsche Landeskirchen zu viele Theo-
87 Nassau-Weilburg. Kirchenordnung (wie Anm. 63), 253. 88 Nachricht | Wie es mit der Einrichtung des Gottes-Dienstes in den-|en Reformirten Gemeinden zu Neusaarwerden und Burbach soll gehalten werden. Abs. 3: Wegen der Cathechisation. 89 Nachricht | Wie es mit der Einrichtung des Gottes-Dienstes in den-|en Reformirten Gemeinden zu Neusaarwerden und Burbach soll gehalten werden. Abs. 4: Wegen der Confirmationen.
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loginnen und Theologen hatten, die dann im teils noch deutschsprachigen Osten der französischen Republik die Gemeinden leiteten. Doch ließ der Pfarrermangel in Deutschland die „verlorene Generation“ zurückfluten. 2006 fusionierte die kleinere Église protestante réformée d’Alsace et de Lorraine mit der größeren Église protestante de la Confession d’Augsbourg d’Alsace et de Lorraine zu einer Union. Die gottesdienstlichen Besonderheiten der reformierten Kirche in der ehemaligen Grafschaft Saarwerden sterben seither, das Bewusstsein für eine besondere Geschichte und eine eigene Tradition erlischt.
Literaturbericht Liturgik Altorientalische, israelitisch-jüdische Religion und Altes Testament (2018–2019 ) 1
Reinhard Müller
1. Alter Orient 1.1 Umfassende Beiträge zu Kultur- und Religionsgeschichte Kamlah, Jens / Schäfer, Rolf / Witte, Markus (Hg.): Zauber und Magie im antiken Palästina und in seiner Umwelt (Abhandlungen des Deutschen Palästina-Vereins 46). Harrassowitz: Wiesbaden 2017, X, 565 Seiten, 17 Tafeln, Abbildungen, 1 CD-ROM. Der Band sammelt achtzehn Beiträge, die z. T. auf ein Kolloquium des Deutschen Vereins zur Erforschung Palästinas von 2014 zurückgehen. Die „Umwelt“ Palästinas wird namentlich durch Beiträge zur „Systematik der babylonisch-assyrischen Magie“, zu „Hethitische[n] Rituale[n]“ und aramäischen Zauberschalen sowie in mehreren ägyptologischen Studien behandelt. Zu Palästina selbst sei ein von Helga Weippert und Henrike Michelau verfasster Aufsatz zum „Erbe der spätbronzezeitlichen Stadtkultur an ihre eisenzeitliche Nachfolgerin“ hervorgehoben, der sich der „von Löwen und anderen Wesen getragene[n] und beschütze[n] Welt“ widmet. Daneben ist etwa ein Beitrag von Angelika Berlejung zu nennen, der einen „neuen Amulettfund aus ’Ašdōd Yām“ behandelt. Hinzu kommen unter anderem Beiträge zu rituellem Heilen im Alten Testament, zum alttestamentlichen Verbot magischer Praktiken sowie zu magischen Elementen bei Tobit, in der Apokalyptik, in den Texten von Qumran, im Neuen Testament und in altkirchlicher Literatur. Der materialreiche Band eröffnet eine Fülle von Perspektiven auf das vielschichtige und weite Feld, das vielfach noch wenig systematisch erforscht ist. Kühn, Dagmar: Die „Zwei Körper des Königs“ in den westsemitischen Kulturen. Ugarit – aramäische Königreiche, Phönizien, Ammon, Moab, Israel und Juda (Kasion 4). Zaphon: Münster 2018, XIII, 437 S., 59 Abbildungen. Die Tübinger Habilitationsschrift verwendet das berühmte Modell zur politischen Theologie des Mittelalters, das Ernst Kantorowicz in seinem 1957 veröffentlichten Buch „The King’s Two Bodies“ entwickelt hat, um das religiöse Selbstverständnis des Königtums in den syrisch-levantinischen Kulturen des späten 2. und des 1. Jahrtausends vor Christus vergleichend zu erschließen. Nach einem knappen Referat von Kantorowicz’ Überlegungen und einer Darstellung, wie das Konzept von anderen weiterentwickelt wurde, gibt die Vfin. zunächst einen Überblick über die „Rezeption der ‚Zwei Körper des Königs‘ in der Erforschung des Alten Orients“; naturgemäß
1 Mit Nachträgen zu 2016 und 2017.
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Literaturbericht Liturgik.Reinhard Müller
stehen hierbei die drei großen Kulturräume Ägyptens, Kleinasiens (Hethiterreich) und Mesopotamiens im Zentrum, wobei sich bereits vielerlei wichtige Aspekte für die (von Vfin. sogenannten) „westsemitischen“ Kulturen ergeben. Die eigentliche materiale Untersuchung, die durch einen knappen Abschnitt zum syrischen Qatna vorbereitet wird, gilt sodann folgenden Bereichen: Ugarit; Aramäerreiche (Sam’al; Bit Baḫiani; Hamath und Luaš; Aram-Damaskus; außerdem ein Teilkapitel zum aramäischen Aḫikar); Phönizier (Byblos; Sidon; Tyros); Ammon und Moab; Israel und Juda (mit Hinweisen zu archäologischen und inschriftlichen Befunden sowie einem breiten Überblick über alttestamentliche Textzusammenhänge). Das Buch bietet einen faszinierenden und äußerst anregenden Rundgang durch die genannten altorientalischen Kulturen: Die dargebotene Materialfülle wird von der Vfin. durch das Kantorowiczsche Modell gut aufgearbeitet, und es ergeben sich zahlreiche eindrucksvolle Querschnitte, vor deren Hintergrund die Vfin. abschließend die tiefgreifenden Transformationen der überkommenen Königstheologie im Alten Testament profiliert (hervorzuheben sind hierbei etwa die Erläuterungen zum „königlichen Mose“, der in verschiedenen Kontexten des Pentateuchs gezeichnet wird, sowie zum königlichen Menschen nach Ps 8 und Gen 1). Es liegt in der Konsequenz der breiten Anlage des Buches, dass die entstehungsgeschichtlichen Hintergründe der biblischen Texte jeweils nur angerissen werden können; die Vfin. zeigt aber stets ein waches kritisches Problembewusstsein im Umgang mit den Texten. Insgesamt eine eindrucksvolle Synthese, die nicht zuletzt erneut zeigt, wie tief das Alte Testament in der altorientalischen Kulturgeschichte verwurzelt ist. Van der Toorn, Karel: God in Context. Selected Essays on Society and Religion in the Early Middle East (Forschungen zum Alten Testament 123). Mohr Siebeck: Tübingen 2018, XIV, 380 S. Der Band sammelt vierundzwanzig Beiträge des Amsterdamer Theologen, Religionswissenschaftlers und Altorientalisten, die mit zwei Ausnahmen verschiedenenorts publiziert sind. Die drei Sektionen, in die die Aufsätze gegliedert sind, bilden Forschungsfelder ab, für die der Vf. bekannt ist: „Religion and Society in Early Israel“, „Scribal Culture“ und „Deities and Demons“. In religionsgeschichtlicher Sicht bieten die Aufsätze eine Fülle von interessanten, teils überraschenden Perspektiven zu biblischen Texten und Zusammenhängen (z. B. zur Überlieferung von Ps 20; zu möglichen Reflexen von Ordalpraktiken in den Psalmen; zur Ikonizität des Buches; zur Bezeugung des Ahnenkultes in Personennamen). In den Beiträgen tritt vor allem der weite altorientalistische Horizont des Vfs. eindrucksvoll hervor.
1.2 Zu religionsgeschichtlichen Einzelphänomenen Gerstenberger, Erhard S.: Theologie des Lobens in sumerischen Hymnen. Zur Ideengeschichte der Eulogie (Orientalische Religionen in der Antike 28). Mohr Siebeck: Tübingen 2018, XIII, 344 S. Das Buch ist eine sumerologische Dissertationsschrift, mit der der emeritierte Alttestamentler unlängst an der Universität Marburg zum Dr. phil. promoviert wurde. Ihr Gegenstand ist eine umfassend angelegte Untersuchung der sumerischen Hymnen: Die Texte, die vom Vf. überaus sorgfältig philologisch erschlossen werden, werden zunächst formkritisch sowie literar- (!) und gattungskritisch analysiert. Auf dieser Grundlage entwickelt der Vf. eine „Spiritualität und Theologie des Lobens“, indem er beim Menschen „in seiner Welt“ ansetzt, um sodann die Themen „Götter und
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Mächte“, „Loben und Klagen“, „Ich-Bewusstsein, Gemeinschaft“ und „Geschichte, Gesellschaft“ synthetisierend zu erschließen. Eine faszinierende, höchst eindrucksvolle Studie, die nicht nur kultur- und religionsgeschichtlich eine Fülle wichtiger Zusammenhänge erschließt, sondern auch in theologischer Perspektive den Sinn des Gotteslobs zu verstehen hilft. Dabei verschränken sich politische und kulturbedingte Aspekte (Königtum, Kult etc.) mit anthropologischen Konstanten. Wie der Vf. abschließend betont, „merkt man bei der Lektüre der uralten Poesien auf Schritt und Tritt, dass die Menschheit in den Grundfragen der Welterklärung und Weltkon struktion bei allen durchlebten Veränderungen auf ähnlichen oder doch vergleichbaren Positionen beharrt.“ Meyer-Dietrich, Erika: Auditive Räume des alten Ägypten. Die Umgestaltung einer Hörkultur in der Amarnazeit (Culture and History of the Ancient Near East 92). Brill: Leiden / Boston 2018, XX, 1007 S., 40 Abbildungen. Die monumentale Studie, die als Frucht eines Forschungsprojekts an den Universitäten Mainz und Uppsala entstanden ist, untersucht, wie sich die ägyptische „Hörkultur“ in der Amarnazeit (14. Jh. v. Chr.) entfaltet und gegenüber älteren Stufen verändert hat. Grundlage ist das raumsoziologische Konzept des „auditiven Spacing“, das davon ausgeht, dass der soziale Raum temporär lautlich codiert wird und eine symbolische Hör-Ordnung erhält. Vfin. wendet diesen kulturwissenschaftlichen Zugang, den sie namentlich in Anlehnung an die Musikethnologin Regula Burckhardt Qureshi entwickelt, sogleich konsequent auf die fraglichen Quellen an, woraus ein eindrucksvolles, hochdifferenziertes und zugleich lebendiges Bild zur Semantik der ägyptischen Hörkultur in der fraglichen Epoche entsteht: Die Einzelkapitel handeln vom „hörbaren Körper“, „Szenarien nach den Lehren“ (wo es unter anderem um akustische Phänomene bei der Schülerunterweisung geht), „Orientierungslaute in Landschaft und Nekropole“, den „hörbaren Körper im Bilddiskurs der Amarnazeit“, das „lautliche Spacing urbaner Räume“ anhand der Hauptstadt Achetaten, „imaginierte religiöse Hörräume“, „die Umgestaltung einer Hörkultur“ und das „dynamische Spacing“ der „Opetprozession“. Eine faszinierende Studie, die eine Fülle von Anregungen für Überlegungen zu Gottesdienst und Liturgie gibt. Krul, Julia: The Revival of the Anu Cult and the Nocturnal Fire Ceremony at Late Babylonian Uruk (Culture and History of the Ancient Near East 95). Brill: Leiden / Boston 2018, XIV, 310 S. Das Buch, das auf einer altorientalistischen Dissertation an den Universitäten Münster und Leiden fußt, bietet eine umfassende und konzise Darstellung und Rekonstruktion der kultischen Verehrung des Himmelsgottes Anu im hellenistischen Uruk. Uruk, eine der ältesten Städte Mesopotamiens und möglicherweise der Ort, wo die Schrift erfunden wurde, war in historischer Zeit seit dem späten vierten Jahrtausend eines der bedeutendsten Zentren der mesopotamischen Kultur. Obwohl die Hauptgottheit der Stadt jahrtausendelang die Göttin Inanna / Ištar gewesen ist, erfuhr dort seit spätbabylonischer Zeit unter persischer Oberherrschaft der Kult des archaischen Gottes Anu(m) einen eigentümlichen Aufstieg. In der hellenistischen Epoche, der letzten Blütezeit Uruks, gewann der neue Anu-Kult ein kaum zu überschätzendes Gewicht. Die Vfin. bietet eine detallierte Rekonstruktion der Vorgeschichte des hellenistischen Anu-Kultes und seiner Entwicklung und Bedeutung mit den Höhepunkten in der seleukidischen Epoche. Das für den Kult zentrale nächtliche Feuerritual wird von der Vfin. vor allem anhand eines umfangreichen Textzeugen, der Ritualtafel TU 41, rekonstruiert. Es ergibt sich ein differenziertes Bild zu Ritualpraxis und Theologie eines überaus wichtigen altorientalischen Kultes in der hellenistischen Spätzeit – einem der
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interessantesten Phänomene der altorientalischen Religionsgeschichte, das wegen seiner Blütezeit nicht zuletzt im Blick auf die Entstehung des frühen Judentums und seiner heiligen Schriften von großer komparatistischer Bedeutung ist. Luft, Daniela C.: Osiris-Hymnen. Wechselnde Materialisierungen und Kontexte. Untersuchungen anhand der Texte „C 30“ / T b 181, Tb 183, „BM 447“ / T b 128 und der „Athribis“-Hymne (Orientalische Religionen in der Antike 30). Mohr Siebeck: Tübingen 2018, XXIII, 1044 S., 8 Abbildungen. Die Studie bietet die leicht überarbeitete Fassung einer Heidelberger ägyptologischen Dissertation. Ihr Gegenstand sind vier Hymnen auf den Gott Osiris, die umfassend analysiert und auf ihre literarische Gestalt, ihren Kontext und ihre Funktion sowie auf ihre Theologie hin ausgelegt werden. Ein wesentlicher Teil der Untersuchung ist die monumental angelegte Edition der Texte einschließlich ihrer komplexen textgeschichtlichen Bezeugung, die transparent und übersichtlich dargeboten und durch umfangreiche hieroglyphische Synopsen dokumentiert wird. Die Geschichte der Hymnen wird differenziert beleuchtet, und es wird deutlich, wie sich verschiedene Funktionen der Texte in ihrer jeweiligen materiellen Darbietung ausgeprägt haben. Religionsgeschichtlich und theologisch anregend ist vor allem das Kapitel zur Definition des Hymnus, zu seinen Verwendungsweisen und seiner theologischen Dimension: „In den Hymnen begegnet der Mensch dem Göttlichen“ (398). Wicks, Yasmina: Profiling Death. Neo-Elamite Mortuary Practices, Afterlife Beliefs, and Entanglements with Ancestors (Culture and History of the Ancient Near East 98). Brill: Leiden / Boston 2018, XXIII, 373 S., 85 Abb., 5 Tafeln. Die revidierte Fassung einer Dissertation an der Universität Syndey bietet eine umfassende Darstellung von Begräbnispraktiken, Vorstellungen über die menschliche Weiterexistenz nach dem Tod sowie Phänomene und Konzeptionen des Ahnenkults im Elam des 1. Jahrtausends. Nach einer Einleitung zu den historischen Hintergründen, namentlich zu den politischen Verflechtungen zwischen Elam, Assyrien und Babylonien, arbeitet Vfin. umfassend die archäologischen Befunde zu Gräbern und Begräbnispraktiken auf; daraus ergeben sich Schlüsse zu sozialen Identitäten und Stratigraphien. Das so gewonnene Bild wird wiederum mit textlichen Befunden in Beziehung gesetzt. Es ergibt sich ein eindrucksvolles Panorama aus der Lebenswelt einer vergangenen Kultur, das deutlich macht, welch große Bedeutung im privaten und öffentlichen Leben dem Begräbnis samt seinen Riten und der Totenpflege zukam. Im Einzelnen erweisen sich die Befunde vielfach als nicht leicht deutbar, was von Vfin. auf transparente Weise herausgearbeitet wird. Im Ganzen ein gewichtiger Beitrag zur altorientalischen Kultur- und Religionsgeschichte einschließlich ihrer anthropologischen Dimensionen.
1.3 Zur materiellen Kultur Palästinas Ghwanghyun, D. Choi: Decoding Canaanite Pottery Paintings from the Late Bronze Age and Iron Age I. Classification and Analysis of Decorative Motifs and Design Structures – Statistics, Distribution Patterns – Cultural and Socio-Political Implications (Orbis Biblicus et Orientalis, Series Archaeologica 37). Academic Press: Fribourg / Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2016, XI, 272 S., Diagramme, Illustrationen; 31,7 cm × 23,2 cm + 1 CD-ROM. Das Buch ist die revidierte Fassung einer archäologischen Dissertationsschrift, die an der Hebrew University Jerusalem angenommen wurde. Der Vf. bietet eine breit ange-
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legte und äußerst detaillierte Untersuchung der sogenannten kanaanäischen bemalten Töpferware aus dem spätbronzezeitlichen und früheisenzeitlichen (Iron Age I) Palästina. Die Studie fusst auf der Untersuchung von 3225 Gefäßen und Gefäßscherben, die großenteils aus vorliegenden Ausgrabungsberichten und anderen Publikationen zusammengetragen wurden; die beiliegende CD enthält eine elektronische „Database“ mit dem analysierten Material. Das großformatige Buch führt eindrucksvoll vor Augen, wie methodisch differenziert die fragliche Analytik mittlerweile entwickelt ist. Große „Popularität“ erlebte in der Spätbronzezeit vor allem die Baummotivik, die offenbar als Segenssymbol wahrgenommen werden konnte. In der Epoche der ägyptischen Vorherrschaft über Palästina lassen sich laut dem Vf. Phasen des Auftauchens, der Prosperität und des Niedergangs der fraglichen „kanaanäischen“ Ware beobachten. Die Übergänge reichen bis ins 11. Jh., während die Ware im 10. Jahrhundert vollständig verschwindet. Keel, Othmar: Corpus der Stempelsiegel-Amulette aus Palästina / Israel. Von den Anfängen bis zur Perserzeit, Katalog Band V: Von Tel el-‛Idham bis Tel Kitan. Mit Beiträgen von Daphna Ben-Tor, Baruch Brandl, Stefan Münger und Leonardo Pajarola (Orbis Biblicus et Orientalis, Series Archaeologica 35). Academic Press: Fribourg / Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2017, XVIII, 672 S., Abbildungen. Ein weiterer Teilband des großangelegten Katalogs von Stempelsiegel-Amuletten aus Palästina, der das Material übersichtlich und nach Fundorten (hier zu den Buchstaben I-K) zusammenstellt und anhand einer festen Kategorisierung erschließt (Objekt; Basis, d. h. Beschreibung der Abdruckseite; Datierung; Sammlung; Fundkontext und Bibliographie). Zugleich sind die hier verzeichneten Objekte auch in die Online-Datenbank BODO des BIBEL+ORIENT-Museums Fribourg aufgenommen. Der eindrucksvolle Band dokumentiert, wie wichtig und für künftige Forschung grundlegend die fortgesetzte Arbeit des Fribourger Forschungsprojektes ist. Der Katalog, der das überaus vielfältige und reichhaltige Material in hervorragenden photographischen Reproduktionen und Nachzeichnungen abbildet, ist schon jetzt zu einem unverzichtbaren Referenzwerk geworden.
1.4 Zur Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit De Hulster, Izaak J.: Figurines in Achaemenid Period Yehud. Jerusalem’s History of Religion and Coroplastics in the Monotheism Debate (Orientalische Religionen in der Antike 26). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, XV, 225 S., Abbildungen. Die Göttinger Habilitationsschrift untersucht, inwieweit Tonfigurinen auch im perserzeitlichen Jehud bezeugt sind und welche religionsgeschichtlichen Folgerungen sich aus den archäologischen Befunden für die Frage nach der Entstehung des sogenannten Monotheismus ergeben. Entgegen der vorherrschenden Annahme, es habe in der Perserzeit in Jehud und namentlich in Jerusalem keine Figurinen gegeben, trägt der Vf. Belege zusammen, die zeigen, dass Figurinen vorhanden waren und verwendet wurden, ja vielfach höchstwahrscheinlich erst in dieser Epoche hergestellt worden sind. Die bisherigen Datierungen zahlreicher Funde werden vom Vf. in diesem Zusammenhang infrage gestellt. Mindestens dreißig Figurinenfragmente stammen laut dem Vf. aus dem achämenidenzeitlichen Jerusalem; ähnliches ist für weite Teile Jehuds anzunehmen. Vielfach lasse sich eine Verwendung der Figuren in häuslichen Kontexten wahrscheinlich machen. Abschließend werden knappe Hinweise auf religionsge-
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schichtliche Anschlussfragen gegeben: Der Vf. verbindet die Frage nach Entstehungszusammenhängen des Monotheismus mit dem biblischen „myth of the reborn nation“, der historisch wahrscheinlich von einer kleinen Minderheit entwickelt wurde. Granerød, Gard: Dimensions of Yahwism in the Persian Period. Studies in the Religion and Society of the Judean Community at Elephantine (Beiträge zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 488). De Gruyter: Berlin / Boston 2018, XX, 382 S. Das Buch ist die Frucht eines „post-doctoral“ Forschungsprojekts, das an der MF Norwegian School of Theology und der Universität Göttingen durchgeführt wurde. Sein Gegenstand ist eine umfassende Darstellung der judäischen Religion in Elephantine, worin diese – angelehnt an den Religionswissenschaftler Ninian Smart – in fünf „dimensions“ rekonstruiert wird: der sozialen Dimension, der materiellen, rituellen, mythisch-narrativen sowie der ethischen. Der Vf. geht davon aus, dass die Religion, die inschriftlich für die judäische Gemeinschaft im Elephantine des 5. Jhs. v. Chr. bezeugt ist, kein Randphänomen sondern eine typische Ausprägung gelebter judäischer Religion in der Perserzeit gewesen ist, dass diese Religion als Form des Jahwismus charakterisiert werden kann und dass sich von dort aus Rückschlüsse auf die Formen der Jahwereligion im perserzeitlichen Jehud ergeben. Diese Sicht fußt auf einer erfreulich kritischen Wahrnehmung des biblischen Geschichtsbildes, das der Autor als das erkennt, was es de facto ist: eine hochgradig stilisierte Konstruktion einer vergangenen Wirklichkeit, die von bestimmten theologischen Gesichtspunkten geleitet ist – namentlich sogenannten deuteronomistischen Theologumena, die von der Abgrenzung rechter Jahweverehrung von falschen Formen der Gottesverehrung geleitet sind. Dementsprechend sucht der Vf. die in der Elephantineforschung ab ovo verbreiteten Klischeebilder eines randständigen Judentums, das sich zwischen Ortho- und Heterodoxie bewegte, zu überwinden. Die Studie, die dieses Programm durchführt, bietet nichts weniger als eine umfassende Erschließung sämtlicher einschlägiger inschriftlicher Quellen, die in ihre historischen und religionsgeschichtlichen Zusammenhänge eingezeichnet werden. Die Monographie enthält eine Fülle von wichtigen Zugängen zu dem vielschichtigen Material; sie ist gut geschrieben und besticht durch ihren nüchternen und kritischen Blick auf die untersuchten Gegenstände. Das Buch füllt eine Lücke, indem es zum ersten Mal eine umfassend entfaltete religionsgeschichtliche Synthese entwirft, worin die Jahwereligion von Elephantine nicht als peripheres Kuriositätenkabinett marginalisiert sondern als Teil eines religiosgeschichtlichen mainstreams nachgewiesen wird; zugleich gibt das Buch zahlreiche Anstöße für die weitere Erforschung der perserzeitlichen Jahweverehrung sowie zur Entstehung der biblischen Schriften, die sich vielfach in großer Spannung zu diesem mainstream befunden haben müssen. Tiemeyer, Lena-Sofia (Hg.): Prophecy and Its Cultic Dimensions (Journal of Ancient Judaism Supplements 31). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2019, 190 S. Der Band vereint Beiträge der Sektion „Prophetic Texts in their Ancient Contexts“ der Society of Biblical Literature aus den Jahren 2015 und 2016. Gemeinsamer Gegenstand sind die vielfältigen Überschneidungen von Prophetie und Kult, wobei sowohl die alttestamentliche Schriftprophetie einschließlich ihrer religionsgeschichtlichen Hintergründe und andere alttestamentliche Zeugnisse prophetischer Tätigkeit als auch Zeugnisse aus den altorientalischen und antiken Kulturen behandelt werden. Teilthemen sind: die prophetische Fürbitte; das alttestamentliche Bild kultischer Prophetie und die Frage nach seinen Voraussetzungen; prophetische Rituale im ägyptischen Königskult; das Verhältnis von Prophetie und Priestern in der Zeit des Zweiten Tempels; die göttliche Rede in den Psalmen 81 und 95; die rituellen Aspekte mesopotamischer und
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griechischer Prophetie; die technischen Mittel, durch die prophetische Äußerungen ausgelöst werden konnten (Musik, Opfer, Rituale, Schlaf, berauschende Getränke, kontrollierte Orakelanfragen); und das umstrittene Problem des sogenannten leinenen Ephod und seiner Bedeutung in prophetischen und priesterlichen Kontexten.
1.5 Alter Orient, frühes Judentum und hellenistisch-römische Antike Bons, Eberhard / Finsterbusch, Karin (Hg.): Konstruktionen individueller und kollektiver Identität (II). Alter Orient, hellenistisches Judentum, römische Antike, Alte Kirche (Biblisch-Theologische Studien 168). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2017, 241 S. Der Band sammelt Beiträge einer Tagung an der Universität Landau, die sich der Frage widmen, wie in Altem Orient und hellenistisch-römischer Antike die Identität von Einzelnen und Gruppen definiert und religiös konstituiert wurde und welche Bedeutung dabei jeweils die Abgrenzung von anderen erhielt. Jeweils zwei Beiträge gelten dem Alten Orient, dem hellenistischen Judentum (einschließlich eines französischen Beitrags zu den Psalmen Salomos), der römischen Antike und der Alten Kirche. Dank des sehr breiten Horizonts ergeben sich zahlreiche kulturgeschichtliche Perspektiven zu dem Problemkreis, der – wie im Vorwort hervorgehoben wird – gegenwärtig sich namentlich in politischer Hinsicht als brisant erweist.
2. Altes Testament 2.1 Zur Einleitung in das Alte Testament Sanders, James A.: Scripture in Its Historical Contexts. Volume I: Text, Canon, and Qumran (Forschungen zum Alten Testament 118). Hg. von Craig A. Evans. Mohr Siebeck: Tübingen 2018, XIX, 548 S. Der Band versammelt dreißig Aufsätze des bedeutenden Bibelwissenschaftlers und Qumrangelehrten samt einem Anhang mit einer vom Autor verfassten Geschichte des Ancient Biblical Manuscript Center in Claremont, Kalifornien. Die Beiträge gelten teils hermeneutischen Fragen, die sich vor allem am Problem des Kanons, der Pluralität und Fluidität der biblischen Textüberlieferung sowie dem spannungsreichen Verhältnis zwischen (jüdischer) Hebräischer Bibel und (christlichem) Alten Testament entzünden, teils spezifischer den Schriften vom Toten Meer, unter anderem der Großen Psalmenrolle aus Höhle 11 von Qumran. Zahlreiche Beiträge sind programmatisch auf die Verbindung alt- und neutestamentlicher Perspektiven bezogen, etwa zu den Themen „Torah and Christ“ und „Torah and Paul“ sowie zu „Habakkuk in Qumran, Paul and the Old Testament“. Die Aufsätze bilden einen Zeitraum von einem halben Jahrhundert ab (1959 bzw. 1968 bis 2013).
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2.2 Kommentare zu biblischen Büchern Hartenstein, Friedhelm / Janowski, Bernd: Psalmen (Biblischer Kommentar Altes Testament XV/1). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2019, Lfg. 3, S. 161–240. Dies.: Psalmen (Biblischer Kommentar Altes Testament XV/1). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2019, Lfg. 4, S. 241–320. Die zwei Lieferungen enthalten die Auslegungen von Ps 4 (Hartenstein), 5 (Janowski), 6 (Hartenstein), 7 (Janowski), 8 (Hartenstein; wegen des über die Faszikelgrenze fortlaufenden Textes noch unvollständig). Nach dem Schema des BK bietet die Kommentierung jeweils eine einleitende Bibliographie, eine Übersetzung, Bemerkungen zur Textüberlieferung, Erläuterungen zur „Form“ (einschließlich poetischer Gestaltung, Gliederung und Gattung), zum „Ort“ (also zur Entstehungsgeschichte und der sozial- und institutionengeschichtlichen Verortung des jeweiligen Psalms, wobei sich die Vf. namentlich mit den klassischen Theorien zum Sitz im Leben auseinandersetzen), Erklärungen von Einzelversen und Passagen („Wort“) sowie zu „Kontext“, „Rezeption“ und „Ziel“. Die sehr umfangreiche Kommentierung bietet eine Fülle von Details zur sprachlichen Gestalt, zur Semantik und Traditionsgeschichte von Worten, Wendungen und Motiven samt deren religionsgeschichtlichen Hintergründen, zu den literarischen Zusammenhängen im Psalter (hier vor allem bezogen auf die „Teilkomposition Ps 3–14) und zur Auslegungs- und Rezeptionsgeschichte. Im Einzelnen setzen die beiden Autoren durchaus unterschiedliche Schwerpunkte. Zu Ps 8 findet sich ein Exkurs zum Thema „Der Königliche [sic] Mensch“. Ps 4 wird als „Stück religiöser Selbstvergewisserung in nachexilischer Zeit“ gedeutet und könnte „kommentierend“ auf Ps 3 hin verfasst worden sein; Ps 5 ist ein „Bittgebet eines Einzelnen“, das wegen seiner „spätweisheitlichen Sprachelemente“ eher aus „(spät-) nachexilische[r] als … vorexilische[r] Zeit“ stammt; auch bei Ps 6 erweist sich „im Ganzen … eine nachexilische Datierung als wahrscheinlich“; Ps 7, „das Bittgebet eines unschuldig Angeklagten“, „kann in die (spät-)vorexilische (?) oder eher (!) in die exilisch-nachexilische Zeit datiert werden“; für Ps 8 legt sich als Entstehungszeit die „frühnachexilische Epoche (5. Jh. v. Chr.?)“ nahe, vor allem wegen der Bezüge zu Gen 1 und der Rezeption in Hi 7,17 f. Auf literaturgeschichtliche Differenzierungen innerhalb der Einzelpsalmen, wie sie von einem Teil der Forschung erwogen werden, wird von den Vf. weitgehend verzichtet. Knauf, Ernst Axel: 1 Könige 15–22 (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament). Herder: Freiburg im Breisgau 2019, 536 S., Abbildungen. Der zweite Teilband eines großangelegten Kommentars zum Königebuch. Die komplexe Textgeschichte wird recht ausführlich erläutert; wichtige Divergenzen (vor allem zwischen Masoretischem Text und Septuaginta) werden in der Übersetzung vielfach als alternative Überlieferungen abgedruckt, allerdings ohne dass ein textgeschichtliches Gefälle sichtbar gemacht wird. Wichtig ist, dass der Vf. etliche späte Eingriffe in den Text samt dessen literarischer Endgestalt einer hasmonäischen Tora-ProphetenRedaktion zuschreibt. Des Weiteren bietet der Vf. eine Fülle von Detailbeobachtungen zur sprachlichen Gestalt (mit zahlreichen statistischen Tabellen zu Wendungen und Formeln), zur Literaturgeschichte, zu historischen und religionsgeschichtlichen Hintergründen einschließlich archäologischer Befunde sowie zur Auslegung und Rezeption. Die vorausgesetzten literaturgeschichtlichen Modelle sind im ersten Kommentarband erläutert. Wer an den historischen Dimensionen des Königetextes interessiert ist, findet in der Auslegung eine Fundgrube wichtiger Beobachtungen
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und Informationen. Wegen der sehr dichten, teils assoziativen Verknüpfung verschiedenster Details erweist sich der Kommentar allerdings als nicht ganz leicht nutzbar.
2.3 Zur alttestamentlichen Semantik Bunzel, Marlen: Ijob im Beziehungsraum mit Gott. Semantische Raumanalysen zum Ijobbuch (Herders Biblische Studien 89). Herder: Freiburg im Breisgau 2018, 348 S. Die leicht überarbeitete Fassung einer Erfurter Dissertationsschrift „bietet eine raumhermeneutische Lektüre des Ijobbuches an, die sich in die Perspektive Ijobs und seine Beziehung zu Gott hineinbegibt. An der Seite Ijobs ist diese Studie den Weg seiner Auseinandersetzung mit Gott vom Anfang des Ijobbuches bis zum Ende mitgegangen.“ Das Ganze fußt auf dem relationalen Raumverständnis, das durch den sozial- und kulturwissenschaftlichen sogenannten spacial turn neu begründet wurde. Mit diesem Zugang wird der Text des gesamten Hiobbuches synchron und rezeptionsästhetisch analysiert; weil es um die Gottesbeziehung Hiobs geht, rücken die Freundesreden allerdings in den Hintergrund. Das Buch bietet im Wesentlichen Paraphrasen der Texte, die inhaltlich auf die Frage des Beziehungsraums zugespitzt sind; Vieles bleibt oberflächlich und unpräzise, was nicht zuletzt an der schieren Textmenge liegt, freilich auch methodologische Gründe hat. Die sprachlichen Formen und die poetische Gestalt spielen allenfalls eine untergeordnete Rolle; zur Motivik spricht die Vfin. dagegen eine Fülle ganz unterschiedlicher Aspekte an, deren Sinnprofil aber wegen des Fehlens einer konsequent angewendeten traditionsgeschichtlichen Perspektive vielfach nur in Umrissen deutlich wird. Emmendörfer, Michael: Gottesnähe. Zur Rede von der Präsenz JHWHs in der Priesterschrift und verwandten Texten (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 155). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2019, 307 S. Die Monographie ist die überarbeitete Fassung einer Habilitationsschrift, die an der Theologischen Hochschule Neuendettelsau angenommen wurde. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die „priesterschriftlichen Haupttexte“ Gen 1,1–2,3* (sic), Gen 6,9–9,29*; Gen 17; Ex 6,2–8; Ex 24,15b–25,1*; Ex 29,43–46; Ex 40* und Lev 9*; hinzu kommen Seitenblicke auf Ezechiel und Deuterojesaja. Religionsgeschichtliche Hintergründe werden einleitend knapp und eher kursorisch in den Blick genommen. Bei den Exegesen geht der Vf. im Wesentlichen paraphrasierend vor; literaturgeschichtliche Perspektiven werden großenteils vorausgesetzt und aus vorliegender Forschung übernommen, ein eigenständiger textanalytischer Zugriff ist kaum zu erkennen. Der Vf. kommt zum Ergebnis, „dass mit der exilisch-nachexilischen Priesterschrift die dezidierte Antwort auf die durch die von 587. [sic] v. Chr. verbundenen Ereignisse und Katastrophe [sic] vorliegt. Im einzelnen wurde minutiös und grundsätzlich Gottes Präsenz und Gegenwart in die wichtigsten Traditionskomplexe des Pentateuch neu transformiert und eingeschrieben.“ „Der Mensch ist das Ebenbild Gottes, der so als Kult-‚Statue / Bild‘ Gott auf Erden ‚repräsentiert‘. Der Tempel wurde durch das Zeltheiligtum ‚als Bild im Kopf‘ in die Heilsgeschichte am Sinai eingebaut.“ Müller, Kathrin: Lobe den Herrn, meine „Seele“. Eine kognitiv-linguistische Studie zur næfæš des Menschen im Alten Testament (Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament 215). Kohlhammer: Stuttgart 2018, 359 S. Die Berner Dissertation bietet eine Neuuntersuchung des semantisch überaus schwer zu fassenden alttestamentlichen Begriffs der menschlichen næfæš – eines zentralen
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Literaturbericht Liturgik.Reinhard Müller Aspekts des alttestamentlichen Menschenbildes. Die Vfin. setzt sachgemäß mit einer sehr ausführlichen Forschungsgeschichte an, die abschließend auf eine Auseinandersetzung mit Hans Walter Wolff zugespitzt wird; dieser hatte das stereometrischsynthetische Denken, das „die Glieder und Organe des menschlichen Leibes mit ihren Fähigkeiten und Tätigkeiten“ zusammenschaut, als Eigenheit der semitischen Sprachen angenommen und in einem Gegensatz zum heutigen analytisch-differenzierenden Denken gesehen. Angelehnt an Überlegungen ihres Lehrers Andreas Wagner und unter Aufnahme der kognitiven Linguistik zeigt die Vfin. dagegen, dass „die ‚synthetische Bedeutung‘ der Körperteillexeme kein Spezifikum des biblischen Hebräisch bzw. alter semitischer Sprachen ist … Ihr liegen vielmehr … konzeptuelle Metonymien zugrunde, die in der Kognitiven Linguistik zu den Universalien des menschlichen Denkens gezählt werden“. Wie in anderen Sprachen kann das hebräische næfæš „Kehle“ bedeuten sowie „Hunger“, „Verlangen“ oder „Gier“. Daneben steht das Wort für individuelles Leben, kann aber auch metonymisch eine Person oder ein Lebewesen bezeichnen. Die Übersetzung mit „Seele“ sollte im Blick auf die christliche (und philosophische) Tradition vermieden werden. An einschlägigen Stellen weist der Begriff allerdings „eine gewisse Nähe zum Konzept eines mit dem Körper bzw. einem Organ verbundenen, belebenden Prinzips, einer sogenannten Vitalseele“ auf. Die differenzierte Untersuchung enthält zahlreiche bedenkenswerte Überlegungen zur Semantik und zu einer möglichen Entwicklung des Begriffs. Die jüngst durch einen neuen Inschriftenfund erweiterten Befunde aus Zincirli werden in einem Exkurs knapp behandelt. Auf das akkadische Begriffsäquivalent bietet die Untersuchung knappe Seitenblicke. Die überaus wichtigen Befunde aus Ugarit werden dagegen nicht diskutiert.
2.4 Zur Hermeneutik des Alten Testaments Corzine, Jacob: Erfahrung im Alten Testament. Untersuchung zur Exegese des Alten Testaments bei Franz Delitzsch (Arbeiten zur Systematischen Theologie 13). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 388 S. Eine Berliner systematisch-theologische Dissertation. Ihr Gegenstand sind die alttestamentlichen Arbeiten des Leipziger und Erlanger Theologen Franz Delitzsch. Delitzschs Auslegungen des Alten Testaments werden auf die zugrundeliegende Hermeneutik und das vorausgesetzte Verständnis des Verhältnisses von Dogmatik und Exegese untersucht. Der Vf. bietet zunächst eine biographische Einführung in Werdegang und Werk Delitzschs, um vor diesem Hintergrund die eigentliche Fragestellung zu entwickeln. Die materiale Untersuchung wird in folgenden Problemkreisen entfaltet: „Heilsgeschichte als Alternative zur Allegorie“, „Die Idee des Christentums und das Alte Testament“ (unterteilt in „Vorentscheidungen“ und „Schriftkategorien“), sowie „Erfahrung, Moderne und Bekenntnis“. Im Ergebnis arbeitet der Vf. vor allem Delitzsch’ eigentümliches Verständnis von Heilsgeschichte heraus und zeichnet es namentlich in den Kontext der Erlanger Schule ein. Die Lektüre des Buches wird dadurch erschwert, dass der deutsche Ausdruck des amerikanischen Vfs. offenkundig nicht gründlich redigiert wurde.
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2.5 Zur alttestamentlichen Anthropologie und Theologie Bauks, Michaela: Theologie des Alten Testaments. Religionsgeschichtliche und bibelhermeneutische Perspektiven (UTB 4973. Basiswissen Theologie und Religionswissenschaft). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2019, 472 S., 13 Abbildungen. Der Gesamtentwurf ist als Lehrbuch zu den „zentralen theologischen Themen des Alten Testaments / der hebräischen Bibel“ angelegt. Eine knappe Einleitung behandelt die „Entstehung der Theologie des Alten Testaments als Disziplin und die Frage nach seiner Mitte“, das „Verhältnis von Theologie und Religionsgeschichte“, die Bedeutung literarischer und materialer Zeugnisse für die „Rekonstruktion alttestamentlicher Theologie(n)“ (neben den literargeschichtlich profilierten alttestamentlichen Texten sind hier altorientalische Inschriften sowie archäologische Befunde, vor allem Bildträger im Blick), und den „hermeneutische[n] Bezugsrahmen“. Die materiale Entfaltung geschieht im Wesentlichen in zwei größeren Durchgängen, die in acht bzw. sechs Unterkapitel gegliedert sind: einer Darstellung von „[t]heologische[n] Themen in ihren biblischen Kontexten“ und einer Nachzeichnung von „[a]lttestamentliche[r] Theologie als polyphone[r] Rede von Gott“. Die Themen orientieren sich an den Weisen der Selbstoffenbarung des Gottes Israels (in seinem Namen, in der Befreiung aus Ägypten, in den Verheißungen an die Erzeltern, als Schöpfer und König der Welt, als Gott am Sinai / Horeb, in Gericht und Heil, im Spiegel von Klage und Lob im Psalter, in der weisheitlichen Kosmotheologie); hinzu kommt ein Überblick über die (historisch profilierten) „theologischen Strömungen“ des Alten Testaments. Die polyphone Rede von Gott wird anhand der Themenfelder „Monotheismus“, „Bilderverbot“, „Bedeutung und Verwendung des Gottesnamens“, „Königtum und Eschatologie“, „Israels Geschick“ sowie des „Bezugsrahmen[s] der ‚Heiligen Schrift‘“ vorgestellt. Die Vfin. verknüpft in der Entfaltung jeweils die religions- und literaturgeschichtlichen Hintergründe der Texte mit der theologischen Synthetisierung der Querschnittsthemen. In zwei Anhängen (der erste verfasst von Jochen Wagner, der zweite von Lilli Ohliger) ist in Tabellen zusammengestellt, wie alttestamentliche Texte und Themen in der neuen Perikopenordnung sowie in den curricularen Standards der Lehrpläne vorkommen. Janowski, Bernd: Das hörende Herz. Beiträge zur Theologie und Anthropologie des Alten Testaments 6. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2018, 418 S., Abbildungen. Der sechste Band der – im Untertitel nunmehr um das Schlagwort „Anthropologie“ ergänzten – Reihe von gesammelten Aufsätzen des Tübinger Alttestamentlers enthält zwölf Beiträge zu Aspekten alttestamentlicher Anthropologie und Theologie, zu Kosmologie und Zeitverständnis sowie zum Psalter. Hervorzuheben sind etwa die Beiträge zum Herzen als „Beziehungsorgan“, zur „Semantik der Depression in den Psalmen und im Ijobbuch“, zur „Empathie des Schöpfergottes“ (anhand der nichtpriesterlichen Urgeschichte), zum „Verständnis der Psalmenüberschriften“ sowie zu „Transformationen des Kultischen im Psalter“. Anders als im Inhaltsverzeichnis angegeben, findet sich kein Nachweis der Erstveröffentlichungen; dass laut Vorwort zwei Beiträge mit je einer Co-Autorin verfasst sind (Annette Krüger; Kathrin Liess), bleibt im Inhaltsverzeichnis unerwähnt. Oeming, Manfred (Hg.): Ahavah. Die Liebe Gottes im Alten Testament (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 55). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 487 S. Der Band sammelt dreiundzwanzig Beiträge, die auf eine Heidelberger Tagung von 2015 zurückgehen, und eine Predigt des Herausgebers zu Zeph 3,14–17. Auf einen Einführungsbeitrag des Herausgebers, der „Theologie des Alten Testaments als Explikation der Liebe JHWHs“ beschreibt, folgt eine größere Zahl alttestamentlicher
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„Entwürfe“ sowie eine etwas kleinere Zahl von Beiträgen zur „Wirkungsgeschichte der Liebe Gottes“ im Neuen Testament und in der kirchlichen Praxis. Neben Texten und Teilaspekten, die für das Thema einschlägig sind (u. a. zu den Büchern Lev, Dtn und Hos) finden sich auch überraschende und ungewöhnliche Einblicke zum Thema (z. B. zur Darstellung von Homosexualität, zur omridischen „Politik der Liebe“ oder zur Liebe zwischen Amenhotep III. und Teje im Zusammenhang des Fosse-Tempels in Tel Lachisch). Schmid, Konrad: Theologie des Alten Testaments (Neue theologische Grundrisse). Mohr Siebeck: Tübingen 2019, XVIII, 414 S., 3 Abbildungen. Der Gesamtentwurf setzt mit verschieden perspektivierten Überlegungen zum Gegenstand an: Die Frage nach einer Theologie des Alten Testaments wird hermeneutisch und historisch entwickelt (§ 1), theologiegeschichtlich hergeleitet (§§ 2 und 3), wobei sich die „reformatorische Neuprägung des Theologiebegriffs“ als Wasserscheide erweist (§ 3), sodann gegenüber einer „Biblischen Theologie“ profiliert (§ 4), zur „romantischen Abwertung des Theologiebegriffs (§ 5), zur „Rezeption des Theologiebegriffs im Judentum“ (§ 6) sowie zur „Abwertung des Theologiebegriffs im Umkreis der Dialektischen Theologie“ in Beziehung gesetzt (§ 7), um dann mit den „Entwicklungen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts“ (§ 8) verknüpft und auf „Implizite Theologien im Alten Testament“ (§ 9) zugespitzt zu werden; weitere hermeneutische Zugänge widmen sich vor allem dem Verhältnis von Hebräischer Bibel und Altem Testament und der Bedeutung des Kanons (§§ 10–17). Die materiale Entfaltung setzt wiederum in drei unterschiedlich angelegten Teilen an: Zuerst werden die „Theologien der drei Kanonteile und ihrer Teilsammlungen“ entfaltet, also die Theologien von „Tora“ (§ 18), „Nevi’im“ (§ 19) und „Ketuvim“ (§ 20); in einem zweiten Block werden „Theologiegeschichtliche Grundlinien der Literaturgeschichte“ nachgezeichnet (§§ 21–28), um schließlich „Themen alttestamentlicher Theologie“ im Querschnitt darzustellen (§§ 29–40). Abschließend wird noch einmal über das Verhältnis zwischen jüdischer und christlicher Theologie der Hebräischen Bibel und des Alten Testaments reflektiert (§§ 41–42). Das Buch arbeitet eindrucksvoll heraus, welch unhintergehbare Bedeutung die historische Wahrnehmung der Texte für die Erschließung ihres theologischen Gehalts hat; zugleich zeigt der Vf. auf, welche Herausforderungen und Aporien sich durch diese Perspektive ergeben. Hinzu kommt die umstrittene alttestamentliche und biblische Hermeneutik und der offene Diskurs mit jüdischen Auslegungstraditionen und -weisen. Die grundlegenden Probleme, die sich mit dem Projekt einer Theologie des Alten Testaments verbinden, werden durch den Entwurf differenziert entfaltet; zugleich bietet das Buch eine Vielfalt von materialen Perspektiven, die allerdings vielfach nur knapp angerissen werden. Spieckermann, Hermann: Lebenskunst und Gotteslob in Israel. Anregungen aus Psalter und Weisheit für die Theologie (Forschungen zum Alten Testament 91). Mohr Siebeck: Tübingen 2014, unveränderte Studienausgabe 2018, X, 500 S. Die „dreimal sieben“ Studien zu Psalter und Weisheit, die hier als Paperback-Neuausgabe angezeigt werden, bieten einen breitangelegten Querschnitt aus dem theologischen Œuvre des Göttinger Alttestamentlers. Laut dem Vorwort bildeten die Studien Vorarbeiten zu der vom Vf. und Reinhard Feldmeier vorgelegten „biblischen Gotteslehre“ (Der Gott der Lebendigen, Tübingen 2011; inzwischen ergänzt um einen Folgeband: Menschwerdung, Tübingen 2018), sind demgegenüber aber zugleich eigenständig. Die Studien beleuchten sowohl die exegetische Zugangsweise des Vfs. als auch seine theologische Hermeneutik, die das Alte Testament dezidiert als Teil der christlichen Bibel versteht. Die Beiträge zur Weisheit stehen unter der Überschrift
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„Lebenskunst zwischen Kairos und Krisis“ und gelten den Proverbien, den Büchern Hiob, Kohelet, Jesus Sirach, Sapientia Salomonis sowie dem 4. Makkabäerbuch. Der Psalter wird unter dem Titel „Gotteslob zwischen Tag und Nacht“ behandelt (neben breiter angelegten Studien stehen zwei Einzelbeiträge zu Ps 103 „als Quintessenz der Theologie des Gotteslobes“ und Ps 116 „als Schlüssel zur Theologie des Gebetes“). Eine dritte Gruppe von Aufsätzen kreist um „Alttestamentliche Theologie als Gotteslob und Lebenskunst“; hier finden sich Beiträge zu den religionsgeschichtlichen Voraussetzungen der alttestamentlichen Theologie sowie umfassend angelegte theologische Synthesen, die etwa unter den anregenden Titeln „Gott im Gleichnis der Welt“ oder „Gott und Mensch am Markt“ stehen. Das Buch bietet eine Fülle faszinierender Perspektiven auf Einzeltexte und innerbiblische Zusammenhänge. Wagner, Andreas / van Oorschot, Jürgen (Hg.): Individualität und Selbstreflexion in den Literaturen des Alten Testaments (Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 48). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2017, 438 S. Der Band dokumentiert zwei Symposien der Projektgruppe „Anthropologie(n) des Alten Testaments“ der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie. „Übergreifende Beiträge“ gelten unter anderem der „Konstitution von Individualität“, den „Ursprüngen des Denkens zweiter Ordnung“ oder der „synthetischen Körperauffassung“. Einzelstudien behandeln Beispiele aus dem Pentateuch (zu Gen 2–4 und Ex 3), den Vorderen und hinteren Propheten (u. a. zu 1Sam 16–1Kön 2; Daniel und Ezechiel), den Psalmen (u. a. zu „Selbstwahrnehmung und Selbstwahrnehmung in Krisensituationen“) sowie zum Bereich des Rechts (u. a. zum alttestamentlichen „Personverständnis“ und zu Lev 19). Namentlich zum schwer greifbaren Phänomen Individualität finden sich zahlreiche, ganz unterschiedlich ansetzende Perspektiven. Wagner, Andreas / van Oorschot, Jürgen (Hg.): Gott und Mensch im Alten Testament. Zum Verhältnis von Gottes- und Menschenbild (Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 52). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 322 S. Eine weitere Sammlung von neunzehn Beiträgen aus der o.g. Projektgruppe. Sie sind den Rubriken „Gott und Mensch“, „Tora“, „Jesaja und Daniel“ sowie „Psalmen und Weisheit“ zugeordnet; einige Beiträge sind eine response zu einem voranstehend abgedruckten Beitrag. Hervorzuheben sind etwa folgende Themenfelder: Monotheismus (u. a. zur Frage des Zusammenhangs zwischen „Monotheisierung“ und „Ethisierung“), „Ähnlichkeit und Verwandtschaft von Gott und Mensch“ sowie Zusammenhänge zwischen Theologie und Anthropologie. An biblischen Texten werden u. a. Gen 1, das Dtn, das Heiligkeitsgesetz, Jes 1, Dan 7–12, Ps 111–112 und Ps 119 und die Bücher Hiob und Qohelet behandelt.
2.6 Zur Homiletik des Alten Testaments Deeg, Alexander / Schüle, Andreas: Die neuen alttestamentlichen Perikopentexte. Exegetische und homiletisch-liturgische Zugänge. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 3 2019, 521 S. Das bereits in dritter Auflage publizierte Buch beginnt mit zwei einführenden Betrachtungen der beiden Vf. (A. Schüle: „Verstehen und Verkündigen. Hermeneutische Herausforderungen biblischen Predigens mit alttestamentlichen Texten“; A. Deeg: „Vielfalt, Lust und Leidenschaft. Das Alte Testament in den Texträumen der Sonnund Feiertage“). Anschließend werden zu sämtlichen alttestamentlichen Texten der
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Literaturbericht Liturgik.Reinhard Müller revidierten Perikopenordnung der EKD, die seit dem 1. Advent 2018 in Kraft ist, Meditationen dargeboten, deren erster Teil jeweils exegetisch ansetzt (verfasst von A. Schüle), während der zweite den Text in homiletischer Perspektive bedenkt (verfasst von A. Deeg); der zweite Abschnitt wird jeweils durch Liedhinweise abgerundet. Zur sprachlichen Gestalt der alttestamentlichen Texte finden sich leider insgesamt nur recht wenige Hinweise; historische und religionsgeschichtliche Hintergründe sowie einschlägige Forschungsmeinungen werden knapp, aber weitgehend angemessen referiert. Die homiletischen Reflexionen bieten immer wieder auch Hinweise auf die jüdische Auslegungsgeschichte sowie auf moderne Gedichte, die im Wortlaut zitiert werden.
3. Exegetische Arbeiten zu Fragen des Gottesdienstes 3.1 Umfassende Beiträge zum Psalter Liess, Kathrin / Schnocks, Johannes (Hg.): Gegner im Gebet. Studien zu Feindschaft und Entfeindung im Buch der Psalmen (Herders Biblische Studien 91). Herder: Freiburg im Breisgau 2018, 340 S. Der Band sammelt dreizehn Beiträge einer Münsteraner Tagung, die gemeinsam mit der Baylor University Waco veranstaltet wurde; die Aufsätze sind teils englischsprachig, teils deutschsprachig verfasst. Das vieldiskutierte und schwierige Thema der Feinde in den Psalmen wird in einer Vielzahl von Perspektiven beleuchtet. An Einzeltexten und Textzusammenhängen werden u. a. die Psalmen 3–14; 25; 27; 64; die Asaf-Komposition der Pss 50; 73–83; das fünfte Psalmenbuch sowie Hab 3 behandelt. Übergreifende Studien zielen unter anderem auf die theologische Funktion der Feindmotivik, behandeln diese in der Perspektive der kognitiven Linguistik oder beziehen das Thema Feindschaft und ihre Überwindung auf das Verhältnis zwischen Israel und den Völkern. Im Ganzen finden sich viele anregende Beobachtungen und Überlegungen zu Einzeltexten und übergreifenden Zusammenhängen im Psalter; mit dem eigentümlichen Schlagwort „Entfeindung“ verweisen die Herausgeber im Vorwort darauf, „dass vielfach ein großes humanisierendes Potential zu entdecken ist, wenn die Gegner ins Gebet genommen werden“.
3.2 Zu einzelnen Psalmen, Psalmengruppen und Teilthemen der Psalmen Agbagnon, Jean Prosper: „Und die Nacht wird leuchten wie der Tag“. Weltbild, Gottesbeziehung und Bewusstsein des Beters in Psalm 139 (Herders Biblische Studien 92). Herder: Freiburg im Breisgau 2019, 376 S. Die Bochumer Dissertation unternimmt eine umfassende Neuauslegung des theologisch gewichtigen, in der Forschung aber vielfach kontrovers gedeuteten Psalms. Nach einer problemorientierten Einführung wird die Auslegung mit einer Übersetzung samt (sehr knappen) Erläuterungen zur Textgestalt eröffnet. Der Vf. sucht sodann die literarische Einheitlichkeit des Textes nachzuweisen, die – anders als oft vorgeschlagen – auch die problematischen Schlussverse des Psalms einschließe. Weitere Untersuchungsschritte gelten der Struktur, der Semantik, den Raum- und
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Zeitkonstruktionen, der Motiv- und Traditionsgeschichte, den anthropologischen Dimensionen, der zeitlichen Verortung und der Stellung im 5. Davidpsalter; abschließend wird die „Gewaltproblematik“ des Psalms (pastoral-)theologisch reflektiert. Der „ziemlich späte“ Psalm setze ein Weltbild voraus, das „universalistisch, theozentrisch und relational“ sei. Die Gottesbeziehung sei von „Positivität“ geprägt, und der Beter erscheine gerade nicht als „fanatischer Fundamentalist, der an Gott appelliert zur Beseitigung von Feinden bzw. andersdenkenden Menschen (vgl. Vv.19–22)“. Fiß, Ann-Cathrin: „Lobe den Herrn, meine Seele!“ Psalm 103 in seinen Kontexten (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 156). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2019, 336 S. Die Münchner Dissertation bietet eine eingehende Untersuchung des theologisch überaus gewichtigen Psalms. Der methodische Schwerpunkt liegt auf der Motiv geschichte. Die vorgelegte „Tiefenexegese“ besteht vor allem darin, dass die theologischen Zusammenhänge, in denen die Motive des Psalms stehen, umfassend aufgearbeitet werden. Gleichzeitig wird die exegetische Erschließung von Sinn und Bedeutung des Psalms auf eine theologische Mitte ausgerichtet: Die Auslegung des Psalms wird mit der Frage „Was bedeutet Gnade?“ verknüpft – eine Frage, die auf die Semantik des hebräischen ḥ æsæd zielt. Vfin. ist sich dabei zwar bewusst, dass eine eindimensionale Übersetzung im Deutschen nicht möglich ist, sie behält aber das deutsche Wort „Gnade“ bei, ohne es tiefergehend zu problematisieren, und verwendet das Wort in großer Redundanz. Gleichzeitig bleiben die religionsgeschichtlichen Zusammenhänge, aus denen der Begriff stammt, unterbelichtet; einschlägige neuere Literatur zum Thema wird übergangen, ebenso einige Klassiker der Psalmenauslegung. Ps 103 wird von der Vfin. als literarisch einheitlicher und sehr junger Text angesehen, der vermutlich aus der 2. Hälfte des 3. Jhs. stamme. Dass die Vfin. die Verwendung der Gnadenformel in Ps 103 als Zeugnis einer fortgeschrittenen Bundestheologie entfaltet, ist in Grundzügen überzeugend. Der Schlussteil des Psalms zum himmlischen Gottesdienst (V. 19–22) wird in späte alttestamentliche Zusammenhänge eingezeichnet, wobei knapp auch einschlägige Vergleichstexte vom Toten Meer herangezogen werden; namentlich in diesem Abschnitt ergeben sich neue und interessante Perspektiven. Schließlich wird der Psalm von der Vfin. auch in die Entstehung der Psalmengruppe 102–106 eingezeichnet. Krawelitzki, Judith: Gottes Macht im Psalter (Forschungen zum Alten Testament, 2. Reihe 97). Mohr Siebeck: Tübingen 2017, XI, 319 S. Die Göttinger Dissertation untersucht, wie im Psalter von Gottes Macht geredet wird. Die Vfin. geht dazu sowohl begriffsexegetisch als auch anhand von exemplarischen Texten vor: Das semantische Feld wird zunächst überblicksartig nach „Redeweisen und Ausdrucksformen“ erschlossen (unter anderem zu Metaphern, Gottesnamen und Epitheta), sodann anhand der „vier zentralen Machttermini“, nämlich der Begriffe „Kōaḥ “ [sic], „Ḥ ayil“, „Gĕbûrâ“ und „‛Ōz“. Die Texte umfassen die Psalmen 21; 63; 59; 84; 108 und 145. Das wichtige Problemfeld wird in methodischer Hinsicht auf sinnvolle Weise eröffnet; historisch-linguistisch als auch form-, literatur- und religionsgeschichtlich zeigt die Untersuchung allerdings nicht unerhebliche Schwächen. Die Aussagen zur Herrschaftssemantik erschöpfen sich im Ergebnis großenteils in Allgemeinplätzen. Lim, Sr. Electa (Misook) OSB: Königskritik und Königsideologie in Ps 44–46. Eine exegetische Untersuchung zum theologischen Sinn in den kompositorischen „Unterbrechungen“ der Psalmen-Trias, gelesen in lectio continua, gedeutet nach dem Prinzip der concatenatio (Altes Testament und Moderne 29). Lit Verlag: Berlin 2017, 286 S.
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Die Bonner Dissertation, die bei Frank-Lothar Hossfeld † und Ulrich Berges entstanden ist, untersucht das Phänomen der concatenatio anhand der Psalmengruppe 44–46; Ziel ist es, den Sinnzusammenhang zu erschließen, der sich aus der Zusammenstellung und Abfolge der drei Einzeltexte ergibt. Methodologisch verknüpft die Vfin. Einzelexegesen mit Beobachtungen zum literarischen Zusammenhang. Es ergibt sich, dass „Ps 44 und Ps 46 kompositionell zusammengehören“ – eine „Einheit“, die durch den eigenständigen Ps 45 unterbrochen wird. Als einzelner Psalm stelle Ps 45 „das positive Idealbild eines Königs dar“, während die lectio continua der drei Psalmen Ps 45 zu einem Königsspiegel mache, der im Blick auf das gescheiterte Königtum, das in Ps 44 und Ps 46 im Hintergrund steht, wiederum eine königskritische Lesart erlaube. Wüste, Christiane: Fels – Geier – Eltern. Untersuchungen zum Gottesbild des Moseliedes (Dtn 32) (Bonner Biblische Beiträge 182). Bonn University Press / V & R Unipress: Göttingen 2018, 281 S. Die Bonner Dissertation untersucht die drei Gottesmetaphern „Fels“, „Geier“ und „Eltern“ des theologisch überaus gewichtigen Moseliedes Dtn 32. Die Vfin. beginnt mit „synchronen und diachronen“ Beobachtungen zu dem hochpoetischen Text. Die an einigen Stellen sehr divergente Textüberlieferung wird eher knapp aufgearbeitet; die zu Beginn dargebotene Übersetzung stützt sich auf den Masoretischen Text, wobei dessen Probleme harmonisiert werden. Anschließend wird die Struktur des Textes „synchron“ analysiert, und es werden (sehr knapp) Fragen zu Datierung, literarischer Einheitlichkeit und Gattung abgehandelt. Das Lied erweise sich wahrscheinlich als eine „nachexilische Gesamtkomposition“ und lasse sich keinem „Gattungsschema“ zuordnen. Methodologisch erweist sich die Untersuchung bereits hier als vielfach oberflächlich und sachlich unbefriedigend. Die drei Gottesmetaphern werden sodann inneralttestamentlich kontextualisiert; in Exkursen wird auf einschlägige kulturund religionsgeschichtliche Hintergründe verwiesen, freilich ohne dass dies für das Verständnis des Textes viel austrägt. Insgesamt kommt die Vfin. zum Ergebnis, dass die drei Metaphern im Lied vielfältig miteinander „interagieren“; außerdem würden durch sie „intertextuelle Verbindungen“ zu anderen Teilen des Kanons (u. a. Psalter und Deuterojesaja; Pentateuch; Jes 1; Hos 9; Ez 16) „eingespielt“ – was etwa im Blick auf die starken Spannungen, die zwischen dem Lied und zentralen Theologumena des Pentateuchs zu hinterfragen ist. Dank der Metaphern entstehe ein ambivalentes und komplexes Gottesbild, bei dem die „‚dunklen‘ Seiten JHWHs“ sich als „integraler, aber nicht zentraler Bestandteil“ erwiesen.
4. Zum Tempelkult Ederer, Matthias: Identitätsstiftende Begegnung. Die theologische Deutung des regelmäßigen Kultes Israels in der Tora (Forschungen zum Alten Testament 121). Mohr Siebeck: Tübingen 2018, XVI, 609 S. Die Regensburger Habilitationsschrift unternimmt eine breit angelegte systematische Darstellung und Auslegung der Texte zum Tamid-Opfer aus den Büchern Exodus bis Numeri. Die einschlägigen Textzusammenhänge werden unter den Überschriften „Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25–31)“, „Tamid und Kultinauguration“ (mit Abschnitten zu Ex 40; Lev 8–10; Num 7–8) sowie „Neukontextualisierung und ‚halachische‘ Entfaltung“ (mit Abschnitten zu den „Kulttōrōt im Numeribuch“ sowie zu Lev 24; Num 28 und Lev 1–7) detailliert behandelt. In einem Schlusskapitel legt
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der Vf. eine „Zusammenschau und Systematisierung“ der Befunde vor. Laut dem Vf. erweisen sich die „Tamid-Vollzüge“ der Tora „gleichsam als ‚Reservoire‘ einer theologisch fundierten Israel-Identität, die in einem regelmäßigen Rhythmus, der zugleich eine spezifische Zeit Israels generiert, im Heiligtum, dem ‚Zentrum‘ Israels, (re-)inszeniert wird und auf diese Weise in der regelmäßigen Begegnung Israels mit JHWH zugleich auch dem Absichern eines ‚Kanons‘ zentraler Elemente dieser Israel-Identität dient.“ Als Ritualanweisungen im engeren Sinn sind die Texte laut dem Vf. gerade nicht gestaltet, sondern als zu lesende und zu studierende Literatur. Der Vf. hat bei seiner Untersuchung vor allem die jüdische Auslegung der Texte von der rabbinischen Literatur über die mittelalterlichen Kommentatoren bis zu modernen Tora-Auslegern intensiv rezipiert. Literaturgeschichtliche Perspektiven werden im Hintergrund ansatzweise vorausgesetzt, spielen für die Methodik aber allenfalls eine ungeordnete Rolle. Die überaus breit entfalteten synchronen Textparaphrasen, die den Schwerpunkt der Studie bilden, erweisen sich in ihrer Gesamtheit nur für diejenigen als rezipierbar, die mit den fraglichen biblischen Texten intim vertraut sind.
