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German Pages 269 [272] Year 2015
Jahrbuch für Europäische Geschichte
Jahrbuch für Europäische Geschichte Herausgegeben am Institut für Europäische Geschichte von Heinz Duchhardt
Band 10 2009
R. Oldenbourg Verlag München 2009
Redaktion: Malgorzata Morawiec
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
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Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Gesamtherstellung: buch bücher dd ag, 96158 Birkach ISBN 978-3-486-58928-3 ISSN 1616-6485
Inhaltsverzeichnis Schwerpunktthema: Europäisches Krisenjahr 1609/10 Winfried Schulze, München: „Wir stunden gegeneinander wie zwei Böcke". Die Krise des Reichs in den Jahren 1608/09 Ernst Hinrichs, Potsdam: Frankreich in der Krise der Jahre 1609/10 Hugo de Schepper, Nijmegen: Das „Spanische Niederland". Zum zwölfjährigen Waffenstillstand mit den Vereinigten Provinzen 1598-1609 Otfried Czaika, Stockholm: „Emot the Poler, Rysser och Danska" - Das Schwedische Reich und das Krisenjahr 1609/1610 Anna Filipczak-Kocur, Opole: Polen und Moskau 1609-1610
Andere Beiträge Harald Kleinschmidt, Tsukuba: Posituren im Wandel. Beobachtungen zur Geschichte der Körperhaltung und -bewegung vornehmlich im frühneuzeitlichen Europa Julia A. Schmidt-Funke, Mainz: Revolution als europäisches Ereignis. Revolutionsrezeption und Europakonzeptionen im Gefolge der Julirevolution von 1830 Ansbert Baumann, Tübingen: „Nach der Zuständigkeit zur Gesetzgebung". Die deutsche Vertretung bei den Europäischen Erziehungsministerkonferenzen seit 1959
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Forschungsbericht Heinz Duchhardt, Mainz: Neue Ansätze in der historischen Europaforschung. Anmerkungen zu einigen Neuerscheinungen
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Europa-Institute und Europa-Projekte Wolfram Kaiser, Portsmouth: Centre for European and International Studies Research, Universität Portsmouth
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Auswahlbibliographie Malgorzata Morawiec, Mainz: Europa-Schrifttum 2008
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Autorenverzeichnis
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SCHWERPUNKTTHEMA Europäisches Krisenjahr 1609/10 Als Schwerpunktthema des Jahresbandes 2009 des Jahrbuchs für Europäische Geschichte wurde ein Gedenkjahr gewählt, das für eine ganze Reihe von europäischen Regionen im Sinn einer Zäsur von Belang war: 1609 brach im Deutschen Reich, in dem sich seit kurzem die beiden konfessionellen Lager organisiert gegenüberstanden, ein regionaler Konflikt aus, dem die Gefahr innewohnte, sich zu „europäisieren", im selben Jahr kam es zwischen den Niederlanden und der Krone Spanien zu einem Waffenstillstand, der faktisch, wenn auch nicht förmlich, den rebellischen Provinzen die Souveränität zusprach, zwischen Polen und Russland brodelte es, in Schweden zeichneten sich neue Entwicklungen ab, im Folgejahr wurde in Frankreich der „gute" und „große" König Heinrich IV. ermordet. Diese Massierung von Konflikten in den verschiedensten europäischen Regionen ist sicher nicht auf eine Ursache oder auch nur ein Ursachenbündel zurückzuführen, sie lässt aber etwas ahnen von der erheblichen inneren Aufgeregtheit der Zeit und der staatenpolitischen Labilität, die ehrgeizige Aufsteigerstaaten geradezu herausforderte, sich neue Ziele zu setzen. Die für dieses Schwerpunktthema „Das europäische Krisenjahr 1609/10" eingeworbenen Beiträge von Autoren aus Deutschland, Polen, Schweden und den Niederlanden vermögen dabei noch nicht einmal das gesamte Krisenszenario abzudecken. Es sei nur der Ergänzung, nicht der Vollständigkeit halber noch darauf hingewiesen, dass es auch im adriatischen Raum wegen der Uskokenfrage zu einer höchst angespannten Situation gekommen war oder dass 1609 in Böhmen zwischen den Ständen und der Krone ein „Majestätsbrief' ausgehandelt wurde, von dem anzunehmen war, dass er noch nicht das letzte Worte in langwierigen Auseinandersetzungen um Freiheits- und Autonomierechte war. Es kriselte an vielen Stellen in Europa - dass der Druck irgendwann zu groß werden würde und die verschiedenen Krisen in einen europaweiten Konflikt einmünden würden, haben schon seinerzeit manche Beobachter erwartet. Ernst Hinrichs, der große Frankreich- und Preußenhistoriker, hat um die Jahreswende 2008/09 seinen Beitrag für den vorliegenden Band abgeliefert. Niemand ahnte damals, dass das sein letzter wissenschaftlicher Aufsatz sein würde. Er ist am 04. April 2009 verstorben. Seinem Andenken ist dieser Band des Jahrbuchs für Europäische Geschichte gewidmet.
Wir stunden gegeneinander wie zwei Böcke". Die Krise des Reichs in den Jahren 1608/09 Von
Winfried Schulze Mail wird gewiss nicht sagen können, dass der 1609 ausbrechende jülichklevische Erbfolgestreit in die Reihe der herausragenden Themen der deutschen frühneuzeitlichen Geschichte gehört. Er hat keine nationalen Mythen geschaffen, keine tragische Figur hervorgebracht, keinen Fenstersturz produziert und kein elementar neuer Gedanke wird in ihm geboren, ja man ist versucht, mit Axel Gotthard von einem „Allerweltsjahr" sprechen1. Und in einer weltgeschichtlichen Perspektive auf den Beginn der modernen Welt muss das Jahr wohl - wir merken das in diesem „Jahr der Astronomie" besonders hinter der Erfindung des Teleskops zurücktreten, das der Menschheit einen ganz neuen Blick in die Sternenwelt ermöglichte und die „Pluralität der Welten" denkbar werden ließ. Er beginnt mit dem seit langem erwarteten Tod eines geisteskranken deutschen Fürsten, und er endet mit der Ermordung eines großen französischen Königs, der einen riskanten Feldzug beginnen wollte, aber von einem Mörder in letzter Minute daran gehindert wurde. Diesem Streit fehlen also alle Attribute großer Geschichte, der zudem in seinen erbrechtlichen Detailproblemen so kompliziert ist, dass sich eine einfache Lösung weder damals noch heute herauslesen lässt. Er scheint eher ein interessanter Beispielfall für ein rechtshistorisches Seminar zum fürstlichen Erbrecht in der Frühen Neuzeit zu sein. Und doch - auf den Historiker übt der Streit einen ganz besonderen Reiz aus: Nicht nur, weil der Erbfolgestreit das sonst verpönte Nebeneinander verschiedener Konfessionen in einem Gemeinwesen ermöglichte, nicht nur, weil er Brandenburg den Weg an den Rhein ebnete, was dem Erbfolgestreit für immer einen Ehrenplatz in der borussischen Geschichtsschreibung sichern sollte, sondern vor allem wohl, weil sich im Erbfolgestreit die ganze komplexe Geschichte konfessioneller Parteibildungen und machtpolitischer Interessen nach dem Augsburger Religionsfrieden analysieren lässt. Und schließlich muss die Frage beantwortet werden, warum sich trotz tiefgreifender Kontroversen, trotz bereitstehender militärischer Bündnisse noch einmal die Fähig1 Ähnlich wertet Axel Gotthard das Jahr 1608, wenn er schreibt: „Das Jahr 1608 hat im Geschichtsbild der Deutschen keinen festen Platz", in: DERS., Konfession und Staatsräson. Die Außenpolitik Württembergs unter Herzog Johann Friedrich (1608-1628), Stuttgart 1992, S. 1.
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keit zum Kompromiss durchsetzte, die wenige Jahre später beim Kampf um die Herrschaft in Böhmen nicht mehr zu mobilisieren war. Und schließlich reizt auch das verwirrende Nebeneinander des ersten Blicks auf die Mondoberfläche in Padua und London einerseits und die Wahrnehmung des streitbaren Nebeneinanders von reformierten, protestantischen und katholischen Gemeinden in den niederrheinischen Fürstentümern. Konnte das wirklich zeitlich nebeneinander geschehen? Es ist die berühmte Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die wir in dieser Figuration erkennen können, eine Konstellation, die den Historiker immer besonders reizt. Wenn wir uns dem Jahr 1609 zuwenden, dann nähern wir uns einer Epoche der deutschen Geschichte, die im Allgemeinen keine besonders positive Würdigung erfahren hat und meistens noch erfährt. „Seit dem Religionsfrieden ist das Reich nur noch eine Vielheit von Territorien, ohne Einheit der Macht und des Willens; ein Inbegriff unzähliger Libertät, nur ohne das Gewölbe, dass sich alle schützen und zusammenhalten müsste; Wind und Wetter haben freien Zugang, wenn nicht da und dort in dem alten Prachtbau ein Verschlag, ein Blätterdach einigen Schutz geschaffen hat".
Es war Johann Gustav Droysen, der 1855 in seiner Geschichte der preußischen Politik so die Lage des Reiches nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 zu charakterisieren versuchte, und er hat damit in gewisser Weise die Grundrichtung der Interpretation vorgegeben, die erst in jüngster Zeit differenziert wurde. Während die erste Jahrhunderthälfte mit der Entstehung und der Konsolidierung der reformatorischen Bewegung durchaus positiv bewertet wurde, beschrieb zum Beispiel Moriz Ritter diese Epoche schlicht als „Auflösung der Reichsverfassung", während der katholische Historiker Johannes Jannssen mit dem Zustand des Reiches nur Begriffe wie „Zerfall" und „Zerrüttung" verbinden wollte2. Auf diese Weise geriet das gesamte spätere 16. Jahrhundert in das Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges hinein, wurde zu einer Geschichte „toute en grisaille", wie es ein französischer Kollege formuliert hat. Da wir Historiker immer dazu neigen, epochale Ereignisse in einem langen Vorlauf zu sehen, konnte es nicht ausbleiben, dass auch die Gesamtepoche zwischen dem Religionsfrieden und dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges in einer solchen teleologischen Deutung von ihrem bedauerlichen Ende her gesehen wurde. Insofern fällt es zunächst einmal schwer, für den jülich-klevischen Erbfolgestreit und die sich in ihm offenbarende Reichskrise einen angemessenen Platz zu finden, der nicht durch die schiefe Ebene hin zum Ausbruch des Krieges vorherbestimmt würde. Immerhin gibt es in der neueren Forschung durchaus einige Differenzierungsversuche, die es unternehmen, zumindest zwischen 2
Die Belege nach Winfried SCHULZE, Reich und Türkengefahr. Studien zu den Auswirkungen einer äußeren Bedrohung, München 1978, S. 1 f.
Schulze, „ Wir stunden gegeneinander wie zwei Böcke ".
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einer Ausbauphase der Reichsverfassung bis 1586 und einer dann beginnenden krisenhaften Entwicklung zu unterscheiden, wie sie etwa Maximilian Lanzinner vorgenommen hat3. Der Tod Augusts von Sachsen, des letzten Fürsten aus der Generation, die 1555 zustande gebracht hatte, fällt in dieses Jahr, und damit begann eine sich dann steigernde Verschärfung der Krise im Reich, ohne dass ein stabiles Gegengewicht vorhanden gewesen wäre. Freilich, fast alle großen Ereignisse der neueren Geschichte werden von den Historikern mit langen Vorlaufphasen bedacht: Natürlich fängt eine Geschichte der Französischen Revolution nie mit dem Zusammentritt der Generalstände im Mai 1789 oder gar mit der Erstürmung der Bastille am 14. Juli dieses Jahres an, sondern immer geht der Blick der Historiker weit über die Vorrevolution hinaus in das späte Ancien R6gime, in dem die Entstehungszusammenhänge der Revolution vermutet werden. Und auch wenn die Historiker den raffinierten Versuch unternehmen, eine bewusste Differenzierung der Zeitperspektiven vorzunehmen, können sie doch kaum der Verursachungslogik und ihrer Dynamik entgehen. Ein schönes Beispiel dafür ist die kluge Differenzierung in langfristige, mittel- und kurzfristige Gründe für die Englische Revolution, die Lawrence Stone in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts vorgelegt hat4. Wenn man trotz dieser starken historiographischen Tendenzen den Versuch unternimmt, eine von den erwähnten Rahmenbedingungen losgelöste Interpretation des Erbfolgestreits zu versuchen, dann wird man von drei Grundthesen ausgehen müssen, die ich vorab formulieren möchte und die gewissermaßen die Grundlinie der Deutung der Krise bestimmen werden. Zum einen ist dies die These, dass wir keineswegs von einer langfristigen, geradezu automatischen Entwicklung hin zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges ausgehen dürfen, in der dann jedes einzelne krisenhafte Ereignis auf das andere getürmt wird und am Schluss ein schier auswegloser Erklärungsrahmen für den Ausbruch des Krieges entsteht, zu dem es praktisch keine Alternativen geben konnte. Stattdessen soll der Versuch unternommen werden, in der Tatsache, dass der Erbfolgestreit eben nicht zum Auslöser eines großen deutschen und europäischen Krieges wurde, einen Beleg dafür zu sehen, dass selbst in einer Phase kontroverser konfessioneller Positionen noch Ressourcen für die friedliche Regelung von Konflikten im Reich und in Europa bereitstanden. Der Gedanke einer prinzipiell offenen Geschichte sollte auch hier zur Geltung gebracht werden, denn nur er kann den Historiker vor einer Deutung bewahren, die die Handlungsoptionen systematisch begrenzt. 3
Maximilian LANZINNER, Konfessionelles Zeitalter 1555-1618, '"Stuttgart 2001, S. 47 ff. Pointierter DERS, Das römisch-deutsche Reich um 1600, in: Späthumanismus. Studien über das Ende einer kulturhistorischen Epoche, hrsg. von Notker Hammerstein und Gerrit Walther, Göttingen 2000, S. 19-45. 4 Lawrence STONE, The Causes of the English Revolution, 1529-1642, rev. Aufl. London
2001.
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Die andere These betrifft die europäische Qualität des jülich-klevischen Erbfolgestreits, der ja im Mittelpunkt der Krise von 1609 steht. Gerade wenn man diesen Streitfall in die Reihe der Konflikte einordnet, die das Reich in der Epoche nach dem Augsburger Religionsfrieden belastet haben, dann wird festzuhalten sein, dass etwa zwischen dem Streit um die Freistellung 1576 oder dem Magdeburger Sessionsstreit von 1582 und dem jülich-klevischen Erbfolgestreit ein fundamentaler Unterschied hinsichtlich der Dimensionen seiner Wahrnehmung besteht. Letzterer ist ohne jeden Zweifel als ein europäischer Konflikt anzusehen. Man wird mit Fug und Recht behaupten dürfen, dass schon in der langen Vorlaufphase vor dem Ableben des Herzogs Johann Wilhelm am 25. März 1609 eine strategische Diskussion unter den europäischen Mächten einsetzte, die klar erkennen ließ, dass dieser Konflikt nicht als interne Reichssache zu lösen sein würde, wie das vom Kaiserhof wohl gerne gesehen worden wäre. Insofern wird es notwendig sein, diese Seite des Konfliktes auch angemessen in eine Gesamtinterpretation einzubeziehen und sich damit zugleich der Tatsache bewusst zu werden, dass ein Spezifikum der deutschen Geschichte auch in der Frühen Neuzeit darin besteht, dass das Heilige Römische Reich schon seit Langem ein Interessenfeld auswärtiger Mächte war. Selbst wenn die politische Sprache der Zeit immer auf die „teutschen" Bedingungen politischer Konflikte abhob, so stellte sich die Wirklichkeit ganz anders dar; sie war in hohem Maße von einer erstaunlich intensiven europäischen Verflechtung der Politik geprägt. Diese europäische Verflechtung der Politik scheint - jedenfalls in der hier beobachtbaren neuen Qualität - ein Spezifikum des 16. Jahrhunderts zu sein, das nicht nur den Begriff „Europa" als Sammelbezeichnung für die hier interessierenden Staaten populär machte und den der Christianitas überlagerte, sondern auch eine neue Gesamtsicht auf das europäische System etablierte, das zunehmend vom Bild eines europäischen Gleichgewicht geprägt wurde. Wenn auch der Gleichgewichtsgedanke noch nicht immer in jener systematischen Form angesprochen wurde, wie das im späten 17. und 18. Jahrhundert üblich wurde, so gehört der Gedanke des Gleichgewichts ohne jeden Zweifel zu den bemerkenswertesten Entwicklungen, die die Tektonik des europäischen Staatensystems auf lange Zeit hin bestimmen sollte5. Die Genese dieses neuen europäischen Gleichgewichtsdenkens wird in der klassischen Geschichtsschreibung des spätmittelalterlichen italienischen Staatensystems gesehen. So sagt Francesco Guicciardini in seiner Storia d'Italia von Lorenzo de Medici, er habe sich darum bemüht, „che le cose d'Italia in modo bilanciato" bleiben. 5 Die hier folgenden Belege nach Ernst KAEBER, Die Idee des europäischen Gleichgewichts in der publizistischen Literatur bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1907. Dazu auch Winfried SCHULZE, Europa in der frühen Neuzeit - begriffsgeschichtliche Befunde, in: „Europäische Geschichte" als historiographisches Problem, hrsg. von Heinz Duchhardt und Andreas Kunz, Mainz 1997, S. 35-65.
Schulze, „ Wir stunden gegeneinander wie zwei Böcke".
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Im Kontext der sich formierenden spanischen Universalmonarchie entstehen auch erste Überlegungen zur Verhinderung einer solchen Übermacht. Dabei war gerade die Wahl Karls V. zum römischen König auch eine erste Reaktion der Mächte Europas auf die bedrohlich wachsende französische Macht. Der englische König Heinrich VIII. entscheidet sich auf den Rat von Thomas Wolsey im Namen der balance of power für den vermeintlich schwächeren Bewerber und gibt damit den Weg für Karl frei. Nach dem französisch-habsburgischen Krieg von 1536-1538 urteilt ein venezianischer Gesandter, der französische König achte darauf, dass sein Gegner nicht zu mächtig werde, und er versuche, „sich an Kräften dem Kaiser gleich zu machen". Auch Franz I. erkannte diese Notwendigkeit, wenn er etwa den deutschen protestantischen Fürsten 1537 schrieb, dass es keinen anderen Schutzwall vor der anmaßenden spanischen Weltherrschaftsidee gebe, als ein wechselseitiges Bündnis. Man muss annehmen, dass in solchen Überlegungen auch Gedanken an eine Balance der europäischen Mächte formuliert worden sind, doch lassen sie sich nicht direkt belegen. Man kann dies nur annehmen, wenn etwa Kardinal Wolsey - wie erwähnt - über die Notwendigkeit einer Verbindung zwischen England und den kontinentalen Monarchien spekulierte. Dass die protestantischen deutschen Fürsten empfängliche Adressaten solcher Gedanken waren, liegt nahe. Hier wurde die alte „löbliche Libertet und Freyheit unseres geliebten vatterlandts der Teutschen Nation" dem „beschwerlich joch des vorgestellten viehischen Servituts und Dienstbarkeit" unter der Herrschaft Spaniens gegenübergestellt. Die erste direkte Formulierung der Balanceidee findet sich in einem Schreiben der Maria von Ungarn, der Statthalterin der Niederlande an den kaiserlichen Gesandten in England, in dem sie über die Sorgen der italienischen Staaten gegenüber dem Haus Habsburg und Spanien spricht: „Ihr kennt die Befürchtungen, die sie vor der Größe des einen wie des anderen dieser zwei Fürsten hegen und ihre Sorge, diese Macht zu balancieren". Noch ein Jahr später spricht ein anderer Venezianer, Giovanni Cappello, über die Politik Venedigs und sagt, die Republik strebe dahin, die Dinge im Gleichgewicht zu erhalten. Die klassische Formulierung zu dieser neuen Art von europäischer Gleichgewichtspolitik findet sich schließlich in einem Gutachten Philippe Duplessis Mornays für den französischen König Heinrich III. von 1584 „sur les moiens de diminuer l'Espagnol": „Alle Staaten werden nur für stark oder schwach gehalten im Vergleich zu der Stärke oder Schwäche ihrer Nachbarn; deshalb suchen weise Fürsten gegen ihre Nachbarstaaten ein Gegengewicht zu bilden, soweit sie dazu imstande sind; solange es ihnen gelingt, können sie in Frieden leben; gerät das Verhältnis der Gegengewichte ins Wanken, so haben Friede und
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Jahrbuch für Europäische Geschichte 10 (2009) Freundschaft ein Ende, denn diese beruhen zwischen Fürsten nur auf gegenseitiger Furcht und Achtung" 6 .
In die gleiche Richtung zielt eine Äußerung Tomaso Campanellas in seinen Discorsi Politici von 1600, wo er eine Änderung der Allianzen empfiehlt, um die spanische und französische Machtstellung in Italien zu schwächen. 1624 spricht Francis Bacon vom Interesse der Könige von England, Frankreich und Spanien, „to set the balance of Europe upright again". Man braucht nicht eigens darauf hinzuweisen, dass hier zum ersten Mal in klarer Sprache die Grundsätze der neuen Außenpolitik im System der europäischen Nationalstaaten festgehalten werden, ganz im Sinne jener neuen „ragione di stato" oder „raison d'6tat", wie sie sich vor allem im späteren 16. Jahrhundert in Europa Bahn bricht, keineswegs erst nachdem der piemontesische Jurist Giovanni Botero 1589 seinen einschlägigen Traktat Deila ragione di stato geschrieben hatte7. Abschließende Darstellung dieser, im Streit zwischen Frankreich und Spanien-Habsburg entwickelten Idee des europäischen Gleichgewichts ist die Schrift des hugenottischen Herzogs von Rohan von 1638 De I'interest des Princes et Etats de la Chrestiente, eine Schrift freilich zur Verteidigung der Außenpolitik des Kardinals Richelieu. Rohan arbeitet hier für alle europäischen Staaten die Maxime heraus, dass es in ihrem ureigenen Interesse liege, zwischen Frankreich und Spanien, den „beiden Polen" des Staatensystems, ein Gleichgewicht zu erhalten. „Das oberste Interesse aller anderen Staaten ist, die Waage zwischen diesen beiden Monarchien so im Gleichen zu halten, daß keine von ihnen, sei es durch die Waffen, sei es durch Verhandlungen, jemals einen beträchtlichen Vorsprung erlange. Auf diesem Gleichgewicht beruht ganz allein die Ruhe und die Sicherheit aller anderen".
Dieses Interesse aller christlichen Fürsten gehörte zumindest seit dem 16. Jahrhundert zu den Grundkonstanten europäischer Außenpolitik. Damit berühren wir zugleich die dritte These, die diesem Beitrag zugrunde liegt. Es geht dabei um die Frage, in welchem Maße die europäische Politik des 16. und 17. Jahrhunderts als konfessionell geprägt angesehen werden muss oder ob hier schon die neuen Prinzipien einer säkularen Interessenpolitik zu beobachten sind, die in eine postkonfessionell zu charakterisierende Epoche hineinweisen. Natürlich liegt es auf der Hand, auch diesen Konfliktfall in die Reihe der konfessionell bedingten Streitfälle einzuordnen, schließlich steht am Ausgangspunkt der dominierende Gegensatz zwischen Union und Liga und ihren politischen Gegenpolen im Lager des Protestantismus/ 6 Hier zitiert nach Friedrich BEIDERBECK, Zwischen Religionskrieg, Reichskrise und europäischem Hegemoniekampf. Heinrich IV. von Frankreich und die protestantischen Reichsstädte, Berlin 2005, S. 56 ff. 7 Vgl. Heinrich LUTZ, Ragione di stato und christliche Staatsethik im 16. Jahrhundert, Münster 1961.
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Calvinismus und der katholischen Mächte. Aber schon der weitere Verlauf der Auseinandersetzung macht deutlich, dass die anfängliche konfessionelle Solidarität zwischen den am Niederrhein possedierenden Mächten nicht ausreichte, um ihre konträren Machtinteressen zu zähmen, dass die Interessen des national-französischen Königtums stärker waren als die des „allerchristlichen Königs", dass schließlich die Konfessionswechsel der beiden possedierenden Mächte Brandenburg zum Calvinismus und Pfalz-Neuburg zum Katholizismus wohl nur aus den politischen Bündnisoptionen beider Bewerber zu erklären sind. Es stellt sich also bei näherer Betrachtung heraus, dass die konfessionelle Prägung des Konflikts bestenfalls für eine Anfangsanalyse infrage kommt, aber nicht für den gesamten Verlauf aufrechterhalten werden kann. In Umrissen wird auch schon in diesem sog. „konfessionellen Zeitalter" die moderne Perspektive nationaler Machtinteressen erkennbar. Die Geschichte des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert ist inzwischen oftmals erzählt worden, die wesentlichen Schritte in der Entwicklung vom Augsburger Religionsfrieden bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges sind bekannt; es hat den Anschein, dass die moderne Forschung derzeit eher an Strukturfragen der Reichsverfassung, der obersten Gerichtsbarkeit oder der Kreisverfassung interessiert ist denn an der erneuten Aufarbeitung bestimmter Ereigniskomplexe. Gleichwohl wäre es verfehlt, hier schon überall von einem wirklich befriedigenden Forschungsstand ausgehen zu können. Wir verfügen heute ohne jeden Zweifel über sehr viel mehr genauere Informationen über das konfessionelle Mit- und Gegeneinander im Reich um 1600, als dies vor etwa 40 Jahren der Fall war. Damals konnte man in der Tat davon ausgehen, dass die Epoche des späteren 16. Jahrhunderts eine Art von terra incognita darstellte, für die - abgesehen von den grundlegenden ereignisgeschichtlichen Arbeiten von Moriz Ritter, Felix Stieve und einigen territorialstaatlichen Spezialuntersuchungen - nicht sehr viel an reichspolitischen Analysen vorhanden war. Dies hat sich in diesem Zeitraum erheblich verändert. Die letzten Jahrzehnte sind vor allen Dingen genutzt worden, um anhand einiger strategischer Begriffe diesen Zeitraum erneut und unter systematischen Gesichtspunkten neu zu erforschen. Hier haben uns vor allen Dingen die Arbeiten zum Problem der Sozialdisziplinierung, dem Prozess der territorialen Konfessionalisierung, zur Reichskirchengeschichte, zur Geschichte des Reichskammergerichts und des Reichshofrats und nicht zuletzt auch zu den verschiedenen Typen der Reichsversammlungen und der Reichstags- und Reichssteuergeschichte erhebliche Fortschritte beschert8. Auch die Analyse der konfessionellen Sonderbündnisse und der territorialstaatlichen Konfessionspolitik ist erheblich vorangetrieben worden. Leider stehen für die wichtigen 8
Die letzte Zusammenfassung dieser Epoche bei LANZINNER, Konfessionelles Zeitalter (wie Anm. 3), S. 3-203.
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Reichstage 1594, 1597/98, 1603, 1608 und 1613 keine modernen Ansprüchen genügende Darstellungen zur Verfügung, auch die erfreulicherweise fortschreitende Edition der Reichstagsakten bzw. der Reichsversammlungen hat diese Versammlungen noch nicht erfasst9. So können wir heute insgesamt von einer ganz anderen Quellen- und Forschungslage ausgehen, wenn wir uns noch einmal mit der Epoche zwischen dem Augsburger Religionsfrieden und dem Ende des 16. Jahrhunderts beschäftigen, die gerade durch die große Arbeit von Axel Gotthard über den Augsburger Religionsfrieden systematisch analysiert worden ist, nachdem kurz zuvor Maximilian Lanzinner in seiner Gebhardt-Darstellung noch einmal eine überwiegend politikgeschichtliche Gesamtdarstellung geboten hatte, die die Darstellung von Martin Heckel aus dem Jahre 1983 ergänzte. Erinnern will ich auch an Heinz Angermeiers Versuch einer Neubewertung der von Khlesl entwickelten Ideen einer kaiserlichen Kompositionspolitik10. Hinzuweisen ist schließlich auf eine Sektion des Historikertages 1998 in Frankfurt, die unter die Frage: „Friedliche Intentionen - kriegerische Effekte. War der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges unvermeidlich?" stand. Der Verweis auf diese Sektion scheint vor allen Dingen deshalb notwendig, weil schon die damaligen Vorträge und die daran anschließenden Diskussionen deutlich gemacht haben, dass von einer schlichten Alternative: hier konfessionelle Überzeugungstäter, dort politisch gelassen reagierende Reichspolitiker, überhaupt nicht die Rede sein kann11. Wenden wir uns zunächst jedoch der Lage im Reich zu, das in der zweiten Hälfte des 16. und am Beginn des 17. Jahrhunderts durch drei wesentliche Grundzüge zu charakterisieren ist. Sie betreffen die Entwicklung der Territorialstaaten, die innere Lage des Reichs und seiner Institutionen, die Lage des kaiserlichen Hauses selbst und schließlich die parallel entstehenden Bündnisse von Union und Liga. Ein erster Blick muss der Konsolidierung der Territorialstaaten gelten, die sich vielfach beobachten lässt: Zurückdrängung der Macht der Landstände, Durchsetzung konfessioneller Einheit, der Ausbau eines administrativen Systems, das auf eine Zentrale hin ausgerichtet war, die Etablierung einer de facto regelmäßigen Besteuerung, alles Vorgänge, die von der politischen Theoriebildung eindeutig unterstützt wurden. Die Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt - so der Titel des grundlegenden Buches von Dietmar Willoweit - bildeten sich immer deutlicher heraus und förderten diesen Prozess 9
Zum Stand der Erforschung des Reichstags zuletzt: Der Reichstag 1486-1613. Kommunikation - Wahrnehmung - Öffentlichkeiten, hrsg. von Maximilian Lanzinner und Arno Strohmeyer, Göttingen 2006. 10 Heinz ANGERMEIER, Politik, Religion und Reich bei Kardinal Melchior Khlesl, in: ZRG G A 1 1 0 ( 1 9 9 3 ) , S. 2 4 9 - 3 3 0 . 11 Vgl. Friedliche Intentionen - Kriegerische Effekte. War der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges unvermeidlich?, hrsg. von Winfried Schulze, St. Katharinen 2002.
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der territorialen Konsolidierung12. Parallel dazu entstand eine politikwissenschaftliche Lehre von den Territorialstaaten, die die Stärkung des Landesfiirstentums durch legitimatorische Ansätze untermauerte13. Natürlich konnte dieser Vorgang des territorialen Machtzugewinns nicht alle Reichsstände in gleicher Weise erfassen, die ja als ganz unterschiedlich starke Mitspieler im Reichssystem zu bezeichnen sind, aber die Tendenz zur Ausbildung zentralstaatlicher Territorialität lässt sich bei fast allen Reichsständen beobachten. Wo dieser Prozess staatlicher Intensivierung nicht gelingt, erfolgt ein Rückfall in die politische Zweit- und Drittklassigkeit, die die Verlierer in die klientelhafte Abhängigkeit von einer der mächtigeren Dynastien zwang, deren Bedeutung damit noch erhöht wurde. Mit diesem Prozess der Stärkung der Territorialstaaten, der in den einschlägigen Bestimmungen des Westfälischen Friedens über die superioritas territorialis seinen Höhepunkt finden sollte, ist auch die Basis für die starke Stellung der Reichsstände gegenüber dem Kaiser gegeben, der nur in komplizierten Abstimmungsprozessen eine einheitliche Politik des Reiches erreichen konnte. Diese Beobachtung zur realen Macht des Kaisers legt einen Blick auf die inneren Verhältnisse des habsburgischen Herrscherhauses nahe, das seit dem Tode Karls V. in eine deutsche und eine spanische Linie getrennt war, ein Zustand, der keineswegs ohne dynastische Spannungen erreicht worden war. Nach dem Tode Ferdinands I. 1564 war zudem der deutsche Herrschaftsbereich des Hauses in drei Linien aufgeteilt worden, die sich zwar „brüderlich" zueinander verhalten sollten, so als ob das Haus ungeteilt wäre, deren Konkurrenz aber durchaus zu beobachten war und seit etwa der Jahrhundertwende zu neuen tiefgreifenden Konflikten führen sollte. Die kaiserliche Würde, zuerst in der Person Maximilians II., dann Rudolfs II., war verbunden mit der Herrschaft in Böhmen und in Ober- und Niederösterreich, auch mit dem ungarischen Königtum, während sich in Innerösterreich (Steiermark, Kärnten und Krain) eine familiär mit Bayern eng verbundene Linie des Hauses durchsetzte, die zudem, am Ende des 16. Jahrhunderts in der Person Erzherzog Ferdinands, des späteren Kaisers, eine scharf gegenreformatorische Politik verfolgen sollte. In Tirol und in den Vorlanden herrschte dagegen Erzherzog Ferdinand von Tirol, der Gatte der Philippine Welser, dem 1602 der Deutschmeister Erzherzog Maximilian nachfolgte 14 . Deren Sohn, der Mark12 Dietmar WlLLOWElT, Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt, Landesobrigkeit, Herrschaftsrechte und Territorium in der Rechtswissenschaft der Neuzeit, Köln/Wien 1975. 13 Dazu Wolfgang J. WEBER, Prudentia gubernatoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen politischen Wissenschaft des 17. Jahrhunderts, Tübingen 1992 und Der Fürst. Idee und Wirklichkeit in der europäischen Geschichte, hrsg. von dems., Köln [u. a.] 1998. 14 Winfried SCHULZE, Hausgesetzgebung und Verstaatlichung im Hause Österreich vom Tode Maximilians I. bis zur Pragmatischen Sanktion, in: Der dynastische Fürstenstaat. Zur Bedeutung von Sukzessionsordnungen in der europäischen Geschichte, hrsg. von Johannes Kunisch, Berlin 1982, S. 253-271.
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graf Karl von Burgau, der mit einer der Töchter Herzog Wilhelms von Jülich verheiratet war, sollte später eine Nebenrolle im Erbfolgestreit spielen. Diese drei Herrschaftsbereiche verfolgten zwar ein prinzipiell einheitliche Konfessionspolitik, gleichwohl kam es angesichts der relativ starken Stellung der - mit Ausnahme Tirols - mehrheitlich protestantischen Stände der Länder zu durchaus unterschiedlichen Situationen hinsichtlich der religiösen Freiheiten. Diese unterschiedlichen Zustände konnten in dem Augenblick zu einem gravierenden Problem werden, als sich innerhalb des Hauses ein Dissens über die Frage der Nachfolge des Kaisers auftat. Diese Diskussion brach etwa um 1600 auf, als die sich in Schüben entwickelnde Regierungsunfähigkeit Rudolfs immer offensichtlicher wurde. Der dynastische Überlebenswille gebot den anderen Mitgliedern des Hauses, in die bedrohlich unsicher werdenden Verhältnisse des Prager Hofes einzugreifen, die noch dadurch verstärkt wurden, dass Rudolf II. ohne Nachfolger geblieben war. Die offensichtliche Handlungsunfähigkeit des Kaisers, der oft wochenlang den politischen Geschäften fernblieb, wurde zu einem echten Problem in dem Moment, in dem am Rande des habsburgischen Reiches, in Ungarn, eine antikatholische und antizentralistische Rebellion unter Führung des Magnaten Stefan Bocskay ausbrach, die Unterstützung in ungarischen Adel fand und zudem auch Beziehungen zum türkischen Sultan knüpfte, der sich mit dem Kaiser seit 1592/3 im sog. „langen Türkenkrieg" befand15. Angesichts dieser schwierigen Lage meinten die Erzherzöge des Hauses in die Prager Verhältnisse eingreifen zu müssen. Im April 1606 beschlossen sie, einen Politikwechsel vorzunehmen und den Frieden mit den Türken und Ungarn gegenüber dem Kaiser zu erzwingen16. Dies war sicherlich eine vernünftige Überlegung, die durchaus einer nüchternen Analyse der Tatsachen entsprach. Mit dieser politischen Strategie war aber auch die Entscheidung verbunden, dass der energische und ehrgeizige Erzherzog Matthias jetzt zum Oberhaupt der Familie erklärt wurde und man sich darauf einigte, die Absetzung Rudolfs voranzutreiben. Jetzt ergab sich der „Bruderzwist im Hause Habsburg", ein dramatischer Widerspruch zwischen der offiziellen Politik des Kaisers, der den Krieg gegen die Türken und Ungarn fortsetzen wollte, und den verbündeten Erzherzögen, die genau das Gegenteil und zudem den Kaiser absetzen wollten. Ihnen gelang es, am 11. November 1606 mit den Türken den Frieden von Zitva-Torok abzuschließen und damit an der türkischen Front zunächst einmal für Ruhe zu sorgen. Diese Entscheidung sollte 15
Dazu Jan P. NLEDERKORN, Die Europäischen Mächte und der lange Türkenkrieg Rudolfs II. (1594-1601), Wien 1993. 16 Solider Überblick bei Volker PRESS, Kriege und Krisen. Deutschland 1600-1975, München 1991, S. 174 ff. und zur gesamten deutschen Geschichte der Epoche LANZINNER, Konfessionelles Zeitalter (wie Anm. 3), S. 47 ff. und DERS., Das römisch-deutsche Reich
(wie Anm. 3), S. 19-45.
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auch für die Reichspolitik direkte Bedeutung haben, denn der bestehende Druck der türkischen Bedrohung, der sich bislang auf allen Reichstagen als wirksamer Hebel erwiesen hatte17, war jetzt gewichen und ermöglichte damit das Zerbrechen des Reichstags von 1608. Mit diesen Ereignissen war nur zu deutlich geworden, dass in Zukunft das Haus Habsburg in zwei politische Lager geteilt war. Auf der einen Seite der sich in Prag abschließende, in seiner Stellung bedrohte Kaiser, auf der anderen Seite die Erzherzöge, von denen Erzherzog Matthias die führende Rolle übernahm. Eine weitere Schwächung des Hauses ergab sich dadurch, dass beide Herrscher in dieser Situation zu Kompromissen mit den Ständen in Ungarn und in Ober- und Niederösterreich gezwungen waren, um Unterstützung für ihre jeweiligen Positionen zu gewinnen. Angesichts der strategisch klugen Politik der Landschaften der österreichischen Herrschaftsgebiete zeichnete sich am Horizont ein ständisches Gesamtbündnis aller österreichischen Länder ab, das natürlich eine politische Bedrohung des bisherigen Herrschafts Verständnisses der fürstlichen Mitglieder des Hauses darstellen musste, andererseits aber unverzichtbar angesichts der Konfliktlage unter den Mitgliedern des Hauses war. Dass die Führer dieser ständischen Bewegungen auch vom westeuropäischen Widerstandsdenken der Monarchomachen beeinflusst waren, unterstreicht noch einmal die besondere Gefahr, die von diesen ständischen Bewegungen ausging und weiter ausgehen sollte. Erste militärische Auseinandersetzungen führten dann im Vertrag von Lieben im Juni 1608 zu einer Stärkung der Position des Erzherzogs Matthias, der jetzt zum Herrn der österreichischen Lande, Ungarns und Mährens wurde, während Rudolf noch Böhmen, Schlesien und die Lausitzen behielt. Die böhmischen Stände nutzten diese günstige Situation der Herrschaftskonkurrenz freilich aus und entwickelten ein offensives Programm ständischer Autonomie mit der Absicherung ihrer politischen Führungsrolle und ihrer dissentierenden Religion. Diesen Bestrebungen musste Rudolf im „Majestätsbrief' vom Juli 1609 nachgeben, und eben damit wurde die Voraussetzung für die späteren Konflikte geschaffen, die zum Prager Fenstersturz führen und den Dreißigjährigen Krieg auslösen sollten. Angesichts des späteren Sieges der katholischen Partei im böhmischen Konflikt (Schlacht am Weißen Berge 1620) mag man dazu neigen, diese alternativen Herrschaftsentwürfe der böhmischen und österreichischen Stände als chancenlos hinzustellen. Tatsächlich aber bedeuteten sie eine veritable Infragestellung der Herrschaft des katholischen Hauses Habsburg, in Prag wurde ein alternatives Herrschaftsprogramm entwickelt, wenn etwa für die Sicherung der ständischen Rechte gegenüber dem Kaiser sog. „Defensoren" berufen wurden. In diesen Jahren - so lässt sich sagen - stand die absolutisti17
Dazu SCHULZE, Reich und TUrkengefahr (wie Anm. 2), S. 81 ff.
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sehe Herrschaftskonzeption des habsburgischen Hauses durchaus auf der Kippe, der schließliche Sieg des Hauses muss als kontingent angesehen werden. Angesichts vieler besorgter, ja geradezu angsterfüllter Briefe der Mitglieder des Hauses wird man jede scheinbare Folgerichtigkeit oder gar Zwangsläufigkeit des Siegs der katholischen Partei ablehnen müssen. Mitteleuropa hätte in dieser Situation auch einen ganz anderen Weg gehen können18. Fasst man die Situation dieser Jahre zwischen 1604 und 1609 zusammen, dann lässt sich durchaus feststellen, dass im mitteleuropäischen Raum ein Herrschaftsvakuum entstanden war, das alle politischen Optionen als offen erscheinen ließ. Die beteiligten Fürsten versuchten, ihre Positionen durch Bündnisse mit den Ständen ihrer Länder zu sichern, mussten sich deshalb von ihrem bisherigen politischen Grundsätzen weit entfernen und schufen damit eine prekäre Situation, in der sie von vielerlei Zufälligkeiten abhängig wurden. In dieser Situation griffen die Fürsten auf alle sich bietenden Hilfsmöglichkeiten zurück. So zum Beispiel bediente sich Kaiser Rudolf der Hilfe des energischen Erzherzogs Leopold, der Truppen für den Krieg um Jülich geworben hatte, um den Kampf gegen seinen Rivalen Matthias zu führen. Und spätestens an diesem Punkt berührt sich die Geschichte des Bruderzwistes im Hause Habsburg mit den Vorgängen am Niederrhein in einer sehr direkten Weise. Blicken wir jetzt genauer auf das Heilige Römische Reich und seinen politischen Zustand in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Für die Reichsebene ist hinlänglich bekannt, dass der „gläserne Friede" von 1555 das Reich keineswegs befriedigt hatte, zudem hatte die Reichsexekutionsordnung zusätzlich die Territorialfürsten gestärkt, in deren Hände jetzt die Wahrnehmung des Landfriedens gelegt worden war. Seitdem war entschieden, dass in Deutschland die Fürsten und ihre Territorien vor allem den Gedanken neuzeitlicher Staatlichkeit repräsentierten19. Die auf den Reichskreisen aufbauende Exekutionsordnung war der Ordnungsrahmen für diese neue Stellung der Reichsstände. Der Augsburger Religionsfriede hatte zwar die politisch offene Situation des früheren 16. Jahrhunderts in eine dem Anschein nach dauerhafte Lösung überführen können, aber der auf der Anerkennung der neuen Zwietracht der Konfessionen aufbauende konfessionelle Dualismus bestimmte fortan das Reich, das für diesen Pluralismus jedoch sowohl mental wie politisch unvorbereitet war. Der Friede war letztlich ein „dilatorischer Formelkompromiss", wie Martin Heckel formuliert hat. Schon der entscheidende Aspekt der Dauerhaftigkeit des Friedens von 1555, der ihn bekanntlich von früheren Friedständen unterschied, war in den Verhandlungen umstritten gewesen, wie man aus einer Äußerung des kaiserlichen Rates Zasius erkennen kann, der schrieb: 18 Zu Böhmen Joachim BAHLCKE, Regionalismus und Staatsintegration im Widerstreit. Die Länder der Böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburgerherrschaft ( 1 5 1 2 1619), München 1994. 19 Heinz SCHILLING, Aufbruch und Krise. Deutschland 1517-1648, Berlin 1988, S. 314 ff.
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„Ihrer Majestät ist nichts schwörer noch saurer ankommen, als die punctationem mit den Worten ewig, für und für und immerwerend zu willigen; aber doch propter bonum pacis neben anderen, dass auch besser heraußen dann darin wäre, passiern lassen" 20 .
Der jetzt dauerhafte Friede war, das wird damit deutlich, ein ungeliebter Friede. In der Hauptsache griff man auf eine Lösung zurück, die seit dem Speyerer Reichstag von 1526 auf der Hand lag, sich auch in der Schweiz bewährt hatte und schon 1541 einmal von Sachsen vorgeschlagen worden war. Jedem Reichsstand wurde das Recht eingeräumt, das Bekenntnis seines Territoriums zu bestimmen, ein Prinzip, das seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts als cuius regio, eius religio einprägsam umschrieben wurde, eine griffige Formulierung, die sich im Frieden bekanntlich selber nicht findet. Freilich wurden gegenüber diesem Grundprinzip zwei Ausnahmen festgehalten. Sie betrafen einmal die geistlichen Fürsten, denen ein Recht zur Reformation ihrer Länder genommen wurde, indem für den Fall eines Übertritts zum neuen Bekenntnis ihr Amtsverzicht festgeschrieben wurde. Dieses war natürlich nichts anderes als eine Garantie des Besitzstands für die geistlichen Territorien. Die von den Protestanten als Ausgleich für diese Bevorzugung geforderte Erklärung, dass die Untertanen solcher geistlicher Fürsten ihr protestantisches Bekenntnis behalten dürften, wurde ihnen zwar als private Erklärung König Ferdinands - als die sog. declaratio Ferdinandea - gegeben, sie wurde aber nicht dem offiziellen Text des Friedens einverleibt und galt damit am Kammergericht nicht, sie war reichsrechtlich nicht existent. Es unterstreicht auch ihre periphere Bedeutung, dass sie danach für längere Zeit in Vergessenheit geriet. Die zweite Ausnahme betraf die Reichsstädte, denn hier kam es der katholischen Partei vor allem darauf an, in den überwiegend protestantischen Städten des Reiches den noch verbliebenen katholischen Minderheiten ein minimales Existenzrecht zu sichern. Insofern wurde in den Städten ein Nebeneinander der Konfessionen akzeptiert, besonders eindringlich geschah dies in den paritätischen Reichsstädten, wo es vorkommen konnte, wie etwa in Ravensburg, dass beide Konfessionen die gleiche Kirche für ihre Gottesdienste benutzen und auch nach einem Brand des Kirchturms diesen gemeinsam wieder aufbauten21. Das war eine bemerkenswerte Ausnahme vom Grundprinzip der Einheitlichkeit der Konfessionen in einem Herrschaftsgebiet, ein Prinzip,
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Hier zit. nach Das Reichstagsprotokoll des kaiserlichen Kommissars Felix Hornung vom Augsburger Reichstag 1555, hrsg. von Heinrich Lutz und Alfred Kohler, Wien 1971, S. 117. f. 21 So berichtet SCHILLING, Aufbruch und Krise (wie Anm. 19), S. 261. Weitere Beobachtungen dieser Art bei Paul WARMBRUNN, Zwei Konfessionen in einer Stadt, Wiesbaden 1983, v. a. S. 192 f.
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das bekanntlich später in Jülich-Berg noch eine wichtige Rolle spielen sollte22. Immerhin muss hervorgehoben werden, dass im Reich - im Unterschied zu den westeuropäischen Nationalstaaten - die Möglichkeit festgeschrieben wurde, dass unterschiedliche Bekenntnisse nebeneinander auf dem engen Raum der Stadtgesellschaft existieren konnten. Das Reich ging damit einen schwierigen Kompromissweg, der in seiner vorwärtsweisenden Qualität erkannt und deshalb zunächst einmal von der Last der folgenden Entwicklung hin zum Dreißigjährigen Krieg frei gehalten werden muss. Wenn man danach fragt, welchen Änderungen das System von 1555 unterlag, dann ist zunächst auf das protestantische Lager selbst zu verweisen. Hier hatte sich bewahrheitet, was schon in der Reformation als die unausweichliche Folge des Bruchs mit der römischen Autorität vorausgesagt worden war, nämlich die weitere Aufspaltung in dissentierende Richtungen. Die erste bedeutende Veränderung des Systems ergab sich durch eine weitere Differenzierung innerhalb dieses Lagers selbst. Schon immer hatten Streitigkeiten die innere Geschichte der protestantischen Bewegung geschwächt, und diese hatten nach dem Tode Luthers im Jahr 1546 noch zugenommen. Die Herausbildung der calvinistischen Partei spätestens ab den frühen sechziger Jahren etablierte zwei Lager im Protestantismus und schuf damit neue Konfliktpunkte, denn für ein neues Bekenntnis war im strikt dual gedachten System von 1555 bekanntlich kein Platz, es war allein auf das katholische Lager und die Anhänger der Augsburgischen Konfession zugeschnitten23. Um Kursachsen, das sich ja erst vor kurzem die Kurwürde verdient hatte, sammelten sich die kaisertreuen Protestanten in scharfer Gegnerschaft zu den Calvinisten24, während die Kurpfalz seit den frühen sechziger Jahren zum Sammelpunkt aller calvinistischen und radikalprotestantischen Stände wurde. Die mangelnde Einheit der Protestanten schwächte ihre Interessenvertretung gegenüber dem Kaiserhof erheblich, wenn es ζ. B. darum ging, auf den Reichstagen die eigenen Gravamina auf die Tagesordnung zu setzen. Diese Taktik der Verzögerung konnte sich der Kaiserhof umso eher erlauben, als die sächsischen Kurfürsten in den folgenden Jahrzehnten der türkischen Bedrohung des Reiches immer unter dem Eindruck eines möglichen Durchbruchs des „Erbfeinds christlichen Namens" durch Böhmen nach Sachsen lebten und auch deshalb nicht bereit waren, den Kaiserhof durch die Verweigerung von Steuern unter starken Druck zu setzen.
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Dazu: Drei Konfessionen in einer Region. Beiträge zur Geschichte der Konfessionalisierung im Herzogtum Berg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, hrsg. von Stefan Ehrenpreis und Burkhardt Dietz, Köln 1999. 23 Zur umfassenden Deutung des Augsburger Religionsfriedens vgl. jetzt Axel GOTTHARD, Der Augsburger Religionsfrieden, Münster 2004. 24 Dazu jetzt Thomas OTT, Präzedenz und Nachbarschaft. Das albertinische Sachsen und seine Zuordnung zu Kaiser und Reich im 16. Jahrhundert, Mainz 2008.
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Kurpfalz blieb aber nicht der einzige Reichsstand, der sich zum Calvinismus bekannte, die sog. „Zweite Reformation" ließ eine Gruppe von meist mittleren und kleinen Territorien entstehen, die sich um Heidelberg scharten. Der große Prozess der Differenzierung des deutschen Protestantismus, wie er auf dem Augsburger Reichstag 1566 deutlich geworden war, trieb seinem Höhepunkt zu, nachdem die Lutheraner immer deutlicher die Notwendigkeit erkannten, zu einem einheitlichen Bekenntnis zurückzufinden und zugleich weitere Abspaltungen zu verhindern. Wenn schon die große concordia aller christlichen Religionen nicht mehr zu retten war, wie dies seit 1555 festgeschrieben war, dann sollte es zumindest die kleine concordia innerhalb der eigenen Bewegung sein. Doch diese Versuche misslangen gründlich. Spätestens seit dem Fehlschlag der Konkordienformel von 1577, deren Anerkennung und Unterzeichnung Tausende von dissentierenden Theologen verweigerten, war die Spaltung offensichtlich geworden. Es war nicht zuletzt eine Folge dieser Spaltung, dass die Bemühungen um die sog. „Freistellung", die ein großes Thema der protestantischen Beschwerden in den sechziger und siebziger Jahren war, zu keinem Erfolg kamen. Der berühmte Traktat des katholischen Rates Andreas Erstenberger De autonomia von 1586 machte zugleich deutlich, welche gefährlichen Entwicklungsmöglichkeiten bis hin zur gänzlich freien Wahl der Religion im Begriff der Freistellung gesehen wurden. Nach dem Reichstag von 1576 war jedoch offensichtlich, dass die Beschwerden darüber keinen politischen Effekt mehr zeigten25. Damit blieben dem protestantischen Adel die begehrten Pfründen der geistlichen Stifter vorenthalten, die bislang ihre nachgeborenen Söhne versorgt hatten. Die Autonomia-Schrift reagierte zwar in erster Linie auf das spezielle Freistellungsproblem dieser Jahre, es wurde freilich in all seinen Schattierungen und möglichen Weiterungen erörtert. Der päpstliche Nuntius Minuto Minucci hatte 1588 den Zustand im Reich so charakterisiert, dass er seit etwa 15 Jahren bei den Protestanten die Neigung beobachte, unter dem Namen der Freistellung die Zulassung zu allen geistlichen Ämtern, Würden und Benefizien in gleicher Weise wie die Katholiken zu verlangen. All dies verrate den „seltsamen und unbilichen Anspruch", dass es im Reich zwei zugelassene und auch gleichberechtigte Konfessionen gebe. Wichtig erscheint bei Erstenberger neben der Zurückweisung aller anderen Varianten von Freistellung die allgemeine Diskreditierung des Freistellungsbegriffs, wenn er schreibt, „also daß autonomia oder die Freystellung anders nicht ist, dann ein freye Willkür und macht anzunemen zuthun zuhalten und zu glauben, was einer selbst wil und ihme gut dünckt oder gefellig ist". Aus der gesamten Argumentation Erstenbergers wird klar, dass der Gedanke einer Freistellung der Religion als völlig unvereinbar mit einem ordentlichen 25
Dazu vor allem die Untersuchung von Gudrun WESTPHAL, Der Kampf um die Freistellung auf den Reichstagen zwischen 1556 und 1576, Marburg 1976.
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christlichen Regiment angesehen wurde, da „sie eben in deme und dardurch alle Ordnung gentzlich aufheben". Die Argumentation Erstenbergers belegt eindrucksvoll ex negative, welches Entwicklungpotenzial in der Debatte um die Freistellung gesehen werden muss. Von daher kann kein Zweifel an der generellen Ablehnung einer Freistellung bestehen, von hier erklärt sich auch der besondere Hass gegenüber den Calvinisten. Allein die Heftigkeit der Reaktionen auf Forderungen einer individuellen Freistellung zeigt, dass mit diesem Vorschlag nicht nur die Hinnahme der jeweils anderen der beiden Konfessionen gemeint war, sondern dass hier zu Recht ein entscheidender Einbruch in das Autoritätsgefüge von Kirche und Reich vermutet wurde: „die gantze Respublica unnd uhralte herrliche Ordnung und Harmonie deß heiligen Römischen Reichs, als so auff zwayerlay Ständt und glider, Geistlich und Weltlich, wie die Confessionisten selbs öffentlich bekennen, fiindirt und gegründet ist, (wirdet) zerrissen und labefactirt" 26 .
In dieser Deutung konnte auch der Friede von 1555 nicht bestehen: „Religionsfrid ist der bösest strit", so verunglimpfte Erstenberger den Frieden, der den Protestanten als pax sancta et salutaris galt27. Er schloss damit an die Bewertung von Zasius an, der schon 1555 vom „haillos religionsfrieden" gesprochen hatte. Das hinderte diesen Reichspolitiker jedoch nicht, den Frieden gegenüber kritischen Bewertungen aus dem eigenen Lager zu mit dem Hinweis zu verteidigen, dass man mit dem Frieden „noch ergers und vil schädlichers und verdörblichers" verhindert habe28. Der offensichtliche Misserfolg in der Freistellungsfrage führte dazu, dass der Reichstag von 1582 zu einem ersten Wendepunkt in der Entwicklung nach 1555 führte. Jetzt war unübersehbar geworden, dass in Zukunft keine legale Erweiterung des protestantischen Lagers etwa durch Übertritte geistlicher Fürsten zu erwarten war und damit die katholische Mehrheit in der entscheidenden Fürstenkurie des Reichstags für alle Zeiten festgeschrieben war. Folglich verschärften sich die Diskussionen um die Frage der Mehrheiten auf dem Reichstag, und der sog. „Magdeburger Sessionsstreit" war der erste
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Dazu auch Jodokus LORICH, Mein flimemen ist allein kürtzlich zu erweisen dass kein freystellung de religion sein noch beharrlich kündt bleiben, in: DERS., Religions Fried. Wider Die hochschädliche Begären und Rathschläge von Freystellung der Religion Für die christlichen Oberkeiten Teutscher Nation zur Erinnerung und Warnung kürtzlich beschrieben, Köln 1583, Vorrede. 27 Zit. nach Martin HECKEL, Autonomia und Pacis Compositio. Der Augsburger Religionsfriede in der Deutung der Gegenreformation, in: ZRG KA 45 (1959), S. 141-248. 28 Zasius an Herzog Albrecht von Bayern am 4. Juni 1555, hier zitiert nach Anja MEUSSER, Für Kaiser und Reich, politische Kommunikation in der frühen Neuzeit, Johann Ulrich Zasius (1521-1570) als Rat und Gesandter der Kaiser Ferdinand I. und Maximilian II., Husum 2004, hier S. 113.
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Ausdruck dieser neuen Konfliktlage29, zugleich der Beginn einer langen Kette protestantischer Gravamina, die in Zukunft auf den Reichstagen vorgelegt werden sollten. Joachim Friedrich, der protestantische Administrator des Stifts Magdeburg aus dem brandenburgischen Kurhaus, wollte seinen Sitz in der Fürstenkurie des Reichstags einnehmen, was ihm von seinen katholischen Standesgenossen in einer dramatischen Szene erfolgreich verwehrt wurde. Damit war klar, dass die Administratoren der säkularisierten Stifter im Norden Deutschlands nicht damit rechnen konnten, jemals ihren Sitz im Fürstenrat einzunehmen, d. h. der nach 1555 im Nordosten des Reiches erzielte de facto-Machtgewinn des Protestantismus ließ sich reichspolitisch nicht nutzen. Immerhin waren nach dem Augsburger Frieden die Bistümer Meißen, Merseburg, Naumburg, Brandenburg, Havelberg, Lebus, Cammin, Magdeburg, Halberstadt, Lübeck und Bremen in protestantischen Besitz gekommen. Es mag die schwierige Lage der Protestanten auf den Reichstagen beleuchten, wenn nach diesem Reichstag protestantische Stimmen schon eine paritätische Besetzung der Deputationstage (also den kleinen Ersatzversammlungen für einen Reichstag zur Lösung spezieller Aufgaben) forderten oder sogar dafür plädierten, in Zukunft die mehrheitlich protestantischen Städte im Fürstenrat mitstimmen zu lassen, um so die Mehrheit gegenüber den Katholiken zu erlangen. So sehr dieser Vorschlag angesichts der starken finanziellen Position der Reichsstädte nachvollziehbar war, so wenig ergab sich eine Chance auf Durchsetzung der Forderung in dieser Situation. Ganz im Gegenteil, die Position der Reichsstädte im Abstimmungsverfahren des Reichstags wurde 1582 sogar noch weiter geschwächt. Die Reichstage der Neunzigerjahre - also 1594 und 1597/98, aber auch der von 1603 - zeigten die Protestanten in einer politischen Falle gefangen, die sich einerseits durch den Druck der türkischen Gefahr an der Südostgrenze des Reiches und andererseits durch die festgeschriebene Mehrheit der katholischen Fürsten und Kurfürsten ergab. Protestantische Reichsstände, die sich nach diesen Reichstagen weigerten, die von der stabilen katholischen Mehrheit beschlossenen Türkensteuem zu erlegen, verfielen dem Urteil des Reichskammergerichts, wenn der Reichsfikal den Prozess wegen Nichterlegung der Steuer angestrengt hatte30. Den Protestanten musste dies als eine Bedrohung ihrer staatlichen Existenz erscheinen, gerade wenn sie vermuteten, dass die katholischen Mehrheitsmacher sich - mit kaiserlicher Zustimmung - der tatsächlichen Zahlung der Reichssteuern weitgehend entzogen. Vor diesem politischen Hintergrund müssen auch die langwierigen Konflikte um die Bürgermeisterwahl in der mehrheitlich protestantischen Reichsstadt Aachen, die 1580 begannen, und um das Erzbistum Köln seit 1582 29
Dazu zuletzt Josef LEEB, Der Magdeburger Sessionsstreit von 1582. Voraussetzungen, Problematik und Konsequenzen für Reichstag und Reichskammergericht, Wetzlar 2000. 30 Dazu ausführlich SCHULZE, Reich und Türkengefahr (wie Anm. 2), S. 348 ff.
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wahrgenommen werden, wo der Erzbischof Gebhard Truchsess von Waldburg entgegen den Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens im Besitz seines Territoriums bleiben wollte, obwohl er zum protestantischen Bekenntnis übergetreten war. Der dadurch ausgelöste Kölner Krieg sicherte dieses wichtige Schlüsselterritorium für die katholische Konfession und lenkte damit zum ersten Mal den Blick auf die strategisch wichtige niederrheinische Region, die auch dem jülich-klevischen Erbfall seine besondere Bedeutung geben sollte. Ziehen wir eine erste Zwischenbilanz: Der Augsburger Religionsfriede hatte zwar eine befriedende Wirkung entfalten können, hatte dadurch auch eine wichtige „Ausbauphase der Reichsverfassung" (Maximilian Lanzinner) ermöglicht, aber er zeigte sich nicht in der Lage, die neu aufbrechenden Konflikte zu lösen, er stellte eine nur statische Lösung dar, die den neuen Belastungen nicht gewachsen war. Ja, im Gegenteil, der Religionsfriede musste angesichts seiner intendierten Endgültigkeit das Bedrohungsgefühl beider konfessioneller Lager eher noch verstärken. Damit war auch die Frage der langfristigen Geltung des Friedens von 1555 verbunden. War das eine sanctio pragmatica, eine constitution, ein Gesetz oder nur eine Traktation, ein Verbündnis oder eine Vergleichung? Die Frage der rechtlichen Qualität des Reichsschlusses war deshalb von Interesse, weil es offensichtlich in der Diskussion zweifelhaft war, ob der Religionsfriede nicht wie ein normaler Reichsabschied (wie ein „schlechter Reichsabschied") beliebig durch einen neuen Abschied geändert werden könne oder ob hierzu ein neuer Vertrag geschlossen werden müsse31. Die Frage, ob man sich auf katholischer Seite überhaupt in die faktische Duldung der Ketzerei habe einlassen dürfen, wurde dabei mit einer Abwandlung des bekannten Notarguments beantwortet: „Ob schon die Ketzerei ein böses exercitium, ist doch die Zulassung dieses exercitiums vor sich nicht böß, sondern kann durch die Umstände cohonestiert werden"32. Angesichts dieser Lage der Infragestellung des Friedens durch die katholische Seite und der von den Protestanten betriebenen Anzweiflung der Mehrheitsentscheidungen am Reichstag musste es im Reich besonders auf eine wirksame und unparteiische Gerichtsbarkeit ankommen. Theoretisch hätte dafür das Reichskammergericht bereitgestanden, das seit 1495 als ständisches Gericht im Namen des Kaisers Recht sprach und seit 1560 in Religionssachen auch paritätisch besetzt war33. Genau an diesem zentralen Punkt der Struktur des Reiches 31
Vgl. dazu Michael H I R S C H , Zur Rechtsnatur des Augsburger Religionsfriedens. Ein Gutachten aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in: ZRG KA 79 (1993), S. 448-458. 32 Vgl. dazu Pacis compositio, d. i. Ausführlicher [.. .JTraktat von den Religionsfrieden anno 1555, Frankfurt 1629, S. 129. 33 Vgl. dazu unter systematischen Gesichtspunkten Martin H E C K E L , Deutschland im konfessionellen Zeitalter, Göttingen 1983, S. 94 f.
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aber hatte sich seit 1588 eine Belastung dadurch ergeben, dass in diesem Jahr die sog. Visitation des Kammergerichtes durchgeführt werden sollte, in deren Verlauf üblicherweise die am Gericht unentschiedenen Fälle durch einen kleinen Ausschuss wechselnder Reichsstände geklärt zu werden pflegten. Als aber jetzt der erwähnte brandenburgische Administrator des Stifts Magdeburg an der Reihe gewesen wäre, in der Visitation mitzuarbeiten, weigerten sich die katholischen Stände wie vorher auf dem Reichstag, den Gesandten des Administrators mitarbeiten zu lassen. Damit war die Visitation nicht mehr arbeitsfähig, und so wurde natürlich auch der normale Gang der Gerichtsbarkeit des Reichskammergerichts unterbrochen. Dies wäre freilich noch zu bewältigen gewesen, denn der sog. Deputationstag, der schon erwähnte „kleine Reichstag" zu Beratungen nachgeordneter Probleme, hätte die Visitation prinzipiell ersetzen können, was er nach einem Beschluss des Reichstags von 1598 auch tun sollte. Dieser Zustand dauerte aber nur bis zum Jahr 1601, als sich der in Speyer tagende Deputationstag über den sog. Vierklösterstreit entzweite34. Dieser Deputationstag war zwar bei den Kurfürsten paritätisch besetzt, bei den Fürsten saßen aber 10 katholischen Vertretern nur vier Protestanten gegenüber. Angesichts der anstehenden Beratungen über die vier Klöster in der Grafschaft (Dettingen, der Markgrafschaft Baden-Durlach, der Reichsstadt Straßburg und im Gebiet des Reichsritters von Hirschhorn, die von ihren protestantischen Landesherren säkularisiert worden waren, und der vorher vom Reichskammergerichts schon gefällten Entscheidungen zugunsten der Klöster schien es der Kurpfalz und weiteren protestantischen Ständen jetzt ratsamer, den Deputationstag ebenfalls zu verlassen und damit de facto auch diese Institution unwirksam zu machen. Damit waren die im Reichssystem normalerweise verfügbaren Instanzen zur Konfliktregulierung ausgeschöpft. Natürlich gab es neben dem Reichskammergericht seit 1559 noch ein weiteres oberstes Reichsgericht, den kaiserlichen Reichshofrat, eigentlich in seiner Kompetenz i.W. auf Reichslehensfragen begrenzt35. Der Kaiser nutzte jedoch den Reichshofrat zunehmend auch in anderen Fragen als in seiner eigentlichen Zuständigkeit, und auf diese Art und Weise wurde die Justizfrage zu einem weiteren Streitpunkt der Reichspolitik seit dem Ende des 16. Jahrhunderts. Der Reichshofrat galt in den Augen der protestantischen Stände als parteiisches Gericht, zu dem sie - zumal in Konfessionsfragen - kein Vertrauen hatten. Die Absicht der Protestanten lief darauf hinaus, alle Ent34
Vgl. dazu Dietrich KRATSCH, Justiz - Religion - Politik. Das Reichskammergericht und die Klosterprozesse im ausgehenden 16. Jahrhundert, Tübingen 1990. 35 Zuletzt dazu Stefan EHRENPREIS, Der Reichshofrat im System der Hofbehörden Kaiser Rudolfs II. (1576-1612). Organisation, Arbeitsabläufe, Entscheidungsprozesse, in: MÖStA 45 (1997), S. 187-205 und DERS., Kaiserliche Gerichtsbarkeit und Konfessionspolitik. Der Reichshofrat unter Rudolf II. 1576-1612, Göttingen 2006.
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Scheidungen, die als konfessionspolitisch bedeutsam interpretiert werden konnten, direkt an den Reichstag zu verweisen und dort nicht durch Mehrheitsentscheidung, sondern auf dem Wege der „amicabilis compositio", einer freundschaftlichen Einigung, des Kompromisses, entscheiden zu lassen. Das Ziel einer solchen Politik lief in letzter Konsequenz auf eine völlige Paritätisierung der Reichsverfassung hinaus, so wie sie schließlich auch im Westfälischen Frieden in Art. V, § 52 festgeschrieben wurde36. Dem nächsten Reichstag musste somit eine entscheidende Rolle zukommen, denn nur hier konnte nach Lage der Dinge noch eine Lösung des Streits gefunden werden. Die Erregung auf Seiten der Protestanten über die Serie der Vorfälle zu ihren Ungunsten, die vermutete parteiische Rechtsprechung des Reichshofrates, dessen Entscheidung in der Angelegenheit der Achterklärung der kleinen Reichsstadt Donauwörth vor allem den hellen Zorn der Protestanten heraufbeschworen hatte, entlud sich auf dem Reichstag von 1608, der wieder einmal erhebliche Summen für den Krieg gegen die Osmanen bewilligen sollte, obwohl 1606 mit ihnen der schon erwähnte, vom Kaiser freilich nicht gewollte Friede von Zitva-Torok geschlossen worden war. Die protestantische Partei, diesmal erstaunlich einig für ihre Sache eintretend, verlangte vor der wie üblich - geforderten Beratung über Steuern erst einmal eine neuerliche Bestätigung des Religionsfriedens. Diese Forderung aber wurde von den katholischen Fürsten geschickt mit der Gegenforderung nach Rückgabe aller nach dem Religionsfrieden säkularisierten Kirchengüter vor allen Dingen im Nordosten des Reiches gekontert. Nach letztlich ergebnislosen Beratungen über eine durchaus mögliche Kompromissformel verließen dann die protestantischen Stände unter Führung von Kurpfalz den Reichstag, diesmal sogar von Kursachsen unterstützt37. Die brandenburgischen Gesandten meldeten aus Regensburg in einer Schrift voller Besorgnisse, man müsse sich jetzt gegen die Einführung einer „absoluta et monarchia potestate" wehren38. Jetzt
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IPO Art. V, § 52, zitiert nach Instrumenta Pacis Westphalicae. Die Westfälischen Friedensverträge 1648, hrsg. von Konrad Müller, Bern 1949, hier S. 129. 37 Zum Reichstag 1608 immer noch die Quellenlage, wie sie von Moriz Ritter, Felix Stieve und Melle Klinkenborg gelegt wurde. Siehe: Briefe und Acten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges in den Zeiten des vorwaltenden Einflusses. Tl. 1: Die Gründung der Union 1598-1608, hrsg. von Moriz Ritter, München 1870; Briefe und Acten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges in den Zeiten des vorwaltenden Einflusses. Tl. 6: Vom Reichstag 1608 bis zur Gründung der Liga, hrsg. von Felix Stieve, München 1895 und Acta Brandenburgica, hrsg. von Melle Klinkenborg, Tl. 3: 1607 April-1608 Juli, Berlin [in Komm.] 1930; dazu die ältere Dissertation von Hermann Frh. VON EGLOFFSTEIN, Der Reichstag zu Regensburg 1609. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Dreißigjährigen Krieges, München 1886. Dazu kommen jetzt die einschlägigen Kapitel bei Hans-Jörg HEROLD, Markgraf Joachim-Emst von Brandenburg-Ansbach als Reichsfürst, Göttingen 1973, S. 87 ff; Erika KOSSOL, Die Reichspolitik des Pfalzgrafen Philipp Ludwig von Neuburg, Göttingen 1976, S. 162 ff. und Axel GOTTHARD, Konfession und Staatsräson (wie Anm. 1), S. 23 ff. 38 Acta Brandenburgica, Tl. 3. (vgl. Anm. 37), S. 505.
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war die Situation eingetreten, dass im Reich überhaupt kein institutionelles Mittel des Kompromisses mehr funktionsfähig war. Man könnte deshalb dazu neigen, die nach diesem Reichstag einsetzenden Bemühungen zur Gründung von konfessionellen Bündnissen als dessen direkte Folge anzusehen. Denn 1608 entstand die protestantische Union im ansbachischen Auhausen39, ein Jahr später folgte die Katholische Liga40, beide als Defensivbündnisse in der Tradition der Reichspolitik des 16. Jahrhunderts verstanden41. Insofern spricht manches dafür, im Jahr 1608 tatsächlich den „Beginn der Vorkriegszeit" zu erkennen42. Der entscheidende Punkt für diese Entwicklung war für die Protestanten ohne Zweifel die Erfahrung von Donauwörth gewesen, ein offensichtlicher Bruch der Reichsverfassung durch den Kaiser, da mit der Exekution der Reichsacht gegen die kleine Stadt nicht der eigentlich zuständige Herzog von Württemberg betraut worden war, sondern der Herzog von Bayern, der sich die Gelegenheit natürlich nicht entgehen ließ, sich dieser Stadt zu bemächtigen43. „Donauwörth ist ein Lumpennest, was hat es aber für ungelegenheit und Weiterung causirt" - dieser zeitgenössische Kommentar des ehemaligen Reichspfennigmeisters Zacharias Geizkofler gegenüber Melchior Khlesl charakterisiert treffend das Missverhältnis zwischen dem unbedeutenden Streitgegenstand und dem großen daraus entstandenen Vertrauensverlust im Reich44. Freilich muss im Kontext der Unionsgründung bedacht werden, dass die protestantische „Aktionspartei", wie sie Moriz Ritter zu nennen pflegte, schon seit langer Zeit an dem Projekt eines Bündnisses gearbeitet hatte. In Torgau hatten sich protestantische Stände 1591 nicht nur auf eine starke Truppenhilfe für die französischen Hugenotten geeinigt, sondern auch ein Schutzbündnis geschlossen, das 39
Dazu die klassische Darstellung von Moriz RITTER, Geschichte der deutschen Union von den Vorbereitungen des Bundes bis zum Tode Kaiser Rudolphs II. (1598-1612), Schaffhausen 1867-1873, und in neuer Perspektive Axel GOTTHARD, Protestantische „Union" und katholische „Liga". Subsidiäre Strukturelemente oder Alternativentwürfe?, in: Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit?, hrsg. von Volker Press und Dieter Stievermann, München 1995, S. 81-112; DERS., „Bey der Union ain directorium". Benjamin Bouwinghausen und die protestantische Aktionspartei, in: Dimensionen der europäischen Außenpolitik zur Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, hrsg. von Friedrich Beiderbeck [u.a.], Berlin 2003, S. 161-186 und Gregor HORSTKEMPER, Die protestantische Union und der Ausbruch des Dreißgjährigen Krieges. Kriegstreibende Integrationsprobleme eines Defensivbündnisses, in: Friedliche Intentionen - Kriegerische Effekte (wie Anm. 11), S. 21-51. 40 Dazu Franziska NEUER-LANDFRIED, Die Katholische Liga. Gründung, Neugründung und Organisation eines Sonderbundes 1608-1620, Kallmünz 1968, S. 12 ff. 41 Zum Zusammenhang beider Gründungen GOTTHARD, Protestantische „Union" und katholische „Liga" (wie Anm. 38). 42 So GOTTHARD, Konfession und Staatsräson (wie Anm. 1), S. 1. 43 Felix STIEVE, Der Kampf um Donauwörth im Zusammenhange der Reichsgeschichte. München 1875. 44 Hier zitiert nach GOTTHARD, Konfession und Staatsräson (wie Anm. 1), S. 55, Anm. 33.
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trotz seines Misserfolgs - zum ersten Mal den Ernst der Lage im Reich deutlich gemacht hatte. Es hatte aber auch gezeigt, wie sehr die innerdeutsche Konfliktlage danach drängte, externalisiert zu werden. Seitdem - zuletzt 1605 - hatte es immer wieder vorsichtige Versuche einer festeren Organisation der protestantischen Stände gegeben, aber angesichts der internen Konflikte war dies bislang unterblieben45. Dies ist der allgemeine Hintergrund des nächsten großen Konfliktes, der das Reich belasten sollte, der jülich-klevische Erbfolgestreit, der in seinem Verlauf hier nur kurz beleuchtet werden kann46. Er war bekanntlich die Konsequenz des Ablebens des ohne direkte Erben gestorbenen geisteskranken Herzogs Johann Wilhelm von Jülich-Berg47. Damit stand dessen großer niederrheinischer Länderkomplex zur Disposition, der zudem in einem strategisch bedeutsamen Teil des Reiches lag, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Niederlanden, die sich in einem langdauernden Konflikt mit Spanien befanden. Schon die Vormundschaft für den kranken Herzog war unter den verschiedenen Linien, die Ansprüche erheben konnten, umstritten gewesen, so dass der Kaiser schließlich die Landesverwaltung den überwiegend katholischen Räten des Herzogs und der Herzogin übertragen hatte. Befragt man die historische Forschung der letzten Jahrzehnte, so wird man sich mit der Auskunft zufrieden geben müssen, dass diese Erbfrage juristisch eigentlich nicht zu entscheiden war. Immerhin hatten sich schon im Plauener Vertrag vom 17. Febr. 1596 die Markgrafen Johann Georg, Joachim Friedrich und Georg Friedrich von Brandenburg mit den Pfalzgrafen Philipp Ludwig und Johann bei Rhein über die Regelung der Erbfolge im Falle des Todes von Herzog Johann Wilhelm geeinigt, ohne damit freilich die sächsische oder gar kaiserliche Zustimmung gewinnen zu können. Hermann Josef Roggendorf, der 1968 eine gründliche Darstellung des Erbfolgestreits aus der Sicht des Hauses Pfalz-Neuburg vorgelegt hat, kommt zu dem Ergebnis: „Die nun plötzlich dringend zu lösende Erb frage war juristisch überhaupt nicht zu entscheiden, einmal weil es keinen Vertrag über die Nachfolge des Herzogs gab, sodann auch, weil einander widersprechende kaiserliche Privilegien vorlagen, auf die sich die Prätendenten jeweils berufen konnten". 45
Kossol hält einen Vertrag zwischen Pfalz-Neuburg, Baden Württemberg vom 29. April 1605 für die „Keimzelle" der späteren Union. Vgl. KOSSOL, Die Reichspolitik des Pfalzgrafen Philipp Ludwig (wie Anm. 37), S. 161 f. 46 Für den Verlauf immer noch grundlegend Moriz RITTER, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreissigjährigen Kriegs, Bd. 2, Stuttgart 1892, passim und Hermann Josef ROGGENDORF, Die Politik der Pfalzgrafen von Neuburg im JülichKlevischen Erbfolgestreit, in: Düsseldorfer Jahrbuch 53 (1968), S. I-XVIII, 1-211. Wichtige Quellen gesammelt in: Die Gegenreformation in Westfalen und am Niederrhein 1555— 1623. Aktenstücke und Untersuchungen, hrsg. von Ludwig Keller, 3 Bde. Leipzig 18811897. 47 Zur Geisteskrankeit Johann Wilhelms und seines Vaters vgl, Erik H. C. MIDELFORT, Mad Princes of Renaissance Germany, Charlottesville 1994, S. 132-170.
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Man wird die Frage am besten dahingehend zusammenfassen können, dass auf der einen Seite die schwachen sächsischen Erbansprüche standen, auf der anderen Seite aber die Erbansprüche, die von den vier Töchtern des Herzogs Wilhelm herrührten, die mit Mitgliedern der Häuser Brandenburg, PfalzNeuburg, Pfalz-Zweibrücken und der schon erwähnten illegitimen Tiroler Nebenlinie (Karl von Burgau) verheiratet waren. Über diesem gesamten Gewirr sich widersprechender Prätentionen schwebte freilich die kaiserliche Kompetenz, diese Erbfrage vor dem kaiserlichen Reichshofrat entscheiden zu lassen. Der entscheidende und die Entwicklung weitertreibende Punkt scheint die Tatsache zu sein, dass gerade mit diesem Gewirr von Prätentionen eine offene politische Situation entstand, die in idealer Weise die Einflussnahme einer Vielzahl von Interessenten provozieren musste, auch wenn sie - wie etwa die des Hauses Nevers - dank des französischen Einflusses chancenlos waren. Dieser Streit setzte sich nach dem Tod des Herzogs fort48, allerdings ergab sich de facto bald eine Lösung des Problems, als Herzog Ernst von Brandenburg und Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg nach dem Tod des Herzogs mit ihrer gemeinsamen schnellen Besitzergreifung des Landes ein fait accompli schufen, dies vor allem in der Absicht, eine sächsische Erbschaft oder einen Heimfall dieses Lehens an den Kaiser und damit eine langfristige Stärkung der kaiserlichen bzw. katholischen Position am Niederrhein zu verhindern, die ohnehin durch den bayerischen Besitz von Kurköln nach dem Kölner Krieg verstärkt worden war. Sie taten dies in der Gewissheit, für einen solchen Schritt die Unterstützung sowohl Frankreichs als auch der Niederlande zu haben. Aus Paris hatte ein pfälzischer Rat berichtet, dass alle Berater des Königs „aus einem Horn bliesen"49. Beide - zu diesem Zeitpunkt noch protestantischen - Fürsten nannten sich die possedierenden Fürsten und einigten sich im Dortmunder Vertrag von 1609 unter dem Mentorat Herzog Moritz' von Hessen auf eine gemeinsame Regierung des Landes unter ausdrücklicher Ablehnung einer kaiserlichen Entscheidungsbefugnis. De facto lief diese Lösung auf eine Teilung des Landes in die beiden alten Landesteile Jülich-Berg und Kleve-Mark hinaus, die erst seit 1521 zwar unter einem Herrscher vereint waren, tatsächlich aber ein starkes politisches Eigenleben mit getrennten Landständen und Räten geführt hatten.
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Die Verhandlungen in der Erbfolgesache sind inzwischen aus verschienen Perspektiven untersucht worden. So ζ. В von Hans-Jörg HEROLD, Markgraf Joachim-Ernst von Brandenburg-Ansbach als Reichsfiirst, Göttingen 1973, S. 127-148; KOSSOL, Die Reichspolitik des Pfalzgrafen Philipp Ludwig (wie Anm. 37),S. 73 ff.; Andrea LLTZENBURGER, Kurfürst Johann Schweikard von Kronberg als Erzkanzler. Mainzer Reichspolitik am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 1985, S.22-39 und GOTTHARD, Konfession und Staatsräson (wie Anm. 1), S. 61 ff. 49 Vgl. Anton GINDELY, Rudolf II. und seine Zeit, Prag 1863, S. 72.
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Die verschiedenen Versuche des Kaisers, seinen Vorschlägen zur Lösung des Streits durch Vorladung der Parteien nach Prag Geltung zu verschaffen, blieben letztlich ohne Wirkung auf die realen Verhältnisse, auch wenn der Kaiser durch seinen Stellvertreter Erzherzog Leopold, den ehrgeizigen Bischof von Passau, am Niederrhein durch die Besetzung des Festung Jülich seit dem Juli 1609 präsent war. Dadurch jedoch fühlte sich Heinrich IV. direkt herausgefordert, sowohl in seiner unmittelbaren Interessenlage gegenüber dem Hause Habsburg als auch in seiner erwünschten Rolle als Schiedsrichter im europäischen Staatensystem. Seine Absicht, in den Konflikt einzugreifen, kann angesichts des diplomatischen Vorspiels und der aufwändigen Vorbereitungen für einen Feldzug nicht bezweifelt werden. Allerdings machte seine Ermordung kurz vor seiner Abreise zum Heer dieser Interventionsabsicht ein Ende. So blieb die Angelegenheit zwischen den beiden possedierenden Fürsten offen, die alles daran setzten, den jeweils anderen keinen Vorteil gewinnen zu lassen, sondern sich vor allem um stärkere Unterstützung bei anderen Fürsten und bei den europäischen Verbündeten bemühten. Diese Bemühungen führten erstaunlicherweise 1613 zu einem Konfessionswechsel beider Fürsten. Der Brandenburger Johann Sigismund trat zum Calvinismus über - sicherlich auch, um sich damit eine stärkere Rückendeckung der Niederlande zu sichern - und der Pfalzgraf trat zum katholischen Bekenntnis über, um eine bayerische Prinzessin heiraten zu können und um sich damit natürlich die Unterstützung der katholischen Liga und Spaniens im Hintergrund zu sichern 50 . Doch vor allem die als Bundesgenossen gesuchten Niederlande und Spanien waren es, die den großen Konflikt letztlich verhinderten. Im Xantener Vertrag vom 12. November 1614 wurde unter Vermittlung der ausländischen Mächte ein Friede geschlossen, der eine Teilung der Ländergruppe vorsah, die an die bisherige Besitzregelung nahtlos anschloss. Damit begann nicht nur die brandenburgische Expansion in den Westen des Reiches, sondern der Friede sah zugleich eine bemerkenswerte Sonderregelung insofern vor, als beide Fürsten in ihrem Territorium die Duldung der jeweils anderen Konfession einräumten. Dies nahm die Prinzipien des Dortmunder Vertrags in sich auf und stellte ohne Zweifel eine in die Zukunft
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Dazu jetzt die neueren Beiträge von Eric O. M a d e r , „... wegen unserer conversion irr und Perplex gemacht". Wahrnehmungen, Darstellungen und Vorbedingungen der Konversion des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg zum Katholizismus, in: Düsseldorfer Jahrbuch 75 (2004/2005), S. 109-142; DERS., Staatsräson und Konversion. Politische Theorie und praktische Politik als Entscheidungshintergründe für den Übertritt Wolfgang Wilhelms von Pfalz-Neuburg zum Katholizismus, in: Internationale Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Ansätze und Perspektiven, hrsg. von Heidi Kugeler [u. a.], Münster 2006, S. 120-150 und DERS., Die Konversion Wolfgang Wilhelms von PfalzNeuburg. Zur Rolle von politischem und religiös-theologischem Denken für seinen Übertritt zum Katholizismus, in: Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Ute Lotz-Heumann [u. a.], Gütersloh 2007, S. 107-146.
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weisende Lösung dar, denn auf diese Weise ergab sich in den rheinischen Territorien ein in dieser Form einmaliges Nebeneinander der Konfessionen, bemerkenswert vor allem auch deshalb, weil sich hier viele calvinistische Gemeinden gebildet hatten, die in diese Regelung eingeschlossen wurden. Damit war eine weit über die Bestimmungen von 1555 hinausreichende Lösung gefunden worden, deren Würdigung nicht unterschlagen werden darf. Der mögliche große Krieg war damit noch einmal vermieden worden, doch war weit und breit kein Weg zu erkennen, wie man die verfeindeten Reichsstände wieder zu einer Zusammenarbeit im Reichstag und in den anderen Institutionen des Reiches bringen konnte. Hoffnungen wurden deshalb auf den Reichstag von 1613 gesetzt, der vor allen Dingen der sogenannten „Komposition", das heißt der Beilegung der Konflikte im Reich dienen sollte. Die Erfolgsaussichten dieses Reichstages waren aber von vornherein sehr beschränkt. Das hing zum einen mit den verhärteten kontroversen Auffassungen der beiden Parteien zusammen, die sich vor dem Reichstag noch einmal zu Sondertagungen getroffen hatten, auch dies ein Zeichen einer starken Fraktionierung der Politik im Reich. Wenn in Frankfurt die Katholiken gefordert hatten, Magdeburg kein Stimmrecht auf dem Reichstag zuzugestehen, weil damit letztlich der Fürstenrat in seiner Mehrheit protestantisch werde, forderte die Union geradewegs das Gegenteil, die Reichstagsstimme für Magdeburg. Zum anderen aber hingen die schlechten Erfolgsaussichten dieses Reichstages auch mit dem beschädigten Ansehen des führenden Mannes am Kaiserhof zusammen. Als 1612 Uhr Kaiser Rudolf II. gestorben und sein ungeliebter Bruder Matthias zum römischen König gewählt worden war, war Erzbischof Khlesl (seit 1616 auch Kardinal) zum Direktor des Geheimen Rates aufgestiegen. Er galt als ein Kompromisspolitiker zu Ungunsten der Katholiken und wurde deshalb von allen geistlichen Ständen gefürchtet. Er hatte vor der Wahl seines Herrn den Unionsmitgliedern Avancen gemacht, die natürlich nicht geheim geblieben waren, und so standen die katholischen Stände seinem Auftreten in Regensburg und seinem Bemühen um eine „Komposition" reserviert, ja misstrauisch und mit aller Vorsicht gegenüber. Tatsächlich hatte Khlesl die Aufnahme der protestantischen Stiftsadministratoren am Reichstag vorgesehen, weil er in der Verleihung des Indults keine geistliche, sondern eine politische Frage sah, fand aber für solche Ansätze kein Verständnis bei den katholischen Ständen. Über der Regensburger Szene schwebten die Drohungen der beiden Fraktionen mit ihren jeweiligen ausländischen Verbündeten. Die Protestanten weigerten sich, in Verhandlungen über eine Türkenhilfe auch nur einzutreten, wenn nicht bestimmte Voraussetzungen gegeben wären. Dazu gehörten die Restitution von Donauwörth, die Beschränkung der Rechtsprechung des Reichshofrats und die Zusicherung des Kaisers über eine Begrenzung der Mehrheit auf den Reichstagen. Zuletzt versuchte Khlesl sogar, durch einen paritätisch besetzten Ausschuss die strit-
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tigen Fragen behandeln zu lassen, doch auch dieses neue, durchaus vorwärtsweisende Mittel brachte kein Ergebnis: „Wir stunden gegeneinander wie zwei Böcke", so schrieb der brandenburgische Gesandte Abraham von Dohna am 10. Oktober, „die niemand weichen wollen". Der Reichsabschied wurde nur von den Katholiken unterschrieben und somit war für die Stabilität des Reiches nichts gewonnen, die Protestanten legten wie 1608 ihren Protest gegen den Abschied ein. Der Kurfürst von Trier beklagte die Existenz so vieler Faktionen im Reich: „Unionisten, Ligisten, Komponisten, Neutralisten, Cäsaristen, Protestanten, Korrespondenten". Der Bischof von Bamberg sah das Reich gar als einen „Körper ohne Kopf' 5 1 . Versuchen wir eine Zusammenfassung: In der Krisensituation von 1608/9 überlagerten sich mindestens vier unterschiedliche Motivlagen, die den Konflikt verschärften: Zum einen die Bemühungen der protestantischen Stände um eine Sicherung ihrer Positionen im Reich angesichts der gefühlten Bedrohung durch die causa Donauwörth, zum anderen die Absicht der katholischen Stände, die für sie bedrohlichen Zugewinne der Protestanten rückgängig zu machen; beide Parteien versuchen zugleich, ihre Positionen durch Defensivbündnisse (Union und Liga) zu stabilisieren. Drittens lädt das Machtvakuum nach dem Tode des Jülicher Herzogs zum Eingreifen des Kaisers ein, der seine Rechte als Lehnsherr durchzusetzen versucht, aber keine Anerkennung als unparteiischer Richter mehr findet. Schließlich sehen die benachbarten Mächte Frankreich und die Niederlande in den niederrheinischen Territorien eine günstige Gelegenheit, ihrem gemeinsamen spanischen Feind eine Niederlage beizubringen. Doch trotz dieser konfliktreibenden Elemente gelang es noch einmal, eine große kriegerische Auseinandersetzung zu verhindern. Den Grund wird man, sieht man einmal von der zufälligen Ermordung Heinrichs IV. ab 52 , am ehesten in der grundsätzlichen Machtferne und Konfliktscheu der deutschen Fürsten zu sehen haben, deren Neigung zu Kompromisslösungen in Binnenkonflikten des Reichs hoch entwickelt war und letztlich zu der auch historisch nahe liegenden Teilungslösung führte. Man wird sicher nicht in der Annahme fehlgehen, dass die Knappheit der finanziellen Ressourcen für kriegerische Unternehmungen zudem außerordentlich sedierend wirkte. So konnte es geschehen, dass gegen alle Erwartungen mit den Verträgen von Dortmund und Xanten friedliche Lösungen gefunden wurden.
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Die Belege nach Winfried SCHULZE, Deutsche Geschichte im 16. Jahrhundert, Frankfürt a. M. 1985, S. 192 f. 52 Dazu Henri MOUSNIER, Ein Königsmord in Frankreich. Die Ermordung Heinrichs IV., Berlin 1970.
