Jahrbuch für Europäische Geschichte / European History Yearbook: Band 11 2010 9783486853063, 9783486597844

wenn man Europa als einen Kommunikationsraum und -zusammenhang versteht, dann liegt die Versuchung nahe, nach den Mensch

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
SCHWERPUNKTTHEMA: Erfahrungsraum Europa
Bilder von der Fremde. Epistemische und soziale Aspekte der Auslandsaufenthalte deutschsprachiger Künstler an drei Beispielen (Albrecht Dürer, Joseph Werner, Johann Heinrich Wilhelm Tischbein)
Zwischen Diplomatie und malerischem Furor. Rubens und Europa
„... quei concenti son lamenti" Italienische Musiker am Hofe Johann Friedrichs in Hannover
Auf den Spuren des Meisters. Die Schinkelschüler und die Reise nach Italien
Arno Breker zwischen Paris, Rom und Berlin
Vom Bosporus an die Spree, von der Spree an den Bosporus. Deutsch-türkische Künstlermigrationen im frühen 20. Jahrhundert
Europas neue Nomaden - Max Ernst zwischen Welterkundung und Vertreibung
ANDERE BEITRÄGE
Der zwölfjährige Waffenstillstand in den Niederlanden von 1609. Ein halber Frieden zwischen libertates und religiones
EUROPA-INSTITUTE UND EUROPA-PROJEKTE
TürkeiEuropaZentrum, Hamburg
Euroopa-Instituut and Social Research in Estonia
FORSCHUNGSBERICHTE
Die erste Blütezeit der modernen Europa- Historiographie. Ein Konferenzbericht
Die Entstehung und Entwicklung des Antisemitismus als politische Bewegung im europäischen Vergleich. Ein Konferenzbericht
AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE
Europa-Schrifttum 2009 Zusammengestellt
Autorenverzeichnis
Recommend Papers

Jahrbuch für Europäische Geschichte / European History Yearbook: Band 11 2010
 9783486853063, 9783486597844

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Jahrbuch fur Europäische Geschichte

Jahrbuch für Europäische Geschichte Herausgegeben am Institut für Europäische Geschichte von Heinz Duchhardt

Band 11

2010

R. Oldenbourg Verlag München 2010

Redaktion: Zaur Gasimov

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

©2010 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.

Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Gesamtherstellung: Grafik+Druck GmbH, München ISBN 978-3-486-59784-4 ISSN 1616-6485

Inhaltsverzeichnis

Schwerpunktthema: Erfahrungsraum Europa Eckhard Leuschner, Passau: Bilder von der Fremde. Epistemische und soziale Aspekte der Auslandsaufenthalte deutschsprachiger Künstler an drei Beispielen (Albrecht Dürer, Joseph Werner, Johann Heinrich Wilhelm Tischbein) Markus A. Castor, Paris: Zwischen Diplomatie und malerischem Furor. Rubens und Europa Christoph Harer, Hannover: „... quei concenti son lamenti". Italienische Musiker am Hofe Johann Friedrichs in Hannover Andrea Maglio, Napoli: Auf den Spuren des Meisters. Die Schinkelschüler und die Reise nach Italien Ralph-Miklas Dobler, Roma: Arno Breker zwischen Paris, Rom und Berlin Burcu Dogramaci, München: Vom Bosporus an die Spree, von der Spree an den Bosporus. Deutsch-türkische Künstlermigrationen im frühen 20. Jahrhundert Julia Drost, Paris: Europas neue Nomaden Max Ernst zwischen Welterkundung und Vertreibung

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Jahrbuch für Europäische Geschichte 11 (2010)

Andere Beiträge Simon Groenveld, Leiden: Der zwölfjährige Waffenstillstand in den Niederlanden von 1609. Ein halber Frieden zwischen libertates und religiones

161

Europa-Institute und Europa-Projekte Raoul Motika/Christoph Ramm, Hamburg: TürkeiEuropaZentrum Hamburg

189

Aksel Kirch, Tallinn: Euroopa-Instituut and Social Research in Estonia

195

Forschungsberichte Martina Steber, London: Die erste Blütezeit der modernen Europa-Historiographie

199

Eva-Maria Ziege, London: Die Entstehung und Entwicklung des Antisemitismus als politische Bewegung im europäischen Vergleich

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Auswahlbibliographie Zaur Gasimov, Mainz: Europa-Schrifttum 2009

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Autorenverzeichnis

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SCHWERPUNKTTHEMA

Erfahrungsraum Europa Wenn man Europa als einen Kommunikationsraum und -Zusammenhang versteht, dann liegt die Versuchung ständig nahe, nach den Menschen zu fragen, die in der Vormoderne oder Moderne diesen Raum „erfahren" und in ihm kommuniziert haben: also die Handwerkergesellen und die Soldaten, die Geistlichen und die akademische Jugend und viele andere Berufe- oder Sozialgruppen. Die Schriftleitung des Jahrbuchs fur Europäische Geschichte hat sich - auch um Nachbarwissenschaften einmal ein Forum zu geben - entschieden, nach den „europäischen" Erfahrungen von Künstlern in einem weiten Sinn zu fragen: Malern, Bildhauern, Architekten, aber auch Musikern. Die Grundannahme ist, dass sich Künstler mehr als andere Sozialgruppen von ihrer jeweiligen Umgebung, die sie sich „erfahren", inspirieren lassen, aus dem fremden Ambiente Anregungen aufnehmen und in ihrem jeweiligen Werk umsetzen. Dass sie auch aus ihrer angestammten Heimat Impulse in ihren neuen künstlerischen Kontext einfließen ließen, versteht sich von selbst - Transferleistungen erfolgten grundsätzlich in beiden Richtungen. Der Band versammelt in seinen Schwerpunktthema sieben Beiträge, für deren Einwerbung der für diesen Band zuständige Mitarbeiter Zaur Gasimov verantwortlich war: sechs Aufsätze zu kunsthistorischen Themen, die sich vom 16. Jahrhundert bis an die Schwelle der Gegenwart spannen, und einem, der die Musikgeschichte und ihre transkulturell-rezeptionsgeschichtlichen Ansätze zum Tragen kommen lässt. Wie bei allen Schwerpunkten des Jahrbuchs für Europäische Geschichte kann das Thema selbstredend nicht flächendeckend ausgeleuchtet werden. Die Thematik von „Europas neuen Nomaden" - so Julia Drost - und ihren europäischen Erfahrungshaushalten bleibt auf der Agenda der betreffenden Fachdisziplinen.

Bilder von der Fremde. Epistemische und soziale Aspekte der Auslandsaufenthalte deutschsprachiger Künstler an drei Beispielen (Albrecht Dürer, Joseph Werner, Johann Heinrich Wilhelm Tischbein) Von

Eckhard Leuschner Was professionelle Tätigkeiten deutsprachiger Künstler in größerer Ferne von dem ihnen durch Geburt und/oder Bürgerschaft zugekommenen Territorium angeht, hat sich in den letzten Jahren das Spektrum in den Bereich der Baumeister, Steinmetze und (Kunst-) Handwerker sowie auf „Mischmotivationen" wie Pilgerfahrten und diplomatische Missionen ausgedehnt1, doch werden bezüglich der Zeit zwischen dem späten 15. und dem frühen 19. Jahrhundert meist die gleichen Namen besprochen, und noch immer stehen die Italienreisen im Mittelpunkt. Vor allem fehlen großflächig vergleichend angelegte Arbeiten zu den gut drei Jahrhunderten zwischen den Ausländsaufenthalten Dürers und seiner Schüler einerseits und den SehnsuchtsReisen der neoklassizistischen und romantischen Künstler andererseits. Ist diese Lücke womöglich damit zu erklären, dass letztere sich aufgrund da* Verbindung mit Hauptepochen der deutschen Literatur einer permanenten Aufmerksamkeit sicher sein konnten und dass das Paradigma der „selbständigen Künstler- und Erlebnisreise", das zur Abgrenzung von den Wanderjahren der Gesellen oder Reisen der Hofkünstler im Gefolge geistlicher und weltlicher Herren formuliert wurde, dem heutigen Publikum kunsthistorischen Schrifttums leichter zu vermitteln ist? Dies mag schon deshalb so sein, weil die Hauptprodukte der meisten Künstlerreisen um 1800 Landschaftsbilder waren, die scheinbar ungetrübt die Unmittelbarkeit einer inspirierten Wahrnehmung der „schönen" (oder wenigstens „erhabenen") Ferne transportieren, während der fachkundige Zugang zur thematisch und funktionell stär1

Vgl. zur Einführung die Aufsätze im Ausst. Kat. Orte der Sehnsucht. Mit Künstlern auf Reisen, Westfälisches Landesmuseum Münster, Regensburg 2008, v. a. Volker PLAGEMANN, Von der Pilgerfahrt zur ,Reise ins Licht': Kttnstlerreisen nach Italien, S. 36-44. Zum 18. Jahrhundert: Joachim REHS, Lust und Last des Reisens. Kunst- und reisesoziologische Anmerkungen zu Italienaufenthalten deutscher Maler 1770-1830, in: Ausst. Kat. Kennst Du das Land. Italienbilder der Goethezeit, hrsg. von Frank Büttner und Herbert W. Rott, Neue Pinakothek, München 2005, S. 55-79.

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Jahrbuch für Europäische Geschichte 11 (2010)

ker differenzierten Produktion „in der Fremde" tätiger Künstler zwischen ca. 1500 und 1750 oft ungleich schwerer fällt. Studien zu den genauen Modalitäten der „Grenzenlosigkeit" künstlerischer Tätigkeit vor dem 18. Jahrhundert erfordern Aufmerksamkeit für zahlreiche Faktoren, denn Auslandsaufenthalte von Künstlern verbanden und verbinden sich mit einer charakteristischen Selbst-Adaptation an die besonderen Umstände, sei es in Hinsicht auf die sozialen oder kulturellen Bedingungen, sei es aus der Konfrontation mit zeitgenössischen oder älteren Kunstwerken und divergierenden Auffassungen vom „Wesen" der Kunst; auch muss die Verwertung der internationalen Erfahrungen nach der Rückkehr in die Herkunftsregion in den Blick genommen werden. Generell ist gleich anfangs festzustellen, dass „Internationalität" speziell in der Dürerzeit noch kaum mit den engen Kategorien und Grenzen der Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts zu definieren ist und dass der vertiefte Austausch geographisch entfernter Teile Europas in der frühneuzeitlichen Kunst nicht allein über auswärtige Tätigkeiten von Malern zustande kam, sondern mindestens ebenso sehr bedingt war durch die Expansion des Marktes für Bilder und Texte aller Art, logistische Neuerungen wie schnellere und effizientere Reproduktionstechniken und eine zunehmende Vernetzung von Politik, Geldwirtschaft und Intelligenzija über alle Sprach- und Landesgrenzen hinweg. Der Hinweis auf letztgenannte Faktoren soll den Wert des Studiums der Auslandsaufenthalte von Künstlern nicht herabsetzen; auch impliziert er keineswegs, dass die Künstler-Kunstgeschichte durch Künstlersoziologie, Wirtschafts- oder Wissensgeschichte im Sinne des Schreibens über das Schreiben über Kunst ersetzt werden könnte. Vielmehr erscheint es sinnvoll, das Künstlerindividuum und seine Hervorbringungen gerade im Spannimgsfeld zwischen sozialen Zusammenhängen und Episteme zu untersuchen, also sowohl die Arbeitsbedingungen in der Gesellschaft als auch die sich wandelnden Auffassungen von Kunst als spezifischer Fertigkeit und Regelsystem. Unabhängig davon ist es beim Studium auswärtig tätiger Künstler selbstverständlich, dass die Kunstgeschichte an der Beschäftigung mit dem einzelnen Namen und dem persönlichen Stil festhält - ironischerweise schon deswegen, weil Künstler der Frühen Neuzeit und ihr Publikum selbst in solchen Kategorien dachten, denn die Schablonen dafür lieferten spätestens seit Carel van Mander und Joachim von Sandrart die gedruckt vorliegenden Malerviten mitsamt ihrem Insistieren auf dem Zusammenhang individueller Kreativität und den „Gesetzen der Kunst" bzw. des Primats der ,/echte schoon Antijcksche" über die „rouwe en plompe Barbarische Wijse"2. Insofern ist es nicht 2 Carel VAN MANDER, Het Schilder-Boeck, Haarlem 1604, Fol. 220r (Vita von Lambert Lombard). Vgl. auch das Kapitel „Biography as the prism of Netherlandish concerns", in: Walter S. MELION, Shaping the Netherlandish Canon. Karel van Mander 's Schilder-Boeck, London 1991, S. 78-91.

Leuschner, Bilder von der Fremde

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unbegründet, im auswärtigen Auftreten vieler Maler und Zeichner des 17. und 18. Jahrhunderts Elemente eines Rollenspiels und Self-Fashioning nach (oder entgegen) literarisch präsenten Musterbildern zu sehen, die, exzentrisch und topisch zugleich, die generelle Innen- wie Außenwahrnehmung des Künstlertums prägten. Noch Goethe begab sich bekanntlich als Filippo Moller auf Italienfahrt3. Anhand von drei ausgewählten Künstlern aus dem angesprochenen Zeitraum zwischen ca. 1500 und 1800 soll im Folgenden einigen Leitfragen nachgegangen werden. Welche Gründe führten diese Künstler über die territorialen, ökonomischen oder kulturellen Grenzen ihrer ursprünglichen Tätigkeit, wie reflektiert ihre Kunst die Orte jenseits solcher (von ihnen oder anderen definierten) Grenzen, und welche Erfahrungen brachten sie aus der „Fremde" zurück? Was, wenn überhaupt, änderte sich im Verlauf des genannten Zeitraums von ca. 300 Jahren am Arbeits- und Wahrnehmungsverhalten „auswärtiger" Künstler oder an der Art der von ihnen vor, anlässlich oder nach Auslandsaufenthalten geschaffenen Werke?

Albrecht Dürer Zu seiner Zeit ist Albrecht Dürer (1471-1528) vergleichsweise weit herumgekommen. Eine Gesellenreise führte ihn in den frühen 1490er Jahren an den Oberrhein. Zweimal war er fur längere Zeit in Italien, einmal am Niederrhein und in den Niederlanden. Die wichtigsten Fakten zu den beiden Italienfahrten Albrecht Dürers, diesen „geradezu mythisch verklärte[n] Urbildfern] der europäischen Künstlerreise in den Süden"4, sind jedem Kunstinteressierten bekannt - dies unabhängig von der andauernden Diskussion um die genaue Datierung der ersten Reise des Künstlers zur Mitte der 1490er Jahre. Der Ertrag der früheren Italienfahrt Dürers, dieser verlängerten Ausbildungszeit oder „überschaubarefn] Wanderschaftsergänzung"5, besteht wesentlich in den Landschaftsaquarellen aus den Alpen und Oberitalien, deren geographische Lokalisierung die Reiseroute des Künstlers über Innsbruck, Bozen und Trient, die sich weitgehend an den Kaufmannsweg zwischen Nürnberg und Venedig hielt, gut nachvollziehbar macht. Auch wenn diese Studien wohl erst nachträglich koloriert oder komplettiert wurden und letztlich darauf angelegt gewesen sein mögen, Vorrat für die Gestaltung von Landschaftsdetails in den

Vgl. u. a. Roberto ZAPPERI, Das Inkognito: Goethes ganz andere Existenz in Rom, München 1999. 4 Vgl. zusammenfassend Petra MARX, Albrecht Dürer in Venedig, in: Orte der Sehnsucht (wie Anm. 1), S. 69-75. Volker PLAGEMANN, Zur Frühgeschichte der KUnstlerreisen nach Italien, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 41 (2002), S. 37-155, hier S. 67.

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Jahrbuch für Europäische Geschichte 11 (2010)

Hintergründen zukünftiger Gemälde oder Stiche zu schaffen6, gelten sie doch als Gründungswerke einer topographischen Kunst, die den unmittelbar festgehaltenen Eindrücken des Unterwegsseins erstmals eigenen Wert zumaß7. Neben diesen Landschaftsaquarellen finden sich auch Tierstudien sowie einige Kopien nach Details in Werken zeitgenössischer venezianischer Künstler wie Gentile Bellini, vor allem die bekannten „Turbanträger", die der Venezianer aufgrund seiner Erfahrungen am Hofe von Sultan Mehmet II. mit besonderer Authentizität darzustellen vermochte8. Aufialligerweise fehlen hingegen in situ angefertigte Studien nach antiker Kunst. Was Dürers Darstellungen mythologischer Themen wie die berühmten „Meergottheiten" oder das „Bacchanal" betrifft, ist längst erkannt, dass er sich auf Kupferstiche von und nach Andrea Mantegna bezog, die er ebenso gut in Nürnberg wie in Italien finden konnte9. 1505 bis 1507 unternahm Dürer seine zweite Reise nach Venedig, wo nun bereits Tizian und Giorgione tätig waren; doch galt die Bewunderung des Nürnbergers nach wie vor der älteren Generation und deren koloristischen und kompositorischen Leistungen. Sowohl aufgrund der erhaltenen Werke als auch durch die Briefe des Malers an seinen Freund Willibald Pirckheimer ist der zweite Italienaufenthalt Dürers ungleich besser nachvollziehbar als der erste. Hauptprodukt, wenn nicht gar eigentlicher Anlass dieser Reise war das als „Rosenkranzfest" (heute in der Nationalgalerie, Prag) bekannte Altarbild, das die in Venedig ansässige deutsche Kaufmannschaft für die nahe ihres Dienstsitzes Fondaco dei Tedeschi gelegene Bartholomäuskirche bestellt hatte10. Daneben schuf er kleinerformatige religiöse Bilder11, darunter die „Madonna mit dem Zeisig" (heute in der Gemäldegalerie Berlin), sowie einige Porträts - und er strengte einen Prozess gegen den am Ort tätigen Kupfer-

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Vgl. dazu etwa Bernard AIKEMA, Katalogeintrag, in: Renaissance Venice and the North. Crosscurrents in the Time of Bellini, Dürer, and Titian, hrsg. von Bernard Aikema und Beverly Louise Brown, Ausst. Kat. Palazzo Grassi Venedig, Cinisello Balsamo 1999, S. 398. 7 MARX, Dürer (wie Anm. 4), S. 73; Kristina HERRMANN-FIORE, Dürers neue Kunst der Landschaftsaquarelle, in: Ausst. Kat. Albrecht Dürer, hrsg. von Klaus Albrecht Schröder und Maria Luise Sternath, Albertina Wien, Ostfildern 2003, S. 27-44. 8 Zu Gentile Bellinis Orientalen Vgl. MARX, Dürer (Wie Anm. 4), S. 71. 9 Vgl. Marzia FAIETTI, Aemulatio versus simulatio. Dürer oltre Mantegna, in: Ausst. Kat. Dürer e l'Italia, hrsg. von Kristina Herrmann-Fiore, Rom, Scuderie del Quirinale, Mailand 2007, S. 81-87. 10 Zum „Rosenkranzfest" vgl. Ausst. Kat. Albrecht Dürer: the Feast of the Rose Garlands, 1506-2006, hrsg. von Olga Kotková, Národní Galerie ν Praze, Prag 2006. 11 Zum (in der Zuschreibung nicht mehr unumstrittenen) Gemälde „Der zwölfjährige Christus unter den Schriftgelehrten" Vgl. Martin SCHAWE, „... und lest nach dem sin ...": Albrecht Dürers Darstellung des zwölfjährigen Jesus im Tempel von 1506, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, 3. F., 48 (1997), S. 43-66.

Leuschner, Bilder von der Fremde

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Stecher Marcantonio Raimondi, der Drucke Dürers unautorisiert kopiert hatte, wegen Urheberrechtsverletzung an12. Die Wertschätzung Dürers in Italien ist als ein Faktum anzusehen, das sich vor allem mit seiner graphischen Produktion verband, die ihm längst vorausgeeilt war und seinen Ruf verbreitet hatte. Nicht nur konnte ihm der Verkauf mitgebrachter Drucke einen Teil der Fahrtkosten finanzieren, sondern die Stiche sorgten als Referenzwerke auch für neue Aufträge, anlässlich derer Dürer allenfalls das Vorurteil zerstreuen musste, er könne weniger gut mit Farben als mit dem Grabstichel umgehen. Es kann allerdings kein Zweifel daran bestehen, dass die zweite Venedigreise wesentlich dadurch bedingt war, dass der Künstler zwar die nun manifeste internationale Wertschätzung seiner Arbeit auskosten, diese aber letztendlich in Vorteile im heimischen Nürnberg ummünzen wollte. Durch die Pflege enger Kontakte zu den internationalen Netzwerken der Großkaufleute und Humanisten, durch vorgeführte „Weltgewandtheit" und gegenüber seinem Briefpartner geschickt angebrachte Hinweise auf die außerhalb der Heimatstadt gefundene Anerkennung versuchte Dürer, sich gegenüber den Landsleuten in ein gutes Licht zu setzen und langfristig seinen sozialen Status zu verbessern. Kaum zufällig hat er seine „großen" Werke in Venedig fur deutsche Institutionen oder Auftraggeber geschaffen. Dürer hat sich in Italien weniger „neu erfunden" als ins rechte Licht gesetzt. Dürers Tagebuch der Niederländischen Reise von 1520-21 ist eines der ersten derartigen Schriftwerke eines Künstlers überhaupt; es bietet an vielen Stellen kostbarste Details, wirkt aber in der Auswahl des Berichtenswerten vielfach irritierend „unkünstlerisch" und scheint mehr ein Konto- und Rechnungsbuch als eingehender Erlebnisbericht oder gar Ort verschriftlichter Reflexionen über das eigene Metier. Konkreter Anlass für die Fahrt war Dürers Bemühen, eine ihm vom 1519 verstorbenen Kaiser Maximilian ausgesetzte Leibrente durch dessen Nachfolger Karl V. bestätigen zu lassen; daneben strebte der Nürnberger auch danach, seine Graphiken zu verkaufen oder einzutauschen, Porträtaufträge auszuführen, Kontakte mit Künstlerkollegen zu etablieren und (ähnlich wie schon in Venedig) seine inzwischen erreichte Bekanntheit zu genießen. Selbstverständlich bewegte sich Dürer, was die architektonische und Bild-Produktion vergangener Zeiten sowie ansatzweise - künstlerische und kunsthistorische Theoriebildung angeht, bereits in einem durch sein Vorwissen strukturierten Raum: Bekanntestes Beispiel sind die von ihm bewunderten antiken Säulen in der Aachener Pfalzkapelle, zu denen Dürer aufschrieb, Karl der Große habe sie aus Rom heranschaffen lassen und sie seien kunstgerecht nach den Vorschriften 12

Vgl. dazu u. a. Lisa PON, Raphael, Dürer, and Marcantonio Raimondi. Copying and the Italian Renaissance Print, New Haven/London 2004.

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Jahrbuch für Europäische Geschichte 11 (2010)

Vitruvs gemacht13. Auch notierte er die Nachricht von der Auflösung der Werkstatt Raffaels nach dessen Tod und seine Begegnung mit II Vincidor, Schüler des Urbinaten14. Er ließ sich in Köln ein (vermutliches) Bild Stephan Lochners zeigen15, er besuchte in Gent den Altar Jan van Eycks16. Aber fast immer fehlt eine eingehendere Erörterung dieser Werke nach künstlerischen oder anderen Gesichtspunkten. Es ist bezeichnend, dass Dürer sich im Antwerpener Teil seines Tagebuchs zwar ausführlichst über die reiche Ausstattung von Prozessionen und allegorischen Umzügen auslässt17, aber nur ein einziges Bild erwähnt, das er sich, gegen ein Trinkgeld, habe aufsperren lassen18 - es wird nicht deutlich, um welches Werk es sich dabei handelte. Auch geht er auf den Blick vom Turm der St. Bavo-Kirche in Gent ungleich länger ein als auf das im gleichen Gebäude befindliche Altargemälde van Eycks19. Sah er eingehende Deskriptionen von Kunstwerken als unnötig an? Verfugte er nicht über das (kunst-) terminologische Instrumentarium, um diese Werke schriftlich zu würdigen? Möglicherweise hat er, wie zuvor in Venedig, nach einzelnen solchen Bildern kopiert, insofern hätte er sich also weniger schreibend als - „künstlertypisch" - zeichnend damit auseinandergesetzt, obwohl keine entsprechenden Studien von seiner Hand bekannt sind. Aber auch die erhaltenen Werke der Niederländischen Reise zeigen (abgesehen von den Porträts) entweder allgemeine „Sehenswürdigkeiten" wie den Antwerpener Hafen oder Kuriositäten wie exotische Kostüme und Tiere, verraten also einen Zugang, der weder derjenige eines umherziehenden Malergesellen noch eines Connaisseurs war, sondern mindestens teilweise der Attitüde eines reisenden Kaufmanns oder Adligen und dessen aufgeschlossenem, aber nicht kennerschaftlichen Blick auf die Besonderheiten der „Fremde" entsprach einer „nahen" Fremde schon deshalb, weil sie Reichsterritorium war, aber auch deswegen, weil im Tagebuch nie von Sprach- oder Kommunikationsschwierigkeiten Dürers in den Niederlanden die Rede ist. Angesichts der von ihm im Welthandelszentrum Antwerpen empfangenen Gaben wie „türkische Tücher", Korallen oder Papageien scheinen die eigentlichen Modifikationen seiner Weltsicht durch die Öflhung von Perspektiven über den europäischen Horizont hinaus stattgefunden zu haben: Diese „ferne Fronde" eignete sich Dürer materiell an20.

13 Gerd UNVERFEHRT, Da sah ich viel köstliche Dinge. Albrecht Dürers Reise in die Niederlande, Göttingen 2007, S. 95. 14

UNVERFEHRT, Dürer (wie Anm. 13), S. 87-88.

15

UNVERFEHRT, Dürer (wie Anm. 13), S. 107.

16

UNVERFEHRT, Dürer (wie Anm. 13), S. 157-160.

17

UNVERFEHRT, Dürer (wie Anm. 13), S. 5 5 - 5 9 . UNVERFEHRT, Dürer (wie Anm. 13), S. 107-109.

18

19

UNVERFEHRT, Dürer (wie Anm. 13), S. 158.

20

Vgl. UNVERFEHRT, Dürer (wie A n m . 13), S. 2 1 9 - 2 2 2 .

Leuschner, Bilder von der Fremde

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Von Albrecht Dürer zu Joseph Werner War Dürer unter den reisenden Künstlern des 16. Jahrhunderts ein Ausnahmephänomen? In mancher Hinsicht fallt es schwer, ihm unter den im genannten Zeitraum an mehreren weit auseinander hegenden Orten in Europa tätigen Künstlern Persönlichkeiten an die Seite zu stellen, die ähnlich differenzierte Interessen hatten. Dies hat nur am Rande damit zu tun, dass im Laufe des Cinquecento nicht mehr Venedig, sondern (auch aufgrund der sich europaweit intensivierenden Antikenbegeisterung) Rom das wichtigste Ziel nordalpiner Maler war, unter denen sich Meister wie Maerten van Heemskerck durch besonders intensive antiquarische Studien auszeichneten21. Er und seine niederländischen Kollegen zehrten zeitlebens von ihren Zeichenetüden in den Ruinen Roms, die sie nach ihrer Rückkehr in Gemälde und Reproduktionsgraphik umsetzten und damit ganz wesentlich das Italienbild der Daheimgebliebenen, aber auch dasjenige künftiger Reisender prägten. Ein Italienfahrer wie Pieter Brueghel d. Ä. hielt sich hingegen von den Relikten der Antike weitgehend fern (womöglich auch deshalb, weil dieses Marktsegment längst besetzt war), widmete sich aber umso intensiver der zeichnerischen Darstellung der von ihm bis nach Sizilien durchreisten Landschaften südlich der Alpen - auch hierfür mag letztlich der Verwertungsaspekt, also die vorgesehene spätere Umsetzung in Gemälde oder Modelle für Kupferstiche, ausschlaggebend gewesen sein22. Der übliche Status in Italien tätiger Maler aus dem Norden war spätestens seit Mitte des 16. Jahrhunderts derjenige anonymer Helfer bei einem der vielen fabrikmäßig organisierten Groß- und Ausstattungsprojekte in den Kirchen und Palazzi von Rom, Florenz, Venedig oder Genua23. Aus solchen Malern wurden nach der Rückkehr in die Heimat gelegentlich unabhängige Meister und sogar Künstlerpersönlichkeiten, die (wie Frans Floris oder Maerten de Vos) als Werkstattleiter den Stil einer ganzen Stadt oder Region bestimmten. Insofern ist es nicht immer leicht zu entscheiden, ob eine der im späteren 16. Jahrhundert in Nordeuropa tätigen Bilderfabriken die alte Gildeund Werkstattstruktur des Mittelalters fortführte oder vielmehr solche Produktionstechniken anwendete, die in den großen italienischen Cantieri der

21

Vgl. zu Maerten van Heemskerck die Werkauswahl, in: Ausst. Kat. Fiamminghi a Roma 1508-1608, hisg. von Nicole Dacos, Brüssel 1995, S. 216-225. 22 Vgl. Nils BÜTTNER, „Quid Siculas sequeris per mille periculas terras": Ein Beitrag zur Biographie Pieter Brueghels d. Ä. und zur Kulturgeschichte der niederländischen Italienreise, in: Marburger Jahrbuch 27 (2000), S. 209-242. 23 Vgl. etwa Bert W. MEIJER, Flemish and Dutch Artists in Venetian Workshops: the Case of Jacopo Tintoretto, in: Ausst. Kat. Renaissance Venice and the North. Crosscurrents in the Time of Bellini, Dtlrer, and Titian, hrsg. von Bernard Aikema und Beverly Louise Brown, Palazzo Grassi Venedig, Cinisello Balsamo 1999, S. 133-143.

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Jahrbuch für Europäische Geschichte 11 (2010)

Epoche gängig waren24. Selbst im Studio von Peter Paul Rubens scheint sich nach dessen Rückkehr aus Italien 1608 der Transfer rezenter italienischer Stilelemente mit dem Aufbau einer Werkstattorganisation nach bewährten Antwerpener Mustern verbunden zu haben. Im Übrigen war es gerade Rubens, der wie kein anderer Künstler seit Dürer seine Auslandserfahrung und Auslandskontakte im Dienst von Hochadel und Klerus als Mittel der eigenen Prestige- und damit Absatzsteigerung zu nutzen verstand25. Die schon im Spätmittelalter obligate Wanderschaft der Malergesellen und die im Laufe des 16. Jahrhunderts ähnlich üblich gewordene „Gastarbeiterzeit" junger Künstler in Italien, die mit einem mehr oder weniger ausgeprägten Studium der örtlichen Monumente verbunden war, erlebte im Laufe des 17. Jahrhunderts gewisse Modifikationen. Einerseits setzte sich eine allgemeine Spezialisierung der handwerklichen wie der künstlerischen Arbeit nach Gattungen und Techniken durch, die „Fachleute" in der Wiedergaben antiker Ruinen oder Skulpturen, Landschaften, Genreszenen etc. hervorbrachte. Andererseits sorgte die europaweite Reglementierung der künstlerischen Ausbildungswege jenseits alter Werkstatt- und Gildestrukturen für vereinheitlichte Standards, die man auch als Partikularaspekte einer sich seit dem Hochbarock verstärkenden Tendenz zu international ähnlicher werdenden Institutionen, Leitbildern oder Normen auffassen kann26. Stärker noch als in der bereits durch Usancen des internationalisierten Handels und Kontakte mit dem Renai ssance-Human i smus geprägten Erlebniswelt Dürers entspann sich nun, überspitzt gesagt, eine Kultur wachsender Ähnlichkeit, ein Netz gemeinsamer Verständigungsformen, die einerseits durch das Repräsentationsbedürfiiis der Höfe27 und des Großbürgertums, andererseits durch eine fast alle Wissensfelder kodifizierende internationale Text- und Bild-Publizistik bestimmt waren. Was die Kunst des späteren 17. und des 18. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum angeht, hatten die von vielen Malern und Bildhauern zur Erlangung eines höheren sozialen Status herbeigesehnten oder initiierten Kunstakademien schon wegen des Fortbestehens der Gilden auf die tatsächliche 24

Zu fabrikartigen Produktionsverfahren im Antwerpen des 16. Jahrhunderts vgl. Eckhard LEUSCHNER, A Grisaille Oil Sketch from the "De Backer Group" and Workshop Practices in Sixteenth Century Antwerp, in: The Metropolitan Museum Journal 43 (2008), S. 99-110. 25 Vgl. Nils BÜTTNER, Rubens, München 2007, S. 37-47. Vgl. den Oberblick über die wichtigsten europäischen Kunstakademien des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts in Ausst. Kat. „Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen". Dreihundert Jahre Akademie der Künste, hrsg. von Agnete von Specht, Berlin 1996, S. 5066. 27 Zur Rolle von Kunstförderung bei der Manifestation oder Bekräftigung von Herrschaftsansprüchen in der Frühen Neuzeit Vgl. die Fallstudie von Eckhard LEUSCHNER, Omnem lapidem movere: Modelle und Motivationen der Architektur- und Kunstpolitik Wolf Dietrich von Raitenaus, in: Höfe und Residenzen geistlicher Fürsten, Strukturen, Regionen und Salzburgs Beispiel in Mittelalter und Neuzeit, hrsg. von Wolfgang Wüst [u. a.], Ostfildern 2010, S. 171-189.

Leuschner, Bilder von der Fremde

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künstlerische Praxis in den Fürstentümern, Klein- und Kleinstterritorien und Reichsstädten nicht sofort einen so hohen Einfluss, wie man heute meinen könnte28. Auffällig ist allerdings, dass bei international tätigen Künstlern die eben bei Dürer festgestellte Vielfalt der Interessen und des Themenspektrums abnahm - sei es deshalb, weil sich das Erlebnis von Alterität an den zu dieser Zeit aufgesuchten auswärtigen Arbeitsorten reduzierte, sei es, weil die erwähnten Spezialisierungen und Festlegungen sich auswirkten: Zwar entstanden, was Italien angeht, seit dem frühen 17. Jahrhundert die für uns „typischen" Bilder sonnendurchfluteter Landschaften des Südens, doch ihre Produzenten stellten kaum etwas anderes her als solche - oft für den nordeuropäischen Markt bestimmten - Werke, die selbst dort, wo sie konkret identifizierbare Topographien zeigen, etwas von der „idealen Ortlosigkeit" haben, die von den Kunstakademien Europas bis weit ins 18. Jahrhundert präferiert wurde29. Wenn die wesentlichsten Zeugnisse fur Auslandsaufenthalte von Künstlern des Barock dergleichen Landschaften wären, könnte man für manchen international tätigen Maler der Epoche bezweifeln, dass er überhaupt aus seiner Heimatregion herausgekommen ist Und doch vermochten gerade Künstler dieser Zeit internationale Karrieren vorzuweisen, die diejenigen ihrer Vorgänger weit in den Schatten stellten. Die Biographie des aus der Schweiz gebürtigen Joseph Werner (1637— 1710) ist der womöglich komplexeste Fall eines in der zweiten Hälfte des 17. und im frühen 18. Jahrhundert europaweit beschäftigten Wanderkünstlers30. 28

Vgl. Andreas TACKE, „[...] auf niederländische Manier": Sandrarts römisches Willkommensfest im Lichte der KUnstlersozialgeschichte, in: Joachim von SandrarL Ein europäischer Künstler zwischen Italien und Deutschland. Akten des Internationalen Studientages der Bibliotheca Hertziana Rom, 3.-4. April 2006, hrsg. von Sybille Ebert-Schifferer und Cecilia Mazzetti di Pietralata, München 2009, S. 9-20, bes. S. 20. 29 Vgl. Michael THIMANN, Historische Landschaften. Ferdinand Oliviers „Trauernde Juden an den Wassern Babylons", in: Ausst. Kat. „An den Wassern Babylons saßen wir". Figurationen der Sehnsucht in der Malerei der Romantik: Ferdinand Olivier und Eduard Bendemann, hrsg. von Alexander Bastek und Michael Thimann, Museum Behnhaus Drägerhaus Lübeck, Petersberg 2009, S. 23-39, bes. S. 24-25. 30 Grundlegend zu Werner ist noch immer: Jürgen GLAESEMER, Joseph Werner 1637— 1710, Zürich/München 1974; Vgl. daneben Oskar BÄTSCHMANN, Gelehrte Maler in Bern: Joseph Werner und Wilhelm Stettier, in: Ausst. Kat. Im Schatten des Goldenen Zeitalters. Künstler und Auftraggeber im bernischen 17. Jahrhundert, hrsg. von Georges Herzog und Elisabeth Ryter, Bd. 2, Bern 1995, S. 165-200. Vgl. außerdem ikonographische Fallstudien zu Werken Werners in: Balázs KAPOSSY, Numismatische Randnotizen zu einigen Werken von Joseph Werner, in: Jahrbuch des Bernischen Historischen Museums 51/52 (1971-75), S. 187-192; Eckhard LEUSCHNER, Persona, Larva, Maske. Ikonologische Studien zum 16. bis frühen 18. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1997, S. 167-169; Wolftang RATJEN, Tee bei Thiems. Reminiszenz aus einem Sammler-Leben, in: L'arte del disegno. Christel Thiem zum 3. Januar 1997, hrsg. von Gunther Thiem, München 1997, S. 161-163; Peter O. KRÜCKMANN, „Der ideale Fürst": eine Miniatur von Joseph Werner gibt Rätsel aufj in: Arx 27, 2 (2005), S. 13-16. Zum Einfluss von Werner auf andere europäische Künstler vgl. die Fallstudie von Guido M.C. JANSEN, Eglon van der Neer, Franz Ertinger en Joseph Werner

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Werner war als Maler, Miniaturist, Zeichner und Druckgraphiker in bedeutenden Kunststädten der Epoche tätig: in Basel, Frankfurt am Main, Rom, Versailles und Paris, Augsburg, München und Wien, Berlin und Bern. Porträtminiaturen mit Darstellungen von Ludwig XIV. von Frankreich, Adelaide von Savoyen, Kaiser Leopold von Österreich und anderer Mitglieder des europäischen Adels dürfen als Höhepunkte seines Œuvres gelten. Aber auch im eher bürgerlichen Terrain von Frankfurt, Augsburg und Bern schuf er wichtige Bilder, die Musterbeispiele fur die zu jener Zeit in verschiedenen Teilen Europas thematisch zwar diversifizierten, aber stilistisch doch stark vereinheitlichten Anforderungen an Kunst sind. Nach Ausbildungszeiten in Basel bei Jacob Meyer und in Frankfurt bei Matthäus Merian d. J. ging Werner um 1654 nach Rom. Spätestens dort machte er sich als Maler von Miniaturen einen Namen. Gemäß den Angaben bei Joachim von Sandrart31 sowie nach Ausweis des 1662 datierten, heute im Victoria & Albert Museum in London befindlichen Selbstporträts war Werner in Rom seinem Anspruch und Auftreten nach bereits ein arrivierter Künstler, der sich auch durch seine „Gelehrtheit" in Szene zu setzen verstand32. Es mag diese den Bestrebungen der königlichen Kunstakademie Frankreichs und ihrer Außenstelle in Rom nahe stehende intellektuelle Attitüde Werners oder seiner Spezialisierung als Miniaturist geschuldet gewesen sein: Jedenfalls wurde er gegen Ende des Jahres 1662 nach Paris berufen, wo er - entgegen seinen hochfliegenden Erwartungen dem premier peintre Charles Le Brun untergeordnet33 - schwerpunktmäßig als Bildnismaler im Klein- und Kleinstformat zu arbeiten hatte. Werner, dessen in den Berichten seines Schülers Wilhelm Stettier überliefertes pompöses Auftreten als eleganter Hoânann nach dem Modell Le Bruns in keinem Verhältnis zu seiner bescheidenen Stellung in Versailles und an seinen späteren Beschäftigungsorten stand, porträtierte seine Modelle gemäß dem Zeitgeschmack vor allem als Figuren aus dem Mythos. Von Ludwig XTV. schuf er Porträts als Sonnengott Apollo im Triumphwagen und als heldenhafter Töter des Drachen Pytho34. Zusätzlich zu solchen Bildnissen malte Werner auch reine Allegorien und mythologische Miniaturen35. Nicht zuletzt in diesem Bereich, der Miniaturmalerei, ist de Jonge: notities bij een aanwinst, in: Bulletin van het Rijksmuseum 39 (1991), S. 435439. 31 Joachim VON SANDRART, Ternsche Academie, Nürnberg 1675, Bd. 2, Buch 3, S. 333. 32 BÄTSCHMANN, Gelehrte Maler (wie Anm. 30), S. 184-195. 33

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GLAESEMER, Werner (wie Anm. 30), S. 21.

Anne SURGERS, Joseph Werner: Louis XIV en Apollon, in: dies., Et que dit ce silence? La rhétorique du visible, Paris 2007, S. 201-209. 35 Vgl. Xavier SALMON, Pomp and Power: Drawings from Versailles, Ausst. Kat. Wallace Collection, London 2006, S. 16-19; Nicole GARNIER-PELLE/Nathalie LEMOINEBOUCHARD, Portraits des maisons royales et impériales de France et d'Europe. Les miniatures du musée Condé à Chantilly, Paris 2007, Kat. Nr. 1374; Nathalie LEMOINEBOUARD, Les peintres en miniature actifs en France 1650-1850, Paris 2008, S. 536-537.

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der kunslhistorische Forschungsbedarf nach wie vor groß: Waren diese Werke Vorarbeiten für größere Bilder, sollten sie in Möbel oder Vertäfelungen montiert werden oder dienten sie, in Gruppen gehängt, als Wanddekoration von Kunstkammern36? Nach seiner Zeit in Frankreich, in der er bei seinem Bemühen um einen bevorzugten Platz als Hofkünstler letztlich scheitern musste, weil sich seine Malerei schon im Maßstab nicht mit den am Ort geschätzten Favoriten messen konnte, war Werner ab ca. 1667 in Augsburg tätig; 1668 heiratete er Anna Maria, die Schwester des Augsburger Künstlers Johann Ulrich Mayer. Der Rückzug in den deutschen Sprachraum bedeutete allerdings nicht, dass Werner von seiner internationalen Erfahrung absah. Im Gegenteil: Er annoncierte seine Karriere in Rom und Versailles. Auch arbeitete er mit Kupferstechern und Graphikverlegern wie dem Augsburger Elias Hainzelmann zusammen, der von 1665 bis 1675 in Paris in der Werkstatt von François de Poilly I tätig gewesen war, und den Werner also wohl schon aus seiner Zeit dort kannte. In kirchlichem Auftrag entstand das großformatige „ A b e n d m a h l " für die evangelische Heilig-Kreuz-Kirche in Augsburg, was schwerlich ohne die in Rom und Paris gewonnene Erfahrung mit den Bildern Nicolas Poussins denkbar ist37. Die Stadt, durch Handelsbeziehungen ohnehin mit allen Teilen Europas verflochten, lechzte nach solchen Manifestationen des grand goût. Kaum zufallig wurde gerade in Augsburg eine der ersten deutschen - privaten Kunstakademien nach römisch-französischem Muster gegründet38. In seiner Augsburger Zeit reiste Werner auch zu Auftragsarbeiten an die Höfe in München und Wien, deren ästhetische Selbstdarstellung sich zum Ende des 17. Jahrhunderts mehr und mehr nach dem Modell des Sonnenkönigs formte. 1680 schuf er eine Allegorie anlässlich der Heirat des Grand Dauphin Ludwig von Frankreich mit Prinzessin Maria Anna von Bayern39. Therese Kunigunde von Polen, die zweite Frau Kurfürst Maximilians Π. Emanuel, stellte er als Jagdgöttin Diana dar. Werners internationale Erfahrung war Vorbedingung für solche prestigeträchtigen Arbeiten. Dennoch erhielt er keine Festanstellung an einem der genannten Höfe. 1682 kehrte Werner in die Schweiz zurück. Die Gründe sind unklar. War es die Konkurrenz der vielen anderen Maler in Augsburg, die verhinderte, dass Werner in der sich insgesamt verschlechternden ökonomischen Situation der Stadt weiterhin sein Auskommen hatte? In Bern fend er jedenfalls ein bürgerlich-enges 36

Vgl. Theodoor H. LUNSINGH SCHEULEER, A la recherche du mobilier de Louis XIV, in: Mélanges Verlet: Studi sulle arti decorative in Europa, Turin 1985, S. 38-49. 37 GLAESEMER, Werner (wie Anm. 30), S. 185. 38 Vgl. BÄTSCHMANN, Gelehrte Maler (wie Anm. 30), S. 184. 39 Vgl. Nadine VON ESSEN, Allegorie zur Vermählung des Grand Dauphin von Frankreich, Louis (1661-1711), mit Prinzessin Maria Anna Christine Victorie von Bayern (16601690), in: Weltkunst 71 (2001), S. 2209.

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Terrain vor, in dem er mit seinem bisherigen Themenspektrum nur eingeschränkten Erfolg hatte und sich vor allem als Bildnismaler sowie durch Gründimg einer Kunstschule über Wasser hielt Durch Vermittlung eines Freundes, des Berner Numismatikers Andreas Morell, wurde Werner 1694/95 bevorzugter Kandidat des preußischen Ministers Eberhard von Dankelmann fur die Leitung der künftigen Königlichen Akademie der Künste in Berlin, als deren Gründungsdirektor er dann 1696 tatsächlich antrat. Seine Vorstellungen vom künftigen Profil des Instituts waren bemerkenswert hochfliegend40: Nach seinen eigenen Worten wollte er keine „gemeine Maler- und Bildhauer-Akademie, sondern eine hohe Kunstschule oder Kunstuniversität gleich den Akademien zu Rom oder Paris". Auch plante er, die „grundrichtigen Kunstgesetze" in einem eigenen Buch niederzulegen. Dergleichen mag heute vermessen oder ideologisch klingen, unterstrich damals aber die Ernsthaftigkeit seines Anliegens und das eigene Sendungsbewusstsein. Als Vertreter „Des Richtigen" in der Kunst war es zudem leichter, Opponenten als Vertreter veralterter und/oder falscher Ansichten darzustellen. In der administrativen Praxis und im Umgang mit den Kollegen scheint der (schon aufgrund seiner Erfahrungen im Ausland) auf Selbstdarstellung anstelle von Teamwork geeichte Werner allerdings versagt zu haben. 1699 wurde er seines Amtes als Akademiedirektor enthoben. Die sich für ihn daraufhin verschlechternde finanzielle Situation erzwang u. a., dass er seine Münzsammlung an das königliche Münzkabinett verkaufte. Um 1707 verließ er Berlin, um seine letzten Jahre in Bern zu verbringen. In der Analyse von Werners Karriere lassen sich beispielhaft sowohl landes· und standorttypische Besonderheiten der europäischen Kunst des Zeitraums als auch verbindende Elemente im Kulturtransfer des Hoch- und Spätbarock herausarbeiten. Zwar hatte die Konfessionalisierung dafür gesorgt, dass religiöse Themen nicht mehr überall im einstigen Umfang dargestellt wurden. Jedoch galten in der adeligen und großbürgerlichen Repräsentation weithin herrschende Standards, die sich einerseits durch den reglementierenden Einfluss der umlaufenden Ikonologien, Architekturtraktate und Ornamentwerke nährten, andererseits aber meist auch noch auf der Autorität einer als verbindlich angesehenen allegorischen und mythologischen Formensprache gründeten. Und in dem Maße, wie die großen Höfe, nicht zuletzt über die von ihnen protegierten Kunstakademien, vergleichsweise feste Kunst-, Repräsentations- und Deutungsmodelle vorgaben, konnte ein Maler wie Werner sich in einer gegenüber der Dürerzeit zahlenmäßig zwar deutlich ange40

Zitiert nach Gunter SCHOLZ, Die Kunstwissenschaft und die Institutionen. Zum Wandel des Verhältnisses von Kunst und Wissenschaft im Zeitalter Hegels, in: Kunst und Geschichte im Zeitalter Hegels, hrsg. von Christoph Jamme/Frank Völkel, Hamburg 1996, S. 167-189, hier S. 169, nach Hans MÜLLER, Die königliche Akademie der Künste zu Berlin 1696-1896, Berlin 1896, S. 6.

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wachsenen, formal und inhaltlich aber bemerkenswert klar vereinheitlichten europäischen Bilderwelt bewegen. Dies hieß allerdings gerade nicht, dass er es sich leisten konnte, als Künstler unauffällig zu sein. Inmitten der wachsenden Bilderflut seiner Zeit diente die Spezialisierung auf qualitativ hochwertige Miniaturen sowohl dazu, ein unverwechselbares Profil als Künstler aufzuweisen, als auch dazu, durch Übersetzungen aus der historischen oder aktuellen italienischen und französischen Großmalerei in brillante Kleinstformate Kunstsammler und Kenner adressieren, die entsprechende Gemälde, aber auch die nicht immer qualitätvollen Kupferstichreproduktionen oder paraphrasen solcher Werke vor Augen hatten und daher die zwischen diesen Bildmedien auf originelle Weise vermittelnde künstlerische Kompetenz Werners zu würdigen verstanden. Durch die Selbststilisierung als höfisch gewandter, international erfahrener und gebildeter Künstler, die, wie erwähnt, bis in sein Auftreten und seine Kleidung ging, versuchte Werner zudem, die jeweils fehlende Verortung im lokalen Beziehungsgeflecht der Künstler und Kunstpatrone abzugleichen. Dies war an denjenigen Stationen seiner Karriere besonders wichtig, wo sich die neue Kultur der Kunstakademien noch kaum ausgewirkt hatte, also das Gildewesen oder ähnliche, gegen auswärtige Konkurrenten abgeschottete Strukturen der Kunstproduktion vorherrschten, bot sich aber auch als Strategie gegenüber dem Berliner Künstler- und Kulturklüngel an. Letztlich ist Werner als Leiter der Preußischen Kunstakademie gescheitert, weil sich auch dort die alten Hierarchien als zu stark erwiesen.

Von Joseph Werner zu Johann Heinrich Wilhelm Tischbein Bezeichnenderweise fehlen in Werners Œuvre erkennbar vor Ort ausgeführte Landschaften und ähnliche, meist als typische „Unterwegs"-Bilder angesehene Studien. Ein Künstler wie er, der in seiner Epoche mehr und weiter als die meisten seiner Kollegen reiste, hat in seinen Werken davon die wenigsten direkten Spuren hinterlassen. In Werner, einem engstens mit den Kunstauffassungen der Akademien nach französischem Muster verbundenen Maler, manifestiert sich stattdessen eine Tendenz zur totalen Identifikation mit den „Idealen" dieser Institutionen, so dass individuelles künstlerisches Erleben im Sinne des Sich-Einlassens auf topographische Unmittelbarkeit gar nicht erst aufkommen konnte oder zumindest vorgestanzte, verbindliche Modelle der höfischen Repräsentation bevorzugte. Es ist kein Zufall, dass sich ein Ende des 18. Jahrhunderts aus der als gängelnd und antiquiert empfundenen Stutt-

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garter Akademie ausbrechender romantischer Künstler wie Joseph Anton Koch vor allem auf eine Reform der Landschaftsmalerei warf41. Die Flucht des jungen Koch aus dem Schwäbischen nach Italien war nur die vielleicht eruptivste Äußerung einer Umorientierung, die sich bei älteren Künstlern längst angekündigt hatte. Die Kunstakademie als europaweit ähnliche Bildungs- und Korporationsform, die zur Stärkung der sozialen Stellung der ihr verbundenen Künstler nicht wenig beitrug (heute würde man von „internationalen Mindeststandards" sprechen), wurde von denselben Künstlern aufgrund des mit dem Prestige dieser Einrichtungen eigentlich unverbrüchlich verbundenen Regelwerks als Belastung des Strebens nach künstlerischer Autonomie empfunden42. Bei der Untersuchung des tatsächlichen Reiseverhaltens deutschsprachiger Künstler des späteren 18. und frühen 19. Jahrhunderts zeigt sich allerdings, wie sehr die vor-akademische Praxis, das Gedankengut der klassizistischen Akademien und früh-romantische Vorstellungen ineinander griffen. Paradebeispiel dafür sind die Auslandsaufenthalte von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829). Durch die Memoiren des Malers - auch diese Mitteilsamkeit ist Zeichen einer neuen Zeit und den reichen künstlerischen Ertrag sind wir darüber ausnehmend gut informiert43. Der junge Tischbein war Spross einer durch zahlreiche, auch international arbeitende Maler ausgezeichneten Familie44. Er begann seine Laufbahn als Schüler seines Onkels Johann Jacob Tischbein in Hamburg. 1772/1773 unternahm er eine Studienreise nach Holland. Ab 1777 war er, durchaus erfolgreich, als Porträt-Maler in Berlin tätig. Seinen ersten Aufenthalt in Rom konnte er 1779 mit einem Stipendium der Kasseler Akademie antreten. Bis dahin im Stil des späten Rokoko arbeitend, vollzog er nach intensivem Studium antiker Kunstwerke und beeinflusst von seinen in Rom arbeitenden Zeitgenossen die Wende zum Klassizismus. 1781 musste er aus Geldnot den Rom-Aufenthalt abbrechen. Er begab sich nach Zürich, wo er Auftragsarbeiten für den Physiognomen Johann Caspar Lavater und den Philologen Johann Jacob Bodmer ausführte. Nachdem ihm Herzog Ernst Π. von GothaAltenburg ein weiteres Stipendium bewilligt hatte, konnte er 1783 nach Rom zurückkehren. Bei diesem zweiten Italien-Aufenthalt, der bis 1799 dauerte, freundete er sich 1786 mit dem in Italien weilenden Goethe an, mit welchem 41

Vgl. die Erörterung der polemischen Karikatur Kochs einer „Herkuleswahl" des Künstlers zwischen Naturnachahmung und akademischer Künstlichkeit in: LEUSCHNER, Persona (wie Anm. 30), S. 316; dazu auch Hubert LOCHER, Deutsche Malerei im 19. Jahrhundert, Darmstadt 2005, S. 37. 42 Vgl. Frank BÜTTNER, Der autonome Künstler. Asmus Jakob Carstens' Ausstellung in Rom 1795, in: VON SPECHT, Die Kunst (wie Anm. 26), S. 195-197. 43 Johann Heinrich Wilhelm TISCHBEIN, Aus meinem Leben, 2 Bde., Braunschweig 1861. 44

Vgl. zur Übersicht den Ausst. Kat. 3 χ Tischbein und die europäische Malerei um 1800, Staatliche Museen Kassel und Museum der Bildenden Künste Leipzig, München 2005.

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er 1787 auch nach Neapel fuhr. 1786-87 malte Tischbein das berühmte Gemälde, das Goethe als Reisenden in der römischen Campagna zeigt. Von 1789 bis 1799, als französische Truppen in Neapel einmarschierten, war Tischbein Direktor der dortigen Kunstakademie (Accademia di Belle Arti). Nach der Besetzung der Stadt und dem Ende des Ancien régime, das in Neapel die Grundlage des Kulturlebens und damit aller beruflichen Perspektiven des Künstlers gewesen war, sah Tischbein keine andere Möglichkeit, als nach Deutschland zurückzukehren. In den verbleibenden Lebensjahrzehnten zehrte er ökonomisch und künstlerisch wesentlich von seinen Auslandserfahrungen und vom Ruf der dabei erworbenen Internationalist. In Tischbeins selbstverfasster Vita sind ältere Motivationen des Auslandsaufenthalts von Künstlern noch stark ausgeprägt. Vor allem die Reise nach Holland trägt Züge einer vor-akademischen Gesellenfahrt, während derer sich das Lernen von anderen Künstlern mit kurzfristig vor Ort ergatterten Malaufträgen, meistens Porträts, verband. Auffällig in Zusammenhang mit dieser Fahrt sind die vom Autor geschilderten Lektionen in Sachen mondänen Auftretens, die ihm wohlmeinende Kunden gaben, darunter der empfohlene Erwerb eleganter, betont bunter Kleidung45, die zwar nicht die Extreme von Joseph Werner erreicht haben wird, aber dennoch den nach wie vor erforderlichen Kompromiss zwischen selbst-annonciertem Künstlertum und einer Angleichung an den gehobenen Kontext der Auftraggeber bezeichnet, so dass selbst diese Fahrt eines wenig bemittelten Anfängers mit Elementen einer adeligen Kavalierstour versehen war. Bemerkenswert an Tischbeins Reiseerinnerungen (und hierfür kann man nicht allein ihre späte Niederschrift inmitten der Flut von Memoiren der Goethezeit verantwortlich machen) ist der starke Akzent auf dem persönlichen Erleben heimatlicher und fremder Landschaft einschließlich atmosphärischer Elemente wie Wetter und Tageszeiten. Irritierend unvermittelt stehen neben solchen Landschaftsschilderungen Hinweise auf (meist deutlich vor seiner Zeit entstandene) Kunstwerke, in denen eine entsprechende Topographie oder Stimmung eingefangen sei, so als könne die Betrachtung eines - auf wahrheitsgemäße Abbildung angelegten - Gemäldes die vermittels physischer Anwesenheit erworbene Observation ersetzen. Schon über Holland schrieb er46: „Kein Land kann man [...], ohne selbst dagewesen zu sein, so gut durch Bilder kennen lernen, wie Holland. Seine Künstler haben alles gemalt, wie es da ist, die Erde mit ihren Kräutern und was darauf reift, von dem geringsten Insecte an bis zu den vollkommneren Geschöpfen; die Luft haben sie mit allen ihren Veränderungen, so zu sagen, portraitirit, sogar den Dunst, welcher sich aus den sumpfigen Niederungen der flachen Gegend entwickelt; das 45 46

TISCHBEIN, Leben (wie Anm. 43), Bd. 1, S. 88. TISCHBEIN, Leben (wie Anm. 43), Bd. 1, S. 106-107.

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Wasser in allen Bewegungen und Veränderungen, sowie auch das, was darin lebt". Es darf nicht nur als Symptom der Nachträglichkeit verstanden werden, dass Tischbein quer durch seine Memoiren die unmittelbare eigene Anschauung auf seine kunsthistorischen Vorkenntnisse (und die der Leserschaft) bezog, sondern als eine schon während seiner Reise angewendete, von ihm als „künstlertypisch" dargestellte Technik der Überblendung unmittelbarer Anschauung mit ästhetischem Vor-Wissen: „Mir kam schon jetzt und noch mehr späterhin im gewöhnlichen Leben nicht leicht etwas vor, das ich nicht schon in der Malerei gesehen hätte; denn so wie sich Andere aus Büchern belehren, so lernte ich durch Anschauen der Bilder, vorzüglich von holländischen Meistern, die Eigenthümlichkeit der Länder und der Völker"47. Aus diesen Äußerungen spricht grundsätzlich die zeitweise etablierte (Illusion einer) Gleichheit oder Gleichordnung von Künstler- und Literatenwissen, wie sie Kunstakademien und Kunstschriftstellerei des späten 17. und des 18. Jahrhunderts erstrebten, und die sich für die Anhänger solcher Allianzen wie ein kulturtopographisches Gitternetz über die Phänomene gelegt zu haben scheint Gleichwohl nahm die lebhafte Beobachtungsgabe eines Tischbein solchen auf textanalogisiertem Bildwissen beruhenden Kategorisierungen das potentiell Trockene und nährte gerade durch seine kunstgeschichtliche Kompetenz die kurzfristige Imagination des historischen Zeitsprungs: „Je näher wir gegen Nürnberg kamen, desto lebhafter wurden wir durch die Trachten der dasigen Landsleute, besonders durch die züchtigen Jungfrauen, welche Kopf, Hals und Busen so sittsam verhüllt trugen, noch mehr durch die Gestalten selbst an Albrecht Dürer und seine Werke erinnert. So glaubten wir in einem ländlichen Wirtshause, wo wir zu Mittag aßen, die lebenden Modelle zu einem seiner Heiligen-Bilder zu sehen; die Tochter als Jungfrau Maria, ihren schönen Bruder als des Christus Lieblingsschüler, den sanften Johannes, und die Mutter als heilige Elisabeth"48. Der reisende Tischbein pflegte weitere Verfahren des Umgangs mit der sichtbaren Welt, die noch deutlicher romantische Züge trugen, etwa sein in halbwachem Zustand mit viel Phantasie betriebenes „Formensehen" aus Naturphänomenen: „Als ich noch im Bette lag und der Tag begann, schien mir an der beschwitzten Fensterscheibe eine weibliche Figur zu schweben. Die weißen Perlentropfen, welche die Figur bildeten, waren fein wie Dunst. Je heller das Tageslicht, je heller trat die Figur hervor. Sie schwebte auf Schmetterlingsflügeln, welche aus größeren Tropfen bestanden, von denen einige zusammenflössen und die Rippen der Flügel, andere noch größere die Augen auf den Flügeln bildeten. [...] Mir schwebte eine Psyche vor, die zum Lichte der Sonne fliegt und mit Bewunderung die Hände hebt, als hätte sie 47

TISCHBEIN, Leben (wie Anm. 43), Bd. 1, S. 107.

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TISCHBEIN, Leben (wie Anm. 43), Bd. 1, S. 1 4 4 - 1 4 5 .

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das gefunden, was sie sucht, und der eine Freude aufgeht wie einem Schmetterlinge, welcher aus seiner dunklen Hülle sich entwindet und das Licht der Sonne sieht und ihre Wärme fühlt"49. Sogar topographische Dislozierungen in Gegenden, die er nie persönlich betreten hatte oder je betreten sollte, erlaubte sich Tischbein; genauer: Er führte am Beispiel eines eigenen Reiseeindrucks das Verfahren künstlerischer Nutzung von Erlebtem für die Darstellung von Unbekanntem oder Unerreichbarem vor: „Den anderen Morgen, noch ehe der Tag graute, fuhr ich weiter und es zeigten sich mir wieder die vielen fremdartigen Gegenden [des Apennin]. Oft stellte ich mir dabei die Wildnis in Afrika vor mit den Bewohnern, Löwen und Tigern. Gegen Mittag [...] kam ein Wagen mit Männern in orientalischer Kleidung; es war der marokkanische Gesandte mit seinem Gefolge, welcher nach Wien reiste. Wenn ein Maler diese Gegend von wirklich afrikanischem Ansehen hätte malen und sie mit Figuren beleben wollen, so würde er keinen schicklicheren Vorfall haben finden können"50. Der Anblick des „Fremdartigen" generierte solchermaßen Imaginationen eines „Noch Fremderen". Anders als Joseph Werner hat Tischbein sehr wohl Landschaftsskizzen angefertigt, deren Charakter als schnelles, weitgehend oder ganz vor Ort entstandenes Notât erkennbar ist51. Gleichwohl stand er im Bann der an den Kunstakademien herrschenden und von den Neo-Klassizisten durch Imitation antiker Vasenmalerei weiter überspitzten Konventionen. Es finden sich daher von seiner Hand verhältnismäßig wenige „spontane" Landschaftsstudien, und wenn sie spontan waren, sehen sie schon deshalb nicht so aus, weil Tischbein sie spätestens seit seinem zweiten römischen Aufenthalt jeder Zufälligkeit entkleidete und auf die Essenz der (klassizistischen) Umrisslinie reduzierte. Diese ihm eigene, aber auch zeittypische Tendenz zur Veredelung eines aus dem persönlichen Erleben gewonnenen Bildgedankens hat Tischbein beispielhaft für seine Komposition „Die Stärke des Mannes", bekannt auch als „Vernunftbild", erläutert: „Kaum graute der Tag, so ging ich ins Freie. Hier sah ich einen Mann gegen mich heranreiten, der mir im blauen Morgennebel größer erschien, als er wirklich war. Er hatte ein braunes Schaffell um und vor sich ein paar Lämmer auf dem Pferde liegen, die an der Seite herunterhingen. Diese dunkle Mannes-Erscheinung auf dem schwarzen Pferde mach40

TISCHBEIN, Leben (wie Anm. 43), Bd. 1, S. 204. Es besteht natürlich eine Nexus mit der bis zu Leonardo da Vinci zurück reichenden Tradition künstlerischen „Formensehens". Dieser empfehl in seinem Traktat der Malerei Adepten der Kunst, zur Anregung der Vorstellungskraft die Flecken, Sprünge und Risse alter Mauern zu studieren; Vgl. dazu etwa Anne KEHL, Die Bildung der Vorstellung. Grundlagen für Theater und Pädagogik, Bad Heilbrunn 2002, S. 22-23. 50 TISCHBEIN, Leben (Wie Anm. 43), Bd. 2, S. 28-29. 51 Vgl. etwa die Katalognummern 3.27, 3.29, 3.65 und 3.67, in: Ausst. Kat. Sehnsucht nach dem Süden. Oldenburger Maler sehen Italien, hrsg. von Siegfried Müller, Landesmuseum Oldenburg 2000.

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te meine Phantasie rege. Ich überdachte im weiten Umfang, was der Mann sei und wie erhaben er über alle Geschöpfe herrsche. [...] Als mir die Zeit lang wurde, blieb ich vor dem Kloster zur Kirche S. Maria del Popolo stehen, wo gerade der Pförtner in der Tür stand. Ich fragte den alten Mann nach einem gewissen Bilde, welches ich bisher vergeblich in der Kirche gesucht hatte. [...] Ich wurde in das Zimmer geführt, das man die Foresteria nennt, wo die reisenden Pfaffen einlogiert werden. Hier sah ich das Bild mit großem Vergnügen, aber auch mit großer Rührung; denn ich dachte, ich stehe in dem Zimmer, in welchem einst Doctor Martin Luther wohnte! - Als ich auf dem Rückwege an die Stelle kam, wo mir ein Mann zu Pferde begegnet war, fiel es mir ein, dass dies ein Stoff zum Malen sei, nur müsse er veredelt werden, denn Schafe, die am Pferde hängen, sind ein erbärmlicher Gegenstand. Indem ich in meinem Hause die Treppe hinaufstieg, fielen mir von Stufe zu Stufe schönere Geschöpfe ein, welche ich anbringen könnte: der Mensch, das Pferd, der Hund, der Löwe, und als ich auf der höchsten Stufe war, der Adler. Ich ging gleich dabei und machte ein kleines Bild davon"52. Auch wenn keineswegs gesichert ist, dass sich die Geschichte dieser Invention53 wirklich auf die retrospektiv von Tischbein geschilderte Weise abgespielt hat, charakterisiert der Text doch die durch ihn vorgenommene Überführung einer on the spot gemachten Erfahrung in eine allgemeine Hierarchie künstlerischer und epistemologischer Wertigkeiten, die sich Stufe für Stufe im Aufstieg des Künstlers zu seiner römischen Wohnung visualisierte und wenn man so will - die spezifische Begegnung mit dem Grundmotiv in die Repräsentation einer behaupteten anthropologischen Konstante umformte54. 52

TISCHBEIN, Leben (wie Anm. 43), Bd. 2, S. 97-98. Vgl. zu diesem Bild einführend Peter REINDL, Tischbein und Goethe oder Kastor und Pollux. Ein Maler zwischen barocker Idylle und klassizistischer Ratio, in: Johann Heinrich Wilhelm Tischbein: „Die Stärke des Mannes", Neapel 1789, hrsg. von der Kulturstiftung der Länder 1999, S. 8-66. Reindl bildete, einem Hinweis von mir folgend, auf S. 50 (Vgl. seine Anm. 85) eine Radierung des Antonio Tempesta ab, die ich nach wie vor fllr das wichtigste Modell der Komposition Tischbeins halte. Zu Bezügen der Invention auf eine Monatsserie Chodowieckis, in der die Kulturgeschichte der Menschheit als „Stufengang" vorgeführt wird, Vgl. Fritz EMSLANDER, in: Ausst. Kat. Reise ins unterirdische Italien: Grotten und Höhlen in der Goethezeit, Goethe-Museum Düsseldorf 2002, S. 174-175, Kat. Nr. 104. 54 Man vergleiche Tischbeins Geschichte über die Veredelung seiner Invention auf der Treppe mit Joachim VON SANDRARTS prosaischem Bericht vom Tod des in Rom tätigen Kupferstechers Hans Troschel (Teutsche Academie, Nürnberg 1675, Bd. 2, Buch 3, S. 354): „[...] da nämlich/ nach bescheidenlich-eingenommener Abend-Mahlzeit/ er von seiner guten Gesellschaft und Freunden geschieden/ und nacher Haus allein gekommen/ ohne Liecht aber die Stiegen hinauf gegangen/ und mit seinem Fuß/ der ihme schon in der Jugend abgebrochen/ daß er denselben gar schwärlich brauchen können/ gestrauchelt/ rückwärts die Stiegen hinab und zu todt gefallen/ deßen dann erst nach etlichen Tagen man gewar worden/ weil die Thür zum Hauß zu unterst verschießen gewesen/ auch vielleicht noch länger verborgen geblieben wäre/ wo nicht gemeldte Patres, als die seiner Arbeit hoch benöhtiget/ von Tag zu Tag ihme nachgefraget/ auch endlich zum Fenster hinein steigen/ 53

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Und doch ging in diesem Fall die Selbst-Einordnung Tischbeins in das vermeintlich universelle System einer ebenso „gelehrten" wie allgemein verbindlichen Kunst nicht mehr glatt auf. Dies nicht nur aufgrund der Tatsache, dass die eigenartige Darstellung der beiden „Urmenschen" zu Pferde (man hat darin auch an eine Selbstheroisierung Tischbeins mit einem an seiner Seite reitenden Goethe gesehen55) keinen wirklichen ikonographischen Präzedenzfall hatte, der Künstler also die Originalität seines Werkes über dessen verbindliche Lesbarkeit als Allegorie stellte; sondern auch deshalb, weil der wie zufallig wirkende Einschub über den Besuch in Santa Maria del Popolo Martin Luther ins Spiel bringt, also ein den Künstler von der (katholischen) Kultur seiner damaligen Umgebung eindeutig trennendes Element56.

Ent-Fremdungen: Distanzerfahrung und Künstlerwissen Es ist naturgemäß gewagt, die vorstehende, viel zu kleine Auswahl von drei Künstlern zusammenfassend hochzurechnen. Insgesamt scheint ein Großteil der Auslands-, vor allem der Italienaufenthalte deutschsprachiger Künstler im in Frage stehenden Zeitraum Lern- oder Weiterbildungsabsichten und der Erledigung zuvor fest definierter Aufträge gedient zu haben. „Sehnsuchtsreisen" waren in der Minderzahl, auch wenn Neugier auf das „Fremde" schon im 16. Jahrhundert eine Mit-Motivation gewesen sein mag. Hat aber der (lange) Weg zum ausländischen Arbeitsort, haben die Umstände an den neuen Tätigkeitsorten im Sinne von Raum-, Grenz- oder Distanzerfahrungen die Arbeitsweise der Künstler und die Gestalt ihrer Werke wirklich maßgeblich geprägt bzw. verändert? Selbstverständlich hat Dürer in Venedig neue Kenntnisse im Kolorieren erworben und sich graphische Verfahren wie das Zeichnen auf blauem Papier (carta azzurra) angeeignet. Selbstverständlich hat Werner in Rom und Paris eine in seiner Heimat kaum zu erlangende Kompetenz in den einzelnen Sparten der Historienmalerei gewonnen. Und auch Tischbein vermochte erst in Rom, durch das Kopieren von Hauptwerken der Antike und der Renaissance, seinen klassizistischen Linienstil zu generieren. Jenseits solcher unbestreitbaren technischen Zugewinne lässt sich die Geschichte der Auslandsaufenthalte deutschsprachiger Künstler der frühen Neuzeit aber auch in Relation zur Ausbildung ihres Selbstbewusstseins verfolgen, und die Thür öfihen laßen/ da sie dann den guten Troschel zu unterst der Stiegen todt gefunden/ und mit allen Kunstliebenden Höchlich bedauret". Vgl. REINDL, Tischbein (wie Anm. 53), S. 42. 56 Vgl. Fritz HEINRICH, Zur Religiosität Johann Heinrich Wilhelm Tischbeins, in: Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751—1829). Das Werk des Goethe-Malers zwischen Kunst, Wissenschaft und Alltagskultur, hrsg. von Arnd Friedrich, Fritz Heinrich und Christiane Holm, Petersberg 2001, S. 57-74.

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das spezifische Methoden, Regeln und historische Wahrnehmungsformen, kurz: eine Episteme der Kunst, umfasste oder postulierte. Wie verhielt sich das Selbstverständnis, in diesem Sinne Künstler zu sein, zum persönlichen Erleben oder zu Imaginationen von „Fremde"? Bekanntlich erlebte Dürer Anfeindungen von Malern der Lagunenstadt, die ihm vorwarfen, sein Werk „sei nit antigisch Art" und daher nicht gut57; um so höher war seine Genugtuung darüber, schließlich bescheinigt zu bekommen, dass er malerischtechnisch auf einer Stufe mit den führenden Meistern Venedigs stehe. Sogar seine theoretischen Schriften der Spätzeit mögen ihr Entstehen auch der Konfrontation mit italienischen Kollegen verdankt haben, die teils unwillig gewesen waren, ihr Wissen über perspektivische Verfahren oder Proportionskonzepte mit ihm zu teilen. Doch in Dürers Niederländischem Tagebuch ist das Gespür für die Notwendigkeit einer Positionsbestimmung der eigenen Kunst gegenüber den von ihm angetroffenen, teils schon hundert Jahre alten und/oder in anderen regionalen Zusammenhängen produzierten Werken der Malerei bemerkenswert wenig ausgeprägt. Spätestens seit Carel van Mando· entstanden und kursierten nationale Kunstgeschichten, aber die künstlerische Praxis des 17. Jahrhunderts ist nicht primär mit der Kategorie des Nationalen (oder gar des Konfessionellen) zu fassen. Wenn man die Entwicklung seit dieser Zeit nüchtern sieht, ist stilistisch, ikonographisch und in der Selbstdarstellung zwar eine deutliche Differenzierung, zugleich aber auch der gleitende Übergang von der Reglementierung der Künstler durch Gilden und Zünfte zu einer subtileren, jedoch mächtigen Konventionalisierung der künstlerischen Arbeit unter dem Schirm akademischer Institutionen, fest definierter Sparten und stillschweigend vorausgesetzter Funktionen von Kunst zu konstatieren58. Aus solchen Rahmenbedingungen vermochten nur wenige Künstler auszubrechen - wenn sie deren Vorteile nicht sogar schätzten: Die dem zeitgenössischen Kanon und/oder der dynastischen Repräsentation entsprechenden Stilmittel der außerhalb der Schweiz entstandenen Bilder Joseph Werners machten diese fest überall in Europa kompatibel: Ohne weitere Angaben wäre kaum zu entscheiden, ob sie in Rom, Paris, Augsburg, Berlin oder Wien entstanden sind Im weithin an den akzeptierten (akademischen und/oder höfischen) Konventionen orientierten Produktions- und Rezeptionssystem der europäischen Kunst des späteren 17. und des 18. Jahrhunderts konnte passieren, dass selbst solche Werke, die ihre Urheber nach Überwindung erheblichen räumlichen Abstands schufen, den Eindruck von „Fremde" nicht (mehr) vermittelten, 57

Brief Dürers vom 7. Februar 1506 an Pirckheimer. Zu Kunstakademien als Elementen einer obrigkeitlicher Disziplinierungsstrategie, wie sie sich schon in der ersten derartigen Einrichtung, der Florentiner Accademia del Disegno, äußert, vgl. Karen-Edis BARZMAN, The Florentine Academy and the Early Modern State. The Discipline of Disegno, Cambridge 2000, bes. S. 143-180. 58

Leuschner, Bilder von der Fremde

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schon weil ein solcher Eindruck in den nach standardisierten Regeln komponierten Kunstwerken der Zeit kaum auftreten konnte; die schier endlose Zahl der „Ideallandschaften" sind dafür das beste Beispiel59. Bereits in Tischbeins intensivem Erleben „fremder" Gegenden sind Anzeichen eines Umschwungs auszumachen. Die deutschen Romantiker der Zeit um 1800, vor allem die Nazarener, hatten sich von den künstlerischen Vorstellungen Tischbeins teils schon gelöst, doch in ihrer auswärtigen Tätigkeit agierten sie ähnlich wie dieser: Selbst am Sehnsuchtsziel Rom mussten die vormaligen Mirabilia aus Antike und Renaissance, die ihnen (und ihren potentiellen Kunden) längst allzu vertraut waren, „wach geküsst" werden - entsprechend verfuhr sogar der gerade dort angekommene Goethe, der mit dem Satz „Man kann sich nur in Rom auf Rom vorbereiten" umschrieb60, dass er sich eine die eigene Existenz ergreifende Unmittelbarkeit im Umgang mit dieser Stadt erst antrainieren musste. Doch solche rationalisierende Vertrautheit (in Goethes Diktion: ein allgemeiner Begriff des Ortes) war kaum das letzte Ziel der Romantiker. Diese bemühten sich, zumal in der topographischen Darstellung, um die Vermittlung des Effekts von „Fremde": durch Dramatisierung und Emotionalisierung des Bekannten, durch Repräsentation bislang unbeachteter, teils wenig „bildwürdiger" Orte, durch Auseinandersetzung mit noch ferneren Fernen und Kulturen oder, besonders wichtig, durch imaginierte „Zeitsprünge" in andere Kulturepochen, und zwar nicht nur in die zuvor absolut gesetzte griechische und römische Antike61 - Tischbeins .Afrika"- oder „Dürerzeit"-Phantasien hatten bereits viel davon vorweg genommen. Es ist der Erwähnung wert, dass Tischbein, soweit er den ProtoRomantikern einzuordnen ist, solche Ansätze nicht bis zum Exzess treiben konnte oder wollte, hat er sich doch zumal als Akademielehrer in Neapel ostentativ einer von Winckelmann inspirierten strengen Antikennachfolge befleißigt: „Bis jetzt war da- Weg, die Kunstwerke der Griechen zu studiren, 59

Zum Typus der Ideallandschaft und ihren Modifikationen vgl. Ekkehard MAI, Landschaft zwischen Natur, Mythos und Ideal. Zur deutschen Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert, in: Edmund Kanoldt. Landschaft als Abbild der Sehnsucht, hrsg. von Erika Rödiger-Dirut Ausst. Kat. Städtische Galerie Karlsruhe, Karlsruhe 1994, S. 95-111; Friederike SACK, Italien und die Tradition der Ideallandschaft: „Der höchste anschauende Begriff von Natur und Kunst", in: Ausst. Kat. Kennst Du das Land (wie Anm. 1), S. 83-96. 60 Johann Wolfgang VON GOETHE, Italienische Reise, 7. November 1786 (Hamburger Ausgabe, Bd. 11, hrsg. von Erich Trunz, kommentiert von Herbert von Einem, München 1981, S. 130). 61 Aus gutem Grund wird das in der geisteswissenschaftlichen Forschung zum „Eigenen und Fremden" seit Michel Foucault scheinbar übermächtige Paradigma des „Raumes" nun vorsichtig in Frage gestellt und durch eine Komponente der Auseinandersetzung mit der Zeit, d.h. mit geschichtlichen Distanzen, ergänzt - Vgl. Andrea POLASCHEGG, Athen am Nil oder Jerusalem am Ganges? Der Streit um den kulturellen Ursprung um 1800, in: Fremde Figuren. Alterisierungen in Kunst, Wissenschaft und Anthropologie um 1800, hrsg. von Alexandra Böhm und Monika Sproll, Würzburg 2008, S. 41-65, bes. S. 41-42.

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hier noch nicht bekannt. Der manirierte Solimena war ihr Abgott, der mit seinem glücklichen Talente und seinem reizenden leichten Malen Alle eingenommen hatte, so dass sie ihm Alle gefolgt waren und ihn nachzuahmen suchten"62. Tischbein behauptete, klare Begriffe vom Richtigen in der Kunst und vom Verhältnis zwischen Kunst und Leben zu haben63, und er trat seine Stelle an, um diese Begriffe an die partenopeischen Adepten der Kirnst weiterzugeben: „Was ich gelernt hätte, wollte ich ihnen mittheilen, so gut ich es verstände; aber wer es besser lehren könnte, das wären die Antiken, die müsste ein Jeder zu Rathe ziehen; diese zeigten das Vollkommene und das, was mangele"64. Der von Tischbein in Neapel geführte Kampf gegen die örtlichen Kunsttraditionen des Barock ist als Strategie der Ent-Fremdung aufzufassen, als Bemühen um die Vermeidung aller Anmutungen kultureller Distanz zwischen den Orten seiner Tätigkeit: Wie vor ihm Werner, scheint noch Tischbein erwartet zu haben (oder hat den Eindruck vermittelt), er könne durch seine Einsicht in allgemeine Prinzipien der Kunst und deren Vermittlung die besonderen lokalen Bedingungen seiner Auslandstätigkeit wenn nicht außer Kraft setzen, so doch beherrschen. Wie das abrupte Ende seines italienischen Aufenthalts beweist, hatte auch er sich getäuscht.

62

TISCHBEIN, Leben (wie Anm. 43), Bd. 2, S. 155.

63

Die Treuherzigkeit dieses Ansatzes ist auch Goethe nicht verborgen geblieben, der seine Schrift Uber Tischbeins Idyllen mit dem Satz begann: „Wilhelm Tischbein bildete sich in der glücklichen Zeit, wo dem zeichnenden Künstler noch objektives Wahre von außen geboten ward". (Johann Wolfgang VON GOETHE, Wilhelm Tischbeins Idyllen (1822), zitiert nach Johann Heinrich Wilhelm Tischbein: Idyllen, hrsg. von Peter Reindl, Dortmund 1982, S. 131). 64

TISCHBEIN, Leben (wie Anm. 43), Bd. 2, S. 142.

