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German Pages 293 [294] Year 2015
Jahrbuch für Europäische Geschichte
Jahrbuch für Europäische Geschichte Herausgegeben am Institut für Europäische Geschichte von Heinz Duchhardt
Band 9 2008
R. Oldenbourg Verlag München 2008
Redaktion: Małgorzata Morawiec
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© 2008 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Gesamtherstellung: buch bücher dd ag, 96158 Birkach ISBN: 978-3-486-58347-2 ISSN: 1616-6485
Inhaltsverzeichnis Schwerpunktthema: Die christlichen Kirchen vor der Herausforderung „Europa“ Andreas Holzem, Tübingen: Deutsche Katholiken zwischen Nation und Europa 1870–1970. Europa- und Abendland-Perspektiven in Kulturdebatten und gesellschaftlicher Praxis im Spiegel jüngerer Publikationen
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Irene Dingel, Mainz: Protestantische Stellungnahmen zu Europa und zur Europäischen Integration. Eine Problemanzeige
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Anita Prettenthaler-Ziegerhofer, Graz: Bauplatz Europa. Die österreichische katholische Kirche und die Anfänge der europäischen Integration
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Peter Pichler, Graz: Aspekte eines Bewegungsraums. Katholische Geschichtserzählungen zwischen nationaler und europäischer Identität. Das Beispiel Österreich
71
Michael Kißener, Mainz: Ein „ragendes Denkmal“ des christlichen Abendlandes. Der Bau der Friedenskirche in Speyer 1953/54
93
Rainer Vinke, Mainz: Der Europagedanke in den frühen Jahren des Instituts für Europäische Geschichte
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Andere Beiträge Hein Hoebink, Düsseldorf: Testfall Rhein. Eine Fallstudie zur Geschichte europäischer Kooperation und Integration nach 1945
135
Georg Kreis, Basel: Auf dem Erinnerungspfad der europäischen Einigung. Zur Rekapitulation der Römischen Verträge von 1957
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VI
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Forschungsbericht Bernd Schönemann, Münster: Europäische Geschichte in der neueren deutschen Geschichtsdidaktik – eine Bestandsaufnahme in systematisierender Absicht
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Europa-Institute und Europa-Projekte Wolfgang E. J. Weber, Augsburg: Institut für Europäische Kulturgeschichte, Universität Augsburg
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Walter Schmitz, Dresden: Das MitteleuropaZentrum für Staats-,Wirtschaftsund Kulturwissenschaften an der TU Dresden
239
Auswahlbibliographie MaEgorzata Morawiec, Mainz: Europa-Schrifttum 2007
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Autorenverzeichnis
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SCHWERPUNKTTHEMA Die christlichen Kirchen vor der Herausforderung ‚Europa‘ Im Institut für Europäische Geschichte laufen seit geraumer Zeit Bemühungen, einen Forschungsschwerpunkt zur Thematik „Die europäischen Kirchen vor der Herausforderung ‚Europa’“ einzurichten, zu konturieren und durch Drittmittel abzustützen, der kaum eine bessere Heimstatt haben könnte als die Mainzer Einrichtung mit ihren beiden Abteilungen für Kirchen- und allgemeine Geschichte. Bei der Frage, was das moderne Europa konstituierte und wie sich die „gesellschaftlichen Kräfte“ zur Idee Europa und zum Vorgang der europäischen Integration nach 1957 verhalten haben, sind die christlichen Kirchen bisher weitestgehend vernachlässigt worden; jedenfalls setzte ein breiteres, oft an den Gedenkjahren orientiertes Schrifttum erst seit den 1980er Jahren ein. Dabei ist die Frage von erheblicher Relevanz – für die Kirchen selbst, aber auch das sich vereinigende Europa: Wie reagierten die Kirchen auf europäische Bewegungen, die nach dem Ersten Weltkrieg fast den Charakter von Ersatzreligionen annahmen, nahmen kirchennahe oder kirchliche Einrichtungen den Faden auf und organisierten sich auch auf europäischer Ebene; wie versuchten die Kirchen substanziell, also vor allem in sozialethischer Hinsicht, auf europäische Entscheidungen einzuwirken und sich in die Diskussion über europäische „Werte“ einzubringen? Einige dieser Fragen, denen etliche andere zur Seite gestellt werden könnten, werden im Schwerpunktthema des diesjährigen Bandes des Jahrbuchs aufgegriffen, Beiträge, die teils auf eigene Veranstaltungen des Instituts für Europäische Geschichte, teils auf eine ganz selbständige Konferenz in Graz zurückgehen, die von Anita Prettenthaler-Ziegerhofer im Herbst 2006 veranstaltet worden war.
Deutsche Katholiken zwischen Nation und Europa 1870–1970. Europa- und Abendland-Perspektiven in Kulturdebatten und gesellschaftlicher Praxis im Spiegel jüngerer Publikationen Von
Andreas Holzem Die Debatte um die Präambel der EU-Verfassung und ihre (Nicht-)Berufung auf das Christentum ist mit dem Scheitern des Verfassungsprojektes selbst abgeebbt. Aber die bedrängende Frage um die kulturelle Identität Europas ist deswegen nicht sistierbar geworden. Die Frage, ob die westlichen Gemeinwesen und ihre politischen Institutionen, „schöpfend aus den kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas“, auf das Christentum als Quelle ihres Wertesystems verzichten können, bleibt zutiefst mit Grundfragen der Genese und Geltungsmacht dieser Traditionen verknüpft. „Aus der griechischen und römischen Zivilisation hervorgegangen“, erscheint das „geistige Streben, von dem Europa durchdrungen war und das noch heute in seinem Erbe fortlebt“, im Präambelentwurf des damaligen Präsidenten des Europäischen Konvents, Valérie Giscard d’Estaing, vom 28. Mai 2003 ausschließlich als „durch die Philosophie der Aufklärung geprägt“1 und in seinem Fortbestand gesichert. Dieser Text spiegelt ein Geschichtsbild, demzufolge „die zentrale Stellung des Menschen und die Vorstellung von der Unverletzlichkeit und Unveräußerlichkeit seiner Rechte sowie vom Vorrang des Rechts in der Gesellschaft“ im Urereignis der Französischen Revolution gegen ein Ancien Régime ständisch-autoritativer Heteronomie habe durchgefochten werden müssen, dessen wesentliche Legitimitätsgrundlage das Christentum gewesen sei. Dabei spielt nicht nur das Problem der Freiheit, sondern auch der Vorwurf der Gewaltträchtigkeit der europäischen Christentümer 1
Entwurf der EU-Präambel durch den Präsidenten des Europäischen Konvents, Valérie Giscard d’Estaing, 28. Mai 2003: „Schöpfend aus den kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas, die – aus der griechischen und der römischen Zivilisation hervorgegangen und erst durch das geistige Streben, von dem Europa durchdrungen war und das noch heute in seinem Erbe fortlebt, und dann durch die Philosophie der Aufklärung geprägt – die zentrale Stellung des Menschen und die Vorstellung von der Unverletzlichkeit und Unveräußerlichkeit seiner Rechte sowie vom Vorrang des Rechts in der Gesellschaft verankert haben“. Vgl. http://www.comece.org, Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft, Abruf am 11. Juli 2006.
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eine erhebliche Rolle2. Dass die nach 1945 endlich befriedete Zivilisation, als deren Träger der „Kontinent Europa“ ausgewiesen wird, auch und wesentlich im Christentum gründe, wurde insbesondere von den Vertretern der großen christlichen Konfessionen als mindestens implizit geleugnet verurteilt. Der Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft, Bischof Josef Homeyer (Hildesheim), hielt gegenüber Giscard d’Estaing ausdrücklich fest: „Keine andere Religion oder philosophische Strömung hat Europa so geprägt wie das Christentum“. Dabei ging es um mehr als nur historische Urteilsbildung und die Konstruktion eines gemeinschaftsfähigen europäischen Geschichtsbildes. Vielmehr stand die Sorge im Hintergrund, eine laizistisch emanzipierte politische Institutionenrationalität könne nun ihrerseits Macht gewinnen, die europäischen Werte in Frage zu stellen, gar ganz Europa jenen Laizismus aufzwingen, welcher einzelne seiner Mitgliedsländer prägt. Europäisches Religionsrecht ist seitdem ein ganz neues Thema des Staats- und Völkerrechts, aber auch der Kanonistik geworden3. Daher solle die EU in ihrer Verfassung ausdrücklich die „Grenzen menschlicher Macht“ und die „Verantwortung vor Gott“ und eben darin „ausdrücklich anerkennen, dass ihre Bürger frei sind, sich auf Gott zu berufen, seien sie Christen, Juden oder Muslime“. Erst diese Anerkennung bedeute „zugleich eine Garantie für die Freiheit der menschlichen Person“4. Eine historisch orientierte europäische Wertedebatte hätte also zu berücksichtigen, wie sich die Christentümer selbst zur Entstehung des modernen Europa verhalten haben. Für den deutschen Katholizismus versuche ich im Folgenden eine behutsame Annäherung aus der jüngeren Forschung zu extrapolieren. Obwohl sich Arbeiten zur Katholizismusforschung dieses Themas nicht explizit angenommen haben, stellen sie implizit doch Material von erheblichem Gewicht bereit. Ich folge daher in meiner Problematisierung eng den jeweiligen Darstellungen, um ihre Ergebnisse auf die obengenannte Problemlage hin zu fokussieren. 2 Vgl. Wolfgang M. SCHRÖDER, Gott im europäischen Projekt rechtsstaatlicher Demokratie. Zur Analyse des europäischen Präambelstreits, in: Ideen für Europa. Christliche Perspektiven der Europapolitik, hrsg. von Walter Fürst [u. a.], Münster 2004, S. 343–372. Weiter: Christof MANDRY/Dietmar MIETH, Europa als Wertegemeinschaft, ebd., S. 121–147. 3 Vgl. dazu: Alexander HOLLERBACH, Religion et droit en dialogue: L’élement contractuel dans la coopération entre l’état et les communautés religieuses, in: Religion and Law in Dialogue: Covenental and Non-Covenental Cooperation between State and Religion in Europe – Religion et droit en dialogue: Collaboration conventionelle et non-conventionelle entre état et religion en Europe, hrsg. von Richard Puza und Norman Doe, Leuven [u. a.] 2006, S. 285–297. Jean DUFFAR, Les relations entre l’Union Européenne et les églises, ebd., S. 265–284. Richard PUZA, Auf dem Weg zu einem europäischen Religionsrecht, in: Ideen (wie Anm. 2), S. 401–433. 4 Vgl. Schreiben von Bischof Dr. Josef Homeyer, dem Präsidenten der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft, an den Präsidenten des Europäischen Konvents, Valéry Giscard d’Estaing vom 5. Juni 2003; vgl. http://www.comece.org, Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft, Abruf am 11. Juli 2006.
Holzem, Deutsche Katholiken zwischen Nation und Europa
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1. Katholische und protestantische ‚Befindlichkeiten‘ gegenüber Frankreich um 1870 Christian Rak eröffnet seine bahnbrechende Darstellung zum Verhältnis von Krieg, Nation und Konfession mit den Überlegungen eines katholischen Divisionspfarrers an seinen Feldpropst in Berlin, unmittelbar nach dem Ende des deutsch-französischen Krieges 1870/71: „Jetzt [...] bietet sich mir reichliche Gelegenheit, das kirchliche und religieuse Leben der Franzosen zu beurtheilen. Es muß dem aufmerksamen Beobachter schon sofort die eigenthümliche Erscheinung auffallen, dass sämtliche Kirchen im Verhältniß zu den Städten u[nd] Dörfern sehr klein sind, – (ausgenommen die riesigen Cathedralen in den Hauptstädten und Bischofssitzen) – aber eine aufmerksame Beobachtung an Sonn- u[nd] Festtagen zeigt, dass sie nicht nur groß genug, sondern noch zu groß sind. Mit großem Stolz erzählen mir die Leute stets: nous sommes tous catholiques, et bon catholiques, – pas de protestants ici; – aber mit diesem guten Catholicismus verträgt es sich nach ihrer Meinung ganz vortrefflich, des Sonntags, anstatt die H[eilige] Messe zu hören, ihren gewohnten Beschäftigungen nachzugehen“5.
Der Divisionspfarrer versäumte es nicht, auf das Gespräch mit einem französischen Curé zu verweisen, der über die Frömmigkeit und den Messbesuch der katholischen deutschen Soldaten selbst an Werktagen äußerst erstaunt war, brachte er selbst doch nur zwanzig Weiber und Kinder in die Kirche, während die Männer auf den Feldern und in den Gärten arbeiteten. Nur vordergründig handelte es sich hier, verdeutlicht Rak, um ein Zitat aus der Perspektive des touristischen Blicks über französische Frömmigkeit. In Wirklichkeit spreche der Divisionspfarrer über den Zusammenhang von Krieg, Nation und Religion. In den Augen dieses Divisionspfarrers war der Ausgang des Krieges ein Gottesgericht: Es waren die frommen deutschen Soldaten, denen Gott den Sieg schenkte. Frankreich hingegen war eine gottlose Nation, deren Untergang besiegelt schien. Rak zitiert aus Kriegsberichten und kriegsbegleitenden Zeitungsartikeln: „Es ist allgemein anerkannt und selbst von den Feinden zugegeben worden, dass der Geist der Gottesfurcht und Frömmigkeit [...] einen wesentlichen Antheil gehabt hat an den Siegen und Erfolgen des letzten Krieges [...]“6.
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Schreiben des katholischen Divisionspfarrers Adalbert Parmet an den preußischen Feldpropst, 31. März 1871, in: Christian RAK, Krieg, Nation und Konfession. Die Erfahrung des deutsch-französischen Krieges von 1870/71, Paderborn [u. a.] 2004, S. 13. 6 Gedenkbuch des evangelischen Feldgeistlichen Bernhard ROGGE über Die Evangelischen Feld- und Lazareth-Geistlichen der Königl. Preußischen Armee im Feldzuge von 1870/71, ebd., S. 101.
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Die „sittlich-religiöse Verkommenheit“ der Feinde, Hoffart, Vermessenheit, Hochmut und Eitelkeit machten das Schlachtfeld zu einem Ort, auf dem das Walten Gottes als unmittelbare Offenbarung erfahren werden konnte. Ein preußischer Divisionspfarrer berichtete als Bonmot des preußischen Königs Wilhelm: „Ja, ja, der droben ist unser bester Alliierter. [...] Es war der Wille der Vorsehung, dass diese großen Thaten durch uns sollten vollbracht werden. Wir waren nur die Werkzeuge in des Allmächtigen Hand“7. Katholiken waren hier freilich nicht nur nationalpolitischen, sondern auch religiöskulturellen Deutungsproblemen unterworfen. Sie mussten trotz der politischen Gegnerschaft gegen Frankreich den Anspruch des katholischen Universalismus über die Nationsgrenzen hinweg aufrecht erhalten – darum verloren in den Augen unseres Divisionspfarrers die schlechten Katholiken Frankreichs den Krieg, während die guten, ihre erfolglosen Curés, das Gottesgericht ihrerseits als gerechtfertigt anerkennen mussten. Die Protestanten hingegen konnten ein einfacheres Kontrastbild entwerfen. „Frankreichs Nationalsünden schreien seit Jahrhunderten zum Himmel“, schrieb ein General-Superintendent im Sommer 1870. Es gelte „einen letzten Entscheidungskampf zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen deutscher Ehrlichkeit und wälschem Uebermuth [...]“. Frankreich – das sei „Frivolität gegen alles Ideale im Himmel und auf Erden, [...] Sinnlichkeit [...], [...] Fleisches-Knechtschaft“8. Frankreich war das Land des fehlgeleiteten Sinns für Äußerlichkeiten, der Prahlerei und leeren Glorie, vor allem aber, wie in der Neuen Evangelischen Kirchenzeitung zu lesen war, musste Krieg geführt werden „gegen die Volkssünde Frankreichs“: Heimtücke, Lüge und Prahlerei. Rak beobachtet an diesem Feindbild-Katalog insbesondere die Behauptung einer „Prävalenz der deutschen Bildung und Kultur über die französische ‚Scheinzivilisation‘, das moralische Überlegenheitsgefühl, das sich mit einem politischen Führungsanspruch verband, [...] die Kritik an der sittlichreligiösen Dekadenz, und dies mit einem historischen Fundamentalismus vorgebracht, der sich ein friedlicheres Verhältnis zum ‚Erbfeind‘ auch über die unmittelbare Gegenwart hinaus kaum vorstellen konnte“.
Dies war einer der Kardinalunterschiede zwischen Katholiken und Protestanten im Kaiserreich: Während deutsche Katholiken sich zwischen Patriotismus und Universalismus zerrieben – und zerrieben wurden –, führten alle nationalprotestantischen Bedeutungszuschreibungen an Martin Luther mitten hinein in einen abgrundtiefen Zusammenhang von Religion, Nation und Ge7 Als „Beitrag zur Culturgeschichte“ des deutsch-französischen Krieges publizierte „Bilder aus dem Kriegsleben eines Militär-Geistlichen“ (Gotthelf HUYSSEN, 1872); ebd., S. 159. 8 Rundschreiben an die Geistlichkeit, Vorträge mit wissenschaftlichem Anspruch und Artikel in protestantischen Pfarrerzeitschriften untermauerten das Feindbild; vgl. ebd., S. 141 und 218. Die folgenden Zitate ebd., S. 221 und 224.
Holzem, Deutsche Katholiken zwischen Nation und Europa
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walt. Luthers vermeintliches „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ hatte ihn schon in den Kulturkämpfen des 19. Jahrhunderts zu einem antirömischen und antikatholischen Helden aufsteigen lassen, der die Lügen des Papstes aufgedeckt und das ausgeklügelte System, mit dem die römische Kurie die braven Deutschen unterdrückt und ausgebeutet habe, durchschaut und besiegt haben sollte. Das hatte erneut von vornherein eine aggressive Note gegen das 1870/71 zum „Erbfeind“ erklärte Frankreich, weil, so Hartmut Lehmann in einem zentralen Aufsatz zum Lutherbild Heinrich von Treitschkes9, die antirömischen und antifranzösischen Ressentiments in der kollektiven kulturellen Abwertung des Katholischen und „Wälschen“ amalgamiert wurden. Insbesondere in seiner Lutherrede zum 400. Geburtstag des Reformators am 7. November 1883 hatte Treitschke die Historie zur Leitwissenschaft eines germanophilen Nationalismus ausgebaut, weil „die historische Welt die Welt des Willens ist, weil nicht der Gedanke, sondern die Tat das Schicksal der Völker bestimmt“ und daher die „Geschichte der modernen Menschheit nicht mit Petrarca, nicht mit den Künstlern des Quattrocento, sondern mit Martin Luther“ beginne. Martin Luther brachte den Deutschen nicht nur den Ernst einer Wissenschaft, die – gleichzeitig „fromm und frei“ – „kühn die Flüge ihres Geistes“ antrat, sondern auch den Staat, der „selber eine Ordnung Gottes“ sei, „berechtigt und verpflichtet, seinen eigenen sittlichen Lebenszwecken nachzugehen“. Nicht zuletzt war Martin Luther der Inbegriff der deutschen Kultur: die Sprache, das Weihnachtsfest, die Geselligkeit, das evangelische Pfarrhaus. Vor allem aber war Luther, in einer brisanten Verflechtung von Religiösem und Politischem, das Idealbild von „deutschem Wesen“ und „deutschem Glauben“. „Treitschkes Luther“, so Lehmann, „ist antirepublikanisch, antirationalistisch und antikatholisch und steht in scharfem Gegensatz sowohl zu dem aufgeklärt-laizistischen wie zu dem katholisch-frommen Frankreich“10. „Das deutsche Wesen“ parallelisierte Luther in den Augen Treitschkes mit wenigen anderen vergleichbar reinen Ausprägungen, insbesondere natürlich mit Friedrich dem Großen, Goethe und Bismarck: Die „Führer“, die Deutschland in seinem „Lebenskampf“ brauche, müssten „aus Luthers und Bismarcks deutschem Holze sein“. Christliche Europa-Konzepte im späten 19. und im frühen 20. Jahrhundert waren eben darum besonders schwierig, ja unwahrscheinlich, weil eine europäische Orientierung der deutschen Konfessions-Christentümer in der Phase des allgegenwärtigen Nationalismus kaum auszumachen war. Im Nachgang 9 Hartmut LEHMANN, „Er ist wir selber. Der ewige Deutsche“. Zur lang anhaltenden Wirkung der Lutherdeutung von Heinrich Treitschke, in: „Gott mit uns“. Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert, hrsg. von Gerd Krumeich und Dieter Langewiesche, Göttingen 2000, S. 91–103. Vgl. bereits DERS., Martin Luther als deutscher Nationalheld im 19. Jahrhundert, in: Luther. Zeitschrift der Luther-Gesellschaft 55 (1984), S. 53–65. 10 LEHMANN, „Er ist wir selber“ (wie Anm. 9), S. 96.
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zum Ersten Vatikanischen Konzil mit seiner Erklärung der päpstlichen Unfehlbarkeit und zum deutsch-französischen Krieg hatte es 1871 heißen können: „Das deutsche Volk befreit die Welt von dem Incubus eines doppelten Größenwahnes: der französisch-militärischen Infallibilität wird die Infallibilität des Papsttums in das Nichts nachfolgen müssen“11. Die beiden großen und antipodischen Bezüge auf Universales und Gemeineuropäisches am Beginn des 19. Jahrhunderts waren weitgehend vergessen oder verworfen: das Projekt der europäischen Aufklärung ebenso wie die noch europäisch orientierte Früh-Romantik. Beide, jeweils aus starken übernationalen Motiven gespeist, waren gegen Ende des 19. Jahrhunderts Orientierungen gewichen, in denen religiöse Traditionsbestände und konfessionelle Identitäten für die Konstruktion des Nationalen eine bedeutsame Rolle spielten. 2. Katholische Geschichtsdeutungen und die Grenzen einer europäischen Perspektive zwischen Kaiserreich und Erstem Weltkrieg Christopher Dowe hat unter dem Titel Auch Bildungsbürger katholische Studierende und Akademiker im Kaiserreich untersucht, eine konfessionell geprägte Elite mithin, die sich als Minderheit in einem weitgehend protestantisch geprägten akademischen Milieu als Gruppe universitärer Intellektueller bis hin zu „akademischen Kulturkämpfen“ zu behaupteten hatte. Alle ihre Äußerungen zu Geschichte und Nation, zu Religion und Konfession müssen daher von vornherein in diesem aktuellen Spannungsfeld gelesen werden. Schon Dieter Langewiesche hatte im Zuge der jüngeren Nationalismusforschung mehrfach darauf verwiesen, in welchem Maß dem gesellschaftlichen mainstream des Kaiserreichs die Nation zum „Letztwert und obersten Legitimationsquell für Forderungen jedweder Art“ geworden war12. Nationalisierung der Religion und Sakralisierung der Nation konnten in bildungs- und wirtschaftsbürgerlichen Ideologien des Kaiserreiches und ihren hypertrophen Verschärfungen am Vorabend des Ersten Weltkriegs bruchlos in einander laufen13. Für katholische Bildungsbürger jedoch haben sich vergleichbare 11
Vgl. Klaus SCHATZ, Vaticanum I (1869–1870), Bd. 3: Unfehlbarkeitsdiskussion und Rezeption, Paderborn [u. a.] 1994, S. 246. 12 Dieter LANGEWIESCHE, „Nation“, „Nationalismus“, „Nationalstaat“ in der europäischen Geschichte seit dem Mittelalter – Versuch einer Bilanz, in: DERS., Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000, S. 14–34, hier S. 16. Vgl. weiter: Nation und Religion in der deutschen Geschichte, hrsg. von Heinz-Gerhard Haupt und Dieter Langewiesche, Frankfurt a. M. 2001; Nation und Religion in Europa. Mehrkonfessionelle Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von dens., Frankfurt a. M. 2004. 13 Vgl. Der Krieg in den Gründungsmythen europäischer Nationen und der USA, hrsg. von Nikolaus Buschmann und Dieter Langewiesche, Frankfurt a. M. 2004; Die Erfahrung des Krieges. Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg, hrsg. von Nikolaus Buschmann und Horst Carl, Paderborn [u. a.] 2001;
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Prozesse auch in der wilhelminischen Zeit nicht nachweisen lassen. Nation zählte, anders als Staat und Kirche, nicht zu den katholischen Theologoumena. Das deutsche Kaiserreich wurde unmittelbar nach seiner Gründung als legitimer deutscher Nationalstaat, nicht aber als gottgewolltes Reich mit einer besonderen Mission anerkannt. Die katholische Staatslehre kannte Gottesgnadentum und die Legitimität ordentlicher Herrschaft, begrenzte aber gleichzeitig die Absolutsetzung des Nationalen durch die grundsätzliche Universalität des neuen Bundes. „Bei allen Unterschieden seien, hieß es immer wieder unter den katholischen Studierenden und Akademikern, die anderen Nationen und Völker als (christliche) Brudervölker zu betrachten. Deshalb habe man sich vor ‚überspanntem‘ Nationalismus und ‚unbeschränkte[r] Verachtung für alles Fremdländische‘ zu hüten. Man distanziertere sich von Rassismus und radikalem Nationalismus, den man als ‚Hurrapatriotismus‘, als ‚billigen äußeren Patriotismus‘ oder als ‚furor hyperteutonicus‘ bezeichnete“14. „Treu dem Vaterland, Stolz auf euer Volk und seine Geschichte, aber frei von der eitlen Überhebung und Selbstbespiegelung, welche die Nationalität zum Abgott macht, und vergisst, dass Gottes Sonne leuchtet über allen Völkern, nie aus dem Auge lassend, dass sich echte Liebe zum Vaterland nicht im Worte sich bewährt, sondern in der That und im Opfer“. – „Wie so gar klein ist doch die Auffassung jener, die da wähnen, die Katholiken könnten deshalb keine guten Patrioten sein, weil ihre Kirche alle Völker mit der gleichen Liebe umfasst, weil ihr gemeinsamer Vater auch so viele andere seine Söhne mit diesem Namen anruft“15.
Diskussionen über „Deutschlands Beruf“ in der Welt und eine „religiös legitimierte Sonderstellung mit göttlichem Sendungsauftrag“16 ließen sich aus Nikolaus BUSCHMANN, Volksgemeinschaft und Waffenbruderschaft. Nationalismus und Kriegserfahrung in Deutschland zwischen „Novemberkrise“ und „Bruderkrieg“, in: Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, hrsg. von Dieter Langewiesche und Georg Schmidt, München 2000, S. 83–111. Vgl. Gerd KRUMEICH, ‚Gott mit uns‘? Der Erste Weltkrieg als Religionskrieg, in: „Gott mit uns“ (wie Anm. 9), S. 273–283. Wolfgang J. MOMMSEN, Die nationalgeschichtliche Umdeutung der christlichen Botschaft im Ersten Weltkrieg, ebd., S. 249–261, auch wenn hier nach wie vor eher die Theologen untersucht und „behaftet“ werden als die politischen und ökonomischen Eliten, die Professorenschaft, die Publizistik oder die bürgerliche Kultur- und Vereinslandschaft. In diesem Sinn instruktiv: Gangolf HÜBINGER, Sakralisierung der Nation und Formen des Nationalismus im deutschen Protestantismus, ebd., S. 233–247. Vgl. weiter Kurt NOWAK, Geschichte des Christentums in Deutschland. Religion, Politik und Gesellschaft vom Ende der Aufklärung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, München 1995, S. 141–146; Markus HUTTNER, Religion und Moderne in Deutschland, in: Historisches Jahrbuch 117 (1997), S. 455–466; Religion und Nation. Katholizismen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. von Urs Altermatt und Franziska Metzger, Stuttgart 2008. 14 Christopher DOWE, Auch Bildungsbürger. Katholische Studierende und Akademiker im Kaiserreich, Göttingen 2006, S. 163. 15 Ebd., 163 f. 16 Ebd., 165.
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solchen Haltungen kaum herausdestillieren. Zudem waren katholische Nationsvorstellungen mit Bismarcks aus dem Krieg geborener kleindeutscher Schöpfung keineswegs identisch. Neben großdeutschen Identitäten unter Einschluss des katholischen Österreich blieb weiterhin ein starker föderaler Zug wirksam, innerhalb dessen der Begriff des Vaterlandes noch einen regionalen oder gar lokalen Bezugsraum bezeichnen konnte. Tirol habe den Fremden gegenüber eine „große Mission“, erläutert etwa die weibliche Hauptperson in dem 1898 erschienenen Gegenwarts-Roman Die Fremden aus der Feder des Tiroler Dichters und Dramatikers Karl Domanig. Denn es sei für viele internationale Gäste „das erstemal, daß sie ein katholisches Volk kennen lernen! [...] Die meisten unter den andersgläubigen Fremden haben unsere Religion bisher nur vom Hörensagen und nach Zerrbildern gekannt, tausend Vorurteile bringen sie ihr entgegen [...]. Aber nun sind sie in Tyrol, mitten in einem grundkatholischen Volke; da sehen sie es mit Augen und können sich dem nicht verschließen: Das ist ein gesundes, tüchtiges Volk, voll schöner Talente, voll guter Eigenschaften des Herzens, ein wahrhaft adeliges Volk! Und alle Zustände geordnet; die Felder, die Häuser und Kirchen geben Zeugnis, wohl nicht überall von großem Wohlstand, aber überall von der Arbeitsamkeit und der idealen Gesinnung“.
So hätten die Fremdem „in Tyrol ein katholisches Volk, sie haben den Katholizismus selber kennen und achten gelernt“17. Dieser Regionalpatriotismus fand auch in einer lebendigen Verehrung für die Landesherren Bayerns, Württembergs und Badens beredten Ausdruck; sie war komplementär zur Kaiser-Verehrung, hielt sich von Bismarckkult und Sedanstag jedoch konsequent fern und bezeugte gerade in dieser Konstellation, wie eng katholische Nationalvorstellungen in die katholische Staatslehre und damit in ein letztlich universalistisches Konzept von Herrschaftsbegründung eingebunden blieben. „Die der katholischen Kaiserverehrung der Wilhelminischen Zeit zu Grunde liegenden Vorstellungen“, so Christopher Dowe, „sind teilweise sehr alten Ursprungs. Sie stehen in der Tradition der Huldigung gegenüber dem Landesherrn und sind aufs engste mit einer christlichen Weltsicht verbunden“18. Katholiken betrachteten ihre Regenten als legitimen Teil der Schöpfungsordnung „von Gottes Gnaden“ eher in religiö17 Karl DOMANIG, Die Fremden. Ein Roman aus der Gegenwart, Klagenfurt ³1911, S. 196 f., das Stichwort der „großen Mission“ ebd., S. 195. Vgl. dazu die hymnische Rezension in einem katholischen Bildungsblatt, welche den Roman als „patriotische“ und „katholische That“, als „Apologie des tiroler Volkes und des Katholicismus“ pries: Dr. Hubert, Rez. zu: Domanig, Karl, Die Fremden. Ein Roman aus der Gegenwart, in: Der Katholik. Zeitschrift für katholisches Wissenschaft und kirchliches Leben 79/I (1899), S. 86–90, hier S. 90. Zum Zusammenhang Andreas HOLZEM, Das katholische Milieu und das Problem der Integration: Kaiserreich, Kultur und Konfession um 1900, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 21 (2002), S. 13–39. 18 DOWE, Bildungsbürger (wie Anm. 14), S. 185.
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sen als in politischen Ordnungskategorien und daher, konfessionsvergleichend bemerkenswert, stets in Kombination mit dem Papst, also in der Verbindung von kirchlicher und staatlicher Herrschaft, rückgebunden an Universalitätskonstruktionen, welche der koordinierenden Zuordnung von regnum und sacerdotium im Mittelalter einen bedeutenden Platz im Geschichtsbild einräumten19. Auf Studentenkommersen wurden sogenannte Autoritätsreden gehalten, Toasts auf Kaiser und Papst im Angesicht ihrer Büsten. Die Verehrung von Landesherren und Kaisern wurde explizit mit politischen Erwartungen verbunden, in denen selbst in der wilhelminischen Ära Wilhelm II. noch zum Friedenskaiser proklamiert wurde, um ihn in seiner Verantwortung als Vertreter der deutschen Weltpolitik zu binden. Christopher Dowe: „In der Wertehierarchie [katholischer Studentenorganisationen] nahm der Frieden einen Spitzenplatz ein – deshalb die Stilisierung Wilhelms II. als Friedenskaiser, und deshalb auch die schwach ausgeprägten nationalen Feindbilder nach innen und außen. Damit […] unterschieden sich die katholischen Studierenden und Akademiker deutliche von radikal-nationalistischen Gruppierungen nicht zuletzt in der Studentenschaft“20.
Als dementsprechend gering hat sich der Stellenwert nationaler Feindbilder, ja von Feindbildern überhaupt herausgestellt. Man hielt Patriotismus und Zugehörigkeit zu einer internationalen Religionsgemeinschaft für vereinbar, schied Antisemitismus in den eigenen Reihen strikt aus und verurteilte – bei allem Interesse für den Zusammenhang von Weltpolitik, Kolonialisierung und Mission – die Mischung von kulturellem Überlegenheitsgefühl und rassistischem Denken, die ansonsten unter deutsche Studierenden und Akademikern weit verbreitet war. „Das sind doch auch unsere Nächsten, unsere Brüder und Schwestern, nicht unzivilisierbare Wilde […]“21! Dowe ausdrücklich: „Katholische Studierende und Akademiker bemühten sich um eine differenzierte Betrachtung von Ausländern und anderen Nationen, bei der sowohl positive wie negative Aspekte thematisiert werden konnten“. Dem entsprachen die Geschichtsbilder katholischer Bildungsbürger. Ihre Nationsvorstellungen knüpften an der Antike, aber auch an vorchristliche Germanenerzählungen nur äußerst lose an; Arminius bzw. Hermann der Cherusker entzündeten kaum mythologischen Enthusiasmus. Vielmehr dominierte eine Großerzählung, in der Bonifatius und Karl der Große und damit die Missions-, Christianisierungs- und Reichsgründungsbestrebungen des frühen Mittelalters eine bedeutende Stellung einnahmen. Diese Meistererzählung barg durchaus eine antiprotestantische Sinnspitze in sich, weil sie in einer
19 Vgl. Matthias KLUG, Rückwendung zum Mittelalter? Geschichtsbilder und historische Argumentation im politischen Katholizismus des Vormärz, Paderborn [u. a.] 1995. 20 DOWE, Bildungsbürger (wie Anm. 14), S. 192. Das folgende Zitat ebd., S. 199. 21 Ebd., S. 198.
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verkürzenden Novalis-Rezeption22 die Leistungen des christlich-universalen Mittelalters verklärte und die Reformation als Spaltung Europas bewertete. Darin lag gleichzeitig eine Verurteilung protestantisch-historistischer Kontinuitätsmythen, die sich von Martin Luther über Gustav Adolf von Schweden und Friedrich dem Großen bis hin zu Bismarck zogen, eine Perspektive, in der nach einem berühmten Diktum Jacob Burckhardts „die ganze Weltgeschichte von Adam an siegesdeutsch angestrichen“ worden war. Ein repräsentatives Gedicht für diese kontrastierende katholische Geschichtsschau: „Zum Volke hat erhoben/Winfried die deutsche Macht,/Gehemmt des Streites Toben,/Verscheucht die schwere Nacht“. – Zur Rolle der protestantischen Reichs- und Kirchenzerstörung, die als mit dem Kriegseintritt Schwedens in den Dreißigjährigen Krieg unter Gustav Adolf endgültig unumkehrbar geworden erschien: „Hier rast der Schwede siegestrunken,/bis endlich er in Staub gesunken/von Gottes Rächerarm erfasst“23. Bemerkenswert ist, dass in katholisch-studentischen Deutungen der jüngeren Geschichte 1813 wichtiger war als 1870; die Völkerschlacht gegen Napoleon rangierte vor der Reichseinigung von oben durch Bismarck. Antifranzösische Ressentiments bezogen sich weniger auf die französischen Nation oder das französische Volk als solches, sondern eher auf Napoleon als Person und auf seinen militärischen Expansionismus. Das Fazit Dowes: „Der geringe Stellenwert nationaler Feindbilder ist in der national aufgeladenen wilhelminischen Zeit auffällig und unterscheidet die katholischen Studenten und Akademiker von […] anderen Gruppen in der Studentenschaft und dem Bürgertum deutlich, die Vorkämpfer des radikalen Nationalismus in Deutschland waren“24.
Dieser argumentative Umweg war notwendig, um ein weitgehendes NichtVerhältnis überdurchschnittlich gebildeter katholischer Kreise des Kaiserreichs zum Thema und Problem „Europa“ zu dokumentieren: Einen positiven Identitätsbezug gab es zunächst zur Kirche, ihrem Glaubenssystem und ihrer als „katholisches Milieu“25 beschriebenen Verfasstheit in der gesellschaftlichen Wirklichkeit des wilhelminischen Deutschland – bei allen Binnendiffe22 Vgl. NOVALIS, Die Christenheit oder Europa. Ein Fragment (1799), in: Werke in einem Band, München/Wien 1981, S. 525–544. 23 DOWE, Bildungsbürger (wie Anm. 14), S. 208. 24 Ebd., S. 202. 25 Vgl. Arbeitskreis für kirchliche Zeitgeschichte (AKKZG), Münster, Katholiken zwischen Tradition und Moderne. Das katholische Milieu als Forschungsaufgabe, in: Westfälische Forschungen 43 (1993), S. 588–654. Konfession und Cleavages im 19. Jahrhundert. Ein Erklärungsmodell zur regionalen Entstehung des katholischen Milieus in Deutschland, in: Historisches Jahrbuch 120 (2000), S. 357–395. Dem Begriff selbst steht Dowe kritisch gegenüber, weil er die innere Differenziertheit des katholischen Diskurses und die soziokulturelle Identitätsspaltung seiner „katholischen Bildungsbürger“ betonen will. Dabei wird freilich übersehen, dass die Milieuforschung selbst sich mit dessen ambivalenter Pluriformität längst intensiv beschäftigt.
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renzierungen, die ich hier nicht im Einzelnen ausführen kann. Eine klar erkennbare, aber kaum konsistente Identitätsbindung existierte weiterhin an das kleindeutsche Reich bismarckscher Prägung ebenso wie an großdeutsche Nationsvorstellungen – auch hier mit einem breiten Spektrum diskursiver Haltungen und ihrer Übersetzung in politische, gesellschaftliche und öffentliche Praxis. Schließlich, drittens, galten Identitätsorientierungen der regionallokalen Lebenswelt. Diese Beobachtungen der jüngsten Forschung sind für unser Thema brisant: Die Idee eines ideellen, kulturellen, gar politischen Europa wurde nirgends auch nur leise gedacht, konzeptionell entworfen, geschweige denn beschworen. Nationalistische Vorstellungen erscheinen allenthalben begrenzt und reduziert, aber der nationale Deutungsrahmen als solcher war von frappierender Dominanz. Es waren jedoch vor allem die Geschichtsbilder, welche diese Dominanz strukturell offen hielten: die gemeinchristlichen Traditionen der Spätantike, deren Persistenz in einem christlichen Mittelalter mit seinen auch politisch-universalistischen Herrschaftskonzepten, korrespondierend das Negativ-Stereotyp von Spaltungspotenzial der Reformation und die negativen Affekte gegen nationale Egoismen, die sich seit dem Spätmittelalter zum Hyper-Nationalismus ausgeweitet hätten. Hier blieb eine Restidee abendländisch-europäischer Universalität; freilich kam sie ganz konfessionalistisch daher, hatte die europäische Bekenntnisspaltung ebenso negativ verarbeitet wie den der religionsfeindlichen Aufklärung zugeschriebenen Laizismus der französischen Revolution und der sich darauf beziehenden liberalen Politikkonzepte. Der Erste Weltkrieg hat das hier angelegte Differenzierungs- und Friedenspotential gründlich beseitigt. Stephan Fuchs hat Haltungen deutscher katholischer Akademikereliten zum „Segen des Krieges“26 differenziert nachgezeichnet. Mit einem Schlag stand Bonifatius „in der Geschichte vor uns als der echte große deutsche Mann: deutsch durch die Treue, deutsch durch das Gemüt, deutsch durch einen gesunden Idealismus, deutsch durch den Geist der Organisation und der Wissenschaft“27.
Von Treitschkes Lutherdeutung war das nur noch durch Zorn und Trotz und – freilich – durch das „Blut“ entfernt. Treue, Einfachheit, Sitte, Idealismus, Geist – alles das war auch unter Katholiken mit einem Schlag deutsch. Die im gesellschaftlichen mainstream des Kaiserreiches geläufigen Feindbilder vor allem gegen Frankreich und England brachen auch im deutschen Katholizismus ungehemmt durch.
26 Stephan FUCHS, „Vom Segen des Krieges“. Katholische Gebildete im Ersten Weltkrieg. Eine Studie zur Kriegsdeutung im akademischen Katholizismus, Stuttgart 2004. 27 Ebd., S. 160.
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Jahrbuch für Europäische Geschichte 9 (2008) „Paris, du lachende Sündenstadt, wir wollen dich läutern im Flammenbad.“ – „Und glaubt ihr immer noch kosen zu wollen/mit der Grande Nation? O tausendmal nein!/Sie werden uns ewig neidvoll grollen./Sie wollen den Rhein, den deutschen Rhein!“ – „Dieser Hass des Galliers gegen den Germanen, der Jahrtausende alt uns einen Krieg nach dem anderen gebracht hat, in denen immer und immer wieder Frankreich der Angreifer gewesen ist, der uns auch diesen Krieg aufgeladen hat.“ – „La France mit ihrem maßlosen Hochmut, ihrem Chauvinismus, unstillbaren Revanchedurst, ihrer Leichtlebigkeit und religiösen Gleichgültigkeit“28.
Alle Stereotypen des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 kehrten mit einem Schlag zurück, überlagerten in der Publizistik katholischer Gebildeter dominant die Zurückhaltung der Vorkriegsjahre. Kaum weniger heftig wurde England angegriffen: „O Albion du altes Räubernest, du prahlst und wähnst dich unbesiegbar fest? Noch kaum gesättigt von dem letzten Länderfraße,/liegst jenseits du der schmalen Meeresstraße/und sinnst, wie du aufs Neue rauben kannst/und füllen wirst den nimmersatten Wanst. Du Giftgespinn trankst der Völker Mark,/und nur durch fremde Stärke wardst du stark […]“.
England wurde beschrieben als handelsegoistische und geldgierige Krämernation, die dem deutschen Idealismus nicht annähernd ebenbürtig sei. Moralische Überlegenheit begründete den Anspruch, den Krieg zu gewinnen. Katholische Feindstereotypen näherten sich den protestantisch-nationalistischen an; auch kirchenoffizielle Äußerungen präsentierten sich ganz „vaterländisch“. Kaiserkult wurde in Teilen der katholischen Korporationen wichtiger als Papstverehrung; an der Friedensinitiative Benedikts XV. schieden sich die Geister29. Und dennoch zeigt die jüngere Forschungslandschaft neben „enthusiastischer Kriegsbegeisterung“ auch „ernste Sorge um die Zukunft des deutschen Volkes“30. Die ‚Martialität‘ des Kriegsdiskurses schwankte beträchtlich; freilich waren es nur die Akademikerinnen, die sich nachdrücklich für eine „Frauen-Friedenskirche“ engagierten – bezeichnend genug. Theologische Kriegsdeutungen – Gott als Rächer der Sünde und Sieghelfer der Guten – 28 29
Ebd., S. 173 f. Zum Katholizismus im Ersten Weltkrieg vgl. insgesamt: Heinrich MISSALLA, „Gott mit uns“. Die deutsche katholische Kriegspredigt 1914–1918, München 1968; Militärseelsorge im Ersten Weltkrieg. Das Kriegstagebuch des katholischen Feldgeistlichen Benedict Kreutz, bearb. von Hans-Josef Wollasch, Mainz 1987; Hermann Josef SCHEIDGEN, Deutsche Bischöfe im Ersten Weltkrieg. Die Mitglieder der Fuldaer Bischofskonferenz und ihre Ordinariate 1914–1918, Köln [u. a.] 1991; Wilhelm ACHLEITNER, Gott im Krieg. Die Theologie der österreichischen Bischöfe in den Hirtenbriefen zum Ersten Weltkrieg, Wien [u. a.] 1997; Krieg und Religion, hrsg. von Andreas Holzem, Donauwörth 2002 (dort jeweils ältere Literatur); Alliierte im Himmel. Populare Religiosität und Kriegserfahrung hrsg. von Gottfried Korff, Tübingen 2006. 30 FUCHS, Segen (wie Anm. 26), S. 300.
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wurden nach 1915/16 merklich leiser. Auch wo die Nächstenliebe nur noch dem eigenen Volk galt, der Krieg gerecht und das Sterben heilig war, wurden die ungeheuren Ausmaße von Schrecken und Leid nicht mehr verschwiegen. Grenzen des Nationalismus und Frieden wurden zunehmend eingefordert; Frieden freilich, jenseits von Sieg- und Ehrvorstellung, wiederum zumeist bei den Frauen. Zaghaft äußerten sich andere Blicke nach außen und oben: Die göttliche Weltordnung sehe die Solidarität aller Menschen vor, Gottes Arbeit sei ein Schaffen – während der Soldat zerstöre, die christliche Kirche sei als Völkerkirche zu denken und zu erfahren, die an der großen Gemeinschaft der Menschheit festhalte31. Stellungnahmen zu Krieg, Frieden und Völkerverständigung fächerten sich signifikant auf. Solche Differenzierungen in die seit den sechziger Jahren virulente Nationalisierungsthese hat auch Christian Geinitz mit seiner Studie über das Augusterlebnis 1914 im katholischen Freiburg eingetragen. Er will die „echte, tiefe Kriegsbegeisterung“, den patriotischen Überschwang, nicht zuletzt die Ergebnisse der patriotisch-militaristischen Erziehung im Kaiserreich und das allen tief in Fleisch und Blut übergegangene Feindbild Frankreich nicht leugnen. Dennoch war die uneingeschränkte Kriegsbegeisterung nur ein Teil der Wirklichkeit, daneben stand eine patriotisch begründete ernste Kriegsbereitschaft, aber auch eine sorgenvoll in die Zukunft blickende Kriegsergebenheit32. Der Krieg, so Christian Geinitz, lebte aus der „Gleichzeitigkeit positiver wie negativer Empfindungen; er war nötig, faszinierend und begeisternd“, aber er war „zugleich grauenhaft, unheilverkündend, kaum zu ertragen und rührte die Frauen wie Männer zu Tränen“33. Der Kriegsbeginn wurde hier keineswegs als Wille, sondern lediglich als Zulassung Gottes begründet. Er war kein Gottesgericht, sondern die Folge der politischen Entwicklung, weswegen die Gebete vor allem darauf zielten, dem Schrecken des Krieges möglichst schnell ein Ende zu bereiten. Immerhin: „Darum erheben wir unsere Augen zum Herrn, der den Krieg kann aufhören lassen und den Sieg zuwendet, wem er will [!]“; Vorsehungsglaube und die Geschichtsmächtigkeit Gottes bedeuteten keinesfalls automatisch, Gott müsse „mit uns“ sein. Die Kirchen bearbeiteten den Krieg also keineswegs einhellig in patriotischer Hurra-Stimmung. Immer wieder brachten die Veröffentlichungen auch das mit dem Krieg verbundene Leid, Angst und Sorge und die Suche nach Trost zum Ausdruck. „Deutlich positive Sinngebungen des Krieges sucht man [in den Gebeten, A. H.] vergebens. Im Gegenteil: viel stärker präsent war auch hier das beschwerliche Erleben des Krieges
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Vgl. ebd., S. 306 f. Vgl. Christian GEINITZ, Kriegsfurcht und Kampfbereitschaft. Das Augusterlebnis in Freiburg. Eine Studie zum Kriegsbeginn 1914, Essen 1998, S. 178. 33 Ebd., S. 182.
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durch die betroffenen Menschen“34. Eine Predigt des Freiburger Dompfarrers und Stadtdekans Brettle empfand zum Kriegsausbruch die mit dem „Augusterlebnis“ 1914 vielfach verbundenen „Freuden- und Festestöne“ als der allgemeinen Stimmung wie den eigenen „Herzensgefühlen“ zuwider; „Krieg, europäischer Weltkrieg, unser deutsches Vaterland in Gefahr, Feinde ringsum!“ – das liege wie ein „Alp“ auf der Seele aller; einzig angemessen sei der Prophetenauftrag, das Volk zu trösten. Es ist mehr als bemerkenswert, wie offen schon in dieser im August 1914 verfassten Predigt geredet wurde: „Wenn man sieht, wie ein Geschoß in eine Gruppe einschlägt, wie Leute zerrissen werden, ihr Blut und Gehirn den Nachbar bespritzt [...] und dazu das Bewußtsein hat, das kann dir jeden Augenblick auch geschehen – das will über Menschenkraft gehen. Man meint, man müsse fortlaufen, hinaus aus dieser Hölle. [...] Da hilft nur eines: die Religion“35.
Die neuere Forschungsdiskussion läuft hinsichtlich der Bewertung des Ersten Weltkriegs durch die Theologen und Christen auf eine Differenzierung hinaus: Auch in katholischen Verlautbarungen dominierte weithin die politische Begründung und die passive und defensive Interpretation der politischmilitärischen Rolle Deutschlands. Es ist nicht zu verkennen und auch nicht hinwegzubeschönigen, dass die in der ganzen Gesellschaft herrschenden Bedrohungs- und Einkreisungsängste und damit die weit verbreitete Überzeugung von der Schuldlosigkeit Deutschlands am Krieg dadurch verstärkt und verallgemeinert wurden. Aber dies war gleichzeitig der Grund dafür, dass in der religiösen Kriegsdeutung die Themen Leid und Trost deutlich im Vordergrund standen. Der Versuch, über eine besonders patriotische Kriegsinterpretation Vaterlandstreue zu demonstrieren, stand in der Breitenreligiosität offenbar gerade nicht im Vordergrund, unabhängig von seit längerem bekannten bischöflichen Äußerungen, welche den Krieg teils pauschal rechtfertigten, vaterländischen Einsatz, Treue und Gehorsam einforderten. Freilich fehlte auch den vorsichtig-restriktiven Deutungen die religiöse Konnotierung des Feindes nicht. Die alten Stereotype von 1870/71 über die Gottlosigkeit Frankreichs, über Pariser Mode und Pariser Sitte und der Versuch, den Weltkrieg als Verteidigung der christlichen Kultur auszugeben, kehrten unisono zurück. Aber das hatte eben nicht den Charakter einer religiösen Verherrlichung des Krieges, sondern alle vorhandene Kriegsbereitschaft war gleichzeitig relativiert durch Kriegsfurcht und religiöse Trostsuche. Europa-Ideen freilich – sie standen hier nach wie vor ganz am Rande.
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Ebd., S. 188. Ebd., S. 192 ff.
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3. Christentum – Europa – Abendland: Reformulierungen im Kontext von NS-Diktatur und Zweitem Weltkrieg Der verlorene Weltkrieg und der Friedensvertrag von Versailles boten auch deutschen Katholiken keinen Rahmen zu europapolitischen Identitätsumsteuerungen. Obwohl der tiefe Schock, der den deutschen Protestantismus in den Grundfesten erschütterte, im Katholizismus ausblieb, konzentrierten doch auch die Katholiken ihre Kräfte auf konstruktive und pragmatische Mitarbeit in der entstehenden deutschen Demokratie, deren außenpolitische Knebelung ihnen freilich nur geringe auf Europa hin orientierte Spielräume eröffnete. Weil im Rahmen dieses Beitrags die deutungspolitischen Kategorien größeres Gewicht haben als die realpolitischen Stabilisierungsversuche der Weimarer Politik, konzentriere ich mich im Folgenden auf exemplarische Überwindungsversuche einer Perspektive, die aus der Erfahrungs- und Rezeptionsgeschichte des Versailler Vertrages notdürftig geboren wurde. Grundlegende Neuausrichtungen, die teils auf Geschichtsbilder des Katholizismus im 19. Jahrhundert, teils auf dessen Naturrechtstradition zurückgriffen, waren, das zeigt die heutige Forschung überdeutlich, ein ausgesprochenes Produkt der Krise. Ich werde, in exemplarischer Verkürzung, zwei Beispiele einer Figuration des Denkens vorführen, welche sich definitiv von der Staats- und damit impliziten Nationsfixierung politischer Ordnungssysteme im deutschen Katholizismus verabschiedeten und damit gleichzeitig auf je unterschiedliche Weise zukunftsorientierte Europa-Ideen beförderten. Christian Handschuh beschäftigte sich vor einigen Jahren mit publizistischen Projekten und Veröffentlichungen Georg Smolkas, eines freien Schriftstellers und Publizisten in so prominenten Organen wie der Frankfurter Zeitung, dem Hochland, der Germania, vor allem der Jungen Front, einer der liturgischen Bewegung nahe stehenden Zeitschrift, die ursprünglich als Jugendzeitung des katholischen Jungmännerverbandes gegründet und in der Spätphase Weimars, gegen den Aufstieg des Nationalsozialismus gerichtet, zu einer demokratisch-konservativen Familienwochenschrift umgewandelt worden war, die mit einer hinter dem Völkischen Beobachter kaum zurückbleibenden Auflage von 330 000 Exemplaren eine vorwiegend katholische Leserschaft von regelmäßig etwa 1,5 Millionen Menschen erreichte. Als bleibend subversiv eingeschätzt, wurde sie nach 1933 mehrfach verboten, 1937 musste sie endgültig eingestellt werden36. Diese Positionierung freilich charakterisiert einen Publizisten wie Georg Smolka nicht hinreichend. Zwischen 1929 und 1940 gehörte Smolka, zwischen Broterwerb als freier Publizist und möglicher gedanklicher Ko-Genialität schwankend, zum Umfeld der Publikationsstelle der nord- und ostdeutschen Forschungsgemeinschaft um 36
Vgl. Christian HANDSCHUH, Georg Smolka. Von der ‚Ostforschung‘ zum ‚Abendland‘, Münster 2003, S. 31 f.
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Albert Brackmann, die ein revisionistisches Modell des mittel- und osteuropäischen ‚Volks- und Kulturraums‘ als grundlegende Alternative zum westlichen Modell der Staatsnation und dem Prinzip des Selbstbestimmungsrecht der Völker entwarf. Vor allem die Idee eines „Zwischeneuropa“ östlich der westlichen Nationalstaaten hatte fließende Grenzen zu den „Lebensraum“Konzepten der völkischen Rechten. Umso bemerkenswerter sind die definitiven Umorientierungen, die der Publizist Georg Smolka vor einem dezidiert katholischen Horizont während der NS-Diktatur vollzog. Seine Beiträge für die Junge Front, aber nach deren mehrfachen Verboten auch für Sammelpublikationen, die unter zensurbedingt harmlosen Gesamttiteln erschienen (z. B. Bis an die Sterne. Ein Lesebuch für junge Menschen, 1935), setzte sich Smolka zunehmend kritisch mit der Geschichtspolitik und den Weltordnungsvorstellungen der Nationalsozialisten auseinander. Mit Kriegsbeginn hatte Smolka die Seite endgültig gewechselt, war Mitglied des Spionageabwehrdienstes unter Admiral Canaris und unterhielt enge Verbindung zu Professor Kurt Huber und Pater Alfred Delp, durch die er indirekten Kontakt zu den Widerstandsgruppen des 20. Juli 1944 und der Weißen Rose hatte37. Spätestens seit 1937 lassen sich in der Publizistik Smolkas mit breitenwirksamer Ausstrahlung in das katholische Milieu Gedankenentwicklungen nachweisen, die mit der Ablehnung von Versailles, der Idee eines Mittel- und Zwischeneuropa als Ablehnung des Nationalstreitprinzips und eines föderal und übernational gedachten Mittelreiches noch Restbestände rechtsnationalistischer Ostsiedlungsideen greifen, die dann aber zunehmend in Richtung universaler und friedensorientierter christlicher Europa- und Abendlandkonzeptionen verwiesen. Nimmt man die Publizistik Smolkas für ein breiteres gedankliches Spektrum, zeigt sich eine Entgrenzung des Zusammenhangs von Volk, Nation und Christenheit, die in ähnlicher Weise in den Volkskonzepten Romano Guardinis greifbar wurde38, die aber auch noch ganz von konfessionellen Geschichtsbildern dominiert war: „Als universale, übernationale Schutzherrschaft überwölbte das Kaisertum alle christlichen Nationen des Abendlandes. Dem Papsttum, dem geistlichen Mittelpunkt, war es zugeordnet als Hort der weltlichen Einheit der im Glauben geeinten, christlichen und zu verchristlichenden Welt. Der übernatürlichen Einheit der Kirche entsprach das Reich als irdische politische Einheitsordnung der Christenheit. Durch die kirchliche Weihe war der Kaiser erhöht über die christlichen Könige zum Schirmherrn der Gesamtkirche, zum Wahrer der Ordnung, Gerechtigkeit und Frieden, auch zwischen den Nationen“39.
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Vgl. ebd., S. 28. Vgl. Arnold ANGENENDT, Liturgik und Historik. Gab es eine organische LiturgieEntwicklung?, Freiburg [u. a.] 2001, S. 17–106. 39 HANDSCHUH, Smolka (wie Anm. 36), S. 99 f.
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Durch die offenkundigen Reprisen auf Novalis und seine romantische Schrift Die Christenheit und Europa markierten sich diese Ideen als idealisches Konstrukt, weniger als politische Konzeption. Gleichzeitig aber entwickelte sich daraus eine christliche Abendland- und Europa-Idee. Greifbar wird ein europäisches Gemeinschaftsbewusstsein, das allen seit dem Spätmittelalter dominanten Divergenz- und Nationalisierungsprozessen eine auf dem Christentum beruhende Einheitsidee zuordnete: „Die Einheit Europas beruht auf der Einheit der abendländischen Gemeinschaftskultur. Jede Kultur ist ein lebendiges Ganzes, das sich in bestimmten Lebens-, Schaffens- und Denkformen äußert. Sie erwächst auf dem Boden geschichtlich gegebener materieller Bedingungen, unter denen Raum und Rasse die bedeutsamsten sind; zugleich liegt ihr aber ein geistiges Formprinzip zu Grunde, das nicht an die geographischen und rassischen Voraussetzungen gebunden ist. […] Im besonderen Sinn gilt dieser Tatbestand für die Entstehung der europäischen Gemeinschaftskultur. Die kulturelle Einheit Europas beruht auf dem Christentum“40.
Hier wurden auf der einen Seite an Raum und Rasse Konzessionen gemacht, deren taktischer Charakter fragwürdig bleibt. Auf der anderen Seite wertete Smolka den terminologischen Sprung von der Christenheit zu Europa eindeutig als Säkularisierungsvorgang, der das Gesicht der modernen abendländischen Welt geprägt habe: Christenheit und Abendland rekurrierten auf Universalitätsvorstellungen des Mittelalters; Europa hingegen galt als ein Begriff, der die Nationalisierungsvorgänge seit dem späten Mittelalter einbegreife, ohne freilich das Gemeinsame der auseinanderstrebenden nationalen Gemeinwesen noch präzise spezifizieren zu können. Auf Fokussierungen dieser Denkwelt hat sich die Aufmerksamkeit ebenso zu richten wie auf ihre Ausblendungen: Es finden sich negative Bezüge auf eine Verweltlichung der abendländischen Kultur und eine Herauslösung der diesseitigen Welt aus ihren übernatürlichen Bindungen, wodurch das Christentum aufhöre, eine geschichtsbildende Größe zu sein, also Kritik an der Aufklärung und am politischen Liberalismus und den Totalitarismen; aber es gibt in dieser Konstruktion keine Reformation, welche den idealisierten Zusammenhang von Religion, Herrschaft und Kultur so massiv in Frage stellte, dass der Gegensatz der Konfessionen ein Signum der europäischen Neuzeit werden und bleiben musste. Solche einebnenden Abendland-Ideen waren Anfang der 1930er Jahre durchaus verbreitet: Im katholischen Universallexikon Der große Herder vertrat Ernst Platz die Idee einer „restlos erfüllten Kultureinheit des Mittelalters“, begründet durch die Verbindung von Antike, Germanentum und Christentum, in dem Religion und kulturelle Einheit alle nationalen Differenzierungen begrenzten und überwölbten. Mit solchen Orientierungen 40
Ebd., S. 107, die folgenden Zitate S. 112 und 110.
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waren universale Zukunftsvisionen verbunden, die ein vergleichsweise striktes Europa-Bild zeichneten: „Ob diese Ordnung in der Kontinuität der abendländischen Entwicklung steht, ob sie ihrem Wesen nach abendländisch sein wird – das ist die Schicksalsfrage, die unserer Epoche gestellt ist. […] Ob eine andere Macht als die Kirche, die diese Einheit hervorgebracht und getragen hat, eine neue Ordnung des Abendlandes begründen kann, wird die Zukunft lehren. Die bloße Gemeinsamkeit gewisser kultureller und zivilisatorischer Werte vermag es jedenfalls ebenso wenig wie die Gemeinsamkeit wirtschaftlicher und politischer Interessen; die Geschichte zeigt, dass seit dem Anbruch der Neuzeit die trennenden Tendenzen stets stärker gewesen sind als die einenden. Wenn jede kulturelle Einheit in eine letzte religiöse Einheit eingebettet ist, so bleibt nur die Möglichkeit zur Rückkehr in diese religiöse Einheit oder die Auflösung“.
Man mag diese Einsicht als prophetisch im Blick auf die Diskussionen um die Präambel der europäischen Verfassung lesen und wird doch gleichzeitig ihren illusionären Charakter eingestehen müssen. Was hier vorgetragen wurde, erklärt sich vor allem aus der Kontextualisierung eines Autors, der sich durch die Gegenwarts- und Zukunftsentwürfe des deutschen Faschismus und durch die Zukunftsentwürfe deutscher Widerstandskreise herausgefordert sah. Nach 1945 freilich sollten bestimmte Elemente dieser Deutung eine dominante Wirkung entfalten. Für diese Wertewelt ist Smolka ein Exempel, kein Einzelfall. Eine zweite zentrale Linie zu einer gesamteuropäisch orientierten Wende des deutschen Katholizismus entstand durch die Auseinandersetzung mit dem Geltungsanspruch der Menschenrechte; Antonia Leugers hat das bahnbrechend bearbeitet41. Ausgelöst wurde dieser Streit durch tiefe Erschütterungen in seinem spirituellen und institutionellen Machtzentrum, der Deutschen Bischofskonferenz. Dies Gremium wurde, bis an die Grenze der Spaltung, dominiert von ihrem Vorsitzenden, Adolph Kardinal Bertram, bei Kriegsbeginn schon über 80 Jahre alt, geprägt durch den preußischen Kulturkampf. Bertram begriff Gott als einen „Gott der Ordnung“, dessen Ziel der kosmischen Harmonie vor allem durch Ein- und Unterordnung des Einzelnen in die gottgewollten Strukturen von Familie, Schule, Kirche und Staat garantiert werden sollte. Darum setzte er nach wie vor auf eine Harmonie zwischen den 41
Antonia LEUGERS, Gegen eine Mauer bischöflichen Schweigens. Der Ausschuss für Ordensangelegenheiten und seine Widerstandskonzeption 1941–1945, Frankfurt a. M. 1996 (faktisch eine Geschichte der Deutschen Bischofskonferenz im Dritten Reich); DIES., Adolf Kardinal Bertram und die Menschenrechte, in: Diözese Hildesheim in Vergangenheit und Gegenwart 63 (1995), S. 205–223; DIES., Die deutschen Bischöfe und der Nationalsozialismus, in: Theologie und Vergangenheitsbewältigung. Eine kritische Bestandsaufnahme im interdisziplinären Vergleich, hrsg. von Lucia Scherzberg, Paderborn [u. a.] 2005, S. 32–55; DIES., Georg Angermaier (1913–1945). Katholischer Jurist zwischen nationalsozialistischem Regime und Kirche. Lebensbild und Tagebücher, Mainz 1994.
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als gottgesetzten Ordnungen erkannten Autoritäten, und kirchliche Charakterbildung sollte zu Pietät und Gehorsam erziehen. So perpetuierte Bertram in der Bischofskonferenz eine Vorstellung, die zwischen dem Staat als rechtmäßiger Obrigkeit und der nationalsozialistischen Bewegung unterschied und damit den totalitären Charakter des Dritten Reiches faktisch überging. Dieses Harmoniemodell wirkte sich mehr und mehr als Konfliktvermeidungsstrategie aus – Bertrams „Eingabenpolitik“ blieb gegenüber dem Nationalsozialismus völlig wirkungslos und den Gläubigen zudem verborgen. Es musste scheinen, als unternähmen die Bischöfe nichts gegen die Rechtsbrüche, die zur prägenden Alltagserfahrung geworden waren. Hatten, so die entscheidende Frage, die Bischöfe vornehmlich den Katholizismus und zwar aus der Binnenperspektive des Reichskonkordats zu verteidigen? Oder mussten sie die unmittelbaren sittlichen Forderungen des Humanum als solchem verteidigen und dabei nicht mehr beim Kirchenvertrag, sondern beim davor liegenden Naturrecht ansetzen, das nicht nur die Katholiken, sondern alle Menschen einschloss? Musste, und wenn ja: wie konnte in der Verurteilung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes die rein katholische Selbstverteidigung und damit die religiöse und weltanschauliche Grenze zu den übrigen Opfergruppen des Nationalsozialismus überwunden werden? Diese Kernfrage statuierte die europäischen Menschenrechte, hervorgegangen aus Aufklärung und Französischer Revolution und darum bisher von der Kirche stets verworfen, als Zentrum einer neuen Identität der Christen unter den Bedingungen der Diktatur. Wer stellte diese Frage? Zu Beginn des Krieges verschärfte sich nicht nur die Verfolgung und Vernichtung der deutschen Juden, sondern auch der Kirchenkampf noch einmal drastisch. Die Bischofskonferenz trieb durch die Fixierungen ihres Vorsitzenden, den „Autoritätsnebel“ vieler Mitbischöfe und die strukturelle Unfähigkeit zu konstruktiver innerer Auseinandersetzung auf den Zustand weitgehender Handlungsunfähigkeit zu. In jenen Monaten konstituierte sich der sog. Ordensausschuss, zunächst zuständig für die Verteidigung der Klöster gegen den Nationalsozialismus42. Mitglieder waren aus der Bischofskonferenz Konrad Graf von Preysing (Berlin) und Johann Baptist Dietz (Fulda), sodann der Dominikanerprovinzial Laurentius Siemer, der Provinzial der oberdeutschen Jesuiten, Augustinus Rösch, der Dominikaner Odilo Braun, der Jesuit Lothar König und der Laienjustiziar der Diözese Würzburg, Georg Angermaier, ein sehr begabter junger Jurist, dem für eine 42 Vgl. dazu jüngst Annette MERTENS, Himmlers Klostersturm. Der Angriff auf katholische Einrichtungen im Zweiten Weltkrieg und die Wiedergutmachung nach 1945, Paderborn [u. a.] 2006. Vgl. auch Annette HUTH, Zwischen Christenpflicht und Klostersturm: Zur Beschlagnahme von Klöstern im Zweiten Weltkrieg, in: Zwischen Kriegs- und Diktaturerfahrung. Katholizismus und Protestantismus in der Nachkriegszeit, hrsg. von Andreas Holzem und Christoph Holzapfel, Stuttgart 2005, S. 27–51.
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Staatslaufbahn sämtliche Türen verschlossen waren, weil er wegen seines überzeugten Katholizismus als unzuverlässig und staatsgefährlich galt. Etwa zwanzig Jahre jünger als der Episkopat, dreißig Jahre jünger als die Erzbischöfe, der Jugendbewegung, der Liturgischen Bewegung und der Reformtheologie Hermann Schells nahestehend, weitete dieser Ordensausschuss seine ursprüngliche Aufgabe der Erhaltung der Orden im Klostersturm rasch aus. Er wurde zum entscheidenden Motor für die Überzeugung, die Kirche müsse sich grundsätzlich gegen die Verletzung der Grundrechte auf Leben und Freiheit, Wahrheit, persönliche Ehre und Eigentum einsetzen. Immer mehr wurde der Ordensausschuss zu einer Instanz, die sich bemühte, die Deutsche Bischofskonferenz überhaupt zum Sprechen zu bringen und die rein defensive Haltung einer Verteidigung katholischer Positionen zu Gunsten einer menschenrechtlich gestützten Haltung aufzugeben: Und dies offensiv und vor allem öffentlich, nicht allein in der Bevölkerung unbekannt bleibenden Protestschreiben und Geheimverhandlungen. Dabei ging der Ordensausschuss angesichts der staatlichen Überwachung sehr schnell zu einer konspirativen Arbeits- und verdeckten Lebensweise über. Seine Mitglieder unterhielten konspirative Wohnungen, benutzten Decknamen und kaum dechiffrierbare Kürzel und waren praktisch ständig unterwegs, meistens nachts. Zunehmend nutzten sie Informationskanäle, die sie vor 1933 aufgebaut hatten, bis weit in Staats- und Parteistellen hinein; über Preysing entstanden bereits Anfang der 40er Jahre intensive Kontakte zu Helmuth James Graf von Moltke, zum Kreisauer Kreis und zu den Widerstandskreisen des 20. Juli 1944. Der verheiratete Laie Angermaier formulierte, „daß unsere Ungesichertheit und unser totales Wagnis unsere einzige, aber unerschütterliche Sicherung sind“. Es komme, so Angermaier, weder auf die eigene Person noch auf Institutionen an; es gehe nicht um die Kirche, „um Pfründen, um ein Amt, um einen Titel, um Versorgung, um unser Leben“. Es gehe allein um die „christliche Substanz“, weil die Christen „für den Letzten im Volk vor Gott verantwortlich“ seien – „für jede seiner vielfältigen Notlagen“. Es gehe gerade nicht um die Kirche, weil der Kirche als Institution ihre Unüberwindlichkeit biblisch zugesagt sei (Mt 16,18). Stattdessen gehe es der Pflicht und dem Gewissen allein um die „Verteidigung der allgemeinen menschlichen Rechte“43. Wenn man – mit Blick auf das Naturrecht und die Menschenrechte – über die rein defensive Verteidigung kirchlicher Rechtspositionen und Institutionen hinaus ging, um sich für die Menschenwürde aller Menschen zu engagieren, radikalisierte sich auch die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Regime. Dann musste man nicht nur seine Kirchenpolitik, sondern seine politische Legitimität insgesamt in Zweifel ziehen. Wenn der totalitäre 43
LEUGERS, Mauer (wie Anm. 41), S. 193.
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Staat nichts so sehr fürchtete wie eine Beunruhigung der Bevölkerung – gerade im Krieg –, dann wurde die gezielte Drohung mit kirchlichen Kundgebungen in aller Öffentlichkeit zur schärfsten Waffe, die den Katholiken noch blieb. Das Risiko der Verschärfung des Kirchenkampfes wurde nicht übersehen. Aber hier war, wie schon bei Preysing, die Option des Ordensausschusses eindeutig: um der Wahrhaftigkeit des christlichen Lebens willen müsse sie „in Gottes Namen ertragen werden“44. Gegen die diplomatische Eingabenpolitik nach dem Harmoniemodell von Staat und Kirche schrieb der Ordensausschuss Hirtenbriefentwürfe, denen es um die Verteidigung der allgemeinen Menschenrechte, des Naturrechts, und die öffentliche Massenmobilisierung des katholischen Milieus durch Bestreitung der Legitimität des NS-Staates ging. Wie anders hier erstmals geredet wurde, zeigt schon ein Entwurf von 1941: „Tausende von Männern und Frauen schmachten in den Sammellagern der Geheimen Staatspolizei, ohne jemals vor einem unabhängigen Gerichte einer Schuld überführt zu sein. Wir Bischöfe verwahren uns [...], weil dieses Los, bloß auf feige Angeberei hin [...] auch jeden von Euch treffen kann. [...] Wir tun es, weil diese Vergewaltigung der persönlichen Freiheit der Würde des Menschen als Ebenbild Gottes widerspricht. [...] Ebenso wie in Deutschland jeder ohne Schuld und ohne Richter seiner Freiheit beraubt werden kann, so kann er auch ohne Schuld und ohne Richter Gesundheit und Leben verlieren. Niemand kann die Gewaltmaßnahmen der Geheimen Staatspolizei überprüfen und niemand hindert sie, nach Belieben über Tod und Leben zu verfügen“. –
Aus der Schlusssequenz: „Ein Volk, das mitten im äußeren Krieg in den Kampf um seine geistigen und sittlichen Werte gerissen wird, lässt sich auf die Dauer weder hinhalten noch einschüchtern“45. Die deutsche Bischofskonferenz unter Bertram hatte größte Schwierigkeiten, ja scheiterte in der Mehrheit ihrer Mitglieder an der Erwartung, diese neue Sprache öffentlich zu sprechen. Erst 1943 war auf der letzten Bischofskonferenz, die während der NS-Zeit überhaupt tagte, der sogenannte Dekalog-Hirtenbrief über die zehn Gebote durchsetzbar, der erstmals und mitten im Krieg das NS-Unrecht nicht nur gegen die Kirchen, sondern auch gegen die Menschenrechte klar benannten: „Tötung ist in sich schlecht, auch wenn sie angeblich im Interesse des Gemeinwohls verübt würde: An schuld- und wehrlosen Geistesschwachen und –kranken, an unheilbar Siechen und tödlich Verletzten, an erblich belasteten und lebensuntüchtigen Neugeborenen, an unschuldigen Geiseln und entwaffneten Kriegs- oder Strafgefangenen, an Menschen fremder Rassen und Abstammung“. 44 45
Ebd. Akten Kardinal Michael von Faulhabers, hrsg. von Ludwig Volk, Bd. II: 1935–1945, Mainz 1978, Nr. 845a, S. 827–835.
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Weil die Zehn Gebote auf Gottes höchster Herrschaft beruhten, begründeten sie eine „jeder menschlichen Willkür entrückte Rechtsordnung [...], eine Rechtsordnung, die ihre schützende Hand über die unverlierbaren Menschenrechte breitet und sie dem Zugriff jeder menschlichen Macht entzieht“46. Wenige Sätze innerhalb eines langen Dokumentes, aber immerhin. Dass sie möglich wurden, geht nach den mit kriminalistischer Akribie recherchierten Ergebnissen der Studien von Antonia Leugers zur Gänze auf den Ordensausschuss zurück: „Der Dekalog-Hirtenbrief 1943 ist die erste und letzte gemeinsame Verlautbarung des Episkopats, in der sich die Bischöfe explizit zu Anwälten der Menschenrechte machten [...]. Damit wurde die kirchengeschichtliche Umbruchphase erkennbar, in der die Menschenrechte schließlich zwanzig Jahre später, in der Enzyklika Johannes XXIII. Pacem in terris, vom kirchlichen Lehramt anerkannt und aus christlichen Prinzipien begründet wurden. [...] Der Ordensausschuss traf mit seinen Appellen nach öffentlichkeitswirksamen Protesten gegen Menschenrechtsverletzungen auf ein Bischofsgremium, das dadurch zu einer Diskussion seines eigentlichen Auftrags in Konfrontation mit einem Gewaltregime gezwungen wurde. Die wenigen späten Äußerungen von 1942 und 1943 mussten gegen zähen Widerstand innerhalb der Konferenz ertrotzt werden“47.
Durch diese Forschungsarbeit zum Ordensausschuss ist mittlerweile bekannt, dass die berühmten Galen-Predigten ebenfalls auf der Initiative seiner Mitglieder und ihrer den Episkopat vorandrängenden Geheimdiplomatie beruhten. Wilhelm Damberg kommentiert: „Galens kirchenhistorische Bedeutung [...] beruht sicherlich darauf, daß er, obgleich alles andere als ein theoretischer Denker, doch in seiner Verkündigung in einzigartiger Weise zum Ausdruck brachte, daß der ganze Konflikt eben nicht mehr dem Muster des 19. Jahrhunderts entsprach, sondern von der Kirche forderte, über die Grenzen der Konfession und ihrer staatlichen Rechtspositionen hinaus die Verteidigung von diesen vorgelagerten Ordnungen, speziell der Menschenrechte, in die Hand zu nehmen. In seiner Person wird ein kollektiver Lernprozess greifbar, der auch im Umfeld der Bischofskonferenz zu beobachten ist, freilich noch stärkeren Bedenken begegnete und so nur abgeschwächt und verspätet zum Zuge kam“48.
Das Stichwort Europa fällt hier nicht. Aber dass hier eine Auseinandersetzung geführt wurde, die für die europäische Integration nach dem Krieg Maß und Ton angab, das dürfte doch deutlich sein.
46
Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933–1945, hrsg. von Ludwig Volk, Bd. IV, Mainz 1981, Nr. 872/II, S. 200 f. 47 LEUGERS, Mauer (wie Anm. 41), S. 346 f. 48 Wilhelm DAMBERG, Moderne und Milieu (1802–1998), Münster 1998, S. 305.
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4. Von ‚Naturrecht‘ und ‚Abendland‘ zu ‚Menschenrechte‘ und ‚Europa‘: Kriegs- und Diktaturerfahrung und das integrative Denken im deutschen Nachkriegskatholizismus Diese Kontroversen um den gesellschaftlichen Bezugsrahmen des Christlichen zwischen Nationsloyalität und wachsendem Europa-Bewusstsein prägten die Nachkriegsjahre und die frühe Bundesrepublik. Ohne dass hier darauf noch im Einzelnen einzugehen wäre, waren die deutschen Debatten um die Kollektivschuld-These, die Entnazifizierung und die Stuttgarter Schulderklärung bis hin zum Versöhnungshirtenbrief der deutschen und polnischen Bischöfe von solchen Problemkonstellationen mit geprägt. Das alles zeigt, in welchem Maß Europa als uns selbstverständlicher Identitätsraum eine mühsam und von den Rändern religiöser Identitäten her entworfene Wiederentdeckung gewesen ist, geboren aus Kriegs- und Diktaturerfahrung49. Die komplizierten Diskussionswege verliefen auf europäischer Ebene aufgrund der unterschiedlichen Geschichtserfahrung des 20. Jahrhunderts, ihrer Deutung und der daraus abgeleiteten Normierung kanonischer Geschichtsbilder und Traditionsstränge50 in unterschiedlichen gesellschaftlichen und konfessionellen Gruppen auch keineswegs parallel. Auch wenn es der Zusammenschluss der europäischen Bischöfe war, welcher für die präambelfähige Erwähnung der Kulturbedeutung des Christentums für die europäische Wertewelt eintrat, war die Art, in der Ideen und Ideale der Überwindung des Nationalen und der Europa-Idee, Menschenrechtskataloge, Staatsrecht, Naturrecht und demokratische Freiheiten als christlich begründbare Begrenzungen totalitärer Staatlichkeit kombiniert wurden, im Grunde typisch deutsch. Und sie waren, nimmt man Mehrheitsbefindlichkeiten der deutschen Katholiken im 19. und frühen 20. Jahrhundert als Maßstab, in dieser Zusammenführung, verbunden mit der Abstreifung älterer Traditionen, konsequent nachkriegsdeutsch; die Prägungen durch das Zweite Vatikanische Konzil und seine Rezeption wären ein eigenes Thema. Diese ideenpolitischen Vorgänge helfen möglicherweise zu klären, warum vor allem die deutschen Bischöfe und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland großen Wert darauf legten, dass sich die Europäische Union zu ihren religiösen Wurzeln bekennen und einen Gottesbezug aufnehmen sollte. Sie beriefen sich dabei auf den mittlerweile geradezu klassisch gewordenen Satz des Staatsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde, demzufolge Staaten auf eine geistig-moralische Wertbasis angewiesen seien, die sie nicht selbst hervorbringen könnten, die ihnen vielmehr durch das 49
Vgl. Andreas HOLZEM, Erfahrungsstreit und Erinnerungsrecht: Katholiken und Protestanten deuten Krieg und Diktatur in spannungsreicher Unterschiedlichkeit, in: Kriegs- und Diktaturerfahrung (wie Anm. 42), S. 11–26. 50 Vgl. Manfred FUHRMANN, Europas kulturelle Identität. Geschichtliche Befunde, in: Ideen für Europa (wie Anm. 2), S. 25–40.
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gesellschaftliche und kulturelle Umfeld, zu dem insbesondere auch die Kirchen und Religionsgemeinschaften gehörten, zuwachsen müsse: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er nicht selbst garantieren kann“51. Die großen Kirchen in Deutschland verstanden und verstehen den Gottesbezug in der Präambel – meines Erachtens völlig zu Recht – als einen expliziten Reflex auf die Diktaturerfahrungen des 20. Jahrhunderts, in dem das Eingeständnis der Begrenztheit staatlicher Macht, verbunden mit der Absage an jede Verabsolutierung politischer Ordnungen zum Ausdruck gebracht werden solle, aber in der Denkwelt des deutschen Katholizismus war diese integrative Ausformulierung älterer Bewusstseins- und Mentalitätsstränge eben erst nach 1945 möglich geworden. Der damalige Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, formulierte am 13. November 2003 in einer Mainzer Ansprache: „Mit der Nennung Gottes ist eine Grenze für das politische Handeln angegeben auch dem noch so souveränen menschlichen Tun sind Schranken gesetzt, die sich am Ende nicht nur innerweltlich begründen, sondern eine transzendente Instanz bilden, die dem Menschen ein Richtmaß für sein Handeln darstellt. Dies gilt nicht zuletzt auch im Blick auf die Freiheit des Menschen, die immer auch Rücksicht auf den Nächsten und vor allem den Schwachen voraussetzt: Solidarität. Dem Staat ist jede Verabsolutierung untersagt“52.
Die mit der europäischen Rechtsordnung identifizierten vorstaatlichen Menschenrechte wurden historisch in Kraft gesetzt durch eine Revolution, welche in ihrem Verlauf das Christentum zunächst in die revolutionäre Nation einzubinden versuchte, dann aber als reaktionäre Kraft zum Feind erklärte und in gewaltsamen Dechristianisierungswellen zu überwinden trachtete. Mindestens von der katholischen Kirche wurden daher die revolutionären Menschenrechtserklärungen lange Zeit zutiefst abgelehnt und mit der Revolution verurteilt; bei Lehmann jedoch werden sie nun systematisch mit transzendenten 51
Ernst-Wolfgang BÖCKENFÖRDE, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien, Festschrift Ernst Forsthoff, Stuttgart [u. a.] 1967, 75–94. ND in: DERS., Kirche und christlicher Glaube in den Herausforderungen der Zeit. Beiträge zur politisch-theologischen Verfassungsgeschichte 1957–2002, 2., erw. Aufl., fortgeführt bis 2006, Berlin 2007, S. 212–230, hier S. 229. Zur breiten Diskussion dieses Ansatzes, die hier nicht annähernd gespiegelt werden kann, v. a. in Auseinandersetzung mit der Rechtstheorie von Jürgen Habermas, welche die Konstitutionsverfahren der modernen Verfassung ausschließlich aus dem demokratisch geordneten Prozess der Gesetzgebung und ausschließlich aus der Legitimität der vernünftigen Form diskursiv begründen will, positiv verrechtlicht ohne normative, vordiskursive Reste vgl. Matthias LUTZ-BACHMANN, Demokratie, Religion und öffentliche Vernunft, in: Jahres- und Tagungsbericht der Görres-Gesellschaft 2006, Bonn 2006, S. 31–52, (mit ausführlicher Lit.). 52 Karl Kardinal LEHMANN, Gott in der Europäischen Verfassung? Kurz-Ansprache anlässlich des St. Martin-Jahresempfangs des Katholischen Büros Mainz am 13. November 2003 in Mainz; http://www.bistummainz.de/bm/dcms/sites/bistum/bistum/kardinal/ansprachen (Abruf am 11. Juli 2006).
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Letztbezügen des politischen Raumes in Beziehung gebracht. Darin wird ein ungeheurer Umbruch greifbar: Der deutsche Katholizismus vor 1945 – und die verschiedenen Katholizismen in den westlichen Ländern ebenso – dachten und agierten in nationalen, wenn auch kaum nationalistischen Bahnen; regionale Orientierungen und personale Loyalitäten traten dem an die Seite. ‚Europa‘ und das ‚Abendland‘ waren in einem im Grunde spätromantischen Konzept in Geschichtsbildern vom Mittelalter fundiert und daher latent antireformatorisch und antiaufklärerisch, antiliberal und antibürgerlich getönt. Nur der Papst und das westliche Christentum vor der Kirchenspaltung galten nach 1848 den meisten vom Ultramontanismus geformten Katholiken als europäisch, und daher gerade nicht die mit der liberalen Bürgerwelt der Moderne identifizierten Menschenrechte. Der deutsche Katholizismus gehörte nach einer Typologie Urs Altermatts53 zu den sich segregierend gegen die neuen Staatlichkeiten wendenden Konfessionsgruppen Europas, ähnlich wie in der Schweiz und den Niederlanden, anders als in Irland und Polen. Nicht so sehr die Nation selbst als vielmehr der vorstaatliche Rechte der Kirche nicht respektierende, selbstreferenziell-ideologische Staat, die „Überhöhung des Staates zur sittlichen Macht“ und die als Elitenegoismus verdächtigte liberale Vertragstheorie schürten das Ressentiment. Eine nationale Integrationsoffenheit entwickelte sich erst spät und in ausgewählten sozialen Gruppen – zum Beispiel den von Dowe und Fuchs untersuchten Akademikern. Dem allgemein geteilten Ressentiment gegen Frankreich standen jedoch die großdeutsch-föderalistischen Denkformen hemmend gegenüber54. Alles das war und blieb ein Binnendiskurs ohne gesamtwestlich-europäischen Fokus: Die sich revolutionär umformenden oder im Verlaufe des 19. Jahrhunderts neu entstehenden Nationalstaaten, insbesondere Frankreich, das deutsche Kaiserreich und Italien, konnten von der Wertewelt dieser modernen Staatlichkeit her gerade nicht als europäisch wahrgenommen werden, weder von ultramontanen Staatsskeptikern noch von assimilierungsbereiten Kulturbürgern55 – und nahmen sich im Übrigen ja auch selbst nicht so wahr. Dennoch schlugen die Naturrechts-Traditionen in der katholischen systematischen Theologie und die gegen den Nationalismus laizistischer oder protestantischer Prägung gerichteten Abendland-Visionen des katholischen Geschichtsbildes kaum zu 53 Vgl. Urs ALTERMATT, Religion und Nation. Die Rolle der Religion bei der Nationalstaatenbildung Europas im 19. und 20. Jahrhundert, in: Religion und Politik, hrsg. von Dieter Ruloff, Chur/Zürich 2001, S. 27–52. 54 Vgl. Siegfried WEICHLEIN, Nationsbilder und Staatskritik im deutschen Katholizismus des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Religion und Nation (wie Anm. 13), S. 137–151; das Zitat S. 145. 55 Vgl. dazu z. B. Thomas MERGEL, Zwischen Klasse und Konfession. Katholisches Bürgertum im Rheinland 1794–1914, Göttingen 1994, sowie die Arbeiten zu den sozialen und bildungsgeschichtlichen Grundlagen des Modernismus, jüngst als Überblick Claus ARNOLD, Kleine Geschichte des Modernismus, Freiburg/Br. [u. a.] 2007 (dort die ältere Lit.).
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überschätzende Schneisen der späteren Verständigung. Erst der katastrophische Erfahrungsraum der nationalen Kriege und Diktaturen, insbesondere in Deutschland, war Voraussetzung einer gedanklichen Integrationen, welche den christlichen Wertehorizont überkonfessionell zusammendachte mit menschenrechtlich fundierten freiheitlichen politischen Ordnungen und weltanschaulicher Pluralität. Welche Herausforderung die realistische Zukunftserwartung eines multireligiösen Europa darstellt, davon gibt die derzeitige Debatte um Integration und Assimilation – auch in der Schärfe ihrer Tonlage und in ihrer Verflechtung mit geostrategischen Problemen – eine klare Vorstellung. Erst wenn auch die Christen die europäische Wertewelt noch stärker als Amalgam begriffen, in welches auch jüdische und arabisch-muslimische Traditionsstränge eingearbeitet wurden56, könnte das Friedens- und Kulturpotential der abrahamitischen Religionen, zusammen mit der griechisch-römischen Welt wie der Aufklärung und dem laizistischen Humanismus, konsensstiftend präambelfähig werden, die Neuauflage einer echten EU-Verfassung – einstweilen gescheitert – vorausgesetzt. Erst dann wäre das Positive, die Einsichten schwerer Konflikte und Krisen nicht verschweigend, sondern überbrückend Bündelnde der Religions- wie Säkularisierungsgeschichte Europas eingefangen.
Summary At the beginning of the 21st century Europe experienced a vigorous debate concerning two questions: What is the role of Christianity in the cultural history of the western world, and what is its role in the development of the idea of Europe? This paper describes the attitude German Catholics took up to their own nation and to Europe between the 1870s and the 1950s. France has been perceived as (national) concept of an enemy by German Catholics between the German-French War of 1870/71 and the end of World War I. Whereas ‚national character‘ and confessional difference, both, have been used by Protestants to give reason for the difference between the socalled German „Kultur“ and the so-called French „civilisation“, Catholics 56
Vgl. Arnold ANGENENDT, Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert, Münster 22007, S. 372–411; vgl. v. a. die Überlegungen zur religiösen Kultur der drei Monotheismen (ebd., S. 409 ff.), während die deutschen Kirchenvertreter, hier Kardinal Lehmann für die katholische Kirche und Bischof Huber für die EKD, in ihren Presseerklärungen davon ausgingen, „angesichts der Prägekraft des Christentums für Europa könne mit dem Hinweis auf die religiöse Überlieferung nur das christliche Erbe Europas gemeint sein“; vgl. Presseerklärung der DBK und der EKD vom 19. Juni 2004, www.ekd.de /aktuell_presse/news_2004_06_19_1_huber_lehmann_eu_vertrag.html (Abruf am 11. Juli 2006).
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had to argue much more circumspective in this regard. The Catholic bourgeoisie did not coopt with extrem nationalism nor integrate extreme nationalist paroles and ideologies in their world view until 1914, but sought to combine patriotism and regional identities with the association to an international community: the Catholic Church. Admittedly, these concepts offered no perspective for an affirmative European identity as they grew out of German home-grown debates over culture and religion. Only in examination of the Nazi ideology an idea of „Europe“ or a socalled European „Abendland“ was given birth within German Catholicism. Catholic publicists in opposition to fascism applied their ideas to the utopia of an „Abendland“ united in Christendom and Christian values. Though, the main weakness of this theory was, that the integration of the reformation, the enlightenment and the developments of the modern society remained impractical in this way of thinking and the mentality of a Catholic renewal. Only when Catholic members of the anti-Nazi resistance focused on human rights a real breakthrough of European thinking became possible. This can be seen as a starting point for ethical consensus and understanding at the level of European political concepts after 1945.
Protestantische Stellungnahmen zu Europa und zur europäischen Integration. Eine Problemanzeige Von
Irene Dingel Europa und die europäische Integration sind in den letzten Jahren – auch im Zuge der Osterweiterung der Europäischen Union – mehr denn je in das Bewusstsein der Menschen gerückt. Das fünfzigjährige Jubiläum der „Römischen Verträge“, das am 25. März 2007 in Berlin mit verschiedenen Aktivitäten gefeiert wurde, hat das Seine dazu beigetragen. Die Ausgestaltung der EU unter vertraglichem oder verfassungsmäßigem Aspekt sowie die Fragen danach, von welchen Normen und Werten das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenleben gestaltet sein soll, sind mittlerweile „Dauerbrenner“ in den mit wechselnder Intensität ausgetragenen Diskussionen geworden. Es dominiert dabei – berechtigterweise – der Zukunftsaspekt, und auch verschiedene neue Forschungsprojekte zielen auf die gegenwärtigen und zukünftigen Dimensionen des geeinten Europa. So gut wie gar nicht ist dagegen jene historische Perspektive beachtet worden, die danach fragt, welche Diskussionen den Beginn der europäischen Integration begleitet haben und vor allem welche Rolle die christlichen Kirchen darin gespielt haben, deren Jahrhunderte alter prägender Einfluss auf das mittelalterliche Europa und das Entstehen des neuzeitlichen Europa unbestritten ist. Dieser Beitrag versteht sich als eine Spurensuche, die den Protestantismus in den Blick nimmt und nach seinen Stellungnahmen zu und Impulsen auf die beginnende europäische Integration fragt. Dass dies an dieser Stelle nicht in umfassendem Sinn erfolgen kann, versteht sich von selbst, zumal allein schon die Erschließung der Quellen und deren Zuordnung zu offiziellen kirchlichen Stellen, Gruppierungen innerhalb der evangelischen Konfessionskirchen in Europa oder zu herausragenden, meinungsbildenden Entscheidungsträgern der Gesellschaft oder Wissenschaft sowie deren qualitative Gewichtung eine Forschungsaufgabe in sich darstellt. Hier ist also ein Forschungsdesiderat angesprochen, dem dieser Beitrag vorarbeiten und Anfangsimpulse verleihen will.
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Jahrbuch für Europäische Geschichte 9 (2008) I. Auf der Suche nach frühen Stellungnahmen des deutschsprachigen Protestantismus zu Europa – eine Problemanzeige
Im Jahre 1977 erschien ein kleiner Sammelband unter dem Titel „Christen und Europa. Der Beitrag der christlichen Kirchen zur europäischen Integration“1. Hier äußerte Herbert Scheffler, damals Ministerialrat (CDU) und Direktor der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz2, in seinem Vorwort: „Kaum ein Thema von aktueller Bedeutung, das nicht Gegenstand von Denkschriften, Beschlüssen, Aussagen von kirchlichen Organen und Würdenträgern war: Wiederbewaffnung, Entwicklungshilfe, Ostpolitik, Kriegsdienstverweigerung, Atomwaffen, Gastarbeiter – schier endlos ist die Reihe der Themen; aber die europäische Einigung findet sich nicht darunter. Es wäre reizvoll, den Gründen nachzuspüren, die es offensichtlich so schwer gemacht haben, Europa als ein wichtiges Thema in den Dialog innerhalb und zwischen den Kirchen einzuführen und andererseits den notwendigen und erwünschten Beitrag der christlichen Kirchen in den europäischen Einigungsprozess einfließen zu lassen. [...] Europa schien möglicherweise zu eindeutig, zu wenig umstritten, zu wenig ‚frag-würdig‘ im christlichen Sinne zu sein, als dass es die Aufmerksamkeit der Kirchen verdient oder benötigt hätte“3.
Tatsächlich scheint eine breitere Diskussion der europäischen Einigung und der damit verbundenen Themen und Aufgaben innerhalb des deutschen Protestantismus zunächst ausgeblieben zu sein4. Bereits Anfang der fünfziger Jahre wurde – durchaus auch öffentlich – der Wunsch laut, die protestantischen Kirchen möchten doch Position beziehen. Aber immerhin fanden im Juni 1951 gleich drei kirchliche Tagungen statt, die sich mit der Frage „Europa“ beschäftigten. Es wäre zu prüfen, welche weiteren Aktivitäten sich in den folgenden Jahren anschlossen, ob und wie die auf Tagungen oder in Kommissionen geäußerten Stellungnahmen von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) oder ihren Gliedkirchen bzw. von kirchlichen Kommissionen aufgegriffen und in die Europa-Diskussion eingebracht wurden. Schenkt man der Äußerung Schefflers Glauben, müssen sich die Wirkungen dieser Impulse in Grenzen gehalten haben. Zu den europabezogenen Veranstaltungen des Jahres 1951 jedenfalls gehörte – neben einer Tagung des 1
Christen und Europa. Der Beitrag der christlichen Kirchen zur europäischen Integration, Andernach am Rhein 1977. 2 Scheffler war außerdem stellvertretender Stiftungsvorstand des Europa-Hauses Marienberg und versah die Vizepräsidentschaft bei der „Internationalen Assoziation deutschsprachiger Medien“, vgl. die Auskünfte über die Autoren in: Christen und Europa (Anm. 1), S. 99. 3 Christen und Europa (Anm. 1), S. 8 f. 4 So äußerte sich auch Harald UHL, Der deutsche Protestantismus und die europäische Einigung, in: Christen und Europa (Anm. 1), S. 73.
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deutsch-französischen Bruderrats in Bièvres bei Paris und einem Kolloquium der Kurhessischen Evangelischen Akademie in Guntershausen5 – auch eine Konferenz der Evangelischen Forschungsakademie Christophorusstift Hemer zusammen mit der Ökumenischen Zentrale Frankfurt/M. in Königswinter6. Den Anstoß dazu hatte der Generalsekretär des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK), Willem Adolf Visser ’t Hooft7, gegeben. Hinzu kam die Gründung der „Ökumenischen Kommission für Europäische Zusammenarbeit“ durch die Studienabteilung des ÖRK, welche eine Denkschrift unter dem Titel Europäische Entscheidungsfragen herausgegeben hatte. Der Theologe Friedrich Karl Schumann, Professor für Systematische Theologie und damaliger Direktor der Evangelischen Forschungsakademie Christophorusstift8, aus der wenig später (1958) die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) hervorging9, appellierte deshalb in seiner Begrüßung der 1951 zu der Tagung nach Königswinter eingeladenen Experten an die Kirchen der EKD, sie seien nun aufgerufen, auf diese Entscheidungsfragen Antwort zu geben10. Im übrigen formulierte er klar das Problem fehlender evangelischer Positionierung, und zwar 1951 kaum anders als dies noch 26 5
Beide Veranstaltungen wären unter dem Aspekt ihrer Stellungnahmen und Äußerungen zu Europa genauer zu untersuchen. Reiches Aktenmaterial zum deutsch-französischen Bruderrat befindet sich im Zentralarchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz in Speyer am Rhein. 6 Aus dem Treffen in Königswinter ging der Sammelband: Europa in evangelischer Sicht, hrsg. von Friedrich Karl Schumann, Stuttgart 1953, hervor. 7 Über ihn vgl. Karl-Heinz FIX, Art. Visser ’t Hooft, Willem Adolf, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl. (= RGG4) 8 (2005), Sp. 1138, und Klauspeter BLASER, Willem A. Visser ’t Hooft, in: Gestalten der Kirchengeschichte, hrsg. von Martin Greschat, Bd. 10/2, Stuttgart [u. a.] 1986, S. 244–256 8 Schumann wurde am 15.6.1886 in Meßkirch in Baden geboren. Im Jahre 1909 wurde er Stadtvikar in Mannheim, bevor er 1913 als Pfarrer nach Triberg im Schwarzwald ging. Im selben Jahr (1913) erwarb er auch den Dr. phil. 1923 promovierte er in evangelischer Theologie, wurde im Jahr darauf Privatdozent für Systematische Theologie und 1928 außerordentlicher Professor an der Universität Tübingen. Schon im Jahr darauf führte ihn ein Ruf auf eine Ordentliche Professur nach Gießen. Ebenfalls im Jahre 1929 erhielt er den Ehrendoktorgrad von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Basel. 1932 wechselte er nach Halle, 1935 wurde er Ehrendoktor der Universität Debrecen. Seit 1948 leitete er die Evangelische Forschungsakademie in Hemer. Die Universität Münster machte ihn 1951 zu ihrem Honorarprofessor. Schumann starb am 21.5.1960 in Münster. Vgl. RGG³, Registerband, Sp. 224 f. 9 Die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) hat ihren Sitz in Heidelberg. Hier arbeiten Wissenschaftler verschiedener Disziplinen zusammen. Zu ihren Aufgaben gehört es u. a., evangelische Institutionen und Einrichtungen wie den Rat der EKD, seine Kammern und Ausschüsse, die Evangelischen Akademien, den Kirchentag usw. zu beraten. 10 So Schumann in seiner Begrüßung gemäß dem von Hans Dombois verfassten Bericht, in: Europa in Evangelischer Sicht (Anm. 5), S. 156. Schumann betonte im übrigen, dass es sich um eine reine Studientagung handele, die weder kirchliche noch staatliche Stellen einbinde, sondern zunächst einmal mit sachverständigen Persönlichkeiten beraten wolle. Vgl. ebd.