Frankreich in der Krise der Jahre 1609/10 Von
Emst Hinrichs Die Krise des Heiligen Römischen Reichs in der Zeit Kaiser Rudolfs II. und die politische Krise des Jahres 1609/10, ausgelöst durch den Tod Herzog Johann Wilhelms von Kleve, Jülich und Berg am 25. März 1609, hatten für das Frankreich König Heinrichs IV. eine ebenso große Bedeutung wie für alle anderen, in unmittelbarer oder mittelbarer Nachbarschaft der niederrheinischen Herzogtümer gelegenen europäischen Mächte. Johann Wilhelm verstarb ohne männliche Erben, und sein seit längerem erwarteter Tod löste eine jener für das europäische Ancien Regime so typischen Erbschaftskrisen aus, die ihre Entstehung der Tatsache verdankten, dass mehrere Dynastien mit mehr oder minder gut vertretbaren Erbansprüchen vorhanden waren. Im Fall der von Johann Wilhelm in Personalunion gehaltenen Territorien Kleve, Jülich und Berg waren es nicht weniger als vier Hauptprätendenten, die ihre Ansprüche auf die Tatsache stützten, dass Mitglieder ihrer Dynastie mit dem Sohn einer Schwester bzw. mit je einer Schwester des verstorbenen Herzogs verheiratet waren: Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg, Pfalzgraf Philipp Ludwig von Neuburg, Pfalzgraf Johann von Zweibrücken und Markgraf Karl von Burgau. Wie sich zeigen sollte, traten zwei weitere Prätendenten - Kurfürst Christian II. von Sachsen auf Grund eines Privilegs Kaiser Maximilians I. und Karl Gonzaga, Herzog von Mantua, als Folge einer Einheiratung in das Klevesche Haus - im Verlauf des Streits in den Hintergrund. Auch die beiden Familien, die über die beiden jüngsten Schwestern Johann Wilhelms ins Rennen gegangen waren, schieden aus diesem bald wieder aus, so dass mit Brandenburg und Pfalz-Neuburg schließlich zwei Hauptprätendenten übrig blieben, die sich im Vertrag von Dortmund vom 10. Juni 1609 vorläufig auf eine gemeinsame Inbesitznahme des Erbes einigten und in den Quellen seitdem als die „Possedierenden" erscheinen. Für die Nachbarmächte lag die Bedeutung dieses dynastischen Ereignisses auf mehreren Ebenen. Es handelte sich zwar um keine besonders großen, dafür aber um wohlhabende Territorien, die ihren Landesherren, wenn sie denn, anders als der seit langem geisteskranke Herzog Johann Wilhelm, politisch handlungsfähig waren, im Reich und an seiner Westgrenze ein bedeutendes Ansehen und politisches Gewicht verschaffen konnten. Weitaus wichtiger war freilich am Beginn des 17. Jahrhunderts die geo-strategische und, eng damit verbunden, die konfessionsgeographische Verortung dieser
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Reichsterritorien: An der Grenze zu den nördlichen und den spanischen Niederlanden gelegen, spielte die Frage nach ihrer Einordnung in das konfessionelle Spektrum der Reichspolitik im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert eine besondere Rolle. Unter den letzten Herrschern des Jülich-Bergschen Hauses noch habsburgfreundlich, drohten die Territorien mit dem Ende der Dynastie im Jahr 1609 der katholischen Welt verloren zu gehen: Beide Hauptprätendenten waren Lutheraner, und damit traten der Kaiser und die Partei des Kaisers als Gegner ihrer Anwartschaften in den Vordergrund. Als im Juli 1609 Erzherzog Leopold, Bischof von Passau und Salzburg, in der Stadt Jülich erschien und diese im Auftrag Kaiser Rudolfs II. besetzte, den Dortmunder Vertrag zwischen den Possedierenden für ungültig erklärte und die Verwaltung der Herzogtümer übernahm, um ihre spätere Neuausgabe durch den Kaiser vorzubereiten, wurde für alle Welt deutlich, dass der Erbfall in den rheinischen Territorien keinesfalls mehr nur ein dynastisches, auch nicht nur ein konfessionspolitisches, sondern zugleich ein mächtepolitisches Ereignis war, in das neben Kaiser und Reich auch die protestantischen Reichsstände, die beiden Niederlande und die beiden Großmächte Spanien und Frankreich involviert werden würden. Durch den Dynastiewechsel, verbunden mit einem möglichen Konfessionswechsel, wurden die kleinen rheinischen Territorien zu einem zentralen Gegenstand des großen europäischen Mächte- und Gleichgewichtsspiels, von dem, wie auch zeitgenössische Beobachter empfanden, schon zehn Jahre vor Beginn des Dreißigjährigen Kriegs ein großer Flächenbrand hätte ausgehen können. Für die französische Politik im Frankreich Heinrichs IV. war die mächtepolitische Relevanz dieses Ereignisses seit langem bekannt. Nicht erst der Tod Johann Wilhelms 1609, sondern das schon seit Jahren vorhersehbare Ende der rheinischen Dynastie hatte den Blick des Königs und seiner Ratgeber immer wieder auf die drohenden Gefahren gelenkt. Ein Machtvakuum an der Nordostgrenze Frankreichs, in das von den spanischen Niederlanden und dem Reich aus habsburgische Initiativen hineinstoßen könnten, gehörte zu den außenpolitischen Bedrohungsszenarien, die dem ersten Bourbonen auf dem französischen Thron vertraut waren und gegen die er sich zu wappnen wusste. Aus diesem Grund waren Informationen über das Geschehen im Reich, enge diplomatische Kontakte zu den führenden, insbesondere den protestantischen Reichsständen, ständige Gesandtschaften ebenso wie von Fall zu Fall ernannte Sondergesandtschaften an einzelnen Höfe des Reichs, dazu ein dichtes Netz von Korrespondenzen zwischen dem französischen König und einzelnen deutschen - protestantischen wie katholischen - Reichsständen virtuos genutzte Instrumente, mit deren Hilfe man in der Umgebung des Königs nicht nur bestens informiert, sondern auch glänzend darauf vorbereitet war, im Fall einer Krise zumindest diplomatisch aktiv zu werden. Und man tat dies in dem Bewusstsein, dass Frankreich nach dem Ausgleich mit
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Spanien und nach der inneren Befriedung des Landes seit 1598 eine europäische Großmacht war, deren wichtigstes Ziel es sein musste, außenpolitische Konstellationen zu verhindern, die, wie in schlimmsten Ligazeiten, eine Einkreisung durch Spanien-Habsburg oder gar ein Eindringen Spaniens in die innere Politik Frankreichs herbeizuführen geeignet waren und, andererseits, jede außenpolitische Konstellation zu nutzen, um spanisch-habsburgischen Initiativen zu begegnen, ob unmittelbar an den Grenzen Frankreichs im Norden und im Süden, ob im Reich, ob in der Schweiz, in Savoyen oder in Italien. Dabei gilt es zu bedenken, dass Heinrich IV. nicht erst nach 1598 als französischer Außenpolitiker ins Spiel trat, der über so etwas wie eine eigene Reichspolitik verfügte. Schon als Parteiführer der Hugenotten, mehr noch im Kampf mit der französischen Liga hatte er enge Kontakte zu deutschen Reichsständen geknüpft - Kontakte, die freilich beileibe nicht durch eine dauerhafte Harmonie der beiderseitigen Interessen gekennzeichnet waren. In der gewiss nicht spärlichen französischen (und angelsächsischen) Literatur zu diesem König und seiner Zeit spielt dieser Aspekt eine beklagenswert geringe Rolle, was gewiss auch damit zusammenhängt, dass die Fülle von diplomatischen Quellen, die dazu in deutschen und französischen Archiven vorhanden sind, in Frankreich eher unbekannt geblieben ist. Vor diesem Hintergrund verdient die 2005 gedruckte Dissertation von Friedrich Beiderbeck über das Verhältnis Heinrichs IV. zu den protestantischen Reichsständen einen besonderen Hinweis, ist diese Studie doch dem gesamten Verlauf der Kontakte des ersten Bourbonen mit der Welt des deutschen Protestantismus gewidmet von der Epoche Heinrichs von Navarra als hugenottischer Parteiführer über den berühmten Straßburger Kapitelstreit bis hin zur Reichskrise am Beginn des 17. Jahrhunderts und zum Jülich-Kleveschen Erbfolgestreit am Ende seines ersten Jahrzehnts.
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Die Reichskrise und die Krise um die Erbschaft der rheinischen Territorien haben Frankreich zu einem Zeitpunkt berührt und politisch in ihren Bann gezogen, als in diesem Land selbst von Krise - zwischen 1584 und 1598 in gewisser Weise sein alltäglicher Dauerzustand - keine Rede mehr sein konnte, weder außen- noch innenpolitisch. Seit dem Frieden von Vervins (1598) war die Machtkonkurrenz zwischen der spanischen und der französischen Monarchie zwar ungebrochen, aber der akute Kriegszustand der Ligazeit war mit Hilfe dieses auf beiden Seiten durch Erschöpfung herbeigeführten Friedensschlusses einem Verhältnis wechselseitiger Wachsamkeit gewichen, das als frühneuzeitliche Normalität zwischen beiden Mächten angesehen werden konnte. Es gibt Historiker, die in diesem Zusammenhang gern den Begriff
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„kalter Krieg" benutzen, so Jean-Pierre Babelon in seiner bedeutenden Biographie von 1987 (S. 932). Die innere, an die Ligazeit anknüpfende Parteiung zwischen Anhängern und Gegnern Spaniens blieb in den französischen Eliten und am Hof virulent, doch gab es keine Anlässe und keine zielgerichteten Interessen mehr, aus dem Zustand der wachsamen Beobachtung in einen heißen Krieg überzuwechseln. Die vor allem von der Königin betriebene Verbindung beider Höfe durch eine Eheschließung des 1601 geborenen Dauphins mit einer spanischen Prinzessin wurde vom König selbst nicht gefördert, aber auch nicht hintertrieben; sie wurde zu seinen Lebzeiten nicht mehr verwirklicht, doch konnte seine hinhaltende Einstellung in dieser Frage nicht als definitive Absage an das Projekt gedeutet werden, so dass daraus keine erneute Vertiefung der Gräben erwuchs. - Dass die Fortsetzung des säkularen Kriegs zwischen Spanien und seinen ehemaligen Provinzen, den nördlichen Niederlanden, in den Augen Heinrichs IV. zu begrüßen war, konnte niemanden verwundern, der die Unüberwindbarkeit des spanisch-französischen Gegensatzes richtig einzuschätzen wusste. Es zählte zu den großen Leistungen Heinrichs IV. einzusehen, dass die Niederländer diesen Konflikt nicht auf Dauer fortsetzen konnten und wollten; diese Einsicht hatte Vermittlungsbemühungen des Königs zur Folge, die im Jahr 1609 schließlich, kurz vor dem Eintritt der Vakanz in den rheinischen Territorien, zum erfolgreichen Ergebnis eines zwölfjährigen Waffenstillstands führten. Es war ein ausgemacht „französischer" Erfolg, denn der Waffenstillstand war mit der Anerkennung der Unabhängigkeit der Niederländischen Provinzen durch den spanischen König verbunden. Auch auf den weiteren Feldern seiner Außenpolitik hat Heinrich im Jahrzehnt nach Nantes und Vervins eine Fülle von beachtlichen, wenn auch nicht spektakulären Erfolgen errungen. Charles-Emmanuel von Savoyen, je nach Lage der Dinge Partner Frankreichs oder eben Spaniens, wurde durch den kurzen Feldzug von 1600/01 zwar ohne dauerhaften Erfolg zur Ordnung gerufen, aber es gelang die Erweiterung Frankreichs um beachtliche Gebiete nordwestlich von Genf und damit zugleich eine entscheidende Einengung der Möglichkeit allfälliger spanischer Truppenmärsche durch das Gebiet des Nachbarn. - Karl III. von Lothringen, in Zeiten der Liga und der großen Guise ein strenger Gegner des protestantischen Königs, war nach der Konversion Heinrichs IV. (1593) zu einem dauerhaften Alliierten geworden, und Heinrich investierte viel, um dieses, wie die rheinischen Herzogtümer zwischen Frankreich und dem Reich gelegene Territorium, so nah wie möglich bei Frankreich zu halten; selbst die Verheiratung seiner Schwester mit Heinrich II., dem Sohn Karls, war ihm dieses Ziel wert, das gleichwohl erst im 18. Jahrhundert definitiv erreicht wurde. - Weit vorsichtiger ging der König dagegen in Italien zu Werk, wo es ihm zwar gelang, im Jahr 1606 dank glänzender Leistungen französischer Diplomaten als erfolgreicher Vermittler
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zwischen Venedig und dem Papsttum tätig zu werden, wo er andererseits jedoch zu stark von der Gunst des Papstes abhing, um die expansive antispanische Politik seiner Vorgänger seit dem späten 15. Jahrhundert wieder aufzunehmen. - Schließlich England! Kein Zweifel, dass bis zum Tod Elisabeths I. (1603) Heinrich IV. von Frankreich auch ein König von ihren Gnaden war. Die erfolgreiche Fortsetzung dieser Politik unter dem ersten Stuart gelang trotz entgegengesetzter Erwartungen des Bourbonen ohne allzu große Schwierigkeiten, nicht zuletzt dank einer glanzvollen Mission Sullys an den englischen Hof im Sommer 1603. Dass der Stuart entgegen manchen Prophezeiungen nicht katholisch wurde, war eine der Vorbedingungen für Verständnis und Kooperation zwischen beiden Monarchien. - Allenthalben also erfolgreiche Diplomatie, Ausgleich und Verständigung, Verbindungen, wachsender Einfluss mit dem Ziel, die Reputation einer Monarchie zu befördern, die auf dem Wege war, im Wettbewerb mit dem spanischen Konkurrenten dessen Nachfolge als europäischer Hegemon anzutreten. Kein Wunder, dass Heinrich IV. im Jahr 1609 bereit war, die Reichskrise an der Nordostgrenze der Monarchie offensiv zu nutzen. Ermunterung dazu kam auch aus der innenpolitischen Situation. Es ist oft dargestellt worden, auf welche Weise es Heinrich IV. von Frankreich gelungen ist, die innenpolitischen Traumata aus der Epoche der Bürgerkriege der Zeit zwischen 1584 und 1593 zu bewältigen. Einzelheiten müssen hier deshalb nicht beschrieben werden. Man kann davon ausgehen, dass das Werk der Befriedung und Versöhnung, in einem äußerlichen Sinn zumindest, um 1598 abgeschlossen war. Die hochadeligen Anführer der katholischen Partei, der Liga, waren durch einzelne Verträge auf der Grundlage hoher Geldzahlungen an die Krone gebunden worden, die Protestanten hatten, wie schon so oft zuvor, mit dem Edikt von Nantes (1598) ein Duldungsedikt erhalten, das im Gegensatz zu seinen Vorgängern vom König und seinen Beamten ernst genommen und dessen Umsetzung zumindest in den ersten Jahren sorgsam bedacht und überwacht wurde. Beide „Parteien" waren damit nicht aus der Welt, sondern jederzeit in der Lage, in alte Kampfpositionen zurückzukehren, wenn nach der Auffassung ihrer Anführer dazu Anlass bestand. Dem König und seinen Leuten war das jederzeit bewusst, und er begegnete dieser Gefahr erfolgreich, indem er sich zu einer weit über den Parteien und ihrem Führungspersonal stehenden monarchischen Position aufschwang, von der aus er die Zeit der Bürgerkriege und des massiven Einbezugs der Monarchie in die inneren Konflikte wenn nicht in Vergessenheit geraten, so doch in den Hintergrund treten ließ. Dank einer aufwendigen Herrschaftspropaganda und einer ausgefeilten Regierungstechnik gewann er der Monarchie nach 1598 Ansehen und Anhänger zurück, wie man dies nur wenige Jahre zuvor - etwa zum Zeitpunkt der Konversion des Königs (1593) - nicht für möglich gehalten hatte. Sozial gesehen stützte er sich dabei auf all jene Kräfte aus dem
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mittleren und hohen Bürgertum, aus der Robe, aber auch aus dem mittleren Adel und selbst aus dem später als „gallikanisch" titulierten Teil des katholischen Klerus, dem die neue Stärke der Monarchie willkommen war, weil er nur in ihr ein Bollwerk gegen den religiösen Bürgerkrieg sah, der Frankreich in den letzte zwei Jahrzehnten mehr oder minder dauerhaft im Griff gehalten hatte. Ganz besonders wichtig erscheint in diesem Zusammenhang, dass gerade das bis vor kurzem ligatreue Bürgertum, dem der Radikalismus des ligistischen Pariser Kleinbürgertums zuwider war, auf diesem Weg für die Monarchie zurück gewonnen werden konnte. Hinzu kam die von Tag zu Tag wachsende Schicht von Beamten (officiers) aus Justiz, Finanzen und allgemeiner Verwaltung, deren Loyalität zur Krone mit Hilfe von Ämtereigentum und Ämterkäuflichkeit gewonnen wurde. Für einen großen Teil dieser Beamten war ihr Amt in erster Linie Pfründe, erst dann, wenn überhaupt, Beruf; ihr Wert für das Königtum lag in der Loyalität der Amtsträger und in ihrem Beitrag zum Finanzsystem der Krone. Unmittelbaren Anteil an den Regierungsgeschäften Heinrichs IV. hatte nur ein extrem kleiner Kreis von Ratgebern, in der Außenpolitik im Grunde nicht mehr als jene vier bis sechs Personen, die immer wieder in den Akten erscheinen, wenn es um Rat und Entscheidung ging: der Herzog von Sully, Protestant bis an sein Lebensende, die zentrale Machtfigur in allen Fragen der Wirtschaft, Finanzen, aber auch des Heeres- und Bauwesens; neben ihm Villeroy, so etwas wie ein Außenminister, ehemaliger gemäßigter Anhänger der Liga, wie auch Sillery und Jeannin, hochkompetente Fachleute des politischen Geschäfts, deren wichtigste Aufgabe darin bestand, dem ehemals ligatreuen Teil der französischen Führungsschichten das sichere Gefühl zu vermitteln, dass es mit diesem König, dem ehemaligen Ketzer, zum Besten stand. Im breiten sozialen Spektrum der französischen Bevölkerung gab es um 1600 nur eine Kraft, der die Anpassung an das „Neue Regime" des Königs und seiner Leute schwer fiel - die hochadeligen ehemaligen Kampfgefährten des Königs, die über feste Besitz- und Herrschaftspositionen, teilweise sogar, wie der protestantische Herzog von Bouillon, über quasi-souveräne Territorien verfügten und sich nur schwer an die neuen Herrschafts- und Regierungsverhältnisse gewöhnen konnten. In der zweiten Regierungshälfte Heinrichs IV., zwischen 1602 und 1606, sah sich dieser König von drei Rebellionen bedroht, die zumindest zeitweise die Stabilität der Monarchie gefährdeten und, da zumindest in zwei Fällen spanische Einflüsse und Kontakte eine Rolle zu spielen schienen, eine gefährliche außenpolitische Wirkung entfalteten. Ähnlich wie in der Diplomatie war Heinrich IV. auch geheimdienstlich exzellent bedient und daher in der Lage, mit den drei Rebellionen ohne allzu viel Aufwand und ohne großen Gesichtsverlust fertig zu werden. Dennoch wird man sagen können, dass die „heiteren Jahre" dieses Regiments, wie Jean-Pierre Babelon sie genannt hat, erst mit der Rückführung Bouillons in
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den Gehorsam seines Königs im Jahr 1606 begannen. Dies hing auch damit zusammen, dass die inneren Wiederaufbauarbeiten in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht, das Werk seines bedeutendsten Ministers, des Herzogs von Sully, erst jetzt allmählich Früchte zu tragen begannen. Frankreich, inzwischen seit fast zehn Jahren ohne großes Kriegsengagement und daher ohne massive Neuverschuldung, begann ab 1606 auf den verschiedensten Ebenen eine Normalität kennenzulernen, die es seit den Tagen König Heinrichs II. nicht mehr gegeben hatte. Nach innen konnte das Land als beruhigt gelten, selbst der französische Protestantismus, einst die am heftigsten politisierte Bevölkerungsgruppe des Landes, beugte sich trotz vielfacher Unzufriedenheit unter das Regime des Edikts von Nantes; nach außen stand das Land unangefochten da, der Weg, den das Königtum wies, deutete auf europäische Hegemonie.
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Dies war die außen- und innenpolitische Situation des Jahres 1609, als Frankreich von den Auswirkungen der Reichskrise und des Streits um die Nachfolge in den rheinischen Herzogtümern berührt wurde. Wie schon gesagt, das Königreich befand sich in keiner wie auch immer gearteten Krise mehr, und die Art und Weise, wie Heinrich IV. mit den Ereignissen im Reich umging, zeigt, dass er sich in seiner beschriebenen Position als führende politische Kraft in Mittel- und Westeuropa dazu berufen fühlte, in das Geschehen einzugreifen, möglicherweise auch in Gestalt militärischer Operationen. Im kleinen Rat des Königs herrschten dazu geteilte Meinungen. Zwar sah jeder die Virulenz des Geschehens, insbesondere seit der Besetzung Jülichs durch Erzherzog Leopold als Beauftragten des Kaisers am 23. Juli 1609. Mit Leopold stand Habsburg in den Augen der Franzosen Gewehr bei Fuß, auch wenn der Kaiser sich auf dem Gesandtschaftswege intensiv darum bemühte zu zeigen, dass eine Usurpation der rheinischen Herzogtümer nicht in seiner Absicht läge, er vielmehr als Lehnsherr der verwaisten Territorien sich um deren Verwaltung kümmern müsse und deshalb kein Anlass für eine Einmischung Frankreichs in die inneren Angelegenheiten des Reichs bestehe. Durch das energische Auftreten Leopolds in Jülich freilich war in den Augen der Franzosen, vor allem auch des Königs selbst, die Affäre, die sich ohne einen solchen Schritt des Kaisers möglicherweise auf diplomatischem Wege durch eine Einigung der beiden Possedierenden schnell hätte beilegen lassen, zu einer Angelegenheit der europäischen Mächte- und Gleichgewichtspolitik geworden. Trotzdem riet Villeroy, und in seinem Schatten auch Sillery und Jeannin, zu bedächtigem Vorgehen und verwies auf Italien als das eigentliche Feld der Außenpolitik, auf dem der König etwas zur Verbesserung der französischen Position gegenüber Spanien tun müsste. Ganz anders dagegen
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Sully; er scheint dem König ohne Einschränkung zu einer Kriegsaktion zugunsten der Possedierenden und damit zum Ausbau der Stellung Frankreichs in der Auseinandersetzung mit Spanien und Österreich geraten zu haben. In seinen lange nach dem Tod des Königs verfassten Memoiren hat der Herzog, wie bekannt, sehr weitgehende Äußerungen zu den Plänen Heinrichs IV. und zu seinen Gesprächen mit dem König über die zukünftige Neuordnung der europäischen Politik unter französischer Vorherrschaft getan (Grand Dessein). Diese in der frühen Richelieu-Zeit verbreiteten Ideen scheinen im Wesentlichen auf Sully persönlich zurückzugehen und nicht auf den König, der sehr selten Einblick in seine Planungen gegeben hat und für den Spekulationen wie die Sullys besonders untypisch waren. In einer anderen Hinsicht freilich konnte sein Minister ihm sehr konkret dienen. Er konnte ihm zeigen, dass Frankreich für einen Krieg glänzend gerüstet war. Und das lag daran, dass der Herzog, mit kräftiger Unterstützung des Königs, in den „heiteren Jahren" Frankreichs eine für die Zeit hochmoderne, gut gerüstete Armee zusammen gebracht hatte, die er dem König 1609 für einen Waffengang an der Westgrenze des Reichs oder anderswo zur Verfügung stellen konnte. Und es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der König mit ganzem Herzen hinter den militärischen Planungen seines Ministers stand. Allerdings - was hat er militärisch genau gewollt? Über diese Frage gibt es in der Forschung seit langem sehr unterschiedliche Auffassungen. In der Biographik zu diesem König spielt die Situation in Düsseldorf und Jülich, wie schon angedeutet, eine eher untergeordnete Rolle, während sehr viel von Heinrich II. von Condö-Bourbon und seiner Gemahlin Charlotte von Montmorency die Rede ist. In der Tat war es nicht nur die Jülich-Klevesche Erbfolgefrage, die den Blick des Königs am Ende des Jahres 1609 nach Norden streifen ließ. Seine im Januar entfachte Leidenschaft für die fünfzehnjährige Charlotte von Montmorency, die zweite Tochter des Connetable, die ganz im Henri-IV-Stil von ihm selbst im Mai 1609 betriebene Verheiratung Charlottes mit dem ersten Prinzen von Geblüt, seinem zwanzigjährigen Großneffen Heinrich von Condö-Bourbon in der Hoffnung, sie auf diese Weise nah bei sich am Hofe halten zu können, die Flucht Condös und seiner Frau Ende 1609 an den Brüsseler Hof und damit in den engen Dunstkreis der spanischen Politik, die den alternden, unter häufigen schweren Gichtanfällen leidenden König mächtig in Rage und vor allem gegen Condö aufbrachte, weil dessen Platz als erster Prinz von Geblüt ohne Wenn and Aber am französischen Hof war, den er ohne Genehmigung seines Souveräns keinesfalls verlassen durfte das alles war einerseits große Oper, bestes Hoftheater, geeignet, sich in Gesandtenberichten und im Klatsch von Hof zu Hof ganz weit in den Vordergrund zu drängen; andererseits scheint Heinrich IV. keinem seiner Ratgeber gegenüber ausgeschlossen zu haben, dass Sullys Rüstungsanstrengungen nicht vielleicht doch dem Ziel dienten, nicht oder zumindest nicht nur nach
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Deutschland, an den Rhein zu ziehen, um den protestantischen Reichsständen beizustehen, sondern auch und vielleicht sogar zuerst nach Brüssel, um den widerborstigen Prinzen in die Botmäßigkeit zurückzuholen. Es ist das große Verdienst der erwähnten Studie von Friedrich Beiderbeck, in dieser Frage für wichtige Klarstellungen gesorgt zu haben. Der alternde König mag der Schürzenjäger geblieben sein, der er immer gewesen war, er mag sich durch die junge Fürstin von Condö noch einmal trotz der Lasten des Alters, der Gicht und der drohenden Impotenz zu besonderen Leistungen haben herausfordern lassen, um auf diesem Weg unter anderem auch die Unverschämtheiten seiner letzten, „dienstunwillig" gewordenen Mätresse aus dem Hause Entragues aus dem Gedächtnis zu streichen, er mag schließlich immer wieder voll Wut über das Verhalten seines Großneffen an die Beleidigung seiner maiestas durch dessen Ungehorsam gedacht haben - diese ihn zweifellos beschäftigenden Diversionen können aber nicht der Grund für seine Kriegsrüstungen gewesen sein. Dieser tritt vielmehr deutlich aus der Korrespondenz und den Gesandtschaften im Zusammenhang mit der Gründung der Union (1608) der Protestanten im Reich und im weiteren Verlauf mit den einzelnen Mitgliedern dieser Union hervor. Hier wird, neben dem stürmischen Herzog von Sully und den vorsichtigen Ratgebern und Ministern Villeroy, Sillery und Jeannin, ein König sichtbar, der trotz aller Krankheiten und Ablenkungen höfischer Art sehr machtbewusst, sehr konsequent und ohne jeden Respekt vor dem Kaiser, nach dessen Amt auch er, wie manch Vorgänger und Nachfolger, gelegentlich schielte, an die strategischpolitischen Chancen dachte, die der Konflikt um Kleve und Jülich bot. Dabei war es für die französischen Diplomaten nicht ganz einfach, in Übereinstimmung mit den deutschen Reichsständen zu gelangen. Man musste einerseits lernen, dass der Ruf nach einem ausländischen Fürsten für viele Reichsfürsten selbst wenig attraktiv war: Welche Folgen würde es auch für sie selbst haben, wenn Heinrich IV. an der Spitze eines Heeres von dreißigtausend Mann im Reich einmarschierte? Auf der anderen Seite war für viele, auch protestantische Reichsstände, die Bindung an Kaiser und Reich ein hohes Gut, das sie nicht leichtfertig durch einen regelrechten Verrat gefährden wollten. Vielmehr war man auf reichsständischer Seite beim Gedanken an die Folgen und an die kaiserliche Achtandrohung „von Unbehagen geplagt" (Beiderbeck, 408). Mit anderen Worten: Heinrich IV. und seine Diplomaten mussten zunächst einmal lernen, dass die protestantischen Reichsstände, gerade auch die Possedierenden, keinesfalls zu entschlossenem Handeln bereit waren. Die gesamte Zeit zwischen dem Dortmunder Vertrag (Juni 1609) und dem Ausgang des Jahres stand für die französische Seite unter dem Zwang, die zögerlichen Beamten und Fürsten auf deutscher Seite zu beeinflussen, zu überzeugen, zu überreden, ohne dass das zu durchschlagendem Erfolg führte.
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Eine Änderung trat hier erst ein, als die protestantische „Union" ins Spiel kam. 1608 gegründet, begriff auch sie sich in vergleichbaren Fragen in erster Linie als Defensivbündnis, Verhandlungen über ein Bündnis mit Frankreich gehörten für sie nicht zu ihren Aufgaben. Doch bekamen für sie weit mehr, als für die Possedierenden, Reichsangelegenheiten schnell eine wachsende Bedeutung. Die Offensive des forschen Erzherzogs Leopold und der Eintritt regelrechter Kampfhandlungen zwischen dem kaiserlichen Beauftragten und Truppenverbänden der Possedierenden wurden, in Verbindung mit der Gründung der katholischen „Liga", als Ausdruck für die Tiefe der Reichskrise gedeutet und als politische Zwangssituation, die nun auch nach einer Ausweitung der Strategie auf protestantisches Seite rief. Der schon bestehende Kontakt zwischen Frankreich und der „Union" wurde intensiviert. Heinrich IV. fand in der „Union" zum ersten Mal einen adäquaten Partner jenseits des Rheins und hofierte ihn entsprechend. Dabei kann nach den von Beiderbeck ausgewerteten Dokumenten keine Zweifel daran bestehen, dass der König, wenn die protestantischen Reichsstände und die Possedierenden ihn denn riefen, an ein Bündnis zur Sicherung der Ansprüche Brandenburgs und PfalzNeuburgs dachte, nicht aber an Eroberungen für Frankreich. Über die regionale Streitfrage um die Erbfolge in Jülich-Kleve-Berg hinaus dachte der König an die Möglichkeit einer weiteren grundsätzlichen Konfrontation mit Habsburg-Spanien, und zwar nicht nur an der Westgrenze des Reichs, sondern auch in den Spanischen Niederlanden, in Savoyen und in Italien. Der erste Schritt sollte in Jülich stattfinden, wo, so war Ende 1609 die Meinung bei den Franzosen wie in der „Union", der Erzherzog unbedingt vertrieben werden müsste. Auf dem zweiten Unionstag von Schwäbisch-Hall, der im Januar und Februar 1610 stattfand, wurde dann am 3. Februar 1610 der Vertrag von Schwäbisch-Hall geschlossen, Grundlage des nun nahe bevorstehenden Kriegseintritts Frankreichs. Hier trat auf Seiten der „Union" der kurpfälzische Heerführer und Politiker Christian von Anhalt hervor; im Auftrag seines Landesherrn und im Benehmen mit Heinrich IV. leistete er „einen großen Teil der notwendigen Überzeugungsarbeit" (Beiderbeck, 428). Wir haben also mit dem Heinrich IV. des Jahres 1609/10 einen machtbewussten und handlungsbereiten König und Heerführer vor uns, der den Streit um Jülich-Kleve-Berg entschieden im Sinne der französischen Staatsräson zu nutzen gedachte. Wie weit er dabei zu gehen bereit war, an welchen Stellen seines Territoriums bzw. der Nachbarstaaten er weitere antispanische Aktionen plante, ob gar Spanien selbst von den Pyrenäen aus oder in den spanischen Niederlanden bedroht werden sollte, ist nicht bekannt; denn der König hat sich dazu nicht geäußert; selbst seine engsten Berater waren hier auf Spekulationen angewiesen. Wie bekannt, war auch der weitere Verlauf der Geschichte nicht dazu geeignet, Aufklärung zu bieten. Der König wurde unmittelbar vor seinem Abmarsch zum Heer, am 14. Mai 1610, in Paris ermordet.
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Alle möglicherweise weitgehenden Planungen, die in eine umfassende europäische Krise hätten führen können, fielen in sich zusammen. Erstaunlicherweise reagierte Frankreich verhältnismäßig gelassen, krisenhaft wurde die Situation an Hof und Regierung erst drei bis vier Jahre später. Heinrichs geniale Idee, Maria von Medici vor seinem Abmarsch zum Heer zur Regentin ernennen zu lassen, hat gewiss dazu beigetragen. Sie Ubernahm das Personal des Königs, selbst Sully blieb noch ein Jahr im Amt. Und auch das Verhältnis zu den protestantischen Reichsständen blieb erhalten. Gemäß den Verabredungen im Vertrag von Schwäbisch-Hall nahmen französische Truppen an der Belagerung von Jülich teil, das schon am 1. September 1610 kapitulierte. Danach freilich zogen sich die Franzosen zurück. Die Regentin, die in den ersten drei Jahren eine erstaunlich Führungsfähigkeit zeigte, war gewiss nicht bereit, weitgehende antispanische Planungen zu verfolgen, im Gegenteil. Schon seit längerem konzentrierten sich am Hof um sie herum jene Ratgeber und Funktionsträger, die zur pro-spanischen „Fraktion" gehörten. Maria von Medici kam ihnen weit entgegen, indem sie 1612 die manages espagnols feiern ließ - die Verehelichung Ludwigs XIII. mit der Infantin Anna und der Prinzessin Elisabeth mit dem zukünftigen König Philipp IV. Von Heinrich IV. hatten die Spanier eine Zusage zu einem solchen Projekt nie erhalten, und vor dem Hintergrund dessen, was den König im Zusammenhang mit dem Jülich-Problem umgetrieben hatte, lässt sich leicht vorstellen, warum. Maria von Medici leitete damit eine zwar nicht abrupte, aber deutliche Wandlung der französischen Außenpolitik ein, die nur deshalb in der Forschung nicht ihren angemessenen Platz erhalten hat, weil Heinrich IV. zuvor keine Gelegenheit hatte, seinen neuen Kurs gegenüber Spanien zu demonstrieren. Was nach der Ermordung Heinrichs IV. geschah, war eine Wiederbelebung der pro-spanischen Kräfte in der französischen Politik und Gesellschaft, Kräfte, die, so zeigte es unter anderem die politische Publizistik, mit der Tat Ravaillacs vermutlich nicht ganz unzufrieden waren. Ravaillac, der Mörder, hat sich nach Aussagen aus seinem Geständnis vor allem durch die Bereitschaft des Königs zu seiner Tat motivieren lassen, nun erneut für die Protestanten und gegen die Spanier und den Papst ins Feld zu ziehen. Wenn es tatsächlich sein „rationales" Handlungsziel war, eine Wende in der französischen Außenpolitik herbeizuführen, hat er es erreicht. Erst zwanzig Jahre später, unter Richelieu, kamen die außenpolitischen Ideen Heinrichs IV. in Frankreich wieder zum Tragen.
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Summary The Jülich-Kleve Succession Crisis affected France at a time when the country under the leadership of Henry IV - after the termination of numerous domestic conflicts - was prepared and in a position to engage itself in the battle among the European powers for European hegemony. Henry IV did not hesitate to signal the Protestant German territories that he was prepared to stand by them in their fight against the Emperor Rudolf and Habsburg. After long negotiations with the Protestant pretender to the succession of JülichKleve, the King finally sent his army, newly deployed by his minister Sully, towards the Rhine. Before he could join his army himself he was murdered in Paris in May 1610. Hence the great new approach in France's foreign politics on the way to winning hegemony in Europe, failed. The French army retreated back to France, after the successful siege and capitulation of Jülich, the country's politics under the regency of Henry IVs spouse instantly steered towards a pro-Spain course that was only changed under Richelieu twenty years later.
Bibliographie (Auswahl): Eine relativ umfassende Auswahlbibliographie bei Ernst HINRICHS, Heinrich IV., in: Französische Könige und Kaiser der Neuzeit, 1498-1870, hrsg. von Peter C. Hartmann, 2München 2006, S. 459 ff. Es folgen Titel, die für diesen Aufsatz benutzt, wenn auch nicht unbedingt zitiert wurden: Alison Deborah ANDERSON, The Jülich-Kleve Succession Crisis (16091620). Α Study in International Relations, Urbana 1992. Jean-Pierre BABELON, Henri IV, Paris 1987. DERS., Henri IV. Lettres d'amour et öcrits politiques, Paris 1988. Friedrich BEIDERBECK, Zwischen Religionskrieg, Reichskrise und europäischem Hegemoniekampf. Heinrich IV. von Frankreich und die protestantischen Reichsstände, Berlin 2005. J. Michael HAYDEN, Continuity in the France of Henry IV and Louis XIII. French Foreign Policy, 1598-1615, in: Journal of Modern History 45 (1973), S. 1-23. Edmund H. DIKERMAN, Henry IV and the Juliers-Cteves Crisis. The Psychohistorical Aspects, in: French Historical Studies 8 (1974), S. 626-653. Janine GARRISON, Henri IV, Paris 1984. Ernst HINRICHS, Fürstenlehre und politisches Handeln im Frankreich Heinrichs IV., Göttingen 1969. Roland MOUSNIER, L'Assassinat d'Henri IV. 14 mai 1610. Paris 1964.
Das „Spanische Niederland". Zum zwölfj ährigen Waffenstillstand mit den Vereinigten Provinzen 1598-1609 Von
Hugo de Schepper
Die Militärische Situation 1590-1621 (Karte nach Geoffrey Parker, Van Beeldenstorm tot Bestand, Haarlem 1978, S. 221) • Stadt, die in die Hände der Vereinigten Provinzen fiel, mit Datum der Eroberung @ Stadt von den Vereinigten Provinzen erobert, aber später wieder in spanischen Händen Front- und Waftenstillstandslinie, 1607-1621 — Linie der 1605/1606 erbauten Redouten [Grau] Fürstbistum Lüttich
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Als König Philipp II. von Kastilien und des übrigen Spanien schließlich den Bankrott seiner Niederlande-Politik, hinsichtlich einsah, beschloss er am 10. September 1597, die Souveränität über das burgundische Erbe seines Vaters Karl V. unter Bedingungen erblich an seine Tochter, die Infantin Isabella (geb. 1566), zu übertragen. Diese wiederum sollte sich mit ihrem Vetter Kardinal-Erzherzog Albrecht von Österreich (geb. 1559) vermählen, der seit Anfang 1596 Generalstatthalter zu Brüssel war. In der Errichtung eines unabhängigen niederländischen Staats sah der König ein Mittel, um die provincias rebeldes wieder mit den versöhnten und/oder unterworfenen Landesteilen, den sogenannten provincias obedientes, zu vereinigen und den Frieden mit Frankreich zu beschleunigen. Im Norden Europas zwei Kriege zur gleichen Zeit zu führen, war für Spanien zumindest einer, wenn nicht sogar zwei zuviel. Sofort nach Erhalt der Abtretungserklärung lud Albrecht die Abgesandten ausdrücklich aller Siebzehn Provinzen zur Versammlung der Generalstaaten zur feierlichen Verlesung der königlichen Entscheidung und der gegenseitigen Eidesleistung ein. Es sollte die erste legale Sitzung der Generalstaaten werden seit einem Vierteljahrhundert1. Die vorsichtige Freude über die persönliche Anwesenheit eines Souveräns auf eigenem Boden und die angeblich erneute Chance für eine Versöhnung mit den aufständischen Landesteilen „pour pouvoir reunir et röjoindre l'Estat en sa premiere forme et grandeur" überwogen2. Am 21. August 1598 um drei Uhr nachmittags wurde die feierliche Zusammenkunft der Generalstaaten im Großen Saal des Palasts auf dem Koudenberg in Brüssel mit dem Einzug des Kardinal-Erzherzogs und einer langen Reihe von höfischen Würdenträgern, Rittern des Goldenen Vlies und Mitgliedern der Regierung eröffnet. Nicht gänzlich unerwartet blieben die Bänke der „rebellischen" Provinzen, freilich zur Enttäuschung der Anwesenden, unbesetzt3. Kurz darauf starb Philipp II. (13. September 1598). Ihm folgte als König von Spanien sein Sohn Philipp III., ein Halbbruder Isabellas. * Für die Übersetzung ins Deutsche danke ich meinem ehemaligen Doktoranden Stefan Gropp aus Oer-Erkenschwick, der 2001 mit der Arbeit „Die städtische Münzprägung zu Deventer und Nijmegen, 1528/43-1591. Städtischer Partikularismus gegen Habsburger Zentralismus in den östlichen Niederlanden" promoviert wurde. 1 Die letzte legale Versammlung der Generalstaaten datiert vom 6. Juni 1574. Siehe Gustaaf JANSSENS, Brabant in het verweer. Loyale oppositie tegen Spanje's bewind in de Nederlanden van Alva tot Farnese, Heule 1989, S. 215-221. 2 Ζ. B. Geheimrat an Philipp II., 12. Dez. 1597, Algemeen Rijksarchief Brüssel [Abk. ARB.], AudiSntie [Abk. Aud.], Nr. 619, f. 134-135. Siehe Briefe von Philipp II., 10. Sept. 1597, an die Provinzialstaaten, ebd., f. 72 ff. und an den Geheimrat, ARB., Geheime Raad. Registers, Nr. 681, f. 41. 3 Relation des particularitez et ceremonies passees ä Bruxelles, 14.-24. Aug. 1598, ARB., Aud., Nr. 619, f. 469-484; avvisi, Antwerpen 18. und 28. Aug. und 10. Sept. 1598, Biblioteca Vaticana. Codices Urbinates Latini [Abk. BVAT., Urb. Lat.], Nr. 1066, f. 637, 652 und 673. Siehe Robert WELLENS, Les Etats G6neraux de Bruxelles en 1598 et la cession des Pays-Bas aux Archiducs Albert et Isabelle, in: Cahiers Bruxellois 23 (1978-1981), S. 23-34.
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Nach Abschluss der Staatenversammlung verließ der Kardinal-Erzherzog das Land, um die Infantin zu ehelichen und sie in die Niederlande zu bringen. Auch aufgrund des freundlichen Auftretens der Braut erwartete das Ehepaar fast ein Jahr später ein glanzvoller Empfang, Isabella als domina et princeps proprietaria und Albrecht als maritus et tutor4. Die Erzherzogin Isabella hegte die Illusion, dass die rebellischen Provinzen sich spontan unterwürfen, um sich in ihren Dienst zu stellen5. Im Vergleich zur Regierung Philipps II. könnte jedermann sofort mit eigenen Augen sehen, dass sich etwas geändert hatte. Alle Anordnungen und andere offizielle Dokumente trugen seit der Machtübergabe Namen und Titel der beiden Erzherzöge, und der silberne Nieuwe Nederlantsche Gulden, der dem Rechnungsgulden gleichgestellt war, zeigte ihr Bildnis6. Prinz Philipp Wilhelm von Oranien, der älteste Sohn des im Auftrag Philipps II. zu Delft ermordeten Wilhelm von Oranien, sowie andere hochangesehene niederländische Edelleute wurden zu Mitgliedern des Staatsrates ernannt, formell das höchste Regierungsgremium neben Isabella. P r ä l i m i n a r i e n . Seit Beginn des niederländischen Bürgerkriegs im Jahre 1568 waren für die legale Regierung Verhandlungen mit den Rebellen das alternative Mittel, um eine religiöse und politische Versöhnung zustande zu bringen und die Einheit aller niederländischer Provinzen unter ihrem natuurlijke prince wiederherzustellen: eine Politik der Befriedung durch Verhandlungen neben einer Politik der militärischen Unterwerfung. Der größte Erfolg der königlichen Friedensbemühungen war der Vertrag von Arras (1579) gewesen. Die provisorische wallonische Staatenregierung wandte sich vom Aufstand und seinem revolutionären politischen System ab, gerade in dem Augenblick, als die rechtmäßige Regierung des Landesherrn Philipp II. lediglich noch die Kontrolle über zwei vollständige Provinzen hatte, nämlich Luxemburg und Namur. Die wallonischen Staaten würden sich mit dem König und der römisch-katholischen Landes- und Zwangskirche versöhnen, unter der Bedingung der Gewährung bestimmter öffentlich-rechtlicher Zugeständnisse zugunsten der Volksvertretung und des Abzugs der fremden Truppen und Beamten aus dem Land7. 4
Margit TH0FNER, Domina & Princeps proprietaria. The Ideal of Sovereignty in the Joyous Entries of the Archduke Albert and the Infanta Isabella, in: Albert & Isabella, 1598— 1621. Essays, hrsg. von Werner Thomas and Luc Duerloo, Briissel/Leuven 1998, S. 55-66, bes. S. 55-61. 5 Arie Th VAN DEURSEN, Maurits van Nassau, 1567-1625. De winnaar die faalde, Amsterdam 2000, S. 159. 6 Recueil des ordonnances des Pays-Bas. Regne d'Albert et Isabelle, 1598-1621, Bd. 1, hrsg. von Victor Brants, Brüssel 1909; Les ordonnances monötaires du XVII™ siecle, 1598-1700, hrsg. von Victor Brants, Brüssel 1914, S. 1-37. 7 Bernardo Jos6 GARCIA GARCIA, La Pax Hispänica. Politica exterior del Duque de Lerma, Leuven 1996, S. 48-49; Violet SOEN, Geen pardon zonder Paus!, Brüssel 2007. Siehe Carel Hendrik Theodoor BUSSEMAKER, De afscheiding der Waalsche gewesten van de
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Nach ein paar Jahren war von den königlichen Garantien jedoch keine Rede mehr. Unter anderem kamen auch die „spanischen" tercios zurück, so dass sie im Jahre 1583 unter dem Befehl von Generalstatthalter Alexander Farnese, Prinz - später Herzog - von Parma, eine Offensive gegen die Provinzen, die den Aufstand in der Utrechter Union (1579) fortführten, beginnen konnten. Die Offensive dauerte bis 1589 an, wobei Städte in Brabant und Flandern mit dem umliegenden Land ebenso wie die östliche Peripherie der Niederlande vor Farneses reconquista kapitulieren mussten. Die Bestimmungen des Versöhnungsvertrags mit den wallonischen Provinzen wurden in die Kapitulationsvereinbarungen mit den unterworfenen Gebieten nicht mehr aufgenommen8. In jenen Jahren verließen viele Zehntausende um des Geldes willen oder aus Glaubensgründen die betroffenen Landesteile, um sich hauptsächlich in holländischen und seeländischen Städten niederzulassen, wo eine wirtschaftliche Belebung eingesetzt hatte9. Nicht zu Unrecht hatte der Antwerpener Bürgermeister Marnix van Sint Aldegonde während der der Kapitulation vorangehenden Verhandlungen mit den Beratern des Generalstatthalters Parma deren Bereitschaft bemerkt, die Befriedung der Niederlande auf der Basis der Vrijheid van Conscience voranzutreiben. Alexander Farnese hatte eingesehen, dass die Lösung der Glaubensfrage filr die Rebellen höchste Priorität hatte. Die niederländischen Staatsräte an der Seite des Generalstatthalters waren geneigt, den Protestanten zwar keine Glaubensfreiheit, jedoch sehr wohl Gewissensfreiheit zuzugestehen, als eine Möglichkeit für andersgläubige Einzelpersonen, ihren Glauben diskret auszuüben. Mehrfach hatte Parma König Philipp II. von diesem Weg zu überzeugen versucht als Schlüssel zu Versöhnungsverhandlungen mit den provinces rebelies. Der König war davon jedoch wenig begeistert. Aufgrund seiner Weigerung, das Prinzip der Gewissensfreiheit auch nur in Erwägung zu ziehen, hatte sich bereits 1579 der Monate andauernde Kölner Pazifikationstag festgefahren. Auch spätere Vermittlungsbemühungen, Generale Unie, 2 Bde., Haarlem 1895-1896 und über die öffentlich-rechtlichen Bedingungen Hugo DE SCHEPPER, Hervorming van de Kollaterale Raden als voorwaarde tot de Waalse ,Reconciliatie' in 1578/79, in: Bijdragen voor de Geschiedenis der Nederlanden 20(1965), S. 1-25. 8 L6on VAN DER ESSEN, Alexandre Farnese, prince de Parme, gouverneur-genöral des Pays-Bas, 1545-1592, 5 Bde., Brüssel 1933-1937: Bd. 2, S. 208-219, Bd. 3, S. 49-51 und 89—216, Bd. 4, S. 135-136 und passim; Hugo DE SCHEPPER, Consecuencias politicas e institucionales de la Guerra de Flandes, 1577-1648, in: 1585: Op gescheiden wegen/On separate Paths, hrsg. von Jan Craeybeckx [u. a.], Leuven 1988, S. 3-34, bes. S. 3-10. 9 Alfons K. L. THIJS, De Contrareformatie en het economische transformatieproces te Antwerpen na 1585, in: Bijdragen tot de geschiedenis, bijzonderlijk van het aloude hertogdom Brabant 70 (1987), S. 97-124; Paul Μ. M. KLEP, Religious War in the Low Countries. Some observations on long-term effects of boundary drawing, 16th-17th centuries, in: Historia у Humanismo, hrsg. von Jesiis Maria Usumäriz Garayoa, Bd. 1, Pamplona 2000, S. 131-146.
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unter anderem des dänischen Königs Friedrich II. und Kaiser Rudolfs II., waren an dieser Frage gescheitert10. Nachdem sie Philipp II. 1581 der Herrschaft für verlustig erklärt hatten, wollten die aufrührerischen Generalstaten im Übrigen nicht mehr mit dem spanischen König oder seiner Regierung in Brüssel verhandeln. Am 14. April 1595 ließ sich Graf Moritz von Nassau, Oberbefehlshaber der Armee und eine Art „Staatsdirektor" der gheiinieerde provintien, gegenüber zwei inoffiziellen Botschaftern der hochadeligen Staatsräte zu Brüssel vernehmen: „Nur mit den Staaten der katholischen Niederlande können wir verhandeln". Die Befürworter einer friedlichen Regelung im Brüsseler Staatsrat hatten damit keine Probleme und waren bereit, ohne den König mit dem aufständischen Regime zu verhandeln. Aber in Den Haag wurde schnell bekannt, dass „ne se faict rien que du sceu, par advis et conseils des ministres Espagnolz". Philipp II. verbot das Manöver, und die Pazifisten mussten das königliche Veto akzeptieren. Die Verhandlungen der neunziger Jahre scheiterten erneut oder kamen erst gar nicht vom Fleck11. Vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Tiefpunkts, womit das „spanische Niederland" seit den achtziger Jahren konfrontiert war, erklang der Ruf nach Frieden selbstverständlich umso lauter, als nach der erneuten Wende in der internationalen Politik Philipps II. immer deutlicher wurde, dass die militärischen und finanziellen Mittel zur Rückeroberung der aufständischen Gebiete nicht ausreichten. Aber in der Haltung des Königs selbst war wenig oder überhaupt keine Entwicklung auszumachen. Der König und seine consejos und juntas in Spanien boten zwar stets Gnade und Frieden an, jedoch nur unter der Bedingung, dass sich die aufständischen Provinzen der Souveränität der spanischen Habsburger und der Katholischen Kirche unterwürfen. Auch die Vorschläge zur Wiedereingliederung in het ghemeyne vaderlandt, die von den loyalen Staaten ausgingen, setzten die Anerkennung Philipps II. als Landesherrn voraus. Allenfalls könnte man über die Randbedingungen seiner Macht reden. Die Generalstaaten der rebellischen Landesteile interessierten sich jedoch nicht mehr für eine Diskussion über Inhalt und Umfang der Souveränität des Königs als Fürst der Niederlande. Die Staaten hatten sich selbst die Souveränität angemaßt. Sie erließen widerrechtlich Anordnungen und führten Verwaltungsakte durch, die nach Recht und Brauch ausschließlich dem Landes-
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Willem Jan Marie VAN EYSINGA, De wording van het Twaalfjarig Bestand van 9 april 1609, Amsterdam 1959, S. 35; Johannes ARNDT, Das Heilige Römische Reich und die Niederlande, 1566 bis 1648, Köln [u. a.] 1998, S. 63-66, 80-81. 11 Bericht der nach Den Haag geschickten Brabanter Ratsherren Liesveit und Maes, 14. Apr. 1595, ARB., Aud., Nr. 489/2, s.f.; Jacob van Malderen, nach Den Haag geschickter Beauftragter, an den Marquis de Havre, Staatsrat, 14. Juni 1595, ebd., s.f.
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herrn vorbehalten waren12. Wie dem auch sei, von seiner Restauration konnte keine Rede mehr sein! Die Bedingungen der Aufständischen implizierten seitdem die international anerkannte Autonomie als Basis für Gewissensfreiheit und andere politische Freiheiten, so wie diese in der Pazifikation von Gent (1576) und der Utrechter Union (1579) festgelegt worden waren. Die Bedingungen auf religiösem Gebiet wurden weiter zugespitzt auf Glaubensfreiheit für die reformierte Konfession als einzige öffentliche und privilegierte Kirche und lediglich Gewissensfreiheit für die übrigen Religionen. Für Moritz von Nassau war der niederländische Krieg, mehr noch als für seinen Vater, hauptsächlich ein Glaubenskrieg13. Dank der diplomatischen und mehr oder weniger offenen finanziellen und militärischen Hilfe Frankreichs und Englands, beide Feinde der spanischen Monarchie, war es den aufständischen Landesteilen seit 1588 gelungen, eine pragmatisch zu Stande gekommene Staatsform ohne Monarchen zu einer damals extravaganten - Republik der Vereinigten Provinzen zu schmieden. Hinsichtlich des anfänglichen Dilemmas, wer Souverän sein sollte, die Generalstaaten oder die Provinzialstaaten, hatte sich die Situation zwischen 1579 und 1588 zugunsten der letzteren verschoben, wobei das politische System gleichzeitig bürgerlich-aristokratische und demokratische Elemente in sich vereinigte14. Als Folge der Gegenoffensive Moritz von Nassaus nach der Umorientierung der internationalen Politik Philipps II. waren Ende der neunziger Jahre alle Landesteile nördlich des Moerdijk sowie Seeland südlich des Moerdijk in den Händen der Republik. Damit zählte sie sieben vollwertige Teilstaaten, eine völkerrechtlich nicht anerkannte Konföderation selbständiger Republiken (Confoederatio Belgicä), die faktisch unabhängig vom König von Kastilien waren. Einige nördliche Teile von Flandern (darunter Oostende) und von Brabant (unter anderem das Marquisat Bergen op Zoom) waren Generalitätslande, was bedeutete, dass diese Landesteile vorläufig in Erwartung der vollständigen Rückeroberung der betreffenden Provinzen unmittelbar den Generalstaaten untergestellt waren. Diese berieten in Den Haag über gemeinsame Belange, vor allem Krieg und seine Finanzierung, die Pazifizierung sowie die Außenpolitik. Nach Rücksprache mit ihrer jeweiligen Basis, den verschiedenen Provinzialstaaten, und in militärischen Angelegenheiten mit Moritz von Nassau, entschieden sie im Konsens15. Dies machte die Beschlussfassung sehr träge und schwierig. 12 Horst LADEMACHER, Die Stellung des Prinzen von Oranien als Statthalter in den Niederlanden von 1572 bis 1584, Bonn 1958, S. 41-56, 67-69, 99-103; Marianne Elisabeth Henriette Nicolette MOUT, Plakkaat van Verlatinge, 1581, Den Haag 1979. 13 Martin VAN GELDEREN, Conceptions of Liberty during the Dutch Revolt, 1555-1590, in: Parliaments, Estates and Representations 1989, S. 137-153. 14 Guido DE BRUIN, De soevereiniteit in de republiek. Een machtsprobleem, in: Bijdragen en Mededelingen betreffende de Geschiedenis der Nederlanden 94 (1979), S. 27^10. 15 Siehe Guido BENTIVOGLIO, Relatione Delle Provincie Unite Di Fiandra, Antwerpen 1629, passim; ARNDT, Das Heilige Römische Reich (wie Anm. 10), S. 67-80; VAN DEURSEN, Maurits van Nassau (wie Anm. 5), S. 109-111.
de Schepper, Das
„SpanischeNiederland"
Al
N e u e H o f f n u n g u n t e r den E r z h e r z ö g e n . Tatsächlich waren die Angebote zu Verhandlungen zwischen dem „Spanischen Niederland" und der Konföderation aufständischer Provinzen in den neunziger Jahren sowohl politisch als auch religiös verankert in schwer zu überbrückenden Standpunkten. Die Aussichten auf eine Einigung tendierten dann auch nahezu gegen Null, bis die Entscheidung Philipps II., die Niederlande an die Erzherzöge abzutreten, neue Hoffnung gab. Der Wunsch nach Frieden und Wiedervereinigung erhielt neue Nahrung. Durch die gewährte Unabhängigkeit wurde die Erwartung geweckt, dass das Land die katastrophale wirtschaftliche Krise endlich überwinden würde und an die in der Propaganda bereits lange idealisierte Blütezeit Kaiser Karls V. anknüpfen könnte. Die Landwirtschaft befand sich in den 1580er Jahren in einer schweren Krise. Missernten, Zerstörungen und Plünderungen von Bauernhöfen, Landgütern und Viehbeständen als Folge der militärischen Operationen im ländlichen Brabant und Flandern verursachten Nahrungsmittelknappheit und Hungersnot. Auch nach der Jahrhundertwende waren die Bevölkerung und ihr Besitz noch fast täglich das Opfer der permanenten Truppenbewegungen und Brandschatzungen, vor allem seitens der wegen schlechter Bezahlung meuternden Soldaten und irregulären Banden (vrybuters). Die ersten Jahrzehnte nach der Kapitulation der flandrischen und brabanter Städte waren auch für die Erholung der städtischen Wirtschaft katastrophal, und zwar wegen des wahnsinnigen Anstiegs der Lebensmittelpreise. Um 1600 hatten Wirtschaft und Handel in Brabant und Flandern die wirtschaftliche Krise noch immer nicht überwunden. Durch die Verschiebung des interkontinentalen Handels vom Mittelmeer zum Atlantischen Ozean und die Kapitulation Antwerpens war das Handelsvolumen der Stadt an der Scheide gegenüber 1585 auf rund ein Viertel zurückgegangen. Die Wirtschaft litt übrigens auch unter der teilweisen Blockade, die die Vereinigten Provinzen vor der flandrischen Küste, auf Scheide und Maas, errichtet hatten. Die preistreibenden Auswirkungen des Handelskrieges erschwerten sowohl den Export als auch die unentbehrlichen Getreideimporte aus den Ostseegebieten. Die doppelte Kriegssteuer, zum einen seitens der Einnehmer der spanischen Niederlande und zum anderen seitens der Republik, unterbrach die traditionellen Verbindungen und erhöhte die Ein- und Ausfuhrkosten der unterworfenen Gebiete. Um ihre strategischen Stützpunkte an der Küste Flanderns und den linken Uferstreifen der genannten Flüsse zu verteidigen, setzten die Rebellen das angrenzende Ackerland systematisch unter Wasser. Die Entvölkerung aufgrund der massenhaften Flucht von Kaufleuten, Handwerkern und anderer Menschen in die freien Landesteile hatte ihren Höhepunkt noch nicht überschritten. Landwirtschaft, Gewerbe und Handel fehlten dadurch die nötigen Arbeitskräfte für den Wiederaufbau. Lebensstandard und Kaufkraft der Bevölkerung waren stark gesunken und unterschieden
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sich langfristig von denen der anderen Niederlande, die ihrem „Goldenen Jahrhundert" entgegen gingen16. Die Generalstaaten, die im August 1598 nach Brüssel einberufen wurden, brachten dann auch mit großem Nachdruck den seit mehreren Jahren allseits artikulierten Wunsch nach Versöhnung mit den Vereinigten Provinzen zum Ausdruck (diese wurden nicht nur seitens der Brüsseler Regierung, sondern auch von der Diplomatie und sogar von befreundeten Staaten als Rebellen betrachtet). Im Gegensatz zu Philipp II. gab Erzherzog Albrecht dem Ersuchen der Generalstaaten, ihren eigenen Schriftführer Willem Maes nach Den Haag zu schicken, unverzüglich nach. In der Depesche die sie diesem am 28. August 1598 mit erzherzoglicher Zustimmung für alle Provinzialstaaten der Republik mitgaben, wurde die Einheit des Landes ausdrücklich betont. Außerdem wurde darin vorausgesetzt, dass durch die Unabhängigkeit jedwede grundsätzlichen Bedenken gegen neuerliche Gespräche nun wohl weggefallen seien. Die Generalstaaten waren, etwas naiv, felsenfest davon überzeugt, dass der spanische König kein Handelnder mehr sei; mit anderen Worten kein Klotz am Bein. Daher luden sie die Adressaten ein zu einer Konferenz der Delegierten aller Provinzialstaaten „pour les membres separez reunir derechief en ung mesme corps et assemblee", also zu einer gemeinsamen Sitzung, um über die Wege zur Pazifikation zu beraten17. Den Haag beriet etwa sechs Monate über die Antwort, lange genug, um zu der Einsicht zu gelangen, dass sich die erzherzogliche Politik trotz der Unabhängigkeit wenig oder gar nicht geändert hatte und dass „de Spaegnaerts ende haere adherenten (...) soo veel machts hebben". Einer erneuten kaiserlichen Vermittlung zum Trotz antworteten die Generalstaaten der Republik im März des folgenden Jahres ablehnend. Sie waren nämlich davon überzeugt, dass das spanische Heer nur aufgrund von Waffengewalt das Land verlassen würde und nicht wegen der Abdankung, die sie für eine juristische Spitzfindigkeit hielten. Darum riefen sie die Provinzialstaaten der erzherzoglichen Niederlande dazu auf, gemeinsam mit den Vereinigten Provinzen die Spanier 16 Etienne SCHOLLIERS, De eerste schade van de scheiding. De sociaal-economische conjunctuur, 1558-1609, in: 1585: Op gescheiden wegen (wie Anm. 8), S. 35-52, bes. S. 4 1 50; С1Ё LESGER, Handel in Amsterdam ten tijde van de Opstand. Kooplieden, commerciele expansie en verandering in de ruimtelijke economie van de Nederlanden, ca 1550-ca 1630, Hilversum 2001, S. 122-126, 134-137; Adriaan M. J. DE KRAKER, Een staatse Strategie in een „uitgestorven" land. Organisatie en tenuitvoerlegging van de brandschat in Viaanderen, 1585 tot 1604, in: Bijdragen en Mededelingen betreffende de Geschiedenis der Nederlanden 121 (2006), S. 3-34, bes. S. 33-34. 17 Generalstaaten der Spanischen Niederlande an die Provinzialstaaten der Vereinigten Provinzen, 28.-29. Aug. 1598, in: Actes des Etats Gen6raux de 1600, hrsg. von Louis Prosper Gachard, Brüssel 1849, S. cxxxvi-cxxxvii; ί έ ο η VAN DER ESSEN, Politieke Geschiedenis van het Zuiden, 1585-1609, in: Algemene geschiedenis der Nederlanden, Bd. 5, hrsg. von Jan Albert van Houtte [u. a.], Utrecht/Antwerpen 1952, S. 235-282, bes. S. 274-282.
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aus dem gesamten Territorium zu vertreiben. Die Erzherzöge fanden überhaupt keine Erwähnung. Unterhändler könnten sich die Mühen der Reise somit ersparen18. In Brüssel konnte der Staatsrat seine Enttäuschung nicht verbergen über die geringe Bereitschaft seitens der aufständischen Provinzen „de se vouloir accomoder aux aultres Estats des Pais de Pardeca pour se joindre avec eulx ä se reduyre ä la deue у juste obeyssance que subiects doibvent ä leur vray у legittime princesse"19. Im Übrigen ist der informelle Brief, den Albrecht selbst den Haager Machthabern geschrieben hatte, unbeantwortet geblieben. Schließlich erhielt der Sekretär der Brüsseler Generalstaaten kein Mandat zu antworten, außer um eine freundliche Empfangsbestätigung zu schicken. Auch die kaiserlichen Gesandten wurden höflich, aber kurz und bündig abgefertigt. Die Schritte, die die Erzherzöge nach ihrer Huldigung im Herbst 1599 bei Heinrich IV. - seit dem Frieden von Vervins (1598) offiziell neutral unternahmen, um einen Frieden mit der Republik zu vermitteln, unter der einzigen Bedingung der „einfachen" Anerkennung ihrer Souveränität, waren ebenfalls erfolglos. Der französische König verfügte über genügend enge Kontakte zum Ratspensionär Johann van Oldenbarnevelt, dem politischen Führer der Republik, um im Voraus zu wissen, dass er damit wenig Aussicht auf Erfolg hätte20. Inzwischen hatte der Staatsrat an der Seite Albrechts und Isabellas sich ebenfalls in den Friedensprozess eingeschaltet. Er hatte den bekannten und geachteten Leidener Händler Daniel van der Meulen, unter dem Vorwand eines Besuches eines kranken Schwagers mit Sicherheitsgarantien nach Brüssel locken lassen, um Informationen über eventuelle Versöhnungstendenzen in der Republik zu erhalten. Van der Meulen war einer der mehr als vierzigtausend Antwerpener, die in den Jahren nach der Kapitulation aus der Stadt geflüchtet waren. Aus dem Munde des Vorsitzenden Staatsrates Jean Richardot soll der frühere Antwerpener in einem vertraulichen Gespräch gehört haben, dass die Ausweisung der Ausländer das einzige Mittel sei, um das Misstrauen zwischen den beiden Parteien zu beenden und um „durch einen guten Frieden den unabhängigen niederländischen Staat in seinem alten Glanz wiederherzustellen". Richardot, von burgundischer Abkunft, der erste „einheimische" Politiker an der Seite der Erzherzöge, soll im Namen des gesamten Staatsrats gesprochen haben. Der Kaufmann ließ sich jedoch weder durch die hohe Position noch die Redekunst Richardots ködern. Van der 18 Generalstaaten der Vereinigten Provinzen an die Provinzialstaaten der Spanischen Niederlande, 22. März 1599, in: Actes des Etats Göneraux de 1600 (wie Anm. 17), S. cxlii—cxliii. 19 Briefe des Staatsrats an Erzherzog Andreas, Generalstatthalter in Abwesenheit Albrechts, Brüssel 23. Apr. 1599, ARB., Aud., Nr 620, f. 171v-172 und an Albrecht, Brüssel 15. Mai 1599, ebd., f. 197.
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VAN Eysinga, De wording (wie Anm. 10), S. 14-17, 57; Jan DEN TEX, Oldenbarnevelt,
Bd. 2: Oorlog, 1588-1609, Haarlem 1962, S. 338.
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Meulen antwortete, dass es wenig Anlass zur Hoffnung gebe, da die Übertragung der Souveränität über die Niederlande auf das erzherzogliche Paar in den Vereinigten Provinzen als Fiktion betrachtet würde21. Der schlaue Richardot, früher selbst ein Rebell, galt als nicht sehr vertrauenswürdig, wenn es um Frieden ging22. Sollte er den Abzug ausländischer Truppen auf beiden Seiten gemeint haben? Von ihm ist bekannt, dass er sich das gut verstellen konnte. Bei früheren Kontakten mit Van der Meulen hatte Richardot nämlich erkennen lassen, dass die unterschiedlichen Standpunkte bezüglich der Wiedervereinigung nun einmal unvereinbar seien23. Trotzdem wollte der Brüsseler Staatrat nicht ohne weiteres aufgeben: „n'est pourtant la besoigne de paix du tout desesperee". Er empfahl Erzherzog Albrecht, mit dem andauernden Drängen der Generalstaaten zu rechnen, den Dialog mit Den Haag in Gang zu halten. Diese waren inzwischen am 20. März 1600 zum zweiten Mal einberufen worden. Der allgemeine Zustand der spanischen Niederlande, vor allem die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Unsicherheit auf dem Land, wurde von den Deputierten noch immer als verheerend beschrieben und als zusätzliches Argument gebraucht, um die Notwendigkeit sofortiger Friedensinitiativen zu unterstreichen. Albrecht und Isabella, die die Erwartungen, dass sie die Friedensbringer wären, nicht enttäuschen wollten, erteilten im Mai 1600, jedoch ohne große Begeisterung und mit der nötigen Skepsis, ihre Zustimmung, eine Delegation zu entsenden. Die eigenen Generalstaaten akzeptierten jedoch nicht, dass die Abgesandten auch im Namen der Erzherzöge abgefertigt würden. In Absprache mit den Haager Generalstaaten wurde Bergen op Zoom für die Vorgespräche zu einer möglichen Friedenskonferenz auserkoren. Ende Juni trafen sich Volksvertreter beider Seiten in der Stadt südlich des Moerdijk. Gestärkt wegen des überraschend glänzenden Siegs des Statthalters Moritz von Nassau in den Dünen bei Nieuwpoort (2. Juli), stellte Oldenbarnevelt für die Gegenseite unannehmbare Bedingungen: Nicht mehr und nicht weniger als eine Union der Provinzen beiden Seiten; die Wiedervereinigung implizierte, gemeinsame Sache zu machen, um alle Spanier zu vertreiben, Militärs und Beamte; zudem sollte der spanische König die Unabhängigkeit der wieder vereinten Niederlande anerkennen, ohne die Gewissensfreiheit zu vergessen, und schließlich enthielt der Katalog die Ablehnung Albrechts und Isabellas als Herrscher aufgrund ihrer völligen Abhängigkeit von Spanien. 21
Gisela JONGBLOET-VAN HOUTTE, Brieven en andere bescheiden betreffende Daniel van der Meulen, 1584-1600, Bd. 1, Den Haag 1986, S. xxxii-xxxvi, lxx-lxxi. 22 VAN EYSINGA, De wording (wie Anm. 10), S. 32; DEN TEX, Oldenbamevelt (wie Anm. 20), S. 560, 600. 23 Johannes H. KERNKAMP, Vredehandel met Spanje in 1598, in: Bijdragen en mededelingen van het Historisch Genootschap Utrecht LVII (1936), S. 364; Arthur Erwin IMHOF, Der Friede von Vervins, 1598, Zürich 1966, S. 243.
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Ohne die Vorstellung erneuter Friedensbemühungen aufzugeben, zogen Albrecht und Isabella aus dem Fehlschlag von Bergen op Zoom den Schluss: „nous n'y attendons rien que par la voye des armes" 24 . Die Schlacht bei Nieuwpoort erwies sich im Nachhinein als Pyrrhussieg. Der beabsichtigte Effekt, dass sich die Bevölkerung Brabants und Flanderns gemeinsam mit Moritz' Truppen gegen die Erzherzögen und das, was sie als Besatzer einstuften, erheben würden, stellte sich nicht ein. Nach fast zwei Jahrzehnten Krieg und Entbehrung fehlte der Bevölkerung der besagten Provinzen der Mut und die Energie, um sich noch in Bewegung zu setzen25. Dem täglichen Brot galt die größere Sorge. Die überzeugtesten und unternehmungslustigsten Leute, die die Führung hätten übernehmen können, waren entweder geflohen oder im Aufbruch begriffen. Moritz von Nassau erkannte das und verließ die Küste Flanderns. Lediglich Oostende blieb in seiner Hand, wurde jedoch schon bald von erzherzoglichen Truppen umzingelt. Während derselben Sitzung der Generalstaaten von 1600 machte der erzherzogliche Wortführer Jean Richardot in Oktober dem ausufernden Palaver plötzlich ein Ende und erzwang eine enorme finanzielle Unterstützung für die Armee. Albrecht und Isabella entledigten sich der lästigen Volksvertretung dauerhaft, indem sie die Deputierten nach Hause schickten, um sie in naher Zukunft nicht mehr einzuberufen. Die Billigung von jährlichen, durch die Provinzialstaaten praktisch automatisch zu verlängernden Steuererhebungen (auf Niederländisch beden, auf Franzosisch aides) machte die Generalstaaten zusätzlich überflüssig. Noch nie wurde eine so hohe Beihilfe, mit der 21 500 Garnisonssoldaten unterhalten werden konnten, für eine so geringe politische Gegenleistung gewährt26. Sie reichte jedoch keineswegs aus, um die Geldknappheit im Gefolge der sich noch weiter verschlechternden spanischen Staatsfinanzen zu kompensieren. Einer Reihe von Missernten in den neunziger Jahren folgte 1599/1600 ein heftiger Ausbruch der Beulenpest, der zehn Prozent der Gesamtbevölkerung das Leben kostete. Die spanischen Möglichkeiten wurden darüber hinaus 1600/1601 durch den Einfall Heinrichs IV. in Savoyen beschränkt, wodurch der benötigte camino espahol für die italienischen und spanischen Truppen, die in die Niederlande zogen, für beinahe ein Jahr versperrt wurde27.
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Staatsrat an Albrecht, 24. Juli 1600, ARB., Aud., Nr. 624, f. 152; Albrecht an Staatsrat, 26. Juli 1600, ebd., f. 125. 25 VAN EYSINGA, De wording (wie Anm. 10), S. 17, 67; Geoffrey PARKER, The Dutch Revolt, London 1977, S. 234-236. 26 Hugo DE SCHEPPER, De Katholieke Nederlanden van 1589 tot 1609, in: Algemene Geschiedenis der Nederlanden, hrsg. von Dirk Ρ Blok [u. a.], Bd. 6, 2Haarlem 1988, S. 279-297, bes. S. 283-291. 27 Jonathan Irvine ISRAEL, The Dutch Republic and the Hispanic World, 1606-1661, Oxford 1982, S. 2. Siehe Carlos Javier DE CARLOS MORALES, Felipe II. EL imperio en
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Das erzherzogliche Niederland, ein spanischer Satellit. Wie die Reaktionen aus den Vereinigten Provinzen zeigen, wurde die niederländische Unabhängigkeit in den aufständischen Landesteilen umgehend als leere Floskel betrachtet. Und das nicht zu Unrecht. Schon bei der Verlesung der offiziellen Dokumente während der ersten Sitzung der Generalstaaten wurde deutlich, dass die Abtretung nicht absolut war. Die Niederlande würden unter anderem dann an die Krone Kastilien zurückfallen, wenn das erzherzogliche Paar kinderlos sterben würde. Sollte der erste oder einzige Nachkomme eine Tochter sein, hätte sie den künftigen spanischen König oder den Thronfolger zu heiraten. Übrigens verweigerte das Dokument dem spanischen Niederland die direkte Fahrt nach Ost- und Westindien. Im Nachhinein erwies sich, dass die Geheimbestimmungen Albrecht und Isabella noch striktere Einschränkungen auferlegten. Sie mussten sich in allem nach der Politik der spanischen Krone richten und waren verpflichtet die Protestanten weiterhin zu verfolgen. Die Zitadellen der sechs größten Städte blieben von spanischen Garnisonen besetzt, ihre Militärgouverneure wurden durch die spanische Regierung ernannt; zum Schein erhielten sie von den Erzherzögen noch ein zweites Ernennungsschreiben28. Die Souveränität des kastilischen Monarchen über die Niederlande und die Freigrafschaft Burgund sollte zwar mit der Abtretungserklärung formell beendet sein, faktisch hatten sie sich jedoch wie Satelliten der spanischen Monarchie zu verhalten. Das war erneut eine halbe Maßnahme, wie sie el rey prudente im Laufe der Jahre gern getroffen hat. Mit den Geheimbestimmungen der Abtretung hatte Philipp II. für seinen spanischen Thronfolger den Freiraum geschaffen die Unabhängigkeit der Niederlande auf eine innere Autonomie - oder sogar noch weniger - herabzustufen. Philipp III. sollte die gebotenen Möglichkeiten weiträumig interpretieren und in Anspruch nehmen29. Es geschehen zwar Zeichen und Wunder, doch schon sehr früh galt die Unfruchtbarkeit Isabellas quasi als sicher30. Vielleicht hatte bereits ihr Vater diesbezüglich seine Zweifel gehabt, angebancarotta. La hacienda real de Castilla у los negocios financieros del rey prudente, Madrid 2008. 28 Miguel Angel ECHEVARRIA BACIGALUPE, La diplomacia secreta en Flandes, 1598— 1643, Vizcaya 1984, S. 116-121; DERS., Flandes У la Monarquia Hispänica, 1500-1713, Madrid 1998, S. 151-157; Alicia Esteban ESTRINGANA, Los Estados de Flandes. Reversion de las provincias leales, 1598-1623, in: La Monarquia de Felipe III, hrsg. von Josd Martinez Millän und Maria Antonietta Visceglia, Bd. 4: Los Reinos, Madrid 2008, S. 593-682, bes. S. 595-608, 621-628. 29 Wemer THOMAS, Andromeda Unbound. The Reign of Albert & Isabella in the Southern Netherlands, 1598-1621, in: Albert & Isabella (wie Anm. 4), S. 1-14, bes. S. 2-5: „Dependent Independence"; Hugo DE SCHEPPER, Les archiducs et les institutions du gouvernement au Pays-Bas espagnol, 1596-1621, in: ebd., S. 221-232. 30 Frangipani an den apostolischen Staatssekretär Aldobrandino, 15. Jan. 1600, in: Correspondence d'Ottavio Mirto Frangipani, premier nonce de Flandre, 1596-1606, hrsg. von Armand Louant, Bd. 3, Rom [u. a] 1942, S. 85.
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sichts ihres fortgeschrittenen Alters. Philipp III. benahm sich von Anfang an so, als ob die Niederlande früher oder später unter sein Zepter zurückkehren würden. Von Beginn an tat er sich schwer mit der Souveränitätsabtretung zugunsten seiner Halbschwester und sehnte mit Ungeduld den Tag herbei, an dem die losbindenden Bestimmungen auf die eine oder andere Art wirksam würden. Im Jahre 1606 beauftragt er heimlich den erzherzoglichen Vertrauten, den italienischen Oberbefehlshaber zu Felde Ambrogio Spinola marques de los Balbases, die Rückkehr der Niederlande unter die Souveränität des kastilischen König sicherzustellen, falls einer der Erzherzöge ohne Nachkommen unerwartet sterben sollte; notfalls sollte Spinola gegen den übrig gebliebenen Ehepartner mit Gewalt vorgehen31. Für Philipp III. und seinen valido, den Herzog von Lerma, war die spanische Weltherrschaft Ausgangspunkt aller Überlegungen, und die Brüsseler Regierung hatte sich danach zu richten. Sie betrachteten die Erzherzöge lediglich als ihre Agenten. Obwohl es der Infantin Isabella ab und zu durch ihre Privatkorrespondenz mit Lerma gelang, Entscheidungsprozesse etwas zu korrigieren32, waren wichtige Entscheidungen im Allgemeinen ausschließlich eine Valladolider oder Madrider Angelegenheit. Juristisch betrachtet waren die Beziehungen mit Den Haag für Albrecht und Isabella eine innere Angelegenheit. Philipp III. ließ ihnen dafür jedoch kaum Raum. Die erzherzogliche Abhängigkeit von spanischen Truppen und hazienda im Kampf gegen die aufständische Republik machte es der Regierung in Spanien einfach, sich in die militärischen Aspekte der Guerra de Flandes einzumischen33. In der Praxis erstreckt sich dies zudem auf die Befriedung der Niederlande sowie deren Außenpolitik. Die diesbezüglichen Angelegenheiten wurden deshalb, aus spanischer Sicht eine Selbstverständlichkeit, von ausländischen Offizieren und Beratern in königlichen Diensten, dem sogenannten „Spanischen Ministerium" in Brüssel, an sich gezogen und von ihnen nach Rücksprache mit dem Hof zu Valladolid oder Madrid entschieden. Aufgrund der abwertenden, ausgesprochen anti-spanischen, Propaganda der Opposition und danach der Aufständischen, seit 1917 als Leyenda Negra bekannt34, sowie der Suche der Rebellen nach Bündnissen mit ausländischen 31
J o s e p h LEFEVRE, S p i n o l a e t l a B e l g i q u e , 1 6 0 1 - 1 6 2 7 , B r ü s s e l 1 9 4 7 , S. 2 0 - 3 1 , 4 5 - 5 1 ; ESTRINGANA, LOS E s t a d o s d e F l a n d e s ( w i e A n m . 2 8 ) , B d . 4, S 6 4 1 - 6 4 3 . 32
Bernardo Jos6 GARCIA GARCIA, Bruselas У Madrid. Isabel Clara Eugenia У el duque de Lerma, in: Albert & Isabella (wie Anm. 4), S. 67-77. Siehe Correspondencia de la Infanta dofla Isabel Clara Eugenia de Austria con el Duque de Lerma у otros personajes, hrsg. von Antonio Rodriguez Villa, Madrid 1906, passim. 33
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GARCIA GARCIA, L a P a x H i s p ä n i c a ( w i e A n m . 7), S. 4 9 .
Juliän JUDERIAS, La leyenda negra, Barcelona 1917. Siehe u. a. Judith POLLMAN, Eine natürliche Feindschaft. Ursprung und Funktion der schwarzen Legende über Spanien in den Niederlanden, 1560-1581, in: Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politi-
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Feinden Spaniens erhielt der Bürgerkrieg gleichzeitig den Charakter eines internationalen Kräftemessens mit the Hispanic World. Der Vertrag von Den Haag zwischen England, Frankreich und den Vereinigten Provinzen, durch den 1596 die Triplealliance entstand, war ein erster großer diplomatischer Erfolg fiir Oldenbarnevelt. Auf dem Kontinent änderte sich zwar hinsichtlich der Kriegsanstrengungen und Hilfeleistungen faktisch nicht viel, Königin Elisabeth und König Heinrich IV. erkannten jedoch seitdem die Vereinigten Provinzen an und tauschten diplomatische Vertreter mit ihnen aus35. In Übersee weitete sich der Krieg nach dem Vertrag von Den Haag aus, aufgrund der jüngsten holländischen Besetzung kastilischer Besitzungen in West- und Ostindien und durch seeländisch-englische Kaperfahrten gegen Transporte aus spanischen und vormals portugiesischen Kolonien zur iberischen Halbinsel. Diese brachten erste Risse ans Licht im zunächst unangetasteten kastilischen Kolonialreich. Die spanischen Silberschiffe gerieten in Gefahr, was zugleich eine Bedrohung für die hazienda der Monarchie darstellte36. Dies alles verstärkte die Internationalisierung des niederländischen Konflikts und verkomplizierte die Befriedung. Seit Alvas Herrschaft ist die spanische Präsenz am niederländischen Hof auf dem Koudenberg nie so beeindruckend gewesen wie nach 159837. Aufgrund der formellen Souveränität der Erzherzöge verfügte der König zudem über einen permanenten Botschafter in Brüssel, welcher seine Weisungen direkt aus Valladolid oder Madrid empfing. Vor allem Baltazar de Zufiiga у Fonseca war in dieser Funktion sehr rührig und einflussreich; auch sein Nachfolger Felipe Cardona, Marquis von Guadaleste mischte sich nach Kräften ein. Sie gehörten zu den alcuni domestici e privati, die im Auftrag Phischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit, hrsg. von Franz Bosbach, Köln [u. a.] 1992, S. 73-93; Ingrid SCHULZE SCHNEIDER, La leyenda negra de Espafla. Propaganda en la guerra de Flandes, 1566-1584, Madrid 2008. 35 Jan Cornelius Hendrik DE PATER, Politieke Geschiedenis van het Noorden, 1585-1609, in: Algemene geschiedenis der Nederlanden (wie Anm. 17), S. 283-325, bes. S. 314; ISRAEL, The Dutch Republic (wie Anm. 27), S. xix-xx (maps); VAN DEURSEN, Maurits van Nassau (wie Anm. 5), S. 156. 36 Siehe u.a. Cornells Christiaan GOSLINGA, The Dutch in the Carribean, Assen 1971, S. 34-42; Antonio-Miguel BERNAL, Holanda у la Carrera de Indias. El sistema colonial espaflol. De paradigma a modelo en entredicho, in: Espafla у las 17 Provincias de los Paises Bajos. Una revision historiogräfica, siglos XVI-XVIII, hrsg. von Ana Crespo Solana und Manuel Herrero Sanchez, Cordoba 2002, S. 641-674; Jaap JACOBS, Een zegenrijk gewest. Nieuw Nederland in de zeventiende eeuw, Amsterdam 1999, S. 60-61. 37 Charles Howard CARTER, Belgian „autonomy" under the Archdukes, 1598-1621, in: The Journal of Modern History 36 (1964), S. 245-259; Hugo DE SCHEPPER/Geoffrey PARKER, The decision-making process in the government of the Catholic Netherlands under the Archdukes, 1596-1621, in: Spain and the Netherlands, 1559-1659. Ten Studies, hrsg. von Geoffrey Parker, London 1979, S. 164-176. Siehe Joseph LEFEVRE, Le Ministere Espagnol de l'archiduc Albert, 1598-1621, in: Bulletin de I'acad6mie royale d'archöologie d e B e l g i q u e 1 ( 1 9 2 4 ) , S. 2 0 2 - 2 2 4 , b e s . S. 2 0 3 - 2 0 5 , 2 2 4 .
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lipps III. den politischen Willen der Erzherzöge vorbereiten und formen sollten 38 . Hinsichtlich der militärischen Angelegenheiten verließ sich Albrecht, selbst unerfahren, zunächst auf Francisco de Mendoza, Admirant von Aragön, Befehlshaber der Reiterei und ein Haudegen ersten Ranges, und nach diesem auf Spinola, Spross einer steinreichen Genueser Kaufinannsfamilie. Der Italiener war 1602 an der Spitze einer selbst finanzierten Armee von 8 000 Mann in den Niederlanden angekommen. Die Ernennung Spinolas zum maestre de campo general wurde freilich erst 1605, nach Intervention der Erzherzogin beim Herzog von Lerma, vom spanischen Hof bestätigt. Neben seiner militärischen Funktion wurde er vom König auch mit der Verwaltung der Hazienda der spanischen Armee in den Niederlanden betraut39. In dieser Schlüsselposition wusste der Italiener, auch dank seines einnehmenden Wesens und seiner Überzeugungskraft, zugleich das Vertrauen der Erzherzöge zu gewinnen und sich als leitender Staatsmann zu gerieren. In dem Maß, in dem die erzherzogliche Regierung ihre Außen- und Verteidigungspolitik nicht völlig frei bestimmen konnte, hat sie einen wichtigen Teil ihrer Souveränität preisgeben müssen. Trotz anderslautender Empfehlungen der Brüsseler Regierung zwang Philipp III. sie wiederholt, das umfassende spanische Handelsverbot gegen die Aufständischen und Frankreich ohne Abstriche zu übernehmen40. Während der komfortablen Kriegsgefangenschaft, die er nach der Schlacht bei Nieuwpoort in einem eleganten Landhaus des Statthalters Moritz von Nassau nahe Den Haag verbrachte, hatte Mendoza Umgang mit prominenten Holländern. Dies nutzte der Erzherzog, um ihm im April 1601 Vollmacht zur Kontaktaufnahme zu erteilen. Dabei macht Mendoza den Generalstaaten weitreichende Vorschläge: freie Religions38
Frangipani an Aldobrandino, 12. Mai 1601, in: Correspondance d'Ottavio Mirto Frangipani (wie Anm. 30), S. 244, Note 1. 59 Ders., 23. und 30. Juli 1604, ebd., S. 480-481; avviso, Antwerpen 16. Dez. 1605, BVAT, Urb.Lat., Nr. 1073, f. 701: „Spinola insieme co'l conte di Bucquoy si trovano tuttavia a Brusselles. sendo giornalmente a consiglio co'l serenissimo Alberto in materia de la guerra per l'anno futuro". Siehe Antonio RODRIGUEZ VILLA, Ambrosio Spinola, primer marques de los Balbases, Madrid 1909, S. 33-255, passim; Joseph LEFEVRE, La secr6tairerie d'Etat et de Guerre sous le rögime espagnol, 1594-1711, Brüssel 1934, S. 67-94; A. RETORTILLO ATIENZA, Poder e influencia de Ambrogio Spinola en la corte de los archiduques, 1602-1607, in: Albert & Isabella (wie Anm. 4), S. 233-240. Bucquoy war der Grossmeister der Artillerie. 40 Jean DE STURLER, Une 6pisode de la politique douaniere des Archiducs. L'experience de Juan de Gauna, 1603-1605, in: Revue de l'Universte de Bruxelles 42 (1936-1937), S. 362-386; Jan CRAEYBECKX, Un grand commerce d'importation. Les vins de France aux anciens Pays-Bas, ΧΙΐΓ-ΧνΓ siecles, Paris 1 9 5 8 , S. 2 3 3 ; Eddy STOLS, De Spaanse Brabanders of de handelsbetrekkingen der Zuidelijke Nederlanden met de Iberische wereld, 1 5 9 8 - 1 6 4 8 , B d . 1, B r ü s s e l 1 9 7 1 , S. 8 - 1 4 , 4 3 ^ 1 8 , 9 4 - 1 1 3 ; J o s 6 A L C A L A Z A M O R A Υ QUEI-
PO DE LLANO, Espafla, Flandes У el Mar del Norte, 1618-1639, Barcelona 1975, S. 178186, 297-299, 314-318; Jonathan Irvine ISRAEL, Nederland als centrum van de wereldhandel, 1585-1740, Franeker 1991, S. 136.
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ausübung für Katholiken und Reformierte gegen Anerkennung der erzherzoglichen Souveränität und Bestätigung der Absprache durch Philipp III. Weil der spanische König nicht dahinter kommen durfte und die Erzherzöge diesbezüglich ohne Philipp III. faktisch weder entscheiden konnten noch durften, musste der Admirant aus Mangel an deutlichen Instruktionen auf das Haager Angebot einer Waffensuspension, um über Friedensbedingungen zu reden, die Antwort schuldig bleiben. Die aufständischen Generalstaaten trauten der Sache nicht und ersuchten Mendoza, sich künftig mit der Befriedung nicht mehr zu beschäftigen. Er sollte sich auf die Frage des Gefangenenaustauschs beschränken. Die Aufständischen fürchteten im Übrigen, dass bei einer eventuellen Annahme des Vorschlages der Katholizismus den Protestantismus überflügeln würde41. Die Republik schien reformiert zu sein, war es in Wirklichkeit jedoch nicht. Mit Ausnahme der Provinz Seeland war die große Mehrheit der Bevölkerung um 1600 noch immer katholisch42. Albrecht sah sich genötigt, für jede Friedensinitiative zumindest den spanischen Botschafter zu Rate zu ziehen. Bezeichnend war dessen Widerstand im Herbst 1602 gegen die erneute Einberufung der Generalstaaten, worum die Brabanter Staaten ersucht hatten, damit nochmals mit Deputierten der Haager Generalstaaten Kontakt aufgenommen werden könnte. Der Botschafter erklärte seinen Widerstand mit „los inconvenientes que esto podria tener". Der Erzherzog behielt sich seine Entscheidung vor, bis der spanische König zugestimmt bzw. nicht zugestimmt hatte. Die Mission müsste sich übrigens auf jeden Fall darauf beschränken, den Weg für eine mögliche Waffenruhe zu ebnen43. Die Reaktion aus Madrid war schlimmer als erwartet. Nach Beratungen mit seinem Consejo de Estado verbot Philipp III. am 27. Februar 1603 der erzherzoglichen Regierung strikt jeglichen direkten oder indirekten Dialog oder Kontakt mit der rebellischen Republik und forderte den Abbruch aller eventueller Beziehungen zu den Behörden in Den Haag44.
41
VAN EYSINGA, De wording (wie Anm. 10), S. 17-19, 67. Johannes Antonius DE K.OK, Nederland op de breuklijn Rome-Reformatie. Numerieke aspecten van Protestantisering en Katholieke Reformatie, 1580-1880, Assen 1964, S. ΙΟΙ 1, 55; Alastair C. DUKE, Reformation and Revolt in the Low Countries, London/ Ronceverte 1990, S. 228-230, 244-246, 260-261, 269-273; Jan Juliaan WOLTJER, De plaats van de calvinisten in de Nederlandse samenleving, in: De Zeventiende Eeuw. Cultuur in de Nederlanden in interdisciplinair perspectief 10 (1994), S. 3-28. 43 De Zufiiga an Philipp III., 28. Okt. 1602, Archivo General de Simancas. Secretaria de Estado - Negociaciön de Flandes [Abk. AGS., Estado], legajo 620, s.f.. Auch ders., 6. März und 22. Nov. 1602 (ebd., s.f.); Albert an Philipp III., 6. März 1602, ebd., s.f.; Hernando Carillo, Haupt der militärischen Justiz, an Philipp III., 6. März 1602, ebd., s.f. 44 Beratung des Consejo de Estado neben Philipp III., 26 Nov. 1602, mit Randschrift von Philipp III., in: Correspondance de la Cour d'Espagne sur les affaires des Pays-Bas, Bd. 1, hrsg. von Joseph Cuvelier und Joseph Leßvre, Brüssel 1923, S. 117-120; Philipp III. an De Zuftiga, 27. Feb. 1603, AGS., Estado, legajo 2224/2, folleto 448; Philipp III. an Albrecht, 27. Feb. 1603, ebd., folleto 450. 42
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Sämtliche Gesuche, in Friedensgespräche mit Den Haag einzutreten, liefen ins Leere. Intensiver denn je sehnte die erzherzogliche Regierung das Ende der Kampfhandlungen herbei. Die konföderale Regierung zu Den Haag nahm die Erfolge durch die Einnahme von Sluis und der flandrischen Scheldemtlndung im Sommer 1604 zum Anlass, einen triumphierenden Propagandafeldzug in den erzherzoglichen Städten von Brabant, Mechelen und Flandern zu beginnen. Vor allem diese Provinzen sollten wieder zu den Vereinigten Provinzen gehören, da sie Philipp II. bis zu ihrer Eroberung durch die königliche Armee im Zuge der Utrechter Union mit bekämpft hatten. Sie wurden ermutigt, eine Zusammenkunft ihrer Generalstaaten zu erzwingen, die das Ziel eines erneuten Pazifizierungsversuchs hätten. Am 11. September 1604 starteten die Staaten von Holland selbst eine Friedensinitiative. Seit der Lossagung von Philipp II. als Landesherrn suchten die Rebellen das Gespräch mit den Landsleuten in den „anderen Niederlanden", vor allem mit deren Vertretern in den Staaten, und zwar unter Ausschluss der Brüsseler Regierung und spanischer Topfgucker, um gemeinsam eine wirklich nationale Regierung zu errichten, völlig außerhalb des iberischen Staatenkomplexes. Die Bevölkerung jedenfalls war seit Jahren mehr als kriegsmüde. Nach langem Hin und Her im Staatsrat akzeptierte Albrecht einen faulen Kompromiss, um sich nicht in die Karten gucken zu lassen: Er würde den Staaten von Brabant zugestehen, die Einladung der holländischen Staaten zu beantworten, jedoch nur, um sich ein Bild von deren Aufrichtigkeit und Befugnissen zu machen. Entsprechend dem Verbot von 1603 lief alles auf nichts hinaus. Übrigens wandte sich die Junta de Estado zu Madrid in demselben Moment entschieden gegen das Einberufen der Generalstaaten durch die Erzherzöge45. In Wirklichkeit planten diese hingegen als nächste Kampagne einen östlichen Feldzug über den Rhein gegen die aufständischen Provinzen46. Trotz der Entscheidung für den bewaffneten Austrag gab es zwischen 1602 und 1605 auf beiden Seiten Signale, dass man bereit sei zur Befriedung und Wiedervereinigung. Aufgrund des königlichen Verbots wurden sie jedoch stets durch das „Spanische Ministerium" um den Botschafter konterkariert. Die einheimischen Regierungsräte, die in Religionsfragen einen flexibleren Standpunkt einnahmen als Philipp III. wurden immer weniger einbezogen. Erzherzog Albrecht behielt die Erörterung der Friedensangebote der informellen junta aus Botschafter, Militärs und anderen spanischen Beratern vor47. 45
Frangipani an Aldobrandino, 30. Okt. 1604, in: Correspondance d'Ottavio Mirto Frangipani (wie Anm. 30), S. 496; ders., 11. Dez. 1604, ebd., S. 503; Frangipani an San Cesareo, 19. Feb. 1605, ebd., S. 511-512. Siehe Beratung der Junta de Estado in Spanien, 28. Sept. 1604, in: Correspondance de la Cour d'Espagne (wie Anm. 44), S. 202. 46 Bernardo Jose Garcia Garcia, Ganar los corazones у obligar los vezinos. Estrategias de pacificaciön de los Paises Bajos, 1604—1610, in: Espafla у las 17 Provincias (wie Anm. 36), S. 137-165, bes. S. 150-156. 47 Siehe „Protokolle" des Staatsrat, 1604-1605, ARB., Aud., Nr. 783, passim. Vgl. Anm. 43.