5. Zur Tempeltheologie Koch, Christoph: Gottes himmlische Wohnstatt. Transformationen im Verhältnis von Gott und Himmel in tempeltheologischen Entwürfen des Alten Testaments in der Exilszeit (Forschungen zum Alten Testament 119). Mohr Siebeck: Tübingen 2018, XIV, 272 S. Die Heidelberger Habilitationsschrift untersucht, auf welche Weise im Alten Testament vom göttlichen Wohnen im Himmel gesprochen wird und wie die fraglichen Stellen literatur- und religionsgeschichtlich einzuordnen sind. Vor allem folgende Texte stehen im Zentrum der Betrachtung: Ps 93*; Jes 6*; Gen 28*; Jes 40,15 und 52,7–10; Ez 1 und Ez 8–11; Ez 43; Gen 1 und Ex 24 ff. Die sehr konzise angelegte und gut geschriebene Studie eröffnet exemplarische Perspektiven zum untersuchten Vorstellungskomplex, die von Ausschnitten aus der „vorexilischen Jerusalemer Tempeltheologie“ und der „israelitischen Tempeltradition“ Bet-Els „aus der neuassyrischen Zeit“ bis zu den verschiedenen „Transformationen“ der „Präsenzvorstellung“ in den „exilischen“ Entwürfen Deuterojesajas, der ezechielischen Visionsberichte und der Priesterschrift reichen. En détail findet sich eine Fülle von teils hervorragenden exegetischen und historischen Einsichten; allerdings bringt es die Anlage und Konzeption zugleich mit sich, dass nicht wenige Fragen offen bleiben, manche Argumentationsbögen nur angerissen werden können und insgesamt ein in vielerlei Hinsicht lückenhaftes Bild entsteht.
6. Zeit des Zweiten Tempels / Frühes Judentum Dahmen, Ulrich: Die Loblieder (Hodayot) aus Qumran. Hebräisch mit masoretischer Punktation und deutscher Übersetzung, Einführung und Anmerkungen. Kohlhammer: Stuttgart 2019, 133 S. Der Band bietet eine handliche und gut benutzbare hebräisch-deutsche Studienausgabe der Handschrift 1QH aus Qumran. Der Vf. legt eine vollständige Neuausgabe des Textes vor, die den neuesten Forschungsstand zu Textanordnung und -überliefe-
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Literaturbericht Liturgik.Reinhard Müller rung transparent darstellt. Der hebräische Text ist nach dem Vorbild des von Eduard Lohse zuerst 1964 herausgegebenen Sammelbandes „Die Texte von Qumran“ mit masoretischer Punktation versehen. Eine knappe Einleitung erläutert die Grundlagen der Studienausgabe. Neben der vom Vf. erstellten deutschen Übersetzung, die synoptisch zum hebräischen Text jeweils auf der rechten Buchseite steht, sind die sehr zahlreichen Anmerkungen (als Endnoten) hervorzuheben, die jeweils auf einschlägige Parallelen innerhalb der Handschrift sowie in anderen Qumranschriften und im Alten Testament verweisen.
Literaturbericht Liturgik Deutschsprachige Länder 2019 (2018) Jörg Neijenhuis
I. Quellen Jammerthal, Tobias / Janssen, David Burkhart (Hg.): Georg III. von Anhalt. Abendmahlsschriften. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2019, 440 S. Georg III. von Anhalt (1507–1553) war ein frommer Christ und wurde als Fürst ‚der Gottselige‘ genannt. Schon mit elf Jahren wurde er Kanonikus und Domherr im Bistum Merseburg, mit 17 Jahren Subdiakon und mit 19 Jahren zum Priester geweiht. Erzbischof Albrecht von Magdeburg, ein Cousin seiner streng katholischen Mutter, ernannte ihn zum Domprobst in Magdeburg. Georg studierte in Leipzig kanonisches Recht. Ab 1530 wurden er und seine beiden Brüder regierende Fürsten von AnhaltDessau. Der Kontakt ins benachbarte Wittenberg zu Luther und Melanchthon bestand schon länger, und 1533 trat Georg durch Empfang des Abendmahls in beiderlei Gestalt für den evangelischen Glauben ein. 1534 führte er mit seinen Brüdern in Anhalt die Reformation ein. Georg war immer auf Ausgleich bedacht, er betonte, dass diese Reformation in der Tradition der einen heiligen christlichen Kirche steht und damit auch das damalige Reichsverständnis des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation teilt. Entsprechend argumentierte er mit den Kirchenvätern, um zu zeigen, dass die evangelische Abendmahlsfeier und -lehre in der Tradition der einen Kirche steht und z. B. der Entzug des Kelches gegen den Konsens dieser Kirche bzw. der Kirchenväter verstößt. Seine Argumente finden sich inhaltlich in den hier abgedruckten Schriften wieder, die bereits vor dieser Veröffentlichung gedruckt vorlagen (es gibt noch viele handschriftliche Texte, die bislang weder erforscht noch ediert worden sind). Der Band bietet den handschriftlichen Bericht an den Kurfürsten Jo achim I. von Brandenburg aus dem Jahr 1534, Bericht von der Lehr und Ceremonien, so zu Dessau gehalten werden, und vier Predigten zum Abendmahl, die Georg 1550 in Merseburg hielt und die er selbst in Druck gab. Diese Predigten kann man als Summe seines abendmahlstheologischen Schaffens bezeichnen. Der Bericht und die vier Predigten wurden 1552 mit einer Vorrede von Melanchthon gedruckt und liegen dieser Ausgabe zugrunde. Weitere, auch handschriftliche Quellentexte werden berücksichtigt. Die Herausgeber führen in den geschichtlichen Zusammenhang ein und würdigen das Wirken Georgs III. Ein ausführlicher Apparat macht weitere Literatur, Bibelstellen etc. zugänglich. Mihálykó, Ágnes T.: The Christian Liturgical Papyri: An Introduction (STAC 114). Mohr Siebeck: Tübingen 2019, 451 S., 36 schwarz-weiß Abb. Mihálykó bietet eine Einleitung zu 323 liturgische Papyri, die zwischen das 3. und das 9. Jh. zu datieren sind. Nach einer Einführung folgt ein Kapitel zu den Quellen und zur Geschichte der koptischen Liturgie. Für die koptische Liturgie werden die
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bekannten Quellen benannt, wie die Traditio apostolica oder die Mystagogischen Katechesen, und die Eucharistie, das Stundengebet sowie die Taufe werden dargestellt. Es folgen Kapitel über die Datierungsfragen der liturgischen Papyri sowie ihre Herkunftsorte und dann das Material. Der Gebrauch der Papyri wird analysiert und auch über Gattungen, Manuskripte und ihre Verwendung informiert. Abschließend untersucht Mihálykó die Sprachen der Papyri – Koptisch, Griechisch und Lateinisch. Das letzte Kapitel befasst sich mit dem, was aufgeschrieben wurde: 67 % der schriftlichen Zeugnisse sind Hymnen, 23 % Gebete. Akklamationen z. B. spielten für die aufzuschreibenden Texte nur eine untergeordnete Rolle. Im Anhang wird eine Tabelle mit allen Papyri aufgeführt: ihre Bezeichnung, Inhalt, Entstehungszeitraum, Ort, Sprache, Material, Größe, Format, Trismegistos-Nummer und wichtige Editionen, in denen die Papyri gedruckt vorliegen. Dem Band sind 36 Abbildungen von PapyriTexten beigegeben. Miklós, Réka: Der Seckauer Liber ordinarius Graz Universitätsbibliothek 1566. Supplement 15 von Codices, Manuscripti & Impressi. Zeitschrift für Buchgeschichte. Verlag Brüder Hollinek: Purkersdorf 2019, 216 S., 25 Abb. Der handschriftlich vorliegende Liber ordinarius des Chorherrenstifts Seckau in der Steiermark stammt aus dem letzten Jahrzehnt des 16. Jh.s. Er gibt einen Einblick in die Seckauer Liturgie, wie sie sich über 250 Jahre hin entwickelt hat. Er dokumentiert sie als eine Eigenliturgie, die im Jahr 1600 infolge des Trienter Konzils durch die römische Liturgie abgelöst wurde. Diese Handschrift vermittelt einen Eindruck von einer lokalen mittelalterlichen Liturgie, die – zusammen mit anderen lokalen Liturgien systematisch erforscht – ein Bild davon abgeben könnte, wie die vortridentinische Liturgie in dieser Diözese gefeiert wurde bzw. gefeiert werden sollte. Dazu dienen einerseits die liturgischen Texte, andererseits auch die musikalischen Hinweise. Die Untersuchung ist folgendermaßen aufgebaut: Miklós stellt den Seckauer Liber ordinarius allgemein vor und zeigt den geschichtlichen Hintergrund des Augustinerchorherrenstifts bis 1600 auf; darauf folgen eine kodikologische Untersuchung des Liber und eine Darstellung über den Schreiber (der Liber erwähnt weitere Liturgica, die aber verschollen sind oder vernichtet wurden). Die liturgische Entwicklung des Domstifts Seckau von 1345 bis 1600 wird erörtert, eine partielle Rekonstruktion eines verschollenen Graduale minus und eines verschollenen Seckauer Antiphonales vorgenommen; es folgen das Totenoffizium und Prozessionen, die Darstellung der liturgischen Orte des Stifts Seckau um 1600 und ein Verzeichnis der Personen, die im Liber erwähnt wurden. Abschließend bietet der Band die Edition des Seckauer Liber ordinarius. Proncho-Schinkel, Renate (Hg.): Das Tauf- und Trauregister der evangelischen Kirchengemeinde Weslarn 1654 bis 1716. Edition und sozialgeschichtliche Auswertung (VHKW NF 40). Aschendorff: Münster 2019, 301 S., 1 Karte, 3 Tabellen, 29 Abb. Die Erschließung und Dokumentation kirchlicher Register ist von Bedeutung, denn sie „erlauben es im Idealfall, nicht nur Familienstammbäume zu erstellen, sondern auch historische Familien und ganze Dorfgemeinschaften zu rekonstruieren. Ist eine kritische Menge solcher Rekonstitutionen erreicht, lassen sich über längere Zeiträume hinweg Dauerhaftigkeit und Wandel von Bevölkerungsprozessen ablesen, sei es auf der mikrohistorischen Ebene eines Dorfes, sei es überregional.“ (9) Wenn die Namen der registrierten Personen mit politischen, wirtschaftlichen, ökonomischen und auch religiösen Untersuchungen kombiniert werden, kann damit die umfassendere Geschichte einer Region oder eines Dorfes dargestellt werden. Proncho-Schinkel bietet einen historischen Überblick und stellt die Register ausführlich vor: Eheschließungen, Taufen, die Vornamen, die Verwandtschaft und Patenschaft, Sonderfälle und inter-
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essante Einzelfälle. Anhand einiger Familien wird eine Entwicklung über längere Zeiträume aufgezeigt. Es folgt die vollständige Edition des Tauf- und Trauregisters, das von einem umfänglichen Anhang erschlossen wird.
II. Monographien und Sammelbände Bärsch, Jürgen: Liturgie im Prozess. Studien zur Geschichte des religiösen Lebens. Hg. v. Benini, Marco / K luger, Florian / Winkel, Benedikt. Aschendorff: Münster 2019, 554 S. Jürgen Bärsch hat als Festgabe zu seinem 60. Geburtstag dieses Buch bekommen, in dem 20 seiner Artikel abgedruckt sind, davon zwei als Erstveröffentlichungen. Das Thema ‚Liturgie im Prozess‘ ist für Bärschs Forschung leitend gewesen; die Breite seiner Forschungsthemen, insbesondere in der Liturgiegeschichtsforschung, wird deutlich anhand seiner hier abgedruckten Aufsätze. Die Herausgeber haben sie in fünf Abteilungen geordnet: Wege der Liturgiegeschichtsforschung, Liturgie und Frömmigkeit im Mittelalter, Gottesdienstliches Leben in der Barockzeit, Liturgische Erneuerung im 20. Jahrhundert, Liturgiegeschichte im Interesse der Gegenwart. Benz, Brigitte / K ranemann, Benedikt (Hg.): Deutschland trauert. Trauerfeiern nach Großkatastrophen als gesellschaftliche Herausforderung (EThSt 51). Echter: Würzburg 2019, 187 S. Nach einer Großkatastrophe eine Trauerfeier zu halten ist, stellt dies vor viele Herausforderungen. Eine grundlegende Herausforderung ist, dass die Betroffenen möglichst gemeinsam an einer Trauerfeier teilnehmen wollen. In diesem Buch sind als Beispiele Trauerfeiern nach dem Amoklauf in einer Erfurter Schule und nach dem Absturz des Germanwings-Flugzeugs aufgeführt. Man muss davon ausgehen, dass nicht nur Christen, sondern auch Glaubende anderer Religionen wie auch Nicht-Glaubende an solchen Feiern teilnehmen (wollen), denn leben wir in einer pluralen Gesellschaft. Wie geht man damit nun um? Diese sicherlich zuerst einmal theologische Frage wird in drei Beiträgen erörtert. Aber handelt sich auch um eine Frage, die aus staatskirchenrechtlicher und politikwissenschaftlicher Sicht erörtert werden kann. Dazu finden sich zwei Beiträge in diesem Buch. Zwei weitere Beiträge befassen sich mit der Trias von kirchlicher Trauerfeier, staatlicher Trauerfeier und Staatsakt: Sollen sie nebeneinander bestehen oder miteinander gefeiert bzw. begangen werden? Die Ansätze und Lösungsvorschläge sind verschieden und zeigen, dass es in der pluralen Gesellschaft und in den Religionsgemeinschaften noch erheblichen Diskussionsbedarf darüber gibt, wie man angemessen, nicht ausgrenzend und nicht verletzend mit den Trauernden zusammen eine entsprechende Trauerfeier vorbereitet und durchführt. Bubmann, Peter / Fechtner, Kristian / Merzyn, Konrad / Nitsche, Stefan Ark / Weyel, Birgit (Hg.): Gemeinde auf Zeit. Gelebte Kirchlichkeit wahrnehmen (PTHe 160). Kohlhammer: Stuttgart 2019, 157 S. Das Buch enthält Beiträge eines Forschungsprojekts, das sich des Phänomens einer Gemeinde auf Zeit gewidmet hat. ‚Gemeinde auf Zeit‘ ist eine Sozialform, die fluid und temporär und im Gegensatz zum traditionellen Verständnis von Ortsgemeinde nicht konstant vorhanden ist. Dafür gibt es einige Schlagworte, wie z. B. Kirche an vielen Orten, Kirche bei Gelegenheit, Kirche von Fall zu Fall. Zunächst wird das Forschungsprojekt vorgestellt anhand von Wahrnehmungen und Fragestellungen, praktisch-ekklesiologischen Markierungen sowie sozial- und kulturwissenschaftlichen Reflexionen. Anschließend wird dieses neue Format als eine Zusammenarbeit von Kirchenleitung und wissenschaftlicher Theologie gewürdigt. Das Buch ist in drei
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Teile gegliedert: Der erste Teil umfasst Beiträge zu kirchentheoretischen Grundfragen, z. B. Fragen der Gesellungsformen in der Spätmoderne, die Orts- und Zeitfrage, die Frage nach Gemeinschaft. Der Beitrag von Fechtner befasst sich mit der Frage, wie Gemeinde im Gottesdienst entsteht. Er beklagt zu Recht, dass in der liturgiewissenschaftlichen Forschung die „Sozialität des Gottesdienstes, mithin seine soziale Einbettung sowie seine sozialitätsbildende Kraft“ (85) nur am Rande vorkommt. Fechtner schlägt vor, den Gottesdienst auch einer Gemeinde auf Zeit als eine „liturgische Praxis als Ensemble religiöser sozialer Praktiken“ (91) zu verstehen. Er folgt damit dem „practice turn“: Es wird davon ausgegangen, dass die soziale Wirklichkeit durch soziale Praktiken hervorgebracht wird; Kultur wird als ein Ensemble von Praktiken verstanden. Dieses Setting grenzt sich ab sowohl von soziologischen Theorien, die von zugrundeliegenden und übergreifenden Sozialstrukturen ausgehen, als auch von Theorien, die von individualistischen Handlungstheorien ausgehen. „Die Aufmerksamkeit richtet sich stattdessen auf die sozial-kulturellen Praktiken, mithin auf Handlungszusammenhänge, in welche die Mithandelnden in actu verwoben sind und an denen sie partizipieren.“ (91) So können die Gesellungskräfte eines Gottesdienstes ausgemacht werden und ihre unterschiedlichen Formen bringen auch unterschiedliche Gemeinden hervor, seien es zeitlich begrenzte oder konstante. Im zweiten Teil stellen drei Autoren ihre Dissertationen vor, die im Zusammenhang des Forschungsprojekt entstanden sind. Es geht z. B. um Radwegekirchen oder Gottesdienste im Grünen (vgl. dazu unten Kathrin Sauer), um Motorradgottesdienste oder den Mittwochmorgen-Gottesdienst morgens um 7 Uhr in der Heidelberger Universitätsgemeinde (vgl. dazu unten Tanja Martin), es geht um christliches Riesenchor-Singen und das damit verbundene Gemeinschaftsgefühl (vgl. dazu unten Jonathan Kühn). Der dritte Teil formuliert Konsequenzen und Perspektiven, die sich mit der Entwicklung von Gemeinde auf Zeit, mit der Liquidierung von Gemeinden, mit Kirchenverfassung und Kirchenleitung befassen. Conrad, Ruth / Drecoll, Volker Henning / Hirbodian, Sigrid (Hg.): Säkulare Prozessionen. Zur religiösen Grundierung von Umzügen, Einzügen und Aufmärschen (Colloquia historica et theologica 6). Mohr Siebeck: Tübingen 2019, 428 S. Dieser Band dokumentiert eine interdisziplinäre Tagung. In ihrer Einführung erörtert Conrad, ob es sich bei der Frage nach einer religiösen Grundierung säkularer Prozessionen nicht um eine contradictio in adiecto handele. Damit eröffnet sie zugleich die Frage nach den Säkularisationstheorien, die ganz unterschiedliche Deutungen evozieren. Denn schon allein der Begriff Prozession ist religiös imprägniert. Die Beträge heben hervor, dass Ritualisierung, Re-Sakralisierung von öffentlichen Stadträumen, die Frage nach Hierarchie und Egalität bei Prozessionen sowie die materiale wie körperliche Dimension von Wichtigkeit sind – auch angesichts der zunehmenden Kommerzialisierung von Prozessionen. Die Beiträge schildern und deuten Prozessionen: in der Antike / A lten Kirche z. B. der Einzug Konstantins in Rom 312 n. Chr.; im Spätmittelalter / in der Frühen Neuzeit, z. B. die spätmittelalterlichen ReginenProzessionen in Osnabrück; im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jh.s, z. B. Umzüge und Aufmärsche der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik; abschließend in der Gegenwart, z. B. die Loveparade. Deeg, Alexander / Lehnert, Christian (Hg.): Liturgie – Körper – Medien. Herausforderungen für den Gottesdienst in der digitalen Gesellschaft (BLSp 32). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2019, 148 S. Die Gesellschaft verändert sich durch den Einsatz von digitalen Medien – ändert sich deshalb auch der Gottesdienst, bzw. hat diese Entwicklung Auswirkungen auf
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die Gottesdienstfeier? Alexander Deeg führt zunächst in diese Fragestellung und in die Forschungsliteratur ein. Grundlegend zu fragen ist, wie sich die Bedeutung des Körpers, des Raums, der Gemeinschaft und die Kommunikation ändern; all diese Aspekte sind im analogen Gottesdienst gegeben, sind aber durch einen rein digitalen Gottesdienst im Internet so nicht mehr möglich und selbstverständlich. Anschließend werden diese Fragen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven durch Beiträge beleuchtet, die – je nach Profession und praktischer Tätigkeit der Autoren – wiederum unterschiedliche Blickwinkel und Erfahrungen in den Diskurs einbringen. Deeg, Alexander / Zerfaß, Alexander / Uder, Manuel (Hg.): Liturgie und Gebet. Dimensionen eine Grundvollzugs gottesdienstlichen Feierns. Deutsches Liturgisches Institut: Trier 2019, 155 S. Dieser Sammelband publiziert die Beiträge, die auf der Trierer Sommerakademie 2017 des Deutschen Liturgischen Instituts zum Thema Liturgie und Gebet vorge tragen wurden. Die allgemein verständlich gehaltenen Beiträge befassen sich aus ganz verschiedenen Blickrichtungen mit dem Thema Liturgie und Gebet. Zunächst wird die Beziehung beider Begriffe beleuchtet, danach kommen einzelne Aspekte in den Blick: der Gebetsglaube Jesu, Funktionen des Gebets im evangelischen Sonntagsgottesdienst, Form und Funktion des liturgischen Betens aus katholischer Sicht, die Struktur des jüdischen Gebets, Biographie und Gebet, Sprachlehre des Gebets, musikalische Formen des Gebets in der Liturgie, kleine Gebete für jeden Tag als Erneuerungsprogramm des christlichen Glaubens, Gottesbilder im Gebet. So wird nicht nur die Vielschichtigkeit des Gebets und der Liturgie deutlich, sondern auch die Beziehung von Gebet und Liturgie zueinander. Ebenbauer, Peter / Groen, Basilius J. (Hg.): Zukunftsraum Liturgie. Gottesdienst vor neuen Herausforderungen (Österreichische Studien zur Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie 10). LIT: Wien 2019, 193 S., 27 farbige Abb. „Wir leben gegenwärtig in einer haltlos gewordenen Weltsituation, in politischen, ökonomischen, kulturellen und religiösen Fließbewegungen globalen Ausmaßes, deren Richtungen alles andere als eindeutig oder vorhersehbar sind. In dieser Situation des nicht kalkulierbaren Wandels zelebrieren religiöse Gemeinschaften ihre Riten, Feste und Feiern in mehr oder weniger fest gefügten Traditionsspuren.“ (27) So charakterisiert Peter Ebenbauer die gesellschaftliche Lage, in der die Liturgie als Zukunftsraum wahrgenommen werden kann, aber auch vor immensen Herausforderungen steht. Die Beiträge dieses Buches wurden auf einer Tagung gleichen Titels an der Katholisch-Theologischen Fakultät Graz-Seckau gehalten. Die weiteren Beiträge loten Perspektiven aus, so z. B., dass die historische Liturgieforschung ebenso im Wandel begriffen ist wie die Weltsituation; dass gottesdienstliches Leben und Geschlechtervielfalt ein Spannungsfeld bilden; dass gegenwärtige Bilder in Kirchen andere Motive haben als jene aus den vorherigen Jahrhunderten; dass sich Rituale wandeln ebenso wie die Gesangskompositionen; dass sich die pastoraltheologische Arbeit ändert; dass Liturgie eine geheimnisvolle Einheit in der Vielfalt der Erlebnisse zeitigt; dass es eine faszinierende Dialektik zwischen Liturgie und Ökumene gibt; dass es neue Ansätze gibt, die Liturgien des Judentums beim Vergleich von Liturgie im Christentum und Judentum als selbstständige Traditionen zu würdigen. Ehrensperger, Alfred: Geschichte des Gottesdienstes in Zürich Stadt und Land im Spätmittelalter und in der frühen Reformation bis 1531 (Geschichte des Gottesdienstes in den evangelisch-reformierten Kirchen in der Deutschschweiz 5). TVZ: Zürich 2019, 814 S. Ehrensperger legt nun den 5. Band seiner Geschichte des Gottesdienstes in den evangelisch-reformierten Kirchen in der Deutschschweiz vor [ Bd. 1: JLH 2011, 90;
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Bd. 2: JLH 2012, 123, Bd. 3: JLH 2013, 111; Bd. 4: JLH 2016, 131 f.]. Darin geht es um Zwinglis Reformen in Zürich und um ihre Vorgeschichte. Im ersten Kapitel werden Schwerpunkte der Gottesdienstentwicklung und der Liturgiereformen im Züricher Bereich bis ca. 1520 dargelegt: Kirchensituation, Volksfrömmigkeit, Rituale und Zürcher Stadtheilige, Heiligenverehrung und Feiertage, geistliche Ämter, Bildung des Klerus, Machtbefugnisse, gottesdienstliches Schrifttum, Predigtgottesdienst vor und bei Surgant. Das zweite Kapitel beschreibt die Gottesdienste in den Klöstern der Stadt Zürich und seiner Landschaft. Es kommt selbstverständlich das Großmünster in Zürich zur Sprache wie auch andere Kirchen und die Klöster auf dem Stadtgebiet, dazu dann zahlreiche Kloster der Zürcher Landschaft. Im dritten Kapitel werden die Veränderungen und Problemfelder im gottesdienstlichen Bereich von 1519 bis 1531 dargelegt; in der Zeit also, in der Zwingli in Zürich wirkte. Seine Auseinandersetzungen mit dem Bischof, dem Stadtrat von Zürich sowie die Disputationen etc. kommen zu Wort. Im Weiteren werden Reformen im Hinblick auf Bilder und Zeremonien, gottesdienstliche Musik und Gesang, Feiertage und Heilige; um Traditionselemente wie Kirchenzucht, Fegefeuer und Ablass, Fasten; um Ämter und Synoden, um Prophezei und Bildung, um Reformgegner und Traditionalisten thematisiert. Der vierte und letzte Teil ist Zwinglis Reformen des Predigtgottesdienstes, der Messe und des Nachtmahls sowie der ersten Kirchenordnung gewidmet. Dabei geht es um die Predigtpraxis, um das Schriftprinzip, die Lectio continua und die Perikopen, um einzelne Liturgieelemente wie Gebete, Gebetssorten und Bekenntnisse, Trauung und Bestattung, Taufverständnis und Taufpraxis; dann auch um die frühen Zürcher Liturgie- und Kirchenordnungen, wie das Taufformular von Leo Jud, die Kirchenordnung von 1525, das Liturgieformular von 1528, die Kirchenordnung von 1535. In einem kurzen Rückblick hebt Ehrensperger hervor, dass die Zürcher Reformen als ein exegetisches Unternehmen zu verstehen sind und „nicht als dogmatischlehrhaft orientierte Bewegung in Abgrenzung zur römischen Amtskirche. Unterschätzt wurde bisher Zwinglis Bemühen um eine biblisch orientierte Messreform. Ich halte sie für eine bedeutsame theologische, vorausblickende Massnahme, deren Verwirklichung an den damaligen Umständen scheiterte, die aber heute wieder neu anzupacken wäre, nicht ohne intensive ökumenische Kontakte.“ (734) Gleichwohl kritisiert er auch Entwicklungen, wie z. B. die Nachtmahlliturgie von 1525, da das Formular erhebliche liturgietheologische Mängel aufweise: „Völlige Wortlastigkeit; Passivität der Gemeinde; gänzlicher Ordinariumscharakter auch von Lesungen und Gebeten; Fehlen eines einsichtigen, liturgischen Wegcharakters“ (734). Aber Kritik weist in die Zukunft, auch was die gesamtchristliche Liturgiegeschichte betrifft: „Die folgenschwere, voreilige Abschaffung der Messe als Grundgestalt des christlichen Gottesdienstes brachte die deutschsprachigen, eidgenössischen Orte der Reformation gesamtökumenisch in eine Isolationsstellung, deren Überwindung in den kommenden Jahrzehnten viel Kraft, Geduld, Einsicht und Kompetenz erfordern wird. Dies wäre wohl eine Chance, ein Reformationsjubiläum nicht rückblickend, sondern vorausblickend zu begehen!“ (735) Fendler, Folkert: Kundenhabitus und Gottesdienst. Zur Logik protestantischen Kirchgangs (APTLH 94). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2019, 254 S. Folkert Fendler bietet gleich im ersten Satz des Vorworts eine Zusammenfassung seiner Untersuchung: „Der Mensch möchte im Gottesdienst kein Kunde sein, aber er verhält sich wie einer.“ (9) Kunde sein ist ambivalent, weil man als Kunde eben auch getäuscht werden kann und zum Kauf eines Produkts manipuliert werden könnte. Das mag mitschwingen, wenn der Gottesdienstbesucher auf sich selbst den Begriff Kunde
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anwenden soll und darum argwöhnisch bis ablehnend reagiert. Der Kunde wird z. B. in der Marketingliteratur wesentlich in ökonomischer Perspektive verstanden. Fendler hält fest, dass es bislang keine umfassende Theorie des Kunden gibt, er hält darum die Kundenmerkmale wie folgt fest: „Bedürfnisse sind die kundenspezifische Ausgangssituation. Sie zielen im Wunsch nach Befriedigung auf einen Nutzen und verbinden sich im Blick auf konkrete Bedarfe mit bestimmten Erwartungen. Die in einem Akt der Auswahl aus einer Optionspalette sich vollziehende Inanspruchnahme der Leistung (Austauschgeschehen, ökonomische Dimension) durch den Kunden, an der er im Dienstleistungsgeschehen einen aktiven Anteil hat, führt dann zur Zufriedenheit oder Unzufriedenheit bei ihm, verbindet sich mit einem Qualitätsurteil und beeinflusst künftiges Auswahlverhalten bei der Nutzung von Angeboten.“ (22) Fendler untersucht das Kundenverständnis bei Nonprofit-Organisationen in Bezug auf das Kulturmarketing, um anhand des Kontextes der Diakonie oder des Kirchenmarketing diese Entwicklung aufzuzeigen. Dabei wird deutlich, dass der Kundenhabitus mittlerweile eine verinnerlichte Prägung der modernen Menschen ist, die zunehmend auf alle Lebensbereiche übertragen wird und damit auch auf die Beziehung zur Kirche und zum Gottesdienst. Fendler untersucht nun anhand vieler Studien diesen Kundenhabitus in empirischer Perspektive, er befragt dazu z. B. die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen der EKD und die Hildesheimer Kundenstudie, die eine eigene empirische Untersuchung zum Kundenverhalten in Bezug auf Gottesdienste darstellt. Das Kapitel abschließend werden das Wahlverhalten, die Erwartungen und die Einstellungen von Gottesdiensteilnehmenden zusammengefasst. Das nächste Kapitel wertet die Ergebnisse aus. Es zeigt sich z. B., dass kirchennahe Gottesdienstbesucher kein so stark ausgeprägtes bedürfnisorientiertes Wahlverhalten in Bezug auf die Gottesdienste an den Tag legen wie Kirchenferne. Gleichwohl können beide Gruppen als Kunden verstanden werden: Die Kirchennahen sind Stammkunden, die ihre Bedürfnisse im Gottesdienst bzw. in der Kirche weitgehend befriedigt sehen, die Kirchenfernen sind Laufkundschaft und sind wählerischer, weil sie ihre Bedürfnisse nicht ausreichend als bedient erfahren. Das letzte Kapitel reflektiert den daraus zu gewinnenden normativen Diskurs: Wie steht es nun um die Unverfügbarkeit und Verfügbarkeit des Gottesdienstes, um den Gottesdienst zwischen Auftrag und Bedürfnis? Wie verhält sich der Nutzen des Gottesdienstes zum Wahlverhalten der Gottesdienst-„Kunden“? Fendler hält fest: „Das Konstrukt des Kundenhabitus erweist sich als ein Wahrnehmungsinstrument, das erhebliches Erklärungspotential hinsichtlich der Logiken und Faktoren des Kirchgangs enthält und das zu manchen Differenzierungen führt. Dabei zeigt sich, dass Kundenhabitus, wie er in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erkennbar ist, nicht eins zu eins auf den Gottesdienst übertragen wird, sondern sich seinem Gegenstand, dem Gottesdienst selbst, gewissermaßen anpasst. Kundenhabitus beim Kirchgang ist spezifisch gottesdienstlicher Kundenhabitus.“ (230) Geiger, Stefan: Der liturgische Vollzug als personal-liturgischer Erfahrungsraum. Liturgietheologische Erkundungen in den Dimensionen von Personalität und Ekklesiologie (Theologie der Liturgie 16). Friedrich Pustet: Regensburg 2019, 495 S. Stefan Geigers Fragestellung stellt die Personalität des liturgischen Vollzugs in den Mittelpunkt: die Personalität des Menschen, der eine Liturgie feiert und zu Gott betet, und die Personalität Gottes, der in der Liturgiefeier wirkt und zu den Menschen spricht. Damit ist die Theologizität der Liturgiefeier angesprochen. Diese relational aufgefasst Personalität hat Auswirkungen auf das Verständnis der Mensch-GottBeziehung, auf die Beziehungen derjenigen, die die Liturgie feiern, und damit auf das Verständnis von Kirche. Eine relationale Personalitätsvorstellung impliziert die
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communio, die Gemeinschaft der Kirche. Geiger legt Geiger sein liturgietheologisches Grundverständnis anhand des Pascha-Mysteriums dar und daran anschließend in Bezug auf sein Personalitätsverständnis. Der liturgische Vollzug wird als personal-liturgischer Erfahrungsraum verstanden. Geiger optiert für eine systematische Liturgiewissenschaft und befasst sich mit den Ansätzen von Guardini und Meßner. Es folgen Auseinandersetzungen mit den Liturgietheologen Schmemann, Kavanagh, Faberberg, Irwin. Zwei große Abschnitte schließen sich an: Der eine Teil untersucht die Liturgie als personalen Erfahrungsraum, indem der Personbegriff und danach die Liturgie als personaler Raum der Gottesbegegnung und die Liturgie als personaler Erfahrungsraum dargestellt werden. Der andere Teil untersucht die Relationalität von Personalität und Ekklesiologie, indem wieder die personale Dimension des liturgischen Erfahrungsraums auf die Ekklesiologie bezogen wird. „Es eröffnet sich ein personaler Erfahrungsraum zwischen Gott und Mensch, ermöglicht und eröffnet vom Ersthandeln Gottes in seinem (inkarnierten) Erlösungshandeln. Liturgie als PaschaMysterium ist dieser dynamische, relationale und darin personale Vollzug des Erfahrungsraums. Der Inhalt bzw. Gegenstand des Vollzugs ist der Vollzug selbst.“ (477) Haspelmath-Finatti, Dorothea (hg. im Auftrag der Liturgischen Konferenz): Called to worship – freed to response. Beiträge aus der internationalen Liturgischen Theologie zum Zusammenhang von Gottesdienst und Ethik. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2019, 222 S. Dieses Buch ist sozusagen der zweite Band zu der liturgischen Theologie, die von einem Ausschuss der Liturgischen Konferenz publiziert wird. Der erste Band befasste sich mit der liturgischen Theologie in Nordamerika und hatte dazu den Lutheraner Gordon Lathrop und die Reformierte Martha Moore Keish als zwei Vertreter von liturgischer Theologie aus Nordamerika eingeladen (JLH 2018, 152 f). Der nun vorgelegte Band veröffentlicht Beiträge einer Tagung, die sich mit dem Thema ‚Gottesdienst und Ethik‘ befasste. Sie „versammelte nun Theologinnen und Theologen aus vier Kontinenten und allen wichtigen kirchlichen Traditionen.“ (11) Das Buch bietet einen Beitrag aus der byzantinischen Tradition, ein weiterer stammt aus der Tradition der syro-malabarischen Kirche in Indien, die mit der römisch-katholischen Kirche uniert ist. Zwei Beiträge kommen aus der römisch-katholischen Kirche und zwei Stimmen von evangelischen Theologen. Die Vorträge wurden von Mitgliedern des Ausschusses aufnehmend reflektiert. Sie haben folgende Themen zum Gegenstand: das Gottesbild; die Lex orandi; Lex credendi und Lex agendi; Liturgie und Ethik in ökumenischer und internationaler Perspektive; den Gesang; die Befreiungstheologie; Liturgie und Ethik in enger Verbindung; Liturgie und Handeln im Denken von Alexander Schmemann; die Beziehung zwischen ritueller, moralischer und kanonischer Praxis; die Phänomenähnlichkeiten in populärer Kultur und Gottesdienst. Hauke, Manfred / Hoping, Helmut (Hg.): Der Diakonat. Geschichte und Theologie. Friedrich Pustet: Regensburg 2019, 416 S. Das Zweite Vatikanische Konzil hat den Diakonat als Weihesakrament wieder eingeführt. Die Theologische Fakultät in Lugano befasste sich auf einer Tagung im Jahr 2014 ausführlich mit dem Diakonat. Neue Aktualität bekam das Thema, als Papst Franziskus 2016 eine Kommission berief, die klären sollte, welche Aufgaben Diakonissen in der Alten Kirche übernommen haben. Auf der in diesem Buch dokumentierten Tagung von 2014 ging es aber um die grundsätzlichen Fragen des Diakonats. So setzte sich sie auch mit einem Votum zum Diakonat auseinander, das von der Internationalen Theologischen Kommission 2002 veröffentlicht wurde. Die Tagungsbeiträge, die ursprünglich in italienischer Sprache publiziert wurden und hier in deutscher
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Übersetzung vorliegen, sind chronologisch geordnet: biblische Grundlegung; der Bereich der Kirchenväter, hier speziell die Kappadozier; zwei Beiträge über das Amt des Diakons in der römischen bzw. der byzantinischen Liturgie; eine Darstellung über die Wiederherstellung des ständigen Diakonats auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Weitere Beiträge befassen sich mit den Erfahrungen, die Diakone machen, denn sowohl in Italien wie auch in Deutschland hat der Diakonat Beachtung gefunden: Zwei Beiträger, die selbst Diakone sind, schildern ihre Erfahrungen im Bistum Mailand und in Deutschland. Ein Beitrag befasst sich mit dem speziellen Profil, das in den Dokumenten des Heiligen Stuhls und des päpstlichen Lehramtes zutage tritt; ein anderer Beitrag mit den kirchenrechtlichen Gesichtspunkten. Es folgen die Analyse des Textes zum Diakonat der Internationalen Theologischen Kommission und drei Beiträge, die sich aus systematisch-theologischer Sicht mit der geistlichen Dimension dieses Weihesakraments befassen. Sie behandeln die Frage, ob auch der Diakon im Namen Christi als Haupt der Kirche handelt, wie dies der Priester und Bischof tut. Ein letzter Beitrag befasst sich aus aktuellem Anlass mit der Frage nach der Möglichkeit von Diakonissen. Heid, Stefan: Altar und Kirche. Prinzipien christlicher Liturgie. Schnell & Steiner: Regensburg [2019] 22019, 496 S., 152 Abb. Im Vorwort zu seinem Werk stellt Stefan Heid die Frage, von der seine Untersuchung geleitet ist: Gab es im Ursprung des Christentums einen Altar? „Ist er ein authentisches Element des Gottesdienstes oder eine zeitbedingte Fehlleistung? Steht womöglich am Anfang der schlichte Mahltisch der Hauskirchen?“ (7) Weiter hält er fest, dass in allen kirchlichen Traditionen Altäre die Kirchen dominieren, nur nicht bei den „Protestanten, am allerwenigsten für die Reformierten (Calvinisten, Zwinglianer), die bewusst gewöhnliche Tische benutzen. Zwar finden sich Altäre noch in vielen evangelisch-lutherischen Gotteshäusern, aber auch dort eher als stehengebliebenes Traditionselement. Denn ein wirkliches Gabenopfer kennen die Gemeinschaften aus der Reformation nicht mehr, und somit brauchen sie auch keinen Altar.“ (9) Heid wendet sich gegen den Forschungskonsens, der das frühe Christentum sich erst bis ins 3. und 4. Jh. hinein zu einer Religion entwickeln sieht, und der davon ausgeht, dass in dieser Entwicklung dann Priestertum, Opfer und Altar hinzukommen, die es ursprünglich nicht gegeben hat. Heid urteilt, dieser Forschungskonsens unterliege „einer weltanschaulich-theologischen Prämisse des 19. Jahrhunderts, die ihren Höhepunkt im liberalen Protestantismus findet. Es ist an der Zeit, sich davon zu emanzipieren und einen unverstellten Blick auf die Anfänge des christlichen Altars zu werfen. Ein erster Schritt besteht darin, weniger den (Schlachtopfer-)Altar als vielmehr den Sakraltisch als weit verbreitetes Kultmöbel sowohl der jüdischen wie der paganen Religionspraxis der Antike wahrzunehmen und den christlichen Altar in diesen Kontext zu stellen.“ (26) In den anschließenden Kapiteln verfolgt Heid die Entwicklung des Sakraltisches bzw. Altares. Im Ursprung ist der Altar ein Sakraltisch, so bei Paulus; im Hebräerbrief wird er Altar genannt, weitere Belege folgen. Der Sakraltisch wird bei den Festmahlen bzw. bei Gemeinschaftsmahlen zur Eucharistiefeier verwendet, möglicherweise gibt es eine engere Beziehung zum Tempel und zur Synagoge, als man bisher berücksichtigt hat. Heid hält Hauskirchen eher für ein Phantom als für eine Tatsache, denn auch bei Eucharistiefeiern in Häusern wurde ein Sakraltisch verwendet. „Frühchristliche Hauskirchen existieren nur in den Büchern der Historiker, nicht in Wirklichkeit. Jede Stadt hat im Regelfall nur einen einzigen eucharistischen Versammlungsort unter der Leitung des Bischofs.“ (158) Der Altar steht vor Gott (Offb 9,13), der Priester betet an ihm in Richtung Osten. Der Altar steht also zwischen Gott und Priester mit betendem
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Kirchenvolk, so dass er zum Ort von Heiligkeitserfahrung wird. Da mit erhobenen Armen und geöffneten Augen gen Himmel gebetet wurde, werden die Bilder in den Kirchen und insbesondere in der Apsis als innere Bilder der Betenden gedeutet, die zugleich einen Blick in den Himmel gewähren. Zum Abschluss der Untersuchung stellt Heid die Frage, ob nicht der Rundtisch eine frühe Altarform ist und somit dem seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in der römisch-katholischen Kirche üblichen Volksaltar nahesteht, um den sich ja auch die Betenden mit dem Priester versammeln. Sie blicken sich gegenseitig an und stehen nicht mehr Gott gegenüber. Schon der Abriss Alt-Sankt Peters ab 1506 und die Errichtung des Petersdoms mit dem in die Mitte gestellten päpstlichen Zelebrationsalter zeigt einen anderen Weg, da der Papst nicht vor, sondern von hinten an den Altar tritt und zum Kirchenvolk sieht. Heid hält fest, dass die Kirchen des byzantinischen Ritus und die Altorientalen nach wie vor apsisgeostet und auch frei im Raum stehende Altäre haben, aber der Priester von vorne an den Altar tritt und nach Osten betet. „Allein die lateinische Kirche hat sich vom ökumenischen Konsens verabschiedet und einen Sonderweg beschritten in der Meinung, den Ursprung wiederherzustellen: Zuerst gab sie die Gebetsostung auf, dann – nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil – auch den Standort des Liturgen vor dem Altar“ (240). Heid erwähnt m. W. allerdings nicht, dass der Papst im Petersdom, wenn er Richtung Kirchenvolk blickend an seinem Altar steht, nach Osten betet, da die alten Kirchen Roms wie auch der Petersdom gewestet sind. Das Buch ist prachtvoll ausgestattet, viele Skizzen und Abbildungen verschaffen ein den Text erweiterndes Verständnis. Hofheinz, Marco (Hg.) unter Mitarbeit von Kai-Ole Eberhardt: Die Tradierung von Ethik im Gottesdienst. Symposiumsbeiträge zu Ehren von Hans G. Ulrich (EThD 26), LIT: Berlin 2019, 303 S. Den Gottesdienst als Ort von Ethik wieder ins Bewusstsein und ins Gespräch gebracht zu haben, ist ein Verdienst von Hans G. Ulrich. Er ist emeritierter Professor für Systematische Theologie mit Schwerpunkt Ethik in Erlangen ist und feierte 2017 seinen 75. Geburtstag. Ulrich hält fest, dass im Gottesdienst Ethik gelernt und tradiert wird. Dafür steht in erster Linie die Predigt, aber Ethik wird ebenso im Fürbittengebet relevant. Denn für Ulrich gilt: „Die Verbindung von christlichem Ethos und Gemeinde ist – in evangelisch-reformatorischer Tradition – darin begründet, dass sich die ethische Praxis dort aufhält, wo also die Gemeinde selbst als Geschöpf des Wortes in den Blick kommt.“ (2) Der Buchherausgeber Marco Hofheinz führt zunächst in Ulrichs Themensetzung ein; es folgen Explorationen konfessioneller Gottesdiensttraditionen: orthodox, römisch-katholisch, lutherisch, anglikanisch, reformiert, freikirchlich. Im zweiten Teil folgen Explikationen zur ethischen Traditionsbildung im Gottesdienst: zur traditio activa, zum politischen Gottesdienst der Kirche, zur Tradierung von Frieden, zum Gebet, zur Predigt. Im dritten Teil des Buches wird eine Replik von Hans G. Ulrich geboten mit der Überschrift: Traditio activa – vita passiva. Höltgen, Stefanie Maria: Gestalten eucharistischer Anbetung. Phänomenologische Analyse und theologische Reflexion (BDS 60). Echter: Würzburg 2019, 280 S. Die bis heute praktizierte eucharistische Anbetung hat sich wohl aus dem Bedürfnis entwickelt, die konsekrierte Hostie anschauen zu wollen. Davon versprach man sich Heil, denn die konsekrierte Hostie wurde als Viaticum verstanden und es wurde ihr auf diese Weise eine große Verehrung zuteil. Diese Entwicklung wird im 13 Jh. greifbar. „Überblickt man die Forschungsliteratur, dann fällt auf, dass es historische und liturgiewissenschaftliche Studien zum Aufbewahrungsort der Eucharistie, über Formen der eucharistischen Anbetung, über Orden und Gemeinschaften zur Pflege
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der eucharistischen Anbetung und über deren Zielsetzung (Sühne, Satisfaktion, Stellvertretung, alternative Lebensformen etc.) gibt, aber nur gelegentlich Aufsätze über die Theologie dieses zentralen geistlichen Vollzuges.“ (22) Um solch eine Theologie geht es Höltgen. Sie stellt exemplarisch vier Gestalten einer gelebten Theologie der eucharistischen Anbetung dar: Charles de Foucauld (1858–1916), Charles Péguy (1873–1914), Pierre Teilhard de Chardin (1881–19559), Edith Stein (1891–1942). Daran anschließend formuliert sie eine Skizze zu einer Theologie der eucharistischen Anbetung, in der Elemente der Christologie, der Soteriologie, der Ekklesiologie und Eschatologie miteinander verbunden werden, wobei die Ekklesiologie die umfänglichste Beachtung erhält: Die Kirche ist der mystische Leib Christi, die Kirche ist als Sakrament nicht identisch, aber untrennbar mit Christus verbunden, die Eucharistie ist Quelle der Katholizität der Kirche und ist Quelle des sensus fidei und des consensus fidelium. Eine Zusammenfassung bildet den Abschluss der Untersuchung. Klie, Thomas / Kühn, Jakob (Hg.): Bestattung als Dienstleistung. Ökonomie des Abschieds. Kohlhammer: Stuttgart 2019, 176 S. Aufgrund des Titels mag man befürchten, dass nun auch die Bestattung immer mehr unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet wird und selbst noch die Predigt diesen Maßstäben zu gehorchen hat. Solche Abwehr ist menschlich verständlich, aber doch eher als unbegründet zu betrachten: Jede Pfarrperson weiß, dass eine Beerdigung Geld kostet, dass ökonomische Gesichtspunkte bei der Auswahl von Sarg, Blumen, Grab, Grabstein etc. eine Rolle spielen. Nur die Pfarrperson „scheint“ kein Geld zu kosten – was aber die Realität verschleiert: Zwar wird die Pfarrperson nicht direkt für diese Dienstleistung bezahlt, wie z. B. ein freier Redner, aber über die Kirchensteuer wird eine Pfarrperson sehr wohl bezahlt. Auch die Kollekte, die am Ausgang einer Bestattung erbeten wird, hat ökonomischen Charakter. Und die Trauernden erwarten eine gute, persönliche, würdevolle Bestattung – auch hier sind Erwartungen vorhanden, die die Tätigkeit der Pfarrperson bewerten, in denen auch Maßstäbe aus der ökonomischen Welt zum Tragen kommen. Haben Pfarrpersonen die Sorge, dass nun unter diesen Erwartungen die rechte Lehre nicht mehr zum Zuge kommen kann, so ist diese Furcht eher einer Verschiebung der Erwartungshaltung zuzuschreiben, wie Manfred Josuttis schon 2004 schrieb: „Nicht mehr die Verfälschung des Wortes Gottes, sondern die Enttäuschung menschlicher Ansprüche ist jetzt das Problem.“ (11) Die Herausgeber machen in ihrem Vorwort deutlich, dass ja auch die Tätigkeit einer Pfarrperson als Dienst bezeichnet wird (nach CA 5). In dieser Gemengelage bewegt sich die pastorale Tätigkeit; wohl nur diejenigen müssen ökonomischen Zwängen nicht unterliegen und sie bedienen, die diese Zusammenhänge durchschauen und den eigenen Dienst daraufhin gestalten. Die Beiträge des Buches, die auf eine Tagung zurückgehen, werden unter folgenden Kapitelüberschriften dargeboten: Ökonomie und Religion, Rede und Seelsorge, Friedhof und Marketing. Die Diskussion der Tagung lässt erkennen, dass die Begriffe ‚Dienstleistung‘, ‚Würdevoll‘ und ‚Ort‘ jene „Räume“ sind, die das Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Perspektiven und Interessen spezifizieren und die Veränderungen der Bestattungskultur kennzeichnen. Kluger, Florian: Liturgische Bildung in der Neuzeit. Taufe, Firmung und Eucharistie bei P. Nikolaus Cusanus SJ, Bischof Joseph A. Gall und Pastor Konrad Jakobs (StPaLi 43). Friedrich Pustet: Regensburg 2019, 371 S. Kluger untersucht an den drei genannten Personen, wie liturgische Bildung anhand von Taufe, Firmung und Eucharistie verstanden wurde. Es geht nicht darum, dass liturgisches Mitfeiern bildet, sondern dass über die Liturgie Bildung gegeben wird. Darum beginnt die Untersuchung mit einem historischen Abriss über liturgische
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Bildung, wie sie z. B. in Klöstern, in Schulen, in Liturgieerklärungen etc. zu finden ist. „Ziel dieser Arbeit ist es, […] historische Zeugnisse liturgischer Bildung auf ihre Inhalte und auch methodischen Ansätze hin zu analysieren, um einen vertieften Einblick in theologie- und liturgiegeschichtliche Zusammenhänge zu bekommen und um zu zeigen, dass und inwieweit Liturgie und die Auseinandersetzung mit der Liturgie – wie es im Bereich der liturgischen Bildung geschieht – Ausdruck einen bestimmten (Vor-)Verständnisses gottesdienstlicher Vollzüge ist, welches dem geschichtlichen Wandel unterworfen ist. Im Vordergrund steht hierbei die Auseinandersetzung auf der Inhaltsebene.“ (32) Grundlage der Untersuchungen ist die ‚Christliche Zuchtschul‘ des Trierer Jesuiten Nikolaus Cusanus (1574–1636), der in der Zeit nach dem Trienter Konzil ein katechetisches Handbuch verfasste, das sich über weite Strecken dem gottesdienstlichen Leben widmete. Aus der Aufklärungszeit werden die liturgischen Lehrbücher ‚Andachtsübungen, Gebräuche und Ceremonien der katholischen Kirche‘ des Linzer Bischofs Gall (1748–1807) herangezogen, der viele Jahre lang als Katechet gewirkt hat. Aus der Gemeindearbeit werden die Pfarrbriefe und in Zeitungen publizierten Beiträge des Pastor Konrad Jakobs (1874–1931) ausgewertet, die er zu liturgischen Themen für seine Gemeinde in Mülheim an der Ruhr verfasst hat. Deutlich wird bei allen drei Personen, dass sie nicht „die“ Liturgie erklären wollen, sondern im Kontext ihre Zeit und aufgrund ihrer didaktischen Vorentscheidungen bestimmte Perspektiven einnehmen. So erklärt Cusanus die Liturgie aus der Gnadenvermittlung heraus, was ja ein Thema der Gegenreformation gewesen ist. Bei Gall, der während der Aufklärungszeit lebte, dient die Liturgie dazu, den Menschen mit Moral zu verbessern und Glauben und Vernunft einander zuzuordnen. Bei Jakobs ist die Liturgie Ausdruck der lebendigen Christusbeziehung, und sie dient dem Gemeindeaufbau, so dass deutliche Einflüsse der liturgischen Bewegung zu erkennen sind. Koll, Julia / Drews, Albert / Dahling-Sander, Christoph (Hg.): Kulturkirchen. Kohlhammer: Stuttgart 2019, 256 S. In den letzten 20 Jahren sind in Deutschland sogenannte Kulturkirchen entstanden. Der Begriff ‚Kulturkirchen‘ wird unterschiedlich verwendet: Zum einen sind damit Kirchengebäude gemeint, die profanisiert wurden und nun für kulturelle oder kommerzielle Veranstaltungen genutzt werden. Zum anderen ist damit eine kirchliche Kulturarbeit bezeichnet, die einen Schwerpunkt in der Arbeit einer traditionellen Ortsgemeinde darstellt. Die in diesem Band vorgestellten und reflektierten Kulturkirchen sehen sich als einen neuen Typus profilkirchlicher Arbeit, der im Zusammenhang der Kirchenentwicklung zu verstehen ist. Sie ähneln den Citykirchen. Dabei orientiert sich die kulturkirchliche Arbeit mehr an thematischen Formaten als an gemeindlichen Versorgungs- und Gemeinschaftsidealen. Auch eine Kooperation mit außerkirchlichen Partnern zeichnet diese Arbeit aus. Kulturkirchen wirken also in den binnenkirchlichen Bereich hinein und machen zugleich die kirchliche Kulturarbeit für die Öffentlichkeit sichtbar und wirksam. Zuerst werden vier Kulturkirchen mit ihrem Ort und ihrer Umgebung sowie ihrem Programm vorgestellt. Der zweite Teil befasst sich mit den Kulturkirchen als Element der Kirchenentwicklung, was die Beiträge in kirchentheoretischer und lebensweltlicher Perspektive, im Zusammenhang der Strukturreform sowie auch aus dem Interesse am Publikum mit empirischer Perspektive ausführen. Der dritte Teil befasst sich mit theologischen Perspektiven. Johann Hinrich Claußen, der EKD-Beauftragte für Kultur, legt grundsätzliche Gedanken zu den Kulturkirchen vor; weitere Autoren beziehen sich auf die künstlerische Arbeit, auf die Bildungsarbeit, auf das geistliche Leben und ebenso auf die Liturgie. Der letzte Teil befasst sich mit kulturpolitischen
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Perspektiven. Es geht um die Förderung von kirchlicher Kulturarbeit, um die Kirchen musik, um die Breitenkultur im ländlichen Raum und um die Kulturpolitik an sich. Kühn, Jonathan: Klanggewalt und Wir-Gefühl. Eine ethnographische Analyse christlicher Großchorprojekte (PTHe 157). Kohlhammer: Stuttgart 2018, 483 S. In den Zusammenhang des Forschungsprojekts Gemeinde auf Zeit gehört auch diese Untersuchung. Sie fragt, ob ein Riesenchorprojekt als Erlebnis auch eine Gemeinde auf Zeit ist. Zwei Projekte werden untersucht: der MassChoir beim Gospelkirchentag in Kassel 2014 und das Musical Amazing Grace in Ludwigsburg 2014. Jonathan Kühn hat an den Projekten selbst teilgenommen, hat Interviews mit anderen Teilnehmenden geführt, Videomitschnitte analysiert etc. Seine Kernfrage lautet: „Ereignet sich im Rahmen solcher christlicher Chorprojekte Gemeinde(leben), ist also das emotional – zuweilen höchst – aufgeladene Gemeinschaftserleben über einen stark begrenzten Zeitraum eine Form gemeinsamen Feierns und Ausdrückens des christlichen Glaubens? Und welche Kriterien könnten als konstituierend gelten, damit eine Riesenchorgemeinschaft aus theologischer Perspektive – neben formalen und strukturellen Aspekten – als christliche Gemeinde respektive als Teil von Kirche gelten kann?“ (18) Kühn untersucht zunächst einmal, was überhaupt unter dem Begriff Gemeinde zu verstehen ist und welche Rolle Musik bei der religiösen Erfahrung spielt; anschließend wird das Forschungsdesign dargelegt. Es folgt die Darlegung der Untersuchungsergebnisse zu den beiden Riesenchorprojekten. Für die Teilnehmenden entstanden durch das Singen von christlichen Liedern Gemeinschaftsgefühl, intensives emotionales Erleben, Geborgenheits- und Harmoniegefühle etc. Gleichwohl hält Kühn fest, es sei beileibe nicht alles empirisch erklärbar, was erlebt wurde. Die Interviews mit einzelnen Teilnehmenden zeigen, wie disparat das Erleben sowohl in Bezug auf die eigene Biographie wie auch auf die Nachwirkung des Erlebten gewichtet werden muss. Beide Projekte können aber als ‚Gemeinde auf Zeit‘ definiert werden, „als leibliche Versammlung von Menschen, die intensive musikalische und religiöse Erfahrungen machten, Vergemeinschaftung und Kommunikation des Evangeliums erlebten und in all dem Anteil hatten an einer räumlich und zeitlich begrenzten Manifestation von Kirche, die eingebettet in die Gesamtkirche sich in Ludwigsburg ereignete, zwar wie beim MassChoir in Kassel prinzipiell flüchtig und situativ, allerdings stärker mit dem Alltag der Beteiligten verbunden.“ (426) So plädiert Kühn dafür, dass es neben der traditionellen Gemeinde auch andere kirchliche Orte gibt, wie eine Gemeinde auf Zeit. Sie können nicht gegeneinander, sondern nur miteinander als das Gesamt der Kirche theologisch bewertet werden können. Kunz, Ralph / Moser, Félix: Liturgie und Ökumene. Jean-Jacques von Allmen (1917–1994) und die liturgische Bewegung in der Westschweiz (Praktische Theologie im reformierten Kontext 17). TVZ: Zürich 2019, 85 S. Von Allmens Wirken und seine Vision vom reformierten Gottesdienst haben die Westschweiz geprägt. Sein im deutschsprachigen Bereich eher unbekanntes, weil in französischer Sprache geschriebenes Werk ist daher durchaus relevant, und so wurden einige prägnante Passagen aus seinem Buch Célébrer le salut ins Deutsche übersetzt. An diesen wenigen Textausschnitten ist erkennbar, was von Allmen im Sinn hatte und wie seine Prägung bis heute in der Westschweiz zu spüren ist. Interessant ist seine Nähe zur Gemeinschaft von Taizé, die Frère Charles-Eugène von Taizé nachzeichnet. Moser gibt eine Einführung in von Allmens Denken und zur Rezeptionsgeschichte seiner Theologie, der Katholik Prétot würdigt sein Wirken für eine liturgische Theologie. Kunz hebt die Bedeutung des Abendmahls hervor: Von Allmen vertrat einen substanziellen Ansatz – das Abendmahl wird nicht gestaltet, sondern
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gefeiert! –, wohingegen der derzeitige Ansatz in aller Liturgie eine Gestaltungsaufgabe sieht. Zwischen beiden Anliegen vermittelt Kunz mit dem Leitbegriff der Kommunikation des Evangeliums und sieht die Einheit der Kirche mit ihrer Vielfalt (und nicht mit ihrer Vielheit) weiterhin und unabhängig von jeweiligen Konzepten als mögliches Ziel an. Lamparter, Hanne: Gebet und Gottesdienst. Praxis und Diskurs in der Geschichte des Ökumenischen Rates der Kirchen. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2019, 614 S. Die ökumenische Bewegung zeichnete sich von Anfang an durch das Gebet um die Einheit und durch die gemeinsame Feier von Gottesdiensten und Andachten aus, die Christen verschiedener Konfessionen und ganz unterschiedlicher Regionen und Kulturen der Erde zusammenführten. Bei den Vollversammlungen des ÖRK und den Weltkonferenzen der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung waren große Eröffnungs- und Schlussgottesdienste selbstverständlich. Damit waren sie zugleich aber auch immer Anlass zu zum Teil erheblichen Auseinandersetzungen, so dass Bestrebungen zur Einheit wie zur Trennung und Krisen deutlich zu Tage traten. Methodisch geht Lamparter so vor, dass sie die 16 ökumenischen Konferenzen von Beginn der ökumenischen Bewegung in Edinburgh 1910 bis zur 8. Vollversammlung des ÖRK in Harare 1998 untersucht. Sie bezieht die liturgischen Feiern, die Diskussionen dazu sowie Erlebnisberichte in die Darstellung mit ein. So „wird die liturgische Praxis in Konzeption, Durchführung und Wahrnehmung analysiert sowie nach ihrem theologischen Bedeutungsgehalt gefragt.“ (32) Das Ergebnis ist, dass Gebet und Gottesdienst zugleich ein Zeichen für die Einheit in Christus sind als auch Zeichen der Trennungen unter Christen und Kirchen. Beim Feiern kommt das gemeinsame Erbe ebenso ans Licht wie auch die grundsätzlichen Verschiedenheiten im Verständnis von Gebet und Gottesdienst, mithin also der Liturgie. Stießen bei den ersten Konferenzen die Gebete und Gottesdienste auf Begeisterung, die Unterschiede wurden eher als Bereicherung wahrgenommen, so mehrten sich doch die Stimmen, die auf die Unterschiede aufmerksam machten, über die man einfach hinweg gehen konnte. Mit der Gründung des ÖRK nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte eine Neuorientierung, das in den Jahren zuvor gewonnene gemeinsame Gebet- und Liedgut sorgte für eine gewisse ökumenische Identitätsbildung. Die von der Liturgie stark geprägten Gebete und Gottesdienste wichen einfachen Feierformen, in den 60er-Jahren kamen Gesichtspunkte hinzu, die z. B. eine gerechte Gesellschaft in den Blick nahmen. Bei der Vollversammlung in Uppsala 1968 nahm der Konflikt zwischen jenen, die sich weiterhin mit der Sakramentenlehre und der Eucharistie befassen wollten und jenen, die sich mit dem Gottesdienst ihn der säkularen Welt auseinandersetzen wollten, zu. Der Gottesdienst wurde zu einem Streitthema. Bei der Vollversammlung in Nairobi 1975 waren Gottesdienste davon gekennzeichnet, dass Alltagsleben und Gottesdienst zusammengehörten. Gleichwohl ging der Diskurs über eine Möglichkeit des gemein samen Feierns trotz der Unterschiede mit Erfolg weiter, wie die Lima-Liturgie zeigt, die in Vancouver 1983 und in Canberra 1991 gefeiert wurde. Die Auseinandersetzungen über sie wurden aber so erheblich, dass sie nicht mehr die offizielle Liturgie der ökumenischen Bewegung ist. Sieht man all die Entwicklungen zusammen, so thematisiert Lamparter zwei Spannungsfelder: Die Gottesdienste werden als Quelle für die zu erstrebende Einheit angesehen, zugleich sind sie auch Anstoß zu Auseinandersetzungen und Profilierungen bis hin zu Verweigerung der Mitfeier. Das zweite Spannungsfeld ergibt sich aus der liturgischen Feier und dem ökumenischen Diskurs über den Gottesdienst, die nicht immer ausreichend aufeinander bezogen waren. Lamparter hält fest, dass Gottesdienst immer nur konkret und an einem bestimmten
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Ort zu einer bestimmten Zeit sein kann. „Und so steht inmitten aller irdischen Vorläufigkeit eines fest: Christlicher Gottesdienst ist per se ökumenischer Gottesdienst, weil er in dem gründet, der über alle Zeiten und Orte und Konfessionen hinweg Schöpfer, Erlöser und Vollender der gesamten Welt ist. Sich hiervon im ökumenischen Miteinander inspirieren zu lassen, öffnet neue Perspektiven.“ (445) Lehwalder, Jürgen: Ortsgemeinde im Übergang. Fusionen von Kirchen in kasualtheo retischer Perspektive. Kohlhammer: Stuttgart 2019, 318 S. Ortsgemeinden werden zu größeren Gemeinden fusioniert, Kirchengebäude und Gemeindehäuser werden aufgegeben. Das sind oftmals mühsame und auch schmerzhafte Prozesse. Lehwalder analysiert diese Prozesse in kasualtheoretischer Hinsicht. Die Leitthese seiner Untersuchung lautet: „Die Gemeindefusion ist ein besonderer Fall, ein Kasus im Leben von zwei bzw. mehreren Kirchengemeinden. Um diesen Fall praktisch-theologisch zu deuten, wird eine kasualtheoretische Interpretation als erweiternde Dimension des organisationslogischen Verständnisses von Gemeinde fusionen vorgeschlagen. Die Gemeindefusion, als tiefer Einschnitt im Leben von zwei oder mehr Kirchengemeinden, ist eine Gemeindekasualie. Eine kasualtheologische Interpretation von Gemeindefusionen erlaubt einen neuen und damit erweiternden Blickwinkel auf die kirchlichen Reformmaßnahme Fusion.“ (43, im Original kursiv.) Lehwalder stellt die Gemeindefusionen zunächst in den Kontext von gegenwärtigen Reformdebatten, so z. B. das EKD-Impulspapier „Kirche der Freiheit“. Er stellt dazu zwei kritische Positionen dar und beschreibt daraufhin, dass eine Gemeindefusion ein Raumgeschehen ist. Dem folgen umfangreiche kasualtheoretische Überlegungen, in denen die Gemeindefusion als Kasualie in der Lebensgeschichte einer Kirchengemeinde, die Fusion aus der Perspektive der kirchlichen Organisationsberatung, die damit verbundene Entwidmung von Kirchengebäuden sowie Impulse aus verschiedenen zeitgenössischen Kasualtheorien zur Sprache kommen. Anschließend werden Fusionsgottesdienste analysiert in Bezug auf ihre Liturgie und Predigt. Ein Kapitel bündelt den Ertrag. In Kürze: Dem Fusionsgottesdienst fehlt ein Kernritus, der die Fusion als vollzogen erleben lässt. Meist wird nur auf die Lebensgeschichte der Gemeinde zurückgeblickt, aber keine Zukunftsperspektive eröffnet. In der Liturgie einer Kirchenentwidmung wird erlebt, wie z. B. das Altarkreuz, die Bibel etc. aus der Kirche getragen werden und die Kirchentür abgeschlossen wird. Nun ist die Kirche entwidmet. Solch ein Ritus fehlt bei Fusionsgottesdiensten. In gemeindetheologischer Perspektive hebt Lehwalder hervor, dass es sich bei einer Fusion um keinen Gemeindeentwicklungsprozess handelt, sondern um eine Gemeindeneugründung. Für Gemeindepfarrer ist dieser Prozess besonders prekär, weil die Veränderungsprozesse oftmals Kränkungen der Gemeindemitglieder hervorrufen. Und da Pfarrpersonen Repräsentanten der Landeskirche, Seelsorger, Liturgen und Prediger, Dienstvorgesetzte etc. in einer Person sind, werden sie als Täter und Opfer wahrgenommen und kommen sich manchmal selbst auch genauso vor. Die Pfarrpersonen erfahren bei dieser Kasualie eine Rollendiffusion, die sie bei anderen Kasualien nicht erfahren. Martin, Tanja: Die Sozialität des Gottesdienstes. Zur sozialen Kraft besonderer Gottesdienste (PTHe 158). Kohlhammer: Stuttgart 2019, 396 S. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Gemeinde auf Zeit“ untersuchte Tanja Martin drei ganz unterschiedliche Gottesdienste auf ihre soziale Kraft hin: die „Nachtschicht“, bei der es sich um einen diskursiven Gottesdienst handelt, der im Raum Stuttgart beheimatet ist und – wie der Name zum Ausdruck bringt – abends begangen wird; einen Motorradgottesdienst, mit dem alljährlich die Motorradsaison eröffnet wird; und den Mittwochmorgen-Gottesdienst, einen ausgeprägt liturgischen Uni-
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versitätsgottesdienst, der in der Heidelberger Universitätskirche am Mittwochmorgen ab 7 Uhr gefeiert wird. Martin ist der sozialen Kraft solcher Gemeinden auf Zeit auf der Spur, die sich von den herkömmlichen Gemeinden zum einen darin unterscheiden, dass sie teilweise alternative Gottesdienstelemente aufweisen und dass in ihnen das Soziale des Gottesdienstes zeitlich begrenzt wirken kann – im Gegensatz zu einer Ortskirchengemeinde, deren Mitglieder an einem Ort wohnen und sich gegebenenfalls seit vielen Jahren kennen und entsprechende Sozialitäten ausgebildet haben. Gemeinden auf Zeit sind dagegen eher als Zielgruppengottesdienste bzw. Zielgruppengemeinden zu verstehen. Ausgehend vom sozialen Wesen des Menschen, untersucht Martin empirisch und mit ethnographischer Grundierung, wie Teilnehmer diese Gottesdienste erleben und reflektieren. In der Einleitung führt sie in die Thematik ein und stellt das methodische Instrumentarium vor. Anschließend werden die drei Gottesdienstarten aus empirischer Sicht vorgestellt und analysiert, woraufhin Martin im dritten Teil den praktisch-theologischen Ertrag und die praktisch-theologische Perspektive darlegt. Die Komparation der so unterschiedlichen Gottesdienste zeigt: „Trotz unterschiedlicher Sozialgestalten, gottesdienstlicher Formen und Angebotsstrukturen können in den unterschiedlichen besonderen Gottesdiensten vergleichbare Sinnzuschreibungen und Resonanzerfahrungen (re-)konstruiert werden. Hierzu gehören u. a. die Außeralltäglichkeit, die Selbstwirksamkeit, die Kontingenzbewältigung und der Perspektivenwechsel bzw. die Perspektivenveränderung.“ (356, auch im Original kursiv.) Martin fasst ihre Ergebnisse in Thesen zusammen: die Gesellungskräfte sind ganz ähnlich, trotz der ganz unterschiedlichen Gottesdienstarten; sie können nicht an spezifischen Partizipations- oder Sozialformen festgemacht werden; nicht die Gemeinde, sondern der Gottesdienst schafft aus empirischer Perspektive Gemeinde. Daraus ergibt sich ein besonderes Beziehungsnetzwerk, so dass Gemeindlichkeit „ein dynamisches, fluides, temporäres, ereignishaftes und unverfügbares Beziehungs geschehen“ (357) darstellt. Meißner, Wilfried: Erwachsenentaufe im Zeitalter von Konfessionslosigkeit. Eine qualitativ-empirische Untersuchung zu ihrem lebensgeschichtlichen Zustandekommen und ihrer Bedeutung. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2019, 397 S. Wie kommt es dazu, dass sich Erwachsene in Ostdeutschland taufen lassen, die in einem konfessionslosen Umfeld aufgewachsen sind? „Wenn die Taufe nicht auf einer vorübergehenden Laune oder berechnendem Kalkül beruht, so ist diesbezüglich mit einer Veränderung des weltanschaulichen Herkunftshorizontes zu rechnen und somit die Frage aufgeworfen, auf welche Weise sich aus einem säkularen Sozialisations hintergrund heraus das Vorhandensein eines religiös-weltanschaulichen Orientierungsrahmens entwickelt, der in der Taufe institutionell profiliert wird.“ (11) Die Studie ist wie folgt aufgebaut: Zuerst werden einschlägige Forschungsergebnisse vergegenwärtigt, dann wird die Methodik dieser Untersuchung dargelegt. Die empirischqualitative Studie nutzt eine sprachwissenschaftlich-rekonstruktive Herangehensweise, das narrativ-biographische Interview steht im Zentrum, soziologische und sprachwissenschaftliche Analysen bringen entsprechende Daten hervor, die auf eine Struktur hin untersucht werden. Ein kumulatives Prozessmodell veranschaulicht, wie fallübergreifend Bedeutungsstrukturen sichtbar werden. Im zweiten Teil werden die Interviews dargestellt und ausgewertet. Es zeigt sich, dass desintegrative Erfahrungen in Bezug auf den säkularen Sozialisationshintergrund wichtige Wegmarken sind, die zu einer religiösen Neuausrichtung und Vereindeutigung führen; gruppenbezogene Erfahrungen durch Teilnahme am kirchlichen Leben führen aufgrund lebensgeschichtlicher Dringlichkeit zur Erwachsenentaufe.