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Jahre später Herbert Scheffler tat: In Deutschland habe die Evangelische Kirche bisher „– wohl nicht absichtlich aber tatsächlich – ihre Mitarbeit am Europaproblem versagt“. Dagegen habe die katholische Kirche ihrem Selbstverständnis gemäß „den Gedanken der europäischen Einigung im Sinn der Erneuerung abendländischer Tradition aktiv vertreten“. Auf evangelischer Seite sei deshalb die Frage zu beantworten, „1. ob es überhaupt eine evangelische Stellungnahme gibt, 2. welcher Art diese Stellungnahme ist“. Die „bloße Ablehnung einer katholischen Sicht als solcher“ – diese zielte bekanntlich auf die Erneuerung des christlichen Abendlands – ohne Begründung und Alternative reiche ebenso wenig aus wie der Rückzug auf die Begründung, bei Europa handele es sich um ein rein politisches oder wirtschaftliches Problem, zu dem die evangelische Kirche ohnehin nicht kompetent Stellung nehmen könne11. Diese Äußerungen Schumanns sind erhellend und deuten bereits an, dass die Zurückhaltung der evangelischen Kirchen im Blick auf Stellungnahmen zu Europa offensichtlich auch damit zu tun hat, dass man die von katholischer Seite propagierte Idee des „christlichen Abendlandes“ nicht mittragen wollte und konnte, zumal man im Protestantismus – vorbereitet im 16. Jahrhundert12 – das Bestreben eines ökumenischen Dialogs mit den Orthodoxen Kirchen nie aufgegeben hatte13. Dieser konfessionell differente Zugang zu Europa war aber nicht Thema der genannten Tagungen des Jahres 1951. Sie hatten vielmehr alle die gleiche Frage vor Augen, die Hans Dombois, damals hauptamtliches Mitglied der Evangelischen Forschungsakademie Christophorusstift in Hemer, theologisch gebildeter Jurist und Kirchenrechtler14, wie 11 12
Vgl. Europa in Evangelischer Sicht (Anm. 5), S. 155. Hier auch die Zitate. In den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts hatten die Tübinger Theologen Stephan Gerlach und Salomon Schweicker eine Reise zu dem griechisch-orthodoxen Patriarchen Jeremias nach Konstantinopel unternommen, um einer bekenntnismäßigen Verständigung auf dem Boden der Confessio Augustana den Weg zu ebnen und ihn für die Anerkennung des Augsburger Bekenntnisses zu gewinnen. Dem war eine reiche Korrespondenz voraufgegangen. Vgl. dazu die kurze Notiz bei Irene DINGEL, Concordia controversa. Die öffentlichen Diskussionen um das lutherische Konkordienwerk am Ende des 16. Jahrhunderts, Gütersloh 1996, S. 579; ausführlicher Dorothea WENDEBOURG, Reformation und Orthodoxie. Der ökumenische Briefwechsel zwischen der Leitung der württembergischen Kirche und Patriarch Jeremias II. von Konstantinopel in den Jahren 1573–1581, Göttingen 1986, S. 31–151. Eine Edition des Briefwechsels liegt vor unter dem Titel: Wort und Mysterium. Der Briefwechsel über Glauben und Kirche 1573 bis 1581 zwischen den Tübinger Theologen und dem Patriarchen von Konstantinopel, hrsg. von Außenamt der EKD, Witten 1958. 13 Im Jahre 1959 begannen die Gespräche zwischen der EKD und dem Moskauer Patriarchat. Dies wurde zum Anstoß für die Gespräche zwischen der Evangelisch-Lutherischen Kirche Finnlands und der Russisch-Orthodoxen Kirche seit 1970. Vgl. Risto SAARINEN, 25 Jahre theologische Gespräche zwischen Evangelisch-Lutherischer Kirche Finnlands und Moskauer Patriarchat, http://www.helsinki.fi/~risaarin/finnruss70-94.rtf, benutzt am 18.10. 2006. 14 Hans Dombois wurde am 15.10.1907 in Berlin geboren. Als Staatsanwalt war er von 1937–51 in Potsdam, Frankfurt a. M. und Fulda tätig, unterbrochen durch Kriegsteilnahme
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folgt formulierte: hat „die Evangelische Kirche als solche ein Recht, aber damit auch eine Pflicht […], sich für den Gedanken – der im Werden befindlichen – europäischen Einheit einzusetzen“15? Dabei ging es um die Erarbeitung einer Orientierung und Positionierung im Sinn von Studienarbeit, nicht mit dem Ziel, eine kirchliche Kundgebung zu veranstalten16. Die Tagungen brachten namhafte Experten und deren unterschiedliche Haltungen zusammen, wie den sich zu Europa bekennenden Straßburger Theologen und Religionsphilosophen Pierre Burgelin17 oder den europakritischen jungen französischen Arbeiterpfarrer Jean Bosc aus Meaux18, außerdem bekannte deutsche Theologen, wie z. B. den Europabefürworter Hans Asmussen19, aber auch den Europagegner Martin Niemöller20. Während Asmussen vor dem Hintergrund der nach dem Ende des Nationalsozialismus wenige Jahre zuvor diskutierten Schuldfrage der Kirche mit Vehemenz für die verpflichtende, theologische Aufgabe der Kirchen im Sinn christlicher Weltverantwortung in und
und Gefangenschaft. 1950 erwarb er den juristischen Doktorgrad. Seit 1952 war er Mitglied der Evangelischen Forschungsakademie Christophorusstift Hemer, seit 1958 der FEST. Am 24.6.1997 starb Dombois in Porta Westfalica. Vgl. dazu die biographischen Auskünfte in: RGG³ Registerbd., Sp. 48 und Johann-Friedrich MOES, Hans Dombois †, in: Quatember 1997, 231 f. 15 Vgl. Hans DOMBOIS, Christenheit, Europa, Welt, in: Europa in evangelischer Sicht (Anm. 5), S. 124. 16 So Schumann, vgl. den Bericht von Dombois, in: Europa in evangelischer Sicht (Anm. 5), S. 155. 17 Pierre Burgelin wurde am 14.3.1905 in Nantes geboren. Bis 1949 war er Gymnasialprofessor in Strasbourg, Thionville, Metz, Beauvais und Paris, wo er zugleich Philosophie an der Faculté libre de Théologie protestante unterrichtete. Seit 1949 bekleidete er den Lehrstuhl für Religionsphilosophie an der Faculté de Théologie Protestante der Universität Strasbourg. Dort erwarb er im Jahre 1950 den philosophischen Doktorgrad und 1957 den theologischen. Im Jahre 1962 verlieh ihm die Universität Genf den Dr. theol. honoris causa. Eine Zeitlang war er Vizepräsident des Conseil National de l’Eglise réformée de France und Vertreter seiner Kirche auf den Vollversammlungen des Ökumenischen Rats der Kirchen (1954 Evanston, USA; 1961 Neu-Delhi) und des Reformierten Weltbundes (1954). Burgelin starb am 12.10.1985 in Paris. Vgl. RGG³ Registerbd., Sp. 35 f und Roger MEHL, In Memoriam Pierre Burgelin, in: Revue d’Histoire et de Philosophie Religieuses 65 (1985), S. 377–379. 18 Jean Bosc wurde am 31.10.1910 in Lille geboren. Eine Zeitlang hatte er bei Karl Barth in Bonn studiert. 1935 wurde er Generalsekretär der Französischen Christlichen Studentenvereinigungen, 1941 des Jugendverbandes der Reformierten Kirche in Frankreich. Von 1944–1954 war er Pfarrer in Maux. Er erwarb den theologischen und den philosophischen Doktorgrad und wurde im Jahre 1952 Professor für Dogmatik an der Faculté libre de Théologie Protestante in Paris. Bosc starb im Jahre 1969. Vgl. RGG³ Registerbd., Sp. 30, außerdem Pierre BURGELIN, In Memoriam Jean Bosc, in: Revue d’Histoire et de Philosophie Religieuses 49 (1969), S. 395 f. 19 Vgl. zu Asmussens Leben und Werk Herbert GOLTZEN [u. a,], Art. Asmussen, Hans, in: Theologische Realenzyklopädie (= TRE) 4 (1979), S. 259–265. 20 Vgl. zu Leben und Werk Niemöllers, Carsten NICOLAISEN, Art. Niemöller, Martin, in: TRE 24 (1994), S. 502–506.
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für Europa plädierte21, sprach sich Niemöller wegen seiner strikten Ablehnung der Remilitarisierung Deutschlands dezidiert gegen die europäische Integration aus22. Er argwöhnte sogar – so jedenfalls stellte Roger Mehl23 es in seiner Bestandsaufnahme rückblickend dar –, der Europagedanke „sei vom Vatikan gezeugt und von einer amerikanischen Ideologie, die selber mit der Idee der Christenheit gleichzusetzen ist, unterstützt worden“24. Man kann also – wenn man diese im einzelnen noch genauer zu untersuchenden Konferenzen und zeitgenössische Veröffentlichungen als exemplarisch heranzieht – von einer großen Variationsbreite in den Stellungnahmen von protestantischer Seite ausgehen, die aber schließlich und endlich – wie Hans Dombois resümierte – in Europa „die fast einhellige Bejahung einer echten Gegebenheit und Aufgabe“ sahen25.
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Vgl. Hans ASMUSSEN, Der theologische Standort für eine evangelische Stellungnahme zum Europaproblem, in: Europa in Evangelischer Sicht (Anm. 5), S. 124–135. Oder auch Asmussen in DERS., Un théologien protestant face à l’Europe, in: Revue Documents 11 (1954), S. 1213. Hier äußerte sich Asmussen folgendermaßen: „Wir müssen uns klar werden, dass der Gedanke eines geeinten Europa noch einen – wenn auch noch so geringen – Rest jenes Glaubens an die Christenheit als Mittelpunkt der Welt enthält“. Dieser Gedanke freilich beinhaltet noch Reste von der Vorstellung eines Staat und Kirche einenden „corpus christianum“ und einer Identifizierung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche. Dies aber war durch den Protestantismus schon im 16. Jahrhundert aufgesprengt worden. Deshalb sei laut Asmussen das Problem für die Katholiken leichter zu lösen als für die Protestanten. „Jedenfalls verlangt das Europaproblem von Protestanten notwendigerweise viel mehr Opfer als von Katholiken“, zit. nach Roger MEHL, Das protestantische Europa, Zürich/ Stuttgart 1959, S. 18 f. 22 So zu entnehmen dem kurzen Rückblick bei DOMBOIS, Christenheit, Europa, Welt, in: Europa in evangelischer Sicht (Anm. 5), S. 124. 23 Roger Mehl wurde am 10.5.1912 in Relanges in Frankreich geboren. 1935 wurde er „Agrégé de Philosophie“ und im darauf folgenden Jahr Studienrat in Strasbourg. 1940 wechselte er nach Marseille. 1944 übernahm er ein Pfarramt in Alès, wurde 1945 Dozent für christliche Ethik. 1956 erwarb er den theologischen Doktorgrad und wurde ordentlicher Professor an der Theologischen Fakultät der Universität Strasbourg, der er zweimal als Dekan vorstand (1967/68 und 1976–1979). Mehl war u. a. Chefredakteur und Hauptherausgeber der Revue d’Histoire et de Philosophie Religieuses. Er starb im Jahre 1997. Vgl. RGG³, Registerbd., Sp. 158, außerdem Gilbert VINCENT, In Memoriam, in: Revue d’Histoire et de Philosophie Religieuses 77 (1997), S. 129–131; Jean-Paul WILLAIME, In Memoriam, Roger Mehl (1912–1997), in: Archives de Sciences sociales des Religions 98 (1997), S. 5–7, und dessen biographische Angaben zu Mehl in: Dictionnaire du Monde religieux dans la France contemporaine, Bd. 2, hrsg. von Bernard Vogler, Paris 1987, S. 291–293, und Bd. 5, hrsg. von André Encrevé, Paris 1993, S. 328 f. 24 So MEHL, Das protestantische Europa (Anm. 21), S. 16. 25 DOMBOIS, Christenheit, Europa, Welt, in: Europa in evangelischer Sicht (Anm. 5), S. 124.
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II. Das protestantische „Pro und Contra“ zu Europa im historischtheologischen Kontext Bereits diese kurze Problemanzeige macht deutlich, dass es zwei Aspekte gibt, die bei der Frage nach der Stellungnahme der protestantischen Kirchen zur europäischen Integration zu berücksichtigen sind. Das sind 1. historische und strukturelle Faktoren, die den protestantischen Kirchen eigen sind, und 2. theologisch-konfessionelle Bedingungen. Die mit diesen zwei Punkten umrissenen Felder greifen ineinander und überlagern sich zum Teil. Ohne sie zur Kenntnis zu nehmen und in die Auswertung mit einzubeziehen, wird man den – quellenmäßig in ihrer Gesamtheit überhaupt erst noch zu erhebenden und zu sichtenden – protestantischen Stellungnahmen wohl kaum gerecht werden können. Zu den zu beachtenden historisch-strukturellen Faktoren gehört in erster Linie bekanntlich die grundsätzliche strukturelle Differenz zwischen der von ihrem Zentrum Rom her bestimmten einen katholischen Kirche und der Pluralität der evangelischen Kirchen in Deutschland und in Europa, mit anderen Worten: das Fehlen einer auf eine einzige Spitze hin orientierten kirchlich hierarchischen Amtsautorität im Protestantismus. Die theologischen Gründe dafür, nämlich einerseits die prinzipiell andere, sich nicht an kirchlichinstitutionellen Ämterstrukturen orientierende Beantwortung der Frage nach der Autorität, an der sich Lehre und Leben auf evangelischer Seite auszurichten hat, und andererseits die historischen Fakten, nämlich die Wechselwirkung zwischen Reformation und nationalstaatlicher Konsolidierung in der Frühen Neuzeit, was dem verfolgten Protestantismus nicht selten Überleben und Existenzräume garantierte, brauchen an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt zu werden. Tatsache ist, dass die innerhalb des Protestantismus noch einmal konfessionell differenten Kirchen Europas zwar durch gemeinsame Bekenntnisse, d. h. theologisch miteinander verbunden sein können oder sind, nicht aber durch eine dogmatisch autorisierte Spitze einer institutionellen Hierarchie. Diese strukturelle Grundbeschaffenheit, die regionale kirchliche Pluralität begünstigte und gemeinsamen Stellungnahmen eher im Wege stand, wenn nicht sogar sie erschwerte, war den evangelischen Kreisen durchaus bewusst. Roger Mehl, Professor an der Theologischen Fakultät der Universität Strasbourg und Religionssoziologe, wies bereits Ende der fünfziger Jahre in seiner Analyse der positiven und negativen protestantischen Reaktionen Europa gegenüber mit Recht auf diese Schwierigkeit hin. „Es ist Tatsache,“ so führte er aus, „dass bis etwa 1920 die Beziehungen zwischen den einzelnen Landeskirchen [in Deutschland: I. D.] ziemlich locker waren, eine Zusammenarbeit praktisch nicht existierte und die verschiedenen protestantischen Kirchen in nationaler Abgeschiedenheit lebten. […] Der Protestantismus war sogar geneigt, aufgrund seiner feindseligen Einstellung gegen das mittelalterli-
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Jahrbuch für Europäische Geschichte 9 (2008) che politische System ein Loblied auf die modernen Nationalstaaten zu singen. Man findet bei Troeltsch ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, der als eine der besten Errungenschaften der modernen Welt die Entstehung jener neuzeitlichen Nationen anführt, die im Gegensatz zu der ‚universalen Monarchie des Mittelalters‘ nicht drohen, die verschiedenen Regungen des menschlichen Lebens zu ersticken“26.
Und so kam es zunächst meist nur innerhalb nationaler Grenzen zu kirchlichen Zusammenschlüssen, wie wir sie aus den Unionen des 19. Jahrhunderts in Deutschland, von der Anglikanischen Kirche in England oder der Fédération protestante de France kennen. Erst der Zweite Weltkrieg und der Nationalsozialismus führten die Notwendigkeit einer gezielten ökumenischen Orientierung der protestantischen Kirchen vor Augen, die sich in Deutschland mit der Grundordnung von 1948 unter dem Dach der EKD zusammenschlossen. Ebenfalls im Jahre 1948 wurde der deutsch-französische Bruderrat in Amsterdam gegründet, der in der Folgezeit laufend deutsch-französische Konferenzen abhielt, einen fruchtbaren übernationalen Austausch beförderte und unter diesen ökumenischen Prämissen die Haltung des Protestantismus zu Europa mit bestimmt hat27. Die im selben Zeitraum erfolgenden Gründungen des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 und des Lutherischen Weltbundes 1947 in Lund – der Reformierte Weltbund war als The Alliance of the Reformed Churches throughout the World Holding the Presbyterian System schon 1875 in London gegründet worden – sind ebenfalls in Parallele zu den europäischen Integrationsbemühungen auf politischer Ebene zu sehen. Freilich ist deutlich, dass für den sich vom Nationalismus emanzipierenden Protestantismus hier folgerichtig in erster Linie Ökumene als Weltgemeinschaft im Vordergrund stand und Europa als Organisationsform auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet in die zweite Reihe rückte28. Man wird also, wenn man der Haltung der protestantischen Kirchen zu Europa und ihrer Rolle im europäischen Integrationsprozess nachspürt, zu berücksichtigen haben, dass der Protestantismus nicht mit einer bestimmten Institution identisch ist und infolgedessen nicht mit einer, sondern in einer Vielfalt von Stimmen spricht. Das bedeutet, dass in die Quellenrecherche und die analysierende Betrachtung all jene Instanzen mit einzubeziehen sind, die theologi26 MEHL, Das protestantische Europa (Anm. 21), S. 22 f., vgl. Ernst TROELTSCH, Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt, in: DERS., Schriften zur Bedeutung des Protestantismus für die moderne Welt (1906–1913), hrsg. von Trutz Rendtorff, Berlin/New York 2001, S. 183–316, bes. S. 218 und S. 223. Zwar hat Troeltsch im Zeitalter der Reformation und der Konfessionen noch eine Fortsetzung der Einheitskultur des Mittelalters, freilich in konfessionell gespaltener Weise, gesehen. Nach ihm begann erst mit der Aufklärung die Neuzeit. Aber dennoch konnte sich der Protestantismus auf ihn berufen. 27 Dieser Beitrag des deutsch-französischen Bruderrats wäre es wert, durch eine gezielte kirchen- und theologiehistorische Forschungsarbeit erschlossen zu werden. 28 Vgl. dazu MEHL, Das protestantische Europa (Anm. 21), S. 25–31.
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sche Orientierungskompetenz gegenüber den verschiedenen Kirchen einerseits und der protestantischen Öffentlichkeit andererseits innehatten und ausübten und dies bis heute noch tun. Zu denken ist hier z. B. an herausragende, meinungsbildend wirkende Theologen in Universität und Kirche, an Forschungs- und Studieneinrichtungen mit ihren beratenden, aber auch auf die Öffentlichkeitsarbeit zielenden Aktivitäten, sowie an diejenigen Gremien, durch die die protestantischen Kirchen selbst an der Europa-Diskussion teilnahmen, indem sie solche zur Erledigung von Kommissionsarbeit ins Leben riefen oder indem sie in anderweitig gegründeten Gremien durch Delegierte, d. h. durch sogenannte „Europa-Beauftragte“, repräsentiert waren. Dazu gehört z. B. die seit 1959 bestehende Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) mit Sitz des Generalsekretariats in Genf, der schon in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts mehr als 100 protestantische und orthodoxe Mitgliedskirchen angehörten; heute sind es 126 in 37 Ländern. Aufgabe und Ziel dieser Vereinigung war ursprünglich, die Spaltung Europas in zwei politische Blöcke überwinden zu helfen. Aber mit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ und der Entspannung zwischen Ost und West veränderten sich und wuchsen die Herausforderungen der KEK, die mit der 2001 verabschiedeten und auch vom Rat der Bischofskonferenzen in Europa (CCEE) unterzeichneten „Charta Oecumenica“ die Selbstverpflichtungen der Kirchen in und für Europa formuliert29. Dazu gehört darüber hinaus die „Kommission der Kirchen“ in Brüssel, die 1965 aus dem auf Privatinitiative gegründeten „Ökumenischen Zentrum für Kirche und Gesellschaft“ hervorging. Sie setzt sich zusammen aus drei Vertretern der EKD und je zwei Repräsentanten des protestantischen Kirchenrats in England und Frankreich. Außerdem sind die Anglikanische Kirche Englands und der britische Rat der Freikirchen hierin vertreten. Sie entsenden je einen Vertreter, ebenso wie die beiden niederländischen reformierten Kirchen, der protestantische Kirchenbund Belgiens und Italiens. Hinzu kommt des Weiteren ein Beobachter des Ökumenischen Rats der Kirchen in Dänemark. Die Kommission hatte sich zur Aufgabe gemacht, „die Probleme der europäischen Integration im kirchlich nationalen und internationalen Raum bewußt zu machen und die Kirchen für eine aktive übernationale Zusammenarbeit zu gewinnen“30. Dabei rückten – wie dies für die neueren Stellungnahmen der protestantischen Kirchen charakteristisch wurde – vor allem sozialethische Fragen in den Mittelpunkt. Aber auch nach regionalen Arbeitsgemeinschaften und Initiativen ist Ausschau zu halten, wobei jedoch Vgl. dazu Gerhard LINN, Art. Konferenz Europäischer Kirchen, in: RGG4 4 (2001), Sp. 1541–1543. 30 UHL, Der deutsche Protestantismus und die europäische Einigung, in: Christen und Europa (Anm. 1), S. 74. Uhl bringt in seinem Beitrag (S. 79–81), eine Auflistung von drei Modellen, in denen die kirchliche Verantwortung für Europa Gestalt gewinnt. Dies sind die oben bereits erwähnte KEK, die „Kommission der Kirchen“ in Brüssel und schließlich die noch zu erwähnende (s. u.) „Konferenz der protestantischen Kirchen am Rhein“. 29
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stets zu prüfen ist, wie lange sie als regionale Interessenvertretung existierten und wann sie sich in größere Verbünde eingliederten. So wies Harald Uhl31 in einem Beitrag über den deutschen Protestantismus und die europäische Einigung aus dem Jahre 1977 beispielsweise auf die „Konferenz der protestantischen Kirchen am Rhein“ hin32, die freilich inzwischen in die auf der Leuenberger Konkordie33 von 1973 fußende, übergreifende Community of Protestant Churches in Europe – Leuenberg Fellowship (CPCE) eingebettet ist. Die Leuenberger Kirchengemeinschaft ihrerseits hat heute in Europa 104 Mitgliedskirchen. Europa und die Gestaltung Europas ist eines der Felder, auf das sich die Aktivitäten der CPCE richten. Deren Stellungnahmen zu Europa sprechen also für all jene Kirchen, die in der Leuenberger Kirchengemeinschaft repräsentiert sind34. Das Feld ist also nicht gerade leicht überschaubar. Auf den ersten Blick scheint es sich jedenfalls so zu verhalten, dass die Intensität der Auseinandersetzung des Protestantismus bzw. der protestantischen Kirchen mit der Europa-Frage seit Mitte/Ende der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts zugenommen hat. Möglicherweise wird man von verschiedenen Phasen der Stellungnahmen zu Europa und des Europa-Bewusstseins sprechen können: einer ersten, beginnend in den fünfziger Jahren, und einer bzw. mehreren weiteren, die mit den sechziger/siebziger Jahren einsetzten. Die Zäsur durch den in der Leuenberger Konkordie von 1973 erreichten theologischen Konsens zwischen lutherischen und reformierten Kirchen dürfte dabei auch eine Rolle gespielt haben. Neben den zu beachtenden historisch-strukturellen Faktoren ist aber die theologisch-konfessionelle Dimension bei der Frage nach den Stellungnahmen der Kirchen zur europäischen Integration nicht zu vernachlässigen. Sie hängt in besonderer Weise an dem Konzept des „christlichen Abendlandes“ und an der vornehmlich von katholischer Seite entworfenen Vision, diesem 31
Dr.jur. Dr.rer.pol. Harald Uhl war seinerzeit Vorsitzender der Evangelischen Akademikerschaft. 32 Vgl. UHL, Der deutsche Protestantismus und die europäische Einigung, in: Christen und Europa (Anm. 1), S. 79 f. Dieser Arbeitsgemeinschaft gehörten damals Vertreter der evangelischen Kirchen in Österreich, der Schweiz, Frankreich (Elsass), der Niederlande und Abgesandte der Badischen Landeskirche, der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, der Evangelischen Kirche der Pfalz und der Evangelischen Kirche im Rheinland an. 33 Die Leuenberger Konkordie (kurz für: Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa) ist eine theologische Erklärung, auf deren Grundlage die Kirchengemeinschaft bisher theologisch voneinander geschiedener evangelischer Konfessionen möglich wurde. Sie wurde von Vertretern lutherischer, reformierter und anderer reformatorischer Kirchen in Europa im März 1973 auf dem Leuenberg bei Basel erarbeitet und unterzeichnet. Vgl. dazu ausführlicher Wenzel LOHFF, Art. Leuenberger Konkordie, in: TRE 21 (1991), S. 33–36. 34 Soeben erschienen ist der Band: Theologie für Europa. Perspektiven evangelischer Kirchen. Theology for Europe. Perspectives of Protestant Churches, hrsg. von Martin Friedrich [u. a.], Frankfurt a. M. 2006. Vgl. auch die Europa-Seite der CPCE im Internet: www.leuenberg.eu.
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im Zuge der europäischen Integration möglicherweise zu einer Renaissance verhelfen zu können. Dahinter steht eine in erster Linie historisch-kulturgeschichtlich orientierte Interpretation des Europa-Gedankens, die auf die Rückkehr zu einer in der Frühen Neuzeit verloren gegangenen politischen und kulturellen Einheit setzt. Dies wurde durchaus öffentlich thematisiert, wenn auch nicht unbedingt kontrovers ausgefochten. Im Jahre 1955 hielt der Erlanger Theologe und allseits anerkannte Kirchenhistoriker Walther von Loewenich35 auf Einladung des Instituts für Europäische Geschichte im Auditorium maximum der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz einen Vortrag unter dem Titel Europa oder christliches Abendland, in dem er eben diese Problematik ansprach. Dabei zeichnete er die Entwicklungslinien nach, die im Mittelalter in der Fortführung des Imperium Romanum, aber auch unter Inkaufnahme des Großen Schismas von 1054 und der damit gegebenen Trennung des Westens von Ostrom auf das sogenannte christliche Abendland zulaufen, d. h. auf das – so von Loewenich –, „was wir heute gewöhnlich unter Europa verstehen“36. Walther von Loewenichs Ausführungen sind ein aussagekräftiger Beleg für das, was man in den fünfziger Jahren tatsächlich landläufig unter Europa verstand, und sie lassen zugleich die zurückhaltendablehnende Reaktion des Protestanten gegenüber diesem Konzept durchscheinen, auch wenn von Loewenich sich in seinem Vortrag gegenüber seinem Gastgeber Joseph Lortz nicht zu einer scharfen Polemik hinreißen ließ37. Loewenich stand mit dieser Meinung nicht allein. Auch Roger Mehl diagnostizierte in seinem resumierend-analysierenden Blick auf die protestantischen Stellungnahmen zu Europa in seinem Buch „Das protestantische Europa“, dass der „christliche-Abendland-Gedanke“ auf große Skepsis stieß38. Das bedeutete nicht unbedingt, daß man gleich einen Gegenentwurf parat hatte. Walther von Loewenich steckte die Problematik in seinem Vortrag folgendermaßen ab. Sie wird nur im Gesamtkontext seiner Ausführungen verständlich: „E i n Verlust freilich bleibt schmerzlich: die endgültige Trennung von Ostrom 1054. […] Das Schisma ist der Preis für das christliche Abendland. So ist Europa unter dem Zeichen des Kreuzes entstanden. Das Chris35
Zu ihm als Forscherpersönlichkeit vgl. Carsten NICOLAISEN, Art. Löwenich, Walther v., in: RGG4 5 (2002), Sp. 528 f. 36 Walther VON LOEWENICH, Europa oder das christliche Abendland, in: Europa und das Christentum. Drei Vorträge von Walther von Loewenich, Fedor Stepun und Joseph Lortz, hrsg. von Joseph Lortz, Wiesbaden 1959, S. 19. 37 Lortz war damals Direktor am Institut für Europäische Geschichte, Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte, und vertrat – wie seine katholischen Kollegen – die „christliche-Abendland-Idee“. Zu ihm als Forscherpersönlichkeit vgl. Hubert WOLF, Art. Lortz, Joseph, in: RGG4 5 (2002), Sp. 517 f. Korrigierend ist zu sagen, dass Joseph Lortz Kirchenhistoriker, also Professor für Kirchengeschichte war. Die Abteilungsbezeichnung wird nicht auf die Professur übertragen. 38 Vgl. MEHL, Das protestantische Europa (Anm. 21), S. 9–31.
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Jahrbuch für Europäische Geschichte 9 (2008) tentum der römischen Kirche bildete das Einheitsband, auch als die jungen Völker sich immer mehr völkisch und politisch differenzierten. Das damalige Europa ist die in der römischen Kirche unter dem Kaiser geeinte Völkergemeinschaft. Die einheitliche geistige Ausrichtung ist durch den gemeinsamen christlichen Glauben gegeben. Sie wird befestigt durch die kirchliche Zusammengehörigkeit unter dem Papsttum in Rom und findet ihren politischen Ausdruck in der Idee des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, wie man es seit dem 15. Jahrhundert genannt hat. Das Kirchenlatein ist die Weltsprache, in der sich alle Träger der damaligen Bildung verstehen. […] Damals war Europa eine Wirklichkeit. Im Hinblick auf diese Verhältnisse hat man das Wort von der mittelalterlichen Einheitskultur geprägt. […] Die Begeisterung für diese mittelalterliche Einheitskultur hat schon zur Zeit der Romantik einen gewaltigen Ausdruck gefunden, in der programmatischen Schrift von Novalis ‚Die Christenheit oder Europa‘ 1799 […], wobei übrigens Novalis, entgegen manchen Missverständnisses, nicht einfach eine Rückkehr zum Mittelalter wünschte, sondern sozusagen ein drittes Reich, das jenseits der geschichtlichen Konfessionen liegt. Heute ist vor allem in katholischen Kreisen die Parole vom christlichen Abendland groß geschrieben bis hin zu dem Papstbrief zum Jubiläum des Sieges von Augsburg 955. Die Idee und Existenz von Europa steht und fällt mit der Wiederherstellung eines christlichen Abendlandes, das die Glaubensspaltung überwunden hat. Man könnte förmlich einen Syllogismus aufstellen: Europa, das mit dem Abendland gleichgesetzt wird, ist eine Schöpfung des Christentums. Das Christentum kann nur eines sein; also kann das Abendland nur als k a t h o l i s c h e s Abendland bestehen. In dieser Schroffheit wird das freilich wohl nur selten gedacht und ausgesprochen. Aber im Hintergrund der Parole vom christlichen Abendland steht diese Hoffnung, und sie gibt dem Katholizismus der Gegenwart zweifellos einen ungeheuren missionarischen Aufschwung und das Bewußtsein einer geschichtlichen Verantwortung in unserer Zeit“39.
Diesem Konzept konnte und wollte sich die evangelische Seite nicht anschließen. Von Loewenich versuchte es dadurch zu hinterfragen und letzten Endes ad absurdum zu führen, dass er „vor einer falschen ungeschichtlichen Idealisierung“ warnte40 und – historisch argumentierend – nachwies, dass die gegenwärtig als erstrebenswert herausgestellte politische, gesellschaftliche und religiöse Homogenität schon in der mittelalterlichen Christenheit längst nicht mehr gegeben war41. Es wäre interessant zu untersuchen, wieweit die christlichen Parteien in Europa, die ja traditionell eine katholische Wählerschaft ansprachen, das „christliche-Abendland-Konzept“ aufgriffen oder nicht. Der Protestantismus freilich rechnete durchaus mit der Überzeugungsund Durchschlagkraft dieses Gedankens, je mehr Europa als eine zu erstre39 VON LOEWENICH, Europa oder das christliche Abendland (Anm. 36), S. 20–22, die Sperrungen stammen vom Autor. Nach Walther von Loewenich hat Troeltsch bereits den Begriff der „mittelalterlichen Einheitskultur“ verwandt. Vgl. S. 21. 40 VON LOEWENICH, Europa oder das christliche Abendland (Anm. 36), S. 22. 41 Vgl. ebd., S. 22–27.
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bende politisch-zivilisatorische Einheit in Abwehr des erstarkenden Kommunismus hinter dem „Eisernen Vorhang“ in den Blick rückte. Auch hierzu gab es im evangelischen Lager durchaus unterschiedliche und auf Differenzierung drängende Positionen, wenn man einmal an Karl Barth und dessen Plädoyer für einen europäischen Sozialismus denkt42. Die seinerzeit von Walther von Loewenich genannte Verlautbarung Papst Pius’ XII. in seinem Brief an den Bischof von Augsburg anlässlich der 1000-Jahr-Feier der Schlacht auf dem Lechfeld (955/1955) war angesichts des gleichzeitig stattfindenden Jubiläums des Augsburger Religionsfriedens von 1555 (400 Jahre), der den Augsburger Konfessionsverwandten, d. h. den Evangelischen, reichsrechtliche Duldung garantiert hatte, jedenfalls nicht ungehört verhallt. In diesem Schreiben las man: „Wir können nicht umhin, in Bezug auf das Abendland zu wiederholen, was wir über die europäische Zivilisation vor drei Jahren schon gesagt haben, nämlich dass sie entweder wahrhaft christlich und katholisch sein wird, oder aber vom Steppenfeuer jener anderen Kultur niedergebrannt wird, für die nur die Masse und die reine Muskelkraft zählen“43. Während der Katholizismus also „Europa“ und „Christentum“ ohne weiteres zusammenzubringen vermochte, konnte dies für den Protestantismus mit Blick auf seine eigene Geschichte und seine ekklesiologischen Grundlegungen – die wahre Kirche und damit das wahre Christentum sind keine politischen oder institutionellen, sondern geistliche Größen – keine Option sein. Für den deutschen Protestantismus kamen die leidvollen Erfahrungen mit den auf reichskirchliche Gleichschaltung zielenden Aktivitäten der Deutschen Christen und der durch sie veranlassten Überfremdung von Theologie und Kirche im politisch-nationalsozialistischen Sinn hinzu, so dass Visser ’t Hooft, der Generalsekretär des damals sich gerade bildenden Ökumenischen Rats der Kirchen, die Protestanten in seinem Aufsatz „Die Kirche und Europa“ vor der Idee warnte, die mittelalterliche Christenheit als Vorbild für Europa heranzunehmen44. In dem Einsatz der mittelalterlichen Kirche für ein christliches Europa sei sie selbst verformt worden, so Visser ’t Hooft. Die Kirche habe im Mittelalter ein christliches Europa aufgebaut, das zu einer Zivilisation geführt habe, in der durch die Vermischung göttlicher und menschlicher Dinge eine große geistliche Verwirrung eingetreten sei45. 42 43 44
Vgl. Karl BARTH, Die christliche Verkündigung im heutigen Europa, München 1946. Zit. nach MEHL, Das protestantische Europa (Anm. 21), S. 21. Vgl. Willem A. VISSER ’T HOOFT, L’Église et l’Europe, in: Les Cahiers Protestants 24 (1940), S. 395–410. 45 „Il est vrai que l’Eglise a formé l’Europe. Mais il est aussi vrai qu’en formant l’Europe elle a été transformée elle-même. L’immense effort que l’Eglise a fait pour organiser une Europe chrétienne a coûté cher à l’Eglise. Elle est devenue la victime des son ambition. Elle est devenue un curieux mélange d’Eglise et de monde. Elle a fondé une civilisation dans laquelle les choses divines et les choses humaines étaient à tel point mélangées qu’il s’en suivait une grande confusion spirituelle. Nous touchons là au centre de la grande
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Es ist sehr wahrscheinlich, dass es zu dem Konzept des „christlichen Abendlandes“ nicht wenige weitere, kritische protestantische Stellungnahmen gegeben hat, die übrigens keineswegs implizierten, dass man Europa ablehnte. Aber Europa war für jene Autoren, zu denen z. B. Pierre Burgelin46 oder auch die Lutheraner Hans Hermann Walz47 und der bereits genannte Walther von Loewenich gehörten, kein im weitesten Sinn „ideologisch“ oder religiös aufgeladener, Polarisierungen begünstigender, sondern ein schlicht „weltlicher“ Begriff. Burgelin z. B. betonte, dass es ein Irrtum sei, Europa zu mythologisieren und es etwa – vor dem Hintergrund einer unzulässigen Identifizierung der mittelalterlichen „Chrétienté“ mit einem neuzeitlichen politischen Begriff Europa – restaurieren zu wollen. „L’Europe est une réalité historique, non une vérité intemporelle“. Bei Europa gehe es nicht darum, das Reich Gottes zu bauen, sondern eine höchst irdische Gesellschaft, „une cité terrestre“, zu gestalten, die offen zu sein habe für Christen und Nicht-Christen48. Das bedeutete freilich nicht, dass die Theologen ein säkulares Europa propagierten, aber eines, in dem das Christentum, gleich welcher Konfession, geistlich und gesellschaftlich erneuernde Kraft entfalten und im Sinn ethischer Grundlegungen wirken könnte49. Walther von Loewenich sprach in diesem Zusammenhang von einer Neubelebung des „christianum“, wobei er dazu aufrief, alle überhöhenden Rückgriffe auf die Vergangenheit und jeglichen Traditionalismus aufzugeben, um sich auf die modernen Herausforderungen, wie den Fortschritt der Naturwissenschaften und die anstehenden sozialen Fragen zu besinnen50. tragédie européene. L’Europe doit son existence à l’Eglise, mais cette Eglise en enfantant l’Europe cessait d’être la vraie Eglise”, so VISSER ’T HOOFT, L’Église et l’Europe (Anm. 44), S. 397 f. 46 Vgl. z. B. die u. Anm. 48 genannte Veröffentlichung. Eine Bibliographie des Œuvres de Pierre Burgelin findet sich in: Revue d’Histoire et de Philosophie Religieuses 55 (1975), S. 201–205. 47 Vgl. z. B. Hans Hermann WALZ, Der politische Auftrag des Protestantismus in Europa, Tübingen 1955. Ausgangspunkt für seine Stellungnahme ist der Begriff der christlichen Freiheit. Hans Hermann Walz wurde am 3.8.1914 in Esslingen geboren. Im Jahre 1941 erwarb der den theologischen Doktorgrad und wurde 1945 Mitarbeiter der Evangelischen Akademie Bad Boll. Seit 1947 war er als Sekretär der Studiengemeinschaft der Evangelischen Akademien in Deutschland tätig und wurde 1949 Sekretär für Laienarbeit im ÖRK in Genf. Ab 1951 war er stellvertretender Direktor des ökumenischen Instituts in Bossey bei Genf. Im Jahre 1954 fungierte er als Generalsekretär des Deutschen Evangelischen Kirchentages in Fulda. Vgl. RGG³, Registerbd., Sp. 255. 48 Vgl. Pierre BURGELIN, L’Église et l’idée européenne, in: Christianisme social 59 (1951), S. 476–484, die Zitate S. 480 f. 49 Vgl. BURGELIN, L’Église et l’idée européenne (Anm. 48), S. 481. 50 Hinzu kommt von Loewenichs Kritik an dem Konzept des „christlichen Abendlands“, in dem er eine „ungeschichtliche Idealisierung“ zugrunde gelegt sieht, vgl. dazu Europa oder das christliche Abendland (Anm. 36), S. 22–27. Zu den von ihm formulierten Aufgaben vgl. S. 31 f.
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Damit stand er nicht allein. Der Protestantismus begann, angesichts der fortschreitenden europäischen Integrationsbemühungen, seine Aufgabe und seinen Beitrag vorzüglich darin zu sehen, eine für die zusammenwachsenden Gesellschaften und letzten Endes auch für die Politik tragfähige protestantische Ethik zu formulieren. Neben diese theologische Aufgabe rückte das Eintreten für „Ideologiefreiheit“ sowohl in politischer als auch in religiöser Hinsicht, was, selbst wenn das Konzept des „christlichen Abendlandes“ nicht thematisiert wurde, doch diesen Hintergrund als Argumentationsfolie erahnen lässt. So konnte z. B. die ökumenische Arbeitsgemeinschaft „Verantwortung für europäische Zusammenarbeit“ im Jahre 1952 verlautbaren: „Europa würde aufhören Europa zu sein, wenn es keine Meinungsfreiheit und keine Verschiedenheit der Ueberzeugung mehr zuliesse. Die bis zum Aeussersten getriebene Vereinfachung der so komplexen politischen Ansichten in Form von Slogans und Propagandaparolen hat beängstigende Ausmasse angenommen. Deshalb müssen wir uns gegen jeden Versuch wehren, der uns eine einheitliche öffentliche Meinung aufzwingen will. [...] Die zur Erreichung eines geeinten Europa unternommene Aktion darf den Gedankenaustausch West und Ost nicht hindern. Man muss sich im Gegenteil gleichzeitig bemühen, die Bedingungen dieses Gedankenaustausches auf internationaler Basis zu verbessern und zu vermehren. Das Europa, das wir bauen wollen, ist kein westliches Europa, es ist ein freies Europa. Man muss also Platz für alle die lassen, die heute noch nicht beitreten wollen oder können“51.
III. Forschungsdesiderate und Aufgaben 1. Schenkt man den zeitgenössischen Aussagen Glauben, so scheinen sich die evangelischen Kirchen bis in die siebziger Jahre hinein mit Stellungnahmen zur Frage „Europa“ zurückgehalten zu haben. Dies bedeutet aber nicht ein generelles Schweigen evangelischer Kreise. Eine diesbezügliche Quellenrecherche hat deshalb über die kirchlichen Amtsträger, kirchlichen Organe und Synoden hinaus zu gehen. Es ist – erstens – zu suchen nach Stellungnahmen, Äußerungen und Vorträgen namhafter Theologen, vornehmlich an Universitäten, zumal den theologischen Fakultäten im protestantischen Bereich traditionell Beratungskompetenz beigemessen wird, wenn man auch deren Kompetenz kirchlicherseits nicht immer und unbedingt heranzieht. Dennoch können die evangelisch-theologischen Fakultäten und ihre Professoren als Schrittmacher in der kirchlichen Meinungsbildung gelten. Zweitens ist die Öffentlichkeitsarbeit evangelischer Akademien und die Beratungstätigkeit kirchlicher Studiengemeinschaften in den Blick zu nehmen, selbst wenn deren Aktivitäten und Veröffentlichungen keineswegs repräsentativ für die 51 Zit. nach MEHL, Das protestantische Europa (Anm. 21), S. 36, der aber leider keinen Nachweis für sein Zitat angibt.
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Meinung der Kirchen schlechthin sind. Drittens wäre die Gründung und Beschickung von Gremien zu recherchieren, die den europäischen Integrationsprozess beobachtend oder aktiv in Wortmeldungen und Eingaben begleiteten. Zu sichten wären in diesem Zusammenhang auch die von hier ausgehenden Materialien zur Öffentlichkeitsarbeit, und es wäre die Frage zu beantworten, wer im Einzelnen für diese verantwortlich zeichnet. Schließlich und endlich wäre nach offiziellen Verlautbarungen und Veröffentlichungen der in übergreifenden Organisationen zusammengeschlossenen Kirchen Ausschau zu halten (z. B. Lutherischer Weltbund, Reformierter Weltbund, Ökumenischer Rat der Kirchen, Evangelische Kirche in Deutschland, Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands, Arnolshainer Konferenz bzw. Evangelische Kirche der Union/Union Evangelischer Kirchen, Leuenberger Kirchengemeinschaft etc.). 2. Ein erster Blick auf die Problematik lässt vermuten, dass sich die protestantischen Stellungnahmen zu Europa in verschiedene zeitliche oder thematisch bestimmte Phasen einteilen lassen. a) Zunächst ist zu fragen, in welcher Weise sich – in den fünfziger/ sechziger Jahren – die Distanz zum Konzept des „christlichen Abendlands“ äußerte; ob dieses Konzept von den christlichen Parteien in Europa, auch als antikommunistischer bzw. antisozialistischer Gegenentwurf aufgegriffen wurde und ob bzw. wie dies auf evangelische Stellungnahmen rückwirkte. b) Seit den sechziger/siebziger Jahren scheint – mit Bildung von Arbeitskreisen und Gremien – eine Schärfung des Europa-Bewusstseins einzusetzen. Dies wäre vor dem Hintergrund des für den evangelisch-katholischen Dialog wichtigen Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) zu überprüfen, ebenso vor dem Hintergrund der Konkordie zwischen den evangelischen Konfessionen und schließlich der Entspannungspolitik zwischen Ost und West. Schon zu diesem Zeitpunkt – so meine Vermutung – setzt ein Abrücken von der Auseinandersetzung mit dem Konzept des „christlichen Abendlands“ und eine Konzentration auf Fragestellungen der Sozialethik und politischen Ethik ein. c) Mit dem Ende des Sozialismus in Europa, der europäischen Erweiterung nach Osten und der gewachsenen und unübersehbaren Präsenz des Islam in Europa beginnt für die Evangelischen Kirchen und wohl auch für die katholische Kirche noch einmal eine neue Phase, die neben die im weitesten Sinn sozialethischen Fragestellungen solche nach kirchenrechtlichen Differenzen in Europa und religiös-kulturellen Identitäten rücken lässt. Diesen inhaltlich und zeitlich zu bestimmenden Phasen, die hier in einer ersten Annäherung nur holzschnittartig umrissen werden können, haben m. E. zukünftige Forschungen Rechnung zu tragen. Die historische Aufarbeitung
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kann dabei im Blick auf den gegenwärtigen Status Europas klärend und impulsgebend zugleich wirken.
Summary Current discussion of European integration and the understanding of the concept of Europe are dominated by the perspective of the future and focus on the present and future dimensions of a united Europe. Historical perspectives receive less attention. This is also true regarding the question of the role which Christian churches played in those discussions that marked the beginning of European integration. This is all the more surprising since the vital influence of Christianity and the church on medieval Europe and the creation of modern Europe is undisputed. This contribution is an investigation of the positions taken by Protestantism at the outset of European integration; it attempts to shed light upon the impulses which Protestantism set in motion in this development. It is striking, that, at first glance, it appears that a broader discussion of connections between European unification and the related topics and tasks within German Protestantism did not take place. Already at the beginning of the 1950s the desire to have the Protestant churches take a position on the question was expressed. That this began only cautiously must be understood in the context of not only the historical facts but also the specific structural and theological conditions involved. Research in the source documents therefore must go beyond individuals in ecclesiastical office, ecclesiastical agencies, and conventions, and take into consideration actions of semi-official groups, ecclesiastical educational efforts in academies, and theological decision-makers at universities. The sources reveal that a large spectrum of variation between support for the integration of Europe on the one hand and a strict rejection of it on the other emerged. Skepticism arose regarding a concept of the „Christian West” conceived in Roman Catholic circles and charged with political implications, for some suspected a desire to undermine denominational diversity. Protestantism began to see its task and contribution to Europe above all in formulating a Protestant ethic for the societies that were integrating, an ethic that would be useful for formulating policies for an integrated Europe.
Bauplatz Europa. Die österreichische katholische Kirche und die Anfänge der europäischen Integration Von
Anita Prettenthaler-Ziegerhofer Die Europäische Union bekennt sich in Art. 6 EUV zur Freiheit der Menschen, Rechtstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten. Diese Werte bilden die Grundvoraussetzung für die Aufnahme europäischer Staaten in die EU. Sie sind erstmals von den Widerstandskämpfern während des Zweiten Weltkrieges formuliert und gefordert worden als die wesentliche Basis für das „Europa von morgen“. Im Jahr 1973 hat die EG diese europäischen Werte in ihrem Bestreben, eine politische Europäische Union gründen zu wollen, in ihr Dokument über die Europäische Identität aufgenommen1. Bei eingehender Betrachtung erkennt man, dass es sich dabei nicht nur um politische und rechtliche Werte handelt, sondern auch um Werte, die der „christlichen Mitgift“ Europas2 entsprechen. Die christliche „Mitgift“ für das gemeinsame Europa ist klar im spezifischen Verständnis der Person3 und in weiterer Folge in der Idee der Menschenrechte sichtbar und vor allem in dem Bestreben nach Frieden. Die Europa-Vereinigungsidee ist eine Friedensidee. Grundsätzlich war und ist die katholische Kirche an einer Institutionalisierung des Friedens interessiert. Daher liegt es auch auf der Hand, dass sich die Päpste für die Vereinigung europäischer Staaten ausgesprochen haben. Man denke etwa an den Aufruf von Papst Pius II. (Enea Silvio Piccolomini) auf dem Frankfurter Reichstag 1454, dass sich europäische Staaten vereinen sollten, um einen An dieser Stelle möchte ich mich ganz besonders bei folgenden Personen bedanken, die mir bei dem Zustandekommen des Beitrages überaus hilfreich zur Seite gestanden sind: Frau Dr. Annemarie Fenzl, Leiterin des Diözesanmuseums Wien, Dr. Paul Wuthe und Mag. Walter Lukaseder, Medienreferat der Österreichischen Bischofskonferenz. Last but not least möchte ich mich bei meinem Kollegen von der Theologischen Fakultät, Herrn ao. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Höfer, für seine Informationen bedanken. 1 Der gesamte Wortlaut des Dokumentes über die europäische Identität ist unter www.ena.lu abrufbar. 2 Diese Redewendung ist dem Beitrag von Martin GRESCHAT entnommen, Die christliche Mitgift Europas, in: Christenheit – Europa 2000. Die Zukunft Europas als Aufgabe und Herausforderung für Theologie und Kirchen, hrsg. von Walter Fürst und Martin Honecker, Baden-Baden 2001, S. 137–143. 3 GRESCHAT, Christliche Mitgift (Anm. 2), S. 139.
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Kreuzzug gegen die Türken zu führen4. Oder an den Friedensappell von Papst Benedikt XV. gegen den Ersten Weltkrieg, die Weihnachtsansprachen der Päpste während des Zweiten Weltkrieges5 bis hin zu den Bischofssynoden für Europa am Übergang vom 20. in das 21. Jahrhundert. Seit der deutschen Romantik wird das „christliche Abendland“ als Topos verstanden. Unzählige Europa-Architekten nannten das Christentum als Basis für Europa, so etwa Anne-Germaine de Stäel-Holstein6 oder Novalis in seiner berühmt gewordenen Schrift „Die Christenheit oder Europa“7. Es besteht heute wohl Konsens darüber, dass die Kirche bei der Beantwortung der Frage nach der Identitätsbestimmung Europas einen wesentlichen Beitrag leisten kann, und dies nicht nur, indem sie den Dialog nicht allein mit den christlichen Kirchen, sondern auch mit der Orthodoxie und darüber hinaus mit dem Islam pflegt. Die Kirche tritt als Mahnerin auf, dass Europa mehr bedeutet als Ökonomie und Politik und daher darum bemüht ist, neben der kulturgeschichtlichen Basis auch das christliche Fundament Europas zu betonen. Die Brücke von der Rolle der katholischen Kirche in dem vereinten Europa hin zu dem hier gestellten Thema lässt sich über die „Dialog-Bereitschaft“ der Kirche schlagen. Über den „christlichen Dialog“ kann man auf die ersten österreichischen Integrationsschritte seitens der katholischen Kirche verweisen. Doch gleich vorweg: mit dem vorliegenden Beitrag wird wissenschaftliches Neuland betreten. Wenngleich die Kontextualisierung der Geschichte Österreichs mit den Anfängen der europäischen Integration bereits in vielen Darstellungen aufbereitet wurde8, stellt die Konnotation mit der österreichischen Kirche ein Desiderat dar. Daher wird im Folgenden versucht werden, sich mittels Fragestellungen und der Nennung etwaiger Methoden diesem Forschungsschwerpunkt zu nähern. Der Beitrag kann daher nicht als abgeschlossen betrachtet werden, vielmehr dient er als Anregung und Aufforderung, sich dieser Thematik seitens der Wissenschaft anzunehmen.
4 Rolf Hellmut FÖRSTER, Europa. Geschichte einer politischen Idee, München 1967, S. 81 und Wolfgang SCHMALE, Geschichte Europas, Wien 2000, S. 85. 5 Vgl. dazu auszugsweise Europa-Föderationspläne der Widerstandsbewegungen 1940– 1945, hrsg. von Walter Lipgens, München 1968, S. 338 ff. 6 Siehe etwa Denis DE ROUGEMONT, Europa. Vom Mythos zur Wirklichkeit, München 1961, S. 198 ff. 7 Zitiert bei GRESCHAT, Christliche Mitgift (Anm. 2), S. 137. Novalis’ Werk ist 1801 erschienen. 8 Etwa Michael GEHLER, Der lange Weg nach Europa. Österreich von Paneuropa bis zum EU-Beitritt, 2 Bde., Darstellung und Dokumente, Innsbruck 2002; DERS., Vom MarshallPlan bis zur EU. Österreich und die europäische Integration von 1945 bis zur Gegenwart, Innsbruck 2006 sowie Anita PRETTENTHALER-ZIEGERHOFER, Europäische Integrationsgeschichte. Unter Berücksichtigung der österreichischen Integration, 2Innsbruck 2007.
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Der hier gewählte zeitliche Rahmen erstreckt sich von 1955, dem Jahr, in dem Österreich die Souveränität zugesprochen worden war, bis ins Jahr 1995. Damals trat Österreich der EU bei. Es gilt innerhalb der 40 Jahre österreichischer (Kirchen)-Geschichte eine Verbindung zum Vereinigungsprozess europäischer Staaten ausfindig zu machen und die Frage zu erörtern, welche Beiträge die österreichische Kirche im Zuge des europäischen Integrationsprozesses geleistet hat. Ein konziser Blick auf die österreichische Forschungslandschaft bestätigt den eingangs erwähnten Befund, dass die hier aufgegriffene Thematik ein wissenschaftliches Desiderat darstellt. Die Doyenne der österreichischen Zeitgeschichte, die international anerkannte Zeithistorikerin Erika Weinzierl, machte schon früh darauf aufmerksam, dass man die Zeitgeschichte Österreichs nicht mit dem Ausblenden der (katholischen) Kirchengeschichte betreiben könne9. Daher plädierte sie für die Institutionalisierung einer kirchlichen Zeitgeschichte. Ihr Nachfolger in Salzburg, Ernst Hanisch, führte Weinzierls Bestreben aus und befasst sich in erster Linie mit der katholischen Kirche in der NS-Zeit, mit dem politischen Katholizismus10 als Triebfeder für den Austrofaschismus und mit der Christlichsozialen Partei11. An der Grazer Universität war es der Kirchenhistoriker Maximilian Liebmann, der die Kirchengeschichte sehr stark mit politischer Zeitgeschichte kontextualisierte. Auch er ist wie Weinzierl weit über die Grenzen Österreichs anerkannt, doch wie Weinzierl beschäftigt auch er sich nur peripher mit der Frage europäische Integration und Kirche. Hierbei findet in erster Linie die Darstellung von Österreichs „verzögerter“ Integration, hervorgerufen durch den spät erfolgten EU-Beitritt im Jahre 1995, Beachtung. So verwundert es nicht, dass es keine
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Erika Weinzierl (*1925), ab 1964 Leiterin des Instituts für kirchliche Zeitgeschichte Salzburg, 1967–79 Univ.-Prof. für neuere Geschichte Salzburg und 1979–95 Univ.-Prof. am Institut für Zeitgeschichte, Wien, siehe Österreich-Lexikon M-Z, Wien 1996, S. 603 oder Österreichisches Personenlexikon, hrsg. von Isabella Ackerl und Friedrich Weissensteiner, Wien 1992, S. 519. Vgl. etwa Erika WEINZIERL, Kirche und Politik, in: Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik 1, hrsg. von Erika Weinzierl und Kurt Skalnik, Graz 1983, S. 437–496; Kirche in Österreich 1918–1965, hrsg. von Ferdinand Klosterman [u. a.], 2 Bände, Wien 1966. 10 In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass ein profunder Sammelband über die Christdemokratie in Europa im Zusammenhang mit der europäischen Integration erschienen ist, der von österreichischen Zeithistorikern herausgegeben worden ist: Christdemokratie in Europa im 20. Jahrhundert, hrsg. von Michael Gehler [u. a.],Wien 2001. Siehe auch Wolfram KAISER, Christian Democracy and the Origins of European Union, Cambridge 2007. 11 Hier sei auf das Standardwerk von Ernst HANISCH, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994 verwiesen sowie auf das dort abgedruckte Quellen- und Literaturverzeichnis, S. 558 ff.
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Untersuchungen zu diesem Themenschwerpunkt gibt, wiewohl mindestens zehn Arbeiten etwa zum Thema Kirche und Sport vorliegen12. Recherchen in der Katholischen Presseagentur in Wien bestätigten weiters den ernüchternden Befund der Literaturrecherche: weder die österreichische Bischofskonferenz noch einzelne österreichische Kardinäle oder Bischöfe haben die wichtigsten Eckpunkte der Anfänge der europäischen Integration kommentiert13. Es finden sich weder Wortmeldungen über den Europarat, die EMRK und schon gar nicht über die Montanunion. Hier drängt sich geradezu die Frage auf, warum dies der Fall ist, wird doch gemeinhin die Vereinigungsidee als Friedensidee postuliert und die EU rekurriert auf der anderen Seite immer wieder auf die gemeinsame Wurzel Christentum? Allerdings förderten die Literatur- und Archivrecherchen einen sehr wichtigen Befund zutage: das „europäische“ Engagement der österreichischen Kirche ist sehr eng mit Kardinal Franz König, dem Erzbischof von Wien, verbunden, und die Anfänge der europäischen Integration in den fünfziger Jahren in Österreich sind in erster Linie als „mitteleuropäische“ Integration zu verstehen. Diesen „Befund“ genauer darzustellen und die aufgeworfenen Fragen zu beantworten, bilden den Inhalt des vorliegenden Beitrages. Über allgemeine Vorbemerkungen (I.) wird auf die Darstellung des Wirkens Kardinal Königs in Bezug auf die europäische Integration (II.) übergeleitet und auf den Gnadenort Mariazell (III.) als weiteres Symbol für „österreichische“ Integration. Eine Zusammenfassung mit einem Ausblick für weitere Forschungsmöglichkeiten rundet den Beitrag ab. I. Österreich und die Anfänge der europäischen Integration Allgemeine Vorbemerkungen: Österreich gehört zu jenen Ländern in der Europäischen Union, die erst im Zuge der vierten Erweiterungsphase Mitglied des europäischen Staatenverbundes geworden sind14. So erfolgte der Beitritt gemeinsam mit Schweden und Finnland am 1. Jänner 1995. Daher fallen die Anfänge der österreichischen Integration mit jenen der europäischen Integration nicht zusammen wie etwa bei Deutschland, das Gründungsmitglied der EGKS (Montanunion) gewesen war. 12 Etwa Kirche und die Welt des Sports in Österreich 1956–1986, hrsg. von Helmut Dembsher, Wien 1987 oder jüngst: Prinzip Mensch im Sport. 50 Jahre Kirche und Sport in Österreich, hrsg. von Bernhard Maier und Rudolf Weiler, Wien 2006. 13 Die Recherchen wurden im Oktober 2006 von mir gemeinsam mit Mag. Peter Pichler durchgeführt. Dabei wurden wir von Dr. Paul Wuthe unterstützt, dem ich nochmals herzlichst danken möchte. 14 Die erste Erweiterung fand 1972 mit Großbritannien, Irland und Dänemark statt, die zweite 1981 mit Griechenland und die dritte 1986 mit Spanien und Portugal.
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Beinahe dreißig Jahre nach der Gründung der Montanunion begann sich die österreichische Regierung intensiv mit einem möglichen EG-Beitritt auseinanderzusetzen. Im Juni 1989 konnte der damalige österreichische Außenminister der schwarz-roten Koalitionsregierung, Alois Mock, das Beitrittsgesuch dem damaligen Ratsvorsitzenden Roland Dumas übergeben. Obwohl man anfangs in Brüssel über den Antrag eines neutralen Staates skeptisch gewesen war, erhielt Österreich dennoch grünes Licht für die Beitrittsverhandlungen. Nachdem auch das Europaparlament seine grundsätzliche Befürwortung zum österreichischen EU-Beitritt gegeben hatte, erfolgte am 12. Juni 1994 die Befragung des österreichischen Volkes. Mit über 66% stimmten die ÖsterreicherInnen für einen EG-Beitritt. Die österreichische Kirche unter dem Wiener Erzbischof Christoph Schönborn und auch Kardinal König begleiteten den österreichischen Beitrittsprozess und sprachen sich klar für einen Beitritt aus15. Es wurde sogar eine Arbeitsgruppe seitens der Bischofskonferenz installiert, die sich mit Fragen rund um den Beitritt Österreichs zur EU beschäftigen sollte. Abgesehen davon erwartete die österreichische Kirche „von Staat und Öffentlichkeit, dass sie die rechtliche Stellung der Kirchen und anderen gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaften entsprechend gewährleisten“16. Doch blenden wir ein halbes Jahrhundert zurück zu den Anfängen der europäischen Integration. Vergleicht man die Ausgangssituation von Österreich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit jener Deutschlands, erkennt man sowohl Parallelen als auch Differenzen. Beide Staaten erhielten mit Jalta 1945 den Status eines „fremdbestimmten“ Landes. Dergestalt versuchten sie möglichst rasch, staatliche Souveränität zu erreichen und einen Staatsvertrag auszuhandeln. Dabei erwies sich Österreichs Position als Kleinstaat als durchaus nützlich. Österreich konnte nach zehnjährigen Verhandlungen am 15. Mai 1955 den Staatsvertrag erhalten. Der Preis dafür war die Neutralität, die mit dem 26. Oktober 1955 mittels Bundesverfassungsgesetz verlautbart worden ist. Jahre zuvor, im Mai 1949, erließ die Bundesrepublik Deutschland das Bonner Grundgesetz – als Reaktion darauf erfolgte am 7. Oktober die Gründung der DDR. Erst mit dem 3. Oktober 1990 sollte die Wiedervereinigung Deutschlands erfolgen. Wenngleich Konrad Adenauer das österreichische Junktim Staatsvertrag und Neutralität kritisch bewertete und es als Ausdruck der Durchsetzung sowjetischer Deutschland- und Europapolitik betrachtete, so akzeptierte er, 15 Vgl. in diesem Jahrbuch den Beitrag von Peter PICHLER, Aspekte eines Bewegungsraums. Katholische Geschichtserzählungen zwischen nationaler und europäischer Identität. Das Beispiel Österreich. S. 71–92. 16 Erklärung der Österreichischen Bischofskonferenz anlässlich ihrer Vollversammlung vom 30. März bis 1. April 1993 zitiert in: Die österreichischen Bischöfe (Hrsg.), Die Kirche auf dem Bauplatz Europa. Stimmen der österreichischen Bischöfe zur Wiedervereinigung Europas, Wien 2002, S. 5.
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wenn auch widerwillig, das österreichische Junktim und hielt sich zurück, Kritik zu üben17. Ab der Unterzeichnung des Staatsvertrages betrieb Österreich eine Westorientierung: bereits zuvor zählte es zu den Empfängerländern der Marshall-Hilfe, war 1948 Gründungsmitglied der OEEC in Paris und erreichte 1955 die Aufnahme in die UNO, 1956 in den Europarat. Deutschland hingegen war seit Ende der vierziger Jahre vollends in den sich anbahnenden Integrationsprozess einbezogen. Bereits Winston Churchill oder früher schon, in der Zwischenkriegszeit, der Paneuropäer Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi wiesen beinahe insistierend darauf hin, dass ein gemeinsames Europa nur auf der Basis der Zusammenarbeit mit Deutschland und Frankreich entstehen könne18! Nachdem Frankreich in der Frage der Einbeziehung Deutschlands in die Westpolitik grünes Licht gegeben hatte, da seiner Forderung nach Aufgabe von Souveränitätsrechten stattgegeben worden war, erfolgte 1950 die Rede von Robert Schuman, in der die Zusammenlegung der deutschen und französischen Kohle- und Stahlproduktion angekündigt wurde. Bereits am 18. April 1951 konnte der sogenannte EGKSVertrag in Paris gemeinsam von Frankreich und Deutschland, Italien und den Beneluxstaaten unterzeichnet werden; am 27. Juli 1952 wurde die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, Montanunion) gegründet. Nach der Krise um die Schaffung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, in deren Sog eine Europäische Politische Gemeinschaft entstehen sollte, wurde die BRD 1955 vollwertiges Mitglied der WEU bzw. NATO. Eine tiefergehende Integration, weg von der sektorialen Teilintegration im Bereich Kohle und Stahl hin zu einer europäischen Zollunion, erfolgte mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) auf den römischen Kapitolshügeln (oder sollte man eher von Kapitalshügeln sprechen19?). Das geteilte Deutschland war „in Europa“, Österreich aufgrund seiner Neutralität unter penibler Beobachtung des Kremls, weshalb eine Teilhabe am europäischen Integrationsprozess politisch undenkbar war. Bestenfalls konnte an die Schaffung einer Freihandelszone gedacht werden. Diese wurde unter Federführung Großbritanniens und im Verband mit anderen, 17
Jürgen NAUTZ, Wirtschaft und Politik. Die Bundesrepublik Deutschland, Österreich und die Westintegration 1945–1961, in: Österreich und die europäische Integration 1945–1993, hrsg. von Michael Gehler, Rolf Steininger, Wien 1993, S. 154. Vgl. allgemein GEHLER, Der lange Weg nach Europa (Anm. 8); Gehler erwähnt nicht die österreichische Kirche! 18 Die Rede von Winston Churchill ist abgedruckt in: Europa. Dokumente zur Frage der europäischen Einigung hrsg. im Auftrag des Auswärtigen Amtes I, Berlin 1962, S. 113– 115 sowie Anita ZIEGERHOFER-PRETTENTHALER, Botschafter Europas. Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi und die Paneuropa-Bewegung in den zwanziger- und dreißiger Jahren, Wien 2004. 19 Paul Michael LÜTZELER, Politik und Kultur im Europa-Diskurs. Zum Beispiel Friedrich Schiller und Reinhold Schneider, in: Die Macht der VorBilder – Politik und Kultur im Europa-Diskurs. Rechtshistorische Festreden der besonderen Art, hrsg. von Anita Prettenthaler-Ziegerhofer und Markus Steppan, Graz 2007, S. 46.
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auch neutralen OEEC-Staaten im Jänner 1960 als Europäische Freihandelszone (EFTA) in Stockholm aus der Taufe gehoben20. Die österreichische Kirche hielt sich während dieser Phase der österreichischen Westintegration mit Kommentaren zu den grundlegenden Etappen europäischer Integration zurück. Diese Zurückhaltung kann damit erklärt werden, dass man dem Vereinigungsprozess nicht diese Bedeutung beigemessen hat, wie etwa in den Staaten der Gründungsmitglieder. Dies gilt nicht nur für die Kirche, sondern auch für die Politik. Grundsätzlich hatte sich die österreichische Kirche von der Einmischung in die aktuelle Politik distanziert; diese Distanz dürfte wohl auf ihre Erfahrungen aus der Zwischenkriegszeit zurückzuführen sein. Immerhin hatte sich die Situation der österreichischen Kirche nach dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 völlig verändert. Bis dato war der Katholizismus die Staatsreligion. Nachdem 1918 die Monarchie untergegangen war, entwickelte die Kirche als Institution an die Christlichsoziale Partei eine sehr starke Bindung; aus dem Trauma des Verlustes der Dynastie und Monarchie entstand der sogenannte politische Katholizismus21. Diese starke Vernetzung zwischen Politik und Kirche kann beispielhaft an der Person von Ignaz Seipel festgemacht werden. Der Prälat war Sozialminister in der letzten kaiserlichen Regierung und fünf Mal Bundeskanzler in der Ersten Republik. Viele Kleriker übten bis 1933 ein politisches Amt aus. Ihre Politik war sehr stark konservativ und monarchistisch. Am 30. November 1933 erging nach dem Beschluss der österreichischen Bischöfe auf der Bischofskonferenz im Auftrage des Papstes an alle Priester die Aufforderung, ihre Mandate als Abgeordnete zum Nationalrat und Bundesrat sowie als Landtagsabgeordnete oder Landesräte, Gemeinderäte oder Gemeindeausschussmitglieder binnen 14 Tagen niederzulegen22. Für den Klerus kam diese Aufforderung dennoch überraschend. Spekulationen, dass dieser Rückzug als Protest gegen die Regierung Dollfuß gewertet werden könne, wurden durch den Weihnachtshirtenbrief vom 21. Dezember 1933 entgegnet. Hier beschworen die österreichischen Bischöfe ihre ergebene Treue gegenüber dem autoritären Ständestaat. Sie begründeten ihren Rückzug damit, weil die „katholische Regierung ohnehin die sicherste Garantie für
20 Anita ZIEGERHOFER-PRETTENTHALER, Österreich und das „gewollte“ Europa. Von der Paneuropa-Bewegung in die Europäische Union, in: Das „gewollte“ Europa, hrsg. von Anita Ziegerhofer-Prettenthaler und Josef F. Desput, Graz 2004, S. 81–110. Die EFTAGründerstaaten waren neben Großbritannien Dänemark, Irland, Portugal, Schweiz, Schweden und Österreich. 21 Vgl. Ernst HANISCH, Das System und die Lebenswelt des Katholizismus, in: Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik, hrsg. von Emmerich Tálos [u. a.], Wien 1995, S. 447. 22 Rudolf LEEB [u. a.], Geschichte des Christentums in Österreich. Von der Spätantike bis zur Gegenwart, Wien 2003, S. 414.
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die Wahrnehmung der religiösen Interessen sei“23. Grundsätzlich war der Entschluss, den Klerus von den politischen Funktionen auszuschließen, von zwei Hintergründen getragen: einerseits sollten die Kleriker sich ausschließlich auf die Seelsorgetätigkeit konzentrieren, und andererseits, so Hanisch, bewirkte man dadurch eine Schwächung des Parteiwesens und damit der Demokratie, um den Pfad für den autoritären „Dollfussweg“ freizumachen24. Der Wiener Erzbischof Kardinal Theodor Innitzer, der 1929/30 in der Regierung Schober III Sozialminister gewesen war25, kommentierte weiterhin das politische Tagesgeschehen und hatte u. a maßgeblichen Anteil am Aufbau des Mythos Engelbert Dollfuß, nachdem dieser am 25. Juli 1934 einem nationalsozialistischen Putschversuch zum Opfer gefallen war, und das Juliabkommen von 1936 fand ebenfalls – unter Protesten des Kirchenvolkes – seine offizielle Zustimmung. Es sei hier angemerkt, dass die österreichischen Bischöfe bereits 1929 gegen den Nationalsozialismus aufgetreten waren unter dem Motto: „Es sei unmöglich, gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Nationalsozialist zu sein“26! So kam es auch, dass am Tag des deutschen Einmarsches in Österreich, am 13. März 1938, Bischöfe verhört wurden und übrigens der einzige Bischof im deutschen Sprachraum von den Nationalsozialisten in Haft genommen worden ist. Dabei handelte es sich um den steirischen Fürstbischof Ferdinand Stanislaus Pawlikowski; 24 Stunden später hat man ihn wieder aus der Haft entlassen27. Fünf Tage nach dem Einmarsch erfolgte jedoch eine andere, unmissverständlichere Sprache als zuvor. An diesem 18. März 1938 unterzeichnete die Wiener Bischofskonferenz die „feierliche Erklärung“, worin die österreichische Bevölkerung aufgefordert wurde, am Tag der Volksabstimmung, dem 10. April 1938, mit JA für den Anschluss zu stimmen28. Dieser Akt unter Federführung von Kardinal Theodor Innitzer dürfte ein Trauma in der katholischen Kirche hinterlassen haben. Dieses Trauma fand schlussendlich in der Nichteinmischung in die Tagespolitik nach 1945 seinen Ausdruck. Darüber hinaus bezog sich die österreichische Kirche auf die Aussage von Papst Pius XII., die er im Zuge einer 23 LEEB, Geschichte des Christentums (Anm. 22), S. 414 f. Allerdings wird dieser Beschluss in der Historiografie sehr unterschiedlich bewertet – man geht davon aus, dass mit diesem Schritt der christlichsozialen Partei der Todesstoß versetzt worden ist. 24 Vgl. HANISCH, Das System und die Lebenswelt des Katholizismus (Anm. 21), S. 448 und vor allem Ernst HANISCH, Die Ideologie des politischen Katholizismus in Österreich 1918–1938, Wien 1977. 25 WEINZIERL, Kirche und Politik (Anm. 9), S. 440. 26 Auszug aus dem Hirtenbrief des Linzer Bischofs Johannes Maria Gföllner, zititert in: LEEB, Geschichte des Christentums (Anm. 22), S. 423. 27 Kirchengeschichte der Steiermark, hrsg. von Karl Amon und Maximilian Liebmann, Graz 1993, S. 322 ff. 28 LEEB, Geschichte des Christentums (Anm. 22), S. 425 ff und Kirchengeschichte der Steiermark (Anm. 27), S. 324.
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Audienz mit Innitzer tätigte: „Keine Parteipolitik, wenn aber die Politik an den Altären rühre, müsste die Kirche Politik betreiben“29. Der päpstliche Standpunkt wurde von Innitzer unter der Devise „Eine freie Kirche im neuen Staate“ bekräftigt und fand seinen programmatischen Niederschlag im sogenannten Mariazeller Manifest von 195230. Allerdings gilt die Distanz nicht für die Laien! Es verwundert demnach nicht, dass der europäische Integrationsprozess nicht Thema etwa eines Katholikentages wurde, obwohl etwa die Abhaltung des V. Steirischen Katholikentages in Graz einige Monate nach der Verkündigung der Schuman-Erklärung stattfand oder der gesamtösterreichische Katholikentag in das Jahr der Gründung der EGKS, 1952, fiel. Hier wurde klar, dass sich die Trennung von Staat und Kirche vollzogen hatte. Die katholische Kirche nach 1945 widmete sich vordergründig dem Aufbau der Laienkirche, hier vor allem der Katholischen Aktion, die 1949 wieder ins Leben gerufen worden ist, und weiterer Standesorganisationen. Da war für das sich vereinende Europa kein Platz! Im Gegensatz zu Deutschland waren alle Organisationen während des Krieges bzw. bereits zuvor zerschlagen worden. Man war aber darum bemüht festzuhalten, dass die Katholische Aktion nur durch die nationalsozialistische Herrschaft eingestellt worden war und dass es sich jetzt nicht um eine Neugründung, sondern um eine Wiederaufnahme der Tätigkeiten handle31. Auch das Pressewesen musste wieder neu aufgebaut werden32. Die führende Wochenzeitung wurde nun Die Furche. Allerdings erschienen in den Anfangsjahren lediglich zwei Artikel, die sich mit dem Integrationsprozess auseinandersetzten. So etwa jener über den Haager Kongress, wo sich im Mai 1948 Unionisten und Föderalisten trafen, um gemeinsame Parameter für ein Vereintes Europa zu formulieren. Diese Forderungen gingen in der Gründung des Europarates auf! Am Kongress diskutierte man auch über die Frage der Abgabe von Souveränität. Auf diese müsse, nach Ansicht des Autors, verzichtet werden, quasi als Vorbedingung für die Europäische Union33. Zwei Jahre später erschien ein weiterer Bericht über den Schuman-Plan. Hier bezeichnete man die Abgabe von Souveränität 29 30
LEEB, Geschichte des Christentums (Anm. 22), S. 443. Das Manifest ist im Wortlaut unter http://www.kathpress.at/content/site/dokumente/ ansprachen/article/82.html abrufbar. 31 Kirchengeschichte der Steiermark (Anm. 27), S. 397. 32 Die führende Wochenzeitung wird ab 1946 Die Furche. In den Diözesen werden eigene Sonntagsblätter herausgegeben. In Innsbruck erscheint Der Volksbote. Verlage sind der Styria-Verlag, Herder, Tyrolia, Herold etc. Die Furche legte Wert darauf, kein Organ der katholischen Kirche Österreichs zu sein! Vgl. zum katholischen Pressewesen in der Zwischenkriegszeit Anita ZIEGERHOFER-PRETTENTHALER, Schönere Zukunft – Die führende Wochenschrift der (österreichischen) Ersten Republik (1925–1938), in: Le Milieu intellectuel catholique en Allemagne, sa presse et ses réseaux (1871–1963), hrsg. von Michel Grunewald und Uwe Puschner, Bern [u. a.] 2006, S. 395–414. 33 N.N., An abschüssiger Stelle, in: Die Furche 21 (22. Mai 1948), S. 1. An dieser Stelle möchte ich mich bei Mag. Peter Pichler für die Recherchen herzlichst bedanken.
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als goldenen Schlüssel: „ohne ihn ist der kostbare Schatz, den die Einigung Europas bedeuten muss, nicht zu heben“34. Grundsätzlich sei darauf hingewiesen, dass nicht nur die österreichische katholische Kirche der Tagespolitik mit Distanz begegnete, diese Distanz gilt für die gesamte katholische Kirche in Europa. Hinsichtlich des europäischen Integrationsprozesses stellte Schwarz fest, dass unter den Christen eine gewisse Ermüdung feststellbar sei. Dies deshalb, weil die Kirche in ihren Laienorganisationen in allzu optimistischer Weise auf die Europakonzeptionen eingegangen ist35. Der Nachfolger des Wiener Erzbischofs Theodor Innitzer, Kardinal Franz König, sollte diese Distanziertheit der österreichischen Kirche durchbrechen. Er forderte geradezu die Christen auf, politisch zu denken und zu handeln! Sein Engagement im Bereich der Ostkirche hat ihm den Ruf eines Brückenbauers zwischen West- und Ostkirche gebracht, und darüber hinaus kann man ihn als Wegbereiter der europäischen Integration à la Österreich bezeichnen. II. Der „Jahrhundertkardinal“ Franz König (1905–2004) Wohl kein Kardinal erfuhr so große Popularität in Österreich wie Franz König. Dies liegt nicht nur an der Zeit, in welche seine Amtszeit fiel, sondern auch an seiner Persönlichkeit. Durch ihn wurde die österreichische Kirche „offener, problembewusster, welthaltiger und menschenfreundlicher“36. An dieser Stelle soll jedoch nicht hinterfragt werden, wie sehr König Mythos gewesen war und wie sehr die Metapher oder das Klischee vom Brückenbauer auf ihn zutrafen. Fest steht, dass König im Bewusstsein der ÖsterreicherInnen als der „gute Geist der Zweiten Republik“ empfunden worden ist und ihm diese Anerkennung auch über den Tod hinaus noch gezollt wird37. Als Kardinal König38, der Universitätsprofessor für Moraltheologie in Salzburg gewesen war und von 1952 bis 1956 Bischof von St. Pölten, im Jahr 1956 Erzbischof von Wien und 1958 (bis 1985) Kardinal geworden war, galt er nicht nur als der Hoffnungsträger für die Kirche Österreichs, sondern auch 34 Ernst ZICHY, Der goldene Schlüssel des Schuman-Planes, in: Die Furche 28 (8. Juli 1950), S. 4. 35 Jürgen SCHWARZ, Die katholische Kirche und das neue Europa, Dokumente 1980–1995, Teil I, Mainz 1996, S. XXIII. 36 Ernst HANISCH zitiert bei Wolfgang BAHR, Der Mythos vom Kardinal König, in: Memoria Austriae I. Menschen, Mythen, Zeiten, hrsg. von Emil Brix [u. a.], Wien 2004, S. 133. 37 BAHR, Mythos (Anm. 36), S. 160. 38 Einige Biografien über Kardinal König sollen hier Erwähnung finden: Hubert FEICHTLBAUER, Franz König. Der Jahrhundertkardinal, Wien 2003; Kardinal König, hrsg. von Annemarie Fenzl, Wien 1985; Johannes KUNZ, Der Brückenbauer. Kardinal Franz König 1905–2004. Sein Vermächtnis, Wien 2004.
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für viele Gläubige in den angrenzenden osteuropäischen Nachbarländern. Diese sollte er nicht enttäuschen: Kardinal König war der erste Bischof, der ab den sechziger Jahren das Thema Integration aufgenommen hat. Er selbst lebte Integration, zumal er versuchte, die Brücken in den benachbarten Ostblock zu bauen. Erste Kontakte nach Osteuropa hatte Kardinal König bereits im Jahr 1956 geknüpft. Der Erzbischof von Warschau, Kardinal Stefan Wyszy[ski, befand sich auf der Durchreise in Österreich, als er auf dem Weg zu seiner ersten Papstaudienz war. Kardinal König hatte ihn in der Nähe von Wien aus dem Zug geholt und ihn mit dem Auto nach Wien gebracht, um dem noch medial unerfahrenen Kardinal den Journalistenansturm zu ersparen. Allmählich entwickelte sich daraus eine Freundschaft39. An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass unter Papst Pius XII. (1939–1958) eine fixe Regel ausgegeben worden ist: „Mit denen (Osteuropäern, Anm. d. V.) reden wir nicht“40. Gerade im Fall Polen dürfte der Vatikan ein „schlechtes Gewissen“ gehabt haben; immerhin hatte er 1939 versucht, Nazi-Deutschland von einem Krieg gegen Polen abzuhalten, insgeheim aber gehofft, dass beide Staaten gemeinsam gegen die gottlose Sowjetunion kämpfen würden. Daher riet man damals Polen mehrfach zu Klugheit und Mäßigung gegenüber Deutschland41. Diesbezüglich gewinnt das Treffen von König mit dem Warschauer Erzbischof eine weitere Dimension und erhält eine wesentliche Signalfunktion! Und die Wahl eines Polen zum Papst Jahrzehnte später bedeutet eine weitere symbolhafte Geste. Der Gedanke, Kontakte zur Ostkirche und Orthodoxie aufzubauen, geht auf ein persönliches Erlebnis von Kardinal König zurück. König hatte 80 km vor Zagreb am 13. Februar 1960 einen schweren Autounfall, als er sich, als persönlicher Delegat von Papst Johannes XXIII. (1958–1963)42, auf dem Weg zum Begräbnis des Agramer Kardinals Alois Stepinac befand. Die Position, persönlicher päpstlicher Delegat zu sein, war auf den völkerrechtlichen Status Österreichs als neutralen Staat zurückzuführen wie auf die Politik von Marschall Tito. Dieser hatte Interesse, die Katholiken in seinem Land zu gewinnen, weshalb er einem Kardinal erlaubte, „ein erstes Mal den Fuß in einen Türspalt des kommunistischen Ostens“ zu setzen43. Kardinal König musste einige Zeit im Spital in Varazdin verbringen, um dann nach Wien überstellt zu werden. Im Spital liegend sah er das Bild Titos und kein Kreuz. Aufgrund dessen stellte er sich die Frage, ob sich nicht der Erzbischof von Wien, als
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FEICHTLBAUER, Franz König (Anm. 38), S. 123. Ebd. Ebd. BAHR, Mythos (Anm. 36), 153. Ebd.
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„letzte Station der freien Kirche vor der unfreien Kirche“44, mehr um die Christen jenseits des Eisernen Vorhangs kümmern sollte. Seither ließ ihn dieser Gedanke nicht mehr los. Die Funktion des Wegbereiters des Dialoges zwischen West- und Ostkirche erfolgte allerdings ohne Absprache mit dem Vatikan. Dies wohl auch deshalb, weil unter dem Pontifikat Pius XII. eine „Ostkirchenpolitik“ unmöglich war. Die Unbeugsamkeit des Papstes gegenüber dem Kommunismus hatte darüber hinaus heftige antireligiöse Kampagnen in den Ländern des Ostens ausgelöst45, weshalb König die zusätzliche Aufgabe zukam, das Misstrauen gegenüber der Kirche abzubauen. Kardinal König begann viele Reisen in die Länder hinter dem „Eisernen Vorhang“ zu unternehmen. So stattete er bereits 1961 als erster römischkatholischer Kardinal seit 1054 dem Ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel einen Besuch ab. Seine Reisen ließen ihn bald als „Experten“ für die Ostkirche aufscheinen. Daher verwunderte es nicht, dass Papst Johannes XXIII. König damit beauftragte, den seit 1948 inhaftierten József Kardinal Mindszenty zu besuchen. Das erste Zusammentreffen beider Kardinäle fand am 10. April 1962 statt, und zwar in der amerikanischen Botschaft in Budapest. Dort hatte Mindszenty während der Oktoberrevolution 1956 Zuflucht gefunden. König hatte erheblichen Einfluss darauf, dass der Erzbischof sein Exil verließ und über Rom nach Wien ins Pazmaneum reiste. Dieser Ort war ein kleines Stück Ungarn in Österreich und gab dem betagten Kardinal das Gefühl, nicht so sehr im Exil leben zu müssen46. Mehrfach wird auch behauptet, dass die Ausreise Kardinal Mindszentys vor allem auf diplomatischem Wege zwischen Rom, Budapest und Washington aus verhandelt worden ist47. Dies mag stimmen, fest steht aber, dass die Lösung dieses delikaten Problems auf das diplomatische Geschick von Kardinal König zurückzuführen ist, der Kardinal aber nie darauf bestand, im „Rampenlicht“ stehen zu wollen48. Mit der Kontaktaufnahme zu Kardinal Mindszenty begann der kontinuierliche Aufbau von Kardinal Königs „Ostpolitik“. Seine Missionen trugen dazu bei, kommunistisches Misstrauen gegenüber der Ostpolitik des Vatikans 44
Kardinal Franz König, „Glaube ist Freiheit“. Erinnerungen und Gedanken eines Mannes der Kirche, Wien 1981, S. 119. 45 Hansjakob STEHLE, Brückenbau nach Osten – über Wien, in: Kardinal König (Anm. 38), S. 10. 46 Zitat Kardinal König bei KUNZ, Brückenbauer (Anm. 38), S. 123. 47 Vgl. die jüngst erschienene Geschichte Ungarns von Àrpád VON KLIMÓ, Ungarn seit 1945, Stuttgart 2006. Hier findet Kardinal König in keiner Weise Erwähnung. Interessant ist auch, dass Kardinal Mindszenty die Bemühungen des Kardinals in seinen Erinnerungen nicht erwähnt, vgl. József Kardinal MINDSZENTY, Erinnerungen, Frankfurt a. M 1974. 48 FEICHTLBAUER, Franz König (Anm. 38), S. 129 sowie Auskunft von Frau Dr. Annemarie Fenzl (Telefongespräch 22.11.2007)).
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abzubauen. Ab 1963 unternahm König immer wieder längere Reisen nach Osteuropa, und nach einem längeren Ostaufenthalt meinte er in einem Interview: „Wenn Koexistenz Miteinanderleben in Gegensätzen heißt, so ist das in diesen Ländern die Tatsache. Wir können den Gläubigen in diesen Ländern nur helfen, in einer solchen Koexistenz zu existieren. Wir warten nicht auf einen Zusammenbruch das Systems, auf eine Änderung der kommunistischen Lehre“49.
Eine Reise nach Rumänien folgte 1967, noch bevor der Vatikan die Kontakte zur dortigen Kirche hergestellt hatte50. Die erste Reise in die Sowjetunion fand schlussendlich 1980 statt. Diese „Pilgerreise“ war durch „größere Vorsicht“ und wohl auch Misstrauen ihm gegenüber gekennzeichnet, Herzlichkeit empfing den Kardinal erst auf seiner Weiterreise nach Armenien und Georgien. König war ein „Icebreaker“ für eine Kirchenpolitik, „die zu einer geistigreligiösen Wiedervereinigung Europas lange vor einer politischen Union geführt hat“51. König war aber nicht nur der Wegbereiter für eine OsteuropaIntegrationspolitik des Vatikans, sondern auch für die österreichische Außenpolitik. Bundeskanzler Josef Klaus (1964–1970), der ursprünglich Bedenken gegen eine Annäherung an den Sowjetkommunismus hegte, meinte schlussendlich: „Sie haben doch recht. Wir müssen mit dem Osten Verbindung aufnehmen“52. Dieser Satz kann als Anbeginn der österreichischen Bemühungen um „Mitteleuropa“ am Ende der siebziger Jahre gelten. Kardinal König war ein Weltenbürger, immens sprachgewandt und gebildet konnte er sich über die Grenzen hinweg verständigen. Sein geistiges Schaffen war kosmopolitisch. König mahnte vor allem in seinen „EuropaReden“ davor, dass Leistung und Konsum, aber auch das Primat der wirtschaftlichen Interessen die Menschen blind mache und dass dadurch die geistigen Werte verlustig gehen53. Dies gilt etwa für die im Jahr 1977 im Dom zu Köln anlässlich des 90. Geburtstags von Josef Kardinal Frings und des 70. Geburtstags von Joseph Kardinal Höffner gehaltene Rede über Europa unter dem Titel Ohne Opferbereitschaft kein Europa. König reflektierte dabei auf die Wahlen zum Europarat und die vor der Tür stehende erste Direktwahl ins Europäische Parlament. In dieser Rede bezog sich König auch auf die Ostkirche und erinnerte daran, dass die gemeinsame Grundlage Europas das Christentum sei. König betonte, dass die wesentliche Frage im kommenden Europa 49 50
STEHLE, Brückenbau (Anm. 45), S. 110. Ebd., S. 111: Der Vatikan trat erst in den siebziger Jahren mit dem rumänischen Patriarchen in Verhandlungen. 51 FEICHTLBAUER, Franz König (Anm. 38), S. 129. 52 Zitat Bundeskanzler Klaus bei KUNZ, Brückenbauer (Anm. 38), S. 129. 53 Franz KÖNIG, Appelle an Gewissen und Vernunft, Innsbruck 1996, S. 165.
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jene sein werde, welche Dienste die Kirche für den Inhalt des im Entstehen begriffenen Europa leisten könne und leisten solle. In jenem Jahrzehnt, wo die Zerklüftung Europas in die „EWG-Six and the EFTA-Seven“ überwunden, Großbritannien der EWG beigetreten war und in Helsinki 1975 die Verhandlungen zwischen Ost- und West in die Gründung der KSZE mündeten, bezeichnete König „Europa als politisch eingeklemmt zwischen den beiden Supermächten, wirtschaftlich von Krisen heimgesucht [z. B. Ölkrise 1973, Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods, Anm. d. V.] innerlich geschwächt durch moralisch-religiöse Krise“54. Die Krise im damals vereinten Europa führte König darauf zurück, dass die geistigen Grundlagen in Europa – Glaube, Familie und Bereitschaft zum Opfer – nicht mehr existierten und dass die Menschen durch die Versuchung des Materialismus geistig entwurzelt seien55. Ausführlicher widmete sich König dem Thema Europa anlässlich eines Vortrages an der Katholischen Akademie in Bayern im Jahr 1978. Seinen Vortrag Der Christ in Europa – Geistige Grundlagen für ein künftiges Europa leitete er mit „Die Geschichte Europas ist ohne das Christentum nicht denkbar“, ein56. Dieses Diktum führte der Erzbischof weiter aus. Der Wissensstand der Menschen habe sich rasant verdoppelt, dennoch seien die Menschen dadurch nicht humaner oder glücklicher geworden. Auf die Frage, ob Europa noch eine Zukunft habe, antwortete der Kardinal mit Ja, sie sei davon abhängig, wie stark die seelische Kraft und Verwurzelung der Menschen sei. Allerdings werde diese Kraft durch die Technokratie auf eine harte Probe gestellt. Die einzige Aufgabe Europas scheint es zu sein, sich der Macht der Technokratie zu bedienen, damit die Menschen materiellen Wohlstand, Macht und Sicherheit erhalten. Wie bereits in Köln warnte König vor der geistigen Entwurzelung der Menschen, das Streben nach Wissen und Macht, nach Konsum lasse die Menschen krank werden: der sinnlose, gewissenlose, wertfeindliche, besinnungslose, aggressive Mensch werde geboren. Dergestalt würden die Probleme im zukünftigen Europa unlösbar. Die Ersatzreligion in Ost und West sei der Materialismus geworden. König war davon überzeugt, dass es in der Auseinandersetzung zwischen Ost und West darauf ankommen werde, ob Europa Ideale habe, für die es sich lohne, zu leben und zu sterben. Der Kampf um Ideale beweise eine Opferbereitschaft, und diese wiederum sei Zeichen für den größeren Idealismus. Europa müsse sich auf das Menschenbild in der Bibel rückbesinnen, und das Christentum müsse den Fundamenten Europas neuen Halt geben. König sprach sich gegen die Einmischung der Kirche in Staatsangelegenheit aus, plädierte jedoch für ein Zusammenwirken zwischen Kirche und Staat. Und schließlich forderte er für 54 F[ranz] KÖNIG, Kardinal, Erzbischof von Wien: Ohne Opferbereitschaft kein Europa, in: SCHWARZ, Katholische Kirche (Anm. 35), S. 307. 55 Ebd., S. 306–308. 56 Ebd., S. 419.
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das vereinte Europa der Zukunft die Bildung eines föderativen Bundesstaates ein57. In dieser europäischen Föderation sollte jedes einzelne Mitgliedsland ein Initiativ- und Referendumsrecht besitzen. Außenpolitik, Verteidigungsund Währungspolitik müssten Bundeskompetenzen sein, alle anderen Agenden müssten nationalstaatliches Hoheitsrecht bleiben. Kardinal König vertrat die feste Überzeugung, dass dieses Europa, das „zwischen zwei (oder gar drei) Supermächten eingekeilt [war], immer noch in allen Dimensionen der menschlichen ‚Kultur‘ Fähigkeiten und Möglichkeiten besitzt, die noch unverbraucht der Verwirklichung harren“58. Mit dieser Feststellung leitete er ein Buch mit dem Titel „Europa. Horizonte der Hoffnung“ ein, das er 1983 gemeinsam mit dem Theologen Karl Rahner herausgab. In seinem Beitrag skizzierte König den europäischen Integrationsprozess, der half, aus dem geografischen Begriff Europa als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges wieder eine politische Realität zu schaffen59. Er legte auch unmissverständlich und klar dar, dass, wenn Christen von Europa sprechen, es sich nur um das eine Europa handeln könne, das sowohl aus West als auch aus Ost bestehe, Europa sei ein religiös-kultureller Begriff60. Und schließlich erklärte König, dass erst das II. Vatikanum (1962–1965) das Interesse der Kirche an einem Vereinten Europa geweckt habe aufgrund der neu erwachten Ökumene61. Der Weg Europas zu sich selbst gelinge zum einen über die politisch-wirtschaftliche Vereinigung, zum anderen über die Enteuropäisierung der Weltkirche, d. h. die Einwurzelung der katholischen Kirche und des Christentums in die nichteuropäischen Kulturen und Kontinente62. Die einzige geschichtliche und geistige Trennlinie für Europa erblickte König im Islam und den Naturreligionen im asiatischen Russland. Die Überwindung zwischen Ost- und West könne nur aufgrund der Ökumene erfolgen und in politischer Weise hoffte König auf die Arbeiten der KSZE (seit 1995 OSZE). Die Rückbesinnung der Menschen auf die christlichen Werte könne eine Zukunft schaffen, die von Sicherheit und Furchtlosigkeit bestimmt werde63. Dieser Beitrag widerspiegelt Königs Einstellung zu einem Vereinten Europa! Dass Kardinal König sich schlussendlich für den Beitritt Österreichs zur damaligen EG aussprach, muss hier nicht ausdrücklich betont werden. Er 57 Franz KÖNIG, Der Christ in Europa, in: SCHWARZ, Katholische Kirche (Anm. 35), S. 426. 58 Europa. Horizonte der Hoffnung, hrsg. von Kardinal König und Karl Rahner, Graz 1983, S. 7. 59 Franz Kardinal KÖNIG, Europa auf dem Wege zu sich selbst, in: Europa (Anm. 58), S. 39. 60 Ebd., S. 44. 61 Ebd., S. 47. 62 Ebd., S. 54. 63 Ebd., S. 54 und 57.
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vertrat die Meinung, dass es beim Beitritt nicht nur um wirtschaftliche Belange gehe, sondern um Menschenrechte: „Europa sei durch falschen Nationalismus und durch falschen Fortschrittsglauben zweimal zerstört worden. Damit so etwas nicht wieder passieren kann, müsse in einem großen Zusammenhang der Frieden gesichert werden“64. Kardinal König betonte weiters, dass er als Österreicher und Christ spreche, da er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr der Österreichischen Bischofskonferenz angehörte. Seine Empfehlung habe nichts mit Parteipolitik zu tun, vielmehr gehe es um eine Grundsatzfrage, die jeden Christen betrifft65. Damit unterstrich er die Erklärung der Österreichischen Bischofskonferenz, dass es den Bischöfen nicht zustehe, den Katholiken ein Ja oder ein Nein zu empfehlen. „Wir verweisen aber darauf, dass nach den zwei mörderischen Weltkriegen Staatsmänner aus christlicher Verantwortung das Konzept einer europäischen Integration entworfen und gefördert haben, weil ihnen ein dauerhafter Friede in Europa nur durch wachsende wirtschaftliche, kulturelle und politische Integration als möglich erschien. […] Bei aller gebotenen sorgsamen Abwägung des Für und Wider zur weiteren Integration wird ein bewusster Christ den Auftrag und die Chance ernst nehmen, auf dem Bauplatz Europa mit den Maßstäben des Evangeliums mittätig zu sein“66.