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Unter dem Einfluss des unverrückbaren königlichen Standpunkts blieb Albrecht und Isabella nichts anderes übrig, als eine ebenso halsstarrige Haltung einzunehmen und an den alten verrosteten Konzepten der neunziger Jahre festzuhalten. Die Verpflichtung der Regierung in den erzherzoglichen Niederlanden, immer wieder mit dem Hof in Spanien Rücksprache zu halten, weckte in den Vereinigten Provinzen prinzipiell ein berechtigtes Misstrauen. Dies und der Mangel an Gewissensfreiheit in den Provinzen unter Albrecht und Isabella wurden seitens Den Haag als Gründe für die Ablehnung der kaiserlichen Vermittlung von 1604 genannt. Ihre Forderung an beide Seiten, die von ihnen jeweils im Reich besetzten Orte zurückzugeben, war übrigens vorteilhafter für die spanische Armee48. Es war vielleicht keine ganz geschickte Eröffnung. Außerdem warfen die überseeischen Besitzungen und jüngste Investitionen in die Vereinigte Ostindische Kompanie für Holland und Seeland teilweise erste Gewinne ab. Darüber hinaus gaben Moritz von Nassau und die Befürworter einer kriegerischen Politik immer mehr den Ton an, weil das Ziel, ganz Flandern und Brabant-Mechelen von den Spaniern und dem erzherzoglichen Regime zu befreien, noch nicht erreicht war49. Den Gedanken an eine Wiedervereinigung mit den wallonischen Gebieten hatte man dagegen schon lange aufgegeben. In der damaligen Vorstellung genossen sie von Beginn an einen schlechten Ruf wegen ihres Abfalls und ihrer Versöhnung mit dem spanischen König. Bereits kurz nach dieser Versöhnung durch den Vertrag von Arras hatte sich der offizielle Geschichtsschreiber der aufständischen Generalstaaten Gilbert Roy abwertend ausgelassen über die „Wallons Espaignolisez, qui se sont vestus de la brutale tyrannie, pestulance et arrogance Espaignole", und über die „laschetö de la noblesse Walonne", die mit die Initiative übernommen hatte. Auch der Chronist Emanuel van Meteren schrieb 1608 die Spaltung des Landes der „onbehoorlijke handelinghe der Walen" zu50.
48
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ARNDT, D a s H e i l i g e R ö m i s c h e R e i c h ( w i e A n m . 10), S. 8 1 - 8 2 .
ISRAEL, The Dutch Republic (wie Anm. 27), S. 8; Jan Hendrik KLUIVER, De souvereine en independente Staat Zeeland. De politiek van de provincie Zeeland inzake de vredesonderhandelingen met Spanje tijdens de Tachtigjarige Oorlog tegen de achtergrond van de positie van Zeeland in de Republiek, Middelburg 1998, S. 124; Noortje DE ROY VAN ZUYDEWIJN, Van koopman tot icoon. Johan van der Veken en de Zuid-Nederlandse Immigranten in Rotterdam rond 1600, Amsterdam 2002, S. 208-235. 50 [Gilbert Roy], Histoire des troubles et guerres civiles du Pays-Bas, autrement diet la Flandre (o.O. 1582), S. 385, 485; Emanuel VAN METEREN, Commentarien ofte Memorien van den Nederlandtschen Staet (o.O., o.J. [1608]), Buch 9 f., S. 163 und 166, Buch 18 f., S. 128, Buch 19 f., S. 157, Buch 22 f., S. 34 und Buch 28 f., S. 165. Siehe auch Adrianus VALERIUS, Nederlantsche gedenck-clanck, hrsg. von Pieter J. Meertens [u. a.], Amsterdam 1947, S. 109, 112-113, 124; und Hendrik W. VAN TRICHT, De briefwisseling van Pieter Corneliszoon Hooft, Bd. 2, Culemborg 1977, S. 653-654.
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M i l i t ä r i s c h e und f i n a n z i e l l e K r i s e und erste W a f f e n r u h e . Die Triplealliance fiel aufgrund des Friedens von Vervins zwischen Frankreich und Spanien auseinander; dies stürzte die Republik zwar nicht in eine Krise, verursachte jedoch Probleme. Der launenhafte französische König Heinrich IV. wollte die rebelies zwar nicht fallen lassen, seine offizielle Neutralität durfte jedoch auch nicht in Gefahr geraten. Er hoffte, dass die Niederländer die Feindseligkeiten gegen Spanien allein fortsetzten, ohne dass er sich zu etwas verpflichtete, außer vielleicht - sofern opportun - einige geheime Subventionen. Im Grunde wünschte er allerdings nichts anderes als geteilte Niederlande, sicher aber keine wirtschaftlich erfolgreiche protestantische Republik, wo der Katholizismus öffentlich keine Rechte genoss. Um Heinrich IV. zu einer Fortsetzung des Bündnisses zu bewegen, war Oldenbarnevelt anfänglich bereit, die französischen Ansprüche auf romanische Teile der Niederlande zu unterstützen. Als Köder ließ er ihn ebenfalls in dem Wahn, er würde ihm die Souveränität über die Vereinigten Provinzen anbieten, wie 1584 Heinrich III., als sich die Aufständischen einen Staat ohne Monarchen noch nicht vorstellen konnten. In Brüssel gab die Rückkehr der spanischen tercios, eine Folge des Friedens von Vervins, Anlass zu Optimismus. Nach zehn Jahren konnten sie nun erneut zur Unterwerfung des rebellischen Gebiets eingesetzt werden. Nach dem Frieden von London (1604) fiel auch England als Verbündeter der Republik weg. Nach dem Tod Elizabeths im Jahr 1603 war von ihrem Nachfolger Jakob I. schon gar nichts mehr zu erwarten. Er unterstützte im Übrigen das spanische Handelsembargo gegen die Vereinigten Provinzen, was eine Stagnation der Wirtschaft zur Folge hatte. Die finanziellen Lasten der Kriegführung gegen die spanische Monarchie hatte fortan beinahe ausschließlich die Republik zu tragen. Vereinzelt ging die unzufriedene Bevölkerung auf die Straße51. Militärisch sahen sich die Vereinigten Provinzen in die Verteidigung gedrängt. Sie waren isoliert, standen wie ein David gegen Goliath, die damalige spanische Weltmacht. Ihr Vormarsch war zum Stehen gekommen. Sie verloren sogar einige Gebiete, die Moritz von Nassau im vorigen Jahrzehnt erobert hatte. In den ersten Jahren der erzherzoglichen Regierung schien das Kriegsglück sich gegen sie zu kehren. Es war spanischen Einheiten unter Mendoza gelungen der Republik einige Niederlagen zuzufügen. Seinen erfolgreichen Durchstoß über kaiserliches Territorium bis tief in den Bommelerwaard musste er jedoch aus Geldmangel abbrechen. Die beiden zwischen Maas und Waal gelegenen Festungen St. Andries und Crdvecoeur musste er aufgeben, weil seine meuternden Truppen die Forts an 51
DE PATER, Politieke Geschiedems (wie Anm. 35), S. 320; VAN EYSINGA, De wording (wie Anm. 10), S. 53, 6 0 - 6 4 ; PARKER, The Dutch Revolt (wie Anm. 25), S. 237-238; Jan Albert SOMERS, De V O C als volkenrechtelijke actor, Rotterdam 2001, S. 75.
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die Holländer verkauft hatten52. Mendoza wurde die Verantwortung zugeschoben für die diplomatischen Schwierigkeiten, die durch Einquartierung seiner Einheiten in Kleve und Westfalen sowie durch die von seinen Soldaten verübten Grausamkeiten entstanden waren53. Als er nach einundzwanzigmonatiger Gefangenschaft in Den Haag freikam, fiel er sowohl in Brüssel als auch in Valladolid in Ungnade und musste in seine Heimat zurückkehren54. Nach ihm schien das scheinbar angeborene militärische Genie Spinolas eine Lösung zu bringen und sein persönliches Vermögen die chronische Knappheit der Armeefinanzen etwas zu lindern. Albrecht und Isabella verloren zwar im August 1604 das strategisch wichtige Sluis in Flandern, einen Monat später nahmen sie jedoch Oostende ein, und zwar nach jahrelanger Belagerung, die Unsummen verschlungen und außerordentlich viele Menschenleben gekostet hatte. Die Anstrengungen, den flandrischen Seehafen zu erobern, hatten schon 1602 den Verlust von Grave in Brabant zur Folge55. Im darauf folgenden Jahr wollte Spinola, mittels einer entscheidenden militärischen Offensive durch die östliche Peripherie die Schwächen in der Verteidigung des Gegners nutzen und zur Provinz Holland vorstoßen, dem Herz der Vereinigten Provinzen. Der Zug seiner Truppen über den Rhein sorgte dort für Schrecken. In diesem Jahr eroberte er das geldrische Wachtendonk, in Twente Oldenzaal sowie die Exklave Lingen. 1606 nahm er in Gelderland Breedevoort und Grol (Groenlo) ein. Erneut wurde aber deutlich, dass die Gelder aus Spanien und die eigenen Hilfsmittel unzureichend waren, um einen bedeutenden militärischen Vorteil zu erzwingen. Die spanische hazienda drohte abermals umzustürzen. Sie hatte in den letzten Jahren mehrere Gesuche um höhere Zuwendungen abgelehnt oder nur spärliche Summen bewilligt. Spinolas persönliches Hilfsgesuch in Spanien, wo er Ende 1605 um eine größere finanzielle Unterstützung für seinen geplanten großen Feldzug warb, war enttäuschend verlaufen. Der Börsenkrach in Genua hatte
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GARCIA GARCIA, L a P a x H i s p ä n i c a ( w i e ANM. 7), S. 5 0 .
Frangipani an Ernst von Bayern, Fürstbischof von Lüttich, 9. Feb. 1599, in: Correspondence d'Ottavio Mirto Frangipani (wie Anm. 30), S. 18; Frangipani an Aldobrandino, 22. Apr. 1599, ebd., S. 31-32; Frangipani an Mendoza, 14. Sept. 1599, ebd., S. 56. 54 Frangipani an Aldobrandino, 28. Juni 1602, in: Correspondance d'Ottavio Mirto Frangipani (wie Anm. 30), S. 324; awiso, Antwerpen 16. Aug. und 27. Sept. 1602, BVAT., Urb. Lat., Nr. 1070, f. 512 und 595v; Philipp III. an Albrecht, 2. Sept. 1602, AGS., Estado, legajo 2224/2, folleto 271; Del Bufalo an Aldobrandino, 30. Dez. 1602 und 13. Jan. 1603, in: Correspondance du nonce en France Innocenzo del Bufalo, öveque de Camerino, 1601— 1604, hrsg. von Bernard Barbiche, Rom/Paris 1964, S. 402 und 407; Besoldungen, 1602, Archives Departementales du Nord Lille, Recette Genirales des Finances, Nr В 2794, f. 449. 55 GARCIA GARCIA, La Pax Hispänica (wie Anm. 7), S. 53; De val van het Nieuwe Troje. Het beleg van Oostende, 1601-1604, hrsg. von Werner Thomas, Leuven/Oostende 2004, S. 81-99.
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zudem seiner Kreditwürdigkeit geschadet56. Die Einnahme von Diest in Brabant Ende 1606 durch etwa viertausend meuternde Soldaten, die ausstehenden Sold von mehr als einer Million Gulden forderten, konfrontierte die militärischen Befehlshaber und die Regierung mit der harten Wirklichkeit. Die Meuterei von Diest war die zwanzigste seit 1598 und die größte in mehr als dreißig Jahren. Die Ergebnisse des Feldzugs von 1605/1606 stellten trotz der Geländegewinne im Nordosten des Landes keinen echten Erfolg dar. Sie waren bei weitem nicht der Durchbruch, der dem Genueser vorgeschwebt hatte. Sie machten ihm im Gegenteil klar, dass flir eine vollständige Niederschlagung des Aufstands unglaublich hohe Summen notwendig waren. Im Übrigen stand Moritz von Nassau mit Truppen an der inzwischen mit Redouten verstärkten Ijssellinie bereit. Obwohl gewisse Kreise am spanischen Hof bereits nach dem Schlag bei Nieuwpoort in Zusammenhang mit den hohen Ausgaben und den als zu gering erachteten Resultaten an eine Waffenruhe gedacht hatten, wollte der Erzherzog davon nichts wissen. Für Albrecht gab es nur zwei Wege: „el uno hazer la guerra" mit ausreichender Unterstützung des Königs; „el otro la paz, porque la suspensiön era quedar en guerra perpetua"57. Der Waffenstillstand wurde nur erwogen, um den Truppen eine Atempause zu verschaffen oder neue Feldzüge vorzubereiten. Langanhaltender und aussichtsloser Geldmangel sowie militärische Erschöpfung sorgten aber dafür, dass man darüber nachzudenken begann, wie man mit möglichst wenig Gesichts- und anderem Verlust davon kam58. Nun, da Oberbefehlshaber Spinola zu der Überzeugung gelangte, einen aussichtslosen Kampf zu führen, mussten auch Albrecht und Isabella einsehen, dass sie ihren Plan, die Niederlande unter erzherzoglicher Souveränität zu vereinigen, unter diesen Umständen vergessen konnten. Oldenbarnevelt war inzwischen der Überzeugung, dass es im Interesse der Vereinigten Provinzen sei, auf alle Friedenssignale der anderen Seite einzugehen. Im Zuge einiger seitens Brüssel außerhalb des diplomatischen Parketts initiierter heimlicher Begegnungen in Den Haag zeigte sich, dass der Ratspensionär geneigt war, jemanden mit mehr Machtbefugnissen zu empfangen, um über einen Waffenstillstand zu sprechen, als Vorbereitung für Friedensverhandlungen. Die Initiative zu der geheimen Gesandtschaft ging 1606 von Ambrogio Spinola aus, der in permanentem Briefkontakt mit dem Herzog von Lerma stand59. 56
LEFEVRE, Spinola et la Belgique (wie Anm. 31), S. 33; DE PATER, Politieke Geschiede-
n i s ( w i e A n m . 3 5 ) , S. 3 1 9 - 3 2 5 ; DEN TEX, O l d e n b a r n e v e l t ( w i e A n m . 2 0 ) , S. 5 3 0 - 5 3 1 , 542-549. 57
ESTRINGANA, Los Estados de Flandes (wie Anm. 28), S. 644-647. Geoffrey PARKER, The army of Flanders and the Spanish Road, 1567-1659. The logistics of Spanish victory and defeat in the Low Countries, Cambridge 1972, S. 290-293; in: PARKER, The Dutch Revolt (wie Anm. 25), S. 229,236-238. 59 Papiers concemans la negociation du sieur de Wettenhorst, seigneur de Horst (...) en matiere de la paix faicte en Hollande es annees 1606 et 1607, ARB., Aud., Nr. 1366. 58
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Die Erzherzöge wollen dann auf Betreiben Spinolas keine Zeit mehr verlieren. Unverzüglich wurde der Konvertit Jan Neyen, ein hochrangiger Franziskaner und alter Bekannter der Oranier, Anfang 1607 als Unterhändler in Zivil nach Holland gesandt. Der Geistliche wurde in Den Haag auffällig höflich empfangen. Er verhandelte eine Waffenruhe, die vom 4. Mai 1607 an acht Monate andauern sollte, in Erwartung der Friedensgespräche zwischen einer gleichen Anzahl Niederländer beider Seiten. Beim Austausch der Vertragstexte unterzeichnete Albrecht die de-facto-Anerkennung der Republik der Vereinigten Niederlande auf der Basis des militärischen status quo für die Dauer der Waffenruhe. Zudem entsprach er der Haager Forderung, dass Philipp III. die Übereinkunft innerhalb von drei Monaten approbieren würde. Eine souveräne unabhängige Handlung, könnte man sagen. Damit hatte der Erzherzog jedoch zu hoch gepokert, denn der König war damit überhaupt nicht einverstanden. Die Nachricht wurde in Madrid mit Entrüstung aufgenommen. Der spanische König und seine Regierung vertraten eine Ibero-mondiale Sicht und integrierten die niederländische Frage in die Verteidigung des römisch-katholischen Glaubens und der Monarquia Hispana sowie die Vertretung ihres stolzen Rufes als supranationale Macht. Der honor des spanischen Königs und seines Reiches standen auf dem Spiel. Seine Regierung vertrat daher die Meinung, dass eine Übereinkunft mit den ketzerischen Rebellen einen Bruch mit der jahrhundertealten Tradition auf der Iberischen Halbinsel darstelle, wonach Kriege zum Erhalt und der Verteidigung des einzig wahren Glaubens dienten. Die Untertanen würden den Skandal eines Abkommens mit „ketzerischen Rebellen" nicht begreifen. Laut Jesus Lalinde Abadia fühlten sie „un nivel superior de intolerancia confesional frente a los herejes" 60 . Am Hof in Spanien konnte daher von einem öffentlichen Kniefall gegenüber Rebellen, die außerdem auch noch Ketzer waren, niemals die Rede sein. Im Zuge der Übereinkunft von 1607 hatten die Erzherzöge wichtige Trümpfe aus der Hand gegeben, indem sie kein Wort über die wichtige Glaubensfrage verloren oder andere Bedingungen stellten. Der französische König, der die Nachricht vom Waffenstillstand erst hinterher erfuhr, war entsetzt, dass er dabei keine Rolle hatte spielen können. Zweideutig wie immer, gab er Albrecht und Isabella über den erzherzoglichen Botschafter in Paris Petrus Peckius zu verstehen, dass sie auf ihn hätten zählen können, um die Holländer im Rahmen eines Abkommens dazu zu bringen, die „öffentliche 60
Manuel FERNANDEZ ALVAREZ, La cuestiön de Flandes en la retina de la Espafla de la ipoca, in: 1585: Op gescheiden wegen (wie Anm. 8), S. 107-120; Jesüs LALINDE ABADIA, La intolerancia en la Monarquia Hispana у los parämetros represivo-culturales europeos, in: Instituciones de la Espaila Moderna, Bd. 2: Dogmatismo e intolerancia, hrsg. von Enrique Martinez Ruiz und Magdalena de Pazzis Pi Corrales, Madrid 1997, S. 15-32.
de Schepper, Das „Spanische Niederland"
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und freie Ausübung des katholischen Glaubens" hinzunehmen. Er ließ nochmals an sein vor fünf Jahren ausweichend beantwortetes Angebot einer Heirat zwischen dem französischen Dauphin und der Spanierin Anna erinnern, wobei die Infantin die Niederlande als Mitgift mitbringen sollte61. Etwa zur selben Zeit schickte Heinrich IV. seinen erfahrenen Diplomaten Pierre Jeannin nach Den Haag, um den Generalstaaten seinen Protest zu überbringen wegen ihrer Voreiligkeit, ohne ihn die Waffenruhe anzunehmen. Jeannin musste sie davon überzeugen, dass der König für sie die bestmöglichen Bedingungen erreichen wolle auf Kosten der spanischen Monarchie. Bei möglichen Friedensgesprächen müssten sie es gemeinsam, in einer starken und einigen Front, gegen Philipp III. und die Erzherzöge aufnehmen können. Unter der Perspektive eines nahenden spanischen Staatsbankrotts und unter dem anhaltenden Druck Spinolas hatten König Philipp III. und der Herzog von Lerma ebenfalls eingesehen, dass die Unterwerfung der provincias rebeldes unter den gegebenen Umständen militärisch und finanziell zu hoch griff. Im April 1606 hatte der König bereits auf Drängen von Lerma Spinola zu erkennen gegeben, dass er zu Verhandlungen bereit sei, unter der Bedingung, dass sich die Holländer und Seeländer sowohl aus Ost- als Westindien zurückzögen. Laut Jonathan Israel war dies der wichtigste Grund für ihre Verhandlungsbereitschaft. Die Treffen müssten jedoch in aller Heimlichkeit stattfinden, während auf den Schlachtfeldern die Sommeroffensive wie geplant weiterging. Die Geheimhaltung erwies sich natürlich als Illusion, aber Spinola interpretierte das als eine Art Zustimmung, um entgegen des königlichen Verbots inoffizielle Beobachter auf den Weg zu schicken62. Philipp III. behauptete zwar, zu Verhandlungen bereit zu sein, er stand jedoch auch weiterhin auf der Bremse. Erlaubt wurden lediglich Gespräche über einen Waffenstillstand. Nichts dürfe endgültig festgelegt werden. Somit dürfe nicht über den Frieden gesprochen werden. Philipps III. Haltung wurde auch bestimmt durch das Fehlen von Bedingungen über die Anwesenheit der Holländer in den „indischen" Besitzungen und über den Rückzug der Flotte der Aufständischen. Sie hatte soeben der spanischen bei Gibraltar eine empfindliche Niederlage zugefügt. Der König ließ folglich keine von ihm unterzeichnete Ratifizierung des Suspensionsabkommens übermitteln, ebenso wenig eine Vollmacht für die verabredeten Friedensverhandlungen. Eventuell 61
Relacion original del Presidente Richardot sobre el casamiento de la infanta dofta Anna, nuestra seflora, con el delfin de Francia, o.J. [3. Mai 1602], AGS., Estado, legajo 620, s.f.; Apuntamientos a la relacion de lo tratado sobre el casamiento, 24. Mai 1602, ebd., s.f.. Siehe Del Bufalo an Aldobrandino, 30. Nov. 1602, in: Correspondence du nonce (wie Anm. 54), S. 385-386). 62 PARKER, The Dutch Revolt (wie Anm. 25), S. 238-240; ISRAEL, The Dutch Republic (wie Anm. 27), S. 9-10; DERS., Nederland (wie Anm. 40), S. 96-97; Carlos Javier DE CARLOS MORALES, Politica У Finanzas, in: La Monarquia de Felipe III (wie Anm. 28), Bd. 3: La Corte, S. 749-865, bes. S. 780-786, 792-798.
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sollte Spinola das Kriegsbeil wieder ausgraben. Dazu sollten in der Lombardei Hilfstruppen in Einsatzbereitschaft versetzt werden. Mit dieser kriegerischen Botschaft wurde Diego de Ibarra vom König nach Brüssel gesandt. Demzufolge kostete es Spinola die allergrößte Mühe, mehrere Depeschen, einige Monate Zeit und eine Reise von Pater Neyen nach Madrid, um Philipp III. so weit zu bringen, dass er eine, übrigens als unzureichend erachtete, Ratifikation der Waffenruhe und eine Vollmacht für die Friedenskonferenz übermittelte. Die Dokumente kamen zu spät, waren in spanischer Sprache verfasst, lediglich auf einfachem Papier geschrieben und nicht vom König persönlich unterzeichnet; die Anerkennung der Republik fehlte ebenfalls63. Seine Missbilligung wurde überdeutlich. Auch nördlich des Moerdijk wurden seit einigen Jahren die Grenzen der militärischen und finanziellen Möglichkeiten zur Fortsetzung der Kriegshandlungen erkannt, obwohl der Zustand der erzherzoglichen Landesteile in vielerlei Hinsicht weitaus schlimmer war. Die Republik konnte nicht mit genügender Unterstützung von Frankreich und England rechnen, wie dies noch im Geheimvertrag von Hamptoncourt (30. Juli 1603) zugesagt worden war, weil sich diese nicht mehr im Krieg mit Spanien befanden. Und ohne ihre Hilfe waren die Vereinigten Provinzen nicht mehr in der Lage, den Krieg fortzusetzen. Die seeländischen Staaten, die Stadt Amsterdam und Moritz von Nassau waren jedoch hartnäckig gegen Friedensgespräche und leisteten den größten Widerstand. Die starren Kalvinisten interessierten sich nur noch für die Einheit der Niederlande, wenn die gesamte Bevölkerung reformiert werden würde. Paradoxerweise erhielten sie in ihrer Opposition Unterstützung durch die gemäßigten Regenten der Provinz Holland, jedoch aus völlig anderen Gründen. Die Vereinigte Ostindische Kompanie suchte die territoriale Expansion und wollte die gewinnbringenden Handelsaktivitäten, die sie zum Nachteil Spaniens in Ost- und Westindien entfaltete, nicht einstellen. An dem vor allem aus Amsterdamer Geschäftskreisen zu hörenden Geschrei gegen jedwede Vereinbarung beteiligten sich auch Brabanter und vor allem Antwerpener Flüchtlinge laut und deutlich. Sie wollten ihren gerade erworbenen Wohlstand nicht aufs Spiel setzen, indem sie einer Übereinkunft zustimmten, von der sie erwarteten, dass sie das strikte Seefahrts- und Handelsverbot mit Ost- und Westindien sowie die Öffnung der Scheidemündung und der flandrischen Küstenhäfen vorsehen würde. Auch die Seeländer sahen ihren Vorteil in der weiteren Sperrung der Scheide. Bei freier Fahrt auf dem Fluss fürchteten sie um ihren Handel und ihre Schifffahrt. Seeland sah übrigens auch seine lukrativen Kaperfahrten gegen die spanisch-portugiesische Schifffahrt im südlichen Atlantik bedroht. Moritz von Nassau, der seine Popularität bei der 63
VAN EYSINGA, De wording (wie Anm. 10), S. 20, 72-109, 110-155; DEN TEX, Oldenbarnevelt (wie Anm. 20), S. 542-543; VAN DEURSEN, Maurits van Nassau (wie Anm. 5), S. 201-213.
de Schepper, Das
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Bevölkerung und seinen Einfluss im Staatsapparat seinen Ämtern als Oberbefehlshaber und Flottenadmiral verdankte, wollte sich aus der Befürchtung heraus, Macht und Ansehen zu verlieren, ebenfalls drücken. Der Statthalter und der Ratspensionär konnten sich zu dieser Zeit nicht mehr ausstehen. Oldenbarnevelt suchte jedoch eine politische Lösung für den Konflikt mit dem spanischen Niederland und der Monarchie. Er erhielt dafür die Unterstützung der peripheren, kontinentaler ausgerichteten agrarischen Provinzen, die für die Pazifikation eingenommen waren. Sie hatten wenig übrig für die maritimen Ambitionen der Holländer und Seeländer64. Der F r i e d e n s k o n g r e s s . Johan van Oldenbarnevelt lud sämtliche am niederländischen Konflikt beteiligte Parteien, von denen er sich diplomatische Unterstützung erhoffte, ein, Vertreter zu einer Friedenskonferenz nach Den Haag zu entsenden. Die Anwesenheit von Diplomaten im Auftrag der französischen, englischen und dänischen Könige sowie einiger protestantischer Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches zeigt, dass es nicht mehr nur um die Einheit der Niederlande ging, sondern auch um den Frieden in einer europäischen Großregion und darüber hinaus. Obwohl der Kaiser in der Vergangenheit oft im niederländischen Bürgerkrieg vermittelt oder seine Vermittlung angeboten hatte, wurde er diesmal nicht eingeladen. Trotz des alten feudalen Bandes sahen sich die Republik und das „Spanische Niederland" als unabhängig vom Reich und lehnten einmütig die Teilnahme einer kaiserlichen Gesandtschaft ab. Erzherzog Albrecht fand, dass das Reich niemals geholfen habe, obwohl es durch den Vertrag von Augsburg aus dem Jahr 1548 dazu verpflichtet war. Die Generalstaaten in Den Haag fühlten sich dem Kaiser ebenfalls nicht verpflichtet, weil sie glaubten, dass sie niemals mit seiner Unterstützung rechnen konnten. Auf dem Reichstag zu Regensburg gab der Kaiser seinem Missfallen Ausdruck. Er meinte, als Lehnsherr Anrecht auf eine Einladung zu haben, da die Verhandlungen einen der zehn Reichskreise, den Burgundischen, betrafen. Er fand keine Resonanz. Im Übrigen weigerte er sich ohnehin, rebellische Provinzen anzuerkennen. Im Verhandlungsergebnis wurde der Kaiser dann auch mit keinem Wort mehr erwähnt65. Am Ende des bitterkalten Januar 1608 wurde die Geduld schließlich durch die langersehnte Ankunft der Unterhändler der Krone Spanien belohnt. Sie hatten ihre Kähne auf Schlitten verladen müssen, um die Fahrt über die zugefrorenen Flüsse zur europäischen Friedenskonferenz zu unternehmen. Schließlich begannen Anfang Februar, nach den üblichen Höflichkeitsbesu64
VAN EYSINGA, De wording (wie Anm. 10), S. 20, 72-109, 110-155; DEN TEX, Oldenbarnevelt (wie Anm. 20), S. 542-543; VAN DEURSEN, Maurits van Nassau (wie Anm. 5), S. 201-213. 65
ARNDT, D a s H e i l i g e R ö m i s c h e R e i c h ( w i e A n m . 1 0 ) , S . 8 2 - 8 3 ; GARCIA GARCIA, L a
Pax Hispänica ( w i e A n m . 7), S. 6 2 - 6 3 .
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chen, ernsthafte Verhandlungen zwischen Vertretern der Republik unter Leitung Oldenbarnevelts und, gegen alle Absprachen, einer gemeinsamen Delegation Philipps III. und der Erzherzöge. Ihre Zusammensetzung spiegelte die zusammengesetzte Monarquia Hispana wider. Sie stand unter Leitung des Italieners Spinola, des einzigen, in den Oldenbarnevelt Vertrauen setzte. Daneben bestand sie aus dem vom spanischen König ernannten „Staats- und Kriegssekretär" Juan de Mancicidor und dem gewandten Juristen Jean Richardot. Letztgenannter - als Burgunder für die Niederländer trotz seiner jahrzehntelangen Karriere zu Brüssel ein halber Fremder - war schließlich der einzige „einheimische" Politiker, der einen Beitrag leisten sollte. Gemeinsam mit Spinola und Mancicidor partizipierte er an der geheimen junta, die in Brüssel über die Friedensstrategie beriet und die Entsendung der Delegation vorbereitete66. In der junta wurde die Meinung König Philipps durch Diego de Ibarra vertreten, der von den Holländern als Mitglied der spanischniederländischen Delegation abgelehnt worden war. Der erzherzogliche Audienzier unterstützte die Delegation als Sekretär. Regelmäßig pendelte er nach Brüssel, um die junta über den Verlauf der Verhandlungen ins Bild zu setzen und eventuell neue Instruktionen einzuholen. Der Friedenswille war bei beiden Delegationen derart ausgeprägt, dass die formalen und sogar die inhaltlichen Reserven Philipps mit dem Mantel des Schweigens bedeckt wurden. Sicherheitshalber wurde die Waffenruhe erst einmal bis zum 31. Dezember 1608 verlängert. Obwohl der Marquis Spinola der protokollarische Leiter und die Schlüsselfigur der Gesandtschaft war, schrieb der ernstzunehmende Beobachter Guido Bentivoglio, der päpstliche Nuntius zu Brüssel: „Ho stimato ch'escano dalla bocca del marchese Spinola tutte le cose che son' uscite da quella di Ricciardotta. II marchese in queste prattiche hä havuto sempre Ricciardotto per guida e l'hä ascoltato e seguitato como suo oraculo"; im Prinzip natürlich innerhalb der Grenzen, die der spanische König und Lerma zogen. Allein aufgrund der benutzten Sprachen - Kastilisch wurde wenig oder gar nicht verstanden führte Richardot im Konferenzsaal das Wort, und im stillen Kämmerlein führte er Gespräche mit Oldenbarnevelt67. 66
Briefe von Guido Bentivoglio, päpstlicher Nuntius in Brüssel, an den apostolischen Staatssekretär Borghese, 18. Aug., 13. und 20. Okt. 1607, 4. Okt. 1608, 14., 21. und 28. Feb. und 11. Apr. 1609, Archivo Segreto Vaticano [Abk. ASV.], Fondo Borghese, Serie II, Nr. 100, f. 166v-168v, f. 236, f. 246-247; Nr. 111, f. 121v; und Nr. 114, f. 49v-50, 57v, 64v-65, 122v-124v; avvisi, 11. und 12. Okt. 1607, ASV., avvisi, Nr. 3, f. 245, und Nr. 120, f. 56); Marquis von Guadaleste an Philipp III., 12. Dez. 1608 und 29. März 1609, AGS., Estado, legajo 2290, folleto 7, und legajo 2291, folleto 27; „Papiers concernans la negotiation", 1606^-1607, ARB., Aud., Nr. 1366, passim; Relatione della Tregua, 16061609, in: BENTIVOGLIO, Relatione (wie Anm. 15), S. 1 - 7 5 . 67
Bentivoglio an Borghese, 4. Okt. 1608, ASV., Borghese, series II, Nr. 111, f. 121 v. Siehe auch ders., 14. Feb. 1609, ebd., Nr. 114, f. 50 über Richardot: "l'architetto, per cosi dire, c'hä maneggiato e condutto tutte le prattiche quä".
de Schepper, Das „Spanische Niederland"
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In der Instruktion für die gemischte königlich-erzherzogliche Delegation wurde der Punkt der Wiedervereinigung der „Siebzehn Provinzen" nur pro memoria angeführt, sofern alle anderen Bedingungen vorgängig erfüllt wären. Vorsichtshalber sollten sie eine gemäßigte Variante des ghemeyne vaderlandt der Niederlande, nämlich unter den Erzherzögen als protectores, nicht sofort zur Sprache bringen, sie jedoch warm halten, ohne bei den Engländern und vor allem den Franzosen Argwohn zu erregen. Eine ähnliche Idee wurde bereits einige Jahre zuvor vom Staatsrat Philipp Wilhelm von Oranien kundgetan: die beiden Niederlande unter den Erzherzögen in einer Art Föderation, mit seinem Halbbruder Moritz als Statthalter in dem einen Teilstaat und ihm selbst in dem anderen. Philipp Wilhelm war 1608-1609 nach Den Haag gereist, offiziell um den Nachlass in seines Vaters Sterbehaus zu regeln, aber angesichts der Spuren in vatikanischen und septimankanischen Archiven ist es nicht unwahrscheinlich, dass er dort im Umfeld der Konferenz Kontakte pflegte68. Als ersten Tagesordnungspunkt verlangten die Gesandten im Namen Philipps III. und der Erzherzöge für die Katholiken in der Republik Religionsfreiheit, übrigens ohne Wechselseitigkeit für die Protestanten in den Spanischen Niederlanden. Sie stellten dies als eine angemessene Konzession dar für die Anerkennung, die die Republik 1607 im Zuge der ersten Waffenruhe erreicht hatte. Des Weiteren forderten sie die Aufhebung des Embargos der Scheide und der flämischen Küste sowie den Verzicht auf jeglichen holländischen und seeländischen Handel mit Ost- und Westindien. Letzteres hätte zur Aufgabe der Pläne zur Gründung einer Westindischen Kompanie führen müssen und sogar zur Auflösung der bestehenden Vereinigten Ostindischen Kompanie. Frankreich stand übrigens „freundlicherweise" bereit, für ihre Transferierung auf das eigene Territorium Sorge zu tragen und die möglicherweise gewinnbringenden Aktivitäten zu übernehmen. Für die Vertretung der Haager Generalstaaten waren diese Bedingungen selbstverständlich völlig inakzeptabel. Die Souveränität der Vereinigten Provinzen musste, wie man es auch drehte oder wendete, ohne Abstriche anerkannt werden, das heißt religiös, politisch und international, einschließlich der freien Schifffahrt nach Ost- und Westindien69. Nicht nur die spanischen Voraussetzungen verursachten Unruhe, auch die Ambitionen Frankreichs bereiteten dem Ratspensionär Oldenbarnevelt Sorgen. Heinrich IV. hatte sich Friedensverhandlungen mit der spanischen Monarchie widersetzt und beabsichtigte aus opportunistischen Gründen die Fortsetzung des Krieges; nämlich heimlich unter der eigentlich nicht mehr 68
Awiso, Brüssel 3. Jan. 1609, ASV., Borghese, series II, Nr. 62, f. 10; Philipp III. an Albert, 6. Apr. 1609, AGS., Estado, legajo 2227, s.f.; Philipp III. an Philipp Wilhelm, 6. Apr. 1609, ebd., s.f.); Pieter SCHERFT, Het sterfhuis van Oranje, Leiden 1966, S. 238-239,264-278. 69 ISRAEL, The Dutch Republic (wie Anm. 27), S. 8-9; SOMERS, De VOC (wie Anm. 51), S. 73-81.
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realisierbaren Bedingung, dass ihm die Souveränität über die Vereinigten Provinzen doch noch angeboten würde. Für diesen Plan erhoffte er sich die Zustimmung Moritz von Nassaus, der dann sein Statthalter werden sollte. Dafür brauchte er den Abzug der Spanier und erpresste er Oldenbarnevelt mit Gebietsansprüchen in dem „spanischen Niederland". Heinrich IV. fürchtete den Tag, an dem nach den Erzherzögen Philipp III. oder sein Nachfolger aufs Neue Souverän in den Niederlanden werden würde. Der französische Monarch machte seine Hilfe zudem abhängig von einem immensen Geldbetrag. Für die jahrelange Unterstützung des Aufstands forderte er etwas zurück. Gleichzeitig machte er Garantien für die Ausübung des Katholizismus neben dem reformierten Glauben zur Bedingung, wodurch es kein „crijch van religien" mehr wäre, sondern ein „crijch van Staat"70. Das lange Warten auf die Ankunft der spanischen Delegation gab dem Ratspensionär jedoch die Gelegenheit, dank seines guten persönlichen Verhältnisses und der gegenseitigen Achtung zwischen ihm und Pierre Jeannin Heinrich IV. mit Versprechungen zu besänftigen. Die Vereinigten Provinzen versprachen nämlich, weder den Krieg gegen Spanien und seinen niederländischen Satelliten fortzusetzen noch mit ihnen ein Abkommen zu schließen, es sei denn mit Zustimmung und unter Teilnahme Frankreichs und Englands. Die Forderung nach Religionsfreiheit für die Katholiken in den Vereinigten Provinzen blieb immer unverhandelbar, obwohl Oldenbarnevelt persönlich dafür zu haben war. Die Generalstaaten fürchteten, dass auf diese Weise das Land durch Fratres und Pfaffen überschwemmt würde. Aufgrund der Tatsache, dass einige Tage vor Beginn der Konferenz am 25. Januar ein Defensivbündnis zwischen Frankreich und der Republik zustande kam, für den Fall, dass der Friedenskongress zu keinem Resultat führen würde, erschien Oldenbarnevelt gestärkt auf dem Schauplatz. Er konnte die Steigerung seines Ansehens gut gebrauchen. Denn es kostete ihn große Mühe, die Opposition in den Generalstaaten und Moritz von Nassau für den Friedensprozess zu gewinnen71. Das endlose Theater zwischen den Delegationen und die zahllosen Rücksprachen mit den jeweiligen Auftraggebern nahmen viel Zeit in Anspruch, schienen aber nicht zu einem Friedensvertrag zu führen. Die Standpunkte der beiden Seiten lagen zu weit auseinander. Nach dem Eintreffen neuer Instruktionen aus Madrid wurde deutlich, dass sich der Standpunkt des Königs in der Religionsfrage und hinsichtlich Ost- und Westindien nicht geändert hatte. Ende August 1608 gingen die beiden Delegationen auseinander, und Spinola empfahl den Erzherzögen, den Feldzug für das kommende Jahr vorzubereiten. Die Entscheidung für Krieg oder Frieden stand noch immer auf des Messers 70 DE PATER, Politieke Geschiedenis (wie Anm. 35), S. 316-325. Auch VAN DER ESSEN, Politieke Geschiedenis (wie Anm. 17), S. 281-282. 71 VAN EYSINGA, De wording (wie Anm. 10), S. 20, 72-76, 95-109; VAN DEURSEN, Maurits van Nassau (wie Anm. 5), S. 198, 206-211.
de Schepper, Das „Spanische Niederland"
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Schneide. Moritz von Nassau freute sich bereits, dass der Krieg fortgesetzt werden würde. Für Philipp III. war dies eine fürchterliche diplomatische Blamage, denn Spanien hatte kaum etwas erreicht. Das Ergebnis war nur filr die Republik positiv, denn an ihrer Anerkennung konnte nun nicht mehr gerüttelt werden. Der französische König fand, dass der Friedensprozess durch den „Angsthasen" Erzherzog Albrecht von Beginn an falsch angepackt worden war72. Mit Ausnahme der Engländer und Franzosen verließen die ausländischen Delegationen eine nach der anderen den Konferenzort. Glücklicherweise wusste vor allem der französische Gesandte Jeannin, durch eine Pendeldiplomatie indirekte Gespräche zwischen beiden Parteien in Gang zu halten. Von Beginn an war Jean Richardot anstatt für Frieden für einen befristeten Waffenstillstand eingetreten, der jeweils einfach einige Jahre zu verlängern war, möglicherweise bis zu zwanzig Jahren. Nach Ablauf jedes Waffenstillstands wäre zu untersuchen ob die Zeit reif sei für Friedensgespräche. Seit Jahren erwies er sich als Realpolitiker, der über inoffizielle Kontakte und persönliche Korrespondenten in England und der Republik das Konzept eines befristeten Waffenstillstands propagiert hatte, anstelle einer seiner Meinung nach unerreichbaren Einigung einschließlich Versöhnung und Wiedervereinigung der beiden Niederlande73. Möglicherweise hatte Richardot die Idee auch schon zehn Jahre zuvor in Frankreich artikuliert, während der Verhandlungen, die zum Frieden von Vervins führten. Seitdem kannte er Jeannin74. Im Übrigen hatte der Franzose ihm 1602 in Nieuwpoort auch die französischspanischen Heiratspläne unterbreitet. Mit Jeannin hatte Richardot, während seiner Spaziergänge im Haagse Bos mehrfach „zufällige" Begegnungen. Beide waren Katholiken und Burgunder, der eine aus dem Herzogtum Burgund, der andere aus der benachbarten Freigrafschaft Burgund (Franche-Comtö). Als Burgunder und Pragmatiker war Richardot mit der Einheit der Niederlande weniger emotional verbunden. Ab Ende September 1608 versuchte Jeannin eine längere Unterbrechung der Feindseligkeiten zu vermitteln, und zwar für die Dauer von sieben Jahren. Ende des Jahres gaben die Erzherzöge, unter dem Vorbehalt der Bestätigung durch Philipp III. innerhalb von drei Monaten, ihr Einverständnis, dass es nicht zu einem Friedens vertrag, sondern zu einem längeren Waffenstillstand käme. Während dieser Zeit sollten die Vereinigten Provinzen als „freie Staaten" anerkannt werden, ein etwas diffuser Wortgebrauch, um den Begriff „Souveränität" zu vermeiden.
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73
GARCIA GARCIA, L a P a x H i s p ä n i c a ( w i e A n m . 7 ) , S . 6 4 - 7 4 .
Richardot an Albrecht, Den Haag 4. und 29. März 1608, AGS., Estado, legajo 2290, folietos 68 und 87; Beratung des Consejo de Estado neben Philipp III., 8. Jan. 1609, ebd., legajo 2025, folleto 194. 74 IMHOF, Der Friede von Vervins (wie Anm. 23), I.e.
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Um dem erwarteten Widerstand Madrids zuvorzukommen und den königlichen Hof zur Annahme der bis dahin lediglich prinzipiellen Vereinbarung zu bewegen, schickte Erzherzog Albrecht seinen Beichtvater, den spanischen Dominikaner Ifligo de Brizuela, mit im Grunde derselben Nachricht wie der Spinolas vor ein paar Jahren nach Madrid: Wenn nicht genügend finanzielle und militärische Mittel vorhanden wären, um den Krieg fortzusetzen, hätte man nur die Wahl zwischen Billigung des Waffenstillstands oder einer militärischen Katastrophe. Die Anerkennung der Vereinigten Provinzen sollte als Kompromiss zweideutig formuliert sein, damit Isabella nicht auf ihre Hoheitsrechte verzichten müsse, ebenso wenig wie die spanischen Habsburger auf patrimoniale Rechte für die Zeit nach den Erzherzögen. Das Memorandum, das der Pater dem König und seiner Regierung übergab, beinhaltete zudem, dass den Holländern unmöglich eine tregua llana, ein Waffenstillstand ohne Bedingungen, aufgezwungen werden könne. Am spanischen Hof machte der Herzog von Lerma den Erzherzögen den Vorwurf, dass sie gegen die Abtretungsbestimmungen von 1598 verstoßen hätten. Man würde übrigens lieber suspension de Armas hören anstatt tregua, weil eine Waffenruhe den erneuten Griff zu den Waffen erleichtere. Philipp III. hat sich solange wie möglich, jedoch vergeblich, widersetzt; vor die Wahl zwischen Krieg und Waffenstillstand gestellt, gab er auf französischen und englischen Druck schließlich nach. Er ließ noch einen Vorstoß für die Katholiken in der Republik unternehmen, Ende Januar 1609 beantwortete er das Memorandum Brizuelas schließlich notgedrungen mit „Ja". Aus Geldmangel gab er nach und stimmte dem Textentwurf zu75. Für die Abschlussberatungen zogen die übriggebliebenen Delegationen am 25. März 1609 von Den Haag nach Antwerpen um, wo am 9. April das Waffenstillstandsabkommen zuerst durch die vermittelnden Gesandten unterzeichnet wurde. Darauf unterschrieben die bevollmächtigten Gesandten beider Parteien. Auf Ersuchen Den Haags wurde der Waffenstillstand noch auf zwölf Jahre ausgeweitet. In dieser kurzen Phase der Waffenstillstandsgespräche hat Jean Richardot noch versucht, sich der Ausweitung zu widersetzen. Als die Haager Unterhändler jedoch Anstalten machten aufzubrechen, oder so taten als ob, erschien es ihm dann aber doch klüger nachzugeben76, obwohl der Waffenstillstand durch die Kriegspartei am spanischen Hof als eine schwere Erniedrigung empfunden wurde. Sie meinte: „mejor perder los Estados de Flandes con las armas en las manos que conservarlos con alguna indignidad"77. Innerhalb der vorgesehenen vier Tage wurden die unterzeichne75
VAN EYSINGA, De wording (wie Anm. 10), S. 110-155; DEN TEX, Oldenbamevelt (wie
ANM. 2 0 ) , S. 5 5 1 - 6 7 7 , p a s s i m ; GARCIA GARCIA, L a P a x Hispänica ( w i e A n m . 7), I.E. 76 Bentivoglio an Borghese, 28. Feb. 1609,ASV., Borghese, series II, Nr. 114, f. 64-65; ders., 7. März 1609, ebd., f. 72; Guadaleste an Philipp III., 29. März 1609, AGS., Estado, legajo 2291, folleto 27. 77
GARCIA GARCIA, L a Pax H i s p ä n i c a ( w i e A n m . 7), S. 7 0 .
de Schepper, Das
„SpanischeNiederland"
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ten Ratifizierungsurkunden zwischen den Spanischen Niederlanden und den Vereinigten Provinzen zu Antwerpen ausgetauscht. Die Provinz Seeland erhob zwar noch Einspruch, gab ihren Widerstand jedoch nach der Ratifizierung durch Philipp III. auf. Dieser wartet mit der Platzierung seines „Yo el Rey" bis zwei Tage vor Ablauf der eingeräumten drei Monate. Er konnte den Vertrag nicht länger verhindern. Während sich die Parteien auf dem europäischen Kongress nicht über einen Friedensvertrag einigten, hatte die niederländische Regierung in Brüssel in einem recht frühen Stadium in Erwartung des Verhandlungsergebnisses bereits einige Detailfragen vorbereitet, nämlich das Problem des beiderseits konfiszierten Besitzes, des Handels zwischen dem „Spanischen Niederland" und der Republik sowie des Absteckens der Grenzen. Albrecht hatte seinen Geheimrat und den Finanzrat zu Brüssel angewiesen, die Angelegenheiten zu untersuchen und diesbezüglich Richtlinien für die Unterhändler zu erstellen78. Bezüglich der inner-niederländischen Handelsbeziehungen forderten die Erzherzöge die freie Fahrt nach Antwerpen und die Abschaffung der Kriegsabgaben. Die Aufhebung der Beschlagnahmungen sollte Anlass zu vielen Artikeln im Waffenstillstandsabkommen geben. Die hochstehenden Familien sowohl in der Republik als auch in den erzherzoglichen Niederlanden hatten persönliche Vorteile bei der Restitution ihres früheren Besitzes und Eigentums. Die gemischte Gesandtschaft hatte danach einen Tausch jener Gebiete vorgeschlagen: die die spanischen und wallonischen Truppen jenseits des Rheins in Besitz hatten (Lingen, Oldenzaal, Grol, Breedevoort und Wachtendonk) und des „Quartiers" Nimwegen in Gelderland, das südlich des Rheins seit 1591 in den Händen der Republik war, gegen das, was die Armee Moritz von Nassaus in Flandern und Brabant besetzt hielt (Sluis, Bergen op Zoom, Breda und Grave). Weil der Vorschlag auffällig unausgewogen erachtet wurde, könnte als Kompromiss die Frontlinie der ersten Waffenruhe von 1607 als Waffenstillstandslinie beibehalten werden, sowohl in Gelderland als auch in Brabant und Flandern79. Gegenüber der Republik war der König von Spanien nicht nur der große Verlierer. Mehr denn je empfand er den Waffenstillstand als Kränkung seiner Ehre durch - wie er es sah - „seine rebellischen Vasallen und, schlimmer noch, Ketzer, welche wie er findet bis zu ihrer Ausrottung bekämpft werden müssten"80. Wohl oder übel musste er beinahe alles preisgeben, was er je
78
Memorandum „Sur la restitution des biens exhibe par les deputez des Estatz le 21 may 1608", AGS., Estado, legajo 2290, folleto 226; Guadaleste an Philipp III., 26. Mai 1608, ebd., legajo 2290, folleto 228). 79 Siehe VAN EYSINGA, De wording (wie Anm. 10), S. 117-119, 151; DEN TEX, Oldenbarnevelt (wie Anm. 20), Bd. 2, S. 608-609, 674. 80 Antonio Dominguez Ortiz, La defensa de la reputaciön, in: 1 5 9 8 - 1 6 4 8 : Esplendor de Espafia. De Cervantes a Veläsquez, hrsg. von Chris van der Heijden [u. a.], Zwolle 1998,
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gefordert hatte, und musste zugestehen, was er stets verweigert hatte. Während des Waffenstillstands würden die Vereinigten Provinzen de facto von Philipp III. und den Erzherzögen als „Freie Staaten" anerkannt werden, ohne dass den Katholiken Glaubensfreiheit eingeräumt worden wäre. Das „Spanische Niederland" und die Monarquia Hispana mussten ihre Politik der Wiedervereinigung unter der Herrschaft Albrechts und Isabellas für die Dauer des Waffenstillstands aufgeben. Das gilt aber auch für den seitens der Republik jahrelang gehegten Traum vom Abzug der Spanier und der Neuauflage der Utrechter Union außerhalb des spanischen Wirkungsbereichs. Oldenbarnevelt konnte noch verhindern, dass Heinrich IV. von Frankreich einen Teil der erzherzoglichen Niederlande annektierte. Auch die Souveränität über die Vereinigten Provinzen ist ihm entgangen. Auch in Ost- und Westindien behielten beide Seiten, was sie hatten. Über die freie Schifffahrt nach Ost- und Westindien wurden die spanischen Kapitäne jedoch wegen einer undeutlichen Formulierung im Vertrag gar nicht oder so schlecht informiert, dass der Krieg in Übersee weiter andauerte. Die Blockade der flandrischen Häfen wurde zwar aufgehoben, die Scheide blieb aber geschlossen. Die erzherzoglichen Niederlande blieben von der Navigation nach Indien ausgeschlossen, wie es 1598 bei dem Abtretungsakt bestimmt worden war. Für sie gab es kein Mare Liberum! Das spanische Embargo gegen die Vereinigten Provinzen wurde aufgehoben, so dass ihre Schiffer und Kaufleute ihren früheren umfangreichen Handel mit den iberischen Häfen wieder aufnehmen konnten. Die Republik musste jedoch bis 1621 darauf verzichten, eine zweite Handelskompanie entsprechend der Vereinigten Ostindischen Kompanie für das atlantische Gebiet zu gründen. Hinsichtlich der Religion machte sie ein kleines Zugeständnis: kein Einspruch gegen die Ausübung des katholischen Glaubens in Brabant. Unmittelbar nach Verkündung des zwölfjährigen Waffenstillstandes wurden die diplomatischen Beziehungen der Republik mit Frankreich, England und dem Stadtstaat Venedig auf Botschafterniveau angehoben81. Andere Länder sollten bald folgen. In letzter Minute noch versuchte Heinrich IV. über seinen Gesandten, den Abschluss des zwölfjährigen Waffenstillstands zu verhindern. Nach dem Tod des Herzogs von Jülich am 25. März 1609 stellte sich die Frage der JülichKleveschen Erbfolge. Bei der Lösung der Nachfolgefrage drohten sich Katholiken und Protestanten erneut diametral gegenüberzustehen. Ebenso wenig wie die Republik, wollte der französische König Jülich, Kleve und Berg unter habsburgischen Einfluss geraten lassen. Darum forderte er einen Zusatz zum Waffenstillstandsvertrag mit dem Aufruf zur Neutralität. Jeannin informierte S. 22-28, bes. S. 24: „no solo era una capitulacion ante vasallos rebeldes sino ante herejes que debian ser combatidos hasta el exterminio". 81 ISRAEL, The Dutch Republic (wie Anm. 27), S. 11-12; JACOBS, Een zegenrijk gewest ( w i e A n m . 3 6 ) , S. 6 1 ; SOMERS, D e V O C ( w i e A n m . 5 1 ) , S. 106, 149.
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seinen König jedoch am Tage vor der Unterzeichnung, dass es dafür zu spät sei82. Richardot und Jeannin haben aber einander versichert, dass sich ihre beiden Länder aus der Jülich-Kleveschen Erbfolge heraushalten würden83. Dadurch wurde verhindert, dass die europäische Friedenskonferenz noch ein langes Nachspiel hatte. Nach Ablauf des zwölfjährigen Waffenstillstands 1621 mussten die erzherzoglichen Niederlande erneut Krieg gegen Landsleute und zahllose geflohene Familienmitglieder führen, zum Teil weil die Madrider Regierung keinen Frieden wollte. Der Handelskrieg wurde nach Erlass des spanischen Verbots von Handelsverbindungen und Schiffsverkehr der Republik mit der Iberischen Halbinsel fortgesetzt. Einiges hatte jedoch auch gleichzeitig mit dem voll entbrannten Streit mit den Vereinigten Provinzen wegen der Kolonien zu tun. Indem sie sich hauptsächlich auf die kastilischen Besitzungen der ehemals portugiesischen Krone verlegten, widersetzten sie sich ziemlich dreist dem spanischen Überseemonopol. Die Republik betrachtete den Konflikt immer weniger als einen Religionskrieg84. S c h l u s s b e t r a c h t u n g . Die Verhandlungen der legalen Regierung des Landesherrn Philipps II. mit den in der Utrechter Union vereinten aufständischen Provinzen hatten seit Beginn des niederländischen Bürgerkriegs stets einen trilateralen Charakter, weil der König von Spanien der dritte im Bunde war. Regierung und Staaten der sogenannten provincias obedientes waren jedoch häufig nicht auf derselben Wellenlänge wie der spanische König. Die Pazifikation von Gent von 1576 hatte gezeigt, dass beide Parteien leichter in der Lage waren, einen Versöhnungspakt zu schließen, wenn der spanische König oder seine Regierung nicht beteiligt waren. Die von den rebellischen Regenten als so wichtig erachtete Gewissensfreiheit, die von ihnen zur Vorbedingung für Verhandlungen erhoben wurde, war für den spanischen Monarchen völlig unannehmbar, weshalb es nie zu grundsätzlichen Gesprächen über die Wiedervereinigung des Landes kam. Hinsichtlich der politischen und vor allem religiösen Forderungen der Rebellen waren die „loyalen" niederländi82
VAN DEURSEN, Maurits van Nassau (wie Anm. 5), S. 213. Die Erzherzöge an Peckius, 2. Mai und 13. Juli 1609, österreichisches Staatsarchiv Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, PC, Fasz. 16/1609, f. 99 und f. 150-151); dies., 16. Juli 1609, ebd., Fasz. 17/1, f. 110-111 v; Albrecht an Philipp III., 28. Aug. 1609, AGS., Estado, legajo 2291, folleto 259; Guadaleste an Philipp III., 28. Sept. 1609, ebd., legajo 2291, folleto 225. 84 Jan J. POELHEKKE, 4 Uytgaen van den Treves. Spanje en de Nederlanden in 1621. Groningen 1960; John Huxtable ELLIOTT, The old world and the new, Cambridge 1970, S. 97; Peter J. A. N. RIETBERGEN, De Eerste Landvoogd Pieter Both, 1568-1615, Gouverneur-Generaal van Nederlands-Indig, 1609-1614, Bd. 1, Ziitphen 1987, S. 33-36; ISRAEL, Nederland als centrum (wie Anm. 40), S. 136-150; Werner THOMAS und Eddy STOLS, La integracion de Flandes en la Monarquia Hispänica, in: Encuentros en Flandes. Relaciones e intercambios hispanoflamencos a inicios de la Edad Moderna, hrsg. von Werner Thomas und Robert A. Verdonk, Leuven/Soria 2000, S. 1-73, bes. S. 59. 83
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sehen Staaten, ja sogar die Regierung zu Brüssel, zu Konzessionen bereit, ganz anders als die Regierung in Spanien. Alle Friedensbemühungen die unternommen wurden, scheiterten sofort an der Vorbedingung der Aufständischen über die Gewissensfreiheit. Nachdem die Niederlande 1598 durch ihre Abtretung an die Erzherzöge Albrecht und Isabella formal unabhängig geworden waren, wollte Albrecht in den ersten Jahren der erzherzoglichen Regierung den Staaten die Initiative überlassen; wodurch er zugleich dem wiederholten Drängen der Volksvertretung entgegenkam. Die erzherzogliche Souveränität war jedoch beschränkt durch die finanzielle Abhängigkeit von Spanien und die Anwesenheit spanischer Truppen, die ftir die militärische Unterwerfung der Aufständischen nötig waren. Demzufolge mussten Albrecht und Isabella die politischen Positionen Philipps III. und des spanischen Hofs berücksichtigen. Das war übrigens vertraglich festgelegt in den Geheimbestimmungen der Abtretung. In jedem Fall musste sich die erzherzogliche Regierung regelmäßig der königlichen Strategie beugen, die ihr durch die starke Kolonie ausländischer Berater und Militärs um den spanischen Botschafter zu Brüssel verdeutlicht wurde. Im Jahre 1603 erlegte der König den „souveränen" Erzherzögen sogar ein absolutes Verbot politischer Kontakte mit den provincias rebeldes auf. Philipp III. wollte keinen Ansehensverlust erleiden in dem, was er ohne weiteres als Reconquista gegen „ketzerische Vasallen" zur Verteidigung des Katholizismus ansah. Die Unterstützung der niederländischen Rebellen durch ausländische Feinde des spanischen Reichs sowie die holländische Besetzung von spanischen Überseekolonien machten aus der Guerra de Flandes übrigens einen immer ausgedehnteren globalen Konflikt. Die Internationalisierung dieses Kriegs machte eine Befriedung nicht gerade einfacher. Außerdem geriet die hazienda der spanischen Monarchie in schwere Liquiditätsprobleme, nicht nur aufgrund der seeländisch-englischen Kaperfahrten gegen die spanischen SilberschifFe, sondern auch wegen der enormen Geldbeträge, die seit Jahrzehnten in den niederländischen Konflikt und in die spanischen Bestrebungen zur Welthegemonie gesteckt worden waren und noch immer wurden. Dazu kam der katastrophale Zustand, in dem sich die Wirtschaft und die öffentliche Sicherheit der spanischen Niederlande befanden. Deshalb war der Friedenswille dort stärker als in Holland und Seeland, den führenden Provinzen der aufständischen Republik, wo interkontinentaler Schiffsverkehr und Handel schon seit den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts stark zugenommen hatten. Die abermalige Unzulänglichkeit der militärischen und finanziellen Ressourcen der Monarchie und der spanischen Niederlande ließ den erzherzoglichen Oberbefehlshaber Spinola dann auch einsehen, dass das Ziel, die Vereinigten Provinzen in die Knie zu zwingen, bei weitem nicht erreichbar war. Aber erst nachdem Philipp III und sein Hof in Spanien im Licht des drohen-
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den Staatsbankrotts die Aussichtslosigkeit des niederländischen Konflikts eingesehen hatten, zeigten sie ihre Bereitschaft zu Verhandlungen. Die Vereinigten Provinzen bekamen freilich ebenfalls die Grenzen ihrer Möglichkeiten aufgezeigt. Aufgrund des Verlustes ihrer wichtigsten Verbündeten Frankreich und England, die mit Spanien Frieden geschlossen hatten, waren sie diplomatisch, finanziell und militärisch in eine gewisse Isolation geraten. Der politische Führer der Republik Oldenbarnevelt sah sich gezwungen, die Generalitätspolitik, also den Ansatz, mit Brabant und Flandern gegen die Spanier zusammenzuarbeiten, um die Utrechter Union wiederherzustellen, vorläufig fahren zu lassen. Die Vereinigten Provinzen, aber mehr noch die Krone Spanien und ihre erzherzogliche Satellite waren indes vornehmlich durch Geldmangel gezwungen die Feindseligkeiten einstweilen zu beenden85. Obwohl der Hof in Spanien bemüht war, hinsichtlich der Erzherzöge die Zügel fest in der Hand zu halten, vergaloppierte sich Albrecht 1607, indem er überhastet eine erste Waffenruhe unterzeichnete, mit der er die Republik ohne Gegenleistung anerkannte. Dies durchkreuzte nicht nur die Strategie Philipps III., sondern auch die zweideutige Diplomatie des französischen Königs Heinrich IV., der geteilte Niederlande einem wiedervereinigten Nachbarland vorzog. Zur Empörung des spanischen Hofes hatten die Erzherzöge 1607 wertvolle Trümpfe aus der Hand gegeben, wodurch die spanische Delegation 1608/1609 auf dem internationalen Friedenskongress zu Den Haag in die Klemme geriet. Der beabsichtigte Frieden kam nicht zustande. Eine vorläufige Lösung war der einzige Ausweg aus der Sackgasse, verursacht durch die jeweiligen unüberbrückbaren Vorbedingungen. Dank des Drucks Englands und Frankreichs und vor allem der guten persönlichen Kontakte zwischen Oldenbarnevelt und dem französischen Gesandten Pierre Jeannin sowie zwischen letztgenanntem und dem erzherzoglichen Staatsmann Jean Richardot konnten sich beide Seiten mit dem Gedanken eines längeren Waffenstillstands schließlich anfreunden. Dieser wurde bereits seit Jahren vom Pragmatiker Richardot, einem Burgunder aus der Freigrafschaft, propagiert und muss beim katholischen Jeannin aus dem französischen Burgund auf fruchtbaren Boden gefallen sein. Der zwölfjährige Waffenstillstand war ein Abkommen zwischen der Republik und der iberischen Weltmacht, zu der das erzherzogliche Niederland, trotz seiner formellen Souveränität, gehörte. Zumindest für die Dauer des Waffenstillstands mussten auch die Erzherzöge ihre Politik, das Land unter ihrer Souveränität wiederzuvereinigen, aufgeben. Er gab ihnen jedoch die Gelegenheit, an der katholischen Reformation und dem wirtschaftlichen 85 Luis A. RLBOT GARCIA, Revueita politica У malestar social en la Monarquia de los Austrias, durante el siglo XVII, in: Rebelion у Resistencia en el Mundo Hispänico del Siglo XVII, hrsg. von Werner Thomas und Bart de Groof, Leuven 1992, S. 14-22, bes. S. 18.
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Wiederaufbau ihrer Landesteile zu arbeiten. Besonders der anti-tridentinische Charakter der Politik der Vereinigten Provinzen einerseits sowie der von Spanien und der römisch-katholischen Kirche vorgegebene streng antiprotestantische Charakter der Brüsseler Regierungspolitik und der Ketzerhetze auf den kirchlichen Kanzeln andrerseits haben die inner-niederländische Versöhnung verhindert. Eine definitive Scheidung beider Niederlande gehörte gewiss nicht zu ihren Absichten. Der Entfremdungsprozess zwischen dem, was man später für diese Zeit zu unrecht die „Nördlichen" und „Südlichen" Niederlande genannt hat, wurde durch Familienbesuche, Intensivierung der traditionellen gemeinschaftlichen Belange, Reaktivierung der wirtschaftlichen und finanziellen Verbindungen von Flüchtlingen mit ihren Verwandten und sogar durch intensive gegenseitige Beziehungen von Intellektuellen, Politikern, Literaten und anderen Künstlern abgemildert86. Freies Geleit brauchte man nicht mehr. Die Vereinigten Provinzen gingen aus diesen Verhandlungen als „Freie Staaten" und als moralische Sieger über die damals beherrschende Weltmacht hervor. Sie konnten sich hinfort der Wiederherstellung ihrer Finanzen widmen. Die Beseitigung der Hindernisse für ihre Handelsbeziehungen mit der iberischen Welt sollte einen immensen Einfluss auf die Weltwirtschaft des 17. Jahrhunderts haben. Spanien richtete sich fortan statt auf Nordeuropa auf das Mittelmeergebiet und die islamische Welt aus. Die unmittelbare Folge dieser Umorientierung war die Unmöglichkeit, die spanisch-niederländische Symbiose zu verwirklichen, die in der präkapitalistischen Phase des 15. und 16. Jahrhunderts für die spanische Wirtschaft von so unschätzbarem Wert gewesen war. Es wurde nicht nur wirtschaftlich ein Teil der Niederlande aus der Monarquia Hispana losgelöst87 der spanische Niedergang war auch politischer, militärischer und maritimer Art. An diesem Scheitern hat der Konflikt in den „Niederen Erblanden" einen nicht geringen Anteil gehabt88. Dort hatte für Spanien der Sonnenuntergang begonnen.
86
De Scheldedelta als verbinding en scheiding tussen Noord en Zuid, 1500-1800, hrsg. von Maurits Ebben und Simon Groenveld, Maastricht 2007, passim. 87
ISRAEL, T h e Dutch Republic (wie A n m . 27), S. 1 2 - 1 3 ; Josefina CASTILLA SOTO/Juan Antonio SANCHEZ BELEN, En Flandes se p u s o el sol, in: Historia 16, 45 (1980), S. 6 1 - 6 6 .
Vgl. aber Rafael VALLADARES, Decid adios a Flandes. La Monarquia Hispänica У el problema de los Paises Bajos, in: Albert & Isabella (wie Anm. 4), S. 47-54, S. 52-53. 88 Helmut Georg KOENIGSBERGER, Western Europe and the power of Spain, in: The New Cambridge Modern History, Bd. 3, Cambridge 1968, S. 234-318; ALCALA ZAMORA Υ QUEIPO DE LLANO, Espafla (wie Anm. 40), S. 474; John Huxtable ELIOTT, Imperial Spain, 1469-1716, New York 1981, S. 333-360; Carlos MARTINEZ SHAW, La separaciön de los Paises Bajos у sus consecuencias economicas para Espafla, in: Craeybeckx u.a., 1585: Op gescheiden wegen (wie Anm. 8), S. 79-103, bes. S. 100.
„Emot the Poler, Rysser och Danska" Das Schwedische Reich und das Krisenjahr 1609/1610 Von
Otfried Czaika 1. K o n f e s s i o n und Legitimität - Laurentius Paulinus G o t h u s ' Leichenpredigt a u f Karl IX. A m 5. Januar 1 6 1 2 hielt Laurentius Paulinus Gothus, B i s c h o f d e s B i s t u m s Strängnäs und später s c h w e d i s c h e r Erzbischof 1 , im großen Saal d e s S c h l o s s e s z u N y k ö p i n g e i n e Leichenpredigt a u f den a m 3 0 . Oktober 1611 verstorbenen K ö n i g Karl IX. 2 Leichenpredigten über frühneuzeitliche Herrscher g e w ä h r e n nicht nur Einblicke in z e i t g e n ö s s i s c h e t h e o l o g i s c h e Diskurse und deren h o m i l e t i s c h e Inszenierung, sondern stellen o f t m a l s auch e i n e erstrangige
biographische
Q u e l l e dar 3 . Darüber hinaus besitzen sie aufgrund d e s Vortrags coram
publi-
1
Gustav ASBRINK, Svea rikes ärkebiskopar frän 1164 tili nuvarande tid [Die Erzbischöfe des schwedischen Reiches seit dem Jahre 1164 bis in die heutige Zeit], Stockholm 1935, S. 245-279; Olle HELLSTRÖM, Laurentius Paulinus Gothus, in: Svenskt biografiskt lexikon, Bd. 22, Stockholm 1977-1979, S. 369-376; Otfried CZAIKA, David Chytraeus und die Universität Rostock in ihren Beziehungen zum schwedischen Reich, Helsinki 2002, S. 3 5 6 - 3 5 9 . 2
Laurentius Paulinus GOTHUS, Iosiae. Then Femptonde Juda Konungz historia, uthi Then Stormechtigeste Högborne Furstes och Herres, Her Carls then IX.des, Sweriges, Göthes, Wendes, Finners, Carelers, Lappers i Norlanden, the Caijaners och Esters i Lifland, fordom Konungz [...] Salighe Lekamens Nedhersättielse uthi then store Sälen, uppä Nyköpingz Slott, then 5. Januarij, Anno etc. MDCXI1 Korteligen förklaradt och framställt [losiae. Die Geschichte des fünfzehnten Königs von Juda. Kurz erklärt und präsentiert am 5. Januar 1612 bei der im großen Saal des Schlosses zu Nyköping über den großmächtigen, hochgeborenen Fürsten und Herren, Herrn Karls IX., vormals König von Schweden, König der der Göthen, Wenden, Finnen, Karelier und Lappen in Norrland, der Kaijaner und Esten in Livland, gehaltenen Trauerfeier.], Stockholm 1613. 3 Rudolf LENZ, De mortuis nil nisi bene? Leichenpredigten als multidisziplinäre Quelle unter besonderer Berücksichtigung der Historischen Familienforschung, der Bildungsgeschichte und der Literaturgeschichte, Sigmaringen 1990; Horst Alfred FLLD, Leichenpredigten als Quelle der Geisteswissenschaften, in: Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften, Bd. 1, hrsg. von Rudolf Lenz, Köln 1975, S. 105-125; Rudolf LENZ, Gedruckte Leichenpredigten (1550-1750), in: Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften, Bd. 2, Marburg a. d. Lahn 1979, S. 36-51. Zur Leichenpredigt im Schwedischen Reich siehe: Göran STENBERG, Döden dikterar. En Studie av likpredikningar och gravtal frän 1600- och 1700-talen [Der Tod diktiert. Eine Studie über Leichenpredigten und Traueransprachen aus dem 17. und 18. Jahrhundert], Stockholm 1998; Otfried CZAIKA, Die Anfänge der gedruckten Leichenpredigt im Schwedischen Reich, in: Kommunikations-
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со, vor einer in der Regel aus der Führungselite eines Landes bestehenden Trauergemeinde, ebenso wie durch die meist in recht geringem zeitlichem Abstand folgende Verbreitung als Druckmedium die Funktion eines politischen Statements. Die Retrospektive auf das Leben und Wirken des verstorbenen Herrschers dient dabei einerseits zur panegyrischen Verherrlichung4, andererseits aber auch als in die Zukunft weisende Mahnung an den Nachfolger, das Erreichte und durch den „unverhofften Tod" 5 des Vorgängers nur teilweise vollendete Werk weiterzuführen und das Erbe würdig zu verwalten. Der Leichenprediger Laurentius Paulinus Gothus wählte als Textbasis seiner Predigt über Karl IX. die im Alten Testament (2Chr 33,25-35,27) überlieferte Geschichte von Josia, König von Juda (*um 647; f609 v. Chr.). Josia bietet - ganz im Geiste der zeitgenössischen Theologie - nicht nur eine geeignete Projektionsfläche für das Bild eines christlichen, mithin um die Bewahrung einer spezifisch konfessionellen vera doctrina bemühten, Herrschers. Gothus kann mit Hilfe des alttestamentlichen Exempels zudem die die Regierungszeit Karls IX. prägenden Ereignisse und Konflikte diskursiv verhandeln: Die Frage nach der Legitimität von Karls Regierung inklusive der damit verbundenen verfassungsrechtlichen Implikationen, Karls konfessionelles Sendungsbewusstsein und den religiösen Auftrag der Obrigkeit als custos utriusque tabulae sowie nicht zuletzt die gegen Ende des ersten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts virulenten kriegerischen Auseinandersetzungen des schwedischen Reiches mit seinen Nachbarn in Nordosteuropa und den damit verbundenen Diskurs des gerechten Krieges. Diese verschiedenen Komplexe bilden ein miteinander eng verwobenes Konglomerat. Der Themenbereich, der - wie es übrigens auch Gothus in seiner Leichenpredigt bemerkte - den Grundstein daftlr legte, dass das schwedische Reich sich um 1610 immer tiefer in die Konflikte mit seinen nordosteuropäischen Nachbarn verstrickte, ist dabei allerdings die konfessionell überformte Legitimitätsproblematik von Karls Herrschaft 6 .
strukturen im europäischen Luthertum der Frühen Neuzeit, hrsg. von Wolfgang Sommer, Gütersloh 2005, S. 135-152; DERS., Andlighet och genealogi. Den tryckta likpredikan i Sverige [Spiritualität und Genealogie. Die gedruckte Leichenpredigt in Schweden], in: Släkt och hävd 1 (2004), S. 29-60. 4 Joseph GONZALEZ, Rewriting History. Humanist Oration at the Funeral of Gustav Vasa 1560, in: Scandinavian Studies 78 (2006), S. 21-42, hier: S. 22-24. 5 Rudolf MOHR, Der unverhoffte Tod. Theologie- und kulturgeschichtliche Untersuchungen zu aussergewöhnlichen Todesfällen in Leichenpredigten, Marburg/Lahn 1982. ° „K[arl]s utrikespolitik dominerades helt av den dynastiska frägan, dvs förhällandet tili Polen". Sven Ulric PALME, Artikel Karl IX. in: Svenskt biografiskt lexikon, Bd. 20, Stockholm 1975, S. 630-641, hier: S. 637. Mit der Legitimitätsfrage nimmt Gothus übrigens auch das Thema auf, das gut ein halbes Jahrhundert zuvor im Fokus von Peder Swarts Leichenpredigt auf Gustav Vasa stand. GONZALEZ, Rewriting History (wie Anm. 4), S. 25-27. Gustavs Wasa Leichenpredigt wurde erst sechzig Jahre nach seinem Tod im Druck herausgegeben: Peder ANDRE/E (SWART), Ährapredikning, öffwer then fordom
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Laurentius Paulinus Gothus zufolge existieren zwei Voraussetzungen für eine legitime Herrschaft: „Gottes Wille und Vorsehung sowie die gesetzlich gültige Wahl durch die Allgemeinheit"7. Daraus werden sowohl Rechte als auch Pflichten der Obrigkeit gegenüber Gott und den Menschen abgeleitet. Ein hervorstechendes Vorrecht des Königs von Gottes und Volkes Gnade ist die Weitergabe der Herrschaft an seine Erben. Wichtigste Pflicht der Obrigkeit ist die Bewahrung und Verteidigung der beiden Tafeln des Dekalogs. Sollte eine Obrigkeit - so wie die von Gothus angeführten alttestamentlichen Vorbilder Isboseth (2Sam 3,1-4,12), Absalom (2Sam 18,32-19,3) oder Adonia (lKön 1,5- 2,35) - ohne die Gnade Gottes zu regieren versuchen oder die wahre Religion nicht befördern, würde diese mit Gottes Willen „zu ihrem eigenen Verderben abgesetzt und erniedrigt werden" 8 . Gothus' staatsrechtliche und theologische Reflexion in der Leichenpredigt auf Karl IX. stellt eine Zusammenfassung - und Rechtfertigung - der politischen Ereignisse im schwedischen Reich und der Politik Karls IX. während der vergangenen Jahrzehnte dar.
2. Gustavs Wasa Nachfolger und der Streit um die schwedische Krone 2.1 Sigismund und Karl XI. Nach dem Tod des Königs Johan III. im Jahre 1592 war im darauf folgenden Frühjahr eine Ständeversammlung in Uppsala zusammengetreten, die sowohl als kirchliches Konzil als auch als Ständeparlament fungierte. Diese als Uppsala möte bekannte Ständeversammlung legte die evangelische vera doctrina als eine für Kirche und Gesellschaft verpflichtende Norm fest, indem sie die Confessio Augustana den drei altkirchlichen Symbolen als gleichberechtigten Bekenntnistext beiordnete9. Damit hatte sie die langwierigen theologischen stormechtigaste [...] H. Gustafs, Sweriges [...] Konungz [...] lijk, hwilket bleff. [...] nidsatt, vthi Vbsala domkyrkios främste chor [...] 1560, XXI decembris [...] predikat äff [...] D. Petro Nigro [...] Men nu [...] medh oratione prasfatoria, notis marginalibus [...] beprudd [...] MDCXX vthgängen äff Sylvestro Johanne Phrygio [...] Holmiae [...] Ex typographeo Olai Olai 1620 [Ehrenpredigt über die Leiche des vormals großmächtigsten Königs von Schweden, Herrn Gustav, die im vorderen Chor der Domkirche zu Uppsala am 21. Dezember 1560 beigesetzt wurde. Gehalten von D. Petrus Niger. Nun mit einer Vorrede und Randbemerkungen versehen und herausgegeben von Sylvester Johannes Phrygius]. 7 GOTHUS, losiae (wie Anm. 2), S. 15. 8 Ebd., S. 16. 9 Oskar GARSTEIN, Rome and the Counter-Reformation in Scandinavia. Until the Establishment of the S. Congregatio de Propaganda Fide in 1622, Bd. II (1583-1622), Oslo 1980, S. 94-109; CZAIKA, David Chtyraeus (wie Anm. 1), S. 309-346; Karl HILDEBRAND, Uppsala möte 1593. Ett 300-Arsminne [Uppsala möte 1593. Aus Anlass der 300Jahrfeier.], Stockholm 1983; Hans CNATTINGIUS, Nicolaus Botniensis' teser om skriften 1584 och Uppsala mötes beslut [Nicolaus Botniensis' Thesen über die Heilige Schrift 1584
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Streitigkeiten u m die als katholisierend e m p f u n d e n e Liturgie und Kirchenordnung Johans beendet und die erste o f f i z i e l l e Bekenntnisschrift d e s s c h w e dischen Luthertums formuliert, die z u d e m bis 1 8 0 9 als politisches Grundgesetz des frühneuzeitlichen s c h w e d i s c h e n R e i c h e s anerkannt war 1 0 . Johans designierter N a c h f o l g e r war S i g i s m u n d III., sein Sohn aus der ersten Ehe mit der polnischen Königstochter Katharina Jagellonica. S i g i s m u n d war v o n seinen Eltern als Katholik erzogen worden und konnte daher 1587 die polnische Krone übernehmen 1 1 . In langwierigen Verhandlungen um die Thronfolg e rangen die s c h w e d i s c h e n Stände i m Frühjahr 1 5 9 4 Sigismund eine Religionsversicherung
ab:
Der
künftige
König
verpflichtete
sich
in
Krönungseid darauf, S c h w e d e n s k o n f e s s i o n e l l e A n b i n d u n g an die lutherana
seinem religio
anzuerkennen und nicht anzutasten. Im G e g e n z u g huldigten die
Stände d e s e v a n g e l i s c h e n R e i c h e s d e m katholischem K ö n i g und erlaubten Bekennern d e s katholischen Glaubens, sich i m Lande aufzuhalten si vivunt.
quiete
Öffentliche Ämter durften Katholiken j e d o c h nicht bekleiden 1 2 . Durch
S i g i s m u n d s Krönungseid 1 3 wurde den Katholiken im s c h w e d i s c h e n R e i c h folglich eine e n g umrissene Religionsfreiheit zugestanden; gleichzeitig hatten sich die Stände j e d o c h g e g e n eine m ö g l i c h e - und durchaus nicht unwahr-
und der Beschluss von Uppsala 1593], in: Kyrkohistorisk Arsskrift 37 (1937), S. 161-196; DERS., Uppsala möte 1593. Konturer av en kyrkokris [Uppsala möte 1593. Konturen einer kirchlichen Krise], Stockholm 1943. Der Text des schwedischen Bekenntnisses von 1593 wurde zuletzt ediert von Lars Ekerdal und Per Erik Prsson (Hrsg. und Kommentar), Confessio Fidei. Uppsala mötes beslut 1593 om Svenska kyrkans bekännelse [Confessio Fidei. Der Synodalbeschluss von Uppsala über das Bekenntnis der Kirche von Schweden im Jahre 1593], Stockhom 1993. Einen knappen Überblick in deutscher Sprache über die Synode von Uppsala bietet auch Werner BUCHHOLZ, Schweden mit Finnland, in: Dänemark, Norwegen und Schweden im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Nordische Königreiche und Konfession 1500 bis 1660, hrsg. von Matthias Asche und Anton Schindling, Münster 2003, S. 107-244, hier: S. 206-208. 10 Otfried CZAIKA/Jörg-Peter FINDEISEN, Schweden, in: Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel, Bd. 1: Um 1800, hrsg. von Peter Brandt [u. a.], Bonn 2006, S. 978-1023, hier: S. 982-987. 11 Zur polnischen Innenpolitik, insbesondere dem Machtkampf zwischen dem polnischen Kanzler Zamoyski und Sigismund, sowie dessen Auswirkungen auf Sigismunds Außenund Schwedenpolitik siehe Walter LEITSCH, Sigismund III. von Polen und Jan Zamoyski. Die Rolle Estlands in der Rivalität zwischen König und Hetman, Wien 2006. 12 Ingun MONTGOMERY, Väijoständ och läroständ. Religion och politik i meningsutbytet mellan kungamakt och prästerskap i Sverige 1593-1608 [Wehrstand und Lehrstand. Religion und Politik in den Auseinandersetzungen zwischen Königtum und Geistlichkeit in Schweden von 1593 bis 1608], Uppsala 1971, S. 121. 13 Acta coronationis. Konung Sigismundi, Sweriges, Göthes och Wendes konungs, storförstes til Findland, Carelen, Wätzski Petin, och Ingermanland i Ryssland [...], etc. herres krönings handling i Upsala, then 19. februarij. Anno M.D.XCIV [Acta coronationis. Die Akten der Krönung des Herrn König Sigismund, König zu Schweden, König der Göthen und Wenden, Großfürst zu Finnland, Karelien, Wotzski Petin und Ingermanland in Russland etc ], Stockholm 1594.
Czaika,
„Emot the Poler, Rysser och
Danska'
81
scheinliche - Rekatholisierung des Reiches durch Sigismund abgesichert. König und Stände waren somit qua obligatio
reciproca
in ein auf Beidseitig-
keit beruhendes Treueverhältnis zueinander getreten 1 4 . D i e s e konfessionspolitische Konstellation, ein evangelisches Reich mit einem katholischen König, war j e d o c h von Anfang an aus verschiedenen Gründen zum Scheitern verurteilt: Sigismund hatte bereits, bevor er den Krönungseid geleistet hatte, bei seinen Beichtvätern eine reservatio
mentalis
abgelegt, in der er erklärte, dass er die Religionszusicherung als nicht bindend betrachte, da sie unter Z w a n g zustande g e k o m m e n sei, und dass er nicht g e g e n die Interessen der Kurie handeln werde 1 5 . Tatsächlich existierten in R o m weit reichende Pläne, durch Sigismunds Thronbesteigung das schwedische Reich in den Schoß der katholischen Kirche zurückzufuhren 1 6 . Sigismunds Religionszusicherung wurde zudem unmittelbar nach dessen Abreise nach Polen im H o c h s o m m e r 1594 gebrochen, indem in Stockholm, Vadstena und auf Schloss Drottningholms ganz o f f e n katholische Gottesdienste g e f e i ert wurden 1 7 . D i e s zeitigte einen polemischen Schlagabtausch zwischen lutherischer Geistlichkeit und Jesuiten in Stockholm 1 8 . Sigismund versuchte
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Günter BARUDIO, Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung 1648-1779, Frankfurt a. M. 1981, S. 27. 15 Hjalmar HOLMQUIST, Svenska Kyrkans Historie, Bd. 3:11, Reformationstidevarvet 1521-1611. Andra delen: Den svenska reformationskyrkans fortbildning tili ortodox luthersk bekännelse- och folkkyrka 1572-1611 [Das Zeitalter der Reformation 1521-1611. Bd. 2: Die Transformation der schwedischen Reformationskirche zu einer orthodoxlutherischen Bekenntnis- und Volkskirche 1572-1611], Stockholm 1933, S. 182. Der Text von Sigismunds schriftlich niedergelegter (und der zeitgenössischen Öffentlichkeit unbekannter) reservatio mentalis ist wiedergegeben in: GARSTEIN (wie Anm. 9), S. 143. 16 Die Kurie sah in Sigismunds schwedischer Thronbesteigung offensichtlich eine erstrangige Möglichkeit, das schwedische Reich zu rekatholisieren. Clemens VII. hatte daher 1593 Bartholomeus Powinski als Legaten zu Sigismund entsandt. Powinski vermittelte Sigismund ein ausführliches Programm, das u. a. zum Ziel hatte, einen Katholiken als schwedischen Erzbischof zu installieren, sukzessive alle schwedischen Klerikate mit Katholiken zu ersetzen, ein Jesuitenkollegium in Stockholm zu gründen und katholische Andachtsliteratur ins Land zu bringen. Der Nuntius Germanico Malaspina, der Sigismund sowohl im Auftrag der Kurie als auch der polnischen Stände nach Schweden begleitete, hatte die Anweisung aus Rom, die Religionsfrage zu verschleppen und darauf zu achten, dass Sigismund nach katholischem Ritus gekrönt würde. Beides scheiterte jedoch am Widerstand der schwedischen Stände und Herzog Karls im Zuge der Verhandlungen vor Sigismunds Krönung. J[ohan] A[ugust] PÄRNÄNEN, L'ambassade de Bartolomeo Powinski ä Danzig en 1593, Helsinki 1911; DERS., Sigismond Vasa et la succession au tröne de Suede 1593-1594, Geneve 1912; DERS., Le premier s6jour de Sigismond Vasa en Suede 1593-1594, Helsinki 1933; HOLMQUIST, Historia (wie Anm. 15), S. 174-182. MONTGOMERY, Väijoständ (wie Anm. 12), S. 100; GARSTEIN, Rome (wie Anm. 9), S. 71-94, S. 110-115. 17 MONTGOMERY, Värjoständ (wie Anm. 12), S. 126; GARSTEIN, Rome (wie Anm. 9), S. 1 9 1 - 2 0 7 . 18 GARSTEIN, R o m e ( A n m . 9 ) , S. 1 7 9 - 1 8 3 .
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ferner, den durch das Bekenntnis von 1593 abgelehnten Liturgismus zu unterstützen, um somit den konfessionellen Gegner zu spalten19. Sigismunds Onkel, Herzog Karl von Södermanland, der spätere König Karl IX., hatte als überzeugter Anhänger der Reformation maßgeblich dazu beigetragen, dass sein Neffe die Religionszusicherung abgegeben hatte. In den Jahren 1594 bis 1598 instrumentalisierte der Herzog als ein an Machiavelli geschulter Machtpolitiker20 die Religionsfrage sowie die vermeintlichen wie wirklichen Brüche der Religionszusicherung, um Sigismund vom schwedischen Thron zu vertreiben21. Die durch Sigismunds Krönungseid ursprünglich intendierte begrenzte Toleranz für Bekenner katholischen Glaubens münzte Karl im Zuge eines immer rauer werdenden Klimas zwischen ihm und dem König in die Forderung um, dass alle Katholiken das Land zu verlassen hätten22. Als begnadeter Demagoge politisierte Karl den religiösen Diskurs und nutzte in diesem Zusammenhang zeittypische und allgemeinprotestantische Ängste, die sich insbesondere in einer nur bedingt durch faktische Begebenheiten zu erklärenden Jesuitenangst und daraus resultierenden antijesuitischen Stimmung und Publizistik äußerten23. Nachdem Karl seinen Neffen Sigismund nach einem kurzen militärischen Schlagabtausch 1598 aus dem schwedischen Reich vertrieben hatte, konnte er de facto als König das Land regieren, zumal er sich der führenden Köpfe des hochadligen Widerstandes gegen seine Machtübernahme durch das sog. Blutbad von Linköping im Jahr 1600 buchstäblich entledigt hatte24. Durch die sog. Erbvereinigung auf dem Reichstag in Norrköping 1604 wurde die 19 MONTGOMERY, Väijoständ (wie Anm. 12), S. 153 f. Ragnar OHLSSON, Abraham Angermannus. En biografisk Studie [Abraham Angermannus. Eine biographische Studie], Lund 1946, S. 232-238. 20 Lars-Olof LARSSON, Arvet efter Gustav Vasa. En berättelse om fyra konungar och ett rike [Gustav Wasas Erbe. Eine Erzählung über vier Könige und ein Reich], Stockholm 2005, S. 350-360. 21 Vgl. u. a.: Förening emellen then högborne furste och herre, her Carl, Sweriges rijkes arffurste, hertig til Sudermanland, Näriche och Wermeland etc. och rijksens Ständer, uthi Swerige, gjordh och oprättet i Wadzstena. Then 27. junij, ähr etc. 1598 [Vereinigung zwischen dem hochgeborenen Fürsten und Herren, Herrn Karl, Erbfiirsten zu Schweden und Herzog zu Södermanland, Närike und Värmland etc. und den Ständen des Schwedischen Reiches, abgefasst zu Vadstena am 27. Juni 1598], Stockholm 1598. 22 MONTGOMERY, Väijoständ (wie Anm. 12), S. 136-140. 23 Thomas KAUFMANN, Protestantische, vornehmlich lutherische Anti-Jesuitenpublizistik zwischen 1556 und 1618, in: DERS., Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts, Tübingen 2006, S. 205-302, hier: S 205-209, S. 217-220. 24 Vgl.: Sentens och dorn som affsagdh är äff the edle [...] herrer och män, som wore förordnede och tilbetrodde, at sittie für rätte öfiuer her Gustaff Banner, her Erich Sparre/ her Steen Banner och her Türe Bielke [...] Actum Linköping, then 17 martij, anno etc. 1600 [Sentenz und Urteil, das von den edlen Herren und Männern gesprochen wurde, die dazu bestellt waren, über Herrn Gustaf Вапёг und Herrn Erich Sparre zu Gericht zu sitzen. Gegeben in Linköping am 17. März 1600], Stockholm 1600.