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Meurer; Wolfgang: Die Wort-Gottes-Feier als sacra celebratio. Ein nicht ausgeführter Beschluss des Konzils (PTHe 167). Kohlhammer: Stuttgart 2019, 452 S. Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Wort-Gottes-Feier in besonderer Weise gewürdigt und hatte die Absicht, diese Feiern als selbstständige Feierform erneut im Liturgiealltag zu verankern. Das ist aber bis heute nicht geglückt, denn eine WortGottes-Feier wird oftmals als Ersatz für eine Eucharistiefeier angesehen. Das wird augenfällig, wenn Priester fehlen, so dass die Eucharistiefeier nicht begangen werden kann und stattdessen ein Pastoralassistent die Wort-Gottes-Feier leitet. Das Konzil hatte festgehalten (SC 35,4): „Zu fördern sind eigene Wortgottesdienste an den Vorabenden der höheren Feste, an Wochentagen im Advent oder in der Quadragesima, sowie an den Sonn- und Feiertagen, besonders da, wo kein Priester zur Verfügung steht; in diesem Fall soll ein Diakon oder ein anderer Beauftragter des Bischofs die Feier leiten.“ (13) Meurer untersucht zuerst diesen Artikel SC 35,4 anhand seiner Vorgeschichte, dann den Konzilstext selbst und auch den Zusammenhang mit der gesamten Liturgiekonstitution. Er hält fest, dass Wort-Gottes-Feiern im Sinne von SC 35,4 Liturgie der Kirche sind, sie sind zusätzliche Gemeindegottesdienste und konkurrieren nicht mit der Tagzeitenliturgie. Sie sind eigenständiges Handeln des Corpus Christi mysticum und kein Ersatz für die Sonntagsmesse. Nachdem Meurer die Rezeption von SC 35,4 dargestellt hat, zeichnet er die praktische Umsetzung der Wort-Gottes-Feier im deutschen Sprachgebiet nach. Abschließend werden Ergebnis, Herausforderungen und Perspektiven formuliert. Meurer macht darauf aufmerksam, dass diese selbstständige Liturgieform „einer Antwort auf die Herausforderungen an eine missionarische Kirche heute“ ist (406). Meyer-Blanck, Michael: Das Gebet. Mohr Siebeck: Tübingen 2019, 435 S. Michael Meyer-Blanck berichtet im Vorwort, dass er auf die Frage seines Kollegen Michael Wolter, welche gegenwärtige evangelische Gebetslehre er denn empfehlen könne, nicht habe antworten können, weil es sie schlichtweg nicht gebe. Und das 100 Jahre nach dem bahnbrechenden Werk über das Gebet von Friedrich Heiler. Damit war der Anstoß zu diesem Buch gegeben. Meyer-Blanck geht es in seinem Werk nicht nur um das Beten als Vorgang, sondern auch um das Gebet als religiösen und theologischen Gegenstand, damit also um eine kulturelle Realität. Insofern kann das Gebet nur mehrperspektivisch beschrieben werden, wenn es als Phänomen in seiner historischen Entwicklung und mit systematischen Überlegungen erfasst werden soll. „Es geht um die Verbindung von Einsichten der Überlieferung mit aktuellen Entwicklungen in wahrnehmender, urteilender und schließlich auch in handlungsleitender Vorgehensweise. Das alles umfasst den Inhalt eines Lehrbuches zu einem existenziell und kulturell bedeutsamen Gegenstand.“ (2) Es handelt sich hier somit um eine „evangelische“ Gebetslehre. Das „Evangelische“ meint allerdings, dass diese Gebetslehre „sich auf das Evangelium bezieht, wie es die Christenheit im Lesen und Verstehen der Bibel Alten und Neuen Testaments erschließt und erfährt. Das ‚Evangelische‘ bezieht sich also nicht primär auf ein bestimmtes (das protestantische) Kirchentum.“ (4) Das gesamte Werk ist aus der Perspektive der conditio humana geschrieben, so dass die Erfahrungen mit der Vergangenheit und die Erfahrungen wie auch die Fragen der Gegenwart der Ausgangspunkt dieser Darstellung sind. Gebet wird als ein Akt der Freiheit verstanden, in dem die Freiheit wie die Abhängigkeit des Betenden zu Bewusstsein kommen. Denn Freiheit ist gegeben und wird gewährt, sie wird vom Menschen bzw. vom Betenden selbst verantwortet, aber sie ist nicht selbst gemacht. „Das Beten ist damit ein Akt der über sich selbst aufgeklärten Freiheit.“ (8) Das erste Kapitel stellt als Prolegomena die philosophischen und sozio-kulturellen
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Bedingungen und die reformatorischen Grundentscheidungen zum Gebet vor, dazu gehören auch Darstellungen zum Ritual des Gebets, zum Gottesdienst als öffentliches Gebet der Christenheit und der pastoraltheologische Aspekt, wenn Beten als Beruf qua Amt einer Pfarrperson erörtert wird. Das zweite Kapitel nimmt die Vielfalt der evangelischen Gebetspraxis zum Thema, indem die Relationalität, die Frömmigkeit, der Choral, der Raum, die Kunst, das Naturerleben, die Gesundheit und die Leiblichkeit des Betens zur Sprache kommen. Das dritte Kapitel widmet sich der Geschichte des Gebets unter dem Vorzeichen des Verstehens, was geworden ist: das Gebet in der Alten Kirche, im Mittelalter, in der Reformationszeit, während der Aufklärung, während des Pietismus und im 19. Jh. Das vierte Kapitel legt eine evangelische Lehre vom Gebet vor. Zuerst wird die neuere theologische Literatur des 20. Jh.s erörtert und der Psalter als Modell des christlichen Betens vorgestellt, danach geht es um die Orientierung am Vaterunser und am Neuen Testament, um die Suche nach dem Gebet und um das Gebet als Suche; das Gebet als Quelle der Gottesvorstellung, das Beten in gegenwärtiger denkerischer und biblischer Verantwortung, das Gebet als implizierte Anthropologie, als Quelle von Ethos und Ethik, die Frage nach der Gebetserhörung und das Gebet zu Jesus Christus werden dargestellt. Das fünfte Kapitel stellt die Gestalt des evangelischen Betens vor: Empirie, Sprache, Beten lernen, Entwicklungspsychologie, Krise des Lebens, Seelsorge, die Predigt als Nach- und Vorbereitung des Gebets, Formen des liturgischen Gebets, Tagzeitengebet, digitale Medien, multiund interreligiöses Gebet. Ein abschließender Ausblick hebt das Gebet als Thema der Theologie hervor. „Grundlegend wird das Gebet in diesem Buch als ein Akt der Freiheit verstanden, bei dem der Mensch sich des Charakters der eigenen Freiheit als einer verdankten bewusst wird und dadurch ein besonderes Verhältnis auch zur eigenen Zeitlichkeit gewinnt. Dabei ist das Gebetserleben durch Aktivität und Passivität sowie durch Unmittelbarkeit und Reflexion gekennzeichnet. Gerade diese beiden Polaritäten halten die Gebetserfahrung lebendig und dürfen darum nicht zugunsten einer der beiden Seiten aufgelöst werden.“ (10) Pius-Parsch-Institut (Hg.): Protokolle zur Liturgie. Veröffentlichungen der Liturgiewissenschaftlichen Gesellschaft Klosterneuburg, Bd. 8 (2018/2019). Echter: Würzburg 2019, 203 S. Der erste Teil des Bandes bietet liturgiewissenschaftliche Beiträge: Andreas Redten bacher erörtert ein mögliches liturgiewissenschaftliches Konzept, Marco Benini schreibt über liturgische Bibelhermeneutik, Andrea Ackermann über frühe Bemühungen um ein österreichisches Einheitsgesangbuch, Matthias Beck stellt Liturgie und Sakramente in Beziehung zur menschlichen Entwicklung. Der zweite Teil dokumentiert Predigten und Ansprachen zu besonderen Gelegenheiten; diese stellen sozusagen Liturgie in Kontexten dar. Puszcz, Teodor: Das liturgische Gebet für Reisende und Pilger sowie Seefahrer. Ein Überblick bis zur Tridentinischen Liturgiereform (Ästhetik – Theologie – Liturgik 71). LIT: Berlin 2019, 605 S. Reisen und Pilgern sind menschliche Verhaltensweisen, die sich immer und überall zeigen. Seien es Abraham oder Mose, sei es Jesus – so findet sich die Kirche auch auf der Reise durch die Zeit wieder. In Anlehnung daran gab und gibt es bis heute religiöse Pilger- oder Wallfahrten, die aus dem Glauben entstanden sind. Sie werden mit Gebeten und Segen begleitet. In dieser Untersuchung wird das Gebet für Reisende und Pilger dargestellt, das sich in den westlichen, liturgischen Quellen von Beginn der Aufzeichnungen im 8. Jh. an bis zur Tridentinischen Reform im 16. Jh. finden lässt. Zuallererst führt Puszcz in das Phänomen des Reisens in der Antike, in Christentum
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und Judentum ein, um dann einzelne Momente des religiösen Reisens darzustellen: die Pilgerwege, die Motive der Pilger, Kleidung und Ausrüstung, Pilgerlieder etc. Es werden römische und nicht-römische Sakramentare untersucht, dabei zeigt sich, dass es neben Orationen auch besondere Gabengebete und Schlussgebete für die Messfeier für Reisende gibt. Anschließend werden Ponifikalien und Benediktionalien untersucht, erwartungsgemäß finden sich Texte für die Segensfeiern vor der Abreise wie nach der Rückkehr von einer Reise. Hinzu kommen Texte für Votivmessen. In Plenarmissalien werden Messformulare vorgelegt, in die Texte für Reisende und Pilger eingefügt werden können. Eine Seltenheit ist die Missa pro navigantibus des handschriftlichen Missale Beneventanum aus Italien (11. Jh.), weil es sich um ein vollständiges Messformular für Seefahrer handelt. Die Ritualien halten erwartungsgemäß Orationen und Segenstexte für Pilger und Reisende bereit. Des Weiteren werden spezielle Votivmessen und Offizien untersucht, die zu Ehren des hl. Jakobus d. Ä., der Heiligen Drei Könige, des hl. Raphael, des hl. Julianus, der hl. Vierzehn Nothelfer und des hl. Christophorus gefeiert werden, weil sie Patrone für Reisende, Pilger und Seefahrer sind. In dem Liber sancti Jacobi sind die Begleitformeln für die Übergabe von Pilgertasche und Pilgerstab interessant. Diese Texte aus dem 12. Jh. wurden für den damals neuen Pilgerweg nach Compostela verwendet. Die Untersuchung schließt eine Zusammenschau der liturgischen Elemente: welche biblischen Lesungen wurden verwendet; welche Antiphonen und anderen liturgischen Gesänge, z. B. der Gesang vor dem Evangelium oder zur Gabenbereitung, stehen bereit; welche euchologischen Texte wurden wiedergegeben oder neu geschrieben. Die Texte zeigen einen Gott, der besorgt ist um Menschen in Grenzsituationen und auf die Bitten der Kirche hört. So kommen in anthropologischer Sicht die Gefahren der Reise zur Sprache, in ekklesiologischer Sicht das Element der Gemeinschaft der Kirche und in eschatologischer Sicht die Bitte um ewiges Leben bei Gott in der Gemeinschaft der Engel und Heiligen. Redtenbacher, Andreas / Schulze, Markus (Hg.): Sakramentale Feier und theologia prima. Der Vollzug der Liturgie als Anfang und Mitte der Theologie. Klosterneuburger Symposion 2018 (PPSt 16). Herder: Freiburg i. Br. 2019, 159 S. Mit diesem Band wird das dritte liturgiewissenschaftliche Symposion dokumentiert, das die Theologische Fakultät der Hochschule Vallendar und das Pius-Parsch-Institut für Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie Klosterneuburg veranstaltet haben. Es fand statt zu Ehren von Andreas Redtenbacher, der sein 40. Priesterjubiläum und seinen 65 Geburtstag feierte. Er ist Augustiner-Chorherr, Professor für Liturgiewissenschaft in Vallendar und Direktor des Pius-Parsch-Instituts. Die Beiträge sind vielperspektivisch von und auf die Liturgie bezogen: es werden dogmatische Erkenntnisse aus der Liturgie gewonnen; die gefeierte Liturgie stellt eine Herausforderung für die Dogmatik dar; überhaupt wird das Feiern der Liturgie als Hermeneutik für die Liturgiewissenschaft dargestellt. Die kontroverse Diskussion über die Sakramente auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil wird dargestellt, das liturgische Schriftprinzip als Angelpunkt einer theologia prima wird hervorgehoben und an das Beten bzw. an den Gebetsglauben Jesu erinnert und das Liturgiefeiern im byzantinischen Ritus erörtert. Roscher, Thomas: Liturgie – ein offenes Haus? Die Plauener Friedensgebete von 1989 und 1990. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2019, 519 S., 1 Übersicht. In diesem Buch werden zehn Friedensgebete rekonstruiert und untersucht, die in drei Plauener Kirchen von Oktober 1989 bis Frühjahr 1990 gefeiert wurden. „Diese Rekonstruktionen werden nach ihrer Quellenlage liturgiewissenschaftlich kommentiert und in einem eigens für liturgische Formate entwickelten Verfahren der sinn- und präsenzkulturellen Analyse unter zwei Ausgangsthesen paradigmatisch ausgewertet.“
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(25) Bei seiner liturgiewissenschaftlichen Kommentierung schließt Thomas Roscher sich dem Entwurf einer systematischen Liturgiewissenschaft an, die Reinhard Meßner vorgelegt hat. So werden die zehn Friedensgebete in liturgiehistorischer, liturgie systematischer und liturgiepragmatischer Perspektive kommentiert und der sinn- und präsenzkulturelle Anteil der einzelnen Gebetsteile wird erörtert. Mit der Sinn- und Präsenzkultur greift Roscher eine Unterscheidung von Hans Ulrich Gumbrecht auf, um mit beiden Perspektiven den Weltbezug der die Liturgie der Friedensgebete Feiernden aufzeigen zu können. Nach diesen Darlegungen zur Methodik der Untersuchung wird zuerst die Geschichte der Friedensandachten in Plauen nachgezeichnet, um dann die zehn Friedensgebete darzustellen. Jedes liturgische Stück wird gewürdigt und entsprechend der zugrunde gelegten Methodik kommentiert. Es folgen eine Bündelung und Nachlese der liturgischen Rekonstruktionen und ihre Kommentierung. Roscher erkennt z. B. zwei Phasen der Friedensandachten. Ihre politische Situation, auch die ideologiekritischen Komponenten werden hervorgehoben, theologische Positionen und liturgietheologische Anmerkungen benannt. Schließlich wird beschrieben, wie die Ritualgemeinschaft zwischen Christen und Nichtchristen in der zweiten Phase der Friedensgebete zerbrach. Es folgen Sinn- und Präsenzanalysen und das abschließende Kapitel beschreibt die Plausibilität und die Lebenswirklichkeit der Liturgie. Dabei kommen z. B. Wahrnehmungsfragen, Verfahren zur Qualitätssicherung wie Perspektiven für den evangelischen Gottesdienst zum Tragen. Die Literaturliste enthält nicht nur Publikationen, sondern auch Dokumentationen dieser Friedensgebete, Gesangbücher und Zeitschriften wie auch Filmdokumentationen. Runge, Wolfgang: Der Gottesdienst als Ort religiöser Erfahrung. Eine systematischtheologische Untersuchung über die Grundlagen religiöser Praxis im Anschluss an Eilert Herms (Schriften des Instituts für Theologie und Ethik der Universität der Bundeswehr München 6). LIT: Berlin 2019, 524 S. Die Frage, was eigentlich eine religiöse Erfahrung ist und was sie für den Einzelnen und dann auch für die Gesellschaft bedeutet, wird in vielen Facetten nicht nur in der Theologie debattiert. In diesem Buch aber bekommt sie eine eigene Relevanz, weil die religiöse Erfahrung im Gottesdienst oder mit dem Gottesdienst thematisiert wird. Ausgehend von dieser religiösen Erfahrung in Bezug auf die moderne Gesellschaft einschließlich der Berücksichtigung der eigene Entwicklung der modernen Gesellschaft und der damit zusammenhängenden Infragestellungen der Relevanz von Religion überhaupt (und damit auch Theologie, Kirche und Gottesdienst) hat sich Eilert Herms mit Blick auf eine systematisch-theologische Theologie des Gottesdienstes auseinandergesetzt. „Die subjektive Relevanz des Gottesdienstes für den Einzelnen als auch seine objektive Relevanz für die Gesellschaft als Ganze besteht in der Art der religiösen Erfahrung, die dem Menschen am Ort des Gottesdienstes zuteilwerden kann. Dies ist die These dieser Untersuchung. Mitten aus der kirchlichen Praxis heraus stellt sich damit die Aufgabe einer religionsphilosophischen, religionspsychologischen und theologischen Erhellung des Begriffs der religiösen Erfahrung. Sie ist der Ausgangspunkt dieser Untersuchung.“ (6) So legt Wolfgang Runge zunächst die Frage nach der religiösen Erfahrung im Gottesdienst dar. Daran anschließend bietet er einige praktisch-theologische Bestandsaufnahmen zum Erfahrungsbezug des Gottesdienstes im Urchristentum, bei Luther und Schleiermacher, dann im 20. Jh. bei Barths Wort-Gottes-Theologie, bei Peter Brunner, Ernst Lange, Wilhelm Gräb, Peter Cornehl, Manfred Josuttis und abschließend beim Evangelischen Gottesdienstbuch von 1999. Im Anschluss an diesen Überblick legt Runge aus dem Werk Eilert Herms’ jene Schriften und Gedanken dar, die die Erfahrung als konstitutiven Ermöglichungs-
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raum des Glaubens beschreiben und reflektieren; denn die Theologie von Herms ist eine Theologie der Erfahrung. Dabei kommen die Motivation und Zielrichtung der Frage nach der Erfahrung, sein Theologieverständnis, seine begriffsgeschichtliche Rekonstruktion des allgemeinen Erfahrungsbegriffs, die allgemeine Erfahrung und die religiöse Erfahrung, danach auch die religiöse Erfahrung und die christliche Offenbarung zum Zuge. Es folgt die gottesdienstliche Konzentration als religiöse Erfahrung, da Herms den Gottesdienst beschreibt als „regelmäßige Einkehr der Glaubenden in die Ursprungssituation des Glaubens“ (294). Runge schließt die Darlegung von Herms’ Auseinandersetzung mit Luther in Bezug auf dessen Verständnis vom Wort Gottes, der Kirche und den leibhaft vollzogenen Gottesdienst daran an, dann Herms’ Verständnis vom Wesen des Gottesdienstes in praxisanleitender Absicht und seine Fundamentalhomiletik unter der Überschrift ‚in Wahrheit leben‘. So wird Herms’ Beschreibung der Rolle des Gottesdienstes in der modernen Gesellschaft dargelegt. Danach wird Herms’ Werk gewürdigt und es werden Rückfragen an seine Erfahrungstheologie formuliert. Runge resümiert zum Abschluss der Untersuchung, den Gottesdienst in praktischer Hinsicht als Ort religiöser Erfahrung zu verstehen. Denn Herms’ Gottesdiensttheologie ist eine Theorie für die Praxis, die Aspekte einer subjekt- und erfahrungsbezogenen Gottesdienstkultur thematisiert, so dass Runge in seiner Untersuchung abschließend Elemente solcher subjekt- und erfahrungsorientierten Gottesdienstkultur hervorhebt: die unmittelbare Selbsterfahrung, das Gebet, die Predigt, das Abendmahl, die gottesdienstliche Kultur mit ihrer Musik, mit Bildern etc. Hinzu kommt, dass der Gottesdienst eingebettet ist in ein Ensemble von Bildungseinrichtungen, dass der Gottesdienst sich seiner Gesellschaftsrelevanz bewusst ist und sogar die Erfahrung des Humors ermöglicht. Sauer, Kathrin: Unterwegs mit Gott. Radwegekirchen, Gottesdienste im Grünen und christliche Reisen als Gelegenheit für „Gemeinde auf Zeit“ (PTHe 159). Kohlhammer: Stuttgart 2019, 410 S. „Gemeinde auf Zeit“ – das Forschungsprojekt umfasst auch drei Dissertationen (wie oben erwähnt unter Bubmann et al.) – wird Kathrin Sauer anhand der Radwege kirchen, der Gottesdienste im Grünen und der christlichen Reisen, z. B. an besondere Orte, und der Pilgerfahrten untersucht. Immerhin gibt es in der EKD seit 55 Jahren den Arbeitskreis für Freizeit, Erholung und Tourismus. Der erste Teil der Untersuchung setzt sich mit den theoretischen Vorüberlegungen auseinander, die sich im Freizeit- und Tourismusangebot der EKD finden. „Gemeinde auf Zeit“ markiert punktuell-selektives Verhalten in Gesellschaft und Kirche. In dieser Hinsicht wird das heutige soziale Verhalten im Allgemeinen, dann im Besonderen im Blick auf die Gemeinde untersucht, anschließend auch mit einem historischen Rückblick auf das Frühchristentum und bei Luther bis zur Gegenwart. Dann wird das Reiseverhalten in zahlreichen Facetten beschrieben. Der zweite Teil stellt empirisch fundierte Zugänge zur Wahrnehmung von Teilnahmeverhalten im Freizeit- und Tourismusbereich der EKD vor. War der erste Teil ein gemeindetheoretischer, so ist dieser Teil eine Analyse von qualitativer und quantitativer Befragung. Die Gespräche sind teilweise mit abgedruckt. Es werden Interviews mit Personen dargestellt, die eine Gemeindereise nach Israel unternahmen, die eine christliche Reise aus einem Katalogangebot auswählten, die Radwegekirchen auf ihrer Fahrradtour besuchten. Sauer analysiert auch die Anliegenbücher, die in Radwegekirchen ausliegen. Für die Gottesdienste im Grünen hat sie die quantitative Befragung mittels eines Fragebogens eingesetzt. Als Ergebnis des zweiten Teils hält sie fest, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer überwiegend älter als 50 Jahre alt sind, kirchlich sozialisiert wurden und auch Got-
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tesdienste besuchen. Das emotionale Erleben spielt eine große Rolle, die Ästhetik von Kirchen oder besonderen Orten wird hervorgehoben, sie stimuliert das religiöse Erlebnis. Es kommt zu neuen religiösen Transzendenzerfahrungen. „Insgesamt verbindet die befragten Personen das Erleben von Resonanzerfahrungen. Insgesamt verbinden die besuchten Orte durch ihren Bezug auf die christliche Tradition die Menschen durch alle Zeiten hindurch: Die Vergangenheit ist präsent durch christliche Symbole, Texte und Traditionen. Die eigene Präsenz vor Ort stellt einen in der Gegenwart in diese christliche Zeitkontinuität ein. Die Zukunft wird durch die das eigene Leben prägenden Erfahrungen beeinflusst und im Christentum unter anderem durch die eschatologische Hoffnung symbolisiert. So überschneiden sich diachrone Erfahrungen unterschiedlicher Zeitebenen mit der synchronen Erfahrung der punktuellen, zeitlich begrenzten Anwesenheit der befragten Personen an den von ihnen erlebten Orten.“ (347 f) Der dritte Teil der Untersuchung fragt, ob die exemplarisch empirisch untersuchten Angebote eine „Gemeinde auf Zeit“ darstellen. Gemeinde nach CA VII (Wortverkündigung und Sakramentsempfang) stellen am ehesten jene Erfahrungen dar, die auf christlichen Reisen gemacht werden, wenn Gottesdienste gefeiert werden, zumal meist Pfarrpersonen solche Reisen leiten. Dasselbe gilt auch für Gottesdienste im Grünen. „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in den Gottesdiensten im Grünen und auf den biblischen bzw. christlichen Reisen sich Gemeinde in theologischer Form vorfindet, die auf einem punktuell-selektiv genutzten Angebot basiert.“ (372) Dazu gehörten das Zusammenkommen an einem Ort, gemeinsame Teilnahme an einer Praxis, die meist vom kirchlichen Fachpersonal geleitet wird; es entsteht also eine Gemeinschaft bzw. eine Gemeinde auf Zeit. Gleichwohl ist dieser Gemeindebegriff nicht geeignet, um die Vielfalt von Transzendenzerfahrungen, die die befragten Personen zeigten, abzudecken. Um solche Erfahrungen zu ermöglichen, sind auch andere Formen als die des Gottesdienstes zu berücksichtigen. Aber vielleicht ist ja auch der Gemeindebegriff zu eng und muss um den der Kirche erweitert werden: „Demnach ist das Gefühl der Zugehörigkeit zur christlichen Kirche eine entscheidende Instanz.“ (376) Schwier, Helmut: Gottes Menschenfreundlichkeit und das Fest des Lebens. Beiträge zur liturgischen und homiletischen Kommunikation des Evangeliums. Hg. v. Hauger, Martin / Kegler, Jürgen / Nierop, Jantine / R inn, Angela. Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2019, 506 S. In dieser Festschrift für Helmut Schwier sind Beiträge seines wissenschaftlichen Schaffens, die zwischen 1996 und 2018 publiziert wurden, wieder abgedruckt worden. Sie zeigen sein umfängliches Wirken ebenso wie die exemplarische Verbindung von Neuem Testament und Praktischer Theologie, die sein Lehrstuhl an der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg vorgibt. Er lehrt ebenfalls am Predigerseminar der Evangelischen Landeskirche in Baden und ist zugleich Universitätsprediger. Die von Rudolf Bohren gegründete Predigtforschungsstelle führt er weiter. Im Zentrum der Praktischen Theologie Helmut Schwiers steht der Gottesdienst: „Gottesdienst als Feier und Kommunikation des Evangeliums ist ein ebenso vielfältiges wie bezugreiches und ein, rezeptionsästhetisch gesehen, offenes Kunstwerk.“ (13) So arbeitet er die Bedeutung der Bibel für diesen Kommunikationsvorgang heraus, der Gottesdienst ist dabei kein vom Alltag abzugrenzender Raum, zudem geht es ihm um die Wiederentdeckung der österlichen Dimension des Gottesdienstes im Protestantismus. Die Beiträge wurden von den Herausgebern in sechs Kapitel geordnet; an den Themen lässt sich nicht nur Schwiers wissenschaftlich bestelltes Feld erkennen, sondern auch, wie die Themen untereinander vernetzt sind, sich überschneiden und
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bedingen. Das soll am Beispiel der Liturgie gezeigt werden. Im ersten Teil sind Beiträge zu Praktischer Theologie, Bibel und Hermeneutik versammelt, darunter auch ein Beitrag zu Liturgie und Bibel. Im zweiten Teil werden Beiträge zur österlichen Theologie geboten, darunter einige zur Osternacht im Zusammenhang des Kirchenjahres, zum österlichen Feiern, Denken und Leben sowie auch zur Osterfeier selbst. Im dritten Teil sind Beiträge zur Homiletik abgedruckt, im vierten Teil folgen Beiträge zur Liturgik, z. B. zur Liturgie als Ausdruck kirchlicher Identität, zur Entstehungsgeschichte des Evangelischen Gottesdienstbuches, zum Priestertum aller Glaubenden, zur Qualitätsfrage in Bezug auf Liturgien, zu Liturgie und Diakonie, zur Frage, wie der Gottesdienst dem Glauben Raum gibt, grundlegend auch zum Sonntagsgottesdienst. Im fünften Teil finden sich Beiträge zu drei Einzelthemen: zur Möglichkeit evangelischer Realbenediktionen, zum Gebet aus evangelischer Sicht und zu Bugenhagens Abendmahlsvermahnungen. Im letzten Teil sind einige Predigten von Helmut Schwier abgedruckt, darunter eine Predigt über den Altar als Ort des Auferstandenen mitten in der Welt. Steiner, Niccolo: Diego Laínez und Alfonso Salmerón auf dem Konzil von Trient. Ihr Beitrag zur Eucharistie- und Messopferthematik (Münchener kirchenhistorische Studien. Neue Folge 8). Kohlhammer: Stuttgart 2019, 469 S. Die beiden Jesuitentheologen Diego Laínez (1512–1565) und Alfonso Salmerón (1515–1585) waren die einzigen Theologen, die an allen drei Sitzungsperioden des Trienter Konzils (1545–1563) teilgenommen haben. Denn alle drei Sitzungsperioden haben sich mit den Fragen zur Eucharistie- und Messopferproblematik befasst, und beide Theologen haben dazu ihren Beitrag geleistet. Diesen Beitrag arbeitet die Untersuchung von Niccolo Steiner heraus. Er bietet zunächst einen Forschungsüberblick sowohl über diese beiden Theologen als auch über die Gründung des Jesuitenordens und stellt anschließend beide Theologen vor. Darauf folgt die Darstellung der Trienter Sitzungsperioden und der Beiträge dieser beiden Theologen. Die erste Sitzungsperiode (1545–1547) befasste sich mit der Rechtfertigungslehre Luthers, mit dem Sakrament der Eucharistie und mit den Abendmahlslehren Luthers, der oberdeutschen Reformatoren und Calvins. Die zweite Sitzungsperiode (1551–1552) befasste sich wiederum mit der Eucharistie, dann mit dem Eucharistiekanon und dem Messopfer. Die dritte Sitzungsperiode (1562–1563) beschloss im September 1562 das Messopferdekret. Die beiden Theologen haben an diesem wie auch an anderen Dekreten des Konzils wesentlich mitgearbeitet und mitgewirkt, auch wenn in der dritten Periode eigentlich nur Salmerón als Theologe auftreten konnte, weil Laínez zum Generaloberen des Jesuitenordens gewählt worden war und in dieser Funktion als Konzilsvater auftrat. An ihren Beiträgen lässt sich auch ablesen, wie sich eine eigene, an den jesuitischen Exerzitien geformte Eucharistietheologie entwickelte. Söding, Thomas / T hönissen, Wolfgang (Hg.): Eucharistie – Kirche – Ökumene. Aspekte und Hintergründe des Kommunionstreits (QD 298). Herder: Freiburg i. Br. 2019, 496 S. Die deutschen römisch-katholischen Bischöfe haben im Februar 2018 eine Orientierungshilfe herausgegeben, die evangelische Eheleute aus konfessionsverbindenden Ehen, die an der Kommunion einer Eucharistiefeier teilnehmen wollen, zu einem pastoralen Gespräch einlädt. Mit diesem Gespräch soll geklärt werden, ob sie – ihrem Gewissen folgend – in Übereinstimmung mit der römisch-katholischen Kirche und ihrem Eucharistieglauben die Kommunion empfangen können. Die Orientierungshilfe, die in diesem Buch wieder abgedruckt wurde, ist keine dogmatische Erklärung, sondern eine pastorale Handreichung für Seelsorger. Nun hat diese Handreichung
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einen Kommunionstreit ausgelöst, der nicht nur in Deutschland geführt wird, sondern auch Rom und die Weltkirche erreicht hat. Selbst die allgemeine Öffentlichkeit hat davon Notiz genommen. Es ist also an der Zeit, theologische Studien vorzulegen, um einige wichtige Fragen zu beantworten. Folgende Fragen bilden zugleich die Abschnitte dieses Buches, die jeweils mit drei bis fünf Beiträgen bedient werden: „1. Wie sieht die katholische Theologie das Verhältnis von Kirche und Eucharistie? 2. Wie bestimmt sie das Verhältnis von Sakrament und Glaube? 3. Welche Bedeutung erkennt sie der Ökumene zu, und wie werden in anderen Konfessionen die Fragen der Zulassung zum Abendmahl bzw. zur Eucharistie behandelt? 4. Wie kann das Verhältnis von Gewissen und Norm in der katholischen Theologie bestimmt werden? 5. Welche kirchenrechtlichen Fragen stellen sich im weltkirchlichen Vergleich von Universal- und Partikularrechten, in der Kompetenz von Bischofskonferenzen und in der Hermeneutik des Kodex angesichts pastoraler Praxisprobleme?“ (5) Im dritten Teil kommen auch Theologen bzw. Theologinnen der anderen Konfessionen zu Wort. Zunächst erinnert Dorothea Sattler für die römisch-katholische Kirche an die ökumenischen Dialoge, Friederike Nüssel stellt die Kommunionteilnahme aus evangelischer Perspektive dar, Uwe Sarat aus baptistischer Sicht, Athanasios Vletsis aus orthodoxer Perspektive, und Hacik Rafi Gazer schildert die Sicht der Armenischen Apostolischen Kirche. Wagner-Rau, Ulrike / Handke, Emilia (Hg.): Provozierte Kasualpraxis. Rituale in Bewegung (PTHe 166). Kohlhammer: Stuttgart 2019, 194 S. Wandelt sich Kultur, wandeln sich auch Rituale. Rituale kommen in Bewegung, weil sie – aus hergebrachter Tradition stammend – nicht mehr selbstverständlich das bewirken, was von ihnen erwartet wird: Gewissheit oder gar Sicherheit, Übergänge zu bewerkstelligen oder Gemeinschaften herzustellen etc. Das bekommen auch die Kirchen zu spüren, wenn eingeübte Rituale nicht mehr vorbehaltlos von den Ritualpartizipanten akzeptiert, sondern hinterfragt werden. Zumal die Kirche(n) nicht mehr die alleinigen Sinnanbieter in der Gesellschaft sind und nicht mehr die Einzigen sind, die Rituale professionell zu gestalten wissen. Und zumal Säkularisierung und Pluralisierung nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der / den Kirche(n) im Gange ist. Zwei Beiträge führen in das Thema ein: Ulrike Wagner-Rau stellt die in beschriebener Weise provozierte Kasualpraxis vor und Paul Post führt umfassend in die Ritualdynamik ein. Im zweiten Teil werden Rituale vorgestellt, die von freien Rednern etc. zur Trauung, zur Bestattung und zu Lebenswendfeiern angeboten und durchgeführt werden. Zu jeder Darstellung gibt es einen Beitrag aus praktisch-theologischer bzw. kirchlicher Sicht, der sich damit auseinandersetzt. Weitere Beiträge befassen sich daraufhin mit der Frage, ob man eine kirchliche Kasualagentur braucht oder einen Pastor auch „mieten“ kann. Denn in der Schweiz hat sich eine Fachschule für Rituale gebildet; und seit jeher werden in der Pfarrerausbildung Rituale gelehrt. Insgesamt ist auf diese Weise ein Dialog zwischen sogenannten freien Anbietern mit ihren Ritualen und den praktisch-theologischen bzw. kirchlichen Fachleuten entstanden. Im dritten Teil wird in zwei Beiträgen reflektierend auf das Ganze geschaut: Jan Hermelink setzt seine Reflexion kirchentheoretisch an und Emilia Handke skizziert den Weg von der Amtskirche zu einer Dienstleitungskirche. Waßweiler, Gero: Katastrophen und Hoffnung. Riskante Liturgien und ihre Predigten angesichts Krisensituationen. Kohlhammer: Stuttgart 2019, 276 S. Nach katastrophalen Ereignissen, die ganze Gesellschaften wahrgenommen haben und in Entsetzen und Trauer versetzt worden sind, wurden Gottesdienste gefeiert, die nicht nur wegen der furchtbaren Katastrophe eine besondere Herausforderung waren, sondern auch, weil nun für eine heterogene und mit einer heterogenen Gesell-
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schaft ein Gedenkgottesdienst begangen wurde. Wie dies geschah, wird anhand von vier Gedenkgottesdiensten untersucht: nach dem Love-Parade-Unglück in Duisburg (22.7.2010/31.7.2010), nach dem Germanwings-Absturz in den südfranzösischen Alpen (24.3.2015/17.4.2015), nach dem Amoklauf in München (22.7.2016/29.7.2016), nach dem Terroranschlag in London (22.3.2017/5.4.2017). Gero Waßweiler gibt den Stand der Forschung zu solchen Gottesdiensten nach Großkatastrophen wieder, danach legt er seine Methode zu ihrer Erforschung dar: Es wurden ökumenische Gottesdienste ausgewählt. Die Datenlage wird durch Videomitschnitte und schriftliches Material gesichert; zwar steht die Predigt im Zentrum der Analyse, aber ebenso wird die Liturgie analysiert, weil der Gottesdienst als ein „Gesamtkunstwerk“ aufgefasst wird. Waßweiler stellt jeweils die Katastrophe selbst dar, dann beschreibt er den gefeierten Gottesdienst, analysiert ausgewählte liturgische Elemente und die Predigt und bietet abschließend eine wertende Zusammenfassung. Danach werden die Analysen ausgewertet und in Thesenform gebracht. Diese Thesen werden zu den liturgischen Elementen und der Predigt in handlungsleitenden Sätzen formuliert. Festgehalten wird, dass die Predigten Hoffnungspredigten waren und die liturgischen Elemente Trost spendeten. Westra, Liuwe H. / Zwollo, Laela (Hg.): Die Sakramentsgemeinschaft in der Alten Kirche. Publikation der Tagung der Patristischen Arbeitsgemeinschaft in Soesterberg und Amsterdam (02.–05.01.2017). Peeters: Leuven 2019, VIII, 138 S. Das Sakrament des Altars hat heute fast nur noch innerkirchlich eine gewisse Relevanz, gesellschaftlich hat es seine Bedeutung nahezu eingebüßt. Während heute das Altarsakrament ein Traditionsgut in der Kirche ist, war das in der Zeit der Alten Kirche anders: Die untereinander das Sakrament teilten, bildeten dadurch Kirche. Diese Sakramentsgemeinschaft wird in dieser Publikation eigens beleuchtet: „[Gerard A. M.] Rouwhorst erörtert die frühesten Entwicklungen der Eucharistie gemäß den jüngsten Forschungseinsichten (…). [Alistair C.] Stewart vergleicht die Regeln (und also auch die Strittigkeiten) um die Feier der Gemeinschaft von Brot und Wein mit modernen Einsichten in die menschliche Gruppendynamik im Allgemeinen. [Daniel] Vaucher stellt die Frage, wo denn die Sklaven bei der Feier der Sakramente zu finden waren und kommt mit einer etwas beunruhigenden Antwort. [Hans] Von Loon und [Laela] Zwollo beleuchten die Bedeutung der Sakramente bzw. des Sakramentsbegriffs bei Cyrill von Alexandrien und Augustin von Hippo als zwei der wichtigsten patristischen Autoren in Ost und West.“ (VIII) Zudem gibt Paul van Geest als Direktor des niederländischen Zentrums für patristische Forschung einen Überblick über Geschichte und jüngste Entwicklung der Patristik in den Niederlanden. Winger, Philipp: Initiationsritus zwischen Taufe und Eucharistie. Ein liturgiewissenschaftlicher Beitrag zu einer Theologie der Firmung (Theologie der Liturgie 15). Friedrich Pustet: Regensburg 2019, 365 S. Sowohl der Zeitpunkt als auch die Theologie der Firmung sind umstritten. In Deutschland wird die Firmung meist im Jugendalter vollzogen. Aufsehen erregt haben Diözesen im anglo-amerikanischen Raum, weil sie die Firmung zwischen Taufe und Erstkommunion legten, mit der Begründung, dass die Firmung die Taufe vollende und eigentlich erst danach eine Kommunion möglich sei. So hatte es auch das Zweite Vatikanische Konzil in Erinnerung gerufen. Die Schweizer Diözese St. Gallen dagegen vollzieht schon seit Jahrzehnten die Firmungen mit 18 Jahren, weil die Firmung als Mitteilung des Geistes zur Reife und Mündigkeit des Glaubens führe. Ein Bezug zur Taufe wird dabei nicht hergestellt. Philipp Winger unternimmt den Versuch, „den Sinngehalt der Firmriten in Verbindung zu den Taufriten und der Eucharistie
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näher zu bestimmen.“ (15) Er nimmt dazu eine liturgiewissenschaftliche Perspektive ein: „Ziel des Anliegens ist es, durch einen liturgietheologischen Ansatz, der die liturgische Feier als Quelle für die Erlangung theologischer Erkenntnisse heranzieht, einen Beitrag dazu zu leisten, den Sinngehalt der Firmriten in ihrer Verflechtung mit den anderen Initiationsriten zu konkretisieren.“ (15) Winger geht von der Einheit der Initiationsriten aus, wie sie in der Alten Kirche grundlegt wurden, da das baptismale Taufbad, Salbung / Handauflegung und eucharistische Feier mit weiteren Riten eine liturgische Einheit darstellten. Darum will er eine Initiationstheologie entfalten, zu der dann auch die gesamten Eingliederungsriten gehören, wie die Ostervigil und Osternacht sowie die Missa Charismatis für die Weihe der Öle, da diese bei der Firmung verwendet werden. Zuerst wird ein ausführlicher historischer Überblick über die Firmriten und ihre theologische Reflexion gegeben. Dem folgt eine Auseinandersetzung mit dem Ansatz einer liturgischen Theologie und einer Theologie der Liturgie. Anschließend werden die initiationstheologischen Implikationen der Osternacht und danach die Feier der Chrisammesse und ihre Verbindung mit den Firmriten der Osternacht untersucht. Als Ergebnis hält Winger fest, dass Taufe, Firmung und Eucharistie ein eng miteinander verflochtenes Grundgerüst besitzen. Ausgangspunkt ist das Pascha-Mysterium mit seinem christologischen Zentrum; in pneumatologischer Perspektive wird die Geistbegabung für alle drei Sakramente zu betonen sein und nicht nur für die Firmung; die eschatologische Grundrichtung aller drei Sakramente ist die vollkommene Gemeinschaft mit Christus. Dasselbe gilt für die Sündenvergebung und für die ekklesiologische Implikation, dass der Initiand ein christgemäßes Leben führen kann.
III. Kirchenbau, Paramentik, Kunstwerke Kopp, Stefan / Werz, Joachim (Hg.): „Zeichen und Symbol. Überirdische Wirklichkeiten“. Liturgische Orte und ihre künstlerische Gestaltung. Eine Festschrift für den Künstler Friedrich Koller. Schnell und Steiner: Regensburg 2019, 207 S., 51 farbige Abb. Der Künstler Friedrich Koller war in über 250, meist katholischen Kirchen als Künstler tätig. Eine bedeutende Auswahl seiner liturgischen Gestaltungen der Prinzipalien wie auch der Alatarräume ist mit hervorragendem Bildmaterial in diesem Band dokumentiert. Die Herausgeber halten fest: „Unterhält man sich mit ihm über seine Arbeiten und sein künstlerisches Selbstverständnis, so wird deutlich, dass Heilige Schrift, Liturgie und Glaube der Kirche die geistigen Fundamente seines künstlerischen Wirkens sind.“ (8) Koller hat am Gespräch zwischen Kunst und Kirche teilgenommen und hat den Impuls des Zweiten Vatikanischen Konzils für die Gestaltung von Kirchenräumen und Prinzipalien aufgenommen. Der erste Teil der Festschrift unter der Überschrift „Liturgische Orte und ihre theologische Bedeutung“ führt daher anhand der entsprechenden Aussagen des Konzils in die Theologie der liturgischen Orte ein – Altar, Ambo, Vorstehersitz, Tabernakel, Taufbrunnen, Ort des Bußsakraments. Die Abbildungen zeigen historische Orte ebenso wie Kunstwerke, die Koller geschaffen hat. Der zweite Teil widmet sich dem Gespräch zwischen Kunst und Kirche. So findet sich ein Interview mit Bischof em. Dr. Friedrich Hofmann, der promovierter Kunsthistoriker ist und Liturgiereferent der Deutschen Bischofskonferenz war. Im Gespräch geht es um die eigenen künstlerischen Ambitionen, um Liturgie und Kunst
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und um die Bedeutung der Kunst für die Kirche. Danach wird ein Gespräch mit dem Künstler Koller über Kunst, Kirchenraum und Künstlerpersönlichkeit geboten, um seinen eigenen Zugang zur sakralen Kunst und um seine Kriterien für die Gestaltung eines liturgischen Raums zu erhellen. Ein weiterer Beitrag stellt die Bildsprache heraus, mit der der Künstler in liturgischen Räumen spricht, respektive wirkt. Anschließend werden anhand von Abbildungen die Werke von Koller in liturgischen Räumen gezeigt. Das erste abgebildete Werk stammt von 1967 (das Werkverzeichnis beginnt 1961), das letzte dokumentierte von 2018. Insgesamt bietet das Buch 37 Abbildungen von Werken des Künstlers. Zu allen Bilder gibt es jeweils eine kurze Beschreibung, zu manchen auch eine Skizze, die die Planung bzw. die Übersicht des gesamten Baukörpers zeigt. Ein Werkverzeichnis und eine Biographie mit Bild des Künstlers schließen sich an. Im Anhang finden sich ein Autorenverzeichnis, die Abbildungsnachweise und eine Tabula gratulatoria. Röper, Ursula / Scheuer, Hans Jürgen (Hg.): Paramente in Bewegung. Bildwelten liturgischer Textilien (12. bis 21. Jahrhundert). Schnell & Steiner: Regensburg 2019, 304 S., zahlreiche farbige Abb. Bei diesem gewichtigen Werk geht es nicht nur um Paramente an Altar und Kanzel, sondern hier geht es um Paramente im umfassenden Sinn des Wortes: Auch alle anderen Textilien sind mitgemeint, vorrangig die der Geistlichen. Wenn es um Paramente in Bewegung geht, dann ist das Zeigen, das Sich-Zeigen und das Sehen-Lassen in den Blick genommen, wie der Herausgeber Scheuer im einführenden Beitrag hervorhebt. Er legt folgende These vor: „Die Bewegungen, die an den Paramenten und anderen Verschleierungen ritueller Performanz vollzogen werden, zielen über die visuelle Schauseite hinaus auf die Dynamik seelischer Vorgänge.“ (19) Dieser Bewegung widmen sich zahlreiche Beiträge, immer zwei loten ein Themenbereich aus. Für ‚Paramente im liturgischen Raum‘ wird über die Liturgie und den Kirchenraum im Spätmittelalter anhand ihrer rituellen Inszenierung nachgedacht, auch anhand konkreter Artefakte. Für ‚Parament und Amtstracht‘ wird Durandus von Mendes epochales Werk über die liturgischen Textilien befragt und über die Typologie des Mönchsgewandes reflektiert. Für ‚Parament und Imaginationsdynamik‘ geht es um das Erzählen in der Vormoderne und um bewegliche Bilder der Mystik. Für ‚Parament und Konfession‘ geht es um die Veränderungen der Paramente und ihre Bedeutungen in der Reformationszeit. Für ‚Parament und theatrum sacrum‘ geht es um die Inszenierung des Unsichtbaren. Bei der ‚Wiedergewinnung der Paramente‘ geht es um die Anfänge des lutherischen Paramentenwesens und um Paramente in einem anderen Raum. Bei ‚Parament und zeitgenössischer Kunst‘ geht es um die liturgischen Textilien nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und um neue, zeitgenössische liturgische Gewänder. Im Anhang des Buches ist die Ausstellung über ‚Paramente in Bewegung‘ in der Klosterkirche St. Marienberg in Helmstedt von 2017 dokumentiert.
IV. Artikel Berger, Teresa: Liturgie digital. Zu gottesdienstlichen Vollzügen in Bits & Bytes, in LJ 69 (2019), 253–268. Chase, Nathan: Pruning the Prayers: Early Medieval Liturgical Adaption in the His pano-Mozarabic Easter Vigil, in: ALW 60 (2018), 122–153. Engemann, Wilfried: Worin besteht die Autorität der „Heiligen Schrift“? Anmerkungen zum Umgang mit der Bibel im Gottesdienst, in: WJTh 12 (2019), 129–152.
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Földváry, Miklós István: A Latin Blessing of Waters on the Eve of Epiphany According to the Greek Tradition, in: ALW 60 (2018), 180–207. Haunerland, Winfried: Vom Segnen und Begraben der Tiere. Liturgiewissenschaftliche Anmerkungen zu einer aktuellen Debatte, in: MThZ 70 (2019), 355–365. Heinz, Andreas: Die Taufe tot geborener Kinder im alten Erzbistum Trier, in: TThZ 128 (2019), 204–221. Körtner, Ulrich H. J.: Trauung für alle? Systematisch-theologische Erwägungen im österreichischen Kontext, in: ThZ 75 (2019), 186–209. Kranemann, Benedikt: Liturgie und Ökumene – die christlichen Kirchen vor neuen Herausforderungen, in: Cath(M) 73 (2019), 250–265. Langbahn, Stefan K.: Die Anfänge der modernen Liturgischen Bewegung im deutschen Sprachraum und ihre „Akademische Phase“ bei Romano Guardini im Spiegel der Quellen. Besichtigung einer Forschungsbaustelle aus Anlass von 100 Jahren Laacher Liturgieunternehmen, Teil 1, in: ALW 60 (2018), 34–100. Lehmann, Karl Kardinal †: Romano Guardinis Vom Geist der Liturgie: Ursprünge eines neuen Denkens für die liturgische Erneuerung – damals und heute, in: ALW 60 (2018), 1–16. Lohse, Tillmann: Gedruckte Gottesdienstordnungen im Mittelalter. Die Libri ordinarii der Kirchenprovinz Magdeburg und der Medienwandel im 15. Jahrhundert, in: ALW 60 (2018), 154–179. Neuheuser, Hanns Peter: Mysterium fidei – Feier des Geheimnisses und Praxis der Verheimlichung. Liturgie angesichts der hochmittelalterlichen Arkandisziplin, in: ThPh 94 (2019), 321–340. Odenthal, Andreas: Liturgie und Liturgiewissenschaft im Kontext der Missbrauchsdebatte. Zum Gottesdienst der Kirche in der Spannung von traumatischer und ritueller Erfahrung, in: LJ 69 (2019), 3–19. Quartier, Thomas: Liturgisches Gebet. Raum, Zeit und Gemeinschaft in benediktinischer Perspektive, in: JLO 35 (2019), 1–20 (nur online: https://ugp.rug.nl/jvlo/index). Reitz-Dinse, Annegret: Tut dies zu meinem Gedächtnis, in: WzM 71 (2019), 171–183. Rojas Salazar, Marilú: Queere Liturgie, in: Conc 55 (2019), 567–583. Scheiwiller, Thomas: Heteronormativität als Verhinderung? Oder warum die Ehe für alle in Österreich (noch) eine Frage des Gewissens ist, in: EvTh 79 (2019), 407–423. Schneider, Bernhard: Gelebter Glaube: Historische Perspektiven und gegenwärtige Herausforderungen im Gespräch zwischen Kirchengeschichte und Liturgiewissenschaft, in: LJ 69 (2019), 119–144. Stegmann, Andreas: Lutherischer Gottesdienst in der frühneuzeitlichen Mark Brandenburg, in: JBBKG 72 (2019), 222–228. Tsompanides, Stylianos Ch.: „Liturgie nach der Liturgie“. Der konziliare Prozess des ÖRK aus der Sicht orthodoxer Theologie, in: US 74 (2019), 206–218. Weiß, Philipp: Anglikanische Liturgie – zwischen Reformation und Reaktion? Wie die Kirche von England mit Rom brach und eine Via media einschlug, in: LJ 69 (2019), 83–102. Winter, Stephan: Erzähl- und Mahlgemeinschaft – Die Theologie des lukanischen Doppelwerks als ein Schlüssel zum Verständnis der Eucharistie, in: LJ 69 (2019), 145–173. Zaborowski, Holger: Vermittelndes Denken. Romano Guardinis Vom Geist der Liturgie – ein Klassiker der katholischen Theologie des 20. Jahrhunderts, in: ALW 60 (2018), 17–33. Zerfaß, Alexander: „Ihn hat Gott als Sühneopfer hingestellt“ (Röm 3,25). Zur neutestamentlichen und liturgischen Rede vom Opfer, in: ALW 60 (2018), 101–121.
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V. Einführungen und Lehrbücher Gerhardts, Albert / K ranemann, Benedikt: Grundlagen und Perspektiven der Liturgiewissenschaft. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 42019, 336 S. Diese wichtige Einführung in die Liturgiewissenschaft ist nun in vierter Auflage erschienen, die erste Auflage wurde 2006 [JLH 2009, 101 f] veröffentlicht. Seitdem haben sich die Welt, die Gesellschaft und auch die Kirche(n) verändert. Dem trägt diese vierte Auflage gegenüber der dritten Auflage [JLH 2014, 130] mit einer ver änderten Titelgebung Rechnung: Nicht mehr ‚Einführung‘, sondern nun ‚Grundlagen und Perspektiven der Liturgiewissenschaft‘ wurde als Titel gewählt. Im Vorwort teilen die beiden Herausgeber ihre Beweggründe mit: „Für diese Überarbeitung war insbesondere das Ziel, die Einführung in die Liturgiewissenschaft mit dem Blick auf die neuen Herausforderungen und die vielfältigen Krisen der katholischen Kirche, die auch die Feier des Gottesdienstes berühren, weiterzuentwickeln. Die Ergänzungen und Umarbeitungen wollen helfen, mit den Anfragen, die sich heute für die Liturgie auf ganz unterschiedlichen Feldern kirchlichen Lebens stellen, sachgerecht und kreativ umzugehen.“ (14) Besonders auffallend sind die Kurzdarstellungen, die für einzelne Feiern oder aktuelle Fragen der Liturgiewissenschaft in das Buch eingearbeitet wurden. Sie sind kenntlich gemacht durch eine leichte Dunkeltönung des Papiers. So z. B. Kurzinformationen zu gemeinsamen religiösen Feiern verschiedener Religionsgemeinschaften, zur Taufe, zum Kirchenjahr, zu Riten anlässlich menschlicher Partnerschaft etc. Ansonsten wurde die vorherige Auflage durchgesehen, der Text auch teilweise ergänzt; insbesondere aber wurde neuere Literatur nachgetragen. Anders als in der dritten Auflage gibt es nun die Seitenglossen pro Seite nicht mehr, die orientierende Stichworte zum laufenden Text gaben. Das tut der Übersichtlichkeit des Buches keinen Abbruch, die nicht zuletzt durch das optisch verbesserte Inhaltsverzeichnis gewährleistet ist. Thiede, Werner: Lust auf Gott. Einführung in die christliche Mystik. LIT: Berlin 2019, 232 S. Diese Einführung möchte über das weite Feld der christlichen Mystik orientieren; es ist also kein Erbauungsbuch, sondern will ein Fach- und Sachbuch sein, das zu einem eigenen Urteil befähigt. Darum führt Werner Thiede zunächst in die Mystik ein, die er als Intimität mit dem Göttlichen bestimmt. Der erste Hauptteil wendet sich Grundfragen der Mystik zu. Die Mystik wird in Verbindung gebracht mit Lust, Erfahrung, Spiritualität, kosmischem Bewusstsein, Naturwissenschaft, Synkretismus, Todesnähe sowie der Frage nach einer Substanz- oder Liebesmystik. Im zweiten Hauptteil wird christliche Mystik in Beispielen beschrieben. Zuallererst geht es um Jesus von Nazareth und Paulus, dann geht es um bekannte Autoren wie z. B. Augustinus oder Pseudo-Dionysius Areopagita, Bernhard von Clairvaux, Hildegard von Bingen, Meister Eckhart, Johannes Tauler, Martin Luther, Jakob Böhme, Teilhard de Chardin, Willigis Jäger. Dazwischen finden sich auch eher unbekannte Namen, wie z. B. die Dominikanerin Christina Ebner (1277–1356) oder der Liedermacher und Pastor Martin Pepper (* 1958). Die Darstellungen enthalten kleinere Zitate der ganz unterschiedlichen Mystiker und Mystikerinnen. In seinen Schlussgedanken legt Thiede dar, dass Mystik auch heißen kann, mit dem Ende anzufangen, also vom Ende des irdischen Lebens her das Ziel aller Dinge ins Auge zu fassen, denn mit der vollendeten Schöpfung wird Gott alles in allem sein.