Zwischen Diplomatie und malerischem Furor. Rubens und Europa Von

Markus A. Castor Mit dem Madrider Raub der Europa resümierte Peter Paul Rubens 1629 auf sensibelstem malerischem Niveau und auf der Höhe seines Ruhms eine Erfolgsrezeptur. Die ebenso befreiende wie freie Kopie nach Tizians um 1560 geschaffenem Gemälde (Abb. 1) zeigt das Vermögen des Malers, mit seinen Bildern die herausragenden Leistungen abendländischer Malerei einzuholen und sie in der AnVerwandlung als ureigene Schöpfung wieder „auszugeben"1. Die Methode des selbstnobilitierenden „Kunstraubs", der sich nicht mit graphischer Vervielfältigung oder bloßer Kopie zufrieden geben konnte, setzte die konzentrierte Arbeit vor Ort sowie die Zugänglichkeit der Meisterwerke voraus. Besonders am spanischen Hof mit seinem burgundischen Zeremoniell und der Unzugänglichkeit der königlichen Appartements war dies keine Selbstverständlichkeit für einen Maler des 17. Jahrhunderts. Und so erzählt das Gemälde bereits von sich aus von der Sonderstellung Rubens'. Sie zeichnet sich durch die Verbindung von Künstlerreise, diplomatischem Auftrag und der Selbstkonstruktion des Malers aus, ein Künstlerselbstbild, das nachdrücklich auf den mit dem Reisen verbundenen Status baut. Für diesen konkreten Fall kopierender Aneignung wird man unterstellen müssen, daß sich Rubens mit dem nachschaffenden Künstlervergleich in die seit der Antike 1

Für essentielle Hinweise und den Austausch zur Frage der Künstlerreise im 17. Jahrhundert sei an dieser Stelle Anja Castor, Friedrich Polleroß und Godehard Janzing gedankt. Für Grundlegendes zum Verständnis der Bildsprache, insbesondere des Peter Paul Rubens, danke ich Wilhelm Schlink. Die Bilder mit den Götterliebschaften, die Tizian zwischen 1SS3 und 1562 für Philipp Π. von Spanien malte, sind als malerische Interpretationen der Ovidschen Metamorphosen zu lesen, mit denen Tizian, die Malereien als Poesie titulierend, die Leistungsfähigkeit der Malerei im Kontext des Paragone demonstriert. Während Rubens' Aufenthalt war das Bild als Pendant zu Tizians Danae im Privatappartement des Alcázar zu sehen. Rubens' Kopie ist Teil einer Kopienserie, die während seines zweiten Aufenthaltes in Spanien, 1628/29, entstand. Es handelt sich bei den Vorbildern um vielgerühmte Meisterwerke, und Tizians Europaraub findet sich als Zitat selbst wiederum in Diego Velázquez', den Madrider Hof und die Malerei als solche reflektierendem Gemälde der Hilanderas von 1657, also bei dem Künstler, mit welchem Rubens während seines zweiten Madrider Aufenthaltes in Fragen der Ausstattung der Staatsappartements zu tun hatte. Das Rubensgemälde heute im Museo del Prado, Madrid, Tizians Raub der Europa im Isabella Stewart Gardner Museum in Boston.

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repetierte Tradition des Fürstenmalers einschrieb, die insbesondere mit Tizian und Philipp II. sowie Karl V. die Alexander-ApeUes-Konfiguration in Madrid neu inszenierte2. Die als Aktualisierung des Vorgefundenen beschreibbare Bezüglichkeit solchen bildkünstlerischen Handelns bedeutet ein Selbstverständnis, das den Künstler als Bezugsgröße von Geschichte und als epochemachendes, selbstbewusstes Individuum behauptet, als doppelte Gerichtetheit eines historischen Bewusstseins. Es ist die damit geprägte Historizität einer Bildkunst, die in anhaltender Aufladung mit den zu emblematischen Bildern und Formeln „Europas" geronnenen Meisterwerken die identitätsprägenden abendländischen Bildschöpfungen interpretierend weiterreicht. Rubens' Schöpfungen transformieren diese Vorbilder zugleich zur Vision eines verheißungsvollen, zukunftsgerichteten Kulturraums, der auf einer weit in die Geschichte ausgreifenden Selbstbesinnung fußt, gerade mit und durch den Dreißigjährigen Krieg3. Der selbstbewusste Bedeutungsreichtum der Konnotationen „Europas" im 17. Jahrhundert mag man auch der Rede vom Barock unterlegen, deren Implikationen als malerisches Signet und Korrelat im Bewusstsein um das Rubenssche Œuvre aufscheinen. Mit welcher Malerei ließe sich das, was ,3arock" auszudrücken versucht, besser benennen, als mit den Bildschöpftingen von Rubens, die in nahezu allen Gattungen als Platzhalter im abendländischen Bildgedächtnis operieren können? Die Bewegtheit des Barock ist in der Bewegung der Formen zugleich Bewegung der Affekte und Bewegung in der Zeit. Solcher Vereinnahmungen sind viele, und mit einigem Grund hat man immer wieder betont, zu Rubens sei alles geschrieben worden. Doch es ist nicht an uns, sich von der eigenen Tradition und der durch diese Interpretationsgeschichten bestimmten, kulturellen Färbung des Bewusstseins zu verabschieden. Das Neudurchdenken ist besonders dann ständige Aufgabe der Kunstgeschichte, wenn die zahlreichen Mythen um den heute so präsenten Maler hartnäckig fortbestehen. Bei genauerem Hinsehen vermitteln sie ebenso ein Bild von der Selbstinszenierung des Künstlers wie eine Geschichte der Projektionen der Wissenschaftlergenerationen. 2

So treffen wir bereits in den frühen Biographien von Rubens, etwa bei Sandrart, die rühmende Formel vom Apelles des Nordens an. Auch für den Hofmaler Diego Velázquez, der in seinem Gemälde der Meninas selbst wiederum die Rubensgemälde zitiert, wurde die Bezeichnung „nuestro gran Tiziano" von seinem Biographen Palomino rühmend eingeführt. 3 Zum politischen Kontext im Zusammenhang der Künste vgl. anläßlich der Europaratsausstellung Münster und Osnabrück 1989: 1648 - Krieg und Frieden in Europa, hrsg. von Klaus Bußmann [u. a.], Münster 1998. Zu Rubens als Kopist vgl. Die Ausstellung München, Alte Pinakothek: Rubens im Wettstreit mit Alten Meistern: Vorbild und Neuerfindung, hrsg. von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, Ostfildern 2009.

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Es geht darum, die Relevanz der Künstlerreise in der Frühen Neuzeit für das immer andere Bild Europas aufzuzeigen und dabei der fortwährenden Horizontverschiebung Rechnung zu tragen, in die sich das Rubensbild einschreibt. Besonders vor der Frage nach der Mobilität des Künstlers im 17. Jahrhundert modelliert sich der Kontext, der die Ausbildung einer Künstlerpersönlichkeit wie der Rubens' erklären hilft. Notwendigkeit und anhaltender Drang zu überarbeiten, umzuformulieren und zu neuen Perspektiven zu gelangen ist auch dessen künstlerischer Arbeit eigen. Das Reisen bedingt diese Perspektiwerschiebungen mit. Neben den Kopien zwischen Nachahmung und Neumodellierung ist uns eine Vielzahl von Zeichnungen seiner Vorgänger erhalten, die der Flame sammelte, teils respektlos überging und in seinem Sinn remodellierte. Die Frage nach dem reisenden Künstler kann hier - angesichts fehlender Quellen - nur die Frage nach den Orten, nach den bereisten Städten und ihren soziokulturellen Kontexten sein. Allenfalls das Bewegungsprofil des Künstlers mag Aufschluss geben, etwa über seine Vernetzung im Geflecht des höfischen Austausche einerseits und die Organisationsform von Atelier und reisendem Meister andererseits. Gleichwohl ist die Causa Rubens für eine Aufklärung über das, was die Künstlerreise im frühen 17. Jahrhundert sein kann, in besonderer Weise geeignet, doch bürdet sie aus kunsthistorischer Sicht zugleich die Last auf, in der Bildproduktion die Konsequenzen der erstaunlich hohen Mobilität zu entdecken4. Nach Themen, Bilderfindung und stilistischen Merkmalen trägt das Œuvre in beispielloser Weise der Auseinandersetzung und Einbindung des Schaftens in die politisch-historischen Gegebenheiten der Zeit Rechnung. Es ist wesentlich durch eine insgesamt, insbesondere durch den Krieg bestimmte, hohe Mobilität gekennzeichnet. Kaum ein Bild des Malers, das nicht im Kontext der europäischen Machtpolitik, der Gegenreformation oder der sozialen Selbstpositionierung der Künstlerpersönlichkeit argumentiert; eine Technik, die von Flexibilität und Mobilität im Wortsinn spricht.

Popularität verpflichtet Die Liste der großen Rubenssammlungen (London, Paris, Wien, München, Madrid usf.) bezeugt die globale, historische Wirkmacht des Flamen. Diese Diffusion seiner Bilder ist letztlich durch die Strategie des durch Europa 4

Synchronisiert man die Reisen des Malers mit den von der gemachten Stilphasen Rubens' zwischen frühem Klassizismus Landschaften, so lässt sich andeuten, wie sehr die sich aus dem rung des Fremden und der Künstlervorbilder als Katalysator gewirkt haben mag.

Kunstgeschichte geltend und den luziden, späten Reisen ergebende Erfahständigen Fortschreitens

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reisenden, seinen Ruhm strategisch mehrenden Künstlers intendiert. Voraussetzung der Massenrezeption ist hier wie da die Wiedererkennbarkeit, diejenige von eingängiger Melodie und Einlösung anschaulicher Erwartung, als funktionierende Projektionsfläche eigener Sehnsüchte. Damit liegt zugleich ein Motiv vor, welches immer wieder als Charakteristikum Rubensschen Schaffens herausgestellt wurde: die lebendige, sinnlich affizierende Veranschaulichung hofíhungsvoller, optimistischer Zukunftserwartung. Die Manier von Rubens, deren Heranbildung und Fortentwicklung als Markenzeichen ist Resultat der bildpraktischen Erfahrungen, die nur über das Reisen zu gewinnen waren. Die Werke in ihrem Kontext zu verstehen, versetzt uns erst in die Lage, beispielsweise die Allegorien des Malers nicht immer wieder als Antikriegsbilder im Sinn eines modernen Pazifismus mißzuverstehen. Dessen ungeachtet arbeiten wir auf ungleichem, beliebigem oder verwässertem Niveau das, was uns hier interessieren soll, nach: mit beschleunigtem und kontextenthobenem Reisen, besonders an die alten Orte höfischer Machtkonzentrationen. Und auch der Ausstellungsbetrieb imitiert als Abklatsch den Kontext, in welchem die Bilder einst entstanden sind, auch wenn die reiche Bilderverschickung nichts anderes meint als der nun nicht mehr höfische, sondern Massenmentalitäten manipulierende Geschenkverkehr bildhafter Programme. Was bedeutet es also für das 17. Jahrhundert, wenn ein Künstler reist? In welchem historischen Gefuge und mit welchem Gepäck unternimmt er die Reisen, und was meint dies für unsere Wahrnehmung seiner Bilder?

Die genüssliche Verfuhrimg und die Faktizität der Geschichte Rezeptionsgeschichten „In Burckhardts schriftstellerischem Werk ist dies wohl die Stelle, wo sich am deutlichsten zeigt, daß der 'Genuß der Kunstwerke ' durchaus nicht nur den ,ästhetischen Genuß ' der Formen, Farben und allenfalls noch bestimmter Bildthemata meint, sondern wesentlich von der Erinnerung an den Künstler und von der Vergegenwärtigung des Entstehungsprozesses der Kunstwerke gespeist wird" \

Wilhelm Schlinks Analyse der Burckhardtschen Rubensexkurse zielt auf das Selbstverständnis der Kunstgeschichte als Disziplin: „In den Erinnerungen aus Rubens ergreift Burckhardt jedes sich bietende Stichwort, um sich mit der Rolle des Künstlers in seiner eigenen Zeit - der Zeit der Industrialisierung und der Salons - auseinanderzusetzen. Dieser Moderne gilt das Gegenbild der glückhaften künstlerischen Existenz eines Rubens, ihr gilt es zu zeigen, 5 Vgl. Wilhelm SCHLINK, Jacob Burckhardt Uber den 'Genuß der Kunstwerke' in: Trierer Beiträge - Aus Forschung und Lehre an der Universität Trier 11 (1982), S. 48 ff.

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unter welchen gesellschaftlichen und kulturellen Prämissen wahres Künstlertum und wahrer Kunstgenuß möglich waren, - woran es liegt, wenn der ruhige Kunstgenuß von einst zur hektischen Kunsterwartung deformiert ist". Burckhardts Kontrastierung von Rubens mit der Charakteristik seiner Zeit, als „fruchtbares Wettrennen in Kunst und Wissenschaft", macht deutlich, daß es nicht um die moderne Vorstellung des Künstlers gehen kann, der in Opposition zum Leben und zur Gesellschaft seiner Zeit dieses zu durchbrechen und jener zu widersprechen hat. Gerade der Einklang von Leben und Werk ermöglichte Rubens, aus dem Vollen zu schöpfen. Wie Schlink zeigte, ist das bei Burckhardt keine sentimentalisch rückwärtsgewandte Sehnsucht, sondern der Drang, die Bedingungen der Kunst (und ihrer zeitgenössischen Produktion) mithilfe historischer Kenntnis und Vergewisserung freizulegen. Burckhardts wache Unvoreingenommenheit, sein Weitblick als Historiker ist beispielhaft, aber auch unabdingbar, wenn es darum geht, den zeitbedingten Konstruktionen der Geschichtsschreibungen nicht aufzusitzen. So erhielt die mit dem 19. Jahrhundert vorbereitete Einmündung in die Erzählung der Nationalgeschichten mit der Abspaltung Belgiens vom Königreich der Niederlande einen Schub, der die Künstler in den Kontext neuer Identitätsstiftungen einstellte. Der die nationale Reaktion herausfordernde Schock der Abtrennung bedeutete für Rubens, zuvor Leitfigur der gesamten Niederlande, zusammen mit Rembrandt als neu implementiertes, je nationales Emblem flämischer bzw. holländischer Malerei instrumentalisiert zu werden. Dieser ideologischen Auseinandersetzung im Kleinen stehen die Projektionen zur Seite, die den Maler in die Auseinandersetzung um die europäische Kulturhegemonie bis weit in die Moderne hereinzog. Als Karl Maria Swoboda - mit der Selbstpositionierung während seiner Prager Professur ab 1934 politisch durchaus belastet, gleichwohl Nachfolger Sedlmayrs auf dem Wiener Lehrstuhl - in seinem ersten Aufsatz nach Kriegsende unter dem Titel Rubens und Europa das nördliche Europa mit der mediterranen Kunstauffassung konfrontierte, geriet die Wölfflinsche Opposition von Barock und Klassizismus erneut in den Strudel grundsätzlicher Bedeutungsstiftung6. Es ging dem Verfasser um die sich ablösenden Weltanschauungen und Rubens als Verkörperung des Barock, letztlich - mit echter oder vorgeschützter Naivität, jedenfalls mit ignorantem Kalkül - um die Geschichte dieses Antagonismus seit den Ursprüngen der Menschheit. Hiervon hat sich einiges im Bewußtsein der Kunstgeschichte, aber auch der allgemeinen, populären Vorstellungen über Rubens und besonders das Körperideal seines Bildpersonals erhalten. Das 6

Auch im unveröffentlichten Aufsatz Alteuropa - Europa von 1944/45 führt er noch die geschichtlichen „Triebkräfte und Lebensformen" auf die vorgeschichtlichen Konstanten Rasse, Körper- sowie Charaktertypik und Geschlechterpolarität zurück, Themen, die sich angesichts Rubensscher Bilder aufdrängen mögen. Karl Maria SWOBODA, Rubens und Europa, in: Kunst und Geschichte - Vorträge und Aufsätze, Graz [u. a.] 1969.

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allein mag Anlass genug für ein neuerliches Durchdenken sein. Der seit der Antike überlieferte Topos einer Opposition nordischer und mediterraner Kunst- und Anschauungswelten dient bis heute als Orientierungsinstanz, wenn es um die Erklärung scheinbar unvereinbarer Muster geht. Wenn Rubens solche Trennung in mehrfachem Sinn durchkreuzt, die unscharf abgegrenzten Hemisphären in einer fruchtbaren Konfrontation zu seiner internationalen Manier ausformt, die zugleich nicht in den Eigenarten des einen oder anderen aufgeht, das Typische ebenso einschließt wie das den Vorbildern Abgeschaute, dann ist das einer Mobilität zu verdanken, die räumlich, geistig wie praktisch zwar einmalig, aber für die frühe Neuzeit Europas ebenso sprechend ist. Wie Burckhardt es formulierte, hilft uns hier nur die Kenntnis der Fakten. Denn gerade mit der schon im Frühwerk auszumachenden, dezidiert „europäischen" Verflechtung seines Œuvres lässt sich Aufklärung bringen, eine Kenntnis der Fakten, die es ermöglicht, den historisch eingeübten oder kommoden Einordnungen zu entgehen. Rubens im Kontext seiner Zeit zu sehen bedeutet dann auch, die Besonderheiten der frühneuzeitlichen „Schwellenzeit", ob als Krise oder Aufbruch gelesen, zu berücksichtigen.

Antwerpen Man mag die Ereignisse um die Flucht des reformierten Jan Rubens - Advokat und Berater der Anna von Sachsen, Gemahlin Wilhelm von Oraniens nach Köln und dann Siegen als frühe Vertrautheit des Peter Paul mit Fragen der Religionsunruhen lesen. Nach dem Tod des Vaters in Köln 1587 und dem Wegzug der Familie nach Antwerpen besuchte der junge Rubens die Lateinschule, die den Grund seiner klassischen Bildung gelegt haben wird7. Mit dreizehn Jahren, nach einer Zeit als Page der Comtesse de Lalaing in Oudenaarde unweit von Brüssel8, nahm er 1590 die Ausbildung beim Land7

Es handelt sich um die Schule von Romulus Verdonck, wo er bis 1590 lernte. Über die Dauer dieser Anstellung herrscht in der Rubensliteratur Uneinigkeit und Verwirrung. Es macht allerdings kaum Sinn und es gibt nach den Quellen keinen Grund, die Aufgaben des jungen Rubens im Haushalt der Gräfin Lalaing auf wenige Monate zu beschränken. Ausführlicher hat zuletzt Nils Büttner die etwas komplexe Situation beleuchtet. Marguerite de Ligne-Arenberg (1552-1611) war Witwe des Comte Philippe de Lalaing, Baron de Escornaix (1537-1582) (die gleichnamige Tochter, Marguerite Comtesse de Lalaing, Baronne d'Escornaix [1574-1650] war verheiratet mit Florent Comte de Berlaymont, Gouverneur und Capitaine général de Luxembourg). Mit der Heirat vereinigten sich zwei der nobelsten Familien der Niederlande. Philippe de Lalaing, zunächst auf Seiten der Aufständischen, wechselte die Fronten und wurde unter den Habsburgern Gouverneur des Hennegau. Büttner vermutet (da es sich hier um eine der bedeutendsten Kunstsammlungen des Nordens, mit zahlreichen Antiken und ca. 2000 Gemälden handelte), dass Rubens hier früh im höfischen Besuch und Austausch geschult worden war. Zu den zahlreichen Verflechtungen in diesem Patronagesystem und der frühen Kenntnis des höfischen 8

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schaftsmaler Tobias Verhaecht, dann beim Figurenmaler Adam van Noort auf, unter dessen Anleitung er vier Jahre lernte9. Den bedeutsamsten Lehrer wird man in Otto van Veen sehen müssen, in dessen Atelier er 1594 eintrat. Als einer da- erfolgreichsten Maler und Lehrer der Zeit hatte van Veen fünf Jahre in Italien, hauptsächlich in Rom, verbracht, wo er als Schüler Federico Zuccaris sich mit Theorie und Praxis der italienischen Kunst vertraut gemacht hatte. Rubens wurde als Maler durch die Antwerpener Gilde 1598 anerkannt10 und verblieb dann bis 1600 in van Veens Atelier. Hier wird er sich vor allem nach Stichen, etwa Marc Antonio Raimondis, mit der italienischen Kunstproduktion auseinandergesetzt haben. Nach zwei Jahren als Freimeister der Gilde brach er nach Italien auÇ um erst acht Jahre später, nun als Hofmaler des Brüsseler Regentenpaares zurückzukehren, mit einem Status, der ihn zum ersten Maler seines Heimatlandes deklarierte. Das Mit-, Neben- und Beieinander, die Melange der Sprach- und Kulturgruppen und die hierdurch scheinbar unvermeidlichen Gräben, wie sie heute noch Flandern, Wallonien und Ostbelgien durchziehen, kann für das frühe 17. Jahrhundert durchaus unter umgekehrtem Vorzeichen, als Vorteil einer Internationalität, gelesen werden, die Antwerpen zu einem der wichtigen Handels- und Kunslzentren machte. Die einst burgundische Stadt fiel 1477 an Habsburg, und trotz der Reformation 1556 entwickelte sie sich zu einer der reichsten Handelsstädte Europas, bedroht durch die folgenden Konflikte, besonders nach der habsburgischen Rückeroberung durch Alessandro Farnese 1585 und die Ausweisung der Protestanten. Trotzdem kann kaum ein lebendigerer Ort gedacht werden, von welchem aus eine internationale Malerei abseits nationaler Festlegung erfolgreich sein konnte11. Von hier aus machte sich der junge Maler nach Italien auf. Ob die Reise vorab mit Vereinbarungen zwischen den Höfen Brüssel und Mantua geplant war, lassen die Quellen nicht erkennen. Man ist zunächst versucht, die Italienreise des Malers aus der romantisch verklärten Sicht des in die Ferne aufbrechenden jungen Künstlers zu lesen. Das Ungenügen an der heimischen Kunstwelt, mit ihrer noch lebendigen Zeremoniells, eines Hofes, an welchem Französisch gesprochen wurde und zur Teilnahme von Rubens am höfischen Ausbildungssystem (Zeichnen, Sicherheit im Auftreten) vgl. Nils BÜTTNER, Rubens, München 2007, S. 31. 9 Es fehlen uns letztlich die Dokumente, um den genauen Beginn und die Details seiner Lehrzeit zu kennen. Der Bericht seines Neffen erweist sich als unvollständig. 10 Vgl. P.H. ROMBOUTS [u. a.], De Liggeren en andere historische Archieven der Antwerpsche Sint Lukasgilde, 2 Bde., Repr. Amsterdam 1961, Bd. I, S. 401: „Peeter Rubbens, vrymeester, Schilder". 11 Antwerpen war neben den oberitalienischen Städten eines der großen Zentren der europäischen Wirtschaft. 1477 unter burgundische Herrschaft geraten, wurden die Territorien von den Habsburgern beerbt, zunächst vom spanischen, dann vom österreichischen Zweig. 1794 wurde es vom revolutionären Frankreich annektiert, um 1815, auf dem Wiener Kongress, den Niederlanden zugesprochen zu werden.

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Tradition des Antwerpener Manierismus, mag hier sicher eine Rolle gespielt haben, doch mit dem beginnenden 17. Jahrhundert ist die Italienfahrt bereits obligatorischer Bestandteil der Malerausbildung. Rubens folgt damit dem Vorbild seines Lehrers und der Generation der Italienfahrer. Die Regeln der Zunft sahen zudem ganz einfach vor, im Kontext der Entschärfimg von Konkurrenzen auf Wanderschaft zu gehen. Angesichts der wohlwollenden und schnellen Aufnahme des Malers in Italien kommt man jedoch nicht umhin, die Reise nicht allein durch die Notwendigkeiten der Kunstbildung bestimmt zu sehen. Auch das Interesse des höfischen Austausche wird hier maßgeblich gewesen sein. Mit Bezug auf das Gesundheitszeugnis des Antwerpener Magistrats, das jedem Reisenden auszustellen war, erkennt Nils Büttner in dem Passus „negotiorum suorum causa" Anzeichen dafür, es habe sich von Anbeginn an um eine „Geschäftsreise" gehandelt12. Zweifellos waren die Arbeitsmöglichkeiten, insbesondere an dai zahlreichen oberitalienischen Höfen und in Rom, gegeben. Mit Poussin, Claude Lorrain oder Jan van der Straet seien nur einige der in Italien erfolgreichsten Künstler genannt Und ohne den Sehnsuchtsfaktor ausschließen zu müssen: Italien war in den Niederlanden seit den Pionieren des 16. Jahrhunderts, den sogenannten Antwerpener Romanisten wie Martin van Heemskerck, aus einer Künstlervita kaum wegzudenken. Jan Breughel d. Ä, mit dem Rubens dann zusammenarbeiten sollte, kehrte erst 1596 mit zahlreichen Bildern im Gepäck aus Italien zurück. Bis heute haben sich Reste dieser Verbindung in institutionalisierter Form, sei es für die Kunstgeschichte oder die Künstlerausbildung, mit den Instituten in Florenz und Rom, mit der Akademie Villa Massimo oder der Villa Medici in Rom erhalten. Die Italienreise um 1600 hatte für einen flämischen Maler also keinerlei Exotik mehr, wenngleich die widrigen Bedingungen des Reisens das Abenteuer nicht ausschlossen. In diesen Fußstapfen tritt Rubens am 9. Mai 1600 seine Reise an, sicher durch Van Veen ermuntert und zweifellos nicht ohne Empfehlungsschreiben für den ein oder anderen Kunstpatron.

Italien Mit der Veröffentlichung der Archivalien des Mantuaner Archivs legte Armand Baschet in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts den Grundstein für die Erforschung der Rubensaufenthalte in Italien13. Im Mai 1600 erhielt Rubens in Antwerpen seine Reisedokumente. Über die genaue Route ist we12

Vgl. BÜTTNER, Rubens (wie Anm. 8), S. 16, der von einer Beschäftigung von Rubens durch den Hof bereits vor seiner Reise nach Italien ausgeht. 13 Eine erste frühe Übersicht gibt Rudolf OLDENBOURG, Rubens in Italien, in: Jahrbuch der königlich Preussischen Kunstsammlungen 37 (1916), S. 262-286.

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nig bekannt, und so wissen wir nicht, ob Rubens über Frankreich reiste und so ζ. B. Fontainebleau und die von Primaticco ausgeführte Galerie Henri II sehen konnte. Zwei Monate später, im Juli erreichte er Venedig. Von den Zwischenstationen ist uns nichts überliefert, was eine Reise über die Reichsterritorien wahrscheinlich macht, die Reise über Lyon aber nicht ausschließt. Wie sehr Rubens von der venezianischen Malerei beeindruckt wurde, läßt sich nur anhand seiner Bilder nachvollziehen. Tizians Ecce Homo1*, ein Werk fur einen erfolgreichen flämischen Kaufmann in Venedig, seine Dornenkrönung hinterlässt Spuren in Rubens' Geißelung Christi von 1602 (Nizza, Kathedrale)15, und noch in die Wiederauferstehung für die Antwerpener Kathedrale von 1611/1216 scheint sich Tizians Einfluss übertragen zu haben. Die Beantwortung der Frage, wie Rubens zur Anstellung in Mantua kam, bleibt auf Vermutungen und die wenigen Dokumente verwiesen. Möglich, daß sein Lehrer Otto van Veen - er war selbst Hofmaler für den Statthalter der Niederlande, Alessandro Farnese, und sicher auch für Albrecht VII. von Österreich und seine Gemahlin Isabella17 tätig, Vincenzo hatte beide 1599 besucht - , den jungen Rubens empfohlen hatte. Ob Vincenzo Gonzaga tatsächlich auf der dringenden Suche nach einem Hofmaler war, sei dahingestellt; sein Zahlungsverhalten und das Laissez-faire im Blick auf die freie Reisetätigkeit des Malers während seiner Mantuaner Bestallung lassen ebenso gut das Gegenteil vermuten. Doch darf man getrost die enge Bindung, ja die Abhängigkeiten Vincenzos in Anschlag bringen, da das Haus Gonzaga durch die Verleihung der Herzogswürde durch Karl V. seinen Rang erhalten hatte18. 14 Heute Wien, Kunsthistorisches Museum. Tizian hatte das Werk 1543 für Giovanni d'Anna, den Sohn des in Venedig installierten flämischen Kaufmanns Martin van der Hanna, fertig gestellt. 1620 vom englischen Gesandten Sir Henry Wotton für George Villiers, Duke of Buckingham erworben, von welchem das Gemälde für den astronomischen Preis von 7000 Pfund an Thomas, Earl of Arundel ging, gelangte das Werk 1648 beim Verkauf der Sammlung durch die Nachkommen schließlich in die Sammlung des Erzherzogs Leopold. 15 Notre Dame du Puy, die Kathedrale von Cirasse. 16 1611/12 für Martina Plantin, die Witwe von Jan Moretus, Schwiegersohn des 1610 verstorbenen Antwerpener Druckers gemalt. 17 Die habsburgische Heiratspolitik sah die Tochter Philipps II., Isabella Clara Eugenia, bereits in ihrem zweiten Lebensjahr als Gemahlin fllr Rudolf II. vor, den Sohn Maximilians Π. von Österreich, mit dem sie dann zwanzig Jahre lang verlobt sein würde. Die Verbindung der Infäntin mit dem als Neffe des Spanischen Königs ebenfalls am Hof Philipps II. von Spanien erzogenen Erzherzogs Albrecht VII. von Österreich wurde mit der Übertragung der spanischen Niederlande an das Paar gekrönt. Isabella erhielt Flandern, Artois, Hennegau, Brabant, Cambrai, Limburg und Luxemburg. Nach dem Tode ihres Gemahls 1621 regierte sie dann als Statthalterin weiter. 18 Vincenzo Gonzaga hielt sich anläßlich der Hochzeitsfeierlichkeiten von Albrecht und Isabella, knapp zwei Jahre zuvor, in den Niederlanden auf. Für dessen Einzug spielte das Atelier van Veens eine wichtige Rolle.

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Kurz nach seiner Ankunft in Venedig - es wurde ihm von einem Höfling des Herzogs von Mantua eine Anstellung angetragen - traf Vincenzo selbst in Venedig ein, und Rubens wird ihn dann an den Mantuaner Hof begleitet haben19. Dort arbeitete bereits sein Landsmann Frans Pourbus (1600-1609), zu dem Rubens auch nach der Rückkehr nach Antwerpen Kontakt halten wird. Mit Claudio Monteverdi, der von 1590 bis 1612 am Mantuaner Hof bestallt war und seinen Fürsten nach Flandern und Ungarn begleitete, mit der zeitweiligen Anwesenheit Torquato Tassos war Vincenzos Hofhaltung auf internationalem Parkett durchaus konkurrenzfähig20. Doch muss unklar bleiben, ob es sich bei den Freiheiten Rubens', die ihm erlaubten, in Italien erstaunlich ungebunden umherzureisen, um die Großmut seines Herrn oder die pekuniäre Zwangslage des Mantuaner Haushalts handelte. Die Quellen belegen Rubens' Aufenthalte in Florenz, Genua, Padua, Verona, Treviso, Parma, Bologna und Mailand. Während der Mantuaner Zeit des Malers sind zwei längere Perioden in Rom sowie zehn Monate in Spanien vom März 1603 bis zum Frühjahr 1604 von besonderer Bedeutung. In Mantua selbst waren es vor allem die Arbeiten des Raffaelschülers Giulio Romano, der als Hofmaler des Herzogs dessen Paläste mit aufwendigen Fresken ausgestattet hatte. Zweifellos galt es, sich zu Beginn des Italienaufentiialts als fortschrittlicher Künstler auf der Höhe der Zeit zu zeigen. In diesem Kontext höchster Präsenz der unantastbaren Großmeister der Renaissance hätte nichts kontraproduktiver sein können, als sich hier anzugleichen. Und so zeigte sich schon hier die Fähigkeit von Rubens, die zahlreichen Vorbilder und Exempla zu studieren, zu dokumentieren und diese in eigenen Werken zu transformieren. Die vielen Zeichnungen und Studien, etwa nach den Fresken der Götter und Giganten Romanos im Palazzo del Te, selbst die Stukkaturen Primaticcios der Sala degli Stucchi, geben Zeugnis dieser Aemulatio21. Bereits im Oktober 1600 wurde Rubens nach Florenz gesandt, um dort seine Aufgaben als Mitglied der Hochzeitsdelegation für die Heirat der Maria de Medici mit Heinrich IV. wahrzunehmen22. Von der Kenntnis Michelangelos und der Medici Kapelle in San Lorenzo muß man ausgehen, wenngleich sich hier keine zweifelsfrei datierbaren Zeichnungen erhalten haben. Doch für 19

Vgl. hierzu die Akten im Archivio di Stato, Venedig, Indice dei Cerimoniali, Vol. I l l , 1600.

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Zu Rubens und Monteverdi vgl. Hans OST, Rubens und Monteverdi in Mantua - Zur Götterversammlung der Prager Burg, in: Rubens passioni: Kultur der Leidenschaften im Barock, hrsg. von Ulrich Heinen [u. a.], Göttingen 2001, S. 110-158. 21 Zu Rubens' Mantuaner Zeit und zu Giulio Romano als Vorbild vgl. Michael JAFFÉ, Rubens and Giulio Romano at Mantua, in: The Art Bulletin 40 (1958), S. 325-329. 22 Mütterlicherseits selbst aus dem Hause Habsburg, betrieb sie das Ende der antihabsburgischen Politik der französischen Krone und versuchte Uber die Verheiratung ihrer Töchter mit Spanien und England zu einer Stabilisierung der Machtverhältnisse zu gelangen.

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jeden Italienreisenden der Zeit war Rom das erste Ziel, sei es für die Heerscharen der Pilger oder die Künstler, die in den Palästen der Kunstförderer und den zahlreichen Sammlungen ihren Studien nachgingen.

Rom I - Furia del penello Rubens traf im Juli 1601 in Rom ein, wo er sechs Monate verbrachte. Er erreichte die Stadt mit einem Empfehlungsbrief seines Mantuaner Dienstherrn an den Kardinal Montalto, den Neffen des Felice Peretti di Montalto, der als Papst Sixtus V. 1590 im Amt verstorben war. Rom bot nicht nur Gelegenheit, die aktuelle Künstlergeneration zu treffen und ihre Werke zu studieren, allen voran Caravaggio und Annibale Carracci, sondern auch die großen Monumente der Renaissance, Michelangelos Sixtina, Raffaels Stanzen im Vatikan sowie die Originale der reichen Antikensammlungen. Montalto residierte in der Villa Medici und wird dem Maler den Zutritt zu manchen Privatsammlungen erschlossen haben. Im Œuvre des Flamen sind so zahlreiche Zeichnungen erhalten, die von seinem intensiven Studium zeugen: nach dem Laokoon im Cortile Belvedere, dem Herkules Farnese im Hof des Palazzo Farnese und dem sogenannten Sterbenden Seneca, dem afrikanischen Fischer der Sammlung des Scipione Borghese. Aus den vielen Studien spricht die Faszination am anatomischen Detail. Es ging Rubens besonders um die Plastizität der Exempla und das Agieren der Figuren im Raum, eine Qualität, die nur mit dem vollplastischen Original zu erfassen war und die dann immer wieder in den Gemälden des Malers reflektiert werden wird23. Der Maler erarbeitete sich so einen Kanon der vorbildlichen Werke der Antike, fast sämtlicher bekannter Opera Nobilia wie der Herkules und der Torso Belvedere, die Laokoongruppe und der sog. Spinario24. Neben aller Antikenbegeisterung führte der etablierte Kanon der Renaissance-Schulen, ihrer Topographie (Rom, Toskana, Venedig, Lombardei) und ihre herausragenden Vertreter (Leonardo, Michelangelo, Tizian, Parmiganino) zu einem überreichen Tableau, das individuelle Lösungen nahezu herausforderte. Es galt aufzufallen. Und Rubens trat in die Lücke, die weder die Italie23

Man muß wohl die Auseinandersetzung mit der Bildhauerkunst der Antike als Basis nicht nur für die Rubenssche Figurerfindung verstehen. Über das Theorem der Verlebendigung der Skulptur, das Rubens theoretisch wie in den konkreten Bildlösungen thematisiert, hinaus vermittelt das Studium der antiken Skulptur die gesamte Auflassung einer malerischen, bildplastischen Gestaltung. Hiermit beeinflusste Rubens nicht zuletzt die flämische Bildhauerei, etwa mit Blick auf die Werke von Hans van Mildert oder Jan und Andries de Noie. Er wirkt damit auf die Generation, die den flämischen Frühbarock in der Skulptur mitbestimmte. Vgl. zu dieser Frage Werner KITLITSCHKA, Rubens und die Bildhauerei, Wien 1963. 24 Zeichnung im British Museum, 1605-8.

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ner noch die Flamen oder gar Franzosen auszufüllen imstande waren, etwa, wenn er im durch die Generation Caravaggios durcheinander gewirbelten Kunstmarkt der Stadt im Portrait reüssierte und gegen jede Spezialisierung sich allai Gattungen und Formaten gegenüber aufgeschlossen zeigte25. Wurden unter dem sittenstrengen Sixtus antike Kunstdenkmäler zerstört und durch „christliche" ersetzt, bedingte der nunmehr vermehrte Bedarf an Gemälden, nicht zuletzt durch die gegenreformatorische Programmatik und Kunstpolitik gesteigert, eine Produktionssteigerung, die eine Furia del pennello zur Entfaltung brachte, die es vermochte, dem Bedarf an Fresken und Tafelbildern gerecht zu werden26. Mit den Jahren seines Italienaufenthaltes nahm Rubens teil an den für die Kunstgeschichte entscheidenden Neuerungen, die mit Bildpraxis, Lehre und kunsttheoretischen Einwänden eine Überwindung des Manierismus beförderten. War Rubens in Antwerpen mit Vorgaben seines Lehrers noch den Lösungen eines Antwerpener Manierismus gefolgt, so erlebte er nun die Betriebsamkeit eines Aufbruchs, der Strategien individueller Sichtbarkeit erforderlich machte. Es war die Generation der Maler, kunsthistorisch seit Denis Mahon unter dem Prädikat der Seicentomalerei (ca. 1580-1630) zusammengefasst, die in der Rückbesinnung auf die großen Vorbilder der Renaissance sowie die Exempla der Antike zu einer neuen Natürlichkeit gelangen wollten. Die Prinzipien dieser Maler (Annibale Carrachi, Guido Renio, Domenichino u. a.) kommen am klarsten in der kunsttheoretischen Abhandlung des Giovanni Battista Agucchi zum Ausdruck27. 25

Wie weitreichend des Malers Neugierde und Offenheit war, mögen die erstmals von Julius Held und Ludwig Burchard publizierten Zeichnungen aus dem Londonder Costume Book des British Museum nach persischen Miniaturen zeigen. Plädierten die frühen Autoren für eine FrUhdatierung um 1600, stellt der Vergleich der Rubensskizzen mit den Miniaturen, wie sie am Hofe des persischen Shahs Abbas I. entstanden, die Frage, wie und wann Rubens solcherlei Vorlagen hatte sehen können. Der kommerzielle Austausch mit Persien, etwa durch den flämischen Händler Nicholas de Respaigne mit seinen Verbindungen nach Konstantinopel, setzt erst ab 1622 ein. Die beiden in persischen Diensten tätigen Edelmänner Sir Anthony und Sir Robert Sherley bereisten in den Jahren 1S99 bis 1601 Italien und machten auch in Mantua Zwischenhalt. Ob hier oder während des ersten Botschafterpostens Sherleys (1608-13) am Hof in Madrid der Kontakt zu Rubens zustande kam, sei dahin gestellt. Spätestens mit den zwanziger Jahren finden die Beobachtungen der islamischen Kunst Eingang in die Malereien von Rubens, die mit ihren lebensgroßen Portraits in persischer, zumindest orientalischer Tracht unter dem Diktum des korrekten Kostüms Rembrandt antizipierten. 26 Vgl. Nicola SUTHOR, «Il pennello artificioso». Zur Intelligenz der PinsetfUhrung, in: Instrumente in Kunst und Wissenschaft - Zur Architektonik kultureller Grenzen im 17. Jahrhundert, hrsg. von Helmar Schramm [u. a j , Berlin [u. a.] 2006, S. 114-136. Die Auswertung der reichen Archivalien, sein in vielen Fragmenten und Transkriptionen vorliegendes Skizzenbuch, aber auch das daraus extrahierte Traktat De Imitatione Statuarum sowie die Schrift Théorie de la figure humaine führen eindrucksvoll die gelehrte Kenntnis des Malers vor Augen, wenn es um die auf die Antike und Quintillian sich berufende Theorie, etwa eines Pietro Paolo Lomazzo oder Giovanni Battista Armenini ging.

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Wenn die Kenntnis, auch die der Variabilität der Meister Voraussetzung zur Schulung des eigenen Ingeniums ist, dann ist das Reisen und die Anschauung einer Vielzahl vorbildlicher Lösungen - gegen die Orientierung an der Maniera eines Meisters - erste Erfordernis. Wie man sich das vorzustellen hat, lässt sich sinnfällig an den Varianten studieren, die Rubens von den Vorbildern des immer weder reproduzierten Herkules Farnese anfertigte28. Es sind die so durchdrungenen und dann als eigenständige Schöpfung anzusehenden Typen, die Rubens als Wiedergänger in zahlreichen Bildschöpftingen variiert und in einen gänzlich neuen Aktionsraum eintreten lässt. Das Talent, neben seinen politischen Aufgaben, der Organisation der Reisen und der Tagwerke sich immer wieder durch zeichnendes, kopierendes oder gleich variierendes Arbeiten ein Archiv, eine Memoria aufzubauen, zeichnet den Maler als disziplinierten Uomo Universale aus. Dieses ständige Beobachten zeitigte eine eigene Sammlung. Im Fall der Zeichnung besteht diese aus eigenhändigen Notizen, ausgeführten großformatigen Zeichnungen, gesammelte Zeichnungen anderer Künstler sowie übergangenen Zeichnungen, die das Original mit der eigenen Manier überschreiben29. Noch PierreJean Mariette wird das im Katalog der Zeichnungen des Pariser Bankiers Crozat beschreiben: „Lorsque Rubens rencontroit des Desseins mediocres, ou mal conservés, d'après des gtans Maîtres, il se plaisoit a les retoucher, & y a mettre de l'intelligence, suivant ses principes. Il les transformoit ainsi de son propre goût, de sorte qu'a l'invention près, ces Dessines doivent entre regardés comme des productions de ce grand homme,... " 30 . Während der römischen Monate gelang es Rubens, zu einem seiner ersten großen, öffentlichen Aufträge zu kommen. Der Maler entsprach dem Wunsch Erzherzog Albrechts, ein Altarstück für Santa Groce in Gerusalemme auszu-

Zur Diskussion von Rubens' Äußerungen im Zusammenhang mit der zeitgenössischen Kunstauffassung vgl. den immer noch verbindlichen Aufsatz von Jeffrey M. MULLER, Ruben's Theory and Practice of the Imitation of Alt, in: The Art Bulletin 64 (1982), S. 229247. Zu Studien des kreativen Prozesses bei Rubens anhand seines Skizzenbuches vgl. David JAFFÉ [u. a.], Ruben's „Pocketbook": An introduction to the Creative Process, in: Rubens - A Master in the Making, Ausst. London, National Gallery, 26. Oct. 2005-15 Jan. 2006, London 2005, S. 21-37. Ferner und jüngst: Tine MEGANCK, De la figure humaine chez Rubens: théorie, pratique et métaphysique, in: Rubens - L'atelier du génie, Ausst. Kat. Bruxelles, Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique, 14. Sept. 2007-27. Jan. 2008, Bruxelles 2007, S. 52-64. 28

Eine gezeichnete Kopie, Mailand, Bibliotheca Ambrosiana; mehrere Varianten des Kopfes: London, Home House Trustees Society; Gemälde des Herkules Trimphans in Rotterdam, Museum Boymans-van Beuningen. 29 Zu Rubens als Sammler von Zeichnungen siehe Michael JAFFÉ, Rubens as a Collector of Drawings, in: Master Drawings 4 (1966), S. 127-148 u. 188-203. 30 Pierre-Jean MARIETTE, Description sommaire des desseins des grands maîtres du cabinet de feu M. Crozat, Paris 1741, Écoles des Pays-Bas, no. 810.

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führen, dessen Titularkirche als Kardinal31. Dass die Wahl auf den Flamen fiel, muß als politisches Signal und als Ausdruck der römischen Präsenz des Brüsseler Hofes gelesen werden. Auch das mag dafür sprechen, dass Rubens die Reise aus Antwerpen als Künstler des Niederländischen Hofs antrat. Für den Maler selbst war es eine Gelegenheit, sich in der Konkurrenzsituation mit den wichtigsten Malern Roms messen und behaupten zu können32. Noch vor Ostern 1602, vor seinem Rückruf nach Mantua, vollendete er drei eindrucksvolle Altarblätter, die Geißelung Christi, eine Heilige Helena bei der Auffindung des wahren Kreuzes sowie die Aufrichtung des Kreuzes (heute als Kopie nach dem zerstörten Original in der Cathédrale de Grasse). Man mag hier den Einfluß Caravaggios erkennen, den er in San Luigi dei Francesi studiert hatte. Rubens' Gemälde künden zugleich von der Fähigkeit, schnell auf neue Anforderungen zu reagieren und seinen Personalstil zu wandeln. Sein schnelles Agieren verdeutlicht ebenso die politische Aufladung und die propagandistische Funktion seiner Malerei. Zurück in Mantua, schuf er dann Bilder für einen Aeneas-Zyklus, der den Sohn der Stadt, Vergil, feierte.

Madrid Schon früh, 1603 wurde der erste Hofmaler Mantuas von seinem Fürsten nach Madrid gesandt, um dorthin Bilder zu überbringen. In diesem Austausch wird anhand von Bildern die Teilnahme auch an einer Kommunikationsform bekräftigt, die für das Verständnis der Gegenstände, das Lesen der Bilder zu einer mehr und mehr selbstreferentiellen Grammatik führt. Nicht zuletzt vermehrten sich textlich aufklärende Kommentare, Explicationes und Descriptiones im Laufe des 17. Jahrhunderts. Das hochentwickelte bildliche Verweissystem und die durch die höfischen Konkurrenzen beförderte Notwendigkeit, sich auf das aktuelle internationale Niveau zu bringen und sich dort zu halten, ist wesentlicher Antrieb für die Entfaltung der Künste. Je mehr der Künstler reiste und dabei auch originär künstlerische Erfahrung sammelte, umso mehr eignete er sich als Reisebegleiter der Fürsten, Gesandten und Adeligen; nicht nur wegen der Konsultationen, auch für die Dokumentation der Reise, die Verwertbarkeit im Sinn der Informationsgewinnung, der Schilderung des Zeremoniells, von Empfangen und auch der Kriegstaten.

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Albrecht schrieb in dieser Angelegenheit an den Gesandten in Rom, Jean Richardot, dessen Sohn mit Rubens' Bruder Philipp in Italien auf Reisen war. Richardot erwirkte dann das Plazet fllr die Verlängerung des Aufenthaltes Rubens' in Rom durch seinen Mantuaner Dienstherrn. 32 In der Würdigung von Rubens durch den Maler Giovanni Baglione von 1642, der Rubens eine „maniera buona Italiana" attestiert, mag dies zum Ausdruck kommen.

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Im März 1603 sandte man ihn nach Valladolid mit Geschenken für den König und seinen ersten Minister, den Herzog von Lerma. Die auf dem Transport zu See und über Land beschädigten Gemälde ersetzte er mit Werken aus eigener Hand, so z.B. das Gemälde von Demokrit und Heraklit (Valladolid, Museo Nacional de Escultura)33. Das am spanischen Hof entstandene Reiterportrait des Herzogs von Lerma (Madrid, Prado, 1603) kann wohl zu Recht als eins seiner ersten Meisterwerke betrachtet werden. Die knapp neun Monate in Spanien boten ihm Gelegenheit, die eindrucksvollste Sammlung von Werken Tizians zu studieren. Dabei mag auch das Bild des unabhängigen Messere Tizian, der zugleich erster Maler der habsburgischen Herrscher war, als heimliche Folie eines Malerfürsten wirksam geworden sein, dessen Bilder die Unnachahmlichkeit des Künstlerindividuums zum Ausdruck bringen konnten.

Genua Rubens kehrt Anfang 1604 nach Italien zurück, zunächst mit dem Schiff nach Genua, von wo aus er im Folgejahr eine Reihe von Aufträgen erhielt Zurück in Mantua widmete er sich der Ausgestaltung der Hauptkapelle der Jesuitenkirche mit drei Gemälden, einer Heiligen Dreifaltigkeit als Hauptaltar, der die Familie Gonzaga ins Zentrum rückt (nur Fragmente erhalten), einer Transfiguration (Musée des Beaux-Arts, Nancy) und einer Taufe (Antwerpen, Koninklijk Museum voor Schone Künsten). Und auch hier argumentierte Rubens mit Bezugnahmen; das Gemälde des Hauptaltars mit seinem Verweis auf die flämische Tradition chromatisch reich abstufender Portraits, mit Engelsgestalten, die dem Repertoire Correggios viel verdanken. Die Transfiguration kann man als Gegenentwurf zu Raffaels berühmtem Gemälde im Vatikan lesen, mit einem an Tintoretto orientierten Kolorit und einer an Correggio gemahnenden Figurauffassung. Und die Taufe als Hommage an Michelangelo und die Antike mit einer Bildgestaltung, die mit dem Rekurs auf die Figurerfindung des Spinarlo im Kapitolinischen Museum sowie mit der Durchgestaltung des Nackten auf Michelangelos Schlacht von Cascina (diese nimmt selbst wiederum auf Leonardos Schlacht von Anghiari Bezug) zu einer neuartigen Synthese führt. Was hier zum Ausdruck gelangt, ist das selbstbewusste Statement des Künstlers, der die Großmeister Italiens, auf die sich nach dem

33 Rubens selbst gibt Auskunft über seine erste Mission, die ihn 1602 nach Madrid führte. Nach dem von seinem Stand abhängigen Rang wird er höchstens den Titel eines Sekretärs innegehabt haben. Der Briefe mit welchem er das Resultat seines Auftrags als Begleiter einer Geschenksendung am 17. Juli 1603 aus Valladolid nach Mantua sandte, berichtet, er habe dem Zeremoniell der Überreichung teils beigewohnt, teils dieses selbst durchgeführt, was sich wohl nur auf die Gemälde bezieht.

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Manierismus alle Augen richteten, studiert, in sich aufgenommen und anverwandelt hat, um so als Künstler gleichberechtigt an die Seite der Vorbilder zu treten. Im Lauf des Jahres 1605 dann die Aufträge aus Genua, die Beschneidung Christi für Sant' Ambrogio et Andrea, bestellt vom Kanoniker und Bruder des Gonzaga-Bankiers Niccolò Pallavicini, den Rubens auf der Rückreise aus Madrid getroffen hatte, sowie eine Serie von Portraits der Genueser Aristokratie, wie das Portrait der Marchesa Brigida Spinola Doria (Washington, National Gallery of Art, Samuel H. Kress Collection). Während seines mehrmonatigen Aufenthalts wird es ihm vergleichsweise leicht gefallen sein, als Maler mit den großen Familien Genuas, den Spinola und Doria, Kontakte zu knüpfen. Die Verbindungen Mantuas mit Genua, aber auch die Kontakte der niederländischen Adelshäuser zu den Genueser Familien waren eng34.

Rom Π Im November des Jahres kehrte Rubens nach Rom zurück, wo er mit seinem älteren Bruder Philipp, der als Schüler des Humanisten und Philologen Justus Lipsius lernte und der nunmehr Bibliothekar des Kardinals Ascanio Colonna war, unweit der Piazza di Spagna wohnte35. Hier bewegte sich der Maler im Umkreis der Tedesci, etwa Adam Elsheimer, sowie den Mitgliedern der naturwissenschaftlich orientierten Academia dei Lincei, die mit Förderung des Papstes zu den innovativsten Orten des römischen Lebens gehörte. Zu den Gönnern der Akademie gehörte auch der antiquarisch interessierte Kardinal Cesare Baronio, der den Maler bei seinem folgenden römischen Auftrag unterstützte. Im Herbst noch erhielt er den wohl prestigiösesten Auftrag in Rom, der Rubens in unmittelbarste Konkurrenz zu den führenden römischen Künstlern setzte: das Altarbild für die Oratorianerkirche Santa Maria in Vallicella, eine der populärsten Kirchen der Stadt und Stammsitz des Ordens. Das Gemälde des Heiligen Gregor und der Flavia Domitilla wurde von der Kommission abgelehnt, und Rubens integrierte im Folgevorschlag das Fresko des 14. Jahrhunderts in die Konzeption, die mit drei Bildern (Die Jungfrau mit 34 1 622 veröffentlichte Rubens dann ein Buch Uber die Palazzi di Genua, welches 1652 neu aufgelegt und in einer Bearbeitung von Cornelius Gurlitt im Jahre 1924 abermals vorgelegt wurde. 35 Mit seinem Bruder Philipp, zwischen 1605 und 1607 Sekretär und Bibliothekar des Kardinals Ascanio Colonna, wohnte Rubens in der Strada della Croce unweit der Piazza di Spagna. Die Antikenkenntnis Philipps lässt sich in seinem Buch von 1607, das von Peter Paul illustriert wurde, studieren. Trotz wiederholter Aufforderungen seitens seines Auftraggebers Gonzaga kehrte Rubens nicht mehr nach Mantua zurUck. Vgl. L. R. LIND, The Latin Life of Peter Paul Rubens by his Nephew Philip. A Translation, in: Art Quarterly 9 (1946), S. 37 ff.

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Kind flankiert von dem Heiligen Gregor, Maurus und Painianus sowie die Heiligen Domitilla, Nereus und Achilleus·, alle in situ) der schwierigen Lichtregie des Kirchenraums Rechnung trug. Gerieten, als die neue Generation der Maler sich anschickte, die Sackgasse des Manierismus mit dem Zurück zu den Quellen der Antike und Hochrenaissance zu überwinden, Annibale Carraccis Werke bisweilen zu Bildern, die man leicht mit ihren Vorbildern verwechseln konnte, so vermochte Rubens zu einer Unverwechselbarkeit zu gelangen, zu einer bildlichen Marke, die bis heute ihre unverkennbare Wirkung entfaltet.

Zurück in Antwerpen Von der Krankheit seiner Mutter in Kenntnis gesetzt, kehrte Rubens im Oktober 1608 aus Italien nach Antwerpen zurück. Er traf zu einem Zeitpunkt ein, zu dem sich mit der Unterzeichnung des Waffenstillstandes mit Spanien (9. April 1609) Optimismus und Aufbruchsstimmung verbreiteten36. Die daraus resultierende Auftragsmehrung für Kirchendekorationen der südlichen Niederlande wurde als Ausdruck katholischen Triumphs verstanden. Für den aus Rom kommenden Künstler waren dies beste Voraussetzungen, zumal sich hier ganz im Gegensatz zum andauernden Konkurrenzwettkampf in Italien beste markttechnische Aussichten boten. Darüber hinaus trug die Ausbildung eines höfischen Lebens nach internationalem Vorbild durch den Erzherzog zu einem vermehrten Bedarf an bildlicher Repräsentation bei. Und neben allen Effekten einer Rekatholisierung: auch die private Kunstpatronage, die ihn jetzt in Antwerpen seitens der städtischen Elite einholte, ließ Rubens wohl kaum mehr an eine Rückkehr nach Italien denken. Der Antwerpener Bürgermeister Nicolas Rockox, selbst beachteter Sammler und Kenner, bestellt Samson und Delilah als Kaminstück für sein Stadthaus (heute London, The National Gallery). Bereits im Sommer 1609 wurde er zum Hofmaler des Erzherzogs Albert und seiner Frau, der Infantin Isabella bestallt, mit einem Jahressalär von 500 36

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts unternahm Frankreich verstärkte Anstrengungen, sich strategisch aus der Umklammerung durch die Territorien der Habsburger zu befreien. Diese Auseinandersetzung wird weit in das 18. Jahrhundert hinein die europäischen Konflikte, auch die konfessionellen Grabenkämpfe überlagern. Mit dem Unabhängigkeitskrieg der protestantischen Niederlande ab 1568, die im katholischen Frankreich Unterstützung gegen die spanischen Habsburger fanden, wurde nach etwa vier Jahrzehnten Kriege, 1609, ein auf zwölf Jahre befristeter Waffenstillstand zwischen Spanien und den Niederlanden vereinbart. Im gleichen Jahr vereinigten sich die katholischen Reichsstände unter Maximilian I. von Bayern in der katholischen Liga. Mit dem Tod des französischen Königs Heinrich IV., der einen Tag nach der Krönung Maria de' Medicis ermordet wurde, entspannte sich das ganz Europa bedrohende Konfliktszenario wieder.

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Gulden, Befreiung von den Gildenregeln und von allen Steuern und Abgaben, ein mehr oder minder dem Adel vorbehaltenes Privileg. Das Bemerkenswerte an Rubens' sozialer Position als Hofmaler war die gewährte Freiheit zur Annahme privater Aufträge. Der Künstler nahm seinen Wohnsitz in Antwerpen und nicht am Hof der Regenten in Brüssel37. All das spricht für den Ruhm, der Rubens bereits vorauseilte und das Privileg erklärt, in Antwerpen eine Werkstatt unabhängig von der Gilde und mit dem Recht auf unbegrenzte Zahl von Gehilfen führen zu dürfen. Es folgten sogleich Großaufträge, wie die Anbetung der Könige für das Rathaus, den Ort, wo man 1608 den 12jährigen Waffenstillstand zwischen den spanischen und den freien Niederlanden unterzeichnet hatte. In dieser dem ökonomischen Aufblühen der Stadt zuträglichen Aufbruchsatmosphäre scheint Rubens in kürzester Zeit den heimatlichen Kunstmarkt dominiert zu haben. Nur mit dem Aufbau einer durchorganisierten Großwerkstatt war der Nachfrage gerecht zu werden38. Welche Attraktivität dieser Ort gehabt haben muss, lässt sich an den Mitarbeitern wie Anthonis van Dyck, Frans Snyders oder Jan Bruegel d. Ä. ermessen. Innerhalb dieses arbeitsteiligen Wirtschaftsunternehmens waren die selbst berühmten Kollegen für genau abgegrenzte Aufgabenbereiche, Tierdarstellungen, Landschaft oder Stillleben, zuständig. Nur so konnte dem Bedarf, der dann zu knapp 3000 Werken führen sollte, entsprochen werden39. Den reibungslosen Ablauf der Produktion zu sichern, war auch deshalb nötig, da die Reisetätigkeit des Künstlers, sei es zu Zwecken der Auftragsakquise oder in Erfüllung seiner durch das Hofamt begründeten Absenzen, ein selbständiges Agieren der Werkstatt erforderlich machte. Es wird hier deutlich, wie sehr die Zeichnungen, die eigene Kunstsammlung und das damit immer weiter gesteigerte Repertoire hineinspielt. Noch aus dem Ausland konnten neu eingefahrene Aufträge der Werkstatt kommuniziert werden, um damit der Erwartung einer Klientel entsprechen zu können, die eine zügige Lieferung von Werken schätzte. All dies wurde flankiert durch eine Eigenwerbung, wie sie etwa durch die Rubensstiche erfolgte40.

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Zu Rubens und Brüssel vgl. Sabine van SPRANG, Rubens et Bruxelles, une relation plus gue courtoise, in: Rubens - L'atelier du génie, S. 12-17. Zur Rubens' Werkstattorganisation vgl. Arnout BALIS, Rubens et son atelier: une problématique complexe, in: Ausst. Kat. Bruxelles 2007, S. 30-51. 39 Maßgeblich ist hier das umfassende Corpus Rubenianum Ludwig Burchard (1968 ff.), in 26 Bänden geplant. 40 Die Rubensstecher, Ausst. zum 400. Geburtstag von Peter Paul Rubens, 2. Aug. bis 17. Sept. 1977, Museum der Bildenden Künste Leipzig, hrsg. von Karl-Heinz Mehnert sowie Erich HUBALA, Rubens in der Graphik, Würzburg 1977. Mit seinem Jugendfreund Balthasar Moretus, für den er eine Auferstehung anlässlich des Begräbnisses von dessen Vater malt, erhält sich Rubens ein für die Verbreitung seiner Werke im Stich essentielles Instrument. Moretus wurde 1610 Leiter der Antwerpener Presse Plantin, der wohl berühm-

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Stellt man seine Auftragsarbeiten in eine Reihe, so fällt fur die 1620er Jahre eine Verschiebung vom gehobenen Bürgertum zum Adel hin auf. Diese Jahre korrelieren mit dem Beginn seiner diplomatischen Tätigkeit und sprechen davon, wie sehr bei Rubens die politische Funktion mit der Fabrikation von Kunstwerken verflochten war. Ein wichtiger Katalysator, nicht zuletzt für die Entwicklung der Malerei hin zu einer Anschaulichkeit der Werke und ihrer Botschaften, war dabei der Auftrag der französischen Königinmutter, einen Bilderzyklus zu ihrem Leben zu schaffen.

Paris Am 3. November 1620 kehrte Maria de Medici nach Paris zurück, um unverzüglich mit den Arbeiten zum Ausbau ihres Palastes beginnen zu lassen. Die Maßnahmen wurden wesentlich vom Kardinalminister Richelieu begleitet, der zur Auftragsvergabe an Rubens durchaus kritisch stand. Frühestens auf September 1621 sind die ersten Kontakte mit Rubens zu datieren. Am 11. Januar 1622 scheint Rubens in Paris gewesen zu sein und Ende Februar kam es in einem schriftlichen Vertrag zu einer Gemäldeserie, des sogenannten Medici-Zyklus. Die im Lauf des Jahres unternommenen Planänderungen, meist zu einzelnen Themen innerhalb der Bilderfolge, sind durch die Korrespondenz Peirescs sehr gut belegt41. Es war vertraglich vereinbart, dass Rubens die Bilder eigenhändig zu malen hatte, „parfaite et peindre de sa propre main touttes et chacunnes des figures des tableaux", was kaum wohl heißen kann, dass alles eigenhändig gemalt, doch generell retouchiert werden mußte. Am 28. April 1623 fand - wohl in Antwerpen, kaum in Brüssel - eine Vorbesichtigung durch die Infantin Isabella statt, und im Mai trifft Rubens mit neun Gemälden in Paris ein, wo im folgenden Monat eine Begutachtung durch die Königin und Richelieu erfolgte. Im Februar 1625 kam dann Rubens mit den restlichen 15 Gemälden nach Paris an. Hier übergab er die in der Antwerpener Werkstatt vorgearbeiteten Bilder und tauschte die abgelehnte Tafel mit dem Weggang der Königin von Paris nach Blois mit deijenigen, die die Glückseligkeiten der Regenschaft darstellen. Schon 1626 erschien die erste gedruckte Descriptionl2, ein von Claude Barthélémy Morisot unter dem Titel

testen Druckerei Europas und humanistisches Zentrum zugleich. Hier ist es, wo Rubens seine Illustrationen und Graphiken arbeiten wird. 41 Kaum jemand unterhielt zu der Zeit ein umfassenderes europäisches Informationsnetzwerk als der Gelehrte, Antiquar und Sammler Nicolas Claude Fabri de Peiresc, der 1637 in Aix-en-Provence verstarb. 42 Zur ersten, handschriftlichen Beschreibung im Vorjahr, vom Historiographen Etienne Baluze gesammelt, vgl. die Wiedergabe des Ms. Baluze der BNF aus dem Konvolut der von Baluze zusammengetragenen Dokumente (BNF, Ms Baluze 232, fos 54-57). Vgl.

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Porticus Medicea verfaßter Text. Der Autor sollte dem Maler noch 1628 für seine kritischen Bemerkungen mit der Zusendimg der zweiten, korrigierten Auflage danken. Die Verbannung der Königin im November 1630 führte zur Einstellung aller Arbeit, so auch der mit Rubens vereinbarten zweiten Galerie zu Leben und Taten Heinrichs. Ab 1631 war dann Rubens mit der Vertretung der im Kölner Exil lebenden Königinmutter in den Verhandlungen mit Frankreich betraut43. Seit Emile Michels Monographie von 1902 und Otto von Simeons Dissertation von 193644 ist eine unüberschaubare Anzahl von Beiträgen zur MediciGalene erschienen. Neben allem historiographischen Interesse macht vor allem die Frage nach der Kapazität der Malerei, zu einer Apotheose von Herrschaft beizutragen, die Auseinandersetzung mit dem Werk spannend45. Bereits in den als Propädeutikum lesbaren Zyklen des Decius Mus (1616/17)46 und des Konstantin (1622) übte Rubens die Überblendung und Verwicklung der Erzählzeiten ein. Es ging nicht mehr nur darum, mit antiquarischer Gelehrsamkeit antikes Personal und Göttergeschichten auf das historische Agieren des Herrschers zu beziehen, quasi als Topologie und Präfiguration. Die fast schon journalistische Zeitgenossenschaft wurde betont. Sie verzichtete nicht daraufj sich als Fortwirken der Antike und als Einlösung ihrer Tugendqualitäten auszugeben. Rubens' Malerei vermag es, diesen Konnex unmittelbar einsichtig zu machen. Mit dem mythologischen Portrait im Reigen des antiken Assistenzpersonals findet die Transzendierung des Jetzt anschaulich statt. Es handelt sich hier nie um eine bloße Applikation oder Parallelisierung. Die malerisch nicht unterscheidbaren Sphären, das Ineinanderweben von zeitgenössischer und mythischer Bewegung und Aktion führt zu einer Überblendung und Durchdringung von Zeitebenen, die das aktuelle Ereignis als Verlebendigung sowohl eines antiken Wollens als auch antikisch heroischer Formen formuliert. Diese Bewegung zum ununterscheidbaren Ineinanderverweben resultiert bei Rubens aus dem Studium der Figurerfindung, der Kenntnis ihrer plastischen Werte und raumgreifenden wie raumbildenden Funktionen in Abhängigkeit von Licht und Farbe. Hier wer-

Bernhard W E H L E N , „Antrieb und Entschluss zu dem was geschieht" - Studiai zur MediciGalerie von Peter Paul Rubens, München 2008, S. 237. 43 Ab 1671 verlassen dann die Gemälde von Rubens das Palais du Luxembourg. Hiermit ist in etwa der Zeitrahmen der Querelle du coloris ( 1 6 7 1 - 1 7 0 0 ) abgesteckt. 44 Otto von SIMSONS immer noch lesenswerte Arbeit: Peter Paul ( 1 5 7 7 - 1 6 4 0 ) : Humanist, Maler und Diplomat, Mainz 1996. 45 Zu Befragung der Gemäldefolge im Blick auf ihre Anschaulichkeit, im Gegensatz zu den wie auch immer naheliegenden, historisch politischen Konnotationen, vgl. die Dissertation von Bernhard W E H L E N , Antrieb und Entschluss (wie Anm. 4 0 ) . 46 Vgl. hierzu die Dissertation von Susanne TAUSS, Dulce et decorum? Der Decius-MusZyklus von Peter Paul Rubens, Osnabrück 2000.

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den die malerischen Formen zu Handlungsträgern einer bildlichen Allegorie. Und es ist diese Dramaturgie der Versinnlichung, die zu einer überzeitlichen Verbildlichung der Macht fuhrt47. Im Medici-Zyklus kalkuliert Rubens den Ort der Galerie in diese Lichtregie mit ein48. Jacob Burckardt erkannte dies früh. Die zahlreichen Verweise auf Werke des eigenen Œuvres sind Zeugnis des von Rubens konsequent erarbeiteten Konzepts. Sie haben auch einen werbestrategischen Effekt, wenn im Bild 24 des Medici-Zyklus die Figur der Königin von Chronos gepackt wird und an die Konstellation im Münchner Leukippidenraub denken lässt Oder wenn die Drei Grazien in der Erziehung der Königin zur leibhaftigen und wirkmächtigen Realpräsenz transzendenter Kräfte werden, die das Regieren der Herrscherin durchwirken49. Zieht man die vielen Ölskizzen von Rubens zurate, scheint alles vom ersten Bildgedanken her präfiguriert. Es ist dieser Einfall, kaum mehr die Ausführung im Großatelier, der den künstlerischen Wert der Arbeiten ausmachte. Zweifellos kommt im Medici-Zyklus Rubens' Innovationskraft zum Ausdruck, die in der Durchdringung zeitgenössischer Geschichte und allegorischer Transzendenz liegt Doch Rubens verzichtet mit seiner Überhöhung der Regentin zugleich auf deren Idealisierung. Die Bilderserie zeigt aber auch, wie sehr man im Kontext machtpolitischer Balancen auf die Details der Bildsprache reflektierte. Das lässt sich an den zahlreichen Korrespondenzen über Detailfragen des Costume und über den Wechsel von Themen ablesen. Die Fähigkeit des Malers, politische Verhältnisse in komplexer Bildsprache auszudrücken, wurde bereits durch die Zeitgenossen thematisiert. Es war der noch mit Rubens bekannte Joachim Sandrart, der 1675 die Verquickung von diplomatischer Tätigkeit und malerischem Knowhow thematisierte. Das war

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Wenn die „WUnschbarkeit allegorischer Zuthaten und Maschinerie, sobald aus sachlichen, politischen, kirchlichen etc. Gründen historische Thatsachen gemalt werden sollten, deren Hergang an sich schwer oder gar nicht malbar waren. Genau besehen werden dann vorzugsweise eben die allegorischen Gestalten das handelnde Element im Bilde; der innere Antrieb der Thatsachen wird in sie verlegt". Vgl. Jacob BURCKHARDT, Neuere Kunst seit ISSO, aus dem Nachlaß, hrsg. von Eva Mongi-Vollmer und Wilhelm Schlink, München [u. a.] 2006: Belgische Malerei des 17. Jahrhunderts, Peter Paul Rubens, unter der Überschrift „Geschichtliche Darstellung mit Hülfe der Allegorie", S. 430. Hier ist allein durch die Titeleien der Kapitel eine wunderbare Übersicht der Bildgattungen und Themen gegeben. 48 Palais du Luxembourg, von Salomon de Brosse ab 1615 begonnen und während Rubens' Arbeiten am Zyklus noch unvollendet, von der Regentin von 162S bis zur ihrer Verbannung 1631 bewohnt. Die Galerie ist eine Neufassung der Idee des antiken Porticus oder einer Wandelhalle. Der Zyklus zeigt die wesentlichen Stationen des Lebens der Maria de Medici und mündet mit dem letzten Gemälde in die Apotheose der Wahrhaftigkeit, von der Zeit emporgehoben. 49 Zu den zeitgenössischen Impetustheorien, hier insbesondere im Kontext des Mysterium Cosmographicum Keplers, vgl. WEHLEN, Antrieb und Entschluss (wie Anm. 40), S. 145.

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mehr als bloßes Künstlerlob, denn Rubens verwandte die Reise nach Paris in der Tat auf diplomatische Verhandlungen. Man gewinnt den Eindruck, ohne die Vertrautheit des Malers mit den politisch-diplomatischen Notwendigkeiten wären seine Bildlösungen so nicht möglich gewesen. Wenn Rubens im Gemälde des Medici-Zyklus Heinrich IV. empfängt das Bildnis der Maria de Medici (Paris, Musée du Louvre) dem König das Tableau in allegorischer Szenerie vorhält (ein Gemälde, welches Frans Pourbus in Italien zu diesem Zwecke angefertigt hatte), dann ist hier viel von der Funktion eines interhöfischen Bilderverkehrs zu sehen, die die Künstler in den Wettbewerb der Hofhaltungen einstellt. Dieses kunstpolitische Beziehungsfeld, welches dem auf Reisen geschickten Künstler mehr zutrauen muss als die Vervollkommnung seiner Malerei, wird im Laufe fortschreitender Mobilität immer enger geknüpft werden. Der daraus resultierende, zwanghafte Automatismus, im Wettbewerb bestehen und übertreffen zu können, ist Movens der Entfaltung der Künste. Voraussetzung für das bildkünstlerische Werk, die Bildsprache und die Künstlerpersönlichkeit ist die Mobilität, die über die geographischen Implikationen hinaus eine soziale Mobilität einschließt, ja, letztere scheint als Ziel der ersteren auf.

Bilddiplomatie Bedeutung und Anteil des Bildermachens auf dem diplomatisch-politischen Parkett der europäischen Häuser darf für das 17. Jahrhundert nicht unterschätzt werden. Die Bedürftigkeit der Macht, ihrem Willen bildhaften und damit wirkmächtigen Ausdruck zu verleihen, hat wohl die Herausbildung des Typus eines Künstlerdiplomaten maßgeblich befördert. Doch nur im Fall des Peter Paul Rubens scheint die Synergie, die sich mit seinem bildkünstlerischen Werk im Kontext seiner politischen Missionen einstellt, so schlagkräftig und zugespitzt. Das Bild wird Teil des diplomatischen Kalküls, nicht nur des auftraggebenden Hofes, sondern des Künstlers selbst. Die häufig zitierte Briefstelle aus Rubens' Korrespondenz vom 22. April 1622 an Pierre Dupuy, dem durch das Pariser Parlament bestallten Historiographen: „Ich fur meinen Teil wünschte, daß die ganze Welt im Frieden sei und daß wir statt eines eisernen ein goldenes Zeitalter hätten", hat immer wieder zu einer Stilisierung des Künstlers beigetragen, die hier mehr sah als eine rhetorische Formel50. Es wäre naiv, die in der Korrespondenz des Künst-

50 Zur Korrespondenz von Rubens vgl. Die Correspondance de Rubens et Documents épistolaires concernant sa vie et ses œuvres, hrsg. von Max Rooses [u. a.], Anvers 18871909; in der Übersetzung: Otto ZOFF, Die Briefe des P. P. Rubens (1918), sowie Ruth Saunders MAGURN, The Letters of Peter Paul Rubens, Cambridge (Mass.) 1955; ferner

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lers immer wieder anzutreffenden Beteuerungen wörtlich zu nehmen und sie nicht in ihrer Funktion als Stilmittel und Formel sprachlichen Taktierens zu sehen. Begrifflich ist Rubens von der Lehre Niccolo Macchiavellis (oder Giustinianis) nicht weit entfernt. Doch wie argumentieren seine Bilder, insbesondere die allegorischen Malereien rund um die Thematik von Krieg und Frieden? Rubens' Diplomatenblick ist ganz auf die europäische Friedensordnung gerichtet. Man mag in ihm durchaus den auf ein goldenes Zeitalter visionierenden Malerfürsten sehen, der das Mittel von Intrige und Krieg im zeitüblichen Sinn als Instrument da* Politik anerkennt. Ulrich Heinen hat jüngst die Wunschvorstellung des friedliebenden Kunstlerfursten dekouvriert und auf die Nähe zur zeitgleichen Traktatliteratur verwiesen, etwa wenn Rubens für die zweite Auflage der Anleitung zum Gesandtenwesen des Frederik de Marselaer ein Titelkupfer arbeitete51. Die Friedenssehnsucht, die in Rubens' Fall vor allem auf die Befriedung der geeinten Niederlande zielte, mag man im Œuvre auch als Leitidee zahlreicher Allegorien ausmachen. Diese untersteht aber hier wie da der übergeordneten Instanz seiner Loyalität gegenüber der Souveränität der Habsburger. Heinens Analyse des Gemäldes der großen Kriegsallegorie {Die Folgen des Krieges, Florenz, Palazzo Pitti, 1637/38; Abb. 2) befragt den Künstler auf seine Haltung als Bilddiplomat. Wie nachhaltig das Gemälde auf das europäische Bildgedächtnis gewirkt haben muß, belegen die zeitgenössische Verbreitung (in Tapisserien und Stichen) bis hin zu Picassos Rezeption fur sein Weltausstellungsgemälde Guernica. Der Autor zeigt auf, wie das Gemälde in der Kunstgeschichte seit Jacob Burckhardt und Friedrich Waagen als (aus deutscher Sicht) nationales Emblem des Dreißigjährigen Krieges instrumentalisiert und als resignatives Trauern des Künstlers fehlinterpretiert wurde. Die antikatholische Dekontextualisierung entpolitisiert Bild und Maler zugleich. Das steht gegen das eindeutige Selbstzeugnis, das der Künstler dem Gemälde an Justus Sustermans und seinen Empfänger, den Großherzog der Toskana, mit auf den Weg gab52. Die eindeutigen Verweise auf Lukrez und Vergil {De rerum naturae und die Aeneis) begleiten und bereichern die Bildlektüre eines auf die konkreten historischen Kriegsereignisse bezogenen Gemäldes und machen es zu einer Art „Verführung zur Kriegsbereitschaft" und Bekräftigung der „Gefolgschaftstreue". Es ging um die strategisch-taktische Verbindung Antwerpens mit Oberitalien, hier Florenz, und die Bedrohung durch die vordringenden Franzosen. Das Bild, welHans KAUFFMANN, Peter Paul Rubens im Licht seiner Selbstbekenntnisse, in: WallrafRichartz-Jahrbuch 17 (1955), S. 181 ff. 51 Frederik de MARSELAER, Legatus, Antwerpen 1626. Ulrich HEINEN, Rubens' Bilddiplomatie im Krieg (1637/1638), in: Mars und die Musen - Das Wechselspiel von Militär, Krieg und Kunst in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Matthias Rogg [u. a.], Berlin 2008, S. 151-178. 52 Vgl. HEINEN, Rubens' Bilddiplomatie (wie Anm. 51), S. 159-161.

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ches von der Hilfe Euanders für Aeneas kündet, meint zugleich die Casa Medici als Nachfolgerin des mythischen Gründerkönigs Etruriens und ist Aufforderung an den Großherzog Ferdinand II., Neffe der Maria de Medici, seine Neutralität fallen zu lassen, um seinen Bündnispflichten nachzukommen53. Wenn heute zu lesen ist: „Das Gemälde ,Die Folgen des Krieges' von Peter Paul Rubens kann man als eines der ersten Antikriegsbilder bezeichnen. Es ist ein kritisches Bild, kein Bild, das den Mächtigen schmeichelt! ... Mitten im Dreißigjährigen Krieg entstand es und mahnt zum Frieden"54, dann zeigt das etwas von der geschichtsvergessenen Distanz, die zu nichts als zum naiven Fehlurteil fuhrt Die Florentiner Kriegsallegorie zeigt links die im Schreiben des Malers an Sustermans als Europa benannte Personifikation, wie sie mit Mauerkrone auch im Antwerpener Wappen zu sehen ist. Rubens malt Propaganda für die habsburgischen Niederlande, ohne auf den Hintersinn einer intelligenten Dialektik zu verzichten. Die Verteidigung gegen die bedrohenden Franzosen, die Aufforderung, gegen die Einkesselung der nördlichen Niederlanden vorzugehen, zeigt auch, dass die Topographie der Mächte Europas nach anderen Kriterien funktionierte, als die uns vertrauteren, geopolitischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts. Wie eine übergeordnete, Machtfelder bespielende Instanz wirkt hier die Antike als Kraft der Geschichte. Europa, wie der Maler die Klagende in seinem Brief benennt, ist Symbol der gesamten Christenheit, und das Schicksal Antwerpens wird zur europäischen Frage.

Rubens und die Nähe zur Macht Rubens von Beginn an die strategische Planung seines Aufstiegs als Maler mit Hilfe der Nähe zur Macht zu unterstellen, greift zu kurz. Gute Beziehungen allein hätten hier kaum weitergeholfen. Die Begabung des Malers steht ebenso außer Frage wie das günstige Beziehungsnetzwerk zu Beginn seiner Karriere. Es war insbesondere das Reisen, welches ihm dazu verholfen hat, daraus ein europaweites Netzwerk zu gestalten. Die Vielsprachigkeit von Rubens, wie sie sich in seinen Briefen in Latein, Flämisch, Französisch und Italienisch ausdrückt, ist Resultat dieses europäischen Geistes. Das Einstellen in den intellektuellen Diskurs seiner Epoche zeitigte nicht zuletzt den Nachruhm. Doch die Selbstverständlichkeit, mit der der Maler seinen Ruhm und sein Ansehen sichtbar machte, erstaunt noch heute. Die Pracht seines Ant53 Das Bild war dann Teil der großen Sustermans-Sammlung am Florentiner Hof, dort, wo mit den versammelten zahlreichen Adelsportraits das höfischen Netzwerk Europas abermals vervielfältigt wurde. 54 http://www.onlmekunst.de/frieden/rubens.html.

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werpener Haushalts war sprechender Ausdruck des sozialen Status, der in Rückkopplung selbst wiederum Bilderpreise wie Nachfrage schürte. Die gesamte Lebensführung, das sog. Rubenshaus, das bei allen Veränderungen durch die Jahrhunderte einen Eindruck vom Selbstbild vermittelt, ist auch durch das eigene, gemalte Programm und die Antikensammlung55 als gedoppelte Repräsentation von Kunst und Bildung des Hausherrn zu verstehen. Dieser Musealisierung des eigenen Selbst, als Werkstatt des Apelles, eines pictor doctus, der gewohnt war, zu Pferde auszureiten, steht Rubens als naive Figur der Zurückhaltung und Friedensliebe gegenüber, hinter der sich in Wahrheit eine Selbstauffassung entdecken lässt, die keinen Grund hatte, sich der Tugend der Bescheidenheit zu verschreiben. In dieser Inszenierung ist der Maler zum Ende seiner Karriere zu Pietro Paulo Rubens, Ritter und Herr von Steen geworden.

