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German Pages 350 [351] Year 2019
Birgit Sandkaulen
Jacobis Philosophie Über den Widerspruch zwischen System und Freiheit
Meiner
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-3628-9 ISBN eBook: 978-3-7873-3629-6 www.meiner.de © Felix Meiner Verlag Hamburg 2019. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53, 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: 3W+P GmbH, Rimpar. Druck und Bindung: Druckhaus Nomos, Sinzheim. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.
In memoriam Stephan Otto
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Leitmotive 1. Jacobis »Spinoza und Antispinoza« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Fürwahrhalten ohne Gründe. Eine Provokation philosophischen Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Wie »geistreich« darf Geist sein? Zu den Figuren von Geist und Seele im Denken Jacobis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Zwischen Spinoza und Kant: Jacobi über die Freiheit der Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Dass, was oder wer? Jacobi im Diskurs über Personen . . . . .
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6. Bruder Henriette? Derrida und Jacobi: Dekonstruktionen der Freundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 7. »Ich bin und es sind Dinge außer mir«. Jacobis Realismus und die Überwindung des Bewusstseinsparadigmas . . . . . . . . . 135 8. Das »leidige Ding an sich«. Kant – Jacobi – Fichte . . . . . . . 169
II. Bezüge 9. Ichheit und Person. Zur Aporie der Wissenschaftslehre in der Debatte zwischen Fichte und Jacobi . . . . . . . . . . . . . . . . 201 10. Fichtes Bestimmung des Menschen – Eine überzeugende Antwort auf Jacobi? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 11. Dieser und kein anderer? Zur Individualität der Person in Schellings Freiheitsschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 12. System und Zeitlichkeit. Jacobi im Streit mit Hegel und Schelling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 13. Dritte Stellung des Gedankens zur Objektivität: Das unmittelbare Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 14. Metaphysik oder Logik? Die Bedeutung Spinozas für Hegels Wissenschaft der Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Erstveröffentlichungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
Vorwort
H
einrich Heine, wie Friedrich Heinrich Jacobi (1743 – 1819) ein Sohn der Stadt Düsseldorf, nennt Jacobi ein »altes Weib«, das als gefühlsselige »Marketenderin einer Glaubensarmee« durchs Land gezogen sei. Ein fatales Fehlurteil, das ganze Serien späterer Fehlurteile und Marginalisierungen vorweggenommen hat. Geht man hinter die Wirkungsgeschichte solcher Einschätzungen zurück, ist einer der prominentesten und auch gegenwärtig interessantesten Repräsentanten der klassischen deutschen Philosophie zu entdecken. Als Intellektueller, nicht als akademisch bestallter Professor der Philosophie, greift Jacobi in alle wesentlichen Debatten der Zeit ein, die er genau genommen sogar initiiert und seine Zeitgenossen damit in Atem hält. Wie »ein Donnerschlag vom blauen Himmel herunter« (Hegel) beginnt das mit der großen Auseinandersetzung um die Philosophie Spinozas, dessen Aufstieg zu einem Klassiker der Philosophie wir Jacobi verdanken. Es setzt sich fort mit der Debatte um die kritische Philosophie Kants, die Jacobi folgerichtig und mit wiederum größter Resonanz im Streit mit Fichte und Schelling weiterführt. Nicht nur in deren Werk haben diese Debatten tiefe Spuren hinterlassen. Auch die Philosophie Hegels ist ohne Jacobis Anstöße gar nicht denkbar, wie Hegel selbst vielfach bezeugt. Als »mit Kant gleichzeitiger Reformator in der Philosophie« (Fichte) ist Jacobi die graue Eminenz der Epoche. Warum sich dem zum Trotz der Schatten der Fehlurteile auf sein Werk gelegt hat, wäre eine eigene Untersuchung wert. Offenbar hat Jacobi weder in die Raster der Philosophiegeschichten gepasst, die im 19. Jh. im Milieu einer zusehends akademisch professionalisierten Philosophie entstehen, noch auch in Geschichten, wie Heine sie erzählt. Dafür ist sein Werk zu widerspenstig und zu provozierend gewesen, denn Jacobi tritt hier durchweg in einer Doppelrolle auf: Einerseits bewundert und unterstützt er den Erklärungsanspruch konsequenter Systemphilosophie, andererseits deckt er im Widerspruch eines »Salto mortale« als einer der scharfsinnigsten und hellsichtigsten Kritiker der Philosophie lange vor Kierkegaard deren Blößen auf. Im Sinne dieser Doppelrolle bezeichnet Jacobi sich selbst in der Debatte mit Fichte als »privilegierten Ketzer«: Privilegiert, weil
er ein philosophischer Insider ist, dessen konzeptionell und sprachlich wirkmächtiger Einfluss auf die ganze klassische deutsche Philosophie am Tage liegt, und doch ein Ketzer, der im existentiellen Interesse personaler Freiheit mit seinen Analysen bewusst gegen nicht wenige philosophische Grundüberzeugungen verstößt. War für solche Provokationen der Preis zahlloser Fehleinschätzungen zu zahlen, so geschieht seit einiger Zeit vieles, um diese Lage der Dinge zu ändern. Jacobis Werke liegen inzwischen vollständig in einer kritischen Edition vor. Die kritische Edition seines Briefwechsels, des reichsten philosophischen Korrespondenzcorpus der Epoche, das einen integralen Teil von Jacobis Werk bildet, ist über die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig erneut ins Akademienprogramm aufgenommen worden. Im Rahmen des Akademieprojekts wird auch ein »Wörterbuch Online« entstehen, das Jacobis Gesamtwerk – die philosophischen Schriften, die beiden Romane »Allwill« und »Woldemar« sowie die umfangreiche Korrespondenz – einschließlich der Rezeption Jacobis in der Epoche anhand signifikanter Schlüsselbegriffe erschließt. Daneben ist eine Reihe von Publikationen auf neuem Forschungsstand greifbar. Ein »Geheimtip« ist Jacobi insofern längst nicht mehr, aber anders als im Fall Kants oder Hegels ist sein Werk auch noch nicht millionenfach umgewälzt worden. In seinen Potentialen bleibt es historisch und systematisch fruchtbar zu machen. Der vorliegende Band, der eine Auswahl meiner Aufsätze zu Jacobi enthält, erscheint anlässlich des 200. Todestags Jacobis im März 2019. Im ersten Teil des Bandes werden »Leitmotive« der Philosophie Jacobis entwickelt, im zweiten Teil folgt die Diskussion von »Bezügen«, die im Fokus der Auseinandersetzung mit Jacobi zu zentralen Werken Fichtes, Schellings und Hegels führen. Der sachliche Zusammenhang in der Komposition des Bandes stellt es frei, ihn entweder wie eine durchgehende Monographie zu lesen oder je nach Interesse einzelne Beiträge oder Schwerpunkte herauszugreifen. In den Fußnoten wird jeweils auf passende Anschlüsse innerhalb des Bandes verwiesen. Die ausgewählten Texte, darunter ein noch unveröffentlichter Text sowie zwei bisher in Japan und Spanien erschienene Aufsätze, wurden durchgesehen und in Formatierung und Zitierweise vereinheitlicht. Hier und da wurden Hinweise auf Forschungsliteratur ergänzt und zur leichteren Übersicht Zwischen-
überschriften eingefügt, ansonsten wurde der Textstand unverändert übernommen. Dem Verlag Felix Meiner danke ich für die Aufnahme der »Philosophie Jacobis« in die Blaue Reihe, für ihre redaktionelle Mitarbeit bedanke ich mich bei Markus Gante, Tilman Schmidt und Daniel Elon. Für seine Mitwirkung bei der Entstehung des Bandes gilt mein besonderer Dank Oliver Koch. Berlin, im Oktober 2018
Birgit Sandkaulen
I. Leitmotive
1. Jacobis »Spinoza und Antispinoza«
»Was meinen Spinoza und Antispinoza angeht« (Spin: JWA 1,1, 274): mit diesem Wort hat Friedrich Heinrich Jacobi seinen philosophischen Ansatz kurz und treffend charakterisiert. Und sogleich ist klar: Einfach kann die Sache nicht sein, die ich im Folgenden vorstellen möchte. Einfach liegen die Dinge, wenn jemand eine Theorie oder eine Auffassung vertritt. Wenn aber jemand eine Doppelphilosophie verfolgt, dann handelt es sich unvermeidlich um eine komplexe Angelegenheit. Genau darin liegt das Besondere von Jacobis Position.1 Er spricht sich zugleich für Spinoza und gegen Spinoza aus. Einerseits bezieht er den Standpunkt Spinozas und andererseits ist er der Gegner Spinozas – und diese beiden gegensätzlichen Positionen lassen sich nicht voneinander trennen, sondern sie gehören in Form der Doppelphilosophie untrennbar zusammen. Wie soll man das verstehen? Das möchte ich in drei Schritten zeigen. Im ersten Schritt berichte ich kurz vom historischen Ereignis der Spinozabriefe. Im zweiten Schritt lege ich die inhaltlichen Gesichtspunkte von Jacobis Doppelphilosophie frei, um im dritten Schritt dann ins innere Zentrum dieser Konzeption zu führen.
I. Das Ereignis der Spinozabriefe Jacobis Doppelphilosophie des »Spinoza und Antispinoza« ist höchst ungewöhnlich und provokativ und hat eine immense Wirkung nach sich gezogen. Das ist das erste, was man festhalten muss. Tatsächlich lässt sich die Bedeutung Jacobis kaum überschätzen. Nicht allein ist ihm die sogenannte »Spinoza-Renaissance« gegen Ende des 18. Jahrhunderts zu verdanken – wenn wir heute Spinoza als einen Klassiker der neuzeitlichen Philosophie studieren, dann geht dies ursprünglich auf Jacobi zurück, der Spinoza im offiziellen Diskurs der Philosophie verankert hat. Über die Spinoza-Renaissance hinausgeVgl. zum Folgenden ausführlich Sandkaulen 2000. Zuerst hat Dieter Henrich von Jacobis »Doppelphilosophie« gesprochen (Henrich 1993). 1
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hend ist Jacobi auch von bahnbrechendem Einfluss auf die Ausbildung und Weiterentwicklung der nachkantischen Philosophie im Ganzen gewesen. Fichte, Schelling und Hegel, um nur die prominentesten Philosophen der nachkantischen Epoche zu nennen, wären gar nicht denkbar, wenn es die provokativen Anstöße Jacobis und die Auseinandersetzung mit seiner Doppelphilosophie nicht gegeben hätte. Die enorme Bedeutung Jacobis ist insofern vergleichbar mit der Bedeutung Kants. Beide, Kant und Jacobi, haben um 1800 – auf je unterschiedliche Weise – eine neue Epoche der Philosophie begründet: Kant mit seinem Grundwerk der Kritik der reinen Vernunft und Jacobi mit einem Buch, das den Titel Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn trägt. Dieses Buch, von dem ich im Folgenden unter dem Kurztitel Spinozabriefe sprechen werde,2 ist erstmals 1785 erschienen und macht sofort eine ungeheure Sensation. 1789 publiziert Jacobi eine zweite erweiterte Auflage, in der er wesentliche Texte hinzufügt. Jacobi nennt diese Ergänzungen »Beilagen«, aber hier darf man sich nicht täuschen. Was normalerweise wie eine Zugabe klingt, die weniger wichtig ist als der Haupttext, gehört im Falle Jacobis konstitutiv zum Haupttext hinzu. Insbesondere die »Beilage VII« ist von größter Relevanz, auf die ich später zurückkomme. Zunächst aber kann man dem Titel des Buches wie auch der Erweiterung um die sogenannten »Beilagen« entnehmen, dass nicht nur sein Inhalt – die erwähnte Doppelphilosophie »meines Spinoza und Antispinoza« –, sondern auch die Form der Darstellung ungewöhnlich ist. Tatsächlich dürfte kaum jemals ein Buch einen solchen Effekt gemacht haben, das eigentlich gar kein »Buch« im strengen Sinne ist. Weit entfernt von einer durchgehend argumentierenden oder gar more geometrico demonstrierenden Abhandlung ist es in dieser Hinsicht weder mit Kants Kritik der reinen Vernunft noch mit Spinozas Ethik zu vergleichen. Vielmehr setzt sich Jacobis Buch aus einer Reihe verschiedener Text-›Bausteine‹ zusammen, und dies hat vor allem mit seiner spezifischen Entstehungsgeschichte zu tun. Nicht Ausdrücklich verwende ich nicht den Titel »Spinozabüchlein«, der von Matthias Claudius stammt und sich in der älteren Forschung leider eingebürgert hat. Es ist klar, dass Jacobi kein »Büchlein« vorgelegt hat, sondern ein gewaltiges Grundlagenwerk der ganzen klassischen deutschen Philosophie. 2
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Leitmotive
gänzlich, aber größtenteils ist die Publikation aus einem Briefwechsel hervorgegangen, den Jacobi – so steht es ja im Titel – »über die Lehre des Spinoza« mit Moses Mendelssohn geführt hat. Anlass dieser Korrespondenz zwischen Jacobi und dem prominenten Vertreter der rationalistischen Berliner Aufklärung und engen Freund Lessings war eine brisante Nachfrage Jacobis: Ob Mendelssohn wisse, dass Lessing ein »Spinozist« gewesen sei (Spin: JWA 1,1, 8). Da Mendelssohn nichts davon weiß, übermittelt ihm Jacobi die Aufzeichnung seines Gesprächs mit Lessing, das 1780 in Wolfenbüttel stattgefunden hat und mit der Publikation der Spinozabriefe berühmt geworden ist. Nach Jacobis Darstellung besteht an Lessings Bekenntnis zu Spinoza kein Zweifel, und auch die wesentlichen Motive von Jacobis eigener Doppelphilosophie werden hier bereits greifbar. Auf diesen zentralen Text komme ich zurück, der gleichsam die älteste Schicht der Spinozabriefe bildet. An diesem Gespräch entzündet sich aber nun auch die Auseinandersetzung mit Mendelssohn, die unter dem Namen »Spinozastreit« in die Geschichte eingegangen ist. Es ist dies der erste große Streit, den Jacobi ausgetragen hat (später folgen dann nicht weniger wirkmächtig die Auseinandersetzung mit Fichte im Kontext des sogenannten »Atheismusstreits« und der »Streit um die göttlichen Dinge« mit Schelling). Das bedeutet: Mendelssohn ist – nach Lessing – der erste, der in statu nascendi das provokative Potential von Jacobis Doppelphilosophie zu spüren bekommt. Und dabei stellt sich heraus, dass er weder hinlängliche Kenntnis von Spinoza besitzt noch in der Lage ist, sich Jacobis Doppelposition des »Spinoza und Antispinoza« verständlich zu machen. Der Streit zwischen Mendelssohn und Jacobi kreist in der Folge daher wesentlich um die Frage, worin eigentlich die »Lehre des Spinoza« besteht und welche Optionen es gibt, sich zu dieser Lehre zu verhalten. Aber obwohl Jacobi eine Reihe weiterer Anstrengungen unternimmt, um die Sachlage zu verdeutlichen (darunter ein fiktiver Dialog mit Spinoza und eine dichtgedrängte Darstellung der Grundgedanken der Ethik in 44 Paragraphen), führt dies nicht zum Erfolg. Im Ergebnis scheitert Mendelssohn an dieser Debatte. Mit den Mitteln, über die er verfügt, den Mitteln des schulphilosophischen Rationalismus, kann er die für ihn ganz neuartige Konstellation nicht mehr bewältigen. Auch deshalb wirkt die Veröffentlichung der Spinozabriefe 1785 als eine Sensation. Die Welt erfährt von Lessings Spinozismus, sie erfährt Jacobis »Spinoza und Antispinoza«
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von Jacobis Doppelphilosophie, und sie sieht den bislang aus dem offiziellen Diskurs verbannten Spinoza überraschend und ungemein attraktiv auf die philosophische Bühne gestellt. Und in einem damit erfährt die Welt eben auch, dass der Rationalismus Mendelssohns definitiv an sein Ende gekommen ist. Bereits Kant hatte diesen Rationalismus durchgreifend kritisiert. Jetzt und ganz anders als bei Kant liegt vollends am Tage, dass diese rationalistische Richtung des Denkens gescheitert ist. Um auf der Höhe der Zeit zu sein, das ist die Botschaft der Spinozabriefe, muss man hinter den schulphilosophischen Rationalismus ins 17. Jahrhundert zurückgehen: Man muss zurückgehen auf Spinozas verfemte und totgesagte Ethik. Diese revolutionäre Botschaft hat die intellektuelle Welt nach Hegels Worten »wie ein Donnerschlag vom blauen Himmel herunter« erschüttert.3 Eine alles in allem singuläre Geschichte, über die man immer von neuem staunen kann. Und ohne das Ereignis dieser Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Spinozabriefe vor Augen zu haben, kann man über Jacobis Buch tatsächlich nicht sprechen. Das gilt im Übrigen auch für alle späteren Schriften Jacobis – nie hat er ›reine‹ Monographien geschrieben, immer hat er sich dialogisch mit anderen Positionen auseinandergesetzt: Er hat öffentliche Streitsachen geführt und genau damit die philosophische Entwicklung vorangetrieben. Was das Studium Jacobis betrifft, liegt darin allerdings auch eine Gefahr oder so etwas wie eine Verführung, der die Forschung zur klassischen deutschen Philosophie zu ihrem eigenen Schaden lange aufgesessen ist. Soweit Jacobi nicht seiner immensen Wirkung zum Trotz aus dem Kanon relevanter Texte schlicht verdrängt wurde, wurde er in der Hauptsache nur aus der Perspektive des Anregers wahrgenommen: aus der Perspektive all der vielen Zeitgenossen also, die im Bann des Ereignisses der Spinozabriefe standen. Und dabei hat man Jacobis eigene Position kurzerhand mit dem Reflex identifiziert, wie er in der Rezeption (bei Mendelssohn, Kant, Goethe, Herder, Fichte, Schleiermacher, Novalis, Reinhold, Schelling, Hegel usw. usw.) als seine vermeintlich eigene Position jeweils zur Sprache kam. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, TWA 20, 316f. Der »Donnerschlag« war im Übrigen umso gewaltiger, als Jacobi sogleich auch die Vernunftkritik Kants in die Auseinandersetzung einbezogen hat. In diesem Band gehe ich darauf an verschiedenen Stellen näher ein. 3
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So aber kann man methodisch nicht verfahren. Zweifellos ist die Rezeption Jacobis ungemein wichtig, dies habe ich ja selbst mehrfach betont – aber man muss sich hüten, das wirkungsgeschichtliche Ereignis der Spinozabriefe mit Jacobis authentischer Position zu verwechseln. Dieser Zugang eröffnet keinen Weg zu Jacobis Denken: aus dem einfachen Grund, weil das Interesse der Zeitgenossen nicht darin bestand, Jacobis Überlegungen zu folgen, sondern vielmehr darin, das Provokationspotential seines »Spinoza und Antispinoza« zu entschärfen. Dieses Interesse hat unweigerlich zu Fehlverständnissen, Auslassungen und Umdeutungen von Jacobis Doppelphilosophie geführt, die die Wirkungsgeschichte der Spinozabriefe in vielfacher Hinsicht prägen. Es ist hochinteressant, die Serie solcher Fehlverständnisse zu verfolgen, die alle mit dem Versuch zusammenhängen, der Problemdiagnose Jacobis zu entkommen. Damit erschließen sich ganz neue Forschungsperspektiven, die sich aber ihrerseits auch nur dann erfolgreich bearbeiten lassen, wenn man grundsätzlich zwischen Jacobis authentischen Anliegen und der Rezeption seines Buches unterscheidet. In diesem Sinne rücke ich jetzt sozusagen in Klammern, was aus Jacobis »Spinoza und Antispinoza« im Fortgang der klassischen deutschen Philosophie geworden ist, und widme mich der Konstellation bei Jacobi selbst.
II. System und Freiheit »Was meinen Spinoza und Antispinoza angeht« – aus welchen Gründen spricht sich Jacobi sowohl für als auch gegen Spinoza aus? Warum vertritt er den Standpunkt Spinozas und warum ist er zugleich der Meinung, man müsse auf die Seite des Antispinoza wechseln? Und wie hängen diese beiden Positionen miteinander zusammen? Offenbar liegt es in der Struktur dieser Konstellation, dass man die Frage nach der Position des »Antispinoza« nur dann beantworten kann, wenn zunächst einmal die Frage des »Spinoza« geklärt ist. Und dies ist bereits eine wesentliche Auskunft über Jacobis Denken. Er widmet sich Spinozas Ethik keineswegs aus bloß historischem Interesse. Es geht ihm nicht um die Beschäftigung mit einer Philosophie der Vergangenheit, sondern er behauptet, dass man sich die Position
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Spinozas vergegenwärtigen und wirklich aneignen muss. Was begründet diese These? Die Antwort Jacobis lautet: Spinozas Metaphysik der Immanenz ist das einzigartige Paradigma eines schlechthin konsequenten Denkens. Sie ist der Inbegriff eines in sich geschlossenen und lückenlosen Systems – einer »Philosophie aus Einem Stück«.4 Diese Auffassung ist ganz neu, bisher hatte niemand dergleichen über Spinozas Ethik gesagt. Im Gegenteil: Bekannt war die Behauptung von Christian Wolff, dass Spinozas Lehre insgesamt nicht schlüssig sei. Auch und nicht zuletzt wegen dieser sogenannten »Widerlegung Spinozas« durch Wolff war Spinoza aus dem offiziellen Diskurs der Philosophie verdrängt. Allerdings hatte sich Wolff dabei auf die geometrische Methode der Ethik bezogen. Er hatte also das buchstäbliche Beweisverfahren der Sätze geprüft und als unzureichend verworfen. Ganz anders verfährt Jacobi. Zu seiner neuen Auffassung gelangt er deshalb, weil er sich nicht auf die geometrische Form der Ethik bezieht. Ob mit Recht oder nicht hält er diese Form nur für eine äußerliche Einkleidung, hinter die man zurückgehen muss, um die innere Stringenz des Spinozanischen Monismus zu entdecken. Im Gespräch mit Lessing wird dieser neue Zugriff auf Spinozas Text ganz deutlich. Auf die Frage Lessings, was Jacobi für den »Geist des Spinozismus« halte, »den, der in Spinoza selbst gefahren war«, antwortet Jacobi: »Das ist wohl kein anderer gewesen, als das Uralte: a nihilo nihil fit; welches Spinoza, nach abgezogenern Begriffen, als die philosophirenden Cabbalisten und andre vor ihm, in Betrachtung zog. Nach diesen abgezogenern Begriffen fand er, daß durch ein jedes Entstehen im Unendlichen, unter was für Bilder man es auch verkleide; durch einen jeden Wechsel in demselben, ein Etwas aus dem Nichts gesetzet werde. Er verwarf also jeden Uebergang des Unendlichen zum Endlichen […] und setzte an die Stelle des emanierenden ein nur immanentes Ensoph; eine Diese Formulierung prägt Jacobi im Brief an Fichte (1799) (JF: JWA 2,1, 200), in dem er Fichtes Wissenschaftslehre als Verklärung der spinozanischen Metaphysik analysiert. Strukturell aufschlussreich ist zugleich, dass die Konstellation des »Spinoza und Antispinoza« im Kontext Fichtes in die Konstellation zwischen »Alleinphilosophie« und »Unphilosophie« übersetzt wird. Siehe zum Diskussionskomplex Jacobi-Fichte die Texte Nr. 8, 9 und 10 in diesem Band. 4
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inwohnende, ewig in sich unveränderliche Ursache der Welt, welche mit allen ihren Folgen zusammengenommen – Eins und dasselbe wäre.« (Spin: JWA 1,1, 18)
Jacobi kennt den Text der Ethik (und übrigens auch Spinozas Briefwechsel) sehr genau; alle seine Behauptungen kann er mit Zitaten aus Spinoza belegen – er ist, das kann man ohne Übertreibung notieren, der beste Kenner Spinozas in der ganzen Epoche, und der erste, der Spinozas Philosophie in ihrer inneren Folgerichtigkeit rekonstruiert. Aber noch einmal: Dem geometrischen Gang der Sätze folgt er dabei nicht. Anstatt den schrittweisen Beweis Spinozas dafür nachzuvollziehen, dass es nur eine Substanz geben kann und alles andere als interne Differenzierung der göttlichen Substanz in Attribute und Modi begriffen werden muss, zielt Jacobi auf Anhieb ins Zentrum des spinozanischen Monismus: auf das entscheidende Theorem der göttlichen causa immanens als dem »lautere[n] Prinzipium der Würklichkeit in allem Würklichen, des Seyns in allem Daseyn« (Spin: JWA 1,1, 39).5 Dies ist kein willkürliches Vorgehen. Es verfälscht auch nicht Spinozas Philosophie. Jacobi überlegt nämlich, welchem Motiv diese Philosophie entsprungen ist, und völlig richtig führt er dieses Motiv auf das basale Interesse zurück, eine universale und vollkommen rationale Erklärung des Gesamtzusammenhangs der Welt und des Lebens der Menschen in dieser Welt zu geben. Aus diesem Grundinteresse universaler Erklärung heraus ist Spinozas Ethik aber nicht nur konzipiert – sie befriedigt dieses Interesse auch auf singuläre Weise. Eine erfolgreiche metaphysische Theorie muss auf innere Kohärenz zielen. Sie muss also eine Begründung des Endlichen auf eine Weise leisten, die jeglichen ontologischen Bruch oder »Übergang« zwischen Unendlichem und Endlichem vermeidet. Sie muss sich von jeglicher Wie viele andere Passagen ist auch diese Formel vom »Sein in allem Dasein« höchst wirkmächtig geworden. Eine zentrale Rolle spielt sie in Hegels Seinslogik (vgl. GW 21, 100 und GW 20, § 86). An einer Stelle wie dieser zeigt sich zugleich, wie sehr Jacobi mit der Übersetzung der scholastischen Sprache Spinozas in eine neue philosophische Sprache auch begriffs- und sprachbildend tätig gewesen ist. Jacobi war, das ist nicht zu vergessen, nicht nur Philosoph, sondern auch Autor von zwei viel beachteten Romanen (Allwill und Woldemar) – ein Schriftsteller also, der über eminente stilistische Qualitäten verfügte. 5
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transzendenten Schöpfungslehre und auch vom neuplatonischen Emanationsdenken befreien, die beide einen rational nicht begreifbaren Anfang der Welt unterstellen. Dies ist Spinoza in der radikalen Umsetzung des Theorems »a nihilo nihil fit« auf einzigartige Weise gelungen. Damit wird die Pointe von Jacobis ganz neuartigem Zugriff auf Spinoza klar. Indem er in Spinozas Metaphysik das Paradigma konsequenter Rationalität am Werke sieht, behauptet er zugleich, dass sich die inhaltlichen Aussagen Spinozas ebenso konsequent und in direkter Abhängigkeit daraus ergeben. Das epistemische Erklärungsinteresse und die ontologischen Aussagen dieser Metaphysik bilden einen unauflöslichen Zusammenhang. Der spinozanische Monismus konstituiert sich in genau diesem onto-logischen Zusammenhang und genau darin besteht Jacobi zufolge seine singuläre Stärke und Überzeugungskraft. Folgerichtig sind aus dem Grundtheorem der göttlichen Immanenz auch alle weiteren Aussagen Spinozas abzuleiten, wozu insbesondere die Parallelität der Attribute Denken und Ausdehnung sowie mitfolgend auf der Ebene der endlichen Modi die Parallelität von Geist und Körper und nicht zuletzt der damit verbundene Ausschluss der causa finalis gehören. Weder für Gott noch für den Menschen kann es so etwas wie ein intentionales Handeln geben, ein Handeln, das sich auf die Freiheit des Willens gründet und auf ein bewusst gesetztes Ziel hin entworfen ist. Dass Spinoza die Annahme der causa finalis im Gegenteil als das grundlegendste menschliche Vorurteil kritisiert und komplett aus seinen Überlegungen verbannt hat, ist, wie Jacobi unterstreicht, völlig konsequent und zwingend gedacht. Und weil es sich so verhält, analysiert Jacobi die Metaphysik Spinozas nicht nur in ihrer rationalen Stringenz, sondern er bewundert sie auch. Er ist fasziniert von diesem Entwurf und der kompromisslosen Haltung Spinozas. Überaus bezeichnend ist seine Replik auf Lessings berühmt gewordenen Ausspruch, dass die »Leute doch immer von Spinoza wie von einem todten Hunde [reden]«: »Sie würden vor wie nach so von ihm reden«, vermerkt Jacobi. »Den Spinoza zu fassen, dazu gehört eine zu lange und zu hartnäckige Anstrengung des Geistes. Und keiner hat ihn gefaßt, dem in der Ethick Eine Zeile dunkel blieb; keiner, der es nicht begreift, wie dieser große 22
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Mann von seiner Philosophie die feste innige Ueberzeugung haben konnte, die er so oft und so nachdrücklich an den Tag legt. Noch am Ende seiner Tage schrieb er: … non præsumo, me optimam invenisse philosophiam; sed veram me intelligere scio. – Eine solche Ruhe des Geistes, einen solchen Himmel im Verstande, wie sich dieser helle reine Kopf geschaffen hatte, mögen wenige gekostet haben.« (Spin: JWA 1,1, 27)
Aber ist es nun etwa verwunderlich, dass Lessing daraufhin fragt: »Und Sie sind kein Spinozist, Jacobi!« (Spin: JWA 1,1, 27)? Alles deutet doch darauf hin, dass Jacobi ein rückhaltloser Vertreter der spinozanischen Position ist. Einen größeren Bewunderer und Verteidiger der Ethik als Jacobi kann es gar nicht geben. Und dennoch und gerade deshalb kommt jetzt die Wende. Jacobi ist kein Spinozist, sondern bezieht in genau diesem Augenblick die Position des »Antispinoza«. Wiederum zitiere ich wörtlich, wie er diese nach allem erstaunliche und gleichwohl ihrerseits konsequente Wende begründet: »Ich liebe den Spinoza, weil er, mehr als irgend ein andrer Philosoph, zu der vollkommenen Ueberzeugung mich geleitet hat, daß sich gewisse Dinge nicht entwickeln lassen: vor denen man darum die Augen nicht zudrücken muß, sondern sie nehmen, so wie man sie findet. Ich habe keinen Begriff der inniger, als der von den Endursachen wäre; keine lebendigere Ueberzeugung, als daß ich thue was ich denke, anstatt, daß ich nur denken sollte was ich tue. Freilich muß ich dabey eine Quelle des Denkens und Handelns annehmen, die mir durchaus unerklärlich bleibt. Will ich aber schlechterdings erklären, so muß ich auf den zweyten Satz gerathen, dessen Anwendung auf einzelne Fälle, und in seinem ganzen Umfange betrachtet, kaum ein menschlicher Verstand ertragen kann.« (Spin: JWA 1,1, 28)
Drei Momente sind hier entscheidend. Erstens erfahren wir, worauf Jacobi in seiner Auseinandersetzung mit Spinoza inhaltlich zielt, nämlich auf das intentionale Handeln. Es ist ihm völlig bewusst, dass Spinoza ein solches Handeln nach Endursachen als eine menschliche Illusion verworfen hat und konsequenterweise auch verwerfen musste. Aber dies ändert nichts daran, dass es für Jacobi die »lebendigste Überzeugung« ist, die er hat. Damit ist zweitens klar, dass Jacobi Jacobis »Spinoza und Antispinoza«
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nicht irgendeinen rein intellektuell-theoretischen Einwand gegen Spinoza erhebt, sondern aus der lebensweltlichen Praxis heraus spricht. Spinozas Metaphysik eröffnet den »Himmel im Verstande«, aber eben darum formuliert er eine »Ethik«, die direkt an den Lebensnerv rührt. Was Spinoza verlangt, ist eine so radikale Revision der lebensweltlichen Überzeugung freien Handelns, sie betrifft so sehr die Fundamente unseres Selbstverständnisses als handelnde Personen, dass die Vorstellung, seine Konzeption in den Lebensvollzug umzusetzen, zu einer ganz unerträglichen Vorstellung gerät. Der dritte Punkt, der jetzt noch zu erwähnen ist, ist vielleicht der wichtigste von allen. Denn er zielt auf die epistemische Konsequenz in Jacobis Überlegungen. Wenn es nämlich so ist, dass Spinoza eine durch und durch rationale Theorie aufgestellt und aus diesem Grund das intentionale Handeln ausgeschlossen hat, dann folgt daraus, so argumentiert Jacobi, dass man ein solches Handeln nun nicht seinerseits mit rationalen Gründen verteidigen kann. Die »lebendige Überzeugung«, dass ich frei handle, indem »ich tue, was ich denke«, lässt sich nicht begründen. Sie ist ein Faktum lebensweltlicher Praxis, das »unerklärlich« bleibt. Denn sobald man in den Begründungsprozess eintritt, erweist es sich, wie Spinoza stringent gezeigt hat, als unrettbare Illusion. So ist schließlich in den ersten entscheidenden Zügen deutlich geworden, worum es bei Jacobis »Spinoza und Antispinoza« geht und welche philosophische Provokation damit wirklich verbunden ist. Für die Seite Spinozas spricht der Inbegriff rationaler Stringenz – hier ist das Paradigma eines metaphysischen Systems in aller Konsequenz formuliert. Gegen Spinoza spricht die Erfahrung menschlicher Praxis – die »Teilnehmerperspektive«, wie man heute sagt. Und wiederum für Spinoza spricht, dass die Ethik aufgrund ihres konsequenten Zusammenhangs zwischen dem Interesse an vollständig rationaler Erklärung und den daraus folgenden ontologischen Aussagen zu genau der zentralen Einsicht verhilft, dass ein System einerseits und die Freiheitsüberzeugungen menschlicher Praxis andererseits nicht miteinander vereinbar sind. »Jeder Weg der Demonstration geht in den Fatalismus aus« (Spin: JWA 1,1, 123) – oder anders gesagt: Ein System der Freiheit kann es nach Jacobis Problemdiagnose nicht geben. Es genügt, dies so zu formulieren, um zu erahnen, was die nachkan-
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tischen Systemanstrengungen Fichtes, Schellings und Hegels in Atem halten wird. Tatsächlich kommt die Provokation Jacobis vollends zum Vorschein, wenn ich jetzt noch den berühmt-berüchtigten »Salto mortale« ins Spiel bringe – den Sprung also, mit dem Jacobi von der Position des »Spinoza« auf die Seite des »Antispinoza« wechselt. »Ich helfe mir durch einen Salto mortale aus der Sache«, sagt Jacobi im Gespräch mit Lessing. Und nachdem Lessing wissen will, was es damit auf sich hat, erläutert Jacobi: »Sie mögen mir es immer absehen. Die ganze Sache bestehet darin, daß ich aus dem Fatalismus unmittelbar gegen den Fatalismus, und gegen alles, was mit ihm verknüpft ist, schließe.« (Spin: JWA 1,1, 20) Was ich eben dargestellt habe, ist also nichts anderes als genau dieser Sprung. Der Sprung ist ein praktischer Vollzug, der die Überzeugungen der lebensweltlichen Praxis verteidigt. Und es kann dies nur ein Sprung sein, weil es unmöglich ist, gegen ein konsequent rationales System seinerseits logisch zu argumentieren. Jacobi hat diesen fundamentalen Sachverhalt auch noch in folgender Weise zum Ausdruck gebracht: Danach ist die »Lehre des Spinoza« »unwiederleglich«, aber »nicht unwidersprechlich« (Spin: JWA 1,1, 290). Zwischen Widerlegung und Widerspruch muss man also unterscheiden. Spinozas Metaphysik kann man nicht widerlegen; man kann nicht mit rational-logischen Einwänden gegen sie vorgehen – könnte man es, würde es sich nicht um das einzigartige Paradigma eines perfekten Systems handeln. In strenger Konsequenz heißt das, dass man nach der Diagnose Jacobis die Konzeption Spinozas weder in irgendeiner Weise ›verbessern‹ oder in dem ein und anderen Punkt ›ändern‹ noch und schon gar nicht eine Alternative zu Spinoza konstruieren kann, die ebenso rational und monistisch geschlossen wäre wie Spinozas Ethik selbst. All dies ist aufgrund der Logik der Sache unmöglich. Einwände gegen Spinozas Philosophie sind damit nicht ausgeschlossen. Um sie zur Geltung zu bringen, bleibt aber nur die Figur eines praktischen Widerspruchs. Aufs Ganze besehen bedeutet das, dass man sich entscheiden muss. Tatsächlich zielt Jacobi auf eine solche Entscheidung. Entweder steht man auf dem Standpunkt Spinozas und akzeptiert seine Position mit allen dazugehörenden Konsequenzen. Oder aber man widerspricht seinem System
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im Interesse freien Handelns und vollzieht dann diesen Widerspruch im Sprung aus dem System heraus auf die Seite des »Antispinoza«. Offenkundig ist dies eine provozierende Konstellation. Dass keiner von Jacobis Zeitgenossen der Aufforderung zum Sprung gefolgt ist, wundert in gewisser Weise nicht. In jedem Fall ist es aber ein Missverständnis, den Sprung für einen irrationalen Akt zu halten. Was Jacobi im Auge hat, ist kein irrationaler Befund, sondern der Aufweis von Grenzen der Rationalität. Nicht alles, was bedeutsam ist, was sich im Leben als bedeutsam aufdrängt, ist rational erfassbar. Dafür hat Jacobi im Gespräch mit Lessing eine eindrucksvolle Formel geprägt, die in die Wirkungsgeschichte der Spinozabriefe eingegangen und sogar noch bei Feuerbach zu finden ist: »Nach meinem Urtheil ist das größeste Verdienst des Forschers, Daseyn zu enthüllen, und zu offenbaren … Erklärung ist ihm Mittel, Weg zum Ziele, nächster – niemals letzter Zweck. Sein letzter Zweck ist, was sich nicht erklären läßt: das Unauflösliche, Unmittelbare, Einfache.« (Spin: JWA 1,1, 29) Enthüllen: das heißt ›Aufdecken‹ oder ›Zeigen‹. Dies ist der Modus, in dem uns in letzter Instanz, wie Jacobi überzeugt ist, die Fundamente unseres Lebens zugänglich werden, in dem wir uns der Gewissheit freien Handelns versichern.
III. Die Vermischung von Grund und Ursache Bisher habe ich vom Sprung aus dem »Fatalismus« gesprochen, aber noch nicht erwähnt, dass sich in Jacobis Spinozabriefen auch dieser Satz findet: »Spinozismus ist Atheismus« (Spin: JWA 1,1, 120). In der Wirkungsgeschichte des Buches hat er besonders viel Aufsehen erregt, was zunächst einmal verständlich ist. Als solche, das ist klar, sind die Vorwürfe sowohl des »Fatalismus« als auch des »Atheismus« völlig konventionell – diese Kritik an Spinoza hat es immer schon gegeben. Nach Jacobis Analyse erhalten sie aber ein ganz anderes Gewicht. Denn die Negation der Willensfreiheit und einer transzendenten Vorstellung Gottes erscheint ja nun nicht mehr als beliebige – und vor allem verwerfliche – Ansicht Spinozas, sondern als notwendige und unvermeidliche Konsequenz stringenter Rationalität. Im Vergleich mit Kants Vernunftkritik wird die Provokation dieser These noch einmal deutlicher. Gegenstände rationaler Erkenntnis sind Freiheit 26
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und Gott auch bei Kant nicht mehr. Aber immerhin sind sie noch »Ideen«, auf die die Vernunft im Interesse der Letztbegründung des Bedingten im Unbedingten stößt und die zu denken zumindest nicht widersprüchlich ist. Jacobi hingegen bestreitet auch noch diese Option – konsequente Rationalität führt nicht zu Kants »kritischer« Metaphysik, sondern zu Spinozas Metaphysik der Immanenz zurück. Allerdings habe ich den sogenannten Atheismus-Vorwurf Jacobis bisher ganz bewusst nicht erwähnt. Gerade er hat das besonders gravierende Missverständnis veranlasst, als reklamiere Jacobi gegen Spinoza das traditionelle Weltbild des christlichen Glaubens. Davon kann aber gar keine Rede sein. Zwar gehört der Bezug auf eine »verständige persönliche Ursache der Welt« (Spin: JWA 1,1, 20) – als Kontrastfigur zur spinozanischen causa immanens – zur Position des »Antispinoza« hinzu. Jedoch hat dies nichts mit der Beschwörung traditioneller Religion zu tun. Im Gegenteil habe ich im zweiten Schritt gezeigt, wie Jacobi wirklich operiert: Sämtliche »Überzeugungen«, die er gegen Spinoza geltend macht, wurzeln in der Erfahrung menschlichen Handelns. Auf diesen elementaren Bezug auf die lebensweltliche Praxis kommt es in jeder Hinsicht an. Dies möchte ich, soweit es an dieser Stelle möglich ist, in meinem dritten und letzten Schritt untermauern, der anhand der schon erwähnten »Beilage VII« nun vollends ins innere Zentrum der Doppelphilosophie führt. Auch in diesem Text stellt Jacobi zunächst die paradigmatische Gültigkeit von Spinozas Metaphysik heraus und belegt diese These sogar noch durch eine philosophiegeschichtliche Skizze: Alle Probleme, die von der Antike bis hin zu Descartes ungelöst geblieben waren, vermag Spinozas Philosophie erfolgreich zu lösen. Aber, so heißt es dann weiter, was Spinoza »eigentlich zu Stande bringen wollte: eine natürliche Erklärung des Daseyns endlicher und successiver Dinge, konnte durch seine neue Vorstellungsart so wenig, als durch irgend eine andre erreicht werden« (Spin: JWA 1,1, 251). Auf den ersten Blick scheint diese Behauptung in eklatantem Widerspruch zu dem bisher Gesagten zu stehen. Ging es nicht gerade darum, dass es Spinozas Monismus gelungen ist, das endliche Dasein »natürlich«, nämlich als Modifikation der göttlichen Substanz und ihrer immanenten Kausalität zu erklären? Darum ging es in der Tat, und davon nimmt Jacobi jetzt auch nichts zurück. Was er jetzt jedoch radikaler hervorhebt als im Gespräch mit Lessing (wo davon durchJacobis »Spinoza und Antispinoza«
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aus auch schon die Rede war), ist ein Problem, in das sich sogar das perfekte System verstrickt – gerade weil es die endlichen Dinge erfolgreich als Produkte der causa immanens begründet. Worin besteht dieses Problem? Es besteht darin, dass die endliche Welt, die Welt der Natur und die Lebenswelt der Menschen, eine zeitlich verfasste Welt ist. Jacobis durchgreifende These lautet, dass an eben diesem Phänomen der Zeit jede, auch Spinozas Metaphysik scheitert. Im Falle von Spinoza läuft dies nach Jacobis Analyse nicht darauf hinaus, dass die Zeit einfach negiert und alles in Ewigkeit aufgelöst wird. Das Problem ist dramatischer: Spinozas Ontologie gerät in die paradoxe, in sich widersprüchliche Bestimmung einer »ewige[n] Zeit« (Spin: JWA 1,1, 251), über die sie sich zugleich auch noch hinwegzutäuschen sucht. Dass Jacobi mit dieser Diagnose eine glänzende Problembeschreibung liefert, kann ich hier nur andeuten.6 Die endlichen Dinge haben laut Spinoza ein ewiges Wesen und eine Existenz in der Zeit. Wenn aber unter monistischen Bedingungen gelten soll, dass nichts außer Gott sein und gedacht werden kann, dann kann auch die zeitliche Existenz nicht aus der göttlichen Immanenz herausfallen. Und das bedeutet, dass es keinen offenen Zeitverlauf geben kann. Die zeitliche Sukzession, das Phänomen also, dass endliche Dinge entstehen und vergehen, muss wie das ewige Wesen der Dinge in der göttlichen Einheit begriffen sein: womit sich das Phänomen zeitlicher Veränderung aufhebt in einer »ewigen Zeit«, in der »die Dinge entstehen können, ohne daß sie entstehen; sich verändern, ohne sich zu verändern; vor und nach einander [sind], ohne vor und nach einander zu seyn« (Spin: JWA 1,1, 256 f.). Jacobi stößt aber mit dieser Problemdiagnose nicht nur in den Kern der Ethik vor. Er liefert auch ein treffscharfes Argument dafür, wie es zu dieser Aporie der »ewigen Zeit« kommt. Spinoza, so lautet dieses Argument, hat den Begriff der Ursache mit dem Begriff des Grundes vermischt – ratio sive causa heißt es in der Ethik. Diese Gleichsetzung oder Vermischung von Grund und Ursache ist für die Konzeption der spinozanischen Metaphysik einerseits notwendig und andererseits ist sie zugleich verantwortlich für ihre unauflösbare Problematik. Welcher »wesentliche Unterschied« (Spin: JWA 1,1, 256) der beiden
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Siehe dazu den Text Nr. 12 in diesem Band. Leitmotive
Begriffe wird hier vermischt? Jacobis Antwort lautet: Der Begriff des Grundes ist ein logischer Begriff – er impliziert das logische Abhängigkeitsverhältnis von Grund und Folge. Der Begriff der Ursache hingegen ist völlig anderer Art. Er verweist auf das reale Abhängigkeitsverhältnis von Ursache und Wirkung und damit auf eine Differenz in der Zeit. Als eine Bestimmung nicht der Logik, sondern der zeitlich verfassten Wirklichkeit ist der Begriff der Ursache ein »Erfahrungsbegriff«, den wir dem Bewusstsein unseres Handelns verdanken. Wir erfahren uns als Akteure, als handelnde Personen, die ursächlich eine Tat – eine Wirkung – in der Welt hervorbringen (Spin: JWA 1,1, 255 ff.). Ausgehend von dieser Erläuterung sind im Folgenden fünf Punkte zu beachten. Erstens ist mit Blick auf den Begriff der Ursache zu sehen, dass Jacobi wiederum die Erfahrungsdimension des Handelns ins Spiel bringt, die er jetzt auch noch ausdrücklich mit dem Phänomen der Zeit verknüpft – denn »eine Handlung, die nicht in der Zeit geschähe, ist ein Unding« (Spin: JWA 1,1, 257). Auf die Konstellation der Doppelphilosophie bezogen, heißt das zweitens, dass die Seite des »Antispinoza« nun noch genauere Konturen gewinnt. Jacobi geht es um die Verteidigung unseres Welt- und Selbstverständnisses, von dem die Erfahrung der Zeit nicht abgetrennt werden kann. Damit nimmt er offenkundig das Anliegen der modernen Existenzphilosophie in wesentlichen Aspekten vorweg. Im Kontrast dazu gilt für die Seite Spinozas drittens, dass er mit der Vermischung von Grund und Ursache ein logisches Verhältnis mit der Handlungserfahrung realer Kausalität fälschlich identifiziert. Die reale Ursache wird vermeintlich zum logischen Grund und der logische Grund schreibt sich in die zeitliche Differenz zwischen Ursache und Wirkung ein, als handle es sich um die Abhängigkeit einer Folge. So entsteht die Paradoxie der »ewigen Zeit«. Dass aber Spinoza so verfährt und ganz fraglos zwischen die Bestimmungen von »ratio« und »causa« ein »sive« setzt, ist kein Zufall, sondern konstituiert geradezu seine ganze Konzeption – die Grundlegung seiner Metaphysik in der göttlichen causa immanens also, die sich der beschriebenen Vermischung der Hinsichten von Grund und Ursache verdankt. Hätte Spinoza sich beschränkt auf die Hinsicht des Grundes, dann hätte er eine reine Logik verfasst ohne jeden Bezug zur Wirklichkeit. Jacobis »Spinoza und Antispinoza«
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Hätte er sich hingegen ausschließlich auf die Bestimmung der Ursache konzentriert, hätte er auf das Interesse vollständiger Erklärung verzichten und von Gott als einem personalen Akteur sprechen müssen, der intentional handelt. Nichts aber ist Spinoza ferner gelegen als das. Mit anderen Worten: Soll die Ethik eine onto-logische Bedeutung haben, soll sie vollständig rational sein und sich zugleich auf die Wirklichkeit beziehen, dann ist sie zur Vermischung von Grund und Ursache im Zentrum des Monismus gezwungen – und scheitert dennoch und eben deshalb, weil sie die genuine Wirklichkeit der zeitlichen Welt nicht trifft. Im Zentrum der causa immanens herrscht Verwirrung: Die göttliche Substanz ist der Grund, aus dem alles folgt (sequi); und zugleich wird Gott eine Ursache genannt, der ein Handeln zugeschrieben wird (agere). Im Resultat bezeichnet Jacobi den Gott Spinozas als »blind actuoses Wesen« (Spin: JWA 1,1, 265). Ich halte dies wie gesagt für eine großartige Analyse der Ethik7 – und wenigstens im Vorbeigehen sei vermerkt, dass Fichte, Schelling und Hegel, wenn sie auf diese Analyse der »Beilage VII« geachtet hätten, vielleicht etwas vorsichtiger mit der Behauptung gewesen wären, Spinozas System der Substanz durch ein System des Subjekts ersetzen zu können, das Jacobis Einwänden hinreichend Rechnung trägt. Zum vierten Punkt: Ich habe eben mit Blick auf die Doppelphilosophie gesagt, dass Jacobi die zeitliche Erfahrungsdimension des Handelns auf der Seite des »Antispinoza« verteidigt. Das ist völlig richtig, und doch muss man noch einmal genauer hinschauen. Dann ist nämlich ausdrücklich festzuhalten, dass Spinoza seinerseits die Begriffe von Grund und Ursache gar nicht hätte vermischen können, wenn nicht auch er – in Gestalt der Ursache – den Erfahrungsbefund des Handelns implizit vorausgesetzt (und dann explizit logisch überformt) hätte. Tatsächlich ist genau dies Jacobis ungemein bedeutsame These. Das heißt: Die Doppelphilosophie des »Spinoza und Antispinoza« stellt nicht einfach zwei gegensätzliche Positionen nebeneinander. Vielmehr legt sie auf der Seite des »Spinoza« selbst die Fundamente menschlicher Praxis frei und zeigt zugleich, dass und wie sie auf dieser Seite des Systems dem Prozess der Rationalisierung Einzubeziehen ist hier Jacobis strukturgenauer und differenzierter Rekurs auf Giordano Bruno, dem er die Beilage I der Zweitauflage der Spinozabriefe gewidmet hat (vgl. Otto 2004). 7
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unterworfen werden. Was Jacobi, wie vorhin zitiert, »Dasein enthüllen« nennt, ist somit auch für die Auseinandersetzung mit der Position des »Spinoza« relevant. Damit komme ich zum fünften und letzten Punkt: nämlich zu Jacobis in der »Beilage VII« im einzelnen entwickelten Überzeugung, dass in die Erfahrung unseres Handelns eine metaphysische Dimension eingeschrieben ist. Ursächliches Handeln aus Freiheit setzt den Anfang einer Veränderung in der Welt. Und obwohl wir als endliche Wesen den Bedingungen der Natur unterworfen sind, gewinnen wir im freien Handeln das Bewusstsein von etwas Unbedingtem, das aus den Bedingungen des Endlichen nicht abzuleiten ist und das deshalb als ein unerklärbares Faktum die menschliche Existenz auf etwas absolut Unbedingtes, auf den Anfang einer absoluten Ursache verweist. Nicht aus der traditionellen Religion, sondern im Bewusstsein freien Handelns »enthüllt« Jacobi mithin, was zur Position des »Antispinoza« wesentlich hinzugehört: den Bezug auf Gott als »verständige persönliche Ursache der Welt«. Aber das ist nicht alles, was zuletzt zu sagen bleibt, denn wiederum ist die Konstellation der Doppelphilosophie zu beachten. In Form einer Frage formuliert: Wie ist denn Spinoza eigentlich auf den Gedanken gekommen, im Interesse einer universalen Erklärung den Gesamtzusammenhang der Welt im Unendlichen, in einer absoluten göttlichen Substanz zu begründen? Die Antwort Jacobis ist klar: Wann und wie immer metaphysische Systeme auf die Dimension des Absoluten zielen, liegt ihnen dasjenige Bewusstsein des Unbedingten zu Grunde, das Menschen in der Erfahrung des Handelns gewinnen.
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2. Fürwahrhalten ohne Gründe. Eine Provokation philosophischen Denkens
Eines der denkwürdigsten und folgenreichsten philosophischen Gespräche ereignet sich 1780 in Wolfenbüttel, ein Jahr vor dem erstmaligen Erscheinen von Kants Kritik der reinen Vernunft. Die Gesprächspartner sind Lessing und Jacobi, den Gegenstand ihrer Unterhaltung bildet die Philosophie Spinozas. Keiner dieser drei ist ordentlicher Professor der Philosophie, was für die Unterredung von nicht unerheblicher Bedeutung ist. Primär scholastische Fragen interessieren hier nicht. In zwangloser Eleganz den Sitten des 18. Jahrhunderts angepasst sind dementsprechend die Umstände. Der wichtigste Teil des Gesprächs findet Jacobis Aufzeichnung zufolge während der morgendlichen Prozedur des Ankleidens und Frisierens statt. Kann man sich in einer solchen Szenerie auf ein seriöses Sujet konzentrieren? Ganz offenbar – man kann: Der Ton ist leicht bis ironisch, das wechselseitige Vergnügen an einer freien tour d’esprit knistert zwischen den Zeilen, aber die Sache ist nichtsdestotrotz gewichtig. Sie ist so gewichtig, dass sie zunächst zu einem ausgedehnten Streit zwischen Jacobi und Mendelssohn führt, der fassungslos ist über das, was sein inzwischen verstorbener Freund Lessing, aber auch über das, was Jacobi gesagt haben soll. Und als dann das Wolfenbütteler Gespräch mitsamt den Dokumenten dieses Streits 1785 von Jacobi veröffentlicht wird, sieht sich das intellektuelle Leben in Deutschland von Grund auf erschüttert. Goethe, dessen Gedicht Prometheus in die Sache hineingezogen war, erinnert sich in seiner Autobiographie Dichtung und Wahrheit noch Jahre später an eine veritable »Explosion« 1 ; und ganz ähnlich spricht dann auch Hegel in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie von einem »Donnerschlag«, der »vom blauen Himmel herunter« die geistige Landschaft einer ganzen Ära traf.2 Danach ist nichts mehr wie zuvor. Nicht Kants Vernunftkritik allein, sondern die Schriften Kants und die Publikation 1 2
Goethe 1976, 49. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, TWA 20, 316f. 33
Jacobis mit dem Titel Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (1789 in einer zweiten Auflage um wesentliche Beilagen erweitert) leiten eine neue Epoche ein. Was also hatten Lessing und Jacobi ursprünglich miteinander zu besprechen, das geeignet war, solches Aufsehen zu erregen? Das Handbuch Deutscher Idealismus gibt auf wenig mehr als einer Seite über den fraglichen Kasus Auskunft. Von »Lessings Bekenntnis zu Spinozas Philosophie« war Jacobi »überrascht«. Er selbst »war ein Gegner jedes der bisherigen rationalistischen Systeme der Philosophie und das des Spinoza insbesondere. Zwar war für ihn Spinozas Philosophie die konsequenteste Form der rationalistischen Metaphysik, aber gerade darum auch diejenige, die geradewegs in den Fatalismus und Atheismus […] führe, so dass man sich in den Offenbarungsglauben zu retten habe«.3 Ob es in der Absicht des Verfassers liegt oder nicht – vermittelt wird der Eindruck einer Anekdote aus unendlich ferner Vergangenheit. Nichts davon scheint uns heute mehr zu bewegen. Weder nehmen wir ein virulentes Interesse an den »rationalistischen Systemen« des 17. und 18. Jahrhunderts, von deren »Dogmatismus« uns Kant ein für allemal überzeugt hat; noch berührt uns der »Offenbarungsglaube« als eine drängende Angelegenheit unseres Lebens und darum noch viel weniger der Umstand, dass sich Jacobi dem Bericht des Handbuchs zufolge in diesen christlichen Glauben ›gerettet‹ hat. Die ganze Konstellation scheint so befremdlich, dass es die Mühe nicht lohnt, wenigstens ansatzweise zu verstehen, wieso diese Geschichte einen Skandal provoziert hat, wieso sie die Welt einer »Explosion« und einem »Donnerschlag« gleich erschüttert hat. Sieht man die Dinge so, kann man das Referat auf engsten Raum beschränken, um sich in der Folge wichtigeren Fragen und Problemen zuzuwenden. Sollte man die Dinge so sehen? Die Frage impliziert, dass ich dieser Ansicht nicht bin. Tatsächlich halte ich die zitierte Auskunft nicht nur für unzureichend, sondern vielmehr für irreführend. Indem sie den Eindruck vermittelt, als handle es sich um eine Begebenheit aus denkbar fernen Zeiten, verdeckt sie den Umstand, dass mit der aktuellen Frage nach dem Ver-
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Pätzold 2005, 25f. Leitmotive
hältnis von Glauben und Wissen eine Problematik auf die Agenda zurückgekehrt ist, um die es bereits am eigentlichen Beginn der Moderne ging. Und indem sie auch sachlich falsch informiert und eine der stereotypen Fehldarstellungen der Jacobischen Position liefert, verhindert sie vor allem, das Spannungsverhältnis zwischen Glauben und Wissen überhaupt auszuleuchten, das – und eben darin besteht die Pointe der Debatte zwischen Jacobi und Mendelssohn – mit der Opposition zwischen »Rationalismus« und »Offenbarungsglaube« gar nicht getroffen ist. Die Sache anders darzustellen, ist vor diesem Hintergrund das Ziel meiner folgenden Überlegungen. Dabei lasse ich mich wie schon angedeutet von zwei Thesen leiten. In genealogischer Hinsicht gehe ich davon aus, dass man gut daran tut, die gegenwärtig aufgebrochenen Fragen auf die Problemkonstellation zurückzubeziehen, wie sie um 1800 paradigmatisch zum Austrag gekommen ist. Damit ist in systematischer Hinsicht die Absicht verbunden, das Verhältnis zwischen Glauben und Wissen typologisch zu schärfen und auf einen Denkansatz hin zuzuspitzen, der religiöse Assoziationen unterläuft und gerade so die Thematik der Religion durchaus zu integrieren erlaubt. Um der Komplexität der Lage Rechnung zu tragen, werde ich den Weg in drei Schritten nehmen, in denen ich verschiedene Optionen diskutiere und am Ende zu der Version kommen werde, die ich nicht nur für allein adäquat, sondern auch philosophisch für die interessanteste halte.
I. Erster Schritt: Offenbarungsglaube In diesem Schritt – und nur in ihm – nehme ich zunächst einmal an, dass wenigstens eine Auskunft des Handbuchs zutreffend ist, wonach Jacobi auf Spinozas Metaphysik mit der Überzeugung reagiert, dass man sich in den christlichen »Offenbarungsglauben zu retten habe«. Bereits jetzt ist zu notieren, dass diese Einschätzung auf eine Interpretation Mendelssohns zurückgeht, der sich nach Lektüre der Wolfenbütteler Unterredung die Position Jacobis als »den ehrlichen Rückzug unter die Fahne des Glaubens« zurechtgelegt und ihn in eins damit als einen »christliche[n] Philosoph[en]« bezeichnet hat (Spin: JWA 1,1, 179). Im Anschluss daran hat diese Version den Weg in Eine Provokation philosophischen Denkens
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zahllose Darstellungen angetreten, ohne dass ihre Quelle dabei noch eigens kenntlich gemacht würde. Was immer man aber von ihr halten soll, ihren, im Übrigen einzigen, Anhaltspunkt mag sie in dem Bekenntnis finden, das Jacobi gegenüber Lessing äußert: »Ich glaube eine verständige persönliche Ursache der Welt.« (Spin: JWA 1,1, 20) Genau betrachtet sollte schon hier auffällig sein, dass es nicht heißt: ›Ich glaube an einen (oder den) persönlichen Gott, der die Welt geschaffen hat‹, aber auch nicht: ›Ich glaube, dass die Welt eine Ursache hat‹. Reformuliert müsste der Satz etwa heißen: ›Die Realität einer schöpferischen Ursache der Welt bezeugt sich im Vollzug meines Denkens und Handelns‹. Auf diese entscheidenden Differenzen wird zurückzukommen sein. Sieht man indes für jetzt noch davon ab, dann wird man wohl sagen können, dass in der erwähnten Äußerung als solcher weder für damalige noch für heutige Verhältnisse etwas Skandalöses liegt. Wieso sollte einer nicht glauben, dass die Welt einen schöpferischen Ursprung hat? Schließlich glaubt auch Mendelssohn selber daran, und er tut dies selbstverständlich nicht auf der Basis des christlichen, sondern des jüdischen Glaubens. Das prospektive Skandalon des Satzes kommt tatsächlich erst dann ins Visier, wenn man seine Stoßrichtung expliziert: dass nämlich erstens das, was hier geglaubt wird, nicht auch zugleich gewusst werden kann, und dass dies zweitens keine beliebige These ist, sondern schlechthin zwingend durch Spinozas Metaphysik bewahrheitet wird. Ohne zu übertreiben, sollte man sich den Schock Mendelssohns angesichts dieses von Jacobi markierten doppelten Sachverhalts ausgesprochen dramatisch vorstellen, mit dem in der Hochzeit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts die Epoche des Rationalismus buchstäblich und unwiderruflich zugrunde geht. Kernstück dieses Rationalismus war ja die Überzeugung, dass die Vernunft in der Lage sei, die Gehalte der überlieferten Religion rational begründen und in Form von Gottesbeweisen demonstrieren zu können. Unter der Voraussetzung einer religiösen Konnotation des Glaubens bedeutet das für das Verhältnis von Glauben und Wissen hier, dass nach rationalistischer Lesart (die für Descartes ebenso wie auch für Leibniz gilt) beide Momente nicht im Konflikt, sondern im Verhältnis der Kontinuität zueinander stehen, insofern sie auf dieselben Inhalte zielen und sich ihrer Vergewisserung sicher sind.