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Regierung des Landes Karl und seinen Erben übertragen und zudem festgelegt, dass alle künftigen Herrscher Schwedens der Confessio Augustana invariata angehören müssten25. Drei Jahre später wurde Karl in Uppsala zum König von Schweden gekrönt. Sigismund hielt bis zu seinem Tod im Jahre 1632 an seinem Anspruch auf die schwedische Krone fest; für ihn war Karl ein Usurpator, dessen Herrschaft illegitim, da sie die 1587 beschlossene Personalunion der polnischen und schwedischen Krone zunichte machte und seine Krönung zum schwedischen König den Willen der schwedischen Stände 1593/1594 widerspiegelte 26 . Karl hingegen konnte sich auf die Argumentation stützen, die wir in Gothus' Leichenpredigt kennengelernt haben: Da Sigismund nicht die religio lutherana im schwedischen Reich seinem Krönungseid entsprechend geschützt habe, habe er sein Recht auf die Krone verwirkt. Sigismund hätte also versucht, gegen Gottes Willen und Gnade, zu agieren und müsse daher abgesetzt werden. Karls Herrschaft entspreche also dem Willen Gottes und dem des schwedischen Volkes, das ihn auf den Thron erhoben hatte. Die Einheit von religio lutherana und Königtum konnte Karl zudem mit dem Hinweis auf Gustavs Wasa Testament aus dem Jahre 1560 rechtfertigen, durch welches Gustav seine Nachfolger auf die Bewahrung der „reinen Lehre" der Reformation verpflichtet hatte27. 2.2 Erik XIV. und Johan III. Neben dem regierenden Karl IX. und dem abgesetzten Sigismund existierte zu Beginn des 17. Jahrhunderts noch ein dritter potentieller Prätendent auf die schwedische Krone: Gustav (1568-1608), der erste Sohn des von Herzog Johan abgesetzten Erik XIV. Johan hatte in einem nahezu handstreichartig durchgeführten Staatsstreich im Jahre 1568 seinen älteren Bruder mit Hilfe einer Adelsopposition entmachtet. Die zunehmende Paranoia Eriks XIV. war dabei nur der vordergründige Auslöser. Die wirklichen Gründe für Johans Aufruhr gegen seinen Bruder sind sowohl in politischen Gegensätzen zwischen Erik und dem Hochadel als auch in den Auseinandersetzungen zwi25
Ake HERMANSSON, Karl IX och ständema. Tronfrägan och författningsutvecklingen I Sverige 1598-1611 [Karl IX. und die Stände. Die Thronfrage und die Verfassungsentwicklung in Schweden 1598-1611], Stockholm 1962, S. 186-243; Ingun MONTGOMERY, Sveriges kyrkohistoria, Bd. 3: Enhetskyrkans tid [Kirchengeschichte Schwedens, Bd. 3: Die Zeit der Einheitskirche], Stockholm 2002, S. 34-36. 26 Vgl.: HOLMQUIST, Historia (wie Anm. 15), S. 182-242. 27 Svenska Riksdagsakter jämte andra handlingar som höra tili statsförfattningens historia under tidehvarfvet 1521-1718 [Schwedische Reichstagsakten sowie andere Dokumente, die die Geschichte der Staatsverfassung in den Jahren 1521-1718 behandeln], Bd. 1: 15211560, hrsg. von Emil Hildebrand und Oskar Alin, Stockholm 1887, S. 675-701; MONTGOMERY, Värjoständ (wie Anm. 12), S. 120-122; CZAIKA, David Chytraeus (wie Anm. 1), S. 2 0 2 - 2 0 4 .
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sehen Erik und Johan, dem Herzog von Finnland, zu suchen28. Erik hatte Johans Eheschließung 1562 mit Katharina Jagellonica, der Tochter seines aktuellen Kriegsgegners Sigismund August, nicht gutgeheißen. Aufgrund seiner eigenmächtigen Polen- und Livlandpolitik, die zunehmend mit den Interessen seines königlichen Bruders kollidierte, hatten 1563 die Stände Johan des Hochverrates angeklagt und zum Tode verurteilt. Eine gegen Johan gerichtete militärische Strafexpedition führte zu dessen Absetzung als Herzog von Finnland. Das Todesurteil wurde jedoch nicht vollstreckt; Johan und seine Gattin wurden bis 1567 auf Schloss Gripsholm gefangen gehalten, waren jedoch ihres Herzogtums wie auch möglicher Ansprüche auf die Thronfolge verlustig gegangen29. Johan legitimierte die Dethronisierung seines Bruders mit einer ähnlichen Argumentation, wie sie auch später Karl IX. gegenüber Sigismund anwendete: Erik habe - nicht zuletzt durch sein mehrmaliges unangemessen hartes Durchgreifen gegen den Adel - systematisch seinen Krönungseid gebrochen und sich folglich gegen die Gesetze des Landes und Gottes vergangen. Erik sei daher als Tyrann abzusetzen gewesen30. Nach seiner Thronbesteigung im Jahre 1569 wurde Johan jahrelang von der ζ. T. wohlbegründeten - Angst umgetrieben, dass Erik aus der Haft entkommen und ihm die Krone streitig machen könnte. Immer wieder ließ er daher Erik in ein vermeintlich sicheres Gefängnis verlegen; für den Ernstfall, dass Erik befreit werden könnte hatte Johan mehrmals die Ermordung seines Bruders angeordnet, die dann auch schließlich im Februar 1577 ausgeführt wurde31. Eriks nur siebenjährigen Sohn Gustav schickte Johan im Jahr 1575 zur Erziehung nach Polen, mit dem Ziel, ihn politisch unschädlich zu machen32.
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Lars ERICSON, Johan III. En biografi [Johan III. Eine Biographie], Lund 2004, S. 47-59. ERICSON, Johan III (wie Anm. 28), S. 74-82; LARSSON, Arvet (wie Anm. 20), S. 70-76; Felix BERNER, Gustav Adolf. Der Löwe aus Mitternacht, Stuttgart 1982, S. 50-52. 30 Sann och rettmätig orsaak, Hwarföre then Stormectige Högborne Furste och Herre, her Johan then tridie, [...] och Hertigh til Södermanneland, Närike och Wermeland, Högbemelte Konglige Maiestatz Broder, sampt alle menige Rikesens RAd, och the fömempste Ständer, endregtelighen Haffiie dömdt Ericvm äff thet nampnet then fiortonde, fordom Swerigis Konung, sampt hans afföde ifrä Swerigis Crone och all thes rettigheet til ewigh tijdh, [...] Actum Holmix then 25. Ianuarij. Anno Dni 1569 [Wahre und rechtmässige Ursache, warum der Großmächtige und Wohlgeborene Fürst und Herr, Herr Johan III, sowie sein Bruder, der Herzog von Södermanland, Närike und Värmland und alle Reichsräte und auch die Stände des Reiches einträchtig dem ehemaligen König des Schwedischen Reiches, Erik XIV., und seinen Erben für alle Zukunft das Recht auf die schwedische Krone absprechen], [Stockholm] 1569. Vgl. ERICSON, Johan III (wie Anm. 28), S. 92-94; LARSSON, Arvet (wie Anm. 20), S. 186. 29
31
LARSSON, Arvet (wie Anm. 20), S. 189-194. Ingvar ANDERSSON, Erik XIV, Falun 1993, S. 222-228; LARSSON, Arvet (wie Anm. 20), S. 186-194.
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2.3 Gustav Wasa, Johan III. und Karl IX. als die legitimen Herrscher des schwedischen Reiches nach der Reformation Zu Beginn des 17. Jahrhunderts existierten also neben dem regierenden Karl IX. zwei weitere Prätendenten auf die schwedische Krone: Der Polenkönig Sigismund III. sowie Eriks XIV. Sohn Gustav, der nach seiner Jugend in Polen und Studien in Braunsberg nicht nur überzeugter Katholik geworden war, sondern - ganz anders als von Johan einstmals geplant - dennoch als Figur auf dem politischen Schachbrett Nordosteuropas auftauchte. Nach Aufenthalten in Rom, Mähren, Schlesien und Estland begab sich Gustav im Jahr 1600 nach Russland, wo er mit königlichen Ehren empfangen wurde33. Der Zar Boris Godunow plante die Thronansprüche Gustavs fur sich zu nutzen, um somit seine militärischen Gegner im europäischen Nordosten, Polen und Schweden, schwächen zu können. Boris versuchte sich daher auch der nordeuropäischen Hegemonialmacht Dänemark anzunähern, deren Stern allerdings seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts stetig im Sinken begriffen war. Gustav selbst hatte wohl kaum politische Ambitionen und wurde daher von Boris Godunow schließlich aus Moskau verwiesen. Im Winter 1608 starb Gustav in der russischen Stadt Kasjin34. Die Legitimitätsproblematik der Herrschaft Karls IX. bietet folglich einen Aufriss und Überblick in die außenpolitischen Verstrickungen des schwedischen Reiches und die darauf gründenden Konflikte zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Laurentius Paulinus Gothus' Leichenpredigt illustriert auch hier wiederum die argumentatorische Basis, auf die sich Karl IX. stützte, um seine Legitimität als schwedischer König zu rechtfertigen: Gothus nennt nur Gustav Wasa und Johan III. als Amtsvorgänger Karls. Folglich legitimiert er die Regierung Karls IX. durch den Rekurs auf Gustavs Wasa Befreiungskampf gegen Christian II. von Dänemark in den 1520er Jahren, der hier nicht wie sonst in der überkommenen antidänischen Historiographie des schwedischen Reiches als „Tyrann" bezeichnet35, sondern sogar als „Bluthund" charakterisiert wird36. Die Loslösung Schwedens aus der Kalmarer Union in den 1520er Jahren37 und die darauf folgende knapp vierzig Jahre währende Herr33
LARSSON, Arvet (wie Anm. 20), S. 419-420. Ebd., S. 420. 35 „[...] at Suenske män skulle [...] sädana tyrannij wedergöra [...]". Olavus Petri, En svensk krönika [Olavus Petris schwedische Chronik], in: Samlade skrifter av Olavus Petri, hrsg. von Bengt Hesselman, Bd. IV, Stockholm 1917, S. 294. „Ту wore fast bätter och önskandes, att Swenske wille sättia sijn macht tili hoopa, och göre endrechteligen thenne Danske Tyranner motstond". Peder Swart, Konung Gustaf I:s krönika [Peder Swarts Chronik über König Gustav I.], hrsg. von Nils Ed6n, Stockholm 1912, S. 9. 36 GOTHUS, Iosiae (wie Anm. 2), S. 6. 37 Lars-Olof LARSSON, Kalmarunionens tid [Die Zeit der Kalmarer Union], Stockholm 2003, S. 387-459; Otfried CZAIKA, La Scandinavie, in: L'Europe en conflits, hrsg. von Wolfgang Kaiser, Rennes 2008, S. 137-168, hier: S. 138-142. 34
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schaft Gustavs Wasa und auch die seiner Söhne wird somit gerechtfertigt. Indem Gothus auch Johan III. als „angesehen, hochweise und beredt"38 charakterisiert und seine Herrschaft somit als legitim darstellt, anerkennt er gleichzeitig die Absetzung Eriks, der übrigens in dem kursorischen Überblick über die Vorgänger genauso wenig genannt wird wie Sigismund. Zudem dient Gothus der implizite Rekurs auf die Legitimität des durch einen Staatstreich an die Macht gelangten Johans III. als Parallele zu Karls Machtübernahme und damit als ein Paradigma einer legitimen Herrschaft versus einer Tyrannei. Die einzige legitime Linie der schwedischen Herrscher seit der Auflösung der Kalmarer Union bilden folglich Gustav Wasa, Johan III. und Karl IX.39; nur diese vermochten das schwedische Reich dem Willen Gottes und des schwedischen Volkes entsprechend zu regieren. Gothus reformuliert damit im Jahr 1612 gegenüber der versammelten Trauergemeinde und am Vorabend der Thronbesteigung Gustav Adolfs die staatsrechtlichen Argumente, mit der Karl seit 1599 die Absetzung Sigismunds und seine eigene Regierung gerechtfertigt hatte40.
3. Die politische und militärische Konfliktlage im europäischen Nordosten um 1610: Schweden gegen Polen, Russen und Dänen Die Legitimitätsproblematik der schwedischen Könige seit der Reformation und insbesondere die Karls IX. besaßen folglich nicht nur innenpolitische Implikationen sondern involvierten in hohem Grade die an die Ostsee angrenzenden Mächte. Laurentius Paulinus Gothus zählt gegen Ende seiner Leichenpredigt die drei Hauptgegner des schwedischen Reiches auf, mit denen Karl IX. sich über weite Phasen seiner Regierungszeit im Krieg befand: Karl IX. verteidigte in gerechten Kriegen sein Reich „gegen Polen, Russen und Dänen" („emot poler, ryssar och danska")41. Gleichzeitig nennt er dabei drei Mächte im Ostseeraum, die in dem vergangenen knappen Jahr38
GOTHUS, Iosiae (wie Anm. 2), S. 7: Η war finner man igen then Anseenlige, högwise och wältalige Herren, K. Johan then 3.? 39 Ebd., S. 6 f. 40 Gothus' Argumentation folgt weitestgehend den Beschlüssen des Herrentages in Jönköping und des Reichstages in Stockholm im Jahre 1599, durch welche die schwedischen Stände formell Sigismund ihre Treue aufsagten. HERMANSSON, Karl IX (wie Anm. 25), S. 55-65. Vgl. dazu auch die Argumentation bei Petrus PETREJUS, Een kort och nyttigh chrönica om alla Swerikis och Göthis konungar, som hafwa bäde in och vthrijkis regerat, ifrän then första konung Magogh, in til [...] nu regerande konungh Carl then IX [...] [Eine kurze und nützliche Chronik über alle Könige der Schweden und Göthen, die sowohl im In- und Ausland seit der Zeit des ersten Königs Magogh bis zu dem zur Zeit regierenden König Karl IX. regiert haben], Stockholm 1611; HERMANSSON, Karl IX (wie Anm. 25), S. 251-259. 41 GOTHUS, Iosiae (wie Anm. 2), S. 36.
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hundert ökonomisch, politisch und militärisch mit dem sich sukzessive als ernstzunehmenden Machtfaktor etablierenden Schweden um das dominium maris baltici konkurrierten. Ferner zählt er damit auch diejenigen Mächte auf, die die Legitimität der schwedischen Könige - oder gar die Legitimität des ganzen frühneuzeitlichen Staates Schweden - in den vergangenen einhundert Jahren in Frage gestellt hatten: Polen, das mit Sigismund sicherlich den bedeutendsten Konkurrenten um die schwedische Krone besaß, Russland, das mit Gustav Eriksson zeitweilig gehofft hatte, eine Option auf die Schwedenkrone zu besitzen, und schließlich Dänemark, dessen Ansprüche auf die Union der skandinavischen Reiche und damit auch auf die Schwedenkrone zu Beginn des 17. Jahrhunderts nicht mehr aktuell waren42. Umso mehr versuchte Dänemark freilich, Schweden als Konkurrenten im Ostseeraum klein zu halten, um somit den eigenen aus dem Mittelalter emanierenden Hegemonialanspruch im europäischen Nordosten aufrecht erhalten zu können. Ende des ersten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts beginnt für das schwedische Reich genaugenommen kein Krisenjahr, sondern ein gutes Krisenjahrzehnt, das seinerseits eine Fortsetzung der innen- wie außenpolitischen Krisenmomente seit der Mitte der 1590er Jahre war. Bereits zu Beginn des Jahrhunderts waren polnische und schwedische Interessen, nun noch überformt durch die Gegnerschaft zwischen Karl und Sigismund, im Baltikum miteinander kollidiert43. Der für Schweden glücklose Verlauf des Krieges mit Polen, insbesondere die katastrophale Niederlage der schwedischen Truppen bei Kirkholm 160544 und der Verlust von Pernau 160945, trieb Karl IX. 1609 in eine Allianz mit Russland, das über weite Phasen des 16. Jahrhunderts nicht zuletzt aufgrund des wirtschaftlich bedeutenden Narvahandels und Schwedens beginnender Expansion im Baltikum - regelmäßig in Kriege mit den schwedischen Königen verstrickt war46. Die innenpolitische Lage in 42
Im Frieden von Stettin 1570, der den Nordischen Siebenjährigen Krieg beendete, verzichtete der dänische König Friedrich II. auf die bis dato erhobenen Ansprüche auf die schwedische Krone. Die Auflösung der Kalmarer Union war damit auch de jure ein Faktum. Gleichzeitig erkannten Schweden und Dänemark gegenseitig ihr jeweiliges Territorium an. Ulf SUNDBERG, Svenska freder och stilleständ 1249-1814 [Schwedische Friedensverträge und Waffenstillstandsabkommen 1249-1814], Stockholm 1997, S. 209-211; Jason LAVERY, Germanys Northern Challenge. The Holy Roman Empire and the Scandinavian Struggle for the Baltic, 1563-1576, Boston/Leiden 2002, S. 103-144; Paul Douglas LOCKHART, Frederik II and the Protestant Cause. Denmark's Role in the Wars of Religion 1559-1596, Leiden/Boston 2004, S. 39-^5. 43 SUNDBERG, Freder (wie Anm. 42), S. 222-223; DERS., Svenska krig 1521-1814, Stockholm 1998, S. 99-119. 44 Svenska Slagfält [Schwedische Kriegsschauplätze], hrsg. von Lars Ericson [u. a.], Stockholm 2003, S. 89-94; SUNDBERG, Freder (wie Anm. 42), S. 223-224. 45 SUNDBERG, Krig (wie Anm. 43), 107. 46 In diesem Zusammenhang sei auf den Großen Russischen Krieg (1554-1557, endet mit dem Frieden von Nowgorod 1557) sowie auf den Fünfundzwanzigjährigen Krieg zwischen
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Russland nach dem Tod Boris Godunows (fl605), seines Sohnes Fjodor II. (f 1605) und des ersten falschen Dimitri (t 1606) führte schließlich dazu, dass Wassili IV. Schuiski sich mit Karl IX. gegen den von Polen gestützten zweiten falschen Dimitri (fl610) verbündete47. Kurzfristig wurde damit der polnisch-schwedische Konflikt zu einem als russischer Bürgerkrieg geführten Stellvertreterkrieg. Unter der Führung des schwedischen Feldherrn Jakob de la Gardie stellte Schweden Hilfstruppen zu Verfügung, die von Russland besoldet werden sollten und auf Schuiskis Seite in den russischen Streit um den Zarenthron eingreifen sollten. Karl IX. hoffte durch sein Engagement für Wassili IV., den Anspruch Schwedens auf die strategisch und wirtschaftlich wichtige Stadt Narva aufrecht erhalten zu können, die Schweden 1595 im Frieden von Teusina zugefallen war, und zudem das Territorium des Reiches um Kexholm, Nöteborg, Ivangorod am finnischen Meerbusen sowie Kolahus am Weißen Meer arrondieren zu können48. Nach dem Sieg von Tuschino über die Anhänger des zweiten falschen Dimitri konnten die Truppen Wassilis IV. und De La Gardies am 12. März 1610 in Moskau einziehen49. Mittlerweile hatte jedoch die schwedisch-russische Koalition Sigismund III. auf den Plan gerufen, der zu Gunsten des zweiten falschen Dimitri intervenierte. Nur etwa ein Vierteljahr nach De La Gardies triumphalen Einzug in Moskau brachten die polnischen Truppen einem knapp sechsfach überlegenen - aber durch säumige Soldausbezahlungen weitgehend demoralisierten - russischschwedischen Heer bei Kluschino eine vernichtende Niederlage bei. Die schwedische Intervention 1609/1610 zugunsten Wassilis IV. entwickelte sich in den folgenden Jahren von einer nur anfangs begrenzten Militäraktion zu einem langjährigen schwedisch-russischen Stellungskrieg, zumal Wassili IV.
Schweden und Russland (1570-1595, endet mit dem Frieden von Teusina 1595) verwiesen. Petri KARONEN, Pohjoinen suurvalta [Die nordische Großmacht], Helsinki 1999, S. 123-138; SUNDBERG, Krig (wie Anm. 43), S. 3 5 ^ 2 , S. 75-86. Zum Frieden von Nowgorod 1557 sowie seiner Vorgeschichte siehe SUNDBERG, Freder (wie Anm. 42), S. 201— 201; Kari TARKIAINEN, Ruotsin ja Venäjän rauhanneuvottelut 1557. Mikael Agricola Ruotsin lähetystyön jäsenenä [Die Friedensverhandlungen zwischen Schweden und Russland 1557. Mikael Agricola als Mitglied der schwedischen Gesandtschaft], Helsinki 2007, insbes. S. 8-77. Zu den militärischen Auseinandersetzungen des schwedischen Reiches mit Russland zu Beginn des 17. Jahrhunderts siehe Kari TARKIAINEN, „Vär gamble arffiende ryssen". Synen pä Ryssland i Sverige 1595-1621 och andra studier kring den svenska Rysslandsbilden frän tidigare stormaktstid [„Unser alter Erbfeind Russland". Das Russlandbild in Schweden 1595-1621 und andere Studien über das schwedische Russlandbild in der frühen Großmachtzeit], Uppsala 1974. 47
Sverges traktater med främmande magter - Jemte andra dit hörande handlingar, Bd. 5, Förra hälft, 1572-1632 [Die Traktate Schwedens mit fremden Mächten - Mit anderen dazugehörigen Dokumenten], hrsg. von Olof Simon Rydberg und Carl Hallendorff, Stockh o l m 1903, S. 1 5 8 - 1 9 5 ; LARSSON, A r v e t ( w i e A n m . 2 0 ) , S. 4 1 9 - 4 2 6 . 48 49
Svenska Slagfölt (wie Anm. 44), S. 95-101. Vgl. dazu Sverges traktater (wie Anm. 47), S. 195-199.
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1610 der Zarenkrone verlustig gegangen war50. Seine militärischen Erfolge in Russland versuchte Polen umgehend in politische bare Münze umzusetzen, indem Sigismund zunächst seinen Sohn Wladislaw ins Spiel brachte. Wladislaw wurde 1610 zum Zaren gewählt, konnte aber aufgrund der Opposition seines eigenen Vaters die Regentschaft nicht antreten, da Sigismund sich nun selbst Chancen auf die Zarenkrone ausrechnete und mit den weitgehenden Zugeständnissen, die Wladislaw dem russischen Adel machen musste, unzufrieden war. In den Wirren der Folgezeit versuchte auch Karl IX. seine Karte im Spiel um die Zarenkrone auszuspielen, indem die von Schweden besetzte Stadt Nowgorod51 einen eigenen Kandidaten für den Zarenthron präsentierte: Sigismunds Cousin Gustav Adolf, der am 23. November 1611 zum Zaren gewählt wurde. Da nach dem Tod Karls IX. eine Personalunion von Schweden und Russland unrealistisch erschien, wurde Gustav Adolf von seinem Bruder Karl Philipp als Thronprätendent ersetzt52. Nach einer tumultartigen Zarenwahl an der Jahreswende 1612/1613 bestieg jedoch nicht Karl Philipp, sondern Michael Romanow den Zarenthron. Im April 1611, knapp ein halbes Jahr vor Karls IX. Tod erklärte der dänische König Christian IV. Schweden den Krieg. Dem Dänenkönig erschien nicht zu Unrecht die Lage für einen Angriff auf Schweden günstig: Karl IX. hatte nach einem Schlaganfall 1609 viel von seiner einstigen Handlungskraft eingebüßt, und Schweden war militärisch in Russland und Polen gebunden. Dänemark gelang es zunächst, seine Kriegsziele mit der Eroberung Kalmars im Osten (1611) und Älvsborgs im Westen (1612) durchzusetzen und damit insbesondere die zu Beginn des Jahrhunderts begonnene Etablierung Göteborgs als schwedisches Handelszentrum und Fenster zur Nordsee vorläufig zu stoppen. Die militärische Lage Schwedens stabilisierte sich erst im Laufe des Jahres 1612, u. a. da Schweden von 1611 bis 1613 einen Waffenstillstand mit Polen geschlossen hatte und sich folglich unter der Führung Gustav Adolfs auf die Verteidigung des Kernlandes konzentrieren konnte. 1613 wurde dieser sog. Kalmarkrieg durch den Frieden von Knäred beendet, in dem sich Schweden verpflichtete Älvsborg für die immense Summe von 1 Million Silbertalern auszulösen.
50
Helge ALMQUIST, Sverge och Ryssland 1595-1611. Tvisten om Estland, förbundet mot Polen, de ryska gränslandens eröfring och den stora dynastiska planen [Schweden und Russland 1595-1611. Der Zwist um Estland, die Allianz gegen Polen, die Eroberung der russischen Grenzländer und der großangelegte dynastische Plan], Uppsala 1907, S. 117-135. 51 Sverges traktater (wie Anm. 47), S. 200-211. 52 Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 1, Frühzeit und Mittelalter, hrsg. von Friedrich Baethgen [u. a.], Stuttgart 1970, S. 132.
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Jahrbuch für Europäische Geschichte 10 (2009) 4. Das Krisenjahr 1609/1610 - Ein Symptom der Konsolidierung des Schwedischen Reiches
Laurentius Paulinus Gothus reflektiert in der Leichenpredigt auf Karl IX. sowohl die Karls Regierung anhaftende Legitimitätsproblematik als auch die daraus resultierenden außenpolitischen Konflikte, die - wie oben dargestellt um 1610 zu vielfältigen militärischen Zusammenstößen des schwedischen Reiches mit seinen Nachbarn in Nordosteuropa führte. Die Bilanz, die Gothus von Karls Herrschaftszeit zieht, ist generell positiv: Im Unterschied zu Josia führte Karl IX. keine unnötigen, sondern gerechte Verteidigungskriege53. Der verstorbene Herrscher hinterlässt seinem Nachfolger ein politisch stabiles Reich, das sich freilich militärisch noch weiterhin verteidigen muss54. Abgesehen von der beinahe zur rein theologisch-rhetorischen Floskel gewordenen Feststellung, dass die Gegenwart die „äußerste Zeit dieser Welt"55 darstelle, gibt es nichts in Gothus' Text, das auf eine tiefschürfende mentalitätsgeschichtliche Krise, apokalyptische Naherwartung und die Rezeption lutherischer - oder auch überkonfessioneller - eschatologischer Denkschemata zu Beginn des 17. Jahrhunderts hinweist. Ganz im Gegenteil erscheint Gothus' Gegenwarts- und Zukunftsanalyse als durchaus hoffnungsvoll. Die weitgehende Absenz realer oder auch transzendenter krisenhafter Symptome beruht übrigens nicht auf der hier analysierten Textsorte, einer Leichenpredigt, und auch nicht auf der damit verbundenen Kommunikationssituation am Sarg des verstorbenen Königs. Vielmehr korreliert Gothus' positive Analyse seiner Zeit mit den theologie- und mentalitätsgeschichtlichen Entwicklungen im schwedischen Reich nach 1600. Henrik Sanblad hat nicht nur bezüglich der Theologie eines Laurentius Paulinus Gothus, sondern auch mit Hinblick auf die gesamte schwedische Theologie zu Beginn des 17. Jahrhunderts festgestellt, dass eschatologische Aussagen und apokalyptische Zukunftserwartungen „augenfällig schwach" ausgeprägt waren und nicht auf die „aktuellen Verhältnisse" bezogen wurden56. Eschatologisches Denken in der schwedischen Theologie zu Beginn des 17. Jahrhunderts sei demzufolge in erster Linie eine rhetorische Figur, „eine Art literarisches Klischee" gewe53
GOTHUS, Iosiae (wie Anm. 2), S. 23-30. Ebd., S. 37-40. 55 „[...] vppä rhenne Werldennes ytterste tijdh [...]". GOTHUS, Iosiae (wie Anm. 2), S. 38. 56 Henrik SANDBLAD, De eskatologiska föreställningarna i Sverige under reformationen och motreformationen [Die eschatologischen Vorstellungen in Schweden im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation], Uppsala/Stockholm 1942, S. 254-255. Eschatologische Vorstellungen sind im schwedischen Reich nach der Wende zum 17. Jahrhundert insbesondere am Rand der res publica litteraria anzutreffen und werden ζ. T. scharf von der Amtskirche und Universität kritisiert. Als ein Beispiel für apokalytische Endzeiterwartungen können etwa die Schriften des Astronomen Sigfrid Aronus Forsius gelten. Terhi KIISKINEN, Sigfrid Aronus Forsius - Astronomer and Philosopher of Nature, Frankfurt a. Μ. [u. a.] 2007. 54
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sen57. Damit könnte sich - wenn wir von der gängigen Darstellung der lutherischen Theologie im Alten Reich ausgehen, die Endzeiterwartungen als ein signifikantes Merkmal des deutschen Luthertums um 1600 wertet die mentalitäts- und theologiegeschichtliche Gegenwarts- und Zukunftsanalyse der schwedischen Theologie markant von der des deutschen Luthertums unterscheiden58. Die lichte Darstellung, die der Leichenprediger Gothus von der Herrschaft Karls IX. gibt, ist folglich nur höchst bedingt vom Charakter der Textsorte und dem damit verbundenen politisch wie gesellschaftlich und theologisch normierten Redekontext determiniert. Tatsächlich hatten Gothus und dessen Zeitgenossen - sofern sie nicht wie die polnische Linie der Wasa und eine Reihe schwedischer Exulanten in Polen Karl als Usurpator sahen - allen Anlass, die Regierungszeit Karls IX. in der Retrospektive als Erfolg zu werten. Die religiöse Krise, die seit den 1570er Jahren, zuerst in Gestalt des liturgischen Streites und später in den Auseinandersetzungen um Sigismunds Religionspolitik, das Reich erschüttert hatte, war seit etwa 1600 auf Basis des „Uppsala mötes beslut" gelöst59. Auch die wohl zumindest zeitweilig durchaus begründete Furcht der schwedischen Theologen, Karl würde das Reich einer zweiten, calvinistischen Reformation unterziehen60, war spätestens Ende des ersten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts gebannt. Die schwedische Kirche konnte sich aufgrund des Religionsbeschlusses von 1593 sukzessive 57
58
SANDBLAD, F ö r e s t ä l l n i n g a r n a ( w i e A n m . 5 6 ) , S. 2 5 6 - 2 5 7 .
Thomas KAUFMANN, 1600 - Deutungen der Jahrhundertwende im deutschen Luthertum, in: Jahrhundertwenden. Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert, hrsg. von Manfred Jakubowski-Tiessen [u. a.], Göttingen 1999, S. 73-12; Robin B. BARNES, Der herabstürzende Himmel: Kosmos und Apokalypse unter Luthers Erben um 1600, in: ebd., S. 129-146; Hartmut LEHMANN, Weltende 1630: Daniel Schallers Vorhersage 1595, in: ebd., S. 147-165. Vgl. dazu: Thomas KAUFMANN, Apokalyptik und politisches Denken im lutherischen Protestantismus des 16. Jahrhunderts, in: DERS., Konfession (wie Anm. 23), S. 29-156; Hartmut LEHMANN, Endzeiterwartung im Luthertum im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert, in: Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland, hrsg. von Hans-Christoph Rublack, Gütersloh 1992, S. 545-558; Andrew CUNNINGHAM/Ole Peter GRELL, The Four Horsemen of the Apocalypse. Religion, War, Famine and Death in Reformation Europe, Cambridge 2000. Volker Leppin konstatiert hingegen zwar ,,eine[r] durchaus gewichtige[n] apokalyptische[n] Mentalität im Luthertum" (S. 276), stellt jedoch auch einschränkend fest, dass es durchaus gegenläufige, die Endzeiterwartung relativierende Tendenzen wie ζ. B. Konditionalisierung der Apokalypse oder Enteschatologisierung im Luthertum gab (S. 159-168; S. 116-243). Volker LEPPIN, Antichrist und Jüngster Tag. Das Profil apokalyptischer Flugschriftenpublizistik im deutschen Luthertum 1548-1618, Gütersloh 1999. 59 Zum liturgischen Streit siehe OHLSSON, Angermannus (wie Anm. 19), S. 36-142; CZAIKA, David Chytraeus (wie Anm. 1), S. 57-69; S. 221-269. 60 Vgl. dazu: Ingun MONTGOMERY, Die cura religionis als Aufgabe des Fürsten. Perspektiven der Zweiten Reformation in Schweden, in: Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland - Das Problem der „Zweiten Reformation", hrsg. von Heinz Schilling, Gütersloh 1986, S. 266-290; DIES., Kyrkohistoria (wie Anm. 25), S. 32^17.
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z u einer lutherischen K o n f e s s i o n s k i r c h e entwickeln, d i e sich vermehrt u m e i n e n Schulterschluss mit d e m deutschen konkordistischen Luthertum bemühte61. N i c h t nur die s c h w e d i s c h e T h e o l o g i e und Kirche b e f a n d sich im ersten Jahrzehnt d e s 17. Jahrhunderts in einer Phase der Konsolidierung, sondern c u m grano salis auch d i e g e s a m t e G e s e l l s c h a f t . Während Karls R e g i e r u n g hatte sich nicht nur die religiöse L a g e im Lande merklich beruhigt, sondern auch die k o n f e s s i o n e l l überformte und v o n der Legitimitätsproblematik d e terminierte verfassungsrechtliche Situation. W i e auch immer, o b wir nun Karls A g i e r e n g e g e n ü b e r S i g i s m u n d und sein hartes Durchgreifen g e g e n d e s s e n A n h ä n g e r als rein m a c h t p o l i t i s c h e s Kalkül oder aber als echte S o r g e u m die rechtliche w i e r e l i g i ö s e Gestalt d e s R e i c h e s interpretieren, s o bleibt letztendlich als Q u i n t e s s e n z v o n Karls Regierungszeit, dass e s ihm gelang, die politische L a g e im R e i c h z u befrieden. Karl war nicht - w i e er i m m e r w i e d e r in der Literatur dargestellt wurde - ein „Bauernkönig", der sich durch die Unterstützung d e s Bauernstandes e i n e quasi-absolutistische Machtfülle sichern konnte 6 2 . G a n z im G e g e n t e i l war es Karl g e l u n g e n durch eine Restitution v o n S c h w e d e n s kumulativer V e r f a s s u n g 6 3 , die u. a. a u f Christopher v o n B a y e r n s G e s e t z ( s c h w . landslag) aus d e m Jahre 1 4 4 2 6 4 , die Erbvereini-
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Während sich die schwedischen Theologen durch die Beschlüsse von Uppsala 1593 noch vom deutschen konkordistischen Luthertum abgegrenzt hatten, begannen sie ab dem ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts - möglicherweise aufgrund calvinistischer Tendenzen Karls IX. - sich sukzessive an der Theologie der Konkordienformel zu orientieren. MONTGOMERY, Kyrkohistoria (wie Anm. 25), S. 70-74; Otfried CZAIKA, Die Konfessionalisierung im Schwedischen Reich, in: Suomen kirkkohistoriallisen seuran vuosikirja/ Jahrbuch der finnischen Gesellschaft für Kirchengeschichte, Helsinki 2007, S. 73-99, hier: S. 7 8 - 8 3 . 62
Diese Wertung von Karls Regierung ist u. a. bei Nils EDEN, Den svenska centralregeringens utveckling tili kollegial organisation i början af sjuttonde ärhundradet (1602-1634) [Die Entwicklung der schwedischen Zentralregierung zu einer kollegialen Organisation zu Beginn des 17. Jahrhunderts], Uppsala 1902 und Fredrik LAGERROTH, Frihetstidens författning. En Studie i den svenska konstitutionalismens historia [Die Verfassung der Freiheitszeit. Eine Studie über die Geschichte des schwedischen Konstitutionalismus], Stockholm 1915, sowie Carl Arvid HESSLER, Den svenska ständsriksdagen [Das schwedische Ständeparlament], [Lund] 1935 angelegt und wird von LARSSON, Arvet (wie Anm. 20), S. 410-418 frei reformuliert. 63 Günter BARUDIO, Gustav Adolf der Große. Eine politische Biographie, Frankfurt a. M. 1 9 8 2 , S. 1 0 0 - 1 1 5 ; DERS., Z e i t a l t e r ( w i e A n m . 14), S. 2 6 - 2 9 . 64
Corpus iuris sueo-gotorum antiqui. Sämling af Sweriges gamla lagar [...], Bd. 12: Codex iuris communis Sueciae Christophorianus, hrsg. von Hans Samuel Collin und Carl Johan Schlyter, Lund 1869. Die ungebrochene Aktualität von Christophers „Landslag" im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert für das staatsrechtliche Denken im schwedischen Reich belegt u. a. auch die wohl im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts vorgenommene Übersetzung diese Rechtscorpus ins Finnische: Talonpoikain laki. Kuningas Kristofferin maanlain suomennos (1442) Caloniuksen kopion mukaisena [Die finnische Übersetzung von König Christophers Gesetz aus dem Jahre 1442 nach der Kopie von Calonius], hrsg. von Esko Koivusalo, Helsinki 2005.
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gung von 1544 65 , Gustavs Wasa Testament66 und den Beschluss des Reichstages von Uppsala 1593 rekurrierte67, sowohl den Reichstag als politisch gleichberechtigtes handelndes Ganzes als auch den Hochadel durch die Wiederherstellung des Reichsrates Anfang des Jahrhunderts aktiv in die politischen Entscheidungsprozesse zu integrieren68. Eben diese Restitution von Schwedens kumulativer Verfassung hebt übrigens auch der Leichenprediger Gothus in seinem Nachruf auf Karl IX. hervor: Der Schutz, den Karl Gesetz und Recht angedeihen ließ, lässt sich Gothus zufolge an der Herausgabe schwedischer Rechtscorpora während Karls Regierungszeit, nicht zuletzt des „Landslag" Christopher von Bayerns ablesen69. Zudem habe Karl in „Frieden, Eintracht und Ruhe" mit den Ständen regiert70. Karls legitimistische Verfassungspolitik hatte zudem die Vorlage für die reibungslose Übernahme der Regierungsgewalt durch seinen noch unmündigen, erst siebzehnjährigen Sohn Gustav Adolf gelegt71. Sowohl die Thronbesteigung Johans III. im Jahre 1569 als auch die Wahl Sigismunds zum König hatten ζ. T. höchst gravierende innenpolitische Auseinandersetzungen um die Thronfolge hervorgerufen. Nicht so jedoch die Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Gustav Adolf. Der Thronfolge Gustav Adolfs sprach zwar der polnische Herrscher Sigismund jegliche Legitimität ab, innenpolitisch Svenska Riksdagsakter (wie Anm. 27), S. 4 0 8 ^ 1 0 . Vgl. wie Anm. 9. 6 7 Vgl. u. a. wie Aran. 27. 6 8 HERMANSSON, Karl IX (wie Anm. 25), S. 281-296. Hermansson, Harald und Erland Hjäme sowie Sven Ulric Palme - und ebenso der deutsche Historiker Günter Barudio werten die Regierung Karls IX. folglich nicht als eine praktisch diktatorische Herrschaft, sondern als eine Verwirklichung protokonstitutioneller und -demokratischer Prinzipien: Harald HJÄRNE, Sveriges statsskick under reformationstiden (1520-1611) [Die Verfassung des schwedischen Staates während der Reformationszeit], Uppsala 1893; Erland HJÄRNE, Frän Vasatiden tili Frihetstiden: nägra drag ur den svenska konstitutionalismens historia [Von der Wasazeit zur Freiheitszeit: Züge der schwedischen Verfassungsgeschichte], Stockholm 1929, insbes. S. 20-22, S. 34; Sven Ulric PALME, Karl IX - bondekonung? [Karl IX. - König der Bauern?], in: DERS, Kungligt och kvinnligt [Königlich und weiblich], Stockholm 1958, S. 71-108; BARUDIO, Gustav Adolf (wie Anm. 63), S. 100-115. 6 9 „Uthi thet Politiske Regementet, halwer H.K.M. [...] hälledt hand öffuer Lagh och Rätt [...]. Och pä thet Domare, Lagläsare och andra, thes förinnan sädant skee künde, motte nägot wist hafwa ther the künde sigh effterrätta, haffwer H.K.M. äff Trycket lated vtgä äthskillelighe Landz Laghböcker, serdeles K. Christophers äff Beyaren, [...] för hwilken H.K.M. icke allenest hafwer föresadt sin Kongelige Praefation [...]". GOTHUS, Iosiae (wie Anm. 2), S. 35-36. 7 0 „Theslijkes halwer H.K.M. beflitadt sigh, at Fridh, Sämja och rooligheet motte sä wäl Inbyrdes emellan Rijkzens Ständer och Inbyggare, som medh Vthlänske Potentater, Land och Säder, vprättas och widh macht hällas". GOTHUS, Iosiae (wie Anm. 2), S. 36. 7 1 HERMANSSON, Karl IX (wie Anm. 25), S. 272-280; Nils AHNLUND, Axel Oxenstierna intill Gustav Adolfs död [Axel Oxenstiemas Leben und Werk bis zum Tod Gustav Adolfs], Stockholm 1940, S. 101-105; Michael ROBERTS, Gustavus Adolphus: A history of Sweden 65
66
1 6 1 1 - 1 6 3 2 , B d . 1, 1 6 1 1 - 1 6 2 6 , London 1 9 5 3 , S . 2 5 8 - 2 5 9 .
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war sie freilich unumstritten und durch „die gelungene Verbindung von Erbund Wahlprinzip"72 sowie Gustav Adolfs Krönungseid abgesichert. Durch den Krönungseid sicherte Gustav Adolf im Jahre 1612 - in Übereinstimmung mit Karls Prinzipien - den Ständen das Recht zur Steuerbewilligung und die Entscheidung über Krieg und Frieden ebenso zu wie dem Adel seine privilegierte Stellung im Reich73. Gleichzeitig bestätigte er durch die Religionsverpflichtung auf die Confessio Augustana die gesamtgesellschaftliche und staatsgründende Relevanz der religio lutherana. Die Jahre 1609 bis 1611 sind in erster Linie durch die Krisenhaftigkeit der außenpolitischen und militärischen Lage des Schwedischen Reiches gekennzeichnet. Diese resultiert ihrerseits aus den innenpolitischen konstitutionellen Krisen des Reiches und der daraus abgeleiteten Legitimitätsproblematik aller Könige seit Gustav Wasa und insbesondere aus dem Machtkampf zwischen Sigismund und Karl in den 1590er Jahren. Innenpolitisch, konstitutionell und auch mit Hinblick auf die konfessionelle Lage war das schwedische Reich um 1610 jedoch einem weitgehenden Konsolidierungsprozess unterworfen. Neben administrativen Reformen legte zudem auch ein langsamer, aber stetiger Wirtschaftsaufschwung Grund für den sukzessiven Aufstieg des Schwedischen Reiches zur Hegemonialmacht im Ostseeraum74. Eine aktive Einwanderungspolitik, die - auch aus religiösen Gründen - immer mehr Handwerker, Bergmänner, Kaufleute und Soldaten aus dem Alten Reich, den Niederlanden, Frankreich und Schottland anzog, schuf die Voraussetzungen für eine effektive Nutzung der Ressourcen des Landes, wie ζ. B. Holz, Eisenerz, Kupfer und Silber und damit auch fur eine rüstungstechnische Anwendung, die schließlich Gustav Adolf beim Eintritt in den „Teutschen Krieg" auch eine technologische Überlegenheit sicherte75. Die krisenhaften außenpolitischen und militärischen Momente, in die das schwedische Reich um 1610 verstrickt war, gründeten sowohl in innenpolitischen Auseinandersetzungen als auch in Konflikten mit den Nachbarn und emanierten aus dem 16. Jahrhundert. Die nordeuropäische Krise, in der Schweden durch die Kriege mit Polen, Russland und Dänemark im Zentrum des Geschehens steht, weist zudem über sich selbst hinaus: Dem Schwedischen Reich gelang es - dank einer innenpolitischen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt konfessionellen Konsolidierung - ungeachtet militärischer Misserfolge und ζ. T. teuer erkaufter Friedensschlüsse sich gegen seine Kon72
BARUDIO, Gustav Adolf (wie Anm. 63), S. 109. H e r m a n s s o n , Karl IX (wie Anm. 25), S. 279. 74 Eli F. HEKSCHER, Svenskt arbete och liv. Frän medeltiden tili nutiden. Med kompletterande tillägg av professor Arthur Montgomery och fil. Lie. Bengt Svensson [Leben und Arbeit in Schweden. Vom Mittelalter bis in die heutige Zeit. Mit Erweiterungen versehen von Professor Arthur Montgomery und fil. Lie. Bengt Svensson], Stockholm 1980, S. 71146; BERNER, Gustav Adolf (wie Anm. 29), S. 258-280. 75 HEKSCHER, Arbete (wie Anm. 74), S. 119-126. 73
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kurrenten im Ostseeraum zu behaupten. Innerhalb der kommenden zwei Jahrzehnte konnte das schwedische Reich - nicht zuletzt aufgrund der militärischen Erfolge unter der Führung Gustav Adolfs - Dänemark als Hegemonialmacht im europäischen Nordosten ablösen. Die Krise 1609/1610 und deren Lösung in den Jahren danach ist ein Symptom der Konsolidierung des schwedischen Reiches und gleichzeitig eine Deixis auf das, was noch kommen wird. Die Wende von ersten auf das zweite Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts markiert folglich einen Umbruch in der Geschichte Nordosteuropas und prägt damit auch in ihrer Verlängerung, durch Dreißigjährigen Krieg und Westfälischen Frieden, ganz Europa. Für das schwedische Reich, das im 16. Jahrhundert ein politisch und wirtschaftlich unbedeutender und zudem kulturell hinterherhinkender Newcomer unter den etablierten Mächten im Ostseeraum war, bedeutete das militärische Engagement im Baltikum und in Polen ein Tor zur großen weiten Welt, den Beginn eines verstärkten Hineinwachsens nach Europa. Das Krisenjahr 1609/1610 ist mithin ein historischer Knotenpunkt, an welchem die Fäden der frühneuzeitlichen schwedischen Geschichte zusammenlaufen.
Summary On January 5, 1612, Laurentius Paulinus Gothus, the future Evangelical Lutheran Archbishop of Sweden, at that juncture bishop of the diocese of Strängnäs, delivered a eulogy in honour of Charles IX commending the services and character of the Swedish king. In his eulogy, Gothus presents an account of the achievements of Charles IX, his role in the political and military crises in North-eastern Europe between 1609 and 1611, his struggles with Poland, Russia and Denmark and the challenges to the legitimacy of his reign. Charles IX came to power after a prolonged power struggle with his nephew Sigismund. The son of the Swedish king John III and the Polish Princess Katharina Jagellonica, Sigismund had been invested as King of Poland in 1587 and as King of Sweden in 1594. Charles claimed that Sigismund had reneged on his commitment to acknowledge Sweden as a Lutheran state and thus had lost his right to govern Sweden. Sigismund, on his part, claimed that Charles in his bid to power had usurped the throne. The struggle between Charles and Sigismund was exacerbated by the transfer of power in Russia from Boris Gudonov to this son Fjodor which unleashed a civil war. This civil war served, at least partly, as a proxy war between the Swedish king and his nephew. In the midst of these struggles, Denmark took advantage of the situation and declared war on Sweden in 1611. During the last
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years of his reign, Charles IX was involved in struggles with his neighbours on three fronts: Poland in the south, Russia in the east and Denmark in the west. The unsettled military situation laid the groundwork for Sweden's methodological rise to imperial greatness. The reign of Charles IX introduced a period of consolidation - socially, economically and politically. By the time of his death, Sweden was a rising power in the Baltic Sea region. During the reign of his son and successor, Gustavus Adolphus, it became a European power in its own right.
Polen und Moskau 1609-1610 Von
Anna Filipczak-Kocur Die Geschehnisse im Moskauer Staat zu Beginn des 17. Jahrhunderts bezeichnet die Historiographie als „smutnoje wriemia" (die Smuta/die Zeit der Wirren)*. „Sie waren - behauptet Andrzej Andrusiewicz - schon allein in ihrem Wesen durch die Ereignisse dieser Zeit, ihre Niederlagen und Erfolge ein Drama in der Konvention des großen Welttheaters (theatrum mundi), ein Theaterstück über das menschliche Schicksal, ein szenisches Wunder" 1 . Der Beginn und das Ende dieser Zeit wird von den Historikern unterschiedlich datiert. Manche meinen, dass sie 1591 ansetzte, als sich die Tragödie in Uglicz ereignete, mit dem tödlich verunglückten Thronfolger Dimitri, dem Sohn Ivans IV. in der Hauptrolle. Oder war es bereits das Jahr 1581, in dem der ältere Sohn Ivans des Schrecklichen vom eigenen Vater getötet wurde, oder vielleicht 1584, das Todesjahr Ivans selbst? Damals begann eine große dynastische Krise, die 1613 mit der Wahl Michail Romanows zum russischen Kaiser endete. Die Begründung der Dynastie der Romanow stand am Beginn der Formierung eines modernen Staates und der modernen Gesellschaft, womit sich die dynastische Krise allmählich auflöste. Die „große Trauer" begann also keineswegs 1601 und endete nicht 1613. Die Zäsur selbst bedeutet hier ein damit verbundenes Forschungsproblem. Es ist aber unwesentlich. Die Größe dieser „Trauer" machten viele „kleine Trauern" aus, die in ihrem Wesen aber sehr unterschiedlich waren2. Verursacht wurde sie - abgesehen von politischen Ereignissen - durch ökonomische, kulturelle, soziale, sittliche, religiöse und theologische Span* In der polnischen Historiographie bezeichnet man diese Zeit als „wielka smuta" (große Trauer). Anm. der Übersetzerin. 1 Andrzej ANDRUSZEWICZ, Dzieje wielkiej smuty [Geschichte der großen Trauer], Katowice 1999, S. 91. Im Hinblick auf den begrenzten Umfang des Beitrags beschränke ich mich in den Anmerkungen auf das Wesentliche. Die Fachliteratur zu der hier angeschnittenen Problematik umfasst hunderte von Titeln. In der beigefugten Bibliographie nenne ich nur einige wenige. Die Literatur wurde in der oben genannten Monographie von Andrzej Andruszewicz auf 104 Seiten ausführlich besprochen. 2 Die Bezeichnung „smuta" [Trauer] bzw. „smutnoje wremja" [traurige Zeiten] kam bereits in den offiziellen Akten der hier behandelten Zeit vor. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts findet sie in der Historiographie ihren Niederschlag. Zum ersten Mal benutzte Wasyl N. TATISZCZEW in „Istoria Rossijskaja s samych dreiwniejszych wriemion [Die russische Geschichte seit ihren Anfangen]", erschienen 1768-1784, die Bezeichnung „große Trauer", um den Unterschied zu den kleineren „Trauern" zu betonen.
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nungen, die mit ihren Anfängen in die letzten Jahre der Herrschaft Ivans IV. reichten. Die Zersplitterungstendenzen, die sich damals im Moskauer Staat bemerkbar machten, verursachten auch die Krise der Jahre 1609-1612. Den russischen Thron umringten damals zahlreiche Pseudo-Dimitri, Sigismund III. Wasa wie auch sein Sohn Wladislaw. Um Einflüsse im russischen Staat kämpften miteinander Polen, Schweden, die Türkei und der Kirchenstaat. Das Eingreifen in die inneren Angelegenheiten Moskaus hatte historisch keine Präzedenz und wurde später nie wiederholt. Die Nachbarn des Moskauer Staates, die näheren und die weiteren, versuchten seine Schwäche und das innere Chaos für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Im Fall Sigismunds III. war es ein weitreichendes Ziel, das man in kurzen Worten bezeichnen könnte als: über Moskau nach Stockholm, d. h. eine Wiedergewinnung des schwedischen Throns mit Hilfe Moskaus. Es gab aber auch ein näheres Anliegen: die Zurückeroberung der von den Jagiellonen 1514 verlorenen Länder, die Teil des Großfürstentums Litauen waren - mit Smolensk an der Spitze. 1609 beschloss der polnische König, diese historische Chance zu ergreifen. Berücksichtigen muss man allerdings, dass die polnisch-moskowitischen Beziehungen nur ein Fragment der „Trauer" in ihrem internationalen Ausmaß und in der mit unterschiedlichen Problemen beladenen Krise bildeten. Maßgeblich waren nicht ausschließlich politische Aspekte. Was 1609 geschah, war eine Folge der früheren Ereignisse. Am 11. März 1601 schloss die polnische Republik mit Moskau einen Frieden, der bis zum 15. August 1622 andauern sollte3. Als der erste falsche Dimitri (Griszka Otriepiew) die Bühne betrat, wurde er weder vom König noch von der Rzeczpospolita offiziell anerkannt. Man wusste jedoch sogar in Moskau, dass Sigismund III. den selbsternannten künftigen Zaren sympathisch fand und seine Pläne im Geheimen billigte. Der König hoffte als Gegenleistung auf die russische Ablehnung der sich abzeichnenden schwedisch-russischen Allianz und auf die Unterstützung bei der Rückgewinnung des schwedischen Throns. Dies alles unter der Voraussetzung, dass Dimitri für sich den Moskauer Thron eroberte. Der Aufstand, der am 27. Mai 1606 in Moskau ausbrach, brachte Dimitri und Hunderten von zur Hochzeit mit Marina Mniszech, der Tochter des polnischen Woiwoden von Sandomierz, Jerzy Mniszech, eingeladenen Gästen den Tod. Die Überlebenden gerieten in Gefangenschaft oder wurden zusammen mit der „Paar-Tage-Kaiserin" und den offiziellen Gesandten Sigismunds 3 Poselstwo Lwa Sapiehy w roku 1600 do Moskwy, podtug Diariusza Eliasza Pielgrzymowskiego, sekretarza poselstwa [Die Gesandschaft Lew Sapiehas im Jahre 1600 nach Moskau, anhand des Tagebuchs von Eliasz Pielgrzymowski, dem Sekretär des Gesandten], bearb. von Wladystaw Tr^bicki, Grodno 1846, siehe weiter Kazimierz TYSZKOWSKl, Poselstwo Lwa Sapiehy w Moskwie, in: Archiwum Towarzystwa Naukowego we Lwowie, dzial II, t. IV, z.l (1927), S. 1-89.
Filipczak-Kocur, Polen und Moskau 1609-1610
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III., Mikotaj Olesnicki - dem Kastellan von Maiogoszcz - und dem königlichen Sekretär, Aleksander Gosiewski, interniert. Der Thron im Kreml wurde inzwischen von einem neuen Zaren, Wassili Schuiski, besetzt. Dieser musste gegen den Bolotnikow-Aufstand ankämpfen, dessen Anführer seinerseits verkündete, er trete im Namen des wundersam überlebenden Dimitri auf. Für diesen hielt er Michail Moltschanow, den Mörder von Fjodor, dem Sohn Boris Godunows. Es haben sich noch weitere Pseudo-Dimitri zu Wort gemeldet, die das Gerücht von der wundersamen Rettung des ersten Dimitri aufleben ließen. Eine Karriere machte nur einer von ihnen. Man wusste nicht, wer er war. Er wurde aber von Marina „erkannt" und nahm den Platz ihres Mannes und des Zaren ein. Unterstützt haben ihn viele polnische Adlige und sogar ganze Militäreinheiten, die im Dienst des ersten Dimitri gestanden hatten. Ihre Motivation war Gier nach Geld und reicher Beute sowie falsch verstandene Abenteuerlust4. Obwohl die polnische Seite damals offiziell niemanden unterstützte, machte Moskau den König und die Rzeczpospolita für das Auftauchen zahlreicher neuer Pseudo-Dimitri verantwortlich. Den König beschäftigte allerdings eher der Aufstand von Sandomir, der in die Geschichte als Zebrzydowski-Aufstand einging5. Der polnische Monarch führte jedoch mit dem Zaren Wassili Schuiski Verhandlungen über die Freilassung der in Moskau internierten Polen. Schuiski wollte mit diesem Eingeständnis einen mehrjährigen Waffenstillstand mit Polen erreichen. Es bestand jedoch die Befürchtung, dass Schuiski einen Verbündeten eher in Schweden als in Polen suchen würde. Die in Moskau internierten Mikotaj OleSnicki und Aleksander Gosiewski erwarteten vom König einen Waffeneinsatz in Moskau. Sie betonten, dass die Gelegenheit nicht nur dafür günstig sei, die an Moskau verlorenen polnischen Gebiete zurückzugewinnen, sondern auch dafür, eine Annektierung Moskaus durchzuführen 6 . Beide argumentierten zusätzlich, dass gerade diese von den Bewohnern Moskaus aufgrund der Freiheiten, die in der Rzeczpospolita herrschten, gewünscht würde. Viele erhofften sich auch eine Befreiung von Smolensk und anderer Festungen im Grenzgebiet7. Eroberungsparolen kamen darüber hinaus von Seiten der Publizisten. Man findet sie auch in der politischen Dichtung der Zeit8. Sigismund III. wollte zweifelsohne das Chaos im 4
Jarema MACISZEWSKI, Polska a Moskwa. Opinie i stanowiska szlachty polskiej [Polen und Moskau. Ansichten und Haltungen des polnischen Adels], Warszawa 1994, S. 145. 5 Wojciech POLAK, О Kreml i Smolenszczyzn?. Polityka Rzeczypospolitej wobec Moskwy w latach 1607-1612 [Der Kampf um den Kreml und das Smolensk-Gebiet. Die Politik der Rzeczpospolita gegenüber Moskau in den Jahren 1607-1612], Τοπιή 1995, S. 26. 6 Ebd., S.31. 7 Mikolaj OleSnicki i inni poslowie do kröla 8 VII 1607 r. ζ Moskwy [Schreiben von Mikolaj Olesnicki und anderen Gesandten an den König am 8. Juli 1608 aus Moskau], in: Biblioteka Muzeum k s i ^ t Czartoryskich w Krakowie (BCz.), k. 492. 8 MACISZEWSKI, Polska a Moskwa [Anm. 4 ] , S. 1 2 8 - 1 3 1 .
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Zarenreich, die Schwäche des russischen Monarchen sowie den Aufruhr der Schlachta in der Rzeczpospolita nach der Ermordung des ersten Dimitri und dem polnischen Blutbad in Moskau nutzen. Der König handelte umsichtig. In der Korrespondenz mit den Senatoren und Landtagsabgeordneten zum Sejm 1607 verwies er auf das Unrecht, das der Rzeczpospolita durch die Ermordung oder Verhaftung vieler im Dienst Dimitris stehender Polen angetan wurde. Er unterstrich, dass Moskau Dimitri selbst auf den Thron berufen habe und dass die Rzeczpospolita nicht in die inneren Angelegenheiten der Moskowiter eingegriffen hätte. Sie habe auch den Waffenstillstand mit Boris Godunow nicht gebrochen. Er fugte hinzu, dass er, der König, Maßnahmen treffen könne - falls das von der Schlachta gewünscht werde - , die das zugefügte Unrecht wiedergutmachen sowie „diese Rzeczpospolita mit Ruhm und Grenzen" schmücken würden9. Das war eine deutliche Anspielung auf die bewaffnete Intervention und eine Suggestion eines solchen Eingriffs. Die Schlachta zeigte aber für diese Idee kein Interesse und der König, enttäuscht über die Reaktion der Landtage, stellte auf dem Sejm im Juni 1607 die Moskauer Frage nicht zur Debatte. Am 22. Oktober 1607 gelangte in den Personen Stanislaw Witkowskis und Jan Drucki-Sokolinskis die königliche Gesandtschaft nach Moskau. Am Anfang verlangten die Gesandten, dass sich an den Verhandlungen mit dem Zaren Wassili Schuiski auch die in Moskau anwesenden OleSnicki und Gosiewski beteiligten. Sie sollten ihre diplomatische Immunität nicht verlieren und als Gefangene behandelt werden. Faktisch waren sie deswegen inhaftiert, weil sie Dimitri I., der in Schuiskis Augen ein illegaler Zar war, ihre Akkreditierungsschreiben vorgelegt hatten. Nur mit großem diplomatischem Aufwand und erst im Januar 1608 ließ sich Schuiski dazu überreden, den Gesandtenstatus der beiden Polen wieder anzuerkennen. Die im Dezember 1607 begonnenen Gespräche waren schwierig. Der Zar wollte der Freilassung der Polen lange nicht zustimmen. Die Gesandten selbst wurden schikaniert, man verweigerte ihnen die Nahrung, sie wurden zur Flucht angestiftet, bekamen in der Fastenzeit keine Fische. Auch weitere Vorwürfe wurden erhoben. Die Moskauer Partei warf dem König und der Rzeczpospolita die Unterstützung Dimitris vor. Er habe den orthodoxen Glauben in Verruf bringen wollen sowie der Marina die Fürstentümer Nowgorod und Pskov und ihrem Vater Mniszech Smolensk und das Fürstentum Seversk zugesagt. Mniszech selbst habe auf dem Weg nach Moskau verkündet, er handle im Auftrag des polnischen Königs. Sigismund III. habe den Chan der Tataren, Uraz-Mahmet, dazu anzustiften versucht, Moskau zu überfallen. Dem polnischen König warfen die Moskowiter alle Untaten Dimitris vor. Man negierte die Tatsache, dass es während des Aufruhrs Tote in dem 9
Instrukcja na sejmiki [Sejminstruktionen], in: Archiwum Glowne Akt Dawnych w Warszawie (AGAD), Archiwum RadziwiHowskie (AR) II, ks. 12, k. 175.
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Gesandtenhaus in Moskau gegeben hatte. Man behauptete, es habe keine Gefangene unter den polnischen Gesandten gegeben. Polnische und kaiserliche Kaufleute seien keineswegs beraubt worden, da sie zu dem Zeitpunkt nicht in Moskau anwesend waren. Die wichtigsten Vorwürfe bezogen sich auf die Verletzung des Waffenstillstands durch den König und auf seine Unterstützung Dimitris. Die polnischen Gesandten bemühten sich zu erklären, dass der König zu Dimitri eine neutrale Haltung eingenommen habe. Er sei so weit gegangen, dass er sogar den Besuch von dessen Gesandten abgelehnt habe. Er könne weder für die Taten von Mniszech noch für die Dimitris geradestehen. Die Bojaren hätten den Selbsternannten in die Hauptstadt hereingelassen, da sie in ihm den Nachkommen Ivans glaubten erkannt zu haben. An dem bereits früher stattgefundenen Treffen in Tula hätten gerade die wichtigsten Moskowiter Bojaren teilgenommen. Den orthodoxen Glauben schätze der König sehr. Die orthodoxen Bischöfe erfreuten sich in der Rzeczpospolita einer größeren Anerkennung als in Moskau. Jeder Bischof bleibe hier bis zum Lebensende im Amt, wogegen in Moskau schon mehrere Patriarchen zum Tode verurteilt worden seien. Die polnische Seite beschuldigte Moskau, den Frieden zu brechen, die polnischen Gäste auf der Hochzeit Dimitris mit Marina ermordet zu haben und die Gesandten als Geisel zu halten. Als Bedingung für weitere Verhandlungen wurde die Freilassung der Gesandten und aller inhaftierten Polen gestellt sowie ihre sichere Rückkehr nach Hause. Sigismund III. blieb auch zum zweiten Dimitri auf Distanz. Er überlegte, ob er seinen Gesandten eine Audienz gewähren sollte. In den Briefen, die an die Senatoren vor der Konvokation im Mai 1608 in Krakau gingen, bat er um Hilfe und Rat. Im Beschluss der Konvokation hieß es, die Gesandtschaft sollte empfangen werden. Man solle allerdings die Akkreditierung verzögern, damit nicht der Eindruck entstehe, man habe in der Person Schuiskis oder der Dimitris einen russischen Zaren anerkannt10. Die auf der Konvokation anwesenden Senatoren waren gegen eine neue private Reiberei in Moskau. Man befürchtete, nach Moskau würden adlige Konföderierte ziehen, die mit den Moskowiter Heeren die Rzeczpospolita überfallen könnten. Darüber äußerten sich prominente Senatoren gegenüber dem König. Die Befürchtungen erwiesen sich als grundlos. Die Entscheidung der Senatoren nach der Konvokation war eindeutig: Diejenigen, die trotz bestehenden Verbots nach Moskau zögen, sollten per Edikt aufgehalten werden. Es wurden auch schärfere Maßnahmen empfohlen. Der König verkündete ein allgemeines Verbot, eigenmächtige Soldatenwerbung zu betreiben und die Grenze nach Moskau zu überschreiten. Ein Schreiben an die Bojaren in der Duma mit der Klage über 10 Wörtlich: „azeby si? nie przyznawalo [...] Szujskiemu ani Dymitrowi carstwo moskiewskie". Quellen zur Konvokation siehe: Biblioteka im. Ossolinskich we Wroclawiu (B Oss.) 6603/11, k. 634.
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die unrechtmäßige Festnahme der Gesandten und anderer Personen wurde nicht expediert. Einige Senatoren hatten dagegen Einspruch erhoben. Der Historiker Wojciech Polak behauptet, der Brief an die Bojaren sei zu friedfertig gewesen und habe dem König, der damals ernsthaft eine Intervention in Moskau erwog, nicht zugesagt11. Zu dieser Zeit richtete der Woiwode von Sandomierz, Jerzy Mniszech, zusammen mit den Gesandten OleSnicki und Gosiewski an den König ein dreiteiliges Memorandum. Das Memorandum war eine Initiative des Woiwoden, und die Namen der Gesandten sollten nur den Rang dieses Schreibens unterstreichen. Für unsere Überlegungen ist sein zweiter Teil von Bedeutung. Mniszech nannte Gründe, warum der König einen Krieg mit Moskau anfangen sollte. Neben den bekannten und oft genug wiederholten Argumenten über die Beleidigung der polnischen Gesandten in Moskau, über die Ermordung vieler Polen, die Verletzung des Waffenstillstands durch die Moskowiter sowie über die notwendige Rückführung der verlorenen Gebiete an die Rzeczpospolita, wurden dort neue Begründungen genannt. Es sei die Pflicht des Königs als christlicher Monarch, diejenigen zu retten, die sich für den katholischen Glauben aufgeopfert hätten, d. h. die polnischen Gefangenen in Moskau. Die gesamte Christianitas und der Papst erwarteten das vom König. Es war ein geschickt formulierter Appell an das Gewissen eines Monarchen und die Ausnutzung seiner religiösen Gefühle, obwohl niemand ernsthaft daran glaubte, die Gefangenen in Moskau litten ftir den christlichen Glauben. Den zweiten Dimitri unterstützten 4000 Soldaten des Kniasen Roman Rozynski, den Dimitri zum Generalbefehlshaber ernannte. Darüber hinaus führte Ivan Zarudzki, ein aus der Rzeczpospolita stammender Kosake, 5000 DonKosaken an. Darunter befand sich auch Aleksander Lisowski mit einer Kosakeneinheit. Die Armee Dimitris schlug am 8. Mai 1608 vor Bolchow die Heere Schuiskis. Am 24. Juni stand Dimitri vor Moskau. Den nächsten Sieg über Schuiski errang er vor Tuschino an der Chodynka. Der König verurteilte offiziell dieses Unternehmen, was unter anderem in der zweimaligen Mission der polnischen Gesandten in Moskau zu Dimitri Ausdruck fand. Die Boten der Gesandten bemühten sich, die polnischen Einheiten zum Verlassen des selbsternannten Zaren mit dem Hinweis auf den bestehenden polnisch-russischen Waffenstillstand zu bewegen. Die Antwort der Dimitri-Anhänger war klar: Es werden keine Befehle zur Kenntnis genommen. Beide Verhandlungen fanden mit Einverständnis Schuiskis statt, was belegt, dass mit dem Zaren ernsthafte Gespräche geführt wurden und dass er selbst einen Frieden mit der Rzeczpospolita brauchte. Die Moskauer Partei ermöglichte sogar den Gesandten Kontakte mit Mniszech und anderen Polen. Marina und ihr Vater wurden nach Moskau geholt. 11
POLAK, О Kreml i Smolenszczyzn? (Anm. 5), S. 46.
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Man kann auch eine Veränderung der Einstellung Schuiskis und der Bojaren feststellen. Die Atmosphäre der Verhandlungen wurde freundlicher. Der Grund lag in den Erfolgen Dimitris. Man erzielte ein Kompromiss in der Frage des Waffenstillstands. Er wurde für vier und nicht - wie der Zar vorgeschlagen hatte - fllr acht Jahre geschlossen und dauerte vom 27. Juli 1608 bis zum 30. Juni 1612 an. Die polnische Seite erreichte die Freilassung aller Gefangenen einschließlich Jerzy Mniszech und Marina, außerdem die Rückgabe aller ihnen geraubten Gegenstände. Der König wurde verpflichtet, alle Truppen, die Dimitri unterstützten, zurückzuziehen. Moskau verpflichtete sich, die Feinde der Rzeczpospolita nicht zu unterstützen. Die Krise in den gegenseitigen Beziehungen schien abgewandt zu sein. Die erste Gruppe der Gefangenen (mit Marina und ihrem Vater) wurde am 2. August 1608 unter dem Schutz von 500 Reitern in Richtung Grenze geschickt. Auf dem Weg nach Smolensk wurden Marina, ihr Vater und Mikolaj OleSnicki, ihr Onkel, von einer Truppe Aleksander Zborowskis „befreit". Dieser Gruppe schloss sich Jan Piotr Sapieha an. Sie alle begaben sich wieder Richtung Moskau zu Dimitri, der in Tuschino residierte. Dort wurde Marina mit dem zweiten Pseudo-Dimitri heimlich getraut. Diese Entwicklung hat Sigismund III. in Schwierigkeiten gebracht, allerdings in noch größere den Zaren Schuiski. Seine Verhandlungen mit Dimitri endeten in einem Fiasko. In dieser Situation behielt er die weiteren Polen in Gefangenschaft. Sigismund III. betrachtete den von seinen Gesandten abgeschlossenen Vertrag als einen Vertrag, der unter Zwang abgeschlossen worden war, und erklärte dessen Nichtigkeit. In der Tat waren einige seiner Bestimmungen nicht zu erfüllen. Der König konnte ζ. B. weder Sapieha noch Rozynski dazu zwingen, das Gebiet des Moskauer Staates zu verlassen. Gefährlich war darüber hinaus - das Engagement des ehemaligen königlichen Gesandten OleSnicki für die Heimlichtuereien Dimitris. Dass er und Minszech vom selbsternannten Zaren Territorien angenommen hatten, auf die Rzeczpospolita Anspruch erhob, war nicht anders als skandalös zu bezeichnen12. Faktisch setzte Wassili Schuiski nur eine einzige Bedingung des Vertrags um. Er befreite nämlich die Gefangenen, aber auch nicht alle. Darüber hinaus schloss er - gegen die Vereinbarung - am 10. März 1609 in Wiborg einen Vertrag mit Karl IX. von Schweden. Er verzichtete darin auf Karelien und erkannte die schwedischen Rechte an Polnisch-Livland an. Er meldete seine Ansprüche auf Gebiete an, die nach dem Vertrag von Jam Zapolski (1582) Litauen zufielen. Dies begründete er mit der Annahme des Titels: Fürst von Plock. In dem Vertrag von Wiborg verpflichteten sich beide Herrscher zur einheitlichen Politik gegenüber der Rzeczpospolita, Sigismund III. und seinen 12
Mniszech erhielt vom Dimitri 14 Festungen in der Region um Nowgorod-Seversk, Smolensk und Tschemihiv und Olesnicki die Festung Biata, vgl. POLAK, О Kreml i Smo^szczyzn? (Anm. 5), S. 55.
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Nachkommen. Sie sagten sich gegenseitig militärische Unterstützung zu und verkündeten, dass sie einen Frieden mit der Rzeczpospolita nur nach einer vorhergehenden Absprache miteinander schließen würden. Die Stärkung der Partei Dimitris entsprach nicht den königlichen Plänen. Da aber dadurch Wassili Schuiski geschwächt wurde, erblickte der König darin die Möglichkeit, den - wahrscheinlich bereits im Sommer 160813, oder sogar vor dem 22. Mai 1607, d. h. bevor die nach Moskau geschickten Abgesandten ihre Instruktionen erhielten - gefassten Entschluss umzusetzen. Damals hatte der König untersagt, einen Waffenstillstand für länger als zwei Jahre abzuschließen, was auf die sich bereits herauskristallisierenden Pläne des Monarchen gegenüber dem östlichen Nachbar, eine militärische Intervention durchzuführen, hinweisen könnte. Über die Rückgewinnung der im 15. und 16, Jahrhundert verlorenen Gebiete berichteten Gosiewski und OleSnicki. Lew Sapieha, der Kanzler und Großhetman von Litauen, und andere hätten den König zu überreden versucht, die Territorien in der Region um Nowgorod-Seversk, Tschernihiv und Smolensk wieder zu besetzen. Man schlug vor, entweder über die Eroberung Moskaus vorzugehen oder einen Anschluss in der Form einer Union unter königlichem Zepter durchzuführen. Parolen über die Annexion des östlichen Nachbarn waren in der Rzeczpospolita seit längerem zu hören. Es wäre allerdings übertrieben zu behaupten, der König hätte auf diese Stimmen sehr gerne gehört14. Er hat sich nie offiziell über den Anschluss des Moskauer Staates an Polen geäußert; viel näher lag ihm die föderalistische Konzeption15. Wojciech Polak polemisiert gegen einige Historiker, die behaupteten, der König habe Pläne zur Katholisierung Russlands gehabt16. Vor dem Sejm im Jahr 1609 widmete der König den Moskauer Angelegenheiten sehr viel Aufmerksamkeit. Er berichtete in einen Schreiben über die große Feindschaft den Polen gegenüber sowie über die Verhaftung der Gesandten und anderer Polen. Auf der anderer Seite erklärte er den Zustand mit dem - den Moskowitern selbstredend nicht willkommenen - „Einzug unserer Leute" nach Moskau. In den Briefen an die Landtage vor den Sitzungen beschrieb er das Problem detaillierter. Der mit Schuiski geschlossene Vertrag sei durch die erzwungene Rückkehr Mniszechs und Olesnickis in das Lager Dimitris gebrochen worden. Der König reflektierte über das „Aufhören" der Vertragsgültigkeit und bat die Schlachta um Rat, wie man weiter mit der Gefangenenfrage umgehen sollte. Wie sollte man die Verhafteten retten und 13
Ebd., S. 59. So Waclaw SOBIESKI in: Zötkiewski na Kremlu [ZöJkiewski auf dem Kreml], Warszawa [u. a.] 1920, S. 16 f. Adam DAROWSKl, Szkice historyczne, seria druga [Historische Skizzen, 2. Serie], Sankt Petersburg 1895, S. 4 u. 104. 16 POLAK, О Kreml i Smoleüszczyzn? (Anm. 5), S. 62. 14
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die Grenzen der Rzeczpospolita verteidigen? Er erwähnte die Schwäche des Moskauer Staates und die Chancen, die verlorenen litauischen Gebiete wiederzugewinnen. Er versicherte jedoch, dass einen Entschluss in dieser Frage nur der Sejm fassen könne. Das war allerdings selbstverständlich. Der König konnte ohne die Einwilligung des Sejm weder Außenpolitik betreiben noch einen Krieg beginnen oder dessen Finanzierung sichern. Er wusste genau, dass die von ihm erwähnten Magnaten freiwillig mit Marina nach Tuschino gingen und dazu nicht gezwungen wurden. Diese Variante ihrer Rückkehr schaffte jedoch größere Möglichkeiten, die königlichen Pläne der Intervention in Moskau erfolgreich durchzusetzen. Der König stellte sie sehr vorsichtig vor, um die Schlachta wie bereits vor dem Sejm 1607 - nicht zu bestürzen. Manche Landtage haben den königlichen Vorschlag akzeptiert. Es waren wichtige Gremien in der Hierarchie der Landtage: u. a. der Landtag von Krakau und Sandomierz. Insgesamt neigten die Landtage des Kronlandes eher dem König zu als die in Litauen. Ohne jedoch auf den Sejm zu warten, besprach der König seinen Vorschlag mit einigen Senatoren, darunter der Kronfeldhetman Stanislaw Z0lkiewski, ob man nicht doch schnellstmöglich nach Nowgorod-Seversk ziehen sollte. Sigismund III. war also durchaus bereit, ohne Einwilligung des Sejm und nur mit Unterstützung der Senatoren den Krieg zu beginnen. Vielleicht rechnete er mit dem Moment der Überraschung. Er bot zum Anfang einige Hunderttausend Zloty an. Er wollte mit der Armee nach Lublin rücken, von dort nach Kiew und weiter nach Nowgorod-Seversk. Der königliche Plan wurde jedoch nicht durchgeführt, denn außer Zölkiewski hat ihn kein weiterer Senator unterstützt. Eine einsichtigere Haltung nahm Piotr Tylicki, Bischof von Krakau, ein, der dem König dazu riet, die Sache vor dem Sejm zu vertreten. Dieser begann am 18. Januar 1609. Über die königlichen Kriegspläne sprachen in ihren Wortmeldungen der Primas Wojciech Baranowski, der Posener Bischof Andrzej Opalinski, der Woiwode von Posen Hieronim Gostomski, der Woiwode von Krakau Mikolaj Zebrzydowski und der Krakauer Kastellan Janusz Ostrogski. Letzterer bezweifelte allerdings, dass eine Annexion des Moskauer Staates oder eine Union mit ihm möglich sei. Am konkretesten äußerte sich der Feldhetman Stanislaw Zölkiewski. Es interessierte ihn die Finanzierung der Expedition, er stellte die schwierige Situation in PolnischLivland dar, erwähnte die Gefahr eines türkischen Überfalls und die allgemeine Bedrohung des Landes. Eigentlich zeigte er, dass sich die Rzeczpospolita keinen weiteren Krieg leisten konnte. Letztendlich stimmte er aber mit den übrigen Senatoren überein und befürwortete den Aufmarsch. Zu dessen Befürwortern zählte auch der Großkanzler Litauens Lew Sapieha. Er nannte tatsächliche Gründe, warum man diesen Krieg beginnen sollte: nämlich die Rückgewinnung der von Litauen verlorenen Gebiete in der Region Nowgo-
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rod-Seversk und Tschernihiv sowie Smolensk, die von Iwan Wassiljewitsch erobert worden waren. Darüber hinaus verwies er auf die fehlende Hochachtung, die sowohl von Boris Godunow als auch vom zweiten Dimitri Sigismund III. gegenüber gezeigt wurde. Sie hatten den König „Polnischen Sigismund" genannt. Nach Sapieha war die Gefahr einer Bedrohung der Rzeczpospolita vonseiten des östlichen Nachbarn durchaus vorhanden. Der König konnte die Armeen, die den selbsternannten Zaren unterstützen, nicht zurückrufen. Er konnte also die Bedingungen des Waffenstillstands vom 1608 nicht einhalten. Es wäre deswegen besser, diese Armeen für die Eroberung Moskaus zu nutzen. Einen Sieg hielt er für sicher, denn seinem Cousin Jan Piotr Sapieha hätten „alle Festungen und Städte - außer Moskau und Smolensk - einen Eid" abgelegt17. Das war freilich eine große Übertreibung. Außerdem war die Loyalität des Cousins dem König gegenüber nicht sicher. Jan Piotr Sapieha unterstützte den selbsternannten Zaren vorläufig in eigenem Interesse. Nichtsdestoweniger machte der Kanzler auf die Zuhörer Eindruck. Mikolaj OleSnicki, der Kastellan von Malogoszcz und früherer Gesandter nach Moskau, erläutete die Umstände, unter denen der Vertrag von ihm und seinen Kollegen geschlossen worden war. Er behauptete, er habe diesem nur unter Zwang und Todesdrohung zugestimmt. Seine eigene Meinung über den Krieg hat er nicht preisgegeben. Dies wollte er im Senatsrat tun. Der König, ein engagierter Katholik, stand vor einem moralischen Dilemma. Der Krieg mit Moskau war ein Krieg gegen ein christliches Land und christliches Blut zu vergießen, war eine Sünde. Olesnicki lieferte dem König ein unschlagbares Argument. Die Moskowiter seien nur dem Anschein nach Christen, denn in ihrem Herzen seien sie Heiden, was ihre Taten bewiesen. Der Krieg gegen sie sei ein gerechter Krieg. Diese - zugegebermaßen sehr dürftigen - Argumente haben jedoch weder den König noch die Senatoren - und schon gar nicht die Geistlichen unter ihnen - von der Unchristlichkeit Moskaus überzeugt. Der Vertrag von Wiborg machte allerdings nicht nur den Waffenstillstand von 1608 zunichte. Er befreite den König von moralischen Skrupeln. Nicht er hatte den Pakt verletzt, und der geplante Krieg sollte zum Wohl der Rzeczpospolita und zu ihrem Schutz vor Moskau und Schweden geführt werden. Andernfalls verliere das Land Polnisch-Livland. Man könne nicht zulassen, dass ein schwedischer Kandidat den russischen Thron besteige, was persönliche und dynastische Pläne des Königs zunichte machen würde. Die Mehrheit der Senatoren äußerte sich zum Krieg überhaupt nicht, einige zweifelten den Zweck eines solchen Unternehmens an. Es gab aber keine klaren Gegenstimmen. Erst in der geheimen Sitzung des Senatsrats, die Anfang Februar stattfand, sprachen sich einige der Senatoren gegen die königli17
Ebd., S. 71.
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chen Pläne aus. Der alte römische Grundsatz pacta sunt servanda schloss in ihren Augen die Intervention in die inneren Angelegenheiten des Moskauer Staates ebenso wie einen Krieg mit ihm aus. Es gab aber auch einen anderen Grundsatz: salus rei publicae suprema lex esto, der bemüht wurde18. Die Frage war nur, was das höchste Wohl der Rzeczpospolita sein sollte. Die Moskauer Frage wurde von der Abgeordnetenkammer nicht diskutiert. Man könnte das als Zustimmung deuten, die Schwäche Moskaus zu nutzen, ohne Verantwortung dafür übernehmen zu wollen. Man könnte das aber auch mit der Rücksicht auf die Geheimhaltung der Kriegspläne und die Staatssicherheit zu erklären versuchen. Vielleicht befürchtete Sigismund III. die Reaktion der Abgeordneten, d. h. ihre fehlende Zustimmung. Der Sejm stimmte den Kriegsplänen offiziell also nicht zu. Nach seinem Ende im April wurde das Moskauer „Problem" dem Senat vorgelegt. Dieser war der Ansicht, man dürfe eine sich bietende Gelegenheit nicht verpassen, und überließ den Entschluss über den Zeitpunkt des Krieges dem König. Sigismund wagte einen Rechtsbruch, denn es lief somit auf eine Kriegshandlung ohne Zustimmung des Sejm hinaus. Es lohnt sich an dieser Stelle, auf die Anfänge des Jahres 1609 zurückzukommen. Auf dem Sejm erschien der Woiwode Mniszech, der überall verkündete, Dimitri sei der wundersam gerettete Zar, der Smolensk und die Gebiete um Tschernihiv und Nowgorod-Seversk an die Rzeczpospolita zurückgeben wolle. Mniszech bereitete das Terrain vor, um die Gesandtschaft Dimitris, die Ende Januar 1609 Tuschin verließ, willkommen zu heißen. Allerdings wurden weder diese Gesandtschaft noch ein im April nach Warschau entsandter Bote vom König empfangen. Am 25. Februar empfing er dagegen Delegierte der Armeen, die Dimitri unterstützten. Sie wollten den König davon abbringen, eine Intervention durchzuführen, warnten weiter vor einer Niederlage und vor der zunehmenden Befürchtung unter den Moskowitern, der orthodoxe Glaube könne bedroht werden. Diese Stimmen würden nur Schuiski stärken. Der König äußerte sich gegenüber den Delegierten unverbindlich. Er wolle mit den Truppen in Tuschin Kontakt aufnehmen, beabsichtige aber keine Unterstützung Dimitris. Am 28. Mai 1609 verließ die gesamte königliche Familie Krakau in Richtung Litauen. In seiner Erklärung hieß es, die Reise nach Litauen diene dem Schutz der Rzeczpospolita vor den Gefahren seitens Moskaus und Schwedens. Polnisch-Livland müsse beschützt werden. Der König berief sich auf die Zustimmung des Senats. Die Reise stand im engen Zusammenhang mit dem geplanten Angriff auf Smolensk. Bereits früher hatte er die Mobilisierung der Heere angeordnet und die Finanzierung sicherte er mit den Steuern, die für den Krieg mit Schweden zur Verteidigung Polnisch-Livlands be18
Henryk WISNER, Zygmunt III Waza, Wroclaw 2006, S. 120.
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schlossen wurden. Im Juni weilte der König längst in Lublin, von wo der Kronunterkanzler Szcz^sny Kryski eine Erklärung über die Intervention in Moskau ausgehen ließ. Sigismund machte darin deutlich, dass, obwohl darüber im Sejm nicht verhandelt, die Sache sowohl in den Landtagen als auch in den Verhandlungen davor und letztendlich im Senat besprochen worden sei. Das Ziel des Einrückens sei die Wiedergewinnung der verlorenen Gebiete und nicht die Profite des Königs. Er erwähnte auch die Gefahr, die die schwedisch-moskowitische Allianz in sich berge - es handelte sich um den Vertrag von Wiborg. Weitere Informationen enthielt die am 25. Juli 1609 in Wilna veröffentliche Instruktion. Diesmal rechtfertigte der König seine Vorhaben mit der Verpflichtung, die Verlautbarungen der pacta conventa einhalten zu müssen, die ihm eine Rückführung der verlorengegangenen Provinzen an die Krone auferlegten. Trotzdem schützte ihn diese Behauptung nicht vor dem Vorwurf, dynastische Interessen zu verfolgen. Über diesen öffentlichen Diskurs informierte den König mehrfach Stanislaw Zölkiewski. Noch während des Aufenthalts in Lublin bemühte sich der Hetman vergeblich, den Monarchen von der Invasion abzubringen. Für Zölkiewski war der finanzielle Aspekt des Krieges, der ohne Geld begonnen wurde, besorgniserregend. Den König unterstützte die Publizistik. Sie enthielt sowohl die Schilderung von politischen Realien als auch ein Stück Zweckideologie. Piotr Palczowski ζ. B. erklärte in Wyprawa wojenna Kröla Jegomosci do Moskwy [Der Feldzug seiner Majestät des Königs in Moskau], dass der Entschluss zum Krieg ein öffentliches Geheimnis gewesen sei, deswegen habe ihn der König nicht ohne Einverständnis und Wissen der Schlachta begonnen. Palczowski thematisierte auch die Vorteile eines Anschlusses des Moskauer Staates an die Krone. Ein weiterer Publizist, Sebastian Petrycy, prophezeite in Do Majestatu [An den König] einen Zusammenschluss Moskaus mit der Rzeczpospolita unter dem Zepter Wladislaws. Der anonym erschienene Text Dyskurs stusznej wojny ζ Moskwq, rationes pro et contra [Debatte über den rechten Krieg mit Moskau, rationes pro et contra]19 sprach den König von den - von falschen Zungen verbreiteten - Vorwürfen frei, den Vertrag von 1601 gebrochen zu haben. Die Argumente in diesem Text waren überzeugend. Wenn es um den ersten Dimitri geht, so rückte er, diesem Autor zufolge, in Moskau mit privaten Truppen und ohne Einverständnis der Stände der Rzeczpospolita und des Königs ein. Moskau habe ihn als Zaren anerkannt. Nach diesem Argument nannte der Autor Beispiele, etwa das, wie Boris Godunow den Vertrag mit der Rzeczpospolita verletzte. Am schwersten wog das Arrangement mit den Tataren und die Hilfestellung für Karl IX. Beides richtete sich gegen Polen. Godunow habe darüber hinaus einige Orte im Grenzgebiet besetzt. 19
Zum ersten Mal besprochen in: POLAK, О Kreml i Smolenszczyzn? (Anm. 5), S. 92.
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Es existierte allerdings auch eine dem König weniger wohlwollend gesinnte Publizistik. Die wichtigsten der in diesen Schriften thematisierten Fragen bezogen sich auf die Tatsache, dass der König einen Krieg ohne die Einwilligung des Sejm begonnen habe und ihn an zwei Fronten führe: in PolnischLivland und in Moskau, ohne dafür Mittel und Truppen parat zu haben. Dadurch werde er Polnisch-Livland schwächen. Darüber hinaus strebe der König die absolute Macht an, er belege das Land mit großen Steuerlasten und stehe unter dem Einfluss unverantwortlicher Berater. Diese Argumente ließen sich schwer leugnen. Der Sejm führte 1609 eine Steuer für den Krieg in Polnisch-Livland und zur Abwehr anderer Bedrohungen entlang der Grenzen der Rzeczpospolita ein. Diese Gefahr bildeten weit mehr die tatarischen Überfälle als die neue Offensive gegen Moskau. Die fehlenden Präzisierungen in der Verfassung erlaubten jedoch Sigismund III., einen Teil der Steuergelder in den Krieg gegen Moskau zu investieren. Der König setzte auch eigene Ressourcen ein und verschuldete sich bei privaten Personen. Das machte insgesamt 580 503 Zloty aus - 950 000 entnahm er den Steuern. Es war keine glückliche Entscheidung, denn die Rzeczpospolita wurde in einen Kampf an zwei Fronten ohne finanzielle Absicherung verwickelt. Die Gefechte mit Schweden in Polnisch-Livland dauerten seit 1600 an. Gerade dort bildete sich im September 1609 wegen unausgezahlten Soldes eine Konföderation unter den Truppenangehörigen20. Sowohl in der polnischen als auch in der russischen Propaganda wurde der Krieg als ein patriotischer und gerechter dargestellt. Eine der Bedingungen, die bei der Erklärung eines gerechten Krieges erfüllt werden mussten, war das vom Feind zugefügte Unrecht, das nicht anders als mit einem Waffeneinsatz wieder gutgemacht werden konnte. Dieses Unrecht war auf polnischer Seite die Ermordung polnischer Gäste während der Hochzeit von Marina und Dimitri. In Moskau dagegen riefen die Redner in den orthodoxen Kirchen zur Verteidigung des von den Andersgläubigen verletzten Glaubens auf. Die Nation und der Staat fühlten sich entwürdigt. Man segnete die Truppen, die an die westlichen Grenzen in den gerechten Krieg zogen. Die Frage, die sich einem Historiker stellt, lautet: welche Ziele verfolgte Sigismund III.? Sie eindeutig zu beantworten, ist schwierig. Henryk Wisner vertritt die Meinung, der König habe zwei Absichten gehabt. Zum einen wollte er Wassili Schuiski absetzen und die russische Krone für sich und seinen Sohn Wladislaw gewinnen. Die Konsequenz dieses Anspruchs wäre gewesen, dass Moskau sich vom Feind in einen politischen Verbündeten der Rzeczpospolita verwandelt hätte, und folglich zum Gegner Karls IX. geworden wäre. In der weiteren Folge könnte diese Entwicklung Sigismund III. bei 20
Anna FILIPCZAK-KOCUR, Skarbowosc Rzeczypospolitej 1587-1648 [Die Schatzkammer
der Rzeczpospolita
1587-1648], Warszawa 2006, S. 117.
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der Wiedereroberung des schwedischen Throns von Nutzen sein. In zweiter Linie verfolgte der König den Gedanken, die von Litauen verlorenen Gebiete zurückzugewinnen. Am Anfang lag ihm daran, das zweite Ziel zu erreichen. Er hoffte darauf, dass Smolensk seine Tore aufmachen würde. Am 19. September gab er in einer Erklärung an die Einwohner kund, dass er in die Stadt einziehen werde, um sie vor dem Feind zu beschützen. Er bat um freundliche Begrüßung mit Salz und Brot sowie Akzeptanz für sein Schutzangebot. Er garantierte die Unantastbarkeit der Rechte der orthodoxen Kirche. Diese Appelle haben indes keine Wirkung gezeigt. Es war schwer zu glauben, dass ein Herrscher eines feindlichen Staates Frieden sichern könnte. Gut geschützt und auf Belagerung vorbereitet, spottete Smolensk dem Gedanken, von polnischlitauischen Truppen rasch erobert zu werden. Im November 1609 schickte der König Gesandte zu den Einheiten, die im Dienst Dimitris standen. Die Gesandten erhielten fünf Instruktionen: vier vom König selbst und eine vom Senat. Der König erklärte erneut die vielen Gründe, warum der Krieg beginnen musste. Darunter befanden sich die stets wiederholten - und im Übrigen der Wahrheit entsprechenden - Fakten von der Verhaftung polnischer Gesandter in Moskau, vom Vertragsbruch, von der Ermordung der Polen in Moskau, von der Allianz mit Schweden, von der Gefahr, die von Schuiski für die Rzeczpospolita ausgeht und von vielen anderen bedrohlichen Anzeichen. In den Instruktionen fand sich die Versicherung, dass der König weder dem orthodoxen Glauben noch den landesüblichen Bräuchen schaden werde. Darüber hinaus versprach er allen Sold, die sich unter die polnischen Fahnen vor Smolensk begäben. Insgeheim sollten die Gesandten auch Kontakte zu Schuiski knüpfen und sich bemühen, die Moskowiter für die polnische Seite zu gewinnen. Die Instruktion für die Verhandlungen mit Schuiski beinhaltete, neben der Aufzählung des vielen Unrechts, das der Rzeczpospolita zugefügt worden sei, auch die Frage, wie Schuiski die aufgebrachten Untertanen beruhigen wolle. Der König ging zu beiden Dimitri und den sie unterstützenden Truppen deutlich auf Distanz. Als Friedensbedingung nannte er eine Grenzkorrektur, nach der die Fürstentümer Smolensk und Nowgorod-Seversk sowie einige der Festungen an die Rzeczpospolita fallen sollten. Darüber hinaus sollten die Gesandten den Bojaren, die Wassili Schuiski nicht anerkannten, anbieten, eine Union zwischen Moskau und der Rzeczpospolita zu begründen. Die Haltung des Königs zu den Truppen in Tuschin war unklar. Einerseits wollte er sie Dimitri nicht abwerben, andererseits jedoch bot er den Soldaten, die die Seiten wechselten, Geld und Gnade an. Auch in den Verhandlungen mit Schuiski zeigte der König keinen ehrlichen Willen zum Vertragsabschluss.