Reisen in diplomatischen Auftrag - Madrid, London 1640 ersteigerten die Agenten Philipp IV. eine größere Anzahl von Rubenswerken, darunter eines seiner bekanntesten, den Liebesgarten. Damit ergänzte der spanische König die in Europa wohl erlesenste Bildersammlung durch Werke des Malers, der selbst in seinem Auftrag wesentlich zur Ausgestaltung des Bildprogramms der Madrider Residenzenlandschaft beigetragen hatte. Während des Aufenthalts im Herbst und Winter 1628/29 hatte der Flame, neben seinen Arbeiten zum Reiterportrait des Königs, freien Zugang zu den königlichen Sommerappartements. Diese seit der Thronbesteigung 1621 mehr und mehr ausgebauten Appartements waren jetzt nicht in Gebrauch, beherbergten aber die Gemäldeserie Tizians, die unter der Bezeichnung Poesie bereits von Cassiano dal Pozzo während seines Frühjahrsaufenthaltes 1626 mit Cardinal Francesco Barberini in Madrid beschrieben worden war56. 55 Zu Rubens als Sammler siehe A House of Art: Rubens as Collector, Ausstellungskatalog Antwerpen, hrsg. von Kristin Lohse Belkin [u. a.], Museum Rubenshuis, 2004. Es ist bezeichnend, dass Rubens die Sammlung des englischen Botschafters Sir Dudley Carleton erwarb, welche dieser als Diplomat in Venedig zwischen 1610 und 1615 zusammengetragen hatte. Ein Prestigegewinn sondergleichen, der mit dem Verkauf der Sammlung an den Herzog von Buckingham für York House nochmals gesteigert werden konnte, da die Sammlung selbst als Ausdruck von Rang und Bildung zu werten ist. Die Bildersammlung des Künstlers, die 1640 inventarisiert wurde, verzeichnet Gemälde höchsten Ranges, wie sie einer fürstlichen Sammlung gut zu Gesicht gestanden hätten, darunter zahlreiche Werke von Tizian, Perugino und Correggio. Nach dem Erwerb des Landschlosses Het Steen wird die Imitation adeliger Lebensführung vollends offenkundig, Hier zeugen die vielen Landschaften und Veduten, ganz so wie es der adeligen Konvention entsprach, auch vom eigenen Besitz. 56 Die Beschreibung der Sommerappartements vom Juni 1626 in der Bibliotheca Vaticana, Ms. Barb. Lat. 5689, ff.l20v-123, wiedergegeben von Mary CRAWFORD VOLK, Rubens in

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Die am 15. August 1628 angetretene Reise nach Madrid im Auftrag Isabellas sollte den spanischen König über die Ergebnisse der Verhandlungen mit den nördlichen Provinzen unterrichten. Sie war jedoch zugleich Reise in eigener Sache, da er sie mit Gemälden im Gepäck unternahm, die er dann auch an den König verkaufen konnte. Er erhielt darüber hinaus den Auftrag zu fünf weiteren Portraits der königlichen Familie. Und auch mit der Reise nach England wird deutlich, wie die diplomatische Aufgabe dem Maler weit über seine Heimat hinaus Europa als Absatzmarkt erschließt. In London erhält er, parallel zu seinem höfischen Auftrag, als Privatperson die Gelegenheit zur Ausstattung des Banket-House. Seine Dekkenausgestaltung in Whitehall kann als einer der lukrativsten Aufträge schlechthin gesehen werden. Ob durch Ambrogio Spinola, wie uns Bellori berichtet, oder vom Herzog von Buckingham, der während seines Parisaufenthaltes Rubens kennengelernt hatte, sei dahin gestellt, jedenfalls wird man ihn bei Isabella als Kandidat für die diplomatischen Dienste empfohlen haben, um in England den Frieden zwischen Philipp IV. und Karl I. zu verhandeln57. Rubens erfüllte nahezu alle Voraussetzungen (Bildung, Sprachkenntnisse, Eloquenz, tadelloser Ruf) für den diplomatischen Dienst. Da ihm das Adelspatent fehlte, sollte man davon ausgehen, dass der Maler de facto den rangniederen Diplomaten zuzurechnen ist und als Resident und nicht etwa als Legat oder Botschafter auftrat Wie auch immer sein persönlicher Erfolg bei den Friedenverhandlungen zu veranschlagen ist: nimmt man die Kunst als Gradmesser, so muss die Londoner Mission als äußerst fruchtbringend gewertet werden. Während der Verhandlungen beider Länder übergab Rubens dem englischen König ein Gemälde zum Thema Krieg und Frieden (heute London, National Gallery, Minvera die Allegorie des Friedens vor Mars schützend). Den tatsächlichen Einfluss der in den Gemälden thematisierten Stellungnahmen auf die Realpolitik lassen sich nicht nachweisen. Doch am 15. November kam es zum Friedensschluss beider Länder. Die Verleihung des Titels eines Magister Artium der Universität Cambridge einige Wochen zuvor sowie die Erhebung des Flamen in den Ritterstand im Folgejahr (3. März 1630) hat wohl nicht wenig von diplomatischer Gepflogenheit, wenn der englische König damit dem spanischen gleichzog. Der Friedensvertrag selbst wurde selbstredend nicht von einem Maler, sondern vom eigens nach London angereisten Botschafter, Don Carlos de Colonna, sowie in Madrid vom englischen Botschafter Sir Francis Cottington unterzeichnet Für

Madrid and the decoration of the King's summer apartments, in: Burlington Magazine CXXni (no. 942, Sept. 1981), S. 513-529. 57 Roger de Piles bezieht sich in seinem Abrégé de la vie des peintres von 1699 auf die vom Neffen an ihn Ubersandte lateinische Vita von Rubens. Quellen, die uns hingegen verlässlich Auskunft Uber seine Tätigkeit als Staatsmann liefern, existieren so gut wie nicht.

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Rubens jedoch war die Reise nach England in mehrfacher Hinsicht lukrativ und beförderte nicht zuletzt seinen Ruhm auf der Insel58. Die im Verlauf seiner Diplomatentätigkeit geknüpften Kontakte sollten ihm erhalten bleiben. Seine Laufbahn als Diplomat neigt sich mit dem Fall der Stadt Maastricht 1632, nachdem die Position der Habsburger militärisch heikel geworden war, dem Ende zu. Es ging fur die Niederlande um die Abwägung nationaler Belange, die mit den Interessen der Habsburgerdynastie nicht deckungsgleich waren, so dass der südniederländische Adel Verhandlungen mit dem Norden aufgenommen hatte. Hier war es an Rubens, im Auftrag der Regentin einzugreifen, und prompt insistierte der Herzog von Aarschot darauf, dass die niedere Herkunft des Malers zu einer Amtsenthebung fuhren müsse. Ausgestattet mit dem Titel eines Sécrétaire du Conseil Privé du Roi forderte der Maler auch Willem van Oldenbarnevelt heraus, der ihn „zu hoñartig für einen Maler" hielt. Das Ende seiner Karriere als Diplomat wurde dann sicherlich durch den Tod der Infantin Anfang Dezember 1633 befördert. Doch weiterhin mit Diplomatengestus aufzutreten, war seiner Stellung auch als Künstler dienlich, und man muss es als späte Verklärung lesen, wenn in der lateinischen Vita das Ende der Karriere mit der Friedensliebe des Künstlers erklärt wird

Rubens und Europa Das etwas schräge, eingangs zitierte Bild des Kunsthistorikers Swoboda, der das Jahrhundert unter die Fahne einer Wachablösung stellte, macht bei aller Projektion deutlich, dass hier eine Verschiebung dessen auftritt, was wir mit der Eröffiiung einer europäischen Perspektive auf ein neues Europaverständnis umschreiben wollen, sei es als Krise des europäischen Geistes (Paul Hazard) oder als Aufbruch. Bei kaum einem Künstler lässt sich, nicht zuletzt durch die Reisetätigkeit und die damit verbundene Weitung von Horizont und Themen, die Konstellation des Jahrhunderts besser begreifen. Umfassend haben diese Bilder mit einem neuen Europaverständnis zu tun. Man ist versucht, die Titelei des mit weiter Verbreitung rezipierten Werkes des Matthäus Merian, Theatrum Europaeum (erster Band von 1635, nachfolgend 21 Bände)59 auf die Bilderwelt von Rubens zu übertragen. Auch hier treten neue Bilder, aufgrund eigener

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Zu Rubens' Rezeption in England im Kontext von Kunstmarkt und Kunsttheorie vgl. jüngst Bärbel KÜSTER, Natura auf dem Kunstmarkt - Ein fiktiver Dialog zwischen Kunsttheorie und Graphik, in: Druckgraphik Zwischen Reproduktion und Invention, hrsg. von Markus A. Castor [u. a.], Berlin [u. a.] 2010, S. 341-361. 59 Merian selbst betreute die ersten fünf Bände des bis 1738 fortgesetzten Werkes.

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Anschauung und eigener Erfahrung, mit einigem Neuigkeitswert und gehörigen Empirismus zutage. Merians erster Band beschrieb die Jahre des Dreißigjährigen Krieges, und wenngleich der Schauplatz der „wahrhaften Beschreibung aller Denckwürdigen Geschichten" die Reichsterritorien waren, machte das Frontispitz deutlich, dass es sich um eine europäische Angelegenheit handelte. Wie in Rubens' Bild von den „Folgen des Krieges" war es die Erdkugel, die diesen Anspruch auf eine europäische Perspektive vertrat60. Auch Rubens setzte der im Nukleus bereits nationalen Konnotation des 17. Jahrhunderts eine transnationale, historisch orientierte Perspektive entgegen. Hier scheinen zwei Modelle in einem Amalgam und am Beginn einer Verschiebung vorzuliegen: Das Europa der Nationen sowie das kulturell und historisch determinierte Europa des Christentums, dessen Grenzen weniger topographisch als in der kulturellen Abgrenzung zu finden sind61. Man mag dieses Europabild auch als Abbild des politischen, kulturellen und ebenso ökonomischen Austausches sehen, der geradezu Lebensvoraussetzung Antwerpens war. In Rubens' Verteidigung der Einheit des Christentums mag sie als Sehnsucht nach der Einigung der europäischen Häuser aufscheinen. Das Europa der Christenheit, 1625 noch der Denkrahmen für Hugo Grotius' De jure belli ac pacis, seinem europäischen Völkerrecht, wird komplementiert durch die Europaidee des Erdteils, der sich aus der Abgrenzung von und der Bedrohung durch andere Kulturen (Perser, Araber, Osmanen) definiert. Die beiden Kulturmodelle, die sich hier ablösen sollen, scheinen sich für die Schaffensphase von Rubens gegeneinander zu verschieben62. Die Ordnungsprinzipien, welche durch den Dreißigjährigen Krieg durcheinander geraten waren, haben durch die Vorstellung der ausbalancierten Kräfte, zwischen denen Rubens diplomatisch zu vermitteln hatte, stabilisiert zu werden. Diese Balance der Kräfte ist auch die bildimmanente Zauberformel des Malers Rubens. Die Vorstellungen vom Frieden im goldenen Zeitalter basieren wesentlich auf dem Bild Europa. Es ist das Gleichge-

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Die beigefügte Europakarte geht mit den Erläuterungen des Philipp Abelinus einher, der die kulturellen Wurzeln der europäischen Kultur (aus der jüdischen, griechischen und römischen) anklingen lässt. 61 Dies touchiert die Idee des überlegenen alten Kontinents. Gerade die Bedrohungssituation durch Frankreich und die spätere Furcht vor der Universalmonarchie Ludwigs XIV. bedingt eine Vermehrung von Traktaten und Pamphleten, die Europa thematisieren. Vgl. Fritz WAGNER, Europa im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung. Die Einheit der Epoche, in: Ders. (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Geschichte, Bd. 4, Stuttgart 1968, S. 1-163. Es ist dann Richelieu, der die Literaturproduktion Uber die topographische Abgrenzung unter dem Leitbild der „frontières naturelles" vorantreibt. Vgl. William F. CHURCH, Richelieu and Reason of State, Princeton 1972, insbes. S. 249 ff. 62 Das entspricht etwa der von Fernand Braudel ausgemachten Hochzeit des italienischen Modells (1450-1650). Fernand BRAUDEL, Le modèle italien, Paris 1989, dt. u. d. T. Modell Italien, Berlin 2003.

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wicht, die Auflösung der widerstreitenden Kräfte, durch die Eingriffe der Götter auf Erden herbeigeführt. Erst nach Rubens' Tod, mit dem Westfälischen Frieden von 1648, erfüllt sich der Abschied vom Denken Europas in der Konkurrenz der Häuser (Habsburg und Valois/Bourbon). Die europäische Staatengemeinschaft schien die zersplitterte Mitte des Kontinents als Feld von Ausgleich und Kriegstheater zu benötigen. Mit dieser strukturellen Verschiebung (von der Dominanz des Hauses Habsburg auf das Territorium der Reichsländer) wandelt sich das dynastische Ringen um die Vorherrschaft zur topographisch dominierten Auseinandersetzung auf dem Feld des politisch zunächst schwächsten Gliedes. Die heute, wohl überlegt, in Brüssel implementierte Verwaltungszentrale eines Europabegriffs ist dabei, diese Wurzeln des kulturellen Europa hinter einer Wand von technischen Regularien zu versenken. Und heute reisen eher die Bilder als die Künstler, abgetrennt von ihren Kontexten und historischen Aufgaben.

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Abb. 2

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„... quei concenti son lamenti" Italienische Musiker am Hofe Johann Friedrichs in Hannover Von

Christoph Harer Die Hofkapellen deutscher Fürstenhöfe des späteren 17. Jahrhunderts waren in vielen Fällen Orte internationaler Interaktion. Hier soll der konkrete Fall Hannovers in den 1670er Jahren beschrieben werden, wo das Ensemble - vor dem späteren Einzug eines musikalischen goût français unter Herzog Ernst August - wesentlich italienisch geprägt war1. Im Blickpunkt dieser Untersuchung sollen exemplarisch zwei Personen stehen, deren Biographien von ihren Auslandserfahrungen gezeichnet sind: Herzog Johann Friedrich (16251679) und sein Kapellmeister Vincenzo de Grandis (1631-1708). Beide stehen hinsichtlich ihres Nachruhms im Schatten ihrer vermeintlich bedeutenderen Nachfolger, des ersten Hannoveraner Kurfürsten Ernst August sowie dessen Kapellmeisters und Opernkomponisten Agostino Steffani (ganz zu schweigen von Georg Friedrich Händel, der diesen Posten von 1710-1712 innehatte, in dieser Zeit jedoch besonders durch Abwesenheit glänzte). Doch ist es einerseits de Grandis gewesen, unter dessen Leitung die ersten italienischen Opernauffiihrungen in der Leinestadt schon Jahre vor Errichtung eines prunkvollen Opernhauses unter Steffani stattfanden, und andererseits muss Johann Friedrich als Wegbereiter seines jüngeren Bruders Ernst August gelten. Er führte den Hannoveraner Hof, der vor seiner Amtszeit noch als „une horrible cour de Saufbrüders"2 galt, mit beträchtlichem Pomp und international-kulturellem Anspruch, wie es beispielsweise die Anwesenheit des Universalgelehrten Leibniz oder die in einem Funeraldruck festgehaltenen Kupferstiche der Trauerzeremonie für diesen Herzog belegen3. Zur Nachzeichnung dieses international geprägten Geflechts am Hannoveraner Hof soll zunächst auf die Biographie Johann Friedrichs eingegangen werden, um Ursprünge und Auswirkungen seiner Vorliebe für Italien aufzu1 Vorliegender Aufsatz ist im Zusammenhang mit einer breiter angelegten Untersuchung zu Struktur und Wirken der Hofkapelle entstanden: Christoph HARER, II Rosigniolo. Italiener in der hannoverschen Hofkapelle unter Herzog Johann Friedrich, Hannover 2009. 2 Vgl. Georg SCHNATH, Geschichte Hannovers im Zeitalter der neunten Kur und der englischen Sukzession 1674-1714 (4 Bde.), Bd. 1: 1674-1692, Hildesheim/Leipzig 1938, ND Hannnover 1999, S. 30 (dort ohne genauere Quellenangabe). 3 Vgl. Johann Georg LANGE [u. a.], Iusta funebria serenissimo principi Joanni Friderico Brunsvicensium et Luneburge [...], Rinteln 1685.

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zeigen. Als Beispiel eines verantwortlichen Musikers und Agenten folgt ein Blick auf das vielfältige Wirken von Vincenzo de Grandis. Abschließend sollen Texte von zwei seiner Kammerkantaten Aufschlüsse über seine Sicht des Höflingsdaseins gewähren.

Der Hof Hannover unter Herzog Johann Friedrich Der hannoversche Hof hatte zu Beginn von Johann Friedrichs Regierungszeit (1665-1679) eine noch vergleichsweise unbedeutende Stellung im europäischen Kontext. Hannover war seit der Regierungszeit seines Vaters Georg Residenzstadt des Fürstentums Calenberg-Göttingen, dem Herrschaftsbereich der Sekundogenitur innerhalb des Fürstentums Braunschweig-Lüneburg. Dieses war zusammen mit dem Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel hervorgegangen aus der Teilung des Herzogtums Braunschweig im Dreißigjährigen Krieg. Auf entsprechend niedriger Machtposition standen Johann Friedrich und seine älteren Brüder. Erst dem jüngsten Bruder Ernst August (16291698), bis 1679 Bischof in Osnabrück, sollte es später gelingen, das Land nach dem Tod seiner „sohnlos" gebliebenen Brüder Christian Ludwig und Johann Friedrich durch die Verheiratung seiner Nichte Sophie Dorothea und seines Sohnes Georg Ludwig (später Georg I. von England) wieder zu vereinen. Dies war der entscheidende Schritt zur Erlangung der Kurwürde im Jahr 1692. Wenn der Hannoveraner Hof unter Johann Friedrich trotz dieser relativen politischen Unbedeutsamkeit ein stark internationales Gepräge aufwies, so ist dies besonders den Interessen und der Biographie des Herrschers zu verdanken. Als dritter von vier Brüdern zunächst leer ausgegangen und als nichtregierender Adliger durch Europa weitgereist, eilte Johann Friedrich nach der Nachricht vom Tod seines ältesten Bruders Christian Ludwig 166S nach Celle und nahm im Handstreich den dortigen Hof, der der Erbfolge nach nun dem zweitgeborenen Georg Wilhelm zustand. Da dieser bislang das Fürstentum Calenberg von Hannover aus regiert hatte, kam es nach zähen Verhandlungen, die fast eskaliert wären, zum Tausch der Herrschaftsgebiete, so dass Johann Friedrich ab September 1665 die Regierungsgewalt über CalenbergGrubenhagen erlangte und den Hannoveraner Hof bezog4. Ein wesentliches, zur europäischen Vernetzung des Hofes beitragendes Ereignis stellte drei Jahre nach Amtsaniritt Johann Friedrichs im Oktober 1668 die Hochzeit des Fürsten mit Benedicta Henrietta Philippina dar. 1652 als 4

Vgl. Edgar KALTHOFF/Alheidis von ROHR, Calenberg. Von d a Burg zum Fürstentum. Herrschaft und Kultur in Zentralniedersachsen zwischen 1300 und 1700, Hannover 1979, S. 25.

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Tochter des Pfalzgrafen Eduard bei Rhein in Paris geboren und dort im Kloster erzogen, stärkte diese das Interesse an französischer Kultur und Sprache am hannoverschen Hof, das sich beispielsweise in einer französischen Hoftheaterpraxis manifestierte5. Die Bedeutung der französischen Sprache, die zur Umgangssprache am Hof dieses Herrscherpaares erhoben wurde, belegen fur Hannover zahlreiche erhaltene französischsprachige Briefwechsel. Ein weiteres Beispiel hierfür ist eine auf Französisch abgefasste Huldigungsdichtung fur Sophie, Tante und (als Gattin Ernst Augusts) zugleich Schwägerin von Benedicta Henrietta Philippina. Der Text wurde anlässlich der Begräbniszeremonien fur Johann Friedrich 1680 von Gottfried Wilhelm Leibniz verfasst6. Die Anstellung von Leibniz, seit 1676 Hofrat und -Bibliothekar am hannoverschen Hof und dort fortan die letzten vier Jahrzehnte seines Lebens tätig, ist das beste Merkmal dafür, dass der hannoversche Hof infolge der Fürstenhochzeit in zunehmendem Maße ein Brennpunkt für Wissenschaft, Kunst und Politik in Deutschland wurde, und zwar nach dem erklärten Vorbild des Hofes von Versailles7. Bedeutenden Einfluss hatte die französische Kultur darüber hinaus auf die Führung des Hofstaates und auf die Politik Johann Friedrichs. Auf dem Feld der Außenpolitik stellte er sich gegen seine Brüder in Celle und Osnabrück und fast alle Staaten Deutschlands, indem er im Holländischen Krieg (16721678) - wohl auch unter dem Einfluss seiner Gattin - zum Werkzeug französischer Politik wurde, als er am 10. Juli 1671 einen Neutralitätspakt mit Frankreich schloss. Ein Jahr später stellte er Ludwig XIV. in einem Vertrag vom 10. Dezember 1672 ein 10000 Mann starkes stehendes Heer zur Verfügung und erhielt dafür während der nächsten sieben Jahre Subsidienzahlungen in Höhe von 2 Millionen Talern8. Dieses Geld ermöglichte unter anderem aufwendige kulturelle Investitionen, vor allem in venezianische Opern. Doch auch in der Innenpolitik wirkte das Versailler Vorbild wie vielerorts in Europa stilbildend: Die Äußerung Johann Friedrichs gegenüber einem lutherischen Prediger „Ich bin Kaiser in meinem Lande" ist zwar historisch nicht hinreichend belegt, charakterisiert seinen Herrschaftsstil jedoch treffend. Dafür sprechen neben dem neuartigen, bereits erwähnten Heer von insgesamt 14000 5

Zu diesem Thema vgl. Die Monographien von a) Rosenmarie Elisabeth WALLBRECHT, Das Theater des Barockzeitatters an den weifischen Höfen Hannover und Celle, Hildesheim 1974, und b) Gerhard VORKAMP, Das französische Hoftheater in Hannover. Ein Beitrag zur Geschichte des französischen Theaters in Deutschland, Göttingen 1956. 6 Vgl. Gottfried Wilhelm LEIBNIZ, A son Altesse Serenissime Sophie nee princesse electorate palatine, duchesse de Bronsvic et Lunebourg. Sur la mort du Grand Prince [...]. Als siebter von insgesamt zehn Abschnitten enthalten in dem Funeralband Johann Georg LANGES (wie Anm. 3). 7 Vgl. Adolf KÖCHER, Geschichte von Hannover und Braunschweig 1648 bis 1714. Zweiter Teil (1668-1674), 1895, ND Osnabrück 1965, S. 85. 8

Vgl. WALLBRECHT, Theater (wie A n m . 5), S. 13.

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Mann eine Überschüsse erzielende Finanzverwaltung, eine straff zentralistische Behördenorganisation und vor allem die weitgehende Entmachtung der Landstände und der Städte, so auch der Stadt Hannover9. Anders als sein Vorgänger und älterer Bruder Georg Wilhelm übernahm der Herzog mit der Regimentsordnung von 1670 sämtliche Regierungsgeschäfte selbst, außenpolitische Entscheidungen und Oberbefehl eingeschlossen. Hierin folgte er wie später auch sein Bruder Ernst August ebenfalls dem Beispiel des Sonnenkönnigs10. Wie im Absolutismus üblich, verlor dabei die große Mehrzahl der Adligen am Hof deutlich an Einfluss und Selbständigkeit. Sie waren stattdessen einem vergleichsweise strengen Zeremoniell unterworfen, das zu ihrer Domestizierung und als Machtdemonstration des Fürsten diente. Der Reisende Samuel Chapuzeau berichtete im Jahr 1673: „The Court of Wolfenbüttel appeared to me the most serious, the court of Celle the most cheerful, the court of Hanover the most correct ['reguliere'], and the court of Osnabrück the most elegant ['galante']; but all, in general, are beautiful and magnificent, because all these princes spare nothing in sustaining the glory of their house. [...]"" Der Hannoveraner Hof unter Johann Friedrich ließe sich demnach nach der Klassifizierung Volker Bauers als .zeremonieller Hof einordnen12.

Katholizismus. Hannover und Italien War das Versailler Vorbild prägend für den politischen Stil am Hannoveraner Hof, so waren für das kulturelle Leben, insbesondere die musikalischen Belange, italienische Einflüsse bestimmend. Diese nationale Differenzierung im Kulturtransfer ist unabhängig von Hannover generell zu beobachten13. Im 9

Vgl. Günther SCHEEL, Hannovers politisches, gesellschaftliches und geistiges Leben zur Leibnizzeit, in: Leibniz. Sein Leben, sein Wirken, seine Welt, hrsg. von Wilhelm Totok und Carl Haase, Hannover 1966, S. 102. 10 Vgl. Ebd., S. 96, und Heide BARMEYER, Hof und Hofgesellschaft in Hannover im 18. und 19. Jahrhundert, in: Hof und Hofgesellschaft im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, hrsg. von Karl Möckl, Boppard 1990, S. 241. 11 Samuel CHAPUZEAU, L'Allemande, ou Relation nouvelle de toutes les Cours de l'Empire, 1673. Zitiert in: Colin TIMMS, Polymath of the Baroque. Agostino Steffitni and His Music, Oxford 2003. S. 41. 12 Vgl. Volker BAUER, Die höfische Gesellschaft in Deutschland von der Mitte des 17. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Versuch einer Typologie, Tübingen 1993, S. 57-63. 13 Vgl. Andrea PÜHRINGER, „E tutta questa è italiana". Italienische Emigranten in deutschen Städten des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Das eine Europa und die Vielfalt der Kulturen. Kulturtransfer in Europa 1500-1850, hrsg. von Thomas Fuchs und Sven Trakulhun Berlin, 2003, S. 355.

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Fall Johann Friedrichs lassen sich auch für die kulturelle Orientierung nach Italien biografische Gründe anfuhren. In der Zeit vor seinem Regierungsantritt hatte Johann Friedrich Italien in besonderem Maße lieben gelernt. Er bereiste es im Lauf seines Lebens vier Mal in ausgedehntem Maße. Sein zweiter Italienaufenthalt im Jahr 1651 sollte seinem Leben eine entscheidende Wendung geben: Johann Friedrich konvertierte zum römisch-katholischen Glauben und provozierte so den Konflikt mit seinen niedersächsischen Verwandten - hatte doch der Vater der Brüder, Herzog Georg, im Dreißigjährigen Krieg noch als Verteidiger des Protestantismus gegolten14. Da ihm zu Hause die Ausübung seines Glaubens untersagt wurde, hielt sich Johann Friedrich im folgenden Jahrzehnt mit erhöhter Apanage weiterhin überwiegend im Ausland auf. Sein Amtsantritt im Jahr 1665 bedeutete für die protestantischen Untertanen des Fürstentums keine konfessionelle Umstellung. Anders sah es mit der Schlosskirchengemeinde aus, die nun dem katholischen Kultus übergeben wurde. Während für den protestantischen Teil der Bediensteten und der adligen Höflinge in der Amtszeit Johann Friedrichs die Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis errichtet wurde (in der auch Leibniz begraben ist), wurde die unmittelbar zum Schlossgelände gehörende Hofkirche zum Treffpunkt der Katholiken im Hofstaat. Deren nationale Herkunft hätte vielseitiger nicht sein können: Die Kirchenbücher erwähnen Italiener, Franzosen, Schweden und Polen, darüber hinaus Gemeindemitglieder aus Böhmen, Mähren, Ungarn, Irland, England, Dänemark und sogar einen Isländer15. Leibniz bietet in seinem biographischen Nachruf auf den Fürsten eine knappe Übersicht über das geistliche Personal der Hofkirche: „Das Exercitium Ihrer Religion haben Sie durch Patres Capucinos, denen Sie allhier Hospicium geben / und andere Geistliche mit gebührender wohl anständiger Ordnung versehen lassen / und umb besserer Aufsicht willen ansehnliche Vicarios Apostolices, wie man sie nennet / erstlich einen Episcorum Maroccanum, hernach Titiopolitanum allhier gehabt"16. Die Leitung der Gemeinde lag seit der ersten, Weihnachten 1665 abgehaltenen Messe in den Händen Valerio dei Maccionis, eines schon länger mit Johann Friedrich bekannten italienischen Geistlichen. In da 1 folgenden Zeit setzte sich Johann Friedrich in etlichen Schreiben gegenüber Rom dafür ein, 14 Vgl. Annette von STIEGLITZ, Landesherr und Stände zwischen Konfrontation und Kooperation. Die Innenpolitik Herzog Johann Friedrichs im Fürstentum Calenberg 16651679, Hannover 1994, S. 22. 15 Vgl. Franz Wilhelm WOKER, Geschichte der katholischen Kirche und Gemeinde in Hannover und Celle, Paderborn 1889, ND Paderborn 1981, S. 31. 16 Leibniz bei LANGE, Iusta fundebria (wie Anm. 3), S. 72.

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dass Maccioni das von Leibniz erwähnte Amt des Apostolischen Vikars des Nordens erhalten sollte. Als dem im April 1667 stattgegeben wurde, war Maccioni fortan zusätzlich zu den braunschweigischen Ländern zuständig für die alten Diözesen Halberstadt, Magdeburg, Altona und Glückstadt. Für seinen Nachfolger und später für den vor allem als Komponisten bekannten Agostino Steffani kamen noch alle Länder der dänischen Krone hinzu17. Johann Friedrichs landesherrliches Selbstbewusstsein sowie sein Bestreben, die Schlosskirche dem Einfluss der Hildesheimer Diözese zu entziehen, veranlassten ihn darüber hinaus, für den ihm hörigen Maccioni auch die Bischofswürde zu erkämpfen. Da dieser in protestantischem Umfeld jedoch nur einer Gemeinde vorstand, wurde er im Juli 1668 zum Titularbischof von Marocco ernannt18. Der nach Maccionis Tod 1676 berufene Däne Nikolaus Stensen, der ebenfalls während eines Italienaufenthaltes konvertiert war, durfte sich mit dem Titel des Bischofs von Titiopolis, einer antiken römischbyzantinischen Stadt, schmücken19. Bei Gelegenheit eines Rechenschaftsberichts an den Vatikan verwies Maccioni auf die internationale Zusammensetzung des Kapuzinerkonvents: „ha egli voluto havere i PP. Cappuccini non solo la nazione tedeschi, ma francesi ed italiani, come hora sono al numero di quattordici, cioè tre tredeschi, quattro italiani e due francesi sacerdoti e predicatori, due chierici tedeschi e tre laici pure delle stessa nazione"20. Da auch die Mitglieder der Hofkapelle mehrheitlich nichtdeutscher, genauer gesagt italienischer Herkunft waren, hatten die Südländer an einem für Johann Friedrichs Hof schon biografisch so besonders wichtigen Ort wie der Schlosskirche entscheidende Bedeutung21. Hierzu später mehr. Im November 1679 brach Johann Friedrich zu einer fünften Italienreise auf. Doch schon in Augsburg starb er am 8. Dezember an Herzversagen. Wegen der zuvor ungewöhnlich umfangreichen Reisevorbereitungen entstanden in der Folge Spekulationen, Johann Friedrich sei amtsmüde gewesen und habe sich nach Aufgabe der Regierungstätigkeit in Italien niederlassen wollen22.

17

Vgl. WOKER, Geschichte (wie Anm. 15), S. 20 ff. " Vgl. Hans-Georg ASCHOFF, Niels Stensen - Seelsorger in der nordischen Diaspora, in: Die Diözese Hildesheim in Vergangenheit und Gegenwart, Hildesheim 1987, S. 92. 19 Vgl. SCHNATH, Geschichte (wie Anm. 2), S. 27. 20 Vgl. Maccionis Bericht an die Congregatio de Propaganda Fide, dat. Hannover, 22.11.1671. Abgedruckt in: KÖCHER, Geschichte (wie Anm. 7), S. 416. [Eigene freie Übersetzung: [so] war es seine Absicht, dass die Kapuzinerpater nicht nur deutscher Nation sind, sondern auch französischer und italienischer, und so sind sie zusammen vierzehn, nämlich drei deutsche, vier italienische und zwei französische Priester und Prediger, zwei deutsche Geistliche und drei Laienbrtlder der selben Nation.] 21 Vgl. SCHEEL, Leibnizzeit (wie Anm. 9), S. 103. 22 Vgl. STIEGLITZ, Landesherr (wie Anm. 14), S. 29.

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Über seinen in Italien angenommenen Katholizismus hinaus hatte Johann Friedrich noch weitere, weltlichere Gründe, die ihn wiederholt den Kontakt mit der italienischen Kultur suchen ließen. Italiam Italiani23 - so lautet der Titel einer Hymne, die in einer Nachrufdichtung auf Johann Friedrich enthalten ist und die Anhaltspunkte für die diesbezüglichen Interessen des Fürsten geben kann24. In dem Gedicht wird in besonderer Weise die Bedeutung Italiens für das Leben Johann Friedrichs wie wohl generell des höheren Adels seiner Zeit herausgestellt:

Italiam Italien ein edel Land Wehrt / daß mans oft besehe / Wird recht ein Paradeys genannt / Wehrt / daß es ewig stehe. Ich hab die Lüsten in der That Gespührt / so dort sich giessen. Frisch auf! Es ist noch nicht zu späht / Muß ihr noch eins gemessen. Zweymal das Jahr bringt Frucht hervor! Wie kann die Lust mich triegen? Geschwind eröffnet Thür und Thor / Laßt Pferd und Wagen fliegen. Wann irgendwo an einem Ort / Ein Herz sich kann erfreuen / Warlich so heist es hie / geh fort / Es wird dich nie gerewen. Venedig kan allein dir seyn Ein Zeuge meiner Worten / Täglich ist hier der Augenschein / Hie hat die Lust kein Pforten. Alles steht offen überall / Frey fliegen alle Segel! Das Herz hat hie sein wolgefall / Und braucht der Lüsten Regel. Was alle Sinn ergetzen kann / Das ist hie auserlesen. Wann Jupiter käm kranck heran / könnt hie alsbald genesen.

23 Bei dieser Überschrift handelt es sich um ein Zitat aus dem dritten Gesang der Aeneis, wo Aeneas wie der Hannoveraner Herzog durch das Schicksal an seiner Ankunft in Italien gehindert wird. 24

Iter parallelum Phoebi occidentalis & orientalis Joannis Friderici et Ernesti Augusti, a Societate Jesu Osnabrugensi [...], [vermutlich 1680], in: Johann Friedrich Sammelband 2, erhalten in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek Hannover, o. S.

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Italien und speziell Venedig erscheinen hier als Ort der Zwanglosigkeit, der jugendlichen Ausschweifungen und kulturellen Vergnügungen, die dem offensichtlich gesundheitlich schon angeschlagenen Fürsten zur Erholung hätten dienen sollen. Dabei handelte es sich bei der so freizügig beschriebenen Lagunenstadt um alles andere als einen Kurort - war es doch eine Metropole mit rund 150 000 Einwohnern, wogegen sich die Residenzstadt Hannover mit ihren kaum zehntausend Seelen um 1670 wie ein ,Nest' ausmacht. Von den zahllosen kulturellen Angeboten lag der dortige Karneval mit seinen zahlreichen Opernaufiührungen im eigentlichen Blickpunkt des ausländischen Interesses. Der Zeitpunkt des letzten Reiseantritts Ende 1679 deutet daraufhin, dass auch Johann Friedrich plante, pünktlich zu Beginn der Karnevalsfeierlichkeiten Anfang Januar in Venedig zu sein. Das lebhafte Interesse des hannoverschen Hofes am kulturellen venezianischen Treiben dokumentieren die etwa 30 erhaltenen Textbücher zu Opernaufiührungen in der Lagunenstadt. Davon stammen 23 aus Lebzeiten Johann Friedrichs25. Teilweise wurden sie ihm von seinen venezianischen Agenten oder von Verwandten zur Information übersandt. Auch die Brüder Johann Friedrichs waren Venedig verfallen - Briefe, die der ältere Bruder Georg Wilhelm an seinen Hannoveraner Hofmarschall schrieb, um diesen von der Forderung seiner sofortigen Rückkehr zu den Regierungsgeschäften abzubringen, zeugen von Vergnügungssucht und erheblichen Verlusten im Geldspiel26. Für ihre Aufenthalte in der Metropole hatten die fürstlichen Brüder zudem einen Palazzo am Canale Grande sowie Logen in diversen Theatern angemietet. Ernst August, der siebenmal in Venedig war, unterhielt dort zuletzt gar eine eigene Kapelle27. Die Opernlogen verschlangen mehr Miete, als die Subsidienzahlungen der venezianischen Republik für die gegen die Türken in den Krieg ziehenden hannoverschen Truppen betrugen28. Unter Ernst August wurden die diesbezüglichen Ausgaben dann derart immens, dass der Bau des großen Opernhauses in Hannover Ende der 1680er Jahre auch als Bemühung zu sehen ist, die Investitionen in ausländische Projekte einzudämmen und das Kapital stattdessen vor Ort zu binden29. Vor diesem Hintergrund mag es nicht verwundern, dass schon zu Johann Friedrichs Zeiten erhebliche Mittel aufgewendet wurden, in Hannover eine italienisch dominierte Hofkapelle aufzubauen, die dem Hof in den langen Zeiten der Abwesenheit von den venezianischen Vergnügungsgefilden als 25

Vgl. Heinrich SIEVERS, Hannoversche Musikgeschichte. Dokumente, Kritiken und Meinungen. Bd. 1: Von den Anfängen bis zu den Befreiungskriegen, Tutzing 1979, S. 104. 26 Vgl. Friedrich Wilhelm ANDREAE, Chronik der Residenzstadt Hannover von den ältesten Zeiten auf die Gegenwart, Hildesheim 1859, ND Hannover 1977, S. 150. 27 Vgl. TIMMS, Polymath (wieAnm. 11), S. 47. 28 Vgl. Georg FISCHER, Musik in Hannover, Hannover/Leipzig 1903, S. 9. 29 Vgl. SIEVERS, Musikgeschichte (wieAnm. 25), S. 106.

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Ersatz dienen sollte - sowohl durch die musikalische Ausgestaltung des katholischen Kultus als auch durch den Import italienischer Opernkunst. Dieses Vorgehen war an den großen Höfen kein Einzelfall. Verschiedene Quellen deuten daraufhin, dass die deutschen Hofìnusiker ihren italienischen Kollegen das Feld keineswegs widerstandslos überließen. Johann Beer, Sänger und Konzertmeister der Hofkapelle in Weißenfels, warnt in seinen Musicalischen Discursen davor, in den Ensembles „Italiener unter die Teutschen gerathen" zu lassen: „so stehet es nicht viel anders, wie Hunde und Katzen einander Visiten ertheilten"30. Auch der Komponist und Musiktheoretiker Johann Mattheson sieht die Schuld bei den Italienern, wenn er später schreibt, diese hätten „die Einländer allenthalben weggebissen"31. Doch blieb es nicht bei Schuldzuweisungen. Auf der Suche nach einer Begründung für die neue Mode, die sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts an den großen Höfen ertablierte, diente wiederum das Bild von Italien als „edel Land" als nunmehr musikalische Erklärung: „Die ganze Welt steht allgemach in der unbeweglichen opinion, es gäbe keine bessere Sänger als in Italien, und keine bessere Instrumentisten als in Frankreich. [...] Was das erste anbelangt, muß man wissen, daß kein Volck unter der Sonnen von Natur der music mehr ergeben,, als eben die Italiener, seynd also musices naturales. Ist aber unstreitig, daß, wann der usus bey uns dergestalten, wie in Italien im schwang gienge, wir weit devoter, als die Italiener modulierten. Dann ihre manieren, nemlich der Welschen, seyn der Freyheit dergestalten zugethan, daß sie unter zwantzig Tacten kaum einen halben ohne colloriren oder trillo aushalten. Zudem seynd sie von natur disposter zum singen als die Teutsche, weil ihre Sprache voller vocalen, hingegen die unsere voller consonanten ist, die nicht wol können ausgesprochen werden. So wimmelt über dieses Italien voller Castrateli, und hat also die zur music von Natur inclinirende Jugend gute und stattliche Gelegenheit von Kindesbeinen an unterrichtet zu werden. [...] Gleichwohl habe ich teutsche Castraten gehört, welche es denen damahls berühmtesten Italienern weit zuvor gethan haben. Nur dieses ist denen Italienern favorabel, weil sie in Teutschland fremd, und dem alten Sprichwort gemäß, asinus peregrinus, höher aestimiert wird, als equus domesticus. [...] Summa es seynd viel Welsche, welche besser singen als Teutsche, und seynd auch viel Teutsche, welche besser singen als Welsche, haben also die Italiener nur so weit die Ehr, so fern von Natur zur music geneigter, und dahero inventiöser, als die Teutschen seynd"32. 30

Johann BEER, Musicalische Discurse, Nürnberg 1719, S. 9. Johann MATTHESON, Critica Musica, Tomus secundus, Hamburg 1725, S. 81. 32 BEER, Discurse (wie Anm. 30), S. 60 ff. 31

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Die Passage spiegelt den inneren Widerstreit zwischen der Ansicht von prinzipieller Gleichwertigkeit und dem noch heute gängigen Klischee von Italien als einer besonders musikalischen Nation wider. Der pauschale Vorwurf, die Italiener würden als „musices naturales" aufgrund ihres Exotenstatus bevorzugt, ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen, war doch durch die bloße Anwesenheit italienischer Künstler ein nicht unwesentlicher Prestigegewinn fur den Hof garantiert. Waren auch die meisten anderen italienischen Immigranten als Kolonialwarenhändler, Stuckateure oder Architekten Mitglieder von Luxusgewerben, galten sie als Musiker selbst als eine Art kultureller Luxus-Importartikel. Wie noch zu sehen sein wird, wurde diese Verständnis vom Künstler als vermeintlicher Menschen-Ware auch Inhalt künstlerischer Reflexion. Am katholisch geführten Hannoverana· Hof gab es neben dem vordergründigen Prestigegewinn noch einen weiteren Beweggrund für Investitionen in italienische Sänger. In einer plattdeutsch überlieferten Leichenpredigt wird deutlich, in welchem Maß die katholische Kirchenmusik der Italiener in der Schloßkirche auch gefestigte Lutheraner wie den Prediger Jobst Sackmann, Jahrgang 1643, beeindruckte: „ek ging'r sülvest mannikmal hen, as ek noch so'n jung Bengel was, deils, Gott mag my de Sünne vergeven! Puur uut Nieschierigkeid, deils ook, de schöne Musik antohören. Ja, dal kann ek seggen, as ek se to'm eersten Male hörede, so dachte ek nich anners, as dat ek im Himmel wöre; so kunnen de Bloodschelme quinkeleeren! Ole Keerels von dörtig, veertig Jaaren sungen eenen Diskant so hoog as de beste Deeren; dat maakde averst, dat se kapuned wören, dergleichen Leute sie in ihrer Sprache Castraten heißen"33.

Dass die Kirchenmusik der Italiener neben dem ausschmückenden Gotteslob auch Missionierung von falschgläubigen Untertanen zum erklärten politischen Ziel hatte, bestätigt ein Abschnitt aus der schon erwähnten, an den Vatikan gerichteten Congregano de Propaganda Fide, in der Bischof Maccioni seine Vorgesetzten von seinen Einflussmöglichkeiten und Verdiensten zu überzeugen versucht: „[...] havendo certo numero di musici italiani per servizio della sua camera, ordinò che servissero anche alla chiesa, acciò die non solo glorificassero la M. D. colle loro voci, ma fossero esca a' popoli luterani di venire ad udirne il canto in tutte le feste dell' anno e fre33

Jobst SACKMANN, Jobst Sackmanns Plattdeutsche Predigten nebst Bericht über sein Leben und seine Zeit. Mit einer Zugabe von andern merkwürdigen Predigten; gehalten zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, hrsg. von August Schulze, Celle/Leipzig 1878, ND Hannover 1977, S. 23 f.

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quentare per questorispettola chiesa de' cattolici, dove poi potevano, e vedere le cerimonie delle funzioni sagre et udire le prediche de' PP. e quindi havere nuovi motivi di convertirsi alla santa fede"34. Die auf diese Weise unterschiedlich motivierten erheblichen Investitionen Johann Friedrichs betrafen in erster Linie italienische Sänger. Die wenigen italienischen Instrumentalisten bekleideten jeweils Spitzenpositionen wie die des Organisten35. Wie auch andernorts waren die jeweils etwa sechs bis acht Instrumentalisten der Hannoveraner Hofkapelle (Streicher, Lautenisten und Organisten) ansonsten mehrheitlich deutscher Herkunft. Obwohl sich unter ihnen durchaus namhafte Musiker wie beispielsweise der Geiger Nicolaus Adam Strungk oder der Gambist Clamor Heinrich Abel befanden, betrugen ihre Löhne nur einen Bruchteil der 600 Reichstaler, die das StandardJahreshonorar der jeweils etwa acht bis zehn italienischen Sänger ausmachte36. Begründen lässt sich diese Differenzierung damit, dass die italienischen Sänger stärker als Instrumentalisten gleicher Nationalität Botschafter ihrer Kultur sein kernten. Mit ihren einzigartigen, charakteristischen stimmlichen Mitteln standen besonders die Kastraten und Falsettisten (etwa die Hälfte der Sänger am Hannoverschen Hof) unmittelbarer fur den italienischen Stil, als es den Instrumentalisten möglich war37. Zudem verwies ihre Fremdsprachlichkeit oder auch nur ihre abweichende Aussprache zusätzlich auf ihre Herkunft aus jenem „edel Land", sodass selbst Laien auf die luxuriöse fremdländische Ausstattung der fürstlichen Hofkapelle aufmerksam werden mussten. Hierfür kann wiederum Jobst Sackmann als Gewährsmann dienen, wenn er auch den Sachverhalt ironisch wendet:

34

Abgedruckt in: KÖCHER, Geschichte (wie Anm. 7), Bd. 2, S. 418. Freie Übersetzung: „[...] haben eine bestimmte Anzahl von italienischen Musikern zum Dienst in ihrer Kammer, ich habe angeordnet, dass sie auch in der Kirche dienen mögen, damit sie mit ihren Stimmen nicht nur die Mutter Gottes rühmen sollten, sondern auch ein Köder wären fUr das lutheranische Volk, damit (dieses) kommt, den Gesang an allen Festen des Jahres zu hören, und so die katholische Kirche besucht, wo sie schließlich die Zeremonien der heiligen Handlungen sehen dürften, die Predigten der Patres hören und somit neue Beweggründe zu haben, um zum heiligen Glauben zu konvertieren." 35 Als Beispiel kann der Organist Matthio Trento gelten, von 1668 bis 1680 in hannoverschen Diensten und unter anderem Arrangeur und Leiter der Aufführungen der Oper L'Alceste von 1678. 36 Vgl. HARER, Rosigniolo (wie Anm. 1), S. 38 ff. Dort befindet sich auch eine ausführliche Analyse der Hofrechnungsbücher im Hinblick auf die Situation der Hofleapelle unter Johann Friedrich. 37 Vgl. Norbert DUBOWY, Italienische Instrumentalisten in deutschen Hofkapellen, in: The Eighteenth-Century Diaspora of Italian Music and Musicians, hrsg. von Reinhard Strohm, Turnhout 2001, S. 64.

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Jahrbuch für Europäische Geschichte 11 (2010) „Doch dat gefall my ook nich, dat se de Woorde so dulie utsproken; tom Exempel, wenn da stund: Ceciderunt, so sungen se Tschetschiderunt. Dat is jo een dummen Snakk; welker DUwel sali dat raaden, wat dat heeten sali? Weeren se by unsem seel. Schaulmester in de Schaule gaan, de wull se anners baukstabeeren leert hebben. Ek hebbe my seggen laaten, dat se in ganz Italien so undüütsch spräken sollen"38.

Wie allgemein üblich, deckte auch Johann Friedrich seinen Bedarf an italienischen Musikern in der Regel durch Rekrutierungen in Musikmetropolen wie Venedig und Rom. Dort waren fürstliche Agenten tätig, die auch bereits angestellte Kapellmitglieder sein konnten und zu diesem Zweck zurück in ihr Heimatland reisten. Seltener begegnet man Bewerbungen, die Italiener direkt an die Fürsten richteten39. Einer der Agenten des Hannoveraner Fürsten war Vincenzo de Grandis. Im Folgenden sollen zunächst seine vermittelnden Tätigkeiten für Johann Friedrich, dann kulturwissenschaftlich interessante Beispiele aus seinem kompositorischen Œuvre betrachtet werden.

Vincenzo de Grandis Der spätere Hannoveraner Kapellmeister wurde am 6. April 1631 in Montalboddo, dem heutigen Ostra in der italienischen Provinz Ancona, geboren. Zunächst einer theologischen Berufung folgend, wurde er Anfang der 1650er Jahre als normaler Priester ordiniert40, was sich später in dem zuweilen erscheinenden Namenszusatz Don niederschlug. Eine mögliche erste musikalische Wirkungsstätte ist das Oratorio del SS. Crocifisso an S. Marcello in Rom, wo er nur mit Vornamen und als Organist im Zeitraum von 1653 bis 1659 aktenkundig wird. 1661 folgte eine erfolglose Bewerbung als Tenor an der Sixtinischen Kapelle. Im gleichen Jahr begann seine Tätigkeit als Tenor und Organist an S. Luigi dei Francesi, wo er mit Unterbrechungen bis 1674 geführt wurde. Parallel dazu sammelte er Erfahrungen als Kapellmeister an S. Agostino, bei den Jesuiten vom Seminario Romano sowie in Diensten des Fürsten Giovanni Battista Pamphilj41. 38

39

SACKMANN, Predigten (wie A n m . 33), S. 24.

Vgl. DUBOWY, Instrumentalisten (wie Anm. 37), S. 74 f. 40 Vgl. [ohne Angabe des Autors], Vincenzo de Grandis, in: Dizionario enciclopedico universale della Musica e dei Musicisti. Le Biografie II, hrsg. von Alberto Basso, Torino 1983, S. 436. 41 Vgl. Julia Ann GRIFFIN, Vincenzo De Grandis (ii), in: The new Grove dictionary of music and musicians, 2. Aufl., hrsg. von Stanley Sadie (29 Bde.), Bd. 7, London 2001, S. 137. Griffin gibt als erstes Jahr der Beschäftigung bei Pamphilj 1672 an, allerdings geht aus einem Brief Vincenzos vom 19. Dezember 1671 hervor, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits in dessen Diensten war (Vgl. NLA-HStA H Cal Br 22 Nr. 626 Π, S. 302).

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Eine erste Erwähnung von Vincenco de Grandis in den hannoverschen Kammerrechnungen findet sich in dem 1668 abgeschlossenen Rechnungsbuch. Demnach seien ihm „Monatlich versprochen 50 Rthlr und ist dorten bestallung in Italia angangen am 25. 7bris 1667"42. Offensichtlich reiste de Grandis im Folgenden nach Hannover, heißt es doch weiter: „und ist demselben mündlig allhier zuerst gezahlet auff den Jan: 1668 50:-:-"43. Eine dauernde Anwesenheit bis zu seinem »Abtritt' im März 1669 ist jedoch wegen seiner zeitgleichen Beschäftigung an S. Luigi dei Francesi in Rom unwahrscheinlich. Welcher Art seine Tätigkeit in der Hannoveraner Hofkapelle zu diesem frühen Zeitpunkt gewesen ist, ist unklar. Die aus den Folgejahren erhaltenen Briefe von de Grandis an den Herzog machen jedoch deutlich, dass er der hannoverschen Hofkapelle im Folgenden als römischer Agent zuarbeitete. Zu dieser Tätigkeit gehörte die Beschaffung und Übersendung von Musikalien für den Gebrauch in Kirche und Kammer44. Wesentlicheren Einfluss hatte Vincenzo de Grandis allerdings im Bereich der Vermittlung und Vorbereitung neuer Sänger. Dies geschah in mehr oder weniger enger Zusammenarbeit mit dem Abt Colomera, der Johann Friedrichs wichtigster und mächtigster Agent in Italien war: Colomera war befugt, im Namen des Herzogs Arbeitsverträge abzuschließen, während de Grandis nur musikalisch-personelle Empfehlungen aussprechen konnte. Deutlich wird diese Rangordnung besonders in einem Schreiben de Grandis' vom 14. April 1674, in dem er von den Bemühungen berichtet, die Colomera und er unabhängig voneinander in der Suche nach einem neuen Bassisten angestellt hätten, er selbst in Rom, der Abt in Neapel, Genua und Mailand. Colomera habe schließlich jemanden gefunden, von dem er sage, er sei „das kleinste Übel" („il manco male"). De Grandis ersucht nun den Herzog, diesen nicht einstellen zu lassen, und stattdessen unter Umgehimg Colomeras einen musikalischen Zögling aus de Grandis' eigenem Umfeld zu verpflichten, der „auf jeden Fall der beste sein wird, der in Rom zu finden ist"45. Noch eindringlicher appelliert de Grandis drei Monate später an den Fürsten, zu einem Zeitpunkt, da sein eigener Wechsel nach Hannover schon beschlossene Sache zu sein scheint: Er habe in Rom einen Schüler, der unter allen Umständen mit nach Hannover kommen wolle und sage:„ò vivo, ò morte Sig. Mastro mio voglio venire anch'io con lei"46. Und dies nicht genug, der Junge habe damit gedroht, sich notfalls an den Schwanz von de Grandis' Pferd zu hängen: „che egli s'attaccarà alla coda del mio

42

NLA-HStA H Hann. 76c ANr. 87, S. 258. Ebd. 44 Vgl. SIEVERS, Musikgeschichte (wie Anm. 25), S. 61. 45 NLA-HStA H Cal Br 22 Nr. 626 Π, S. 309 f. 46 Ebd., S. 311 r. Übersetzung: „lebendig oder tot, mein Herr und Meister, ich will auch mit Ihnen kommen!" 43

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cavallo"47. Diese forschen Worte deuten darauf hin, dass de Grandis tatsächlich einiges Ansehen bei dem Hannoveraner Fürsten besaß. Und in der Tat hat sich dieser für seine Karriere eingesetzt, lange bevor de Grandis in Hannover als Nachfolger von Antonio Sartorio Kapellmeister wurde. Der Herzog revanchierte sich für die vermittelnden Dienste des Musikers, indem er 1671 im Zusammenhang mit de Grandis' Anstellung beim Fürsten Pamphilj Fürsprache hielt - dies geht aus einem entsprechenden Dankesschreiben des Musikers hervor48. Der Wechsel an der Spitze der hannoverschen Hofkapelle im Jahr 1675 war von längerer Hand geplant, wie auch die Korrespondenz mit Colomera belegt49. Der Lokalmusikhistoriker Heinrich Sievers vermutet hinter dem Wechsel de Grandis' nach Hannover unbekannte kirchlich-diplomatische Aufgaben, die eine Stärkung des Katholizismus in Hannover angesichts des drohenden Verlustes des Hofes an den Protestantismus zum Ziel hatten Johann Friedrich hatte ja keinen männlichen Thronfolger. In sehr viel größerem Stil verrichtete später, zu Zeiten des protestantischen Ernst August, auch der Hofkapellmeister Agostino Steffani ähnliche Dienste. Laut Sievers könnten allein künstlerische Gründe für die Veränderung nicht ausschlaggebend gewesen sein, da Vincenzo de Grandis mit seinen vorhergehenden Anstellungen an der Jesuitenkirche II Gesù und S. Agnese in Rom sich in hervorragenden Positionen befunden habe50. Doch muss auch die außergewöhnlich gute Bezahlung am Hannoveraner Hof als Grund für den Wechsel in den Norden in Betracht gezogen werden. An dieser Stelle soll auch erwähnt sein, dass sich im Zusammenhang mit Vincenzo de Grandis' Biographie neben Vermutungen über eine katholische Agententätigkeit auch hartnäckige Gerüchte über eine eventuelle Spionagetätigkeit beziehungsweise eine ungerechtfertigte Inhaftierung in seiner Hannoveraner Zeit halten51. Beide Theorien stehen bislang unbelegt im Raum, haben aber immer wieder das Interesse auf diesen Musiker gelenkt. IJber die in den Rechnungsbüchern vermerkten Gehaltszahlungen hinaus gibt es keine Quellen über die Umstände seines Hannoveraner Aufenthalts. Nach dem Tod Johann Friedrichs und den von seinem Nachfolger Ernst August ausgerichteten pompösen Trauerfeierlichkeiten verließ de Grandis Han47

Ebd. Übersetzung: „dass er sich an den Schwanz meines Pferdes hängen würde". Ebd., S. 301 f. 49 Vgl. Renato de GRANDIS, Vincenzo (II) de Grandis, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik in 17 Bänden, hrsg. von Friedrich Blume, Kassel [u. a.] 1949-1986, Bd. 15 (1973), Sp. 1735. 50 Vgl. SIEVERS, Musikgeschichte (wie Anm. 25), S. 71 f. 51 Zu Ersterem Vgl. z. B. B. C. von SPILCKER, Historisch-topographisch-statistische Beschreibung der königlichen Residenzstadt Hannover, Hannover 1819, ND Hannover 1979, S. 109. Zum Thema Inhaftierung Vgl. besonders Renato de GRANDIS, Vincenzo de Grandis (wie Anm. 49). 48

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nover mit den anderen Italienern der Hofkapelle im Mai 168052. Über Venedig kam er an den Hof der Este in Modena, wo er ab 1682 wiederum Kapellmeister wurde53. Die gleiche Position hatte er nach 1686 an der Santa Casa in Loreto inne. Seinen Lebensabend verbrachte er in seinem nicht weit entfernten Geburtsort Montalboddo, wo er am 4. August 1708 verstarb54. Von Vincenzo de Grandis' kompositorischem Schaffen ist nicht viel erhalten. Es handelt sich dabei ausschließlich um überwiegend handschriftlich überlieferte Vokalwerke, die sich nicht eindeutig datieren lassen. Davon sind etwa vier Kompositionen vermutlich in Hannover entstanden - ein Beatus Vir, die Motette Confltebor di Assisi für zwei Soprane, Bass, Violinen und Continuo (ein biographischer Bezug zu dem in Assisi zum Katholizismus bekehrten Johann Friedrich liegt nahe)55, sowie zwei Kammerkantaten für Sopran und Basso Continuo. Der Text dieser beiden weltlichen Werke, L'Armellino und II Rosignolo stammt vermutlich aus de Grandis' eigener Feder oder doch aus seinem direkteren Umfeld. Beide Kantaten reflektieren über das Hofleben und lohnen daher einige Bemerkungen.

L 'Armellino und II Rosigpolo - zwei hofkritische Zeugen Beiden Texten liegt jeweils einer Tiermetapher zugrunde. Die Symboltiere Hermelin und Nachtigall dienen dabei unterschiedlichen moralisch-kritischen Aussagen, die in gewisser Weise dennoch zusammenhängen. hi L'Armellino, handschriftlich erhalten in der Modeneser Biblioteca Estense, wird über eine zweistrophige Arie und zwei rahmende, arienhaft ausgeweitete Rezitative hinweg das Bild eines Hermelins entworfen, das unschuldig und rein sich mit den Smaragden der Wiese schmücken kann. Um seine weiße Unschuld zu bewahren, würde das Tier lieber in den Tod oder in eine Falle gehen, als sich zu beflecken: „e pur che macchi non senta si contenta/ soffrir morte ò lacci alméno". In einem zweiten Schritt wird der heraldische Bezug genutzt, ein Gegenüber anzusprechen, das sich damit brüstet, ein doppeltes Herz zu haben: „un doppio cor vantate". Angesichts seines Thrones wird zum Schluss der Kantate der Widerspruch der reinen Unschuld, die nur 52

Vgl. NLA-HStA H Hann. 76c A Nr. 99, S. 347. Vgl. GRIFFIN, De Grandis (wie Anm. 41), S. 137 und Victor CROWTHER, The Oratorio in Modena, Oxford 1992, S. 58. Dubowy nennt hingegen schon den Januar 1681 als Beschäftigungsbeginn in Modena. (Norbert DUBOWY, Vincenzo (II) de Grandis, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik. 21 Bände in zwei Teilen. Begründet von Friedrich Blume. Zweite, neubearbeitete Ausgabe, hrsg. von Ludwig Finscher, Kassel [u. a.] 1994 ff, Personenteil Bd. 5 (2001), Sp. 685-687.) 54 Vgl. GRIFFIN, De Grandis (wie Anm. 41), S. 137. 55 Vgl. Renato de GRANDIS, Musik in Hannover zur Leibniz-Zeit, in: Leibniz. Sein Leben, sein Wirken, seine Welt, hrsg. von Wilhelm Totok und Carl Haase, Hannover 1966, S. 121, und SIEVERS, Musikgeschichte (wie Anm. 25), S. 72. 5

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der gerechte Himmel loben dürfe, und der sündigen Welt deutlich gemacht: „solo il giusto Ciél lo palma/che fango è il mondo/ et Armellino e l'alma"56. „Schlamm ist die Welt" - diese Bildsprache im Zusammenhang mit dem Hermelin entnimmt der Textdichter ganz offensichtlich emblematischen Darstellungen. So wird das Hermelin beispielsweise bei Battista Pittoni (1566) und bei Paolo Giovo (1574) umgeben von einem Wall aus Dreck dargestellt, aus dem es kein unbeflecktes Entrinnen gibt57. Bemerkenswert ist, dass zu Beginn des zweiten Rezitativs mit einem gewissen „Giani di Corte" eine konkrete Person angesprochen wird. Die sich aufdrängende Frage, wer dieser „Jan vom Hofe" sei, muss unbeantwortet bleiben. Die weite Verbreitung des ersten Vornamens Johann im 17. Jahrhundert deutet darauf hin, dass der Kantatendichter hier eine möglichst unkonkrete höfische Adressatengruppe anspricht, wobei durch die enthaltenen Höflichkeitsformen im Text („apprendete", „vantate") eine Autoritätsperson als Adressat zumindest in Betracht zu ziehen ist. So war ein Potentat wie der Hannoveraner Johann Friedrich direkt angesprochen, ohne jedoch das Risiko einer offenen Majestätsbeleidigung einzugehen. Mit dieser Gratwanderung bedient sich der Dichter somit des weitverbreiteten Topos der Hofkritik: Alles weltliche Handeln und gerade die Ausübung von Macht ist notgedrungen mit Sünde und Unrecht verbunden. Noch facettenreicher als der L'Armellino zugrunde liegende Text ist die Dichtung fur II Rosigniolo, die hier vollständig mit einer eigenen Übersetzung abgedruckt sei58.

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Π Rosigniolo. del Sigr. D. Vincenzo de Grandis.

Die Nachtigall. von Herrn D. Vincenzo de Grandis

Entra à stanze Reali chiuso trà ceppi d'oro in pendula Prigion musico Augello delle delitie altrui schiavo Canoro tutto pensoso un di con lingua di dolor parlo cosi

Die königliche Gemächer betritt, zwischen goldenen Ketten eingesperrt in einem hängenden Gefängnis, ein musizierender Vogel, ein wohlklingender Sklave für das Vergnügen anderer. Das Ganze bedenkend mit schmerzerfullter Zunge spreche ich also:

Vgl. ftlr alle Zitate das Manuskript in der Biblioteca Estense, Signatur Mus. G 265, S. 5 ff. 57 Vgl. 1) Battista PITTONI, und Ludovico DOLCE, Imprese di diversi Principi, Duchi, Signori, e d'altri Personaggi et huomini letterati et illustri, Libro secondo, Venezia 1566 (dort bei „Pompeo della Croce"). 2) Paulo Giovio, Emblem „Malo Mori Quam Foedari", in: Ders./Gabriele SIMEONI, Dialogo dell'imprese militari et amorose, Lyon 1574, o. S. 58 Vgl. das Notenmanuskript aus der Biblioteca Querini Stampalia/Venezia, Signatur Cl. VIII. 11 (1437). Ein Facsimile und eine Edition der Kantate finden sich bei HARER, Rosigniolo (wie Anm. 1), S. 122 ff.

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Libertà, libertà quanto sei cara

Freiheit, Freikeit, wie teuer du bist!

Quando l'Alba al Sol s'imbionda dalla man leggiadra e snella di vaghissima Donzella ioricevoil cibo, e l'onda Mà in van col sibillar del labro lusinghier l'esca prepara.

Wenn der Sonnenaufgang durch die Sonne erblondet, bekomme ich von der lieblichen, schlanken Hand des schönsten Fräuleins Speis und Trank Aber vergebens bereitet sie die Verlockung durch das Flüstern ihrer Lippen vor.

Libertà, libertà-

Freiheit, Freiheit...

Vivo in Corte coronata e pur lieto esser non sò ch'esser lieto non si può in Prigion ben che dorata. E voi barbare genti ditemi qual Tiranno v'insegnò per mio danno à indorar i tormenti in van mi porge in vano di nettare condite adulatrici man paste soavi eh'ancor frà le dolcezze vita di prigionier fu sempre amara.

Ich lebe an einem Königshof, Und dennoch kann ich nicht glücklich sein. Denn glücklich kann man selbst In einem noch so vergoldeten Gefängnis nicht sein. Und Ihr barbarischen Leute sagt mir, welcher Tyrann euch gelehrt hatfür meinen Schaden zu vergolden die Qualen? Vergeblich bietet mir die Hand in einem Raum von Nektar würzige, schmeichlerische, süße Speisen. Denn auch im süßesten Leben war das Leben eines Gefangenen stets bitter.

Libertà, libertà...

Freiheit, Freiheit...

E ver che per mio vanto All' orecchie de grandi io sciolgo il Canto, è ver ch'intorno io veggio ovunque il guardo giri de Tapeti di Menfi i sassi adorni e trà profumi Assiri passo le ricche notti i lauti giorni

Es ist wohl wahr, dass ich aus Eitelkeit In die Ohren der Großen den Gesang hinauslasse. Es ist wahr, dass ich rings umher, wohin sich der Blick auch wenden mag, mit Teppichen aus Memphis dekorierte Steine erblicke, und zwischen assyrischen Düften verbringe ich reiche Nächte undprächtige Tage.

Mà ne i lussi, e nelle pompe lieto il Cor mai non sarà

Aber in Luxus und Pracht wird das Herz nie glücklich sein,

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Jahrbuch für Europäische Geschichte 11 (2010) che frà l'oro e fra Γ argento non si può chiamar contento chi non hà là libertà.

denn zwischen Gold und Silber kann sichfröhlichnicht nennen, wer nicht die Freiheit hat.

0 Campagne felici in cui libero vive nel solitario horror fatto beato povero si mà lieto più d'un Compagno alato ei scioglie al Ciel sereno le penne ardito, e pronte dal Bosco al Rio dalla Pianura al monte e pur vive contento ben che paventi i lacci di Cacciator crudele ben che tema il rimbombo di fulminante piombo pur ch'habbia libertà sprezza i perigli godendo in pace 1 volontari esigli

O glückliche Landschaften in denen erfreilebt, in einsamem Schrecken fröhlich gemacht, arm zwar, aber glücklicher als ein gefiederter Geselle. Und er breitet zum heiteren Himmel mutig die Schwingen und schnellt vom Wald bis zum Fluss von der Ebene bis zum Berg. Und lebt sogar froh, selbst wenn er sich vor den Schlingen des grausamen Fängers furchtet. Selbst wenn er vor dem Donner des mächtigen Bleis zittert, so hat er doch die Freiheit, und verachtet die Gefahren, indem er in Frieden diefreiwilligenExile genießt.

Spesso sciolgo dal petto la voce mà pensando al mio giusto dolore là memoria del carcere atroce mi rinchiude la gioia nel Core

Se le note il labro stende quei concenti son lamenti ch'il mio cor solo l'intende.

Oft löst sich die Stimme aus meinem Busen, aber wenn ich an meinen wahren Schmerz denke, die Erinnerung an den grausamen Kerker, verschließt sich die Freude mir im Herzen. So bleibe ich traurig. Die anderen glauben, dass ich singe, und dabei weine ich. Wenn die Noten die Lippe erfassen, sind diese Klänge doch Klagen, die einzig mein Herz versteht.

Cosi mesto rimango Altri crede ch'io canti e all'ora io piango.

So bleibe ich traurig. Die anderen glauben, dass ich singe, und dabei weine ich.

Cosi mesto rimango Altri crede ch'io canti e all'ora io piango.

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Auch in Π Rosigniolo bedient sich der Textdichter eines Sinnbildes, das einen Gemeinplatz über die Nachtigall enthält: Dieser laut Zedlers Universallexi-

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kon „vortrefflichste Baummusicante"59 war als Käfigvogel im 17. Jahrhundert ein beliebtes Haustier, wobei die Ansicht weit verbreitet war, dass die Nachtigall in Gefangenschaft aus Kummer über ihre Unfreiheit das Singen einstelle. Dieses Phänomen, das schon in einem Emblem von Adriaan de Jonge verarbeitet wurde, lässt sich damit einfach erklären, dass Nachtigallen typischerweise während ihrer „musikalischen" Balzzeit, also etwa zwischen Ende April und Ende Juni gefangen wurden und in der Folge ihrem natürlichen Jahresrhythmus gemäß verstummten. Und so ist II Rosigniolo zunächt eine Hymne auf die Freiheit, wie sie in der ersten Hälfte der Kantate in einem dreimal erklingenden, ritorenellartigen Arioso besungen wird: „Libertà, libertà/ quanto sei cara". Anders als bei L'Armellino ist in dieser Kantate schon mit den ersten Versen die Anspielung auf eine Situation bei Hofe deutlich, wenn von „stanze reali" die Rede ist, die von einem „wohlklingenden Sklaven" betreten werden. Die Kantate entfaltet nun den Gegensatz zwischen dem prachtvollen Leben am Hof einerseits, charakterisiert durch Nektar, Gold und das „schönste Fräulein", und andererseits natürlichem Leben (V. 48-66) in Freiheit. Der Hof erscheint als ein „vergoldetes Gefängnis", dessen Ketten und Gitter zwar nicht real, aber nichtsdestoweniger einengend sind. Woraus diese goldenen Fesseln bestehen, bleibt vage - wie im Fall von L'Armellino muss die Hofkritik auch hier allgemein gehalten sein, um gleichzeitig hoffähig zu bleiben. Das Überschreiten eines bloßen Topos durch die Nennung konkreter (Hannoveraner) Missstände hätte den Dichter und Komponisten vermutlich zumindest die Anstellung gekostet - zumal an einem Hof der wie Hannover in solcher Weise Wert auf zeremonielle Korrektheit legte. Denkbar ist zunächst eine vergleichsweise zahme Anspielung auf die physische und psychische Enge des hannoverschen Hofes. Dieses wäre keine bedeutende Kritik gewesen: Zum einen sei an die hinlänglich bekannte Reiselust bzw. die Italiensehnsucht des Herzogs erinnert, auf der auch das in mehreren Quellen überlieferte Gerücht aufbaut, Johann Friedrich sei vor seiner letzten Abreise nach Italien, also kurz vor seinem Tod 1679 in Augsburg amtsmüde gewesen und hätte aus der Ferne abdanken wollen60. Hinzu kommt die Tatsache, dass sich Johann Friedrich selbst während seiner Amtszeit veranlasst sah, sich mit der Errichtung des Lustschlosses in Herrenhausen vor den Türen der Residenzstadt einen großzügigeren und zugleich naturnäheren Zufluchtsort zu schaffen61. „O Campagne felici..." - Die mit solchen Sommer· und Landschlössern oft verbundene Idealisierung des Landlebens ist 59

Artikel „Nachtigal", in: Johann Heinrich ZEDLER, Grosses vollständiges UniversalLexikon aller Wissenschaften und Künste (68 Bde.), Halle/Leipzig 1732-1754, ND 1993, Bd. 23, Sp. 270 f. 60 Vgl. STIEGLITZ, Landesherr (wie Anm. 14), S. 29. 61 Vgl. SCHEEL, Leibnizzeit (wie Anm. 9), S. 106.

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eine Form adliger Hofkritik. Während die Regenten in kunstvoll konzipierten Barockgärten wie den in Herrenhausen geplanten (die dortigen Gärten waren zu Zeiten Johann Friedrichs und Benedicta Henriettes noch im Stadium der Anlegung) die Nähe einer künstlichen Natur suchten, war die Enge des Hannoveraner Stadtschlosses Intellektuellen wie Gottfried Wilhelm Leibniz in anderer Weise beklemmend: Von dem noch zeitgleich mit Vincenzo de Grandis in Hannover wirkenden Universalgelehrten ist folgende briefliche Äußerung überliefert, die allerdings aus der Zeit nach Erlangung der Kurwürde unter Ernst August und Sophie stammt: „Alles was mich körperlich und geistig beengt, kommt daher, daß ich nicht in einer großen Stadt wie Paris oder London lebe, welche an gelehrten Männern Überfluß haben, von denen man sich helfen lassen kann. Doch hier trifft man kaum jemanden, mit dem man sich unterhalten kann oder man gilt vielmehr in diesem Lande nicht als guter Hofmann, wenn man über wissenschaftliche Themen spricht. Ohne die Frau KurfÜrstin würde man noch weniger darüber reden können"62.

Mag es also am Hannoveraner Hof zu konkreten Kritikpunkten Anlass gegeben haben, dürfte die in II Rosigniolo formulierte Hofkritik doch eher auf allgemeinere Zwänge abzielen. Das lyrische Ich der Kantate ist Sklave in mehrerlei Hinsicht - die Kritik am künstlich-höfischen Luxusleben, das die Sehnsucht nach Natur und Freiheit nicht stillen kann, ist nur ein Aspekt. Der Sprecher im emblematischen Kostüm der Nachtigall ist nicht umsonst ein musikalischer Sänger - durch die Wahl dieses Bildes reflektiert der Text gleichzeitig über das eigene Metier des Hofmusikers. Die metamusikalische Komposition sinniert über das Dilemma unfreier Musikausbildung - einerseits gesteht der Dichter die jedem Künstler verinnerlichte Eitelkeit ein, für seine Kunst gerühmt und fürstlich entlohnt werden zu wollen (V. 33 f.). Doch bei allem Luxus ist es offensichtlich d a Zwang des höfischen Protokolls, der den Hof als vergoldetes Gefängnis (V. 20) erscheinen lässt - an einem zeremoniell geprägten Hof waren die Erwartungen an die Musiker eng umrissen, und die Möglichkeiten spontaner, individuell-kreativer Entfaltung selten. Musik und Musiker haben Warencharakter, der von der Bestellung aus Italien bis hin zur beständigen Verfügbarkeit am Hof zu wahren ist. Die Musik selbst ist protokollarisch gefangen, eine zweckfreie, natürliche Ausübimg als spontane Gefühls- und Seelenäußerung nicht vorgesehen: „Spesso sciolgo dal petto la voce [...]" (V. 67).

62

Ohne genaue Angabe zitiert in: Kurt MÜLLER/Gisela KRÖNERT, Leben und Werk von Gottfried Wilhelm Leibniz. Eine Chronik, Frankfurt am Main 1969, S. 138.

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Hier sei noch einmal an eine Bemerkung des Weißenfelser Hofmusikers Beer erinnert: „Dann ihre manieren, nemlich der Welschen, seyn der Freyheit dergestalten zugethan, daß sie unter zwantzig Tacten kaum einen halben ohne colloriren oder trillo aushalten. [...] haben also die Italiener nur so weit die Ehr, so fem von Natur zur music geneigter, und dahero inventiöser, als die Teutschen seynd"63.

Freilich bezieht sich die Bemerkung zur Freiheit hier auf einen konkreten musikalischen Aspekt, den der Umspielungen und Verzierungen. Doch sind diese Manieren tatsächlich ein wesentliches, wenn nicht das entscheidende sich in der italienischen Diminutions-(Umspielungs-)praxis manifestierende Charakteristikum der italienischen Musik des 17. Jahrhunderts. Die Freiheit der musikalischen Ausgestaltung war also gerade für italienische Musiker ein unverzichtbarer Bestandteil ihres Wirkens. In dieser Tatsache lässt sich durch aus ein Beweggrund sehen, warum der Dichter von Π Rosigniolo sich die natürliche Freiheit als zentrales Thema wählt. Die italienische Musik erscheint zugleich als Zufluchtsort, in dem die Freiheit unberührt von höfischen Zwängen bestehen bleibt. Das Bild dieser Parallelwelt wird deutlich in den abschließenden Versen der Kantate: Der Ähnlichkeit von freier Musik und freiem Leben ermöglicht erst die Verwechslung von Musik und der Klage über die Unfreiheit (V. 71-79). Ein solcher Grad Reflexion über das eigene Metier und die Umstände künstlerischer Betätigung bei Hofe ist bemerkenswert. Man kann darin Züge eines wachsenden Selbstbewusstseins erkennen, wie es auch Bernd Wolfgang Lindemann bei Italienern an barocken Höfen diagnostiziert64. Auch in Hannover waren die Italiener nicht nur Repräsentanten eines neuen Stils, sondern vertraten auch - unterstützt von dem Ansehen der italienischen Hofkapelle als exotischem Luxus-Importartikel und die damit verbundenen beachtlichen Gehälter - ein neues und stärkeres künstlerisches Selbstverständnis, dem die deutschen Kollegen oft nur staunend und neidisch gegenüberstanden. Vincenzo de Grandis' musikalische Emblemata ermöglichen insofern einen erstaunlichen Einblick in europäisches Höflingsdasein.

63

BEER, Discurse (wie Anm. 30), S. 60 und 62. Vgl. Bernd Wolfgang LINDEMANN, Rolle und Selbstverständnis der höfischen Künstler, in: Himmel, Ruhm und Herrlichkeit. Italienische Künstler an rheinischen Höfen des Barock, hrsg. von Hans M. Schmidt, Köln 1989, S. 23 f. 64

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Abb. 1: Johann Friedrich, Herzog von Braunschweig-Liineburg. Kupferstich aus: Justa Funebria Serenissimo Principi Ioanni Friderico [...], hrsg. von Johann Georg Lange, Rinteln 1685, o. S.

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Animi íciinium ièrumis.

Lufeinia Aiutefîit Eftftrtiit Linguam

veris timida, incluja canea. usJçrmtum animi, que vinclo prœpcdit.

Abb. 2: Emblem Nr. 56 aus: Hadriani Junii medici emblemata [...], Antwerpen 1565

Auf den Spuren des Meisters. Die Schinkelschüler und die Reise nach Italien Von

Andrea Maglio Die Entwicklung der Berliner und der preußischen Architektur wurde 1840 von zwei bedeutungsvollen Ereignissen geprägt. Nach dem Tod seines Vaters trat der bisherige Kronprinz am 7. Juni dieses Jahres als Friedrich Wilhelm IV. die Regierungsnachfolge an; zum gleichen Zeitpunkt überließ der wichtigste Architekt Berlins, Karl Friedrich Schinkel, aus Gesundheitsgründen seine Baustelle immer mehr seinen Schülern, bis er am 9. Oktober 1841 verstarb. So konnte Schinkel nicht mehr für den neuen König tätig sein, obwohl dieser als Kronprinz einer seiner Bewunderer gewesen war. Zwischen vielen Schinkelschülern übernahmen insbesondere zwei begabte junge Architekten den Platz des Meisters: Friedrich August Stüler (1800-1865) und Ludwig Persius (1803-1845). Der Erstgenannte war für die Berliner Baustelle und der andere für Potsdam verantwortlich. Diese Arbeitsteilung entsprach offensichtlich der Meinung des Königs. Kein einziger Architekt - mochte er noch so talentiert sein - konnte Schinkel völlig ersetzen. Friedrich Wilhelm IV. war kein gewöhnlicher Auftraggeber. Nicht nur, weil er regierte, sondern auch, weil er so viel Leidenschaft für die Architektur hegte, wurde er häufig „König-Architekt" genannt1. Er zeichnete, skizzierte und, obwohl er seinen Architekten die wirkliche Planungsarbeit überließ, hatte fast immer eine sehr klare Idee davon, was zu bauen war. Mit Schinkel war er in voller Übereinstimmung, und diese enge Beziehung ließ auch einige Missverständnisse entstehen, wie zum Beispiel, dass er ein weiterer Schüler Schinkels gewesen sei2. Friedrich Wilhelm war dagegen kein wirklicher Schüler Schinkels. Er vertrat eher mit ihm eine Vision der Architektur und der Landschaft, die vor allem der italienischen Erfahrung entstammte. Wie bekannt, reiste Schinkel zweimal nach Italien: zum ersten Mal zwischen 1803 und 1805 und dann 1

Friedrich Wilhelm IV., Künstler und König, hrsg. von Peter Betthausen, Potsdam 1995. Schinkel wäre nicht Zeichenlehrer Friedrich Wilhelms gewesen und die Leidenschaft für Italien wäre ursprünglich viel mehr von der Persönlichkeit des französischen Architekten Pierre-François-Léonard Fontaine inspiriert. Vgl. Rolf H. JOHANNSEN, Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Von Borneo nach Rom. Sanssouci und die Residenzprojekte 1814 bis 1848, Kiel 2007, S. 28; siehe auch Andrea MAGLIO, L'Arcadia è una terra straniera. Gli architetti tedeschi e il mito dell'Italia nell'Ottocento, Napoli 2009, S. 95 ff. 2

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wieder im Jahre 18243. Diese Erfahrungen waren sehr wichtig fur die Entwicklung seiner Architekturauffassung, denn die Vorbilder seiner Werke wie auch sein Gestaltungen waren sehr häufig italienisch. Friedrich Wilhelms Interesse für Architektur kann nicht vom Interesse für Italien separiert betrachtet werden. Die beiden Visionen ergänzen einander. Im Archiv des Königs, bei der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg im Neuen Palais zu Potsdam, findet sich eine große Anzahl von Zeichnungen, Skizzen und Entwurfsideen, die eine einheitliche Vision der Architektur, der Stadt und der Landschaft vermitteln. Auch wenn die Blätter meistens nicht datiert und schwierig datierbar sind, bestätigen sie, dass Friedrich Wilhelm auch vor seiner ersten Reise nach Italien schon „italienische Phantasien" zeichnete, so dass es nicht übertrieben ist zu behaupten, dass er, ohne dieses Land besucht zu haben, schon früh eine Sehnsucht nach Italien empfand. Als er 1823 die Prinzessin Elisabeth von Bayern heiratete, war das am meisten gewürdigte Geschenk ein auf Veranlassung von Jacob Salomon Bartholdy (1779-1825), dem preußischen Generalkonsul in Rom, vorbereitetes Vermählungsalbum, in dem Zeichnungen, Aquarelle und Ölgemälde von verschiedenen Künstlern (vom Maler Franz Ludwig Catel und den Architekten Johann Gottfried Gutensohn, Joseph Thürmer und Leo von Klenze) gesammelt waren. Die abgebildeten Objekte sind entweder religiöse Darstellungen oder Abbildungen Italiens, ζ. B. Ansichten von Rom, architektonische Perspektiven, Landschaften und folkloristische Szenen4. Endlich, viel später als gewollt, von den Erfahrungen seiner Familienangehörigen und seines Architekten und Freundes Schinkel beeinflusst, konnte auch Friedrich Wilhelm 1828 nach Italien reisen. Das lange erträumte Land wurde enthusiastisch der Ehefrau beschrieben, die in Bayern blieb5. Die Städte und die Landschaften wurden auch literarisch erlebt, wie zum Beispiel in Lucca, wo sich der König an die Verse der Divina Commedia von Dante erinnerte6, oder auch am Trasimenischen See, wo er an die Schlacht zwischen Hannibal und den Römern dachte, wie sie Polybios beschrieben hatte7. Die wichtigste Etappe war allerdings Rom, wo viele deutsche Künstler ständig lebten. Mit etlichen von ihnen stand Friedrich Wilhelm in Kontakt, 3

Karl Friedrich Schinkel. Die Reisen nach Italien 1803-1805 und 1824, hrsg. von Georg Friedrich Koch, kommentiert von Helmut Börsch-Supan und Gottfried Riemann, Berlin 2006. 4 Das Vermählungsalbum von 1823. Zeichnungen deutscher Künstler in Italien für das preußische Kronprinzenpaar, hrsg. von Gerd Bartoschek, Potsdam 1976, 2. Aufl., 2008. ' Friedrich Wilhelm IV. Briefe aus Italien 1828, hrsg. von Peter Betthausen, Berlin/München 2001. 6 "Questi pareva a me maestro e donno/cacciando il lupo e' lupicini al monte/per che i Pisan veder Lucca non ponno": Inferno, XXXIII, 30. Dante bezieht sich auf den Berg San Giuliano, der die Aussicht in Richtung Pisa von Lucca verhindert. 7 Friedrich Wilhelm IV. Briefe (wie Anm. 5), S. 144 und 161.