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In Relation genau dazu schärft sich auf der anderen Seite die Pointe von Jacobis Position. Dabei ist die Frage, ob er sich seinerseits in den »Offenbarungsglauben« rettet oder nicht, zunächst einmal ganz uninteressant. Entscheidend ist vielmehr zuerst, dass es ihm mitnichten darum geht, wie das Handbuch suggeriert, Spinoza unter das allgemeine Rubrum des Rationalismus zu rücken, um zu ihm dann »insbesondere« ein gegnerisches Verhältnis aufzunehmen. Ganz im Gegenteil: Der »Gegner« Jacobis ist nicht Spinoza, sondern Mendelssohn als prominenter Vertreter einer popularphilosophischen Aufklärung, die sich selbstzufrieden in ihrer Adoration der Vernunft eingerichtet und darüber denjenigen wie einen »todten Hund« (Spin: JWA 1,1, 27) begraben hat, dem der Entwurf nicht einer »konsequentesten« Spielart des Rationalismus, sondern der singuläre Entwurf einer schlechthin »reine[n]«, das heißt überhaupt konsequenten Metaphysik zu verdanken ist (Spin: JWA 1,1, 128). Indem Spinoza gezeigt hat, was es bedeutet, in kompromissloser Radikalität auf nichts als die Kompetenzen der Vernunft zu setzen und vor keiner Folgerung zurückzuschrecken, ist das Band zwischen den traditionellen Gehalten des religiösen Glaubens und denjenigen des Wissens definitiv zerschnitten. »Es giebt keine andre Philosophie, als die Philosophie des Spinoza« (Spin: JWA 1,1, 18): Diesem Satz Lessings stimmt Jacobi nicht allein zu. Ganz zu Recht kann er auch für sich beanspruchen, die Ethik nicht nur gründlichst studiert, sondern sie erstmals angemessen rekonstruiert und damit ins virulente Zentrum des philosophischen Interesses gerückt zu haben.4 Signifikanterweise hält er sich dabei mit der geometrischen Methode nicht auf. Die Geschlossenheit und Kohärenz des spinozanischen Entwurfs steckt nicht im Beweisgang der Sätze als vielmehr in seinem »Geist«, in dem er das »Uralte: a nihilo nihil fit« zu konsequenter Anwendung gebracht hat (Spin: JWA 1,1, 18). Das folgerichtige Ergebnis ist eine jeglichen finalursächlichen Anfang bestreitende Metaphysik der Immanenz, die die Welt und die handelnden Subjekte in ihr als eine interne und gleichermaßen notVor dem Hintergrund früherer Auseinandersetzungen mit Spinoza (Bayle, Budde, Wolff) hält Ulrich Johannes Schneider fest, dass Jacobis Darstellung die »wohl erste kritisch-rationale Rekonstruktion einer Philosophie in der europäischen Geistesgeschichte« ist (Schneider 1990, 177f.). 4
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wendige Modifikation der göttlichen causa immanens und ihrer energetischen Potenz erklärt. Dass Jacobi dieses Ergebnis als atheistisch und fatalistisch qualifiziert, bedarf vor diesem Hintergrund genauer Differenzierung. Denn was die intellektuelle Leuchtkraft dieser Metaphysik betrifft, handelt es sich in Gestalt solcher Zuschreibungen um nichts als eine analytische Feststellung, die sich auf den von Spinoza selbst, vor allem in den Anmerkungen der Ethik formulierten Sturz aller traditionellen, sei es religiöser, sei es philosophischer Gottes-, Welt- und Menschenbilder stützt und stützen kann, in dessen Mittelpunkt der definitive Ausschluss der causa finalis und der an sie gebundenen Willensfreiheit steht. Anders verhält es sich demgegenüber mit dem Akt einer kritischen Bewertung, den Jacobi als Akt des Widerspruchs von dem aussichtslosen Versuch einer logischen Widerlegung explizit unterscheidet (Spin: JWA 1,1, 290). Die vorgenommene Bewertung verdankt sich mithin einer Entscheidung, die ihrerseits keine theoretische, sondern die praktische Frage der Lebensführung ins Spiel bringt. Welchen Typ »Ethik« vertritt Spinozas Ethik? Was bedeutet sein Entwurf für unser Leben? Auch für Lessing ist dies der ausschlaggebende Punkt. Es ist sein Selbstverständnis oder besser noch sein Lebensgefühl, das in Spinoza ein willkommenes Echo findet, denn, so seine interessante Begründung, als »ein ehrlicher Lutheraner« »begehre« ich »keinen freyen Willen« (Spin: JWA 1,1, 28, 21). Umgekehrt Jacobi: Keine ›lutherische‹ Einstellung klingt hier mit Spinoza zusammen, unter dessen Bedingungen vielmehr zu einer phantastischen Illusion gerät, was Jacobi die lebendigste Überzeugung nennt, die er hat: die Überzeugung, dass wir die freien und verantwortlichen Urheber unserer Handlungen sind, dass »ich thue was ich denke; anstatt daß ich nur denken sollte was ich thue« (Spin: JWA 1,1, 28). Keine Anekdote mithin aus ferner Vergangenheit. In die Vergangenheit gerückt ist allein – entscheidend mitbedingt durch Jacobis Einlassung – der von Mendelssohn adaptierte Rationalismus Wolffscher Provenienz, während Spinozas Ethik als der Grundlagenentwurf der Moderne und ihres theoretischen wie praktischen Problemhorizonts seither nicht mehr aufgehört hat, aktuell zu sein. Dies schließt die ganze nachkantische Philosophie ein, die sich Jacobis Vorgabe – man denke nur an Hegels Wort, wonach gilt: »Spinoza ist Haupt38
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punkt der modernen Philosophie: Entweder Spinozismus oder keine Philosophie« 5 – vollständig zu Eigen gemacht und dabei auch das aufgerissene Problem, wie sich ein kohärentes Vernunftsystem zu unseren existentiellen Freiheitserwartungen verhält, instantan in ihre Überlegungen aufgenommen hat. Und in Versionen dieser Frage reicht das Faszinosum Spinoza dann weiter über Nietzsche bis zu Deleuze, um seinen Niederschlag schließlich auch in den gegenwärtigen Naturalismus-Debatten zu finden.6 Verständlich ist dabei auch, warum dieser Entwurf der Vernunftkritik Kants zum Trotz die Reflexion der Moderne so nachhaltig bestimmt. Denn Kants Kritik des rationalistischen »Dogmatismus« hatte diese radikale Immanenzmetaphysik nicht nur nicht vor Augen. Mit dem Ansatz seiner Ideenund Postulatenlehre hat er zudem selber noch einmal versucht, das überkommene Weltbild zu ›retten‹: nun allerdings in Gestalt einer Vernunft, die nicht mehr mit demonstrativen Gründen weiß, sondern an ihre metaphysischen Konzepte aus moralischen Gründen glaubt. Anders als im Rationalismus treten Glauben und Wissen bei Kant demnach auseinander, und zwar unter der entscheidenden Bedingung, dass der Glaube seine Bindung an die Religion verliert und zur Sache der Vernunft selber wird. Und demgegenüber hätte Jacobi den christlichen »Offenbarungsglauben« für die Rettung gehalten? Insofern er evidentermaßen keinen Kantischen »Vernunftglauben« vertritt, mag sich diese Version noch einmal nahelegen. Die Frage ist jedoch, was dies inzwischen eigentlich heißen könnte. Zu bedenken ist erstens, dass es Jacobi in dem, was er Spinoza gegenüber reklamiert, ganz offenkundig nicht allein um Gott, sondern nicht weniger um die Verfassung endlicher Wesen und deren Selbstverständnis freien Handelns geht, womit auch klar ist, dass ihn die Rehabilitierung der religiösen Tradition als solche jedenfalls nicht motiviert. Im Zusammenhang damit ist zu berücksichtigen zweitens, dass man, wenn man denn will, das im Widerspruch zur causa immanens formulierte Bekenntnis, eine »verständige persönliche Ursache der Welt« zu glauben, als ein gemeinsames Erbe der jüdischen und christlichen Religion identifizieren kann, Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, TWA 20, 163f. Besonders interessant ist der Rekurs auf Spinoza bei Damasio 2003; vgl. dazu Sandkaulen 2006 a. 5
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während die eigentlichen ›essentials‹ der christlichen Religion – Trinität und Inkarnation – bei Jacobi keine Rolle spielen. Und umso mehr bleibt drittens daran zu erinnern, dass die Einschätzung, es handle sich um die Äußerungen eines »christlichen Philosophen«, ursprünglich von Mendelssohn in den Diskurs gebracht wird. Dabei kommt es nun auf den präzisen Sinn seiner Einlassung an. Anstatt auf bestimmte Inhalte zu zielen, die sich bei Jacobi als spezifisch christliche ausweisen ließen, geht es einzig und allein um den epistemischen Status dessen, was er sagt. Denn darin bekundet sich Mendelssohn zufolge die Differenz beider Religionen: Von der christlichen »Pflicht«, »die Zweifel durch den Glauben niederzuschlagen«, ist die jüdische Religion ganz frei. Sie »kennet keine Pflicht, dergleichen Zweifel anders als durch Vernunftgründe zu heben, befiehlt keinen Glauben an ewige Wahrheiten« (Spin: JWA 1,1, 179 f.). Was im Hintergrund dieser Äußerung steht, wonach die jüdische Religion im Kontrast zur christlichen gleichsam die Lizenz zum »Rationalismus« verleiht, wäre interessant zu wissen und ist religionsphilosophisch vermutlich längst untersucht. Die Frage ist hier, wie Jacobi auf diese epistemische Vorhaltung reagiert – nämlich seinerseits mit einem epistemisch geführten Argument. Von maßgeblicher Bedeutung sind zwei Aspekte. Festzuhalten ist zum einen, dass Jacobi hinsichtlich der Inanspruchnahme des Glaubens eine explizite Unterscheidung trifft: zwischen dem Glaubensbegriff, wie er ihn selber verstanden wissen will, und dem »andern Glauben« der christlichen Religion (Spin: JWA 1,1, 116). Zu notieren ist zum andern, dass er, ohne diese Differenz zu neutralisieren, auf eine Eigentümlichkeit des Glaubens verweist, die beiden Hinsichten gemeinsam ist und dem von Mendelssohn markierten Verhältnis von Zweifel, Glauben und Wissen so oder so die Basis entzieht. Ob der Zweifel durch den Glauben »niedergeschlagen« oder »durch Vernunftgründe« gehoben wird, ist danach in dem Maße nicht der springende Punkt, wie der Glaube überhaupt keine theoretische Einstellung ist, die propositional auf den Zweifel antwortet oder selber noch einmal propositional zu rechtfertigen wäre. Eben darauf spielte meine frühere Reformulierung schon an. Nach Jacobis Verständnis ist Glauben eine allem Räsonnement vorgängige Praxis, zu deren Vollzug im Sinne einer bestimmten Lebensführung einerseits die christliche Religion anhält, und in die hinein wir andererseits, unabhängig von irgendwelchen 40
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spezifisch religiösen Vorstellungen, immer schon »geboren« werden. In diesem Sinne bezeichnet der Glaube, den Jacobi für sich reklamiert, eine präreflexive »unmittelbare Gewißheit«, deren grundlos geltende Evidenz auch noch der Gründe suchenden Vernunft vorausgesetzt ist, wenn die Vernunft über ihrem Streben nach Gewissheit nicht ins Bodenlose fallen will: »Lieber Mendelssohn, wir alle werden im Glauben gebohren, und müssen im Glauben bleiben, wie wir alle in Gesellschaft gebohren werden, und in Gesellschaft bleiben müssen: Totum parte prius esse necesse est. – Wie können wir nach Gewißheit streben, wenn uns Gewißheit nicht zum voraus schon bekannt ist; und wie kann sie uns bekannt seyn, anders als durch etwas das wir mit Gewißheit schon erkennen? Dieses führt zu dem Begriffe einer unmittelbaren Gewißheit, welche nicht allein keiner Gründe bedarf, sondern schlechterdings alle Gründe ausschließt, und einzig und allein die mit dem vorgestellten Dinge übereinstimmende Vorstellung selbst ist. Die Ueberzeugung aus Gründen ist eine Gewißheit aus der zweyten Hand. Gründe sind nur Merkmale der Aehnlichkeit mit einem Dinge, dessen wir gewiß sind. Die Ueberzeugung, welche sie hervorbringen, entspringt aus Vergleichung, und kann nie recht sicher und vollkommen seyn. Wenn nun jedes für Wahr halten, welches nicht aus Vernunftgründen entspringt, Glaube ist, so muß die Ueberzeugung aus Vernunftgründen selbst aus dem Glauben kommen, und ihre Kraft von ihm allein empfangen.« (Spin: JWA 1,1, 115 f.)
Glaube als Fürwahrhalten ohne Gründe: wie noch die prominente und dabei fälschlich auf Platon zurückgeführte Formel vom Wissen als »justified true belief« zu erkennen gibt,7 erscheint ein solches Fürwahrhalten im rationalistischen Kontext notwendig als defizitär, das deshalb durch Beibringen von Gründen in gerechtfertigtes Wissen allererst zu transformieren ist. Diese Hierarchie verkehrt Jacobi ins Gegenteil. Hier ist es die der Begründung nicht bedürftige, vielmehr im Ausschluss von Gründen sich anzeigende unmittelbare Gewissheit des Glaubens, die das Wissen seinerseits begründet. Der Struktur nach erinnert dieser Punkt an das schon von Aristoteles bemühte Argument, wonach jegliche Demonstration etwas nicht wiederum DeVgl. mit Bezug auf die durch Edmund Gettier ausgelöste Debatte: Ptassek u.a. 1992, 12ff. 7
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monstrierbares zur Basis haben muss. Im Unterschied dazu zielt Jacobi aber nicht auf dergleichen wie ein Axiom, sondern, der lebendigen Praxis des Glaubens entsprechend, auf die unmittelbare Gewissheit von Sein, auf das ursprüngliche Erschlossensein oder die »Darstellung« von Realität, womit zugleich die zentrale Differenz zu Kants Vernunftglauben zum Vorschein kommt.8 Will man diesen realitätserschließenden und realitätsbezeugenden Glauben nun immer noch einen »Offenbarungsglauben« nennen, dann kann damit nicht mehr als der Umstand gemeint sein, dass hier ganz bewusst von einem Bereich die Rede ist, der sich – betreffe es die physische oder metaphysische und darin die Überzeugung menschlicher Willensfreiheit einschließende Realität – rationaler Erklärung entzieht, vielmehr alle Rationalität existentiell fundiert, und der dabei auch nicht als axiomatische Ableitungsinstanz taugt.9 Dass eine solche Dabei ist nicht zuletzt die eigentümliche Pointe zu beachten, dass Jacobi sein Anliegen unmittelbarer Gewissheit bereits im Gespräch mit Lessing und dann wieder in der zitierten Replik auf Mendelssohn auf niemand anderen als Spinoza selbst stützt (vgl. E II, prop. 43, scholium): Eine wahre Idee zu haben, schließt die zweifelsfreie Gewissheit davon ein. Andernfalls, so lautet Spinozas treffendes Argument, wären unsere Ideen stumme Gemälde an der Wand und nicht Akte geistiger Einsicht. In diesem Kontext fällt darum auch das prominente Wort, wonach die Wahrheit »norma sui et falsi« ist. Jacobis Rekurs auf diese Anmerkung hat wiederholt zu Rückfragen an die Konsistenz seiner Position geführt, weil es den Anschein hat, als müsse er in eins damit die ontologische Grundlegung Spinozas übernehmen, deren Parallelismus von Geist und Körper genau die Überzeugung von der Wirklichkeit der causa finalis ausschließt, die Jacobi gegen Spinoza vertritt (vgl. Timm 1971 sowie Bowman 2004). Diese Annahme ist aber nicht zwingend. Worauf Jacobi mit der evidentiellen Auszeichnung von Überzeugungen rekurriert, ist nämlich erstens als solches ein Sachverhalt, den Spinoza selbst ausdrücklich für nicht beweisbedürftig erklärt und vielmehr in der Adresse an ein allgemein bekanntes Phänomen herausstellt und offenbar herausstellen muss, sofern er der Selbstbezüglichkeit des Geistes eine eigene Dignität zusichern will. Davon zu unterscheiden ist zweitens sein Interesse, das Phänomen unmittelbarer Gewissheit in seiner Reichweite zugleich einzuschränken, das heißt ontologisch so zu fundieren, dass die Gewissheit der causa finalis lediglich als menschliches Vorurteil erscheint. Gegen genau diese Operation wendet sich Jacobi von Anfang an. Der Schlüssigkeit im Verfolg konsequenter Erklärung lebensweltlicher Phänomene hält er seinerseits konsequent die Annahme einer »Quelle des Denkens und Handelns« entgegen, »die mir durchaus unerklärlich bleibt« (Spin: JWA 1,1, 28). 9 Vgl. dazu auch: »Wir können nur Aehnlichkeiten demonstriren; und jeder Erweis setzt etwas schon Erwiesenes zum voraus, wovon das Prinzipium Offen8
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Position wie bereits im Umfeld der Berliner Aufklärung nicht nur als fideistisch, sondern in eins damit auch als Inbegriff einer irrationalen Gegenaufklärung disqualifiziert worden ist,10 zeigt so letztlich nur, welche Sprengkraft die Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Wissen birgt. Vorannahmen hinsichtlich dessen, was der Ausdruck »Glaube« bedeutet, führen hier offenkundig ebenso wenig weiter wie fraglose Vorentscheidungen darüber, was als Wissen zu gelten hat.11
II. Zweiter Schritt: Reflexionsphilosophie Sobald der Ausdruck »Glaube« fällt, so hat der erste Schritt gezeigt, drängt sich zuerst die Assoziation der Religion auf. Das ist als solches bemerkenswert, aber heute nicht wirklich anders als zu Mendelssohns Zeiten. Habermas’ Friedenspreisrede und die Beachtung, die sie gefunden hat, zeugen davon.12 Im Blick auf den damaligen Diskurs bemerkenswert ist ferner, dass alle Beteiligten Selbstverständigungsressourcen der überlieferten Religionen in Anspruch nehmen, die ihre wie immer geartete Emanzipationsbewegung aus diesen Religionen heraus abstützen und sogar noch legitimieren helfen sollen. In gewisser Weise gilt dies wie gesehen auch für Jacobi, wenn er durch Mendelssohns Vorhaltung provoziert zwar zweierlei Glaubensdimensionen unterscheidet, die Explikation des christlichen Glaubens aber zumindest in die Nachbarschaft seiner eigenen Intentionen rückt. Das bleibt allerdings für die Religion selbst nicht ohne Folgen. Denn aus der Perspektive dessen, was Jacobi bewegt, nämlich im Interesse unseres Selbst- und Weltverständnisses auf das ursprünglich praktische und darin nicht-propositionale Erschlossensein von Realität zu verweisen, das sich jeglicher Erklärung und als solches auch barung ist. Das Element aller menschlichen Erkenntniß und Würksamkeit, ist Glaube.« (Spin: JWA 1,1, 124f.) 10 So insbes. durch Berlin 1980 und Beiser 1987. 11 Vgl. dazu auch den Beitrag von Gabriel 2004, der gegen solche eingefahrenen Reflexe auf verwandte Denkfiguren bei Jacobi und Wittgenstein aufmerksam macht. 12 Dasselbe gilt auch für den Beitrag von Derrida 1996, wobei natürlich weder Habermas noch Derrida der religiösen Überlieferung ohne weiteres das Wort reden. Eine Provokation philosophischen Denkens
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jeder Vergegenständlichung entzieht, wird auch die Religion um die Positivität ihres Überlieferungsbestandes gleichsam erleichtert. Wesentlich ist sie eine Haltung und keine Versammlung von Sätzen, deren Annahme gar, wie Mendelssohn meint, auf Befehl einer religiösen Autorität erfolgt, um sich dergestalt gegen die Interessen rationaler Überprüfung und Begründung zu immunisieren. In seiner berühmten Jacobi-Kritik in Glauben und Wissen hat Hegel diesen Befund 1802 zu einer zweiten Version verarbeitet, die ihrer Prominenz im Hegelianismus zum Trotz in die Handbücher, die über Jacobi Auskunft geben, seltsamerweise nach wie vor keinen Eingang gefunden hat. Vielleicht ist die Sache wirklich allzu kompliziert. Denn wie sollte derselbe, der sich einer immer noch intakten Assoziation zufolge in blinder Preisgabe der Vernunft aus Spinozas Metaphysik in den »Offenbarungsglauben« gerettet hat, zugleich in der Mitte zwischen Kant und Fichte ein besonders kritikwürdiger Vertreter der »Reflexionsphilosophie« sein? Offenbar ist das nicht möglich, und darum hält sich Hegel mit Mendelssohns Zuschreibung erst gar nicht auf. Prämisse seiner Diagnose ist vielmehr die, dass sich der alte Konflikt um Glauben und Wissen erledigt hat. Die Moderne hat die traditionellen Bestände positiver Religionen verzehrt – und dies nun mit dem Resultat, dass das ehemals äußerliche Verhältnis von Glauben und Wissen zu einem Binnenproblem der Philosophie selber geworden ist. Typisch ist, das kehrt bei Hegel bis in die programmatische Einleitung der Wissenschaft der Logik hinein immer wieder, dass in dieser Diagnose Spinoza ganz im Hintergrund bleibt. Dessen ›Säkularisierung‹ des transzendenten Schöpfergottes zur causa immanens bildet kein Moment, sondern den Rahmen der Moderne, die Hegel zum wahren Begriff ihrer selbst führen will. Was aber nun die Figur des Glaubens betrifft, so sieht er deutlich und völlig zu Recht, dass er sich nicht mehr an eine andere Instanz, eine der Vernunft per se externe Quelle adressiert, sondern innerhalb der Philosophie im Kontrast zum Wissen entworfen ist. Wenn man sich dann aber fragt, wer oder was denn diesen Spagat zwischen Glauben und Wissen aufgerissen hat, dann kann man Hegel zufolge darauf nur antworten, dass es niemand anderer als die Reflexion selber war. Was ihr unzugänglich ist, hat sie selber als unzugänglich gesetzt, und darum bleibt alles, was sie dem Glauben überantwortet, eine 44
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subjektive Projektion ohne wirklichen Gehalt. Nicht die irrationale Blindheit des Glaubens wie bei Mendelssohn, sondern seine formalistische Leere ist nunmehr das Problem. Dass Hegel diese Kritik an Jacobi mit dessen eigenen Mitteln modelliert und dabei im ganzen Aufriss seiner Schrift zudem von den Einreden profitiert, die Jacobi zuvor selber an Kant und Fichte gerichtet hatte, ist evident, an dieser Stelle aber nicht weiter zu verfolgen.13 Was mich hier interessiert, ist der Umstand, dass seine Einwände nur in dem Maße überzeugend zu sein scheinen, wie die praktizistischen Grundlagen von Jacobis Ansatz vollständig weggeblendet sind. Ich zögere zu behaupten, dass Hegel dies nicht gesehen haben sollte. Immerhin hatte er in seinen Frühschriften offenkundig auf den Spuren Jacobis seinerseits den Versuch unternommen, den Glauben als einen Vollzug zu verstehen, in dem sich die Realität lebendigen Lebens ursprünglich bekundet und der sich in propositionales Wissen nicht überführen lässt.14 Dabei scheint er in dem Bestreben, den spezifischen »Geist des Christentums« zu erfassen, die beiden Hinsichten des Glaubens, die Jacobi trotz ihrer nicht-propositionalen Gemeinsamkeit auseinanderhält, in ein einziges Konzept von Religion zusammengezogen zu haben. Zu überprüfen wäre deshalb, inwieweit nicht diese konzeptuelle Überblendung und ›Verchristlichung‹ gleichsam der Jacobischen Vorlage für genau die Aporien des Wirklichkeitsverlusts verantwortlich ist, die der Frankfurter Hegel das »Schicksal« des Christentums nennt, und die er dann in seiner Schrift von 1802 – nunmehr in der entchristlichten Gestalt der »Reflexionsphilosophie« – polemisch auf Jacobi projiziert. Zusammen mit dem Interesse an einem philosophischen System, das Hegel inzwischen von Fichte und Schelling übernommen hat und das sich im Spagat von Glauben und Wissen allerdings nicht ins Werk setzen lässt, könnte dies erklären, warum seine kritische Präsentation Jacobis so merkwürdig verdreht in die Irre geht. Dass sich daran auch später nichts mehr ändert, ist signifikativ. Zwar rekurriert Hegel seit dem Einsatz der Phänomenologie des Geistes, anders als noch in Glauben und Wissen, explizit auf die Figur der »unmittelbaren Gewißheit«. Indessen präsentiert er sie 13 14
Vgl. Sandkaulen 2004. Vgl. insbes. Text 42 »Glauben ist die Art …« in: GW 2, 10 – 13. Eine Provokation philosophischen Denkens
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dabei so, dass sie ganz entgegen Jacobis Intentionen nicht als realitätserschließender und -bezeugender Vollzug lebendigen Lebens, sondern in der Tat nur als die theoretische Einstellung eines Bewusstseins erscheint, das auf etwas referiert, aber über die kategorialen Mittel nicht verfügt, konkret zu sagen, was es meint. Abstrakte Innerlichkeit – die leere Sehnsucht – und scheiternde Referenz – der Mangel konkreter Wirklichkeit – bilden so die beiden Seiten desselben Problems einer »Metaphysik der Subjektivität«, auf die hin Hegel Jacobis Position stilisiert und von der er selber sich dann abstößt in seinen eigenen Entwurf »vermittelter Unmittelbarkeit«.15
III. Dritter Schritt: Handlungsmetaphysik In welchen Glauben hat Jacobi sich ›gerettet‹?16 Hegels zeitgenössische Wahrnehmung, der sein diagnostisches Interesse an Problemlagen der Moderne, aber auch seine theologische Schulung zusätzlich Plausibilität verleihen, stützt die These, dass es der christliche »Offenbarungsglaube« nicht gewesen sein kann. Um nicht missverstanden zu werden: Prinzipiell spricht selbstverständlich nichts dagegen, sich zu einer Religion zu bekennen, noch auch dagegen, fides und ratio dabei in ein Verhältnis zu setzen, das die Autonomie der Vernunft in wie immer bestimmten Grenzen hält. Dies hat eine lange und ehrwürdige Tradition. Jedoch setzt dies eine Geltungskraft der überlieferten Religion voraus, von der Hegel mit Recht feststellt, dass sie seit der Aufklärung morsch geworden sei. Womit natürlich nicht ausgeschlossen ist, dass man die religiöse Geltungskraft auch unter solchen Bedingungen behaupten kann: indem man sich dem Irritationsprozess der Aufklärung entweder nicht wirklich aussetzt oder indem man sich ihm zum Trotz dazu entschließt, der Religion ein Recht sui generis
Strukturell bestimmt dies auch die beiden Texte, die Hegel im Anschluss an die Wissenschaft der Logik der neuerlichen Auseinandersetzung mit Jacobi gewidmet hat. Die freundliche Intonierung der Heidelberger Jacobi-Rezension und der überwiegend polemische Duktus der »Dritten Stellung des Gedankens zur Objektivität« im Vorbegriff zur Logik der Berliner Enzyklopädie markieren lediglich eine oberflächliche Differenz. Vgl. Text Nr. 13 in diesem Band. 16 Vgl. zum Folgenden Sandkaulen 2000 sowie Text Nr. 3 in diesem Band. 15
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zuzuschreiben. Die erste Option vertritt Hamann, die zweite der spätere Friedrich Schlegel oder Kierkegaard. Dass Jacobi hingegen auch mit solchen Optionen nicht zu fassen ist, zeigt sich genau darin, dass alle drei Genannten bei aller Anerkennung kritische Zurückhaltung üben. Hamann begreift nicht, warum Jacobi sich so hartnäckig in sein Spinoza-Studium vertieft; Schlegel vermisst die »positive Offenbarung« des Christentums17 ; und Kierkegaard moniert, dass Jacobi in Bezug auf Spinoza nur einen »Akt der Subjektivierung«, aber nicht den »Übergang vom Ewigen zum Historischen« der Religion vollzogen habe.18 Aus Kierkegaards Worten klingt Hegels Reflexionskritik heraus, was um so bezeichnender ist, als er selber ja mit Furcht und Zittern, dem »Paradox« des Christentums, auf Distanz zu Hegel gehen will.19 Und angesichts des Umstands, dass der Rekurs auf den »Offenbarungsglauben« hier in der Tat nicht weiterhilft, wäre die reflexionsphilosophische Diagnose immer noch die überzeugendere Version, wenn Jacobi denn das Andere der Reflexion aus der Reflexion heraus in theoretischer Einstellung bestimmt hätte. Worum es stattdessen geht, darf man wohl einen Paradigmenwechsel nennen. Danach sind Philosophie und Religion nicht allein als Angelegenheiten unseres Lebens, sondern dem Grundimpuls Jacobis zufolge vielmehr aus dem Leben zu begreifen. »Das Prinzip aller Erkenntniß«, so hält er an zentraler Stelle der programmatischen Beilage VII seiner Spinozabriefe fest, »ist lebendiges Daseyn; und alles lebendige Daseyn geht aus sich selbst hervor, ist progreßiv und productiv« (Spin: JWA 1,1, 248). Was bedeutet es, die Produktivität lebendigen Lebens zum »Prinzip«, zur schlechthinnigen Basis zu erklären? Man macht nichts falsch, wenn man unterstreicht, dass uns die philosophische Tradition nicht gerade darin geübt hat, eine solche These und auch die Aufforderung, die in ihr steckt, nachzuvollziehen. Zu Beginn des dritten Schrittes ist es daher hilfreich, sich in aller Kürze zu verdeutlichen, inwiefern Jacobis Ansatz nicht weniger als drei verschiedene Denkmuster durchkreuzt. Mit dem Verweis auf die prinzipielle Bedeutung des Lebensvollzugs nimmt er erstens Abstand von einem Modell, das sich auf eine 17 18 19
Schlegel 1988, III, 160. Kierkegaard 1988, 93. Kierkegaard 1988, 98. Eine Provokation philosophischen Denkens
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Binnenanalyse der Erkenntnis beschränkt. Das gilt auch dann, wenn man Erkenntnis nicht auf Diskursivität hin begrenzt, sondern nach gutem Brauch das Vermögen intuitiver Einsicht zur evidentiellen Basis des Diskurses erklärt. Denn trotz der strukturellen Parallele, auf die ich am aristotelischen Beispiel schon hingewiesen habe, besteht der Unterschied darin, dass Jacobi die Evidenzbasis nicht innerhalb der Erkenntnis sucht, sondern an die Praxis des Lebens bindet. Verbunden damit ist zweitens, dass sein Ansatz die Beobachterperspektive annulliert, die der Privilegierung der Erkenntnis beinahe zwangsläufig eingeschrieben ist. Im Erkennen steckt die Distanz zu einem Gegenüber. Auch das identitätsphilosophische Argument, dass Erkennen und Erkanntes zusammenfallen sollen, dass sie ›in Wahrheit‹ identisch seien, bestätigt diese Prämisse. Gerade weil man Jacobis Ansatz auch in diesem Sinne missverstanden hat, so als ziele auch er innerhalb des Beobachtermodells auf dessen identitätsphilosophische Aufhebung, ist es umso wichtiger festzuhalten, dass er demgegenüber die ganz andere Perspektive des Lebensvollzugs geltend macht. Im Leben herrscht nun aber gar nicht Einheit, sondern mannigfache Differenz – ausschlaggebend ist, dass man sie hier erfährt und nicht aus der Einstellung des Beobachters heraus repräsentationalistisch erzeugt. Dass dieser Punkt sowohl für die Darstellung als auch für die Lektüre der Jacobischen Texte entscheidende Konsequenzen hat, liegt auf der Hand. Denn sofern die Logik der Sache erfordert, aus ihr und nicht über sie zu sprechen, kann Jacobi sie weder selbst nun wieder wie einen Gegenstand der Beobachtung präsentieren noch auch kann man sich seinerseits zu dem, was Jacobi sagt, wie ein Beobachter verhalten. Dass er es bereits im Gespräch mit Lessing als das »größeste Verdienst des Forschers« bezeichnet, »Daseyn zu enthüllen, und zu offenbaren« (Spin: JWA 1,1, 29),20 ist treffender Ausdruck dieser Lage, der den evokativen Appell an den Hörer oder Leser einschließt, den intendierten Einstellungswechsel ebenfalls zu vollziehen. Etwas Geheimnisvolles oder gar ›Mystisches‹, wie man Jacobi auch oft geDas Diktum lautet im Ganzen: »Nach meinem Urtheil ist das größeste Verdienst des Forschers, Daseyn zu enthüllen, und zu offenbaren … Erklärung ist ihm Mittel, Weg zum Ziele, nächster – niemals letzter Zweck. Sein letzter Zweck ist, was sich nicht erklären läßt: das Unauflösliche, Unmittelbare, Einfache.« 20
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nug unterstellt hat, ist damit durchaus nicht gemeint. Ironisch formuliert ist von seinen Lesern schlicht und einfach verlangt, ihren Beobachterposten am Schreibtisch zumindest zeitweise zu verlassen und sich wenigstens in ihrer Phantasie zu vergegenwärtigen, wie es ist, ein lebendiges »produktives« Leben zu führen. Was damit ins Zentrum rückt, konturiert Jacobis Ansatz in einer dritten Hinsicht. Dass das Leben »Prinzip aller Erkenntnis« ist, bedeutet hier nämlich nicht, in Umkehrung zur Privilegierung der Erkenntnis auf derlei wie eine irrationale Triebstruktur, mit Schopenhauer gesagt, auf einen »blinden Willen« abzuheben. Dabei bestreitet Jacobi nicht, sondern betont vielmehr, dass alles Lebendige durch eine »Begierde« vorangetrieben wird: durch das Streben nach Selbsterhaltung. Bestritten wird indes, dass menschliches Leben auf das Interesse des Selbsterhaltungsstrebens reduziert werden kann. Im Gegenteil lautet seine Analyse, dass es sich in Gestalt einer solchen reduktionistischen These immer schon um das Ergebnis einer Erklärung handelt, die das, was sie festzustellen behauptet, auf dem Wege der Rationalisierung allererst gewonnen hat. Nicht zuletzt in Hinblick auf gegenwärtige Debatten macht Jacobi mit dieser Analyse einen bemerkenswerten Zug. Zwar mag es im ersten Zugriff stets als eine große Geste erscheinen, die helle Welt der Erkenntnis auf eine blinde Begierde zurückzuführen und darin das ›abendländische‹ Selbstverständnis des sogenannten »animal rationale« zu kränken. Jedoch gilt es auf den zweiten Blick zu sehen, dass sich in genau diesem naturalistischen Verfahren wiederum niemand anderer als das »animal rationale« am Werke zeigt. Wozu Jacobi auffordert, folgt daraus: nämlich die Perspektive einzunehmen, von der wir diesseits solch rationalisierender Erklärungen im Vollzug unseres Lebens ausgehen. Hier verstehen wir uns weder als distanzierte Beobachter noch als ausschließlich blind Getriebene, sondern als Akteure unseres Handelns. Auf der Suche nach Mustern, die Jacobis Ansatz verständlich machen könnten, sofern er weder in einer reflexionsphilosophischen Operation noch in der Übernahme des religiösen Offenbarungsglaubens besteht, hat sich immer einmal wieder die Assoziation der
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»Lebensphilosophie« aufgedrängt.21 Demnach hätte man es mit einem Vorläufer Diltheys und der von ihm geprägten Hermeneutik zu tun. Hinsichtlich des verlangten Perspektivenwechsels ist diese Assoziation zunächst einmal gar nicht so abwegig. Nicht in Frontstellung zu einem repräsentierten Gegenstand, sondern aus dem Leben heraus zu denken, ist ja in der Tat das, wozu Dilthey in der Differenz zwischen »Verstehen« und »Erklären« auffordert. Und insofern verwundert es auch nicht, dass man auf solchen Spuren schließlich sogar in Heideggers fundamentalontologischer »Phänomenologie des Daseins« einige verwandte Züge mit Jacobis Unternehmung entdecken kann. Jedoch kommt es auch hier auf den maßgeblichen Unterschied an. Was Jacobi im Wechsel von der Beobachter- in die Teilnehmerperspektive geltend macht, sind nicht primär die Wirkungszusammenhänge des Lebens, nicht das Geworfensein des Daseins, in dem sein Seinsverständnis je schon einbehalten ist. Der Akzent liegt hier auf unserem personalen Handlungsbewusstsein, auf dem »Bewußtseyn unserer Selbstthätigkeit bey der Ausübung unseres Willens«, das wir »ungeachtet unserer Endlichkeit und Natursclaverey« unseren Taten selbstverständlich unterlegen (Spin: JWA 1,1, 262). Damit bin ich an den Punkt zurückgekehrt, um den es zu Beginn schon einmal ging. Dass Spinoza eben diese Überzeugung, dass wir die intentionalen Täter unserer Taten sind, zu einer Illusion erklärt, folgt konsequent aus dem Programm seiner in aller Stringenz durchgeführten »reinen« Metaphysik. Genau dies ist dann aber auch der buchstäblich springende Punkt, der zum praktischen Widerspruch veranlasst. Dabei ist inzwischen ein entscheidendes Motiv zu beachten. Wie sich soeben noch einmal gezeigt hat, ist einerseits klar, dass Jacobi durchgehend ex negativo verfährt. Im Widerspruch zu Spinoza wird die Erfahrung unseres Handelns im Modus unmittelbarer Gewissheit als fundamentale Größe unseres Selbstverständnisses reklamiert. Und gegen Spinozas Programm universaler Erklärung wird darum auch der Perspektivenwechsel einer Enthüllung des Daseins vollzogen, der aus der Teilnehmerperspektive des Lebensvollzugs heraus unserem basalen Selbstverständnis Rechnung tragen will. Denkt man jedoch andererseits diese Figur konsequent zu Ende, dann
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Vgl. Bollnow 1933. Leitmotive
läuft das ex negativo angestrengte Verfahren des Widerspruchs keineswegs darauf hinaus, Philosophie und Leben, Wissen und Glauben, wie zwei differente und gegeneinander immune Blöcke nebeneinander zu stellen. Was sich herausstellt, ist dem dargelegten Strukturverhältnis von Glauben und Wissen entsprechend vielmehr dies, dass die Überzeugungen unseres Lebensvollzugs aller Philosophie zu Grunde liegen. In einem überhaupt nicht trivialen Sinne bilden sie die Basis, die in genau dem Maße vorausgesetzt wird, wie sie dem Prozedere rationaler Erklärung unterworfen werden soll. Die Konsequenzen dieses Gedankens sind außerordentlich weitreichend. Denn im Horizont des Handelns erschließt sich uns nicht nur vor aller Propositionalisierung die Wirklichkeit unserer selbst und der Welt: unser eigenes Selbstverständnis freier Selbsttätigkeit also und mit ihm zugleich das Verständnis der uns umgebenden Welt, in die hinein wir handeln und in der wir uns als endliche Wesen erfahren, die sich handelnd mit Widerständen auseinandersetzen müssen. Nirgends sonst als in unserem Handlungsbewusstsein, nämlich insofern wir trotz unseres Eingelassenseins in die Zusammenhänge der Natur in der Überzeugung eines freien ursächlichen Anfangenkönnens handeln, erschließt sich uns auch die metaphysische Dimension eines schlechthin unbedingten Anfangs überhaupt.22 Eine genuine Leistung der Metaphysik ist es demnach überhaupt nicht, den Horizont des Unbedingten oder Absoluten zu eröffnen. Ihre Leistung besteht vielmehr darin, das, was immer schon erschlossen ist, der Prozedur einer Rationalisierung zu unterziehen. Im Zuge der Konsequenz Spinozas wird dabei die Gewissheit eines ursächlichen Anfangs zur Illusion erklärt. Und doch wäre das Projekt der Metaphysik ohne die Voraussetzung einer solchen Gewissheit Vgl. dazu in der späten Einleitung in des Verfassers sämtliche philosophische Schriften: »Der Freyheits-Begriff, als wahrer Begriff des Unbedingten, wurzelt unvertilgbar im menschlichen Gemüthe, und nöthigt die menschliche Seele nach einer über das Bedingte hinaus liegenden Erkenntniß des Unbedingten zu streben. Ohne das Bewußtseyn dieses Begriffs würde niemand von den Schranken des Bedingten wissen, daß sie Schranken sind« (JWA 2,1, 412). Damit wendet sich Jacobi zugleich direkt gegen Kant und dessen erkenntnistheoretisch angelegte These, dass die Vernunft im Ausgang vom Verstand nach der unbedingten Totalität der Erkenntnis strebt. 22
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zugleich niemals auf die Idee gekommen, das Verfahren der Begründung zu einem in sich geschlossenen Entwurf zu bringen, anstatt es in indefinitum fortzusetzen. Folgt man dem skizzierten Gedanken Jacobis, dann ist die Eröffnung der metaphysischen Dimension aber auch nicht einer ursprünglichen Leistung der Religion zu verdanken. Zwar mag es de facto den Anschein haben, als werde der Überlieferungsbestand religiöser Weltbilder auf den philosophischen Begriff gebracht und im Zuge konsequenter ›Säkularisierung‹ schließlich substantiell transformiert. Der Punkt, den Jacobi im Rückgang auf den Lebensvollzug markiert, ist gleichwohl ein anderer. Seiner Argumentation zufolge, die in seiner späteren Auseinandersetzung mit Matthias Claudius besonders deutlich hervortritt, sieht man sich im Falle der Religion strukturell mit demselben Befund wie in der Philosophie konfrontiert. Denn niemals hätten Menschen eine Offenbarungsreligion angenommen, ja sie wüssten im strengen Sinne gar nicht, wovon hier die Rede ist und zu was sie aufgefordert werden, wenn sie nicht im Voraus schon verstanden hätten, woran der »Unterricht« der Religion appelliert (GD: JWA 3, 42). Auf den Offenbarungsglauben ist dies indes nicht zu beschränken. Der Punkt, um den es hier geht, gilt ganz ursprünglich, wie Jacobi durchgehend betont, bereits für alle Naturreligionen und deren Praktiken des Fetischismus, die man als Aberglauben »rohe[r] Völker« bezeichnen mag, und in denen sich doch gleichfalls bekundet, dass Menschen in ihrer Handlungserfahrung auf die Erfahrung eines ursächlich Unbedingten stoßen, dem sie in vielfältigsten Formen Ausdruck verschaffen (Spin: JWA 1,1, 262). Anthropologisch besehen verläuft darum auch hier die Grenze zwischen Tieren und Menschen. Dass Tiere erstaunliche Intelligenzleistungen vollbringen, bezweifelt Jacobi keinen Moment. Würde man sie aber bei der Beschwörung eines Fetischs ertappen, wäre klar, dass es keine Tiere mehr sind. Im Duktus dieser Überlegung muss man Religionen durchaus nicht verabschieden. Analog dazu, philosophische Weltbilder als Rationalisierung dessen zu interpretieren, was dem Lebensvollzug nichtpropositional eingeschrieben ist, kann man Religionen als Visualisierung solcher unmittelbaren Gewissheiten verstehen und schätzen. Denn insofern Jacobi davon überzeugt ist, dass wir als leibliche Wesen auf Visualisierung angewiesen sind, spürt man nicht 52
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nur seine Sympathie für die Bilderwelt der Religionen, er äußert sie auch – und bedient sich seinerseits ihrer Bilder, um darstellend zu enthüllen, worum es ihm geht. Aber noch einmal: Was Jacobi hinsichtlich der religiösen Bilderwelt sagt, gilt auch hinsichtlich seines eigenen Ansatzes. Bilder geben sich nicht selbst als Bilder zu erkennen. Um sie als Bilder zu verstehen, bedarf es eines Maßstabs, der nicht aus ihnen, sondern aus der Manifestation eines Unbedingten in unserem Handlungsbewusstsein gewonnen ist. Um sich gegen Mendelssohns Einlassung und dessen Vorwurf einer blinden Unterwerfung unter das Diktat der Religion zu verwahren, spricht Jacobi seit der Zweitauflage der Spinozabriefe nicht mehr vom Glauben, sondern von der Vernunft. Als genuine Vernunft, die »den Menschen hat«, ist diese Vernunft von der gründesuchenden Rationalität, die »der Mensch hat«, streng zu unterscheiden, denn sie ist es, die als praktische Vernunft in unserem Handlungsbewusstsein die Dimension des Unbedingten vergegenwärtigt (Spin: JWA 1,1, 259 ff.). Diese Vernunft »dichtet Wahrheit«, womit Jacobi seine Provokation der Moderne auf die Formel eines treffenden Paradoxons bringt (GD: JWA 3, 49). Wenn dem aber so ist, dann spricht nichts dagegen, die Wahrheitsdichtung solcher Vernunft als die Leistung einer ursprünglichen religiösen Energie zu verstehen, die Menschen im Unterschied zu Tieren allen Äußerungsformen von Metaphysik und Religion im Voraus in ihrem Leben bewegt. Mit ihr und nicht allein mit dem Phänomen positiver Religionen müsste dann aber auch rechnen, wer die Behauptung wagt, dass wir derlei inzwischen hinter uns hätten.
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3. Wie »geistreich« darf Geist sein? Zu den Figuren von Geist und Seele im Denken Jacobis
I. Das Geistreiche und der Geist Von Hegel gelobt zu werden, ist stets ein ambivalentes Vergnügen. Denn nichts und niemand ist gefeit vor der Operation der »Aufhebung«, in der zumeist auch das bewahrenswerte Moment einer Position nicht genau das ist, worin sie sich selber wiedererkennen kann. Besonders delikat liegen die Dinge im Falle des Prädikats »geistreich«, das Jacobi zweimal, sowohl in Hegels erzürnter Polemik der frühen Jenaer Schrift über Glauben und Wissen als auch in der abgeklärten und überwiegend positiven Rezension seiner Werke aus der späteren Heidelberger Zeit zugeschrieben wird. »Geistreich«, so heißt es 1802, »sind die Ausdrücke der Empirie und über die Empirie, weil sie auf speculative Ideen anspielen; und das Interesse der Jacobischen Schriften beruht auf dieser Musik des Anklingens und Widerklingens speculativer Ideen, die aber, indem die Ideen sich in dem Medium des Absolutseyns der Reflexion brechen, nur ein Klingen bleibt, und nicht zu dem, was, wo die Sache Wissenschaft betrifft, erwartet wird, zu dem articulierten wissenschaftlichen Worte (Logos) gedeihen soll.« 1 1816 kommt Hegel darauf zurück. Hier wird das »Geistreiche« »eine Art von Surrogat des methodisch ausgebildeten Denkens und der in solchem Denken fortschreitenden Vernunft« genannt. »Nur dann wird diese Manier störender, wenn sie sich im Speculativen, besonders wenn sie sich darin polemisch zeigt. Denn so sehr das Geistreiche der Philosophie selbst nur das Speculative zu seiner inneren, aber verborgenen Triebfeder hat, so sehr vermag dieses, wo es als Speculatives seyn soll, nur in der Form des Begriffes offenbar zu werden. Wenn die Dämmerung des Geistreichen darum lieblich ist, weil das Licht der Idee in derselben scheint, so verliert sie dies Verdienst da, wo
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Hegel, Glauben und Wissen, GW 2, 360. 55
das Licht der Vernunft leuchtet, und was ihr gegen dieses eigenthümlich zukommt, ist dann nur die Dunkelheit.« 2
Über die Jahre hinweg, trotz der Entwicklung in Hegels eigenem Denken und trotz der veränderten Haltung Jacobi gegenüber, bleibt sich die Zuschreibung und die Einschätzung des »Geistreichen« ganz gleich. Und dabei liegen Lob und Tadel, Anerkennung und Kritik, Bewunderung und fundamentale Irritation in diesem offenkundig kontextinvarianten Prädikat aufs Engste beieinander. Anzuerkennen ist, dass das geistreiche Denken und Sprechen eine Dimension eröffnet, die »[u]eber den Verstand erhaben« ist.3 Hier klingt etwas an, hier dämmert etwas herauf, wovon der mit sich selbst und seinen Einsichten zufriedene Verstand nicht das Geringste ahnt. Vom geistreichen Spiel der Ideen kann man sich deshalb einstimmen und anregen lassen, sich buchstäblich auf andere Gedanken bringen lassen – und nur ein geistloser Barbar wüsste diese musikalische Anregung des Geistes nicht zu schätzen. Jedoch liegt hier zugleich auch die Grenze, die dem bloß Geistreichen gezogen ist. Mehr als eine Anregung kann und darf es nicht sein. Wenn daher das geistreiche Denken und Sprechen sich über diese Grenze nicht selber im Klaren ist, sondern »polemisch« wird, wird seine »Manier störender«. Denn wozu es selbst nur eine Einstimmung bieten kann, das wird in der Wissenschaft in methodisch geregelter Weise verfolgt. Logos und Begriff sind die eigentlichen Formen des Denkens, sie artikulieren die Vernunft und die Vernunft artikuliert sich in ihnen. Spätestens in dem Moment, in dem die spekulative Wissenschaft sich dieser Vollzugsund Darstellungsweise des Denkens sicher ist, strahlt ihr Licht so hell, dass alles andere in Dunkelheit versinkt. Geistreich zu sein, heißt eben nicht, des Geistes auch mächtig zu sein. Auf diese Beziehung, die zwischen dem Geistreichen und dem Geist besteht, spielt Hegel natürlich an. Wenn er etwa den »großen Standpunkte Jacobi’s« hervorhebt, »daß das Absolute als Geist zu erfassen ist«,4 dann steht ihm klar vor Augen, dass es Jacobis »geistreich« genanntem Denken und Sprechen in der Tat um den Geist und 2 3 4
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Hegel, Friederich Heinrich Jacobi’s Werke, GW 15, 24. GW 15, 23. GW 15, 14. Leitmotive
nicht um die anregende Aufdeckung irgendwelcher beliebiger Sachverhalte geht. Allerdings entsprechen das Geistreiche und der Geist einander nicht, vielmehr stehen sie Hegel zufolge in einem Beziehungsgefälle. Wer reich ist an Geist, hat nicht etwa mehr Geist, sondern weniger davon, weil er der wissenschaftlichen Artikulation dieses Reichtums nicht fähig und – in polemischer Absicht – auch nicht willens ist. Und dabei hat Hegel in zwei Punkten ganz sicher recht. Weit mehr als Kant, der den Ausdruck »Geist« erst im ästhetischen Zusammenhang der Kritik der Urteilskraft, nicht aber im Grundlegungsprogramm der Transzendentalphilosophie gebraucht, ist es Jacobi gewesen, der die metarationale Dimension des Geistes in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt und damit ein kaum zu überschätzendes Inspirationspotential für die nachkantische Philosophie freigesetzt hat.5 Geist ist sowohl bei Jacobi als auch dann bei Fichte, Schelling und Hegel ein Schlüsselterminus, der das einschlägige Vokabular von Subjekt, Subjektivität, Ich oder Selbstbewusstsein nicht einfach nur um einen weiteren Ausdruck ergänzt, sondern die Semantik dieser Ausdrücke auf spezifische Weise einfärbt, indem er ihnen die charakteristische Bedeutung eines integralen, nicht allein auf theoretische oder kognitive Belange eingeschränkten Selbstverhältnisses gibt. Recht hat Hegel aber auch in einem zweiten Punkt. Denn allerdings ist Jacobi mit großer Entschiedenheit der Überzeugung, dass solcher Geist auf der einen und die Belange der Wissenschaft auf der anderen Seite prinzipiell nicht miteinander kompatibel sind, eigentlich sogar in einem feindlichen Verhältnis zueinander stehen. In einem Text, den er 1799 seinem Brief an Fichte beigefügt und später noch einmal separat unter dem Titel Ueber die Unzertrennlichkeit des Begriffes der Freyheit und Vorsehung von dem Begriffe der Vernunft veröffentlicht hat, heißt es unmissverständlich, dass »der Geist keine wißenschaftliche Behandlung verträgt, weil er nicht Buchstabe werden kann. Er, der Geist, muß also draußen bleiben vor den Thoren seiner Wißenschaft; wo sie ist, darf Er Selbst nicht seyn. Darum buchstabieret, wer den Geist zu buchstabieren wähnt, zuverläßig immer etwas anderes, wißentlich oder unwißentlich.« (JF: JWA 2,1, 233)
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Vgl. dazu ausführlich Sandkaulen 2002. Geist und Seele im Denken Jacobis
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Es ist unmittelbar einsichtig, dass es solche Äußerungen sind, gegen die Hegel seine Unterscheidung mobilisiert: die Unterscheidung zwischen dem Geistreichen als dem »Surrogat methodisch ausgebildeten Denkens« einerseits und dem Denken der Wissenschaft andererseits. Die geistreiche Einstimmung in den Geist ist das eine. Und sie ist sogar nötig, wenn die hier verfolgte spekulative Wissenschaft mehr sein soll als die Wissenschaft des Verstandes. Wenn Jacobi aber so weit geht, Geist und Wissenschaft ein für alle Mal polemisch zu dissoziieren, dann hat man es nicht mit einer Anregung, sondern mit einer schrillen Provokation zu tun, derer man sich mit ähnlich großer Entschiedenheit zu erwehren hat. Dann gilt es, die Insuffizienz des nur Geistreichen herauszustellen: anstatt die Dimension des Geistes wirklich zu eröffnen, bleibt es dem, worüber es hinausweisen will, zugleich verhaftet. Es bricht sich – »das Unzusammenhängende, die Sprünge, die Kühnheit des Ausdrucks, die Schärfe des Verstandes, und seine Uebertreibung und Hartnäckigkeit, der Gebrauch von sinnlicher Vorstellung, die Berufung aufs Gefühl und auf den gesunden Menschenverstand« weisen darauf hin6 – im Medium der Reflexion. Das Geistreiche gegenüber dem Prozedere der Wissenschaft abzugrenzen, heißt so, ihm in seinem Recht und seinem Unrecht zugleich eine Zwischenstellung anzuweisen, die zwischen dem bloßen Verstand und der begrifflich artikulierten Vernunft liegt. Hegels Konzept des Geistes im Kontext seines eigenen Anspruchs auf Wissenschaft steht hier nicht zur Diskussion, auch nicht die Frage, ob es ihm gelungen ist, den Einspruch Jacobis abzuweisen.7 In jedem Fall ist ein bedeutender Vorzug seiner Präsentation herauszustreichen. Er besteht darin, dass Jacobis Denken unter dem Prädikat »geistreich« jedenfalls nicht Gefahr läuft, einer sentimentalen oder gar irrationalen Gegenströmung zur Aufklärung zugeschlagen zu werden. Dass der »Spottname« eines »Gefühls- oder Gemüths-philosophen ersonnen« worden sei, um seine Position zu diskreditieren, hat Jacobi später, in der Einleitung in des Verfassers sämtliche Schriften von 1815, bitter beklagt (JWA 2,1, 379). Dieser Vorwurf trifft Hegel nicht. Das von ihm diagnostizierte geistreiche Oszillieren zwischen Verstand GW 15, 24. Dazu habe ich mich an anderen Stellen geäußert. Vgl. Sandkaulen 2004 und 2008, sowie die Texte Nr. 12, 13 und 14 in diesem Band. 6
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Leitmotive
und Vernunft, zwischen Reflexion und Spekulation sieht in Jacobi vielmehr im Gegenteil eine Figuration der modernen Welt, deren intellektueller Bewusstseinszustand, sofern er nicht durch den selbstzufriedenen Optimismus des Verstandes verdeckt wird, durch Zerrissenheit gekennzeichnet ist. Das Prädikat »geistreich« zieht Hegel darum – mit ganz analogen Valeurs – nicht zufällig auch in der Phänomenologie des Geistes heran, wo es die Sprache des »zerrissenen Bewußtseins« kennzeichnet, dessen Erscheinung, in diesem Fall durch Diderot vertreten, den entscheidenden Auftakt der modernen Welt des Geistes bildet und dem »einfachen Bewußtseyn« in seiner Unschuld und Naivität klarerweise überlegen ist.8
II. Eine neue Verständigung über Vernunft Was Jacobi über den Geist zu sagen hat, steht im reflektierten Kontext eines ideengeschichtlichen und kulturellen Umbruchs der Moderne. Darauf sollte das im Spiegel Hegels gewählte Entrée unter dem Prädikat des »Geistreichen« aufmerksam machen. Im Namen des Geistes eröffnet Jacobi neue Blick- und Denkbahnen und findet neue Darstellungsformen, die sich den Erwartungen ausschließlich diskursiven Räsonnements widersetzen. Die Tatsache aber, dass hier nicht einfach Traditionen fortgeschrieben, sondern innovative Perspektiven freigesetzt werden, geht Hand in Hand damit, dass diese Perspektiven den überkommenen Denk- und Sprachweisen abgerungen werden müssen. Alles, was Jacobi sagt, steht insofern unter der von Hegel zutreffend vermerkten Voraussetzung einer eigentümlichen Gebrochenheit, der zufolge es einen direkten und frontalen Zugriff auf die einschlägigen Sachverhalte des Geistes nicht gibt. Einen Traktat über den Geist wird man also unter den Bedingungen »geistreicher« Rede nicht erwarten dürfen. Und das gilt selbstverständlich auch und sogar exemplarisch für den Text, in dem Jacobi die fragliche Dimension des Geistes erstmals als solche thematisiert. Gemeint ist die Beilage VII der zweiten, wesentlich erweiterten Auflage seines Buches Über die Lehre des Spinoza in Briefen an
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Hegel, Phänomenologie des Geistes, GW 9, 284. Geist und Seele im Denken Jacobis
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den Herrn Moses Mendelssohn von 1789.9 Es ist dieser Text, auf den sich Jacobi selber später, in der schon erwähnten Beilage seines Briefs an Fichte, bezieht, und hier erinnert er auch daran, dass die entscheidende Äußerung über den Geist im Zusammenhang mit einer »seltsam klingende[n] Frage« steht: »Hat der Mensch Vernunft, oder hat Vernunft den Menschen?« (JF: JWA 2,1, 232) Tatsächlich bildet diese Frage, auf die die Beilage VII ihrerseits als auf ihren Höhepunkt zusteuert, so etwas wie die Überschrift, unter der dann das Folgende als Antwort formuliert wird: »Versteht man unter Vernunft die S e e l e des Menschen, nur in so fern sie deutliche Begriffe hat, mit denselben urtheilet, schließt, und wieder andre Begriffe oder Ideen bildet: so ist die Vernunft eine Beschaffenheit des Menschen, die er nach und nach erlangt, ein Werkzeug, dessen er sich bedient, sie gehört ihm zu. Versteht man aber unter Vernunft das Prinzip der Erkenntniß überhaupt; so ist sie der G e i s t , woraus die ganze lebendige Natur des Menschen gemacht ist: durch sie besteht der Mensch; er ist eine Form, die sie angenommen hat.« (Spin: JWA 1,1, 259 f., gesperrte Herv. v. Verf.)
Was Hegel hinsichtlich des Beitrags Jacobis bewundert und kritisiert und was er selber über Jacobis »geistreiches« Anklingenlassen spekulativer Ideen hinaus selber verfolgt, setzt die inventiven Erkundungszüge dieses Textes voraus. Um nun die Pointe des Verfahrens und dessen, worum es Jacobi geht, möglichst präzise einzufangen, empfiehlt es sich, Schritt für Schritt die wesentlichen Gesichtspunkte herauszuheben. Das Wichtigste ist allem anderen voran nicht zu übersehen: In der typischen »Manier«, wie Hegel es nennt, einer geistreich verdichteten Rede, die Zusammenhänge und Verbindungen über Brüche und Dissonanzen hinweg freilegt, werden hier zwei Diskurse miteinander verschränkt und dadurch in eine neue Perspektive gestellt – der
Ich habe diese Beilage VII als Jacobis »heimliches Hauptwerk« bezeichnet: Die in den 70er und 80er Jahren entwickelten Leitmotive Jacobis laufen hier, unter Einbeziehung seiner Stellungnahme zu Spinoza und Kant, zusammen und strahlen von hier aus in das ganze spätere Werk aus. Die in der Forschung hin und wieder anzutreffende Unterscheidung zwischen einem Früh- und einem Spätwerk Jacobis ist gegenstandslos. Vgl. zum Gesamtansatz Jacobis Sandkaulen 2000. 9
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Leitmotive
Diskurs über Vernunft und der Diskurs über Seele und Geist. Und dabei ist es nicht nur so, dass Seele und Geist zwei verschiedenen Formen der Vernunft zugeordnet werden. Behält man im Auge, dass die Bestimmungen, die hier formuliert werden, als Antwort auf die Frage nach der Vernunft zu verstehen sind, dann ist vielmehr entscheidend festzuhalten, dass die Hinsicht auf Vernunft die Leithinsicht darstellt, unter der die Hinsichten auf Seele und Geist überhaupt ins Spiel kommen und ihre spezifische Kontur erhalten. Mit anderen Worten: Was über Seele und Geist gesagt werden kann, lässt sich nicht allein von den Aspekten der Vernunft nicht trennen, sondern setzt die Verständigung über Vernunft voraus. Dass die Bestimmung des Geistes zu einem Schlüsselterminus der Epoche avanciert, der im Problemfeld der Subjektivität einschlägige Bedeutsamkeit erlangt, wurde am Anfang bereits hervorgehoben. Hier wird nun deutlich, dass diese Vergewisserung ihrerseits unter der Bedingung steht, sich über die Perspektiven der Vernunft ins Klare gesetzt zu haben. Genau das steigert aber die Komplexität des Gedankengangs. Denn wenn es so ist, dass man nicht einfach auf die Traditionsbestände der Rede über Seele und Geist zurückgreifen kann, sondern diese Bestimmungen basalerweise im Problemfeld der Vernunft verorten und hier in ihrem Status und Sachgehalt klären muss, dann gilt eben dies erst recht für die Leit- und Orientierungshinsicht der Vernunft selbst. Was Vernunft ist, was man unter diesem Ausdruck zu verstehen hat, kann man ebenfalls nicht und noch viel weniger voraussetzen, sondern dies bedarf seinerseits einer fundamentalen Prüfung. Was also als Basis aller weiteren Aussagen grundsätzlich erforderlich ist, ist mit Kant gesprochen nicht weniger als eine Kritik der Vernunft. Diese Rede von einer zu leistenden Kritik der Vernunft verfremdet Jacobis Anliegen keineswegs. Im Gegenteil: es wäre gar nicht vorstellbar, dass etwa Fichte in Gestalt Jacobis den »mit Kant gleichzeitigen Reformator in der Philosophie« 10 schätzt oder dass Hegel das »geistreiche« Anklingen spekulativer Ideen aus Jacobis Texten herauslesen möchte, wenn es Jacobi nicht tatsächlich um das basale Unternehmen einer Vernunftkritik gegangen wäre, das er gleichzeitig mit Kant und zugleich im Kontrast zu Kant vorgetragen
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Fichte, Sonnenklarer Bericht an das grössere Publicum, GA I,7, 194. Geist und Seele im Denken Jacobis
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hat. Wie die Zielbestimmung des Geistes zeigt, die bei Kant fehlt, auf die Jacobis Vernunftkritik jedoch ganz zentral führt, kommt es auf den Kontrast zu Kants Kritik der reinen Vernunft allerdings an. Das sieht man deutlicher, wenn man sich im nächsten Schritt der Frage nach der Vernunft genauer zuwendet und dabei die Frage von Seele und Geist vorerst noch provisorisch in Klammern rückt. Mit einer Vernunft, die der Mensch hat, und mit einer anderen Vernunft, die den Menschen hat, zielt Jacobi auf die Vergewisserung einer Unterscheidung, die er später auch mit den Namen einer »adjectiven« und einer »substantiven« Vernunft belegt (JF: JWA 2,1, 232). Dabei ist von Belang, dass erstens überhaupt eine Unterscheidung getroffen wird, und dass zweitens Klarheit über die Art dieser Unterscheidung besteht, wobei weder für das eine noch für das andere Einverständnis und Zustimmung einfach unterstellt werden kann. In beiderlei Hinsicht handelt es sich vielmehr um einen entschiedenen Einspruch gegen die vorherrschende Praxis, mit der man sich philosophisch auf dem Problemfeld Vernunft bewegt. Was zunächst die Einführung einer Unterscheidung überhaupt betrifft, so steht Jacobi derjenige Vernunftdiskurs vor Augen, wie er sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts weithin eingeschliffen hat. Hier ist Vernunft zu einem eindimensionalen Ausdruck geronnen, der dazu dient, die rationale Fähigkeit des Begriffebildens, Urteilens und Schließens zu bezeichnen. Interessanterweise wird diese Engführung der Vernunft auf diskursive Rationalität, die sich als die übliche Bedeutung auch im allgemeinen Sprachgebrauch bis in die Gegenwart hinein durchgesetzt hat, sowohl im Kontext des Wolffschen Rationalismus als auch im Kontext des Lockeschen Empirismus geprägt. Verloren geht in beiden Fällen das wesentlich reichere und komplexere Verständnis der älteren Tradition, die zwischen nous und dianoia, zwischen intellectus und ratio, und damit zwischen intuitiven und diskursiven Momenten der Vernunft zu differenzieren wusste. Vor diesem Hintergrund ist es nicht falsch zu sagen, dass Jacobi, indem er dem eindimensionalen Sprachgebrauch der Epoche und der damit einhergehenden Verkürzung der Bedeutungsdimension von Vernunft die substantielle Unterscheidung zweier Formen der Vernunft entgegenhält, an die ältere Tradition in gewisser Weise anknüpft, sie, wenngleich mit deutlichen Modifikationen, überhaupt wieder in Erinnerung ruft. 62
Leitmotive
Damit steht zweitens die Frage nach der Art der Unterscheidung der Vernunft im Raum, und in dieser Perspektive rückt nun der kritische Bezug auf Kant ins Visier. Immerhin ist ja die Absicht der Kritik der reinen Vernunft nicht zu übersehen, gegenüber dem eindimensionalen ›Rationalismus‹ des vorherrschenden Diskurses ihrerseits bereits zu einer differenzierteren Verständigung zu gelangen. Im Falle Kants heißt das, zwischen dem Vermögen des Verstandes einerseits und dem der Vernunft andererseits zu unterscheiden, deren Differenz darin besteht, dass der Verstand als Vermögen der Begriffe oder Regeln in Verbindung mit der sinnlichen Anschauung auf empirische Erkenntnis zielt, während die Vernunft als Vermögen der Prinzipien Ideen entwirft, im Horizont derer sie auf den einheitsstiftenden Rahmen des Unbedingten gerichtet ist. Unter dem Titel Vernunft und der ihr eigentümlichen Ideen bringt Kant somit eine metaphysische Dimension ins Spiel, die ihn hier sogar den Namen Platons assoziieren lässt.11 Wie substantiell und detailliert sich Jacobi mit dieser Vorgabe Kants auseinandergesetzt hat, ist an dieser Stelle nicht erschöpfend zu zeigen. Hier muss es genügen, allein auf den Punkt zu verweisen, an dem sich die Wege Jacobis und Kants definitiv voneinander trennen. Zwar ist es so, dass Kant die skizzierte Unterscheidung trifft und der Vernunft über den Verstand hinausgehend eine Dimension sui generis zuerkennt. Entscheidend ist jedoch, dass diese Dimension gleichwohl relativ zum Verstand und in Abhängigkeit von dessen Kompetenzen gewonnen und beschrieben wird. Was Kant unter dem Namen einer Kritik der reinen Vernunft vorgelegt hat, ist mithin eigentlich eine »Kritik des Verstandes«, deren Ergebnisse nachfolgend auf die Vernunft Anwendung finden und die ihr eigentümlichen Ideen dann eben doch nur wie eine bestimmte Klasse ins Unbedingte erweiterter Begriffe erscheinen lassen, von denen das gilt, was für alle Begriffe gilt, dass sie nämlich ohne Bezug auf die sinnliche Anschauung leer und ohne jeden Realitätsgehalt sind. Damit präzisiert sich, worauf Jacobi zielt. Sich darüber zu verständigen, was man »unter Vernunft versteht«, und in dieser Hinsicht die Unterscheidung zwischen einer adjektiven und einer substantiven
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KrV, A 314, B 370f. Geist und Seele im Denken Jacobis
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Vernunft sowohl gegen die eindimensionale Auffassung der Vernunft als auch gegen Kants in Abhängigkeit vom Verstand entworfene Vernunft ins Spiel zu bringen, bedeutet nun, die substantive, im eigentlichen Sinne so zu nennende und daher mit dem Geist zusammenzuführende Vernunft von der Verpflichtung auf die Rationalitätsstandards des Verstandes zu befreien. Das heißt selbstverständlich nicht, dass hier bestritten würde, dass es diese Standards diskursiver Rationalität gibt. Und bestritten wird selbstverständlich ebenfalls nicht, dass diese Standards von Bedeutung sind. Jedoch wird ihre Reichweite eingeschränkt und damit zugleich der Vernunft im emphatischen Sinne ein eigener Geltungsbereich und eine eigene Evidenz zuerkannt, die sie nicht allein neben, sondern über die adjektive Vernunft stellt. Ein Akt reiner Willkür ist dies durchaus nicht. Auffällig ist vielmehr, dass gerade umgekehrt nicht nur Wolff oder Locke keine Begründung dafür liefern, warum unter Vernunft ausschließlich die Kompetenz und das Prozedere diskursiver Rationalität verstanden werden soll. Auch Kant bleibt eine Begründung dafür schuldig, dass die Verstandeskriteriologie auf die Dimension der Vernunft Anwendung finden soll. Stattdessen verfährt er fraglos so, um sich damit nicht von ungefähr in die von ihm selbst benannte »Verlegenheit« zu bringen, von der Vernunft als einer Dimension sui generis zu sprechen, die ihr im selben Moment wiederum entzogen wird,12 während hingegen Jacobi die Freilegung der substantiven Vernunft an den Aufweis von Phänomenen bindet, die deren Existenz bezeugen sollen. Solche Phänomene betreffen die menschliche Existenz. Und dies lenkt nun die Aufmerksamkeit von neuem und noch einmal anders und weitergehend auf die eröffnende und somit entscheidende Frage nach der Vernunft. Ob der Mensch Vernunft hat oder ob Vernunft den Menschen hat, wird hier gefragt – das heißt: Wie auch immer die Frage in Gestalt der Unterscheidung zweier Formen der Vernunft zu beantworten ist, in jedem Fall wird die Bestimmung der Vernunft instantan an die Bestimmung menschlicher Existenz gebunden. Abgelöst davon wäre Vernunft, und zwar in ihren beiden zu unterscheidenden Formen, ein vollständig leerer Begriff: die abstrakte Hypostasierung eines anonymen Vermögens der Erkenntnis, dessen
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KrV, A 299, B 355. Leitmotive
Kultivierung Kennzeichen philosophischer Theoriediskurse ist, die darin doch nur – und an solchen Stellen wird Jacobi, wie Hegel es nennt, in seiner »geistreichen Manier« auf störende Weise »polemisch« – zeitvertreibende »Spiele« sind.13 Solche Spiele zu entzaubern und die Frage nach der Vernunft in der Erfahrung, einer anthropologisch-existentiellen Vergewisserung menschlichen Lebens zu verankern, gehört darum zu derjenigen Kritik der Vernunft, wie Jacobi sie betreibt, unerlässlich hinzu. Dies bedeutet zugleich, dass es hier auf keinen Fall um die eingeschränkte Domäne einer Erkenntnistheorie geht, die allein unter epistemischen Aspekten interessiert.