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VI. Arbeitshilfen Arnold, Jochen / Baltruweit, Fritz / Gorka, Marianne (Hg.): Hinführungen zu den Lesungen (gemeinsam gottesdienst gestalten 31). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig [2019] 22019, 242 S. Dieser Band bietet vorrangig Präfamen zu den einzelnen Lesungen der Sonn- und Feiertage an, wie sie das neue Perikopenbuch vorsieht. Zuallererst wird aber eine Einführung in das Vorlesen im Gottesdienst gegeben. Zu jedem Sonn- und Feiertag gibt es eine Hinführung, wie sie schon im Perikopenbuch in ähnlicher Weise geboten wurden. Angaben zum Wochenspruch, zu den Liedern der Woche, zum Psalm und zur Liturgischen Farbe folgen. Daran schließen sich die Präfamen zum Text des Alten Testaments, zum Text der Epistel und des Evangeliums an. Brenz, Albrecht: Erlebnisgottesdienste mit Senioren. 30 Entwürfe für Altenheim und Gemeinde. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2019, 128 S. Albrecht Brenz legt Entwürfe für Gottesdienste mit Senioren vor, die er selbst erprobt und mit Senioren gefeiert hat. Er nennt sie Erlebnisgottesdienste, weil er es mit Menschen zu tun hat, die aufgrund ihres Alters in ihren kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt und für abstrakte Gedanken wenig empfänglich sind. Brenz setzt im Seniorengottesdienst Aktionen oder Anschauungsstücke ein, damit positive Gefühle neu entdeckt werden können. Die Einführung in dieses Arbeitsbuch berichtet auch von seinen eigenen Erfahrungen mit Gottesdiensten in Seniorenheimen und bietet Reflexionen an. Zuerst werden Gottesdienste im Kirchenjahr aufgeführt, als Beispiel sei der Volkstrauertrag genannt: Es steht das Gedicht „Wildgänse rauschen durch die Nacht“ im Vordergrund, das aus der Zeit des Ersten Weltkriegs stammt. Es wird vorgelesen und dazu Soldatenerlebnisse aus dem Ersten Weltkrieg, denn viele der Senioren verbinden eigene Kriegserlebnisse mit dem Volkstrauertag. Als Nächstes werden Gottesdienste im Lauf der Jahreszeiten angeboten. Dazu als Beispiel ein Gottesdienst im Herbst mit dem Leitgedanken: Bunt sind schon die Wälder – ist das eigentlich schlimm? Im Mittelpunkt steht eine Vase mit Zweigen mit buntem Herbstlaub. Die Senioren fühlen sich selbst als im Herbst ihres Lebens. Im dritten Teil werden Gottesdienste zu verschiedenen Gelegenheiten oder Themen aufgeführt, wie z. B., dass nach schwerer Arbeit endlich Ruhe ist; oder die Frage: Wie viel ist eigentlich ein Mensch wert? Oder die Erinnerung an die eigene Taufe. Die Gottesdienste im vierten Teil stellen persönliche Anschauungsstücke in den Mittelpunkt des Erlebens: eine Baumscheibe, persönliche Schätze, ein altes Kinderbuch. Gottesdienste zum Miterleben, die die Gefühle seelsorgerlich zulassen und begleiten. Ende, Natalie (Hg.): You never walk alone. Tiere in der Kirche – Gottesdienste und Materialien (Materialbücher des Zentrums für Verkündigung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau 131). Frankfurt a. M., 2019, 272 S., 1 CD-ROM. Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt und verändert sich weiterhin. Die Tierforschung bringt unerwartete Kenntnisse über das Leben von Tieren zu Tage; der Tierschutz ist ein wichtiges Anliegen; Tiere werden für Therapien eingesetzt; Menschen kaufen Lebensmittel aus tiergerechter Haltung oder verzichten ganz auf Tierprodukte. Viele Familien haben ein Haustier und für zahlreiche alleinstehende Menschen ist ein Tier in der Wohnung ein Lebensgeselle. Entsprechend stellt sich beim Tod eines geliebten Tieres die Frage nach der Bestattung. So sind in Deutschland in den letzten 20 Jahren ca. 120 Tierfriedhöfe entstanden; es gibt etwa 180 Tierbestatter und 20 Tierkrematorien. Gottesdienste für
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Mensch und Tier sind nicht mehr ungewöhnlich. Dieser Materialband wird eröffnet mit grundlegenden Informationen, z. B. mit einer Bibelarbeit zu Gen 1. Tiere im Evangelischen Gesangbuch, liturgische Formeln nach biblisch-jüdischem Vorbild gehören zu den weiteren Themen. Es folgen Materialien für Gottesdienste für Menschen mit ihren Tieren, Materialien für Gottesdienste zu Tieren, Materialien zu Tierbestattungen; dann geht es um das Kirchenjahr aus der ‚Vogelperspektive‘, um Ochs und Esel zu Weihnachten, den Osterhasen zu Ostern und die Taube zu Pfingsten. Fröchtling, Andrea: „Gott ist für uns alle da“. Andachten und Feiern für Menschen mit Demenz. Herder: Freiburg i. Br. 2019, 137 S. Menschen mit Demenzerkrankung sind kaum mit allein wortorientierten Gottesdiensten zu erreichen. Darum legt Andrea Fröchtling noch weitere Zugänge offen, die die Sinne ansprechen. Sie stellt eine Einführung an den Anfang ihres Buches anhand ihrer eigenen Erfahrung mit dementen Menschen, um dann Gottesdienste im Kontext der Pflegeheime oder Wohngruppen vorzustellen: zunächst Gottesdienste im Kirchenjahr, dann zu biographisch orientierten Themen, z. B. zum Muttertag, zum Thema Liebe oder Schöpfung, aber auch zum Tod eines Mitbewohners. Es folgen Gottesdienste für demente Menschen im Kontext von Gemeinde, so z. B. ein Stationsgottesdienst zur Tauferinnerung oder ein Gottesdienst mit Nikolausbesuch. Im Anhang wird Material zum Basteln geboten sowie Kopiervorlagen für die Gestaltung der Gottesdienste. Frohe, Maurice: Maria feiern. Die schönsten Lieder und Gebete. Herder: Freiburg i. Br. 2019, 128 S., zahlreiche farbige Abb. Der erste Teil des Büchleins enthält Gebete aus Tradition und Gegenwart unter der Überschrift „Mit Maria Gott loben“. Der Reigen beginnt mit dem Magnificat, es folgen weitere sehr bekannte Gebete, z. B. das Angelus Domini, der Engel des Herrn, Regina caeli etc. Der zweite Teil ist überschrieben mit „Das Wunder preisen“, er führt Lieder und Gedichte auf, die älter oder auch ganz aus unserer Zeit sind. Der dritte Teil trägt die Überschrift: Das Geheimnis erwägen – Geistliche Betrachtungen und Impulse. Hier werden Texte geboten, die das Geheimnis Mariens und der Menschwerdung Gottes meditieren. Zu beinahe jedem Text dieses Büchleins ist ein Bild beigegeben, das zur Meditation und Vertiefung anregt. Goldschmidt, Stephan / Meyer-Blanck, Michael / Peters, Frank (hg. im Namen der Liturgischen Konferenz der EKD): Gottes Wort hören und bewahren. Einführungen in die Sonn- und Feiertage im Kirchenjahr. Neukirchener Verlagsgesellschaft: Neukirchen-Vluyn 2019, 271 S. In diesem Buch werden die Texte und Angaben, die das neue Perikopenbuch bereithält, wieder abgedruckt. Das neue Perikopenbuch, das nun ‚Ordnung gottesdienstlicher Texte und Lieder‘ heißt, wurde zum 1. Advent 2018 in Kraft gesetzt. Die darin für jeden Sonn- und Feiertag enthaltenen Einführungstexte werden hier noch einmal abgedruckt, weil es dazu eine starke Nachfrage gibt und man sich nun wieder schnell informieren kann. Heck, Paul Quirin: Schritt für Schritt aufeinander zu. Im Gottesdienst sich, Gott und den anderen begegnen. Echter: Würzburg 2019, 149 S. Heck versteht den Gottesdienst bzw. die Heilige Messe als umfassendes Beziehungsgeschehen. Jedes liturgische Element führt auf Beziehungen hin: zu sich selbst, zu Gott und zu den anderen Mitfeiernden. Jesus ist für ihn hierzu das Beispiel, insbesondere jene Erzählung, in der Jesus den Sünder auffordert, sich zuvor mit dem Bruder zu versöhnen, bevor er sein Opfer darbringt. Die Beziehung geht vor, indem die Beziehung wieder in Ordnung gebracht wird und somit die Beziehung mit Gott
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aufgenommen werden kann. Heck geht an allen einzelnen liturgischen Elementen von der Eröffnung über die Lesungen, Gebete und Eucharistiefeier bis zum Segen entlang, um zu zeigen, wie sich darin das Beziehungsgeschehen ereignet und entwickelt. Irslinger, Konrad / Straub, Christa: „Von Hosanna bis Halleluja“. Gottesdienste von Palmsonntag bis Ostermontag. Herder: Freiburg i. Br. 2019, 137 S. Dieses Buch vermittelt Einblicke in die Feiern der Kar- und Ostertage, wie sie sich in der römisch-katholischen Kirchengemeinde St. Maria Magdalena in Freiburg- Rieselfeld in einem 17 Jahre andauernden Prozess entwickelt haben. Es werden Palmsonntag, Gründonnerstag, Karfreitag, Osternacht und Ostersonntag vorgestellt. Für Kinder und Jugendliche gibt es einen eigenen Kreuzweg, der ihnen das Geschehen der Karwoche auf ihre Weise erschließt. Jeder Gottesdienst wird Jahr für Jahr mit Gemeindemitgliedern neu erarbeitet und auch mit einem eigenen Symbol versehen. Im zweiten Teil des Buches werden weitere Gestaltungsideen, Aktionen und Predigten geboten. Jörns, Klaus-Peter: Liebe kann man nicht begraben. Predigten. Mit einer Liturgie und einem Bekenntnis. Radius: Stuttgart 2019, 189 S. Klaus-Peter Jörns publiziert hier 27 Predigten, die er als Gemeindepfarrer, als Professor und als Ruheständler zwischen 1968 und 2019 gehalten hat. Im Anschluss sind eine Liturgie und ein eigenes Bekenntnis abgedruckt. Im Vorwort teilt Jörns mit, dass diese Liturgie nicht mehr davon ausgeht, dass der Tod Jesu ein Sühne leistender Opfertod sei, sondern die Liturgie „leitet die Vollmacht, einander Sünde und Schuld zu vergeben, allein von der Liebe Gottes her.“ (6) Diese Liturgie (180–185) ist zweigeteilt: den ersten Teil nennt Jörns „Wechselseitiges Eingeständnis und Lossprechung“, den zweiten Teil „Feier der Lebensgaben Gottes – Eucharistie“. Die Liturgie wird eröffnet mit Musik, Begrüßung und Votum. Kerzen werden entzündet zum Lied Oculi nostri ad dominum deum. Lobgebete und Lieder gehen der Lesung aus 1Kor 13 voraus. Es folgen das Gloria patri, ein Bekenntnis und dann die Predigt. Nach dem Predigtlied wird an die Taufe erinnert und das Vaterunser wird gebetet. Nun stellen sich die Mitfeiernden im Gegenüber auf, hören den Friedenswunsch Jesu und bitten sich gegenseitig um Vergebung. Auf die Melodie Christe, du Lamm Gottes wird folgender Text gesungen: „Jesus, geistgeboren, offenbarst: Gott liebt die Welt. Wir sind geborgen. Jesus, hingerichtet, brichst die Herrschaft der Gewalt am Ostermorgen. Jesus, auferstanden, zeigst: Der Gott der Schöpfung wirkt auch im Tod verborgen.“ (183) Darauf folgt der zweite, der eucharistische Teil der Liturgie. Mit einer Einleitung versehen werden die Einsetzungsworte Jesu in freier Übertragung vom Liturgen gesprochen, zu einem Lied werden die Gaben zum Altar gebracht und jeweils mit einem Dankgebet gewürdigt. Es folgt die Kommunion, ein Lied beschließt sie. Dank und gesungene Segensbitte folgen. Ein Lied und Musik beschließen diesen Gottesdienst. Kappes, Michael / Link-Wieczorek, Ulrike / Pemsel-Maier, Sabine / S chuegraf, Oliver (Hg.): Basiswissen Ökumene. Bd. 1: Ökumenische Entwicklungen – Brennpunkte – Praxis, Bd. 2: Arbeitsbuch mit Materialien. Evangelische Verlagsanstalt / Bonifatius: Leipzig / Paderborn 2017/2019, 349/516 S., zahlreiche Abb. Dieses zweibändige Werk ist nicht im hier üblicherweise verhandelten Sinn eine Arbeitshilfe, sondern läuft auf den zweiten Band als Arbeitshilfe zu. Der erste Band informiert ausführlich über die Geschichte der Kirche(n) und über die Ökumene. Den Anlass zu diesem Werk bot das Reformationsjubiläum 2017, und der bevorstehende ökumenische Kirchentag 2021 ist sozusagen das Ermutigungsziel, die (anderen)
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Konfessionen besser kennenzulernen. Der zweite Band bietet reiches Material, um die grundliegenden Informationen des ersten Bandes zu vertiefen. Das Material ist geeignet für die gymnasiale Oberstufe, das Studium, die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften und kirchlichen Mitarbeitenden und allgemein für die Erwachsenenbildung. Der erste Band umfasst 14 Kapitel. Die ersten vier Kapitel informieren über die Entwicklung der ökumenischen Bewegung im 20. Jh. und die Kirchenspaltung in Ost und West, bieten eine Konfessionskunde und stellen die interkulturelle Vielfalt der Konfessionen dar. Das fünfte Kapitel informiert über die gemeinsamen Grundlagen des Glaubens: Jesus Christus, Heilige Schrift, Rechtfertigung, Wort und Sakrament, Taufe. In weiteren sechs Kapiteln werden Themen der ökumenischen Theologie dargelegt: Sakramente, Abendmahl / Eucharistie, Ehe und Familie, Kirchenbilder und Kirchenverständnis, Liturgie – Kirchenraum – Heilige – Maria, Ethik. In den verbleibenden drei Kapiteln werden grundlegende Aufgaben- und Handlungsfelder dargestellt: der konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, der konfessionell-kooperative Religionsunterricht und die Ökumene in der Praxis der Gemeinde, die sich als Ökumene der Sendung versteht. Im zweiten Band werden zu jedem Kapitel des ersten Bandes Arbeitsmaterialien bereitgestellt. Zuerst wird ein Vorschlag gemacht, wie das Thema im Gespräch oder im Unterricht eingeführt und behandelt werden kann. Dazu werden ganz unterschiedlich geartete Materialien angeboten: Bilder, Übersichtstafeln, Texte, Fragebögen, Lieder, audiovisuelle Medien etc. Wer das Buch zum Selbststudium nutzt und sich alle Materialien erarbeitet hat, bekommt am Ende jedes Kapitels Arbeitsfragen zur Verfügung gestellt, mit denen das Erarbeitete kontrolliert werden kann. Das Kapitel, das Materialien über Liturgie bereithält, ermöglicht den Nichttheologen einen guten Einstieg in dieses weite Feld der Ökumene. Käser, Xaver: Lobpreisgebete für Wort-Gottes-Feiern, Andachten und Eucharistieverehrung. Friedrich Pustet: Regensburg 2019, 128 S. Überaus zahlreiche Lobpreisgebete sind in diesem Band abgedruckt, weil auch in einer Wort-Gottes-Feier das Lob nicht zu kurz kommen soll, insbesondere dann, wenn Laien diesen Gottesdienst anleiten. Zunächst werden Lobpreisgebete auf den Sonntag angeboten, dann für die Feste im Kirchenjahr von Advent bis Pfingsten. Es folgen Lobpreisgebete auf die Schöpfung, für das Licht, auf das Wort Gottes und Jesu Wirken, auf Maria und die Heiligen; zum Abschluss folgen vier eucharistische Lobpreisgebete. Kirchgessner, Bernhard: „Das Kreuz umfassen“. Andachten und Betrachtungen zum Kreuzweg. Herder: Freiburg i. Br. 2019, 153 S. Das Buch wird mit zwei Betrachtungen zu besonderen Kreuzbildern eröffnet. Anschließend werden vier vollständige Kreuzwege vorgelegt. Sie sind mit modernen Bildern ausgestattet von Künstlern, die aus Italien stammen und auch dort leben. Die Texte stammen zumeist von Bernhard Kirchgessner. Der erste Kreuzweg zeigt Bilder von Armando Fettolini, die in Mischtechnik gestaltet sind. Der zweite Kreuzweg zeigt 14 Kreuzwegtafeln von Andrea Cereda. Diese Tafeln sind aus Metallspänen geformt und auf vier Eisenstäben angebracht, die wie ein Rahmen wirken. Der dritte Kreuzweg enthält in Pastell gefertigte Bilder von Valter Gatti, die den Leidensweg Jesu in realistischer Malerei darstellen. Der vierte Kreuzweg stammt von Bruno Lucchi und wurde aus gebrannten Tontafeln gestaltet. Anschließend bietet das Büchlein noch drei weitere, ausgewählte Kreuzwegstationen mit besonderen Bildern.
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Kittler, Johannes: Freude am Leben. Feste feiern im Kirchenjahr (Schriften des PiusParsch-Instituts Klosterneuburg 8). Echter: Würzburg 2019, 261 S. Johannes Kittler verbindet in seiner Einleitung Feste mit dem Sinn des Lebens und bezieht sich dabei auf Viktor E. Frankl. Zum sinnvollen Leben gehören nach Kittler die Arbeits- und Genussfähigkeit, aber auch die Leidensfähigkeit, weil es beim Leiden nicht mehr um Erfolg oder Misserfolg geht, sondern um die Erfüllung des Lebens oder um die Verzweiflung. Feste sind darum jene Ereignisse, die dem Leben den Sinn vergegenwärtigen. Wer keine Feste feiert, für den wird das Leben leer und sinnlos sein, ja letztendlich gleichgültig. Kittler führt anschließend in den Wochen- und Jahresrhythmus der Feste ein. Darauf folgt die Darstellung des Weihnachtsfestkreises, des Osterfestkreises sowie besonderer Festtage, wie z. B. der Heiligengedenktage. Meister, Gabriele: Sexualität und Kirche. Gottesdienst- und Andachtspraxis zu Homo-, Bi-, Trans*- und Inter*sexualität. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2019, 174 S. In den ersten drei Teilen dieses Buches werden Predigten, Gebete und Lieder von Gottesdiensten wiedergegeben, die homosexuelle und heterosexuelle Pfarrerinnen oder Pfarrer in ihren Gemeinden zum Thema Sexualität gehalten haben: in einer Mainstreamgemeinde, in einer Regenbogen-Gemeinde; es findet sich auch eine Predigt, in der sich eine Pfarrerin vor ihrer Gemeinde outet als transident. Es folgen Interviews mit Betroffenen, die eine schwierige Erfahrung mit Kirche machen mussten oder sich in Netzwerken organisieren. Segnungsgottesdienste für Paare und eine Segnung für eine Transition schließen sich an. Es folgt Material für die Arbeit mit Kindergartenkindern, für Jugendliche und für junge Erwachsene. Ein letzter Teil befasst sich mit dem schwierigen Dialog der römisch-katholischen Kirche mit Homosexuellen. Palm-Scheidgen, Barbara: Dass Friede werde unter uns. Friedensgebete und -gottesdienste. Pustet: Regensburg 2019, 119 S. Die Sehnsucht nach Frieden ist lebendig, auch und gerade, weil so viel Unfriede herrscht – sei es öffentlich wahrnehmbar, weil von Krieg, Terroranschlägen oder Missbrauch berichtet wird, sei es, weil der Unfriede eher abseits der öffentlichen Erregung geschieht, wie die weitere Zerstörung der Natur, die Ohnmacht von Menschen oder die Entwürdigung von Personen zeigen. In drei Buchteilen werden unterschiedliche Friedensgebete aufgeführt. Menschen des Friedens: Es wird z. B. an Janusz Korczak, Bertha von Suttner oder Katharina Staritz erinnert; die Gottesdienstformen sind z. B. ein ökumenischer Friedensgottesdienst, ein Vespergottesdienst oder ein ökumenischer Predigtgottesdienst. Anlässe im Kirchenjahr: z. B. Advent oder Pfingsten, Taufe oder ein Sonntag; die Gottesdienstformen sind z. B. Friedensgebete mit Bildbetrachtung, ökumenischer Taufgedächtnisgottesdienst, Eucharistie, Wortgottesdienst. Von der Klage zur Hoffnung: z. B. Klagen des Amos, Gedenktag für die Opfer sexuellen Missbrauchs, Noahs Taube; die Gottesdienstformen sind z. B. politisches Nachtgebet, ökumenische Klageandacht, Wortgottesdienst. Peng-Keller, Simon: Überhelle Präsenz. Kontemplation als Gabe, Praxis und Lebensform. Echter: Würzburg 2019, 220 S. Mit den ersten Sätzen seines Vorworts zeigt Simon Peng-Keller, um was es ihm in diesem Buch geht: „Das vorliegende Buch möchte einen Resonanzraum eröffnen. Damit beim Lesen eigene Erfahrungen anklingen und mitschwingen können, macht es vielfältige Stimmen hörbar. Kontemplation ist eine Resonanzerfahrung. Sie gehört zu den Dingen, die nicht herstellbar sind. Deshalb ist das Buch im Modus der Einladung geschrieben. Es ermutigt, in einen kommunikativen Raum einzutreten, sich auf ein Geschehen einzulassen, das sich der Kontrolle entzieht. Es richtet sich an Menschen, die nach der Lebensfülle suchen, die sich in der Gegenwart verbirgt.“ (7) Er bringt
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auch seine eigenen Erfahrungen mit der Kontemplation ein, die im Buch durch Kursivdruck hervorgehoben werden. Kontemplation galt über Jahrhunderte hinweg als die höchste Stufe des christlichen Gebetsweges, den nur wenige erreichten. Dieser Weg wurde meist in den Klöstern beschritten; die Reformation hat diese Tradition mit der Abschaffung der Klöster weitgehend verloren. Gleichwohl ist die Kontemplation nicht an eine Klosterexistenz gebunden, wie das Buch zeigt. Peng-Keller gibt zuerst eine ausführliche Einleitung in das Thema, um dann in drei Schritten die Kontemplation vorzustellen: Sie ist eine Gabe, eine Praxis und eine Lebensform, die ihre Tiefe in der Stille vor Gott findet. Sauter, Hanns: Handeln, weil Gott uns sendet. Gebete und Gottesdienste für Pfarr gemeinderat und kirchliche Gremien. Friedrich Pustet: Regensburg 2019, 104 S. Es gibt für Pfarrgemeinderäte und kirchliche Gremien viele Anlässe, zu beten oder Gottesdienste zu feiern. Dafür Material zur Verfügung zu stellen, ist die Motivation dieses Buches. Zuerst werden Gebete und Besinnungen für die Sitzungen des Gemeinderates geboten, darauf folgen Gebete für alle möglichen Inhalte, die auf Sitzungen besprochen werden könnten: Bildungsarbeit, Caritas, Öffentlichkeitsarbeit, Gebäude, Umwelt, Dialog der Weltreligionen etc. Daran schließen sich Gottesdienstmodelle für besondere Anlässe an: z. B. zur Einführung eines neuen Pfarrgemeinderates, für eine Mitarbeiterklausur, für einen Gemeindetag, für den Abschluss einer Periode des Pfarrgemeinderates. Schwarz, Christian (Hg.): Konfirmation. Gottesdienste in der Konfirmandenzeit. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2019, 159 S., eine CD-ROM. Es geht um interaktive Gottesdienste, wie die Hinführung schildert. Damit ist nicht nur irgendwelches Mitmachen gemeint, sondern ein eigenes Dabeisein, ein Sich-angesprochen-Fühlen und, dass man sich als Mitfeiernde(r) ernst genommen weiß. Alle Gottesdienste haben ein Thema: sei es ein biblisches, sei es ein aus dem Leben der Jugendlichen gegriffenes. Es werden einige Predigten oder ganze Gottesdienstentwürfe für die Vorstellung der Konfirmanden sowie Gottesdienste von und für Konfirmandengruppen angeboten. Die meisten Entwürfe sind für Gottesdienste zur Konfirmation gedacht, in der Hauptsache handelt es sich dabei um Predigten, weniger um Gottesdienstentwürfe. Es ist kein Entwurf für eine Abendmahlsfeier darunter. Zum Schluss des Buches finden sich noch einige liturgische Bausteine. Tomberg, Markus / Jung, Herbert: Wir gehen mit dir. Kreuzwege für Kinder in Schule und Gemeinde. Herder: Freiburg i. Br. 2019, 48 S. Drei erprobte Kreuzwege für Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren werden hier vorgelegt. Das Büchlein ist schon so gestaltet, dass die Kreuzwege mit ihm begangen werden können. Dass Kreuzwege, die Leid, Angst und Schmerz thematisieren, für Kinder nicht leicht zu gestalten sind, liegt auf der Hand. Darum legen diese Kreuzwege besonderen Wert darauf, dass Kinder auch ihre eigenen Erfahrungen mit Leid und Schmerz ausdrücken können. Beim ersten Kreuzweg – Wir gehen mit dir – handelt es sich um eine Andacht mit Bildbetrachtung; der zweite Kreuzweg – Der Weg vom Dunkeln zum Licht – hat die zu schmückende Osterkerze als Leitmedium; der dritte Kreuzweg – Jesus, wir begleiten dich – geht den Kreuzwegstationen in einer Kirche nach oder folgt im Freien einem Weg mit Bildstöcken. So wechseln sich immer Singen, Beten, Hören auf die Heilige Schrift und Gespräch miteinander ab. Weiß, Thomas: Siehe, ich verkündige euch große Freude. Andachten und Gottesdienstentwürfe für die Advents- und Weihnachtszeit. Neukirchener Verlagsgesellschaft: Neukirchen-Vluyn 2019, 202 S. Für die Zeit von Advent bis Epiphanias sind in diesem Buch zahlreiche gottesdienst-
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liche Entwürfe vorgestellt. Sie zeichnen sich u. a. dadurch aus, dass die Texte meistens durch Liedverse mitgestaltet werden, die von der Gemeinde gesungen werden. So ergibt sich ein Miteinander von neuen, zeitgemäßen und nachdenklichen Texten und Liedtexten aus der Tradition, also neuen Texten und durch die Gemeinde gesungenen, ihr gut bekannten „alten“ Liedern. ‚Hören und Sehen‘ hat Thomas Weiß zum Thema gemacht und lässt so mit Textbildern das Gesagte und Gesungene als Bilder „sehen“, weil die Texte gerade für die Advents- und Weihnachtszeit so bildreich und eindrücklich sind.
Vom französischen zum deutschen Lied Die Melodie des Liedes „Freu dich sehr, o meine Seele“ (EG 524)
Andreas Marti
Die Melodie zu Freu dich sehr, o meine Seele stammt aus dem französischen Psalter. Dort steht sie bei Psalm 42 und erscheint erstmals in der Ausgabe von 1551, die von Loys Bourgeois musikalisch gestaltet wurde. Sie ist im deutschen Kirchenlied gesamthaft gesehen die weitaus häufigste Entlehnung aus dem Genfer Melodienrepertoire. Von den verschiedenen Texten, mit denen sie verbunden wurde, ist wiederum die vorliegende die verbreitetste und begegnet häufig im Orgelrepertoire des Barock.1 Ob die Psalmmelodie – mit aller Wahrscheinlichkeit vom Genfer Kantor (chantre) Loys Bourgeois für die Teilausgabe von 1551 geschaffen – ihrerseits auf eine Vorlage zurückgeht, ist mehr als fraglich. Siegfried Fornaçon hat nach einem Hinweis von Heinrich Besseler dazu auf die Chansonmelodie Ne l ’oseray-je dire verwiesen (vgl. Abb. 2):2 Dagegen sprechen aber mehrere Beobachtungen. – Der Aufbau weicht deutlich ab: Die Chanson wiederholt die ersten drei Verszeilen, die Melodie der vierten und fünften wird mit der sechsten und siebenten Verszeile wiederholt, und zum Schluss wird nochmals die erste Zeile mit leicht verändertem Schluss gesungen, während in der Psalmmelodie nur die ersten beiden Zeilen wiederholt sind. – Das Versmaß der Chanson ist jambisch, das des Psalms trochäisch.
1 Deutsche Fassungen von Psalm 42: Wie ’s Gehirse bremst und rechzet (P. Melissus Schede, DKL 157204), Wie nach einem [!] Wasserquelle (A. Lobwasser, DKL 157303), Wie der Hirsch, der da durstig ist (Ph. zu Winnenberg, DKL 158613), Wie der Hirsch nach frischer Quelle (Chr. J. Riggenbach 1868 / S chaffhausen 1841 / M. Jorissen 1793, RG 30). – Andere Texte: Jericho war verschlossen hart (Ph. zu Winnenberg, DKL 158614), O Gott Vater und Gott Sohne (P. Reinigius, DKL 158708), Barmherziger Herr und Gotte (P. Reinigius, DKL 158708), Ob ich schon arm und elend bin (C. Sigefrid, DKL 160409), Also hoch hat Gott geliebet (J. Heermann, DKL 1640 04), Unsre müden Augenlider (Johann Franck, DKL 165304), Warum willst du draußen stehen (Paul Gerhardt, DKL 165304) Wenn der Herr einst die Gefangnen (S. G. Bürde 1787, EG 298). Text EG 524: Bei Christoph Demantius, DKL 1620 04. Vgl. die hymnologischen Informationen in: Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch (Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch. 3), Heft 28. Göttingen, in Vorbereitung. 2 Fornaçon, Siegfried: Psalm 42 aus Genf. In: JLH 4 (1958/59), 111–114, Abdruck der Chanson 112.
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– Die für die Psalmmelodie besonders charakteristische zweite Abgesangszeile, die den Ambitus über die Oktave hinaus erweitert, hat in der Chanson keine Entsprechung. – Der Rhythmus ist völlig verschieden. – Die Übereinstimmung der Töne beschränkt sich weitgehend auf Anfangsund Schlusstöne einiger Zeilen, dazu auf modustypische Formeln. Das reicht insgesamt nicht aus, um eine Abhängigkeit zu behaupten. Eher in Betracht zu ziehen wäre umgekehrt eine mögliche Abhängigkeit der Melodie zu Gott des Himmels und der Erden (Heinrich Albert; EG 445) von der Psalmmelodie.3 Die stollige Barform ist im französischen Psalter selten anzutreffen. Im Psalter kämen von der Strophenform her 53 Texte für eine Vertonung in Barform in Frage; tatsächlich sind es nur deren 8 (die Psalmen 10, 19, 25, 27, 36, 42, 72 und 138), dazu stimmen in einigen Fällen erste und dritte Zeile melodisch überein, jedoch nicht zweite und vierte, so dass eine Barform nur angedeutet, aber nicht verwirklicht ist (z. B. bei den Psalmen 107 und 118). Hingegen ist sie für das deutsche Lied der Renaissance und darüber hinaus von großer Bedeutung. Es mag sein, dass diese formale Eigenheit die Übernahme der Melodie ins deutsche Repertoire begünstigt hat, zusammen mit der eigenartigen rhythmischen Struktur, die im Folgenden zu beschreiben ist: Im Verhältnis von Textmetrum und Melodierhythmus verhalten sich das französische und das deutsche Lied ganz unterschiedlich. Zunächst scheint der Melodiebeginn dreizeitig zu sein, doch gibt es den Dreierrhythmus im Genfer Psalter nie, so wie überhaupt regelmäßige Taktschemata nicht angewendet werden, weil nicht Takte und Taktgruppen, sondern Vers- bzw. Melodiezeilen die Form bestimmen. Auch von „Synkopen“ kann man nicht sprechen (entgegen der Formulierung von Fornaçon), da die Synkope im Stilbereich der Renaissance zunächst nicht ein rhythmisches, sondern ein harmonisches Element ist; wir bezeichnen es heute als Dissonanzvorhalt. Vielmehr geht es um eine in gewissen Grenzen freie Verteilung von langen und kurzen Noten, und zwar zum großen Teil unabhängig von der Sprache. Das liegt daran, dass die französische Sprache den Unterschied von langen und kurzen Silben kaum kennt und auch die Akzente wesentlich schwächer ausgeprägt sind als im Deutschen. Eine „quantitierende“ Übereinstimmung von Akzentsilben und langen Noten gibt es in den Melodien des Psalters fast nur an den Zeilenschlüssen. Dieser Befund entspricht auch der Metrik der französischen Dichtung, wo die durch das Versmaß bedingten Betonungen nur an den Zeilenenden einigermaßen konsequent realisiert werden. Daher kann es sein, dass Silben, die in der sprachlichen Prosodie unbetont erscheinen, im Versmaß und je nach Situation auch in der melodischen Gestaltung relativ viel Gewicht erhalten. So ist es auch in Psalm 42: Die dritte Silbe im Text Ainsi que la biche rée ist die unbetonte Konjunktion „que“, die vom trochäischen Versmaß her eigentlich
3 Ebd. 113.
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Abb. 1: Psalm 42 im Französischen Psalter. Wiedergabe nach Pierre Pidoux, Le Psautier Huguenot. Im Original in C und in doppelten Notenwerten notiert.
Abb. 2: Chanson Ne l’oseray-je dire (s. Fußnote 2)
betont sein müsste. Der langen Melodienote entspricht also zwar ein metrischer, nicht aber ein prosodischer Akzent. Auf diese Silbe folgen kurze Noten, bis am Zeilenende mit der zweitletzten Silbe „ré-“ die Kongruenz von prosodischem Akzent, metrischem Akzent und Rhythmus endlich hergestellt ist. Diese Tendenz zur vollen metrischen und rhythmischen Kongruenz erst am Zeilenende lässt sich im Genfer Melodienrepertoire häufig beobachten. Sie erzeugt ein
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schwebendes Verhältnis von Text und Melodie im Zeilenverlauf und ist in der beschriebenen Charakteristik der französischen Dichtung plausibel. (Über die Besonderheit am Ende dieser Melodie wird noch zu sprechen sein.) Die Übernahme der Melodie für deutsche Texte verändert die Voraussetzungen. Wegen der deutlicheren Betonung der Akzentsilben sind Differenzen zwischen Prosodie, Metrik und Rhythmus problematischer und werden mindestens ab dem 17. Jahrhundert weitgehend vermieden. In unserem Text bildet der Anfang ein perfekt quantitierendes Muster: Betonungen lang, unbetonte Silben kurz, so dass der Eindruck eines Dreiertaktes entsteht. Dabei kann die zweite Zeilenhälfte (ohne die Zeilenendpause) hemiolisch als großer Dreiertakt gehört werden – von Bourgeois keineswegs beabsichtigt, aber aus dem deutschen Verständnis des Text-Melodie-Bezuges durchaus vertraut. Dieser sekundäre Dreiertakt würde dann so aussehen:
Abb. 3: Melodiezeile 1
Im Zuge der Verlangsamung des Gemeindesgesangs wurde die Melodie, wie viele andere auch, in gleichen Notenwerten notiert, so dass diese Subtilitäten verschwanden. Ausgeglichen notiert erscheint sie beispielsweise bei Johann Sebastian Bach im Schlusssatz Selig sind die aus Erbarmen der Kantate BWV 39 („Brich dem Hungrigen dein Brot“). In den diversen reformierten Psalterausgaben blieb zwar die Notation im originalen Rhythmus erhalten, doch hat man wohl weitgehend in ausgeglichenen Werten gesungen, so dass die Notation keine Relevanz mehr hatte. In den Berner Psalmenbüchern des 18./19. Jahrhunderts gibt es sogar die ausdrückliche Anweisung, man solle die unterschiedlichen Notenwerte nicht beachten:4 Zu wünschen wäre auch, daß alle Noten, ausser der letzten, oder den zwey letzten einer Linie, gleich gesungen würden, weil sonst, anderer Ursachen ganz zu geschweigen, die Beobachtung der ganzen und halben Noten, bey den meisten ihrer Erbauung hinderlich seyn kann.
Der originale Melodieschluss zeigt eine rhythmische Besonderheit, die zu unterschiedlichen Varianten geführt hat. Der Text lautet: „que verrai de Dieu la face“ (= dass ich das Antlitz Gottes sehen werde). Im trochäischen Metrum lautet die Akzentverteilung X x X x X x X x. Die zweitletzte Silbe ist betont und müsste bei der im Psalter für die Zeilenschlüsse sonst respektierten quantitierenden Rhythmik eine lange Note erhalten. Der Schluss ist aber umgekehrt rhythmisiert: lang-kurz-lang auf „la fa-ce“. Das könnte eventuell darauf hinweisen, dass 4 Die Psalmen und Fest-Lieder für den öffentlichen Gottesdienst der Stadt und Landschaft Bern. Bern 1775, zit. nach einem Druck von 1827, Anhang § XV.
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mit der Melodie schon eine implizierte Harmonisierung mitgedacht war und diese mit einer Vorhaltsbildung endet: Die Begleitstimmen kämen bereits auf den Pulsschlag, der in die Mitte der Melodienote fällt, so dass diese zum Quartvorhalt wird, der sich auf der unbetonten Viertelnote auflöst:
Abb. 4 : Melodieschluss (Zeile 8)
Offenbar haben aber schon die Zeitgenossen diese Abweichung von der üblichen Rhythmik für die Melodie allein als störend empfunden; jedenfalls sind im Psalter von Lausanne 1565 die Notenwerte umgekehrt: kurz-lang-lang. Im französischen Raum wurden die Melodien ebenfalls wie im Deutschen eine Zeitlang in gleichen Notenwerten gesungen und dazu auch so gedruckt (so beispielsweise in einer Ausgabe Lausanne 1866). Bei der Wiedergewinnung des differenzierten Rhythmus wurde aber die Lösung von Lausanne 1565 übernommen, so im aktuell gültigen Gesangbuch „Alléluia“.5 Johann Crüger hat in seiner „Psalmodia Sacra“ im Prinzip dieselbe Lösung getroffen, allerdings führt er die Melodie nach oben auf die zweite Tonleiterstufe statt auf den Grundton, so dass er die Vorhaltsbildung zum Leitton in die Mittelstimmen verlegen kann, s. u. Abb. 5.6 Dieselbe Form verwendet er bereits 1640 im „Vollkömmlichen Gesangbuch“ zum Text Also hoch hat Gott geliebet und 1653 in der „Praxis Pietatis Melica“ zu Unsre müden Augenlider, nur mit Melodie und Bass notiert und ohne Hinweis auf die (dennoch mögliche) Vorhaltsbildung. Überhaupt dominiert diese Variante in der Rezeption der Melodie in Deutschland. Sie findet sich beispielsweise auch in der Partita über Freu dich sehr, o meine Seele von Georg Böhm (1661–1733) und auch in der erwähnten Bach-Kantate, wo zusätzlich die drittletzte Note nach oben, nämlich in die Terz geführt ist. Eine andere häufig getroffene Lösung ist im EG und im RG (Nr. 30 zum Text Wie der Hirsch nach frischer Quelle) aufgenommen: Die drittletzte Note wird verkürzt und mit der zweitletzten Silbe zu einem Vorhalt wiederholt, der sich in einer Bindung auflöst. Das hat den Vorteil, dass die ursprüngliche Lage der Noten beibehalten wird, allerdings um den Preis, dass eine im Psalter sonst ausgesprochen seltene Bindung einer Silbe über zwei Töne hinweg eingeführt werden muss. Diese Variante ist (zuerst?) in den „Kernliedern“ des „Eisenacher
5 Alléluia. Lyon 2005, 42A. 6 Johann Crüger: Psalmodia Sacra 1658, hg. von Martin Lubenow, Beeskow 2015, 94 f.
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Andreas Marti
Stamms“ 1854 zu finden,7 dann in den Gesangbüchern des 20. Jahrhunderts (DEG , EKG , RKG) und heute in der von der Arbeitsgemeinschaft für ökume nisches Liedgut AöL definierten ökumenischen Fassung.
Abb. 5: Melodiezeile 8
Die Melodiearchitektur zeigt die für einen großen Teil der Genfer Melodien bezeichnende Strenge und Konsequenz. In diesem Fall bildet der charakteristische quantitierende Rhythmus des Beginns, der in allen Zeilen durchgehalten ist, ein verbindendes Element, während die Großform durch einen Bogen im Gesamtambitus bestimmt ist: Die Spitzentöne jeder Zeile bilden die Folge a-b- (a-b-) c’-d’-c’-b – es mag ein Zufall sein, dass diese Tonfolge der um eine Terz nach oben versetzten zweiten Zeile entspricht. Der Spannungshöhepunkt liegt nicht, wie sonst häufig in der stolligen Barform, direkt beim Beginn des Abgesangs, sondern erst in dessen zweiter Zeile, realisiert zuerst durch den höchsten Spitzenton, der den Oktavambitus überschreitet, und danach durch den implizierten dominantischen Zeilenschluss. Die Gefahr, dass sich im vorliegenden vierzeiligen Abgesang die Auflösung der Spannung zu lange hinzieht, ist auf diese Weise vermieden. Durch die Übernahme der Melodie aus dem französischen ins deutsche Repertoire hat sich auf der rein musikalischen Ebene ihr Charakter zwar nicht verändert, doch zeigt sich an diesem Beispiel, wie entscheidend die Art der Verbindung mit dem Text ist, so dass ihre Struktur eine andere ästhetische Bedeutung bekommt.
7 Deutsches Evangelisches Kirchen-Gesangbuch in 150 Kernliedern. Stuttgart / Augsburg 1854 (Nachdruck, Köln 1995), Nr. 135.
Eine Neuentdeckung: Die „Editio VIII.“ (1659) der „Praxis Pietatis Melica“ von Johann Crüger Wolfgang Miersemann, Monika Suchan, Hans-Otto Korth
Die „Praxis Pietatis Melica“ des Berliner Nikolaikantors und „Directors der Music“ Johann Crüger (1598–1662) ist das am weitesten verbreitete und gewiss bekannteste evangelisch-lutherische Gesangbuch des 17. Jahrhunderts, ja eines der einflussreichsten Gesangbücher schlechthin. Über eine Zeit von fast hundert Jahren erschienen zahlreiche Ausgaben in mehreren Städten des deutschen Sprachraumes, immer wieder erweitert und neu redigiert, in unterschiedlicher Aufmachung und mit unterschiedlichem Anspruch. Über das Freylinghausensche Gesangbuch, dann das Porstsche und andere setzt sich der Einfluss fort und reicht bis in die Gegenwart; viele berühmte Kirchenlieder wären ohne die „Praxis Pietatis Melica“ undenkbar. Seit 2011 ist das Gesangbuch Gegenstand eines von den Franckeschen Stiftungen zu Halle getragenen Editions- und Forschungsprojekts „Johann Crüger: Praxis Pietatis Melica. Edition und Dokumentation der Werkgeschichte“ (PPMEDW ).1 Auf der Grundlage der zu Crügers Lebzeiten erschienenen „Praxis Pietatis Melica“-Ausgaben wurde zunächst die eigentliche Editionsarbeit ausgeführt, eingeschlossen die Gebetbuch-Anhänge, und ein Lied- und Konkordanzverzeichnis sämtlicher überhaupt greifbarer Ausgaben angelegt. Die Ergebnisse liegen in bislang vier Teilbänden vor (die verbleibenden zwei erscheinen in Kürze).2 Im Mittelpunkt steht die Gesangbuchedition selbst (PPMEDW I/1 [2014]), die auf der Grundlage der letzten noch von Crüger selbst besorgten Ausgabe, der „Editio X.“ mit ihren 550 Liedern, erfolgte. Sie war 1661, im Jahr vor dem Tod 1 Das Projekt wurde in der Zeit von April 2011 bis März 2015 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. 2 Crüger, Johann: Praxis Pietatis Melica. Edition und Dokumentation der Werkgeschichte (PPMEDW). Im Auftrag der Franckeschen Stiftungen zu Halle hg. von Hans-Otto Korth und Wolfgang Miersemann unter Mitarbeit von Maik Richter. Zwei Bände in bislang vier Teilbänden. Halle seit 2014. Bd. I: Johann Crüger: Praxis Pietatis Melica. EDITIO X. Berlin 1661. Teil 1: Text. Halle 2014, Teil 2: Apparat. Halle 2015, Teil 3: Johann Habermann: Gebätbüchlein. Berlin 1661. Text und Apparat. Halle 2017; Bd. II/1: Praxis Pietatis Melica. Bibliographie und Dokumente zur Werkgeschichte. Mit einem Notenteil. In Vorbereitung; Bd. II/2: Praxis Pietatis Melica. Tabellarische Übersicht über die Entwicklung des Liedbestands. Halle 2016. Vgl. auch JLH 55 (2016), 258 f.
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Wolfgang Miersemann, Monika Suchan, Hans-Otto Korth
des Nikolaikantors, in Berlin bei Christoph Runge herausgekommen. Die vorangehenden Ausgaben, soweit erhalten, sind im Kommentarband (PPMEDW I/2 [2015]) bedacht. Dieser enthält die Kritischen Berichte zu den auf der Grundlage der „Editio X.“ edierten Texten und Melodien und die Inhaltsverzeichnisse sämtlicher bis 1661 herangezogenen Ausgaben; ferner sind die aus früheren Ausgaben bereits wieder ausgeschiedenen Gesänge ihrerseits mit Kritischen Berichten hier vorgelegt. (Hinzu kommen jeweils gebotene weitere Informationen der üblichen Art, wie Details zum Druck, wissenschaftliche und bibliographische Anmerkungen, Literaturangaben u. a.). Ein weiterer Teilband (PPMEDW I/3 [2017] – Text und Apparat) legt den Gebetbuch-Anhang der „Editio X.“ mit Berücksichtigung der betreffenden vorangegangenen Ausgaben vor; und noch ein weiterer (PPMEDW II /2 [2016]) besteht als Ganzes allein aus einem alphabetischen Gesamtverzeichnis der Lieder in allen bis dato überhaupt bekannten Ausgaben des Gesangbuches. Zu alledem ist zu bemerken, dass von den erhaltenen Ausgaben nicht zwei übereinstimmen. Das betrifft den Inhalt als Ganzen, die Reihenfolge der Lieder und nicht zuletzt deren Lesarten. Zwar nimmt allgemein der Umfang der Ausgaben ständig zu, doch werden, wie bemerkt, gelegentlich Gesänge wieder ausgeschieden, sei es für immer oder nur vorübergehend; oder es finden derart fundamentale Umarbeitungen statt, dass dies einem Ausscheiden und einem Neuzugang gleichkommt. Im Jahre der „Editio X.“, 1661, ist die Anzahl der Lieder, für die das gilt, bereits dreistellig. Auch werden Lieder gelegentlich umgestellt, und eine solche Umstellung kann ebenfalls wieder zurückgenommen werden. (Da das Gesangbuch wie üblich in Teilen und Rubriken nach Funktionen und Kirchenjahreszeiten eingerichtet ist, halten sich solche Umstellungen freilich mehrheitlich buchstäblich im Rahmen.) Für Text- und Melodie-Varianten gilt im Wesentlichen dasselbe. Kurz, jede einzelne Ausgabe ist das Ergebnis gewissenhafter und umfassender Redaktionstätigkeit. Zum Tragen kommen Crügers Sorgfalt, sein nachgerade faszinierender Sinn für Qualität, sein Gespür für die Einrichtung eines jenseits aller Veränderungen doch bestehenden Grundstockes des Liedbestands und dessen Tragfähigkeit, seine Selbstkritik – alles Eigenschaften, die mittlerweile fast schon sprichwörtlich für ihn sind. Es sind vornehmlich die „Praxis Pietatis Melica“-Ausgaben, in denen sie sich bewähren; gleichwohl setzen sie sich in den Ausgaben nach 1661 fort. In mancher Hinsicht hat das ständige Neuredigieren hingegen zur Kehrseite, dass so etwas wie ein ‚Roter Faden‘ nicht auszumachen ist. Insbesondere bei der rhythmischen Gestaltung von Melodie-Zeilenübergängen – seit eh und je bevorzugter Gegenstand von Variantenbildungen und redaktionellen Feilarbeiten – bleibt nicht selten die Frage nach einem übergeordneten Konzept offen, jedenfalls aus gegenwärtiger Sicht. Eine Kritische Edition kann aber nur das Material zusammenstellen und über die Details und ihre jeweilige Behandlung in den einzelnen Quellen unterrichten – künftige Forschung vorbereiten und erleichtern. Seit ehedem ist vor diesem Hintergrund die Lückenhaftigkeit der Reihe erhaltener „Praxis Pietatis Melica“-Ausgaben empfindlich zu spüren.
Eine Neuentdeckung: Die „Editio VIII.“ (1659)
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Das erste Gesangbuch mit dem Titel „Praxis Pietatis Melica“ erschien 1647 in Berlin ebenfalls in der Offizin Christoph Runge.3 Schon Crüger selbst begriff es rückwirkend aber als die zweite Auflage und sein vorangegangenes „Newes vollkömliches Gesangbuch“ von 1640, auch dieses im Hause Runge herausgekommen, als die erste. Zu Lebzeiten des Nikolaikantors reichte die Reihe dann also bis zur „Editio X.“ von 1661. Heute fehlt aus der Abfolge der zehn Ausgaben bereits eben jener erstmals unter dem Titel „Praxis Pietatis Melica“ erschienene Druck von 1647; er ging im Zweiten Weltkrieg verloren.4 Sodann fehlten in der Berliner Stammreihe die nächstfolgenden Editionen III und IV sowie VI , VIII und IX . Ob eine in Frankfurt / Main im Jahre 1656 bei Caspar Rötel erschienene ungezählte Ausgabe inhaltlich der sechsten Edition gleichkommt, muss mehr und mehr dahingestellt bleiben. Diese Ausgabe wurde zwar von Crüger betrieben, aber ohne Billigung seines Berliner Druckers Christoph Runge. Ähnliches gilt für eine erhaltene Stettiner Ausgabe bei Daniel Starck von 1660, die dort sogar tatsächlich als „Editio IX .“ tituliert wurde. Aus Crügers Lebzeiten erhalten also war bislang ein Bestand von sechs Ausgaben (wenn nicht anders genannt in Berlin erschienen): das „Newe vollkömliche Gesangbuch“ (1640)5, die „Editio V.“(1653)6, eine Frankfurter Ausgabe (1656)7, die „Editio VII.“ (1657)8, die Stettiner „Editio IX .“ (1660)9 und, als Editionsquelle von PPMEDW, die „Editio X.“ (1661)10. Darüber hinaus zu nennen sind Crügers mehrstimmige „Geistliche Kirchen=Melodien“ von 1649, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der vierten Edition zu sehen sind.11 Diese sieben Ausgaben mit der „Editio X.“ als Hauptbezug bilden den Grundstock der Halleschen Edition und sind umfassend in den Kritischen Kommentaren berücksichtigt und beschrieben. Aufgrund der vorhandenen Lücken nun besteht insbesondere einige Unsicherheit darüber, wo überall bei den verfügbaren Ausgaben zwischen ältesten erhaltenen Drucken und tatsächlichen Erstquellen unterschieden werden muss. Wie schon angedeutet, lassen sich daneben manche Variantenbildungen 3 Das deutsche Kirchenlied. DKL. Kritische Gesamtausgabe der Melodien. Hg. von Konrad Ameln, Markus Jenny und Walther Lipphardt, Bd. I, Teil 1–2: Verzeichnis der Drucke (zugleich Repertoire International des Sources Musicales B VIII). Kassel [u. a.] 1975–1980 (= DKL / R ISM B VIII), dort PraxBln 164708. 4 Allerdings ist sein Inhalt, gestützt auf ältere Forschung und im Vergleich mit erhaltenen Ausgaben, recht weitgehend rekonstruierbar. Vom Titel und der ersten Seite des Liedteils sind Ablichtungen erhalten; und Crügers Widmungsvorrede an den „Großen Kurfürsten“ Friedrich Wilhelm (1620–1688) ist durch Elisabeth Fischer-Krückeberg teilweise überliefert. Hierüber wird in PPMEDW II/1 unterrichtet. 5 DKL / R ISM B VIII (wie Anm. 3) CrügJ 1640 04. 6 DKL / R ISM B VIII (wie Anm. 3) PraxBln 165304. 7 DKL / R ISM B VIII (wie Anm. 3) PraxFfm 165606. 8 DKL / R ISM B VIII (wie Anm. 3) PraxBln 165708. 9 DKL / R ISM B VIII (wie. Anm. 3) PraxStett 1660 06. 10 DKL / R ISM B VIII (wie Anm. 3) PraxBln 166111. Dabei stimmen die beiden erhaltenen Exemplare nicht bis ins Letzte überein; vgl. PPMEDW I/2, S. 304, und zu einzelnen Kritischen Kommentaren. 11 DKL / R ISM B VIII (wie Anm. 3) Mu CrügJ 164915.
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schwer einschätzen: ob sie einem System folgen oder schlichtem Veränderungsbestreben. Sodann ist über das Ausmaß von Verbindungen der beiden außerhalb Berlins erschienenen Ausgaben zu den betreffenden verschollenen Runge’schen nun doch keine Klarheit zu erzielen. Jegliche Erweiterung des Wissensstandes zur Quellenlage ist aufgrund all dieser und weiterer Unsicherheiten hochwillkommen. Im Sommer 2018 führte eine Verkettung glücklicher Umstände zur Entdeckung eines bis dahin in der Hymnologie vollkommen unbekannten12 Exemplars der Berliner „Editio VIII.“ von 1659 im Besitz der Dombibliothek Hildesheim. Zu verdanken ist dies insbesondere dortigen jüngeren Katalogisierungsmaßnamen nach heutigem Standard und abschließenden Recherchen seitens der Hallenser hymnologischen Forschungsstelle. Das vollständig und recht gut erhaltene Buch hat die Signatur 3 J 993. Es misst etwa 151 zu 88 zu 69 Millimeter und ist paginiert. Nach seiner Entdeckung wurde es sogleich fachkundig digitalisiert.13 Das Exemplar gehört zu einer der bedeutendsten Bestandsgruppen der Dombibliothek Hildesheim,14 der so genannten Josephiner-Bibliothek.15 Diese enthält die historischen Altbestände des Bischöflichen Gymnasiums Josephinum16 und umfasst etwa 13.500 Bände. Deren Kernbestand wiederum bildet die Bibliothek des Hildesheimer Jesuitenkollegs, das 1595 in Hildesheim gegründet wurde. Dieser Orden konzentrierte sich auf Pastoral und Bildung, um den im Verlauf der Reformation eingetretenen Substanzverlusten des Katholizismus entgegenzuwirken. Daher übernahmen die Jesuiten, wie andernorts auch, die Domschule, die zu dieser Zeit seit der Gründung des Bistums und damit immerhin schon knapp 800 Jahre existierte, und richteten, wie es ihr Bildungskonzept zwingend vorsah, eine moderne, leistungsfähige Bibliothek ein. Sie bestand auch nach der Auflösung der jesuitischen Gemeinschaft im späten 18. Jahrhundert fort. Denn erneut übernahm der Bischof von Hildesheim die Schule am Dom und mit ihr die Bibliothek. Während des Nationalsozialismus wurde das Bischöfliche Gymnasium Josephinum enteignet und seit 1942 als städtische Oberschule fortgeführt. Die umfangreichen, von den Jesuiten geprägten historischen Buchbestände der zu diesem Zeitpunkt insgesamt ca. 20.000 Bände umfassenden Bibliothek betrachtete das Regime schlicht als irrelevant und insofern wertlos. Daher überließ es diesen „Ballast“ dem bischöflichen Stuhl, und in der 12 Auch die Mainzer Gesangbuchbibliographie führte es zuvor nicht auf, was uns freundlicherweise von Frau Pfarrerin Dr. Heike Wennemuth bestätigt wurde. 13 Das Gesangbuch wird unter folgender URL erreichbar sein: https://www.dombibliothekhildesheim.de/de/digitale-objekte. 14 Eine grundlegende Darstellung der Geschichte der Dombibliothek fehlt bislang; vgl. daher zuletzt: Bepler, Jochen / S charf-Wrede, Thomas (Hg.): Die Dombibliothek Hildesheim 1996. 15 Zu ihr vgl. Seiters, Julius: Die Bibliothek der Jesuiten und der Josephiner zu Hildesheim. Ihre Geschichte und ihre Bestände 1601–1942, in: Die Dombibliothek Hildesheim (wie Anm. 14), 127–167. 16 Gerlach, Bernhard / Seeland, Hermann: Geschichte des Bischöflichen Gymnasium Josephinum in Hildesheim von der Aufhebung der Gesellschaft Jesu im Jahre 1773 bis zur Zerstörung der Anstaltsgebäude des Josephinums 1945. 2 Bde. Hildesheim 1950.
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Abb. 1: Titelblatt der in der Dombibliothek Hildesheim neu aufgefundenen Editio VIII
Schule verblieben lediglich die modernen, überwiegend für den Unterricht benötigten Werke, insgesamt etwa 6.500 Bände. Paradoxerweise bedeutete das im Großen und Ganzen die Rettung der alten Bücher. Denn rechtzeitig vor der verheerenden Bombardierung Hildesheims im März 1945 wurden sie außerhalb der Stadt gebracht und entgingen – anders als die in der Schule verbliebenen Bände – der vollständigen Zerstörung. Die Umstände der Evakuierung waren allerdings prekär. So fehlte es oft an geeigneten oder überhaupt an Kisten sowie an Leuten, die die Bücher einpackten und transportierten; Bände wurden lediglich nach Größe oder sogar unverpackt in zum Teil offenen Lastkraftwagen transportiert. In den provisorischen Lagerstätten blieben die Josephiner-Bücher noch bis Mitte der 1950er Jahre; und auch nach ihrem Rücktransport an den Hildesheimer Domhof fehlte es an geeigneten
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Bibliotheksräumen. Daher wurde der Bestand insgesamt erst 1996 in dem gerade fertig gestellten Neubau der Dombibliothek Hildesheim aufgestellt und in deren Besitz überführt. Die Folgen dieser glücklichen, aber schwierigen und langwierigen Rettung sind immer noch spürbar. Dazu gehört unter anderem, dass die notwendige komplette Neukatalogisierung der Josephiner-Bibliothek aktuell nur zu ca. 40 Prozent erfolgt ist. Daher konnte die „Editio VIII.“ auch erst jüngst buchstäblich zutage gefördert werden. Eine spannende und für die einschlägige Forschung wohl nicht ganz uninteressante Frage ist, ob diese Ausgabe der „Praxis Pietatis Melica“ tatsächlich einmal in der Bibliothek des Hildesheimer Jesuitenkollegs stand. Nutzte sie also der Orden für seine Missions- beziehungsweise Bildungsarbeit? Oder sperrte er sie aus demselben Grund vielleicht sogar weg, um sie dem internen, wissenschaftlichen Gebrauch vorzubehalten? Entsprechende Vermutungen mögen naheliegen, erscheinen jedoch weniger plausibel, wenn man die Provenienzmerkmale der „Editio VIII.“ genauer betrachtet und diese mit der komplizierten Bestandsgeschichte der Sammlung in Verbindung bringt. Das Hildesheimer Exemplar vereinigt die „Editio VIII.“ mit Johann Habermanns „Gebätbüchlein Auff alle Tage in der Wochen nach eines ieden Noth und Anliegen / wie auch auf sonderliche Personen / gerichtet“; dieses liegt ebenfalls in der im selben Jahr 1659 bei Christoph Runge in Berlin gedruckten Ausgabe vor. Beide Werke bilden einen kompakten, schlichten Band, der durch mit schwarz gefärbtem Ziegenleder überzogene Pappdeckel zusammengehalten wird. Als Zierde wurde er lediglich mit einer sehr dezenten Rahmenprägung versehen. In dieser dunklen Schlichtheit sticht der Band innerhalb des Josephiner-Bestandes, so wie er heute im Magazin der Dombibliothek aufgestellt ist, fast schon hervor. Eine grobe Durchsicht ergab bislang drei Exemplare, die ähnliche, aus der Zeit um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert stammende Einbindungen aufweisen. Zwei von ihnen enthalten Besitzvermerke des Hildesheimer Benediktinerklosters St. Michael, ebenfalls aus dieser Zeit.17 Dies ist nicht erstaunlich, teilen doch beide Ordensbibliotheken, zumindest phasenweise, eine gemeinsame Geschichte: Im Zuge der Säkularisationen seit 1803 wurde das Michaeliskloster aufgehoben und dessen Besitz für das Land Preußen in Anspruch genommen.18 Dazu gehörte auch dessen Bibliothek. Vor deren Abtransport entdeckte der damalige Direktor des Josephinums Franz Xaver Lüsken (1750–1841) darin jedoch zufällig Hunderte von Büchern, die ursprünglich dem Jesuiten 17 Benedicti regula vita et officium. Una cum […] Praxi exercitiorum spiritualium ex […] Joan. Trithemio […] collecta, hg. von Theodor Gangelt. Köln: Sebastian Ketteler, 1703 (Dombibliothek Hildesheim, 3 J 3326); Biblia pentapla. Das ist: Die Bücher der Heiligen Schrift Des Alten und Neuen Testaments, Nach Fünffacher Deutscher Verdolmetschung, Wandsbek: Holle 1711 (Dombibliothek Hildesheim, 3 J 4950); Sermones de sanctis perutiles a quodam fratre hungaro ordinis minorum de observantia comportati Biga salutis intitulati feliciter incipient, Hagenau: Heinrich Gran, Augsburg: Johann Rynmann, 1506 (Dombibliothek Hildesheim, ohne Signatur). 18 Vgl. Faust, Ulrich: [Art.] Hildesheim, St. Michael, in: Die Benediktinerklöster in Nieder sachsen, Schleswig-Holstein und Bremen, bearbeitet von dems. (Germania Benedictina 6). St. Otilien 1979, 218–253.
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kolleg und somit seiner Schule gehörten. Wie war das möglich? Während des Dreißigjährigen Krieges wurde Hildesheim 1634 durch den protestantischen Welfenherzog aus Wolfenbüttel besetzt, und wertvolle Bibliotheksbestände wie jene der Jesuiten gelangten in den Besitz des welfischen Truppenkommandanten. Sie blieben über Jahrzehnte im Besitz von dessen Familie, bis seine Erben gegenüber dem Michaeliskloster in eine so tiefe Verschuldung gerieten, dass sie die Bibliothek des Vorfahren in Zahlung gaben. So gelangten dessen „eigene“ sowie die Jesuitenbibliothek etwa hundert Jahre nach ihrem Raub zurück nach Hildesheim – nunmehr aber in den Bestand des Benediktinerkonvents auf dem gegenüberliegen Hügel. Darüber hinaus gelang es Direktor Lüsken, die Jesuiten-Bücher aus dem Michaelisbestand als Eigentum der Schule zu reklamieren, so dass sie wieder an den Domhof gebracht wurden.19 Zurück zum Beginn der 1730er Jahre, als das Michaeliskloster diese „Privatbibliothek“ der klösterlichen Schuldner und mit ihr die Jesuitenbestände erhielt. In dieser Zeit wurden etliche Inkunabeln, die sich heute ebenfalls in der Dombibliothek Hildesheim befinden und ursprünglich aus dem Besitz dieses Benediktinerkonvents stammen, mit einem entsprechenden Eigentumsvermerk versehen, schwarz eingebunden (oder auch schwarz angemalt) und mit der schlichten Rahmenprägung verziert. Einer jener drei Bände, die der Aufmachung der „Editio VIII.“ so ähneln und die bei der oben erwähnten Durchsicht des Josephiner-Bestands im Magazin der Dombibliothek zutage gefördert wurden, erwies sich gar als (bisher im Haus verborgener) Wiegendruck. Ihren schwarzen Einband dürften die Michaelis-Bücher also dem Kontext jener Umschuldungsmaßnahme verdanken, mit der das Kloster nach 1730 sein Eigentum dokumentierte. Vielleicht war die „Editio VIII.“ auch ein Teil dieser Kompensation und gelangte aus dem Besitz jener Schuldner in das Kloster. Allerdings lassen sich dafür keine weiteren Indizien ermitteln.20 Wahrscheinlich gehörte die „Editio VIII.“ also spätestens zu Beginn des 18. Jahrhunderts zum Bestand des Hildesheimer Benediktiner-Konvents von St. Michael, bevor sie ein weiteres Jahrhundert später in die vormalige Jesuiten- und erneuerte bischöfliche Schulbibliothek gelangte. In St. Michael sorgte man in dieser Zeit wohl auch für neue Buchdeckel beziehungsweise Bezüge. Deren Gestaltung hatte sicherlich auch praktische Gründe: Das dicke, feste Leder verlieh dem Buchblock Stabilität und trug insofern dem Gebrauchscharakter der Bände Rechnung. Das hatte die „Editio VIII.“ zweifellos nötig, weist ihr Buchblock mit den leicht voneinander gelockerten Lagen doch auf intensive Benutzung. Vom Repertoire her stehen sich die beiden bei Runge erschienenen Ausgaben VIII und X recht nahe. Der Bestand ist auch in derselben Reihenfolge21 und 19 Seiters, Julius: Die Bibliothek der Jesuiten und der Josephiner zu Hildesheim (wie Anm. 15), 133–142. 20 Die auf der Titelseite der „Editio VIII.“ eingetragenen mutmaßlichen Initialen „FVM“ lassen sich bislang nicht auflösen oder zuordnen. 21 Die seltsame Vertauschung der beiden Katechismus-Lieder (der Siglierung von PPMEDW nach:) [291*] Vater unser im Himmelreich und [292*] Wir glauben all an einen Gott eingeschlossen.