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Die Situation änderte sich, als Wassili Schuiski nur mit seinen treuen DonKosaken am 6. Januar nach Kaluga floh. Zwar ist es nicht zu den Gesprächen mit Schuiski gekommen, man konnte aber nun mit den Bojaren verhandeln, die früher an der Seite Schuiskis gestanden hatten. An deren Spitze rangierte Filaret (Fiodor Romanow), der Metropolit von Rostow. Während dieser Gespräche wurde zum ersten Mal die Kandidatur Wladislaws für den Moskauer Thron thematisiert. Die Bojaren wählten eine Delegation, die am 28. Januar 1610 nach Smolensk zum König reiste. Es begannen Gespräche mit den von Sigismund III. benannten Senatoren. Ursprünglich schlugen die Bojaren die Wahl Wladislaws auf den Moskauer Thron vor. Bevor er allerdings die Herrschaft übernehmen würde, erklärten sich die Bojaren mit der Regentschaft Sigismunds einverstanden. Im Gegenzug erwarteten sie die Bestätigung ihrer Rechte und der Rechte der Kirche sowie die Anerkennung ihrer Bräuche. Sie haben damals noch nicht verlangt, dass der Kronprinz den orthodoxen Glauben annimmt. Im Verlauf der Verhandlungen verhärteten sich die Ansprüche der Moskauer Partei aber immer weiter. Die Verhandlungen wurden somit für den König schwieriger. Man stellte jetzt unter anderem die Bedingung der Konversion des Kronprinzen zum orthodoxen Glauben. Am 14. Februar willigte Sigismund III. in die Wahl seines Sohnes und seine Krönung durch den Patriarchen von Moskau ein, sobald sich die Lage im Staat beruhigt hätte. Als Voraussetzung nannte er allerdings die Zustimmung der Rzeczpospolita, d. h. des Sejm. Es ging darum, eine Versicherung zu erhalten, dass diese Maßnahme nicht nur für die Dynastie der Wasa, sondern für die gesamte Monarchie von Nutzen sei. Darüber hinaus erklärte sich der König damit einverstanden, dass die Litauer und Polen von den Regierungsgeschäften in Moskau ferngehalten werden sollten. Die Bojaren waren im Gegenzug mit der Übergangsherrschaft Sigismunds III. in Moskau einverstanden. Sie haben Wladislaw einen provisorischen Eid geschworen. Am 12. März schickte der König vor Smolensk Briefe an die Senatoren mit der Information über das Geschehene und über sein Einverständnis sowie mit diesem Hinweis, dass der endgültige Beschluss vom Sejm zu fassen sei. Die strittigen Punkte habe er nicht zur Kenntnis genommen. Im Frühjahr 1610 änderte sich die Politik Sigismunds III. gegenüber Dimitri. Er benutzte ihn nun als Schreckgespenst gegenüber den Bojaren. Realistisch gesehen, würde Moskau im Fall der Bedrohung durch Dimitri eher Schutz bei den königlichen Truppen suchen. Die Position des Zaren wurde allerdings dadurch gestärkt, dass mit ihm die Truppen Jan Piotr Sapiehas nach Kaluga zogen, was der König im Stillen befürwortete. Gleichzeitig bemühte er sich, die Position Schuiskis, eines unfähigen und unglücklichen Herrschers, ins Wanken zu bringen. Voll im Gange war die Propaganda der polnischen Gesandten, die sich in Tuschin aufhielten.
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Im Sommer versuchte Schuiski mit 35 000 Mann (darunter waren 5 000 von Karl IX. geschickt und von Wassili selbst bezahlt) eine Gegenoffensive vor Smolensk zu starten. Ihm entgegen trat Stanislaw Zölkiewski. Vor Kluszyno konnte der Hetman einen der größten Siege der Rzeczpospolita erreichen. Von dort rückte er in die Hauptstadt ein, wo am 27. Juli Wassili IV. vom Thron gestürzt wurde. Die Macht ging in die Hände des Bojarenrats über, mit Fiodor Mstislavsky an der Spitze. Dieser war Anhänger der Kandidatur Wladislaws und stimmte den Gesprächen mit der Rzeczpospolita zu. Der zwischen den Moskauer Bojaren und dem Hetman Zölkiewski in Cariewo-Zajmiszcze geschlossene Frieden wurde am 27. August 1610 vor Moskau unterschrieben und vereidigt. Man begann Münzen mit der Aufschrift „Zar und Großfürst ganz Russlands Wladislaw Sigismundowitsch" zu prägen. Der im Februar unterschriebene Vertrag unterschied sich wesentlich von dem August-Abkommen. Der spätere sah zwar die Rückgabe der bereits von der polnischen Seite eroberten Festungen, allerdings auch den Verzicht auf weitere Eroberungen vor. Sein Abschluss war für die Rzeczpospolita alles andere als günstig. Die Belagerung von Smolensk wurde damit beendet, und man hatte in ihm sogar Strafmaßnahmen vorgesehen für den Fall, dass Wladislaw den Moskauer Thron nicht besteigen würde. Die Moskauer Stände haben den Eid nur Wladislaw als ihrem Herren geschworen, wogegen sie im Februar vor Smolensk auch noch Sigismund gehuldigt hatten. Er konnte sich jedoch als interimistischer Herrscher von Moskau verstehen. Das von Zölkiewski abgeschlossene Abkommen sah diese Möglichkeit nicht vor. Darüber hinaus verpflichtete sich der Hetman, Dimitri endgültig zu beseitigen. Am 17. Oktober 1610 erreichte eine Gesandtschaft der Bojaren mit Filaret, dem Metropoliten von Rostow, an der Spitze Smolensk. Sie war mit einer ausführlichen Instruktion versehen, in der u. a. die Bedingung gestellt wurde, dass Wladislaw nach orthodoxen Ritus getauft werden müsse. Nach der Thronbesteigung sei ihm nicht erlaubt, den Papst um einen Segen zu ersuchen oder weitere Kontakte zum Apostolischen Stuhl zu pflegen. Er solle über die Angehörigen der niederen Stände Todesstrafe und Besitzentzug verhängen, wenn sie vom orthodoxen Glauben abträten. Nach Moskau dürfe er nur mit einem kleinen polnischen Gefolge kommen. Die Titulatur des künftigen Zaren sollte mit der seiner Vorgänger übereinstimmen. Das bedeutete, dass Smolensk und die Region um Tschernihiv und Nowgorod-Seversk Moskau zufallen würden. Zur Ehefrau werde er eine orthodoxe Bürgerin des Moskauer Staates nehmen. Alle Städte, die von den königlichen Truppen oder von Dimitri erobert wurden, sollten an Moskau übergehen. Der König werde die Belagerung Smolensk aufgeben. Die Regelung betraf außerdem den Gefangenenaustausch und weitere unwesentliche Streitpunkte. Die von den Bojaren gestellten Bedingungen waren starr und ließen keinen Verhandlungsspielraum. Die Moskauer Seite sah keine Kompromisse vor.
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Die Gesandten behaupteten, sie hätten zu Verhandlungen keine Vollmacht. Die Instruktion veränderte sogar einige Bestimmungen des Abkommens vom August, wie ζ. B. die gemeinsame polnisch-russische Verwaltung der Festungen im Grenzgebiet. Jetzt wurden die Polen davon ausgeschlossen. Die Gespräche waren schwierig und gaben wenig Hoffnung auf den ersehnten Abschluss. Die polnische Seite wollte der Thronübernahme durch den Kronprinzen nur dann zustimmen, wenn Sigismund die Regierungsgeschäfte - wenigstens in der Übergangszeit - leiten könnte. Der König sei mit seinen Truppen nur deswegen nach Moskau gezogen, damit sich die Lage im Land beruhige - so die Argumentation. Aus diesem Grund müsse man auch ihm einen Eid leisten. Zur Frage der territorialen Regelung und des Übertritts des Kronprinzen zum orthodoxen Glauben lagen die Meinungen der beiden Parteien weit auseinander. Für den König war die Konversion seines Sohnes nicht annehmbar. Er machte seine Entsendung nach Moskau von der Zustimmung des Sejm abhängig und darüber hinaus von der Beruhigung der Lage vor Ort. An den Sejm sollten die Moskauer Gesandten herantreten und um den Kronprinzen werben. Sie sollten zudem Friedensverhandlungen einleiten. Die Belagerung von Smolensk könne nicht abgebrochen werden - erklärte der König - , denn Smolensk habe die Herrschaft des gewählten Zaren nicht anerkannt. Die Stadt werde zum potentiellen Unruhestifter. Diese Argumente haben die Bojaren nicht zufrieden gestellt. Sie brauchten einen Zaren in Moskau und eine Versicherung, dass Staatsterritorium vom westlichen Nachbarn nicht losgelöst würde. Die Verhandlungen gingen nicht weiter und wurden am 13. April 1611 von der polnischen Seite unterbrochen. Der König befahl, die Gesandten zu inhaftieren, da sie eine Reise nach Wilna zum Kronprinzen ablehnten. Sie wurden nach Polen geschickt. Es war eine ernsthafte diplomatische Krise zwischen der Rzeczpospolita und dem Moskauer Staat. Der Grundsatz der Unantastbarkeit der Gesandten war verletzt worden. Der Hetman Zölkiewski hielt diesen Schritt fiir völkerrechtlich nicht akzeptabel und des polnischen Königs unwürdig. Die gegenseitigen Beziehungen verbesserten sich nicht nach der Eroberung von Smolensk am 13. Juni 1611. Der Sieg konnte, trotz seiner positiven Folgen für die Rzeczpospolita, einen Rachezug Moskaus nicht aufhalten. In Moskau herrschte Unsicherheit, fehlendes Vertrauen und sogar Angst. In den letzten Oktobertagen 1610 verließ Zötkiewski die russische Hauptstadt. Am 8. November kehrte er mit Wassili Schuiski und seinen Brüdern nach Smolensk zurück. In Moskau ließ er - ausdrücklich von den Bojaren darum gebeten - einen Teil seiner Truppen zurück. Es blieben die Verbände von Marcin Kazanowski, Ludwik Wejher, Aleksander Zborowski und Aleksander Gosiewski. Der Historiker Waclaw Sobieski kennzeichnete diese Maßnahme lapidar mit: „Zölkiewski auf dem Kreml", und Henryk Wisner charakterisier-
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te diese Zeit mit kritischen Worten: „die Soldateska hat Schamloses in der Stadt getrieben, ohne Rücksicht auf mäßigende Anweisungen der Befehlshaber [ζ. B. Aleksander Gosiewskis]. Es breiteten sich Mord, Vergewaltigung und Gotteslästerung aus". Das Verhalten der Truppen in Moskau und der negative Ausgang der Gespräche vor Smolensk, worüber der Patriarch und die Bojaren Bescheid wussten, führten zu steigender Unzufriedenheit. Sigismund III. unterschrieb die Ernennungsurkunden für die wichtigen Posten im Moskauer Staat nur im eigenen Namen. Er hatte nicht die Absicht, Wladislaw nach Moskau zu entsenden - wenigstens vorläufig nicht. Dies führte im Januar 1611 - unter dem Vorwand der Glaubensverteidigung - zum Aufstand von Prokop Lapunow. Er breitete sich auf die Region um Rjasan und Nischni Nowgorod aus. Der Patriarch Hermogenes verschickte Briefe ins Land. Er entband die Bürger von dem geleisteten Eid und rief zum Kampf gegen die Polen als Feinde des russischen Volkes sowie des orthodoxen Glaubens auf. Hermogenes wurde verhaftet, was ihn prompt zum Märtyrer machte. Am 28. März 1611 begannen die Unruhen in Moskau. In deren Folge befahl Gosiewski, Moskau in Brand zu setzen. Die polnischen Truppen wurden im Gegenzug auf dem Kreml eingeschlossen und belagert. Der polnisch-moskowitische Konflikt dauerte noch einige Jahre, bevor er mit einem Waffenstillstand unterbrochen wurde. Der guten Ordnung halber werden im Folgenden noch die wichtigsten Ereignisse nach der Eroberung von Smolensk genannt. Der Sejm im Herbst 1611 willigte in die Fortsetzung der Kriegshandlung ein, riet allerdings zu Verhandlungen, damit wenigstens irgendein Vertrag mit Moskau zustande kommen würde. Am 8. März 1612 verkündete Sigismund III., dass Moskauer Gesandte von ihm empfangen würden. Diese baten um die Entsendung Wladislaws nach Moskau. Dieser Bitte kam der König nach. Am 26. Juni zogen von Warschau aus der Vater und der Sohn gen Osten, um die russische Krone für den Kronprinzen zu sichern. Die Reise wurde durch die Nachricht von der Kapitulation der polnischen Besatzung auf dem Kreml am 6. November 1612 unterbrochen. Der gewählte Zar und sein Vater kehrten am 17. Februar 1613 nach Warschau zurück. Inzwischen wählte der Zemskij Sobor [Ständeversammlung] in Moskau einen neuen Zaren, Michail Fjodorowitsch Romanow, den Sohn des in der polnischen Marienburg inhaftierten Filaret. Dies geschah am 21. Februar 1613. 1617 wurde noch eine letzte Expedition durchgeführt, um die russische Krone für den Kronprinzen zu erlangen. Auch sie war erfolglos. Der polnisch-moskowitische Konflikt endete mit dem Frieden von Dywilino, der vom 4. Januar 1619 bis zum 5. Juli 1633 andauern sollte21. Der Erfolg der 21
Im polnischen Text wurden fehlerhaft die Datenangaben nach dem gregorianischen Kalender genannt: 3. Januar 1619 und 3. Juli 1633. Siehe WlSNER, Zygmunt III Waza (Anm. 18), S. 161.
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Rzeczpospolita in diesem Krieg bestand darin, dass Smolensk und die Region um Tschernihiv und Nowgorod-Seversk dem polnischen Staat zugesprochen wurden. Der Entschluss, Smolensk für die Rzeczpospolita zurückzugewinnen, und die Intervention in die inneren Angelegenheiten des Moskauer Staates ergaben sich aus mehreren Gründen: den königlichen Plänen, den Forderungen der Schlachta, wie auch der - infolge historischer Ereignisse entstandenen paralysierenden politischen, ökonomischen, religiösen und letztendlich auch Loyalitätskrise im Moskauer Staat. Alle staatlichen Strukturen zerfielen. Sigismund III. erblickte darin eine günstige Gelegenheit. Litauen verzichtete nie auf Smolensk und die Region um Tschernihiv und Nowgorod-Seversk, und der König gab nie seine dynastischen Erbansprüche auf. Eine -wie auch immer geartete - Verbindung Moskaus mit der Rzeczpospolita ließ eine Chance entstehen, wenigstens das zweite der Ziele zu erreichen. Am besten gefiel Sigismund III. der Plan, ihn selbst auf den Zarenthron zu setzen. Dieses Projekt beschleunigte 1609 der schwedisch-moskowitische Vertrag von Wiborg. Das Abkommen bildete für die Rzeczpospolita, die seit 1600 eine kriegerische Auseinandersetzung mit Schweden um Polnisch-Livland führte, eine Gefahr. Darüber hinaus machte es die Durchführung der dynastischen Politik der Wasa unmöglich. Nichts weist auf den Missionscharakter des Krieges mit Moskau, obwohl die Meinungen der Historiker in diesem Punkt auseinandergehen. Die Moskauer Eliten - und die Betonung liegt auf Eliten verlangten nach größerer persönlicher Freiheit und nach der Öffnung des Staats für westliche Kultur. Sie verlangten nach einem - mehr als Ivan der Schreckliche oder Boris Godunow - zivilisierten Monarchen. Der Mehrheit der Bevölkerung missfielen allerdings „die Litauer" und „der litauische König" - wie man die Rzezczpospolita und ihren König bezeichnete. Man fürchtete um den orthodoxen Glauben. Der Krieg war ein Zusammenstoß eines polnischen Machtstaates mit einem geschwächten Russland. Der Einzug polnischer Truppen ins Land vertiefte das Chaos und verschärfte die Streitigkeiten unter den einzelnen Magnatengruppen. Die politischen Eliten hatten den Fall des Staates und die Zerstörung der Staatsstrukturen auf dem Gewissen. Die Anführer der einzelnen Parteien und ihre Berater haben sich hauptsächlich um das eigene Wohl gekümmert, obwohl sie alle beteuerten, dass sie Rus und den heiligen orthodoxen Glauben über alles liebten. Die Garantien für die Unantastbarkeit der Glaubensfreiheit wurden als erteilte Gnade und Barmherzigkeit empfunden. Die rhetorische Figur der Vaterlandsliebe tauchte des Öfteren in der Korrespondenz und in den öffentlichen Debatten auf. Die Bojaren haben ihr Land geliebt, allerdings zum Preis, darin herrschen zu können. Sie haben es für hohe Ämter, für den Thron geliebt. Ohne diese Attribute hatte die Heimat für sie keinen größeren Wert. Sie haben ohne Umschweife kund getan, dass sie
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Hilfe bei fremden Mächten suchen werden. Eine fremde Besatzung war ihnen lieber als die Unabhängigkeit. Bei vollem Bewusstsein verzichteten sie nicht nur auf den inneren Widerstand, sie trugen zum Zerfall der Gesamtheit des Staates bei. Der Moskauer Staat hörte in dem Moment auf, in selbständiger Form zu existieren, als die regierenden sieben Bojaren nach zwei Monaten die Macht an die Polen abgaben. Diese Regierung funktionierte nur zum Schein. Der moralische Verfall der Menschen war noch gefährlicher als der Niedergang des Staates. Über Jahre hinweg stauten sich Bitterkeit, Verzweiflung und verlorene Hoffnung an. Die Sinnlosigkeit jeden Engagements machte sich breit. Die Bojaren wurden vom Verlangen nach Reichtum, Macht, Ehrungen weit über ihre Verdienste und Profit befallen. Es begann die Zeit des moralischen Chaos'. Das große Land fiel auseinander. Schuld daran waren legalisierte Anarchie, Fraktionsstreitigkeiten, vergossenes Blut und der Ruf nach fremder Herrschaft. In Russland herrschten 30 Familien. Schuiski wollte sich ihnen nicht unterordnen und verlor die Macht. Man nannte ihn einen „Halbzaren", da er von den eigenen Wahlmännern - einer sehr schmalen Elite der Bojaren - vollkommen abhängig wurde. Zu seinem Niedergang haben allerdings auch polnische Intrigen beigetragen. Die Ursachen der „großen Trauer" - eines gewaltigen russischen Dramas lagen im Inneren. Die Einmischung von außen wirkte als Katharsis. Die Polen und Litauer haben zur Konsolidierung der russischen politischen Kräfte beigetragen: zur gesellschaftlichen Integration und zur Wahl eines „nationalen Zaren", Michail Romanow. Die orthodoxe Kirche hat die Gläubigen zum Kampf gegen die Fremden - die Häretiker, wie sie bezeichnet wurden - mobilisiert. Die polnische Intervention hat die Hofintrigen und die anarchistischen Palastrevolten in einen nationalen Freiheitskampf unter Anteilnahme aller gesellschaftlichen Kräfte verwandelt. Dieser Kampf schweißte das Volk zusammen. Er machte den Wert eines unabhängigen Staates wieder klar. Die Folgen des Konfliktes haben beide Seiten gespürt. Fiodor Scheremetew, einer der Gesandten, die an Verhandlungen mit den Polen teilnahmen, fasste die polnische Intervention so zusammen: „Die Ehemänner mussten zusehen, wie ihre Frauen vergewaltigt wurden. Die Mütter sahen die Schande ihrer Töchter. [...] Unsere Landsleute wurden von euch nicht anders genannt als Hunde, Moskauer, Diebe und Verräter. [...] Die gesammelten Schätze unserer Zaren wurden geplündert [...]. Unser Staat mit Schwert und Feuer verwüstet. [...] Und ihr wollt uns mit den Lügen locken? [...] Wir wollen weder eure Bruderschaft noch eure Freiheit".22 Negative ökonomische Folgen und großer Verlust an Menschen waren auch der Anteil der Rzeczpospolita an diesem Krieg, in dem das Land mehr 22
Siehe WlSNER, Zygmunt III Waza (Anm. 18), S. 161.
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von den eigenen Landleuten als von Fremden zerrüttet wurde. Millionenzahlungen, die an konföderierte Armeen gingen, bedeuteten eine enorme Steuerbelastung. Und darüber hinaus konnte niemand die zerstörten Ortschaften und Höfe sowie das menschliche Leid mit klingenden Münzen aufwiegen. (Übersetzt von Matgorzata Morawiec)
Summary In historiography, the events which took place in Muscovy at the beginning of the 17th century are referred to as "the time of troubles." In 1591, the son of Ivan IV the Terrible and the only heir to the throne, Dimitri, died in an accident. This incident commenced a great dynastic crisis which ended in 1613, with the election of Mikhail Romanov as tsar. The installation of the Romanov Dynasty gave rise to the creation of the modern state and society, overcoming the consequences of the crisis. Undoubtedly, „the time of troubles" did not begin in 1601, or ended in 1613. It had been conditioned by economic, cultural, social, moral, religious and theological factors, unrelated to political events and dating back to the last years of Ivan's IV reign. The crisis of 1609-1612 was also caused by devolutionary tendencies in Muscovy. Successive usurpers were struggling for the Muscovy throne, among them Sigismund III Vasa and his son Wladislaus; Poland, Sweden, Turkey and The Holy See were striving for influence. The intervention in the country's internal affairs had been quite without precedent before, or ever after. Muscovy's close and distant neighbours were trying to take advantage of its weakness and internal chaos. Sigismund's long-range goal could be shortly described as „through Moscow to Stockholm" - namely regaining the Swedish throne with Muscovy's help. There was also a short-term aim - to reclaim the lands originally belonging to the Grand Duchy of Lithuania and lost by the Jagiellon Dynasty in 1514, with Smolensk as a priority. The king decided that in 1609 history was giving him that chance. The invasion of Polish armed forces aggravated the chaos and intensified the conflicts between boyar coteries. Muscovy's political elites brought about the fall of statehood and the disintegration of state structures. They not only consciously resigned from internal resistance, but also contributed to the collapse of the whole country. Muscovy stopped being an independent political entity when, after two-month rule, the council of seven boyars ceded the power to the Poles and existed only formally. Moral decline was more dangerous than the collapse of the country, though. Resentment, despair and lost hopes had been accumulating for years,
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and people realized the futility of their efforts. The boyars were seized by lust for wealth, profits, power and honours higher than their merits. There came the time of moral chaos. A huge country legalizing anarchy, divided by factional quarrels, drowning in blood and searching foreign help was eroding. However, to some extent the Polish intervention contributed to the consolidation of the Russian political powers, the integration of the society and the election of „the national tsar" Mikhail Romanov. The Orthodox Church encouraged its members to fight the invaders, heretics according to the church. The Polish intervention transformed courtly intrigues and anarchist courtly riots into struggle for national independence, which engaged all social classes and cemented the society. It made the political elites realize the importance of the country's sovereignty. Bibliographie (Auswahl): Andrzej ANDRUSIEWICZ, Dymitr I Samozwaniec, Lödz 1993. Andrzej ANDRUSIEWICZ, Dzieje Dymitriad 1602-1614, t. I, II, Warszawa 1990. Andrzej ANDRUSIEWICZ, Dzieje wielkiej smuty, Katowice 1999. Jerzy BESALA, Stanislaw Z61kiewski, Warszawa 1988. Wladystaw CZAPLINSKI, Dyplomacja polska w latach 1605-1648, in: Polska shizba dyplomatyczna XVI - XVIII w., hrsg. von Zbigniew Wojcik, Warszawa 1966. Danuta CZERSKA, Borys Godunow, Wroclaw, 1998. Danuta CZERSKA, Dymitr Samozwaniec, Wroclaw 2004. Anna FILIPCZAK-KOCUR, SkarbowoSc Rzeczypospolitej 1587 - 1648, Warszawa 2006. Aleksander HLRSCHBERG, Dymitr Samozwaniec, Lwöw 1898. Nikoiaj KARAMZIN, Geschichte des Russischen Reichs, Bd. X, Leipzig 1833. Nikolaj KOSTOMAROW, Smutnoje wremia moskowskogo gosudarstwa w naczale XVII stoletija (1603-1613), Bd. I, Sankt Persburg 1868. Jarema MACISZEWSKI, Polska a Moskwa 1603-1618, Warszawa 1994. Kazimierz NIEDZIELSKI, Pod Smolenskiem i pod Moskw^ lat temu trzysta. Kartka ζ dziejöw 1609-1612, Warszawa 1911. Siergiej PLATONOW, Oczerki po istorii smuty w Moskowskim Gosudarstwie XVI-XVII w., Sankt Persburg 1899. Siergiej PLATONOW, Smutnoje wremia, Praga 1924 (reprint: Russian Reprint Series, Bd. X, hrsg. von Aleksandr V. Soloviev, Den Haag 1965). Wojciech POLAK, О Kreml i Smoleüszczyzn?. Polityka Rzeczypospolitej wobec Moskwy w latach 1607-1612, Torun 1995. Antoni PROCHASKA, Hetman Stanislaw Zötkiewski, Warszawa 1927. Michael ROBERTS, Gustavus Adolphus, Bd. 1, London [u. a.] 1953.
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Posituren im Wandel. Beobachtungen zur Geschichte der Körperhaltung und -bewegung vornehmlich im frühneuzeitlichen Europa Von
Harald Kleinschmidt Von der .Leibeserziehung' Die Grundlagen normgerechten Bewegungsverhaltens sind in Europa seit 200 Jahren durch den Schulunterricht vermittelt worden, insbesondere den Turnunterricht als sogenannte ,Leibeserziehung'. Ein hauptsächliches Ziel des Turnunterrichts ist es gewesen, Jungen und Mädchen dazu zu erziehen, aufrecht mit leicht gegrätschten Beinen und nach außen zeigenden Fußspitzen zu stehen und sich so zu halten, dass der Körper eine gerade vertikale Linie bildet, von der Abweichungen zu vermeiden seien. Das Turnen sollte Jungen und Mädchen dazu anleiten (vorsichtig formuliert), Buckel zu vermeiden, nach vorn und hinten ausladende Bäuche und Gesäße durch geeignetes Training zu beseitigen1. In der Regel sind die Begründungen für diese Körperhaltung, die von den ,Leibeserziehern' selbst vorgetragen wurden, medizinischer Art gewesen: bucklige Rücken, hängende Bäuche und weit ausladende Gesäße galten als Zeichen für physische Krankheit und Indikatoren für manch psychischen Defekt 2 . Ich bin kein Mediziner und will daher diese Einsichten nicht in Frage stellen. Als Historiker jedoch bin ich skeptisch, ob die medizinischen Argumente als die einzig tragenden anerkannt werden müssen. Denn schon ein schneller Blick in die Geschichte der Erziehung zeigt, dass die Forderung, Menschen sollten ihre Körper aufrecht tragen, sekundär ist und aus der Gartenkunst übernommen wurde. So stand im 17. und 18. Jahrhundert das deut1
So schon Karl GAULHOFER, Die Fusshaltung. Ein Beitrag zur Stilgeschichte der menschlichen Bewegung, Kassel 1930, S. 8. 2 Ein Beispiel einer umfassenden Beschreibung dieser Theorie des Turnunterrichts im 19. und frühen 20. Jahrhundert ist: Johannes MÜLLER, Die Leibesübungen, 'Leipzig 1924. Weiteres zur Geschichte der Leibesübungen bei: Hajo BERNETT, Die pädagogische Neugestaltung der bürgerlichen Leibesübungen durch die Philanthropen, 'Schorndorf 1971; Wolfgang EICHEL/ Gerhard LUKAS, Geschichte der Körperkultur in Deutschland, Bde. 1 und 2, Berlin, 19691973; Winfried JOCH, Der Mensch und sein Körper im Spiegel der neueren Sportgeschichte, in: Der Mensch und sein Körper, hrsg. von Arthur Erwin Imhof, München 1983, S. 197-209; Bruno SAURBIER, Geschichte der Leibesübungen, 4Frankfurt 1963.
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sehe Wort Erziehung (wahrscheinlich ein Lehnwort aus Lateinisch edueätio) für Baumschulen in Gebrauch und bezeichnete dabei die Kunst, Bäume mit geraden, vertikalen Stämmen anstatt einer Vielzahl quertreibender Äste wachsen zu lassen. Quertreiber, so glaubte man, verringerten die Ernteerträge. Auch galten vertikal gewachsene und wohl getrimmte Bäume als Ausweis der Naturbeherrschung in den Palastgärten des Barock3. Umgekehrt war das deutsche Wort Zucht genauso beliebt für das Drillen von Soldaten, die Erziehung von Kindern, die Abrichtung von Pferden wie fur die Manipulation an Pflanzen und Tieren in der Landwirtschaft4. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert benutzte der Pädagoge Jan Arnos Comenius die Sprache der Botanik in seiner Theorie der Erziehung und bestand darauf, dass die Erziehung der Natur zu folgen habe und Kinder wie Bäume zu formen seien. Ebenso wie ein wilder Baum nicht in der Lage sei, süße Früchte zu tragen, behauptete Comenius, könnten auch unerzogene Kinder nicht den moralischen Status des Menschseins erwerben5. An der Wende zum 19. Jahrhundert verlangte ein anderer Pädagoge, Johann Heinrich Pestalozzi, dass die Kinder während des Schulunterrichts still und mit aufgerichteten Oberkörpern sitzen sollten6. Die botanische Metaphorik entstammt jedoch keineswegs erst dem 17. Jahrhundert, sondern steht in einer ins späte Mittelalter zurückreichenden Tradition. Schon Aeneas Sylvius Piccolomini benutzte die Sprache der Gartenkunst in seiner Theorie der Erziehung, die er in einem Brief an den jungen König Ladislaus V. Postumus von Ungarn niederlegte. Piccolomini jedoch forderte, dass es Kindern erlaubt sein solle, ihre Eigenschaften frei auszubilden, wie es die Bäume in der Natur tun dürften 7 . Während im 15. Jahrhundert die botanische Metaphorik mit Freiheit 3
Siehe Helga GLANTSCHNIG, Liebe als Dressur. Kindererziehung in der Aufklärung, Frankfurt/New York 1987, S. 45-57; Gerhardt PETRAT, Schulerziehung. Ihre Sozialgeschichte in Deutschland bis 1945, München 1987, S. 20-21; Rudolf ZUR LIPPE, Naturbeherrschung am Menschen, Bd. 2, Frankfurt 1974; DERS., Vom Leib zum Körper. Naturbeherrschung am Menschen in der Renaissance, Reinbek 1988. 4 Siehe Susanne BARTH, Jungfrauenzucht. Literaturwissenschaftliche und pädagogische Studien zur Mädchenerziehungsliteratur zwischen 1200 und 1600, Stuttgart 1994; Elisabeth BLOCHMANN, Das „Frauenzimmer" und die „Gelehrsamkeit". Eine Studie über die Anfänge des Mädchen-Schulwesens in Deutschland, Heidelberg 1966. 5 Johann Arnos COMENIUS, Große Didaktik, cap. 7, hrsg. von Andreas Flitner, Stuttgart 1992, S. 45; Michel FOUCAULT, Surveillir et punir. Naissance de la prison, Paris 1975, S. 172-196. Taf. 30 wies auf einen Einblattdruck des 18. Jahrhunderts hin, der einen krumm gewachsenen Baum zeigt, an den ein gerader Stock angebunden ist. Siehe Nicolas ANDRY, L'orthopedie ou 1'art de prevenir et de corriger dans les enfants les difficultes du corps. 1749. Dieser Druck sollte eine wirkungsvolle Erziehungsmethode versinnbildlichen. Foucault jedoch missverstand den Druck als spezifisches Zeugnis fUr das 18. Jahrhundert. 6 Johann Heinrich PESTALOZZI, Brief an einen Freund, in: DERS., Kleine Schriften zur Volkserziehung und Menschenbildung, 5 Bad Heilbrunn 1983, S. 28. 7 Enea Silvio PICCOLIMINI, Der Briefwechsel, Nr. 40, II. Abt., hrsg. von Rudolph Wölkau, Wien 1912, S. 103-158.
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und Individualismus konnotierte, fügte sie sich im 17. und 18. Jahrhundert mit den Forderungen nach Körperkontrolle und normgerechtem, diszipliniertem Verhalten zusammen. Körpererziehung ist daher eingebunden gewesen in allgemeine kulturelle Normen und Werte und hat sich folglich im Einklang mit dem Kulturwandel verändert. Ich formuliere meine Eingangsfrage daher erneut, dieses Mal in der Sprache der Kulturgeschichte: Welches sind die kulturellen Ursprünge desjenigen Verhaltens, die die Aufrechthaltung des Körpers als zentrale Forderung enthielt, und wie hat sich diese Art des Stehens verbreitet? Nach einem Blick in die Forschungsgeschichte zeichne ich zunächst die Entstehung dieser europäischen Art des Stehens nach und beschreibe dann kurz seine Universalisierung. Unter der Bezeichnung Stehen sind alle aufrechten Körperhaltungen zusammengefasst, in denen ein Mensch für mindestens einige Momente verharrt. Es ist empirisch nicht möglich, willkürlich eine Minimaldauer zu bestimmen, für die eine Person unbewegt aufrecht verharren muss, um als stehend erkannt und anerkannt zu werden. Bei der Bestimmung des Stehens als Körperhaltung kommt es also nicht darauf an, ob diese Haltung bewusst eingenommen wird, zum Beispiel für eine Pose, oder ob sie Teil eines länger dauernden Bewegungsablaufs ist. Insbesondere stellen Bilder oft gewissermaßen angehaltene Bewegungen dar, die als kontinuierlich ablaufend vorgestellt werden sollen. Auch diese Abbildungen können für die Geschichte des Körperverhaltens herangezogen werden, da die Künstler gezwungen sind, für die bildliche Wiedergabe angehaltener Bewegungen die Techniken der Darstellung des Stehens zu verwenden. Umgekehrt markieren gelegentlich Fußstellungen Abschnitte in Bewegungsabläufen wie Sport oder Tanzen. Zur Forschungsgeschichte Kulturelle Aspekte der Körperhaltung sind Gegenstand der Untersuchung in einer Reihe von Disziplinen gewesen. Im frühen 20. Jahrhundert befasste sich der Gynäkologe und Anthropologe Carl Heinrich Stratz mit der Darstellung des menschlichen Körpers in der Kunst, wobei er aber dem Stehen keine besondere Aufmerksamkeit schenkte8. Erst der finnische Kunsthistoriker Johan Jakob Tikkanen bot einen umfassenden Überblick über die Beinstellung in der europäischen Malerei von der Antike bis ins 19. Jahrhundert. Er untersuchte eindringlich die verschiedenen Fußstellungen, wobei er insbesondere die Grätschstellung berücksichtigte. Er beschränkte sein Interesse auf kunstgeschichtliche Typologie und ließ daher die Verhaltensgeschichte außer
Carl Heinrich STRATZ, Die Darstellung des menschlichen Körpers in der Kunst, Berlin 1914.
8
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Acht 9 . Einige andere Kunsthistoriker haben sich mit dem einen oder anderen Bildwerk auseinandergesetzt, so etwa mit William Hogarths Genrebildern aus dem 18. Jahrhundert, insbesondere dem Frontispiz zu dessen weit verbreiteter kunsttheoretischer Schrift The Analysis of Beauty aus dem Jahr 175310. Im Frontispiz stellte der Maler seine Vorstellung der Haltung eines idealen aristokratischen Paars unangemessen umherhüpfenden Bauern in der Form verschiedener Tanzszenen in einem virtuellen Ballhaus gegenüber. In der Realität wären die beiden tanzenden Gruppen jedoch niemals in einem und demselben Raum zusammengetroffen. Hogarth verteilte seine Wertungen zwischen den beiden tanzenden Gruppen klar in der Weise, dass er das aristokratische Paar als angemessen und die bäuerlichen Paare als lächerlich darstellte, blieb aber zweideutig in Bezug auf den zusätzlich abgebildeten Tanzmeister, dessen Körperhaltung er zwar als aulrecht, aber zugleich als leicht übertrieben kennzeichnete.
Abb. 1: Tanzpaare, aus: William Hogarth, The Analysis of Beauty, London 1753, Taf. II.
William Hogarth war bürgerlicher Herkunft und hatte ein Faible für Stadtszenen aus London. Seine Darstellung adligen Tanzens als angemessen und
Johan Jakob TLKKANEN, Die Beinstellungen in der Kunstgeschichte, Helsinki 1912. Tikkanen verwertete die ältere Studie von Julius LANGE, Die Geschichte eines Motivs, in: DERS., Ausgewählte Schriften, hrsg. von Georg Brandes und Peter Köbke [Straßburg 1912], S. 85-99. 10 William HOGARTH, The Analysis of Beauty, London 1753, Taf. I und II. Zur Interpretation siehe David BLNDMAN, Hogarth, London 1981, S. 151-155. 9
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vorbildlich belegt das Ausmaß des Einflusses adliger Verhaltensmuster im bürgerlich-städtischen Bereich um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Im Jahr 1930 setzte sich der um Unterrichtsreformen bemühte österreichische Sportpädagoge Karl Gaulhofer mit der Geschichte der Fußhaltung genauer auseinander und verband Bildmaterial mit sport- und tanzgeschichtlichen Quellen zu dem Versuch einer verhaltensgeschichtlichen Synthese11. Dabei nahm er Methoden vorweg, die wenig später der Soziologe Norbert Elias verwenden und in den 1960er Jahren popularisieren sollte. Anders als Elias, der, ohne Gaulhofers Werk zu kennen und daher ohne methodologische Skrupel, psychologisch argumentierte, machte sich Gaulhofer bereits die Mühe der genauen Beschreibung seiner Quellen12. Gaulhofer hatte ein klares sportpädagogisches Ziel. Er lehnte die damals übliche aufrechte Körperhaltung als Leitziel des Turnunterrichts ab und warb dafür, unterschiedliche Arten des Stehens zuzulassen. Gaulhofer brachte seine historischen Studien in die Reformen des österreichischen Sportunterrichts ein, die er im Auftrag der Regierung als zuständiger Dezernent leitete13. Gaulhofers Studie ergab, dass das Stehen in aufrechter Körperhaltung mit gegrätschten Beinen und nach außen gerichteten Fußspitzen in der frühen Neuzeit als gemeineuropäische Verhaltensnorm entstand. In Gaulhofers Sicht war diese Art des Stehens ,unnatürlich', und er verfocht vehement das Ziel, den Jungen und Mädchen das Stehen mit gerade nach vorn gerichteten Zehen beizubringen. Erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg griffen Stuttgarter Verhaltenshistoriker diese Forschungsrichtung wieder auf und legten eine Reihe von Studien vor, die die Geschichte des Körperverhaltens in Sport, Tanz und Militär in Europa und Asien beschrieben14. Außerdem legten Sydney Anglo eine gründliche Untersuchung über das Fechten und Ringen in der Renaissance sowie George Cameron Hurst III eine Skizze ausgewählter japanischer
11
GAULHOFER, Die Fusshaltung (wie Anm. 1). Norbert ELIAS, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, 2 Bde., Bern 1969. 13 Karl GAULHOFER, Erbe und Auftrag. Aufsätze zur Sportpädagogik, hrsg. von Hermann Andrecs, Wien 1985. 14 Die Faszination und Wirkung außereuropäischer Tanz- und Sportformen, hrsg. von August Nitschke und Hans Wieland, Ahrensburg 1981; August NLTSCHKE, Bewegungen in Mittelalter und Renaissance, Düsseldorf 1987; DERS., Die Bewegung als Zugang zu einer Kultur, in: Taijiquan, hrsg. von Christa Prokosch, Darmstadt/Neuwied 1987, S. 107-125; DERS., Körper in Bewegung, Stuttgart 1989; Henning EICHBERG, Leistung, Spannung, Geschwindigkeit, Stuttgart 1978; DERS., Sozialverhalten und Regionalentwicklungsplanung. Modernisierung in der indonesischen Relationsgesellschaft (West Sumatra), Berlin 1981; DERS., Die Veränderung des Sports ist gesellschaftlich, Münster/Hamburg 1986; Harald KLEINSCHMIDT, Tyrocinium militare, Stuttgart 1989; Volker SAFTIEN, Ars saltandi. Der europäische Gesellschaftstanz im Zeitalter der Renaissance und des Barock, Hildesheim 1994; siehe dazu Maren LORENZ, Leibhaftige Vergangenheit, Tübingen 2000, S. 6 4 70, 81-85. 12
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Kampfsportarten in der Frühen Neuzeit vor 1 5 . Trotz einiger geschichtswissenschaftlicher Studien, die endogenen Faktoren des
Verhaltenswandels
gewidmet sind, ist die Frage nach e x o g e n e n Faktoren des Verhaltenswandels bisher nicht gestellt worden.
Partikularistisches Körperverhalten in Europa im 15. und 16. Jahrhundert Im Kontext von Verhaltenswandel setzt die Frage nach exogenen Faktoren voraus, dass Verhaltensmuster bestehen, die Uber ständische Schranken hinw e g als universalisierbar gelten. Daher möchte ich die Frage beantworten, w i e in Europa an der Wende zum 19. Jahrhundert die Vorstellung aufkommen konnte, dass es universalisierbare Verhaltensmuster geben könne und solle. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts definierten Verhaltensmuster die Zugehörigkeit zu Geburts- und Berufsständen, politischen und Nachbarschaftsgruppen. Sie fanden ihren Ausdruck in mitunter rigiden partikularistischen Kleiderordnungen 1 6 . Zudem bestanden oft recht detaillierte Verhal15 Sydney ANGLO, The Martial Arts of Renaissance Europe, New Haven/London 2000; George CAMERON HURST III, Armed Martial Arts of Japan. Swordsmanship and Archery, New Haven/London 1998. Zu weiteren Arbeiten zur Geschichte des Fechtens siehe Egerton CASTLE, L'escrime et les escrimeurs depuis le Moyen Age jusqu'au XVIIIе sidcle, Paris 1888; Archives des maitres d'armes de Paris, hrsg. von Henri Daressy, Paris 1888; Georges DUBOIS, Essai sur le trait6 d'escrime de Saint-Didier, риЬНё en 1573, Chartres 1918; Gustav HERGSELL, Die Fechtkunst im XV. und XVI. Jahrhundert, Prag 1896; Die Fechtkunst. 1500-1900. Grafik und Waffen. Katalog, hrsg. von Heino Maedelbach, Coburg 1968; Alfred SCHAER, Die altdeutschen Fechter und Spielleute, Straßburg 1901; Karl WASSMANNSDORFF, Aufschlüsse über Fechthandschriften und gedruckte Fechtbücher des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Monatsschrift fur das Turnwesen 1888, S. 121-145; HansPeter HILS, Meister Johann Liechtenauers Kunst des langen Schwerts, Frankfurt a. M./Bern 1985; DERS., Gladiatoria, in: Codices Manuscripti 13 (1987), S. 1-54; Martin WLERSCHLN, Meister Johann Liechtenauers Kunst des Fechtens, München 1965. 16 Zu Quellen ftir die Kleiderordnungen siehe Omnivm fere gentivm nostrae aetatis habitvs nvnqvam ante hac aetatis, hrsg. von Ferdinande Berteiii, Venedig 1563; Habitvs praecipvorvm popvlorvm tarn virorvm qvam foeminarvm singvlaruis arte depicti. Trachtenbuch. Darin fast allerley vnd der fürnehmbsten Nationen/die heutigen tags bekandt sein/Kleidungen/beyde wie es bey Manns vnd Weibspersonen gebreuchlich/mit allem vleiss abgerissen sein, hrsg. von Hans Weigel, Nürnberg 1577; Cesare VECELLIO, De gli habiti antichi et moderni di diversi arti del mondo, Venedig 1590; Des habits, moevrs, fa(ons de faire anciennes & modernes du monde, hrsg. von Jean de Glen, Lüttich 1601; Abraham A SANCTA CLARA, Neu-eröffnete Welt-Galleria worinnen sehr curiös und begnügt unter die Augen kommen allerley Aufzug und Kleidungen unterschiedlicher Stände und Nationen, Nürnberg 1703; Siehe dazu auch über die im früheren 18. Jahrhundert verbreiteten sogenannten Völkertafeln Franz Karl STANZEL, Schemata und Klischees der Völkerbeschreibung in David Humes Essay „Of National Characters", in: Studien zur englischen und amerikanischen Literatur, hrsg. von Paul Gerhard Buchloh [u. a.], Neumünster 1974, S. 368-383; DERS., Europäer. Ein imagologischer Essay, 2Heidelberg 1998; Europäischer Völkerspiegel. Imagologisch-ethnographische Studien zu den Völkertafeln des frühen 18. Jahrhunderts, hrsg. von Franz Karl Stanzel, Heidelberg 1999.
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tensvorschriften für Angehörige bestimmter Berufsgruppen, wie zum Beispiel professionelle Krieger und Fechter, und für bestimmte Anlässe, wie zum Beispiel Tanzveranstaltungen. Ich beginne mit der Beschreibung eines Bilds aus einem Fechtbuch des frühen 15. Jahrhunderts. Dieses Bild zeigt zwei Männer, die im Zweikampf mit Piken fechten. Beide Fechter grätschen ihre Beine breit auseinander, Oberkörper und rechtes Bein des linken Fechters bilden eine gerade Linie, so dass der Oberkörper nach vorn geneigt ist. Das linke Bein ist mit angewinkeltem Knie nach vorn gestellt, damit der Fechter trotz der Neigung seines Oberkörpers nicht nach vorn überfällt. Der linke Fechter versucht, den abwärts gerichteten Stoß des rechten Fechters mit nach unten zeigender bewehrter Spitze von sich abzulenken. Dem so erzeugten Druck versucht der rechte Fechter gegenzuhalten, indem er sein rechtes Bein mit ganzer Kraft nach hinten stemmt. Indem beide Fechter ihre Beine breit auseinander stellen, versuchen sie, eine möglichst sichere Position einzunehmen17.
Abb. 2: Hans Talhoffer, Fechtbuch, Taf. 89 (um 1430). Wien, Kunsthistorisches Museum, Waffensammlung KK 5079
17 Hans TALHOFFER, Talhoffers Fechtbuch (Ambraser Codex) vom Jahre 1459, hrsg. von Gustav Hergsell, Prag 1889, Taf. 89. Die Handschrift wird nunmehr in das frühe 15. Jahrhundert datiert. Zu älteren Fechtbüchern siehe [Fiore DE' LIBERI], Flos duellatorum in armis, sine armis, equester, pedester, hrsg. von Francesco Novati, Bergamo 1902; Zu jüngeren Fechtbüchern siehe [Petrus DE MONTIS], Exercitiorus, Mailand, 1509; Christian EGENOLFF, Deraltenn Fechter anfengliche Kunst, Frankfurt 1531.
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Fechtbücher des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit waren geschriebene Instruktionen für professionelle Fechter, üblicherweise bürgerlicher Herkunft, die in gerichtlichen Zweikämpfen oder auch in Schaukämpfen vor städtischem Publikum auftraten. Die Stellungen, die die Fechtbücher vorschrieben, waren zweckdienliche Handlungsanweisungen in dem Sinn, dass sie den Berufsfechtern die Chance gaben, einen Kampf lebend und ohne gefährliche Verletzungen zu überstehen18. Auch wenn im 15. Jahrhundert umstritten blieb, ob die Fechter einen Berufsstand bildeten, galt für sie ein Ehrencodex, der das Verhalten der Kämpfer regulierte. Die Einhaltung der Regeln war Voraussetzung für die Chance zum Überleben in Kämpfen, die mit der Gefahr tödlichen Ausgangs oder schwerer Verletzungen verbunden waren. Da die Kämpfer nicht Duelle bei Nacht und Nebel ausfochten, sondern sich in der Öffentlichkeit gegenüberstanden, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie den Ehrencodex einhalten würden, auch wenn dieser nicht erzwingbar war. Anders gesagt: ein Fechter, der um eines taktischen Vorteils willen gegen den Ehrencodex verstoßen und das Leben seines Widerparts gefährden zu sollen glaubte, würde vielleicht in einem Kampf obsiegen, aber seinen Status als Berufskämpfer verlieren. Die Fechtbücher des 15. Jahrhunderts verzeichneten diesen Ehrencodex in Wort und Bild zum Gebrauch für die Berufskämpfer, waren hingegen nutzlos für Außenstehende und für das schaulustige Publikum unverständlich. Die Fechtbücher definierten also partikularistische Verhaltensmuster, die für die Berufsgruppe der Fechter spezifisch waren. Das Grätschen insbesondere war Voraussetzung für erfolgreiches berufliches Handeln unter den Fechtern (Abb. 3). Später im 15. sowie im 16. Jahrhundert fanden einige dieser Bewegungsmuster Eingang in die Berufskriegerverbände der Schweizer und der Landsknechte (Abb. 4)19. Dass diese Haltung nicht nur in Kämpfen eingenommen wurde, ergibt sich neben vielen anderen Kriegerdarstellungen in der Kunst aus der Zeit um 150020 insbesondere aus Dürers Stich „Herkules am Scheidewege" (ca. 1498). In diesem Stich bildete Dürer den Heroen in Grätschstellung ab, ohne 18 Dies gilt, wenn auch unter geänderten Umständen, auch noch für die Fechter-Instruktionen, die zum Gebrauch für das Theater in der elisabethanischen Zeit geschrieben wurden. Siehe George SILVER, Paradoxes of Defence, London 1599. Auch bei diesen Fechtbüchern handelte es sich um Instruktionen für eine bestimmte Berufsgruppe, nun nicht mehr Berufsfechter, sondern Schauspieler, die Fechtkämpfe auf der Bühne inszenieren sollten. 19 Dafür zahlreiche Belege in Diebold SCHILLING [d. Ä.], Berner Chronik, Facsimile, hrsg. von Hans Bioesch und Paul Hilber, 4 Bde., Bern 1943-1945; Kaiser MAXIMILIAN I., Der Weiß Kunig, Wien 1775. 20 Siehe zum Beispiel die Darstellungen eines stehenden Hellebardenträgers im Bild Jörg Breus [d. Ä.] vom Einzug Karls V. in Augsburg 1530 (Herzog-Anton-Ulrich Museum Braunschweig). Abbildung in: Kaiser Karl V., hrsg. von Petra Kruse, Bonn 2000, S. 174, sowie die flämische Tapisserie zur Schlacht von Pavia 1525 mit der Darstellung der Flucht der Zivilisten aus dem französischen Lager und die Auflösung der Schweizer Infanterie (1528-1531, Museo Nazionale di Capodimonte, Neapel), ebenda, S. 22.
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dass der Kontext eine Kampfhandlung vorgab. D i e Stellung konnte demnach als bildlicher Ausdruck ffir den Status von Kämpfern dienen 2 1 .
Abb. 3: Pikeniere im Zweikampf. Aus: Christian Egenolph, Fechtbuch, Frankfurt 1558
Abb. 4: Ein Schweizer und ein Landsknecht im Zweikampf (um 1570). Staatsbibliothek des Kantons Zürich, Wickiana, F 15, 60. Ähnliche Instruktionen für breitbeiniges Stehen und Schreiten wurden für bürgerliche Ringer 2 2 und Turner 23 angelegt s o w i e auch für Tänzer, die sich den genauen Vorschriften höfischen Verhaltens unterwerfen wollten oder
21
Albrecht DÜRER, Das druckgraphische Werk, Bd. 1: Kupferstiche, Eisenradierungen und Kaltnadelbilder, hrsg. von Rainer Schoch [u. a.j, München [u. a.] 2001, S. 76 f. Abbildung von Pikenieren im Zweikampf in: Christoph EGENOLPH, Fechtbuch (wie Anm. 17). Abbildung eines Schweizers und eines Landsknechts im Zweikampf (um 1570). Staatsbibliothek des Kantons Zürich: Wickiana, F 15, 60. 22 Fabian von Auerswald. Ringer Kunst, Wittenberg 1539, hrsg. von Karl Wassmannsdorff, Leipzig 1869; Karl WASSMANNSDORFF, Die Ringkunst des deutschen Mittelalters, Leipzig 1870; Hanns WURM, Hye in disem büchlin findt man die recht kunst vnd art des Ringens, s.l. et a., München: Bayerische Staatsbibliothek, Inc. s.a. 1142; Das Ringen im Grüblein. Facsimile, hrsg. von Helmut Minkowski, Schorndorf 1963, S. 49-73. 23 Karl WASSMANNSDORFF, Das um das Jahr 1500 gedruckte erste deutschen Turnbuch, Heidelberg 1871.
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sollten 2 4 . Tanzmeister waren als Lehrer beschäftigt, die a n g e m e s s e n e s B e w e g e n bei H o f anerziehen sollten. Einige Tanzmeister, w i e z u m B e i s p i e l A n t o n i o Cornazzano, waren z u g l e i c h auch Militärs und komponierten Choreografien als Schlachtrituale. C o r n a z z a n o wurde berühmt für einen T a n z n a m e n s Scaramuccio,
das Gefecht. D e r Scaramuccio
bestand aus B e w e g u n g e n , durch
die die Tänzer nach rechts und links aneinander vorbei s c h w i n g e n sollten, s o als würden sie turnieren 2 5 . D a s Ringerbuch aus der Werkstatt Albrecht Dürers v o m Jahr 1 5 1 2 stellt n e b e n anderen eine S z e n e dar, in der der rechts breit gegrätscht mit aufrecht e m Körper stehende K ä m p f e r das rechte B e i n s e i n e s G e g e n ü b e r s a m K n i e hebt in der Absicht, d i e s e n n a c h hinter fallen z u lassen. U m dies z u verhindern, umgreift der links stehende K ä m p f e r d e n Hals s e i n e s Gegenüber. D e r 24
Siehe dazu beispielsweise die Abbildung eines tanzenden Paars aus Valerius Maximus, Histoires. 15. Jahrhundert, Paris: Bibliotheque nationale de France, Fonds Fr. 288, fol. 181v. Zu den Tanzbüchern und den Tanzgewohnheiten siehe Werner BAHR, Zur Entwicklungsgeschichte des höfischen Gesellschaftstanzes, Breslau 1941, S. 7-8, 12, 44, 49-50; Ingrid BRAINARD, Die Choreographie der Hoftänze in Burgund, Frankreich und Italien im 15. Jahrhundert, Göttingen 1956; DIES., Der Höfische Tanz. Darstellende Kunst und Höfische Repräsentation, in: Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert, hrsg. von August Buck, Hamburg 1979, S. 379-394; DIES., The Role of the Dancing Master in 15 й Century Courtly Society, in: Fifteenth-Century Studies 2 (1979), S. 21-44; DIES., The Art of Courtly Dancing in the Early Renaissance, West Newton 1981; DIES., The Art of Courtly Dancing in Transition. Nürnberg, Germ. Nat. Mus. MS 8842, a Hitherto Unknown German Source, in: La danza italiana 3 (1985), S. 77-89; Rudolf BRAUN/David GUGGERLI, Macht des Tanzes - Tanz der Mächtigen. Hoffeste und Herrschaftszeremoniell. 1550— 1914, München 1993; Wolfgang BRUNNER, Höfischer Tanz um 1500, Berlin 1983; DERS., Städtisches Tanzen und das Tanzhaus, in: Alltag im 16. Jahrhundert. Studien zu Lebensformen in mitteleuropäischen Städten, hrsg. von Alfred Kohler und Heinrich Lutz, Wien 1987, S. 45-65; DERS., Geschlechtertanz im Augsburger Tanzhaus um 1500, in: Tanzen 3 (1985), S. 4-6; Gabriele BUSCH, Ikonographische Studien zum Solotanz im Mittelalter, Innsbruck 1982; Mabel DOLMETSCH, Dances from England and France. 1450-1600, New York 1975; DIES., Dances from Spain and Italy from 1400-1600, New York 1975; Daniel HEARTZ, Hoftanz and Basse Danse, in: Journal of the American Musicological Society 19 (1966), S. 13-36; Erich HERTZMANN, Studien zur Basse danse im 15. Jahrhundert, in: Archiv für Musikwissenschaft 11 (1928/29), S. 401-413; Claudia JESCHKE, Tanzschriften. Ihre Geschichte und Methode, Bad Reichenhall 1983; Vera JUNG, „Wilde Tänze" - „Gelehrte Tanzkunst". Wie man im 16. Jahrhundert versuchte, die Körper zu zähmen, in: Körper-Geschichten, hrsg. von Richard van Dülmen, Frankfurt 1997, S. 43-70; DIES., Körperlust und Disziplin. Studien zur Fest- und Tanzkultur im 16. und 17. Jahrhundert, Köln [u. a.] 2001, S. 292-336; Peter GROßKREUTZ, Tanz und Politik am Renaissance- und Barockhof. Die höfische Gesellschaft im Spiegel ihrer Tänze, in: Archiv für Kulturgeschichte 71 (1989), S. 55-70; SAFTIEN, Ars (wie Anm. 14); Musik und Tanz zur Zeit Kaiser Maximilians I., hrsg. von Walter Salmen, Innsbruck 1992; Walter SALMEN, Der Tanzmeister, Hildesheim 1997; DERS., Tanz und Tanzen vom Mittelalter bis zur Renaissance, Hildesheim 1999; DERS., Das Freiburger „Tanzhus oder Kornhus" und das Tanzen bei Reichstagen um 1500, in: Der Kaiser in seiner Stadt. Maximilian I. und der Reichstag zu Freiburg 1498, hrsg. von Hans Schadek, Freiburg 1998, S. 186-197. 25 Antonio CORNAZZANO, Libra dell' arte del danzare [1455], hrsg. von Carlo Mazzi, in: Bibliofilia 17 (1916), S. 1-30.
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rechts stehende Kämpfer versucht, breitbeining stehend genügend Standfestigkeit zu gewinnen, damit er sein Gegenüber schwächen kann, der wiederum seine Labilität ausgleicht, indem er sich am Hals seines Gegenübers festhält26.
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Abb. 5: Albrecht Dürer, Ringbuch, 1512
Neben den breiten Grätschstellungen, die Kämpfer praktizierten, wenn sie einen festen Stand einnehmen wollten, grätschten auch Tänzer ihre Beine auf höfischen Festen des 15. Jahrhunderts, wenn auch weniger breit. Mehr als Ringer und Fechter achteten Tänzer in der Regel bei ihren Bewegungen darauf, den Oberkörper vertikal zu halten. Ein Fuß, gewöhnlich der rechte, wurde nach rechts gegrätscht, mitunter stellte man zugleich auch den linken Fuß nach links. Das gemäßigte Grätschen bei aufrechter Haltung des Oberkörpers war demnach Bestandteil der höfischen Etikette. Anders als die bürgerlichen Fechter und Ringer scheinen die in der Regel aristokratischen Tänzer ihre Kräfte eingesetzt haben zu wollen, um ihre Körperbewegungen zu kontrollieren. Damit fügten sie in den Tanz eine Haltung, in der Herrscher seit der Antike dargestellt wurden. Aus Skulpturen27, Siegeln28 und Buchilluminatio26
Albrecht DÜRER, Hoplodidaskalia. 1512, Wien, Grafische Sammlung Albertina (lnv.Nr. 26-232). Nachdruck, hrsg. von Friedrich Dörnhöffer, in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses 27 (1907/09), S. XXVIII-LXXXI, 70 Tafeln. Auch in: Walter L. STRAUSS, The Complete Drawings of Albrecht Dürer, Bd. 5, New York, 1974, S. 2667, Nr. 1; Teildruck in: WASSMANNSDORFF, Ringkunst (wie Anm. 22). Dürer arbeitete nach der Vorlage der Oettingen-Wallersteinischen Fechthandschrift um 1470, Cod. 1.6.4° 2, Universitätsbibliothek Augsburg; Fecht- und Ringbuch. Faksimile, hrsg. von Hans-Peter Hils, München 1991, fol. 16r. 27 Statue des Zeus oder Poseidon von Kap Artemision, ca. 460 v. Chr. Kaiser Trajan, dargestellt in der Szene seines Empfangs auf der Frontseite, rechte Seite, obere Szene, des Trajansbogens in Benevent, ca. 114-120. Bronzestatue des Kaisers Trebonianus Gallus, ca.
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nen 29 ergibt sich eine Haltung, in der Herrscher ihre Beine grätschten und ihre Füße in entgegen gesetzte Richtungen streckten. Auch im 15. und 16. Jahrhundert wurden Herrscher und Personen, die als Emissäre von Herrschern auftraten, in dieser Haltung abgebildet30. Schon im 15. Jahrhundert waren somit nach außen gestellte Fußspitzen, Grätschstellung und die aufrechte Haltung des Oberkörpers, der eine gerade vertikale Linie bilden sollte, vom Herrschertum abgeleitete Kennzeichen der Zugehörigkeit zum Adel, das den Unterschied zu dem oft wenig kontrolliert wirkenden, räsonierenden Verhalten der häufig buckelig dargestellten Bauern markieren sollte 31 . Das Gemeinsame in diesen Abbildungen und Beschreibungen von Positionen und Bewegungen war, dass Fechter, Ringer und Tänzer jeweils ihre Beine grätschten, damit sie einen festen Stand einnehmen und von dieser Grundposition aus den Oberkörper drehen sowie die Gliedmaßen in verschiedene Richtungen strecken konnten, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Jedoch achteten die Tänzer mehr als die Fechter, Ringer und Turner darauf, den Oberkörper vertikal gerade zu halten. Ein Fuß, gewöhnlich der rechte, wurde nach rechts gegrätscht, mitunter stellte man zugleich auch den linken Fuß nach links. Die insbesondere burgundische Mode der Schnabelschuhe verstärkte diese Fußstellung, erzwang sie sogar, da das Stehen und Gehen ohne Grätschen bei der Länge des Schuhwerks schwierig gewesen wäre32. Das Grät251-253, Metropolitan Museum of Art, New York. Abbildungen in: Philippe BRUNEAU [u. a.], Skulptur. Antike. 8. Jahrhundert v. Chr. bis 5. Jahrhundert n. Chr., Köln [u. a ] 1996, S. 62, 151,158, 187. 28 Kaisersiegel Ottos III., in: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. Von Otto dem Großen bis zum Ausgang des Mittelalters. Katalog, hrsg. von Matthias Puhle und ClausPeter Hasse, Dresden 2006, Nr. 11/23, S. 74. 29 Krönungsbild im Schaflhauser Pontifikale, Mitte oder 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts, Stadtbibliothek Schaffhausen, Min. 94, fol. 29r. Abbildung in: ebd., Nr. III/23, S. 149. 30 Brüssel, Bibliothdque Royale de Belgique Albert I., Ms 9242, zeigt eine burgundische Hofszene. Der Autor Jacques de Guise dediziert sein Buch Herzog Philipp dem Guten von Burgund. Miniatur von Rogier van der Weyden (um 1448). Bratislava, Bibliothek des Lyceums, Ms Lyc. 515/8, zeigt Vasco da Gama als Emissär König Emanuels I. von Portugal (um 1520). Sowohl der Herzog wie Vasco da Gama nehmen gemäßigte Grätschstellung ein. 31 Zum Räsonnieren der Bauern siehe Dürers Darstellung dreier mit einander sprechender Bauern (um 1497), in Dürer, Werk, Nr. 15 (wie Anm. 21), 58 f. Desgleichen in: In desem boechgelyn wyrt gefunden der Buren Practick ad' pronosticatio vnd regell, 1517/18, Titelblatt, in: ebd. Siehe dazu Peter BUCKLE, Landschaften im Alten Reich. Die Staatliche Funktion des gemeinen Mannes in Oberdeutschland, München 1973; Aufruhr und Empörung? Studien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich, hrsg. von dems., München 1980; Theorien kommunaler Ordnung in Europa, hrsg. von dems. und Elisabeth MüllerLuckner, München 1996; Resistance, Representation and Community, hrsg. von dems., Oxford 1997; Gemeinde und Staat im Alten Europa, hrsg. von dems., München 1998; DERS., Kommunalismus, Bd. 2, München 2000, S. 132-153. 32
Zur burgundischen Hofkultur siehe Willem P. BLOCKMANS/Walter PREVENIER, The Burgundian Netherlands, Cambridge 1985; DIES., The Promised Lands. The Low Countries under Burgundian Rule. 1369-1530, Philadelphia 1999, S. 103-173.
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sehen war also wiederum zweckdienlich für Tänzer, die sich der höfischen Etikette unterwerfen wollten oder sollten. Die Tänzer scheinen ihr Körperverhalten kontrolliert haben zu sollen. Anders als die bürgerlichen Fechter, Ringer und Turner scheinen die aristokratischen Tänzer daran gewöhnt worden zu sein, ihre Kräfte dazu zu nutzen, um ihre Körper zu kontrollieren, sie gewissermaßen eher gegen sich selbst als gegen andere zu richten.
Abb. 6: Kaiser Maximilian I. in einem Fußturnier. Frühes 16. Jahrhundert. Aus Maximilian, Freydal. Wien, Kunsthistorisches Museum, Waffensammlung. KK 5073, fol. 159. Druck, hrsg. von Quirin von Leitner (Wien 1880)
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts übertrug Kaiser Maximilian I. einige der Stellungen und Bewegungen der Fechter und Ringer in die Adelswelt und fiihrte sie in Turniere und Tänze ein, wo er sie auch selbst praktizierte. Maximilian erhöhte die Bedeutung der Fußturniere und erlaubte eine gegenüber den mittelalterlichen Vorbildern größere Zahl an Stellungen und Bewegungen. Während es im 14. und 15. Jahrhundert ein Verstoß gegen die Regeln ehrbaren Turnierens gewesen wäre, den Oberkörper nach links oder rechts zu drehen, forderte Maximilian nicht nur Beweglichkeit von den mit ihm turnierenden Rittern, sondern hatte auch keine Scheu, seinen Gegner am Bein zu
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ziehen, so dass dieser mitsamt seiner Rüstung und lautem Getöse nach hinten umfallen musste (Abb. 6)33. Maximilian hielt zudem viel auf sein Können als Tänzer34 und förderte zur selben Zeit die Flexibilisierung der Haltungen und Bewegungen von Fechtern und Berufskriegern. So konnte sich seit Beginn des 16. Jahrhunderts im Fechten eine Vielzahl neuer Garden durchsetzen, die die gegenüber den bisherigen Fechtregeln Zahl regelkonformer Bewegungen beträchtlich erhöhte35. Ebenso wuchs die Zahl der möglichen Bewegungen, die Kampftruppen im Verband sowie als Einzelkämpfer ausführen können sollten. Während Berufskämpfer im 15. Jahrhundert frontale Angriffe auf ihre Gegner in großen Schlachthaufen bevorzugt hatten, ließ Maximilian seine Landsknechte Kreisbewegungen üben, mit deren Hilfe sie ihre Gegner bei Bedarf auch von hinten würden angreifen können36. Obzwar diese Neigung seiner Krieger Maximilian zum Nachteil geriet und ihn wiederholt zu harscher Kritik veranlasste37, förderte er doch die neue Kampfesweise, damit die Beweglichkeit seiner Kämpfer und deren Fähigkeit zu autonomem Handeln. Maximilians Landsknechte wurden so zum Prototyp der Berufskrieger des 16. Jahrhunderts, die in der Lage waren, ihre Körper unter Bewahrung ihres Gleichgewichts in unterschiedliche Richtungen zu drehen und sich im Verband in verschiedene Richtungen bewegen konnten38. Maximilian stand zugleich auch am Anfang eines langfristigen, drei Jahrhunderte dauernden Vorgangs der allmählichen Ausweitung der Gültigkeit höfischer Haltungen und Bewegungen über die höfische Welt hinaus. Sichtbarer Beleg für den Beginn dieser langsamen Übertragung adliger Haltungsnormen in den bürgerlichen und bäuerlichen Bereich sind Albrecht Altdorfers Zeichnungen stehender Landsknechte39 sowie Dürers Darstellungen auf dem Markt Handel treibender Bauern, die stehen, als wären sie Adlige, wenn sie
33
Kaiser Maximilian I., Freydal des Kaisers Maximilian I., Turniere und Mummerien, hrsg. von Quirin von Leitner, 3 Bde., Wien 1880-1882, fol. 139, 159, 202; DERS., WeißKunig (wie Anm. 19), Taf. 33, 34. 34 Zu Maximilian als Tänzer siehe Wolfgang BRUNNER, Geschlechtertanz im Augsburger Tanzhaus um 1500, in: Tanzen 3 (1985), S. 4-6; SALMEN, „Tanzhus" (wie Anm. 24); Gerrit Jasper SCHENK, Zeremoniell und Politik, Köln [u. a.] 2003, S. 626. 35 Zum Beispiel DE MONTIS, Exercitiorus (wie Anm. 17). 36 Siehe dazu mehr bei KLEINSCHMIDT, Tyrocinium (wie Anm. 14), S. 43-95. 37 Maximilian, Weiß Kunig, lib. III, cap. 430: Wie ain andere weyße gesellschaft, ain ainem anderen ort ainen angriff teten, vnd durch Ir Verwarloßung geschlagen wurden (wie Anm. 19), S. 268. 38 Siehe dazu Harald KLEINSCHMIDT, Die Schneckenformation und die Entwicklung der Feuerwaffentaktik von Maximilian I. bis zu Elisabeth I., in: Publication du Centre Euroрёеп d'Etudes Bourguignonnes 26 (1986), S. 105-112. 39 Abdruck in: Matthias F. MÜLLER, Die Zeichnungen der Historia Friderici et Maximiliani. Ein Beitrag zur Entwicklung des Zeichenstils Albrecht Altdorfers um 1515, Nr. 21, in: Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs 51 (2004),S. 26.
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wie diese in der Stadt, politisch tätig oder als Kämpfer beschäftigt waren40. Die Haltung mit aufrechtem Körper, gegrätschten Beinen und nach außen gestellten Fußspitzen blieb zwar bis ins 18. Jahrhundert ständisch definiert, erwarb aber zusätzlich eine moralische Dimension, indem sie zum Ausdruck der Angemessenheit von Haltungen gerann. Dem entsprechend ließ Dürer die Fußspitzen von Narren nach innen gestreckt zeigen, selbst wenn sie Schnabelschuhe trugen41. Ein ähnlicher Wandel fand zur selben Zeit im Tanz statt. Neue Tanzstile, die Drehungen und sogar Sprünge verlangten, eroberten die Höfe. Es scheint, als seien die Sprünge als Ausdruck der Ekstase populär geworden, die von Gelehrten gerügt wurde42 und die Kritik konservativer Traditionalisten nach sich zog43. Dennoch blieben Tänzer bestrebt, einen festen Stand beizubehalten, unintendierte Berührungen mit anderen Tänzern zu vermeiden und ihre Bewegungen zu kontrollieren (Abb. 7). Das neue Muster der kontrollierten Drehbewegungen wird für den militärischen Bereich deutlich in dem folgenden Einblattdruck des Hendrik Goltzius vom Jahr 1587 sichtbar. Wahrscheinlich war der Druck eine Art Werbezettel für die Rekrutierung und Musterung neuer Krieger. Er zeigt Landsknechte als attraktiven Kriegerverband und stellt in den Vordergrund einen Hauptmann, der kraftvoll von rechts nach links durch das Bild schreitet. Der Hauptmann trägt seinen Oberkörper aufrecht und in gerader vertikaler Linie. Die Beine sind gegrätscht. Der rechte Fuß ist nach rechts gegen den Boden gestreckt. Das linke Bein, auf dem das Gewicht des Körpers ruht, ist nach links gestreckt. Der Hauptmann blickt nach links, mithin zum Betrachter des Bildes (Abb. 8). Das Bild gibt keine Kampfszene wieder, sondern zeigt den Hauptmann als Kommandeur der ihm unterstellten Truppe. Dieses Verhältnis kommt im Bild dadurch zum Ausdruck, dass die Truppe hinter dem Standbein des Hauptmanns paradiert. Die Krieger führen eine Schneckenformation aus, die seit der Zeit Maximilians I. als Übungsformation belegt ist44. Mit Hilfe der Formation sollten Krieger in Bewegungen unterwiesen werden, die sie später in der 40
DÜRER, Werk (wie Anm. 21), Nr. 88, S. 216 f. Ebd., Nr. 261/4, S. 95, Nr. 266/6, S. 97. Es handelt sich um Illustrationen zu Sebastian Brants NarrenschifF. 42 Sebastian BRANT, Narrenschiff [1494], Nr. 61, hrsg. von Friedrich Zarncke, Leipzig 1854, S. 60-61. 43 Johann BOSCHENSTAYN, Wünscht allen Tanntzern und Tenzerin ain schnei) umbwenden am Rayen, 2 Augsburg 1537; Florian DAUL, Der Tanzteuffel, Frankfurt 1569, S. 6-23; Johann MÜNSTER, Ein gotseliger Tractat von dem ungotseligen Tanz, Frankfurt 1594, S. 81. So noch BAHR, Entwicklungsgeschichte (wie Anm. 24), S. 65-68, der einen als „gaillardische Volte" bekannten sowie durch möglichst hohe Sprünge und schnelle Drehungen charakterisierten Umarmungstanz als „geschmackliche Entgleisung" bezeichnete. 44 Jean MOLINET, Chroniques, s. a. 1488, hrsg. von Jean-Alexandre Buchon, Bd. 2, Paris 1828, S. 207-208; kritische Ausg. von Georges Doutrepont, Bd. 1, Brüssel 1935, S. 587588. 41
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Abb. 7: Ein Tänzer bereitet eine Volte vor. Aus: Cesare Negri, Le gratie d'amore, Mailand 1602, S. 68.
Abb. 8: Hendrik Goltzius, Landsknechtshauptmann, Amsterdam 1587.
Schlacht in eigener Verantwortung und den Umständen angepasst nachvollziehen sollten. Die Schneckenformation bestand aus einer Kreisbewegung, die die in einer Linie aufgestellten Krieger, zumeist als Pikeniere, ausführen sollten, wobei sie langsam nach außen zu driften hatten. Auf Befehl des Kommandeurs sollten sie anhalten und alle zur selben Zeit ihre Piken fällen. Die Schneckenformation verlangte koordinierte Bewegungen im Kreis, wobei die Forderung galt, dass die nebeneinander paradierenden Krieger stets eine gerade Linie beibehalten mussten. Die jeweils im Äußeren des Kreises
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Gehenden mussten sich also schneller fortbewegen als die im Inneren Gehenden. Zudem sollten die Krieger lernen, auf Kommando zur selben Zeit exakt dieselben Handlungen mit der Waffe auszuführen. Die Landsknechte zeichneten sich also durch Fähigkeit und Bereitschaft aus, ihre Bewegungen und Handlungen kontrollieren zu lassen wie auch selbst zu kontrollieren, wandten also adlige Verhaltensmuster in ihrem Bereich an. Durch das ganze 16. Jahrhundert behielten die Landsknechte ihre Ruf als geordnete und disziplinierte Truppe bei45, selbst wenn sie gegen ihre Kommandeure revoltieren, die Ausführung von Befehlen verweigern sowie nach eigenem Gutdünken und mit großer Brutalität handeln konnten46. Die Schneckenformation wurde durch das ganze 16. Jahrhundert angewandt und von anderen Kriegerverbänden kopiert47. Da die Schneckenformation keine Schlachtformation war, blieb ihr Einfluss auf die Kampfesweise in der Schlacht indirekt. Er bestand hauptsächlich darin, dass die Krieger in der Erweiterung ihrer eigenen Handlungsmöglichkeiten geübt und dadurch in die Lage gesetzt wurden, unter eigener Verantwortlichkeit in der Schlacht zu handeln. Die partikularistische erzieherische Aufgabe der Schneckenformation im Bereich Infanteriekriegführung liegt auf der Hand. Dasselbe galt jedoch auch für den Hauptmann. Er posiert als Musterkrieger, der die Bildfläche mit seinem mächtigen Körper dominiert, demonstriert seine Entschlossenheit, sich rasch und kraftvoll nach vorn zu bewegen, und stellt dabei zugleich seine Fähigkeit zur Schau, eine sichere Position einzunehmen und seinen Körper zu kontrollieren. Der Hauptmann trägt keine offenkundigen Zeichen der Zugehörigkeit zum Adel oder zur Welt der Höfe, obschon tatsächlich viele Kleinadlige als Kriegshauptleute dienten48. Das System der Regeln, denen die Landsknechte und ihre Hauptleute folgten, war bezogen auf einen bestimmten Berufsstand, auch wenn die Regeln ihre geburtsständische Herkunft aus der Welt der Höfe kaum verleugnen konnten. Dennoch blieben die Regeln auch in ihrem neuen Anwendungsbereich partikularistisch. Die Übertragung von Regeln aus einer Gruppe in eine andere allein bedingte noch nicht ihre Universalisierbarkeit.
45
Paolo Giovio, Eine warhafftige Beschreybung aller nammhafftigen Geschichten, deutsche Ausg., Bd. 1, Basel 1560, S. 152. 46 Willibald PIRCKHEIMER, Bellum Suitense sive Helveticum, Zürich 1737, S. 16-19. 47 Zum Beispiel siehe Thomas AUDLEY, A Treatise of Martiall Discipline, Ms. Oxford, Bodleian Library, Ms Rawlinson D 363. 48 Fritz REDLICH, The German Military Enterpriser and His Work Force, Wiesbaden 1964.
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Geregelter Partikularismus des Körperverhaltens im 17. und 18. Jahrhundert G e g e n Ende des 16. Jahrhunderts nahm die Tendenz zur Rigidität der Regeln des Bewegungsverhaltens zeitgleich in der Kriegführung, den Kampfsportarten und im Tanz zu. Die Tendenz ist erkennbar an der großen Zahl v o n Handbüchern, in denen diese Regeln in Wort und Bild mehr oder weniger ausführlich spezifiziert wurden 4 9 . Die Einführung strengerer Verhaltensregeln für Krieger ist oft mit den militärischen Reformen der Oranier in den Niederlanden, deren calvinistischer Verbündeter im Heiligen Römischen Reich s o w i e der Rezeption dieser Reformen in Frankreich und der S c h w e i z an der Wende zum 17. Jahrhundert in Verbindung gebracht worden 5 0 . D i e s e 49
Bibliografische Nachweise für diese Handbücher liegen vor in: Max JAHNS, Geschichte der Kriegswissenschaften, vornehmlich in Deutschland, insbesondere Bd. 2, München/ Leipzig 1890; KLEINSCHMIDT, Tyrocinium (wie Anm. 14), S. 358-413; Henry Jameson WEBB, Elizabethan Military Science. The Books and the Practice, Madison [U. a.] 1965; CASTLE, L'escrime (wie Anm. 15); Kurt PETERMANN, Tanzbibliographie, Leipzig 1966. 50 Zu den Reformen der Oranier und der Wirkung dieser Reformen im Reich siehe Werner HAHLWEG, Die Heeresreform der Oranier und die Antike, Berlin 1941; DERS., Griechisches, römisches und byzantinisches Erbe in den hinterlassenen Schriften des Markgrafen Georg Friedrich von Baden, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 98 (1950), S. 3 8 114; Die Heeresreform der Oranier. Das Kriegsbuch des Grafen Johann von NassauSiegen, hrsg. von Werner Hahlweg, Wiesbaden 1973; KLEINSCHMIDT, Tyrocinium (wie Anm. 14), S. 96-149; DERS., „Tragt die Spiess auff Englisch". Quellen zu den Heeresreformen der Oranier mit besonderer Berücksichtigung des Mannsexerzierens, in: Nassauische Annalen 102 (1991), S. 67-85; DERS., Disziplinierung zum Kampf. Neue Forschungen zum Wandel militärischer Verhaltensweisen im 15., 16. und 17. Jahrhundert, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 131 (1995), S. 173-200; DERS., Mechanismus und Biologismus im Militärwesen des 17. und 18. Jahrhunderts. Bewegungen - Ordnungen Wahrnehmungen, in: Die Kriegskunst im Lichte der Vernunft, hrsg. von Daniel Höhrath und Klaus Gerteis, Hamburg 1999, S. 51-73; DERS., Using the Gun. Manual Drill and the Proliferation of Portable Firearms, in: Journal of Military History 63 (1999), S. 601-633; Bernhard R. KROENER, „Das Schwungrad an der Staatsmaschine"? Die Bedeutung der bewaffneten Macht in der europäischen Geschichte der Frühen Neuzeit, in: Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Bernhard R. Kroener und Ralf Pröve, Paderborn 1996, S. 1-23; Christian Anton KROLLMANN, Das Defensionswerk im Herzogtum Preußen, 2 Bde., Berlin 1904-1909; Günther LOTTES, Zähmung des Menschen durch Drill und Dressur, in: Erfindung des Menschen. Schöpfungsträume und Körperbilder. 1500-2000, hrsg. von Richard van Dülmen, Köln [u. a.] 1998, S. 221-240; John A. LYNN, Giant of the Grand Si£cle. The French Army 1610-1715, Cambridge 1997, S. 397-414; William Hardy MCNEILL, Keeping together in Time. Dance and Drill in Human History, Cambridge/London 1995; Jaap A. DE MOOR, Experience and Experiment. Some Reflections upon the Military Developments in 16TH and 17TH Century Western Europe, in Exercise of Arms, hrsg. von Marco van Hoeven, Leiden 1997, S. 17-32; Rolf NAUMANN, Das kursächsische Defensionswerk, Leipzig 1916; Frieder WALTER, Niederländische Einflüsse auf das eidgenössische Staatsdenken im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert, Zürich 1979; Rainer WOHLFEIL, Das Heerwesen im Übergang vom Ritterzum Söldnerheer, in: Staatsverfassung und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte der frühen Neuzeit, hrsg. von Johannes Kunisch, Berlin 1986, S. 107-127.
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Beobachtungen sind in der Regel damit begründet worden, dass die Milizionäre, die die Oranier gegen die spanische Herrschaft in den Niederlanden aufboten, aus der bürgerlichen und bäuerlichen Bevölkerung rekrutiert wurden und folglich erst an das berufsständische Ethos der Krieger, insbesondere die Pflicht, erteilte Befehle ohne Räsonnieren auszuführen, gewöhnt werden mussten. In der Tat liegen Quellen in ausreichender Zahl vor, die belegen können, dass die Oranier darauf angewiesen waren, ihre Truppen unter zentraler Steuerung zu exerzieren und sie auf diesem Weg im Kriegsgebrauch zu üben. Beispielsweise entstand die Kriegsakademie in Siegen im Jahr 1613, in denen Kommandeure und Drillmeister in den Methoden des Exerzierens der gemeinen Truppen ausgebildet werden sollten51. Einige dieser Drillmeister sowie auch einige Landesherren selbst verfassten Exerzierreglements und stellten damit die politische Bedeutung dieser Textsorte unter Beweis (Abb. 9) 52 . Gleichwohl erklärt das Bemühen um strengere Kontrolle des Kampfverhaltens der Milizionäre nicht die gesamte Tendenz. Zu allererst waren die Reformen der Oranier außerhalb der freien Niederlande nicht erfolgreich, da die Milizverbände im Reich bis zum Ende des Dreißigjährigen Kriegs praktisch immer den schlagkräftigeren Berufskriegern unterlagen. Dennoch unterwarfen sich die Berufskrieger seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts denselben strengen Regeln kontrollierten Verhaltens, wie die von ihnen in der Regel besiegten Milizionäre. Ein besonderer, dem Militär immanenter Zwang 51
Zur Kriegsakademie in Siegen siehe Norbert CONRADS, Die Ritterakademien der frühen Neuzeit, Göttingen 1982; Karl WOLF, Aufbau eines Volksheeres in den Gebieten der Wetterauer Grafenkorrespondenz zur Zeit der Grafen Johann des Altern und Johann des Mittlern von Nassau-Dillenburg, Wiesbaden 1937. Den Lehrplan für die Akademie schuf Johann Jacobi VON WALLHAUSEN, Programme scholae militaris, s.l. 1616. Zu einer weiteren Kriegsakademie, deijenigen in Metz, siehe Louys DE MONTGOMERY, Sieur de Courbuson, La milice fran^oise, Paris 1610. 52 Am bekanntesten waren und sind die Drillbücher des Direktors der Siegener Akademie Johann Jacobi VON WALLHAUSEN, Künstliche Picquen-Handlung [Hanau, 1613]; DERS., Alphabetum pro tyrone pedestri, Frankfurt 1615; DERS., Kriegskunst zu Fuß, Oppenheim 1615; DERS., Kriegskunst zu Pferdt, Frankfurt 1616; DERS., Manuale militare, Frankfurt 1616; DERS., Ritterkunst, Frankfurt 1616; DERS., Romanische Kriegskunst, Frankfurt 1616; DERS., Corpus militare, Hanau 1617; DERS., Camera militaris, Frankfurt 1621; DERS., Defensio patriae oder Landtrettung, Frankfurt 1621. Wallhausen diente dem Grafen von Nassau-Dillenburg in Siegen von 1613 bis 1618. Landesherrliche Exerzierreglements der Oranier und aus ihrem Umkreis sind belegt von Graf Johann VII. von Nassau-Siegen, Kriegsbuch (wie Anm. 50), Markgraf Georg von Baden-Durlach (wie Anm. 50) und von Landgraf Moritz dem Gelehrten von Hessen-Kassel, Instruction Was sich unsere bestellte Kriegsräthe und Diener verhalten sollen. Hs. Kassel, Murhard'sche Bibliothek der Stadt Kassel und Landesbibliothek, Gesamthochschulbibliothek Ms hass.qu. 73. Teilabschrift in Hs. Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Cod. mil. fol. 65. Druck [Kassel, 1600]. Für den unter dem Einfluss des niederländischen Militärwesens stehenden Kanton Bern siehe: Kurtzer Begriff vnd Anleitung des Krieges Exercitij vnd Vbung, Bern 1615; Valentin FRIDERICH, Krieges Kunst zu Fuß unnd eigentlicher Underricht mit sonderbarer Behendigkeit und geschwinden Vortheil allerhand eydgenößischer Schlachtordnungen zu machen, Bern 1619.
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zur Übernahme dieser Regeln bestand also nicht. Hinzu kommt, dass diese Regeln im Verlauf des 17. Jahrhunderts auch in nicht-militärischen Tätigkeitsbereichen Anwendung fanden. Für das Fechten ist dieselbe Tendenz ebenso zu beobachten wie für den Tanz. Im Fechten übernahmen Fechtmeister die Rolle der Drillmeister des Militärs, im Tanzen traten die Tanzmeister hinzu. Die Universitäten bestellten Fechtmeister zur Ausbildung der Studenten53. Fechten war Bestandteil des Lehrplans der Kriegs- und Ritterakademien54. Für den Tanz gaben Tanzmeister umfangreiche Regelwerke in Druck, und selbst gestrenge Pädagogen und Moralphilosophen erkannten im Tanz ein Erziehungsmittel55. Der Verhaltenskodex, dem sich Krieger, Fechter und Tänzer im Verlauf des 17. Jahrhunderts unterwarfen, entstammte einer neuen Ethik, die an der Wende zum 17. Jahrhundert populär wurde. Ihr maßgeblicher Propagandist war der Leidener Philologe Justus Lipsius, der seine ethischen Grundsätze aus den Werken der römischen Klassiker ableitete. Für Lipsius waren Selbstkontrolle und Mäßigung moralische Grundpflichten. Er ermutigte seine Zeitgenossen, nicht nur ihre Emotionen, sondern auch ihre Haltungen und Bewegungen zu kontrollieren56. Auch ermahnte er Herrscher zur Selbstkontrolle und dazu, ihre Streitkräfte so zu organisieren, dass die Krieger sich selbst kontrollieren könnten. Nach Lipsius sollten die Krieger sowohl der Kontrolle ihrer Kommandeure unterstehen als auch sich selbst kontrollieren. Die Herrscher sollten ihren Krieger als Vorbilder voranstehen57. Wie auch andere Kommandeure, die unter den Oraniern dienten, setzte der Siegener Drillmeister Johann Jacobi von Wallhausen Lipsius' Ethik der Selbstkontrolle peinlich genau in die Praxis und schrieb eine beträchtliche Zahl einzelner Haltungen und Bewegungen für die Infanterie und die Kavallerie vor.
53
Fechtkunst (wie Anm. 15). WALLHAUSEN, Programma (wie Anm. 51); CONRADS, Ritterakademien (wie Anm. 41). 55 Johann PASCH, Beschreibung wahrer Tanz-Kunst, Frankfurt 1707; Gottfried TAUBERT, Rechtschaffener Tanzmeister, 2 Bde., Leipzig 1717. Zur positiven Bewertung des Tanzes siehe Roger ASCHAM, The Scholemaster, London 1570 [Nachdruck, hrsg. von William Addis Wright, in: Ascham, English Works, Cambridge 1970, S. 217]; John LOCKE, Some Thought Concerning Education [1705], in: DERS., The Educational Writings, hrsg. von James L. Axtell, Cambridge 1968, S. 312. Siehe dazu SAFTIEN, Ars (wie Anm. 14), S. 255-257; Johann Bernhard BASEDOW, Elementarwerk, Bd. 2, Dessau 1774. 56 Justus LIPSIUS, Politicorum sive de doctrina civilis libri sex, Leiden 1589 (neu hrsg. von Jan Waszink, Assen 2004, S. 540). 57 Justus LIPSIUS, De constancia libri duo, Antwerpen 1584 (englische Fassung, Two Bookes of Constancie, hrsg. von John Stradling, London 1595, S. 98); DERS., Politicorum (wie Anm. 56), S. 130-133. 54
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Abb. 9: Exerzierende Kämpfer. Aus: Johann Jakobi von Wallhausen, Kriegskunst zu Fuß, Oppenheim 1615 Zudem fanden dieselben rigiden Regeln der Selbstkontrolle s o w i e der externen Kontrolle durch Obrigkeiten auch in der Kirche, insbesondere den calvinistischen Landeskirchen Anwendung 5 8 . Der Erwerb wohl geordneten, selbstkontrollierten und gemäßigten Verhaltens war das vorrangige Ziel der Verhaltensreformen des 17. Jahrhunderts. Siehe dazu Heinz ANTHOLZ, Die politische Wirksamkeit des Johannes Althusius in Emden, Aurich 1955, S. 69-98; Robert VON FRIEDEBURG, Sozialdisziplinierung in England. Soziale Beziehungen auf dem Lande zwischen Reformation und „Great Rebellion". 1550-1642, in: Zeitschrift für Historische Forschung 17 (1990), S. 385-418; Ronnie Pochia HsiA, Social Discipline in the Reformation. Central Europe 1550-1750, London 1989; Heinz SCHILLING, Sündenzucht und frühneuzeitliche Sozialdisziplinierung. Die calvinistische presbyteriale Kirchenzucht in Emden vom 16. bis 19. Jahrhundert, in: Stände und Gesellschaft im alten Reich, hrsg. von Georg Schmidt, Stuttgart 1989, S. 265-302; RichardHeinrich SCHMIDT, Pazifizierung des Dorfes. Struktur und Wandel von Nachbarschaftskonflikten vor Berner Sittengerichten 1570-1800, in: Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa, hrsg. von Heinz Schilling, Berlin 1994, S. 91-128. 58
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Die Reformen wirkten über sich hinaus in das alltägliche Verhalten und änderten das Körperverhalten über längere Frist. Die Metapher der Maschine kam in Gebrauch für die Armeen und suggerierte die Notwendigkeit der genauen Koordination der Handlungen Einzelner im Verband, der als komplexes System begriffen und beschrieben werden konnte59. Anders als im 16. Jahrhundert zeigten die Kriegsbilder des 17. Jahrhunderts Fußkrieger weder mit dem Ausdruck körperlicher Kraft noch dem Willen zu schneller Bewegung. Das neue Bild der Krieger war hingegen geprägt von dem Bemühen, regelkonforme Haltungen und Bewegungen zu zeigen. Krieger wurden seit den oranischen Reformen dazu gedrillt, ihre Beine weniger weit zu grätschen, aber ihre Oberkörper aufrecht und in gerader Linie zu halten. Sie sollten still stehen und nur diejenigen Bewegungen ausführen, die ihnen anbefohlen wurden. Wenn nicht anders angewiesen, sollten sie den rechten Fuß ein wenig nach rechts vorstrecken und den linken Fuß gerade nach vorn richten60. Nur beim Chargieren mit ihren Piken und Feuern ihrer Waffen war ihnen erlaubt, die Beine breit zu grätschen, um dem Druck eines Gegners und dem Rückstoß ihrer Feuerwaffen standhalten zu können. Viele dieser Haltungen und Bewegungen hatten klar bestimmte Zwecke, die die Handhabung der Waffen, die Aufrechterhaltung von Ordnung im Verband und die Vermeidung von Verletzungen gewährleisten sollten. Die Feuerwaffen der Zeit waren kompliziert, schwierig zu handhaben und konnten bei unvorsichtigem Umgang todbringende Verletzungen ihrer Träger hervorrufen. Dennoch erstreckte sich die Reichweite der Reformen weit über diese immanenten Zwecksetzungen hinaus. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass dieselben rigiden Regeln nicht nur in Armeen, sondern auch wiederum in Kampfsportarten und im Tanz gebraucht wurden, wo sie der Vermeidung unintendierter Berührungen dienten. Im Fechten gerann die Vermeidung von Berührungen mit der Waffe zum zentralen Ziel des Sports, das von dem früheren Ziel der Vermeidung von Verletzungen völlig losgelöst wurde. Im Tanz entwickelten sich die Regeln zu einem ausgefeilten System der Berührungsvermeidung. In den Ballsälen der Höfe waren seit dem 17. Jahrhundert Zeremonienmeister zugegen, die dafür sorgten, dass keine faux pas geschahen und sich tanzende Paare nicht zu nahe kamen 61 . Ebenso wie die Fechter ihrem Sport nunmehr in geschlossenen Hallen nachgingen, erfreuten sich die Tänzer ihrer Vergnügungen hinter den Mauern der Ballsäle,
59
Belege bei Johannes KUNISCH, Das Puppenwerk der stehenden Heere, in: Zeitschrift für Historische Forschung 17 (1990), S. 49-84. Zur Verbreitung des Systembegriffs siehe Bartholomäus KECKERMANN, Systema systematum, Hanau 1613. 60 Siehe beispielsweise WALLHAUSEN, Kriegskunst zu Fuß (wie Anm. 52), S. 34-35, Abb. 1 25. 61 Johann KHEVENHÜLLER-METSCH, Theater, Feste und Feiern zur Zeit Maria Theresias, 1741-1776, hrsg. von Elisabeth Grossegger, Wien 1987, S. 62-63, 156-157.