III. Existentielles: Die Vorstellung des Bedingten und Unbedingten Dass nur diese Anlage der Problemstellung es erlaubt, die Frage nach der Vernunft mit den Hinsichten auf Seele und Geist zu verschränken, zeichnet sich damit ab. Und so kann man nun in einem nächsten Um einen weiteren Eindruck von Jacobis »geistreicher« und darin nicht nur zum Ärger Hegels »polemischer« Textur zu vermitteln, sei der fragliche Passus aus dem Brief an Fichte vollständig zitiert: »Unsere Wißenschaften, blos als solche, sind Spiele, welche der menschliche Geist, zeitvertreibend, sich ersinnt. Diese Spiele ersinnend, organisiert er nur seine Unwißenheit, ohne einer Erkenntniß des Wahren, auch nur um ein Haar breit näher zu kommen. In einem gewißen Sinne entfernt er sich dadurch vielmehr von ihm, indem er bey diesem Geschäft sich über seine Unwißenheit blos zerstreut, ihren Druck nicht mehr fühlt, sogar sie lieb gewinnt, weil sie – unendlich ist; weil das Spiel, das sie mit ihm treibt, immer mannigfaltiger, ergötzender, größer, berauschender wird. Wäre das Spiel mit unserer Unwißenheit nicht unendlich, und nicht so beschaffen, daß aus jeder seiner Wendungen ein neues Spiel entstünde: so würde es uns mit der Wißenschaft, wie mit dem Nürrenberger, so genannten Grillenspiel ergehen, das uns anekelt, so bald uns alle seine Gänge und mögliche Wendungen bekannt und geläufig sind. Das Spiel ist uns dadurch verdorben, daß wir es ganz verstehen, daß wir es wißen. Und so begreife ich denn nicht, wie man an wißenschaftlicher Erkenntniß genug haben, auf alle Wahrheit außer der Wißenschaftlichen Verzicht thun, und der Einsicht, daß es keine andre Wahrheit gebe, sich erfreuen kann – wenn man dieser Wahrheit, dem wißenschaftlichen Wißen, wie Fichte auf den Grund gekommen ist, und es eben so klar, zum wenigsten, wie ich, vor Augen hat: daß wir im rein wißenschaftlichen Wesen nur ein Spiel treiben mit leeren Zahlen« (JF: JWA 2,1, 206f.). 13
Geist und Seele im Denken Jacobis
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Schritt die beiden Formen der Vernunft konkret ins Auge fassen. Dabei zeigt sich nicht erst im Falle der substantiven, sondern gerade auch schon im Falle der adjektiven Vernunft, dass Jacobi, indem er an das der älteren Tradition vertraute Verhältnis von ratio und intellectus, von diskursiven und intuitiven Momenten der Vernunft in gewisser Weise erinnert, der Angelegenheit durch ihre existentielle Fundierung doch ganz andere und neue Züge abgewinnt. Denn worum handelt es sich zunächst einmal in Gestalt derjenigen Vernunft, die der Mensch hat? Was ihre Kompetenzen als solche betrifft, so wurde das Wesentliche anlässlich der eindimensional verkürzten Rede über Vernunft schon gesagt. Eben diese Fähigkeiten stellt auch Jacobi als die charakteristischen Fähigkeiten diskursiver Rationalität heraus: Begriffsbildung, Urteil und Schluss. Im weiteren Kontext der Beilage VII und der Spinozabriefe insgesamt wird das Spektrum dieser rationalen Fähigkeiten und Aktionen im Ganzen unter die operationale Rücksicht der Suche nach dem zureichenden Grund gerückt. Bestimmte Phänomene finden im Zusammenhang ihrer »Vermittelung« durch zureichende Begründung ihre befriedigende Erklärung, eine Erklärung, die wir durch die rationale Konstruktion des Zusammenhangs gewinnen: »Wir begreifen eine Sache, wenn wir sie aus ihren nächsten Ursachen herleiten können, oder ihre unmittelbaren Bedingungen der Reihe nach einsehen: was wir auf diese Weise einsehen, oder herleiten können, stellt uns einen mechanischen Zusammenhang dar. […] Die Construction eines Begriffes überhaupt ist das a priori aller Constructionen; und die Einsicht in seine Construction giebt uns zugleich auf das gewisseste zu erkennen, daß wir unmöglich begreifen können, was wir zu construiren nicht im Stande sind.« (Spin: JWA 1,1, 258) Dieser von Jacobi herausgestellte konstruktivistische Zug der Rationalität trifft nun fraglos einen entscheidenden Punkt, der im Zuge der fortschreitenden Moderne immer deutlicher zu Tage und ins Bewusstsein getreten ist. Indessen ist dies noch nicht alles. Denn Jacobi geht noch einen Schritt weiter, indem er die Kompetenzen dieser Rationalität adjektiv, als eine Eigenschaft also versteht und damit offenkundig auf die Figur des sogenannten animal rationale rekurriert. Zu einem Lebewesen oder genauer einer bestimmten Gattung Tier kommt die spezifische Eigenschaft Rationalität hinzu: Nimmt man diesen Zusammenhang beim Wort, so wie Jacobi es tut, 66
Leitmotive
dann büßt der Ausdruck »animal rationale« nicht allein seine überlieferte Aura ein, insofern damit jetzt nur noch ein bestimmter und nicht einmal der wesentliche Aspekt von Vernunft eingefangen wird. Vor allem geht mit der Durchleuchtung dieses Zusammenhangs dann auch der Gedanke einher, diese als spezifische Eigenschaft verstandene Dimension diskursiver Rationalität tatsächlich auf das ihr zugrundeliegende Leben hin aufzuschließen. Als animal rationale verfügt der Mensch über Vernunft – jedoch verfügt er darüber nicht je schon, so als handle es sich dabei um eine ›ewige Wahrheit‹, ohne existentiellen Sitz im Leben. Vielmehr bildet der Mensch Jacobi zufolge diese Eigenschaft »nach und nach«, im Verlauf einer »natürlichen Geschichte«, einer Historiogenese der Rationalität allererst heraus, und zwar als ein notwendiges »Werkzeug«, das relativ zu den Umständen, die es menschheitsgeschichtlich zu bewältigen galt und gilt, zum Einsatz gebracht und fortschreitend verfeinert wird.14 Nicht zuletzt in der Perspektive gegenwärtiger Diskussionen, die den Ansatz einer natürlichen und kulturellen Evolution in den Mittelpunkt rücken, ist Jacobis Vorstoß in Sachen adjektiver Vernunft offenkundig bemerkenswert. Indem er aus den traditionellen und sogar auch den von Kant kritisch erneuerten Denkbahnen »geistreich« ausbricht, nimmt seine Analyse, die den gleichermaßen konstruktivistischen wie instrumentell-pragmatischen und dabei evolutionären Charakter diskursiver Rationalität freilegt, im Grunde genommen vorweg, was erst im Verlauf des späteren 19. Jahrhunderts, im Gefolge Nietzsches und des Pragmatismus etwa, zu einem vertrauten Denkmuster geworden ist. Allerdings kommt es nicht weniger auch auf die entscheidende Differenz zu solchen Denkmustern an. Denn für Jacobi deckt diese Eigenschaft des animal rationale eben nicht zugleich das ganze Problemfeld der Vernunft ab. Vernunft im substantiven, mithin im emphatischen Sinne von der adjektiven Vernunft zu unterscheiden, heißt, sich eines »Prinzips« zu vergewissern, das dem Menschen genau in dem Maße nicht konstruktivistisch und instrumentell zur Verfügung steht, wie es nicht das spezifische Produkt seiner natürlichen Lebensumstände, sondern vielmehr die Basis seiner »ganzen Die Beilage VII präsentiert diese Geschichte als Geschichte fortschreitender Entzauberung, vgl. Sandkaulen 2000, 103ff. 14
Geist und Seele im Denken Jacobis
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lebendigen« Existenz bildet. Damit kommt ein ganz anderer Gedanke ins Spiel. Diesem Gedanken zufolge ist die menschliche Existenz unter dem Aspekt eines rational höher entwickelten Tiers nicht zureichend zu begreifen – und zwar deshalb nicht, weil einer solchen Reduktion ihrerseits ein Phänomen, ein Phänomen anderen Typs allerdings, entgegensteht. Jacobi nennt dieses Phänomen den charakteristischen Befund des menschlichen Bewusstseins, das »aus zwey ursprünglichen Vorstellungen, der Vorstellung des Bedingten und des Unbedingten zusammen gesetzt ist. Beyde sind unzertrennlich mit einander verknüpft, doch so, daß die Vorstellung des Bedingten die Vorstellung des Unbedingten voraussetzt, und in dieser nur gegeben werden kann.« (Spin: JWA 1,1, 260) Den Terminus des »Unbedingten« übernimmt Jacobi offenkundig von Kant. Aber man sieht, wie durchaus anders er hier eingesetzt wird. Nicht allein, dass Kant die Suche nach dem Unbedingten dem systematischen Interesse einer hypostasierten Vernunft zuschreibt, die die Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis im Einheitshorizont des Unbedingten vervollständigen will. In der Spur dieser epistemischen Suchbewegung wird das Unbedingte auch zwangsläufig vom Bedingten her, nämlich als dessen Entschränkung entworfen. Jacobi hingegen verkehrt diese Theorieanlage ins Gegenteil. Erstens ist hier nicht die Option einer spekulativen Vernunft, sondern ein fundamentaler Befund menschlichen Bewusstseins gemeint. Und damit geht zweitens einher, dass die dem menschlichen Bewusstsein eigentümliche Vorstellung des Unbedingten nicht weniger als diejenige des Bedingten eine ursprüngliche, also nicht ableitbare, auf andere Gegebenheiten zurückführbare Vorstellung ist und in dieser Ursprünglichkeit der Vorstellung des Bedingten sogar vorausgeht. Was Jacobi damit im Auge hat, ist ein durch und durch metaphysischer, aber eigentlich gar nicht besonders komplizierter, geschweige denn spekulativ verstiegener Gedanke. Menschen teilen mit allen anderen Lebewesen das Schicksal, endliche oder natürliche Wesen zu sein: Dies ist schlicht eine Tatsache. Daran ändert auch nicht das Geringste, dass sie als animalia rationales über die Möglichkeit und Fähigkeit verfügen, die Umstände ihres Lebens durch den konstruktiven Einsatz instrumenteller Rationalität planmäßig zu beeinflussen. Der entscheidende und insofern nicht quantitative, sondern qualitative Unterschied zwischen Menschen 68
Leitmotive
und anderen Lebewesen liegt darin, dass sie eine »Vorstellung des Bedingten«, also ein Bewusstsein davon haben, dass sie endliche Wesen sind. Dieses artikulierte oder unartikulierte Wissen um ihre Endlichkeit und Bedingtheit ist nun aber aus dem Faktum der Endlichkeit selber gerade nicht zu erklären, indem es ja vielmehr unweigerlich eine Distanznahme zu diesem Faktum impliziert. Dass wir endliche Wesen sind, wissen wir also nur, weil wir nicht durchweg endliche, sondern solche Wesen sind, die ihre Endlichkeit im Licht einer »ursprünglichen Vorstellung des Unbedingten« allererst in den Blick nehmen können. Man hat Jacobis Überlegungen, insoweit sie der metarationalen Dimension der Vernunft gelten, immer einmal wieder, wenn nicht sogar mit der Behauptung irgendwelcher mystischer und darin vorzugsweise ›irrationaler‹ Einsichten, so doch mit so etwas wie einer ›intellektuellen Anschauung‹ des Unbedingten in Verbindung gebracht, die als solche von allen endlichen Konditionen befreit. Nicht zuletzt hat die idealistische Rezeption Jacobis solche Figuren aus Jacobi herauslesen wollen und sie eigentlich in seine Texte im Sinne des »geistreichen« Anklingenlassens spekulativer Ideen lediglich hineingelesen. Denn um die Befreiung aus endlichen Konditionen zugunsten einer exklusiven Vergewisserung des Absoluten ist es im Namen der substantiven Vernunft, wie man sieht, überhaupt nicht zu tun. Wir sind und bleiben Endliche. Aber in das Bewusstsein unserer Endlichkeit ist immer schon eine Vorstellung miteingegangen, die aus dem Bedingten als solchem nicht entspringen kann, aus der aber auch umgekehrt das Bedingte keineswegs ›wissenschaftlich‹ abgeleitet werden soll, sondern die die Basis oder Voraussetzung dafür bildet, als endliches Wesen ein Selbstverhältnis unterhalten zu können. Dieses basale Selbstverhältnis, das uns anders als die adjektive Vernunft nicht zur Verfügung steht, weil es keine Operation gibt, mittels derer wir diese Basis »unserer ganzen lebendigen Natur« ihrerseits noch einmal hintergreifen könnten, nennt Jacobi Geist.
Geist und Seele im Denken Jacobis
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IV. Der Pragmatismus der Seele und die personale Freiheit des Geistes Der letzte Schritt der hier vorzutragenden Überlegungen kann nun darin bestehen, solches Geist-Sein der menschlichen Existenz in seinen Implikationen und Konturen und darin immer auch in seinem phänomenalen Befund abschließend herauszustellen. Zuerst ist dabei das Verhältnis von Geist und Seele in den Blick zu nehmen, wobei sich vor dem Hintergrund des Gesagten zeigt, dass Jacobi die Bestimmung der Seele auf eigentümliche Weise depotenziert. Auf eigentümliche Weise deshalb, weil seine vernunftkritisch orientierte Verhandlung, die die »Seele des Menschen« mit der Bestimmung instrumenteller Vernunft in Verbindung bringt, durchaus quer zu solchen Analysen liegt, die den auffallenden Bedeutungsverlust der Seele in der Moderne auf das neue Paradigma der Philosophie der Subjektivität bzw. darauf zurückführen, dass die traditionell dem Begriff der Seele zugrundeliegende Ontologie der Substanz zum Einsturz gebracht worden ist.15 Auf der Spur einer solchen Rekonstruktion wird der maßgebliche Bruch mit der Tradition aus der Perspektive Kants gedeutet, der die Seele im Zuge seiner transzendentalphilosophischen Revolution in der Tat nur noch durch die Brille paralogistischen Scheins hindurch ins Auge fassen kann. Jedoch sollte man nicht übersehen, dass Kant die Rede von der Seele damit ja durchaus nicht einfach verabschiedet. Die Dignität, die ihr traditionell als dem Sitz oder Topos der Unsterblichkeit zugewiesen worden ist, greift Kant nicht an. Was er bestreitet ist allein dies, dass die Seele als einfache und darin unauflösliche Substanz Gegenstand einer Erkenntnis zu werden vermag, deren Zustandekommen zwingend auf das Zusammenspiel von Begriff und Anschauung verpflichtet ist. Als Idee der Vernunft jedoch, an die dann auch das praktische Postulat der Unsterblichkeit angeknüpft werden kann, bleibt die Rede von der Seele durchaus intakt. Bei Jacobi hingegen liegt der Fall ganz anders. Das metaphysische und religiöse Deutungspotential der Seele büßt hier wirklich seinen Stellenwert ein. Im Kontext derjenigen Vernunft, die der Mensch hat, ist der Ausdruck »Seele«
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Vgl. Sparn 2004 und Barth 2004. Leitmotive
nur noch der Ausdruck für diejenige natürliche Verfasstheit eines Lebewesens, das als animal rationale die spezifische Eigenschaft rationaler Fähigkeiten entwickelt. Wenn man so will, wird die Seele damit in den Sog einer durchgreifenden Naturalisierung und Entzauberung gezogen, die die instrumentelle Rationalität der adjektiven Vernunft selber vollstreckt. Komplementär zu diesem Bedeutungsverlust der Seele ist es jedoch auch nicht das Paradigma der Subjektivität, was im Falle Jacobis an die Stelle überkommener Vorstellungen tritt. Auch in dieser Hinsicht liegen seine Überlegungen quer zu den üblichen Wahrnehmungsmustern des epochalen Umbruchs, wie er sich um 1800 vollzieht. Jacobi spricht so gut wie gar nicht von »Subjekt« oder »Selbstbewußtsein«. Auch der Ausdruck »Ich«, sofern er ihn gebraucht, hat hier eine durchaus andere Bedeutung als die, die man etwa mit Fichtes Grundlegungsprogramm der Wissenschaftslehre assoziiert. Gerade die Kritik, die Jacobi gegenüber Fichtes Prinzip äußert, indem er »jene unpersönliche Persönlichkeit; jene bloße Ichheit des Ich ohne Selbst […] lauter rein und baare Unwesenheiten« nennt, die zur Durchführung konstruktiver Wissenschaft allerdings erforderlich sind (JF: JWA 2,1, 212), macht den ganz anderen Einsatz seines eigenen Anliegens kenntlich. Subjektivität und Ichheit sind per definitionem allgemeine, epistemisch grundierte Strukturen. Was ihnen fehlt und fehlen muss, ist das Selbst – die unverwechselbare und irreduzible Individualität und Identität personaler Existenz, mit einem Wort: der Geist. »Ein Unvergleichbares, ein Eines für sich und ohne anderes ist der Mensch sich selbst durch seinen Geist, den eigenthümlichen, durch welchen er der ist, der er ist, dieser Eine und kein anderer.« (GD: JWA 3, 26)16 Die individuelle Verfasstheit personaler Existenz mit dem Ausdruck »Geist« zu belegen, hat offenkundig einen guten Sinn. Denn so wird von vornherein verhindert, dem konkreten Individuum oder der konkreten Person einzig und allein den Status eines empirischen Phänomens anweisen zu können, womit man sich wiederum im Paradigma der Subjektivität verfangen hätte. Hier wird ja das konkrete Ich im Kontrast zur allgemeinen Struktur von Subjektivität als so
16
Vgl. hierzu Text Nr. 5 in diesem Band. Geist und Seele im Denken Jacobis
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etwas wie ein empirisches Vorkommnis gedacht, von dem dann aber völlig unklar ist, was es als ein solches Vorkommnis von anderen empirisch vorliegenden Phänomenen wie Steinen oder Bäumen eigentlich unterscheidet. Geht man davon aus, dass es sich in diesem Fall nicht um Steine oder Bäume handelt, dann kommt man gar nicht umhin, einem solchen Vorkommnis die Innenperspektive eines Selbstverhältnisses zu unterstellen, das sich in gewissen Äußerungen zu erkennen gibt, ohne mit ihnen je restlos zusammenzufallen. Treibt man dies dann aber so weit, ein solches Selbstverhältnis seinerseits als Instantiierung einer allgemeinen Struktur von »Ichheit« überhaupt zu begreifen, dann hat man die eigentümliche Individualität des Ich von der anderen Seite her längst wiederum übersprungen, ohne ihrer ›Erklärung‹ um einen Schritt näher gekommen zu sein. Dass Geist kein Gegenstand der Wissenschaft ist und sein kann, ist die Konsequenz, die Jacobi aus solchen vergeblichen Bemühungen zieht. Erstaunlich ist aber, dass er diese Konsequenz ja gleichsam immer schon gezogen hat, ohne die einschlägigen Versuche der Philosophie der Subjektivität zunächst einmal abwarten zu müssen. Vor dem Hintergrund der vernunftkritischen Unterscheidung von zwei Formen der Vernunft ist der Geist unter dem Titel einer Vernunft, die den Menschen hat, von Anfang an dem rationalen Erklärungsinteresse entzogen und in seiner eigenen, der Konstruktion zureichender Begründung unzugänglichen Dignität gesichert. Denn gemäß der Feststellung, dass »wir unmöglich begreifen können, was wir zu construiren nicht im Stande sind«, gilt, dass »wir von Qualitäten, als solchen, keine Begriffe« haben, »sondern nur Anschauungen. Selbst von unserem eigenen Daseyn haben wir nur ein Gefühl; aber keinen Begriff.« (Spin: JWA 1,1, 258) Die Vergewisserung des Geistes im Gefühl oder im Modus eines unmittelbaren Wissens ist Ausdruck für das allein in der Innenperspektive zugängliche basale Selbstverhältnis einer Person. Diesen Modus der Vergewisserung, der ex negativo, im Kontrast zur diskursiven Erklärung, zur Sprache kommt, kann man als solchen durchaus mit dem Motiv der intuitiven Evidenz in Verbindung bringen, das aus der älteren Tradition wie gesagt bekannt ist und hier mit der metarationalen Dimension des nous oder des intellectus assoziiert wird. Umso wichtiger ist zugleich, die existentielle Fundierung der Überlegungen Jacobis noch einmal nachdrücklich hervorzuheben, 72
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wonach es sich in Gestalt des Geistes um »die ganze lebendige Natur des Menschen« handelt. Denn ganz abgesehen davon, dass der Ausdruck »Geist« in dieser Perspektive nicht nur nicht auf einen kognitiven, sondern im Gegenzug zum empirischen Vorkommnis des Ich selbstverständlich auch nicht auf so etwas wie einen spirituellen Sachverhalt verweist,17 geht mit dieser existentiellen Fundierung der Rede vom Geist einher, dass man den Modus intuitiver Vergewisserung eben davon nicht ablösen und als einen gleichsam für sich stehenden epistemischen Befund behandeln kann. Interessanterweise hat Hegel indes genau dies getan, um Jacobi in seiner späteren Kritik des unmittelbaren Wissens folgerichtig die Beliebigkeit bloßer Versicherungen vorzuwerfen, deren »geistreiches« Anklingenlassen spekulativer Ideen nur dann vor solcher Willkürlichkeit geschützt werden kann, wenn der Logos der Wissenschaft sich der Sache annimmt. Allerdings: Wenn man so verfährt, dann mag Jacobis Insistieren auf intuitiver Evidenz sich von demjenigen Descartes’ etwa nicht unterscheiden lassen.18 Tatsächlich geht dieses Verfahren jedoch an Jacobis Überlegung ganz vorbei, der im Modus des Gefühls oder einer unmittelbaren Gewissheit auf den performativen Vollzug eines individuellen Selbstverhältnisses abhebt, das seine existentielle Fundierung eben nicht epistemisch, sondern vielmehr praktisch gewinnt. Das heißt: Die ursprüngliche Vorstellung des Unbedingten, die im menschlichen Bewusstsein mit der ursprünglichen Vorstellung des Bedingten verschränkt ist und ihr darin zugleich vorausgeht, wird von Jacobi ihrerseits noch einmal in einer phänomenalen Basis verankert – in der Erfahrung des Handelns. Der instrumentell-pragmatischen Orientierung der Seele entspricht die praktische Orientierung des Geistes, deren substantiver Freiheitsimpuls in die adjektive Konstruktion von Zusammenhängen eingeht und sie im selben Moment konterkariert. Im Kontext der Beilage VII wie der Spinozabriefe insgesamt avanciert mit diesem Gedanken der Begriff der Ursache zu dem entscheidenden Grundbegriff, der hier nicht das Geringste mit dem auf Objekte projizierten Konzept der Kausalität, sondern vielmehr damit Müsste man den Ausdruck »Geist« ins Englische übersetzen, wäre demnach weder »mind« noch »spirit« in diesem Zusammenhang sinnvoll zu verwenden. 18 Vgl. hierzu Text Nr. 13 in diesem Band. 17
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zu tun hat, dass wir über diesen Begriff überhaupt nur deshalb verfügen, weil wir mit ihm den Einsatz des Handelns bezeichnen, der im Bewusstsein eines frei entworfenen, intentionalen Anfangenkönnens geschieht. Im Duktus des bisher dargelegten Gedankengangs bedeutet das, dass die Freiheit des Geistes Jacobi zufolge eine Tat-Sache ist, die in genau dem Maße eine metaphysische Tatsache genannt werden muss, wie sie in den Begründungshorizont eines begreiflichen Faktums nicht eingeholt werden kann. Insofern lässt sich hier aber auch nicht das Konzept einer Autonomie in Anwendung bringen, das – wie immer es seinerseits konstruiert wird – das Handeln individueller Akteure in die Perspektive allgemeiner Gründe und Strukturen stellt, genau davon also schon wieder absieht, was wir basalerweise als den Impuls des Handelns erfahren. Nicht von ungefähr auf der Basis der vernunftkritischen Grundlagenverständigung der Beilage VII bezeichnet Jacobi darum in dem erwähnten, später dann unter dem Titel Ueber die Unzertrennlichkeit des Begriffes der Freyheit und Vorsehung von dem Begriffe der Vernunft veröffentlichten Text die »Vereinigung von Naturnothwendigkeit und Freyheit in Einem und Demselben Wesen« als ein »schlechterdings unbegreifliches Factum, ein der Schöpfung gleiches Wunder und Geheimniß«: »So wie nun von der Einen Seite die Vernunft, die im Begreiflichen allein ihr Wesen hat, die Realität dieses Geheimnißes, die Wahrheit dieses Wunders zu läugnen strebt, und, als die Repräsentantin einer Nothwendigkeit, die mit Gewalt alles schon bestimmt hat, und nichts geschehen läßt, was nicht schon geschehen ist, und im Grunde nie geschah – emsig bemüht ist jenes Wunder und Geheimniß, als eine Täuschung zeitlicher Unwißenheit aus dem Wege zu räumen, rückwärts Schritt vor Schritt Zeit und Begebenheit vertilgend: so behauptet die Realität und Wahrheit deßelben Geheimnißes und Wunders von der andern Seite der inwendige gewiße Geist, und nöthiget uns seinem Zeugniße zu glauben mit einer Gewalt des Ansehns, dem kein Vernunftschluß gewachsen ist. Er bezeuget was er behauptet mit der That, da keine, auch nicht die geringste Handlung ohne den Einfluß des freyen Vermögens, ohne Zuthun des Geistes geschehen kann.« (JF: JWA 2,1, 234 f.)19 Die Frage, die sich hier aufdrängt, nämlich die, woran man denn dieses »Zutun des Geistes« soll erkennen können, hat Jacobi nicht übersehen und folgendermaßen beantwortet: »Foderst du mich spottend auf, in irgend einem ein19
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Vor diesem Hintergrund rückt nun zuletzt vollends in den Blick, was es wirklich heißt, dass Jacobi die Rede über den Geist von Anfang an an eine Vernunft bindet, die den Menschen hat, und allein in diesem Rahmen das eigentümliche Selbstverhältnis thematisiert, das Menschen im Bewusstsein, frei handelnde Akteure zu sein, von anderen Lebewesen qualitativ unterscheidet. Denn zum Ausdruck gebracht wird so, dass die Freiheit des Geistes als metaphysische Tatsache eine menschliche Erfahrung nur sein kann, wie sie zugleich als ein Widerfahrnis verstanden werden muss. Die ursprüngliche Vorstellung des Unbedingten, die auf der Erfahrung der Freiheit basiert, hier aber von der Vereinigung mit dem Faktum unserer Endlichkeit nicht abzulösen ist, verweist so je schon auf ein schlechthin Unbedingtes, eine absolute Ursache, auf einen Gott, der Geist ist, ohne dass über dieses göttliche Sein und die Art seines Verhältnisses zur Welt des Endlichen irgendwelche Aussagen zu treffen wären, die eine hinreichend begründete Erklärung aufzubieten vermöchten. Auch in diesem Punkt bricht Jacobi aus den Denkbahnen, in diesem Fall der metaphysischen Tradition, radikal aus. Diejenige Metaphysik, von der jetzt unter dem Titel des Geistes nur noch die Rede sein kann, ist eine Metaphysik der Freiheit, die unter bewusst reflektiertem Verzicht auf den Gewinn theoretischer Erkenntnisse über die Vernunft als ein Organ des Vernehmens verständigt: »Von Vernunft ist die Wurzel, Vernehmen«. »Vernehmen sezt ein Vernehmbares; Vernunft das Wahre zum voraus: sie ist das Vermögen der Voraussetzung des Wahren.« (JF: JWA 2,1, 201, 208) Die darin umrissene Konstellation ist so aktuell wie interessant: Sei es, dass man weniger als dies von der Vernunft sagt, sei es, dass man sich mehr von ihren Kompetenzen verspricht, in beiden Fällen ist es zelnen Werke, einer Handlung, einem menschlichen Character den Antheil der Natur von dem Antheil der Freyheit abzusondern, und wie das eine von dem andern unterschieden werden müße anzugeben; so fodere ich dagegen, ohne Spott, dich von meiner Seite auf, in irgend einem Falle, wo du Bewunderung, Achtung, Dankbarkeit oder Liebe empfindest, diese Unterscheidung nicht zu machen; dir neben der Wirksamkeit der Natur ein freyes Vermögen nicht vorzustellen, und nicht auf dieses allein jene in dir erregten Empfindungen zu beziehen. Ich weiß, es ist dir unmöglich; du verlierst diese Empfindungen, so wie du das freye Vermögen weg denkst, seine Voraussetzung wirklich dir entbehrlich machst.« (JF: JWA 2,1, 237) Geist und Seele im Denken Jacobis
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die Wissenschaft, die »zuverlässig« etwas anderes »buchstabiert« als das, was Geist als personales Selbstsein meint.
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4. Zwischen Spinoza und Kant: Jacobi über die Freiheit der Person
I. Über das Thema »Freiheit nach Kant« zu sprechen, heißt im unmittelbaren Kontext der nachkantischen Philosophie, auch über Spinoza sprechen zu müssen. Inwieweit Kant selbst seine Philosophie in der Auseinandersetzung mit Spinoza entwickelt hat, ist bis heute umstritten – die jüngste hochinteressante Einlassung dazu stammt von Omri Boehm.1 Zumindest für die Nachfolger Kants ist aber klar, dass der Anschluss an Kants Philosophie der Freiheit immer auch über den Rückgriff auf Spinoza vermittelt ist. Auf den ersten Blick sieht das wie der Entwurf einer eindeutigen Alternative zu Spinoza aus. Wenn etwa Schelling proklamiert »Der Anfang und das Ende aller Philosophie ist – Freiheit«,2 dann ist dieses Projekt direkt auf den Anspruch bezogen, »ein Gegenstük zu Spinoza’s Ethik aufzustellen«.3 Schaut man sich jedoch das vermeintliche »Gegenstück« genauer an, stößt man wörtlich auf die These, dass Kants Theorie der Moralität allenfalls das endliche, empirische Ich betrifft, keinesfalls aber das Ich als Prinzip der Philosophie, das als »absolute Selbstmacht« 4 sukzessive alle Charakteristika der spinozanischen Substanz auf sich vereinigt. Mit anderen Worten, und dafür ist der Hinweis auf den frühen Schelling nur ein Beispiel: Die Sachlage der Freiheit nach Kant ist ziemlich kompliziert. Das gilt auch für den, der Spinozas Ethik als paradigmatischen Referenztext im offiziellen Diskurs der Philosophie zuerst überhaupt verankert hat – für Jacobi also. Angesichts seiner dezidierten Thesen zum sogenannten Fatalismus Spinozas sollte man gerade in Jacobis Fall erwarten, dass er in Kants Philosophie das willkommene Kontrastprogramm sieht, dem man sich im Interesse der Freiheit rück1 2 3 4
Boehm 2014. Schelling, Vom Ich als Princip der Philosophie, AA 2, 101. AA 2, 80. AA 2, 122. Vgl. hier auch § XIV im Ganzen. 77
haltlos anschließen kann. So einfach ist es aber nicht, wie Jacobi selbst 1788 in einem Brief an Kleuker schreibt: »Ich bin gegenwärtig daran, Kants Kritik der practischen Vernunft zu studieren […]. Sie können sich vorstellen, wie merkwürdig das für mich seyn muß, daß Kant mit mir den Glauben an Gott auf das factum der Causalität menschlicher Vernunft gründet, und kein Mittel gegen den Spinozismus weiß, wenn man nicht Freyheit geradezu annimmt und voraussetzt. Und dennoch gehen wir in der Vorstellungsart und in den Principien so ganz voneinander ab.« (JBW I,8, 72 f.)
Wie soll man das verstehen? Welche Auffassung von Freiheit wird hier vertreten, die einerseits gewisse Überzeugungen mit Kant teilt und sich andererseits »ganz« von Kant entfernt? Um diese Fragen zu klären, werde ich mich im Folgenden in der Hauptsache auf einen Text stützen, den Jacobi unter dem Titel »Ueber die Freiheit des Menschen« 1789 in die Vorrede zur zweiten Auflage seines Buches Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn eingerückt hat. Namentlich wird Kant in diesem Text nicht genannt, aber dass es (auch) um eine kritische Auseinandersetzung mit Kants praktischer Philosophie geht, hat Jacobi zehn Jahre später, 1799, im Brief an Fichte ausdrücklich vermerkt und diesem Brief unter anderen Beilagen auch die »Aphorismen über Nichtfreyheit und Freyheit« nochmals eigens beigegeben (JF: JWA 2,1, 213).5 Dabei trifft die Kennzeichnung »Aphorismen« das Textformat insofern gut, als es sich nicht um eine übliche Abhandlung handelt. Jedoch hat man es keineswegs mit einer losen Serie von Gedankensplittern zu tun, sondern mit einer streng komponierten Abfolge von insgesamt 52 dichten Paragraphen, die ihrerseits in zwei Abteilungen geteilt ist: »Der Mensch hat keine Freyheit« lautet die erste Sequenz, »Der Mensch hat Freyheit« die zweite (Spin: JWA 1,1, 158 – 169).
Nicht nur stellt Jacobi den Bezug dieser Aphorismen zum »Kantische[n] Sittengesetz« explizit her, sondern beansprucht zugleich, in seinem früheren Text eine Deduktion des kategorischen Imperativs unternommen zu haben: »Ich habe nie begriffen, wie man in dem categorischen Imperativ, der so leicht zu deduciren ist (Br. ü. Sp. Vorr. S. XXXIII und XXXIV.), etwas Geheimnißvolles und Unbegreifliches finden« konnte (JF: JWA 2,1, 214). 5
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Dass man sich hüten muss, diese Überschriften im Sinne einer einfachen Antithese zwischen Spinoza und Kant zu lesen, zeichnet sich inzwischen schon ab. In der Tat werden in Jacobis höchst komplexer Argumentation beide, Spinoza und Kant, gemeinsam sowohl in der ersten als auch in der zweiten Abteilung verortet. Dass der Mensch keine Freiheit hat, ist demnach auch ein Resultat der Kantischen Philosophie. Und umgekehrt: Dass der Mensch Freiheit hat, ist eine These, die Spinoza genauso wie Kant vertritt. Dass es nicht ganz verwunderlich ist, wenn sich auch in der folgenden Generation der Postkantianer, die alle Jacobis Spinozabriefe lesen, die scheinbar eindeutigen Zuordnungen zugunsten neuer Konstellationen auflösen, kann man an dieser Stelle festhalten. Was Jacobi selbst betrifft, und das möchte ich im Folgenden zeigen, liegt mit seiner Darstellung eine höchst interessante Problemanalyse vor, der eine in meinen Augen überzeugende Auffassung von Freiheit entspricht.6
II. Ich beginne mit drei knappen Vororientierungen und springe dann in medias res, um Jacobis »Freiheitsabhandlung« von ihrem Zentrum her zu rekonstruieren. In formaler Hinsicht, das ist der erste Punkt, ähnelt der antithetische Aufbau in gewisser Weise Kants dritter Antinomie bis hin dazu, dass im Resultat nicht einfach die eine oder andere Position gewinnt. Wir sind nicht entweder unfreie oder freie Wesen, sondern konstitutiv beides, wir haben eine »doppelte Richtung«, wie es am Ende heißt (Spin: JWA 1,1, 168). Insofern tut man gut daran, mit dem, was in der ersten Sequenz über die menschliche Unfreiheit gesagt wird, auf Dauer zu rechnen, wenngleich in einem dann nur mehr eingeschränkten Sinne. In sachlicher Hinsicht jedoch sprengt Jacobi zweitens die Konstellation der dritten Antinomie grundsätzlich auf. Kants Opposition zwischen Determinismus und Freiheit einschließlich ihrer kompatibilistischen Auflösung greift hier nicht – dafür ist das, was bei Jacobi in der ersten Abteilung in die Diagnose des »Mechanismus« mündet
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Vgl. hierzu auch Stolzenberg 2004 und Koch 2013, 80ff. Jacobi über die Freiheit der Person
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(Spin: JWA 1,1, 162), bei weitem zu komplex, und das wiederum hat nicht nur, aber auch damit zu tun, dass der kosmologische Aspekt der Freiheitsdiskussion instantan, und zwar in beiden Sequenzen, mit der moralischen Dimension des Problems zusammengeführt wird. In diesem Sinne bezieht Jacobi den Übergang Kants zur Kritik der praktischen Vernunft von vornherein in die Argumentation mit ein. Was Freiheit ist und was es bedeutet, ob sie uns zukommt oder nicht, entscheidet sich nicht theoretisch, sondern praktisch. Unter diesem praktischen Aspekt, das ist der dritte Punkt, steht mit den Vollzügen unseres Handelns die konkrete Frage im Raum, wie wir handeln, wer es ist, der handelt, und woran derjenige, der handelt, sein Handeln orientiert. Aus Kantischer Perspektive ist damit zugleich auch schon das Sittengesetz der praktischen Vernunft aufgerufen, das Kant als die »ratio cognoscendi« der Freiheit bestimmt.7 Was Freiheit als unabdingbares Ingrediens sittlichen Handelns ist, ergibt sich aus dem Anspruch des Gesetzes, die Maximen des Handelns dem Test auf Universalisierbarkeit zu unterziehen, was dazu führt, das freie Handeln als ein gesetzliches Handeln aus Pflicht mit einem unfreien Handeln zu kontrastieren, das nicht dem Sollen der Vernunft, sondern der Heteronomie der Neigung folgt. An diesem Punkt angelangt, ist der Einspruch Jacobis nunmehr radikal, und damit gehe ich in medias res.
III. Jacobi zufolge ist die Dichotomie von Vernunft und Sinnlichkeit, von Pflicht und Neigung für eine hinreichende Verständigung über Freiheit grundsätzlich ungeeignet, und zwar in doppeltem Sinne. Auf der einen Seite geht der Befund der Unfreiheit, dasjenige also, was Jacobi als »Mechanismus« bezeichnet, über die unbestimmte Rede von der Neigung weit hinaus, wie gleich zu sehen sein wird. Dem entspricht auf der anderen Seite, dass unserem moralischen Bewusstsein, insofern es Freiheit involviert, eine gegenüber dem Pflichtbewusstsein viel basalere Unterscheidung zugrunde liegt, deren Realisierung im
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Kant, Kritik der praktischen Vernunft, AA V, 4 Anm. Leitmotive
Handeln von einer eigentümlichen Freude begleitet wird.8 Das heißt, dass man die Frage nach der Freiheit mit Jacobi durchaus so formulieren darf: Wann fühlen wir uns wirklich frei? Fühlen wir uns frei, wenn wir uns als dem Sollensanspruch des kategorischen Imperativs unterworfen betrachten? Oder fühlen wir uns dann wirklich frei, wenn wir den in Freude sich manifestierenden Eindruck haben, ganz bei uns selbst zu sein? Aus Kantischer Perspektive drängt sich die Gegenfrage natürlich sofort auf – was nämlich ein solches freudiges Gefühl des Beimirselberseins mit einem qualifizierten moralischen Bewusstsein zu tun haben soll. Und selbst Schiller, der wenig später ebenfalls an einer emotionalen Reform der Pflichtmoral gearbeitet hat, ist mit dem Entwurf der schönen Seele, die den Gegensatz von Pflicht und Neigung in sich überwindet, den Prämissen Kants zugleich verhaftet geblieben. Seine Pflicht gerne zu tun, bis man sie in habitualisierter Praxis als den strengen Aufruf unbedingten Sollens gar nicht mehr verspürt, ist aber nicht das, was Jacobi meint. Darum bleibt Schillers schöne Seele als Ideal sittlicher Vollkommenheit hier am besten ganz aus dem Spiel, zumal Jacobi selbst mit der Romanfigur Woldemar eine ganz anders geartete schöne Seele im Rahmen seiner Konzeption als eminenten Problemfall des moralischen Bewusstseins behandelt. Darauf komme ich am Ende kurz zurück. Für jetzt steht die Frage im Raum: Was hat das Gefühl, ganz bei mir selber zu sein, mit dem moralischen Gehalt der Freiheit zu tun? Jacobis Antwort zielt auf den Kern derjenigen Unterscheidung, die der von ihm geführten Freiheitsdiskussion auf denkbar basale Weise zugrunde liegt: Unser moralisches Bewusstsein im eigentlichen Sinne basiert danach auf der Intuition, dass es eine qualitative Differenz zwischen den Handlungsorientierungen des Angenehmen und Nützlichen auf der einen Seite und der des Guten auf der anderen Seite gibt. Ganz bei mir selber zu sein, heißt in dieser Perspektive, in der
Es handelt sich um eine Freude, so Jacobi, »die mit keiner anderen Freude verglichen werden kann: es ist die Freude, die Gott selbst an seinem Daseyn hat« (Spin: JWA 1,1, 168). Das ist natürlich in deutlicher Anlehnung an Spinoza gesagt. Auf Jacobis Nähe und Ferne zu Spinoza komme ich im Folgenden zurück. 8
Jacobi über die Freiheit der Person
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freien Orientierung am Guten eo ipso auch beim Andern zu sein.9 Jacobi nennt diese sittliche Haltung Religion, was hier von sämtlichen Assoziationen einer positiven Religion und wohlgemerkt auch vom Gedanken einer exklusiven Beziehung auf ein das menschliche Leben transzendierendes Göttliches vollständig freizuhalten ist. Gemeint ist vielmehr eine sittliche Praxis unter Menschen, die sich in Gestalt der Liebe, einer »reinen« Liebe, äußert (Spin: JWA 1,1, 167). Vorläufig erwähne ich hier nur, worauf ich am Ende auch kurz zurückkommen möchte, dass nämlich Hegel, wie mir scheint, unter allen Nachfolgern Kants und Jacobis von Beginn an, also seit seinen Frankfurter Skizzen, am besten verstanden hat, dass mit diesem Entwurf Jacobis ein ganz neuer Freiheitsbegriff gefunden ist, den Hegel in die Figur des ImAndern-Beisichselbstseins überführt. An dieser Stelle ist jedoch zunächst die von Jacobi geführte Diskussion zu vertiefen, deren Zentrum die genannte Grundunterscheidung bildet: die qualitative Differenz zwischen dem Nützlichen und dem Guten, in der der Unterschied der Freiheit besteht. Sofern wir uns keine Freiheit zuschreiben, können wir diese Unterscheidung nicht treffen und noch nicht einmal im Ansatz verstehen – dann ist das Gute mit dem Nützlichen identisch. »Unter gut werde ich das verstehen«, so Spinoza, »wovon wir mit Sicherheit wissen, daß es uns nützlich ist«.10 Dass Jacobi in der ersten Sequenz seiner Abhandlung genau diese utilitaristische Verfassung von Spinozas Ethik vor Augen hat, ist klar. Aber, so könnte Kant höchstselbst nun einwenden: Habe ich denn nicht etwa mit dem Sittengesetz und der mit ihm vorausgesetzten Freiheit genau darauf insistiert, dass moralisches Handeln von allem instrumentellen Handeln prinzipiell zu unterscheiden ist, Die klassische Distinktion zwischen dem Angenehmen, dem Nützlichen und dem Guten durchzieht der Sache nach die ganze zweite Sequenz. Dabei sind platonische, aristotelische und stoische Einflüsse gut zu erkennen, sie werden von Jacobi auch namentlich benannt (Spin: JWA 1,1, 164f.; 167). Der Rekurs auf Aristoteles wird im Roman Woldemar explizit verhandelt. Das sich so formierende tugendethische Konzept kommt besonders schön etwa in folgendem Passus zum Ausdruck: »Alle [Menschen] wollen Liebhaber der Tugend selbst, nicht der mit ihr verknüpften Vortheile seyn; alle wollen von einem Schönen wissen, welches nicht blos das Angenehme; von einer Freude, die nicht bloßer Kitzel sey.« (Spin: JWA 1,1, 168) 10 E IV, def. 1. 9
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dass das Gute Zweck in sich selbst und nicht Mittel zu etwas anderem ist? Jacobis Pointe liegt darin, Kant in diesem Punkt nicht nur nicht zu widersprechen, sondern zu bekräftigen, dass es Kant im Kern genau darum geht, womit sich der Einwand Jacobis schärft: Anstatt unser genuines Interesse am Guten zum Ausdruck zu bringen, wird es im kategorischen Imperativ verstellt.11 Interessanterweise gilt nach Jacobis Argumentation dasselbe für Spinoza, nur unter umgekehrten Vorzeichen: Je weiter Spinoza in seiner Ethik voranschreitet, desto mehr tritt die instrumentelle Perspektive zurück bis hin zu der These, dass Glückseligkeit nicht der Lohn der Tugend, sondern die Tugend selbst ist12 – eine These, die Jacobi wie eben anlässlich der »Freude« gesehen wörtlich in sein eigenes Freiheitskonzept übernimmt, damit jedoch zugleich den Einwand verknüpft, dass Spinoza selbst einen solchen Entwurf sittlichen Lebens auf der Basis seiner Prämissen gar nicht verständlich machen kann. Diesen Einwand formuliert Jacobi bereits im Gespräch mit Lessing: »Auch hat Spinoza sich nicht wenig krümmen müssen, um seinen Fatalismus bey der Anwendung auf menschliches Betragen zu verstecken, besonders in seinem vierten und fünften Theile, wo ich sagen möchte, daß er dann und wann bis zum Sophisten sich erniedrigt. – Und das war es ja was ich behauptete: daß auch der größte Kopf, wenn er alles schlechterdings erklären, nach deutlichen Begriffen mit einander reimen, und sonst nichts gelten lassen will, auf ungereimte Dinge kommen muß.« (Spin: JWA 1,1, 28 f.). Diese Diagnose – die Inkonsistenz stringenter Theorien – Um so weit wie möglich zu vermeiden, dass diese subtile Analyse oberflächlich betrachtet wie ein Missverständnis Kants erscheint, fügt Jacobi den Beilagen seines Briefes an Fichte auch noch einen »Auszug aus einem Briefe an einen Freund über Kants Sittengesetz« bei (JF: JWA 2,1, 257f.), aus dem in der Tat hervorgeht, dass er Kants Intention ganz richtig verstanden hat. Im Mittelpunkt steht der Gedanke des Selbstzwecks, den Jacobi mit Kant teilt, von dem er aber bestreitet, dass er sich auf Kantische Weise begründen lässt. Der Begründungsgang Kants verweist vielmehr, so Jacobis Analyse, auf eine instrumentelle Perspektive. Der Sache nach findet sich ein ähnlicher Gedanke bei Tugendhat: Um sicher zu sein, dass der kategorische Imperativ etwas anderes als der instrumentelle Kontraktualismus aussagt, muss man die 2. Formel, also die des Selbstzwecks, in die 1. Formel hineinlesen (Tugendhat 1993, 80ff.). Das heißt: Ohne eine solche inverse Deutung gibt es gute Gründe für Jacobis kritische Lektüre, vgl. das Folgende. 12 E V, prop. 42. 11
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überführt Jacobi in der »Freiheitsabhandlung« in das splitting der beiden Sequenzen.
IV. Wendet man sich vor diesem Hintergrund nunmehr dem Gang der ersten Sequenz zu, dann tritt deren ebenso scharfsinnige wie provozierende Anlage hervor. Unter der Überschrift »Der Mensch hat keine Freiheit« wird hier eine konsequent instrumentelle Sicht auf unser Handeln entworfen, die die scheinbar völlig konträren Positionen Spinozas und Kants im Konzept einer naturalistischen Ethik zusammenführt. Der kategorische Imperativ wird als höchst sublimierte Form des Selbsterhaltungsstrebens dechiffriert, das Spinozas Ansatz zugrunde liegt, womit das Problem in Kants Entwurf entfällt, wie das Sollen der Vernunft zum Wollen, also zum tatsächlich handlungsleitenden Motiv werden kann. Umgekehrt entfällt der Verdacht, die Fixierung auf Selbsterhaltung entbehre aller moralischen Qualität und rede einem blinden Egoismus das Wort. Wie sehr Jacobi daran liegt, den Nachweis für genau diese Konvergenz von Selbsterhaltung und (instrumenteller) Moralität zu führen, geht bereits aus dem Aufriss der Argumentation hervor. Erstens setzt die Sequenz mit dem dritten Teil von Spinozas Ethik ein, woraus folgt, dass man den häufig geäußerten und durchaus berechtigten Vorwurf, die Spinoza-Renaissance um 1800 habe in ihrer Fokussierung auf die Metaphysik der Substanz die für Spinozas Konzept zentrale Affektenlehre vollständig ignoriert, an Jacobi – den Inaugurator der Spinoza-Renaissance – jedenfalls nicht richten kann. Dass ihm die Ethik als integraler Wurf vor Augen steht, belegen alle Dokumente der Spinozabriefe einschließlich des initiativen Gesprächs mit Lessing. Umso auffälliger ist zweitens, dass das Theorem der Selbsterhaltung in der »Freiheitsabhandlung« von seiner Begründung in der göttlichen Potenz gleichsam entlastet wird. Damit wird Spinozas Konzept in einen empirisch verfahrenden Naturalismus transformiert, dessen Gegenstandsbereich über das menschliche Leben hinaus ausgeweitet wird. Am Beginn steht die Beobachtung, dass sich im Falle aller endlichen Dinge Existenz jederzeit auf Koexistenz bezieht. Im Falle der »lebendigen Natur« artikuliert sich diese Be84
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ziehung in der Empfindung von Begierde und Abscheu, die ihrerseits auf den basalen Trieb, eine »Begierde a priori«, nämlich das Streben nach Selbsterhaltung verweist (Spin: JWA 1,1, 158). Was Jacobi auf diese Weise empirisch reformuliert, ist das von Spinoza entworfene Bild einer unendlichen Verflechtung der Modi untereinander. Entscheidend ist, dass dieses Geflecht als rein extrinsisch determinierter Kausalzusammenhang gerade nicht begriffen werden kann, sondern vielmehr an jeder einzelnen Stelle des Netzwerks die innerliche Bestimmung einer aktiven Beziehung auf sich involviert. Aus diesem Grund hat die auf der Seite der Unfreiheit verhandelte Sachlage, die Jacobi trennscharf erfasst, mit schlichten deterministischen Szenarien gar nichts zu tun. Vollends werden solche Szenarien im nächsten Schritt überboten, in dem Jacobi, gerade weil er Spinozas Vorlage zunächst zu einer naturalistischen Theorie des Lebendigen überhaupt ausgeweitet hat, eine Differenz umso mehr unterstreichen kann, die innerhalb der Natur die spezifische Eigenart der menschlichen Natur betrifft. Anders als Tiere ist der Mensch ein »vernünftige[s] Wesen«. Damit fallen Menschen aus dem universalen Geflecht von Existenz und Koexistenz nicht heraus, wohl aber sublimiert sich das basale Selbsterhaltungstreben hier in die »vernünftige Begierde« des Willens, dessen Vermögen darin besteht, das Handeln rational zu begründen und so im Interesse vernünftiger Selbsterhaltung zu verstetigen (Spin: JWA 1,1, 159). Es ist deutlich, dass Jacobi das »vernünftige Wesen« hier ganz wörtlich als »animal rationale« versteht. Die kritische Pointe sieht man noch besser, wenn man die Unterscheidung zwischen zwei Typen der Vernunft, die Jacobi erstmals in der Beilage VII der Spinozabriefe entwickelt, an dieser Stelle einbezieht: die Unterscheidung zwischen einer (später sogenannten adjektiven) Vernunft, die der Mensch hat, und einer (später sogenannten substantiven) Vernunft, die den Menschen hat (Spin: JWA 1,1, 259 f.; JF: JWA 2,1, 232). Hier handelt es sich offenkundig um die adjektive Vernunft, die der Mensch wie ein »Werkzeug« gebraucht – um den Inbegriff instrumenteller Rationalität.13 In der Konsequenz Vgl. Text Nr. 3 sowie Text Nr. 5 in diesem Band, in dem ich zeige, dass Jacobi in die vorliegende Beschreibung einer naturalistischen Ethik auf der Basis instrumenteller Rationalität auch Elemente des Lockeschen Empirismus integriert. 13
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orientiert sich menschliches Handeln normativ an »practische[n] Prinzipien« (Spin: JWA 1,1, 160), indem es Handlungsalternativen am Maßstab erfolgreicher Selbsterhaltung bewertet und sich dabei auch solche Handlungen zurechnet, in denen unvernünftige Impulse die Oberhand gewonnen haben. Angesichts der spürbar unerfreulichen Folgen drängt sich die Einsicht auf: Ich hätte es besser machen können und sollen (Spin: JWA 1,1, 160). Dass im Zuge dieser Argumentation die innerliche Ausbildung des moralischen Bewusstseins in der Kultivierung der Neigung14 zur Voraussetzung intersubjektiver Kooperation gemacht wird (Spin: JWA 1,1, 161), entspricht Spinozas Ansatz und ist auch unabhängig davon ein starker Punkt. Noch einmal wird damit ein schlichter Determinismus abgewehrt, der auf dieser Ebene so etwas wie die zwangsweise Internalisierung vorgegebener moralischer Normen behaupten müsste, dabei aber nicht erklären könnte, wieso wir den normativen Appell, unser Handeln in bestimmter Weise auszurichten, überhaupt verstehen und uns – sei es besser oder schlechter – zu eigen machen. Insofern hat es schließlich auch seinen ganz eigenen Reiz, dass und wie Jacobi den Gedankengang in der Adresse an »jene moralischen Gesetze, welche apodictische Gesetze der practischen Vernunft genannt werden«, gipfeln lässt und dabei, wie eingangs gezeigt, in der Tat auf Kants kategorischen Imperativ zielt (Spin: JWA 1,1, 162).15 In der Rückbindung an das basale Selbsterhaltungsinteresse wird der Autonomiegedanke Kants inklusive der Differenz von hypothetischem und kategorischem Imperativ einerseits unterlaufen und – aus Kantischer Sicht – heteronom verfremdet. Andererseits aber bleibt er auf subtile Weise zugleich erhalten, weil das Moralgesetz als Ausdruck unserer inneren normativen Disposition und nicht etwa als externalistischer Zwangsmechanismus gedeutet wird.
Angesichts der ›offiziellen‹ Antithese von Pflicht und Neigung bei Kant gebrauche ich die Formulierung »Kultivierung der Neigung« mit einer gewissen Spitze. 15 Im Brief an Fichte, in dem Jacobi den Kant-Bezug in kritischer Absicht explizit macht, wird das Streben nach Selbsterhaltung als der »nothwendige Trieb der Uebereinstimmung mit uns selbst, das Gesez der Identität« mit Kants »Sittengesez« identifiziert (JF: JWA 2,1, 214). 14
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Zuletzt kann daher die im Dienst der Selbsterhaltung instrumentell begründete Moral von rein strategischen Überlegungen noch ganz befreit werden. Nicht weil es aufs Ganze gesehen zu unserem Vorteil ist, wie es durch Kants Beispiele für die Universalisierungsregel in der Tat etwas aufdringlich hindurchzuschimmern scheint, verhalten wir uns zu anderen Menschen kooperativ. Vielmehr fließt aus dem Trieb vernünftiger Selbsterhaltung »eine natürliche Liebe und Verbindlichkeit zur Gerechtigkeit gegen andre. Das vernünftige Wesen kann sich als vernünftiges Wesen (in der Abstraction) von einem andern vernünftigen Wesen nicht unterscheiden. Ich und Mensch ist Eins; Er und Mensch ist Eins: also sind er und ich Eins. Die Liebe der Person schränkt also die Liebe des Individui ein, und nöthigt seiner nicht zu achten.« (Spin: JWA 1,1, 161 f.)16 In die höchste Spitze ihrer rationalen Sublimierung getrieben, verflüchtigt sich zuletzt auch noch das mit der Selbsterhaltung verbundene Selbst. Mit dem perfekt umgesetzten Sollen verschwindet sein Adressat, das Sollen verwandelt sich in das reinste Wollen, der zweckrationale Naturalismus kippt konsequent in den Nihilismus um – das wird das in seiner Dramatik noch einmal gesteigerte Fazit sein, das Jacobi auf der Basis seiner »Freiheitsabhandlung« im Brief an Fichte zieht und mit der Wissenschaftslehre assoziiert. Jedoch muss man der nihilistischen Logik eines Ansatzes, der »nur über Einem Grundtriebe erbaut ist« (Spin: JWA 1,1, 160), nicht bis in die letzte Windung folgen, um auch im Blick auf aktuelle Diskussionen zu sehen, wie komplex Jacobis Diagnose menschlicher Unfreiheit und wie anspruchsvoll folglich das Desiderat der Freiheit ist. Nachdem es hier nicht um einen einfachen Kausaldeterminismus und auch nicht um ein rein affektgesteuertes Begehren, sondern um die rationale Bewältigung unseres natürlichen Selbsterhaltungsinteresses geht, greift die beliebte Unterscheidung zwischen Ursachen und Gründen nicht, um ein qualitativ freies Handeln zu begründen. Ebenso wenig wie an guten Gründen fehlt es in Jacobis Beschreibung des »Mechanismus« dementsprechend auch an Handlungsalternativen, die sich hier vielmehr eröffnen und normativ bewertet werden. Dass wir ohne
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Vgl. zu Jacobis Gebrauch des Begriffs »Person« Text Nr. 5 in diesem Band. Jacobi über die Freiheit der Person
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Wahl nur vollstrecken, was in einem lückenlosen Kausalzusammenhang vorherbestimmt ist, wird hier eben nicht behauptet. Und indem wir somit hier die Autoren unserer Handlungen sind und uns auch Verstöße gegen unsere Prinzipien als von uns verantwortete Taten zuschreiben, wäre es vollends unplausibel, dahinter zurückfallend mit der Disjunktion zwischen Determinismus und Willkür zu operieren. Keinesfalls, so Jacobi, besteht Freiheit »in einem ungereimten Vermögen, sich ohne Gründe zu entscheiden« (Spin: JWA 1,1, 164). Über die Opposition von Zufall und Notwendigkeit ist ein wohlbegründeter moralischer Naturalismus längst hinaus – ihm gegenüber einzuklagen, dass ich dann frei bin, wenn ich völlig beliebig tun und lassen kann, was ich will, erscheint als geradezu abgeschmackt. Worin besteht ein qualifizierter Begriff von Freiheit aber dann?