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unter dieselben Teile und Rubriken angeordnet; und auch die Text-MelodieVerbindungen, Melodieverweisungen und Überschriften kommen sich gleich. Sieben Lieder aber fehlen in der „Editio VIII.“ gegenüber der „Editio X .“ noch;22 und im Unterschied zur „Editio X .“ sind die ersten Strophen nicht unterlegt und sind die Bässe beziffert.23 Wie bemerkt, ist sodann der „Editio VIII.“ wie der „Editio X .“ das „Gebätbüchlein“ des Johann Habermann (1516–1590) angehängt. Beide Anhänge stimmen inhaltlich überein, von Lesartenunterschieden üblicher Art und Ausdehnung abgesehen. Wie auch sonst bei den „Praxis Pietatis Melica“-Anhängen (und seinerzeit üblichem Vorgehen entsprechend) hat auch bei der „Editio VIII.“ das „Gebätbüchlein“ eine eigene Titulatur und eigene Bogen- und Seiten zählung. Nun waren zum Zeitpunkt der Entdeckung des Hildesheimer Exemplars der eigentliche Text- und Apparatband des PPMEDW-Projekts bereits erschienen. Allein im letzten noch in Arbeit befindlichen Teilband „Bibliographie und Dokumente zur Werkgeschichte (1640– nach 1757)“ (PPMEDW II /1, seinerseits nochmals zweigeteilt) konnte dem Fund noch Rechnung getragen werden. Er wurde dort nach den Grundsätzen des Projekts beschrieben und aufgearbeitet; zu den Kritischen Kommentaren erfolgten gerafft die nötigen Nachträge.24 Im vorliegenden Zusammenhang hervorgehoben sei lediglich, dass elf Lieder, für die im Apparatband (PPMEDW I/2) die „Editio X .“ als frühester Nachweis einer „Praxis Pietatis Melica“-Ausgabe oder gar überhaupt als Erstdruck angegeben wurde, tatsächlich schon in der „Editio VIII.“ vorhanden sind.25 Wie aus Druckbeschreibungen und den Kritischen Kommentaren im Apparatband PPMEDW I/2 zu ersehen ist, weist die Stettiner „Editio IX .“ gegenüber der „Editio X .“ nicht geringe Eigenständigkeit auf. Angesichts jener großen Ähnlichkeit der beiden Berliner Ausgaben X und VIII nun tritt diese Eigenständigkeit jetzt noch schärfer hervor. Es ist nicht gut anzunehmen, dass die Berliner neunte Edition die Abfolgen von Gemeinsamkeiten zwischen der achten und der zehnten vorübergehend unterbrochen hat, aus ihnen ausgeschert 22 (Der Siglierung von PPMEDW nach:) [372] Also hat Gott die Welt geliebt, das merke, [373] Herr, aller Weisheit Quell und Grund, [374] Jesu, allerliebster Bruder, [375] Geduld ist euch vonnöten, [548*] O großer Gott von Macht und reich von Gütigkeit, [549] O ew’ger Gott, Herr Zebaoth, [550] Herr Jesu Christe, Weltheiland. Umgekehrt hat die „Editio VIII.“ kein Lied, das in der „Editio X.“ ausgeschieden worden wäre. Bis 371 also stimmen beide Ausgaben auch in der Liedzählung überein. 23 In PPMEDW I/1 ist die Bezifferung nach anderen Editionen nachgetragen, vgl. dazu PPMEDW I/2, S. 43 f. 24 Siehe dann PPMEDW II/1.1 (Druck in Vorbereitung). 25 (Der Siglierung von PPMEDW nach:) [19] Zu dir von Herzensgrunde, [20*] Der Tag bricht an und zeiget sich, o meine Seele, [123] O Fürstenkind aus Davids Stamm, [124*] Dies ist der Tag der Fröhlichkeit, [125] Ihr, die ihr los zu sein begehrt, [129] Hilf, Herr Jesu, lass gelingen, [130] Das liebe neue Jahr geht an, [141] Nun, liebe Seel, nun ist es Zeit, [161] O Mensch, bewein dein Sünde groß, [282] Jesu, meine Liebe, die ich, [430] Nach dir, Herr, mich verlanget. Und bei [122] Erheb, du werte Christenheit erweist sich die Quellenangabe „PraxBln 1659, S. 231 f., Nr. 122“ als zutreffend; s. Anm. 33.
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ist. So bleibt der Schluss, dass sich der Stettiner Druck trotz der ausdrücklichen Bezeichnung als „Editio IX .“ in einigem von der verschollenen Runge’schen neunten Ausgabe unterschieden haben muss.26 Noch Weiteres mehr erscheint durch den Fund in hellerem Licht: Selbstverständlich muss eine Auflagenreihe, von der eine „Editio X.“ vorliegt, auch eine „Editio VIII.“ gehabt haben. In der bisherigen Forschung aber findet sich hierzu kaum etwas. Selbst ein Spezialist wie Christian Bunners lässt in seinem MGG - Artikel zu Johann Crüger (2001) zwar Erwägungen zu anderen verschollenen Ausgaben erkennen, zur achten Auflage indes nicht.27 Wie sich aber jetzt herausstellt, stand im 19. Jahrhundert für kurze Zeit, wohl kaum zehn Jahre, sehr wohl ein Exemplar der „Editio VIII.“ aus Privatbesitz zur Verfügung. Nur hat niemand gewusst, niemand wissen können, dass es sich dabei um ein solches handelte:28 Im Jahre 1857 vermerkt der Berliner Theologe Karl Friedrich Theodor Schneider (1821–1895), dass „ein freilich ganz verwittertes Exemplar“ der „Praxis Pietatis Melica“ von 1659 in seine Hände gelangt sei.29 Das Titelblatt fehlte und mit ihm die Bezeichnung der Ausgabe; die Datierung erfolgte über das angehängte Gebetbuch. Dasselbe Fragment wurde dann von Julius Mützell (1807–1862) für seine „Geistlichen Lieder der evangelischen Kirche aus dem siebzehnten und der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts“ (1858) mit herangezogen.30 Danach wird es 1866 von Johann Friedrich Bachmann (1799–1876) in dessen Ausgabe der Paul Gerhardt-Lieder erwähnt; allerdings hebt Bachmann hervor, dass er es nicht in Händen gehabt habe.31 Albert Friedrich Wilhelm Fischer (1829–1896) lässt in seinem gewichtigen „Kirchenlieder-Lexikon“ (1879) nur noch vage Kenntnis von ihm durchschimmern.32 – Schneider glaubte seinerzeit, ein Exemplar der neunten Edition vor sich zu haben. Tatsächlich
26 Damit erscheinen die Angaben in PPMEDW I/2, S. 41 oben unter 5., und S. 65, wonach der Stettiner Druck im Wesentlichen eine Neuausgabe der Berliner neunten sei und gegenüber dieser nur geringe Zusätze enthalten habe, nunmehr zu stark vereinfacht. 27 [Art.] Crüger, Johann, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begr. von Friedrich Blume. 2., neubearbeitete Ausgabe hg. von Ludwig Finscher (MGG2). Personenteil 5 (2001), Sp. 140–148, vgl. dort Sp. 144 f zu „Gesangbuch-Editionen“. 28 Auch bei PPMEDW I/2, Nr. 122 hatten wir nur die Jahreszahl angegeben; s. Anm. 25. 29 Schneider, Karl Friedrich Theodor: Beiträge zur Liedergeschichte Paul Gerhards, in: Deutsche Zeitschrift für christliche Wissenschaft und christliches Leben 8 (1857), Nr. 17, S. 135–138, dort S. 136. 30 Mützell, Julius: Geistliche Lieder der evangelischen Kirche aus dem siebzehnten und der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, von Dichtern aus Schlesien und den umliegenden Landschaften verfaßt; mit Bemerkungen über die Geschichte der Lieder, literargeschichtlichen Beigaben und Registern / zusammengestellt und nach den ältesten Drucken herausgegeben. Braunschweig 1858, Ndr. Hildesheim / New York 1975. 31 Bachmann, J[ohann] F[riedrich] (Hg.): Paulus Gerhardts geistliche Lieder. Historisch-kritische Ausgabe. Berlin 1866 (Ndr. o.O.u.J., hansebooks); vgl. dort S. 7 zu Nr. 6. 32 Fischer, A[lbert] F[riedrich] W[ilhelm]: Kirchenlieder-Lexikon. Hymnologisch-literarische Nachweisungen über ca. 4500 der wichtigsten und verbreitetsten Kirchenlieder aller Zeiten in alphabetischer Folge nebst einer Übersicht der Liederdichter. Bd. I: A–J. Gotha 1879; Bd: II: K–Z. Gotha 1879; Supplement: A–J. Gotha 1886 (Ndr. der Bde. I und II Hildesheim 1967).
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Wolfgang Miersemann, Monika Suchan, Hans-Otto Korth
jedoch war es eines eben der „Editio VIII.“; das geht nunmehr aus einzelnen Zahlenangaben bei Mützell im Vergleich mit dem Hildesheimer Fund hervor.33 Weiterhin ungelöst freilich bleibt ein altes Rätsel, die Frage nämlich, was es mit der Benennung einer „Praxis Pietatis Melica“-Ausgabe durch Emanuel Christian Langbecker in dessen Johann Crüger-Ausgabe von 1835 auf sich hat:34 Der dort zitierte Titel passt nach heutigem Wissensstand zu überhaupt keiner Ausgabe. Daneben wird die angegebene Jahreszahl 1658 immer unverständlicher, kam doch die „Editio VII.“ im Jahr 1657, und, wie wir jetzt wissen, die „Editio VIII.“ 1659 heraus. Ausgangspunkt für die Erfassung und Beschreibung von Gesangbüchern mit Noten bis 1800 ist nach wie vor die Bibliographie DKL / R ISM B VIII (1975/80),35 auch wenn einzuräumen ist, dass sie vor dem Hintergrund heutiger Katalogisierungsmethoden und Recherchemöglichkeiten mittlerweile deutlich an Aktualität verloren hat. Hier (I.2, S. 190) ist ein Eintrag „PraxBln 165936“ erfolgt, der unter Bezug auf Bachmann erkennbar auf das Schneider’sche Fragment ausgerichtet ist; dieses wird als verschollen gemeldet. Indem keine Titelseite zitiert werden konnte, musste auch bei DKL / R ISM B VIII die Position innerhalb der Ausgabenreihe offenbleiben. Nunmehr also ist dort für PraxBln 165936 die Dombibliothek Hildesheim als Fundort nachzutragen (D HId) und das Klarheit schaffende Titelblatt (s. die Abbildung) gemäß den einstigen Leitlinien von DKL / R ISM B VIII darzubieten. Als Beschreibung ist anzugeben: schmal 12o – (24) 1083 (15); 192 Sn.
33 Z. B. bei Mützell, Julius: Geistliche Lieder der evangelischen Kirche (wie Anm. 30), 321, zu Nr. 264; danach PPMEDW I/2, zu Nr. 122. Wohl in Anlehnung an Mützell dann auch bei Bode, Wilhelm: Quellennachweis über die Lieder des hannoverischen und des lüneburgischen Gesangbuches samt den dazu gehörigen Singweisen. Hannover 1881, 199 zu Nr. 71. 34 Langbecker, E[manuel] C[hristian] G[ottlob]: Johann Crüger’s, von 1622 bis 1662 Musikdirektor an der St. Nikolai-Kirche in Berlin, Choral-Melodien. Aus den besten Quellen streng nach dem Original mitgetheilt, und mit einem kurzen Abrisse des Lebens und Wirkens dieses geistlichen Lieder-Componisten begleitet. Berlin 1835, 16 f.; danach auch Becker, C[arl] [Ferdinand]: Die Choralsammlungen der verschiedenen christlichen Kirchen. Chronologisch geordnet. Leipzig 1845, 101. 35 Siehe Anm. 3.
The Hymn Repertory of the Dresden Court Chapel in the Later Seventeenth Century Mary E. Frandsen
Scholars who seek to study the actual repertory of hymns sung in a particular church, city, or region during the first two centuries of Lutheranism usually find themselves constrained by a want of documentation. As Andreas Marti has pointed out, our sources regarding hymnody are primarily „prescriptive“ in nature: numerous hymnals and hymnal prefaces bear witness to what was desired with respect to hymnody. But sources that document the „actual existing“ hymnody, as it were, are much more scarce. What was the practice? What did one sing? How much did one sing?1
The main types of descriptive source that might assist scholars in answering these questions are those related to the liturgical planning process. Very few of such documents, however, have come to light. But a body of descriptive sources of a different nature does survive from the seventeenth-century Dresden court. Many of the court diaries (Hofdiarien2 or Hoftagebücher) of Saxon Elector Johann Georg II (reigned 1656–1680) preserve numbered orders of worship (Gottesdienstordnungen) from liturgies celebrated between 1660 and 1679.3 These orders of worship help to answer the questions posed by Marti, at least as they pertain to one center of worship, as they document the hymns that were sung in hundreds of court worship services. They record the incipits of hymns as well as their liturgical positions in the principal morning worship services (“Hauptgottesdienste”), vespers, the prayer hour (Betstunde) and other services. In addition, they reveal the cursus of hymns sung on an annual basis, the approximate number of hymns sung during a given church year, and the frequency with which the court congregation sang particular hymns. 1 Marti, Andreas: „das gantze Psalmbuch in zeit von 8. Jahren. . .“ Eine Notiz aus dem Berner Oberland, in: JLH (50) 2011, 163–166, here 163: „Unsere Quellen zum Kirchengesang früherer Zeiten sind vorwiegend ‚präskriptiver‘ Art: Zahlreiche Gesangbücher und Gesangbuchvorreden zeugen davon, wie man sich den Gesang gewünscht hat. Weit dürftiger ist die Lage bei den deskriptiven Quellen, die sozusagen den ‚real existierenden‘ Kirchengesang belegen. Wie war die Praxis? Was hat man gesungen? Wieviel hat man gesungen?“ 2 Original designations of the sources and of liturgical terms are reproduced in italics. 3 Today the diaries, which document the elector’s daily activities (including attendance at church services) are housed in the Hauptstaatsarchiv Dresden and in the Sächsische Landesbibliothek – Landes- und Universitätsbibliothek Dresden (D-Dl). For the holding institutions and shelf numbers of the sources, cf. n. 6 below.
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Moreover, they also testify to the court’s observation of several contemporary hymn practices, including the singing of single stanzas of hymns at particular liturgical junctures, and the alternatim singing of Latin hymns and their German equivalents. Finally, they also demonstrate that the hymns of Luther and his contemporaries still dominated the chapel hymn repertory at this time, and that the newer hymns of the seventeenth century enjoyed little cultivation in the worship services there.4 Altogether the court diaries of Johann Georg II preserve about 400 orders of worship for church services celebrated in the court chapel between 1660 and 1679. Nearly all of the diaries from this period hold at least a few orders of worship; those for 1662, 1665–1667, 1673, and 1676, however, either preserve orders of worship for an extended period or for the entire liturgical year. The majority of these relate to the principal worship service (Hauptgottesdienst) on Sundays and feast days; only about a quarter record the liturgical content of other services, and of these, the majority relate to vespers on feast days.5 The content of these orders of worship illuminates the hymn tradition of a specific center of worship during a particular period of its history. At the same time, however, these records shed light on a series of broader questions related to the history of hymn-singing in Lutheranism. Previously these valuable liturgical sources were only available for study in situ at the institutions that preserve them. But because of their great significance for the study of the intersections of hymnody, liturgy, and sacred art music in early modern Lutheranism, the author recently made them readily accessible as a searchable online resource.6 By means of this resource, one may easily consult the entire corpus of orders of worship upon which this study is based. For the most part, the orders of worship found in the diaries conform to the church order (Kirchenordnung) developed by Johann Georg II for his court chapel in 1662 (hereinafter KO 1662). This liturgical formulary prescribes the type and number of services to be celebrated on Sundays, feast days, apostles’ days, and weekdays, the liturgical form of those services, and some of the precise 4 For studies based on these documents, see Frandsen, Mary E.: Crossing Confessional Boundaries: The Patronage of Italian Sacred Music in Seventeenth-Century Dresden, New York 2006; Schmidt, Eberhard: Der Gottesdienst am Kurfürstlichen Hofe zu Dresden: Ein Beitrag zur liturgischen Traditionsgeschichte von Johann Walter bis zu Heinrich Schütz, Göttingen 1961; Fürstenau, Moritz: Zur Geschichte der Musik und des Theaters am Hofe zu Dresden, Bd. I, Dresden 1861 / Leipzig 1971. 5 Although vespers was celebrated every Sunday afternoon in the court chapel, the court sec retaries (likely at the direction of the elector) entered into the diaries only the orders of worship for vespers on feast days, the services in which the Italian musicians performed the figural music. On the musical activities of the Italians, see Frandsen, Mary E.: Crossing Confessional Boundaries (cf. n. 4), 348–437. 6 See Frandsen, Mary E.: Worship Culture in a Lutheran Court Chapel: Sacred Music, Chorales, and Liturgical Practices at the Dresden Court, ca. 1650–1680, JSCM Instrumenta, vol. 5 (created January 2019), https://sscm-jscm.org/instrumenta/instrumenta-volumes/instrumentavolume-5/ (free access; 10.12.2019). This online resource represents a collation of the orders of worship found in the court diaries for the years 1660–1679, and includes a list of the sources (under „Bibliography“), introductory notes, and explanatory references.
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liturgical and musical content (see below).7 Only an order of worship for the early communion service (celebrated before the principal morning service) is missing from the formulary. Johann Georg II seems to have developed his church order early in his reign, doubtless in consultation with his court preachers.8 The final version of the formulary seems to have been fully implemented by the latter part of 1662; orders of worship from 1660–1661 still depart from it in a few details.9 The KO 1662 served as the principal liturgical resource for the court clergy and the musicians leading the court musical ensemble (Hofkapelle). Its official nature is confirmed both by the court’s adherence to it throughout the elector’s reign, as manifested in the orders of worship in the diaries, and by the fact that the court secretaries employed its wording when formulating those orders of worship. Order of Worship for the Principal Morning Worship Service (“Hauptgottesdienst”) on Sundays, Feast Days, and Apostles’ Days10 1. 2. 3. 4. 5.
Introitus11 Missa (concerted Kyrie and Gloria)12 Allein Gott in der Höh’ sei Ehr Collect and Epistle A German hymn13
7 The KO 1662 includes liturgical prescriptions for Advent 1, Christmas (three days); New Year’s Day, Epiphany, Purification, Annunciation, Easter (three days), Ascension, Pentecost Sunday, Holy Trinity, St. John the Baptist, Visitation, Mary Magdalene, and St. Michael; see Spagnoli, Gina: Letters and Documents of Heinrich Schütz, 1656–1672: An Annotated Translation, Ann Arbor and London 1990, 175–209. Spagnoli gives both the German text and an English translation. The original document is found in D-Dl as Msc. K 89, Ordnung Wie der Durchlauchtigste Hochgebohrne Fürst und Herr, Herr Johann Georg, der Ander, Hertzog zu Sachßen … und Churfürst … es in Dero Hoff=Cappella, mit der Musica, an denen Fest= und Sontagen, auch in der Wochen, hinführo wolle gehalten haben. 8 See Frandsen, Mary E.: Crossing Confessional Boundaries (cf. n. 4), 348–351. Jacob Weller (1646–1664) and Martin Geier (1665–1680) served as senior court preacher during the reign of Johann Georg II. A number of theologians served as second and third court preacher during this period, among them Christoph Laurentius (Lorenz), Valentin Heerbrand, Johann Andreas Lucius, Georg Green, and Samuel Benedict Carpzov. 9 See the discussion of the development and implementation of the Kirchenordnung in Frandsen, Mary E.: Crossing Confessional Boundaries (cf. n. 4), 341–361. 10 See Spagnoli, Gina: Letters and Documents of Heinrich Schütz (cf. n. 7), 175–192. The weekday service with a sermon, celebrated on Wednesday and Friday mornings and on Monday, Tuesday, and Wednesday in Holy Week, is omitted here due to its somewhat truncated order of worship, which included a psalm of Cornelius Becker sung to a hymn melody, a hymn, a collect and scripture reading, the creedal hymn (Glaube), the sermon, a hymn or German litany, a collect and blessing, and a hymn (the latter only in Holy Week). 11 The various musical forms of the Introitus are discussed below. 12 On apostles’ days, the German hymn Kyrie, Gott Vater in Ewigkeit replaced the Greek Kyrie, and the Latin Gloria was not sung. The figural compositions (mass movements, sacred concertos and motets, Litany, Te Deum, etc.) that formed part of the worship services on Sundays, feast days, and apostles’ days were sung a cappella during Advent and Lent, and on a few other Sundays. 13 On the Feast of the Annunciation, Pentecost Sunday, and the Feast of St. Michael, the litany was often sung in this position.
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6. Gospel 7. Sacred concerto or motet, or concerted Credo14 8. Glaube 9. Sermon15 10. Sacred concerto or motet16 11. A German hymn 12. Collect and Blessing 13. Short hymn or versicle17 Vespers on Sundays and Feast Days18 Vespers with a Sermon Vespers without a Sermon 1. Versicle19 1. Versicle 2. Figural Latin psalm 2. Figural Latin psalm 3. Sacred concerto or motet20 3. Sacred concerto or motet 4. Scripture Reading 4. Chorale 5. Chorale 5. Scripture Reading 6. Sermon (with sermon hymn) --7. Magnificat21 6. Magnificat 8. Sacred concerto or motet 7. Sacred concerto or motet 9. Chorale 8. Chorale 10. Collect and Blessing 9. Collect and Blessing
14 The concerted Credo was performed by the Hofkapelle on the four Sundays of Advent, Christmas Day, the Sunday after Christmas, New Year’s Day, the Sunday after New Year’s Day, Epiphany, Purification, Annunciation, the first four Sundays in Lent, Easter, Pentecost, and Trin ity Sunday, Ascension, Visitation, the 10th Sunday after Trinity, and the Feast of St. Michael. 15 With the exception of the Sundays in Lent and the Sundays after Trinity, the sermon i ncluded a sermon hymn. See the discussion of the sermon structure below. 16 On the feasts of Purification, the Holy Trinity, John the Baptist, and Mary Magdalene, the concerted Te Deum either preceded or replaced the sacred concerto. 17 Not included on apostles’ days. 18 Vespers with a sermon was celebrated on the 1st and 4th Sundays of Advent, the three days of Christmas, New Year’s Day, Annunciation, Easter Sunday and Monday, Ascension, Pentecost Sunday and Monday, Trinity Sunday, and the Feast of St. Michael. All other feasts, and vigils of feasts, observed the form of vespers without a sermon. On the feasts of John the Baptist and Mary Magdalene, the Sunday (German) vespers was celebrated. See Spagnoli, Gina: Letters and Documents of Heinrich Schütz (cf. n. 7), 175–192. 19 Always the versicle Deus in adjutorium meum. 20 On Christmas Day, the sacred concerto, scripture reading, and chorale (nos. 2–4) were replaced by a musical setting of the Christmas Historia (Weihnachtshistorie), such as Schütz’s “Historia der […] Geburt Jesu Christi” (SWV 435). On Easter Sunday, a musical setting of the Resurrection Historia (Auferstehungshistorie), such as Schütz’s “Historia der […] Auferstehung […] Jesu Christi” (SWV 50), replaced these items. 21 On Christmas Day, three German hymns (Lobt Gott ihr Christen allzugleich, Wir Christen Leut, and In dulci jubilo) were interpolated into the Magnificat at three spots, and the sacred concerto following the Magnificat was omitted.
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The orders of worship from the Dresden court hold a wealth of detail on the rich liturgical practices of the court, and on the variable musical elements of the worship services. Thus they contribute to our understanding of Lutheran worship in a seventeenth-century court chapel in fundamental ways. They allow us to reconstruct the cycles of congregational hymns sung during the various liturgies, as well as the sacred figural music sung by the court musical ensemble – mass settings, Magnificats, psalm settings, sacred concertos, motets, and other works. In addition, their detailed descriptions of the chapel on feast days and birthdays, and of the court protocols associated with worship, contribute much to our understanding of the representational nature of liturgy in an early modern German court.22 In an earlier study, the author used these documents to examine questions related to the liturgical forms cultivated at the court, and the enhancement of the worship services with Italian figural music.23 The present study offers observations on various aspects of the hymn repertory as well as on practices associated with hymnody observed at the court.
Hymns at the Introitus According to the elector’s liturgical formulary, the morning services celebrated on Sundays, feast days, apostles’ days, and weekdays might be opened in a variety of ways.24 For most Sundays, the KO 1662 prescribes that a hymn should be sung in this position, but leaves the choice of hymn open. But for feast days, the KO 1662 specifies that the traditional Latin introit should replace the opening hymn, while not indicating what musical form this introit should take. The court diaries, however, reveal that during the 1660s and 1670s, these festal chants were frequently presented as motets composed by vice-Kapellmeister Christoph Bernhard (1627–92); unfortunately, none of these survive today.25 The diaries also reveal that on some special occasions, the court musical ensemble might perform a large-scale figural work as the introit; here one finds in particular
22 See, for example, the entries for New Year’s Day, Easter Sunday, Pentecost Sunday, the Feast of John the Baptist, Birthday Services, and other occasions in Frandsen, Mary E.: Worship Culture in a Lutheran Court Chapel (cf. n. 6), „The Compilation“. See also Frandsen, Mary E.: Worship as Representation: the Italianate Hofkapelle of Johann Georg II as an Instrument of Image Creation, in: Marx, Barbara (Hg.): Kunst und Repräsentation am Dresdner Hof, München 2005, 199–235. 23 See Frandsen, Mary E.: Crossing Confessional Boundaries (cf. n. 4), 172–340, 362–437. 24 The opening of the early communion service, a liturgy for which does not appear in the KO 1662, exhibits considerable variation. The service frequently opened with the Kyrie hymn, Kyrie, Gott Vater in Ewigkeit, and was followed by the intonation (only) of the Latin Gloria and a Gloria hymn, either Allein Gott in der Höh’ sei Ehr or All Ehr und Lob soll Gottes sein. One of the Schütz-Becker psalms might precede the Kyrie hymn, however, and various penitential hymns (such as Ach Herr, mich armen Sünder) might also replace the Kyrie hymn. Other variations are also seen. 25 Kapellmeister Giuseppe Peranda (1626–1675) also composed a few of these introit motets.
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concerted psalm settings by Heinrich Schütz.26 Other practices are documented here as well; on both the Second Day of Christmas and on Easter Sunday, the Introit featured an alternatim performance of a Latin chant and its German equivalent.27 In addition, Schütz’s four-part settings of the metrical psalms of Cornelius Becker opened the morning service on apostles’ days, while the morning weekday services, which included a sermon, opened either with a Schütz-Becker psalm, or a Becker psalm sung to a chorale melody (which is also indicated in the diary). Either a hymn or the Latin responsory Si bona suscepimus might be sung as the introit at funerals and memorial services.28
“Gradual” Hymns The orders of worship that survive for the years 1660–1679 suggest that the court practice regarding the Gradual hymn resists easy systematization. The KO 1662 stipulates that a hymn be sung between the Epistle and Gospel (Epistel and Evangelium) in all morning liturgies, and specifies the hymn on most feast days as well as on a few Sundays; the diaries then further reveal that the court congregation regularly sang the designated hymns on those occasions each year.29 But on the vast majority of Sundays as well as on a few feasts, most notably Pentecost Monday and Tuesday, the KO 1662 leaves the choice of Gradual hymn open.30 On a number of these occasions, the diary entries suggest that the choice of Gradual hymn was consistent from year to year,31 but that on many more occasions, the congregation sang a variety of hymns in this liturgical position.32 And it also appears that in Dresden, these variable Gradual hymns were sometimes selected on the basis of their seasonal associations rather than for their direct relationship to the Gospel for a specific Sunday or feast day. On the 2nd Sunday after Epiphany in 1662, 1666, and 1673, for example, the court congregation sang three different Christmas hymns as the Gradual hymn, none of which would seem to bear any thematic relationship to the Gospel of the day, The Wedding at Cana (Jn 2:1–11). Instead, they all reflect the court tradition of 26 See, for example, the entries for the Feast of Mary Magdalene (1668), the 18th Sunday after Trinity (1662), and the 21st Sunday after Trinity (1665) in Frandsen, Mary E.: Worship Culture in a Lutheran Court Chapel (cf. n. 6), „The Compilation“. 27 2nd Day of Christmas: Grates nunc omnes and Danksagen wir alle Gott; Easter Sunday: Salve festa dies and Also heilig ist der Tag. 28 See also the discussion of introits in Schmidt, Eberhard: Der Gottesdienst am Kurfürstlichen Hofe zu Dresden (cf. n. 4), 62–66. 29 One sees some variation, however, on the feasts of Mary Magdalene and St. Michael. 30 See Spagnoli, Gina: Letters and Documents of Heinrich Schütz (cf. n. 7), 187, 205. 31 See, for example, the 3rd Sunday of Advent, Sexagesima, Cantate, Rogate, and the 1st, 6th, 10th, 11th, 17th, 20th, and 22nd Sundays after Trinity. 32 The Dresden practice sheds light on the question of whether a „fixed detempore“ of Gradual hymns actually existed at this time; see the discussion in Gojowy, Detlef: Kirchenlieder im Umkreis von J. S. Bach, in: JLH 22 (1978), 79–123, here 79–83.
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observing the Sundays after Epiphany as the continuation of the festal period of Christmas. In other cases, however, a close thematic connection between the Gradual hymn and the Gospel of the day can be observed. On the Feast of Mary Magdalene, for example, the congregation in the court chapel sang only penitential hymns at the Gradual, all of which resonate with the content of the Gospel, The Anointing of Jesus by a Sinful Woman (Lk 7:36–50).33 But one also finds Sundays on which the Gradual hymns show considerable contrast in thematic focus from one year to another. On the 12th Sunday after Trinity, for example, the court congregation sang at least three different hymns at the Gradual: Durch Adams Fall, Nun lob, mein Seel, den Herren, and Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ.34 In this case, each hymn seems to treat a different aspect of the Gospel, Jesus Heals a Deaf Man (Mk 7:31–37). Due to its stress on the doctrine of justification, Durch Adams Fall seems perhaps to be the most apparent choice to accompany this reading. But both other hymns also offer thematic connections to the account of this healing: in Nun lob mein Seel, Christ is praised for his salvific act of mercy, and in Ich ruf zu dir one can hear the deaf man’s urgent plea to Christ for healing. Only a study of the sermons of the court preacher (which unfortunately do not survive for these years) could reveal something about the relationship between these different themes and the Gospel exegeses delivered from the pulpit in these years. The court diaries also reveal that hymns sung at the Gradual in certain years were frequently also sung in different liturgical positions on the same Sundays or feast days in other years (see below). This reflects the fact that numerous firm associations had developed between specific hymns and specific dates in the liturgical calendar over the course of time, as is also seen in the lists in hymnals that prescribe hymns for particular Sundays and feast days. But this also indicates that, like the hymn at the Gradual, hymns that were sung in other liturgical positions were also selected for their relationship to the Gospel of the day. 4th Sunday of Advent: Nun komm, der Heiden Heiland Introit (1660) Gradual (1661, 1665) Before the final blessing (1662, 1679) After the scripture reading (Vespers, 1660) After the Magnificat (Vespers, 1672)
33 The KO 1662 prescribes Ach Gott und Herr, which was sung in 1662, 1664, and 1666. How ever, the congregation sang Allein zu dir, Herr Jesu Christ in 1667, Erbarm dich mein, o Herre Gott in 1668, and Auf meinen lieben Gott in 1676. See Frandsen, Mary E.: Worship Culture in a Lutheran Court Chapel (cf. n. 6), „The Compilation“, „Feast of Mary Magdalene“. 34 See also the similarly great variety on the 2nd, 3rd, 4th, 5th, 7th, 8th, 9 th, 12th, 13th, 14th, 15th, 16th, 19 th, 21st, 23rd, and 24th Sundays after Trinity in Frandsen, Mary E.: Worship Culture in a Lutheran Court Chapel (cf. n. 6), „The Compilation“.
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2nd Sunday after Epiphany: Vom Himmel hoch Introit (1665) Gradual (1662) Closing hymn (1665; stanza 13 only) Pentecost Monday: Nun bitten wir den Heiligen Geist Gradual (1662) Sermon (1666, 1667, 1673, 1676) 3rd Sunday after Trinity: Erbarm dich mein, O Herre Gott Ach Gott und Herr Gradual (1662, 1666) Gradual (1665, 1672) Before the final blessing (1665)35 Before the final blessing (1662) 7th Sunday after Trinity: Vater unser im Himmelreich Introit (1665) Gradual (1662, 1666)
Warum betrübst du dich Gradual (1665) Introit (1666)
12th Sunday after Trinity: Durch Adams Fall Introit (1666) Gradual (1662)
The Size of the Hymn Repertory The surviving orders of worship from the Dresden court report a total repertory of 128 hymns, among them six in Latin.36 All but a few of these appeared in the 1656 Dresden hymnal.37 The size of the hymn repertory documented by the diaries stands somewhat in conflict with the argument advanced by Irmgard Scheitler that congregations of this period knew only a few hymns. Scheitler
35 The hymn was sung between the sacred concerto that followed the sermon and the final blessing; see Frandsen, Mary E.: Worship Culture in a Lutheran Court Chapel (cf. n. 6), „The Compilation“. 36 As the series of orders of worship in the court diaries is incomplete, this number may have been greater than can presently be determined. 37 Dreßdenisch Gesangbuch Christlicher Psalmen und Kirchenlieder/ Herrn D. Martini Lu theri/ und anderer Gottseligen Lehrer und frommen Christen/ theils mit den Noten und ihren rechten Melodeyen gesetzt/ wie sie in der Churfürstl. Sächß. Schloß-Kirchen zu Dressden gesungen werden/ Jetzo auffs neue revidirt/ nach der Jahr-Zeit und Herrn Lutheri Catechismo ordentlich zugerichtet/ und mit etlich 100. neuen Liedern/ neben den vorigen Gesängen vermehret und verbessert/ Allen Christlichen Haussvättern und Haussmüttern/ so wohl in Häusern/ als in Kirchen und Schulen/ sehr nützlich zugebrauchen. Dresden 1656; DKL 165603 / V D17 3:307441Z; available online at http://mdz-nbn-resolving.de/urn: nbn:de: bvb:12-bsb10525052-5 (10.12.2019).
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bases her argument on the Saxon synodal decree of 1624, which apparently forbade the use of any hymns except the thirty-two found in „the hymnal of Luther“ („des Luther’schen Gesangbuches“).38 According to Scheitler, „this decree apparently had such a longlasting effect that still one hundred years later, Christian Gerber could report in Historie der Kirchen-Ceremonien in Sachsen (1732) that as a boy, he had always heard the same eight hymns and a few festal hymns, because no one but the cantor owned a hymnal“.39 The court diaries, however, reveal that the cultivation of such a limited repertory of hymns cannot be presumed to be common everywhere. Althought the hymn repertory of the court chapel remained conservative, and admitted only a few seventeenthcentury hymns (see below), it exhibited a much greater wealth and diversity than assertions such as those of Gerber would suggest. Whether the hymn practice of the court corresponded to that of Saxon cities and villages, however, remains an open question.
38 Scheitler, Irmgard: Das Geistliche Lied im deutschen Barock (Schriften zur Literaturwissenschaft 3), Berlin 1982, 85–87; Scheitler cites Graff, Paul: Geschichte der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen in der evangelischen Kirche Deutschlands, Bd. 1: Bis zum Eintritt der Aufklärung und des Rationalismus, Göttingen 1937, 255. See: Des Durchlauchtigsten Hochgeborne[n] Fürsten und Herrn/ Herrn Johanns Georgen/ Hertzogen zu Sachsen/ … und Churfürsten/ … Synodalisches General-Decret, Auff die ergangene General und Local Visitation des gantzen Churfürstenthumbs gestellet, Dresden 6. August 1624 [VD17 39:128179V]; Leipzig 21625 [VD17 14:016764U], [4–5]: „Also sollen sich auch die Cantores vnd Custodes nicht vnterstehen/ andere Lieder/ als die in Herrn Lutheri Gesangbüchlein stehen/ einzuführen“. Scheitler also cites later church orders that also prescribe the hymns of the Reformation period and forbid newer hymns. See also Rautenstrauch, Johannes: Luther und die Pflege der kirchlichen Musik in Sachsen (14.–19. Jahrhundert), Leipzig 1907, 279–285, here 279: „Die Zahl der Gemeindelieder, die im Gottesdienst gesungen wurden, war eine sehr geringe“; Rautenstrauch then gives the list of hymns stipulated for use in Wurzen from 1624, which provides for about eighty hymns for Sundays and feast days throughout the year. 39 Scheitler, Irmgard: Das Geistliche Lied im deutschen Barock (cf. n. 38), 86: „dieses Dekret hatte offensichtlich eine so nachhaltige Wirkung, daß noch über 100 Jahre später Chr. Gerber in seiner Historie der Kirchen-Ceremonien in Sachsen (1737 [recte 1732]) berichten konnte, er habe als Knabe immer nur die selben acht Lieder und einige Festlieder gehört, da außer dem Kantor niemand ein Gesangbuch besessen habe“. Gerber’s comment is difficult to reconcile with the contemporary accounts of hymnal ownership furnished by funeral sermons, extant copies of hymnals bearing owner’s marks, and evidence such as estate inventories. Sieglinde Nickel examined the estate inventories of deceased tradesmen in Dresden in the seventeenth century, for example, and found that many of these listed hymnals, Bibles, prayer books, and sermon collections; Nickel, Sieglinde: Zur Wirtschaft, Sozialstruktur, Verfassung und Verwaltung in der Stadt Dresden von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis in die dreißiger Jahre des 18. Jahrhunderts, PhD diss., Leipzig 1986, 68.
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Mary E. Frandsen
The Frequency with which Hymns were Sung The court diaries also provide ample evidence that a number of hymns were sung repeatedly throughout festal periods and on other Sundays throughout the year.40 As an illustration of this practice, the table below indicates the number of times particular hymns are known to have been sung at court between Advent and Easter; similar examples can be found during the Pentecost season. The repeated singing of particular hymns during liturgical celebrations, together with hymn-singing at home in the context of domestic devotional activities,41 helps to explain how worshipers learned such a large number of hymns by memory, as it seems that most seventeenth-century Lutherans still did not bring their hymnals to church.42 Season
Hymn
Year and Number of Diary Citations
Advent
Nun komm, der Heiden Heiland
1662: 4
Christmas–2nd Sunday after Epiphany
Wir Christenleut
1672–1673: 6
Lent
Christe, der du bist Tag und Licht Da Jesus an dem Kreuze stund
1662: 6 1662: 6; 1665: 7; 1666: 7
Easter
Erschienen ist der herrlich Tag Christ lag in Todesbanden Jesus Christus, unser Heiland, der den Tod
1662: 7; 1665: 5 1665: 7 1665: 7
The Dresden orders of worship also reveal that a number of hymns with more general thematic content were sung repeatedly throughout the church year.43 Seven hymns were sung more frequently than all others:
40 Orders of worship for the weekday morning services and weekday vespers, which appear infrequently in the diaries, would doubtless also reflect these same practices. 41 Patrice Veit has highlighted the importance of hymn singing in his many publications on domestic devotional practices (Hausandacht and Hauskirche). See in particular Veit, Patrice: Das Gesangbuch als Quelle lutherischer Frömmigkeit, in: Archiv für Reformationsgeschichte 79 (1988), 206–229; Ders.: Das Gesangbuch in der Praxis Pietatis der Lutheraner, in: Rublack, Hans Christoph (Hg.): Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 197), Gütersloh 1992, 435–459; Ders: Die Hausandacht im deutschen Luthertum: Anweisungen und Praktiken, in: van Ingen, Ferdinand / Niekus Moore, Cornelia (Hg.), Gebetsliteratur der Frühen Neuzeit als Hausfrömmigkeit, Wiesbaden 2001, 193–206. 42 See Herl, Joseph: Worship Wars in Early Lutheranism: Choir, Congregation, and Three Centuries of Conflict, New York 2004, 87–106. 43 Individual stanzas of these hymns sung to conclude the service are not included here (see below).
The Hymn Repertory of the Dresden Court Chapel Hymn Title
Diary Citations, 1660–1679
Nun lob, mein Seel, den Herren
65 (20 citations in 1661/62)
Es wolle Gott uns gnädig sein
46 (14 citations in 1661/62)
Vater unser im Himmelreich
24 (four to six citations each year)
Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ
23 (four to six citations each year)
Erbarm dich mein, o Herre Gott
23 (four to six citations each year)
Herr Jesu Christ, dich zu uns wend
23 (four to six citations each year)
Wie schön leuchtet der Morgenstern
19 (four to six citations each year)
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The Dresden sources also provide information on hymns that the congregation sang very seldom. In fact, a number of hymns that enjoy canonical status within the Lutheran corpus were apparently only associated with one or two liturgical occasions in Dresden: Hymn Title
Liturgical Occasion
Christ, unser Herr, zum Jordan kam
4th Sunday of Advent44
Die Propheten hab’n prophezeit
Tuesday in Holy Week
Ich weiß, dass mein Erlöser lebt
Quasimodogeniti Sunday
An Wasserflüssen Babylon
10th Sunday after Trinity
Mitten wir im Leben sind
16th Sunday after Trinity
Es stehn vor Gottes Throne
Feast of St. Michael
Du Friedefürst, Herr Jesu Christ
Days of Penitence, Prayer, and Fasting (1670s)
Moreover, a number of other hymns appear but rarely in the court orders of worship. It is possible that some of these older hymns had fallen out of fashion, whereas other hymns of the Reformation period, such as Gott sei gelobet, re emerged in the court hymn repertory in the 1670s: Hymn Title
Liturgical Occasion
Es wird schier der letzte Tag herkommen
1662: 25th Sunday after Trinity, 2nd Sunday of Advent
Mag ich Unglück nicht widerstahn
1662: 2nd Sunday after Trinity
Gott sei gelobet und gebenedeiet
1673: Holy Thursday 1676: Feast of St. Michael
Ach Gott, wie manches Herzeleid
1666: St. James (Apostles’ Day) 1676: Purification of Mary
O Mensch, bewein dein Sünde groß
1662: Holy Thursday in 1662
44 The court congregation also sang Christ unser Herr as a baptismal hymn; see the order of worship for the baptism of Prince Friedrich August in Frandsen, Mary E.: Worship Culture in a Lutheran Court Chapel (cf. n. 6), „The Compilation“: „Baptisms“.
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Mary E. Frandsen
The Singing of Individual Hymn Stanzas during Worship Services The orders of worship from the Dresden court reveal that individual stanzas of hymns were regularly sung in three liturgical positions in the morning worship services on Sundays and feast days: at the Kyrie in services that included the celebration of Holy Communion, in the context of the sermon, and at the conclusion of the worship service. With respect to the Kyrie, at least eleven different hymns were used in this context; single stanzas of these hymns were sung after each petition of the figural Kyrie performed by the court musicians. The court congregation sang the Trinitarian hymn Gott der Vater, wohn uns bei with the most frequency, but as the table below reveals, various groupings of three different hymns (likely only the first stanza) were also used as Kyrie hymns. In these groupings, Christ was normally the addressee of the second stanza. In Advent and Lent, the Kyrie hymns frequently reflected the penitential nature of these periods. Notably, however, the court congregation did not sing the Trinitarian hymn Kyrie, Gott Vater in Ewigkeit in these contexts; instead, this hymn seems to have been reserved for use in early communion services. Kyrie Hymns45
Liturgical Occasion
K1: Gott der Vater wohn uns bei Ch: Jesus Christus wohn uns bei K2: Der heilige Geist wohn uns bei
1st Sunday of Advent (1662); Birthday of Johann Georg II (31 May 1665, 1673, 1676, 1679); Pentecost (1667); 3rd Sunday after Trinity / Dedication of the Moritzburg court chapel (1672)
K1: Ach Gott und Herr Ch: Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ K2: Gott der Vater wohn uns bei
4th Sunday of Advent (1660)
K1: Nimm von uns, Herre Gott Ch: Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ K2: Ach Herr, mich armen Sünder
4th Sunday of Advent (1661)
K1: Ach Herr, mich armen Sünder Ch: Erbarm dich mein, O Herre Gott K2: Aus tiefer Not schrei ich zu dir
Annunciation (1665);46 21st Sunday after Trinity; Peace with the Turks (1665);47 Feast of St. Michael (1676), 14th Sunday after Trinity (1677)
K1: Ach Herr, mich armen Sünder Ch: O Lamm Gottes, unschuldig K2: Ach Gott und Herr
Laetare / A nnunciation (1666)
45 Key to abbreviations: K1: Kyrie I; Ch: Christe; K2: Kyrie II. 46 Also cited in Schmidt, Eberhard: Der Gottesdienst am Kurfürstlichen Hofe zu Dresden (cf. n. 4), 147. 47 The service celebrated the 1664 Treaty of Vasvár (Eisenburg), which ended the Fourth AustroTurkish War.
The Hymn Repertory of the Dresden Court Chapel
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Kyrie Hymns45
Liturgical Occasion
K1: Ach Gott und Herr Ch: O Lamm Gottes, unschuldig K2: Es wolle Gott uns gnädig sein
Palm Sunday / A nnunciation (1662)
K1: Ach Herr, mich armen Sünder Ch: Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ K2: Ach Gott und Herr
Pentecost (1664)48
K1: Ich heb meine Augen sehnlich auf Ch: Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ K2: Nimm von uns, Herr Gott49
Birthday of Johann Georg II (31 May 1662)
K1: Nun lob, mein Seel, den Herren Ch: Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ K2: Nimm von uns, Herr Gott
18th Sunday after Trinity / Dedication of the Dresden court chapel (1662)
The congregation also sang individual hymn stanzas in the context of the sermon, a liturgical unit that often included an introduction (with pulpit greeting, an exhortation to pray, a pulpit hymn, the silent recitation of the Lord’s Prayer, and the reading of the Gospel) as well as items that followed the sermon proper (among them the general church prayer, petitions, thanksgivings, and announce ments).50 The Dresden court diaries, however, regularly mention only two of these introductory elements, the pulpit hymn and the silent Lord’s Prayer; some diary entries, however, indicate that this pair was included both before and after the sermon.51 At the Dresden court, the congregation sang Herr Jesu Christ, dich zu uns wend most frequently at this point in the liturgy, although this hymn does not appear in the 1656 hymnal. The diaries confirm the use of a pulpit hymn in many court worship services, and generally record it in this manner: „Sermon, and before the Lord’s Prayer, Christ ist erstanden“, or „Sermon, and before the
48 Also cited in Schmidt, Eberhard: Der Gottesdienst am Kurfürstlichen Hofe zu Dresden (cf. n. 4), 147. 49 Likely Nimm von uns, Herr, du treuer Gott. 50 See the discussion in Graff, Paul: Geschichte der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen in der evangelischen Kirche Deutschlands (cf. n. 38), 171–176, Blankenburg, Walter: Der gottesdienstliche Liedgesang der Gemeinde, in: Müller, Karl Ferdinand and Blankenburg, Walter (Hg.): Leiturgia. Handbuch des evangelischen Gottesdienstes, Bd. 4, Kassel 1961, 559–659, here 621–622, and Herl, Joseph: Worship Wars in Early Lutheranism (cf. n. 42), 59–60. 51 See the description of the sermon in the order of worship for 22 July 1650 (the Feast of Mary Magdalene) in D-Dla OHMA N IV Nr. I, fols. 2–3: „Darauf der Glaube mit der Gemeine gesungen, Nachmals die Predigt vom Herrn OberhofPrediger Dr: Jacob Wellern gethan, Beÿ welcher vorher und vor dem Vater Unser: Nun lob mein Seel den Herren gesungen ward, Der Text war aus dem 3. Capitel der Klag Lieder Jeremiae der 22. 23. und 24. Vers. Nach der Predigt und Beichte wurde die angeordnete Abkündigung und Gebeth verlesen, und vor dem Vater Unser, Es wolt uns Gott gnädig seÿn gesungen“. See also the vesper service on the 21st Sunday after Trinity in 1665, in which two pulpit hymns were also sung, in Frandsen, Mary E.: Worship Culture in a Lutheran Court Chapel (cf. n. 6), „Compilation“, „21st Sunday after Trinity“.
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Mary E. Frandsen
same, Komm heiliger Geist, Herre Gott“.52 For certain feasts and festal seasons, however, the 1662 Kirchenordnung prescribed particular sermon hymns for both the morning and vesper services53: Sermon Hymns Prescribed in the Kirchenordnung of 1662 Hymn Title Ein Kindelein so löbelich
Liturgical Occasion 54
Christmas through Purification55 (except New Year’s Day)
Nun lasst uns Gott dem Herren
New Year’s Day
Christ ist erstanden56
Easter through Ascension
Also heilig ist der Tag
Vespers on Easter Sunday and Monday
Christ fuhr gen Himmel
Ascension and Exaudi
Komm, heiliger Geist
Pentecost Sunday and Monday (morning worship service)57
Nun bitten wir den Heiligen Geist
Vespers on Pentecost Sunday and Monday
Allein Gott in der Höh sei Ehr
Trinity Sunday
For the other feasts celebrated at court (Annunciation, St. John the Baptist, Vis itation, Mary Magdalene, and St. Michael), the KO 1662 prescribes the singing of a pulpit hymn, but does not specify a title. In these cases, a variety of hymns were selected in different years, sometimes as many as four or five for a given liturgical occasion. The entries and rubrics in the court diaries and the KO 1662 also suggest that the court congregation did not sing a pulpit hymn during Advent (except for the first Sunday), Lent, or on Sundays after Trinity. During
52 D-Dl Msc. Dresd. Q 241 (1665), entries for Rogate („Predigt, und für den V. Unser Christ ist erstanden“) and Pentecost („Predigt, und vor selbiger Komm heiliger Geist, Herre Gott“). 53 Spagnoli, Gina: Letters and Documents of Heinrich Schütz (cf. n. 7), 175–187. A similar practice is seen in the Ertz Stifftische Magdeburgische Kirchen Agenda (Halle 1663) [VD17 3:634243G], 28–29. 54 Der Tag, der ist so freudenreich, st. 2. 55 Prescribed in the KO 1662, order of worship for Purification: „Nota. Hierbeÿ zuerinnern, daß vom Christ Tage, biß auff dieses Fest, vor allen Sonntags Predigten, iztermeldtes Lied zu singen“; Spagnoli, Gina: Letters and Documents of Heinrich Schütz (cf. n. 7), 183. 56 Prescribed in the KO 1662, order of worship for Easter Tuesday: „Predigt, und für derselben, Christ ist erstanden [italics by editor], So auch die folgende Sonntage, biß auff Himmelfahrt gesung [sic] wird“; Spagnoli, Gina: Letters and Documents of Heinrich Schütz (cf. n. 7), 185. 57 The KO 1662 provides only the following rubric for the morning services on Pentecost Monday and Tuesday: „wird es, wie am Oster Montage, und Dienstage gehalten“; Spagnoli, Gina: Letters and Documents of Heinrich Schütz (cf. n. 7), 187. During the three-day Easter feast, the same pulpit hymn was sung on each day. But the diaries reveal that at Pentecost, the court congregation sang Komm, heiliger Geist, Herre Gott as the pulpit hymn on the initial day of the feast, but sang various other Pentecost hymns in this position on the following two days; see Frandsen, Mary E.: Worship Culture in a Lutheran Court Chapel (cf. n. 6), „The Compilation“.
The Hymn Repertory of the Dresden Court Chapel
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these periods, no hymn titles appear in this position of the liturgies recorded in the diaries; frequently the order of worship says only „Sermon“ in this spot. The instruction for this in the KO 1662, however, is unclear.58 But the congregation did sing pulpit hymns on special occasions during the Trinity season. On the 23rd Sunday after Trinity, for example, the liturgy included a pulpit hymn in services when the court celebrated the birthday of Electress Magdalena Sibylla (1662), the baptism of Prince Johann Georg IV (1668), and the meeting of the provincial diet (1676). Individual hymn stanzas (or sometimes two) were also used to close the worship service; for this purpose, the KO 1662 prescribes „a short hymn or versicle“ on high feasts, and „a short hymn“ on other occasions.59 Often this „short hymn“ was an internal stanza or the concluding stanza of a hymn. In both cases, however, the court diaries record only the incipit of the stanza in question, never that of the opening stanza.60 Thus the court preacher or cantor must have announced the hymn and the particular stanza, for the organ prelude would only have indicated the melody to the congregation. In this liturgical position one also finds internal stanzas of Latin hymns (such as stanza 4 of Puer natus in Bethlehem on the 2nd Sunday after Epiphany in 1665), and stanzas that do not appear in the 1656 Dresden hymnal (see below). These facts cause one to wonder whether the congregation indeed sang these individual stanzas at the close of the service, or whether they were sung only by the court musicians. It is also possible, however, that the court preacher announced these stanzas after the blessing, and intoned them. Such a practice would align with the instructions that Walter Blankenburg found in some church agendas, according to which the pastor intoned the pulpit hymn from the pulpit.61 For the three high feasts, the 1662 Kirchenordnung often prescribes individual stanzas to be sung at the conclusion of the worship service; for Christmas 58 In the KO 1662, the order of worship for the 1st Sunday of Advent includes rubrics for services on „regular“ Sundays and those that included the celebration of communion. The rubric here for the sermon reads as follows: „Predigt, und vor derselben, Ein kurz Lied oder Versicul, einer oder mehr, welches aber nur den Ersten Advent Sonntagk, oder wann Communion gehalten wird, gebraucht werden soll“ (Spagnoli, Gina: Letters and Documents of Heinrich Schütz [cf. n. 7], 178). Taken literally, this formulation would mean that one seldom sang a pulpit hymn. But the court diaries reveal that this formulation applied exclusively to the celebration of communion during the season of Advent; one sang a pulpit hymn on the 2nd, 3rd, and 4th Sundays of Advent only when communion was celebrated (normally on the 4th Sunday). The practices observed during other seasons of the church year are recorded only in the court diaries, which reveal that pulpit hymns were sung throughout the festal seasons of Epiphany and Easter, but (with a few exceptions) not during Lent or the Trinity season. 59 Spagnoli, Gina: Letters and Documents of Heinrich Schütz (cf. n. 7), 196–207. See also the discussion of the closing hymn or closing verse in Blankenburg, Walter: Der gottesdienstliche Liedgesang der Gemeinde (cf. n. 50), 623, and Herl, Joseph: Worship Wars in Early Lutheranism (cf n. 42), 154. 60 See the 2nd and 4th Sundays of Advent, Sunday after New Year’s Day, Easter Monday, Pente cost Monday, and other occasions in Frandsen, Mary E.: Worship Culture in a Lutheran Court Chapel (cf. n. 6), „The Compilation“. 61 Blankenburg, Walter: Der gottesdienstliche Liedgesang der Gemeinde (cf. n. 50), 622.
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Mary E. Frandsen
Day, for example, it provides Ach mein herzliebes Jesulein (stanza 13 from Vom Himmel hoch). The orders of worship, however, reveal that on feasts for which the Kirchenordnung does not stipulate a chorale verse, an effort was made to select appropriate stanzas from both hymns associated with the feast as well as from hymns with more general content. Individual Stanzas Sung at the Conclusion of the Worship Service Stanza and Hymn Title
Liturgical Occasion and Date
In hoc natali gaudio (Puer natus in Bethlehem, st. 9)
2nd Day of Christmas (1660)
Heut schließt er wieder auf die Tür (Lobt Gott, ihr Christen alle gleich, st. 6)
3rd Day of Christmas (1675)
Weil du vom Tod erstanden bist (Wenn mein Stündlein vorhanden ist, st. 4)
1st Sunday after Easter (1673, 1676)
Da nun Elias seinen Lauf (Wenn mein Stündlein vorhanden ist, st. 6)
Feast of the Ascension (1673)
Stärck mich mit deinem Freudengeist (Herr Jesu Christ, du höchstes Gut, st. 7)
Pentecost Monday (1676)
Kein leiblich Opfer von mir heischst (Erbarm dich mein, o Herre Gott, st. 5)
Feast of Mary Magdalene (1667)
A number of stanzas from hymns not associated with particular seasons were also sung at the conclusion of the service. Four of these appear frequently in the diaries: Gott sei uns gnädig und barmherzig Sei Lob und Ehr mit hohem Preis (Es ist das Heil uns kommen her, st. 11)62 Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ Sei Lob und Preis mit Ehren (Nun lob, mein Seel, den Herren, st. 5)
The first of these, Gott sei uns gnädig und barmherzig, occurs with the most frequency. This well-known prayer appears at the end of the Dresden 1656 hymnal, but without music; it was likely chanted to a psalm tone, perhaps the tonus peregrinus.63 The text concludes with the Lesser Doxology (Gloria Patri); other hymn stanzas sung to conclude the service were also doxological in nature. 62 Together st. 11 and 12 of Es ist das Heil form a paraphrase of the Lord’s Prayer. Only the entry for the Feast of Mary Magdalene in 1668 documents the singing of both stanzas at this point in the court worship service; all of the other examples cite only st. 11. But given the content of the stanzas, both were likely sung in these instances. 63 It is possible that the court musical ensemble performed a polyphonic setting of this text in this position. In the “Neu Leipziger Gesangbuch” (Leipzig 1682), editor Gottfried Vopelius provides this text (without the Gloria Patri) in a four-part harmonization of the tonus peregrinus by Johann Hermann Schein; see pp. 825–826.
The Hymn Repertory of the Dresden Court Chapel
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The Conservatism of the Court Hymn Repertory and its Expansion with Later Hymns During his rule, Johann Georg II demonstrated a distinct preference for the modern sacred music of Italian composers, and regularly hired Italian musicians to serve as Kapellmeister and provide repertory for the musical ensemble.64 Thus it seems somewhat ironic that the hymn repertory of his court chapel remained quite traditional and conservative. In an earlier study, Walter Reindell identified the thirty-five most common sixteenth-century „de tempore“ hymns by comparing hymn recommendations for Sundays and feast days in cantionals and church orders with those in three early Lutheran hymnals (Walter 1524, Kugelmann 1540, und Rhau 1544).65 Of these thirty-five, thirty-one were still sung at the Dresden court in the 1660s and 1670s. And nearly all of the other hymns in the court repertory originated in the sixteenth century. A comparison of the court hymn repertory with two compilations of later sources as well as with the recommendations in the local hymnal also shows a similar preference for older hymns.66 It is also worth considering that Johann Georg II reigned in an era of heightened Lutheran piety, when many hymns and writings used for home devotion were characterized by an emphasis on an ardent, personal, and intimate relationship with Christ. At this time, both city and court musicians (including those in Dresden) regularly offered sacred concertos with mystical-devotional texts reflective of this relationship in Lutheran worship services.67 It is thus even more notable that this „new piety“ found no resonance in the contemporary hymn repertory of the Dresden court congregation. Lutherans, however, had ready access to the body of new seventeenthcentury hymns in contemporary hymnals and collections of sacred continuo songs, which were conceived primarily for use in domestic circumstances. The 1656 Dresden hymnal itself included many such new hymns: at least eight by Georg Werner (1589–1643), fourteen by Johann Rist (1606–1667), sixteen 64 See Frandsen, Mary E.: Worship Culture in a Lutheran Court Chapel (cf. n. 6), „The Compilation“. 65 Reindell, Walter: Das De tempore-Lied des ersten Halbjahrhunderts der reformatorischen Kirche, Würzburg 1942, 114–115; only Es war einmal ein reicher Mann, Hilf Gott, wie geht das immer zu, Ihr lieben Christen, freut euch nun and Vergebens ist all Müh und Kost were not sung during the reign of Johann Georg II. Reindell compiled the hymn recommendations from four cantionals (Spangenberg 1545, Lossius 1553, Keuchenthal 1573, Eler 1588) and nine church orders (Mecklenburg 1540/46, Anhalt 1551, Pirna 1555, Zweibrücken 1557, Pommern 1569, Annaberg 1577, Weißenfels 1578, Mansfeld 1580). 66 See Liliencron, Rochus von: Liturgisch-musikalische Geschichte der evangelischen Gottesdienste von 1523 bis 1700, Schleswig 1893 / H ildesheim, New York 1970, 61–77, Gojowy, Detlef: Kirchenlieder im Umkreis von J. S. Bach (cf. n. 32), 79–123, and the hymn Register in the 1656 Dresden hymnal. See also the observation of Gojowy (p. 83): „Gemeinsamkeiten hinsichtlich dieser Zuweisungen, die durchaus zu beobachten sind – jene Lieder, die in unserer Auswertungsliste auf den ersten Plätzen stehen – betreffen hauptsächlich das lutherische und vorreformatorische Liedgut“. 67 See Frandsen, Mary E.: Crossing Confessional Boundaries (cf. n. 4), 101–141.
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by Johann Franck (1618–1677), twenty-six by Paul Gerhardt (1607–1667) and twenty-eight by Johann Heermann (1585–1647). Despite this, however, the hymn repertory documented in the Dresden court diaries generally supports the argument made by Scheitler and others that the new devotional hymns of the seventeenth century were not sung in worship services; in Scheitler’s view, „until 1660, [… ] practically no new hymns entered the repertory, [and] very few after this time“.68 And a remark of Philipp Jacob Spener, who served as senior court preacher in Dresden from 1686 to 1691, suggests that the conservatism observed there with respect to hymnody extended beyond the reign of Johann Georg II. Upon his arrival in Berlin in 1691, Spener observed that „it pleased me that here, in comparison to the previous location, a number of new hymns were also sung in church, and were familar to the congregation“.69 More recent hymnological research, however, has shown that seventeenthcentury hymns were often sung in worship services by choirs,70 and even by some congregations.71 Thus it is not surprising to find that by the 1660s, the attitude toward newer hymnody had also begun to change slightly at the Dresden court. As Eberhard Schmidt first noted, the court diaries reveal that six late sixteenthand early to mid-seventeenth-century hymns had entered the court repertory by this time. Schmidt described these later hymns as „new“, despite the fact that most had appeared decades earlier.72 But Schmidt apparently did not have access to the entire series of surviving court diaries,73 and the volumes that he did not 68 Scheitler, Irmgard: Das Geistliche Lied im deutschen Barock (cf. n. 38), 85: „bis 1660 traten so gut wie keine neuen Lieder hinzu, danach nur sehr vereinzelte“. 69 Spener, Philipp Jacob: Herrn D. Philipp Jacob Speners … Letzte Theologische Bedencken und andere Brieffliche Antworten, Halle 1711, pt. III, 561 [VD18 10207333]: „Auch hat mir allhier dieses vor den vorigen orten gefallen/ daß auch in der kirche mehrere von neuen liedern gesungen werden/ und der gemeinde bekannt worden sind“. As cited in Bunners, Christian: Philipp Jakob Spener und Johann Crüger: Ein Beitrag zur Hymnologie des Pietismus, in: Theologische Versuche 14 (1985), 105–130, here n. 6, p. 124. 70 See Bunners, Christian: Singende Frömmigkeit: Johann Crügers Widmungsvorreden zur „Praxis Pietatis Melica“, in: Jb für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 52 (1980), 9–24; idem.: Zum liturgischen Gebrauch von Paul Gerhardts Liedern in der Frühzeit, in: Riehm, Heinrich (Hg.), Festschrift für Frieder Schulz: Freude am Gottesdienst, Heidelberg 1988, 273–282; Cashner, Andrew: The Reception of Paul Gerhardt’s Hymns in the Seventeenth Century, Master’s Thesis, University of Notre Dame (Indiana, USA), 2009. 71 In 1667, the pastor in the Thuringian village of Gamstädt reported that such new hymns as Jesu meine Freude and Meinen Jesum laß ich nicht were sung during communion; see Jauernig, Reinhold: Die Erneuerung des Kirchengesangs im Herzogtum Sachsen-Gotha, in: JLH (2) 1956, 121–127, here 126–127. Many seventeenth-century hymns are also found in the Husum court hymnal of 1676, and were included in that hymnal’s list of hymns de tempore (and thus prescribed for liturgical use). Duchess Maria Elisabeth (1610–1684), a sister of Elector Johann Georg II, personally selected the hymns for the hymnal. See Kadelbach, Ada (Ed.): Das Husumer Hofgesangbuch, Schleswig 1676, Husum 1986, and the Afterword by A. Kadelbach, 7. See also Kadelbach, Ada: Das Husumer Hofgesangbuch (Schleswig 1676): Ein verloren geglaubtes Gesangbuch und seine Quellen, in: JLH 27 (1983), 83–111. 72 Schmidt, Eberhard: Der Gottesdienst am kurfürstlichen Hofe (cf. n. 4), 86–87. 73 Schmidt, Eberhard: Der Gottesdienst am Kurfürstlichen Hofe zu Dresden (cf. n. 4) did not draw information from the diaries in series „Q“ in D-Dl; these may not have been accessible at the time he conducted his research.