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auch um ihre Werke zu kaufen. Die römischen Paläste und Villen kannte er schon durch das Choix des plus célèbres maisons de plaisance de Rome et de ses environs, das 1809 publiziert wurde und dann wieder 1824 von der französischen Architekten Percier und Fontaine herausgegeben wurde. Während seines Aufenthalts in Paris im Jahre 1814 hatte der Kronprinz das Atelier von Fontaine besucht und die Zeichnungen seines „Prix de Rome" gesehen. Da er so intensiv italienische Geschichte, Geographie und Architektur studierte, konnte man auch zu dem Schluss kommen, dass er in Italien „viel mehr erkennen würde als er kannte". Der Bereich seiner Aufinerksamkeit war auch weiter gespannt als das Interessengebiet seiner Architekten. Anders als Schinkel, ist der Kronprinz auch an den Werken aus der Zeit der Renaissance und später auch aus der Barockzeit interessiert gewesen. Rom wurde wirklich zu seiner Traumstadt. In seinen Zeichnungen findet man aber viele ideale Landschaften (die meisten vielleicht in Italien geschaffen), die mediterrane Motive aufgreifen und häufig vom Golf von Neapel inspiriert zu sein scheinen. Die südlichste Etappe war tatsächlich Neapel, gerade wegen der Landschaft und auch der antiken und modernen Architekturen bestaunt. Friedrich Wilhelm besuchte zum Beispiel das Casino der Chiatamone, wo sein Vater 1822 gewohnt hatte und das ein Vorbild für den 1825 gebauten Schinkelpavillon im Schlosspark Charlottenburg gewesen war. Das war nicht der einzige Fall, dass ein modernes Gebäude zum Vorbild wurde, weil dasselbe mit dem pompejischen Pavillon in der Villa Lucia in Neapel passierte, an das sich das 1829 von Schinkel vollendete Schloss Charlottenhof in Sanssouci anlehnte8. Nach seiner ersten Reise war Friedrich Wilhelm 1835 für zwei Wochen in Italien und reiste nach seiner Krönung noch zweimal, 1847 und zwischen 1858 und 1859 für eine längere Zeit nach dort. Begleitet wurde er von Friedrich August Stüler. Vielleicht als wichtigster Schüler Schinkels übernahm Stüler von seinem Meister einige Aspekte der Ausbildung zum Architekten, besonders die Reise nach Italien. So fuhr er zum ersten Mal 1829 mit seinem Freund Eduard Knoblauch (1801-1865) nach Italien, wo sie ein Jahr lang blieben. Obwohl Stüler auch nach Frankreich, Schweden, Ungarn, Russland und England reiste, waren nur die Reisen nach Frankreich und Italien (und teils nach England) wirkliche Studienaufenthalte, weil die anderen von architektonischen Aufträgen abhingen. Die Reise nach Italien wurde dagegen als ein unverzichtbarer Schritt betrachtet, um zu einem gut ausgebildeten Architektrai zu 8

Carlo KNIGHT, II Casino del Chiatamone, in: Napoli Nobilissma XXV (1986), S. 16-27; Fabio MANGONE, Memorie napoletane nell'opera di Schinkel, in: The Time of Schinkel and the Age of Neoclassicism between Palermo and Berlin, hrsg. von Maria Giufirè [u. a.], Cannitello (RC) 2006, S. 173-182. Siehe auch Dieter RICHTER, Napoli cosmopolita. Viaggiatori e comunità straniere nell'Ottocento, Napoli 2002.

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werden. Auch nach der zweiten Reise Schinkels 1824 galt seine erste Erfahrung vor zwanzig Jahren als Vorbild für diese erste Reise Stülers und Knoblauchs. Vor der Abfahrt gab Schinkel seinen Schülern tatsächlich einige Empfehlungen9. Fast alle Zeichnungen beider Architekten verschwanden während des Zweiten Weltkriegs, aber das erhaltene Material bot die Möglichkeit, fast den ganzen Reiseweg zurück zu verfolgen10. Wie Schinkel, fuhren sie bis nach Sizilien, wo der Meister vielleicht die wichtigsten „Entdeckungen", nämlich die sarazenische Architektur und die wunderbare Landschaft, gemalt hatte. Auf den Spuren des Meisters interessierte sich auch Stüler für die romanische Baukunst - wie seine spätere Karriere es bestätigte - , manchmal folgte er aber auch anderen Wegen. Zum Beispiel in Pompeji, wo Schinkel während seiner ersten Reise nicht gewesen war, studierte Stüler auf eine detaillierte Weise die Architektur und die Dekoration der Häuser, worüber er einige Jahre später einen Aufsatz veröffentlichte11. Im Winter 1846-1847 war Stüler wieder in Italien, aber in der Zwischenzeit veränderten sich der politische Kontext Berlins und auch seine persönliche Rolle. Nach dem Tod Schinkels und den ersten Jahren Friedrich Wilhelms IV. war Stüler einer der engsten Mitarbeiter des Königs geworden. Er war prädestiniert, zu einer der wichtigsten Figuren preußischer Architektur zu werden. Es ist erinnernswert, dass er während seiner Karriere fast 400 Gebäude und ungefähr 300 Kirchen errichten ließ. Seine zweite Reise war mit dem Entwurf des Berliner Doms und nach dem Tod Persius' 1845 auch mit den Potsdamer Bauplänen der Orangerie und des Belvedere auf dem Pfingstberg verbunden. Den Wünschen Friedrich Wilhelms folgend, sollte Stüler italienische Vorbilder der Renaissance studieren, um die Pläne in Berlin und Potsdam zu vervollständigen. Die Beziehung zwischen dem König und Stüler war nicht immer einfach, weil der Monarch nicht die gleiche „Wahlverwandtschaft" wie mit Schinkel fühlte, so dass Stüler häufig, wohl oder übel, die Zeichnungen Friedrich Wilhelms als Grundlage seiner Entwürfe benutzte12.

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Eva BÖRSCH-SUPAN/Dietrich MÜLLER-STÜLER, Friedrich August Stüler 1800-1865, München/Berlin 1997, S. 40. 10 Die erhaltenen Zeichnungen Stüters sind heute in den Archiven des Architekturmuseums der Technische Universität Berlin und des Kupferstichkabinetts zu Berlin vorhanden; Die Aquarelle sind in der Aquarellsammlung beim Plankammer, Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg enthalten. Von Knoblauch bleibt leider nur ein im Nachlass Paul Knoblauchs beim Knoblauchhaus, Stiftung Stadtmuseum Berlin, vorhandenes Notizbuch. Zu einem Katalog von Zeichnungen siehe Reiseskizzen des Architekten Friedrich August Stüler 1800-1865, hrsg. von Bernd Evers, Berlin 1995. 11 Friedrich August STÜLER, Über Dekorazion [sie!] der Zimmer zu Pompeji, in: Allgemeine Bauzeitung V (1840), S. 226-233. 12 Friedrich August STÜLER, Über die Wirksamkeit König Friedrich Wilhelms IV. in dem Gebiete der bildenden Künste, Berlin 1861; BÖRSCH-SUPAN/MÜLLER-STÜLER, Stüler (wie Anm. 9), S. 43 ff.

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Die dritte und letzte Italien-Reise Stülers fand zwischen dem Winter 1858 und dem Sommer 1859 dank einer Krankheit Friedrich Wilhelms statt. Der König erlitt in seinen letzten Lebensjahren einige Schlaganfälle, zuletzt im Oktober 1857, wonach ihm eine Ruhezeit am Tegernsee und in den Wintermonaten in Italien empfohlen wurde. Mit dem Kernig fuhr eine Reisegesellschaft von 81 Personen mit 19 Wagen mit, und Stüler rückte nun in eine wichtige Rolle als Begleiter Friedrich Wilhelms13. Obwohl das nicht der Hauptgrund war, war auch diese Reise mit vielen Berliner Entwürfen und nicht zuletzt mit der endlosen Planungsarbeit für das jetzt nicht mehr als Basilika, sondern im Stil der Renaissance geplante Domgebäude verbunden. Viel Zeit wurde vom König nicht für architektonische Besuche, sondern für andere Dinge benutzt: Um die königlichen Sammlungen zu bereichern, wurden viele Künstlerwerkstätten besucht, z. B. die von John Gibson, Pietro Tenerani, Emil Wolff, Wilhelm Matthia und der nazarenischen Maler Johann Friedrich Overbeck und Peter Cornelius14. Das südlichste Ziel war wieder Neapel, auch wegen der eigentümlichen und faszinierenden Landschaft. Trotzdem blieb Rom der Schwerpunkt der Interessen Friedrich Wilhelms und der beste Ort, um Vorbilder zu finden, so dass man auch sagen könnte, er wollte Berlin nicht zum neuen Athen, wie seine Ahnen es sich wünschten, sondern zum „Rom an der Spree" machen. Ludwig Persius war der andere Architekt, der die Baustellen nach dem Tod Schinkels 1841 übernahm, aber anders als Stüler lebte er nicht lange genug, um seine Gaben sich voll entfalten zu lassen. Er starb bereits 1845, erst zweiundvierzigjährig, und seine Fähigkeiten waren noch nicht lange anerkannt gewesen15. Er war vom König mit der Ausführung der sogenannten „Insel Potsdam" betraut worden, die mit ihren Gärten, Landschaften und Gebäuden zu einer mediterranen Insel werden sollte. Daher überrascht es, dass Persius 13

Von Bayern nach Italien. Skizzen einer Reise Friedrich Wilhelms IV. und seines Architekten Stüler, hrsg. von Evelyn Zimmermann, Potsdam 2007, S. 23. 14 Siehe auch Eine Reise durch Italien. Aquarelle aus dem Besitz Friedrich Wilhelms IV., Potsdam 2000. 15 Ludwig Persius. Architekt des Königs. Baukunst unter Friedrich Wilhelm IV., Ausstellungskatalog, Regensburg 2003; Ludwig Persius (1803-1845). Bauberichte, Briefe und architektonische Gutachten: eine kommentierte Quellensammlung, hrsg. von Andreas Meinecke, München 2007. Die erste internationale historiographische Anerkennungen des Werkes von Persius sind Henry-Russell Hitchcock und Philip Johnson zuzuschreiben: Henry-Russell HITCHCOCK, The Romantic Architecture of Potsdam, in: International Studio, May 1931, S. 46-49; DERS., The Romantic Gardens of Potsdam, in: AmericanGerman Review 9 (1935), S. 19-24. Johnson schreibt 1932 an Johannes Jacobus Pieter Oud: „Russell and I are terribly excited by German romantic architecture now and his next book will be on Schinkel and Schinkel Schueler, with expecial emphasis on Persius", in: Paolo SCRIVANO, Introduzione, in der italienischen Übersetzung, Torino 2000, S. XL; siehe auch: Henry-Russell HITCHCOCK, Architecture. Nineteenth and Twentieth Centuries, London 1958.

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die übliche Reise nach Italien so spät unternahm, weil er erst zwischen Januar und Mai 1845 nach Süden fahren konnte, bevor er am 12. Juli desselben Jahres starb. Es ist auszuschließen, dass einer der besten Schinkelschüler sowie einer der engsten Mitarbeiter Friedrich Wilhelms IV. diese Erfahrung für unwichtig hielt. Persius stammte aus einer wohlhabenden und kultivierten Familie. Sein Großvater war Pastor, sein Onkel war Hofzimmermeister und sein Schwiegervater Hofgärtner. Man kennt nicht die Gründe, warum er nicht früher reiste, aber sicher war die endlich 1845 unternommene Italienreise keine Ausbildungserfahrung, wie es fur die ersten Reisen Schinkels und Stülers gelten muss. Seine Route war vom König empfohlen, um italienische Vorbilder zu studieren und die notwendigen Baumaterialen zu kaufen. In Genua sollte zum Beispiel Persius den grünen Marmor aus Polcevera für die Potsdamer Friedenskirche kaufen, der dann aber als zu teuer empfunden wurde16. Ihm wurde empfohlen, in Rom besonders die frühchristlichen, aber auch die romanischen und byzantinischen Basiliken zu besichtigen, immer vor dem Hintergrund, die Baupläne der Friedenskirche zu optimieren. Die starke und leidenschaftliche „Sehnsucht nach Italien" Friedrich Wilhelms war symbolisch genau in der Friedenskirche bewiesen, wo in der Apsis ein authentisches, aus der Kirche von San Cipriano in Murano stammendes Mosaik eingesetzt wurde. Die vom König entscheidend beeinflusste italienische Reise der Schinkelschüler spiegelte die Art und Weise wider, eine Entwurfsmethode herauszuarbeiten. Die Entwicklung der preußischen Architektur der mittleren Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts ist ohne den „arkadischen Traum" Friedrich Wilhelms und die ständige Veränderung seines Geschmacks und seiner Interessen kaum verstehbar. Im Fall Persius ist der Filter der Wünsche Friedrich Wilhelms noch bedeutender, weil leider alle Reisezeichnungen von Persius während des letzten Weltkrieges verschwunden sind und wir heute seine Begeisterung und sein Interesse an der italienischen Architektur durch das Werk des Sohnes uns nur in etwa vorstellen können. Der zur Zeit der Rückkehr des Vaters zehnjährige Reinhold Persius (1835-1912) fuhr 1860 seinerseits nach Italien und fertigte auch Kopien der Vaterszeichnungen an17. Die Beziehung zwischen Ludwig Persius und der italienischen Bautradition ist in seinen Potsdamer Werken ohne Mühe zu erkennen, und zwar nicht nur in dem von Schinkel „geerbten" Charlottenhof, dem Gärtnerhaus und den Rö16 Brief von Persius an Friedrich Wilhelm IV., 29.01.1845, in: Ludwig Persius. Architekt des Königs (wie Anm. 15), S. 248; Ludwig Persius. Das Tagebuch des Architekten Friedrich Wilhelms IV. 1840-1845, hrsg. von Eva Börsch-Supan, München 1977, S. 120. 17 Reinhold Persius. Architekturzeichnungen von einer Italienreise 1860, hrsg. von G Adreg, Berlin 1984. Die Zeichnungen von Reinhold Persius sind in der Plansammlung der Technischen Universität Berlin vorhanden.

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mischen Bädern, sondern auch in den von ihm geplanten Villen, wie Villa Schöningen und Villa Persius, oder in dem danach von Ludwig Hesse, Friedrich August Stüler und Ferdinand von Arnim geplanten Schloss Lindstedt. Stüler und Persius sind nicht die einzige Schinkelschüler, die eine wichtige Rolle am Hof spielten, aber sicher gab es fur andere Architekten bis zum Tod Stülers 1865 allenfalls einen Platz als sekundäre Figuren. Danach wurde die Leitung der Mehrheit der bisherigen Stülerschen Baustellen von einem anderem Schinkelschüler, Johann Heinrich Strack (1805-1880), übernommen. Obwohl er nur fünf Jahre jünger als Stüler war, lebte er fünfzehn Jahre länger und gewann einen wichtigen Platz am Berliner Hof. Vor dem Tod Stülers arbeitete Strack trotzdem viel mehr fur private Auftraggeber, wie zum Beispiel den Unternehmer August Borsig, und dann auch für den Prinzen Friedrich, Sohn von Wilhelm und Neffe Friedrich Wilhelms IV. Die Deutsche Bauzeitung bezeichnete ihn 1870 als jenen Künstler, in dem die Tradition Schinkels am reinsten und edelsten bis in die Gegenwart fortlebe18. Dieses Urteil bezieht sich besonders auf den Entwurf der 1873 eingeweihten Siegessäule in Berlin, die vielleicht das bekannteste Werk Stracks ist und die direkt aus der klassischen Bautradition der Schinkelschule stammt19. Strack war dreimal in Italien, zum ersten Mal 1838 und zum zweiten Mal 1853-1855 als Begleiter von Prinz Friedrich. Anders als geplant, war er zum dritten Mal nach 1864 wieder in Italien, wie ein Tagebuch es bestätigt20. Tatsächlich zeigten einige Ergebnisse seiner Reisen einen nicht unbedeutenden Unterschied zu der Erfahrung Schinkels auf. Nicht zuletzt wurde die tiefgreifende Arbeit Stracks in Pompeji von seinem Meister viel weniger geschätzt Von der Zeit Schinkels bis zu der Stracks hatte sich das allgemeine Bild von Pompeji allmählich verändert. Die Altertumsvision Winckelmanns als eine harmonische und ideale Welt wurde von einer anderen ersetzt, die auch schon vor Nietzsche die tragischen Aspekte erkannte. Dieser neue Gesichtspunkt war gewaltig von der ästhetischen Kategorie des Erhabenen beeinflusst, wie es seit 1757 im Werk von Edmund Burke Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and Beautiful und dann in den Gedanken von Kant und Schiller fassbar wurde. 1833 wurde ein für diese Tendenz repräsentatives Gemälde Der letzte Tag von Pompeji von Carl Pavloviö Brjullov beendet, und 1834 wurde der Roman The Last Days of Pompeii von Edward Bulwer-Lytton veröffentlicht. Im Gemälde von Brjullov ist die Szene von einer Empfindung des Schrecks charakterisiert, die diesen 18

Berliner Neubauten, in: Deutsche Bauzeitung 35 (1870), S. 279-280, hier: S. 279. Reinhard ALINGS, Die Berliner Siegessäule. Vom Geschichtsbild zum Bild der Geschichte, Berlin 2000. 20 Das Tagebuch findet sich im Archiv Strack der Plansammlung der Technischen Universität Berlin aber ist außer Inventar. Vgl. Andrea MAGLIO, L'Arcadia (wie Anm. 2), S. 193— 195. 19

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neuen Gesichtspunkt gänzlich erfasst. Die Werke des russischen Malers und des englischen Schriftstellers waren unglaublich erfolgreich und bewiesen, wie viel internationalen Widerhall dieses Phänomen fand Ihr Präzedenzfall war die Aufführung des Melodrams L 'ultimo giorno di Pompei von Giovanni Pacini mit einem Text von Andrea Leone Tottola 1825 im Theater San Carlo in Neapel, in dem ein Vulkan als ein höherer Eingriff des Fatums auf die menschliche Affäre zum Schluss aufstieß. Auf der anderen Seite wurden besonders während und nach der französischen Herrschaft 1806-1815 die wissenschaftlichen Studien in Pompeji fortgesetzt, wie zum Beispiel die Veröffentlichung von William Gell The Topography, Edifices and Ornaments of Pompeii 1817-1819 und dann 1824 es bewies. Die Arbeit von Johann Heinrich Strack in der toten Stadt widerspiegelte diese zwei verschiedenen Weisen, Pompeji und das Altertum zu betrachten. In seinen Aquarellen überwog eine romantische und fantasievolle Vision die Genauigkeit und die Detailtreue. Das geschah beispielweise mit dem von Strack als „kleines bedecktes Theater" bezeichneten Odeon, das mit Schauspielern und Zuschauern während einer Aufführung dargestellt wurde21. Was Strack am meisten interessierte, waren jedoch nicht die Bautypologien oder die Konstruktionsaspekte öffentlicher Gebäude und Häuser, sondern, wie Stüler vor ihm, die Wanddekorationen. Während Stüler sich immerhin auch für die Konstruktion der Gebäude interessierte, galt das für Strack viel weniger. Dagegen war seine Arbeit über die Wanddekorationen höchst interessant, auch weil er in seinen Berlina· Entwürfen und Ausführungen diese Kenntnisse und Erfahrungen häufig und gerne benutzte22. So war die Betrachtungsweise des Klassischen zweier gleichaltriger Schinkelschüler wie Stüler und Strack ganz unterschiedlich, aber in beiden Fällen orthodoxer als die des Meisters. Das Kennzeichen dieser klassischen Schablone, die auch die neoklassische Epoche überlebte, war die nach den Plänen Stülers und dann 1866 bis 1876 von Strack gebaute Nationalgalerie in Berlin. Am Anfang der fünfziger Jahre arbeiteten einige Architekten wie Martin Gropius (1824-1880) und Friedrich Adler (1827-1908) im Atelier von Strack, die die Hauptrolle in der Berliner architektonischen Szene, besonders um 1871, also vor und nach der Reichsgründung, spielen sollten. Die Architekten dieser Generation waren natürlich nicht unmittelbar Schüler Schinkels, sondern die Schüler seiner Schüler, und wurden treffend von Eva BörschSupan „Enkelschüler" Schinkels genannt23. Im Vergleich zu den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts war der soziale, politische und fachliche Kontext völlig anders, aber die Ausbildungsweise Schinkels d. h. durch eine traditio21

Archiv Strack, Plansammlung, Technische Universität Berlin [Inv. 17104]. Frauke TlETZE, Die Innendekoration Johann Heinrich Stracks (1805-1880), Berlin 2002. 23 Eva BÖRSCH-SUPAN, Berliner Baukunst nach Schinkel 1840-1870, München 1977, S. 547. 22

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nelle Italienreise, schien nicht überholt zu sein und bis zum Ersten Weltkrieg noch ein gültiges Vorbild zu bleiben. Besonders behielt Adler mit italienischen Bautraditionen eine spezielle Beziehung. Seit 1859 lehrte er zunächst als Assistent und später als Professor für Architelcturgeschichte an der Bauakademie in Berlin. So konnte er die theoretische Forschung und die praktische Arbeit miteinander verbinden. Er hat mehrere Kirchengebäude ausgeführt und gleichzeitig die Baugeschichte des Altertums und Mittelalters mit einem besonderen Bezug zu den deutschen und italienischen Backsteinbauten studiert24. Seine Reisen mit Ernst Curtius bezogen sich auch auf weitere Länder wie Griechenland und Kleinasien, in deren Verlauf er zwischen 1874 und 1881 in Olympia an den Ausgrabungen mitarbeitete25. Auch weil er ein Freund Heinrich Schliemanns war, wurde dieses Unternehmen ein Vorbild für die späteren Ausgrabungen seines Schülers Carl Humann in Pergamon. Südlich der Alpen war er zum ersten Mal vor 1864 und dann wieder 1865 bis 1866. Das besuchte Land war jetzt nicht mehr politisch geteilt, sondern von Rom aus vereinigt. Mei mehr war auf jeden Fall verändert, auch weil man für einige Teilstrecken mit dem Zug sich bewegen konnte und nun die berühmten Reiseführer, wie die von Baedeker, benutzen konnte. Seit den fünfziger Jahren hatte Thomas Cook schon die ersten Gruppenreisen organisiert. Es ist kein Zufall, dass das einzige Reiseschriftstück Adlers in Neapel geschrieben wurde, das mit seiner Umgebung der einzige abenteuerliche Teil der Reise darstellte. Der Besuch in der anders als heute identifizierten Höhle der Sibylle von Cumae wurde als eine geheimnisvolle und suggestive Erfahrung vorgestellt, während die Exkursion nach Paestum als ganz gefährlich betrachtet wurde, auch weil vor weniger Zeit der englische Maler William Moens in Gefangenschaft von Banditen geraten und danach für vier Monaten dort geblieben war26. In Neapel wurde auch die erste Eisenbahnstrecke Italiens gebaut, die anfangs seit 1839 bis nach Portici und seit 1844 bis Pompeji und Nocera und nach der nationalen Vereinigung bis Salerno verlief. Trotzdem schrieb er, dass Neapel vielleicht wegen seiner barocken Stimmung weniger interessant als Florenz und Rom sei. Die Reise Adlers verband so die klassische Mythologie und die moderne Infrastruktur, und man konnte sie deshalb als bedeutungsvoll betrachten. Die erneuerte und ausschließliche Vorliebe für antike und mittelalterliche Archi24

Was Italien betrifft, siehe Friedrich ADLER, Reise nach Oberitalien zur Erforschung kleiner Backsteinbauten. Die Kirche von Crema, Vortrag im Architekten-Verein Berlin, Oktober 1864. Siehe auch: Eva BÖRSCH-SUPAN, Berliner Baukunst (wie Anm. 24), S. 549. 25 Uwe KIELING, Berlin. Bauten und Baumeister. Von der Gotik bis 1945, Berlin 2003, S. 285-286. 26

F r i e d r i c h ADLER, R e i s e b r i e f e a u s Italien, in: D e u t s c h e B a u z e i t u n g 9 - 1 3 ( 1 8 6 7 ) , S. 7 0 - 7 2 , 82-85, 94-96, 114-117.

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tektur bezeichnete den Unterschied seiner Generation mit der Zeit Friedrich Wilhelms IV., der sich auch für Renaissance und Barock interessierte. Es ist bedeutsam, dass neben der Kirche von Crema das einzige von Adler studierte Baudenkmal das Pantheon zu Rom war. Er legte einen Plan vor, das Gebäude zu restaurieren, um es zum ursprünglichen Zustand zurückzuführen27. Die nächste Generation der wichtigsten Architekten Berlins kam nicht unbedingt aus der neuen Reichshauptstadt, sondern auch aus der Provinz und aus anderen deutschen Städten. Das ist der Fall von Franz Heinrich Schwechten (1841-1924) aus Köln, der 1861 bis 1869 an der Berliner Bauakademie unter der Betreuung von Adler studierte, während er für kurze Zeit mit Stüler und dann mit Martin Gropius arbeitete28. Seine Tätigkeit fiel zeitlich mit dem Kaiserreich Wilhelms II. zusammen, und beide waren Förderer des neuromanischen Stils, den Schwechten ohne Schwierigkeiten mit der Benutzung moderner Materialien und Konstruktionen bestehen ließ. Das galt besonders im Fall seiner industriellen Bauten und seiner am Beispiel des Anhalter Bahnhofs verkörperten Arbeit für die Eisenbahn. Was von der Schinkelschen Tradition noch übrig blieb, war die auch jetzt noch gewöhnliche Ausbildung durch eine Italienreise. Nach Italien reiste Schwechten mindestens sechsmal. Die erste Reise 1869 bis 1870 war am lehrreichsten und prägendsten. Die wichtigsten besuchten Orte waren Rom und Florenz, sein Interesse schloss jetzt byzantinische Architektur und Kunst ein, die er mit besonderer Aufmerksamkeit studierte. In seinem bekanntesten Gebäude, d. h. in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, findet man häufig Niederschläge dieser Forschungsarbeit. Die Kirche stellt eine auffallende, eklektizistische und bis dahin unbekannte Mischung aus romanischem und byzantinischem Stil dar. Letzteren studierte der Kölner Architekt in Ravenna, wo er sich 1869 und 1901 aufhielt, und vielleicht in Sizilien, wo er möglicherweise 1896 reiste29. Die Reisen Schwechtens zeigten, dass sich ein Architekt in mancher Hinsicht nicht völlig anders als ein kultivierter und gebildeter Reisender verhielt und sich nicht gar so weit von anderen intellektuellen Kategorien, wie Maler, Schriftsteller, Diplomaten, Aristokraten usw. weg bewegte. Der Unterschied bestand in der Fähigkeit, das Untersuchungsfeld zu entdecken, um eine neue Inspiration für in der Heimat gebaute oder zu bauende Gebäude, Stadträume und Landschaften zu finden. So gab die Reise nach Italien einen Filter, durch 27

DERS., Das Pantheon zu Rom, Berlin 1871. Peer ZlETZ, Franz Heinrich Schwechten. Ein Architekt zwischen Historismus und Moderne, Stuttgart/London 1999; Wolfgang Jürgen STREICH, Franz Heinrich Schwechten 1841-1924, Petersberg 2004. 29 Die Zeichnungen Schwechtens finden sich teils im Archiv Schwechten, Technische Universität Berlin, und teils im Geheimen Staatsarchiv Berlin. Schwierig ist eine genauere Datierung, weil bisher kein Tagebuch und kein schriftliche Dokument gefunden wurden und weil einige Zeichnungen undatiert sind. 28

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den man die Entwicklung der Berlina· Bauschule von Schinkel bis Schwechten und die Dialektik zwischen Überlieferung und Innovation analysieren kann. Die verschiedenen, jeweils im Lauf des 19. Jahrhunderts angewandten Stile - klassisch, gotisch, romanisch, frühchristlich, byzantinisch, Renaissance, barock - konnten mit der italienischen Erfahrung verbunden werden. Schinkel hatte zwei wichtige Reisetypologien der Berliner Architekten bestimmt. Die eine Typologie beruhte auf einem abenteuerlichen, bewegenden und überraschungsvollen Erlebnis, und die andere beruhte auf der reifen Erfahrung eines Fachmannes, der nach Inspiration für seine Entwürfe suchte. Die hier betrachteten Architektenreisen, die nur eine begrenzte Auswahl waren, gehörten zu diesen Kategorien. Ein anderes Reisemodell stellte die Figur der architektonischen Archäologe dar, die sich der Arbeit an den antiken Monumenten überwiegend aus rein theoretischen Gründen widmete. So wirkten Leo von Klenze, Jakob-Ignaz Hittorff und viel später Carl Weichardt. Außer einigen wenigen Ausnahmen wie die Arbeit Stülers in Pompeji, die auf jeden Fall mehr einen künstlerischen Sinn gewann, gab es bei Berliner Architekten fast kein Beispiel für dieses Modell. Vielmehr konnten einige Ähnlichkeiten mit literarischen Vorbildern nachgewiesen werden, besonders mit dem der urtypischen Reise nach Italien von Johann Wolfgang Goethe, die Schinkel selbst gut kannte30. Eine Eigenschaft der deutschen reisenden Architekten war ihre Freiheit, die fast immer ihren französischen Kollegen fehlte, weil sie an die institutionelle Organisation des Prix de Rome gebunden waren. Die pensionnaires hatten ein genaues Programm zu absolvieren, während die Deutschen ihre Etappen und das Objekt ihrer Arbeit frei auswählen konnten. So waren die „Wiederentdeckungen" deutscher Architekten im Laufe des Jahrhunderts viel mehr etwas Persönliches und nicht an die akademischen Anforderungen, sondern an die eigene Weltanschauung gebunden. In diesem Sinn wurde häufig die Reise wie schon fur Goethe und dann für Schinkel zu einer Entdeckung. Demzufolge wurden das durchfahrene Land, die Bewohner und das Alltagsleben stark idealisiert, als ob es keine Sozialkonflikte und grundsätzlich keine Probleme gegeben habe. Diese Haltung spiegelte sich in den Wörtern wider, mit denen man dieses Land beschrieb: „Land der Wunder", „heilige Erde", „gelobtes Land", „heilige Mutter der Kunst" usw. Diese ideale Vorstellung war so tief verankert, dass sie auch bittere Enttäuschungen erzeugen konnte. Das war da- Fall Goethes, der nach seiner zweiten Italienreise traurig schrieb: „Das ist Italien nicht mehr, das ich mit Schmerzen verließ".

30

María EKXLEBEN, Goethe und Schinkel, in: Karl Friedrich Schinkel und die Antike, Stendal 1985, S. 20-32.

Arno Breker zwischen Paris, Rom und Berlin Von

Ralph-Mihlas Dobler Der Bildhauer Arno Breker gehört zu den umstrittenen Gestalten der Kunst des 20. Jahrhunderts1. Als Lieblingsbildhauer des Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler hat er sich an den Gräueltaten des Dritten Reiches zwar nicht aktiv mitschuldig gemacht, seine Plastiken dienten jedoch der Propaganda, insbesondere der Verbreitung und Verherrlichung des idealen Bildes eines reinrassigen, arischen Menschen. Eine Aufnahme in den deutschen Kanon der Bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts hat Breker daher nicht gefunden. Im Unterschied zu vielen Künstlern des Dritten Reiches begann die Karriere des Bildhauers allerdings nicht mit der Machtergreifung im Jahr 1933 und endete auch nicht abrupt mit dem Untergang des Regimes im Jahr 1945. Nach seinem Studium an der Düsseldorfer Akademie und ersten Auftragsarbeiten ließ Breker sich 1927 in Paris nieder und stellte enge Verbindungen zu den dortigen Intellektuellen und Künstlerkreisen her. Im Jahr 1932 erhielt er den Rom-Preis des preußischen Kulturministeriums, der mit einem Stipendium an der römischen Villa Massimo verbunden war. Arno Breker unternahm Studienreisen nach Florenz und Neapel und kehrte erst 1934 von Italien nach Deutschland zurück. Recht schnell übernahm er erste Aufträge seitens der NS-Regierung. 1937 erhielt Breker den Professorentitel und trat in die Partei . 2

ein . Spätestens 1938 war er zum bedeutendsten Bildhauer des Nationalsozialismus avanciert. Durch die Besetzung Frankreichs 1940 wurde Arno Breker mit seiner ehemaligen Wirkungsstätte unter ganz andern Vorzeichen konfrontiert. Nach dem Kriegsende als Mitläufer eingestuft, nahm er recht schnell wieder die Arbeit in Deutschland auf. Anstelle des Staates wurden nun Pri1

Die Literatur zu Arno Breker ist in den letzten Jahren stark angewachsen. Eine ausführliche Biographie findet sich in Jonathan PETROPOULOS, The Faustian Bargain. The Art in Nazi Germany, London 2000, S. 218-253; aufgrund der zahlreichen Abbildungen für einen Überblick über das Werk unabdingbar ist Dominique EGRET, Arno Breker. Ein Leben für das Schöne, Tübingen 1996 (das Buch ist im als rechtsextrem eingestuften Grabert-Verlag erschienen); einen großen, den Künstler und sein Werk feiernden Fotoband liefert Volker G PROBST, Arno Breker. Der Prophet des Schönen. Skulpturen aus den Jahren 1920-1982, München 1982; zu den neuesten Publikationen gehören schließlich die Aufsätze im Schweriner Ausstellungskatalog: Zur Diskussion gestellt: Der Bildhauer Arno Breker, hrsg. von Rudolf Conrades, Schwerin 2006. 2 Bernd KASTEN, Arno Breker im Dritten Reich, in: Zur Diskussion gestellt (wie Anm. 1), S. 86-101, hier S. 87.

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vatpersonen und Industrie zu seinen Auftraggebern. Im Jahr 1981 misslang in Paris der Versuch, das Werk Brekers durch eine Ausstellung zu würdigen. 1986 beauftragte der Kunstsammler Peter Ludwig Arno Breker mit je einer Porträtbüste von sich und seiner Frau. Als er ankündigte, die Werke öffentlich ausstellen zu wollen, entspann sich eine weitreichende Debatte, ob „NaziKunst" im Museum gezeigt werden dürfe3. Noch die Schweriner Schau im Jahr 2006 demonstrierte, welch heftige Reaktionen Werke des Bildhauers erzeugen können4. Breker selbst sah sich rückblickend nie als Künstler, dessen Ziel es war, die Ideologie des Nationalsozialismus zu visualisieren, sondern als einer von vielen, „die sich nicht aus dem Zusammenhang der europäischen Kultur herausreißen ließen"5. Tatsächlich ist es eben jene europäische Tätigkeit, welche durch die etablierten Kontakte, die Prägung durch internationale Künstler und die weit über den Nationalsozialismus hinausreichende Schaffensperiode immer wieder zu einer Auseinandersetzung mit dem Fall Arno Breker reizt und in die Bewertung seines Œuvres einfließt. Der Erfahrungsraum Europa hatte für diesen im 20. Jahrhundert tätigen Künstler sowie für seine außerordentlich kontroverse Einschätzung eine besondere Signifikanz.

Paris 1927-1932 Die Kulturnation Frankreich war im frühen 20. Jahrhundert auf dem Sektor der Bildenden Künste ein Vorreiter, an dem sich die jungen Künstler orientierten, insbesondere, um sich vom wilhelminischen Klassizismus und Historismus in Deutschland abzusetzen. Diese Attraktivität hielt auch nach dem Ersten Weltkrieg an, wie nicht zuletzt das Beispiel Brekers zeigt, der in seinen Erinnerungen ein wohl treffendes Bild des umtriebigen Kulturlebens in Paris zeichnet6. Im Jahr 1929 wurde über Arno Breker ein Artikel in der Zeitschrift „Die Kunst" veröffentlicht7. Es handelt sich hierbei um die erste Publikation auf nationaler Ebene zum Werk des Bildhauers. Darin wird dessen „Wirklichkeitsform" gelobt, da sie nach den „Übersteigerungen des Expressionismus" und über einen „flachen Naturalismus" hinaus der Kunst einen neuen Weg weise. Insbesondere in den Leistungen auf dem Gebiet der Porträtkunst des seit 1927 in Paris lebenden Künstlers erkannte man eine Fortsetzung dessen, was mit Aristide Maillol begonnen hatte. Bei seiner Orientie3

Nazi-Kunst ins Museum?, hrsg. von Klaus Staeck, Göttingen 1988. Zur Diskussion gestellt (wie Anm. 1). 5 Arno BREKER, Im Strahlungsfeld der Ereignisse 1925-1965, Preußisch Oldendorf 1972, S. 135. 6 Ebd., S. 27-72. 7 Luise STRAUS-ERNST, Der Bildhauer Arno Breker, in: Die Kunst 59 (1929), S. 370-375. 4

Dobler, Arno Breker zwischen Paris, Rom und Berlin

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rung an dem Franzosen entsprach Breker ganz den Empfehlungen von Julius Meier-Graefe und Harry Graf Kessler, die in Deutschland das Bild Maillols als modernen Künstler geprägt hatten®. Dies führte dazu, dass Maillol im Nachbarland bald bekannter war als in seiner Heimat. Man sah in seinen Schöpfungen das „Gesunde", „Schöne" und „Griechische" verkörpert9. Es wundert daher nicht, dass auch Arno Brekers Frauenfiguren der zwanziger Jahre Ähnlichkeiten zu den abstrahierten Akten des französischen Meisters zeigen10. Die Körper sind formal vereinfacht und ruhen unter Verzicht auf narrative Elemente in sich. Die Harmonie der Massen und die Gestaltung von Volumen stehen im Vordergrund des bildhauerischen Interesses, das auf eine Anlehnung an den antiken Kanon oder auf die Individualisierung weitgehend verzichtet (Abb. 1). Dabei scheint Breker in der Abstraktion der Köpfe teilweise noch einen Schritt über Maillol hinaus gehen zu wollen. Ganz anders präsentiert sich der Bildhauer allerdings bei der Darstellung männlicher Körper. Sein „Torso des David"11 oder insbesondere der „Akt mit gebeugten Armen"12 verraten das Studium der Antike im Pariser Louvre13. Zu Recht wurde bemerkt, dass manche der nackten Jünglinge Brekers auch auf Werke des Deutschen Adolf von Hildebrand rekurrieren14. Jener hatte in seinem , Jungen Mann" von 1881-1884 in der Berliner Nationalgalerie einen aufrecht stehenden Jüngling geschaffen, der in unantiker Pose die linke Hand in die Hüfte stützt. Dem bildhauerischen Gedanken ähnelt etwa Brekers „Stehender Jüngling" von 1929, der die Beine überkreuzt, ein Motiv, mit dem der Bildhauer bereits 1928 experimentierte15. Einen bleibenden Eindruck auf Breker hinterließ ein weiterer Künstler, dessen Werk wenig mit Maillol oder Hildebrand gemein hat: August Rodin, in dessen Atelier ein Besuch obligatorisch war16. Die expressiven, teils pathetischen Figuren, deren Kennzeichen eine raue, grobe Oberflächenbehandlung o Sabine WALTER, Maillol - eine deutsche Entdeckung? Bemerkungen zur MaillolRezeption in Deutschland nach 1900, in: Von Berlin nach Weimar. Kunstgeschichte und Museum. Beiträge zu Ehren von Rolf Bothe, hrsg. von Michael Bollé [u. a.], München/Berlin 2003, Bd. 1, S. 108 ff. 'DIES., S. 120. 10 EGRET, Breker (wie Anm. 1), Abb. 1-4; Aristide Maillol, hrsg. von Ursel Berger/Jörg Zutter, München 1996. 11 EGRET, Breker (wie Anm. 1), Abb. 18/19. 12 Ebd., Abb. 29. 13 Der „Weibliche Torso" von 1927 bestätigt das Antikenstudium auch fllr Frauenakte; ebd., Abb. 27. 14 Iris KALDEN-ROSENFELD, Künstler und Chamäleon. Herleitung und Formanalyse der Bildwerke Arno Brekers, in: Zur Diskussion gestellt (Anm. 1), S. 64—85, hier S. 65. 13 EGRET, Breker (Anm. 1), Abb. 32, 40-41. 16 Im Gegensatz zu Rodin kümmerte sich Maillol um junge Bildhauer und versuchte seine Ideen zu vermitteln; Susanne KÄHLER, Maillol als Lehrer, in: Aristide Maillol (wie Anm. 10), S. 167-172, hier S. 168

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ist, finden einen Reflex in Werken wie dem „Heiligen Matthäus" von 192717. Während der sinnend nach oben gewandte Kopf an Rodins „Balzac" erinnert, rekurriert die Gestaltung des Gewandes und der Gliedmaßen eindeutig auf die berühmten ,3ürger von Calais". Aber nicht nur in der Großplastik ist Rodin ein Vorbild, auch Brekers „Kleine Tänzerin" (1929) lässt sich direkt von den „Trois Faunesses" des Franzosen ableiten18. Schließlich entfaltete Rodins Naturalismus und der bewusste Einsatz einer zerklüfteten, scheinbar unvollendeten Oberfläche eine starke Wirkung auf die Porträts von Arno Breker19. Selbst das Bildnis Joseph Goebbels' von 1937 oder die 1943 unter nationalsozialistischer Besatzung geschaffene Büste Maillols stehen in dieser Tradition. Der Stil seiner stehenden Figuren hatte sich bis dahin allerdings extrem gewandelt, wobei dem Aufenthalt in Italien katalytische Wirkung zukam. Insgesamt zeigen die in Frankreich entstandenen Werke Arno Brekers, wie intensiv jener sich mit den verschiedenen Richtungen der bildhauerischen Avantgarde beschäftigt hat. Zudem studierte er Meister wie Jean-Baptiste Carpeaux, mit dessen Schüler Charles Despiau er befreundet war, sowie die Antike. Breker sog die verschiedenen Stile auf, imitierte sie und experimentierte mit ihnen, ohne allerdings zu einer eigenen, neuen und individuellen Ausdrucksform zu gelangen.

Rom 1932-1934 Den römischen Studienaufenthalt ab 1932 erachtete Breker selbst als „schicksalhafte Wende, als Vorbereitung auf die monumentale Arbeit größten Ausmaßes, die mich erwartete"20. In der Rückschau erhielt er in Rom und Florenz die entscheidenden Impulse hinsichtlich der Einbindung von Skulptur in den Urbanen Raum und der Verbindung von Plastik und Architektur. Nicht zufällig sind fast keine Werke aus dem ersten Italienaufenthalt erhalten. Der Bildhauer nutzte die Zeit zum Studium. Tatsächlich betrat Breker in Rom Neuland, denn die dort überall präsente Antike sowie die übermächtigen Werke der Renaissance und des Barock hatten formal wenig gemein mit seinem bisherigen Umfeld. Ebenso wenig konnte der Bildhauer wahrscheinlich die massiven Eindrücke, die noch heute den Romreisenden überwältigen, sofort verarbeiten und im eigenen Werk umsetzen.

17

Claudia SCHÖNFELD, Breker und Frankreich, in: Zur Diskussion gestellt (wie Anm. 1), S. 102-145, hier S. 112 f. 18 Ebd., S. 107. 19 EGRET, Breker (wie Anm. 1), Abb. 20-24. 20 BREKER, Strahlungsfeld (wie Anm. 5), S. 73.

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Das Klima in der Ewigen Stadt war vom Faschismus geprägt, der 1932 in der „Mostra della Rivoluzione Fascista" sein zehnjähriges Bestehen feierte. In den autobiographischen Zeugnissen hält Arno Breker Abstand zu diesen politischen Ereignissen. Hingegen lobt er Henriette Hertz und ihre Freundin Frieda Mond dafür, eine kunsthistorische Forschungsbibliothek gegründet zu haben. Mit deren Direktor Ernst Steinmann, einem MichelangeloSpezialisten, pflegte Arno Breker intensiveren Kontakt Vieles spricht dafür, dass sich Breker intensiv für den Renaissance-Bildhauer interessierte und die Zeit in Italien vor allem nutzte, um den Meister zu studieren. Michelangelo hatte noch für Rodins Opus größte Bedeutung gehabt, womit ein Zugang zur Kunst Italiens selbst aus der französischen Tradition kommend durchaus gegeben war21. Aus dem Kontakt mit Emst Steinmann resultiert eine von der Kunstgeschichte weitgehend anerkannte Rekonstruktion der „Pietà Rondanini". Michelangelo hatte die erste Fassung der Beweinungsszene bis kurz vor seinem Tod 1564 überarbeitet und dabei zerstört. Nachdem Steinmann mit Breker eine gemeinsame Besichtigung der Skulptur organisiert hatte, erkannte letzterer den „Schlüssel zur Rekonstruktion"22. Am nächsten Tag fertigte der Bildhauer vor dem Original ein verkleinertes Modell und in der Folge eine erste Rekonstruktion im gleichen Maßstab. Diese beiden bislang unpublizierten Plastiken sind aus Gips gearbeitet und gingen in den Besitz von Ernst Steinmann über (Abb. 2)23. Eine zweite Version des vermeintlich ursprünglichen Zustands der Skulptur gilt weiterhin als verloren und ist nur in Abbildungen überliefert, die 1935 publiziert wurden.24 Die Fotographien geben leider keinen Aufschluss über die Größe der Figurengruppe, die Ausarbeitung deutet jedoch darauf hin, dass es sich um die endgültige Fassung handelt. Einen Abguss davon machte Steinmann dem Besitzer der Pietà Rondanini, Graf Roberto Vimercati Sanseverino, zum Geschenk25. Erst später entstanden die bekannten Bronzeabgüsse nach verkleinerten Modellen der originalen und der rekonstruierten „Pietà Rondanini"26. Im Vergleich mit den in Rom gefer21

Auch in den Erinnerungen Arno Brekers fehlt dieser Gemeinplatz der Kunstgeschichte nicht; BREKER, Strahlungsfeld (wie Anm. 5), S. 229. 22 „,Was meinen Sie?' unterbrach Steinmann die Stille. ,Ich glaube, daß ich den Schlüssel zur Rekonstruktion in den Händen habe'"; DERS., S. 75. 23 Kunstbesitz der Bibliotheca Hertziana Rom, inv. Β 20005 und Β 20011. Ich danke Julian Kliemann und Oliver Lenz für die gewährte Hilfe sowie Gabi Fichera für Fotoaufhahmen. Fritz BAUMGART, Die Pietà Rondanini, in: Jahrbuch der Preuszischen Kunstsammlungen 56 (1935), S. 44-56, hier: Abb. 5 und 6. 25 Jahresbericht der Bibliotheca Hertziana 1932/33, S. 7.

1ft

PROBST, Breker (Anm. 1), S. 144 und 145. Bei Egret ist ein weiteres Tonmodell publiziert, dessen Zustand nahelegt, dass es nach dem ersten Rekonstruktionsgips, der sich heute in der Bibliotheca Hertziana in Rom befindet, gefertigt wurde; EGRET, Breker (wie Anm. 1), Abb. 77. Die endgültige Fassung der Rekonstruktion bleibt bislang nur im Bild überliefert.

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tigten Gipsen vermögen diese nur einen vergleichsweise geringen Eindruck von Brekers Schaffen zu geben. Sie erinnern in ihrer Ausarbeitung eher an Rodin als an Michelangelo. Die römischen Rekonstruktionen zeigen indessen Brekers ausfuhrliches Studium der Werke Michelangelos. Die Kunsthistoriker Ernst Steinmann, Adolph Goldschmidt und Max Friedländer sollen laut Breker umgehend die Richtigkeit der Wiederherstellung bestätigt haben.27 Steinmann war tatsächlich voller Lob: „Es ist einem deutschen Bildhauer, Herrn Breker zu verdanken, wenn es gelang, von diesem mehrfach verstümmelten Marmorblock die ursprüngliche Intention Michelangelos abzulösen. Herr Breker hat mit großem Geschick und man darf wohl sagen mit überzeugendem Erfolg eine Rekonstruktion der Pietà in Gips herstellen können f...]" 28 . Arno Breker erwähnt Schwierigkeiten bei der Arbeit, da die Skulptur Michelangelos in einer Nische stehe und die Rückseite nicht sichtbar sei. Entsprechend ist diese bei den beiden erhaltenen Modellen Brekers nicht ausgearbeitet. Die erste Rekonstruktion in Gips zeigt jedoch, dass Breker eine Zeichnung Michelangelos in Oxford von Hilfe war, in welcher die später gefasste Idee bereits recht genau vorweggenommen ist29. Zudem stand Breker, als er die kleine Plastik modellierte, offenbar unter dem Eindruck der kraftvollen Leiber Michelangelos, denn die Bauchmuskeln des toten Jesus sind angespannt und in deutlichen Wölbungen ausgeführt. Auch ist der Kopf des Gottessohnes noch unnatürlich stark nach hinten geneigt. Erst in der zweiten Version, die nur noch im Bild erhalten ist, fällt das Haupt glaubhafter auf die Schulter und die Rumpfinuskeln wirken leblos. Bereits im Modell der ersten Rekonstruktion ist das Motiv eines um die Brust gelegten Bandes verwendet, das einen Vorgänger in Michelangelos „Florentiner Pietà" oder in dem Gemälde der „Grablegung Christi" findet. Im Juni 1933 reiste Joseph Goebbels nach Italien, um dort die faschistische Propaganda zu studieren30. Zu den Programmpunkten seiner Reise zählten auch eine Rede vor den Auslandsdeutschen sowie ein Besuch der Villa Massimo31. Dort wurden ihm die Stipendiaten vorgestellt, mit denen er individuelle Gespräche führte. Auch Arno Breker traf hier erstmals mit dem Propagandaminister zusammen und bemerkte „die strenge Zucht" in dessen Sprache, die er dem Studium Stefan Georges zuschrieb32. Im April 1934

27

BREKER, Strahlungsfeld (wie Anm. 5), S. 76. Jahresbericht der Bibliotheca Hertziana 1932/33, S. 7. 29 BAUMGART, Pietà Rondanini (Anm. 24), S. 54, Abb. 7. 30 Jens PETERSEN, Hitler-Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom 1933-1936, Tübingen 1973, S. 184. 31 Breker war bei beiden Veranstaltungen zugegen; BREKER, Strahlungsfeld (wie Anm. 5), S. 77 ff. 32 DERS., S. 79. Goebbels selbst bemerkt in seinem Tagebuch (4. Juni 1933) nur: „Deutsche Akademie. Kurzer Besuch. Herrliche Anlage. Da lässt sich leben."; Die Tagebücher 28

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kehrte Arno Breker nach Jahren im Ausland nach Deutschland zurück, wo inzwischen Adolf Hitler die Macht ergriffen hatte33. Laut dem Bildhauer spielte dabei weder das Zusammentreffen mit Goebbels noch Sympathie fur den Nationalsozialismus eine Rolle. Vielmehr hätten ihn Wilhelm Hausenstein und Max Liebermann - beide dem Regime gegenüber kritisch eingestellt - gebeten, auf dem Gebiet der Kunst „zu retten, was zu retten ist in dieser neuen politischen Lage"34. Hausensteins Drängen soll auch der Grund für Brekers Niederlassung in Berlin gewesen sein35. Der Bildhauer dürfte in Rom allerdings mehr als nur den „beunruhigenden Schatten" aus der Heimat wahrgenommen haben36. Abgesehen von der bekannten Faszination der NSDAP für das faschistische Italien und dessen Vorbildlichkeit bei der Etablierung eines Führerstaates war den Italiendeutschen wahrscheinlich genau bewußt, welche Ideologie die neuen Machthaber verfolgten. Steinmanns lobende Beschreibung Brekers als „deutschen Bildhauer" folgte innerhalb seines Berichtes 1933 einer Schilderung der Feier des Führergeburtstages im Goethesaal der Bibliotheca Hertziana. Zu jener waren auch Franz von Papen und Hermann Göring erschienen, die in patriotischen Reden eine Vorstellung von dem vermittelten, „was heute in Deutschland alle Gemüter bewegt"37. Ob für die Deutschen in Italien daher selbst nach dem Besuch Goebbels' im Juni 1933 die Machtübernahme „undurchschaubar und verwirrend" war, ist fraglich38. Gemeinsam mit Ernst Steinmann erlebte Breker in Rom am 1. Oktober 1933 auch noch den Amtsantritt von Werner Hoppenstedt als zweiten Direktor der Bibliotheca Hertziana39. Jener war ein Nationalsozialist der ersten Stunde und hatte bereits 1923 am versuchten Hitler-Putsch teilgenommen40. Dem späteren Direktor des Kulturwissenschaftlichen Institutes kam beim kulturellen Austausch zwischen den beiden Regimes eine Schlüsselposition zu. In Italien sollte er in dm ersten Jahren die Kontakte zwischen

von Joseph Goebbels, Sämtliche Fragmente, hrsg. von Elke Fröhlich, Bd. 2, MUnchen 1987, S. 428. 33 „Ende April fuhr ich von Rom über Venedig, [...], nach München"; BREKER, Strahlungsfeld (wie Anm. 5), S. 79. 34 Arno BREKER, Im Strahlungsfeld der Ereignisse 1925-1965, Preußisch Oldendorf 1972, S. 79. 35 36

Breker, Strahlungsfeld (wie Anm. 5), S. 80 f.

DERS., S. 74. 37 Jahresbericht der Bibliotheca Hertziana 1932/33, S. 6. 38 BREKER, Strahlungsfeld (wie Anm. 5), S. 79. 39 Jahresbericht der Bibliotheca Hertziana 1933/34, S. 1 40 Rüdiger Hachtmann, Eine Erfolgsgeschichte? Schlaglichter auf die Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im „Dritten Reich". Ergebnisse 19 aus dem Forschungsprogramm „Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus", Berlin 2004, S. 38 (http://www.mpiwg-berlin.mpg.de/KWG/Ergebnisse/ Ergebnissel9.pdf).

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der NSDAP und dem Partito Nazionale Fascista etablieren und aufrecht erhalten41.

Berlin ab 1934 Ohne die Hoffnung auf Abnehmer seiner Werke und auf neue Aufträge hätte Arno Breker sich kaum in der Hauptstadt des Dritten Reichs niedergelassen. Zwar gibt es keine Hinweise, dass der Bildhauer von den neuen Machthabern nach Deutschland gelockt wurde, er war aber auch kein Unbekannter. Bereits im Jahr der Rückkehr arbeitete er an der Vorbereitung der „Großen Berliner Kunstausstellung 1934" mit42. 1935 war er Mitglied der vom Propagandaministerium ernannten Jury für eine Ausstellung Berliner Künstler in München43. Nach einem Wettbewerb für die Skulpturen des im Bau befindlichen Olympiastadions wurde er mit zwei über drei Meter hohen Plastiken beauftragt, die 1936 vor der Hochschule für Leibesübungen aufgestellt wurden. Der „Zehnkämpfer" und die „Siegerin" waren die ersten monumentalen Großaufträge seit längerer Zeit44. Im Gegensatz zu den im Pariser Atelier produzierten Figuren hatten sie von Anfang an einen öffentlichen Charakter. Ob dies allerdings der Grund für den offensichtlichen stilistischen Wandel im Werk Brekers war, sei dahingestellt. Ein Vergleich der in Frankreich entstandenen knabenhaften Akte mit don muskulösen Athleten fällt eindeutig aus. Auch hat die V-Form seines Oberkörpers mit breiten Schultern über schmalen Hüften wenig mit der griechischen Antike gemein. Hingegen weist der „Zehnkämpfer" bereits auf das heroische Körperbild, das später die Arbeiten des Bildhauers bestimmen sollte. Allenfalls der stilisierte Kopf mit seinen mandelförmigen Augen sowie die Nacktheit an sich erinnern an griechische Kouroi. Das Fehlen des Schreitmotivs sowie der Verzicht auf ein Lächeln zugunsten entschlossener Anspannung sprechen eine andere Sprache45. Der 41

„In der Tat erfreut sich Herr Dr. Hoppenstedt nicht nur in deutschen, sondern auch in italienischen Kreisen einer allgemeinen Beliebtheit, die natürlich auch der Bibliotheca Hertziana hoechst erwünscht sein muß. Vor allen Dingen fand Herr Dr. Hoppenstedt Gelegenheit, sich gesellschaftlich in erfolgreicher Weise zu bewaehren"; Jahresbericht der Bibliotheca Hertziana 1933/34, S. 2. 42 Magdalena BUSHART, Arno Breker (geb. 1900) - Kunstproduzent im Dienst der Macht, in: Skulptur und Macht, hrsg. von Magdalena Bushart [u. a.], Berlin 1985, S. 179-182, hier S. 180. 43 44

BREKER, S t r a h l u n g s f e l d ( w i e A n m . 5), S . 1 0 6 ff. PROBST, B r e k e r ( w i e A n m . 1), S. 56; EGRET, B r e k e r ( w i e A n m . 1), A b b . 8 5 - 8 8 ; 111—

112. Keineswegs lässt sich daher in Brekers Plastik eine Anlehnung an das berühmte Bildwerk des „Kroisos von Anavyssos" feststellen; so Hermann LEBER, Rodin, Breker, Hrdlicka. Die Entstehung der faschistischen Bildsprache und ihre Überwindung, Hildesheim [u. a.] 1998, S. 77. Jener kann höchstens dazu dienen, die Unterschiede und die neue Auf45

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eingezogene, flache Bauch, die betont nach vorn gewölbte Brust und die angespannten Muskeln des Oberkörpers vermitteln den Eindruck von gegenwärtiger Bereitschaft und Kraft. Zugleich manifestieren sich an den Beinen, insbesondere um die Knie noch immer die von Maillol beeinflussten weichen Formen. Auch die „Siegerin" bestimmt eine neue Kraft und Körperspannung. Gleichwohl besteht eine auffallende Ähnlichkeit zu Maillols 1930 entstandener Mittelfigur der „Drei Grazien"46. Abgesehen von der Nacktheit erinnert wenig an antike Götterbilder47. Man mag höchstens in den mandelförmigen Augen, der geraden Nase und dem leicht lächelnden Mund ein Zitat erkennen. Nach eigenem Zeugnis arbeitete Breker bei beiden Figuren nach lebenden Modellen. Was er bislang nur im Porträt praktiziert hatte, wandte er nun auf die Aktplastiken an, wobei er den Schritt zum Naturalismus mit einer Aufforderung des Präsidenten der Olympischen Spiele erklärt48. Allerdings bleibt zu bemerken, dass der „Zehnkämpfer" gegenüber den Gesichtszügen und dem Kopf des vermeintlichen Modells Gustav Stührk in der beschriebenen Weise idealisiert ist49. Dies und die Abkehr von den Knabenfiguren der Pariser Zeit dokumentieren den bewussten Wandel in der Gestaltungsweise Brekers, die sich in den folgenden Jahren Bahn brechen sollte. „Siegerin" und „Zehnkämpfer" wurden 1937 auf der Großen Deutschen Kunstausstellung in München präsentiert50. Ein Vergleich mit dem ebenfalls gezeigten „Jungen Streiter" von Georg Kolbe oder dem „Zehnkämpfer" von Richard Scheibe könnte ein weiteres Mal den Drang Brekers zum idealisiert Heroischen vor Augen fuhren51. Nichtsdestoweniger hätten die beiden ersten ofBfassung des Athleten hervorzuheben. Einen „Bezug zur Antike, den der Bildhauer selbst aber eher dementierte", erkennt auch Kalden-Rosenfeld; KALDEN-ROSENFELD, Künstler fwieAnm. 14), S. 72. 6 Darauf und auf Schwierigkeiten einer direkten Ableitung aus der Antike hat Claudia Schönfeld hingewiesen; SCHÖNFELD, Frankreich (wie Anm. 17), S. 118 f. Zudem war der vorgeblich porträtierte Gustav Stührk bei der Olympiade 1936 nicht präsent; Die Olympischen Spiele 1936, hrsg. vom Cigaretten-Bilderdienst Altona-Bahrenfeld, Bd. 2, Hamburg 1936, S. 50-52. Die großen Hoflhungen waren die Deutschen Huber und Bonnet. 47 Kalden-Rosenfeld möchte ein Zitat der Aphrodite von Kyrene im römischen Museo Nazionale erkennen KALDEN-ROSENFELD, Künstler (wie Anm. 14), S. 72. Abgesehen von der vergleichsweise stark abstrahierten Gestaltung der Beine und der muskulöseren Bauchpartie steht die Siegerin nicht im Kontrapost, sondern schreitet leicht nach vorn, ohne Becken- und Schulterlinie gegensätzlich zu neigen. Sehr deutlich tritt auch hier im Vergleich der Unterschied zur griechischen Antike hervor. Die etwas starr und leicht abstrakt wirkende Haltung erinnert eher an die modernen Körperbilder um 1900. 48 „Nachdem die Presse die Entscheidung des Preisgerichts bekanntgegeben hatte, sprach mich [...] der Präsident der Olympischen Spiele [...] darauf an und forderte mich auf die Aufgabe nicht ohne die Mitarbeit der Elite der Sportler durchzuführen"; BREKER, Strahlungsfeld (wie Anm. 5), S. 86. 49 KALDEN-ROSENFELD, Künstler (wie Anm. 14), S. 78, Abb. 65. 50 Grosse Deutsche Kunstausstellung 1937 im Haus der Deutschen Kunst zu München. Offizieller Ausstellungskatalog, Nr. 77, 80; Abb. 54. 51 Ebd., Nr. 406, 632; Abb. 56, 59.

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ziellen Aufträge unter dem Nationalsozialismus ohne die Erfahrungen in Frankreich und Italien nicht in der gegebenen Weise entstehen können. Arno Breker reichte die Studie für den Zehnkämpfer - nach eigener Aussage auf Aufforderung der französischen und italienischen Jurymitglieder zum internationalen Wettbewerb „Kunst der Olympiade" ein52. Das Werk wurde mit der Silbermedaille prämiiert und führte zu einer Einladung in die Reichskanzlei53. Dies dürfte der entscheidende Schritt zur offiziellen Anerkennung Brekers als Künstler des Nationalsozialismus gewesen sein. Ein Zusammentreffen mit Joseph Goebbels, der sich an die Begegnung in Rom erinnerte, führte nicht nur zur Bitte um ein Porträt, sondern zu einer Plastik für das Berliner Propagandaministerium54. Damit hatte er den ersten Auftrag seitens des NS-Regimes erhalten, der dem Schmuck des wichtigsten Ministeriums dienen sollte. Breker fertigte dafür einen „Prometheus" an. Etwa zeitgleich entstand die Plastik des „Dionysos" für das Olympische Dorf in Berlin55. Was sich beim „Zehnkämpfer" andeutete, ist hier weitergeführt. Die Beine sind federnd gelängt, der eingezogene Bauch bildet mit dem schmalen Becken eine Fläche, über der sich der imposante Brustkorb nach vorn wölbt. Die angespannten Muskeln sind im einzelnen definiert, die geballte linke Faust sowie die ausgestreckten Arme verraten die Bereitschaft, sofort in Aktion zu treten. Der nun kantig gestaltete Kopf blickt in die Ferne. Steht der „Dionysos" durch seine Aufstellung zumindest noch im Kontext von sportlichem Wettkampf und athletischer Betätigung, so ist die Aktplastik des „Prometheus" vor dem Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda eindeutig die Verkörperung eines neuen Menschenbildes56. Breker zeigte den griechischen Titan, wie er von einem Fels herabsteigt und den Menschen, die er selbst geschaffen hat, die Fackel, und damit den Göttlichen Hauch, geistige Erleuchtung und die Fähigkeit zu Zivilisation und Kultur bringt (Abb. 3). Die ikonographische Aussage im Kontext des Regimes ist eindeutig: die mythologische Gestalt, die bereits in früheren Jahrzehnten zur Darstellung des Übermenschen diente, wird zur Verkörperung nationalsozialistischer Ideologie57. Die Plastik zeigt das Idealbild des arischen Menschen58. Jeder Muskel

52

BREKER, Strahlungsfeld (wie Anm. 5), S. 87.

53

„Bei den Rundplastiken mag es nicht wenige gegeben haben, die Brekers edlen, beherrschten Zehnkämpfer Vignolis Sulkyfllhrer vorzogen, ohne daß man aber von einem Fehlurteil des Preisgerichts sprechen könnte"; Olympische Spiele (wie Anm. 46), S. 159. 54

55

BREKER, Strahlungsfeld (wie A n m . 5), S. 90 f..

PROBST, Breker (Anm. 1), S. 122; EGRET, Breker (wie Anm. 1), Abb. 91. 56 PROBST, Breker (Anm. 1), S. 158-159; EGRET, Breker (wie Anm. 1), Abb. 99-107. 57 Zu den Bedeutungen des Prometheus bei Goethe und Nietzsche Vgl. Klaus WOLBERT, Die Nackten und die Toten des „Dritten Reiches", Gießen 1982, S. 212 ff. 58 Hitler selbst deutet den Prometheus als Sinnbild des Ariers: „Was wir heute an menschlicher Kultur, an Ergebnissen von Kunst, Wissenschaft und Technik vor uns sehen, ist nahezu ausschließlich schöpferisches Produkt des Ariers [...] Er ist der Prometheus der

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des heroischen Leibes ist herausgearbeitet, abermals weitet sich der Oberkörper über einem sehr schmalen Becken zu einer starken V-Form, während der etwas zu klein erscheinende Kopf mit Kurzhaarfrisur den nordischen Typus wiedergibt „Prometheus" bringt der Menschheit aber nicht nur als Freund das ersehnte Licht. Während er mit der Rechten die Fackel drohend nach oben hält, scheint er mit dem linken Arm eine unsichtbare Gefahr abzuwehren oder beiseite räumen zu wollen. Auf diese ist auch sein entschlossener Blick mit angestrengt zusammengezogenen Augenbrauen gerichtet. Prometheus ist in einer geradezu aggressiven Aktion gegeben, während er offenbar mit einem irdischen Widersacher ringt. Es dürfte daher nicht zu weit gehen, in ihm die kämpferische und entschlossene Bewegung des Nationalsozialismus verkörpert zu sehen, die dem Volk das Licht und die damit verbundenen Implikationen bringt. Nicht grundlos stand die Bronze 1938 anlässlich der zweiten Großen Deutschen Kunstausstellung in München59. Indes erinnert das Motiv des Herabschreitens an Rodins Plastik des Schattens, die ebenfalls mit dem rechten Fuß auf einen Felsblock setzt, während das Körpergewicht auf dem linken lagert60. Bei Breker ist die Pose freilich spannungsgeladen lind der elegant gelängte Körper des Helden mahnt an Michelangelos David. Zwar sind die Muskeln anders gebildet, jedoch ähneln die entschlossene Mimik der zusammengezogenen Augenbrauen, der gerade Blick und der geschlossene Mund dem Vorbild aus der Renaissance. Zudem sind die pulsierenden Venen unter der Haut sichtbar, ein Motiv, das Bildhauer an der Florentiner Skulptur immer faszinierte. Eine übersteigerte Weiterführung von Michelangelos David ist die Personifikation der Bereitschaft"61. Sie sollte als etwa elf Meter hohe Plastik das Mussolini-Monument auf dem gleichnamigen Platz in Berlin bekrönen. 1939 war ein 3 Meter hoher Gips vollendet, der auf der Großen Deutschen Kunstausstellung gezeigt wurde62. Der Körper des Kriegers ist abermals elegant gelängt, der Fuß des linken Spielbeins steht mit den vorderen Ballen noch auf einer Erhöhung, auch er scheint herabzuschreiten und einzugreifen. Dabei zieht er mit der Rechten das Schwert aus der Scheide, die er in seiner linken Hand hält, und blickt entschlossen auf einen imaginären Gegner in der Ferne. Die konzentrierte Bereitschaft des in sich ruhenden David - die „prontezza" Menschheit, aus dessen lichter Stime der göttliche Funke den Genies zu allen Zeiten hervorsprang"; Adolf HITLER, Mein Kampf, München 1941, S. 317. 59 Grosse Deutsche Kunstausstellung 1937 im Haus der Deutschen Kunst zu München. 10. Juli—16. Oktober 1938. Offizieller Ausstellungskatalog, Nr. 105; Abb. 60. 60 SCHÖNFELD, Breker (wie Anm. 17), S. 120, Abb. 105. 61 PROBST, Breker (wie Anm. 1), S. 133; EGRET, Breker (Anm. 1), Abb. 157; Kristine POLLACK und Bernd NICOLAI, Kriegerdenkmale - Denkmale für den Krieg, in: Skulptur und Macht, hrsg. von Magdalena Bushart [u. a.], Berlin 1985, S. 74-75; Kat. 3.4. 62 Grosse Deutsche Kunstausstellung 1939 im Haus der Deutschen Kunst zu München. 16. Juli—15. Oktober 1939. Offizieller Ausstellungskatalog, Nr. 103.

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- wird zur Aktion gesteigert Am kantigen Kopf mit den zusammengepreßten Lippen erinnern in erster Linie die Haare und die zusammengezogenen Brauen an das Vorbild. Anders als dort sind jedoch die Muskeln des Körpers stärker ausgearbeitet und geradezu krampfhaft angespannt. Das Interesse Brekers lag eindeutig nicht darin, einen antiken Akt im Kontrapost zu zeigen, sondern einen überirdischen Heroen63. Tatsächlich scheint der Krieger entpersonalisiert und wie versteinert. Bedingungslose Wehrbereitschaft, selbstlose Bereitschaft zum Opfer, Kraft und das nationalsozialistische Schönheitsideal sind hier in eine zeitlose Bildform gebracht - die Bereitschaft" ist ein „Panzermensch"64. Das Ideal eines stahlharten jungen Soldaten, der um 1939 auch die gewaltsame Ausdehnung des Reiches verkörperte, ist gezeigt. Allerdings rekurrierte Breker wohl nicht zuletzt auf den alttestamentlichen Helden in Florenz, um den Bündnispartner zu ehren, für dessen Platz das Monument gedacht war. In einer geschickten Zweideutigkeit wurde in der Plastik ein neuer, faschistischer David gezeigt, der das verkörperte, was das Dritte Reich von Mussolini erwartete: Die Bereitschaft, an der Seite von Deutschland bedingungslos in den Krieg zu ziehen. Im Jahr 1940 stand die Bereitschaft" unter dem Titel „Pronto!" an zentraler Stelle im Deutschen Pavillon Biennale in Venedig65. Arno Breker war im März 1939, wohl nach der Vollendung des Modells mit Albert Speer zu einer dreiwöchigen Reise nach Süditalien aufgebrochen. Rückblickend bemerkte er: „Mein Hauptziel blieb Michelangelos David in seiner architektonischen Umwelt, wie sie nur Italien zu bieten vermag"66. Jedoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass auch die 1920 entstandene „Force de la Volonté" des französischen Bildhauers Emile Antoine Bourdelle hinsichtlich ihrer entschlossenen Mimik eine gewisse Ähnlichkeit mit der Bereitschaft" besitzt, vielleicht sogar mehr als Michelangelos David67. Zudem erinnert die Komposition an Hubert Netzers 1920 entstandenes Kriegerdenkmal in Duisburg, wo das Schwert allerdings zurück in die Scheide geschoben wird68.

63

Die Fragen von Max Imdahl sind daher wohl aus Sicht der Zeitgenossen nicht relevant gewesen: „Aber ist Uberhaupt noch vorstellbar, daß die Figur von sich aus den Kopf bewegen könnte oder daß sie noch fähig wäre, zu atmen? Wie sollte man bei alledem die Figur tlberhaupt noch als lebendiges Wesen oder gar noch als Person denken?'; Max IMDAHL, Pose und Indoktrination - Zu den Werken der Plastik und Malerei im Dritten Reich, in: Nazi-Kunst (wie Anm. 1), S. 87-99, hier S. 89. 64

POLLACK/NICOLAI, K r i e g e r d e n k m a l e (wie A n m . 61), S. 6 1 - 9 3 , hier S. 63.

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La Biennale di Venezia. XXII Esposizione Internazionale d'Arte 1940. Catalogo, Venezia 1940, S. 249, Nr. 53-60. 67 68

BREKER, Strahlungsfeld (wie A n m . 5), S. 102. KALDEN-ROSENFELD, Künstler (wie A n m . 14), S. 124. POLLACK/NICOLAI, K r i e g e r d e n k m a l e (wie A n m . 61), S. 75.

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Mit dem Architekten Speer arbeitete Breker seit 1938 an der Umgestaltung Berlins69. Dies konnte nicht ohne den Wunsch und das Wohlwollen Hitlers geschehen, wenngleich der Bildhauer in seinen Selbstzeugnissen in erster Linie Speer als Kontaktperson und Vermittler hervorhebt70. Für Breker wurde bald ein Staatsatelier in Berlin-Dahlem eingerichtet, „da die Aufgaben, die Herr Professor Breker für die Neugestaltung Berlins vom Führer bekommen hat, außerordentlich große und dringende sind"71. Sein Einstieg als protegierter Hauptbildhauer fur Hitlers Führerstadt „Germania" waren zwei Bronzefiguren gewesen, welche die Haupttreppe im Innenhof der Reichskanzlei flankieren sollten. Dabei handelt es sich um die 1939 aufgestellten Personifikationen der „Partei" und der „Wehrmacht". Im Vergleich zu der in etwa zeitgleich entstandenen „Bereitschaft" zeigt sich abermals, wie sehr dort gezielt das Vorbild der italienischen Renaissance zum Ausgangspunkt genommen wurde, wohingegen Arno Breker bei den Personen der Reichskanzlei bereits formelhaft Elemente des „Dionysos" und des „Prometheus" übernahm. Wie letzterer hält die in starrer Frontalität und leichter Schrittstellung verharrende „Partei" eine Fackel, womit die allegorische Übereinstimmung der NSDAP mit dem mythischen Lichtbringer abermals impliziert wird. Das starre, maskenhafte Gesicht über dem in der üblichen Weise unnatürlich angespannten Körper mit imponierend aufgeblasener Brust blickt in die Ferne, während der linke Arm wie zum Gruß erhoben ist. Die „Wehrmacht" hält in der ausgestreckten Linken ein Schwert an der Klinge, das wie ein heiliges Objekt präsentiert wird Die Anspannung des gesamten Körpers findet im von „Dionysos" bekannten Motiv der geballten rechten Faust einen Ausdruck. Etwa gleichzeitig wurde Breker mit fünf weiteren Plastiken für den „Runden Raum" der Reichskanzlei beauftragt. Er schuf den „Wager" und den „Wäger", die 1939 in München gezeigt wurden, sowie „Psyche", „Eos" und die,Anmut" 72 . Zu den weiteren Aufträgen gehörten die Figuren für einen kolossalen Brunnen auf dem Runden Platz der Berliner Nord-Süd-Achse, ein Prometheus für die große Halle in Weimar, vier Plastiken für den in Rom geplanten Weltausstellungspavillon und die Dekoration des monumentalen Triumphbogens der neuen „Berlin-Germania"73. Um die Bronzeplastiken in einer Höhe 69 Hans J. REICHHARDT und Wolfgang SCHÖNE, Von Berlin nach Germania. Über die Zerstörung der Reichshauptstadt durch Albert Speers Neugestaltungsplanungen, Berlin 2005.

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„Trotzdem wird mir jener grau verhangene Novembertag 1938, an dem mich Albert Speer zu einer kurzen Aussprache rufen ließ, immer in meiner Erinnerung fest verankert sein"; BREKER, Strahlungsfeld (wie Anm. 5), S. 93. 71 KASTEN, Breker (wie Anm. 2), S. 87 f. 72 Zu deren ideologischen Verwurzelung im Nationalsozialismus Vgl. WOLBERT, Die Nackten (wie Anm. 57), S. 220 ff 73 REICHHARDT/SCHÖNE, Von Berlin nach Germania (wie Anm. 69), S. 133 ff.

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von rund zehn Metern bewältigen zu können, beauftragte Breker 1938 die Berliner Preussag mit dem Bau einer angemessenen Gießerei74. Nebst Gewandfiguren und Pferden aus Bronze sollte den Triumphbogen ein Fries von 10 Metern Höhe schmücken75. Zu dieser Materialschlacht gehört ein Relief, das die „Kameraden" darstellt (Abb. 4)76. Ein Kämpfer, der nur mit einem Tuch bekleidet ist, das sich aufbauschend der inneren Erregung Ausdruck verleiht, hält einen offenbar gefallenen Waffenbruder in den Armen. Während der Körper kraftlos nach unten sinkt, ist die Bewegung des Haltenden durch einen Ausfallschritt nach links gerichtet. Indem er den Getöteten unter den Armen hält und die Hände vor dessen Brust verschränkt, entsteht ein PietàMotiv, das seinen Ursprung bei Michelangelo nimmt77. Die Haltung des leblosen Körpers ist dieselbe wie diejenige des Christus in Brekers Rekonstruktion der „Pietà Rondanini". We dort blickt die haltende Person nach rechts. Entgegen der ruhigen Trauer Marias schreit der Soldat Brekers, der ganz dem in der Bereitschaft" erprobten David-Typ entspricht, laut auf. Mit schmerzvoll geöflhetem Mund, in dem die Zähne sichtbar werden, und zusammengezogenen Augenbrauen scheint er dem Feind Rache zu schwören. Ein Vergleich mit Michelangelos berühmter Zeichnung des „Verdammten" in den Florentiner Uffizien, einem oft zitierten Beispiel für das Studium heftiger Affekte, zeigt, wie nachhaltig sich Breker mit dem Renaissancekünstler auseinandergesetzt hat78. Zudem treten auch hier durch die Kraftanstrengung die Adern unter der Haut hervor, wie Breker es beim Florentiner David studieren konnte79. Hinsichtlich der übrigen Reliefs des Triumphbogens wurde auch auf antike Vorbilder verwiesen80. Friese an Schlachtsarkophagen dürften ein weiteres Studienobjekt Brekers gewesen sein. Abermals offenbart sich jedoch im Vergleich der sehnigen, bis zum Bersten angespannten Modellierung der Muskelstränge gegenüber den Kampfszenen, wie sie etwa auch der Perga-

74

KASTEN, Breker (wie Anm. 2), S. 88.

75

Goebbels bemerkte 1940, dass Breker durch den Triumphbogen für das nächste Jahrzehnt ausgelastet sei; GOEBBELS, Tagebuch (wie Anm. 32) 76 PROBST, Breker (Anm. 1), S. 89-93; EGRET, Breker (wie Anm. 1), Abb. 178-182. Volker G PROBST, Bilder vom Tode. Eine Studie zum deutschen Kriegerdenkmal in der Weimarer Republik am Beispiel des Pietà-Motives und seiner profanierten Varianten, Hamburg 1986. 77 Volker G PROBST, Das Pietà-Motiv bei Arno Breker, Bonn [u. a.] 1985, S. 16 ff.; KALDEN-ROSENFELD, Künstler (wie Anm. 14), S. 76. 78 Auf die Ähnlichkeit wies bereits PROBST hin; S. 18. 79

Bereits 1949 hat Herbert von Buttlar auf die sog. „Pasquinogruppe" als Vorbild hingewiesen und vor allem kritisch den Umgang Brekers mit den Werken der Antike hervorgehoben: „Nichts Neues oder Gleichwertiges tritt an seine Stelle, und die das Maul aufreißende Dämonenmaske, die sich über ihrem Opfer erhebt und es fortschleppt, zeigt nur die Selbstentlarvung des Epigonentums".; Herbert VON BUTTLAR, Antike Plastik und Plastik der Gegenwart, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 15 (1949/50), S. 270 f. 80 Kalden-Rosenfeld führt die Reliefs des Berliner Pergamonaltars an; KALDENROSENFELD, Künstler (wie Anm. 14), S. 76.