V. Die Antwort habe ich vorhin antizipiert. Freiheit, dies ist die zentrale Botschaft der zweiten Sequenz, manifestiert sich in der von allen instrumentellen Rücksichten befreiten Hinsicht auf das Gute, und insofern Jacobi zu Recht unterstellt, diese Kernüberzeugung mit Kant zu teilen, kann er auch in größter Nähe zu Kant formulieren, dass »Freyheit, dem Wesen nach, in der Unabhängigkeit des Willens von der Begierde« besteht (Spin: JWA 1,1, 164). Das heißt: Anders als Tiere, mit denen wir das natürliche Interesse an Selbsterhaltung teilen, sind Menschen in der Lage, sich von diesem Interesse – auch in der sublimierten Gestalt der »vernünftigen Begierde« – grundsätzlich zu distanzieren und sich damit eine genuine moralische Welt zu erschließen, in der das Gute, anstatt mit dem Nützlichen identisch zu sein, als irreduzibel eigene Hinsicht des Handelns gilt. Im Unterschied zu Kant kann jedoch nach allem bisher Gesagten das moralische Gesetz nicht die ratio cognoscendi solcher Freiheit sein. Einerseits lässt sich Kants Imperativ zweckrational dechiffrieren, während andererseits der von Kant mit dem Sittengesetz allerdings intendierte moralische Überschuss voraussetzt, dass die genuine Dimension des Guten bereits verstanden worden ist. Das heißt, und genau darauf
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Leitmotive
läuft Jacobis Argumentation hinaus, dass Freiheit je schon wirklich, nämlich wirksam ist. Dabei wird eine kosmologische Überlegung mit einer praktischen Adresse direkt zusammengeführt. In kosmologischer Hinsicht greift Jacobi das Prämissengefüge des Naturalismus mit dem Einwand an, dass sich das lebendige Beziehungsgeflecht von Existenz und Koexistenz, von Tun und Leiden, als durch und durch relatives Geflecht nicht verständlich machen lässt. Vielmehr ist mit der zutreffenden Behauptung, dass Lebewesen aktiv auf ihre Umwelt re-agieren, das Vermögen zu agieren überhaupt, eine »reine Selbstthätigkeit« (Spin: JWA 1,1, 163) immer schon vorausgesetzt, die sich ihrerseits nicht aus dem vermittelten Reaktionszusammenhang ergibt und deren »Möglichkeit« von uns in dem Maße, wie wir nur vermittelte Zusammenhänge erkennen können, auch nicht begriffen werden kann (Spin: JWA 1,1, 163). Noch bevor im nächsten Schritt von Freiheit die Rede ist, macht Jacobi offensichtlich hier bereits eine Erklärungslücke geltend, die eine wie immer avancierte naturalistische Weltsicht an eine innere Grenze führt. Der in der ersten Sequenz behauptete Status des Selbsterhaltungsstrebens als einer »Begierde a priori« lässt sich in dieser Form nicht halten, aber auch nicht theoretisch hintergreifen. Jedoch hängt die Annahme einer »absoluten Spontaneität« auch nicht in der Luft. Nicht ihre Möglichkeit, wohl aber ihre »Wirklichkeit« ist uns längst bekannt, indem sie sich »unmittelbar im Bewußtseyn darstellt und durch die That beweist« (Spin: JWA 1,1, 163 f.). Selbsttätigkeit ist nicht dasselbe wie Freiheit. Freiheit ist ein spezifisch menschliches Privileg, insofern wir »unter den lebendigen Wesen« nur im Fall des Menschen auf denjenigen »Grad[] des Bewußtseyns seiner Selbstthätigkeit« stoßen, der sich in freiem Handeln manifestiert, nämlich darin, sich tat-sächlich vom Interesse der Selbsterhaltung distanzieren zu können und zu wollen (Spin: JWA 1,1, 164). Dass wir dies können und wollen – und nicht nur sollen –, dass mit anderen Worten unser personales Selbstverständnis intrinsisch daran hängt, jemand sein zu wollen, der im Blick auf sein eigenes Handeln und im Blick auf das Handeln anderer zwischen den Interessen des Nützlichen und des Guten unterscheiden kann, macht Jacobi im »Gefühl der Ehre« (Spin: JWA 1,1, 165) evident, das weder Achtung vor dem Gesetz noch sinnliche Neigung ist. Wer seine Ehre in etwas setzt, ist mit seinem ganzen Selbstsein engagiert, er steht aus freien Jacobi über die Freiheit der Person
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Stücken für eine Lebensführung ein, der er selbst jenseits zweckrationalen Kalküls vertrauen kann und der auch andere Vertrauen schenken können. Dass dies immer und durchweg gelingt, behauptet Jacobi nicht, so wie ich auch nirgends so etwas wie die These erkennen kann, dass wir uns gleichsam nur dann selbst in die Augen sehen können, wenn wir unseren Charakter in einen perfekten Ausbund von Tugend verwandelt hätten. Der Wirklichkeit der Freiheit tut es keinen Eintrag, wenn wir, da wir auch bedingte Naturwesen sind, die Orientierung am Guten nicht jederzeit realisieren. Entscheidend ist, dass wir dann nicht hinter dem Anspruch eines Imperativs der Vernunft, sondern hinter unserem eigenen Anspruch zurückbleiben, der sich nicht nur im Gefühl der Ehre, sondern in einer ganzen Palette moralischer Gefühle (Achtung, Liebe, Dankbarkeit, Bewunderung) bezeugt.17 Im Umkehrschluss wird aus der Irreduzibilität solcher Gefühle auf instrumentelle Einstellungen ein in sich gestuftes Argument gegen Spinoza, das hier wesentlich noch beachtet werden muss. Dass Spinoza behauptet, ein freier Mensch werde sich selbst aus Todesgefahr niemals mit Lügen retten,18 zeigt Jacobi zufolge zum einen, dass eine Vgl. hierzu in dem von Jacobi dem Brief an Fichte beigefügten Text: »Es ist unmöglich, daß alles Natur und keine Freyheit sey, weil es unmöglich ist, daß, was allein den Menschen adelt und erhebt – das Wahre, das Gute und Schöne, nur Täuschung, Betrug und Lüge sey. Das ist es, wenn Freyheit nicht ist. Unmöglich ist wahre Achtung, unmöglich wahre Bewundrung, wahre Dankbarkeit und Liebe, wenn es unmöglich ist, daß in Einem Wesen Freyheit und Natur zusammen wohnen, und jene walte wo diese webt.« (JF: JWA 2,1, 236) Mit der Trias des Wahren, Guten und Schönen wird hier auch das Gute explizit benannt, während es in der »Freiheitsabhandlung« als das, was nicht das Nützliche und nicht das Angenehme ist, gleichsam umkreist und mit dem »Prinzip der Ehre« positiv markiert wird. 18 E IV, prop. 72, scholium. Dass Jacobi mit zielsicherem Blick gerade diese Proposition Spinozas ins Visier nimmt, gewinnt an Brisanz angesichts der völlig überzeugenden These von Walther 2012, 113, der ebenfalls diese Proposition heranziehend dafür argumentiert, dass hier Kants »Universalisierungstheorem in Reinheit« vorweggenommen sei. Jacobis Sicht auf strukturelle Entsprechungen zwischen Spinoza und Kant wird so bestätigt, wobei Jacobi im splitting der beiden Sequenzen zeigt, dass solche Entsprechungen doppelt lesbar sind: einerseits im Sinne einer instrumentellen Ethik der Unfreiheit, andererseits im Sinne einer nicht-instrumentellen Ethik der Freiheit. Jacobis Einwand gegen Spinoza in der zweiten Sequenz, der gegenüber der Abstraktheit reiner Vernunft darauf zielt, dass 17
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von utilitaristischen Begründungen befreite Dimension der Freiheit hier tatsächlich erschlossen ist. Und es zeigt sich zugleich zum andern, dass Spinoza, nachdem das Motiv des Selbsterhaltungstriebs entfällt, das freie Leben nunmehr als ein so vollständig durch Vernunft beherrschtes Leben beschreiben muss, dass es mit unserem konkreten Leben kaum mehr etwas zu tun haben kann. In abstracto, so Jacobi in Erwiderung auf diesen Befund, »hat Spinoza recht. Es ist eben so unmöglich, daß der Mensch der reinen Vernunft lüge oder betrüge, als daß die drey Winkel eines Dreyecks nicht zwey rechten gleich seyn. Aber wird das wirkliche mit Vernunft begabte Wesen sich von dem abstracto seiner Vernunft wohl so in die Enge treiben, von einem Gedankendinge durch ein Wortspiel so ganz sich gefangen nehmen lassen? – Nimmermehr! – Wenn auf Ehre Verlaß ist, und der Mensch Wort halten kann, so muß noch ein andrer Geist, als der bloße Geist des Syllogismus in ihm wohnen. XL. Ich halte diesen andern Geist für den Othem Gottes in dem Gebilde von Erde.« (Spin: JWA 1,1, 166)
Mit dieser Wendung kommt Jacobis grundsätzlicher Einwand gegen Spinozas Metaphysik ins Spiel. Ausgehend von der Frage nach der Motivation unseres Handelns, die Spinoza jenseits instrumenteller Begründungen noch weniger als Kant beantworten kann, macht Jacobi ein genuines Streben nach dem Guten geltend. Neben dem natürlichen Trieb zur Selbsterhaltung ist in uns ein zweiter »intellectuelle[r] Trieb« (Spin: JWA 1,1, 168) aktiv, ein Begehren der Freiheit, dessen Befriedigung, wann immer sie gelingt, mit Freude erfüllt. Ein solches Begehren lässt sich indes in Spinozas zwischen der Potenz der Substanz und deren Ausdruck im endlichen conatus aufgespannter Metaphysik nicht denken. Deshalb muss das Ausdrucksverhältnis strukturell analog umformuliert werden: Der Antrieb freien Handelns, der in uns wirksam ist, verweist in sich, anstatt auf die Macht der Substanz, auf »einen Gott, der ein Geist ist« (Spin: JWA 1,1, 167).
der rationalen Universalisierung im Voraus das Gute bereits konkret verstanden und gewollt sein muss, wenn es tatsächlich in konkreten Personen handlungsmotivierend wirkt, gilt deshalb analog gegenüber Kant. Jacobi über die Freiheit der Person
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VI. Damit komme ich zum Schluss. Ohne diesen Fluchtpunkt einer Handlungsmetaphysik ist Jacobis Auffassung von Freiheit nicht zu haben, jedoch hat dies, wie vorhin schon gesagt, mit einer religiösen Restauration theonomer Moral gar nichts zu tun. Das Sittengesetz Kants durch einen göttlichen Kodex zu ersetzen, wäre tatsächlich das letzte, was hier gewollt werden könnte. Anders als bei Kant kommt die metaphysische Dimension aber auch nicht als Postulat des höchsten Guts ins Spiel, in dem Pflicht und Glück – nicht ohne den gewissen Beigeschmack himmlischen Lohns – ins Verhältnis gesetzt werden sollen. Der Wirklichkeit der Freiheit fehlt es hier ja nicht am Glück, an der Erfahrung unvergleichlicher Freude, auch wenn wir uns noch mehr davon wünschen wollen. Worauf Jacobi verweist, dies liegt nicht vor uns in einem anderen Leben, sofern wir uns gesetzeskonform und damit glückswürdig verhalten, sondern es liegt diesem Leben gleichsam im Rücken: Wie zur Selbsterhaltung sind wir auch zur Selbstbestimmung bestimmt. Jacobi spricht hier wörtlich von einem »Gesetz«, das im Kontrast zum universalen Sittengesetz Kants als je individueller »Ausdruck« eines göttlichen Willens in uns wirksam ist (Spin: JWA 1,1, 167). Diesen Gedanken halte ich für alles andere als anstößig, im Gegenteil: Er entlastet uns vollständig von der Vorstellung, dass Selbstbestimmung verlangt, uns auch die Bestimmung zur Selbstbestimmung noch selbst verschaffen zu müssen – was schon in Kants Religionsschrift dazu führt, hinter der Freiheit noch eine unbestimmte freie Willkür anzunehmen, die sich aus unerfindlichen Gründen und in unvordenklicher Zeit in einer intelligiblen Tat darauf festlegt, das Gute oder Böse je nach Rangordnung der Hinsichten des Moralgesetzes und der Neigung zu wählen. Noch bevor Kant auf diesen Gedanken verfällt, hält Jacobi bereits in der »Freiheitsabhandlung« fest, dass wir das Verhältnis der von ihm – gegen Vorstellungen von nur »Einem Grundtrieb« – behaupteten »doppelten« Triebstruktur weder im Ganzen noch im Detail unserer einzelnen Handlungen durchschauen können, weil das die »Möglichkeit und Theorie der Schöpfung, Bedingungen des Unbedingten zum Gegenstand« hätte (Spin:
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JWA 1,1, 168).19 Wir kommen nicht hinter uns selbst zurück – von unserer Verantwortung für das, was wir den beiden Trieben zufolge tun, entbindet uns dies keineswegs. Problematischer könnte erscheinen, dass Jacobi die Hinsicht auf das Gute, indem er es nicht kodifiziert, ganz in das Begehren und den Vollzug freien Handelns stellt. Das ist der Einwand Hegels, der seine bis zuletzt formulierte Bewunderung für Jacobis Darlegung wirklicher Freiheit mit dem Vorbehalt verknüpft, ihr fehle die stabile Objektivität, die Hegel in den sittlichen Institutionen gewährleistet sieht. Beachtet man jedoch, dass Hegel in dieser Kritik die schöne Seele Woldemars als Beleg für die Unzulänglichkeit der Berufung auf moralische Gefühle anführt, dann kann man zweierlei festhalten. In dieser schönen Seele analysiert Jacobi erstens selbst die gefährliche Perversion des Strebens nach dem Guten. Die Tücke dieser Perversion besteht darin, im Anschein des Guten instrumentelle Zwecke zu verfolgen, ohne dass der Handelnde dies mit Absicht will und durchschaut. Die Möglichkeit solcher Verfehlung ändert jedoch zweitens nichts daran, dass sich nirgends sonst als in guten Handlungen das Gute zeigt. Hier schließt sich Jacobi der aristotelischen Tugendethik an. Frei zu sein, bedarf der Übung auf der Basis moralischer Intuitionen (den von Jacobi genannten moralischen Gefühlen der Ehre, Dankbarkeit und Bewunderung) als Orientierung und Appellationsinstanz. Und wie schon Aristoteles hält auch Jacobi Freundschaft für die beste Übungsform. Keine sittliche Institution kann Freundschaft erzeugen. Umgekehrt, dies ist mein Einwand gegen Hegel, kann ein politisches Gemeinwesen von Glück sagen, wenn seine Mitglieder über basale, in der freien Praxis der Freundschaft kultivierte moralische Intuitionen bereits verfügen.20 Man tut Schelling kein Unrecht, wenn man feststellt, dass die Freiheitsschrift, im Ausgang von Kant und von Jacobis »Freiheitsabhandlung«, gegen Jacobis Warnung »Möglichkeit und Theorie der Schöpfung« anzugeben sucht, um einem Konzept personaler Freiheit näher zu kommen. Vgl. Text Nr. 11 in diesem Band. 20 In Wahrheit weiß Hegel dies natürlich sehr gut. Während er explizit gegenüber Jacobi die potentiell anarchistische Gefahr von dessen Freiheitskonzept herausstreicht und sich nirgends auf die basale Relevanz der Freundschaft bezieht, hat er sich im Geistkapitel der Phänomenologie längst auf Jacobis Woldemar gestützt, um in der (von Hegel anonymisierten) Freundschaft zwischen Woldemar und Henriette nichts Geringeres freizulegen als »ein gegenseitiges Aner19
Jacobi über die Freiheit der Person
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kennen, welches der absolute Geist ist« (Hegel, Phänomenologie des Geistes, GW 9, 361). Siehe dazu Text Nr. 6 in diesem Band.
5. Dass, was oder wer? Jacobi im Diskurs über Personen
I. Am 4. Februar 1795 schreibt Schelling seinem Freund Hegel einen enthusiastischen Brief. Hegel, im fernen Bern von den jüngsten Entwicklungen isoliert, soll erfahren, was die Welt bewegt; er soll sich mitreißen lassen von den sonnenüberglänzten Aussichten einer Philosophie, die Freiheit als das »A und O« auf ihre Fahnen heftet und sich deshalb im »absoluten Ich« als dem schlechthin »Unbedingten« begründet. Der Brief endet abrupt, beinahe atemlos – und auf diesen Schluss möchte ich die Aufmerksamkeit lenken. »Gott ist nichts als das absolute Ich«, notiert Schelling da und setzt im Stakkato hinzu: »Persönlichkeit entsteht durch Einheit des Bewußtseins. Bewußtsein aber ist nicht ohne Objekt möglich; für Gott aber, d. h. für das absolute Ich gibt es gar kein Objekt, denn dadurch hörte er auf, absolut zu sein. – Mithin gibt es keinen persönlichen Gott, und unser höchstes Bestreben ist die Zerstörung unserer Persönlichkeit, Übergang in die absolute Sphäre des Seins, der aber in Ewigkeit nicht möglich ist; – daher nur praktische Annäherung zum Absoluten, und daher – Unsterblichkeit. Ich muß schließen. Lebe wohl. Antworte bald Deinem Sch[elling].« 1
Die Philosophie der Moderne ist eine Philosophie der Subjektivität – sie ist keine Philosophie der Person: Das machen Schellings Sätze paradigmatisch kenntlich. Zwar sind wir alle als endliche Wesen Personen, aber ein Anlass, uns deshalb so etwas wie eine »Würde« zuzuschreiben, besteht durchaus nicht. Personsein heißt Schelling zufolge vielmehr, an Objekte gebunden, also in Abhängigkeiten, in Unfreiheit verstrickt zu sein. Nur so bildet sich das Bewusstsein, das eine Person charakteristischerweise von sich selber hat. Wenn dem aber so ist, dann muss man daraus die entsprechenden Konsequenzen ziehen.
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In: Frank/Kurz 1975, 125ff. 95
Es gilt erstens, dass es absurd wäre, die Bestimmung der Person auf das Absolute zu übertragen. Worauf hier als Prinzip aller Orientierung ausgegriffen wird, ist ein »absolutes«, sich als »Ich bin Ich« setzendes Ich, wie Schelling in Anlehnung an Fichte sagt. Keinesfalls aber ist dieses Ich Person, weil es eben nicht durch ein Ausgeliefertsein an die Welt der Objekte, sondern als »absolute Sphäre des Seins« definiert ist. Die Absolutheit dieser Sphäre erlaubt es nicht nur, sondern erzwingt geradezu, das, was vormals »Gott« genannt wurde, nunmehr mit dem Ich-Sein zu identifizieren. Einen »persönlichen Gott« jedoch, der sich seiner selbst bewusst wäre, kann es aus den genannten Gründen nicht geben. Die zweite Konsequenz betrifft uns selbst. Absurd wäre es hier, unser Personsein zu kultivieren. Es zu zerstören, auf seine Zerstörung wenigstens hinzuarbeiten, darauf kommt es im Gegenteil an. Allein diese Haltung uns selbst gegenüber wird dem Orientierungsprinzip des »absoluten Ich« gerecht, und allein diese Haltung realisiert die Vision der Freiheit, die dieses die Stelle Gottes einnehmende »Ich« allumfassend garantiert. Der Brief Schellings ist bekannt und viel zitiert. Noch bis vor kurzem aber wäre es höchst seltsam erschienen, das Augenmerk insbesondere auf diesen Schluss zu lenken. Welches Interesse hätte man der Person entgegenbringen sollen, wenn doch ausgemacht war, dass sie nichts als eine defizitäre Bestimmung darstellt, mit der man weder hinsichtlich einer transzendentalen oder metaphysischen Prinzipienreflexion noch hinsichtlich einer Verständigung über uns selbst etwas Sinnvolles anfangen kann? Nicht die Person, sondern das Paradigma der Subjektivität stand im Mittelpunkt zahlloser Untersuchungen und Debatten. Was es auf sich hat mit dieser absoluten Auszeichnung eines »Ich«, das zuerst Descartes, der sogenannte »Vater« der modernen Philosophie, mit seinem berühmten »cogito ergo sum« aus der Taufe hob, das später zu Kants »Ich denke« mutiert und von hier aus ins Zentrum der klassischen deutschen Philosophie, in die Systeme Fichtes, Schellings und Hegels eingewandert ist, wo es schließlich unter mancherlei Transformationen den Raum des Absoluten selber erobert hat: Das galt es dem Anspruch und der Genealogie nach zu klären, als wesentliches Erbe unseres Denkens zu verteidigen oder aber als einen Irrweg der Moderne schlicht zu verwerfen.
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Inwieweit die zuletzt heftig umstrittene Frage, ob das Subjekt endgültig tot oder ob es noch zu retten ist, sich inzwischen erledigt hat, wage ich nicht zu entscheiden. Festzuhalten ist aber, dass sich der Fokus der Diskussionen in jüngster Zeit merklich verschoben hat. Unversehens ist die in den Hintergrund abgedrängte Person zur Hauptperson avanciert, um die sich der philosophische Diskurs nun intensiv bemüht.2 Die Gründe für diese Verschiebung sind vielfältiger Art. Primär ist es gewiss die unter den gegenwärtigen Bedingungen von Wissenschaft und Technik verschärfte ethische Problematik, die der Frage nach der Person ihre Relevanz verschafft. Aber auch sprachphilosophische, insbesondere aus der analytischen Tradition stammende Überlegungen wie Strawsons Individuals gehören hierher, was damit zu tun haben mag, dass die angelsächsische Genealogie ausgehend von Locke über ein prominentes Personkonzept stets verfügte. In jedem Fall geht aus dem Gesagten hervor, dass das beträchtliche Interesse an der Person systematische Problemlagen spiegelt – einer genuinen Auseinandersetzung mit der klassischen deutschen Philosophie entstammt es nicht. Jedoch ist auch hier nun eine auffällige Veränderung zu verzeichnen. Im Zuge der neuen Diskussionssituation scheint es nicht länger irrelevant zu sein, was die bedeutenden Texte dieser Tradition über die Person zu sagen haben. Vor allem die praktische Philosophie Kants rückt nun anstelle seines »Ich denke« in den Blick, aber auch die Transzendentalphilosophie und Metaphysik Fichtes und Schellings werden einer erneuten Lektüre unterzogen. Mein Interesse zielt darauf auch, in der Hauptsache gilt es indes jemand anderem. Denn könnte es unter den skizzierten Umständen eine bessere Gelegenheit geben, das Denken Jacobis ins Spiel zu bringen?
Vgl. unter den Initiatoren Kobusch 1993, Spaemann 1996, Sturma 1997, Brasser 1999, Sturma 2001. Seither ist eine Flut von Publikationen zum Personenbegriff erschienen. Vgl. neuerdings zu Jacobi Koch 2013. 2
Jacobi im Diskurs über Personen
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II. Es bietet sich an, auch hier mit einem Brief zu beginnen. Aus Düsseldorf schreibt Jacobi am 14. November 1787 an Lavater folgende Zeilen: »Kleuker hat mir einen Brief, den Du ihm, vornehmlich über Herders Gott, geschrieben hast, mitgetheilt. In diesem Briefe sagst Du: der persönliche Mensch müsse personificiren, dieß gehöre zum Kinderzustand und Kindersinn der Menschheit. Das versteh’ ich nicht. Mir ist Personalität a und y; und ein lebendiges Wesen ohne Personalität scheint mir das Unsinnigste, was man zu denken vorgeben kann. Seyn, Realität, ich weiß gar nicht, was es ist, wenn es nicht Person ist. Und nun gar Gott! Was für ein Gott wäre das, der nicht zu sich selbst sagen könnte: Ich bin, der ich bin! Die Ichheit endlicher Wesen ist nur geliehen, von Andern genommen, ein gebrochener Stral des transscendentalen Lichts, des allein Lebendigen.« (JBW I,7, 10 f.)
Der Kontrast zu den Äußerungen Schellings könnte größer nicht sein. Dem Paradigma einer Philosophie der Subjektivität tritt hier die Skizze einer Philosophie der »Personalität« gegenüber. Verblüffend ist zugleich, dass sich Jacobis Stellungnahme, obwohl an die acht Jahre früher geschrieben, doch so lesen lässt, als sei sie in unmittelbarer Reaktion auf Schellings Brief verfasst. Um diesen anachronistischen Eindruck der Nähe, die trotz größter Differenzen besteht, aus guten Gründen, wie sich zeigen wird, zu unterstreichen, erlaube ich mir, die Diskussionslage zunächst einmal frei zu reformulieren. Und das klingt dann fürs erste etwa so: Wo du, Schelling, vom »A und O« der Freiheit sprichst, um sie auf ein reines, absolutes, durch Freiheit gesetztes »Ich bin Ich« zurückzuführen, da spreche ich, Jacobi, wie du siehst, vom »a und y« der »Personalität«. Im Rahmen deines Ansatzes hältst du diese Bestimmung für defizient. Ich halte sie aber im Gegenteil für entscheidend, weil ich nämlich ohne sie nicht verstehen kann, was »Sein« oder »Realität« eigentlich ist – sofern hier von lebendigem Sein und nicht vom toten Sein der Materie die Rede sein soll. Auch du sprichst ja vom Sein, von der »absoluten Sphäre des Seins« sogar, und meinst damit gewiss nicht materielles Sein. Dem steht ja schon das Ich entgegen, auf das du so großen Wert legst. Was ich mir nun aber bei diesem ab98
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soluten Ich-Sein zu denken habe – erlaube, dass ich darauf später zurückkomme. Im Moment gehe ich von deiner Behauptung aus, dass das Sein einerseits und das Bewusstsein der »Persönlichkeit« andererseits nichts miteinander zu tun haben können. Ist das denn aber wahr? Kommt es denn nicht darauf an, was wir hier unter Bewusstsein verstehen wollen? Das gebe ich dir also zu: auch nach meiner Überzeugung hat Personsein allerdings mit Bewusstsein zu tun. Aber was du, Schelling, sogleich auf ein durch Objekte vermitteltes theoretisches Bewusstsein beziehst, das verstehe ich in einem ursprünglichen Sinne als etwas ganz anderes, nämlich als ein existentielles Bewusstsein: als das lebendige Bewusstsein, ich selber zu sein und nicht dieser oder jener. Würde ich dieses Bewusstsein meiner Person zerstören oder seine Zerstörung auch nur fordern, würde ich nicht, wie du meinst, meine Verstricktheit in die Welt der Objekte zerstören, sondern mich selbst. An der Freiheit liegt mir im Übrigen so viel wie dir. Aber genau deshalb insistiere ich ja gerade auf der Personalität, weil ich hier die Freiheit verankert sehe, die mir auch als einem endlichen Wesen zugehört. Auf das bloße Wort »Person« oder »Persönlichkeit« kommt es hier also nicht an, sondern darauf, was wir damit meinen. Dass dein Konzept nicht weit trägt, sehe ich wohl. Aber wer sagt, dass dies das einzige und richtige ist? Nach meinem Verständnis eines primären, existentiellen Bewusstseins von mir selbst ist es jedenfalls in gar keiner Weise absurd, emphatisch auf dem Personsein zu bestehen. Und absurd ist es nun ebenfalls nicht, auch Gott die Bestimmung des Personseins zuzuschreiben. Denn wie du siehst, geht es nicht darum, eine endliche Bestimmung auf das Absolute zu übertragen. Das wäre nur dann der Fall, wenn Bewusstsein ausschließlich, wie du meinst, theoretisches, durch Objekte vermitteltes Bewusstsein wäre. Aber wie kämen wir dazu, dem göttlichen Sein den Fall von Bewusstsein abzusprechen, den ich im Auge habe? »Was für ein Gott wäre das, der nicht zu sich selbst sagen könnte: Ich bin, der ich bin!«? Dieser Gott wäre in Wahrheit nicht absolut, er vermöchte weniger als wir. Anstelle einer fälschlichen Übertragung von Endlichem auf das Absolute liegen die Dinge vielmehr umgekehrt. Sofern wir nicht Gott, sondern in der Tat verstrickt in Abhängigkeiten und Unfreiheiten sind, aber als endliche Wesen dennoch zu uns selber »Ich« sagen können, müssen wir einsehen, dass diese »Ichheit«, die wir uns zuJacobi im Diskurs über Personen
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schreiben, nur »geliehen« ist. Wie ein Lichtstrahl sich bricht, so ist auch unser Personsein als endliches Personsein stets nur ein gebrochenes. Ein gebrochenes Sein aber ist gleichwohl etwas ganz anderes als die Zerstörung der Person, auf die du ausgehst. Alles hängt mithin daran, dass wir uns um Haaresbreite treffen und uns doch ganz verfehlen. Dass es nicht um irgendwelche begrifflichen Spielereien geht, darin sind wir uns einig. Deshalb sprechen wir beide vom Sein. Und weil wir uns, wenn ich deinen Enthusiasmus recht verstehe, auch darin einig sind, dass wir, wenn wir Sein sagen, FreiSein meinen, sprechen wir auch beide von einem Ich, von der Identität des Ich-Seins: ich bin. Was ist das aber für ein Gott genanntes Ich, das sich deiner Meinung zufolge zwar setzt als »Ich bin Ich«, aber nicht zu sich selber sagen kann: Ich bin, der ich bin? Ist das wirklich ein Ich – oder ist es nicht vielmehr doch nur ein »bloßes IST«? (GD: JWA 3, 75) Und wer sind wir, wenn alles, was unser konkretes Personsein ausmacht, durch Objekte vermittelt ist, während das, was in solcher Vermittlung nicht aufgeht, stets nur mit dem absoluten Ich identisch sein soll?
III. Wer oder was ist eine Person? Auf alle angesprochenen Punkte komme ich im Weiteren zurück. Zunächst aber mag meine kleine Inszenierung deutlich machen, dass der Streit, in den Jacobi die Protagonisten der klassischen deutschen Philosophie nicht fiktiv, sondern tatsächlich verwickelt, trivial wäre, wenn es lediglich darum ginge, dass der eine affirmiert, was der andere bestreitet. Dann könnte man die Bedeutung des Ausdrucks »Person« ebenso gut in einem Lexikon nachlesen und seine positive oder negative Verwendung zur Kenntnis nehmen. In Wahrheit gibt es aber so etwas wie eine allgemeingültige Definition der Person bis heute nicht. Was es gibt, sind ausschließlich Verwendungsweisen dieses Ausdrucks, die abhängig vom Kontext der jeweiligen erkenntnistheoretischen, ontologischen, sprachphilosophischen und ethischen Grundannahmen festlegen, was das Wort »Person« je bedeuten soll. Über diese außerordentlich komplizierte Lage täuschen wir uns alltagssprachlich glücklicherweise hinweg. Wenn wir etwa Personenwagen von Lastwagen unterschei100
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den, glauben wir zu wissen, was wir mit dieser Unterscheidung meinen: Personen sind keine Sachen. Inwiefern aber Personen keine Sachen sind, das ist mit dieser alltäglichen Rede noch längst nicht gesagt. Genau davon aber, von diesem »inwiefern«, handeln die philosophischen Debatten – und wenn es in einem Beitrag heißt, dass der Begriff Person »so schwer zu explizieren« sei »wie kaum ein anderer in der Philosophie«, so ist dies unbestreitbar wahr.3 Und verständlich ist sogar, dass in der erwähnten aktuellen Ethik-Diskussion inzwischen Zweifel darüber bestehen, ob es klug war, die Person in den Mittelpunkt zu rücken. Denn anstatt sich auf die Bedeutung dieses Begriffs schlicht verlassen zu können, um ihn dann nur noch auf ethische Konfliktsituationen anzuwenden, ist jetzt vielmehr grundsätzlich zu klären, um welches Verständnis der Person es eigentlich geht. Nachvollziehbar wird so aber auch, warum das gegenwärtige Interesse mit einer Vergewisserung der Philosophiegeschichte einhergeht: nicht weil man sich erhoffte, hier nun endlich zu eindeutigen Lösungen zu kommen – dazu gibt es angesichts der unendlich verwickelten Geschichte des Personbegriffs wahrhaftig keinen Anlass –, sondern weil es aufschlussreich ist zu sehen, unter welchen Umständen, mit welchen Implikationen und Konsequenzen die Rede über Personen jeweils geführt worden ist. Wer oder was ist eine Person? Die Auskünfte, die Schelling und Jacobi auf diese Frage geben, sind völlig disparat. Entsprechend unterschiedlich fallen die Bewertungen wie auch die Folgerungen aus. Wenn »Persönlichkeit« ein Fall theoretischen Bewusstseins ist, dann verbietet sich seine Anwendung auf das Absolute. Wenn »Personalität« hingegen ein Fall existentiellen Selbstseins ist, dann darf man, unter Beachtung metaphysischer Brechungsverhältnisse, auch von einem persönlichen Gott sprechen. Hätte Schelling dieser Option folgen können, wenn er sie denn rezipiert hätte? Tatsächlich setzt mit Schellings Freiheitsschrift ein fundamentaler Prozess des Umdenkens ein, bei dem er seine Ansicht ändert und zugleich auch nicht ändert, wie sich zeigen wird. Umso wichtiger ist sein früher Brief an Hegel. Er verdeutlicht, was man einen epochentypischen Befund nennen kann: Mit seiner Option einer Philosophie der Personalität bleibt Jacobi
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Kaplow 2002, 230f. Jacobi im Diskurs über Personen
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hoffnungslos isoliert. Dass er ein in seiner Zeit vollständig neues Personverständnis entwickelt, das dem Grundgedanken nach manche Einsicht etwa der französischen Phänomenologie des 20. Jahrhunderts vorwegnimmt, bleibt verdeckt. Warum ist das so? Es liegt nahe zu sagen, dass das dominierende Paradigma der Subjektivität dafür verantwortlich ist. Und in der Tat ist es ja kein Zufall, dass Jacobi seine eigene Position zeitlebens in ausdrücklicher Kritik dieses Paradigmas vertritt. Von der auf Descartes zurückweisenden Genealogie distanziert er sich schon 1789, indem er betont, »daß ich kein Cartesianer bin«. Man »dürfe schlechterdings nicht das sum dem cogito nachsetzen«. (Spin: JWA 1,1, 157) Die berühmten Debatten mit Kant, Fichte und Schelling legen von dieser Opposition fortgesetztes Zeugnis ab. Dennoch liegt der Fall auch hier komplizierter als die bloße Gegenüberstellung von Subjektivität und Personalität auf Anhieb zu erkennen gibt. Denn zu berücksichtigen ist erstens, dass, wie schon angedeutet, die praktische Philosophie Kants, obwohl auf der Basis einer Philosophie des Subjekts errichtet, die Hinsicht auf Personen durchaus integrieren kann. Die diesbezügliche Formel des kategorischen Imperativs stellt das heraus: »Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.« 4 Jenseits einer planen Opposition muss die Frage hier also präziser lauten, inwiefern die Person, die Jacobi im Auge hat, mit der »Menschheit« in der Person, auf die Kants Sittengesetz zielt, tatsächlich nichts zu tun hat. Zu bedenken ist zweitens, was nun einschlägigerweise die nachkantische Philosophie betrifft und die Lage hier noch verwirrender erscheinen lässt. In meiner Inszenierung hatte ich darauf schon angespielt: auf die Nähe, die trotz aller Differenz zwischen Jacobi und Schelling besteht und sich in der fundamentalen Auszeichnung des Seins manifestiert: »Ich bin« – dies wird auf beiden Seiten gesagt. Somit gilt aber, dass sich das Paradigma der Subjektivität in der nachkantischen Philosophie offenkundig, nämlich unter dem Einfluss von Jacobi, verwandelt hat. Jacobis anticartesianische Umstellung des sum vor dem cogito, des »ich bin« vor dem »ich denke«, ist hier selber
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Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 429. Leitmotive
in das Subjekt eingewandert und hat es gleichsam eingefärbt.5 Die Frage, die man sich zu stellen hat, verschärft sich so: Wie kommt es, dass die Protagonisten der klassischen deutschen Philosophie, Schelling wie Fichte und Hegel, das sum sehr wohl beachten, aber nicht das persönliche sum darunter verstehen, das Jacobi meint? Zu berücksichtigen ist drittens schließlich Herder, der in Jacobis Brief ja schon erwähnt war. Auffällig ist hier, dass Herder, wie seine Kant-Kritik wenig später explizit unterstreichen wird, mit dem Subjekt ebenfalls nichts im Sinn hat und dennoch die personale Option Jacobis nicht teilt. »Lieber bester extramundaner Personalist«, so seine Adresse an Jacobi am 6. Februar 1784: »Eingeschränkte Personalität paßt aufs unendliche Wesen [nicht], da Person bei uns nur durch Einschränkung wird, als eine Art modus oder als ein mit einem Wahn der Einheit wirkendes Aggregat von Wesen.« (JBW I,3, 280 f.) Man sieht, dass seine Einrede ganz wie diejenige Schellings argumentiert. Weil Personalität eine defiziente Bestimmung, eine endliche »Einschränkung« darstellt, passt sie nicht aufs Absolute. Wobei Herder so weit geht, die personale Einheit nicht lediglich als objektvermittelt, sondern überdies als einen »Wahn« zu bezeichnen. Eine höchst seltsame Situation ist es demnach, die sich hier bietet. Denn in einen ernsthaften Diskurs über Personen könnte Jacobi so besehen allein und ausgerechnet mit Kant eintreten, während alle diejenigen, die ihm angesichts der emphatischen Auszeichnung des Seins viel näher stehen, von diesem Thema allesamt nichts wissen wollen. Auf Kant komme ich später zurück. Was aber die beiden zuletzt genannten Punkte betrifft, so gilt es hier nun einen Umstand zu erwähnen, der drastisch vor Augen führt, wie kontextabhängig die Rede über Personen tatsächlich ist und dass es, mehr noch, kontextgebundene Präferenzen gibt, die mit binnenphilosophischen Grundannahmen allein nicht zu erklären sind, sondern die im weitesten Sinne auf Dispositionen mentalitätsgeschichtlicher Art verweisen.
Vgl. Fichtes Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, § 1: »man denkt nicht nothwendig, wenn man ist, aber man ist nothwendig, wenn man denkt. Das Denken ist gar nicht das Wesen, sondern nur eine besondere Bestimmung des Seyns« (FW I, 100). 5
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IV. Gemeint ist der Umstand, dass die Metaphysik Spinozas in der Epoche Furore macht: eine Metaphysik, der es weder um das Subjekt noch und schon gar nicht um die Person geht, die vielmehr auf der Basis des Konzepts der Substanz die göttliche Alleinheit zur Orientierung alles Denkens und Lebens erhebt. Dass Jacobi selber es war, der an diesen Monismus des »Seyns in allem Daseyn« (Spin: JWA 1,1, 39) erinnert hat, ist das eine. Dass er seine eigene Philosophie der Personalität ursprünglich im entschiedenen Widerspruch zu Spinoza entwickelt, ist das zweite. Das dritte ist, dass das berühmt gewordene Em jai pam (Spin: JWA 1,1, 16), mit dem Herder seinen eben erwähnten Brief sogar überschreibt, den Zeitgenossen anders als Jacobi nicht wie das anonyme Schreckgespenst eines radikalen Selbstverlusts, sondern wie eine Zauberformel erscheint, mit der sich ein neues Lebensgefühl erschließt. Gewiss wird Spinozas Metaphysik für Schelling, Fichte und Hegel sogleich auch zum Inbegriff einer wissenschaftlichen Systemphilosophie, womit sie den Vorgaben Jacobis wiederum folgen.6 Um sich aber verständlich zu machen, warum alle und somit auch die, die ihrerseits gar keine Systeminteressen hegen, die Alleinheitsformel so enthusiastisch begrüßen und eben deshalb an Jacobis Position nur das sum beachten, um es als Freisein in Spinozas Substanzmetaphysik zu integrieren, nicht aber das persönliche sum bedenken, hat man auf eine basalere Schicht der Selbstverständigung zurückzugehen. Das hier maßgebliche Wort stammt von Lessing: »Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr für mich; ich kann sie nicht genießen.« (Spin: JWA 1,1, 16) Eben das bekräftigt Schelling in seinem Brief an Hegel: »Auch für uns sind die orthodoxen Begriffe von Gott nicht mehr. […] Wir reichen weiter noch als zum persönlichen Wesen.« 7 Mit anderen Worten: Woran sich die Leser Jacobis einzig und allein orientieren, wenn sie vom Thema Person nichts wissen wollen, was sie geradezu als ein Skandalon perhorreszieren, ist dessen Rede von einem persönlichen Gott. Aus heutiger Sicht – schließlich leben wir bekanntlich in postmetaphysischen Zeiten – ist diese Kritik 6 7
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Vgl. Sandkaulen 2002. Frank/Kurz 1975, 126. Leitmotive
leicht misszuverstehen. Dann wirkt sie wie die Kritik an einem Denken, das sinnloserweise auf eine metaphysische Dimension ausgreift, die wir weder erkenntnistheoretisch noch sprachphilosophisch bearbeiten können, auf deren Thematisierung wir also höchstens noch, um das Wort Lavaters zu variieren, wie auf den »Kinderzustand der Menschheit« zurückblicken können. Das ist jedoch hier nicht gemeint. Es geht nicht darum, ob man überhaupt, sondern es geht allein darum, wie man vom Absoluten spricht. Nicht dass Jacobi von Gott spricht, sondern dass er von Gott als Person spricht, ist das Problem und dies deshalb, weil er damit den orthodoxen Gott zu restituieren scheint: den Gott der Theologen und der Kirche, »das persönliche individuelle Wesen, das da oben im Himmel sitzt«, wie wiederum Schelling an Hegel schreibt,8 – wo doch der Gedanke der Alleinheit von diesem Gott endlich befreit. Man müsste von diesen mentalitätsgeschichtlichen Kontexten nicht handeln, wenn sie philosophisch irrelevant blieben. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall. Die gewissen Schieflagen, in die nicht zuletzt auch die Philosophie Spinozas angesichts solcher religiöstheologisch motivierter Emanzipationsinteressen gerät, sind hier nicht zu erörtern. Entscheidend festzuhalten ist hier, dass die Fixierung der Debatte auf den persönlichen Gott den Diskurs über Personen buchstäblich blockiert. Inwiefern Jacobi diese Rede führt, aufgrund welcher Prämissen er sie führt, wie und warum er basalerweise von uns als Personen spricht, die ganze Anlage seiner Philosophie der Personalität mit einem Wort: All das verschwindet hinter der zwischen Alleinheit und Orthodoxie aufgespannten Szene, während parallel dazu ein Personkonzept auf die Bühne gerufen wird, das immer schon als defizient gefasst die kritische Absicht mühelos trägt. Bei Herder wird das ganz besonders deutlich. Einzig und allein mit dem Zweck, die metaphysische Unbrauchbarkeit der Person zu demonstrieren, hat er sich in der Zweitauflage seiner Schrift Gott die Mühe gemacht, einen ganzen Katalog des, wie er sagt, »vestgestellten Gebrauch[s]« dieses Ausdrucks zusammenzutragen. Nachdem die theologische Rede von der Trinität der göttBrief Schellings an Hegel v. 06.01.1795 (Frank/Kurz 1975, 119). Die Auseinandersetzung mit der sogen. Tübinger Orthodoxie tut hier ein Übriges dazu, vgl. Sandkaulen 1990. 8
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lichen Personen als hier nicht einschlägig ausgeschieden ist, ergibt die Musterung des philosophischen und allgemeinen Sprachgebrauchs, dass Person in allen möglichen Spielarten die ursprüngliche Bedeutung, nämlich »Larve« oder »Maske«, beibehalten hat. Bei Locke und Leibniz ist das nicht anders, wie Herder durch Zitate belegt. So ist Locke zufolge Person ein »forensick term«, ein juristischer Terminus, der es erlaubt, jemanden vor Gericht zu identifizieren, um ihm Verdienst oder Strafe für seine Taten zuzumessen. Dem entspricht, dass Leibniz auf den Spuren Lockes die persönliche Identität eine »apparence du soi« nennt, eine Erscheinung des Selbst, die von realer Identität zu unterscheiden ist. Kurz und gut, so Herder zuletzt: Man schlage »Wörterbücher auf, welche man will«, überall steht, dass die Worte Person und Persönlichkeit »ein Eigenthümliches oder Besondres unter einer gewissen Apparenz bezeichnen«. Mit dem Unendlichen aber hat das alles ersichtlich nichts zu tun.9 In der Tat nicht, so könnte man hier mit Jacobi replizieren. Gleichwohl ist Herders Einlassung, die von Personen nur spricht, um sie aus dem Diskurs herauszuhalten, außerordentlich interessant. Denn dergestalt erfährt man nicht allein, welches das in der Epoche gängige, in Wörterbüchern »festgestellte« Personverständnis ist, sondern man erfährt so zudem, vor welchem Hintergrund folglich auch Jacobis Überlegungen stehen, wovon sie sich absetzen müssen, um ihre eigenen Intentionen zur Geltung bringen zu können. Bezieht man in diesem Sinne die Herdersche Liste auf Jacobis Einsatz, dann gilt ex negativo formuliert: was Jacobi mit dem a und y der Personalität im Auge hat, folgt nicht dem üblichen Sprachgebrauch; es lässt sich nicht etymologisch auf die antike Theatersprache, auf die persona als Maske, zurückführen; und vor allem lässt es sich nicht im Rekurs auf die philosophische Autorität Lockes erläutern. Das ganze orthodoxe Aufgebot, das Herder gleichsam neben das Skandalon des or-
Herder 1967, 497ff. Vgl. zur Auseinandersetzung Jacobis mit Herder insbesondere die Beilagen IV und V der Spinozabriefe nebst der späteren Bemerkung, dass auch die 1800 erschienene überarbeitete Zweitauflage von Herders Gott nichts enthalte, »daß mich hätte nöthigen mögen, etwas von dem […] Gesagten zurück zu nehmen« (Spin: JWA 1,1, 219). Allerdings hat Jacobi im Zusammenhang der späteren Werkausgabe der Spinozabriefe in der Beilage IV verdeutlichende Ergänzungen angebracht, die ich im Folgenden berücksichtige. 9
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thodoxen Gottes stellt, um den Weg zur Alleinheit freizuräumen, passt hier nicht. Worum geht es stattdessen?
V. Im Handstreich lässt sich das nicht erläutern. Denn das Muster, das sich aus allen bisher ausgespannten Fäden ergibt, ist offenbar höchst kompliziert. Kompliziert ist die Thematik der Person selber, kompliziert ist die Rolle, die Jacobi im zeitgenössischen Kontext spielt, und dementsprechend komplex ist auch seine Philosophie der Personalität, um die es hier geht. Dazu gehört, dass man Jacobis Position, wie sich gezeigt hat, nur im Vollzug einer doppelten Abgrenzung verstehen kann. Einerseits profiliert sich die Bedeutung der Person im Kontrast zur Philosophie der Alleinheit, deren Monismus Jacobi zwar als rational zwingend exponiert, in der praktischen Konsequenz jedoch als die anonyme Vollstreckung eines totalen Selbstverlusts verwirft. Damit aber die Person diese ihr zugedachte Rolle auch wirklich übernehmen kann, ist es andererseits erforderlich, eine Alternative zu dem bisher »festgestellten« Personkonzept Lockes zu entwickeln. Beide Hinsichten kulminieren in dem, was ich das existentielle Bewusstsein des Selbstseins genannt habe. Angesichts der Komplexität der Lage aber mag es nun auch nicht überraschen, dass Jacobi eine spezielle Abhandlung über den Begriff der Person im Allgemeinen und des personalen Selbstseins im Besonderen nicht vorgelegt hat. Personalität ist hier der in wechselnden Perspektiven zu beleuchtende Fluchtpunkt eines Denkens, dem überhaupt nicht an der exklusiven Explikation von Begriffen, sondern an der Erschließung von Erfahrungen liegt. Die basalste aller Erfahrungen, die wir machen, ist Jacobi zufolge das Handeln: nur indem wir ursächlich Handelnde sind, haben wir ein Verständnis von uns selbst und von der Welt.10 In diesem Handlungskontext hat die Rede von der Person ihren Ort, und hier ist auch die Auseinandersetzung zu verorten, die Jacobi in doppelter Weise führt. Denn das Problem, das sich Vgl. zu diesem entscheidenden, an der Distinktion von Grund und Ursache zum Ausdruck gebrachten handlungsphilosophischen Fundament von Jacobis Denken Sandkaulen 2000. 10
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in Gestalt der Person insbesondere stellt, ist ein Problem, das sich sowohl in Hinblick auf die Philosophie der Alleinheit als auch in Hinblick auf Lockes Theorie der Person zuspitzt: worum es geht, ist das Problem der Identität. Ein »jedes Wesen«, so heißt es bei Jacobi, »welches das Bewußtseyn seiner Identität hat: eines bleibenden, in sich seyenden und von sich wissenden Ich, ist eine Person« (Spin: JWA 1,1, 220). Inwiefern, so ist zu fragen, darf man diesen Satz als Alternative zur Identität der Alleinheit verstehen? Und inwiefern geht diese Identität zugleich über das hinaus, was Lockes »forensick term« über die Identifizierung einer Person zu sagen hat? Ich beginne mit der zweiten Frage, da sie den Zugang auch zur ersten am besten bahnt. Auffällig ist hier zunächst, dass Jacobi, anders als im Falle Kants und der Philosophie der Alleinheit, eine explizite Auseinandersetzung mit Locke nicht betrieben hat. Er betreibt sie implizit, und zwar so, dass hier nicht der Blick ins »Wörterbuch« über das gängige Verständnis der Person orientiert, sondern der Vollzug einer Argumentation, die, der fundamentalen Hinsicht auf das Handeln gemäß, nach der »Freyheit des Menschen« fragt (Spin: JWA 1,1, 158 ff.). Wenn wir voraussetzen, so geht die Überlegung des ersten Teils, dass wir als endliche Wesen nicht autonom sind, vielmehr unweigerlich verstrickt sind in die Abhängigkeit von unserer natürlichen und sozialen Umwelt; wenn wir weiter annehmen, dass dieser Situation entsprechend unser ganzes vitales Interesse darauf zielt, im Geflecht der unvermeidlichen Abhängigkeiten nicht zugrunde zu gehen; und wenn wir schließlich noch annehmen, dass wir als rationale Wesen in der Lage sind, unser Überlebensinteresse bewusst zu gestalten: dann ergibt die Rede von der Person einen guten Sinn. Personsein meint dann, über das stabilisierende Bewusstsein einer Identität zu verfügen, die wir als endliche aber rationale Wesen im Kontext jeweiliger Umwelt und jeweiliger Erfahrungen ausbilden und an der wir dann auch unsere zukünftigen Handlungen orientieren. Die weiteren Schritte, die Jacobi hier anschließt, lasse ich beiseite. Wichtig im gegenwärtigen Zusammenhang ist dreierlei. Der erste Punkt ist, dass Jacobi auf engstem Raum, in einer höchstmöglich verdichteten Argumentation ein Konzept von Personalität entwickelt, das auf der Basis einer Analyse unserer endlichen, aber durch Rationalität zu bewältigenden Lebensbedingungen höchst aktuell anmutet. 108
Leitmotive
Spielarten dieser – dann naturalistisch genannten – Überlegung kann man derzeit in allen einschlägigen Debatten finden. Dabei ergibt sich die Pointe der gedanklichen Schrittfolge insbesondere daraus, dass Jacobi impliziterweise zwei Theorien kombiniert. Er kombiniert das Streben nach Selbsterhaltung, das Spinoza zum basalen Grundtrieb allen Handelns erklärt hat, mit dem, was Locke über die persönliche Identität sagt: dass sie nämlich, wie Jacobi hier formuliert, »auf Gedächtniß und Reflexion« beruht (Spin: JWA 1,1, 159). Das ist in der Tat der Kern der Lockeschen Theorie: die Identität der Person reicht so weit, wie das »Bewußtsein rückwärts auf vergangene Taten oder Gedanken ausgedehnt werden kann«.11 Worauf es hier ankommt, ist also, dass persönliche Identität einer Leistung des Bewusstseins entspringt. Eingelassen in den Kontext der Erfahrung wird sie gestiftet durch die rückblickende Leistung bewusster Identifikation. Einer Unterscheidung folgend, die Jacobi an anderer Stelle gebraucht, die aber auch in den gegenwärtigen Diskussionen um die Person höchst virulent ist,12 werde ich diese Identität im Weiteren die Was-Identität nennen. Der zweite Punkt ist, dass Jacobis Analyse dieser Was-Identität offenkundig genau dem Verständnis der Person entspricht, das Schelling und Herder als defizient vor Augen steht. Schellings objektvermittelte wie auch Herders als »Wahn« auf ein »Aggregat« bezogene Einheit des personalen Bewusstseins heben darauf ab, dass diese Identität stets nur in Auseinandersetzung mit und durch Integration von Fremdem zustande kommt. Was ich bin, als was ich mich identifiziere, das ergibt sich aus einer letztlich nicht überschaubaren Verkettung raum-zeitlicher Umstände. Jacobi bekräftigt das, indem er diesen Teil seiner Überlegung unter den Titel der Unfreiheit rückt. Der dritte Punkt zielt auf die Konsequenz, die er aus seiner Analyse der Was-Identität der Person zieht. Defizient ist sie nach seiner Überzeugung auch. Aber daraus folgt hier keineswegs, dass sie zugunsten eines anzustrebenden Übergangs in die »absolute Sphäre des Seins« sogleich für nichtig erklärt werden müsste. In einem ganz basalen Sinne, der dem Faktum unserer Endlichkeit und Zeitlichkeit Rechnung trägt, muss dieser Was-Aspekt unserer selbst vielmehr 11 12
Locke 1981, Bd. I, Kap. XXVII, 420. Vgl. Kaplow 2002, 185ff. u.ö. Jacobi im Diskurs über Personen
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festgehalten werden, wie Jacobi immer wieder betont. Denn was wären wir ohne ihn? »Gehe nur gerade in dich selbst zurück; entäussere dich in Gedanken für einen Augenblick aller deiner sinnlichen Vorstellungen, aller der Erfahrungen, Empfindungen, Urtheile und Neigungen, die auf jene Vorstellungen sich beziehen: – Was bleibt dir nach einer solchen Ausleerung von deinem Wesen übrig?« (Zufällige Ergießungen eines einsamen Denkers: JWA 5,1, 204) Auch der prominente Satz Jacobis, den Martin Buber missverständlich als erste Anzeige seiner eigenen Dialogphilosophie lesen wollte,13 der Satz, dass »ohne Du […] das Ich unmöglich« sei (Spin: JWA 1,1, 116), hat hier seinen Ort. Indessen kann man hier nicht stehenbleiben, weil sich bei näherem Hinsehen zeigt, worin das entscheidende Defizit der personalen WasIdentität liegt. Und dieser Einwand Jacobis ist nun hochinteressant. Anders als es auf Anhieb den Anschein hat, vermag sich nämlich die durch »Gedächtnis und Reflexion« vollzogene Leistung der Identitätsstiftung nicht selber zu begründen, vielmehr dreht sie sich zirkulär im Kreis. Denn wenn mein Bewusstsein personaler Identität durch Identifizierung entstehen soll, so muss ich über dieses Bewusstsein zugleich immer schon verfügen, weil ich sonst nicht wüsste, als was ich mich identifizieren kann. Was »nicht schon etwas ist«, so beginnt Jacobi den zweiten Teil seiner Überlegungen zur »Freiheit des Menschen«, »kann nicht zu etwas blos bestimmt werden; was an sich keine Eigenschaft hat, in dem können durch Verhältnisse keine erzeugt werden, ja es ist nicht einmal ein Verhältniß in Absicht seiner möglich« (Spin: JWA 1,1, 163). Die Kritik am zirkulären Reflexionsmodell des Bewusstseins ist unter dem Namen Fichtes bekannt geworden.14 Es gibt dringenden Anlass zu der Vermutung, dass Fichte sie von Jacobi übernommen hat. Jacobis »ursprünglicher Einsicht« gemäß sieht die Lösung indes ganz anders als dann bei Fichte aus. Es geht nicht darum, den Zirkel durch den Überstieg des Bewusstseins in die unpersönliche Identität des absoluten »Ich bin Ich« zu sprengen. Bei Jacobi kommt es vielmehr darauf an, genau an dieser Stelle freizulegen, worauf sein eigenes Personverständnis zielt: das existentielle Bewusstsein persönlicher 13 14
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Buber 1992, 301ff. Henrich 1967. Siehe hierzu auch Text Nr. 7 in diesem Band. Leitmotive
Identität also, das Bewusstsein jeweiligen konkreten Selbstseins, das seinerseits nicht durch Identifikation entsteht, sondern das als »bleibendes und in sich seiendes« die wesentliche Voraussetzung dafür darstellt, dass ich eine Was-Identität reflexiv überhaupt ausbilden kann. Im Unterschied zum Was meint Personsein in diesem Sinne und entscheidenderweise die freie Identität eines Wer. Wer jemand ist: das geht in dem, was er ist, nicht auf – und zugleich ist es auch etwas anderes als nur die Anzeige eines nackten Dass, eines bloßen unbestimmten Seins, das sich zu den Bestimmungen des Was wie die Voraussetzung eines Substrats verhielte. Warum der Begriff der Person der früher zitierten Bemerkung zufolge »so schwer zu explizieren ist wie kaum ein anderer in der Philosophie«, wird jetzt vollends manifest. Denn die entscheidende Hinsicht auf dieses »Wer jemand ist« ist nicht nur nicht mit den modernen Mitteln einer Reflexionstheorie des Bewusstseins zu bearbeiten, aus deren eigenen Problemen sie ja im Gegenteil herausführen soll. Sie ist auch nicht mit den alten Mitteln einer Substanzontologie zu bearbeiten, wonach man ein Ding einerseits und seine Eigenschaften andererseits unterscheiden kann. Jacobi selber ist sich über diesen Punkt völlig im Klaren. Indem er das existentielle Selbstsein der Person den »eigenthümlichen« »Geist« eines Menschen nennt, »durch welchen er der ist, der er ist, dieser Eine und kein anderer«, betont er, dass die Identität des Wer auf eine wesentlich singuläre, durch und durch individuelle Existenz zielt und in dieser Singularität des »Unvergleichbare[n]« schlechthin anzuerkennen ist (WL: JWA 3, 26). Von der Würde der Person darf man hier also sprechen. Zugleich ist hier nun auch zu sehen, inwiefern sich Jacobis Philosophie der Personalität von Kants kategorischem Imperativ nicht nur unterscheidet, sondern ihm widerspricht. Denn wenn Kant zufolge in der Person eines jeden die »Menschheit« zu achten ist, dann wird hier eine in Raum und Zeit bestimmte empirische Person vom universalen Aspekt der »Persönlichkeit« getrennt.15 Das Sittengesetz verlangt, allein diese universale Dimension zu berücksichtigen, deshalb ist es streng formal. Über das individuelle und Vgl. Kants Bemerkung, wonach die »Person […] als zur Sinnenwelt gehörig, ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen ist« (Kritik der praktischen Vernunft (AA V, 87)). 15
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als solches nicht raum-zeitlich bestimmte Wer-Sein einer jeden einzelnen Person jedoch sieht Kant dabei in dem Maße hinweg, wie er dieses Sein gar nicht kennt. Weiter gilt, um wieder auf den Gedankengang zurückzukommen, dass diese Wer-Identität der Person »nicht erst hintennach durch Selbstvergleichung« zustande kommt. Denn, so lautet die Kritik am Reflexionszirkel hier, »worin geschähe die Vergleichung und Einbildung; worin würde das Selbst dem Selbste gleich? und was wäre das noch nicht gleichgesetzte Selbst, das Selbst noch ohne eigenes Seyn und Bleiben, das durch gleich- ungleich- und zusammensetzen, durch verknüpfen erst zu einem Selbste mit eigenem Seyn und Bleiben, mit Selbstseyn würde? Was endlich verübte alles dieses?« (WL: JWA 3, 26) Die Folge dieses Scheiterns der Reflexion aber ist, dass sich die freie Identität des Wer, die dem Was vorausgesetzt ist, durch »Erkenntniß« nicht aufschließen lässt. Das Bewusstsein, dieser und kein anderer zu sein, ist darum konsequenterweise nur ein Gefühl, »ein unmittelbares, von Erinnerung vergangener Zustände unabhängiges Wesenheitsgefühl« (WL: JWA 3, 26).16 Dass der Verdacht des Irrationalismus hier völlig in die Irre geht, kann man, wenn man will, zum wiederholten Male vermerken. Ein Letztes bleibt an dieser Stelle zu bedenken. Jacobi insistiert darauf wie vorhin gesagt, dass es unsinnig wäre, unser Gedächtnis auszulöschen, also den Versuch zu unternehmen, uns von der stets vermittelten Dimension des Was befreien zu wollen. Das bleibt festzuhalten. Über diese Dimension hinauszugehen, heißt also nicht, so etwas wie einen Zustand anzusteuern, wo das personale »Wesenheitsgefühl« exklusiverweise herrschte. Hätte Jacobi solches behauptet, könnte man ihn mit Recht fragen, was man sich darunter vorstellen soll. Indessen geht es um derlei nicht. Unter Bedingungen Dem entspricht, dass das Konzept der Substanz transformiert und nun als »Substantivität« mit dem »Geist« bzw. der »Selbstheit« ineinsgesetzt wird (JWA 3, 27). Noch deutlicher formuliert Jacobi diesen Sachverhalt in einem Brief an Jean Paul vom 16.03.1800, wo Individualität die Auszeichnung einer Basalbestimmung erhält: »Also liegt der Identität Substanzialität, der Substanzialität Individualität schlechterdings zum Grunde.« (JBW I,12, 208) Der Sache nach bietet sich ein Vergleich zu Richard von St. Viktor an, der mit dem Ziel, das individuelle und unmitteilbare »quis« der Person vor dem »quid« zu profilieren, das Konzept der Substanz durch das der Existenz ersetzt hat. Vgl. Kible 1989. 16
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unserer Endlichkeit gilt vielmehr, dass es einerseits das Was nicht ohne die Voraussetzung des Wer gibt und umgekehrt das Wer nicht ohne die Beziehung auf das Was. Wir erfahren ursprünglich, so Jacobi, dass sowohl unsere »Selbstständigkeit« als auch unsere »Abhängigkeit eingeschränkt« sind. Für jeden von uns gilt also, »daß er eben so nothwendig Einer nur seyn kann unter Anderen, unmöglich ein Erster und Einziger; als er, um zu seyn Einer unter Anderen, nothwendig seyn muß Einer und kein Anderer; ein selbständiges, ein wirkliches, ein persönliches Wesen« (WL: JWA 3, 27 f.). Die personale Hinsicht des Wer-Seins gibt es nicht solitär, sondern nur als eine, die sich unter den Bedingungen des Andersseins zur Darstellung bringt. Und das schließt ein, dass man das »inwendige« Bewusstsein der Person im Kontrast zum »auswendigen« Bewusstsein unserer zeitlichen Existenz zwar »außerzeitlich« nennen muss, aber mit dem Ausgriff auf zeitlose Ewigkeit nicht verwechseln darf (WL: JWA 3, 27 Anm.). Gemeint ist vielmehr eine »identity over time«, eine Identität, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in sich »bleibend« übergreift und insofern überhaupt ermöglicht, dass ich mich als dieser im Rückblick auf mein Leben, im Kontext der Anderen und mit Plänen für die Zukunft identifizieren kann (GD: JWA 3, 113). Unterdessen betrifft diese wechselseitige Verschränkung der Hinsichten auf das Was und das Wer der Person zwar notwendig unsere Existenz, aber auch nur und ausschließlich diese unsere Existenz. Soll also mit anderen Worten unter dem »Nahmen Gott« (WL: JWA 3, 26) von einem Wesen die Rede sein, dem wir nicht als Einem unter Anderen in unserer Welt begegnen, das kein Teil dieser Welt ist, das sich vielmehr von ihr absolut unterscheidet, dann ist es unsinnig, auf diese »Vollkommenheit des Seyns« (WL: JWA 3, 26) die Perspektive unseres Was-Bewusstseins zu übertragen. In dem Maße aber, wie hier die unsere eigene personale »Selbständigkeit« notwendig einschränkende Hinsicht auf das Anderssein absolut wegfällt und die göttliche Existenz eben deshalb die eines »ausschließlich in sich selbst genugsame[n] unbedingt selbstständige[n]« Wesens ist (WL: JWA 3, 28), in dem Maße ist es nicht unsinnig, dieser Existenz das Personsein zuzuschreiben: das Bewusstsein der absoluten Identität des Wer, des »Ich bin, der Ich bin«. Von dieser absoluten Person, die nicht wie wir »Individuum nur aus und unter einer Gattung ist« (WL: JWA 3, 28), haben wir allerdings notwendigerweise keinen Jacobi im Diskurs über Personen
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Begriff. Bereits wir selber sind uns in unserer eigenen personalen WerIdentität weder von außen noch von innen reflexiv zugänglich und bezeichnen Personen daher nicht mit einem Begriff, sondern mit einem Namen.17 Die metaphysische Rede von Gott, die Jacobi einzig und allein erlaubt, ist mithin die von einem absoluten Eigennamen (Spin: JWA 1,1, 261). Was wir mit ihm bezeichnen, ist lediglich die weiter nicht erklärbare Voraussetzung eines ursächlich handelnden Wer: eine Voraussetzung, die nun aber nicht wie bei Kant nur den Status einer regulativen Idee hat. Vielmehr stoßen wir auf sie in unserm Personsein als eine konstitutive Voraussetzung, weil wir die personale Identität des Wer – anders als die des Was – nicht nachträglich selber erzeugen und sie als Voraussetzung des Was schon gar nicht aus dem raum-zeitlichen Geflecht der Welt herleiten können.