Anlässlich der 1. Ratspräsidentschaft Österreichs im zweiten Halbjahr 1998 wurde Kardinal König gebeten, in dem von der Bundesregierung herausgegebenen Buch einen Beitrag zu verfassen. Darin legte der Kardinal seine Sicht eines vereinten Europa dar. Um der Ostkirche den Weg nach Europa ebnen zu können, bedürfe es des ökumenischen Dialogs, der bereits 1948 durch die Gründung des World Council of Churches seinen Anfang genommen habe. Der Dialog müsse sich auf Juden und Moslems erweitern. König plädierte für eine ökumenische Weggemeinschaft, die den interreligiösen Dialog vorantreiben sollte67. Der Kardinal sah den Weg nach Europa nur über Mitteleuropa gangbar, was für Österreich dementsprechende Konsequenzen habe; immerhin sei es jenes Land, dessen Geografie und Geschichte eng mit Zentral- und Mitteleuropa verbunden sei und es deshalb den Weg der Verbindung suchen müsse68. Diese Forderungen im Jahr 1998 lasen sich damals eher visionär, heute sind sie Realität! 64 Zitiert bei Maria MAYER-SCHWINGENSCHLÖGL, Wie viel Religion braucht Österreichs Politik? Analyse und neue Modelle der politischen Arbeit der katholischen Kirche Österreichs, Wien 2004, S. 184. 65 Kardinal KÖNIG, Zur Abstimmung gehen und mit „JA“ stimmen, Kathpress 127, 7. Juni 199, S. 3 (von Frau Dr. Annemarie Fenzl dankenswerterweise übermittelt). 66 Erklärung der Österreichischen Bischofskonferenz anlässlich ihrer Vollversammlung vom 22. bis 24. März 1994, in: Die Kirche auf dem Bauplatz Europa (Anm. 17), Wien 2002, S. 7. 67 Franz KÖNIG, Europa sucht seinen Weg, in: Austria – Europa. Zur ersten EUPräsidentschaft Österreichs 1998, hrsg. von Wolfgang Schüssel, Wien 1998, S. 31. 68 KÖNIG, Europa sucht seinen Weg (Anm. 57), S. 33.
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König hatte im Zusammenhang mit der Ökumene in seiner Rede auf die Stiftung Pro Oriente hingewiesen69. Diese hatte er während der Zeit des II. Vatikanums 1964 in Wien gegründet. Von hier aus sollten mitteleuropäische Brücken nach Osten gebaut werden. Dass diese Stiftung erfolgreich war, beweisen der Aufbau der Kontakte zur Orthodoxie und den altorientalischen Kirchen des Ostens. Pro Oriente stellte somit den ersten und wichtigsten Brückenpfeiler nach Mitteleuropa dar70. Es galt, so König in seinem Beitrag fortsetzend, in weiterer Folge für Österreichs Brückenfunktion, an die Geschichte der Habsburgermonarchie anzuknüpfen. Die Geschichte habe ein Gefühl gegenseitiger Verbundenheit erzeugt, auf das es heiße aufzubauen. Außerdem empfahl er der jungen Generation in Österreich, die Sprachen Mitteleuropas zu lernen71. Die Funktion Österreichs als Brücke zu den osteuropäischen Staaten ist gemeinhin bekannt, Kardinal König hat diese Funktion ausgebaut und Kontakt aufgebaut. Eine weitere „Brücke“ stellt der steirische Gedächtnisort Mariazell dar, er diente über Jahrhunderte als Integrationsort für die Ungarn und slawischen Völker. III. Der mitteleuropäische Gnadenort Mariazell Als ein weiteres Symbol für „österreichische“ Integration, das mit Kardinal König ebenfalls in Verbindung gebracht werden muss, sei hier auf den Gedächtnisort Mariazell verwiesen. Die Bedeutung von Mariazell kann mit jener der Speyerer Friedenskirche verglichen werden72. Der im Nordosten der Steiermark liegende Wallfahrtsort mit der Gnadenmutter Maria ist nicht nur die Magna Mater Austriae, sondern darüber hinaus auch die Magna Mater Gentium Slavorum oder Regina Slavorum und Magna Domina Hungarorum – sie ist die Integrationsfigur für die Ungarn und die slawischen Völker. Mariazell steht für die einstige Vielvölkermonarchie Österreich-Ungarn. Mariazell galt in der Habsburgermonarchie als der Wallfahrtsort der Habsburger schlechthin, auch heute noch finden diverse Familienfeiern der Habsburger in Mariazell statt. Auch noch heute erfolgt durch österreichische Politiker eine Inbesitznahme von Mariazell, indem der Wallfahrtsort immer wieder in gesellschaftspolitische Prozesse eingebunden wird. So etwa aus Dankbarkeit, dass die 14 EU-Staaten im Jahr 2000 die Sanktionen über Ös69
Vgl. die unregelmäßig erscheinende Schriftenreihe Pro Oriente, Innsbruck 1975 ff. oder 30 Jahre Pro Oriente, Festgabe für den Stifter Kardinal König zu seinem 90. Geburtstag, hrsg. von Alfred Stirnemann und Gerhard Wilfinger, Wien 1995. 70 Vgl. ganz allgemein zur Ökumene Grigorios LARENTZAKIS, Die Ökumene wächst, in: Steiermark, hrsg. von Alfred Ableitinger und Dieter Binder, Wien 2002, S. 513–526. 71 KÖNIG, Europa sucht seinen Weg (Anm. 57), S. 33. 72 Vgl. dazu den Beitrag von Michael KIßENER in diesem Band, S. 93–106.
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terreich beendet hatten, pilgerte der damalige österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel zum Gnadenort. Auch im Zuge seines Wahlkampfes anno 2006 unternahm der gegenwärtig (2008) amtierende Bundeskanzler Alfred Gusenbauer eine Wallfahrt nach Mariazell. Der 2004 verstorbene Bundespräsident Thomas Klestil betonte oftmals die Brückenfunktion des Gnadenortes: „zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Religion und Staat, zwischen Österreich und Europa“73. Die im Jahr 1157 gegründete Basilika ist ab diesem Zeitpunkt und dann vor allem ab dem 14. Jahrhundert kontinuierlich zum größten Gnadenort Mitteleuropas für die Völker dieses Raumes herangewachsen. Die ungarische Wallfahrts-Tätigkeit im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts stieg wohl auch deshalb, da aus dieser Zeit Schenkungen des ungarischen Königs Ludwig der Große (1326–1382) bezeugt sind. Fortan statteten weitere ungarische Könige bis zu Ludwig II. (1506–1526) mit seiner Frau Maria Mariazell Besuche ab. Die „symbolische Inbesitznahme“ des Gnadenortes durch die Ungarn74 wird an den Statuen ungarischer Heiliger in der Basilika und die Kapellen, die ungarischen Heiligen geweiht sind, sichtbar. Bis ins 17. Jahrhundert war der Großteil der Wallfahrer Adelige, ab diesem Zeitpunkt pilgerten immer mehr Bürger, Handwerker oder Bauern nach Mariazell. Sie nahmen Abbildungen der Zeller Marienstatue mit nach Hause, und bald gab es fast keinen Ort in Ungarn, der nicht über eine derartige Kopie der Muttergottes verfügte. Die Mariazeller Muttergottes diente auch als Vorbild für Altäre in Ungarn und in Siebenbürgen. Mariazell lag von den international bekannten Wallfahrtsorten für die Völker Mitteleuropas am nächsten. So konnte man den Gnadenort von der Mitte Ungarns aus in 10 bis 14 Tagen erreichen. Obwohl nach dem Ersten Weltkrieg den Wallfahrern zur Erleichterung des Grenzübertrittes Wallfahrerausweise ausgestellt worden sind, verlor Mariazell in der Zwischenkriegszeit an Anziehungskraft. Dies änderte sich jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg. Vor allem nach den Ereignissen des Jahres 1956 erhielt Mariazell den Status, der einzige von den Exil-Ungarn erreichbare „ungarische“ Wallfahrtsort in der freien Welt zu sein75. Die Verehrung Mariazells ab 1956 steht in Verbindung mit Kardinal Mindszenty. Dieser war ja 1948 infolge der kommunistischen Machtübernahme in Ungarn inhaftiert worden. 1949 machte man ihm einen „konstruierten Prozess“, infolgedessen er als „imperialistischer Spion“ zu lebenslanger Haft verurteilt wurde76. Im Zuge der Oktoberrevolution befreite man Mindszenty am 31. Oktober 1956 aus dem Haus73 Zitiert bei Christian STADELMANN, Mariazell, in: Memoria Austriae I (Anm. 36), Wien 2005, S. 328. 74 Gábor BARNA, Mariazell und die ungarischen Wahlfahrten, in: Mariazell und Ungarn, 650 Jahre religiöse Gemeinsamkeit, Graz 2003, S. 73. 75 BARNA, Mariazell (Anm.74), S. 80. 76 VON KLIMÓ, Ungarn seit 1945 (Anm. 47), S. 196–200.
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arrest. Am 3. November hielt der Kardinal im Radio eine Ansprache, in welcher er zur Unterstützung des Freiheitskampfes aufrief77, tags darauf floh er in die US-Botschaft, die 15 Jahre lang sein Exil sein sollte. Kardinal König konnte ihn dazu bewegen, die Botschaft zu verlassen und nach Österreich zu kommen. Dort starb er im Jahr 1975, seine sterblichen Überreste wurden nach Mariazell überführt. Verharrte 1948 die katholische Bevölkerung Ungarns im passiven Schweigen, wurde Mindszenty 1956 und dann vor allem nach seinem Tod 1975 zur Symbolfigur des katholischen Widerstandes. Mariazell wurde nun auch Symbol des Widerstandes gegen den Kommunismus, woran Kardinal König nicht unwesentlichen Anteil hatte. Auch als die Gebeine von Kardinal Mindszenty am 4. Mai 1991 nach Esztergom überführt wurden und ihn Papst Johannes Paul II. heilig gesprochen hatte, blieb Mariazell weiterhin der Gnadenort für die Ungarn. Nach der Öffnung des Eisernen Vorhanges strömten unzählige Menschen vorwiegend aus Ungarn zum Gnadenort. Im Jahr des Beitrittes osteuropäischer Staaten zur EU veranstaltete die österreichische Kirche einen Mitteleuropäischen Katholikentag78. Im Zuge des Katholikentages erfolgte eine „Wallfahrt der Völker“ nach Mariazell. Die Pilger kamen aus Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Österreich, Polen, der Slowakei, Slowenien, Tschechien und eben Ungarn und machten damit das ehemals von Mariazell aus unsichtbar geknüpfte Netz der Solidarität öffentlich sichtbar. An diesem Mitteleuropäischen Katholikentag nahmen acht Bischofskonferenzen, 107 Diözesen und schlussendlich 100.000 Gläubige teil. Die Wallfahrt fand vom 21. bis 23. Mai 2004 statt und stand unter dem Motto „Christus – Hoffnung Europa“79. Vor Beginn des Festgottesdienstes am 22. Mai 2004 gedachte man des am 13. März 2004 verstorbenen Kardinals König! Man brachte Sequenzen aus seiner Europa-Friedensvesper, die er 2003 zelebriert hatte. Darin erwähnte er ausdrücklich seinen Unfall im Jahr 1960, der sein Engagement für die Ostkirche weckte, und meinte nachdrücklich, auch wenn der Eiserne Vorhang heute nicht mehr existiere, werde es doch noch viel „Fingerspitzengefühl, Geduld und liebevolle Fürsorge brauchen, bis die Mauern in den Herzen und im Denken vieler Menschen zum Einsturz kommen“80.
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Eine kurze Bewertung dieser Ansprache findet sich etwa bei Paul LENDVAI, Der Ungarn-Aufstand 1956. Eine Revolution und ihre Folgen, München 2006, S. 151–152. 78 Die österreichischen Bischöfe Hrsg., Mitteleuropäischer Katholikentag 2003/04, Wien 2003. 79 Wolfgang SOTILL, Wallfahrt der Völker, Mariazell 2004, S. 4. 80 Kardinal KÖNIG zitiert in SOTILL, Wallfahrt (Anm. 79), S. 24.
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Mariazell war schließlich auch jener Ort, den Papst Benedikt XVI. im Zuge seines Österreich-Besuches im Jahr 2007 aufsuchte, auch er wurde von unzähligen Pilgern aus Mitteleuropa empfangen81. IV. Zusammenfassung und Forschungsausblick Aus dem skizzenhaften Aufriss lassen sich folgende Schlüsse ableiten: Die Kirche hatte sich nach 1945 in Österreich, aber auch in Gesamteuropa, aus der Tagespolitik zurückgezogen. Dies gilt jedoch nicht für ihre Laienorganisationen. Die Beschäftigung mit den Anfängen der europäischen Integration hatte sowohl für die Kirche als auch die Politik in Österreich eine zweitrangige Bedeutung. In Österreich erfolgte die Integration „verspätet“. Der Grund für eine „verspätete“ Integrationspolitik der österreichischen Regierung lag an der Westorientierung der Außenpolitik und vor allem daran, dass man nur unter erschwerten Bedingungen die Beziehungen zum Osten aufbauen konnte. Die katholische Kirche „entdeckte“ erst im Zuge des II. Vatikanums ihr Interesse an Europa, das war Mitte der sechziger Jahre. In diese Zeit fällt auch der Beginn der Kontaktaufnahme von Kardinal König zu den Kirchen in den Ländern jenseits des „Eisernen Vorhangs“. Kardinal König kann als die Integrationsfigur bezeichnet werden, da er, einerseits, von Österreich „als letzte[m] Ort der freien Kirche vor der unfreien Kirche“ aus Kontakte knüpfte, noch bevor diese vom Vatikan hergestellt worden waren. Andererseits war König auch der Icebreaker für österreichische Politiker. Noch bevor sich etwa der ehemalige Vizekanzler (1991–95) Erhard Busek der Thematik Mitteleuropa widmete, hatte er bereits die wichtigsten Kontakte zu diesem Raum hergestellt. Busek, u. a. Sonderkoordinator des Stabilitätspaktes für Südosteuropa, veranlasste dies sogar zur Aussage, dass die Osterweiterung ohne das Engagement von Franz König nicht möglich gewesen wäre82. Erst ab jenem Moment, als Österreich offiziell das Beitrittsgesuch an die EG übermittelt hatte, meldete sich auch die österreichische Kirche zu Wort. Es wurde sogar seitens der Österreichischen Bischofskonferenz eine Arbeitsgruppe installiert, die sich mit dem EG-Beitritt Österreichs befasste83. Das Thema österreichische katholische Kirche und europäische Integration ist ein Bereich, der bisher von der Wissenschaft eher stiefmütterlich behandelt worden ist, viele Fragen harren ihrer Beantwortung. Es erhebt sich zu81 82 83
Dossier, Zwei Kirchenfeste, in: Die Furche 37 (13. September 2007), S. 9–11. Ich danke Frau Dr. Annemarie Fenzl für diese Auskunft (Telefongespräch, 22.11.2007). Vgl. dazu Die Kirche auf dem Bauplatz Europa (Anm. 17).
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nächst die Frage, wie man methodisch den Themenbereich „österreichische Kirche und Anfänge der Integration“ erfassen kann. Zunächst wird man den empirischen Weg wählen, zumal ein umfassender Quellenbestand in dem im Aufbau befindlichen Kardinal König-Archiv, das die Leiterin des Wiener Diözesanarchivs, Dr. Annemarie Fenzl, betreut, vorhanden ist. In diesem Zusammenhang müsste auch eine Darstellung von Pro Oriente erfolgen. Als weitere Quellen dienen etwa die Diözesan- und Pfarrblätter. Grenzüberschreitend und in einem gewissen Maß integrationsfördernd wirken vor allem auch die Wallfahrten nach Mariazell oder zu Orten, die sich in Grenzgebeiten befinden. Etwa die Wallfahrt nach Sveti Duh (Heiligen Geist) an der steirisch-slowenischen Grenze. Diese Wallfahrt findet zu Pfingsten statt, und der Höhepunkt ist ein Gottesdienst, der in slowenischer und deutscher Sprache zelebriert wird. Die Erforschung der Diözesan- und Pfarrpartnerschaften kann ebenfalls sehr aufschlussreich sein. Bisher war lediglich von der Amtskirche die Rede, doch muss auch das Europa-Engagement der kirchlichen Laienorganisationen berücksichtigt werden. In weiterer Folge muss auch darauf Bedacht genommen werden, dass die Ökumene einen weiteren Integrationsfaktor darstellt. So etwa fand die 1. Ökumenische Versammlung in Basel 1989 unter dem Motto „Frieden und Gerechtigkeit“ statt, die 2. Ökumenische Versammlung in Graz 1997 unter dem Thema „Versöhnung“, und die 3. wurde heuer symbolträchtig in der europäischen Kulturhauptstadt Sibiu in Rumänien veranstaltet84. Die Ökumene eröffnet einen weiteren Fragenkomplex, jenen, wie etwa die österreichischen Protestanten zur Vereinigungsidee stehen. Aufbauend auf die empirische Arbeit kann man, ganz im Sinn von Peter Pichler85, u. a. der Frage nachgehen, welche Europabilder die österreichische katholische Kirche im Laufe des europäischen Integrationsprozesses aufgebaut hat und wie sich diese veränderten.
Summary With the present contribution new academic territory will be entered. Although, the contextualization of Austria’s political history with the beginnings of the European integration has been edited numerously, the connotation with Austrian church truly represents a desideratum. Therefore, this contribution contains the attempt to approach this exploratory focus by means of formulating questions and presenting possible methods. In a first step, 84 85
(Anm. 81), S. 12. Vgl. den Beitrag von Peter Pichler in diesem Band, S. 71–92 und Peter PICHLER, Die europäische Geschichtsfalle. Eine zeithistorische Standortbestimmung zur Suche nach einer EU-Identität, phil. Dipl. Arb. Univ. Graz 2006.
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there will be a short illustration of the time period from 1955 (Austria signs the state treaty) to 1995 (Austria’s accession to the EU) where the Austrian Catholic Church’s part in the beginning process of integration will be pointed out and the question of what contributions the Austrian church made in course of the beginning European integration process will be discussed. Subsequently, the connection between the beginnings of the European integration and the Austrian Catholic Church will be shown paradigmatically by using the work of Cardinal Franz König, the Brückenbauer [bridge builder] between West and East, and the memorial place Mariazell as examples. The contribution is more an outline than a detailed study and is supposed to serve as a motivation and a request for science(s) to deal with this topic.
Aspekte eines Bewegungsraums. Katholische Geschichtserzählungen zwischen nationaler und europäischer Identität: Das Beispiel Österreich Von
Peter Pichler 1. Zwischen österreichischer und europäischer Identität Die Frage der Einheit – der Identität Europas – ist allen wissenschaftlichen und politischen Bestimmungsversuchen zum Trotz noch immer eines der „heißesten Eisen“ europaorientierter Diskurse. Kaum eine Wissenschaft mit Schnittstellen zum Politischen und Aktuellen kam um die Auseinandersetzung mit der europäischen Identitätsproblematik und -thematik1 herum. Dies hatte weit reichende Folgen für die Wissenschaft: Um den Identitätsbegriff entstand ein breites, transdisziplinäres wissenschaftliches Netzwerk2. Für dieses Netzwerk hat das Sprechen von „europäischer Identität“ eine definierende und konstituierende Funktion – der Begriff ist zugleich das Thema und die Existenzbegründung dieses Diskurssystems. Daher sind Struktur und Inhalt wesentlich miteinander verknüpft; die beständige Bearbeitung und Reflexion des Begriffs „europäische Identität“ ist eine Lebensnotwendigkeit der scientific community selbst. Der Terminus geriet zum „Begriffscontainer“, der zyklisch neu be- und entladen werden muss, um das wissenschaftliche Alltagsgeschäft zu sichern.
1 An dieser Stelle sei auf folgende hervorragende Monographien und Sammelbände aus dem mittlerweile überbordenden interdisziplinären Identitätsdiskurs verwiesen: Europäische Identitäten – eine europäische Identität?, hrsg. von Simon Donig [u. a.], BadenBaden 2005; Hartmut KAELBLE, Europäer über Europa. Die Entstehung des europäischen Selbstverständnisses im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. [u. a.] 2001; Thomas MEYER, Die Identität Europas. Der EU eine Seele?, Frankfurt a. M. 2004; Europas Identitäten. Mythen, Konflikte, Konstruktionen, hrsg. von Monika Mokre [u. a.], Frankfurt a. M [u. a.] 2003; Heiko WALKENHORST, Europäischer Integrationsprozess und europäische Identität. Zur politikwissenschaftlichen Bedeutung eines sozialpsychologischen Konzepts, Baden-Baden 1999. 2 Vgl. hierzu als Beispiel des historischen Diskurses das bereits 1989 unter Koordination des französischen Historikers René Girault etablierte Netzwerk Réseau d’historiens „Identités Européennes”: http://www.soc.utu.fi/laitokset/poliittinenhistoria/tutkimus/tutkimusyhteistyo/europeanindentities.html#englanti, abgefragt am 10.09.2007.
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Neben diesen funktionalen Eigenschaften verfügt der Begriff über genauso wichtige inhaltliche Bedeutungsschichten – diese jedoch können nicht getrennt vom jeweiligen Kontext bedeutungsgebender Aussagen betrachtet werden. Der vorliegende Beitrag versteht sich als Versuch in diese Denkrichtung: Es soll untersucht werden, wie in katholischen Diskursen österreichische bzw. europäische Identitäten mittels des Werkzeugs Geschichte konstruiert werden3. Im Mittelpunkt steht eine in gewissem Sinn provokante Hypothese: Es soll gezeigt werden, dass in katholischen Geschichtserzählungen – Repräsentationen des Vergangenen – ein Raum entstanden ist, in welchem nationale und europäische Identifikationen nicht mehr getrennt voneinander stehen; im Gegenteil wurde die Vor- und Rückwärtsbewegung zwischen beiden in der geschichtlichen Erzählung grundgelegt. In diesem Bewegungsraum ist Regress und Progress, Europäisierung des Nationalen und Nationalisierung des Europäischen möglich. Diese Oszillationsbewegung wird mit Hilfe des Diskurswerkzeugs Geschichte vollzogen – in diesem Sinn handelt es sich um Akte sprachlichen und narrativen Handwerks. Ziel ist es, darzustellen, was dieses Oszillieren im Kern ausmacht und wie es sich begrifflich konkretisieren lässt. Die Wahl Österreichs (genauer: der Bewegung zwischen österreichischen und europäischen katholischen Identitäten) als Betrachtungsgegenstand ergab sich aus zwei Überlegungen: Erstens ist dem Verfasser als „gelerntem Österreicher“ die nationale Europadebatte in dem Sinn nahe, als dass sie eine Vorbedingung der inhaltlichen Beladung des Begriffs „europäische Identität“ darstellt; zweitens zeigt sich in der Analyse des österreichischen „Wegs nach Brüssel“4 die Konfrontation nationaler und europäischer Identifikationen in besonders anschaulicher Weise. Österreich trat 1995 – mit Schweden und Finnland – der Europäischen Union bei. Der Assoziations- bzw. Beitrittsdiskurs hatte seine Ursprünge zwar schon in den Jahrzehnten vorher5, entfaltete
3 Hintergrund diese Perspektive ist auch der in jüngerer Vergangenheit an Dynamik gewinnende Austausch zwischen Kulturwissenschaften auf der einen und Theologie bzw. Religionswissenschaften auf der anderen Seite. Siehe hierzu: Burkhard GLADIGOW, Religion in der Kultur – Kultur in der Religion, in: Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd 3: Themen und Tendenzen, hrsg. von Friedrich Jaeger und Jörn Rüsen, Stuttgart 2004, S. 21– 33; Umfassender und theoretisch hochambitioniert: Clemens SEDMAK, Sozialtheologie. Theologie, Sozialwissenschaft und der „Cultural Turn“, Frankfurt a. M. 2001. 4 Vgl. hierzu einführend: Anita PRETTENTHALER-ZIEGERHOFER, Europäische Integrationsgeschichte. Unter besonderer Berücksichtigung der österreichischen Integration, Innsbruck [u. a.] ²2007, S. 179–201; Umfassend: Michael GEHLER, Der lange Weg nach Europa, 2 Bde.: Darstellung und Dokumentation, Wien 2002. 5 Das EFTA-Gründungsmitglied Österreich stellte 1961 aus vor allem wirtschaftlichen Motiven einen Antrag auf Assoziation mit der EWG. Das italienische Veto aufgrund der „Südtirolfrage“ stoppte 1967 den österreichischen „Alleingang nach Brüssel“. Vgl. PRETTENTHALER-ZIEGERHOFER, Integrationsgeschichte (Anm. 4), S. 181 ff.
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jedoch erst in den 1980er und 1990er Jahren seine volle Wirkung6. Die Konfrontation der österreichischen Nationalidentität mit der tatsächlichen EUMitgliedschaft erfolgte somit erst vor einer guten Dekade. Konflikt und Abstimmung nationaler und europäischer Identitätsschichten aufeinander sind daher in besonders aktueller Weise betrachtbar – eine Chance des Moments, die spannende Einblicke ermöglicht. An dieser Stelle sei im Anschluss an Wolfgang Schmale der Begriff eines „Narrativclusters“ eingeführt7 In der geläufigen Alltagssprache von Industrie und Wirtschaft bezieht sich der Begriff des „Clusters“ auf die strategische Konzentration von Ressourcen. Auch in identitäts- und geschichtsstiftenden Diskursen kommt es zu ausgeprägten Clusterbildungen: Inhalte und Argumentationsketten, die auf thematisch verbundene Geschichten hinweisen, konzentrieren sich in Wissensnetzwerken – sie bilden ein verdichtetes Geflecht aus Narrativen und können bei Bedarf gebündelt aktualisiert werden. Historische Erzählungen und Repräsentationen verdichten sich um definierte Kerninhalte (z.B. die Kategorie „Europäische Geschichte“) und kondensieren in der alltäglichen Sprechpraxis. Der Begriff des Narrativclusters soll dies sichtbar machen: Er bezeichnet einheitliche und überdurchschnittlich dichte Diskursräume, in welchen historische Erzählungen konstruiert, reproduziert, rezipiert und verwaltet werden. Die Ausschnitte vergangener Wirklichkeit, auf welche sich diese Geschichten beziehen, werden kooperativ8 festgelegt. Diese Perspektive schuldet ihren semiotischen Denkmodus den bahnbrechenden Arbeiten Jan und Aleida Assmanns zum „kulturellen“ und „kommunikativen Gedächtnis“; Narrativcluster sind nichts anderes als eine spezifische Form von Arbeitsfeldern des gemeinschaftlichen Gedächtnisses9. Ein Beispiel: In der hypertextuellen Alltagsrealität der populären OnlineEnzyklopädie „Wikipedia“10 werden Darstellungen historischer Prozesse nach diesem Prinzip gesammelt und vernetzt; sie stehen somit als Ressource 6 7
Vgl. ebd., S. 184 ff. Wolfgang Schmale spricht in Bezug auf die diskursive Konstruktion europäischer Identitäten mittels des Verweises auf die Geschichte von „kanonischen Argumentationsclustern“, die auf die „antiken, jüdischen, christlichen, humanistischen, aufklärerischen und wissenschaftlichen Wurzeln Europas“ verweisen. In diesen „Clustern“ wird die Geschichte selektiv und normativ organisiert, steht dadurch der alltagskulturellen Sprechpraxis zur Verfügung. Vgl. Wolfgang SCHMALE, Suche nach europäischer Identität. Schlussfolgerungen aus „Non“, „Nee“ und „Honte“, in: Europäische Rundschau 3 (2005), S. 37. 8 „Kooperativ“ bedeutet hier keineswegs, dass es sich immer um gleichberechtigte Formen der Kommunikation handelt. Es handelt sich jedoch immer um „arbeitsteilige“ Kommunikation – und diese kann auch mit asymmetrischen Kommunikationspotenzialen stattfinden. 9 Vgl. hierzu Jan ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 52005; Zum europäischen Gedächtnis siehe: Aleida ASSMANN, Nation, Gedächtnis, Identität – Europa als Erinnerungsgemeinschaft? In: Donig, Identitäten (Anm. 1), S. 24 ff. 10 Die deutschsprachige Version des Portals: http://de.wikipedia.org, abgefragt am 12.09.2007.
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der alltäglichen Informationsbeschaffung zur Verfügung. Wird zum Beispiel im Wikipedia-Suchfeld das Schlagwort „Europäische Geschichte“ eingegeben, erhält man als Suchergebnis einen Hauptartikel samt referentiellen Verweisen zu thematisch einschlägigen Wissensressourcen11. Diese scheinbare Gesamtpräsentation der europäischen Geschichte ist nichts anderes als ein diskursiver Konzentrations- und Verwaltungsraum historischen Alltagswissens – ein Narrativcluster. Mittels des Begriffs des Narrativclusters wird es möglich, drei unterschiedliche Konzentrationsräume katholisch-historischer Erzählungen zu differenzieren. Zwei von ihnen strukturieren sich nach dem althergebrachten, „modernistischen“ Prinzip exklusiver Identitäten; der dritte jedoch zeigt sich als Bewegungsraum, in welchem schon im Verlauf der 1970er, intensiver seit den 1980er Jahren, die Vermittlung zwischen österreichischer und europäischer Identität narrativ grundgelegt wurde. Die Parallelität zur allgemeinen Beschleunigung der europäischen Integration ist offensichtlich12. Vergleich und Typologisierung der drei Räume geben entscheidende Hinweise auf ihre Genese und Stellung zueinander. 2. Katholische Erzählungen österreichischer Identität Die österreichische Nationalidentität ist ein in historischer Perspektive junges Phänomen. Bei der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages am 15. Mai 1955 hatten die ÖsterreicherInnen (zumindest die Mindergruppe, welche sich affirmativ als solche bezeichnete13) bereits ein halbes Jahrhunderts hinter sich, das voller Erfahrungen der Fragmentierung, der Desintegration, des Orientierungsverlusts und nicht zuletzt der Traumatisierung war. Die Epochenwende 1918 bedeutete für die kollektive Identitätsstiftung einen kaum zu bewältigenden Einschnitt: Der routinierte Selbstentwurf als imperiale Macht wurde durch die Gegenwartserfahrung zertrümmert, nach dem Zerfall Österreich-Ungarns BürgerInnen eines Kleinstaats zu sein14 Neue Kollektiventwürfe wurden nötig – es wundert daher kaum, dass quer durch das politische Spektrum der Wille zum „Anschluss“ an das Deutsche Reich ausgeprägt vorhanden war15. Die zunehmende Radikalisierung und militaristische Organisation von Sozialdemokraten und Christlichsozialen kulminierten 11
Schlagwort „Europäische Geschichte“, abgefragt auf http://de.wikipedia.org am 03.09.2007. 12 Vgl. PRETTENTHALER-ZIEGERHOFER, Integrationsgeschichte (Anm. 4), S. 100 ff., S. 118 ff. 13 Vgl. Oliver RATHKOLB, Die paradoxe Republik. Österreich 1945–2005, Wien 2005, S. 30. 14 Vgl. ebd., S. 17. 15 Vgl. ebd.
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in der Ausschaltung des Parlaments am 4. März 1933 und dem Bürgerkrieg ab dem 12. Februar 193416. Der „Februar 1934“ ist auch über siebzig Jahre später noch ein Ereignis, dessen Vergegenwärtigung Inhalt des politischen Diskurses ist. Der Streit darüber, wer, wie und in welcher Form über diese Geschichte verfügt, ist aktuell17. Die Eliten des „Austrofaschismus“ ab 1934 versuchten, eine kollektive Identität nach ihren Vorstellungen zu oktroyieren. Die Inhalte bestanden in einer kruden Mischung aus dem Wunsch, der „bessere deutsche Staat“ zu sein, und Anleihen eines konservativen Katholizismus18. Dieser autoritäre Versuch der Identitätsstabilisierung wurde seinerseits durch den „Anschluss“ im März 1938 und die darauffolgende Annektierung des öffentlichen Raums durch die rassistischen NS-Identitätskonstruktionen abgelöst. Diese Voraussetzungen – eingeschlossen den kollektiven Umgang mit dem Nationalsozialismus selbst – markieren den Horizont und den Erfahrungsraum, vor welchem es galt, die österreichische Identität nach 1955 zu konstruieren. Diese komplexe Situation führte zu den Spezifika des österreichischen nationbuilding, welche die jüngere Forschung präzise aufgezeigt hat; Oliver Rathkolb folgend lassen sich zumindest neun Elemente bestimmen, die das Identitätsbewusstsein der ÖstereicherInnen zu Beginn des 21. Jahrhunderts – zwölf Jahre nach dem EU-Beitritt – kodieren:19 Neutralität, Staatsvertrag und Kleinstaatlichkeit als Elemente eines ambivalenten Gründungsmythos; Ein latenter Antikommunismus als Abgrenzungsmoment und weitgehend verdrängte Identitätskomponente; Die identitätsstiftende Abgrenzung zu Deutschland und Osteuropa; Das Selbstverständnis Österreichs als Wohlfahrtsstaat; Der Selbstentwurf Österreichs als Hochkulturnation; Die Erzählung der Rolle Österreichs im Nationalsozialismus als zwiespältiges Pendeln zwischen „Opfermythos“ und „Alleintätermythos“; Die Eigenbetrachtung als „Asyl- und Einwanderungsland wider Willen“; 16 17
Vgl. ebd. Vgl. hierzu unter anderem den Tagungsband Widerstand als Bürgerpflicht: Was ist uns die Demokratie wert? Ein Symposion in Erinnerung an den 12. Februar 1934, hrsg. von Anita Ziegerhofer-Prettenthaler, Graz 2005. 18 Vgl. RATHKOLB, Paradoxe Republik (Anm. 13), S. 20. 19 Vgl. ebd., S. 17–60; Aus der breiten Forschungsdebatte zu Geschichte und Geschichtlichkeit der österreichischen Nationalidentität sei ferner auf folgende Monographien und Sammelbände verwiesen: Austrian Historical Memory and National Identity, hrsg. von Günter Bischof und Anton Pelinka, London [u. a.] 1997; Friedrich HEER, Der Kampf um die österreichische Identität, Wien [u. a.] ³2001; Susanne FRÖLICH-STEFFEN, Die österreichische Identität im Wandel, Wien 2003; Ruth WODAK, Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität, Frankfurt a. M. 1998.
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Die Illustration der österreichischen Identität mit „Heimatkultur“ (Heimatfilme ab den 1950er Jahren, „Heimat“ als Thema in Wahlwerbung etc.); Das Schwanken zwischen verstärkter regionaler Identität und konsumorientierter Identitätslosigkeit; Lediglich die Erinnerung der Rolle Österreichs im Nationalsozialismus als zwiespältiges Pendeln zwischen „Opfermythos“ und „Alleintätermythos“ bedarf einer näheren Erläuterung: Erst ab den 1970er und 1980er Jahren (vor allem im Zuge der sogenannten „Waldheim-Affäre“: der ÖVP-Kandidat bei den Bundespräsidentschaftswahlen 1986, Kurt Waldheim, hatte seine Vergangenheit als gut informierter Stabsoffizier am Balkan verschwiegen20) brach die sorgsam gepflegte Selbstrepräsentation der Republik als „erstes Opfer nationalsozialistischer Aggression“ auf. Dieser „Opfermythos“ ergänzt sich heute um eine zweite Perspektive, welche ÖsterreicherInnen einen besonders hohen Grad der Verantwortlichkeit für die Verbrechen des Nationalsozialismus zuordnet („Alleintätermythos“)21. Im Verlauf der Kulturgeschichte der Zweiten Republik entstand also ein dichtes Netz an Identifikationsmöglichkeiten, das die Konstruktion der „imagined community“ (Benedict Anderson) Österreich erlaubt. Dieses Netzwerk ist zwar teils weitmaschig und voller Ambivalenzen, jedoch für die Unterscheidung zwischen ÖstereicherInnen bzw. Nicht-ÖsterreicherInnen in hohem Maße funktional: Beinahe alle Identitätsfacetten, die Rathkolb aufzählt, bieten die Möglichkeit der binären Differenzbildung zwischen den beiden Gruppen – mit allen damit verbundenen Konsequenzen. Für die Struktur des österreichischen Identitätsgeflechts sind katholische Facetten, hiervon wieder katholische Repräsentationen der Geschichte, von zentraler Bedeutung: Das katholische Element wird mit dem „HabsburgerMythos“22 verbunden und stellt die Stiftung historischer Kontinuität zur Verfügung. Durch den Verweis auf die habsburgische Dynastie entsteht eine identifikationswürdige Langzeitgeschichte des Kollektivsubjekts Österreich. ÖsterreicherInnen ist es somit möglich, sich als solche zu fühlen und zu bezeichnen, da sie in der gemeinsamkeitsstiftenden Rückschau eine Jahrhunderte währende Kollektivgeschichte vor 1918 konstruieren können. Diese Ge20
Vgl. Michael GEHLER, Die Waldheim-Affäre 1986–1992, in: Politische Skandale und Affären in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim, hrsg. von Michael Gehler und Hubert Sickinger, Wien [u. a.] 1995, S. 614–665. 21 Vgl. RATHKOLB, Paradoxe Republik (Anm. 13), S. 48 f. 22 Vgl. zum „Habsburger-Mythos“, welcher bereits seit den späten 1920er Jahren als Fall sinnstiftender „Kollektivnostalgie“ konstruiert wurde: Laurence COLE, Der HabsburgerMythos, in: Memoria Austriae I: Menschen, Mythen, Zeiten, hrsg. von Emil Brix u. a, Wien 2004, S. 479 ff. Vgl. auch folgenden „Klassiker“: Claudio MAGRIS, Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur, Salzburg 1966.
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schichte scheint vor allem durch eines geprägt zu sein – dadurch, dass sie habsburgisch und katholisch ist. Mit der Verschmelzung dieser beiden Kategorien zu einem Identitätsamalgam kommt es zu einer prekären Situation: Das Bestehen österreichischer Geschichtskontinuität ist an die Selektivität dieser Repräsentationsform gebunden! Wahl und Beurteilung des historischen Faktenmaterials zur Konstruktion der österreichischen Geschichte vor 1918 erfolgen nach der Normativität des habsburgisch-katholischen Leitmotivs. Eine für sich genommen ironische Begebenheit – beinahe neunzig Jahre nach ihrem tatsächlichen Machtverlust hat das Kollektiverbe der Habsburger die gar nicht so virtuelle Macht über die Kontinuität der österreichischen Geschichte inne. Um bei Rathkolbs Kategorien zu bleiben: Zumindest in den Facetten der Kleinstaatlichkeit (als Gegensatz zur Erfahrung der habsburgisch-katholischen Imperialität), der Hochkultur (der Verweis auf den Kanon der habsburgisch-katholischen österreichischen Hochkulturperiode, Stichwort klassische Musik23) und der Heimatkultur (Verkitschung des Heimatthemas in der „Sissi“-Triologie etc.24) lässt sich eine direkte Abhängigkeit vom habsburgisch-katholischen Kontinuitätsthema feststellen. Im Zuge des österreichischen nation-building entstand ein Narrativcluster, in welchem sich Erzählungen zu diesem Thema konzentrierten. Im Mittelpunkt standen zwei Dinge: die essentialistische Bestimmung des Österreichischen und die Stiftung historischer Kontinuität. Es entwickelte sich ein umfassendes Geflecht alltagskultureller historischer Narrative. In diesem Diskursraum wurde die österreichische Geschichte vor 1918 konstruiert, reproduziert und verwaltet. Der Begriff des Narrativclusters ermöglicht in diesem Zusammenhang das Sichtbarmachen des Netzwerkcharakters und der systematischen Verbundenheit von Aspekten der Kulturgeschichte der Zweiten Republik, die bisher teils disparat erschienen: Die Wiedereröffnung des identitätsstiftenden Wiener Burgtheaters erfolgte im Oktober 1955 mit Franz Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende“ als erstem Theaterstück (das „Happy-End“ des Stücks erzählt die Begründung der habsburgisch-katholischen Identitätsgeschichte im 13. Jahrhundert durch Rudolf von Habsburg)25; die Konstruktion eines österreichisch-nationalen Geschichtsbildes im Bildungs- und Kultursystem erfolgte unter Betonung der Jahrhunderte währenden Kontinuität von Thron und Altar im Habsburgerreich26; bis heute pflegen die ÖsterreicherIn23
Vgl. Cornelia SZABÓ-KNOTIK, Mythos Musik in Österreich: Die Zweite Republik, in: Memoria Austriae I (Anm. 22), S. 248 ff. 24 Vgl. COLE, Habsburger-Mythos (Anm. 22), S. 489. 25 Vgl. Karin LIEBHART/Andreas PRIBERSKY, Die Mythisierung des Neubeginns: Staatsvertrag und Neutralität, in: Memoria Austria I (Anm. 22), S. 394 f. 26 Vgl. COLE, Habsburger-Mythos (Anm. 22), S. 89.
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nen ein kollektives Selbstbild, das sie als besonders spendenfreudiges und mildtätiges Volk darstellt – das ist nicht anderes als die Weitererzählung der katholischen Tugend der Barmherzigkeit27; Hilfsaktionen wie „Nachbar in Not“28 sind daher neben der immens wichtigen Hilfe, die von ihnen ausgeht, genauso Selbstversicherungsunternehmen der katholischen Identitätsgeschichte der ÖsterreicherInnen. Die Erzählungen um die katholischen Gedächtnisorte des Wiener Stephansdoms und -turmes29 sowie des steirischen Wallfahrtsorts Mariazell30 verdichten die religiöse Kontinuität der habsburgisch-katholischen Identitätsgeschichte. All diese Erzählungen sind Beispiele eines Narrativclusters, der die Identitätsformation in der Geschichte der Zweiten Republik tief beeinflusste. Dieser Narrativcluster ordnete, konzentrierte und verwaltete all diese Erzählungen; er bildete eine hocheffiziente und strategische Ressourcenkonzentration im Prozess des österreichischen nation-building. Die Struktur und Ordnung dieses Clusters wurde bisher in der Forschung wenig beachtet31. Was macht diesen spezifischen Cluster von historischen Erzählungen in seinem Kern aus? Im Mittelpunkt steht die narrative Festsetzung der historischen Kontinuität vor 1918. Dieser Kontinuitätsmechanismus erlaubt es den ÖsterreicherInnen, sich als legitime VerwalterInnen dieses Erbes zu fühlen: Nur sie können über dieses verfügen, da die Geschichte vor 1918 dadurch zur Vorbedingung dessen wird, was sie heute sind: BürgerInnen der Republik Österreich. Kurz: Dieser Narrativcluster katholischer Erzählungen verdichtet ein Prinzip exklusiver nationaler Identität. Die ÖsterreicherInnen sind nur ÖsterreicherInnen – und nichts anderes. Ähnlich funktioniert ein zweiter Narrativcluster, der in sich katholische Erzählungen europäischer Identität konzentriert.
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Vgl. RATHKOLB, Paradoxe Republik (Anm. 13), S. 44. „Nachbar in Not“ ist eine breit angelegte Hilfsaktion, welche 1992 vom ORF, dem Österreichischen Roten Kreuz und der österreichischen Caritas initiiert wurde. Ursprünglich als Hilfe für die notleidende Bevölkerung Ex-Jugoslawiens während der Balkankriege zu Beginn der 1990er Jahre gedacht, wurde die Aktion auf zahlreiche andere Gebiet ausgedehnt. Vgl. http://www.nachbarinnot.at/, abgefragt am 12.09.2007. 29 Stephansdom und -turm sind Materialisierungspunkte für symbolisierende Narrative zu Wien als ehemaligem „Herz“ des Habsburgerreiches. Vgl. hierzu: Ernst BRUCKMÜLLER, Stephansdom und Stephansturm, in: Memoria Austriae II: Baute, Orte, Regionen, hrsg. von Emil Brix [u. a.], Wien 2005, S. 42. 30 Die mythische Begründung Mariazells wurde für Erzählungen der habsburgischen Reichsidee in Anspruch genommen; die Verteidigung der Reichsidee gegen die „Türkenbedrohung“ wurde wiederum in der Zweiten Republik als historisches Beispiel der Abwehr der „roten Gefahr“ des Kommunismus instrumentalisiert.Vgl. hierzu: Christian STADELMANN, Mariazell, in: Memoria Austriae II (Anm. 29), S. 308, 324 f. 31 Vgl. zum Stand des Diskurses: Emil BRIX [u. a.], Das kulturelle Gedächtnis Österreichs. Eine Einführung, in: Memoria Austria I (Anm. 22), S. 9–25.
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3. Katholische Erzählungen europäischer Identität „Europa“ ist heute nicht nur die Bezeichnung für eine geographische Region, sondern verweist – zumindest im Versuch – auf die Konstruktion einer europäischen „imagined community“. Als sichtbarste politische Einheit auf kontinentaler Ebene gerät die Europäische Union zunehmend zum Kristallisationspunkt europäischer Identitätsvorschläge. Dies ist in hohem Maße problematisch: Nicht nur, dass die politische Struktur der EU den klassischen Staatsbegriff als den Anknüpfungspunkt kollektiver Identitäten sprengt32, auch die komplexe Netzwerk- und Überlappungssituation von Kulturräumen auf unterschiedlichsten Ebenen (Region, Nation, Europa usw.) erschwert die Konstruktion einer gesamteuropäischen Kollektividentität. Europa ist damit wesentlich „postmoderner“ als nationale Identitätsgemeinschaften. Dieser Aspekt der Unabgeschlossenheit und des „Zwischendrinnen-Seins“ charakterisiert auch historische Narrative katholischer Herkunft33. Auch diese Diskurse sind „flüssig“; die Letztbestimmung eines Wesenskerns europäischer Identität ist schon aufgrund der Unabschließbarkeit der Debatte nicht möglich. Nichtsdestoweniger entstand in Begleitung der europäischen Integration nach 1945 ein Narrativcluster, der in sich Erzählungen konzentrierte, welche die Substanz europäischer Identität aus einem katholischen Kontinuitäts- und Leitmotiv entwickeln. Dieser Narrativcluster ist in seiner Gesamtheit ähnlich umfassend wie der eben analysierte Konzentrationsraum österreichisch-katholischer Erzählungen. Seine Entwicklung setzte – aufbauend auf die schon zuvor geleistete Mythologisierung des „Abendlandes“34 – mit den „Vorbeben“ der europäischen Integration nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Er unterfütterte die werdende Realgeschichte des Vereinigungsprozesses. In diesem Cluster konzentrierten sich politische Narrative aus dem Europadenken christdemokratischer Parteien (es vernetzten sich Europa-Identitätskonstruktion belgischer, deutscher, französischer, italienischer, österreichischer und schweizerischer christdemokratischer Strömungen35; man denke unter anderem an das vielzitierte Netzwerk „Adenauer-De Gasperi-Schuman“ mit seiner diskursstiften32 Die Analyse des politischen Systems der Europäischen Union ist ein zentrales Thema der jüngeren Integrationstheorie. Man spricht unter anderem von einem „europäischen Mehrebenensystem“ oder einem „Netzwerk“: Vgl. Hans-Jürgen BIELING/Marika LERCH, Theorien der europäischen Integration. Ein Systematisierungsversuch, in: Theorien der europäischen Integration, hrsg. von dens., Wiesbaden 2005, S. 28 ff. 33 Vgl. Peter PICHLER, Europas Identität. Wunschkind und Zangengeburt, in: Denken und Glauben. Zeitschrift der Katholischen Hochschulgemeinde Graz, Nr. 146, 2 (2007), S. 13 f. 34 Vgl. Wolfgang SCHMALE, Geschichte Europas, Wien 2001, S. 118 f. 35 Vgl. die Abschnitte „Christdemokratische Parteien in der Nachkriegszeit“ und „Parteienkooperation der europäischen Christdemokraten in der Zwischen- und Nachkriegszeit“ im hervorragenden Sammelband: Christdemokratie in Europa im 20. Jahrhundert, hrsg. von Michael Gehler u. a., Wien [u. a.] 2001, S. 313–752.
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den historisierenden Rhetorik36). Weiters lagerten sich in diesem Cluster Erzählungen aus einer europaorientierten Historiographie (das katholische, allgemeiner das christliche Europa wurde auch nach 1945 wieder zum intensiven Forschungsgegenstand37), sowie Narrative aus der katholischen Kirche selbst an (so zum Beispiel die intensivierte Europa-Rhetorik Pius’ XII. seit dem globalen Wendejahr 194738). Es entstand ein transnationaler Diskursraum, der in sich – ähnlich dem national-österreichischen Beispiel – all diese Erzählungen bündelnd organisierte und für die alltagskulturelle Praxis zur Verfügung stellte. Zumindest galt dies für den Alltag der Eliten, die begannen, Europa politisch zu organisieren. Die politische Relevanz und empfundene Verbindlichkeit dieses Narrativclusters für Katholiken ist im Abnehmen begriffen. Im Binnendiskurs der katholischen Kirche jedoch ist eine erstaunliche Konstanz, wenn nicht gar Konjunktur des europäischen Geschichtsthemas festzustellen. In der jüngsten Entwicklung werden diese Erzählungen wieder zunehmend mit Kompetenzattributen der höchsten kirchlichen Autorität – der päpstlichen – versehen39 Damit ist die europäische Identitätsgeschichte nicht nur katholische „ChefSache“, sondern die Verdichtung des zweiten Narrativclusters wird durch die Assoziation höchstmöglicher Autorität vorangetrieben. Es handelt sich um einen Diskursraum, in welchem die Konstruktion, Reproduktion und Verwaltung der Geschichte zunehmend von einer einzelnen kulturellen Akteurin – der katholischen Kirche – betrieben wird. Im Mittelpunkt stehen die Erzeugung historischer Kontinuität und die Beschreibung einer exklusiven europäischen Identität. 36
Hierzu liest sich besonders eindrucksvoll das Kapitel „L’Europe, c’est la mise en œuvre d’une démocratie généralisée dans les sens chrétien du mot“ aus Schumans Alterswerk „Pour l’Europe“: Vgl. Robert SCHUMAN, Pour l’Europe, Paris 1963, S. 53–82. 37 Vgl. den Sammelband: Geschichtswissenschaft um 1950, hrsg. von Heinz Duchhardt und Gerhard May, Mainz 2002. Hierin v. a. die Beiträge von Ernst SCHULIN, Universalgeschichte und abendländische Entwürfe, S. 49–64, sowie Victor CONZEMIUS, Im Aufbruch zur Ökumene. Katholische Kirchengeschichtsschreibung um 1950, S. 127–142; ferner siehe auch: Walther VON LÖWENICH [u. a.], Europa und das Christentum. Drei Vorträge, Wiesbaden 1959. 38 Hierzu findet sich ein besonders anschauliches Beispiel in einem Brief Pius’ XII. über die „Rettung der europäischen Kultur durch den christlichen Glauben“ an Gerta Krabbel, Vorsitzende des Deutschen Katholischen Frauenbundes, vom 17. Juli 1952: Man spricht soviel von der europäischen Kultur, jener Kultur, die aus der Vergangenheit zu retten oder für das vereinte Europa der Zukunft zu schaffen ist. Man sei sich nur über eines klar: diese europäische Kultur wird entweder unverfälscht christlich und katholisch sein, oder aber sie wird verzehrt werden vom Steppenbrand jener anderen, materialistischen, der nur die Masse und die rein physische Gewalt etwas gelten. Quelle: Pius XII.: „Rettung der europäischen Kultur durch den katholischen Glauben“, Dokument Nr. 10 in: Katholische Kirche und Europa. Dokumente 1945–1979, hrsg. von Jürgen Schwarz, München 1980, S. 14. 39 Vgl. Joseph RATZINGER, Werte in Zeiten des Umbruchs. Die Herausforderungen der Zukunft bestehen, Freiburg im Breisgau 2005, S. 67–98.
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Die Wirkung dieses Clusters lässt sich auf sehr einfache Weise an einem seiner Narrative exemplifizieren: Der Jurist Joseph H. H. Weiler veröffentlichte 2004 unter dem Titel „Ein christliches Europa. Erkundungsgänge“40 einen vielbeachteten Essay. In der Europa-Forschung ist Weiler vor allem durch seine Beiträge zur „Integration Through Law“-Schule ein prominenter und vielzitierter Autor41. In Weilers Essay spiegeln sich die Inhalte und Mechanismen, die diesen Narrativcluster charakterisieren, in prototypischer Form wieder. Es erscheint beinahe so, als hätte Weiler – als Nicht-Katholik42 von außen auf diesen Cluster blickend (beziehungsweise in seiner langjährigen europäischen Diskurserfahrung auch von innen heraus) – einen Akt der narrativen Mimesis gesetzt; in dieser Mimesis scheint die Gesamtstruktur des Clusters erzählend objektiviert zu werden. Nahezu alles, was die Verdichtungsleistung und strategische Ressourcenbildung in diesem Diskursraum ausmacht, findet sich in referentiellen Aussagen bei Weiler wieder43. Hier sollen jedoch die beiden angesprochenen Kernaspekte des Clusters im Mittelpunkt stehen – nämlich die Kontinuitätsstiftung und die Konstruktion einer exklusiven katholischen Europa-Identität. Um eine Antwort auf die Frage nach dem Kernelement europäischer Identität zu geben, geht Weiler äußerst geschickt vor; er lädt die RezipientInnen seiner Schrift (also potenzielle Identifikations-EuropäerInnen) zu einem Gedankenexperiment ein: Sie sollten sich Menschen vorstellen, die Europa erstmals bereisen und danach 40
Vgl. Joseph H. H. WEILER, Ein christliches Europa. Erkundungsgänge, Salzburg [u. a.] 2004. 41 Vgl. einführend zur „Integration durch Recht“: Ulrich HALTERN, Integration durch Recht, in: BIELING/LERCH, Theorien (Anm. 32), S. 399–423. 42 Weiler schreibt vor dem Hintergrund einer jüdischen Biographie. Dieser Aspekt eines Autors jüdischen Glaubens, welcher über ein christliches Europa nachdenkt, verbunden mit Weilers fachlicher Kompetenz in der Integrationswissenschaft, führte zu einer breiten Diskussion und Rezeption des Werks. Vgl. zu dieser Debatte: HALTERN, Integration durch Recht (Anm. 41), S. 414 ff. 43 Weiler besteht zwar darauf, nicht zu einer exklusiven katholisch-christlichen Identitätsbildung beizutragen, sein Narrativ der europäisch-christlichen Geschichte jedoch konstruiert einen rationalen Mythos, welcher die Kernmechanismen eines solchen Identitätsvorschlags prototypisch ins Feld führt. Besonders deutlich zeigt sich das an folgenden Abschnitten von Weilers Essay (WEILER, Christliches Europa, Anm. 40): Weiler will nicht zu einer exklusiven katholisch-christlichen Identitätsbildung beitragen (S.66 ff.); es wird jedoch in seinem Essay eine identifikationswürdige Geschichte des christlichen Europa konstruiert; der Kernmechanismus dessen besteht in der Erzeugung historischer Kontinuität der christlichen Geschichte – Weiler verknüpft dies mit der identifikationswürdigen Beständigkeit des Kreuzsymbols (S. 26); diese identifikationswürdige Geschichte verknüpft Weiler als historisches Fundament mit der Geschichte der europäischen Integration nach 1945 (S. 91). Diese beiden Aspekte – Kontinuitätsstiftung und narrative Assoziation der christlichen Geschichte mit der heutigen EU – lassen diese Geschichte schließlich als Gesamtrepräsentation der (integrations)europäischen Historizität erscheinen (S. 93); es bleibt Weilers RezipientInnen damit nichts anderes übrig, als eine exklusive katholischchristliche EU-Identität zu konstruieren.
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einen Reisebericht abgeben würden44. Als Ergebnis des Experiments schlägt Weiler Folgendes vor: „Von ihrer Suche nach Europa würden sie [...] erzählen: Dass in jedem bewohntem Zentrum, auch im kleinsten, die Gräber auf den Friedhöfen Inschriften in den verschiedenen europäischen Sprachen tragen, aber fast alle das gleiche christliche Kreuz aufweisen; dem der einen Friedhof besucht, zeigt sich dieses Kreuz immer gleich […] es ist dasselbe Kreuz auf einem Grab aus dem Jahr 1003 wie auf einem Grab aus dem Jahr 1503 oder 2003“45.
Wie Weiler selbst angibt, sind bei ihm die Eigenschaftswörter „katholisch“ und „christlich“ als weitgehend deckungsgleich zu betrachten46. Weiler lädt also ein, sich ein Europa vorzustellen (eine „imagined community“ zu errichten), in welcher das katholische Element die Substanz der europäischen Identität ausmacht. Hiermit ist noch nicht ganz klar, durch welche Erzählform ein Bewusstsein für die Kontinuität der katholischen Identitätsgeschichte geschaffen werden sollte; dies wird klar, wenn man bei Weiler weiter liest und sein Programm einer christlichen Historiographie der europäischen Integration analysiert: „Eine christliche Geschichtsschreibung wird sich bemühen, dieselbe Erzählung vom europäischen Projekt in eine christliche Weltanschauung zu integrieren […] Für Christen stellt sie die Einladung zu einer vollständigeren Sicht dar, in der persönliche Erzählung, historische Erzählung und politische Erzählung in derselben religiösen Perspektive zusammengeführt werden“47.
Dieses historiographische Programm führt Weiler am Beispiel des SchumanPlans vor48 Weilers Narrativ vollzieht die Vereinheitlichungsleistungen, welche den Gesamtcluster charakterisieren, in beinahe idealtypischer Form: die Geschichte Europas wird mit einer katholischen Gesamtbeschreibung des Vergangenen verbunden. Im Mittelpunkt dieser „Voraussagung der Vergangenheit“ steht die Kontinuität der Geschichte: Wie Weiler schon im ersten Zitat ausführt, war das Kreuzsymbol 1003, 1503 und 2003 dasselbe – es ist über diesen so lange erscheinenden europäischen Zeitraum identisch. Somit ist die Exklusivität der katholisch-europäischen Identität klar festgelegt: Zu Ende gedacht kann in dieser Perspektive nur EuropäerIn sein, wer durch die festgelegte katholische Kultur und Ritualistik (Taufe, Firmung, Beichte usw.) seine eigene Identitätserzählung mit der katholischen Gesamtrepräsentation der Geschichte (bei Weiler: „christliche Weltanschauung“) in Einklang 44 45 46 47 48
Vgl. WEILER, Christliches Europa (Anm. 40), S. 25 f. Quelle: ebd., S. 26 f. Vgl. ebd., S.16. Quelle: Ebd., S. 92 f. Vgl. ebd., S. 93.
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bringt. Wie sich mit Weiler zeigen lässt, funktioniert auch der zweite Cluster nach dem zutiefst „modernistischen“ Prinzip sich wechselseitig ausschließender Identitäten – er kann daher für die Arbeit an der Lösung der momentanen alltagskulturellen Identitätsprobleme Europas keinen verlässlichen Ressourcenvorrat liefern. Bevor zum letzten und für die eingangs vorgetragene These entscheidenden Cluster übergangen wird, sei noch ein begriffskritischer Gedanke eingeschoben: Der Terminus des Narrativclusters erlaubt es hier ebenfalls, die netzwerkartige Verbundenheit und die gebündelte Aktualisierung von historischen Erzählungen aufzuzeigen. Die Leistungsgrenze des Begriffs liegt dort, wo Narrative nicht thematisch vereinheitlicht, sondern in „Patchwork“Arrangements anzutreffen sind – auch solche Erzählungsensembles gibt es zur Genüge (man denke an die Debatte um die museale Aufbereitung Europas: hier kommen Narrative vor allem in Patchwork-Situationen vor49). Dies liefert den Ausgangspunkt für weitere Reflexionen. 4. Ein Bewegungsraum Eingangs wurde die These formuliert, dass innerhalb des Spektrums katholischer Geschichtserzählungen ein Raum entstanden sei, in welchen die Bewegung zwischen österreichischer und europäischer Identifikation narrativ grundgelegt wurde. In diesem Bewegungsraum wurde das Prinzip sich wechselseitig ausschließender Identitäten durch komplementäre und vielschichtige Identitätsanordnungen ersetzt: Entscheidend ist jeweils, welche Identitätsschicht im aktuellen Handlungs- und Kommunikationszusammenhang von Bedeutung ist. In dieser Perspektive ist es in keiner Hinsicht widersprüchlich, ÖsterreicherIn und EuropäerIn, oder EuropäerIn und ÖsterreicherIn zu sein. Eine solche Transformation der Identitätsbetrachtung hat für den Aufbau katholischer Geschichtsbilder weitreichende Konsequenzen zur Folge: Mit der identitären Exklusivität fällt auch die konstruierte historische Einzigartigkeit, welche die Identitätsstiftung unterfütterte. Dies führt zur Aufsplitterung der jeweils für sich genommen einheitlich konstruierten national-katholischen und europäisch-katholischen Geschichtsräume. Zugleich wird jedoch klar, dass diese beiden Geschichtsräume (erster und zweiter betrachteter Narrativcluster) schon in der Fiktionalisierung ihrer Einzigartigkeit miteinander verknüpft waren: Die Bestimmung der Einzigartigkeit erfolgte durch die Abgrenzung zum Anderen in der Geschichte; Europäisches hob sich von Österreichischem ab und umgekehrt. Es kam zur Genese eines grotesken und 49 Vgl. Georg KREIS, Ist der alte Kontinent museumsreif? Drei supranationale Projekte zur musealen Europäisierung Europas, in: NZZ online vom 4. Juli 2006, http://www.nzz.ch/2006/07/04/fe/articleE8KVQ.html, abgefragt am 13.09.2007.
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paradoxen, in hohem Maße konfliktbeladenen Kulturgefüges: Beide Räume waren existenziell miteinander verknüpft, dennoch verwiesen sie vor allem im Negativbezug aufeinander. Wenn man so will, glich die Situation einem gesprächstherapeutischen Prozess, in welchem TherapeutIn und KlientIn sich wechselseitig weigern, miteinander zu sprechen. Es ist daher umso naheliegender, dass in diesem Gefüge ein dritter Narrativcluster entstand, in welchem diese Schere tendenziell geschlossen wurde. Es wurde ein Bewegungsraum angelegt, in welchem Europäisierung des Nationalen und Nationalisierung des Europäischen möglich sind. Die eben geschilderte paradoxe Situation konnte durch das Anlegen dieses dritten Narrativ-Reservoirs wenn schon nicht aufgelöst, so doch zumindest entschärft werden. Die gegenwärtige Forschungs- und Dokumentationslage50 lässt folgende grobe chronologische Einrahmung zu: In den ersten beiden Jahrzehnten – sowohl des österreichischen nation-building ab 1955 als auch des europäischen Integrationsprozesses nach 1945 – bildeten sich zwei weitgehend voneinander getrennte historische Repräsentationsräume; diese entsprachen diesen beiden Einzelprozessen (erster und zweiter Narrativcluster). Beide Räume werden bis heute fortgeschrieben und entfalten ihre Wirkung in alltagskulturellen Sprechmustern. Seit den 1970er Jahren und verstärkt seit den 1980er Jahren ergänzt sich das Spektrum um einen dritten Cluster. In diesem werden Narrative konzentriert, welche die Möglichkeit der Bewegung zwischen österreichischer und europäischer Identität betonen. Die Stoßrichtung dieses Prozesses besteht in der Ausgestaltung eines neueren, dritten Vorschlages zur historischen Selbstbeschreibung – betrachtet in einer Entwicklungsperspektive, handelt sich um die Grundlegung eines katholischen Brückenschlagsmythos zwischen nationaler und europäischer Identität. Die katholische Sinnstiftungskompetenz im Bereich des Geschichtlichen pluralisierte sich. Dies wirkte dem Strukturdilemma entgegen, das durch den Gegensatz zwischen erstem und zweitem Cluster entstanden war. Mit dem dritten Narrativcluster ist ein konzentrierter Repräsentationsraum historischer Erzählungen gegeben, in welchem die Überwindung der Abschottung zwi50
Siehe zur Geschichte von Kirche(n) und Christentum in Österreich: Kirche in Österreich. 1918–1965, hrsg. von Ferdinand Klostermann, Gesamtredaktion von Erika Weinzierl, 2 Bde., Wien 1966–1967; Kirche in Gesellschaft und Politik. Von der Reformation bis zur Gegenwart, hrsg. von Michaela Kronthaler, Graz 1999; Rudolf LEEB [u. a.], Geschichte des Christentums in Österreichs. Von der Spätantike bis zur Gegenwart, München 2003; Erika WEINZIERL, Ecclesia semper reformanda. Beiträge zur österreichischen Kirchengeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Wien [u. a.] 1985; Auf europäischer Ebene: Die Christen und die Entstehung der Europäischen Gemeinschaft, hrsg. von Martin Greschat/Wilfried Loth, Stuttgart [u. a.] 1994; Mary Anne PERKINS: Christendom and European identity. The legacy of a grand narrative since 1789, Berlin [u. a.] 2004; Jürgen SCHWARZ, Katholische Kirche und Europa (Anm. 38); Die katholische Kirche und das neue Europa, Dokumente 1980–1995, hrsg. von Jürgen Schwarz, 2 Bde., Mainz 1996.
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schen nationalen und europäischen Identifikationen narrativ verwirklicht wurde. Die Geschichte ist in diesem Cluster als Werkzeug angelegt, das die Bewegung zwischen den bisher voneinander abgekoppelten Kollektiven zur Routine macht. Die Geschichte ist hier nichts anderes als ein transkulturell wirksames Instrument in der alltäglichen Konstruktion der Wirklichkeit. Was macht den dritten Narrativcluster in seiner inhaltlichen und praktischen Erscheinungsform aus? Seine wesentlichen Inhalte und Tendenzen lassen sich anhand eines prägnanten Quellenstücks verdeutlichen; dieses Quellenstück stammt aus den frühen 1980ern Jahren – also jenem Zeitraum, als die Auflösung der Kluft zwischen den ersten beiden Clustern voranschritt. Zugleich ist in dieser Quelle – einer Predigt Johannes Pauls II. – die zukünftige Entwicklung des Clusters ab diesem Zeitpunkt klar zu erkennen. Sie betont den Bewegungsraum zwischen österreichischer und europäischer Identität. Die besondere Position des Quellennarrativs im dritten Cluster ist klar erkennbar: Das Erzählen der Geschichte ist darin mit päpstlicher Autorität verbunden. Das Narrativ konnte somit den autorisierten Archetyp historischer Erzählhaltung in diesen Diskursraum einbringen. Karol Wojty^a besuchte 1983 anlässlich des nationalen Katholikentages Österreich. Am 10. September 1983 fand am Wiener Heldenplatz eine Vesper statt, die Europa gewidmet war. Der Heldenplatz ist einer der österreichischen Gedächtnisorte: An ihn als materialen Anknüpfungspunkt sind die Erinnerung an das habsburgisch-katholische Österreich, an das Begräbnis des autoritär regierenden Bundeskanzlers Engelbert Dollfuss, an die „Anschluss“Kundgebung Adolf Hitlers 1938 und an die Karl-Schranz-Hysterie 197251 geknüpft. Für die Zeit nach dem Papstbesuch 1983 ist er der Kristallisationspunkt der Erinnerung an das Lichtermeer gegen das FPÖ-„AusländerVolksbegehren“ 199352 sowie die Abschluss-Demonstration gegen die von Wolfgang Schüssel gebildete ÖVP-FPÖ-Regierung 200053. An diesem in so hohem Maße gedächtnisbildenden Ort integrierte Karol Wojty^a folgende Geschichte in seine Predigt: 51
Der Schifahrer Karl Schranz wurde 1972 knapp vor Beginn der Olympischen Spielen in Sapporo, Japan, wegen Verstoßes gegen die olympische Amateurregelung von den Bewerben ausgeschlossen. Als er nach Wien zurückkehrte, bereiteten ihm rund hunderttausend Menschen einen überwältigenden Empfang. Er wurde von Bundeskanzler Bruno Kreisky ins Bundeskanzleramt eingeladen, von wo aus er der Menschenmenge zujubelte. Infolgedessen wurde Schranz als österreichischer Nationalheld, dem „olympisches Unrecht“ widerfahren war, in die österreichische Kollektivgeschichte integriert. 52 Am 23. Januar 1993 waren hunderttausende Menschen mit Kerzen und Fackeln durch die Wiener Innenstadt gezogen, um gegen das von der FPÖ initiierte „Österreich zuerst“Volksbegehren, oftmals als „Anti-Ausländer-Volksbegehren“ bezeichnet, zu demonstrieren. Der Heldenplatz war Treffpunkt gewesen. 53 Vgl. Konrad Paul LIESSMANN, Topoi. Konturen einer politischen Mythologie, in: Memoria Austria I (Anm. 22), S. 204 ff.
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Jahrbuch für Europäische Geschichte 9 (2008) „Was dem europäischen Kontinent zur Einheit in der Vielfalt verholfen hat, war vor allem die Verbreitung des christlichen Glaubens. Die Wege der Missionare und der christlichen Pilger haben Länder und Völker Europas friedlich miteinander verbunden – wofür wiederum Österreich ein kennzeichnendes Beispiel ist. [...] Die […] kulturelle Gemeinsamkeit des europäischen Kontinents ist ohne den Inhalt der christlichen Botschaft nicht zu verstehen. Diese – mit antikem Geist großartig verschmolzen – bilden ein gemeinsames Erbe, dem Europa seinen Reichtum und seine Kraft verdankt […]. Das Österreich von heute […] ist frei von fremder Herrschaft und kriegerischer Gewalt […]. Welch denkwürdiger und freudiger Kontrast zu mancher früheren Epoche und besonders zum Jahre 1683. Dieses Jahr ist ein großes Datum nicht nur der österreichischen, sondern europäischen Geschichte, wahrlich wert, dass wir uns seiner nachdenklich und dankbar erinnern. Jedem von uns ist vertraut, wie vor 300 Jahren Truppen des osmanischen Reiches […] bis vor diese Stadt gelangten […] Der Zug der Armee war von Brandschatzung. Mord und Verschleppung gekennzeichnet; unsäglich waren die Not, der Jammer, das Elend. Bewundernswert war die Tapferkeit der Verteidiger Wiens. Sie schöpften Kraft aus dem Gebet, aus ihrer Überzeugung, nicht nur für ihr Land, sondern für Europa und für die Christenheit zu streiten54.
Zuerst sticht hier die Grenzlinie hervor, die anhand des Jahres 1683 durch Europa gezogen wird. Offensichtlich hatte in Wojty^as europäischer Geschichte die Türkei nur die Rolle einer „unchristlichen Gefahr“ zu spielen – eine denkbar schlechte Voraussetzung, in den heutigen europäischen Identitätsdiskursen integrale Impulse setzen zu können. Abseits dieses Exklusionsaktes strukturiert sich die Textstelle nach einem zentralen narrativen Motiv: Karol Wojty^a konstruiert in der Vergegenwärtigung der Ereignisse von 1683 eine Erzählung, in welcher österreichische und europäische Geschichte nahtlos ineinander überfließen. D. h. was in diesem Quellenstück geschieht, ist nicht weniger, als dass österreichische und europäische Identifikation miteinander hybridisiert werden. Durch die Parallelmontage von europäischer und österreichischer Geschichtsepisode entsteht ein historischer Bewegungsraum, in welchem sich europäische und nationale Identität zumindest komplementär ergänzen. Die historische Erzählung kann sich schrankenlos zwischen diesen beiden Ebenen bewegen – und sich in das Netzwerk von Erzählungen, die um den Gedächtnisort „Heldenplatz“ zirkulieren, einfügen. Karol Wojty^a betätigte sich als „postmoderner Geschichtsschreiber“, indem er performativ als Zeremonienmeister des österreichischen und europäischen Gedächtnisses handelte. 54
Quelle: Ansprache Johannes Pauls II. bei der Europavesper am Wiener Heldenplatz am 10. September 1983, im Auszug als Dokument Nr. 19 in: Jürgen Schwarz, Neues Europa (Anm. 50), Bd. I, S. 107–112.
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Der Bewegungsraum zwischen nationaler und europäischer Identität steht im Zentrum des dritten Narrativclusters. Es sei nochmals im Detail durchdacht, wie diese Bewegung vor sich geht: Ausgangspunkt der Bildung des dritten Narrativclusters war eine Diskurssituation, in welcher Europäisches und Österreichisches voneinander abgekoppelt waren oder sich im schlechtesten Fall sogar diametral gegenüberstanden. Mit dem dritten Cluster entstand dann ein Raum, in welchem die Bewegung zwischen den Identitätsschichten durch die Verbindung der Geschichten Österreichs und Europas möglich wurde. Dies ist nicht anderes als eine erweiterte Netzwerkbildung; man könnte sogar von der Setzung von „Hyperlinks“55 – referentiellen Querverweisen zwischen den Einzelgeschichten – sprechen. Der Gesamtwirkungseffekt des Clusters ist daher mit dem Begriff des „Transfers“, nämlich zwischen der Nation und Europa, am Besten umschrieben. Eine Schwalbe macht bekanntlich keinen Sommer und ein päpstliches Narrativ keinen Narrativcluster. In der Entwicklung katholischer Repräsentationen der Geschichtlichkeit seit den 1970er Jahren finden sich zahlreiche historische Erzählungen, die im dritten Cluster konzentriert und verwaltet wurden: Um die österreichische Identitätsfigur Franz Kardinal König entstand seit dieser Zeit56 und noch verstärkt seit dessen Tod 2004 ein Narrativ, welches das Bild vom österreichischen „roten Kardinal“ mit jenem des „Brückenbauers nach Osteuropa“ verknüpft57. In der projektiv geschaffenen historischen Figur Kardinal Franz König können Österreicher und Europäer58 bestens ineinander übergehen. Diese Figur wurde nicht wesentlich anders konstruiert als die ProtagonistInnen eines True-Crime-Romans. Es ist bezeichnend für das österreichisch-katholische Gedächtnis, dass es keine ähnliche starke weibliche Figur wie jene des Kardinals König gibt. Ein weiteres Beispiel: Die österreichischen Bischöfe gaben beginnend mit ihrem Sozialhirtenbrief aus dem Jahre 1990 eine Reihe von Stellungnahmen und Publikationen heraus, in welcher österreichische und europäische Identität jeweils anhand der Geschichte der katholischen Kirche Österreichs in Europa aneinander herangeführt wurden. Das Erzählen dieser Geschichten erfolgte immer anlassfallbezogen59. Ihre Konzentration und Verdichtung im 55 Vgl. hierzu Wolfgang Schmales Metapher vom „Hypertext“: SCHMALE, Suche nach Identität (Anm. 7), S. 43 f. 56 Vgl. hierzu unter anderem Königs Schriften „Reif für das kommende Europa?“ und „Die Christen und die Zukunft Europas“, in: Kardinal Franz KÖNIG, Appelle an Gewissen und Vernunft, hrsg. von Gottfried Hierzenberger, Wien [u. a.] 1995, S.152 ff., S.172 ff. 57 König wurde als „roter Kardinal“ tituliert, da er sich um den Brückenschlag zur Sozialdemokratie bemühte. Vgl. Wolfgang NAHR, Der Mythos vom Kardinal Franz König, in: Memoria Austriae I (Anm. 22), S. 133–163. 58 Ich spreche hier bewusst von dem Österreicher/Europäer und nicht den ÖsterreicherInnen/EuropäerInnen. 59 So heißt es etwa in der „Europa-Erklärung“ der Bischofskonferenz, welche aus Anlass der ersten EU-Ratspräsidentschaft Österreichs veröffentlicht wurde, mit Ausblick auf den
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dritten Narrativcluster schlug sich programmatisch in der gesammelten Veröffentlichung und Ergänzung der bischöflichen Stellungnahmen im Jahre 2002 nieder60. Gerade im hypertextuellen Raum des „World Wide Web“ entstand in jüngerer Zeit ein besonders spannendes Exempel der Konzentration von Erzählungen im dritten Narrativcluster: Ausgehend von Österreich wird im Digitalisierungsprojekt „MonasteriuM“61 seit 2002 das Ziel verfolgt, ein virtuelles Archiv mitteleuropäischer Klöster und Bistümer zu schaffen. Aus der Projektbeschreibung: „Ziel des Projektes ist die Schaffung eines möglichst vollständigen virtuellen Archivs mitteleuropäischer Klöster und Bistümer. Die darin enthaltenen wertvollen Dokumente erzählen authentisch die Ursprünge jenes Europa, in dem wir heute leben. Durch die internationale Zusammenarbeit der mitteleuropäischen Archive wird Monasterium.Net zunehmend zu einem ‚Schatzhaus‘ der europäischen Geschichte ausgebaut“62.
Die katholische Geschichte Österreichs wird auf diese Weise mit der katholischen Geschichte Europas verknüpft. All diese Erzählungen werden unter effektiver und strategischer Nutzung der Möglichkeiten, die das Web bietet, in diesem Cluster verdichtet und vereinheitlicht. Schlussendlich werden sie als konzentriertes Reservoir von Ressourcen für das alltagskulturelle historische Sprechen zur Verfügung gestellt: „Das virtuelle Archiv bietet Geschichte zum Lesen, Anschauen, Nachvollziehen und damit Begreifen“63. Ein letztes und zugleich hochaktuelles Beispiel: Gleichzeitig mit der Abfassung dieses Beitrages fand der lange erwartete Besuch Papst Benedikts XVI. in Österreich statt. Die Ansprachen und Predigten Benedikts XVI. schrieben in direkter Linie jene Hybridisierung österreichischer und europäischer katholischer Geschichtsidentität fort, welche Johannes Paul II. 1983 am Wiener Heldenplatz grundgelegt hatte64. EU-Beitritt der Länder des vor 1989 sozialistischen Teil Europas: „Die historische Verantwortung der Kirche für die Brüder und Schwestern in den Beitrittsländern haben wir schon im Sozialhirtenbrief von 1990 zur Sprache gebracht, wo gesagt wurde: ‚Die Kirche in Österreich muss sich auf Grund ihrer Geschichte und ebenso auf Grund der geographischen Nähe in besonderer Weise für diese Länder verantwortlich fühlen. Diese neue Herausforderung stellt für sie selber auch in religiöser, geistiger und kultureller Hinsicht eine Bereicherung dar‘.“ Quelle: Amtsblatt der Österreichischen Bischofskonferenz, Nr. 23 vom 28. Juli 1998. 60 Vgl. Die Kirche auf dem Bauplatz Europa. Stimmen der österreichischen Bischöfe zur Wiedervereinigung Europas, hrsg. von Ägidius J. Zsifkovics, Wien 2002. Schon der Titel des Bändchens verweist mit dem Begriff der „Wiedervereinigung“ auf einen geschichtlich determinierten Zusammenhang. 61 Vgl. http://www.monasterium.net, abgefragt am 06.09.2007. 62 Quelle: http://www.monasterium.net/at/projekt.html, abgefragt am 06.09.2007. 63 Quelle: Ebd., abgefragt am 06.09.2007. 64 Papst Benedikt XVI. besuchte zwischen 7. und 9. September 2007 aus Anlass des (mythischen) 850-jährigen Gründungsjubiläums des steirischen Marienwallfahrtsortes Mariazell
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Der Begriff des Narrativclusters ermöglicht es auch hier, die netzwerkartige Verbundenheit dieser vordergründig disparat erscheinenden Geschichtsrepräsentationen – vom Kardinal-König-Mythos bis zum virtuellen Klosterarchiv – aufzuzeigen. Ihre systematische Verbundenheit und verdichtete Konzentration bestimmen die Tiefenstruktur dieses dritten NarrativReservoirs. Die gebündelte Aktualisierung dieser Erzählungen, die im Anlassfall einen großflächigen historischen Identifikationsraum zu erzeugen in der Lage ist, kennzeichnet die kulturelle Gesamtfunktion des Clusters – die Neukonstruktion der Beziehung zwischen österreichischer und europäischer katholischer Identität. Dieser Prozess hat die Form einer strategischen Bündelung von Ressourcen – bei gleichzeitigem Bestreben, die Ambivalenzen zwischen Österreichischem und Europäischem zu überlagern, sie „vergessen zu machen“. 5. Fazit: Bewegung – auch in der Historiographie An dieser Stelle seien kurz die zentralen Punkte meiner Überlegungen zusammengefasst, um dann abschließend den Versuch eines Ausblicks zu geben. Dieser Ausblick wird eher die Form eines optimistischen da capo haben; nichtsdestoweniger scheinen mir einige Aspekte sichtbar zu werden, die eine weitere Reflexion lohnenswert erscheinen lassen. Mit Fokus auf das Fallbeispiel Österreich lassen sich innerhalb katholischer Repräsentationen der Geschichte drei Konzentrationsräume historischer Erzählungen („Narrativcluster“) ausmachen; diese drei Räume lassen sich im Einzelnen folgendermaßen charakterisieren: Die Genese des ersten Clusters ist direkt mit dem nation-building im Verlauf der Kulturgeschichte der Zweiten Republik nach 1955 verbunden. Es wurde ein verdichtetes Reservoir an Narrativen angelegt; dieses erlaubte ein alltagskulturelles Erzählen der österreichischen Geschichte im Modus der Beständigkeit und Kontinuität. Die Zweite Republik wurde auf dem historischen Fundament der habsburgisch-katholischen Zeit vor 1918 imaginiert. Hiermit war eine exklusive Charakterisierung des „typisch“ Österreichischen verknüpft. Österreich. Aus der Ansprache Benedikts XVI. in der Wiener Hofburg am 7. September 2007: „Österreich hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine Erfolgsgeschichte verzeichnet […]. Wir befinden uns hier an einer historischen Stätte, von der aus über Jahrhunderte ein Reich regiert worden ist, das große Teile des mittleren und östlichen Europa vereint hat. Dieser Ort und diese Stunde sind ein guter Anlass, das ganze Europa von heute in den Blick zu nehmen. Nach den Schrecknissen des Krieges und den traumatischen Erfahrungen von Totalitarismus und Diktatur hat Europa den Weg zu einer Einheit des Kontinents eingeschlagen, die eine dauerhafte Friedensordnung und eine gerechte Entwicklung gewährleisten soll“. Quelle: http://www.papstbesuch.at/content/site/de/home/ansprachen/texte/article/970.html, abgefragt am 10.09.2007.
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Die Entstehung des zweiten Narrativclusters war mit den „Vorbeben“ der europäischen Integration nach 1945 und dem tatsächlichen Beginn des supranationalen Vereinigungsprozesses mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl verbunden. Es wurden Narrative konzentriert, welche analog den Prozessen auf national-österreichischer Ebene das Erzählen der europäischen Vergangenheit als kontinuierliche Geschichte erlaubten. Es wurden Erzählungen verwaltet, deren Bündelung für die beginnende politische Organisation Westeuropas den Mythos des „katholischen Abendlandes“ als Raum des Gemeinsamen stiftete. Auch mit diesem Prozess war eine exklusive Identitätskonstruktion verbunden. Der dritte Narrativcluster entstand ab den 1970er, verstärkt seit den 1980er Jahren – in gewissem Sinn in einer Mediatstellung zwischen den ersten beiden Clustern. Er organisiert und verdichtet Narrative, welche eine Brücke zwischen den katholischen Geschichten Österreichs und Europas schlagen. Europäische und österreichische Identität werden als ergänzende Bereiche dargestellt. Die zunehmende Konzentration von Erzählungen in diesem Cluster seit den 1980er Jahren spiegelt klar den tatsächlich erfolgten „Weg Österreichs nach Brüssel“ wider. Der tatsächliche EU-Beitritt Österreichs 1995 bedeutete die Aktualisierung dessen, was in diesem dritten Diskursraum bereits angelegt war – die Bewegung Österreichs nach Europa und umgekehrt. Die Clusterbildung hält bis heute mit ungebrochener Dynamik an. Das dritte Konzentrationsfeld erscheint damit aus heutiger Sicht als Aspekt der kulturellen Wegbereitung der Integration: So sie wollten, konnten die ÖsterreicherInnen in diesem Raum die Überwindung der Ambivalenzen zwischen Österreichischem und Europäischen kooperativ erarbeiten. Weitergehende Forschungen könnten daher untersuchen, ob es hier den berühmten spill-over – Auswirkungen des Prozesses in breitere soziokulturelle Areale – gab. Von besonderer Tragweite ist, dass sowohl im zweiten als auch dritten Narrativcluster Erzählungen mit päpstlichen Autoritätsattributen versehen werden. Dies bedeutet einerseits, dass die katholische Kirche als kulturelle Akteurin auf beiden Ebenen auftritt; darüber hinaus jedoch bedeutet es, dass die katholische Kirche zunehmend die Kompetenz beansprucht, zu entscheiden, wann welche Identitätsform – europäisch-exklusive oder österreichischeuropäische „Bindestrich-Identität“ (Rathkolb)65 – angemessen ist. Die katholische Kirche verfügt damit nicht nur über ein breiteres Spektrum an Identifikationsangeboten, sondern bietet an, Identifikationsentscheidungen anzuleiten. Die weitere Erforschung und kritische Reflexion des Zusammenhanges Geschichte–Identität–Katholizismus scheint mir hier einsetzen zu können. 65 Vgl. zur Ausbildung solch hybrider und fragmentierter „Bindestrich-Identitäten“ in Österreich: RATHKOLB, Paradoxe Republik (Anm.13), S. 415 ff.
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Der theoretische Begriff des Narrativclusters ermöglicht es, die gebündelte Organisation und Verdichtung von sinnstiftenden historischen Erzählungen zu analysieren. Die strategische Anlagerung der soziokulturellen Ressource „Geschichte“ in Clustern erlaubt KollektivakteurInnen ihre gebündelte Aktivierung. Die Geschichte ist dabei nichts anderes als ein kognitives Alltagswerkzeug: Ähnlich wie Messer und Gabel zum Essen dienen, werden von den österreichischen EuropäerInnen geschichtliche Narrative verwendet, um die Vergangenheit zu zerteilen, zu portionieren und schließlich vernetzt in den Entwurf ihres Kollektiv„körpers“ zu inkorporieren. Die Leistungsgrenze des Begriffs des Narrativclusters liegt dort, wo Erzählungen nicht einheitlich strukturiert, sondern in „Patchwork“-Ensembles organisiert werden. Das da capo schließlich besteht in einem optimistischen Ausblick: Bisher ist die geschichtswissenschaftliche Erforschung der europäischen Integration vor allem durch politik- und ereignisgeschichtliche Paradigmen geprägt. Die Ergänzung dieser Perspektiven im Sinn einer umfassenderen, ebenso kulturwissenschaftlichen Historiographie der europäischen Integration scheint mir – wie auch hier in bescheidenen Ansätzen gezeigt werden konnte – ein herausforderndes und sinnvolles wissenschaftliches Unternehmen darzustellen66.
Summary The present paper analyses European and Austrian Catholic historic narratives emerging after 1945. Based on recent research in cultural history it will be shown that Catholic discourses have been using such narratives as a tool to construct European and national identities. The introduction of the term „narrative cluster“ allows distinguishing three different discursive spheres concerning historic narratives. The first narrative cluster formed an essential part in Austrian nation-building processes after 1955. The pre-1918 Catholic Austria of the Habsburgs is considered to be the historic basis for the Second 66 Der Verfasser dieses Beitrags arbeitet gegenwärtig im Zuge seines Dissertationsprojektes an einem Vorhaben in dieser Richtung. Im Sinn der anleitenden Fragestellung „Eine Historiographie der europäischen Integration? Suche nach einem theoretischen Fundament“ soll versucht werden, Impulse für eine theoriegeleitete Innovation der Integrationshistoriographie zu geben. Ausgangspunkt dessen ist das Auffinden der Schnittflächen zwischen integrations- und geschichtstheoretischen Diskurs. Für ein solches Unternehmen einer „Geschichtsschreibung im und des europäischen Mehrebenensystems“ spielen kulturwissenschaftliche und „postmoderne“ Theoriebausteine eine zentrale Rolle. Vgl. hierzu auch: Michael GEHLER, Zeitgeschichte im dynamischen Mehrebenensystem. Zwischen Regionalisierung, Nationalstaat, Europäisierung, internationaler Arena und Globalisierung, Bochum 2001; sowie: Wolfgang SCHMALE, Komponenten der historischen Europäistik, in: Annäherungen an eine europäische Geschichtsschreibung, hrsg. von Gerald Stourzh, Wien 2002, S. 119–139.
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Republic. In this way Austria’s history can be told as a continuous story. The second discursive sphere consolidates narratives on the „Christliches Abendland“. By imagining Europe’s history as a Christian and mainly Catholic story, an exclusive vision of European identity is constructed. This especially applies to the early stage of European integration. Finally, the development of a third narrative cluster, which can be observed since the 1970ties, led to a new way in reconstructing relationships between European and Austrian Catholic identities. Both are seen as complements to each another. In this way, a „third space“ was established where European and Austrian identities historically intertwine. They are designed as a hybrid framework of European and national historic narratives.
Ein „ragendes Denkmal“ des christlichen Abendlandes. Der Bau der Friedenskirche in Speyer 1953/54 Von
Michael Kißener Es gibt historische Ereignisse, die, obwohl sie auf den ersten Blick nur von regionaler oder gar lokaler Bedeutung zu sein scheinen, ein großes historisches Problem, eine komplexe historische Situation oder sogar den sonst so flüchtigen „Zeitgeist“ wie in einem Brennglas erfassen. Der Bau der Friedenskirche in Speyer ist ein solches Ereignis. Der Entschluss, diese Kirche zu bauen, fiel in den Jahren 1952–1954 in eine Zeit großer europapolitischer Aktivität und Europa-Begeisterung in weiten Kreisen der Bevölkerung. Große Projekte wie etwa die Schaffung des Europarates, in den die Bundesrepublik Deutschland 1951 aufgenommen worden war, oder die 1952 ins Leben gerufene Europäische Union für Kohle und Stahl, die sog. Montanunion, waren gerade gelungen und ließen auf einen schnellen Zusammenschluss der europäischen Staaten hoffen. Den Deutschen verhieß diese Entwicklung eine gleichberechtigte Rückkehr in die westliche Staatengemeinschaft. Deshalb wurde der „europäische Gedanke [...] seit 1945 die tragende Idee in Deutschland“, wie Bundeskanzler Konrad Adenauer in seinen Erinnerungen festhielt1. Schon zeichnete sich als neues Ziel eine gemeinsame Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) ab, die von dem französischen Verteidigungsminister Pleven vorgeschlagen wurde. Während sich so Westdeutschland anschickte, wieder Teil der westeuropäischen Wertegemeinschaft zu werden, rückte die deutsche Wiedervereinigung in immer weitere Ferne, vertiefte sich der Spalt zwischen westlicher Welt und sowjetischem Machtbereich. Der Ausbruch des Koreakrieges 1950 hatte gezeigt, wie schnell sich der Übergang vom kalten zum heißen Krieg ereignen konnte. Die Stalinnote im März 1952 verriet einmal mehr das geschickte Taktieren der Sowjets zur Ausdehnung ihres Einflussbereichs. Die Niederschlagung des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 in der DDR ließ zugleich 1 Konrad ADENAUER, Erinnerungen 1953–1955, Stuttgart 1966, S. 240. An die große emotionale Anteilnahme der Bevölkerung in den 1950er Jahren für europapolitische Themen erinnerte noch zum 25-jährigen Jubiläum der Speyerer Friedenskirche der rheinlandpfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel. Vgl. Bernhard VOGEL, Die Einheit Europas – Beitrag zum Frieden in der Welt, in: 25 Jahre Friedenskirche St. Bernhard Speyer. Gedenkschrift zum Jubiläum und zur Altarweihe 1979, hrsg. vom Kath. Pfarramt St. Bernhard, Speyer 1980, o. S.
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keinen Zweifel an der konsequenten machtpolitischen Haltung Moskaus auch nach dem Tode Stalins aufkommen. Die DDR wurde planmäßig durch die Aufstellung Kasernierter Volkspolizeieinheiten in das osteuropäische Bündnissystem eingebaut und die Bundesrepublik erwartete durch eine sich abzeichnende Wiederbewaffnung ihre Einbindung in westeuropäische oder atlantische Verteidigungsstrukturen zur Abwehr des Kommunismus. Das freilich ereignete sich nicht ohne Gegenstimmen: erst im Januar 1952 war Bundesinnenminister Gustav Heinemann aus Protest gegen eine Wiederbewaffnung zurückgetreten. Vor dem Hintergrund dieser weltpolitischen Entwicklungen entstand im Speyerer Domkapitel die Idee, eine Kirche zu bauen, die dezidiert als „Friedenskirche“ und zugleich als ein Baustein in der europäischen, speziell in der deutsch-französischen Versöhnungsarbeit gedacht war, ja weit darüber hinaus auch zum mahnenden Symbol für die europäische Einigung werden sollte. Der Anstoß freilich war, anders als dies die spärliche, fromm anmutende Literatur2 erahnen lässt, den Akten zufolge3 zunächst einmal ein viel profanerer. I. Vorgeschichte Ausgangspunkt war die Absicht, die seelsorgliche Situation im Speyerer Innenstadtbereich zu verbessern. Seit mehreren Jahren war man in Verhandlungen mit dem Stadtrat, um einen geeigneten Bauplatz für eine weitere Kirche unweit des Domes, die ein Zentrum für etwa 3000 katholische Innenstadtbewohner werden sollte, zu finden. Die Verhandlungen zogen sich hin, man kam erst einmal zu keinem befriedigenden Ergebnis. In diese laufenden Überlegungen wirkte als zweites wichtiges Moment4 ein Brief der Trappistenabtei Notre Dame de Mistassini5 aus Canada hinein, die für die Vorbereitung einer Jubiläumsausstellung zu ihrem Ordensgründer Bernhard von Clairvaux nach Material suchten und zugleich mit ihrem Brief 2
Fritz KLOTZ, Die Friedenskirche St. Bernhard, Speyer am Rhein, Erolzheim 1955, Bruno THIEBES, Die Friedenskirche St. Bernhard von Clairvaux in Speyer, in: Rheinland-Pfalz persönlich: Erinnerungen und Begegnungen, hrsg. vom Sparkassen- und Giroverband Rheinland-Pfalz, Mainz 1987, S. 247–262, Clemens JÖCKLE, Die Kirchen der Pfarrei St. Bernhard, Speyer am Rhein, München 1981, 25 Jahre Friedenskirche St. Bernhard Speyer. Gedenkschrift zum Jubiläum und zur Altarweihe 1979, hrsg. vom Pfarramt St. Bernhard, Speyer 1980. 3 Soweit nicht anders angegeben, beruhen die nachfolgenden Aussagen auf den nicht weiter nummerierten Aktenstücken im Bistumsarchiv Speyer, Pfarrarchiv St. Bernhard. 4 Vgl. hierzu Bistumsarchiv Speyer, Chronik des Domkapitels Bd. VII. 5 Zur Geschichte des 1892 am Zusammenfluss von Mistassibi und Mistassini in der kanadischen Provinz Quebec gegründeten Trappistenklosters siehe Jacques PINEAULT, Des Jours et des Hommes Les Tropister de Mistassini 1892–1992, Notre Dame de Mistassini 1991.
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anfragten, ob und wie man in Speyer den sich 1953 jährenden 800. Todestag von Bernhard von Clairvaux zu feiern gedenke. Der heilige Bernhard von Clairvaux besitzt nicht nur für den Speyerer Dom eine besondere Bedeutung, an sein Wirken im Mittelalter wurde auch in der spezifischen historischen Situation der 1950er Jahre vielfach erinnert. Denn Bernhard von Clairvaux galt und gilt nicht nur als Verkünder des Glaubens und als ein Mann, der zur Einheit von Kirche und Staat mahnte6, sondern er wird auch als heilbringender Vermittler in den großen Konflikten seiner Zeit erinnert. Schon der mittelalterliche Chronist Otto von Freising hatte deshalb über ihn geschrieben, er sei „bei allen Bewohnern Frankreichs und Deutschlands wie ein Prophet oder Apostel angesehen worden“7. 1146 gelang es ihm mit einer flammenden Predigt im Speyerer Dom, den Kaiser und die Ritterschaft des Abendlandes zu einem Kreuzzug ins Heilige Land zu bewegen. Seitdem wurde er auch in Speyer besonders verehrt. Das Speyerer Domkapitel wurde von dem Brief der Trappisten in eine etwas unangenehme Situation gebracht, denn eigentlich jährte sich 1953 nicht nur Bernhards Todestag, sondern auch der des Hl. Pirmin, des im 8. Jahrhundert wirkenden „Apostels der Pfalz“8. Man beschloss aber nun das Pirminjubiläum zugunsten des Bernhardjubiläums zurückzustellen und sich den Feierlichkeiten um den Hl. Bernhard zuzuwenden, nicht zuletzt weil er einer der Patrone des Speyrer Domes ist. Ein drittes Element schließlich vereinigte diese Zusammenhänge zu jener zündenden Idee, die den Grundstein für den Kirchenbau legte. 1952 wurde mit Bischof Emanuel ein Mann zum neuen Speyerer Oberhirten konsekriert, der sich der deutsch-französischen Annäherung verpflichtet fühlte und bereits als Rektor des Exerzitienhauses Maria Rosenberg in der unmittelbaren Nachkriegszeit zwei deutsch-französische Priestertreffen mitorganisiert hatte. Für ihn lag daher der Gedanke nahe, die Jubiläumsfeierlichkeiten für den Hl. Bernhard unter das Motto einer deutsch-französischen Aussöhnung zu stellen9. Bei der Feier nach seiner Konsekration räsonierte er in Anwesenheit 6 Gert WENDELBORN, Bernhard von Clairvaux. Ein großer Zisterzienser in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, Frankfurt a. M./Mainz 1993, S. 182. 7 Peter DINZELBACHER, Bernhard von Clairvaux. Leben und Werk des berühmten Zisterziensers, Darmstadt 1998, S. 285. 8 Vgl. etwa Ursmar ENGELMANN, Der heilige Pirmin und sein Pastoralbüchlein, Sigmaringen 1976, Richard ANTONI, Leben und Taten des Bischofs Pirmin. Die Karolingische Vita, Heidelberg 2005. 9 Isidor Markus EMANUEL, Meine Bischofsjahre, Speyer 1974, S. 130. Vgl. dazu auch: Kirche unterwegs: Vom Wiederaufbau zur Jahrtausendwende. Das Bistum Speyer und seine Bischöfe 1945–2000. Festschrift zum 70. Geburtstag von Bischof Dr. Anton Schlembach, hrsg. von Hans Ammerich [u. a.], Speyer 2002, S. 46, 49, 61 und Ferdinand SCHLICKEL, Isidor Markus Emanuel (1953–1968), in: Lebensbilder der Bischöfe von Speyer seit der Wiedererrichtung des Bistums Speyer 1817/21, hrsg. von Hans Ammerich, Speyer 1992, S. 307–337, hier S. 320.