The Hymn Repertory of the Dresden Court Chapel
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examine reveal that between 1662 and 1676, the court congregation sang a total of 18 hymns from this period: Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ (Nikolaus Selnecker, 1572) Ach Gott und Herr (Martin Rutilius, 1604) Ach Gott, wie manches Herzeleid (Martin Moller, 1587) Ach Herr, mich armen Sünder (Cyriacus Schneegaß, 1597) Auf meinen lieben Gott (unknown or Sigismund Weingärtner, 1607) Aus meines Herzens Grunde (Georg Niege, before 1585) Christus ist erstanden von des Todes Banden (possibly Johann Stoll, before 1613)74 Du Friedefürst, Herr Jesu Christ (Bartholomäus Gesius / Jakob Ebert, 1601) Herr Jesu Christ, dich zu uns wend (Herzog Wilhelm II . von Sachsen-Weimar, 1648/51) Herr Jesu Christ, meins Lebens Licht (Martin Behm, 1611) Herzlich tut mich verlangen (Christoph Knoll, 1611) Ich heb mein Augen sehnlich auf (Cornelius Becker, 1602) Lobe, mein Herz, deinen Gott (Johann Olearius, 1661)75 (only st. 10, Dir Herr zu Lob, Ehr, und Dank) Nimm von uns, Herr, du treuer Gott (Martin Moller, 1584) O Gott, der du mit großer Macht (Johann Rist, 1642; only st. 13, Herr, meinen Geist befehl ich dir) Wie schön leuchtet der Morgenstern (Philipp Nicolai, 1599) Wo soll ich fliehen hin? (Johann Heermann, 1630)
The appearance during this twenty-year period of fewer than twenty hymns that post-date the core repertory of the Reformation era demonstrates that the court preachers in Dresden worked actively to preserve the older hymn tradition. But it also reveals that although they were willing to adopt at least a few later hymns, they confined themselves primarily to those written in the decades around 1600; one sees little evidence of interest in the large body of hymns that originated between ca. 1630 and ca. 1660. A few of the new additions, such as Ach Gott und Herr, Wie schön leuchtet der Morgenstern, and Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ, won a secure place in the corpus of hymns sung in the court chapel, while the two hymns of Rist and Olearius appear only sporadically, and then only with a single stanza. These two hymns do not appear in the 1656 hymnal, which also lacks Herr Jesu Christ, dich zu uns wend, sung frequently by the court congregation during the 1670s. In a few cases, the court preachers adopted only a single hymn by a prolific and beloved poet. In the 1670s, for example, the court congregation sang Heermann’s Wo soll ich fliehen hin on the Tuesday of Holy Week, and on a Day of Penitence, Prayer, and Fasting. But it seems that his well-known Herzliebster Jesu, was hast Du verbrochen (“Devoti musica cordis”, Leipzig 1630) was never sung during Holy Week. Of the two iconic hymns of Nicolai, only the above 74 Or Michael Weisse, 1531; both hymns appear in the 1656 Dresden hymnal (pp. 303, 315). 75 Olearius, Johann: Gymnasium Patientiae Christliche Geduldt-Schule. Leipzig 1661, 1086; see Fischer, Albert / Tümpel, Wilhelm (Hg.): Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Bd. 4, Gütersloh 1908 / H ildesheim 1964, 316, 325.
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mentioned was accepted; his Wachet auf, ruft uns die Stimme does not appear in the surviving diaries. Neither do the hymns of Paul Gerhardt appear in those sources. It is possible, however, that later hymns were sung in years for which diaries do not survive, or during the various weekday services, but the absence of orders of worship makes this question impossible to answer. The wealth of hymnological detail preserved in the Dresden court diaries is both rare and unusual; the author knows of no comparable documents from the seventeenth century.76 But even if these documents do not allow one to sketch a more complete picture of the Dresden court worship service – one would like to know, for example, more about the alternatim practices indicated in the diaries, or about the role of the organ in the liturgy – the court diaries nevertheless form a valuable multi-faceted repository of church hymn practices in the second half of the seventeenth century.
76 At least two collections of similar documents do survive from the eighteenth century: (1) Liederzettel from Leisnig (Saxony) from 1732 to ca. 1930; see Schleinitz: Die Liederzettel der Stadtkirche zu Leisnig, in: Mittheilungen des Geschichts- und Alterthums-Vereins zu Leisnig 9 (1893), 46–56; (2) records of the hymns sung in the Leipzig Nikolaikirche between 1759 and 1780; see Gojowy, Detlef: Kirchenlieder im Umkreis von J. S. Bach (cf. n. 32), 83–84.
Restauration? Ludwig Schoeberleins „Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesangs“ und die liturgische Erneuerungsbewegung des 19. Jahrhunderts
Christoph Henzel
Die Frage der Erneuerung von Liturgie und Kirchenmusik sorgte in den protestantischen Kirchen im 19. Jahrhundert für anhaltende Diskussionen. Grundlegend dafür war die Überzeugung, dass es unter dem Einfluss des Rationalismus zu einem Verfall der Kirchenmusik und zur Auflösung der liturgischen Formen gekommen sei. Abhilfe sollte nicht nur ihre Wiederbelebung, sondern auch die Besinnung auf das Wesen und die Geschichte des (evangelischen) Gottesdienstes schaffen. Anregend für die Diskussion wirkte die 1822 beginnende Einführung der Preußischen Agende, die sich ausdrücklich auf Liturgien des reformatorischen Zeitalters berief.1 Indem nun allerdings die musikalischen Teile der Agende moderne Schöpfungen waren, die zeitgenössischen Vorstellungen vom „wahren“ Kirchenstil folgten2, zeigt sich, dass es den Akteuren der Agendenreform nicht einfach um die Wiederherstellung des Verlorenen, sondern um seine Anpassung bzw. Weiterentwicklung im Blick auf die Bedürfnisse und Erfordernisse der Gegenwart ging. Diese Intention prägte auch wenigstens teilweise nachfolgende Reformbestrebungen. Bezeichnend dafür ist, dass sich in der Folge eine Pro blemstellung zur Triebfeder der Erneuerung entwickelte, die niemals zuvor in der Geschichte eine solche zentrale Stellung besessen hatte: die Frage der aktiven Mitwirkung der Gläubigen an der Liturgie.3 Die Preußische Agende etwa hatte den Chor an die Stelle der Gemeinde gesetzt. Im Zusammenhang mit der Neubewertung des liturgischen Gemeinde- und Chorgesangs musste allerdings zunächst einmal Klarheit über das Repertoire an 1 Vgl. die Vorrede zur Kirchenagende für die Hof- und Domkirche in Berlin, Berlin 21822, wiedergegeben in: Herbst, Wolfgang (Hg.): Evangelischer Gottesdienst. Quellen zu seiner Geschichte. Göttingen 21992, 170 f. Zur Wirkung der Agende vgl. Meyer-Blanck, Michael: Agenda. Zur Theorie liturgischen Handelns (Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart 13). Tübingen 2013, 36. 2 Vgl. Blankenburg, Walter: Entstehung, Wesen und Ausprägung der Restauration im 19. Jahrhundert, in: Schuhmacher, Gerhard (Hg.): Traditionen und Reformen in der Kirchenmusik. Festschrift für Konrad Ameln zum 75. Geburtstag. Kassel 1974, 25–40, hier 27 f. 3 Vgl. Klek, Konrad: Die „ältere“ evangelische liturgische Bewegung und ihre Vorläufer, in: Hochstein, Wolfgang / K rummacher, Christoph (Hg.): Geschichte der Kirchenmusik, Bd. 3. Laaber 2013, 72–78, hier 72 f.
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Gesangsstücken geschaffen werden. Von zentraler Bedeutung in diesem Prozess war der „Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesangs“, den Ludwig Schoeberlein (1813–1881), seit 1855 Professor für Systematische und Praktische Theologie an der Universität Göttingen, ab 1864 bei Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen herausgab.4 Die in ihrem Umfang ebenso ambitionierte wie praxisbezogene Publikation wird in der älteren Forschung einhellig der kirchenmusikalischen Restauration zugeordnet.5 Daran hat sich, auch wenn der Begriff mittlerweile (zu Recht) nicht mehr im Vordergrund steht, bis in die Gegenwart nichts geändert.6 Ausgiebiger mit Schoeberlein hat sich bisher alleine Gustav A. Krieg befasst. Er hat die Gottesdiensttheologie des „strengen A-Cappellisten“ im Blick auf die liturgische Bewegung der 1920er-Jahre näher untersucht.7 Das Ergebnis lautet, dass „Schoeberleins Beiträge um die gottesdienstliche Musik im Sinne des a-cappella-Satzes von erheblicher Bedeutung für das gesamte 4 Der vollständige Titel lautet: Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesangs nebst den Altargesängen in der deutschen evangelischen Kirche, aus den Quellen vornehmlich des 16. und 17. Jahrhunderts geschöpft, mit den nöthigen geschichtlichen und praktischen Erläuterungen versehen und unter der musikalischen Redaktion von Friedrich Riegel für den Gebrauch in Stadt- und Landkirchen herausgegeben von Dr. Ludwig Schoeberlein. Das Werk erschien in drei Bänden bzw. zwei Teilen, deren zweiter in zwei Abteilungen untergliedert war: I. Die allgemeinen Gesangstücke, II.1. Die besonderen Gesangstücke: Die Fest- und Feiertagsgottesdienste, II.2. Die besonderen Gesangstücke: Perikopen- und sonstige Gesänge für die Sonntage des Kirchenjahrs, Gesänge für Taufen, Hochzeiten, Begräbnisse usw. (im Folgenden als 1. bis 3. Bd. bezeichnet). Die einzelnen Bände wurden Teil für Teil, in sog. Lieferungen hergestellt. Dadurch erstreckte sich die Produktion etwa des 1. Bandes von Ende 1863 bis Ende 1865, die des 2. Bandes begann 1866; vgl. Jahrbücher für musikalische Wissenschaft 2 (1867), 324. Am Ende des 1. Bandes ist der Subskriptionsaufruf vom Oktober 1863 abgedruckt. Die auf den (nachträglich vorgesetzten) Titelseiten angegebenen Erscheinungsjahre 1865, 1868 und 1872 geben also jeweils das Jahr der Fertigstellung der Bände an. Die lange Entstehungszeit hängt damit zusammen, dass sich der Umfang der Publikation erst während der Arbeit ergab, die durch die wohl unerwartete Nachfrage Auftrieb erhielt. Aufschlussreich hierfür ist ein im Verlagsarchiv von Vandenhoeck & Ruprecht überlieferter Brief des musikalischen Bearbeiters Friedrich Samuel Riegel, aus dem weiter unten ein relevanter Passus zitiert wird; siehe unten vor Abschnitt 4. – Die hier verwendete Schreibung Schoeberlein (ohne Umlautbuchstabe) folgt der originalen Schreibung auf den Titelseiten seiner Publikationen. 5 Vgl. Brodde, Otto: Evangelische Choralkunde, in: Müller, Karl Ferdinand / Blankenburg, Walter (Hg.): Leiturgia. Handbuch des evangelischen Gottesdienstes, Bd. 4: Die Musik des evangelischen Gottesdienstes. Kassel 1961, 343–555, hier 382; Blankenburg, Walter: Der mehrstimmige Gesang und die konzertierende Musik, in: ebd., 661–718, hier 714; Feder, Georg: Verfall und Restauration, in: Blume, Friedrich (Hg.): Geschichte der evangelischen Kirchenmusik, neubearb. Auflage. Kassel 1965, 215–269, hier 251 f.; Wajemann, Heiner: Caecilianische Bestrebungen auf evangelischer Seite, in: Unverricht, Hubert (Hg.): Der Caecilianismus. Anfänge – Grundlagen – Wirkungen (Eichstätter Abhandlungen zur Musikwissenschaft 5). Tutzing 1988, 229–277, hier 262–268. 6 Vgl. Klek, Konrad: Die „ältere“ evangelische liturgische Bewegung (wie Anm. 3), 73 f. 7 Vgl. Krieg, Gustav A.: Die gottesdienstliche Musik als theologisches Problem, dargestellt an der kirchenmusikalischen Erneuerung nach dem ersten Weltkrieg. Göttingen 1990, 150–163. – Es fällt auf, dass in der Forschung von liturgischer Bewegung vor 1920 nur im Zusammenhang mit den von Friedrich Spitta und Julius Smend ab den 1890er-Jahren verbreiteten Reformvorschlägen die Rede ist, nicht aber in Bezug auf die vorhergehenden organisierten Bestrebungen; vgl. Klek, Konrad: Erlebnis Gottesdienst: Die liturgischen Reformbestrebungen um die Jahrhundertwende unter Führung von Friedrich Spitta und Julius Smend. Göttingen 1996, 13.
Restauration?
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19. Jahrhundert geworden sind, ja, in ihrer Bedeutung bis in das 20. Jahrhundert hineinreichen“8. Freilich steht die Frage des A-Cappella-Gesangs gar nicht im Zentrum der Bemühungen Schoeberleins; er schließt sich in diesem Punkt dem konfessionsübergreifenden Konsens der Reformer an. Welche Intention hinter dem „Schatz“ steht und wie das Werk eine solch weitreichende Wirkung erzielen konnte, ist erst noch zu ergründen. Schoeberlein hat zu den Themen Gottesdienst und Liturgie einige grundlegende Abhandlungen vorgelegt, bevor er an die Publikation des „Schatzes“ ging.9 Die Veröffentlichung war als Beitrag zur praktischen Umsetzung seiner Reformideen gedacht. Die Vorarbeiten zeigen, dass es ihm nicht um die Wiederherstellung eines vergangenen Idealzustands von Liturgie und Kirchenmusik ging, sondern um ihre historisch fundierte „Fortbildung“ in die Richtung einer zukünftigen geglückten Verbindung. Exemplarisch soll dies im Folgenden anhand der Schrift „Über den liturgischen Ausbau des Gemeindegottesdienstes in der deutschen evangelischen Kirche“ (1859) dargelegt werden. Dass diese Schrift die Grundlage für den „Schatz“ ist, zeigen die einleitenden Texte zu den drei Bänden, welche einige ihrer Grundgedanken bei gelegentlicher Präzisierung aufgreifen.10 Durchaus bezeichnend für die Ausrichtung des „Schatzes“ ist auch ein Befund, der sich aus der Untersuchung der bearbeitenden Eingriffe in einigen Kompositionen zeigt: Die modernisierende Anpassung an ein bestimmtes Stilideal hatte Vorrang vor der ursprünglichen melodischen Gestalt bzw. ihrer modalen Ordnung. Was die weite Verbreitung des „Schatzes“ in Deutschland angeht, muss man schließlich Schoeberlein ein hohes Maß an Geschicklichkeit attestieren, da er Unterstützung für sein Projekt bei hohen kirchlichen Dienststellen suchte.11 Der Erfolg in Preußen etwa beruhte auf einer Empfehlung des Preußischen Oberkirchenrats, was sich anhand von Akten aus dieser Behörde, die hier erstmals ausgewertet werden, belegen lässt.
8 Krieg, Gustav A.: Die gottesdienstliche Musik (wie Anm. 7), 50. 9 Vgl. Schoeberlein, Ludwig: Der evangelische Gottesdienst nach den Grundsätzen der Reformation und mit Rücksicht auf das jetzige Bedürfnis. Heidelberg 1854; ders.: Über den liturgischen Ausbau des Gemeindegottesdienstes in der deutschen evangelischen Kirche. Gotha 1859; ders.: Das Wesen des christlichen Gottesdienstes. Göttingen 1860. 10 Vgl. insbesondere den 1. Teil der Einleitung im 1. Bd. (Schoeberlein, Ludwig: Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesangs [wie Anm. 4]), 1865, 1–13. Auszüge daraus bringt Wajemann, Heiner: Caecilianische Bestrebungen (wie Anm. 5). 11 Im Vorwort zum 3. Bd. berichtete er, dass „das Werk von den höchsten kirchlichen Behörden der preußischen, hannoverschen, bayerischen und sächsischen Landeskirche den Geistlichen empfohlen und zum Theil sein Gebrauch in den Schullehrer-Seminarien angeordnet worden“ sei; Schoeberlein, Ludwig: Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesangs (wie Anm. 4), 3. Bd., 1872, IIIf.
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1. „Fortbildung“ statt Restauration Schoeberleins Abhandlung von 1859 ist in zwei Teile gegliedert. Während der erste Teil eine bis in die Gegenwart reichende Geschichte des christlichen Gottesdienstes sowie systematische Überlegungen zu Gottesdienst und Liturgie bietet, werden im zweiten, fast doppelt so langen Teil Einzelaspekte wie „Arten des Gottesdienstes“, „Ordnung der Liturgie“, „Beschaffenheit der liturgischen Stücke“ u. a. m. im Blick auf die praktische Gestaltung behandelt. Zur Veranschaulichung befinden sich in einem Anhang einige Gottesdienstformulare. Im letzten Abschnitt der historischen Grundlegung, der die programmatische Überschrift „Verfall des evangelischen Gottesdienstes“ trägt, versammelt Schoeberlein eine Fülle an Kritikpunkten: Vom „Verfall“ der Gottesdienste ist hier die Rede12, von der „klägliche[n] Verstümmelung der alten Kernlieder unsrer Kirche“13, vom Gebrauch unpassender Melodien, vom schleppenden Tempo des Gesangs und von der Selbstherrlichkeit der Organisten, die sich in „langen Vorspielen und gewagten Zwischenspielen“ ergehen14, von der mangelnden Einbettung der Chorstücke in die Liturgie u. a. m. Ursache dafür sind vier „Hauptgebrechen, daran unser Gottesdienst leidet“: die einseitige Bevorzugung der Predigt, die Armut und Monotonie der Gottesdienste, die Zusammenhanglosigkeit der liturgischen Stücke und die Passivität der Gemeinde.15 Zwar würdigt er die Einführung der Preußischen Agende als Wendepunkt, weil sie einen entscheidenden Anstoß „zur Besserung und Neubildung auf diesem Gebiete“16 gebracht hat. Gleichwohl bleibt die Aufgabe bestehen, „dem wahren liturgischen Bedürfnisse unsrer Kirche in der Gegenwart die rechte, die möglichst volle Befriedigung [zu] gewähren“17. Schoeberlein spielt damit vor allem auf ein entscheidendes Manko der Agende an, die „Deaktivierung der Gemeinde“18 durch den Chor. Die Gemeinde aktiv an der Liturgie zu beteiligen, war ihm ein zentrales Anliegen.19 Dass es sich nicht einfach im Rekurs auf die Geschichte umsetzen ließ, zeigt sich bei der an die historische Darstellung anschließenden Analyse reformatorischer Liturgien. Zu den hier ans Tageslicht tretenden Defiziten gehört neben der Verwendung der lateinischen Sprache, der unvermittelten Aufeinanderfolge liturgischer Akte und der geringen, einem quasi mechanischen Ablauf Vorschub leistenden Variationsbreite von Gebeten und Liedern eben auch die 12 Vgl. Schoeberlein, Ludwig: Über den liturgischen Ausbau des Gemeindegottesdienstes (wie Anm. 9), 74. 13 Ebd., 75. 14 Vgl. ebd., 76 f. 15 Vgl. ebd., 81–83. 16 Ebd., 84. 17 Ebd., 85. 18 Meyer-Blanck, Michael: Agenda (wie Anm. 1), 23 19 Vgl. Schoeberlein, Ludwig: Über den liturgischen Ausbau des Gemeindegottesdienstes (wie Anm. 9), 241–266.
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Verdrängung des Gemeindegesangs durch den Chor. Für Schoeberlein folgt daraus, „daß eine wirklich getreue Restitution des reformatorischen Gottesdienstes für unsere Zeiten zu den innerlich unmöglichen Postulaten gehöre“20. Er begründet dies weiter damit, dass eine bloße Restauration prinzipiell „nicht wirklich historisch“ sei: Oder wäre das ein historisches Verfahren, daß man drei Jahrhunderte überspringe, als wären dieselben für die geschichtliche Entwicklung bedeutungslos gewesen, und daß man einen vormaligen Bestand der Gegenwart unverändert oktroyire, wie wenn sich das Bedürfniß desselben nicht in einzelnen Beziehungen modifizirt haben könnte, ja müßte? […] Wahre Erhaltung im wechselnden Gange der Zeiten ist nicht möglich ohne begleitende innere Fortbildung, wogegen absolute Stabilität, indem sie die Formen festhält, die Gemüther dem Wesen der Sache entfremdet.21
Schoeberlein führt gegen die Restauration schließlich auch das „wahrhaft evangelisch(e)“ Prinzip an, dass aus einer Form kein die Zukunft bindendes Gesetz entstehen dürfe: Hat sich doch die lutherische Kirche bei aller Biblicität ihres Princips nicht auf eine bloße Wiederherstellung selbst des apostolischen Gottesdienstes beschränken wollen, sondern es für die höhere Aufgabe erkannt, den Reichthum des Entwicklungsganges, welchen der christliche Gottesdienst seit der Apostel Zeit erfahren, mit aufzunehmen, so weit es mit den biblischen Principien im Einklange stehe!22
Diese Aufgabe sei aber nicht wirklich gelöst worden, da der unvermeidliche Eifer der Reformationszeit zu manchen Verkürzungen geführt habe. In einer weniger aufgeregten Zeit wie der Gegenwart stehe eine erneute Prüfung der gesamten Überlieferung auf der Tagesordnung, damit das, was sich von dem zunächst Aufgegebenen als mit dem Evangelium übereinstimmend und für die Erbauung der Gemeinde fruchtbar erweist, wieder aufgenommen, und durch innerlich organische Verbindung desselben mit der wirklichen Ueberlieferung der evangelischen Liturgie diese dem Stande evangelischer Vollkommenheit angenähert werde.23
Stellt Schoeberlein somit der Forderung nach Restauration die Idee der „Fortbildung“ bzw. des „Ausbaus“ entgegen, so grenzt er sich dabei doch von der „Fortbildung in schrankenloser Weise“ ab, d. h. von allem, was von der „Grundidee und Grundform“ des reformatorischen Gottesdienstes wegführt.24 Diese sieht er als das Fundament an, von dem aus rückblickend die gesamte Entwicklung des gottesdienstlichen Lebens von der Urkirche an im Blick auf mögliche Verbesserungen des gegenwärtigen Zustands kritisch zu prüfen sei.25
20 Ebd., 121. 21 Ebd., 122. 22 Ebd., 122 f. 23 Ebd., 124. 24 Vgl. ebd., 125 f. 25 Vgl. ebd., 127.
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Schoeberlein ging es, wie gezeigt, nicht um die Rückkehr zu einem bestimmten Punkt in der Geschichte, sondern er war der Überzeugung, daß die Berücksichtigung derselben [der umfassenden Liturgiegeschichte, C. H.] auf unser Bestreben bildend und fördern einwirken könne, indem die Beachtung der Entwicklungsstufen des christlichen Gottesdienstes dazu beiträgt, unsern Blick in das Wesen und die Gestaltung der Liturgie zu erweitern und unsern Sinn für liturgische Formen zu läutern und zu schärfen.26
Konkret dachte er an punktuelle Adaptionen aus der römischen Liturgie, dem „mütterliche(n) Boden“ des lutherischen Gottesdienstes, an neue Akzentsetzungen innerhalb der Liturgie wie etwa auf die Anbetung oder die Opferidee.27 Doch durfte auch die Entwicklung innerhalb der reformatorischen Kirchen nicht außen vor bleiben. Schoeberlein wehrte sich dagegen, in der Geschichte der lutherischen Kirche ausschließlich das destruktive Wesen „des Auflösens und Ausscheidens“ am Werk zu sehen; bei aller Kritik wies er hier auf Konstruktives, Schöpferisches hin, wie den Aufbau eines reichhaltigen Melodie- und Liedrepertoires sowie die Entstehung neuer Gebete und liturgischer Bestandteile. Schoeberlein würdigte die Subjektivierung des Glaubens und die gewachsene Bedeutung von Gefühl und Phantasie für die Auffassung des Religiösen als einen „Fortschritt“ in der Geschichte.28 Er erkannte, dass „dadurch namentlich der Werth der Kunst für den kirchlichen Cultus in ein neues Licht getreten ist“29. Was das konkret bedeutet, erläutert er im Zusammenhang mit der Behandlung der musikalischen Teile der Liturgie im zweiten Teil der Abhandlung.
2. Zeitgemäße Kirchenmusik Beim Gemeindelied schließt sich Schoeberlein der verbreiteten Kritik an den Umdichtungen älterer Lieder sowie an den Neudichtungen aus rationalistischhumanistischem Geist an. Was die Umdichtungen angeht, lehnt er die einfache Wiederherstellung der originalen Texte allerdings ab, da poetische Formen und sprachlicher Ausdruck zeitgebunden sind und so ihrem Zweck, der Erbauung der Gemeinde, zuwiderlaufen können. Das überlieferte Liedgut verdient Respekt, ist aber nicht sakrosankt. Anpassungen „ohne Beeinträchtigung des christlichen Gehaltes und der ursprünglichen Schönheit“30 sind legitim, weil die Kirche bezüglich der Formen ihres Lebens mit dem fortschreitenden Bildungsgange der Völker sich in innerem Einklang erhalten soll und muß, wenn sie nicht einer geistigen Stagna-
26 Ebd., 129. 27 Vgl. ebd., 129 f. 28 Vgl. ebd., 130 f. 29 Ebd., 132. 30 Ebd., 218.
Restauration?
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tion verfallen oder durch eine Kluft vom Volksleben geschieden bleiben und sich des umfassenderen Einflusses auf dasselbe begeben will.31
Insofern ist es nur konsequent, dass Schoeberlein das jüngere Lied nicht pauschal verwirft. Zwar sieht er den Kern des kirchlichen Liedrepertoires im 16. und 17. Jahrhundert entstanden, doch möchte er auch den späteren Erzeugnissen einen Platz einräumen, vorausgesetzt, sie erfüllen die Voraussetzung, dass sie „den kirchlichen Glauben unverkümmert enthalten“, und dass sie „nicht bloß das Einzelgefühl ansprechen, sondern auch jedes Glied der Gemeinde ohne Unterschied sie verstehen und mitfühlen und mit Freude darin einstimmen könne“32. Im Blick auf die Praxis des Gesangs plädiert Schoeberlein für den Verzicht auf Zeilenzwischenspiele der Orgel, damit die Einheit der Melodie gewahrt bleibt. Darüber hinaus verlangt er einen lebhafteren Vortrag als den allgemein verbreiteten langsamen, denn es sei „ein Irrthum, daß das Princip der Feierlichkeit solche Langsamkeit fordere“33. In diesem Zusammenhang setzt er sich auch für die Wiederherstellung der rhythmisierten Melodiefassungen ein, weil dies ein Weg sei, mit dem die Gemeinde „ihren lebendigen Glaubensgefühlen freieren, volleren Ausdruck geben könne, und der belebtere Gesang wird fördernd wieder auf ihr Inneres zurückwirken“34. Den mehrstimmigen Gemeindegesang schließlich lehnt er ab, da der Gesang der Gemeinde „Volksgesang“ sei, der sich mit dem künstlerischen Verfahren der Polyphonie nicht vertrage. Vielmehr liege im „Unisono, als dem Ausdruck voller Gemeinsamkeit, […] die wahre erhebende und fortreißende Macht des Gemeinde-Gesangs“35. Unmittelbare Fasslichkeit bei Ausführung und Wirkung bezeichnet er als ein wichtiges Kriterium für die liturgische Eignung. Schoeberleins Kritik des gegenwärtigen Zustands der Kirchenmusik zeigt sich noch deutlicher beim Chorgesang. Hier beklagt er einen historischen Tiefstand: Entweder sei er ganz eingegangen, oder er sei dort, wo er noch existiere, verweltlicht: In Styl und Art des Gesangs geht man betteln bei der weltlichen Musik, welche durch ihre allerdings großartigen Leistungen sich solch ein imponirendes Ansehen erworben hat, daß es als Beschränktheit und Ungerechtigkeit aufgenommen wird, wenn man die Kirche von ihrem Einflusse emancipirt sehen will.36
Die Notwendigkeit zur „Emanzipation“ sieht er in der wesenhaften Trennung zwischen der geistlichen und der weltlichen Sphäre gegeben:
31 Ebd., 217. 32 Ebd., 219. 33 Ebd., 222. 34 Ebd., 226. 35 Ebd., 229 f. 36 Ebd., 233.
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In den Gesängen der Kirche müssen die Gedanken der ewigen Liebe wie nach Seite ihres unendlichen Erbarmens so ihres heiligen Ernstes wiederklingen, es muß sich darin das Leben des Glaubens wie nach seiner seligen Freude in der Gnade Gottes so nach seiner Trauer über die Sünde aussprechen. Jene Gedanken des Heils sind aber andere als aller Menschen Gedanken, und diese Gefühle der Freude und Trauer andere als der Welt Lust und Leid.37
Schoeberlein leitet daraus die Forderung nach „Objectivität“ der kirchlichen Musik ab, nach dem Ausdruck kollektiver Empfindungen, nach Mäßigung, klarer, fasslicher Form und „heiliger Ruhe“.38 Verwirklicht sieht Schoeberlein diese Forderung in der der A-cappella-Praxis verbundenen Musik des 16. bis späten 17. Jahrhunderts, weil sie „vom kirchlichen Gemeingeist getragen“ ist, während die Musik der Gegenwart vor allem subjektive Empfindungen zum Inhalt hat und als autonomes Kunstwerk in Erscheinung tritt.39 Die Zukunft der Kirchenmusik sieht er deshalb darin, daß sie sich vor allem an den großen Meistern der klassischen Zeit bilde, an den Werken eines Leo Haßler, Joh. Eccard, Mich. Prätorius, Heinr. Schütz etc. aus der deutschen, eines Orlando di Lasso, Palestrina und seiner großen Nachfolger aus der italienischen Schule.40
Für eine stilistische Restauration in zeitgenössischen Kompositionen setzt sich Schoeberlein jedoch nicht ein.41 Allerdings möchte er Kompositionen, die dem modernen, emphatischen Kunstbegriff verpflichtet sind und in der Art von Konzertstücken rezipiert werden, vom Gottesdienst fernhalten. Dass solche Stücke noch im Gottesdienst aufgeführt werden, versteht er als Folge der Verselbständigung des Chorgesangs vom Gemeindelied seit dem späten 17. Jahrhundert. Damals „wählte der Chor bald Schriftsprüche zu seinem Stoffe, und später gieng die concerthafte Behandlung durch Hereinziehung der geistlichen Arie in den Opernstyl über“42. Der Chor verdrängte so den Gemeindegesang, während seine ureigene Aufgabe, die Unterstützung des Gemeindegesangs, an die Orgel fiel, welche den Choral z. B. durch Zwischenspiele künstlerisch aufzuwerten begann.43 Gleichwohl sieht Schoeberlein keinen Grund, deswegen auf die mehrstimmige Chormusik generell zu verzichten: Die Kirche kann nicht wohl ohne Chorgesang die volle Herrlichkeit ihres gottesdienstlichen Lebens zur Verwirklichung bringen und hinwiederum gelangt die Kunst des 37 Ebd., 234. 38 Vgl. ebd., 234 f. 39 Vgl. ebd., 235. Als exemplarisch dafür führt Schoeberlein Oratorium, Kantate und Arie an. 40 Ebd., 236. 41 Ihm schwebte als Ergebnis des Studiums der sogenannten Meistern der „Klassischen Zeit“ vielmehr die „innere Durchdringung der musikalischen Fortschritte und kirchlichen Bedürfnisse der Gegenwart mit dem vollen Glaubensgehalte und reinen Kirchentone der Vergangenheit“ vor; vgl. Schoeberlein, Ludwig: Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesangs (wie Anm. 4), 1. Bd., 1865, Einleitung, 9. 42 Schoeberlein, Ludwig: Über den Ausbau (wie Anm. 9), 267. 43 Vgl. ebd., 267 f.
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Gesanges zu ihrer höchsten Bedeutung und findet ihre wahre Verklärung erst im Dienst der Kirche.44
Orientierung für die Rolle des Chors in der Liturgie gibt folgende Bestimmung: „Der Chor ist, resp. vertritt die Stimme der allgemeinen (oder, wenn man will, idealen) Kirche, welche in die Gesänge der Einzelgemeinde hereinklingt und mit denselben zu Einem Preise des Herrn sich vereinigt.“45 Er repräsentiert zusammen mit der aktuellen Gemeinde die Einheit der Kirche über die Zeiten hinweg und trägt so – namentlich in Festgottesdiensten – dazu bei, „die Gemüther mehr in festliche Stimmung zu erheben“46. In Bezug auf die Stellung innerhalb der Liturgie differenziert Schoeberlein zwischen der einfachen und der „selbständigeren“ Art der Mitwirkung. Zur ersteren gehören alternatim gesungene Kirchenlieder, Wechselgesänge mit der Gemeinde und die Beteiligung an den Antiphonen „als drittes Glied“, zur anderen die doppelchörige Psalmodie als Introitus (etwa in den Vertonungen von Schütz) und nicht näher bestimmte Kompositionen als Graduale, nach der Danksagung im Anschluss an die Predigt sowie beim Abendmahlsgottesdienst nach der Konsekration und während der Austeilung.47 Entscheidend bei den Stücken mit stärkerem Eigenwert ist, dass sie nicht als konzertartige Einlage zum passiven Genuss verstanden werden dürfen, sondern dass durch sie das Handeln des Geistlichen oder der Gemeinde eingeleitet oder fortgeführt wird.48 Ist bei ihnen auch keine Bindung an eine Choralmelodie oder an einen Psalmton erforderlich, so wird doch vorausgesetzt, dass „Melodie und Harmonie auch hier im strengen kirchlichen Styl gehalten seyn und die Eigenschaft der Gemeinfaßlichkeit besitzen müßen“49. Dass die Forderung nach „Gemeinfaßlichkeit“ die Verwendung ausschließlich deutschsprachiger Gesänge einschloss, versteht sich von selbst.50 Was die Praxis des Chorgesangs betrifft, so plädiert Schoeberlein analog zu seinen Ausführungen zum Stil für eine Trennung zwischen der weltlichen, d. h. gefühlvollen, auf die Wortbedeutung konzentrierten, mitunter auch effektvollen Art und kirchlicher Art, womit ein maßvoller, aber nicht monotoner 44 Ebd., 268. 45 Ebd., 270. Diese idealisierende Funktion des Chors rechtfertigt Schoeberlein zufolge die kunstvolle Gestaltung der Chormusik; vgl. die Einleitung zum 1. Bd. (Schoeberlein, Ludwig: Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesangs [wie Anm. 4]), 1865, 1–13, hier 6. 46 Schoeberlein, Ludwig: Über den Ausbau (wie Anm. 9), 270. Schoeberlein präzisiert diesen Gesichtspunkt später im Vorwort zum 2. Bd. (Schoeberlein, Ludwig: Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesangs [wie Anm. 4]), 1868, V: „Denn in ihr einfaches Lied vermag die Gemeinde noch nicht die ganze Fülle ihrer heiligen Empfindung zu legen; sie wünscht dafür noch einen Ausdruck „im höheren Chor“, und diesen gibt ihr eben der Singchor durch seine kunstvollen Weisen heiligen Gesangs.“ 47 Vgl. Schoeberlein, Ludwig: Über den Ausbau (wie Anm. 9), 271–276. 48 Vgl. ebd., 273. 49 Ebd., 278. Als mögliche Stücke nennt er in diesem Zusammenhang die motettische Choralbearbeitung (Eccard), den figurierten Choral (Praetorius) und die Spruchmotette (Schütz). 50 Konsequenterweise unterlegte Schoeberlein ursprünglich lateinischen Gesängen im „Schatz“ deutsche Texte.
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Gesang „in stillem Gange heiliger Erhabenheit“51 gemeint ist. Der (vereinsmäßig organisierte) Männerchor kommt für ihn als Kirchenchor nicht in Frage, zum einen wegen der klanglichen Einschränkungen, zum andern wegen des weltlichen Vortragsstils.52 Den besten Weg sieht er in der Gründung eines Gottesdienstchors aus Gemeindemitgliedern, wobei er in erster Linie an die „heranwachsende Jugend“, genauer: brauchbare Absolventen des schulischen Gesangsunterrichts denkt.53 In der Einleitung zum 1. Teil des „Schatzes“ wird er für die Besetzung von Sopran und Alt mit Knabenstimmen wegen ihrer „besonderen Vorzüge“ für die Kirche plädieren.54 Über die Orgel äußert sich Schoeberlein nur knapp.55 Ihre wesentliche Funktion sieht er in der schlichten, stützenden und belebenden Begleitung des Gemeindegesangs. Eine Wiederherstellung der auf der Mitwirkung eines Schulchors beruhenden Praxis, wie sie in einigen Gemeinden noch bis weit in die erste Jahrhunderthälfte hinein üblich war,56 erwägt er nicht einmal. Dafür dürfte der Mangel an Chören, vielleicht auch die technische und klangliche Entwicklung der Orgel zum „spezifisch kirchliche(n) Instrument“57 den Ausschlag gegeben haben. Raum für die selbständigere Entfaltung bieten nur Anfang und Ende des Gottesdienstes; doch sind auch hier „nicht große Orgelstücke aufzuführen, sondern das Spiel soll seiner Bedeutung als Einleitung und Abschluß des Gottesdienstes entsprechen“58. Kunstvolle Werke wie etwa die Kompositionen Johann Sebastian Bachs haben deshalb Schoeberlein zufolge, wie übrigens auch Kantaten und Oratorien, nur in musikalischen Andachten oder in geistlichen Konzerten ihren Ort. Resümierend ist festzuhalten, dass Schoeberlein bei aller Wertschätzung der altkirchlichen und reformatorischen Traditionsbestände doch keiner schlichten Restauration das Wort redet. Walter Blankenburgs (nicht zuletzt auf ihn gemünzter) Vorwurf, dass der Restauration „ein beträchtliches Maß von Verkennung historischer Gegebenheiten und darum von Illusion und Selbsttäuschung“59 zugrunde liege, gilt gerade für Schoeberlein nicht. Dem stand sein Geschichtsverständnis entgegen, das von der Einsicht in den steten Wandel und 51 Ebd., 237. 52 Pointiert drückt er dies in der Einleitung zum 1. Bd. (Schoeberlein, Ludwig: Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesangs [wie Anm. 4]), 1865, 8 so aus: „Der in unseren Tagen so vielbeliebte Männerchor eignet sich wenig für die Kirche, theils weil der die Idee einer Gemeinde nur unvollkommen repräsentiert, theils weil ihm der nöthige Umfang von Harmonie und die durchtönende Kraft der oberen Stimmen fehlt, um die Kirche mit Klängen eines Gesangs im höheren Chor zu erfüllen.“ 53 Vgl. Schoeberlein, Ludwig: Über den Ausbau (wie Anm. 9), 238 f. 54 Vgl. Schoeberlein, Ludwig: Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesangs (wie Anm. 4), 1. Bd., 1865, Einleitung, 8. 55 Vgl. Schoeberlein, Ludwig: Über den Ausbau (wie Anm. 9), 286–288. 56 Vgl. Feder, Georg: Verfall und Restauration (wie Anm. 5), 255. 57 Schoeberlein, Ludwig: Über den Ausbau (wie Anm. 9), 287. 58 Ebd., 288. 59 Blankenburg, Walter: Entstehung, Wesen und Ausprägung der Restauration (wie Anm. 2), 28.
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in die letztendliche Unverbindlichkeit aller liturgischen Ausdrucksformen geprägt war. Er glaubte nicht an einen Idealzustand von Kirche und Kirchenmusik in der frühen christlichen Zeit oder in der Reformationszeit, der zu rekon struieren sei. Vielmehr galt es die Intentionen der Reformationszeit konsequent fortzuführen, d. h. Gemeindegesang und Chor sowohl „zu ihrer kirchlichen Reinheit und Lebendigkeit zurückzuführen, als unter Innehaltung der denselben eigenthümlichen Sphären zwischen beiden eine wahrhaft erbauliche Vereinigung herzustellen“60. Dieses Ziel, das einem Bedürfnis der Gegenwart entsprang, erlaubte den Zugriff auf liturgische Formen und Musik der verschiedenen Konfessionen, insofern sie etwas dazu beitragen konnten. Dass das von Schoeberlein erschlossene Repertoire hauptsächlich aus dem 16. und 17. Jahrhundert stammte, war die Konsequenz aus dem allgemein anerkannten, theologisch (nicht historisch) begründeten A-Cappella-Ideal, das von dem Wunsch nach klarer Unterscheidung zwischen kirchlicher und weltlicher Sphäre getragen wurde. Seine Durchsetzung in der Aufführungspraxis war aber als Ausgangspunkt für eine modernisierende Fortentwicklung gedacht. Sie näher zu bestimmen, konnte nicht die Aufgabe eines Theologen sein.
3. Modernisierung Ansätze für die modernisierende Fortentwicklung zeigen sich in den über die Kompositionen im alten Stil hinaus in den „Schatz“ aufgenommenen Bearbeitungen, für die Friedrich Samuel Riegel (1825–1907) verantwortlich zeichnete. Riegel war seit 1858 Kantor und Organist an der evangelischen Kirche in München, außerdem Professor für Orgelspiel am Königlichen Konservatorium.61 Auf welchem Weg er in das Publikationsprojekt eingebunden wurde, ist unbekannt. In dem von ihm verfassten 2. Teil der Einleitung im 1. Band ist unter anderem von den Kriterien bei der Auswahl von liturgischen Melodien mit Sätzen von Praetorius, Haßler und anderen die Rede, auch von dem Umstand, dass einige Melodien „nur“ einstimmig überliefert seien. Dass dies als Mangel empfunden wird, ist die Konsequenz aus der modernen, im Umfeld der Romantik gewachsenen Anschauung, dass erst der mehrstimmige Chorgesang Repräsentant der idealen Gemeinde sei. Riegel versichert, dass er sich bemüht habe, „bei eigener Harmonisirung solcher Melodien den ächten kirchlichen Ton nach dem Muster der Sätze jener alten Meister zu treffen“62. Bezeichnend ist, dass er als ästhetisches 60 Schoeberlein, Ludwig: Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesangs (wie Anm. 4), 1. Bd., 1865, 5. 61 Über Riegel ist wenig bekannt. In der musikwissenschaftlichen Enzyklopädie „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“ ist er nicht aufgeführt. Einige Lebensdaten und Werke enthält eine der schwäbischen Orgelromantik gewidmete Website; vgl. http://www.schwaebische-orgelromantik. de/personen/riegel-friedrich/riegel-friedrich.htm (1.10.2019). 62 Schoeberlein, Ludwig: Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesangs (wie Anm. 4), 1. Bd., 1865, 16.
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Ziel die Herstellung eines bestimmten Tonfalls angibt, dem die aus der klassischen Tradition abgeleiteten Techniken der Komposition untergeordnet sind. Dies passt zu der Beobachtung, dass seine Choralbearbeitungen im Vergleich zum 16. und 17. Jahrhundert mitunter durchaus anachronistische Merkmale aufweisen. Sie stellen eine Tendenz inmitten vielfältiger Traditionsbezüge dar. Im Folgenden seien drei Beispiele aus dem 1. Band näher betrachtet. Bei dem Ehr sei dem Vater (Nr. 188) fällt die Unterbrechung des vierstimmigen Satzes durch Unisonopassagen auf (vgl. Abb. 1).63 Sie erinnern an die psalmodischen Abschnitte dieser Art etwa in der Psalmmotette „Richte mich, Gott“ op. 78,2 von Felix Mendelssohn Bartholdy. Riegel hebt dadurch zunächst das letzte Satzglied der vom Chor gesungenen Doxologie hervor, harmonisiert aber das ganz am Schluss stehende, gewichtige Wort „Ewigkeit“ wieder. Der anschließende Eintritt der Gemeinde mit „Amen“ erfolgt unisono, was den Einsatz natürlich erleichtert. Die plagale vierstimmige Kadenz zum zweimaligen „Amen“ unter dem Schlusston der Melodie bildet dann einen markanten Abschluss.
Abb. 1
63 Vgl. ebd., 285, dazu auch Wajemann, Heiner: Caecilianische Bestrebungen (wie Anm. 5), 265.
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Das „Gloria summum“ (Nr. 95) stellt eine Bearbeitung des Gloria der Missa „Cunctipotens Genitor Deus“ dar (vgl. Abb. 2). Als Melodiequellen führt Riegel vier ältere Kantionale und eine zeitgenössische katholische Ausgabe von Johann Georg Mettenleiter an.64 Sie weichen in nicht wenigen Einzelheiten voneinander ab. Rhythmisiert ist nur die letztgenannte Fassung. Inwieweit sich Riegel nun an der einen oder anderen orientierte, ist schwer zu sagen, da er im Zuge der Unterlegung des deutschen Textes teilweise erhebliche Änderungen (v. a. Kürzungen und Umstellungen) vornahm, um die deutsche Prosodie zur Geltung zu bringen. Die Schlusstöne der einzelnen Phrasen behielt Riegel aber bei, wodurch die modale Grundstruktur der Melodie intakt blieb. Freilich transponierte er die hypophrygische Melodie im Cantus regularis um eine Großterz nach oben. Er schreibt folglich vier Kreuze vor, wodurch das Stück im „Schatz“ ziemlich aus dem Rahmen fällt. Zwar war eine Transposition notwendig, um den vierstimmigen Satz im normalen Ambitus eines Laienchors (hier Fis – e’’) unterzubringen. Ebenso gut geeignet – und wohl auch leichter zu lesen – wären aber Transpositionen nach a (Vorzeichen: ein b) oder g (drei b als Vorzeichen) gewesen.65 Mit der Transposition nach a wäre Riegel auch der Praxis des 16. und 17. Jahrhunderts näher gewesen. Bleibt also die Annahme, dass Riegel mit der Vorzeichnung eine spezifische Klangqualität verband. Zu Recht dürfte er die von Glarean über Wolfgang Caspar Printz überlieferte historische Charakteristik des phrygischen bzw. hypophrygischen Modus als traurig in Bezug auf das Gloria als unpassend empfunden haben.66 Denkbar ist, dass er eine in der Kompositionspraxis seit dem späten 18. Jahrhundert ausgebildete Charakteristik der Tonart E-Dur bei seiner Entscheidung im Sinn hatte, die folgendermaßen umrissen wird: „weihevoll, überirdisch, Gottestonart“67. Da freilich kaum etwas über Riegels Werdegang und den Hintergrund seines Schaffens bekannt ist, bleibt dies eine Vermutung. Im Blick auf die Harmonisierung bedeutet die Tatsache, dass die meisten Melodiephrasen nach einem Sekundschritt auf der Finalis gis enden, ein Problem. Um der drohenden Eintönigkeit entgegenzuwirken, wählt Riegel für fünf der sieben Abschnitte, in die er nach der Intonation die kleingliedrige Abfolge der Text- und Melodieglieder fasste und die er durch Doppelstriche voneinander abhob, den Schlussklang auf gis (S. 160 II und V, S. 161 IV, S. 162 64 Vgl. Schoeberlein, Ludwig: Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesangs (wie Anm. 4), 1. Bd., 1865, 160–162. Die Quellen sind: Lossius, Lucas: Psalmodia, hoc est, Cantica sacra veteris ecclesiae selecta […], Wittenberg 1553; Eler, Franz: Cantica sacra […], Hamburg 1588; Luidke [Ludecus / Lüdtke], Matthäus: Missale, hoc est, Cantica, preces, et lectiones sacrae […], Wittenberg 1589; Graduale Romanum de tempore et sanctis, Venedig 1653; Johann Georg Mettenleiter, Enchiridion chorale […], Regensburg 1853. 65 In sehr wenigen Sätzen wird die Oberstimmenmelodie bis zum f ’’ geführt. Häufiger wird das F vom Bass verlangt. 66 Vgl. Auhagen, Wolfgang: Studien zur Tonartencharakteristik in theoretischen Schriften und Kompositionen vom späten 17. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts (Europäische Hochschulschriften, Reihe XXXVI, Bd. 6). Frankfurt a. M. 1983, 5–7. 67 Ebd., 406.
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Abb. 2
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I und V68). Da er stets die picardische Terz vorschreibt, wirken die Abschnitts-
enden halbschlüssig. Die anderen beiden Abschnitte münden dagegen in eine ganzschlüssige E-Dur-Kadenz (Schlussklang in Terzlage) (S. 161 I und V). Diese Art der Kadenzierung überwiegt sogar innerhalb der Abschnitte. Der zweite Abschnitt etwa enthält drei II-V-I-Kadenzen, von denen zwei eine Bassklausel aufweisen (S. 160 III Wir benedeien dich und IV Wir sagen dir Dank) und eine eine Clausula simplex, also den verkürzten Dominantseptakkord (S. 160 IV Wir preisen dich). Die Akzentuierung der entlegenen 6. Stufe verfremdete den Modus ebenso wie die Bildung von Kadenzen in fis-Moll (7. Stufe, S. 161 III du Lamm Gottes) und D-Dur (tiefalterierte 5. Stufe, S. 161 IV die Sünden der Welt) im 4. Abschnitt. Gewiss war dabei die Textausdeutung leitend; sie war aber von modernem kadenzharmonischem Denken geprägt. Dass Riegel nicht den (ihm fremden) Modus, sondern Dur und Moll im Blick hatte, verrät auch die Tatsache, dass er die Worte „die Sünden“ in diesem wie im nächsten Abschnitt mit Mollakkorden harmonisierte (S. 161 III und IV). Bei der Gottesnamenreihe im 3. Abschnitt dagegen verwendet er fast nur die Kadenzstufen von E-Dur. Harmonisch-kadenzielles Denken, das sich mit sprachlicher Sensibilität verbindet, zeigt sich schließlich im Choralsatz zu Hochgelobet seist du (Nr. 316) (vgl. Abb. 3).69 Die dorische Melodie ist einem Gesangbuch der Böhmischen Brüder entnommen.70 Abgesehen davon, dass Riegel sie um eine Großterz nach oben transponiert, also wiederum vier Kreuze vorzeichnet, weicht er an einer Stelle von ihr ab: Er ignoriert das b vor der Pänultima der Zeile Für uns Mensch zu werden. Dies erlaubt ihm (anstelle eines Halbschlusses) die Bildung eines Ganzschlusses auf cis. An ihn schließt sich, der syntaktischen Struktur des Textes folgend (des freu’n wir uns zumahl ), ein Neuansatz eine Quinte höher an, harmonisiert mit einem Pendel zwischen Cis-Dur und fis-Moll, der Tonika. Sie wird im Folgenden, dem melodischen Verlauf entsprechend, noch zweimal bekräftigt (empfahen dich all, o milder Heiland), wobei der Schlussphrase, die die Gemeinde mitsingen soll, eine IV-V-I-Kadenz unterlegt ist. Die schlichte Wiederholung der Schlusswendung vorher dürfte der Erleichterung der Orientierung vor ihrem Einsatz geschuldet sein. Bezeichnend für die Vorgehensweise Riegels ist aber auch die Veränderung der Harmonie in Klammer 2. Während der Melodieschritt a – gis in Klammer 1 als Halbschluss harmonisiert ist, der zur Tonika und dem Anfang des zweiten Hauptsatzes im Text zurückführt, wählt Riegel in Klammer 2 die Zwischendominante zur nachfolgenden Dominante, mit der die neue Phrase, den Satz im Enjambement fortsetzend, nach einem Quartsprung anhebt. Sie wird in eine E-Dur-Kadenz weitergeführt, die allerdings durch die Terzlage des Schluss-
68 Die römischen Zahlen geben die Systeme auf der Seite an. 69 Vgl. Schoeberlein, Ludwig: Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesangs (wie Anm. 4), 1. Bd., 1865, 493. 70 Riegel gibt als Quelle „Kirchengesänge, darinnen die Hauptartickel des christlichen Glau bens kurtz verfasset“ […] in den Ausgaben Ivančice 1566, Nürnberg 1580 und o. O. 1606 an.
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akkords nicht vollkommen ist (h’rab auf Erden), was dem Komma vor dem anschließenden erläuternden Vers entspricht. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Riegels „Harmonisierungen“ von Stilkopien weit entfernt sind. Die hier besprochenen Beispiele, die sämtlich auf dem Satz Note gegen Note beruhen, zeigen, dass Riegel in Akkordfortschreitungen bis hin zu kadenziellen Zusammenhängen dachte. Die modale Struktur der von ihm bearbeiteten Melodien spielte für die Frage des „kirchlichen Tons“ der Musik nur eine untergeordnete Rolle. Dies mag damit zusammenhängen, dass ihm die erwünschte Einfühlung in das Wesen der ‚alten‘ Musik unter Absehung vom harmonischen Denken erhebliche Mühe bereitete. Er berichtet darüber in einem Brief an den Verlag vom 22. Oktober 1866 und gibt daneben Auskunft über die enorme Belastung durch die Mitarbeit am „Schatz“: Bei Beginn unseres liturg. Werks konnte ich nicht ahnen, daß dasselbe eine solche immense Ausdehnung annehmen werde, sonst hätte mich die Menge der Arbeit von der Annahme der musical. Redaction abgeschreckt. Wie viel Zeit und Mühe auch meinerseits zur Förderung des Werks nothwendig war, will ich nicht einmal so sehr hervorheben; um mich so ganz in das Wesen der älteren Musik und insbesondere deren Tonsystem hinein zu leben, war es aber dringend nothwendig, daß ich mich so viel als nur möglich von dem Zufluß der gegenwärtigen Musik abschloß u. die Anforderungen und Interessen, welche diese an mich stellen wollten und ich zu verfolgen gehabt hätte, zum größten Theil vernachlässigen u. bei Seite setzen mußte. Eine derartige Isolirung empfindet kein anderer Künstler so lebhaft u. schmerzlich als gerade der Musiker; so daß ich oft nahe daran war, den mus. Theil des Werks andern Händen zu überlassen. Die nahe Aussicht auf baldige Beendigung und Vollendung des Buches hat mich allein davon abgehalten. Vom Oktober vorigen Jahres an habe ich bis zum August d. J. für ungefähr 70–80 Druckbogen Manuscript beschafft. Mit solcher Eile vermag ich zukünftig nicht mehr zu arbeiten, ohne auch für meine Gesundheit Nachtheiliges befürchten zu müssen. Auf Ihre und der Wünsche des Herrn Consistorialraths Dr. Schöberlein habe ich mit solcher Hast gearbeitet, weil es mir auch klar wurde, daß ein baldiges Erscheinen der einzelnen Lieferungen der Aufnahme des Werks von Nutzen seyn könne.71
4. Die Empfehlung des Oberkirchenrats Am 3. Februar 1864 wandte sich Schoeberlein an den Oberkirchenrat in Berlin mit der Bitte um Empfehlung der im Entstehen begriffenen Publikation an die Geistlichen, Kirchenmusiker und Gemeinden. Der Oberkirchenrat war 1850 durch die Ausgliederung der evangelischen Abteilung des Kultusministeriums entstanden und sollte, direkt dem König unterstellt, als den Konsistorien übergeordnete Behörde selbständig die inneren Angelegenheiten der Kirche
71 Staatsbibliothek Berlin PK, Handschriftenlesesaal, Nachl. 494, C, Verlagsverträge, 2, Schöberlein, Ludwig. Für Auskünfte zum Bestand des Verlagsarchivs von Vandenhoeck & Ruprecht danke ich Johanna Rech (Staatsbibliothek Berlin PK).
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verwalten.72 Schoeberlein begründete sein Anliegen mit der Zielsetzung der Publikation, den gottesdienstlichen Gesang durch ein das ganze Kirchenjahr berücksichtigendes, vielfältiges und stilistisch angemessenes Repertoire zu heben bzw. wenigstens zur Einrichtung eines solchen Gesangs zu motivieren: Wie aus der Beilage erhellt, bin ich damit beschäftigt, eine umfassende Sammlung der liturgischen Gesangsschätze unserer Kirche herauszugeben, und beabsichtige damit, das ausreichende Material vom Chorsingen (sammt den liturgischen Gemeinde- und Altargesängen) vorzulegen, welche für unsere Gottesdienste zur Anwendung kommen können. Ohne daß dadurch die bestehenden Gottesdienstordnungen irgendwie alterirt würden, soll hiermit aus dem liturgisch-musikalischen Schatze der Kirche alles zur Benutzung dargeboten werden, was innerhalb derselben theils zu größerer Mannichfaltigkeit in der Ausführung, je nach den kirchlichen Zeiten, theils zur Bereicherung für die Fest- und Feiertagsgottesdienste dienen mag. […] Mit diesem Werk […] glaube ich einem wesentlichen Bedürfnis unserer Kirche entgegenzukommen. Denn dadurch wird nicht blos das Verlangen nach Belebung der gottesdienstlichen Feier durch liturgischen Gesang in vollständigen Maaße befriedigt, und, wenn das Bedürfnis dafür noch schliefe, könnte es dadurch geweckt werden; sondern es wird auch durch die organische Einfügung des Chors in die Handlungen der Geistlichen und der Gemeinde einer blos äußerlichen Verwendung des Chors vorgebeugt, und der Modernisierung und Verweltlichung des Gesangs dadurch entgegen gewirkt, daß eine umfassende Menge von Compositionen aus der klassischen Periode des Kirchengesangs dargeboten wird, welche in Melodie und Harmonie ächt kirchlichen Charakter tragen.73
Da die Kalkulation des Verkaufspreises des „Schatzes“ wegen des beträchtlichen Umfangs – das Werk zählte schließlich 2745 Seiten – bei mehr als 5 Talern lag, waren Probleme beim Absatz vorprogrammiert. Schoeberlein hatte dafür eine Lösung parat, die an die gewünschte Empfehlung des Oberkirchenrats geknüpft war: Ein sehr förderliches Mittel für die wünschenswerthe Unterstützung des Unternehmens würde es nun seyn, wenn die Anschaffung der Bücher nicht blos auf die Privatkasse der Geistlichen und Cantoren gestellt wäre, sondern wenn auch die Kirchenmittel derjenigen Gemeinden, wo solche für derartige Zwecke zu Gebote stehen, dafür dürften in Anspruch genommen werden.74
Er warb mit folgender captatio benevolentiae für seinen Vorschlag: Ich will nicht bergen, daß meine Hoffnung auf das Gedeihen des Unternehmens vornehmlich auf Preußen steht. Denn während die anderen Landeskirchen unsers deutschen Vaterlands entweder einer eigentlichen Liturgie überhaupt entbehren, oder die
72 Vgl. Rathgeber, Christina: Das Kultusministerium und die Kirchenpolitik 1817–1934, in: Holtz, Bärbel (Hg.): Das preußische Kultusministerium als Staatsbehörde und gesellschaftliche Agentur (1817–1934) (Acta Borussica, N. F. 2. Reihe), Bd. 2/1. Berlin 2010, 289–351, hier 319–321. 73 Kirchliches Archivzentrum Berlin, EZA 7/2445: Acta betr. den Kirchengesang und die Kirchenmusik überhaupt, Vol. 2: März 1658 bis Juli 1864, fol. 226r und v. 74 Ebd., fol. 227r.
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neue Einführung derselben auf Mißtrauen und Widerstand stößt, so hat sich dagegen in Preußen, welches mit Erstellung einer Liturgie den andern deutschen Staaten schon in den zwanziger Jahren vorausgegangen ist, der Wunsch in der Kirche tiefer in dieselbe eingelebt, so daß dort meinem Unternehmen theils ein lebhaftes Interesse und große Empfänglichkeit, theils eine bessere musikalische Vorbildung für liturgischen Gesang bei Geistlichen und Cantoren, bei Schülern und Gemeinden entgegenkommen dürfte.75
Zusätzlich legte Schoeberlein ein auf den 24. Januar 1864 datiertes Gutachten des renommierten Händelforschers Friedrich Chrysander bei. Beide kannten sich aus der sog. liturgischen Konferenz, die sich mit der Erstellung einer Liturgie für die Schlosskirche in Hannover befasste.76 Das Gutachten bezog sich wahrscheinlich auf die 1. Lieferung aus dem 1. Band und einen konzeptionellen Text Schoeberleins, der später in dem Band als Einleitung abgedruckt wurde und dort auf „Herbst 1862“ datiert ist.77 Chrysander hob in seiner Stellungnahme die Materialfülle und die pädagogische Eignung für die Kirchenchöre hervor: Eben solches Werk war bisher nicht vorhanden. Man hatte nur Quellensammlungen und Blumenlesen, nicht aber ein Handbuch, welches, wie das vorliegende, bei umfassender und sorgfältiger Benutzung des kirchenmusikalischen Schatzes der Vergangenheit eine Gesammtdarstellung des evangel. Gottesdienstes lieferte und, mit der Rücksicht auf praktische Durchführbarkeit geordnet, ein wenn auch nicht erschöpfendes doch unter allen Umständen ausreichendes Material darböte. Die meisten Kirchenchöre werden nie in der Lage sein, über das hier Gegebene […] hinausgehen zu können, und für alle ohne Ausnahme dürfte es die beste Anleitung sein, so vom Einfachen stufenweis zur Bewältigung und zum Verständniß auch der umfangreichsten und schwierigsten Chorsätze fortschreiten zu können.78
Der Oberkirchenrat reagierte trotz grundsätzlicher Vorbehalte positiv auf Schoeberleins Anliegen und forderte nun seinerseits mit Schreiben vom 15. April 1864 die Konsistorien in Berlin, Breslau, Koblenz, Königsberg, Magdeburg, Münster, Posen und Stettin zu Stellungnahmen auf: Obwohl wir im Allgemeinen nicht geneigt sind liturgische Untersuchungen durch unsere amtliche Empfehlung zu unterstützen, so nehmen wir doch ein so lebhaftes Interesse an dem Zustandekommen dieses auch für die weitere liturgische Entwicklung
75 Ebd. 76 Vgl. Jahrbuch der musikalischen Wissenschaften 2 (1867), 325. Über diesen Aspekt der Biographie Chrysanders ist bisher nichts bekannt; Waltraut Schardig berichtet jedenfalls nichts darüber; vgl. Schardig, Waltraut: Friedrich Chrysander. Leben und Werk. Hamburg 1986. 77 Vgl. Schoeberlein, Ludwig: Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesangs (wie Anm. 4), 1. Bd., 1865, 1–13. 78 Kirchliches Archivzentrum Berlin, EZA 7/2445, fol. 228 f. Chrysander rezensierte den 1. Teil und den Anfang des 2. Teils in: Jahrbuch der musikalischen Wissenschaften 2 (1867), 324–326, wobei er große Teile seines Gutachtens verwendete. Allerdings kritisierte er nun das Fehlen anglikanischer Kompositionen, den unpraktischen Notensatz und die zu modernen Harmonisierungen Riegels.