VI. Bei diesen Bemerkungen zu Jacobis Metaphysik, die im Namen der Person den Typus einer Begründungsmetaphysik durch den einer Handlungsmetaphysik ersetzt, muss ich es hier bewenden lassen. Jedoch sollten sie genügen, um die zweite Frage zuletzt noch anzuschließen. Inwiefern darf man diese Philosophie der Personaliät, so wie sie jetzt expliziert ist, der Philosophie der Alleinheit entgegenstellen? Oder anders gefragt: Ist es denn wirklich zwingend, die Unterscheidung des Absoluten von der Welt so wie Jacobi in Gestalt einer personalen Transzendenz zu fassen? Ist es nicht einleuchtender und im Übrigen auch fruchtbarer, diese absolute Unterscheidung als eine der Welt immanente Unterscheidung zu begreifen? Dann ist das Absolute ebenfalls kein Teil der Welt und selbstverständlich auch nicht nur die Summe ihrer Teile, sondern es ist dann diejenige Totalität, die dem Zusammenhang des Endlichen als seine innere Struktur zugrundeliegt, um sich folglich an jedem einzelnen Punkt zu manifestieren, wo ein Selbstsein im Verhältnis zum Anderssein steht. Die jahrzehntelange Mühe, die Jacobi in seine Spinoza-Studien investiert hat, spricht dafür, dass diese Frage das »punctum saliens«
17
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Vgl. Text Nr. 6 in diesem Band. Leitmotive
seines eigenen Denkens gewesen ist. Und so, wie man den Aufriss seiner Philosophie der Personalität im Ganzen allerdings nicht aus der Abgrenzung gegenüber Locke, sondern genetisch nur aus der intimen Auseinandersetzung mit dem Werk Spinozas verstehen kann, so evident ist zugleich, dass Jacobi die Alternative seiner eigenen Position in höchstmöglicher Nähe zu derjenigen Spinozas entwickelt hat. Worin besteht das Faszinosum dieser Philosophie? Es besteht genau darin, wie Jacobi als erster überhaupt begriffen hat, dass die Struktur der Alleinheit das Denkmuster reflexiver Identifizierung ihrerseits sprengt. Die Identität, um die es hier geht, ist nicht ein ens rationis, ein allein im Begriff identifiziertes Was, sondern ein Dass, ein unvordenkliches Sein, und als solches ein Ganzes, »dessen Theile nur in und nach ihm seyn, nur in und nach ihm gedacht werden können« (Spin: JWA 1,1, 96). Und wenn man sich nun erinnert, dass Jacobi selber im Namen unseres Personseins auf die Freilegung einer ursprünglichen Identität zielt, die der nachträglichen Synthetisierung in »Gedächtnis und Reflexion« vorausliegt, dann ist es so verwunderlich nicht, dass er sowohl auf der Seite Spinozas als auch auf der Seite seines »Antispinoza« jeweils denselben Satz in Anwendung bringt: »totum parte prius necesse est«.18 Notwendigerweise ist das Ganze vor seinem Teil. Und doch trennt diese beiden strukturell verwandten Identitäten ein Abgrund, über den man nur mit einem »Salto mortale« hinwegspringen kann. Die alles entscheidende Differenz besteht in der personalen Identität des Wer. Sie ist es, die genau in dem Maße verschwindet, wie das Absolute – rational durchaus einleuchtend – als interne Struktur der Welt gedacht wird. Wo immer dieses Absolute sich dann nämlich manifestiert, entzieht es dem Selbstsein das »selbständige« Personsein und macht es stattdessen zu einer bloßen Bestimmung seines eigenen Dass. Mit anderen Worten: Aus dem Wer der Person wird hier ein Was – eine Eigenschaft, in der das absolute Dass das »idem est idem« seines Seins intern nur modifiziert. Die von Jacobi markierte Konsequenz des »Fatalismus«, dass im Horizont der Alleinheit zusammen mit der Freiheit der Person auch die Zeit und Vgl. Spin: JWA 1,1, 111, 115; DH: JWA 2,1, 50, 82; den Brief Jacobis an Herder v. 30.06.1784: JBW I,3, 329; sowie die »Zugabe an Erhard O« im Anhang zu Allwill: JWA 6,1, 231. 18
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somit in Wahrheit alles verschwindet, was zur Erfahrung des Handelns gehört, kann ich hier nicht ausführen.19 Worauf es jetzt allein ankommt, ist, dass die Logik der Alleinheit, so wie sie Jacobi bei Spinoza paradigmatisch analysiert, sich zwar nicht in der reflexiven Identifizierung des Was begründet. Insofern sie aber das Wer weder denken kann noch will, bezieht sie alles, was sie sagt, aus dem »alleinen« Fall eines Dass, das die Bestimmtheit seines Was nun selber generiert und in einem anonymen Intellekt vergegenwärtigt.
VII. Mit einer letzten Überlegung komme ich zum Schluss. Hat Jacobi unrecht, wenn er diese Logik, bei der es nur um das Verhältnis von Dass und Was, nirgends aber um das Wer geht, auch in den Systemen der klassischen deutschen Philosophie am Werke sieht? Vorderhand mag das so sein. Schließlich soll es hier ja nicht einfach um eine Reproduktion Spinozas gehen, sondern um eine Philosophie, die Jacobis Insistieren auf dem Freisein in sich aufnimmt. Und dazu gehört, dass sich in der Folge der Beiträge das Problem der Individualität zunehmend deutlich bemerkbar macht: bei der einigermaßen forschen Aufforderung Schellings, die Persönlichkeit approximativ zu zerstören, bleibt es also nicht. Und dazu gehört weiter, dass auf die Länge sogar das Tabu fällt, vom Absoluten als einem persönlichen Gott zu sprechen. Schelling nennt seine Philosophie nun einen »wissenschaftlichen Theismus«, weil er sich dieser Hinsicht verpflichtet. Und selbst Hegel, gegen dessen Logik der späte Schelling seine positive Philosophie in Stellung bringt, selbst Hegel attestiert Jacobi später, dass er mit Recht gegenüber Spinoza die »Persönlichkeit« Gottes eingeklagt habe.20 Nun war es mir allerdings in all meinen Überlegungen um den Punkt zu tun, dass es auf das Wort allein hier nicht ankommt. Hätte Jacobi selber sich nur an den Ausdruck Person gehalten und nicht über die Struktur personaler Identität nachgedacht, dann hätte er seine Philosophie der Personalität schwerlich entwerfen können. 19 20
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Vgl. Sandkaulen 2000. Hegel, Friederich Heinrich Jacobi’s Werke, GW 15, 11. Leitmotive
Prüft man aber in diesem Sinne die Struktur der späteren Philosophien, dann muss man feststellen, dass sie wie zu Anfang so auch bis zuletzt in Opposition zu Jacobi stehen. Denn anstatt auf das personale Wer stößt man hier überall auf die Bestimmung des Dass durch sein ihm eigenes Was. Was mit Fichtes absoluter Tathandlung beginnt, wonach gilt: »Ich bin schlechthin, d.i. ich bin schlechthin, weil ich bin; und bin schlechthin, was ich bin; beides für das Ich« 21 – das setzt sich fort bis zum späteren Vorwurf Hegels, dass Jacobi nur wisse, »daß Gott ist, nicht was Gott ist«,22 und das bewegt schließlich auch noch die theistische Philosophie Schellings, wenn sie die immanente Unterscheidung zwischen dem Unendlichen und Endlichen jetzt in Gott selbst hineinverlegt und in diesem Zusammenhang festhält, dass vom »reinen Daß« zum »Begriff, dem Was« fortgegangen wird, um das »Existierende« als »persönlichen, wirklichen Gott« zu erweisen.23 Dass die Hinsicht auf das Was Erklärungen erlaubt, selbst wenn sie wie im Falle des Wissenschaftsentwurfs des späten Schelling nur noch »Erweise« sind, ist allerdings wahr. Und so ist es zuletzt verständlich, warum Jacobis Position trotz ihrer ungeheuren Wirkung ein Stein des Anstoßes bleibt, wie er selber in all seinen Debatten sehr genau wusste. Denn eine Wissenschaft war hier von jeher storniert, wenn denn im Namen der Person ihr Selbstsein respektiert sein soll. »Darum fragt meine Philosophie: wer ist Gott; nicht: was ist er?« (Spin: JWA 1,1, 342) Dass dies einer der letzten Sätze ist, die Jacobi notiert hat, wird ein Zufall nicht sein.
Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, FW I, 98. Hegel, Enzyklopädie, GW 20, § 73, 113. 23 Schelling, Philosophische Einleitung in die Philosophie der Mythologie oder Darstellung der reinrationalen Philosophie, SW XI, 564, 565. 21
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6. Bruder Henriette? Derrida und Jacobi: Dekonstruktionen der Freundschaft
Friedrich Schlegel fand Woldemar geschmacklos. Dass Jacobis Roman nicht von einer Liebesgeschichte mit Aussicht auf schönes Eheglück erzählt, sondern stattdessen von der Geschichte einer problematischen Freundschaft handelt, das vermochte der spätere Autor der Lucinde partout nicht zu fassen.1 Jedoch gibt es da auch andere Stimmen. Etwa die eines »innigst ergebenen Fichte«, der unmittelbar nach seiner Lektüre des Woldemar an Jacobi schreibt, wie »allmächtig« er sich angezogen fühlte, um gleich darauf seine gänzliche »Uebereinstimmung« mit Jacobi zu bekunden, die »mir mehr als irgend etwas [beweist], daß ich auf dem rechten Wege bin.« 2 Und nicht zu vergessen Hegel. Mit der Vorlage des Woldemar vor Augen bringt er schließlich nichts Geringeres zuwege als das Kapitel »Das Gewissen. Die schöne Seele, das Böse und seine Verzeihung«, das er an entscheidendem Ort seiner Phänomenologie des Geistes plaziert.3 Immerhin: Anders als Schlegels blanker Fassungslosigkeit mag man den Reaktionen Fichtes und Hegels entnehmen, dass Jacobi in der Vorrede seines Romans vielleicht nicht völlig vergeblich auf das Verständnis des Philosophen gesetzt hatte, sofern er »etwas mehr ist, als nur Philosoph von Profession« (JWA 7,1, 208). Aber genau besehen muten doch auch ihre Lektüren ein wenig seltsam an. Oder wie sollte man die im selben Brief an Jacobi formulierte Überzeugung Fichtes verstehen, wonach er eben das, was Jacobi, »so sehr die menschliche Sprache es erlaubt«, zum Ausdruck bringe, seiner eigenen Aufgabe gemäß »in die Form des Systems« auffasse?4 Könnte man demnach Schlegel, »Jacobis Woldemar« (1796) (Schlegel 1988, Bd. I). Dabei zeigen sowohl die Rezension als auch insbes. Lucinde, dass Schlegel, komplementär zu seinen Vorstellungen über Liebe und Ehe, just in dem Ideal einer »Bruderfreundschaft« befangen ist, das Jacobis Roman kritisiert. Die Missverständnisse und Verdrehungen in Schlegels Woldemar-Rezension hat vor Jahren Reinhard Lauth mit Recht kritisiert (Lauth 1971). 2 Brief vom 26.04.1796 (JBW I,11, 102). 3 Vgl. Falke (1987). 4 JBW I,11, 102. 1
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irgendwo nachlesen, dass die Wissenschaftslehre nicht nur, wie bekannt, das »Individuum«, sondern tatsächlich auch das Verhältnis der Freundschaft aus dem absoluten Ich erfolgreich deduziert hätte?5 Und andererseits Hegel: Sollte man denn je davon gehört haben, dass das erwähnte Kapitel der Phänomenologie zu den bedeutenden Freundschaftserörterungen der Philosophiegeschichte zu zählen sei? Oder geht es hier nicht vielmehr darum, in phänomenologischer Umkehrung Fichtes die Struktur einer Beziehung aufzuweisen, bei der es gerade nicht mehr auf deren Glieder als solche, sondern am Ende nur mehr auf die Struktur selber ankommt, welche »der absolute Geist ist«?6 An dieser Stelle mache ich einen Sprung, der mich aus den frühromantischen Beschwörungen von Liebe und Ehe und auch aus den idealistischen Vergewisserungen des Absoluten heraus in die Gegenwart führt: Politiques de l’amitié heißen die Überlegungen, die Derrida dem Thema Freundschaft gewidmet hat.7 Es ist verblüffend und angesichts der geschilderten Szenerie doch wiederum so verblüffend nicht, dass man in diesem Buch nun endlich erfährt, worum es in Jacobis Woldemar geht.
I. Auf den ersten Blick, das ist unbestreitbar, wirken die Texte völlig divergent. Immerhin ist Derridas Politik der Freundschaft kein Roman, in dem die literarische »Darstellung einer Begebenheit« (JWA 7,1, 207), die Erzählung einer fiktiven Freundschaftsgeschichte zwischen Woldemar und Henriette, im Mittelpunkt stünde.8 Im Zentrum steht hier vielmehr der Freundschaftskanon der PhilosophiegeVgl. Fichtes Brief an Jacobi vom 30.08.1795 (JBW I,11, 55). Hegel, Phänomenologie des Geistes, GW 9, 361. 7 Derrida 2000. Vgl. dazu auch den Text Derridas in Eichler 1999, 179 – 200. Eichlers Band dokumentiert insgesamt die Relevanz eines Themas, das, lange aus dem philosophischen Diskurs verdrängt, in jüngster Zeit neue Aufmerksamkeit erfährt. 8 Wie im Fall von Allwill stammt auch die erste Fassung des Woldemar aus den 70er Jahren (1779). Im Folgenden beziehe ich mich auf die dritte, auch gegenüber der Fassung von 1794 noch einmal erheblich bearbeitete Ausgabe von 1796. 5
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Leitmotive
schichte, den Derrida von Aristoteles über Montaigne bis hin zu Carl Schmitt und Blanchot einer dekonstruktivistischen Lektüre unterzieht. Dass in deren Verlauf Jacobi übrigens keinerlei Rolle spielt, sei am Rande erwähnt. Nur am Rande – denn auf solche historischen Bezüge kommt es mir hier nicht an. Entscheidend ist vielmehr ein systematischer Zusammenhang, der die auf Anhieb so different anmutenden Texte bei näherem Hinsehen verbindet. Das schließt auf den zweiten Blick schon den je gewählten Modus der Darstellung ein. Gewiss hat es Jacobi, von einigen verstreuten Anmerkungen abgesehen, vermieden, sich theoretisch über Freundschaft zu äußern. Aber das heißt mitnichten, dass sein Roman ein gänzlich reflexionsloses Gebilde wäre. Im Gegenteil: die Philosophie der Freundschaft, um die es hier im Modus eines literarischen Textes geht, steckt nicht nur schon in der Anlage der »Begebenheit« selber – in langen Gesprächen legt Jacobi sie zudem allen an der »Begebenheit« beteiligten Figuren in den Mund. Und umgekehrt Derrida: Als Gegenstück zu einem Roman wird hier keineswegs ein Theorietraktat, sondern ein »Essay« präsentiert, wie Derrida wohl in unmittelbarem Reflex auf den maßgeblichen Freundschaftstext Montaignes explizit und mit allen sich daraus ergebenden evokativen Lizenzen der Darstellung sagt.9 Philosophischer Roman oder Essay: Nach wie vor ist das nicht dasselbe. Aber die Wahl dieser Formen verrät gleichwohl, dass hier ein gemeinsames Problembewusstsein im Hintergrund steht. Der Freund nämlich, so liest man in buchstäblicher Übereinstimmung bei beiden Autoren, der Freund ist wesentlich kein »Begriff«.10 Er ist vielmehr, Derrida 2000, 9. Vgl. Jacobi (GD: JWA 3, 51): »Ich frage, um näher zu treten und eindringlicher zu werden: Wer besaß je einen Freund, und mochte sagen, er liebe nur seinen Begriff, nicht den Mann mit Nahmen; der Mann mit Nahmen sey die Sache nicht; er schade ihr vielmehr durch seine Mängel? – Fände sich jemand dieser Art, so müßte er seinen Freund, je wahrhafter und uneigennütziger er ihn liebte, mit desto größerer Gleichgültigkeit ins Grab legen sehen. Er behielte ja den Begriff; könnte sogar an die Stelle des gestorbenen Freundes sich einen andern mit noch größeren Vollkommenheiten, und ohne irgend einen Mangel denken: dieser würde dazu unsterblich seyn!« Dazu bei Derrida 2000, 416: »Ein Freund ist stets der Freund. Dieser Freund ist stets der Freund. Wie wir noch sehen werden, bleibt eine bestimmte Singularität unabdingbar: Dieser Freund – das ist weder der Begriff des Freundes noch der Freund im allgemeinen.« 9
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Derrida und Jacobi
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wie es bei Jacobi wörtlich und bei Derrida sinngemäß heißt, ein irreduzibel konkreter, singulärer »Mann mit Namen«.11 Wenn dem aber wesentlich und nicht etwa nur akzidentiell so ist, dann folgt daraus, dass man den Freund und die Freundschaft notwendig verfehlte, wenn man sie in der Sprache konzeptualisierter Diskurse zu fassen suchte. Das Reflexionspotential, das insofern bereits in der Wahl einer sachadäquaten Darstellung steckt, hatte Jacobi zweifellos vor Augen, als er auf das Verständnis des Philosophen rechnete, der »etwas mehr ist, als nur Philosoph von Profession«. Von der nicht äußerlichen, sondern sachimmanenten Frage der Darstellung kann ich nun noch einen entscheidenden Schritt weitergehen. Denn das gemeinsame Problembewusstsein, von dem ich sprach, schärft sich vollends in dem Maße, wie es sich seinerseits noch einmal auf ein spezifisches Problem hin fokussieren lässt. In Gestalt einer Frage formuliert, die im Übrigen, weil es zur namentlichen Sache der Freundschaft gehört, sehr gezielt nach einem »Wer« fragt und nicht etwa nach einem »Was« (GD: JWA 3, 24): Wer ist denn der Freund, wenn er denn jedenfalls kein »Begriff« ist? Die hier in Sicht kommende Problematik will ich vorerst nur andeuten, indem ich zwei Passagen aus dem Text Jacobis zitiere. »Wahrhaftig! brach Biderthal einmal in seiner Entzückung« über die bevorstehende Ankunft seines Bruders Woldemar »aus: es ist doch keine rechte Freundschaft, als nur unter zwey solchen Brüdern!« (JWA 7,1, 217) Ist das »wahrhaftig« so? Das ist die Frage. Keine Frage ist indes, dass Woldemar diese Ansicht teilt, wenngleich in einer bemerkenswerten Verschiebung. »Ihr wißt«, so versichert er später, als er sich genötigt sieht, die im Familienkreise – längst vor Schlegel schon – grassierende Erwartung einer glücklichen Eheschließung als völlig absurd zurückzuweisen: »ihr wißt, daß ich Henrietten häufig Bruder Heinrich nenne: so ist mein Gefühl in Absicht ihrer. Wie ihr dies nicht sehen, wie ihr alle euch in Absicht meiner Gesinnungen so gewaltig irren konntet, ist mir unbegreiflich.« (JWA 7,1, 325) Bruder Henriette oder »Bruder Heinrich«: Unter diesem Namen hält Woldemar die Angelegenheit seiner Freundschaft mit Henriette offenkundig für geklärt. Tatsächlich ist sie das keinesVgl. GD: JWA 3, 51. Derrida 2000, 339: »Die Frage des Eigennamens steht offenkundig im Zentrum der Freundschaftsproblematik.« Es »fällt uns schwer, eine Freundschaft ohne Eigennamen zu denken«. 11
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wegs. Denn die Frage ist eben, und nun zitiere ich Derrida: »Warum ist der Freund wie ein Bruder?« 12 Und wer wäre mithin, noch eine Frage, die Freundin Henriette, wenn sie nicht wie ein Bruder wäre? Die zuletzt gestellte Frage weist über die Diagnose des Problems in seine mögliche Lösung hinaus. Und allererst hier gehen die Wege Derridas und Jacobis in einer, wie mir scheint, dann nicht mehr überbrückbaren Differenz auseinander. Im Blick auf das Ende der jeweiligen Geschichten sei der Anhaltspunkt dafür wenigstens schon einmal benannt. Derridas Überlegungen enden mit einem beigefügten Text über »Heideggers Ohr«. Jacobis Text indes endet da, wo Derridas Dekonstruktion beginnt: mit einer langen Unterredung darüber, was »vor zwey tausend Jahren« Aristoteles schon wusste (JWA 7,1, 435).
II. Weder den Windungen der Geschichte Jacobis noch derjenigen Derridas kann und will ich hier im Einzelnen folgen. Stattdessen versuche ich, so etwas wie eine Linie durch diese Geschichten zu ziehen. Und um in diesem Sinne die Problemkonstellation möglichst scharf zu fassen, beginne ich noch einmal bei der erwähnten freundschaftlichen Abwehr des »Begriffs«. Es ist klar, und nicht zufällig gilt das wiederum für beide Autoren, dass man es hier nicht mit einer isolierten Stellungnahme unter anderen, sondern mit einer Option zu tun hat, der eine ins Grundsätzliche zielende Kritik im Rücken liegt. Wie immer umständehalber verkürzt, so ist es doch wenigstens nicht falsch, wenn ich diese grundsätzliche Kritik auf den Begriff der »Subjektivität« und mit der Kritik an der Logik der Identifikation in Verbindung bringe. »Reine Selbstheit«, so etwa dann Jacobis fundamentaler Einwand gegen Fichte, »ist reine Derselbigkeit ohne Der.« 13 Angenommen nun, man vertritt die Position einer solchen Kritik: Was könnte so besehen tatsächlich näher liegend sein, als sich vor ihrem Theoriehintergrund dem Phänomen der Freundschaft zuzuDerrida 2000, 10. Brief Jacobis an Jean Paul v. 16.03.1800 (JBW I,12, 208). Vgl. bei Derrida 2000, v.a. 104ff. und 292. 12 13
Derrida und Jacobi
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wenden, um gerade hier auf dem in der »reinen Derselbigkeit« zu Verlust gegangenen »Der« zu insistieren? Der Freund muss ja wohl so besehen wie gerufen erscheinen – als der schlechthin paradigmatische Fall, angesichts dessen eine Theorie der Subjektivität an ihre definitiven, weil im Differenzgefälle zwischen dem notwendig »Reinen« und dem kontingent »Empirischen« endgültig nicht mehr zu bewältigenden Grenzen stößt. Die kritische Option des jeweiligen »Der«, der »irreduziblen Singularität und Alterität«,14 wie es bei Derrida heißt: diese Option manifestiert der Freund gleichsam von Hause aus und in persona. Sonst wäre er kein Freund, und sonst gäbe es keine Freundschaft. Das klingt jetzt bereits wie ein schönes Resultat. Es wäre dergestalt verständlich gemacht, warum sich Derrida und Jacobi nicht beliebigerweise mit Freundschaft befassen, und warum ein virulentes Interesse an diesem Phänomen in anderen Theoriehorizonten kaum oder gar nicht entsteht. Und so könnte man auch, um das schöne Ergebnis abzurunden, der Alternative zwischen dem Subjekt und dem Freund nun noch diejenige zwischen Begriff und Gefühl hinzufügen, sowie schließlich auch noch diejenige zwischen moralgesetzlich oder rechtlich-institutionell geregelter Anerkennung und einer in der Freundschaftsbeziehung sich genuinerweise manifestierenden ursprünglichen Bezogenheit des Ich auf ein Du, oder wie solche Formulierungen alle heißen mögen. Das alles könnte man tun und es dabei dann bewenden lassen. Und wo wäre hier ein Problem? Oder sollte man es vielleicht in höchstem Maße verdächtig finden, dass ausgerechnet der fragwürdige Held Woldemar über diese eben genannten Sachverhalte selber recht gut Bescheid weiß? Einer Krise bedarf es durchaus nicht, um ihm beispielsweise beizubringen, dass der »Mensch […] sich mehr im Andern als in sich selbst [fühlt]« (JWA 7,1, 234). Das weiß er ohnehin, gleich auf den ersten Seiten schon. Mit anderen Worten: Was im Rahmen der skizzierten Alternativstellung bereits so aussieht wie ein Resultat, das ist in Wahrheit allererst der Anfang. Und diese spezifische Wendung der Dinge ist es auch, die die Überlegungen Derridas und Jacobis theoretisch an-
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Derrida 2000, 47. Leitmotive
spruchsvoll macht und sie damit strukturell von bloß lebensweltlich geführten Optionen unterscheidet. Was hier genügend wäre, markiert dort den Einsatzpunkt der Dekonstruktion. Wenn dem aber so ist, dann kann man den Punkt, auf den es hier ankommt, zugespitzt so formulieren: Allerdings führt die Dekonstruktion des Subjekts auf den Freund. Aber das Ziel, das sie in dieser Gestalt verfolgt, erreicht sie tatsächlich nur, wenn sie auch noch die Dekonstruktion der Freundschaft selber unternimmt. Damit komme ich zu Bruder Henriette.
III. Dass die Bruderfigur hier nicht auf familiäre Abstammung verweist, ist klar und liegt im Falle der Beziehung zwischen Woldemar und Henriette ohnehin auf der Hand. Aber auch Derrida hebt diese Distinktion immer wieder hervor,15 und dies nicht zuletzt im Blick auf Montaigne, wo ja die denkbar drastischste Distanzierung der Freundschaft von der natürlichen Brüderlichkeit vollzogen wird. Jedoch stößt man gerade bei Montaigne sehr wohl auch auf die im selben Atemzug getroffene Auskunft, dass »in Wahrheit […] Bruder ein schöner Name« sei, auf den er darum den innigsten Bund mit seinem Freund La Boétie gegründet habe.16 So gewiss das Verhältnis der Freundschaft von einem natürlichen Verhältnis unterschieden wird, so gewiss wird es zugleich im »Namen« des Bruders beschworen: Was bedeutet das? Und was bedeutet es zudem, wenn man den von jeher mitbedachten politischen Kontext der Freundschaft auch jetzt nicht vernachlässigt und sich von Derrida an die in seinem Essay nie explizit genannte, aber stets evozierte Formel »Liberté, Egalité, Fraternité« als Ausdruck demokratischen Bewusstseins erinnern lässt?17 Vielleicht könnte man auf Anhieb versucht sein, den Passus bei Montaigne wenn nicht zu überlesen, so doch ins Harmlose zu relativieren: Schließlich, so könnte man gegen Derrida einwenden, hat man es hier ja offenbar »nur« und mit weiter 15 16 17
Derrida 2000, 244, 272. Montaigne 1998, 99. Derrida 2000, 47. Derrida und Jacobi
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nichts als einem wie immer »schönen Namen« zu tun. Genau besehen aber hätte man sich damit die Frage erst recht zugezogen, warum denn, wenn es »nur« ein Name ist, in diesem Namen von Freundschaft überhaupt gesprochen wird. Die Frage lässt sich nicht abweisen – und die Antwort ist alles andere als erfreulich, wobei ich einen Aspekt dieser Antwort hier nur im Vorbeigehen streifen und ihn ansonsten den Optionen feministischer Theorie zu freiem Gebrauch überlassen möchte. Zwar ist es so, dass Derrida in der Figur des Bruders immer auch den maskulinen Ausschluss der Freundin aus dem Kanon der Freundschaft markiert, einen Ausschluss, den Woldemar seinerseits mit »Bruder Heinrich« dann wohl auf die Spitze triebe.18 Aber recht besehen ist dieser Aspekt doch bestenfalls ein Indiz. Viel wichtiger, weil fundamentaler oder substanzieller ist hier etwas anderes, was an den Anfang der Überlegung unmittelbar anschließt: der Befund nämlich, dass im »schönen Namen« des Bruders eben die »irreduzible Singularität und Alterität« absorbiert wird, für die der Freund eigentlich und wesentlich von Hause aus steht. Zu beobachten ist mit anderen Worten also der höchst fatale Umstand, dass die scheinbar eindeutige Alternative zwischen dem Subjekt und dem Freund in dem Maße zusammenbricht, wie die Logik der Identifikation auf der Ebene der Freundschaft selbst ihr brüderliches Unwesen treibt. Dieser Diagnose verhilft Jacobi in seinem Roman zu größtmöglicher Plastizität. Hymnische Briefe lässt er Woldemar schreiben, lässt ihn den Lobpreis der »Schöpfung« singen (JWA 7,1, 348) und ihm unversehens den Namen Pygmalions in die Feder fließen (JWA 7,1, 348), hat sich ihm doch in Henriette sein »alte[r] Traum von Freundschaft« erfüllt – »Eins werden und bleiben« (JWA 7,1, 355 f.). Und dann, konfrontiert mit Umständen, die ihm das Verhalten seiner Freundin nicht völlig durchsichtig erscheinen lassen, kommt der Absturz. Nicht der Traum, aber die Wirklichkeit des »Eins in allem« war eine »Täuschung«: »Ich muß aus mir hinausgehen, als aus einem Fremden, und mich in ihre Stelle versetzen! Versetzen? – Henriette ist mir ein Anderer; Henriette ist wider mich.« (JWA 7,1, 358) Was Als alternatives Beispiel fällt Derrida »der große und gute Heilige Franz von Assisi ein, dem es unterlief, einen Brief an eine Nonne mit den Worten ›Teurer Bruder Jacqueline‹ beginnen zu lassen« (Derrida 2000, 214f.). 18
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Leitmotive
immer Woldemar zu Beginn mit seinem Verweis auf den Anderen gemeint haben mag: Die Erkenntnis, dass Bruder Henriette »ein Anderer« sein könnte, verkehrt seine Freundschaft in Feindschaft. Die strukturell gleiche Diagnose trifft Derrida im Angesicht der Freundschaftstexte der Philosophiegeschichte. Alle diese Texte, so Derrida, spiegeln dieselbe Ambivalenz: Einerseits setzt jegliche Rede über Freundschaft voraus, dass der Freund als der, der er in seiner »bestimmten Singularität« 19 jeweils ist, geliebt, geschätzt und nach seinem Tode betrauert wird. Und andererseits wird er, chiffriert in der Gestalt des Bruders, im selben Moment in den Kontext der Nähe, der Vertrautheit, der Gleichheit oder Ähnlichkeit, der Anwesenheit versetzt und in diesem Kontext identifiziert. Auch Aristoteles verfährt so. Auf diese These komme ich am Schluss noch einmal zurück.
IV. Die »Wahrheit der Freundschaft«, so Derridas Formulierung, hält sich im »Zwielicht«.20 Denn was sie schon im Ansatz zu konterkarieren scheint, bringt sie zugleich exemplarisch zur Geltung: die »Logik des Selben«.21 Das ist das Problem, das beide Texte umkreisen – wo und wie findet sich aber nun seine Lösung? Als ich zu Beginn davon sprach, dass die systematische Verwandtschaft zwischen Jacobis zweihundert Jahre altem Roman und Derridas gegenwärtigem Freundschaftsessay verblüffend sei, hatte ich über das bisher Gesagte – die Problemdiagnose – hinaus noch etwas anderes im Auge. Beide Autoren nämlich heben eine Figur hervor, der man sonst wenigstens nicht jeden Tag begegnet: die Figur der Echo. »[A]m liebsten«, so Jacobi in der Vorrede seines Romans, hätte er hier auf jedes weitere Wort verzichtet und nur »eine Fabel hinterlassen«: die Fabel von Harmonia, die Jupiter nach vollbrachter Schöpfung schließlich auf ihre Bitte hin in Echo verwandelt, damit sie, wenn sie schon nicht bleiben, so doch wenigstens in »gebrochenen Töne[n]«
19 20 21
Derrida 2000, 416. Derrida 2000, 39. Derrida 2000, 21. Derrida und Jacobi
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antworten kann (JWA 7,1, 209 f.).22 Dieser im Kontrast zur Harmonie in Echo figurierte Bruch findet seine unmittelbare Entsprechung bei Derrida, der »die das Wort im Wort des anderen« ergreifende Echo jeglicher »Ipseität« gegenüberstellt.23 Echo also: Dass der Ausweg aus der identifizierenden Bruderfreundschaft in beiden Fällen mit dieser Figur überschrieben wird, verweist vielleicht mehr noch als alles andere auf die strukturelle Affinität, die hier besteht. Und vorderhand sieht es auch so aus, als würde das Ende des Romans diese Affinität nur bekräftigen. Echo figuriert in »gebrochenen Tönen« Distanz – und eben diese Distanz ist es, zu der sich die Freundschaft zwischen Woldemar und Henriette nach krisenhaften Verwerfungen schließlich befreit. Dass Schlegel diesen Schluss missmutig als »unaufgelöste Dissonanz« 24 wahrgenommen hat, ist zweifellos seiner enttäuschten Liebeserwartung zuzuschreiben. Aber immerhin kommt seine Beschreibung der Wahrheit doch noch wesentlich näher als die Hegelsche Version, die den von Jacobi intendierten Sachverhalt geradezu ins Gegenteil verkehrt, wenn sie am Ende im »Daseyn des zur Zweyheit ausgedehnten Ichs« Versöhnung feiert.25 Weder in solcher Weise »ausgedehnt« versöhnt noch »unaufgelöst« dissonant, bietet der Schluss des Romans vielmehr im wahrsten Sinne ein Echo auf die »Fabel« der Vorrede: Das, wie gesagt, hält die Intentionen Jacobis mit denjenigen Derridas zusammen und scheint so zuletzt ihre völlige Übereinstimmung zu bestätigen. Tatsächlich aber bin ich jetzt an dem Punkt angelangt, an dem sich ihre Wege trennen. Wie ich es früher schon angedeutet hatte: Mit Echo, man erlaube mir den durch den Text provozierten Ausdruck, verschwindet Derrida zuletzt in »Heideggers Ohr«. Dahin kann ihm aber Jacobi nicht nur aus zeitlichen Gründen nicht folgen. Denn aus sachlichen Gründen hat er sich längst an Aristoteles gewandt und eben diese
Die Fabel übernimmt Jacobi von Herder, und wie sehr ihm an ihr liegt, geht aus der Widmung an Goethe hervor, in der er »den Dichter der Echo« ausdrücklich zu grüßen bittet (JWA 7,1, 207; vgl. den Brief Jacobis an Goethe v. 12.01.1794 (JBW I,10, 302)). 23 Derrida 2000, 50, vgl. auch 229f. 24 Schlegel 1988, I, 180. 25 Hegel, Phänomenologie des Geistes, GW 9, 362. 22
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Leitmotive
Wendung dem skizzierten Schluss der Geschichte unmittelbar vorangestellt. In einem Brief an Wilhelm v. Humboldt vom 2. September 1794 vermerkt er im Übrigen dazu, dass er sich die »Darstellung der aristotelischen Moral-Philosophie« als das »größte Verdienst« des ganzen Textes zuschreibe. »Diese wenigen Blätter haben mich mehr Arbeit, Anstrengung und Nachdenken gekostet, als irgend etwas, was ich im philosophischen Fache geliefert habe.« (JBW I,10, 396) Und das sagt der, der im »philosophischen Fache« immerhin mit einer fulminanten Rekonstruktion Spinozas und einer durchschlagenden Kant-Kritik hervorgetreten war. Was man dem Roman ohnehin entnehmen kann, macht Jacobis Kommentar vollends manifest: Um eine beliebige historische Reminiszenz handelt es sich mit der Erinnerung an Aristoteles nicht. Darum handelt es sich aber auch im Falle Derridas nicht, der Aristoteles ebenfalls zentrale Aufmerksamkeit widmet – allerdings nicht am Ende, sondern zu Beginn. Und das braucht man jetzt nur noch einmal festzuhalten, um sich im selben Moment in einer reichlich delikaten Lage wiederzufinden. Denn genau besehen trennen sich die Wege Jacobis und Derridas nicht einfach, so als könnte man der einen Option folgen und sich unter Umständen auch die andere offenhalten. Längst bevor Heidegger ins Spiel kommt, trennen sich die Überlegungen vielmehr, indem sie im Zentrum ihrer Aristoteles-Lektüren kollidieren. Aristoteles markiert einerseits die Lösung und ist andererseits selber das Problem. Er soll, so Jacobi, den Ausweg aus einem fatalen Freundschaftsverständnis weisen, für das er, so Derrida, in Wahrheit wesentlich mitverantwortlich ist. Was ist hier zu tun? Ex cathedra lässt sich die Lage sicher nicht entscheiden. Ich versuche, aus dem Dilemma herauszukommen, indem ich zum Schluss die Implikationen und Konsequenzen der jeweiligen Versionen in wenigen Strichen umreiße.
V. Zunächst scheint mir evident, dass die Problemdiagnose Derridas nicht ursprünglich an Aristoteles’ als vielmehr an Montaignes Freundschaftsmodell gewonnen ist. Und wenn dieser Eindruck nicht trügt, könnte so noch einmal ein Licht auf die spezifische Affinität zu Derrida und Jacobi
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Jacobis Roman fallen. Strukturell (nicht philologisch) besehen ist es jedenfalls nicht schwer, in dem »alten Traum von Freundschaft«, den Woldemar träumt, um desto schmerzhafter aus ihm zu erwachen, einen Reflex auf Montaignes Lobpreis intimster und exklusivster Bruderfreundschaft zu erkennen. Von diesem Blickpunkt Montaignes aus ließe sich zum andern dann aber auch die bezeichnete Differenz zwischen beiden Texten nochmals schärfen. Jacobis Roman, so könnte man sagen, unterzieht dieses Freundschaftsmodell einem Test auf Bewährung und zeigt, wie es scheitert: Noch über die skizzierte Verkehrung der Freundschaft in Feindschaft hinaus lässt er es in der völligen Zerrüttung seines Helden schließlich kollabieren, um aus diesem Kollaps dann mit der Erinnerung an Aristoteles im Sinne einer veritablen Alternative herauszuführen. Ganz anders die Logik Derridascher Dekonstruktion, die im Rückblick auf die Geschichte zu verstehen gibt, dass die Texte Montaignes und Aristoteles’ keineswegs im diskontinuierlichen Bruch, sondern im Kontinuum einer einzigen kanonischen Tradition verfasst und zu lesen sind. Prinzipiell ist gegen eine solche Lektürestrategie nichts einzuwenden. Was aber heißt das hier nun konkret? Woran soll kenntlich werden, dass Aristoteles die Freundschaft als einer der ersten exemplarisch ins »Zwielicht« gerückt, die Beachtung der »Singularität« des Freundes also zugleich im Kontext seiner Identifizierung preisgegeben hat? Da die von Aristoteles so genannte erste oder vollkommene Freundschaft den Orientierungspunkt aller anderen Formen der philia abgibt, konzentriert sich Derrida mit Recht auf sie. Anstatt dem Austausch von Lust oder Nutzen zu dienen, nimmt sie in dem Maße, wie sie sich auf die Tugend der Freunde stützt, am Wohl des Freundes um des Freundes willen wechselseitig Anteil. Einzig auf diese Freundschaft, so Aristoteles, ist Verlass. Jedoch braucht sie Zeit – Zeit zu entstehen und Zeit sich zu bewähren – und sie impliziert angesichts unserer endlichen Möglichkeiten an Zeit, Aufmerksamkeit und Kraft außerdem, dass auf diese Weise mit vielen befreundet zu sein unmöglich ist.26 Genau an diesem Punkt setzt nun aber Derridas Einwand an. Dass mit der spezifischen Verfassung der vollkommenen Freundschaft der
26
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Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, IX 10. Leitmotive
Gedanke ihrer jeweiligen Begrenzung einhergeht, das, so Derrida, unterwirft die »unberechenbare Singularität« des Freundes der »furchtbaren Notwendigkeit« einer identifizierenden, Nähe und Zugehörigkeit herstellenden »Berechnung«.27 Man muss zugeben, dass dieser Einwand so subtil wie radikal ist. Es hat seinen eigenen Reiz, die ihrem eigenen Selbstverständnis nach jenseits allen Kalküls angesiedelte vollkommene Freundschaft in eine »unerbittliche Arithmetik« 28 abstürzen zu sehen. Und vor diesem Absturz vermöchte noch nicht einmal die Versicherung zu bewahren, dass Aristoteles in Wahrheit doch gerade nicht zählt, sondern die Frage, wie viele Freunde man tatsächlich haben kann, völlig unbestimmt und offen hält. Denn diesen Umstand hat Derrida seinerseits längst in seine Rede von einer »Tragödie der Zahl ohne Zahl« 29 integriert. Überzeugend jedoch scheint mir sein Einspruch dennoch nicht zu sein. Indem er die von Aristoteles zweifellos qualitativ, an der spezifischen Qualität der vollkommenen Freundschaft orientierte Frage des Maßes einer tragischen Quantifizierung verdächtigt, stellt er in eins damit jegliche freundschaftliche Nähe und Vertrautheit überhaupt unter Verdacht. Diese prinzipielle Perhorreszierung der Nähe unter dem Stichwort der sogenannten »Anwesenheit« ist radikal, aber vielleicht ist sie eben deshalb auch kontraintuitiv. Schwerlich ist zu sehen, wer denn der Freund eigentlich wäre, wenn er nicht, eben weil er dieser namentliche Freund ist, in einem gegenüber anderen Verhältnissen ausgezeichneten Verhältnis der Vertrautheit stünde. Dass Aristoteles diese eigentümliche Nähe nicht zugleich auf ein bestimmtes Zahlverhältnis hin ausrechnet, ist so besehen dann eben doch ein entscheidender Punkt. Es zeigt nämlich, dass das Spezifikum freundschaftlicher Nähe sich hier in einem Spielraum hält, den es im Kontrast dazu bei Montaigne und Woldemar dann nicht mehr gibt: Sie zählen buchstäblich und beziffern ihren »Traum von Freundschaft« auf einen einzigen Freund. Der Gedanke des Spielraums führt auf einen zweiten, noch wichtigeren Punkt. Derrida zufolge verrät die Nähe des Freundes eo ipso seine egologische Identifizierung. Nun hat aber gerade Aristoteles zu 27 28 29
Derrida 2000, 44. Derrida 2000, 46. Derrida 2000, 48. Derrida und Jacobi
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denken gegeben, inwiefern mit der freundschaftlichen Nähe selber Distanz gerade nicht aus- sondern eingeschlossen ist. Verhandelt wird eben das unter dem Titel der Tugend. Während es den auf Lust oder Nutzen abzielenden Verhältnissen tatsächlich nicht um den jeweils andern, sondern primär um die wechselseitige Befriedigung bestimmter Interessen geht, vermag die in der Tugend der Freunde fundierte Freundschaft demgegenüber etwas qualitativ Verschiedenes: Sie vermag die besonnene Distanz in der Nähe zu halten, in der der Andere als Anderer überhaupt wahrgenommen werden kann.30 Derrida hat die Dimension der Tugend natürlich nicht einfach übersehen. Aber den Gedanken einer ihr zu verdankenden Nähe in Distanz hat er nicht verfolgt: Zusammen mit der vollkommenen Freundschaft stürzt auch sie in den Abgrund identifizierender Berechnung. Mit Jacobis Aristoteles-Lektüre hingegen kommt man nicht umhin, sie aus diesem Abgrund wieder heraufzuholen. Die Dimension der Tugend als die entscheidende Bedingung einer Freundschaft freizulegen, in der die Freundin Henriette nicht oder nicht mehr in Gestalt des Bruders absorbiert würde – das steht hier im Mittelpunkt des Interesses. Dabei verfährt allerdings auch Jacobis Inszenierung der Auseinandersetzung mit Aristoteles subtil genug. Plausibel nämlich wird der Verweis auf die Tugend und das ihr zu verdankende verlässliche Verhalten des Freundes hier nur deshalb, weil sich in eins damit auch Woldemars vormaliges Selbstverständnis in aristotelischen Kategorien fassen lässt. Gewiss glaubte Woldemar ebenso wie Montaigne seinen »alten Traum von Freundschaft« als den Traum vollkommener Freundschaft zu träumen. Tatsächlich aber hat er geträumt, was er mit seinem unbeständigen, von der Freundschaft unvermittelt in Feindschaft umschlagenden und bis hin zur feindlichen Selbstzerrüttung führenden Verhalten unter Beweis gestellt hat: den Traum einer Freundschaft unter der subtilen Form reiner selbstbezüglicher Lust.
Verbunden damit ist wesentlich der Gedanke der »Freundschaft zu sich selbst«. Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, IX 4 und 8. 30
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Leitmotive
VI. Bruder Henriette: nicht nur der theoretische Hintergrund, die Problemdiagnose und die Perspektive ihrer Therapie sind in den Texten Jacobis und Derridas der Struktur nach affin. Im Fokus ihrer Aristoteles-Lektüren zeigt sich überdies, dass beide in der Gestalt des Bruders die vermeintlich vollkommene Freundschaft dekonstruieren. Indes sitzt hier dann auch die entscheidende Differenz. Es ist ein Unterschied, ob man in dieser Form das subtile Kalkül der Lust dechiffriert und ihr die in der Tugend fundierte Freundschaft entgegenstellt, oder ob man die Tugendfreundschaft selbst der identifizierenden Berechnung überführt. Diesem Unterschied entsprechend hallen dann auch die in Echo »gebrochenen Töne« deutlich anders wider. Derrida hört diese Töne in »Heideggers Ohr« und zieht damit die letzte Konsequenz aus seiner Dekonstruktion der aristotelischen Freundschaft. Schon der Umstand, dass er im Verweis auf § 34 von Sein und Zeit nicht auf einen Hauptsatz, sondern nur auf die beiläufige Anmerkung eines Nebensatzes verweisen kann, spricht für sich. Tatsächlich geht es bei Heidegger hier gar nicht um Freundschaft, sondern um Rede und Hören, und nur anlässlich dessen wird das »Hören der Stimme des Freundes« erwähnt, »den jedes Dasein bei sich trägt«.31 Die Beiläufigkeit und völlige Unbestimmtheit dieser Sequenz ist, so Derrida, gerade ihr auszeichnendes Moment – im Kontrast zur perhorreszierten »Anwesenheit« ist der Freund in »Heideggers Ohr« nur mehr via negationis zu umkreisen: »Der Freund hat keine Gestalt. Er hat kein Gesicht. Er hat kein Geschlecht. Er hat keinen Namen. Er ist kein Mensch, kein Mann und keine Frau, weder ich noch ein ›Ich‹, weder ein Subjekt noch eine Person.« 32 Dass der Freund kein Subjekt ist und sein kann, ist klar: Dies hatte ich als Prämisse der ganzen Überlegung vorausgeschickt. Wer aber ist der Freund, wenn er im selben Atemzug nun auch noch um seinen »Namen« gebracht wird? Was bleibt, ist am Ende nur die Anonymität des Anderen überhaupt – und ich sehe nicht, was diesen Fluchtpunkt der Dekonstruktion vor dem Vorwurf bewahren kann, in seiner radikalen Dekontextualisierung der 31 32
Heidegger 1979, 163. Derrida 2000, 415. Derrida und Jacobi
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Freundschaft anstatt eines Echos zuletzt doch nur ein Spiegel zu sein, der den angeprangerten Begriff des Subjekts im Anderen reflektiert. Wenn man solche Kosten nicht entrichten will, bekommt man in Jacobis Roman etwas anderes zu hören. Allerdings hat auch diese Verständigung über Freundschaft ihren Preis. Im Zuge ihrer Erinnerung an Aristoteles verlangt sie nicht allein, die Freundschaft im Namen des Freundes als eine Tugend zu begreifen, die Distanz in Nähe zu halten versteht. Im Zuge dieser Erinnerung verlangt sie überdies, eine zunächst kaum merkliche, in Wahrheit aber substanzielle Verschiebung des aristotelischen Textes zur Kenntnis zu nehmen, die eine gewisse Unklarheit der Nikomachischen Ethik gegen ihren Buchstaben gelesen zur Klärung bringt. Zur Fundierung der Tugendfreundschaft verweist Aristoteles auf den nous als auf das »eigentliche Selbst«.33 Der nous aber, so heißt es dann im zehnten Buch, ist »etwas Göttliches« in uns, den sterblichen Menschen.34 Mit dieser Überlegung eröffnet Aristoteles hier die Perspektive der Metaphysik, mit der er im selben Moment das praktische Leben zugunsten des theoretischen Lebens verlässt. Auf diese konzeptionelle Unklarheit reagiert Jacobi mit einer unorthodoxen Korrektur: im Blick auf den nous nämlich zieht er nun die metaphysische Perspektive aus der Theorie zurück und in die Praxis der Freundschaft hinein (JWA 7,1, 449 – 451). Und um dieser klammheimlichen Verschiebung auch ihre inszenatorische Bekräftigung zu geben, legt er sie – wem sonst – den Freunden Henriette und Woldemar in den Mund. Damit das Echo Echo bleibt und sich nicht in einen Spiegel verwandelt, bedürfen die »gebrochenen Töne« der Freundschaft ihres Rückhalts in einer ihrerseits gebrochenen Metaphysik. Es mag sein, dass dieser Gedanke vor der Folie Derridas in den schrecklichen Verdacht der »Onto-Theologie« gerät.35 Aber das könnte er am Ende dann wohl aushalten.
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Aristoteles, Nikomachische Ethik, IX 8. Aristoteles, Nikomachische Ethik, IX 7. Derrida 2000, 384 und 491. Leitmotive
7. »Ich bin und es sind Dinge außer mir«. Jacobis Realismus und die Überwindung des Bewusstseinsparadigmas I. Einleitung: Jacobis ursprüngliche Einsicht In einer einflussreichen Studie hat Dieter Henrich vor Jahren als Fichtes ursprüngliche Einsicht die These bezeichnet, dass Fichte am Anfang einer zweiten Epoche der Theorie des Selbstbewusstseins steht. Während das Ich von Descartes bis Kant als Begründungsprinzip des Wissens, aber nicht in seiner eigenen Verfassung bedacht worden sei, habe Fichte zuerst den Blick auf das Ich selbst gerichtet und dabei die Unhaltbarkeit der »Reflexionstheorie des Selbstbewusstseins« eingesehen. Wird Selbstbewusstsein dadurch erklärt, dass das Subjekt sich selbst zum Objekt macht, dann muss in dieser Relation das Wissen um sich selbst bereits vorausgesetzt sein, weil sich das Ich sonst nicht als identisch mit dem Ich-Objekt identifizieren könnte. Wird dieser Zirkel aber in der Annahme vermieden, dass das Subjekt vor der Rückwendung auf sich selbst noch kein Ich ist, das erst im Vollzug der Reflexion zustande kommt, wird die im Selbstbewusstsein behauptete Identität von Subjekt und Objekt vollends unverständlich.1 Damit hat Henrich eine zentrale Problemstellung für jedwede Theorie der Subjektivität formuliert. Dass ich die Sache zugleich anders sehe, zeigt der Austausch der Namen in der Überschrift meiner Einleitung an. Nicht Fichte, sondern Jacobi kommt das Urheberrecht einer »ursprünglichen Einsicht« zu, die zusammen mit dem Reflexionsmodell des Selbstbewusstseins das ihr zugrunde liegende Bewusstseinsparadigma überhaupt aufgesprengt hat. Die Überwindung der Bewusstseinsphilosophie und eine neue realistische Konzeption des Bewusstseins gehen hier Hand in Hand. Dabei hat die Rückdatierung der »ursprünglichen Einsicht« auf Jacobi den doppelten Sinn eines wirkungsgeschichtlichen und systematischen Primats. Ohne die
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Henrich 1967. 135
Vorgängerschaft Jacobis und ihren immensen Einfluss wird die Debattenlage der klassischen deutschen Philosophie im epochalen Umbruch um 1800 gar nicht verständlich. Zugleich stelle ich mit Jacobi eine Position zur Diskussion, deren Potentiale in all den Versuchen ihrer nachkantischen Aneignung nicht aufgegangen sind. Das ist der systematische Aspekt meines Interesses, an dem mir vor allem liegt. Dass ich weder das eine noch das andere an dieser Stelle erschöpfend behandeln kann, versteht sich von selbst und soll hier ein für alle Mal vorausgeschickt sein.
II. Zwei Annäherungen 1. Jacobis anticartesische Privilegierung des sum
Jacobis Schlüsseltexte, sein Buch Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (1785/89) und der als Gespräch inszenierte Text David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus (1787), liegen der nachkantischen Diskussion sämtlich voraus. Eine nichttriviale Beobachtung ist dies nur dann, wenn damit substantielle Sachaufschlüsse verbunden sind. Dieser Sachlage nähere ich mich an, indem ich in einem ersten Schritt einen Passus aus Jacobis David Hume herausgreife. Von der Einheit des Ich, so Jacobi hier in der Gesprächsrolle des »Ich«, »kann ich mir gar keine Vorstellung […] machen, denn das Eigenthümliche ihres Wesens ist, sich von allen Empfindungen und Vorstellungen zu unterscheiden. Sie ist dasjenige, was ich im eigentlichsten Verstande mich selbst nenne, und von dessen Realität ich die vollkommenste Ueberzeugung, das innigste Bewustseyn habe, weil es die Quelle selbst meines Bewustseyns, und das Subject aller seiner Veränderungen ist. Die Seele, um eine Vorstellung von sich zu haben, müßte sich von sich selbst unterscheiden, sich selbst äusserlich werden können. Von dem, was Leben ist, haben wir gewiß das innigste Bewustseyn; aber wer kann sich vom Leben eine Vorstellung machen?« (DH: JWA 2,1, 83 f.)
Die Kritik der Reflexionstheorie ist hier klar formuliert. Nicht zu übersehen ist zugleich, dass Jacobi gegenüber der eingangs skizzierten Beschreibung deutlich tiefer ansetzt und die Reflexion nicht aus for136
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mal zirkulären Gründen scheitern sieht. Tatsächlich ist er der an Fichte adressierten Reflexionsproblematik gleich um mehrere Schritte voraus. Erstens ist der Ausweg, der aus dem formal zirkulären Reflexionsdilemma herausführt und der in der ganzen neueren Selbstbewusstseinsdebatte als unmittelbare, präreflexive Vertrautheit mit sich angegeben wird, hier bereits bedacht. Das Ichbewusstsein kommt in dem Maße nicht durch Reflexion zustande, wie das Ich ein »innigstes Bewußtsein« von sich immer schon hat. Auf genau diesen Befund bezieht sich dann zweitens eine sichtlich verschärfte Zurückweisung der Reflexion. In beiderlei Hinsicht sind mit diesem Einsatz erhebliche Implikationen verbunden. In Hinblick auf das präreflexive Ichbewusstsein ist ausdrücklich nicht ein lediglich mentaler Sachverhalt, sondern eine existentielle Dimension im Spiel. »Innigstes Bewußtsein« hat das Ich von seiner Realität, von seinem Leben, wie es hier heißt. Andernorts spricht Jacobi vom »ich bin« (DH: JWA 2,1, 37) oder vom »Daseyn« (Spin: JWA 1,1, 29; 258), womit selbstverständlich kein Stück Materie gemeint ist. Worum es sich vielmehr handelt, ist nicht mehr und nicht weniger als eine fundamentale Wende in der Auffassung von Subjektivität, die Jacobi 1789, in der Vorrede zur zweiten erweiterten Auflage der Spinozabriefe, mit der programmatischen Behauptung formuliert, »daß ich kein Cartesianer bin. Ich […] glaube, man dürfe schlechterdings nicht das sum dem cogito nachsetzen« (Spin: JWA 1,1, 157). Die Linie, die wie immer hochgradig modifiziert von Descartes’ cogito zu Kants Ich denke führt, wird damit zerschnitten, die erste Epoche der Selbstbewusstseinstheorie geht hier zu Ende. In direktem Bezug dazu verschärft sich die Problematik der Reflexion. Der notwendig fehlgehende Versuch, sich vom Ich eine »Vorstellung« machen zu wollen, bezieht sich jetzt auf den Grundbefund des sum, des seiner selbst instantan bewussten Daseins, woraus folgt, dass die Aporie der Reflexionstheorie nicht in der Frage der nachträglichen Identifizierbarkeit der Relata von Subjekt und Objekt als den beiden Polen des Selbstbewusstseins, sondern dem voraus in der Unterscheidung solcher Pole selbst besteht. Unmöglich kommt das Ich im Vollzug der Reflexion wieder auf sich zurück, weil mit dem Modus der Vorstellung die Aufspaltung eines Perspektivenwechsels verbunden ist. Die Innenperspektive des Ich, die sein »innigstes Bewußtsein« wesentlich ausmacht, wird gegen die Außenperspektive eines vermeintJacobis Realismus
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lichen Beobachters seiner selbst vertauscht, ebenso aber wird der basale Befund, das »innigste Bewußtsein« des Selbstseins, unweigerlich verfehlt. In der Konsequenz heißt das, dass sich das, was wir im eigentlichen Sinne uns selbst nennen, um Jacobis Formulierung aufzunehmen, prinzipiell jeder Vergegenständlichung entzieht. Das Ich, das hier angezielt ist, ist niemals Objekt, auch nicht für sich selbst. In der Unterscheidung zweier Modi des Wissens, zwischen unmittelbarem und vermitteltem Wissen, hat Jacobi diese seine »ursprüngliche Einsicht« auch epistemisch geklärt und bestimmt. Das Ich ist sich danach ausschließlich in unmittelbarer Gewissheit präsent, die sich im epistemischen Modus des Gefühls zum Ausdruck bringt. So wie wir »von Qualitäten, als solchen, keine Begriffe« haben, »sondern nur Anschauungen«, so haben wir auch »von unserem eigenen Daseyn […] nur ein Gefühl; aber keinen Begriff« (Spin: JWA 1,1, 258). Der Einfluss dieses Einsatzes auf die Formation der ganzen nachkantischen Philosophie einschließlich der Frühromantik ist evident. Ohne Jacobis »ursprüngliche Einsicht« in die existentielle Dimension des Selbstseins und die mitfolgende Frage ihrer epistemischen Darstellbarkeit ist die Überbietung der Kantischen Transzendentalphilosophie in ganz neue Konzeptionen und Logiken von Subjektivität gar nicht denkbar. Die Fülle der Bezüge – bis hin zu Hegels Auseinandersetzung mit dem »unmittelbaren Wissen« an prominenter, weil letzter Stelle des späten »Vorbegriffs« zur enzyklopädischen Logik – ist hier nicht auszubreiten. Gleichfalls breite ich hier nicht aus, wie sich diese Dimension des Ansatzes Jacobis auf überaus folgenreiche Weise mit seiner Rekonstruktion von Spinozas Ethik verschränkt hat, deren Grundverhältnis von Substanz und Modus von Jacobi als »Seyn in allem Daseyn« reformuliert worden ist (Spin: JWA 1,1, 39). Anmerken will ich nur, dass es nicht plausibel ist, ausgerechnet Fichte von solchen Einflüssen auszunehmen,2 der sich in der Frühphase der nachkantischen Philosophie neben Schelling am nach-
So stellt es sich in späteren Arbeiten Henrichs und den darauf aufbauenden Analysen Franks zur Frühromantik dar, wo Jacobis Bedeutung gesehen, aber jeweils auf eine nachfichtesche Konstellation bezogen wird (vgl. Henrich 1989 und 2004; Frank 1991 und 1997). 2
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drücklichsten und beinahe enthusiastisch zu Jacobi bekennt.3 Kaum anders als im Reflex auf Jacobi ist mithin zu erklären, dass Fichte an die Spitze seiner Wissenschaftslehre nicht das Bewusstsein bzw. das Selbstbewusstsein stellt, sondern die Tathandlung des »Ich bin«, und gegen Descartes einwendet, dass der »Zusatz cogitans völlig überflüssig« sei: »[M]an denkt nicht nothwendig, wenn man ist, aber man ist nothwendig, wenn man denkt. Das Denken ist gar nicht das Wesen, sondern nur eine besondere Bestimmung des Seyns«.4 Allerdings ist auch genau hier zum angekündigten nächsten Schritt der Annäherung überzugehen.
2. Die gleichursprüngliche Gewissheit von Selbst- und Welterfahrung
Gegen die an Henrichs Studie anschließende Selbstbewusstseinsdiskussion ist eingewandt worden, dass es Fichte nicht um den psychologischen Befund des Ich, sondern – wie Descartes und Kant – um das Projekt der Wissensbegründung geht. In der Konsequenz hat das »absolute Ich« als »philosophisches Konstrukt« mit der Verfasstheit unserer Subjektivität gar nichts zu tun.5 Inwieweit es in Fichtes Sinne ist, die Inanspruchnahme des Ausdrucks »Ich« so radikal aufzuspalten, brauche ich hier nicht zu diskutieren. Dass man es mindestens mit einem extremen Gefälle zu tun hat, behauptet Fichte selbst und sogar besonders deutlich in einem Brief an Jacobi, in dem es nach der nochmaligen Versicherung der »auffallende[n] Gleichförmigkeit unserer philosophischen Ueberzeugungen« heißt: »Mein absolutes Ich ist offenbar nicht das Individuum […]. Aber das Individuum muß aus dem absoluten Ich deducirt werden. Dazu wird die Wissenschaftslehre im Naturrecht ungesäumt schreiten.« 6 Der oben genannte Einwand ist vor diesem Hintergrund berechtigt. Ebenso interessant wie entscheidend für alles Weitere ist jedoch, dass diese Kritik durch Jacobi längst vorweggenommen ist. Als AnVgl. Fichtes Briefe an Jacobi vom 29.09.1794 und vom 30.08.1795 (JBW I,11, 3 und 55ff.). 4 Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, FW I, 100. 5 Horstmann 1987, 235ff. Vgl. Horstmann 1991, 280. 6 Brief Fichtes an Jacobi v. 30.08.1795 (JBW I,11, 55). 3
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nahme einer auf die Spitze getriebenen Konstruktionsleistung weist er 1799 im Brief an Fichte das Ich Fichtes ganz entschieden als »jene unpersönliche Persönlichkeit; jene bloße Ichheit des Ich ohne Selbst« zurück (JF: JWA 2,1, 212). Und als ganz und gar abwegig verwirft Jacobi gleichfalls den Gedanken, das der »Ichheit« fehlende »Selbst« könne jemals als Resultat einer wissenschaftlichen Deduktion verständlich gemacht werden. Die Pointe dieser Invektive springt in drei Schritten heraus. Festzuhalten ist erstens, dass sich Jacobi ganz eindeutig an unser konkretes erstpersonales Ich adressiert. Jede Verwechslung mit einem »Ich« genannten Prinzip systemischer Begründungsinteressen ist hier ausgeschlossen, wie in der Gesamtheit von Jacobis kritischen Einreden – Einreden somit auch gegenüber allen Versuchen seiner Aneignung und Einvernahme – gegen den Gang der nachkantischen Philosophie nachzulesen ist. Zweitens ist einer anderen Verwechslung vorzubeugen, nämlich des erstpersonalen Ich, das Jacobi im Auge hat, mit dem »empirischen Ich«, das im Kontext Kants als die vermeintliche Alternative zum transzendentalen oder wie immer genannten Ich-Prinzip gilt. Indem sich Jacobi dezidiert gegen diese transzendentalphilosophische Erbschaft wehrt, wehrt er sich insgesamt gegen die offensichtliche Verkürzung der Subjektivitätsproblematik, wonach Subjektivität entweder im Rückzug aus allen mundanen Bedingungen in reiner Selbstbezüglichkeit besteht (und so auch die mit Recht kritisierte Indifferenzierung zwischen der Ich-Funktion und unserem erstpersonalen Selbstbewusstsein nahelegt) oder aber ein empirisches Phänomen ist, das bestimmte Zustände und Eigenschaften relativ dazu aufweist, dass es sich vorstellend auf Objekte bezieht. Jacobi durchkreuzt diese Alternative. Das bedeutet drittens, dass in genau dem Maße, wie das »innigste Bewusstsein« des Ich von seinem Dasein kein empirisches Bewusstsein, sehr wohl aber ein erstpersonales Bewusstsein ist, der Weltbezug des Ich nicht ausgeblendet werden kann und dabei ganz neu verstanden werden muss. Eine isolierte Betrachtung des Ich allein ist gar nicht möglich. Ihren eigentlichen Kern hat Jacobis »ursprüngliche Einsicht« in der These, dass eine angemessene Verständigung über uns selbst einer gleichursprünglichen und eben deshalb irreduzibel doppelten Gewissheit Rechnung tragen muss. Im Brief an Fichte wird dies als Inbegriff unserer lebensweltlichen Grundüberzeugung formuliert – als die 140
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»dem natürlichen Menschen gleiche Gewißheit dieser zwey Sätze: Ich bin, und es sind Dinge außer mir« (JF: JWA 2,1, 194). Selbst- und Welterfahrung sind ursprünglich und untrennbar verbunden. In der Überzeugung, in der Welt zu leben, sehe ich von mir nicht ab, und in der Überzeugung, dass ich es bin, der/die Erfahrungen macht, klammere ich die Welt nicht ein. Mit der Verteidigung dieser Doppelgewissheit sprengt Jacobi das Bewusstseinsparadigma einschließlich des Reflexionsmodells des Selbstbewusstseins an der Basis auf. Und nicht mit der Auszeichnung des erstpersonalen »ich bin« allein, sondern mit der Auszeichnung des untrennbaren und dabei nicht auf die ein oder andere Seite rückführbaren Zusammenhangs von »Ich« und »Du« (Spin: JWA 1,1, 116; DH: JWA 2,1, 38) hat er die nachkantische Diskussion zugleich am meisten provoziert.