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französischer Gäste über die Predigt des Hl. Bernhard im Speyerer Dom und führte dabei aus, wie erstaunlich es doch gewesen sei, dass Bernhard, der nur romanisch und lateinisch gesprochen habe, dennoch in Speyer verstanden worden sei, wohl weil er „die Sprache der Liebe“ gesprochen habe10. Das wirkte bei den französischen Gästen, die sich nun an den Jubiläumsfeierlichkeiten sehr interessiert zeigten. Es war schließlich Generalvikar Dr. Haußner11, der die verschiedenen Ereignisstränge zusammenführte und vorschlug, den notwendigen Kirchenneubau mit dem Bernhardsjubiläum zu verbinden und damit zugleich ein Zeichen der Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen zu setzen12. Es ist aus den Quellen nicht zu beweisen, liegt aber doch wohl sehr nahe, dass dieser Gedanke weit weniger Aufsehen erregt hätte, zumindest die Grenzen von Speyer und Rheinland-Pfalz kaum überschritten hätte, wäre er nicht in jener geschilderten spannungsreichen europa- und weltpolitischen Lage entstanden. Denn entscheidend war nun, dass die Idee dem französischen Hohen Kommissar und Botschafter André François-Poncet übermittelt wurde, der sie sofort aufgriff und vorschlug, ein Festkomitee einzuberufen, das die Feierlichkeiten gestalten und gleichsam als Patron der Idee des Kirchenbaus fungieren sollte. Mehr noch, François-Poncet soll ganz unmittelbar sogar zugesagt haben, dass sich Deutsche und Franzosen die Kosten für diesen Kirchenbau in Speyer gerecht teilen sollten13. Mit diesem Rückenwind fiel es dem Domkapitel dann nicht schwer, für die Idee des Kirchenbaus zu werben, vor allem bei dem rheinland-pfälzischen Landesvater, Ministerpräsident Peter Altmeier, einem geprägten katholischen Politiker, der sich dem Ausgleich zwischen Deutschen und Franzosen ohnehin verschrieben hatte und in diesen Tagen die Gründung einer Regionalpartnerschaft mit Burgund anstrebte14. Das bischöfliche Ordinariat traf daher auf offene Ohren, als es in seinem Brief an die Landesregierung vom 18. April 1953 dafür warb, die 10 11 12
Bistumsarchiv Speyer, Chronik des Domkapitels Bd. VII, S. 9. Philipp Jakob Haußner (1887–1965), 1943–1959 Generalvikar Bistum Speyer. Vgl. Bistumsarchiv Speyer, Chronik des Domkapitels Bd. VII, S. 9. Die ersten Spuren dieser Entscheidung finden sich in Bistumsarchiv Speyer, Sitzungsprotokoll des Bischöflichen Ordinariats vom 11. Februar 1953, §32 Ref. 4. Bischof Emanuel konnte Robert Schuman am 21. Mai 1953 bei einem in Mainz gehaltenem Vortrag treffen und zur Unterstützung der Idee eines gemeinsamen Kirchenbaus gewinnen. Vgl. EMANUEL, Bischofsjahre (Anm. 9), S. 130. 13 Nach THIEBES, Friedenskirche (Anm. 2), S. 249 soll es der Speyerer „Administrateur“ Réné Schneider gewesen sein, der François-Poncet über das Vorhaben informierte. Vermutlich handelt es sich dabei um den 1953 noch als Chef de la Section Politique du Commissariat pour le Land Rhénanie-Palatinat/Province Palatinat amtierenden elsässischen Besatzungsoffizier René Schneider, der maßgeblich die Entnazifizierung in der Pfalz bestimmt hatte. Rainer MÖHLER, Entnazifizierung in Rheinland-Pfalz und im Saarland unter französischer Besatzung von 1945 bis 1952, Mainz 1992, S. 438. 14 Vgl. Michael KIßENER, Kleine Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, Karlsruhe 2006, S. 202.
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Grundsteinlegung zu nutzen „zu einer neuen Ära des Friedens, [...] zu einer Versöhnung, die über die Grenzen der beiden Länder hinausreicht und alle Völker Europas zu einer neuen Einheit zusammenschließt“15. Altmeier sagte sofort 50.000 DM Bauhilfe zu. Das geplante Festkomitee wurde umgehend besetzt, und zwar außerordentlich prominent. Neben André François-Poncet wirkte der französische Gouverneur für die Pfalz, André Brozen-Favereau mit, sogar der „Père d’Europe“, Robert Schuman, war von der Idee angetan. Von deutscher Seite waren Altmeier und der Bundeskanzler, Konrad Adenauer, bereit, mitzuhelfen. Und auch der Vorsitzende des Verfassungsausschusses des Europarats, Heinrich von Brentano16, engagierte sich. Neben den weltlichen stand eine Vielzahl geistlicher Würdenträger, außer dem Ortsbischof Isidor Emanuel und dem Erzbischof von München Kardinal Wendel17 die französischen Bischöfe Kardinal Maurice Feltin18, Erzbischof von Paris, und der Bischof von Dijon, Guillaume Sembel19. II. Grundsteinlegung und Einweihung der Friedenskirche Es ist kein Wunder, dass vor diesem Hintergrund das Fest der Grundsteinlegung am 23. August 1953 zu einem Großereignis mit ca. 40.000 Teilnehmern wurde, das weit über die Landes- und Staatsgrenzen hinweg wahrgenommen wurde. Schon im Vorfeld wurden durch vielfache deutsch-französische Absprachen und durch eine große Wallfahrt der Speyerer Katholiken nach Frankreich viele Kontakte geknüpft, die der zivilgesellschaftlichen Versöhnungsarbeit wichtige Anstöße gegeben haben. In der Retrospektive sollte später Bischof Dr. Friedrich Wetter in den aus diesem Anlass zwischen vielen Menschen geschlossenen deutsch-französischen Freundschaften das eigentlich Entscheidende dieses historischen Ereignisses sehen20. So kamen dann am Feiertag auch viele Tausend französische Katholiken nach Speyer, darunter nicht weniger als rund 1000 französische Besatzungssoldaten, die 15 16
Bistumsarchiv Speyer, Chronik des Domkapitels Bd. VII, 1953, S. 13. Zu Brentano und der deutsch-französischen Aussöhnung siehe Hans-Christof KRAUS, Brentano und die deutsch-französischen Beziehungen in der Ära Adenauer, in: Heinrich von Brentano. Ein Wegbereiter der europäischen Integration, hrsg. von Roland Koch, München 2004, S 183–203. 17 Joseph Wendel (1901–1960), 1943–1952 Bischof von Speyer, 1952–1960 Erzbischof von München-Freising. 18 Maurice Feltin (1883–1975), 1928–1932 Bischof von Troyes, 1932–1935 Erzbischof von Sens, 1935–1949 Erzbischof von Bordeaux, 1949–1966 Erzbischof von Paris. Feltin war Mitbegründer und erster internationaler Präsident der Pax-Christi-Bewegung. 19 Guillaume Sembel (1883–1964), 1937–1964 Bischof von Dijon. 20 Friedrich WETTER, 25-Jahrfeier und Altarweihe am 30. September 1979. Predigt in der Eucharistiefeier, in: 25 Jahre Friedenskirche St. Bernhard Speyer (Anm. 1).
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die Gelegenheit zu einer Wallfahrt nutzten. Die Beteiligung der weltlichen und geistlichen Prominenz dürfte die Anziehungskraft der Feier erhöht haben, die symbolisch aufgeladenen Zeremonien verfehlten ihre Wirkung nicht, die gehaltenen Reden begeisterten die Menge. Der Festakt wie auch die vielfältigen an diesem Tag gehaltenen Reden zeigen den Heiligen Bernhard als Namenspatron der neuen Kirche im Zentrum der Feierlichkeiten. Vor allem aber belegen sie die enge Einbindung seiner Person in einen zwar sehr schillernden, aber Anfang der 1950er Jahre weit verbreiteten und vieldiskutierten Begriff: den des „Abendlandes“. Der „Abendland“-Begriff, wie die inhaltlich reichlich diffuse Abendland-Idee, ist ein Produkt des beginnenden 19. Jahrhunderts. Vor allem, aber nicht nur von Katholiken propagiert, wandte sie sich zunächst gegen Aufklärung und Französische Revolution, beschwor die christlichen Werte des Mittelalters und die kulturelle Einheit Europas. In der Zwischenkriegszeit war der Bonner Romanist Hermann Platz einer ihrer bekanntesten Verkünder, zumal Platz die Abendland-Idee im Gegensatz zur ebenfalls in den 1920er Jahren viel beachteten Paneuropa-Idee des Grafen Coudenhove-Kalergi sah21. Das Abendland war für Platz und seine Freunde kein praktisches, politisches Programm, es war vornehmlich die Idee einer Wertegemeinschaft, die freilich unter bestimmten Voraussetzungen politische Konsequenzen haben konnte. Mit wechselnden Konjunkturen erlangte die Abendland-Idee nach 1945 als Reaktion auf den kirchenfeindlichen Nationalsozialismus große Bedeutung. Ihr antipreußischer und antinationalistischer Affekt ebnete gleichsam Katholiken den Weg nach Europa. Es entstand eine eigene Zeitschrift Neues Abendland, in der u. a. angemahnt wurde, Deutschland müsse „durch christliche Selbstbesinnung und durch die Sühne seiner Schuld zur Mater occidentalis zurückfinden“, ja es müsse der „verpreußten deutschen Geschichtsauffassung entgegen[zu]treten und die förderalistisch-universalistische Tradition“ pflegen. In enger Verbindung mit der Zeitschrift wurde Anfang der 1950er Jahre die Abendländische Akademie gegründet, die sich als Forum der internationalen Diskussion verstand und die europäische Einigung auf der Grundlage christlicher Werte befördern wollte22. Diese spezifisch christlich-katholische 21
Vgl. Heinz HÜRTEN, Der Topos vom Christlichen Abendland in Literatur und Publizistik nach den beiden Weltkriegen, in: Katholizismus, nationaler Gedanke und Europa seit 1800, hrsg. von Albrecht Langner, Paderborn [u. a.] 1985, S. 131–154, hier S. 136. Zum Zusammenhang und zur Bedeutung von Platz siehe Winfried BECKER, Nachdenken über Europa: Christliche Identität und Gewaltenteilung, in: Historisch-politische Mitteilungen 12 (2005), S. 1–24, DERS., Wegbereiter eines abendländischen Europa: Der Bonner Romanist Hermann Platz (1880–1945), in: Rheinische Vierteljahrsblätter 70 (2006), S. 236–260. Zu Coudenhove-Kalergi vgl. Anita ZIEGERHOFER-PRETTENTHALER, Botschafter Europas. Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi und die Paneuropa-Bewegung in den zwanziger und dreißiger Jahren, Wien [u. a.] 2004. 22 HÜRTEN, Topos (Anm. 21), S. 146 f. Siehe auch Axel SCHILDT, Zwischen Abendland und Amerika. Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der 50er Jahre, München 1999.
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Europabegeisterung bestimmte auch die Feierlichkeiten zur Grundsteinlegung der Speyerer Friedenskirche23. Wie nicht anders für einen solchen Rahmen zu erwarten, begannen sie mit großen Festgottesdiensten. Das feierliche Pontifikalamt im Dom zelebrierte Bischof Heintz von Metz24; während zur gleichen Zeit für die vielen Tausend, die der Dom nicht fasste, der Abt von Stift Neuburg Ohlmeyer25 im Domgarten Messe hielt. Eine französische Predigt hielt der Bischof von Troyes, Le Couëdic26; die deutsche Predigt Bischof Schröffer von Eichstätt als Vertreter der Pax-Christi-Bewegung in Deutschland27. Auch Papst Pius XII. hatte eigens ein Grußwort gesandt, das verlesen wurde. Nach den Gottesdiensten unterzeichneten die Ehrengäste im Bischofshaus die Urkunde für den Grundstein28. Darin wurden die „christlichen Völker des Abendlandes“ zur Einigung aufgerufen und man gab der Hoffnung Ausdruck, dass „die Friedensmission des heiligen Abtes von Clairvaux in einer durch Unfriede zerrissenen Gegenwart aufs neue“ wirke, dass die ihm geweihte Kirche „ein ragendes Denkmal der Versöhnung [...] zwischen Deutschland und Frankreich und allen Völkern des europäischen Kontinents“ sein werde. Diesem Bekenntnis verlieh der Bischof von Metz ganz praktischen Ausdruck, indem er dem nicht wenig irritierten Bischof von Speyer 200.000 DM bar in 100,- DM-Scheinen als Beihilfe der französischen Katholiken für den Kirchenbau überreichte29. Am Nachmittag zog man in einer feierlichen Prozession vom Dom zum Bauplatz der Kirche. Dabei wurde ein Reliquienschrein mit Gebeinen des Hl. Bernhard mitgeführt, deutsche und französische Jungmänner trugen ein Modell der neuen Kirche und ein eigens komponiertes Bernhardlied wurde gesungen. Nur kurz sprach der apostolische Nuntius Aloysius Münch30; der
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Zum Ablauf der Feierlichkeiten siehe die Erinnerungen des Speyerer Bischofs Isidor Markus EMANUEL, Predigt bei der Jubiläumswallfahrt auf Maria Rosenberg, 9. September 1979, in: 25 Jahre Friedenskirche St. Bernhard Speyer (Anm. 1). 24 Joseph-Jean Heintz (1886–1958), 1933–1938 Bischof von Troyes, 1938–1958 Bischof von Metz. 25 Albert Ohlmeyer (1905–1998), 1949–1997 Abt der Benediktiner Neuburg bei Heidelberg. 26 Julien Le Couëdic (1890–1975), 1943–1967 Bischof von Troyes, 1967–1970 Titularbischof von Flenucleta. 27 Joseph Schröffer (1903–1983), 1948–1967 Bischof von Eichstätt, 1954–1967 Präsident des deutschen Zweiges der Pax-Christi-Bewegung, Wegbereiter der deutsch-französischen und deutsch-polnischen Aussöhnung. 28 Die Urkunde in Bistumsarchiv Speyer, Pfarrarchiv St. Bernhard, Kasten 1 Urkunden. 29 Nach THIEBES, Friedenskirche (Anm. 2), S. 250, 254. Gelegentlich ist auch von 300.000 DM die Rede, die von französischer Seite übergeben worden seien. 30 Aloysius Muench (1889–1962), 1932 Bischof von Fargo, 1951 Päpstlicher Nuntius in Deutschland.
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auch die Grundsteinlegung vollzog, dann jedoch ergriffen die Politiker das Wort31. Auf den Hl. Bernhard bezog sich sogleich die erste Festrede, die des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Altmeier. Er beschwor die geistigen Werte Europas, die es zu wecken gelte. Ganz konkret sah er in Bernhards Kreuzzugspredigt einen Auftrag für die Gegenwart: Das geeinte Europa müsse sich gegen die Gefahren aus dem Osten gemeinsam wehren und zusammenstehen. Der antikommunistische Affekt der Abendland-Idee stand in seinen Worten im Vordergrund. Robert Schuman dagegen sprach von dem kulturellen Gemeinschaftsgefühl, das das Abendland, das Europa ausmachen müsse. Er sah in Bernhard von Clairvaux den „ersten großen Europäer“. Anders als im Mittelalter seien heute aber die Völker demokratisch verfasst, heute habe die Kirche auch nicht mehr jene Macht, die Völker zu einen. Daher seien alle verpflichtet, am Frieden und an der europäischen Einigung mitzuarbeiten: „Diese kollektive Verantwortung macht es uns allen [...] insbesondere jedem Katholiken zur Aufgabe, sogar zu unserer Pflicht, am Frieden mitzuarbeiten.“ Dabei sei Frieden nicht ein „Unterlassen des Krieges“, sondern „Zusammenarbeit und Vertrauen zwischen den Völkern, zwischen allen Völkern“. Schumans Rede wurde nach dem Zeugnis Bischof Isidor Emanuels besonders von der Jugend begeistert bejubelt32. Nach Schuman sprach François-Poncet. Noch mehr als Schuman beschwor er das christliche Abendland als Wertegemeinschaft, die es wiederherzustellen gelte, für die das Christentum auch eine besondere Verantwortung trage: man müsse „die nationalen Streitereien überwinden, dass wir uns unserer Solidarität, unserer tiefgehenden Verwandtschaft, inneren Brüderlichkeit bewusst werden in der Zugehörigkeit zu einer gleichen Religion, zu einer gleichen Zivilisation; in unserer Liebe zu den gleichen moralischen Werten und in dem Willen sie zu verteidigen“. Diese Beschwörung der Werte eines geeinten Europas bestimmte auch die abendliche Festveranstaltung im Dom, zu der Bundeskanzler Konrad Adenauer etwas verspätet eintraf33. Die bei den Feierlichkeiten nicht zu übersehende enge Verbindung zwischen Kirche und christlich orientierten Politi31 Die Reden z. T. im Wortlaut, z. T. zusammengefasst in Bistumsarchiv Speyer, Chronik des Domkapitels Bd. VII, S. 76 ff. 32 Abdruck der Rede Schumans in: Robert Schuman, Lothringer, Europäer, Christ, hrsg. von Karl H. Debus, Speyer 1995, S. 210–212. 33 Über die offensichtlich nicht leicht zu organisierende Beteiligung des Bundeskanzlers an der Veranstaltung existiert keine Überlieferung mehr. Der Dienstkalender in der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus Rhöndorf verzeichnet lediglich, dass Adenauer von einer Kundgebung in Heppenheim gegen 18:30 Uhr nach Speyer aufbrechen wollte, wo sein Aufenthalt bis 22:40 Uhr vorgesehen war. So auch die „Besucherliste“ des Bundeskanzleramtes BA Koblenz B136/20683 für Sonntag, 23. August 1953. Tatsächlich traf Adenauer aber mit einiger Verspätung in Speyer ein. So berichtet es jedenfalls die Chronik des Domkapitels Bd. VII, S. 86 im Bistumsarchiv Speyer.
Kißener, Ein „ragendes Denkmal“ des christlichen Abendlandes 101 kern scheint dem Bundeskanzler aufgefallen zu sein. Scherzhaft jedenfalls soll er den Bischof gefragt haben, welches Gewand denn der Präsident der verfassunggebenden Versammlung des Europarates, Heinrich von Brentano, anziehen müsse, wenn er in seiner Festrede im Dom vom Ambo aus spreche34. Brentano beschwor in seiner Rede die Zuhörer, Europa dürfe nicht durch Machtpolitik bestimmt sein, es sei ein Europa moralischer Werte, für die sich die Christen einsetzen müssten. „Es war die geistige Ordnung, die Europa stark und lebendig gemacht hat, und so lange der Mensch bewusst in ihr lebte, war er stark und schöpferisch“35. Auch Fürst Karl von Löwenstein, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, schloss sich diesen Gedanken an. Das Interesse der Öffentlichkeit veranlasste schließlich Bundeskanzler Adenauer, vom Balkon des Bischöflichen Palais aus das Wort an die Menge zu richten. Er rief dazu auf, dem Materialismus zu entsagen. Frieden und Freiheit in Europa könnten nur unter Führung des Christentums gesichert werden36. Das Presseecho auf diese Festveranstaltung war im In- wie im Ausland denkbar positiv, allseits feierte man die Speyerer Grundsteinlegung als gelungene Manifestation eines christlich inspirierten europäischen Einigungswillens. Nur 13 Monate dauerte es, bis der Kirchenbau fertiggestellt war. Trotz der kurzen Bauzeit hatte man an vielfältige christliche Symbolik gedacht, die in den Bau integriert worden ist: schon in den Grundstein war Erde aus Clairvaux eingegossen worden, ein Stein des Geburtsortes von Bernhard war in das Bauwerk ebenso integriert wie Steine aus dem Festungswerk in Landau, einer alten Festung, die oft eine Rolle bei kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Franzosen gespielt hatte. Unter dem Chor der Kirche war eine Krypta eingerichtet worden, die als Friedenskapelle der PaxChristi-Bewegung übergeben wurde – auch sie ja eine Frucht der versöhnenden Zusammenarbeit zwischen deutschen und französischen Katholiken37. Dort sollte jeden Mittwoch eine Gebetsstunde für den Frieden in der Welt abgehalten werden. Und der Glockenturm wurde so eingerichtet, dass dort 34 35
So überliefert in der Erinnerung von THIEBES, Friedenskirche (Anm. 2), S. 256. Wenige Wochen später, am 4. Dezember 1953, wiederholte Brentano seine Wertschätzung für die Abendland-Idee nochmals in einem vom NWDR ausgestrahlten Vortrag „Die deutsch-französische Verständigung“. Darin bekannte er auch: „Manchmal will es mir scheinen, als seien die Politiker hinter der öffentlichen Meinung ihrer eigenen Länder zurückgeblieben“, die Bevölkerung beider Länder sei noch mehr auf Versöhnung ausgerichtet als die in nationalen Egoismen gefangenen Politiker. Vgl. BA Koblenz L Heinrich von Brentano N 1239/130 Fiche 3. 36 Redetexte teils wörtlich, teils paraphrasiert in Bistumsarchiv Speyer, Chronik des Domkapitels Bd. VII, S. 89 ff. 37 Vgl. Michael KIßENER, Die deutsch-französische Freundschaft. Aspekte einer Annäherungsgeschichte, in: Historisch-politische Mitteilungen 11 (2004), S. 183–201, hier S. 197.
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noch ein Raum für ein Buch der Freunde des Friedens Platz hatte, in das sich jeder eintragen konnte. In diesen 13 Monaten Bauzeit hatte allerdings die Hoffnung auf eine schnelle europäische Einigung zwei herbe Rückschläge erfahren: die Europäische Verteidigungsgemeinschaft war ebenso gescheitert wie die Idee eines gemeinsamen europäischen Zusammenschlusses. Im Februar 1954 war die Wehrhoheit Deutschlands beschlossen worden und im September 1954 wurde Deutschland in die NATO und den Brüsseler Pakt aufgenommen. André François-Poncet hatte unterdessen nicht nachgelassen in seinem Bemühen um die Speyerer Kirche, hatte sogar angeregt, Kunstgegenstände aus dem Louvre für die neue Kirche zur Verfügung zu stellen38. Dazu ist es zwar nicht gekommen, aber eine große Bernhardstatue ist dennoch einige Zeit später von französischen Katholiken für diese Kirche gespendet worden39. Gleichwohl: die Europabegeisterung hatte spürbar nachgelassen, der fertige Kirchenbau zog bei weitem nicht mehr so viel politische Prominenz an, die neue Kirche, die ein Jahr zuvor noch ein „Politikum“ gewesen war, glitt gleichsam wieder in den religiösen Kontext zurück. Politische Anklänge freilich blieben. Am Vorabend der Einweihung predigte im Dom der Geistliche Beirat der Pax-Christi-Bewegung in Deutschland, Pater Manfred Hörhammer, und erklärte die Friedenskirche zur neuen „Wacht am Rhein“, zu einer Brückenwacht des Friedens. Geistliche Prominenz war aus Frankreich wie aus Deutschland angereist und nahm nun, am 26. September 1954, die Weihehandlungen an den Altären vor. Die Konsekration der Kirche führte Kardinal Joseph Wendel, Erzbischof von München-Freising durch, den Marienaltar weihte Bischof Albert Stohr40 von Mainz, den Martinusaltar Bischof Heintz von Metz, den Altar in der Krypta Bischof Weber von Straßburg und den Altar zu Ehren des Hl. Joseph der Ortsbischof Isidor Emanuel. Auf das Pontifikalamt folgte wiederum eine Friedenskundgebung, diesmal auf dem Vorplatz der neuen Kirche. André François-Poncet sprach. Nunmehr beschwor er Bernhard von Clairvaux als Mahner zur Geduld, der aufhelfe, wenn es mit Europa nicht so schnell vorangehe wie gedacht. Die St. Bernhardkirche sei in dieser Situation ein Mahnmal, ein Symbol der Stetigkeit, die es im europäischen Einigungsprozess wohl brauche: Diese „Kirche ist ein Ergebnis französisch-deutscher Zusammenarbeit. Sie ist die Bestätigung eines französischdeutschen Willens zur Befriedung, zur Vereinigung und zur Freundschaft, damit das Antlitz Europas erneuert werde. Sie drückt in ihren Steinen die Sendung aus, die wir ihr gegeben haben. Dieser Sendung werden wir treu bleiben“41. Auch Ministerpräsident Altmeier und Heinrich von Brentano 38 39 40 41
Vgl. Bistumsarchiv Speyer, Chronik des Domkapitels Bd. VIII, S. 44 ff. Vgl. THIEBES, Friedenskirche (Anm. 2), S. 262. Albert Stohr (1890–1961), 1935–1961 Bischof von Mainz. Redetext in Bistumsarchiv Speyer, Pfarrarchiv St. Bernhard, Kasten 3, Mappe 3.
Kißener, Ein „ragendes Denkmal“ des christlichen Abendlandes 103 waren zugegen. Adenauer ließ ein Grußtelegramm senden42, Robert Schuman meldete sich nochmals mit einem Grußwort in der Regionalzeitung Der Pfälzer: „Wir glauben auch an die Kraft einer Idee, die stärker ist als menschliches Zögern und Zagen. Der Europa-Gedanke lebt und lässt sich nicht mehr ersticken“43. III. Die Wirkung der Friedenskirche Die Kirche als steinernes Zeugnis der Idee eines christlichen Abendlandes war damit geschaffen – doch welche Wirkung strahlte sie aus? Es hätte nahe gelegen, die Kirche, die eine so politische Entstehungsgeschichte hatte, als symbolischen Ort zu nutzen. Doch das geschah nicht. Ministerpräsident Altmeier, der angekündigt hatte, die Kirche als „Kleinod“ des Landes Rheinland-Pfalz ansehen zu wollen44, machte seine Ankündigung nicht wahr, die Kirche fand keinen dauerhaften Platz in der politischen und öffentlichen Erinnerungskultur – weder in Rheinland-Pfalz noch in Deutschland45. Differenzierter wird man für den zivilgesellschaftlichen Raum urteilen müssen. Kardinal Wendel hatte in seiner Schlussansprache am Einweihungstag 1954 schon weitsichtig darauf hingewiesen, dass die Versöhnung zwischen den Völkern nur gelingen könne, wenn jeder Einzelne dies im Alltag umsetze: „Wo die Hände ineinander gelegt werden, um eine Kirche zu bauen, müssen auch die Herzen mehr und mehr zusammenfinden“46. So fanden in den 1950er Jahren einige damals recht spektakuläre Aktionen in Anbindung an die Friedenskirche statt: Wallfahrten in europäische Länder, internationale Jugendbegegnungen, Seminare für Priester aus aller Welt, Treffen von katholischen Soldaten aus allen Teilen Europas. Öffentliche Beachtung fanden im städtischen Rahmen immer wieder auch deutsch-französische Trauungen, die 42
Text in Bistumsarchiv Speyer, Chronik des Domkapitels Bd. VIII, S. 71a. Der Wortlaut von Altmeiers Ansprache in LHA Koblenz 700, 169 Nr. 198. 43 Der Pfälzer Jg. 4, Nr. 39, 24. September 1954, S. 1. 44 Bistumsarchiv Speyer, Chronik des Domkapitels Bd. VII, 1953, S. 78. Vgl. auch THIEBES, Friedenskirche (Anm. 2), S. 255. 45 Auch Heinrich von Brentano erinnerte sich bald nicht mehr an die Speyerer Friedenskirche. In einem großen Beitrag über „Die Neuorientierung der politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich nach 1945“, der in dem Band Frankreich und Deutschland. Elemente der Neuorientierung in der kulturellen und politischen Begegnung der beiden Nachbarvölker, hrsg. von Karl Forster, Würzburg 1963, S 55–76 abgedruckt wurde, erwähnte er die Speyerer Friedenskirche mit keinem Wort, gebrauchte auch den Begriff „Abendland“ nicht mehr, obwohl er die gemeinsamen christlich-kulturellen Wurzeln von Deutschen und Franzosen betonte. Vgl. ebd. S. 65 f. 46 Isidor Markus EMANUEL, Predigt bei der Jubiläumswallfahrt auf Maria Rosenberg am 9. September 1979, in: 25 Jahre Friedenskirche St. Bernhard Speyer (Anm. 1).
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in der Friedenskirche stattfanden. Doch schon in den 60er Jahren scheint es zunehmend still um die Kirche geworden zu sein47. Beim 25-jährigen Kirchenjubiläum am 30. September 1979 predigte Bischof Dr. Friedrich Wetter in der festlichen Eucharistiefeier und stellte bereits fest: „Das Anliegen dieser Friedenskirche ist erfüllt. Die Jahrhunderte alte Mauer der Feindseligkeit ist abgetragen; unsere Völker, einst Feinde, sind Freunde geworden“48. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel dagegen mahnte, in der Versöhnungs- und Einigungsarbeit nicht nachzulassen. Es könne sonst leicht sein, dass der Europagedanke ein Opfer seiner Erfolge werde. Spürbar engagiert, zeigte er in einer großen Ansprache Wege und Aufgaben auf, die auch 25 Jahre nach dem Bau der Kirche im europäischen Rahmen bewältigt werden müssten49. Doch auch das fand keinen Widerhall. Schonungslos bekannte die Kirchengemeinde in einer kleinen Festschrift, die Kirche sei, vielleicht wegen ihres überhasteten Aufbaus, bereits nach 25 Jahren sanierungsbedürftig, weder als Pfarrkirche noch als Friedenskirche erfülle der ungeschickt angelegte Bau seine Funktion: „Der letzte Höhepunkt war der Gottesdienst zum internationalen Pax-Christi-Kongress in Speyer 1968 mit den Kardinälen Alfrink50 und Döpfner51. Aber mehr und mehr sah sich die Pfarrei allein gelassen mit einer Kirche, die vornehmlich als Denkmal errichtet wurde“52. So wurde das 30-jährige Bestehen 1984 von noch weniger öffentlicher Aufmerksamkeit getragen. Der Festzelebrant stellte fast schon lapidar fest, dass Europa geeint sei und man allenfalls noch daran denken könnte, bei der Versöhnungsarbeit nun mehr den Osten Europas in den Blick zu nehmen: die ZSSR oder Polen etwa wären als Partner dafür zu gewinnen. Pax Christi mahnte noch einmal, diese besondere Kirche dürfe nicht zu einem stummen Zeugen der Europaidee verkommen. Die verminderte Aktivität, die von der Friedenskirche nunmehr ausging, hing nicht zuletzt auch damit zusammen, dass sich die kirchlichen Rahmenbedingungen gegenüber den 50er Jahren dramatisch gewandelt hatten: die sinkende Zahl der Gläubigen rechtfertigte keine eigene Innenstadtgemeinde 47 48 49
Vgl. Bistumsarchiv Speyer, Zeitungsausschnittsammlung St. Bernhard. WETTER, Altarweihe (Anm. 20), S. 5. VOGEL, Einheit (Anm. 1). Vogel betonte die Bedeutung eines fortwährenden europapolitischen Engagements möglichst vieler Bürger und reflektierte die Bedeutung eines föderalen Aufbaus unter dem Stichwort „Europa der Regionen“. 50 Bernardus Joannes Alfrink (1900–1987), 1951 Koadjutur des Erzbischofs von Utrecht, Titularbischof von Tiana, Militärbischof der Niederlande, 1955–1971 Erzbischof von Utrecht, 1964–1978 Vorsitzender der internationalen Pax-Christi-Bewegung. 51 Julius Döpfner (1913–1976), 1948–1957 Bischof von Würzburg, 1957–1961 Bischof von Berlin, 1961–1976 Erzbischof von München-Freising. 52 Pfarrkirche und Friedenskirche St. Bernhard in Speyer, in: 25 Jahre Friedenskirche St. Bernhard (Anm. 1).
Kißener, Ein „ragendes Denkmal“ des christlichen Abendlandes 105 mehr, 1982 war kein Pfarrer mehr zu bekommen. Deshalb wurde die Friedenskirche immer mehr zu einer Filialkirche des Domes und zur Begräbniskirche für das Speyerer Domkapitel. Es scheint so, als hätten die Feierlichkeiten anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Kirche 2004, die unter dem Motto standen „Fest gegen das Vergessen“, an diesem Befund auch nichts Wesentliches geändert53. Die tiefere Ursache für das „Nicht-Wirken“ dieses 1953 großartig gefeierten Kirchenbaus dürfte jedoch auf einem ganz anderen Feld zu suchen sein. Der Bau der Friedenskirche St. Bernhard in Speyer war getragen von der christlichen, im engeren Sinne katholischen Abendland-Idee. Europa war in dieser Perspektive vornehmlich eine Wertegemeinschaft, wurde als politische Manifestation eines christlich geprägten Abendlandes verstanden, das seine Wurzeln im Mittelalter sah. Diese Werte zu erhalten, sie in der supranationalen Vereinigung christlich geprägter Menschen zu leben und sich damit gleichermaßen vom Materialismus der kapitalistischen Welt wie von der kommunistischen Bedrohung aus dem Osten zu schützen, war das politische Credo. Diese Überzeugungen fanden in katholisch-konservativen Kreisen großen Anklang, führten gleichsam einen Großteil der Katholiken zur Europaidee. Die Kirche unterstützte diese Europaidee, stellte sogar eine neue Kirche in den Dienst dieser Vorstellung. Damit eröffnete sie der Völkerverständigung und Versöhnung den kirchlichen Raum, so dass durch Wallfahrten, Jugendtreffen, deutsch-französische Eheschließungen usw. ein Beitrag zur zivilgesellschaftlichen Aussöhnung geleistet wurde, der in seinen Dimensionen kaum überschätzt werden kann. Das spezifische, mit dem Stichwort „Abendland“ belegte christlich-katholische Europaverständnis jedoch war im Zeichen zunehmender Entkonfessionalisierung, im Zeichen der Auflösung der traditionellen sozialmoralischen Milieus, im Zeichen der Amerikanisierung und Materialisierung der Alltagskultur spätestens Ende der 1950er Jahre einem schleichenden Erosionsprozess unterworfen54. Diesem ist auch die Speyerer Friedenskirche als große Manifestation eben dieses Abendlandgedankens erlegen, und so ist es wohl auch nicht verwunderlich, dass sie mehr und mehr in Vergessenheit geraten ist.
53 54
Der Pilger 23 (2004), S. 17. HÜRTEN, Topos (Anm. 21), S. 153 f.
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Summary In 1953/54, a Catholic church was built in the city of Speyer in the Lower Palatinate region. The building was dedicated to Saint Bernard of Clairvaux and envisioned as a „peace church“ that was meant to play a significant role in the process of European integration. The church was designed as a solid monument of the idea of a Christian Occident, which perceived Europe as a community of shared values that had to be defended against Communist Eastern Europe. Eight years after the end of World War II, the church was financed by both German and French Catholics. With leading politicians of Germany and France in attendance, the laying of the cornerstone was an impressive celebration of the reconciliation between the two neighboring states. While it was built during a period characterized by great enthusiasm for European integration, the building itself only partially met the expectations attached to the project, and the church, envisioned as a center of European desire for peace and cooperation, fell into oblivion with the gradual loss of the idea of a Christian Occident in the 1960s.
Der Europagedanke in den frühen Jahren des Instituts für Europäische Geschichte1 Von
Rainer Vinke Der Freiburger Historiker Ernst Schulin, in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts einige Jahre Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Europäische Geschichte, hielt anlässlich des Festkolloquiums zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens eben dieses Instituts im Jahre 2000 einen Vortrag zum Thema „Universalgeschichte und abendländische Entwürfe“2. Darin erwähnt er die internationale Fachkonferenz der Abteilung Universalgeschichte, die 1996 unter dem Thema „Europäische Geschichte – eine historiographische Herausforderung“3 veranstaltet wurde. Mit der Autorität des Kenners bemerkt er: „So grundsätzlich war dort über Europa lange nicht mehr gesprochen worden (eigentlich seit dem Kongress von 1955 nicht mehr)“4. Das stimmt nicht ganz. Denn der Kongress fand im März 19555 statt, und im Herbst desselben Jahres begann die Abteilung Abendländische Religionsgeschichte mit einer Vortragsreihe zum Thema „Europa und das Christentum“, die Joseph Lortz, ihr Direktor, am 23. November 1955 eröffnete und die der russische Religionsphilosoph Fedor Stepun am 17. Februar des folgenden Jahres beschloss6. Ein kleiner Irrtum des Kenners, der ihm allerdings nachzusehen ist, denn seine Anstellung am Institut für Europäische 1 Zum Institut für Europäische Geschichte vgl. Claus SCHARF, Das Institut für Europäische Geschichte in Mainz, in: Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient 20 (1964), S 379–387; Winfried SCHULZE, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1993 (zuerst erschienen 1989), S. 266–280; Winfried SCHULZE/Corine DEFRANCE, Die Gründung des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Mainz 1992; ferner die Beiträge in: Martin Göhring (1903–1968). Stationen eines Historikerlebens, hrsg. von Heinz Duchhardt, Mainz 2005. 2 In: Geschichtswissenschaft um 1950, hrsg. von Heinz Duchhard und Gerhard May, Mainz 2002. Der Beitrag Schulins befindet sich S. 49–64. 3 ‚Europäische Geschichte‘ – eine historiographische Herausforderung, hrsg. von Heinz Duchhardt und Andreas Kunz, Mainz 1997. 4 Geschichtswissenschaft um 1950 (Anm. 2), S. 62. 5 Vorträge und Diskussionsbeiträge sind veröffentlicht in: Europa – Erbe und Aufgabe. Internationaler Gelehrtenkongress, Mainz 1955, hrsg. und eingel. von Martin Göhring, Wiesbaden 1956. 6 Die Veröffentlichung trägt den Titel: Europa und das Christentum. Drei Vorträge von Walther von Loewenich, Fedor Stepun und Joseph Lortz, hrsg. von Joseph Lortz, Wiesbaden 1959.
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Geschichte erfolgte erst drei Jahre nach dem Kongress7, an dem er übrigens auch nicht teilgenommen hat. Aber die Richtigkeit seiner Beobachtung, dass in den ersten Jahren das Thema Europa sehr häufig und an herausragender Stelle auf der wissenschaftlichen Tagesordnung des Instituts stand, um dann vier Jahrzehnte beinahe völlig in der Versenkung zu verschwinden, kann derjenige, der die gedruckten Zeugnisse der entsprechenden Jahre zur Kenntnis nimmt, nur voll und ganz bestätigen. Für unsere Fragestellung weniger ergiebig dürfte ein Treffen französischer und deutscher Historiker, vor allem Geschichtslehrer, sein, das im Oktober 1951 stattfand und den zentralen Fragen des deutsch-französischen Verhältnisses in der Zeit von 1789–1933 galt. Man beabsichtigte, „den Geschichtsunterricht in beiden Ländern zu entgiften, auf andere Grundlagen zu stellen“8. Das Ergebnis wurde in 40 Thesen zusammengefasst9, die soviel Zustimmung fanden, dass man beschloss, weitere Begegnungen dieser Art zu veranstalten und den Behandlungszeitraum auszudehnen. Dazu scheint es dann in Mainz10 aber nicht mehr gekommen zu sein, zumal die Aufgabe der Schulbuchrevision an das Schulbuchinstitut von Georg Eckert nach Braunschweig überging. Jedenfalls konnte unter den gedruckten Zeugnissen kein einschlägiger Nachweis gefunden werden, dass in Mainz noch einmal eine Tagung wie die vom Oktober 1951 stattgefunden hätte. Ebenso wenig dürfte der vom 2. bis zum 6. November 1953 veranstaltete Bernhard-Kongress vieles und erhellendes für unser Thema austragen11. Zwar wird Lortz in einem Vortrag aus dem Jahre 1955 die einheitsstiftende Wirkung Bernhards und seiner Mönche für weite Gebiete Europas lobend hervorheben12, auf dem Bernhard-Kongress fand diese Thematik jedoch 7
Ernst Schulin war vom Januar 1958 bis März 1958 Stipendiat, um ab 1. April 1958 als Assistent angestellt zu werden. Schreiben Schulins an Göhring 10. Dez. 1957 Korrespondenz des Instituts für Europäische Geschichte (im Folgenden: IEG, mit dem Zusatz U für Universalgeschichte und R für Religionsgeschichte). 8 So formuliert es Martin Göhring in seiner Rede zur Einweihung des Institutsgebäudes, der Domus Universitatis, am 17. Jan. 1953. In: Drei Reden von Bundespräsident Theodor Heuss, Prof. Dr. Martin Göhring, Prof. Dr. Dr. Joseph Lortz, Mainz o. J., S. 9. 9 Die Thesen sind in französischer und deutscher Sprache abgedruckt in: Deutschland – Frankreich. Die deutsch-französische Verständigung und der Geschichtsunterricht, hrsg. von Georg Eckert und Otto-Ernst Schüddekopf, Baden-Baden 1953, S. 35–54, hier S. 35. Die Anm. 1 listet die französischen und Anm. 2 die deutschen Teilnehmer auf. 10 Weitere deutsch-französische Schulbuchkonferenzen fanden im Juli 1952 in Dijon, 24. August 1953 bis 2. Sept. 1953 in Tours und 15. bis 27. Juli 1955 in Sèvres bei Paris statt. Alle diese Konferenzen, an denen Martin Göhring teilnahm, hatte er von Mainz aus mit vorbereitet. Göhring nahm darüber hinaus an weiteren bilateralen Tagungen dieser Art mit Amerikanern, Italienern und Dänen teil. Siehe Claus SCHARF, Martin Göhrings Emanzipationen von den Gründervätern des Mainzer Instituts, in: Martin Göhring (Anm. 1), S. 23–47, bes. S. 41. 11 Bernhard von Clairvaux. Mönch und Mystiker. Internationaler Bernhardkongress Mainz 1953, hrsg. und eingel. von Joseph Lortz, Wiesbaden 1955. 12 Europa – Erbe und Aufgabe (Anm. 5), S. 85.
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keine Beachtung. Auch die Thesen zur Schulbuchrevision thematisieren den europäischen Aspekt nicht eigens. Jedoch liegt in ihrer Zwecksetzung, Missverständnisse und Vorurteile zwischen der deutschen und französischen Geschichtswissenschaft auszuräumen, schon die Absicht, Hindernisse auf dem Weg nach Europa abzubauen. Die ersten Äußerungen zu Europa, die ahnen lassen, wie intensiv über dieses Thema nachgedacht wurde, lassen sich den Reden entnehmen, die am 17. Januar 1953 zur Eröffnung der wieder aufgebauten Domus Universitatis, der alten Mainzer Universität, in dem das Institut untergebracht werden sollte, gehalten wurden13. Drei dieser Reden sind in einem Privatdruck des Instituts dokumentiert, von Bundespräsident Heuss, dessen Äußerungen sieben Seiten beanspruchen, von dem damaligen geschäftsführenden Direktor Martin Göhring, dessen Ausführungen neuneinhalb Seiten einnehmen und von Joseph Lortz, der es immerhin auf stolze 44 ½ Seiten bringt. Göhring zeichnet sein Bild von Europa im Rahmen des historiographischen Ansatzes, der seiner Abteilung den Namen gab, Universalgeschichte. Gegen ein sich zunehmend weiter ausbreitendes Spezialistentum fordert er die Bildung großer Synthesen. „Europäische Geschichte ist deshalb nicht, – und noch weniger die Universalgeschichte – politische Geschichte, nicht Religionsgeschichte, nicht Wirtschaftsgeschichte, nicht Geistesgeschichte, sie ist alles zugleich“14. Interessant ist, dass er die Religionsgeschichte zu den Aufgaben auch seiner Abteilung zählt. Zwei Jahre später hebt er sie noch stärker hervor, wenn er in der Einleitung zu dem Berichtsband über die große Europatagung ausführt: Universalgeschichte „erfasst die Vergangenheit in allen ihren Verhältnissen und Beziehungen, in allem, was das Leben von Menschen und Völkern bedingt: das Religiöse, Geistige und Kulturelle, das Politische und Wirtschaftliche“15. Joseph Lortz, dem Direktor der Abteilung Abendländische Religionsgeschichte dürfte das nicht gefallen haben, aber öffentlich Kritik daran zu üben, hat er nicht gewagt. Göhring erinnert an ein Wort des Amerikanischen Hohen Kommissars McCloy, der 1951 eine namhafte Spende zum Wiederaufbau des Gebäudes der alten Universität mit den Worten überreicht hatte: „die Aufgabe des Instituts sei eine Art SchumanPlan der Geschichtsforschung aufzustellen“16. Es überrascht, wie häufig Göhring den Begriff „Abendland“ oder das „Abendländische“ in den verschiedensten Variationen verwendet. Die wichtigsten Elemente, die es kennzeichnen, sieht er im „christlichen Gedanken“ und im Freiheitsbegriff17. Abendländische Geschichte darf sich daher nicht 13 14 15 16 17
Siehe Anm. 6. Siehe Anm. 8, S. 12. Siehe Anm. 5, S. VIII. Siehe Anm. 8, S. 11. Ebd., S. 12.
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auf Europa beschränken. Denn „ihr Bereich ist bestimmt durch die Weite der Ausstrahlung des abendländischen Geistes“. Ein europäozentrisches Geschichtsbild habe „durch den Umsturz der Machtverhältnisse der letzten zehn Jahre den Anspruch auf Gültigkeit verloren“18. Was das Geschichtsbild anbelangt, so will Göhring deutlich über Europa hinaus, aber es bleibt europäisch gebunden, denn es geht ihm um die Weite, in der der abendländische Gedanke Verbreitung gefunden hat. Universale Geschichte heißt aber noch nicht universale Welt. Jedes Volk des Abendlandes sei durch seine Geschichte zur Individualität geworden. Daher sei es umso nötiger, dass sein eigenes Bewusstsein „die Teilhaftigkeit am abendländischen Gesamtbewußtsein“ nicht ausschließe. Eben davon hänge „das europäische Schicksal“ ab. Göhrings Nachdenken ist also schon Europa bezogen, auch wenn die Historiographie darüber hinausgehen muss, will sie dem Konzept der Universalgeschichte verpflichtet sein. Seine abschließende Aufforderung an die Zuhörer fasst den Geltungsbereich denn auch nicht geographisch oder politisch, wenn er sagt: „Helfen sie uns, ein Werk im Dienste der abendländischen Kultur und damit der in ihr wurzelnden Menschen und Völker zu tun“19. Lortz’ umfangreiche Äußerungen enthalten bereits die Kerngedanken, die er in seinem in der Druckfassung mehr als 130 Seiten umfassenden Vortrag mit dem Thema „Europäische Einheit und das Christentum“20, der zwei Jahre später, 1955, gehalten, aber erst 1959 veröffentlicht wurde, noch ausführlicher darstellte. Kennzeichnend für die Art und Weise, wie Lortz das Thema jeweils angeht, ist eine eingehende Analyse der Gegenwart. Darin hebt er nicht einseitig pessimistisch das Negative hervor. Er ist stets um eine differenzierte Sicht der Lage bemüht, er schont keine Seite, auch seine eigene katholische nicht. Wie differenziert seine Argumentation aber auch ausfällt, das Negative behält zum Schluss die Oberhand: Die Entchristlichung konnte zwar in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gebremst werden, sie schreitet nicht mehr in dem Tempo voran, mit dem sie im 19. Jahrhundert begonnen hatte. Zum Stillstand war sie jedoch nicht zu bringen. Die negative Trias Subjektivismus, Liberalismus, Relativismus tut ihr zerstörerisches Werk auch weiterhin und verhindert, dass die positiven Kräfte des Aufbaus ihre Arbeit erfolgreich gestalten können. 18 19 20
Ebd. Ebd., S. 14. Siehe Anm. 6, S. 71–204. Lortz begründet die Verzögerung des Druckes damit, er habe lange auf das Manuskript von Arnold Bergstraesser gewartet, der am 16. Dez. 1955 zum Thema „Das politische Europa und die christlichen Überlieferungen“ gesprochen habe. Nach langem Warten habe er sich entschließen müssen, auf den Beitrag zu verzichten, um das Erscheinen des Buches nicht noch weiter zu verzögern. Das Vorwort, das diese Informationen enthält, stammt vom Herbst 1958. Der Band selbst erschien dann 1959. Leider enthält die Korrespondenz, jedenfalls soweit sie bisher zugänglich ist, keine Hinweise, wie sich diese Verzögerung erklärt.
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Nehmen wir seine Ausführungen zum Europabegriff etwas genauer unter die Lupe. Lortz erkennt, dass säkularisiertes Denken „Unbehagen“, „peinliche Verlegenheit oder Grimmigeres“21 empfinde, wenn versucht werde, den Inhalt dessen, was unter Europa zu verstehen sei, weltanschaulich zu bestimmen. Man spreche viel lieber von einem Europa als wertfreiem Gebilde, von Europa um seiner selbst willen. Aber es sei ein Kampf um Europa nötig, und es frage sich, ob dem europäischen Selbsterhaltungstrieb genügend Kraft zum Neubau innewohne, wenn der Europa-Begriff wertfrei gefasst werde. Aus der Geschichte gehe eindeutig hervor, dass Religion und damit Werte bei der Entstehung und lebendigen Erhaltung Europas unentbehrlich gewesen seien. Deswegen müsse das gemeinsame europäische Erbe durch die Erforschung seiner Geschichte gereinigt ans Licht gebracht werden. Lortz erkennt deutlich, dass Begriffe wie „abendländisch“ oder „abendländischer Mensch“, nicht das Ganze der abendländischen Geschichte einfangen könnten, und weitet das Gemeinte daher aus, indem er sagt: „das gesuchte Richtbild ist der ökumenische Mensch“22. Eine genauere Definition gibt er nicht, aber ihm ist natürlich klar, dass abendländisch zu sehr mit katholisch identifiziert werden kann, und er nimmt deswegen eine Erweiterung vor, die alle Menschen, die sich am Christentum orientieren, einbezieht. An der christlichen Prägung Europas lässt er keine Zweifel: „Das Christentum ist nicht eigentlich in Europa hineingetragen worden. Sondern, gemeinsam wachsend, sind lateinische Kirche und junge germanische Völker ein Neues geworden: das christliche Abendland. Europa ist christlich von seinen Wurzeln her. Er gibt auch andere Werte und Wurzeln, auch vorchristliche und außerchristliche. Aber das Geheimnis liegt darin: die formgebende Kraft war das Christentum“23.
Lortz beruft sich in diesem Zusammenhang auf Theodor Litt24. Er habe dargetan, „wie unlösbar bis heute das Christentum mit dem Germanischen verbunden ist“25. Und das habe er in einem dem Nationalsozialismus nicht gerade freundlichen Sinn zum Ausdruck gebracht. Als weitere Gewährsleute führt er T. S. Elliot, den heute kaum noch bekannten Schriftsteller August Winnig und die englischen Historiker Dawson, Butterfield und Toynbee an. Das Zitat von Elliot sei hier angeführt: „Die uns allen gemeinsame Tradition des Christentum hat Europa geprägt und die kulturellen Werte geschaffen, die für uns alle aus dieser Tradition erwachsen sind [...] Es ist das Christentum, auf dessen Grundlage sich unsere Kunst entwickelt hat; es ist das Christentum, in dem die Gesetze Eu21 22 23 24
Siehe Anm. 8, S. 34. Ebd., S. 36. Ebd. Der deutsche Geist und das Christentum. Vom Wesen geschichtlicher Begegnung, Leipzig 1938. 25 Ebd.
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Jahrbuch für Europäische Geschichte 9 (2008) ropas verwurzelt waren. Allein von diesem Hintergrund des Christentums erhält unser ganzes Denken seinen Sinn. Der einzelne Europäer mag den christlichen Glauben für falsch halten, und doch entspringt alles, was er sagt, denkt und tut, diesem Erbgut der christlichen Kultur und wird nur aus ihm heraus verständlich. Ich halte es für ausgeschlossen, dass die europäische Kultur den völligen Untergang des christlichen Glaubens überleben könnte. Die Überzeugung hege ich nicht, weil ich selbst Christ bin, sondern weil ich mich mit dem Studium der modernen Gesellschaft eingehend befaßt habe. Das Ende des Christentums wäre das Ende unserer ganzen Kultur. Dann müßten wir mühsam von vorn beginnen“26.
Dieses Erbe muss gegen viele widerwärtige Tendenzen und gegen massive Widerstände, aber auch gegen desinteressierte Gleichgültigkeit verlebendigt werden. Als besonders wichtige Aufgabe, um dieses Ziel zu erreichen, sieht er eine neue Beschäftigung mit der Reformation. Denn die damalige Spaltung der Christenheit bedeutete eine enorme Schwächung des Christentums, und eine Überwindung dieser Spaltung kann nur durch eine vorurteilsfreie neue Erforschung ihrer Ursachen erreicht werden. Vor allem seien stärker als bisher die nichttheologischen Faktoren dieses Prozesses einzubeziehen. Auswirkungen der Reformation sieht Lortz in ganz Europa, vor allem in Frankreich. Alle betroffenen Länder müssten sich an der intensivierten Erforschung der Reformationsgeschichte beteiligen. Aber Lortz erkennt auch Positives: Die ökumenische Bewegung, die verstärkte Zusammenarbeit katholischer und evangelischer Theologen, und nennt als fruchtbares Beispiel das Wörterbuch zum Neuen Testament von Helmut Kittel, an dem Autoren aus den verschiedenen konfessionelle Lagern mit gearbeitet haben27. Geradezu enthusiastisch formuliert er: „das Gemeinsame der christlichen Konfessionen ist ungleich größer, als man es meist wahrhaben will. Und wenn wir 400 Jahre darauf verwandt haben, nur auf das Unterscheidende zu sehen, ja zu starren, so sollten wir uns auch endlich intensiv um das Gemeinsame bemühen“28.
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Siehe Anm. 8, S. 36 f. Ebd., S. 46. Ebd., S. 48. Lortz’ Äußerung erhält eine gewisse Brisanz dadurch, dass er 1939/40 immerhin sein umfangreiches Werk über „Die Reformation in Deutschland“ bei Herder in Freiburg herausgebracht hatte. Möglicherweise ist seine Mahnung, man solle sich jetzt mehr um das Gemeinsame bemühen, durchaus auch gegen sich selbst gerichtet. Vielen Gesprächen mit Lortz’ damaligen Mitarbeitern Silvia Gräfin Brockdorff und Peter Manns war zu entnehmen, dass sich Lortz Ende der fünfziger Jahre intensiv um eine Bearbeitung seines Werks bemühte, vor allem sollten die fehlenden Anmerkungen nachgetragen werden. Die Aufgabe war jedoch nicht zu bewältigen, zumal alle Vorarbeiten 1944 bei einem Bombenangriff auf Münster, Lortz’ damaligen Wohnort, verbrannt waren. Schließlich entschied sich Lortz 1962, das Werk nur um neuere Literaturangaben ergänzt unverändert herauszubringen. Im Jahre vor Luthers 500. Geburtstag, 1982, gab Peter Manns das Werk in der sechsten und vorläufig letzten Ausgabe heraus, und zwar mit einem Nachwort, das er unter den bezeichnenden Titel stellte „Lortz, Luther und der Papst“ und in dem er den
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Ein ganz bestimmtes, fest umrissenes Europakonzept begegnet weder bei Lortz noch bei Göhring. Beide gehen davon aus, dass Europa christlich geprägt ist und dass diese Prägung der Verlebendigung, Modifizierung und Erneuerung bedarf. Denn in einem weiteren Punkt sind sie sich mehr als einig, die Situation, in der sich das christlich geprägte Europa befindet, ist höchst gefährdet, und zwar durch Tendenzen von innen, was bei Lortz stärker als bei Göhring thematisiert wird, aber auch besonders von außen. Wir befinden uns in einer besonders kalten Phase des kalten Krieges, und die Kälte wird zunehmen. Das befürchtete man, damit rechnete man. Dagegen musste ein Mittel gefunden werden, das stark machte und das mit verlässlicher Festigkeit durch die Bedrohungen hindurchtrug, ja aktiv und kämpferisch gegen sie vorging, und das war ein erneuertes, wie Lortz sagt, von den Wurzel erneuertes Europa. Kommen wir zu dem großen Kongress „Europa – Erbe und Aufgabe“29, der vom 16. bis zum 20. März 1955 von der universalgeschichtlichen Abteilung im Mainzer Kurfürstlichen Schloss durchgeführt wurde. Mehr als „300 Wissenschaftler und Persönlichkeiten des geistigen und politischen Lebens aus 16 Ländern“ nahmen teil, wie Göhring etwas untertreibend, aber nicht ohne leisen Stolz bemerkt30, denn insgesamt waren es 320. Aus Deutschland kam mit 195 der größte Teil, es folgten Frankreich mit 37, Großbritannien mit 16, die Niederlande mit 14, die USA und die Schweiz mit je 13, Italien mit 10, Österreich mit 9, Schweden mit 4 und Belgien mit drei. Aus Dänemark, Finnland, Griechenland, Kanada, Luxemburg und Norwegen kam je einer. Darunter war das Fach Allgemeine Geschichte mit 115 Teilnehmern31 am stärksten vertreten. Aber auch zwölf historische Spezialdisziplinen waren Lorz’schen Ansatz vorsichtig mit Blick auf eine ökumenische Öffnung weiterführt. Freiburg 1982, S. 353–390. 29 Heinz Duchhardt hat den Kongress einer ersten kurzen und kritischen Sicht unterzogen. DERS. Martin Göhring und der Mainzer Europa-Kongreß von 1955, in: Martin Göhring (Anm. 1), S. 85–90. 30 So Martin Göhring im Vorwort zu dem Berichtband „Europa – Erbe und Aufgabe“ (Anm. 5), S. V. 31 Dass sich darunter auch solche befanden, die durch ihre nationalsozialistische Vergangenheit kompromittiert waren, wie Gustav Adolf Rein und Günther Franz, sei nicht verschwiegen. Ich stimme dem Urteil von Claus Scharf zu: „Offensichtlich hatte Göhring weder die Kraft noch den Willen noch die Einsicht, das Institut nach der Besatzungszeit in der Außenseiterrolle eines revisionistischen Zentrums gegen den Hauptstrom der deutschen Historikerschaft zu profilieren, und offenkundig hielt ihn auch keine vorgesetzte Behörde dazu an“, in: SCHARF, Das Institut (Anm. 1), S. 43. In einem Punkt vermag ich Claus Scharf jedoch nicht zuzustimmen. Wenn er sagt, Göhring habe sich „bedenkenlos sogar in jene Netzwerke verstricken“ lassen, „die nationalsozialistische Aktivisten unter den Historikern nach ihrer Entfernung von den Universitäten fortführten und ausbauten“, so geht er zu weit. Scharf sagt denn auch mit keinem Wort, worin diese Verstrickung bestanden haben soll. Und die Bezeichnung der betroffenen Personen als „nationalsozialistische Aktivisten“ suggeriert, sie seien auch noch in den fünfziger Jahren in diesem Sinn tätig gewesen.
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repräsentiert: Wirtschaftsgeschichte, Rechtsgeschichte, Medizingeschichte, Religionsgeschichte, Kunstgeschichte, Kulturgeschichte, Osteuropäische Geschichte, Sozialgeschichte, Philosophiegeschichte, Wissenschaftsgeschichte, Geschichte der Naturwissenschaften, Vor- und Frühgeschichte. Darüber hinaus: 15 Theologen, die meisten Kirchenhistoriker, aber auch einige Systematiker32; 12 Iuristen33, 10 Philosophen34, 5 Politologen. Die Sprachwissenschaften waren mit Allgemeiner Linguistik, vergleichender Literaturwissenschaft35, Germanistik36, Romanistik37, Italianistik und klassischer Philologie38 vertreten. Damit aber ist das Spektrum der vertretenen Wissenschaften noch keineswegs erschöpft. Drei Physiker, zwei Pädagogen, ein Geograph, ein Byzantinist und ein Volkskundler komplettieren die breit gefächerte Palette der anwesenden Wissenschaftler. Darüber hinaus waren 18 Journalisten und Schriftsteller anwesend, unter ihnen so bekannte Persönlichkeiten wie Walter Dirks und Otto B. Roegele, die für die Verbreitung der Ergebnisse des Kongresses sorgen sollten, sowie 17 Politiker39, darunter vier 32 Dass Göhring das Fach Theologie als für dieses Thema besonders wichtig ansah, geht aus einer Liste vom 10. Februar 1955 hervor, auf der 55 einzuladende Theologen verzeichnet sind. Wie oben angemerkt, kamen davon nur 15. Gerade viele der Renommierten konnten die Teilnahme an dem Kongress zeitlich nicht ermöglichen: die Bischöfe Georg Bell aus Chichester und Otto Dibelius aus Berlin, der hessische Kirchenpräsident Niemöller, aber auch international bekannte Systematiker und Kirchenhistoriker wie Romano Guardini, Helmut Gollwitzer, Friedrich Heiler, Hubert Jedin und Paul Tillich. Albert Schweitzer wurde mit Schreiben nach Lambarene vom 9. Dez. 1954 eingeladen. Er ließ am 2. Jan. 1955 durch seine Sekretärin Mathilde Kottmann aus Termingründen absagen und fügte eigenhändig hinzu: „Tausend Dank für Ihren Brief vom 9. Dez. mit dem Programm der Referate. Der Kongreß verspricht sehr interessant zu werden. Ich wünsche Ihnen allen Erfolg. Mit besten Gedanken Ihr ergebener Albert Schweizer“. IEGU. Immerhin konnten die Heidelberger Kirchenhistoriker Bornkamm und Campenhausen von evangelischer Seite zusagen und von katholischer Seite waren mit Lortz und Johannes Vinke ebenfalls zwei renommierte Vertreter anwesend. Aber der Eindruck bleibt: das mit den Einladungen angestrebte hohe wissenschaftliche und kirchliche Niveau konnte nicht realisiert werden. Womit keineswegs etwas Negatives gegen die gesagt sein soll, die dann wirklich kamen. Für andere Fächer existiert eine solche Liste mit Namen von einzuladenden Wissenschaftlern nicht. 33 Sowohl Universitätsprofessoren als auch praktizierende Anwälte oder Richter, ohne Rechtshistoriker, von denen vier anwesend waren. 34 Davon zwei Rechtsphilosophen. 35 Jeweils nur einer. 36 Sechs. 37 Vier. 38 Je einer. 39 Unter ihnen auch der rheinland–pfälzische Ministerpräsident Peter Altmeier und Bundespräsident Theodor Heuss, die allerdings nur am Festakt teilgenommen zu haben scheinen. Altmeier wollte die Gäste bei der Eröffnung des Kongresses begrüßen, musste sich aber durch Kultusminister Finck vertreten lassen. Am Ende des Kongresses, ebenfalls im Kurfürstlichen Schloss, gab er einen Empfang, an dem er natürlich auch teilgenommen hat. Der Mainzer Oberbürgermeister Franz Stein sprach zu Beginn des Kongresses ein Gruß-
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rheinland-pfälzische Minister, und zwar für Inneres, Kultus, Wiederaufbau und Justiz, aber auch für die Wissenschaftspolitik einflussreiche Beamte wie der Ministerialdirektor im Bonner Innenministerium Paul Egon Hübinger40, selbst der Profession nach Historiker. Die Liste aller Teilnehmer verzeichnet sieben Vertreter der Industrie und drei Bankdirektoren. Alle hatten teils durch Spenden ihrer eigenen Institute und Firmen, teils durch Vermittlung von Spendern dazu beigetragen, den nicht ganz preiswerten Kongress zu finanzieren41. Nur elf der Teilnehmenden waren Frauen, unter ihnen vier ehemalige und eine aktuelle Wissenschaftliche Mitarbeiterin, eine Stipendiatin des Instituts, eine Geisteswissenschaftlerin, eine Kongressdolmetscherin42, die britische Kulturbeauftragte, eine Journalistin und die Bundestagsabgeordnete Maria Dietz. Es gab auf diesem Kongress nur ein Votum von einer Frau, aber keinen von einer Frau gehaltenen Vortrag43. wort, er gab ebenfalls einen Empfang für die Teilnehmer im Schloss, und zwar am ersten Abend der Tagung. Göhring bedankt sich dafür im Vorwort, siehe Anm. 5, S. VI. 40 Zu Hübinger vgl. Winfried SCHULZE, Deutsche Geschichtswissenschaft (Anm. 1), bes. S. 254–260. Aber auch der Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes Kurt-Fritz von Grävenitz nahm am Kongress teil. 41 Im Vorwort der Kongresspublikation dankt Göhring „zunächst der ehemaligen Direction Générale des Affaires culturelles in Mainz, die für die Vorbereitung und Durchführung des Kongresses beträchtliche Mittel zur Verfügung stellte“. Darüber hinaus geht der Dank an den Bundesinnenminister „für einen ansehnlichen Zuschuß“, an den Botschafter der Vereinigten Staaten „für das große Entgegenkommen in mehrfacher Hinsicht“ und an die englische Kulturabteilung. Siehe Anm. 5, S. VI. Leider lässt sich die Höhe der einzelnen Beträge nicht immer genau ermitteln. Dass der Betrag des Bundes sich auf 5.000 DM belief, geht aus einer handschriftlichen Übersicht, die nicht in allen Angaben klar verständlich ist, deutlich hervor. Für weitere 12.320 DM stehen 22 namentlich aufgeführte Spender fest. 3.000 DM kamen von der BASF in Ludwigshafen, weitere 3.000 DM vom „Industr. Verb.“, gemeint ist wohl der Bundesverband der Deutschen Industrie. 1.380 DM zahlte der Südwestfunk für die Rechte an der Rundfunkübertragung. Es bleiben Beträge von 12.000, 5.000 und 3.000 DM, die nicht weiter zuzuordnen sind. Möglicherweise sind das die Zuschussbeträge Frankreichs, der Vereinigten Staaten und Großbritanniens. Insgesamt gingen 44.700 DM für den Kongress ein. Das übertraf Göhrings Erwartungen. In einem Schreiben an Fritz Kien von den EFKA Werken in Trossingen unter dem Datum vom 1. Feb. 1955 beziffert er die voraussichtlichen Kosten mit 40.000 DM. Davon seinen 15.000 noch nicht gedeckt. Da fast 5.000 DM mehr eingingen als an Kosten geschätzt war, müssen vom Februar bis März noch knapp 20.000 DM an zusätzlichen Geldern geflossen sein. Das könnten die Beträge von 12.000, 5.000 und 3.000 DM sein, die nicht zweifelsfrei zugeordnet werden können. Dieses Ergebnis ist beeindruckend. Ebenso beeindruckend ist der Aktenordner voller Briefe, die Göhring schrieb, um Spenden zu bekommen. IEGU Kongreß/Industrie. 42 Ihr Name ist im Teilnehmerverzeichnis mit Mrs. D. J. L. Hochberger angegeben. Chefdolmetscher war mit dem Ungar Dr. Edmont Ferenczi, man möchte hinzufügen, „selbstverständlich“ ein Mann. 43 Es handelt sich um die Zusammenfassung eines Tonbandmitschnitts, in dem Pauline Comtesse Pange auf die kritische Edition eines Werkes von Madame de Staël verweist, die sie demnächst herausbringen werde. Es enthalte einiges Wichtige für die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland. Siehe Anm. 5, S. 266
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Das große Thema „Europa – Erbe und Aufgabe“ war in sieben Bereiche unterteilt, in denen jeweils zwei Vorträge gehalten wurden und eine Aussprache stattfand. Die Vorträge waren nicht, wie heute üblich, nach dem Schema Referat und Korreferat aufgeteilt, sondern man verband zwei verschiedene Sichtweisen oder Aspekte derselben Sache miteinander. So sprach Alexander Rüstow in der 1. Sitzung über „Geistige Grundlagen des Bewußtseins der europäischen Einheit“ und Leopold Génicot über „Geschichtliche Grundlagen der europäischen Einheit“. Die 2. Sitzung verband die Bereiche Christentums- und Kulturgeschichte. Christopher Dawson, der aus gesundheitlichen Gründen verhindert war44, aber sein Manuskript gesandt hatte, behandelte das Thema „Christendom and the Ideologies“ und Charles Morazé das Thema „Le Sens de la Culture Européenne“. Die 3. Sitzung fasste Wissenschaft, Wirtschaft und Technik zusammen. Wolfgang Pauli sprach über „Die Wissenschaft und das abendländische Denken“, Ferdinand Friedensburg über „Wirtschaft und Technik als formende Kräfte des modernen Europa“. Die 4. Sitzung war verschiedenen Aspekten des Bereichs „Recht“ gewidmet. Franz Wieacker behandelte „Ursprünge und Elemente des europäischen Rechtsbewußtseins“ und Gerhard Leipold „Demokratisches Denken als gestaltendes Prinzip im europäischen Völkerleben“. Die 5. Sitzung galt dem Problem der Staaten und möglicher Zusammenschlüsse. Martin Göring stellte seine Ausführungen unter das Thema „Europäische Revolutionen als Etappen europäischen Zusammenschlusses“ und Th. J. G. Locher wählte das Thema „Nationalstaat und europäische Ordnung“. In der 6. Sitzung wurden soziologischanthropologische Aspekte erörtert. Valentin Gittermann sprach über „Individuum und Kultur“ und Hans Barth über „Erziehung zum europäischen Bewußtsein“. Die 7. Sitzung beschäftigte sich mit historiographischen Problemen. Jacques Droz wählte das Thema „Les historiens français devant l’histoire allemande“ und Max Silberschmidt, der kurzfristig für den erkrankten Max Horkheimer45 eingesprungen war, behandelte „Europa – Amerika –
44 Christopher Dawsons Zusage datiert vom 22. Mai 1954. Da sollte der Kongress noch im Oktober desselben Jahres stattfinden. Dieser Termin ließ sich, wie im Sommer des Jahres deutlich wurde, nicht halten. Erst im September wurde der endgültige Termin auf den 16. bis zum 20. März festgelegt. Dawson sagte seine Teilnahme mit Brief vom 22. Okt. 1954 unter Hinweis auf gesundheitliche Gründe ab. Göhring antwortete mit tiefstem Bedauern am 26. Okt. 1954. Daraufhin bot Dawson am 2. Nov. 1954 an, sein Manuskript zu schicken. 45 Göhring erwähnt in seinem Vorwort zwar lobend, dass Franz Wieacker und Max Silberschmidt „bereitwillig in die Bresche sprangen“, weil die ursprünglich vorgesehenen Referenten erkrankt waren, er sagt aber diskreterweise nicht, wer krank geworden war. Siehe Anm. 5, S. VII. Im Falle Wieackers war es der römische Rechtshistoriker Francesco Calasso und im Falle Silberschmidts Max Horkheimer. Von Calasso liegt das Absagetelegramm vor, dessen Datum leider nicht lesbar ist. Aus der Abfolge der Korrespondenz geht jedoch hervor, dass es nach dem 4. Feb. 1955 in Mainz eingetroffen sein muss. Von Horkheimer liegt keine schriftliche Absage vor. Dass er ursprünglich für „Europa – Amerika –
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Abendland“. Achtzig Diskussionsvoten sind dokumentiert, die meisten entzündeten sich an den Vorträgen von Christopher Dawson und Charles Morazé sowie an denen von Jacques Droz und Max Silberschmidt, nämlich jeweils zwölf, beide übertroffen nur von der Schlussdiskussion, in der sich 15 Redner zu Wort meldeten. Eine Dankadresse der ausländischen Teilnehmer (Maurice Gandilac) und der öffentliche Vortrag von Arnold Bergsträsser, im Rahmen eines Festaktes gehalten, in dem das Städtische Orchester Mainz46 Werke von Bach und Beethoven zu Gehör brachte, rundete die Veranstaltung ab. Bevor wir uns nun dem wissenschaftlichen Ertrag dieses imponierenden Kongresses zuwenden, möchte ich auf das Grußwort des damaligen rheinland-pfälzischen Kultusministers Albert Finck eingehen, der kurz und knapp die Erwartungen ansprach, die politischerseits an den Kongress gerichtet Abendland“ vorgesehen war, lässt sich nur aus der Korrespondenz und dem gedruckten Programm der Veranstaltung entnehmen. IEGU. Der Name Horkheimer führt leicht zu der Frage, warum nicht auch der andere Vertreter der Frankfurter Schule, der im Vergleich zu Horkheimer als mehr fortschrittlich links eingestufte Theodor W. Adorno, am Kongress teilnahm. Das lag nicht an Göhring. Adorno wurde mit Schreiben vom 22. Okt. 1954 eingeladen. Eine Absage liegt nicht vor. Vermutlich erfolgte sie telefonisch, denn die erhaltene Kopie des Schreibens an ihn vermerkt sowohl Adornos Dienstnummer als auch seine Privatnummer. 46 Göhring hatte mit der musikalischen Umrahmung zunächst Höheres erstrebt. Aber der Versuch, das Symphonieorchester des Südwestfunks unter Hans Rosbaud zu engagieren – es galt damals neben den Berliner Philharmonikern als „das“ deutsche Spitzenorchester und Rosbaud als „der“ Konzertdirigent –, scheiterte. Schreiben des Vorsitzenden des Rundfunkrates Karl Holzamer vom 10. Jan. 1955. Immerhin sagt Holzamer zu, für die Übertragung der Veranstaltung im Rundfunk „DM 12 – 1300“ zu bezahlen. IEGU. Ein Beitrag von 1.380 DM mit dem Zusatz SWF befindet sich auf der oben erwähnten Liste der für den Kongress eingegangenen Gelder. Daraufhin scheint sich Göhring an die Frankfurter Singakademie mit der Bitte um einen Kostenvoranschlag für die Aufführung von Beethovens 9. Symphonie gewandt zu haben. Dieser kam umgehend am 14. Jan. 1955 und belief sich auf stolze 9.222, 50 DM. Göhring sagte sehr höflich und persönlich betroffen ab: „Nichts wäre dieser Veranstaltung würdiger gewesen, als die IX. Symphonie“. Göhring an die Frankfurter Singakademie vom 21. Jan. 1955. IEGU Kongreß/Industrie. Schließlich, es waren inzwischen nur noch zwei Monate bis zum Kongress, scheint sich eine Verbindung zum Städtischen Orchester Mainz ergeben zu haben. Statt Beethovens Neunter, schon damals die heimliche Hymne Europas, gab es bescheiden das 3. Brandenburgische Konzert von Bach und die 7. Symphonie von Beethoven. Immerhin dürfte der musikalische Beitrag ein gutes Niveau gehabt haben, denn das Mainzer Orchester unter seinem damaligem GMD Karl-Maria Zwißler reichte über das Niveau der meisten städtischen Orchester in Deutschland hinaus. Grundsätzlich wäre das Mainzer Orchester zusammen mit der Mainzer Singakademie, dessen künstlerischer Leiter ebenfalls Zwißler war, durchaus in der Lage gewesen, Göhrings Wunsch zu entsprechen und die 9. Beethovens aufzuführen. Aber, die Städtischen Bühnen Mainz waren damals wie heute ein Drei-Sparten-Theater mit zusätzlichem Konzertbetrieb. Das heißt, insbesondere das Orchester war mit Aufgaben in Oper, Operette und Konzert voll ausgelastet. Ein Sonderkonzert wie die 9. Beethovens, wenn es neben einem solchen „Routinebetrieb“ erarbeitet werden soll, verlangt eine Planungsvorgabe von mindestens einem Jahr. Und diese Zeit stand bei weitem nicht mehr zur Verfügung, als sich der Kontakt zwischen Göhring und dem Mainzer Orchester ergab.
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waren. Er geht davon aus, dass die Einigung des modernen Europa eine grundsätzliche politische und wirtschaftliche Notwendigkeit sei. Dazu müssten politische Ressentiments abgebaut, ein geschärfter Blick für die geistige Grundlegung dieser Arbeit gewonnen und die nationalstaatliche Enge überwunden werden. Von der Geschichtswissenschaft erhofft er sich Erkenntnisse, die dem Europagedanken Impulse vermitteln. „Die neue Ordnung der Dinge, die auch dem Menschen den ihm gebührenden Platz lasse, werde frei sein von Europa-Romantik, aber in der Kontinuität stehen, das Gemeinsame lebendig machen und in das neue Supranationale einschmelzen“47. Interessant wäre, etwas Genaueres darüber zu erfahren, was der Minister unter dem Begriff des Supranationalen verstanden hat. Die wenigen Worte, die von ihm übermittelt sind, lassen nicht erkennen, ob an eine bestimmte überstaatliche Konzeption gedacht ist oder ob er die angestrebte Zielvorstellung bewusst allgemein gehalten hat. Doch wird man dieser kurzen Begrüßungsrede ein Doppeltes entnehmen dürfen. Finck weist der Geschichtswissenschaft nicht nur die schwierige Arbeit zu, Vorurteile abzubauen und zu überwinden. Im Gegenteil, er erhofft sich inhaltlich positive Anregungen zur Verwirklichung der Europäischen Einheit. Er hätte ja auch sagen können: jetzt räumt erst einmal den Schutt beiseite, an dessen Entstehen ihr ja nicht ganz unschuldig seid, tut das gründlich und nachhaltig, und dann überlasst das Feld den Politikern, die wissen schon, wohin die Reise geht. Nein, im Negativen wie im Positiven hat der Historiker seine Aufgabe. Er soll helfen, dass die Integration fortschreitet und Freiheit sowie soziale Sicherheit gewährleistet. Wenden wir uns jetzt den Referaten, Korreferaten und Diskussionsvoten zu, so mag ein erster Eindruck überraschen. Europakonzeptionen, fertige Konzepte für das Zusammenrücken, die Kooperation oder gar die Vereinigung der einzelnen europäischen Staaten, finden sich so gut wie nicht. Die Konzeptionen, die es bereits gab, finden keine Beachtung. Auf politischer Ebene befand man sich zu dieser Zeit in der Phase, in Richtung Europa Anlauf zu nehmen, und zwar ohne zu wissen, wo sich der Absprungbalken befindet, von dem aus das Ziel des Weitsprungs zu erreichen ist. Der Kongress zeigt, dass man auf geistiger Ebene vor dem analogen Problem stand. Er vermittelt deutlich, wie Europa wirklich war: vielfältig, verschieden, disparat, so sagt jedenfalls Martin Göhring selbst unter Hinweis auf einen Kritiker, den er aber nicht namentlich nennt48. Das Gemeinsame sieht er vor allem „in der menschlichen Aufgeschlossenheit, in dem Bedürfnis, sich allseitig näher zu kommen, in der Bekundung des Gefühls, eine große Familie zu sein“, darin habe man „wahrhaft europäische Haltung, verpflichtende Solidarität, gezeigt“. Aber in einzelnen Punkten ging das, was zu Europa gesagt wurde, doch auch inhaltlich über das hinaus, was 47 48
Siehe Anm. 5, S. 2. Siehe Anm. 5, S. XIV.
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bisher das allgemeine Bewusstsein prägte. Sicher, Europa ist ein symbolischer Begriff, der eine nicht ganz einfache Entwicklung durchlief, „bis er verstanden wurde als der vom Christentum erfaßte Teil der Welt“49. Orientalisten und Byzantinisten wiesen aber darauf hin, dass auch der Orient als Inbegriff des Nicht-Europäischen lange Zeit auf „Rom als dem Zentrum der Welt im kosmopolitischen Sinn gerichtet war“. Im östlichen Mittelmeerraum entwickelte sich eine fruchtbare Synthese aus einer Fülle von Einflüssen, die aus China, Ägypten, Assyrien und Persien kamen. Prinzipien wissenschaftlichen Arbeitens wurden entwickelt, es bildete sich spekulatives Denken heraus, das auf das Absolute gerichtet war und sich in Griechenland mit der Idee der Humanität verband, was wiederum von Rom aufgenommen und kreativ weiter entwickelt wurde. Das Christentum wurde dann „die neue und alles erneuernde Grundkraft. Wo es sich durchsetzte, da war auch Europa“50. Das Kaisertum stellt sich in seinen Dienst. Die hierarchisch aufgebaute und gelenkte Kirche trug und nährte es, so dass eine einheitliche Kultur entstand. Auf germanischem, keltischem und slawischen Boden wurden Einflüsse aufgenommen und weiter verarbeitet. Hier sehen wir eine entscheidende Erweiterung im Vergleich mit dem Lortz’schen Konzept, das die Aufnahme fast ausschließlich im germanischen Raum annimmt. Das Mittelalter verlieh dem Abendland zwar seine Seele, wie Leopold Génicot auf dem Kongress sagte, aber dieses Abendland sei eine Einheit gewesen, die stets mehr in der Idee als in der Wirklichkeit bestanden habe, so dass ein fortschreitender Prozess der Lockerung und Auflösung entstanden sei, in dem „das Partikulare im Gewand des Nationalstaates Individualität wurde und an die Stelle der Universalmonarchie schließlich das Staatensystem trat“51. Absolute Einheit habe nie das Wesen abendländischer, europäischer Geistigkeit ausgemacht, wohl aber die Synthese aus Einflüssen verschiedenster Art, die zwar zu gewissen Zeiten echt, zu gewissen Zeiten aber auch spannungsreich und konfliktträchtig war, aber sie habe in der höchsten Form immer das Problem des Menschen und des Seins zum Gegenstand gehabt. Was hat das Mittelalter der Neuzeit vererbt? Das Einheits- und Gemeinsamkeitsbewusstsein, aus dem sich das Prinzip des Gleichgewichts entwickelte, aus dem Rechtsprinzipien hervorgingen, die die Beziehungen zwischen den Staaten ordneten und lange Zeit so etwas wie „asiatischen Despotismus“ verhinderten. Ähnliches gilt für den geistigen Bereich. Heilserkenntnis und rationale wissenschaftliche Erkenntnis waren zwar schwer 49 50 51
Siehe Anm. 5, S. XV. Siehe Anm. 5, S. XVI. Ebd.
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einander zuzuordnen, aber sie schlossen sich nicht aus. Wissenschaft und Geistigkeit waren aufeinander zugeordnet und blieben es. Jedoch der Mensch, der mit den Mitteln des Verstandes zur Naturerkenntnis und von da zur Naturbeherrschung gelangte, verfiel allmählich einem schrankenlosen Fortschrittsglauben, in dem er sich von konstitutiven Elementen, die die Geistigkeit bisher bestimmt hatten, emanzipierte – und dazu gehörte weitgehend auch das christliche Gedankengut. An die Stelle der Religion trat, wie Christopher Dawson ausführte, der Staat als letztes Prinzip der sozialen Organisation. An die Stelle der Theologie, die bisher gesellschaftliche Ideale ausgearbeitet und bestimmt hatte, trat die politische Theorie oder, wie Dawson sagt, die Ideologie52. Die parallele Entwicklung im Geistigen führte zu einer Überbewertung der Wissenschaften und einer Unterbewertung alles dessen, was über den Bereich des Vorfindlichen hinausgeht. Die Bindung an Religion und Moral wurde als lästig empfunden, man versuchte sie abzuschütteln. „Die eigentümliche Spaltung unserer Welt schuf eine Polarität, die eine wahre Synthese nicht mehr zuzulassen schien, d.h. die Krise, die im 18. Jahrhundert einsetzte, ist bis heute nicht abgeschlossen“53. Im 19. Jahrhundert ergaben sich Probleme, deren Entstehung auf diesem Hintergrund zu erklären ist, aber die Elemente, die diesen Hintergrund ausmachten, sind andererseits auch dafür verantwortlich, dass man sie nicht lösen konnte: Nationalismus, Imperialismus, Industrialisierung, Klassenkampf. Der Erste Weltkrieg ist zum Teil daher zu verstehen. Das unbefriedete, gespaltene Europa, das aus ihm hervorging, trieb in die zweite, noch schwerere Katastrophe. Darin erkannte man auf dem Kongress wenigstens eine positive Wirkung: „das zurückgedrängte, mit nationalen und anderen Komplexen belastete Bewusstsein der Verantwortung für Europa, der Gemeinsamkeit, der schicksalhaften Zusammengehörigkeit wurde wieder freigelegt“54. Dort, wo Göhring die positiven Ansätze für ein neues Europa darstellt, geht es über Grundsätzliches nicht hinaus. Mit Friedrich Heer sagt er, Europa müsse sich jeden Messianismus’ enthalten, aber es müsse sich gebunden fühlen „an das Strukturgesetz des europäischen in einem dreifachen Imperativ erfassbaren Geistes, nämlich der Autorität des Logos, der Autorität des ius gentium und der Autorität der christlichen Heilsbotschaft“. Europa sei eine „Lebensgemeinschaft vieler Gegner und Gegensätze“, so weiter Göhring nach Heer, was die Bereitschaft zur Kommunikation mit anderen Völkern frei von jeder „Angstoptik“ erforderlich mache. Die Erziehung habe beim Erzieher anzufangen, in dem der wahre Eros erweckt werden müsse, der 52
Das hängt natürlich damit zusammen, dass der Beitrag von Dawson in englischer Sprache verfasst ist und „Ideology“ eine breitere und nicht so negativ besetzte Bedeutung aufweist, wie das deutsche Wort „Ideologie“. 53 Siehe Anm. 5, S. XVII. 54 Ebd.
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herausführe aus „dem Dunstkreis unlauterer Abendländereien“55. Hier haben wir einen der wenigen Punkte vor uns, wo Kritik am Begriff des Abendländischen geübt wird, allerdings ohne ihn grundsätzlich in Frage zu stellen oder gar offen abzulehnen. Es ist klar, was Heer meint. Es kann nicht darum gehen, sich die Koordinaten europäischer Einheit von historischen Vorstellungen vorgeben oder gar vorschreiben zu lassen. Daraus lassen sich jedoch Prinzipien entnehmen, die, weiter entwickelt, auf den gegenwärtigen Prozess Anwendung finden können oder gar müssen. Göhring formuliert diese Prinzipien: Die neue Ordnung, also die Ordnung, die eine europäische Einigung ermöglicht und sie auch bestimmt, muss mit dem Strukturgesetz europäischer Geistigkeit übereinstimmen und den Kräften der geschichtlichen Entwicklung Rechnung tragen. Das meint konkret: Freiheit der Persönlichkeit, Freiheit des Gewissens, unbedingte Toleranz. Die Verwirklichung dieser Elemente im ersten Anlauf käme einer Revolution gleich, sie dürfte sich günstigenfalls doch wohl eher als Ergebnis einer längeren Evolution einstellen. Immer wieder betont Göhring, darin besonders stark Äußerungen Christopher Dawsons aufnehmend, die Bedeutung der Religion. „Keine Zivilisation kann nur von der Politik leben, und wenn eine Kultur nichts anderes als ein Organ politischer Propaganda wird, ist sie tot. Diese Gefahr besteht da, wo die Ideologie an die Stelle der Religion tritt“56. Keine Klage über Entchristlichung. „Europa und das Abendland bedürfen, wenn sie christlich sein wollen, der Befreiung von der Schablone, der Erneuerung des religiösen Lebens von innen heraus“. Dass Europa und das Abendland nur als christliche Größen existieren können, daran lässt Göhring bei aller Vorsicht keinen Zweifel. Nicht umsonst resümiert er denn auch seine Zusammenfassung über Europa und das Christentum mit dem Satz. „Daß solche und ähnliche Gedanken klar ausgesprochen wurden, ist ein wirkliches Positivum des Kongresses“57. Ein weiteres Element, das neben der starken Betonung des Religiösen nicht wirklich überrascht, ist die pointierte Hervorhebung der Bedeutung europäischer Kultur. Europa muss sich erneuern und zwar nicht nur um seiner selbst willen, sondern wegen der Welt. Mit Berufung auf H. Brugmans formuliert er: „Es ist keine Anmaßung zu sagen, daß der europäische Mensch gleichsam ihr (d. h. der Welt) Salz ist. Die von ihm geschaffene Kultur bewies ihre 55 56
Sie Anm. 5, S. XXII. Siehe Anm. 5, S. XXI. Der Berliner Theologe Otto A. Dillschneider begründete in seinem Diskussionsvotum ganz klar, warum Christentum und Ideologie sich ausschließen. „Wenn man aber für uns Deutsche sagt ‚Christentum und Ideologien‘, dann gibt es hier nur ein Ausschlußverhältnis, denn die Ideologie basiert auf einem Pseudo-Erkenntnisakt. Die Ideologie hat also einen Fehlablauf menschlicher Erkenntnisse zur Voraussetzung und führt darum in eine enge Nähe zur Idolatrie, zur Vergötzung, und zur Utopie“. Vgl. Anm. 5, S. 62 f. 57 Siehe Anm. 4, S. XXI
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Überlegenheit über alle anderen Kulturen oder war ihnen voraus“58. Fast könnte Beklemmung aufkommen, dieses Selbstwertgefühl scheint ein wenig zu dick aufgetragen. Göhring relativiert dieses stramme europäische Bewusstsein unmittelbar anschließend durch Auffassungen, die er dem öffentlichen Vortrag von Arnold Bergsträsser entnimmt, der zwar auch auf die Errungenschaften europäischen Geistes verweist, aber die Gefährdungen, die von ihm ausgegangen sind, ebenfalls thematisiert. An Göhrings Rede zur Wiedereröffnung der Domus Universitatis war bereits aufgefallen, dass er den Begriff des Abendlandes sehr weit fasste. Er reicht weit über das geographische Europa hinaus. Diese Tendenz begegnet in der Zusammenfassung des Kongresses erneut. Es ist deutlich, dass er, ohne es direkt zu sagen, Amerika in den Begriff des Abendlandes hineinholen möchte, aber deutlich auch weite Teile des Ostblocks, in denen er sich von der Erneuerung des abendländischen Bewusstseins eine Stärke erhofft, die zum Kampf gegen den Bolschewismus befähigt. Der englische Historiker Denis W. Brogan nahm in seinem Diskussionsvotum neben Russland sogar Nordamerika und Südamerika in sein Verständnis von Europa auf59. Friedrich Heer votiert in einem temperamentvollen Diskussionsbeitrag ebenfalls für einen weiten und offenen Europabegriff. Das Wort Abendland verwendet er nur, um kritisch anzumerken: „Es wird noch geraume Zeit brauchen, bis wir aus dem Dunstkreis unlauterer Abendländereien herauskommen“60. An Heers langem Votum ist deutlich zu erkennen, dass der Europabegriff dabei ist, den Abendlandbegriff abzulösen. Aber kein Wort der kritischen Abkehr, kein Wort über eine neue, weniger emotionale Terminologie. Dagegen wird ein leidenschaftliches Plädoyer für eine echte Aneignung Europas mehr als deutlich, für erneuerte Menschen, die den anderen und die vor allem sich selber so gut kennen, dass eine echte, angstfreie Begegnung über die Grenzen des eigenen Landes ermöglicht wird. Der Abendlandbegriff wird auf dem Kongress nicht verwendet, um den Abendlandmythos erneut lebendig und 58 Siehe Anm. 5, S. XXIII. Hendrik Brugmans, Rektor des Europakollegs Brügge, konnte zwar nicht am Kongress teilnehmen, hat dann aber in einer Vortragsreihe des Instituts zum Thema „Die Mission Europas in der heutigen Weltsituation“ am 20. Juni 1955 gesprochen. Der Vortrag findet sich im Berichtsband der Tagung. Siehe Anm. 5, S. 313–322. Auch Hajo Holborn war die Teilnahme am Kongress nicht möglich. Es sprach am 4. Juli 1955 ebenfalls in der Vortragsreihe des Instituts. Seine Ausführungen sind unter dem Titel „Die Amerikanische Außenpolitik und das Problem der Europäischen Einigung“ ebenfalls in den Berichtsband aufgenommen. Siehe Anm. 5, S. 301–312. 59 Siehe Anm. 4, S. 276 f. 60 Der umfassende Diskussionsbeitrag Friedrich Heers hat fast die Ausmaße eines eigenen Vortrags (Siehe Anm. 5, S. 232–237). Heers temperamentvolle Vortragsart veranlasste den russischen Religionsphilosophen Stepun zu der humorvollen Äußerung: „Heer, Sie kommen mir vor wie ein junger Hengst mit fünf Beinen, eines dieser Beine befindet sich immer im Strassengraben“. Dieses Diktum ist leider nur mündlich überliefert, und zwar von dem Lortz-Mitarbeiter Peter Manns, der am Kongress teilnahm.
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fähig zu machen, dem Zug zum Zusammenrücken der europäischen Völker erneuten Schwung zu verleihen. Er wurde benutzt mit Blick auf die Vergangenheit, um Entwicklungen, Konstellationen und Auswirkungen hervorzuheben, aber sobald man eine Problematik erörterte, die an die Gegenwart heranreichte, verwendete man ihn fast nicht mehr, und wenn man ihn darüber hinaus dann doch noch benutzte, so meist mit Zusätzen wie erneuert, gereinigt, lebendig. Aber auch deutliche Warnungen wurden in diesem Zusammenhang ausgesprochen: „Wenn wir als Historiker höchste Werte der Menschheit wie den Humanismus und das Christentum kurzerhand mit dem europäischen Geist identifizieren, so leisten wir möglicherweise einer neuen Art von Selbstgefälligkeit Vorschub, zu der die bisherige Geschichte Europas wenig Anlaß bietet“61.
Es wurde gefragt, ob die aus Antike und Christentum stammende Kultur nicht museal geworden sei. Die Zahl derjenigen, die mit Emphase und Stolz von der Kultur des Abendlands sprächen und die diese Kultur eben zweifelsfrei nicht mehr besäßen, sei groß und werde immer größer62. Könnte das immerhin noch als indirekter Aufruf zu einer Erneuerung der christlichen Grundlagen verstanden werden, so wird im Folgenden deutlich, dass auf eine Begrenzung des Christlichen gezielt wurde. Es soll den Menschen zu ihrer Personwerdung verhelfen, damit Nächstenliebe geübt und Brüderlichkeit verwirklicht werden kann. So ist der Mensch in die Lage versetzt, ein guter Demokrat im neuzeitlich säkularen Sinn zu werden. Wir finden damit immerhin einige Nuancen des Abendlandbegriffs, die von vorsichtiger Verehrung, mehr oder weniger distanzierter, um Wertfreiheit bemühter Charakterisierung, über die Begrenzung auf individualethische Aspekte bis hin zur vorsichtigen Ablehnung reichte. Eine konfessionelle Prägung des Abendlandsbegriffs war nicht feststellbar. Das „Erbe“ Europas war auf dem Kongress deutlich in allen angesprochen Bereichen zum Ausdruck gekommen. Das andere Stichwort des Kongresstitels „Aufgabe“ fand dagegen viel weniger Aufmerksamkeit. An keiner Stelle wird irgendeine der vorhandenen Europakonzeptionen angesprochen. Man dachte viel über die Voraussetzung eines Näherrückens der europäischen Völker nach, wie dieses Näherrücken jedoch aussehen könnte oder gar sollte, 61
So der Tübinger Literaturwissenschaftler Kurt Wais, der darüber hinaus dazu aufrief, „die Verständigungsbereitschaft [...] auf das feste Wissen über die ganz einfache gesamteuropäische Tatsächlichkeit“ zu gründen. „Wenn durch irgend jemanden, so sollte durch die Wissenschaft dieses Wissen getrennt gehalten werden von den Wunsch- und Sehnsuchtsbildern eines vergangenen und künftigen Europa, so inbrünstig wir außerhalb unserer wissenschaftlichen Arbeiten von ihnen erfüllt sein mögen“. Bemerkenswert auch Wais’ Frage, ob nicht gerade ein rein säkulares Europaverständnis eher geeignet sei, die Verständigung mit Frankreich zu verbessern. Siehe Anm. 5, S. 66. 62 So der Münchener Politologe Friedrich Glum. Siehe Anm. 5, S. 144.
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wurde auf dem Kongress nicht thematisiert. Göhring selbst lässt seine Konzeption im Vorwort immerhin anklingen. Er spricht vom „Ideal der Vereinigten Staaten von Europa“ und kommt damit der Konzeption nahe, die später unter dem Stichwort „Europa der Vaterländer“ Diskussionsgegenstand wurde. Etwas plakativ charakterisiert Heinz Duchhardt: „Das war dann doch eine Art Schwanengesang der ‚Abendländer‘; die europäischen Synthesen, die fast zugleich – etwa in England – auf den Markt kamen, waren bereits viel pragmatischer orientiert“. Aber, wird man hinzufügen müssen, der Begriff des Abendlandes fand durchaus differenziert Verwendung und erfuhr hier und da schon stillschweigende, gelegentlich auch vorsichtige Ablehnung. Und die pragmatische Orientierung wird hier und da ebenfalls deutlich, sie wäre gewiss noch deutlicher geworden, hätte die Thematik des Kongresses einen deutlicheren Schwerpunkt auf europäische Zukunftsperspektiven gelegt. Aber Göhring wollte in erster Linie einen Historikerkongress. Wenn auch viele benachbarte Wissenschaftsbereiche hinzugezogen wurden: sie behandelten die Themen ihres Faches ebenfalls vorwiegend in historischer Perspektive. Aber von einer „Abendlandtümelei“ wird man nicht sprechen dürfen. Dazu sind die Überlegungen, welche Verpflichtungen aus dem abendländischen Erbe erwachsen, wie es zu reinigen, lebendig und wirksam für ein Zusammenleben der Völker zu machen ist, zu zahlreich und ernsthaft. Insofern hatte man schon verstanden, dass ein Erbe nur dann wirksam werden kann, wenn es zur Aufgabe wird. Dass der Kongress möglicherweise eine Spur konservativer ausfiel, als es ursprünglich geplant war, lässt sich, zumindest teilweise, aus äußerlichen Gründen erklären. Gewiss, das Grundkonzept mit der Thematik der Vortragseinheiten stand von Beginn der Planungen in seinen Grundzügen fest und wurde dann nur noch unwesentlich verändert. Aber Göhrings Vortragsanfragen wurden häufig mit Absagen beantwortet. Von der Absage Max Horkheimers war bereits die Rede63. Zwei weitere Absagen von außerordentlich prominenten Wissenschaftlern, dem Schweizer Carl. J. Burckhardt, der für den Festvortrag gewonnen werden sollte64, und Theodor Litt65, der den 63 64
Siehe Anm. 45. Göhrings Anfrage datiert vom 30. August 1954. Burckhardt, zu dieser Zeit Minister, ließ am 6. Sept. 1954 durch seinen Sekretär höflich ablehnen. Danach schraubte Göhring seine Erwartungen zurück und bat Burckhardt, lediglich am Kongress teilzunehmen und dem „Ehrenausschuß“ anzugehören, dessen Vorsitz immerhin Theodor Heus angetragen werde. Burckhardt, jetzt nicht mehr Minister, antwortete am 12. Okt. 1954, er möchte die in der politischen Praxis verlorene Zeit jetzt zurückgewinnen und daher bei der Absage bleiben. Zum Ehrenausschuss bemerkte er schweizerisch kühl: „Das nominelle Figurieren in Ehrenausschüssen, wenn ich nicht aktive Arbeit leisten kann, entspricht mir nicht“. IEGU. Wie im Programmheft zum Ausdruck kommt, wurde dann zwischen Ehrenpräsidium, das mit Bundespräsident Heuss an der Spitze aus Politikern bestand, und dem Ehrenausschuss unterschieden, dem ausschließlich Wissenschaftler angehörten.