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und Krieger wurden als Soldaten ihrer Landesherren hinter Kasernenmauern gedrillt. Die Parallelität der Regeln für militärischen Drill, Fechten und Tanzen setzte sich im 18. Jahrhundert fort. Dieses Jahrhundert bezeugte die größte Dichte und Detailliertheit einschlägiger Verhaltensregeln. Fechter und Tänzer unterzogen sich ihnen freiwillig, während Soldaten ihnen unterworfen wurden. Einige, vielleicht viele Soldaten suchten sich dem Drill durch Desertion zu entziehen62. Aber die Mehrzahl, unter ihnen einige, die gewaltsam in den Kriegsdienst gepresst worden waren, fanden sich nicht nur mit dem Drill ab, sondern hatten sogar Spaß; so viel Spaß immerhin, dass der eine oder andere auch in der knapp bemessenen Freizeit freiwillig exerzierte63. Das führte dazu, dass die gemeinen Leute in den Armeen die militärischen Haltungen und Bewegungen nicht nur lernten, sondern langsam akzeptierten. Obschon die Feuerwaffen allmählich leichter zu tragen und einfacher zu handhaben waren, wurden die Regeln für Haltungen und Bewegungen aus dem 17. Jahrhundert weitergeführt und sogar zunehmend genauer gestaltet. Neuerungen gab es darüber hinaus nur insoweit, als sie waffentechnisch bedingt waren. So zog die Einführung des Steinschlosses eine Reihe neuer Ladebewegungen nach sich. Kommandeure und Landesherren legten überdies eine Freude an der differenzierten Ausgestaltung verbal formulierter Regeln für Stellungen ohne Gewehr an den Tag, die in den Exerzierreglements des 18. Jahrhunderts erstmalig aufschienen. Demnach waren die Soldaten dazu angehalten, ihre Beine leicht zu grätschen und ihre Füße nach außen zu stellen. Diese Grundstellung sollte in allen Teilen des Exerziervorgangs, das heißt auch beim Feuern, beibehalten werden. Solange die Soldaten in Garnison blieben, waren sie keine einfachen Bauern, sondern uniformierte Leute des Landesherren und der Kontrolle des Landadels entzogen. Als Leute des Landesherren sollten die Soldaten die buckligen Haltungen der Bauern ablegen und sich an die gerade Körperhaltung der Krieger gewöhnen. Zugleich sollten sie das Räsonnieren der Bauern unterlassen. Die Soldaten sollten somit zierlich werden in dem Sinn, dass sie regelkonformes Verhalten an den Tag legten. Die Zierlichkeit gab dem im 18. Jahrhundert populärsten Hoftanz sogar den Namen. Denn das Grundwort für den Tanznamen Menuett bedeutete nichts anderes als Zierlichkeit. Entsprechend lehrte der Leipziger Tanzmeister Gottfried Taubert, die Tänzer und Tänzerinnen sollten „gut die Füße auswärts setzen", denn diese Bewegungsweise „verkürtzet die Schritte als weil sie in einem 62
Michael SlKORA, Disziplin und Desertion, Berlin 1996; DERS., Verzweiflung oder „Leichtsinn"? Militärstand und Desertion im 18. Jahrhundert, in: Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Bernhard R. Kroener und Ralf Pröve, Paderborn 1996, S. 237-264. 63 Ulrich BRÄKER, Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg [1789], cap. 46, hrsg. von Samuel Viellmy, Basel 1945 [Nachdruck neu hrsg. von Claudia Holliger-Wiesmann [u. a.], München 2000, S. 443].
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Zimmer nach Proportion des Ortes etwas weniger als auf dem Lande von einem Post-Läuffer formiert werden müssen"64. Zierlichkeit deutete auf das Wohlgeordnetsein höfischer Räume und die Angemessenheit der Bewegungen der Höflinge (Abb. 10). Ebenso verbreiteten sich die Regeln für das Fechten und das Tanzen in die oberen Schichten der städtischen Bevölkerungen, wo sie jedoch im 18. Jahrhundert nicht zum Alltag gehörten, sondern nur bei besonderen Anlässen praktiziert wurden.
Abb. 10: Soldaten Rezanovs in Japan (um 1804). Universität Tokyo, Historiographisches Amt
Ausblick: Dynamisierung und Universalisierung der Körperhaltung an der Wende zum 19. Jahrhundert Obschon sich an der Unzufriedenheit wenig änderte, mit bäuerliche Gruppen auf Diskriminierungen seitens des gibt es wenig Anhalt dafür, dass vor den 1770er Jahren nach Berufs- und Geburtsständen als Grundsatz sozialer
der bürgerliche und Adels reagierten65, die Differenzierung Ordnung und Maß-
So schon bei WALLHAUSEN, Kriegskunst zu Fuß (wie Anm. 52), S. 28, 36 u. ö. Reglement fflr die Königlich Preußische Infanterie, Berlin 1743, §11/2,7. GRIMM, Deutsches Wörterbuch, s. v. Zierlichkeit. Für die preußische Zeit siehe Hans BLECKWENN, Bauernfreiheit durch Wehrpflicht - ein neues Bild der altpreußischen Armee, in: Die Bewaffnung und Ausrüstung der Armee Friedrichs des Großen, Rastatt 1986, S. 1-14; TAUBERT, Tanzmeister (wie Anm. 55), S. 411-413. 64
Siehe dazu Andreas WÜRGLER, Unruhen und Öffentlichkeit. Städtische und ländliche Protestbewegungen im 18. Jahrhundert, Tübingen 1995. 65
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gäbe der Bestimmung adäquaten Verhaltens in Frage gestellt wurde. Erst gegen Ende des Jahrhunderts mehrten sich Stellungnahmen, die die mangelnde Durchlässigkeit der sozialen Ordnung beklagten und Änderungen forderten. Eines der frühesten Zeugnisse besteht in der Popularisierung eines Ländlers im gehobenen städtischen Bürgertum. Dieser ungeregelte Bauerntanz fand seither unter jüngeren Bewohnern von Städten Zuspruch, die gegen die Regeln des Menuetts revoltierten. Dieser als Walzer benannte Tanz erfuhr seine erste literarische Beschreibung im Frühwerk Johann Wolfgang von Goethes, der Walzertanzen als Möglichkeit pries, abwechselnd schnelle und langsame Bewegungen auszuführen, die die Emotionen der Tanzpaare eher auszudrücken in der Lage schienen als die steifen Haltungen des Menuetts66. Schnell erwarb diese Revolution eine politische Dimension. Ihre Anhänger begannen damit, die Abschaffung der Stände zu fordern und anstelle der tradierten Privilegien eine Meritokratie zu setzen. Militärische Reformer traten zur selben Zeit mit der Forderung auf den Plan, die rigiden Regeln des Exerzierens zur ersetzen durch Maßnahmen, die geeignet sein sollten, die Soldaten direkt auf Kampfeinsätze vorzubereiten67. Armeen sollten überdies nicht mehr gesonderte Einrichtungen sein, die hinter den Mauern von Kasernen und weit draußen im Feld ihren Dienst taten. Die neue Forderung war, dass die Soldaten Bürger in Uniform sein sollten. Die nicht in Kraft gesetzte französische Verfassung von 1793 setzte die für diese Vorstellung maßgebliche Norm, indem sie die Pflicht zum Exerzieren für alle männlichen Angehörigen der Nation vorschrieb. In derselben Zeit verbreitete sich das militärische Exerzieren in der allgemeinen Schulerziehung. Beispielsweise hielt in seiner Dessauer Erziehungsanstalt Johann Bernhard Basedow schon in den 1770-Jahren „Marschieren, Exerzieren, Schwenken und Evolutionen zu Fuß und zu Pferd" für unerlässlich zur körperlichen Ertüchtigung seiner Zöglinge. Im sächsischen Schnepfenthal ging es in den 1790er Jahren genauer zu. Dort prägte Johann Friedrich Christoph GutsMuths, der für die ,Leibesübungen' zuständig war, seinen Zöglingen zur „Gewöhnung zu pünktlicher Subordination" die folgenden Kommandos ein: „Den Kopf gerade, die Schultern zurück", „den Bauch einzogen", „die Knie gerade", „die Absätze direkt an einander und gerade" und „Spitzen der Füße auswärts"68.
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Johann Wolfgang VON GOETHE, Die Leiden des jungen Werther, Erstes Buch, 16. Juni 1771, in: Goethes Werke, Bd. 4, Frankfurt 1965, S. 23. 67 So als einer der ersten Jacques Antoine Hippolyte DE GUIBERT, Essai geniral de tacttique, London 1772, S. 53-55, 58, 73-77. Ihm folgend David DUNDAS, Principles of Military Mouvements, London 1788, S. 41. 68 Les constitutions de la France, hrsg. von Jacques Leon Godechot, Paris 1970, S. 90; BASEDOW, Elementarwerk (wie Anm. 55), Bd. 1, S. 36; Johann Friedrich Christoph GUTSMUTHS, Gymnastik fllr die Jugend, Schnepfenthal 1793 [Neudruck der 2. Aufl., hrsg. von H. Groll, Frankfurt 1970, S. 208-223].
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Auch wenn die französische Verfassungsnorm niemals gültig wurde und keine Nachfolge fand, gab die Französische Revolution von 1789 doch die Basis ab fllr die Forderung, dass das Körperverhalten Regeln nach Maßgabe des militärischen Drills unterworfen sein wollte, die für Nationen als ganze gültig sein sollten. So machte sich seit der Wende zum 19. Jahrhundert im deutschen Sprachraum insbesondere die Turnerbewegung die Forderung nach Nationalisierung des Körperverhaltens zueigen. Sie übernahm aus dem militärischen Drill des Ancien Regime insbesondere die gerade Haltung des Oberkörpers in vertikaler Linie und die moderate Grätschstellung. Demnach sollten die Turner im Stehen diese militärische Haltung einnehmen. Das ausdrückliche Ziel der Turnbewegung war die Errichtung einer Nation, deren Angehörige ihre Gesinnung nach außen sichtbar machen sollten69. Konsequenterweise forderten die Turner, dass Sportplätze nicht nur unter freiem Himmel, sondern offen und für alle sichtbar angelegt werden sollten70. Militärische Organisatoren zogen nach und ließen immer wieder Exerzierübungen auf öffentlichen Plätzen vollziehen. Dadurch wurden militärische Haltungen und Bewegungen nunmehr als Normen allgemeinen Verhaltens in der Nation neu definiert und somit als universalisierbare Regeln verstanden. Militärisches Stehen konnte Eingang in den staatlich kontrollierten Schulunterricht finden und so zur gesellschaftlichen Norm erweitert werden. Erst nachdem diese Universalisierung des Körperverhaltens in den Nationen Europas Platz gegriffen hatte, konnten dagegen Turner wie Karl Gaulhofer seit den 1920er Jahren unter Rückgriff auf neue Bewegungsformen des seit Beginn des 20. Jahrhunderts neu gestalteten Btihnentanzes opponieren.
Summary The history of behaviour in Europe since the late Middle Ages has featured various successive patterns of bodily comportments that followed different types of moral norms. Whereas these norms have been disseminated through mainly state-controlled schooling systems since the turn of the nineteenth century and have been universalistically applied within the existing European nation-states, they had been characteristic of particularistic professional and 69
Ernst Moritz ARNDT, Germanien und Europa [1803], hrsg. von Ernst Anrieh, Germanien und Europa, Stuttgart/Berlin 1940, S. 138, 196, 259; Johann Gottlieb FICHTE, Reden an die Deutsche Nation [1807/08], hrsg. von Immanuel Hermann Fichte, Berlin 1846, S. 2 6 4 279; Friedrich Ludwig JAHN/Ernst EISELEN, Die deutsche Tumkunst, Berlin 1816. 70 Siehe dazu Henning EICHBERG, The Enclosure of the Body. The Historical Relativity of „Health", „Nature" and the Environment of Sport, in: DERS., Body Cultures. Essays on Sport, Space and Identity, hrsg. von John Bale und Chris Philo, London/New York 1998, S. 47-67.
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social groups between the late Middle Ages and the late eighteenth century. Thus the historiography of European behaviour has the task of determining the factors of the universalisation of particularistic behavioural norms. There is no scarcity of mainly pictorial sources that can be joined with normative written sources in revealing patterns of bodily comportments in the military, martial arts, other sports and dancing. The article traces the history of standing and other bodily comportments from the fifteenth to the early nineteenth century. It focuses on the dissemination of the specific standing norm that prescribed the straddling of the feet, with toes pointing to the outside. It seeks to demonstrate that this standing norm originated in various late medieval groups of professionals, among them fencers and wrestlers, and in the aristocracy, with the latter featuring the additional requirement that its members should bear their bodies in a straight and upright manner. Regularised drill was the major venue for imposing this particularistic behavioural norm upon the common soldiers serving in eighteenth-century armies, thereby boosting its universalisation.
Revolution als europäisches Ereignis. Revolutionsrezeption und Europakonzeptionen im Gefolge der Julirevolution von 1830* Von
Julia A. Schmidt-Funke 1. Revolution als europäisches Ereignis? Es steht außer Frage, dass die nationsiibergreifenden Krisen des 20. Jahrhunderts die Entstehung von Europakonzeptionen maßgeblich beeinflussten und die Dynamik des bis heute andauernden europäischen Einigungsprozesses wesentlich bestimmten1. Für diesen Zeitraum erscheint daher auch Hartmut Kaelbles Feststellung zutreffend, dass das Nachdenken über Europa zumeist eine Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Modernisierung des Kontinents war, „mit ihren positiven, das Leben verbessernden Folgen ebenso wie mit ihren krisenhaften Auswirkungen"2. Bisher kaum untersucht ist allerdings, ob diese Einschätzungen auch für das ausgehende 18. und die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts gelten können. Als Geschehnisse von vergleichbarer Reichweite kommen hier die revolutionären Umwälzungen seit 1789 in Betracht. Waren sie, so ist mithin zu fragen, in ähnlicher Weise europäische Ereignisse wie die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts?3
* Ich danke Prof. Dr. Heinz Duchhardt und dem Institut fflr Europäische Geschichte in Mainz sowie Prof. Dr. Werner Paravicini und dem Deutschen Historischen Institut in Paris für die Förderung meiner Forschungen. 1 Vgl. Heinz DUCHHARDT, Im Vorfeld der ersten europäischen Katastrophe. Zur deutschen Europapublizistik vor dem Ersten Weltkrieg, in: Vision Europa. Deutsche und polnische Föderationspläne des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, hrsg. von Heinz Duchhardt und Malgorzata Morawiec, Mainz 2003, S. 56-63, hier: S. 56; Hartmut KAELBLE, Europäer über Europa. Die Entstehung des europäischen Selbstverständnisses im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2001, S. 13. 2 KAELBLE, Europäer über Europa (wie Anm. 1), S. 11. 3 Zu Begriff und medialer Konstruktion von Ereignissen vgl. Andreas SUTER/Manfred HETTLING, Struktur und Ereignis - Wege zu einer Sozialgeschichte des Ereignisses, in: Struktur und Ereignis, hrsg. von dens., Göttingen 2001, S. 7-32, hier: S. 24-25; Jörg REQUATE/Martin SCHULZE WESSEL, Europäische Öffentlichkeit: Realität und Imagination einer appellativen Instanz, in: Europäische Öffentlichkeit. Transnationale Kommunikation seit dem 18. Jahrhundert, hrsg. von dens., Frankfurt a. M./New York 2002, S. 11-39, hier: S. 16-17; Ziele und Programm des Graduiertenkollegs „Transnationale Medienereignisse von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart", URL: http://www.uni-giessen.de/gkmedienereignisse/pdf/fopro2.pdf (9.10.2008).
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Als europäische Ereignisse sollen hier Geschehnisse begriffen werden, die auf einer ersten Ebene zur Entstehung oder Konsolidierung eines den Kontinent umspannenden Kommunikations-, Erinnerungs- und Handlungsraums beitrugen. Dort, wo diese Staaten- oder nationenübergreifenden Verflechtungen als europäisch wahrgenommen und bezeichnet wurden, konnten sie auf einer zweiten Ebene ein Europabewusstsein hervorbringen oder verstärken. Dies wiederum beförderte drittens die Besinnung auf tradierte oder die Formulierung neuer Europakonzeptionen, unter denen hier keinesfalls nur visionäre Einigungspläne verstanden werden sollen, sondern auch eher pragmatische politische Ordnungsvorstellungen. Inwieweit die Revolutionen seit 1789 solchermaßen als europäische Ereignisse aufgefasst werden können, ist bisher erst in Ansätzen erforscht. Martin Göhring interpretierte sie zwar schon 1955 als „Etappen europäischen Zusammenschlusses"4, skizzierte die Entwicklung jedoch nur mit wenigen Worten und blieb eine tiefergehende Untersuchung schuldig. Mehr als einen Hinweis vermochte auch Heinz Gollwitzer in seiner wegweisenden Studie Europabild und Europagedanke nicht zu geben. Obwohl er die Revolution des Jahres 1848 als einen Brennspiegel begriff, in dem sich die Europakonzeptionen der vorangegangenen Jahrzehnte gesammelt hätten5, konnte er diese Beobachtung nicht so recht mit dem vorherrschenden Geschichtsbild in Einklang bringen. Sein Befund schien ihm „zunächst überraschend", weil er die Märzrevolution als ein in erster Linie „nationales, innenpolitisches Geschehen", als „ein Ringen um Einheit und Freiheit" verstand6. Der lang anhaltenden Gültigkeit dieses Deutungsmusters entsprechend rückte der europäische Charakter der Revolutionen erst wieder ins Blickfeld der Forschung, als die Französische Revolution7 und in noch stärkerem Maß die 1848/49er Revolutionen anlässlich ihrer Jubiläen 1989 und 1998 eine paradigmatische Umdeutung als Geschehnisse von gesamteuropäischer Bedeutung erfuhren 8 . Da unterdessen auch die Forschungen zum Europabe4
Martin GÖHRING, Europäische Revolutionen als Etappen europäischen Zusammenschlusses, in: Europa - Erbe und Aufgabe. Internationaler Gelehrtenkongreß Mainz 1955, hrsg. von dems., Wiesbaden 1956, S. 161-171. 5 Vgl. Heinz GOLLWITZER, Europabild und Europagedanke. Beiträge zur deutschen Geistesgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, München 1951, 2 1964, S. 323-324. 6 Ebd., S. 323. 7 Vgl. zusammenfassend Hartmut KAELBLE, Wege zur Demokratie. Von der Französischen Revolution zur Europäischen Union, Stuttgart/München 2001, S. 21-32; Rolf E. REICHARDT, Das Blut der Freiheit. Französische Revolution und demokratische Kultur, Frankflirt a. Μ. 1998, S. 257-334. 8 Vgl. Fabrice BENSIMON, Les Britanniques face ä la revolution fran^aise de 1848, Paris 2000; Manfred BOTZENHART, 1848/49 - Europa im Umbruch, Paderborn [u. a.] 1998, bes. S. 17-51; Europa 1848. Revolution und Reform, hrsg. von Dieter Dowe [u. a.], Bonn 1998; Dieter HEIN, Die Revolution von 1848/49 als europäisches Ereignis, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 1 (2000), S. 159-178; KAELBLE, Wege (wie Anm. 7), S. 33^18; 1848 -
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w u s s t s e i n konzeptionell und m e t h o d i s c h erweitert w o r d e n waren 9 , konnte Dieter L a n g e w i e s c h e nun darstellen, w i e 1 8 4 8 zur Entstehung e i n e s „europäischen K o m m u n i k a t i o n s - und Erfahrungsraums" 1 0 beitrug. A l s Faktoren und Kriterien e i n e s europäischen B e w u s s t s e i n s benannte er die Intensität der g e g e n s e i t i g e n W a h r n e h m u n g , die w e c h s e l s e i t i g e n Lernprozesse und d i e Internationalität d e s revolutionären b e z i e h u n g s w e i s e gegenrevolutionären Lagers 1 1 . D i e Ende der 1990er Jahre b e g o n n e n e intensivere Erforschung der Europapublizistik bestätigte dann den s c h o n v o n G o l l w i t z e r beobachteten relativen H ö h e p u n k t der A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit Europa zur Zeit der R e v o lution v o n 1 8 4 8 1 2 . Z u g l e i c h wurde aber deutlich, dass dieser Höhepunkt a u c h als Endpunkt einer in der ersten Jahrhunderthälfte intensiv geführten Europadebatte z u gelten hat 1 3 , die nach der Jahrhundertmitte v o n nationalistischen Diskursen überlagert w u r d e und daher z u n e h m e n d „aus der Erinnerung des 19. Jahrhunderts" 1 4 verschwand. D i e s e z u 1 8 4 8 / 4 9 verstreut v o r l i e g e n d e n Ergebnisse m a c h e n e i n e n Z u s a m m e n h a n g v o n R e v o l u t i o n und Europäisierung wahrscheinlich, der hier Α European Revolution? International Ideas and National Memories of 1848, hrsg. von Axel Körner, Basingstoke 2000; Demokratiebewegung und Revolution 1847 bis 1849. Internationale Aspekte und europäische Verbindungen, hrsg. von Dieter Langewiesche, Karlsruhe 1998; Revolution in Deutschland und Europa 1848/49, hrsg. von Wolfgang Hardtwig, Göttingen 1998; Wolfgang J. MOMMSEN, 1848 - Die ungewollte Revolution. Die revolutionären Bewegungen in Europa 1830-1848, Frankfurt a. M. 1998; Ulrike RUTTMANN, Wunschbild Schreckbild - Trugbild. Rezeption und Instrumentalisierung Frankreichs in der deutschen Revolution von 1848/49, Stuttgart 2001; Ulrich SIEG, Die Revolution von 1848 als europäisches Ereignis, in: Nation und Europa. Studien zum internationalen Staatensystem im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von Gabriele Clemens, Stuttgart 2001, S. 35-49; Jonathan SPERBER, The European Revolutions, 1848-1851, Cambridge 1994. 9 Vgl. Hartmut KAELBLE, Europabewusstsein, Gesellschaft und Geschichte. Forschungsstand und Forschungschancen, in: Europa im Blick der Historiker. Europäische Integration im 20. Jahrhundert: Bewusstsein und Institutionen 1995, hrsg. von Rainer Hudemann, München 1995, S. 1-29. 10 Dieter LANGEWIESCHE, Vorwort, in: Demokratiebewegung und Revolution 1847 bis 1849. Internationale Aspekte und europäische Verbindungen, hrsg. von Dieter Langewiesche, Karlsruhe 1998, S. 7-10, hier: S. 7. 11 Vgl. ebd. 12 Vgl. Heinz DUCHHARDT, Der deutsche Europa-Diskurs des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in: Option Europa. Deutsche, polnische und ungarische Europapläne des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. von Wlodzimierz Borodziej [u. a.], 3 Bde., Göttingen 2005, Bd. 1, S. 15-42, hier: S. 26. 13 Vgl. Thomas BRENDEL, Zukunft Europa? Das Europabild und die Idee der internationalen Solidarität bei den deutschen Liberalen und Demokraten im Vormärz (1815-1848), Bochum 2005; Thomas BRENDEL, Das Europabild und die Idee der internationalen Solidarität bei den deutschen Liberalen und Demokraten im Vormärz (1815-1848), in: EuropaBilder, hrsg. von Vrääth Öhner [u. a.], Wien 2005, S. 55-69; Claude D. CONTER, Jenseits der Nation - Das vergessene Europa des 19. Jahrhunderts. Die Geschichte der Inszenierungen und Visionen Europas in Literatur, Geschichte und Politik, Bielefeld 2004; ferner DUCHHARDT, Europa-Diskurs (wie Anm. 12), S. 26. 14 CONTER, Jenseits der Nation (wie Anm. 13), S. 676.
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anhand der in der Forschung weitaus weniger prominenten Revolutionen von 1830/31 näher untersucht werden soll. Die revolutionären Umwälzungen dieser Jahre haben, anders als 1789 und 1848/49, noch keine auf Europa bezogene Neuinterpretation erfahren. Ihre generell geringere Beachtung ist im Wesentlichen darauf zurückzufahren, dass sie sowohl in nationalstaatlicher als auch in transnationaler Perspektive weithin nur als transitorisches Phänomen zwischen den großen Revolutionen von 1789 und 1848 verstanden wurden. Die Frage, wie revolutionär die Revolutionen der Jahre 1830/31 eigentlich gewesen seien, stand daher lange Zeit im Mittelpunkt. Der 150. Jahrestag im Jahr 1980 löste nicht annähernd eine solch rege Forschungstätigkeit aus wie der 1989 gefeierte Bicentenaire oder das 1998 begangene Jubiläum der 1848er Revolution. Erschwerend kam hinzu, dass der ,Eiserne Vorhang' den internationalen Wissenschaftsaustausch 1980 noch stärker behinderte als zum Zeitpunkt des Bicentenaire, der bereits im Zeichen des politischen Umbruchs stand15. Kaum rezipiert wurden deshalb die Ergebnisse einer internationalen Forschergruppe, die sich 1980 auf dem Bukarester Historikertag formierte. Da der geplante Aufsatzband nicht erschien, ging von den daraufhin an verstreuten Orten publizierten Vorträgen der Arbeitsgruppe kein Impuls aus16. Die Aufspaltung in zwei getrennte Wissenschaftskulturen hatte zudem zur Folge, dass auch jene vergleichenden Studien zum Revolutionsjahr 1830 weitgehend unberücksichtigt blieben, die in den 1970er Jahren von italie-
15 Hans-Henning Hahn wurde beispielsweise im November 1980 die Einreise nach Polen verweigert, so dass er seinen Vortrag zum Novemberaufstand auf dem Warschauer Jubiläumskolloquium von polnischen Kollegen verlesen lassen musste. Vgl. Hans-Henning HAHN, Der polnische Novemberaufstand von 1830 angesichts des zeitgenössischen Völkerrechts, in: Historische Zeitschrift 235 (1982), S. 85-119, hier. S. 85. 16 Nach Wolf D. GRUNER, Großbritannien und die Julirevolution von 1830: Zwischen Legitimitätsprinzip und nationalem Interesse, in: Francia 9 (1981), S. 369-409, hier: S. 369-370, war es geplant, die Ergebnisse der Arbeitsgruppe zu 1830 in einem vierten Band der Kongressberichte zu publizieren, der jedoch nicht erschien. Lediglich kürzere Stellungnahmen wurden im zweiten Band der Berichte veröffentlicht, vgl. Stefan KiENffiWlCZ, 1830: Rivolution et reformes en Europe, in: Rapports du XVе Congrds international des sciences historiques, Bd. 2: Chronologie, Bucure$ti 1980, S. 453-462. Aufschluss über die in der Arbeitsgruppe gehaltenen Vorträge gibt das publizierte Programm, vgl. Actes du XVе Congrös des Sciences Historiques, Bd. IV (2), Bukarest 1982, S. 1296-1297. Danach wurde die Arbeitsgruppe von David H. Pinkney (USA) und Clive H. Church (Großbritannien) geleitet. Zu ihren Mitgliedern zählten unter anderem Edgar Leon Newmann aus den USA, John Gilissen und Eis Witte aus Belgien, Maurice Agulhon und Jacques Droz aus Frankreich, Wladyslaw Zajewski und Stefan Kieniewicz aus Polen. Aus der Bundesrepublik nahmen neben Gruner auch Hans-Henning Hahn und Peter Burg teil, aus der DDR der Historiker Harald Müller. Zu den verstreut publizierten Vorträgen vgl. neben Gruner auch AGULHON, 1830 dans l'histoire du XIX' me si6cle iran^ais, in: Romantisme. Revue du dixneuvidme siöcle 28/29 (1980), S. 15-27; Stefan KIENIEWICZ, Die Polenbegeisterung in Westeuropa, in: Die Herausforderung des europäischen Staatensystems. Nationale Ideologie und staatliches Interesse zwischen Restauration und Imperialismus, hrsg. von Adolf M. Birke und Günther Heydemann, Göttingen/Zürich 1989, S. 61-75.
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nischen Historikern marxistischer Prägung sowie in den 1980er Jahren von der DDR-Geschichtswissenschaft erarbeitet wurden17. Sie gerieten infolge des politischen Umbruchs von 1989 nahezu in Vergessenheit18. Dass den Revolutionen der Jahre 1830/31 auch noch in jüngster Zeit ein geringerer Stellenwert zugesprochen wird, war nicht zuletzt am Ausbleiben erinnerungskultureller Großereignisse und international beachteter Tagungen zum 175. Jahrestag der Revolution im Jahre 2005 abzulesen. Es trifft daher noch immer zu, von den „forgotten Revolutions"19 zu sprechen, wie es einer der wenigen Kenner der Materie, der englische Historiker Clive H. Church, tat. Seine 1983 erschienene Studie muss weiterhin als beste Zusammenfassung gelten, da es bis heute an einer fundierten übergreifenden Darstellung, gleichsam an einem Standardwerk der 1830/31er Revolutionen in Europa, fehlt20. Deshalb ist im Folgenden auf einen knappen ereignisgeschichtlichen Überblick (2) nicht zu verzichten. Der sich darin in seinen Konturen bereits abzeichnende staatenübergreifende Kommunikations-, Erinnerungs- und Handlungsraum wird dann in einem zweiten Schritt weiter ausgeleuchtet, um zu zeigen, inwieweit die Verflechtungen des Kontinents erfahren werden konnten (3). Der darauffolgende Abschnitt widmet sich den auf diese Erfahrungen bezogenen überstaatlichen Ordnungsvorstellungen der politisch Agierenden (4). Abschließend wird, um die vorangegangenen Überlegungen zusammenzufassen, nochmals die Frage aufgeworfen, inwieweit 1830/31 als ein europäisches Ereignis interpretiert werden kann (5). 17
Vgl. Alessandro GALANTE GARRONE, La rivoluzione di Luglio E l'Europa (1830-1831), Torino 1978; Simonetta SOLDANI, II 1830 in Europa: Dinamica e articolazioni di una crisi generale, in: Studi Storici. Rivista trimestrale (Istituto Gramsci) 13 (1972), S. 34-92, 338— 372; Die Französische Julirevolution von 1830 und Europa, hrsg. von Manfred Kossok und Werner Loch, Berlin (Ost) 1985. 18 Vgl. Rainer PAETAU, 1830 als Zäsur in der europäischen und deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts in der DDR-Historiographie. Zum Wandel einer ideologischen Geschichtslehre, in: Historische Zeitschrift 256 (1993), S. 323-352. 19 Clive H. CHURCH, Europe in 1830. Revolution and political change, London 1983, S. 1. 20 Eine gute Synthese bei Hedwig HEROLD-SCHMIDT, Deutschland und Europa in der Deutschen Tribüne - Zentrale Themen und Hintergründe, in: Deutsche Tribüne (18311832), hrsg. von J[ohann] G[eorg] A[ugust] Wirth, neu hrsg. von Wolfram Siemann und Christof Müller-Wirth, Bd. 2: Darstellung, Kommentar, Glossar, Register, Dokumente, München 2007, S. 103-152. Jüngere Handbuchdarstellungen zur europäischen Geschichte bieten dagegen nur einen kursorischen Überblick, vgl. Winfried BAUMGART, Europäisches Konzert und nationale Bewegung. Internationale Beziehungen 1830-1878, Paderborn 1999; Hartwig BRANDT, Europa 1815-1850. Reaktion - Konstitution - Revolution, Stuttgart 2002; Axel KÖRNER, Die Julirevolution von 1830: Frankreich und Europa, in: Große Revolutionen in der Geschichte. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart, hrsg. von Peter Wende, München 2000, S. 138-157; Dieter LANGEWIESCHE, Europa zwischen Restauration und Revolution 1815-1849, München "2004, S. 156-162; Martyn LYONS, PostRevolutionary Europe, 1815-1856, Basingstoke 2006; MOMMSEN, 1848 (wie Anm. 8), S. 42-67. Bereits seit längerem angekündigt ist der von Wolfgang von Hippel bearbeitete Teilband des von Peter Blickte herausgegebenen Handbuchs der Geschichte Europas.
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Jahrbuch für Europäische Geschichte 10 (2009) 2. Die Revolutionen der Jahre 1830/31 in Europa
Die Welle revolutionärer Proteste nahm ihren Ausgang in Paris. Nachdem Karl X. aus dem Haus der 1814 restituierten Bourbonen am 25. Juli 1830 in drei Ordonnanzen die in der 1814 oktroyierten Charte constitutionnelle festgeschriebenen Freiheitsrechte erheblich eingeschränkt hatte, gelang es der Pariser Bevölkerung während der Trois Glorieuses vom 27. bis 29. Juli, die Kontrolle über die Stadt zu gewinnen. Karl X. musste die Bildung einer liberalen Übergangsregierung akzeptieren, die den aus einer Nebenlinie des Hauses Bourbon stammenden Louis-Philippe, Herzog von Orleans, zum Generalstatthalter erklärte. Obwohl Karl X. am 2. August zugunsten seines Enkels Heinrich (V.), Herzog von Bordeaux, abdankte, entschieden die Kammern bereits am 8. August, Louis-Philippe die Krone anzutragen. Er wurde am 15. August 1830 zum König der Franzosen erhoben. Unter dem roi citoyen begann eine von Reformen, aber auch von politischen Lagerkämpfen geprägte Zeit des Juste-Milieu, in der sich die wechselnden Regierungen gegen Opponenten aus dem napoleonischen, republikanischen und royalistischen Lager behaupten mussten21. Die anhaltende Unruhe kam in zahlreichen Aufständen und Attentaten zum Ausdruck, die nicht nur immer wieder die Hauptstadt, sondern auch die Städte der Provinz erschütterten: Zu nennen sind unter anderem die Anschläge auf den König und Barrikadenkämpfe anlässlich des Begräbnisses des Generals Lamarque in Paris, die sogenannten Kanutenaufstände in Lyon, Zusammenstöße zwischen Bevölkerung und Militär in Grenoble, die royalistische Kundgebung in Saint-Germain-FAuxerrois und die darauffolgenden Ausschreitungen der Bevölkerung am 13. Februar 1831 sowie der Zug der Herzogin von Berry in der Provence und der Vendie22. Während sich die neue Regierung in Paris unmittelbar nach der Julirevolution um eine Beruhigung der innen- und außenpolitischen Lage bemühte, griff die Revolutionswelle am 25. August 1830 auf Belgien über23. Nachdem 21
Einen deutschsprachigen Überblick bieten u. a. Michael ERBE, Geschichte Frankreichs von der Großen Revolution bis zur Dritten Republik, Stuttgart [u. a.] 1982, S. 124-131; Heinz-Otto SLEBURG, Geschichte Frankreichs, Stuttgart [u.a.] 1989, S. 279-297; Jean TULARD, Frankreich im Zeitalter der Revolutionen 1789-1851, Stuttgart 1989, S. 344-370. Die letzte französische Neuerscheinung zum Jubiläumsjahr 2005 ist eher populärwissenschaftlichen Charakters: Michel Bernard CARTRON, Juillet 1830. La deuxifeme r6volution franfaise, Clamecy 2005. 22 Vgl. Werner GIESSELMANN, „Die Manie der Revolte". Protest unter der Französischen Julimonarchie (1830-1848), Bd. 1, München 1993, S. 309-473; Jeremy D. POPKIN, Press, Revolution, and Social Identities in France, 1830-1835, University Park (PA) 2002. 23 Zur belgischen Revolution vgl. Numero special/Themanummer „1830", Revue beige d'histoire contemporaine/Belgisch tijdschrift voor nieuwste geschiedenis 12 (1981), H. 3; Henri PlRENNE, Histoire de Belgique. Des origines ä nos jours, Bd. 3: De la fin du regime espagnol ä la Evolution beige, Bruxelles 1950, S. 479-530; Bd. 4: De la Evolution de
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es schon tags zuvor anlässlich des Geburtstags des niederländischen Königs Wilhelm I. zu Unruhen gekommen war, gab nun die Aufführung der 1828 in Paris uraufgeflihrten Oper La Muette de Portici, in der sich die Neapolitaner gegen die spanische Herrschaft wenden, Anlass zu Ausschreitungen gegen die Obrigkeit. Diese mündeten in einen Kampf um staatliche Autonomie, der die Herauslösung Belgiens aus dem seit 1815 bestehenden Vereinigten Königreich der Niederlande zum Ziel hatte. Wilhelm I. reagierte mit militärischen Mitteln, doch nachdem die Aufständischen Brüssel gegen die vom Kronprinzen Friedrich von Oranien geführten niederländischen Truppen verteidigen konnten, bildeten sie am 26. September 1830 eine provisorische Regierung, welche am 4. Oktober die belgische Unabhängigkeit erklärte. Die am 3. November gewählte Nationalversammlung proklamierte die konstitutionelle Monarchie als neue Regierungsform und entschied sich zugleich für den Ausschluss des Hauses Nassau-Oranien von der Königswürde. Die weiteren Etappen der Staatsgründung erfolgten dank der in London zusammengetretenen Konferenz der europäischen Großmächte schnell: Ein im November 1830 ausgehandelter Waffenstillstand ermöglichte die Übereinkunft über die Loslösung Belgiens von den Niederlanden, über die Grenzen des neuen Staates und über die Person des zukünftigen Monarchen, wenngleich viele Einzelfragen erst auf einer zweiten Londoner Konferenz in den Jahren 1838 bis 1839 gelöst werden konnten24. Seit dem 20. Januar 1831 war Belgien von den europäischen Großmächten de facto anerkannt, obwohl sich die Ratifizierung der am 14. Oktober 1831 beschlossenen 24 Artikel25 durch Preußen, Österreich und Russland verzögerte und sich Wilhelm I. einigen der Bestimmungen, wie der Räumung der Festung Antwerpen, noch widersetzte. Die neue belgische Verfassung, die als liberalste Europas gelten konnte, wurde am 7. Februar 1831 in Kraft gesetzt, und am 4. Juni 1831 wurde Leopold von Sachsen-Coburg-Gotha zum König der Belgier gekrönt. Unterdessen hatte die Revolutionswelle im September 1830 auch die Staaten des Deutschen Bundes erreicht26. Hier kam es im Verlauf der ersten Sep1830 ä la fin de la premidre guerre mondiale, Bruxelles 1952, S. 9-34; Eis WITTE, De constructie van Belgig: 1828-1847, Leuven 2006. 24 Zur belgischen Frage vgl. Wolfgang HEUSER, Kein Krieg in Europa. Die Rolle Preußens im Kreis der europäischen Mächte bei der Entstehung des belgischen Staates (1830-1839), Pfaffenweiler 1992; Horst LADEMACHER, Frankreich, Preußen und die belgische Frage in der Juli-Monarchie, in: Aspects des relations franco-allemandes 1830-1848, hrsg. von Raymond Poidevin und Heinz-Otto Sieburg, Metz 1978, S. 47-62; Hermann VON DER DUNK, Der deutsche Vormärz und Belgien 1830/48, Wiesbaden 1966, S. 78-108. 25 Vgl. Articles pour servir ä la separation de la Belgique d'avec la Hollande, in: British and Foreign State Papers, London 1833, S. 894-900. 26 Einen der ausfuhrlichsten Überblicke über die Reformbewegungen in den einzelnen deutschen Staaten bietet noch immer Ernst Rudolf HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 2: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850, Stuttgart 3 1988, S. 31-184.
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temberhälfte in Braunschweig27, Kurhessen28 und Sachsen29 zu Aufständen in den Residenzstädten, die Abdankungen der regierenden Fürsten und konstitutionelle Reformen nach sich zogen. Doch auch in Hessen-Darmstadt, in Hannover30, dem Königreich Bayern mit seinen pfälzischen Landesteilen31, dem preußischen Rheinland32, in Berlin und Wien33 kam es zu Unruhen, in denen sich soziale Proteste34 mit konstitutionellen Zielen und zollpolitischen 27
Vgl. Hans-Gerhard HUSUNG, Protest und Repression im Vormärz. Norddeutschland zwischen Restauration und Revolution, Göttingen 1983. 28 Vgl. Akten und Briefe aus den Anfängen der kurhessischen Verfassungszeit 1830-1837, hrsg. von Hellmut Seier, Marburg 1992; Horst DLPPEL, Die kurhessische Verfassung von 1831 im internationalen Vergleich, in: Historische Zeitschrift 282 (2006), S. 619-644; Ewald GROTHE, Verfassungsgebung und Verfassungskonflikt. Das Kurfürstentum Hessen in der ersten Ära Hassenpflug 1830-1837, Berlin 1996. 29 Vgl. neben Rudolf MUHS, Zwischen Staatsreform und politischem Protest. Liberalismus in Sachsen zur Zeit des Hambacher Festes, in: Liberalismus in der Gesellschaft des deutschen Vormärz, hrsg. von Wolfgang Schieder, Göttingen 1983, S. 194-238, auch die Forschungen der sächsischen Landesgeschichte, u. a. Karlheinz BLASCHKE, Die Sächsische Verfassung von 1831 als Epochengrenze, in: Sächsische Heimatblätter 37 (1991), S. 306-310; Michael HAMMER, Volksbewegung und Obrigkeiten. Revolution in Sachsen 1830/31, Weimar [u. a.] 1997; Hartmut Ζ WAHR, Bourgeoisie und Proletariat am Beginn der bürgerlichen Umwälzung in Sachsen. Die Septemberereignisse von 1830 und die Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 25 (1977), S. 656-675; DERS., Revolutionen in Sachsen. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte, Köln/Weimar/Wien 1996. 30 Vgl. HUSUNG, Protest und Repression (wie Anm. 27). 31 Vgl. Hans FENSKE, Politischer und sozialer Protest in SUddeutschland nach 1830, in: Demokratische und soziale Protestbewegungen in Mitteleuropa 1815-1848/49, hrsg. von Helmut Reinalter, Frankfurt a. M. 1986, S. 143-201; Eva Alexandra MAYRING, Bayern nach der französischen Julirevolution. Unruhen, Opposition und antirevolutionäre Regierungspolitik 1830-33, München 1990. 32 Vgl. Beate ALTHAMMER, Herrschaft, Fürsorge, Protest. Eliten und Unterschichten in den Textilgewerbestädten Aachen und Barcelona, 1830-1870, Bonn 2002; Michael MÜLLER, Die preußische Rheinprovinz unter dem Einfluß von Julirevolution und Hambacher Fest 1830-1834, in: Jahrbuch ftlr westdeutsche Landesgeschichte 6 (1980), S. 271-290; Klaus RIES, Die preußischen Saarkreise im Umfeld von Julirevolution und Hambacher Fest, in: Das ganze Deutschland sollt es sein. Politische Kultur in St. Wendel und der Saarregion 1830-1850, hrsg. von Gerhard Heckmann [u.a.], St. Wendel 1992, S. 9-50; Heinrich VOLKMANN, Wirtschaftlicher Strukturwandel und sozialer Konflikt in der Frühindustrialisierung. Eine Fallstudie zum Aachener Aufruhr von 1830, in: Soziologie und Sozialgeschichte. Aspekte und Probleme, hrsg. von Peter Christian Ludz, Köln 1972, S. 550-565; Eberhard KLIEWER, Die Julirevolution und das Rheinland, Köln 1963. 33 Vgl. Helmut BLEIBER, Auswirkungen der Julirevolution auf die Entwicklung der antifeudalen Oppositionsbewegung in Preußen und Österreich, in: Die französische Julirevolution (wie Anm. 17), S. 177-181; DERS., Die Unruhen in Wien im August 1830, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 22 (1974), S. 722-729. 34 Die bundesdeutsche Protestforschung der 1970er und 1980er Jahre hat mehrere, zum Teil mit einiger Verzögerung publizierte Regionalstudien hervorgebracht. Neben der bereits zu den einzelnen deutschen Staaten angeführten Literatur vgl. Arno HERZIG, Unterschichtenproteste in Deutschland 1790-1870, Göttingen 1988. Als Ersatz für die unpublizierte und schwer zugängliche Habilitationsschrift Heinrich Volkmanns (Die Krise von 1830. Form, Ursache und Funktion des sozialen Protestes im deutschen Vormärz, Habil.
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Forderungen35 verbanden. Noch bis in die Mitte der 1830er Jahre prägten Auseinandersetzungen zwischen Regierungen und Volksvertretern das politische Leben in den alten und neuen Verfassungsstaaten des Deutschen Bundes36. Die Gründung des Preß- und Vaterlandsvereins im Januar 1832, das Hambacher Fest vom Mai 1832, die Sechs Artikel vom Juni 1832, der Frankfurter Wachensturm vom April 1833, die Einrichtung der Zentraluntersuchungsbehörde im Juni 1833 und der Erlass eines geheimen repressiven Maßnahmenkatalogs in den 60 Artikeln des Wiener Schlussprotokolls von 1834 markierten nur die Höhepunkte einer von politischem Aufbegehren und dessen Niederschlagung geprägten Entwicklung37. Im Osten Europas hatte am 29. November 1830 ein von polnischen Offizieren ausgeführtes Attentat auf den russischen Gouverneur, Großfiirst Konstantin, das Königreich Polen, das sogenannte Kongresspolen, erschüttert. Das Attentat schlug zwar fehl, doch floh Konstantin am 13. Dezember aus Warschau. Unter der mittlerweile errichteten Diktatur des gemäßigten Generals CWopicki wurde zunächst auf dem Verhandlungsweg versucht, Zugeständnisse vom Zaren zu erlangen. Dessen Unnachgiebigkeit diskreditierte jedoch Chlopickis Politik und führte zu einer Radikalisierung, in deren Rahmen der Sejm am 18. Dezember 1830 den Aufstand als nationalen Befreiungskampf legitimierte und am 25. Januar 1831 Zar Nikolaus als Träger der polnischen Krone für abgesetzt erklärte. Chlopicki war schon am 17. Januar von seinem Amt zurückgetreten; zum polnischen Präsidenten wurde am 30. Januar Czartoryski gewählt. Der aus dem Aufstand hervorgegangene Krieg, der mit dem Überschreiten der östlichen Grenzen durch russische Truppen am 7. Februar 1831 begann, zog sich bis in den Frühherbst 1831 hin und endete mit der russischen Einnahme Warschaus in einer vollständigen Niederlage der Polen38. FU Berlin 1975) vgl. Heinrich VOLKMANN, Kategorien sozialen Protestes im Vormärz, in: Geschichte und Gesellschaft 3 (1977), S. 164-189; DERS., Protestträger und Protestformen in den Unruhen von 1830 bis 1832, in: Sozialer Protest. Studien zu traditioneller Resistenz und kollektiver Gewalt in Deutschland vom Vormärz bis zur Reichsgründung, hrsg. von dems. und Jürgen Bermann, Opladen 1984, S. 56-75; DERS., Soziale Innovation und Systemstabilität am Beispiel der Krise von 1830-1832 in Deutschland, in: Soziale Innovation und sozialer Konflikt, hrsg. von Otto Neuloh, Göttingen 1977, S. 41-68. 35 Zum Einfluss der zollpolitischen Entwicklungen vgl. zusammenfassend Hans-Werner HAHN, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984, S. 58-68. 36 Vgl. Johannes HAERING, Württemberg unter dem Einfluß der Julirevolution. Mitgeteilt von Hermann Haering, in: Zeitschrift fllr Württembergische Landesgeschichte 1 (1937), S. 446-454. 37 Vgl. neben HUBER, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 26) jetzt auch Jürgen MÜLLER, Der Deutsche Bund 1815-1866, München 2006, S. 12-23; Ralf ZERBACK (Bearb.), Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes. Abt. 2: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes 1830-1848, Bd. 1: Reformpläne und Repressionspolitik 1830-1834, München 2003. 38 Vgl. Robert Frank LESLIE, Polish Politics and the Revolution of November 1830, London 1956. An neuerer polnischsprachiger Literatur, auf die mich freundlicherweise Malgorzata
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Bereits im Herbst 1830 hatten sich auch in zahlreichen Kantonen der Schweiz die Forderungen nach liberalen Verfassungen und politischer Partizipation verschärft. Sie mündeten in - wie in Liestal im Kanton Basel am 18. Januar 1831 teils gewalttätige - Auseinandersetzungen. In der sogenannten Regeneration zogen sie nicht nur eine Reform des politischen Lebens nach sich, sondern hatten auch einen tiefen Riss zwischen liberalen und konservativen Kantonen zur Folge, der erst durch den Sonderbundskrieg von 1847 beseitigt wurde39. Jenseits der Alpen kam es Anfang Februar 1831 in den norditalienischen Herzogtümern Parma und Modena sowie im Kirchenstaat zu Aufständen. Provisorische Regierungen wurden am 5. Februar im päpstlichen Bologna, am 9. Februar in Modena und am 15. Februar in Parma gebildet. Doch schon im März 1831 fand die Bewegung durch den Einmarsch österreichischer Truppen ein Ende40. Auch auf der iberischen Halbinsel, insbesondere in Andalusien, war die Lage gespannt, wenngleich dort kleinere Aufstände niedergeschlagen wurden41. Die schweren Unruhen in England und Irland, die Großbritannien um das Jahr 1830 in einer charakteristischen Mischung aus agrarischem und industriellem Sozialprotest und politischen Partizipationsforderungen erschütterten, mündeten zwar nicht in eine Revolution, setzten aber Reformen in Gang, als deren Prunkstück 1832 die Wahlrechtsänderung des Reform Act durchgesetzt wurde42. Morawiec hingewiesen hat, vgl. Malgorzata KARPINSKA, »Nie ma Mikotaja!« Starania О ksztah sejmu w powstaniu listopadowym 1830-1831 [Der Nikolai ist weg! Bemühungen um den Sejm im Novemberaufstand], Warszawa 2007; Stefan KIENIEWICZ [u. a.], Trzy powstania narodowe: kosciuszkowskie, listopadowe, styczniowe [Drei Nationalaufstände: der Koäciuszko-, der November- und der Januaraufstand], Warszawa 2006; Tomasz STRZE2EK, Kawaleria Krölestwa Polskiego w powstaniu listopadowym. Mobilizacja i podstawy funkcjonowania w wojnie [Die Kavalerie des Königreichs Polen im Novemberaufstand. Die Mobilisierung und Kriegseinsatz], Olsztyn 2006. 39 Vgl. Peter FEDDERSEN, Geschichte der Schweizerischen Regeneration von 1830 bis 1848. Nach den besten Quellen bearbeitet, Zürich 1867; Eduard HIS, Die Bedeutung der schweizerischen Regeneration von 1830/31, in: Zeitschrift fiir Schweizerische Geschichte 11 (1931), S. 73-96; Alfred KÖLZ, Neuere schweizerische Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Ihre Grundlinien vom Ende der Alten Eidgenossenschaft bis 1848, Bern 1992, S. 209-408. 40 Neben den älteren, zum hundertjährigen Jubiläum der Revolution entstandenen Lokalstudien vgl. zusammenfassend Giorgio CANDELORO, Storia dell'Italia modema. Bd. 2: Dalla Restaurazione alla Rivoluzione nazionale, Milano 21981, S. 159-193; Dietmar STÜBLER, Die französische Revolution von 1830 und Italien, in: Die Französische Julirevolution (wie Anm. 17), S. 161-174. 41 Vgl. Alberto GIL Nov ALES, Repercusiones espanolas de la Revolucion de 1830, in: Die Französische Julirevolution (wie Anm. 17), S. 117-148. 42 Vgl. Ricardo BAVAJ, Reform statt Revolution: England im Zeichen der Wahlrechtsreform des 19. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 278 (2004), S. 683-709; Nancy D. LOPATIN, Political Unions. Popular Politics and the Great Reform Act of 1832, Basingstoke 1999; Edward ROYLE, Revolutionary Britannia? Reflections on the Thread of Revo-
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3. Europa erfahren Die Kunde von den drei Ordonnanzen Karls X. und wenig später die Meldungen über die Pariser Revolution durchquerten Europa innerhalb weniger Wochen 43 . Die Londoner Times berichtete schon seit dem 28. Juli über die Geschehnisse jenseits des Ärmelkanals44. Am 3. August brachte sie einen ausführlichen, aus französischen Blättern kompilierten Artikel45 und würdigte in einem Kommentar das entschiedene, aber dennoch besonnene Verhalten „of the French people", das zu Recht von „every noble mind in Europe" gewürdigt werde46. In der Cottaschen Allgemeinen Zeitung, der führenden deutschsprachigen Zeitung47, war erstmals am 1. August über die Ordonnanzen zu lesen. Ein Schreiben aus Paris vom 26. Juli kommentierte deren Tragweite: „Wer hätte es glauben sollen, wer könnte ohne innige Wehmuth, ohne tiefe Bekümmerniß es aussprechen: Frankreichs Geschik ist abermals in Frage gestellt, und aufs Neue dröhnt der Abgrund [...]"48. Die gleiche Ausgabe brachte in einer außerordentlichen Beilage auch eine Übersetzung der Ordonnanzen49. Am 3. August zitierte die Allgemeine Zeitung aus Handelsstafetten, die von Gefechten und der Versammlung der Nationalgarde unter Führung Lafayettes berichteten50, am 4. August war erstmals von der provisorischen Regierung zu lesen sowie von der „in Paris ausgebrochenen Revolution"51. Umfassend informiert wurden die Leser der Allgemeinen Zeitung
lution in Britain, 1789-1848, Manchester 2000; Georg RUDE, Warum gab es in den Jahren 1830 oder 1848 in England keine Revolution?, in: Die europäischen Revolutionen von 1848, hrsg. von Horst Stuke und Wilfried Forstmann, Königstein/Taunus 1979, S. 30-45. 43 Vgl. Volkmar EICHSTÄDT, Die deutsche Publizistik von 1830. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der konstitutionellen und nationalen Tendenzen, Berlin 1933; Olga V. ORLIK, La Revolution fran^aise de 1830 dans la presse russe, in: Revue d'histoire moderne et contemporaine 16 (1969), S. 401—413; Donall 0 LUANAIGH, Contemporary Irish Comments Concerning the Revolution of July 1830 in France, in: Eire-Ireland 22 (1987), H. 2, S. 96-115. 44 Vgl. Express From Paris, in: The Times, 28.7.1830, S. 2. 45 Vgl. France, in: The Times, 3.8.1830, S. 1-2. 46 Of the vast events which have taken place in France in less than a week, in: The Times, 3.08.1830, S. 2. 47 Zur Paris-Berichterstattung der Allgemeinen Zeitung um 1830 vgl. Rutger BOOSS, Ansichten der Revolution. Paris-Berichte deutscher Schriftsteller nach der Juli-Revolution 1830: Heine, Börne u.a., Köln 1977, S. 72-96; Die Augsburger Allgemeine Zeitung' 1798-1866. Nach dem Redaktionsexemplar im Cotta-Archiv (Stiftung ,Stuttgarter Zeitung'). Register der Beiträger/Mitteiler, Teil 1: 1798-1832, bearb. von Bernhard Fischer, München 2003. 48 Paris, 26 Jul., in: Allgemeine Zeitung, Nr. 213, 1.8.1830, S. 851-852, hier: S. 852. 49 Vgl. Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Nr. 97, 1.8.1830, S. 385-388. 50 Vgl. Frankreich, in: Allgemeine Zeitung, Nr. 215, 3.8.1830, S. 857. 51 Von der französischen Gränze, 31 Jul., in: Allgemeine Zeitung, Nr. 216, 4.8.1830, S. 863.
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aber erst am 6. August 1830, nachdem die Redaktion „endlich Pariser Briefe und liberale Zeitungen"52 erhalten hatte. Die Pariser Nachrichten erreichten einen Großteil der europäischen Eliten in den Kommunikationszentren der internationalen Bade- und Kurorte: Der Freiherr vom Stein etwa erhielt erste Informationen aus Ems 53 , und der französische Gesandte in Kurhessen, Sabatier de Cabre, hörte während eines Besuchs der Bäder in Wiesbaden von den Pariser Geschehnissen 54 . Heinrich Heine hielt sich zur Kur auf Helgoland auf, wo er um den 6. August von den Juliereignissen erfuhr, die unter den Badegästen auf der Insel und in Cuxhaven große Aufregung verursachten55. Den bayerischen König schreckten die Meldungen aus Paris am 3. August in den Bädern von Brückenau auf 56 . Den König von Preußen erreichte die Nachricht im böhmischen Töplitz57, den russischen Außenminister Nesselrode im benachbarten Karlsbad58, während Metternich und Gentz auf dem nahegelegenen Sommersitz Metternichs in Königswart von der Julirevolution unterrichtet wurden. Stafetten brachten Metternich und Gentz bereits am 31. Juli den Moniteur vom 26. Juli. Am 2. und 3. August liefen weitere Nachrichten ein, und schon am 4. August bestand Gewissheit über den Sieg der Pariser Revolutionäre59. Die intensive Lektüre der neuesten französischen Journale brachte dem Kreis um Metternich in den Folgetagen weiteren Aufschluss über die Ereignisse60.
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Frankreich, in: Allgemeine Zeitung, Nr. 218, 6.8.1830, S. 869. Vgl. Julia A. SCHMIDT-FUNKE, Stein und die Julirevolution, in: Stein. Die späten Jahre des preußischen Reformers 1815-1831, hrsg. von Heinz Duchhardt, Göttingen 2007, S. 147-168, hier: S. 147. 54 Vgl. Klaus MALETTKE, Zur Reaktion deutscher Mittel- und Kleinstaaten auf die Pariser Julirevolution (1830). Ein unveröffentlichter Bericht des französischen Gesandten in Kassel vom 13. August 1830, in: Staat, Gesellschaft, Wissenschaft. Beiträge zur modernen hessischen Geschichte, hrsg. von Winfried Speitkamp, Marburg 1994, S. 43-51, hier: S. 51. 55 Vgl. Heinrich HEINE, Ludwig Börne. Eine Denkschrift, in: DERS., Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, hrsg. von Manfred Windfuhr, Bd. 11: Ludwig Börne. Eine Denkschrift und Kleinere politische Schriften, bearb. von Helmut Koopmann, Hamburg 1978, S. 9-132, hier: S. 48-55. Bei diesen von Heine 1840 im Rahmen seiner BömeSchrift veröffentlichten Briefen aus dem Jahr 1830 handelt es sich freilich um literarische Texte, die keineswegs frei von Stilisierungen sind. Vgl. ferner Wulf WÜLFING, Junges Deutschland. Texte, Kontexte, Abbildungen, Kommentar, München 1978, S. 108. 56 Vgl. Legationssekretär Reinhard an Außenminister Jourdan, Frankfurt, 13.8.1830, Archives du ministöre des Affaires 6trang6res, Paris (im Folgenden AMAE), Corr. pol. Allemagne, 773, f. 228-235, hier: 231 -232'. 57 Vgl. ebd. 58 Vgl. Metternich an Kaiser Franz (Vortrag), Königswart, 31.7.1830, in: Aus Metternich's nachgelassenen Papieren, hrsg. von Fürst Richard Metternich-Winneburg, Bd. 5, Wien 1882, S. 9-12. 59 Vgl. Tagebücher von Friedrich Gentz (1829-1831), hrsg. von August Fournier und Arnold Winkler, Zürich [u. a.] 1920, S. 192-195. 60 Vgl. ebd., S. 196-197. 53
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Im thüringischen Weimar trafen erste Nachrichten am 3. August 1830 ein; zwei Tage später bestand Klarheit über den Sturz Karls X. 61 . Unter der Wiener Bevölkerung waren die Ereignisse ebenfalls um den 5. August bekannt62. St. Petersburg erreichte die Nachricht von der Pariser Revolution am 11. August und rief vornehmlich im Kreis der sich dort aufhaltenden Franzosen große Aufregung hervor. Als sie am 19. August durch die vom Zaren gelenkte Presse offiziell bekannt gemacht wurde, hatte sie sich bereits bis in die Provinzstädte verbreitet63. In Kiew kam die Nachricht von der Revolution laut dem Bericht eines französischen Veteranen dagegen erst am 20. August an, erregte dort aber „surtout dans la classe la plus 61evee de la sociötö"64 erhebliches Aufsehen. Abseits der Badeorte und Hauptstädte erfuhr die Mehrzahl der Europäer vermutlich auf ähnlichem Weg von den Pariser Ereignissen wie Johann Georg August Wirth in Bayreuth. Seinen Erinnerungen zufolge hörte er erst vergleichsweise spät, nämlich in den ersten Augusttagen, dank durchgehender Handelsstafetten von den Einschränkungen der Freiheitsrechte durch Karl X.65. Die daraufhin zusammengeströmten Neugierigen konnten aber bald darauf aus den von der Gesellschaft Ressource abonnierten Tageszeitungen entnehmen, dass Karl X. gestürzt worden war. Die deutschen Blätter brachten Auszüge aus den französischen Zeitungen, und es wurde laut vorgelesen, was sich ereignet hatte66. In den Wochen und Monaten nach den Trois Glorieuses wurden die Zeitungsmeldungen von Augenzeugenberichten in monographischer Form ergänzt, die zunächst auf Französisch erschienen und bald darauf in viele europäische Sprachen übersetzt wurden67. Ins Bild gesetzt wurden die Nachrich61
Vgl. Goethes Werke, Abt. 3: Goethes Tagebücher, Bd. 12: 1820-1830, Weimar 1901, S. 282-285. 62 Vgl. Franz GRILLPARZER, Tagebücher und literarische Skizzenhefte, Bd. 3: Von August 1830 bis Anfang 1836, Wien 1916, Nr. 1826, S. 3-5, hier: S. 3^t. 63 Vgl. ORUK, Revolution frangaise (wie Anm. 43), S. 401-402. 64 Victor CANCE, Notes sur mon sejour en Russie et sur mon retour actuel en France, Paris, 8.12.1830, Service Historique de ГАппбе de Terre, Vincennes (im Folgenden: SHAT), E.5.134, o. Zähl. 65 Vgl. Johann Georg August WLRTH, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, Bd. 1, Emmishofen 1844, S. 99-100. Das von Wirth angegebene Datum ist widersprüchlich, da er von Sonntag, 3. August, spricht. Der 3. August war jedoch ein Dienstag, so dass Wirth möglicherweise den 1. August meint. 66 Vgl. ebd., S. 103. Vgl. dazu Michail KRAUSNICK, Johann Georg August Wirth. Vorkämpfer für Einheit, Recht und Freiheit. Eine Biographie, Weinheim/Berlin 1997, S. 38-41. 67 Vgl. beispielsweise Compendio storico della rivoluzione di Parigi awenuta negli Ultimi di luglio 1830 compilato da un italiano testimonio oculare, [Lugano] 1830; Ristretto storico dei memorabili awenimenti occorsi in Parigi nell'ultima settimana di luglio 1830. Traduzione dal francese, [Lugano] 1830; Brief account of the French Revolution of 1830, comprehending every occurrence worthy of record, which transpired at Paris during the memorable days of July 27, 28, & 29 [...], Glasgow 1830; Events in Paris, as they occurred from the 26th, 27th, 28th, and 29th of July, 1830. By an eye witness, with authentic documents, London 1830;
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ten zudem von dem zeittypischen Medium des Bilderbogens. Finnen w i e das für den europäischen Markt produzierende 6 8 Verlagshaus Pellerin in Epinal oder die eher auf den deutschsprachigen Raum ausgerichteten Unternehmen Campe in Nürnberg oder Kühn in Neuruppin produzierten solche Blätter um 1830 in hohen Auflagen; die jährliche Gesamtproduktion dieser Verlage ging in die Hunderttausende 6 9 . Im Medium des Aktualitätenbogens 7 0 , das g e m e s sen an volkstümlicheren Motiven allerdings nur einen verhältnismäßig kleinen Abnehmerkreis erreichte, wurde die Verflechtung der europäischen Ereignisse besonders eindrücklich dargestellt 71 : Ein in Nürnberg gedrucktes Blatt stellte „Die denkwürdigsten Tage des Jahres 1830" dar, indem es S z e nen aus Paris, Brüssel, Leipzig, Dresden, Braunschweig, Hanau, Antwerpen und Warschau zeigte 7 2 . D i e Intensität und Geschwindigkeit des europäischen Nachrichtentransfers lassen keinen Zweifel daran, dass die Julirevolution und ihre Folgen ein transnationales Medienereignis darstellten 73 . „Die Nachricht von diesen ErFull annals of the revolution in France, 1830. [...] By William Hone. Illustrated with engravings, London/Glasgow/Dublin 1830; Drie dagen. Staatkundig, krijgskundig en anekdotisch verhaal der omwenteling op den 27, 28 en 29 julij 1830, te Parijs voorgevallen. Door een ooggetuige, korporaal bij de nationale garde, naar het Fransch, Utrecht 1830; Den store Uge i Paris i Aaret 1830 eller den i de sidste Juli Dage udbrudte franske Revolution og dens naermeste Felger, beskreven efter engelske og franske Kilder, og ledsaget af et Kaart over Paris, ved F.J.C. von Gomez, Kebenhavn 1831; Ausführlicher Bericht eines Augenzeugen Uber die letzten Auftritte der französischen Revolution während der zwei Wochen vom 26 Julius bis zum 9 August 1830. Von J.H. Schnitzler, Stuttgart/Tübingen 1830; Die Ereignisse zu Paris am 26, 27, 28 und 29 Juli 1830 von Augenzeugen. Aus dem Französischen übersetzt [...], Karlsruhe 1830; Ereignisse zu Paris am 26, 27, 28 und 29 Juli 1830 von mehrem Augenzeugen. Aus dem Französischen, Darmstadt 1830; Die Ereignisse in Paris vom 26,27, 28 und 29 Juli und deren Folgen, Aachen/Leipzig 1830; Die Begebenheiten der Revolution in Paris an den Tagen des 26 bis 31 Juli 1830. Aus dem Französischen nach Mignet und Thiers, Stuttgart 1830; Geschichte der zweiten französischen Revolution im Jahre 1830. Aus dem Französischen, Quedlinburg 1830. 68 Etwa für das spanische Publikum. Vgl. Las Tres Grandes Jomadas de Paris 27, 28 у 29 De Julio de 1830. La Parisienne, Holzschnitt, Epinal: Pellerin, 32,2 χ 53,8 cm, Mus6e Camavalet, Grand Carton. Hist. XV. 69 Vgl. Werner FAULSTICH, Medienwandel im Industrie- und Massenzeitalter (1830— 1900), Göttingen 2004, S. 116. 70 Vgl. ebd., S. 111. 71 Die Bestände der Sammlung Historische Blätter in der Graphischen Sammlung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg vermitteln einen Eindruck von der deutschen Bildpublizistik. Zahlreiche Bilderbögen von Pellerin aus den Beständen des Μ usee Camavalet sind abgedruckt in: Juillet 1830. II у a cent cinquante ans, hrsg. von Marie-Jeanne Archaix [u. a.], Paris 1980. 72 Die denkwürdigsten Tage des Jahres 1830. In 12 Tableaux, Nürnberg: Johann Andreas Endter, 1830/1831. Colorierter Kupferstich, 41,7 χ 32,5 cm, GNM Nürnberg, Graphische Sammlung, Inv. Nr. HB 25192 Kapsel 1329a. Vgl. SolidarnoSc. Niemcy i Polacy po Powstaniu Listopadowym = Polenbegeisterung. Polen und Deutsche nach dem Novemberaufstand 1830, hrsg. von Daniela Galas, Warszawa 2005, S. 75. 73 Zum Begriff vgl. Ziele und Programme des Graduiertenkollegs (wie Anm. 3).
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eignissen durchlief Europa mit reißender Schnelligkeit"74, kommentierten etwa Rottecks Allgemeine Politische Annalen einige Wochen nach den Trois Glorieuses das Geschehen. Die Bedeutung, die den Ereignissen überall zugemessen wurde, beruhte wesentlich auf den Krisen-, Umbruchs- und Kriegserfahrungen, welche die Menschen in Europa seit 1789 gemacht hatten: Die Erinnerung an die erste französische Revolution war überall präsent, zumal das letzte Aufbäumen der napoleonischen Herrschaft und die umfassende Neuordnung der europäischen Staatenwelt auf dem Wiener Kongress gerade einmal anderthalb Jahrzehnte zurücklagen. Angesichts der Pariser Geschehnisse konnten daher weder die Regierungen noch die politisierte Öffentlichkeit noch die Masse der Bevölkerung gleichgültig bleiben. Die Trois Glorieuses erschienen als Wiederkehr der Revolution von 178975, so dass viele Europäer selbstverständlich davon ausgingen, dass die Unruhen im entfernten Paris Auswirkungen auf ihren Alltag haben würden. Im Guten wie im Schlechten, innerhalb und außerhalb Frankreichs wurde die französische Nation als Impulsgeber Europas verstanden, als ein Staat, „dessen Schicksale so tief in das europäische Leben eingreifen" 76 . „En effet, tout се qui se fait en France est un 6v6nement еигорёеп"77, hieß es bereits am 4. August 1830 im liberalen Journal des debats, und im Februar 1831 kommentierte der konservative Courrier de l'Europe: „C'est une destinöe de la France de ne pouvoir faire chez eile aucun changement qui n'aille ä l'instant т ё т е porter des changements semblables au bout du monde" 78 . Spätestens als sich mit dem belgischen Aufstand die Revolution von West nach Ost auszubreiten begann, verstärkte sich das Gefühl, in einer Art Schicksalsgemeinschaft miteinander verbunden zu sein. Es manifestierte sich insbesondere in der Kriegsfurcht, die ihren Höhepunkt in der ersten Hälfte des Jahres 1831 erreichte79 und bis zum Jahresende 1832 immer wieder aufflammte 80 . 74
Politische Literatur, in: Allgemeine Politische Annalen, NF 3 (1830), S. 272-310, hier: S. 307. Vgl. u. a. Georg Heinrich PERTZ, Das Leben des Ministers Freiherrn vom Stein, Bd. 6.2 (1829-1831), Berlin 1855, S. 955-956; Prinz Wilhelm an Charlotte, Den Haag, 3.12.1830, in: Prinz Wilhelm von Preußen an Charlotte. Briefe 1817-1860, hrsg. von Karl-Heinz Börner, Berlin 1993, Nr. 101, S. 145. 76 Metternich an Franz I., 3.8.1830, in: Aus Metternich's nachgelassenen Papieren (wie Anm. 58), S. 15-16, hier: S. 15. 77 Ohne Titel, in: Journal des debats, 4.08.1830, S. 1. 78 Situation de l'Europe, in: Courrier de l'Europe, Nr. 2, 2.2.1831, S. 1. 79 Vgl. beispielsweise Friedrich Landolin Karl Freiherr von Blittersdorff an Großherzog Leopold von Baden, Frankfurt a. M., 22.2.1831, in: ZERBACK, Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes (wie Anm. 37), Nr. 2, S. 17-20, hier: S. 17. 80 Vgl. Robert D. BILLINGER jr., The War Scare of 1831 and Prussian-South German Plans for the End of Austrian Dominance in Germany, in: Central European Studies 9 (1976), S. 203-219; Gustav HUBER, Kriegsgefahr über Europa (1830-1832). Im Urteil der Zeit und 100 Jahre später, Berlin 1936; MALETTKE, Zur Reaktion (wie Anm. 54), S. 43-51. 75
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So herrschte bereits unmittelbar nach den Trois Glorieuses die Furcht vor einem erneuten Krieg infolge eines Eingreifens der Großmächte: „Mögen sich die messieurs übrigens zerfleischen: wenn der Himmel uns nur den Frieden erhält!", kommentierte schon am 31. Juli der preußische Landrat in Saarbrücken die Pariser Geschehnisse81. Von der Stimmung im Deutschen Bund berichtete auch der französische Gesandte de Cabre, der nach Erhalt der Pariser Nachrichten umgehend seine Badekur in Wiesbaden abgebrochen und sich zurück nach Kassel begeben hatte. Dabei hatte sich die Gelegenheit ergeben, in den durchreisten Gebieten Informationen über die Reaktion auf die Pariser Revolution zu sammeln: Lediglich die preußische Garnison in Mainz habe sich kampfeslustig gezeigt, die österreichische Besatzung sei weitaus zurückhaltender aufgetreten, und insgesamt würden es die „petits Princes d'Allemagne" 82 begrüßen, wenn der Frieden aufrecht erhalten werden könne, da sie unabhängig vom Ausgang eines Krieges unter den Kampfhandlungen zu leiden hätten83. Im Juli 1831 nahm der preußische Hofprediger Franz Theremin die herrschende Kriegsfurcht zum Anlass für eine Predigt über den Frieden, in der er sich ausdrücklich auf die politische Situation in Europa bezog: „Durchlauft mit Euern Blicken den Welttheil, den wir bewohnen, betrachtet ein Land nach dem andern: wenige beglückte Länder, und vor allem das unsere, ausgenommen - wo findet Ihr Frieden, auch nur äußeren Frieden? Er hat aufgehört seit jener großen Erschütterung der menschlichen Verhältnisse, die vor nun bald einem Jahre begann, und die noch stets in ihren Wirkungen fortdauern. [...] Auch die Waffen werden geschwungen, und der Krieg, dessen Schrecknisse so lange geruht hatten, fängt wieder an, einzelne Länder mit seinen blutigen Spuren zu bezeichnen" 84 .
Erfahrbar wurde die Verflechtung des Kontinents nach der Julirevolution auch durch den Anstieg der politisch motivierten Emigrationen. Neben den USA 85 nahmen Frankreich, Belgien, die Schweiz und England eine große Zahl von Exulanten aus dem deutschsprachigen Raum, aus Polen, Spanien, Portugal und Italien auf, die in ihrer Heimat gegen die bestehenden Regierungsverhältnisse vorgegangen waren. Von den 211 seit 1831 aus dem Deutschen Bund Geflohenen, die nach dem Frankfurter Wachensturm von der Bundes-Central-Behörde in Frankfurt am Main verfolgt wurden, siedelten über 40 Prozent zunächst in die Schweiz über, ein Teil davon wanderte später 81
Zitiert nach: KUEWER, Rheinland (wie Anm. 32), S. 18. MALETTKE, Zur Reaktion (wie Anm. 54), S. 51. 83 Eine ähnliche Einschätzung auch bei Legationssekretär Reinhard an Außenminister Jourdan, Frankfurt, 13.8.1830, AMAE, Corr. pol. Allemagne, 773, f. 228-235. 84 Franz THEREMIN, Zeugnisse von Christo in einer bewegten Zeit. Predigten in 1830, 1831 und 1832 gehalten, Berlin 1832, S. 118-119. 85 Vgl. Ulrich KLEMKE, Die deutsche politische Emigration nach Amerika 1815-1848. Biographisches Lexikon, Frankfurt a. M. [u. a.] 2007. 82
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nach Amerika aus. Etwa ein Drittel der Flüchtlinge wurde in Frankreich vermutet. 14 Prozent sollten sich in den U S A aufhalten, und nur j e w e i l s vier Personen befanden sich nach den Erkenntnissen der Behörde in Belgien bzw. England 8 6 . D i e Aufnahme der Flüchtlinge stellte ein Politikum dar, nicht nur, weil sie die Strafverfolgung durch das Heimatland verhinderte, sondern vor allem, weil sich die Exulanten zumeist weiterhin politisch engagierten, v o m grenznahen Raum in ihr Heimatland einzuwirken versuchten und sich zudem stärker untereinander vernetzten 8 7 . D i e S c h w e i z und Frankreich gerieten daher unter erheblichen außenpolitischen Druck 8 8 , in Frankreich führten die hohen Kosten s o w i e die staatliche Reglementierung des A s y l s j e d o c h auch zu innenpolitischen Debatten zwischen Regierung und Opposition 8 9 . Den größten Anteil der Flüchtlinge stellten die Polen, deren v o m
französi-
schen Staat und zahlreichen Privatinitiativen unterstützter Emigrantenzug zu einem politischen Ereignis wurde 9 0 . Den Aufzeichnungen des französischen 86
Vgl. Leopold Friedrich ILSE, Geschichte der politischen Untersuchungen, welche durch die neben der Bundesversammlung errichteten Commissionen, der Central-UntersuchungsCommission zu Mainz und der Bundes-Central-Behörde zu Frankfurt in den Jahren 1819 bis 1827 und 1833 bis 1842 geführt sind, Frankfurt a. M. 1860, Anhang Nr. 2: Tabellarisches Verzeichniß der deutschen politischen Flüchtlinge, und anderer im Auslande befindlicher Verdächtigen, sowie ergänzend BRENDEL, Zukunft Europa (wie Anm. 13), Anhang Nr. 1: Mitgliederliste Junges Deutschland. 87 Vgl. dazu beispielsweise die an den französischen Kriegsminister gesandten Berichte über die Aktivitäten der radikaldemokratischen und der royalistischen Kräfte in den Jahre 1831 bis 1842, SHAT, E.5.146. 88 Vgl. Asyl und Aufenthalt. Die Schweiz als Zuflucht und Wirkungsstätte von Slaven im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von Monika Bankowski, Basel 1994; Luzius LENHERR, Ultimatum an die Schweiz. Der politische Druck Metternichs auf die Eidgenossenschaft infolge ihrer Asylpolitik in der Regeneration (1833-1836), Bern [u.a.] 1991. 89 Vgl. die Debatten in den beiden Kammern vor Erlass der Gesetze zur Unterstützung der Flüchtlinge in Frankreich (23.12.1831), über die Residenzen der Flüchtlinge in Frankreich und zur Unterstützung der Flüchtlinge in Frankreich sowie der polnischen Emigration (21.4.1832). 90 Vgl. Dokumente zur Geschichte der deutsch-polnischen Freundschaft 1830-1832, hrsg. von Helmut Bleiber und Jan Kosim, Berlin (Ost) 1982; BRENDEL, Zukunft Europa (wie Anm. 13), S. 218-248; Gabriela BRUDZYNSKA-NEMEC, Polenvereine in Baden. Hilfeleistung süddeutscher Liberaler für die polnischen Freiheitskämpfer, Heidelberg 2006; HansHenning HAHN, Die erste „Große Emigration" der Polen, in: Sendung und Dichtung. Adam Mickiewicz in Europa, hrsg. von Zdzislaw Krasnodfbski und Stefan Garsztecki, Hamburg 2002, S. 207-227; KIENIEWICZ, Polenbegeisterung (wie Anm. 16); Eberhard KOLB, Polenbild und Polenfreundschaft der deutschen Frühliberalen. Zu Motivation und Funktion außenpolitischer Parteinahme im Vormärz, in: Saeculum 26 (1975), S. 111-127; Marek JAROSZEWSKI, Der polnische Novemberaufstand in der zeitgenössischen deutschen Literatur und Historiographie, Warszawa 1992; Polenbegeisterung. Ein Beitrag im „Deutsch-Polnischen Jahr 2005/2006" zur Wanderausstellung „Frühling im Herbst. Vom polnischen November zum deutschen Mai. Das Europa der Nationen 1830-1832", hrsg. von Wolfgang Michalka [u. a.], Berlin 2005; Edmond PRIVAT, L'insurrection polonaise de dix-huit-cent trente et ses echos ä l'occident. Lausanne 1918; Die deutsch-polnischen
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Außenministeriums zufolge wurde 1832 2.805 Spaniern, 964 Italienern, 396 Portugiesen, 4.239 Polen sowie fünf Flüchtlingen anderer Nationalität Asyl gewährt; durch die insgesamt 8.409 Personen entstanden Kosten in Höhe von 4.243.439,47 Francs. Bis zum 1. April 1833 wurden weitere 764 Spanier, 1059 Italiener, 365 Portugiesen und 4.627 Polen aufgenommen, bis zum 31. Dezember kamen nochmals 288 Spanier, 955 Italiener und 4.270 Polen dazu. Zusammen mit den zehn Flüchtlingen anderer Nationalität nahm Frankreich 1833 also 13.338 Personen auf, in den Jahren 1832 und 1833 zusammen folglich 21.74791. Es ist wohl davon auszugehen, dass in dieser Aufzählung nicht nur die männlichen Familienoberhäupter, sondern auch Frauen und Kinder berücksichtigt wurden, bemaß sich danach doch die Höhe der Unterstützungsgelder92. Eine weitaus kleinere Gruppe von Asylsuchenden waren die Angehörigen und Sympathisanten der in Frankreich gestürzten Regierung Karls X., darunter auch Kleriker wie der Bischof von Nancy, Charles Auguste Marie Joseph de Forbin-Janson, der unmittelbar nach den Juliereignissen Frankreich verließ93. Die Mehrzahl dieser Flüchtlinge ließ sich in Großbritannien und den habsburgischen Territorien nieder. Karl X. selbst bezog nach der Julirevolution das Schloss Holyrood in Schottland, das ihm auch schon früher als Zufluchtsort gedient hatte. Großbritannien erkannte seinen Titel als König jedoch nicht an, und er erwog schon im August 1830, sich auf habsburgischem Gebiet niederzulassen. Nach langwierigen Verhandlungen über seinen zukünftigen Aufenthaltsort bezog er im Oktober 1832 mit Familie und Entourage einen Flügel des Prager Hradschins, der allerdings bei Anreise der kaiserlichen Familie geräumt werden musste. Im Mai 1836 verließ er Prag endgültig, wohnte kurze Zeit auf dem niederösterreichischen Gut Kirchberg, das einer seiner Höflinge erworben hatte, entschloss sich dann aber 1836, nach Görz überzusiedeln, wo er kurz darauf an der Cholera starb94. Die Aufnahme des abgesetzten Monarchen war in politischer und diplomatischer Beziehungen 1831-1848: Vormärz und Völkerfrühling, hrsg. von Rainer Riemenschneider, Braunschweig 1979; Solidarnoäc (wie Anm. 72). 91 Vgl. Note sur les dipenses occasionnies par les Refugiös, vermutl. Ende Januar/Anfang Februar 1834, AMAE, Mimoires et Documents. Fonds France, 724, f. 343. 92 Vgl. Tarif des secours attribues aux r6fugi£s de toutes nations, Paris, 19.3.1833, AMAE, Mömoires et Documents. Fonds France, 724, f. 339. Zu der in der Forschungsliteratur üblicherweise niedriger angesetzten Anzahl der polnischen Emigranten vgl. BRENDEL, Zukunft Europa (wie Anm. 13), S. 217-218, Anm. 513; HAHN, „Große Emigration" (wie A n m . 90), S. 2 0 8 - 2 0 9 . 93
V g l . KLIEWER, R h e i n l a n d ( w i e A n m . 32), S. 19.
94
Vgl. Anton NOVOTNY, Sur le söjour de Charles X Ä Prague, in: Le Monde slave 11
( 1 9 3 4 ) , Η. 1, S. 4 0 9 - 4 1 8 ; S t ö p h a n e REZNIKOW, F r a n c o p h i l i e et identite t c h £ q u e ( 1 8 4 8 1914), P a r i s 2 0 0 2 , S. 3 2 - 3 4 ; f e m e r H a n s - U l r i c h THAMER, K a r l X., in: F r a n z ö s i s c h e K ö n i -
ge und Kaiser der Neuzeit. Von Ludwig XII. bis Napoleon III. 1498-1870, hrsg. von Peter C. Hartmann, München 1994, S. 389-401 (mit fehlerhaften Angaben über das Exil).
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Hinsicht kaum weniger heikel als die Beherbergung progressiver Exulanten. Weder die englische noch die österreichische Regierung waren erlreut über die Aussicht, Karl X. Asyl zu gewähren95, zumal dessen Schwiegertochter, die verwitwete Herzogin von Berry, weiterhin die Anerkennung ihres Sohnes Heinrich als des legitimen französischen Thronfolgers betrieb. Auch sie ließ sich, nach einem gescheiterten Umsturzversuch und der Heirat mit dem italienischen Grafen Lucchesi Palli, auf habsburgischem Gebiet nieder96. Die Emigrantenzüge trugen aber auch noch auf andere Art dazu bei, die Verflechtung des Kontinents erfahrbar zu machen. Gemeinsam mit den durch die revolutionären Erhebungen veranlassten Truppenbewegungen beförderten sie die Ausbreitung der Cholera, die den Kontinent von Ost nach West durchquerte97. In Moskau brach sie im September 1830, in Warschau im April 1831 aus. Über Polen erreichte sie im Hochsommer 1831 die Grenzen des Deutschen Bundes. Fast gleichzeitig fielen ihr im September 1831 in Wien und Berlin die ersten Menschen zum Opfer98, am 14. November erlag ihr Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Im Frühjahr 1832 erreichte die Cholera Paris, wo am 16. Mai 1832 der französische Regierungschef Casimir Pörier nach dem Besuch eines Hospitals starb. In der zeitgenössischen Wahrnehmung wurde der Seuchenzug zumindest mittelbar auf die Julirevolution zurückgeführt. Eine französische Karikatur,
95 Vgl. Geschäftsträger Vaudreuil an Außenminister Jourdan, London, 9./10.8.1830, AMAE, Corr. pol. Angleterre, Nr. 631, f. 178-182; Geschäftsträger Vaudreuil an Außenminister ΜοΙέ, London, 18.8.1830, AMAE, Corr. pol. Angleterre, 631, f. 196-198; Geschäftsträger Schwebel an Außenminister Mole, Wien, 11.10.1830, AMAE, Corr. pol. Autriche, 413, f. 6-7; Tagebücher von Friedrich Gentz (wie Anm. 59), S. 212, S. 233, S. 383. 96 Vgl. Guillaume de BERTIER DE SAUVIGNY, La conspiration des lögitimistes et de la duchesse de Berry contre Louis-Philippe 1830-1832. Correspondences et documents inödits, Paris 1950; GIESELMANN, Manie der Revolte (wie Anm. 22), S. 369-375; Hildegard KREMERS, Marie Caroline Herzogin von Berry. Neapel, Paris, Graz. Lebenswege einer Prinzessin der Romantik, Wien 2002. 97 Vgl. Patrice BOURDELAIS, Jean-Yves RAULOT, Une peur bleue. Histoire du chol6ra en France 1832-1854, Paris 1987; Olaf BRISE, Angst in den Zeiten der Cholera, 4 Bde., Berlin 2003; Barbara DETTKE, Die asiatische Hydra. Die Cholera von 1830/31 in Berlin und den preußischen Provinzen Posen, Preußen und Schlesien, Berlin 1995; Richard EVANS, Tod in Hamburg. Stadt, Gesellschaft und Politik in den Cholera-Jahren 18301910, Reinbek 1990; Catherine J. KUDLICK, Cholera in Post-Revolutionary Paris. A Cultural History, Berkeley 1996; Eugenia TOGNOTTI, II colera del 1835-37. La vulnerability delle cittä italiane, in: Storia urbana 86 (1999), S. 5-22; Michael STOLBERG, Die Cholera im Großherzogtum Toskana. Ängste, Deutungen und Reaktionen im Angesicht einer tödlichen Seuche, Landsberg am Lech 1995; Michael TOYKA-SEID, Gesundheit und Krankheit in der Stadt. Zur Entwicklung des Gesundheitswesens in Durham City 1831-1914, Göttingen 1996; Jörg VÖGELE, Sozialgeschichte einer Seuche: Die Cholera in neueren historischen Untersuchungen, in: Archiv für Sozialgeschichte 40 (2000), S. 291-294. 98 Vgl. Prinz Wilhelm an Charlotte, Potsdam, 11.9.1831, in: Prinz Wilhelm (wie Anm. 75),
N r . 122, S. 162; GR1LLPARZER, T a g e b ü c h e r (wie A n m . 6 2 ) , Nr. 1929, S. 4 3 ^ 4 .
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auf der eine als zerlumpter Mann dargestellte Cholera" die Personifikation der Julirevolution in die Arme schließt, wies die Schuld an der Verbreitung der Krankheit der sogenannten Partei der Propaganda zu, die zweifellos als europaweit agierende Revolutionspartei gedacht wurde100: „Ah! chere Revolution de Juillet! sans toi je serais restö dans le nord de la Russie, c'est toi qui en Rivolutionnant la Pologne m'a fait venir dans се malheureux pays, de [sic] la je me suis repandu en Allemagne, en Angleterre, et enfin, grace ä toi, chere Revolution de Juillet me voila ä Paris. Unissons nous pour le bonheur du Peuple. Vive la Propagande" 101 !
Cholera und Revolution ließen sich geradezu als apokalyptische Schwestern begreifen102, die dem geschwächten Gesellschaftskörper zu Leibe rückten. Beider Ursache wurde je nach politischem Standpunkt im moralischreligiösen Verfall des Zeitalters, im Reformversäumnis der Regierungen oder in der Dekadenz der Oberschichten ausfindig gemacht. Ebenso umstritten waren Übertragungswege, Behandlungsweisen und Vorbeugemaßnahmen; der medizinische Streit zwischen Kontagionismus und Antikontagionismus verlief parallel zur politischen Diskussion über verschwörerische Aufwiegelung, liberales Fortschrittsdenken und radikalen Aktionismus. Es verwundert daher nicht, dass dieselben Staaten, die das ansteckende revolutionäre Gedankengut mit Pressezensur und Strafverfolgung unschädlich zu machen versuchten, auch in der Seuchenbekämpfung auf die traditionellen Maßnahmen von Quarantäne und Cordon sanitaire zurückgriffen. Diese Parallele zogen schon die Zeitgenossen, so etwa Ende 1831 Friedrich von Raumer: „Die Zahl der Verbote von Büchern und Zeitschriften wächst, obgleich dieser geistige Cordon das etwaige Böse noch weniger abhalten oder vernichten kann, als der jetzt aufgegebene, medicinisch-militärische die Cholera"103. Eine europäische Zusammenarbeit spielte in der Bekämpfung der Choleraepidemie der 1830er Jahren hingegen nur eine untergeordnete Rolle und 99
Anders als im Deutschen ist Cholera im Französischen ein Maskulinum. Guizot etwa bediente sich mehrfach des Begriffs der Propaganda, um die Angriffe der republikanischen Opposition auf die Friedenspolitik der Regierung abzuwehren. Vgl. neben seinen Memoiren beispielsweise die Rede in der Deputiertenkammer vom 25.9.1830: „le repos de la France 0tait compromis, si une nouvelle propagande revolutionnaire venait encore apparaitre et se rdpandre ä l'extirieur". Proc6s-verbaux des söances de la chambre des d6put0s. Session de 1830. Bd. 1: Mois d'aoüt et septembre (1830), Paris 1830, S. 678692, hier: S. 683-684. 101 Le Cholera Morbus. Gravüre anonyme XIXе si£cle. BNF - Cabinet des estampes. Abgedruckt in: Histoire de la France contemporaine 1789-1830. Bd. 2: 1799-1835, hrsg. von Jean Ellenstein, Paris 1979, S. 353. 102 Der preußische Hofprediger Theremin erkannte in ihnen schon Weihnachten 1830 zwei Gefahren, die Mitteleuropa gleichsam in die Zange nahmen. Vgl. THEREMIN, Zeugnisse (wie Anm. 84), S. 47-48. 103 Friedrich von Raumer an Karl Georg von Raumer, undatiert, in: Friedrich von Raumer, Lebenserinnerungen und Briefe, Bd. 1, Leipzig 1861, S. 356-358, hier: S. 357. Vgl. dazu DETTKE, Die asiatische Hydra (wie Anm. 97), S. 201. 100
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unterlag politischen Überlegungen104. So schrieb etwa die russische Regierung im Herbst 1830 ein Preisgeld von 25.000 Rubel für eine medizinische Abhandlung über die Cholera aus. Die Ausschreibung wandte sich an Mediziner im Deutschen Bund, in Ungarn, England, Italien, Schweden und Dänemark - bezeichnenderweise aber nicht an französische Gelehrte105.
4. Europa ordnen Von den Ereignissen der 1820er Jahre war die politische Ordnung des Kontinents im Wesentlichen unangetastet geblieben. In Spanien und Süditalien waren die Revolutionen durch das Eingreifen der Großmächte niedergeschlagen worden, und von dem griechischen Aufbegehren war vorrangig das Osmanische Reich betroffen; im Übrigen war die bereits 1822 proklamierte Unabhängigkeit Griechenlands von den europäischen Großmächten einschließlich der Hohen Pforte endgültig erst im Frühjahr 1830 anerkannt worden. Durch die Julirevolution und ihre Folgen wurde Europa vor schwerwiegendere Probleme gestellt. Im Kreis der europäischen Großmächte kam mit Louis-Philippe ein Monarch auf den Thron, dessen Königtum dem Prinzip der Legitimität widersprach. Von den Belgiern wurde nun mitten in Europa ein Selbstbestimmungsrecht der Völker eingefordert, bald darauf schlossen sich Polen und Italiener dieser Forderung an. Der Kontinent war in Bewegung geraten; die Frage nach der zukünftigen Gestaltung Europas stand auf der Tagesordnung, und innerhalb aller politischen Lager suchte man nach Antworten. 4.1 Europa als Familie christlicher Monarchen Zum Handeln aufgerufen war zunächst die aus der Revolution hervorgegangene Julimonarchie. Sie befand sich anfangs in einer durchaus prekären Lage, war doch keineswegs ausgeschlossen, dass die politischen Umwälzungen die europäischen Großmächte auf den Plan riefen. Um eine Intervention zu vermeiden, musste jeder Anklang an die Revolution von 1789 und das Empire vermieden werden. Damit befand sich Louis-Philippes Kabinett in einem Dilemma, das die royalistische Quotidienne einige Monate später folgendermaßen zuspitzte: „Р1асё entre le volcan mal öteint de juillet et les antipathies europöennes, il demande merci pour la revolution, dont cependant il est ηέ; et pour obtenir quelque tol6rance il commence par renier son principe vital"106. 104 Zur internationalen Seuchenbekämpfung vgl. jetzt Mark HARRISON, Disease, diplomacy and international commerce: the origins of international sanitary regulation in the nineteenth century, in: Journal of Global History 1 (2006), S. 197-217, hier: S. 206-207. 105 Vgl. Russie, in: Moniteur, Nr. 293, 20.10.1830, S. 1326; Geschäftsträger Bourgoing an Außenminister Μοίέ, St. Petersburg, 2.10./20.9.1830, AMAE, Corr. pol. Russie, 181 f. 57-59. 106 Ohne Titel, in: La Quotidienne, Nr. 11, 11.1.1831, unpag.