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in dieser Landeskirche bedeutungsvollen Werks, daß wir uns freuen würden, wenn wir zur Förderung desselben etwas beitragen könnten. Bevor wir jedoch in dieser Beziehung weitere Schritte thun, veranlassen wir das p. sich über den Werth und die Brauchbarkeit desselben für den beabsichtigten Zweck und die Art und Weise, wie event. der Verbreitung desselben von unserer Seite am zweckmäßigsten Vorschub geleistet werden könnte, zu äußern. Dem Bericht wollen wir innerhalb 8 Wochen entgegensehen.79
Die Berichte der Konsistorien trafen bis Anfang September 1864 ein.80 Sie fielen ausnahmslos positiv aus und sprachen sich für eine Förderung des Werks aus. Teilweise stützten sie sich dabei auf selbst in Auftrag gegebene Gutachten. Ausschlaggebend für die gute Aufnahme waren die historische Orientierung und die Materialfülle der Sammlung. An beides knüpfte sich die Hoffnung auf eine Verbesserung der Liturgie, v. a. im Blick auf den Chor- und Gemeindegesang. Allerdings schätzten die Konsistorien die Lage realistisch ein, wenn sie kurzfristige Veränderungen nicht erwarteten, da die Preußische Agende für die Hauptgottesdienste kaum Raum für die praktische Nutzung des Materials ließ. Insofern ruhten die Hoffnungen übereinstimmend auf einer langfristigen Wirkung, die beim privaten Studium des „Schatzes“ durch Kirchenmusiker und Geistliche sowie auf seiner Verwendung in den Lehrerseminaren ansetzen sollte. Das Konsistorium in Münster äußerte sich hier als einziges skeptisch; es schätzte die Reichweite der Publikation gering ein, da die bei weitem größte Mehrzahl der Geistlichen, Organisten und Cantoren sich in liturgischer Beziehung mit den zu unmittelbar practischem Gebrauch vorgeschriebenen und vorliegenden Resultaten solcher Forschungen und Zusammenstellungen begnügt, ohne der Sache ein eingehenderes Studium zu widmen.81
Das Breslauer Konsistorium erhoffte sich dagegen die Beseitigung der überkommenen Praxis, hin und wieder gern Musik- und Gesangstücke ein[zulegen], die nach Form und Inhalt weder in organischem Zusammenhangs noch in reinem, tiefem Zusammenklange mit dem übrigen Gottesdienste stehen.82
Weiterhin wünschte es sich einen von den Behörden an die Lehrer ausgehenden Impuls, kirchliche Gesangvereine zu gründen und mit ihnen den hier dargebotenen Stoff fleißig durchzuüben. Eine solche Übung wäre ein reicher Segen für das ganze innere Leben unseres Volks, das jetzt viel zu sehr von weltlicher Musik und schlechten Liedern verderbt wird.83
79 Kirchliches Archivzentrum Berlin, EZA 7/2445, fol. 231 (Konzept). 80 Vgl. EZA 7/2446, fol. 40–43 (Berlin v. 28.4.1864), fol. 44 (Königsberg v. 28.4.1864), fol. 45 (Koblenz v. 6.6.1864), fol. 46 f. (Münster v. 21.5.1864), fol.48 f. (Stettin v. 11.6.1864), fol. 50–53 (Breslau v. 29.6.1864), fol. 54 f. (Posen v. 18.7.1864) und fol. 56–62 (Magdeburg v. 31.8.1864). 81 Ebd., fol. 46v. 82 Ebd., fol. 52v. Gemeint sind auch instrumental begleitete Kirchenmusiken. 83 Ebd.
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Eine so weitreichende Wirksamkeit des „Schatzes“ kam in keiner anderen Stellungnahme zur Sprache. Da das von Heinrich von Mühlen seit 1862 geleitete Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten an einem Einvernehmen in dieser Angelegenheit mit dem Oberkirchenrat interessiert war, versuchte es sich parallel zu dessen Bemühungen ein eigenes Bild zu machen, indem es ein Gutachten über Schoeberleins Werk vom Leiter der Singakademie Eduard Grell anforderte.84 Grell bewertete den Schatz positiv und erklärte einen großen Teil der Gesänge als geeignet für Schule und Gottesdienst.85 Er nutzte allerdings die Gelegenheit, ein eigenes Anliegen, nämlich die Stärkung des Gemeindegesangs zur Sprache zu bringen, indem er vor seiner Marginalisierung durch die mehrstimmigen Gesänge warnte.86 Das übereinstimmend befürwortende Votum aller Gutachten veranlasste den Oberkirchenrat schließlich, unterstützt vom Ministerium, die Konsistorien in einem Erlass vom 15. Dezember 1864 anzuweisen, die Geistlichen und Gemeinde-Kirchenräthe innerhalb der dortigen Provinzial-Kirche in geeigneter Weise auf dieses wichtige Werk aufmerksam zu machen und dessen Anschaffung nach Lage der Verhältnisse zu empfehlen.87
Weiterhin wünschte er die Anschaffung je eines Exemplars für die Synodalbibliothek jeder Kirchenprovinz sowie die Beratung der praktischen Verwendung des „Schatzes“ im Gottesdienst durch die Synoden.88 Was die Finanzierung der Ankäufe angeht, wurde die Verwendung kirchlicher Mittel ausdrücklich erlaubt.89 Zu welchen Ergebnissen die Beratungen geführt haben, ist unbekannt. Tatsache ist aber, dass einige Konsistorien in ihren Amtsblättern im Sinne des Erlasses auf den „Schatz“ empfehlend aufmerksam machten; sie griffen dabei auf die von ihnen formulierten Stellungnahmen zum „Schatz“ zurück, die sie dem Oberkirchenrat zugesandt hatten.90 Andere verschickten Empfehlungsschreiben an die ihnen unterstehenden Superintendenten.91 84 Vgl. das Schreiben an den Oberkirchenrat v. 26.3.1864, EZA 7/2445, fol. 232. Grell schrieb wiederholt Gutachten für das Ministerium; drei für von Mühlen verfasste Texte sind publiziert in: Bellermann, Heinrich (Hg.): Eduard Grell. Aufsätze und Gutachten über Musik. Berlin 1887 (Nr. 2, 4 und 6). 85 Vgl. die Abschrift des Gutachtens v. 6.5.1864, EZA 7/2445, fol. 261–264. 86 Vgl. ebd., fol. 264r. Des Weiteren bemängelte er, dass Schoeberlein den Wert des gregorianischen Chorals unterschätze: „Soll nun der Chor auch nicht einzig und allein auf ihn beschränkt sein, so hat er doch eine recht vollkommene Ausführung desselben anzustreben, die gar nicht so leicht, aber höchst wichtig ist, weil der cantus firmus Wurzel und Grundlage allen mehrstimmigen Kirchen- (sowohl choralen als figuralen) Gesanges ist.“ (fol. 263r/v) 87 Erlass v. 15.12.1864, ebd., fol. 65. 88 Vgl. ebd. 89 Vgl. auch das Schreiben des Ministeriums an die Provinzialregierungen v. 25.2.1865, ebd., fol. 95. 90 Vgl. die eingesandten Amtsblätter ebd., fol. 80 f. (Breslau), 85 (Münster), 98–100 (Berlin) und 105 f. (Königsberg). 91 Vgl. ebd., fol. 96 (Stettin) und 126 f. (Magdeburg).
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Der innerhalb eines knappen Jahrs verlaufende Vorgang um die offizielle Empfehlung des „Schatzes“ durch den Oberkirchenrat im Zusammenwirken mit dem Ministerium ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert: Zum einen blieb er einmalig; nachfolgende Bemühungen von Verlagen bzw. Autoren, eine solche Empfehlung zu erhalten, wurden abschlägig beschieden.92 Zum andern zielte die allseits befürwortete Förderung des Projekts nicht auf den unmittelbaren praktischen Nutzen für den Gottesdienst, dem, wie erwähnt, die Agende im Weg stand, sondern auf einer – letztlich vagen – Zukunftsaussicht auf eine organisch durchgeformte Liturgie unter aktiver Beteiligung der Gemeinde. Diese Idee entsprach augenscheinlich einem allgemeinen Wunsch. Ihrer Realisierung näher zu kommen, versprach Schoeberleins Werk insofern, als es mit seinem breiten Repertoire brauchbarer Stücke überhaupt erst einmal eine konkrete Vorstellung von gesungener Liturgie ermöglichte. Darüber hinaus schien mit der Berücksichtigung verschiedener Schwierigkeitsstufen bei der Auswahl der Stücke die Chorerziehung mitgedacht zu sein, also die Bedürfnisse von neugegründeten bis hin zu bereits bestehenden Chören, die sich explizit als Kirchenchöre jenseits der Usancen der Männerchöre und Liedertafeln profilieren wollten. Dies alles rechtfertigte die Ausnahme einer kirchenamtlichen Empfehlung und die Subventionierung von Bestellungen, was zusammengenommen dem Unternehmen nicht nur eine ökonomische Basis verschaffte, sondern auch ein hohes Maß an Aufmerksamkeit verschaffte.
5. Ausblick Die großzügige kirchenamtliche Unterstützung (nicht nur in Preußen) für ein Projekt, das keinen unmittelbaren Niederschlag im Gottesdienst finden konnte, ist erstaunlich und lässt sich wohl nur mit dem breiten Konsens in Bezug auf die Berechtigung von Schoeberleins Anliegen erklären, nicht zuletzt auch mit dem allgemeinen historischen Interesse an Werken aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die alles andere als leicht zugänglich waren. Über den praktischen Gebrauch der Bände durch Kirchenchöre, deren Leiter sich immerhin der Mühe der Herstellung von Stimmen unterziehen mussten, ist nichts bekannt. Engten die Agenden der Hauptgottesdienste den Spielraum dafür erheblich ein, so boten doch die liturgischen Andachten und die Kirchenkonzerte Gelegenheiten für Aufführungen aus dem reichhaltigen Chorrepertoire. Freilich ist dieses ganze Gebiet der 92 Vgl. das Schreiben des Verlagsbuchhändlers Bertelsmann (Gütersloh) v. 12.11.1867 betr. Friedrich Wilhelm Sering, „Die Choralvariation theoretisch-praktisch“ und den Entwurf der Antwort v. 23.11.1867 („[…] daß wir dem ausgesprochenen Wunsche, das Werk zu empfehlen, nicht entsprechen können, da wir uns grundsätzlich [Einfügung: in der Regel] solcher Empfehlungen enthalten.“), fol. 163 f. sowie das Schreiben von Johann Georg Lehmann v. 22.4.1873 betr. sein Orgel-Choralbuch op. 15 und den Entwurf der Antwort v. 8.5.1873 („[…] so müssen wir […] bei dem bisherigen Grundsatze, uns der Empfehlung solcher Werke zu enthalten, auch in vorliegendem Falle enthalten.“), ebd., fol. 264–266.
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Musikpraxis kaum dokumentiert. Der von Schoeberlein gegründete Akademische Kirchengesangverein in Erlangen jedenfalls soll in den 1870er-Jahren Stücke aus dem „Schatz“ nur in Konzerten gesungen haben.93 Dass die Bände tatsächlich als Fundus dienten, belegen die „Vorschläge für eine liturgische Abend- oder Morgenandacht zur Christnacht“ des Evangelisch-kirchlichen Chorgesangverbandes für die Provinz Brandenburg von 1883: Als Quelle für drei Chorsätze wird hier der 2. Band des „Schatzes“ angegeben.94 Über die Verwendung der Bände in den Ausbildungsinstituten für Lehrer und Kirchenmusiker, wohin sie zumindest in Preußen vorzugsweise versandt wurden, wissen wir nichts. Als erfolgreich auf dem Markt erwies sich auf jeden Fall eine Auswahl daraus, die Schoeberlein 1869 bei Vandenhoeck & Ruprecht unter dem Titel „Musica sacra für Kirchenchöre“ herausgab. Sie erschien 1924 mit wenigen Veränderungen in 6. Auflage.95 Mit seinen Schriften und dem reichen Anschauungsmaterial nahm Schoeber lein Einfluss auf den protestantischen Kirchenmusikdiskurs, sei es als Impulsgeber für die liturgische Bewegung bis in die 1920er-Jahre hinein,96 sei es als Negativfolie für die Reformbestrebungen Smends und Spittas, die auf eine stärkere Gemeinde- und Gegenwartszentrierung der Gottesdienste zielten.97 Die Straßburger Reformer verkörperten einen Neuansatz, insofern sie mit den restaurativen Tendenzen in der Gottesdienstgestaltung brachen. Allerdings konnte oben gezeigt werden, dass Schoeberlein keine Wiederherstellung eines verlorenen liturgisch-musikalischen Zustands beabsichtigte, sondern die historisch informierte „Fortbildung“ entsprechend den Bedürfnissen und Möglichkeiten seiner Gegenwart. Insofern ist der Unterschied zu den Reformern, denen an einer Rückversicherung in der Geschichte der liturgischen Formen wenig gelegen war, letztlich nur ein gradueller. Überdeckt wird dies durch ihre Polemik gegen den Chor als eigenständigen liturgischen Handlungsträger, für den sich Schoeberlein auf der Grundlage der Preußischen Agende stark gemacht hatte. Sie trug der veränderten Situation im späten 19. Jahrhundert Rechnung, als immer mehr Kirchengesangsvereine gegründet wurden, in denen ausschließlich Laien sangen. Mitten in Schoeberleins Publikationsprojekt fiel 1868 die Gründung des „Allgemeinen Deutschen Cäcilienvereins“, wodurch die katholische kirchenmusika 93 Vgl. Klek, Konrad: Die „ältere“ evangelische liturgische Bewegung (wie Anm. 3), 73. 94 Vgl. Mittheilungen des geschäftsführenden Ausschusses des Evangelisch-kirchlichen Chorgesangverbandes für die Provinz Brandenburg, Nr. 1, Berlin 22.11.1883. 95 Vgl. Ludwig Schöberlein’s Musica sacra für Kirchenchöre, 6. verbesserte Auflage, neu herausgegeben von Friedrich Spitta, Göttingen 1924. 96 So konstatiert Rochus von Liliencron, ohne Schoeberlein zu erwähnen, 1893, dass „innerhalb der evangelischen Kirche seit fast 20 Jahren eine sich immer mehr ausbreitende und an Kraft wachsende verheißungsvolle Bewegung für die Wiederherstellung einer würdigeren und reicheren Ausschmückung unserer Gottesdienste“ zu bemerken sei; vgl. von Liliencron, Rochus: Liturgischmusikalische Geschichte der evangelischen Gottesdienste von 1523 bis 1700. Schleswig 1893 (Faksimile Hildesheim 1970), 6. 1872 war der 3. Band des „Schatzes“ erschienen. 97 Vgl. Krieg, Gustav A.: Die gottesdienstliche Musik (wie Anm. 7), 50; Klek, Konrad: Erlebnis Gottesdienst (wie Anm. 7), 48.
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lische Reformbewegung eine institutionelle Grundlage erhielt. Die zeitliche Koinzidenz besagt allerdings nicht, dass die Übereinstimmungen zwischen Schoeberlein und den Cäcilianern, denen erhebliche Differenzen gegenüberstehen,98 auf einen Einfluss der letzteren zurückgingen. Zum einen wurde die Diskussion über die „wahre“ Kirchenmusik konfessionsübergreifend, gestützt auf Reformschriften, historische Abhandlungen und Notenanthologien geführt. Zum andern gibt es derzeit keine Belege dafür, dass Schoeberlein prägende Anregungen etwa in seiner Gymnasial- und Studienzeit in Regensburg und München99 oder später durch Kontakte mit führenden Cäcilianern erhalten hat. Nicht zu vergessen ist, dass er primär als Liturgiker Zugang zu der Thematik fand. Und gewiss hat er als Wissenschaftler die Entwicklung des Diskurses aufmerksam verfolgt. Der Einfluss Riegels auf das Gesamtwerk beschränkte sich auf die Bereitstellung der Musik; von einer Mitsprache bei der Konzeption ist in seinem oben zitierten Schreiben keine Rede. Sie dürfte, ebenso wie die vorher publizierte Grundlegung, alleine von Schoeberlein stammen. Insofern ist die Frage, inwieweit Riegel, der in München lebte, mit cäcilianischen Ideen vertraut war, im Blick auf den „Schatz“ irrelevant. Die Beschreibung der Mühe, sich in die ältere Musik hineinzudenken, weist daraufhin, dass er sich dieser Herausforderung erstmals anlässlich der Arbeit für Schoeberlein stellte, was von einem Cäcilianer vielleicht nicht zu erwarten wäre. Allenfalls kann man ihm die (maßvolle) Einbeziehung von Kompositionen aus dem Fundus der katholischen Kirchenmusik zuschreiben. So ist etwa dem Kapitel über die Austeilung des Abendmahls ein „Anhang von Gesängen aus der katholischen Kirche (mit unterlegtem deutschen Text)“ beigefügt.100 Wiedergegeben sind hier im Ganzen neun Werke von Palestrina, Tomás Luis de Victoria, Ludovico Viadana, Giovanni Croce und Giuseppe Pitoni. Als Quelle führt Riegel für die Werke der drei zuletzt Genannten die Bände 3 und 4 der von Carl Proske in Regensburg zwischen 1853 und 1861 herausgegebenen „Musica Divina“ an. In der Wertschätzung des von diesen Komponisten verkörperten Stilideals, das im Falle von Pitoni bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts reicht, trafen sich die protestantischen und katholischen Reformer.
98 Hier ist z. B. Schoeberleins Verständnis des Chors als Repräsentant der Gemeinde zu nennen, außerdem der untergeordnete Stellenwert des Chorals (im Unterschied zum Kirchenlied). 99 Vgl. Herold, Max: Art. Ludwig Schoeberlein, in: ADB, Bd. 32. Leipzig 1891, 208 f., hier 208; Wajemann, Heiner: Caecilianische Bestrebungen (wie Anm. 5), 262. Als Carl Proske den Vorstoß zur Reform am Regensburger Dom unternahm, befand sich Schoeberlein bereits in München; vgl. Harnoncourt, Philipp: Der Liturgiebegriff bei den Frühcaecilianern und seine Anwendung auf die Kirchenmusik, in: Unverricht, Hubert (Hg.): Der Caecilianismus. Anfänge – Grundlagen – Wirkungen (Eichstätter Abhandlungen zur Musikwissenschaft 5). Tutzing 1988, 75–108, hier 84 f. In München war die kirchenmusikalische Praxis in den 1830er-Jahren durch Pluralität gekennzeichnet. Der A-Cappella-Gesang hatte dabei je nach Kirche ein unterschiedliches Gewicht; vgl. Hauk, Franz: Johann Caspar Aiblinger (1779–1867). Leben und Werk (Eichstätter Abhandlungen zur Musikwissenschaft 6), Bd. 1. Tutzing 1989, 170 f. 100 Vgl. Schoeberlein, Ludwig: Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesangs (wie Anm. 4), 1. Bd., 438–449.
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Das gleiche gilt für die Wertschätzung des gemischten Chors aus Knabenund Männerstimmen. Während die Cäcilianer hierfür einen theologischen Grund anführten (sie verstanden den liturgischen Gesang als priesterlichen Dienst), waren die Protestanten auf die Tradition der Schulchöre verwiesen. Schoeberleins Position steht in enger Verbindung mit ihr. Zwar war die Praxis, Kirchenchöre aus den zur Parochie gehörenden Schulen unter Einbeziehung von (häufig honorierten) Männerstimmen zu bilden, schon lange mit Mängeln belastet, doch galt sie noch lange als realistische Option. Dafür spricht, dass in der traditionsreichen Berliner Innenstadtkirche St. Nikolai 1879 ein von Theodor Krause, dem späteren Chordirektor, vorgelegter Plan zur Aufstellung eines liturgischen Chors diskutiert und schließlich genehmigt wurde, der ganz selbstverständlich aus Knaben und Männern, vorzugsweise Schülern und Lehrern der Gemeindeschule, bestehen sollte.101 Um 1860 herum hatten hier durch Männerstimmen verstärkte Zöglinge eines Waisenhauses den Chordienst ausgeführt. Als Krause 1894 in Anbetracht wachsender Schwierigkeiten, geeigneten Nachwuchs zu finden, vorschlug, die Knaben durch Frauen zu ersetzen, lehnte dies der Gemeindekirchenrat ab. Ausschlaggebend dafür war ein Gutachten, das u. a. grundsätzliche Bedenken dagegen erhob, nämlich „dass ein so zusammengesetzter Chor leicht den Charakter eines Kirchenchors verliert und den eines Sängervereins annimmt“.102 Auch wenn er sich unterschiedlich artikulierte, verband der Wunsch, die kirchliche von der weltlichen Sphäre zu trennen, katholische und protestantische Kreise. Wie und wann er der Überzeugung wich, dass die gemischte Besetzung der Chöre mit Frauen- und Männerstimmen die geeignetere sei, ist ein Desiderat der Forschung. Über die Auswertung normativer Texte aus der Feder von Theologen, Künstlern und Musikforschern sollte sich die Aufmerksamkeit auf die Praxis in den Kirchengemeinden richten.
101 Vgl. Kirchliches Archivzentrum Berlin, ELAB 10109/11 Nr. 143: Acta betr. den für die St. Nicolai-Kirche eingerichteten Chor 1857–1926 (nicht foliiert). Die Datierung des Vorschlags Krauses ergibt sich aus den beigefügten Stellungnahmen. 102 Gutachten Prof. Dr. Herrmann Planers vom 24.11.1894, ebd.
Wolle statt Wonne Miszelle zu Lavaters „Winterlied“1
Peter Ernst Bernoulli
Das aktuelle „Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz“ (RG) von 1998 enthält noch drei Liedtexte aus der Feder Johann Caspar Lavaters: Neben dem Mitternachtslied Gott der Tage, Gott der Nächte (RG 616) und dem Trostlied Fortgekämpft und fortgerungen (RG 691) hat sich auch das Winterlied Schöpfer, deine Herrlichkeit (RG 545) halten können.2 Dieses ursprünglich zehnstrophige Gedicht mit der originalen Eingangszeile Grosser Schöpfer, Herr der Welt wurde erstmals 1774 in den „Christlichen Liedern der Vaterländischen Jugend“3 gedruckt. Wenige Monate später folgte eine Musikalische Ausgabe dieser Sammlung mit Choral-Melodien zu vier Stimmen.4 1779 nahm Lavater sein „Winterlied“ dann als Nr. XXXI auch in das „Zweyte Hundert seiner Christlichen Lieder“ auf.5 Die ersten fünf knappen, vierzeiligen 1 Der Beitrag erschien erstmals in: NOLI ME NOLLE. Sammlung Johann Caspar Lavater. Jahresschrift 2019, hg. von Ursula Caflisch-Schnetzler, und wurde hier geringfügig überarbeitet. 2 Das Vorgänger-Gesangbuch RKG (Gesangbuch der evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz) von 1952 hatte noch sieben Liedtexte von Lavater geboten. Hundert Jahre zuvor, im Zürcher Gesangbuch von 1853, war Lavater gar mit 17 Liedtexten vertreten gewesen. 3 Lavater, Johann Caspar: Christliche Lieder der Vaterländischen Jugend, besonders auf der Landschaft, gewiedmet, Zürich 1774 (https://doi.org/10.3931/e-rara-17097; 2.9.2020). Das „Winterlied“ findet sich S. 45–47, die Strophe S. 46. – Vgl. Weigelt, Horst: Bibliographie der Werke Lavaters. Verzeichnis der zu seinen Lebzeiten im Druck erschienenen Schriften (Johann Caspar Lavater. Ausgewählte Werke in historisch-kritischer Ausgabe [JCLW]. Ergänzungsband [1]). Zürich 2001, Nr. 101.1. 4 Lavater, Joh[ann] Caspar: Christliche Lieder der Vaterländischen Jugend, besonders auf der Landschaft, gewiedmet. Mit Choral=Melodien zu vier Stimmen. Zürich 1775 (https://doi. org/10.3931/e-rara-30166; 2.9.2020). Das „Winterlied“ findet sich S. 112–114, die Strophe S. 114. – Vgl. JCLW. Ergänzungsband Bibliographie (wie Anm. 3), Nr. 101.2. – In der vom 15. Mai 1775 datierten Vorrede zu dieser „Musicalische[n] Ausgabe“ berichtet Lavater, dass die Melodien (die ausdrücklich im Diskant und nicht wie in den Psalmen im Tenor liegen, so eine Anmerkung vorab) von zwei Schülern des „sel. Hrn. Schmidlins“ extra dafür gemacht seien. Deren Namen werden nicht genannt. Im RG ist eine andere Melodie unterlegt. 5 Lavater, Johann Caspar: Christliche Lieder. Zweytes Hundert. (Theils neuen, theils aus des Verfassers kleinern Schriften gesammelt.). Zürich 1779. Das „Winterlied“ findet sich S. 53–54, die Strophe S. 54. Vgl. JCLW. Ergänzungsband Bibliographie (wie Anm. 3), Nr. 100.1. – Gleich 1780 folgte eine weitere Ausgabe: Lavater, Johann Caspar: Christliche Lieder. Zweytes Hundert. (Theils neue, theils aus des Verfassers kleinern Schriften gesammelt.). Zürich 1780 (https://www.
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Strophen sind an den machtvollen Schöpfer gerichtet und schildern sein reiches Wirken auch zur Winterszeit. Die drei Schlussstrophen preisen dann das Wiederaufleben und Aufblühen im Frühling und wenden diese Bilder vom Blust6 gleichnishaft ins Eschatologische, hin zu jenem „Tag der Freud … wo kein Frost mehr kränken kann“ (Str. 10). Dazwischen stehen zwei Strophen, die zum einen an die unbekümmerte Sorglosigkeit der Spatzen7 erinnern und zum andern zur Achtsamkeit für den Not leidenden „Bruder“ mahnen. So lesen wir in der vierten Strophe von RG 545 (nach der siebten Strophe des Originals): Bleibe du, mein Herz, nur warm. Ist ein Bruder nackt und arm, sein soll meine Wonne sein, ihn soll warme Speis erfreun.
Die Zeilen 1, 2 und 4 ergeben innerhalb des Liedganzen einen guten, einleuchtenden Sinn, nämlich: Die Winterkälte ist schön und gut und für den Boden nötig; aber das Herz der Menschen soll auch im Winter seine Wärme behalten, die Not des armen Nächsten wahrnehmen und ihm wärmend aufhelfen. Die dritte Zeile freilich bleibt seltsam blass und unkonkret, ja im Grunde doch unverständlich: Was meint denn „Sein soll meine Wonne sein“? Den Kommissionsprotokollen zur Redaktion des Reformierten Gesangbuches habe ich entnehmen können, dass Lavaters „Winterlied“ (in seiner siebenstrophigen RKG -Fassung) zunächst gestrichen werden sollte, dann aber – unter weitgehender Rückkehr zum Original-Wortlaut – doch Berücksichtigung fand. Als „Original“ benutzte die redigierende Fachkommission eine posthume Ausgabe von Lavaters „Zwey Hundert christliche Lieder“ aus dem Jahr 1817. Unglücklicherweise findet sich hier eine kleine, aber entscheidende Änderung gegenüber allen noch zu Lavaters Lebzeiten erschienenen Ausgaben. In denen lautet die fragliche Zeile des „Winterliedes“ nämlich (in moderner Orthographie): sein soll meine Wolle sein“8
Dem nackten und armen Bruder soll also, ganz konkret und praktisch, dadurch geholfen werden, dass er seine Blösse mit einer Wolldecke oder jedenfalls mit warmer Kleidung decken kann und dass er auch warme Nahrung erhält. Das e-rara.ch/zuz/content/zoom/4442355; 2.9.2020), vgl. JCLW. Ergänzungsband Bibliographie (wie Anm. 3), Nr. 100.2. Das „Winterlied“ findet sich hier S. 45–46, die Strophe S. 46. 6 Schweizerisch für: Blüte, Blütezeit. 7 Vgl. Mt 10,29.31. 8 Bereits 2006 hat mich der frühere Basler Münsterpfarrer Werner Reiser (1925–2013) darauf aufmerksam gemacht, dass sich in RG 545,4 eine ärgerliche Entstellung dessen finde, was er in Lavaters Christlichen Liedern 1780 (vgl. JCLW. Ergänzungsband Bibliographie [wie Anm. 3], Nr. 100.2) lesen könne. – Die bedauerliche „Entkonkretisierung“, die im (absichtsvollen oder versehentlichen?) Wechsel von der handfesten „Wolle“ zur irgendwie vergeistigten, abstrakt gewordenen „Wonne“ liegt, findet sich übrigens in allen fünf Druckausgaben, die der Zürcher Verlag Orell Füssli & Co. nach Lavaters Tod, nämlich in den Jahren 1806, 1817, 1833, 1844, 1857, von seinen „Zwey Hundert christlichen Liedern“ publizierte.
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leuchtet unmittelbar ein und findet auch seine biblische Begründung, etwa in der wichtigen Szene vom Weltgericht (vgl. Mt 25,35.36). Es gibt der fraglichen Liedzeile auch erst ihren verständlichen Sinn zurück! In der vierten, bearbeiteten Auflage des Reformierten Gesangbuchs von 2013 durfte nun auch die Strophe 4 von RG 545 mit der Korrektur „Wolle“ (statt „Wonne“) ihren originalen Wortlaut zurückgewinnen. – Und das nimmt, wenigstens für diese eine Stelle im „Winterlied“, der kritischen Spitze im verlegerischen Vorwort der Lavater-Ausgabe von 1844 ein klein wenig von ihrer Berechtigung: „Wenn auch einige Lieder in hohem Dichterflug sich zu versteigen und in Wortundeutlichkeit zu verdunsten scheinen, – wer will darüber mit dem sel. Verfasser rechten …“
Corrigendum Im Beitrag von Hans-Otto Korth, „Melodische Aufwärtsverlagerungen bei frühen Kirchenliedern“ im letzten Band ( JLH 58 [2019], 158–192) wurde das Notenbeispiel 7 auf S. 179 leider unvollständig abgedruckt. Es wird hier in voller Länge wiedergegeben. Wir bitten das Versehen zu entschuldigen.
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Literaturbericht zur Hymnologie Deutschsprachige Länder (2017, 2018) 2019 Daniela Wissemann-Garbe
Abkürzungen DKL EG FKM GL2 KMJ LK MGD MuK MS(D) MuL SiK WBK
Das deutsche Kirchenlied. Kritische Gesamtausgabe der Melodien. I Verzeichnis der Drucke. II Geistliche Gesänge des deutschen Mittelalters. III Die Melodien aus gedruckten Quellen Evangelisches Gesangbuch, Stammausgabe 1993 Forum Kirchenmusik, München (früher: Der Kirchenmusiker) Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch, 2013 Kirchenmusikalisches Jahrbuch, Regensburg / Köln Liturgie und Kultur, Hannover Musik und Gottesdienst, Basel Musik und Kirche, Kassel Musica Sacra, Regensburg Musik und Liturgie, Gossau CH (früher: Singen und Musizieren im Gottesdienst / Katholische Kirchenmusik) Singende Kirche. Zeitschrift für katholische Kirchenmusik, Salzburg Württembergische Blätter für Kirchenmusik, Stuttgart
Wir danken Leserinnen und Lesern des Jahrbuchs für Hinweise auf Neuerscheinungen.
Übergreifende Sammelschriften Fitschen, Klaus/ Schröter, Marianne/ Spehr, Christopher/ Waschke, Ernst-Joachim (Hg.): Kulturelle Wirkungen der Reformation / Cultural Impact of the Reformation. Kongressdokumentation Lutherstadt Wittenberg August 2017. Band I (Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie 36). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, darin die Beiträge zur Sektion: Reformation und Musik: Die „evangelische Kunst“?, 281–353. Der Fokus der meisten Beiträge liegt auf Ein feste Burg ist unser Gott. Christiane Hausmann und Christiane Wiesenfeldt erklären das in der Einleitung (283–284) mit der breiten musikgeschichtlichen Rezeption und erklären das Ziel der Sektion, die innermusikalische Geschichte des protestantischen Anspruchs auf eine ‚eigentliche‘ Kunst- und Fachgeschichte erkennbar werden zu lassen. Insbesondere gilt dies für: Heidrich, Jürgen: Zur Frühgeschichte des Liedes Ein feste Burg ist unser Gott im 16. Jahrhundert (285–295) – Schmidt, Thomas: Ein’ feste Burg ist unser Gott? Der
Deutschsprachige Länder (2017, 2018) 2019
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Choral in der Instrumentalmusik des 19. Jahrhunderts zwischen sakralem Andachtstopos und konfessionellem Statement (307–315) – Menzel, Stefan: „Ein feste burgk ist unser got“. Otto Kade, die ‚Inventio‘ des Luther-Codex und der deutsche Kulturprotestantismus (317–326) – Roth, Christine: Das Lied Ein feste Burg im Schaffen des Michael Praetorius. Von der Aktualisierung musikalischer Traditionen (345–353). Weitere Beiträge: Sieber, Dominik Gerd: „Von dem rechten christlichen Gebrauch der Music, vnd der Orglen“. Die Rolle der Orgeln im Rahmen der lutherischen Konfessionalisierung in oberschwäbischen Reichsstädten (297–305) – Bertoglio, Chiara: Interpreting Musical Holy Texts (327–336) – Dewhurst, Ruth: Luther’s Nobel Art of Music. The Evolution of Sixteenth-century Congregational Singing into Twenty-firstcentury Crowd Harmonics (337–344). Kirchengesang und Hymnologie in Zeiten der Transformation / Hymnody and Hymnology in Times of Transformation. Tagungsbericht der 29. Studientagung der IAH / Proceedings of the 29th Biennial IAH Conference Løgumkloster, DK, Juli / August 2017 (I. A.H. Bulletin 46). Tilburg [NL] 2019. Enthält: Wittenberg, Andreas: Die Kirchenlieder zu den Jubiläumsfeiern der Reformation 1617 bis 1917 in Deutschland – Rückblick oder Aufbruch? (10–31); Paulsen, Ove: Luthers salmer på Dansk. Tekst, melodi, liturgi og teologi. Buchpräsentation: Die Lieder Luthers in ihren ersten dänischen Fassungen (32–34); Praßl, Franz Karl: Luther in Graz, oder: Die Gesang Postill des Andreas Gigler (1569/1574), ein fast vergessenes hymnologisches Kleinod (35–49); Horn, Werner: Kaj Munk (1898–1944) und sein Lied Du ved det nok, mit hjerte (Du weißt, mein Herz, schon lange; 50–53); Dal, Ea: Salmer på dansk og tysk – Deutsch-Dänisches Kirchengesangbuch (54–56); Hamnes, David Scott: Catholic Worship Book II (2016): An Australian liturgical handbook (57–66); Handschin, Esther H.: Zur Gottesdienstreform der Evangelischmethodistischen Kirche (67–81); Marti, Andreas / Jolliet, Elie: Grundlagen der Hymnologie. Projekt eines Lehrbuchs für die kirchenmusikalische Ausbildung (82–87); Hong, Lionel Li-Xing: The French imprint on Chinese Catholic hymnals: The case of Cantiques Chinois (88–102); Grešová, Adriana: Hymnological research in Slovakia: The Cithara Sanctorum (1636) of Georgius Tranoscius (103–110). Schmierer, Elisabeth: Chronik der Kirchenmusik. 2 Bände (Enzyklopädie der Kirchenmusik 7/1 und 7/2). Laaber: Laaber [2018], 608 S., Abb. Enthält auch das Register über alle Bände der Enzyklopädie der Kirchenmusik.
I. Theologie und Kirchenmusik A Grundsätzliches, Übergreifendes, Aktuelles, Verschiedenes Macht und Ohnmacht. Kirchenlied und Politik [Themenheft]: LK 11 (2019), H. 3, 100 S. Enthält: Franz, Ansgar / Schäfer, Christiane: Te Deum laudamus – Großer Gott, wir loben dich. Vom altkirchlichen Morgenhymnus über das höfische Herrscherlied bis zum nationalen Lied der deutschen Christen (12–22); Franz, Ansgar: „Man sagt das Volk sei behext durch die Zauberweisen meiner Lieder“. Die Hymnen des Ambrosius von Mailand als Kampfmittel gegen den Kaiserhof? (23–33; auch zu Intende, qui regis Israel / Veni, redemptor gentium); Föllmi, Beat: Das Gesangbuch als politisches Instrument am Beispiel des Reichslandes Elsass-Lothringen (34–53; auch zum „Gesangbuch für Elsass-Lothringen“ 1899); Herlyn, Okko: „Das könnte den Herren der
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Literaturbericht Hymnologie.Daniela Wissemann-Garbe
Welt ja so passen“ Die „68er“ und das Neue Geistliche Lied (56–60; auch in: MuK 89 [2019], 180–182); Brödel, Christfried: Kirchenlied in der DDR (61–68). Dober, Hans Martin: „Nach der Theologie [gibt es] keine Kunst […], die der Musik zu vergleichen ist“. Luther und die Folgen für die Musik, in: Dober, Hans Martin / Brinkmann, Thomas (Hg.): Religion, Geist, Musik. Theologisch-kulturwissenschaftliche Grenzübergänge. Wiesbaden 2019, 3–[ca.]24. Heesch, Matthias: Singen hat nichts mit der Welt zu tun. Luthers Deutung der Musik als Schritt auf dem Weg zur Vorstellung vom absoluten musikalischen Kunstwerk. Eine wirkungsgeschichtliche Studie, in: Zimmerling, Peter / Ratzmann, Wolfgang / Kohnle, Armin (Hg.): Martin Luther als Praktischer Theologe (VWGTh 50). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2017, 237–259. Die Entwicklung wird in drei Abschnitten gezeichnet: Martin Luther über die Musik und ihre Bedeutung (239–244), J. S. Bach und das begrenzte Weiterwirken von Luthers Anschauung über die Musik (245–248), Von Bach zur romantischen Idee des autonomen musikalischen Kunstwerks (248–257). Heesch resümiert: „Wenn man Luthers sozusagen vorbereitende Leistung für diesen – sich zu seiner Zeit noch nicht stellenden – Fragebereich benennen will, dann würde sie darin bestehen, den religionsanalogen Charakter der Musik verstanden, in der Zuordnung der Musik zum ihr übergeordneten Evangelium aber zugleich normativ die Grenzen dieser Analogie gesehen zu haben.“ Leube, Bernhard: Arena der liturgischen Spieler: die Kasualmusik, in: WBK 86 (2019), H. 6, 6–12. Leube, Bernhard: Sinn und Sound – ein Machtkampf? Wort und Ton im Spannungsfeld kirchenmusikalischer Praxis, in: Dober, Hans Martin / Brinkmann, Thomas (Hg.): Religion, Geist, Musik. Theologisch-kulturwissenschaftliche Grenzübergänge. Springer-Verlag: Wiesbaden 2019, 137–157. Leube, Bernhard / Hanke, Matthias / M ichaelis, Kord: Glaube ist keine Privatsache. Singen und Musizieren in Kirche und Staat, in: WBK 86 (2019), H. 2, 4–7. Scheitler, Irmgard: Musik zur privaten Andacht und Erbauung, in: Hochstein, Wolfgang (Hg.): Geistliche Vokalmusik des Barock. Bd. 2. Laaber-Verlag: Lilienthal 2019, 102–132. Trocmé-Latter, Daniel: Protestantische und religiöse Identitäten in Lied und Kirchenmusik: Basel und Straßburg im 16. Jahrhundert, in: Fuhrmann, Wolfgang (Hg.): Musikleben in der Renaissance. Zwischen Alltag und Fest, Teilband I: Orte der Musik (Handbuch der Musik der Renaissance Bd. 4/1), Laaber-Verlag: Lilienthal [2019], 193–221.
B Kirchenlied und Musik in der Ordnung des Gottesdienstes Arnold, Jochen: Gemeindegesang als Improvisation – einladende Vielfalt und gelebte Einheit, in: Haspelmath-Finatti (Hg.): Called to Worship, Freed to Respond. Beiträge aus der Internationalen Liturgischen Theologie zum Zusammenhang von Gottesdienst und Ethik. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2019, 85–89. Ebenbauer, Peter: Die Liturgie singend und klingend zum Leben erwecken. Zukunftsperspektiven für gottesdienstliches Singen und Musizieren, in: SiK 66 (2019), 22–27. Evang, Martin: Die neue „Ordnung gottesdienstlicher Texte und Lieder“ der EKD, in: MuK 89 (2019), 112–113.
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Hochstein, Wolfgang: Kirchenmusik zwischen Auftragserfüllung und Kunstentfaltung am Beispiel ausgewählter Vertonungen des Credo, in: MS(D) 138 (2018), 286–289, 342–344 und 139 (2019), 10–13. Hochstein arbeitet sich nach einigen Vorüberlegungen chronologisch „Von der Gregorianik bis Palestrina“ (1), über „Barock und Klassik“ (2), und „Vom 19. Jahrhundert bis in die neuere Zeit“ (3) durch das Thema. Kaiser, Jochen: Qualität der Musik im Gottesdienst, in: SiK 66 (2019), 196–202. Linnenborn, Marius: Das erneuerte Rollenverständnis der Chöre in der Liturgie, in: MS(D) 139 (2019), 6–8, 70–71. Novak, Manfred: Kunstvoll oder singbar? Kompositorische Beschränkungen und künstlerisches Potenzial des Gemeindegesangs, in: SiK 66 (2019), 28–37. Pacik, Rudolf: Aus der Enge in die Weite. Als der Zelebrant nicht auf die Gemeinde achten durfte, in: SiK 66 (2019), 14–21. Betrifft Liturgiereformen der katholischen Messe im 20. Jahrhundert. Planyavsky, Peter: „Musicam Sacram“ war ein epochaler Wendepunkt, in: SiK 66 (2019), 8–12. Betrifft die gleichnamige Instruktion, die 1967 erlassen wurde. Steinmetz, Uwe / Deeg, Alexander (Hg.): Blue Church. Improvisation als Klangfarbe des Evangelischen Gottesdienstes (Beiträge zu Liturgie und Spiritualität 31). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2018, 314 S. Der Zusammenhang von improvisierter Musik und der Erlebbarkeit von Gottes Gegenwart wird in 22 Beiträgen aus drei Perspektiven, einer musiktheologischen, soziokulturellen und musikpsychologischen, beleuchtet. Vgl. den Literaturbericht Liturgik im JLH 58 (2019), 122.
II. Hymnologie A Hymnologische Forschung, Geschichte und Quellen des Kirchenliedes auch übergreifende Gesangbuchthemen Bahlcke, Joachim / Störtkuhl, Beate / Weber, Matthias (Hg.): Der Luthereffekt im östlichen Europa. Geschichte – Kultur – Erinnerung (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa [BKGE] 64). De Gruyter Oldenbourg: Berlin / Boston 2017, 379 S., Abb. Der reich illustrierte Band geht auf eine Tagung des BKGE im März 2016 zurück. Kooperationspartner war das Deutsche Historische Museum in Berlin, zu dessen Ausstellung „Der Luthereffekt. 500 Jahre Protestantismus in der Welt“ der Titel eine Brücke schlägt. Hymnologisch relevante Beiträge sind: Bahlcke, Joachim: Bücherschmuggel. Die Versorgung ostmitteleuropäischer Protestanten mit Bibeln, Gesangbüchern und lutherischen Erbauungsschriften in der Zeit der Gegenreformation (161–176), Mánko-Matysiak, Anna: Gedächtniskulturen auf der Spur – Das Lutherbild in Polen (243–251); Skiba, Maria / Pschichholz, Frank (The Schoole of Night [Berliner Ensemble, Anm. der Redaktion]): Polnische und litauische Lieder der Reformationszeit – Anmerkungen zur Geschichte und zur heutigen Aufführungspraxis (287–293). Bötticher, Jörg Andreas: „Gar stille halten wäre zu schlecht“ – Zeilenzwischenspiele in der Choralbearbeitung, in: Schwenkreis / Markus (Hg.): Compendium Improvisation.
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Fantasieren nach historischen Quellen des 17. und 18. Jahrhunderts (Schola Cantorum Basiliensis Script 5). Schwabe: Basel 2018, 227–240. Die Praxis der Zeilenzwischenspiele im 18. und frühen 19. Jahrhundert wird anhand von theoretischen und praktischen Schriften dargestellt. Deckert, Peter: Ist „NGL“ ein Oberbegriff? – Und wenn nein: was dann? In: MS(D) 139 (2019), 140–141. Fernab – so nah. Kirchenmusik in Ostasien. [Themenheft] MuK 89 (2019), Heft 4 Betrifft China, Korea und Japan, dabei wird auch das Liedrepertoire gestreift. Finis, Werner: Neue Lieder aus Israel, in: MuK 89 (2019), 394–395 – abgedruckt: Schir Hama‘alot (Sheli Myers, Yochai Bar-David). Hartmann-Strauß, Jasmin: Benedicamus-Tropen zwischen Prosula und Neuem Lied. Der Fall Adest nunc omnes aus Lucca 603, in: KMJ 102 (2018), 51–74. Kadelbach, Ada: „… eine Sammlung guter, von mystischen Ausdrücken gereinigter Lieder“. Das Neue Mecklenburgische Gesangbuch für die Hofgemeinen in Schwerin und Ludwigslust von 1794 im Spannungsfeld von Orthodoxie, Pietismus und Aufklärung, in: Müller, Sarah Avischag / Waczkat, Andreas (Hg.): Utopie und Idylle. Der Mecklenburg-Schweriner Hof in Ludwigslust (1764–1837) (Göttinger Studien zur Musikwissenschaft 1). Georg Olms Verlag: Hildesheim / Zürich / New York 2019, 87–112. Die Autorin vergleicht das im Titel genannte Gesangbuch mit dem „Mecklenburgische(n) Kirchen=Gesangbuch“, Schwerin 1764, und untersucht dazu die Vorrede, die Einteilung und Rubrizierung, den Liedbestand sowie anhand verschiedener Beispiele Textfassungen. Auch die zeitgenössische Diskussion um die rationalistischen Modernisierungen kommt dabei zur Sprache. Der Beitrag entstand für das 2008 abgehaltene Symposium zur Ludwigsluster Hofkultur und wurde im Wesentlichen bereits unter dem leicht abweichenden Titel „‚Eine Sammlung guter, von mystischen Ausdrücken gereinigter Lieder‘. Das ‚Neue‘ Mecklenburgische Hofgesangbuch von 1794“ in einer Aufsatzsammlung der Autorin veröffentlicht (Paul Gerhardt im Blauen Engel und andere Beiträge zur interdisziplinären Kirchenlied- und Gesangbuchforschung [Mainzer Hymnologische Studien 26]. Tübingen 2017). Kemper, Hans-Georg: Der Mensch – ein Nichts und ein Gott. Selbsterkenntnis im geistlichen Lied. Luther, Greiffenberg, Herder, Goethe und Trakl, in: Österreich-Studien 9 (2018), Heft 1, 41–79. Kraß, Andreas / Ostermann, Christina (Hg.): Hymnus, Sequenz, Antiphon. Fallstudien zur volkssprachlichen Aneignung liturgischer Lieder im deutschen Mittelalter (Liturgie und Volkssprache 3). De Gruyter: Berlin 2019, 277 S. Die ausführliche Einleitung der beiden Herausgeber bietet eine Übersicht über die Gattungen Hymnus, Sequenz und Antiphon und bindet die Ergebnisse der Fall studien mit ein. Ammer, Jessica: Die Reimpaarübersetzungen des Hymnus Veni creator spiritus (15–36; Kvm, schepfaer heiliger geist; Kvm hailger gaist, mit diner gütt; Kvm, schöpffer gott, heiliger geist; Kum, schopfer, haymsuch, haylliger geist; Küm, erschaffer heylliger geyst) – Standke; Matthias: Die deutschen Übertragungen des Hymnus Jesu dulcis memoria. Überlegungen zu Umfang und Strophenfolge im Spannungsfeld von Liturgie und Volkssprache (37–64; Versübertragungen: Nie wart gesungen süzer gesanc; Der süzz gedanch an ihesum christ; Jhesu wan ich gedencke an dich, Jhesus suite betrachtinge; Jhesus soite betrachtinge; O Jhesus suete andachticheit; Jhesus suess dein gedachtnus; Jesu gedechtnüs suezz du pist; Har gesus gat in paradis; Die düß gedechtnüß Jhesu) – Ostermann, Christina: Sehen und Erkennen. Der Hymnus Ave vivens hostia und seine mittelalterlichen deutschen Übertragungen (65–93; Ave, le-
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bendes oblat; Gegrůest seiest edle hostia; Pist gegruest du lebntige speiß) – Bußmann, Britta: Mischsprachigkeit. Heinrich Laufenbergs Bearbeitungen der Antiphon Ave regina caelorum und der Hymnus Ave maris stella (94–122; Ave bis grüst, du himels port; Ave maris stella, bis grüst ein stern im mer) – Kraß, Andreas: Der Mönch von Salzburg als Übersetzer von Hymnen und Sequenzen. Die Fallbeispiele Lauda Sion salvatorem und Stabat mater dolorosa (125–171; Lob o sion deinen hailer; Deynen haylant lobe Syon; Maria stuend in swindem smerczen; Gotes muter stund in smerczen) – Kulagina, Pavlina: Die Sequenz Salve mater salvatoris von Adam von St. Viktor und ihre niederrheinische Tagzeiten-Bearbeitung. Ein Fallbeispiel der Marienverehrung zwischen Liturgie und Privatandacht (172–192; Gegroit systu moder vns; Gegrußet sistu moder vnße) – Murray, David: Die Übersetzungen des Mönchs von Salzburg als Lieder. Das Fallbeispiel der Mariensequenz Salve mater salvatoris (193–221; Salve, grüest pist, mueter hailes; Got grüeß dich, muetr unseres herren) – Wegener, Lydia: Aneignungsformen der Antiphon Salve regina in spätmittelalterlichen Gebet- und Andachtsbüchern (225–248 – Braun, Lea: Daz wir in dem tôde sweben. Die Antiphon Media vita in morte sumus und Hartmanns von Aue Erzählung „Der arme Heinrich“ (249–269; 17 hoch- und niederdeutsche Prosaübertragungen; hochdeutsche Liedfassungen vor Luther: En mitten jn des lebens czeit sein wir mit tod vmfangen; Mitten yn dem leben wir seyn mit dem tod vmb fangen). – Die Arbeiten basieren auf der von der DFG geförderten online-Datenbank „Berliner Repertorium“ (die im Buch angegebene Adresse gilt nicht mehr, neu: https://repertorium.sprachen.hu-berlin.de/). Etwas verwunderlich ist, dass es nirgends einen Verweis auf die seit 2003 erschienene Abteilung II von DKL, Geistliche Gesänge des deutschen Mittelalters. Melodien und Texte handschriftlicher Überlieferung bis um 1530 gibt (s. u. Lütteken). Lübbers, Tobias: Neues Geistliches Lied heute. Impulspapier eines bundesweiten Fachkreises. www.NGL-heute.de und Zusammenfassung in: MS(D) 139 (2019), 26–27. Lütteken, Laurenz (Hg.): Geistliche Gesänge des deutschen Mittelalters. Melodien und Texte handschriftlicher Überlieferung bis um 1530 (Das deutsche Kirchenlied [DKL] Abteilung II). Bd. 4 und 7 in Verbindung mit Mechthild Sobiela-Caanitz, Cristina Hospenthal, Bernhard Hangartner und Max Schiendorfer, Bd. 8 bearbeitet von Max Schiendorfer und Bernhard Hangartner. Bärenreiter: Kassel / Basel / London / New York / Prag 2018– 2019, 440 S., Noten, Abb. / 4 47 S. / 333 S. Mit den nun vorgelegten Bänden ist eine Ära zu Ende gegangen: Nicht nur die Geistlichen Gesänge des deutschen Mittelalters (GGdM = DKL II) liegen damit komplett vor, sondern auch das ganze bei Bärenreiter in Kassel gedruckte Projekt „Das deutsche Kirchenlied“ (DKL) ist abgeschlossen. Abteilung I, das Verzeichnis der gedruckten Quellen bis 1800 wurde bereits 1975/1980 gedruckt; Abteilung III, die Edition der Melodien aus gedruckten Quellen (abgekürzt EdK für „Edition deutsches Kirchenlied“), wurde 2010 mit dem Registerband über alle bis 1610 gedruckten Melodien beendet. Einer besseren Einordnung wegen werden die neuen Titel hier in einer Übersicht aller Einzelbände von GGdM aufgelistet: Bd. 1: Gesänge A–D (Nr. 1–172). 2003. Bd. 2: Gesänge E–H (Nr. 173–330). 2004. Bd. 3: Gesänge I–M (Nr. 331–536). 2009. Bd. 4: Gesänge N–Z und Nachträge (Nr. 537–813). 2018. Bd. 5: Zyklische Sammlungen. Die Geißlerlieder von 1349 von Hugo von Reutlingen. Deutsche Stundengebetbücher des 15. Jahrhunderts [Wochenpsalter (Psalterium feriatum per annum) / Festtagsoffizien (Antiphonarium officii in festis)]. 2005. Bd. 6: Kritischer Bericht zu Gesänge A–H (Nr. 1–330). 2004.
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Bd. 7: Kritischer Bericht zu Gesänge I–Z und Nachträge (Nr. 331–813). Kritischer Bericht zu Zyklische Sammlungen (Bd. 5). 2018. Bd. 8: Quellen- und Literaturverzeichnis, Register, Konkordanzen. 2019. In Band 4 sind wie gehabt die Melodien – gelegentlich mit weiteren Stimmen – und Texte mit sämtlichen Strophen nach einer Leitquelle – manchmal auch nach mehreren – in alphabetischer Anordnung ediert. Bei Neumennotation sind die Quellen im Anhang als Faksimile wiedergegeben und nur die Texte ediert. Im dazugehörigen Kritischen Bericht findet man die erwarteten Nachweise und gelegentlich weiterführende Bemerkungen unterschiedlichen Umfangs. Mit Band 8 wird das Gesamtwerk in 28 Verzeichnissen umfassend erschlossen: Autoren, Sangspruch- und Meisterliedtöne, Bauformen und Melodieincipits der strophischen Gesänge, Textincipits nach Sprachen, weltliche Bezugsstücke, Abbildungen, im Kirchenjahr situierbare Gesänge, sanglyrische Gattungen, mehrstimmige Sätze, in den Liedern genannte Personennamen und geographische Bezeichnungen, Konkordanzen mit EdK und zahlreichen weiteren verwandten Editionen, nicht aber dem „Berliner Repertorium“ (s. o. Kraß / Ostermann). Das geht weit über einen gewöhnlichen Registerband hinaus, bietet verschiedenen Fragestellungen eine verlässliche Grundlage und stößt somit die Tür zu weiterer Forschung weit auf. Die Übersicht über die zugrundeliegenden Quellen, deren letzte erst 2017 aufgenommen wurde, und die Quellenbeschreibungen mit Vernetzung zu anderen Projekten sind äußerst wertvoll. Insgesamt wurden 194 Melodiehandschriften des 9. bis 16. Jahrhunderts aus 84 Bibliotheken und Archiven in 13 Ländern zusammengetragen und unter 1348 Liednummern ediert. Aufschlussreich ist auch die Einleitung, die das Gesamtprojekt DKL Revue passieren lässt sowie die Gesamtkonzeption der GGdM abschließend erläutert und den inzwischen verstorbenen Begründer Max Lütolf würdigt. – Man kann nur hoffen und wünschen, dass dieses umfassende Werkzeug in der hymnologischen Wissenschaft ihr Echo finden wird. Marti, Andreas: Zeilenzwischenspiele in handschriftlichen Choralbüchern. Eine jahrzehntelange Spielpraxis, in: MuL 144 (2019), H. 5, 8–12. Meyer, Dietrich (Hg.): Geistlicher Gesang in der Reformationszeit. Lieder und Gesangbücher in der Oberlausitz, in Böhmen und Niederschlesien (Schriftenreihe der Akademie Herrnhut 5). Dresden 2019, 288 S. Der Band enthält folgende Beiträge: Mánko-Matysiak, Anna: Hymnologische Spuren in den schlesischen Gesangbüchern der Reformationszeit (11–45); Korth, Hans-Otto: Die Bedeutung des deutschen Gesangbuches der Böhmischen Brüder von 1531: Fenster einer Sangeskultur (46–65); Evers, Ute: Die wahren Erben der Böhmischen Brüder – Zur Rezeption der Brüdergesangbücher bei den Schwenckfeldern (66–86); Napp, Thomas: Das Kantorat als städtische Musikinstitution in der frühneuzeitlichen Oberlausitz (87–102); Meyer, Dietrich: Martin Behm (1557–1622), seine Predigten und seine Lieder. Eine Einführung in die Teiledition seiner ersten „Hundert Reim Gebetlein“ (103–126); Behm, Martin: Centuriae tres precationum rhythmicarum, Das ist, Drey Hundert Reim-Gebetlein, Breslau (165–288). Milde, Jonas: Das Schlesische Gesangbuch. Reiche Traditionen und aktuelle Forschungsfelder, in: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte. Neue Folge 97/98 (2018/2019), 93–118. Vom 1525 erschienenen „Eyn gesang Buchlien Geystlicher gese[n]ge Psalme[n]“ bis zum 1908 gedruckten „Schlesisches Provinzial-Gesangbuch“ wird die schlesische Gesangbuchgeschichte dargelegt. Richter, Maik: „Kommt mit Dancken, frohe Hertzen“ – Das Reformationsjubiläum 1717 in Anhalt-Zerbst, in: Musik in Anhalt-Zerbst. Bericht über die Internationale
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Wissenschaftliche Konferenz am 12. und 13. April 2019 im Rahmen der 15. Internationalen Fasch-Festtage in Zerbst / A nhalt (Fasch-Studien 15). ortus musikverlag: Beeskow, 39–62. Die umfassende Quellenstudie nennt und identifiziert nicht zuletzt 53 Kirchenlieder und die Gottesdienste, in denen sie gesungen wurden. Rohmer, Ernst: Gesangbuch und Konfession – am Beispiel Nürnberger Gesangbücher, in: Morgen-Glantz 28 (2018), 175–198. Betrifft Gesangbücher des (16. und) 17. Jahrhunderts. Veit, Lothar: Freiwillige Selbstkontrolle. Zur Arbeitsweise und Wirkung der Gruppe TAKT, in: MuK 89 (2019), 108–111. Zahlreiche Lieder, die heute in EG, Gotteslob und vielen geistlichen Liederbüchern stehen, sind bei TAKT (TextAutor / innen- und Komponist / innen-Tagung) entstanden, z. B. Sing nicht so schnell dein Glaubenslied, Ausgang und Eingang, Wenn das rote Meer grüne Welle hat, Gott gab uns Atem, Freunde, dass der Mandelzweig.
B Leben und Werk der Dichter und Melodieschöpfer (nach deren Namen alphabetisch geordnet) Zu Martin Behm s. o. II.A (Meyer) Jacobi, Jörg (Hg.): Christian Flor 1626–1697. Seelenparadies. Lieder nach Gedichten von Johann Rist für Singstimme und Basso continuo. Lüneburg 1660, Band I.1–4 edition baroque: Bremen 2018–2019, je 41–45 S. Zwei Jahre nach der dicken Kritischen Ausgabe von Johann Anselm Steiger, Oliver Huck und Esteban Hernández Castelló bei De Gruyter (vgl. JLH 56 [2017], 269) ist unabhängig davon eine praktische Ausgabe desselben Werkes in vier handlichen Einzelheften erschienen. Obwohl alle Strophen in überwiegend diplomatischer Schreibweise ediert sind, ist schon daran, dass der Dichter nur im Untertitel genannt wird, die musikalische Schwerpunktsetzung zu erkennen. Unter Voranstellung der originalen Schlüsselung werden die Noten adäquat 1:1 übertragen, eventuelle Taktstrichergänzungen durch Strichelung kenntlich gemacht. Das Inhaltsverzeichnis vereinigt die römische Zählung des Originals mit der Seite in der Edition und der Überschrift über dem Text, was 1660 beides erst nach der Melodie abgedruckt ist. Das ist für den Benutzer sehr übersichtlich, man hätte sich aber einen Hinweis auf das Vorgehen gewünscht, zumal die Überschrift über dem Notentext eine Kompilation aus dem Kolumnentitel und der Überschrift von 1660 in umgekehrter Reihung ist. Dass Erläuterungen zum Text sowie zu den Melodieangaben in den Überschriften und ein kritischer Bericht zu den Noten fehlen, ist schade, ein Hinweis auf die Steiger-Huck-Castelló-Edition wäre umso nützlicher gewesen. Leider ist auch die originale Zählung nicht durchgehalten: Während sie im 1. Heft der Edition noch der Schreibung in Worten der Ausgabe 1660 folgt, wechselt sie in der vorliegenden Edition ab dem zweiten Heft in arabische Zählung unter Voranstellung der römischen Ziffern von 1660. Im dritten und vierten Heft dagegen beginnt die römische Bezifferung jeweils von vorne. Ein bisschen mehr Konsequenz und auch Mut zur Vereinfachung wäre zu wünschen gewesen. Druckbild, Papier und Handhabung der Edition sind jedoch sehr angenehm, so dass man als Aufführungsmaterial gerne darauf zurückgreifen wird. Einen Seitenblick in die De Gruyter Edition oder den digital zugänglichen Volltext z. B. in der Bayerischen Staatsbibliothek München darf man den Musizierenden aber anraten.