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ersten Vortrag über „Geistige Grundlagen des Bewußtseins der europäischen Einheit“ halten sollte und den dann letztlich Alexander Rüstow übernahm. Der Präsident der Paneuropabewegung Richard Coudenhove-Kalergi war bereits am 28. September 1954 eingeladen worden, daraufhin scheint keine Reaktion erfolgt zu sein, denn Göhring erneuerte die Einladung am 10. Februar 1955. Am 16. Februar 1955 antwortete Coudenhove-Kalergie aus dem Bellevue-Hotel in Bern, er könne wahrscheinlich nicht kommen, da sich die Mainzer Veranstaltung teilweise mit einem Kongress der Paneuropabewegung überschneide66. Immerhin war Prinz Karl Anton von Rohan anwesend, der sich eifrig um die Verständigung europäischer Intellektueller bemühte. Aber außer einem kurzen Grußwort sagt er auf dem Kongress nichts. Das war für ihn zu theoretisch, zu sehr an der Vergangenheit orientiert, das war nicht seine Art, am Zusammenwachsen Europas mitzubauen67. Noch im Frühjahr 1954 ging Göhring davon aus, dass der Kongress wie ursprünglich geplant im Oktober des Jahres stattfinden könne. Erst im Sommer setzt sich dann die Einsicht durch, dass die Vorbereitungszeit zu knapp sei und der Veranstaltungstermin auf den März des folgenden Jahres verschoben werden müsse68. Im Oktober 1954 rechnete Göhring damit „dass ungefähr 70 hervorragende Gelehrte aus den verschiedensten Ländern an der Tagung teilnehmen werden“69. Im Endeffekt waren es dann 320 Teilnehmer, von denen gewiss nicht alle, aber doch die überwiegende Mehrheit zu den „Gelehrten“ zu zählen ist. Göhring war in Fragen der Organisation eines solchen groß dimensionierten wissenschaftlichen Ereignisses mit politischer und gesellschaftlicher Bedeutung nicht erfahren. Die Vorbereitungen begannen erst ein halbes Jahr vor dem ersten geplanten Termin. Kein Wunder, dass viele Absagen kamen. Als der Termin verschoben war, die Vortragenden feststanden und weitere interessante Teilnehmer gesucht wurden, waren es wieder im günstigsten Fall nur sechs Monate, in manchen Fällen auch weni65
Die Anfrage an Theodor Litt datiert vom 12. März 1954. Die Korrespondenz mit ihm ist jedoch leider wenig aussagekräftig, da vieles telefonisch verabredet wurde. Litt scheint sich ernsthaft verletzt gehabt zu haben. Er musste ein Korsett tragen, da Schulter und Arm verletzt waren. Am 14. Jan. 1955 schrieb Litt dann die Absage, das Korsett werde frühestens Mitte Februar abgenommen und dann werde eine schmerzhafte Rehabilitation beginnen, so dass die Ärzte ihm dringend geraten hätten, für dem gesamten Zeitraum des Frühjahrs (1955) keine feste Verpflichtung einzugehen. Ergänzende Hinweise zur Situation der Verabredung des Vortrags von Theodor Litt enthält Göhrings Korrespondenz mit dem englischen Historiker Sir Richard Livingstone. 66 IEGU. 67 Zu Rohan vgl. Vanessa CONZE, Das Europa der Deutschen. Ideen von Europa in Deutschland zwischen Reichstradition und Westorientierung (1920–1970), München 2005, S. 37–38. 68 So Göhring in einem Schreiben an Theodor Litt vom 22. Juli 1954: „Vor allem französische und italienische Kollegen wünschten die Verschiebung, einige machten die Übernahme der Referate sogar davon abhängig“. IEGU. 69 Göhring an Richard Livingstone am 4. Okt. 1954. IEGU.
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ger, die den Eingeladenen verblieben. Auch hier hagelt es wieder Absagen. Es ist ganz klar, dass der Personenkreis, der dann schließlich zustande kam, nicht in allen Fällen Göhrings Wünschen entsprach. Unschuldig war er daran nicht. Ein Großereignis wie dieses hätte einer Vorlaufzeit von mindestens zwei Jahren bedurft. Der beeindruckende Umfang der im Zusammenhang mit dem Kongress stehenden Korrespondenz lässt es verständlich erscheinen, dass ein weiteres Ereignis von diesen Ausmaßen nicht mehr geplant wurde. Es ist Heinz Duchhardt zuzustimmen, wenn er etwas ironisch feststellt, „eine prophetische Gabe“ könne man „den Teilnehmern jedenfalls nicht attestieren“70. Das gilt insbesondere, als man sich mit Zukunftsvorstellungen überhaupt äußerst zurückhielt. Nicht jedoch gilt dies für das Referat von Ferdinand Friedensburg, dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, der zwar vorsichtig argumentierte, aber doch klar deutlich machte, dass man mit dem Zusammenschluss in der Montanunion einen Weg beschritten habe, der unbefriedigend bleiben müsse, wenn nicht weitere Schritte auf dem Gebiet der Währung, des Verkehrs und der Energieversorgung erfolgten, und der damit andeutete, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit immer weiter gehen müsse, und schließlich in Bereiche eindrang, die über die Wirtschaft hinausgingen. Hier lag der wichtigste Zug, der zu einem Näherrücken der Völker Europas führte, wichtiger jedenfalls als manch hehre geistige Vorstellung. Bezeichnend sind Friedensburgs Schlusssätze. Auf den geistig-christlichen Charakter der Veranstaltung anspielend, bemerkte er: Sie wollen „es bitte verzeihen, wenn unbescheidenerweise Saul unter die Propheten gekommen ist, um von diesen Dingen zu sprechen. Ich glaube, dass es eine unentbehrliche Ergänzung des Bisherigen gewesen ist“71. Wie recht er doch hatte. Göhring war sich deutlich der Tatsache bewusst, dass die Europaproblematik lückenhaft und einseitig behandelt worden war. Bereits wenige Tage nach dem Kongress richtete er ein Dankschreiben an alle Teilnehmer des Kongresses, in dem er diesen Tatbestand positiv, aber deutlich formuliert zum Ausdruck brachte: „Beglückend ist [...] der von so vielen, vor allem ausländischen Kollegen geäußerte Wunsch, dieser Kongress möge kein einmaliges Ereignis, sondern ein Anfang sein; er möge, wie Herr Kollege Tsatsos, Athen, sich ausdrückte, eine Institution werden. Wir haben uns in der Definition des Erbes zusammengefunden. Die Aufgabenstellung selbst ermangelt noch der Präzisierung. Möge sie uns eines Tages, vielleicht in einem oder eineinhalb Jahren, wieder zusammenführen“72.
Dazu kam es dann aber nicht mehr. 70 71 72
Siehe Anm.1, S. 90. Siehe Anm. 5, S. 86. Göhring am 30. März 1955. IEGU.
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Unter dem Titel „Europa und das Christentum“ veranstaltete die Abteilung Abendländische Religionsgeschichte eine Vortragsreihe, die das Auditorium Maximum der Mainzer Universität füllte73. Mit Joseph Lortz selber, der die Reihe am 23. November 1955 eröffnete, über Walther von Loewenich und Arnold Bergsträsser bis hin zu Fedor Stepun, der die Reihe am 17. Februar 1956 beschloss, standen bekannte und geschätzte Redner zur Verfügung. Walther von Loewenich74 begann seine Ausführungen über „Europa oder christliches Abendland“ mit einer ausführlichen Begriffsanalyse, die vor allem auch das antike Erbe einbezieht. Dabei wird indirekt deutlich, dass er den Begriff des Abendlandes für das moderne Europa ablehnte, weil er zu katholisch geprägt war75. Er bevorzugte den Begriff Europa und wies nach, dass die Reformatoren alle keine Antieuropäer waren, auch wenn Thomas Mann und viele französische Historiker und Theologen glaubten, Luther sei ein Antieuropäer gewesen. Natürlich lag die Fragestellung für oder gegen Europa nicht im Blickfeld des 16. Jahrhunderts, aber es ist nicht unwichtig festzustellen, dass von reformatorischer Seite gegen eine proeuropäische Haltung nichts einzuwenden ist. Denn daran lässt von Loewenich keinen Zweifel: „man kann bei ruhiger Überlegung gar keinen anderen Weg für Europa sehen, als das Wiedererwecken des christianum“76. Aber in seiner gegenwärtigen Ausprägung sei das Christentum zu schwach, weil es bisher keine wirkliche Überwindung der Aufklärung und keine durchschlagende Auseinandersetzung mit der Moderne zustande gebracht habe, sondern hinter Moderne und Aufklärung zurückgegangen ist. Aber immerhin sah er „einige Versuche, diese gewiß nicht ermutigende Situation zu durchbrechen“77. Konkret erkannte er sie in den französischen Arbeiterpriestern und im Programm der Entmythologisierung von Rudolf Bultmann. Doch fügte er stark einschränkend hinzu: beide „können sich ja offenbar gegenüber dem Schwergewicht der Tradition nicht durchsetzen und sie sind auch, das muß ich sagen, in sich selbst problematisch“78. Aber es wird deutlich, worum es Loewenich ging. Er möchte, dass die historisch-kritische Forschung bessere und konsequentere Beachtung findet, dass die soziale Frage ernster genommen wird, ebenso wie auch die ethischen Probleme, denen mit den Lösungen der Vergangenheit nicht mehr beizukommen ist. Für ihn erhebt die Frage, wie ein christianum aussehen muss, das Europa helfen kann, in einem dauernden Prozess, dem sich die Kirchen in „unermüdlicher Nüchternheit“ und 73 74
Siehe Anm. 19. Wir folgen bei der Darstellung der Vorträge nicht dem Ablauf, in dem sie gehalten wurden, sondern der Reihenfolge, in der sie veröffentlicht wurden. Literaturangabe siehe Anm. 6, S. 17–32. 75 Siehe Anm. 19, S. 21 f. 76 Siehe Anm. 6, S. 28. 77 Ebd., S. 30. 78 Ebd.
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„in entschlossener Verantwortlichkeit“ stellen müssen, und er kennzeichnet die Schwierigkeit der Aufgabe mit dem Satz: „Von unserer Generation wird nichts weniger gefordert als der Glaube, der Berge versetzt, und die Liebe, die alles vermag“79. Genaueres erfährt man auch bei von Loewenich nicht. Er ist schon der Auffassung, dass aus dem Christentum Kräfte erwachsen können, die Europa gestalten, die ganz bestimmte christliche Werte stabilisierend ins europäische Zusammenleben bringen können. Aber sein Beitrag beschäftigt sich vor allem mit den Voraussetzungen, die das Christentum erbringen muss, um zu dieser gestaltenden Kraft zu werden. Die Ausführungen des russischen, genauer des exilrussischen Soziologen, Historikers und Religionsphilosophen Fedor Stepun80 unter dem Titel „Der Bolschewismus und die Abwehrkräfte Europas“ sind auch heute noch mit Genuss zu lesen, verbindet der Autor doch eine ungebrochen eindrucksvolle, slawisch–bildhafte Ausdrucksweise mit der perfekten Beherrschung der deutschen Sprache. Interessant, dass er seine Publikation mit einer klein gedruckten, doppelseitigen Einleitung versieht, in der er auf den großen Mainzer Kongress aus dem vergangenen Jahr eingeht. Er kann seine Enttäuschung nicht verbergen. Natürlich sei es „ungerecht, vom Kongreß zu verlangen, er hätte ein politisches Kampfprogramm für die Vereinten Nationen gegen den Bolschewismus ausarbeiten müssen“. Aber es wäre seines Erachtens „möglich gewesen, „Geist, Gesicht und Gift“ des Bolschewismus tiefer zu erfassen, als dies geschehen ist“81. Es sei gezeigt worden, „daß neben dem Christentum das antike Naturrecht, der patristische und puritanische Eigentumsbegriff, die große Bewegung des Humanismus, aber auch die rationalistische Aufklärung, die Großartigkeit der westeuropäischen Wissenschaft und die aus ihr entstandene Technik in das Bild Europas eingezeichnet werden müssen“82. Diese Traditionen auf Russland zu übertragen, sei unmöglich: „Das antike Naturrecht ist in die geistigen Fundamente nicht eingegangen. Die von der römisch-katholischen Kirche vollzogene Taufe dieses metaphysischen Rechtes auf den Namen Jesu Christi ist in Rußland ausgeblieben. Auch der Sinn für die ethische Bedeutung des Eigentums hat sich in Ruland nur schwach entwickelt [...]. Die Besitzenden haben ihre Reichtümer sehr oft mit schlechtem Gewissen besessen und die Besitzlosen haben es ihnen mit gar zu gutem Gewissen zu nehmen versucht. Die humanistische Bewegung [...] ist nur als bleicher Schatten durch die russischen Weiten gewandert“83. 79 80
Ebd., S. 32. Sie finden sich in der Anm. 6 genannten Veröffentlichung S. 33–70. Sie wurden am 17. Feb. 1956 gehalten und später für den Druck überarbeitet. 81 Siehe Anm. 6, S. 36. 82 Ebd. 83 Ebd.
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Daher seine These: „Der Kampf für Europa kann auf russischem Boden nur mit Unterstützung des antibolschewistischen Rußland geführt werden, d. h. in engster Anlehnung an die diesem Rußland innewohnenden Kräfte“. Frage man nach einer Kraft, „die der Westen in geistiger Waffengemeinschaft mit dem antibolschewistischen Rußland gegen den Bolschewismus einsetzen könnte“, so müsse man sagen „Diese Kraft ist das Christentum“84. Es ist hier nicht der Ort, den faszinierenden Analysen zu folgen, in denen Stepun das östliche Christentum darstellt und in denen er es kontrastiv der Entwicklung im Westen gegenüberstellt. Doch seine Schlussfolgerung und seine eindringliche Mahnung seien erwähnt, die er unter den Titel stellt: „Christentum als Offenbarung und Weltanschauung, Christen und Jesuaner“85. Wer das Christentum auf eine Weltanschauung reduzierte, wer die Christen lediglich zu ethisch orientierten Bewunderern des historischen Jesus als irdischem Vorbild, zu Jesuanern, machte, der raubte dem Christentum sein Bestes, nämlich die wirksame Gestalt des Gottmenschen Jesus Christus, seine Auferstehung, sein Bleiben in der Welt, seine Wiederkunft. Dieses Christentum verdiene den Namen nicht mehr, es wäre zu einer kaum noch wirksamen Weltanschauung verkommen. Stepuns bescheidene Empfehlung: mit dem Namen Christus und mit dem Begriff Christenheit sparsam umgehen, die Forderung nach einer vertieften Beziehung zum Nächsten, zum Du, zunächst einmal an sich selbst zu stellen, um sie dann auf die Dimension zwischen den Völkern zu übertragen. Es geht Stepun um einen Transnationalismus, der die Völker und Nationen zu neuem gegenseitigen Verständnis führt, vom gestrigen Nationalismus befreit86 und zu echtem Miteinander befähigt. Dieses Miteinander, das die christliche Ich–Du Beziehung realisiert, müsse aus dem westeuropäischen Raum in das Ganze der Welt übertragen werden, sonst würden die Völker Afrikas und Asiens bald eine leichte Beute des Bolschewismus sein. Sein Resümee: Der Block der friedliebenden Völker werde die Hauptaufgaben, die ihm gestellt sind, nicht lösen können, „wenn er sich nicht alsbald aus einem zweckrational ausgerichteten Block in eine Gemeinschaft christlicher Völker verwandeln wird“87. Man darf nicht übersehen, dass hier die Stimme des Soziologen kräftiger hervortritt als die des Religionsphilosophen. Denn ihm geht es hier vor allem um die äußere Größe der Staaten und Nationen, die den Bolschewismus in „Waffengemeinschaft“ mit den christlichen Kräften Russlands zu bekämpfen in der Lage sind. Die andere Möglichkeit, dass viele der beteiligten Politiker 84 85 86
Ebd. Siehe ebd., S. 63–70. Stepun wörtlich „Jeder Nationalismus ist schließlich nur ein kollektiver Egoismus, der die Nation ebenso aushöhlt und zerstört wie der Egoismus die Einzelpersönlichkeit“. Siehe ebd., S. 70. 87 Ebd.
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von christlichem Denken und Handeln bestimmt sind, daran ihre Konzepte ausrichten und deren Realisierung tragen lassen, ohne das direkt nach außen ins Wort zu heben, erwägt Stepun nicht. Diese Möglichkeit, das Christentum zur Wirklichkeit gelangen zu lassen, lag damals nicht im Rahmen seines Konzeptes; sie ist auch eher vom westlichen Gedanken des Individuellen geprägt als von der östlichen Idee einer starken, metaphysisch verankerten, soziologisch fassbaren Größe, die Stepun vor allem im Auge hat. Joseph Lortz weitet seine Ausführungen, deren Grundbestand er am 23. November 1955 als einleitenden Vortrag der Reihe „Europa und das Christentum“ hielt, unter dem Thema „Europäische Einheit und das Christentum“ für den Druck auf eine Abhandlung von beeindruckendem Umfang aus88. Seine weitgespannten Analysen und weiterführenden Überlegungen beziehen dabei das ganze Leben und alle seine Phänomene ein. Von Kritik bleibt nichts und niemand verschont, alles wird auf den Prüfstand gestellt, auch die Theologie, auch katholische wie evangelische Phänomene. Was Lortz’ Ausführungen allerdings viel von ihrer Wirksamkeit nimmt, ist eine Terminologie, die sich in der Mitte der fünfziger Jahre im Vergleich zur vergangenen Jahrhundertwende erheblich verändert hatte – manche Begriffe hatten geradezu eine entgegengesetzte Einschätzung erfahren. Lortz weiß zwar darum, das geht aus seinen Ausführungen klar hervor, aber er zieht daraus lediglich die Konsequenz, dass er klar definiert, was er meint, ansonsten hält er aber an der veralteten Begrifflichkeit fest. Nehmen wir die häufig gebrauchte Trias „Subjektivismus, Relativismus, Liberalismus“89. In letzter Konsequenz bezeichnet sie für Lortz natürlich etwas Auflösendes, für ein einheitliches Christentum Negatives. Aber seine eingehende Analyse verfährt durchaus differenziert, er erkennt, dass mit dem Individualismus im Subjektivismus etwas Positives, möglicherweise Schöpferisches, Großes steckt, dem er seine volle Bewunderung nicht versagt. Der Begriff des Liberalismus, den Lortz im Auge hat, ist deutlich erkennbar an Erscheinungen aus dem naturwissenschaftlichen Bereich orientiert, die sich, insbesondere gegen Ende des ausgehenden 19. Jahrhunderts massiv gegen das Christentum wandten und es grundsätzlich ablehnten90. Ganz genau erkennt er, dass sich diese Situation inzwischen geändert hat91. Das veranlasst ihn aber nicht, die unglückliche Begrifflichkeit zu verlassen und etwas Treffenderes an deren Stelle zu setzen. 88 89 90
Siehe ebd., S. 73–204. Ebd., S. 113. Auf dem Kongress „Europa, Erbe und Auftrag“ hatte der Frankfurter Naturwissenschaftshistoriker Willy Hartner auf den Chemiker Justus Liebig verwiesen. „Und es kommt so weit, daß Liebig in seiner berühmten 3. Rede in München von der Zeit spricht, in der die Wissenschaft die Ketten sprengen wird, die die Moral gelegt hat, wo Religion und Moral über Bord geworfen werden“. Siehe Anm. 5, S. 92. 91 Siehe Anm. 6, S. 105.
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Auch in der kritischen Beurteilung seiner Gegenwart prangerte Lortz Dinge an, die er gewiss nicht total falsch sah, die er aber mit kritischen Worten aus dem unglücklichen Vokabular eines übertreibenden Bußpredigers bedachte, so dass ihm hier selbst ein wohlwollender Leser die Gefolgschaft verweigert. Die Freude der Menschen am Besitz und ihre Lust an Vergnügungen war in den fünfziger Jahren nach den Erfahrungen von Hunger und Entbehrungen während des Krieges und in der ersten Phase des Wiederaufbaus besonders groß. Lortz nennt sie „praktischer Materialismus und triebhaftes Sichausleben“. Er geißelt Ehescheidungen, künstliche Befruchtung, Entartungen in der Sprache, ja selbst der Tanz-Jazz entkommt seiner verdammenden Wortkanonade nicht92. Alles bezeichnet natürlich die Auswirkungen von Subjektivismus, Relativismus und Rationalismus. Ein weiterer Lieblingsbegriff von Joseph Lortz ist „dogmatische Intoleranz“93. Der Frankfurter Jesuit Albert Hartmann hatte die Verwendung bereits kritisiert. Lortz antwortete barsch: „Ich vermag ihm nicht zuzustimmen“94. Es geht durchaus um einen positiven Aspekt. Lortz möchte das Christentum nicht einfach auf ethische Bezüge reduzieren, sondern das Ganze des christlichen Glaubens, einschließlich des Metaphysischen, einbringen und daran kämpferisch festhalten. Sorgfältig unterscheidet er zwischen Dogma und Dogmatismus, in dem er eine engstirnige Verfälschung des Dogmas sieht. „Dogma aber ist Garant der Freiheit wie des Mysteriums, und schützt die Toleranz, die ihrerseits ja nicht nur unwilliges oder doch passives Geltenlassen besagt, sondern eine positive Haltung, die letztlich eine Einheit mit dem Tolerierten anstrebt“95.
In einer Zeit, da der Begriff des Dogmas auch auf politische Phänomene, insbesondere der kommunistischen Staaten, angewendet wurde und hier vor allem Erstarrungen und Verhärtungen bezeichnete, die schlimmste Auswirkungen zeitigten, wobei keinesfalls zwischen Dogma und Dogmatismus differenziert wurde, gebraucht Lortz den Begriff, gibt ihm einen positiven Inhalt und erwartet, dass diese Vorgehensweise akzeptiert wird. Das ist einfach naiv. Lortz hatte vor dem Ersten Weltkrieg am Germanikum im Rom studiert und dort natürlich einen positiven Begriff des Dogmas kennengelernt. Er kann und will nicht verstehen noch weniger kann und will er sich 92
Das Gemeinte findet sich (siehe Anm. 19) auf den Seiten 107–109. Sein Verdammungsurteil über den Jazz S. 109: „in dem, was man durchgängig Tanz-Jazz nennt, spiegelt sich die seelische Lage des geschilderten modernen Menschen vielleicht besser als irgendwo sonst: unorganisch, aufgelöst und auflösend, oft genug willkürlich oder auch süchtig, sinnlich gleitend, hemmungslos die unlogischten Verbindungen eingehend in Rhythmus, Melodie, Harmonik und Instrumentierung, bis zum wüsten Gejaule oder brünstigen Girren: Fratze und Grimasse, und am Ende in der Luft verwehende haltlose Frage“. 93 Siehe Anm. 6, S. 140–142. 94 Ebd., S. 140. 95 Ebd.
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damit abfinden, dass inzwischen ein Bedeutungswandel eingetreten ist, der einer erneuten, anders gearteten, positiven Füllung des Begriffs keine Chance lässt. Wer das Festhalten am Grundbestand des christlichen Glaubens einfach als „dogmatische Intoleranz“ bezeichnet, darf sich nicht wundern, wenn er gar kein Gehör mehr findet. Lortz erkennt, dass innerhalb von rein säkular orientierten Gesellschaften wie auch zwischen rein säkular orientierten Staaten ein Interessensausgleich möglich ist: „auf weite Sicht garantiert die Sorge für die Gemeinschaft und zwar auch die Sorge für den wirtschaftlichen und politischen Nachbarn das eigene Wohl am besten“96. Aber dieser Interessensausgleich ist natürlich durch egoistische Bestrebungen immer wieder gefährdet. Hier könnte der Einsatz des Christlichen durchaus eine gute stabilisierende Wirkung haben. Die Stärken der Lortz’schen Analyse liegen vor allem in den anfänglichen Ausführungen über die negativen Erscheinungen des Christentums, die es auf den ersten Blick ungeeignet erscheinen lassen, eine positive Rolle für das werdende Europa zu spielen, und in den abschließenden Äußerungen, die zeigen, dass es durchaus nicht nur eine Rolle spielen kann, sondern für ein zusammenrückendes Europa unverzichtbar ist. Wichtig ist ihm, dass sich das Christentum selbst auf dem Weg befindet, zu seiner Einheit zurückzukommen. Denn nur so ist es, nach Lortz, in der Lage, seine Aufgabe für Europa zu erfüllen. Dabei gelingt Lortz die Herausarbeitung theologisch ethischer Ansätze wesentlich klarer, als dass ein einsichtiges politisches Konzept sichtbar würde. Die Rolle, die dem Christentum auch nach Lortz in einem gemeinsamen Europa letztlich zufällt, läuft über den einzelnen Menschen, die christliche Persönlichkeit, nicht über einen christlichen visionären Staatsentwurf, der dann vielleicht mit großen Schmerzen realisiert werden müsste. Diese Einschätzung des Christentums teilt Lortz mit den meisten anderen, die sich in der frühen Zeit des Instituts für Europäische Geschichte zu Europa äußerten. Er verwendet zwar den Begriff des Abendlandes, vertritt aber keine abendländische Ideologie. Nicht das Abendland ist ihm wichtig, wichtig ist, dass die Völker Europas zusammenrücken können und dabei Strukturen und Situationen vorfinden, die ein menschliches und friedliches Zusammenleben gestatten. Es ist nur bedauerlich, dass Lortz seine Äußerungen in einer Art und Weise formuliert, dass aus ihnen gelegentlich nur schwach, gelegentlich aber auch gar nicht mehr hervorgeht, dass das Christentum die frohe Botschaft von einem Gott verkündet, der für den Menschen ist. Doch nur, wo das Berücksichtigung findet, kann das Christentum für Europa überhaupt eine positive Größe sein.
96
Ebd., S. 114.
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Im Februar 1956 fand der letzte Vortrag des Instituts zum Thema Europa statt. Aus den genannten Gründen verzögerte sich die Publikation der Vortragsreihe bis zum Jahre 195997. Danach schwieg das Institut für Europäische Geschichte zum Thema Europa. Damit nahm es teil an einer allgemeinen Europa-Müdigkeit, die nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge vom 25. März 1957 eintrat. Europa schien zum Selbstläufer zu werden, der zunächst ausschließlich nach Gesetzen der Wirtschaft funktionierte, die für geistige Einflüsse keinen Raum zu lassen schienen. Aber der Weg zu einer auch im politischen Bereich enger zusammenrückenden europäischen Völkergemeinschaft begann zunehmend konkretere Formen und Konturen erkennen zu lassen. Er fand im Institut erst 1996 wieder Beachtung98, als sich die Europäische Union bereits gegründet hatte.
Summary After World War II. many institutions were founded, which should help to avoid further wars and improve the situations among peoples and nations. The Institute of European History belongs to these institutions. According to the name and according to the statutes this institution should do research on Europe, especially the history, the culture and the religion. The first time, when the public could notice, that Europe was a main subject of this newly founded institution was during the official opening of the Domus Universitatis, where this institution should get its working place. There, Martin Göhring, the director of the section for „Universalgeschichte“ (universal history) and Joseph Lortz, the director of the section for „Abendländische Religionsgeschichte“ (history of occidental religion) stressed, that Europe is a cultural name, that includes America and all those places in the world, where the spirit of the old Greeks and Romans and the influence of the Christendom has determined the life of human beings and states. In order to overcome the difficulties of the time, to stop bad developments in the society, to raise the level of understanding among peoples and nations, they considered a renewed Christendom as the only power that could send into reality improvements like this. In March 1955 a conference „Europe heritage and commitment“ was held in the castle of Mainz with more than 320 participants of 16 countries. They discussed Europe and the history of good traditions that should be renewed and continued. Here also the Christendom was regarded as the decisive po97 98
Vgl. Anm. 20. Vgl. Anm. 3.
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wer, especially holding together the peoples of the free part of Europe and enables them to fight the communism. The series of lectures held two years later came to the same conclusion. Only the way making the Christendom able to fulfill such an enormous work was regarded differently.
ANDERE BEITRÄGE Testfall Rhein. Eine Fallstudie zur Geschichte europäischer Kooperation und Integration nach 1945 Von
Hein Hoebink I. Politikwissenschaftliche Theorien der europäischen Integration und geschichtswissenschaftliche Idiographie Anders als in der Politikwissenschaft weit verbreitet, wird in der Geschichtswissenschaft nicht gleich oder doch immerhin nicht wie selbstverständlich ein gedanklich oder konzeptionell eigenständiger Zugang zu einem Untersuchungsgegenstand zur „Theorie“ erhoben. Anders als in der Politikwissenschaft müssen daher in der Geschichtswissenschaft nicht immer wieder Theorien geändert, widerrufen, neu ausgegeben oder neu kreiert werden, die im Prozess der Verfertigung wissenschaftlicher Gedanken und Darlegungen an der Lebensvielfalt und der Fülle von Szenarien auf öffentlichem, nicht zuletzt politischem Parkett gescheitert sind. Allein schon der Tross an unterschiedlichen Theorien der europäischen Integration, den die Politikwissenschaft in ihre wissenschaftliche Beschäftigung mit einem sowohl als Verlauf wie als Zustand zu verstehenden Untersuchungsobjekt „europäische Integration“ immer wieder heranträgt1, nährt nicht die Überzeugungskraft politikwissenschaftlicher Epistemologie. Anders als die Politikwissenschaft gibt sich die Geschichtswissenschaft, auch nach den nur wenige Jahrzehnte zurückliegenden Jahren der Entwicklung und Entfaltung subtiler Theorien der Geschichtswissenschaft, in erster Linie mit einem vergleichsweise einfachen Erkenntnisinteresse zufrieden: der Historiker will, bei aller Vielfalt unterschiedlicher Positionen und Perspektiven, wenigstens eine glaubwürdige, belegbare und intersubjektiv vermittelbare Vorstellung davon gewinnen, „wie es eigentlich gewesen ist“2, weil er als Gralshüter der 1
Vgl. dazu Theorien europäischer Integration, hrsg. von Wilfried Loth und Wolfgang Wessels, Opladen 2001; Theorien der europäischen Integration, hrsg. von Hans-Jürgen Bieling und Marika Lerch, Wiesbaden 2005; Anne FABER, Europäische Integration und politikwissenschaftliche Theoriebildung. Neofunktionalismus und Intergouvernementalismus in der Analyse, Wiesbaden 2005. 2 So bekanntermaßen Leopold VON RANKE in seiner „Vorrede zur ersten Ausgabe, October 1824“, von „Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494–1514“, in: Sämtliche Werke, Bände 33–36, Leipzig 31885; S. V–VIII (hier S. VII).
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Vergangenheit einen Reichtum an Wissen und Erfahrungen bewahren will, der die Gestaltung der Zukunft zu qualifizieren in der Lage ist. Allerdings zieht die Geschichtswissenschaft heute bei ihrer Arbeit ein sehr viel differenzierteres methodisches Rüstzeug heran als in der Vergangenheit3. So kann sich die Geschichtswissenschaft heute beispielsweise ganz selbstverständlich wissenschaftlicher Theorien als Hilfsmittel zur Erfassung, Beschreibung, Untersuchung und Auswertung ihrer zeitlich und räumlich abgegrenzten wissenschaftlichen Gegenstände bedienen. In diesem Sinn ist auch eine Historiographie der europäischen Integration grundsätzlich offen für die Auseinandersetzung mit politikwissenschaftlichen Theorien der Integration – jedenfalls soweit sie die Zugangswege stützen und ebnen können, auf denen sich der Historiker der Überlieferung nähert, die den substantiellen Fundus seiner Ausführungen liefert. II. Auf- und Ausbau grenzüberschreitender, europäischer Kooperation zum Schutz des Rheins Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Verlauf multilateraler, grenzüberschreitender Kooperation in einer gemeinsam interessierenden, gern als „europäisch“ apostrophierten Angelegenheit, die mehr und mehr unter den integrativen Einfluss einer europäischen Umwelt- und Gewässerpolitik geriet, seitdem diese, wie noch des Näheren zu zeigen sein wird, mit Beginn der 70er Jahren des 20. Jahrhunderts Konturen gewann und zu einem zentralen Element des (politisch)4 integrierten, mit Gemeinschaftsorganen und -institutionen ausgestatteten, im Prozess der (politischen) Vereinigung mit mehr oder weniger großem Erfolg weiter voranschreitenden Europa wurde. An der Kooperation zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung haben nicht nur die nationalen Vertreter von EG-Mitgliedsstaaten teilgenommen. Deshalb hat sich die Europäische Kommission der Europäischen Gemeinschaft(en) seit Mitte der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts an dieser Kooperation beteiligt5. Die Bundesrepublik war in dieser Kommission federführend 3 Nähere Auskünfte darüber geben auf schnelle, aber doch insgesamt vorzügliche Weise neuere Veröffentlichungen zur Einführung in die Geschichtswissenschaft. Verwiesen sei auf: Geschichtswissenschaften. Eine Einführung, hrsg. von Christoph Cornelißen, Frankfurt a. M. 32004; Lutz RAPHAEL, Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart, München 2003; Gabriele METZLER, Einführung in das Studium der Zeitgeschichte, Paderborn 2004; Achim LANDWEHR, Stefanie STOCKHORST, Einführung in die europäische Kulturgeschichte, Paderborn 2004. 4 Siehe dazu Peter KRÜGER, Das unberechenbare Europa. Epochen des Integrationsprozesses vom späten 18. Jahrhundert bis zur Europäischen Union, Stuttgart 2006, S. 17. 5 Siehe die Zusatzvereinbarung zu der in Bern am 29. April 1977 unterzeichneten Vereinbarung über die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung vom 3. Dez. 1976, in: Amtsblatt L 240 vom 19. Sep. 1977, S. 35–52.
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durch den Bund, aber darüber hinaus seit Ende 1958 auch durch die auf ihre speziellen Rechte pochenden Bundesländer vertreten6. 6
Was Fachleute schon gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erneut monierten und einschlägig seit Mitte der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts bekannt war, wurde 1958 in einer Reihe von Artikeln unterschiedlicher Tageszeitungen einer breiten Öffentlichkeit mitgeteilt: Der Rhein war eine europäische Kloake und stank von Basel bis Rotterdam. „Der Rhein darf nicht schmutziger werden“, hieß es am 13. Juni 1958 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Immerhin sei der Rhein ein „lebenswichtiger Faktor für die Wirtschaft der sechs Anlegerstaaten Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Belgien, Holland und Luxemburg“. Die Rheinische Post ergänzte diese Mitteilung am gleichen Tag mit ihren Informationen über die „Abwasser-Ströme“, die den Rhein verdreckten: „täglich werden 15 Millionen Kubikmeter Abwässer, die zuvor allerdings zu 73% in Kläranlagen aufbereitet worden sind, in den Rhein geleitet“ (vgl. die Dokumente in: Hauptstaatsarchiv Nordrhein-Westfallen [im Folgenden: HStA NW] 354 671). Längst hatte der eklige Zustand des Rheinwassers zu internationalen Aktivitäten geführt, längst aber waren auch die für den Rhein als Bundeswasserstraße zuständige Bundesregierung und die für die Gewässer im allgemeinen und für den Rhein im besonderen verantwortlichen Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland auf den Plan gerufen. Im Jahre 1956 legten die Rhein-Anlieger-Länder Sanierungspläne vor (siehe dazu insgesamt die Dokumente in HStA NW 354 671), und noch im gleichen Jahr, am 28. Aug. 1956, regte das Hessische Ministerium für Landwirtschaft und Forsten an, eine Arbeitsgemeinschaft der Länder zur Reinhaltung des Rheins zu bilden (siehe Schreiben an verschiedene Landesministerien vom 30. Nov. 1956 in HStA NW 354 672). Eine erste, konstituierende Sitzung dieser Arbeitsgemeinschaft der Länder zur Reinhaltung des Rheins fand am 1. März 1957 in Karlsruhe statt (vgl. die Niederschrift vom 11. März 1957 in HStA NW 354 671). Mit ihr war eine institutionelle, qualifizierte und zugleich programmatische Basis geschaffen worden, die deutschen Bundesländer in Kenntnis der Bestimmungen des Grundgesetzes (dort bes. Art. 72–75) und des Lindauer Abkommens vom 14. Nov. 1957 (Verständigung zwischen der Bundesregierung und den Staatskanzleien der Länder über das Vertragsschließungsrecht des Bundes vom 14. Nov. 1957, im Wortlaut wiedergegeben unter: www.lexexakt.de/glossar/lindauerabkommentxt. (Stand 17. Aug. 2006) auch an den internationalen Beratungen zum Schutz des Rheins gegen Verschmutzung zu beteiligen (vgl. die Vorlage für den Minister vom 30. Nov. 1957, in HStA NW 354 671). Am 16. Sept. 1959 bildete sich dann eine Deutsche Kommission zur Reinhaltung des Rheins (DKRR) aus Länder- und Bundesvertretern (siehe Vermerk vom 3. Okt. 1959 in: HStA NW 354 691). In Ihrem Statut vom 19. Nov. 1963 wurde festgelegt, dass „die in der Deutschen Kommission vertretenen Länder […] zwei Mitglieder (benennen), die bis zum Erlass eines Statuts der Internationalen Kommission für den Schutz des Rheins gegen Verunreinigung als Experten an den Sitzungen der Internationalen Rheinschutzkommission teilnehmen können. Nach Erlass des Statuts sollten die Länder zwei Delegierte und die zur Unterstützung dieser Delegierten nötigen Experten“ (Statut in HStA NW 354 691 und in NW 455 93) entsenden können. Bei diesen Bestimmungen konnte das Statut auf einen längst eingetretenen Zustand Bezug nehmen, waren Ländervertreter als Experten doch schon zur Duisburger Kommissionssitzung vom Okt. 1958 (14.–16. Okt.) zugelassen worden (vgl. den Bericht über die Duisburger Tagung in: HStA NW 354 698). Der Vorsitz der Deutschen Kommission zur Reinhaltung des Rheins lag nach dem Statut bei den beteiligten Ländern. Diese wiederum hatten sich zum 1. Jan. 1963 zu einer Arbeitsgemeinschaft der Länder zur Reinhaltung des Rheins (ARGE Rhein) zusammengeschlossen (vgl. dazu die Angaben sowie die aktuellen Statute von DKRR und ARGE Rhein unter www.dkrhein.de). Das vorab angesprochene Statut der Internationalen Kommission (IKSR) wurde als zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden und der Schweiz geschlossene Vereinbarung über die Internationale Kommission zum
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Als einer für die internationale Schifffahrt, für die Wirtschaft sowie für rd. 50 Millionen Wasser gebrauchende und abführende Bürger7 so wichtigen „Bindung Europas“8 von 1320 km Länge, mit einem grenzüberschreitenden, europäischen Einzugsgebiet von rd. 200.000 km2, war9 dem Rhein schon gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder besondere Aufmerksamkeit zuteil geworden. Daran hatten die Niederlande gehörigen Anteil, die bis auf den heutigen Tag (Anfang 2008) in Europa ein umweltpolitischer Pionier und „a net exporter of environmental policy concepts“10 geblieben sind. Als die seinerzeitige Gesandtschaft der Niederlande in Bern dem Politischen Departement der Schweiz die niederländische Note vom 25. Juli 1946 unterbreitete11 und die Verschmutzung des Rheinwassers, insbesondere aber die Einleitung von Salzen und Phenolen beklagte, griffen die Niederlande Schutz des Rheins gegen Verunreinigung realisiert, am 29. April 1963 in Bern unterzeichnet (Berner Abkommen; Berner Übereinkommen), am 7. Okt. 1965 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht (BGBl II 1965, S. 1433f) und am 1. Mai 1965 in Kraft gesetzt. Das Berner Übereinkommen zum Schutz des Rheins vom 12. April 1999 hat es vom 1. Jan. 2003 an ersetzt. Siehe dazu und zu seiner Vorgeschichte den Überblick bei M. André BOYER, Rapport, fait au nom de la commission des Affaires étrangères, de la défense et des forces armées […] sur le projet de loi, Adopté par assemblée nationale, autorisant l’approbation de la convention pour la protection du Rhin (ensemble une annexe et un protocole de signature). Sénat. Session ordinaire de 2001–2002, No 266, S. 11–17. 7 Zu den den Rhein und sein Einzugsgebiet betreffenden Zahlen vgl. die Angaben bei Koos WIENCKS/Anne SCHULTE-WÜLWER-LEIDIG, Integrated water management for the Rhine river basin, from pollution prevention to ecosystem improvement, in: Natural Resources Forum 2 (1997), S. 147–156 (hier S. 147). 8 Der Präsident der Handelskammer von Rotterdam, Karel Paul van der MANDELE, hielt am 20. Jan. 1949 in der Universität Köln einen Vortrag über das Thema: Der Rhein, die Bindung Europas. Text in: Bundesarchiv [im Folgenden: BA] Koblenz B 108 3440. Als Bindung, nicht als Grenze, wollte der Gründer der französischen Annales-Schule, Lucien FEBVRE, den Rhein bereits 1931 sehen. Vgl. sein im Jahre 1931 erstmals erschienenes, später auch ins Deutsche übersetztes und im Jahre 2006 in 3. Auflage in Deutschland zu erhaltendes Buch: Le Rhin. Historique, mythes et réalités, Strasbourg 1931; siehe ergänzend die Hinweise bei Peter SCHÖTTLER, Die deutsche ‚Westforschung‘ der 1930er Jahre zwischen ‚Abwehrkampf’ und territorialer Offensive, in: Barbara HENKES, Ad KNOTTER, De Westforschung en Nederland, in: Tijdschrift voor Geschiedenis 118/2 (2005), S. 158– 168 (Anm. 16, S. 163). 9 Anne Schulte-Wülwer-Leidig rechnet von den rd. 200.000 km2, die das Einzugsgebiet des Rheins umfasst, 106.000 km2 Deutschland, 34.000 km2 den Niederlanden, 28.000 km2 der Schweiz, 24.000 km2 Frankreich, 2.500 km2 Luxemburg, 2.400 km2 Österreich, 800 km2 Belgien, 160 km2 Liechtenstein und 70 km2 Italien zu (vgl. Anne SCHULTE-WÜLWERLEIDIG, Die IKSR und die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie in der Flussgebietseinheit (FGE) Rhein, in: KA–Abwasser Abfall 4 [2005], S. 379–382 [hier S. 379]). 10 Vgl. den Beitrag von Duncan LIEFFERINK, The Netherlands: a net exporter of environmental policy concepts, in: European environmental policy. The pioneers, hrsg. von Mikael Skou Andersen und Duncan Liefferink, New York 1997, S. 210–250 (hier S. 210). 11 Siehe dazu die Darlegungen von Fischereiinspektor Alfred Matthey-Doret, Chef des Eidgenössischen Amtes für Gewässerschutz, zur „Entstehungsgeschichte der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung“ vom 3. Dez. 1959, in: BA Koblenz B 106 43956.
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gegenüber der Schweiz, die neben Deutschland ihr Vertragspartner des am 30. Juni 1885 abgeschlossenen Vertrages „betreffend die Regelung der Lachsfischerei im Stromgebiete des Rheins“12 geworden war13, nur einen bereits vorab angeprangerten Missstand auf: so machte die niederländische Gesandtschaft in Berlin dem deutschen Außenministerium in einer Note14 vom 7. Oktober 1921 Bericht „über die Verunreinigung des Rheins […], die an vielen Stellen infolge des Ablassens von nicht oder unvollständig gereinigtem Kloaken- und Fabrikwasser vorkommt“. Diese Verunreinigung sei, so hieß es weiter, „an sich schon für die Erhaltung des Fischbestandes im Rhein und besonders für den Lachsbestand im Rhein als nachteilig anzusehen“ und beeinträchtige „auch das Wasser des Rheins in den Niederlanden“ sowie den Geschmack der Fische15. Einige Jahre später war es dann etwa der Direktor des „holländischen Reichsbüros für die Trinkwasserversorgung Prof. Dr. Krul“, der auf der 78. Jahrestagung des Deutschen Vereins von Gas- und Wasserfachmännern eine „Zusammenarbeit der Rheinuferstaaten zum Zweck der Reinhaltung des Rheins“ anregte16 und damit auf deutscher Seite durchaus auf Resonanz stieß, wurden doch nach dem Stand von 1934 „die Abwässer von etwa 12,9 Mill. Menschen“ in den Rhein geleitet17. Gleichwohl hielt 12 13
Abgedruckt in Reichsgesetzblatt 1886, S. 192–198. Frankreich trat dem Vertrag mit Erlass vom 7. Mai 1946 bei; siehe den Bericht über die internationale Lachskonferenz vom 26. Aug. 1948, S. 4, in: BA Koblenz B 106 43956. 14 Zu den – niederländische offizielle Stellen und niederländische Wasserwerke betreffenden – Voraussetzungen und Umständen dieser Note vgl. S. 58 der Ausführungen von Cornelis DISCO, die er anlässlich der vom Internationalen Forschungszentrum für Technik, Arbeit und Kultur (IFZ, www.ifz.tugraz.at) in Graz organisierten 6th International Summer Academy on Technology Studies vorgetragen hat. Diese unter dem Titel Urban Infrastructure in Transition: What can we learn from history? durchgeführte Veranstaltung fand vom 11.–17. Juli 2004 im österreichischen Deutschlandsberg statt. Der Titel des Vortrags von Disco war: The View from Below: Dutch Riverine Waterworks and the Struggle to Clean up the Rhine 1925-1975. Dieser Beitrag ist als pdf-Datei erhältlich im Internet unter www.ifz.tugraz.at/index_en.php/article/articleview/658/1/30/. Stand 27. Jan. 2007. Inhaltlich ist dieser Beitrag weitgehend identisch mit und in den hier interessierenden Punkten nicht abweichend von einem Redebeitrag, den Cornelis DISCO 2006 unter dem Titel Accepting Father Rhine? Technological Fixes, Vigilance, and Transnational Technopolitics as ‚European’ Strategies of Dutch Municipal Water Supplies 1925–1975, im finnischen Lappeenranta geliefert hat. Anlass war die von dem South Karelian Institute der Lappeenranta University of Technology veranstaltete Second Plenary Conference of the Tensions of Europe Network and Launch of the Tensions of Europe Research Programme. Diese Konferenz fand vom 24.–28. Mai 2006 statt. Disco hielt seinen Beitrag am 25. Mai. 15 Note in niederländischer und deutscher Sprache in: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Aktenband des damaligen Sonderreferats Schifffahrt Nr. 141 I Bd. 1: Verminderung des Fischbestandes im Rhein durch Abwässer, heutige Archivnummer: R 124490. 16 Zu den Hintergründen und Umständen vgl. Cornelis DISCO, The View from Below: Dutch Riverine Waterworks and the Struggle to Clean up the Rhine 1925-1975, S. 60, im Internet unter www.ifz.tugraz.at/index_en.php/article/articleview/658/1/30/. Stand 27. Jan. 2007. 17 Vgl. die Niederschrift über die Besprechung der mit dem Rhein-Wasser beschäftigten Reichsressorts und Sachverständigen vom 28. April 1938, in: BA Koblenz B 106 43956.
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sich die deutsche Bereitschaft zur Zusammenarbeit aus politischen Gründen noch in engen Grenzen. Resümierend wurde festgehalten, dass es „die Ansicht der vertretenen Reichsressorts und der übrigen Anwesenden“ gewesen sei, „dass wir unsererseits eine Anregung Hollands abwarten könnten, und dass auf der anderen Seite die Verunreinigungen von der Schweiz und von Elsass-Lothringen her noch nicht so groß seien, dass eine Anregung von uns aus schon jetzt notwendig sei“.
In ihrem der Note vom 25. Juli 194618 beigefügten Memorandum hoben die Niederländer die wachsende Bedeutung hervor, die „der Rheinstrom […] zukünftig für die Wasserwirtschaft der Niederlande“ haben werde. Gleichzeitig aber sahen sie voraus, dass eine „überhandnehmende Industrialisierung Deutschlands und die damit zusammenhängende vermehrte Nutzung der Kohlenbergwerke“ die Verunreinigung des Rheines ebenso noch vermehren werde wie „die Ausbeutung der Kalibergwerke des Elsass“19. Was die Niederländer mit ihrer Note und mit ihrem Memorandum unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, noch vor Beginn der europäischen Wiederaufbauphase, zu Papier gebracht hatten, war unter den eingeweihten Fachleuten im Kern zweifellos unstrittig. Die Niederländer hatten ein zentrales Umwelt- und Ressourcenproblem angesprochen, dessen Verursacher in mehreren Staaten angesiedelt waren und von dem, auf unterschiedliche Weise, viele Privatpersonen, Institutionen und Unternehmen betroffen 18
Vgl. dazu DISCO, The View from Below (Anm. 16), S. 61, im Internet unter www.ifz. tugraz.at/index_en.php/article/articleview/658/1/30/. Stand 27. Jan. 2007. 19 Memorandum in deutscher Sprache in: BA Koblenz 43956.
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waren, die wiederum ebenfalls verschiedenen europäischen Staaten angehörten. Was sie vorgetragen hatten, warf allerdings komplizierte Fragen auf: Inwieweit konnte die Pflege der Umwelt und die damit verbundene Sorge um den Erhalt gebrauchsfähigen Süßwassers auf dem europäischen Kontinent, speziell aber in den am Rhein liegenden Staaten, als ein gemeinsames Anliegen gelten? Inwieweit war die europäische Sorge um das Trink- und Brauchwasser, das oftmals aus einer Quelle geschöpft wurde, selbst bei einer grundsätzlichen Bereitschaft zur grenzüberschreitenden Kooperation durch nationale Interessen bestimmt, so dass kein Konzept eines integrierten Umgangs sichtbar wurde, sondern stattdessen nur ein Arrangement maximal erreichbarer nationaler Vorteile? Inwieweit konnten die wissenschaftlichen Instrumente und Methoden, die zur Erfassung und Bemessung einer Verschmutzung des Wassers zur Hilfe genommen wurden, als wenigstens untereinander20 anerkannt gelten? Inwieweit war auf der Basis multilateral akzeptierter Vorgehensweisen überhaupt eine klare Beschreibung und Bilanzierung der Verschmutzung des Rheinwassers möglich und angestrebt? Was konnte im Fall festgestellter Verunreinigung des Rheinwassers zur Sanierung und Verhütung von Schlimmerem geschehen? Welche Handhabung bot das Völkerrecht21, das bis dahin als einziges internationales Recht zur Regelung 20 Bezüglich einer Organisation des Gewässerschutzes kam seinerzeit den USA eine Vorreiterrolle zu, wie Georges HOUSIAUX als Berichterstatter des Europarates für die Beratende Versammlung bemerkte: „Es ist signifikant, dass in den Vereinigten Staaten, wo die Probleme der Wasserverunreinigung bereits zu nationalen Problemen geworden sind, ein verhältnismäßig fortschrittliches System der rechtlichen und regierungsseitigen Kontrolle entwickelt worden ist, um mit dem Problem auf zwischenstaatlicher Ebene innerhalb des Bundes fertig zu werden“, in: Entwurf eines erläuternden Memorandums zu der Europäischen Konvention über die Süßwasserreinhaltung, vorgelegt 1968, Teil I, S. 3, in HStA NW 354 223). 21 In seinem Beitrag über die Entwicklung des internationalen Wasserrechts hat Paul Gieseke im Jahr 1967 zwei völkerrechtliche Grundpositionen beschrieben, die einander gegenüberstanden und in gegensätzlichen Theorien ihren Ausdruck fanden: Die „Souveränitätstheorie“ ging davon aus, „dass die unbeschränkte Herrschaft jedes Staates über sein Gebiet ihm alle Handlungen innerhalb seines Gebiets gestatte, auch wenn sie einem anderen Staat Schaden zufügten“: „qui suo iure utitur neminem laedit“. Die „Integrationstheorie“ unterstellte, dass sich „kein Staat Eingriffe in sein Herrschaftsgebiet gefallen lassen müsse, auch wenn sie im Gebiet eines anderen Staates vorgenommen wurden“: „sic utere tuo ut neminem laedas“. Paul GIESEKE, Die Entwicklung des internationalen Wasserrechts, in: Schwerpunkte und Entwicklungslinien des Wasserrechts. 4 Vorträge, Köln [u. a.] 1967, S. 25–34 (hier S. 27). Die von Gieseke hervorgehobenen unterschiedlichen Grundpositionen konnten jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass sich das Völkerrecht auch Ende der 60er Jahre noch „in einem frühen Anfangsstadium“ befand und kaum in der Lage war, eine bereits 1911 beschriebene Situation zu verbessern: „Die Ausbeutung des Wassers zu industriellen, landwirtschaftlichen und sonstigen Zwecken [liegt] außerhalb der gesetzlichen Bestimmungen“. Siehe dazu HOUSIAUX, Entwurf (Anm. 20), Teil I, S. 2 und Teil II, S. 4). Darin ist in Teil I, S. 2 weiter zu lesen: „Obzwar die Wasserverunreinigung wie Schiffe und Luftfahrzeuge nicht an Staatsgrenzen Halt macht, ist noch kein internationales
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zwischenstaatlicher Angelegenheiten zur Verfügung stand?22 Wie konnten Vereinbarungen zur Reinhaltung oder zur Verbesserung des Rheinwassers durchgesetzt und ihre regelgerechte Anwendung kontrolliert werden? Nach welchem Prinzip waren die Kosten zur Reinhaltung oder Reinigung des Rheinwassers aufzuteilen: mussten die „Oberlieger“ die Kosten dafür tragen, dass „Unterlieger“ wie die Niederlande über den Zufluss sauberen Wassers verfügen konnten? Musste dementsprechend jeder Rheinanliegerstaat dafür aufkommen, dass das durchfließende Rheinwasser wieder „sauber“23 in den Nachbarstaat floss, oder musste die Last der Abwasserreinigung jeweils dort getragen werden, wo das Wasser verbraucht wurde? War ggfs. auch an eine partielle oder allgemeine Kostenteilung zu denken, die darauf aufbaute, dem Verursacher einer Wasserverschmutzung nicht allein die Kosten einer Reinigung aufzubürden, die einem unterliegenden Verbraucher nutzte? Gesetz über die Wasserreinhaltung geschaffen worden, das den internationalen Rechtsvorschriften für die Luft- und Seefahrt vergleichbar wäre“ (Entwurf in: HStA NW 354 223). Die schwache rechtliche Ausstattung des Wasserschutzes hatte zur Konsequenz, dass sich unterliegende Staaten nur im Falle „außergewöhnlicher Gefahr“ gegen Flussverunreinigungen wenden konnten (vgl. das Düsseldorfer Exposé vom 15. Jan. 1957 für „Herrn Abteilungsleiter“, in: HStA NW 354 671) und dass gegen Flussverunreinigungen selten Klagen erhoben wurden (dazu Paul-Martin SCHULZ, Reinhaltung des Rheins durch Rechtsschutz Betroffener, Bonn 1990, S. 100–116). 1968 konnte Housiaux noch resümierend feststellen: „Bisher ist noch kein Prozess wegen einer Flussverunreinigung beim Internationalen Gerichtshof oder irgendeinem anderen internationalen Gericht anhängig geworden“ (Entwurf, Teil II, S. 11, in: HStA NW 354 223); seine Ausführung fußte auf Feststellungen, wie er sie schon 1965 im Bericht der Beratenden Versammlung des Europarates über die Bekämpfung der Süßwasserverschmutzung in Europa (Dokument 1965, S. 35) niedergelegt hatte (vgl. die Druckfassung dieses Berichtes in: HStA NW 354 223, die vom Rat der Gemeinden Europas. Deutsche Sektion: Der Europäische Gemeindetag als Sonderdruck herausgebracht wurde). Auch Roland BUKSCH vermag als Geschäftsführer des Österreichischen Wasserwirtschaftsverbandes in seiner Auseinandersetzung mit „Rechtsproblemen der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Gewässerschutzes“ (in: VDG Mitteilungen, 10/11, 1956, S. 3f.) nur zu dem Schluss zu kommen, dass es das „Ziel der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft“ sein müsse, „dieses gegenseitige, von der Einsicht in die Bedürfnisse des anderen getragene Verständnis zu fördern“ (in: HStA NW 354 672). Ähnlich auch P. GRABMAYR, Wasserrecht und internationale Zusammenarbeit, in: Zeitschrift für Wasserrecht 2 (1969), S. 61–76 (hier S. 71–76). 22 An ein europäisches Gemeinschaftsrecht mochte noch niemand denken. Jahrzehnte später erst stellte Menno T. KAMMINGA die Frage „Who Can Clean up the Rhine: The European Community or the International Rhine Commission?“ (sein entsprechend betitelter Aufsatz in: The Legal Regime of International Rivers and Lakes, hrsg. von Ralph Zacklin und Lucius Caflisch, Den Haag [u. a.] 1981, S. 371–387). Und wiederum einige Jahrzehnte später, im Jahre 2005, gab ihm Götz Reichert darauf die einleuchtende Antwort, dass sich zunehmend die Erkenntnis durchsetze, „dass die völkerrechtlichen und die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zum Gewässerschutz nicht getrennt voneinander, sondern nur gemeinsam betrachtet werden können“ (Götz REICHERT, Der nachhaltige Schutz grenzübergreifender Gewässer in Europa. Die Entstehung eines völker- und europarechtlichen Umweltregimes, Berlin 2005, S. 327). 23 Im Sinn festgelegter Parameter.
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Unter den Umständen der frühen Nachkriegszeit war an umfängliche Antworten auf die verwickelten und in der Tat drängenden Fragen einer Zusammenarbeit auf dem Gebiet gemeinsamen Umweltschutzes, an eine „Erhaltung und den Schutz der Umwelt sowie die Verbesserung ihrer Qualität“ sowie an eine „umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen“, wie es in Anlehnung an Artikel 25 der Einheitlichen Europäischen Akte vom 17. und 28. Februar 198624 im Maastrichter Vertrag vom 7. Februar 1992 niedergelegt sein sollte25, gar nicht zu denken. Wenn mit der Verschmutzung des Rheins überhaupt ein brennendes Problem des europäischen Umweltschutzes auf die Tagesordnung internationaler Erörterungen kam, musste dies schon als ein Erfolg gewertet werden. Einen passenden Anlass bot die Internationale Lachskonferenz, zu der die Schweiz nach Basel eingeladen hatte. Offenbar durchaus im Einverständnis mit dem Gastgeber begrüßten die anwesenden Niederländer, aber auch französische Vertreter und die treuhänderisch für Deutschland handelnden Abgesandten der englischen, amerikanischen und französischen Besatzungsmacht26 am 26. August 1948 ausdrücklich, dass zukünftig über Abwasserfragen und speziell über die Reinhaltung des Rheins ein gemeinsames, europäisches, grenzüberschreitendes Gespräch geführt werden sollte. Die Delegationen empfahlen, auf die Trinkwasserversorgung besondere Rücksicht zu nehmen und die „bedeutenden Interessen der Hygiene und der Schifffahrt“ im Auge zu behalten. Daher sei „eine internationale Kommission für die Reinhaltung des Rheinstromes“ zu bestellen, die sich über bisherige „Erfahrungen und Veröffentlichungen über Fragen der Gewässerverunreinigung und deren Behebung“ austauschen, ein Abwasserkataster anlegen und die „Auswirkungen der Abwasser auf den Rheinstrom“ untersuchen sollte27. Die Thematisierung und Lösung weiterer Fragen, die mit der Verschmutzung des Rheins zusammenhingen, sah man offensichtlich jedenfalls vorläufig nicht als zeitgerecht an. Die mit der Federführung der anvisierten internationalen Kommission beauftragte Schweiz28 brauchte unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Welt24 25 26
Vollständig in: Amtsblatt L 169 vom 29. Juni 1987, S. 1–29. Art. 130r. Daraus wurde im Amsterdamer Vertrag vom 2. Okt. 1997 Art. 174. Der Vertreter der Bi-Zone machte seinerzeit sogleich klar, dass in der Zukunft Deutsche an seine Stelle treten sollten. 27 Bericht über die internationale Lachskonferenz vom 26. Aug. 1948 im Spiegelhof, Sitz der Kantonspolizei Basel-Stadt, Basel, in: BA Koblenz B 106 43956, S. 7–9; auch, aber in Details nicht immer ganz korrekt: Internationale Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung; Auszug aus dem Bericht über die Internationale Lachskonferenz vom 26. Aug. 1948 in Basel, in: HStA NW 354 691. 28 Vgl. den Bericht, den Alfred Matthey-Doret, Chef des Eidgenössischen Amtes für Gewässerschutz, am 3. Dez. 1959 über die Entstehungsgeschichte der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verschmutzung verfasste, in: HStA NW 354 672. Matthey-Doret konnte sich bei seinen Angaben auf die Absprachen stützen, die im Verlauf
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krieges einige Geduld, bis zwischen ihr und Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland, Luxemburg und den Niederlanden auf diplomatischem Weg in den Jahren 1949/50 Noten ausgetauscht29 und damit eine auf good will setzende30 Grundlage für eine internationale Rheinkommission geschaffen war. Am 11. Juli 1950, annähernd 134 Jahre, nachdem sich die in der Wiener Schlussakte von 1815 anvisierte Zentralkommission für die Rheinschifffahrt31 als erste internationale Rheinkommission am 15. August 1816 in Mainz konstituiert hatte32, nahm die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung als historisch zweite internationale Rheinkommission auf Einladung der Schweiz in Basel ihre Arbeit auf33. Die zurückliegenden Kriegszerstörungen und der bevorstehende wirtschaftliche Wiederaufbau gaben der Arbeit der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung (IKSR) von Anfang an eine brisante Note, zumal auch die Kläranlagen vom Krieg betroffen sein konnten und einer Erneuerung, Modernisierung oder Erweiterung dringend bedurften34. Dennoch ist die IKSR und ihre auch von den frühen Umweltbemühungen der UNO35 getragene Tätigkeit zumindest während der 50er Jahre weder in das Rampenlicht einer breiten Öffentlichkeit noch der politischen Bühnen Europas getreten. Die IKSR organisierte im Rückraum der großen Politik europäischer Kabinette grenzüberschreitend die Sorge um die Ressource Wasser und legte, nach sorgfältiger fachlicher Abstimmung, zunächst einmal physider Lachskonferenz getroffen worden waren. Vgl. dazu den Konferenzbericht in BA Koblenz B106 43956, S. 9. 29 Alle Noten in: BA Koblenz B 106 43956. 30 Entstehungsgeschichte, in: HStA NW 354 672; siehe auch SCHULZ, Reinhaltung des Rheins (Anm. 21), S. 11. 31 Auch Central Commission for Navigation on the Rhine/Commission Centrale pour la Navigation du Rhin/Centrale Commissie voor de Rijnvaart. Sitz: Palais du Rhin, Straßburg. Näheres unter www.ccr-zkr.org/ 32 Siehe dazu den Historischen Abriss unter: www.ccr-zkr.org/. Den Anstoß zur Suche nach einem solchen Abriss gab ein Hinweis auf die chronistischen Zusammenhänge bei Christoph BERNHARDT, Grenzregionen im Zeitalter des Kalten Krieges. Regionalentwicklung und Umweltpolitik an Rhein und Oder nach 1945, in: Europas Grenzen, hrsg. von Sabine Penth [u. a.], St. Ingbert 2006, S. 205–228 (hier S. 222). 33 Vgl. die von oder für Otto Jaag zusammengestellte Geschichte der ‚Rheinschutzkommission’, in: BA Koblenz B 106 43956; siehe auch (Otto) JAAG, Internationale Zusammenarbeit zur Reinhaltung des Rheinstromes, in: VDG Mitteilungen 10/11 (1956), S. 4–7 (hier, S. 5). 34 In einem Bericht aus dem Jahr 1955 wurde angegeben, dass im deutschen Niederschlagsgebiet des Rheins rd. 27,5 Mio. Menschen lebten. Das Abwasser von ca. 10,3 Mio. Bürgern wurde in Kläranlagen behandelt und gereinigt weitergeleitet. Allerdings ist ein nicht immer störungsfreier Betrieb der noch vorhandenen Kläranlagen in Rechnung zu stellen. „Erst seit 1948 […] gelang es auch auf diesem Gebiet systematisch zu arbeiten“, Bericht über Überlegungen und Bemühungen zur Reinhaltung des Rheins im Gebiet der Bundesrepublik vom 15. Sept. 1955, in: HStA NW 354 672. 35 Vgl. die Topic Timeline: Environmental Conservation, in: history.grand-forks.k12.nd.us/ NDhistory. Stand 25. Aug. 2006.
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kalisch-chemische Untersuchungen über den Zustand des Rheinwassers vor. Den ersten „großen Bericht“ stellte ihr seinerzeitiger Präsident, der Schweizer Professor Otto Jaag36, in zwei Beiträgen für die VDG Mitteilungen von 1956 vor37. „Die Untersuchung“, so Jaag, „habe gezeigt, wie die Verunreinigung des Rheins durch verschiedene Abwasserstoffe auf dem untersuchten Laufe“ von dem nördlich des Bodensees gelegenen, sich zwischen Konstanz und Stein am Rhein hinziehenden Untersee bis in die niederländische Nordsee „im allgemeinen, und streckenweise in beängstigender Weise“ zunehme. Insbesondere sei der Chloridgehalt und die Chloridfracht des Rheines deutlich angestiegen und erreiche jenseits der deutsch-niederländischen Grenze bei Lobith mit durchschnittlich 205 kg/sek. eine solche Höhe, dass pro Tag der Transport von etwa 29000 Tonnen Kochsalz anzuzeigen sei. Damit habe sich die Versalzung des Rheinwassers seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts mehr als verfünffacht38. 5% der den Rhein belastenden Chloridfracht gingen auf das Abwasser aus den Wohnsiedlungen zurück, die zum Rhein hin gelegen seien. 95% der Chloridfracht müssten hingegen den natürlichen Ausspülungen des Rheins, vor allem aber „den Abwässern aus Bergbaugebieten (insbesondere aus den [seit 1913 betriebenen, H. H.]39 Kalibergwerken am Oberrhein und Grubenabwässern des rheinisch-westfälischen Kohlengebietes) sowie aus der vielgestaltigen Industrie stammen, worunter die Sodafabriken offenbar eine besondere Rolle spielen“40. Neben den Chloridionen, so Jaag weiter, seien es nicht zuletzt organische Stoffe mit nennenswertem Sauerstoffbedarf, die das Selbstreinigungsvermögen des Rheins erschöpften. Am Ausfluss des Untersees sei der Rhein noch mit Sauerstoff übersättigt, an der deutsch-niederländischen Grenze belaufe sich der Sättigungsindex jedoch nur noch auf 59%.
36 Jaag, 1900 geb., gest. 1978, war einer der ersten und einflussreichsten Hydrobiologen Europas. Von 1945 bis 1963 war er Hochschullehrer für spezielle Botanik, dann bis 1970 Hochschullehrer für Hydrologie, Abwasserreinigung und Gewässerschutz an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. 1950–Ende 1959 war Jaag Präsident der IKSR, vgl. www.ethbib.ethz.ch/aktuell/galerie/jaag. Stand 5. Jan. 2006. 37 Otto JAAG, Die Internationale Kommission zum Schutze des Rheins an der Arbeit, in: VDG Mitteilungen 4/5 (1956), S. 5 f; JAAG, Internationale Zusammenarbeit (Anm. 33), S. 4–7. 38 Nach einer anderen Übersicht muss sogar von einer weit höheren Zunahme der Salzfracht ausgegangen werden. Diese Übersicht gilt allerdings nicht dem Kochsalz, also dem Natriumchlorid, sondern der Gruppe der Chloride, und umfasst die Zeit von 1875 bis 1958. In ihr wird, bezogen auf die Stadt Mannheim, für Sept. 1907 eine Chloridfracht von 3,17 kg/sec angegeben, für Okt. 1955 eine Fracht von 115,0 kg/sec. Übersicht in: HStA NW 354 693. 39 Vgl. die Angabe bei SCHULZ, Reinhaltung des Rheins (Anm. 21), S. 13. 40 JAAG, Die Internationale Kommission (Anm. 37), S. 5.
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Schließlich spiele der „Gehalt des Rheinwassers an Phenolen“ – früher hätte man gesagt: an Karbolsäure – aus Kokereien oder etwa auch Gaswerken eine nennenswerte Rolle. Was aus dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet in den Rhein fließe, führe zu üblem Geruch des Wassers. Zusammenfassend sei im Untersuchungsbericht der IKSR zu lesen: „Der Rhein ist [...] im besonderen im Unterlauf so schwer belastet, dass alle nur irgendwie geeigneten Maßnahmen ergriffen werden müssen, um so schnell wie möglich eine Besserung der Verhältnisse herbeizuführen“41.
Zu den von Jaag ins Visier genommenen Maßnahmen rechnete er selbst offenbar auch weitere Untersuchungen, die das „noch nicht vollständige, so doch vorläufig genügende Bild über den physikalisch-chemischen Zustand des Rheinwassers“42 zu verfeinern in der Lage seien, das der Bericht der IKSR von 1955 lieferte. Sie wurden rasch angegangen, und so konnte Jaag noch 1956 resümierend berichten, dass 1. der Rhein zwischen dem Untersee und der Nordsee nach aktuellen Feststellungen so sehr organisch verschmutzt werde, dass sein Wasser pro Kubikzentimeter „hundert- oder zweihunderttausend und mehr Keime“ aufweise. Der Strom sei „mit Abwässern schwer belastet“, und so sei die Verhängung eines Badeverbotes „nicht verwunderlich“43; 2. die Anreicherung des Rheinwassers mit Sauerstoff flussabwärts drastisch abnehme. Liege der Sauerstoffsättigungswert am Untersee noch bei 108%, so sinke er auf unter 60% an der deutsch-niederländischen Grenze. „Im Niederrhein (bestehe) bereits ein mittleres Sättigungsdefizit von 41%“ und ein solches Gewässer sei „nicht mehr in Ordnung“44; 3. am Ausgang des Untersees im Jahresmittel ein Chloridgehalt des Rheinwassers von 2,9 mg/l gemessen worden sei, der in Höhe der niederländischen Messstelle Lobith bis auf 162, 6 mg/l angestiegen sei. Dies bedeute, dass der Rhein tagtäglich die schon einmal benannte Menge von 29000 Tonnen Kochsalz befördern müsse. „Um diese Salzmenge auf dem Schienenweg zu transportieren, wäre alle 20 Minuten bei Tag und bei Nacht ein
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Bericht von 1955, zit. nach ebd., S. 5. Ebd. Ebd. Ebd. Allerdings hat das Rijksinstituut voor zuivering van afvalwater in Voorburg im Jahre 1963 eine Untersuchung vorgelegt, der mit Bezug auf die Situation an der deutschniederländischen Grenze keine so ungünstigen Sauerstoffwerte zu entnehmen sind. Hier werden für 1954 Sauerstoffdefizite von 1,5–4,6 mg/l angegeben. Das aber dürfte eher für eine geringe bis mäßige Belastung stehen. Vgl. die niederländische Übersicht in HStA NW 354 693 sowie die Bewertungshinweise bei Florian STRECKER, Versuche zur Bestimmung des biochemischen Sauerstoffbedarfs, S. 13; als pdf-Datei im Internet unter www.mjonet. de/facharbeiten/bsb.pdf. Stand 26. Aug. 2006.
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Eisenbahnzug von 50 Güterzügen à 10 Tonnen erforderlich“45. Der Rhein überschreite zeitweilig „die in Europa und Amerika geltenden Normen“46 für Trinkwasser erheblich. Obwohl jenseits einer zulässigen Chlorid-Obergrenze von 250 mg/l47 das Wasser nach Salz schmecke, steige der Chloridgehalt des Rheinwassers gelegentlich auf bis zu 300 mg/l an. Daraus erwüchsen für die Trinkwasserversorgung am Niederrhein und in den Niederlanden „beinahe unüberwindbare Schwierigkeiten“; zudem würden der Landwirtschaft in den Niederlanden „schwere Schäden“ zugefügt, weil salziges Rheinwasser das Wachstum der Pflanzen beeinträchtigen könne48; 4. die aus Gaswerken, Kokereien und anderen Industrieunternehmen stammenden Phenole im chlorierten Rheinwasser „übelriechende Chlorphenole“49 bildeten; 5. das in das Rheinwasser abgelassene Öl noch ein besonderes Thema darstelle50. Zur Bewältigung der Umweltprobleme des „europäischen Rheins“51 schlug Jaag voller Enthusiasmus die Implementierung einer internationalen Reinhalteordnung sowie die Gründung einer überstaatlichen „Rhein-Union“ zur Sanierung des Rheinwassers vor. Der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung legte er zudem nahe, die Funktionen „einer Art Rhein-‚River-Board’“52 zu übernehmen. Aber dies waren Träume und Hoffnungen des Fachmannes, die sich letztendlich auf den Spielplänen politischer Bühnen Europas nur schwer durchsetzen konnten. Es sollte noch viele Jahre dauern, bis eine öffentlich angefachte ökologische Sorge um den Rhein und darüber hinaus um die Ressource Wasser über die Wege des Europarates und dann über die Wege der Europäischen Gemein45 JAAG, Internationale Zusammenarbeit (Anm. 33), S. 5. 46 Ebd., S. 6. 47 Einem Bericht über die 22. Tagung der IKSR am 15./16.
Nov. 1967 in Rotterdam ist zu entnehmen, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO, World Health Organisation) inzwischen die Grenznorm für den zulässigen Chloridgehalt auf 200mg/l gesenkt hatte. Vgl. die Niederschrift über das Ergebnis der 20. Sitzung der Deutschen Kommission zur Reinhaltung des Rheins am 30. April 1968 in Bonn, S. 4, in: HStA NW 354 692. 48 JAAG, Internationale Zusammenarbeit (Anm. 33), S. 6. 49 Ebd. 50 In der Tat wird das Thema „Bilgenöl“ und „Verschmutzung des Rheinwassers durch Öl“ in der Literatur und vor allem auch in den mit der Rheinwasserverschmutzung beschäftigten Gremien jeweils gesondert behandelt, weil es mit den speziellen Belangen der Schifffahrt und deren Unfällen in Zusammenhang steht. Es ist daher auch in diesem Beitrag außer besonderem Betracht gelassen worden. 51 So der Titel eines Aufsatzes von Otto MOST aus dem Jahr 1957 in: Mannheim. Wahrzeichen des europäischen Rheines 1607–1957. Der Stadt Mannheim zum 359-jährigen Bestehen überreicht durch die Deutsch-Niederländische Handelskammer, Den Haag 1957, S. 48–51. 52 JAAG, Internationale Zusammenarbeit (Anm. 33), S. 6.
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schaft zu einer umfassenden gemeinschaftlichen Aufgabe mit gemeinschaftlichen Zielsetzungen und gemeinschaftlichen Instrumentarien würde ausgestaltet werden können. Anzumerken bleibt, dass ein so renommierter Wasserexperte wie Otto Jaag keineswegs nur ein Streiter in Expertenzirkeln war. Sein Anliegen fand durchaus auch außerhalb einschlägig bewanderter Fachgruppen Resonanz. So forderte der schon einmal erwähnte Karel Paul van der Mandele als Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Rotterdam und zugleich als Präsident der 1949 gegründeten Vereinigung der Handelskammern des Rheingebietes auch in unternehmerischem Interesse dazu auf, mit dem für die wirtschaftliche Produktion so außerordentlich wichtigen Element Wasser grenzüberschreitend sorgsam umzugehen und den Rhein rein zu halten. Es gehöre „zu den Lebensfragen West-Europas, die wir aus Selbsterhaltungstrieb zu lösen haben und die uns beinahe automatisch einem regionalen gemeinnützigen Verband, einer funktionellen Rheingemeinschaft“53 näher bringt, sich für einen „schone Rijn van Rotterdam tot aan de Oberalppass“54 einzusetzen. Mandele sah dabei sehr wohl auch, dass man sich zukünftig weniger denn je darauf würde zurückziehen können, mit Blick auf die Vergangenheit über die Verschmutzung des Rheinwassers der Gegenwart zu klagen. Dringend erforderlich schien, für die Zukunft sicherzustellen, dass „unser Lebensquell nicht zur Kloake Europas wird“55. Dies freilich erfordere erhebliche finanzielle Mittel. Sie seien über einen „allgemeinen Lastenausgleich“ und über „Gebühren für Gebrauch und Verunreinigung“ aufzubringen. Zur Organisation der Fürsorge für das Rheinwasser schlug er, anders als Jaag, ausdrücklich kein „supranationales Organ mit einer Hohen Behörde“ vor, sondern aus wirtschaftlicher Sicht einen „funktionellen Zweckverband der rheinischen Wasserwirtschaft“. Es lag ihm offenbar im Interesse der rheinanliegenden Unternehmen daran, auf die nach aller Voraussicht gewiss auch finanziell belastende Gestaltung von Maßnahmen der Abwasserbeseitigung und Wasserreinigung so weit wie möglich Einfluss zu bewahren. Ebenso wenig, wie es zu einer aquatischen „Rhein-Union“ gekommen ist, ist ein „funktioneller Zweckverband“ gegründet worden. Dazu lagen die in Europa geltenden wasserrechtlichen Bestimmungen56 sowie die nationalen, 53 Karel Paul van der MANDELE, Haltet den Rhein rein!, in: Mannheim (Anm. 31), S. 37– 43 (hier S. 37). 54 So der Titel eines Aufsatzes von Astrid VAN UNEN/Daan ZUIJDERWIJK (Fotografie), in: People Planet Profit, Autumn 2003, S. 42–48. 55 MANDELE (Anm. 53), Haltet den Rhein rein!, S. 39. 56 Vgl. dazu die vorzügliche Darstellung von H. E. VOGEL, Gesetzesgrundlagen über Wasserhaushalt und Gewässerschutz in Europa, in: Neue Zürcher Zeitung vom 28. Feb. 1962, Beilage Technik hrsg. von Otto Jaag, Nr. 771–775, Blatt 8; auch: Jürgen SALZWEDEL, Die Wasserrechtssysteme der EWG-Mitgliedsstaaten, in: Das Recht der Wasserwirtschaft, Köln [u. a.] 1969, S. 21–46.
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regionalen und partikularen wirtschaftlichen und umweltpolitischen Interessen zu weit auseinander. Einig waren sich die Rheinanliegerstaaten und die in der IKSR kooperierenden Partner nur in dem grundlegenden Statement, dass die Verschmutzung des Rheinwassers ganz besonders in der Zeit einer boomenden Wirtschaft für die anwohnenden Menschen wie für die anliegenden Wirtschaftsbetriebe, gleich welcher Nationalität, ein ernsthaftes Problem darstelle, das neben grenzüberschreitender Kooperation handfeste Maßnahmen auf nationaler sowie ggfs. auch regionaler Ebene erfordere. Der Rhein durchfließt auf rd. 200 km schweizerisches, auf rd. 800 km deutsches57 und auf rd. 320 km, sich zum „Großen Delta“ verzweigend, niederländisches Staatsgebiet. Da liegt es nahe, dass gerade die über eine lange Strecke mit dem Rhein verbundene deutsche Seite bereits im Verlauf der 50er Jahre viel getan hat, um der Belastung des Rheins durch einströmendes Abwasser aus Privathaushalten und Industriebetrieben Herr zu werden und die Umweltbelastung des Rheins erfolgreich zu reduzieren. Nach einer Meldung der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 20. Okt. 1956 hatte sich der niederländische Staatskommissar für Wasserfragen, Kroel, gerade erst davon überzeugt, „dass die westdeutschen Stromanlieger ernsthaft die Reinhaltung des Rheinstroms erstreben“, und daher davon abgeraten, eine zunächst ins Auge gefasste niederländische Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Schadenersatz wegen eines durch die Rheinverschmutzung „verursachten Rückgangs der Fischereierträge“58 weiter zu verfolgen. Dabei standen die für Wasserfragen verantwortlichen rheinanliegenden Bundesländer im Jahr 1956 gerade erst im Begriff, erste Sanierungspläne umzusetzen, die sie mit Sachverstand und beachtlichem umweltpolitischem Einsatz aufgelegt und international abgestimmt hatten. Einer Übersicht aus dem Jahre 1959 ist zu entnehmen, dass zwischen 1950 und 1959 insgesamt 2.370 Mrd. DM für den Bau von „Reinhaltemaßnahmen im Rheingebiete“ ausgegeben wurden. Annährend 2 Mrd. DM entfielen dabei auf die Errichtung kommunaler Anlagen und von Verbandsanlagen, 445 Mio. DM auf die Erstellung von reinigenden Industrieanlagen59. Das waren beachtliche Investitionen, die auch bei detaillierteren Auskünften über landesspezifische Wasserschutzmaßnahmen Berücksichtigung finden mussten: in 57
Davon gehören 226 Rheinkilometer zum Land Nordrhein–Westfalen. Vgl. NRW: Deutschlands Investitionsstandort Nr. 1, S. 3, in: www.europa.nrw.de/images/economic powerhouse. de.pdf. Stand 21. Dez. 2006. 58 Artikel in: HStA NW 354 672. 59 Übersicht in: HStA NW 354 697. Der Übersicht ist weiterhin zu entnehmen, dass in Nordrhein-Westfalen 586 Mio. DM, in Hessen 275 Mio. DM, in Rheinland-Pfalz 210 Mio. DM, in Baden-Württemberg 600 Mio. DM, in Bayern 190 Mio. DM und im Saarland 63 Mio. DM für den Bau von kommunalen und Verbands-Kläranlagen eingesetzt wurden. Die entsprechenden Zahlen für die Errichtung von Kläranlagen der Industrie lauten: 250 Mio. DM, 25 Mio. DM, 10 Mio. DM, 100 Mio., 40 Mio. DM und 19 Mio. DM.
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der Arbeitsgemeinschaft der Länder zur Reinhaltung des Rheins erstatteten die jeweiligen Vertreter der Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Saarland am 10. März 195960 und am 8. September 195961 wechselseitig Rechenschaft über das bisher Geleistete und das konkret Angegangene. Nicht unerwähnt blieb dabei allerdings auch, dass die Investitionen der Industrie wenigstens gelegentlich noch deutlich hinter den Erfordernissen zurückblieben, so dass sich schon allein daraus die 1958 auch öffentlich verbreiteten Klagen über den dreckigen und stinkenden Rhein erklären ließen, aber auch die Bemühungen um ein „Gesetz zur Reinhaltung der Wasserstraßen“, die auf Bundesebene betrieben wurden62. Organisatorisch hatten Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag mit der Verabschiedung eines „Wasserhaushaltsgesetzes“63 am 27. Juli 1957 ein erstes Fundament für eine höhere Effizienz und leichtere, länderübergreifende Abstimmung bei der Verfolgung einer konkurrenzfähigen, international anerkannten, der Ernsthaftigkeit des Problems angemessenen Wasserpolitik zu legen begonnen. Dieser neue Rahmen für zukünftige Landes-Wasserrechte war dringend angeraten, zeigte das Tableau des deutschen Wasserrechts doch auf der Ebene der Länder eine nicht mehr zeitgemäße, zum großen Teil noch vor dem Ersten Weltkrieg entstandene64 Uneinheitlichkeit65 und Vielscheckigkeit, die im Interesse der Sache dringend der Revision bedurfte. Auf der Basis des zum 1. März 1960 in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft getretenen Wasserhaushaltsgesetzes haben die Bundesländer zwischen 1960 und 1962 neue Landeswassergesetze eingeführt und damit die rechtlichen Strukturen für den nationalen und zugleich auch für den internationalen Wasserschutz neu gewandet.
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Niederschrift eines Berichtes in: HStA NW 354 698. Niederschrift eines Berichtes vom 30. Sept. 1959 in: HStA NW 354 698. Das Gesetz wurde am 17. Aug. 1960 verabschiedet (BGBl II, S. 2125 - 2136). Es wurde 1962 vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt, weil es gegen Art. 70 GG verstoße und Landesrecht verletze (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts [BVerfGE] 15 (1962), S. 1–15). 63 Das Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts ist abgedruckt in: BGBl I 1957, S. 1110– 1118. 64 Vgl. Gustav WITZEL, Einleitung, in: DERS., Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz). Kommentar, Berlin, Frankfurt a. M. 31961, S. 1–17 (hier S. 7– 13).Ein Beispiel für die fortgesetzte Geltung des preußischen Wassergesetzes vom 7. April 1913 liefert der Runderlass des nordrhein-westfälischen Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 25. Juni 1958, in: Ministerialblatt für das Land NordrheinWestfalen 1958, Spalte 1603–1607. 65 In seiner Rede vom 18. Sept. 1963 vor der Vollversammlung der Vereinigung der Handelskammern des Rheingebietes sprach der Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer zu Köln, Direktor Franz Greiß, „von 76 verschiedenen, den Wasserschutz in Deutschland betreffenden gesetzlichen Bestimmungen“ zu Anfang der 50er Jahre. Redemanuskript in: HStA NW 354 696.
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Im Jahre 1958, zum Zeitpunkt der deutsch-niederländischen Verhandlungen über einen „Generalbereinigungsvertrag“66, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die niederländische Seite – vergeblich, wie sich zeigen sollte67 – die Hoffnung auf besondere deutsche Leistungen hegte, haben sich die Niederlande auf Bitten der IKSR veranlasst gesehen, ihre Unzufriedenheit mit dem Zustand des Rheinwassers und den damit in Verbindung stehenden Bedingungen für die Sicherung ihrer Trinkwasservorräte und für die Entwicklung ihrer Landwirtschaft und ihres Gartenbaus in einem an die in der IKSR zusammenarbeitenden Partner gerichteten Exposé zum Ausdruck zu bringen68. Die niederländischen Forderungen gaben den Anstoß zu intensiveren und nachhaltigeren Diskussionen über die Rheinhaltung und Säuberung des Rheins, als sie jemals zuvor geführt worden waren69. Insbesondere die Franzosen sahen sich aufgrund der von französischem Boden ausgehenden Versalzung des Rheins mehr denn je in die Pflicht gerufen, gingen doch allein rd. 40% der vom Rhein mitgeführten Chloridfracht von elsässischen Kaliminen aus70. Aber auch die anderen, in der IKSR mitwirkenden Staaten, nicht zu66 Vgl. den 1960 abgeschlossenen Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Regelung von Grenzfragen und anderen zwischen beiden Ländern bestehenden Problemen (Ausgleichsvertrag), in: Bundesgesetzblatt 1963, Teil II, S. 461 f. Vgl. zudem Peter HELMBERGER, der in seiner beim Zentrum für Niederlande-Studien der Universität Münster einsehbaren Magisterarbeit Die Normalisierung der Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zum Königreich der Niederlande in den 1950er Jahren, München 1991 (Manuskript), auf die Verhandlungen über einen „Ausgleichsvertrag“ bzw. „Generalbereinigungsvertrag“ näher eingeht. 67 In Kapitel 4 des Generalbereinigungsvertrags, der den „Grenzgewässern“ gewidmet ist, werden Rhein, Ems und Dollart in Art. 56 Abs. 2 von den Bestimmungen dieses Kapitels ausdrücklich ausgenommen. In der Tat hatte das Bundesverkehrsministerium dem Auswärtigen Amt gegenüber die Auffassung vertreten, dass eine mit den übrigen Rheinanliegerstaaten nicht abgestimmte Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik und den Niederlanden, die den Rhein beträfe, „die Gefahr in sich birgt, dass die Bestrebungen dieser Rheinanliegerstaaten, das Ihrige für die Reinhaltung des Rheins zu tun, nicht mehr mit dem nötigen Nachdruck fortgesetzt würden“ (Schreiben vom 4. Nov. 1959 in: HStA NW 354 691). 68 Die „holländischen Forderungen“ vom 1. Feb. 1958 finden sich in: BA Koblenz B 102 14089 Heft 2. 69 Einsichten in die innerniederländischen Hintergründe vermittelt DISCO, The View from Below (Anm 16), S. 63, im Internet unter www.ifz.tugraz.at/index_en.php/article/articleview /658/1/30/. Stand 27. Jan. 2007. 70 Vgl. den 1955 vorgelegten Bericht über Überlegungen und Bemühungen zur Reinhaltung des Rheines auf dem Gebiet der Deutschen Bundesrepublik vom 15. Sept. 1955, in: HStA NW 354 672. Allerdings liegen auch andere Daten vor, was die Abstimmungen über das Ausmaß der Wasserverschmutzung und die dadurch hervorgerufenen Umweltschäden signifikanterweise erschweren musste. Auf der konstituierenden Sitzung der DKRR am 16. Sept. 1959 wurde eine Aufstellung vorgelegt, die französische Einleitungen am Oberrhein in Höhe von 85 kg/sec und auf einige wenige Firmen zurückgehende deutsche Einleitungen am Oberrhein in Höhe von 8 kg/sec auswies. Am Niederrhein wurden von vier großen Industrieunternehmen pro Sekunde 27 kg eingeleitet (Vermerk über die Sitzung vom 3. Okt. 1959 in: HStA NW 354 691). Im Rahmen einer Stellungnahme der deutschen Delega-
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letzt auch die deutschen Delegierten spürten, dass im Kampf gegen die Verschmutzung des Rheinwassers eine neue Ära angebrochen war und die grenzüberschreitende Arbeit für dieses viele Menschen und viele Unternehmen in mehreren europäischen Staaten berührende Ziel verstärkt werden musste. Im unverblümt vorgetragenen Interesse der niederländischen Landwirtschaft, die 40% des niederländischen Exports bestreite, im Interesse des niederländischen Garten- und Blumenbaus, zudem im Interesse der Fischerei, des Tourismus und der Industrie war den Niederländern vornehmlich an einer Verschärfung zulässiger Obergrenzen und wenigstens in einigen Bereichen an einer Festlegung von klar definierten Standards gelegen. Aus niederländischer Sicht kam es zunächst einmal weniger darauf an, die zugestandene Norm für den Chloridgehalt von 250 mg/l71 zu verändern, als darauf, die zulässige Chloridfracht von 250 kg/sek. auf 225 kg/sek. herunterzusetzen. „Neben der schon von der französischen Delegation vorgeschlagenen Grenze von 250 mg Chlorid-Ion/l im Rheinwasser bei Lobith fordern die Niederlande eine Beschränkung des totalen Chlorid-Ion Abflusses – an derselben Stelle gemessen – von 225 kg/sec im Jahremittel. Sie sind bereit, unter Wahrung dieser Bedingung dreimonatige Mittelwerte des Abflusses von 250 kg/sec zu tolerieren“72.
Darüber hinaus wollten die Niederländer speziell darauf reagieren, dass „die im Rhein stattfindende Wiederbelüftung nicht genügt, um die Sauerstoffzehrung des Rheinwassers auszugleichen“73. Es seien neue Normen wünschenswert, nach denen sichergestellt werde, dass bei Lobith „die Sauerstoffgehalte 75% der Sättigungskonzentration und die BSB5-Werte 50% dieser Gehalte nicht überschreiten“74. Diese Vorgaben ließen – in der Sache durchaus überzeugend – immerhin noch „Spielraum für die Zufuhr einer gewissen, dem tion in der IKSR zu den niederländischen Wünschen, die das Bundesverkehrsministerium zur Sitzung der DKRR am 16. Sept. 1959 vorbereitete, wurde der deutsche Beitrag zur Salzfracht des Rheins wie folgt bestimmt: Ober- und Mittelrhein: 22 kg/sec, Niederrhein (nördlich Koblenz): 88 kg/sec. Ergänzend wäre darauf zu verweisen, dass den Rhein über Mosel und Saar 33 kg/sec an aus Frankreich kommenden Chloriden erreichten (vgl. die Stellungnahme S. 3, in: HStA NW 354 691). Rechnete man zu der hier aufgelisteten Chloridfracht von 143 kg/sec noch die oben angegebene Chloridfracht aus Frankreich hinzu, die den Oberrhein erreichen sollte, so ergäbe sich insgesamt eine Chloridlast von 228 kg/sec. 71 Nach einer unter dem Vorsitz eines Niederländers tätigen Kommission der WHO galt für europäische Flüsse seinerzeit noch immer die Norm von maximal 350 mg/l Salzgehalt (vgl. die Niederschrift zur Sitzung der DKRR vom 21. März 1961 in Bonn und dort die entsprechende Mitteilung des Sachverständigen Prof. Dr. Kruse. Niederschrift in: HStA NW 354 690). Das entsprach einem zulässigen Chloridgehalt von nicht mehr als 215 mg/l! 72 Niederländische Forderungen vom 1. Feb. 1958, S. 14 f, in: BA Koblenz B 10214089 Heft 2. 73 Ebd., S. 15. 74 Ebd., S. 16.
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Selbstreinigungsvermögen des Flusses entsprechenden Menge organischer Schmutzstoffe“75.
Die Niederländer plädierten schließlich auch dafür, für einen Phenolgehalt von nicht mehr als 0,020 mg/l allgemein Sorge zu tragen – und gaben damit eine Marge vor, die der (Minister-) Rat der Europäischen Gemeinschaft(en) Mitte der 70er Jahre für seine Badegewässer-Richtlinie nicht übernehmen 75
Ebd.
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wollte und mit einem Grenzwert von _ 0,005 mg/l deutlich nach unten gesetzt hat76. Die Franzosen beantworteten den niederländischen Vorstoß mit der These, dass ein Oberlieger für die aus einer schwierigen Wasserversorgung herrührenden wirtschaftlichen Folgen nicht in Anspruch genommen werden könnte – und trafen dabei auf die Sympathie des deutschen Delegationsleiters in der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung. Deutschland habe, so sein Argument, viele Nachbarstaaten und könne nicht allerorten für schlechtes Wasser in Anspruch genommen werden77. Nicht einverstanden war der Delegationsleiter allerdings mit der französischen Auffassung, man unterhalte sich im Rahmen der IKSR grenzüberschreitend über „Wirtschaftswasser“78, nicht jedoch über das Wasser für landwirtschaftlichen Anbau und Gartenkulturen. Es blieb also einiges zu klären, zumal die niederländischen Forderungen wasserwirtschaftliche Investitionen notwendig machten, die nicht leicht würden finanziert werden können. Auch die Frage einer radioaktiven Anreichung des Rheinwassers war noch weiter zu verhandeln, zumal eine „Grenzkonzentration […] im Rhein schon meist überschritten“79 sei. In dieser Situation lag es auf der Hand, dem anhaltenden sachlichen Erfordernis einer engeren grenzüberschreitenden Kooperation zugunsten des Gewässerschutzes zunächst auch mit organisatorischen Maßnahmen Rechnung zu tragen80 und die Internationale Kommission für den Schutz des Rheins gegen Verunreinigung auf ein rechtlich tragfähigeres Fundament zu stellen, als dies ein multilateraler Notenaustausch zu leisten in der Lage war. Es bedurfte der Absprachen, die klarer umrissen waren als zuvor und den Willen zur Vereinbarung auf dem Gebiet des Rheinwasserschutzes auch unter den schwieriger gewordenen Bedingungen wirtschaftlicher Prosperität deutlich erkennen ließen.
76 Richtlinie des Rates vom 8. Dez. 1975 über die Qualität der Badegewässer. Richtlinie 76/160/EWG, in: Amtsblatt L 36 vom 5. Feb. 1976, S. 1–7 (hier S. 6). Der Wert wird im Anhang mit ausdrücklichem Bezug auf C6H5OH blank angegeben. Die Richtlinie 2006/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Feb. 2006 über die Qualität der Badegewässer und deren Bewirtschaftung und zur Aufhebung der Richtlinie 76/160/EWG, in: Amtsblatt L64 vom 4. März 2006, S. 37–51, ändert den 1975/76 vorgegebenen Grenzwert für Phenol nicht. 77 Vgl. das Protokoll einer Besprechung im Bundesverkehrsministerium am 15. Mai 1959, in: HStA NW 354 691. 78 Protokoll der Tagung der IKSR vom 20.–22. Mai 1959 in Den Haag, in: HStA NW 354 691. 79 Ebd. 80 Offenbar kam die Anregung dazu aus den Niederlanden, wie in einem in Düsseldorf verfassten Vermerk vom 7. Dez. 1959 festgehalten wurde. Vgl. den Vermerk in HStA NW 354 691.
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Die nach jahrelangen Verhandlungen zustande gekommene Vereinbarung über die Internationale Kommission zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung vom 29. April 196381 markierte in der neuen Ära engerer grenzüberschreitender Kooperation in Europa einen organisatorischen Höhepunkt „in der Sorge um die Reinhaltung des Rheins, in dem Bestreben, seine weitere Verunreinigung zu verhindern und seinen derzeitigen Zustand zu verbessern, in der Überzeugung von der Dringlichkeit dieser Aufgabe“82. Aber sie löste, für sich gesehen, keines der Probleme, das Experten und Abgesandte aus mehreren europäischen Staaten zu gemeinsamer Arbeit zusammenführte. Als am 29. April 1963 die Vereinbarung über die IKSR in Bern unterzeichnet wurde, hatte die Verschmutzung des Rheinwassers längst weite Kreise gezogen und nicht nur die Aufmerksamkeit des Europarates erregt, sondern auch die der 1947 als regionale Einheit der Vereinten Nationen gegründeten Economic Commission for Europe (ECE). Nach einem Bericht des Handelsblattes vom 22. Mai 1959 votierte die Kommission auf ihrer 14. Jahrestagung zugunsten einer internationalen Organisation für Gewässerschutz in Europa, ohne damit freilich großen Anklang zu finden. Die westeuropäischen Staaten wollten damals nicht mehr Verbindlichkeiten zugestehen, 81 Abgedruckt in: BGBl II, 1965, S. 1433 f. Die Vereinbarung trat zum 1. Mai 1965 in Kraft. 82 So in der Präambel der Vereinbarung.
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als sie ihnen unabweislich erforderlich schienen. Sie sprachen sich daher nurmehr für eine Gewässerschutzorganisation aus, der die rheinanliegenden Staaten angehören sollten. Gleichwohl beschäftigte sich die ECE 1961 erneut mit dem Zustand europäischer Gewässer83. Noch im gleichen Jahr beriet eine Expertenkommission der Weltgesundheitsorganisation in Genf über die wirtschaftlichen, technischen, hygienischen, gesetzgeberischen und administrativen Aspekte der Gewässerverunreinigung in Europa84, und die Deutsche, Österreichische und Schweizer Landesgruppe der International Law Association ließ auf einer gemeinsamen Tagung am 20./21. Oktober 1961 in Bad Schachen bei Lindau den Senatspräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Helmut Robert Külz sprechen über Internationale[n] Gewässerschutz auf dem Weg zur europäischen Integration85. Wenig später, 1962, so sei nur beispielsweise ergänzt, trat dann noch einmal die ECE hervor, indem sie gemeinsam mit der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft86, der Weltgesundheitsorganisation und der Internationalen Atomenergiebehörde87 eine große Konferenz über Probleme der Wasserverschmutzung in Europa veranstaltete, die nicht nur Bilanz zog, sondern auch Schrittmacherdienste für eine weitere internationale Zusammenarbeit leistete und „beachtliche Initiativen“ zu einer internationalen Zusammenarbeit lancierte88. Im Jahre 1963 setzte die Beratende Versammlung89 des Europarats eine Arbeitsgruppe ein, die sich angesichts eines wachsenden Zugriffs auf die weltweit begrenzte Ressource „Süßwasser“ mit Fragen einer Bekämpfung der Süßwasserverschmutzung beschäftigen sollte. Zum Leiter der Arbeitsgruppe machte sie den Belgier Georges Housiaux, der als Sozialist mit 47 Jahren im Jahre 1961 Abgeordneter der Beratenden Versammlung des Europarats ge-
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Vgl. VOGEL, Gesetzesgrundlagen (Anm. 56). Vgl. GRABMYR, Wasserrecht und internationale Zusammenarbeit (Anm. 21), S. 65. Wolfgang CHRIST [u. a.], Aspects of Water Pollution Control. A selection of papers prepared for the Conference on Water Pollution Problems in Europe Genova 1961, Genova 1962. 85 Vgl. VOGEL, Gesetzesgrundlagen (Anm. 56). 86 FAO, Food and Agriculture Organization. 87 IAEA, International Atomic Energy Agency. 88 Vgl. dazu die Angabe in dem vom Rat der Gemeinden Europas, Deutsche Sektion, als Sonderdruck herausgegebenen Bericht der Beratenden Versammlung des Europarates über die Bekämpfung der Süßwasserverschmutzung in Europa (Dokument 1965), S. 39, in: HStA NW 354 223. 89 Am 20. Dez. 2006 teilte die Research and Documentation Unit der Versammlung des Europarates dem Verfasser per Mail das Folgende mit: „Since 1990 practically all texts published by the Council of Europe and its organs refer to the ‚Parliamentary Assembly’, see Recommendation 1212 (1993). In Febr.y 1994, the Ministers’ Deputies decided that the denomination ‚Parliamentary Assembly’ should be used in all Council of Europe documents“.