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Der neue König der Franzosen und sein erstes Kabinett setzten alles daran, die Wiener Vertragspartner von ihrer Rechtmäßigkeit und ihren friedlichen Absichten zu überzeugen. In einer Proklamation vom 15. August 1830 riefen Louis-Philippe und Justizminister Dupont de l'Eure ganz Frankreich zur Unterstützung dieser Politik auf: „Francis, l'Europe contemple avec une admiration melee de quelque surprise, notre glorieuse involution; eile se demande si telle est en effet la puissance de la civilisation et du travail, que de tels övenemens [sie] se puissent accomplir sans que la soci6t6 en soit ёЬгап1ёе. Dissipons ces derniers doutes; qu'un Gouvernement aussi rägulier que national succ£de promptement ä la döfaite du pouvoir absolu. Libertö, ordre public, teile est la devise que la garde nationale de Paris porte sur des drapeaux; que се soit le spectacle qu'offre la France ä l'Europe. Nous aurons, en quelques pars assurö pour des sidcles le bonheur et la gloire de la patrie" 107 .
Während sich Louis-Philippe hier den Kampfbegriff der Zivilisation auf die Fahnen schrieb, der im liberalen Lager häufig mit Europa gleichgesetzt wurde108 und insofern einen Gegenentwurf zum Europa der Heiligen Allianz darstellte, schlug er in seiner Korrespondenz mit den gekrönten Häuptern des Kontinents leisere Töne an. In einer Reihe von offiziellen und persönlichen Schreiben, die er in der zweiten Augusthälfte 1830 an die europäischen Fürstenhöfe versandte, bemühte er sich um seine Anerkennung als rechtmäßiger König. Das politische Programm, mit dem er für diese Anerkennung warb, setzte sich die Wiederherstellung der Ordnung im Innern und die Bewahrung des Friedens im Äußern zum Ziel. Bereits seine Erhebung zum König sei diesem Programm verpflichtet gewesen: Nach dem fahrlässigen Verfassungsbruch des Ministeriums Polignac hätte jedes Zögern von seiner Seite, so versuchte Louis-Philippe die europäischen Monarchen zu überzeugen, unabsehbare Folgen für die Ruhe in Frankreich und ganz Europa nach sich gezogen109. Zudem belegen Unterlagen des französischen Außenministeriums, dass die Legitimität Louis-Philippes auch noch mit historischen Argumenten unterstrichen werden konnte oder sollte: Alle in dynastierechtlicher Hinsicht vergleichbaren Fälle, in denen seit 1523 die Thronfolge auf ein anderes Herrscherhaus übergegangen war, wurden in einer Liste zusammengestellt, die in 25 Exemplaren gedruckt wurde und möglicherweise als Handreichung für die diplomatischen Vertreter dienen sollte110. Besonders ausführlich wurde der 107
Proclamation du Roi, zitiert nach: Moniteur, Nr. 228, 16.8.1830, S. 907. Vgl. beispielsweise Carl von ROTTECK, Vorwort, in: Allgemeine Politische Annalen NF 5 (1831), S. 1-VI, hier: S. II: „Europa, oder vielmehr die ganze civilisirte Menschheit". 109 Vgl. beispielhaft die beiden Schreiben an den englischen König, Paris, 19.8.1830, AMAE, Mömoires et Documents. Fonds France, 724, f. 217, 225. 110 Casus in terminis. Manuscrit tir0 ä 25 exemplaires imprimös. Notice historique sur les changements dynastiques en Europe depuis 1523, in: AMAE, Memoires et Documents. 108
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Revolution
als europäisches
Fall Wilhelms von Oranien nach der Glorious
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von 1688 behan-
delt, womit eine Parallele g e z o g e n wurde, die fllr die liberale Deutung der Julirevolution an sich von größter Bedeutung war 1 1 1 . Allerdings finden sich in den Gesandtschaftsberichten keine Hinweise darauf, dass diese Argumente während der Verhandlungen um die Anerkennung Louis-Philippes tatsächlich ins Feld geführt wurden. D i e von Louis-Philippe umworbenen Großmächte mussten nun entscheiden, w e l c h e s Gewicht sie den seit 1814 zwischen ihnen abgeschlossenen Verträgen noch zugestehen wollten, die in ihrer Gesamtheit dazu angetan waren, die 1815 geschaffene Staatenordnung zu konservieren 1 1 2 . Insbesondere mit den Bestimmungen der auf dem Vertrag von Chaumont aufbauenden Quadrupel-Allianz v o n 1815 ließ sich das Eingreifen oder zumindest ein .Konzert' der ehemaligen Verbündeten einfordern, war doch im zweiten Absatz des zweiten Artikels verabredet worden: „[...] les hautes parties contractantes [...] s'engagent dans le cas qu'un aussi malheureux evönement vint ä eclater de nouveau, ä concerter entre elles, et avec S[a] M[ajeste] T[res-] Cfhretienne] les mesures qu'elles jugeront näcessaires pour la süretö de leurs 6tats respectifs, et pour la tranquillite g6nerale de l'Europe" 1 ' 3 . D o c h auch die in Aachen 1818 getroffenen Vereinbarungen über die NichtAnerkennung eigenmächtig angenommener Titel konnten auf die Pariser Ereignisse bezogen werden 1 1 4 . U m g e h e n d beratschlagten deshalb Metternich und Nesselrode bei ihrem Zusammentreffen in den böhmischen Bädern 1 1 5 Anfang August 1830, „wie Fonds France, 724, f. 194-211. 111 Vgl. Klaus DEINET, Die mimetische Revolution oder die französische Linke und die Re-lnszenierung der Französischen Revolution im neunzehnten Jahrhundert (1830-1871), Stuttgart 2001, S. 62-71; ferner SCHMIDT-FUNKE, Stein (wie Anm. 53), S. 152-153. 112 Vgl. BAUMGART, Europäisches Konzert (wie Anm. 20), S. 272. Zur Herausforderung des Europäischen Konzerts vgl. zudem Anselm DOERING-MANTEUFFEL, Die deutsche Frage und das europäische Staatensystem 1815-1871, München 1993, S. 80-84. Bereits angekündigt, aber zu Redaktionsschluss noch nicht vorliegend: Das europäische Mächtekonzert. Friedensund Sicherheitspolitik vom Wiener Kongress 1815 bis zum Krimkrieg 1853, hrsg. von Wolfram Pyta, Köln [u. a.] 2009; Matthias SCHULZ, Normen und Praxis. Das Europäische Konzert der Großmächte als Sicherheitsrat, 1815-1860, München 2009. 113 Quadrupel-Allianz der Großmächte (Großbritannien, Österreich, Preußen, Russland), Paris, 20.11.1815, in: Fontes Historiae Iuris Gentium, Bd. 3.1: 1815-1945, hrsg. von Wilhelm G. Grewe, Berlin/New York 1992, S. 100-104, hier: S. 102. 114 Vgl. Protokoll des Aachener Kongresses der Fünf Großmächte über die Nicht-Anerkennung eigenmächtig angenommener Titel, Aachen, 11.10.1815, in: Fontes Historiae Iuris Gentium (wie Anm. 113), S. 109. 115 Beide hatten sich bereits am 27. Juli 1830 in Karlsbad getroffen. Nach einer heftigen Auseinandersetzung hatte Metternich daraufhin geplant, Nesselrode erneut am 10. August 1830 im Königswart benachbarten Franzensbad zu treffen. Dieses Treffen wurde unter dem Eindruck der Pariser Nachrichten vorverlegt. Vgl. Metternich an Kaiser Franz (Vortrag), Königswart, 31.7.1830 (wie Anm. 58).
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ein Vereinigungspunkt zwischen den großen Mächten und insbesondere der alten Quadrupel-Allianz geschaffen werden könnte" 116 . Freilich waren sich beide der Hindernisse bewusst, die einem gemeinsamen Handeln der vier Großmächte entgegenstanden, war die Erosion jener europäisch-solidarischen Vorstellungen, die man nach der Niederwerfung Napoleons zum Prinzip erklärt hatte, doch offensichtlich. Fraglich schien vor allem die Mitwirkung Großbritanniens zu sein, das sich von der interventionistischen Politik Russlands, Österreichs und Preußens bereits infolge der südeuropäischen Revolutionen zu Beginn der 1820er Jahre abgewandt und damit den Konferenzen des Europäischen Konzerts ein vorläufiges Ende gesetzt hatte. Der weitere Verlauf der Ereignisse zeigte indes, dass sich auch die drei anderen Großmächte in weit geringerem Maß auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen konnten, als sie es auf Grundlage der 1815 geschlossenen Heiligen Allianz auf den Konferenzen von Troppau, Laibach und Verona bekräftigt hatten. Gleichwohl war es in Wien, Berlin und St. Petersburg zu keiner vollständigen Aufgabe dieser Grundsätze gekommen, auch eignete sich der Begriff „Europa" nach wie vor dazu, mit einer Bedeutung aufgeladen zu werden, die den konservativen Vorstellungen entsprach. Anders als „Deutschland", „Italia", „Belgiö/Belgique" oder „Polska" implizierte er keine nationalstaatliche Verfasstheit, sondern konnte fflr ein traditionales, christliches WertegefÜge, für die Familie der Könige und das Europäische Konzert stehen. In diesem Sinn führte auch ein konservatives Periodikum wie der 1831 begründete royalistische Courrier de I 'Europe Europa im Titel. Die Ordnungsvorstellung von einer europäischen Familie christlicher Monarchen, wie sie der zweite Artikel der Heiligen Allianz zum Ausdruck brachte117, bestand also weiterhin, allerdings gingen die Meinungen darüber auseinander, wie mit dem illegitimen Nachwuchs dieser Familie umzugehen sei. Während sich Nesselrode, Metternich, Gentz und Franz I., Friedrich Wilhelm III. und sein Vertrauter Witzleben für eine eher pragmatische Politik entschieden, erwiesen sich neben Nikolaus I. auch die preußischen Prinzen als Parteigänger einer strikt legitimistischen Haltung. So berichtete der französische Geschäftsträger in London Anfang August 1830, dass sich ein dort aufhaltender „Prince de la maison de Prusse, gouverneur du Grand Duche du Bas Rhin, [...] de la manidre la plus violente contre la France" 118 geäußert habe. Offenbar handelte es sich dabei um den Bruder 116
Metternich an Franz I., Königswart, 5.8.1830, in: Aus Metternich's nachgelassenen Panieren (wie Anm. 58), S. 17-18. 11 Vgl. Proklamation der Monarchen Österreichs, Preußens und Russlands (Paris, 26./14.11.1815), in: Fontes Historiae Iuris Gentium (wie Anm. 113), S. 107-108, hier: S. 108: „[...] les trois princes allies ne s'envisagent eux-memes que comme d616gu6s par la Providence pour gouvemer trois branches d'une meme famille [...]". 118 Geschäftsträger Vaudreuil an das Außenministerium, London, 2.8.1830, AMAE, Corr. pol. Angleterre, 631, f. 172-176, hier: f. 174r.
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des Königs, Prinz Wilhelm den Älteren, der bis 1829 die Bundesfestung in Mainz befehligt hatte und im September 1830 zum Generalgouverneur von Niederrhein und Westfalen ernannt wurde. Auch der Sohn des Königs und spätere deutsche Kaiser, Prinz Wilhelm, verurteilte die Julirevolution scharf und dachte sofort an ein erneutes Zusammengehen der Verbündeten von 1814/15, als er während eines Aufenthalts in den Niederlanden von der Julirevolution erfuhr. An seine mit Nikolaus I. verheiratete Schwester Charlotte schrieb er: „Gott gebe jetzt nur Einheit unter den großen Mächten Europas! Meine Ansicht ist, daß dieselben sich aufs schnellste vereinbaren müssen, die Sache der Bourbons jedenfalls halten zu wollen, dies ihnen bekannt machen, öffentlich bekannt machen, damit die französische Nation es erfährt, und Charles X. zugleich bewaffnete Hilfe anbieten, sobald er sie verlangen würde, welche sich zu dem Ende nahe der Grenzen konzentrieren und bereit halten würde" 119 .
Noch eindringlicher wurde Wilhelm, nachdem ihn die Nachricht von der bevorstehenden Erhebung Louis-Philippes zum König erreicht hatte: „Die Revolution hat einen raschen, aber nicht minder traurigen Gang für die Legitimität genommen. [...] Tritt aber Europa jetzt auf, gemeinschaftlich im Geist der Heiligen Allianz, und erkämpft die Rechte des Herzogs von Bordeaux, die, wie es jetzt mit Bestimmtheit angenommen werden kann, von der Revolution mit Füßen getreten werden sollen, so tritt Europa damit allem revolutionären Stoff, wo er sich auch befinden mag, auf den Kopf, und er wird sich nirgends dann vor der Hand rühren" 120 .
Unverkennbar wurde Europa hier als ein dem Prinzip der Legitimität verpflichtetes Europa der Heiligen Allianz gedacht. In St. Petersburg stieß ein solches Denken auf Zustimmung. Wie ein Petersburger Memoire vom 20. August 1830 belegt 121 , erwog man dort ebenso eine Reaktivierung der Quadrupel-Allianz wie ein Eingreifen zugunsten des Herzogs von Bordeaux. Der Zar beharrte auf dem Prinzip der Legitimität122. Anzuerkennen sei Louis-Philippe lediglich als der von Karl X. eingesetzte Lieutenant-General du Royaume; seine Königserhebung stelle hingegen einen nicht hinzunehmenden Angriff auf das Prinzip der Legitimität dar, der 119 Prinz Wilhelm an Charlotte, Den Haag, 3.8.1830, in: Prinz Wilhelm (wie Anm. 75), Nr. 101, S. 145. 120 Prinz Wilhelm an Charlotte, Den Haag, 10.8.1830, in: Prinz Wilhelm (wie Anm. 75), Nr. 102, S. 146-147, hier: S. 146. 121 Vgl. Mimoire sur les consöquences des övenements de juillet en Europe, St. Petersburg, 20.8.1830, AMAE, M6moires et Documents. Fonds France, 724, f. 287-293. Das Dokument ist aus russischer Perspektive verfasst und im Zusammenhang mit den Antwortschreiben Zar Nikolaus' I. an Louis-Philippe vom September 1830 überliefert. An seinem Rand befindet sich die Notiz „Peut etre annexe ä mon döpeche du 15 fevrier 1831. Pp. Durand". 122 Vgl. Geschäftsträger Bourgoing an Außenminister Jourdan, St. Petersburg, 24./12.8.1830, AMAE, Corr. pol. Russie, Nr. 180, f. 285-297.
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nach russischen Vorstellungen durch ein gemeinsames Vorgehen der Alliierten von 1814 abgewehrt werden müsse. Eine militärische Intervention in Frankreich schloss Nikolaus I. allerdings aus 123 , vielmehr sollten sich die „quatre Cours"124 der Anerkennung Louis-Philippes so lange verweigern, bis sie den Text einer gemeinsamen Notifikation ausgehandelt hätten. Auf die Gültigkeit der bestehenden Verträge pochend, beschwor das Memoire insbesondere die Verpflichtung des britischen Kabinetts, mit den drei andern Höfen im Konzert zu handeln: „Les Ministres Anglais ont reconnu comme nous la n0cessite pour les AlH6es de serrer leur rangs et de rester unis dans leur langage et leur determination. Comme nous, ils sont p6n6tr6s de la conviction que cette union intime peut seul garantir Γ Europe contre une nouvelle guerre et sauver la France elle-meme des horreurs d'une Evolution" 125 .
Wie Pläne aus dem Umfeld Karls X. und der Herzogin von Berry belegen, stimmten das Petersburger Memoire und die Überlegungen Prinz Wilhelms in wesentlichen Punkten mit den Plänen der französischen Royalisten überein. Der um die Restauration der brauche αίηέβ des Hauses Bourbon bemühte Francois de Bertier betonte noch am 25. September 1830 in einer für Karl X. abgefassten Denkschrift, „qu'il est indispensable que le Roi fasse paraitre une protestation sage mais forte en son nom et au nom de son petit-fils, pour conserver intacts tous ses droits. Que cette protestation devrait etre räpandue avec profusion en France et dans le reste de 1'Europe" 126 .
Um die europäischen Monarchen für ein Eingreifen zu gewinnen, müsse ihnen vor Augen geführt werden, welche Folgen die Anerkennung der Julimonarchie nicht nur für den gestürzten König, sondern auch für sie selbst habe: „Par la reconnaissance les Souverains abandonnent le principe de legitimit6, seule base de leur puissance, reconnaissant la Souverainetö du peuple, et le droit ä la classe la plus basse de prolitaires de renverser le plus auguste tröne, elles fassent la conscience des peuples et ргёрагеШ la chute de leur propre autoritö. [...] Sans rien brusquer, sans rompre les relations commerciales, les grandes Puissances ne peuvent-elles pas annoncer la ηέcessit6 de se concerter dans un congrls avant de procöder ä la reconnaissance officielle" 127 ? 123 Vgl. Sondergesandter Athalin an Außenminister Μοίέ, St. Petersburg, 7.9./26.8.1830, AMAE, Corr. pol. Russie, 181, f. 18-34, hier: f. 24R; Nikolaus I. an Großherzog Konstan-
tin, 1 8 . 8 . 1 8 3 0 , zitiert b e i : LESLIE, P o l i s h P o l i t i c s ( w i e A n m . 3 8 ) , S. 118. 124 Geschäftsträger Bourgoing an Außenminister Jourdan, St. Petersburg, 24./12.8.1830, AMAE, Corr. pol. Russie, 180, f. 285-297, hier: f. 292v. 125 Mömoire sur les OM^quences (wie Anm. 121), f. 292v. 126 Rapport de F. de Bertier au Roi sur les chances et les moyens d'une Restauration,
2 5 . 9 . 1 8 3 0 , in: BERTIER DE SAUVIGNY, L a c o n s p i r a t i o n d e s
S. 4-15, hier: S. 7-8. 127 Ebd., S. 10.
tegitimistes
(wie A n m . 96),
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Ein solches Konzert entspreche vollkommen den bestehenden Verträgen und ermögliche es zudem, Zeit für die Vorbereitung einer militärischen Intervention zu gewinnen, die das einzige Mittel sei, um den Thron zurückzuerobern128. Es gelang jedoch weder Russland noch den französischen Royalisten noch den preußischen Prinzen, die Anerkennung der neuen Monarchie zu verhindern. Am schnellsten erfolgte sie durch den mit Louis-Philippe persönlich bekannten, frisch gekrönten englischen König Wilhelm IV. am 27. August 1830. Mehr als die übrigen Großmächte hatte Großbritannien die öffentliche Meinung zu berücksichtigen, die in England, Schottland und Irland mit den Revolutionären in Paris sympathisierte. Angesichts der anstehenden Wahlen waren unpopuläre Maßnahmen gegen Frankreich von vornherein ausgeschlossen, wenngleich sich Außenminister Lord Aberdeen durchaus misstrauisch gegenüber einem Wiedererstarken der Revolution in Frankreich zeigte129. Franz I. von Österreich und Friedrich Wilhelm III. von Preußen ließen sich etwas länger Zeit, doch drangen schon Ende August Gerüchte nach Paris, dass sich der österreichische Kaiser entschlossen habe, sich nicht in die französischen Angelegenheiten einzumischen130. Dennoch kam die Anerkennung Louis-Philippes keiner grundsätzlichen Abkehr von ihren konservativen Vorstellungen eines monarchischen Europa gleich. Vielmehr bezeugen die Anfang September aus Wien und Berlin eintreffenden Anerkennungen das Bemühen, Louis-Philippe auf friedlichem Weg in die europäische Familie einzubinden und ihn auf ihre Prinzipien zu verpflichten. Die Anhänger eines konservativen Staatspragmatismus setzten sich damit durch131. In seinem Antwortschreiben an Louis-Philippe vom 8. September 1830 beschwor Franz I. grundlegende Prinzipien des Europäischen Konzerts: eine „parfaite solidaritö entre les puissances pour le maintien du traitös existans [sie]" sowie die Aufbietung aller Möglichkeiten durch Frankreich, seinen inneren Frieden und die „stabilitö de ses rapports avec les autres puissances" aufrechtzuerhalten132. Franz' I. Beteuerung, den Friedenswunsch mit Louis128
Vgl. ebd., S. 14-15. Vgl. Geschäftsträger Vaudreuil an das Außenministerium, London, 2.8.1830, AMAE, Corr. pol. Angleterre, 631, f. 172-176; Geschäftsträger Vaudreuil an Außenminister Jourdan, London, 9./10.8.1830, AMAE, Corr. pol. Angleterre, 631, f. 178-182. Vgl. dazu Frank Lorenz MÜLLER, Britain and the German Question. Perceptions of Nationalism and Political Reform, 1830-63, Basingstoke 2002, S. 9-10. 130 Baron Reinhard an Außenminister Μοίέ, Frankfurt, 25.8.1830, AMAE, Corr. pol. Allemagne, 723, f. 238-245. 131 Zum Begriff vgl. Diskussion zum Referat von Jean Tulard, in: Revolution und Gegenrevolution 1789-1830. Zur geistigen Auseinandersetzung in Frankreich und Deutschland, hrsg. von Roger Dufraisse, München 1991, S. 103-106, hier: S. 105. 132 Franz I. von Österreich an Louis-Philippe, Schlosshof, 8.9.1830, AMAE, Memoires et Documents. Fonds France, 724, f. 235. Vgl. dazu BAUMGART, Europäisches Konzert (wie Anm. 20), S. 154. 129
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Philippe zu teilen, sprach fast gleichlautend auch der preußische König Friedrich Wilhelm III. in seinem offiziellen Schreiben vom 9. September aus133, nicht ohne auf die enge Verzahnung der französischen mit den europäischen Interessen hinzuweisen134. In seinem beigefügten persönlichen Schreiben appellierte er ebenfalls an die Solidarität des Europäischen Konzerts: Wenn Louis-Philippe sich darum bemühe, den Frieden in Europa zu sichern, dürfe er stets auf preußische Unterstützung rechnen135. Zugleich zeigte sich der preußische König aber besorgt bezüglich „la contagion des mouvemens [sie] qui de la France ont ρέηέίτέ dans les provinces voisines"136. Damit spielte Friedrich Wilhelm III. auf die Lage in Belgien, den preußischen Rheinprovinzen und einigen Staaten des Deutschen Bundes an, die sich seit dem Ausbruch des Brüsseler Aufstandes täglich verschärfte. Rhetorisch rekurrierte er auf eine Gleichsetzung von Revolution und Seuche, die innerhalb des gegenrevolutionären Lagers weit verbreitet war. Sie entstammte einer politischen Sprache, in der mit Vorliebe in medizinischen Metaphern gedacht und gesprochen wurde137. Bereits im Protocole priliminaire des Protokolls von Troppau hatten die Repräsentanten Russlands, Preußens und Österreichs ihre Entschlossenheit bekundet, „leurs peuples et l'Europe de la contagion du crime et de ses d0plorables effets" 138 zu bewahren. Es verwundert daher nicht, dass Friedrich Wilhelm III. den Begriff nun auch in seinem Schreiben an Louis-Philippe aufgriff - den französischen König auf die Grundsätze des Europäischen Konzerts einzuschwören, beinhaltete eben auch, ihm die Angst vor der Seuche der Revolution einzupflanzen. Als Zar Nikolaus I. mit einem Schreiben vom 30./18. September 1830 schließlich ebenfalls Louis-Philippe als Roi des Frangais anerkannte, verpflichtete er ihn abermals auf die Wiener Ordnung und das Europäische Kon133 Vgl. Friedrich Wilhelm III. von Preußen an Louis-Philippe, Berlin, 9.9.1830, AMAE, M6moires et Documents. Fonds France, 724, f. 271. 134 Vgl. ebd.: „Je forme ces veeux dans l'intörSt de l'Europe entiere, dont celui de la France ne saurait etre s£par£. J'ai accueilli avec beaueoup de satisfaction l'expression du d0sir de Votre Majestö de voir conserves les relations de paix entre la France et les autres etats de l'Europe". 135 Vgl. ebd. 136 Ebd. 137 Vgl. Olaf BRIESE, „Das Jüste-milieu hat die Cholera". Metaphern und Mentalitäten im 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 46 (1998), S. 120-138. Weitere Beispiele aus preußischem Umfeld bei THEREMIN, Zeugnisse (wie Anm. 84), S. 71-72; Christian SPIELMANN, Regierungspräsident Karl von Ibell über die preussische Politik in den Jahren 1830 u. 1831. Ein Beitrag zur Geschichte der Diplomatie, in: Annalen des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung 28 (1896), S. 61-95. Dagegen von französischer, republikanischer Seite: Du Cholira, de l'incendie et de la guerre. Paris [1832], S. 5-7, hier: S. 5-6, zitiert nach: Les Revolutions du XIXе si£cle (1830-1834), Bd. 1: Les Associations Republicaines, Paris 1974, unpag. 138 Troppauer Protokoll, Troppau, 19.11.1820, in: Fontes Historiae Iuris Gentium (wie Anm. 113), S. 110-113, hier: S. 110.
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zert. Zugleich ermähnte er Louis-Philippe, die von ihm übernommene Aufgabe zum Wohle Frankreichs und Europas ernst zu nehmen: „Ce qui s'est passi ä Paris est un malheur pour la France, comme pour Γ Europe entifere. En acceptant la täche difficile qui lui a έίέ Offerte, Votre Majesti a senti le besoin d'inspirer de la confiance aux puissances ötrangdres. Elle a, pour ainsi dire, pris 1'engagement de fournier ä l'Europe des garanties de paix et d'ordre public. Ces garanties l'Europe les attend" 139 .
4.2 Europa zwischen den Prinzipien Die Befürchtungen der drei östlichen Großmächte schienen sich zu bestätigen, als nach der belgischen Revolution auch in Polen ein Aufstand ausbrach. Dies führte dazu, dass trotz der Anerkennung Louis-Philippes durch die vier Großmächte die Gefahr eines europäischen Krieges stieg, anstatt zu sinken. Ohnehin schwang bei all den Beteuerungen und Ermahnungen, den Frieden zu wahren, von Beginn an ein drohender Unterton mit, hatten Russland, Preußen und Österreich doch schon bald nach den Trois Glorieuses mit Rüstungen begonnen. Die Präsenz des preußischen Militärs im Rheinland, die vom Zaren befohlene allgemeine Aushebung in Russland und die Truppenbewegungen in Richtung Westen, die Truppenverstärkungen in der Lombardei und die geplanten Einberufungen in Ungarn ließen nicht nur Frankreich, sondern ganz Europa an den friedlichen Absichten der drei Großmächte zweifeln. Es lag nahe, hinter diesen zeitgleich vollzogenen Militäraktionen eine Absprache zu vermuten, die dem Geist der Heiligen Allianz und den Wünschen der französischen Royalisten entsprach. Der im November 1830 für kurze Zeit als Außenminister amtierende МагёсЬа! Maison beauftragte daher den nach Wien entsandten Comte de Latour-Maubourg, Metternich mit dem „bruit d'une projet d'union entre plusieurs grandes puissances" zu konfrontieren, denn selbst wenn man diesem Gerücht keinen Glauben schenken wolle, „on ne peut cependant qu'etre frappe de la coincidence avec les armemens [sic] qui s'exöcutent en Russie, en Prusse et т ё т е en Autriche"140. Mit der Zuspitzung der Krise gewann eine geradezu manichäische Deutung an Gewicht, die in den Geschehnissen seit der Julirevolution einen Kampf der zwei nicht miteinander zu vereinbarenden Prinzipien der Legitimität und der Volkssouveränität sah. Diesem Denken lag die Überzeugung zugrunde, dass es über kurz oder lang zu einer Angleichung der Regierungssysteme in Euro139 Nikolaus I. an Louis-Philippe, Tsarskoö selo, 30./18.9.1830, AMAE, M6moires et Documents. Fonds France, 724, f. 286 (AMAE, Corr. pol. Russie, 181, f. 45). In der Literatur wird der 1. Oktober als Termin der Anerkennung angegeben, das im Archiv des Außenministeriums aufbewahrte Schreiben, dem hier gefolgt wird, ist dagegen auf den 30. September datiert. 140 Außenminister Maison an Geschäftsträger Tour-Maubourg, Paris, 22.11.1830 (Entwurf), AMAE, Corr. pol. Autriche, 413, f. 16-18, hier: f. 17r.
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pa kommen werde: „PEurope tend ä l'unitö pour ses principes de gouvernement, et [...] ses diverses parties cherchent constamment ä s'assimiler entre elles dans leurs formes politiques"141. Dieses Denken entsprach freilich auch dem liberalen Fortschrittsoptimismus, wie ihn beispielsweise Palmerston formulierte: „Well, this is a pretty rapid process in France [...]. We shall drink [to] the cause of Liberalism all over the world. Let Spain & Austria look to themselves; this reaction cannot end where it began, & Spain & Italy & Portugal & parts of Germany will sooner or later be affected. This event is decisive of the ascendancy of Liberal Principles throughout Europe; the evil spirit has been put down and will be trodden under foot" 142 .
Indem aber die zumindest zeitweilige Koexistenz beider Prinzipien als unmöglich gewertet wurde, konnte die Vereinheitlichung der europäischen Regierungssysteme nicht einem evolutionären Prozess überlassen werden, sondern musste durch einen Krieg herbeigeführt werden143. Auf dieses Argument stützten sich die Kriegsbefürworter auf Seiten der Legitimisten ebenso wie auf Seiten der nationalistischen Linken, um die gewalttätige Durchsetzung ihrer politischen Ziele zu rechtfertigen144. Ein Vertreter des konservativen Staatspragmatismus wie Friedrich Gentz argumentierte gegen die vermeintliche Unvereinbarkeit der Prinzipien mit dem Beispiel Englands, das bereits seit dem 17. Jahrhundert in guten Beziehungen zu vielen europäischen Staaten auf dem Kontinent gestanden habe, sowie mit dem einvernehmlichen Zusammenleben von Katholizismus und Protestantismus: Denkbar war also auch in konservativen Kreisen ein in konfessioneller und konstitutioneller Hinsicht pluralistisches Europa145. 141
Rede Mauguins vor der Deputiertenkammer am 13.11.1830, zitiert nach: Moniteur Nr. 318, 14.11.1831, S. 1461-1463, hier: S. 1462. Vgl. auch Lamennais an Referent Pater Ventura, La Chenaie, 15.11.1832, in: F61icit0 de LAMENNAIS, Correspondence g6n6rale. hrsg. von Louis le Guillou, Bd. 4: Juillet 1828-Juin 1831, Paris 1973, S. 219-221, hier: S. 221; Karl August Friedrich SEEGER, Vaterländische Briefe, Stuttgart 1832, S. 53-55, zitiert nach: ZERBACK, Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes (wie Anm. 37), Nr. 103, S. 682-683. 142 Palmerston an Sulivan, Cambridge, 1.8.1830, in: Mabell Countess of AIRLIE, Lady Palmerston and her Times, Bd. 1, London 1922, S. 172-174, hier: S. 173. 143 Als Zurückweisung dieser Forderung vgl. Rechtfertigung Pöriers über seine Politik anlässlich der Verlesung einer Adresse an Louis-Philippe in der Sitzung der Deputiertenkammer am 9.8.1831, in: Opinions et discours de M. Casimir Рёпег, publies par sa famille, recueillis et mis en ordre par A. Lesieur, Chef de Bureau au Ministöre de l'Instruction Publique, et pr6c6d6s d'une Notice historique par С. de Remusat, Bd. 3 (1826-1832), Paris 1838, S. 401-415, hier: S. 408-415; Friedrich GENTZ, Argumente für die Wahrscheinlichkeit des Friedens (5.12.1830), in: Schriften von Friedrich Gentz, hrsg. von Gustav Schlesien Bd. 5: Ungedruckte Denkschriften, Tagebücher und Briefe, Mannheim 1840, S. 172180, hier: S. 179. 144 Vgl. Felix Vicomte de CONNY, Ohne Titel, in: La Quotidienne, Nr. 20, 20.1.1831, unpag.; Rede Mauguins (wie Anm. 141). uS Vgl. GENTZ, Argumente (wie Anm. 143), S. 180. Unverbesserlichen Manichäem in den
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Ein solches, aus der Staatsräson eines Gentz geborenes Bekenntnis zum europäischen Pluralismus reichte freilich nicht so weit, nun auch noch das Eingriffsrecht der Großmächte zu bestreiten. Dies zeigte sich in der Debatte um das Prinzip der Nichteinmischung, das ursprünglich von England zum außenpolitischen Leitsatz erkoren worden war und nach der Julirevolution auch von der französischen Regierung aufgegriffen wurde, um ein Eingreifen Preußens oder Russlands in Belgien abzuwehren: „le principe de la nonintervention armee [...] est la base röelle sur laquelle doit s'appuyer le droit public des Etats, et qui pouvait seul assurer l'indöpendance de la Belgique"146. Auch Polen forderte, nachdem es sich Ende 1830 erhoben hatte, unter Führung des gemäßigten Generals Chlopickis zunächst die Nichteinmischung: „Bien eloignös de vouloir troubler la tranquillity des Etats nos voisins, nous ne voulons que voir observer consciencieusement ä notre 6gard le principe salutaire de la non-intervention"147. Auf der Londoner Konferenz gelang es, die belgische Frage im Sinne des Europäischen Konzerts einvernehmlich zu lösen, indem es in der Schwebe blieb, welche Gültigkeit das Prinzip der Nichteinmischung beanspruchen durfte. Das Protokoll bestätigte nationale Selbstbestimmung und Eingrififsrecht der Großmächte gleichermaßen: „Chaque Nation a ses droits particuliers; mais l'Europe aussi a son droit; c'est l'ordre social qui le lui a donne" 148 . Die drei östlichen Großmächte widersetzen sich einer grundsätzlichen Anerkennung des Prinzips der Nichteinmischung. Wie Gentz in einer Art Maximalforderung niederschrieb, müsse der „Fundamental-Grundsatz [...] sein und bleiben, daß jeder Souverain, auch ohne Traktate, Familien-Verhältnisse, und ohne Reklamation des betheiligten Regenten, die unbestreitbare Befugniß hat, so gut außerhalb als innerhalb seiner Gränzen, denjenigen Friedensstörungen Einhalt zu thun, wodurch seine eigne Sicherheit, oder seine eigne Existenz bedroht wird" 149 .
Reihen der Konservativen gab Gentz immerhin zu bedenken, dass keineswegs gewährleistet sei, ob im Falle eines Krieges das eigene Prinzip wirklich siegreich hervorgehen werde, oder ob es nicht besser sei, „den Tag der Entscheidung hinauszuschieben". Möglicherweise gebe es in Zukunft noch bessere Gelegenheiten für eine „wahre Restauration" (ebd.). 146 Communiqud des Außenministers Söbastiani zur belgischen Frage in der Sitzung der Deputiertenkammer vom 23.2.1831, in: Proc£s-verbaux des seances de la chambre des d6put6s. Session de 1830. Bd. 4: Mois de janvier et fevrier (1831), Paris 1831, S. 907-918, hier: S. 907. 147 Proklamation General Chlopickis, Warschau, 6.12.1830, zitiert nach: Moniteur, Nr. 360, 26.12.1830, S. 1816. 148 Protocole de la Conference tenue au Foreign Office, le 19 Fevrier, 1831, in: British and Foreign State Papers, London 1833, S. 779-785, hier: S. 781. 149 Friedrich GENTZ, Bemerkungen über das Interventions-Recht, März 1831, in: Schriften von Friedrich Gentz (wie Anm. 143), S. 181-185, hier: S. 181.
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Für ihn ergab sich das Interventionsrecht unmittelbar aus der Verflechtung der europäischen Staaten150. In Polen und in den italienischen Staaten ließen sich Russland und Österreich daher auch nicht von einer militärischen Niederschlagung der Aufstände abhalten. So erklärte Metternich dem französischen Gesandten Maison kurz vor dem Einmarsch österreichischer Truppen in Italien, „que jamais il n'avait reconnue notre principe de non-intervention, qu'il le jugeait inapplicable, et que si la France le posait d'une manure absolue, c'&ait la guerre qu'Elle offrait ä l'Europe" 151 . Die Befürworter der Nichteinmischung stellten hingegen bald fest, dass dieses Prinzip ein zweischneidiges Schwert war. Zum einen setzte es die Julimonarchie nicht nur der Kritik der Großmächte, sondern auch der französischen Opposition aus, die in Polen und Italien eine Unterstützung der Aufständischen verlangte. Gefordert wurde ein Krieg der Völker gegen den trügerischen Frieden der Könige. Wortgewaltig etwa erinnerte der saintsimonistische Globe Frankreich an seine Pflicht, den Revolutionären in Europa zu Hilfe zu eilen: „La France a άοηηέ le signal [...]. A son appel toutes les nations ont τέpondu comme des filles ä la voix de leur тёге. Les explosions de Bruxelles, de Varsovie, de Brunswick, de Dresde, de Hanau, les bruyantes processions de Londres, les agitations de Berlin et de la Suisse, les sourds gömissements de Madrid et de Milan, tout cela est une reponse ä la France de juillet, tout cela veut dire: Nous vous avons entendue, nous sommes prets. [...] Ainsi nous demandons que la France intervienne, qu'elle intervienne hautement"152.
Für Polen selbst erwies sich das Prinzip der Nichteinmischung, nachdem es die Verhandlungen mit Russland aufgegeben hatte und geradewegs in einen Krieg hineinsteuerte, geradezu als Bumerang. Flehentlich erbat es im Januar 1831 von dem französischen Gesandten Mortemart, der auf dem Weg nach Russland polnisches Gebiet durchquerte, materielle Unterstützung für den bevorstehenden Kampf 153 : „Les Polonais demandent des secours ä la France, ä quelque prix que се soit; s'ils ne peuvent etre en hommes, au moins en argent, en officiers et en armes surtout"154. Eine solche Hilfeleistung ließ sich aber, so gab Mortemart seinem Gesprächspartner, einem Gesandten Czartoryskis, zu verstehen, mit dem Prinzip der Nichteinmischung nicht vereinba-
150
Vgl. ebd., S. 182. Gesandter Maison an Außenminister Söbastiani, Wien, 25.2.1831, AMAE, Corr. pol. Autriche, 414, f. 42-50, hier: f. 44v. 152 L'Intervention, in: Le Globe, Nr. 298, 17.12.1830, S. 1203-1204. 153 Vgl. Hans-Henning HAHN, Außenpolitik in der Emigration. Die Exildiplomatie Adam Jerzy Czartoryskis 1830-1840, München/Wien 1978, S. 36. 154 Sondergesandter Mortemart an Außenminister S6bastiani, Königsberg, 28./30.1.1831, AMAE, Corr. pol. Russie, 182, f. 124-128, hier: f. 125r. 151
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ren: „la France, fldöle au principe de non intervention qu'elle exige pour eile le suivrait envers toutes les puissances"155. Zum anderen konnte und wollte auch die Regierung des Juste-Milieu nicht auf ein Eingriffsrecht verzichten, sobald die eigene Interessensphäre durch die Intervention eines dritten Staates verletzt wurde. Der französische Regierungschef Lafitte erklärte daher vor dem Hintergrund einer Aushebung von 80.000 Mann im Dezember 1830, dass Frankreich keine Verletzung des Prinzips der Nichteinmischung akzeptieren werde. Insofern konnte mit der Nichtintervention durchaus eine Militäraktion gerechtfertigt werden, was Talleyrand zu dem Bonmot veranlasst haben soll: „Non-intervention est un mot diplomatique et 6nigmatique, qui signifie ä peu pr6s la meme chose qu'intervention" 156 ! Wie vorsichtig die französische Regierung agieren musste, um nicht selbst einer Verletzung des Prinzips der Nichteinmischung geziehen zu werden, zeigte sich in den militärischen Operationen der eigens begründeten Агтёе du Nord, die im Sommer 1831 und im Winter 1832 in die Kämpfe zwischen Belgien und den Niederlanden eingriff, sowie in der Besetzung der päpstlichen Hafenstadt Ancona durch die französische Flotte im Februar 1832. Entscheidend war es, im noch immer napoleonisch geprägten Militär alle Anklänge an das Empire zu vermeiden. Beim Einmarsch nach Belgien im Sommer 1831 wurden die Soldaten daher zur Ordnung gerufen: Die von der Londoner Konferenz anerkannte Neutralität Belgiens sei unbedingt zu berücksichtigen, das Aufpflanzen der französischen Trikolore müsse unterlassen werden, und überhaupt sei die strikteste Disziplin gefordert, da man sich in einem befreundeten Land befinde, dessen Bewohner auch als Freunde zu behandeln seien157. Die Militäraktion zur Entsetzung Antwerpens von niederländischen Truppen im Winter 1832 wurde ausdrücklich unter Berufung auf das Europäische Konzert durchgeführt: „Le refus de la Hollande de retirer ses troupes derriere les limites que les traites lui ont assignees, 6tait un acte permanent d'hostilitö envers les Cinq Grandes Puissances de l'Europe. [...] Forcer la Hollande ä reconnaitre la Loi de l'Europe, telle est la mission de Рагтёе fransaise" 158 .
155
Ebd., 125v. Zitiert nach: Hanspeter NEUHOLD, Die Intervention aus völkerrechtlicher Sicht, in: Interventionsproblematik. Aus politikwissenschaftlicher, völkerrechtlicher und wirtschaftswissenschaftlicher Sicht, hrsg. von Ernst-Otto Czempiel und Werner Link, Kehl am Rhein 1984, S. 33-55, hier: S. 33. Vgl. ähnlich auch GENTZ, Bemerkungen (wie Anm. 149), S. 184-185. 157 Vgl. Schreiben an Marechal Gerard, 6.8.1831, SHAT, E . l . l , o. Zähl.; Ordre de la Division des Lieutenant-G6n6ral und Divisionskommandanten, Comte Barrois, Looz, 18.8.1831, SHAT, E.1.5, o. Zähl. 158 Ordre du Jour des belgischen Kriegsministers Baron Evain, Brüssel, 15.11.1832, SHAT, E.1.3, o. Zähl. 156
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Noch prekärer war die Situation im besetzten Ancona. Mit der Einnahme der Stadt reagierte die französische Regierung auf die österreichische Truppenpräsenz im Kirchenstaat. Dabei ging es darum, Stärke zu zeigen und die eigene Einflusssphäre zu sichern, keineswegs aber darum, die italienischen Revolutionäre zu unterstützen. Auch in Ancona war es nötig, das Hissen der blau-weiß-roten Trikolore zu unterbinden159, zudem mussten die französischen Soldaten ebenso wie Teile der italienischen Bevölkerung ermahnt werden, die Besatzung nicht als revolutionären Stoßtrupp zu verstehen160. 4.3 Europa als Gemeinschaft der Revolutionäre Nach der Julirevolution war das weiße Banner der Bourbonen durch die Trikolore ersetzt worden, die mit der Anerkennung Louis-Philippes auch als neues Staatswappen akzeptiert worden war. Damit hatte sich die Julimonarchie, während sie sich gleichzeitig bemühte, ihren revolutionären Charakter zu negieren, unter ein Banner gestellt, das überall in Europa als das Emblem der Revolution galt. Dementsprechend große Aufmerksamkeit erregten die mit Kokarden geschmückten französischen Handelskuriere, die Anfang August in der Bundesfestung Mainz eintrafen, so dass sie von der Obrigkeit zum Ablegen derselben verpflichtet wurden161. Die österreichische Regierung reagierte auf die doppelte Bedeutung der Trikolore als Zeichen der Revolution und als Farben des französischen Staates, indem sie zwar den Angehörigen der französischen Botschaft, den Offizieren und anderen französischen Staatsbürgern in Uniform das Tragen der Kokarde erlaubte, nicht aber einfachen französischen Reisenden162. Das Juste-Milieu versuchte seinerseits, die Trikolore zum Wahrzeichen der eigenen Politik zu machen, so etwa in einer Parlamentsrede Bignons vom 14. November 1830: „Le drapeau tricolore n'est en ce moment qu'un embldme de paix et d'ordre"163. Trikolore und Kokarde waren nur zwei Elemente eines revolutionären Symbolsystems, das nach der Julirevolution in ganz Europa reaktiviert wurde. Das Ausbringen von Vivat-Rufen auf Lafayette und Napoleon, das Sin-
159 vgl. Generalkommandant Cubidres an Kriegsminister Soult, Ancona, 24.3.1832, SHAT, E.3.1, S. 109-111. 160 Vgl. Generalkommandant Cubi£res an Kriegsminister Soult, Ancona, 27.2.1832, SHAT, E.3.1, S. 59-65. Vgl. dazu jetzt Nicolas JOLICCEUR, La politique frangaise envers les Etats pontificaux sous la monarchie de Juillet et la Seconde Ripublique (1830-1851), Bruxelles [u. a.] 2008. 161 Vgl. Legationssekretär Reinhard an Außenminister Jourdan, Frankfurt, 13.8.1830, AMAE, Corr. pol. Allemagne, 773, f. 228-235, hier: 232v. 162 Vgl. Geschäftsträger Schwebel an Außenminister Μοίέ, Wien, 7.9.1830, AMAE, Corr. pol. Autriche, 412, f. 280-281. 163 Rede Bignons vor der Deputiertenkammer am 13.11.1830, zitiert nach: Moniteur Nr. 318, 14.11.1830, S. 1461-1464, hier: S. 1464.
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gen der Marseillaise und der Parisienne von Casimir Delavigne 164 , das Aufpflanzen von Freiheitsbäumen165 und das Nachspielen revolutionärer Szenen auf dem Theater waren Möglichkeiten, die Verbundenheit mit den Revolutionären zum Ausdruck zu bringen. Ergänzt wurden diese Symbole und Aktivitäten durch Bekundungen internationaler Solidarität in Form von Adressbewegungen 166 , Geldsammlungen, Banketten und Festen. Damit entstand durchaus so etwas wie eine europäische Gemeinschaft von Revolutionsbefürwortern, die Europa als appellative Instanz begriff 167 . Ebenso wie LouisPhilippe in seinem Aufruf vom 16. August 1830 appellierten auch die Pariser Studenten, die aufständischen Belgier, Polen und Italiener an Europa, dessen Zustimmung oder Ablehnung zum Maßstab politischen Handelns erklärt wurde. So bestellten die Pariser Studenten im Dezember 1830 Europa zum Richter über die Minister Karls X. 168 , während sich der Zivilgouverneur der Provinz Luxemburg, Jean-Baptiste Thorn, und der Kongressabgeordnete Jean-Baptiste Nothomb in ihrem Aufruf vom 7. Januar 1831 überzeugt zeigten, die Revolution werde „sich nicht vorm Angesichte von Europa entehren", indem sie die Interessen der Luxemburger missachte 169 . In ähnlicher Weise berief sich Czartoryski in seinem Regierungsprogramm vom 30. Januar 1831 auf „die Moral wie die Politik und die Stimme Europas", welche die „Existenz und Unabhängigkeit" Polens geböten 170 , und auch die provisori164
Vgl. Herbert SCHNEIDER, Das Revolutionslied „La Parisienne" von Casimir Delavigne, in: Lendemains 57 (1990), S. 32-54. 165 Vgl. Jürgen HANNIG, Vom Eigensinn der Freiheitsbäume. Frühliberale Bewegung und Volkskultur zur Zeit des Hambacher Festes 1832, in: Arbeit, Frömmigkeit und Eigensinn. Studien zur historischen Kulturforschung II, hrsg. von Richard van Dülmen, Frankfurt a. M. 1990, S. 171-213. Karl H. WEGERT, Ideologie und Aktion. Liberale Bewegung und Volkstradition in der Pfalz, in: Liberalismus in der Gesellschaft des deutschen Vormärz, hrsg. von Wolfgang Schieder, Göttingen 1983, S. 167-193, hier: S. 180-185. 166 Vgl. Meldung über Adressen aus Edinburgh, Dublin, Birmingham, Manchester, Bristol, Maidstone und Paysley, in: Moniteur, Nr. 312, 8.11.1830, S. 1415-1416; Adresse der Glasgower Studenten an die Studenten der Medizin und der Rechte in Paris, verlesen anlässlich der Beerdigung Benjamin Constants, zitiert bei: Louis Auguste BLANQUI, A s s e m b l e des etudiants, in: Louis Auguste BLANQUI, (Euvres. Bd. 1: Des origines Ä la Involution de 1848, hrsg. von Dominique Le Nuz, Nancy 1993, S. 100-101, hier: S. 101; William COBBETT, An Address to the People of Paris, Agreed to at the London Tavern, Bishopgate Street, at a Dinner of Radical Reformers, August 16, 1830, Birmingham 1830. 167
168
V g l . REQUATE/SCHULZE WESSEL, E u r o p ä i s c h e Ö f f e n t l i c h k e i t ( w i e A n m . 3).
Vgl. Les ecoles polytechnique, de droit et de midecine. Affiche placardöe le 22 decembre 1830, in: BLANQUI, (Euvres (wie Anm. 166), S. 106: „Laissons done lä le sang des quatre miserables, indignes de notre ressentiment: les maledictions de la France les suivent dans leurs cachots itemels. La haine, le m6pris de 1'Europe seront pour eux une mort de tous lesjours". 169 Vgl. Jean-Baptiste THORN/Jean-Baptiste NOTHOMB, Zweisprachige Proklamation an die Bewohner der Provinz Luxemburg, Arel/Arlon, 7.1.1831, SHAT, E.5.134, o. Zähl. Im französischen Text hieß es dementsprechend: „la involution ne se deshonorera pas ä la face de 1'Europe". 170 Adam Jerzy Czartoryski, Regierungsprogramm 30.1.1831, zitiert nach: HAHN, Außen-
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sehe Regierung in Bologna setzte sich am 8. Februar 1831 zum Ziel, „que l'Europe admire en nous les descendants de Brutus et les sauveurs de la patrie"171. Wenngleich oder gerade weil diese Gemeinschaft der Revolutionsbefürworter einen Großteil ihrer Kraft aus der Erinnerung an die Revolution von 1789 und das Empire zog 172 , hatte sie sich außerhalb Frankreichs von jener Verherrlichung der französischen Nation abzugrenzen, die nach 1789 mit den universalen Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit eine so enge Verbindung eingegangen war, dass es nicht immer leicht fiel, sie voneinander zu scheiden, zumal die Julirevolution die französische Vorreiterrolle in Europa abermals zu bestätigen schien. An der Trikolore wurde deutlich, wie die revolutionären Symbole eine nationale Anverwandlung erfuhren: zunächst an die Seite, dann aber zunehmend an die Stelle des blau-weiß-roten Banners traten in Belgien die Farben Brabants173 und im Deutschen Bund die des Lützower Freicorps. In Italien war die grün-weiß-rote Trikolore bereits seit den Tagen der Republiken der 1790er Jahre etabliert, während die aufständischen Polen sich an den Farben des königlich-polnischen Wappens orientierten und eine weiß-rote Flagge benutzten. Das Bedürfnis zu nationaler Selbstbehauptung bei gleichzeitiger Verbundenheit mit einem internationalen Wertesystem brachte eine „Internationale der Nationalisten"174 hervor, die im Nationalstaat den Nukleus eines freiheitpolitik (wie Anm. 153), S. 35-36, liier: S. 36. ' 7 1 Giovanni VICINI [u. a.], Proklamation der provisorischen Regierung in Bologna, 8.2.1831, zitiert nach: Courrier de l'Europe, Nr. 18,18.2.1831, S. 2. 172 Zu diesem erst in den letzten Jahren vermehrt berücksichtigen Gebiet der revolutionären Traditionen, Identitäten und Erinnerungskulturen vgl. Robert ALEXANDER, Re-writing the French revolutionary tradition, Cambridge 2003; DEINET, Die mimetische Revolution (wie Anm. I l l ) ; Die Revolutionen von 1848/49: Erfahrung - Verarbeitung - Deutung, hrsg. von Thomas Mergel und Christian Jansen, Göttingen 1998; Jeroen JANSSENS, De Helden van 1830. Alle feiten en mythen, Antwerpen/Amsterdam 2005; LYONS, PostRevolutionary Europe (wie Anm. 20); 1848/49 in Europa und der Mythos der Französischen Revolution, hrsg. von Irmtraud Götz von Olenhusen, Göttingen 1998; 1848: Ereignis und Erinnerung in den politischen Kulturen Mitteleuropas, hrsg. von Barbara Haider und Hans Peter Hye, Wien 2003; Axel KÖRNER, 1848 - Α European Revolution? (wie Anm. 20); Sergio LUZZATTO, European Visions of the French Revolution, in: Revolution and the Meanings of Freedom in the Nineteenth Century, Stanford 1996, S. 31-64; DERS., Ombre rosse. II romanzo della Rivoluzione francese nell'Ottocento, Bologna 2004. 173 Beispielsweise im Gemälde von Constantin-Fidöle Coene, Attaque du pare de Bruxelles en septembre 1830, 1830, ö l auf Leinwand, 105 χ 131,5 cm, Musies royaux des BeauxArts de Belgique, Bruxelles. Farbreproduktion in: Eberhard WEIS, Propyläen Geschichte Europas, Bd. 4: Der Durchbruch des Bürgertums 1776-1847, Frankfurt a. M. [u. a.] 1978, Abb. XVI. 174 GOLLWITZER, Europabild (wie Anm. 5), S. 244. Vgl. BRENDEL, Zukunft Europa (wie Anm. 13); CONTER, Jenseits der Nation (wie Anm. 13); Heinz DUCHHARDT, Föderalismus, Nationalstaatsidee, Europagedanke im deutschen Ancien Rögime und im 19. Jahrhundert eine Quadratur des Kreises?, in: Region, Nation, Europa. Historische Determinanten der Neugliederung eines Kontinents, hrsg. von Günther Lottes, Regensburg 1992, S. 162-176.
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liehen Europa erblickte. Z u d e s s e n S c h a f f u n g hatten die e i n z e l n e n N a t i o n e n a u f unterschiedliche W e i s e beizutragen. In Frankreich w u r d e in d i e s e m K o n text in erster Linie an W a f f e n g e w a l t gedacht, s o e t w a v o n Blanqui: „La Franc e a encore quatorze armöes ä lancer sur l'Europe des rois, et d e plus, l'Europe d e s p e u p l e s est de notre cöte" 1 7 5 . S c h w a n g e n im französischen Fall unverkennbar Erinnerungen an d i e R o l l e als Freiheitsbringer in R e v o l u t i o n s zeit und Empire mit, rekurrierte P o l e n s europäische M i s s i o n a u f den A n t e m u r a l e - M y t h o s 1 7 6 , der P o l e n eine V e r t e i d i g u n g s f u n k t i o n g e g e n d e n asiatischen D e s p o t i s m u s zusprach: „Polonais! une premiere fois, sous les murs de Vienne, vous avez preservö l'Europe de l'invasion des Barbares, et affermi les trönes de ses rois; maintenant vous seriez pour l'Europe et ses rois un rempart contre l'invasion de cette puissance redoutable, qui porte des menaces de mort ä un peuple Iev6 pour son ind6pendance: les rois у songeront" 177 . D a s Schicksal Polens wurde mit d e m Europas aufs engste verknüpft: „Polen ist das Volk, das in d e m Herzen Europa's ruht, sein Blut wird in alle Adern des großen Körpers ausgeführt" 1 7 8 . N a c h d e m Scheitern des Aufstandes entstand auf dieser Basis ein polnischer Messianismus, der in der Wiederauferstehung des polnischen Staates ein europäisches Heilsversprechen erblickte 1 7 9 . 175 Louis-Auguste BLANQUI, A la βοώέΐέ des amis du peuple, 2.2.1832, in: (Euvres (wie Anm. 166), S. 207-223, hier: S. 223. 176 Vgl. Heidi HEIN-KLRCHER, Antemurale christianitatis. Grenzsituation als Selbstverständnis, in: Grenzen. Gesellschaftliche Konstitutionen und Transfigurationen, hrsg. von Hans Hecker, Essen 2006, S. 129-148; Malgorzata MORAWIEC, Antemurale christianitatis. Polen als Vormauer des christlichen Europa, in: Jahrbuch fur Europäische Geschichte 2 (2001), S. 249-260. Zu finden ist dieser Gedanke noch bis heute in der Historiographie, vgl. Wladystaw ZAJEWSKI, L'Europe face Ä la revolution en Belgique et en Pologne en 1830-1831, in: Acta Poloniae historica 69 (1994), S. 81-98, hier: S. 88-89. Kritisch dagegen KIENIEWICZ, Polenbegeisterung (wie Anm. 16), S. 62. 177 Manifeste du comite central frangais, en faveur des Polonais, au peuple Polonais, Paris, 12.2.1831, Journal des Debats, 20.2.1831, Suppl6ment. Vgl. auch Proklamation General Chtopickis (wie Anm. 147): „Non, le Polonais sait etre fidele lorseque toute l'Europe abandonna celui devant les aigles duquel les nations s'etaient prostemees, les bataillons polonais, pleins de constance dans le malheur, restörent jusqu'au dernier moment reunis autour du conqu0rant ren verse". 178 Ludwig UHLAND, Polen und Europa, in: Allgemeine Politische Annalen NF 6 (1831), S. 284-291, hier: S. 285. 179 Vgl. Wtodzimierz BORODZIEJ [u. a.], Polnische Europa-Pläne des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Option Europa (wie Anm. 12), Bd. 1, S. 43-134, hier: S. 51-63; Malgorzata GRYZWACZ, Europavorstellungen der polnischen Romantiker am Beispiel von Zygmunt Krasmski, in: Europavisionen im 19. Jahrhundert. Vorstellungen von Europa in Literatur und Kunst, Geschichte und Philosophie, hrsg. von Wulf Segebrecht, Würzburg 1999, S. 138-143; Rudolf JAWORKSI, Völkerfrühling 1848, in: Langewiesche, Demokratiebewegung (wie Anm. 8), S. 36-51; Jerzy KRASINSKI, Das Bild Europas im Schaffen der polnischen Romantik, in: Die Kontinentwerdung Europas, hrsg. von Heiner Timmermann, Berlin 1995, S. 69-82; Peter Oliver LOEW, Polen denkt Europa, Frankfurt a. M. 2004; Malgorzata MORAWIEC, Vom „ewigen Bündnis der zivilisierten Völker" (1831) zur
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Im Deutschen Bund waren es vor allem Johann Georg August Wirth und seine in den Jahren 1831 und 1832 erscheinende Zeitschrift Deutsche Tribüne, die der deutschen Nation eine konkrete Aufgabe innerhalb des europäischen Freiheitskampfes zuwiesen 180 . Wie Wirth in seinem Aufruf zur Gründung des Preß- und Vaterlandsvereins im Februar 1832 ausführte, komme es den Deutschen zu, durch die Schaffung eines freiheitlichen Nationalstaats die Macht Preußens und Österreichs einzudämmen und damit den Bund der Könige zu zerschlagen: „Sollen die Völker endlich die Freiheit erlangen, soll der Verarmung und dem Elende Europa's ein Ziel gesetzt werden, so muß Russland von Preußen und Oestreich durch ein democratisch organisirtes Polen getrennt, das Uebergewicht des preußischen und österreichischen Königs durch die Organisation eines deutschen Reiches, mit democratischer Verfassung, aufgehoben, und eine europäische Staatengesellschaft durch ein treues Bündniß des französischen, deutschen und polnischen Volkes vorbereitet werden" 181 .
Kurz vor dem Hambacher Fest wurde dieser Aufruf in französischer Übersetzung im deutsch-französischen Grenzgebiet verteilt182, und auf dem Hambacher Fest interpretierte Wirth dann „die Reform Deutschlands, als die Basis der Reorganisation Europa's" als „eine große gemeinschaftliche Angelegenheit aller Völker" des Kontinents, von der „die Wohlfahrt der großen Mehrheit aller Nationen Europa's" sowie „die Ruhe und das Glück des ganzen Welttheils" abhänge183. Nach diesem Verständnis waren die „vereinigten Freistaaten Deutschlands" tatsächlich Bedingung für „das conföderirte republikanische Europa"184. Auch in den Beiträgen der anderen Redner des Hambacher Festes wurde deutlich, wie sehr die Missionen der Völker ineinander griffen 185 . Die Gruß„Dämmerung Europas" (1867). Der Wandel des Europa-Diskurses in der polnischen Publizistik des 19. Jahrhunderts, in: Vision Europa (wie Anm. 1), S. 37-53; Sendung und Dichtung. Adam Mickiewicz in Europa, hrsg. von Zdzislaw Krasnod^bski und Stefan Garsztecki, Hamburg 2002; Irena SWIATLOWSKA, Adam Mickiewicz' Vision von Europa, in: Europavisionen (wie Anm. 179), S. 264-272; Tomas WASZAK, Der mythische Leib. Europavisionen der polnischen messianistischen Philosophie, in: Europavisionen (wie Anm. 179), S. 112-132. 180 Vgl. Deutsche Tribüne (1831-1832), hrsg. von J[ohann] G[eorg] Afugust] Wirth, neu hrsg. von Wolfram Siemann und Christof Müller-Wirth, Bd. 1.1-1.2, München 2007. 181 Johann Georg August WIRTH, Deutschlands Pflichten, in: Deutsche Tribüne, Nr. 29, 3.2.1832, Sp. 225-229, hier: Sp. 225. 182 Vgl. SHAT, E.5.134, o. Zähl., mit einem Begleitschreiben des Kommandanten von Bitche, 15.5.1832. 183 Johann Georg August WIRTH, Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach, 2 Bde., Neustadt a. H. 1832, ND Vaduz 1977, Bd. 1, S. 43. 184 Ebd., S. 48. 185 Eine ausführliche Analyse der Europa-Vorstellungen der Hambacher bei BRENDEL, Zukunft Europa (wie Anm. 13), S. 276-313; vgl. femer Joachim KERMANN, Von den Nationalaufständen zur Solidarität der freien „Völker' Europas. Die Europäischen Revolu-
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adresse des polnischen Nationalkomitees in Paris sah in der ,,blirgerliche[n] Emanzipation" des deutschen Volkes den „Grundstein zur Befreiung aller anderen Völker" 186 . Auf dieser Linie argumentierte auch der Homburger Christian Scharpff, indem er Deutschland eine Schlüsselrolle für den Sieg von Freiheit oder Unfreiheit in Europa zuwies; beides könne „in Deutschland und durch Deutschland in Europa begründet werden" 187 . Der polnische Redner Zatwarnicki erinnerte abermals an das Opfer, das Polen für Europa gebracht habe188, und der Straßburger Lucien Rey rief zur Schaffung einer Allianz von Deutschen und Franzosen auf, ohne die für Europa keine Freiheit zu erringen sei189. Diese Beschwörung internationaler Solidarität und Zusammenarbeit konnte freilich nicht verdecken, dass in Hambach auch nationalistische Misstöne erklangen. Nationale Überheblichkeit und Reminiszenzen an den Franzosenhass der antinapoleonischen Kriege kamen in den Worten mehrerer deutscher Redner zum Vorschein, so dass bei Drucklegung sogar eine nachträgliche Relativierung von Wirths antifranzösischen Ausfällen nötig wurde190. In welchem Maß das Schüren solcher Feindbilder das Gesamtprojekt eines freiheitlichen Europa in Gefahr brachte, erkannte nicht zuletzt Giuseppe Mazzini, der im November 1832 mit seiner Schrift Fratellanza dei popoli auf das Hambacher Fest reagierte191. Mazzini, der sich im Gefolge der Julirevolution zum prononciertesten Vertreter der Internationale der Nationalisten entwickelte192, rief darin zu politischer Kooperation aller republikanischen Kräfte in Europa auf und distanzierte sich ausdrücklich von Wirth, der in seiner Kritik an Frankreich das Volk mit den „uomini che la governano"193 verwechselt habe. tionen von 1830/31 und das Hambacher Fest, in: Freiheit, Einheit und Europa. Das Hambacher Fest von 1832 - Ursachen, Ziele, Wirkungen, hrsg. von dems. [u. a.J, Ludwigshafen 2006, S. 9-46. 186 W l R T H > Nationalfest (wie Anm. 183), S. 24-25. 187 Ebd., S. 71. 188 Vgl. ebd., S. 97-98. 189 Vgl. ebd., S. 53. 190 Vgl. ebd., S. 48-49. 191 Vgl. Giuseppe MAZZINI, Fratellanza dei popoli (1832), in: DERS., Scritti editi E inediti. Bd. 1: Politica, Milano 1861, S. 286-315. Auszug in dt. Übersetzung bei Rolf Hellmut FOERSTER, Die Idee Europa 1300-1946. Quellen zur Geschichte der politischen Einigung, München 1963, S. 196-199. 192 Vgl. BRENDEL, Zukunft Europa (wie Anm. 13), S. 317-366; Hans-Georg GRÜNING, Patriotismus und Europäertum. Europavisionen bei Leopardi und Mazzini, in: Europavisionen im 19. Jahrhundert (wie Anm. 179), S. 151-158; Alexander HOLTHAUS, Giuseppe Mazzini und Europa. Nationalstaat und europäische Einheit - eine Antithese?, unveröffentlichte Magisterarbeit, München 1987; Rosario ROMEO, Mazzinis Programm und sein revolutionärer Einfluß in Europa, in: Herausforderung des europäischen Staatensystems (wie Anm. 16), S. 15-30. 193 MAZZINI, Fratellanza (wie Anm. 191), S. 289.
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Als Motto stellte Mazzini seiner Schrift ein Zitat des französischen Lyrikers Böranger aus dem Jahre 1818 voran: „Peuples, formons une saintealliance, et donnons-nous la main"194. In diesem Sinn wollte Mazzini ein europäisches Bündnis der Nationen schmieden, das der Heiligen Allianz der Großmächte entgegenstand. Das Mittel der Wahl sah der durch die Carboneria geprägte Mazzini nicht im öffentlichen Wirken, wenngleich er die Bedeutung der Presse und auch den Nutzen des von Wirth, Savoye und Schüler begründeten, bald auch über eine Pariser Filiale verfügenden Preß- und Vaterlandsvereins hervorhob195. Vielmehr vertraute der „ewige Verschwörer"196 Mazzini auf die Instrumente der politischen Geheimorganisation. Im April 1831 gründete er in Marseille den republikanischen Geheimbund Giovine Italia197, der zur Keimzelle weiterer Nationalorganisationen wurde: 1833 wurden unter Mazzinis Einfluss ein Junges Deutschland und ein Junges Polen ins Leben gerufen. Zwischen diesen Bünden bestand bereits ein reger Austausch, bevor sie sich am 15. April 1834 zu einer Art Dachorganisation, der Giovine Europa, zusammenschlossen. Noch im selben Jahr wurde zudem eine Junge Schweiz gegründet198. Der Name, den Mazzini der Vereinigung Giovine Europa gab, wies Europa einen neuen Bedeutungsgehalt zu, der auf Fortschritt und Demokratisierung abzielte. Er entsprach dem Empfinden der nach 1800 Geborenen, dass die Julirevolution eine Zeitenwende, ein Ende des alten Europa und einen Aufbruch der eigenen Generation darstellte199. Der Gegensatz von jung und alt 194 Ebd., S. 291. Vgl. Pierre-Jean de BERANGER, La sainte alliance des peuples (1818), in: CEuvres competes de P.J. de B0ranger, Bd. 2, Paris 1834, S. 202-205, hier: S. 205. 195 Vgl. die Übersetzung von Wirths „Pflichten Deutschlands" (Doveri dell'Alemagna) bei MAZZINI, Fratellanza (wie Anm. 191), S. 292-295. Zum Preß- und Vaterlandsverein und seiner Pariser Filiale vgl. Cornelia FOERSTER, Der Preß- und Vaterlandsverein von 1832/33. Sozialstruktur und Organisationsformen der bürgerlichen Bewegung in der Zeit des Hambacher Festes, Trier 1982; Wolfgang SCHIEDER, Die Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung. Die Auslandsvereine im Jahrzehnt nach der Julirevolution, Stuttgart 1963, S. 14-18; ferner HEROLD-SCHMIDT, Deutschland und Europa (wie Anm. 20),
S. 1 2 8 - 1 3 0 . 196 Richard BLAAS, Metternich, Mazzini und die Gründung der Giovine Italia, in: Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs 25 (1972), S. 595-616, hier: S. 599. 197 Vgl. ebd. 198 Die in italienischer, deutscher, polnischer und französischer Sprache verfasste Verbrüderungsakte ist als Faksimile eingebunden in Giuseppe MAZZINI, Scritti politici editi ed inediti, Bd. 3 (= Scritti editi ed inediti di Giuseppe Mazzini. Edizione nazionale, Bd. 4), Imola 1908. Vgl. für die italienische Fassung (Atto di Fratellanza) ebd., S. 3-6; für die dt. Fassung (Verbrüderungsacte) BRENDEL, Zukunft Europa (wie Anm. 13), S. 324-325; für die frz. Fassung (Acte de Fraternitö) Denis de ROUGEMENT, Vingt-huit si6cles d'Europe. La conscience еигорёеппе ä travers les textes, Paris 1961, ND Paris 1990, S. 250-252. 199 Vgl. DEINET, Die mimetische Revolution (wie Anm. 111), S. 33-37; Andreas SCHULZ, Generationserfahrungen bürgerlicher Eliten im Vormärz, in: Eliten um 1800. Erfahrungshorizonte, Verhaltensweisen, Handlungsmöglichkeiten, hrsg. von Anja Victorine Hartmann [и. a.], Mainz 2000, S. 409-424, hier: S. 417; Wulf WÜLFING, Schlagworte des Jungen
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bzw. neu und alt wurde aber auch von einem Vertreter der alten Ordnung wie Metternich empfunden: „Ma pensöe la plus secrdte, au reste, est celle que la vieille Europe est au commencement de la fin. D0cid6 ä p6rir avec eile, je saurai faire mon devoir, et ce mot n'est pas seulement le mien; c'est dgalement celui de l'Empereur. La nouvelle Europe n'est, d'un autre cöti, pas encore ä son commencement; entre la fin et le commencement se trouvera un chaos" 200 .
Fast gleichlautend flocht auch der preußische Hofprediger Theremin im Juli 1831 diesen Gedanken in seine Friedenspredigt ein: „Alles schwankt; alles stürzt ein, oder drohet einzustürzen; die aufs Aeußerste getriebene Ungeduld der Menschen will die Dinge neu schaffen und gestalten, und indeß, bis die neue Ordnung eingeführt werden mag, wird die alte aufgelöset, dass nur ein Chaos davon übrig bleibt" 201 .
Im Denken Mazzinis und seiner Mitstreiter entsprach der Dichotomie von jung und alt das Gegensatzpaar Könige/Volk: Das neue Europa sollte ein Europa der Völker sein und das alte Europa der Könige ablösen. Dieser Forderung konnte ebenso mit dem emotionalen Begriff der Verbrüderung Ausdruck verliehen werden wie mit dem staatsrechtlichen Terminus eines „conföderirte[n] republikanische^] Europa" 202 oder der „europäischen Staatengesellschaft" 203 . Mazzinis Anspruch, mit der Giovine Europa ein Gegenmodell zur Heiligen Allianz zu etablieren, schlug sich im sprachlichen Duktus und formalen Aufbau der von Mazzini verfassten Verbrüderungsakte nieder, die sich am Stil eines völkerrechtlichen Vertrages orientierte. Wie die drei Großmächte in ihrem 1815 geschlossenen Allianzvertrag folgten auch die drei Nationalorganisationen „ein und demselben Endziel" und vereinigten sich „brüderlich jetzt und für immer, um diese Idee zu verwirklichen"204. Jeder der drei Bünde war „frei und unabhängig", hatte allerdings „die allgemeinen Grundsätze" zu befolgen und war im Rahmen einer „Offensiv- und Defensiv-Allianz" zur Unterstützung verpflichtet205. Dass es sich dabei tatsächlich um Waffenhilfe handelte, stand angesichts der freischärlerischen Aktivitäten im Grenzgebiet Deutschland. Mit einer Einführung in die Schlagwortforschung, Berlin 1982; ferner BRANDT, Europa 1815-1850 (wie Anm. 20), S. 10. 200 Metternich an Nesselrode, Wien, 1.9.1830, in: Aus Metternich's nachgelassenen Papieren (wie Anm. 58), S. 25. 201
THEREMIN, Z e u g n i s s e ( w i e A n m . 8 4 ) , S. 119. 202 WIRTH, N a t i o n a l f e s t ( w i e A n m . 1 8 3 ) , S. 4 8 .
Johann Georg August WLRTH, Die Politische Reform Deutschlands. Noch ein dringendes Wort an die deutschen Volksfreunde, Straßburg 1832, S. 34, zitiert nach: ZERBACK, Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes (wie Anm. 37), Nr. 104, S. 685-736. 204 Verbrüderungsakte, zitiert nach: BRENDEL, Zukunft Europa (wie Anm. 13), S. 325, Art. 1. 205 Ebd., Art. 203
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zum Piemont, die Anfang Februar 1834 im sogenannten Savoyerzug polnischer und italienischer Exulanten gipfelten 206 , außer Frage. Über Waffenbesitz verfügten die einzelnen Mitglieder der Geheimbünde ohnehin207. Die Waffenbrüderschaft der Revolutionäre stand in der Tradition der Freicorps. Nach den antinapoleonischen Kriegen war die Idee einer nationsübergreifenden Waffenhilfe in der Philhellenenbewegung der 1820er Jahre208 populär geworden. Die Julirevolution führte zu einem neuerlichen Aufschwung dieser Idee. Bereits an den Trois Glorieuses hatten sich in Paris lebende Angehörige fremder Nationen beteiligt und zählten zu den Decores de Juillet209, in die Pariser Aufstände der Folgejahre waren ebenfalls Ausländer involviert210. In Belgien bot eine Fremdenlegion, die sich unter Führung Achille Murats gegründet hatte, dem belgischen Militär ihre Unterstützung im Kampf gegen die niederländischen Truppen an211. Am polnischen Novemberaufstand nahmen ebenfalls Ausländer teil; der Plan der westeuropäischen Polenfreunde, nach dem Vorbild der philhellenischen Freischärler ein Freiwilligenheer nach Polen zu entsenden, konnte jedoch nicht in die Tat umgesetzt werden, so dass es bei humanitären Hilfsaktionen blieb 212 . Ebenso wenig scheint das Vorhaben der Amis du peuple in die Tat umgesetzt worden zu sein, die italienischen Revolutionäre mit französischen Kämpfern und Waffen zu unterstützen, wenngleich Blanqui bereits im Herbst 1830 über sehr
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Vgl. die Berichte in SHAT, E.5.146. Vgl. BRENDEL, Zukunft Europa (wie Anm. 13), S. 348. Zum Philhellenismus vgl. Philhellenismes et transferts culturels dans l'Europe du XIXе sifecle, hrsg. von Sophie Bäsch, Paris 2005; BRENDEL, Zukunft Europa (wie Anm. 13), S. 169-211; Christoph HAUSER, Anfänge bürgerlicher Organisation. Philhellenismus und Frühliberalismus in Südwestdeutschland, Göttingen 1990; Günther HEYDEMANN, Philhellenismus in Deutschland und Großbritannien, in: Herausforderung des europäischen Staatensystems (wie Anm. 16), S. 31-60; Natalie KLEIN, „L'humanite, le christianisme, et la liberti". Die internationale philhellenische Vereinsbewegung der 1820er Jahre, Mainz 2000; Europäischer Philhellenismus, hrsg. von Evangelos Konstantinou, 4 Bde., Neuried, Frankfurt а. M. 1989-1995. 209 So wurden beispielsweise in der ersten Flugschrift des Preß- und Vaterlandsvereins Döcorös de Juillet als Subskribenten aufgeführt, die offenbar aus deutschen Städten stammten. Vgl. Flugschrift (1). Die Gewalt - Deutscher Preßverein - Briefe aus Paris - Polen, Zweibrücken 1832, S. 15-16. 210 Belegt ist etwa die Beteiligung italienischer, polnischer und deutscher Exulanten am Begräbnis Lamarques, in: Courrier de l'Europe, Nr. 158-159, 6.-7.6.1832, S. 1. Bezeichnenderweise trafen sich die Mitglieder des Preß- und Vaterlandsvereins im Frühjahr 1832 in der Passage de Saumon, die einen der Orte der Barrikadenkämpfe des 5./6. Juni 1832 im 4. Arrondissement zwischen Rue Montmartre und Rue Montorgeuil darstellte. Vgl. dazu die Berichte Uber die Unruhen einschließlich eines Stadtplans mit Eintragungen der Kampfplätze im Bestand des SHAT, E.5.133. 211 Vgl. Schreiben an Marichal Gerard (?), 22.10.1831, SHAT, E.1.2, Papiers Pelet, o. Zähl. Vgl. dazu PlRENNE, Histoire de Belgique 4 (wie Anm. 23), S. 15. 212 Vgl. BRENDEL, Zukunft Europa (wie Anm. 13), S. 230. 207
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detaillierte Pläne verfügte, wie ein Aufstandsversuch in Ligurien unterstützt werden könne213. Die Verquickung von Freiheit und Nation, wie sie von Mazzini vertreten wurde, fand bei den meisten republikanisch Gesinnten Anklang. Allerdings regten sich auch Stimmen, die die nationale und soziale Befreiung der Völker einander gegenüberstellten. Der vom Gang der jüngsten Revolutionswelle enttäuschte Louis de Potter etwa stellte 1831 apodiktisch fest: „Les revolutions sont ou nationales et politiques, ou populaires et sociales"214. Das Volk (le peuple) gewinne durch erstere „absolument rien"215, da sie allein darauf abzielten, die Unabhängigkeit zu erobern oder die Ehre wiederherzustellen. Die Revolutionen des zweiten Typs dagegen „se font pour la liberty, c'est-ädire pour röaliser un 6tat de choses oil le peuple fera le plus possible ses affaires lui-meme, et par consequent les fera dans son interet, 6conomiquement et de maniere ä augmenter indöfiniment son propre bien-etre"216. Hier stand dem Europa der Könige kein Europa der Völker, sondern ein Europa des Volkes gegenüber. Die Julirevolution und ihre Folgen forderten die verschiedensten politischen Lager heraus, die eigenen europapolitischen Ordnungsvorstellungen zu überdenken und zu konkretisieren. Gegenüber all diesen Strömungen hatte sich ein Europakonzept zu positionieren, das sich weniger auf politische Überzeugung der einen oder anderen Art stützte, sondern seinen zentralen Bezugspunkt in der christlichen Religion fand. Das Denkmuster einer europäischen universitas Christiana hatte sich seit dem Mittelalter in Auseinandersetzung mit der islamischen Welt gefestigt und war durch die konfessionelle Differenzierung Europas zwar berührt, aber nicht zerstört worden. Ein darauf basierender christlich inspirierter Internationalismus übte um 1830/31 erheblichen Einfluss auf das europapolitische Denken aus, wie die christlich-irenische Fundierung legitimistischer Positionen217 ebenso zeigte wie die tiefe Verwurzelung im jansenistisch geprägten Katholizismus eines Mazzini218 oder die im
213 Vgl. Louis Auguste BLANQUI, Rapport sur la situation en Ligurie, in: CEuvres (wie Anm. 166), S. 93-97, hier: S. 96. 214 Louis-Joseph-Antoine DE POTTER, De la Revolution ä faire, d'aprös l'experience des Evolutions avortees, Paris 1831, S. 19, zitiert nach: Les Revolutions du XIXе siecle (1830— 1834), Bd. 7: Ecrits de Buonarroti, d'Argenson, Blanqui, De Potter, Teste, Trölat, Laponneraye et autres r6volutionnaires, Paris 1974, unpag. 215 Ebd., S. 15. 216 Ebd., S. 19. 217 Vgl. August SCHOU, Histoire de l'internationalisme, Bd. 3: Du congres de Vienne jusqu'ä la premiere guerre mondiale (1914), Oslo [u. a.] 1963, S. 14-24. 218 Vgl. Bernhard Ple, Mazzini, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 5, Nordhausen 1993, Sp. 1118-1143, URL: http://www.bautz.de/bbld/nVmazzini_g.shtml (30.10.2008).
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protestantischen Milieu der Societe des amis de la Morale Chretienne entwickelte liberale Friedenspolitik eines Guizot219. Der christliche Glaube ging hier eine Verbindung mit politischen Vorstellungen ein, die vor und neben ihm bestanden. Bei F&icit0 de Lamennais war er hingegen der Mittelpunkt einer ganz eigenen, nach 1830 entstehenden europapolitischen Ordnungsvorstellung, in der frühsozialistische, liberale und romantische Elemente miteinander verschmolzen. Anders als sein ehemaliger Weggefährte Bonald, der nach der Julirevolution weiterhin traditionalistischroyalistische Positionen verteidigte220, entwickelte Lamennais in Auseinandersetzung mit dem französischen, belgischen und polnischen Aufstand die Vision einer katholischen Erneuerung, die von Frankreich ausgehend ganz Europa erfassen werde. Ende 1830 zeigte er sich überzeugt, „qu'on n'arretera pas le mouvement qui entraine dans l'abime la vieille societö europöenne; mais je crois de plus que се mouvement est, et qu'il n'est au fond que l'effort du christianisme pour renaitre, et reconstituer la monde sous une forme nouvelle"221. Vor diesem Hintergrund wurde Lamennais gemeinsam mit seinem Vertrauten Montalembert, der Adam Mickiewicz' Ksiegi Narodu Polskiego i Pielgrzymstwa Polskiego von 1832 ins Französische übersetzte, ein glühender Verehrer der aufständischen Polen, zu deren Unterstützung er nicht nur in seiner neugegründeten Zeitung L 'Avenir aufrief 222 . Auf Zustimmung stieß Lamennais nicht zufällig in jenen Kreisen, die auch dem Gedankengut Wirths und Mazzinis nahestanden223. Seine 1834 publizierten Paroles d'un croyant wurden von den in die Schweiz geflohenen Deutschen Hermann Rauschenplatt und Carl Weiland sowie von Ludwig Börne ins Deutsche übertragen; Börne verteilte die ihm als Honorar zustehenden 500 Freiexemplare an die deutschen Handwerker in Paris224. Innerhalb der katholischen Kirche waren die Anschauungen Lamennais' hingegen nicht mehrheitsfähig. Von Papst Gregor XVI. in der Enzyklika „Mirari vos" verurteilt, konnten sich seine Lehren etwa im deutschen Katholizismus nicht durchsetzen225. 219
Vgl. SCHOU, Histoire de Pinternationalisme (wie Anm. 217), S. 90-101; ferner KLEIN, L'Humanita (wie Anm. 208), S. 191-193. 220 Vgl. Louis de BONALD, inflexions sur la Revolution de Juillet 1830, hrsg. von Jean Bastier, Toulouse 1983; ferner Patricia DOUGHERTY, The French Catholic Press and the July Revolution, in French History 12 (1998), S. 403^128. 221 Lamennais an Senfft, Juilly, 23.12.1830, in: LAMENNAIS, Correspondence generale (wie Anm. 144), S. 388-389, hier: S. 388. 222 Vgl. Gaston BORDET, La Pologne, Lamennais et ses amis 1830-1834, Paris 1985. 223 Vgl. SCHIEDER, Anfänge (wie Anm. 195), S. 227-239. 224 Vgl. Dieter LAMPING, „Soviel Franzose wie Deutscher". Ludwig Börnes politischer und literarischer Internationalismus, in: Confrontations/Accomodations. German-Jewish Literary and Cultural Relations from Heine to Wassermann, hrsg. von Mark Η. Gelber, Tübingen 2004, S. 83-95, hier: S. 87; SCHIEDER, Anfänge (wie Anm. 195), S. 234; femer ILSE, G e s c h i c h t e (wie A n m . 86). 225
Vgl. Bernhard SCHNEIDER, Katholiken auf die Barrikaden? Europäische Revolutionen
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5. 1830/31 als europäisches Ereignis Die Revolutionen der Jahre 1830/31 waren nicht nur ein Ereignis in, sondern auch für Europa. Dass sie dazu werden konnten, bedingte wesentlich der europäische Kommunikationsraum, der die Nachrichten- und Ideenübermittlung überhaupt erst ermöglichte, sodann die Existenz einer gesamteuropäischen Erinnerung an die Revolution von 1789, die die Zeitgenossen befähigte, die Juliereignisse nicht nur als Erschütterung und Überraschung wahrzunehmen, sondern sie nach Maßgabe bereits bestehender Wertegefüge zu beurteilen. Die Pariser Geschehnisse vom Juli 1830 hatten daher unmittelbare und zugleich weitreichende Folgen für die innere und äußere Politik der europäischen Staaten. Das Denken und Handeln aller politischen Lager reflektierte diese Verflechtung des Kontinents: Die Pläne zur Wiederherstellung oder Erneuerung der politischen Ordnung waren ganz oder teilweise staatenübergreifend, im Falle Wirths und Mazzinis auch bereits international im eigentlichen Sinne. Bezogen wurden diese Ordnungsvorstellungen ausdrücklich auf Europa, das somit einen zentralen Begriff der politischen Sprache darstellte, der in aller Regel positiv besetzt und entsprechend der eigenen politischen Überzeugung aufgeladen wurde. Die Konservativen rekurrierten dabei auf ältere Vorstellungen von einer Heiligen Allianz oder dem Europäischen Konzert, die nach der Julirevolution gleichsam aktualisiert werden mussten. Im republikanischen Lager entstanden hingegen in Auseinandersetzung mit den Geschehnissen neue Denkfiguren, in denen sich die schon zuvor kursierenden Ideen bündelten. Die nun konzipierten Missionen der Nationen und die vereinzelt auch schon anklingende Internationale des Volkes erwiesen sich als wirkmächtige idealistische Entwürfe, die im weiteren 19. und 20. Jahrhundert eine große Anziehungskraft entfalteten. Das Heft des Handelns verblieb jedoch noch auf längere Sicht in den Händen der Pragmatiker. Weder die demokratischen Hasardeure noch die legitimistischen Eiferer bestimmten in den Jahren nach der Julirevolution die Geschicke der europäischen Staaten. Vielmehr war in den internationalen Beziehungen noch immer ein auf Konsens und Vergleich ausgerichteter Politikstil vorherrschend, der es ermöglichte, den seit 1815 bestehenden Frieden bis in die zweite Jahrhunderthälfte hinein aufrechtzuerhalten. Insofern ist die durch die Julirevolution ausgelöste Krise der europäischen Staatenwelt mit den tiefgreifenden Erschütterungen der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts und dem aus ihnen resultierenden Wandel nicht zu vergleichen. Allerdings vermochten die Revolutionen der Jahre 1830/31 zu verändern, wie und deutsche katholische Presse 1 8 1 5 - 1 8 4 8 , Paderborn 1998; Stephan SCHOLZ, Der deutsche Katholizismus und Polen ( 1 8 3 0 - 1 8 4 9 ) . Identitätsbildung zwischen konfessioneller Solidarität und antirevolutionärer Abgrenzung, Osnabrück 2 0 0 5 .
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Europa gedacht wurde. Damit, und nicht durch eine kurzfristige Neuordnung Europas, trugen sie ä la longue zur Umgestaltung des Kontinents bei.
Summary It is generally acknowledged that the way of thinking about Europe changed after the two world wars. As these wars were fundamental crises, they catalyzed the development of new political plans for the continent. This paper examines whether the revolutions of the 19th century also led to emergence of conceptions and visions of Europe. To do so, it analyses the lesser known revolutions of 1830/31 that were initiated by the Parisian Trois Glorieuses during the last eventful days of July 1830. Firstly, this paper argues that the multitude of transfer processes emerging from the revolution of July consolidated a pre-existing European public sphere and a commemorative space, which made a kind of European experience possible. Secondly, it discusses the profound challenges that the revolutions of 1830/31 posed to political actors. European liberals with the new French King Louis-Philippe leading the way tried to appease both democrats and legitimists, whereas the courts of Berlin, Vienna and St. Petersburg had to reconsider the validity of the political order that had been developing since 1814/15. While the political discussions about the crisis were controversial, all suggestions for dealing with the situation focused on a European solution. Prussia, Austria and Russia renewed their ideas of a Holy Alliance, whereas France and Britain promulgated the principle of non-intervention. Among the revolutionists, a new concept of a Europe of nations arose. Thus, as this paper argues, the revolutions of 1830/31 constitute a crucial event in the history of „Thinking Europe".
„Nach der Zuständigkeit zur Gesetzgebung". Die deutsche Vertretung bei den Europäischen Erziehungsministerkonferenzen seit 1959 Von
Ansbert Baumann In Zusammenhang mit dem in seinen Auswirkungen auf die deutsche Hochschullandschaft in vielen Bereichen zumindest fragwürdigen BolognaProzess wird immer wieder auf die „Bologna-Deklaration" vom 19. Juni 1999 verwiesen, in welcher sich 29 europäische Erziehungsminister auf die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Hochschulraums verständigt haben. Seitdem haben bereits vier Nachfolgekonferenzen stattgefunden, die auch als „Europäische Bildungsministerkonferenzen" oder „Europäische Erziehungsministerkonferenzen" bezeichnet wurden. Tatsächlich hat jedoch die auf die „Bologna-Deklaration" zurückgehende Entwicklung nichts mit der vor 50 Jahren aus dem Europarat hervorgegangenen „Europäischen Erziehungsministerkonferenz" zu tun. Dies zeigt sich insbesondere an der Repräsentanz der Bundesländer innerhalb der jeweiligen Organe: Die dem Bologna-Prozess zugrundeliegende Initiative, die sogenannte „SorbonneDeklaration" vom 25. Mai 1998, wurde für die deutsche Seite vom damaligen Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Jürgen Rüttgers, und die „Bologna-Deklaration" selbst von Wolf-Michael Catenhusen in seiner Eigenschaft als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung unterzeichnet. Auch wenn in dem gemeinsam vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Kultusministerkonferenz herausgegebenen „Nationalen Bericht zur Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutschland" betont wurde, dass die „Realisierung der Ziele des Bologna-Prozesses [...] in Deutschland wegen der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen in der Verantwortung der Hochschulen, der Länder und des Bundes"1 liegen und die Bundesregierung in den zurückliegenden Jahren sehr darum bemüht war, die Einbindung der Länder in die weitere Entwicklung zu gewährleisten, ist unverkennbar, dass der Bund sich von Beginn an als treibende Kraft des Bologna-Prozesses verstand. Dies ging so weit, dass Jürgen Rüttgers im Hinblick auf die weitere
1 Bologna-Prozess: Nationaler Bericht 2005 bis 2007 für Deutschland, hrsg. vom Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (Dezember 2006), S. 4.
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Entwicklung nach der Unterzeichnung der „Sorbonne-Deklaration" die Anweisung gegeben haben soll, „die Länder der Bundesrepublik Deutschland nicht zu beteiligen"2, obwohl die hochschulpolitische Umsetzung der Beschlüsse ja ohne Zweifel in den Kompetenzbereich der Länder fällt. Um eben jene Beteiligung der Länder ging es auch vor 50 Jahren, als der niederländische Minister für Unterricht, Kunst und Wissenschaft, Joseph Cals, erstmals zu einer Europäischen Erziehungsministerkonferenz einlud: Bis dahin hatten Bund und Länder zwar im Hinblick auf die Unterzeichnung bilateraler Abkommen und Verträge bereits zu einem gemeinsamen Weg gefunden; die anvisierte multilaterale Zusammenarbeit stellte beide Seiten aber vor neue Schwierigkeiten, so dass die Frage der jeweiligen Zuständigkeiten von neuem geklärt werden musste. Dabei nahmen die Länder damals von Anfang an eine sehr agile Rolle ein. Bekanntlich waren die Länder bereits vor der Gründung der Bundesrepublik entstanden, und schon ab 1946 wurden einzelne Landesverfassungen verabschiedet, die sich direkt an die Weimarer Verfassungstradition anlehnten3. Da die politischen Grundsätze dabei möglichst umfassend geregelt werden mussten, erstreckte sich der Anspruch auf Eigenständigkeit im Prinzip sogar auf den außenpolitischen Bereich. So legt beispielsweise die am 1. Dezember 1946 durch Volksentscheid akzeptierte bayerische Landesverfassung die Vertretung Bayerns nach außen als eine der Aufgaben des Ministerpräsidenten fest (Art. 47, Abs. 3) und betont „das Recht des Bayerischen Staates, im Rahmen seiner Zuständigkeit Staatsverträge abzuschließen" (Art. 181), wofür der Ministerpräsident allerdings zuvor die Zustimmung des Landtags einholen muss (Art. 72, Abs. 2). Ähnliche Regelungen finden sich auch in den ebenfalls noch vor der Gründung der Bundesrepublik erlassenen Landesverfassungen von Württemberg-Baden4, Hessen5, Rheinland-Pfalz6, Württemberg-Hohenzollern7, Baden8 und Bremen9, aber auch in den späteren Verfassungen10 von Schleswig-Holstein11, Nordrhein-Westfalen12, Niedersachsen13, Hamburg14 und Baden-Württemberg15. 2
Hans-Rainer FRIEDRICH, Europa kommt - sind wir schon da? Perspektiven der europäischen Hochschulentwicklung in Zeiten der Globalisierung, Bremen 10.04.2000, in: DERS., Hochschulen im Wandel - Hochschulen im Wort. Vorträge der Jahre 1998-2000, Wiesbaden 2001, S. 275-293, hier: S. 279. 3 Hans BOLDT, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Von 1806 bis zur Gegenwart, München 2 1993, S. 296 f. 4 Verfassung des Landes Württemberg-Baden vom 28. November 1946, Art. 74. 5 Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dezember 1946, Art. 103. 6 Verfassung für Rheinland-Pfalz vom 18. Mai 1947, Art. 101. 7 Verfassung Württemberg-Hohenzollern vom 18. Mai 1947, Art. 47. 8 Verfassung des Landes Baden vom 19. Mai 1947, Art. 77. 9 Verfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21. Oktober 1947, Art 118. 10 Die nach der Verabschiedung des Grundgesetzes erlassenen Verfassungen von Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen erheben allerdings nicht den Anspruch auf
Baumann,
„Nach
der Zuständigkeit
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B e i der Entwicklung, die· schließlich zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland führte, spielte vor allem die Frage der kultur- und bildungspolitischen Zuständigkeit der Länder eine wichtige Rolle: V o r d i e s e m Hintergrund tagte b e i s p i e l s w e i s e am 19. und 2 0 . Februar 1948 in Stuttgart-Hohenh e i m eine „ K o n f e r e n z der deutschen Erziehungsminister", an der auch noch die Minister aus der s o w j e t i s c h e n B e s a t z u n g s z o n e teilnahmen 1 6 . Zwar verbot die sowjetische Militäradministration den ostdeutschen Vertretern unmittelbar nach der H o h e n h e i m e r Sitzung die weitere Teilnahme an derartigen K o n ferenzen, die Kultusminister der drei westlichen B e s a t z u n g s z o n e n
traten
j e d o c h bereits am 2. Juli 1 9 4 8 zu einer weiteren T a g u n g z u s a m m e n und beschlossen, eine „Ständige K o n f e r e n z der Kultusminister der Länder" z u konstituieren 1 7 . D i e Koordinierung der Zusammenarbeit sollte über ein g e m e i n sames
Sekretariat
erfolgen,
welches
kurz
darauf
gegründet
wurde 1 8 .