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monaltar darbietet, die pathetische Übersteigerung der antiken Formen sowie Schwierigkeiten in der Gesamtkomposition. Wie komplex immerhin der Motivschatz Brekerscher Aktfiguren war, offenbart der um 1939 entstandene „Verwundete"81. Der nackt auf einem Stein hockende Mann ist zusammengesunken. Eine Binde bandagiert seinen Kopf, den er mit dem rechten, auf das Knie gestützten Arm schützend umfaßt. Die Nacktheit und die Sitzhaltung erinnern an die Bronzeplastik des griechischen Faustkämpfers im römischen Thermenmuseum, weshalb bereits hervorgehoben wurde, die Figur wäre „more Hellenistic athlete than soldier"82. Abermals hat jedoch die Körperbildung keine Ähnlichkeit mit der Antike. Der Kopf entspricht dem nordischen Typ nationalsozialistischer Rassenlehre. Wie sehr die Nacktheit unüberlegt als Indiz auf Vorbilder aus römischer oder griechischer Vergangenheit diente, enthüllt ein Foto des 1930 bei der Tour de France gestürzten Rennfahrers André Leduc, das sich in Brekers Archiv befand83. Hier ist die Körperhaltung bis ins Detail antizipiert und der Bildhauer war offenbar während seines Frankreichaufenthaltes von der Schmerz und Enttäuschung bekundenden Geste des Radprofis so angetan, dass er sie später in einem anderen Kontext wiederverwendete. Der Bildhauer und Freund Brekers Jean Cocteau erkannte 1942 in der Darstellung der Muskeln und Venen abermals Michelangelos David als Vorbild84. Arno Breker war um 1938 zum Hauptbildhauer des Nationalsozialismus geworden. Seine Figuren verkörperten in perfekter Weise das neue nationalsozialistische Menschenbild Hitler hatte bereits in „Mein Kampf erläutert, „daß ein zwar wissenschaftlich wenig gebildeter, aber körperlich gesunder Mensch mit gutem, festem Charakter erfüllt von Entschlußfreudigkeit und Willenskraft, für die Volksgemeinschaft wertvoller ist als ein geistreicher Schwächling"85. Der daraus resultierende Körperkult, der im Sport seine Vollendung fand und in der Dokumentation der Olympischen Spiele durch Leni Riefenstahl heroisiert wurde, ist bekannt86. Einen idealen Anknüpfungspunkt bot das antike Griechenland, in dessen Skulpturen man formvollendete,

81

82

PROBST, B r e k e r ( w i e A n m . 1), S. 9 9 - 1 0 3 ; EGRET, B r e k e r ( w i e A n m . 1), A b b . 1 4 9 - 1 5 3 .

Phyllis TUCHMAN, Taking Positions. Figurative Sculpture in the Third Reich at the Henry Moore Institute Leeds; zit. nach Rudolf CONRADES, Warum Breker?, in: Zur Diskussion gestellt (wie Anm. 1), S. 4-29, hier. S. 24. 83 SCHÖNFELD, Frankreich (wie Anm. 17), S. 123, Abb. 110. 84 Jean Cocteau bemerkte 1942: „Sa dernière statue (Le Blessé) m'étonne par ses veines, par ses muscles, par son réalsime, son plus vrai que vrai. On devine que tout lui vient du David de Michel-Ange"; zit. nach SCHÖNFELD, S. 133. 85 HITLER, Mein Kampf (wie Anm. 58), S. 452. 86 WOLBERT, Die Nackten (wie Anm. 57); Esther Sophia SÜNDERHAUF, Griechensehnsucht und Kuhurkritik. Die deutsche Rezeption von Winckelmanns Antikenideal 1840-1945, Berlin 2004.

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makellose Schönheit erblickte87. Bei aller Verehrung der Nationalsozialisten für das antike Hellas - Hitler soll sich nach dem Angriff auf das Land 1941 sogar bei Brekers griechischer Frau entschuldigt haben88 - , ist aber hervorzuheben, dass die offiziellen Arbeiten Brekers keine Imitationen antiker Akte darstellen89. Mit dem berühmten „Doryphoros" des Polyklet etwa verbinden die Plastiken Brekers nur die Nacktheit und ein grundlegendes Interesse, das Muskelspiel hervortreten zu lassen90. Ferner war die Intention Brekers nicht auf den sportlich-athletischen Aspekt gerichtet, sondern auf den militärischkämpferischen91. Bereits in den frühen Plastiken des „Zehnkämpfers" deutet sich Brekers neues, heroisches, noch nie dagewesenes Menschenbild an, dessen Ausformulierung von ideologischen Inhalten geprägt war. Harte, kantige Linien, bestimmen die Köpfe der unzugänglich und unnahbar erscheinenden männlichen Figuren. Die Haut wirkt wie eine metallene Rüstung, der Körper ist übertrieben angespannt und entschlossen. Sie repräsentieren den Arier als überzeitliches, ewiges Zielbild und abgehobenes Menschenbild von einer überlegenen Schönheit. Die darin enthaltene Rassenlehre ist evident92. Arno Breker schuf überirdische Heroen, die alles Gute in sich vereinigen und als verehrungswürdiges Vorbild dienen sollten. Dies festzuhalten, ist umso wichtiger, als muskelbepackte, unbesiegbare Menschenbilder, die oft als Retter fungieren, nach dem Zweiten Weltkrieg frei von NS-Ideologie in der Trivialkultur ihren festen Platz fanden. Brekers Betonung des Zehnkämpfers Gustav Stührk als mehrfach herangezogenes „körperliches Vorbild" dürfte 87

„Was das griechische Schönheitsideal unsterblich sein läßt, ist die wundervolle Verbindung herrlicher körperlicher Schönheit mit strahlendem Geist und edelster Seele"; WOLΒΕΚΓ, Die Nackten (wie Anm. 57), S. 453. 88 „Liebe Frau Breker, ich habe viel an Sie gedacht in der letzten Zeit und die politischen Verwicklungen mit Griechenland bedauert. Sie ermessen nicht, wie schwer es war, gegen Ihre Heimat kämpfen zu müssen. [...] Wie Helden des alten Hellas haben Ihre Brüder gekämpft, [...]"; BREKER, Strahlungsfeld (wie Anm. 5), S. 183. Darauf wies zu Recht bereits Heinrich Schwendemann hin: „Wuchtige, männliche Aktfiguren, die mit antiken Vorbildern nichts mehr zu tun hatten, symbolisierten die Ideale des NS-Staates"; Heinrich SCHWENDEMANN, Bauen für Jahrtausende. Herrschaft und Architektur im Dritten Reich, in: Zur Diskussion gestellt (wie Anm. 1), S. 30-63, hier S. 52. Auf den Doryphoros greift in anderem Kontext bereits Imdahl fllr einen negativen Vergleich zurück; IMDAHL, Pose (wie Anm. 63), S. 92. 90 Unzutreffend ist daher auch der Vergleich etwa des „Wägers" für die Reichskanzlei mit dem „Ares Borghese" im Pariser Louvre oder des „Wagers" mit dem vatikanischen Apoll von Belvedere; KALDEN-ROSENFELD, Künstler (wie Anm. 14), S. 75. Der Vergleich kann eher dazu dienen, die massiven Unterschiede zwischen der Körperform aufzuzeigen. 91 Gunnar BRANDS, „Zwischen Island und Athen", in: Kunst auf Befehl? Dreiunddreißig bis Fünfiindvierzig, hrsg. von Bazon Brock und Achim Preiß, München 1990, S. 103-136, S. 113. nj In Hans Weigerts „Geschichte der deutschen Kunst" von 1942 heißt es zur polykletschen Körperform: „Der Rumpf [...] bildet Geschosse, er ist gebaut aus der nur Indogermanen eigenen Kraft zur tektonischen Ordnung"; zit. nach BRANDS, Island und Athen (wie Anm. 91), S. 121.

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eher der Versuch sein, seine offensichtliche Unterstützung nationalsozialistischer Propaganda durch ein vermeintliches künstlerisches Studium nach der Natur zu relativieren93. Immerhin bleibt zu bemerken, dass Brekers Herrenmenschen in ihrer gelängten Proportionierung durchaus eine Eleganz anstreben und seine Plastiken dine das Studium der Antike und der Renaissance in Italien sowie die Erfahrungen in Frankreich nur schwer denkbar gewesen wären94. Allerdings wurden jene Kunstideale bestenfalls paraphrasiert, meist jedoch banal umgewertet und formal übersteigert.

Paris 1940-1943 Nachdem am 24. Juni 1940 der Waffenstillstand und dann das Ende aller Kämpfe in Frankreich verkündet worden war, bereitete Hitler seinen Einzug in Paris vor95. Dieser erste und einzige Besuch der französischen Hauptstadt sollte kein triumphaler Einmarsch sein, jedoch wollte Hitler sich einen Eindruck von den kulturellen und künstlerischen Errungenschaften verschaffen. Das Ergebnis war niederschmetternd: „Was ich auch in Paris gesehen habe, es gleitet an mir ab, Rom dagegen hat mich richtig ergriffen", erläuterte der Führer im Juli 1941 bei einem Tischgespräch in der Wolfsschanze96. Die Einschätzung zeigt, wie sehr die Präferenzen des Kunstliebhabers Hitler und damit auch die von ihm geförderten Künstler des Dritten Reiches an antiken und italienischen Vorbildern orientiert waren: „Berlin wird als Welthauptstadt nur mit dem alten Ägypten, Babylon oder Rom vergleichbar sein; was ist London, was ist Paris dagegen?"97. Als Berater für den touristischen Besuch forderte Hitler die Architekten Albert Speer und Hermann Giesler sowie Arno Breker auf, ihn zu begleiten. Der Bildhauer sollte eine Rundfahrt planen, die alle „architektonischen und städtebaulichen Brennpunkte der Stadt erfaßt"98. 93

„Das körperliche Vorbild war wieder Deutschlands hervorragender Zehnkämpfer Gustav Stührk, zu der Zeit bestaussehender Sportler - eine Einheit körperlicher Kraft von Kopf bis Fuß. Vieles, was ich in jenen Jahren schuf, baute sich nach diesem herrlichen Modell a u f ' ; BREKER, Strahlungsfeld (wie Anm. 5), S. 97. 94 Zum diffusen Antikenbild Hitlers Vgl. BRANDS, Island und Antike (wie Anm. 91). 95 Ian KERSHAW, Hitler, Bd. 2 (1936-1945), München 2000, S. 405. 96 Henry PICKER, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier, Berlin 1997, S. 76 (21.7.1941). In den Erinnerungen Arno Brekers hingegen war der Besuch Hitler zufolge ein Erfolg: „Ich bin dem Schicksal dankbar [...,] diese Stadt, deren Nimbus mich immer beschäftigte, gesehen zu haben. Bei Beginn der Kampfhandlungen habe ich den Truppen den Befehl gegeben, Paris zu umgehen und auch in ihrer Peripherie Kampfhandlungen zu vermeiden; denn es galt das unter uns liegende, in vielen Schichten gewachsene Wunder abendländischer Kunst unversehrt der Nachwelt zu erhalten. Das ist gelungen."; BREKER, Strahlungsfeld (wie Anm. 5), S. 165. 97 PICKER, Tischgespräche (wie Anm. 96), S. 176 (11.3.1942). 98 BREKER, Strahlungsfeld (wie Anm. 5), S. 153.

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Adolf Hitlers Anerkennung und Lob für Breker war um 1940 kaum zu steigern99. Er verlieh dem Bildhauer zum vierzigsten Geburtstag das goldene Parteiabzeichen und schenkte ihm den Landsitz Jäckelsbruch100. Ausgerechnet im besetzten Paris fand 1942 die erste Retrospektive von Arno Breker statt. An dem Ort, dessen Avantgarde den Bildhauer in den zwanziger Jahren angezogen hatte, wurden nun Hauptwerke nationalsozialistischer Plastik präsentiert. Laut Breker ging die Initiative dafür von der „französischen Regierung" aus, die ihn zu der Ausstellung eingeladen hatte101. Bedenkt man allerdings, dass es sich hierbei um das Vichy-Regime handelte, das bekanntlich mit Deutschland kollaborierte, so wird das keineswegs politisch neutrale Zustandekommen der Ausstellung deutlich. Tatsächlich waren es die Propaganda-Staffel und das Deutsche Institut in Paris, welche die Ausstellung in den Orangerien organisierten102. Mag Arno Breker auch noch so sehr daran interessiert gewesen sein, seinen alten Freunden die von ihm geschaffenen Bilder des neuen deutschen Menschen zu zeigen, er wurde zu einem Werkzeug der Propaganda. Über den Bildhauer und sein Œuvre versuchte man, die französische Elite für nationalsozialistische Ideologien zugänglich zu machen. Abgesehen von einer Demonstration der künstlerischen Fähigkeiten des Schöpfers wurde in da- Ausstellung über die Darstellung des arischen Idealmenschen nationalsozialistische Rassenlehre visualisiert. Bedenkt man, dass ab Juli 1942 Deportationen von Juden aus dem südlichen Landesteil Frankreichs begannen, so erhält die Schau eine äußerst prekäre Note103. Die Besatzungsmacht präsentierte hier ihre kulturelle Potenz und ihre vermeintliche Überlegenheit. Ob das Breker tatsächlich nicht bewußt war, ist fraglich. Vielleicht hat er nicht bemerkt, dass er sich, als alter Frankreichkenner und als Vertrauter von vielen Intellektuellen, seitens des NSRegimes perfekt instrumentalisieren ließ, um einen Zugang zum Kriegsgegner zu schaffen und diesen für die eigenen Zwecke zu gewinnen104. Tatsächlich kam eine große Zahl von Brekers französischen Freunden und Kollegen, um die Werke zu begutachten. Es ist nur schwer festzustellen, inwiefern dabei Neugierde, Zwang oder Freundschaft eine Rolle spielten. OO

Hitler bezeichnete Breker im Februar 1940 gegenüber Goebbels als „größten Bildhauer unserer Zeit"; GOEBBELS, Tagebücher (wie Anm. 32) (23.2.1940). 100 BUSHART, Breker (wie Anm. 42), S. 181; KASTEN, Breker (wie Anm. 2), S. 89; Breker selbst erwähnt die Schenkung nicht und berichtet von einer Annonce, auf die hin er das Haus erworben habe; BREKER, Strahlungsfeld (wie Anm. S), S. 29S ff. 101 BREKER, Strahlungsfeld (wie Anm. 5), S. 210. 102 Katrin ENGEL, Deutsche Kulturpolitik im besetzten Paris 1940-1944: Film und Theater, München 2003, S. 238 und 256 f. 103 Serge KLARSFELD, Vichy - Auschwitz. Die Zusammenarbeit der deutschen und französischen Behörden bei der „Endlösung der Judenfrage" in Frankreich, Darmstadt 2007. 104 Auf diesen außerordentlich wichtigen Punkt wies Claudia Schönfeld hin; SCHÖNFELD, Frankreich (wie Anm. 17), S. 127.

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Nicht alle dürften von der Wandlung des deutschen Bildhauers begeistert gewesen sein. Auch Aristide Maillol, dem Breker einst in seiner Formgebung so nahe stand, besuchte die Orangerien105. In Brekers Erinnerungen ist dessen Satz „Ich bin nicht imstande, wie Sie ein Knie zu modellieren" überliefert106. Damit definierte der Achtzigjährige die Unterschiede zwischen den Werken der beiden Bildhauer sehr treffend, denn Breker hatte sich ja tatsächlich von den abstrahiert und voluminös geformten Körpern zu einer harten, scheinbar realistischen Durchmodellierung der Glieder entwickelt. Ob Bewunderung des anatomischen Naturalismus oder versteckte Kritik über das Abwenden von der Avantgarde in den Worten des Franzosen klingen, kann nur erahnt werden. Jedenfalls erkannte Maillol, dass die gezeigten Werke Brekers weniger von den modernen Künstlern seines Landes inspiriert waren, sondern eher auf die italienische und antike Plastik rekurrierten. Nach der Eröffnung verkündete er gegenüber der Presse: „Breker ist, meiner Meinung, der Michelangelo Deutschlands"107. Auch hier sind wohl die schmeichelnden Worte bewusst gewählt, denn Maillol spricht nicht von einem neuen Michelangelo, sondern von einem Michelangelo Deutschlands und damit von einem geradezu omnipotenten Bildhauer des Dritten Reiches108. Schließlich gibt es Hinweise, dass Maillol die Entwicklungen in Deutschland weder verstehen noch unterscheiden konnte109. Der Bildhauer Paul Belmondo wünschte dem „Freund" Breker auch im Namen des Kollegen Charles Despiau viel Erfolg für die Ausstellung110. Letzterer schrieb den Begleittext fur den Katalog der Pariser Ausstellung, weshalb er nach dem Krieg in Frankreich als Kollaborateur eingestuft wurde111. Ein Eintrag in Jean Cocteaus Tagebuch, der mit Breker über dessen Situation sprach, überliefert einen mehrfach bezeugten Grundsatz Hitlers: „Ich möchte nicht, daß meine Künstler leiden. Ich will, daß sie glücklich leben, daß sie Großherzöge sein sollen"112. Tatsächlich konnte der Bildhauer ab 1940 das Wohlwollen Hitlers nutzen, um einigen verfolgten Freunden zu 105 „Daß Maillol 1942 zur Eröfihung meiner Ausstellung in der Orangerie die weite, unter den gegebenen Umständen auch beschwerliche Reise von Banyuls nach Paris auf sich nahm, empfand ich als eine Bestätigung seiner Freundschaft."; B R E K E R , Strahlungsfeld (wieAnm. 5), S. 235. 106 Ebd., S. 236. 107 Ebd., S. 236. 108 Hitler selbst soll hinsichtlich der Honorierung Brekers gegenüber dem Ministerialdirektor des Finanzamtes gesagt haben: „Meine Künstler sollen leben wie Fürsten und nicht in Dachkammern hausen, wie es Ihrer romantischen Vorstellung vom Künstlerdasein wahrscheinlich vorschwebt"; ebd., S. 100 109 Jean-Paul B O U I L L O N , Maillol und Denis. Künstlerischer Bund und historischer Augenblick, in: Aristide Maillol (wie Anm. 10), S. 127-144, hier S. 140. 110 Zk. nach SCHÖNFELD, Frankreich (wie Anm. 17), S. 128. 111 Charles' D E S P I A U , Arno Breker, Paris 1 9 4 2 . 1 Zit. nach S C H Ö N F E L D , Frankreich (wieAnm. 17), S . 128. 7

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helfen113. In Anbetracht von Millionen Ermordeter und Deportierter kann dies nur wenig entschuldigen, allerdings sollten diese Dienste dazu fuhren, dass Arno Breker nach dem Krieg als Mitläufer eingestuft wurde114. Anlässlich der Ausstellungseröffiiung verfasste Cocteau einen „Salut à Breker", der ihm bei einigen französischen Kollegen ebenfalls Unverständnis einbrachte115. Aus dem Lob des Bildhauers spricht eine Faszination für dessen „modèles comme des arbres" und deren „sève delicate, [...] qui fait battre le systèm fluvial de leurs veines, qui frise le chèvrefeuille de leurs chevaux"116. Cocteau bemerkte den Elan - „sève" - in den Figuren Brekers, die ja tatsächlich trotz ihrer Muskelpakete elegant gelängt sind, sowie das Herausarbeiten der Muskeln und des Venensystems unter der Haut. Beides bezog er auf das Studium Michelangelos - „la grande main du Michel-Ange vous a montré votre route". Um 1942 hatte der Vergleich mit Michelangelo, dessen Bewunderung Breker nie verhehlte, topische Züge angenommen. Gleichwohl ordnete Cocteau den deutschen Bildhauer auch in die französische Tradition ein: „[...] dans la haute patrie où nous sommes compatriotes, vous me parles de la France"117. Diese keineswegs isolierte Meinung führte auf deutscher Seite zu unerwarteten Problemen. Die Breker-Ausstellung in Paris war ein großer Erfolg118. Die Instrumentalisierung des Bildhauers seitens der nationalsozialistischen Kulturpropaganda hatte anscheinend ihr Ziel erreicht, denn über 80 000 Besucher kamen in die bald verlängerte Ausstellung, um das neue Menschenbild zu sehen. Dagegen meldete die Deutsche Botschaft Bedenken an, da man in französischen Kreisen die französische Schulung des Bildhauers hervorgehoben und die entsprechende Komponente im Werk besonders betont habe119. Ziel müsse es daher sein, zu zeigen, dass die Kulturleistung „nicht nur der französischen ebenbürtig, sondern in vielen Punkten sogar überlegen ist"120. Die französische Vergangenheit des Bildhauers Arno Breker wurde für die nationalsozialistische Propaganda plötzlich zur Schwierigkeit bzw. die Ausstellung zum 113 „Als ich im Herbst 1940 nach Paris kam, nahmen wir sofort Kontakt auf. [...] Es begann eine Zeit der geheimen Hilfe für Gefährdete jeder Art, die bis zum Abzug der deutschen Truppen aus Paris funktionierte"; BREKER, Strahlungsfeld (wie Anm. 5), S. 192. 114 Von seiner „Befreiung" der Lebensgefährtin von Maillol, Dina Vierny, berichtet Breker ausführlich; ebd., S. 244 ff. 115 Ursula BÖHMER, Jean Cocteau et l'affaire Breker, in: Paris sous l'occupation, hrsg. Wolfgang Drost [u. a.], Heidelberg 1995, S. 122-133. 116 Der „Salut" wurde am 23.5.1942 auf der Titelseite der Comoedia publiziert; abgedruckt in: Jean COCTEAU, Journal 1942-45, bearb. von Jean Touzot, Paris 1989, S. 133. Der verdienstvolle Versuch einer Interpretation von Claudia Schönfeld scheitert leider an Übersetzungsfehlern; SCHÖNFELD, Frankreich (wie Anm. 17), S. 135 ff. 117 COCTEAU, Journal (Anm. 116), S. 133. 118 SCHÖNFELD, Frankreich (Anm. 17), S. 135. 119 ENGEL, Kulturpolitik (Anm. 102), S. 238 ff. 120 Zit. nach DIES., S. 238 f.

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Fehlschlag121. Der Staatssekretär Fernand de Brinon verabschiedete Breker aus Paris mit einer Tischrede, in der er ihn bat, von seiner freundlichen Aufnahme in Paris und von der Gesamtschau als Ergebnis der deutschfranzösischen Kollaboration zu berichten122. Der mit den Nationalsozialisten zusammenarbeitende Repräsentant des Vichy-Regimes versuchte das Ereignis zu einem gelungenen Akt der französischen Kulturpropaganda zu machen. Dies deutete sich bereits bei der Eröflhungsrede von Abel Bonnard an123. Von einem europäischen Faschismus träumend und mit Hitlers Antisemitismus sympathisierend, erkannte Bonnard in den Figuren nicht nur „l'Allemagne nouvelle", sondern eben auch eine „langage universelle", welche die Seele der Rasse eines ganzen Volkes ausdrücken könne - „l'âme de toute sa race"124. Die Ausführungen Bonnards sind eine treffende Beschreibung des nationalsozialistischen Gehaltes der heroischen Plastik, die der kollaborierende Erziehungsminister allerdings ganz für Frankreich einnehmen wollte125: „qu'il soit compris par tous les autres pays, et premièrement, par le mien"126. Im gespaltenen Frankreich versuchte man Arno Brekers Plastiken zum Sinnbild einer nationalen Erneuerung, deren Ziel heroische Größe war, zu machen127. Dass dieses Ansinnen beim nationalsozialistischen 121

In der Retrospektive waren auch Werke aus der Pariser Zeit zu sehen, die von Rodin und Maillol beeinflusst waren: „Albert Speer, [...], war sichtlich überrascht und erstaunt Uber die aus allen Schaffensperioden zusammengetragenen Dokumente, von denen er auch nur einen Bruchteil kannte."; BREKER, Strahhingsfeld (Anm. S), S. 212. Auf deutscher Seite erklärte man: „Diesem Bemühen des französischen Publikums, den weltanschaulichpolitischen Ideengehalt, seine stilbestimmende Bedeutung im Schaffen Brekers zu begreifen, kam der Umstand entgegen, daß die Ausstellung die Möglichkeit gab, die Entwicklung Brekers in ihrem logischen Ablauf von den an die Tradition des 19. Jahrhunderts noch gebundenen Frühwerken bis zur Steigerung eines durch die Idee und Aufgabenstellung der Zeit bedingten Monumentalstils zu verfolgen."; Robert SCHOLZ, Die Sendung der neuen Deutschen Plastik. Zur Arno-Breker-Kollektivausstelhing in Paris, in: Die Kunst im Dritten Reich 7 (1942), S. 171-181, hier S. 172. 122 ENGEL, Kulturpolitik (wie Anm. 102), S. 239. 123 Martin SCHIEDER, Abel Bonnard, in: Im Blick des Anderen. Die deutsch-französischen Kunstbeziehungen, 1945-1959, hrsg. von Martin Schieder, Berlin 2005, S.287-295, die Rede S. 287-290. 124

125

DERS., S. 287.

Breker erwähnt den Inhalt der Rede Bonnards im Rahmen seiner ausführlichen Schilderungen der Ausstellung und ihres Begleitprogramms nicht; BREKER, Strahlungsfeld (wie Anm. 5), S. 212. 126 SCHIEDER, Bonnard (wie Anm. 123), S. 288. 127 Wie ähnlich die künstlerische Formensprache in totalitären Systemen sein kann, zeigt auch das Vorhaben Stalins, Arno Breker im Jahr 1939 abzuwerben: „Er fragte mich, ob ich bereit sei, in Rußland einige monumentale Aufgaben im Auftrag Stalins zu übernehmen. Der russische Dolmetscher übersetzte, was Molotow sagte: ,Ihre Arbeiten haben uns sehr beeindruckt. Wir haben in Moskau große Bauten, in denen gewaltige Rohblöcke vermauert sind, die auf Gestaltung warten. Stalin ist ein großer Verehrer Ihrer Kunst. Ihr Stil wird auch das russische Volk begeistern und von ihm verstanden werden. Uns fehlen Bildhauer Ihrer Bedeutung.', BREKER, Strahlungsfeld (wie Anm. 5), S. 148.

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Deutschland, das um seine Vorrangstellung besorgt war, trotz der inhaltlichen Übernahme ideologischer Gesichtspunkte kaum auf Gegenliebe stoßen konnte, ist begreiflich. Im November 1943 berichtete der Sicherheitsdienst der SS, die Wirkung der Ausstellung sei "inzwischen weitgehend durch die Parolen der französischen Kulturpropaganda abgeschwächt worden"128. Die bereits im Mai 1942 im Deutschen Wochendienst vorgegebenen Sprachregelungen, etwa die Vermeidimg von Vergleichen mit Künstlern der Vergangenheit oder die Betonung der stilbildenden Kraft, hatten in Frankreich ihre Wirkung verfehlt129. Allerdings ist dort eine recht genaue Interpretationsvorgabe der Werke Brekers in den letzen Jahren des kriegfiihrenden Nationalsozialismus gegeben: die Plastik zeige „ H e r o i s m u s und Bewährung des deutschen Menschen", „Heldische Haltung und Willenszucht", die „Kulturhöhe eines Volkes" und das „kämpferische und gesunde Lebensgefuhl des dt. Menschen"130. In den Frauenplastiken erkannte man „Harmonie, Herbheit und Ruhe", „die Gefährtin des Mannes", „Maß und Würde", „Adel und Form"131.

Deutschland nach 1945 Den zahlreichen Freunden in Paris ist es letztlich zu verdanken, dass Arno Breker nach dem Ende des NS-Regimes nur als Mitläufer bewertet wurde. Im Rahmen seines Entnazifizierungsverfahrens erkannte die Spruchkammer Donauwörth die Hilfe an, die Breker Verfolgten des Nationalsozialismus zukommen ließ132. Von deutscher Seite waren es insbesondere die Verleger Karl Rauch und Peter Suhrkamp, die sich für Arno Breker einsetzten. Brekers größter Erfolg auf dem Gebiet der Kunst blieben Porträts. Hier zeigte er eine durchgängige Qualität, die u. a. noch Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Rudolf Oetker, Gustav Schickedanz, Ernst Fuchs sowie Mitglieder der Familie Wagner durch Aufträge für sich beanspruchten. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass die realistische Darstellung eines Menschen im Bildnis für die künstlerische Avantgarde nach 1945 keine legitime Aufgabe mehr war. Nur wenige Bildhauer konnten entsprechend altertümlich erscheinende Wünsche der Auftraggeber erfüllen. Bei den übrigen Plastiken, die er nach dem Krieg schuf, verabschiedete sich Breker umgehend von der For128 Otto THOMAE, Die Propaganda-Maschinerie. Bildende Kunst und Öffentlichkeitsarbeit im Dritten Reich, Berlin 1978, S. 92 ff. 1 9Q THOMAE, Propaganda-Maschinerie (wie Anm. 128), S. 372. 130

131

DERS., S. 3 7 2 ff.

DERS., S. 374 sowie Silke WENK, Aufgerichtete weibliche Körper. Zur allegorischen Skulptur im deutschen Faschismus, in: Inszenierungen der Macht. Ästhetische Faszination im 132 Faschismus, Berlin 1987, S. 103-118. Rainer HACKEL, Der andere Breker. Engagement für politisch Verfolgte, in: Zur Diskussion gestellt (wie Anm. 1), S. 146-159.

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mensprache der im Nationalsozialismus entstandenen Figuren. Seine Werke schwankten zwischen einer Rückkehr zu den Akten seiner Pariser Zeit und Versuchen, die in eine weitere Abstraktion führten133. Er wandte sich christlichen Themen in unterschiedlichen Stilvarianten zu134 und schuf schließlich in den siebziger Jahren erotische Frauenplastiken135. Im Jahr 1981 näherte sich Breker nochmals der antiken Skulptur und bewerkstelligte den tatsächlich klassisch anmutenden „Jimgen Alexander"136. Drei Jahre später arbeitete er an den nackten Ganzkörperporträts der Athleten Ulrike Meyfarth und Jürgen Hingsen, die beide nichts mehr mit den idealisierten Kämpfern des Nationalsozialismus zu tun haben137. Einen eigenen, wieder erkennbaren und beständigen Stil hatte Arno Breker nur im Nationalsozialismus gefunden. Verglichen mit der europäischen Avantgarde war sein Grad an Innovation dabei allerdings gering. Seine Plastiken für das Regime waren platt und ideologisch aufgeladen. Die Arbeiten Brekers vor und nach der Diktatur sind innerhalb der Entwicklung der europäischen Kunst ebenfalls höchstens zweitrangig und ohne Wirkung auf die jüngeren Künstlergenerationen. Daher wird sich die Kunstgeschichte weiterhin mit Arno Brekers Schaffen für das nationalsozialistische Regime beschäftigen müssen, wobei weniger Fragra der künstlerischen Qualität als des Inhaltes, der Propaganda, der Instrumentalisierung von Kunst und Künstler im Vordergrund des Interesses stehen sollten. Im Nationalsozialismus setzte der Bildhauer Maßstäbe und zwar in künstlerischer und zugleich ideologischer Weise. Beides lässt sich in totalitären Regimes nicht trennen. Im Fall Arno Breker tritt dabei durch seine Schulung und Vernetzung eine aufschlussreiche europäische Perspektive hinzu.

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EGRET, Breker (wie Anm. 1), Abb. 292-307. DERS., Abb. 320, 350-252. DERS., Abb. 3 9 8 - 4 0 2 , 4 0 8 - 4 1 5 . DERS., Abb. 465. DERS., Abb. 473-474.

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Abb. 1

Dobler, Arno Breker zwischen Paris, Rom und Berlin

Abb. 2

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Abb. 3

Vom Bosporus an die Spree, von der Spree an den Bosporus. Deutsch-türkische Künstlermigrationen im frühen 20. Jahrhundert Von

Burcu Dogramaci Mit der deutsch-türkischen Migration wird gemeinhin die wirtschaftlich motivierte Einreise türkischer Arbeiter in die Bundesrepublik seit den 1960er Jahren assoziiert. Weitaus weniger bekannt ist dagegen, dass es einen weiter zurückreichenden Austausch auf künstlerischer Ebene zwischen Deutschland und der Türkei gab. Dabei war die Türkei keineswegs immer das Herkunftsland ausreisefreudiger Künstler, die ihr Glück im Westen suchten. Auch deutsche Architekten, Stadtplaner und Bildhauer gingen bereits seit dem späten 19. Jahrhundert in die Türkei. Allerdings existierten unterschiedliche Motive für den Aufenthalt im anderen Land. Waren zunächst vor allem politische und wirtschaftliche Interessen des wilhelminischen Kaiserreiches bedeutsam für die Entsendung deutscher Künstler ins Osmanische Reich, so veränderte sich die Lage nach dem Ersten Weltkrieg grundlegend Die Gründung der Türkischen Republik auf den Trümmern des Sultanats verlangte nach Spezialisten, die den Aufbau einer neuen Gesellschaft mit vorantreiben konnte. So war es hier die türkische Regierung, die Experten aus dem deutschsprachigen Raum einlud, um einen Beitrag zur Reformierung des Staates zu leisten. Viele Architekten, Bildhauer und Stadtplaner kamen in der Hoflhung auf lukrative Aufträge. Erst mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten veränderten sich die Bedingungen für die Tätigkeit deutscher Künstler in der Türkei erneut. Die nationalsozialistische Verfolgungspolitik trieb unzählige Kulturschaffende ins Ausland, darunter Protagonisten der künstlerischen Avantgarde der Weimarer Republik. Die Regierung Atatürk profitierte von diesen Fluchtwellen und holte sich gezielt ausgewiesene Experten in das Land, die, ausgestattet mit Zeitverträgen, in hohe Schlüsselpositionen eingesetzt wurden. Für viele Emigranten bedeutete dies eine Möglichkeit, ihr im NSDeutschland unterbrochenes Schaffen im türkischen Exil fortzusetzen. Die künstlerischen Verbindungen zwischen der Türkei und Deutschland bzw. zwischen der Türkei und Westeuropa haben eine weitere Facette. Seit dem frühen 20. Jahrhundert wurden junge türkische Graduierte für eine begrenzte Dauer ins Ausland geschickt, um zu studieren oder sich in renom-

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mierten Architektenbüros weiterzubilden. Auf diese Weise lernten türkische Architekten und Bildhauer die westeuropäische Kunst- und Kulturlandschaft durch eigene Anschauung kennen. Ihre Erfahrungen übertrugen sie als spätere Professoren, erfolgreiche Künstler und Architekten größtenteils mit Erfolg in die Heimat zurück. Der vielschichtige deutsch-türkische oder türkischdeutsche Kulturaustausch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts veranschaulicht, dass Künstlerwanderungen über Ländergrenzen, ja über Kontinente hinweg die Kultur der Ziel- und Heimatländer produktiv beeinflussen konnten.

Deutsch-türkische Beziehungen um 1900 Auf dem weitläufigen Gelände der Sommerresidenz der Deutschen Botschaft in Istanbul-Tarbya steht ein Grabdenkmal fur die gefallenen deutschen Soldaten des Ersten Weltkriegs. Sein Urheber war der Berliner Bildhauer Georg Kolbe, der seit 1917 auf Einladung des deutschen Botschafters, Richard von Kühlmann, in der Stadt am Bosporus weilte. Zwar kehrte Kolbe, der in Istanbul türkische und deutsche Persönlichkeiten portraitierte, bereits 1919 nach Deutschland zurück, dennoch kann sein Aufenthalt in der Türkei als Abschluss eines von höchster Ebene geförderten Engagements deutscher Künstler und Architekten eingestuft werden. Ihm vorausgegangen waren Architekten wie Helmuth Cuno, Otto Ritter und August Jachmund, die mit Unterstützung deutscher Politiker, Wirtschaftsleute und höchster Instanzen in die Türkei geschickt wurden. Am Ende des 19. und frühen 20. Jahrhunderts standen die beiden großen feudalen Herrschaftssysteme, das Osmanische Reich und das Wilhelminische Kaiserreich, in einem intensiven wirtschaftlichen Dialog. Kaiser Wilhelm II. hatte größtes Interesse an dem Osmanischen Reich als Bündnis- und Wirtschaftspartner. Vornehmlich Istanbul war Schauplatz eines Wettstreits um die Vormachtstellung von Franzosen, Engländern und Deutschen, der sich nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene, sondern auch in Architektur und Wissenschaft äußerte. Die rivalisierenden Großmächte bedienten sich der Methode der „pénétration pacifique", der friedlichen Durchdringung der außen- und innenpolitisch angeschlagenen Türkei und eine Einflussnahme in wirtschaftlicher wie politischer Hinsicht1. Getrieben von wirtschaftlichen Interessen und der Propagierung „deutschen Wesens" setzten sich die deutschen Ministerien und der Kaiser persönlich fur den Bau des Istanbuler Bahnhofs Haydarpaça (Abb. 1) ein, der von den deutschen Regierungsarchitekten Helmuth Cuno 1

Vgl. Friedrich H. KOCHWASSER, Das Deutsche Reich und der Bau der Bagdad-Bahn, in: Araber und Deutsche. Begegnungen in einem Jahrtausend, hrsg. von dems. und Hans R. Roemer, Tübingen/Basel 1974, S. 294-349, hier: S. 301 f.

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und Otto Ritter 1909 als wilhelminische Repräsentationsarchitektur entworfen und von der Firma Philipp Holzmann errichtet wurde. Der gewaltige Bau artikuliert die Sprache der zeitgenössischen deutschen Neorenaissance mit ihrer horizontalen Gliederung, den schmückenden Giebeln, zwei Ecktürmen, Baikonen und dem konischen Dach. Bis heute prägt das Gebäude die Hafensilhouette Istanbuls auf der anatolischen Seite, und jede Fähre, die den Bosporus von Istanbul-Radiköy in Richtung Europa kreuzt, fährt an diesem Zeugnis deutscher Imperialstrategie vorbei. Auf der europäischen Seite Istanbuls befand sich bereits lange vor Einweihung des Bahnhofs Haydarpaça der Bahnhof Sirkeci. Auch hier hatte der Ausbau der Bahn deutschen Investoren Gelegenheit geboten, sich in der Türkei zu positionieren. Der Münchner Baron Moritz von Hirsch erhielt 1868 die Konzession für den Bau von Eisenbahnen im orientalischen Teil der Türkei und forcierte den Bau von 2.000 Kilometern Eisenbahnstrecke zwischen Konstantinopel und dem europäischen Kontinent2. Die Ausgangs- und Endstation des Orient-Express bildete seit 1889 der Bahnhof Sirkeci in IstanbulEminönü. Der verantwortliche Architekt August Jachmund, der auch einige Bahnhöfe der Hedjazbahn auf der Pilgerstrecke nach Mekka gestaltete, nutzte die islamische Architektur als Motivfundus und verwob Stilelemente aus unterschiedlichen Ländern und Jahrhunderten. Zum einen erhofften sich die deutschen Auftraggeber vermutlich durch eine neoislamische Architektur mehr Akzeptanz in der Türkei3. Zum anderen spiegelt der Bahnhof das Bild des imaginären Orients wider, dessen Konstruktion sich in einer nostalgischromantischen Architektur niederschlug. Es sollte erwähnt werden, dass Jachmund nicht nur mit seinen Bauten erfolgreich war, sondern auch an der Istanbuler Ingenieurschule das Fach Entwurfsplanung lehrte. Einer seiner Schüler und Mitarbeiter war seit 1891 Kemalettin Bey, der von der Ästhetik des Sirkeci-Bahnhofs beeinflusst wurde und in seinen eigenen Entwürfen osmanisch-islamische Stilelemente integrierte. Kemalettin Bey wurde zum Begründer der neoosmanischen Ersten Nationalen Architekturbewegung, wobei lange Zeit von der Forschung verdrängt wurde, dass dieser nationale, auf dem genuin osmanischen Erbe basierende Stil mit seinen Bögen, Kuppeln und ornamentalen Verzierungen ursprünglich auf den deutschen Architekten August Jachmund zurückgeht Ein weiteres Beispiel für die kaiserliche Bau- und Investitionspolitik ist die von deutschen Brückenbauern geplante, aber nicht realisierte 660 Meter lange Abdul-Hamid-Eisenbahnbrücke, die das europäische und asiatische Istan2

Vgl. Jürgen LODEMANN und Manfred POHL, Die Bagdadbahn. Geschichte und Gegenwart einer berühmten Eisenbahnlinie, Mainz 1988, S. 4 f. 3 Vgl. Ilhan TEKELI, The social context of the development of architecture in Turkey, in: Modern Architecture in Turkey, hrsg. von Renata Holod und Ahmet Evin, Philadelphia 1984, S. 9-33, hier: S. 11.

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bul verbinden sollte. Auf jedem Brückenpfeiler sollte eine kleine Moschee mit vier Minaretten errichtet werden, die allerdings nur zur Verzierung und nicht zu sakralen Zwecken genutzt werden sollte. Auch hier war augenscheinlich eine rein oberflächliche Adaption der als signifikant „islamisch" interpretierter Bauweise geplant. Dass damit ein explizit religiöser Bau profanisiert und seinem ursprünglichen Zwecke entfremdet wurde, tat den Plänen keinen Abbruch - im Gegenteil. In einer Denkschrift heißt es 1900: „In diesem Bauwerke, namentlich seiner harmonischen Verschmelzung arabesker und modern technischer Elemente, verkörpert sich gewissermaßen erschöpfend der Weltgedanke der Deutschen Baghdäd-Bahn: Ein erlösendes Culturwerk zu vollbringen an dem einst so ruhmbedeckten Kaiserstaate der Osmaniden, die Türkei axis der Abgeschlossenheit ihrer asiatischen Verkettungen zu befreien, sie durch den modernen Locomotiwerkehr mitten hinein zu ziehen in das unwiderstehlich praktische Productions- und Erwerbsleben Europas"4. Das politische Interesse des Deutschen Kaiserreichs am Osmanischen Reich zeigte sich auf kulturellem Gebiet ein letztes Mal bei den Planungen zum „Haus der Freundschaft" mitten im historischen Istanbul. Wirtschaftlich und politisch waren das Osmanische und das Wilhelminische Reich bereits seit Jahren miteinander verbunden, als mit der Gründung einer „DeutschTürkischen Vereinigung" im Jahr 1914 diese Allianz institutionalisiert wurde. Der Initiator war Ernst Jäckh, umtriebiger Geschäftsführer des Deutschen Werkbundes, der bereits seit 1908 deutsche Wirtschaftsinteressen, zum Beispiel beim Ausbau der Bagdadbahn, in der Türkei vertrat. Ein großes Vorhaben der Vereinigung war die Errichtung eines „Hauses der Freundschaft", das vordergründig ein Kulturzentrum für Deutsche und Türken sein sollte. Eigentliches Ziel jedoch war die Verbreitung deutscher Kultur durch Theaterauffiihrungen, Konzerte und Ausstellungen. Zudem sollten deutsche Forscher hier während ihres Aufenthalts in der Stadt eine Wohnmöglichkeit finden5. Sowohl die Osmanen als auch das Kaiserreich sahen im „Haus der Freundschaft" einen Ausdruck für ihr Bündnis, das auch die Kriegszeiten überdauern sollte. Welche Bedeutung man dem Projekt auf Regierungsebene beimaß, verdeutlicht sich an do* jeweiligen Förderung. Der Kaiser gab seinen Namen fur die Finanzierung des Projekts: „Zu seinem Geburtstag hat Seine Majestät heute eine Millionenstiftung anzunehmen geruht, von der in Konstantinopel auf einem vom Sultan geschenkten Grundstück ein ,Deutsches Haus' errich4

Siegmund SCHNEIDER, Die deutsche Bagdad-Bahn und die projectierte Überbrückung des Bosporus in ihrer Bedeutung für Weltwirtschaft und Weltverkehr, Wien/Leipzig 1900, S. 1 f. Vermutlich handelt es sich um einen Entwurf des französischen Brückenbauers Ferdinand Arn od in. 5 Ausführlich zum „Haus der Freundschaft" vgl. Burcu DOGRAMACI, Kulturtransfer und nationale Identität. Deutschsprachige Architekten, Stadtplaner und Bildhauer nach 1927, Berlin 2008, S. 51-58.

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tet werden soll [...]"6 Mitten im historischen Stadtteil Stambul stellte der Sultan einen Bauplatz zur Verfügung, der gemeinsam mit Ernst Jäckh ausgesucht wurde7. Obwohl es sich offiziell um ein gleichwertiges Projekt zweier Bündnispartner handelte, waren 1916 nur elf deutsche Architekten, allesamt Mitglieder des Deutschen Werkbundes, zum Wettbewerb eingeladen und konnten sich auf einer Besichtigungsreise mit dem Bauplatz vor Ort in Istanbul vertraut machen. Diese Reise in den bis dahin unbekannten Orient war für die Exkursionsteilnehmer ein Ereignis, für den beteiligten Architekten Bruno Taut vermutlich sogar ein Erweckungserlebnis, in dessen Folge Tauts bedeutende Schrift „Die Stadtkrone" entstand8. In einem Brief nach Istanbul, vermutlich an ein führendes Mitglied des Hofes und der Türkisch-Deutschen Vereinigung, bedankte sich Taut für „alles das, was jene für uns ,andere' Welt mir an Anregungen und schönen Erinnerungen geboten hat"9. Seine „Reiseeindrücke aus Konstantinopel" publizierte der Architekt im „Kunstgewerbeblatt" und in der „Deutschen Levantezeitung"10. Als Gewinner des Wettbewerbs ging German Bestelmeyer hervor, der einen axialen Bau mit zwei hintereinander gestaffelten Häusern konzipierte. Bestelmeyers Entwurf erprobte sich in der Außenansicht in Zurückhaltung, während sich im Inneren ein Bauprogramm mit gewaltigem Ausmaß entwickelte. Obwohl der Bau rasch zur Ausführimg kommen sollte und sogar schon der Grundstein gelegt wurde, blieb das „Haus der Freundschaft" eine Utopie. Ursächlich für das Scheitern waren neben wirtschaftlichen Nöten in Kriegszeiten auch interne Differenzen zwischen den beteiligten Gremien und dem Architekten. Spätestens mit dem Untergang der beiden Monarchien nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und der Ausrufung der Weimarer bzw. der Türkischen Republik gehörten imperialistisch motivierte Projekte wie das „Haus der Freundschaft" der Vergangenheit an.

Istanbuler Architekten und Künstler im Berlin der zwanziger Jahre Bereits unter den Osman en wurden begabte Studenten oder Graduierte für begrenzte Zeit ins Ausland entsandt. Auch unter der Regierung Atatürk wurde diese besondere Weiterbildungsmaßnahme fortgesetzt. Ausgewählte Studenten kennten mit staatlichen Stipendien nach Westeuropa reisen, besonders 6

Carl Heinrich BECKER, Das türkische Bildungsproblem, Bonn 1916, S. 34. Vgl. Ernst JÄCKH, Der goldene Pflug, Stuttgart 1954, S. 327. 8 Bruno TAUT, Die Stadtkrone, Jena 1919. 9 Bruno Taut an „Exzellenz", 30. 9. 1916, Brief im Archiv der Türk Tarih Kunimu, 7833/A 5767. 10 Vgl. Bruno TAUT, Reiseeindrücke aus Konstantinopel, in: Deutsche Levante-Zeitung 19 (1916), S. 735-737; DERS., Reiseeindrücke aus Konstantinopel, in: Kunstgewerbeblatt 3 (1916/17), S. 49-50. 7

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beliebte Ziele waren Deutschland und Frankreich11. Überliefert ist, dass drei junge türkische Architekten im Atelier von Le Corbusier in Paris hospitierten, darunter 1928 bis 1930 Burhan Arif Ongun, der seine Laufbahn später bei Ludwig Mies van der Rohe in Berlin fortsetzte12. Ein ebenso beliebtes Ziel junger türkischer Architekten war das Büro von Paul Bonatz in Stuttgart. Dort arbeiteten Sabri Oran, Kemali Söylemezoglu und Arif Hikmet Holtay. Die Stuttgarter Schule und der Name Paul Bonatz waren somit schon lange, bevor sich Bonatz selbst 1943 in der Türkei niederließ, bekannt. Die Maßnahme der Auslandsstipendien sollte wichtige Impulse für die akademische Ausbildung in der Türkei setzen, war doch vereinbart, dass die Studenten sich nach ihrer Rückkehr innovativ in den Aufbau des Landes einbringen sollten. Die Studenten konnten im Ausland ihren Erfahrungshorizont erweitern, Bautypen studieren und Berichte verfassen, die vom türkischen Bau- und Unterrichtsministerium verwertet und veröffentlicht wurden. Die Verschickung türkischer Studenten ins Ausland war neben dem Import ausländischer Professoren wohl die bedeutendste Maßnahme zur Erziehung eines eigenen künstlerischen und wissenschaftlichen Nachwuchses, denn nahezu alle wirkten nach ihrer Rückkehr als Lehrkräfte an den Universitäten und Akademien. Zudem bedeutete der Auslandsaufenthalt eine besondere Form des Kulturtransfers, da die zeitgenössischen Diskurse in Westeuropa direkt vor Ort wahrgenommen und dann in die türkische Heimat transferiert werden konnten. Als graduierter Architekt der Akademie in Istanbul erhielt Sedad Hakki Eldem, die Architektenpersönlichkeit des 20. Jahrhunderts in der Türkei, ein dreijähriges Auslands Stipendium, das er in Frankreich, England und Deutschland verzehrte. In den Jahren 1929 und 1930 war Eldem in Berlin, wo er unter anderem bei dem erfolgreichen deutschen Architekten Hans Poelzig tätig war. Vermutlich war der Berliner als Teilnehmer des Wettbewerbs „Haus der Freundschaft" in der Türkei bekannt. Zahlreiche türkische Studenten wurden zeitweise oder über mehrere Jahre von dem Architekten unterrichtet und betreut. Poelzig legte großen Wert auf eine zweigliedrige Ausbildung der Schüler, die zum einen sein Seminar an der Technischen Hochschule besuchten und von denen einige auch in seinem Atelier beschäftigt waren13. Die Mitarbeit an Poelzigs Projekten dürfte für die noch jungen, unerfahrenen Architekturstudenten eine prägende Erfahrung gewesen sein. Sedad Hakki

11 Vgl. Friedrich Karl KIENITZ, Türkei. Anschluß an die moderne Wirtschaft unter Kemal Atatürk, Hamburg 1959, S. 66. 12 Ongun wird als Mitarbeiter Le Corbusiers im Œuvre Complète erwähnt. Vgl. Willy BOESINGER und Hans GLRSBERGER, Le Corbusier 1910-65, Zürich 1967, S. 8. Nach Ongun hospitierten noch Halit F emir und Abrurrahman Hanci bei Le Corbusier. Vgl. Birgit MAYER, Studien zu Hans Poelzig - Bauten und Projekte der 20er Jahre, München 1986, S. 33.

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Eldem kam während seines Berliner Aufenthalts und seiner Tätigkeit im Atelier Poelzig mit dessen Reflexionen zur modernen Lichtspielarchitektur in Berührung. Im Atelier Hans Poelzigs gehörte die Theater- und Filmarchitektur zu den wichtigen Auftragsbereichen; etliche Wettbewerbsbeiträge und ausgeführte Bauten sprechen vom Interesse an dieser Gattung. Zahlreiche Zeichnungen Eidems, größtenteils aufwändig in Farbe ausgeführt, widmeten sich der Kinoarchitektur14. Zurück in der Türkei, veröffentlichte Eldem einen Aufsatz zum Kinobau in der Architekturzeitschrift „Mimar"15. Darin gab er einen Überblick über die Ausstattung und die Architektur zeitgenössischer Lichtspielhäuser in Europa und in der Türkei, um abschließend ein eigenes Projekt ausfuhrlich vorzustellen. Die Ausführungen geben unmittelbaren Aufschluss über Eidems Erfahrungen und Reflexionen, die in der Wertschätzung technischer Innovation und funktionaler Grundrisse deutlich unter der Wirkung des Berliner Aufenthalts stehen. Ein anderer bedeutender türkische Architekt wird 1931 auf der Berliner Ausstellung „Poelzig und seine Schule" erwähnt: Seyfi Nassih Himmetzade, der später den Namen Seyfi Arkan annahm16. Seit März 1930 besuchte der junge Türke Hans Poelzigs Meisteratelier für Baukunst an der Preußischen Akademie der Künste zu Berlin, zudem war er Mitarbeiter im Baubüro. Ein Zeugnis hebt Arkans technische Kenntnisse und „seine hervorragende künstlerische Begabung" hervor17. Arkan war im Büro Poelzig mit einem breiten Spektrum an geplanten und auszuführenden Projekten konfrontiert wie die Wettbewerbe um das Theater für musikalische Massenauffiihrungen in Charkow und den Sowjetpalast in Moskau sowie den Bau des IG-FarbenVerwaltungsgebäude in Frankfurt am Main. Zudem machte sich der junge Architekt in Berlin mit zeitgenössischen Siedlungskonzepten vertraut, darunter Bruno Tauts Berliner Wohnsiedlungen „Onkel Toms Hütte" und die sogenannte „Hufeisensiedlung". Arkans großes Interesse an neuen Wohnkonzepten für die Arbeiter- und Mittelschicht wie auch für wohlhabende Auftraggeber spiegelt sich in den Entwürfen wieder, die er vermutlich noch in Berlin erarbeitete: Sein „Ökonomisches Reihenhausprojekt", publiziert 1933 in der Zeitschrift „Mimar", behandelt seriell herstellbare, und damit ökonomische Wohnformen, die Arkan in seinen Arbeitersiedlungen für Zonguldak und Kozlu fortsetzte. Arkans Entwurf zeigt, dass parallel zu den Funktionalisierungsbestrebungen in Deutschland auch in der Türkei auf die

14 Vgl. Sibel BOZDOÖAN, Suha ÖZKAN und Engin YENAL, Sedad Eldem. Architect in Turkey, Singapore 1987, S. 34. 15 Vgl. Sedad Hakki ELDEM, Sinema binalan, in: Mimar 2 (1931), S. 51-58. 16 Vgl. Poelzig und seine Schule, Ausst.-Kat. Akademie der Künste, Berlin 1931, S. 13. 17 Zeugnis von Erich Zimmermann [Mitarbeiter Hans Poelzigs], 9. 3. 1931, Sammlung Florya DenizkôçkU.

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fortschreitende Industrialisierung und den Bevölkerungszuzug in die Großstädte reagiert wurde. Nicht nur Architekten, auch türkische Maler und Zeichner arbeiteten in den zwanziger Jahren in Berlin. Einer der erfolgreichsten und prominenten türkischen Künstler in Deutschland war Osman Assaf Kenan Temizan (18951953), der unter seinem Vornamen Kenan18 zeichnete und vermutlich seit 1920 in Deutschland lebte. Der Künstler absolvierte seine Ausbildung Anfang der zwanziger Jahre an der Unterrichtsanstalt des Staatlichen Kunstgewerbemuseums bei Otto Haas-Heye in Berlin. Schon während des Studiums konnte Kenan erste Illustrationen und Titelblätter in der Modezeitschrift „Sport im Bild" publizieren. Später war er einer der prominentesten Dozenten an der Reimann-Schule, wo er seit Oktober 1926 bis 1943 als Lehrer für Modeentwurf und modische Illustration beschäftigt war. Bis 1935 zählte Kenan zu den Mitarbeitern des Magazins „die neue linie". Zahlreiche Modezeichnungen in deutschen Mode- und Luxusmagazinen der zwanziger Jahre tragen sein Signet Kein anderer Modegraphiker der zwanziger Jahre gab der Großstadt und ihren Bewohnern ein eleganteres Gesicht. In seinen mondänen Illustrationen sind Hochhäuser, leuchtende Reklametafeln und Automobile ein wichtiges und wiederkehrendes gestalterisches Moment. Seine Modefigurinen sind als Kosmopoliten definiert, die sich mit größter Eleganz auf dem Urbanen Parkett bewegen. Kenan war bekannt für seine dem Alltag enthobenen Figurinen, die als Vertreter einer Urbanen Eleganz im Bild erschienen. Er zeichnete für ein elitäres Publikum und schuf eine Traumwelt, die von Problemen der Realpolitik, wirtschaftlichen Unwägbarkeiten und gesellschaftlichen Rissen unberührt blieb. Poetische Titel und kleine Bilderzählungen sollten den Unterhaltungswert steigern. Besonders ansprechend aufgrund ihrer sorgfaltigen Bearbeitung und künstlerischen Ausdruckskraft sind die acht handkolorierten Bildertafeln, die Kenan zwischen 1922 und 1924 für „Styl" schuf. „Verlorene Illusion" (Abb. 2) enthält ein starkes narratives Moment, die Reaktion einer Erzürnten oder Enttäuschten, die einen Brief nach seiner Lektüre in Flammen aufgehen lässt. Der Raum ist teilweise gegenständlich erfasst - eine Truhe ist deutlich als solche dechiffrierbar - , andererseits ist das Feuer als abstraktes Farbmuster umgesetzt. Die elegante Figur ist entindividualisiert, Gesicht und Körper stilisiert und erinnert in ihrer schmalen Silhouette und den Gesichtszügen an die Frauendarstellungen Amadeo Modiglianis - des Künstlers, der auf die französische Modegraphik der zwanziger Jahre großen Einfluss hatte. Kenan selbst lebte in den Jahren 1924 und 1925 als Korrespondent des Magazins „Die deutsche Elite" in Paris und sammelte dort offensichtlich wichti18

Kenan Temizan kam unter seinem ursprünglichen Namen Osman Assaf Kenan zur Welt. Erst im Zuge der Namensreform Atatürks legte er sich vermutlich den Nachnamen Temizan zu.

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ge künstlerische Eindrücke. Um seinen Modebildern eine kostbare Aura zu verleihen, setzte der Künstler mit Vorliebe Farblavuren mit silbernen Metallpartikeln ein. So auch in dem Pochoirdruck „Nach dem Theater" von 192419, dessen Blickfang und optischer Mittelpunkt ein elegantes Paar in Abendgarderobe ist, das auf einem Gehweg steht. Kenan arbeitet wieder mit dem Mittel der extremen Überlängung. Die untersichtig wiedergegebenen Figuren füllen den Bildraum in der Senkrechten nahezu vollständig aus. Die Gesichter sind in der für Kenan typischen Weise stilisiert und auf wenige Merkmale reduziert. Das Paar steht im Kontrapost und scheint mit distinguiertem Gesichtsausdruck fur ein unsichtbares Publikum zu posieren. Die beiden sonnen sich im Scheinwerferlicht der Großstadt, wobei Lichtstrahlen und Kreise die Szenerie beleuchten. Es ist auffällig, dass Kenans türkische Herkunft in keinem der zahlreichen zeitgenössischen Beiträge über ihn erwähnt wird. Ob der Künstler selbst seine Identität verschleierte oder diese grundsätzlich kein Thema war, kann nicht rekonstruiert werden. Noch in den ersten Jahren des Zweiten Weltkriegs blieb Kenan in Berlin und kehrte der Stadt erst 1943 im Zuge der Bombardierungen durch die Alliierten den Rücken. In jenem Jahr trat Kenan eine Stelle an der Akademie der Schönen Künste in Istanbul an und linterrichtete dort das Fach Modezeichnen. Jedoch war der Künstler bereits in den 1930er Jahren für die türkische Propagandazeitschrift „La Turquie Kemaliste" tätig (Abb. 3), die den Errungenschaften der republikanischen Türkei unter Mustafa Kemal Atatürk gewidmet war.

Bruno Taut - ein deutscher Architekt im Dienst der Türkischen Republik Es scheint, als partizipierten audi Türken wie Kenan, die seit Jahren in Westeuropa lebten, an den radikalen Veränderungen in der Türkei während der 1920er und 1930er Jahre. Nach dem kriegsbedingten Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und der Gründung der Türkischen Republik im Jahr 1923 prägte ein umfassender Erneuerungswillen das Land. Die neue Regierung betrieb die Loslösung vom osmanischen Erbe, um Gesellschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur des Landes grundlegend zu reformieren20. Die Europäisierung der Türkei gehörte zu den vordringlichen Anliegen des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk, der ein islamisches, feudalistisches Herr19

Styl 2 (1924), Tafel 9. Zu den Reformen nach Gründung der Republik vgl. Jan CREMER und Horst PRZYTULLA, Exil Türkei. Deutschsprachige Emigranten in der Türkei 1933-1945, 2. Aufl., München 1991, S. 16 f.; vgl. auch Kemal BOZAY, Exil Türkei. Ein Forschungsbeitrag zur deutschsprachigen Emigration in die Türkei (1933-1945), Münster/Hamburg/London 2001, S. 22-27. 20

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schaftssystem überwinden und einen progressiven Industriestaat etablieren wollte. Die angestrebte Modernisierung und Verwestlichung sollte durch westeuropäische Spezialisten beschleunigt werden, die man für Schlüsselpositionen in Wirtschaft, Bildung und Kultur verpflichtete. In einem Brief aus Istanbul beschrieb der Stadtplaner Martin Wagner im Jahr 1937 die Richtung der türkischen Reformbestrebungen: „Das Europäische reizt sie, aber sie haben noch kein geistiges und vor allem noch kein seelisches Verhältnis zu diesen gefahrlichen Dingen"21. Wagner, der als Berliner Stadtbaurat in den zwanziger Jahren mit Problemen der Urbanisierung und Motorisierung konfrontiert worden war, warnte vor einer gedankenlosen Adaption vermeintlicher europäischer Errungenschaften. Allerdings war Martin Wagners Tätigkeit in der Türkei eben eine Folge jenes umfassenden Modernisierungsprozesses, in den er als städtebaulicher Berater der Stadt Istanbul eingebunden war. Vor allem für den architektonischen und künstlerischen Umbau des Landes lud die türkische Regierung Fachleute aus dem deutschsprachigen Raum ein. Deutsche und österreichische Spezialisten verantworteten wichtige Bildungs- und Staatsbauten sowie die städtebauliche Konzeption der Hauptstadt. In Ankara verdichteten sich die politischen Ziele der Kemalisten, denn die Neukonzeption einer Stadt nach europäischem Muster bot die Möglichkeit einer tabula rasa. Politische Prinzipien konnten unmittelbar in Stadtplanung und Architektur einfließen. Kamen ab 1927 deutschsprachige Stadtplaner und Architekten, darunter der Berliner Hermann Jansen und der Wiener Clemens Holzmeister, aus wirtschaftlichen Gründen und zum Aufbau des Landes, so veränderten sich die Einreiseabsichten nach 1933. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten und ihre Verfolgungspolitik führten zu einem Exodus deutschen Kulturlebens. Zahlreiche Exponenten der künstlerischen Avantgarde wurden aus ihren Berufen gedrängt, viele flohen ins Ausland. Die „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland" vermittelte zahlreiche Emigranten in die Türkei, und auch Empfehlungen von renommierten Architekten und Künstlern wie Walter Gropius, Hans Poelzig und Martin Wagner verschafften einigen ihrer Kollegen eine Einladung türkischer Ministerien. 1936 war Bruno Taut, nachdem er bereits in Japan exiliert war, auf Empfehlung von Wagner in die Türkei gekommen. Vor allem durch seine Berliner Siedlungsbauten hatte sich der Architekt in den 1920er Jahre einen internationalen Namen gemacht. Istanbul kannte er noch durch die Teilnahme am Wettbewerb „Haus der Freundschaft" im Jahr 1916 und seinen Besuch, der ihn nachhaltig beeindruckt hatte.

21

Martin Wagner an Emst May, 1.5.1937, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, Nachlass Emst May.

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Bruno Taut wurde gleich in zwei Positionen verpflichtet. Einerseits sollte er der Abteilung für Architektur an der Akademie vorstehen und hier wichtige Studienreformen umsetzen. Andererseits leitete er den Hochschul- und Schulbau der gesamten Türkei. Mit seinen Mitarbeitern Margarete SchütteLihotzky, Wilhelm Schütte und Franz Hillinger, allesamt ebenfalls Emigranten, baute Taut eine Vielzahl an wichtigen Bildungseinrichtungen im ganzen Land. Das Prestigeprojekt war dabei die Fakultät für Sprache, Geschichte und Geografie der Universität Ankara (Abb. 4). Taut schuf eine eigenwillige Architektur mit verschiedenen, asymmetrisch angeordneten Baukörpern. Dem mehrstöckigen repräsentativen Hauptbau ist die einstöckige Aula vorgelagert; beide Gebäudeteile verbindet ein großer Eingang mit geschwungenem Dach, das wie eine Referenz auf japanische Architekturen anmutet. Taut bezog sich in seinem Entwurf nicht nur auf frühere Bauten aus der deutschen Schaffenszeit und die Erfahrungen aus dem japanischen Exil, sondern setzte sich auch mit der nationalen Architekturgeschichte auseinander. Die Straßenfassade aus Ankarastein schallt lokalen Bezug, während die Vermauerung von Steinquadern und schmalen Ziegelbändern an den Seitenflügeln sowie die grünen Fliesenbänder des Foyers auf die Moscheen- und Prunkarchitektur verweisen. Andererseits sind in der Asymmetrie der Konzeption, dem rauen Putz der rückwärtigen Fassade und den sichtbaren Betonstützen in der Aula Referenzen zur modernen deutschen Architektur der zwanziger Jahre zu erkennen. An der Fassade des Baus prangt Atatürks Leitspruch „Hayatta en hakikî miirçit ilimdir" [Der wahre Wegweiser des Lebens ist die Wissenschaft], der damit auch zum Prinzip der Fakultät wurde. In der Architektur der Fakultät, die 1940 eröffnet wurde, versuchte Taut eine Symbiose zwischen historischer Bautradition und modernen Architekturelementen zu schaffen. Neben der Projektierung zahlreicher Schulbauten für das Unterrichtsministerium und der Arbeit mit den Studenten war Bruno Taut vor allem sehr stark in die Verwaltung der Abteilung für Architektur eingebunden. Wesentliche Bemühungen Tauts galten der Effizienz und Straffung des fünfjährigen Studiums, Befreiung von nutzlosen Arbeiten und Veränderung der Beziehung zur Baupraxis. Taut erprobte unorthodoxe Unterrichtsmethoden, wobei er großen Wert auf Anschaulichkeit und Lebensnähe legte. Für den Architekten sollte sich sein Einfluss im Idealfall in der Gesamtheit des reformierten Lehrprogramms spiegeln. Gradmesser konnte nach erfolgter Reformierung eine ganzheitliche Ausbildung des jungen Architekten sein, deren Grundlagen ein Gleichgewicht von künstlerischen, gesellschaftlichen und technischen Inhalten sein sollte. Sein künstlerisches Programm konnte Taut nur noch teilweise durchsetzen, da er bereits im Dezember 1938 in Istanbul verstarb. Nur wenige Wochen vorher hatte er den Katafalk zur Aufbahrung des Leichnams Mus-

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tafa Kemal Atatiirks entworfen und sich nicht zuletzt mit diesem Auftrag als Staatskünstler im Dienste des türkischen Staates bewiesen.

Ein Berliner Bildhauer und die republikanische Denkmalskultur Bruno Taut hatte an der Akademie noch weitere deutsche Kollegen wie den Stadtplaner Martin Wagner und den Berliner Bildhauer Rudolf Belling, der 1919 mit seiner abstrakten Skulptur „Dreiklang" internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Als Avantgardist war Belling nach 1933 ins Visier der Nationalsozialisten geraten. Der Bildhauer, der in den zwanziger Jahren unter anderem für Gewerkschaften gearbeitet hatte, erhielt nach 1933 immer weniger Aufträge. Spätestens mit der Diffamierung seiner Werke auf der berüchtigten Ausstellung „Entartete Kunst" von 1937 entschied er sich zur Emigration. Auf Einladung des türkischen Unterrichtsministeriums sollte er die Abteilung für Bildhauerei an der Akademie der Schönen Künste in Istanbul leiten und grundlegend reformieren. Belling war vor die Aufgabe gestellt, ein Land ohne weit zurückreichende bildhauerische Tradition und an einer technisch und personell unterversorgten Institution eine eigene Kultur der Bildhauerei zu begründen. Sofort nach seiner Ankunft begann er mit der Neuregelung des bildhauerischen Studiums. Die Ausbildung war in mehrere Studienabschnitte unterteilt: Zunächst sollten sich die Studenten mit anatomischen Studien befassen und antike Skulpturen kopieren. Das zweite Jahr war der Erarbeitung von Reliefs gewidmet; erst im dritten Studienabschnitt sollten sich die Schüler der Herstellung von Plastiken widmen. In den „cours de soir" wurde lebensgroß nach Aktmodellen gearbeitet. Erstmals war damit der nackte Körper als künstlerisches Studienobjekt zugelassen und wurde damit zum wichtigen Thema in der Bildhauerausbildung22. Im vierten Jahr konnten die Studenten eine eigenständige Komposition erstellen. Der deutsche Bildhauer vermittelte seinen Studenten nicht nur das technische und künstlerische Rüstzeug, sondern gewährte ihnen weit reichende Einblicke in die Kunstgeschichte, zurück bis zur antiken Skulptur, auf deren künstlerischer und kompositorischer Formensprache sich die meisten Belling-Schüler beriefen. Zu dem kunstgeschichtlichen Exkurs gehörte vermutlich auch die Zeit des großen „Staatsporträts" in Deutschland - das 19. Jahrhundert, dessen künstlerische Zeugnisse Belling aus eigenem Augenschein erlebt hatte. Was mochte nahe liegender sein, als auf das Repertoire dieser Epoche der staatlichen Repräsentativporträts zurückzugreifen? Auf diese Weise - und das verdeutlicht das Gros der türkischen staatlichen Auf22

Vgl. Meriç HIZAL, Cumhuriyet Döneminde Heykelcilik, in: Cumhuriyet Dönemi Türkiye Ansiklopedisi, Bd. 4, Istanbul 1983, S. 886-897, hier: S. 890.

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tragskunst - beeinflusste Belling die gängigen Schemata der Denkmäler und etablierte eine Gedächtniskultur, die da* Visualisierung staatlicher Macht diente und von den nachfolgenden Generationen weitergeführt wurde. Viele Studenten Bellings machten Karriere, gehörten zu den erfolgreichen Künstlern des 20. Jahrhunderts in der Türkei und erhielten öffentliche Aufträge23. Als Denkmalskünstler hatten sie die Aufgabe, an der permanenten bildkünstlerischen Anwesenheit des nationalen Idols und Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk mitzuwirken. Die über das gesamte Land verteilten Atatürk-Statuen und Denkmäler dienten der Propagierung nationalpatriotischer Inhalte: Ruhmreiche Episoden aus dem Leben und Kämpfen Atatürks um sein Land, Porträts des politischen Führers und seine bildungspolitischen wie wirtschaftlichen Erfolge sind die Themen, mit denen sich zahlreiche türkische Bildhauer nach Belling befassten. Das Darstellungsspektrum zeigt deutliche Analogien zum nationalpolitischen Personendenkmal des Wilhelminischen Kaiserreichs, der Visualisierung Wilhelms des Grossen als Büste, Standbild oder Reiterstandbild. Das idealtypische Wilhelm-Standbild wurde im 19. Jahrhundert auf zentralen Plätzen in Städten des gesamten Kaiserreiches installiert24. Auch Atatürk wurde von BellingSchülern sehr häufig im Standbild porträtiert, wobei er als militärische Attribute, ähnlich wie Wilhelm I., Feldstecher oder Marschallstab bei sich führt. Die figurativen Atatürk-Denkmäler in der Türkei sind das Versprechen und die Selbstvergewisserung, dass der „Unsterbliche Führer" [ebedi çef], wie Atatürk nach seinem Tod genannt wurde, noch immer seine schützende Hand über die nationale Identität hält25. In seinen eigenen Arbeiten (Abb. 5) - Portraits kemalistischer Politiker oder Denkmäler für den Atatürk-Nachfolger und Staatspräsidenten Ismet Inönü - arbeitete Belling ebenfalls figurativ. Die Wiedererkennbarkeit der Modelle war oberstes Gebot, so dass der Künstler sich nur in seinen freien Arbeiten erneut der Abstraktion zuwenden konnte. Denkmäler sollten Teil einer Überzeugungskunst im öffentlichen Raum sein, die der Bevölkerung nachhaltig die Errungenschaften der Ära Atatürk vermitteln sollte. An den in der Türkei vorhandenen avantgardistischen Zirkeln, wie der „Unabhängigen Vereinigung von Malern und Bildhauern", die für eine Auseinandersetzung mit dem europäischen Kubismus, Konstruktivismus und 23

·*

Zu nennen sind: Htlseyin Anka Ozkan, Hakki Atamulu, Yavuz Görey, Rahmi Artemiz, Ilhan Koman, Mari Gerekmezyan, Zerrin Bölükba$i, Türkän Tangör, Htlseyin Gezer, Kâmil Sonad, Turgut Pura, Muzaffer Ertoran, Mehmet Çadi Çalik, Ayperi Balkan, Vahyi Incesu und Ismail Hakki Öcal. 24 Vgl. Reinhard A L Í N G S , Monument und Nation. Das Bild vom Nationalstaat im Medium Denkmal. Zum Verhältnis von Nation und Staat im deutschen Kaiserreich 1871-1918, Berlin/New York 1996, S. 120-122. 25 Vgl. Sibel B O Z D O Ö A N , Modernism and Nation Building. Turkish Architectural Culture in the Early Republic, Singapore 2001, S. 282 f.

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Expressionismus eintrat, partizipierte Belling nicht. Ebenso wenig war er an der von Nurullah Berk begründeten „D-Grup" beteiligt, die seit 1933 einen Anti-Akademismus und den Anschluss an die europäische Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts propagierte26. Vermutlich distanzierte sich Belling von diesen Gruppierungen, da er der Meinung war, die neue türkische Bildhauerei müsse zunächst einmal den Prozess vom Abbildhaften zum Abstrakten durchlaufen. Diese Entwicklung vollzog sich in der westlichen Zivilisation innerhalb vieler Jahrhunderte, und Belling wehrte sich in der akademischen Erziehung des Nachwuchses gegen eine unreflektierte Adaption etablierter künstlerischer Positionen. Von einigen türkischen Künstlern wie Hadi Bara und Zühtü Müritoglu wurde Bellings Wirken äußerst kritisch gesehen, und 1950 richtete die Akademieleitung erstmals ein zweites Bildhaueratelier ein. Kurze Zeit später wechselte Belling an die Istanbuler Technische Universität, wo er seit 1950 bis zu seiner Remigration 1966 das freie Modellieren unterrichtete.

Türkei und Europa - künstlerische Verflechtungen Der kulturelle Austausch zwischen Deutschland und der Türkei manifestierte sich im frühen 20. Jahrhundert in verschiedensten Konstellationen, die in Abhängigkeit historischer Umbrüche gelesen werden können. Waren um 1900 vor allem wirtschaftliche und außenpolitische Interessen ursächlich für das Wirken deutscher Architekten im Osmanischen Reich, so sollte die Entsendung türkischer Studenten und Graduierter nach Westeuropa zu einem Wissens- und Kulturimport beitragen. Ziel war nach 1923 in der Türkischen Republik eine rasche Reformierung von Wissenschaft und Kultur. Dieser Fortschritt sollte durch die Auslandserfahrungen begabter türkischer Architekten und Künstler vorangetrieben werden. Ein anderes Mittel, um die Modernisierung, eine der großen Ziele des Kemalismus, zu erreichen, war der Import ausländischer Fachkräfte in die Türkei, wie sie nach 1927 verstärkt betrieben wurde. Österreichische und deutsche Architekten, Stadtplaner und Bildhauer waren besonders beliebt und sollten für begrenzte Zeit zum Motor des kulturellen Aufbaus werden. Noch heute lassen sich vor allem in der neuen Hauptstadt Ankara die Zeugnisse der Migranten und späteren Emigranten finden.

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Die „D-Grup" subsumierte Künstler mit verschiedenen Referenzen und stilistischen Charakteristika, die jedoch alle deutlich eine Annäherung an westliche, moderne Ausdrucksformen suchten. Die „D-Grup" löste sich 1947 auf. Vgl. Gönül GÜLTEKIN, Developments in Turkish Painting and Sculpture. The AtatUrk Period (1923-1938), in: Turkish Review Quarterly Digest 6 (1986), S. 89-105, hier: S. 96.

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Doch der kulturelle Austausch blieb nicht auf den deutschsprachigen Raum beschränkt. Vor allem Frankreich und insbesondere Paris hatte Bedeutung für die Entwicklung türkischer Kunst und Stadtplanung im frühen 20. Jahrhundert. So war der Stadtplaner Henri Prost zwischen 1936 und 1950 für die Entwicklung der Stadt Istanbul verantwortlich und zog sich die Feindschaft des zeitgleich in der Stadt weilenden ehemaligen Berliner Stadtbaurats Martin Wagner zu. Hier trafen zwei konträre städtebauliche Überzeugungen aufeinander. Auf der einen Seite der rationale Planungsgedanke Wagners, der die Stadt als Betrieb und den Stadtplaner als Regisseur definierte, bei dem Wohnqualität, Verkehrsaufkommen und wirtschaftliche Parameter in einem Ausgleich stehen sollten. Auf der anderen Seite die französische Tradition mit ihren Prachtstraßen und der auf Repräsentation zielenden Planung. So lässt sich Istanbul nicht nur als Ort eines Kulturaustausche zwischen zwei Ländern sehen - beispielsweise Deutschland und der Türkei - , sondern auch als Bühne für transnationale Diskurse. Wagner räumte übrigens nach nur zwei Jahren enttäuscht das Feld, da er seine anspruchsvollen Ideen nicht umsetzen konnte. Mit Leopold Levy (1882-1966) kam 1936, zeitgleich mit Rudolf Belling, ein französischer Maler an die Akademie der Schönen Künste27 und sollte in den folgenden 13 Jahren die akademische Ausbildung in der Malerei und der Gravüre prägen. Bereits zu Beginn begründete Levy, der sich als Landschaftsmaler betätigte, ein Atelier für Grafik, in dem die verschiedenen Techniken von da· Radierung bis zum Kupferstich unterrichtet wurden. Einige andere Verdienste sind Levy ebenfalls zuzuschreiben, so die Einrichtung einer Bibliothek an der Akademie sowie die Beteiligung am Aufbau der ersten Staatlichen Sammlung, dem Museum für Malerei und Bildhauerei in Istanbul, das auf sein Betreiben französische Kunst von Bonnard bis Dufy erwarb. Erst 1949 kehrte Levy nach Paris zurück. Paris als Wirkungsstätte des wohl einflussreichsten Bildhauers der Moderne, Auguste Rodin, war vor allem für die türkischen Bildhauer ein wichtiger Zielpunkt. Junge Türken gingen in die französische Hauptstadt, um dort Inspiration für ihre Arbeiten zu erhalten. Ali Hadi Bara (1906-1971) hatte in den zwanziger Jahren in Paris an der Académie Julian studiert, während Zühtü Müritoglu28 (1906-1992) an der Académie Colarossi ausgebildet wurde. Sowohl Bara als auch Müritoglu waren deutlich von französischen Künstlern wie Charles Despiau oder Aristide Maillol beeinflusst29. Über Jahre versuch27

Der von AtatUrk unterzeichnete Erlass, zwei ausländische Experten an der Abteilung filr Malerei und Bildhauerei der Akademie der Schönen Künste zu beschäftigen, datiert auf den 28.11.1936; gemeint waren Leopold Levy und Rudolf Belling. Vgl. Erlass des Staatspräsidenten, 28.11.1936, Nr. 2/5648. Cumhuriyet Baçbakanlik Arçivi, Ankara. 28 Auch die Schreibweise mit „d" (Müridoglu) ist Überliefert. 29 Vgl. Nurullah BERK, Türk Heykeltraçlari, Istanbul 1937, S. 61. Vgl. Hadi Baras „Eva", 1929, Resim ve Heykel Müzesi, Istanbul, mit Aristide Maillols „Mittelmeer" 1905, und

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ten Bara und Müritoglu vergeblich, ihre Karrieren in der Türkei fortzusetzen. Zu groß war zunächst die Dominanz ausländischer Bildhauer wie Heinrich Krippel und Pietro Canonica, die in den frühen 1920er Jahren die türkische Denkmalslandschaft prägten. Mit der Berufung Rudolf Bellings im Jahr 1936 erhielten über viele Jahre dessen Studenten und Mitarbeiter bedeutend«; öffentliche Aufträge. Zwar reüssierten Bara und Müritoglu mit Denkmälern wie dem Barbaros-Denkmal in Istanbul-Beçiktaç (1942) oder einem AtatürkDenkmal in Zonguldak (1946), doch ihr Durchbruch erfolgte erst in den frühen 1950er Jahren. Vorausgegangen war ein zweiter Paris-Aufenthalt, bei dem sie in Kontakt mit zeitgenössischen abstrakten Tendenzen kamen und ihre eigenen künstlerischen Überzeugungen revidierten. Fortan entfernten sie sich immer mehr vom Figurativen hin zur Abstraktion. 1950 übernahmen die beiden das erstmals begründete zweite Atelier für Bildhauerei an der Akademie der Schönen Künste in Istanbul, was letztlich zur Verdrängung Rudolf Bellings führte. Es lässt sich konstatieren, dass der Einfluss der französischen Kunst neben jener Deutschlands und Österreichs für die türkische Kultur des frühen 20. Jahrhunderts prägend war. Aufenthalte im Ausland, aber auch Künstlerkontakte, die durch die Einreise ausländischer Spezialisten zustande kamen, förderten den Austausch in beide Richtungen, so wie ihn Peter Burke in seinem Buch „Kultureller Austausch"30 von 2000 definierte: Kulturtransfer findet nie in nur eine Richtung statt. Transnational arbeitende Künstler, wie sie im vorliegenden Beitrag vorgestellt wurden, trugen wesentlich zur Verbreitung künstlerischer Ansätze und Theorien bei.

Zühtü Müritoglus „Akt", 1940, Resim ve Heykel Mtlzesi, Istanbul, mit Charles Despiaus Bronze „Assia" von 1937. 30 Vgl. Peter BURKE, Kultureller Austausch, Frankfurt am Main 2000.

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Abb. 1: Helmuth Cuno und Otto Ritter: BahnhofHaydarpaça in Istanbul, 1909, Aufnahme 2007

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Abb. 3: Osman Assaf Kenan, Titelbild, in: La Turquie Kemaliste 7 (1935)

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Abb. 4: Bruno Taut, Fakultät für Sprache, Geschichte und Geografie in Ankara, 1936-1940, Eingangsfront, Aufnahme 2003

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Abb. 5: RudolfBelling: Standbild Inönii, Hof der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Ankara, 1943-1944, Aufnahme 2004

Abb. 1-5: Archiv der Verfasserin.