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Meyer, Dietrich: Karl Bernhard Garve (1763–1841) als Theologe und Dichter der Brüdergemeine, in: Unitas Fratrum 78 (2019), 191–216. Hans-Otto Korth: Zwischen Martin Luther und Paul Gerhardt: der schlesische Kirchenlieddichter Johann Heermann, in: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte. Neue Folge 97/98 (2018/2019), 119–140. Der Dichter von Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen und anderen bis heute rezipierten Liedern wird biographisch und mit seinem Werk in die Geschichte des Kirchenliedes eingeordnet. Hofmann, Andrea: Luthers Liedschaffen als Synthese zwischen biografischen Erfahrungen, Wissenschaft und Praxis, in: Zimmerling, Peter / Ratzmann, Wolfgang / Kohnle, Armin (Hg.): Martin Luther als Praktischer Theologe (VWGTh 50), 211–222. Hofmann zeichnet den bereits vielfältig erforschten Weg Luthers zum Kirchenlied, indem sie den Fokus auf drei Entwicklungsgänge legt: seine persönlichen Erfahrungen mit dem klösterlichen Psalmgebet und der Musik in der zeitgenössischen Messe (der oft der Sinn fehle und stattdessen nur Klang sei), das theologische Verständnis, das er in den Psalmenvorlesungen gewonnen hat, und die Erkenntnis, dass der Zusammenhang von Intellekt und Affekt im Gesang zum Tragen komme. Luthers Umwandlung eines Psalms in ein Lied erläutert die Autorin anhand von Ps 130 und Aus tiefer Not schrei ich zu dir. Im ersten Teil wird herausgearbeitet, dass für Luther ein Gottesdienst ohne Musik wie für Zwingli eine Zeitlang durchaus eine Option gewesen sei. Indem er diesen Weg verworfen habe, weist sie ihn als praktischen Theologen (Prediger, Pädagogen, Seelsorger und jemanden, der Gemeinde aufbaut) nach und erfüllt damit die Aufgabe, die ihr im Projekt „Luther als Praktischer Theologe“, das von der „Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie“ (WGTh) gestellt war. Klek, Konrad: Luther und das Lied. Beobachtungen zu Luthers Melodiegestaltung und Gesangbuchkonzeption, in: ebd., 223–236. Die Melodiekonzeption bespricht Klek anhand der jeweils drei Melodien zu Nun freut euch, lieben Christen gmein und Vom Himmel hoch, da komm ich her. Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Verhältnis von Text und Melodie nicht nur in der ersten, sondern auch in den Folgestrophen. Seine Deutungen sind dem heutigen Leser gewiss plausibel und auch aufschlussreich. Ob Luther in jedem Fall ein bewusstes Agieren unterstellt werden kann, mag aber dahingestellt sein. Aussagen dazu gibt es weder von Luther selbst noch aus der Zeit. Klek, Konrad: Luther-Lied und Luther-Melodie, in: Dober, Hans Martin / Brinkmann, Thomas (Hg.): Religion, Geist, Musik. Theologisch-kulturwissenschaftliche Grenzübergänge. Springer-Verlag: Wiesbaden 2019, 87–112. Klek, Konrad: Luthers Lieder im Fokus (Literatur- und Forschungsbericht), in: Theologische Literaturzeitung143 (2018), Sp. 1198–1206. Schilling, Johannes: Martin Luther. Geistliche Lieder. Nach dem Babstschen Gesangbuch herausgegeben und kommentiert (Große Texte der Christenheit 7). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2019, 238 S. Die Idee, Luthers Lieder aus dem Babstschen Gesangbuch herauszuziehen und danach zu edieren ist so neu wie naheliegend. Handelt es sich doch um das letzte zu seinen Lebzeiten erschienene Gesangbuch, dem Luther zudem in Kenntnis des Inhalts eine Vorrede beigegeben hat. Seine Lieder stehen beinahe komplett und fast ununterbrochen am Anfang, was das Gesangbuch quasi zu einer frühen Gesamtausgabe gemacht hat. Teil A von Schillings Edition gibt nun Vorrede und Liedtexte in diplomatischer Edition mit einzelnen nachgestellten Worterklärungen wieder. (Ein letzter Korrekturgang nach Drucklegung hätte nicht geschadet: auf S. 19 z. B. muss der Verweis auf
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Zeile 35 statt auf 34 erfolgen, just diese Erläuterung hilft allerdings nicht einmal; S. 25 zu Zeile 11 hätte das Anschlusswort noch brauchen können). Die Erläuterungen in Teil B der Edition beginnen mit elf prägnanten Abschnitten zu Luthers Liedschaffen bevor die Vorrede und alle Lieder kurz und informativ kommentiert werden. Erfreulicherweise werden die lateinischen Hymnen, die Luther als Vorlage dienten, manchmal mitsamt einer Übersetzung mit abgedruckt. In einem Anhang wird zunächst die Überlieferung skizziert. Dabei erfährt man auch, dass die erstmals 1929 im Bärenreiterverlag erschienene Faksimileausgabe vom Exemplar der Göttinger Universitätsbibliothek abgenommen wurde, was aus dem Faksimile nicht hervorgeht. Eine Konkordanz zum EG, ein Literaturverzeichnis (bei dem man einen Hinweis auf Konrad Amelns Geleitwort zur 2. und 3. Auflage des Faksimiles 1966/1988 vermisst) und eine Zeittafel runden die Ausgabe ab. Ein wirklich müheloses Verständnis der Texte, das der Klappentext verspricht, dürfte aufgrund der buchstabengetreuen Wiedergabe zwar nur theologisch und historisch belesenen Nutzern gelingen, für sie ist es aber tatsächlich ein anregendes Buch. Rosmer, Stefan: Der Mönch von Salzburg und das lateinische Lied. Die geistlichen Lieder in stolligen Strophen und das einstimmige gottesdienstliche Lied im späten Mittelalter (imagines medii aevi 44). Reichert-Verlag: Wiesbaden 2019. 520 S. Zürcher, Peter: Notker Balbulus. Ein Meister der Sequenzendichtung, in: MuL 144 (2019), H. 5, 20–23. Kok, Cornelis: Der Sprachraum der Inkulturation. Die Liturgie der Ekklesia Amsterdam in einer breiteren Perspektive, in: SiK 66 (2019), 120–126. Betrifft: Huub Oosterhuis. Heymel, Michael: Arno Pötzsch. Briefe und Schriften 1938–1952. Ein deutscher Marinepfarrer in den besetzten Niederlanden. Kommentiert und herausgegeben. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 2019, 288 S. Enthält auch einen Abschnitt zur Liedersammlung „Singende Kirche“ (3 Hefte 1941/42) mit einem Verzeichnis der darin gedruckten Lieder und eine Wiedergabe von Einführung und Nachwort (S. 245–253) sowie ein Foto von Du kannst nicht tiefer fallen (1941; S. 279); vgl. auch den Beitrag des Autors im JLH 58 (2019) 216–218. Wissemann-Garbe, Daniela: Johann Jakob Rambach in hymnologischer Sicht, in: Stadelmann, Helge / Zimmerling, Peter (Hg.): Johann Jakob Rambach (1693–1735). Praktischer Theologe und Schriftausleger, Leipzig 2019, 173–201. Rist, Johann / Jacobi, Michael / Schop, Johann: Alltägliche Hausmusik (1654). Kritisch herausgegeben und kommentiert von Johann Anselm Steiger. Kritische Edition des Notentextes von Oliver Huck und Esteban Hernández Castelló (Neudrucke deutscher Literaturwerke. Neue Folge 99). De Gruyter: Berlin 2019, 485 S., Noten., Abb. Mit der „Hausmusik“ (DKL 165404) hat Rist seine fünfte Sammlung geistlicher Lieder herausgegeben. Sie enthält 70 Gesänge, die verschiedenen Personen (Amtmann, Seefahrer, Hausmutter, Schüler …) und unterschiedlichen Lebenssituationen (Eheschließung, Reise, Pestilenz, Begräbnis …) angepasst sind. Einige dienen auch der Vor- und Nachbereitung von Gottesdiensten, z. B. Abendmahl, Taufe, Begräbnis. Die Prinzipien der bisherigen Editionen Rist’scher Werke des Herausgeberteams Steiger / Huck / Castelló fand auch hier Anwendung, der Einführungstext ist gewohnt informativ (vgl. JLH 53 [2014] 259–260, 56 [2017], 267–269, 58 [2019] 230). Schlenker, Manfred: Der Liederkreis. Neue Gemeindelieder (VS 4139). Strube Verlag: München 2019, 130 S. Dass und wie sich die im vorliegenden Band versammelten Lieder wie in jedem guten Gesangbuch zu einem Kreis zusammenschließen, wird an der im Inhaltsverzeichnis
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hervorgehobenen (aber leider nicht mit Kolumnentiteln ausgewiesenen) Gliederung deutlich: „Lob | und Dank | Gott Vater, | Sohn | und Heiligem Geist | im Gottesdienst | und Jahreskreis, | in Feiern | und im Lebenslauf, | in Zeit | und Ewigkeit“. Es scheint als schlösse der 1926 geborene Autor hier noch einmal ein Bekenntnis des Glaubens in Liedern zusammen. So beginnt das Buch mit Ein Ton steige auf (Text: Jürgen Henkys) mit dem Untertitel „Ein Lied in älteren Jahren“ und endet mit Zum Paradies mögen Engel dich geleiten nach dem Hymnus In paradisum deducant te angeli. Alle 133 Melodien sind von ihm, die meisten ganz überwiegend jüngeren und jüngsten Datums, einige aber auch aus frühen Jahren. Auch wenn eine Reihe älterer Texte vertont ist, die meisten sind aus unseren Tagen. Zahlenmäßig steht Jürgen Henkys an der Spitze, gefolgt vermutlich (es gibt leider kein Verzeichnis der Textdichter) von Jochen Klepper. Ob sich Melodien zu Liedern, die geradezu eine Melodie in sich tragen (wie z. B. Herr, öffne mir die Herzenstür, Gott ist gegenwärtig, Herzlich tut mich erfreuen oder die aufgenommenen Lutherlieder) durchsetzen werden, darf bezweifelt werden, doch kann eine Weise in Schlenkers Stil zumindest ein neues Licht auf die Texte werfen. Selbst für den erst seit 2019 offiziell eingeführten „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ oder zum Israelsonntag kann man ein Lied finden (Unser Jesus, ja ein Jude, Text: Jürgen Henkys), dessen Melodie einerseits mit übermäßiger Sekunde spielt, andererseits aus Christian Lahusens Credo-Melodie (EG 184) zitiert. Allemal wird man beim Blättern und Ansingen Entdeckungen in Texten und Melodien machen, die man gerne in Gottesdienst oder Andacht tragen wird. Braungart, Georg: „Je grösser Creutz, je stärker Glauben, / Die Palme wächset bey der Last“. Benjamin Schmolck – Schlesiens produktivster Erbauungsdichter zwischen Poesie und Theologie, in: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte. Neue Folge 97/98 (2018/2019),157–168. Möller, Christian: Gott, weil er groß ist, gibt am liebsten große Gaben (EG 411). Angelus Silesius als schlesischer Liederdichter, in: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte. Neue Folge 97/98 (2018/2019), 141–156. Biographische Aspekte, der „Cherubinische Wandersmann“ und einige Lieder aus „Heilige Seelenlust“ (neben dem im Titel genannten Auf Christenmensch, auf auf zum Streit; Mir nach, sprich Christus, unser Held; Ich will dich lieben, meine Stärke; Liebe, die du mich zum Bilde) kommen zur Sprache. Traub, Andreas / Wittkop, Gregor / Leitner, Klaus Peter (Hg.): Erasmus Widmann (1572– 1634). Geistliche Werke (Denkmäler der Musik in Baden-Württemberg 24). Strube: München 2018, 319 S., Noten. Die Edition enthält neben der Motettensammlung von 1619 („Neue Geistliche Teutsche und Lateinische Motetten“) und der Lehrschrift von 1613 („Musicae Praecepta Latino-Germanica“, die auch vier lateinische Hymnen enthält), drei Kirchen liedquellen: „Balthasari Musculi außerlesene Anmutige schöne […] Gesänglein“ (RISM B VIII / DKL Mi Musc-G 162214), „Piorum Suspiria“ (RISM B VIII / DKL Mi Wid-S 161918) sowie „Ein Christlich Gebet/ Zu Ehren Dem Erbarn und Kunstreichen Herren Johanni Wagenmann […] auff dessen Namen gericht/ und Gesangsweiß mit vier Stimmen componiert […] durch Erasmum Widmannum“ von 1630, das nach den Richtlinien von DKL als Kirchenliedquelle zu zählen hat: Jesu Christe, Trost meins Leben [sic], 8 Strophen, mit Akrostichon „Johannes Wagenman“. Die Edition ist den Prinzipien der Denkmäler-Unternehmen verpflichtet und bietet eine wissenschaftliche und kommentierte Ausgabe in originalen Schlüsseln, Notenwerten und Partituranordnung und stellt dem Verlag anheim, daraus praktische Ausgaben herzustellen.
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Johannes Zwick, Vorrede zu: „Nüw gsangbuechle“, Zürich 1540, S. 222–228. Wolfgang Fuhrmann, Kommentar S. 229–244, in: Fuhrmann, Wolfgang (Hg.): Musikleben in der Renaissance. Zwischen Alltag und Fest, Teilband I: Orte der Musik (Handbuch der Musik der Renaissance Bd. 4/1), Lilienthal: Laaber-Verlag [2019].
C Untersuchung und Auslegung einzelner Lieder C.1 Kommentarwerke Alpermann, Ilsabe / Evang, Martin (Hg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Ausgabe in Einzelheften. H. 25 (Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch 3). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2019, 95 S. Enthält Kommentare zu folgenden Liedern: Herr Jesu Christe, mein getreuer Hirt (Wolfgang Herbst, 3–7); Dank sei dir, Vater, für das ewge Leben (Franz Karl Praßl, 8–14); Kommt mit Gaben und Lobgesang (Anne Smets, 15–18); Preis, Lob und Dank sei Gott dem Herren (Joachim Stalmann, 19–22); Nun singe Lob, du Christenheit (Elisabeth Fillmann, 23–26); Ich heb mein Augen sehnlich auf (Andreas Marti, 27–30); Wenn der Herr einst die Gefangnen (Wolfgang Herbst, 31–34); Lobe den Herren, den mächtigen König [der Ehren] (Siegfried Meier / A ndreas Marti, 35–42); Ich singe dir mit Herz und Mund (Susanne Weichenhan / Konrad Klek, 43–49); Christi Blut und Gerechtigkeit (Dietrich Meyer, 50–56); Es kennt der Herr die Seinen (Karl-Heinrich Lütcke, 57–60); O Durchbrecher aller Bande (Johannes Schilling / Brinja Bauer / A n dreas Marti, 61–68); O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens (Frieder Dehlinger, 69–75); Deine Hände, großer Gott (Wolfgang Herbst, 76–78); Steht auf, ihr lieben Kinderlein (Daniela Wissemann-Garbe, 79–84); Wach auf, mein Herz, und singe (Katharina Wiefel-Jenner, 85–91); Himmels Au, licht und blau (Wolfgang Herbst, 92–95).
C.2 Einzeluntersuchungen (nach Liedanfängen alphabetisch geordnet) Koll, Julia: Ein neues Lied. Diese Welt ist Gottes Gesang/ This world is living (dänische Vorlage und Melodie: Janne Mark; deutscher Text: Lothar Veit; englischer Text: John L. Bell), in: MuK 89 (2019), 346–347. Walter, Meinrad: Ein neues Lied. Dieses Kreuz, vor dem wir stehen (Text: Clemens Bittlinger; Melodie: Sam Samba), in: MuK 89 (2019), 56. Zu Ein feste Burg ist unser Gott s. o. unter „Übergreifende Sammelschriften“. Wissemann, Antje: Ein neues Lied. Gottes Liebe hält (Text: Lothar Veit; Melodie: Fritz Baltruweit), in: MuK 89 (2019), 406–407. Arnold, Jochen: Ein neues Lied. Halleluja (Melodie, Unsu Kang), in: MuK 89 (2019), 260–261 [Halleluja ist der vollständige Text]. Swarat, Uwe: Der Bund eines guten Gewissens mit Gott: Die Theologie des Chorals Ich bin getauft auf deinen Namen von Johann Jakob Rambach, in: Stadelmann, Helge / Zimmerling, Peter (Hg.): Johann Jakob Rambach (1693–1735). Praktischer Theologe und Schriftausleger, Leipzig 2019, 203–227. Lengerich, Martina von: Ein neues Lied. Lass uns deine Nähe spür’n (Text und Melodie: Timo Böcking), in: MuK 89 (2019), 122.
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Salooja, Ravinder: No roto mai au I te fenua. Gedanken zu einem Lied aus Tahiti (Antonio Temaurioraa), in: MuK 89 (2019), 246–247. Wissemann, Antje: Ein neues Lied. Segne dieses Kind (Text: Lothar Zenetti; Melodie: Herbert Beuerle), in: MuK 89 (2019), 196–197. Kopp, Eva: Wer nur den lieben Gott lässt walten. Ein bedenkliches Gottesbild? In: MuL 144 (2019), H. 4, 22–24.
D Gesangbücher und Liedersammlungen (Ausgaben und Kommentare; Ausgaben und Kommentare einzelner Personen s. II.B) Bretschneider, Wolfgang: Erstaunliche Akzeptanz. Rückblick auf fünf Jahre Gotteslob, in: MS(D) 139 (2019), 190–191. [Dehm, Patrick (Hg.):] Eine Handbreit bei dir. Neue Texte und Melodien zu allen 150 Psalmen der Bibel. Dehm-Verlag: Limburg 2019, 379 S. Die Sammlung steht in einer langen Tradition, indem sie den gesamten Psalter und einige Cantica überträgt und mit Melodien versieht. Manche Psalmen sind hier gar mehrfach übertragen und vertont. Das liegt sicher daran, dass die Sammlung aus dem Umfeld des ökumenischen Vereins zur Förderung des Neuen Geistlichen Liedes „inTAKT“ stammt (nicht zu verwechseln mit der Gruppe TAKT, s. o. in der Rubrik II.A den Beitrag von Veit). 40 Namen stehen für Dichtungen und Melodien, auch Kanons, die mit wenigen Ausnahmen zwischen 2015 und 2018 entstanden sind. Wie die Vielschichtigkeit ausgelotet werden kann, zeigen schon die beiden ersten Texte von Eugen Eckert – der auch eine Andacht zum zugrundeliegenden Psalm 1 beigesteuert hat –, die zunächst identisch beginnen, dann aber verschiedene Schwerpunkte setzen und auch unterschiedlich vertont sind. Sukzessive erscheinen dazu Chorhefte, von den die ersten beiden bereits vorliegen. Gundlach, Thies: Was singen wir morgen? Das Liederbuch freiTöne als Wegmarke zu einem neuen Evangelischen Gesangbuch, in: WBK 86 (2019), H. 4, 4–7. Marti, Andreas: Die Zeilenübergänge im Genfer Psalter, in: MS(D) 139 (2019), 72–73. Auch in: SiK 66 (2019), 322–323. Marti führt ein musiktheoretisches Werk von Loys Bourgeois von 1550 an, um einen freien Umgang mit Pausen zwischen den Zeilen zu belegen. Moll, Xavier: Gotteslob. Themenschlüssel Ausgabe für die (Erz-)Diözesen Österreichs. Wien 2018, 420 S. Betrifft Stamm- und Eigenteil. Bereits 2015 war der Themenschlüssel des gleichen Autors für den Stammteil des Gotteslob in Stuttgart erschienen (341 S.). Walter, Meinrad: Akzeptanz statt Aversion. Rückblick auf fünf kirchenmusikalische Jahre mit dem katholischen „Gotteslob“, in: MuK 89 (2019), 104–107. Was singen wir morgen? Überlegungen zu einem neuen Evangelischen Gesangbuch. [Themenheft]: LK 11 (2019), H. 2, 254 S. Enthält: Gundlach, Thies: „Was singen wir morgen? Das Liederbuch freiTöne als Wegmarke zu einem neuen Evangelischen Gesangbuch“ (Grußwort zur Konsultationstagung in Hildesheim im Herbst 2018; 6–11); Meyer-Blanck, Michael: Aufgabe und Bedeutung eines kirchlichen Gesangbuches heute (12–20); Walter, Meinrad: Aufgabe und Bedeutung eines Gesangbuchs im Rückblick auf fünf Jahre katholisches Gotteslob (2013–2018) (21–29); Goldschmidt, Stephan: Das Evangelische Gesangbuch
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aus Sicht seiner Nutzerinnen und Nutzer (30–44); Jaeckel, Yvonne / Pickel, Gert: Nutzerresonanz als Kriterium. Wie wünschen sich Kirchenmitglieder ein neues Evangelisches Gesangbuch? (45–65); Sass, Marcell: „Ein Hoch auf Jesus!“ Ergebnisbericht der qualitativen Studie zur Gesangbuchrezeption von Konfirmandinnen und Konfirmanden (66–73); Michaelis, Kord: Das Evangelische Gesangbuch aus kirchenmusikalischer Sicht (74–83); Fendler, Folkert: Welche Lieder braucht die Welt? Das Gesangbuch zwischen Kundenwunsch und Konzeptqualität (84–89); SchroeterWittke, Harald: Das neue Evangelische Gesangbuch – eine Phantasie (90–93); Kennel, Gunter: Wie organisieren wir die (R)evolution des Gesangbuchs? Eine Replik auf Harald Schroeter-Wittkes Impulsvortrag (nicht nur) aus kirchenmusikalischer Sicht (94–102); Goldenstein, Johannes: Das neue Evangelische Gesangbuch. Eine Phantasie – Kommentar aus theologischer Sicht (103–105); Arnold, Jochen / Besser, Beate / Goldschmidt, Stephan / Kennel, Gunter / Schomerus, Arnd: Thesen zu einem neuen evangelischen Gesangbuch (106–107); Reinke, Stephan: Zur Erarbeitung eines neuen EG. Votum des Musikausschusses der Liturgischen Konferenz (108–110); Schweikle, Christoph: Welche Rolle spielt die Theologie bei der EG-Revision? Eine Skizze im Nachgang zur Konsultationstagung in Hildesheim (111–117); Siering, Timm: Singen stärken mit Kirchensänger*innen (118–123); Ruddat, David / Springer, Ute: Die Konfirmation als Kasus der Kirchenmusik (124–144). Was wir morgen singen. Ein neues EG? [Themenheft] MuK 89 (2019) H.2 Enthält: Meyer-Blanck, Michael: Aufgabe und Bedeutung eines Kirchlichen Gesangbuches heute (80–89); [Ertrag der Diskussion der Tagung „Was singen wir morgen […]“, Hildesheim 31.10.–2.11.2018:] 20 Thesen zu einem neuen evangelischen Gesangbuch (91); Michaelis, Kord: Der spannende Weg zum neuen Gesangbuch (92–93); Reinke, Stephan: Ein neues Gesangbuch. Risiken und Nebenwirkungen (96–100). – Vgl. auch oben „Was singen wir morgen“ in LuK.
Literaturbericht Hymnologie Französischsprachige Länder 2019 Beat Föllmi / Édith Weber
I. Liturgie und Musik Boudeau, Océane: La fête du nouvel an à la collégiale Saint-Martin de Tours d’après l’ordinaire-coutumier du XIIIe siècle, in: Revue de musicologie 105 (2019), n°1, 9–50. Die liturgiegeschichtliche Studie behandelt die Liturgie des Neujahrsfestes am Chorherrenstift Saint-Martin in Tours anhand einer Handschrift des 13. Jahrhunderts (überliefert in F-TOm, ms 1295). Lossky, André (Hg.): Le corps humain dans la liturgie. 65e Semaine d’études liturgiques, Paris, Institut Saint-Serge, 2–5 juillet 2018 (Studia oecumenica friburgensia, 90). Aschendorff Verlag: Münster 2019, 401 S. Der Sammelband enthält die Beiträge der Tagung „Semaine d’études liturgiques“ von 2018 (Institut Saint-Serge, Paris) zum Thema von Körper und Körperlichkeit im Rahmen der Liturgie.
II. Hymnologie D. Gregorianik Debrock, Mark / Mannaerts, Pieter: Liquescence et force articulatoire. Une approche phonétique du chant grégorien, in: Etudes grégoriennes 45 (2018), 71–106. Eine phonetische Studie über die Liqueszenzen im Gregorianischen Choral. Leßmann, Benedikt, ‚L’anachronisme le plus musical.‘ L’accompagnement du plain-chant et l’idée de modalité libre en France dans l’entre-deux-guerres , in: Revue de musicologie 105 (2019), n°2, 357–396. Behandelt die Frage der Instrumentalbegleitung des Gregorianischen Choralgesangs im Frankreich der Zwischenkriegszeit im Rahmen der freien Modalität.
III. Kirchenmusik A. Zur Geschichte und Bibliographie der Kirchenmusik Föllmi, Beat: Les femmes hymnographes byzantines: poétesse et musiciennes, in: Aragione, Gabriella / Föllmi, Beat (Hg.): Femmes de savoir et savoirs des femmes. Littérature et musique religieuses entre l’Antiquité tardive et le Moyen Âge (Cahiers de Biblia Patristica, 20). Turnhout 2019, 97–112.
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Behandelt byzantinische Kirchenmusikerinnen, insbesondere Thecla und Cassia aus dem 9. Jahrhundert. Leguay, Jean-Pierre (coordinateur): Jean-Pierre Leguay. Portrait d’un compositeur et improvisateur. L’Harmattan: Paris 2019, 349 S. Einführung in das Werk des Komponisten und Organisten J.-P. Leguay.
C. Zur Aufführungspraxis der Kirchen- und Orgelmusik Böhme, Gunter: L’orgue principal de la collégiale de Wilhering, in: La tribune de l’orgue 71 (mars 2019), n°1, 24. Bousquet, David / Rochette, Jacquelin: L’orgue Casavant, opus 9, in: Mixtures. Bulletin de liaison de la Fédération Québécoise des Amis de l’Orgue 50 (mai 2019), 10–14. Bovet, Guy: Castille. Un voyage, un facteur d’orgues, in: La tribune de l’orgue 71 (mars 2019), n°1, 7–10. Bovet, Guy: Des nouvelles des orgues de Notre-Dame de Paris, in: La tribune de l’orgue, 71 (juin 2019), n°2, 35–36. Brouillette, Louis: Les compositions québécoises pour orgue: De la tradition à l’expérimentation, in: Mixtures. Bulletin de liaison de la Fédération Québécoise des Amis de l’Orgue 50 (mai 2019), 28–31. Christ, Jean-François: L’orgue espagnol de l’Église Saint-Martin de Grandvillars, in: La tribune de l’orgue 71 (mars 2019), n°1, 34–35. Cittadin, Nicola: Un instrument retrouvé: L’orgue philharmonique de la Villa Kraft, in: La tribune de l’orgue 71 (mars 2019), n°1, 16–22. Côté, Robin: La facture d’orgue dans la vallée du Saint-Laurent au début du XIXe siècle, in: Mixtures. Bulletin de liaison de la Fédération Québécoise des Amis de l’Orgue 50 (mai 2019), 22–27. Hooybergs, Joël: L’art du facteur d’orgues. Travail de bénédictin, in: Orgelkunst 42 (mars 2019), n°1, 38–51. Jambou, Louis: Les facteurs d’orgue en Espagne (1400–1850). Paris: La Maison du dictionnaire 2019. Lemieux, Claude: Un nouvel orgue pour le Grand Séminaire de Québec, in: Mixtures. Bulletin de liaison de la Fédération Québécoise des Amis de l’Orgue 50 (mai 2019), 15–16. Mulet, Henri: Les tendances néfastes et antireligieuses de l’orgue moderne, in: La tribune de l’orgue 71 (mars 2019), n°1, 11–12.
D. Leben und Werk der Meister (nach Komponistennamen alphab. geordnet) Fiala, David: La très véritable signature de J. de Okeghem et ses implications philologiques, in: Revue de musicologie 105 (2019), n°1, p. 145–158. Untersuchung der Handschrift von Johannes Okeghem.
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Literaturbericht Hymnologie.Beat Föllmi / Édith Weber
IV. Zur Geschichte Dagenais, Andrée (Hg.): Robert, Pierre. Motets pour la chapelle du Roy, vol. 1 (Monumentales VI/2.1). Versailles: Éditions du Centre de musique baroque de Versailles 2019, LXXXVIII, 191 S., Noten. Dompnier, Bernard / Nanni, Stefania: La mémoire des saints originels entre XVIe et XVIIIe siècle (Collection de l’École française de Rome, 545). École française de Rome: Rom 2019. 562 S. Die Studie untersucht die Verehrung von Heiligen aus der Frühzeit des Christentums im 16. und 17. Jahrhundert. Gribenski, Fanny: ‚La Musique attire aux Églises & les fait aimer.‘ Contribution à l’étude des usages diversifiés du concert en France au XIXe siècle, in: Revue de musicologie 105 (2019), n°1, 77–110. Die Studie untersucht die Bedeutung von Kirchenräumen für die Entwicklung des Instrumentalkonzertes, vor allen im Paris des 19. Jahrhunderts.
V. Ästhetik Föllmi, Beat: ‚Que l’oreille n’a pas entendu‘. Connaître Dieu par la musique: le sixième livre du De musica d’Augustin, in: Grappe, Christian / Vial, Marc (Hg.), Connaissance et expérience de Dieu. Modalités et expressions de l’expérience religieuse (Écriture et Société). Presses Universitaires de Strasbourg: Strasbourg 2019, 65–77. Analyse von Augustins „Vision von Ostia“, in der die Musikerfahrung als ein stufenweiser Aufstieg zur Gottessschau verstanden wird.
Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ 164, 167 Ach Gott und Herr 155 f., 160 f., 167 Ach Gott, wie manches Herzeleid 159, 167 Ach Herr, mich armen Sünder 153, 160 f., 167 Ach mein herzliebes Jesulein 164 Adest nunc omnes 206 Ainsi que la biche rée 134 f. All Ehr und Lob soll Gottes sein 153 Allein Gott in der Höh sei Ehr 151, 153, 162 Allein zu dir, Herr Jesu Christ 155 Also hat Gott die Welt geliebt, das merke 146 Also heilig ist der Tag 154, 162 Also hoch hat Gott geliebet 133, 137 An Wasserflüssen Babylon 159 Auf Christenmensch, auf auf zum Streit 212 Auf meinen lieben Gott 155, 167 Aus meines Herzens Grunde 167 Aus tiefer Not schrei ich zu dir 160, 210 Ausgang und Eingang 209 Ave bis grüst, du himels port 207 Ave, lebendes oblat 207 Ave maris stella 207 Ave maris stella, bis grüst ein stern im mer 207 Ave regina caelorum 207 Ave vivens hostia 206 Barmherziger Herr und Gotte 133 Christ fuhr gen Himmel 162 Christ ist erstanden 161 f. Christ lag in Todesbanden 158 Christ, unser Herr, zum Jordan kam 159 Christe, der du bist Tag und Licht 158 Christi Blut und Gerechtigkeit 213
Christus ist erstanden von des Todes Banden 167 Da Jesus an dem Kreuze stund 158 Da nun Elias seinen Lauf 164 Dank sei dir, Vater, für das ewge Leben 213 Danksagen wir alle Gott 154 Das liebe neue Jahr geht an 146 Daz wir in dem tôde sweben 207 Deine Hände, großer Gott 213 Der heilige Geist wohn uns bei 160 Der süzz gedanch an ihesum christ 206 Der Tag bricht an und zeiget sich, o meine Seele 146 Der Tag, der ist so freudenreich 162 Deynen haylant lobe Syon 207 Die düß gedechtnüß Jhesu 206 Die Propheten hab’n prophezeit 159 Dies ist der Tag der Fröhlichkeit 146 Diese Welt ist Gottes Gesang 213 Dieses Kreuz, vor dem wir stehen 213 Dir Herr zu Lob, Ehr, und Dank 167 Du Friedefürst, Herr Jesu Christ 159, 167 Du kannst nicht tiefer fallen 211 Du ved det nok, mit hjerte 203 Du weißt, mein Herz, schon lange 203 Durch Adams Fall ist ganz verderbt 155 f. Ehr sei dem Vater 180 Ein feste Burg ist unser Gott 202 f. Ein Kindelein so löbelich 162 Ein Ton steige auf 212 En mitten jn des lebens czeit sein wir mit tod vmfangen 207 Erbarm dich mein, o Herre Gott 155 f., 159 f., 164 Erheb, du werte Christenheit 146 Erschienen ist der herrlich Tag 158 Es ist das Heil uns kommen her 164
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Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen
Es kennt der Herr die Seinen 213 Es stehn vor Gottes Throne 159 Es war einmal ein reicher Mann 165 Es wird schier der letzte Tag herkommen 159 Es wolle Gott uns gnädig sein 159, 161 Fortgekämpft und fortgerungen 196 Freu dich sehr, o meine Seele 133, 137 Freunde, dass der Mandelzweig 209 Geduld ist euch vonnöten 146 Gegroit systu moder vns 207 Gegrůest seiest edle hostia 207 Gegrußet sistu moder vnße 207 Got grüeß dich, muetr unseres herren 207 Gotes muter stund in smerczen 207 Gott der Tage, Gott der Nächte 196 Gott der Vater wohn uns bei 160 Gott des Himmels und der Erden 134 Gott gab uns Atem 209 Gott ist gegenwärtig 212 Gott sei gelobet und gebenedeiet 159 Gott sei uns gnädig und barmherzig 164 Gott, weil er groß ist 212 Gottes Liebe hält 213 Grates nunc omnes 154 Grosser Schöpfer, Herr der Welt 196 Halleluja 213 Har gesus gat in paradis 206 Herr, aller Weisheit Quell und Grund 146 Herr Jesu Christ, dich zu uns wend 159, 161, 167 Herr Jesu Christ, du höchstes Gut 164 Herr Jesu Christ, meins Lebens Licht 167 Herr Jesu Christe, mein getreuer Hirt 213 Herr Jesu Christe, Weltheiland 146 Herr, meinen Geist befehl ich dir 167 Herr, öffne mir die Herzenstür 212 Herzlich tut mich erfreuen 212 Herzlich tut mich verlangen 167 Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen 167, 210 Heut schließt er wieder auf die Tür 164
Hilf Gott, wie geht das immer zu 165 Hilf, Herr Jesu, lass gelingen 146 Himmels Au, licht und blau 213 Hochgelobet seist du 185 Ich bin getauft auf deinen Namen 213 Ich heb mein Augen sehnlich auf 167, 213 Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ 155, 159–161 Ich singe dir mit Herz und Mund 213 Ich weiß, dass mein Erlöser lebt 159 Ich will dich lieben, meine Stärke 212 Ihr, die ihr los zu sein begehrt 146 Ihr lieben Christen, freut euch nun 165 In dulci jubilo 152 In hoc natali gaudio 164 In paradisum deducant te angeli 212 Intende, qui regis Israel 203 Jericho war verschlossen hart 133 Jesu, allerliebster Bruder 146 Jesu Christe, Trost meins Leben 212 Jesu dulcis memoria 206 Jesu gedechtnüs suezz du pist 206 Jesu, meine Freude 166 Jesu, meine Liebe, die ich 146 Jesus Christus wohn uns bei 160 Jesus Christus, unser Heiland, der den Tod 158 Jhesu wan ich gedencke an dich 206 Jhesus soite betrachtinge 206 Jhesus suess dein gedachtnus 206 Jhesus suite betrachtinge 206 Kein leiblich Opfer von mir heischst 164 Komm, heiliger Geist, Herre Gott 162 Kommt mit Gaben und Lobgesang 213 Küm, erschaffer heylliger geyst 206 Kum, schopfer, haymsuch, haylliger geist 206 Kvm hailger gaist, mit diner gütt 206 Kvm, schepfaer heiliger geist 206 Kvm, schöpffer gott, heiliger geist 206 Kyrie, Gott Vater in Ewigkeit 151, 153, 160 Lass uns deine Nähe spür’n 213 Lauda Sion salvatorem 207 Lob o sion deinen hailer 207
Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen Lobe den Herren, den mächtigen König [der Ehren] 213 Lobe, mein Herz, deinen Gott 167 Lobt Gott, ihr Christen alle gleich 164 Lobt Gott, ihr Christen allzugleich 152 Mag ich Unglück nicht widerstahn 159 Magnificat 152 f., 155 Maria stuend in swindem smerczen 207 Media vita in morte sumus 207 Meinen Jesum laß ich nicht 166 Mir nach, sprich Christus, unser Held 212 Mitten wir im Leben sind 159 Mitten yn dem leben wir seyn mit dem tod vmb fangen 207 Nach dir, Herr, mich verlanget 146 Ne l’oseray-je dire 133, 135 Nie wart gesungen süzer gesanc 206 Nimm von uns, Herr, du treuer Gott 161, 167 Nimm von uns, Herre Gott 160 No roto mai au I te fenua 214 Nun bitten wir den Heiligen Geist 156, 162 Nun freut euch, lieben Christen gmein 210 Nun komm, der Heiden Heiland 155, 158 Nun lasst uns Gott dem Herren 162 Nun, liebe Seel, nun ist es Zeit 146 Nun lob, mein Seel, den Herren 155, 159, 161, 164 Nun singe Lob, du Christenheit 213 O Durchbrecher aller Bande 213 O ew’ger Gott, Herr Zebaoth 146 O Fürstenkind aus Davids Stamm 146 O Gott, der du mit großer Macht 167 O Gott Vater und Gott Sohne 133 O großer Gott von Macht und reich von Gütigkeit 146 O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens 213 O Jhesus suete andachticheit 206 O Lamm Gottes, unschuldig 160 f. O Mensch, bewein dein Sünde groß 146, 159
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Ob ich schon arm und elend bin 133 Pist gegruest du lebntige speiß 207 Preis, Lob und Dank sei Gott dem Herren 213 Puer natus in Bethlehem 163 f. Salve festa dies 154 Salve, grüest pist, mueter hailes 207 Salve mater salvatoris 207 Salve regina 207 Schir Hama‘alot 206 Schöpfer, deine Herrlichkeit 196 Segne dieses Kind 214 Sei Lob und Ehr mit hohem Preis 164 Sei Lob und Preis mit Ehren 164 Selig sind die aus Erbarmen 136 Si bona suscepimus 154 Sing nicht so schnell dein Glaubens lied 209 Stabat mater dolorosa 207 Stärck mich mit deinem Freudengeist 164 Steht auf, ihr lieben Kinderlein 213 Te Deum 152 This world is living 213 Unser Jesus, ja ein Jude 212 Unsre müden Augenlider 133, 137 Vater unser im Himmelreich 145, 156, 159 Veni creator spiritus 206 Veni, redemptor gentium 203 Vergebens ist all Müh und Kost 165 Vom Himmel hoch, da komm ich her 164, 210 Wach auf, mein Herz, und singe 213 Wachet auf, ruft uns die Stimme 168 Warum betrübst du dich 156 Warum willst du draußen stehen 133 Weil du vom Tod erstanden bist 164 Wenn das rote Meer grüne Welle hat 209 Wenn der Herr einst die Gefangnen 133, 213 Wenn mein Stündlein vorhanden ist 164 Wer nur den lieben Gott lässt walten 214 Wie der Hirsch, der da durstig ist 133
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Verzeichnis der zitierten Lieder und Strophen
Wie der Hirsch nach frischer Quelle 133 Wie nach einer Wasserquelle 133 Wie ’s Gehirse bremst und rechzet 133 Wie schön leuchtet der Morgenstern 159, 167 Wir Christenleut 152, 158
Wir glauben all an einen Gott 145 Wo soll ich fliehen hin 167 Zu dir von Herzensgrunde 146 Zum Paradies mögen Engel dich geleiten 212
Verzeichnis der Personennamen Adam von St. Viktor 207 Agbagnon, Jean Prosper 92 Aiblinger, Johann Caspar 194 Albert, Heinrich 134 Allmen, Jean-Jacques von 109 Alpermann, Ilsabe 213 Ambrosius von Mailand 203 Ameln, Konrad 141, 169 Ammer, Jessica 206 Aragione, Gabriella 216 Arnd, Sabine 71 Arnold, Jochen 11, 126, 204, 213, 215 Augustin 218 Auhagen, Wolfgang 181 Babst, Valentin 210 Bach, Johann Sebastian 136, 154, 165, 168, 178, 204 Bachmann, Johann Friedrich 147 f. Bader, Günter 13, 18 Bahlcke, Joachim 205 Baltruweit, Fritz 126, 213 Bar-David, Yochai 206 Bärsch, Jürgen 99 Barth, Karl 46, 50 Baschera, Luca 21 Bauer, Brinja 213 Bauks, Michaela 89 Becker, Carl Ferdinand 148 Becker, Cornelius 151, 153 f., 167 Behm, Martin 167, 208 Bell, John L. 213 Bellermann, Heinrich 191 Benz, Albrecht 126 Benz, Brigitte 99 Berger, Teresa 123 Bergholz, Thomas 62 f. Bernhard, Christoph 153 Bertoglio, Chiara 203 Besseler, Heinrich 133 Besser, Beate 215 Beuerle, Herbert 214 Bieritz, Karl-Heinrich 9 Bittlinger, Clemens 213
Blankenburg, Walter 161, 163, 169 f., 178 Blume, Friedrich 170 Böcking, Timo 213 Boes, Adolf 42 Böhm, Georg 137 Böhme, Gunter 217 Bohren, Rudolf 48 Bonhoeffer, Dietrich 54 Bons, Eberhard 85 Bötticher, Jörg Andreas 205 Boudeau, Océane 216 Bourgeois, Loys 133, 136, 214 Bousquet, David 217 Bovet, Guy 217 Bräuer, Siegfried 35 Braun, Lea 207 Braungart, Georg 212 Bretschneider, Wolfgang 214 Brinkmann, Thomas 204, 210 Brodde, Otto 30, 170 Brödel, Christfried 204 Brouillette, Louis 217 Brunner, Adolf 58 Bruppacher, Theophil 58 Bubmann, Peter 99 Bugenhagen, Johannes 34, 39, 42, 119 Bulkow, Kristin 15 Bunners, Christian 147, 166 Bunzel, Marlen 87 Bürde, Samuel Gottlieb 133 Bürki, Bruno 45 Bußmann, Britta 207 Caflisch-Schnetzler, Ursula 196 Cammerhofer, Basilius 40 Campbell, Charles L. 16 Carpzov, Samuel Benedict 151 Cashner, Andrew 166 Cassia 217 Chase, Nathan 123 Cholet, Jean 57 Christ, Jean-François 217 Chrysander, Friedrich 189
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Verzeichnis der Personennamen
Cilliers, Johann H. 16 Cittadin, Nicola 217 Collins, John J. 17 Conrad, Joachim 60, 62–64, 70 f., 73 f. Conrad, Ruth 100 Cornehl, Peter 9, 16 Corner, Christoph 38 Corvinus, Anton 39 Corzine, Jacob 88 Côté, Robin 217 Croce, Giovanni 194 Crüger, Johann 137, 139–141, 147 f., 166 Cullmann, Oskar 50 Cuvillier, Elian 18 Dagenais, Andrée 218 Dahlinger-Sander, Christoph 108 Dahmen, Ulrich 95 Dal, Ea 203 De Hulster, Izaak J. 83 Deckert, Peter 206 Decroll, Volker Henning 100 Deeg, Alexander 10, 23, 56, 91, 100 f., 205 Dehio, Georg 67 Dehlinger, Frieder 213 Dehm, Patrick 214 Delitzsch, Franz 88 Delius, Walter 35 Demantius, Christoph 133 Dewhurst, Ruth 203 Dirsch, Felix 22 Dittscheid, Hans-Christoph 67 f., 70 Dober, Hans Martin 204, 210 Dompnier, Bernard 218 Drews, Albert 108 Ebach, Jürgen 26 Ebenbauer, Peter 101, 204 Eberhardt, Kai-Ole 106 Ebert, Jakob 167 Eccard, Johann 176 f. Ederer, Matthias 94 Ehrensperger, Alfred 101 Eler, Franz 165, 181 Emmendörfer, Michael 87 Ende, Nathalie 126 Engemann, Wilfried 20, 123 Etzelmüller, Georg 24 Evang, Martin 204, 213
Evers, Ute 208 Eyer, Frédéric 63 f. Faust, Ulrich 144 Fechtner, Kristian 99 Feder, Georg 170, 178 Fendler, Folkert 102, 215 Fiala, David 217 Fillmann, Elisabeth 213 Finis, Werner 206 Fischer, Albert [Friedrich Wilhelm] 147, 167 Fischer-Krückeberg, Elisabeth 141 Fitschen, Klaus 202 Fiß, Ann-Cathrin 93 Flor, Christian 209 Földváry, Miklós István 124 Föllmi, Beat 203, 216, 218 Fornaçon, Siegfried 133 Förster, Niclas 17 Forstmann, Heiko 67 f. Franck, Johann 133, 166 Frandsen, Mary E. 149 f. Franz, Ansgar 203 Frettlöh, Magdalene L. 26 Freylinghausen, Johann Anastasius 139 Friedrich Wilhelm (Hohenzollern, „Großer Kurfürst“ von Brandenburg) 141 Fröchtling, Andrea 127 Frohe, Maurice 127 Fuhrmann, Wolfgang 204, 213 Fürstenau, Moritz 150 Gangelt, Theodor 144 Garve, Karl Bernhard 210 Geier, Martin 151 Geiger, Stefan 103 Gerber, Christian 157 Gerhardt, Paul 133, 147, 166, 168, 206, 210 Gerhardts, Albert 125 Gerstenberger, Erhard S. 80 Gesius, Bartholomäus 167 Ghwanghyun, D. Choi 82 Gigler, Andreas 203 Girardin, Albert 67, 69 Glarean 181 Goethe, Johann Wolfgang von 206 Gojowy, Detlef 154, 165, 168
Verzeichnis der Personennamen Goldenstein, Johannes 215 Goldschmidt, Stephan 127, 214 f. Gorka, Marianne 126 Görlitz, Martin 39 Gräb, Wilhelm 9 Graff, Paul 157, 161 Granerod, Gard 84 Grappe, Christian 218 Green, Georg 151 Greiffenberg, Catharina Regina von 206 Grell, Eduard 191 Grešová, Adriana 203 Gribenski, Fanny 218 Gröbler, Bernhard 28 Groen, Basilius J. 101 Gundlach, Thies 214 Habermann, Johann 139, 144, 146 Hamnes, David Scott 203 Handke, Emilia 120 Handschin, Esther H. 203 Hangartner, Bernhard 207 Hanke, Matthias 204 Harnack, Adolf von 44 Harnoncourt, Philipp 194 Hartenstein, Friedhelm 86 Hartmann von Aue 207 Hartmann-Strauß, Jasmin 206 Hase, Karl 44 Haspelmath-Finatti, Dorothea 104, 204 Hauck, Marie Luise 67 Hauk, Franz 194 Hauke, Manfred 104 Haunerland, Winfried 124 Hausmann, Christiane 202 Haßler, Hans Leo 176, 179 Heck, Paul Quirin 127 Heerbrand, Valentin 151 Heermann, Johann 133, 166 f., 210 Heesch, Matthias 204 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 44 Heid, Stefan 105 Heidrich, Jürgen 202 Heintz, Wolfgang 36 Heinz, Andreas 124 Henkys, Jürgen 212 Herbst, Wolfgang 169, 213 Herder, Johann Gottfried 206 Herl, Joseph 158, 161, 163
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Herlyn, Okko 203 Herms, Eilert 116 Hernández Castelló, Esteban 209, 211 Herrmann, Hans-Walter 60, 62 Hertzsch, Klaus-Peter 25 Heymel, Michael 211 Hirbodian, Sigrid 100 Hochstein, Wolfgang 204 f. Hodler, Beat 14 Hofheinz, Marco 106 Hofmann, Andrea 210 Höltgen, Stefanie Maria 106 Holtz, Bärbel 188 Hondrich, Karl Otto 14 Hong, Lionel Li-Xing 203 Hooybergs, Joël 217 Hoping, Helmut 104 Horn, Werner 203 Hornig, Gottfried 44 Hospenthal, Cristina 207 Hossfeld, Frank-Lothar 24 Huck, Oliver 209, 211 Hugo von Reutlingen 207 Hupe, Henning 18 Ingen, Ferdinand van 158 Irslinger, Konrad 128 Jacobi, Jörg 209 Jacobi, Michael 211 Jaeckel, Yvonne 215 Jalabert, Laurent 63 Jambou, Louis 217 Jammerthal, Tobias 97 Janowski, Bernd 86, 89 Janssen, David Burkhart 97 Jauernig, Reinhold 166 Jenny, Markus 58, 141 Johann Georg II (Kurfürst von Sachsen) 149–151, 153, 157, 160 f., 165 f. Johann Georg IV (von Sachsen) 163 Jolliet, Elie 203 Jonas, Justus 35, 37, 40 Jorissen, Matthias 133 Jörns, Klaus-Peter 128 Jung, Herbert 131 Kadelbach, Ada 166, 206 Kaiser, Jochen 205
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Verzeichnis der Personennamen
Kaiser, Otto 17 Kamlah, Jens 79 Kang, Unsu 213 Kappes, Michael 128 Karbach, Jürgen 60 Käser, Xaver 129 Keel, Othmar 83 Kegler, Jürgen 118 Kemper, Hans-Georg 206 Kennel, Gunter 215 Keuchenthal, Johannes 165 Kirchgessner, Bernhard 129 Kittler, Johannes 130 Klek, Konrad 169 f., 193, 210, 213 Klepper, Jochen 212 Klie, Thomas 107 Kluger, Florian 99, 107 Klumbies, Paul-Gerhard 18 Knauf, Ernst Axel 86 Knodt, Emil 71 Knoll, Christoph 167 Koch, Christoph 95 Koch, Ernst 28 Kohnle, Armin 204, 210 Kok, Cornelis 211 Koll, Julia 108, 213 Koller, Friedrich 122 Köllner, Friedrich 61, 68 Kopp, Eva 214 Kopp, Stefan 122 Korth, Hans-Otto 199, 208, 210 Körtner, Ulrich H. J. 124 Kranemann, Benedikt 99, 124 f. Krause, Theodor 195 Krawelitzki, Judith 93 Kraß, Andreas 206 f. Krieg, Gustav Adolf 170 Krul, Julia 81 Krummacher, Christoph 169 Kugelmann, Hans 165 Kühn, Dagmar 79 Kühn, Jakob 107 Kühn, Jonathan 109 Kulagina, Pavlina 207 Kunz, Ralph 109 Kusmierz, Karin 21 Laclau, Ernesto 27 Lahusen, Christian 212
Lamparter, Hanne 110 Landwehr, Achim 15 Langbahn, Stefan K. 124 Langbecker, Emanuel Christian 148 Lassus, Orlande de 176 Lathrop, Gordon W. 11 Laufenberg, Heinrich 207 Laurentius, Christoph 151 Lavater, Johann Caspar 196–198 Leguay, Jean-Pierre 217 Lehmann, Johann Georg 192 Lehmann, Karl Kardinal 124 Lehnert, Christian 23, 25, 100 Lehwalder, Jürgen 111 Leitner, Klaus Peter 212 Lemieux, Claude 217 Lengerich, Martina von 213 Léonard, Julien 63 Leuba, Jean-Louis 51 Leube, Bernhard 204 Lichtmesz, Martin 23 Liess, Kathrin 92 Liliencron, Rochus von 165, 193 Lim, Electa Misook 93 Link-Wieczorek, Ulrike 128 Linnenborn, Marius 205 Lipphardt, Walther 141 Lobwasser, Ambrosius 133 Lohse, Tillmann 124 Lossius, Lucas 38, 165, 181 Lossky, André 216 Lübbers, Tobias 207 Lubenow, Martin 137 Lucius, Johann Andreas 151 Ludecus, Matthäus 39, 181 Lüdtke, Matthäus 181 Luft, Daniela C. 82 Luidke, Matthäus 181 Lüsken, Franz Xaver 144 f. Lütcke, Karl-Heinrich 213 Luther, Martin 12, 28, 32 f., 36, 40, 157, 203–207, 210–212 Lüthi, Walter 47, 57 Lütolf, Max 208 Lütteken, Laurenz 207 Magdalena Sibylla (Kurfürstin von Sachsen) 163 Major, Georg 38
Verzeichnis der Personennamen Mánko-Matysiak, Anna 205, 208 Maria Elisabeth von Sachsen 166 Mark, Janne 213 Markschies, Christoph 33 Marti, Andreas 149, 203, 208, 213 f. Marti, Kurt 58 Martin, Tanja 111 Marx, Barbara 153 Matthis, Gustav 63, 65, 68 Meier, Siegfried 213 Meister, Gabriele 130 Meißner, Wilfried 112 Melanchthon, Philipp 33 Melissus, Paul 133 Mendelssohn Bartholdy, Felix 180 Menzel, Stefan 203 Merzyn, Konrad 99 Mettenleiter, Johann Georg 181 Meurer, Wolfgang 113 Meyer, Dietrich 208, 210, 213 Meyer-Blanck, Michael 10, 15, 113, 127, 169, 172, 214 f. Meyer-Dietrich, Erika 81 Michaelis, Kord 204, 215 Miersemann, Wolfgang 139 Mihálykó, Ágnes T. 97 Miklós, Réka 98 Milde, Jonas 208 Modeß, Johannes Michael 9, 11 Mohns, Friedrich 70 Moll, Xavier 214 Möller, Christian 212 Moller, Martin 167 Mönch von Salzburg 207, 211 Moser, Félix 109 Mouffe, Chantal 27 Mühlen, Heinrich von 191 Mulet, Henri 217 Müller, Karl Ferdinand 30, 161, 170 Müller, Kathrin 87 Müller, Reinhard 79 Müller, Rudolf 62 Müller, Sarah Avischag 206 Munk, Kaj 203 Münz, Volker 22 Murray, David 207 Musculus, Balthasar 212 Mützell, Julius 147 f. Myers, Sheli 206
Nanni, Stefania 218 Napp, Thomas 208 Neijenhuis, Jörg 15, 97 Neuheuser, Hanns Peter 124 Nickel, Sieglinde 157 Nicolai, Philipp 167 f. Niege, Georg 167 Niekus Moore, Cornelia 158 Nierop, Jantine 118 Nitsche, Stefan Ark 99 Notker Balbulus 211 Novak, Manfred 205 Odenthal, Andreas 28, 124 Oeming, Manfred 89 Olearius, Johann 167 Oorschot, Jürgen van 91 Oosterhuis, Huub 211 Ostermann, Christina 206 Ostervald, Jean-Frédéric 45 Otto Kade 203 Pacik, Rudolf 205 Palestrina, Giovanni Pierluigi da 176, 194, 205 Palm-Scheidgen, Barbara 130 Paulsen, Ove 203 Pemsel-Maier, Sabine 128 Peng-Keller, Simon 130 Peranda, Giuseppe 153 Peters, Frank 127 Petersen, Christer 15 Pfeiffer, Gustav 74 Piachaud, René-Louis 58 Pickel, Gert 215 Pidoux, Edmond 58 Pidoux, Pierre 58, 135 Pitoni, Giuseppe 194 Planer, Herrmann 195 Planyavsky, Peter 205 Plüss, David 21 Pohl-Patalong, Uta 11 Porst, Johann 139 Poser, Petja 18 Pötzsch, Arno 211 Praetorius, Michael 177, 179, 203 Prätorius, Michael 176 Praßl, Franz Karl 203, 213 Printz, Wolfgang Caspar 181
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Verzeichnis der Personennamen
Proncho-Schinkel, Renate 98 Proske, Carl 194 Pschichholz, Frank 205 Pury, Roland de 56 Puszcz, Teodor 114 Quartier, Thomas 124 Quasten, Johannes 38 Quervain, Alfred de 54 Rambach, Johann Jakob 211, 213 Rathgeber, Christina 188 Ratzmann, Wolfgang 204, 210 Rautenstrauch, Johannes 157 Rech, Johanna 187 Redtenbacher, Andreas 115 Reindell, Walter 165 Reinigius, Petrus 133 Reinke, Stephan 215 Reiser, Werner 197 Reitz-Dinse, Annegret 124 Remling, Franz Xaver 62 Rhau, Georg 29, 165 Richter, Carl Roderich 65, 76 Richter, Maik 139, 208 Riegel, Friedrich Samuel 170, 179–181, 185, 187, 189, 194 Riehm, Heinrich 166 Riggenbach, Christoph Johannes 133 Rinn, Angela 118 Rist, Johann 165, 167, 209, 211 Ritter, Adolf Martin 43 Rochette, Jacquelin 217 Rohmer, Ernst 209 Rojas Salazar, Marilú 124 Röper, Ursula 123 Roscher, Thomas 115 Rosen, Valeska von 17 Rosmer, Stefan 211 Rötel, Caspar 141 Roth, Christine 203 Rublack, Hans Christoph 158 Ruddat, David 215 Runge, Christoph 140–142, 144 f., 147 Runge, Wolfgang 116 Ruppersberg, Albert 60, 75 Rutilius, Martin 167 Salooja, Ravinder 214
Samba, Sam 213 Sanders, James A. 85 Sass, Marcell 215 Sauer, Kathrin 117 Sauter, Hanns 131 Schäfer, Christiane 203 Schäfer, Rolf 79 Schardig, Waltraut 189 Scharf-Wrede, Thomas 142 Schede, Paul 133 Schein, Johann Hermann 164 Scheitler, Irmgard 156 f., 166, 204 Scheiwiller, Thomas 124 Scheuer, Hans Jürgen 123 Schiendorfer, Max 207 Schilling, Johannes 210, 213 Schleinitz, [Vorname unbekannt] 168 Schlenker, Manfred 211 f. Schlüter, Marie 30 Schmid, Konrad 90 Schmidt, Christian 68, 70 Schmidt, Eberhard 150, 154, 160 f., 166 Schmidt, Thomas 202 Schmierer, Elisabeth 203 Schmolck, Benjamin 212 Schneegaß, Cyriacus 167 Schneider, Bernhard 124 Schneider, Karl Friedrich Theodor 147 f. Schnocks, Johannes 92 Schoeberlein, Ludwig 169–179, 187–189, 191–195 Schomerus, Arnd 215 Schop, Johann 211 Schroeter-Wittke, Harald 215 Schröter, Marianne 202 Schuegraf, Oliver 128 Schuhmacher, Gerhard 169 Schüle, Andreas 91 Schulz, Frieder 53 f., 166 Schulze, Markus 115 Schütz, Heinrich 150–154, 162 f., 176 f. Schwarz, Christian 131 Schweikle, Christoph 215 Schwenkreis, Markus 205 Schwier, Helmut 118 Seeland, Hermann 142 Seiters, Julius 142, 145 Selnecker, Nikolaus 167
Verzeichnis der Personennamen Serauky, Walter 31 Sering, Friedrich Wilhelm 192 Sieber, Dominik Gerd 203 Siering, Timm 215 Sigefrid, Cornelius 133 Silesius, Angelus 212 Skiba, Maria 205 Smend, Julius 170, 193 Smets, Anne 213 Sobiela-Caanitz, Mechthild 207 Söding, Thomas 119 Sommerfeld, Caroline 23 Soukup, Paul A. 14 Spagnoli, Gina 151 f., 154, 162 f. Spangenberg, Johann 165 Spankeren, Malte van 35 Spehr, Christopher 202 Spener, Philipp Jacob 166 Spiekermann, Hermann 90 Spitta, Friedrich 170, 193 Springer, Ute 215 Stadelmann, Helge 211, 213 Stalmann, Joachim 213 Standke, Matthias 206 Starcke, Daniel 141 Stegmann, Andreas 124 Steiger, Johann Anselm 209, 211 Steiner, Niccolo 119 Steinmetz, Uwe 205 Stengel, Friedrich Joachim 67, 70 Stoll, Johann 167 Störtkuhl, Beate 205 Straub, Christa 128 Suchan, Monika 139 Swarat, Uwe 213 Temaurioraa, Antonio 214 Thecla 217 Thiede, Werner 125 Thönissen, Wolfgang 119 Thumm, Christine 62 Thurneysen, Eduard 47 Tiemeyer, Lena-Sofia 84 Tomberg, Markus 131 Toorn, Karel von der 80 Trakl, Georg 206 Tranoscius, Georgius 203 Traub, Andreas 212 Triller, Valentin 42
Trithemius, Johannes 144 Trocmé-Latter, Daniel 204 Tsompanides, Stylianos Ch. 124 Tümpel, Wilhelm 167 Uder, Manuel 101 Ulrich, Hans G. 106 Unverricht, Hubert 170, 194 Veit, Lothar 209, 213 Veit, Patrice 158 Viadana, Ludovico 194 Vial, Marc 218 Victoria, Tomás Luis de 194 Vischer, Wilhelm 50, 58 Vopelius, Gottfried 164 Waczkat, Andreas 206 Wagenmann, Johann 212 Wagner, Andreas 91 Wagner-Rau, Ulrike 120 Wajemann, Heiner 170 f., 180, 194 Walter, Johann 150, 165 Walter, Meinrad 213 f. Waschke, Ernst-Joachim 202 Wawerka, Thomas 22 Waßweiler, Gero 120 Weber, Édith 216 Weber, Matthias 205 Wegener, Lydia 207 Wehling, Elisabeth 21 Weichenhan, Susanne 213 Weigelt, Horst 196 Weingärtner, Sigismund 167 Weisse, Michael 167 Weiß, Philipp 124 Weiß, Thomas 131 Weller, Jacob 151, 161 Wennemuth, Heike 142 Werner, Georg 165 Werz, Joachim 122 Westra, Liuwe H. 121 Weyel, Birgit 99 Wicks, Yasmina 82 Widmann, Erasmus 212 Wiefel-Jenner, Katharina 213 Wiesenfeldt, Christiane 202 Wilhelm II. (Herzog von SachsenWeimar) 167
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Verzeichnis der Personennamen
Winger, Philipp 121 Winkel, Benedikt 99 Winnenberg, Philipp zu 133 Winter, Stephan 124 Wissemann, Antje 213 f. Wissemann-Garbe, Daniela 202, 211, 213 Witte, Markus 79 Wittkop, Gregor 212 Wüste, Christiane 94
Zaborowski, Holger 124 Zenetti, Lothar 214 Zenger, Erich 24 Zerfaß, Alexander 101, 124 Zimmerling, Peter 204, 210 f., 213 Zulehner, Paul M. 20 Zürcher, Peter 211 Zwick, Johannes 213 Zwingli, Huldrych 210 Zwollo, Laela 121
Ständige Berater Pfarrerin Dr. Ilsabe Alpermann, Berlin Dozent Günter Balders, Berlin Kantor Pfarrer Peter Ernst Bernoulli, Rümlingen / BL (Schweiz) Prof. Dr. Christfried Böttrich, Greifswald Prof. Dr. Bruno Bürki, Neuchâtel (Schweiz) Prof. Dr. Joachim Conrad, Püttlingen Prof. Dr. Peter Cornehl, Hamburg Dr. Ilona Ferenczi, Budapest (Ungarn) Prof. Dr. Gerhard Hahn, Regensburg Canon Prof. Dr. David R. Holeton, Toronto / Prag (Kanada / Tschechische Republik) Dr. Ada Kadelbach, Lübeck Prof. Dr. Konrad Klek, Erlangen Prof. Dr. Dr. Elsabé Kloppers, Pretoria (Südafrika) Prof. Dr. Hermann Kurzke, Mainz Dr. Helmut Lauterwasser, München Rev. Prof. Dr. Robin A. Leaver, Dover (USA) Pfarrer em. Dr. h. c. Jens Lyster, Broager (Dänemark) Dr. Andreas Marti, Liebefeld (Schweiz) Prof. Dr. Michael Meyer-Blanck, Bonn Prof. Dr. Michael Niemann, Rostock Prof. Dr. Franz Karl Praßl, Graz (Österreich) Prof. ém. Dr.ès lettres Édith Weber, Paris
Autorinnen und Autoren Autoren Liturgik Prof. em. Dr. Bruno Bürki Rue de la Cote 25 CH – 2000 Neuchatel E-Mail: [email protected]
Dr. Johannes Michael Modeß Schwarzspanierstr. 13 1090 Wien E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Joachim Conrad Sprenger Str. 28 66346 Püttlingen E-Mail: [email protected] www.joachim-conrad.de www.uni-saarland.de/fak3/fr32/ conrad/kontakt/kontakt.htm
Prof. Dr. Reinhard Müller Georg-August-Universität Seminar für Altes Testament Platz der Göttinger Sieben 2 D-37073 Göttingen E-Mail: Reinhard.Mueller@theologie. uni-goettingen.de www.uni-goettingen.de/de/ prof.+dr.+reinhard+müller/56732.html
Prof. Dr. Ernst Koch DD Georg-Schwarz-Straße 49–12 04177 Leipzig E-Mail: [email protected] www.theologie.uni-jena.de/fakultät/ fachgebiete/kirchengeschichte/ honorarprofessur
Prof. Dr. Jörg Neijenhuis Ruprecht-Karls Universität Heidelberg Praktische Theologie Mombertstr. 11 69126 Heidelberg E-Mail: [email protected] heidelberg.de www.neijenhuis.de www.theologie.uni-heidelberg.de/ fakultaet/personen/neijenhuis.html
Autoren Hymnologie Peter Ernst Bernoulli Theologe und Kantor Dorfstr. 10 CH-4444 Rümlingen E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Beat Föllmi Professeur de Musique sacrée et d’hymnologie Université de Strasbourg Faculté de Théologie Protestante Palais Universitaire 9 place de l’Université / BP 90020 F-67084 Strasbourg Cedex E-Mail: [email protected] http://theopro.unistra.fr/presentation/ enseignants-chercheurs/equipeactuelle/b-foellmi/
Autorinnen und Autoren Dr. Mary E. Frandsen Associate Professor of Music Department of Music University of Notre Dame Notre Dame, Indiana, 46556 USA E-mail: [email protected] https://music.nd.edu/people/faculty/ mary-frandsen/ Prof. Dr. Christoph Henzel Hochschule für Musik Würzburg Hofstallstr. 6–8 97070 Würzburg https://www.hfm-wuerzburg.de/ lehre/henzel-christoph Dr. Hans-Otto Korth Heckenpfad 16 341034 Kassel E-Mail: [email protected] 2011 bis 2015 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Franckeschen Stiftungen, Halle / Saale, im Rahmen des Projekts „Johann Crüger: P raxis Pietatis Melica. Edition und Dokumentation der Werkgeschichte“. Seitdem Freier Mitarbeiter an den Franckeschen Stiftungen. Dr. Andreas Marti Könizstr. 252 CH-3097 Liebefeld E-Mail: [email protected]
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Dr. Wolfgang Miersemann Zingster Str. 37 13051 Berlin E-Mail: [email protected] 2011 bis 2015 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Franckeschen Stiftungen, Halle / Saale, im Rahmen des Projekts „Johann Crüger: P raxis Pietatis Melica. Edition und Dokumentation der Werkgeschichte“. Seitdem Freier Mitarbeiter an den Franckeschen Stiftungen. Priv.-Doz. Dr. Monika Suchan Dombibliothek Hildesheim Domhof 30 D-31134 Hildesheim E-Mail: monika.suchan@bistum- hildesheim.de www.dombibliothek-hildesheim.de Prof. ém. Dr. Édith Weber 1016 rue Thibaud F-75014 Paris E-Mail: [email protected] Dr. Daniela Wissemann-Garbe Moischter Str. 52 35043 Marburg E-Mail: [email protected]