III. Das Vorstellungsmodell des Bewusstseins Ich bin und es sind Dinge außer mir: Lebensweltlich ist uns diese doppelte Gewissheit so vertraut, dass wir weder darüber nachdenken noch und schon gar nicht eine provokative Behauptung damit verbinden. Philosophisch gesehen mag man geneigt sein, der Provokation aus dem Wege zu gehen, indem man den Doppelsatz umformuliert. Dann spricht man von Subjekt und Objekt oder von Bewusstsein und Gegenstand und meint damit eine Erkenntnisrelation, wonach das Bewusstsein immer Bewusstsein von etwas ist und also Vorstellungen von Gegenständen hat. Vielleicht glaubt man sogar, dass mit dieser Umformatierung die lebensweltliche Gewissheit getroffen und sie nur etwas technischer reformuliert worden ist. Lässt man die Äußerungen Christian Wolffs Revue passieren, dem wir den deutschen Terminus »Bewusstsein« verdanken, dann scheint er dieser Meinung wirklich gewesen zu sein. Um den sachlichen Problemhintergrund Jacobis zu schärfen, erinnere ich an Wolffs Formulierung des Bewusstseinsparadigmas mit drei aufschlussreichen Passagen aus seiner Deutschen Metaphysik: »Wir sind uns unserer und anderer Dinge bewust, daran kann niemand zweifeln, der nicht seiner Sinnen völlig beraubet ist; und wer es leugnen wollte, derjenige würde mit dem Munde anders vorgeben, als er bey sich Jacobis Realismus
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befindet, könte auch bald überführet werden, daß sein Vorgeben ungereimet sey. Denn, wie wollte er mir etwas leugnen, oder in Zweiffel ziehen, wenn er sich nicht seiner und anderer Dinge bewust wäre? Wer sich nun aber dessen, was er leugnet, oder in Zweiffel ziehet, bewust ist, derselbige ist. Und demnach ist klar, daß wir sind.« (Wolff 1983, § 1) »Das erste, was wir von uns angemercket haben, war, daß wir uns unserer und anderer Dinge ausser uns bewust sind (§.1.), das ist, daß wir wissen, wir stellen uns jetzund viele Dinge als ausser uns vor (§.194).« (Wolff 1983, § 728) »Weil demnach die Seele eine Kraft hat, sich die Welt vorzustellen (§.753.); so müssen auch diese Vorstellungen eine Aehnlichkeit mit denen Dingen haben, die in der Welt sind. Denn wenn sie keine Aehnlichkeit hätten; so stellete die Seele ihr nicht die Welt, sondern etwas anders vor. Ein Bild, das der Sache nicht ähnlich ist, die es vorstellen soll, ist kein Bild von derselben, sondern von einer andern Sache (§.17.18).« (Wolff 1983, § 769)
Den Abgrund seiner Sätze scheint Wolff nicht zu sehen. Weil wir uns unserer selbst und anderer Dinge bewusst sind, soll gelten, dass wir sind: In einer gegenüber Descartes deutlich verschärften Version wird aus dem mentalen Befund des Bewusstseins auf das Sein dessen, der Bewusstsein hat, geschlossen. Anderer Dinge bewusst zu sein, heißt, sie als außer uns vorzustellen: Aus der Zentralstellung des Bewusstseins folgt, dass wir es nicht mit den Dingen, sondern mit unseren Vorstellungen von Dingen zu tun haben, die wir im Bewusstsein als auf etwas dem Bewusstsein Äußerliches beziehen. Die Entsprechung zwischen Vorstellung und wirklichen Dingen wird durch Ähnlichkeit vermittelt: Zum Bild in unserem Kopf muss es ein »Vorbild« geben, um die Referenz unserer Vorstellungen als auf etwas wirklich Äußeres und zur Vorstellung Passendes sicherzustellen. Aber wie wir uns im Bewusstsein einer erkenntnisvermittelnden Ähnlichkeitsrelation bewusst werden können, deren Annahme und Überprüfung voraussetzt, dass wir nicht nur mit Vorstellungen operieren, und wie wir unserer eigenen Existenz sicher sein können, wenn das Kriterium dafür wiederum nur ein Schluss aus dem mentalen Befund des Bewusstseins ist, bleibt das Geheimnis dieses Denkmodells, das die Vorstellungsimmanenz des Bewusstseins im Schluss142
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verfahren auf eine reale Referenz zu beziehen sucht. Im Folgenden werde ich es als Vorstellungsmodell des Bewusstseins und nicht als Repräsentationsmodell bezeichnen, weil der lateinische Terminus der Repräsentation semantisch zweideutig ist und diejenige Differenz nicht zum Ausdruck bringen kann, auf die es ankommt und die Jacobi mit dem Unterschied zwischen Vorstellung und Darstellung scharf artikuliert (DH: JWA 2,1, 69). Die Erfindung des Vorstellungsmodells geschieht offenbar in größter Naivität. Ebenso deutlich ist, dass die Reflexionstheorie des Selbstbewusstseins mit gleicher Naivität auf dem Vorstellungsmodell des Bewusstseins basiert. In der Annahme, dass Bewusstsein qua Bewusstsein Vorstellungen von Gegenständen hat, liegt die Folgerung nahe, dass Selbstbewusstsein diejenige Vorstellung ist, in der sich das Bewusstsein auf sich selber als den intendierten Gegenstand bezieht. Tatsächlich aber folgt dies nicht, wenn sich nämlich in einer nichtnaiven, problembewussten Analyse zeigt, dass sich mit dem zugrunde liegenden Vorstellungsmodell längst schon der Abgrund des Skeptizismus geöffnet hat. Dass Reinhold mit dem »Satz des Bewußtseins« der letzte konsequente Vertreter dieses Modells im Kontext der nachkantischen Philosophie ist und er zugleich eine tiefgreifende Skeptizismusdebatte heraufbeschworen hat, die Fichte, Schelling und Hegel im Rekurs auf Jacobi zu überwinden suchen, ist alles andere als ein Zufall. Merkwürdig aber ist, dass Reinhold diesen Weg überhaupt noch einmal eingeschlagen hat, nachdem Jacobis Problemanalyse seit Jahren greifbar vorlag. Denn eben darum handelt es sich: Nur bei oberflächlichster Wahrnehmung hat die lebensweltliche Doppelgewissheit Ich bin und es sind Dinge außer mir mit der Umformulierung im Bewusstseinsparadigma etwas zu tun, geschweige, dass sie dadurch eingeholt wäre. Im Gegenteil macht es die Einsicht in den skeptizistischen Abgrund des Bewusstseinsparadigmas erforderlich, es durch eine grundsätzlich andere Konzeption zu ersetzen, die der Doppelgewissheit Rechnung zu tragen vermag. Im Gespräch David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus führt Jacobi die genannte Analyse und den erforderlichen Paradigmenwechsel durch.
Jacobis Realismus
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IV. Idealismus und Realismus Das Bewusstseinsparadigma firmiert hier unter dem Titel Idealismus. Nach meiner Skizze des Wolffschen Modells ist klar, dass hierzu, wenn die vermeintliche Sicherung durch eine unkritische Ontologie entfällt, selbstverständlich die Strömung des Empirismus gehört (deren dem Denkmodell inhärente skeptizistische Konsequenzen ja im eigenen Hause durch Hume selbst gezogen worden sind).7 Und vor allem ist klar, dass Kants Transzendentaler Idealismus hierher gehört, dem Jacobis Kritik insbesondere gilt. Nicht umsonst ist dem Gespräch die Beilage Über den transzendentalen Idealismus beigefügt, in der Jacobi den zentralen Anstoß zu der bis heute anhaltenden Diskussion um Sinn und Bedeutung der Rede Kants von Dingen an sich gegeben hat. Unter dem Titel Realismus präsentiert Jacobi den Paradigmenwechsel seiner eigenen Position. Im Gespräch selbst wird sie »eigentlicher« oder »entschiedener Realismus« genannt, um einer Verwechslung mit Kants »empirischem Realismus« vorzubeugen (DH: JWA 2,1, 20, 32). Und nachdem hiermit die gängigen Schemata und Zuordnungen auf der Seite des Idealismus aufgebrochen sind, erlaubt sich Jacobi schließlich auch, den Realismus fallweise auf Spinoza und Leibniz zu stützen. Nicht weil beide keine Realisten wären, sondern aus Gründen der Durchführung von Jacobis Ansatz ist das nicht unproblematisch. Im Ergebnis handelt es sich um einen Gewinn, wie an Ort und Stelle zu zeigen ist. Auch wenn ich auf den Text und seine komplizierte Verschränkung mit der Erst- und Zweitauflage der Spinozabriefe gar nicht in allen Dimensionen eingehen kann, zeichnet sich nach dem bisher Gesagten auch so schon ab, dass es sich, anders als der Doppelsatz Ich bin und es sind Dinge außer mir, suggerieren mag, um eine anspruchsvolle Theorielage handelt. Tatsächlich ist der Doppelsatz nur so etwas wie eine Abbreviatur. Die damit angezielte lebensweltliche Gewissheit zu verteidigen, setzt nicht allein den Wechsel aus der »natürlichen« in eine philosophische Einstellung voraus, in der in der Dass der Titel von Jacobis Text und seine Bezüge auf die »Autorität« David Hume im Text (DH: JWA 2,1, 24) nicht ohne ironische Provokation zu verstehen sind, wird zu selten beachtet. 7
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Debatte mit anderen Positionen diskutiert wird, »wovon im gemeinen Leben nie die Frage« ist (DH: JWA 2,1, 21). Vor allem ist in dem Doppelsatz nur als Implikation enthalten, was der Ausführung bedarf und dann erst kenntlich macht, wie Jacobis Angriff auf das Bewusstseinsparadigma eigentlich verläuft. Das Bewusstseinsparadigma ist, wie in allen »idealistischen« Varianten deutlich zu sehen, ein Paradigma der theoretischen Philosophie: thematisch ist das Bewusstsein als Subjekt von Erkenntnisvollzügen im Modus der Vorstellung. Dass wir uns erkennend auf die Welt beziehen, bestreitet auch Jacobi nicht, wohl aber, dass das Format der Vorstellung auch nur entfernt der Erfahrung von Realität entspricht, derer wir sicher sind, sowie wir nur die Augen aufschlagen. Zugleich ist dieser Einwand nur der eine Teil seiner realistischen Invektive. Der andere Teil besteht in der Erinnerung daran, dass wir »Wesen« sind, die nicht »nur anschauen und urtheilen« können: »Lieber, wir können ja auch handeln!« (DH: JWA 2,1, 53). Das Bewusstseinsparadigma zu überwinden, heißt in letzter Instanz, den Zusammenhang unserer Selbst- und Welterfahrung praktisch, in der Erfahrung unseres Handelns fundiert zu sehen. Das »innigste Bewußtsein« meines Daseins in der Gewissheit »Ich bin« stellt sich in dieser Dimension als die Gewissheit »Ich handle« dar, womit sich mir genauso ursprünglich die Gewissheit eröffnet, in mundanen Interaktionszusammenhängen zu leben. Um es etwas ironisch zuzuspitzen: Da Philosophen im Wesentlichen am Schreibtisch sitzen, mag sich ihnen das Vorstellungsmodell des Bewusstseins besonders aufdrängen. Tatsache ist aber, dass wir Akteure in der Welt sind und uns nicht in der bewusstseinstheoretischen Einstellung von Zuschauern zurechtlegen, welche Sicht auf die Dinge sich nach Maßgabe unserer kognitiven Verfassung eröffnet oder nicht.
V. Der epistemische Realismus der Anschauung In der Auseinandersetzung mit Jacobis Position ist demnach zwischen epistemischem und praktischem Realismus zu unterscheiden. Im Kontrast zur zeitgenössischen Rezeption (man denke wiederum vor allem zunächst an Fichte) wird in der Literatur die praktische FunJacobis Realismus
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dierung des Realismus zugunsten der Erschließung Jacobis aus der vertrauteren erkenntnistheoretischen Fragestellung häufig vernachlässigt, was der Diskussion der Sachlage nicht förderlich ist. Dabei gibt Jacobi selbst das Kriterium für die Unterscheidung und Beachtung zweier Hinsichten deutlich an (DH: JWA 2,1, 38 ff.). Im Modus der Anschauung oder Wahrnehmung (Jacobi verwendet diese Termini synonym) ist der angeschaute Gegenstand unmittelbar präsent. Hier herrscht, wie es dann in Hegels Adaption der »Sinnlichen Gewißheit« heißt, das »Itzt«.8 Mit anderen Worten spielt in diesem Modus weder die zeitliche Sukzession eine Rolle, so als wäre der Gegenstand »früher« da als unsere Anschauung oder die Anschauung früher als ihr Gewärtigsein des Gegenstands, noch ist daher auch das Konzept von Ursache und Wirkung involviert. Wären wir nur anschauende Wesen, würden wir Jacobi zufolge über die grundlegenden Konzepte von Zeitlichkeit und Kausalität überhaupt nicht verfügen, die der Erfahrung des Handelns entstammen. Auf diese zentrale These komme ich zurück. Genau genommen ist es auch so, und auch darauf komme ich zurück, dass das »innigste Bewußtsein« meiner selbst, dass wirklich »ich« es bin und kein anderer, das Gefühl unverwechselbar individueller Jemeinigkeit also, erst im Modus des Handelns vollends aktuell wird. In diesem Sinne kann man zum Zweck einer ersten Orientierung der Darstellung Hegels durchaus zustimmen, wonach die sinnliche Gewissheit »von dem, was sie weiß, nur diß aus[sagt]: es ist; und ihre Wahrheit enthält allein das Seyn der Sache; das Bewußtseyn seinerseits ist in dieser Gewißheit nur als reines Ich; oder Ich bin darin nur als reiner dieser, und der Gegenstand ebenso nur als reines dieses«.9 Kein Anlass besteht hingegen, den spitzen Ton Hegels zu übernehmen. Auf das von Hegel arrangierte Gefälle zwischen angeblich beanspruchtem Reichtum und faktischer Armut der sinnlichen Gewissheit kommt es hier gar nicht an. Entscheidend ist, was Hegel nicht explizit sagt, sondern seiner Darstellung ganz selbstverständlich unterlegt: dass das Bewusstseinskonzept der Phänomenologie des Geistes im offensichtlichen Anschluss an Jacobi mit der Bewusstseinsphilosophie seinerseits bricht und damit die Erfahrungsgeschichte des 8 9
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Hegel, Phänomenologie des Geistes, GW 9, 64. GW 9, 63. Leitmotive
Bewusstseins von Beginn an auf eine neue Grundlage stellt. Darauf verweist nicht nur die Auszeichnung des Seins des Gegenstandes, sondern auch die Unmittelbarkeit der Relation von Gegenstand und Ich, wie sie sich in der sinnlichen Gewissheit zeigt.10 Auch wenn Hegel dann (und übrigens auch Jacobi) das »in Wahrheit« beidseits vermittelte Verhältnis aufweisen will, ist bei der basalen Bestimmung anzusetzen, die Jacobis epistemischen Realismus richtig wiedergibt. In der ursprünglich seinsvergewissernden Anschauung sind gleichursprünglich das anschauende Ich und der angeschaute Gegenstand involviert. Ein Missverständnis ist es hingegen, Jacobis Position als sog. Außenweltrealismus zu deuten, als handle es sich im Wesentlichen darum, die Subjektunabhängigkeit der Wirklichkeit zu behaupten, von der das Subjekt in all seinen Erfahrungen seinerseits abhängig sein soll. Dementsprechend wäre dann unter »Idealismus« die gegenläufige Auffassung zu verstehen, dass unser Wirklichkeitsverständnis allein auf subjektiven Leistungen beruht.11 Um eine solche Kontrastierung von entweder objektiv-realistischem oder subjektiv-idealistischem Primat geht es hier jedoch gerade nicht. Um die Pointe in der Debatte zwischen Idealismus und epistemischem Realismus zu klären, ist es ratsam, den Argumentationsverlauf des Gesprächs und die sinnfällig verteilten Rollen zwischen »Er« und »Ich« zu beachten. Es ist »Er«, der schließlich zuerst die Essentials des epistemischen Realismus ausspricht; dorthin gelangt er aber nur, indem er gleichsam maieutisch der Unhaltbarkeit seiner Position überführt wird. Unhaltbar ist diese Position deshalb, weil sie eine Mischung aus common-sense-Überzeugungen einerseits und dem Vorstellungsmodell des Bewusstseins andererseits vertritt und darüber den lebensweltlichen Grundbefund zunächst ganz übersieht. In Frage steht die Referenz der Vorstellungen auf die äußere Realität, derer »Er« eigentlich sicher ist. Dann wieder kommen ihm Zweifel, worauf sich diese Überzeugung stützt. Ein Kriterium dafür könnte sein, so überlegt er, dass ich zwei verschiedene Typen von Vorstellungen unterhalte: die einen bringe ich willkürlich hervor und verknüpfe sie beliebig, bei den anderen »fühle ich mich als ein leidendes Wesen«, woraus ich im Vergleich beider schließe, dass die 10 11
Vgl. zum Subtext der »Sinnlichen Gewißheit« die Studie von Bowman 2003. Vgl. Pluder 2013. Eine andere Lesart verfolgt Koch 2013. Jacobis Realismus
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unwillkürlichen Vorstellungen »eine Ursache ausser mir haben müssen« (DH: JWA, 2,1, 36). Den folgenden Einwand des »Ich« zitiere ich in Gänze, weil er mit aller Dringlichkeit Jacobis Kritik am Bewusstseinsparadigma einschließlich seiner deutlichen Anspielung auf dessen Wolffsche Fassung präsentiert: »So machen Sie es in der That? – Also hier dieser Tisch; dort jenes Schachbrett mit seinen aufgestellten Figuren; meine Wenigkeit die mit Ihnen spricht: wir werden, nur durch einen Schluß, aus Vorstellungen, für Sie zu Dingen an sich? Erst hinten nach, durch einen Begriff, den Sie uns beyfügen, gelangen wir dazu, daß wir wohl ausser Ihnen vorhanden, und nicht bloße Bestimmungen Ihres eigenen Selbstes seyn mögen? – Warum nicht? Die Vorstellung, als bloße Vorstellung, kann und muß ja wohl vorhergehen! Sie ist ja überall das Erste! Würklichkeit, Seyn, nur ein hinzukommendes Prädicat; weil unsere Seele eine Vorstellungskraft ist, folglich die Vorstellung als bloße Vorstellung vorab bewürken muß. Aus dem Orpheischen Ey des Denkbaren, das ist, aus dem Principio Contradictionis, gehen die Dinge, ohne den entbehrlichen Umstand der Realität, zuerst hervor.« (DH: JWA 2,1, 36)
Aus der Bewusstseinsimmanenz des Denkens wird auf das Sein geschlossen – das ist der Inbegriff des idealistischen Vorstellungsmodells in seiner rationalistischen Variante. Diese Variante lehnt »Er« ab. Und doch kommt er nochmals darauf zurück, ob wir nicht »die Ueberzeugung von dem würklichen Daseyn der Gegenstände ausser uns daher erhalten, daß uns ihre Vorstellungen ohne unser Zuthun gegeben werden« (DH: JWA 2,1, 37). Ohne zu merken, dass er de facto im Vorstellungsmodell befangen bleibt, führt er eben damit den sog. Außenweltrealismus ins Feld, den er auf die empiristische Variante des Idealismus stützt. Von subjektiven Zuständen ausgehend wird auf ihre externe Quelle geschlossen, die sich rezeptiv der Empfindung vermitteln soll. Hinter der im kausalen Rückschluss auf eine Außenwelt vermittelten Passivität des Subjekts verschwindet aber nicht nur unsere instantane Gewissheit, es mit der realen Welt zu tun zu haben. Ebenfalls verschwinde »ich« in dieser Konstruktion, ohne deren/dessen Beteiligung eine Anschauung gar nicht zustande kommt. Und dabei besteht der interessanteste Punkt Jacobis gar nicht in der Behauptung, diese Beteiligung, das Dabei-Sein des Ich, sogleich unter 148
Leitmotive
das zur Passivität gegenläufige Muster von Aktivität zu stellen. Gewiss ist die Anschauung eine Tätigkeit, die als solche nicht dem angeschauten Gegenstand entspringt (DH: JWA 2,1, 77). Und vollends zielt Jacobis praktischer Realismus auf ein handelndes Ich. Das damit keineswegs im Widerspruch befindliche Grundfaktum lautet jedoch, dass uns auch das Bewusstsein »ohne unser Zuthun gegeben« wird, »wir sind auch dieses nicht vermögend abzuweisen, und fühlen uns dabey nicht weniger paßiv als bey denen Vorstellungen, die wir, von äusseren Dingen, nennen« (DH: JWA 2,1, 37). Dies ist das Argument, mit dem sich die Szenerie des Gesprächs vollständig ändert. Anstatt in der Unterscheidung aktiv erzeugter oder passiv rezipierter Vorstellungen das Kriterium dafür zu vermuten, dass wir den letzteren eine reale Referenz zuschreiben, wird das ganze Vorstellungsmodell an diesem Punkt überwunden und dem Realismus Ausdruck gegeben, wie Jacobi ihn dann auch später gegenüber Fichte mit der Doppelgewissheit Ich bin und es sind Dinge außer mir formuliert: »Der Gegenstand trägt eben so viel zur Wahrnehmung des Bewußtseyns bey, als das Bewußtseyn zur Wahrnehmung des Gegenstandes. Ich erfahre, daß ich bin, und daß etwas ausser mir ist, in demselben untheilbaren Augenblick; und in diesem Augenblicke leidet meine Seele vom Gegenstande nicht mehr als sie von sich selbst leidet. Keine Vorstellung, kein Schluß vermittelt diese zwiefache Offenbarung. Nichts tritt in der Seele zwischen die Wahrnehmung des Würklichen ausser ihr und des Würklichen in ihr. Vorstellungen sind noch nicht; sie erscheinen erst hinten nach, als Schatten der Dinge, welche gegenwärtig waren.« (DH: JWA 2,1, 37)
Eindeutig geht aus dem Argumentationsverlauf hervor, dass derjenige Realismus, den Jacobi vertritt, im Moment der Besinnung auf das »ich bin« zum Vorschein kommt. Indem damit auf eine existentielle Gewissheit verwiesen wird, fungiert das Ich nicht mehr als Vorstellungssubjekt, das nach dem Realgrund seiner Überzeugung von der Realität der Außenwelt zu fragen hätte. Die Gewissheit »ich bin« ist instantan mit der Gewissheit der Außenwelt verbunden. Umso mehr gilt aber auch dies: So unhaltbar der Gedanke ist, das Ich im Rückschluss des Vorstellungsmodells auf einen Effekt äußerer Einflüsse zu reduzieren, weil damit die Überzeugung vollständig unverständlich wird, dass es sich um meine Erfahrungen handelt, so wenig läuft die Jacobis Realismus
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alternative Auffassung darauf hinaus, mir die Kompetenz (oder die Last) einer Autorschaft meines Daseins zuzuschreiben, geschweige denn, das Ich in eine transzendentale oder logisch-metaphysische Metafunktion aufzulösen. Aus eben diesem Grund spricht Jacobi von einer »zwiefachen Offenbarung«, die simultan sowohl der Welt- als auch der Icherfahrung gilt, und man sieht ohne Weiteres kommen, dass genau hier das Konfliktpotential in der Debatte mit der nachkantischen Philosophie liegt. Im vorliegenden Zusammenhang verläuft exakt entlang dieses Ausdrucks der »zwiefachen Offenbarung«, dem Jacobi den anderen Ausdruck des »Glaubens« zugesellt, die realistische Überwindung des Bewusstseinsparadigmas und die Grenzziehung gegenüber Kant. Damit deute ich an, dass eine gleichsam in sich gestufte Argumentation ins Auge zu fassen ist. Das eine ist, dass man der »sinnlichen Evidenz« mit Kant eine »unmittelbare Gewißheit« zuschreiben kann, »wie die von meinem eigenen Daseyn« (DH: JWA 2,1, 20). Gemeint ist Kants empirischer Realismus, den Kant tatsächlich als unmittelbare Wahrnehmung äußerer Gegenstände fasst. Dies schließt folgerichtig ein, dass Kant das Vorstellungsmodell aufgrund der ihm unvermeidlich anhaftenden skeptizistischen Konsequenzen seinerseits ablehnt: »Denn in der Tat, wenn man äußere Erscheinungen als Vorstellungen ansieht, die von ihren Gegenständen, als an sich außer uns befindlichen Dingen, in uns gewirkt werden, so ist nicht abzusehen, wie man dieser ihr Dasein anders, als durch den Schluß von der Wirkung auf die Ursache, erkennen könne, bei welchem es immer zweifelhaft bleiben muß, ob die letztere in uns, oder außer uns sei.« (KrV A, 372)
Das andere ist, dass diese strukturelle Übereinstimmung zwischen Jacobis und Kants Realismus nur eine nominelle ist. Schließlich stützt Kant den empirischen Realismus darauf, dass er allein und ausschließlich die unter die subjektive Anschauungsform des Raumes fallende »Erscheinung« betrifft, während uns die Dinge an sich völlig unbekannt sind. Die Kritik Jacobis an dieser Denkfigur Kants in der Beilage zum David Hume habe ich an anderer Stelle ausführlich analysiert. Hier unterstreiche ich nur dies, dass Jacobis Einwand nicht – wie stets unterstellt – dem angeblichen Fehler Kants gilt, eine Kausalbeziehung zwischen Dingen an sich und ihrer Wirkung auf uns 150
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anzunehmen, wo er doch die Geltung der Kausalitätskategorie auf das Gebiet der Erscheinung beschränkt hat. Dieser notorisch gewordene Einwand geht auf Schulze zurück. Demgegenüber besteht Jacobis Einwand geradezu im Gegenteil darin, dass Kant in genau dem Maße, wie er jegliche über das Gebiet der Erscheinung hinausgreifende Kausalbeziehung konsequent ausschließt, die Sicherung unserer realistischen Überzeugungen auf den empirischen Realismus begrenzen und die »entschieden« realistische Überzeugung, wie sie eingangs der Kritik der reinen Vernunft im Rekurs auf die Dinge an sich beansprucht ist, aufgeben muss. Sie fällt in einen Hohlraum, der sich im Binnenraum der Transzendentalphilosophie in keiner Weise ausweisen lässt.12 Die Paradoxie, mit der Kants Transzendentaler Idealismus konfrontiert, ist nach Jacobis Analyse somit darin zu sehen, dass Kant die dem Bewusstseinsparadigma inhärente Skeptizismusproblematik einerseits in Form des empirischen Realismus neutralisiert, dies jedoch zugleich andererseits um den Preis, dass nunmehr der gesamte Theorieentwurf auf das idealistische Vorstellungsmodell radikaler denn je zurückgeworfen ist. »Ich bin alles, und ausser mir ist im eigentlichen Verstande Nichts. Und Ich, mein Alles, bin denn am Ende doch auch nur ein leeres Blendwerk von Etwas; die Form einer Form; gerade so ein Gespenst, wie die anderen Erscheinungen die ich Dinge nenne, wie die ganze Natur, ihre Ordnung und ihre Gesetze.« (DH: JWA 2,1, 61)
Die Aufforderung am Ende der Beilage, der »transscendentale Idealist« müsse »den Muth haben, den kräftigsten Idealismus, der je gelehrt worden ist, zu behaupten, und selbst vor dem Vorwurfe des spekulativen Egoismus sich nicht zu fürchten« (DH: JWA 2,1, 112), sieht Jacobi dann konsequent im »Nihilismus« von Fichtes Wissenschaftslehre erfüllt (JF: JWA 2,1, 215), der die Annahme von Dingen an sich im Anschluss an Jacobi für unsinnig erklärt. Anders gewendet heißt das: Hätte Jacobi als Heilmittel gegen den Idealismus einen Realismus empfohlen, der die Referenz unserer Vorstellungen auf wirkliche Dinge außer uns (auf die Dinge an sich anstatt nur auf
12
Vgl. Text Nr. 8 in diesem Band. Jacobis Realismus
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Erscheinungen) vermittels des Schlusses vom Denken auf Sein (Wolff) oder vermittels des Schlusses aus sinnlich gegebenen Daten (Locke, Reinhold und unter skeptizistischem Vorbehalt: Schulze) behaupten wollte, wäre er seiner gesamten innovativen Argumentation selber in den Rücken gefallen und hätte zugleich in der fortschreitenden Kant-Diskussion gar nichts erreicht. Beides ist nicht der Fall. Gegen Kant reklamiert Jacobi selbstverständlich nicht die Rehabilitierung einer epistemischen Kausalbeziehung zwischen Dingen an sich und unseren Vorstellungen, weil eben darin die von ihm grundsätzlich kritisierte Operation des idealistischen Vorstellungsmodells in allen möglichen Varianten besteht. Mit der These der »zwiefachen Offenbarung«, der gleichursprünglichen Gewissheit, »daß auch bey der allerersten und einfachsten Wahrnehmung, das Ich und das Du, inneres Bewußtseyn und äusserlicher Gegenstand, sogleich in der Seele da seyn muß« (DH: JWA 2,1, 38), greift Jacobis epistemischer Realismus insgesamt hinter das Vorstellungsmodell auf die »Darstellung des Würklichen« (DH: JWA 2,1, 68) zurück. Für die Evidenz dieser Darstellung gibt es keine andere Bezeugung als eben diese Darstellung selbst. In diesem Sinne spricht Jacobi auch vom »Glauben« als einem Fürwahrhalten ohne Gründe, wohlwissend, dass lebensweltlich niemand sagt, an die Realität seiner Welt- und Selbsterfahrung zu glauben. Wir sagen vielmehr, dass wir dies wissen. Die Realitätsgewissheit, die wir mit diesem Wissen beanspruchen, ist aber nicht von der Art, dass wir Gründe dafür anzugeben vermöchten. Sowie wir anfangen, nach dem Grund unserer Gewissheit zu fragen, fängt der Dialog David Hume von vorne wieder an und alles dreht sich im Kreis. Die Wirklichkeitserfahrung unter Beweisanspruch zu stellen, zweifelnd rückzufragen, ob ich vielleicht doch nur mit Erscheinungen und auch mit mir selbst nur als Erscheinung zu tun habe, ist sinnlos, weil diese Operation voraussetzt, was im Modus der Vorstellung zugleich nicht mehr eingeholt werden kann.13 »Ich glaube nicht«, so kommentiert Schelling später diesen Befund,
Vgl. Text Nr. 2 in diesem Band. Dementsprechend findet Kants Bemerkung in der Vorrede zur B-Auflage der KrV über den »Skandal« eines fehlenden Beweises der Außenwelt bei Jacobi auch keinen Beifall (JWA 2,1, 393f.). Dass Jacobis 13
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»daß leicht jemand leugnen werde, alle Zuverlässigkeit unseres Wissens beruhe auf der Unmittelbarkeit der Anschauung. Die geistreichsten Philosophen sprechen von der Erkenntniß äußerer Dinge, als von einer Offenbarung, die uns geschieht […]; dieselben nennen unsere Ueberzeugung von äußern Dingen einen Glauben, entweder, weil die Seele mit dem, was sie glaubt, am unmittelbarsten umgeht, oder, um mit Einem Worte zu sagen, daß jene Ueberzeugung eine wahrhaft blinde Gewißheit sey, die nicht auf Schlüssen (von der Ursache auf die Wirkung) oder überhaupt auf Beweisen beruhe.« 14
Jacobis innovativer Paradigmenwechsel ist hier angekommen und verstanden, wobei auffällt, dass Schelling sich ganz auf den Glauben an die Außenwelt konzentriert und die von Jacobi behauptete gleichursprüngliche Gewissheit des »ich bin« nicht erwähnt. Übersehen hat er dies nicht. Wenig später spricht Schelling sogar ausdrücklich von der »Identität« der »beiden Sätze: Ich bin, und: Es sind Dinge außer mir« – dies jedoch mit dem Ziel, diese Identität »zu beweisen und den unmittelbaren Zusammenhang, der in jenem nur gefühlt wird, wirklich aufzeigen zu können«.15 Das ist ein typischer Zug: Nicht hinter Jacobi zurück-, sondern über ihn hinausgehend soll sein Paradigmenwechsel jetzt einem neuen Beweisprogramm unterzogen werden. Eine letzte Bemerkung bezieht sich auf aktuelle Diskussionen: Einiges spricht dafür, Jacobis Position als direkten Realismus zu bezeichnen, unter Einschluss dessen, dass Jacobi die hier einschlägige Kritik am Vorstellungsmodell des Bewusstseins durchgehend vorweggenommen hat. Eine solche Position dem Lager des »naiven Realismus« zuzurechnen, ist darum vollkommen unplausibel. Gleichwohl zögere ich aus zwei Gründen, Jacobi geradezu als Ahnherrn des direkten Realismus zu reklamieren, und habe meine Ausführungen daher auch nicht subsumierend unter diesen Begriff gestellt. Erstens kennzeichnet Jacobis Position, wie gerade noch einmal betont, die These einer »zwiefachen Offenbarung«. Ohne die eigene Rekurs auf den Glauben sämtlich nichts mit einem sog. Irrationalismus zu tun hat, bedarf nach allem keiner weiteren Ausführung. 14 Schelling, Abhandlungen zur Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre, SW I, 376. 15 Schelling, System des transzendentalen Idealismus, SW III, 344f. Jacobis Realismus
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Dignität erstpersonaler Gewissheit zu berücksichtigen, die keine empirische ist, ist unsere Welterfahrung nicht angemessen verstanden. Jacobis Realismus impliziert mithin notwendig den Rekurs auf die präreflexive Gewissheit meines Selbstseins, und inwieweit dies zu den regelmäßigen Annahmen unter Vertretern des direkten Realismus gehört, bedarf der Diskussion. Zweitens wird der epistemische Realismus der Anschauung bei Jacobi wesentlich durch den praktischen Realismus erweitert. Sofern der direkte Realismus auf eine erkenntnistheoretische Frage zugeschnitten ist, bleibt er spätestens jetzt – im Übergang zum praktischen Realismus – hinter Jacobis »ursprünglicher Einsicht« zurück.
VI. Der praktische Realismus der Kausalität Wie früher schon gesagt, lässt Jacobi mit diesem Schritt das Bewusstseinsparadigma vollends hinter sich. Dass noch irgendwelche bewusstseinsphilosophischen Restbestände abgearbeitet werden müssten, bedeutet dies nicht. Im Duktus eines solchen Gedankens gerät man unversehens in eine ganz andere Konstellation hinein – in die Konstellation eines Übergangs vom theoretischen Idealismus zum praktischen Realismus, wie er später von Fichte praktiziert und in der Bestimmung des Menschen eigens noch einmal an die Adresse Jacobis formuliert worden ist, um dessen Nihilismus-Kritik entgegenzutreten. Den Realitätsverlust, den die Wissenschaftslehre in theoretischer Konstruktion vollstreckt, will sie in praktischer Hinsicht kompensieren.16 Auch dies ist als Versuch zu werten, der Provokation von Jacobis »ursprünglicher Einsicht« mit den von ihm selbst ganz neu bereitgestellten Mitteln zu entkommen. Aus Jacobis eigener Position stellt sich ein solches Problem indes gar nicht, weil es hier um einen Übergang innerhalb des Realismus geht. Anlass dafür ist die Frage, woher wir das Konzept von Ursache und Wirkung beziehen, wenn es in der Simultaneität der Anschauung Ein ähnlicher und vermutlich von Fichte übernommener Gedanke liegt auch Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung zugrunde. Eigentlich fällt Schopenhauer aber mit der neuerlichen Fixierung der »Vorstellung« hinter den Diskussionsstand zurück. 16
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keine Rolle spielt und die Kausalprojektionen des Vorstellungsmodells des Bewusstseins hier sämtlich als sachwidrig zurückzuweisen sind. Die Antwort lautet, dass wir handelnde Wesen sind: »Wir wissen nemlich von alten, und ungebildeten neuen Völkern, daß sie keine Begriffe von Ursache und Würkung haben und gehabt haben, wie sie unter mehr gebildeten Völkern vor und nach entstehen. Jene erblicken überall lebendige Wesen, und wissen von keiner Kraft, die nicht sich selbst bestimmte. Jede Ursache ist ihnen eine solche lebendige, sich selbst offenbare, persönliche Kraft; jede Würkung That. Und ohne die lebendige Erfahrung in uns selbst von einer solchen Kraft, deren wir uns in einem fort bewust sind; die wir auf so manche willkührliche Weise anwenden, und, ohne sie zu vermindern, auch von uns ausgehen lassen können: ohne diese Grunderfahrung würden wir nicht die geringste Vorstellung von Ursache und Würkung haben.« (DH: JWA 2,1, 54)
Bevor ich auf diese Aussage näher eingehe, nähere ich mich dem zentralen Punkt von einer anderen Seite. Man könnte der Meinung sein, dass Jacobi in der Verhandlung der Anschauung etwas Wesentliches ausgelassen hat. Dass sich die Realitätsgewissheit in der Relation zwischen Ich und Gegenstand unmittelbar (oder direkt) unter Ausschluss von Vermittlungsoperationen darstellt, leuchtet aus eigener Erfahrung ein. Eine zeitliche Sukzession, ein Früher oder Später zwischen Gegenstand und wahrnehmendem Selbst, findet hier nicht statt. Gleichwohl nehmen wir aber eine solche Sukzession bei den Gegenständen wahr. In reiner Gegenwart präsentiert die Anschauung nicht immer dasselbe Phänomen, sondern Wechsel und Veränderung von Phänomenen. Die Umstellung, zu der Jacobi auffordert, ist genau hier zu lokalisieren. Die Wahrnehmung, dass sich die Dinge verändern, ist danach keine rein epistemische Angelegenheit in dem Sinne, dass ich Veränderungen registriere und mich dabei entweder als deren von Veränderungen seinerseits unbetroffenen Beobachter begreife oder als sich mit der Wahrnehmung von Veränderungen selbst fortlaufend veränderndes »empirisches Ich«, das ein »so vielfärbiges verschiedenes Selbst haben« würde, »als ich Vorstellungen habe, deren ich mir
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bewußt bin«.17 Veränderungen wahrzunehmen heißt, sie als ein Geschehen realer Wirkungszusammenhänge zu deuten, denen ich nicht – sei es in unbetroffener Distanz, sei es in betroffener Rezeptivität – gegenüberstehe, sondern in die ich involviert bin, indem ich selbst Veränderungen in der Welt herbeiführe. Zugespitzt, aber durchaus in Jacobis Sinne formuliert, tritt hier ein Perspektivenwechsel ein, der das Vorstellungsschema von Subjekt und Objekt nicht nur auf die basale Relation der »zwiefachen Offenbarung« von Ich und Du zurückführt. In praktischer Hinsicht wird das Schema von Subjekt und Objekt auf einen intersubjektiven Zusammenhang, die Interaktion von tätigen Subjekten umgestellt, in die »ich« einbegriffen bin. Die »Dinge außer mir« sind keine Steine. Das sind sie auch für die Anschauung nicht. Während sich aber die Anschauung als solche gleichsam neutral gegenüber der Gegenstandsseite verhält, schreibt sich aus der Handlungsperspektive in die Anschauung die Wahrnehmung lebendiger Interaktionsverhältnisse ein. An diesem Perspektivenwechsel einer praktisch gedeuteten Relation von Ursache und Wirkung, mit dem Jacobi nochmals und nochmals anders Kants Transzendentalem Idealismus entgegentritt, hängt im Folgenden alles. Zur Orientierung wird es hilfreich sein, zunächst einmal zwei Möglichkeiten ins Auge zu fassen, die Handlungssemantik der Ursache wörtlich umzusetzen. Die eine Möglichkeit verweist auf das Selbst- und Weltverständnis der »alten und ungebildeten neuen Völker«. In dieser archaischen Welt erscheint alles als persönlich initiierte Tat, alle Veränderungen in der Natur (die es als Anderes zum Geist dementsprechend noch gar nicht gibt) werden als Wirkungen verstanden, die von Akteuren ausgehen.18 Indem Jacobi diesen Befund ebenso auch in späteren Texten als Beleg für seine These heranzieht, dass der Ursprung des Begriffs der Ursache praktischer Natur ist, macht er die historische und soziokulturelle Tiefendimension unseres Begriffsgebrauchs geltend. Für den
Kant, KrV, B 134. In der Dialektik der Aufklärung von Horkheimer und Adorno findet sich ein ganz ähnlicher Gedanke. Überhaupt steht Jacobi mit der zwar aus Kantischer Sicht ungewöhnlichen, aber der Sache nach überhaupt nicht abwegigen handlungstheoretischen Deutung der Ursache durchaus nicht allein. Vgl. hierzu und zum praktischen Ansatz in Jacobis Gesamtwerk Sandkaulen 2000. 17
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von ihm vertretenen Realismus bedeutet das zugleich, dass er sich gegen diese historische Dimension der Lebenswelt keinesfalls immunisiert. Mit Hegel könnte man hier von einer bestimmten Bewusstseinsgestalt oder mit Cassirer von einer symbolischen Form sprechen, was besagt, dass es Welt immer nur als gedeutete Welt gibt. Zu unterstellen, es sei »zunächst« ein bloßes Erfahrungsmaterial vorhanden, auf das »dann« das archaische Handlungsschema universal wirksamer und bemerkbarer Akteurskausalität aufgeprägt würde, ginge an der Sachlage vollkommen vorbei. Die andere Möglichkeit bewegt sich am genau anderen Ende der Skala und behält das Handlungsschema von Ursache und Wirkung exklusiv dem Interaktionszusammenhang solcher Subjekte vor, die wir als menschliche Subjekte kennen. Diese Möglichkeit ist kein abstraktes Gedankenspiel, so als müsste ich sie der Verdeutlichung halber erfinden. Vielmehr ist Jacobis praktischer Realismus genau so von Fichte rezipiert worden, der nach diesem Modell die – brieflich gegenüber Jacobi ja auch angekündigte – Grundlage des Naturrechts entworfen hat. Explizit und implizit sind die Bezugnahmen auf Jacobi allenthalben greifbar, einschließlich einer Adresse an die »Urvölker«, die die »Gegenstände der Sinnenwelt […] zu ersten freien Ursachen« machten, »wie sie selbst waren«, und einschließlich der Anmerkung, dass in Jacobis David Hume »einleuchtend nachgewiesen wird, dass Zeitvorstellungen, die an sich dem reinen Begriffe der Causalität widersprechen, nur aus der Vorstellung unserer eigenen Wirksamkeit auf die Dinge auf ihn übertragen werden«.19 Ohne an dieser Stelle auch nur entfernt in eine Erörterung der Deduktionsverhältnisse des Naturrechts einzutreten, mache ich mir Fichtes Anverwandlung Jacobis nur insoweit zunutze, um dessen einschlägige Basissätze gleichsam durch diese Assoziation einer auf menschliche Individuen bezogenen Interaktion hindurch zu lesen. »Wenn Individua, ausser der immanenten Handlung, wodurch ein jedes sich in seinem Wesen erhält, auch das Vermögen haben ausser sich zu würken: so müssen sie, wenn die Würkung erfolgen soll, andre Wesen mittelbar oder unmittelbar berühren. Ein absolut durchdringliches Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, FW III, 25, 29. 19
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Wesen ist ein Unding. […] Die unmittelbare Folge der Undurchdringlichkeit bey der Berührung, nennen wir den Widerstand. Wo also Berührung ist, da ist Undurchdringlichkeit von beyden Seiten; folglich auch Widerstand; Würkung und Gegenwürkung. Der Widerstand im Raume, Würkung und Gegenwürkung, ist die Quelle des Successiven; und der Zeit, welche die Vorstellung des Succeßiven ist.« (DH: JWA 2,1, 59)
Handlungen, so kann man dies reformulieren, verlangen notwendig jemanden, der handelt: Nur Individuen handeln. Eine interne Dimension des Handelns gilt dem, was das Individuum als Individuum erhält. In der externen Dimension des Handelns zielt das Individuum auf einen mundanen Effekt, der nur unter der Voraussetzung erfolgen kann, dass es nicht lediglich ein einziges Individuum gibt. Handlungen, die sich nach außen richten, realisieren eine Wirkung nur in der Erfahrung eines verkörperten Widerstands, der als Gegenwirkung erfahren wird. Und allein in dieser basalen Interaktion von verkörperten Individuen bildet sich die Vorstellung von Raum und Zeit. Man sieht, dass Jacobi auch hier an seiner Grundkonzeption festhält, dass das Ich ebenso sehr in einer Relation zu einem Du steht wie es auf einen Effekt dieser Relation nicht reduziert werden kann. Das heißt hier, dass ein handelndes Ich notwendigerweise auf eine Welt außerhalb seiner selbst bezogen ist, in die es verändernd eingreift und diesen Eingriff rückwirkend an sich selbst zu spüren bekommt. Andernfalls würde es nicht handeln. Zugleich kann es kein bloßes Produkt solcher Interaktionen sein, weil es dann kein Individuum gäbe, das als Akteur von Handlungen fungiert. »Wie sehr nun auch, das Individuum von aussen her bestimmt werden mag, so kann es doch nur zufolge den Gesetzen seiner eigenen Natur bestimmt werden, und bestimmt sich in so fern also selbst. Es muß schlechterdings etwas für sich seyn, weil es sonst nie etwas für ein anderes seyn, und diese oder jene zufällige Bestimmung annehmen könnte; es muß selbst würken können, weil es sonst unmöglich wäre, daß irgend eine Würkung durch dasselbe geschähe, fortgesetzt würde, oder nur in ihm erschiene.« (DH: JWA 2,1, 56)
Es ist dies der Moment, die fundamentale Differenz zu Kant zu thematisieren, weil sich daraus über die bisher genannten zwei Mög158
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lichkeiten hinausgehend ergibt, wie Jacobi selbst sein Konzept versteht. Mit der Handlungssemantik der Ursache, deren Ursprung in unserer Erfahrung aufgesucht wird, wird im Kern Kants Ansatz der Kausalität als apriorischer Verstandeskategorie, aber in eins damit auch die Lehre von den apriorischen Anschauungsformen von Raum und Zeit konterkariert. Im selben Moment entfällt vollends die transzendentale Signatur in der Unterscheidung zwischen dem »Ich denke« und dem empirischen Ich, und dies wiederum hat Auswirkungen bis hin zur Darstellung und Auflösung der dritten Antinomie. Die Idee einer Kausalität aus Freiheit, die Kant dort einem »intelligiblen Charakter« im Sinne eines absolut spontanen und außerhalb aller Zeit erfolgenden Beginnens zuschreibt und vom »empirisch« determinierten Charakter abhebt, lässt sich einschließlich der Binnenaufspaltung unserer selbst aus unserer Handlungsperspektive nicht plausibel vertreten. Einwände dieser Art werden bis auf den heutigen Tag diskutiert; dass man sie landläufig nicht bis auf Jacobi zurückführt, lasse ich hier auf sich beruhen. Entscheidend ist hier, dass hinsichtlich Kants ein zentraler Punkt zu ergänzen ist. Wie früher gesagt liegt es Jacobi völlig fern, gegen Kants Idealismus eine epistemische Kausalbeziehung zwischen Dingen an sich und Erscheinung zu reklamieren – dem steht seine Einsicht in deren Unmöglichkeit im Theorieformat Kants und vor allem sein eigener alternativer Ansatz in der Unmittelbarkeitsrelation der Anschauung entgegen. Was er aber sehr wohl im Zuge des praktischen Realismus beabsichtigt, ist die Rehabilitierung der Kausalität als einer Beziehung, die den Zusammenhang der »Dinge an sich« und nicht lediglich die durch den Verstand apriorisch geregelte Gesetzmäßigkeit der Erscheinung betrifft. Im Falle Kants, so Jacobi, haben wir es mit »bloßen Vorurtheilen des Verstandes« zu tun, die »nur für den Menschen und seine eigenthümliche Sinnlichkeit« gelten und also keine »wahre objective Bedeutung« haben (DH: JWA 2,1, 60 f.). Auf eine solche wahrhaft objektive Bedeutung zielt demgegenüber Jacobi, wenn er in Form einer »Deduction« (DH: JWA 2,1, 60) die »absolute Allgemeinheit oder Nothwendigkeit« (DH: JWA 2,1, 56 ff.) des Konzepts von Ursache und Wirkung und der damit zusammenhängenden weiteren Begriffe dartun will, die sie trotz ihrer Herkunft aus der Erfahrung besitzen.
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Worauf es ankommt, ist demnach, dass die Handlungssemantik der Ursache gegen Kants Kausalitätskategorie ins Feld zu führen, nach Jacobis Intention gerade nicht darauf hinausläuft, mit ihr allein die menschliche Verfasstheit zu treffen. Gemeint ist auch der Zusammenhang der Natur, auf die sich jetzt zugleich eine völlig neue Sicht eröffnet. Neu ist diese Sicht deshalb, weil das Interesse, dem Konzept der Kausalität »wahre objektive« Geltung zu sichern, ja nicht das Kantische Konzept eines in der Anwendung auf die Sinnlichkeit beobachtbaren Kausalmechanismus übernimmt, um diesen Gedanken nunmehr auf die »Dinge an sich« zu übertragen. Ganz im Gegenteil wird aus der Handlungssemantik der Ursache der Blick auf eine Natur freigesetzt, deren Eigenart in der spezifischen Verfassung und dem Wirkungszusammenhang lebendiger Organismen besteht. Es ist Jacobis Realismus, und nicht erst Kants Kritik der Urteilskraft, der die biologische Natur ins Blickfeld rückt und damit im wahrsten Sinne einen Lebensnerv trifft. Dass der David Hume – komplementär zu Fichtes Naturrecht – gerade aufgrund seines objektiven Anspruchs zu einer Inspirationsquelle für Schellings Naturphilosophie wird, liegt auf der Hand. Allerdings ist Jacobis Deduktion nicht unproblematisch. Bevor ich darauf zu sprechen komme, ist zuerst zu sehen, dass die Schwierigkeit nicht darin besteht, wo Hegels schrille Kritik sie vermutet hat, so als wären Jacobis Sätze auf der Basis unausgewiesener Voraussetzungen formuliert.20 Das ist genau deshalb nicht der Fall, weil es entscheidend auf die Teilnehmerperspektive ankommt, die Jacobis Deduktion führt. Den Ansatzpunkt liefert die Sicht auf die Verfassung unserer selbst, die wir kein »transzendentales Ich«, sondern endliche Iche und als endliche Wesen selbstverständlich natürliche, leiblich existierende Wesen sind. Wenn wir aber solche Wesen sind, dann interagieren wir auch nicht ausschließlich in einem exklusiv menschlich definierten Laut Glauben und Wissen liegt hier ein »merkwürdiges Stück des Lockeschen und Humeschen Empirismus« vor, »in welchen ein ebenso grelles Stück von deutschem analysierenden Dogmatismus […] hineingeknetet« sei (GW 4, 348). Diese ganz unsinnige Einschätzung Hegels hat direkt und vor allem damit zu tun, dass er 1802 Jacobis Interesse an dem angeblichen »Nichts der Endlichkeit« durchgehend ablehnt und daher auch Spinoza falsch versteht. Dass er sich später eines Besseren besonnen hat, zeigt sich in der Abfolge der Bewusstseinsstufen in der Phänomenologie. Vgl. Text Nr. 12 in diesem Band. 20
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Raum von Intersubjektivität, sondern wir interagieren als die Organismen, die wir selber sind, im Reich der Natur, die sich uns damit in ihrer biologischen Verfassung erschließt. Ebenso nachvollziehbar wie plausibel lässt sich diese Überlegung dann auch mit Jacobis Rekurs auf Spinoza und Leibniz als den Gewährsleuten einer realistischen Position verbinden. Dass der Ansatz beider dem idealistischen Vorstellungsmodell des Bewusstseins diametral entgegensteht, ist evident. Ein Bewusstsein, das sich nicht direkt auf die Welt bezieht, ist in beiden Fällen undenkbar, auch bei Leibniz, dessen Monaden ja nicht vorstellend auf eine Außenwelt schließen, sondern in ihren Perzeptionen die Welt direkt präsentieren. Dementsprechend kann es hier auch keinerlei Anhaltspunkte dafür geben, ein Gebiet der »Erscheinung« im Kantischen Sinne von uns unbekannten »Dingen an sich« zu unterscheiden. Sofern es Abstufungen der Erkenntnis gibt, steht allein die mehr oder weniger adäquate Darstellung der Wirklichkeit in Frage, niemals aber der fundamentale Bezug auf die Wirklichkeit selbst. Vor diesem Hintergrund weiß Jacobi darum auch sehr genau, was er tut, wenn er seine Deduktion der grundlegenden Begriffe an Spinozas Konzept der notiones communes orientiert (DH: JWA 2,1, 61), die auch Spinoza zufolge aus der Erfahrung erhoben werden, im Kontrast zu erfahrungsbasierten notiones universales jedoch keine Verallgemeinerungen kontingenter Standpunkte sind, sondern alle Erfahrung überhaupt strukturieren.21 Darüber hinaus und vor allem leuchtet Jacobis Rekurs auf Spinoza und Leibniz aber deshalb ein, weil er sieht, dass beiden Entwürfen das Konzept eines Individuums zugrunde liegt, das auf der Basis eines ihm je eigenen conatus, des Strebens nach Selbsterhaltung, im Austausch mit seiner Umwelt steht. Mit anderen Worten: Die Entdeckung der Natur als Interaktionsraum lebendiger, mit innerer Kraft begabter Individuen, die, ohne Effekte ihrer Umwelt zu sein, in Beziehungen der Wechselwirkung mit ihrer Umwelt leben und dabei ebenso notwendig einen Körper wie Vgl. hierzu Bowman 2004, wo einleuchtend gezeigt wird, dass Jacobis Realismus spinozanisch und nicht durch die schottische common-sense-Philosophie inspiriert ist. Die Auffassung, dass sich Jacobi damit zugleich auf die Prämissen von Spinozas Metaphysik – im Widerspruch zu seiner eigenen Kritik an Spinoza – verpflichtet, teile ich allerdings nicht. 21
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ein – und sei es rudimentäres – Bewusstsein haben: Diese Entdeckung ist im Realismus Spinozas und Leibniz’ vollzogen. Entscheidend ist, dass Jacobi auf diese Entdeckung nicht so verweist, als ginge es darum, gegen Kant mit einer philosophiehistorischen Lesefrucht aufzuwarten. Im Duktus seines praktischen Realismus argumentiert Jacobi vielmehr wie gesehen aus der Teilnehmerperspektive unserer eigenen Erfahrung, die durch die Konzepte Spinozas und Leibniz’ nicht erzeugt, sondern bestätigt wird. Damit wird aber die Schwierigkeit der Deduktion zugleich kenntlich. Denn wenn es so ist, dass man aus Spinoza und Leibniz die Bestätigung des Realismus beziehen und somit gegenüber Kant zeigen kann, dass und wie Kausalität die »Dinge an sich« betrifft, dann scheint das realistische Interesse konsequenterweise auf einen dynamischen Naturalismus hinauszulaufen: auf eine Konzeption also, die zwar die Natur und unser eigenes natürliches Leben »objektiv« verständlich machen kann, aber den strukturellen Unterschied zwischen wirklich selbstbestimmtem Handeln einerseits und dem Wirkungszusammenhang organismisch verfasster Individuen andererseits zum Verschwinden bringt. Genau diese Konsequenz hatte Jacobi aber in den Spinozabriefen nicht etwa begrüßt, sondern Spinoza und Leibniz im Gegenteil zum Vorwurf gemacht.
VII. Die irreduzible Individualität des Selbst Dass Jacobi diesen seinen eigenen Einwand im Eifer des Gefechts gegen den Idealismus buchstäblich vergessen haben sollte, ist nicht plausibel. Das mindert die Schwierigkeit der im David Hume unternommenen Deduktion nicht, zu deren Lösung es einer weitergehenden Reflexion auf die Verfasstheit unserer Vernunft einschließlich einer Reflexion auf die Historiogenese unserer Rationalität bedarf, die Jacobi in der Zweitauflage der Spinozabriefe, v. a. in der Beilage VII, auch umgehend angestellt hat. Darauf kann und muss ich hier nicht eingehen, weil schon im David Hume selbst der Ansatz dieser Lösung zu erkennen ist, die zugleich an den Anfang meines Beitrags zurückführen und mich schlussendlich auch in die Lage versetzen wird, die mit Jacobis »ursprünglicher Einsicht« verbundene Provokation vollends deutlich zu machen. 162
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Interessanterweise setzt die fragliche Lösung in der Gestalt der Leibnizschen Monade an. Nach dem eben Gesagten bedeutet das zunächst, und dies ist ein eminent wichtiger Punkt, dass Jacobi weder hier noch später zurücknimmt oder minimiert, was sich als eine Konsequenz des praktischen Realismus ergeben hat, nämlich eine naturalistische Sicht auf uns selbst und die Welt einzuschließen. Was er bestreitet, ist die Begründung dieser Sicht in einer naturalistischen Metaphysik. Auch dem naturphilosophischen Konzept Schellings, das er sogar noch vehementer als Fichtes Entwurf kritisiert, schließt sich Jacobi nicht an. Das Argument dafür liegt in allen Fällen in der Richtung, die ich anziele. Aber um dorthin zu kommen, ist zunächst anzuerkennen, dass wir endliche und folglich natürliche Wesen sind. Als solche sind wir, wie Jacobi ab 1789 ausdrücklich sagen wird, bedingte Wesen, die im Zusammenhang der Natur vermittelt sind. Die unmittelbare Gewissheit der Anschauung und die vermittelte Existenz im Zusammenhang der Natur widersprechen einander nicht – die Hinsichten zwischen epistemischem und praktischem Realismus sind zu unterscheiden. Als maßgeblich für den hier einschlägigen Naturalismus hat sich dabei jedoch erwiesen, dass nur solche Wesen in einem Interaktionszusammenhang stehen können, die auch und wesentlich etwas »für sich selber« sind. Und indem Jacobi jetzt auf diesen Punkt zurückkommt, bestimmt er dieses Fürsichsein mit Leibniz (und nicht mit Spinoza, dessen Substanzmetaphysik für diesen Gedanken keine Grundlage bietet) als die Strukturform der Monade, ein unum per se zu sein (DH: JWA, 2,1, 78 ff.). Jedes organische Individuum ist qua Individuum ein unum per se, eine plurale Bestimmungen einfach in sich einschließende Einheit. Kein organisches Individuum bezieht seine Einheit aus der Summe seiner Bestimmungen und seine Einheit kommt auch nicht als eine weitere Bestimmung hinzu. Ohne dass man das Fürsichsein von den Bestimmungen trennen könnte, die es einfach in sich einschließt, geht es ihnen in gewisser Weise »voraus«, weil es andernfalls nicht seine Bestimmungen wären. Die Pointe dieser Überlegung liegt zunächst einmal darin, was ich früher schon angedeutet habe: Der Interaktionszusammenhang ist ein intersubjektiver Zusammenhang, weil der Strukturbestimmung des Fürsichseins gemäß alle organischen Individuen in ganz basaler Weise Subjekte sind. Und gerade weil Jacobi sich hier ganz dicht an Jacobis Realismus
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Leibniz hält, besteht auch kein Grund, basalen Lebensformen ein wie immer rudimentäres Bewusstsein abzusprechen. Sehr viel deutlicher als Leibniz selbst aber zielt Jacobi damit nicht lediglich auf ein Bewusstsein der Welt, sondern auf das Bewusstsein, das die Monade auch von sich selbst, von ihrem Fürsichsein hat. Mit der Verabschiedung der Bewusstseinsphilosophie im Paradigmenwechsel des Realismus wird somit auch die Auffassung überwunden, dass Bewusstsein ein Privileg menschlichen Lebens ist. Eine basale Form des Gewahrseins und sogar eine basale Form des Selbstgewahrseins gehört allen Organismen zu, andernfalls wären sie Steine, was sie offenbar nicht sind. »Leben und Bewustseyn sind Eins.« (DH: JWA 2,1, 86) Die weitergehende und eigentlich entscheidende Pointe folgt daraus. Menschliches Bewusstsein ist von pflanzlichem und tierischem Bewusstsein nicht absolut, sondern graduell unterschieden. Relativ zu seiner ganzen Organisation ist es komplexer verfasst. Bereits auf der basalsten Ebene lässt sich jedoch das Bewusstsein des Fürsichseins nicht aus dem Ensemble einer kleineren oder größeren Anzahl von Bestimmungen oder der Art dieser Bestimmungen erklären – es geht damit einher, ohne darauf rückführbar zu sein. Gemäß dieser Strukturlogik des Fürsichseins, die nicht inhaltlich, sondern modal, als instantane Rückbezüglichkeit aller Bestimmungen auf »sich« bestimmt ist, besteht der Unterschied menschlichen Bewusstseins darin, dass es in der Lage ist, sich das Fürsichsein seines Daseins ausdrücklich bewusst zu machen, dadurch nämlich, dass es den Akt einer Unterscheidung vollzieht. »[Z]u dem Bewustseyn unseres Bewustseyns, dem Gefühl von uns selbst [können wir] nicht gelangen […], als indem wir uns von etwas ausser uns unterscheiden« (DH: JWA 2,1, 85 f.). Der Zusammenhang dieser Aussage mit dem eingangs zitierten Passus ist unmittelbar sinnfällig. Das »innigste Bewußtsein« meiner selbst ist in seiner Selbstbezüglichkeit präreflexiv, weil ich mir nicht im Modus beobachtender Vorstellung bewusst mache, welche Bestimmungen und Eigenschaften ich besitze. Dass ich es bin, folgt nicht aus irgendwelchen Bestimmungen, sondern aus der Vergegenwärtigung meines Fürsichseins, dass ich es bin und kein anderer. Relativ zu ihrer komplexeren Organisation, aber nicht daraus herleitbar, haben Menschen die Fähigkeit, diese Unterscheidung für sich zu realisieren
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Leitmotive
und sich damit als individuelle Personen zu erfahren, die sich zum Handeln bestimmen. Mit diesem Gedanken der Selbstbestimmung, die im Vollzug der Unterscheidung meiner selbst von anderem gründet, eröffnet sich das Feld freien Handelns, dasjenige Feld also, auf dem eine Akteurskausalität im strengen Sinne zu verorten ist.22 Aus dem Reich der Natur führt diese Kausalität nicht in ein Gebiet des »Übernatürlichen«, so als wären wir in gänzlich andere Wesen verwandelt. Gleichwohl gewinnen wir im Vollzug der Unterscheidung ein Verhältnis zur Natur, mit der Konsequenz, dass menschliches Leben und Handeln etwas nicht durch Naturverhältnisse völlig und ganz und gar bedingtes ist, insofern etwas »Unbedingtes« zur Anzeige bringt. Wie immer aber Jacobi im Weiteren ausbuchstabieren wird, was er unter Freiheit versteht – ausschlaggebend bleibt, und nur dies führe ich hier aus, dass sein Konzept in struktureller Anknüpfung nicht an die Monadenmetaphysik Leibniz’, sondern an die Subjektivität modalen Fürsichseins untrennbar an die performativ gegebene Gewissheit individueller Jemeinigkeit und damit an die Unvertretbarkeit dieser Perspektive gebunden ist.23 Von keinem anderen Standpunkt aus kann ich sie einnehmen, von keinem Standpunkt aus, auch nicht aus dem meiner selbst, kann ich sie erklären, was hieße, dass sie auf etwas anderes rückführbar wäre. Einer Erklärung zugänglich sind Bestimmungen und Eigenschaften, aber wie es ist, dass diese Bestimmungen für mich sind, entzieht sich aller Erklärung. Die Perspektive der Jemeinigkeit zu neutralisieren, um auf diesem Wege ihrer unerklärlichen Irreduzibilität zu entkommen, ist ebenfalls keine Lösung, da sich dann der Sinngehalt dessen auflöst, was wir »ich« nennen. Auch ohne auf Jacobis Metaphysik auszugreifen, liegt in der »Logik« dieses Gedankens erstens, dass sich mit ihm die Sichtachse des Realismus gleichsam nochmals herumdreht. Weil Fürsichsein unvertretbar ist und sich so prinzipiell jeder Erklärung entzieht, begreifen wir uns nicht besser oder schlechter, wenn wir menschliches Leben als eine graduelle Entwicklung aus der Natur verstehen. Wohl Vgl. hierzu auch Text Nr. 4 mit der Diskussion von Jacobis »Freiheitsabhandlung« in der Zweitauflage der Spinozabriefe. 23 Vgl. Sandkaulen 2012 und Larmore 2004, wo eine ganz ähnliche Argumentation verfolgt wird. 22
Jacobis Realismus
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aber gewinnen wir aus der Perspektive unseres Fürsichseins ein qualitativ angemesseneres Verständnis der Natur, wenn sie uns dazu führt, sie als lebendig und jeweils selber in einem inneren Fürsichsein fokussiert zu verstehen, das nur nicht – soweit wir dies wahrnehmen können – zu der Unterscheidung gelangt, in deren Vollzug wir überhaupt realisieren, wie es ist, ein individuelles Individuum, das sich selbst bestimmt, zu sein. Der von Anfang an erhobene und andauernd fortgesetzte Einwand gegen Spinoza besagt dann, dass er im Entwurf seines metaphysischen Naturalismus diese Voraussetzung des praktischen Realismus verdrängt hat, unter der es auch ihm allein nur möglich war, von einem kausalmechanischen zu einem dynamisch organisierten Weltverständnis überzugehen. In der »Logik« von Jacobis Ansatz liegt zweitens, dass seine »ursprüngliche Einsicht« im Paradigmenwechsel von der Bewusstseinsphilosophie zum doppelt aufgespannten Realismus förmlich auf Schritt und Tritt, wie ich immer wieder wenigstens anzudeuten versucht habe, die Inspirationsquelle der nachkantischen Philosophie ist, deren Motive in Fichtes, Schellings und Hegels Entwürfen je anders interpretiert und konstelliert zum Vorschein kommen. Im Gefolge Jacobis erweist sich der angebliche »Deutsche Idealismus« viel eher als ein Realismus, der mitsamt dem Interesse an lebensweltlicher Verständigung die jederzeit »zwiefache« Relation von Ich und Welt und deren intersubjektive Ausprägung übernimmt. Aber ebenso deutlich, und ohne dass es an dieser Stelle nötig wäre, die substantiellen Bezüge auf Jacobi weiter aufzufalten, sieht man auch die andauernde Provokation dieser »ursprünglichen Einsicht«. Allenthalben und in immer neuen Anläufen soll sie einer Erklärung zugänglich werden, deren Art nicht auf den Beobachtungsstandpunkt des Vorstellungsmodells zurückfällt und daher auch ihren typisch »spekulativen« Charakter gewinnt, gegen die sich aber Jacobis Ansatz dennoch verweigert. Unerträglich aus Sicht der nachkantischen Systematisierung ist die Irreduzibilität und Unvertretbarkeit des erstpersonalen Fürsichseins in seiner Relation zu Anderem, die nicht zuletzt auch der Beziehung der Anerkennung zugrunde liegen muss und nicht umgekehrt aus ihr entspringen kann. Noch immer ist mir nicht klar, ob der Versuch, dieser Herausforderung des Selbst Herr zu werden, nur dem Interesse der Wissenschaft oder auch einem Verdacht gegenüber dem Indivi166
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duum in seiner Individualität geschuldet ist, der sich aus anderen Voreinstellungen speist. Wie dem aber sei: Man kann immer von etwas anderem sprechen als vom Ich – wenn man aber in allen möglichen Varianten von Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Subjektivität, Person, Ich oder Geist sprechen möchte und diese Ausdrücke »für mich« gehaltvoll sein sollen, was ja auch in allen nachkantischen Entwürfen beansprucht ist, bleibt Jacobis Realismus eine auf Dauer gestellte, aus strukturellen Gründen nicht überwindbare Provokation.