Europas neue Nomaden Max Ernst zwischen Welterkundung und Vertreibung Von

Julia Drost Reisen, Aufbruch, Neugier und Lust auf Veränderung haben von jeher Künstler und Dichter zu schöpferischer Kreativität, Originalität, Intensität, Sensibilität und Tatenkraft inspiriert. Die abseits des alltäglichen Lebens gewonnenen Eindrücke und Seherfahrungen wirken anders, eindringlicher und tiefer auf den Reisenden, als es die Sinneswahrnehmungen in der gewohnten Umgebung auszulösen in der Lage sind. Die berühmte Tunis-Reise von August Macke, Paul Klee und Louis Moilliet 1914 wird so immer wieder als eindrückliches Beispiel herangezogen, wenn es darum geht, die schöpferische Wirkung aufzuzeigen, die im frühen 20. Jahrhundert die Konfrontation mit dem Neuen, Ungewohnten, Noch-nie-Gesehenen für die Künstler bedeutet. Doch ist es nicht allein die Begegnung mit dem Unbekannten, die die künstlerische Nachhaltigkeit ausmacht. Denn erst aus der Verbindung des bereits vorhandenen Wissens mit dem Neu-Gesehenen, dem Faszinierenden und Überraschenden ergibt sich das eigentlich schöpferisch-innovative Moment des Künstlers auf Reisen. Allein, im 20. Jahrhundert gewinnt künstlerische Mobilität eine neue Qualität, räumliche Veränderung gehört schon aus politisch-historischen Gründen zu fast jeder Künstlerbiographie der Generation um 1900. Revolutionäre Umwälzungen und politische Krisen, zwei verheerende Weltkriege und eine krisenerschütterte Weimarer Republik wirkten sich prägend auf das Schicksal ganzer Künstlergenerationen in Deutschland und Europa aus. Lässt sich mit Max Ernst eine solche Künstlerbiographie des 20. Jahrhunderts exemplifizieren, stellt der 1891 im Rheinland geborene Surrealist gleichzeitig einen Sonder-, wenn auch keinen Einzelfall dar, denn Mobilität ist bei ihm Lebensform. Sie ist gewollte Lebensform, und ist doch zugleich nicht immer freiwillig, sondern durch die politischen Verhältnisse seiner Zeit bedingt. Der Künstler ist mobil, agiert und reagiert auf ihn immer wieder aufs Neue fordernde Einflüsse. Als die amerikanische Zeitschrift View im Jahre 1942 dem nach New York ausgewanderten Exilkünstler Max Ernst ein Sonderheft widmet, schreibt darin Henry Miller über seine erste Begegnung mit dem Künstler: „[...] ich spürte, daß Max Ernst ein geborener dépaysé war, ein flüchtiger Vogel in

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Menschengestalt, der unablässig seine ganze Kraft aufbot, um sich über die äußere Welt [...] zu erheben"1. Was der Dichter poetisch umschreibt, trifft im Kern auf das gesamte Leben des Surrealisten zu, dessen Biographie von beständiger Veränderung und permanenten Ortswechseln zwischen Ländern und Kontinenten - Deutschland, Frankreich und Amerika - geprägt ist; eine Biographie, die Konturen einer möglichen geographischen und nationalen Verortung des Künstlers nach und nach verschwimmen lässt. So fragt der Kunsthistoriker Eduard Trier anlässlich der ersten Max Ernst-Ausstellung 1953 in der Kölner Galerie Der Spiegel nicht ohne eine gewisse Berechtigung: „Wer ist Max Ernst heute? Ein Amerikaner in Paris? Ein Brühler in Köln? Ein Heimkehrer zum Vater Rhein?42. Max Ernst selbst hat das Vagabundieren und eine fortwährende Unruhe später als das wesentliche Merkmal seiner Natur beschrieben, von der auch sein künstlerisches Schaffen nicht unberührt geblieben sei: „Wie mein Leben", räsoniert der Künstler im Alter von über sechzig Jahren, „so ist auch mein Werk nicht harmonisch im Sinne der klassischen Komponisten, nicht einmal im Sinne der klassischen Revolutionäre"3.

Dialektik des Exils Jacqueline Chénieux-Gendron hat die Reiselust vieler Surrealisten grundsätzlich als vitalen Bestandteil ihrer künstlerischen Kreativität herausgestellt. Paul Eluard und Jacques Viot begeben sich auf Weltreisen, Marcel Duchamp pendelt seit etwa 1910 zwischen Paris und New York, Michel Leiris erkundet 1933 den afrikanischen Kontinent, Leonora Carrington schließlich fährt gar ein kosmopolites Wanderleben. Ob der Rumäne Tristan Tzara in Zürich oder sein Landsmann Jacques Hérold in Paris, Marko Ristics Übersiedlung aus Jugoslawien 1927 oder die von Max Ernst aus dem Rheinland nach Paris 1922: alle diese Bewegungen zeugen von der Kraft und der Dynamik, der „magnetic attraction", die für die Künstler auf diesen „voyages of initiation" aus der Begegnung mit dem Fremden ausging4. „Exile can be a great impetus to thought and creativity, which is why so many artists have chosen it", 1 Henry MILLER, Another Bright Messenger, in: Max Ernst. Leben und Werk, hrsg. von Werner Spies, Köln 2005, S. 174. 2 Eduard TRIER, Die Ausstellung „Max Ernst - Bilder in der Kölner Galerie Der Spiegel", in: Schriften zu Max Emst, hrsg. von Jürgen Pech, Köln 1993, S. 139-145. 3 Max ERNST, in: Max Ernst. Mein Vagabundieren - meine Unruhe, ein Film von Peter Schamoni, Textbuch, 1991, o. S. 4 Jacqueline CHENIEUX-GENDRON, Exile: Another Kind of Resistance, in: Poetics Today, Vol. 17, N°3, Creativity and Exile: European/American Perspectives I (Autumn 1996), S. 437-451, hier S. 438.

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schreibt auch die polnische Schriftstellerin und Journalistin Eva Hoffman, die als Dreizehnjährige aus Polen nach Kanada emigrierte und die Erfahrung von Exil und Entfremdung selbst erlebt hat5. Sie wählt den Begriff der „New Nomads", um die Intellektuellen zu beschreiben, die sich durch die Erfahrung von Emigration und Exil, Verlust und Neuanfang sowie steter Bewegung zu einer existentiellen Auseinandersetzung mit der eigenen Identität veranlasst sahen. Als der Zweite Weltkrieg seine düsteren Schatten vorauswirft, sehen sich viele Künstler und Literaten, so auch Max Ernst, gezwungen, Europa zu verlassen und in Amerika Exil zu suchen6. Verschiedene Ansätze der Exilforschung, insbesondere die deutsche, haben das Exil in einem engeren Deutungsansatz vornehmlich als Erfahrung von Leid, Verlust und Heimatlosigkeit interpretiert. Hier soll indessen in einem weiteren Verständnis des Exilbegriffs über die schöpferischen Möglichkeiten nachgedacht werden, die das Wanderleben für die Künstler bereithält. Dabei scheint mir der sehr viel breiter angelegte Emigrationsbegriff, den Vilém Flusser entwickelt hat, hilfreich. Er mag zugleich das nicht immer unfreiwillige Wanderleben des Surrealisten veranschaulichen: Am eigenen Leib Heimatlosigkeit, Emigration und Exil erfahren, berichtet der Autor nicht nur ausführlich über sein persönliches Leben, sondern versucht zudem, den Zustand der Emigration dialektisch zu erfassen: nämlich als einen Zustand der „Transzendenz", in dem sich Altes und Neues begegnen, in dem Vergangenheit und Gegenwart sich gegenseitig durchdringen und bedingen. Die Emigration wird hier als eine Art Spannungsverhältnis ausgelegt, hervorgerufen durch die gleichzeitige Erfahrung von Befreiung und Verlust Am Ende ist es genau dieser Versuch immer neuer Balance, die auch schöpferische Kreativität freizusetzen in der Lage ist. Sie begegnet uns im Werk von Max Emst immer wieder anschaulich: „Das Exil, wie auch immer es geartet sein möge", gerät, so Flusser, zur „Brutstätte für schöpferische Taten, für das Neue"7. Und in der Tat, so wie Max Ernst stets aufs Neue gesellschaftlichen wie politischen Umwälzungen und persönlichen Neuanfängen ausgeliefert ist, so ist 5 Eva HOFFMAN, The New Nomads, in: Letters of Transit: Reflexions on Exile, Identity, Language and Loss, hrsg. von André Aciman, New York 1999, S. 39-63. 6 Die Frage nach dem Exil ist im Fall von Max Ernst von der Forschung noch nicht umfassend gestellt worden. Vgl. hierzu Sabine ECKMANN, Max Ernst in New York, 1941-45, in: Exil. Flucht und Emigration europäischer Künstler, 1933-1945, Ausstellungskatalog Nationalgalerie Berlin, hrsg. von Stephanie Barron, Berlin 1997, S. 156-163. Die Autorin dankt Françoise Forster-Hahn für den Hinweis auf die Texte Vilém Flussers. Anregend war auch die Lektüre von Françoise FORSTER-HAHN, Max Beckmann in Kalifornien. Exil, Erinnerung und Erneuerung, München/Berlin 2007. 7 Vilém FLUSSER, Exil und Kreativität, in: Von der Freiheit des Migranten. Einsprüche gegen den Nationalismus, hrsg. von dems., Hamburg 2007, S. 103-109.

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am Ende auch sein Werk stets gekennzeichnet von Sprüngen - Brüchen - und einer immer wieder überraschenden Experimentierfreude, künstlerisch wie inhaltlich. Max Ernst macht damit jedoch nicht nur aus der Not eine Tugend, im Gegenteil: die schier endlose Rastlosigkeit wird sein Lebens- und sein Kunstelixier. Um ihn selbst sprechen zu lassen: „Ein Maler ist verloren, wenn er sich findet. Dass es mir gelungen ist, mich nicht zu finden, ist mein einziges Verdienst"8.

Kindheit und Erinnerung Der in Brühl 1891 als ältester Junge in einer siebenköpfigen Kinderschar geborene Max Ernst wächst in einem streng katholischen Eiterhaus auf. Harte väterliche Disziplin und die wilhelminische Strenge seiner Epoche erzeugen bei dem jungen Mann schon früh eine rebellische Haltung gegenüber Disziplin und bürgerlichen Konventionen. Diese findet ihren ersten Höhepunkt in der Bewegung Dada Köln, zu deren Mitbegründern Max Ernst in jungen Jahren zählt, bevor er sich endgültig entschließen soll, Deutschland zu verlassen. Und doch lässt der Künstler später immer wieder durchblicken, wie tief seine Verbundenheit zu seiner Heimat geblieben ist. Die Begegnungen, seine Erlebnisse und Erinnerungen, die Max Ernst in den Jahren seiner frühen Brühler Kindheit macht, sollen zu seinen wichtigsten Erfahrungen überhaupt werden. Fast alle entscheidenden Entdeckungen, die später in sein Werk einkehren, hat der Künstler auf diese jungen Jahre zurückgeführt. Dies gilt nicht nur fur die Frottage und die Grattage, die beiden indirekten Techniken, die der Künstler auf ein Fieberdelirium als Siebenjähriger zurückgeführt haben wollte, woraufhin er plötzlich in den Maserungen einer Schrankwand Formen und Figuren zu erkennen glaubte9. Es gilt auch für sein Verständnis bestimmter, wiederkehrender Sujets, so etwa das Leitmotiv des Waldes, das in jeder Schaffensphase zu finden ist. Die Beschäftigung mit diesem Thema geht auf den in seiner Freizeit malenden Vater zurück. Philipp Ernst wird der erste Lehrer des jungen Kindes. Des Vaters naturalistische Malweise bei der Wiedergabe der heimischen Wälder hat den Sohn stets ebenso beeindruckt wie verunsichert10.

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ERNST, Max Ernst (wie Anm. 3). Max ERNST, Max Ernst. Biografische Notizen. Wahrheitgewebe - Lügengewebe, in: SPIES, Max Ernst. Leben und Werk (wie Anm. 1), S. 38. 10 In dem kurzen, im Rahmen seiner autobiographischen Notizen verfassten Text „Was ist ein Wald?" formuliert Max Ernst die Frage nach dem Verhältnis von Wirklichkeit und Abbild, die sich ihm in der Rückschau erstmals als kleiner Junge gestellt habe, nämlich als er dem malenden Vater bei der Arbeit zugesehen habe; Vgl. SPIES, Max Ernst. Leben und Werk (wie Anm. 1), S. 37. 9

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Genauso prägend sind für Max Emsts persönliche wie künstlerische Biographie das Studium in Bonn und die Begegnung und Freundschaft mit August Macke, Hans Arp und den rheinischen Expressionisten. Hier, während seines Studiums in den Jahren 1910-1914 beschäftigt er sich auch mit Themen, die damals allenfalls noch eine marginale Rolle spielten. Neben Germanistik und Kunstgeschichte hört er Vorlesungen und Seminare, die sich mit Psychologie und Psychiatrie beschäftigen. Die Entdeckung psychologischer Kunst und das frühe Studium Freuds fesseln ihn immens. Später, unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, bringen sie den Künstler dazu, eingefahrene Sehgewohnheiten und ästhetische Sicherheiten in Frage zu stellen - Grundlage und wesentliche Voraussetzung für das Werk, das die Kunst des 20. Jahrhunderts schließlich so entscheidend revolutionieren soll. Flussers Überlegungen zu „Exil und Kreativität" fußen auf der Annahme der besonderen Spannung, die aus der Dualität zwischen Erinnerung und neuem Erleben, zwischen Erlebtem in der Vergangenheit und Erfahrungen der Gegenwart resultiert. Dass darüber hinaus gerade die Kindheit, verbunden mit Ritualen und Erinnerungen, als tiefe Wurzel des eigenen Daseins dazu fuhrt, sich in der Fremde niemals ganz zu integrieren, vertreten Thesen von Exilforschern, wie etwa André Aciman11. Das gilt wohl in zugespitzter Form für Max Ernst, der später alle zentralen Aspekte seines Schaffens auf frühe Erlebnisse seiner Kindheit zurückgeführt wissen will. Doch die zentrale Bedeutung, die Max Ernst seiner Kindheit beimisst, muss zudem grundsätzlich im Zusammenhang mit der surrealistischen Bewegimg und ihrer Programmatik gesehen werden: „Von den Kindheits- und einigen anderen Erinnerungen" gehe, so hält es André Breton im Ersten Manifest des Surrealismus fest, „ein Gefühl der völligen Ungebundenheit aus und in der Folge das Gefühl, abgeirrt zu sein"12. Die Kindheit, so Breton, auch die Kindheit der Kunst müsse wieder gewonnen werden. Mehr noch. Max Ernst geht darüber hinaus: Hier kennzeichnet die Auseinandersetzung mit diesen in der Kindheit wurzelnden Themen und Erfahrungen das gesamte Schäften. So ist den Werken Max Emsts stets eine doppelte Sicht und Dimension zu eigen, die man mit André Aciman folgendermaßen beschreiben könnte: „With their memories perpetually on overload, exiles see double, feel double, are double. When exiles see one place, they're also seeing - or looking for - another behind it"13. In diesem Sinn formt der dynamische Prozess zwischen Erinnerung an die Vergangenheit einerseits und Erneuerung in der Gegenwart andererseits fortwährend Biographie und Werk. 11

André ACIMAN, Permanent Transients (wie Anm. 5), S. 9-14. André BRETON, Erstes Manifest des Surrealismus, in: Die Manifeste des Surrealismus, deutsch von Ruth Henry, hrsg. von ders., Reinbek 1968, S. 11-43. 13 ACIMAN, Permanent Transients (wie Anm. 11), S. 13. 12

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Jahrbuch für Europäische Geschichte 11 (2010) Europa vor dem Regen - zwanziger Jahre in Paris

Als der Erste Weltkrieg ausbricht, muss Max Ernst vier Jahre in der Feldartillerie dienen. Er schreibt über diese Zeit in seiner Autobiographie: „Max Emst starb am 1. August 1914, er kehrte zum Leben zurück am 11. November 1918 als junger Mann, der ein Magier werden wollte, um den Mythos seiner Zeit zu finden"14. Wie für die meisten Künstler seiner Generation stellt der Erste Weltkrieg auch für Max Ernst ein entscheidendes, wegweisendes Erlebnis dar. Zusammen mit Hans Arp und Johannes Theodor Baargeld gründet er anschließend Dada Köln. Dort begegnete er 1919 auch Hans Arp wieder: „Dada war ein Ausbruch einer Revolte von Lebensfreude und Wut, war das Resultat der Absurdität, der großen Schweinerei dieses blödsinnigen Krieges", kommentiert Ernst rückblickend, der die Atmosphäre im Nachkriegsdeutschland als so bedrückend empfand, dass er 1922 entscheidet, nach Paris zu gehen15: Ausgestattet mit einem falschen Pass, den er sich von seinem Freund, dem Dichter Paul Eluard leiht, erreicht er die Metropole und findet sofort Anschluss an die Gruppe da* Pariser Dadaisten um André Breton. Dieser hatte ihn bereits ein Jahr zuvor eingeladen, in der Pariser Galerie Au Sans Pareil seine erste Ausstellung in Frankreich zu zeigen: Noch Jahre später empfindet Max Ernst diese Geste als sehr „mutig", wie er vermerkt, „denn", so Max Ernst weiter, „es gehörte etwas dazu, damals in Frankreich einen deutschen Maler vorzustellen"16. Immerhin sind erst drei Jahre seit Beendigung des so hasserfüllten Krieges zwischen diesen beiden Ländern vergangen. Die Besetzung des Ruhrgebietes durch die Franzosen steht erst noch bevor. Und doch sind die Pariser Literaten um André Breton durch Paul Eluard auf den Kölner Dadaisten aufmerksam geworden und nehmen dessen früheste Collagen, Durchreibezeichnungen, Übermalungen und Klischeedrucke, so Breton, wie eine „Offenbarung" auf17. André Breton hatte 1921 in seinem Text für den Ausstellungskatalog in der Galerie Au Sans pareil in dem Werk des Rheinländers die „tausend Mittel einer völlig neuen Kunst" entdeckt18. Max Ernst erhält seinerseits von internationalen Künstlern der Pariser surrealistischen Szene wichtige Impulse, die ihm bald zu größerer internationaler Bekanntheit und Vernetzung verhelfen. In Paris trifft er durch Hans Arp seine ehemalige Bonner Kommilitonin Carola Giedion-Welcker wieder. 14 Max ERNST, Einiges aus Max Emsts Jugend von ihm selbst erzählt, in: Max Ernst. Gemälde und Graphik, 1920-1950, Ausst.-Kat. Schloss Augustusberg Brühl, hrsg. von Lothar und Loni Pretzei Brühl 1951, S. 90-93. 15 ERNST, Max Ernst (wie Anm. 3). 16 Max ERNST, Ecritures, Paris 1970.

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André Breton in einem Radiointerview mit André Parinaud, 1952, in: SPIES, Max Ernst. Leben und Werk (wie Anm. 1), S. 174. 18 André BRETON, in: La mise sous Whisky marin, Ausst.-Kat. Galerie Au Sans Pareil Paris, Paris 1921.

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Die Kölner Unternehmertochter und Wölfflin-Schülerin Welcker gehört mit dem Architekturtheoretiker Siegfried Giedion zu den wichtigsten Vermittlern der internationalen Avantgarde in der Schweiz. Ihr Züricher Domizil, „ein Laboratorium der Moderne", ist ein offenes Haus fur Künstler, Literaten, Kritiker und andere Intellektuelle19. Carola Giedion-Welcker entwickelt sich zu einer Art Mentorin für den zwei Jahre älteren Künstler und arrangiert den Verkauf einiger Werke von Max Ernst an Schweizer Sammler. Dank der Vermittlung Siegfried Giedions erhält Max Ernst 1934 den Auftrag, das Züricher Corso-Dancing Mascotte mit einem großformatigen Wandgemälde auszustatten. Dieses ehemalige Variététheater wurde zu Beginn der 1930er Jahre von einem internationalen Architektenteam nach modernen und funktionalen Vorstellungen umgebaut.

Ahnung und Angst Die politischen Veränderungen und das Aufziehen des Faschismus in Europa beobachtet der Künstler von Frankreich aus mit großer Sorge. Als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland die Macht ergreifen, erkennt Max Ernst sofort, dass ihm die Rückkehr aus seiner Wahlheimat nunmehr verbaut ist. Es findet sich jedoch nirgends ein Hinweis darauf, dass ihn die Tatsache bedrückt hätte, nicht mehr nach Deutschland zurückgehen zu können, wo man ihn einige Jahre später als „entarteten" Künstler diffamiert. Zwischen 1933 und 1936 reist er mehrere Male für längere Zeit in die Schweiz, wo er u. a. 1934 bei der großen Surrealismus-Ausstellung im Kunsthaus Zürich vertreten war, für deren Katalog er den zentralen Text „Was ist Surrealismus?" verfasste. Mit dem politischen Zeitgeschehen setzte er sich intensiv auseinander, wie nicht nur sein Werk der 1930er Jahre, sondern auch sein antifaschistisches Engagement belegt. Wie in den Arbeiten anderer surrealistischer Künstler stellen der Destruktionstrieb des Menschen, seine Aggressionen wie auch seine undurchdringlichen inneren Tiefen zentrale Themen dar. Monströse Gestalten in den Horden, rasende Pferde in den Windsbräuten, organisch deformierte Wesen aus der Tier-, Pflanzen- und Menschenwelt beherrschen Max Emsts pikturales Universum bereits seit den späten 1920er Jahren. In den 1930er Jahren gewannen sie jedoch im Werk bedeutend an bedrohlicher Präsenz. Verschlungene Vögel gleichen Dämonen, die Horden verwandeln sich in fiirchteinflößend-unaufhaltsame Ungeheuer. In den Flugzeugfallen übernehmen klebrige 19

Iris BRUDERER-OSWALD, Das Neue Sehen. Carola Giedion-Welcker und die Sprache der Moderne, Bern 2007.

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Pflanzen die Herrschaft. Wälder und Städte gleichen nunmehr todbringenden Versteinerungen. Mit der Häufung der Ungeheuer geht eine inhaltliche Verlagerung in der Aussage einher. Sind die Hordenbilder Max Emsts Ende der 1920er Jahre noch durchaus positiv konnotiert in dem Sinn, dass sie Zivilisationsbruch und modernes Barbarentum für den Kampf um die (surrealistische) Freiheit verkörpern, so erfahren sie in den folgenden Jahren eine zeitbezogene Wendung, die sie zu düsteren Stellungnahmen zum Zeitgeschehen macht20. Im Unterschied zu anderen surrealistischen Künstlern, wie etwa André Masson mit seinen Massakerbildern oder Yves Tanguy mit seinen merkwürdigen biomorphen Landschaften, hat Max Ernst seinen Bildern auch verschiedentlich, wenigstens im Nachhinein, ausdrücklich eine politische Dimension verliehen. 1934 erscheint sein dritter Collageroman Une Semaine de bonté, was Max Ernst selbst mit Ein Bilderbuch von Güte, Liebe und Menschlichkeit ins Deutsche übersetzt hat. Der Roman entstand während eines dreiwöchigen Aufenthaltes in Vigoleno, Norditalien. Der ironische Titel steht in krassem Gegensalz zu der Welt skurriler und grausamer surrealistischer Bilderfolgen, die in den fünf Heften des Romans nach Themen und Beispielen angeordnet werden. Was Uwe Schneede als „eine Abrechnung mit der Welt und dem Geist und der Moral der Väter" bezeichnet hat21, wird vom Künstler selbst später noch expliziter erklärt: Une semaine de bonté sei, so Max Ernst, seine „Antwort auf die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten"22. Eine politische, zukunftsvisionäre Deutung verleiht der Künstler - erneut im Nachhinein - auch seinem Werk Europa nach dem Regen I aus dem Jahre 1933. Auf einer Holzplatte gestaltet Max Ernst in Form eines bemalten Gipsreliefs eine Landkarte, die den alten Kontinent in völlig veränderter Form zeigt. Ganze Teile, so suggeriert der auf eine Naturkatastrophe verweisende Titel, wurden einfach weggeschwemmt. Viele Interpretatoren sind dem Künstler gefolgt und haben das Werk als prämonitorische Mahnung bezeichnet23. Dennoch lässt sich das Werk ebenso als surrealistisches Programm 20

Vgl. Monika STEINHAUSER, Konvulsivische Schönheit und subversive Gewalt. Zum Surrealismus der 1930er Jahre, in: Psychische Energien Bildender Kunst. Festschrift fllr Klaus Herding, hrsg. von Henry Keazor, Köln 2002, S. 138-184. Auch: Jutta HELD, Horden und Barbaren, in: Avantgarde und Politik in Frankreich. Revolution, Krieg und Faschismus im Blickfeld der KUnste, hrsg. von dems., Berlin 2005, S. 146-169. 21 Uwe M. SCHNEEDE, Die Kunst des Surrealismus, Malerei, Skulptur, Dichtung, Fotografie, Film, München 2006, S. 105. 22 Werner SPIES, Nur das Intervall einer hellen Nacht. Rede zur Eröffnung des Max ErnstMuseums in Brühl, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (5. September 2005), S. 37. 23 Carola GIEDION-WELCKER, Max Ernst, in: Max Ernst, Ausst.-Kat. Wallraff-RichartzMuseum Köln, Köln 1963, S. 15. Werner HAFTMANN: Verfemte Kunst der inneren und äußeren Emigration in der Zeit des Nationalsozialismus, Köln 1986. In jüngerer Zeit Wer-

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lesen: das zukünftige Europa der surrealistischen, durchaus politischen Revolution, der die Zerstörung der alten Zivilisation notwendig vorausgehen muss24. Beide Lesarten stützen die Tatsache, dass Max Ernst in den dreißiger Jahren wiederholt deutlich zum politischen Weltgeschehen Stellung bezieht25. Finanziell geht es Max Ernst zu dieser Zeit nicht gut, wie einem Brief an Giedion-Welcker zu entnehmen ist: „Unser lieber Arp sagte mir, es gäbe einen evt. Erwerber, wen wüßte ich nicht, fur besagtes Europa zu einem Preis von etwa 2500 frz Frs. Das wäre mir natürlich sehr recht (wenn es wahr wäre) ... unnütz Ihnen mitzuteilen, dass die sonstige Lage hier mehr einer Katastrophe gleicht als dem von allen gewünschten Weltfrieden"26. Auch in anderen Briefen ist immer wieder von „Arrangements" die Rede, für die sich Max Ernst bei Carola Welcker bedankt: „Liebe Carola, meine Adresse ist immer noch 26, rue des Plantes. Vielen Dank für Ihren Brief und auch fur das .Arrangement'. Dieses kommt mir sehr gelegen und ich werde demzufolge in den nächsten sechs Monaten nicht Hungers oder Durstes sterben"27. Max Ernst gehört keiner Partei an und nimmt, im Unterschied zu vielen seiner surrealistischen Künstlerkollegen, nicht zu tagespolitischen Fragen Stellung. Doch hält er Kontakt zu den anderen Emigranten in Paris. So unterstützt er u. a. den Protestaufruf der „ A s s o c i a t i o n des écrivains et des artistes révolutionnaires" (AEAR) im März 1933 anlässlich des Berliner Reichstagsbrands und der darauf einsetzenden Verfolgung deutscher Künstler und Intellektueller28. Auch dem im November 1935 gegründeten Kollektiv deutscher Künstler (KDK) tritt er bei29. Gegenüber seinen Freunden nimmt er kein Blatt vor den Mund, so im Februar 1935 in einem Brief an seine Freundin Lotte Lenya: „Die Katze kam zum Mittagessen u. kotzte eine ganze Maus aus. Das war sehr appetitanregend α ich musste an Deutschland denken"30. ner SPIES, Max Ernst. Une Semaine de Bonté, Ausst.-Kat. Museum Albertina Wien, Wien 2008, S. 11. 24 Ralph UBL, Die Zukunft des Surrealismus. Europa nach dem Regen I neu interpretiert, in: Kulturstiftung der Länder-Patrimonia 327 (2007), S. 14. 25 Zu Max Emst und seinem politischen Engagement siehe vor allem: Ludger DERENTHAL, Politisches Engagement und künstlerischer Protest, in: Max Ernst. Traum und Revolution, Ausst.-Kat. Moderna Museet Stockholm, Stockholm 2008, S. 232-235. Ders., Max Ernst and Politics, in: Max Ernst. A Retrospektive, Ausst.-Kat. The Metropolitan Museum of Art New York, hrsg. von Werner Spies und Sabine Rewald, New York 2005, S. 21-35. 26 Brief von Max Ernst an Carola Giedion-Welcker, undatiert, 1933, Privatsammlung Zürich. 27

Brief von Max Ernst an Carola Giedion-Welcker, 30. April 1935, Privatsammlung Zürich. 28 Zu Max Ernst und seinem politischen Engagement vgl. vor allem Ludger DERENTHAL, Politisches Engagement und ders., Max Ernst and Politics (wie Anm. 2 5 ) , S. 232-235 und S. 21-35. 29 Ders., Politisches Engagement (wie Anm. 25) S. 233. 30 Brief von Max Ernst an Lotte Lenya, 16. Februar 1935 (Poststempel), Kurt Weill Foundation for Music, New York.

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Nicht viele Künstler haben ihrer Furcht vor der Zukunft und ihrer Ahnung von der bevorstehenden Katastrophe so deutlich Ausdruck verliehen wie Max Ernst und sich dabei so direkt auf die Person Adolf Hitlers bezogen. Auf der Rückseite eines Ende April 1935 an Carola Giedion-Welcker verfassten Briefes zeichnet er das Porträt eines mit zusammen gebissenen Zähnen lächelnden Totenkopfes31. Die Hakenkreuze in den Augen, das zum Seitenscheitel gekämmte, spärliche schwarze Haar sowie der dunkle, schmale Oberlippenbart verweisen deutlich auf die Person des Führers. Der Zeichnung ist handschriftlich von Max Ernst die Bildunterschrift „Oh que tu me fais peur!" beigegeben. Eine klarere Stellungnahme finden wir in keinem anderen Werk dieser Zeit. Max Emsts Pläne, nach Hitlers Machtergreifung nach Amerika überzusiedeln, scheitern jedoch: ,»Amerika ist auch bei mir nur noch .Hoffnung', alles ging daneben", schreibt er in einem Brief vom Juli 1935 aus Paris nach Zürich32. Es folgt ein langer Sommer in der Schweiz. Alberto Giacometti lädt ihn in das Haus seiner Familie nach Maloja, ins Engadin ein, wo ihn Giacometti in die Skulptur einführt. An Carola Giedion-Welcker schreibt er: „Während in Genf die Völker aufeinanderschlagen sind Alberto und ich vom plastischen Fieber befallen"33. Max Ernst bearbeitet Findlinge, die ihn aufgrund ihrer Naturschönheit begeistern und deren Urformen er bei seinen plastischen Eingriffen nicht verändert. Vielmehr überzieht er die Steine mit Flachreliefs, einige Findlinge werden zudem bemalt. Dabei bevorzugt er Vogelmotive und florale Formen, die wie das Corso-Wandbild in enger Beziehung zu den Loplop-Serien dieser Zeit stehen: „Wir bearbeiten große und kleine Granitblöcke aus den Moränen des Fomo-Gletschers. Durch Zeit, Eis und Wetter wunderbar abgeschliffen; sehen sie schon an sich phantastisch schön aus; da kann die Menschenhand nicht mit. Warum aber nicht die Arbeit den Elementen überlassen und uns begnügen, runenartig unsere Geheimnisse in sie einzuritzen?"34. Die starke Faszination, die die Landschaft des Engadins, eines der höchstgelegenen bewohnten Täler Europas, auf Max Ernst ausübte, ist charakteristisch für die Arbeitsweise des Künstlers, der sich immer wieder direkt von seiner Umgebung inspirieren lässt Nicht nur im plastischen, sondern auch im bildnerischen Werk dieser Zeit finden sich Spuren dieses Aufenthalts in den Bergen, so etwa in dem 1936/37 entstandenen Gemälde Les

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Brief von Max Ernst an Carola Giedion-Welcker, 30. April 1935, Privatsammlung Zürich. Max Emsts Karikatur ist abgebildet in: BRUDERER-OSWALD, Das Neue Sehen (wie Anm. 19), S. 99. 32 Brief von Max Ernst an Carola Giedion-Welcker, 19. Juli 1935, Privatsammlung Zürich. 33 Brief von Max Ernst an Carola Giedion-Welcker, undatiert, vermutlich Sommer 1935, Privatsammlung Zürich. 34 Brief von Max Ernst an Carola Giedion-Welcker, undatiert, vermutlich Sommer 1935, Privatsammlung Zürich.

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scaphandries, das die bedrückte Auseinandersetzung des Künstlers mit dem politischen Geschehen in Nazi-Deutschland reflektiert. Nach dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs im Sommer 1936, so erzählt Max Ernst 1967 in einem Fernsehinterview, habe er sich als Instrukteur für das Artillerie-Schießen angeboten, allerdings ohne Erfolg. Dafür aber entstanden 1937 zwei Fassungen des Gemäldes Der Hausenge?5. Beide Arbeiten zeigen ein großes, unheimliches, im Sprung begriffenes Fabelwesen. Die leuchtend bunten, flatternden Gewänder, die verzerrte Fratze des Ungeheuers und seine raumgreifenden Gesten, die wie zu magischem Fluch erhobene linke Hand und das wütende Aufstampfen machen die Bedrohung geradezu physisch nachempfindbar. Werner Spies hat in den Klauen des Ungeheuers auch eine Anspielung auf das Hakenkreuz gesehen36. Wie so häufig im Werk des Künstlers ironisiert der harmlos anmutende Titel den Kern der Bildaussage: dieser Hausengel will nicht beschützen, sondern verkörpert eine unbeherrschbare, kaum noch aufzuhaltende Bedrohung. Max Ernst selbst erklärte 1967 die Arbeit vor dem Hintergrund des Spanischen Bürgerkriegs: „Ein Bild, das ich nach der Niederlage der Republikaner in Spanien gemalt habe, ist der ,Hausengel'. Das ist natürlich ein ironischer Titel für eine Art Trampeltier, das alles, was ihm in den Weg kommt, zerstört und vernichtet. Das war mein damaliger Eindruck von dem, was in der Welt wohl vor sich gehen würde, und ich habe damit recht gehabt"37. Wenig später trifft es den Künstler selbst. Auf der 1937 in München veranstalteten Ausstellung Entartete Kunst ist auch Max Ernst mit zwei seiner Arbeiten - Muschelblumen (ca. 1928; nicht in S/M) und Erschaffung der Eva, la belle jardinière (1923; S/M 615) - vertreten. Ab 1937 beginnt er sich verstärkt und ganz konkret im Kreis der deutschen Exilkünstler zu engagieren und tritt dem Freien Künstlerbund (FKb) bei, in dessen Vorstand er sich im April 1938 als Beisitzer einbringt. Noch im Winter 1938/39, als Max Ernst sich mit seiner dritten Frau Leonora Carrington nach Saint-Martin-d'Ardèche zurückzieht, arbeitet er bei einem der letzten großen Projekte der deutschen Exilkünstler mit. Für die New Yorker Weltausstellung von 1939 erstellen Künstler, Journalisten und Historiker eine Dokumentation zur deutschen Geschichte, die in 33 Schautafeln mit dem

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Die kleinere Version des Hausengels wurde erstmals im Rahmen der Weltausstellung 1937 auf der Ausstellung „Exposition 1937 et les artistes à Paris" gezeigt. Die große Fassung des Gemäldes war ab Januar 1938 in der „Exposition internationale du Surréalisme" in der Galerie des Beaux-Arts in Paris zu sehen. 36 Werner SPIES, Max Ernst: L'ange du foyer, in: Melancholie. Genie und Wahnsinn in der Kunst, Ausst.-Kat., Paris/Berlin, hrsg. von Jean Clair, Berlin 2006, S. 60-63. 37 Max Ernst im Gespräch mit Werner Spies, in: Das Selbstporträt. Große Künstler und Denker unserer Zeit erzählen von ihrem Leben und Werk, hrsg. von Hannes Reinhardt, Hamburg 1967, S. 6.

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Titel Deutschland von gestern - Deutschland von morgen gegliedert ist38. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges müssen die meisten Emigranten jedoch schließlich um ihr Überleben kämpfen. Max Ernst wird mehrfach in Gefangnissen und Lagern interniert, zuletzt im Lager Les Milles bei Aix-en Provence, aus dem ihn Paul Eluard durch einen Brief an den Präsidenten retten kann. Das Emergency Rescue Committee und Varían Fry in Marseille sollen im letzten Moment für seine Rettung, die Ausreise nach Amerika, sorgen.

Freiheit, geliebte Freiheit - Exil in Amerika Den alten Kontinent und seine Wahlheimat Frankreich zu verlassen, fallt Max Ernst trotz der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zunächst nicht leicht: „Ich werde mit,Gemischten Gefühlen' fahren", schreibt er an seinen Lagerzimmergenossen Hans Bellmer aus Les Milles, „weil ich von diesem Land keine sehr verführerische Vorstellung habe"39. Anders als Max Beckmann oder George Grosz teilt Max Ernst die von vielen Künstlern empfundene grundsätzliche Faszination für das Land der Freiheit nicht40. Auch wenn er seine Ankunft in New York am 14. Juni 1941 mit den Worten „Freiheit, geliebte Freiheit" überschreibt, findet sich doch unschwer darin eine Zeile der Marseillaise wieder: „Liberté, liberté chérie". In New York beginnt Max Emsts politisches Exil, da er in Frankreich mit seinem deutschen Pass als „feindlicher Ausländer" geführt wurde. Als solcher wird er auch in New York auf dem Flughafen La Guardia empfangen, denn die amerikanischen Einwanderungs-Behörden sperren ihn als deutschen Passinhaber sogleich erst einmal wieder ein. Doch wie bekommt ihm, dem Nomadenkünstler, der erneute Ortswechsel? Dass ihn bereits sein Status als Lagerinsasse überaus beschäftigt hat, davon zeugt seine in Les Milles 1939 entstandene Frottage Les Apatrides (Vaterlandsloser), in der wir unschwer Loplop, das Alter ego des Künstlers wieder erkennen. Mit Hilfe von durchgeriebenen Feilen, dem klassischen Ausbrecherwerkzeug, stellt Max Ernst den Staatenlosen als Gerät dar. Und doch scheint es so, als habe Max Ernst seinen Status als politischer Flüchtling oder als Exilant nicht öffentlich problematisiert: „Es fiel mir nach 38

Proteste der deutschen Regierung verhindern die Präsentation der Ausstellung in New York. Die immer repressiver gegenüber den Exilanten auftretende französische Regierung verbietet zudem zunehmend öffentliche Auftritte der Exilorganisationen. 39 „Je partirai avec des ,Gemischten Gefühle', car j'ai de ce pays une image pas trop séduisante". Brief von Max Ernst an Hans Bellmer, 22. Januar 1941, Saint-Martin d'Ardèche, Privatsammlung. 40 Max Beckmann hat seine Emigration gar als „schicksalhafte Vorbestimmung" interpretiert. Vgl. Françoise FORSTER-HAHN, Max Beckmann in Kalifornien (wie Anm. 6), S. 7.

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all den Katastrophen und Schwierigkeiten in Frankreich nicht allzu schwer, mich an das neue Leben zu gewöhnen. Ich arbeite sogar!", schreibt der Künstler im November 1941 in einem Brief an Roland Penrose41. Und als 1946 James Johnson Sweeney fur das Bulletin of The Museum of Modern Art ein Interview mit elf Künstlern im Exil fuhrt, unter denen sich auch Max Ernst befindet, stellt dieser die Diskussion um das Exilantendasein sogar als geradezu irrelevant dar: „Mir ist es gleich, ob ich in den Vereinigten Staaten arbeite oder in Europa"42. Statt dessen unterstreicht er, wie wichtig für ihn der Kontakt mit seiner Umgebung sei, ein Merkmal, das sich in der Tat immer wieder, auch nach seiner Rückkehr nach Europa, als er sich mit Dorothea Tanning in der Touraine niederlässt, bestätigen soll: „Ich verliere nie Tuchfühlung mit der Welt um mich herum. Nach meiner Ankunft in diesem Land blieb ich zwei, drei Wochen in New York und fing dann an, das Land zu bereisen"43. Im Vergleich zu anderen surrealistischen Künstlern genießt Max Ernst nach seiner Ankunft in den USA große künstlerische Sichtbar- und Aufmerksamkeit. Das amerikanische Publikum begrüßt und feiert Max Ernst als großen Künstler, Gründer des Dadaismus und Surrealismus und schließlich auch als charismatischen Gatten von Peggy Guggenheim. Sofort ist er bei allen wichtigen surrealistischen Ausstellungen vertreten. Die Zeitschrift View widmet ihm 1942 eine Sondernummer. Gemeinsam mit David Hare und André Breton gibt Max Ernst im Juni 1942 schließlich die erste Ausgabe von VW heraus, das die weitgefächerten surrealistischen Themen des Minotauro wieder aufgreift44. Trotz dieser offenbar gut gelungenen Integration beschäftigt den Künstler die Situation in Europa nach wie vor sehr. Das großformatige Bild Europa nach dem Regen II hatte der Künstler bereits 1940 in Saint Martin d'Ardèche begonnen. Gewissermaßen als Bestätigung der prämonitorischen Mahnung, die von Europa nach dem Regen I des Jahres 1933 ausging, nimmt sich Max Ernst das Thema nun noch einmal vor. Es zeigt einen androgynen Vogelmenschen, offenkundig Max Ernst, sowie eine Frau, die sich vom Betrachter abgewendet hat. Ebenfalls den Rücken kehrt sie einer Art zusammengestürzten Baldachin auf der rechten Bildhälfte 41

Brief von Max Ernst an Roland Penrose, 6. November 1941, Archiv der National Galleries of Scotland, in: SPIES, Max Ernst. Leben und Werk (wie Anm. 1), S. 170. Eleven Europeans in America, hrsg. von James Johnson Sweeney, in: Max ECKMANN, Ernst in New York, (wie Anm. 6), S. 156. 43 Max Ernst, ohne Datum, zitiert nach Romy GOLAN: Über einiger Personen Durchreise durch einen relativ kurzen Zeitraum, in: BARRON, Exil. Flucht und Emigration europäischer Künstler (wie Anm. 6), S. 128-146. 44 Vgl. Das Kapitel La revue V W ou le renversement des valeurs, in: Fabrice FLAHUTEZ, Nouveau Monde et nouveau mythe. Mutations du surréalisme de l'exil à l'écart absolu, 1941-1965, Dijon 2007, S. 86-126.

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zu, der den Stier (Europa) unter sich begräbt. Flussers Überlegungen zur Unbewohnbarkeit des Exils scheinen in dieser apokalyptischen Landschaft bildlich umgesetzt45. Die Entwurzelung des Künstlers findet ihre direkte Entsprechung in der kargen, unbewohnbaren Wildnis. Ein weiteres Werk aus dem Jahr 1941 thematisiert schließlich deutlich seine Stellung als Fremder, als Exilant: Napoleon in der Wildnis. Die Wildnis gerät Max Ernst auch hier als Synonym für das Exil, für das Fremde. Er hatte bereits 1937, im Jahr der Ausstellung der Entarteten Kunst, ein Selbstbildnis mit dem Titel Max Ernst in the Wilderness gemalt und sollte sich später gar in der Wüste Arizonas niederlassen. Mit dem Abklatschverfahren sind hier nur die drei vertikalen Elemente des Bildes gestaltet, die sich silhouettenhaft vom klaren Himmel abheben: Napoleon, ein Totempfahl und ein weiblicher Akt mit einem phantastischen Musikinstrument Ernst selbst hat, wie W.S. Rubin zitiert, das Bild in seiner Erinnerung als Zusammenfassung seines Exils gedeutet: Napoleon stehe für den Diktator, die Wildnis assoziiert Sankt Helena und damit das Exil und das Saxophon stehe für die Jazzkultur des amerikanischen Exils46. Weitere Werke des Jahres 1942 verdienen Aufmerksamkeit im Hinblick auf die Frage, inwieweit Max Ernst seinen Zustand als Exilant in seinem künstlerischen Schafifen thematisiert hat. Dazu gehört zunächst das 1942 entstandene Gemälde Le Surréalisme et la peinture. Max Ernst stellt die Arbeit auf der Ausstellung First papers of Surrealism aus, die im Oktober des gleichen Jahres in der Whitelaw Reid Mansion eröffnet. Es handelt sich um eine Wohltätigkeitsveranstaltung der Surrealisten für den Dachverband der französischen Flüchtlingsorganisationen, und ihr Titel bezieht sich ironisch auf die ersten provisorischen Ausweispapiere der Immigranten. Max Emsts Gemälde erhält in diesem Zusammenhang einen programmatischen Charakter. Es zeigt ein mehrköpfiges, in inneren Dialog versunkenes Vogelwesen, das kurvige Linien auf die Staffelei zeichnet. Der Bildtitel erinnert an die 1925 von André Breton verfasste programmatische Schrift Der Surrealismus und die Malerei, in dem Breton die Grundzüge eine Malerei des objektiven Zufalls, eine Entsprechung der écriture automatique in der Malerei entwirft. So ist das Vogeltier im Begriff, die kurz zuvor von Max Ernst entwickelte und später von Pollock rezipierte indirekte Technik der Oszillation vorzufuhren. Es sei ein Programmbild, wie Patrick Waldberg schreibt, und darüber hinaus eine Selbstbefragung des Künstlers47. Letzteres ist in dem hier behandelten Zusammenhang vor allem wichtig. 45

„Das Exil ist, da ungewöhnlich, unbewohnbar", in: FLUSSER, Exil und Kreativität (Anm. T), S. 103. Vgl. William Stanley RUBIN, 1961, in: Günter METKEN, Napoleon in the Wilderness, in: Max Emst. Retrospektive, Ausstellungskatalog, Haus der Kunst, München 1979, S. 314. 47 Patrick WALDBERG, Max Ernst, Paris 1958.

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Denn in dem Moment, in dem die surrealistischen Pariser Exilanten vereint in New York als Bewegung in der Ausstellung First Papers of Surrealism gewissermaßen ein letztes Mal auftreten, bevor sich die Mitglieder neuen und sehr verschiedenen Interessen zuwenden, hat der Künstler die Programmschrift Bretons wieder aufgegriffen, die dieser in den ersten wichtigen Jahren der Bewegung ausgearbeitet hatte. So ist das Bild als Reûektion und Bilanzierung des Künstlers über sein eigenes Schaffen zu verstehen. Das Gemälde ist Teil einer Serie von Arbeiten, in denen Max Ernst seinen eigenen Status als Künstler wie seine eigene Biographie reflektiert. So entstehen etwa zur gleichen Zeit Day and Night sowie Painting for Young People, die ebenso künstlerische Techniken, Verfahren und Motive des Künstlers bilanzieren, verarbeiten und aufnehmen. Innerhalb eines strengen Rasters hat der Künstler in diesen Bildern Motive aus seiner eigenen Bildwelt angeordnet und damit so etwas wie die Wand des Sammlers oder das Atelier des Künstlers geschaffen. Zu einem Höhepunkt gelangt der Künstler schließlich 1943 mit dem großformatigen Bild Vox Angelica. Er malt es während seines ersten, längeren Aufenthaltes mit Dorothea Tanning, seiner späteren Frau, in Sedona, Arizona48. Wie sehr ihn nach wie vor das Schicksal Europas beunruhigte und mit Sorge erfüllte, wie sehr sich der Künstler zugleich der Heimat, dem Rheinland, verpflichtet fühlt, zeigt das Gemälde Die Rheinische Nacht aus dem Jahre 1945. Mit dem Gemälde nimmt Max Ernst die alte, in den 20er Jahren entwickelte Technik der Durchreibung wieder auf. Wälder, bedrohliche Vögel und der Mond kehren in sein Œuvre zurück. Zugleich ist links eine Ruine zu erkennen, möglicherweise ein Hinweis auf die Bombardierungen Kölns in diesem Jahr. Rechts scheint ein Hausgiebel auf. Der Titel des Bildes suggeriert, dass es sich um das Elternhaus handeln könnte. Finanziell geht es Max Ernst in Amerika inzwischen nicht mehr gut. Verkäufe und gute Presse bleiben aus. Daran ändert auch das Preisgeld, das er 1945 für den Hl. Antonius erhält, grundlegend nichts. Als er 1947 nach Sedo48 Vox Angelica besteht aus 51 trennbaren Kompartimenten, was kurioserweise fest dem Alter des Künstlers in diesem Jahr entspricht. Der Titel des Bildes stellt eine Verbindung zu Grünewalds Engelkonzert her, genauso aber zu der kurz zuvor ins Leben gerufenen New Yorker Radiostation Voice of America, in der André Breton als Radiosprecher auftrat. In den einzelnen Kompartimenten finden sich Bilder und Techniken der gesamten Schaffensperiode des Künstlers: Frottage, Grattage, Decalcomanie, Oszillation. Themen der 20er Jahre tauchen in den Wäldern und in Passagen aus der Histoire naturelle auÇ der zu Beginn der 30er Jahre in Erscheinung tretende Loplop, das Alter ego des Künstlers ist ebenso gegenwärtig. Direkte Verweise auf seine geographischen Lebensstationen liefern der Eiffelturm und das Empire State Building. So ist Vox Angelica deutlicher als jedes andere Bild als Reflexion über das eigene Schaffen und nicht nur als künstlerische Standortbestimmung, sondern auch als persönliche Bilanzierung zu deuten. Stärker als in allen anderen Bildern gerät hier das Werk zum Ort der Verbindung von Gewesenem und Gegenwärtigem.

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na übersiedelt und der Galerist Julien Levy ihm mangels Verkäufen die Zusammenarbeit aufkündigt, kennzeichnet ein Eintrag in seine Biografischen Notizen die Situation besser als jede Beschreibung: „Matta leiht ihm 150 Dollar. Das gestattet ihm, Anhänger seines alten Ford mit seinen unverkäuflichen Meisterwerken zu beladen und mit Dorothea die Viertausend-KilometerReise nach Arizona anzutreten"49. Die Wüste Arizonas wird für Max Ernst zum „Paradies im Exil", zu seinem Refugium, zu seiner Zuflucht: In einem wahrscheinlich auf 1947 zu datierenden Brief schreibt er an Joe Bousquet: „Ich konnte nicht mehr und konnte nicht mehr nach Hause zurück, wo ich hinwollte - da habe ich die barbarische Entscheidung getroffen, nach Westen zu wandern: die wunderbaren Wüsten von Arizona, Fauna, Fiera und die herben Steine gefallen mir gut genug, um hier eine Weile arbeiten zu können"50. Jahre nach dem Exil kommentiert er: „Ich habe die moralische Einsamkeit der Städte durch die echte Einsamkeit von Arizona ersetzt"51. Einem ersten mit eigenen Händen erbauten Holzhaus folgt wenige Zeit später ein solideres in Stein. Hier im amerikanischen Westen entsteht in wenigen Jahren ein Werk, das dem Interesse Max Emsts für die Kunst der amerikanischen Ureinwohner Rechnung trägt. Die Begegnung mit den Indianerstämmen, deren Reservate unweit von seiner neuen Behausung gelegen waren, schlägt sich in Bilder und Masken nieder. Gleichzeitig wendet sich Max Ernst von der diflusen Abklatschtechnik ab und klareren stereometrischen Formen und Aufteilungen zu. Die düstere Farbigkeit der späten 30er und frühen 40er Jahre weicht einem helleren, positiveren Kolorit. In der Skulptur entsteht die monumentale Plastik Capricorne, die Werner Spies als Max Emsts „enzyklopädische Skulptur" bezeichnet hat52. In ihr konzentrieren sich nämlich fast alle plastischen Motive des Werks. So gesehen ist sie das Pendant im bildhauerischen Bereich zu Vox Angelica in der Malerei. Das Exil in Arizona ist, neben allen finanziellen Sorgen und künstlerischen Pleiten - eine Retrospektive in Beverly Hills 1949 erweist sich als völliger Flopp - für Max Emst eine fruchtbare Zeit. VOTI der Bewegimg des Surrealismus hatte er sich mit seinem programmatischen Werk Der Surrealismus und die Malerei endgültig abgewendet: ein letztes Reflektieren und Bekenntnis zu dieser Bewegung, bevor er sich dem eigenen Schaffen als künstleri49

ERNST, Biografische Notizen in: SPIES, Max Ernst. Leben und Werk (wie Anm. 1), S. 205. 50 Brief von Max Ernst aus Sedona an Joe Bousquet, 9. März [1946], in: SPIES, Max Emst. Leben und Werk (wie Anm. 1), S. 200. 51 Simone ARBOIS, Visite à Max Ernst, in: Paru 59 (April 1950), S. 17-21, hier S. 18. Übersetzung durch die Autorin. 52 Werner SPIES, Die enzyklopädische Skulptur - „C'est mon mystère", in: Max Emst. Skulpturen, Häuser, Landschaften, Ausst.-Kat. Düsseldorf, hrsg. von dems., Düsseldorf 1998, S. 162-166.

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scher Einzelgänger zuwendet und erste Kennzeichen seines Spätwerks sichtbar werden. Dass Sedona ihm letztlich mehr geworden ist als politisches Exil und Zwangsheimat, kramen wir einem Brief an Alfred Barr entnehmen, an den er sich hilfesuchend wandte, da er befurchtet, seinem Einbürgerungsantrag könnte nicht stattgegeben werden: „Muss ich Dir erklären, wie furchtbar es für Dorothea und mich wäre, wenn wir gezwungen würden, alles was wir uns hier aufgebaut haben, zurückzulassen"53? Was Flusser als weitere Herausforderung an den Emigranten beschreibt, wird hier von Max Ernst vorgeführt: „wie mühsam es ist, keine neue Wurzeln zu schlagen"54.

Rückkehr nach Europa Denn es soll wieder einmal nicht das Ende einer langen Reise sein: 1950 entscheiden sich Max Ernst und Dorothea Tanning, nach Paris zurückzukehren. Ausstellungsangebote Pariser Galerien und diefinanzielleNot in Arizona dürften hierfür den Ausschlag gegeben haben. Aus Frankreich schreibt Max Ernst an seinen Freund Joe Bousquet: „Wir sind zurück in Paris. Die Reise war long, long, long. Dafür habe ich aber nicht lange gebraucht, um mich wieder einzugewöhnen. Ich bin zu Hause, ich werde wieder ich selbst"55. Dennoch ist der Künstler zutiefst geprägt von der erlebten Erfahrung. In zahlreichen Briefen, etwa an seine amerikanische Frau oder seinen amerikanischen Galeristen Julien Levy, artikuliert sich in der Vermischung der englischen und der französischen Sprache das Ineinanderfließen von damals und heute56. Sein Bekenntnis zu der Wahlheimat Frankreich zeigt sich im Werk in den Hommagen Printemps à Paris sowie der Skulptur Parisienne, die 1950 entsteht Nach Deutschland zurückzukehren fällt dem Künstler indessen bedeutend schwerer: Anfang 1949 schreibt er an seine Schwester Loni: ,3s wäre schön, wenn wir uns wieder einmal in Paris treffen könnten, da ich wahrscheinlich nicht nach Deutschland gehen kann (wozu ich auch keine große 53

Brief von Max Ernst an Alfred Barr, in: SPIES, Max Ernst. Leben und Werk (wie Anm. 1], S. 206. 5 FLUSSER, Exil und Kreativität (wie Anm. 7), S. 108. 55 Auszug aus einem Brief von Max Ernst an JoS Bousquet, Paris, 6. September 1949, Bayerische Staatsbibliothek, München, in: SPIES, Max Ernst. Leben und Werk (wie Anm. 1), S. 224. 5 Siehe ζ. B. einen Brief von Max Ernst an Julien Levy, 16. November 1949, Privatsammlung, in: SPIES, Max Ernst. Leben und Werk (wie Anm. 1), S. 228. In einer Pariser Privatsammlung befinden sich auf ca. 1950 zu datierende, bislang nicht edierte Briefe von Max Ernst an seine Frau, in denen er nach einem englischen Anfang in der Mitte des Briefes ins Französische umschlägt.

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Sehnsucht habe" 57 ! In einem Interview von Edouard Roditi später über seine Rückkehr aus dem Exil nach Frankreich befragt, antwortet Max Ernst: „Ich kehrte nach Frankreich zurück, weil ich dieses Land als meine eigentliche Heimat empfinde. Hier habe ich die glücklichsten und produktivsten Jahre meines Lebens verbracht, jene Jahre nämlich, in denen entstand, was ich nunmehr fìir meine besten Arbeiten halte"58. Doch beschäftigt ihn in den frühen fünfziger Jahren das Thema Heimat noch sehr. 1953, zwei Jahre nach der ersten Ausstellung, die ihm die Heimatstadt Brühl widmet, entsteht sein wichtiges Werk Vater Rhein, das als eine Allegorie dieses Flusses konzipiert ist59. Vor dem Hintergrund einer naturalistisch gestalteten Landschaft zeichnen sich die sanften Kurven des Flusses ab, dessen Ufer von der Sonne vergilbt scheinen. Mit der Ruhe des Horizonts kontrastieren die beiden seitlichen braunen Figuren, die den Bildraum einschließen. Ihre felsartige Beschaffenheit mutet an, als seinen sie geradewegs dem Wasser entstiegen. In ihrer Mitte sehen wir einen monumentalen schematisierten Kopf mit halbgeöflhetem Mund. Er ähnelt einem Fötus in einer Fruchtwasserblase, in der sich Elemente des irdischen Lebens, Fische und Vögel, vereinen. Das Werk weist stilistische Ähnlichkeiten mit einem Gedichtband des gleichen Jahres auf, in dem Max Ernst über die Zerstörung seiner Heimat räsoniert: „Wo einst ein Haus stand steht jetzt ein Berg"60. Auch aus dem Gemälde sprechen Zerstörung und der Lauf der Geschichte. Die Tatsache, dass der dargestellte Fluß und die Vogelfigur, Loplop, überlagert sind, verleiht dem Bild eine deutlich autobiographische Dimension. Genauso wie der Titel Vater Rhein auch an den Vater des Künstlers denken lässt, der in den frühen Dada-Jahren den Sohn verstoßen hatte, weil dieser den unehelichen Jimmy gezeugt hatte. Und schließlich ist es einzig und allein der Fluss, den der Künstler ungehindert fließen und sich seine Bahnen suchen lässt - es ist sein Vater Rhein, sein Schlüsselwerk zum Thema Heimat: Symbol für ein Leben zwischen zwei Ufern, die trennen und doch verbinden: auf der einen Seite Deutschland, auf der anderen Seite Frankreich. Max Ernst kehrt als etablierter und großer Künstler des Surrealismus nach Europa zurück. Alle kennen ihn, viele verehren ihn. Von den Künstlern wird er bewundert. Der deutsche Maler Carl Buchheister etwa beschreibt ehrfurch57

Brief von Max Ernst an seine Schwester Loni, 15. April 1945, in: Max Ernst in Selbstzeugnissen und Dokumenten, hrsg. von Lothar Fischer, Reinbek bei Hamburg 1969, S. 114. 58 Max Ernst im Gespräch mit Edouard Roditi, in: Dialoge Uber Kunst, hrsg. von dems., Frankfurt a. M. 1991 [1960], S. 102. 59 Sophie COLLOMBAT, Après la pluie, l'Europe. Le retour de Max Ernst en France et en Allemagne, in: In die Freiheit geworfen. Positionen zur deutsch-französischen Kunstgeschichte nach 1945, hrsg. von Martin Schieder u. Isabelle Ewig, Berlin 2006, S. 325-343. Deutsche Übersetzung der Autorin. 60 Siehe Max Emsts Farbradierung zu „Das Schnabelpaar", 1953 und das Gedicht in: SPIES, Max Ernst. Leben und Werk (wie Anm. 1), S. 242-243.

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tig, wie er auf einer Pariser Vernissage plötzlich erscheint: „weißhaarig und schlank. Er hatte eine völlig beklexte Malerhose u. Sandalen an, zur Eröffnung"61. Und trotzdem wird seine Kunst nicht wahrgenommen. Leben läßt sich - ganz entgegen seiner anfänglich gehegten Hoffnungen - erst recht nicht von ihr. Wiederholt berichtet Max Ernst, dass bis 1958 jede Ausstellung, ob in Paris oder anderswo, ein kompletter Reinfall war. Seine Bilder habe er, wenn er sie überhaupt loswurde, fur jede klägliche Summe, die man zu zahlen bereit war, verkauft62. So gelingt es ihm weder, sich einen echten Platz in der Kunstszene zu sichern, noch sich für diese wirklich zu interessieren. Die allgemeine Begeisterung für die abstrakte Kunst scheint ihn im Gegenteil zu betrüben und zu langweilen. Er beklagt sich über "jene terribles simplificateurs", die [...] die abstrakte Kunst hochlobten und die Kunst der Surrealisten, insbesondere die auch nur annähernd gegenständliche, als zu literarisch verurteilen, so dass sie unwiderruflich diskreditiert wird"63. Michel Ragon wundert sich gar darüber, dass Max Ernst überhaupt nach Paris zurückkehrt: „Dennoch hatten Léger, Chagall, Max Ernst und andere nach der Befreiung Frankreichs nichts Eiligeres zu tun, als in jenes Paris zurückzukehren, das doch offiziell gar nichts für sie tat64". Der Große Preis für Malerei der XXVII. Biennale von Venedig, der 1954 außer ihm auch Miró und Jean Arp kürt, verschafft Max Ernst zwar einerseits den von Breton verkündeten, schmerzvollen Ausschluss aus der surrealistischen Gemeinschaft, andererseits aber auch die ersehnte Möglichkeit, die brodelnde Metropole endlich zu verlassen. Dank der Vermittlung Joe Davidsons findet er ein Gehöft in der Nähe der Stadt Chinon in der Touraine. Ganz in der Nähe, in Saché, hat sich auch sein Freund Alexander Calder niedergelassen. Dreizehn Jahre lang, von 1955 bis 1968, wird das kleine Dorf Huismes zum neuen Lebenszentrum des Surrealisten. In dieser letzten großen Schaffensperiode des Künstlers entsteht ein vielseitiges und in mancher Hinsicht auch innovatives und experimentelles Werk. Frühere Techniken wie Collage und Assemblage werden wieder aufgenommen und auch auf die Skulpturen übertragen, die zahlreich entstehen. Stärker denn je zuvor beschäftigt er sich auch mit Druckgraphik. 61

Carl Buchheister an Elisabeth Buchheister, 28. Mai 1953, in: Im Blick des anderen, hrsg. von Martin Schieder (wie Anm. 59), S. 243. Auch Karl Otto Götz schildert Max Ernst als eindrucksvolle Erscheinung: „Arp machte mich mit Max Ernst bekannt, der einen eleganten schwarzen Mantel mit Taille trug, der oben einen Samtkragen hatte. Er hielt seinen Hut in der Hand, und mit dem vollen weißen Haar sah er sehr stattlich aus.", in: Erinnerungen und Werk, Ausst.-Kat. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, hrsg. von Karl Otto Götz, Düsseldorf 1983, S.619. 62 RODITI, Dialoge über Kunst (wie Anm. 58), S. 83. 63 RODITI, Dialoge über Kunst (wie Anm. 58), S. 101. 64 Michel RAGON, L'aventure de l'art abstrait, Paris 1956.

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Und wie nie zuvor gerät sein Werk zum Katalysator des Erlebten, des Neuen wie des Erinnerten. Beides, Vergangenes wie Gegenwärtiges, schreiben sich in seine Gemälde ein. Un peu de calme lautet der programmatische Titel eines kleinen Gemäldes, das der Künstler 1955, vermutlich bereits in Huismes, gemalt. Die ruhige nächtliche Landschaft wäre eigentlich unbedeutend, erhielte sie nicht eine besondere Wirkung durch den Titel des Gemäldes, den Max Ernst 1939 schon einem ersten großformatigen gegeben hat, das später in Huismes im Wohnzimmer hängt. Die düstere, unbewohnbare Zivilisation, zu der der Künstler später Vögel und Lebewesen hinzufugte, entstand im Zustand der Verfolgung durch die französische Polizei, kurz vor seiner überstürzten Flucht in die USA. Sechzehn Jahre später ist die Ironie des Titels nicht mehr nötig, Ruhe und Besinnung sind in das Leben und das Werk des Künstlers eingekehrt, von dem bereits zeitgenössische Kritiker schreiben, es sei harmonischer, beruhigter und sogar teilweise kristallin und transzendent geworden. 1955, im Jahr seiner Ankunft in der Touraine, beginnt Max Ernst zudem mit dem mit ihm befreundeten amerikanischen Kunsthistoriker Patrick Waldberg die Arbeit an seiner Biographie, die drei Jahre später erscheint65. Die Auseinandersetzung, Rückschau und Bilanzierung des eigenen Werks schlägt sich ihrerseits selbst im Werk nieder. Zwischen 1955 und 1958 entsteht eine Reihe von Hommagen-Bildern, Gemälde, die er Menschen widmet, die in seinem Leben eine bedeutende Rolle spielen. Dazu gehören der soeben verstorbene Künstlerfreund Yves Tanguy ebenso wie der Direktor des Musée national d'art moderne, Jean Cassou, oder der mit Max Ernst befreundete Eugène Ionesco. Dass auch eine Hommage an den Gelehrten Albertus Magnus, den um 1280 in Köln verstorbenen Theologen und Philosophen, dem magische Fähigkeiten und großes Wissen zugeschrieben wurden, entsteht, kann kaum erstaunen. Bereits 1951 hat Max Ernst in seinem Text „Quelques souvenirs de la jeunesse de Max Ernst racontés par lui même" die Vorteile der Stadt Köln als spirituellen Standort herausgestellt66. Franz Roh notiert so 1962 in einem Essay über den Künstler: „In Köln, das nur sechs Meilen von Brühl, seinem Geburtsort entfernt ist, haben sich „mediterraner" Einfluss, westlicher Rationalismus östliche Neigung zum Okkulten, nördliche Mythologie miteinander gekreuzt. Von allen diesen Tendenzen geistert etwas in den Werken von Max Ernst"67. Doch wie schon zuvor: Max Ernst reagiert ebenso auf die Vergangenheit seiner neuen Umgebung. Hervorzuheben ist das historische Interesse, das er der terre humaniste der Touraine entgegenbringt. So widmet er insbesondere 65

Patrick WALDBERG, Max Ernst (wie Anm. 47). Siehe Arnn. 14. 67 Franz ROH, Alpträume aus Fertigteilen. Max Ernst und die Collage, in: Die Kunst und das schöne Heim, Nr. 5 (Februar 1962), S. 196-201, hier S. 201. 66

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Leonardo da Vinci drei Porträts, der einige Jahrhunderte zuvor 1516 dem Ruf Franz' I. gefolgt war und bis zu seinem Tod 1519 in der Touraine lebte. Die umfassenden naturwissenschaftlichen, technischen, biologischen, botanischen und anatomischen Kenntnisse des Italieners beeindruckten ihn ebenso wie dessen vielseitige Tätigkeiten als Künstler, Ingenieur, Architekt, Dichter und Musiker. Darüber hinaus verbindet beide Künstler über Jahrhunderte hinweg ihre Leidenschaft für Astronomie und Vögel, ebenso wie für die theoretische Auseinandersetzung mit den Gegenständen ihrer Beschäftigung, wie sie Leonardos Malereitraktat und Max Emsts Texte zur surrealistischen Kunsttheorie belegen. Brüche und die darauffolgenden persönlichen Neuanfänge machen den Lebensweg des Künstlers zu einem nicht enden wollenden Mosaik von Stationen, die ihm in immer neuer und kreativer Weise zum Ausgangspunkt seines Schaffens werden: „Nur im Westen gibt es Neues", kommentiert er mit unverhohlener Ironie 1941 seine erzwungene Ausreise in die USA68. Der fortwährende Dialog von Gegenwärtigem und Vergangenen, Erlebtem und Erinnerten formt so sein Leben und sein Werk. Geschichte und Gegenwart agieren in beständiger Überlagerung. Dabei entspricht die Dualität von Äußerem und Innerem, von Vorgefundenem und Mitgebrachtem, ganz offenkundig dem Naturell des Künstlers, den es immer weiter zieht, auch wenn die historischen Umstände es nicht erzwingen. So gesehen will und approbiert der Künstler den Zustand in der Fremde, des Vertriebenen, des Entwurzelten. Köln, Paris, Saint Martin d'Ardèche, New York, Sedona, Huismes - die hier beschriebenen Lebensstationen des Künstlers führen vor, was Flusser mit seinem weit gefassten Exilbegriff herauszustellen versucht: sie machen die Exilsituation anschaulich „als Herausforderung für die schöpferische Handlung"69.

68 69

ERNST, Max Ernst (wie Anm. 3). FLUSSER, Exil und Kreativität (wie Anm. 7), S. 103.

ANDERE BEITRÄGE

Der zwölfjährige Waffenstillstand in den Niederlanden von 1609. Ein halber Frieden zwischen libertates und religiones1 Von

Simon Groenveld Donnerstag, den 9. April 1609. Im Rathaus der brabantischen Stadt Antwerpen tagen süd- und nordniederländische Abgeordnete unter dem Vorsitz von zwei französischen und zwei englischen Diplomaten. Nach Besprechungen seit dem 26. März legen sie an jenem Tag letzte Hand an einen Pakt mit 38 Artikeln fur einen zwöl§ährigen Waffenstillstand zwischen den Südlichen Niederlanden und der Republik der Vereinigten Niederlande - zwei Staatenkomplexe, die in den Niederlanden während eines Krieges entstanden waren, der nach dem Vertrag selbst seit 1567 gewütet hatte2. Noch am selben Tag wurde der Pakt unterschrieben: zuerst von den französischen und englischen Diplomaten, dann links von den Südniederländern und rechts von den Vertretern des Nordens. Tags darauf reisen beide Delegationen zu ihren Auftraggebern ab, um das Dokument mit ihnen zu besprechen und ratifizieren zu lassen. Diese Auftraggeber waren die Erzherzöge Albert und Isabella von Habsburg, die Landesherren der Südlichen Niederlande, und die Generalstaaten der nordniederländischen Republik. Am Montag, dem 13. April reisten die Unterhändler schon wieder zurück, so dass am 14. noch einige letzte kleine Punkte besprochen und die Ratifizierungen ausgetauscht werden konnten. Nur eine Ratifizierung fehlte dann noch: die König Phi-

1

Vortrag, gehalten am Institut fllr Europäische Geschichte in Mainz am 7. Mai 2009. Die Originalakte in französischer Sprache, in: NA 1.01.08, Inv. Nr. 12588.19 (= AO, Inv. Nr. 2226). Auch in ARA Brüssel, Audience, Inv. Nr. 1367. Die gleich 1609 niederländisch gedruckte Version in: KB, Kn. Nr. 1589. Moderne Edition dieser Version: Simon GROENVELD, Unie-Bestand-Vrede. Drie fundaméntele wetten van de Republiek der Verenigde Nederlanden, Hilversum 2009, S. 115-127. 2

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lipps III. von Spanien. Aber dieser hatte für seine Zustimmung drei Monate Zeit - und nahm sich die auch3. Auf den König brauchte die Verkündung des Waffenstillstandes nicht zu warten. Noch am selben 14. April wurde von einem Podest vor dem Antwerpener Rathaus der Text des Waffenstillstandes der Bürgerschaft verlesen. Gleich darauf brachen in Nord und Süd die Festlichkeiten los: Feuertonnen wurden entzündet und Glocken geläutet, Kanonenschüsse abgefeuert und Gelegenheitsschauspiele aufgeführt, Pamphlete gedruckt und Gedenkmünzen geprägt. In Antwerpen wurde am 14. Juni eine feierliche Prozession veranstaltet, in der Republik am 6. Mai ein Bettag. Und in Amsterdam wurden auf dem Dammplatz von dem rederijkerskamer In Liefde Bloeyende (dem Meistersingerverein „In Liebe Blühend") tableaux vivants aufgestellt, deren Thema der gerechtfertigte Kampf gegen den Tyrannen war, hier von Tarquinius Superbus, dem letzten König der Römer, personifiziert4. Die Ereignisse in Antwerpen versetzen uns mitten in die niederländische Entwicklung um 1609. Sie werfen Fragen auf über die Entstehung eines nord- und südniederländischen Staatenkomplexes und die mehr als vierzigjährige Kriegssituation, in der dieser Prozess sich vollzog, über die Qualifizierungen „gerechtfertigt" und „Kampf gegen einen Tyrannen". Aber auch Fragen hinsichtlich der großen Unterschiede zwischen den Behörden: den souveränen Fürsten des Südens und den Generalstaaten in den nördlichen Provinzen und hinsichtlich der Distanz des spanischen Königs. Und weiter über die Teilnahme der Engländer und Franzosen an der Antwerpener Konferenz. Sogar die völlig unterschiedlichen Gedenkfeiern brauchen eine Erklärung: eine Prozession im Süden, ein Bettag im Norden. Und noch mehr konzentriert auf die Ereignisse im April 1609 selbst: warum so viel Freude, während jetzt nach gut vierzig Jahren Krieg nur ein Waffenstillstand geschlossen wurde und kein Frieden? Welche Bedeutung sollte man folglich dem Waffenstillstand beimessen?

3 Gedenkstukken van Johan van Oldenbamevelt en zijn tijd, Bd. 3, hrsg. von M. L. van Deventer, Den Haag 1865, S. 281-304. Simon GROENVELD, Het Twaalfjarig Bestand. De jongelingsjaren van de Republiek der Verenigde Nederlanden, Den Haag 2009, S. 1—2, 52— 56. 4 Margit TH0FFNER, A Common Art. Urban ceremonial in Antwerp and Brussels during and after the Dutch Revolt, Zwolle 2007, S. 229-234. Martina DLUGAICZYK, Der Waffenstillstand (1609-1621) als Medienereignis. Politische Bildpropaganda in den Niederlanden, Münster 2005, S. 201-224. Fabian C. van BOHEEMEN/Thomas C. J. van der HEIJDEN, „De verlossinghe van die stede": rederijkers en feestcultuur tijdens de Opstand, in: De Zeventiende Eeuw 10/1 (1994), S. 207-215, hier S. 210. Simon GROENVELD, Hooft als Historieschrijver. Twee studies, Weesp 1981, S. 15-16,23-24, 96.

Groenveld, Der zwölfjährige

Waffenstillstand

Die Niederlande im Aufstand während des Konfessionellen 1560 bis 1588

163 Zeitalters,

Neue Staatsbildung und Reformation trugen im 16. Jahrhundert zum Niedergang der alten universalen Mächte Papst und Kaiser bei. Es handelte sich dabei um zwei Prozesse, die oft sehr eng miteinander verschlungen waren. Die Historiker Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling betrachten diese Verschlingung als charakteristisch fur die erste Phase der neueren Geschichte, sprechen von „Konfessionalisierung" und bezeichnen die Periode 1540—1648 als „das Konfessionelle Zeitalter". Schilling definiert Konfessionalisierung als „einen gesellschaftsgeschichtlich fundamentalen Wandlungsvorgang, der kirchlich-religiöse und mentalitätsmäßig-kulturelle Veränderungen ebenso einschließt wie staatlich-politische und soziale. [...] „Konfessionalisierung" meint einen gesellschaftlichen Fundamentalvorgang, der in meist gleichlaufender, bisweilen auch gegenläufiger Verzahnung mit der Herausbildung des frühmodernen Staates [...] das öffentliche und private Leben in Europa tiefgreifend umpflügte. In diesem Prozess spielten außer den genannten Faktoren auch wirtschaftliche Triebfedern eine Rolle und könnte es Ansätze zu einer Mentalitätsänderung in Richtung einer Wertschätzung des Nationalstaates gegeben haben 5 . Auf die siebzehn niederländischen Provinzen, die zusammen das Deltagebiet 5 Über Konfessionelles Zeitalter und Konfessionalisierung: Harm KLUETING, Das Konfessionelle Zeitalter 1525-1648, Stuttgart 1989. Harm KLUETING, Zweite Reformation Konfessionsbildung - Konfessionalisierung. Zwanzig Jahre Kontroversen und Ergebnisse nach Zwanzig Jahren, in: Historische Zeitschrift 277 (2003), S. 309—341. Maximilian LANZINNER, Konfessionelles Zeitalter, in: Bruno GEBHARDT, Handbuch der deutschen Geschichte, hrsg. von Wolfgang Reinhard, 10. Aufl., Stuttgart 2001, S. 3-203. Wolfgang REINHARD, Gegenreformation als Modernisierung? Prolegomena einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: Archiv für Reformationsgeschichte 68 (1977), S. 226-251. Ders., Sozialdisziplinierung - Konfessionalisierung - Modernisierung. Eine historiographische Diskussion, in: Die frühe Neuzeit in der Geschichtswissenschaft: Forschungstendenzen und Forschungserträge, hrsg. von N. Boskovska Leingruber, Paderborn [u. a.] 1997, S. 39—55. Wolfgang REINHARD, Was ist katholische Konfessionalisierung?, in: Die katholische Konfessionalisierung. Wissenschaftliches Symposion 1993, hrsg. von Wolfgang Reinhard/Heinz Schilling, Gütersloh 1995, S. 419—455. Die Reformierte Konfessionalisierung in Deutschland — Das Problem der „Zweiten Reformation", hrsg. von Heinz Schilling, Gütersloh 1986, S. 184-213. Heinz SCHILLING^ Die Konfessionalisierung von Kirche, Staat und Gesellschaft — Profil, Leistung, Defizite und Perspektiven eines geschichtswissenschaftlichen Paradigmas, in: Die katholische Konfessionalisierung, hrsg. von Reinhard/Schilling, S. 1—49. Heinz SCHILLING^ Das Konfessionelle Europa. Die Konfessionalierung der europäischen Länder seit Mitte des 16. Jahrhunderts und ihre Folgen für Kirche, Staat, Gesellschaft und Kultur, in: Ders., Ausgewählte Abhandlungen zur europäischen Reformations- und Konfessionsgeschichte, Berlin 2002, S. 647—699. Georg SCHMIDT, Der Wetterauer Grafenverein. Organisation und Politik einer Reichskorporation zwischen Reformation und Westfälischem Frieden, Marburg 1986, S. 322 und passim. Das Zitat: SCHILLING Konfessionalisierung, S. 4.

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von Rhein, Maas und Scheide zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich bildeten, lässt sich diese Definition nicht ohne weiteres anwenden. Wir konzentrieren uns auf die Entwicklung von Staatsbildung und Religion, die hier nicht synchron verliefen und schon dadurch auf eigene Weise aufeinander einwirkten. Alle siebzehn Provinzen waren erst seit 1543 in den Händen eines Fürsten: Karls V. von Habsburg. Sie bildeten damals nicht, wie benachbarte Fürstenstaaten, einen composite state, sondern waren nur eine Personalunion. Karls Ziel - übrigens zu einem relativ späten Zeitpunkt verfolgt - war, ein Königreich daraus zu machen, strategisch liegend auf der Kreuzung der Nord-SüdRoute über die Nordsee und der Ost-West-Route zwischen England und Deutschland über die großen Flüsse. Die Selbständigkeit dieser Länder verstärkte er, indem er 1548 die alten Bande mit dem Deutschen Reich so gut wie abbrach. Kein Wunder, dass seine Maßnahmen - verhältnismäßig spät in Europa - von benachbarten Fürsten genau verfolgt wurden. Im Inland schuf er zentrale Verwaltungsinstitutionen, deren Basis schon von Vorgängern gelegt worden war. Viel mehr als andere Fürsten wurde er dabei mit partikularistischen Kräften konfrontiert, Ergebnis unter anderem von früherer schwacher Führung. Sie äußerten sich beispielsweise in dem Wunsch der Untertanen nach Achtung ihrer Privilegien - Libertates - und nach verwaltungsmäßigen Befugnissen für ihre repräsentativen Kollegien, die Staaten. Weder den Provinzstaaten, noch den Generalstaaten würde der Kaiser diese jedoch versprechen, um seine Prärogativen nicht zu beeinträchtigen6. Der niederländische Staatsbildungsprozess wurde auch von den Teilungsmaßnamen innerhalb des habsburgischen Hauses beeinflusst. Nach einem älteren Beschluss war Karls Nachfolger in den österreichischen Erblanden und im Kaisertum sein Bruder Ferdinand, mit dem ein neuer österreichischer Zweig anfing. Karls andere Länder - außer den Niederlanden auch die spanischen Königreiche Aragon, Kastilien und ihre weltweiten Besitztümer - gingen an seinen Sohn Philipp Π7. Dieser seinerseits sollte seine schwer regierbaren Länder 1598 aufs neue verteilen: die spanischen Länder gingen an 6 Wim P. BLOCKMANS, Keizer Karel V, 1500-1558. De utopie van het keizerschap, Leuven/Amsterdam 2000, S. 77-84. Wim P. BLOCKMANS/Jan van HERWAARDEN, De Nederlanden van 1495 tot 1555: binnenlandse en buitenlandse politiek, in: N A G N V, S. 443— 491. Simon GROENVELD, Nation und „patria". Begriff und Wirklichkeit des kollektiven Bewusstseins im Achtzigjährigen Krieg, in: Krieg und Kultur. Die Rezeption von Krieg und Frieden in der Niederländischen Republik und im Deutschen Reich 1568—1648, hrsg. von Lademacher/Groenveld, Münster [u.a.] 1998, S. 77-109. De Tachtigjarige Oorlog. Opstand en consolidatie in de Nederlanden (ca. 1560—1650), hrsg. von Simon Groenveld, Huib L. Ph. Leeuwenberg [u. a.], Zutphen 2008, S. 13-24, 73. GROENVELD, Twaalfjarig Bestand, S. 5-9. η '

Karl BRANDI, Kaiser Karl V. Werden und Schicksal einer Persönlichkeit und eines Weltreiches, 6. Aufl., München 1961, S. 110-117, 401-412, 478-489, 505-512. Geoffrey PARKER, Philip II, Boston/Toronto 1978, S. 17-23.