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worden war und dies bis 1973 bleiben sollte90. Er legte 1965 zunächst einen umfänglichen, 39 Druckseiten starken, auch sachlich ungemein gehaltvollen Bericht der Beratenden Versammlung des Europarates über die Bekämpfung der Süßwasserverschmutzung in Europa91 vor, auf dem ein Vorentwurf einer Europäischen Konvention über die Süßwasserreinhaltung vom 20. November 1968 und nicht zuletzt ein zweiteiliger Entwurf des erläuternden Memorandums zu der Europäischen Konvention über die Süßwasserreinhaltung vom 21. und 18. November 1968 fußte92. In diesen Ausarbeitungen beschrieb er gemeinsam mit anderen sehr genau den sachlich-fachlichen und rechtlichen Kontext, innerhalb dessen sich auch der Europarat den lebenswichtigen Fragen einer Wasservorsorge und Wasserfürsorge in Europa öffnete und über eine Auseinandersetzung mit Fragen der Verunreinigung von Meer-, Deltaund Küstenwasser hinaus zur Beschäftigung mit dem Problem der Süßwasserverschmutzung fand, das das Problem einer Grundwasserverschmutzung ebenso umschloss wie das der Verschmutzung von Oberflächengewässern, von Flüssen und Seen also. Housiaux dokumentierte eindrucksvoll, dass der Prozess eines gemeinsamen, gleichen Zielen verpflichteten, europäischen Umganges mit dem Wasser – hier ist präziser zu sagen: mit dem Süßwasser – seinerzeit nur als ein Ringen um die Ermittlung, Messung, Beseitigung und Vermeidung von Verschmutzung beschrieben und verstanden werden konnte. Zu diesem Ringen gehörte die Klärung der Frage, was Verschmutzung überhaupt sei, ebenso wie der Diskurs über adäquate Methoden, technische Normen und Standards sowie finanzielle Zumutbarkeiten und rechtlich exakt nachvollziehbare Regelungen. Wie konnte ein Schutz der Süßwasser gespeisten Binnengewässer konkret aussehen, wenn Housiaux festhalten musste: „Wie man sich gut vorstellen kann, war es außerordentlich schwierig, die Verschmutzung zu jedermanns Zufriedenheit zu definieren“?93 1961, so Housiaux weiter, hätten Experten in Genf folgende Begriffsbestimmung angenommen94: „Ein Fluss ist als verschmutzt anzusehen, wenn sein Wasser in der Zusammensetzung oder Beschaffenheit direkt oder indirekt als Folge der 90 91
Mitteilung der Beratenden Versammlung an den Verfasser vom 24. Aug. 2006. Bericht der Beratenden Versammlung des Europarates über die Bekämpfung der Süßwasserverschmutzung in Europa (Dokument 1965), als Sonderdruck hrsg. vom Rat der Gemeinden Europas. Deutsche Sektion: Der Europäische Gemeindetag, in: NW 354 223. 92 In: HStA NW 354 223. Gedruckt wurde der „Report on a draft European Convention on the Protection of Fresh Water against Pollution“ am 12. Mai 1969 als „document 2561“ der Consultative Assembly of the Council of Europe vorgelegt. Das Dokument ist beim Europarat direkt zu beziehen. 93 HOUSIAUX (Berichterstatter), Bericht der Beratenden Versammlung des Europarates über die Bekämpfung der Süßwasserverschmutzung in Europa (Dokument 1965, [Anm. 21]), S. 17, in: NW 354 223. 94 Leider ist dem Text nicht definitiv zu entnehmen, ob sich Housiaux hier auf die oben angesprochene Konferenz der ECE bezieht.
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Jahrbuch für Europäische Geschichte 9 (2008) Handlungen des Menschen verändert ist, so dass es für irgendeinen oder für alle Zwecke, für die es in seinem natürlichen Zustand geeignet wäre, weniger gut brauchbar ist“95.
Das war wissenschaftlich diskutabel formuliert, aber überließ die Bestimmung der Experten damit in der Konsequenz nicht gerade das, was konkret für den Wasserschutz getan werden konnte und sollte, der Entscheidung anderer, nicht zuletzt politischer Instanzen? Bedurfte es nicht dringend eines integrierten Lösungsansatzes, der alle beteiligten Staaten verlässlich und einvernehmlich in gleicher Weise mit gleicher Zielsetzung auf den inhaltlich gleichen und wissenschaftlich nachvollziehbaren Punkt gebracht verpflichtete und, wie der Bundesverband der Deutschen Industrie forderte, innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zumindest eine „Harmonisierung der Verwaltungspraxis“96 ermöglichen würde? Georges Housiaux focht als Berichterstatter der Beratenden Versammlung des Europarates mit seinem erläuternden Memorandum für eine Europäische Konvention über die Süßwasserreinhaltung und hatte – im Zeichen einer bestärkenden Europarats-Empfehlung zur Überwachung der Süßwasserverschmutzung in Europa vom 1. Oktober 196597, der erst im Mai 1968 feierlich verkündeten Wassercharta des Europarates vom 26. Mai 196798 und einer Aufforderung zur „European fresh water conservation campaign“99 vom 29. November 1968 – in der Beratenden Versammlung einen vollen Erfolg. Die Empfehlung „on a Draft European Convention on the Protection of Fresh Water against Pollution“ vom 12. Mai 1969100 war ausdrücklich auch in der Überzeugung verabschiedet worden, „that the problem of water pollution can be solved only with the close cooperation and co-ordination among states“. Nach Auffassung des Ministerkomitees sollte eine enge Zusammenarbeit europäischer Staaten aber nicht darauf hinauslaufen, sich wechselseitig für eingetretene Wasserverschmutzungen haftbar zu machen, sondern vielmehr auf Präventionen zur Reinhaltung101. Das war unverbindlicher und erschien daher gerade wegen der fortgesetzten Auseinandersetzungen um die chemische und biologische, anorganische und organische, thermische oder auch radioaktive Verschmutzung des Rheins und um die fair verteilten Kos95 96
Ebd. Wasserwirtschaft, Immissionsschutz und Abfallbeseitigung als Aufgaben der Umweltgestaltung und Daseinsvorsorge, in: BDI-Jahresbericht 1968/69, S. 180, in: HStA NW 354 223. 97 Recommendation 436 (1965): www.coe.int. 98 Eine revidierte Fassung der Europäischen Wassercharta datiert vom 29. Okt. 2001: www.coe.int. 99 Resolution of the Council of Europe (68) 35, dem Verfasser vom Europarat übermittelt. 100 Recommendation 555 (1969), www.coe.int. 101 Vgl. dazu die Angaben zur Ministerkomiteesitzung vom 2.–7. März 1970 in Straßburg, in: HStA NW 354 222.
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ten ihrer Beseitigung102 günstiger. Das Ministerkomitee erbat sich dementsprechend einen neuen Entwurf, den „Experten und das Generalsekretariat“103 zwischen 1970 und 1974 erarbeiteten und der nun als „Entwurf der Gewässerschutzkonvention“104 gehandelt wurde. Aber auch dieser Entwurf fand wegen der „erheblichen Interessengegensätze zwischen Ober- und Unterliegerstaaten“ nicht die Zustimmung des Ministerkomitees. Für über kooperative Ziele hinausreichende integrative Ziele war es auf einem fraglos herausragenden Feld in Europa erkennbar noch zu früh. Andererseits war nicht zu übersehen, dass sich das Schwergewicht europäischer Gewässerpolitik, soweit sie von europäischen Institutionen betrieben wurde, auf die Europäischen Gemeinschaften verlagert hatte105. Die Fachleute verließen sich Ende der 60er Jahre am ehesten noch auf die bei der IKSR ausgetauschten Erkenntnisse, für deren Diskussion die von der International Law Association in Helsinki vorgelegten „Helsinki rules“ oder „Helsinki Regeln“106 aus dem Jahre 1966 aus rechtlicher Sicht eine solide, höchst anerkannte neue Grundlage boten. In ihnen heißt es u. a.: „Artikel IV: Jeder Uferstaat ist innerhalb seines Gebietes zu einem vernünftigen und gerechten Anteil an dem nützlichen Gebrauch des Wassers eines internationalen Abflussgebietes berechtigt. Artikel VI: Keine Benutzung oder keine Gruppe von Benutzungen genießt an sich einen Vorzug (inherent preference) vor einer anderen Benutzung oder Gruppe von Benutzungen. Artikel X: Die Vereinbarkeit mit dem Prinzip der gerechten Benutzung (equitable utilization) des Wassers eines internationalen Abflussgebietes vorausgesetzt, ist ein Staat a) verpflichtet, jede neue Form der Gewässerverunreinigung oder jede Zunahme im Grade der bestehenden Verunreinigung in einem internationalen Abflussgebiet zu verhindern, welche eine wesentliche Schädigung auf dem Gebiete eines Staates des gleichen Flussgebietes verursachen würde, und b) zu verhalten, alle vernünftigen Maßnahmen zu treffen, um die bestehende Verunreinigung in einem internationalen Abflussgebiet in dem 102 Hingewiesen sie in diesem Zusammenhang nur auf die in den 60er Jahren von den Niederländern unterbreiteten Memoranden, mit denen sie sich im Abgleich mit anderen Rhein-Anrainern eine bessere ökologische und ökonomische Ausgangsbasis verschaffen wollten, ohne freilich die Franzosen immer überzeugen zu können. Vgl. dazu insgesamt HStA NW 354 692. 103 Shirin Sybille HEINRICH, Der Europarat zwischen Integration und Transformation Europas am Beispiel des Umweltschutzes, Tübingen 1994, S. 52. 104 HEINRICH, Der Europarat (Anm. 103), S. 51; siehe dazu auch den Vorläufigen Entwurf einer Konvention zum Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung in: HStA NW 354 222. 105 Franz OBERLEITNER, Europäisches Wasserrecht. Eine Einführung, Teil I: Überblick, S. 14, im Internet unter: www.boku.ac.at/hfa/lehre/europ wasserrecht/Europ Wasserrecht_ %20I_Ueberblick.doc. Stand 11. März 2006. 106 Text in: HStA NW 354 222.
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Jahrbuch für Europäische Geschichte 9 (2008) Ausmaße zu verhindern, dass keine wesentliche Schädigung auf dem Gebiete eines Staates des gleichen Abflussgebietes verursacht wird“.
Darüber hinaus schenkten die Fachleute dem dritten Memorandum107 Beachtung, das die niederländische „Rijncommissie Waterleidingsbedrijven Amsterdam, Rotterdam, Den Haag, Noord-Holland“ im Jahr 1966 unterbreitete. Von einer „Zunahme der wichtigsten Verschmutzungsfaktoren“ um das “fast 2-fache“108 war darin zu lesen. Im Anhang lieferte das Memorandum eine Reihe von Diagrammen, von denen einige nachfolgend wiedergeben werden. Sie veranschaulichen eindrucksvoll die durch Verschmutzung des Rheinwassers bis dahin verursachte Belästigung, indem sie u. a. eine am Messpunkt Vreeswijk109 bei Utrecht aufgenommene Verunreinigung mit Natrium-, Magnesium-, Kalzium oder Kalichloriden dokumentieren. Hinzugefügt sei, dass die angezeigte Chloridbelastung des Rheins allerdings erst dann als solche angenommen und auch als für die Landwirtschaft schädlich angesehen wurde, wenn der gesamte Chloridgehalt des Wassers die Grenze von 200-300 mg/l (oder g/m3) überschritt110. Darüber hinaus ist der Eintrag von Nitraten, also von Salzen der Salpetersäure, oder kurz: von Salpeter, in das Rheinwasser erfasst, der aus der Herstellung oder Verwendung von Düngemitteln herrührte, die Eutrophierung (d. h. die Nettoproduktion pflanzlicher Biomasse) förderte und durch die Reduktion von Nitraten zu Nitriten und die weitere Reaktion von Nitriten zu Nitrosaminen zur Erregung von Krebs beitragen konnte111. Ein weiteres Diagramm gibt an, in welchem Umfang ein Bestandteil des Steinkohlenteers, „Phenol“, in den Rhein gelangt war. Die Phenole sind normalerweise112 nicht im Wasser löslich. Sie werden für die Produktion von Kunstharzen, Kunststoffen, Insektiziden, Sprengstoffen, Farbstoffen und Reinigungsmitteln sowie als Ausgangsstoff für Arzneimittel gebraucht113. Schließlich sei auf den in den Jahren 1950 bis Ende 1960 abnehmenden Sauerstoffgehalt des Rheins verwiesen, den ein gesondertes Diagramm anzeigt. Diese Abnahme des Sauerstoffgehalts des Rheins war insofern ein alarmierendes Signal wachsender Wasserverschmutzung, als durch die landwirtschaftliche, industrielle oder auch private Einleitung sich zersetzender oder oxidierender Stoffe in das Flusswasser des Rheins die Lebensfähigkeit von Fischen und von anderen,
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Memorandum III betreffs die Verschmutzung des Rheinwassers, in: HStA NW 354 692. 108 Ebd., S. 1 109 Vreeswijk gehört seit 1971 zur Gemeinde Nieuwegein, Provinz Utrecht. 110 Encarta Naslagbibliotheek Winkler Prins 2004, „waterverontreiniging“. 111 Vgl. die Angaben in Microsoft Encarta Enzyklopädie 2006, „Nitrate“, „Nitrite“, „Nitrosamine“, „Nitratbelastung“, „Eutrophierung“. 112 Erst ab einer Temperatur von deutlich mehr als 600 C. 113 Vgl. Microsoft Encarta 2006 Enzyklopädie, „Phenole“.
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auch der Wassersäuberung dienlichen Organismen herabgesetzt wurde114. Phosphathaltige Abwässer, wie sie durch den Stoffwechsel von Lebewesen entstehen oder z. B. auch durch den Gebrauch von Dünger, Reinigungsmitteln oder Wasserenthärtern zustande kommen können, konnten den Verbrauch von Sauerstoff im Wasser des Rheins noch steigern, indem sie eine Algenbildung förderten, die wiederum mit wachsendem Sauerstoffverzehr verbunden war115. Leider war dem 1966 unterbreiteten niederländischen Memorandum keine Auflistung von Schwermetallbelastungen des Rheins beigegeben, weil diese bis Anfang der 70er Jahre noch nicht analysiert werden konnten116.
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Vgl. Florian STRECKER, Versuche zur Bestimmung des biochemischen Sauerstoffbedarfs, im Internet unter: www.mjonet.de/facharbeiten/bsb.pdf. Stand 26. Aug. 2006. 115 Microsoft Encarta 2006 Enzyklopädie, „Phosphor“, „Phosphorsäure“ 116 Persönliche Mitteilung der stellvertretenden Geschäftsführerin der IKSR, Frau Dr. Anne Schulte-Wülwer-Leidig, vom 4. Feb. 2007 an den Verfasser.
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Die französischen Experten der IKSR reagierten auf das Memorandum III der Niederländer mit der Forderung notwendiger Überprüfungen und dem Hinweis, dass doch „die Frage der Begrenzung der Versalzung des Rheins sowohl für die Bedingung des Salzgehalts als auch bezüglich jeder anderen Bedingung nur unvollkommen definiert ist und sein wird, solange man nicht eine akzeptable Risikoschwelle aufgrund der Wahrscheinlichkeit festgesetzt hat“117. Eine solche „Risikoschwelle“ aber, der innerhalb der IKSR alle Beteiligten hätten zustimmen können und wollen, war nicht in Sicht. In dieser Situation lieferte das über den gegebenen Zustand offensichtlich enervierte Bundesgesundheitsministerium im Juli 1967 die informatorische Basis118 für journalistische Meldungen wie „Giftig fließt der Rhein“119 oder „Bonn stellt fest: Der Rhein ist eine Kloake“120. Bonn wollte aufrütteln, weil eine Verbesserung des katastrophal verdreckten Rheinwassers trotz aller zurückliegenden Sanierungsbemühungen dringlicher denn je geworden war. Gleichwohl hatte sich ein „Wasserbewusstsein“121 der Bürgerinnen und Bürger am Rhein und in anderen Regionen offensichtlich noch kaum entwickelt. Zur Änderung trug nicht zuletzt ein großes Fischsterben im Rhein bei122, das im Juni 1969 in Deutschland und vor allem auch in den Niederlanden Schlagzeilen machte123. Es nahm am 17. Juni mittags bei RheinstromKilometer 521, unterhalb von Bingen, seinen Ausgang, ereichte am 19. Juni gegen Mittag Nordrhein-Westfalen und wechselte am 23. Juni 1969, spätnachmittags, auf die niederländische Seite, nachdem die deutsche Seite kurz zuvor (23. Juni vormittags) eine Vorwarnung abgesetzt hatte124. Aufgrund einer Giftkatastrophe, die die niederländischen Chemiker in einer gerade für die Deutschen bedenkenswert kurzen Zeitspanne auf das auch bei größter Verdünnung für Fische hoch toxische Insektenvertilgungsmittel resp. 117
Memorandum der französischen Experten der Internationalen Kommission zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung für den Gebrauch der niederländischen Experten, S. 2, in: HStA NW 354 692. 118 Mitteilungen in: HStA NW 354 692. 119 So die Bild-Zeitung am 16. März 1967. 120 So die Rheinische Post am 14. März 1967. 121 So Dr. Czychowski vom Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes Nordrhein-Westfalen in seinem Bericht vom 21. Nov. 1967, in: HStA NW 354 222. 122 So auch DISCO, The View from Below (Anm. 16), S. 65, im Internet unter www.ifz. tugraz.at/index_en.php/article/articleview/658/1/30/. Stand 27. Jan. 2007. 123 Vgl. dazu die Sammlung von Zeitungsartikeln in HStA NW 298 1 und in NW 354 364 sowie die auszugsweise Rohübersetzung oder Inhaltswiedergabe der Debatte der 2. Niederländischen Kammer, 40. Sitzung am 3. Jan. 1970; Beratung des Haushalts des Ministeriums für Volksgesundheit und Sozialwesen, in: NW 680 318. 124 Vgl. den chronologischen Vermerk Verschmutzung des Rheins und seiner Nebenflüsse, in: HStA NW 680 318.
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Pflanzenschutzmittel „Thiodan“ (d. i. Endosulfan)125 zurückführen konnten und die ein niederländischer Staatsekretär öffentlich – nicht ganz ohne Grund, aber doch ohne jemals einen justitiablen Beweis erbringen zu können126 – mit dem in der Stadt Griesheim127 ansässigen Betrieb der Firma Höchst in Verbindung brachte128, verendeten im Rhein Millionen von Fischen. „Vater Rhein“, so schrieb die Welt am Sonntag dazu, „stand […] fünf Minuten vor seinem Tode als lebender, atmender sich selbst reinigender Fluss. Als der Sauerstoffgehalt schlagartig von 4,5 Milligramm auf 2,3 Milligramm pro Liter zurückging, begann bei den Fachleuten ‚das große Zittern’“129.
Freilich sollte es nicht gar so arg wie befürchtet kommen und ein „Fiasko“130 blieb für die am Rhein angesiedelten Wasserwerke aus. Andererseits musste das Fischsterben, das den Rhein im Juni 1969 ereilte, doch Wirkung zeigen. Das Melde- und Kontrollsystem wurde verbessert131, und der niederländische Abgeordnete der Tweede Kamer Dr. Maria Joseph Jacobus Antonius Imkamp von der linksliberalen Partei Democraten 66 (D’66)132 nahm ausdrücklich noch einmal die Anregung auf, die der Staatssekretär im Ministerium für Soziale Angelegenheiten und Volksgesundheit Dr. R. J. H. Kruisinga133 125 Vgl. den im Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes Nordrhein-Westfalen gefertigten Vermerk vom 25. Juni 1969 sowie die Angaben, die der nordrhein-westfälische Landwirtschaftsminister Diether Deneke am 1. Juli 1969 vor dem Landtag anlässlich der Behandlung eines von Abgeordneten der SPD eingebrachten Antrags abgab, der auf „Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung und zur Rekultivierung des Rheines“ abzielte. Siehe Landtag Nordrhein-Westfalen, Sechste Wahlperiode, Stenographische Berichte, Band 3, Düsseldorf 1970, S. 2361–2366 (hier S. 2362 und 2366). Siehe: Nur ein Sterben, Spiegel vom 30. Juni 1969, S. 65 f. 126 Vgl. die Rohübersetzung oder Inhaltswiedergabe der Debatte der 2. Niederländischen Kammer, 40. Sitzung am 3. Feb. 1970, in: HStA NW 680 318; vgl. auch die in Koblenz erscheinende Rhein-Zeitung vom 6. Feb. 1970: Hoechst: Fischsterben im Rhein noch ungeklärt, in: HStA 298 1. 127 Im Kreis Darmstadt-Dieburg in Hessen. 128 Der Welt am Sonntag vom 29. Juni 1969 zufolge gelangten nahe der Insel Ilmenau bei Ingelheim von einem Schiff rund 100 Kilo Thiodan in den Rhein (siehe den Artikel: Nun ist der Vater Rhein ganz außer Gefahr, in: HStA NW 354 364). Über eine verlorene Giftladung berichtet am 26. Juni 1969 auch die Rheinische Post (Rätsel um die Giftwelle, in: HStA NW 298 1). 129 Nun ist Vater Rhein ganz außer Gefahr, in: Welt am Sonntag vom 29. Juni 1969. 130 Ebd. 131 Vgl. dazu die Erklärung, die der nordrhein-westfälische Landwirtschaftsminister Diether Deneke am 1. Juli 1969 vor dem Landtag abgab. Siehe Landtag Nordrhein-Westfalen, Sechste Wahlperiode, Stenographische Berichte, Band 3, Düsseldorf 1970, S. 2361–2366 (hier S. 2363 f). 132 Zu Imkamp vgl. die biographischen Angaben unter www.parlement.com. Stand 20. Sept. 2006. 133 Vgl. die biographischen Angaben unter verkeerenwterstaat.nl/organisatie/geschiedenis/ 1967 1976. Stand 29. Sept. 2006.
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(CHU134) bei einem Vortrag in Delft am 25./26. Oktober 1969 bereits ausgeführt hatte: die Anregung einer internationalen Behörde nämlich, mit Zuständigkeiten für internationale Flüsse, aus denen Trinkwasser gewonnen wird135. Imkamp entwickelte diese Anregung weiter und führte konkretisierend aus: „Eine internationale Behörde (Verwaltungskörperschaft) für den Rhein muss so rasch wie möglich ins Leben gerufen werden. Die Behörde soll bindende Vorschriften über Wasserqualität und die Einbringung von Abfallstoffen festsetzen können. Kläranlagen und Transporte gefährlicher Stoffe sollen der Genehmigung dieser Behörde bedürfen. Zur Kontrolle müssen Inspekteure freien Zutritt zu den Betrieben haben mit einem Einspruchsrecht in allen wichtigen Fällen. Durch rechtliche Sanktionen muss die Einhaltung dieser Vorschriften sichergestellt werden. Um diese Regelung zu erzwingen, soll die niederländische Regierung [...] b) diese Angelegenheit mit höchster Beschleunigung in der EWG ins Gespräch bringen. Falls Frankreich und die BRD nicht bereit sind mitzuarbeiten, dann müssen die Niederlande als ultima ratio die Diplomatie des leeren Stuhls in Erwägung ziehen“136
Nun wäre es gewiss verwegen, abseits aller Theorien zur europäischen Integration zu unterstellen, der Quantensprung von einer grenzüberschreitenden Kooperation zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung zu einer wachsenden europäischen Integration fuße auf einem vergleichsweise kleinen parlamentarischen Anstoß des Abgeordneten Imkamp, den er in Auseinandersetzung mit dem aufregend schlechten Zustand des Rheinwassers und eines gravierenden Störfalles im benachbarten Deutschland unvermittelt vorgetragen habe. Aber Imkamps europäisch gesonnener Vorstoß aus dem Jahre 1970 passte doch in eine Zeit, in der sich die Europäische Kommission und auch das Europäische Parlament mehr und mehr bewusst zu werden schienen, dass sich auch eine auf die europäische Wirtschaft ausgerichtete Gemeinschaft europäischer Staaten, wie sie die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zweifellos darstellte, den Fragen des Umweltschutzes im allgemeinen und des Gewässerschutzes im besonderen nicht länger würde entziehen dürfen, zumal der Europarat einer solchen Entwicklung längst weiter Vorschub geleistet hatte. Das Ministerkomitee des Europarates nahm noch im Juni 1969 zur „poisoning of the waters of the Rhine“ eigens Stellung, erklärte „its sympathy to the populations affected by this disastrous pollution“ und rief die Mitgliedsstaaten auf, „to increase their efforts to reduce water pollution, to ensure the rational use of water supplies and to intensify their co-
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(Protestants-) Christelijk-Historische Unie. Vgl. die auszugsweise Rohübersetzung oder Inhaltswiedergabe der Debatte der 2. Niederländischen Kammer, 40. Sitzung am 3. Feb. 1970, S. 7., in: HStA NW 680 318. 136 Vgl. ebd., S. 4, in: HStA NW 680 318.
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operation within the Council of Europe with a view to agreeing on common action in this field“137. Als erstes der Organe der Europäischen Gemeinschaft(en) kümmerte sich das Europäische Parlament um die Belange eines europäischen Umweltschutzes und um die besonderen Sorgen, die das Rheinwasser aufwarf. Nicht zuletzt wohl auch, um die Möglichkeiten „gemeinsamer Aktionen in europäischem Rahmen“138 auf dem Gebiet des Umweltschutzes testen zu können, genehmigte der Präsident des Parlaments am 26. November 1969 einen vom Ausschuss für Sozial- und Gesundheitsfragen gestellten und später vom Wirtschaftsausschuss mitbehandelten Antrag zur Erstattung eines Berichts „über das Problem der europäischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Reinhaltung der Binnengewässer“139. Der niederländische Abgeordnete Jacop (Jaap) Boersma140 legte namens des Sozial- und Gesundheitsausschusses am 11. November 1970 dem Europäischen Parlament den in der Sache außerordentlich instruktiven Bericht über die Reinhaltung der Binnengewässer unter besonderer Berücksichtigung der Verunreinigung des Rheins vor141. In einem in diesen Bericht eingeschlossenen Entschließungsantrag wurde die Europäische Kommission mit einem umfänglichen Forderungskatalog konfrontiert und u. a. angehalten, „in tiefer Besorgnis über die wachsende Bedrohung der natürlichen Umwelt des Menschen“ und „stark beunruhigt über die sich ständig ausbreitende Verschmutzung des Rheins und anderer Binnengewässer“, in Kontakt mit den Rheinanliegerstaaten Österreich und der Schweiz sowie „in Erfüllung der ihr durch die Europäischen Verträge […] übertragenen Aufgaben unter Berücksichtigung der neuesten wissenschaftlichen Erkenntniss in Kürze zweckdienliche Harmonisierungsvorschläge über die Reinhaltung des Rheins vorzulegen“ und „in regelmäßigen Zeitabständen Angaben über die Verschmutzung der Binnengewässer der Gemeinschaft“ zu veröffentlichen, „damit die zuständigen Stellen erkennen, wo vorrangige Gegenmaßnahmen getroffen werden müssen“142. Die Kommission ließ sich mit der Bearbeitung der im Bericht angesprochenen Gravamina Zeit, und da konkrete Maßnahmen auch im Dezember des 137 Resolution (69) 26, adapted by the Ministers’ Deputies on 25 June 1969, verfügbar unter: wcd.coe.int/com.instranet. 138 Europäisches Parlament. Generaldirektion Wissenschaft und Dokumentation, Beitrag des Europäischen Parlaments zum Gewässerschutz, Luxemburg 1978, S. 8. 139 Europäisches Parlament. Sitzungsdokumente, Luxemburg 1970–1971, Dokument 161/70, S. 2. 140 Boersma war vom 8. Mai 1967 bis zum 6. Juli 1971 Mitglied des Europäischen Parlamentes. Zu diesem Zeitpunkt gehörte der Gewerkschaftler der protestantischen AntiRevolutionaire Partij (ARP) an. Vgl. die Angaben unter www.parlement.com 141 Europäisches Parlament. Sitzungsdokumente, Luxemburg 1970–1971, Dokument 161/70. 142 Ebd., S. 3 f.
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Folgejahres, also im Dezember 1971, noch ausstanden, hakte die Sozialistische Fraktion des Europäischen Parlamentes mit einer mündlichen Anfrage nach143. Die sich daran anschließende parlamentarische Aussprache führte zu dem Ergebnis, dass die Kommission aufgefordert wurde, „alles zu tun, damit die Arbeiten der Anliegerstaaten zum Schutz des Rheins gefördert und koordiniert werden“144. Nunmehr ließ in der Tat die Antwort der Kommission nicht mehr lange auf sich warten. Nach Abschluss der vom 5. bis zum 16. Juni 1972 in Stockholm abgehaltenen UN-Umweltkonferenz Friends of the Earth International145 zählte die Europäische Gemeinschaft damit „zu den ersten“146, die Maßnahmen gegen die Verunreinigung des Rheins und den Schutz der europäischen Binnengewässer in einem größeren Kontext angingen und etwas zugunsten der natürlichen Umwelt147 des Menschen unternahmen. Mit feinem Spürsinn für eine in Umweltfragen deutlich sensibler gewordene Öffentlichkeit148 nahmen sich die Regierungschefs der EG-Mitgliedsstaaten noch im Oktober des Jahres 1972 auf ihrer Pariser Gipfelkonferenz des Themas Umwelt an und betonten „die Bedeutung einer Umweltpolitik in der Gemeinschaft“. Zugleich forderten sie „die Organe der Gemeinschaft auf, bis zum 31. Juli 1973 ein Aktionsprogramm mit einem genauen Zeitplan auszuarbeiten“149. Das angeforderte Aktionsprogramm für eine europäische Umweltpolitik wurde von den im Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) „vereinigten Vertretern der Regierungen der Mitgliedsstaaten“ am 22. November 1973 verabschiedet150. Es gab als Zweck einer Umweltpolitik in der Gemeinschaft an, „die Lebensqualität, den Lebensrahmen, den Lebensraum und die Lebensbedingungen der zu ihrem Bereich gehörenden Völker zu verbessern“. Es solle „die wirtschaftliche Expansion in den Dienst des Menschen gestellt werden, indem für ihn eine Umwelt mit den bestmöglichen Lebensbedingun143
Europäisches Parlament, Beitrag des Europäischen Parlaments zum Gewässerschutz, S. 8. 144 Ebd. 145 Vgl. dazu die dokumentierende Publikation: William W. BEHRENS III [u. a.], Nur eine Erde. Die Stockholmer Konferenz: Einleitung zu einer Politik des Überlebens, Darmstadt 1972. 146 Zehn Jahre Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaft, Bonn 1984, S. 2. 147 In seinem Vorwort zum Band „Zehn Jahre Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaft“ machte Karl-Heinz Narjes darauf aufmerksam, dass das Wort „Umwelt“ zunächst benutzt wurde, um das „Vertrauensklima“ oder den Vertrauensstand in der Wirtschaft (!) zu bezeichnen (siehe dort, o. S.). 148 Vgl. dazu auch Europäisches Parlament. Sitzungsdokumente, Luxemburg 1970–1971, Dokument 161/70, S. 10 f. 149 Erklärung der Pariser Gipfelkonferenz (19.–21. Okt. 1972), in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 24. Okt. 1972, Nr. 148, S. 1763–1767, wiedergegeben unter www.ena.lu/mce.swf?doc=11099&lang=3. 150 Veröffentlicht im Amtsblatt C 112 vom 22. Nov. 1973.
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gen geschaffen und diese Expansion mit der immer dringlicher werdenden Notwendigkeit der Erhaltung des natürlichen Lebensraums in Einklang gebracht“ werde.
Damit war die neu installierte europäische Umweltpolitik der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft als eine Art Schön-Wetter-Begleitung einer auf Wettbewerb gründenden europäischen Wirtschaft ausgelegt worden, welche im einzelnen betrachtet die Vermeidung von Umweltbelastungen ebenso beinhalten sollte wie die Beseitigung von Umweltschäden. „Grundsätzlich“ sollte zudem das Verursacherprinzip gelten, aber darüber hinaus in Übereinstimmung mit der „in Stockholm angenommenen Deklaration der Konferenz der Vereinten Nationen“ auch der Leitsatz, „dass die in einem Staat betriebenen Tätigkeiten keine Umweltschäden in einem anderen Staat verursachen“151 dürfen. III. […] und am Ende kommt die „Theory of added value“: Europäische Kooperation und der Einfluss europäischer Integration De facto eröffnete die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft mit der Verabschiedung ihres ersten Umwelt-Aktionsprogrammes vom 22. November 1973 im Wesentlichen erst einmal nur eine „Säuberungsphase“152 der Wünschbarkeiten153, der dann nach Inkrafttreten des „Grunderfordernisse“154 beschreibenden dritten Aktionsprogrammes für den Umweltschutz155 aus dem Jahr 1982 die Etappe „der eigentlichen Verhütung von Umweltproblemen“156 folgen sollte157. 151 152
Ebd. Davon ist die Rede in: Zehn Jahre Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaft (Anm. 146), S. 6. 153 Vgl. Zehn Jahre Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaft (Anm. 146), S. 5. Trotz der in den zurückliegenden Jahren bereits getätigten hohen Investitionen in den Bau von industriellen und kommunalen Kläranlagen erschien vor allem ein weiterer Ausbau dieser Anlagen vonnöten, weil viele „Abwässer noch immer schlecht oder gar nicht gereinigt“ zufließen. Anne SCHULTE-WÜLWER-LEIDIG (Red.), Der Rhein auf dem Weg zu vielseitigem Leben, hrsg. von der Internationalen Kommission zum Schutze des Rheins, Koblenz 1994, S. 9. 154 Zehn Jahre Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaft (Anm. 146), S. 6. 155 Abgedruckt in: Zehn Jahre Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaft (Anm. 146), Anhang sowie im Amtsblatt C 46 vom 17. Febr. 1983. Das Aktionsprogramm vom 7. Febr. 1983 wurde übrigens zeitgleich mit der „Entschließung des Rates zur Bekämpfung der Gewässerverschmutzung“ verabschiedet und veröffentlicht. 156 Zehn Jahre Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaft (Anm. 146), S. 5. 157 Die Ziele des 3. Aktionsprogrammes sind in den folgenden drei umweltpolitischen Aktionsprogrammen der EU (6. Aktionsprogramm: 2001–2010, unter dem bezeichnenden Titel: „Umwelt 2010: Unsere Zukunft liegt in unserer Hand“ im Internet veröffentlicht unter: ec.europa.eu/environment/newprg/pdf/6eapbooklet_de.pdf) jeweils weiterverfolgt und noch erweitert worden, vor allem im Hinblick auf eine integrative Förderung nachhal-
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Gerade unter diesen Voraussetzungen lag es auf der Hand, dass die zu Anfang der 70er Jahre einsetzende europäische Umwelt- und Gewässerpolitik zunächst noch nicht mehr beschrieb als ein sich vergrößerndes Arsenal an verbindlichen Ziel-, Umsetzungs- und Kontrollvorgaben auf spezifisch festgelegten Politikfeldern und nationale oder ggfs. auch von verschiedenen Nationalstaaten koordiniert vorgebrachte Anstrengungen zugunsten einer Verbesserung des Umwelt- und Gewässerschutzes nicht gleich überflüssig zu machen vermochte. Die umwelt- und gewässerpolitischen Regelungen und Aktivitäten der Europäischen Gemeinschaft(en) bildeten im Zeichen europäischer Integration seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts quasi einen wachsenden Fokus, um den sich in mehr oder weniger leuchtenden Farben die nationalen, ggfs. auch grenzüberschreitend organisierten Bemühungen um die Umwelt und die Gewässer im allgemeinen und den „Testfall“158 Rhein im besonderen lagerten, damit gemeinsam ein themabezogenes Bild vom Vereinten Europa geformt werde – das in seiner Buntscheckigkeit nicht immer leicht verständlich war, das provozierend unzulänglich sein konnte und das die breite Öffentlichkeit ebenso wie die Fachleute auch zu enervieren oder zu überfordern in der Lage war. Zu diesem Befund passt, dass ohne jeden Zweifel mit dem Auftakt zu einer europäischen Rheinpolitik nicht das Ende der Arbeit eingeleitet worden war, die die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung seit vielen Jahren aufgrund multilateraler Absprache leistete. Bezeichnend war, dass die IKSR sogar noch durch die Einrichtung einer Rhein-Ministerkonferenz aufgewertet wurde, die am 25./26. Oktober 1972, also kurz nach dem Ende der oben erwähnten Pariser Gipfelkonferenz, auf Einladung der niederländischen Regierung erstmals in Den Haag zusammenkam und seitdem zu einer ständigen, jährlich wenigstens einmal tagenden Einrichtung geworden ist159. Sie einigte sich „über einige zusammenhängende Dispositionen […], die einen ersten Schritt bei der Bekämpfung der Verunreinigung des Rheins erlauben“160, und gab u. a. vor, dass im Elsass ab dem 1. Januar 1975 pro Sekunde eine Menge von 60 kg Chlorid-Ionen gelagert werden konnte161. Die dafür erwachsenden Kosten von schätzungsweise 100 Millionen französischen Francs sollte die Schweiz zu 9 Prozent, die Bundesrepublik zu 30 Prozent, Frankreich zu 30 Prozent, die Niederlande zu 34 Prozent und Lutiger Umweltentwicklungen und einer nachhaltigen Bewirtschaftung von natürlichen Ressourcen und von Abfällen. Näheres ist, übersichtlich zusammengestellt, am besten einzusehen bei Christoph KNILL, Europäische Umweltpolitik, Hagen 2004, S. 55. 158 Europäisches Parlament (Anm. 138), S. 8. 159 SCHULZ, Reinhaltung des Rheins (Anm. 21), S. 21 und 24. 160 Kommuniqué der Ministerkonferenz über die Verunreinigung des Rheins. Den Haag, 25. und 26. Okt. 1972, S. 2, dem Verfasser am 4. Okt. 2006 von der IKSR in Kopie übermittelt. 161 Ebd., S. 3.
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xemburg zu einen noch festzulegenden Anteil tragen162. Weiterhin äußerten die Konferenzteilnehmer den Wunsch, „dass an der deutsch-niederländischen Grenze der Gehalt von 200mg/l Chlorid-Ionen unter keinen Umständen überschritten“163 werde. Zudem sollten Listen von Stoffen gefertigt werden, deren Einleitung „zu verbieten, einzuschränken oder mit bestimmten Auflagen zu verbinden“164 sei. Einer „thermischen Verunreinigung“ durch Atomkraftwerke am Ufer des Rheins – zu Anfang der 70er Jahre wurde „allein für die nächsten fünf bis zehn Jahre der Bau von mindestens 15 Atommeilern am südlichen Rhein und dessen Zuflüssen erwartet165 – solle so wirksam entgegengetreten werden, dass sich selbst in den Sommermonaten Juli und August die Temperatur des Stromes nicht um mehr als 2o Celsius erhöhe166. Von den neuen Entwicklungen auf europäischem Terrain, die die IKSR unmittelbar berührten, war auf dieser Konferenz nicht die Rede. Man hielt sich bedeckt, und es sollte zu dieser Linie gehören, dass die IKSR auch in den folgenden Jahren mit der Europäischen Kommission zunächst nicht einmal korrespondierte167, obwohl die Europäische Kommission schon 1972 den Vorschlag unterbreitete168, dass die EWG der IKSR beitreten möge. Erst nach und nach trat die Europäische Gemeinschaft einigen multilateralen Vereinbarungen zur Gewässerpolitik bei169, und im Jahre 1976 wurde schließlich mit einer „Zusatzvereinbarung“ zum Berner Abkommen vom 29. April 1963 (Berner Vereinbarung) ein Beitritt der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur IKSR perfekt, der der EWG bemerkenswerterweise das Recht zubilligte, für die Mitglieder der IKSR, die zugleich Mitglieder der 162 163 164 165
Ebd., S. 4. Ebd., S. 3. Ebd., S. 5. Vgl. den Bericht über die Reinhaltung der Binnengewässer unter besonderer Berücksichtigung der Verunreinigung des Rheins, den der Abgeordnete Boersma vorlegte, S. 7, in: Europäisches Parlament. Sitzungsdokumente (Anm.139). 166 Kommuniqué 1972 (Anm. 160), S. 5f. Seinerzeit waren erst vier Kraftwerke im Bau (ebd.). 167 Volker SCHMID, Der schmutzige Rhein. Kann das Völkerrecht helfen? Völkerrechtliche Ansätze zu einer rationalen Gewässerpolitik, Bamberg 1976, S. 101. 168 Vgl. den Entwurf einer Empfehlung des Rats an die Mitgliedsstaaten, die gleichzeitig Unterzeichner des Abkommens über die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung sind, vom 22. März 1972, EG-Dokument KOM (72) 335. In dem Entwurf heißt es auf S. 1: „Um den Zusammenhang zwischen den allgemeinen oder spezifischen Aktionen in bezug auf die Verunreinigung der Gewässer sicherzustellen, […] hat die Kommission gemäß der Stellungnahme des Europäischen Parlaments mit der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung Fühlung genommen, um zu ermitteln, ob sie als Beobachter an den Sitzungen des Lenkungsausschusses dieser Kommission teilnehmen kann“. 169 Vgl. Reinhold LILLINGER, Der Rhein – ein europäischer Strom: Zusammenwirken von Rheinschutzkommission, Europäischer Gemeinschaft und Europarat zur Erhaltung des Rheins, in: Gewässerschutz am Rhein. BASF-Symposion vom 12. Nov. 1976 in Ludwigshafen, Köln 1977, S. 13–24 (hier S. 23).
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EWG waren, zukünftig gemeinschaftlich abstimmen zu können, sofern diese Mitgliedsstaaten ihr Stimmrecht nicht in eigener Verantwortung ausübten170. Indem die EWG Vertragspartner der IKSR wurde, konnte sie unverzüglich171 dem von der Internationalen Kommission erarbeiteten und augenscheinlich geschätzten „Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen chemische Verunreinigung“172 (Chemieübereinkommen) beitreten173, das früh zu einem Eckpfeiler des europäischen Umwelt- und Gewässerschutzes werden sollte. Mit seinem Beschluss vom 25. Juli 1977 machte der Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ausdrücklich noch einmal klar, dass er sowohl den Beitritt der EWG zur IKSR wie auch den Beitritt der EWG zum Chemieübereinkommen als „im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geschlossen“174 ansah. Ihm kam es erkennbar darauf an, die koordinativen Leistungen einzelner seiner Mitgliedsstaaten fruchtbar in den Prozess der europäischen Integration einzubinden. Das mochte zu Bremswirkungen führen, konnte auf der anderen Seite aber auch Impulse setzen für weitere Fortschritte bei der Verwirklichung der europäischen Einigung. Bis zum Ende der 90er Jahre blieb der europäischen Umwelt- und Gewässerpolitik ein charakteristischer Patchwork-Stil zueigen. Mit einer Vielzahl von Maßnahmen suchte die Europäische Gemeinschaft der gewachsenen und bis in die 90er Jahre zunehmenden175 Anteilnahme176 an einer gesunden 170Auch der umgekehrte Fall war ausdrücklich denkbar. Vgl. Art. 6 Abs. 2 der Zusatzvereinbarung zu der in Bern am 29. April 1963 unterzeichneten Vereinbarung über die Internationale Kommission zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung vom 3. Dez. 1976, in: Amtsblatt L 240 vom 19. Sept. 1977, S. 48–65. 171 Der Beitritt zum Chemieübereinkommen erfolgte noch am Tage der Unterzeichnung der Zusatzvereinbarung, also am 3. Dez. 1976. 172 Zusammen mit dem Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride vom 3. Dez. 1976 veröffentlicht in: BGBl II 1978, S. 1054–1073. 173 Im Beschluss des Rates vom 25. Juli 1977 über den Abschluss des Übereinkommens zum Schutz des Rheins gegen chemische Verunreinigung und der Zusatzvereinbarung zu der am 29. April 1963 in Bern unterzeichneten Vereinbarung über die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung (in: Amtsblatt L 240 vom 19. Sept. 1977, S. 35–52), heißt es: „Damit sich die Gemeinschaft an der Anwendung dieses Übereinkommens (gemeint ist Chemieübereinkommen, H. H.) beteiligen kann, muss sie der am 29. April 1963 in Bern unterzeichneten Vereinbarung über die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung beitreten“. 174 Siehe Art. 1 des Beschlusses vom 25. Juli 1977. 175 Angesichts eines nachlassenden wirtschaftlichen Wachstums und einer beachtlichen Arbeitslosigkeit im vereinten Europa macht Christoph Knill für die 90er Jahre eine relative „Abkühlung des umweltpolitischen Elans“ aus. Vgl. KNILL, Europäische Umweltpolitik (Anm. 158), S. 42; siehe auch S. 36 und S. 40. 176 Hervorgehoben sei in diesem Zusammenhang nur die in den Jahren 1954–1997 drastisch gestiegene Anzahl von Umweltverbänden: 1954: 59; 1984: 546; 1992: um 1500; 1997: um 3000. Vgl. dazu die Angaben bei Sabine SCHWARZ, Die Europäisierung der Umweltpolitik. Politisches Handeln im Mehrebenensystem, Berlin 2002, S. 21. Sie gehen zurück auf die Auskünfte bei Claus WEPLER, Europäische Umweltpolitik. Die Umweltuni-
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Umwelt im allgemeinen und an sauberem Wasser im besonderen Rechnung zu tragen, und die IKSR tat auf dem ihr übertragenen grenzüberschreitenden Aufgabenfeld innerhalb eines vereinten Europas das Ihrige, um der Verschmutzung des Rheins mit wirkungsvollen Schritten zu begegnen. Als Teil einer etappenmäßig sich fortentwickelnden, auch von den Aktivitäten des Europarates177 und des Europäischen Parlamentes178 weiterhin nachdrücklich unterstützten europäischen Umweltpolitik179 und einer auf der Ebene der IKSR dynamisch sich weiter entfaltenden grenzüberschreitenden Fürsorge für den Rhein wurden die 80er und 90er Jahre des vergangenen 20. Jahrhunderts in der Tat zu Erholungsjahren für den Rhein. Die nachfolgenden Diagramme können dies nur beispielhaft belegen, zumal sie nur die im Verlauf vieler Jahre erreichten Verbesserungen anzeigen, nicht aber Indizien liefern für das Erreichen von wünschenswerten oder bereits festgelegten Qualitätsstandards. Dazu ist erklärend festzuhalten, dass bis heute (2008) in Europa kein System von Gütenormen aufgebaut werden konnte, das es zuließe, auf eindeutiger und einhellig anerkannter Grundlage grenzüberschreitend180 von on als Chance für die materielle und institutionelle Weiterentwicklung der europäischen Integration, Marburg 1999, S. 509. 177 Eine Durchsicht der vom Ministerkomitee und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates verabschiedeten Dokumente (zugänglich unter www.coe.int) zeigt, dass sich der Europarat in den Jahren 1970–2000 immer wieder mit Fragen einer europäischen Umweltpolitik beschäftigt hat und dabei den europäischen Gewässern sowie speziell auch dem Rhein seine Aufmerksamkeit widmete. Vier „recommendations“, die die Parliamentary Assembly of the Council of Europe (PACE) verabschiedete, galten expressis verbis dem Rhein: Rec 629 (1971) vom 22. Jan. 1971, betreffend „pollution of the Rhine valley watertable“; Rec 772 (1975) vom 9. Okt. 1975, betreffend „European co-operation in specific scientific fields – The Rhine valley ground water“; Rec 882 (1979) vom 11. Okt. 1979, betreffend „water pollution of the Rhine river basin”; Rec 1052 (1987) vom 29. Jan. 1987, betreffend „pollution of the Rhine”. 178 Bei einer „Titel und Text“-Recherche unter eur-lex.europa.eu/de/index.htm ergaben sich auf der Grundlage der Suchsprache „EN Englisch“ allein bei Eingabe der Wörter „rhine“ und „water“ sowie „rhine“ und „water protection“ oder auch „rhine“ und „water pollution“ schon insgesamt über 200 Treffer. Sie indizieren bei ersten Durchsichten, dass das Europäische Parlament durch die ihm zugegangenen Informationen sowie durch Anfragen, Entschließungen und Beschlüsse auf vielfältige Weise in die europäische Umweltpolitik und insbesondere auch in die europäische Wasserpolitik involviert blieb, auch soweit der Rhein und der Zustand seines Wassers ausdrücklich thematisiert wurde. 179 John MCCORMICK unterscheidet für die ins Auge gefasste Zeit drei Phasen: 1. The Environmental Revolution (1973–1986); 2. The EU Establishes Legal Competence (1987– 1992); 3. Consolidation (1993–). Siehe des Näheren die Ausführungen in seinem Buch: Environmental Policy in the European Union, Houndmills [u. a.] 2001, S. 45–68. 180 Anders kann sich das Bild auf regionaler oder nationaler Ebene darstellen. So ist für Nordrhein-Westfalen auf die Allgemeine Güteanforderungen für Fließgewässer (AGARichtlinie) vom 14. Mai 1991 zu verweisen (veröffentlicht in: Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen vom 3. Juli 1991, S. 863–874 und vom 27. Dez. 1991, S. 1821; siehe auch: Sammlung des Ministerialblattes für das Land Nordrhein-Westfalen [SMBl NW]. Stand 15. Nov. 1999, Gliederungsnummer 770). Darüber hinaus ist die „Gewässerbestandsaufnahme-, Einstufungs- und Überwachungsverordnung (GewBEÜV) vom 10. Febr.
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gutem oder schlechtem, sauberem oder verschmutztem, noch akzeptablem oder intolerablem Rheinwasser zu sprechen und damit einen jeweils gegebenen umweltpolitischen Zustand zu bewerten. Die IKSR hantiert derzeit nur mit einer unverbindlichen Liste, in der sie „Qualitätskriterien für Rheinrelevante Stoffe“ erfasst hat181, und verweist ergänzend auf einige Ansätze zu verbindlichen Regelungen, die durch EU-Richtlinien geschaffen wurden182 2006 (siehe die Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 23. Okt. 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. Febr. 2006, 60, Nr. 3, 2006, S. 52–74) in diesem Kontext zu benennen, die in ihrem Anhang 4 und 5 EU-weit bestehende Qualitätsnormen für Nordrhein-Westfalen vorgibt und damit die WRRL umsetzt. Für die Zukunft ist in Konkretisierung von Art. 16 und 17 WRRL die Verabschiedung einer europäischen Tochterrichtlinie „prioritäre Stoffe“ und einer europäischen Tochterrichtlinie „Grundwasser“ zu erwarten. Beide Richtlinien werden dann gebotenermaßen unter der Ägide der Europäischen Kommission in nationales bzw. regionales Recht und in nationale bzw. regionale und kommunale Praxis umzusetzen sein. 181 Auskunft IKSR vom 20. Nov. 2006. 182 Nach einer Mailauskunft der IKSR vom 15. Nov. 2006 sind bisher für den Rhein keine Standards für tolerable Verschmutzungsfrachten festgelegt worden. Das Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride (Chloridübereinkommen) vom 3. Dez. 1976 sowie das später vereinbarte „Zusatzprotokoll zum Übereinkommen zu Schutz des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride“ vom 25. Sept. 1991 (veröffentlicht im Bundesgesetzblatt II 1978, S. 1053 und 1065–1073 sowie II 1994, S. 1303–1312) geben jeweils schon in ihren Einleitungen an, dass an der Messstation Bimmen/Lobith nahe der deutsch-niederländischen Grenze ein Konzentrationswert van 200 mg/l Chloridionen nicht überschritten werden soll. Die Richtlinie des Ministerrates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 15. Juli 1980 über die „Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch“ (in: Amtsblatt L 229 vom 30. Aug. 1980, S. 11–29) erhielt zum 1. Jan. 1995 eine nichtamtliche konsolidierte Fassung (nach dem Stand vom 18. Nov. 2006 zu ermitteln unter: eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/consleg/1980/L/01980L0778-19950 101-de.pdf), der zu entnehmen ist, dass zumindest im Grundwasser eine Höchstkonzentration von 50 mg/l an Nitraten und von 0,1 mg/l an Nitriten nicht überschritten werden sollte (dort S. 9). Die Richtzahl für den Nitratanteil lag allerdings schon bei 25 mg/l (so auch in der Richtlinie 91/676/EWG des Ministerrates der EWG vom 12. Dez. 1991 „zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen“ [in: Amtsblatt L 375 vom 31. Dez. 1991, S. 1–8]; für Nitrite wurde keine Richtzahl angegeben). Für Phosphor wurde die Richtzahl von 400 µg/l P2O5 vorgegeben und eine Höchstkonzentration von 5000 µg/l P2O5 zugelassen, für Cadmium zudem eine Höchstkonzentration von 5 µg/l. Die Richtlinie vom 30. Aug. 1980 ist am 25. Dez. 2003 außer Kraft getreten und ersetzt worden durch die Richtlinie 98/83/EG des Rates vom 3. Nov. 1998 über die Qualität des Wassers für den menschlichen Gebrauch (in: Amtsblatt L 330 vom 5. Dez. 1998, S. 32–54). Folgende Parameterwerte wurden hier für Nitrate, Nitrite, Phosphor oder auch Cadmium angegeben – wenn sie angegeben wurden: Nitrat: 50,00 mg/l; Nitrit: 0,50 mg/l; Cadmium: 5,0 µg/l (jeweils S. 42). Die Richtlinie des Ministerrates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 18. Juli 1978 über die Qualität von Süßwasser, das schutz- oder verbesserungsbedürftig ist, um das Leben von Fischen zu erhalten (Fischereigewässer-Richtlinie, in: Amtsblatt (der EWG) L 222 vom 14. Aug. 1978, S. 1–10) sowie die ändernden Rechtsakte vom 23. Dez. 1991 und vom 14. April 2003 (siehe Amtsblatt L 377 vom 31. Dez. 1991, S. 48–54, und L 122 vom 16 Mai 2003, S. 36–62) gaben zumindest bis zum 14. Okt. 2006, dem Ende der Gültigkeit dieser Rechtsvorgaben, an, dass je
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und deren rudimentärer und in der Sache nach wie vor verbesserungsbedürftiger Umfang erstaunlich ist. Hier bleibt nur, auf einen weiteren Ausbau der Tätigkeiten zu setzen, die die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung einbringt, und im Übrigen vor allem auf weitere Fortschritte im Prozess der europäischen Integration zu hoffen, auch im Rahmen einer Umsetzung der homogenisierenden, verbindlichen europäischen Wasserrahmenrichtlinie183, von der unten noch die Rede sein wird. Der von der Vereniging van rivierwaterbedrijven (RIWA) in Verbindung mit der Internationalen Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke im Rheineinzugsgebiet (IAWR)184 herausgegebene und von Walter Jülich verantwortete Band Die Wasserqualität des Rheins und seiner Nebengewässer185, dem die unten wiedergegebenen Darstellungen entnommen sind186, liefert eine Fülle weiterer illustrativer Dokumente, zu denen aber leider keine Schaublider über den Phenolgehalt des Rheins in den späten Jahren des 20. Jahrhunderts gehören. Dies wird darauf zurückzuführen sein, dass der Phenolgehalt des Rheins seit
nach Gewässerart ein Gehalt an gelöstem Sauerstoff von 4–6 mg/l noch akzeptabel sei; die genannten Rechtsvorgaben der Europäischen (Wirtschafts-) Gemeinschaft bezogen sich aber nicht eigens auf den Rhein (siehe dazu am besten S. 9 der nichtamtlichen konsolidierten Fassung der Fischereigewässer-Richtlinie unter: eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/ de/consleg/1978/L/01978L0659-20030605-de.pdf. Stand 18. Nov. 2006). Zur Bewertung der Sauerstoffsättigung des Rheins ist nur zu sagen, dass ein möglichst hoher Prozentsatz erstrebenswert ist. Vgl. dazu auch den Art. Sauerstoffsättigung (Umwelt) im Internet (Stand 19. Nov. 2006) unter de.wikipedia.org/wiki/Sauerstoffs%C3%A4ttigung_(Umwelt). 183 Vom 23. Okt. 2000. Richtlinie in: Amtsblatt L 327 vom 22. Dez. 2000, geändert am 20. Nov. 2001, in: Amtsblatt L 331 vom 15. Dez. 2001. 184 Association of River Waterworks, Verband der Flusswasserwerke, L’Association des Services d’Eau du Rhin Internationale. Sitz: Nieuwegein, Niederlande. Mailadresse: www. riwa.org. Von Seiten der RIWA selbst wurde dem Verfasser allerdings am 13. April 2004 mitgeteilt, „RIWA“ stehe für „Richard von Weinhausen“, der den Verband 1937 in Amsterdam ins Leben gerufen habe. Cornelis DISCO gibt als Gründungsjahr das Jahr 1951 an: The View from Below: Dutch Riverine Waterworks and the Struggle to Clean up the Rhine 1925–1975, S. 63, im Internet unter www.ifz.tugraz.at/index_en.php/article/articleview/ 658/1/30/. Stand 27. Jan. 2007. Als Gründungsjahr der IAWR benennt Disco das Jahr 1969, das Jahr des großen Fischsterbens im Rhein (The View from Below: Dutch Riverine Waterworks and the Struggle to Clean up the Rhine 1925–1975, S. 65), aber tatsächlich wurde die Internationale Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke im Rheineinzugsgebiet erst am 23. Jan. 1970 in Düsseldorf, als Dachorganisation für die Arbeitsgemeinschaft Wasserwerke Bodensee-Rhein (AWBR), die Arbeitsgemeinschaft Rheinwasserwerke (ARW) sowie die Vereniging van Rivierwaterbedrijven (RIWA), gegründet. Vgl. auch Maarten SCHALEKAMP, Vater Rhein: Die Sonne geht auf!, Zürich (1993), S. 1. 185 Schiedam 2003 186 Die Schaubilder, die im Original auf den S. 52, 53 und 88, wiedergegeben sind, beruhen jeweils auf Jahremittelwerten, die RIWA erhoben hat. Die Darstellung auf S. 45 des Originals, oben, beruht auf Monatsmittelwerten von RIWA. Aus technischen Gründen können diese Angaben nicht direkt über die Schaubilder vermittelt werden.
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Mitte der 80er Jahre deutlich abnahm187 und sich seit Anfang der 90er Jahre „im grünen Bereich“ bewegte, wie die nachstehende Graphik188 nahelegt.
187 So auch die Mitteilung der IKSR vom 22. Dez. 2006 an den Verfasser. Die gleiche Auskunft enthält ein Mail, die der Geschäftsführer der Internationalen Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke im Rheineinzugsgebiet, FraJo Wirtz, am 3. Jan. 2007 an den Verfasser sandte. Wirtz bringt die erfolgreiche Beseitigung einer Belästigung durch Phenole mit der Entwicklung eines „Düsseldorfer Verfahrens“ in Verbindung. Es erlaubt die Aufbereitung von Rhein-Uferfiltrat mit Ozon bzw. mit Ozon-Aktivkohle schon seit den 60er Jahren. 188 In ihr zeigen die mit „2“ versehenen Felder an, dass „Messwerte in der Nähe der Zielvorgabe“ erreicht wurden. Die mit „3“ versehenen Felder erfassen die „Ergebnisgruppe: Zielvorgaben erreicht bzw. deutlich unterschritten“. Die in die Felder eingetragenen Ziffern stehen für unterschiedliche Gruppen, wie im Anhang I zu entnehmen ist: 1. Gruppe: Die Zielvorgaben werden nicht erreicht bzw. deutlich überschritten. In diese Gruppe fallen alle prioritären Stoffe, deren 90-Perzentilwert (oder doppelter 50-Perzentilwert bzw. für Gesamtphosphor-P Mittelwert) größer als die doppelte Zielvorgabe ist. 2. Gruppe: Die Messwerte liegen in der Nähe der Zielvorgaben. In diese Gruppe fallen: alle prioritären Stoffe, deren errechneter 90-Perzentilwert (oder doppelter 50-Perzentilwert bzw. für Gesamtphosphor-P Mittelwert) kleiner als die doppelte und größer als die halbe Zielvorgabe ist; alle prioritären Stoffe, deren Zielvorgabe unter der Bestimmungsgrenze liegt. Diese sind mit einer Fußnote gekennzeichnet. 3. Gruppe: Die Zielvorgaben werden erreicht bzw. deutlich unterschritten. In diese Gruppe fallen alle prioritären Stoffe, deren 90Perzentilwert (oder doppelter 50-Perzentilwert bzw. für Gesamtphosphor-P Mittelwert) kleiner als die halbe Zielvorgabe ist.
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Auf die Darbietung ggfs. vorhandenen zusätzlichen archivalischen Materials muss allein schon deshalb verzichtet werden, weil Abgabeusancen und Sperrfristen Benutzungsgrenzen setzen.
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Die auf Säuberung und Sanierung basierende Erholungsphase des Rheins fiel in eine Zeit, in der die Europäische Gemeinschaft ihre rechtlichen und institutionellen Grundlagen für eine „europäische Umweltpolitik“ deutlich weiter ausbaute189 und ihre umweltpolitischen Outputs190 drastisch erhöhen konnte. 189 190
Vgl. KNILL, Europäische Umweltpolitik (Anm. 158), 16, 39–42. Richtlinien, Verordnungen, Entscheidungen und Beschlüsse, Programme und Sonstiges. Vgl. dazu grundsätzlich die Angaben bei SCHWARZ, Die Europäisierung der Umweltpolitik (Anm. 177), Tabelle 4, S. 26. Zu den sechs bisher herausgegebenen umweltpoliti-
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Ein großer Impuls ging wieder einmal von einem spektakulären Rhein-Unfall aus. Am frühen Morgen des Allerheiligen-Tages von 1986, am 1. November also, wurde die Öffentlichkeit durch einen Großbrand aufgeschreckt, der sie für einige Zeit intensiv beschäftigen sollte, weil er sich schnell zur Ursache einer Umweltkatastrophe entwickelte. Der Brand war in dem zwischen den schweizerischen Gemeinden Muttenz und Pratteln bei Basel gelegenen großen Industriegebiet Schweizerhalle ausgebrochen, in dem direkt am Rhein der Chemiekonzern Sandoz angesiedelt war191.
Einsammeln der toten Aale aus dem vergifteten Rhein nach dem Chemie-Unfall 1986 bei Sandoz (Keystone)
Alarmsirenen weckten die Menschen in der Umgebung der Produktionsstätte auf, um sie vor möglichen schädlichen Gasen zu warnen, die brennende Chemikalien192 verursachen mochten. Sie machten damit zugleich auf die hoch schlagenden Flammen, den dicken Rauch und die Geruchsbelästigungen aufmerksam, die der Sandoz-Vorfall hervorrief. Für mehrere Stunden wurde den Anwohnern eine Ausgangssperre auferlegt. Solche Vorsichtsmaßnahmen konnten erfolgreich Schutz bieten, aber sie verhinderten nicht, dass rot gefärbtes Löschwasser in den Rhein floss und dort das Leben katastrophal schädigte. schen Aktionsprogrammen der EU vgl. nochmals die vorzüglichen Darlegungen bei KNILL, Europäische Umweltpolitik (Anm. 158), S. 54–58 sowie S. 73–86. 191 Vgl. die Ausführungen unter //de.wikipedia.org/wiki/Schweizerhalle. Stand 23. Nov. 2006. 192 Von 1000 Tonnen verbrannter Chemikalien wird berichtet. Vgl. www.wasistwas.de/natur-tiere/alle-artikel/artikel/link//08c9fd9ba4/article/oekosystem-rhein-ein-fluss-erholt-sich. html.
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Im Abstand von sechs Tagen kontaminierten zwei Giftwellen den Fluss auf einer bis zu den Niederlanden reichenden Strecke mit Quecksilber, phosphororganischen Pestiziden und anderen Chemikalien, vor allem aber mit dem Pestizid Disulfoton. Sie vernichteten die im Rhein lebenden Organismen bis in die Flusssohle hinein, darunter eine halbe Million Fische, eingeschlossen die gesamte Aalpopulation des Rheins193. Die Trinkwasserversorgung für 9 Millionen den Rhein entlang wohnende Bürger musste unverzüglich unterbrochen werden194. Es war klar, dass in dieser Situation eine Sanierung des Rheins mehr denn je das Gebot der Stunde war, dass sich aber die Europäische Gemeinschaft in der Verfolgung ihrer bereits festgelegten umweltpolitischen Ziele nur würde bestärkt finden wollen. So beließ es der Rat der Europäischen Gemeinschaft in seiner Reaktion auf das schweizerische Großereignis bei einer dürrtechnisch ausgerichteten Entschließung, in der er die Europäische Kommission am 24. November 1986 aufforderte, „die Maßnahmen der Gemeinschaft zur Verhütung schwerer Unfälle und zur Begrenzung ihrer Folgen zu überprüfen und erforderlichenfalls geeignete Vorschläge vorzulegen“195. Im Übrigen überließ er das Feld notwendiger Reaktionen auf die mit dem SandozFall verbundene europaweite Erschütterung des Vertrauens in die Selbstkontrolle der chemischen Industrie der Absprache und Organisation nationalstaatlicher Maßnahmen196. Als von dem Sandoz-Feuer unmittelbar betroffene 193 Am 1. und 7. Nov. 1986. Vgl. SCHULZ, Reinhaltung des Rheins (Anm. 21), S. 33. Vgl. zudem //de.wikipedia.org/wiki/Schweizerhalle sowie ergänzend Walter GIGER, 20 Jahre nach dem Chemiebrand in Schweizerhalle. Überwiegend vorteilhafte Langzeit-Auswirkungen einer Umweltkatastrophe, in: Neue Zürcher Zeitung vom 1. Nov. 2006, Internet: www.eawag.ch/media/20061101/Giger_Schweizerhalle.pdf; Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 25. Okt. 2006, S. 12: Nur der Stör fehlt noch. Zwanzig Jahre nach der Sandoz-Katastrophe lebt der Rhein; Europäische Kommission, Wasserrahmenrichtlinie: Tauchen Sie ein!, Luxemburg 2002, S. 6, im Internet unter: ec.europa.eu/environment/water/water-framework/pdf/brochure de.pdf (Stand 23. Nov. 2006); Ausschussprotokoll 10/410 des Ausschusses für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz, Landtag Nordrhein-Westfalen, 21. Sitzung vom 6. Nov.1986 (in: Dokumentenarchiv des Landtags Nordrhein-Westfalen): Landesamt für Wasser und Abfall Nordrhein-Westfalen, Brand bei Sandoz und Folgen für den Rhein in NRW, Nov. 1986 (LWA-Sonderbericht, in: Dokumentenarchiv des Landtags Nordrhein-Westfalen). 194 Vgl. Europäische Kommission, Wasserrahmenrichtlinie: Tauchen Sie ein! (Anm. 194), S. 6. 195 Siehe die Einführung der Richtlinie 88/610/EWG vom 24. Nov. 1988 zur Änderung der Richtlinie 82/501/EWG über die Gefahren schwerer Unfälle bei bestimmten Industrietätigkeiten, in: Amtsblatt L 336 vom 7. Dez. 1988, S. 14–18. 196 Zumindest langfristig hat dies die Zustimmung der Öffentlichkeit zur Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaft und ihrer umweltpolitisch ambitionierten Kommission offenbar nicht geschmälert. Nach den für ein „Eurobarometer“ zwischen 1992 und 1995 durchgeführten Erhebungen wurde der Europäischen Gemeinschaft in der Bevölkerung der EU-Mitgliedsstaaten sehr weitgehend ein anforderungsgerechtes umweltpolitisches Profil
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Rhein-Anliegerstaaten legten die Mitgliedsstaaten der Internationalen Kommission zum Schutz(e) des Rheins gegen Verunreinigung197 ihr erstes grundlegendes Konzept für den Zuschnitt und die Durchführung solcher Schritte mit dem 1991 über die IKSR herausgegebenen Ökologischen Gesamtkonzept für den Rhein ‚Lachs 2000’ vor198. Es konnte zurückgreifen auf das zuvor mit kurz- und mittelfristiger Perspektive verfasste Aktionsprogramm ‚Rhein’199 der IKSR. Dieses wurde von der 8. Ministerkonferenz zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung am 1. Oktober 1987 in Straßburg verabschiedet200. Seine aquatische und ökologische Bedeutung wurde durch die Verabschiedung weiterer konkretisierender Maßnahmen201 auf der 9. Ministerkonferenz des Jahrs 1988 noch unterstrichen, zumal sie alle darauf ausgerichtet waren, unter „Einsatz von über 150 Experten“202 dem Aktionsprogramm ‚Rhein’ zum Erfolg zu verhelfen. In ihm spielte übrigens das Problem einer thermischen Belastung des Rheins keinerlei Rolle. Deshalb beauftragte sowohl die 8. wie die 9. Ministerkonferenz die IKSR nochmals ausdrücklich, auch diesem Punkt eines Gewässerschutzes ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Die IKSR stellte jedoch zugesprochen: Vgl. Sabine SCHWARZ, Die Europäisierung der Umweltpolitik (Anm. 177), S. 19 f. 197 Auf deutscher Seite weiterhin über die Deutsche Kommission zur Reinhaltung des Rheins (DKRR). Daneben war weiterhin die EG beteiligt, weil sie bekanntlich 1976 der IKSR beigetreten war. 198 Anne SCHULTE-WÜLWER-LEIDIG (Bearb.), Ökologisches Gesamtkonzept für den Rhein „Lachs 2000“, hrsg. von der Internationalen Kommission zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung, Koblenz 1991. 199 Internationale Kommission zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung, Aktionsprogramm „Rhein“, Straßburg 1987. 200 Vgl. das Kommuniqué über die 8. Ministerkonferenz zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung , Straßburg, 1. Okt. 1987, in: Archivbestand der IKSR. Siehe auch Anne SCHULTE-WÜLWER-LEIDIG (Red.), Stromaufwärts. Bilanz Aktionsprogramm Rhein, hrsg. von der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins, Koblenz 2003, S. 5. Im Hinblick auf den Sandoz-Vorfall wurden bereits von der 7. Rhein-Ministerkonferenz am 19. Dez. 1986 in Rotterdam erste Beschlüsse gefasst. Vgl. das entsprechende Kommuniqué im Archivbestand der IKSR. Darüber hinaus hatte man sich am 12. 11.1986 eilig in Zürich zur Beratung zusammengefunden, siehe SCHULZ, Die Reinhaltung des Rheins (Anm. 21), S. 34. 201 Dazu zählte, bis zum Ende der 2. Phase (1. Phase: bis 1989, 2. Phase: bis 1995, 3. Phase: bis 2000), d. h. bis Ende 1995, die Einleitung prioritärer Stoffe „in der Größenordnung von 50 %“ zu reduzieren. Anzuwenden sei der „Stand der Technik“. Was unter „Stand der Technik“ zu verstehen sei, wurde immerhin in einer „Anlage E“ kurz erläutert. Welche Stoffe als „prioritäre Stoffe“ gelten sollten, ergab sich aus einer „Anlage B“ des Aktionsprogramms „Rhein“. Vgl. Internationale Kommission zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung, Aktionsprogramm „Rhein“, Straßburg (30. Sept.) 1987, S. 14; SCHULZ, Reinhaltung des Rheins (Anm. 21), S. 35. 202 Vgl. das Kommuniqué über die 9. Ministerkonferenz zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung , Bonn, 11. Okt. 1987, in: Archivbestand der IKSR. Siehe auch SCHULTEWÜLWER-LEIDIG (Red.), Stromaufwärts (Anm. 201), S. 6.
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„ihre Arbeiten auf diesem Gebiet 1989 ein“, weil „die thermische Belastung des Rheins kein vorrangiges Problem mehr“203 sei. Seit Beginn der 70er Jahre204 hatte die Europäische Kommission ihre Umwelt- und Gewässeraktivitäten mit der Aufgabe begründen müssen, „eine harmonische und ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft“205 zu fördern. Ergänzend verwies sie auf die Notwendigkeit einer Rechtsangleichung206 und die generelle Ermächtigung, gemeinsame europäische Vorschriften zu erlassen, wenn dies zur ausbauenden Verfolgung der Ziele des Gemeinsamen Marktes erforderlich sei207. Die Einheitliche Europäische Akte (EEA) vom 28. Februar 1986 schuf für die europäische Umweltpolitik eine präzisere Grundlage, indem ihr Titel VII208 der Umwelt gewidmet wurde. Als Ziel gemeinschaftlicher Umweltpolitik wurde vorgegeben: „die Umwelt zu erhalten, zu schützen und ihre Qualität zu verbessern; zum Schutz der menschlichen Gesundheit beizutragen; eine umsichtige und rationale Verwendung der natürlichen Ressourcen zu gewährleisten“209.
Damit lag auf der Hand, dass Umweltpolitik ganz selbstverständlich auch weiterhin Wasserpolitik sein würde210. Auf Drängen der EU-Mitgliedsstaaten und des Europäischen Parlaments211 mündete die intensive212, vom Maastrichter Vertrag ausdrücklich noch einmal sanktionierte213 Beschäftigung der 203 204 205 206 207 208 209 210
SCHULTE-WÜLWER-LEIDIG, Der Rhein (Anm. 154), S. 51. Siehe OBERLEITNER, Überblick (Anm. 105), S. 14. Art. 2 EWGV vom 25. März 1957, in: BGBl II 1957, S. 766–1013, (hier S. 772). Art. 100 EWGV. Art. 235 EWGV. Art. 130r–130t, in: Amtsblatt L 169 vom 29. Juni 1987, S. 1–29. Art. 130r, Abs. 1. Über umwelt- und gewässerpolitische Fragen konnte nach der EEA nur einstimmig beschlossen werden. Seit dem Vertrag von Maastricht wurde zwar grundsätzlich die Möglichkeit qualifizierter Mehrheitsentscheidungen eingeräumt, wichtige Bereiche erforderten und erfordern aber weiterhin zu ihrer Verabschiedung einen einstimmigen Beschluss. Zu diesen Bereichen gehört die Bewirtschaftung von Wasserressourcen (vgl. OBERLEITNER, Überblick [Anm. 105], S. 9 und Franz OBERLEITNER, Europäisches Wasserrecht. Eine Einführung, Teil II: System, S. 5), im Internet unter: www.boku.ac.at/hfa/lehre/europ wasserrecht/Europ Wasserrecht_%20II_System.doc. 211 Umwelt 5 (1999), S. 228–231. 212 Nimmt man einmal alle EU-Richtlinien zusammen, die das Thema Wasser behandelten, so wurden zwischen den beginnenden 70er und den endenden 90er Jahren über 30 EURichtlinien erlassen. Vgl. Bundesumweltministerium (Hrsg.), Umwelt 5 (1999) S. 228–231; www.umweltbundesamt.de/wasser/theme/5_99wrre.htm; vgl. auch die Auflistung wasserwirtschaftlich wichtiger Regelungen bei OBERLEITNER, Überblick (Anm. 105), S. 20–22. 213 Vgl. die Art. 130r–130t des Maastrichter Vertrages vom 7. Febr. 1992, in: Amtsblatt C 191 vom 29. Juli 1992.
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Europäischen Kommission mit dem Gewässerschutz schließlich gegen Ende der 90er Jahre in der Erarbeitung eines kohärenten europäischen Wasserrechtes, das für die europäische Wasserpolitik einen sicheren, überschaubaren, gemeinschaftsfördernden und zugleich gemeinschaftsbetonenden Ordnungsrahmen schuf. Der umständlich betitelte Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, der das Datum vom 26. Februar 1997 trägt und den die Europäische Kommission am 15. April 1997 dem Rat der Europäischen Union vorlegte214, sollte dem „Schutz der Umwelt“, der „Güte der […] Gewässer“ und der Versorgung mit einer „ausreichenden Wassermenge“ dienen, unter Berücksichtigung der gegebenen räumlichen Diversität und unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips eine „ausgewogene Entwicklung“ europäischer Regionen durch „enge Zusammenarbeit und kohärente Maßnahmen“ herbeiführen und „aquatische Ökosysteme“ sowie einen „zumindest guten Zustand […] [europäischer] Gewässer“, also demnach ausdrücklich auch des Rheins, schaffen. Der Tenor des Vorschlages ging in die europäische „Wasserrahmenrichtlinie“ ein, die das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union am 23. Oktober 2000 verabschiedeten215. Sie sollte im fortgesetzten, auf die Zukunft ausgerichteten Prozess der wachsenden Vergemeinschaftung einen neuen Fokus europäischer Verbindlichkeiten markieren und den organisatorischen Rahmen für einen europäischen Mehrwert abgeben, der in nachhaltigen und sachlich-fachlich überzeugenden Fortschritten in der europäischen Integration gesehen werden durfte. Die Wasserrahmenrichtlinie sollte das Bewusstsein davon stärken, dass keine Europa-Idee europäische Binnengewässer und insbesondere auch den Rhein sauber macht, mag sie die Grundvoraussetzungen für eine Säuberung und Sanierung des Rheins auch noch so sehr begünstigen. Dazu bedarf es praktischer, wo es nottut: grenzüberschreitender, verbindlich vereinbarter und kooperativ umgesetzter Lösungen. Diese können aquatische und ökologische Gütenormen für den Rhein und andere europäische Gewässer sichern; für ein „Vereinigtes Europa“ sind sie unerlässlich. Die Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik sollte den europäischen Anteil an der von den europäischen Institutionen sowie den nationalen, regionalen und lokalen Instanzen der Mitgliedsstaaten gemeinsam betriebenen Sorge um die Ressource Wasser effizienter und transparenter machen und 214 215
In: Amtsblatt C 184 vom 17. Juni 1997. Amtsblatt L 327 vom 22. Dez. 2000, geändert am 20. Nov. 2001, in: Amtsblatt L 331 vom 15. Dez. 2001.
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durch wirksame Bündelung sichtbar in Europa hervorheben. Denn „Wasser“, so heißt es einleitend in der Richtlinie, sei „keine übliche Handelsware, sondern ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss“. Zudem steige „die Nachfrage nach Wasser in ausreichender Menge und angemessener Güte […] permanent in allen Anwendungsbereichen“. „Die Gewässer der Gemeinschaft“ gerieten dadurch „unter wachsenden Druck“ und es sei erforderlich, eine „integrierte Wasserpolitik der Gemeinschaft“216 zu entwickeln. Diese aber sollte mit der Vorhaltung von genügend Wasser „zur Verbesserung der Lebensqualität“ in der Europäischen Union beitragen und „für eine dauerhafte Entwicklung in der gesamten Gemeinschaft“217 sorgen. Im Einzelnen verfolgte die europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) die Absicht, gemäß den geltenden Umwelt-Artikeln des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft218 die – im übrigen gegenüber den EU-Bürgern bestens zu rechtfertigenden und bei einigem gutem Willen medial vorzüglich zu kommunizierenden – Verbindlichkeiten einer “gemeinschaftlichen Umweltpolitik“219 im Zusammenhang darzustellen, z. B. die folgenden zentralen Ziele: - Erhaltung und Schutz der Umwelt220, - umsichtige und rationelle Verwendung natürlicher Ressourcen221, - Anerkennung von Vorsorge und Vorbeugung als Grundpfeiler europäischer Umweltpolitik222, - Geltung des Verursacherprinzips223, - Bildung von Flussgebietseinheiten224, die sich an den jeweils gegebenen naturräumlichen Verhältnissen orientieren und dort, wo dies aus naheliegenden Gründen geboten erscheint, auch nationale Grenzen überwinden225, - Bewirtschaftung der Süßwasserressourcen in festgelegten, ggfs. auch grenzüberschreitenden Flussgebietseinheiten226, nicht zuletzt auch mit dem Ziel, für Wasserdienstleistungen kostendeckende Gebühren zu erheben227, 216 217 218
Absätze 1, 4 und 9 der Einleitungsformel. OBERLEITNER, Überblick (Anm. 105), S. 14. Es geht hier nunmehr um den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) in der durch den Amsterdamer Vertrag vom 2. Okt. 1997 geänderten und am 1. Mai 1999 in Kraft getretenen Fassung. Mit dem Amsterdamer Vertrag erhielten die Umweltartikel des Maastrichter Vertrages neue Nummern, so dass sie von Mai 1999 an als Art. 174, 175, 176 (statt bisher 130r–130t) geführt werden. An dieser Stelle wird speziell auf Art. 174 EGV Bezug genommen. 219 OBERLEITNER, Überblick (Anm. 105), S. 44. 220 Vgl. Abs. 11 der Einleitungsformel WRRL. 221 Ebd. 222 Ebd. 223 Ebd. 224 Vgl. Art. 5 der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). 225 Europäische Zusammengehörigkeit sollte offenbar zu sachlich begründbaren Grenzen führen und unter dieser Voraussetzung nationale Grenzen in Europa relativieren.
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- Einbeziehung der Öffentlichkeit und der von der europäischen Wasserpolitik betroffenen Interessengruppen in die Umsetzung der Richtlinie228. Des Weiteren gibt die europäische Wasserrahmenrichtlinie den EUMitgliedsstaaten verbindlich vor, die „Oberflächenwasserkörper“ innerhalb von 15 Jahren wirkungsvoll zu schützen, zu verbessern und zu sanieren, um am Ende „einen guten Zustand der Oberflächengewässer“229 vorweisen zu können. Künstlich und erheblich veränderte Wasserkörper sollten spätestens 15 Jahre nach Inkrafttreten der Wasserrahmenrichtlinie über „ein gutes ökologisches Potential und einen guten chemischen Zustand“230 verfügen. Zudem sei die „Verschmutzung durch prioritäre Stoffe schrittweise zu reduzieren231 und alles zu tun, was “eine Verschlechterung des Zustands aller Grundwasserkörper“232 verhindern könne. Ohnehin müsse binnen 15 Jahren auch „ein guter Zustand des Grundwassers“233 erreicht werden. Einer besonderen Obhut unterstellte die europäische Wasserrahmenrichtlinie, für deren Umsetzung und Befolgung die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof auftragsgemäß die letzte gemeinschaftliche Verantwortung trugen234, die Wasserschutzgebiete235.
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Vgl. besonders Art. 4 und 13 WRRL. Vgl. Art. 9 WRRL. Vgl. Art. 14 WRRL. Zur besonderen Rolle eines „offenen Konsultations-Prozesses” auf europäischer Ebene und des Beitrages von Bürgern und Bürgergruppen zur Verbesserung der Gewässergüte vgl. Helmut BLÖCH, Die EU-Wasser-Rahmenrichtlinie, in: Integrierte Gewässerpolitik in Europa. Gewässerschutz, Wassernutzung, Lebensraumschutz, hrsg. von Thomas Bruha und Hans-Joachim Koch, Baden-Baden 2001, S. 119–127 (hier S. 121 u. 123). Weiter gefasst sind die das Thema „Öffentlichkeit und Europa“ betreffenden Abhandlungen von Jürgen GERHARDS, Das Öffentlichkeitsdefizit der EU – Theoretische Überlegungen und empirische Befunde, in: Information und Kommunikation in Europa, hrsg. von Barbara Baerns und Juliane Raupp, Berlin 2000, S. 46–60; Ansgar KLEIN [u. a.], Demokratie-, Öffentlichkeits- und Identitätsdefizite in der EU – Diagnose und Therapiefähigkeit, in: Bürgerschaft, Öffentlichkeit und Demokratie in Europa, hrsg. von Ansgar Klein [u. a.], Opladen 2003, S. 7–19; Ruud KOOPMANNS [u. a.], Konstitutionsbedingungen politischer Öffentlichkeit: Der Fall Europa, in: Zur Zukunft der Demokratie, hrsg. von Hans-Dieter Klingemann und Friedhelm Neidhardt, Berlin 2000, S. 263–293. 229 Art. 4 Abs. 1 Buchstabe a lit. ii WRRL. 230 Ebd., Buchstabe a lit. iii WRRL. 231 Ebd., Buchstabe a lit. iv WRRL. 232 Ebd., Buchstabe b lit. i WRRL. 233 Ebd., Buchstabe b lit. ii WRRL. 234 Dazu Wolfgang SEIDEL/Jörg RECHENBERG, Rechtliche Aspekte des integrativen Gewässermanagements in Deutschland, in: Zeitschrift für Umweltrecht 15 (2004), S. 213–221 (hier S. 219). Der Europäische Gerichtshof hat 2005 und 2006 bereits erste Urteile wegen ausgebliebener Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie gesprochen. Sie richten sich gegen die Bundesrepublik Deutschland, Belgien, Portugal und Italien. Vgl. Amtsblatt C 36 vom 11. Febr. 2006; Amtsblatt C 48 vom 25. Febr. 2006; Amtsblatt C 60 vom 11. März 2006. 235 Vgl. Art. 4 Abs. c WRRL.
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Gegen die europäische Wasserrahmenrichtlinie sind in der Fachliteratur von unterschiedlichen Grundpositionen aus mit verschiedenen Argumenten zahlreiche Einwände erhoben worden. Aus der Vielzahl kritischer Betrachtungen236 seien beispielhaft nur die gegenpoligen Äußerungen der beiden durch ihre juristischen Veröffentlichungen einschlägig ausgewiesenen Fachmänner Rüdiger Breuer und Michael Schmalholz237 herausgegriffen. Beide Autoren anerkannten, dass die Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Union ein wichtiges Faktum geschaffen habe.
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Vgl. dazu die Einführung von OBERLEITNER, System (Anm. 211), S. 63f, im Internet unter: www.boku.ac.at/hfa/lehre/europ wasserrecht/EuropWasserrecht_%20II_System.doc, auch: www.hydro.tuwien.ac.at/lehre/wasser/EU-Wasserrecht-Einfuehrung.pdf. sowie die Ausführungen von Markus SCHEFFLER, Die Europäisierung des Wasserrechts unter besonderer Berücksichtigung der Wasserrahmenrichtlinie, S. 18–27 (Blockseminar im Umweltund Lebensmittelrecht, Professor Dr. Wilfried Berg), im Internet unter: www.uni-bayreuth. de/departments/rw/lehrstuehle/oer3/site_d/lehr_d/ws04/seminare/thema6.pdf. Stand 20. März 2006. 237 Rüdiger Breuer war bis zum 1. März 2006 Leiter des Instituts für Öffentliches Recht, Institut für das Recht der Wasser- und Entsorgungswirtschaft an der Universität Bonn und ist inzwischen emeritiert. Michael Schmalholz war Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU), früher mit Sitz in Wiesbaden, jetzt in Berlin (www.umweltrat.de). Derzeit arbeitet Michael Schmalholz als Jurist in München.
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Michael Schmalholz bezeichnete sie, bei aller Skepsis, als „Meilenstein auf dem Weg zu einem integrierten europäischen Gewässerschutz“238, schon weil „der neu geschaffene Zustand […] allemal besser [sei] als ein Gewässerschutz auf Grundlage der bisherigen inkohärenten Rechtslage“239. Rüdiger Breuer betonte in seinen Ausführungen die Besonderheit europäischer Rechtsetzung und europäischer Rechtsanwendung, die sich aus dem Prinzip ableite, immer das Ziel entscheidend sein zu lassen und nicht das Verfahren und die Konditionen, nach denen ein Ziel erreicht werden solle240. Daraus ergeben sich freilich Folgen für den Bestand nationaler Rechte und den Umgang mit ihnen im Bereich der Europäischen Union. So bemängelte Breuer dann auch, dass die WRRL den EU-Mitgliedsstaaten eine europaweite, finale, zentralistisch kontrollierte und perfektionistisch gestaltete Wasserbewirtschaftung vorschreibe241. Die europäische Wasserrahmenrichtlinie komme, so Breuer, quasi als ein „Trojanisches Pferd im föderalistischen Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland“242 daher. Den Anwälten einer progressiven europäischen Integration musste das „Trojanische Pferd“ allerdings eher als ein, um im Bild zu bleiben, „edles Ross“ erscheinen, das durch einen zuweilen kompliziert aufgebauten Parcours nationaler (und oft auch regionaler!) Rechte zu führen und dabei über manche europawidrige Hindernisse zu lenken war. Dieses „edle Ross“ nun erschien Michael Schmalholz in der Wirklichkeit eben nur als klappriger Gaul, der aufgrund der unzulänglichen Verfahrensregeln, die die Wasserrahmenrichtlinie nach seiner Auffassung enthielt, an Auszehrung litt. Für diesen Zustand fand Schmalholz eine andere Umschreibung. Er sprach vom „‚Schweizer Käse’ im europäischen Gewässerschutz“243 und davon, dass sich die WRRL „in weiten – und gerade entscheidenden Teilen – so löchrig […] wie ein ‚Schweizer Käse’“ erweise. Sie räume „den Mitgliedsstaaten umfas-
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Michael SCHMALHOLZ, Die EU-Wasserrahmenrichtlinie – „Der Schweizer Käse“ im europäischen Gewässerschutz?, in: Zeitschrift für Wasserrecht 40/2 (2001), S. 69–102 (hier S. 101). 239 Ebd. 240 Finale versus konditionaler Rechtsetzung. Dazu Rüdiger BREUER, Konditionale und finale Rechtsetzung, in: Archiv für öffentliches Recht 127 (2002), S. 523–574. 241 Rüdiger BREUER, Gewässerschutz und Föderalismus aus Sicht der Wissenschaft, in: Umweltföderalismus, Föderalismus in Deutschland: Motor oder Bremse für den Umweltschutz? Wissenschaftliche Tagung des Forschungszentrums Umweltrecht der HumboldtUniversität zu Berlin, hrsg. von Michael Kloepfer, Berlin 2002, S. 403–439 (hier S. 425); zur wirkungsvollen Kontrolle durch die Europäische Kommission und den Europäischen Gerichtshof vgl. nochmals SEIDEL/RECHENBERG, in: Zeitschrift für Umweltrecht 15 (2004) (Anm. 235), S.213–221. 242 BREUER, Gewässerschutz und Föderalismus (Anm. 242), S. 438. 243 So der mit einen Fragezeichen versehene Titel seines Aufsatzes in der Zeitschrift für Wasserrecht (Anm. 239), S. 70–102 (hier S. 70).
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sende Möglichkeiten ein […], nahezu nach Belieben von den strengen Vorgaben der Richtlinie abzuweichen“244. Im Einzelnen führte Schmalholz eine Reihe durchaus überzeugender Gründe an, auf die er seine Einschätzung stützte. Insbesondere beklagte er, dass „die weitreichenden Verfahrens- und Planungsanforderungen“ einen „unverhältnismäßigen, formalistischen Aufwand“245 mit sich bringen könnte, „der die ohnehin begrenzten personellen Ressourcen in der Umweltverwaltung sowie die knappen finanziellen Ressourcen im Umweltschutz zu binden“246 drohe. Die mit der EU-Wasserrahmenrichtlinie verbundenen und von den EUMitgliedsstaaten bzw. den dort jeweils für Wasserfragen zuständigen Gebietskörperschaften zu tragenden Umsetzungslasten sind nicht zu verleugnen. Auch sind die von Schmalholz Punkt für Punkt aufgezeigten rechtstechnischen Unzulänglichkeiten der WRRL nicht in Abrede zu stellen. Als Beispiel benannt sei nur, „dass die durch die Richtlinie gebotene, integrierte, ganzheitliche ökologische Gewässerbewertung mangels geeigneter Bewertungsansätze für diese Parameter bzw. internationaler oder supranationaler Bewertungsverfahren zur Zeit noch gar nicht möglich ist.“247.
Auf der anderen Seite provoziert die WRRL gerade durch das, was aus einer jeweiligen nationalen Optik heraus als begriffliche und organisatorische Unzulänglichkeit erscheint, sowie, darüber hinaus, durch den für ihre Umsetzung vorhersehbaren erheblichen fachlichen Aufwand im europäischen Interesse ein Novum, einen integrativen Mehrwert, dessen unbedingte Beachtung der Europäische Gerichtshof in Luxemburg gerade auch gegenüber der Bundesrepublik Deutschland bereits 1991 „mit mehreren Paukenschlägen“248 nochmals reklamiert hatte. Vor diesem Hintergrund wusste Michael Schmalholz für die Wasserrahmenrichtlinie durchaus auch anerkennende Worte zu formulieren: „Sofern man die Richtlinie249 ernst nimmt, bietet sie eine große Chance für die Wasserwirtschaft sowie die Fortentwicklung des europäischen und nationalen Gewässerschutzes“250. 244 245 246 247 248
Ebd. Ebd., S. 93. Ebd., S. 93. Ebd., S. 74. Michael REINHARDT, Wasserrechtliche Richtlinientransformation zwischen Gewässerschutzrichtlinie und Wasserrahmenrichtlinie, in: Integrierte Gewässerpolitik in Europa (Anm. 229), S. 199–221 (hier S. 200). Der Aufsatz findet sich auch im Deutschen Verwaltungsblatt 116 (2001), S. 145–154. 249 In der von der IKSR und dem Koordinierungskomitee Rhein herausgegebenen, von Anne SCHULTE-WÜLWER-LEIDIG und Dieter M. SAHA redigierten Broschüre Rhein ohne Grenzen. Bestandsaufnahme 2004 im Flussgebiet des Rheins, Koblenz 2005, S. 2, wird die Richtlinie als „europäisches Wasserrecht aus einem Guss“ beschrieben. 250 SCHMALHOLZ, Die EU-Wasserrahmenrichtlinie (Anm. 239), S. 100.
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Als nach fünfjähriger251 Vorbereitungszeit252 die europäische Wasserrahmenrichtlinie am 22. Dezember 2000 in Kraft trat, blieb den EU-Mitgliedsstaaten noch eine Frist von drei Jahren für die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht. Innerhalb von zwölf Jahren, dass heißt bis 2015, sollte danach möglichst (!) in allen Ländern der Europäischen Union eine gute Gewässerqualität erreicht werden253.
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Dazu u. a. Rüdiger BREUER, Der Entwurf einer EG-Wasserrahmenrichtlinie, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 17/10 (1998), S. 1001–1012 (hier S. 1001 f.); Udo BOSENIUS, Der Entwurf einer EG-Wasserrahmenrichtlinie – Die Sicht der Beratungen auf europäischer Ebene, in: ebd., S. 1039–1042. Den Anstoß zur Harmonisierung des bisher geltenden europäischen Wasserrechtes gaben 1995 nicht zuletzt deutsche Wasserwirtschaftler. Die Europäische Kommission nahm ihn kurzfristig auf, weil ihr die „in der Vergangenheit gemachten schlechten Erfahrungen bei der Umsetzung geltender sektoraler Wasserechtlinien“ sehr wohl bewusst waren. Peter RUMM [u. a.], Handbuch der EU-Wasserrahmenrichtlinie. Inhalte, Neuerungen und Anregungen für die nationale Umsetzung, Berlin 22006, S. 12. 252 In sie fiel die Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zur Wasserpolitik der Europäischen Union vom 21. Febr. 1996 (KOM/96/59), deren englische Fassung dem Autor am 19. Okt. 2006 anstelle eines deutschen Textes von der Kommission übermittelt wurde (Communication from the Commission to the Council and the European Parliament: European Community Water Policy, Brussels, 21.02.1996, COM [96] 59 final). Auch in Reaktion auf die Kritik an der EUGewässerpolitik, die zuvor im Europäischen Parlament laut geworden war (vgl. HansHermann KRAUS [Red.], Das Europäische Parlament und die Umweltpolitik der Europäischen Union. Arbeitsdokument, hrsg. vom Europäischen Parlament. Generaldirektion Wissenschaft. Abteilung für Umweltfragen, Luxemburg und Brüssel 1997, S. 40, im Internet herunterzuladen unter: www.europarl.europa.eu/. Stand 29. Jan. 2007) dokumentierte die Mitteilung eine neue „Globalstrategie“, die der Wasserpolitik „mehr Kohärenz, Transparenz und Effizienz verleihen“ sollte und die „Notwendigkeit eines integrierten Konzepts der Wasserressourcen“ unterstrich. Siehe die entsprechenden Ausführungen im Bulletin EU 1/2–1996. Umwelt (10/19), im Internet unter: www.europa.eu/bulletin/de. Stand 10. Okt. 2006. Es folgten u. a. die Vorschläge der Europäischen Kommission aus den Jahren 1997 und 1998 (s. Amtsblatt C 184 vom 17. Juni 1997, C 16 vom 20. Jan. 1998, C 108 vom 7. April 1998), nach einer ersten (Febr. 1999) und zweiten Lesung (Febr. 2000) der Beschluss über die vorgelegte Wasserrahmenrichtlinie durch das Europäische Parlament am 16. Febr. 2000 (in: Amtsblatt C 339 vom 29. Nov. 2000; siehe auch unter: ec.europa. eu/environment/water/water-framework/decision-making.html. Stand Okt. 2006), und schließlich die endgültige Annahme der Vorschläge durch das Europäische Parlament am 7. Sept. 2000 (siehe dazu auch das Dokument des Europäischen Parlamentes C 135 07.05.2001, S. 196–252 (hier S. 196) unter: www.europarl.europa.eu und durch den Rat am 15. Sept. 2000 (siehe die WRRL in Amtsblatt L 327 vom 22. Dez. 2000, S. 1, Anm. 4). Einen Überblick über die im Verlauf der Entstehung der Wasserrahmenrechtlinie herausgebrachten und gegenwärtig elektronisch verfügbaren offiziellen Dokumente des Europäischen Parlamentes und der Europäischen Gemeinschaften liefert nach dem Stand vom 8. Nov. 2006: www.europarl.europa.eu. 253 Zu den mit der Wasserrahmenrichtlinie verbundenen Fristen vgl. im Internet: www. bmu.de/gewaesserschutz/doc/3936.php und ec.europa.eu/environment/water/water-framework/timetable.html.
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In dieser Zeit254 waren „Einzugsgebiete“ zu bestimmen, also255 Gebiete, aus welchen „über Ströme, Flüsse und möglicherweise Seen“ der gesamte jeweilige „Oberflächenabfluss in einer einzigen Flussmündung, einem Ästuar oder Delta ins Meer gelangt“. Diese Einzugsgebiete waren dann „Flussgebietseinheiten“ zuzuordnen. Dabei war vorgegeben, unter einer „Flussgebietseinheit“ eine „Haupteinheit für die Bewirtschaftung von Einzugsgebieten“ zu verstehen, die aus einem oder mehreren benachbarten Einzugsgebieten und den ihnen zugerechneten Grundwässern und Küstengewässern“256 besteht und gegebenenfalls unter Beachtung vorgenannter Gesichtspunkte auch international zu organisieren seien, falls notwendig sogar mit Hilfe der Europäischen Kommission257 – was immer das im Einzelfall heißen mochte. In Deutschland wurden bereits im Jahre 2002 zehn Flussgebietseinheiten gebildet: Donau, Rhein, Ems, Weser, Elbe, Oder, Eider, Schlei/Trave, Warnow/Peene und Maas. Zur genaueren Abgrenzung dieser Einheiten vgl. die beigegebene Karte (S. 195). Nur zwei der auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingerichteten Flussgebietseinheiten deckten rein deutsche Territorien ab (Warnow/ Peene, Weser). Für alle anderen Einheiten galten grenzüberschreitende räumliche Zuständigkeiten mit der Folge, dass sich die Zahl involvierter Behörden erhöhte. Einzelheiten sind einer Zusammenstellung des Bundesumweltministeriums zu entnehmen258. Für den Rhein und die internationale Flussgebietseinheit konnte auf die Arbeit der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung zurückgegriffen werden. Im Jahre 2001 wurde deshalb bei ihr ein Koordinierungskomitee (Koko) Rhein & WRRL angesiedelt. Im Auftrag der am 20. Januar 2001 in Straßburg zusammengekommenen Rhein-Ministerkonferenz259, auf der neben den Repräsentanten Liechtensteins, Österreichs und der belgischen Wallonie auch die die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins tragenden Staaten Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, die Schweiz sowie die Europäische Gemeinschaft vertreten waren, sollte das Koko Rhein & WRRL Aufgaben der „Flussgebietseinheit Rhein“ erledigen. Italien zeigte an, die 254 Die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie sollte durch eine „völlig neue Organisationsstruktur“ effektuiert werden. Statt gesetzlich bindender Vorgaben in Form von Verordnungen oder weiteren Richtlinien sollten „’Guidance-Dokumente’ mit dem Charakter von Handlungsleitfäden“ die weitere Umsetzung steuern (siehe RUMM, Handbuch der EUWasserrahmenrichtlinie [Anm. 251], S. 13). 255 Siehe Art. 2 Abs. 13 WRRL. 256 Ebd., Abs. 15 WRRL. 257Siehe Art. 3 Abs. 3 WRRL. 258 Stand 2006. Im Internet unter: www.bmu.de/gewaesserschutz/doc/6347.php. 259 Das Kommuniqué ist zu erhalten unter. www.iksr.de. Stand Okt. 2006.