Ausdrückliches Ziel dabei war, z w i s c h e n den Ländern die „ A n g e l e g e n h e i t e n der Kulturpolitik v o n überregionaler Bedeutung mit d e m Ziel einer g e m e i n s a m e n M e i n u n g s - und Willensbildung und der Vertretung g e m e i n s a m e r A n liegen" 1 9 zu koordinieren. D i e Kultusministerkonferenz war und ist also
völlige Eigenständigkeit, sondern sind eher Organisationsstatute; die Verfassungen von Nordrhein-Westfalen und von Baden-Württemberg sind dagegen „Vollverfassungen" (Hans BOLDT, Landesverfassung im Bundesstaat, in: Kontinuität und Wandel. 40 Jahre Landesverfassung Nordrhein-Westfalen, hrsg. vom nordrhein-westfölischen Landtag, Düsseldorf 1990, S. 63-87, hier: S. 63). 11 Landessatzung für Schleswig Holstein vom 13. Dezember 1949, Art. 30. 12 Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Juni 1950, Art. 57. 13 Verfassung des Landes Niedersachsen vom 13. April 1951, Art. 35. 14 Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 6. Juni 1952, Art. 43. 15 Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom 11. November 1953, Art. 50. 16 Die Initiative zur Hohenheimer Konferenz ging von dem SPD-Politiker Alfred Grimme aus, der bis 1933 letzter preußischer und ab 1946 erster niedersächsischer Kultusminister war (Christoph FÜHR, Zur Koordination der Bildungspolitik durch Bund und Länder, in: DERS./Carl-Ludwig FURCK, Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Band VI: 1945 bis zur Gegenwart, Erster Teilband: Bundesrepublik Deutschland, München 1998, S. 6 8 86, hier: S.71). 17 Winfried MÜLLER, Die Gründung der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Bundesrepublik Deutschland, in: Historisches Jahrbuch 114 (1994), S. 76-106. 18 Das erste Sekretariat der Kultusministerkonferenz befand sich in Frankfurt. Erst nach der Gründung der Bundesrepublik wurde es 1949 nach Bonn verlegt, wo es zunächst von einem Verein getragen und erst ab 1959 durch ein Abkommen der Ministerpräsidenten zu einer von den Ländern gemeinsam finanzierten Dienststelle wurde (Kurt FREY, Konstruktiver Föderalismus, Weinheim/Basel 1976, S. 28 f.) 19 Geschäftsordnung der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, gemäß Beschluss vom 19. November 1955 (Neufassung der Geschäftsordnung vom 2. Dezember 1949), abgedruckt in: Kulturpolitik der Länder 1961 und 1962, hrsg. von der Ständigen Konferenz der Kultusminister, Bonn 1963, S. 232 f.; Manfred ABELEIN (Hrsg.), Deutsche Kulturpolitik. Dokumente, Düsseldorf 1970, S. 205207; Heinz LAUFER, Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, München 5 1985, S. 300 f.
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„eine Arbeitsgemeinschaft zur freiwilligen Selbstkoordination von parlamentarisch allein den einzelnen Landtagen verantwortlichen Ressortministern"20. Mit der Gründung der Bundesrepublik komplizierte sich die rechtliche Stellung dieser Koordinierungsinstanz zusätzlich: Da sie weder eine Landesnoch eine Bundesinstitution darstellt, ist die Kultusministerkonferenz weder in den Landesverfassungen noch im Grundgesetz verfassungsrechtlich verankert21. Nach der Gründung der Bundesrepublik trat die Kultusministerkonferenz zum ersten Mal am 18. und 19. Oktober 1949 in Bernkastel wieder zusammen und verabschiedete eine Erklärung, in welcher herausgestellt wurde, „daß die totalitäre und zentralistische Kulturpolitik der jüngsten Vergangenheit die verhängnisvolle Verwirrung und Knechtung des Geistes und die Anfälligkeit vieler Deutscher gegenüber dem Ungeiste wesentlich mitverschuldet" habe; deswegen sei die Konferenz „aus staatspolitischen und kulturgeschichtlichen Gründen das einzig zuständige und verantwortliche Organ flir die Kulturpolitik der Länder, soweit es sich um Angelegenheiten handelt, die mehrere oder alle Länder betreffen und von überregionaler Bedeutung sind", und sie müsse darauf hinwirken, „daß die Kulturhoheit der Länder bei allen Maßnahmen der Bundesorgane und der Bundesbehörden gewahrt bleibt, und darüber wachen, daß ihre kulturpolitische Arbeit keine Einschränkung erfährt"22. Die in der Bernkasteler Erklärung zum Ausdruck gebrachte Besorgnis, dass die Kulturhoheit der Länder nach der Gründung der Bundesrepublik beschränkt werden könnte, erschien durchaus berechtigt: Noch im Jahre 1949 setzte der Deutsche Bundestag einen kulturpolitischen Ausschuss ein23, im Bundesinnenministerium formierte sich eine große Kulturabteilung24, und die an der Bundesregierung beteiligte FDP verabschiedete auf ihrem Düsseldorfer Parteitag am 29./30. April 1950 „Leitsätze zur Kulturpolitik", in denen sie 20
FÜHR, Zur Koordination der Bildungspolitik durch Bund und Länder (wie Anm. 16), S. 71. Wolfgang GAWIN, Die Rechtsstellung der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Diss. Würzburg 1967; Martin HIRSCHMÜLLER, Die Konferenzen der Ministerpräsidenten und Ressortminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere die Rechtsnatur ihrer gemeinsamen Beschlüsse, Diss. Tübingen 1967; Thomas KNOKE, Die Kultusministerkonferenz und die Ministerpräsidentenkonferenz. Formen und Grenzen von Beziehungen der Länder untereinander, Hamburg 1966. 22 Entschließung der Kultusministerkonferenz vom 18. Oktober 1949 in Bernkastel („Bernkasteler Erklärung zur Kulturhoheit der Länder"), in: Einheit in der Vielfalt. 50 Jahre Kultusministerkonferenz 1948-1998, hrsg. von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland, Neuwied/Kriftel/Berlin 1998, Dokument 2, S. 233. 23 Manfred ABELEIN, Die Kulturpolitik des Deutschen Reiches und der Bundesrepublik Deutschland, Köln/Opladen 1968, S. 256. 24 Alfred FAUD/Kurt FRITZ, Das Bundesministerium des Innern, Frankfurt am Main/Bonn 1966, S. 75 ff. 21
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eine „bundeseinheitliche Regelung" des Вildungswesens forderte25; in ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahlen 1953 verlangte die Partei dann sogar ohne Umschweife die Schaffung eines „Bundeskultusministeriums"26. Besonders kompliziert war die Frage der Beteiligung der Länder im Hinblick auf die auswärtige Kulturpolitik, da sich in diesem Bereich die innenpolitische Zuständigkeit mit dem Außenvertretungsrecht vermischen. Die Abgrenzung der jeweiligen Kompetenzen war schon bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes umstritten: Während der Herrenchiemseer Verfassungsentwurf vom August 1948 hier eine klare Trennung vorsah („Die Zuständigkeit, Verträge mit auswärtigen Staaten zu schließen, richtet sich nach der Zuständigkeit zur Gesetzgebung")27, wurden die Zuständigkeiten in der endgültigen Fassung des Grundgesetzes weitaus weniger präzise geregelt: Im Art. 32 GG wird in Absatz 1 zwar ein genereller Anspruch formuliert („Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten ist Sache des Bundes"), jedoch werden in Absatz 2 („Vor dem Abschlüsse eines Vertrages, der die besonderen Verhältnisse eines Landes berührt, ist das Land rechtzeitig zu hören") und Absatz 3 („Soweit die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind, können sie mit Zustimmung der Bundesregierung mit auswärtigen Staaten Verträge abschließen") bemerkenswerte Einschränkungen formuliert28, und auch die Formulierung in Absatz 1 weist eine wichtige Abschwächung gegenüber der Weimarer Reichsverfassung auf, deren Art. 78 unzweideutig festschrieb: „Die Pflege der Beziehungen zu den auswärtigen Staaten ist ausschließlich Sache des Reichs"29. Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass die Implikationen des Artikels 32 GG in der juristischen Literatur unterschiedlich beurteilt werden: Zwar vertritt eine Mehrheit der Autoren eine eher „zentralstaatliche" Position, in welcher für jegliche, auch nichtvertragliche Pflege der auswärtigen Beziehungen die grundsätzliche Zuständigkeit des Bundes betont wird30, jedoch existiert auch eine primär „föderalistische" Interpretation, welche am Prinzip der Bundesstaatlichkeit (Art. 30 GG) ansetzt und die relative Autonomie, also die „Staatsqualität", der deutschen Länder betont31. Nach dieser Sichtweise dürfen sich die Bundesländer sogar 25
Guenter SCHARFENBERG, Dokumente zur Bildungspolitik der Parteien in der BRD
1 9 4 5 - 1 9 7 5 , B d . 3, B e r l i n 1976, S. 14. 26
Ebd., S. 21. Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Bd. 2: Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, bearbeitet von Peter Bucher, Boppard 1981, Art. 41, S. 587. 28 Zur komplizierten Entstehungsgeschichte des Art. 32 GG: Christoph HIRSCH, Kulturhoheit und Auswärtige Gewalt, Berlin 1968, S. 52-57. 29 Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte, hrsg. von Günter Dürig und Walter Rudolf, München 3 1996, S. 143. 30 Diese Meinung wird auch in den bekannten Grundgesetzkommentaren von Maunz-DürigHerzog-Scholz und Mangoldt-Klein-Starck vertreten. 31 Uwe BARSCHEL, Die Staatsqualität der deutschen Länder, Heidelberg/Hamburg 1982. 27
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„im Rahmen ihrer innerstaatlichen Zuständigkeiten über ihr Vertragsschließungsrecht nach Artikel 32, Abs. 3 GG hinaus außenpolitisch betätigen"32. Das Recht des Bundes ist nach dieser Lesart keineswegs ein festgeschriebener Grundsatz: „Art. 32/1 GG statuiert vielmehr für eine besondere Rechtsfunktion: das völkerrechtsförmliche Handeln, zugunsten des Bundes eine Ausnahme von dem in Art. 30 GG normierten Prinzip der grundsätzlichen Länderzuständigkeit"33. Demnach hätten die Länder gerade in Bereich der auswärtigen Kulturpolitik eine durch das Grundgesetz gedeckte, weitgehende Handlungsfreiheit! Eine derartige Sichtweise wurde verständlicherweise von Seiten der Bundesregierung vehement bestritten, zumal die auswärtige Kulturpolitik mit zunehmendem außenpolitischem Handlungsspielraum der jungen Bundesrepublik rasch an Bedeutung gewann. Aus diesem Grund wurde bei der Wiedergründung des Auswärtigen Amtes am 15. März 1951 auch sogleich eine Kulturabteilung eingerichtet. Bereits kurze Zeit später kam es zu tiefgreifenden Auseinandersetzungen zwischen dem Auswärtigen Amt und den Länderregierungen im Zusammenhang mit den bereits seit einigen Monaten laufenden Verhandlungen mit der französischen Regierung über die Möglichkeiten zu einer Intensivierung des gegenseitigen Kulturaustauschs, die möglichst zu einem formellen Abkommen führen sollten34. Da die französische Seite dabei großen Wert auf die praktische Durchsetzbarkeit der kulturpolitischen Absichten, insbesondere im Hinblick auf die Verbreitung des Französischunterrichts in Deutschland, legte, verlangte sie Ende 1951, dass die Bundesländer nicht nur an den politischen Gesprächen, sondern auch am Abschluss des Kulturabkommens beteiligt werden sollten35. Da die Bundesregierung dies jedoch für „vollkommen undiskutierbar" hielt, die französische Regierung in diesem für sie zentralen Punkt jedoch nicht nachgeben wollte, zogen sich die Verhandlungen über Monate hin und standen mehrfach kurz vor dem Abbruch36. Erst im Sommer 1953 lag ein von beiden Seiten weitgehend akzeptierter Entwurf vor, welcher die Schaffung einer ständigen 32
Ulrich FASTENRATH, Auswärtige Gewalt im offenen Verfassungsstaat, in: Kompetenzprobleme der auswärtigen Gewalt, hrsg. von Armin Dittmann und Michael Kilian, Tübingen 1982, S. 1-60, hier: S. 38. Ulrich FASTENRATH, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, München 1986, S. 101. 34 Die Bedeutung des kulturellen Faktors für die Beziehungen zu Frankreich hatte Bundeskanzler Adenauer bereits in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit vom 3. November 1949 betont (Die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich: Dokumente 1949-1963, hrsg. von Horst Möller und Klaus Hildebrand, Band 1: Außenpolitik und Diplomatie, München 1997, Nr. 2, S. 59-63, hier: S. 63). 35 Ulrich LAPPENKUPER, „Sprachlose Freundschaft"? Zur Genese des deutsch-französischen Kulturabkommens vom 23. Oktober 1954, in: Lendemains 84 (1996), S. 67-82, hier: S. 70. 36 Ebd., S. 70.
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gemischten Kulturkommission vorsah, an der auch die Länder beteiligt werden sollten37. Allerdings kam es dann zu erneuten Streitigkeiten um die Frage, ob den Länderregierungen darüber hinaus das Recht zuerkannt werden sollte, gegebenenfalls in direkte Verhandlungen mit der französischen Regierung treten zu können38. Erst ein Briefwechsel zwischen den Regierungschefs Adenauer und Mendös-France brachte im Oktober 195439 den Durchbruch, so dass das deutsch-französische Kulturabkommen40 schließlich am 23. Oktober 1954 unterzeichnet werden konnte, ohne dass es zu einer grundsätzlichen Verständigung über die Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern gekommen war. Für die endgültige Regelung der Streitfragen musste allerdings nicht nur das Problem der Beteiligung der Länder an völkerrechtlichen Abschlüssen des Bundes, sondern auch die Frage geklärt werden, auf welche Weise die Länder völkerrechtliche Abschlüsse des Bundes innerstaatlich umsetzen sollten. Aufgrund der praktischen Umsetzung internationaler Vereinbarungen war es nämlich im Laufe der 50er Jahre immer wieder zu Kontroversen unter den verschiedenen Bundesländern gekommen, in deren Verlauf sich grundsätzlich verschiedene Rechtsauffassungen herauskristallisierten41: Das unter einem Sonderstatus stehende Land Berlin vertrat eine zentralistische Position, nach welcher dem Bund neben der Abschlusskompetenz auch eine umfassende Transformationskompetenz zugesprochen wurde. Die Länder BadenWürttemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen gingen dagegen von der diametralen Auffassung aus, dass der Bund lediglich in den Bereichen über eine Abschlusskompetenz verfüge, in denen er auch die Gesetzeskompetenz besitzt. Eine vermittelnde Haltung nahmen schließlich die norddeutschen Länder Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein ein, indem sie Abschluss- und Transformationskompentenz trennten: Demnach hatte der Bund das Abschluss- und die Länder das Transformationsrecht, so dass der Bund zwar nach außen auch die Länder repräsentieren, im Innern jedoch die Eigenstaatlichkeit der Länder beachten müsse, welchen die Umsetzung der internationalen Verträge zufalle. Die Frage der Abgrenzung der jeweiligen Kompetenzen war also nicht nur zwischen Bund und Ländern, sondern auch unter den einzelnen Bundesländern umstritten, was einer Lösung des Problems nicht gerade zuträglich war. 37
Ansbert BAUMANN, Der sprachlose Partner. Das Memorandum vom 19. September 1962 und das Scheitern der französischen Sprachenpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, in: Revue d'Allemagne et des pays de langue allemande 34 (2002), S. 55-76, hier: S.61. 38 LAPPENKOPER, „Sprachlose Freundschaft" (wie Anm. 35), S. 72. 39 Der Briefwechsel vom 23. Oktober 1954 ist abgedruckt in: Bundesgesetzblatt [weiter: BGBl] 1955, Teil II, S. 889. 40 BGBl 1955, Teil II, S. 885-888. 41 HIRSCH, Kulturhoheit und Auswärtige Gewalt (wie Anm. 28), S. 107-109.
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Zu einer Klärung каш es durch die Unterzeichnung der „Verständigung zwischen der Bundesregierung und den Staatskanzleien der Länder über das Vertragsschließungsrecht des Bundes", dem sogenannten „Lindauer Abkommen", am 14. November 195742. Laut dieser Vereinbarung ist der Bund berechtigt, Verträge in jenen Bereichen abzuschließen, die in seine Gesetzgebungskompetenz fallen oder in welchen die Zuständigkeit der Länder fraglich ist.43 Jedoch sollten „bei Verträgen, welche wesentliche Interessen der Länder berühren, gleichgültig, ob sie die ausschließliche Kompetenz der Länder betreffen oder nicht", die Länder frühzeitig informiert werden, „damit sie rechtzeitig ihre Wünsche geltend machen können". Außerdem verpflichtete sich der Bund bei Verträgen, „die nach Auffassung der Länder deren ausschließliche Kompetenz berühren", „vor Abschluß eines Staatsvertrags das Einverständnis der Länder einzuholen"; als „Gesprächspartner für das Auswärtige Amt" sollte hierzu ein „ständiges Gremium aus Vertretern der Länder" 44 gebildet werden. Jenes sollte sich, nach dem Beschluss der Länderregierungen, aus den jeweiligen Bevollmächtigten beim Bund zusammensetzen45. Die konstituierende Sitzung fand am 16. Juli 1958 in Bonn statt, wobei sich die Versammlung den Namen „Ständige Vertragskommission der Länder"46 gab. Seitdem müssen die Vertragsentwürfe des Bundes bei der Vorbereitung eines internationalen Abkommens, insbesondere eines Kulturabkommens, dieser Kommission vorgelegt werden; die Vertragskommission ersucht ihrerseits in kulturpolitischen Fragen die „Ständige Konferenz der Kultusminister" um eine fachliche Beratung, um dann schließlich eine koordinierte Stellungnahme verabschieden zu können. Damit sind die Länder formal nicht nur an der Ausführung derartiger Abkommen beteiligt, sondern indirekt auch an den Vertragsabschlüssen47. Während damit für die bilaterale Form der auswärtigen Kulturpolitik ein modus vivendi zwischen Bund und Ländern gefunden war, stellte die multilaterale Kooperation in der Kultur- und Bildungspolitik, welche im Lauf der 50er Jahre, vor dem Hintergrund der zunehmenden internationalen Aktivitäten der Bundesrepublik, enorm an Bedeutung gewann, alle Beteiligten vor
42
Text des Lindauer Abkommens: Handbuch für die Kultusministerkonferenz, hrsg. vom Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn-Bad Godesberg 1995, S. 424 f. 43 Absatz 2 des „Lindauer Abkommens". 44 Absatz 3 des „Lindauer Abkommens". 43 Die einzige Ausnahme bildete, wie der hessische Ministerpräsident Zinn BundesauBenminister von Brentano am 10. Juli 1958 mitteilte, das Land Schleswig-Holstein, welches vom stellvertretenden Chef der Landeskanzlei vertreten wurde (HIRSCH, Kulturhoheit und Auswärtige Gewalt [wie Anm. 28], S. 82). 46 Ebd., S. 84. 47 Ebd., S. 85.
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neue Schwierigkeiten48: Angesichts der Mitarbeit in internationalen Organisationen wie der OEEC49, der UNESCO 50 , der NATO 51 und dem Europarat52 stand die deutsche Politik nun häufig vor der Schwierigkeit, die innerstaatliche Kompetenzverteilung berücksichtigen und geeignete Repräsentanten aus Bund und Ländern finden zu müssen, wobei das „Lindauer Abkommen" nur bedingt zur Lösung der Schwierigkeiten beitragen konnte53. Deswegen waren der deutschen Beteiligung häufig auch Grenzen gesetzt, mit der Konsequenz,
48
Generalsekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister, Bemerkungen zur auswärtigen Kulturpolitik und zur Mitwirkung der Länder an der internationalen kulturellen Zusammenarbeit vom 31. Mai 1963 (Hauptstaatsarchiv Stuttgart [HStASt], EA 3/505: Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, Nr. 166/1, Anlage zu Blatt 5), in stellenweise veränderter Fassung abgedruckt: Kurt FREY, Bemerkungen zur auswärtigen Kulturpolitik und zur Mitwirkung der Länder an der internationalen kulturellen Zusammenarbeit, in: Kulturpolitik der Länder 1961 und 1962 (wie Anm. 19), S. 209-215; DERS., Zur Mitwirkung der Länder der Bundesrepublik Deutschland in der internationalen kulturellen Zusammenarbeit, in: Jahrbuch der auswärtigen Kulturbeziehungen 1965, hrsg. von Berthold Martin, Bonn 1965, S. 57-65. 49 Die drei westdeutschen Besatzungszonen, welche später die Bundesrepublik Deutschland bildeten, gehörten von Anfang an der am 16. April 1948 im Rahmen des „MarshallPlans" gegründeten OEEC (Organization for European Economic Cooperation) an. 50 Auf den Generalkonferenzen der UNESCO wurde die Delegation der Bundesrepublik Deutschland, welche seit 1951 Mitglied war, im Allgemeinen vom Staatssekretär des Auswärtigen Amtes geleitet; allerdings forderte die Bundesregierung die Kultusministerkonferenz zur Benennung von Delegationsmitgliedern und Sachverständigen auf, so dass immer auch Kultusminister der Länder an den Konferenzen beteiligt waren (Hans ARNOLD, Auswärtige Kulturpolitik. Ein Überblick aus deutscher Sicht, München/Wien 1980, S. 14). 51 Die NATO unterhielt seit ihrer Gründung auch einen Wissenschaftsausschuss, der mehrmals im Jahr tagte. Der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland auf diesen Ausschusstagungen wurden vom Auswärtigen Amt ernannt. Die Sitzungen und die deutschen Stellungnahmen wurden in Ressortbesprechungen im Auswärtigen Amt vorbereitet, zu denen auch ein Vertreter der Kultusministerkonferenz eingeladen wurde (FREY, Bemerkungen zur auswärtigen Kulturpolitik und zur Mitwirkung der Länder an der internationalen kulturellen Zusammenarbeit [wie Anm. 48], S. 213). 52 An den zweimal jährlich stattfindenden Sitzungen des „Rates fiir Kulturelle Zusammenarbeit" nahm die Bundesrepublik seit 1950 teil (ARNOLD, Auswärtige Kulturpolitik [wie Anm. 50], S. 14). Sie wurde dabei durch den Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes und durch den Präsidenten der Kultusministerkonferenz vertreten. In den Fachausschüssen dieses Gremiums (Schulausschuss, Hochschulausschuss und Ausschuss für außerschulische Erziehung) fungierten im Normalfall die Vorsitzenden der entsprechenden Ausschüsse der Kultusministerkonferenz als bundesdeutsche Vertreter (Rundschreiben des Sekretariats der Ständigen Konferenz der Kultusminister an die Mitglieder der Kultusministerkonferenz vom 14. September 1962, Nr. 961/62, Bayerisches Hauptstaatsarchiv München [BayHStA], Staatskanzlei, Nr. 111966). 53 Die zahlreichen Felder der kulturellen Zusammenarbeit in internationalen Organisationen sind dargestellt in: Zur kulturellen Zusammenarbeit in internationalen Organisationen. Dokumentation Nr. 11 - Mai 1964, hrsg. von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1964.
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dass deutsche Interessen in kulturpolitischen Fragen auf internationaler Ebene oftmals nur unzureichend vertreten wurden54. In dieser schwierigen Konstellation fand am 12. und 13. November 1959 die erste Europäische Erziehungsministerkonferenz in Den Haag statt. In seinem offiziellen Einladungsbrief vom 26. September 1959 erläuterte der niederländische Erziehungsminister Joseph Cals die Gründe, welche ihn dazu geführt hatten, eine entsprechende Konferenz ins Leben zu rufen55: Bereits seit einiger Zeit hätten sich internationale Organisationen wie die OEEC oder die NATO mit Problemen der Erziehung, Wissenschaft und Kultur befasst, ohne dass die für diese Fragen verantwortlichen Minister bislang beteiligt worden seien; daher erscheine es angebracht, dass die Erziehungsminister ebenfalls eine aktive Rolle in der internationalen Politik einnähmen, wobei das vorgeschlagene Treffen keinen offiziellen Charakter trage, sondern lediglich den gegenseitigen Austausch von Erfahrungen und die Feststellung gemeinsamer Positionen anregen solle56. Das Einladungsschreiben wurde am 14. Oktober 1959 durch den niederländischen Generalkonsul in Hamburg dem Kultusminister von SchleswigHolstein, Edo Osterloh, übermittelt57, der bis September 1959 Präsident der Kultusministerkonferenz gewesen war. Osterloh verständigte daraufhin das Auswärtige Amt über den Eingang und den Wortlaut des Schreibens58; dort wurden keine Bedenken gegen die Annahme der Einladung durch die Kultusministerkonferenz erhoben59. An der Konferenz am 12. und 13. November in Den Haag nahmen somit als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland der Präsident der Kultusministerkonferenz, der Berliner Kultursenator Prof. Dr. Joachim Tiburtius, der Vorsitzende des Schulausschusses, Regierungsdirektor Dr. Reimers, der Generalsekretär der Kultusministerkonferenz, Kurt Frey, 54
Bericht des Hamburger Senators Kramer auf der Ministerpräsidentenkonferenz 1963 in Saarbrücken: „Die Mitarbeit der Länder im internationalen Kulturbereich und deren personelle Sicherung" (Landesarchiv Saarbrücken [LA SB], Staatskanzlei, MPK 1963). 55 Einladungsschreiben des niederländischen Erziehungsministers Joseph Maria Laurens Theo Cals vom 26. September 1959 (Archiv des Sekretariats der KMK Bonn [AKMK], Referat IV C: Europäische Angelegenheiten, Band 1370: Konferenzen der Europäischen Erziehungsminister - Allgemein). 56 Vgl.: Kurt FREY, Zur Mitwirkung der Länder der Bundesrepublik Deutschland in der internationalen kulturellen Zusammenarbeit, in: Jahrbuch der auswärtigen Kulturbeziehungen 1965, hrsg. von Berthold Martin, Bonn 1965, S. 57-65, hier: S. 64. 57 Schreiben des niederländischen Generalkonsuls in Hamburg Fledderus vom 13. Oktober mit dem Eingangsstempel des schleswig-holsteinischen Kultusministeriums vom 14. Oktober 1959 (AKMK, Ref. IV C, Bd. 1370). 58 Schreiben des Generalsekretärs der Kultusministerkonferenz Kurt Frey an den Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, Ministerialdirektor Dr. Sattler, vom 19. Oktober 1959 (ebd.). 59 Vermerk des Generalsekretärs der Kultusministerkonferenz Kurt Frey vom 26. Oktober 1959 Uber ein Telefongespräch mit dem Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, Ministerialdirektor Dr. Dieter Sattler, am 21. Oktober 1959 (ebd.).
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s o w i e ein weiterer Mitarbeiter des Sekretariats der Kultusministerkonferenz teil 6 0 . A l s während der 74. Plenarsitzung der Kultusministerkonferenz am 4. und 5. Dezember 1959 in Bonn über den Verlauf der Haager Sitzung beraten wurde 6 1 , vertraten die Kultusminister die Auffassung, dass derartige Konferenzen notwendig und richtig seien, und schlugen vor, dass künftig auch ein Vertreter des Auswärtigen A m t e s an der deutschen Delegation teilnehmen sollte. Allerdings wurde zugleich auf den verfassungsrechtlichen Standpunkt der Konferenz verwiesen: „An einem Erfahrungsaustausch und an einer gemeinsamen Meinungsbildung der Ressortchefs der Erziehungsverwaltungen können aus der Bundesrepublik aus praktischen und rechtlichen Gründen nur die Erziehungsminister der Länder teilnehmen. [...] Zunächst ist hierzu daraufhinzuweisen, daß flir die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten keine ausschließliche Bundeszuständigkeit besteht. Selbst nach Art 78 der Weimarer Reichsverfassung [...] verblieb den Ländern nicht nur das Recht zum Abschluß von Verträgen mit auswärtigen Staaten, sondern auch das Recht, zu diesem Zwecke mit den betreffenden Staaten in unmittelbare Verbindungen zu treten. Vor allem aber ist die Teilnahme an Konferenzen der Europäischen Erziehungsminister nicht eine »Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten«. [...] An diesen Konferenzen nahmen nicht die Staaten, vertreten durch die Minister, sondern die Minister als solche, ohne Verbindlichkeit für ihre Heimatstaaten teil. Da somit bei der Teilnahme von Erziehungsministern der Länder an den Konferenzen Europäischer Erziehungsminister keine Zuständigkeiten den Bundes wahrgenommen oder berührt werden, können diese Konferenzen auch in Zukunft nur von fachlich hierfür zuständigen Ministern der Länder wahrgenommen werden" 62 . Das Angebot an das Auswärtige Amt, der Delegation einen Vertreter hinzuzugesellen, erfolge lediglich aus „Gründen der Zweckmäßigkeit" und „damit dadurch der Überzeugungskraft der Empfehlungen der Europäischen Erziehungsminister dem Auswärtigen A m t und der Bundesregierung gegenüber ein zusätzliches Gewicht verschaffen wird" 63 . D i e zweite Europäische Erziehungsministerkonferenz sollte ursprünglich in R o m stattfinden 6 4 . U m einen genauen Termin zu fixieren, sandte die italieni60
Liste der deutschen Delegierten bei den bisherige Beratungen der Europäischen Erziehungsministerkonferenzen vom 9. April 1969 (ebd.); der vierte Konferenzteilnehmer war Oberregierungsrat von Mutius. 61 Bulletin Nr. 229, vom 10. Dezember 1959, S. 2338. 62 Vermerk des baden-württembergischen Kultusministeriums über die Verhandlungen zwischen der Kultusministerkonferenz und dem Auswärtigen Amt über die Frage der Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei den Europäischen Erziehungsministerkonferenzen (HStASt, EA 3/505, Nr. 166/1, Anlage zu Blatt 3, S. 3 f.). 63 Ebd., S. 5. 64 Zur Vorgeschichte der zweiten Konferenz: Kurt FREY, Zur deutschen Mitarbeit in den „Konferenzen der Europäischen Erziehungsminister", in: Auswärtige Kulturbeziehungen 4, hrsg. von Berthold Martin, Neuwied /Berlin 1967, S. 319-325, hier: S. 321 f.
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sehe Botschaft am 1. April 1960 eine Verbalnote an das Auswärtige Amt, welches kurz darauf die Kultusministerkonferenz über den Vorgang in Kenntnis setzte65. Allerdings wurde rasch deutlich, dass der Bund nun eine andere Linie vertrat als noch ein Jahr zuvor: So betonte der Leiter der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt, Dieter Sattler, bei einer Besprechung mit dem Generalsekretär der Kultusministerkonferenz, Kurt Frey, dass, nachdem ja in erster Linie die Bundesregierung eingeladen worden sei, diese nun auch die Zusammensetzung der Delegation bestimmen müsse, zumal es sich bei der Teilnahme an den Erziehungsministerkonferenzen eindeutig um „Pflege der auswärtigen Beziehungen" im Sinne des Artikels 32 GG handle; da derartige Konferenzen aber weit über den fachlichen Informationsaustausch hinausgingen und daher eindeutig einen außenpolitischen Charakter hätten, müsse der Position der Kultusministerkonferenz entschieden widersprochen werden66. Die Kultusminister bekräftigten indes auf ihrer 80. Plenarsitzung Anfang Februar 1961 ihren Standpunkt: Nachdem inzwischen der Tagungsort der geplanten Konferenz von Rom nach Hamburg verlegt worden war, was mit der Konsequenz verbunden war, dass das offizielle Einladungsschreiben nun von der deutschen Seite formuliert werden musste, vertrat die Kultusministerkonferenz erst recht die Auffassung, dass diese Aufgabe eindeutig ihrem amtierenden Präsidenten zufalle, und beschloss dafür folgende Formulierung: „Es ist mir [...] eine hohe Ehre nunmehr Sie, sehr verehrter Herr Minister, im Namen der Kultusminister und -Senatoren der Länder in der Bundesrepublik Deutschland und im Einvernehmen mit der Bundesregierung zu einer zweiten Konferenz Europäischer Kultusminister [...] einzuladen" 67 .
Ein entsprechender Entwurf des Einladungsschreibens wurde dem Auswärtigen Amt am 15. Februar 1961 zugeschickt, mit dem Hinweis, dass man davon ausgehe, dass das Auswärtige Amt mit der Formulierung einverstanden sei68. Obwohl sich auf Seiten der Bundesregierung Widerstand gegen das selbstbewusste Auftreten der Kultusministerkonferenz bemerkbar machte69, konnte 65
Vermerk des baden-württembergischen Kultusministeriums über die Verhandlungen zwischen der Kultusministerkonferenz und dem Auswärtigen Amt über die Frage der Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei den Europäischen Erziehungsministerkonferenzen (HStASt, EA 3/505, Nr. 166/1, Anlage zu Blatt 3, S. 5). 66 Ebd., S. 6. 67 Entwurf eines Einladungsschreibens des Präsidenten der Kultusministerkonferenz zur 2. Europäischen Kultusministerkonferenz nach Hamburg, 15. Februar 1961 (AKMK, Ref. IV C, Bd. 1370). 68 Schreiben des Präsidenten der Kultusministerkonferenz Prof. Dr. Maunz an Bundesaußenminister Dr. von Brentano vom 15. Februar 1961 (ebd.). 69 Am 21. Februar 1961 teilte Staatssekretär Carstens dem Präsidenten der Kultusministerkonferenz Prof. Dr. Theodor Maunz telefonisch mit, dass am nächsten Tag eine Interministerielle Besprechung über die juristischen Aspekte des Einladungsschreibens stattfinden
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nicht verhindert werden, dass in den offiziellen Einladungsschreiben vom 9. März 1961 tatsächlich die von den Kultusministern vorgeschlagene Formulierung verwendet wurde und der Präsident der Kultusministerkonferenz unterzeichnete70. Das Auswärtige Amt fügte diesen Schreiben noch zwei Verbalnoten an, in denen die jeweiligen Botschaften um die Weiterleitung des Schreibens an die Regierungen und die Regierungen „im Namen der Bundesrepublik Deutschland" um Weiterleitung an die jeweils zuständigen Minister gebeten wurden71. Von deutscher Seite nahm an der europäischen Kultusministerkonferenz vom 12. bis 14. April 1961 in Hamburg72 dann schließlich eine Fünferkommission unter dem Vorsitz des amtierenden Präsidenten der Kultusministerkonferenz, des Hamburger Senators Heinrich Landahl, teil73. Das Selbstbewusstsein der Kultusministerkonferenz im Hinblick auf internationale Angelegenheiten spiegelte sich auch in der 1961 erfolgten Einrichtung einer „Internationalen Abteilung des Sekretariats der Kultusministerkonferenz" wider74, was zudem verdeutlicht, dass sich der Vertretungsanspruch der Länder nicht allein auf die Erziehungsministerkonferenzen, sondern auch auf etliche andere internationale Gremien erstreckte: Tatsächlich referierte der Präsident der Kultusministerkonferenz Senator Landahl im September 1961 als deutscher Vertreter vor der beratenden Versammlung des Europarats, und im „Rat für kulturelle Zusammenarbeit im Europarat" nahm neben dem Vertreter des Auswärtigen Amtes ebenfalls der Präsident der Kultusministerkonferenz teil; außerdem besuchten verschiedene Mitglieder der Kultusministerkonferenz diverse OECD-Konferenzen75 über wissenschaftliche und bildungspolitische Themen76. werde, auf welcher wahrscheinlich beschlossen werden werde, dass die Bundesregierung zu der Konferenz einladen und die Kultusministerkonferenz lediglich mit der Durchführung betrauen sollte (Vormerkung des bayrischen Kultusministers Prof. Dr. Maunz vom 21. Februar 1961, ebd.). 70 Das offizielle Einladungsschreiben unterzeichnete bereits Heinrich Landahl, der seit 1. März neuer Präsident der Kultusministerkonferenz war (ebd.); vgl. auch: Bulletin Nr. 65 vom 7. April 1961, S. 629. 71 AKMK, Ref. IV C, Bd. 1370. 72 Die Beschlüsse der Hamburger Konferenz finden sich in: Bulletin Nr. 72, 18. April 1961, S. 682 ff. 73 Die deutsche Delegation setzte sich folgendermaßen zusammen: Senator Heinrich Landahl (Präsident der Ständigen Konferenz der Kultusminister, Delegationsleiter), Ministerialdirektor Dr. Dieter Sattler (Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amts), Ministerialdirektor Hagelberg (Leiter der Kulturabteilung des Bundesministeriums des Innern), Leitender Regierungsdirektor Dr. Reimers (Vorsitzender des Schulausschusses der Ständigen Konferenz der Kultusminister) und Dr. Kurt Frey (Generalsekretär der Ständigen Konferenz der Kultusminister): Bulletin Nr. 65, 7. April 1961, S. 629. 74 Kulturpolitik der Länder 1961 und 1962 (wie Anm. 19), S. 195. 75 Mit dem Beitritt der USA und Kanadas zur OEEC wurde das Statut und die Bezeichnung der Organisation, die nunmehr OECD (Organization for Economic Cooperation and Development) hieß, am 14. Dezember 1960 geändert. Die Änderungen traten am 30. Sep-
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Derartige Aktivitäten der Länderminister erweckten verständlicherweise den Widerstand des Bundes, der eine zu große Einmischung in die „Pflege zu auswärtigen Staaten" befürchtete. D i e s kam in einem Schreiben zum Thema „Offizielle Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im kulturellen B e reich", w e l c h e s Bundesinnenminister Hermann Höcherl am 30. März 1962 Außenminister Gerhard Schröder zukommen ließ, klar zum Ausdruck: 7 7 „Diese Praxis ist geeignet, die Verantwortung für die kulturelle Vertretung der B R D im Ausland weitgehend v o m Bund auf eine im Grundgesetz nicht vorgesehene staatenbundähnliche zusammengeschlossene Ländergemeinschaft zu verlagern". Höcherl verwies dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts 7 8 und verwahrte sich nachdrücklich g e g e n ein Repräsentationsrecht der Kultusminister für die Bundesrepublik, woraus er folgerte, dass „offizielle deutsche Vertreter künftig nur der Bundesverwaltung und nicht den Verwaltungen der Länder oder gar der verfassungsrechtlich nicht existenten Kultusministerkonferenz entnommen werden sollten. [...] Ich schlage deshalb vor, die Leiter der beiden Kulturabteilungen des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums des Innern mit der Ausarbeitung eines gemeinsamen Vorschlages zu beauftragen, der die Repräsentanz der BRD in den verschiedenen Institutionen und Gremien für die Zukunft im einzelnen festlegt" 79 . D i e Länder waren allerdings nicht gewillt, dem Bund in dieser Frage Zugeständnisse zu machen. A l s das Thema Anfang Mai 1962 auf der Tagesordnung der Bremer Ministerpräsidentenkonferenz stand, beschlossen die Regierungschefs, eine Kommission, die später so genannte „Dreierkommission" 8 0 , tember 1961 in Kraft (Gesetz zum Beitritt der Bundesrepublik Deutschland in die OECD vom 24. August 1961 BGBl 1961, Teil II, S. 1151). In dieser Organisation arbeiteten, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft, von Anbeginn an mehrere Beamte der Kultusverwaltungen im Ausschuss für naturwissenschaftliches und technisches Personal, sowie in einigen Unterausschüssen mit. 76 Rundschreiben des Sekretariats der Ständigen Konferenz der Kultusminister an die Mitglieder der Kultusministerkonferenz vom 14. September 1962, Nr. 961/62 (BayHStA, Staatskanzlei, Nr. 111966). 77 Schreiben des Bundesinnenministers Höcherl an Bundesaußenminister Schröder vom 30. März 1962, zitiert nach: Martin J. SATTLER, Der deutsch-französische Zusammenarbeitsvertrag. Eine Untersuchung zur Vertragsmacht des Bundes und der Länder, Meisenheim 1976, S. 68-70. 78 Dabei handelte es sich um ein Urteil des Zweiten Senats vom 11. Juli 1961: Das Land Hessen hatte die Bundesregierung zwingen wollen, dem Bundestag den Entwurf eines Neugliederungsgesetzes für das Mittelrheingebiet vorzulegen („Hessenklage"): Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Band 13, Tübingen 1963, S. 54 ff. (BVerfGE 13, S. 54 ff.). 79 Schreiben von Höcherl an Schröder vom 30. März 1962, zitiert nach: SATTLER, Der deutsch-französische Zusammenarbeitsvertrag (wie Anm. 77), S. 69 f. 80 Die Kommission bestand aus dem Vorsitzenden, Ministerpräsident Dr. Kurt Georg Kiesinger (Baden-Württemberg), dem Präsidenten der Kultusministerkonferenz und dem Vorsitzenden der Finanzministerkonferenz (Abkommen zwischen Bund und Ländern über
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einzusetzen, in welcher das Zusammenwirken von Bund und Ländern in „Fragen der internationalen kulturellen Zusammenarbeit sowie Gewinnung und Sicherung von Fachkräften der Länder fllr den internationalen Kulturbereich"81 dauerhaft geregelt und ein „Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern zur gemeinsamen Förderung von kulturpolitischen Aufgaben" ausgearbeitet werden sollte82. Wenige Tage später bekräftigten die Kultusminister während ihrer 88. Plenarsitzung im Hinblick auf die für Oktober in Rom anberaumte dritte Europäische Erziehungsministerkonferenz die bereits in Hamburg praktizierte Zusammensetzung der deutschen Delegation, was bedeutete, dass der als Delegationsleiter fungierende Präsident der Kultusministerkonferenz von den beiden Leitern der Kulturabteilungen des Auswärtigen Amts und des Bundesinnenministeriums begleitet werden sollte83. Der bei dieser Beschlussfassung anwesende Dieter Sattler legte in seiner Funktion als Leiter der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt nochmals die Position der Bundesregierung dar, ohne die Kultusminister umstimmen zu können84. Die Kultusministerkonferenz unterstrich ihren Standpunkt Anfang Juli 1962, während ihrer 89. Plenarsitzung, auch gegenüber Bundesinnenminister Höcherl, der, unter Hinweis auf Artikel 32 des Grundgesetzes, vergeblich den Anspruch des Bundes zur Führung der deutschen Delegation betonte. Den gleichen Standpunkt vertrat Höcherl auf einer Besprechung mit der Dreierkommission am 19. Juli 1962 und weigerte sich nachdrücklich, eine vom Generalsekretär der Kultusministerkonferenz vorgeschlagene Formulierung für ein Schlussprotokoll zu akzeptieren, in welchem zwar die grundsätzliche Zuständigkeit des Bundes für die „Pflege der auswärtigen Beziehungen" herausgestellt wurde, aber gleichzeitig die Möglichkeit vorgesehen war, dass „auch Mitglieder von Landesre-
die Förderung kultureller Aufgaben: hier: Datenübersicht über den bisherigen Verlauf der Verhandlungen - Aufzeichnung des Sekretariats der Ständigen Konferenz der Kultusminister vom 23. April 1964, S. 15 (AKMK, Abteilung IV: Internationale Angelegenheiten, Handakten SenR Dr. Rübsaamen). 81 Verhandlungen zwischen der Kultusministerkonferenz und dem Auswärtigen Amt über die Frage der Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei den Europäischen Erziehungsministerkonferenzen: HStASt, EA 3/505, Nr. 166/1, Anlage zu Blatt 3, S. 8. 82 Die Ständige Konferenz der Kultusminister hatte bereits am 12. September 1958 einen Entwurf für eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über die Förderung von Aufgaben auf dem Gebiet der Kulturpolitik vorgelegt. Nach der Einsetzung der Dreierkommission im Mai 1962 fanden die diesbezüglichen Verhandlungen jedoch häufiger statt (ABELEIN, Die Kulturpolitik des Deutschen Reiches und der Bundesrepublik Deutschland [wie Anm. 23], S. 263 f.). 83 Bulletin Nr. 94 vom 22. Mai 1962, S. 806. 84 Verhandlungen zwischen der Kultusministerkonferenz und dem Auswärtigen Amt über die Frage der Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei den Europäischen Erziehungsministerkonferenzen: HStASt, EA 3/505, Nr. 166/1, Anlage zu Blatt 3, S. 8-10.
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gierungen und Landesbedienstete"85 als Vertreter der Bundesrepublik delegiert werden könnten. Somit kam es vorerst zu keiner Einigung. Am 30. Juli 1962 stellte Bundesaußenminister Schröder gegenüber dem Präsidenten der Kultusministerkonferenz, dem niedersächsischen Kultusminister Richard Voigt, im Hinblick auf die anstehende Erziehungsministerkonferenz in Rom fest, dass die unterschiedlichen Standpunkte von Bund und Ländern bis zu Beginn der Konferenz wohl nicht mehr zu überbrücken seien. Daher erkläre er sich „in diesem Falle unter Aufrechterhaltung des Rechtsstandpunktes der Bundesregierung damit einverstanden, daß - ähnlich wie im vergangenen Jahr in Hamburg- eine deutsche Delegation unter Führung eines Kultusministers der Länder an der Konferenz teilnehmen wird, in der die Bundesregierung durch das Auswärtige Amt und das Bundesministerium des Innern vertreten ist" 86 .
Die Kultusminister der Länder hatten damit einen nicht unbedeutenden Teilerfolg errungen87. Das offizielle Einladungsschreiben88 zur Konferenz in Rom wurde am 13. August 1962 von der Italienischen Botschaft sogar direkt an den Präsidenten der Kultusministerkonferenz gesandt89, der daraufhin das Auswärtige Amt über die Einladung in Kenntnis setzte und um die diplomatische Übermittlung des Dankschreibens an den italienischen Erziehungsminister bat90. Allerdings blieb auch die Bundesregierung hartnäckig und hielt an ihrem Außenvertretungsanspruch mit juristischen Argumenten fest: So stellte Bundesaußenminister Schröder am 5. September 1962 fest, dass die direkte Zusendung des Einladungsschreibens an den Präsidenten der Kultusministerkonferenz völkerrechtlich nicht korrekt gewesen sei; außerdem solle Voigt sein Dankschreiben an den italienischen Erziehungsminister nicht in seiner Eigenschaft als Präsident der Kultusministerkonferenz, sondern als Kultusminister des Landes Niedersachsen senden, da damit zum Ausdruck gebracht werde, dass er von den übrigen Kultusministern mit ihrer Vertretung auf der 85
Bericht des Ministerpräsidenten Kiesinger auf der Ministerpräsidentenkonferenz 1963 in Saarbrücken: „Verfahren in Verhandlungen der Bundesrepublik Deutschland mit anderen Staaten in kulturpolitischen und anderen Angelegenheiten, die die Zuständigkeit der Länder berühren" (LA SB, Staatskanzlei, MPK 1963). 86 Schreiben des Bundesaußenministers Schröder an den Präsidenten der Kultusministerkonferenz Richard Voigt vom 30. Juli 1962 (AKMK, Ref. IV C, Bd. 1370). 87 Der Bund behielt sich allerdings, wie Bundesaußenminister Schröder in seinem Schreiben vom 30. Juli betonte, weitere Verhandlungen zur Regelung dieses Fragenkomplexes vor (ebd.). 88 Einladungsschreiben des italienischen Erziehungsministers vom 24. Juli 1962 (AKMK, Ref. IV C, Bd. 1370). 89 Schreiben des italienischen Botschafters Gastone Guidotti vom 13. August 1962 (ebd.). 90 Schreiben des Präsidenten der Kultusministerkonferenz, Richard Voigt, an Bundesaußenminister Schröder vom 23. August 1962 (ebd.).
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Konferenz beauftragt sei91. Dieser Aufforderung stimmten die Kultusminister auf ihrer 90. Plenartagung92 Ende September bemerkenswerterweise ohne jeglichen Widerstand zu93. Das im Zusammenhang mit den europäischen Erziehungsministerkonferenzen so massiv in Erscheinung getretene Problem, inwieweit und in welcher Form die Länder an der auswärtigen Kulturpolitik beteiligt werden könnten, war damit juristisch immer noch nicht gelöst. Deshalb lehnte Bundesinnenminister Höcherl es auf der abschließenden Besprechung mit der „Dreierkommission" am 26. September 1962 abermals ab, die auswärtige Kulturpolitik in das Schlussprotokoll mit aufzunehmen94. An der Zusammensetzung der bundesdeutschen Delegation auf der Dritten Europäischen Erziehungsministerkonferenz, welche dann vom 8. bis 13. Oktober 1962 in Rom stattfand, änderten die nach wie vor bestehenden Unklarheiten indes nichts mehr: Die deutsche Delegation wurde vom Präsidenten der Kultusministerkonferenz, dem niedersächsischen Kultusminister Richard Voigt, angeführt95. Während der Gespräche in Rom vereinbarten die europäischen Minister, dass die Konferenzen künftig in regelmäßigem Turnus abgehalten werden sollten, und verständigten sich darauf, dass jene nicht nur dem Informationsaustausch, sondern auch der gemeinsamen Willensbildung dienen und zu einem konzertierten politischen Handeln führen sollten96. Interessanterweise tauchte damit ein Problem auf, welches durchaus an die Schwierigkeiten innerhalb der Bundesrepublik Deutschland erinnern ließ: Ähnlich wie die Kultusministerkonferenz verfassungsrechtlich nicht verankert ist, fehlte auch den Zusammenkünften der europäischen Erziehungsminister eine juristische Basis - auf dieses völkerrechtliche Problem hatte der niederländische Minister für Unterricht, Kunst und Wissenschaft, Joseph Cals, auf dessen Initiative
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Schreiben von Bundesaußenminister Schröder an den Präsidenten der Kultusministerkonferenz Richard Voigt vom 5. September 1962 (ebd.). 92 Zu den Ergebnissen der 90. Plenartagung: Bulletin Nr. 181 vom 29. September 1962, S. 1536. 93 Verhandlungen zwischen der Kultusministerkonferenz und dem Auswärtigen Amt über die Frage der Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei den Europäischen Erziehungsministerkonferenzen: HStASt, EA 3/505, Nr. 166/1, Anlage zu Blatt 3, S. 11 f. 94 Bericht des Ministerpräsidenten Kiesinger auf der Ministerpräsidentenkonferenz 1963 in Saarbrücken (wie Anm. 85). 95 Sekretariat der Kultusministerkonferenz: Liste der deutschen Delegierten bei den bisherigen Beratungen der Europäischen Erziehungsministerkonferenzen, Bonn, 9. April 1969 (AKMK, Ref. IV C, Bd. 1370). 96 Standing Conference of European Ministers of Education, 3rd session - Roma, Italy, 8 13 October 1962, Resolution № 7 on arrangements for standing co-operation between the Ministers of Education (http://www.coe.int/t/e/cultural_cooperation/education/standingcon ferences/x.3rdsession_roma 1962.asp).
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hin ja die erste derartige Konferenz zusammengetreten war, schon kurz nach der Hamburger Tagung gegenüber Kultursenator Landahl hingewiesen97. Die Arbeitsweise und die Organisation ihrer Tätigkeit wurden auch während der vierten und fünften Europäischen Erziehungsministerkonferenzen im April 1964 in London und im Oktober 1965 in Wien thematisiert98. Nachdem die 1967 in Athen geplante sechste Konferenz in Folge des griechischen Militärputsches abgesagt worden war, traten die Minister in diesem Jahr lediglich zu einer Ad-hoc-Konferenz in Straßburg zusammen und verständigten sich darauf, den Turnus der Konferenzen von 18 Monaten auf künftig 20 Monate zu erhöhen99. Hinsichtlich der deutschen Partizipation bestätigte sich unterdessen, dass die Macht der Gewohnheit häufig auch eine politische Größe sein kann: So gehörte der Berliner Schulsenator Carl-Heinz Evers als amtierender Präsident der Kultusministerkonferenz auf der nun offiziell sechsten Europäischen Erziehungsministerkonferenz im Mai 1969 in Versailles, welche unter dem Motto „Bildungschancen für alle" stand, sogar zu den besonders engagierten Teilnehmern100. Die Frage, ob der KMK-Vorsitzende überhaupt die politische Legitimität besitze, als deutscher Vertreter auf den Konferenzen zu agieren, stellte sich zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr. Als dann während der siebten Europäischen Erziehungsministerkonferenz im Juni 1971 in Brüssel über eine verstärkte Institutionalisierung der Konferenzen debattiert wurde101, beschlossen die Minister, als Konsequenz aus den Erfahrungen im Zusammenhang mit der Absage der Athener Konferenz im Jahr 1967, welche zu einem zwischenzeitlichen Aussetzen der kontinuierlichen Zusammenarbeit geführt hatte, offiziell den Namen „Ständige Konferenz der Europäischen Erziehungsminister" anzunehmen102. Auch diese Namensänderung, die zwar keinerlei juristische oder institutionelle Veränderungen mit sich brachte, ließ ja durchaus an bundesdeutsche Gegebenheiten denken. Die Frage der bundesdeutschen Vertretung bei den Europäischen Erziehungsministerkonferenzen wurde seither von offizieller Seite nicht mehr aufgegriffen. Mit der Einführung des Europa-Artikels (Art. 23 GG) wurde die Mitwirkung der Länder beim europäischen Einigungsprozess nach der deut97
Schreiben des niederländischen Ministers für Unterricht, Kunst und Wissenschaften Joseph Cals an Heinrich Landahl vom 11. September 1961 (AKMK, Ref. IV C, Bd. 1370). 98 Joachim HÖLZL, Die Europäische Erziehungsministerkonferenz 1959-1994. Eine bildungstheoretische und bildungspolitikgeschichtliche Studie, St. Augustin 1997, S. 194 f. 99 Ebd., S. 195 f. 100 Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister (Hrsg.): Bildungschancen für alle. 6. Europäische Erziehungsministerkonferenz in Versailles, 20.-22. Mai 1969, Bonn 1970, S. 70. 101 Kurt FREY, Bericht von der VII. Europäischen Erziehungsministerkonferenz in Brüssel vom 8. bis 10. Juni 1971, in: Bildung und Erziehung 25 (1972), S. 77-80. 102 Seventh Conference of European Ministers of Education (Brussels, 8-10 June 1971), Report, Brussels 1971, S. 57.
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sehen Wiedervereinigung sogar im Grundgesetz festgeschrieben und im Gesetz über die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBLG) vom 12. März 1993103 erstmals konkretisiert. Infolge dieser Mitwirkungsrechte waren die Länderregierungen seit dem Vertrag von Maastricht an zahlreichen ihre Zuständigkeitsbereiche tangierenden europäischen Entscheidungsprozessen beteiligt und werden dies entsprechend einer Bund-Länder-Vereinbarung vom 12. Juni 2008, die zusammen mit dem Vertrag von Lissabon in Kraft treten soll, in insgesamt etwas verringertem Maße auch bleiben. In diesem Sinn erfolgte selbstverständlich auch eine Mitarbeit der Länder beim sogenannten Bologna-Prozess. Davon gänzlich unberührt blieb jedoch die „Ständige Konferenz der Europäischen Erziehungsminister". Diese hat sich inzwischen als ein Beratungsorgan des institutionell von der EU völlig unabhängigen Europarats etabliert und ist nun schon 22 Mal zusammengetreten - zuletzt Anfang Mai 2007 in Istanbul. Der Vorsitzende der deutschen Delegation war dabei selbstverständlich der Präsident der Kultusministerkonferenz. In dieser Funktion stellte der Berliner Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung Prof. Dr. E. Jürgen Zöllner nach der Istanbuler Konferenz fest: „Ich bin überzeugt, dass wir mit dieser Konferenz die besondere Funktion des Europarats im Bildungsbereich deutlich gemacht und gestärkt haben"104!
Summary Fifty years ago the Dutch minister of education invited his colleagues from all states represented in the Council of Europe to meet at The Hague for the first Conference of European Ministers of education. The establishment of this new institution implied a special problem for the Federal Republic of Germany, because it was not evident who should represent Germany at these conferences. From the point of view of the Federal Government primarily foreign affairs were concerned. On the other hand the governments of the „Länder" insisted on their responsibility for educational policy. In the resulting controversy the „Länder" were essentially successful: Till today the president of the "Standing Conference of the Ministers of Education and Cultural Affairs of the Länder" is acting as head of the German delegation.
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BGBl, Teil I, S. 313 f. Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister, Pressemitteilung vom 6. Mai 2007. 104
FORSCHUNGSBERICHT Neue Ansätze in der historischen Europaforschung. Anmerkungen zu einigen Neuerscheinungen Von
Heinz Duchhardt Die Schriftleitung des Jahrbuchs für Europäische Geschichte hat mit gutem Grund von Anfang an auf Einzelrezensionen verzichtet, in den bisherigen Bänden aber gelegentlich einmal Neuerscheinungen im Rahmen von Sammelrezensionen vorstellen lassen. So hat Ina Ulrike Paul vor einigen Jahren drei fast gleichzeitig erschienene Biographien des Gründers und Motors der Paneuropa-Bewegung, Richard Coudenhove-Kalergi, mit einem vergleichenden Zugriff gewürdigt1. Der folgende kleine Beitrag stellt, anders als dort, kein geschlossenes Sample von organisch miteinander verbundenen Neuerscheinungen vor, sondern will vielmehr exemplarisch einmal einen Einblick geben in die Vielfalt der Buchpublikationen über Europa. Die Versuche, Europa noch „dichter" werden zu lassen - Verfassungsvertrag als ein Stichwort - und die Erweiterungen des Raums der EU führen fast kontinuierlich zu neuen Monographien und Sammelbänden, deren Zahl kaum noch zu überblicken ist, gerade auch in den Staaten, die neu hinzukommen. Die jährlich diesem Periodikum beigegebene Bibliographie vermittelt einen Eindruck von dieser gewaltigen Bücherlawine. Im Folgenden werden drei Sammelbände und eine Monographie herausgegriffen und in wenigen Strichen gewürdigt, weil sie methodisch neue Wege beschreiten oder aber für das Bemühen stehen, auch breite Schichten für die Europathematik (wieder) zu interessieren. Das erste Beispiel steht für den methodischen Ansatz, den Spuren Europas auch dort nachzugehen, wo noch kein Europa sein konnte. Der Sammelband geht in seinem Kern auf eine gleichnamige Potsdamer Konferenz im Jahr 2005 zurück, die der Schärfung und Arrondierung eines Forschungsprojekts des Zentrums für Zeithistorische Forschung diente2. Das Thema ist deswegen 1 Ina Ulrike PAUL, A Man and a Movement. Neuerscheinungen zu Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 6 (2005), S. 183-193. Es handelte sich um die Biographien von Anne-Marie Saint-Gille, Anita Ziegerhofer-Prettenthaler und Vanessa Conze. 2 Europa im Ostblock. Vorstellungen und Diskurse (1945-1991)/Europe in the Eastern Bloc. Imaginations and Discourses (1945-1991), hrsg. von Josi M. Faraldo [u. a.], Köln
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so spannend, weil hier ein Feld eröffnet wird, das in den überaus zahlreichen Europa-Publikationen der zurückliegenden Jahre und Jahrzehnte absolut unterbelichtet geblieben ist: Wie reagierten die Gesellschaften jenseits des „Eisernen Vorhangs" auf die Formations- und Europäisierungsprozesse im „Westen", hatten sie überhaupt Möglichkeiten, sich - kritisch, sehnsüchtig dazu zu artikulieren, wie entwickelte sich im Ostblock jene Spannung zwischen Nationalismus und seinem vermeintlichen Überwinder, dem Bundesstaat Europa? Und weiter: Wie ordnen sich die aktuellen Diskurse seit den 1960er Jahren in längerfristige, vor allem an den Peripherien zu verortende Debatten um Autochthonismus vs. Europäismus ein, inwiefern hat „Europa" mit all seinen Implikationen den Kommunismus als Staatsform sowohl erschaffen als auch überwunden? Viele dieser Fragen setzen eine verlässliche Definition des Raums voraus, um den es überhaupt geht. Wolfgang Schmale geht in grundsätzlicher Weise diesem Problemzusammenhang nach, indem er den Kanon der Grenzziehungen zwischen Ost und West bilanziert und gleichzeitig unter deutlicher Infragestellung des Blockcharakters des „Ostblocks" dem Phänomen Osteuropa nunmehr die Qualität einer historischen Episode zubilligt. Jan Kieniewicz schlägt für den Streifen von Staaten, die sich auf jeden Fall Europa zugehörig fühlten, den Begriff borderland vor. Christian Domnitz verweist darauf, dass die tatsächlich propagierten Europavorstellungen jenseits des Eisernen Vorhangs mit dem wirklichen Europa der 1960er und 1970er Jahre wenig zu tun hatten und dass überhaupt keine herrschaftsfreie Debatte um Europa stattgefunden habe, wobei in den Europavorstellungen ostmitteleuropäischer Autoren das Fehlen des föderalen Elements „Europas" besonders auffällig sei. Weiter zurück geht Jos6 M. Faraldo, der aufgrund einer tiefschürfenden Analyse der kommunistischen Europa-Vorstellungen in den mittleren 1940er Jahren konstatiert, dass sie nur auf das Denkschema eines Europas der Nationalstaaten zielten und das Europavokabular durchaus verfremdend rezipiert wurde, etwa im Begriff der „europäischen sozialistischen Länder". Andere Ansätze eines alternativen kommunistischen Europa blieben dagegen stecken. Wie wenig das westliche Europa-Modell auch bei systemkritischen ostmitteleuropäischen Intellektuellen wirklich Resonanz fand, weist Carlos Reijnen an einem besonders aussagekräftigen tschechischen Beispiel nach. Auch Ilja Ehrenburg stieß nicht zu einer wirklichen Auseinandersetzung mit der übernationalen Idee Europa vor; seine Bilder von Europa waren polemisch-konventionell und zielten einerseits auf eine Ausgrenzung Deutschlands, zum anderen auf die Dankbarkeit, die die europäischen Völker der Sowjetunion schuldeten (Beitrag Jan C. Behrends). Die DDR stellte in Hinsicht auf die Reaktion der sozialistischen Staaten auf den Europäisierungs[u. a.] 2008. Eine längere Fassung der folgenden Ausführungen ist erschienen in Sehepunkte: http://www.sehepunkte.de/2009/04/14504.html.
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prozess kaum einen Sonderfall dar; bei ihr war freilich das Contra zu einem der Gründungsländer - der Bundesrepublik - noch ausgeprägter und verband sich mit einem geradezu absurden Sicherheits- und Paritätstrauma, das den Gedanken von einer europäischen Identität, in der die europäischen Nationen allmählich aufgehen würden, gar nicht erst aufkommen ließ. Auch in der DDR-Opposition spielten gesamteuropäische Visionen überhaupt keine Rolle (Beitrag Jana Wüstenhagen). Die Grundsatzfrage bei einem solchen methodischen Ansatz ist die der Quellen. Man kann auf die Presse (in einem Fallbeispiel die Krakauer Presse) zurückgreifen, mit, kaum überraschend, eher bescheidenem Erfolg. Man kann die offiziellen oder offiziösen Verlautbarungen abklopfen - im Fall Rumänien auch eher so, dass allenfalls approximative Annäherungen an die Fragestellung möglich sind. Mehr Sinn macht es sicher, sich mit den Unterlagen expliziter Oppositionsgruppierungen zu beschäftigen. Einige Autoren wählen den Weg, das (Euvre von systemkritischen Literaten auf seine europäischen Bezüge zu untersuchen. Der Band illustriert indirekt damit aber eben auch, wie schwierig es ist, die Ebene des „Menschen auf der Straße" im damaligen Ostblock zu erreichen: seine Sehnsüchte nach dem neuen Europa, nach dem Ausbrechen aus dem System, nach einer europäischen Welt ohne Grenzen und Beschränkungen. Aber hier wird man wohl nur mit Mitteln der oral history oder mit Ego-Dokumenten weiterkommen, die in dem vorliegenden Band noch keine wesentliche Rolle spielen. Noch näher an die Gegenwart heran führt ein von Jürgen Elvert und Jürgen Nielsen-Sikora herausgegebener Sammelband, der auf eine Tagung anlässlich des 50. Jahrestags der Römischen Verträge im März 2007 in Bonn zurückgeht3. Die hochrangig besetzte Veranstaltung war der Frage nach einem „Leitbild Europa" gewidmet, wobei die Verantwortlichen dieses Schlagwort mit gutem Grund, wie sich zeigen sollte - mit einem Fragezeichen versahen. Denn schon die Politiker zuckten etwas zurück; Jacques Santer beispielsweise, der frühere Präsident der Europäischen Kommission, ist eher skeptisch und verweist auf die inzwischen groß gewordene Kluft zwischen EuropaPolitikern und Europa-Wissenschaftlern, und Romain Kirt ist dezidiert der Meinung, dass Europa kein (neues) Leitbild benötige, sondern gehalten sei, das derzeitige Leitbild, die Verträge, besser zu erklären. Die Beiträge der Wissenschaftler verstärken das Fragezeichen eher, als dass sie es auflösten. Matthias Asche beispielsweise erkennt an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit allenfalls ein embryonales europäisches Gesamtbewusstsein, das sich vor allem durch seine Abgrenzung gegen das nichtchristliche Außen definiert habe. Caspar Hirschi geht noch einen Schritt weiter und warnt eindringlich davor, Europäisches schon am Werk zu sehen, 3
Leitbild Europa? Europabilder und ihre Wirkungen in der Neuzeit, hrsg. von Jürgen Elvert und Jürgen Nielsen-Sikora, Wiesbaden 2009.
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wenn in den Quellen noch nichts dergleichen festzustellen sei - Dante oder Erasmus in die Ahnengalerie großer Europäer einzureihen, sei eine eklatante Geschichtsfälschung. Selbst - so Jürgen Elvert - die großen europäischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit, die sich u. a. mit dem Namen des Grafen Richard Coudenhove-Kalergi verbanden, standen mit den nationalstaatlichen Egoismen noch in einem extremen und letztlich unauflöslichen Spannungsfeld. Immerhin sieht Vanessa Conze in dem österreichischen Aristokraten ein paradigmatisches Exempel der Europaleitbilder der Zwischenkriegszeit. Und in den europäischen Staaten sah es mit dem Leitbild Europa dann auch lange nicht gut aus; lässt man das Beispiel England, wo erst unter Premier Edward Heath eine zögernde Orientierung hin nach Europa Gestalt anzunehmen begann, einmal beiseite, so betont Stephan Michael Schröder etwa, dass in Skandinavien ein „Leitbild Europa" immer von dem Konstrukt des Leitbilds Norden überlagert worden sei. Und auch in Außereuropa - Walther L. Bernecker exemplifiziert das am Beispiel Lateinamerikas sei es mit dem Leitbildcharakter Europas nicht weit her, weil dort ein entsprechendes Institutionengefüge fehle. Die Herausgeber haben also eine spannende Frage aufgeworfen (und sie durch die Jahrhunderte hindurch verfolgen lassen), aber mit gutem Grund hinter das Schlagwort vom Leitbild ein Fragezeichen gesetzt. Den aus einem Potsdamer Kolloquium hervorgegangenen Sammelband zu „Europavorstellungen im 18. Jahrhundert"4 nenne ich vor allem deswegen, weil er illustriert, von wie vielen Seiten die Europa-Problematik inzwischen angegangen wird. Ein Trend geht sehr deutlich in die Richtung, allgemeine Werke jenseits der Historiographie im engeren Sinn sozusagen gegen den Strich zu bürsten und die Belletristik als Quelle des Europa-Denkens neu zu entdecken - ein Weg, den schon vor geraumer Zeit der in den USA lehrende Germanist Paul Michael Lützeler gewiesen hat5. Was den erstgenannten Ansatz betrifft, so greife ich heraus den Beitrag von Christiane Coester, die Voltaires Essai sur les moeurs daraufhin untersucht, was dieser universal angelegte Vergleich von Gesellschaften dazu beiträgt, die Spezifika Europas zu fassen. Die Schriftsteller und Europa: hier sind illustrativ die Aufsätze von Roland Ißler, der an einer Ode des französischen Dichters Lebrun aufzeigt, wie sehr der antike Europa-Mythos auch noch die Herrscherpanegyrik des ausgehenden 18. Jahrhunderts prägte, und von Dominic Eggel, der Friedrich Schillers Europa-Vorstellungen nachgeht, die sich nur sehr allmählich vom Paradigma von Europas zivilisatorischer Überlegenheit lösten. Hier scheint der Forschung noch ein weites unbestelltes Feld zu harren, vor allem wenn 4
Europavorstellungen des 18. Jahrhunderts/Imagining Europe in the 18th century, hrsg. von Dominic Eggel und Brunhilde Wehinger, о. O. 2009. 5 Paul Michael LÜTZELER, Die Schriftsteller und Europa. Von der Romantik bis zur Gegenwart, 2Baden-Baden 1998.
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man sich entschließt, auch die Europabilder und -Vorstellungen von Schriftstellern aus dem zweiten und dritten Glied mit einzubeziehen. Abschließend sei auf eine Gesamtdarstellung der europäischen Geschichte verwiesen - nicht, weil sie rundum überzeugte, sondern weil sie für einen Trend steht, über das Medium Buch einen größeren Rezipientenkreis von der Sinnhaftigkeit des europäischen Zusammenschlusses zu Uberzeugen und für das Modell Europa zu werben - nicht zuletzt um der aktuellen Europamüdigkeit, wie sie die Wahlen zum Europäischen Parlament widerspiegeln, entgegenzuwirken6. Es sind nicht selten Journalisten - in diesem Fall mit Matthias von Hellfeld immerhin ein promovierter Historiker - , die zur Feder greifen und, oft freilich mit leichter Feder, die „Erfolgsgeschichte" Europas erzählen. Dabei geht es selbstverständlich nicht um eine gleichmäßige Ausleuchtung eines langen Narrativs, sondern darum, den Grundlagen der gemeinsamen europäischen Kultur und Identität auf die Spur zu kommen. In diesem Fall mündet das (durchaus lesbare, freilich dann doch mit etlichen sachlichen Fehlern, einigen Schiefheiten7 und kühnen Sprüngen behaftete) Buch in ein Sample von „Werten", die Europa konstituierten: von der Demokratie und dem Parlamentarismus bis hin zum Christentum, zu den Menschenrechten, der Glaubensfreiheit und dem Sozialstaat. Das ist sympathisch, ohne im engeren Sinn des Wortes wissenschaftlich zu sein, das ist engagiert, ohne ein wirklich neues Interpretationsmodell zu liefern - nicht zufällig ist das Taschenbuch den Männern und Frauen gewidmet, „die in den vergangenen 2500 Jahren für die Durchsetzung der individuellen Freiheit [,] der Menschenrechte [,] der Glaubens- und Gewissensfreiheit [,] des Parlamentarismus und der sozialen Demokratie ihr Leben ließen". Aber vielleicht braucht das Europa der Gegenwart auch solche Werke, die - in diesem Fall mit dem zusätzlich gemeinschaftsfördernd verstandenen Titel Wir Europäer versehen und, wie gesagt, mit flotter Feder und einigen gags („1933 - das Kreuz mit Haken") geschrieben - vor Augen führen, dass viele Generationen sich um dieses Konstrukt bemühten und dass sich hier ein Kontinent formiert hat, der auf anderen Kontinenten nur Neid und/oder Bewunderung hervorruft. Ungeachtet aller Tendenzen in der modernen Historiographie, einerseits das Globale, die globalen Zusammenhänge und Interaktionen in den Blick zu nehmen - allen methodischen Schwierigkeiten zum Trotz - und andererseits die überschaubare Region neu zu würdigen, ist die Konjunktur für europaakzentuierte Forschungen ungebrochen. Die Frage nach den europäischen 6
Matthias VON HELLFELD, Wir Europäer. Der schwierige Weg zu Freiheit und Demokratie, Bonn 2008. 7 Ob der Rhein wirklich - vom 18. Jahrhundert aus gesehen - „seit Jahrhunderten" das Ziel der französischen Außenpolitik gewesen sei (S. 135), sieht die Forschung viel differenzierter, und wie der „deutsche" Kaiser sich 1791 zu einem „Beileidstelegramm" an seinen französischen Kollegen „hinreißen" ließ (S. 133), müsste wohl noch etwas eingehender erklärt werden!
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Identitäten, nach den inneren Kräften, die diesen Kontinent zusammenhalten und zu einer weltgeschichtlich einmaligen Symbiose geformt haben, bleibt auf der wissenschaftlichen Agenda und ruft auch Bücher hervor, die die „Erfolgsgeschichte" Europa einem breiten Leserkreis nahezubringen versuchen. Längst nicht alle diese Bilcher fühlen sich den häufigen Appellen aus Brüssel an die Adresse der historischen Wissenschaften verpflichtet, einen Beitrag zu leisten zur europäischen Bewusstseinsbildung. Ihre Autoren und Beiträger glauben aber mit gutem Grund, dass ein politisches Konstrukt, das da ist und auf absehbare Zeit irreversibel scheint, die Forschung anregen kann und soll. Wenn dann auch noch Fragestellungen entwickelt werden wie in dem erstgenannten Sammelband über die Präsenz „Europas" im Ostblock oder Quellenmaterial erschlossen wird, das von Seiten der Literaturwissenschaft oder auch der Kunstgeschichte neues und ergänzendes Licht auf den EuropaDiskurs wirft, dann kann das der Sache - und dem Anliegen dieses Periodikums - nur förderlich sein.
EUROPA-INSTITUTE UND EUROPA-PROJEKTE Centre for European and International Studies Research, Universität Portsmouth Von
Wolfram Kaiser Das Centre for European and International Studies Research (CEISR) wurde 1997 an der Universität Portsmouth in Südengland als interdisziplinäres Forschungszentrum für Europafragen gegründet. Dafür waren ein wissenschaftliches und ein pragmatisches Motiv ausschlaggebend. Erstens war in Portsmouth die Tradition der „area studies" stark ausgeprägt, die einen interdisziplinären Blick auf bestimmte Regionen der Welt für Forschung und Lehre propagierten. Dabei waren in Portsmouth „European Studies" besonders stark, die zeitgeschichtliche und sozialwissenschaftliche Regionalstudien mit sprachund literaturwissenschaftlichen Perspektiven verbanden, und zwar ursprünglich mit einem besonderen Fokus auf Französisch und Deutsch. Insoweit formalisierte und stärkte die CEISR-Gründung bestehende Pluri- und Interdisziplinarität in der Forschung im Bereich der Europastudien, wie sie in dieser Form im deutschsprachigen Raum erst in den vergangenen Jahren mit der Umstellung auf BA/MA-Studiengänge zumindest in der Lehre entstanden sind. Zweitens führte die britische Regierung seit Anfang der 1990er Jahre in regelmäßigen Abständen eine vergleichende qualitative Evaluierung der Forschung an allen Fachbereichen aller Universitäten durch, von deren Ergebnis die Mittelzuweisungen für die Grundausstattung für wissenschaftliche Forschung abhängig gemacht wurden. Für eine neue Universität wie Portsmouth, die im 19. Jahrhundert ursprünglich als technisches Institut gegründet wurde, schuf dieses System einen Anreiz zur stärkeren Profilbildung. Da der erfolgreiche Wettbewerb mit globalen Spitzenuniversitäten wie Cambridge und Oxford in traditionellen disziplinaren „units of assessment" besonders schwierig war, konzentrierte sich die Universität Portsmouth in den Geistesund Sozialwissenschaften auf eine Stärkung der „European Studies". Hier erhielt sie zunächst 1996 die zweitbeste Bewertung („4"), sodann 2001 eine „5". Im modifizierten Verfahren 2008 belegte Portsmouth sodann den ersten Rang unter allen britischen Universitäten. Gemäß dieser jüngsten Evaluierung gelten 80 Prozent der Forschung in „European Studies" als „world-
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leading" bzw. international oder zumindest national anerkannt. Damit kommt Portsmouth im Kauderwelsch der britischen Wissenschaftsbürokratie auf einen „Marktanteil" von 10 Prozent. CEISR ist ein Forschungszentrum der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften, schließt jedoch auch einzelne Forscher aus der Portsmouth Business School und der School for Film and Media Studies ein. Besonders renommiert ist etwa die Filmgeschichte, die jedoch in den Medien-, nicht in den Geschichtswissenschaften angesiedelt ist. Bisher haben sich die etwa 70 Forscher in CEISR eine angesichts der ansonsten sehr hierarchischen Managementstrukturen der Universität stark ausgeprägte Autonomie wissenschaftlicher Selbstorganisation bewahrt. Sie wählen in regelmäßigen Abständen einen Direktor und stellvertretenden Direktor. Der derzeitige Direktor ist Tony Chafer, ein Spezialist für die Geschichte der Dekolonisation des französischen Westafrika und für gegenwärtige Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dieser Region. Sein Stellvertreter ist David Andress, ein Experte der Sozial- und politischen Kulturgeschichte der französischen Revolution. CEISR hat etwa zehn „cluster", die jeweils im CEISR-Komitee vertreten sind, das über die Vergabe von Stipendien, Reisegeldern usw. entscheidet. Neben den gemeinsamen Veranstaltungen wie einer „annual lecture" und einer CEISR-Seminarreihe organisieren die „cluster" eigene Forschungsseminare und Gastvorträge und bereiten gemeinsame Projekte und Projektanträge vor. Für alle angeschlossenen Forscher organisiert CEISR ein Mentorenprogramm, das erfahrene und jüngere Forscher zusammenbringt, damit letztere einen Ansprechpartner für Fragen der internationalen Vernetzung, Entwicklung von Projekten und Drittmittelanträgen und Veröffentlichungsstrategien haben. Diese Struktur hat sich bewährt, wird aber dennoch in dem sich in Großbritannien rasch ändernden wissenschaftspolitischen Umfeld regelmäßig hinterfragt. Wie auch an anderen britischen Universitäten entwickeln sich solche Strukturdiskussionen teilweise aus sich wandelnden Leitideen und Präferenzen der beteiligten Wissenschaftler. Sie sind jedoch auch durch die von der britischen Regierung angestrebte und hochgradig umstrittene immer stärkere Selektivität in der Forschungsförderung motiviert. Diese Politik birgt die Gefahr, dass zukünftig überhaupt nur noch solche „units of assessment" finanzielle Mittel für Forschung erhalten, die die beste Bewertung haben, d. h. anders als in Deutschland nicht zusätzliche Mittel für vermeintlich besonders „exzellente" Universitäten und Projekte vergeben werden, sondern vielmehr zahlreichen Fachbereichen jedwede Grundausstattung für Forschung entzogen wird. Innerhalb von CEISR gibt es verschiedene Forschungsschwerpunkte, die hinsichtlich der internationalen Vernetzung, von Veröffentlichungen und Drittelmitteln der beteiligten Forscher besonders renommiert sind. Die Aus-
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wahlbibliographie am Ende dieses Beitrags vermittelt einen Einblick in diese Schwerpunkte. In historischer Perspektive sind zunächst die „Francophone area studies" zu nennen, die regionalwissenschaftliche mit vor allem sprachwissenschaftlichen Forschungen zu Frankreich und seinen früheren Kolonien verbinden. Hier sind in erster Linie die auch ins Französische übersetzten Arbeiten von Martin Evans über den Algerienkonflikt, von Tony Chafer über die Dekolonial isierung Westafrikas, von David Andress über die französische Revolution und von Emmanuel Godin über die konfessionelle und Regionalgeschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert zu nennen. In den Geschichtswissenschaften, die erst seit 2002 zu CEISR gehören, ist Portsmouth traditionell in der Sozialgeschichte Großbritanniens besonders profiliert. Hier sind unter anderem die Forschungen von June Purvis über die britische Frauenbewegung und von Brad Beaven zur Populärkultur der Arbeiterbewegung und im Kontext des britischen Empire zu nennen. Seit 2001 hat CEISR auch das von Wolfram Kaiser initiierte und geleitete „cluster" „Transnational European Union". Die darin kooperierenden Wissenschaftler beschäftigen sich aus zeithistorischer und politikwissenschaftlicher Sicht unter anderem mit Fragen der Geschichte und Gegenwart der EU und ihrer Erweiterungen, mit trans- und supranationalen Formen von „governance" und mit den Außenbeziehungen der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Zu den laufenden stärker geschichtswissenschaftlichen Forschungsprojekten zählen unter anderem die Arbeiten von Wolfram Kaiser über Politiknetzwerke in der EU in Vergangenheit und Gegenwart sowie zur Musealisierung der EU in historischen Ausstellungen und Museen in Europa, von Brigitte Leucht zu transatlantischen Expertennetzwerken in der Entstehung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl nach dem Zweiten Weltkrieg und zum Einfluss von Wirtschaftsnetzwerken wie dem European Round Table of Industrialists auf das Binnenmarktprogramm in den 1970er und frühen 1980er Jahren, von Jan-Henrik Meyer zur Bedeutung von Politiknetzwerken in der Europäisierung der Umweltpolitik ab den frühen 1970er Jahren und von Katja Seidel zur Entstehung einer europäischen Beamtenelite zwischen 1952 und 1967. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive beschäftigen sich unter anderem Karen Heard-Lauröote mit der „governance" von Ausschüssen der Europäischen Kommission in verschiedenen Politikfeldern, Paul Flenley mit den Beziehungen zwischen der EU und Russland und Michael Duggett mit der Verwaltungsmodernisierung in der EU. Seit 2004 hat Susanne Marten-Finnis einen neuen Schwerpunkt im Bereich europäischer Erinnerungskulturen errichtet. In ihren eigenen Forschungen beschäftigt sie sich aus einer interdisziplinär sprachwissenschaftlich-geschichtswissenschaftlichen Perspektive diskursgeschichtlich mit der jüdischen Geschichte und Identitätsbildung in Ostmitteleuropa und den literarischen Aktivitäten jüdischer Intellektueller in Zentren wie Berlin und Vilnius. Mar-
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kus Winkler arbeitet derzeit über wachsenden Anti-Semitismus in der Peripherie der früheren Habsburger-Monarchie in der Zwischenkriegszeit, vor allem in der Bukowina. Sue Harper forscht über die britische Filmindustrie und Filme der 1970er Jahre und interessiert sich in diesem Kontext unter anderem für die filmische Konstruktion individueller und kollektiver Erinnerung. In diesen und anderen Schwerpunkten haben Forscher aus CEISR in den letzten Jahren internationale Kooperationen stark ausgebaut. So arbeiten Martin Evans und Tony Chafer besonders mit Sozialwissenschaftlern und Historikern aus Frankreich und Nord- und Westafrika, Wolfram Kaiser vor allem mit Zeithistorikern und Politikwissenschaftlern aus Skandinavien, Deutschland und den Benelux-Staaten und Susanne Marten-Finnis mit Kollegen aus Deutschland, ostmitteleuropäischen Ländern und Weißrussland zusammen. Neben Drittmitteln von britischen Institutionen wie Arts and Humanities Research Council, British Academy und Leverhulme Trust sind diese Kooperationen auch durch andere staatliche und nicht-staatliche Institutionen außerhalb Großbritanniens gefördert worden, so etwa zuletzt durch die Europäische Kommission und die Norwegische Forschungsgemeinschaft. CEISR dient daneben als interdisziplinäres Forum für Doktoranden. Neben einer internen, von diesen selbst gestalteten Seminarreihe organisiert CEISR einmal jährlich einen „postgraduate half-day", in dem Projekte in einem frühen Stadium vorgestellt und diskutiert werden und erfahrene Forscher Einführungen in Themen wie Veröffentlichungsstrategien, Finanzierungsoptionen für Postdoktoranden und Karriereverläufe geben. CEISR hat derzeit etwa 60 Doktoranden, die jedoch teilweise auf einer „part-time"-Basis immatrikuliert und berufstätig sind, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. In Großbritannien gibt es nur sehr wenige Vollfinanzierungen für ein Promotionsstudium. Traditionell promoviert dort nur, wer eine spätere berufliche Tätigkeit in Forschung und Lehre zumindest in Erwägung zieht. Außerdem zieht es viele britische Studenten an die wenigen Eliteuniversitäten, weil sie sich davon bessere berufliche Aussichten versprechen, obwohl sie dort nicht immer gut betreut werden. Diese Strukturen haben jedoch den Vorteil, dass die Betreuung einer geringeren Zahl von Doktoranden sehr stark systematisiert und intensiv ist. Außerdem ist die Gruppe der Nachwuchsforscher sehr international zusammengesetzt. Gerade aus Deutschland und Österreich bewerben sich sehr gute Kandidaten oftmals mit Erfolg, die meistens wegen der besseren Betreuung nach Großbritannien wechseln und einige Jahre auf Englisch arbeiten und auch veröffentlichen wollen. Dabei forschen deutschsprachige Doktoranden oft über transnationale oder vergleichende Themen, die gute Fremdsprachenkenntnisse erfordern, über die britische Hochschulabsolventen kaum verfügen.
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Trotz der Internationalisierungsrhetorik in anderen europäischen Ländern erfolgt dort mit der partiellen Ausnahme Skandinaviens und der Niederlande die Rekrutierung auf Stellen nach der Promotion in der Regel noch immer innerhalb des nationalen Systems, so dass eine Rückkehr in das jeweilige nationale Hochschulsystem nicht leicht ist. Allerdings ziehen viele promovierte Nachwuchswissenschaftler aus CEISR vor allem wegen der viel größeren Unabhängigkeit jüngerer Kollegen ohnehin vor, in Großbritannien zu bleiben, wo längst mehr als 25 Prozent der beschäftigten Wissenschaftler aus dem Ausland stammen und deren Anteil weiterhin rapide zunimmt. Neben britischen Universitäten sind die zuletzt am CEISR promovierten deutschen Studenten unter anderem an Institutionen in Frankreich, der Schweiz und Südafrika gewechselt. Die Profilbildung in „European Studies" hat neben den Themen betreuter Promotionsprojekte auch Auswirkungen auf das Angebot postgradualer Studiengänge. Hier bietet die Universität Portsmouth unter anderem einjährige MA-Studiengänge in „European Studies" und „European Law and Policy" an, und zwar auch in Kooperation mit der Haage Hoegeschool in Den Haag sowie im IMPREST-Konsortium mit den Universitäten Maastricht und Krakau. In diesem Studiengang verbringen die Studenten jeweils ein Semester an einer der Partneruniversitäten. Alle Studenten studieren außerdem für zwei Wochen gemeinsam in einer EU-finanzierten „Spring School". Das Angebot an MA-Studiengängen wird derzeit weiter ausgebaut, zunächst in „Memory Cultures" und „International Politics and European Studies". In einem äußerst wettbewerbsorientierten und eher mager finanzierten Universitätssystem hat CEISR sich in den letzten zehn Jahren erfolgreich etabliert und auch international durch zahlreiche Kooperationen in Forschung und Lehre positioniert. Wegen der Dominanz einiger weniger Spitzenuniversitäten und der erratischen Hochschulpolitik, die ständig die Rahmenbedingungen für Forschungsförderung ändert, ohne langfristig verlässliche Strukturen zu schaffen, sind solche Erfolge in Großbritannien jedoch stets besonders prekär. In einem stark ausdifferenzierten System, in dem einige Kollegen ausschließlich in der Lehre tätig sind und nicht (mehr) forschen und die finanzielle Gesundheit der Universität insgesamt viel mehr von den Studentenzahlen und nicht von der Forschung abhängt, unterliegen Investitionen in Forschung und deren autonome Selbstorganisation durch die Forscher einer anstrengenden Evaluierung in Permanenz. Diese trägt einerseits zur Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich bei, aber bindet andererseits auch Ressourcen, die sonst in die Forschung fließen könnten.
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Kontakt: Professor Wolfram Kaiser Universität Portsmouth School of Social, Historical and Literary Studies Milldam, Burnaby Road E-Mail: [email protected] Hompage: http ://www.port.ac. uk/research/cei sr/
Summary The Centre for European and International Studies Research (CEISR) at the University of Portsmouth in southern England was founded in 1997 as an interdisciplinary research centre for European Studies. In 1996, European Studies research at Portsmouth was rated 4 in the British research assessment exercise, then 5 in 2001. In the most recent evaluation in 2008 it came top of all European Studies research units in the United Kingdom, with 80 per cent of its research rated as world-leading, internationally or nationally recognized. In the Esperanto of the British science bureaucracy, Portsmouth has a „market share" of 10 per cent. Within CEISR several research clusters have a strong historical orientation. They include, in particular, „Transnational Europe", „Memory Cultures" and „Francophone Area Studies". CEISR researchers have recently been involved in collaborative externally funded projects with colleagues from countries like Germany, Norway, France in Europe and outside of Europe, from India to Senegal and Chile. They have received funding from British institutions like the Arts and Humanities Research Council and the Leverhulme Trust as well as organisations like the European Union, the European Science Foundation and the Norwegian Research Council. The strength of European Studies at Portsmouth is also reflected in its range of MA courses which include European Studies, European Law and Policy, International Relations and European Studies, Memory Cultures and War and Society. The select book publications listed at the end of the article demonstrate the thematic range of research within CEISR.
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1 Die vorliegende Bibliographie versteht sich ausdrücklich als Auswahlbibliographie. Erfasst wurden ausschließlich Monographien und Sammelbände. Übersetzungen sind in der Regel nur dann berücksichtigt worden, wenn es sich um Übertragungen ins Deutsche handelt. Die Gliederung der Bibliographie kann unverändert diskutiert werden; der eine oder andere Titel hätte ohne weiteres auch in eine andere Rubrik eingeordnet werden können. Auf Querverweise wurde verzichtet. Dem Benutzer wird daher empfohlen, gegebenenfalls auch thematisch verwandte Rubriken einzusehen.
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Jahre
Wetter,
Klima,
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Autorenverzeichnis Dr. Ansbert BAUMANN, Universität Tübingen, Seminar für Zeitgeschichte, Wilhelmstr. 36 (Hegelbau), 72074 Tübingen Dr. Otfried CZAIKA, Kungl. Biblioteket - Sveriges nationalbibliotek, Box 5039, SE-102 41 Stockholm, Schweden Professor Dr. Heinz DUCHHARDT, Institut für Europäische Geschichte Mainz, Alte Universitätsstr. 19, 55116 Mainz Professor Dr. Anna FILIPCZAK-KOCUR, Uniwersytet Opolski, Instytut Historii ul. Strzelcöw Bytomskich 2, 45082 Opole, Polen Professor Dr. Ernst HLNRLCHS, Potsdam ( f ) Professor Dr. Wolfram KAISER, Universität Portsmouth, School of Social, Historical and Literary Studies, Milldam, Burnaby Road, Portsmouth POl 3AS, Großbritannien Professor Dr. Harald KLEINSCHMIDT, University of Tsukuba, Institute of History & Anthropology, Tsukuba, Ibaraki 305-8573, Japan Dr. Malgorzata MORAWIEC, Institut für Europäische Geschichte Mainz, Alte Universitätsstr. 19, 55116 Mainz Professor em Dr. Hugo DE SCHEPPER, Windvleugel 7, 6581 Dt Maiden, Niederlanden Dr. Julia A. SCHMIDT-FUNKE, Johannes Gutenberg-Universität, Fachbereich 07 Geschichts- und Kulturwissenschaften, Historisches Seminar, Saarstr. 21, 55122 Mainz Professor em. Dr. Winfried SCHULZE, Virchowstr. 26,44801 Bochum