Groenveld, Der zwölfjährige Waffenstillstand

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seinen Sohn Philipp ΙΠ., die Niederlande an seine Tochter Isabella, die zwecks Begründung einer neuen Linie ihren Vetter Erzherzog Albert von Österreich heiratete. Das Ehepaar wurde souverän, blieb aber militärisch und finanziell an Madrid gebunden, ebenso wie an die politischen Wünsche Philipps ΙΠ. Außerdem sollten ihre Länder beim Ausbleiben eines Erben an den Zweig Philipps ΙΠ. zurückfallen. Genauere Regelungen wurden nicht getroffen. Und die Staaten der Südlichen Niederlande hat der König in dieser Sache nicht konsultiert8. Inzwischen hatte die schwächer werdende päpstliche Autorität schon im späten Mittelalter dazu geführt, dass Landeskirchen entstanden. Karl V. hatte in den zwanziger Jahren auch für die Niederlande danach gestrebt, aber vergebens. Philipp II. sollte das 1559-1561 wohl gelingen, aber auch das war wieder spät. Er bekam dadurch nachträglich das Sagrai über die Bischofsernennungen und gute Möglichkeiten zur Bekämpfung der Ketzerei9. Ketzerei war in dieser offenen Gesellschaft schon kurz nach 1517 entstanden: Die Ideen Luthers und der Täufer kamen aus Deutschland herein, und kalvinistische von Frankreich aus einer Generation später. Karl V. und Philipp II. stellten sich dagegen, wurden aber durch den Zustand der Staats- und kirchlichen Strukturen behindert. Ebenso wie hinsichtlich der Zentralisation übten Untertanen Kritik an der neu geführten repressiven Politik10. 8

GROENVELD, Twaalfjarig Bestand, S. 21-23. België in de 17de eeuw, 2 Bände, hrsg. von Paul Janssens, Gent 2006,1, S. 135—143. Hugo de SCHEPPER, De overheidsstructuren in de Koninklijke Nederlanden 1580-1700, in: NAGN V, S. 388-405. Ders., Les archiducs et les institutions du gouvernement au Pays-Bas espagnols, 1596—1621, in: Albrecht & Isabella, 2 Bde.: Katalog und Essays, hrsg. von Werner Thomas/Luc Duerloo Brüssel 1998, Essays, S. 221-232. Claude BRUNEEL, De Spaanse en Oostenrijkse Nederlanden (1585-1780), in: Geschiedenis van de Nederlanden, hrsg. von Johan Cornells H. Blom/Emiel Lamberts, Rijswijk 1994, S. 181-218, hier S. 182-187. Luc DUERLOO/Dries RAEYMAEKERS, Eerherstel voor een onderhandelaar, in: Nationaal Archief Magazine 2009/1, S. 4—9. Luc DUERLOO, Piety and Dynasty. Archduke Albert (1598-1621) and Habsburg Political Culture in an Age of Religious Warfare, Farnham 2010. Dries RAEYMAEKERS, „Siempre un pie en palacio". Het hof en de hofliouding van de aartshertogen Albrecht en Isabella, 1598— 1621. Antwerpen 2009. Bohdan CHUDOBA, Spain and the Empire, Chicago 1952. Paul C. Allen, Philip ΠΙ and the Pax Hispanica, 1598-1621, New Haven/London 2000, S. 17-21. 9 Michael DIERICKX, De oprichting der nieuwe bisdommen in de Nederlanden onder Filips Π (1559-1570), Antwerpen/Utrecht 1950. Folkert POSTMA, Nieuw licht op een oude zaak: de oprichting van de nieuwe bisdommen in 1559, in: Tijdschrift voor Geschiedenis 103 (1990), S. 1 0 - 2 7 . 10

Regnerus R. POST, Kerkelijke verhoudingen in de Nederlanden vóór de Reformatie van 1500 tot 1580, Utrecht/Antwerpen 1954. GROENVELD/LEEUWENBERG, Tachtigjarige Oorlog, S. 52-71. NAGN VI, S. 145-185, 202-214, Johan DECAVELE, De eerste Protestanten in de Lage Landen. Geloof en heldenmoed, Leuven/Zwolle 2004. DERS., De dageraad van de reformatie in Vlaanderen (1520-1565), 2 Bde., Brüssel 1975. Clasina Martina ROOZESTOUTHAMER, Hervorming in Zeeland (ca. 1520-1572), Goes 1996. Jan Juliaan WOLTJER, Friesland in Hervormingstijd, Leiden 1962. Jozef SCHEERDER, De Inquisitie in de Nederlanden in de XVIe eeuw, Antwerpen 1944. Werner THOMAS, De mythe van de Spaanse Inquisitie in de Nederlanden van de zestiende eeuw, in: BMGN 105 (1990) 325—353. Horst

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Hinzu kam noch Unzufriedenheit mit der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung. Zur Zeit Philipps Π. fanden Gruppen Unzufriedener zueinander in ihrer gemeinsamen Abneigung gegen Aspekte der fürstlichen Regierung. Ihre Unzufriedenheit führte zu hartem Vorgehen, zu Gegenaktionen des Staates und zu verschärften Aktionen ihrerseits. Eine Anzahl von ihnen entschloss sich ins Exil zu gehen. Von ihnen bildeten alsbald Kalvinisten, obschon nur eine kleine Minderheit, den harten Kern11. In Spanien, wo er ab 1559 residierte, entschloss Philipp Π. sich zu militärischem Einschreiten. Eine Wellenbewegung zwischen Gewalt und Mäßigung war das Ergebnis. Eine militante Phase erreichte zwischen 1572 und 1576 ihren Höhepunkt. Zentrum der Rebellion wurden die Provinzen Holland und Seeland12. 1576 führten Beratungen jedoch zu einer zweiten Phase, in der zwischen Aufständischen und Anhängern des Hauses Habsburg in Gent sogar Frieden geschlossen wurde. Diese Pazifikation von Gent war jedoch an sich schon ein schwacher Frieden, sie war es umso mehr, als sie von Philipp Π. nicht anerkannt wurde13. Dadurch rückten die Provinzen doch wieder auseinander, und es begann eine dritte Phase, erneut voll Gewalt. Jetzt zeichneten sich zwei territoriale Einheiten ab, eine nördlich der großen Flüsse und eine südlich davon eines Bereichs mit unwegsamen Heideflächen in Nordbrabant und Nordflandern, De Kempen. Es entstand auch ein Zwischengebiet, wo sich öfters die Frontlinien schlängelten. Die nördlichen und südlichen Einheiten traten weiter auseinander als die Aufständischen, 1579 in der Utrechter Union vereint, 1581 beschlossen (sie), Philipp II. abzusetzen: der König habe die Grenzen seiner Befugnisse weit überschritten und sei somit zum Tyrannen geworden, der „verlassen" und in einem gerechtfertigten Krieg - bellum iustum - bekämpft werden dürfe14. Das Vorgehen seines Nachfolgers - der LADEMACHER, Freiheit — Religion — Gewissen. Die Grenzen der religiösen Toleranz in der Republik, in: Ablehnung - Duldung - Anerkennung. Toleranz in den Niederlanden und in Deutschland. Ein historischer und aktueller Vergleich, hrsg. von Horst Lademacher, Renate Loos, Simon Groenveld, Münster [u. a.] 2004, S. 117-141, hier S. 117-132. 11 GROENVELD, LEEUWENBERG [U. a j , Tachtigjarige Oorlog, S. 86-93. Andrew PETTEGREE, Emden and the Dutch Revolt. Exile and the Development of Reformed Protestantism, Oxford 1992. Heinz SCHILLING Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert, Gütersloh 1972. Ole Peter GRELL, Dutch Calvinists in Early Stuart London. The Dutch Church in Austin Friars 1603-1642, Leiden [u.a.] 1989, S. 1-42. 12 GROENVELD, LEEUWENBERG [u.a.], Tachtigjarige Oorlog, S. 93-104. Simon GROENVELD, Godsdienst en politiek bij Filips II, in: Ketters en papen onder Filips II, hrsg. von Robert P. Zijp, Utrecht 1986, S. 8 - 2 5 . Parker, Phüip II, S. 96-99, 117-129. William S. Maltby Alba, A Biography of Fernando Alvarez de Toledo, Third Duke of Alba 1506— 1582, Berkeley/Los Angeles/London 1983, S. 110-283. Henry KAMEN, The Duke of Alba, New Häven/London 2004. 13

Opstand en Pacificatie in de Lage Landen. Bijdragen tot de Studie van de Pacificatie van Gent, hrsg. von Michel Baelde [u.a.], Gent 1976. 14 Leo DELFOS, Die Anfänge der Utrechter Union, 1577-1587, Berlin 1941. De Unie van Utrecht. Wording en werking van e en verbond en een verbondsacte, hrsg. von Simon

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Herzog von Anjou - scheiterte jedoch. Nach dessen Tod und dem Mord an dem eigentlichen Leiter des Aufstandes, Wilhelm von Nassau-Oranien, beide im Sommer 1584, führte auch englische Hilfe nicht zu einer Wende15.

Neue Strukturen, 1588 bis 1598 In dieser neuen Phase von Gewalt kamen einige wesentliche strukturelle Änderungen zustande. Auf der Seite der Aufständischen fiel im April 1588 die Entscheidung, keinen neuen Monarchen zu suchen. Man nahm selbst die Regierung in die Hand, was man faktisch schon jahrelang getan hatte. So entstand die Republik der Vereinigten Niederlande. Kern dieses Staatssystems waren die einzelnen Provinzen, souveräne Fürstentümer. Die Souveränität ging jetzt in jeder Provinz an das provinziale Staatenkolleg über, den neuen Landesherrn. Damit entstand eine völlig neue Verwaltungsstruktur, die sich parallel zu den europäischen Monarchien entfalten sollte. Die Provinzialstaaten arbeiteten in allgemeinen Angelegenheiten in den Generalstaaten zusammen - d.h. in einem Kollegium das nicht souverän sein konnte, sondern zwischenstaatlich wurde. Innerhalb jeder Provinz waren einige Beamte tätig, darunter ein Landesanwalt und ein Statthalter. Holland war die einflussreichste Provinz, und stellte die wichtigsten Führer: den Landesanwalt Johan van Oldenbarnevelt und den Statthalter, zugleich militärischen Oberbefehlshaber Moritz von Nassau-Oranien16. Es war in dieser selben Phase des Kampfes, dass Philipp Π. 1598 seine Tochter und seinen künftigen Schwiegersohn zu Souveränen ernannte, faktisch nur über die Südlichen Niederlande, formell über alle Provinzen die sie

Groenveld/Huib L. Ph. Leeuwenberg, Den Haag 1979. GROENVELD, Unie-Bestand-Vrede, S. 33-83. M. E. H. Nicolette MOUT, Plakkaat van Verlatinge 1581, Den Haag 1979/Groningen 2006. 15 Koenraad Wolter SWART, William of Orange and the Revolt of the Netherlands, 1572— 84, Aldershot, Hants/Burlington 2003. Frédéric DUQUENNE, L'entreprise du duc d'Anjou aux Pays-Bas de 1580 à 1584. Les responsabilités d'un échec à partager, Villeneuve d'Ascq ÍNord) 1998. F. G OOSTERHOFF, Leicester and the Netherlands 1586-1587, Utrecht 1988. Simon GROENVELD, Eine Union von sieben Provinzen. Die niederländische Republik und ihre Einrichtungen nach Theorie und Praxis, in: Zusammengesetzte Staatlichkeit in der Europäischen Verfassungsgeschichte. Beiheft 16 zu „Der Staat", hrsg. von Hans-Jürgen Becker, 2006, S. 87—108. Ders., Regeren in de Republiek. Bestuurspraktijken in de 17eeeuwse Noordelijke Nederlanden, Leiden 2006. Ders., Der Friede von Münster als Abschluss einer progressiven Revolution in den Niederlanden, in: 1648. Krieg und Frieden in Europa, 3 Bde., hrsg. von Klaus Bußmann und Heinz Schilling Münster 1998, Textband I, 123-132. Jan den TEX, Oldenbarnevelt, 5 Bde., Haarlem 1960-1972. Arie Th. van DEURSEN, Maurits van Nassau. De winnaar die faalde, Amsterdam 2000. Maurits, Prins van Oranje. Katalog, hrsg. von Kees Zandvliet, Amsterdam/Zwolle 2000.

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wieder unter ihre Gewalt bringen und rekatholisieren sollten. Unter ihnen blieben die alten habsburgischen Zentralbehörden intakt. Infolge des Aufstandes hatten sich auch die religiösen Verhältnisse verändert. Auf der Seite der Aufständischen hatte eine Minorität von etwa drei Prozent Kalvinisten die Führung übernommen. Wilhelm von Nassau-Oranien hatte vergebens gleiche Rechte für Anhänger aller Religionen gefordert. Freilich verfügten die Kalvinisten über zu wenig geeignete Personen für alle Funktionen und mussten deswegen mit Andersdenkenden zusammenarbeiten. Aber jedenfalls wiesen sie ihrer Religion eine privilegierte Stellung zu: sie wurde die „Publike Kirche", nur sie durfte öffentliche Gottesdienste halten und öffentliche Aufgaben unter der Obrigkeit der Provinzen wahrnehmen. Andersdenkende genossen Gewissensfreiheit, aber nicht die Freiheit des Gottesdienstes. Sie hatten zwar Rechte, aber deutlich weniger als die Kalvinisten. Die Situation war jedoch verwickelt, weil nicht jeder, der aus der römischen Kirche austrat, gleich einer anderen Kirche beitrat Um 1600 existierte eine Gruppe, wovon die Unentschiedenen etwa fünfzig Prozent der Bevölkerung ausmachten. Hier sehen wir in der Praxis „das Nichtkonfessionelle", wovon Gerhard Oestreich spricht17. Diese Gruppe hat sich erst um 1650 in eine damals etwa gleich große reformierte und katholische Kirche aufgelöst, die zusammen etwa 75 Prozent der Nordniederländer umfassten. Wenn man hier schon von Konfessionalisierung reden kann, dann vollzog sie sich spät, und anders als woanders: in engerem Sinne in gesonderten, voneinander getrennten Gliederungen, die das religiöse und soziale, das wirtschaftliche und kulturelle Leben ihrer Mitglieder beherrschten; nur die kalvinistische Schicht hatte direkte Verbindungen zum Politischen. In modernen Zeiten werden solche Gliederungen Säulen genannt. Das Phänomen war jedoch schon viel älter, ebenso wie der Prozess dahinter: die Versäulung. Die gegenseitige Anerkennung der diversen Säulen war außerdem unterschiedlich. So hegten alle Protestanten nicht nur religiösen, sondern auch politischen Argwohn gegen die Katholiken: waren sie keine fünfte Kolonne der verhassten Spanier? Die Republik war also ein pluriformer Staat, ohne eine Landes- oder Staatskirche, allerdings mit obrigkeitlicher Gewalt über das gesamte kirchliche Leben18. 17

Zitiert von SCHILLING^ Konfessionalisierung, S. 22. Ablehnung, hrsg. von Lademacher, S. 56—253. Simon GROENVELD, Huisgenoten des geloofs. Was de samenleving in de Republiek der Verenigde Nederlanden verzuild? Hilversum 1995. Ders., Die versäulte Republik. Bemerkungen zur praktischen Konsequenz von Toleranz in den Niederlanden des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Zentrum für NiederlandeStudien, Jahrbuch 10/11 (1999/2000), S. 13-38. Joris van ELJNATTEN/Fred A. van LLEBURG, Nederlandse Religiegeschiedenis, Hilversum 2005, S. 169-172, 178, benutzen das Wort Konfessionalisierung in Bezug auf die Nördlichen Niederlande zwar, aber argumentieren, das Wort gäbe nur ein Teil der Wirklichkeit wieder. Vgl. SCHILLING, Das konfessionelle 18

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Ganz anders verlief die kirchliche Entwicklung in Spanien und den Südlichen Niederlanden. In den spanischen Königreichen waren seit dem späten Mittelalter unter Aufeicht der Behörden zuerst Conversos - bekehrte Juden und danach Moriscos - bekehrte Muslime - scharf verfolgt und beim Nachweis, alten Glaubenspraktiken nachzugehen, bestraft und deportiert worden. Für Spanier waren die Moriscos eine fünfte Kolonne, nämlich der immer drohenden Türken. In den zwanziger und dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts wurden zudem erasmianische Ansichten, die für lutherisch erklärt wurden, bekämpft. Und die sechziger Jahre brachten neue Verfolgung von vermeintlichem Luthertum. In dieser Kreuzfahreratmosphäre, die übrigens mit Mystik vermischt war, war Philipp II. erzogen worden sowie seine Lieblingstochter Isabella und ab seinem zehntem Lebensjahr auch ihr späterer Gatte Erzherzog Albert. Manchen Autoren zufolge betrieben die Habsburger hier sogar ,Zwangskonfessionalisierung'19. Für Philipp Π. und dessen Sohn Philipp ΠΙ. war das Monopol der römischen Kirche erster Ausgangspunkt für eine Pax Hispánico, einen von ihnen angestrebten, weltweit von Spanien kontrollierten Zustand, worin gleichzeitig alte, von Spanien beanspruchte Rechte anerkannt werden sollten, namentlich in Mittel- und Südamerika und in Ostasien20. Von spanischer Frömmigkeit beeinflusst, nahmen in den Südlichen Niederlanden die Erzherzöge die Rekatholisierung in die Hand. Von den kirchlichen Strukturen von 1559 bis 1561 ausgehend, wollten sie das geistige Leben vertiefen. So veranlassten sie Prozessionen und Wallfahrten und nahmen selbst ostentativ daran teil, stärkten das Klosterleben - besonders von spanischen Orden wie den Jesuiten und den nicht beschuhten Karmeliten - und die Seelsorge, führten Beschlüsse des Konzils von Trient durch und gewährten andersgläubigen Untertanen keine Gewissensfreiheit. Der politische Aspekt der Pax Hispánico wurde von ihnen weit weniger unterstützt: nicht spanische Ansprüche standen voran, sondern das Wohl ihrer vom Krieg in Mitleiden-

Europa, S. 649, hinsichtlich der Täufer: „Diese blieben aber fUrs erste ohne gesamtgesellschaftliche Konsequenzen f&r das Profil der europäischen Gesellschaften, da in ihrem Fall die Verknüpfung mit dem parallel verlaufenden staatlich-politischen Formierungsprozess der frühmodernen Staatsbildung fehlte". Dies trifft auch in Bezug auf die Katholiken in der Republik zu. Vgl. auch Olaf MÖRKE, „Konfessionalisierung" als politisch-soziales Strukturprinzip? Das Verhältnis von Religion und Staatsbildung in der Republik der Vereinigten Niederlande im 16. und 17. Jahihundert, in: Tijdschrift voor Sociale Geschiedenis 16 (1990), S. 31-60. 9 William MONTER, Zwangskonfessionalisierung? Die spanische Inquisition gegen Lutheraner und Morisken, in: Katholische Konfessionalisierung, hrsg. von Reinhard/Schilling, S. 135-144. GROENVELD, Godsdienst en politiek. 20 ALLEN, Philip in, S. 1-29. Hugh R. TREVOR-ROPER, Spain and Europe 1598-1621, in: The New Cambridge Modern History IV: The Decline of Spain and the Thirty Years War 1609-48/59, hrsg. von John P. Cooper, Cambridge 1971, S. 260-282.

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schaft gezogenen Länder. Überzeugung und Raison d'État vereinten sie in einer eigenen Form von Konfessionalisierung21.

Abnehmende Kämpfe und erste Runde der Beratung, 1588 — 1606 — 1607 Inzwischen war der niederländische Aufstand in seine dritte, wieder gewaltsame Phase eingemündet. Aber sein Charakter änderte sich: er wurde internationaler. In den achtziger Jahren waren die Habsburger offensiv vorgegangen. Aber nach einem gescheiterten Angriff über See auf England und die Niederlande mit einer Invincible Armada, einer unbesiegbaren Flotte, und nach einer wenig erfolgreichen Intervention in die Bürgerkriege in Frankreich in den folgenden Jahren reduzierten sich ihre Aktivitäten. Gerade da kam die bedrohte Republik wieder zu Kräften. Sie wusste in den neunziger Jahren ihr Kerngebiet, von Rhein, Maas und IJssel umgrenzt, durch Eroberungen zu schützen. Dabei entstand eine zweite Frontzone neben der zwischen den großen Flüssen und De Kempen: der Grenzbereich zwischen den Niederlanden und dem Deutschen Reich, der häufig von den Habsburgern als Zugang zu den Sieben Provinzen benutzt wurde22. Außerdem wurden die Nordniederländer 1596 Partner eines Dreibündnisses mit Frankreich und England: de facto eine Anerkennung ihres Daseins. Dieses Bündnis brach jedoch 1598 beziehungsweise 1604 schon wieder in sich zusammen, auch dank der Friedensbestrebungen des Erzherzogs Albert. Aber inoffiziell unterstützten beide bisherigen Alliierten die Niederländer weiterhin mit Geld und Truppen, vor allem aus Eigennutz, um Spanien im Krieg zu halten oder aber einem Kollaps des kontinentalen Gleichgewichts

21

Eddy PUT, Les archiducs et la réforme catholique: champs d'action et limites politiques, in: Albrecht & Isabella, Essays, hrsg. von Luc Duerloo und Werner Thomas, S. 255—266. Luc DUERLOO, Archducal Piety and Habsburg Power, S. 267-284. Belgi« in de 17de eeuwl, hrsg. von Paul Janssens, S. 142-143; II, S. 49-53. Léon HALKIN, Het katholiek herstel in de Zuidelijke Nederlanden 1579-1609, in: NAGN VI, S. 344-351. F. A. van LIEBURG, Gereformeerd pastoraat in de Zuidelijke Nederlanden en in Noord-Frankrijk ten tijde van de Republiek, in: De Scheldedelta als verbinding en scheiding tussen Noord en Zuid, 1500-1800, hrsg. von Simon Groenveld und Maurits A. Ebben, Maastricht 2007, S. 91-104. 22 Robert FRUIN, Tien jaren uit den Tachtigjarigen Oorlog 1588-1598, 7. Aufl., Den Haag 1899. R. P. de GRAAF, Oorlog, mijn arme Schapen. Een andere kijk op de Tachtigjarige Oorlog 1565-1648, Franeker 2004, S. 301-446. Olaf van NlMWEGEN, „Deser landen Crijchsvolck". Het Staatse leger en de militaire revoluties 1588—1688, Amsterdam 2006, S. 130-170. Volker PRESS, Kriege und Krisen. Deutschland 1600-1715, München 1991, S. 175. Johannes ARNDT, Das Heilige Römische Reich und die Niederlande 1566 bis 1648. Politisch-konfessionelle Verflechtung und Publizistik im Achtzigjährigen Krieg, Köln/Weimar/Wien 1998, S. 104-129.

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vorzubeugen23. Zum Ausgleich schloss die Republik 1605 eine neue Tripelallianz mit der Pfalz und Brandenburg, aber auch sie erwies sich als wenig effektiv24. Nach kurzer Erholung des Südens 1604 bis 1606 verlor der Krieg an Tempo, vor allem aus finanziellen Gründen. Die Republik stöhnte unter der Kriegslast, in Spanien machte Philipp ΙΠ. 1607 Bankrott25. Die Republik sah jetzt drei Lösungen. Die erste, Weiterfuhrung des Kampfes zusammen mit Frankreich, war unmöglich weil König Heinrich IV. die Souveränität über die Sieben Provinzen beanspruchte. „Wiedervereinigung" mit dem Süden war für die nördlichen Führer nicht länger eine Option, weil sie jede habsburgische Obrigkeit ablehnten ebenso wie Religionsfreiheit für die Katholiken. Blieb nur noch ein Weg offen: ein Frieden oder ein langjähriger Waffenstillstand, aber dann nach vorhergehender Anerkennung der Souveränität für jede der sieben Provinzen26. Für die Erzherzöge war die Weiterfiihrung des Krieges - zusammen mit Spanien - schon wegen der Erschöpfung ihrer Länder nicht akzeptabel. „Wiedervereinigung" schloss sich für sie wegen der nördlichen Ablehnung aus. Also blieben auch für sie nur Frieden oder Waffenstillstand übrig - aber dann freilich mit Anerkennung einer selbständigen Republik, oder immerhin mit dem Schein davon. Sonst wären die Nördlichen Niederlande keine handlungsfähigen Gesprächspartner. Waren Albert und Isabella aber so souverän, dass sie das beschließen konnten? Die Regelungen von 1598 waren diesbezüglich problematisch. Außerdem wurde ihre Position dadurch nicht stärker, als noch kein Nachfolger geboren worden war27.

23

Roland MOUSNIER, L'assassinat de Henri IV, Paris 1964, S. 104-107. ALLEN, Philip ΙΠ, S. 137-138. Den TEX, Oldenbarneveh Π, S. 295-335, 462-503. Den TEX, Oldenbarneveh II, S. 443-449, 522-524; ΠΙ, S. 84. Resolutiën der StatenGeneraal 1604-1606, hrsg. von Hennina Rijperman, Den Haag 1957, S. 352, 358. Gedenkstukken ΙΠ, hrsg. von Van Deventer, S. 32-38. J. H. Hora SlCCAMA, Schets van de diplomatieke betrekkingen tusschen Nederland en Brandenburg 1596—1678, Utrecht 1867, S. 39—40. 24

25

Eduard Hubert M. DORMANS, De economie en de openbare financiën van de Republiek, in: Van tresorier tot thesaurier-generaal. Zes eeuwen financieel beleid in handen van een hoge Nederlandse ambtsdrager, hrsg. von Jacobus Thomas de Smidt [u. a.], Hilversum 1996, S. 89-110, hier S. 98-99. ALLEN, Philip III, S. 156-171. Jean LEFÈVRE, Spinola et la Belgique, Brüssel 1947, S. 26-31. Geoffrey PARKER, The Army of Flanders and the Spanish Road 1567—1659. The Logistics of Spanish Victory and Defeat in the Low Countries' War, Cambridge 1972, S. 247-253, 294. John H. ELLIOTT, Imperial Spain 1 4 6 9 1716, Harmondsworth 1970, S. 285-304. 26 Willem J. M. van EYSINGA, De Wording van het Twaalfjarig Bestand van 9 aprii 1609, Amsterdam 1959, S. 66, 75-76, 84-85. Den TEX, Oldenbarnevelt II, S. 434^436, 5 4 2 543. ALLEN, Philip ΙΠ, S. 174. 27 Léon van der ESSEN, Politieke geschiedenis van het Zuiden 1585-1609, in: AAGN V, S. 245-282, hier S. 271-282. ALLEN, Philip ΠΙ, 17-21, 167-169, 234. PARKER, Philip IL, 195-196.

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Folglich zog Philipp III. die Dinge an sich. Wenn schon mit Ketzern verhandelt werden sollte, dann durften ihnen nicht die Souveränität abgetreten werden, höchstens befristete Selbständigkeit. Lieber noch sollte man sie behandeln, als ob sie selbständig erachtet würden. Und die Pax Hispánico sollte Richtlinie sein: Religionsfreiheit fur die Katholiken im Norden und Einstellung der Fahrten der „Rebellen" nach Ost- und Westindien. Auf letzteres forderte der König das exklusive Recht aufgrund des Vertrags von Tordesillas von 1494 - der aber von den Protestanten nicht anerkannt wurde. Das Konfessionelle Zeitalter manifestierte sich nachdrücklich in Philipps Fordeoo

rangen. Brüssel wurde jetzt am aktivsten. Mehr oder weniger geheime Missionen wurden nach Den Haag geschickt, wichtige Personen - vor allem der General Ambrogio Spinola - sollten Madrid bearbeiten29. Auch Oldenbamevelt schickte hin und wieder Gesandte nach Brüssel, um die Stimmung auszuloten30. Bei all diesen Aktivitäten zeigte sich, dass in der Republik die Institutionen sich erst noch herausbilden mussten: in den offenen Generalstaaten und den souveränen Provinzstaaten konnten keine geheimen Dinge diskutiert werden. Viel wurde also besprochen zwischen wenigen Personen oder in Secrete Besognes - unter einem Geheimhaltungseid arbeitenden Kommission e n - aus den Generalstaaten31. Nach den kurzen gelegentlichen Besprechungen nahm Albert sein souveränes Recht in Anspruch und versprach, die Republik während einer Feuereinstellung von acht Monaten bedingungslos als liber ende vry - unabhängig zu behandeln; es bleibt dahingestellt, ob er damit seine formelle Anerkennung aussprach. In dieser Periode sollte über Frieden oder Waffenstillstand verhandelt werden. Oldenbamevelt forderte aber eine förmliche Agreatie -

28 ALLEN, Philip III, S. ix, 162,170-171, 240. Van EYSINGA, Wording, S. 69, 88. GROENVELD, Twaalfjarig Bestand, S. 34-35. Jonathan I. ISRAEL, The Dutch Republic and the Hispanic World 1606-1661, Oxford 1982, S. 4-5, 8, 14. JANSSENS, België in de 17de eeuwl, S. 142. LEFÈVRE, Spinola, S. 29-31. 29 ARA, Audience, Inv. Nr. 1366. Den TEX, Oldenbamevelt II, S. 429-436, 542-543, 546553, 557-563, 566-570, 574-576. Van EYSINGA, Wording, S. 15-17, 75-76, 80-81. ALLEN, Philip ΠΙ, S. 167-169, 171, 174-177, 181-182. Gedenkstukken ΠΙ, hrsg. von Van Deventer, S. 104-109. LEFÈVRE, Spinola, 27-28. Van der ESSEN, Politieke geschiedenis, S. 278-279. NNBW III, S. 911-913; VII, S. 75-76. 30 Den TEX, Oldenbamevelt II, S. 518, 542-543, 546-547. Biographie Nationale de Belgique, 66 Bde., Brüssel 1866-1986, XXIII, S. 126. Den TEX, Oldenbamevelt II, S. 518, 542-543, 546-547. 31 Über Secrete Besognes: Simon GROENVELD, Verlopend Getij. De Nederlandse Republiek en de Engelse Burgeroorlog 1640—1646, Dieren 1984, 74—87. Ders., Union von sieben Provinzen, 100-104. Den TEX, Oldenbamevelt IL, 434, 515, 535, 544-547, 552554, 559-561, 567-568. Van EYSINGA, Wording, S. 84-85. ALLEN, Philip III, S. 167-169.

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Zustimmung - von Philipp ΙΠ32. Dieser warf seinerseits seinem Schwager vor, er habe seine Befugnisse weit überschritten - aber sah ein, dass er dessen Zusagen gegenüber der Republik nicht ohne Verletzung seiner Ehre rückgängig machen konnte. Die einzige Alternative sei jedoch, sagte Spinola ihm, Weiterführung des Krieges, der das bankrotte Spanien jährlich etwa drei Millionen escudos kosten werde33. Philipp musste also wohl oder übel einverstanden sein, stellte allerdings Gegenbedingungen: die ständig wiederkehrende Forderimg nach Religionsfreiheit für die nordniederländischen Katholiken und die Einstellung der Fahrten nach den beiden Indien. Für die ehrenrührige Seite dieser Forderung versteckte der König sich hinter Albert. Außerdem argumentierte er, Waffenstillstand oder sogar Frieden brauche für Spanien nicht ungünstig zu sein. Es könne sich dann für einen neuen Kampf erholen, während der Gegner eingeschläfert werde und dann im Laufe der Zeit leicht besiegt werden könne34. Für die Nordniederländer waren diese Gegenforderungen ein Widerspruch zu dem Abkommen mit Albert und ein Beweis spanischer Unzuverlässigkeit. Auf Drängen Frankreichs akzeptierten sie die Agreatie dann aber doch. Sie betonten - ziemlich naiv - , Philipp habe nachgegeben und ihre Unabhängigkeit anerkannt, und erklärten die Gegenforderungen zu Verhandlungsthemen. Das war eine schwache Interpretation, umso mehr als Philipp nicht die von ihnen geforderte Souveränität übertragen hatte. Aber es konnte jetzt verhandelt werden. Im Voraus stufte Philipp die Position Alberts und Isabellas mit einer speziellen Prokura herab, dass sie sowohl in seinem als auch in ihrem eigenen Namen verhandeln würden35.

Zweite Runde: Friedensgespräche, Februar-August 1608 Der Haag wurde jetzt kurzzeitig das Zentrum der Welt. Anfang 1608 traf eine fünf Mann starke habsburgische Delegation ein, die aus einem Italiener dem Leiter Spinola - , nur einem Spanier und drei Südniederländern bestand. Die Republik schickte eine neunköpfige Mission: zwei Hochadlige für die Generalstaaten, und ein Abgeordneter aus jeder Provinz, der zugleich Mitglied der Generalstaaten war. Oldenbarnevelt war faktisch der wichtigste 32

Van EYSINGA, Wording, S. 75-76, 79-83. Den TEX, Oldenbarnevelt II, S. 550-563, 580.) Gedenkstukken ΠΙ, hrsg. von Van Deventer, S. 107-114. ALLEN, Philip III, S. 172— 183. 33 ALLEN, Philip III, S. 187. LEFÈVRE, Spinola, 38-40. 34 NA, AO, Inv. Nr. 2181, 2182d, 2186. ALLEN, Philip ΠΙ, S. 194, 201. Den TEX, Oldenbarnevelt II, S. 586. 35 NA, AO, Inv. Nr. 2189. ALLEN, Philip III, S. 188-196, 203-204. Van EYSINGA, Wording, 95—109. J. C. H. de PATER, Maurits en Oldenbarnevelt in den strijd om het Twaalfjarig Bestand, 2. Aufl., Amsterdam1944, S. 57-58. Den TEX, Oldenbarnevelt II, 586-587.

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Vertreter, obwohl er in der Hierarchie erst der Vierte war. Prinz Moritz war nicht dabei, weil er grundsätzlich gegen Frieden und Waffenstillstand war36. Aber es kamen noch mehr Delegationen. Schon im Mai 1607 war eine französische Gesandtschaft eingetroffen, unter der Leitung des erfahrenen Juristen Pierre Jeannin und entsandt von Heinrich IV., der entrüstet war, weil die Feuereinstellung ohne sein Mitwissen erfolgt war und er nicht noch einmal unangenehm überrascht werden wollte. Auf Einladung Oldenbarnevelts erschienen Engländer, Dänen und neun Abgeordnete deutscher Fürsten. Ein Vertreter des Kaisers wurde nicht zugelassen, weil weder Nord noch Süd als Lehen des Reichs betrachtet werden wollten37. All diese Ausländer traten als Ratgeber auf) allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Frankreich positionierte sich als internationaler Gegenspieler Spaniens und wünschte die Entfernung der Spanier aus den Niederlanden, plädierte aber auch für Religionsfreiheit für die katholischen Nordniederländer. König Heinrich IV. wollte außerdem, dass die Niederländer die Utrechter Union änderten und damit die Staatsform der Republik, nämlich im monarchischen Sinn. Der König hatte immer noch ein Auge auf die souveräne Gewalt in jeder der Sieben Provinzen - aber er war gleichzeitig hinter der Zustimmung seiner Kollegen her, besonders der Jakobs I. von England, um Europa von dem unerhörten generalstaatischen Verwaltungssystem zu befreien. Konnte dieses System, das aus einer Revolution hervorgegangen war, wenn es jetzt anerkannt würde, keine gefährliche Präzedenzwirkung anderswo in Europa haben? Ihrerseits sollten Jakobs Diplomaten auf - namentlich französische - Bedrohungen der politischen Balance auf dem Kontinent achten. Und die meisten deutschen Fürsten bemühten sich um eine Verstärkung der Position der Protestanten inner- und außerhalb des Reichs. Es handelte sich hier, schrieb im 17. Jahrhundert der Jesuit Angelo Galucci mit Recht, non de unius Belgii, sed de totius Europae tranquilitate - nicht um die Ruhe nur in den Niederlanden, sondern in ganz Europa38.

36

Arie Th. van DEURSEN, „Honni soit qui mal y pense?" De Republiek tussen de mogendheden (1610-1612), Amsterdam 1965, S. 33. Den TEX, Oldenbarnevelt II, S. 599-602. 37 Aus dem Deutschen Reich kamen Vertreter von Köln, der Pfalz, Brandenburg, HessenKassel, Württemberg, Jülich, Anhalt-Cöthen, Brandenburg-Ansbach und Bentheim. Brandenburg und Hessen trafen erst im Laufe des Februar 1608 im Haag ein. Hora SlCCAMA, Schets, S. 42. Van EYSINGA, Wording, S. 91-93. Den TEX, Oldenbarnevelt II, S. 571, 5 9 5 597. Resolutiën der Staten-Generaal 1607—1609, hrsg. von Hermina Rijperman, Den Haag 1970, S. 148. 38 Van EYSINGA, Wording, S. 107. Henri Ch. G J. van der MANDERE, Het 12-jarig Bestand en de Vrede van Munster, Assen 1947, S. 72. Den TEX, Oldenbarnevelt Π, S. 656. Godfrey DAVIES, The Early Stuarts 1603-1660, 2. Aufl., Oxford 1967, S. 4 9 - 5 0 und wie Anm. 3. Übrigens waren die Utrechter Union (1579) und die Genter Pazifikation (1576) immer noch von den landesherrlichen Befugnissen Philipps Π. in den Siebzehn Provinzen ausgegangen.

Groenveld, Der zwöljjährige Waffenstillstand

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Es gab Plenartagungen: Nord und Süd an einem Tisch, die Ratgeber an einem zweiten. Von dorther durften die Letzteren sich ins Gespräch einschalten39. Als Ziel setzte man sich einen unbegrenzten Frieden zwischen beiden Parteien. Dabei fühlte sich die südniederländische Delegation trotz eigenen Rechts dennoch an die Bedingungen Philipps III. gebunden. Um ein sofortiges Scheitern zu vermeiden, fing sie nur nicht mit der Diskussion der Religionsfreiheit an, sondern stellte zuerst die Fahrt über die See zur Aussprache. Sie sollte in Europa für jeden frei sein, allerdings nicht südlich des Äquators. Die generalstaatische Delegation protestierte laut: Spanien könne nur über die Fahrt in seinen eigenen Gebieten innerhalb Europas sprechen, aber nicht über ferne Regionen, wo es keine souveräne Gewalt habe. Die Republik wusste sich dabei von neuem Völkerrecht unterstützt, worin gerade eben die offene See frei erklärt wurde40. Ende 1608 sollte Hugo Grotius, auf Bitten der Kammer Zeeland der Vereinigten Ostindischen Handelskompanie, einen Teil seines Manuskripts De Iure Praedae (1606) zu einem kleinen Buch umarbeiten, das 1609 anonym erschien. Sein Titel: Mare Liberum sive Iure quod Batavis competit ad Indicano Commercia Dissertatio - Die freie See oder Abhandlung über das Recht, das den Niederländern im indischen Handel zusteht. Die offene See und die Luft seien frei, betonte Grotius, sie könnten von keinem okkupiert und geteilt werden. Es ist glaubwürdig, dass die nordniederländischen Unterhändler im Haag seine Ideen schon kannten - Grotius stand bereits seit längerer Zeit in engerer Verbindung mit Oldenbarnevelt —, aber fest steht das nicht. Jedenfalls zögerten die Gesandten dieses international wichtige Thema ein wenig hinaus41. Aber dann kam doch die Religionsfreiheit für die nordniederländischen Katholiken aufs Tapet. Philipps Argumente waren genauso religiös und politisch geladen wie die Reaktionen der kalvinistischen staatischen Unterhändler: für sie handelte es sich um Anhänger einer unwahren Religion und gleichzeitig 39 ALLEN, Philip ΠΙ, S. 206. Van EYSINGA, Wording, S. 110, 113. Den TEX, Oldenbarnevelt II, S. 596-597. Im Haager Schloss gab es neben dem kleinen Sitzungssaal der Generalstaaten, wo nur ein Konferenztisch stand, um den herum 26 Stühle fllr die Abgeordneten und zwei Sessel für die Statthaher standen, zwei kleine Versammlungsräume für Ausschussberatungen. In einem dieser Räume wurde 1608 von Nord- und SUdniederländern konferiert. Die zwei Räume wurden 1697, wegen der Friedensverhandlungen in Rijswijk, in der Nähe von Den Haag, von Daniël Marot zusammengefügt und zum heutigen, barocken Trêvessaal (genannt nach dem Trêves = Waffenstilstand 1609) umgebaut. Joh. R M. GOUDEAU, Van Kwartier van Hun Hoogmogenden tot Ministerie van Algemene Zaken, Kabinet van de Minister-President, Den Haag 1980, S. 74-99. 40

41

ALLEN, Philip III, S. 206. Den Tex, Oldenbarnevelt II, S. 6 0 3 - 6 0 5 .

Henk NELLEN, Hugo de Groot. Een leven in strijd om de vrede 1583—1645, Amsterdam 2007, S. 94-97. Willem J. M. van EYSINGA, Hugo de Groot, een schets, Haarlem 1948, S. 44-45. Ders., Gids voor de Groot's De Iure Belli ac Pacis, Leiden 1945, S. 22. Dieter JANSSEN, Bellum iustum und Völkerrecht im Werk des Hugo Grotius, in: Krieg und Kultur, hrsg. von Horst Lademacher und Simon Groenveld, S. 129—154.

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potentielle Landesverräter. Oldenbarnevelt fügte dem eine juristische Argumentation hinzu. Philipp dürfe diese Forderung gar nicht stellen. Die Gewalt des Staates über die Kirche sei ein Bestandteil der Souveränität und käme daraus nicht gelöst werden. Mit der vermeintlichen Hinnahme der staatischen Unabhängigkeit habe Philipp dies automatisch akzeptiert. Mit leichter Hand wurden hier Souveränität und Unabhängigkeit zu Synonymen erklärt. Dennoch konnten die staatischen Unterhändler in diesem Punkt nicht allzu geradlinig argumentieren: auch der verbündete Heinrich IV. wollte ja Glaubensfreiheit für die Katholiken42. Hinsichtlich dieser gravierenden Punkte wollte der Süden dann doch Kontakt mit Madrid aufnehmen. Inzwischen wurden im Haag allerlei „kleine Sachen" besprochen. Es handelte sich dabei um den Verlauf der Grenzen zwischen Nord und Süd, um die Rückgabe der konfiszierten oder sequestrierten Besitztümer der Untertanen beider Seiten, um die freie oder unfreie Fahrt über die Scheide. Aber es zeigte sich, dass auch diese „kleinen Sachen" alles andere als einfach waren43. Und inzwischen ging die große Politik ihren eigenen Weg. Philipp ΠΙ. versuchte einen Keil zwischen die Republik und Frankreich zu treiben mit dem Vorschlag einer spanisch-französischen Fürstenheirat mit den Südlichen Niederlanden als Mitgift - ein stillschweigender Beweis seiner Ablehnung der erzherzoglichen Souveränität über diese Länder. Seinerseits bewirkte Oldenbarnevelt im Juli 1608 einen Defensiwertrag mit England. Zusammen mit einem ähnlichen, im Januar geschlossenen Vertrag mit Frankreich verstärkte das den Druck auf Madrid. Und zwischen allen Stühlen saß Albert, der den Frieden wollte, aber fürchtete, dass es auf Krieg hinauslaufen würde, auch wenn Philipp kein Geld dafür hatte44. Als im August die Parteien wieder im Haag zusammenkamen, zeigten sich die Standpunkte unverändert. Also brach die staatische Delegation am 22. August die Friedensverhandlungen ab, entrüstet darüber, dass die Spanier die zugesagte Unabhängigkeit nicht respektiert hatten, aber ohne etwas zu sagen über ihre eigene Naivität Philipp ΙΠ. konnte Europa weiterhin das Bild eines unbeirrbaren Defensor Fidei vorführen. Zu einem Krieg konnte es übrigens nicht gleich kommen: die Kriegssaison dieses Jahres war so gut wie vorbei45.

42

Den TEX, Oldenbarnevelt II, S. 621-623, vgl. S. 604, 608. ALLEN, Philip III, S. 208-211. Van EYSINGA, Wording, S. 115-119. Den TEX, Oldenbarnevelt II, S. 607-611. 44 ALLEN, Philip ΙΠ, S. 213-222. Van EYSINGA, Wording, S. 117-124. Den TEX, Oldenbarnevelt II, S. 614-621. 45 Resolution der Staten-Generaal 1607—1609, hrsg. von Hermina Rijperman, S. 443. 43

Groenveld, Der zwölfjährige Waffenstillstand

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Dritte Runde: Der Zwölfjährige Waffenstillstand, August 1608 bis April 1609 Dennoch war wegen des internationalen Charakters des niederländischen Aufstands eine gefährliche Situation für Westeuropa entstanden. Der französische Abgeordnete Jeannin versuchte, nach Beratung mit seinen englischen und deutschen Kollegen, die Situation noch zu retten, indem er innerhalb weniger Tage den Generalstaaten einen auf frühere Vorgänge zurückgehenden Vorschlag für einen längeren Waffenstillstand machte. Bei einer Beratung sollte mit den Sieben Provinzen comme avec Etats libres, sur lesquels le roi d'Espagne et les archiducs ne prétendent rien verhandelt werden. Eine doppeldeutige Formulierung, so die Nordniederländer: würde man ihre Unabhängigkeit tatsächlich anerkennen, oder tat man nur, als ob sie selbständig wären? Die Bezeichnungen Souveränität und Religionsfrieden vermied Jeannin. Sein Ausgangspunkt war der Status quo. Die Republik sollte freie Fahrt nach beiden Indien und nach den spanischen Territorien in Europa haben. Bei Ablehnung sollte am 1. März 1609 der Krieg wieder beginnen, mit Unterstützung der Fürsten der Botschafter für die Republik46. Die beratendem Botschafter wurden jetzt auf einmal Mediateurs oder Vermittler. Jeannins Vorschlag setzte wohl überall Gespräche in Gang. Er selbst und seine Kollegen blieben vorläufig im Haag und nahmen an staatischen Beratungen teil. Die Gemüter wurden stark erhitzt, Kriegs- und Friedensfaktionen bekämpften einander aus politischen, religiösen und wirtschaftlichen Gründen47. Schließlich beschlossen die Generalstaaten am 11. Januar 1609, Jeannins Vorschlag in verbesserter Form anzunehmen. Die Feuereinstellung war damals schon verlängert worden48. Inzwischen hatten Albert und Spinola die Beratung mit Madrid wieder aufgenommen. Es zeigte sich, dass Philipp ΙΠ. auf seinen Standpunkten beharrte, auch wenn Albert und Spinola sowie der Favorit, der Herzog von Lerma, 46

47

Van EYSINGA, Wording, S. 127. Van der MANDERE, B e s t a n d , S. 5 2 - 5 3 .

Resolutiën der Staten-Generaal 1607—1609, hrsg. von Hermina Rijperman, S. 445—446. Craig E. H A R U N E , Pamphlets, printing, and political culture in the Early Dutch Republic, Dordrecht 1987, S. 191-208. De PATER, Maurits en Oldenbarnevelt, S. 82-121. H. den H E I J E R , De geschiedenis van de WIC, Zutphen 2003, S. 21-26. W. J. van H O B O K E N , The Dutch West India Company; the Political Background of its Rise and Decline, in: Britain and the Netherlands I, hrsg. von John S. Bromley und Ernst H. Kossmann, London 1960, S. 41-61. Johannes Gerard van D I L L E N , De West-Indische Compagnie, het calvinisme en de politiek, in: Tijdschrift voor Geschiedenis 74 (1961), 145-171. A. C. M E I J E R , „Liefliebbers des vaderlands ende beminders van de commercie"; de plannen tot oprichting van een generale Westindische Compagnie gedurende de jaren 1606—1609, in: Archief van het Zeeuws Genootschap (Middelburg 1986), 21-70. 48 Van EYSINGA, Wording, S. 135-140. Van der M A N D E R E , Bestand, S. 57-60. Den T E X , Oldenbarnevelt II, S. 638-665. Für Verlängerungen der Feuereinstellung: NA, AO, Inv. Nrs. 2201,2213,2225.

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betonten, dass Krieg als einzige Alternative übrig blieb. Der würde aber nicht nur die letzten spanischen Rücklagen angreifen, sondern auch den nordniederländischen Katholiken schaden: diese würden wieder als Landesverräter angesehen werden. Und Lerma versuchte es auch auf eine andere Weise: Eigentlich bildeten die Katholiken in der Republik nur eine Minderheit, also wäre die spanische Mühe für ihr Wohl eigentlich nicht nötig. Philipps einzige Reaktion war einstweilen: Gott wird helfen. Aber schließlich gab er am 25. Januar nach - aus Geldmangel49. Die Vermittler waren in der Zwischenzeit vom Haag nach Brüssel umgezogen, regelten da noch eine Anzahl kleinere Fragen, das Messer der Wiederaufnahme des Kriegs am 1. März an der erzherzoglichen Kehle, und erreichten am 27. Februar, also fast am Stichtag, Übereinstimmung50. Im Antwerpener Rathaus wurden die letzten Verhandlungen geführt. Es war eine Plenartagung unter dem Vorsitz der Vermittler51. Nach Inventarisierung aller Änderungsanträge arbeitete man in hohem Tempo zwischen dem 31. März und dem 9. April alle Artikel von Jeannins Vorschlag ab. Für die meisten heiklen Punkte - die Unabhängigkeit der Republik mit der Souveränität in kirchlichen Angelegenheiten und der freien Fahrt nach Indiai - wurden schnell Jeannins Lösungsvorschläge übernommen. Es handelte sich jetzt vor allem um die kleinen Streitpunkte52. Schließlich erreichte man am 9. April Übereinstimmung und konnte der Text unterschrieben werden. Zwei ergänzende Akten wurden noch am selben Abend fertig gemacht und sofort oder tags darauf signiert, so dass schon am nächsten Tag die Erzherzöge und die Generalstaaten ihre Ratifizierungen vernehmen konnten53. Am 13. April war man in Antwerpen zurück, tags darauf fand die Verkündung statt Bemerkenswert war, dass jeder staatische Vertreter nicht mehr für seine eigene Provinz unterschrieb, sondern im Namen der Generalität. Dies war das Ende einer Entwicklung: internationale Angelegenheiten wurden jetzt kollektiv erledigt54. In den Niederlanden setzte jetzt das Feiern ein, weil das Kriegselend für längere Zeit vorüber schien55. Aber Philipp ΠΙ. hegte ganz andere Gefühle. 49

ALLEN, Philip III, S. 2 2 6 - 2 3 1 . Van EYSINGA, Wording, S. 1 2 4 - 1 2 7 . D e n TEX, O l d e n barnevelt IL, 6 6 6 - 6 6 7 . 50 Van EYSINGA, Wording, S. 146-147. Pierre JEANNIN, Négociations diplomatiques et politiques du Président Jeannin (1598—1620), Paris 1875, hrsg. von Jean Alexandre C.

B u c h ó n , S. 6 3 0 - 6 3 4 . 51

Gedenkstukken m, hrsg. von Van Deventer, S. 287, 294, 296, 297. Gedenkstukken ΙΠ, hrsg. von Van Deventer, S. 291-301. NA, AO, Inv. Nr. 2253. 53 NA 1.01.08, Inv. Nr. 12588. 21 und 12588. 22 Gedenkstukken ΠΙ, hrsg. von Van Deventer, S. 287, 290-291,292, 301. 54 GROENVELD, Verlopend Getij, S. 71-72. Gedenkstukken III, hrsg. von Van Deventer, S. 301-304. 52

55

TH0FNER, C o m m o n Art, S. 2 2 9 - 2 3 4 , 348. DLUGAICZYK, Waffenstillstand, S. 2 0 1 - 2 3 4 .

Van Β OHEEMEN und Van der HEIJDEN, Verlossinghe, S. 210. Judith POLLMANN, N o Man's

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Sein Image eines Defensor Fidei hatte eine ordentliche Beule abbekommen. Die verhehlte er teils dadurch, dass er Albert und Isabella blamierte. Aber noch ein anderes Mittel stand ihm offen. In Spanien hatte gerade die Verfolgung der Moriscos einen neuen Höhepunkt erreicht. Genau am Tag der Verkündigung des Waffenstillstandes billigte der König Maßnahmen zur Vertreibung von 275.000 konvertierten Mauren aus seinen Königreichen, im Sommer wurden diese Maßnahmen durchgeführt. Der Defensor Fidei hatte die Reinheit des Glaubens gerettet! Dagegen musste der Abschluss des Waffenstillstandes verblassen. Die Propaganda zeichnete ihn als Moses, Saul, David, Salomo - und sogar, trotz seiner wenig beeindruckenden Figur, als den griechischen Heros Herakles56.

Der Inhalt des Waffenstillstandsabkommens Allerdings wies der Waffenstillstandsvertrag doch allerlei Züge eines Kompromisses auf, unter Einfluss des Geistes Philipps ΙΠ., der in den Antwerpener Verhandlungsräumen geschwebt hatte. Nichts steht darin von Erleichterung über das Ende des Elends, nichts über die Hoffiiung auf Friedensdauer von mehr als zwölf Jahren, nichts über die nordniederländische Souveränität. Die Sieben Provinzen wurden hier bezeichnet „als freie Länder, Provinzen und Staaten, welche diese Leute [Albert und Isabella] nicht beanspruchen". Jeannins Formulierung war in dem offiziellen französischen Text beibehalten, einschließlich der doppeldeutigen Wortwahl mit comme avec·, in der niederländischen Version war sie aber abgeschwächt worden. Außerdem sagte niemand hier, ob dies für ewig oder nur für die Dauer des Waffenstillstands gälte. Selbstverständlich war die zweite Interpretation innerhalb dieses Kontextes die logischere, aber mit den Vorstellungen der nördlichen Niederländer stimmte sie gewiss nicht überein57. Wie es deutlicher und eindeutig sein konnte, zeigt sich bei einem Vergleich mit dem Text des Westfälischen Friedens - auch wenn verschiedene Formulierungen wörtlich dieselben sind. Da beteuert der nächste spanische König, Philipp IV., „zu Christlichem Mitleiden bewogen", er möge „ein Ende [...] machen der allgemeinen Elenden". Dazu Land. Reinventing Netherlandish Identities, 1585—1621, in: Networks, Regents and Nations. Shaping Identities in the Low Countries, 1300-1650, hrsg. von Robert Stein und Judith Pollmann, Leiden 2009. GROENVELD, Hooft als Historieschrijver, S. 13-16, 23-24, 96. Van EYSINGA, G i d s , 2, 7, 9 , 1 1 , 1 4 , 20, 2 3 - 2 4 . 56 ALLEN, Philip III, S. 2 3 3 . ELLIOTT, Imperial Spain, S. 3 0 5 - 3 0 8 . A n t o n i o FEROS, K i n g ship a n d Favoritism in t h e S p a i n o f P h i l i p ΙΠ, 1 5 9 8 - 1 6 2 1 , C a m b r i d g e 2 0 0 0 , S. 1 9 8 - 2 0 4 . 57

Den TEX, Oldenbarnevelt II, S. 626-627. Jan HERINGA, De eer en hoogheid van de Staat. Over de plaats der Verenigde Nederlanden in het diplomatieke leven van de zeventiende eeuw, Groningen 1961, S. 249-254, 309. GROENVELD, Twaalfjarig Bestand, S. 5 9 60.

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erkläre er, dass alle Sieben Provinzen „seyn freye und niemand unterworffene Staten, Provintzien und Länder, auf welche höchstgedachter Herr König nichts praetendirt, noch auch jetzt oder nochmalen vor ihme selbsten, seine Nachfolger im Reich und Nachkömmlinge, immermehr etwas praetendiren soll"58. Erst im Jahre 1648 wurde das Souveränitätsproblem gelöst. Trotz Philipps ΙΠ. Drängen waren die Religionsfreiheit für Katholiken und ein Verbot nordniederländischer Fahrten nach beiden Indien aufgrund südsowie nordniederländischer Wünsche nicht in den Text aufgenommen worden59 - ebenso übrigens 1604 in dem Frieden Spaniens mit England. Auch hier zeigt sich wieder der Kompromisscharakter des Vertrags. Nur waren versteckt in manchen Artikeln einige Aspekte davon geregelt worden. Nordniederländer bekamen in habsburgischen Ländern nach Artikel 7 dieselbe „Sicherheit und Freiheit" wie englische Untertanen. Dass dies unter anderem den Verzicht auf religiösen Zwang beinhaltete, musste man in dem spanischenglischen Frieden von 1604 nachsuchen. Und dass es im Süden keine Religionsfreiheit gab für zurückkehrende südniederländische Exulanten, muss man aus Artikel 28 schließen: auch für diese Menschen galten „die Gesetze der Länder" - und die ließen fiir Protestanten, anders als im Norden fiir Katholiken, keine Gewissensfreiheit zu. Am letzten Tag desselben Jahres wurde der Protestantismus in den Südlichen Niederlanden von Brüssel gesetzlich verboten60. Die Unterschiede auf dem Gebiet der Konfessionalisierung kamen ostentativ zum Ausdruck. Auf ähnliche Weise wurde die Fahrt südlich des Äquators behandelt. Hier durften Nordniederländer nicht mit Gebieten Handel treiben, die sich in der Gewalt Philipps ΙΠ. befanden, es sei denn, er hatte ihnen Sondererlaubnis gegeben. Aber im Osten konnte dieser keine souveräne Macht geltend machen. Sie hätte, sagt der Vertrag, wohl andere, einheimische Machthaber. Wenn sie die Nordniederländer zulassen würden und mit ihnen Verträge schließen wollten, dann dürften die Habsburger das nicht verhindern. Eine geheime Akte, ebenfalls am 9. April 1609 von den Mediatoren verfasst und 58

Der Text des Friedens in: GROENVELD, Unie-Bestand-Vrede, S. 158-186. Hier ist aus einer deutschen, 1648 publizierten Übersetzung des Vertragstextes zitiert: Johannes ARNDT/Ralf KLÖTZER, Der Frieden von Münster/De Vrede van Munster 1648. Der Vertragstext nach einem zeitgenössischen Druck und die Beschreibungen der Ratifikationsfeiern, hrsg. von Gerd Detlefs, Münster 1998, S. 71-118, hier S. 73-76. Vor dem Beginn der Friedensunterhandlungen hatte Philipp IV. die nordniederländischen Abgeordneten schon als Ambassadeur anerkannt. Dieser Titel wurde in diesen Jahren nur Vertretern einer souveränen Obrigkeit verliehen. Zur Zeit des Zwölfjährigen Waffenstillstandes war diese Erklärung aber noch nicht zum Gemeingut geworden. GROENVELD, Unie-Bestand-Vrede, S. 154, wie Anm. 46 gibt einen Aufriss der übereinstimmenden Artikel in dem Zwölfjährigen Waffenstillstand und dem Frieden von Münster. Gedenkstukken ΙΠ, hrsg. von Van Deventer, S. 288. Wie Anm.: Mitteilung der englischen Botschafter Spencer und Winwood. Den TEX, Oldenbarnevelt II, S. 626. 60 Van DEURSEN, Honni soit, S. 91-92. Van EYSINGA, Wording, S. 152.

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unterzeichnet, ging allerdings noch weiter. Erstens vermied sie den Namen Indiens nicht. Überdies sei, schrieben die Vermittler, von den Parteien vereinbart worden, dass nicht nur den Spaniern und Portugiesen das Recht zustehe, Fremden den Zutritt zu den tropischen Gebieten, wo sie Macht ausübten, zu gewähren oder zu verweigern, sondern auch den Nordniederländern bezüglich überseeischer Territorien in ihrer Gewalt. Ihr Besitztitel darauf wurde also nicht bestritten. Die See war mithin frei, wie seit kurzem das Völkerrecht postulierte. Zweifellos war die Praxis im Westen verwickelter. Diese Beschlüsse waren von großer, ja globaler Bedeutung, weil sie formell der aitai päpstlichen Zweiteilimg der Welt zwischen Portugal und Kastilien, wie sie im Vertrag von Tordesillas (1494) festgelegt worden war, ein Ende machten61. Allerlei Maßnahmen hatten Bezug auf die Sicherheit zu Wasser in Europa, wo ja jetzt kein Krieg mehr wütete. Kriegsschiffe durften nur in Notfällen Häfen des anderen anlaufen, so Artikel 12. Kapertriefe durften nicht mehr ausgestellt werden, bestimmte Artikel 11. Seeräuber und sonstige Kriminelle sollten auf See und den Flüssen unsanft angefasst werden (Artikel 35). In Häfen durfte, so Artikel 8, weder Schiff noch Ladung auf Grund des Krieges mehr beschlagnahmt werden. Ebenso wenig dürften höhere Rechte erhoben werden als für Untertanen befreundeter Staaten (Artikel 6). Dies galt aber nicht, laut einer beigelegten Akte, für die Scheide: diese Ausnahme war die ausdrückliche Forderung von Seelands Einwohnern, die eine viel zu große Konkurrenz von Antwerpen befürchteten62. Viel Platz wurde dem Verlauf der Grenzen zwischen Nord und Süd und dem Umgang mit beidseitigen Eigentümern eingeräumt - wie auch später im Westfälischen Frieden. Für viele Modalitäten der Veräußerung wurden Lösungen vorgeschrieben. Namentlich ehemalige Eigentümer Wilhelms von Oranien wurden besonders behandelt und - bis nach Burgund - soviel wie möglich an dessen immer noch ungeteilten Nachlass zurückverwiesen. Obwohl alle Regelungen nur für die Dauer des Waffenstillstands galten, war auf

61

GROENVELD, Verlopend Getij, S. 136-137, 314 wie Anm. 9. Die geheime Akte in NA, 1.01.08, Inv. Nr. 12558.22: Die Erzherzöge und die Republik hätten, so die Mediateure, erklärt dass „leurs subietz ne pourront traffiquer aux ports, lieux et places tenues par le Roy Catholique aux Indes, sii ne le premet, Quii ne sera loisible non plus a ses subietz de traffiquer aux ports, lieux et places que tiennent lesdits Estatz es dits Indes Si ce nest avec leur premission". Vgl. Resolutiën der Staten-Generaal 1607—1609, hrsg. von Hermina Rijperman, S. 694.

fil

Jan Harm DE KLUTVER, De souvereine en independente Staat Zeeland. De politiek van de Provincie Zeeland inzake vredesonderhandelingen met Spanje tijdens de Tachtigjarige Oorlog tegen de achtergrond van de positie van Zeeland in de Republiek, Middelburg 1998, S. 124-128. Victor ENTHOVEN, Zeeland en de opkomst van de Republiek. Handel en strijd in de Scheidedelta c. 1550-1621, Leiden 1996, S. 138-150. Johannes H. KERNKAMP, De handel op den vijand, 1572-1609, 2 Bde., Utrecht 1931 und s. Α., II, S. 328-350.

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diesem Gebiet nach 1609 noch eine Menge zu tun63. Man erachtete den Druck als dermaßen schwer, dass sich schon im Herbst 1609 Delegationen aus Süd und Nord im Haag trafen um neue, allernotwendigste Lösungen in einem Zusatzabkommen festzulegen. So fügte man Januar 1610 dem Waffenstillstandsvertrag ein zweites Dokument hinzu, mit eingehenderen Regelungen bezüglich Eigentümer und Erbschaften und mit Maßnahmen zur Präzisierung der „Sicherheit und Freiheit", die den Nordniederländern ebenso wie den englischen Untertanen in habsburgischen Staaten garantiert worden wa-

Entwicklungen während des Waffenstillstands Nord und Süd durften jetzt die erzielte Ruhe nutzen, konnten dies aber nicht in jeder Hinsicht. Die Armeen wurden zwar reduziert, aber die finanzielle Bürde blieb schwer, das Steuerniveau also hoch. Der Süden konnte sich wirtschaftlich erholen, namentlich auf See, das Gewerbe blühte auf. Der Norden fühlte die Konkurrenz dort, vor allem bei den Textilien und der Bierbrauerei. Andere Zweige der Industrie erzielten hier aber kräftige Aufwüchse, weil der Handel großen Vorteil aus der freien Fahrt nach dai spanischen Häfen zog. Im Großen und Ganzen erlebte die staatische Wirtschaft eine Zeit schnellen Wachstums und starker Blüte65. Inzwischen wurde der Waffenstillstand international als die offizielle Anerkennung der nordniederländischen Unabhängigkeit interpretiert. England und 63 Van der MANDERE, Bestand, 68-69, NA, AO, Inv. Nr. 2224, vgl. 1.01.08, Inv. Nr. 11588.22. Van der Mandere erweckt den falschen Eindruck, es seien fast ausschließlich in den Südlichen Niederlanden Güter konfisziert worden, namentlich von nordniederländischen Besitzern. Es zeigt sich aber, dass im Norden vor allem in den achtziger und neunziger Jahren ausgedehnte Immobilien sttdniederländischer Hochadelsfamilien konfisziert oder sequestriert worden sind. Beiderseits wurden jetzt viele dieser Güter dem früheren Besitzer zurückgegeben. GROENVELD, Twaalfjarig Bestand, S. 70-74. Über den Nachlass Wilhelms von Oranien: P. SCHERFT, Sterfhuis, passim. Vgl. ARA Brüssel, Audience, inv. nr. 1373/3. 64 Groot Placaet-boeck, vervattende de Placaten [...] vande [...] Staten-Generael [...] Staten van Hollandt en West-Vrieslandt, Mitsgaders vande [...] Staten van Zeelandt, 1. B, hrsg. von Cornells Cau, Den Haag 1658, S. 71-80. Resolutiën der Staten-Generaal 16071609, hrsg. von Hermina Rijperman, S. 697—721. Resolutiën der Staten-Generaal 1610— 1612, hrsg. von Arie TTieodorus van Deursen, Den Haag 1971, S. 1-12, 24. GROENVELD, Twaalfjarig Bestand, S. 65—66. 65 GROENVELD, Twaalfjarig Bestand, S. 91-99. Jonathan I. ISRAEL, Dutch Republic and Hispanic World, S. 56-60. ISRAEL, Dutch Primacy in World Trade 1585-1740, Oxford 1989, S. 116-120. Leiden. De Geschiedenis van een Hollandse stad, Bd. 2., hrsg. von Rudi C. J. van Maanen und Simon Groenveld, Leiden 2003, S. 85-93. Nicolaas W. POSTHUMUS, De Geschiedenis van de Leidsche Lakenindustrie, 3 Bde., Den Haag 1908-1939, Π, S. 128-129, 136.

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Frankreich wandelten schon Juni 1609 ihre Defensivpakte aus dem Jahr 1608 mit der Republik in Garantieverträge um und brachten ihre Kontakte mit Den Haag auf die Ebene eines Ambassadeurs. Manche Staaten aus dem Mittelmeerraum wandten sich an die Sieben Provinzen mit Bitten um militärische Hilfe gegen Spanien und möglicherweise gegen den Kaiser. Mit Marokko kam schon 1610 eine Allianz zustande. Während sie dem Herzog von Savoyen 1617 nur finanzielle Unterstützung für fünf Monate bewilligten, aber nicht ein Bündnis, suchten die Nordniederländer mit der Republik Venedig, nachdem diese sie um Waffen und Truppenwerbung gebeten hatte, aus politischen und wirtschaftlichen Gründen eine Allianz zu schließen; diese kam 1619 zustande. Der Sicherheit auf dem Mittelmeer wegen gingen sie schon 1612 auch mit dem Sultan, dem größten Feind Spaniens, ein Bündnis ein. Auch im Deutschen Reich und dem Ostseegebiet entwickelte sich eine lebhafte diplomatische Aktivität. Mit der Evangelischen Union wurde 1613 im Haag ein Bündnis geschlossen, in dem jülich-klevischen Erbfolgestreit und den Schlussverhandlungen zu Xanten spielte die Republik 1610-1614 eine prominente Rolle, während Madrid und Brüssel hier Kontakte mit der Gegenpartei pflegten. Und um der politischen Sicherheit und des Handels im Baltikum willen schlossen die Sieben Provinzen Verträge mit Lübeck (1612), mit den anderen Hansestädten (1616) und mit Schweden (1614). Bei der ganzen Zunahme von Kontakten der Republik hielten die Sieben Provinzen konsequent an einigen Prinzipien fest. Der Waffenstillstand durfte nicht gefährdet werden. Antispanische Linien sollten primär verfolgt werden, erstens aus politischen Gründen, und zweitens, weil es sich hier zugleich um antikatholische Linien handelte: für nordniederländische Regenten war der katholische Spanier sowohl der Erbfeind als auch der Antichrist66. Folglich waren, wenn die politischen und religiösen Komponenten nicht so deutlich verknüpft waren, Allianzen mit den katholischen Franzosen und Venezianern, ja sogar mit den muslimischen Türken nicht ausgeschlossen. Und in jedem Fall musste die Neutralität gewahrt werden, wenn diese auch für bestimmte Parteien wohlwollend sein durfte. Deshalb beschränkten die Sieben Provinzen sich auf die Teilnahme an Defensivbündnissen. Es war vor allem Oldenbarnevelt, der diese Prinzipien in der Praxis anwandte, während Prinz Moritz eine offensivere Politik befürwortete67. Es gab also im politischen und religiösen Bereich große Unterschiede zwischen den Südlichen und Nördlichen Niederlanden. In Brüssel konnten die Erzherzöge innenpolitisch auf den Strukturen des 16. Jahrhunderts an einem Composite State mit einer stärkeren Position des zentralen Verwaltungsappa66

Van DEURSEN, Honni soit, S. 2 4 - 3 3 . GROENVELD, Twaalfjarig Bestand, S. 99-112. Vgl. Geoffrey PARKER, The Dutch Revolt and the Polarization of international Politics, in: PARKER, Spain and the Netherlands 1559— 1659. Ten studies, London/Glasgow 1979, S. 65-81, hier S. 73-81. 67

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rats als zuvor weiterbauen und in Ruhe ihre Politik der Rekatholisierung und der wirtschaftlichen Konsolidierung fortfuhren, obwohl spanische Einflüsse während dieser Periode immer stärker wurden68. Die Republik andererseits erlebte zum ersten Male in ihrem Dasein eine Zeit ohne Krieg. Unterschwellige Probleme kamen jetzt hoch und erforderten Lösungen. Faktisch befanden der Staat und die öffentliche Kirche sich hier noch in einem Wachstumsprozess. Manche wollten im politischen Bereich die Beziehlingen zwischen der dominanten Provinz Holland und den anderen Provinzen erneut auf den Prüfstand stellen. Andere fragten sich ob, die Reformierte Kirche ein Institut mit einer starren Dogmatik sein sollte oder aber eine Volkskirche mit einer dogmatisch offeneren Lehre. Außerdem fragte man sich, weil Kirche und Staat eng miteinander verbunden waren, wie viel Einfluss die Kirche auf die Politik und wie viel Macht die Verwaltung in der Kirche haben durfte. In dieser Weise griffen die politischen und religiösen Probleme eng ineinander. Die Spannungen stiegen so stark an, dass schließlich ein Staatsstreich die Lösungen bringen musste. Die staatische Gesellschaft hatte nach einer wichtigen Periode des Wachstums das Erwachsenenstadium erreicht, ganz kurz bevor der Waffenstillstand auslief69. Dadurch hatte sie genügend Kraft für die Wiederaufnahme des Krieges im Jahre 1621. Diese Wiederaufnahme betrieben Falken, die in Spanien und der Republik an die Macht gekommen waren. Der Süden, wo Albert im Juli 1621 starb, wurde mitgerissen70.

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P. JANSSENS, Het bestand in de Zuidelijke Nederlanden 1609-1621, in: NAGN VI, S. 315—324. De SCHEPPER, Les Archiducs et les institutions, passim. Arie Th. van DEURSEN, Bavianen en Slijkgeuzen. Kerk en kerkvolk ten tijde van Maurits en Oldenbarnevelt, Assen 1974. Ders., Maurits van Nassau, S. 227-278. E. H. COSSEE, Rekkelijk of precies. Remonstranten en contraremonstranten ten tijde van Maurits en Oldenbarnevelt, in: Rekkelijk of precies, hrsg. von T. G Kootte, Utrecht 1994, S. 9-19. Den TEX, Oldenbarnevelt III: Bestand. Hendrik GERLACH, Het procès tegen Oldenbarnevelt en de „ M a x i m e n ^ d e n staet", Haarlem 1965. GROENVELD, Leeuwenberg [u. a.], Tachtigjarige Oorlog, S. 199-224. GROENVELD, Twaalfjarig Bestand, S. 78-90. 70 M. G de BOER, De hervatting der vijandelijkheden na het Twaalfjarig bestand, in: Tijdschrift voor Geschiedenis 35 (1920), S. 34^19. Peter BRIGHTWELL, The Spanish System and the Twelve Years' Truce, in: English Historical Review 89 (1974), S. 270-292. Ders., Spain, Bohemia and Europe 1619—1621, in: European Studies Review 12 (1982) S. 371-399. John H. ELLIOTT, The Count-Duke of Olivares. The Statesman in an Age of Decline, New Haven/London 1986, S. 54-84. ISRAEL, Dutch Republic and Hispanic World, 74—85. J. J. POELHEKKE, Τ Uytgaen van den Treves. Spanje en de Nederlanden in 1621, Groningen 1960. TREVOR-ROPER, Spain and Europe, S. 276-282. GROENVELD, Twaalfjarig Bestand, S. 113—121. Ders., De Winterkoning. Balling aan het Haagse hot Den Haag 2003. P. BLLHÖFER, „Nicht gegen Ehre und Gewissen". Friedrich V., Kurfürst von der Pfelz - der Winterkönig von Böhmen (1596-1632), Mannheim 2003. Der Winterkönig Friedrich V., Der letzte Kurfürst aus der Oberen Pfalz, hrsg. von Peter Wolf [u. a.], Augsburg 2003. 69

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Fazit Sowohl das internationale Vorgehen der Republik wie die inneren Konflikte während des Waffenstillstands in den Sieben Provinzen hatten aufs Neue die ständige Verknüpfung von Politik und Religion gezeigt, wodurch das Konfessionelle Zeitalter sich so nachdrücklich von anderen Epochen unterschied. Das galt auch fìir die Entstehungsphase des niederländischen Aufstandes, fur den Verlauf des Kampfes und für die Verhandlungen, die zum zwölfjährigen Waffenstillstand gefuhrt hatten. Der Waffenstillstand war der erste große Ruhepunkt in dem langwierigen Achtzigjährigen Krieg zwischen Niederländern und Habsburgern. Unbeabsichtigt waren aus dem Kampf zwei Staatenkomplexe innerhalb der Niederlande hervorgegangen, von denen der eine, der Süden, die habsburgische Staatsbildung des frühen 16. Jahrhunderts und ihre Religionspolitik weiterführte, und der andere, der Norden, 1609 noch mit dem Aufbau von neuen differenzierenden politischen und kirchlichen Strukturen beschäftigt war. Die habsburgische Nachfolgeregelung des Jahres 1598 hatte die Möglichkeit eröffnet, dass diese zwei Staatenkomplexe gemeinsam zu einer Lösung der Differenzen kommen würden. Aber die Realität gebot, dass neben dem Faktor Süden und dem Faktor Norden der Faktor Spanien mit im Spiel blieb. Er führte mit der Pax Hispánico Prinzipien ein, die die Resultante völlig außerniederländischer Entwicklungen waren. So spielten bei den Besprechungen von 1607 bis 1609 drei Varianten der Verknüpfung von Staatsbildung und Religion eine Rolle. Die spanische katholische Konfessionalisierung kennzeichnete sich primär durch - mitunter auf unsanfte Weise - ihr Festhalten an dem Exklusivrecht einer ,/einen" römischen Kirche und sekundär an der Anerkennung der spanischen Souveränität und der spanischen Rechte inner- und außerhalb der iberischen Halbinsel. Die Verbundenheit mit Rom war zwar auch bei den Erzherzögen fest verankert, aber bekam manchmal einen Platz hinter einer Politik zum Nutzen des Wohlergehens, auch des materiellen, ihrer heimgesuchten Länder. Aber die Republik mit ihrem total abweichenden institutionellen System mit souveränen, repräsentativen Körperschaften und der Möglichkeit der Einflussnahme von unten her kannte auf der Basis von Gewissensfreiheit eine öffentliche und eine Anzahl geduldeter Kirchen. Hier existierte keine uniforme Konfessionalisierung der Bevölkerung; es gab sogar das Nichtkonfessionelle, vor allem im Zentrum der Unentschiedenen. Hier lebte Versäulung von religiösem und sozialem, wirtschaftlichem und kulturellem Leben, hier hatten, besonders ab 1619, nur Reformierte eine direkte Verbindung zum Staatsapparat auf der Provinz- und Generalitätsebene. Dies gab den Sieben Provinzen trotzdem, aber unberechtigt, nach außen hin das Image eines kalvinistischen Staates. In allen drei Staaten befanden sich die voneinander abweichenden

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Merkmale, wegen ihrer ungleichen Anfangsmomente, in einem unterschiedlichen Stadium der Entwicklung. Auf Grund dieser wesentlichen Unterschiede waren Spanien und die Republik bei den Verhandlungen von 1607 bis 1609 die Extreme gewesen: Die spanische Forderung nach Religionsfreiheit für Katholiken und Achtung der alten habsburgischen Rechte stand rechtwinklig auf die bedingungslos geforderte Anerkennung der staatischen Souveränitäten und die Forderungen nach freier Schifffahrt und Religionsfreiheit für Protestanten. Der Süden fühlte sich unbehaglich dazwischen. Diese Situation erwies sich als unlösbar. Frieden blieb also aus. Dass schließlich ein Waffenstillstand erzielt wurde, kam nicht durch eine Änderung der Standpunkte, sondern durch politische und finanzielle Notwendigkeit und durch ein diplomatisches Verfahren zustande: indem man die Religionsfreiheit mit Schweigen überging - der Waffenstillstand war also kein Religionsfrieden - , indem die Souveränität nicht erwähnt wurde, sondern nur und in schwammiger Formulierung die Selbständigkeit, indem alte spanische territoriale Ansprüche stillschweigend hinter einer neuen völkerrechtlichen Vorgehensweise versteckt wurden. Eine gleiche Taktik war 1604 auch schon in dem habsburgisch-englischen Frieden angewandt worden. Der Waffenstillstand hatte denn auch allerlei Merkmale eines Kompromisses in sich. Diese Merkmale werden erst bei einem Vergleich mit dem Westfälischen Frieden von 1648 richtig klar, als nahezu alle wichtigen Punkte wirklich gelöst wurden. Aber: auch dann noch wurde das religiöse Problem, aufs Neue von Spanien zur Sprache gebracht, letztendlich wieder totgeschwiegen. So war der zwölfjährige Waffenstillstand nur ein halber Friede, ein Stadium in den niederländischen Entwicklungen die in den Westfälischen Frieden mündeten. Für Westeuropa brachte er trotzdem einige allgemeine Lösungen, z.B. bezüglich der freien See und der Schifffahrt in die tropischen Gebiete. Außerdem setzte er Gegensätzen an einem international strategischen Punkt zeitweilig ein Ende - Gegensätze, die sowohl deshalb unablässige Aufmerksamkeit von den Königen gefordert hatten, als auch, weil Habsburg eine der Parteien war. Für die Republik war der Waffenstillstand wesentlich, weil darin für sie eine erste Form internationaler Anerkennung schriftlich festgelegt wurde. Die Verflechtung von Politik und Religion in den Verhandlungen und im Pakt zurückzuverfolgen, verweist darauf, wie sehr in Europa das konfessionelle Element eine wesentliche Rolle spielte. Allerdings kann man sich fragen, ob gerade das heimliche Weglassen von religiösen Lösungen in Verträgen aus dem frühen 17. Jahrhundert, sowohl im habsburgisch-englischen Frieden als im zwölfjährigen Waffenstillstand, ein Zeichen für den allmählichen Rückgang dieses Moments war. (Übersetzt von Jan Scheele, Heerde)

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Abkürzungen AAGN AO ARA BMGN KB Kn NA NAGN NNBW

(Alte) Algemene Geschiedenis der Nederlanden, 12 Bde., hrsg. von Jan Albert van Houtte [u. a.], Utrecht/Antwerpen 1949-1958 Archiv Johan van Oldenbarnevelt Algemeen Rijksarchief, Brüssel Bijdragen en Mededelingen betreifende de Geschiedenis der Nederlanden Königliche Bibliothek, Den Haag Pamphletesammlung Knüttel Nationalarchiv, Den Haag (Neue) Algemene Geschiedenis der Nederlanden, 15 Bde., hrsg. von Dirk Peter Blok [u. a.], Bussum/Haarlem 1977—1983 Nieuw Nederlands Biografisch Woordenboek, 10 Bde., Leiden 1911-1937

EUROPA-INSTITUTE UND EUROPA-PROJEKTE

TürkeiEuropaZentrum, Hamburg Von

Raoul Motika & Christoph Ramm Das TürkeiEuropaZentrum Hamburg (TEZ) ist eine interdisziplinäre Einrichtung an der Universität Hamburg, die am Asien-Afrika-Institut der Geisteswissenschaftlichen Fakultät loziert ist. Das TEZ fuhrt Türkeikompetenz in und um Hamburg institutionell zusammen, will diese durch Kooperation vertiefen und ausbauen, bundes- und europaweit vernetzen und mit türkischen Partnern innovative Forschungs- und Dialogprojekte durchführen.

Hintergrund Die Türkei zählt inzwischen zu den zwanzig größten Industrienationen weltweit und ist für Deutschland ein sehr bedeutender Partner. Wichtige Stichworte in diesem Kontext sind der EU-Integrationsprozess, die in vielen Bereichen koordinierte Sicherheits- und Außenpolitik, die engen Wirtschaftsbeziehungen, die große türkische bzw. türkeistämmige Diaspora in Deutschland, aber zunehmend auch die rasch wachsende Beziehungsdichte in Wissenschaft, Kultur und Bildung. Aus außen- wie innenpolitischen Gründen ist eine größere Türkeikompetenz von Politik, Gesellschaft und Wissenschaft in Zukunft unverzichtbar. Trotz dieses offensichtlich großen Bedarfs an Türkeiexpertise existiert in Deutschland de facto keine interdisziplinäre Türkeiforschung. Vor diesem Hintergrund beschlossen im Verlauf des Jahres 2008 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen und Forschungseinrichtungen, sich in einem Zentrum zu vernetzen und in Hamburg die Gründung eines TürkeiEuropaZentrums voranzutreiben.