Jacobis Realismus
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8. Das »leidige Ding an sich«. Kant – Jacobi – Fichte
I. Jacobi, so heißt es in Fichtes Sonnenklarem Bericht von 1801, ist der »mit Kant gleichzeitige Reformator in der Philosophie«.1 Mit dieser Einschätzung rückt der Einfluss Jacobis auf die systematische Philosophie nach Kant in ein spezifisches Licht. Tatsächlich wäre es ein Missverständnis, wollte man hier nur die ein oder andere Anregung zur Kenntnis nehmen, die von Jacobi beigebracht und von einer wesentlich an Kant sich ausbildenden Philosophie dann außerdem noch berücksichtigt und verarbeitet worden wäre. In ganz grundsätzlicher Weise geht der Einfluss Jacobis vielmehr in die Formationsbedingungen selbst dieser Philosophie mit ein. Die programmatische Leitfrage nach dem System der Vernunft betrifft das im Kern. Gewiss weist die Intention auf ein philosophisches System auf Kantische Vorgaben zurück. Charakteristischerweise mit dem Topos von Geist und Buchstabe verbunden, kennzeichnet die nachkantische Lage aber nicht nur die Überzeugung, dass die Realisierung eines solchen Systems bei Kant selbst Desiderat geblieben und also erst noch zu leisten ist. Signifikant ist vor allem, dass eben diese Überzeugung sich instantan mit der Hinsicht auf Jacobi verschränkt, insofern sie erstens unter dem Eindruck von Jacobis Kant-Kritik und zweitens unter dem Eindruck von Spinozas Ethik steht. Unter dem Eindruck des maßgeblichen Systemmodells also, das Jacobi zuvor als einzig konsequent rekonstruiert hatte, um an ihm zugleich den exemplarischen Fall eines theoretisch nicht auflösbaren »Widerspruchs« zu markieren, der zwischen dem systemisch unvermeidlichen »Fatalismus« einerseits und den existentiellen Interessen der Freiheit andererseits herrscht. Indem die nachkantische Philosophie diese Problemvorlage in ihre Kantrezeption substantiell einblendet, konstituieren sich ihre Systementwürfe ihrem eigenen Selbstver-
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Fichte, GA I,7, 194. 169
ständnis nach als konsequente Alternativen zu Spinozas Metaphysik und beanspruchen damit, den Widerspruch zwischen systemischen und praktischen Interessen erfolgreich in sich aufgehoben zu haben. Mit dem Stichwort Vernunft verhält es sich ähnlich. Auch hier also hat man unbestreitbar an Kant zu denken und kommt doch angesichts seiner entschiedenen Überbietung in den nachkantischen Systemen nicht umhin, die Auszeichnung einer spezifisch metarationalen, den Ausweisungskriterien des Verstandes vorgeordneten Vernunftdimension auf den Einfluss Jacobischer Überlegungen zum Verhältnis von Vermittlung und Unmittelbarkeit zurückzuführen. Was aber die Komplexität solchen Einflussgeschehens noch einmal steigert, gerät schließlich mit dem Fortgang der Geschichte in Sicht. Anstatt seine eigenen Intentionen befriedigend zur Geltung gebracht zu sehen, lehnt Jacobi die nachkantische »Philosophie aus Einem Stück« als »wahrhaftes Vernunft-System« (JF: JWA 2,1, 200) genauso hartnäckig wie zuvor Spinoza ab – und treibt die Systemanstrengungen genau damit in ihren weiteren, untereinander zunehmend divergierenden Denkprozess hinein. Der Einfluss Jacobis auf die Formation und der über seine anschließenden Widerreden vermittelte Einfluss auch auf die Fortbildung der Systeme der Vernunft gehören untrennbar zusammen. Um plakative Verkürzungen zu vermeiden, werde ich im Folgenden aus dem komplexen Gewebe seines Einflusses den Faden herausziehen, der sich mit der Problematik des Dings an sich verknüpft. Dieser Faden der Kant-Kritik und ihrer Rezeption ist, das muss man vor dem skizzierten Hintergrund betonen, einer unter anderen. Gleichwohl ist er ein Hauptfaden, der mit der Systemoption intimerweise verflochten ist.
II. »Dieses Ding an sich war also der Punkt des Anstoßes, über welchen die Kantische Kritik der reinen Vernunft nicht hinwegkommen konnte, und an dem sie als selbständige Wissenschaft scheitern
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mußte.« 2 Mit der systematischen Relevanz des Problems erinnert Schelling noch im spätesten Berliner Rückblick auch an den Text, in dem man einschlägiges Material zu diesem Kasus finden könne. In der Tat war es Jacobi, der 1787 mit der im Gespräch über Idealismus und Realismus erschienenen Beilage »Über den transzendentalen Idealismus« wiederum die Initiative ergriffen, die Diskussion Spinozas also um die Auseinandersetzung mit den Theorieproblemen der Transzendentalphilosophie Kants sogleich erweitert und damit selber die für die Systembildung der idealistischen Philosophie strukturell bezeichnende »Aufhebung« Kants in eins mit der Spinozas auf den Weg gebracht hat. Auch der dann so überaus typischen Hermeneutik begegnet man schon hier. Profiliert wird ausdrücklich der »Geist der Kantischen Philosophie« (DH: JWA 2,1, 108 f.), und zum Beleg dafür werden lange, wortwörtliche Auszüge aus der Erstauflage der Kritik der reinen Vernunft präsentiert, deren Unverträglichkeit mit gewissen anderen Äußerungen dann umso drastischer in die Augen springen und bestimmte Maßnahmen zur konsistenten Vereindeutigung dieser Situation nahelegen soll. Offenkundig hat diese Diagnose einen höchst empfindlichen Nerv getroffen. Über Schellings Verweis hinaus spricht dafür der bis in die Gegenwart anhaltend und oft genug erbittert um Sinn oder Unsinn des Dings an sich geführte Streit, in dem bis heute kein Beitrag ohne die Wiederholung der schlechthin kanonisch gewordenen Worte Jacobis auszukommen scheint, wonach »ich verschiedene Jahre hintereinander die Critik der reinen Vernunft immer wieder von vorne anfangen mußte, weil ich unaufhörlich darüber irre wurde, daß ich ohne jene Voraussetzung in das System nicht hineinkommen, und mit jener Voraussetzung darinn nicht bleiben konnte« (DH: JWA 2,1, 109).3 Wahrscheinlich ist es nicht übertrieben zu behaupten, dass dies der einzige Satz Jacobis ist, der die Jahrhunderte wirklich überdauert hat. Nicht zuletzt aber kennzeichnet Jacobis zielsichere Lektüre, worauf es hier ankommt. Es ist Fichte, der 1797 in seiner Zweiten Einleitung in Schelling, Einleitung in die Philosophie der Offenbarung, SW XIII, 50. Dass Jacobis Wort »die Standard-Beurteilung des Kantischen Fundamentalwerkes auch heute noch wieder[gibt]« und »niemals mit textnahen Gründen zurückgewiesen worden« sei, vermerkt Baumanns 1997, 10. 2 3
Kant – Jacobi – Fichte
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die Wissenschaftslehre nachdrücklich »alle philosophischen Schriften Jacobis«, insbesondere aber die Kant-Beilage zur Lektüre empfiehlt, in der seit »zehn Jahren […] jedermann den gründlichsten und vollständigsten Beweis […] gedruckt lesen« könne.4 Den Beweis wofür? Nun, den Beweis dafür, dass das Systemkonzept der Wissenschaftslehre die kongeniale, einzig überzeugende Formulierung des recht verstandenen Kantischen »Geistes« ist: desjenigen Geistes, den Jacobi als der »hellste Denker seines Zeitalters« in Gestalt des »so richtig gefassten transscendentalen Idealismus« ins Licht gerückt hat.5 Noch ehe Fichte also auch nur auf den Plan getreten war, hatte Jacobi im Ausgang von Kant bereits begriffen, worum es der Wissenschaftslehre konsequenterweise werde gehen müssen. Wenn das nicht ein beachtlicher Einfluss ist. Aber was heißt das nun eigentlich genau? Worin liegt das unabgegoltene Problem, das von Kant über Jacobi zu Fichte führt und mit dem Stichwort des Dings an sich vorerst nur benannt ist? Oder ist es angesichts der erwähnten Prominenz der Diskussion eigentlich müßig, danach überhaupt noch zu fragen? Auf Anhieb scheint es sich so tatsächlich zu verhalten. Zwar kann man nicht behaupten, dass Jacobis Diagnose sich ausschließlich solcher Zustimmung erfreut, wie Fichte sie sogleich artikuliert hat. Vielmehr ist die Einschätzung seiner Überlegungen ganz offenkundig abhängig davon, wie man jeweils selbst zum Problem des Dings an sich, seiner theoriekonsistenten Haltbarkeit oder unhaltbaren Widersprüchlichkeit steht. Mit der Folge, dass die Palette der Bewertung von Vaihingers größtmöglichem Lob, Jacobis Kant-Beilage enthalte »vielleicht das Beste und Wichtigste, was überhaupt jemals über Kant geäussert worden ist«,6 bis hin zu schwerstem Tadel reicht, wonach »Jacobi die eigentliche Thematik der Kritik der reinen Vernunft und somit die Problematik des transzendentalen Idealismus kaum erkannt« habe.7 Was immerhin eine beträchtliche Bandbreite ist, gerade deshalb aber voraussetzt, wenig-
GA I,4, 235. GA I,4, 236 Anm. 6 Vaihinger 1892, 36. Vgl. Vaihinger 1913, 267. 7 Herring 1953, 14: »Um so weniger verständlich ist uns die enorme Einwirkung, die seine Kritik der Kantischen Philosophie auf seine Zeitgenossen ausübte, vor allem auf Beck, G.E. Schulze und Fichte.« 4
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stens über den Kern der Jacobischen Kritik Einigkeit erzielt zu haben. So ist es allerdings. Spätestens seit Windelband gibt es dazu eine lehrbuchmäßige Auskunft, die von Vaihingers Kommentar zur Kritik der reinen Vernunft bekräftigt und in der Folge bis auf den heutigen Tag unentwegt wiederholt wird. In der Windelbandschen Version lautet diese Auskunft so: »Zuerst Jacobi« habe »gesehen«, dass der von Kant »anfänglich eingeführte Begriff der Sinnlichkeit […] das Kausalverhältnis des Affiziertwerdens durch Dinge-an-sich [involviere], welches nach der Lehre der Analytik, daß Kategorien nicht auf Dinge-an-sich angewendet werden dürfen, zu denken verboten sei«.8 Unter Missachtung seiner eigenen Restriktion der Kategorien auf das Gebiet der Erscheinung hat Kant sich demnach mit seiner eingangs ins Spiel gebrachten Affektionstheorie ab ovo in einen fälschlichen Kategoriengebrauch verstrickt. Das also ist das Argument, auf das es hier im Namen Jacobis offenbar ankommen soll. Wobei man nach Lage der Dinge hinzufügen muss, dass die Standardversion dieses Arguments – gerade so wie von Windelband vorgeführt – in der Hauptsache auf den diagnostizierten Missbrauch der Kausalitätskategorie zielt.9 An der Struktur des Arguments ändert es indessen nichts, es in anderen Jacobi-Versionen auch noch um die These einer gleichermaßen unhaltbaren Anwendung der Kategorie der Substantialität,10 der Realität11 oder der Wirklichkeit12 ergänzt zu finden. Nun mag man von der Triftigkeit der These eines von Kant begangenen Kategorienfehlers überzeugt sein oder nicht: ein beträchtlicher Erfolg, wie noch Adornos Negative Dialektik belegt,13 ist diesem Argument gewiss nicht abzusprechen. Hätte Jacobi demnach die Ehre, auch Adorno noch inspiriert zu haben? Ein zugegebenermaßen reizvoller Gedanke, der sich jedoch an dieser Stelle genauso wenig halten lässt wie die bis heute fraglos wiederholte Version Windel-
Windelband 1993, 481f. Vgl. Baumanns 1997, 185; Willaschek 1998, 339; Fleischer 1984, 115; Adickes 1924, 49. 10 Vgl. Vaihinger 1913, 53. 11 Vgl. Herring 1953, 13. 12 Vgl. Frank 1997, 87. 13 Adorno 1970, 185f. 8 9
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bands. Tatsächlich hat diese Version mit Jacobi gar nichts, dafür aber umso mehr mit der sorglosen Rückblende eines Arguments zu tun, das genuinerweiser von Aenesidemus-Schulze stammt. Er ist es, der 1793 im Zuge seiner Auseinandersetzung mit Reinholds Elementarphilosophie von eben diesem »Widerspruch« zwischen den »Prämissen« Kants und seinen »Resultaten« andererseits spricht. Denn wenn gilt, so Schulze, dass die »transzendentale Deduktion der Kategorien« »richtig« ist und demzufolge »weder der Begriff Ursache, noch auch der Begriff Wirklichkeit« auf den »Gegenstand außer unseren Vorstellungen« angewendet werden darf, »so ist auch einer der vorzüglichsten Grundsätze der Vernunftkritik, daß nämlich alle Erkenntnis mit der Wirksamkeit objektiver Gegenstände auf unser Gemüt anfange, unrichtig und falsch«.14 Klar und deutlich formuliert, hat Schulzes Argument bekanntlich auch Schopenhauer überzeugt. Und vielleicht ist es auf diesem Wege in die Lehrbücher und schließlich auch bis zu Adorno gelangt. Mit Jacobis Vorlage hingegen, ich unterstreiche es noch einmal, hat das alles nichts zu tun. Gewiss gibt es auffällige Parallelen zwischen beiden Texten, was im Übrigen auch für die Vermutung spricht, dass Schulze der Text Jacobis vor Augen stand, obwohl er ihn nicht zitiert. So konstatieren beide einen Widerspruch zwischen dem Auftakt der Kritik der reinen Vernunft und den Überlegungen in ihrem Fortgang, der gleichermaßen im Spagat zwischen gewissen realistischen Präsuppositionen und deren idealistisch begründetem Ausschluss ausgemacht wird. Dennoch gilt, dass Jacobi das Argument fälschlich in Anwendung gebrachter Kategorien und insbesondere der Kausalkategorie nicht gebraucht. Er gebraucht es weder in der Kant-Beilage selbst noch in seiner früheren, auf das Problem erstmals hinweisenden brieflichen Notiz an Goethe.15 Auch in den späteren Texten, die an verschiedenen Stellen stets wieder um das Ding an sich kreisen, spielt es durchaus keine Rolle. Und selbst noch die Überlegung, dass der viel beschworenen »geistreichen« Manier zufolge das KausalitätsarguSchulze 1996, 184. Kant zufolge, so Jacobi im Brief an Goethe vom 13./14.12.1785, haben »wir nur Erscheinungen […] von – Nichts, das er Etwas nennt. – Ich gebe Dir hiemit den Schlüßel zu dem ganzen System, und seinen wahren Kern, den Kant selbst noch nicht gekostet hat.« (JBW I,4, 277) 14
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ment von Jacobi ja wenigstens angedeutet sein könnte, um es Schulze zu profilierterem Gebrauch zu überlassen, führt hier nicht weiter, insofern man gerade Jacobi in Sachen Kausalität nicht erst zu philosophischem Bewusstsein zu bringen braucht. Immerhin präsentiert er die Kant-Beilage im Anhang eines Textes, in dem die Frage nach Ursache, Grund und Kausalität den Mittelpunkt seiner eigenen Reflexionen bildet. Damit steht man nun jedoch vor einem brisanten Befund. Wenn es nämlich so ist, dass die Kritik am Ding an sich den systematischen Übergang zum nachkantischen Idealismus ganz wesentlich motiviert hat, und wenn zweitens die Triftigkeit, mindestens aber die Durchschlagskraft dieser Kritik nach der Windelbandschen Version am Argument der fälschlich in Anwendung gebrachten Kausalitätskategorie hängt, eben dieses Argument drittens aber von Jacobi selbst gar nicht ins Feld geführt wird: was bedeutet das hinsichtlich seines Einflusses auf die Philosophie nach Kant? Heißt das, dass schon Fichte dem »hellsten Denker« der Zeit eine Einsicht unterstellt hat, für die er in Wahrheit einzig und allein Schulze hätte preisen dürfen? Oder zeigt sich der maßgebliche Einfluss Jacobis geradenwegs umgekehrt genau darin, dass Fichte selber zwischen den Versionen Jacobis und Schulzes noch zu unterscheiden wusste? In der Tat fällt auf, dass Fichte das Kausalitätsargument in der Zweiten Einleitung keineswegs Jacobi, sondern eindeutig Schulze zuschreibt. Der nämlich habe die »arge Inconsequenz«, mit der Kant, »die GrundBehauptung seines Systems über die Gültigkeit der Kategorieen überhaupt für diesesmal« vergessend, »durch einen beherzten Schluß aus der Welt der Erscheinungen heraus, bei dem an sich außer uns befindlichen Dinge« angelangt sei, »vernehmlich genug gerügt«.16 Das klingt nun überdies recht ironisch, und dem darf man wohl entnehmen, dass Fichte von dieser Rüge gar nicht sonderlich beeindruckt ist: ein Umstand, der Jacobis anders angelegte Version schon einmal in Vorteil setzt. Wirklich gewonnen ist damit jedoch noch nicht viel. Denn einen Widerspruch bei Kant rügt Jacobi auf seine Weise schließlich auch. Genau den aber scheint Fichte schlicht zu ignorieren, wenn seine uneingeschränkte Anerkennung dem Nach-
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GA I,4, 235f. Kant – Jacobi – Fichte
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weis Jacobis gilt, dass »Kant von einem vom Ich verschiedenen Etwas nichts wisse«.17 Heißt das, dass Jacobis Einfluss doch nur, wenn auch anders als eben gedacht, auf ein äußerliches Missverständnis zusammenschrumpft, das Fichte aus strategischen Zwecken kultiviert? Nun habe ich die Lage bewusst zugespitzt: nicht um die These von Jacobis substantieller Präsenz hinterrücks zu torpedieren, sondern um zu bekräftigen, dass die Komplexität der Sache eine gründlichere Nachfrage verlangt. Dabei haben sich die Hinsichten einer solchen Nachfrage unterdessen geschärft. Zu rekonstruieren ist erstens, was denn Jacobi im Kontrast zur Argumentation Schulzes als Problem des Dings an sich exponiert. Und zu zeigen ist vor diesem Hintergrund zweitens, inwiefern sich an genau dieser Exposition das programmatische Selbstverständnis der Wissenschaftslehre bildet.
III. »Ich glaube, […] daß der Kantische Philosoph den Geist seines Systems ganz verläßt, wenn er von den Gegenständen sagt, daß sie Eindrücke auf die Sinne machen, dadurch Empfindungen erregen, und auf diese Weise Vorstellungen zuwege bringen« (DH: JWA 2,1, 108). Das ist das Problem, das Jacobis Text wie ein roter Faden, wie eine wiederkehrende Formel geradezu durchzieht (DH: JWA 2,1, 109, 110 f.). Der »Geist des Systems« verträgt sich nicht mit der These, dass Gegenstände uns ursprünglich affizieren. Was damit gemeint ist, gilt es im Weiteren zu prüfen. Zunächst aber ist es unverzichtbar, sich über die komplizierte Strategie des Textes zu verständigen, die Jacobi als den raffinierten Autor ausweist, der er in der Tat ist. Um es in Gestalt einer Frage zu formulieren: Ist der »Kantische Philosoph«, von dessen Affektionstheorie hier die Rede ist, identisch mit Kant? So verwirrend diese Frage auf Anhieb klingt, so verwirrend ist die Antwort, die man Jacobi zufolge darauf geben muss: Er ist es nicht und ist es doch. Inwiefern er es nicht ist und gar nicht sein kann, beleuchtet der Auftakt der Beilage. Denn gleich der erste Satz notiert, dass der
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GA I,4, 235. Leitmotive
»transscendentale oder kritische Idealismus, auf welchen die Kantische Critik der reinen Vernunft gebaut ist, […] von einigen Beförderern der Kantischen Philosophie nicht sorgfältig genug behandelt« wird (DH: JWA, 2,1, 103). Nicht Kants eigene Philosophie ist demnach das Problem, sondern deren Darstellung durch ihre Interpreten. Gerade weil an weitmöglicher Verbreitung interessiert, befördern sie nicht etwa die Sache, sondern ihren »Mißverstand«, und zwar in genau dem Maße, wie sie den abschreckenden »Vorwurf des Idealismus« fürchten (DH: JWA 2,1, 103). Umso wichtiger ist, die Diskrepanz zu vermerken, die zwischen diesen furchtsamen Interpreten und der Textvorlage selbst besteht. Sie nämlich »erklärt sich entscheidend genug« (DH: JWA 2,1, 104): in der Kritik des vierten Paralogismus, aus der anschließend über Seiten hinweg zitiert wird. Darüber, wen Jacobi mit dem »Kantischen Philosophen« im Auge hat, insofern er zu den beschriebenen »Beförderern« Kants zählt, kann man Vermutungen anstellen.18 Wesentlich ist in jedem Fall, dass er in den gerade beginnenden Kant-Diskurs mit derselben intellektuellen Schärfe eingreift wie in die laufende Spinoza-Debatte, die ebenfalls durch Verharmlosung der eigentlichen Problem- und Theorielage geprägt ist. Im Falle Kants durch das Schreckwort »Idealismus« indiziert, kommt es im Gegenzug darauf an, den Text vor seiner gefälligen Deutung in Schutz zu nehmen. Und insofern das wiederum die Frage nach seiner zureichenden Lektüre impliziert, ist Der Königsberger Hofprediger Johann Schultz ist ein plausibler Kandidat. Dessen Erläuterungen über des Herrn Professor Kant Critik der reinen Vernunft (Königsberg 1784; 2. Aufl. Frankfurt/Leipzig 1791) besaß Jacobi in der Erstauflage in seiner Bibliothek (vgl. hier als einschlägige Referenzstellen v.a. 203–205); der Name Schultz’ fällt überdies im Briefwechsel mit Hamann häufig. Auf Schultz bezieht sich im Übrigen Fichte später ausdrücklich (vgl. GA I,4, 234): womit die Konjektur zugleich den Faden einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit den »Kantianern« an die Hand geben könnte. Auf den ursprünglichen Hintergrund der Debatte verweisen insbesondere zwei Briefe Jacobis an Hamann (04.09.1786 u. 14.11.1786), aus denen hervorgeht, dass sein Vorhaben, das idealistische Profil der Kantischen Philosophie herauszustellen, in Reaktion auf zeitgenössische Rezensionen der Spinozabriefe erfolgt, in denen Jacobi von kantianischer Seite bedeutet worden war, dass seine Version des »Glaubens« bestenfalls wiederhole, was man ohnehin bei Kant finde, ansonsten aber ins Abseits führe. »Mich ärgert an seinen Auslegern das geflißentliche Verstecken des Idealismus, der doch die Seele des Systems ist.« (Brief an Hamann, 14.11.1786, JBW I,5, 411) 18
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die Auskunft Jacobis eindeutig. Anstatt die Schrittfolge der Kritik der reinen Vernunft zu reproduzieren und folglich mit der Affektion zu beginnen, erschließt sich der »Geist« des transzendentalen Idealismus umgekehrt dann, wenn man den Text vom Ende her liest. Nun besagt ja auch das Argument eines fälschlichen Kategoriengebrauchs, dass man die »Prämissen« im Lichte der »Resultate« lesen muss. Höchst aufschlussreich ist deshalb, dass der Gang Jacobis nicht, wie dieses Argument nahelegt, mit den »Resultaten« der Analytik, sondern wie erwähnt mit der Kritik des vierten Paralogismus und damit mit dem Stück beginnt, in dem Kant selbst sein Konzept des transzendentalen Idealismus erläutert, und zwar unter dem ausdrücklichen Hinweis darauf, eben so habe er es von Anfang an gemeint. Dass Jacobi diese Erläuterungen dann ausführlich zu Wort kommen lässt, entspricht seiner Lektüreempfehlung offenkundig genau. Und insofern wundert es auch nicht, dass Fichte in seiner analogen Debatte mit dem »Kantianismus der Kantianer« 19 gerade diesem Verfahren größte Anerkennung zollt. Die »entscheidendsten und in die Augen springendsten Aeußerungen Kants über diesen Punkt« habe Jacobi »mit den eigenen Worten desselben, angeführt und zusammengestellt«: »Ich mag, was schon gethan ist, und was sich nicht füglich besser thun lässt, nicht noch einmal thun«.20 In der Tat ist Jacobis Kant-Präsentation ebenso sprechend wie textlich korrekt. Bei genauerem Hinsehen fällt allerdings auf, dass er den Text doch nicht nur zitiert, sondern in dessen Wiedergabe durch Hervorhebung gewisse Markierungen einträgt, die für den Fortgang der Sache Signalwirkung haben. Darauf komme ich zurück. Für jetzt sei nur notiert, dass Jacobi die Aufmerksamkeit auf das von Kant hier vorgestellte Bündnis zwischen transzendentalem Idealismus und empirischem Realismus lenkt, und dass eben dieses Bündnis dann aus noch näher zu bezeichnenden Gründen zwingend nahelegt, den »Geist« der Kantischen Philosophie für inkompatibel mit der Behauptung des »Kantischen Philosophen« zu halten, für den es Gegenstände gibt, die »Eindrücke auf die Sinne machen«. Und dennoch hat die Sache damit nicht ihr Bewenden. Mit der Kritik an einer unsinnigen Kant-Interpretation, hinter der der wahre 19 20
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GA I,4, 237. GA I,4, 235. Leitmotive
Kant zum Vorschein käme, ist es hier nicht getan. Im Gegenteil: das Problem, das sich mit der Behauptung affizierender Gegenstände stellt, steckt tatsächlich, so Jacobi weiter, in der Anlage der Kantischen Theorie selber, insofern »sich doch nicht wohl ersehen [läßt], wie ohne diese Voraussetzung, auch die Kantische Philosophie zu sich selbst den Eingang finden, und zu irgend einem Vortrage ihres Lehrbegriffs gelangen könne« (DH: JWA 2,1, 109). Dass sich die Debatte hier, aber auch erst hier, zur immanenten Kritik an Kant verdichtet, liegt auf der Hand. Mit Rücksicht darauf, dass und wie Jacobi vor der Folie des sich gerade formierenden Kantianismus zu seiner Kant-Kritik gelangt, ist nun aber auch umso deutlicher zu sehen, was seine Lektüre von den dann im Frühidealismus um sich greifenden Optionen unterscheidet. Instigiert von Jacobis Diagnose, dass die Affektionstheorie ein Fremdkörper in der Transzendentalphilosophie sei, zögert etwa Fichte nicht, diesen Fremdkörper nun vollständig auf dem Konto des Kantianismus, der »abenteuerliche[n] Zusammensetzung des gröbsten Dogmatismus, der Dinge an sich Eindrücke in uns machen läßt, und des entschiedensten Idealismus«,21 zu verrechnen, während sein eigenes System als dasjenige vorgestellt wird, das Kant selber sich in Wahrheit »gedacht habe«.22 Demgegenüber nimmt Jacobi den Kantischen Text bis zuletzt beim Wort. Wie »zuwider« (DH: JWA 2,1, 109) auch immer also die Behauptung affizierender Gegenstände dem »Geist« der Kantischen Philosophie sein mag, so hat man es doch mit einer wesentlichen Voraussetzung zu tun, die nach Lage der Dinge weder weg- noch umzuinterpretieren ist. Anders als in den idealistischen Versionen führt demnach Jacobi zufolge mit Kant kein Weg aus »Kants Zwiespalt mit sich selbst« heraus (vgl. GD: JWA 3, 88).23 Und nur so spitzt sich schließlich die strategische Positionierung seines Textes zu. Adressiert an die »Beförderer der Kantischen Philosophie«, geht es erstens darum, sie einer
GA I,4, 237. GA I,4, 230. 23 Symptomatischerweise wird jetzt, nachdem die idealistische Philosophie das Feld mit Macht erobert hat, in Umkehrung des Topos mit der »Verschiedenheit des Geistes seiner Lehre von ihrem Buchstaben« (ebd.) der buchstäblich unvermeidliche Einsatzpunkt der nachkantischen Philosophie wie auch die unaufhebbare Differenz im Geiste zwischen Kant und seinen Nachfolgern bezeichnet. 21 22
Kant – Jacobi – Fichte
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Problemblindheit zu überführen, die zugleich auf einen blinden Fleck in Kants eigener Konzeption verweist. Konsequenterweise folgt daraus zweitens dann die Aufforderung am Schluss: Wer unter den bezeichneten Umständen »Bekenner« (DH: JWA 2,1, 112) des transzendentalen Idealismus dennoch bleiben will, der kann ein Kantianer nun gerade nicht mehr bleiben. Stattdessen muss er eine unerhört neue Theorieform in Aussicht nehmen: den »kräftigsten Idealismus, der je gelehrt worden ist« (DH: JWA 2,1, 112).
IV. Die interne Logik der Transzendentalphilosophie gegen den »Kantischen Philosophen« zu vollstrecken, ist das eine; festzustellen, was bei Kant selbst den Vollzug dieser Logik aufhält, das andere. Jacobi identifiziert dieses widerständige Moment in der Sinnlichkeit. Dass man ohne die Voraussetzung affizierender Gegenstände »in das System nicht hineinkommen« kann, zeigt sich eben hier: »Denn gleich das Wort Sinnlichkeit ist ohne alle Bedeutung, wenn nicht ein distinctes reales Medium zwischen Realem und Realem, ein würkliches Mittel von Etwas zu Etwas darunter verstanden werden, und in seinem Begriffe, die Begriffe von aussereinander und verknüpft seyn, von Thun und Leiden, von Causalität und Dependenz, als realer und objectiver Bestimmungen schon enthalten seyn sollen; und zwar dergestalt enthalten, daß die absolute Allgemeinheit und Nothwendigkeit dieser Begriffe als frühere Voraussetzung zugleich mit gegeben sey.« (DH: JWA 2,1, 109 f.) Welcher Terminus in diesem Passus der entscheidende ist, ist klar. Kants Rede von der Sinnlichkeit als irgend bedeutungsvolle Rede beim Wort zu nehmen, mithin die These ernstzunehmen, »daß es zwei Stämme der menschlichen Erkenntnis« gibt,24 dass Sinnlichkeit als einer dieser Stämme die »Fähigkeit (Rezeptivität)« ist, »Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen«, und dass schließlich »Empfindung« die »Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, so fern wir von dem-
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KrV, A 15. Leitmotive
selben affiziert werden«, ist:25 das heißt, dass sowohl die Sinnlichkeit selbst als auch die in diesem Medium aufeinander bezogenen Seiten des Gegenstandes und des affizierten Subjekts als auch die in dieser Beziehung enthaltene Bestimmung der Kausalität in einem emphatischen Sinne als real gekennzeichnet werden müssen. Auf die strukturelle Eigentümlichkeit dieses Sachverhalts gehe ich später genauer ein. Festzuhalten ist zunächst, dass Jacobis Verständigung über die Affektion als dergestalt ursprüngliche Konfrontation mit Realem die ausschlaggebende Basis dafür ist, in ihr nun diejenige Voraussetzung zu sehen, die sich unter den Bedingungen des transzendentalen Idealismus nicht halten lässt. Umgekehrt formuliert: Gäbe es irgendwelche Anhaltspunkte dafür, Jacobis Verständigung für eine Unterstellung zu nehmen, die Kants Eingangsbestimmungen de facto nicht trifft, dann – und nur dann – fiele die Triftigkeit seiner Widerspruchs-Diagnose allerdings dahin. Indessen halte ich einen solchen Einwand für hypothetisch. Denn selbst wenn man zugibt, dass eine mehr als zweihundert Jahre währende Geschichte der Kant-Exegese es hier bislang nicht zu definitiver Klarheit gebracht hat,26 so wäre ja gerade so der Beleg für Jacobis Probleminventivität bereits geliefert. Damit verbunden aber kann man außerdem vermerken, dass er sich mit seiner Deutung bis heute in der gewichtigen Gesellschaft all derer befindet, die, sofern sie die Überzeugungskraft des vermeintlich von ihm stammenden Arguments eines fälschlichen Kategoriengebrauchs bei Kant bestreiten, doch nie in Abrede stellen, dass Kants Eingangsbehauptung affizierender Gegenstände identisch sein muss mit der Behauptung einer realen Affektion durch reale Dinge an sich.27 In der Tat ist schwer zu sehen, welch anderen Reim als diesen man sich auf eine Vielzahl von Textstellen in der Kritik der reinen Vernunft und nicht zuletzt auch auf die einschlägigen Passagen in den Prolegomena machen soll, wo von
KrV, A 19f. Vgl. auch den Beginn der Einleitung KrV, B 1. Vgl. Pogge 1991, 489f. 27 Vgl. insbes. Baumanns 1997, 188, mit der nachdrücklich, nicht zuletzt gegen fichteanisierende Interpretationen vertretenen, aber auch gegen jeden Zweifel an ihrer Konsistenz bei Kant sich immunisierenden These von der »absolute[n] Zentralität des Seins«. 25
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der »Existenz« der Dinge, die wir nur ihrer »Erscheinung« nach kennen, völlig selbstverständlich ausgegangen wird.28 Im Übrigen liegt ja diese Lesart auch dem Argument Schulzes zugrunde. Und so mag es oberflächlich betrachtet vielleicht auch so scheinen, als deute insbesondere der eben zitierte Passus auf dieses Argument voraus.29 Die wesentliche Differenz beider Analysen kann man jedoch in einem ersten Zugriff schon umreißen. Kant eine missbräuchliche Anwendung der Kategorien über das Gebiet der Erscheinungen hinaus zu unterstellen, bedeutet nämlich, den Theorierahmen der transzendentalen Reflexion vorauszusetzen und zugleich zu behaupten, dass Kant sich mittels einer Verobjektivierung eben dieses Rahmens eine Dimension erschlossen habe, in die er unter den Restriktionsbedingungen seiner Theorie nicht hätte vordringen dürfen. Jacobi hingegen kommt es auf etwas ganz anderes an. Unverzichtbar und zugleich unhaltbar ist die Voraussetzung affizierender Gegenstände hier nicht deshalb, weil sie sich einer fälschlichen Überdehnung des Theorierahmens verdankte, sondern deshalb, weil sie in einen theoriefremden Hohlraum fällt, den Kant sich mit den Mitteln des transzendentalen Idealismus in gar keiner Weise aneignen kann. Nicht dass Kant sich wirkende Dinge als Ursache der Erscheinungswelt erschlossen hätte, was er nicht dürfte, ist der Punkt, sondern dass die Prämisse seines Unternehmens aus dem Vollzug dieses Unternehmens als vollständig unaufklärbar herausfällt. Notiert man das, dann zeichnet sich ab, dass Jacobis Analyse ungleich radikaler angelegt ist als diejenige Schulzes, die letztlich nur eine typisch skeptizistische Denkfigur gegen Kant in Stellung bringt.30 Zur genaueren Explikation empfiehlt es sich nun, den Blick zunächst wiederum auf den Anfang der Beilage, auf die Auszüge aus der Kritik des vierten Paralogismus zu richten. Dass Jacobi diesen Text korrekt zitiert, gleichzeitig aber mit Markierungen versieht, hatte ich Kant, Prolegomena, AA IV, § 13, Anmerkung III. 29 Sind es doch die mit der Sinnlichkeit supponierten realen Strukturen, »welche sich auf keine Art und Weise mit der Kantischen Philosophie vereinigen lassen, da diese durchaus damit umgeht zu beweisen: dass sowohl die Gegenstände als ihre Verhältnisse blos subjective Wesen, bloße Bestimmungen unseres eigenen Selbstes, und ganz und gar nicht ausser uns vorhanden sind« (DH: JWA 2,1, 109f.). Vgl. KrV, A 129 und 378. 30 Schulze 1996, 183ff. 28
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Leitmotive
schon erwähnt, und auf diesen aufschlussreichen Befund ist jetzt zurückzukommen. Zur Kenntnis nehmend, wie Kant die Verträglichkeit von transzendentalem Idealismus und empirischem Realismus begründet, wird allem voran herausgestellt, unter welchen Bedingungen dieses, die Überzeugung von der Existenz der Außenwelt durchaus affirmierende Bündnis zustande kommt: »Nur« um eine »Art Vorstellungen (Anschauungen)« handelt es sich nämlich dann, »welche äusserlich heissen, nicht, als ob sie sich auf an sich selbst äussere Gegenstände bezögen, sondern weil sie Wahrnehmungen auf den Raum beziehen, in welchem alles aussereinander, er selbst, der Raum, aber in uns ist« (DH: JWA 2,1, 104).31 Diese Unterscheidung fällt, wie Kant weiter expliziert, mit der Bemühung zusammen, den »Ausdruck: ausser uns« von seiner ihm anhaftenden »Zweydeutigkeit« zu befreien, »indem er bald etwas bedeutet, was als Ding an sich selbst von uns unterschieden existiert, bald was blos zur äusseren Erscheinung gehört« (DH: JWA 2,1, 105).32 Da es allein um die letztere Bedeutung zu tun ist, sollen der transzendentalen Sprachregelung entsprechend »empirisch äusserliche Gegenstände dadurch von denen, die so im Transscendentalen Sinne heissen möchten«, unterschieden sein, »daß wir sie […] gerade zu Dinge nennen, die im Raume anzutreffen sind« (DH: JWA 2,1, 105).33 Worauf Jacobi mit seiner ersten Markierung zielt, ist somit deutlich: Auf die Trennung zwischen Dingen an sich und Erscheinung rekurrierend, vertragen sich transzendentaler Idealismus und empirischer Realismus in genau dem Maße, wie die Bezugnahme auf eine subjektunabhängige Außenwelt transformiert wird in die Bezugnahme auf eine in der Anschauungsform des Raumes äußerlich vorgestellte Welt.34 Hinsichtlich der Gegenstandsverfasstheit dieser Welt spielt die Frage, ob und wie sie ihrerseits in einer Relation zu dem steht, »was als Ding an sich selbst von uns unterschieden existiert«, keine Rolle. Gibt es denn aber über diese Relation etwas zu sagen? Wie eben schon mit den Gegenständen, die so »im Transscendentalen Sinne Vgl. KrV, A 370. Vgl. KrV, A 373. 33 Vgl. KrV, A 373. 34 Jacobi markiert entsprechend auch alle Passagen, in denen von »Vorstellung« gesprochen wird. 31
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Kant – Jacobi – Fichte
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heissen möchten«, in den Blick gerückt ist, setzt an diesem Punkt nun die andere, noch wichtigere Reihe der Textmarkierungen Jacobis ein. »Nun kann man zwar einräumen«, so die einschlägig gekennzeichnete Auskunft Kants, »daß von unseren äusseren Anschauungen etwas, was im Transscendentalen Sinne außer uns seyn mag, die Ursache sey, aber dieses ist nicht der Gegenstand, den wir unter den Vorstellungen der Materie und cörperlicher Dinge verstehen; denn diese sind lediglich Erscheinungen, d.i., bloße Vorstellungsarten, die sich jederzeit nur in uns befinden […]. Der Transscendentale Gegenstand ist, sowohl in Ansehung der inneren als äusseren Anschauung, gleich unbekannt.« (DH: JWA 2,1, 104 f.)35 Dass das Ding an sich, hier der »Transzendentale Gegenstand« oder das »Transscendentale Object« genannt, gänzlich unbekannt, »ein uns unbekannter Grund der Erscheinungen« sei (DH: JWA 2,1, 106),36 hatte Kant mit Beginn der Transzendentalen Ästhetik versichert. Jacobi indessen unterstreicht, dass hier nun überdies unter die explizite Kautele eines Es-mag-sein fällt, ob man es, die Unbekanntheit vorausgesetzt, mit einer subjektexternen Ursache der äußeren Anschauungen überhaupt zu tun hat. Er unterstreicht dies klarerweise deshalb, weil sich für das Bündnis aus transzendentalem Idealismus und empirischem Realismus zusammen mit der Restriktion des »außer uns« auf die äußere Anschauungsform des Raumes dergestalt die Folgerung ergibt, dass so etwas wie die Vergewisserung eines realen, von uns unabhängig existierenden Seins weder unter empirischen noch unter transzendentalen Vorzeichen erbracht werden kann. Dementsprechend ist es gewiss kein Zufall, aber auch keine Irreführung des Lesers, dass in Jacobis Auszug die der Wahrnehmung gewidmeten Passagen fehlen, in denen Kant das allfällig dazugehörende Stück, den Stoff nämlich, traktiert, um das damit vermeinte »Wirkliche im Raume« den Bedingungen des empirischen Realismus gemäß mit dem bezeichnenden, an die Erörterung der Modalkategorien anschließenden Satz zu fassen, dass die äußere Wahrnehmung »das Wirkliche selbst« ist.37
Vgl. KrV, A 372. Vgl. KrV, A 380. 37 KrV, A 375. Tatsächlich hat Jacobi diesen Sachverhalt nicht ignoriert. An späterer Stelle seines Textes notiert er vielmehr, dass »alle Gegenstände der Er35
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Leitmotive
Wenn dies nun aber das Profil des transzendentalen Idealismus ist, für den »wir uns«, so Kant, »schon im Anfange erklärt« haben:38 wie steht es dann um die These, dass Gegenstände uns affizieren? Solche Gegenstände müssten, in Erinnerung an das vorhin über die Sinnlichkeit Gesagte, eine Realität darstellen, die in der subjektiven Konstitutionsleistung nicht aufgeht. Der von Kant selbst explizierte »Lehrbegriff« (DH: JWA 2,1, 108) jedoch bietet nicht die geringste Handhabe, eine solche Realität zu thematisieren. Diese Unmöglichkeit, die Voraussetzung Kants mit dessen eigenen Mitteln rückwirkend einzuholen, spielt Jacobi in vier Schritten durch. Danach können die als affizierend behaupteten Gegenstände erstens nicht identisch mit dem empirischen Gegenstand sein, insofern es sich hier bereits um die Objekte der Erscheinungswelt handelt (DH: JWA 2,1, 108). In Frage kommen aber auch nicht zweitens der »transscendentale Gegenstand« und drittens die »Vorstellung vom Gegenstande = X« (DH: JWA 2,1, 108 f.). Von Kant selbst induziert, mag diese Feststellung terminologisch besehen leicht verwirrend sein; in dem von Jacobi präsentierten Kontext ist sie sachlich indes präzise zu entziffern. So ist mit der »Vorstellung vom Gegenstand = X« eindeutig der Sachverhalt gemeint, von dem Kant in der A-Deduktion, hier unter der Benennung eines »transzendentalen Gegenstands«, spricht und damit den der Einheit der Apperzeption korrespondierenden Gedanken der Einheit von Gegenständlichkeit überhaupt kennzeichnet, der als solcher der Konstitution eines empirischen Objekts jederzeit zugrunde liegt.39 Davon zu unterscheiden ist jedoch, was im Ausgang von Kants Redeweise in der Kritik des vierten Paralogismus bei Jacobi durchgehend als »transzendentaler Gegenstand« firmiert. Seiner Aussage zufolge, wonach es sich hier »höchstens« um einen »problematische[n] Begriff« handelt, »welcher auf der ganz subjectiven, unserer eigenthümlichen Sinnlichkeit allein zugehörigen Form unseres Denkens beruht« (DH: JWA 2,1, 108), ist klar, dass damit das Noumenon aus den einschlägigen Schlusskapiteln der Analytik ins Auge gefasst ist. Die äußerst diffizile fahrung bloße Erscheinungen sind, deren Materie und realer Inhalt durch und durch nichts anders, als unsere eigene Empfindung ist« (JWA 2,1, 110). 38 KrV, A 370. 39 KrV, A 104ff. Vgl. dazu das wörtliche Zitat Jacobis DH: JWA 2,1, 108. Kant – Jacobi – Fichte
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Differenz, die Kant im Gang seiner Reflexionen unter ein und demselben Terminus gewahrt wissen will,40 ist Jacobi demnach nicht entgangen. Was aber die darauf bezogene Diagnose betrifft, dass beide Fälle transzendentaler Gegenstands-Konzeption ebenso wenig wie der empirische Gegenstand geeignet sind, die Voraussetzung affizierender Dinge zu treffen, so versteht sich dies im Falle des X als »gänzlich unbestimmte[n] Gedanken[s] von etwas überhaupt« 41 zweifellos von selbst. Im Falle des Noumenon hingegen erweist sich die Sache als brisant. Als brisant deshalb, weil Kant hier selber den Gedanken einer solchen Voraussetzung thematisiert und ihn dabei nun in der Tat buchstäblich als einen Gedanken behandelt, den der Verstand, der »Einschränkung unserer Sinnlichkeit« entsprechend, denkt. Der Verstand denkt sich demnach also »einen Gegenstand an sich selbst, aber nur als transzendentales Objekt, das die Ursache der Erscheinung (mithin selbst nicht Erscheinung) ist, und weder als Größe, noch als Realität, noch als Substanz etc. gedacht werden kann […]; wovon also völlig unbekannt ist, ob es in uns, oder auch außer uns anzutreffen sei, ob es mit der Sinnlichkeit zugleich aufgehoben werden, oder, wenn wir jene wegnehmen, noch übrig bleiben würde«.42 Mit anderen Worten: Wenn Jacobi unterstreicht, dass der Begriff des »transzendentalen Gegenstandes« in Gestalt des Noumenon nach Kants eigener These als ein »problematischer Begriff« 43 gefasst werden muss, der auf der »ganz subjektiven Form unseres Denkens beruht«, dann unterstreicht er mit Bezug auf das Amphibolienkapitel44 eben die Struktur, die er in seinem Auszug aus der Kritik des vierten Paralogismus mit der Kautele des Es-mag-sein bereits markiert hatte (vgl. DH: JWA 2,1, 109 f.). Und in dieser Kautele liegt, wie sich neuerlich und jetzt umso manifester zeigt, eben nicht allein, dass der Verstand den von Vgl. dazu insbes. auch die Passagen KrV, A 250ff. Mit Bezug auf dieselben Textstellen, die auch Jacobi heranzieht, hat Allison 1968 die Differenz der Hinsichten erörtert. Allerdings wird hier dem als Ursache gedachten transzendentalen Gegenstand ein »existential claim« zugeordnet, was sich Jacobi zufolge erübrigt. 41 KrV, A 253. 42 KrV, A 287f. 43 KrV, A 254, 287. 44 Vgl. das wörtliche Zitat des eben wiedergegebenen Kant-Passus mit wiederum sprechenden Markierungen in JWA 2,1, 276 Anm. 40
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ihm als »Ursache der Erscheinung« gedachten Gegenstand in seinem Wie-Sein nicht ausweisen kann. Insofern die Logik eines »problematischen Begriffs« nicht mehr und nicht weniger als seine Widerspruchsfreiheit, mithin nur die logische Möglichkeit seiner Denkbarkeit impliziert, liegt in der Kautele des Es-mag-sein vielmehr begründet, dass die Realität selbst des als subjektexterne Ursache gedachten Gegenstandes unmöglich zu verifizieren ist. Ob also »in uns oder auch ausser uns« – im Horizont des Denkens bleibt der Punkt, »wo diese Ursache, und von was Art ihre Beziehung auf die Würkung sey«, unvermeidlich »in der tiefsten Dunkelheit verborgen« (DH: JWA 2,1, 110). Anders, so kann man hinzufügen, kann es in einer »bloßen Analytik des reinen Verstandes«, der »der stolze Name einer Ontologie« Platz machen muss,45 auch nicht sein. Indessen enthält die Feststellung, dass sich das Gewicht der Argumentation Jacobis in diesem Befund der Kollision eines affektionstheoretisch vorausgesetzten realen Außen mit dem transzendentaltheoretisch dem Verstand zugedachten Gedanken von einer ursächlich wirkenden Realität als einer dann bloß logischen Möglichkeit konzentriert,46 noch eine weitere, das Argument des fälschlichen Kategoriengebrauchs betreffende Pointe. Sofern nämlich dieses Argument nach Windelbands Standardversion Jacobi zugeschrieben und zugleich als ein gehöriges Missverständnis Kants zurückgewiesen wird, beruft man sich stets auf die von Kant getroffene Unterscheidung zwischen Erkennen und Denken.47 Woraus sich ergibt, dass Kant sich einer Anwendung insbesondere der Kategorie der Ursache auf Dinge an sich selbstverständlich in dem Maße nicht schuldig gemacht haben kann, wie er selber im Blick auf das Noumenon ausschließlich den »transzendentalen Gebrauch« der von den Bedingungen der sinnlichen Anschauung abstrahierten und insofern als »rein« bezeichneten Kategorien für zulässig erklärt hat.48 So ist es in KrV, A 247. Vgl. dazu die besonders aufschlussreiche Sequenz in der Vorrede zur zweiten Auflage KrV, B XXVIf. mit der zugehörigen Anmerkung. 46 Vgl. Jacobi, Über das Unternehmen des Kritizismus, die Vernunft zu Verstande zu bringen (1802): JWA 2,1, 276 Anm., wo eine Serie von Exzerpten zu diesem Punkt bekräftigt, dass hier das Zentrum seiner Analyse liegt. 47 Vgl. Herring 1953, 31; Fleischer 1984, 113ff.; Adickes 1924, 49ff.; Willaschek 1998, 339. 48 KrV, A 247f. 45
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der Tat. Zu vermerken ist nur, dass dieser kritisch gegen Jacobi ins Feld geführte Punkt seine Vorlage in gar keiner Weise trifft. Denn nicht allein hat er mit der »Form unseres Denkens« genau die Differenz treffscharf im Auge, die er angeblich übersehen hat. Er zeigt vor allem, dass es ja justament der legitime, dem »Geist« des transzendentalen Idealismus völlig gemäße unschematisierte Kategoriengebrauch ist, der hinsichtlich des Problems der Affektion nicht nur nichts ausrichtet, sondern sie eigentlich untergräbt. Wie verfehlt es tatsächlich ist, Jacobi ein Argument zu unterstellen, das man dann mit Mitteln zu widerlegen sucht, die den kritischen Kern seiner eigenen Argumentation gerade bilden, beleuchtet nun auch noch der vierte und letzte Schritt. Hat sich bislang ergeben, dass weder der empirische Gegenstand noch das unbestimmte Etwas = X noch auch das Noumenon zu fassen erlauben, was der Voraussetzung zufolge ein affizierender Gegenstand wäre, so scheitert daran zuletzt auch noch die ohnehin nur mehr hypothetisch durchgespielte Überlegung, ob wir »zu einem solchen Dinge« womöglich dadurch gelangen, »daß wir uns bey den Vorstellungen die wir Erscheinungen nennen, paßiv fühlen« (DH: JWA 2,1, 111). Zum Scheitern verurteilt ist diese Möglichkeit deshalb, weil sie die Annahme der Empfindung von »Ursache und Würkung im transscendentalen Verstande« – also in einem die Kausalitätskategorie auf ein Jenseits der Erscheinung anwendenden Sinne – implizierte, um dergestalt »auf Dinge ausser uns und ihre nothwendigen Beziehungen auf einander« zu »schließen« (DH: JWA 2,1, 112). Um einen veritablen Schluss von der Wirkung auf eine reale Ursache handelte es sich also dann, der von Jacobi nicht etwa als faktisch unternommen behauptet, dessen Absurdität vielmehr im Konjunktiv hervorgekehrt wird, indem »der ganze transscendentale Idealismus hiemit zu Grunde gienge, und alle Anwendung und Absicht verlöre« (DH: JWA 2,1, 112). Woraus nun insgesamt folgt, dass um der Konsequenz der Theorie willen die Voraussetzung affizierender Gegenstände restlos preisgegeben werden muss. Und was genau heißt das nun? Es bleibt, ausgehend von einem neuerlichen Blick auf die Sinnlichkeit, in der Rekonstruktion des Textes ein Letztes zu bedenken. Auf den entscheidenden Term des Realen hatte ich hier verwiesen. Zu berücksichtigen ist jetzt die in eins damit exponierte Struktur, wonach Sinnlichkeit die Instanz eines medialen Zwischen verkörpert, um so 188
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das »Mittel« zu bilden zwischen der Welt und dem Subjekt, indem sie beide aufeinander bezieht. Dass allein diese mediale Struktur für die ursprüngliche Voraussetzung von Realem einstehen kann, ist Jacobis bedeutsame These. Mit ihr zeigt sich erstens, inwiefern Sinnlichkeit als ein widerständiges Moment in den Theorieraum des transzendentalen Idealismus in der Tat nicht integrierbar ist: Versucht man es, dann sublimiert sich das »Mittel« unweigerlich zur subjektiven Empfindung und mit ihr das Reale zum bloßen Datum in der Anschauungsform des Raumes. Bedeutsam ist die These zweitens, weil sie ab ovo für sinnlos erklärt, umgekehrt nun so etwas wie den Geber des Datums ausgehend von der Empfindung zu erfragen. Das wäre der Schluss von der Wirkung auf die Ursache, den Jacobi Kant demnach nicht nur insofern nicht unterstellt, als die Logik der Transzendentalphilosophie an ihm »zu Grunde ginge«, sondern auch insofern nicht, als er der eigentümlich medialen Logik der Voraussetzung selber widerspräche. Hervorzuheben ist schließlich drittens, was die Identifizierung der Sinnlichkeit mit ihrem »Mittel«-Charakter gleichfalls ausschließt: dass man sich – im Kontrast und in Entsprechung zur reduktiven Konzentration auf das Subjekt – nun unversehens auf die Seite der Gegenstände zu schlagen hätte, um das Reale der Voraussetzung von hier aus zu sichern. Das Fazit aus alledem aber sei viertens benannt. Aus den genannten Strukturmerkmalen ergibt sich nämlich, dass Kants Affektionstheorie genau in dem Maße in einen dem »Geist« des transzendentalen Idealismus fremden Hohlraum fällt, wie man diesen Raum zugleich präzise bestimmen kann. Es ist der, in dem Jacobi seine eigene Position, die eines »eigentliche[n]« oder »entschiedene[n]« Realismus (DH: JWA 2,1, 20, 32) vertritt. Kennzeichen dieses Realismus ist, wie Jacobi sowohl an exponierter Stelle der Beilage als auch im Gespräch über Idealismus und Realismus unmissverständlich klar macht, das Kantische Bündnis aus transzendentalem Idealismus und empirischem Realismus »entschieden« zu transzendieren (DH: JWA 2,1, 106 f., 20 f.). Spezifischerweise kommt es dabei aber auf die Struktur einer Realitätsgewissheit an, die gerade so, wie von Jacobi am medialen Zwischen der Sinnlichkeit aufgewiesen, »inneres Bewußtseyn und äusserliche[n] Gegenstand« instantan, in »demselben untheilbaren Augenblicke« und »ohne irgend eine Operation des Verstandes, ja ohne in diesem Kant – Jacobi – Fichte
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auch nur von ferne die Erzeugung des Begriffes von Ursache und Würkung anzufangen«, umspannt (DH: JWA 2,1, 38). Mit dieser Gleichursprünglichkeit beider Momente, wonach keines ohne das andere und zugleich keines auf das andere rückführbar ist, wird die hier thematische Gewissheit zu einer unmittelbaren Gewissheit, die Jacobi Glaube, sogar eine »wahrhaft wunderbare« »Offenbarung« nennt (DH: JWA 2,1, 33). Als vermeintlich religiös und irrational stehen diese Termini von jeher unter Verdacht. Wie fatal die Kultivierung dieses Missverständnisses jedoch ist, zeigt ein Blick auf Kant, der die hier gemeinte Struktur nämlich selber in Einsatz bringt, indem er die diesseits aller Schlussoperationen angesiedelte »unmittelbare Wahrnehmung« des Wirklichen als das wesentliche Moment des empirischen Realismus hervorhebt.49 Für das Folgende festzuhalten ist mithin erstens, dass es in der Tat eine strukturelle Verwandtschaft zwischen Jacobis »entschiedenem« und Kants empirischem Realismus gibt, angesichts derer sich die Differenz beider als konträrer Positionen allein, aber ausschlaggebend im Verständnis des je unmittelbar vergewisserten »außer uns« niederschlägt. Und das wiederum bedeutet zweitens, just in dieser Differenz auf eine neuerliche Gemeinsamkeit zu stoßen. Insofern Jacobi über die Reichweite des bloß empirischen Realismus hinaus auf die gleichursprüngliche »Offenbarung« subjektunabhängiger Realität zielt, vermag er der ebenso fraglosen wie befremdlichen affektionstheoretischen Voraussetzung Kants einen Sinn abzugewinnen, der sich transzendentalphilosophisch wie gesehen nicht mehr artikulieren lässt.50 Dabei kommt es darauf an, diesen letzteren Punkt genau im Auge zu behalten. Gewiss legt diese, von Jacobi später ausdrücklich angestellte Überlegung nahe, den Punkt, an dem sich seine Analyse zur immanenten Kritik an Kant verdichtet, für identisch zu halten mit dem, an dem zugleich seine eigene Position virulent wird (vgl. DH: JWA 2,1, 391 f.). Aber damit wird selbstverständlich nicht behauptet, dass Kant die realistische Position Jacobis explizit mit ihm geteilt hätte. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall, wie spätestens mit der spezifischen Bestimmung realer Kausalität kenntlich wird, die im medialen Zwischen der Sinnlichkeit, wie Jacobi formuliert, »enthal49 50
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KrV, A 371; vgl. dazu DH: JWA 2,1, 20. Vgl. Zöller 1998. Leitmotive
ten« ist. Dass sich solches Enthaltensein im Ausgang von der Kategorie der Kausalität nicht aufklären lässt, hat sich unterdessen vielfach erwiesen. Jacobis im weiteren Gang des Gesprächs unternommene Überlegung ist denn auch die, den Ursprung des Begriffs der Ursache überhaupt nicht in theoretischen Leistungen, sondern in den praktischen Umständen des Handelns freizulegen, womit er sich bewusst in äußersten Kontrast zur Theorie Kants begibt. Kein theorieintern nachweisbarer Kategorienfehler also, aber auch nicht der externe Zusammenstoß von je als disparat reflektierten Motiven, sondern der Umstand, seine affektionstheoretischen Prämissen einer eigenen Aufklärung nicht für bedürftig gehalten zu haben, lässt das verwirrend widersprüchliche Bild entstehen, das Kants Philosophie der Diagnose Jacobis zufolge bietet. Ein, wie man jetzt sagen kann, aus »entschieden« realistischen und »entschieden« transzendentalidealistischen Komponenten unentschieden zusammengesetztes Bild, dessen Fokus nicht von ungefähr die wiederholte Beteuerung bildet, dass doch »ungereimt« wäre, wenn »Erscheinung ohne etwas wäre, was da erscheint«.51 Dass hier ein noumenales »Nichts« ein reales »Etwas« genannt wird, ohne dass Kant selbst diesen »wahren Kern« gekostet hätte, hatte Jacobi frühzeitig an Goethe geschrieben.52
V. Das Fazit, das Jacobi aus seiner hochdifferenzierten Analyse zieht, drängt auf die Konsequenz eines »spekulativen Egoismus« (DH: JWA 2,1, 112), der dem »Geist« der Theorie entsprechend auf die Voraussetzung von Dingen, »die im transscendentalen Verstande ausser uns wären […] und Beziehungen auf uns haben, die wir auf irgend eine Weise wahrzunehmen im Stande seyn könnten« (DH: JWA 2,1, 112), restlos verzichtet. In eins damit drängt Jacobi aber auch, wie sich mit der Rekonstruktion seines Textes zuletzt ergeben hat, auf eine an dieser Stelle zwar nicht explizit ausgesprochene, aber deutlich erKrV, A 251f., KrV, B XXVIf. Vgl. auch die Einleitung in des Verfassers sämmtliche philosophische Schriften (1815): JWA 2,1, 390f. 51
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kennbare Entscheidung zwischen alternativen Optionen. Denn wer dem Kantischen Dilemma entgehen möchte, kann sich immerhin auch auf dessen andere Seite schlagen und demzufolge die Position eines »entschiedenen Realismus« vertreten. Dies allerdings um den nicht weniger konsequenten Preis, eine erkenntnistheoretische Erklärung der instantanen Realitätsgewissheit bewusst zu stornieren und jegliche Verständigung über die in ihr »enthaltenen« Bestimmungen an eine den praktischen Umständen des Handelns verpflichtete Untersuchung zu verweisen. Dass und wofür sich Fichte nun angesichts dieser Konstellation entschieden hat, versteht sich. Mit seiner schon erwähnten, im Rekurs auf Jacobis »Beweis« formulierten These, dass »Kant von einem vom Ich verschiedenen Etwas nichts wisse«, votiert er klarerweise für die Option des »spekulativen Egoismus«, den die Wissenschaftslehre im konsequenten Ausschluss jeglicher Realität, die unabhängig von den Konditionen absoluter Subjektivität bestünde, zur Darstellung bringt. Wobei sich der Aufwand, den Text Jacobis seiner kolportierten Standardversion entgegen einer gründlichen Verhandlung unterzogen zu haben, jetzt ganz konkret bewährt. Denn, das ist das erste, worauf stützt sich denn Fichtes Überzeugung, dass Jacobi den transzendentalen Idealismus »so richtig« gefasst habe, während er allen anderen Auffassungen bescheinigt, das groteske Zerrbild ihres eigenen »Dogmatismus« für die »angestaunten Entdeckungen des großen Genie« 53 auszugeben? Bis in die Zitate hinein kenntlich, die Fichte Jacobis Text entnimmt,54 fußt seine Anerkennung in der Tat darauf, dass Jacobis Kant-Lektüre weder affirmativ noch kritisch davon zehrt, die Rede von affizierenden Gegenständen auf die Anwendung von Kategorien zurückzuführen, mithin darauf, dass sie stattdessen die Aufmerksamkeit auf den »transzendentalen Gegenstand« als ein Konstrukt des Denkens gelenkt hat. Das ist es, worauf es Fichte ankommt: das Ding an sich ist, als »Noumen« recht verstanden, nichts denn »ein bloßer Gedanke«.55 Und so absurd das Unternehmen von mancherlei »Ausleger[n]« ist, einem Gedanken dann wieder das »Prädicat der Realität« beizu53 54 55
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GA I,4, 237. Vgl. GA I,4, 235. GA I,4, 237. Leitmotive
messen, einen bloßen Gedanken also »auf das Ich einwirken« zu lassen,56 so sehr hat offenkundig umgekehrt Jacobi recht, wenn er solche Operationen Kant nirgends unterstellt. Anders gesagt: Was mit der Differenz zwischen schematisiertem und transzendentalem Kategoriengebrauch regelmäßig gegen Jacobis vermeintliches Argument angeführt wird, ist exakt dasselbe, was Fichte seinerseits gegen die zeitgenössischen »Kantianer« eingewendet hat – mit dem wesentlichen Unterschied allerdings, dass er es ebenso wenig wie Jacobi versäumt, auf den Konsequenzen zu insistieren, die der gedankliche Status des Noumenon mit sich bringt. Soweit liegt die Sache klar. Klar ist aber schließlich auch, dass der Impetus in der Auszeichnung eines »bloßen Gedankens« des Verstandes sich sichtlich je anderen Quellen verdankt. Was Fichte so eindeutig wie bruchlos dem Profil »des entschiedensten Idealismus« zuschreibt, »der alles Seyn nur durch das Denken der Intelligenz entstehen lässt, und von einem andern Seyn gar nichts weiß«,57 eben davon muss man der Diagnose Jacobis zufolge vielmehr sagen, dass solche Entschiedenheit bei Kant selbst keineswegs vorliegt, sondern durch die Annahme affizierender Gegenstände unentschieden konterkariert wird. Bedeutet das, so schon die früher aufgeworfene Frage, dass Fichte beides schlicht übersehen hätte: nämlich sowohl die von Jacobi vermerkte Kollision im Gefüge der Kritik der reinen Vernunft selber als auch dessen eigenen, an dieser Kollision festgemachten realistischen Einspruch? Bei näherem Hinsehen zeigen sich die Dinge anders. Und inwiefern hier nun die programmatische, jedoch nur um den Preis erheblicher Verschiebungen zu habende Pointe Fichtes liegt, will ich zum Schluss in wenigen Zügen umreißen. Den Einstieg bezeichnet seine These, dass das Noumen »von uns, nach nachzuweisenden, und von Kant nachgewiesenen Gesetzen des Denkens, zu der Erscheinung nur hinzu gedacht wird, und nach diesen Gesetzen hinzu gedacht werden muß«.58 Wäre mit dieser These das gemeint, was Jacobi unter der Kautele des Es-mag-sein als die Logik eines »problematischen Begriffs« dargestellt hat, wäre sie unverfänglich. Tatsächlich aber hat Fichte etwas ganz anderes im Sinn. 56 57 58
GA I,4, 237. GA I,4, 237. GA I,4, 236. Kant – Jacobi – Fichte
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Kenntlich wird das spätestens an der Stelle, wo auch er sich nun mit der Rede Kants von affizierenden Gegenständen befasst. Auch diese Diskussion erfolgt im Rekurs auf Jacobis Text. Bezeichnend ist allerdings nicht allein, dass Fichte die Analyse Jacobis, derzufolge keine der innerhalb der transzendentalen Reflexion formulierten Gegenstandsbestimmungen die Eröffnung der Affektionstheorie trifft, souverän übergeht, um sie geradenwegs durch die gegenteilige Behauptung zu ersetzen. Bezeichnend ist vor allem, auf welche Weise er diesen gegenteiligen Nachweis zu erbringen sucht. Ob er es aus übereilter Unachtsamkeit oder aus strategischen Interessen tut, sei hier dahingestellt: Deutlich ist in jedem Fall, dass er das Noumenon mit der »Vorstellung vom Gegenstande = X« stillschweigend identifiziert.59 Konkret heißt das: Was Fichte zitiert, worauf er also seine Argumentation explizit stützt, ist Jacobis Feststellung, dass es der »Verstand ist, […] welcher das Object zu der Erscheinung hinzuthut« (DH: JWA 2,1, 108).60 Dass offenkundig dieser Satz der oben erwähnten Bemerkung über die gesetzliche Denknotwendigkeit des Noumenon zur Vorlage gedient hat, ist unschwer zu erkennen. Ignoriert hat Fichte dabei jedoch die von Jacobi an dieser Stelle sorgfältig markierte Differenz: mit dem Erfolg, dass er die dem Text Kants exakt entsprechende, also auf das unbestimmte X gemünzte Feststellung Jacobis nicht nur mit dem Noumenon gleichsetzt, sondern in eins damit den hier einschlägigen »Begriff [der] Einheit« von Gegenständlichkeit überhaupt (DH: JWA 2,1, 108) der Affektion ihrerseits nun konstitutiv zugrunde legt. Das Objekt, welches der Verstand »zur Erscheinung hinzutut«, transformiert sich dergestalt in den affizierenden Gegenstand selber, von dem jetzt aber natürlich entscheidend gilt, dass er »als afficirend« »nur gedacht« wird.61 Gestützt auf Jacobis Referenz, hat Fichte damit eine Operation inszeniert, für die im Ernst weder Jacobi noch Kant irgendwelche sachlichen Anknüpfungspunkte bieten.62 Immerhin aber hat sie zum
Vgl. vor anderem Hintergrund und ohne Referenz auf Jacobis Kant-Beilage: Prauss 1989, 130f. Anm. 60 Vgl. GA I,4, 240f. 61 GA I,4, 241. 62 Seine faktische Entfernung von Kant hat Fichte anders als in seinen Schriften in einem seiner Briefe an Jacobi durchaus markiert: »Sie sind ja bekanntermaßen 59
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Leitmotive
Ergebnis, dass sich das Problem der Affektion auf diesem Wege in der Tat erledigt. Erledigt nämlich insofern, als sie jetzt nicht mehr in einen theoriefremden Hohlraum fällt – und den »Beförderern der Kantischen Philosophie« Anlass zum »gröbsten Dogmatismus« gibt –, sondern den Konstitutionsbedingungen der »Intelligenz« restlos einverleibt werden kann. Fichte entspricht damit der Aufforderung Jacobis, konsequenterweise auf die Voraussetzung subjektunabhängiger Realität zu verzichten, aber er entspricht ihr so, dass dieser Verzicht nicht einfach auf ihren Wegfall hinausläuft. Der Punkt ist vielmehr der, sie zum Resultat einer denknotwendigen Produktion subjektiver Wissenshandlungen zu erklären, womit sie als Voraussetzung gesetzt wird. Indessen ist damit die Serie der Verschiebungen noch nicht zu Ende und auch die programmatische Pointe Fichtes noch nicht vollends expliziert. Die zweite Verschiebung besteht in der These, dass im Fluchtpunkt der skizzierten Operation zugleich der »Grundstein des Kantischen Realismus« liege.63 Fichte zögert mithin nicht, das von Kant beschriebene und von Jacobi rekapitulierte Bündnis von transzendentalem Idealismus und empirischem Realismus auf seine eigenen Überlegungen abzubilden. Warum er hier nicht zögert, liegt auf der Hand. Denn neben dem stetigen Interesse, das System der Wissenschaftslehre als einzig adäquates Kantverständnis zu legitimieren, kommt es ihm ebenso wie Kant selbst darauf an, die Überzeugung von der Realität der Außenwelt nicht zu missachten. Dass es sich im Verhältnis zu Kant gleichwohl um eine Verschiebung handelt, ist jedoch kaum zu übersehen. Per definitionem auf das Gebiet der Erscheinung eingeschränkt, hat der empirische Realismus Kants den wie immer problematischen Grund der Erscheinung nach wie vor außer sich. Eben diese Disjunktion aber verliert bei Fichte vollständig ihren Sinn. Sie wird in genau dem Maße absorbiert, wie die Konstitution des
Realist, und ich bin ja wohl transcendentaler Idealist, härter als Kant es war: denn bei ihm ist doch noch ein Mannigfaltiges der Erfahrung, zwar mag Gott wissen, wie und woher, gegeben, ich aber behaupte mit dürren Worten, daß selbst dieses von uns durch ein schöpferisches Vermögen producirt werde.« Brief an Jacobi v. 30.08.1795 (JBW I,11, 55). 63 GA I,4, 236 Anm. Vgl. I,4, 243. Kant – Jacobi – Fichte
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empirischen Gegenstands jetzt mit dem als affizierend voraus-gesetzten Gegenstand restlos zusammenfällt.64 Was bedeutet nun aber diese restlose Entschränkung des sogenannten empirischen Realismus? Zweifellos ist sie ein Effekt dessen, was Fichte den »entschiedensten Idealismus« nennt. Womit man sich jedoch unterdessen fast von selbst schon auf die Komplementärbestimmung verwiesen sieht, die Fichte in Wahrheit vor Augen steht. Tatsächlich geht aus seiner auf das Stichwort des »Kantischen Realismus« unmittelbar folgenden Adresse an Jacobi eindeutig hervor, dass das, worum es sich im Gewande des empirischen Realismus eigentlich handelt, nichts anderes als der »entschiedene« Realismus Jacobis ist.65 Eine wiederum offene Frage bleibt, ob Fichte unbewusst oder im Verfolg der von ihm ins Werk gesetzten Operation mit Absicht übersieht, dass man es hier mit zwar strukturell verwandten, der Sache nach aber streng differenten Realismen zu tun hat. Keine Frage ist jedoch, dass mit dieser Überblendung die dritte, nunmehr Jacobi selbst betreffende Verschiebung ins Bild gerückt ist, womit im selben Augenblick die programmatische Pointe seines Unternehmens vollends zum Vorschein kommt. Offenkundig geht es auf der Basis einer, wie sich gezeigt hat, durchaus waghalsigen Rezeption Jacobis wie Kants darum, im Zuge ein und derselben Operation das System der Wissenschaftslehre als das System zu präsentieren, das gerade insofern, als es das »leidige Ding an sich« 66 auf beschriebene Weise entsorgt und damit eine konsistent idealistische KantVersion liefert, die alternativ realistische Position Jacobis instantan in sich zu integrieren erlaubt. Sich für den »spekulativen Egoismus« zu entscheiden, heißt demnach, sich zugleich nicht entscheiden zu müssen. Es genügt, die von Jacobi als strikte Alternative dargestellten Optionen zu einem bloßen »Unterschied« herabzusetzen: zum Unterschied zwischen dem »philosophischen Gesichtspunkt« und dem des »Lebens«, der sich innerhalb des Systems auf völlig verschiedenen Ebenen reali-
Vgl. GA I,2, 62. GA I,4, 236 Anm. Vgl. insbes. den schon erwähnten Brief Fichtes an Jacobi v. 30.08.1795 (JBW I,11, 56). 66 GA I,4, 243. 64 65
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Leitmotive
siert.67 Konnotiert mit der Differenz zwischen Spekulation und Praxis, worin sich wiederum ein Motiv Jacobis spiegelt, bildet das – und keineswegs die Adaption Kantischer Vorgaben allein – den spezifischen Hintergrund für das in der Grundlage formulierte Profil, wonach man den »kritischen Idealismus« der Wissenschaftslehre »auch einen Real-Idealismus, oder einen Ideal-Realismus nennen könnte«.68 Die Details dieses Programms sind hier nicht mehr auszuführen. Wenigstens so viel aber ist gewiss: Es ist eines, im erhofften »Bündniß« mit Jacobi69 nichts Geringeres als eine Integration des »Lebens« ins System anzustrengen. Ein anderes ist es, diese Anstrengung zum Erfolg zu führen. Wie die permanent modifizierten Versuche einer angemessenen Verhältnisbestimmung zeigen, hat dieses Problem Fichte jedenfalls sein Leben lang beunruhigt.