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Arbeit des Koordinierungskomitees im Rahmen seiner Gesetzgebung unterstützen zu wollen. Um den Auftrag der 13. Rhein-Ministerkonferenz vom 29. Januar 2001 erfüllen zu können, organisierte die IKSR ein Verfahren, das es ihr erlaubte, ihre überkommene, grenzüberschreitend kooperative Arbeit, vor allem ihre aktuelle Arbeit an der nachhaltigen Entwicklung des Programms Rhein 2020260 mit den Leistungen zu verschränken, die ihr aus ihren koordinierenden Tätigkeiten für die neun Staaten, davon sieben EU-Mitgliedsstaaten, umfassende Flussgebietseinheit Rhein würden erwachsen können261. Dieses Verfahren ist im Anschluss an eine Übersicht über die Mitgliedsstaaten des Koordinierungskomitees in einem Organigramm visualisiert wiedergegeben262. Eine verbalisierte Fassung des 2006 gültigen Organigramms findet sich zur ergänzenden Information im Anhang.
Seit Januar 2001, seit der Straßburger Rhein-Ministerkonferenz, hatte sich die IKSR damit nicht mehr nur innerhalb Europas um ihre grenzüberschreitenden, kooperativen Aufgaben der nachhaltigen Entwicklung des Rheins und einer Verwirklichung ihrer großen, durchaus sehr realitätsbezogen ent-
260 261
Herunterzuladen und anzusehen unter: www.iksr.de. Vgl. Anne SCHULTE-WÜLWER-LEIDIG, Die IKSR und die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie in der Flussgebietseinheit (FGE) Rhein, KA-Abwasser Abfall. S. 379 f. 262 Nach: IKSR, Internetpräsentation. Stand 23. März 2006.
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worfenen Visionen vom „Wildlachs im Rhein 2020“263 zu kümmern, wie sie in dem 2001 beschlossenen neuen Aktionsprogramm Rhein 2020264 sowie in der seit 2004 verfügbaren Schrift Rhein & Lachs 2000265 deutlich gemacht und auch visuell vorzüglich dargestellt wurden266.
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Anne SCHULTE-WÜLWER-LEIDIG (Red.), Rhein & Lachs 2020, hrsg. von der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins, Koblenz 2004, S. 4. Der Text dieser Broschüre geht auf Entscheidungen der IKSR aus dem Jahr 2000 zurück. 264 Internationale Kommission zum Schutz des Rheins (Hrsg.), Rhein 2020. Programm zur nachhaltigen Entwicklung des Rheins, Koblenz 2001. 265 SCHULTE-WÜLWER-LEIDIG, Rhein & Lachs 2020 (Anm. 264). 266 Das Übereinkommen zum Schutz des Rheins vom 12. April 1999 ist erst am 1. Jan. 2003 in Kraft getreten. Es schreibt die Berner Vereinbarung über die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins aus dem Jahre 1963 und die 1976 abgeschlossene Zusatzvereinbarung mit Wirkung für alle Vertragspartner, d. h. mit Wirkung sowohl für Deutschland wie Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, die Schweiz sowie die Europäische Gemeinschaft, fort: „von dem Wunsch geleitet, aus einer ganzheitlichen Betrachtungsweise heraus auf eine nachhaltige Entwicklung des Ökosystems Rhein hinzuwirken“ (Einleitungsformel. Text des Übereinkommens im Internet unter www.iksr.org. Stand 25. Nov. 2006).
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Von 2001 hatte die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins auch für ein mit dem Anspruch der Verbindlichkeit formuliertes EU-Ziel zuarbeitend aktiv zu sein267. Damit war sichergestellt, dass vom Stimulans der Wasserrahmenrichtlinie auf optimale Weise auch die langjährigen Bemühungen der IKSR profitieren konnten, so wie umgekehrt gewährleistet war, dass das auf Seiten der IKSR erworbene Wissen und die hier gesammelte Erfahrung über die kooperative Arbeit zum Schutz des Rheins hinaus einem europäischen, gemeinschaftlichen Konzept zugute kommen konnte. Die IKSR und mit ihr das Koko Rhein & WRRL vermochte und vermag somit mit vielseitiger politischer, administrativer und darüber hinaus auch justitieller Unterstützung268 einen Weg der Fachleute zu ebnen, um dem Ziel einer zunehmenden europäischen Integration näher zu kommen. Es sind gerade auch solche Wege, die den Prozess der Vergemeinschaftung in Europa nachhaltig substantiieren. Gewiss gilt dies auf dem Feld der Umwelt- und Wasserpolitik umso mehr, als die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union dem Schutz der Umwelt große Bedeutung beimaßen und beimessen und dabei insbesondere dem Wasserschutz einen hohen Rang einräumten und einräumen. Nach einer im Auftrag der Europäischen Kommission im November 2004 durchgeführten und im April 2005 veröffentlichten Untersuchung269 gaben 72% der befragten EU-Bürger an, dass der Zustand der Umwelt für ihren Lebensstandard von einiger, wenn nicht gar großer Bedeutung sei, ebenso wie soziale Faktoren. Nur die wirtschaftlichen Faktoren wurden häufiger genannt, wenn es um die für den eigenen Lebensstandard sehr bedeutenden Einflussfaktoren ging270. Unter den Umweltproblemen beschwerte die befragten EU-Bürger vor allem die Wasserverschmutzung, noch vor den auf menschliches Versagen 267
Offiziell war die Wasserrahmenrichtlinie innerhalb der EU bis zum 22. Dez. 2003 in nationales Recht zu übernehmen. Das ist nach Mitteilung der Europäischen Kommission an den Verfasser vom 24. Nov. 2006 auch geschehen – einmal mit, einmal ohne Verspätung freilich, wie es heißt. 268 Im Repertorium der Rechtsprechung zum Gemeinschaftsrecht, das der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorhält, werden im Rubrum „environnement et développement durable” für den Zeitraum 8. Juli 1987 bis 17. Dez. 2006 28 Urteile zur europäischen Gewässerpolitik nachgewiesen, vgl. unter: www.curia.europa.eu/common/recdoc/ repertoirejurisp/bull_cee/data/index_B-21.htm (Stand 30. Dez. 2006). Allgemein bleibt die Feststellung von Christoph KNILL (Europäische Umweltpolitik, Hagen 2004, S. 90) beachtenswert, dass vor dem Europäischen Gerichtshof angestrengte Rechtsverletzungsverfahren vor allem den Umweltbereich betrafen. 269 European Commission, The attitudes of European citizens towards environment (Fieldwork Nov. 2004. Publication April 2005). Summary, Luxembourg 2005 (Special Eurobarometer), im Internet erhältlich unter: ec.europa.eu/environment/barometer/ summary ebenv 2005 04 en.pdf 270 Vgl. das Diagramm Q6 im Anhang.
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zurückzuführenden Umweltunglücken, dem Klimawandel und der Luftverschmutzung271. Prinzipiell lässt sich also mit einem sauberen, mit einem gemeinschaftlich gesäuberten und ökologisch erneuerten Rhein bei den Bürgerinnen und Bürgern des vereinten Europa durchaus für die Europäische Union und ihre Leistungen werben. Auch in dieser Hinsicht kann der Rhein als „Europe’s ‚World River’“, wie der amerikanische Autor Mark Cioc schreibt272, ein Testfall sein, vielleicht versinnbildlicht durch ein Logo, das den Lachs beispielhaft in das Qualitätssiegel für einen erfolgreichen, mit harter Arbeit und großer Sachkunde angegangenen europäischen Integrationsprozess optisch aufnimmt.
Letztlich kommt es darauf an, wirkungsvoll über „Europa“ zu „kommunizieren“273 und die Geschichte der europäischen Integration nicht, wie bisher, maßgeblich als eine Geschichte europäischer (Gemeinschafts-) Institutionen (und den mit ihnen in Zusammenhang stehenden Entscheidungen und Entwicklungen) und Verträge (und den auf ihnen beruhenden Tätigkeiten und Schöpfungen) abzuhandeln, sondern als eine prinzipiell auf europäischen Mehrwert hin ausgerichtete und grenzüberschreitend von Interessen der Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union geleitete, nicht zuletzt auch finanziell die gemeinschaftliche Interaktion nahelegende, von europäischem Idealismus und Pragmatismus, von Vision und Utilitarismus gleichermaßen geprägte Geschichte der Wahrnehmung von Aufgaben des täglichen Lebens in Europa darzustellen. Eine als „Aufgabengeschichte“ und als „Geschichte der erhofften, erwarteten, erreichten oder ausgebliebenen, konkret beschriebenen oder konkret beschreibbaren europäischen Mehrwerte“ verstandene Geschichte der euro271 272
Vgl. das Diagramm Q2 im Anhang. Mark CIOC, The Rhine. An Eco-Biography, 1815–2000, Seattle/London 2002, S. 21–46 (hier S. 21). 273 Aktionsplan für eine bessere Kommunikationsarbeit der Kommission zu Europa vom 20. Juli 2005, S. 4, herunterzuladen unter: ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/2/2005/ DE/2-2005-985-DE-F-0.pdf. Stand 7. Dez. 2006.
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päischen Integration läge ganz auf der Linie des Aktionsplanes für eine bessere Kommunikationsarbeit der Kommission zu Europa274, der der Europäischen Kommission am 20. Juli 2005 mitgeteilt worden ist. „Europa“ wird als nachvollziehbarer, weithin überzeugender Mehrwert Zustimmung finden und Zukunft haben. Ohne diesen Mehrwert wird „Europa“ an fortbestehenden nationalstaatlichen Klippen zerschellen, selbst wenn ihre Schärfen durch grenzüberschreitende europäische Kooperationen erfolgreich gekappt werden. Das spricht dafür, die für wissenschaftlich notwendig oder hilfreich erachteten Theorien der europäischen Integration auf eine „Theory of added value“ zu fokussieren.
Summary The Industrial Revolution induced not only an increase of the (fresh) water consumption, but also an increased output of sewage. As far as these effluents were discharged into rivers, they could impair commercial or private fisheries and thus so endanger the economic livelihood of the people concerned, that a treaty to safeguard fish stocks and to avoid damages seemed necessary. Regarding the Rhine, which – as a „European stream“ – moves its water from Switzerland over France, Germany and the Netherlands to the North Sea, Switzerland and the German Reich signed an agreement „Concerning the regulation of salmon fishing in the stream areas of the Rhine“ on June 30, 1885. But with this treaty alone, the growing pollution of the Rhine could not effectively be stopped, especially because it also found its origin in France, Luxembourg and the Netherlands. As a result particularly the Netherlands tried to establish new instruments for water protection and to achieve that the Dutch Rhine Delta would not develop into a European cesspool, whose water could not even be used for Dutch agriculture. Immediately after the end of the Second World War, just before the beginning of a phase of economic reconstruction, the Dutch legation in Bern handed over a note in which they complained about the pollution of the Rhine water, particularly the discharge of salts and phenols. With its note from July 25, 1946, the Netherlands gave impetus to supplement the "Central Commission for Navigation of the Rhine" founded in 1816, 274 Herunterzuladen unter: ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/2/2005/DE/2-2005-985DE-F-0.pdf.
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by another Rhine Commission. On July 11, 1950, the „International Commission for the Protection against the Pollution of the Rhine“ (ICPR) in Basel began its work and that meant: to deal with the urgent problems of the environment and to tackle the problems of water protection. Representatives from Switzerland, France, Luxembourg, the Netherlands and the Federal Republic of Germany worked together. Especially after 1970, in the decades characterized by a growing ecological awareness and increased sensitivity for the protection of (fresh) water, the ICPR developed comprehensive cooperative activities for the Rhine and indirectly also for European-wide water protection. Thus the Rhine had been seen as a „test case“ for the possibilities of a European policy, especially for the possibilities of a European environmental and water policy, promoted and targeted in their own way by the Council of Europe, the European Parliament and the European Commission. With regard to the formulation and enforcement of common European goals, procedures and controls, the practised activities of cross-border cooperation, however, left a lot of wishes still open. These could be realized only by an attempt of a quantum leap and through the implementation of new obligatory standards in the common water policy of the European Union. In this sense the European Water Framework Directive, enacted on October 23, 2000, laid and lays claim to a promotion of a sustainable European added value, at least in the pursuit of an environmental and water policy.
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Auf dem Erinnerungspfad der europäischen Einigung. Zur Rekapitulation der Römischen Verträge von 1957 Von
Georg Kreis Im März des vergangenen Jahres wurde das 50-jährige Bestehen der in den späteren Verträgen von Maastricht, Amsterdam und Nizza formal weiter bestehenden Römischen Verträge gefeiert. Unvermittelt stellte sich da eine in den Medien überhaupt nicht berührte typische Historikerfrage ein: Hat man die früheren runden Jahrestage ebenfalls begangen und, wenn ja, wie? Die Forschung hat sich bisher mit der Geschichte der EG/EU-Jubiläen nicht befasst, aber sie hat als profitierende Gelegenheitsakteurin durchaus eigene Jubiläumsreflexe produziert1. Die nachfolgenden Ausführungen nehmen, gestützt auf eine etwas zufällige Datengrundlage und eine systematische Konsultation der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), einige erste Erkundungen dazu vor2. Dabei sollen vor allem die folgenden Fragen beachtet werden: Einmal die nahe liegende Frage, inwiefern das Gedenken des historischen Datums jeweils von den aktuellen Befindlichkeiten geprägt war. Hinzu kommt die Nebenfrage, ob verschiedene Gedenkfeiern „1957“ auf Kosten von früheren Meilensteinen verabsolutiert haben. Da man sich auf die Vertragsunterzeichnung in Rom bezog, hätte es der Inszenierung der eigenen Gedenkbereitschaft widersprochen, andere Gründungsmomente groß ins Spiel zu bringen. Sicher hätte man relativieren können: Das Kapitol von Rom war ja bloß ein ritueller Treffpunkt, die Einigung war schon am 26. Januar in Brüssel erfolgt. Und da man in der Geschichte meistens noch auf weitere Vorstufen zurückgehen kann, hätte man sicher auch in Erinnerung rufen können, dass der Durchbruch für „1957“ schon im Juni 1955 in Messina erzielt worden war. Und weiter wäre daran zu erinnern, dass „1957“ eigentlich nur eine Weiterführung von „1950“ ist. Zu Recht hat die EG/EU als 1 Pierre GERBETS Darstellung läuft darauf hinaus, dass die „traités de Rome“ verhandelt wurden, bevor man wusste, dass sie einmal in Rom unterzeichnet und darum zu „traitées de Rome“ werden. Vgl. DERS., La construction de l’Europe, Paris 1983, S. 212 ff.; Il rilancio dell’Europa e i trattati di Roma, hrsg. von Enrico Serra, Brüssel 1989; 40 ans des Traités de Rome, ou, La capacité des Traités d’assurer les avancées de la construction européenne, Brüssel 1999. Zum 30-Jahr-Jubiläum ist sodann erschienen: Pierre GERBET, La naissance du marché commun, Paris 1987. Zur allgemeinen Jubiläumsproblematik vgl. Jubiläum, Jubiläum... Zur Geschichte öffentlicher und privater Erinnerung, hrsg. von Paul Münch, Essen 2005. 2 1957–1987 kann nur auf Printquellen vor Ort zurückgegriffen werden, für 1997 und 2007 stehen elektronische Dokumente zur Verfügung.
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offizielles Gründungsdatum nicht den 25. März 1957, sondern die Verkündung des Schuman-Plans vom 9. Mai 1950 gewählt. Es mag dem runden 50Jahr-Jubiläum und insbesondere den leichter verfügbaren Datenbanken zuzuschreiben sein, dass 2007 in den Medien deutlich mehr Darstellungen vermittelt wurden, welche im chronologischen Überblick die einzelnen Stationen der langen Integrationsgeschichte aufzeigten und dabei auch die Phase davor und insbesondere die Phasen danach berücksichtigten3. Wie wurde die historische Bedeutung des Meilensteins von 1957 eingestuft? Es gab – wie immer – Stimmen, welche Hervorgehobenes wieder redimensionieren wollten. So erklärte der 78-jährige Jean François-Poncet, der zur französischen Delegation gehörte, die Verträge seien ihr damals nur „mäßig wichtig“ erschienen, man habe andere Sorgen gehabt: Kalter Krieg, Ungarn, Suez etc.4 Indessen hatte der belgische Außenminister Paul-Henri Spaak, neben Jean Monnet die wichtigste Architekt der jungen Gemeinschaft, bereits auf der Brüsseler Pressekonferenz vom 26. Januar 1957 stolz erklärt: „Unser Werk wird einst als das größte Ereignis seit der französischen Revolution betrachtet werden“5. Und am 25. März 1957 sprach Konrad Adenauer (neben dem italienischen Gastgeber und dem Luxemburger Staatsminister Joseph Bech der einzige anwesende Regierungschef) von einem „geschichtlichen Augenblick“. Andere redeten vom „Beginn einer neuen Ära“6. Dies schloss nicht aus, dass die Verträge unter der informierten Elite umstritten waren, und es schloss nicht aus, dass das große Publikum davon nicht erreicht wurde. Der Historiker Franz Knipping meint: „Das Thema Europa überstieg offenbar vorerst die Erfahrungswelt des einfachen Bürgers“7. Warum die Verträge von 1957 ausgerechnet in Rom unterzeichnet worden waren, beschäftigte die jeweiligen Jubiläumskommentare überhaupt nicht. Man nahm es einfach als historische Tatsache. Bei der 50-Jahr-Feier 2007 in Berlin erwies man dem Gründungsort insofern Tribut, als man der Botschaft Italiens in Berlin die Möglichkeit gab, eine kleine Sonderschau aus 50 Objekten der Berliner Museen zusammenzustellen. Zudem räumte man, auch weil's politisch schön passte, dem italienischen Ministerpräsidenten und ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi als Vertreter der „Römer“ einen Auftritt im Programm ein. Mit von der Partie war auch der ehemalige französische Staatssekretär Maurice Faure (84) als der letzte Überlebende des Unterzeichnungsaktes in Rom.
3 Zum Beispiel eine große Würdigung Robert Schumans in der Basler Zeitung vom 24. März 2007 unter dem Titel „Geburtshelfer der Europäischen Union“. 4 Süddeutsche Zeitung vom 24./25. März 2007. 5 Spaak zit. nach Petra PINZLER in der Zeit vom 22. März 2007, „Triumph der Hoffnung“. 6 Franz KNIPPING, Rom, 25. März 1957. Die Einigung Europas, München 2004. 7 Ebd., S. 13.
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Warum Rom? Es fällt auf, dass auch die Literatur diese Frage ausspart – der Vertrag ist selbst derart wichtig, dass die Wahl des Orts der Unterzeichnung kein Thema ist8. Im Moment sieht es nicht so aus, als ob die Ansiedlung der Präsidentschaft der Vorgängerinstitution EGKS bestimmend gewesen ist. Für Rom hatte sich offenbar vor allem der Belgier Spaak ausgesprochen, weil „dreimal im Laufe ihrer mehrtausendjährigen Geschichte aus dieser Stadt eine große Botschaft der Zivilisation nach Europa gelangt war“9. Rom wurde auf diese Weise zu einem europäischen Erinnerungsort. Darum inszenierte man, außerhalb der italienischen Präsidentschaft, das heißt unter niederländischem Vorsitz, aber mit ausdrücklichem Bezug zur angeblichen Gründereuphorie von 1957, im Oktober 2004 im gleichen Saal die Unterzeichnung des Verfassungsvertrags, dessen Inkraftsetzung auf den 1. November 2006 geplant war10. In der Zeit selbst fand die Unterzeichnung vom 25. März 1957 im historischen Saal der Horatier und Curatier breite Beachtung. Das Ereignis wurde auch in Bildern festgehalten. Über 200 Fotografen sollen zugegen gewesen sein (gemäß Maurice Faure sogar 500). In den meisten Berichten ist, abgesehen vom feierlichen Glockengeläut der Stadt11, auch von den vielen und für viele damals neuen Fernsehkabeln die Rede, die in den alten Räumen überall ausgelegt waren. Und alle berichteten – warum eigentlich? –, dass es an diesem Tag in Strömen regnete12. Gerhard Brunn bemerkt, dass deswegen die
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Alle konsultierten Werke geben keine Erklärung dafür, warum Rom der Unterzeichnungsort war. Angefangen bei Paul-Henri Spaaks Memoiren, vgl. Paul-Henri SPAAK, Combats inachevés, Bd. II: De l’espoir aux déceptions, Paris 1969, S. 96 ff. Aber auch nicht bei Hans Jürgen KÜSTERS, Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, BadenBaden 1982; GERBET, La construction de l’Europe (Anm. 1); Gerhard BRUNN, Die Europäische Einigung, Stuttgart 2002 und KNIPPING, Rom, 25. März 1957 (Anm. 6). Auch die zeitgenössischen Berichte konzentrierten sich ganz darauf, was zustande gekommen ist und nicht wo, vgl. etwa Gehard SCHIFFER, in Europa-Archiv 5./20. Juni 1957, S. 9871 ff. 9 Als einzigen Beleg für diese Aussage steht dem Vf. ein Originalzitat in einem von der Süddeutschen Zeitung am 25. März 2007 veröffentlichten Artikel des italienischen Außenministers Lamberto Dini zur Verfügung. Dini hatte 1984 in Harvard die 5. SpaakLecture gehalten. Unklar bleibt, was mit den großen „Zivilisationsbotschaften“ gemeint sein könnte. Einigermassen naheliegend ist, dass er damit die römische und die christliche Botschaft gemeint haben dürfte. Doch die dritte? Diejenige der Renaissance? oder die des Barock? Die Frage muss einstweilen offen bleiben. Auch die Identifikation der Originalquelle. 10 Vgl. Tagespresse vom 30. Oktober 2004. Mit Bezug auf die Römischen Verträge war im Hinblick auf die eben beginnende Präsidentschaft Italiens am 18. Juli 2003 auch der Verfassungsentwurf des Konvents in Rom offiziell überreicht worden. 11 Zu den Glocken bemerkte Spaak in seinen Memoiren: „Les cloches de Rome sonnaient à tout volée, saluant la naissance de l’Europe nouvelle“. Vgl. SPAAK, Combats inachevés (Anm. 8), S. 99. 12 Pierre Gerbet zum Beispiel eröffnet seine Darstellung mit dem Satz: „Il pleuvait sur Rome mais l’ambiance était joyeuse“, GERBET, La naissance du marché commun (Anm. 1), S. 7.
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vorbereitete „große Volksfeier“ nicht habe stattfinden habe13. Diesem Aspekt müsste man noch nachgehen, weil trotz der vielen Zwischenjubiläen erst 50 Jahre später wieder eine „Volksfeier“ veranstaltet wurde. 1957 wurde immerhin angeordnet, dass die römische Jugend nicht zur Schule gehen müsse. Die NZZ berichtete gleich mehrmals beinahe ganzseitig über den Vorgang. Schon am 15. März 1957 wurde der EWG-Vertrag eingehend, aber unaufgeregt vorgestellt (Nr. 730). Am Tag selbst war im Bericht zu lesen, dass nach der Unterzeichnung überall groß angelegte Propagandaaktionen geplant seien, damit der Fehler von 1954 (das Scheitern des Paktes zur Verteidigungsgemeinschaft, EVG) nicht wiederholt würde14. Am Gründungstag selbst herrschte keineswegs völlige Übereinstimmung: Die Niederländer wünschten im letzten Moment noch eine Änderung, welche die vorgesehene parlamentarische Versammlung ein wenig hätte aufwerten sollen. Da auch aus anderen Gründen „bis zur letzten Sekunde“ an einzelnen Formulierungen fieberhaft gearbeitet worden war, konnte man auf den Unterzeichnungstisch nur einen Packen weißes Papier legen, von dem einzig der Unterschriftsbogen echt war15. Was die Entwicklung entlang der Gedenkmomente von 1967, 1977, 1982 (zum 25-jährigen Jubiläum), 1987, 1997 und 2007 betrifft, wären theoretisch wiederum drei Varianten von Befunden möglich: 1. Von einem starken, vielleicht auch überschätzten Gegenwartsmoment ausgehend ein allmählich verblassendes Bewusstsein, das erst mit dem 50-Jahr-Gedenken mit neuem Leben versehen worden ist. 2. Die gegenteilige Entwicklung von einem unscheinbaren und von Zeitgenossen gar unterschätzten Gründungsmoment16 hin zu einem wachsenden Bewusstsein, dass „1957“ etwas ganz Wichtiges eingesetzt hat und dieser Moment ein wirklich historisch bedeutsamer Vorgang war und ist. 3. Ein sehr wechselhafter Verlauf im Rhythmus der Dekaden, eine Reihe von Gedenkbefindlichkeiten, die weitgehend von der jeweiligen Gegenwart bestimmt war. 1967 Zum zehnten Jahrestag der Römischen Verträge gab es offenbar keine Gedenkanlässe, aber doch einige öffentliche Erklärungen. EG-Kommissions13 14
BRUNN, Die Europäische Einigung (Anm. 8), S. 116. Bericht von H.E.T. Nr. 854 vom 25. März 1957. Das Bild mit Legende, aber ohne weiteren Text erschien erst in Nr. 867 vom 27. März 1957 auf der 3. Seite. 15 KÜSTERS, Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Anm. 8), S. 430 ff. Vgl. auch DERS., The origins of the EEC Treaty, in: Il rilancio (Anm. 1), S. 211–238. 16 Diesem Muster entsprach der historische Moment vom 9. Mai 1950. Da war kein Pressefotograf zugegen, so dass man die Szene mit dem französischen Außenminister für die Geschichtsbücher nachstellen musste.
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präsident Walter Hallstein unterstrich die Wichtigkeit der Gemeinschaft als Kern und Vorhut Europas. Sie sei aber kein Instrument des Kalten Krieges, sondern eine Garantin des Friedens, weil sie der „Balkanisierung“ Europas entgegenwirke. Der italienische Außenminister Amintore Fanfani verlas ebenfalls eine Jubiläumsbotschaft und nannte darin insbesondere zwei Zielsetzungen: zum einen die politische Gemeinschaft, die mit der Zeit aus der wirtschaftlichen Gemeinschaft hervorgehen müsse; und zum anderen die Erweiterung durch die Aufnahme Großbritanniens und „aller anderen demokratischen Länder Europas“. Auch Großbritannien ließ sich vernehmen, es sei, so der britische Außenminister George Brown, (trotz de Gaulles Veto) zum Beitritt „klar entschlossen“ und würde diesen nicht nutzen, um das bisher Erreichte wieder abzubauen. Hingegen hielt er zu jenem Zeitpunkt noch immer an seinen speziellen Beziehungen zum Commonwealth fest17. 1977 In der ersten Hälfte des Jahres 1977 lag die Ratspräsidentschaft bei den Briten, die 1973 schließlich doch Mitglied der EG werden durften. Am 25. März 1977 wurde unter dieser Präsidentschaft erstmals eine Jubiläumsfeier auf dem Kapitol in Anwesenheit von Staats- und Regierungschefs begangen. In der NZZ gab aber der zuvor abgehaltene Europäische Rat und nicht die Feier den Haupttitel. Man hob hervor, dass es der „Prozedurkünste“ bedurft habe, um das Treffen über den unentschiedenen Streit zur Art der Teilnahme der EG am Weltwirtschaftsgipfel hinwegzuretten18. An der eigentlichen Feier durfte zuerst der Bürgermeister der Ewigen Stadt sprechen; von ihm, Giulio Carlo Argan, hieß es, dass er Kommunist sei, aber würdig gesprochen habe. Anschließend sprach sich der italienische Staatspräsident Giovanni Leone für den Ausbau der Gemeinschaft aus, sowohl für die Stärkung der bestehenden Institutionen, etwa die Direktwahl des Europäischen Parlaments (1979 realisiert), als auch, mit Blick auf Griechenland, Spanien und Portugal, für eine Erweiterung der EG, was in Italien zu diesem Zeitpunkt nicht sehr populär war. Leone mahnte, man müsse jetzt der Jugend, welche den Krieg nicht mehr erlebt habe, die europäische Idee weitergeben und zugleich nichts weniger als den „europäischen Menschen“ schaffen. Das Jubiläum wurde aber nicht genutzt, um diesbezüglich gleich einen Schritt weiterzukommen. Das „Volk“ kam in diesem Jubiläum konkret nicht vor. 17
UPI-Meldung zum Beispiel in der Basler National-Zeitung vom 28. März 1967. Im Wirtschaftsteil dieses Blattes konnte Redaktor Henri STRANNER, der seit frühesten Jahren ein Freund der Gemeinschaftsidee war, zu „10 Jahre EWG“ einen bewusst positiv gehaltene Darstellung der Entwicklung platzieren: „Lebensfähig trotz Streit“ (Nr. 138 vom 26. März 1967). 18 Zr. in NZZ Nr. 72 vom 26./26. März 1977.
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Der 25. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge wurde nicht in Rom, sondern am 29. März 1982 in Brüssel und im Beisein des belgischen Königs begangen. Sämtliche Erklärungen bekundeten einerseits Stolz über das Erreichte, anderseits aber auch Unzufriedenheit wegen des Noch-NichtErreichten. Die Zufriedenheit dominierte, die Defizitdiagnose wurde nur sekundär „neben“ dem Primären zum Ausdruck gebracht. Der niederländische EG-Parlamentspräsident Piet Dankert forderte den Abschluss eines neuen EG-Vertragswerks. Andere Redner sprachen sich für die Vertiefung des Binnenmarktes aus, wiederum andere wie der belgische Außenminister Leo Tindemans beanstandeten die wenig bürgerfreundliche und schwer verständliche Technokratensprache der EG. Nach den „verbalen Höhenflügen“ unterzeichnete man ein Dokument zur Schaffung einer Stiftung, welche das Verständnis für den Europagedanken fördern solle19. Der schweizerische Geburtstagskommentar könnte wegen der politischen Distanz zur Gemeinschaft besonders kritisch ausgefallen sein; alles in allem dürfte er aber der damals allgemein vorherrschenden Einschätzung entsprochen haben: Die meisten Kommentare seien illusionslos, stellte die NZZ fest; der gegenwärtige Zustand des europäischen Einigungswerkes lasse keine Euphorie zu, die Belastungen erschienen gar gewichtiger als die Aktivposten, die Gemeinschaft befinde sich in einer tiefen Krise. Große Unionsproklamationen, wie man sie noch zu Beginn der 1970er Jahre gehört habe, seien nicht mehr gefragt. Darum die Empfehlung aus dem Schweizerland: integrationspolitischer Pragmatismus statt visionärer Maximalismus20. Auffallend ist bei diesem Zwischenstand die Wahrnehmung der Bürgerproblematik (Technokratensprache) und der bescheidene und traditionelle Versuch, Bürgernähe herzustellen (Stiftung), dies aber nicht im Sinn von Konsultation und Partizipation, sondern von Pflege des „Europagedankens“. 1987 Das 30-Jahr-Jubiläum wurde wiederum in Rom begangen, allerdings ohne die Regierungschef und Außenminister der EG. „Maßvolle Feierlichkeiten“ titelte zufrieden die NZZ21. Lediglich die Vertreter der Institutionen waren zugegen. Sir Henry Plumb, Präsident des EG-Parlaments, äußerte sich am optimistischsten: Die EG sei im Begriff, eine politische Supermacht zu werden. Leo Tindemans, jetzt als EG-Präsident, und Jacques Delors, der neue 19 20 21
Vgl. Bericht der NZZ vom 30. März 1982. Zr. in NZZ vom 20./21. März 1982 „Belastete EG-Jubiläumsbilanz“. NZZ vom 26. März 1987, Frontseite mit aktuellem Bild.
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Kommissionspräsident, gaben sich eher zurückhaltend bis skeptisch; wohl sahen sie in der in Mailand 1985 beschlossenen Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) einen Erfolg, sie erinnerten aber auch daran, dass frühere Ambitionen kläglich gescheitert waren. Der Gastgeber, Ministerpräsident Bettino Craxi, forderte, dass das Europa der Regierungen zu einem Europa der Bürger werden müsse. Das französische Wochenmagazin Le Point verfasste einen eher sorgenvollen Geburtstagskommentar: Mehrfache Herausforderungen warteten auf den Jubilar. Vor allem Gorbatschows Abrüstungsvorschlag („un cadeau empoisonné“) und wohl auch das sich abzeichnende Ende des Kalten Kriegs könnten zu einer Erosion der europäischen Einigkeit führen22. Aus schweizerischer Warte wurde weniger die Niedergang der EG als deren Vitalisierung befürchtet: Mit einiger Sorge nahm man das Weißbuch von 1985 und das Projekt Binnenmarkt 92 zur Kenntnis23. Das Journal of Commerce bemerkte zum 30. Geburtstag, die EG sei größer und reicher als zur Zeit ihrer unsicheren Kindheit („uncertain infancy“), sie sei aber noch immer wegen der Unterschiede der Entwicklungsvorstellungen beeinträchtigt. Eine wiederkehrende Feststellung galt den unvermeidlichen Budgetkürzungen. Dagegen wurde auch bemerkt, das die Zufriedenheit der Bürger in einem guten Zustand sei: 75 Prozent stuften die EG-Mitgliedschaft (wohl im positiven Sinn) als wichtig oder sehr wichtig ein24. Auch in dieser Etappe erschienen die Bürger (bei Craxi und in den Umfragewerten), aber es fand kein konkreter Einbezug statt. 1997 Das Jubiläum von 1997 stand ganz im Zeichen der Vorbereitung des Amsterdamer Vertrags und der anstehenden Verhandlungen mit den zehn Beitrittsanwärtern aus Mittel- und Osteuropa. Der niederländische Außenminister und amtierende Ratspräsident Hans van Mierlo beschwor in den gleichen „kapitolinischen Räumen“ in Rom, im historischen Gobelinsaal der Horatier und Curatier, den Genius loci und wünschte sich die gleiche „visionäre Inspiration“, wie sie die Gründungsväter in sich getragen hätten. Die 15 Außenminister der EU hatten sich noch vor dem Festakt zur Beratung der Maastricht-Reform getroffen, es dominierte aber der Dissens. Statt Gemeinsamkeiten feiern zu können, mussten sie sich mit Vorschlägen befassen, die „neuen Zündstoff“ enthielten, nämlich mit dem von den Niederlanden, Deutschland und Frankreich unterbreiteten Vorschlag zur Einführung 22 23
Le Point vom 22. März 1987: „L’Europe doit choisir son histoire“. „Die 30jährige EG ist plötzlich zu neuem Leben erwacht“. Interview mit Importvertreter Jürg R. Zeller im Bund vom 25. März 1987. 24 Journal of Commerce vom 25. März, St. Petersburg Times (Florida) vom 26. März 1987.
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verstärkter Zusammenarbeit im Polizei- und Justizbereich (Stichwort: Flexibilität und Kerneuropa). Der deutsche Außenminister Klaus Kinkel stellte zwischen Vergangenheit und Gegenwart eine starke Übereinstimmung fest: Die Diskussionen von 1957 seien gleich heftig gewesen wie die aktuellen Debatten über die gemeinsame Währung. Mehr implizit als explizit suggerierte er die Schlussfolgerung, dass man auch jetzt optimistisch sein dürfe, da die Geschichte den Gründungsvätern recht gegeben habe. Der britische Vertreter wollte dagegen den Ausbau der supranationalen Kompetenzen bremsen, der irische und der luxemburgische Vertreter wollten die Zurückstellung der Kleinen verhindern, bekämpft wurden die Stärkung des Parlaments und der Einbezug des Verteidigungsbündnisses der WEU. Für Italien sprach Lamberto Dini, der daran erinnerte, das „1957“ zu einer Spaltung Westeuropas (in die EWG und die EFTA) geführt habe und dies jetzt mit der Einführung einer variablen Geometrie vermieden werden müsse. Es sei drei Monate vor Abschluss der Regierungskonferenz „unklarer als je zuvor“, ob den EURegierungen „der große Wurf“ noch gelingen werde. Ausbleiben des erhofften Reformschubs, lautete die treffende Diagnose der Beobachter25. Die NZZ berichtet erst auf der dritten Seite und mit einem historischen Bild unter dem distanzierenden Titel „Beschwörung des Römer Gründergeistes. Keine Fortschritte an der EU-Regierungskonferenz“26. Zum Tenor nicht nur der Außenstehenden, sondern auch der hauptverantwortlichen Akteure, etwa des EU-Kommissionspräsidenten Jacques Santer, gehörte die Feststellung, man müsse sich vermehrt den „Sorgen der Bürger“ (insbesondere wegen der Arbeitslosigkeit und der Kriminalität) zuwenden. 2007 Die in die deutsche Präsidentschaft fallenden und darum in Berlin und nicht in Rom durchgeführten Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge brachten ein Novum, weil das übliche Zeremoniell mit Reden, Konzert und Bankett um ein Volksfest mit Feuerwerk erweitert wurde. Dieses sollte, wenn nicht Europa den Bürgerinnen und Bürgern näher bringen, so doch wenigstens zeigen, dass man um ein Näherbringen bemüht war. Die speziell eingerichtete Fanmeile reproduzierte zwar ein bereits traditionell gewordenes Angebot, das die Berliner von Wiedervereinigungsfesten, WMBegleitprogrammen und Silvesterpartys bestens kannten27. Doch da gab es zwischen den Imbissbuden, Musikgruppen und Straßentheatern auch private 25
Vgl. etwa Eastern Standard Time vom 25. März, Süddeutsche Zeitung und die taz vom 26. März 1997. 26 NZZ vom 26. März 1997. 27 Kurt KISTER in der Süddeutschen Zeitung vom 25. März 2007.
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Informationsstände zur Europapolitik und die von der Berliner Bäckerinnung angebotenen Spezialitäten aus den 27 Mitgliedsländern. Der Berichterstatter von Le Monde entdeckte da die französische „tarte tatin“, aber auch den irischen Orangenkuchen und die spanische „roscoén“. Hinzu kamen eine Museumsnacht und Discovergünstigungen, beides wiederum nicht speziell originelle Angebote. Im offiziellen Teil durfte der Fototermin vor dem seit 1989 offenen Brandenburger Tor nicht fehlen. Und im Rednerteil wurde auch darauf hingewiesen, dass man ohne die Erfolgsgeschichte der EU nicht hier in Berlin wäre. In den Kommentaren zum 50-Jahr-Jubiläen wurden beide Seiten bedient: die anerkennende und würdigende wie die in Frage stellende und herabmindernde. Die deutschen Medien, von der Tatsache her, dass die Feierlichkeiten dem eigenen Land anvertraut waren, kommentierten etwas freundlicher als beispielsweise die französischen28. Selbstverständlich ließen sich auch die angefragten und tendenziell eher europakritischen Großhistoriker verlauten. Hans-Ulrich Wehler räumte immerhin ein, die EU „bleibe“ für ihn ein imponierendes Projekt. Und es sei eine große politische Leistung der europäischen politischen Kultur, den „naturwüchsigen, reinen Privatkapitalismus“ zu zähmen29. Kritischer Heinrich August Winkler, der eine Vertrauenskrise diagnostizierte und forderte: Es müsse mehr „Wir-Gefühl“ und mehr „Wertegemeinschaft“ her30. Auf der Seite der auch in deutschen Kommentaren verbreiteten Negativfeststellungen standen vor allem die strikt abgeschirmte Vorgehensweise in der Vorbereitung der „Berliner Erklärung“ (insbesondere das Vermeiden des Wortes „Verfassung“) sowie die Tatsache, dass die Tschechen nur in allerletzter Minuten telefonisch überzeugt werden konnten. Der britische Independent zitierte den tschechischen Präsidenten Václav Klaus, der die Erklärung als „Orwellian eurospeak“ abqualifiziert haben soll, und thematisierte den Widerstand Polens wegen der in der Erklärung fehlenden Anrufung Gottes. Als britisches Blatt selbst dem Euro nicht zugeneigt, zitierte es genüsslich, dass beinahe die Hälfte der Bevölkerung der Euro-Länder lieber zu ihrer alten Währung zurückkehren würde31. Als besonderes Geburtstagsgeschenk fabrizierten Georg Parker und Tobias Buck für die Financial Times ein satiri-
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Le Monde betonte gleich in zwei Ausgaben die regelmäßige Wiederkehr von Krisen (24. und 25./26. März 2007). In der letzteren Ausgabe diagnostizierte selbst Jacques Delors in einem großen Interview, dass die derzeitige Krise „plus profonde“ als frühere sei. 29 Tages-Anzeiger vom 22. März 2007. 30 Das Parlament vom 19. März 2007. 31 Independent vom 24. März 2007. In vielen Blättern erschienen die Statistiken mit den im Vergleich zu 1996 doch wiederum leicht gewachsenen Akzeptanzwerten von durchschnittlich plus/minus 50 Prozent.
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sches Porträt eines Eurokraten, des „Erfinders der Brüsseler Bananenvermessung“32. Auf der positiven Seite wurde gewürdigt, dass man die Zweifler überstimmt habe, dass beschlossen wurde, bis zu den Europawahlen von 2009 die EU auf eine „erneuerte gemeinsame Grundlage“ zu stellen. Wenn man auch „1957“ mehr Zukunftswillen zuschrieb, hielt man den ewigen Kritikern, nicht ohne Selbstanerkennung, eine solide Realisierungsbilanz entgegen. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ließ sich zitieren: „Vieles, was 1957 wie eine Utopie klang, ist heute in weiten Teilen politische Realität“33. Bereits vorweg griff Annette Sach als Kommentatorin im Parlament nach der bekannten Formel, dass sich die (Verfassungs-)Krise auf den zweiten Blick „wieder einmal“ als große Chance herausstellen dürfte34. In gleichen Bahnen, bloß noch enthusiastischer, bemerkte Josef Joffe in der Zeit: Auf jede Krise sei jeweils ein neuer Kraftakt gefolgt. Er evozierte auch das schöne Bild, dass Europa eben keine für die Ewigkeit gebaute Kathedrale sei, „sondern ein Korallenriff, das planlos, aber unaufhörlich wächst, auch wenn gelegentlich ein Zweig abbricht“35. Die schweizerischen Stimmen verteilten sich auf beide Lager. Ein Zürcher Blatt glaubte seiner Leserschaft das Ereignis mit der Formulierung, die EU feiert „sich“, präsentieren und noch beifügen zu müssen, dass dies „ohne große Vision“ geschehe. Die Berliner Erklärung wurde arrogant und in Kombination mit der Bemerkung, Europas Berg habe eine Maus geboren, als „Traktätchen“ abqualifiziert36. Die NZZ war jetzt erstaunlich positiv. Sie sprach von einer „beeindruckenden Erfolgsgeschichte“, sie anerkannte, dass es „Grund zum feiern“ gebe und dass man, selbst wenn man zum Beispiel wegen der fehlenden Volksnähe auch Vorbehalte habe, in der EU eine „eindrückliche und wirksame Leistung“ erkennen könne37. Der Ratspräsidentin Angela Merkel wurde „gar“ Charme und Humor attestiert. Nochmals wurde indessen auch gemäkelt, dass an diesem „Wohlfühl-Gipfel“ nur ein „Teilerfolg“ erzielt worden sei, um dann versöhnlich zu schließen: „Der Erfolg der 32 Financial Times, London, 19. März 2007. Das gefiel der NZZ am Sonntag so gut, dass sie es übersetzen ließ und nochmals publizierte (25. März 2007). 33 Das Parlament vom 26. März 2007 unter dem Titel „Saure Wochen – frohe Feste“. 34 Das Parlament vom 19. März 2007, „Lob auf die Krise“. 35 Die Zeit vom 22. März 2007, „Von wegen Alte Welt! Europa strotzt vor Vitalität...“. 36 Tages Anzeiger vom 24. März 2009. Nach der Feier griff Chefredaktor Peter HARTMEIER in die Tasten und ermahnte seine Schweizer Leserschaft, mit Respekt auf die „historische Leistung“ zu blicken. „Häme, Überheblichkeit und kleinliche Urteile versperren den Blick auf dieses epochale Werk“, (26. März 2007). In einer früheren Ausgabe, derjenigen vom 22. März 2007, räumte das Blatt jedoch ein, die Erfolge des europäischen Projekts könnten sich durchaus sehen lassen. Das „sich feiern“ findet sich übrigens auch in der Hamburger Zeit vom 29. März 2007. 37 Hauptbeitrag von Willy ZELLER, der die früheren Zr.-Kommentare verfasst hat (vgl. Anm. 18 und 20).
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europäischen Integration hat schon immer auf eher kleinen, aber umso solideren Vertiefungsschritten basiert“38. Sofern man auf dieser bescheidenen Datenbasis erste Einschätzungen vornehmen kann, lassen sich zwei Feststellungen treffen: Bei allen Jubiläen manifestierte sich mehr oder weniger auch der Dissens, dies als sozusagen immanente Konsequenz jeder den Konsens anstrebenden Verständigung. Ferner fällt auf, dass anlässlich der Jubiläen schon früh von fehlender Bürgernähe die Rede war, dass aber erst das Jubiläumsprogramm von 2007 diesem Befund vermehrt Rechnung trug. 1957 wollte man zum Start des Unternehmens möglicherweise ebenfalls ein Volksfest anrichten, der Regen sorgte aber dafür, dass es ins Wasser fiel.
Summary In March 2007 the 50th anniversary of the Rome Treaties was celebrated. Why were the Treaties signed in Rome? For the moment there is no definite answer to that simple question. This article addresses rather something else: It shows in a first sketch how the six moments of commemoration (1967, 1977, 1982 for the 25th anniversary, 1987, 1997 and 2007) were celebrated and commented on in some media. It also highlights that the „distance to the European citizen” was an issue already early on, and that „the people” was not involved in any celebrations until the year 2007.
38 rg. in NZZ vom 26. März 2007. Die weiter rechts stehende NZZ am Sonntag äußerte sich entsprechend kritischer und „schweizerischer“: Die politische Union, wie sie als Fernziel herumgeistere, sei „weder machbar noch wünschbar“, Europe gehe es dann am besten, wenn es „so wenig wie möglich und so viel nötig“ an Brüssel abtrete. Und wenn man der EU für die nächsten 50 Jahre etwas wünschen möchte, dann sei es Bescheidenheit! (mhf. vom 25. März 2007).
FORSCHUNGSBERICHT Europäische Geschichte in der neueren deutschen Geschichtsdidaktik – eine Bestandsaufnahme in systematisierender Absicht Von
Bernd Schönemann I. Wissenschaftlicher Streitwert – Risiken oder Chancen? In der neueren deutschen Geschichtsdidaktik der letzten drei Jahrzehnte1 hat das Thema „Europa“ stets einen hohen Streitwert besessen, auch wenn es nicht durchgängig mit derselben Intensität diskutiert wurde. „Wer jetzt von europäischer Geschichte spricht, muß sich von nicht wenigen unzeitgemäßes europazentrisches Denken vorwerfen lassen, das vergangenheits- und ideologieverhaftet sei und der Generation von morgen den rechten Blick auf die Zukunft der Menschheitsgeschichte verstelle – einer Zukunft, die Politik und Geschichte nur noch weltweit definieren könne“ – mit diesen Worten beschrieb Heinz Dieter Schmid bereits 1979 einen gravierenden Akzeptanzvorbehalt, der den Verfechtern einer „Europäische[n] Geschichte im Unterricht“ entgegenschlug. Hinzu kamen weitere Probleme: „Eine europäische Geschichtsschreibung aus einer Feder, die didaktische Gesamtentwürfe europäischer Geschichte bereitstellen könnte, gibt es [...] nicht. [...]. Wer also in der Schule die europäische Geschichte zum Gegenstand des Unterrichts machen will, ist auf sich selbst verwiesen, er muß sich [...] allein weiterhelfen. Er darf sicher sein, daß sein Versuch von allen Seiten angreifbar ist und auch angegriffen wird“. Schließlich, so Schmid, komme auch noch eine ganz reale „Schwierigkeit“ hinzu, „wie nämlich in einem höchstens zweistündigen Kurzfach zusätzlich zur National- und Universalgeschichte auch noch die europäische Geschichte eingebracht werden soll“2. 1 Zum größeren disziplingeschichtlichen Kontext vgl. Bernd SCHÖNEMANN, Geschichtsdidaktik in erweiterten Perspektiven. Versuch einer Bilanz nach drei Jahrzehnten, in: Geschichtsdidaktik. Identität – Bildungsgeschichte – Politik. Karl-Ernst Jeismann zum 50jährigen Doktorjubiläum, hrsg. von Saskia Handro und Wolfgang Jacobmeyer, Münster 2007, S. 9–30. 2 Vgl. Heinz Dieter SCHMID, Europäische Geschichte im Unterricht, in: Journal für Geschichte 1 (1979), H. 2, S. 13–18, Zitate S. 15 f.
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An den drei von Schmid markierten Problemen hat sich, so scheint es, zwischenzeitlich kaum etwas Grundlegendes geändert. Erstens ist der Eurozentrismusverdacht, der hinter der Forderung nach einer stärkeren Berücksichtigung der europäischen Geschichte lediglich die perfide Strategie vermutet, die Stiftung naiver Identitäten nunmehr von der nationalen auf eine höhere Ebene zu verlagern, nach wie vor virulent. So wurde Walter Fürnrohr, der sich für ein europäisches Geschichtsbewusstsein „im Rahmen einer ‚komplexen Identität‘“ einsetzte und dafür plädierte, „die lange Zeit vernachlässigte europäische Dimension der Geschichte in besonderer Weise im Unterricht hervorzuheben“3, kurzerhand der Vorwurf gemacht, eine „eurozentrische Position“ zu vertreten. „Im Grunde“, so die scharfe Kritik Bettina Alavis, „weitet Fürnrohr die nationale Perspektive auf ein geographisch größeres Gebiet aus, mit allen schon aus der konsequenten Nationalgeschichte bekannten Verengungs- und Abschottungsmechanismen“4. Auch das zweite von Schmid benannte Problem, das Synthesedefizit der Geschichtswissenschaft, ist trotz zahlreicher wichtiger Neuerscheinungen der letzten Jahre nur abgemildert, aber nicht wirklich behoben5. Das hat in erster Linie historiographiegeschichtlich erklärbare strukturelle Gründe, denn die Entstehung moderner Nationalstaaten und die Professionalisierung der Geschichtswissenschaft(en) waren nicht nur synchron verlaufende, sondern miteinander verzahnte Prozesse, die im Ergebnis dazu führten, „dass nach den europäischen und atlantischen Anfängen im 19. Jahrhundert erst im 20. Jahrhundert der Nationalstaat international zum wichtigsten organisatorischen Rahmen und seine Geschichte der mit Abstand meistbehandelte Gegenstand historischer Forschung wurde“6. Deswegen erscheint es nach wie vor aktuell, wenn Wolf D. Gruner von einer „europäische[n] Geschichtsschreibung“ fordert, „zahlreiche Gestaltungselemente der europäischen Geschichte, die im Zeitalter einer hauptsächlich am Nationalstaat und der eigenen Nation orientierten Geschichtswissen3
Vgl. Walter FÜRNROHR, Europäisches Geschichtsbewußtsein im Rahmen einer „komplexen Identität“, in: Historisches Lernen im vereinten Deutschland. Europa – Nation – Welt, hrsg. von Uwe Uffelmann, Weinheim 1994, S. 174–185. 4 Vgl. Bettina ALAVI, Geschichtsunterricht in der multiethnischen Gesellschaft. Eine fachdidaktische Studie zur Modifikation des Geschichtsunterrichts aufgrund migrationsbedingter Veränderungen, Frankfurt a. M.1998, Zitate S. 76 f. 5 Vgl. Joachim ROHLFES, Europa im Geschichtsunterricht, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 54 (2003), S. 245–259, bes. S. 246–248; Bodo von BORRIES, Europa als geschichtsdidaktische Herausforderung, in: Europa in historisch-didaktischen Perspektiven, hrsg. von Bernd Schönemann und Hartmut Voit, Idstein 2007, S. 21–44, bes. S. 28–41. Exemplarisch für die Neuerscheinungen der letzten Jahre: Ferdinand SEIBT, Die Begründung Europas. Ein Zwischenbericht über die letzten tausend Jahre, Frankfurt a. M. 2002; Michael MITTERAUER, Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs, München 2003; Tony JUDT, Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart, München/Wien 2006. 6 Vgl. Lutz RAPHAEL, Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart, München 2003, S. 20, 44 u. 247, Zitat S. 20.
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schaft national vereinnahmt, verfremdet, verbannt oder verschüttet wurden, wieder auszugraben und in ihrer europäischen Dimension und Qualität neu zu entdecken“7. Und was endlich das dritte von Schmid identifizierte Problem, nämlich den auf dem Geschichtsunterricht lastenden Zeit- und Stoffdruck, betrifft, so hat der seit dem Ende der 1970er Jahre definitiv zugenommen – nicht nur wegen der neu hinzugekommenen Zeitgeschichte und der weltgeschichtlichen Zäsur von 1989/90, sondern auch wegen der Notwendigkeit, neue historische Fragestellungen wie Umwelt-, Migrations-, Frauen- und Geschlechtergeschichte in die unterrichtliche Behandlung der älteren Großepochen zu integrieren8. Dass auch die Verteilung der Inhalte auf die historischen Räume zu einem prekären Problembereich wird, in dem offenbar gefühlte Verdrängungswettbewerbe stattfinden, zeigt sich beispielsweise bei Michael Riekenberg, der „angesichts der politisch geschürten Europaeuphorie“ vor einem drohenden weiteren Bedeutungsverlust außerhalb Europas liegender Regionen im Geschichts- und Politikunterricht warnt9. Eurozentrismusverdacht, geschichtswissenschaftliches Synthesedefizit, unterrichtlicher Zeit- und Stoffdruck – all die genannten Probleme vermitteln auf den ersten Blick vielleicht den Eindruck, als handele es sich bei der europäischen Geschichte um ein Thema, das man in Wissenschaft und Unterricht lieber mit spitzen Fingern anfassen und so defensiv wie möglich angehen sollte. Bei genauerer, geschichtsdidaktisch reflektierterer Betrachtung zeigt sich indes, dass die vermeintlichen Risiken auch als produktive Chancen interpretiert werden können. Beginnen wir mit dem Eurozentrismusverdacht, dessen Kern in dem Argwohn liegt, eine naive europäische Identität solle gleichsam zum zeitgemäßen Surrogat einer – heute nicht mehr durchsetzbaren – naiven nationalen Identität werden. Auch wenn es, wie noch zu zeigen sein wird, durchaus Formulierungen gibt, die auf Absichten einer identifikatorischen Indienstnahme der europäischen Geschichte verweisen: Theoretisch gilt zunächst einmal, dass die potentielle Gefahr einer unkritisch-affirmativen Verkürzung historischer Inhalte prinzipiell in allen Bereichen des historischpolitischen Raumspektrums besteht und daher raumgrößenunabhängig ist. Empirisch kommt hinzu, dass die Geschichte des historischen Lernens und seiner didaktischen Reflexion eine Fülle von Beispielen für politische In7 Wolf D. GRUNER, Europa – Anmerkungen zu einem geographischen, kulturellen, politischen, historischen, konfessionellen, wirtschaftlichen und sozialen Raum, in: EuropaLexikon. Länder. Politik. Institutionen, hrsg. von dems. und Wichard Woyke, 2München 2007, S. 50–62, Zitat S. 61. 8 Vgl. dazu besonders Hans-Jürgen PANDEL, Postmoderne Beliebigkeit? Über den sorglosen Umgang mit Inhalten und Methoden, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 50 (1999), S. 282–291, hier S. 284. 9 Vgl. Michael RIEKENBERG, Vorwort, in: Geschichts- und Politikunterricht zeitgemäß? Fragen und Bemerkungen aus der Sicht der Regionalwissenschaften, hrsg. von dems., Leipzig 2005, S. 7.
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dienstnahme und ideologischen Missbrauch von Geschichte verzeichnet, und es ist nicht erkennbar, dass davon auch nur ein einziger Bereich in der großen Spanne zwischen Lokal- und Universalgeschichte verschont geblieben wäre: Missbrauch ist unterrichtsfach- und disziplingeschichtlich notorisch, und wer die Tatsache, dass mit einer historischen Großepoche, einem historischen Sektor oder eben einer historischen Raumdimension irgendwann einmal nachweislich Schindluder getrieben worden ist, als Begründung dafür anführt, sie heute von der Agenda des Geschichtsunterrichts zu streichen, der stellt das Fach in seiner Gesamtheit zur Disposition. Außerdem verstellen fundamentalistische Argumente wie das eben angeführte den Blick auf den gegenwärtigen Entwicklungsstand der Geschichtsdidaktik und insbesondere auf die Tatsache, dass die deutsche Vereinigung 1990 eben nicht zu einem Rückfall in alte Muster nationaler Identitätsstiftung geführt hat, wie sie zwischen 1871 und 1945 gepflegt wurden10. Wenn es mithin eine Resistenz gegenüber allzu einfachen historischen Erklärungen zum bloßen Zweck der Stiftung von Gruppenkohärenz gibt, warum sollte sie sich nur auf der nationalen und nicht auch auf der „höheren“ europäischen Ebene der Aggregation historischer Deutungen geltend machen? Hinzu kommt, dass selbst reflektierte und „weiche“ Versuche, Schülerinnen und Schülern im Geschichtsunterricht balancierte kollektive Identitäten positiver Natur zu offerieren, auf deutlichen Widerspruch gestoßen sind11. Auch deshalb steht nicht zu befürchten, dass eine europäische Geschichte umstandslos, quasi-automatisch und unwidersprochen als eurozentrisch angelegte Identifikationsgeschichte angeboten werden kann. Viel eher besteht die Gefahr, dass die Geschichtsdidaktik an Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten verliert, wenn sie das Thema „Europa“ nur mit mäßigem Interesse und lauem Engagement behandelt. Dass die Zunft auf diesem Felde inzwischen sensibler geworden und ihre Bringschuld gegenüber der Gesellschaft und der nachwachsenden Generation wieder stärker anzunehmen bereit ist, signalisierte die 2005 in Meißen von der „Konferenz für Geschichtsdidaktik“ veranstaltete Zweijahrestagung zum Thema „Europa in historisch-didaktischen Perspektiven“12. 10
Vgl. Bernd SCHÖNEMANN, Nationale Identität als Aufgabe des Geschichtsunterrichts nach der Reichsgründung, in: Internationale Schulbuchforschung 11 (1989), S. 107–127; Bernd MÜTTER, Nation und Europa in Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht Deutschlands vor 1945, in: Nation und Europa in der historisch-politischen Bildung, hrsg. von Horst Gies, Schwalbach/Ts. 1998, S. 113–161. 11 Vgl. Uwe UFFELMANN, Identitätsbildung und Geschichtsdidaktik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 41 (1994), S. 12–20; Bernd SCHÖNEMANN, Geschichtsdidaktische Dimensionen der Identität. Bedingungs- und Entscheidungsfelder historischen Lehrens und Lernens in der Schule, in: Historia Didactica. Geschichtsdidaktik heute. Uwe Uffelmann zum 60. Geburtstag, hrsg. von Herbert Raisch und Armin Reese, Idstein 1997, S. 221–231. 12 Ein klares Indiz für die nach wie vor bestehenden Akzeptanzvorbehalte ist allerdings die gleich zu Beginn der Tagung zur Beschwichtigung der Kritiker vorgenommene Aufgabenabgrenzung, die bezeichnenderweise zunächst „ex negativo“ erfolgte: „Europäisierung der
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Was sodann das Synthesedefizit der Geschichtswissenschaft anbelangt, so liegt auch darin eher eine Chance denn ein Hemmnis genuin geschichtsdidaktischer Aktivität und eigensinnigen unterrichtspragmatischen Handelns. Ein kleines Gedankenexperiment möge dies verdeutlichen: Man stelle sich – nur für einen Moment – einmal vor, Oskar Halecki, der Verfasser einer ebenso kühnen wie gedankenreichen Abhandlung über die „Grenzen und Gliederung“ der europäischen Geschichte, hätte seiner in den 1950er Jahren erschienenen, gut 200 Seiten umfassenden Skizze13 ein tausendseitiges Opus folgen lassen, das die weitgehend quer zu den üblichen Periodisierungen stehende Epochenfolge der europäischen Geschichte ebenso detailliert geschildert hätte wie die stetig wechselnden Raumkonstellationen, in denen sie sich abspielte. Dann besäßen wir zwar eine Synthese aus einem Guss, aber es stellt sich doch die Frage, was wir didaktisch damit täten. Der vielleicht naheliegende Versuch, die in einer solchen Synthese präsentierte „große Welt“ der europäischen Geschichte maßstabsgetreu zu verkleinern und in eine Lernprovinz für europäische Schüler zu verwandeln, wäre auf alle Fälle als reine Abbilddidaktik einzustufen und also abzulehnen, ganz zu schweigen davon, dass selbst eine abbilddidaktisch generierte Minimalversion europäischer Geschichte immer noch querständig zu der Vielzahl der National- und Regionalgeschichten in Europa bliebe. Alles in allem sollte die Geschichtsdidaktik deshalb nicht in abbilddidaktischer Demut auf den großen „Wurf“ einer historischen Synthese warten, sondern eigene Konzepte der unterrichtlichen Präsentation europäischer Geschichte entwickeln. Bleibt die dritte von Schmid aufgeworfene Schwierigkeit, die des Zeit- und Stoffdrucks, der auf dem Geschichtsunterricht lastet. Dass er in den letzten Jahrzehnten angesichts des stetigen Zuwachses jüngster Geschichte und der Integration „neuer Themen“ in die älteren Epochen deutlich zugenommen hat, wurde bereits gesagt. Aber auch darin liegt eine produktive Chance, nämlich diejenige, die zuletzt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und zu Beginn der 1970er Jahre geführte Debatte über die Inhalte historischen Lernens wieder aufzunehmen, Relevanzfragen zu klären und ein Abgleiten des
Geschichte und des geschichtlichen Lernens bedeutet nicht: die Addition einzelner europäischer Nationalgeschichten, die Erzählung einer europäischen Erfolgsgeschichte unter Ausblendung der Negativbilanz, die Übernahme einer eurozentrischen Perspektive, die legitimierende Darstellung und Propagierung aktueller EU-Politik, die Vermittlung und unkritische Aneignung eines geschlossenen europäischen Geschichtsbildes, die Verordnung oder Oktroyierung eines affirmativen europäischen Geschichtsbewusstseins“. Vgl. Europa in historisch-didaktischen Perspektiven (Anm. 5), Zitat S. 9. 13 Oskar HALECKI, The Limits and Divisions of European History, London/New York 1950. Dt. Ausg. unter dem Titel: Europa. Grenzen und Gliederung seiner Geschichte, Darmstadt 1957.
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Geschichtsunterrichts in „postmoderne Beliebigkeit“ zu verhindern14. Gerade die Knappheit der Ressource Unterrichtszeit und die Fülle der potentiell in Frage kommenden Unterrichtsgegenstände zwingen also dazu, die Wichtigkeit der europäischen Geschichte auf den verschiedenen Ebenen geschichtsdidaktischen Handelns zu begründen und systematisch zu beschreiben, welche Lernziele mit ihr verbunden werden, wie ihr thematischer Zuschnitt ausfallen soll, welchen Strukturierungsmustern die Inhaltspräsentation folgt, welche Medien dabei zum Einsatz kommen und welche methodischen Optionen dafür zur Verfügung stehen15. II. Didaktische Finalität: Identität oder Orientierung? Mit der Frage nach der didaktischen Finalität der unterrichtlichen Behandlung europäischer Geschichte in der Schule, das sei vorausgeschickt, bewegen wir uns auf der sog. Lernzielebene, auf der – seit gut drei Jahrzehnten – Lernleistungserwartungen an die Schülerinnen und Schüler formuliert werden. Vorher wurde das, was historisch gelernt werden sollte, einfach mit den Inhalten gleichgesetzt. Erst die moderne Geschichtsdidaktik hat der Scheinidentität von Inhalten und Zielen ein Ende bereitet und auf diese Weise die Möglichkeit geschaffen, unterschiedliche Lernleistungserwartungen zu identifizieren und auf ihre Begründungsmuster hin zu untersuchen. Im Hinblick auf die europäische Geschichte lautet die Alternative „Identität oder Orientierung“: Soll europäische Geschichte „in den jungen Menschen das Bewußtsein einer europäischen Identität [...] wecken“, wie es in dem 1990 novellierten Beschluss der Kultusministerkonferenz über „Europa im Unterricht“ heißt16, oder soll sie eher der kulturellen „Orientierung [...] in den wachsen-
14
Vgl. PANDEL, Postmoderne Beliebigkeit? (Anm. 8), bes. S. 285; Bernd SCHÖNEMANN, Relevanz, in: Wörterbuch Geschichtsdidaktik, hrsg. von Ulrich Mayer [u. a.], Schwalbach/Ts. 2006, S. 152–154. 15 Die folgenden Überlegungen greifen modifizierend und aktualisierend auf Passagen meines Beitrags über didaktische Varianten der Präsentation europäischer Geschichte zurück: Bernd SCHÖNEMANN, Didaktische Varianten der Präsentation europäischer Geschichte im Unterricht, in: Der Wert „Europa“ und die Geschichte. Auf dem Weg zu einem europäischen Geschichtsbewusstsein, hrsg. von Kerstin Armborst und Wolf-Friedrich Schäufele. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft online 2), Mainz 2007-11-21, Abschnitt 126–136. URL: http://www.ieg-mainz.de/viegonline-beihefte/02-2007.html. 16 Europa im Unterricht (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 8.6.1978 i. d. F. vom 7.12.1990), hrsg. vom Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland, Bonn o. J., S. 7. Vgl. dazu auch ROHLFES, Europa im Geschichtsunterricht (Anm. 5), S. 249, und Eugen KOTTE, „In Räume geschriebene Zeiten“. Nationale Europabilder im Geschichtsunterricht der Sekundarstufe II, Idstein 2007, S. 111–116.
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den europäischen Dimensionen“ der alltäglichen Lebenspraxis dienen, wie dies von Jörn Rüsen gefordert wird17? Was den identifikatorischen Ansatz betrifft, so geht er von der Notwendigkeit der europäischen Einigung aus und stellt die Schule in den Dienst der politischen Sache: „Die Schule“, so fordert der oben erwähnte KMKBeschluss, „hat die Aufgabe, die Annäherung der europäischen Völker und Staaten und die Neuordnung ihrer Beziehungen bewußt zu machen. Sie soll dazu beitragen, daß in der heranwachsenden Generation ein Bewußtsein europäischer Zusammengehörigkeit entsteht [...]“18. Wie bedenkenlos die Anhänger einer Identitätsstiftung „von oben“ bisweilen bereit sind, auf traditionelle gesinnungsbildende Muster zurückzugreifen, konnte man kürzlich einem Essay Ernst-Wolfgang Böckenfördes über die „Grundlagen europäischer Solidarität“ entnehmen: „Um das Nation-Bewußtsein der Europäer zu fördern und zu stärken“, solle man nur daran denken, „welche Bedeutung für die Ausbildung des Nationalbewußtseins in Frankreich und Deutschland die Schule gehabt hat (neben dem ‚Militär als Schule der Nation‘). Warum“, so Böckenförde wörtlich, „sollte es für die Nation der Europäer nicht ebenso sein“19? Kenner der Materie dagegen haben schon immer Zweifel an solch schlichten Wirkungskalkülen artikuliert: „Die Überweisung Europas als Thema an die Schule“, so warnte Karl-Ernst Jeismann bereits 1984, „darf [...] nicht als politisches Alibi für eine Politik der europäischen Regierungen herhalten, die [die, B.S.] europäische Einigkeit oder gar Identität nicht überzeugend darzustellen vermag. Kein Unterricht kann Identitäten erzeugen – er kann sie nur bestätigen, reflektieren, affektiv und kognitiv einüben, wenn sie real vorhanden sind“20. Nicht zuletzt deshalb wählt Rüsens Plädoyer für kulturelle Orientierung auch einen ganz anderen Ausgangspunkt als die KMK oder Böckenförde – nicht die politischen Interessen der Europäischen Union und der sie tragenden Regierungen, sondern die lebensweltlichen Bedürfnisse der Lernsubjekte. Damit sie sich in einer derzeit vorwiegend durch Ökonomie 17
Vgl. Jörn RÜSEN, Europäisches Geschichtsbewußtsein als Herausforderung an die Geschichtsdidaktik, in: Neue Geschichtsdidaktische Positionen, hrsg. von Marko Demantowsky und Bernd Schönemann, 2Bochum [u. a.] 2006, S. 57–64, hier S. 58. 18 Europa im Unterricht (Anm. 16), S. 5. 19 Ernst-Wolfgang BÖCKENFÖRDE, Grundlagen europäischer Solidarität, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. Juni 2003, S. 8. 20 Karl-Ernst JEISMANN, Europäische Identität – der Beitrag des Geschichtsunterrichts (1984), Nachdruck in: DERS., Geschichte als Horizont der Gegenwart. Über den Zusammenhang von Vergangenheitsdeutung, Gegenwartsverständnis und Zukunftsperspektive, hrsg. und eingeleitet von Wolfgang Jacobmeyer und Erich Kosthorst, Paderborn 1985, S. 259–279, Zitat S. 261, kursive Hervorhebung: B. S. Zum Vorschlag, inhaltlich vorgeprägte Identitäten nicht zum Ziel, sondern nur zum Gegenstand von Geschichtsunterricht zu machen, vgl. auch SCHÖNEMANN, Geschichtsdidaktische Dimensionen (Anm. 11), S. 221–231.
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und Politik geprägten europäischen Lebenswelt besser zurechtfinden können, bedürfen die Schülerinnen und Schüler als künftige Bürger Europas der kulturellen und damit auch der historischen Orientierung21. Eine europäische Identität im Singular hält Rüsen weder für vorstellbar noch für wünschenswert: „die gewachsene historische Identität nationaler oder regionaler Provenienz wird nie in eine übergeordnete europäische Identität hinein verschwinden. Insofern wird ein europäisches Geschichtsbewußtsein, das die Orientierung seiner Träger in den wachsenden europäischen Dimensionen ihres Lebens wirklich leistet, eine höchst komplexe Mischung aus Elementen sein, die eine Vielfalt von Zugehörigkeiten austrägt und die europäische in diese Vielfalt integriert“22. III. Thematischer Zuschnitt: Einheit oder Vielfalt? Zusätzlich zum Problem der Lernzielsetzung – aber durchaus nicht unabhängig davon – stellt sich die Frage, in welchem Zuschnitt europäische Geschichte unterrichtlich präsentiert werden soll: als Einheit oder Vielfalt. Eugen Kotte hat in seiner kürzlich erschienenen Augsburger Habilitationsschrift im Rahmen einer breit angelegten Untersuchung der einschlägigen politikund geschichtsdidaktischen Literatur, aber auch aktueller Curricula und Lehrmaterialien für die Sekundarstufe II den empirischen Nachweis geführt, dass das unitarische Europabild eindeutig dominiert. Dieses Bild beschreibt Europa als „historisch-zivilisatorische Einheit“23 und konstruiert unter Verweis auf die Verwurzelung der europäischen Kultur in der griechischrömischen Antike eine „geschichtliche Kontinuitätslinie vom frühen Mittelalter bis zur heutigen Europäischen Union“24. Die Affinität dieses Europabildes zum identifikatorischen Ansatz liegt auf der Hand. Darüber hinaus ist es hochgradig selektiv: zum einen, weil es Phänomene bereits dann als europäisch einstuft, wenn sie in mehreren Staaten beobachtbar sind, zum anderen aber auch, weil es „desintegrative Vorgänge“ verdeckt und eine Vielzahl von Ausgrenzungen und Ausschlüssen vornimmt25. Karl-Ernst Jeismann hat darauf hingewiesen, dass das unitarische Europabild sozusagen systematisch vier „Fehlformen des Umgangs mit der Geschichte Europas“ produziert. Die erste Fehlform bezeichnet er als „hegemoniale Verkürzung der europäischen 21
Hier bewegt sich Rüsen in seiner bekannten Matrix des historischen Denkens, in deren lebenspraktischer Sphäre Geschichte sog. „Funktionen der Daseinsorientierung“ zu erfüllen hat, die auf menschliche Bedürfnisse nach Orientierung in der Zeit antworten. Vgl. Jörn RÜSEN, Historische Vernunft. Grundzüge einer Historik I: Die Grundlagen der Geschichtswissenschaft, Göttingen 1983, S. 28 f. 22 RÜSEN, Europäisches Geschichtsbewußtsein (Anm. 17), S. 58. 23 KOTTE, „In Räume geschriebene Zeiten“ (Anm. 16), S. 117. 24 Ebd., S. 445. 25 Vgl. ebd., S. 131, 314 u. 446.
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Geschichte“. Diese liegt dann vor, wenn sich die Darstellungen in den Geschichtsbüchern auf die in der europäischen Geschichte jeweils führenden Mächte konzentrieren26. Das ist etwa der Fall, wenn die Wiederherstellung des europäischen Gleichgewichts auf dem Wiener Kongress als europäisches Friedenskonzept gepriesen wird und unerwähnt bleibt, dass die Aufteilung des Kontinents in verschiedene Einflusszonen auch Opfer forderte, beispielsweise Polen, das nach drei Teilungen in den Jahren 1772, 1793 und 1795 als Staat von der europäischen Landkarte verschwunden war und 1815 eben nicht wiederhergestellt, sondern ein viertes Mal geteilt wurde27. Als zweite Fehlform bezeichnet Jeismann die „geographisch-kulturelle Verengung“ Europas auf das westliche Europa28. Die damit einhergehende Ausblendung der jüngeren historischen Entwicklung in den Ländern Mittel- und Osteuropas ist zwar nach Überwindung der politischen Teilung Europas mittlerweile revidiert worden29, aber an der „Vorstellung vom christlichen Abendland als der Definitionsgrundlage Europas“ und an der Gewohnheit, „das Frankenreich als eigentlichen Beginn und ursprüngliche Substanz europäischer Geschichte“ auszuweisen, halten im Prinzip alle von Kotte untersuchten Lehrbücher fest und nehmen damit beispielsweise den „Ausschluss des orthodoxen Byzanz wie auch des [...] arabisch beherrschten Spanien“ in Kauf30. Kommen wir zur dritten Fehlform, der „teleologische[n] Verkürzung“, die die europäische Geschichte gleichsam „wie eine Pappelallee“ auf die europäische Einigung zulaufen lässt. Jeismann hält diese Art der Geschichtsbetrachtung, die uns an die borussische Schule deutscher Nationalgeschichtsschreibung erinnert, für besonders problematisch: „Eine so manipulierte Geschichte [...] macht untüchtig für die Aufgabe der Zukunft, weckt falsche Erwartungen. In unserem Falle ließe sie vor allem verkennen, daß eine Einigung Europas die Überwindung starker Traditionen der europäischen Geschichte bedeuten würde“31. Für die vierte und letzte Fehlform, die idealistische Verkürzung, welche die bisherige europäische Geschichte als „Inkarnation“ bestimmter Werte, vor allem der „Ideale der Freiheit, des Rechts, der Menschenwürde, der Wohlfahrt und des Friedens in einem auf Vernunft gegründeten Gemeinwesen“ darstellt32, gebe ich ein Beispiel aus dem Europäischen Geschichtsbuch, das für sich spricht: „Mit der Wiedergeburt der Antike im 15. Jahrhundert (Renaissance)“, so heißt es dort, „vollzogen die Humanisten die Synthese zwischen dem griechisch-römischen Erbe und christlichem Denken. In diese Verbindung gingen später die Ideale der 26 Vgl. JEISMANN, Europäische Identität (Anm. 20), S. 262 f. 27 Vgl. KOTTE, „In Räume geschriebene Zeiten“ (Anm. 16), S. 28 Vgl. JEISMANN, Europäische Identität (Anm. 20), S. 262 f. 29 Vgl. KOTTE, „In Räume geschriebene Zeiten“ (Anm. 16), S. 30 Vgl. ebd., S. 215 f. 31 JEISMANN, Europäische Identität (Anm. 20), S. 263. 32 Ebd., S. 263.
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Demokratie, der [...] Gleichheit der Menschen und des persönlichen Glücks auf der Grundlage individueller Freiheit ein. Solche Leitwerte europäischen Denkens erhielten während der Aufklärung durch englische und französische Philosophen ihre moderne Form. [...] In Europa hatte sich nach und nach die Überzeugung herausgeschält, daß die Gesellschaft die Grundfreiheiten jedes einzelnen garantieren müsse. Dazu gehörte auch die Verurteilung von Folter und Sklavenhandel. Diese Bewegung von langer Dauer mündete in die Deklaration der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen 1948. Viele Völker außerhalb Europas übernahmen die beschriebenen Grundwerte“33. Gegen das unitarische Europabild, das sich als ebenso dominant wie defizitär entpuppt hat, entwickelt Kotte nun ein alternatives Konzept „divergierende[r] Europabilder“, welches dezidiert auf Vielfalt setzt34. „Bis in die Gegenwart hinein“, so Kotte, „prägen nationale Unterschiede weit mehr das Bewusstsein der in Europa lebenden Menschen [,] als dies durch Einheitsvorstellungen auf der Basis der Beschwörung von Gemeinsamkeiten der Fall ist. Daher wird gefordert, die Unterschiedlichkeit insbesondere der nationalen Entwicklungen als Ausgangspunkt für einen Geschichtsunterricht mit europäischer Dimension zu nutzen, um nicht verschiedene Voraussetzungen, divergierende Interessenlagen und auch offen zutage getretene Konflikte in harmonisierenden europäischen Geschichtsbildern zu neutralisieren und (in vielen Fällen immer noch virulente) Gegensätze zu kaschieren“35. Diese energische Forderung nach einem pluralistischen Zugang zur europäischen Geschichte ist als solche nicht neu, sondern kann sich durchaus auf Anregungen aus der neueren geschichtsdidaktischen Diskussion stützen – beispielsweise auf eine in Deutschland bislang kaum bekannte Konferenzreihe des Europarates in den 1990er Jahren36 sowie auf zwei größere Europa-Projekte des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig37. Aber Kotte geht einen entscheidenden Schritt weiter, indem er im 33 Europäisches Geschichtsbuch. Geschichtliches Unterrichtswerk für die Sekundarstufe I und II. Deutsche Ausgabe, 1Stuttgart 1992, S. 15. Zur Kritik dieser Passage vgl. auch KOTTE, „In Räume geschriebene Zeiten“ (Anm. 16), S. 317. 34 Vgl. KOTTE, „In Räume geschriebene Zeiten“ (Anm. 16), S. 146. 35 Ebd., S. 148. 36 Vgl. ebd., S. 61–76. 37 Vgl. Geschichte Europas für den Unterricht der Europäer. Prolegomena eines Handbuchs der europäischen Geschichte für die Lehrer der Sekundarstufe II, hrsg. von KarlErnst Jeismann und Rainer Riemenschneider, Braunschweig 1980; Macht Europa Schule? Die Darstellung Europas in Schulbüchern der Europäischen Gemeinschaft, hrsg. von Falk Pingel, Frankfurt a. M. 1995. Die Empfehlung, in einem europäischen Geschichtsunterricht „die Frage in den Mittelpunkt zu stellen, was Europa in den verschiedenen Epochen bedeutet hat und wie es in den verschiedenen Ländern gesehen wird“, wird sogar von einem Mitverfasser des Europäischen Geschichtsbuchs ausgesprochen. Vgl. Dieter TIEMANN, Europäischer Geschichtsunterricht, in: Handbuch der Geschichtsdidaktik, hrsg. von Klaus Bergmann [u. a.], 5Seelze-Velber 1997, S. 559–562, hier S. 562.
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Anschluss an eine Analyse „dominierende[r] nationaler Europavorstellungen“ in Deutschland, Polen, Tschechien und Ungarn38 gleichsam prototypisch einen Unterrichtsvorschlag entwickelt, der das polnische Europabild des „antemurale Christianitatis“ behandelt39. Das Lernpotential dieser kleinen Sequenz ist beachtlich, denn sie verortet die Selbstdeutung der Polen, Bollwerk und Schutzwall der europäischen Christenheit zu sein, nicht nur in unterschiedlichen historischen Schlüsselsituationen, darunter das Konstanzer Konzil (1414–1418) und die Schlacht bei Wien (1683), sondern sie vermag darüber hinaus zu verdeutlichen, weshalb im heutigen Polen die „Rückkehr nach Europa“ durch den Beitritt zur EU nicht als gnädig gewährte Chance des Westens, sondern als Einlösung einer seit langem bestehenden Bringschuld interpretiert wird40. Alles in allem wird man feststellen dürfen, dass die nationale Mythenvielfalt in Europa, die bereits in zwei großen Sonderausstellungen des Deutschen Historischen Museums in Berlin thematisiert und präsentiert wurde41, eine wahre Fundgrube für geschichtsdidaktische EuropaKonzepte darstellt, welche die Pluralität der Uniformität vorziehen. Solche Konzepte dürften im Übrigen recht gut zu den Gegenwartserfahrungen und Zukunftserwartungen der in Deutschland lebenden Jugendlichen passen, wie sie im Rahmen der neuesten Shell Jugendstudie „Jugend 2006“ erhoben wurden. Danach verbinden 87% der Jugendlichen mit dem heutigen Europa „kulturelle Vielfalt“. Mit dieser Assoziation korrespondiert erstmals eine ablehnende Haltung gegenüber der längerfristigen Entwicklung Europas zu einem einheitlichen Staat: „Waren es im Jahr 2002 noch 49% der Jugendlichen, die sich Europa als einheitlichen Staat vorstellen konnten, so trifft dies im Jahr 2006 nur noch auf 32% zu. Mit 45% lehnt hingegen eine Mehrheit einen staatlichen Zusammenschluss ab. 23% haben hierzu keine Meinung“42. IV. Präsentationsstrukturen: Addition oder Integration? Jenseits der Dialektik von Einheit und Vielfalt in der Gesamtkonzeption des Gegenstandes ist danach zu fragen, nach welchen Modi Lehrbücher und Unterrichtsmaterialien die einzelnen Inhalte der europäischen Geschichte anordnen und darbieten. Eine hinreichende Antwort auf diese Frage erfordert 38 39 40 41
Vgl. KOTTE, „In Räume geschriebene Zeiten“ (Anm. 16), S. 321–396. Vgl. ebd., S. 428–444. Vgl. ebd., S. 442 f. u. 363. Vgl. Mythen der Nationen. Ein europäisches Panorama. Begleitband zur Ausstellung, hrsg. von Monika Flacke, Berlin 1998; Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen. Begleitbände zur Ausstellung, hrsg. von Monika Flacke, 2 Bde., Berlin 2004. 42 Vgl. Ulrich SCHNEEKLOTH, Die „großen Themen“: Demographischer Wandel, Europäische Union und Globalisierung, in: Jugend 2006. Eine pragmatische Generation unter Druck. Konzeption & Koordination, hrsg. von Klaus Hurrelmann und Mathias Albert, Frankfurt a. M. 2006, S. 145–167, bes. S. 160 f., Zitat S. 161.
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zwingend die Einbeziehung der Richtlinien und Lehrpläne, denn diese fungieren in juristischer Hinsicht als Verwaltungsvorschriften, deren Einhaltung maßgeblich darüber entscheidet, ob Schulbücher die Hürde staatlicher Zulassungsverfahren erfolgreich nehmen oder an ihr scheitern. Da Richtlinien und Lehrpläne in didaktischer Hinsicht zugleich Planungsinstrumente sind, die Unterricht über lange Zeiträume hinweg in seinen Zielen und Inhalten strukturieren, besitzen sie eine Steuerungskraft, die sich auch auf die inhaltliche Gestaltung der Geschichtslehrbücher und Kursmaterialien erstreckt43. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, ob die curricular vorgegebene Anordnung der Inhalte dem traditionellen Muster des chronologischen Durchgangs folgt oder auch alternative Thementypen, insbesondere thematische Längsschnitte, zulässt. Dieser Zusammenhang sei am Beispiel der nordrhein-westfälischen Lehrpläne für das Fach Geschichte an Gymnasien erläutert. Zunächst zum Lehrplan für die Sekundarstufe I, der den Unterricht in den Jahrgangsstufen sechs und sieben sowie in den Jahrgangsstufen neun und zehn zu zwei sog. „zweijährige[n] Lerneinheiten“ zusammenfasst, die durch die Jahrgangsstufe acht, in der kein Geschichtsunterricht stattfindet, getrennt werden. Beide Lerneinheiten sind als chronologischer Durchgang angelegt, beginnen und enden aber jeweils mit einem thematischen Längsschnitt, darunter auch der Längsschnitt „Europa als Traditionsraum“ zu Beginn der Jahrgangsstufe neun und der Längsschnitt „Lernen aus der Geschichte – Kriegserfahrung und Friedenssicherung“ am Ende der Jahrgangsstufe zehn44. Was den chronologischen Durchgang betrifft, so begünstigt er eindeutig eine additive Präsentation der europäischen Dimension, die einen geringen Grad an Verbindlichkeit aufweist und einer Marginalisierung der europäischen Geschichte im Wortsinn Vorschub leistet. Nehmen wir als Beispiel das kurze 20. Jahrhundert, das laut Lehrplan in der Jahrgangsstufe zehn entlang den Fachinhalten „Demokratie und kommunistische Diktatur“, „Nationalsozialistische Herrschaft“, „Ost-West-Konflikt“ und „Friedenssicherung“ behandelt werden soll. Hinsichtlich des Ost-West-Konflikts sind folgende inhaltliche Vorgaben verbindlich: „Einführung in die Grundstrukturen der amerikanischen Politik im 20. Jahrhundert, Erarbeitung der Blockbildung als Folge der sowjetisch-amerikanischen Systemkonkurrenz, Erarbeitung der deutschen Teilung im Rahmen der Blockbildung, Erarbeitung der Einbindung 43
Vgl. Bernd SCHÖNEMANN, Lehrpläne und Richtlinien, in: Geschichts-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, hrsg. von Hilke Günther-Arndt, 2Berlin 2005, S. 48–62, hier S. 55. 44 Vgl. Richtlinien und Lehrpläne für das Gymnasium – Sekundarstufe I – in NordrheinWestfalen. Geschichte, hrsg. vom Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen (1993), Frechen 1999. Die Übersicht über die Fachinhalte findet sich auf S. 50 f., die Einstufung der Fachinhalte 6.1, 7.4, 9.1 und 10.4 als Längsschnitte auf S. 51, 84, 88 u. 121.
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der beiden deutschen Staaten in zwei konträre Blocksysteme, Erarbeitung der deutschen Vereinigung vor dem Hintergrund der Auflösung des Ostblocks“45. In dieser erkennbar chronologisch angelegten und zwischen Weltund Nationalgeschichte oszillierenden Inhaltsstruktur hat die europäische Geschichte keinen eigenständigen Platz. Das zeigt sich auch im verbreiteten Klett-Lehrwerk Geschichte und Geschehen, dessen Titelhierarchien Bände sprechen. Durchaus lehrplankonform verfahrend, enthält Geschichte und Geschehen ein Kapitel Von der Teilung zur Wiedervereinigung: Deutschland nach 1949. Dessen zweites Teilkapitel trägt den Untertitel Die Außenpolitik der beiden deutschen Staaten, und darin finden sich insgesamt zehn Randtitel, eben Marginalien, von denen drei einen expliziten Europabezug aufweisen: „Von der Montanunion zur Europäischen Union“, „Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft“ und „Die Sicht auf Europa ändert sich“. Außerdem werden behandelt: die Souveränität der Bundesrepublik und der DDR, der Bonner Alleinvertretungsanspruch, die neue Ostpolitik, das Streben der DDR nach mehr Eigenständigkeit, die Entspannung als oberstes Ziel der deutschen Außenpolitik und die transatlantische Wertegemeinschaft46. Wer mit dieser bunten thematischen Mixtur einen Gemischtwarenladen assoziiert, in dem man sich je nach Gusto bedienen kann, liegt nicht ganz falsch. Allerdings, und das ist für unser Problem ganz entscheidend, finden sich in demselben Lehrbuch auch ausführliche und zusammenhängende Darstellungen zur europäischen Geschichte mit korrespondierenden Materialteilen, die eine integrale Struktur aufweisen, so das über dreißig Seiten umfassende Kapitel Europa: Welche Traditionen führen in die Zukunft?47 sowie das immerhin noch sechsseitige Teilkapitel Frieden durch Einheit der Völker?48 Diese integralen Darstellungen verdanken ihre Existenz wohl weniger einer plötzlich entflammten Leidenschaft ihrer Autoren für die europäische Geschichte als vielmehr der schlichten Tatsache, dass sie mit den curricular obligatorischen Längsschnitten zu Beginn der neunten und am Ende der zehnten Jahrgangsstufe korrespondieren49. Was die Sekundarstufe II anbelangt, so lässt sich in allen Richtlinien und Lehrplänen eine deutliche Abnahme chronologischer und eine ebenso deutli45 46
Ebd., S. 116. Vgl. Geschichte und Geschehen. Sekundarstufe I, 4 Bde., Leipzig 2003–2005, hier Bd. 4, 2005, S. 204 f. u. 214–217. 47 Vgl. ebd., Sek. I, Bd. 3, 2004, S. 10–41. 48 Vgl. ebd., Sek. I, Bd. 4, 2005, S. 294–299. 49 Über die didaktische Qualität und Handhabbarkeit dieser Längsschnitte ist damit noch nichts gesagt. Hier geht es vornehmlich um die Strukturierungsleistung curricularer Vorgaben. Zu den unterrichtspraktischen Vorbehalten, auf die insbesondere der Längsschnitt „Europa als Traditionsraum“ stößt, vgl. Rolf BRÜTTING, Die Lehrer und ihre Pläne. Reaktion des Einzelnen und Aktion des Verbandes, in: Geschichtsdidaktische Lehrplanforschung, hrsg. von Saskia Handro und Bernd Schönemann, Münster 2004, S. 251–263, hier S. 257.
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che Zunahme systematischer Strukturierungsmuster beobachten. In Nordrhein-Westfalen wirkt sich dies günstig für die europäische Geschichte aus, denn sie wird hier – neben der Orts- und Regionalgeschichte, der deutschen Geschichte und der Geschichte außereuropäischer Kulturen – zu einem von insgesamt vier obligatorischen „Handlungs- und Kulturräumen“ erklärt, die in der Abfolge der sechs Halbjahreskurse angemessen zu berücksichtigen sind50. Dass europäische Geschichte nicht nur als Sachgeschichte, sondern auch dezidiert als Diskursgeschichte vermittelt werden kann51, zeigt der sächsische Lehrplan für den zweiten Leistungskurs der Jahrgangsstufe 12, wenn er die „Tradition des Europagedankens und Europapläne“ auf die unterrichtliche Tagesordnung setzt52. Dass dieser Aspekt einen eigenen thematischen Längsschnitt zu tragen vermag, hat Helmut Beilner eindrucksvoll bewiesen53. V. Medienformate: Lehrbuch oder Handbuch? „Jede Nation“, so hat Karl-Ernst Jeismann bemerkt, „blickt gleichsam von einem eigenen Aussichtsturm aus auf die Geschichte der anderen Nationen, Europas und der Welt. [...] Angesichts eines solchen Polyzentrismus der Geschichtssicht [...] sollte man darum nicht in einen unitarischen Voluntarismus verfallen, dergestalt, daß man die Geschichte Europas als eine einheitliche Geschichte für alle Schulen der Europäer verordnete“54. Unitarischer Voluntarismus – das war Ende der 1970er Jahre die entscheidende Begrün-
50
Vgl. Richtlinien und Lehrpläne für die Sekundarstufe II – Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen, hrsg. vom Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Frechen 1999, S. 26 u. 45. 51 Vgl. dazu Bernd SCHÖNEMANN, Europäische Geschichte als Gegenstand und Problem der Geschichtsdidaktik, in: Vorstellungen und Vorgestelltes. Geschichtsdidaktik im Gespräch, hrsg. von Manfred Seidenfuß und Armin Reese, Neuried 2002, S. 211–229, hier S. 224. Inhalts- und Themenkataloge zur europäischen Geschichte finden sich bei ROHLFES, Europa im Geschichtsunterricht (Anm. 5), S. 252–257, und Bodo von BORRIES, Europa im Geschichtsunterricht. Vorhandenes Schülerbewusstsein, wünschenswerte Inhalte und problematische Lernprogression, in: Europa verstehen lernen. Eine Aufgabe des Politikunterrichts, hrsg. von Georg Weißeno, Schwalbach/Ts. 2004, S. 214–233, hier S. 224. 52 Vgl. Lehrplan Gymnasium. Gewichtete Fassung. Geschichte. Klassen- und Jahrgangsstufen 5–12, hrsg. vom Sächsischen Staatsministerium für Kultus, Dresden 2001, S. 71. 53 Vgl. Helmut BEILNER, Europakonzepte vom 14. Jahrhundert bis zum Beginn des europäischen Einigungsprozesses nach 1945, in: Thematische Längsschnitte für den Geschichtsunterricht in der gymnasialen Oberstufe, hrsg. von Elisabeth Erdmann, Neuried 2002, S. 213–263; Helmut BEILNER, „Lernziel Europa“ – oder Funktionalisierung von Geschichte?, in: Europäische Perspektiven im Geschichtsunterricht, hrsg. von dems., Neuried 2003, S. 8–28, hier S. 11 u. 25 f. 54 Karl-Ernst JEISMANN, Gegenstand, Probleme und Ziele der Konferenz, in: Geschichte Europas für den Unterricht (Anm. 37), S. 9–11, Zitat S. 9.
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dung für die Ablehnung des „eine[n] europäische[n] Geschichtsbuch[s]“55. Gleichwohl ist bekanntlich zu Beginn der 1990er Jahre erstmals solch ein „Europäisches Geschichtsbuch“56 erschienen – zweifellos ein sehr verdienstvoller Syntheseversuch, dem jedoch von Anfang an, u. a. von Winfried Schulze57, schwerwiegende Mängel attestiert worden sind, die auch in einer revidierten Auflage, welche die Veränderungen seit 1989 einbezog, nicht beseitigt werden konnten58. Ob die unitarisch ausgerichtete Schulbuchproduktion zu weiteren europäischen Syntheseversuchen führen wird oder ob sie sich eher auf die bilaterale Ebene verlagert, wie das kürzlich erschienene Deutsch-französische Geschichtsbuch für die gymnasiale Oberstufe59 sowie das noch jüngere Lehrwerk zur Polnischen Geschichte und den deutschpolnischen Beziehungen60 vermuten lassen könnten, bleibt abzuwarten. Unabhängig davon stellt sich einmal mehr die Frage nach der Zeitgemäßheit und Wünschbarkeit einer Vereinheitlichung europäischer Perspektivenvielfalt. Wer diese Frage verneint, der sollte sich wieder in die Richtung bewegen, die das Georg-Eckert-Institut Ende der 1970er Jahre mit seinem Projekt der Erarbeitung eines Lehrerhandbuchs der europäischen Geschichte eingeschlagen hat61. Daran nicht nur partiell62, sondern umfassend wiederanzuknüpfen und ein spezielles Medium für Lehrerinnen und Lehrer zu entwickeln, das diese mit fachhistorischen Basisinformationen ausrüstet und ihnen ein reichhaltiges Materialangebot an die Hand gibt, wäre auch deshalb eine lohnende Aufgabe, weil ein solches Instrument im Unterrichtsalltag dabei helfen könnte, die schroffe Alternative einer entweder nur additiven oder einer nur integralen Behandlung der europäischen Geschichte zu umgehen – durch konkrete Hinweise auf die Verflechtung der europäischen Geschichte mit der Geschichte größerer und kleinerer Räume, d. h. durch Herstellung von Bezügen
55 Vgl. Karl-Ernst JEISMANN, Ein Geschichtsbuch für Europas Schulen?, in: Journal für Geschichte 1 (1979), H. 2, S. 12. 56 Europäisches Geschichtsbuch (Anm. 33). 57 Vgl. Winfried SCHULZE, Von der „europäischen Geschichte“ zum „Europäischen Geschichtsbuch“, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 44 (1993), S. 402–409. 58 Zur Kritik der revidierten Ausgabe, die seit 1997 unter dem Titel „Das Europäische Geschichtsbuch“ erscheint, vgl. KOTTE, „In Räume geschriebene Zeiten“ (Anm. 16), S. 303–312. 59 Histoire/Geschichte. Europa und die Welt seit 1945. Deutsch-französisches Geschichtsbuch. Gymnasiale Oberstufe, Stuttgart [u. a.] 2006. Vgl. dazu auch Joachim ROHLFES, Doppelte Perspektiven. Ein deutsch-französisches Geschichtsbuch, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 58 (2007), S. 53–57. 60 Polnische Geschichte und deutsch-polnische Beziehungen. Darstellungen und Materialien für den Geschichtsunterricht, Berlin 2007. 61 Vgl. Geschichte Europas für den Unterricht (Anm. 37). 62 Vgl. Robert STRADLING, Die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts im Unterricht. Projekt „Lehren und Lernen der Geschichte Europas im 20. Jahrhundert“, Strasbourg 2003.