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Jahrbuch für Europäische Geschichte 11 (2010) Struktur

Beteiligt an der Arbeit des TürkeiEuropaZentrums sind derzeit neun Professorinnen und Professoren aus vier Fakultäten der Universität Hamburg, Kollegen der Helmut-Schmidt-Universität, das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut, das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin und das Institut für Islamwissenschaft der Universität Kiel. An der Spitze des Zentrums steht ein Sprecherrat, der sich aus einem Kommissarischen Sprecher (Prof. Dr. Raoul Motika, Lehrstuhlinhaber für Turkologie an der Universität Hamburg) und vier Stellvertreterinnen und Stellvertretern zusammensetzt. Die Geschäftsführung wird derzeit von einem wissenschaftlichen Mitarbeiter betreut

Kooperationspartner Die langfristige interdisziplinäre Zusammenarbeit soll in enger Abstimmung mit dem Essener Zentrum für Türkeistudien (ZfT) stattfinden, dessen Arbeitsschwerpunkte Migrations- und Integrationsfragen sind. Ein zentraler Punkt der Kooperation mit dem Essener Zentrum für Türkeistudien ist die zukünftige gemeinsame Herausgabe der Zeitschrift für Moderne Türkeistudien, die sich mit der Türkei der Gegenwart vor dem Hintergrund der osmanischen Geschichte beschäftigt. Veröffentlich werden dort vor allem Beiträge aus den Gesellschafts- und Kulturwissenschaften, wobei die Schwerpunkte auf der Politologie, Soziologie, Wirtschaftswissenschaft, Anthropologie, Rechtswissenschaft, Bildungsforschung und Geschichtswissenschaft liegen. Aktuelle Kooperationspartner des TürkeiEuropaZentrums auf internationaler Ebene sind insbesondere das Orient-Institut Istanbul (DGIA), in Frankreich das CNRS, UMR 8032 (Etudes turques et ottomanes, Paris; Leitung: Prof. Dr. Nathalie Clayer), und in der Türkei das Istanbul Policy Center an der Sabanci Universität sowie über den gemeinsamen Masterstudiengang „European Studies - Hamburg/Antalya" die Akdeniz Universität Antalya. Darüber hinaus wird die Zentrumsgründung von der Hamburger Handelskammer organisatorisch und ideell unterstützt.

Forschungsschwerpunkte Die inhaltliche Arbeit des TürkeiEuropaZentrums Hamburg soll durch thematisch arbeitende Kommissionen strukturiert werden, die jeweils national und international vernetzt sind. Jede Kommission wird durch eine oder zwei verantwortliche Personen geleitet. Derzeit befinden sich die meisten Kommissi-

TiirkeiEuropaZentrum, Hamburg

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onen im Aufbau, bestehende und neue nationale und internationale wissenschaftliche Kontakte werden integriert bzw. sollen zur Mitarbeit angesprochen werden. Kernidee des Kommissionskonzepts ist, dass durch eine dezentrale Arbeitsteilung verschiedene wichtige Forschungsfelder in enger Kooperation mit fuhrenden türkischen Forschern bearbeitet werden. Bisher existieren folgende Kommissionen, weitere sollen zur thematischen Verbreiterung und zur Einbindung weiterer Kolleginnen und Kollegen gebildet werden: Die Kommission „Europäische Integration" befasst sich sowohl mit der Geschichte der Beziehungen zwischen den EG/der EU und der Türkei seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges als auch mit aktuellen Problemen eines EU-Beitritts der Türkei. Die inhaltliche Arbeit erstreckt sich auf wirtschaftliche, politische und gesellschaftlich-kulturelle Dimensionen des Verhältnisses zwischen der Türkei und den Institutionen/Staaten des integrierten Europa. Die Kommission „Türkische Außenpolitik" beschäftigt sich gleichfalls mit dem Themenbereich der EU-Integration, wobei hier eher tagesaktuelle Fragen, schwerpunktmäßig aus türkischer Perspektive, behandelt werden sollen. Ein zweites wichtiges Themenfeld sind die außenpolitischen Beziehungen der Türkei in den Nahen Osten, den Kaukasus, Zentralasien und den Balkan, wo sich die Türkei zunehmend zu einem der wichtigsten Akteure entwickelt hat. Die Kommission „Innenpolitik" fokussiert auf die innenpolitische Lage in der Türkei, die durch eine große Dynamik gekennzeichnet ist. Einerseits wandeln sich die staatlichen Institutionen unter äußerem und innerem Druck, andererseits existiert eine sehr aktive Zivilgesellschaft. Dies geschieht vor dem Hintergrund eines raschen sozialen Wandels. Die Kommissionsarbeit soll sich schwerpunktmäßig mit der Erforschung des Zusammenhangs zwischen diesen Phänomenen und der innenpolitischen Entwicklung beschäftigen. Die Kommission „Recht" hat die Rechtsentwicklungen zum Thema, die für das türkisch-europäische Verhältnis von zentraler Bedeutung sind. Der EUIntegrationsprozess und die Herausforderungen durch die Globalisierung erfordern auch große Anpassungsleistungen des türkischen Rechtssystems. Eine Schlüsselrolle kommt dabei der Reformierung der bisherigen Verfassimg bzw. der Erarbeitung einer neuen Verfassung zu. Die Kommission „Wirtschaft" untersucht die türkisch-europäischen Wirtschaftsverflechtungen und den hieraus resultierenden Strukturwandel in der Türkei als auch innerhalb der heutigen EU. Durch die zunehmende Integration der Türkei in die Weltwirtschaft entsteht ein erheblicher externer Anpassungsbedarf, der sich in beschleunigtem Strukturwandel manifestiert. Der Druck, sich an fremde, insbesondere "westliche" wirtschaftliche Regelwerke

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anzupassen, wird durch das Vorhaben, der EU beizutreten, erheblich verschärft. Schwerpunkt der Kommission „Religion" ist die Türkei als ein stark vom Islam geprägtes Land, das 85 Jahre nach der Republikgründung weiterhin in einem Prozess der kulturellen Selbstfindung begriffen ist. Parallel zu den Prozessen gesellschaftlichen Wandels verändern sich auch das Verständnis und die Rolle der Religion in der Gesellschaft. Die Kommission will diese wechselseitigen Prozesse und die darauf einwirkenden Einflüsse aus Europa und auf Iransnationaler Ebene untersuchen. Die Kommission „Migration" behandelt unterschiedliche Themenbereiche wie beispielsweise Migrationsströme in und aus der Türkei, transnationale Aktivitäten zwischen der Türkei und Deutschland sowie Fragen der Integration. Die Arbeit und Kooperationen in der Kommission sollen interdisziplinär (u. a. Soziologie, Ökonomie, Turkologie und Politikwissenschaften) gestaltet werden. Eine zentrale Aufgabe der Kommission "Geistesgeschichte" wird es sein, Forschungen zum einen zur ideologischen Absicherung von Prozessen des Institutionentransfers in der Türkei durch sog. story-telling "kultureller Unternehmer" voranzutreiben. Auf der anderen Seite gilt es zu beobachten, welchen intellektuellen Widerständen sich diese Transferprozesse gegenübersehen und inwieweit diese counter-stories nicht ihrerseits nur als Produkte des Transformationsprozesses, gegen den sie sich wenden, und somit als Produkte schöpferischer Aneignung erklärbar sind. Das Aufgabengebiet der Kommission „Interkulturalität und Literatur" liegt in der Untersuchung der interkulturellen Austauschbeziehungen und intertextuellen Transformationsprozesse zwischen der deutschsprachigen und der türkischen Literatur sowie den Medien im Kontext der literarhistorischen Entwicklung von Narrativen zu Europa. Aus der Beschäftigung mit den genannten Austauschprozessen sollen aber auch wissenschaftliche Konzepte entwickelt werden, die für die interkulturelle Literaturwissenschaft insgesamt von Bedeutung sind. Die Kommission „Kunst und Kultur" thematisiert die Entwicklung von Architektur, Malerei, Bildhauerei, angewandter und darstellender Kunst in der Türkei nach 1923 bis in die Gegenwart und wird vor allem den kulturellen Austausch mit Europa in den Blick nehmen. Die inhaltliche Arbeit erstreckt sich auf Künstler und ihre Werke, Institutional wie Akademien, Museen und Theater sowie Ausstellungen und Messen, die als Mittler und Orte des Kulturtransfers zwischen der Türkei und den europäischen Staaten definiert werden können. Die Kommission „Türkisches Bildungswesen" beschäftigt sich mit der Geschichte und der gegenwärtigen Lage des türkischen Bildungswesens. Im Zentrum stehen dabei Fragen nach der institutionellen Ausbreitung von Staat-

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licher Bildung, nach der Auseinandersetzung zwischen nationalstaatlicher und globalisierter Prägung des Bildungswesens, aber auch nach der Zukunft des türkischen Bildungswesens im Zeichen der europäischen Integration. Die Kommission ,3ilingualität und Bildung" befasst sich mit didaktischen, methodischen und schulorganisatorischen Aspekten der türkisch-deutschen bilingualen (Grundschul-)Erziehung, wie sie zum Beispiel im Rahmen des Hamburger Schulversuchs ,3ilinguale Grundschule" erprobt und implementiert werden. Dadurch sollen sowohl Bildungskonzepte für die Einwanderungsgesellschaft weiterentwickelt werden als auch in Kooperation mit türkischen Kolleginnen und Kollegen Fragen der Bilingualität und ihrer Auswirkungen auf das türkische Bildungswesen diskutiert und erforscht werden. Die Kommission „Gesundheitswesen" hat sich erst unlängst formiert und es sich zur Aufgabe gemacht, Wahrnehmung, Akzeptanz und Umsetzung von Entwicklungen der modernen „westlichen" Medizin unter besonderer Berücksichtigung der Humangenetik in der Bevölkerung und bei Experten der Türkei zu untersuchen.

Projekte und Aktivitäten Ein erstes Großprojekt des TürkeiEuropaZentrums ist die Untersuchung der Austauschprozesse zwischen der Türkei und Westeuropa und der daraus resultierenden wechselseitigen Veränderungen unter dem Titel "Schöpferische Aneignung" - Ist die Transformation der Türkei ein Europäisierungsprozess?'. Dazu wird derzeit eine interdisziplinäre Forschergruppe vorbereitet. Im Wintersemester 2009/2010 veranstaltet das TEZ an der Universität Hamburg eine Ringvorlesung unter dem Titel „Türkei in Europa - Europa in der Türkei", auf der zahlreiche renommierte Türkeiforscherinnen und -forscher aus unterschiedlichen Perspektiven die konfliktreichen Wandlungsprozesse in dem Land unter den Vorzeichen einer immer stärkeren Integration in internationale politische und wirtschaftliche Strukturen diskutieren. Daneben führte das TEZ im Dezember 2009 zusammen mit dem „Interdisziplinären Zentrum: Weltreligionen im Dialog" der Universität Hamburg und der lokalen alevitischen Gemeinde ein Symposium zum Thema „Alevitentum und Bildung" durch. Im Januar 2010 beteiligte sich das TEZ unter anderem an einem vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) veranstalteten internationalen Workshop über die Potentiale der Migration in und aus der Türkei. Auch in der Nachwuchsförderung ist das Zentrum aktiv: Im Februar 2010 organisiert das TEZ gemeinsam mit dem Netzwerk Türkei einen Workshop, auf dem junge wie auch etablierte Türkeiforscherinnen und -forscher die

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Gelegenheit bekommen sollen, ihre Projekte und Forschungsthemen vorzustellen und zu diskutieren. Kontakt: Prof. Dr. Raoul Motika Lehrstuhl für Turkologie Asien-Afrika-Institut Universität Hamburg Edmund-Siemers-Allee 1 D-20146 Hamburg [email protected] www.aai.uni-hamburg.de/tuerkeieuropa/

Euroopa-Instituut and Social Research in Estonia by

Aksel Kirch The Institute for European Studies (IES) was established in 1998 with the main purpose of creating a centre that integrates academic and applied research and practical experiences in the field of European social studies. Estonia has lost almost half of a century concerning the global process of modernisation. Making up for this the technological, legal, cultural, and socio-political backwardness required extraordinary measures. One of these and the one with the best prospects - is joining the EU. Before joining EU in 2004 Estonia's instrumentality concerning EU institutional structure was not well-prepared. Acute shortages of knowledge and experts, who could be authorities in several EU related spheres, were recognised. The Institute for European Studies had a chance, on one hand, to promote EU ideas in Estonia and, on the other hand, promote Estonia as a candidate country in the EU. People of the Institute for European Studies saw their opportunity to participate actively in the process of arrangements and to rise to the occasion. This was period when one could hardly find some statistics, research data, studies and information about processes in Estonia on international level. Usually there were two groups of states that were presented in analysis - EU member states and sc Visegrad states. Very often statistical and research information about Estonia, Latvia and Lithuania did not reach analysts working in Western European universities or even researchers of Central Europe. On the short list of Estonian experts there were researchers from the IES as well known specialists who also worked in research institutions of the former Academy of Sciences. One of the first research projects of that time is worth underlining. This was initiated by the Flemish Government (and Katholieke Universiteit Leuven) and with the cooperation of universities and research centres of the Baltic States. As a result of this study, a monograph "The Baltic States in an Enlarging European Union: Towards a Partnership between small States?" was published in 1999. The main key words of this period were Monitoring Preparations of Transition Countries for EU-Accession. As an example from 1999 to 2002, IES represented Estonia and participated in research network of candidate countries together with Poland, Hungary, Czech Republic, and Slovakia, later also Slovenia and Romania were integrated into the framework.

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The Estonian Institute for European Studies contributed to this research by organising networks in October 2002 at an international conference in small Estonian city Pärnu where 25 experts from different countries participated. The collection of articles „Monitoring Preparations of Transition Countries for EU-Accession" (ed. by Aksel Kirch and Juhan Sillaste) was published for the Conference and this was the starting point for periodical publications of the IES. In 2002 the commission of accreditation at the Estonian Ministry of Education gave positive acknowledgement to the IES and switched it into the list of accredited research institutions. This was a period when several research programmes and good-working relationships in co-operation with universities from Central and Eastern Europe were launched. The IES was switched into the conference network and our researchers made presentations at conferences in universities in Krakow, Berlin, Frankfurt, Prague, Vienna, and Budapest.

Years of EU recognition and reorganisations of the IES: 2004-2009 When Estonian society faced the EU-referendum in September 2003, the share of those who voted in favour of the EU was 66,8 %, while the percentage of those who voted against membership was 33,2 %. The overall participation rate in Estonia was only 64,1%. During the debate that took place in the first year after Estonia joined the EU, the majority of citizens realised that EU membership provided new possibilities for defining the country's position on Europe's political and cultural map. Although geographically being indisputably a part of Europe, Estonia's geo-political position has not always been conclusively defined. Today, ideas about identifying with Estonian welfare neighbours (referring to similarities with Nordic countries) are spreading. One of these tendencies is that Estonian regional identity within the European Union could become similar to that of the Nordic countries (Finland and others). On the other hand, some Estonian specific features in ethnic and national identity have strengthened, which alludes to the possibility of strengthening Baltic identity (stronger Estonian, Latvian and Lithuanian common identity). Furthermore, according to some popular formulations of certain politicians, Estonia tends to be more similar to Ireland and the United Kingdom. This gives wide opportunity for different aspect of identity studies. Can we say that due to Estonia's EU membership the European dimension is also forming a part of Estonians' self-perception? In their everyday life people value more and more modern arrangements and post-industrial values, which have created certain contradictions between their identity structure archetypes and these new values. Although it is doubtful whether there is an

Kirch, Euroopa-Instituut Tallinn

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'European' identity - there are many varieties of what people may think as being European across the nations of Europe and across the different ethnic minorities within European nations. For the researchers it is interesting to study to what degree the Estonian people are going to identify themselves with Europe, how important they deem Europe to be a part of their identity, or if there are greater variations in the expression of "Estonian identity". In general it seems that we mostly understand common European identity as a shared sameness of people belonging to the same group, with a common narrative and broadly matching attitudes, beliefs and values. According to our analysis, we can conclude, that the Estonian society has reached the phase where increasing international communication, economic and cultural ties have initiated the small shift towards the creation of a new "borderless" identity. But as we see from results of Estonia mediaresearchers, the new opportunities can create only minimum ground for the reception of the new set of European values. Rather there are today tendencies towards identification with Estonian well-fere neighbours, i.e., referring to similarities with Nordic countries. European enlargement has influenced the self-definition of Estonian people. Transition will give the opportunity to re-define "Europeanness" from the viewpoint of new European identity components incorporated into Estonian identity. Since 2004 the Institute for European Studies has worked at the International University Audentes. As the University Audentes in 2008 joined with Tallinn Technological University (TTU) Institute for European Studies associated with Department of International Relations of the Economic Faculty of the TTU. In this new context researchers carry out activities in the field of empirical study and publishing research proceedings on themes related to European issues. The latest empirical study concentrates on young people's reflections in their attitudes towards Estonian - Russian relations. On the results of an empirical study in 2008, the research group has made some publications and conference presentations on the 19th International Association for Cross-cultural Psychology Congress in Bremen. In 2008 the Institute for European Studies celebrated its 10th Anniversary with the fourth collection in the series of the Proceedings of the Institute for European Studies (http://www.ies.ee/iesp/) "Socio-economic and Institutional Environment: Harmonisation in the EU Countries of Baltic Sea Rim". Aksel Kirch Director of Institute for European Studies Professor for European Studies Tallinn University of Technology

FORSCHUNGSBERICHTE

Die erste Blütezeit der modernen EuropaHistoriographie1. Ein Konferenzbericht2 Von

Martina Steber Die Europahistoriographie habe in den 1950er Jahren unter anderem dort geblüht, wo man eine solche Pracht vielleicht am wenigsten vermutet hätte: in Großbritannien und in Italien. Während in der Zwischenkriegszeit vor allem französische und Schweizer Historiker das geschichtswissenschaftliche Nachdenken über Europa angeregt hätten, hätten sich die „Orte des Europadenkens" nach dem Zweiten Weltkrieg an die „Flügel" des Kontinents verlagert, hob Heinz Duchhardt (Mainz) in seiner Einleitung zu dem vom Institut für Europäische Geschichte Mainz in Kooperation mit den Deutschen Historischen Instituten Rom und London organisierten Kolloquium „Die erste Blütezeit der modernen Europa-Historiographie", das am 14. und 15. Mai am DHI Rom stattfand, hervor. An einer generellen „Frostigkeit" der italienischen und vor allem der britischen Geschichtswissenschaft gegenüber Europa, wie von René Girault behauptet3, seien vor diesem Hintergrund Zweifel anzumelden. Das Kolloquium hatte sich zum Ziel gesetzt, so die Organisatoren - neben Heinz Duchhardt außerdem Michael Matheus (Rom) und Andreas Gestrich (London) - , die Gründe für diese Hausse zu identifizieren, institutionellen und intellektuellen Verortungen der Europahistoriographie der 1950er Jahre nachzugehen und ihre biographische Dimension zu beleuchten.

' Kolloquium des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, des Deutschen Historischen Instituts Rom und des Deutschen Historischen Institut Rom. 14.-15. Mai 2010, Deutsches Historisches Institut London. 2 Es handelt sich um eine ergänzte Version des Konferenzberichts, der am 1. Juli 2010 bei H-Soz-u-Kiult erschienen ist. (http://hsozkult.geschichte.huberlin.de/tagungsberichte/id=3175&count=3012&recno= 11 &sort=datum&order=down). 3 Vgl. René GIRAULT, Das Europa der Historiker, in: Europa im Blick der Historiker, hrsg. von Rainer Hudemann, Hartmut Kaelble und Klaus Schwabe, München 1995, S. 55-90, hier S. 84.

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Das Kolloquium stellte einzelne Europahistoriker und ihre Europabücher ins Zentrum, ergänzt um einen Beitrag zur Verlagslandschaft und zum Mainzer Europa-Kongress 1955. Mit Christopher Dawson (1889-1970) stellte Bernhard Dietz (Mainz) eine zentrale Figur der britischen Auseinandersetzung mit Europa vor. Dawsons Beispiel weist auf mehrere Charakteristika europahistorischer Entwürfe der 1950er Jahre nicht nur in Großbritannien hin. Seine Interpretation, die er in „Understanding Europe" (1952) entfaltete, wurzelte in den 1920er Jahren, als sich Dawson in den Netzwerken des „kulturpessimistischen, radikalkonservativen Neo-Toryism" (Dietz) bewegte und in ganz Europa auf der Suche nach rechten Alternativen zum liberalen Parlamentarismus war. In „The Making of Europe" hatte Dawson schon 1932 Europa, das durch das Christentum aus antiken Traditionsbeständen erschaffen worden sei, als antibolschewistischen, antiliberalen und genuin christlichen Gegenentwurf konzipiert. Die Einheit der Kirche habe die Einheit Europas verbürgt. Mit der Reformation sei diese zerbrochen, seien der Moderne die Schleusen geöfihet worden, worin die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts wurzelten. Es verwundert kaum, dass diese Version der christlichen Totalitarismustheorie im Schwange abendländischer Begeisterung in der Bundesrepublik positiv aufgenommen wurde. Europa, so Dietz, sei für die britische neue Rechte der Zwischenkriegszeit Argument und Argumentationsraum zugleich gewesen. Dawson hatte daiür das historische Fundament geliefert. Mit Carlo Curcio (1898-1971) stellte Luigi Mascilli Migliorini (Neapel) das italienische Pendant zu Dawson vor. Auch Curcios Europainterpretation, die er in „Europa. Storia di un'idea" (1958) ausbreitete, wurzelte in der Zwischenkriegszeit, als dieser seine Hoffnung auf ein faschistisches Europa gerichtet hatte. Die Brücke zwischen dem Europaentwurf von „Verso la nuova Europa" (1934) und seinem Buch des Jahres 1958 sei auf Curcios voluntaristischer Überzeugung gebaut worden: Europa existiere, so Curcio, nur als Idee und entstehe aus dem Willen, es zu schaffen. Kennzeichnend für diese italienische Europakonzeption sei zudem die Bedeutung, die der Latinität und damit dem mediterranen Raum zugemessen wurde. Allerdings wollte Thomas Großbölting (Münster) in seinem Kommentar die Diskontinuitäten in Curcios Europa-Entwürfen stärker gewichtet wissen. Während der Curcio der 1930er Jahre sich selbst als politischer Berater und Europa als Teil einer optimistischen politischen Strategie verstanden habe, habe der Curcio der 1950er Jahre in dieser Hinsicht resigniert: Gegenüber den USA und der UdSSR hatte Europa offensichtlich weltpolitisch verloren, obwohl die Europa-Idee seit 1945 an Zuspruch gewonnen hatte. Sehr grundsätzlich gab Großbölting zu bedenken, ob ein traditionell geistesgeschichtlicher Ansatz ausreichend sein könne, um die Geschichte der Europahistoriographie im 20. Jahrhundert zu verstehen, und machte sich für neuere historiographiegeschichtliche Ansätze, wie etwa von Jan Eckel und Thomas

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Etzemüller entwickelt4, und die „Zeitgeschichte als Streitgeschichte" (Martin Sabrow) stark5. Auch Wolfgang Schmale (Wien) hatte bereits zuvor in einem sehr grundsätzlichen Kommentar für alternative Perspektiven auf die Europahistoriographie des 20. Jahrhunderts plädiert. Das Nachdenken über die europäische Geschichte sei nicht allein Primat der Historiker gewesen, sondern sei von vielen Seiten befruchtet worden. Die Geschichte der Geschichtsschreibung habe dem Rechnung zu tragen. Der Angelpunkt einer so verstandenen Europahistoriographie, zu der dann auch Intellektuelle wie Hannah Arendt, Max Horkheimer oder Theodor Adorno zählten, sei in den Nachkriegsdekaden die Beschäftigung mit der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs gewesen, was zu einer Schärfimg europäischer Sichtweisen gefuhrt habe. Als „modern", bezogen auf den Tagungstitel, sei nur eine solche kritische Schule zu bezeichnen. Skeptisch gegenüber der Validität des von Schmale eingeführten ModerneBegriffs gab Andreas Gestrich zu bedenken, dass sowohl Horkheimer und Adornos wie Dawsons oder Curcios Neuansätze geradezu als genuiner Bestandteil einer europäischen Moderne gelesen werden könnten, die sich durch ihre Selbstreflexivität auszeichne. Die Krise der Zwischenkriegszeit setze sich in diesem Verständnis, gebrochen durch den Zweiten Weltkrieg, in den 1950er Jahren fort. Mit der bundesrepublikanischen Abendland-Bewegung wandte sich Winfried Becker (Passau) einem wichtigen personalen und intellektuellen Netzwerk der 1950er Jahre zu, in dem auch europahistoriographische Entwürfe gediehen. Der Geschichte kam in diesem von katholischen Überzeugungen getragenen Gedankengebäude in erster Linie sinnstiftende Funktion zu, so Becker. Dementsprechend sind die abendländischen Europaideen eher der Geschichtsphilosophie als der Geschichtswissenschaft zuzurechnen. Gefördert durch die alliierte Lizensierungspraxis und politisch gestützt erhielten sie weite Verbreitung, zumal die abendländische Bewegung von einem stark pädagogischen Impetus geprägt war. Als auf dem britischen Buchmarkt im Jahr 1954 das dreibändige Werk „The European Inheritance" erschien, herausgegeben von Ernest Barker (1874-1960), George N. Clark (1890-1979) und Paul Vaucher (1887-1966) und bei Oxford University Press verlegt, mutete es fest wie ein Anachronismus an. Denn, wie Keith Robbins (Lampeter) ausführte, es handelte sich um ein Projekt, das 1942/43 im Kontext des Zweiten Weltkrieges und auf offizielle Initiative hin konzipiert worden war. Es sollte nach dem Krieg zur Vermittlung einer .anderen' Sicht Europas bereit stehen. Obwohl Historiker 4

Vgl. Neue Zugänge zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, hrsg. von Jan Eckel und Thomas Etzemüller, Göttingen 2007. 5 Vgl. Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen seit 1945, hrsg. von Martin Sabrow, München 2003.

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anderer Nationalitäten, vornehmlich der englischsprachigen Welt und Franzosen, einbezogen worden waren, sei die britische Handschrift nicht zu verkennen, so Robbins: Das .andere Europa' orientierte sich an den Grundsätzen des britischen liberalen Parlamentarismus und des Protestantismus. Zeitgleich verlegte OUP „The Oxford History of Modern Europe", das in den Händen von Alan Bullock und F. W. D. Deakin - und damit einer jüngeren Historikergeneration - lag. In ihr dominierte, ganz im Gegensatz zu „The European Inheritance", eine Geschichte der Nationalstaaten und der internationalen Beziehungen. Sie markierte einen Paradigmenwechsel. Einen Einblick in die Rolle von Verlagen und Verlegern für die Geschichtsschreibung über Europa eröflhete Marcello Vergas (Florenz) Beitrag zu den Verlagen Laterza und Einaudi. Im Gegensatz zu den britischen University Presses dominierten den italienischen Buchmarkt politisch positionierte Verlage. Da die Europahistoriographie der ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte eine Domäne liberaler und katholischer Intellektueller gewesen sei, habe sich der auf der linken Seite des politischen Spektrums verankerte Verlag Laterza kaum in der Europahistoriographie engagiert. Erst seit 1956 (Ungarn) hätten sich sozialistische und erst seit den 1970er Jahren kommunistische Historiker für Europa interessiert. Auch der linksliberal geprägte Verlag Einaudi habe Europäisches nur ausnahmsweise in sein Programm aufgenommen. Andreas Gestrich mahnte in seinem Kommentar denn auch eine stärkere Berücksichtigung von Marktmechanismen in der Geschichte der Europahistoriographie an: Europadenken entfalte sich nicht in einem marktfreien, sondern in einem verlagskulturellen Raum. Ferner wies er auf die Bedeutung von Übersetzungen für die Formung eines europäischen Diskursraumes hin. Das letzte „Historikerpaar", das diskutiert wurde, wurde von Benedikt Stuchtey (London) und Guiseppe Galasso (Neapel) vorgestellt, dessen Text in Abwesenheit von Lutz Klinkhammer (Rom) verlesen wurde. Mit Geoffrey Barraclough (1908-1984) präsentierte Stuchtey einen kurzzeitig mit dem Marxismus sympathisierenden Autor, der sowohl in Großbritannien als auch in den USA rastlos von Universität zu Universität wanderte, für den Publikumsmarkt schrieb und auch in der Bundesrepublik ein Bestseller-Autor war. Aus universalgeschichtlicher Perspektive suchte er ein neues Europabild zwischen „Ost" und „West" zu etablieren, indem er Europa für die mittelalterliche Geschichte als Verflechtungsraum porträtierte und die europäische Einheit in einer positiven Vielfalt zu finden glaubte. Mit dem Plädoyer für eine „Problemgeschichte" hinterfragte Barraclough auch in methodischer Hinsicht errichtete Denkgebäude der Europahistoriographie, so Stuchtey. Auf die Bedeutung der mittelalterlichen Geschichte für eine Neudefinition Europas in der Welt nach 1945 wies in seinem Diskussionsbeitrag Michael Matheus nachdrücklich hin.

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Die existenzielle Erfahrung von Bürgerkrieg und politischer Verantwortung in den 1940er Jahren unterhöhlten Federico Chabods (1901-1960) Europakonzepte der Zwischenkriegszeit, die sowohl machtpolitisch über die Gleichgewichtidee als auch kulturell begründet worden seien, wie Guiseppe Galasso argumentierte. Nach 1945 bedurfte Europa einer „anderen Idee". Diese Flexibilität sei möglich gewesen, weil Chabod bereits in den 1920er Jahren einen dynamischen Europabegriff vorausgesetzt habe. Er begriff Europa nun zuallererst als Wertegemeinschaft. Um die Diskreditierung des Nationalen durch den italienischen Faschismus zu überwinden, betonte Chabod die enge Verknüpfung der Idee der Nation und der Idee Europas, deren gewaltsame Trennung gerade in das Unheil der jüngsten Vergangenheit geführt habe. Dass seine Europakonzepte auch nach 1945 optimistisch blieben, erklärte Klinkhammer mit der besonderen italienischen Situation: Die tiefe Zäsur 1943 und die Bürgerkriegssituation ermöglichten es Intellektuellen wie Chabod, den Faschismus als Parenthese zu interpretieren und gleichzeitig eine positive nationale Tradition zu rekonstruieren, die im Falle Chabods mit einer europäischen Dimension verbunden wurde. Einen mächtigen Impuls habe die historiographische Neujustierung Europas in der Welt nach 1945 sowohl in Großbritannien als auch in Italien aber auch durch das Ende der Imperialismen erhalten, argumentierte Andreas Gestrich in seinem Kommentar. Beim Mainzer Europa-Kongress des Jahres 1955, mit dem das junge Institut für Europäische Geschichte erstmals in internationalem Rahmen auf sich aufmerksam machte, waren die beiden „Flügel"-Historiographien allerdings sehr ungleichgewichtig vertreten, wie Heinz Duchhardt aufzeigte. Während die italienischen Historiker zumindest mit dem während des Kongresses auch in Diskussionen aktiven Federico Chabod eine Stimme hatten, selbst wenn die Mehrzahl der wichtigen Vertreter des Faches fehlten, war die britische Geschichtswissenschaft nach der krankheitsbedingten Absage Christopher Dawsons (dessen Referat verlesen wurde und ob seiner abendländischen Argumentation den Vorstellungen des Mainzer Institutsdirektors, Martin Göhring, entsprach) sehr schwach vertreten. Die Netzwerke der deutschen Europahistoriographie blieben auch nach 1945 kontinental orientiert. Die Schlussdiskussion machte noch einmal die Notwendigkeit deutlich, Verlagskulturen und Marktstrategien stärker in die historiographiegeschichtliche Betrachtung einzubeziehen. Darüber hinaus forderte Wolfgang Schmale, die (geschichts-)politische Dimension der Europahistoriographie deutlicher zu konturieren. Um eine europahistoriographische Erfolgsgeschichte zu vermeiden, sollte auch auf gescheiterte Transfers, ausgebliebene Historikerdialoge oder nationale Europa-Monologe fokussiert werden, merkte Benedikt Stuchtey an. Eine Neujustierung der Europaidee und damit auch ihrer historiographie sei nach 1945 vor allem auch deshalb nötig gewesen, weil Europa als Ort der „civilizing mission" nicht länger ins Zentrum der Interpre-

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tationen gestellt werden konnte, gab Andreas Gestrich abschließend zu bedenken. Dass das römische Kolloquium nur erste Akzente setzen werde können, hatten die Organisatoren bereits in ihren einleitenden Worten deutlich gemacht. Es öflhete indes vielfaltige Perspektiven für die weitere Forschung zur Europa-Historiographie. Über das bereits Genannte hinaus seien hier vor allem drei angeführt: Zum Ersten gilt es künftig, Historiker-Netzwerken und Diskursarenen größere Aufmerksamkeit zu schenken. Denn ob über Europa tatsächlich in einem europäischen oder doch eher in einem nationalstaatlichen Kontext gedacht und geschrieben wurde, und welche Funktion dem Rekurs auf „ E u r o p a " dann zukam, blieb während der KolloquiumsDiskussionen offen. Offen blieb auch, ob die Europahistoriographie der Nachkriegsdekade tatsächlich so stark von konservativen bzw. liberalen Stimmen geprägt wurde. Linken Netzwerken und Entwürfen nachzugehen, wäre sicher lohnend. Zum Zweiten sollte die methodische Entwicklung der Europa-Historiographie stärker interessieren. Europäische Geschichte wurde von den Rändern des Faches aus geschrieben, sie war offen für methodische Experimente und par excellence geeignet für den historiographischen Transfer über die Grenzen der Nationalhistoriographien hinaus. Zum Dritten sollte über die historische Periodisierung intensiver nachgedacht werden. Handelte es sich bei den Entwürfen der 1950er Jahre nicht eher um das letzte Aufflammen einer historiographischen Entwicklung, die an der Jahrhundertwende ihren Ausgang genommen hatte, in der Zwischenkriegszeit ihren Höhepunkt erlebte und - gebrochen durch die Kriegserfahrung - schließlich Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre erlosch? Und war diese Europahistoriographische Epoche nicht ganz fundamental modern in ihrer Suche nach „Einheit", dem festen Glauben an eine leitende „Idee" und ihrem Verlangen nach einer expansiven Konturierung eines Raumes? So gelesen verwundert es kaum, dass die Europa-Bücher der 1950er schon wenige Jahre nach ihrem Erscheinen an Überzeugungskraft verloren, in ihrer Wirkung beschränkt blieben und bald dem Vergessen anheim fielen.

Die Entstehung und Entwicklung des Antisemitismus als politische Bewegung im europäischen Vergleich. Ein Konferenzbericht1 Von

Eva-Maria Ziege Seit den 1990er Jahren hat die Diskussion über einen „neuen" Antisemitismus die Forschung und die politische Öffentlichkeit beschäftigt, angesichts verschiedener Wellen von Gewalt gegen Juden und jüdische Einrichtungen in Europa, fur die neue, oft islamistische Tätergruppen verantwortlich gemacht wurden. So unkontrovers die Beschreibung von antijüdischen Aktivitäten und Gewalt, so kontrovers die Frage, ob es sich dabei um einen „neuen" Antisemitismus handelt - war doch der Antisemitismus der 1880er Jahre ebenfalls „neu", nicht zuletzt mit der Prägung eines neuen Begriffs für das Phänomen der Judenfeindschaft. Der Begriff „Antisemitismus" war freilich zu jener Zeit noch kein terminus technicus (das wurde er erst nach 1945), sondern eine Eigenbezeichnung der sich in der Tat neu formierenden Judenfeinde, der Schlachtruf eines neuen politischen Antisemitismus, weshalb manche Forscher wie der Soziologe Victor Karady heute den Begriff „Judeophobie" bevorzugen. Das Phänomen der Judenfeindschaft war Gegenstand der von Werner Bergmann und Ulrich Wyrwa vom Zentrum für Antisemitismusforschung veranstalteten internationalen Konferenz über „Die Entstehung und Entwicklung des Antisemitismus als politische Bewegung im europäischen Vergleich (1879-1914)" an der Technischen Universität Berlin vom 24. bis 26. März 2010. Sie stand im Zusammenhang mit dem am ZfA angesiedelten Forschungskolleg über „Antisemitismus in Europa (1879-1914). Nationale Kontexte, Kulturtransfer und europäischer Vergleich". Der Begriff des Politischen war indes weitgefaßt. Er sollte dezidiert nicht eingegrenzt auf die Politik der Antisemitenparteien verstanden werden, die bekanntlich im Kaiserreich einen ebenso raschen Aufstieg wie Niedergang erfuhren, ohne dass der Antisemitismus deshalb wieder verschwand. Ein Ziel der Tagung, so Ulrich Wyrwa, bestand gerade darin, neue Konzepte und Fragestellungen einer Kulturgeschichte des Politischen und/oder der Politik für neue Einsichten in das Phänomen des Antisemitismus zu erproben und anti1 Internationale Konferenz des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, 24.-26. März 2010.

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semitisches Handeln als kommunikatives Handeln zu analysieren, um Zusammenhänge zwischen der historischen Semantik des Antisemitismus und dem Antisemitismus als sozialer und politischer Bewegung in den Blick zu rücken. Drei Schwerpunkte sollten die Diskussionen der Tagung strukturieren: 1. Die Beschreibung konkreter Formen des Antisemitismus mit der Frage, in welchen Ländern und im Rahmen welcher politischer Konstellationen er zu einer politischen Bewegung werden konnte (Antisemitenkongresse, Zeitschriftenprojekte, Verlagspolitiken etc.), welche Rolle Netzwerke für die Verbreitung der Judenfeindschaft spielten, aber auch, welche Bedingungen diese scheitern ließen; 2. Die Sozialgeschichte in europäisch-vergleichender Perspektive - insbesondere, ob die sozialen Trägerschichten des Antisemitismus im Deutschen Reich denen in anderen europäischen Ländern glichen und ob ihr Antisemitismus zutreffend als soziale Bewegung beschrieben werden kann; 3. Die Frage, ob der politische Antisemitismus in Europa die Kumulation vieler nationaler Antisemitismen oder ob er ein europäisches Phänomen war. Diese Problemstellungen entwickelten Werner Bergmann und Ulrich Wyrwa in ihren einführenden Überlegungen zu der Tagung, für die sie Teilnehmer und Teilnehmerinnen mit Beiträgen über Ungarn, Rumänien, KroatienSlawonien, Bulgarien, Kongresspolen, Böhmen und Mähren, Russland, Galizien, Litauen, Frankreich, England, Schweden und Italien gewinnen konnten. Perspektivisch weiterführend war, dass Deutschland, sonst aus offensichtlichen Gründen im Fokus der Antisemitismusforschung, vor allem als vergleichende Bezugsgröße in den Ko-Referaten und der Diskussion präsent war, ohne Gegenstand der Tagung zu sein. Sechs thematische - nicht geographische - Panels widmeten sich in insgesamt 14 Vorträgen und 14 Ko-Referaten (die weitgehend nicht als Kommentare zu den Vorträgen, sondern als eigenständige Kurzvorträge zu weiteren Fallbeispielen angelegt waren) den oben beschriebenen Fragen. Den EröfFnungsvortrag hielt der Soziologe Victor Karady (Budapest), die theoretische Reflexion der zahlreichen Fallbeispiele war Aufgabe einer Abschlussdiskussion mit den Historikern Reinhard Rürup (Berlin) und Shulamit Volkov (Tel Aviv). Der Eröffiiungsvortrag von Karady „Moderner Antisemitismus. Deutungsversuch des Undeutbaren" löste das im Titel des Vortrage angedeutete Problem nicht auf. Der moderne Antisemitismus entstand Karady zufolge aus einer Anzahl ideologischer Konstruktionen der longue durée, vor allem der christlichen Theologie, die den Juden in den feudalen Gesellschaften Europas eine meist nur tolerierte Außenseiterstellung zuwiesen. Die Reproduktion der abgesonderten Lebenswelt des „auserwählten Volks Gottes" durch die Juden hat nach Karady dabei ebenso zur Kontinuierung antijüdischer Einstellungen

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beigetragen wie jene aus dieser jüdischen Praxis ihre Legitimierung geschöpft haben. Im Rahmen des Modernisierungsprozesses hätte erwartet werden können, dass solche antijüdischen Einstellungen verschwinden, dass Vorurteile und Exklusionspraktiken durch die rechtliche Gleichstellung der Juden, ihre sprachlich-kulturelle Anpassung (Assimilation) und ihre vor allem in der aschkenasischen Welt sichtlich rasche Verbürgerlichung eliminiert werden. Diese scheinbar logische und soziologisch vorhersehbare Entwicklung habe sich aber nur teilweise und nur in wenigen modernen Gesellschaften vollzogen - vor allem an der Peripherie Europas, in Skandinavien und im Mittelmeerraum, sowie in manchen sich nach westlichem Muster entwickelnden Überseeländern wie Brasilien oder Australien. Warum diese wahrscheinliche Entwicklung in weiten Teilen Europas nicht eintrat, das begründete Karady mit drei Entwicklungstendenzen: 1. Nach der Depotenzierung des christlichen Konsenses über den Antijudaismus entstand eine Vielfalt von Beziehungssystemen zwischen Juden und Nichtjuden, die in der Entwicklung der Judenfeindschaft einen gewissen Grad von Autonomie aufwiesen, insbesondere von der „großen" Politik der Nationalstaaten und deren Gleichstellungspraxis. 2. Die mit der bürgerlichen Gleichberechtigung auf eine neue Basis gehobenen Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden wurden im 20. Jahrhundert selbst in den meisten autoritären, antidemokratischen und sogar faschistischen Folgestaaten (Italien anfangs unter Mussolini, Spanien unter Franco) nicht offensiv aufgekündigt. Dieser neuen Basis entsprachen die neuen Motive und Formen, aber auch die Grenzen des modernen Antisemitismus. 3. Im europäischen Vergleich überschritt der Verbürgerlichungstrend der Juden denjenigen nichtjüdischer Grippen quantitativ und qualitativ bei weitem. Aus dieser Auffälligkeit erklärt Karady die enge Verbindung zwischen dem modernen Antisemitismus und dem Antimodernismus. Gekennzeichnet sah Karady die neue Konstellation durch die „merkwürdige Mischung" von alten tradierten Vorurteilen und Stereotypen mit neuen Motiven. Die „Modernität des Antisemitismus" lag dem Referenten zufolge gerade darin, dass er die Juden umso mehr zu radikalen Fremden erklärte, je weniger sie dies, etwa durch Mischehen, waren. Dennoch wäre der Antisemitismus in der Mitte Europas nicht so wichtig geworden, hätte er nicht eine Reihe konkreter gruppenbezogener Funktionen ausgeübt: Konstituierung einer Gemeinschaft gegen den Feind, symbolischer Ausgleich von Klassenunterschieden, Sündenbockfunktion etc. Karadys Vortrag mündete in der Hypothese, der moderne Antisemitismus sei eine kollektiv hergestellte, organisierte und geförderte Phobie. Angesichts seiner vorhergehenden Thesen schien diese verhältnismäßig jedoch schwächer. Die mörderische Entwicklung der Judenfeindschaft auf deren Irrationa-

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lität zurückzuführen - da scheint man fast wieder am Anfang der Antisemitismusforschung angekommen zu sein. Die Panels widmeten sich am folgenden Tag konkreten historischen Fallbeispielen. Im Panel „Politische Bewegungen. Debatten und Organisationen" trugen Iulia Onac (Bukarest), Marija Vulesica (Berlin) und Petra Rybáfová (Bratislava) vor. Onac untersuchte die rumänischen Parlamentsdebatten von 1878 bis 1897 mit der Frage nach dem Spezifischen des rumänischen Antisemitismus. Seine Besonderheit, so ihre These, lag darin, dass es sich um einen staatlichen Antisemitismus mit ausgeprägten rassistischen Motiven handelte. Rybáfová konnte für den politischen Antisemitismus im Ungarn der 1880er Jahre zeigen, wie rasant sich dieser aufgrund der Koinzidenz mehrerer Faktoren entwickelte. Vulesica schließlich ging in ihrem Vortrag der Frage nach, wie antisemitisch der politische Katholizismus in KroatienSlawonien war. Ergänzt wurden diese Vorträge durch Ko-Referate von Albert Lichtblau über Wen, von Steven Englund über Frankreich und von Christoph Jahr über Preußen. In dem Panel „Politik und Öffentlichkeit. Antisemitismus in den Medien" trugen Veselina Kulenska (Berlin) über die antisemitische Presse in Bulgarien am Ende des 19. Jahrhunderts und Maciej Moszyñski (Posen/Berlin) über „,Das Vierteljahrhundert des Kampfes'. Die Wochenzeitung ,Rola' in Kongresspolen" vor. Im Vergleich zu „Rola" skizzierte Hufenreuther in seinem Ko-Referat die völkische Zeitschrift „Hammer". „Rola" und „Hammer", so das Ergebnis, bedienten sich erfolgreich moderner Netzwerkmethoden. W e „Rola", so begründeten auch die von Kulenska beschriebenen antisemitischen Zeitungen und Zeitschriften in Bulgarien ihren Antisemitismus vor allem ökonomisch. „ A n t i s e m i t i s m u s i n der politischen Kultur" war Gegenstand des nächsten Panels mit Vorträgen über Frankreich und England und Ko-Referaten über Polen und Rumänien. Damien Guillaume (Paris/Berlin) ging der Frage nach, wie politisch der französische Antisemitismus um die Jahrhundertwende tatsächlich war. Er kam zu der verblüffenden These, dass dessen Einfluss von Anfang an begrenzt war. Die Antisemiten während der Dreyfus-Affäre hätten zwar eine politische Funktion gehabt, doch seien ihre Aktivitäten vor allem ihren Gegnern, den Dreyfusards, zugutegekommen. In seinem Ko-Referat beschäftigte sich François Guesnet (London) mit Polen, wo Antisemitismus in der politischen Kultur nach 1848 wie in Frankreich eine entscheidende Bedeutung erhielt. Susanne Terwey (Berlin) ging der Bedeutung des Antisemitismus in der politischen Öffentlichkeit Großbritanniens nach. Obwohl Antisemitismus auf der Insel weit verbreitet war und er viele seiner Elemente mit Kontinentaleuropa teilte, kam es nie zu einer politischen Bewegung von Antisemiten, weil das parlamentarische System dort wirksam Populismus aller Art abfing. Ganz im Unterschied zu Terweys Analyse Englands zeigte

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Silvia Marten (Bukarest) die Funktion des Antisemitismus auf, die dieser fur den Prozess des nation-building in Rumänien hatte. Unter der Überschrift „Die Politik der Gewalt" thematisierten drei Vorträge Gewalt gegen Juden am Beispiel von Pogromen in Russland, Galizien und Korfu, mit Ko-Referaten über Litauen und Böhmen und Mähren. Stefan Wiese (Berlin) trug über „Die große Angst in Zitomir. Gewalt und Gerücht in Russland 1905" vor. Interessant war an diesem Vortrag vor allem der Perspektivenwechsel, da Wiese von einer Selbstwehrgruppe von Juden im Bündnis mit nichtjüdischen Revolutionären ausging, um Ablauf und Ursachen des Pogroms von Zitomir zu untersuchen. Ohne die Bedeutung des Antisemitismus für das Pogrom negieren zu wollen, behauptete Wiese, die revolutionären Gruppen hätten die Pogromangst angefacht und damit zur Eskalation der Spannungen beigetragen. Tim Buchen (Berlin) beschäftigte sich in seinem Vortrag über „Antijüdische Gewalt und die Dynamik der galizischen ,Exzesse' 1898" mit Ausschreitungen gegen Juden in über 400 Ortsgemeinden West- und Zentralgaliziens. In einer minutiösen Fallstudie skizzierte Buchen die dynamische Eskalation der Gewalt und arbeitete heraus, wie sie durch staatliche Interventionen entscheidend verstärkt wurde. In dem Ko-Referat von Darius Staliunas (Vilnius) analysierte dieser judenfeindliche Ausschreitungen in den litauischen Provinzen des Russischen Reiches. Da Juden im Kampf der Litauer gegen Russen einerseits und gegen Polen andererseits als potentielle Verbündete wahrgenommen wurden, gestalteten sich die Ausschreitungen gegen sie hier aber vergleichsweise schwächer als im Südwesten. Zum Pogrom fuhrende Ritualmordgerüchte waren Thema des Vortrage von Maria Margaroni (Volos/Berlin) über „Korfu 1891. Von Ritualmordgerüchten zum Pogrom", mit einem Ko-Referat von Michal Frankl (Prag) über Ritualmordbeschuldigungen in Tschechien. Die beiden letzten Panels hatten die Themen „Politik und Agitation im ländlichen Raum" und „Der politische Antisemitismus im städtischen Raum". Miloslav Szabó (Berlin) arbeitete in seinem Vortrag ,„Denn Worte sind keine Taten'. Nationalismus und antisemitische Praxis in Oberungarn um 1900" die Verflechtung zwischen Nationalismus und Antisemitismus im ungarischen Teil der Habsburgermonarchie heraus, wo verschiedene nichtmagyarische Nationalismen zur Entfaltung des Antisemitismus beitrugen. In dem KoReferat von Ulrich Baumann (Berlin) ging es um die Region Südbaden, in der die Konfliktlinien nicht entlang von Volksgruppen, sondern von Konfessionen verliefen. Das Referat Klaus Richters (Berlin) über „Genossenschaftsbewegungen und Antisemitismus in Litauen 1904-1914" zeigte, wie die Allianz von Katholiken, Liberalen und Bauern zur Begrenzung der wirtschaftlichen Emanzipation der Juden aus Genossenschaften ein Instrument, ja eine Waffe in einem ethnischen Konflikt machte. Kai Struve (Halle)

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untersuchte in seinem Ko-Referat die gleiche Frage für Galizien, wo Genossenschaften ebenfalls eine Funktion zur Exklusion von Juden ausübten. Dem städtischen Raum widmeten sich in der Folge Kati Vörös (Chicago) und Christoph Buller (Berlin). Vöros stellte in ihrem Vortrag „Antisemitismus im öffentlichen Raum. Die Nachtseite des Zusammenlebens von Juden und Nicht-Juden in Budapest um 1900" die Entstehung des ungarischen Antisemitismus im Zusammenhang mit den Budapester Straßenkrawallen 1883 vor, die landesweite Unruhen nach sich zogen. Vergleichend reflektierte Klaus Hödl (Graz) in seinem Ko-Referat die Lage in der Stadt Wien. Buller beschäftigte sich in seinem Vortrag über „ B e g e g n u n g e n i m Bürgertum. Partizipation und Exklusion von Juden in der politischen Kultur Göteborgs 18701917" mit Skandinavien als einem geographischen Raum, der in der Antisemitismusforschung traditionell wenig Beachtung gefunden hat, weil er zu den Regionen gehört, in denen Judenfeindlichkeit eine geringe Rolle spielt. Bullers sehr präzise Fallstudie verdeutlichte die Formen und Funktionen der Teilhabe von Juden an der bürgerlich geprägten politischen Kultur der westschwedischen Stadt Göteborg. Sie zeigte indes auch, dass die eindrucksvolle Partizipation der Juden mit einem gewissen Asssimilationsdruck einherging. Auch das Ko-Referat von Ulrich Wyrwa (Berlin) zeigte am Beispiel der Biographie des italienischen Literaturwissenschaftlers Alessandro D'Ancona die weitreichende Integration italienischer Juden in das Bürgertum. Angesichts dieser großartigen Fülle ländergeschichtlicher Fallstudien hätte man sich freilich gelegentlich synthetisierende Referate oder Diskussionsschwerpunkte gewünscht, etwa zur Frage des Vergleichs von Antisemitismus im ländlichen und städtischen Raum oder angesichts der Beispiele für Länder, in denen zwar auch Antisemitismus existierte (Schweden und England), in denen dieser aber im Unterschied zu Deutschland oder Frankreich eben keine Bedeutung im Sinne einer politischen Bewegung gewann. Auch die vergleichende Analyse der Dynamik von antijüdischer Gewalt auf Korfu, in Russland oder Galizien wäre nützlich gewesen. So zeigte die Tagung letztlich auch, wie schwierig es ist, Fallbeispiele zu vergleichen (die ja gerade die Spezifika des jeweiligen Einzelfalls hervorheben müssen) und wie tief die Kluft zwischen historischer Fallstudie und theoretischer Reflexion ist. Die Abschlussdiskussion wurde von Shulamit Volkov und Reinhard Rürup auf eine allgemeinere Ebene gehoben. Wichtig sei vor allem der Kontext von Nationalstaatsbildung und Modernisierung. Sowohl Volkov als auch Rürup betonten jedoch, dass die Bedeutung des Antisemitismus in Relation zu anderen Schlüsselfragen der Zeit nicht überbewertet und auch nicht aus den Augen verloren werden dürfe, dass es auch Anti-Antisemitismus gab. Rürup vertrat insbesondere die These, der Anti-Antisemitismus der deutschen Sozialdemokratie habe eine Schlüsselbedeutung, was in der neuesten Forschung freilich durchaus kontrovers bewertet wird Was unterschied nun den Antise-

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mitísmus in Deutschland von den Antisemitismen anderer Länder? Rürups Fazit zufolge war er dort weder stärker noch wichtiger - aber er war beunruhigender, weil das Deutsche Reich so modern und weil der Antisemitismus im Deutschen Reich so gut organisiert war. Zu sagen bleibt freilich, dass es in Deutschland ja eine ideologische „Avantgarde" (Treitschke) war, die den Antisemitismus ausformulierte und die Öffentlichkeit dominierte. Offen blieb bei der Tagung, wie sich dies bei den anderen Ländern beziehungsweise Fällen verhielt. Sowohl Rürup als Volkov betonten, durchaus im Sinne Karadys, die Kontinuitäten der Judenfeindschaft vor und nach den 1870er Jahren stärker als die Diskontinuitäten. Schon seit den 1840ern wurde in vielen europäischen Ländern von der Macht der Juden gesprochen, wie in der Tat ältere Studien über die „Nachtseite der Judenemanzipation" schon gezeigt haben. Noch nach 1880 waren die tradierten Elemente des christlichen Antijudaismus von eminenter Bedeutung. Was war dann das Neue des Antisemitismus? Für manche möglicherweise überraschend klang das Fazit Volkovs, der Rassismus, der häufig als das Charakteristikum dieses neuen Antisemitismus betrachtet worden ist, sei schwächer ausgeprägt gewesen als zu erwarten. Volkovs These, das Neue habe vor allem im Politischen gelegen, die auch die Veranstalter in ihrer Konzeptualisierung der Tagung verfolgt haben, müsste indes in weiteren Forschungen falsifiziert oder verifiziert werden. Dass es den Veranstaltern Werner Bergmann und Ulrich Wyrwa gelang, so viele Referenten und Referentinnen aus osteuropäischen Ländern, über die das an sich nicht unbeträchtliche angesammelte Wissen der Antisemitismusforschung oft genug noch ungenügend ist, zu finden und zusammenzubringen, das war ein wichtiger Schritt hin zu den neuen Perspektiven, die der soziologische und historische Vergleich ermöglicht. Theoretisch hat die Tagung wohl nichts Neues erbracht und auch nicht erbringen können. Das Neue lag in den minutiösen Fallstudien der jungen Historiker und Historikerinnen, die in wirklich beeindruckender Dichte zeigten, wie parallel der Antisemitismus in Europa synchron und diachron verlief und wie genau in Ländern wie Ungarn oder Rumänien der Antisemitismus in Russland oder Deutschland zur Kenntnis genommen wurde. Das aus den Referaten gewonnene Bild weist in der Tat auf ein europäisches Phänomen hin, das nicht als bloße Kumulation nationaler Einzelerscheinungen erklärt werden kann. Das Europabild während der Tagung wirkte gleichwohl unscharf (was vielleicht der Form der Fallstudie geschuldet ist), denn anders als heute waren die Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts ja keineswegs politisch homogen: absolute Herrschaft neben konstitutionellen Monarchien bildeten die Mehrheit, teildemokratisierte Gesellschaften die Minderheit der Staaten. Zudem waren die meisten Nationalstaaten kaum souverän im heutigen Sinn (das kuk Österreich, Polen). Das 19. Jahrhundert war eben kein Jahrhundert der Nationalstaaten, es war auch

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und zugleich das letzte Jahrhundert der europäischen Imperien (Russland, Habsburg, Osmanisches Reich), die weit über die Hälfte des europäischen Raums umfassten. Wieweit die Referate der Tagung in ihren Druckfassungen an diesen von Wyrwa hervorgehobenen Gesichtspunkt der Vielfalt europäischer Herrschaftsformen und die konzeptionellen Fragen der Veranstalter, etwa nach einer europäischen Öffentlichkeit, anknüpfen werden, darauf darf man gespannt sein. Wie notwendig vergleichende Arbeiten zu Europa sind, nachdem in der Antisemitismusforschung Deutschland oder auch Frankreich in weiten Teilen erschöpfend bearbeitet worden sind, das zeigte die Tagung eindrücklich.

AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE1 Europa-Schrifttum 2009

Zusammengestellt von

Zaur Gasimov Allgemeines. S. 213 - Epochenübergreifend. S. 214 - Mittelalter (500-1500). S. 215 - Frühe Neuzeit (1500-1789). S. 216 - Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert (1789-1815). S. 217 - 19. Jahrhundert (1815-1918). S. 218 - 20. Jahrhundert I: Zwischenkriegszeit und Zweiter Weltkrieg (1918-1945). S. 218 - 20. Jahrhundert Π: Zeit nach 1945. S. 219 - Beziehungen zu Außereuropa, Kolonialismus, Entkolonialisierung. S. 220 - Ideen-, Kultur-, Wissenschafts- und Mentalitätsgeschichte. S. 222 Frauen- und Geschlechtergeschichte. S. 225 - Europäisches Judentum. S. 226 - Kirchengeschichte. S. 226 - Militärgeschichte. S. 227 - Rechts-,. Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. S. 228 - Sozialgeschichte. S. 229 - Wirtschaftsgeschichte. S. 230 - Mitteleuropa S. 231 - Osteuropa S. 232 - Skandinavien. S. 235 - Südeuropa. S. 235 - Südosteuropa. S. 235 - Westeuropa S. 236.

Allgemeines: Francisco R. ADRADOS, Geschichte der Sprachen Europas. Aus dem Spanischen übersetzt von Hansbert Bertsch, Innsbruck: Institut für Sprachen und Literaturen der Universität Innsbruck, 2009. Magdi ALLAM, Europa cristiana libera: la mia vita tra verità e libertà, fede e ragione, valori e regole, Milano: Mondadori, 2009. Ian ALMOND, TWO faiths, one banner. When Muslims marched with Christians across Europe's battlegrounds, Cambridge: Harvard University Press, 2009. Jean-Pierre BACOT, Les femmes et la franc-maçonnerie en Europe: histoire et géographie d'une inégalité, Paris: Véga, 2009. Patrizia BATTILANI, Vacanze di pochi, vacanze di tutti: l'evoluzione del turismo europeo, Bologna: Π mulino, 2009. Pim den BOER, Europa: de geschiedenis van een idee, Amsterdam: Bakker, 2009. Europäische Brüche, hrsg. von Raimund Krämer, Potsdam: Universitätsverlag, 2009. 1

Die vorliegende Bibliographie versteht sich ausdrücklich als Auswahlbibliographie. Erfasst wurden ausschließlich Monographien und Sammelbände. Übersetzungen sind nur dann berücksichtigt worden, wenn es sich um Übertragungen ins Deutsche handelt. Die Gliederung der Bibliographie kann unverändert diskutiert werden; der eine oder andere Titel hätte ohne weiteres auch in die andere Rubrik eingeordnet werden können. Auf Querverweise wurde verzichtet. Dem Benutzer wird daher empfohlen, gegebenenfalls auch thematisch verwandte Rubriken einzusehen.

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Ideen-, Kultur-, Wissenschafts- und Mentalitätsgeschichte: Urs ALTERMATT, Konfession, Nation und Rom: Metamorphosen im schweizerischen und europäischen Katholizismus des 19. und 20. Jahrhunderts. Frauenfeld [u. a]: Huber, 2009. Aufklärung, Konstitutionalismus, atlantische Welt. Eine Festschrift für Horst Dippel, hrsg. von Thomas W. Claik, Kassel: Kassel Univ. Press, 2009. Baroque, 1620-1800: style in the age of magnificence; [Victoria & Albert Museum 4 April—19 July 2009], hrsg. von Michael Snodin, Joanna Norman [u. a.], London: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009. Mark BETZ, Beyond the subtitle: remapping European art cinema, Minneapolis [u. a]: University of Minnesota Press, 2009. Gianluca Boccm/Mauro CERUTI, Una e molteplice ripensare l'Europa, Milano: Tropea, 2009. Claudio BONVECCHIO, Ripensare l'identità per una geopolitica dell'anima europea, Roma: Settimo Sigillo, 2009. Sascha BRU, Europa! Europa? The avant-garde, modernism and the fate of a continent, Berlin: de Gruyter, 2009. Coats, queens, and cormorants: selected studies in cultural contact between east and west, hrsg. von Elfriede Regina Knauer, Kilchberg: Akanthus, 2009. Václav CERNY, Barokní divadlo Ν Evrope, Pribram: Pistorius & Olsanská, 2 0 0 9 . John P. CONSIDINE, Dictionaries in early modern Europe: lexicography and the making of heritage, Cambridge [u. a]: Cambridge Univ. Press, 2009. Georges CORM, L'Europe et le mythe de l'Occident: la construction d'une histoire, Paris: Ed. La Découverte, 2009. Olivier COSMA, Les racines littéraires de l'Europe. Chambéry: Université de Savoie, Laboratoire langages, littératures, sociétés, 2009. Verena DIRNBERGER, Eine wilde Attraktion im dekorierten Heim: die Tiere der europäischen Porzellanmanufakturen zwischen 1895 und 1920, München: Univ. Diss., 2009. Franciszek DRAUS, Critique historique de l'idée européenne, T. 1: Les précurseurs introuvables: histoire d'une mythologie, du Moyen Âge à la fin du XDte siècle, Paris: de Guibert, 2009. Europäische Geschichtskultur-europäische Geschichtspolitik: vom Erfinden, Entdecken, Erarbeiten der Bedeutung von Erinnerung und Geschichte für das Verständnis und Selbstverständnis Europas, hrsg. von Christoph Kühberger und Clemens Sedmak, Innsbruck [u. a]: Studien-Verlag, 2009.

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Rechts-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte: Catherine DENYS, Réformer la police: les mémoires policiers en Europe au XVHIe siècle, Rennes: Presses Univ. de Rennes, 2009. Droit et justice dans l'Europe de la Renaissance, hrsg. von Jean-Paul Pittion, Paris: Champion, 2009. Handbuch zur Geschichte des Notariats der europäischen Traditionen, hrsg. von Mathias Schmoeckel, Baden-Baden: Nomos, 2009. Bob A. HEPPLE/Bruno VENEZIANI, The transformation of labour law in Europe: a comparative study of 15 countries, 1945-2004, Oxford [u. a.]: Hart, 2009. Johannes KRAUSE, Die Grenzen Europas: von der Geburt des Tenitorialstaats zum europäischen Grenzregime, Frankfurt am Main [u. a.]: Lang, 2009. Dimut MAJER/Margarete HUNZIKER, Verfassungsstrukturen, Freiheits- und Gleichheitsrechte in Europa seit 1789: eine Sammlung ausgewählter Verfassungstexte, Karlsruhe: Universitätsverlag, 2009. Bernd MARQUARDT, Universalgeschichte des Staates: von der vorstaatlichen Gesellschaft zum Staat der Industriegesellschaft, Wien [u. a.]: LIT-Verlag, 2009. Andreas OSLANDER, Before the state: systemic political change in the west from the Greeks to the French Revolution, Oxford [u. a.]: Oxford University Press, 2009.

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Jean PICQ, Une histoire de l'État en Europe: pouvoir, justice et droit du Moyen Age à nos jours, Paris: Presses de Sciences Po., 2009. The use of censorship in the Enlightenment, hrsg. von Mogens Laerke, Leiden [u. a.]: Brill, 2009.

Sozialgeschichte: Begräbniskulturen in Europa, hrsg. von Rüdiger Fikentscher, Halle (Saale): Mitteldeutscher Verl., 2009. Jonathan BIGNELL/Anreas FICKERS, A European television history, Maiden, Mass. [u. a.]: Wiley-Blackwell, 2009. Peter C. CALDWELL, Love, death, and révolution in Central Europe: Ludwig Feuerbach, Moses Hess, Louise Dittmar, Richard Wagner, New York [u. a.]: Palgrave Macmillan, 2009. Stuart CARROLL, Martyrs and murderers: the Guise family and the making of Europe, Oxford [u. a.]: Oxford Univ. Press, 2009. Die Königshäuser: die letzten großen Monarchien, hrsg. von Guido Knopp und Mario Sporn, München: Goldmann, 2009. Die Urbanisierung Europas von der Antike bis in die Moderne, hrsg. von Gerhard Fouquet, Frankfurt am Main [u. a.]: Lang, 2009. Europäische Wollstädte-europäische Textilstädte, hrsg. von Jörg Feldkamp, Chemnitz: Zweckverb. Sächsisches Industriemuseum, 2009. Fashioning old and new: changing consumer preferences in Europe (seventeenthnineteenth centuries), hrsg. von Bruno Blondé, Turnhout: Brepols., 2009. Gisela HAUSS/Dagmar SCHULTE, Amid social contradictions: towards a history of social work in Europe, Opladen [u. a]: Budrich, 2009. Alain de KEGHEL, L'Europe des francs-maçons en marche, Paris: Véga, 2009. La famiglia nell'economia europea, secoli Xm-XVm/The economic role of the family in the European economy from the 13th to the 18th centuries, hrsg. von Simonetta Cavaciocchi, Firenze: Firenze Univ. Press, 2009. Living with The Black Death, hrsg. von Lars Bisgaard, Leif Sondergaard [u. a.], Odense: Univ. Press of Southern Denmark, 2009. Antoni MACZAK, Dynastie Europy praca zbiorowa, Wroclaw: Zaklad Narodowy im. Ossolinskich - Wydawnictwo, 2009. John P. MCKAY, Western society: a brief history, London: Palgrave Macmillan Ltd., 2009. Martin A LANG, Alcohol, violence, and disorder in traditional Europe, Kirksville: Truman State University Press, 2009. Emily Gunzburger MAKAS, Capital cities in the aftermath of empires: planning in Central and Southeastern Europe, London [u. a.]: Routledge, 2009. Neue Wege in ein neues Europa: Geschichte und Verkehr im 20. Jahrhundert, hrsg. von Ralf Roth, Frankfurt am Main [u. a.]: Campus-Verl., 2009. Städte im europäischen Raum: Verkehr, Kommunikation und Urbanität im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von Ralf Roth, Stuttgart: Steiner, 2009. Staging festivity: Theater und Fest in Europa, hrsg. von Erika Fischer-Lichte, Tübingen [u. a.]: Francke, 2009.

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Griet VERSCHELDEN, The history of youth work in Europe: relevance for youth policy today, Strasbourg: Council of Europe Publishing, 2009.

Wirtschaftsgeschichte: Agriculture and economic development in Europe since 1870, hrsg. von Pedro Lains, London [u. a.]: Routledge. Gerold AMBROSIUS, Liberale vs. institutionelle Integration von Wirtschaftspolitiken in Europa. Das 19. und 20. Jahrhundert im systematischen und historischen Vergleich, Baden-Baden: Nomos 2009. Hubert BONIN, American firms in Europe: strategy, identity, perception and performance (1880-1980), Genève: Droz, 2009. Stephen R . BOWN, Merchant kings: when companies ruled the world, 1 6 0 0 - 1 9 0 0 , Vancouver [u. a.]: Douglas & Mclntyre, 2 0 0 9 . Richard H. BRITNELL, Markets, trade and economic development in England and Europe, 1050-1550, Farnham [u. a.]: Ashgate Variorum, 2009. Carlo Maria CIPOLLA, Storia economica dell'Europa pre-industriale, Bologna: Soc. Ed. il Mulino, 2009. Alfio CORTONESI/Luciano PALERMO, La prima espansione economica europea: secoli XI-XV, Roma: Carocci, 2009. Thomas DAVID, Nationalisme économique et industrialisation: l'expérience des pays de l'Est (1789-1939), Genève: Droz, 2009. Jean-Pierre DORMOIS, La défense du travail national? L'incidence du protectionnisme sur l'industrie en Europe, 1870-1914, Paris: Presses de l'Univ. Paris-Sorbonne, 2009. Steven A. EPSTEIN, An economic and social history of later medieval Europe, 10001500, Cambridge [u. a.]: Cambridge University Press, 2009. Fiscal governance in Europe, hrsg. von Mark Hallerberg und Rolf Strauch, Cambridge: Cambridge Univ. Press, 2009. Gaps in the Iron Curtain: economic relations between neutral and socialist countries in Cold War Europe, hrsg. ναι Gertrude Enderle-Burcel, Kraków: Jagellonian Univ. Press, 2009. Geld, Geschenke, Politik: Korruption im neuzeitlichen Europa, hrsg. vrai Jens Ivo Engels [u. a.], München: Oldenbourg, 2009. Philippe JOURDON, Histoire monétaire de l'Europe de 1800 à 2007: de l'esprit des Lumières après le XVHIe siècle à la généralisation de l'économie monétarisée à partir du XXIe siècle, Paris: L'Harmattan, 2009. Arnd KLUGE, Die Zünfte, Stuttgart: Steiner, 2 0 0 9 . Lars MAGNUSSON, Nation, state and the industrial revolution: the visible hand, London [u. a.]: Routledge, 2009. Paolo MALANIMA, Pre-modern European economy: one thousand years (10th—19th centuries), Leiden [u. a.]: Brill, 2009. Markets and agricultural change in Europe from the thirteenth to the twentieth century, hrsg. von Pinilla V. Navarro, Turnhout: Brepols, 2009. Hans-Werner NIEMANN, Europäische Wirtschaftsgeschichte: vom Mittelalter bis heute, Darmstadt: Wiss. Buchges, 2009.

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Political space in pre-industrial Europe, hrsg. von Beat A. Kümin, Farnham, [u. a.]: Ashgate, 2009. Regionen und regionale Industrialisierung: zur wirtschaftlichen Entwicklung ostmitteleuropäischer Regionen im 19. Jahrhundert, hrsg. von Toni Pierenkemper, Aachen: Shaker, 2009. Wirtschaftsrechtsgeschichte der Modernisierung in Mitteleuropa: zur Wechselwirkung zwischen wirtschaftlichen und rechtlichen Entwicklungen im Rahmen der grossen Transformation 1750-1850, hrsg. von Lukas Gschwend, Zürich [u. a.]: Dike Verl., 2009. Mitteleuropa: Aufklärung und Kulturtransfer in Mittel- und Osteuropa, hrsg. von Iwan Michelangelo D'Aprile und Agnieszka Pufelska, Hannover: Wehrhahn, 2009. Bernhard BÖTTCHER, Gefallen für Volk und Heimat: Kriegerdenkmäler deutscher Minderheiten in Ostmitteleuropa während der Zwischenkriegszeit, Köln [u. a.]: Böhlau, 2009. Deutschlands östliche Nachbarschaften: eine Sammlung von historischen Essays für Hans Henning Hahn, hrsg. von Edmund Dmitrów, Tobias Weger [u. a.], Frankfurt am Main [u. a.]: Lang, 2009. Pieter van DUIN, Central European crossroads: social democracy and national revolution in Bratislava (Pressburg), 1867-1921, New York [a a.]: Berghahn Books, 2009. Die Reiche Mitteleuropas in der Neuzeit: Integration und Herrschaft; liber memorialis Jan Pirozyñski, hrsg. von Adam Pertakowski [u. a.], Kraków: Ksiçgarnia Akad., 2009. Germans, Poland, and colonial expansion to the East: 1850 through the present, hrsg. von Robert L. Nelson, New York: Palgrave Macmillan, 2009. Grenzdiskurse: Zeitungen deutschsprachiger Minderheiten und ihr Feuilleton in Mitteleuropa bis 1939, hrsg. von Sibylle Schönborn, Essen: Klartext-Verlag, 2009. Wolf D. GRUNER, Deutschland in Europa 1 7 5 0 bis 2 0 0 7 : vom deutschen Mitteleuropa zum europäischen Deutschland, Cluj-Napoca: Presa Universitarä Clujeanä, 2 0 0 9 . Jan HARASiMOWicz/Matthias WEBER, Adel in Schlesien: Herrschaft - Kultur Selbstdarstellung, München: Oldenbourg, 2009. Catherine HOREL, Cette Europe qu'on dit centrale: des Habsbourg à l'intégration européenne, 1815-2004, Paris: Beauchesne, 2009. Integration und Desintegration in Mitteleuropa: Pläne und Realität, hrsg. von Marcella Rossová, München: Meidenbauer, 2009. Istvan KEUL, Early modern religious communities in East-Central Europe: ethnic diversity, denominational plurality, and corporative politics in the principality of Transylvania (1526-1691), Leiden [a a.]: Brill, 2009. Michal KOPECEK, Hledání ztraceného smyslu revoluce zrod a pocátky marxistického revizionismu ve strední Evrope 1953-1960, Praha: Argo, 2009. Jerzy KOZLOWSKI, Niemcy w Poznañskiem wobec Wiosny Ludów ( 1 8 4 8 - 1 8 5 0 ) , Poznañ: Wydawnictwo Poznañskie, 2 0 0 9 . Antoine MARES, Lieux de mémoire en Europe centrale, Paris: Institut d'Études Slaves, 2009.

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Skandinavien: Ulf DINKELSPIEL, Den motvillige europén: Sveriges väg tili Europa, Stockholm: Atlantis, 2009. Edvard Grieg - Norweger und Europäer in Werk und Wirkung, hrsg. von Hella Brock [u. a.], Altenmedingen: Junker, 2009.

Südeuropa: Arlindo BARBEITOS, Angola, Portugal: des identités coloniales équivoques; historicité des représentations de soi et d'autrui, Paris: Harmattan, 2009. Arndt Β RENDECKE, Imperium und Empirie: Funktionen des Wissens in der spanischen Kolonialherrschaft. Köln [u. a.]: Böhlau, 2009. Corsaires et forbans en Méditerranée (XlVe-XXIe siècles). Actes académiques, hrsg. von Gilbert Buti, Paris: Riveneuve, 2009. Anthony R. DISNEY, A history of Portugal and the Portuguese empire: from beginnings to 1807, Cambridge [u. a.]: Cambridge Univ. Press, 2009. Europe at the seaside: the economic history of mass tourism in the Mediterranean, hrsg. von Luciano Segreto, Carles Manera [u. a.], New York [u. a.]: Beighahn Books, 2009. Iberische Europa-Konzepte: Nation und Europa in Spanien und Portugal seit dem 19. Jahrhundert, hrsg. von Teresa Pinheiro, Berlin: Duncker&Humblot, 2009. Philip B. MINEHAN, Civil war and world war in Europe: Spain, Yugoslavia, and Greece, 1936-1949, New York [u. a.]: Palgrave Macmillan, 2009. Thomas NITZSCHE, Salvador de Madariaga: Liberaler-Spanier-Weltbürger. Der Weg eines politischen Intellektuellen durch das Europa des 20. Jahrhunderts, BadenBaden: Nomos, 2009. Spain, Europe und the wider world 1500-1800, hisg. von John H. Elliott, New Haven [u. a.]: Yale University Press, 2009. Städte in Südeuropa, hrsg. von Martin Burmeister und Rainer Liedtke, Berlin: Dt. Inst, für UAanistik, 2009. Strangers and poor people: changing patterns of inclusion and exclusion in Europe and the Mediterranean world from classical antiquity to the present day, hrsg. von Andreas Gestrich, Frankfurt am Main: Lang, 2009. Transnationale Erinnerungsorte: nord- und südeuropäische Perspektiven, hrsg. von Bernd Henningsen, Berlin: Berliner Wiss.-Verl., 2009.

Südosteuropa: Agrarreformen und ethnodemographische Veränderungen: SUdosteuropa vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart, hrsg. von Karl-Peter Krauss, Stuttgart: Steiner, 2009. Am Rande Europas? Der Balkan-Raum und Bevölkerung als Wirkungsfelder militärischer Gewalt, hrsg. von Bernhard Chiari [u. a.], München: Oldenbourg, 2009. Denys BARAU, La cause des Grecs: une histoire du mouvement philhellène ( 1 8 2 1 1 8 2 9 ) , Paris: Champion, 2 0 0 9 . Wendy BRACEWELiVAlex DRACE-FRANCIS, Balkan departures: travel writing from South-Eastern Europe. New York [u. a], Berghahn Books, 2009.

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Celovek na Balkanach. Vlast' i obäöestvo: opyt vzaimodejstvija (konec XEX-naóalo XX v.); sbornik statej, hrsg. von Ritta Petrovna Griäina, Sankt-Peterburg: Aletejja, 2009. Confronting the Yugoslav controversies: a scholars' initiative, hrsg. von Charles W. Ingrao und Thomas A. Emmert, West Lafayette, Ind.: Purdue University Press, 2009. Andrew HAMMOND, Through another Europe: an anthology of travel writing on the Balkans, Oxford: Signal Books, 2009. La Géorgie entre Perse et Europe, hrsg. von Florence Hellot-Bellier und Irène Natchkebia, Paris: L'Harmattan, 2009. Alexandre POPOVIC, L'islam balkanique: les musulmans du sud-est européen dans la période post-ottomane, Istanbul: Les Éd. ISIS, 2009. Pierre RAZOUX, Histoire de la Géorgie: la clé du Caucase, Paris: Petrin, 2 0 0 9 . Spotlights on Russian and Balkan Slavic cultural history, hrsg. von Alexandra Ioannidou und Christian Voß, München [u. a.]: Sagner, 2009. AleksandrB. SIROKORAD, Turcijapjat' vekovprotivostojanija, Moskva: Veie, 2009. Jean-Francois SOLNON, Le turban et la stambouline: l'Empire ottoman et l'Europe, XlVe-XXe siècle, affrontement et fascination réciproques; Paris: Perrin, 2009. Maria N. TODOROVA, Imagining the Balkans, Oxford [u. a.]: Oxford Univ. Press, 2009.

Westeuropa: Nigel ASTON, Art and religion in eighteenth-century Europe, London: Reaktion, 2009. Grace BROCKINGTON, Internationalism and the arts in Britain and Europe at the fin de siècle, Oxford/New York: Lang, 2009. Bertrand DUTHEIL DE LA ROCHERE, Les civilisations occidentales: une histoire en quête d'avenir, Paris: Economica, 2009. Patricia Van Den EECKHOUT, Supervision and authority in industry: Western European experiences, 1830 - 1939, New York [u. a.]: Berghahn Books, 2009. Richard J. EVANS, Cosmopolitan islanders: British historians and the European continent, Cambridge [u. a.]: Cambridge University Press, 2009. Exploring the food chain: food production and food processing in Western Europe, 1850-1990, hrsg. von Yves Segers, Turnhout: Brepols, 2009. Roger FALIGOT, La Rose et l'Edelweiss: ces ados qui combattaient la nazisme, 1933-1945, Paris: La Découverte, 2009. Ashley JACKSON, Mad dogs and Englishmen: a grand tour of the British Empire at its height; 1850-1945, London:Quercus, 2009. Les deux Europes: actes du Hie colloque international RICHIE/The two Europes, hrsg. von Michele Affinito, Guia Migani [u. a.], Bruxelles [u. a.]: Lang, 2009. Heinrich August WINKLER, Geschichte des Westens: von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München: Beck, 2009.

Autorenverzeichnis

Dr. Markus A. CASTOR, Deutsches Forum fur Kunstgeschichte 10, place des Victoires, 75002 Paris, Frankreich Dr. Ralph-Miklas DOBLER, Bibliotheca Hertziana, Max-Plank-Institut für Kunstgeschichte Rom, Ma Gregoriana 28, 00187 Roma, Italien Professor Dr. Burcu DOGRAMACI, Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte, Zentnerstr. 31, 80798 München Dr. Julia DROST, Forschungsstelle Max Ernst, Deutsches Forum fur Kunstgeschichte 10, place des Victoires, 75002 Paris, Frankreich Dr. Zaur GASIMOV, Institut für Europäische Geschichte Mainz, Alte Universitätsstr. 19, 55116 Mainz Professor Dr. Simon GROENVELD, Universiteit Leiden, Faculteit der Geesteswetenschappen, Vaderlandse Geschiedenis, Johan Huizingagebouw, Doelensteeg 16, 2311 VL Leiden, Niederlande Christoph HARER, Forschungszentrum Musik und Gender, Hindenburgstr. 2-4, 30175 Hannover Dr. Aksel KIRCH, Tallinna Tehnikaülikooli, Euroopa Instituut, Akadeemia tee 3,12618 Tallinn, Estland Professor Dr. Eckhard LEUSCHNER, Professur für Kunstgeschichte/Bildwissenschaften, Universität Passau, Innstr. 40, 94032 Passau Professor Dr. Andrea MAGLIO, Università degli Studi di Napoli Federico II, Facoltà di Storia dell'architettura, Via Monteoliveto 3, 80134 Napoli, Italien Professor Dr. Raoul MOTKA, Universität Hamburg, TürkeiEuropaZentrum, Edmund-Siemers-Allee 1 Ost-20146 Hamburg Dr. des. Christoph RAMM, Universität Hamburg, TürkeiEuropaZentrum, Edmund-Siemers-Allee 1 Ost-20146 Hamburg

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Dr. Martina STEBER, Deutsches Historisches Institut London, 17 Bloomsbury Square, WC1A 2NJ London, Großbritannien PD Dr. Eva-Maria ZIEGE, Centre for the Study of Jewish-Christian Relations, Woolf Institute, Wesley House, Jesus Lane, CB5 8BJ Cambridge, Großbritannien