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zur außereuropäischen und zur Weltgeschichte einerseits und zu den National- und Regionalgeschichten andererseits. Diese vertikale Variante des beziehungsgeschichtlichen Ansatzes wäre darüber hinaus geeignet, die oben angesprochenen gefühlten Verdrängungswettbewerbe im historisch-politischen Raumspektrum zu entschärfen, und zwar nach dem Prinzip „Verflechtung statt Verdrängung“. VI. Methodische Optionen: Stoffpräsentation oder Problemorientierung? Bleibt abschließend die Frage nach dem methodischen Umgang mit der europäischen Geschichte. Dazu ein Arbeitsauftrag aus dem Lehrbuch Geschichte und Geschehen: Er beginnt mit der Kurzfrage „Griechenland – die Wiege unserer Kultur?“ und endet mit der Aufforderung „Nennt Beispiele, die diese Auffassung belegen“63. Selbstverständlich ist dieser Auftrag ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen soll. Eine Lehrmethodik, die darauf abzielt, dass Geschichte nicht als Stoff gelernt, sondern als Vorstellung erarbeitet wird64, kommt gerade bei der Behandlung der europäischen Geschichte nicht umhin, Fremdverstehen zu initiieren, das stetige Wechseln der Perspektive und den Vergleich als Untersuchungsmethode systematisch einzuüben und dadurch Multiperspektivität zu kultivieren65. Vielleicht noch wichtiger als der lehrmethodische ist der lernmethodische Aspekt, der sich auf die anzustrebenden Schülerleistungen bezieht. Theodor Schieder hat im Vorwort zu dem von ihm herausgegebenen Handbuch der Europäischen Geschichte mit Recht darauf hingewiesen, dass Europa immer „eine Frage [bleibe], auf die zu verschiedenen Zeiten die Antworten verschieden lauten“66. Diese Erkenntnis sollte nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die Schule Gültigkeit besitzen. Fragen sind in der Beschäftigung mit der europäischen Geschichte sicher nicht alles, aber ohne die Bereitschaft und Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler, historische Fragen an Europa zu stellen und also heuristisch eigenaktiv zu werden, ist mit noch so ausgeklügelten Vermittlungskonzepten wenig gewonnen. 63 64
Geschichte und Geschehen (Anm. 46), Bd. 1, S. 120. Vgl. Karl-Ernst JEISMANN, „Geschichtsbewußtsein“. Überlegungen zur zentralen Kategorie eines neuen Ansatzes der Geschichtsdidaktik, in: Geschichtsdidaktische Positionen. Bestandsaufnahme und Neuorientierung, hrsg. von Hans Süssmuth, Paderborn [u. a.] 1980, S. 179–222, hier S. 216. 65 Vgl. Rolf SCHÖRKEN, Geschichtsunterricht in einer kleiner werdenden Welt. Prolegomena zu einer Didaktik des Fremdverstehens, in: Geschichtsdidaktische Positionen (Anm. 64), S. 315–335, Klaus BERGMANN, Multiperspektivität. Geschichte selber denken, Schwalbach/Ts. 2000. 66 Theodor SCHIEDER, Vorwort zum Gesamtwerk, in: Handbuch der Europäischen Geschichte, hrsg. von dems., Bd. 1.: Europa im Wandel von der Antike zum Mittelalter, Stuttgart 1976, S. 1–21, Zitat S. 11.
Schönemann, Europäische Geschichte
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Summary European history has long been a highly controversial issue within German didactics of history. Arguments range from a politically motivated enthusiasm for teaching European history at school to severe doubts concerning its basic usefulness inside the history classroom. Aiming at a systematisation of important contributions to this debate, the article categorizes central questions of the debate concerning six different aspects. Firstly, three commonly articulated dangers of teaching European history are discussed – namely the potential tendency towards teaching a Eurocentric worldview, the lack of synthesis within historical science, and the general problem of how to deal with a vast amount of topics in a limited number of history lessons. However, these apparent dangers can be interpreted as chances for a productive re-discussion of didactic questions as well. Secondly, on the level of learning goals, teaching European history should definitely aim at the learners’ development of orientation within a pluralistic understanding of European history rather than naively claiming for the construction of a unitary European identity with the help of history lessons. This already hints at the third issue of the debate, which tackles the thematic approach towards teaching European history. Here, a clear position is taken against a unitary treatment and for a pluralistic approach – not at least because this corresponds with today’s adolescents’ empirically confirmed pluralistic understanding of Europe. The fourth issue considers the presentation of European history in textbooks and its curricular regimentations, identifying a tendency towards an additive presentation of the topic in textbooks for secondary level one and an opening towards an integrative presentation in textbooks for secondary level two. However, it is not the textbook which enables learners to achieve central teaching goals most efficiently. When it comes – fifthly – to the alternative „textbook or teacher’s manual?“, the latter seems to offer a more flexible and more promising medium for dealing with European history. Finally, on a methodical level, there can be no true alternative to a problem-oriented, heuristic approach, as asking questions is an indispensable capability for learners in a history classroom.
EUROPA-INSTITUTE UND EUROPA-PROJEKTE Institut für Europäische Kulturgeschichte, Universität Augsburg Von
Wolfgang E. J. Weber Das Institut für Europäische Kulturgeschichte (IEK) wurde 1990 als zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Universität Augsburg gegründet. Seine Aufgabe ist die Förderung interdisziplinärer Erforschung der europäischen Kulturgeschichte, insbesondere auf der Grundlage der in Augsburg und dessen Umfeld vorhandenen Bibliotheks-, Archiv-, Bild- und Objektbestände. Unmittelbarer Anlass der Gründung war die Verbringung der OettingenWallersteinschen Bibliothek, der umfangreichen Privatbibliothek einer im nordschwäbischen Ries beheimateten, im 17. Jahrhundert gefürsteten Grafendynastie, an die Universitätsbibliothek Augsburg. Mit dem Erwerb dieser insgesamt ca. 200 000 Einheiten besonders aus dem 17. und 18. Jahrhundert umfassenden Sammlung durch den Freistaat Bayern, in die zu Beginn des 19. Jahrhunderts zusätzlich die Manuskripte und Drucke von fünf säkularisierten schwäbischen Klöstern eingegangen waren, erweiterte sich der in Augsburg und Umgebung vorhandene Bestand an mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Handschriften und Drucken, darunter derjenige der in der Reichsstadtzeit systematisch aufgebauten Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, so erheblich, dass die Unterstützung der wissenschaftlichen Nutzung durch eine entsprechende Institution angebracht erschien. Zielvorstellung war die Gründung einer Institution, die im Süden eine ähnliche Rolle wie die Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel spielen kann. Gleichzeitig konnten und können die insbesondere an der heutigen Philologisch-Historischen Fakultät der Universität vorhandenen kulturhistorischen Bestrebungen sinnvoll gebündelt und dadurch gefördert werden. Auch dank der gezielten Nachkauftätigkeit der Universitätsbibliothek ist mittlerweile tatsächlich eine in Süddeutschland einmalige Basis für frühneuzeitliche historische Kulturforschung entstanden, die erforderlichenfalls noch durch Rückgriff auf die Bestände der Bayerischen Staatsbibliothek in München ergänzt werden kann; diese ist bekanntermaßen ursprünglich ebenfalls vor allem aus Augsburger Sammelgut, konkret durch Ankauf der Bibliothek des Johann Jakob Fugger 1571, aufgebaut worden. Insbesondere US-ameri-
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kanische Forscher haben dieses Angebot zu schätzen gelernt. Aber auch allgemeinere Anfrage und Unterstützungsbitten erreichen das IEK in zunehmender Zahl. Zumeist geht es um Vorabinformationen und äußere wie inhaltliche Unterstützung geplanter Forschungsvorhaben. Mit anderen Worten: das Institut ist zur Anlaufstelle für viele in Süddeutschland arbeitende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geworden. Das Institut besteht aus ordentlichen und korrespondierenden Mitgliedern sowie einem kleinen Mitarbeiterstab. Die ordentliche Mitgliedschaft ist habilitierten Mitgliedern der Universität Augsburg und Vertretern der wichtigsten Augsburger Sammlungen, so der Staats- und Stadtbibliothek und des Staatsarchivs, sowie der Universitätsbibliothek vorbehalten. Die Zahl der ordentlichen Mitglieder bewegt sich üblicherweise zwischen 30 und 40. Ungefähr auf der gleichen Höhe liegt die Zahl der korrespondierenden Mitglieder, die sich aus deutschen und nichtdeutschen, derzeit u. a. italienischen und USamerikanischen, einschlägig ausgewiesenen und aktiven Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammensetzt. Die Mitgliedschaft wird durch Zuwahl in der Mitgliederversammlung erworben. Die Mitgliederversammlung wählt auch die Institutsdirektoren, die wiederum aus ihrer Mitte einen Geschäftsführenden Direktor bestimmen (derzeit Prof. Dr. Silvia Serena Tschopp). Das Direktorium setzt in Zusammenarbeit mit den Institutsmitarbeitern – derzeit ein habilitierter Geschäftsführender Sekretär nach dem Akademiemodell, ein promovierter Mitarbeiter (Dr. des. Stefan Paulus), eine Halbtagssekretärin und Mitarbeiter für die Publikationen des Instituts in wechselnder Zahl und Anstellungsform – die Beschlüsse der Mitgliederversammlung um und entwickelt entsprechende Programm- und Aktivitätsinitiativen. Mitgliedschaft und Direktorenfunktion werden von der Universitätsleitung und dem zuständigen Staatsministerium bestätigt. Zur Unterstützung der Institutsarbeit ist ferner ein Beirat bestellt, der sich in der Regel einmal im Jahr trifft. Ihm gehören vor allem deutsche einschlägig ausgewiesene Forscher an. Die seit der Gründung gepflegten und mittlerweile stark ausgebauten Aktivitätsformen sind Forschungsförderung, Einladung von Gastwissenschaftlern, Graduiertenförderung, Tagungen unterschiedlichen Zuschnitts, Gastvorträge im Rahmen der Institutsvortragsreihe Colloquium Augustanum, Einzelvorträge, Ausstellungen und Publikationen. Die Förderung von Forschungsvorhaben konnte anfangs mit Hilfe einer Startförderung der VW-Stiftung in Höhe von einer Million DM auf ein solides Fundament gestellt werden. Nachdem es sich bei den in dieser Phase geförderten Vorhaben vor allem um Dissertationen handelte, schloss sich ihr 1998 ein eigenes Graduiertenkolleg an, das GRK 510: Wissensfelder. Entstehung und Aufbau der neuzeitlichen Europäischen Informationskultur, finanziert wie üblich über die Deutsche For-
Weber, Institut für Europäische Kulturgeschichte
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schungsgemeinschaft. Dieses kommunikationsgeschichtlich damals höchst innovative, derzeit in der Auslaufphase befindliche, vom damaligen Geschäftsführenden Institutsdirektor und Inhaber des Augsburger Lehrstuhls für Geschichte der Frühen Neuzeit, Prof. Dr. Johannes Burkhardt, und dem Wissenschaftlichen Sekretär des Instituts, Prof. Dr. Wolfgang E. J. Weber, initiierte und geleitete, mit zwölf Doktoranden und zwei Postdoktorandenstipendien ausgestattete Graduiertenkolleg soll demnächst durch ein noch stärker interdisziplinäres Nachfolgekolleg abgelöst werden. Die Gastwissenschaftlereinladung und -förderung des IEK erfolgt im Wesentlichen durch Nutzung des Mercator-Gastwissenschaftlerprogramms der DFG und durch Kooperation mit der Alexander von Humboldt-Stiftung. Zuletzt war ein international renommierter, junger deutscher Kunsthistoriker Inhaber der Mercator-Gastprofessur. Soeben ist der Antrag des IEK auf Finanzierung des Gastaufenthaltes eines Mittelalterhistorikers bewilligt worden. Als Humboldt-Stipendiaten arbeiteten bisher u. a. eine Musikhistorikerin und ein jüngerer Kulturhistoriker in Augsburg. Zu den jüngst durchgeführten Konferenzen des IEK zählen eine Tagung zum Thema Enzyklopädien, zur jüdischen Geschichte in Schwaben, zum Komplex Traum und Politik seit der Antike und zur Kulturgeschichte des Hellenismus. Hinzu kommen kleinere Symposien und Workshops, organisiert vielfach auch von Graduierenden, so etwa eine Veranstaltung zur Theatrum-Metapher und -Konzeption. Die Ergebnisse der Tagungen und großen Forschungsvorhaben werden üblicherweise in einer der drei Publikationsreihen des Instituts veröffentlicht. Die Reihe Colloquia Augustana, verlegt durch den Akademie-Verlag Berlin, ist schwerpunktmäßig fachhistorischen Arbeiten gewidmet; soeben ist die Dokumentation der zusammen mit dem Institut für Geschichte der Juden in Österreich in St. Pölten und dem Institut für Jüdische Studien der Universität Düsseldorf veranstalteten Tagung veröffentlicht worden. Die Reihe Studia Augustana, betreut durch den Max Niemeyer Verlag in Tübingen, nimmt vor allem philologische Beiträge auf. Aber auch bibliotheksgeschichtliche Publikationen werden in diesem Rahmen vorgelegt, so jüngst der zweite Band der historischen Kataloge und des rekonstruierten Bestands der Handschriften und Drucke des Augsburger Humanisten Konrad Peutinger (1465–1547). Die Reihe Documenta Augustana schließlich, verlegt durch den örtlichen Verlag Dr. Wißner, bietet hauptsächlich Editionen und Quellenreproduktionen, aber auch kleinere Darstellungen allgemeineren Zuschnitts. In der Entwicklung von einer Mitglieder- zu einer kulturhistorischen Fachzeitschrift befinden sich die halbjährlich erscheinenden Mitteilungen des IEK. Das letzte große Ausstellungsprojekt des IEK ist in Kooperation mit dem Haus der Bayerischen Geschichte durchgeführt worden und bezog sich auf die Kulturgeschichte des Bürgertums der oberdeutschen Reichsstädte. Natur-
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gemäß spielten dabei die großen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Handelshäuser, voran die Fugger, eine wesentliche Rolle. Der Einbezug ihres Archivs und ihrer Geschichte in die Aktivitäten des IEK insgesamt ist diesem ein besonderes Anliegen. Ein neues, gerade in der Mitgliederversammlung verabschiedetes Ausstellungsvorhaben wird sich mit einem zentralen, auch gegenwartsaktuellen Aspekt der europäisch-nichteuropäischen Kulturbegegnung bzw. des entsprechenden Kulturtransfers befassen. Die Finanzierung des Instituts basiert auf seiner jährlichen Grundausstattung aus Universitätsmitteln sowie auf Drittmitteln. Regelmäßige Zuschussgeber für die Publikationen und die Vortragsreihe sind bzw., besser formuliert: waren bisher örtliche institutionelle Förderer, darunter die Stadt Augsburg. Die Finanzierung der einzelnen Projekte unterschiedlicher Größenordnung, derzeit z.B. mehrerer Quelleneditionen, darunter die Edition der Chronik des Georg Kölderer (ca. 1600), erfolgt meist durch übliche Antragstellung bei der DFG oder einer anderen der bekannten Förderinstitutionen. An Bedeutung gewinnen derzeit jedoch auch andere, kleinere, private Stiftungen. Seit der Anerkennung des kulturhistorischen Schwerpunkts der Universität Augsburg als bayerisches Alleinstellungsmerkmal hat das IEK nochmals an Bedeutung gewonnen. Es ist zu einer von drei Säulen des vom Freistaat Bayern an der Universität Augsburg errichteten interdisziplinären Kompetenzzentrums Kultur und Bildung geworden. Dieses die beiden Philosophischen Fakultäten (Philologisch-Historische Fakultät, Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät) und die Katholisch-Theologische Fakultät vereinigende Kompetenzzentrum ist mit entsprechenden Sachmitteln ausgestattet worden. Die Einbindung des Forschungsinstituts in die universitäre Lehre wurde nach der Errichtung eines BA-Studiengangs Europäische Kulturgeschichte bereits 2001, in Folge der Errichtung des gleichnamigen Lehrstuhls, und vor kurzem eines entsprechenden Master-Studiengangs, durch einen neuen MasterStudiengang Ethik der Textkulturen und durch den Elitenstudiengang Historische Kunst- und Bilddiskurse (ebenfalls Master) im Rahmen des Bayerischen Elitenetzwerks weiter verstärkt. Im Bereich der Forschung zeichnet sich eine Erweiterung des frühneuzeitlichen Schwerpunkts zur Neueren und Neuesten Geschichte hin ab. Kontakt: Prof. Dr. Wolfgang E. J. Weber Direktor und Geschäftsführender Wissenschaftlicher Sekretär Eichleitnerstr. 30, D 86159 AUGSBURG Telefon Sekretariat (0821) 598-5840 Fax und Anrufbeantworter (0821) 598-5850 E-Mail: [email protected] Homepage: www.uni-augsburg.de/institute/iek/
Das MitteleuropaZentrum für Staats-, Wirtschafts- und Kulturwissenschaften an der TU Dresden Von
Walter Schmitz ‚Mitteleuropa‘, eben erst neu entdeckt, scheint schon wieder zu verschwinden. Vor kaum mehr als einem Jahrzehnt war ‚Mitteleuropa‘ noch der Name, in dem sich Überraschung, Hoffnung, Zuversicht bündelten. „Mitteleuropa ist wieder da!“ So hatte Timothy Garton Ash die Freiheitsrevolutionen von 1989 kommentiert und damit zugleich exemplarisch für viele die Einheit eines Raumes angesprochen, den wir sonst in Nordost-, Mittelost- und Südosteuropa einzuteilen gewohnt sind. Es war der Raum des Aufbruchs zur Demokratie1. ‚Mitteleuropa‘ war schon in den 1980er Jahren der Name für jene Länder westlich von Russland und östlich des ‚Eisernen Vorhangs‘ geworden, die Milan Kundera als einen occidente kidnappé bezeichnet hatte. Nun, nach 1989, schienen sich hier neue Wege zur Demokratie und Zivilgesellschaft zu öffnen. Intellektuelle schienen den Gang der Politik bestimmen zu können, und sie diskutierten über ein Mitteleuropa, das sich von einer ‚Konfliktgemeinschaft‘ zu einer Zukunftsgemeinschaft wandeln sollte. In Polen freilich sind hier auch langwirkende Traditionen eigener Territorialität, ein besonderes Verhältnis zum Nationalstaat wirksam; dennoch nahmen polnische Intellektuelle wie Adam Michnik ebenso wie Václav Havel in der Tschechoslowakei oder György Konrád in Ungarn an einem Gespräch und einer Debatte teil, in der es auch um die Frage ging, wie die moralischen Gegeneliten der Zeit vor 1989 diese mitteleuropäische Zukunft prägen könnten. Von anderer Seite wurde freilich kühl konstatiert, was die aus dem so genannten ‚Ostblock‘ entlassenen Staaten in der Mitte, im Nord- und im Südosten Europas zu leisten hätten, sei schlicht ein Aufholen von Modernisierungsprozessen, sei ein möglichst schnelles Sich-Angleichen an die Normalität des Westens. Die Transformation kam denn auch schnell in Gang, wissenschaftlich beobachtet von einer Transformationsforschung in Wirtschafts-, Gesellschaftsund Politikwissenschaft. Für den Gedanken an ‚Mitteleuropa‘ blieb der Be1 Hier und im Folgenden übernehme ich einige Passagen aus einem früheren Text: Das Mitteleuropazentrum an der Technischen Universität Dresden, in: Inter finitimos. Jahrbuch zur deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte 2 (2004), S. 192–196.
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reich der Kultur reserviert. Vielleicht kann man heute der Vermutung von Imre Kertész nur noch schwerlich widersprechen, der „mitteleuropäische Mensch“ sei, wie es in einem seiner Essays heißt, „möglicherweise gar nicht wirklich, sondern nur erträumt, in einer sternenklaren Nacht am Balaton, in der kleinen, durch die neueren Schriften von György Konrád zu Weltruhm gelangten Gemeinde Hegymagas“2. II. Bei der Namensgebung des MitteleuropaZentrums (MeZ) wurde diese aktuelle Vorgeschichte mitgedacht. Bewusst also sind wir von dem – gemäß angelsächsischem und französischem Sprachgebrauch – eingebürgerten Namen ‚Zentraleuropa‘ abgewichen – und dies, wie es sich von selbst versteht, auch eingedenk der fatalen Karriere eines Mitteleuropakonzepts in einer imperialen Kontinuität vom Wilhelminischen Kaiserreich bis zum ‚Dritten Reich‘3; uns leitete vor allem die Hoffnung, diesen Namen gleichsam für eine bessere Tradition zurückzugewinnen: Auch unsere politische Sprache ist uns ja zur Aufgabe gegeben. Ermutigend ist das Beispiel unserer Nachbarn: In der Tschechischen Republik, wo ja von einer großdeutschen Mitteleuropakonzeption noch heute deren Opfer Zeugnis geben können, heißt der in Rede stehende Raum inzwischen eben doch ‚stMední Evropa‘, also ‚Mitteleuropa‘. Jene eingangs skizzierte Ausdifferenzierung der Raumkonzepte, ja die Antithetik von kulturellem Entwurf, der langsam ins Utopische rückt, und pragmatisch gesteuerter Entwicklung, wie sie hier kurz geschildert wurde, ist auch für die Arbeit des MitteleuropaZentrums zu akzeptieren4; doch soll dessen Arbeit in Wissenschaft und Öffentlichkeit immer wieder die Gemeinsamkeit ‚Mitteleuropas‘ bewusst machen. Das MeZ will – kurz gesagt – die interdisziplinäre Erforschung des ‚mitteleuropäischen‘ Raumes, seiner Städte, Regionen und Nationalstaaten vorantreiben und die Resultate dieser Forschungen auch in eine breitere Öffentlichkeit bringen.
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Imre KERTÉSZ, Wird Europa auferstehen?, in: DERS., Die exilierte Sprache. Essays und Reden. Frankfurt a. M. 2004, S. 165–180, hier S. 173. 3 Vgl. dazu Andreas PESCHEL, Friedrich Naumanns und Max Webers „Mitteleuropa“. Eine Betrachtung ihrer Konzeption im Kontext mit den „Ideen von 1914“ und dem Altdeutschen Verband, Dresden 2005. 4 Vgl. dazu meine Studie: Unerwünschte Passagen. Literatur ‚zwischen den Kulturen‘, Migration, Raumwandel in Mitteleuropa, in: Freiräume und Spannungsfelder. Positionen der zeitgenössischen Musik, hrsg. von Europäischen Zentrum der Künste Hellerau [im Druck], sowie künftig meine umfangreichere Arbeit: Projektionsraum ‚Mitteleuropa‘. Mythographie im wissenschaftlichen Feld, in: Jahrbuch des Mitteleuropäischen Germanistenverbandes 1 (2008) [i. V.].
Schmitz, Das MitteleuropaZentrum Dresden
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Das MeZ wurde als Zentrale Wissenschaftliche Einrichtung der Technischen Universität Dresden im Jahr 2000 gegründet. Es ist ein Projektträgerzentrum für interdisziplinäre Arbeiten. Es steht im Zentrum eines inneruniversitären Netzwerkes – als Urheber und Koordinator interdisziplinärer wissenschaftlicher Projektarbeit, sowohl im Bereich der Forschung als auch der Lehre. Es wird institutionell unterstützt durch kulturwissenschaftlich ausgerichtete Professuren der Fächer Germanistik und Slawistik sowie durch solche für Volkswirtschaftslehre, Politikwissenschaft, Internationales Recht, Soziologie, Kommunikationswissenschaft, Osteuropageschichte sowie Kunstund Musikwissenschaft. In der Gründung des Zentrums kreuzen sich die Entwicklungsstrategien der TU Dresden, die ja seit 1991 zu einer Volluniversität mit einem breiten Fächerspektrum erweitert wurde, mit der Aktualität der Fragestellung. Das MeZ ist jedoch nicht nur den Aufgaben der Gegenwart verpflichtet, sondern begreift Mitteleuropa – wie es selbstverständlich ist – als einen Geschichts- und Traditionsraum. III. Geographische Festlegungen fixieren die Mitte Europas in der südwestlichen Ukraine im Rayon Rachiw. Andere Messungen verweisen – symmetrisch gespiegelt – auf den Nordosten. Auf die europäische ‚Mittellage‘ hingegen haben schon früh Deutschland, Böhmen – das ‚Herz Europas‘ – und Polen Anspruch erhoben; die politisch-kulturelle Debatte um ‚Mitteleuropa‘ seit den 1970er Jahren bezieht auch die Staaten im geographischen Südosten des Kontinents mit ein. So ist ‚Mitteleuropa‘ in der Geschichte stets ein politisch überformter und kulturell gedeuteter Raum gewesen. Das Habsburgerreich im Süden, das russische Zarenreich im Nordosten und die deutschen Territorien – Bayern, Sachsen, zunehmend auch Preußen – bilden die Mächtekonfiguration, in der sich Polen in seiner Geschichte nur mühsam behauptet, in der ein Großreich wie das Großherzogtum Litauen sich bildet und wieder auflöst, in der ebenso die staatenbildenden Aktivitäten der Tschechen eingebunden sind. Im 20. Jahrhundert ändert sich diese Konfiguration zu einem neuen Tableau von ‚National‘-Staaten (die Nachfolgestaaten des Habsburgerreiches, Polen, die Sowjetunion), deren ‚nationale‘ Legitimierung freilich besonderer ideologischer Anstrengungen bedurfte und zudem nach dem Zweiten Weltkrieg in weiten Teilen ‚Mitteleuropas‘ von jenem Internationalismus überlagert wurde, der zum Kern der kommunistischen Ideologie gehörte. Dass im vom ‚Eisernen Vorhang‘ geteilten Europa „die Nationalstaaten in den Blockstaat integriert“5 waren, verlieh dem ‚Mitteleu5 György KONRÁD, Mein Traum von Europa, in: Kursbuch 81 (1985), S. 175–193, hier S. 180.
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ropa‘-Konzept der Dissidenten seit Beginn der 1980er Jahre eine zusätzliche Legitimation. Das Forschungsinteresse des MeZ jedenfalls akzentuiert hier immer wieder die kulturellen Wandlungen dieses gedeuteten Raums ‚Mitteleuropa‘. ‚Kulturen‘ beziehen wir auf die Lebensformen größerer, in gemeinsamer Überlieferung fundierter Gemeinschaften; sie sind deren Wissens- und Deutungssysteme. Die soziale und staatliche Organisation vollzieht sich dabei in steter Wechselwirkung mit der kulturellen Formierung; doch sind die jeweiligen Zugehörigkeiten nicht deckungsgleich. So ist die Kulturgeschichte des mittel-, ost- und südosteuropäischen Raums durch die Jahrhunderte von intra- und interkulturellen Differenzen geprägt, die oft feindselig, oft genug aber auch produktiv ausgetragen wurden – von der ersten Formierung kultureller Identitäten in der Frühen Neuzeit über die Migrationsbewegungen des konfessionellen Zeitalters, die Konstruktion nationaler und ethnischer Identitäten seit dem 19. Jahrhundert, die autoritären Staaten und den ideologischen Totalitarismus des 20. Jahrhunderts bis zu den Suchbewegungen, die seit den Umbrüchen von 1989 neue Orientierungen erkunden wollen. Eine Kulissenlandschaft darf so freilich nicht entstehen; neben diesen zukunftsfähigen Entwicklungen muss – wie es sich das MeZ auch vornimmt – zugleich eine kulturelle Gedächtnisbildung gepflegt werden, die sich der Blüte und der Vernichtung der jüdischen und europäisch-jüdischen Kultur gerade in diesem Raum widmet. IV. Die profilbildende, nur interdisziplinär anzugehende Leitfrage des MeZ zielt auf die Kategorien von ‚Räumlichkeit‘ selbst, die Konstituenten – politische, wirtschaftliche, rechtliche, kulturelle – eines ‚Raumes‘ und deren Wechselspiel. ‚Mitteleuropa‘ bietet eine exemplarische „Problemlage“ (Jürgen Mittelstraß) für ein interdisziplinäres Forschungsinteresse, gerade weil sich die wissenschaftliche Re-Konstruktion auf vielfältige und komplexe Konstruktionen einer ‚mitteleuropäischen Wirklichkeit‘ zu beziehen hat. Auch wenn man in Deutschland gegenüber den Hoffnungen auf ein ‚Wiederentstehen Mitteleuropas‘ früh darauf verwiesen hat, es sei eigentlich nur die Draperie einer Faszination durch den Westen6, so zeigt sich doch, dass Deutschland – so wie von jeher – in die mitteleuropäische Konstellation einbezogen ist – und sich ja seit den frühen 1990er Jahren zunehmend wieder in diese eingebracht hat. Die Verflechtungen der Wirtschafts- und Rechtssys6
Vgl. etwa Wolf Jobst SIEDLER, Mitteleuropa und die Topographie der deutschen Faszination, in: Die blockierte Vergangenheit. Nachdenken über Mitteleuropa, hrsg. von Dietrich Spangenberg, Berlin 1987, S. 59–67.
Schmitz, Das MitteleuropaZentrum Dresden
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teme entwickeln sich dynamisch und können gleichsam nur von Tag zu Tag neu bilanziert werden7. Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Kontroversen im Kulturellen, in der Erinnerungskultur vor allem, sind, wenn man sie etwas distanziert von der Tagesaktualität betrachtet, ganz offensichtlich Symptome einer neu entstehenden mitteleuropäischen Öffentlichkeit. Zu vergessen ist dabei nie, dass Deutschland in der Tat auch den ‚Weg nach Westen‘ gegangen ist und diese Erfahrungen in die Zusammenarbeit mit den östlichen Nachbarn einzubringen hat. Die – schwierige und langwierige – Entwicklung einer Europäischen Union definiert für Mitteleuropa eine historisch neue Ausgangslage. Und gerade die wissenschaftliche Arbeit wird deshalb das produktive Paradox von Integration einerseits und Öffnung für größere Einheiten andererseits – teils zielstrebig verfolgt wie die Öffnung zur Europäischen Union, teils anscheinend unentrinnbar wie die Folgen des Globalisierungsprozesses – nachzeichnen können. Und da Wissenschaft eben selbst auch Orientierung in der Selbstverständigung von Gesellschaften bietet, geht es hier immer auch darum, die Länder Mitteleuropas, den Raum ‚Mitteleuropa‘ als Teil eines neuen Europa wahrzunehmen und ernst zu nehmen. Hier setzt – zukunftsgestaltend – denn auch die Unterstützung von Institutionalisierungen in Forschung und Lehre, insbesondere auch die Etablierung gemeinsamer Studiengänge, an. An der St.-Kliment-Ohridski-Universität in Sofia hilft das MeZ beim Aufbau des ZEDES, eines vom DAAD geförderten Zentrums für Deutschland- und Europastudien. Das ZEDES trägt gemeinsam mit der TU Dresden einen Masterstudiengang „German Studies“8. Geplant ist, wieder in einer internationalen Projektpartnerschaft, die Einrichtung eines Studiengangs „Deutsch für Geisteswissenschaftler“ an der Jan-PalackýUniversität in Olomouc. Mehr noch als bisher wird das MeZ künftig den Akzent auf die notwendige Verbindung zwischen Forschung und Lehre setzen. Ein gemeinsamer Studiengang „German Studies“ mit der TU Liberec wird in dem sich erst allmählich seiner Möglichkeiten bewusst werdenden östlichen Dreiländereck der erste binationale Studiengang auf universitärem Niveau sein. V. Die Bezeichnung als Projektträgerzentrum impliziert, dass das MitteleuropaZentrum wohl eigenständig Projekte entwickeln, sie aber nicht mit eigenen 7 Vgl. etwa: Ein anderes Europa. Innovation – Anstöße – Tradition in Mittel- und Osteuropa. Dokumentation zum 3. Sächsischen Mittel- und Osteuropatag, hrsg. von Walter Schmitz, Dresden 2007. 8 Vgl. http://web.tu-dresden.de/zedes-sofia.
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Mitteln durchführen kann. Die Arbeit bewegt sich gleichsam auf einer Linie, deren Koordinaten von langfristigen Konzepten einerseits, von Antragsbedingungen und Fördermöglichkeiten andererseits bestimmt werden. Während der recht kurzen Zeit des Bestehens des MeZ konnten so doch schon weit reichende Erfahrungen in wissenschaftlicher Projektarbeit gesammelt werden9. Die Arbeit des MeZ hat sich dabei auf einen Zeitraum, den man in einem weiten Sinn als ‚Moderne‘ – anhebend mit der Achsenzeit um 1800 – bezeichnen kann, konzentriert. Jene Rekonfiguration der territorialen Ordnung, die man etwas vorschnell als Aufstieg des Nationalstaates bezeichnet hat, erweist sich hier für ‚Mitteleuropa‘ als ein besonders spannungsvoller Prozess – nicht zuletzt in der Konkurrenz zu jenem älteren Herrschaftskonzept des ‚Reiches‘, das in diesem Raum in Metamorphosen vom Habsburgerreich des 19. bis zum Sowjet-Imperium des 20. Jahrhunderts erstaunliche Beharrungskraft zeigt – mit Nachwirkungen bis in die Gegenwart. Projektarbeit verlangt für ein MitteleuropaZentrum geradezu zwingend nach internationaler Kooperation. Jene verlässlichen und bewährten Partnerschaften, die wir in Polen, in der Tschechischen Republik, in Ungarn, Bulgarien und Rumänien aufgebaut haben, werden, wie es der Logik der Raumkonstruktion entspricht, neuerdings durch den Blick ‚von Westen‘ ergänzt. Vor allem unser Internationales Graduiertennetzwerk Deutschland und das neue Europa im Zeitalter der Entgrenzungen belegt nun beides: eine Kooperation, die ganz selbstverständlich Partner aus Südosteuropa in transatlantische Kooperationen einführt, und ebenso eine Themenstellung, die am exemplarischen Beispiel Deutschlands, konzentriert auf die Ereignisse seit 1989 – mit vergleichenden Studien seit Beginn der Moderne – auf eben diese neuen Konstellationen der Bindung, der Öffnung, des Austauschs, aber auch der Krise und des Konflikts in ‚Mitteleuropa‘ zielt10. Dabei ist nach der Überlagerung der Funktionsräume zu fragen11; und es ist zu beleuchten, wie sich Menschen nicht nur über Staatsgrenzen hinweg bewegen, sondern wie sich die Bewegung des Einzelnen zugleich durch diese verschiedenen symbolischen Territorialisierungen vollzieht, etwa als sozialer Auf- oder Abstieg, als Wechsel der kulturellen Orientierung, als Verweigerung dieses Wechsels oder als die Annahme einer Vermittlerrolle und vieles andere mehr. 9 Vgl. http:// tu-dresden.de/die_tu_dresden/zentrale_einrichtungen/mez. 10 Das Netzwerk umfasst neben dem MeZ das Canadian Centre for German
and European Studies an der York University in Toronto, das Institute for European Studies an der University of British Columbia in Vancouver, das Duitsland Instituut an der Universiteit van Amsterdam und das Zentrum für Deutschland- und Europastudien an der St.-KlimentOhridski Universität in Sofia. 11 Etwa im Sinn von Arjun APPUDARAI, der Räume als komplexe Überlagerung verschiedener ‚scapes‘ (landscapes, mediascapes, ethnoscapes etc.) begreift: Disjuncture and Difference in the Global Cultural Economy, in: Global Culture. Nationalism, Globalization, and Modernity, hrsg. von Mike Featherstone, London 1990, S. 295–310.
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Vorbereitet wurde ein weit ausgreifendes Projekt wie dieses, indem sich gleichsam alle Fragestellungen nach der Überlagerung von raumgliedernden Systemen bündeln, durch Vorstudien, die vor allem die Stadt als Laboratorium der Moderne begriffen haben. Dabei wird eben jene Überlagerung von verschiedenen Projektionssystemen der Territorialisierung besonders deutlich; Knotenpunkte, gleichsam Verdichtungszonen dieser Prozesse, bilden vor allem die Städte, von denen man ja dann auch nach 1989 eine besondere, das postnationale Zeitalter einleitende Funktion erwartete12. Wendet man sich solchen komplexen Fragestellungen zu, so fächert sich gleichsam auch das gesamte, in der Forschung oft nicht genutzte mediale Spektrum, das inzwischen für wissenschaftliche Arbeit und die Verbreitung ihrer Ergebnisse zur Verfügung steht, auf13. Ein größeres Projekt des MeZ war dem historischen Beispiel einer multikulturellen und Vielvölkerstadt gewidmet, wie sie Prag vor dem Ersten Weltkrieg war. Es entstanden eine Wanderausstellung mit Katalog, ein Tagungsband und eine CD-ROM. Die Prozesse von Identitätskonstruktion in multikulturellen urbanen Gesellschaften standen dann im Zentrum der wissenschaftlichen Kooperation mit der Third Europe Foundation in Timisoara/Rumänien; zunächst wurde nach Erinnerungskulturen seit 1989 im Vergleich von rund 20 Städten gefragt, mit dem – angesichts der Materialflut (wie sie etwa das Dresdner Stadtjubiläum 2006 erzeugt hat) – kaum noch erreichbaren Ziel einer ‚dichten Beschreibung‘ dieser Prozesse, ihrer Medien, Akteure und symbolischen Ordnungen. Was sich methodischer Erschließung vielleicht aber noch entzieht, kann dennoch durch die reflektierte Erfahrung schon mitteilbar werden. Das MeZ hat deshalb immer auch den intellektuellen Dialog über die Grenzen des Wissenschaftssystems hinaus gesucht; und trotz der zunehmenden Achtlosigkeit gegenüber der Kultur, wie sie in unserer Gegenwart doch mit Recht 12
Vgl. etwa Karl SCHLÖGEL, Marjampole oder Europas Wiederkehr aus dem Geist der Städte, München 2005. 13 Forschung und Publikation gehen Hand in Hand. Für das MeZ werden, von verschiedenen Herausgebergremien, fünf Buchreihen, herausgegeben (alle im Thelem-Verlag Dresden). Im Zentrum stehen die Mitteleuropa-Studien. Sie umfassen wissenschaftliche Monographien, Sammelbände, Aufsatzsammlungen und Tagungsbände; entscheidend ist dabei der vergleichende, abgrenzende, Verbindungen aufdeckende Blick auf die spannungsvolle Einheit des Raumes. Die Reihe Mitteleuropa aktuell reagiert auf die Forderungen des Tages. Sie umfasst vor allem Sammelbände zu aktuellen Themen und Debatten. Die Mitteleuropa-Bibliothek dagegen ist dokumentarisch angelegt; hier finden sich Texte und Editionen als Quellen einer mitteleuropäischen Kultur, die heute nurmehr in Umrissen kenntlich ist. Deren Tradition jenseits der Nationalkulturen ebenso wie die Chancen ihrer Gegenwärtigkeit deutlich zu machen, ist das Anliegen der Mitteleuropa-Bibliothek. Lesecher... Judentum in Mitteleuropa und Silesica heben zwei weitere Arbeitsschwerpunkte heraus – einmal die Kultur der jüdischen Bevölkerung Mitteleuropas, die Geschichte der Shoah und das Gedenken an sie, zum anderen aber Schlesien als eine von ethnischer, politischer und kultureller Vielfalt geprägte Landschaft.
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konstatiert werden muss14, wird bei der Dresdner Chamisso-Poetikdozentur Jahr für Jahr erlebbar, dass die Literatur sich eben nicht im autonomen Selbstbezug erschöpft, sondern dass die ästhetische Form zugleich die konzentrierte Form von Erkenntnis ist – und dass Ludvik Kundera gerade der Literatur in ‚Mitteleuropa‘ zu Recht attestiert hat, ihr „Zusammenhang [...] mit dem Zeitgeschehen“ sei „direkt proportional“15. In den – von der Robert Bosch Stiftung geförderten – Dresdner Chamisso-Poetikdozenturen der Jahre 2005 und 2006 haben die Schriftstellerin, Essayistin und Übersetzerin Ilma Rakusa und der Erzähler und Essayist Vladimir Vertlib aus ganz unterschiedlicher Perspektive doch eines gemeinsam: Ihre erlebte, erzählte, reflektierte Erfahrung provozierte jene Wahrnehmungs- und Erkenntnisroutinen, die uns immer wieder von ‚Mitteleuropa‘ geruhsam absehen lassen16. Zu den Chancen, welche der Umsturz von 1989 auch den Geisteswissenschaften geschenkt hat, gehört auch eine neue, von der Verantwortung gegenüber der Geschichte keineswegs absehende, von ihren Hypotheken aber nicht mehr überformte Erforschung jenes alten „deutschen Kulturraums im Osten“ (Klaus Garber), der erst dann verstanden werden kann, wenn das Attribut ‚deutsch‘ aller integralen, aus der nationalen Prägung dieser Terminologie stammenden Ansprüche entkleidet wird. Wie für die Geschichtswissenschaft, so zeigt sich auch für die Kulturwissenschaft hier noch ein stupender Mangel an Grundlagenarbeit. Allzu lange waren die Archive verschlossen, allzu lange behinderten Projektionen und Stereotypen die nüchterne Rekonstruktion der Überlieferung. Die eilige Applikation kursierender Theoriesegmente hilft hier nicht weiter. Vielmehr wird an dieser Stelle die Notwendigkeit strenger Quellenarbeit offenkundig. Dabei gelten die bewährten Standards, aber zugleich lassen sich neue Medien nutzen. Das MeZ hat hier ein Arbeitsgebiet Digitale Editionen aufgebaut17. Wenn wir Kultur als einen Kommunikationsprozess begreifen, wenn wir es ernst nehmen, dass diese kulturelle Kommunikation, die trotz ihrer Sektorierung durch Sprach- wie durch politische Grenzen schon immer eine – manchmal auch subversive – 14
Vgl. etwa aus dem Kontext unserer Arbeit den Beitrag von Jürgen MITTELSTRAß: Wissenschaft und Bildung auf dem Weg nach Europa, in: Ein anderes Europa (Anm. 7). 15 Ludvík KUNDERA, Vorbemerkung, in: Die Sonnenuhr. Tschechische Lyrik aus 11 Jahrhunderten, hrsg. von DEMS., Leipzig 1993, S. 7 ff., hier S. 7. 16 Vgl. die Veröffentlichungen: Ilma RAKUSA, Zur Sprache gehen, Dresden 2006; Vladimir VERTLIB, Spiegel im fremden Wort, Dresden 2007. 17 Vgl. die ersten umfangreichen Referenzprojekte: Künstlerzeitschriften der DDR Elektronische Edition originalgraphischer Kunst und Literatur der 80er Jahre (http:// 141.30.171. 13/tud/templates/index.html), Politischer Zeitschriften-Samisdat der DDR (www.ddr-samis dat.de). Vgl. außerdem mein Plädoyer für eine ‚mitteleuropäische‘ Kommunikationsgeschichte: Rephilologisierung der Kultur: Wissenschaftsentwicklung durch die ‚neuen Medien‘, in: „...zwischen dem Osten und dem Westen Europas“. Deutschsprachige Presse in Czernowitz bis zum Zweiten Weltkrieg, hrsg. von Susanne Marten-Finnis und Walter Schmitz, Dresden 2006, S. 151–162.
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vielfältige europäische Öffentlichkeit konstituiert hat, dann stellen sich Aufgaben, wie sie die Geisteswissenschaften in ihrem national geprägten Gründungsparadigma anscheinend längst abgearbeitet hatten, wieder völlig neu. In der Erforschung der ‚Vormoderne‘ wurde dies früh offenkundig. Doch gerade auch in der ‚Moderne‘ stellt ein multinationaler, in jeder Hinsicht pluralisierter Raum wie Mitteleuropa die beteiligten Fächer vor die Herausforderung des Neuen – der Erschließung neuer Quellen, der Entwicklung neuer Fragestellungen, der Entdeckung neuer Themen. Wann es gelingt, eine globale Geschichte mit all ihren Facetten zu erarbeiten, steht dahin. Mit Mitteleuropa zu beginnen, wäre ein guter Anfang.
Summary The Central European Studies Centre for Political, Economic and Cultural Studies at the Technical University of Dresden is a project-based centre for interdisciplinary work on Central Europe; it was founded in 2000. The centre’s research interest lies on the cultural changes within ‚Central Europe‘ – understood as a politically shaped and culturally defined space – with a focus on the time after 1800: from the empire-determined era of Habsburg and its upcoming rivals Russia and Prussia in the 19th century, the national reconfiguration in the 20th century, the time of division in two opposing blocks after World War II, and – eventually – the often-acclaimed ‚comeback‘ of ‚Central Europe‘ after 1989. In all times, there has been a connection between the different kinds of social and national organisation on the one hand, and cultural formation on the other hand. To re-construct these various and complex shapes of ‚Central European realities‘ academically, using an interdisciplinary and international approach is absolutely necessary. Thus, the Central European Studies Centre is at the centre of a network within the Technical University of Dresden, initiating and coordinating interdisciplinary projects in the area of research as well as in the area of teaching. It is supported by different professorships, which are connected to the idea of cultural studies, from such different faculties as Germanic and Slavic Studies or Economics and International Law. Furthermore, the centre cooperates with various international partners – mainly but not only from central and eastern European countries – in different projects, such as a bi-national teaching programme with the University of Olomouc in the Czech Republic or an International Doctoral Research Network, which is supported by partners in Bulgaria as well as in the Netherlands and Canada.
AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE
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Europa Miniature. Die kulturelle Bedeutung des Reliefs, 16.–21. Jahrhundert/Il significato culturale dei relievi plastici, XVI–XXI secolo, hrsg. von Andreas Bürgi, Zürich: Verl. Neue Zürcher Zeitung, 2007 (Studies on Alpine history 4). Die europäische und die amerikanische Stadt, hrsg. von Friedrich Lenger und Dieter Schott, Berlin: Deutsches Institut für Urbanistik, 2007 (Informationen zur modernen Stadtgeschichte 1: Themenschwerpunkt). Forging European identities, 1400–1700, hrsg. von Herman Roodenburg, Cambridge [u. a.]: Cambridge Univ. Press, 2007 (Cultural exchange in early modern Europe 4). Freundschaft oder „amitié“? Ein politisch-soziales Konzept der Vormoderne im zwischensprachlichen Vergleich (15.–17. Jahrhundert), hrsg. von Klaus Oschema, Berlin: Duncker & Humblot, 2007. Generations in twentieth-century Europe, hrsg. von Stephen Lovell, Basingstoke [u. a.]: Palgrave Macmillan, 2007. Geschichte macht Herrschaft. Zur Politik mit dem Vergangenen, hrsg. von Florian Wenninger, Wien: Braumüller, 2007 (Studien zur politischen Wirklichkeit 19). Glaube, Freiheit, Diktatur in Europa und den USA, hrsg. von Katarzyna Stok�osa und Andrea Strübind, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2007. Die Gottesfrage in der europäischen Philosophie und Literatur des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Rudolf Langthaler und Wolfgang Treitler, Wien [u. a.]: Böhlau, 2007. Grenzregionen. Ein europäischer Vergleich vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, hrsg. von Christophe Duhamelle, Frankfurt a. M. [u. a.]: Campus-Verl., 2007. Elisabeth HAMEL, Das Werden der Völker in Europa. Forschungen aus Archäologie, Sprachwissenschaft und Genetik, Bristol/Berlin: Tanea, 2007. Hof und Macht. Dresdener Gespräche II zur Theorie des Hofes, hrsg. von Reinhardt Butz, Berlin [u. a.]: Lit, 2007 (Vita curialis 1). In control of the city. Local elites and the dynamics of urban politics. 1800–1960, hrsg. von Stefan Couperus, Leuven: Peeters, 2007 (Groningen studies in cultural change 28). Kinship in Europe. Approaches to long-term development (1300–1900), hrsg. von David Warren Sabean, New York [u. a.]: Berghahn Books, 2007. Werner KOPPE, Imperialismus und Erster Weltkrieg, hrsg. von Hans G. Kirchhoff und Alfons Zettler, Köln: Aulis-Verl. Deubner, 2007 (Unterricht Geschichte: Reihe A 12) Kursschwankungen. Russische Kunst im Wertesystem der europäischen Moderne, hrsg. von Ada Raev und Isabel Wünsche, Berlin: Lukas, 2007. Legacies of modernism. Art and politics in northern Europe, 1890–1950, hrsg. von Patrizia C. McBride, New York, NY: Palgrave Macmillan, 2007 (Studies in European culture and history). Kaspar MAASE, Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Massenkultur 1850–1970, Frankfurt a. M.: Fischer-Taschenbuch-Verl., 2007 (Europäische Geschichte). Arthur MACGREGOR, Curiosity and enlightenment. Collectors and collections from the sixteenth to the nineteenth century, New Haven [u. a.]: Yale Univ. Press, 2007. Antony MASON, Die Renaissance, Nürnberg: Tessloff, 2007 (Alltagsleben damals). Mighty Europe 1400–1700. Writing an early modern continent, hrsg. von Andrew Hiscock, Oxford [u. a.]: Lang, 2007 (Cultural identity studies 3). Movimenti e culture giovanili, hrsg. von Marco Fincardi, Milano: Angeli, 2007 (Memoria e ricerca N.S. 15).
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Ordering the heavens. Roman astronomy and cosmology in the Carolingian Renaissance, hrsg. von Bruce S. Eastwood, Leiden [u. a.]: Brill, 2007 (History of science and medicine library 4). Andreas OSIANDER, Before the state. Systemic political change in the west from the Greeks to the French Revolution , Oxford [u. a.]: Oxford Univ. Press, 2007. Paesaggi europei del Neoclassicismo, hrsg. von Giulia Cantarutti und Stefano Ferrari, [Bologna]: Società Editrice il Mulino, 2007. Papes, princes et savants dans l’Europe moderne, hrsg. von Jean-Louis Quantin und Jean-Claude Waquet, Genève: Droz, 2007 (École Pratique des Hautes Études, Sciences Historiques et Philologiques: 5/Hautes études médiévales et modernes 90). Realities of representation. State building in Early Modern Europe and European America, hrsg. von Maija Jansson, New York [u. a.]: Palgrave Macmillan, 2007. Religious refugees in Europe, Asia and North America (6th–21st century), hrsg. von Susanne Lachenicht, Hamburg [u. a.]: Lit, 2007 (Atlantic cultural studies 4). Romedio SCHMITZ-ESSER, Arnold von Brescia im Spiegel von acht Jahrhunderten Rezeption. Ein Beispiel für Europas Umgang mit der mittelalterlichen Geschichte vom Humanismus bis heute, Wien [u. a.]: Lit, 2007 (Geschichte 74). Scripta volant, verba manent. Schriftkultur in Europa zwischen 1500 und 1900 hrsg. von Alfred Messerli und Roger Chartier, Basel: Schwabe, 2007. Michael SCRIVENER, The cosmopolitan ideal in the age of revolution and reaction, 1776–1832, London: Pickering & Chatto, 2007 (The enlightenment world 2). Les sociétés de musique en Europe 1700–1920. Structures, pratiques musicales, sociabilités, hrsg. von Hans Erich Bödeker und Patrice Veit, Berlin: Berliner Wiss.-Verl., 2007 (Musical life in Europe 1600–1900). Georges-Henri SOUTOU, L’Europe de 1815 à nos jours, Paris: Presses Universitaires de France, 2007 (Nouvelle clio). Jaques THOBIE, La France, l’Europe et l’Est méditerranéen depuis deux siècles: économie, finance, diplomatie, Istanbul: Éd. Isis, 2007 (Analecta Isisiana 94). Total war and historical change. Europe 1914–1955, hrsg. von Arthur Marwick [u. a.], repr. Buckingham [u. a.]: Open Univ. Press, 2007. Unfreiwilliger Aufbruch. Migration und Revolution von der Französischen Revolution bis zum Prager Frühling, hrsg. von Dittmar Dahlmann, Essen: Klartext-Verl., 2007 (Migration in Geschichte und Gegenwart 2). Cesare VASOLI, La dialettica e la retorica dell’umanesimo. „Invenzione” e „Metodo” nella cultura del XV e XVI secolo, Napoli: Ed. „La Città del Sole“, 2007 (Studia humanitatis: Testi 6). Vom Gegner lernen. Feindschaften und Kulturtransfers im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. von Martin Aust und Daniel Schönpflug, Frankfurt a. M. [u. a.]: Campus-Verl., 2007. Jan de VRIES, European urbanisation 1500–1800, repr. London [u. a.]: Routledge, 2007/1984 (Routledge Library Editions).
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Mittelalter (500–1500): Angst und Schrecken im Mittelalter. Ursachen, Funktionen, Bewältigungsstrategien, hrsg. von Annette Gerok-Reiter und Sabine Obermaier. Unter Mitarb. von Claudia Lauer, Berlin: Akad.-Verl., 2007 (Das Mittelalter 12). Michael ALEXANDER, Medievalism. The Middle Ages in modern England, New Haven [u. a.]: Yale Univ. Press, 2007. Aspects of power and authority in the Middle Ages, hrsg. von Brenda Bolton, Turnhout: Brepols, 2007 (International medieval research 14). Atlas des Mittelalters, hrsg. von Inos Biffi. Unter Mitarb. von Roberto Barbieri, Stuttgart: Theiss, 2007. Atlas of medieval Europe, hrsg. von David Ditchburn [u. a.], 2London [u. a.]: Routledge, 2007. Christoph AUFFARTH, Religiöser Pluralismus im Mittelalter? Besichtigung einer Epoche der europäischen Religionsgeschichte. Mit Beitr. von Ulrich Berner, Berlin [u. a.]: Lit, 2007 (Religionen in der pluralen Welt 1). Außen und Innen. Räume und ihre Symbolik im Mittelalter, hrsg. von Nikolaus Staubach und Vera Johanterwage, Frankfurt a. M. [u. a.]: Lang, 2007 (Tradition – Reform – Innovation 14). Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter. Akteure und Ziele, hrsg. von Sonja Dünnebeil und Christine Ottner. Unter Mitarb. von Anne-Katrin Kunde, Wien [u. a.]: Böhlau, 2007 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 27). Bilder vom Mittelalter. Eine Berliner Ringvorlesung, hrsg. von Volker Mertens und Carmen Stange, Göttingen: V&R Unipress, 2007 (Aventiuren: Sonderband). Bilder – Wahrnehmungen – Vorstellungen. Neue Forschungen zur Historiographie des hohen und späten Mittelalters, hrsg. von Jürgen Sarnowsky, Göttingen: V&R Unipress, 2007 (Nova mediaevalia 3). Wim BLOCKMANS/Peter HOPPENBROUWERS, Introduction to medieval Europe, 300– 1550, London [u. a.]: Routledge, 2007. Hartmut BOOCKMANN, Einführung in die Geschichte des Mittelalters, 8München: Beck, 2007 (C. H. Beck Studium). Piero BOITANI, Letteratura europea e Medioevo volgare, Bologna: Il mulino, 2007 (Collezione di testi e di studi: Filologia e critica letteraria). Egon BOSHOF, Europa im 12. Jahrhundert. Auf dem Weg in die Moderne, Stuttgart: Kohlhammer, 2007. Sara Margaret BUTLER, The language of abuse. Marital violence in later medieval England, Leiden/Boston: Brill, 2007 (Later medieval Europe 2). Ewan CAMPBELL, Continental and Mediterranean imports to Atlantic Britain and Ireland, AD 400–800, York: Council for British Archaeology, 2007 (CBA research report 157). A century of British medieval studies, hrsg. von Alan Deyermond, Oxford [u. a.]: Oxford Univ. Press, 2007 (British Academy centenary monographs). Ceremonial culture in pre-modern Europe, hrsg. von Nicholas Howe, Notre Dame, Ind.: University of Notre Dame, 2007. Magali COUMERT, Origines des peuples. Les récits du Haut Moyen Âge occidental (550–850), Paris: Inst. des Études Augustiniennes, 2007 (Collection des études augustiniennes: Série Moyen Âge et temps modernes 42).
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Culto e santuari di San Michele nell’Europa medievale/Culte et sanctuaires de saint Michel dans l’Europe médiévale, hrsg. von Pierre Bouet, Bari: Edipuglia, 2007 (Bibliotheca Michaelica 1). Kelly DEVRIES, Die großen Schlachten des Mittelalters. Aus dem Engl. übers. von Karin Schuler, Stuttgart: Theiss, 2007 Peter DINZELBACHER/Werner HEINZ, Europa in der Spätantike. 300–600. Eine Kulturund Mentalitätsgeschichte , [Darmstadt]: Primus-Verl., 2007 (Kultur und Mentalität). John ELDEVIK, Medieval Germany – research a resource [Elektronische Ressource], Washington, DC: German Historical Inst., 2007 (Reference guide/German Historical Institute 21). England and Iberia in the Middle Ages, 12th–15th century. Cultural, literary, and political exchanges, hrsg. von María Bullón-Fernández, New York, NY [u. a.]: Palgrave Macmillan, 2007 (The New Middle Ages). Johann ENGLBERGER, Albert Behaim und die Lorcher Tradition in der Passauer Geschichtsschreibung: die Descriptio gentium et diversarum nationum Europe, Hannover: Hahn, 2007 (Schriften der Monumenta Germaniae historica 57). Faire l’événement au Moyen Âge, hrsg. von Claude Carozzi, Aix-en-Provence: Publ. de l’Univ. de Provence, 2007 (Collection Le temps de l’histoire). Joe FLATMAN, The illuminated ark. Interrogating evidence from manuscript illuminetions and archaeological remains for medieval vessels, Oxford: Hedges, 2007 (BAR international series 1616). Florilegium. Bochumer Arbeiten zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte hrsg. von Hiram Kümper und Michaela Pastors, Nordhausen: Bautz, 2007 (Schriften des Studentischen Arbeitskreises Mittelalter der Ruhr-Universität Bochum 2). Johannes FRIED, Die Formierung Europas 840–1046, 3München: Oldenbourg, 2007 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 6). Johannes FRIED, Zu Gast im Mittelalter, München: Beck, 2007. Hans-Werner GOETZ, Vorstellungsgeschichte. Gesammelte Schriften zu Wahrnehmungen, Deutungen und Vorstellungen im Mittelalter, mit 17 Tabellen, hrsg. von Anna Aurast, Bochum: Winkler, 2007. Grenzräume und Grenzüberschreitungen im Vergleich. Der Osten und der Westen des mittelalterlichen Lateineuropa, hrsg. von Klaus Herbers, Berlin: Akad.-Verl., 2007 (Europa im Mittelalter 7). Anne HAOUR, Rulers, warriors, traders, clerics. The central Sahel and the North Sea 800–1500, Oxford [u. a.]: Oxford Univ. Press, 2007 (A British Academy postdoctoral fellowship monograph). Martina HARTMANN, Mittelalterliche Geschichte studieren, Konstanz: UVK-Verl.-Ges., 2007 (UTB 2575: Basics). David HERLIHY, Der Schwarze Tod und die Verwandlung Europas. Aus dem Engl. von Holger Fliessbach, hrsg. und mit einem Nachw. vers. von Samuel K. Cohn, Jr., Berlin: Wagenbach, 2007 (Wagenbachs Taschenbuch 391). Norman HOUSLEY, Contesting the Crusades, Malden, Mass. [u. a.]: Blackwell, 2007 (Contesting the past). In laudem Hierosolymitani. Studies in crusades and medieval culture in honour of Benjamin Z. Kedar, hrsg. von Iris Shagrir [u. a.] Aldershot, Hampshire [u. a.]: Ashgate, 2007.
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Incipient globalization? Long-distance contacts in the sixth century, hrsg. von Anthea Harris, Oxford: Archaeopress, 2007 (Reading medieval studies 32). Mary Beth INGHAM, La vie de la sagesse. Le stoïcisme au Moyen Age, Fribourg [CH]: Academic Press Fribourg/Paris: Cerf, 2007 (Vestigia 35). Interactions. Artistic interchange between the Eastern and Western worlds in the medieval period, hrsg. von Colum Hourihane, Princeton, NJ: Index of Christian Art in assoc. with Penn State Univ. Press, 2007 (Index of Christian Art occasional papers 9). Kay Peter JANKRIFT, Europa und der Orient im Mittelalter, Darmstadt: Wiss. Buchges., 2007. Karoli�scy pokutnicy i polskie �redniowieczne czarownice. Konfrontacja doktryny chrze�cija�skiej z �yciem spoıecze�stwa �redniowiecznego, hrsg. von Maria Koczerska, Warszawa: Wydaw. DiG, 2007 (Fasciculi historici novi 7). Martin KINTZINGER, Wissen wird Macht. Bildung im Mittelalter, Ostfildern: Thorbecke, 2007. Johann Friedrich Christoph KORTÜM, Geschichte des Mittelalters, 2 Bde., Erftstadt: Verl. HOHE, 2007. Clifford H. LAWRENCE, Medieval monasticism: forms of religious life in Western Europe in the Middle Ages, 3Harlow, England [u. a.]: Longman, [2007]. Elizabeth Eva LEACH, Sung birds. Music, nature, and poetry in the later Middle Ages, Ithaca, NY [u. a.]: Cornell Univ. Press, 2007. Claudia MÄRTL, Die 101 wichtigsten Fragen – Mittelalter, 2München: Beck, 2007 (Beck’sche Reihe 1685). The material and the ideal. Essays in medieval art and archaeology in honour of JeanMichel Spieser, hrsg. von Anthony Cutler und Arietta Papaconstantinou, Leiden [u. a.]: Brill, 2007 (The medieval Mediterranean 70). The medieval hospital and medical practice, hrsg. von Barbara S. Bowers, Aldershot [u. a.]: Ashgate, 2007 (AVISTA studies in the history of medieval technology, science and art 3). Medieval painting in Northern Europe. Techniques, analysis, art history, hrsg. von Jilleen Nadolny und Kaja Kollandsrud, London: Archetype, 2007. The medieval translator/traduire au Moyen Age, hrsg. von Jacqueline Jenkins und Olivier Bertrand, Turnhout: Brepols, 2007 (Medieval translator 10). Mittelalterliche Fürstenhöfe und ihre Erinnerungskulturen, hrsg. von Carola Fey, Göttingen: V & R Unipress, 2007 (Formen der Erinnerung 27). Money, markets and trade in late medieval Europe, hrsg. von Lawrin Armstrong, Leiden [u. a.]: Brill, 2007 (Later medieval Europe 1). Robert I. MOORE, The first European revolution, c. 970–1215, repr. Malden, Mass. [u. a.]: Blackwell Publ., 2007 (The making of Europe). Music in medieval Europe, hrsg. von Terence Bailey und Alma Santosuosso, Adlershot [u. a.]: Ashgate, 2007. Luciano MUSSELLI/Emanuela GRILLO, Matrimonio, trasgressione e responsabilità nei penitenziali. Alle origini del diritto canonico occidentale, Padova: CEDAM, 2007 (Studi nelle scienze giuridiche e sociali N.S. 122). Franz NEISKE, Europa im frühen Mittelalter 500–1050. Eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte, Darmstadt: Wiss. Buchges., 2007 (Kultur und Mentalität).
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Paul B. NEWMAN, Growing up in the Middle Ages, Jefferson, NC [u. a.]: McFarland, 2007. Michael NORTH, Europa expandiert, 1250–1500, Stuttgart: Ulmer, 2007 (Handbuch der Geschichte Europas 4). Antonín NOVÁK, V�domí st�edov�ku. Z kulturních d�jin prvního tisíciletí, Praha: Mladá Fronta, 2007. Uwe A. OSTER, Atlas des Mittelalters, [Rheda-Wiedenbrück/Gütersloh]: RM-Buch-undMedien-Vetrieb [u. a.], 2007. Hélène PAPASTAVROU, Recherche iconographique dans l’art byzantin et occidental du XIe au XVe siècle. L’Annonciation/Ereuna st�n eikonographia t�s byzantin�s kai dytik�s techn�s apo ton 11o e�s ton 15o ai�na o euangelismos, Venise: Institut Hellénique d’Études Byzantines et Post-Byzantines de Venise, 2007 (Bibliothèque de l’Institut Hellénique d’Études Byzantines et Post-Byzantines de Venise 25). Paradigms and methods in early medieval studies, hrsg. von Celia Chazelle und Felice Lifshitz, New York, NY [u. a.]: Palgrave Macmillan, 2007 (New Middle Ages series). Roland PAULER, Leben im Mittelalter. Ein Lexikon, Darmstadt: Wiss. Buchges., 2007. Barbara PERLICH, Mittelalterlicher Backsteinbau. Zur Frage nach der Herkunft der Backsteintechnik, Petersberg: Imhof, 2007 (Berliner Beiträge zur Bauforschung und Denkmalpflege 5). La place de la musique dans la culture médiévale, hrsg. von Olivier Cullin, Turnhout: Brepols, 2007 (Rencontres médiévales européennes 7). Plague and the end of antiquity. The pandemic of 541–750, hrsg. von Lester K. Little, repr. Cambridge [u. a.]: Cambridge Univ. Press, 2007. Les principautés dans l’occident médiéval à l’origine des régions, hrsg. von Bernard Demotz, unter Mitarbeit von Georges Bischoff, Turnhout: Brepols, 2007. Le rêve médiéval. Études littéraires, hrsg. von Alain Corbellari, Genève: Droz, 2007 (Recherches et rencontres 25). Susan ROSE, The medieval sea, London: Hambledon Continuum, 2007. The rural history of medieval European societies. Trends and perspectives, hrsg. von Isabel Alfonso, Turnhout: Brepols, 2007 (The medieval countryside 1). Rolf SCHNEIDER, Alltag im Mittelalter. Das Leben in Deutschland vor 1000 Jahren, hrsg. von Manfred Leier, 2Augsburg: Weltbild, 2007. Gerald SCHWEDLER, Herrschertreffen des Spätmittelalters. Formen, Rituale, Wirkungen, Sigmaringen: Thorbecke, 2007 (Mittelalter-Forschungen 21). Italo SCIUTO, L’etica nel Medioevo. Protagonisti e percorsi (V–XIV secolo), Torino: Einaudi, 2007 (Piccola biblioteca Einaudi N.S. 369). Gabriela SIGNORI, Das 13. Jahrhundert. Eine Einführung in die Geschichte des spätmittelalterlichen Europas, Stuttgart: Kohlhammer, 2007. Julia M. H. SMITH, Europe after Rome. A new cultural history 500–1000, Oxford [u. a.]: Oxford Univ. Press, 2007. T�r� al-’ul�m al-’arab�ya, at-taf�’ul al-’ilm� baina ’ - aq�f�t/L’histoire des sciences Arabes. Interaction scientifique des cultures, hrsg. von Niq�l� F�ris [u. a.], Bair�t, 2007. Silvia Bianca TOSATTI, I trattati di tecniche artistiche medievali con accenni sull’antichità e l’età moderna, Milano: CUSL, 2007.
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Vielfalt und Aktualität des Mittelalters. Festschrift für Wolfgang Petke zum 65. Geburtstag, hrsg. von Sabine Arend, 2Bielefeld: Verl. für Regionalgeschichte, 2007 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen 48). Adalbert de VOGÜE, Histoire littéraire du mouvement monastique dans l’antiquité, Paris: Éd. du Cerf, 2007 (Patrimoines: Christianisme). Vom Umgang mit Schätzen, hrsg. Elisabeth Vavra, Wien: Verl. der Österr. Akad. der Wiss., 2007 (Sitzungsberichte/Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse 771, Veröffentlichungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 20). Christine WALSH, The cult of St Katherine of Alexandria in early Medieval Europe, Aldershot /Burlington, VT: Ashgate, 2007 (Church, faith, and culture in the Medieval West). Chris WICKHAM, Framing the early Middle Ages. Europe and the Mediterranean 400– 800, repr. Oxford [u. a.]: Oxford Univ. Press, 2007. What is „theology“ in the Middle Ages? Religious cultures of Europe (11th–15th centuries) as reflected in their self-understanding, hrsg. von Miko�aj Olszewski, Münster: Aschendorff, 2007 (Archa verbi: Subsidia 1). Alois WOLF, Minne – aventiure – herzenjâmer. Begleitende und ergänzende Beobachtungen und Überlegungen zur Literaturgeschichte des volkssprachlichen Mittelalters, Freiburg i. Br. [u. a.]: Rombach, 2007 (Rombach-Wissenschaften: Reihe Litterae 155). The year 1300 and the creation of a new European architecture, hrsg. von Alexandra Gajewski und Zoë Opa�i�, Turnhout: Brepols, 2007 (Architectura medii aevi 1). Frühe Neuzeit (1500–1789): Werner ADELMAIER [u. a.], So lebten die Menschen im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung, Wien: öbvhpt/[Stuttgart]: Klett-Schulbuchverl., 2007 (Geschichte[n] erforschen: Erzählungen – Quellen – Kopiervorlagen). Ken ALBALA, The banquet. Dining in the great courts of late Renaissance Europe, Urbana [u. a.]: Univ. of Illinois Press, 2007 (The Food series). Aufklärung, hrsg. von Roland Galle und Helmut Pfeiffer, München [u.a.]: Fink, 2007. Between the Middle Ages and modernity. Individual and community in the early modern world, hrsg. von Charles H. Parker and Jerry H. Bentley, Lanham: Rowman & Littlefield, 2007. Lucien BELY, L’art de la paix en Europe. Naissance de la diplomatie moderne XVIe– XVIIIe siècle, Paris: Presses Univ. de France, 2007 (Le nœud gordien). Chartographia Historica Europaea/Europa in historischen Karten/Antica cartografia d’Europa. Vorwort: Franz Wawrik, hrsg. von Marta Maiorino, Braunschweig: ArchivVerl., 2007. Chasses princières dans l’Europe de la Renaissance, hrsg. von Claude ‘Anthenaise, [Arles]: Actes Sud, 2007. Tony CLAYDON, Europe and the making of England 1660–1760, Cambridge [u. a.]: Cambridge Univ. Press, 2007 (Cambridge studies in early modern British history). Cultures of power in Europe during the long eighteenth century, hrsg. von Hamish Scott und Brendan Simms, Cambridge [u. a.]: Cambridge Univ. Press, 2007.
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Heinz DUCHHARDT, Barock und Aufklärung, 4München: Oldenbourg, 2007 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 11): Early modern tragicomedy, hrsg. von Subha Mukherji und Raphael Lyne, Woodbridge, Suffolk [u. a.]: Brewer, 2007 (Studies in Renaissance literature 22). Michael ERBE, Frühe Neuzeit, Stuttgart: Kohlhammer, 2007 (Grundkurs Geschichte). The European nobilities in the seventeenth and eighteenth centuries, hrsg. von Hamish M. Scott, vol. 1: Western and Southern Europe, vol. 2: Northern, Central and Eastern Europe, 2Basingstoke [u. a.]: Palgrave Macmillan, 2007. John D. FUDGE, Commerce and print in the early Reformation, Leiden [u. a.]: Brill, 2007 (The Northern world 28). Anthony GRAFTON, What was history? The art of history in early modern Europe, repr. Cambridge [u. a.]: Cambridge Univ. Press, 2007. Ole Peter GRELL/Rosemary O’DAY, Exploring history. Medieval to modern, 1400– 1900, Block 2: The European reformation, Milton Keynes: Open Univ., 2007. Christoph KAMPMANN, Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg: Geschichte eines europäischen Konflikts, Stuttgart: Kohlhammer, 2007. Igor KAKOLEWSKI, Melancholia w�adzy. Problem tyranii w europejskiej kulturze politycznej XVI stulecia, Warszawa: Wydawn. Neriton, 2007. Konfessioneller Fundamentalismus. Religion als politischer Faktor im europäischen Mächtesystem um 1600, hrsg. von Heinz Schilling, München: Oldenbourg, 2007 (Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien 70). Roy L. MCCULLOUGH, Coercion, conversion and counterinsurgency in Louis XIV’s France, Leiden [u. a.]: Brill, 2007 (History of warfare 42). Monarchy and religion. The transformation of royal culture in eighteenth-century Europe, hrsg. von Michael Schaich, Oxford [u. a.]: Oxford Univ. Press, 2007 (Studies of the German Historical Institute London). Multilinguisme et multiculturalité dans l’Europe des Lumières, hrsg. von Ursula Haskins Gonthier, Paris: Champion, 2007 (Études internationales sur le dix-huitième siècle 10). Museen und fürstliche Sammlungen im 18. Jahrhundert, hrsg. von Andreas W. Vetter, Braunschweig: Herzog Anton Ulrich-Museum, 2007 (Kolloquiumsbände des HerzogAnton-Ulrich-Museums 3). Narrating the self in early modern Europe, hrsg. von Bruno Tribout, Oxford [u. a.]: Lang, 2007 (European connections 23). Others and outcasts in early modern Europe. Picturing the social margins, hrsg. von Tom Nichols, Aldershot [u. a.]: Ashgate, 2007. Politik und Religion. Eigenlogik oder Verzahnung? Europa im 16. Jahrhundert, hrsg. von Robert von Friedeburg und Luise Schorn-Schütte, München: Oldenbourg, 2007 (Historische Zeitschrift: Beihefte N.F. 45). Physis und Norm. Neue Perspektiven der Anthropologie im 18. Jahrhundert, hrsg. von Manfred Beetz, Göttingen: Wallstein-Verl., 2007 (Das achtzehnte Jahrhundert: Supplementa 14). The Renaissance world, hrsg. von John Jeffries Martin, New York [u. a.]: Routledge, 2007 (The Routledge worlds): Representing religious pluralization in early modern Europe, hrsg. von Andreas Höfele, Berlin/Münster: Lit, 2007 (Pluralisierung & Autorität 12).
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Dieter LANGEWIESCHE, Europa zwischen Restauration und Revolution 1815–1849, München: Oldenbourg, 2007 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 13).
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Living dangerously. On the margins in Medieval and early modern Europe, hrsg. von Barbara A. Hanawalt und Anna Grotans, Notre Dame, Ind.: University of Notre Dame Press, 2007. Ordinary writings, personal narratives. Writing practices in 19th and early 20th-century Europe, hrsg. von Martyn Lyons, Bern [u. a.]: Peter Lang, 2007. Raising an empire. Children in early modern Iberia and colonial Latin America, hrsg. von Ondina E. González und Bianca Premo, Albuquerque: Univ. of New Mexico Press, 2007 (Diálogos). Manfred REITZ, Schinderhannes und Spiessgesellen. Kleine Geschichte der Räuber und Raubritter, Ostfildern: Thorbecke, 2007. The Sign Languages of Poverty, hrsg. von Gerhard Jaritz, Wien: Verl. der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2007 (Forschungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 8). Voisinages, coexistences, appropriations. Groupes sociaux et territoires urbains (Moyen Âge – 16e siècle), hrsg. von Chloé Deligne und Claire Billen, Turnhout: Brepols, 2007 (Studies in European urban history [1100–1800] 10). Welfare peripheries. The development of welfare states in nineteenth and twentieth century Europe, hrsg. von Steven King und John Stewart, Oxford [u. a.]: Lang, 2007. Wirtschaftsgeschichte: Martin Alexander AHNEFELD, Die Performance von Privatisierungen am Kapitalmarkt. Langfristige Aktienkursentwicklung, Risiko und Ertragserwartungen ehemals staatlicher Unternehmen in Westeuropa. Mit einem Geleitw. von Dirk Schiereck, Wiesbaden: Dt. Univ.-Verl., 2007 (ebs-Forschung – Schriftenreihe der European Business School Schloss Reichartshausen 67). Klaus AMMANN/Christian ENGLER, Husten, Schmerz und Kommunismus. Das Basler Pharma-Unternehmen F. Hoffmann-La Roche in Osteuropa, 1896–1957, Zürich: ChronosVerl., 2007. Tibor Iván BEREND, Markt und Wirtschaft. Ökonomische Ordnungen und wirtschaftliche Entwicklung in Europa seit dem 18. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2007 (Synthesen 4). Bozen im Messenetz Europas (17.–19. Jahrhundert)/Bolzano nel sistema fieristico europeo (secc. XVII–XIX), hrsg. von Andrea Bonoldi und Markus A. Denzel, Bozen: Athesia, 2007 (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 24). K. V. BUCHHOLZ, Der Urweg. Heerweg von Nordeuropa nach Nordafrika, Gelnhausen: TRIGA, 2007. Deutschland und Europa in der Weltwirtschaft bis 1945. Quellen zur Geschichte und Politik. Texte und Quellen in Auswahl, hrsg. von Reinhard Neebe und Werner Abelshauser, Stuttgart/Leipzig: Klett, 2007 (Tempora). Barry EICHENGREEN, The European economy since 1945. Coordinated capitalism and beyond, Princeton, NJ [u. a.]: Princeton Univ. Press, 2007 (The Princeton economic history of the Western world). Hartmut ELSENHANS, Geschichte und Ökonomie der europäischen Welteroberung. Vom Zeitalter der Entdeckungen zum Ersten Weltkrieg. Mit einem Vorw. von Matthias Middell, Leipzig: Leipziger Univ.-Verl., 2007 (Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsordnung 20).
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Internationalismus und europäische Integration im Vergleich. Fallstudien zu Währungen, Landwirtschaft, Verkehrs- und Nachrichtenwesen, hrsg. von Christian Henrich-Franke, Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 2007 (Schriftenreihe des Instituts für Europäische Regionalforschungen 10): Wei LI, Deutsche Pläne zur europäischen wirtschaftlichen Neuordnung 1939–1945. Weltwirtschaft, kontinentaleuropäische Autarkie und mitteleuropäische Wirtschaftsintegration, Hamburg: Kova�, 2007 (Schriftenreihe Studien zur Zeitgeschichte 61). Michael MCCORMICK, Origins of the European economy. Communications and commerce, A. D. 300–900, 5Cambridge [u. a.]: Cambridge Univ. Press, 2007. Messen, Jahrmärkte und Stadtentwicklung in Europa, hrsg. von Franz Irsigler und Michel Pauly, Trier: Porta-Alba-Verl., 2007. Silvio KERMER, Verstädterung, Migration und wirtschaftliche Entwicklung, Münster: Lit, 2007 (Schriften zur internationalen Wirtschaftspolitik 5). Sheilagh OGILVIE, „Whatever is, is right?” Economic institutions in pre-industrial Europe, München: Univ. Center for Economic Studies [u. a.], 2007 (CESifo working paper series 2066: Empirical and theoretical methods). Doretta Davanzo POLI, Twentieth-century fabrics. European and American designers and manufacturers, Milano: Skira, 2007. Erik RINGMAR, Why Europe was first. Social change and economic growth in Europe and East Asia 1500–2050, London [u. a.]: Anthem Press, 2007 (Anthem studies in development and globalization). Guido THIEMEYER, Internationalismus und Diplomatie. Währungspolitische Kooperation im europäischen Staatensystem 1865–1900. München: Oldenbourg, 2007 (Studien zur Internationalen Geschichte 19). Andrea WEINDL, Wer kleidet die Welt? Globale Märkte und merkantile Kräfte in der europäischen Politik der Frühen Neuzeit, Mainz: von Zabern, 2007 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 211). Jens-Wilhelm WESSELS, Economic policy and microeconomic performance in inter-war Europe. The case of Austria 1918–1938, Stuttgart: Steiner, 2007 (Beiträge zur Unternehmensgeschichte 25). When the potato failed. Causes and effects of the „last“ European subsistence crisis 1845–1850, hrsg. von Cormac Ó Gráda [u. a.], Turnhout: Brepols, 2007 (Corn publication series 9). Zur Physiognomie sozialistischer Wirtschaftsreformen. Die Sowjetunion, Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, die DDR und Jugoslawien im Vergleich, hrsg. von Christoph Boyer, Frankfurt a. M.: Klostermann, 2007 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 217). Mitteleuropa: „Blood and homeland“. Eugenics and racial nationalism in Central and Southeast Europe 1900–1940, hrsg. von Marius Turda und Paul J. Weindling, Budapest/New York: Central European Univ. Press, 2007. Central European history and the European Union. The meaning of Europe, hrsg. von Stanislav J. Kirschbaum, Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2007 (Studies in central and eastern Europe).
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Europas Platz in Polen. Polnische Europa-Konzeptionen vom Mittelalter bis zum EUBeitritt, hrsg. von Claudia Kraft und Katrin Steffen, Osnabrück: Fibre-Verl., 2007 (Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau 11). Sebastian GERHARDT, Polska polityka wschodnia/Die Außenpolitik der polnischen Regierung von 1989 bis 2004 gegenüber den östlichen Nachbarstaaten Polens (Russland, Litauen, Weißrussland, Ukraine), Marburg: Verl. Herder-Inst., 2007 (Materialien und Studien zur Ostmitteleuropa-Forschung 16). History of the literary cultures of East-Central Europe. Junctures and disjunctures in the 19th and 20th centuries, hrsg. von Marcel Cornis-Pope, Bd. 3: The making and remaking of literary institutions, Amsterdam [u. a.]: Benjamins, 2007 (A comparative history of literatures in European languages 22: Literary cultures 3). Jerzy HOLZER, Polen und Europa: Land, Geschichte, Identität, Bonn. 2007. Hundert Jahre sudentendeutsche Geschichte. Eine völkische Bewegung in drei Staaten, hrsg. von Hans Henning Hahn, Frankfurt a. M.: Lang, 2007. Die Karlsuniversität Prag. Essays aus Tschechien und Deutschland, Potsdam: Deutsches Kulturforum östliches Europa, 2007. Klaus KOCH, Von Saint-Germain zum Belvedere: Österreich und Europa 1919–1955, [Wien]: Verlag für Geschichte und Politik [u. a.], 2007. Václav MAKRLÍK, �eši a Evropa. Sdílené d�jiny, Praha: Nakl. Ideál, 2007. Regions in Central and Eastern Europe. Past and present, hrsg. von Tadayuki Hayashi, Sapporo, 2007 (Slavic Eurasian studies 15). Romantik und Geschichte. Polnisches Paradigma, europäischer Kontext, deutsch–polnische Perspektive, hrsg. von Alfred Gall, Wiesbaden: Harrassowitz, 2007 (Veröffentlichungen des Nordost-Instituts 8). Städtische Räume als kulturelle Identitätsstrukturen. Schlesien und andere Vergleichsregionen, hrsg. von Maria Katarzyna Lasatowicz, Berlin: trafo, 2007 (Silesia 7). Universitäten im östlichen Mitteleuropa. Zwischen Kirche, Staat und Nation – Sozialgeschichte und politische Entwicklungen, hrsg. von Dorothee Goeze und Peter Wörster, München: Oldenbourg, 2007. Vergangene Größe und Ohnmacht in Ostmitteleuropa. Repräsentationen imperialer Erfahrung in der Historiographie seit 1918/Lost greatness and past oppression in East Central Europe. Representations of the imperial experience in historiography since 1918, hrsg. von Frank Hadler und Mathias Mesenhöller, [Leipzig]: Akad. Verl.-Anst., 2007 (Geschichtswissenschaft und Geschichtskultur im 20. Jahrhundert 8). Volker WEICHSEL, Tschechien in Europa. Nationalpolitische Traditionen und integrationspolitische Konzepte, Berlin [u. a.]: Lit, 2007 (Studien zu Konflikt und Kooperation im Osten 16). Wendepunkt in den Beziehungen zwischen Deutschen, Tschechen und Slowaken 1848– 1989, für die Deutsch-Tschechische und Deutsch-Slowakische Historikerkommission hrsg. von Detlef Brandes, Essen: Klartext, 2007. Osteuropa: The accession story. The EU from fifteen to twenty-five countries, hrsg. von George Vassiliou, Oxford [u. a.]: Oxford Univ. Press, 2007.
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Elena Veniaminovna ALEKSEEVA, Diffuzija evropejskich innovacij v Rossii (XVIII– na�alo XX v.), Moskva: Rossp�n, 2007 (�konomi�eskaja istorija: dokumenty, issledovanija, perevody). Vincas BARTUSEVI�IUS, 50 Europos lietuviškuju studiju savai�iu, Lampertheim: Litauisches Kulturinst., 2007 (Veröffentlichungen des Litauischen Kulturinstituts 8). Robert BIDELEUX/Ian JEFFRIES, A history of Eastern Europe. Crisis and change, 2London [u. a.]: Routledge, 2007. Richard J. CRAMPTON, Eastern Europe in the twentieth century – and after, London [u. a.]: Routledge, 2007. David CROWE, A history of the gypsies of Eastern Europe and Russia, Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2007. Vadim L. CYMBURSKIJ, Ostrov Rossija. Geopoliti�eskie i chronopoliti�eskie raboty 1993–2006, Moskva: Rossp�n, 2007 (Politologija Rossii). 4
Developments in Central and East European Politics 4, hrsg. von Stephen White [u. a.] Durham: Duke Univ. Press, 2007.
„Durst nach Erkenntnis…“. Forschungen zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa. Zwei Jahrzehnte Immanuel-Kant-Stipendium, hrsg. von Heike Müns, München: Oldenbourg, 2007 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im Östlichen Europa 29). Matthias ECKER-EHRHARDT, Rhetorik der Osterweiterung. Politisches Argumentieren mit Normen, Kausalitäten, Gemeinschaftlichkeiten, Baden-Baden: Nomos, 2007. From red to gray. The „third transition“ of aging populations in Eastern Europe and the former Soviet Union, hrsg. von Mukesh Chawla [u. a.], Washington, DC: World Bank, 2007. Erin K. JENNE, Ethnic bargaining. The paradox of minority empowerment, Ithaca [u. a.]: Cornell Univ. Press, 2007. Vaino KALLAS, Kahe sõja vahel. Euroopa nägu XX sajandil. Eesti riik Teise maailmasõja eelõhtul, eestlased sõjasündmuste keerises. Teise maailmasõja viljad, Pärnu: Tallinna Raamatutrükikoda, 2007. Kirche und Sozialismus in Osteuropa, hrsg. von Jana Osterkamp, Wien: Facultas, 2007 (Recht und Religion in Mittel- und Osteuropa: Sonderband 1). Merje KUUS, Geopolitics reframed. Security and identity in Europe’s eastern enlargement, New York [u. a.]: Palgrave Macmillan, 2007 (New visions in security). Noemi MARIN, After the fall. Rhetoric in the aftermath of dissent in post-communist times, New York, NY [u. a.]: Lang, 2007. Patrice C. MCMAHON, Taming ethnic hatred. Ethnic cooperation and transnational networks in Eastern Europe, Syracuse, N.Y: Syracuse Univ. Press, 2007 (Syracuse studies on peace and conflict resolution). Migration and remittances. Eastern Europe and the Former Soviet Union, hrsg. von Ali Mansoor, Washington, DC: World Bank, Europe and Central Asia Region, 2007. National stereotypes. Correct images and distorted images, hrsg. von Bianca Valota, Alessandria: Ed. dell’Orso, 2007 (Slavica 12). Osteuropa heute. Entwicklungen, Gemeinsamkeiten, Unterschiede, hrsg. von Jule Böhmer und Marcel Viëtor, Münster: Lit Verl., 2007 (Osteuropa: Geschichte, Wirtschaft, Politik 43).
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Osteuropa und wir, hrsg. von Hermann von Laer, Berlin [u. a.]: Lit, 2007 (Vechtaer Universitätsschriften 24). Osteuropa vom Weltkrieg zur Wende, hrsg. von Wolfgang Mueller, Wien: Verl. der Österr. Akad. der Wiss., 2007 (Zentraleuropa-Studien 10). Regimewechsel und Gesellschaftswandel in Osteuropa, hrsg. von Diana Schmidt-Pfister, Bremen: Forschungsstelle Osteuropa an der Univ. Bremen, 2007 (Arbeitspapiere und Materialien/Forschungsstelle Osteuropa, Bremen 85). Restructuring of the economic elites after state socialism. Recruitment, institutions and attitudes, hrsg. von David Lane, Stuttgart: ibidem-Verl., 2007 (Changing Europe 2). Jan-Hendrik RÖVER, Secured lending in Eastern Europe. Comparative law of secured transactions and the EBRD model law, Oxford [u. a.]: Oxford Univ. Press, 2007. Josephine A. RUGGIERO, Eastern European adoption. Policies, practice, and strategies for change, New Brunswick, NJ [u. a.]: Transaction Publishers, 2007. Russian art and the West. A century of dialogue in painting, architecture, and the decorative arts, hrsg. von Rosalind P. Blakesley, DeKalb, Ill.: Northern Illinois Univ. Press, 2007. Sport zwischen Ost und West. Beiträge zur Sportgeschichte Osteuropas im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von Arié Malz, Osnabrück: fibre, 2007 (Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau 16). Frens STÖCKEL, Strategien und Einflüsse von EU, NATO und OSZE auf osteuropäische Transformationsstaaten. Zur Entwicklung paneuropäischer Sicherheitskooperation und Demokratieförderung zwischen 1989 und 2005, Berlin: Logos Berlin, 2007. Studi sull’Europa Orientale. Omaggio a A. Bongo, G. Cargeani, C. Nicas, A Wilko�, hrsg. von Italo Costante Fortino und Edmond Çali, Napoli: Dipartimento di studi dell’Europa Orientale, 2007. Ljubov’ N ŠIŠELINA, Rossija i Evropa. Chrestomatija po russkoj geopolitike, Moskva: Nauka, 2007. Pascal TREES, Wahlen im Weichselland. Die Nationaldemokraten in Russisch-Polen und die Dumawahlen 1905–1912, Stuttgart: Steiner, 2007 (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 74). Wahl und Wagnis Migration. Beiträge des Promotionskollegs Ost-West, hrsg. von Silke Flegel, Berlin [u. a.]: Lit, 2007 (Gesellschaft und Kultur 6). Anna Veronika WENDLAND, Wie wir die Karten lesen. Osteuropäische Fragen an europäische Geschichte und europäische Einigung. Zwei Essays. München: Forost, 2007. Die Zeugen Jehovas in Ostmittel-, Südost- und Südeuropa. Zum Schicksal einer religiösen Minderheit, hrsg. von Sebastian Koch, Münster: Lit, 2007 (Religion, Staat, Gesellschaft 8,1) Skandinavien: Sophie BERGERBRANT, Bronze age identities. Costume, conflict and contact in Northern Europe 1600–1300 BC, Lindome: Bricoleur Press, 2007 (Stockholm studies in archaeology 43). Les élites nordiques et l’Europe occidentale (XIIe–XVe siècle), hrsg. von Tuomas M. S. Lehtonen, Paris: Publications de la Sorbonne, 2007 (Histoire ancienne et médiévale 94).
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James GRAHAM-CAMPBELL, Silver economy in the Viking age, Walnut Creek, Calif.: Left Coast Press, 2007. Harald GUSTAFSSON, Nordens historia. En europeisk region under 1200 år, 2Lund: Studentlitteratur, 2007. Nordic light, hrsg. von Thomas Bredsdorff, Odense: Univ. Press of Southern Denmark, 2007 (University of Southern Denmark studies in Scandinavian language and literature 81). Carsten SCHYMIK, Norwegens Sonderweg nach Europa. Warum Norwegen nicht Mitglied der Europäischen Union ist, Bonn: ZEI, 2007. Übersetzen im skandinavischen Mittelalter, hrsg. von Vera Johanterwage, Wien: Fassbaender, 2007 (Studia Medievalia Septentrionalia 14). West over sea. Studies in Scandinavian sea-borne expansion and settlement before 1300, hrsg. von Beverly Ballin Smith [u. a.], Leiden [u. a.]: Brill, 2007 (The Northern world 31). Südeuropa: Geert-Hinrich AHRENS, Diplomacy on the edge, Baltimore, Md.: Johns Hopkins Univ. Press, 2007. Identità e integrazione. Passato e presente delle minoranze nell’Europa mediterranea, hrsg. von Gabriella Amiotti und Alessandro Rosina, Milano: Angeli, 2007 (Equivalenze: Voci 10). Der Süden. Neue Perspektiven auf eine europäische Geschichtsregion, hrsg. von Frithjof Benjamin Schenk, Frankfurt a. M. [u. a.]: Campus, 2007. Alessandra VENTURINI, Postwar migration in southern Europe 1950–2000. An economic analysis, Cambridge [u. a.]: Cambridge Univ. Press, 2007. Südosteuropa: Emil BRIX, Südosteuropa-Tradition als Macht, Wien: Verl. für Geschichte und Politik/ München: Oldenbourg-Wiss.-Verl., 2007 (Schriftenreihe des Österreichischen Ost-Südosteuropa-Instituts 31). Buch- und Wissenstransfer in Ostmittel- und Südosteuropa in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Detlef Haberland, München: Oldenbourg, 2007 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 34). Torsten ESSER, Kataloniens Rückkehr nach Europa 1976–2006: Geschichte, Politik, Kultur und Wirtschaft, Berlin [u. a.]: Lit, 2007. Zrinka Katarina FIDERMUC MALER, Kroatische Europapolitik. Theorie, Normen, Akteure und Entscheidungen, Berlin: Logos, 2007. Arne FRANKE, Das wehrhafte Sachsenland. Kirchenburgen im südlichen Siebenbürgen, Potsdam: Deutsches Kulturforum östliches Europa, 2007. Fremdes Europa? Selbstbilder und Europa-Vorstellungen in Bulgarien 1850–1945, hrsg. von Pet�r Petrov, Berlin; Münster: Lit, 2007. Emilija GEORGIEVA, B�lgarija v savremena Evropa (ot SIV do EC), Sofija: „Vizantija“, 2007. Debora GERSTENBERGER, Iberien im Spiegel frühneuzeitlicher enzyklopädischer Lexika Europas. Diskursgeschichtliche Untersuchung spanischer und portugiesischer Nationalstereotypen des 17. und 18. Jahrhunderts, Stuttgart: Steiner, 2007 (Beiträge zur Wirtschaftsund Sozialgeschichte 110).
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Herrschaft, Staat und Gesellschaft in Südosteuropa aus sprach- und kulturhistorischer Sicht. Erneuerung des Zivilisationswortschatzes im 19. Jahrhundert, hrsg. von Gerhard Neweklowsky. Wien: Verl. der Österreichischen Akademie der Wissenschaft, 2007. Istorijata i knigite kato prijatelstvo, hrsg. von Nadja Danova, Sofija: Izdat. Gutenberg, 2007. Paschal�s M. KITROM�LID�S, An orthodox commonwealth: symbolic legacies and cultural encounters in Southeastern Europe. Aldershot [u. a.]: Ashgate Variorum, 2007 (Variorum collected studies series 891). Konfessionelle Identität und Nationsbildung. Die griechisch-katholischen Kirchen in Ostmittel- und Südosteuropa im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von Hans-Christian Maner und Norbert Spannenberger, Stuttgart: Steiner, 2007 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 25). Medieval Iberia. Changing Societies and cultures in contact and transition, hrsg. von Ivy A. Corfis und Ray Harris-Northall, Woodbridge [u. a.]: Tamesis, 2007 (Colección Tamesis: Serie A, Monografías 247). Ilia PALAGUTA, Tripolye culture during the beginning of the middle period (BI). The relative chronology and local grouping of sites, Oxford: Hedges, 2007 (BAR international series 1666). Swanie POTOT, Vivre à l'Est, travailler à l’Ouest: les routes roumaines de l’Europe, Paris: Harmattan, 2007 (Aujourd’hui l’Europe). Schnittstellen. Gesellschaft, Nation, Konflikt und Erinnerung in Südosteuropa, hrsg. von Ulf Brunnbauer, München: Oldenbourg, 2007 (Südosteuropäische Arbeiten 133). Christophe SOLIOZ, Turning points in post-war Bosnia. Ownership process and European integration, 2Baden-Baden: Nomos, 2007 (Demokratie, Sicherheit, Frieden 179). Staat, Loyalität und Minderheiten in Ostmittel- und Südosteuropa 1918–1941, hrsg. von Peter Haslinger und Joachim von Puttkamer: München: Oldenbourg, 2007. Süd-Ost-Europa. Österreichische Nationalbibliothek, hrsg. von Christian Gastgeber, Wien: Phoibos-Verl., 2007 (Biblos 56). Ernst Christoph SUTTNER, Staaten und Kirchen in der Völkerwelt des östlichen Europa. Entwicklungen der Neuzeit, Fribourg: Academic Press, 2007 (Studia oecumenica Friburgensia 49). Holger TÜMMLER, Die Türken-Belagerung von Wien. Christen und Osmanen kämpfen um die Macht in Europa, Wolfenbüttel: Melchior, 2007. Westeuropa: Archives, archivistes et archivistique dans l’Europe du Nord-Ouest de l’Antiquité à nos jours. Entre gouvernance et mémoire, hrsg. von Martine Aubry [u. a.], Villeneuve d’Ascq: Institut de Recherches Historiques du Septentrion [u. a.], 2007 (Collection Histoire de l’Europe du Nord-Ouest 36). Maud BRACKE, Which socialism? Whose détente? West European communism and the Czechoslovak crisis, 1968, Budapest/New York: Central European University Press, 2007. Yitzhak HEN, Roman barbarians. The royal court and culture in the early Medieval West, Basingstoke [u. a.]: Palgrave Macmillan, 2007. Gerd-Rainer HORN, The spirit of ’68. Rebellion in Western Europe and North America 1956–1976, Oxford [u. a.]: Oxford University Press, 2007.
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Immigrances. L’immigration en France au XXe siècle, hrsg. von Benjamin Stora und Emile Temime, Paris: Hachette Littératures, 2007. Matthew INNES, Introduction to early medieval Western Europe 300–900. The sword, the plough and the book, London [u. a.]: Routledge, 2007. Thomas KROLL, Kommunistische Intellektuelle in Westeuropa. Frankreich, Österreich, Italien und Großbritannien im Vergleich 1945–1956, Köln [u. a.]: Böhlau, 2007 (Industrielle Welt 71). Ruth LISTER, Gendering citizenship in Western Europe. New challenges for citizenship research in a cross-national context, Bristol: Policy Press, 2007. Anthony M. MESSINA, The logics and politics of post-WWII migration to Western Europe, Cambridge [u. a.]: Cambridge Univ. Press, 2007. Robert Ian MOORE, The formation of a persecuting society. Authority and deviance in Western Europe, 950–1250, 2Malden, Mass. [u. a.]: Blackwell, 2007. Ute PLANERT, Der Mythos vom Befreiungskrieg. Frankreichs Kriege und der deutsche Süden. Alltag, Wahrnehmung, Deutung 1792–1841, Paderborn [u. a.]: Schöningh, 2007 (Krieg in der Geschichte 33). Jacques THOBIE, La France, l’Europe et l’Est méditerranéen depuis deux siècles. Économie, finance, diplomatie, Istanbul: Éd. Isis, 2007 (Analecta Isisiana 94). Robert Ju. VIPPER, Obš�estvennye u�enija i istori�eskie teorii XVII i XIX vv. V svjazi s obš�estvennym dviženiem na Zapade, repr. 3Moskva: Gosudarstvennaja publi�naja istori�eskaja biblioteka Rossii, 2007/1913 (V pomoš� ’studentu-istoriku).
Autorenverzeichnis Professor Dr. Irene DINGEL, Institut für Europäische Geschichte Mainz, Alte Universitätsstr. 19, 55116 Mainz Professor Dr. Hein HOEBINK, Heinrich-Heine-Universität, Historisches Seminar, Universitätsstr. 1, 40225 Düsseldorf Professor Dr. Andreas HOLZEM, Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Katholisch-Theologische Fakultät, Liebermeisterstr. 12, 72076 Tübingen Professor Dr. Michael KIßENER, Johannes Gutenberg-Universität, Historisches Seminar, Saarstr. 21, 55099 Mainz Professor Dr. Georg KREIS, Universität Basel, Europainstitut, Gellertstr. 27, 4052 Basel, Schweiz Dr. Ma:gorzata MORAWIEC, Institut für Europäische Geschichte Mainz, Alte Universitätsstr. 19, 55116 Mainz Peter PICHLER, M. A., Karl-Franzens-Universität Graz, Institut für Österreichische Rechtsgeschichte, Universitätsstr. 15/A3, 8010 Graz, Österreich Professor Dr. Anita PRETTENTHALER-ZIEGERHOFER, Karl-FranzensUniversität Graz, Institut für Österreichische Rechtsgeschichte, Universitätsstr. 15/A3, 8010 Graz, Österreich Professor Dr. Walter SCHMITZ, Technische Universität Dresden, Institut für Germanistik, Zeunerstraße 1b, 01062 Dresden, Professor Dr. Bernd SCHÖNEMANN, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Didaktik der Geschichte, Domplatz 23, 48143 Münster Dr. Rainer VINKE, Institut für Europäische Geschichte Mainz, Alte Universitätsstr. 19, 55116 Mainz Professor Dr. Wolfgang E. J. WEBER, Universität Augsburg, Institut für Europäische Kulturgeschichte, Eichleitnerstraße 30, 86159 Augsburg