GA I,4, 236 Anm. Vgl. wiederum den zitierten Brief Fichtes an Jacobi (JBW I,11, 56). 68 GA I,2, 412. 69 Vgl. den zitierten Brief an Jacobi (JBW I,11, 56f.). 67
Kant – Jacobi – Fichte
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II. Bezüge
9. Ichheit und Person. Zur Aporie der Wissenschaftslehre in der Debatte zwischen Fichte und Jacobi I. Einleitende Überlegungen Das in der Reihe der Wiener Tagungen zum ›System der Vernunft. Kant und der deutsche Idealismus‹ gestellte Thema ›System und Systemkritik um 1800‹ ist glücklich gewählt. Einzuholen ist damit eine Problematik, die die nachkantische Formation der klassischen deutschen Philosophie durch und durch prägt. Ohne zu übertreiben, gerät man hier am Beginn der eigentlichen Moderne in das initiative Zentrum einer Diskussion hinein, die im 19. und 20. Jahrhundert nicht erst entdeckt, sondern fortgesetzt worden ist, und deren Linien sich bis in die Gegenwart ausziehen lassen.1 Dabei bilden Jacobi, Friedrich Schlegel, Hardenberg und Jean Paul die Reihe derer, die man im oberflächlichen Rekurs auf die Epoche gerne übersieht, sofern man sich vorzugsweise auf die großen Protagonisten Fichte, Schelling und Hegel konzentriert, während man gerade in solcher isolierenden Konzentration auf die erwähnten Protagonisten ebenso leicht aus den Augen verliert, dass sich die Genese und die spezifische Gestalt der von ihnen entworfenen Systeme nicht allein maßgeblich der Aufnahme systemkritischer Motive verdankt. Mehr als das: Im Zuge solcher Aufnahme betreiben sie selber Systemkritik, indem sie einerseits einander attackieren, und zwar nicht in diesem oder jenem einzelnen Punkt als vielmehr hinsichtlich der Grundlagen des Ganzen, und sich zugleich andererseits in diesmal übereinstimmender Kritik nicht nur auf Kant, sondern konstitutiv auch auf Spinoza beziehen als auf die via negationis unverzichtbare Folie ihrer ganzen systemischen Anstrengung. Sieht man die Sache so und stellt dabei ein für alle Mal in Rechnung, dass die Kronersche Titulatur ›Von Kant bis Hegel‹ wirklich der
1
Vgl. dazu Sandkaulen 2006 c. 201
Vergangenheit angehören sollte,2 dann präsentiert sich die Ursprungsszenerie der Systemkritik als außerordentlich komplex. Allen Beteiligten gemeinsam ist die der Logik der Systemkritik schlechthin unabdingbar eingeschriebene Überzeugung, dass das Systemdenken keine beliebige Ausgeburt philosophischer Überforderung ist, die man ebenso gut auch preisgeben könnte. Es steht im Gegenteil als eine ernstzunehmende und nicht zu übersehende Herausforderung im Brennpunkt des Interesses. Wie aber mit dieser Herausforderung umzugehen ist, was genau also der Zusammenhang von System und Systemkritik besagt, dies ist bei den am Diskurs Beteiligten nicht generell vorentschieden, sondern gerade dies setzt heftig geführte ›Streitsachen‹ und mit ihnen eine Reihe verschiedener Typen der Systemkritik frei. In struktureller Kennzeichnung lassen sich drei Modelle unterscheiden. Die radikalste Version stammt von Jacobi, der damit zugleich den Problemkomplex von System und Systemkritik initiativ in die Debatte eingebracht hat. Ursprünglich ausgebildet in der Auseinandersetzung mit Spinozas Ethik und deshalb zunächst unter den bezeichnenden Namen »mein Spinoza und Antispinoza« gerückt (Spin: JWA 1,1, 274), bedeutet der via negationis angezielte Gegenentwurf hier, allem Systemdenken im Kern, das heißt systemverstörend zu widersprechen. Ausdruck solchen Widerspruchs ist der Sprung eines »Salto mortale« der Kierkegaard später nicht zufällig beeindruckt hat.3 Eine zweite Version kennzeichnet die Frühromantik. Vordringlich im Bezug auf das unterdessen von Fichte vorgestellte System der Wissenschaftslehre lassen auch Schlegel und Hardenberg den Systemanspruch keineswegs einfach fallen. Anders als Jacobi insistieren sie aber auch nicht auf dem asystemischen Widerspruch des Sprungs. Sie versuchen vielmehr, wie Schlegels Wort typischerweise deutlich macht, die tödliche Unmöglichkeit, »ein System zu haben, und keins zu haben«, in ihren Gegenentwürfen zu »verbinden«.4 Das hier intendierte Projekt soll demnach beides, System und zugleich NichtJaeschke/Arndt 2012 haben eine neue Gesamtdarstellung der nachkantischen Epoche vorgelegt, in der Jacobi eine maßgebliche Rolle spielt. 3 Vgl. dazu insgesamt Sandkaulen 2000. 4 Schlegel 1988 II, 109. 2
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Bezüge
System sein; es soll, wie Hardenberg in seinen Fichte-Studien formuliert, »Systemlosigkeit, in ein System gebracht« sein.5 Die dritte Version ist von noch einmal ganz anderer Art. Ausgehend von Jacobi stimmen Fichte, Schelling und Hegel in der Orientierung an Spinozas Metaphysik als exemplarischem Entwurf eines philosophischen Systemmodells überein.6 Als affirmative Folie der Systemkritik dient diese Vorlage hier jedoch dem Ziel, »ein Gegenstück zu Spinoza aufzustellen«,7 ein Programm also von solcher Gestalt zu entwerfen, das nicht im asystemischen Widerspruch und auch nicht im Zugleich von System und Nicht-System, sondern im Entwurf eines alternativen Systems sein ausschlaggebendes Interesse hat. Dabei speist sich dieses Interesse aus der Erwartung, auf dem Wege solcher Systemkritik die Gefahr systemkritischer Destruktion erfolgreich zu absorbieren, was offenbar nur dann ins Werk zu setzen ist, wenn man das Potential einschlägig verstörender Motive beachtet und ihm innerhalb des alternativen Systems Rechnung zu tragen sucht. Vor diesem Hintergrund gewinnt die prominente Auseinandersetzung zwischen Fichte und Jacobi ihre spezifische Kontur. Nicht allein aus chronologischen, sondern auch aus sachlichen Gründen ist sie durch eine gewisse Asymmetrie gekennzeichnet, was im Folgenden zu beachten sein wird. Aus der Sicht Jacobis stellt sich die Debatte als strukturelle Wiederholung dar, der zufolge die frühere Antithese »meines Spinoza und Antispinoza« im Kontext der Fichteschen Wissenschaftslehre nunmehr in die Antithese von »Alleinphilosophie« und »Unphilosophie« übersetzt wird (JF: JWA 2,1, 198).8 Diese These einer Wiederholung fundiert und durchzieht den Brief an
Novalis 1978, 200. Vgl. Hegels markante spätere Formulierung, wonach »Spinoza […] Hauptpunkt der modernen Philosophie [ist]: entweder Spinozismus oder keine Philosophie« (Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, TWA 20, 163f.). Vgl. hierzu u.a. Rohs 2004. 7 Schelling, Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen, SW I, 159. 8 Im Brief an Fichte gibt Jacobi auch seine schlagende Definition des in sich geschlossenen Zusammenhangs eines Systems als »Philosophie aus Einem Stück« (JF: JWA, 2,1, 200). Fichte hat diese Formulierung offenbar so beeindruckt, dass er sie bis in die späten Wissenschaftslehren hinein immer wieder für sich adaptiert. Auch bei Schelling findet sich die Formel bis zuletzt. 5
6
Zur Aporie der Wissenschaftslehre
203
Fichte, mit dem Jacobi, anschließend an seine bahnbrechende KantKritik, 1799 in den Gang der nachkantischen Philosophie eingreift und ihren Fortgang unübersehbar mitbestimmt. Demgegenüber besteht das Anliegen Fichtes von Beginn an darin, Jacobis systemkritischen Einwänden innerhalb seines eigenen Systementwurfs Folge zu leisten. Die Probleme, die zum Sprung aus dem System veranlasst haben, sollen sich in dem Maße erübrigen, wie den von Jacobi gegenüber Spinoza reklamierten Anliegen im System der Wissenschaftslehre, das alles Selbst- und Weltverständnis im Entwurf absoluter Subjektivität fundiert, Beachtung und Gerechtigkeit widerfährt. Verbunden mit der offenkundig aufrichtig gehegten Erwartung, mit einem solchen Systemprojekt die Anerkennung und Zustimmung Jacobis zu erlangen,9 trifft Fichte frühzeitig eine Unterscheidung, die seine Sicht der Dinge bis zuletzt orientiert: die Unterscheidung zwischen Idealismus und Realismus oder Spekulation und Leben, von der gilt, dass hier allerdings zwei verschiedene Gesichtspunkte maßgeblich sind, die aber, anstatt das Systemprojekt zu zerbrechen, innerhalb der Wissenschaftslehre begründet, ausdifferenziert und vermittelt werden sollen und können.10 Entscheidend für die im Weiteren zu unternehmende Analyse ist nun, dass Fichte diese Unterscheidung und systemische Integration der beiden genannten Gesichtspunkte ebenfalls von Anfang an mit der Hinsicht auf das Differenzgefälle zwischen dem Gedanken des absoluten Ich und dem Phänomen des Individuums zusammenführt. »Mein absolutes Ich«, so heißt es im Brief an Jacobi vom 30. August 1795, »ist offenbar nicht das Individuum; so haben beleidigte Höflinge und ärgerliche Philosophen mich erklärt, um mir die schändliche Lehre des praktischen Egoismus anzudichten. Aber das Individuum muß aus dem absoluten Ich deducirt werden. Dazu wird die Wissenschaftslehre im Naturrecht ungesäumt schreiten.« 11
Vgl. Fichtes Brief an Jacobi v. 29.09.1794: »Ist irgend ein Denker in Deutschland, mit welchem ich wünsche und hoffe in meinen besondern Ueberzeugungen übereinzustimmen, so sind sie es, mein verehrungswürdigster Herr« (JBW I,11, 3). 10 Vgl. Text Nr. 8 in diesem Band. 11 JBW I,11, 55. 9
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Bezüge
Was immer unter den Titeln ›Leben‹ und ›Realismus‹ noch zu verstehen sein mag: Mit der Fokussierung darauf, dass es dabei in jedem Fall auf das konkrete Individuum, auf die Person in ihrer jeweiligen Individualität, ankommt, hat Fichte in der Tat einen maßgeblichen Punkt im systemkritischen Anliegen Jacobis erfasst. Wie aber steht es um seinen Anspruch, diesem Anliegen der Berücksichtigung personaler Subjektivität erfolgreich zu entsprechen? Nimmt man Fichtes Anspruch ernst, dann ist diese Frage nicht allein im historischen Kontext der Auseinandersetzung mit Jacobi, sondern im Interesse einer sachlichen Verständigung über die Reichweite systemphilosophischer Vorhaben grundsätzlich von Belang. Die folgende Erörterung geht in drei Schritten vor. In einem ersten Schritt wird mit Blick auf Fichtes Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre von 1797 der Sachstand analysiert, auf den Jacobi in seinem Brief an Fichte und damit zusammenhängenden Äußerungen gegenüber Jean Paul direkt reagiert. In einem zweiten Schritt wird Fichtes unmittelbare Erwiderung, wie sie in seinem Brief an Jacobi und einer Fragment gebliebenen Vergewisserung über sein Projekt sowie schließlich im Sonnenklaren Bericht von 1801 greifbar ist, auf die Strategie hin untersucht, mit der Fichte den aufgebrochenen Konflikt zwischen Spekulation und Leben neu zu bewältigen sucht. In einem dritten Schritt schließlich ist der Sonnenklare Bericht daraufhin zu prüfen, inwieweit Fichtes Verteidigungsposition mit Blick auf die Frage konkreter Subjektivität überzeugen und dem Selbstverständnis von Personen Rechnung tragen kann.
II. Ichheit und Person: Die Problemlage 1. Fichtes Kleiderprobe
Was meinen wir, wenn wir ›ich‹ sagen, also den sprachlichen Ausdruck ›ich‹ verwenden? In der Zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre antwortet Fichte auf diese Frage mit zwei Beispielen, die »aus dem gemeinen Leben« stammen: »Wenn ihr jemandem in der Finsterniss zuruft: Wer ist da? und er giebt euch, in der Voraussetzung, dass seine Stimme euch bekannt sey, zur Zur Aporie der Wissenschaftslehre
205
Antwort: Ich bin es; so ist klar, dass er von sich, als dieser bestimmten Person rede, und so zu verstehen sey: Ich bin es, der ich so und so heiße, und keiner unter allen übrigen, die nicht so heißen; und das darum, weil ihr zufolge eurer Frage, Wer da sey, schon voraussetzt, dass es überhaupt ein vernünftiges Wesen sey, und jetzt nur wissen wollt, welches bestimmte unter den möglichen vernünftigen Wesen es sey.«
Soweit das erste Beispiel, nun das zweite: »Wenn ihr aber etwa – man verzeihe mir dieses Beispiel, das ich vorzüglich passend finde – einer Person am Leibe etwas an ihren Kleidungsstücken nähtet, schnittet u. dergl., und ihr verletztet unversehens sie selbst, so würde sie etwa rufen: Höre, das bin ich, du triffst mich. Was wollte sie denn dadurch sagen? Nicht, dass sie diese bestimmte Person sey, und keine andere; denn das wisst ihr sehr wohl; sondern dass das, was ihr getroffen, nicht ihr todtes und fühlloses Kleidungsstück sey, sondern ihr lebendiges und fühlendes Selbst; welches ihr nicht wusstet. Sie unterscheidet durch dieses Ich sich nicht von anderen Personen, sondern von Sachen.« 12
Soweit zu sehen, wird diesem Passus üblicherweise keine Aufmerksamkeit geschenkt. Jedoch lohnt es sich, Fichtes Beispiele genauer zu analysieren. In vier Zügen gelangt man so ins Zentrum der Debatte, die das Problem von System und Systemkritik im Verhältnis zwischen Fichte und Jacobi bestimmt. Zu notieren ist erstens, dass der Gebrauch des Ausdrucks ›ich‹ immer in einem Differenzgefälle steht. Wer ›ich‹ sagt, spricht von sich und grenzt sich dabei instantan von anderem ab. Je nachdem aber, ob es sich dabei um jemand anderen oder etwas anderes handelt, betrifft die mit dem Ich-Sagen verbundene Differenz entweder Personen oder Sachen. Grammatisch reformuliert heißt das, dass ausgehend vom ›ich‹ der ersten Person im einen Fall zwischen ›ich‹ und ›du‹, im andern Fall zwischen ›ich‹ und ›es‹ unterschieden wird. So sprechen wir tatsächlich – aber was Fichte im Auge hat, ist damit noch gar nicht berührt. Zu beachten ist deshalb zweitens, dass der Verwendungskontext die Bedeutung des Ausdrucks ›ich‹ jeweils affiziert. Je nachdem, ob
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Fichte, Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre, FW I, 503f. Bezüge
ich mich von Personen oder Sachen unterscheide, beziehe ich mich zugleich anders auf mich selbst. Wie zeigt sich das? Hier kommt man der Sache schon näher. Denn was Fichte insinuiert, ist, dass es sich im ersten Fall der Unterscheidung von Personen um eine äußerliche, im zweiten Fall der Unterscheidung von Sachen hingegen um eine innerliche Abgrenzung handelt. Dass ich ›ich‹, nämlich diese bestimmte Person bin, zeigt sich relativ zu anderen Personen, auf die je schon Bezug genommen ist, um mich als die, die ich bin, zu identifizieren. Im Kontrast dazu ist die Unterscheidung zwischen mir und einer Sache auf den Umweg über äußerliche Relationen nicht nur nicht angewiesen. Sie ist darüber hinaus aus der Außenperspektive auch gar nicht zugänglich, sondern evoziert die Innenperspektive meines »lebendigen und fühlenden Selbst«. Somit ist jetzt schon klar, dass Fichte dieses Verhältnis gegenüber dem ersten privilegiert. Verbunden damit ist drittens, dass der Ausdruck ›ich‹ keineswegs durchgehend auf eine bestimmte Person referiert, die als solche sowohl in interpersonalen Bezügen als auch in Sachbezügen steht. Vielmehr ist für die Innenperspektive des »lebendigen und fühlenden Selbst« der Aspekt der personalen Bestimmtheit überhaupt nicht relevant. Anstatt auf den Unterschied zwischen Person und Sache kommt es demnach im zweiten Fall darauf an, den Ausdruck ›ich‹ auf ein Selbst zu beziehen, das Subjekt im Unterschied zum Objekt ist. Hat man aber die Dinge so weit getrieben, folgt der vierte Zug von selbst: »Kurz«, so folgert Fichte, »Ichheit und Individualität sind sehr verschiedene Begriffe […]. Durch den ersteren setzen wir uns allem, was ausser uns ist, nicht bloss Personen ausser uns, entgegen; und wir befassen unter ihm nicht nur unsere bestimmte Persönlichkeit, sondern unsere Geistigkeit überhaupt«.13 Demnach war es die »Ichheit«, die von der Nadel gestochen aufschrie? Die Innenperspektive des »lebendigen und fühlenden Selbst« war die überindividuell universale Vergewisserung der »Geistigkeit überhaupt«? Nachdem Fichte sein Schneiderbeispiel wie erinnerlich »vorzüglich passend« fand, erscheint das hier markant aufbrechende Dilemma umso dramatischer. Tatsächlich steckt das Problem, das die Kleiderprobe zu Tage fördert, im Ansatz der Theorie selbst, der im
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FW I, 504. Zur Aporie der Wissenschaftslehre
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Ausgang vom Konzept der »Ichheit« das prekäre Verhältnis zum konkreten Ich von Beginn bis zuletzt konstitutiv eingeschrieben ist.14
2. Synthesis und Abstraktion
Fichtes Absicht in der Zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre besteht darin, seine Konzeption vor der ruinösen Verwechslung von überindividuellem und individuellem Ich zu verwahren. Seine Polemik gilt deshalb dem »Unvermögen« derer, die sich unter dem Begriff »Ich« stets nur »ihre individuelle Person« vorstellen, was Fichte nicht als »Schwäche ihrer Denkkraft«, sondern als »Schwäche ihres ganzen Charakters« diagnostiziert.15 Mitfolgend aber legt er an dieser Stelle die substantielle Problematik der Wissenschaftslehre frei. Deutlich wird das im Zuge zweier gegenstrebiger Bewegungen, die im Umkreis des zitierten Passus paradigmatisch vorgeführt werden. Die eine Bewegung ist die der Deduktion oder genetischen Konstruktion, die hier als »Synthesis des Begriffs der Person« bezeichnet wird. Auszugehen ist danach vom ursprünglichen Gegensatz zwischen der »Ichheit« als rein selbstbezüglicher »Subject-Objectivität« einerseits und dem »Es« als Signum blanker Objektivität andererseits, auf das dann der Begriff der »Ichheit« mit dem Resultat des »Du« übertragen wird. »Der Begriff des Du entsteht aus der Vereinigung des Es und des Ich. Der Begriff des Ich in diesem Gegensatze, also der Begriff des Individuums, ist die Synthesis des Ich mit sich selbst.« 16 Mit Bezug auf den eben genannten ersten Punkt der Beispielsanalyse heißt das, dass Fichte die Perspektive der ersten Person auf eine ausdrücklich als »thetisch, nicht synthetisch« bezeichnete Meta-Instanz hin übersteigt, aus der heraus das konkrete Verhältnis von »ich«, »du« und »es« seinerseits erst abgeleitet werden soll.
Diese zeitliche Angabe ist wörtlich zu verstehen: Fichtes unablässiges Kreisen um das Problem, wie innerhalb einer Systemphilosophie das Differenzgefälle zwischen Ichheit und individuell konkretem Ich zu bewältigen ist, setzt mit der Bestimmung des Gelehrten 1794 ein und zieht sich bis in die späten Entwürfe der Wissenschaftslehre durch. 15 FW I, 504f. 16 FW I, 502. 14
208
Bezüge
Diesem Anspruch der synthetischen Konstruktion der Person korreliert die gegenläufige Bewegung direkt. Denn, so Fichtes Argument, von dem, was Produkt einer Synthesis ist, kann man umgekehrt auch wieder abstrahieren. Dieser Vollzug, durch »Abstraction« von aller individuellen Bestimmtheit das »Ich überhaupt, d. h. das NichtObject« zu gewinnen,17 lässt sich seinerseits in zweierlei Hinsicht verstehen. In systemischer Hinsicht wird so das Prinzip der genetischen Konstruktion selber freigelegt. In praktischer Hinsicht hingegen ergeht an die konkrete Person die sittliche Aufforderung, ihre Individualität zugunsten der mit der Vernunft identischen »Ichheit« zu überwinden. Im Resultat führt dies zur Beschreibung der Wissenschaftslehre als einer Theorie, für die die »Vernunft das einige an sich, und die Individualität nur accidentell« ist. Die Vernunft ist »Zweck; und die Persönlichkeit Mittel; die letztere nur eine besondere Weise, die Vernunft auszudrücken, die sich immer mehr in der allgemeinen Form derselben verlieren muss. Nur die Vernunft ist ihr ewig; die Individualität aber muss unaufhörlich absterben«.18 Mit anderen Worten handelt es sich um ein »System, dessen Anfang und ganzes Wesen darauf geht, dass die Individualität theoretisch vergessen [und] praktisch verläugnet werde«.19 Wo die Problematik in Fichtes Entwurf liegt, ist vor diesem Hintergrund klar. Ganz abgesehen davon, dass in theoretischer und praktisch-moralischer Perspektive die entschiedene Tendenz zur Aufhebung der individuellen Person unübersehbar ist, von ihrer irreduziblen Anerkennung also keine Rede sein kann, sind zwei Punkte zu markieren. Unverständlich ist erstens, wie und woher hier ein principium individuationis bezogen und im Gefälle von Ichheit und Person überhaupt auch nur die extrinsische Bestimmtheit des Individuums generiert werden soll. Worauf es aber in eins damit vor allem ankommt, ist zweitens, dass sowohl in der Richtung der Synthesis als auch in der der Abstraktion der eigentlich entscheidende Sachverhalt, nämlich das »lebendige und fühlende Selbst«, notwendig zum blinden Fleck gerät, womit zugleich die jemeinige Innenperspektive der Person im toten Winkel der Konstruktion verschwindet. Mit Recht hatte 17 18 19
FW I, 502. FW I, 505. FW I, 516f. Zur Aporie der Wissenschaftslehre
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Fichte die Kleiderprobe an dieses Selbst zunächst adressiert, bevor er es im Zuge der abwegigen Funktionalisierung des Beispiels als Aufweis der »Geistigkeit überhaupt« nicht zufällig aus den Augen verliert.
III. Im Bündnis mit Jacobi? Zum Diskursstand um 1800 1. Individualität als Fundamentalgefühl: Jacobis Reaktion
Die vorangegangenen kritischen Überlegungen wurden im Interesse der Sache bewusst ohne Rücksicht auf die Position Jacobis formuliert. Die Frage allerdings, wie Fichte sich je im Duktus der zitierten Ausführungen ausgerechnet der Zustimmung Jacobis hat versichern und sich mit ihm in einem »Bündnis« 20 sehen wollen, drängt sich inzwischen von selber auf. Was konnte er nach Sätzen, die das akzidentelle Verhältnis der Individualität zur Ichheit bzw. Vernunft behaupten und insofern an das spinozanische Verhältnis des Ausdrucks von Substanz und Modus erinnern, als Reaktion Jacobis erwarten?21 Als Reaktion desjenigen also, dessen fester, seit 1789 öffentlich formulierter Überzeugung gemäß Spinozas Monismus »nur von der Seite seiner Individuationen mit Erfolg angegriffen werden« kann (Spin: JWA 1,1, 234)22 und der dementsprechend dem sachlichen Interesse an der Irreduzibilität personaler Subjektivität überall, philosophisch und literarisch, Ausdruck gegeben hat? Auf alle Facetten von Jacobis Brief an Fichte kann und braucht hier gar nicht eingegangen zu werden. Es genügt, im Fokus der Frage nach dem Status der Person den zentralen Passus beizuziehen. In entVgl. auch Fichtes Brief an Jacobi v. 26.04.1796 (JBW I,11, 102f.). Vgl. Rohs 2007, 75. 22 Es handelt sich um die Beilage VI der Zweitauflage der Spinozabriefe, in der es um Differenzen und Übereinstimmungen zwischen Spinoza und Leibniz geht. Weiter heißt es hier zu Spinoza: »Von der inneren Möglichkeit aber solcher einzelner Dinge in dem absoluten Continuo seiner Einzigen Substanz gab er keine Rechenschaft; keine von ihrer Sonderung, Wechselwirkung, Gemeinschaft, und dem wegen einer flüchtigen Individualität vorhandenen wunderbaren bello omnium contra omnes in und mit dem unendlichen alle Einheit verschlingenden Einzigen.« (Spin: JWA 1,1, 234) Das Dilemma Fichtes ist damit präzise vorweggenommen. 20
21
210
Bezüge
schiedener Diktion, aber sachlich nicht verwunderlich, bekommt Fichte hier das Folgende zu lesen, womit Jacobi, sowohl den Zugzwang der Systemoption, die Logik der »Allein-Philosophie«, als auch die opponierende Systemkritik der »Unphilosophie« unterstreichend, seinen Nihilismus-Vorwurf in praktischer Rücksicht konkretisiert: »Lehret mich nicht was ich weiß, und, beßer als euch lieb seyn möchte, darzuthun verstehe: Nehmlich, daß jener Wille der nichts will, jene unpersönliche Persönlichkeit; jene bloße Ichheit des Ich ohne Selbst – daß, mit Einem Worte, lauter rein und baare Unwesenheiten nothwendig zum Grunde gelegt werden müssen, wenn – ein allgemeingültiges, streng wißenschaftliches System der Moral zu Stande kommen soll. Dem sicheren Gange der Wißenschaft zu Liebe müßet ihr – O, ihr könnt nicht anders! einem Lebendigtodten der Vernünftigkeit das Gewißen (den gewißeren Geist) unterwerfen, es blind-gesetzlich, taub, stumm und fühllos machen« (JF: JWA 2,1, 211 f.).
Es ist evident, und dies zumal deshalb, weil hier vom inneren Selbstverhältnis in Gestalt des Gewissens die Rede ist, dass Jacobi nicht allein das Konstruktionsprinzip der bloßen »Ichheit des Ich ohne Selbst« als zwar systemkonforme, aber eben deshalb auch sachlich leere gedankliche Abstraktion verwirft. In eins damit distanziert er sich im Namen des »Selbst« vielmehr ebenso von der extrinsischen Bestimmung der individuellen Person, wie Fichte sie zu deduzieren versucht und dabei, wie gesehen, das »lebendige und fühlende Selbst« im toten Winkel liegen lässt. Insofern ist es aus inhaltlichen Gründen entscheidend, die Homonymie in der terminologischen Verwendung des Ausdrucks Person zu beachten, die sich semantisch eindeutig immer nur relativ zum Kontext der jeweiligen Position entzerren lässt.23 Umso aufschlussreicher für das, was Jacobi im Auge hat, sind seine Äußerungen gegenüber Jean Paul, in denen er im Anschluss an seinen Brief an Fichte und offenbar mit direktem Bezug auf das beigezogene Textstück der Zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre seine Auffassung nochmals bekräftigt. »Individualität«, so heißt es hier,
23
Vgl. Text Nr. 5 in diesem Band. Zur Aporie der Wissenschaftslehre
211
»ist ein Fundamentalgefühl; Individualität ist die Wurzel der Intelligenz und aller Erkenntniß; ohne Individualität keine Substanzialität, ohne Substanzialität überall nichts. Ichheit als eine bloße Handlung des Gleichsetzens von – Nichts, als Nichts, in Nichts, durch Nichts, ist ein baarer Un-Gedanke […]. Reine Selbstheit ist reine Derselbigkeit ohne Der. – Der oder das ist nothwendig immer ein Individuum […]. Die Persönlichkeit des Menschen ist als ein bloßes Schweben durch Synthesis ganz undenkbar«.24
Topischerweise wird die Auseinandersetzung zwischen Fichte und Jacobi unter das Stichwort »Atheismusstreit« subsumiert. Fügt man dem den sogenannten »Pantheismusstreit« der achtziger Jahre und den späteren »Theismusstreit« mit Schelling hinzu, dann scheint Jacobi vornehmlich für die religiösen Streitsachen der klassischen deutschen Philosophie verantwortlich zu sein. Dass dies eine eklatante Verkürzung der Problemlage darstellt, wird bereits im Fall der JacobiFichte-Debatte um 1800 deutlich, deren Fokus sich inzwischen herauskristallisiert hat. Was den Beitrag Jacobis betrifft, gehören deshalb die dem Brief an Fichte im Anhang beigefügten Texte unverzichtbar zu seiner Stellungnahme hinzu. Nicht zufällig besteht deren übergreifendes, von Jacobi seit jeher verfolgtes Interesse im Motiv der »wirklichen Person« (vgl. JF: JWA 2,1, 253; entnommen dem Roman Allwill) und der korrespondierenden Kritik an einem Konzept der »Persönlichkeit ohne Person und Personen-Unterschied« (vgl. JF: JWA 2,1, 256; entnommen dem Roman Woldemar), womit die These einhergeht, dass sich diese, auf extrinsische Bestimmungen nicht reduzierbare Dimension personaler Individualität dem systemischen Zugriff entzieht. Dem entspricht, dass Fichte seinerseits in seiner direkten Reaktion auf Jacobi, die seinen Brief vom 22. April 1799 und ein Fragment gebliebenes Stück der Vergewisserung umfasst, die religiöse Thematik nur am Rande streift. Von erheblicher und dabei bis ganz zuletzt nachwirkender Bedeutung ist für ihn der grundsätzliche Befund, dass mit Jacobis Einrede das vermeintlich geklärte Verhältnis von Spekulation und Leben von neuem in Frage steht.
24
212
Brief Jacobis an Jean Paul v. 16.03.1800 (JBW I,12, 207f.). Vgl. Koch 2013. Bezüge
2. Spekulation und Leben: Verteidigungsstrategien Fichtes
Seine Position zu verteidigen, ist Fichtes Ambition. Der Erörterung seiner einschlägigen Argumente im Voraus ist damit bereits ein entscheidender Umstand zu notieren. Fichtes Irritation ist – seiner enttäuschten Erwartung des Einverständnisses mit Jacobi entsprechend – groß, was jedoch anders als später bei Schelling hier nicht zur Verfertigung eines schrillen Pamphlets, sondern zu einer ernsthaften Sichtung und Vergewisserung seiner Anliegen führt. Damit geht einher, dass der von Fichte sogenannte »Standpunkt des Lebens«, mit dem er Jacobis Position – unter Ausblendung der Doppelphilosophie – identifiziert, nicht nur nicht im mindesten seiner Kritik oder irgendeinem Verdacht auf defizitäre oder gar falsche Überzeugungen verfällt. Im Gegenteil versichert Fichte, im Leben den Einsatzpunkt der Wissenschaftslehre und ihre Zielbestimmung zugleich zu finden. »Ich erkläre sonach hiermit öffentlich, dass es der innerste Geist und die Seele meiner Philosophie sey: der Mensch hat überhaupt Nichts, denn die Erfahrung, und er kommt zu allem, wozu er kommt, nur durch die Erfahrung, durch das Leben selbst. Alles sein Denken, sey es ungebunden oder wissenschaftlich, gemein oder transcendental, geht von der Erfahrung aus, und beabsichtigt hinwiederum Erfahrung. Nichts hat unbedingten Werth und Bedeutung, als das Leben; alles übrige Denken, Dichten, Wissen hat nur Werth, insofern es auf irgendeine Weise sich auf das Lebendige bezieht, von ihm ausgeht, und in dasselbe zurückzulaufen beabsichtigt.« 25
Ob und inwieweit diese Versicherung trägt, bleibt zu bedenken. Strukturell wichtig ist, dass Fichte zumindest behauptet, auf dem Standpunkt des Lebens dessen Überzeugungen zu teilen. Spekulation und Leben dissoziieren sich nicht in zwei miteinander inkompatible Welten, vielmehr besteht die Aufgabe der Wissenschaft darin, genau dieses Leben »erschöpfend«,26 wie Fichte betont, zu umfassen und Fichte, Sonnenklarer Bericht an das grössere Publicum, über das eigentliche Wesen der neuesten Philosophie, FW II, 333f. Vgl. zu Fichtes Position Zöller 1998 und Ivaldo 2004. 26 Fichte, Fragment. Anhang zu Fichtes Brief an Reinhold v. 22.04.1799 (GA III,3, 331). 25
Zur Aporie der Wissenschaftslehre
213
darzustellen. Wie oben schon vermerkt, hatte sich Fichte, unter Einschluss von Jacobis Kritik an Kants Annahme von Dingen an sich, in diesem Sinne bereits früher den Realismus Jacobis zueigen gemacht, um daran unter dem jetzt dominierenden Titel des Lebens auch weiterhin festzuhalten. Aufs Ganze besehen bedeutet das, dass Fichtes Wissenschaftslehre ein gegenüber Kant wesentlich erweitertes Konzept von Transzendentalphilosophie verfolgt. Die bereits angeführten und im Folgenden weiter zu diskutierenden Schwierigkeiten haben hierin ihren Grund. Wie aber sieht nun das Verhältnis von Spekulation und Leben nach dieser Vorverständigung genauer aus? Überblickt man Fichtes einschlägige Äußerungen, so lassen sich ein methodologisches und ein sachliches Motiv voneinander unterscheiden.27 In methodologischer Hinsicht besteht Fichtes vorrangiges Interesse nicht von ungefähr darin, den zentralen Nihilismus-Vorwurf Jacobis als ein Missverständnis der Wissenschaftslehre zu entkräften. Fichtes Argument lautet, dass die Wissenschaftslehre des Nihilismus nur dann verdächtig wäre, wenn sie den Anspruch hätte, im reinen Denken neue und wirkliche Objekte zu produzieren, deren Irrealität sich so allerdings leicht durchschauen ließe. Tatsächlich aber kann von einem solchen Anspruch gar keine Rede sein. Auf dem »Standpunkt der Spekulation« geht es nicht darum, irreale Gedanken für Reales auszugeben, sondern lediglich darum, die Erkenntnis des Lebens in Form seiner »systematischen Ableitung«,28 also durch dessen Nachbildung, Nacherfindung oder Re-Konstruktion zu betreiben. »Unser philosophisches Denken bedeutet nichts, und hat nicht den mindesten Gehalt; nur das in seinem Denken gedachte Denken bedeutet und hat Gehalt.« 29 Als bloßes Mittel zum Zweck der Erkenntnis des Lebens entbehrt das transzendentalphilosophische System aber nicht nur eines genuinen Inhalts. Es arbeitet darüber hinaus an seiner eigenen
Hinzu kommt ein funktionales Motiv, das die Rolle der das Leben darstellenden Philosophie für das Leben zu bestimmen sucht. Fichte schwankt dabei zwischen rein deskriptiven und revisionären Bestimmungen, womit er seine grundsätzliche Verlegenheit gleichfalls zu erkennen gibt. 28 FW II, 354. 29 GA III,3, 331. 27
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Abschaffung, da nach Fertigstellung des Erkenntniswerks »das Instrument als unnütz weggeworfen« wird.30 Die Strategie, die Fichte zu seiner Verteidigung wählt, ist kühn. Ob sie aber auch klug oder gar einleuchtend ist, steht auf einem anderen Blatt. Evident ist ja nicht nur dies, dass er mit der Behauptung eines in sich selbst gehalt- und bedeutungslosen philosophischen Systems den Nihilismus-Vorwurf gleichsam freiwillig adaptiert, was dann in der Konsequenz die spätere Theorieanstrengung einer Erscheinungslehre des Wissens nötig machen wird.31 Evident und gleichermaßen befremdlich ist hier vor allem, dass der Einwand Jacobis ja genau auf das Erkenntnisverfahren der Wissenschaft zielte, von dem Fichte sich die Lösung des Problems erhofft. »Wir begreifen eine Sache nur in sofern wir sie construiren, in Gedanken vor uns entstehen, werden laßen können« – dies hatte Jacobi im Rekurs auf die Beilage VII seiner Spinozabriefe als Grundregel wissenschaftlichen Operierens im Brief an Fichte ausdrücklich noch einmal notiert. Und eben daraus hatte er dann die Folgerung gezogen, dass, wenn »ein Wesen ein von uns vollständig begriffener Gegenstand werden soll«, wir es »objectiv – als für sich bestehend – in Gedanken aufheben, vernichten« müssen, »um es durchaus subjectiv, unser eigenes Geschöpf – ein bloßes Schema – werden zu laßen« (JF: JWA 2,1, 201 f.). Mit der Unterstellung, das in Gedanken erzeugte Schema erhebe fälschlich einen eigenen Anspruch auf Realität, hat diese Überlegung gar nichts zu tun. Die Nihilismus-Kritik galt vielmehr der Vernichtung ursprünglicher Realität, auf der das Konstruktionsgeschäft basiert. Was durch Konstruktion begriffen werden soll, wird in seinem Selbstsein zwangsläufig aufgehoben und durch das produzierte Schema ersetzt. Den hier aufbrechenden Hiat nicht zu sehen, die Diskontinuität zwischen den ursprünglichen Überzeugungen des Lebens und dem, was davon via constructionis übrig bleibt, zu ignorieren, und stattdessen alles Interesse im irrealen Konstruktionsprinzip einer »unpersönlichen Persönlichkeit«, einer »bloßen Ichheit des Ich ohne Selbst« zu verankern: das war das von Jacobi markierte Problem. Bezeichnend ist deshalb nicht zuletzt, dass Fichte, so als hätte er die Stoßrichtung dieses Einwands wirklich nicht gesehen, sein 30 31
GA III,3, 331. Vgl. Sandkaulen 2006 b. Zur Aporie der Wissenschaftslehre
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wissenschaftliches Konstruktionsverfahren ausgerechnet mit Körperund Maschinenmetaphern zu verdeutlichen sucht.32 Das hebt zweifellos den technischen Aspekt der Sache hervor, aber in eins damit eben auch, dass die Einsicht in den buchstäblich so genannten »Mechanismus des Lebens« 33 die Zerlegung des Lebens selbst erforderlich macht. »Der lebendige Körper, den wir nachbilden, ist das gemeine reelle Bewußtseyn. Das allmählige Zusammenfügen seiner Theile sind unsere Deductionen, die nur Schritt für Schritt fortrücken können. Ehe nicht das ganze System vollendet dasteht, ist alles, was wir vortragen können, nur ein Theil.« 34 Indem diese Bemerkung das methodologische Motiv noch einmal in gefährlicher, das Systemprojekt – ganz auf der Linie von Jacobis Kritik – als technisches Bauprojekt illustrierender Plastizität unterstreicht, rückt sie zugleich das damit verbundene sachliche Motiv ins Licht. In sachlicher Hinsicht geht es darum, die systematische Deduktion der Wissenschaftslehre bis an den Punkt zu treiben und dergestalt zu vollenden, an dem in der Form genetischer »Abbildung« das »vollständige reelle und gemeine Denken« getroffen und transparent gemacht ist.35 Auf die Vollständigkeit dieser Vgl. FW II, 346ff., wo Fichte (nachdem man in der Epoche längst zu organischen Denkmodellen übergegangen war) das »mechanische Kunstwerk« einer Uhr heranzieht, um den hier vorliegenden Zusammenhang von Teilen und Ganzem einschließlich des konstruktiven Schlusses von einem Teil auf das Ganze auf das »Grundsystem alles Bewusstseyns« zu übertragen, in dem ein »dem mechanischen ähnlicher Zusammenhang« zu finden und dementsprechend konstruktiv zu behandeln sei. Höchst problematisch ist diese mechanistische Deutung des Lebens natürlich auch deshalb, weil auf diese Weise ganz unverständlich wird, wie die Dimension der Freiheit im Leben jetzt noch zu thematisieren sein könnte. Insofern ist es zwar konsequent, wenn Fichte Spekulation und Leben unversehens in einen Zusammenhang dergestalt rückt, wonach »[e]ins nicht möglich ohne das andere« sei: »das Leben, als thätiges Hingeben in den Mechanismus, nicht ohne die Thätigkeit und Freiheit (sonst Spekulation), die sich hingiebt […]; die Spekulation nicht ohne das Leben, von welchem sie abstrahirt« (GA III,3, 333). Indessen hat er sich mit dieser Verteilung von Mechanismus/Leben und Freiheit/Spekulation, dem Zugzwang der systemischen Logik folgend, zugleich ganz und gar von dem entfernt, was unter dem Titel »Leben« als sachliches Anliegen Jacobis integriert werden müsste. 33 GA III,3, 332; vgl. FW II, 349. 34 GA III,3, 332. 35 GA III,3, 332. 32
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Abbildung legt Fichte den allergrößten Wert: »Jede Abweichung derselben von dem wirklichen Bewusstseyn wäre der sicherste Beweis der Unrichtigkeit ihrer Ableitung.« 36 Allerdings gewinnt man hier den Eindruck, dass Fichte zunächst jedenfalls auch in diesem Punkt einem Missverständnis Jacobis erliegt. Offenbar ist er der Meinung, Jacobi hätte seinen Entwurf nicht allein fälschlich als Beanspruchung »reellen Denkens«, sondern auch entschieden zu früh, noch in statu nascendi der Zusammenfügung der Teile kritisiert, anstatt die Vollendung des Systems zu erwarten.37 In diesem Zusammenhang findet sich denn auch der einzige Hinweis auf die in Fichtes Augen allein noch ausstehende »Religionsphilosophie«, deren Ausarbeitung er ja zur selben Zeit auch Schelling gegenüber ankündigt. Versetzt man sich indessen auf den von Fichte selbst an Jacobi adressierten »Standpunkt des Lebens«, dann ist es in gar keiner Weise hinreichend, das Kriterium der Vollständigkeit in der Aussicht auf die früher oder später geschlossene Rekonstruktion diverser, gleichsam regional ausdifferenzierter Teile zu erfüllen. Was mit Blick auf das Leben in Frage steht, liegt in einer viel tieferen Schicht. Im wahrsten Sinne alles andere fundierend geht es hier um den Anspruch einer vollständigen Einsicht in die Verfasstheit des Bewusstseins selbst. Wie aber könnte dieser Anspruch nach Maßgabe des in Anschlag gebrachten Konstruktionsverfahrens jetzt überhaupt noch zu erfüllen sein?
IV. Weder Cajus noch Sempronius. Das »wirkliche Bewusstsein« im Sonnenklaren Bericht Es ist signifikativ, dass Fichte um 1800, sowohl in der Bestimmung des Menschen als auch im Sonnenklaren Bericht, zweimal die Form dialogischer Darstellung wählt. Offenkundig ist dieser Textbefund weder zufällig noch gar von theoretisch minderwertigem Belang. Vielmehr bringt Fichte, provoziert durch Jacobis Kritik, ja gerade so sein dringliches Anliegen zum Ausdruck, sich des gelungenen Verhältnisses von Spekulation und Leben zu versichern, die Wissenschafts36 37
FW II, 394. GA III,3, 332. Zur Aporie der Wissenschaftslehre
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lehre mithin als ein Systemprojekt zu verteidigen, das ohne Verstellungen und falsche Ambitionen zur Erkenntnis des Lebens führt. Nicht zu übersehen ist deshalb in beiden Fällen auch, dass der Part des lebensweltlichen Bewusstseins, das von der Wissenschaftslehre überzeugt werden soll, immer wieder mit wörtlichen Jacobischen Anleihen ausgestattet wird. Dem ist hier nicht im Einzelnen nachzugehen. Festzuhalten ist vor diesem Hintergrund aber, dass es methodisch offenkundig kein Fehler, sondern vielmehr geboten ist, von Fichtes Texten nun in der Tat den vollständigen Aufschluss über dasjenige Selbstverständnis der Person zu erwarten, das Jacobi in eins mit der Behauptung seiner systemischen Unzugänglichkeit vertritt.38 Inzwischen kaum mehr überraschend werden indes genau diese Erwartungen enttäuscht. Anstatt sein Versprechen auf Vollständigkeit einzulösen, gibt Fichte vielmehr in beiden Texten seine theoretische Verlegenheit kund. Dies ist hier anhand des alles andere als sonnenklar argumentierenden Sonnenklaren Berichts zu beleuchten,39 in dem nicht nur, aber wesentlich auch von Beginn bis zum Schluss undeutlich bleibt, auf welches »wirkliche Bewusstsein« sich die Wissenschaftslehre eigentlich bezieht, um das, was im Leben selbst gefunden wird, in Gestalt seiner genetischen Abbildung für die Erkenntnis zu erzeugen.40 Der einen Version zufolge hat man es dabei mit einem allgemeinen »Grundbewusstsein« zu tun. Danach sieht die Wissenschaftslehre sowohl ihrer Ausgangs- als auch ihrer Zielbestimmung nach von vornherein von aller individuellen und sogar gattungsspezifischen Bestimmtheit des Bewusstseins ab. Worauf sie den Blick richtet, sind apriorische »Grundbestimmungen«, die »für alle Vernunft« gelten und damit selbst das Merkmal »Mensch« als hier nicht einschlägig Dazu passt, dass Jacobi in der Einleitung des Sonnenklaren Berichts sogar namentlich angesprochen wird. Im Anschluss an den früher zitierten Passus über die Relevanz der Erfahrung und den unabdingbaren Bezug der Wissenschaftslehre auf das Leben, fährt Fichte fort: »Dies ist die Tendenz meiner Philosophie. Dasselbe ist die der Kantischen, die wenigstens über diesen Punct sich nicht von mir lossagen wird; dasselbe die eines mit Kant gleichzeitigen Reformators in der Philosophie, Jacobi’s, der, wenn er mich auch nur über diesen Punct verstehen wollte, wenig Klagen mehr über mein System erheben würde.« (FW II, 334) 39 Vgl. zu Fichtes Bestimmung des Menschen Text Nr. 10 in diesem Band. 40 FW II, 357f., 397f. 38
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ausschließen.41 Dass dies ein ebenso konsequenter wie extrem kontraintuitiver Einstieg in eine Verständigung ist, die für die Wissenschaftslehre als eine durchweg der Erfahrung des menschlichen Lebens verpflichtete Rekonstruktionsanstrengung werben will, liegt auf der Hand. Tatsächlich scheint Fichte sich hier in ein Transzendentalprogramm Kantischer Prägung zurückzuziehen, das streng zwischen apriorischen und aposteriorischen Konditionen trennt, hier aber zugleich Ausdruck der aporetischen Lage ist, in die Fichte selbst sich mit der Beteuerung hineinmanövriert hat, keinerlei Ansprüche auf »reelles Denken« zu erheben. Komplementär dazu wird das »wirkliche Bewusstsein« auf kategoriale Bestimmungen reduziert. Und dem wiederum entspricht, dass in diesem Bewusstsein sodann die Evidenz des »Selbstbewusstseyns« in Gestalt der »Ichheit« aufgedeckt wird, deren »Subject-Objectivität« »jedes Kind, das nur aufgehört hat von sich selbst in der dritten Person zu reden, und sich selbst Ich nennt«,42 je schon vollzogen hat. Um aber in der »Ichheit« zugleich den Ausgangspunkt der systematischen Ableitung des Bewusstseins zu gewinnen, wird dem Dialogpartner eine Maßnahme eingeschärft, die das anhaltende Dilemma der Fichteschen Bemühungen direkt zum Vorschein bringt. Denn wenn ich »mich selbst denke«, habe ich »dieses bestimmte Individuum, diesen Cajus oder Sempronius«, gedacht. Das »reine Ich« erzielt man deshalb dann, wenn man »von diesen besonderen Bestimmungen« der »Persönlichkeit« absieht und »lediglich auf das Zusammenfallen des Denkenden und Gedachten« reflektiert.43 Definitiv unklar ist hier zum einen, wie man es im Gang einer Überlegung, die selbst das Gattungsmerkmal »Mensch« aus dem relevanten »Grundbewusstsein« ausgeschieden hatte, um »das gesammte gemeinsame Bewusstseyn aller vernünftigen Wesen schlechthin a priori« zu konstruieren,44 unversehens mit konkreten, namentlich genannten Individuen zu tun haben kann. Diese Verwirrung schlägt sich dann auch in Fichtes weiteren Ausführungen nieder, in denen man einer zweiten Version des »wirklichen Be41 42 43 44
FW II, 352f. FW II, 362f. FW II, 364f. FW II, 379. Zur Aporie der Wissenschaftslehre
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wusstseins« begegnet. »Das Ich des wirklichen Bewusstseyns ist allerdings auch ein besonderes und abgetrenntes: es ist eine Person unter mehreren Personen, welche insgesammt, jeder für sich, sich gleichfalls Ich nennen; und eben bis zum Bewusstseyn dieser Persönlichkeit setzt die Wissenschaftslehre ihre Ableitung fort.« 45 Damit hat Fichte den Kantischen Rahmen erneut gesprengt und die beanspruchte Vollständigkeit der Abbildung des Lebens bis zur Behauptung der Deduktion des individuellen Individuums hin heruntergebrochen. Eben das lenkt aber zugleich auf den weiteren und eigentlich entscheidenden Punkt. Denn definitiv unklar ist zum andern, und zwar hinsichtlich beider zitierten Passagen, was man mit Fichtes formelhafter Kennzeichnung des Unterschieds zwischen reinem und individuellem Ich gewinnt. Von welcher Art sind die sogenannten »besonderen Bestimmungen«, die das Ich zu einer bestimmten Person individuieren? Und vor allem: Wie will Fichte die Selbstidentität dieser bestimmten Person begreiflich machen, sofern Identität dem Gedanken einer selbstbezüglichen »Ichheit« zugeschrieben wird, deren Reinform genau dann zutage tritt, wenn man von der »Individualität«, mit der sie im »gemeinen Bewusstseyn« »unzertrennlich vereinigt« ist, abstrahiert?46 Mit anderen Worten: Wäre in Gestalt des benannten Cajus oder Sempronius wirklich derjenige gemeint, der sich selbst denkt – und dies einmal abgesehen davon, ob ›Denken‹ hier die richtige Vollzugsform ist –, dann würde man durch Abstraktion von dieser Perspektive nichts gewinnen, was sich ihr anschließend wieder umstandslos implantieren ließe. Vielmehr handelte es sich um kategorial und inhaltlich völlig differente Formen von Selbstbezüglichkeit, deren angeblich gemeinsamer Nenner eben nicht in der abstrakten, der Implosion des Reflexionsmodells des Selbstbewusstseins geschuldeten Subjekt-Objekt-Identität bestünde. Soll hingegen umgekehrt diese
FW II, 382. Wobei selbstverständlich die Differenz zwischen dieser Zielbestimmung des konkreten Ich und der Instanz seiner Ableitung eingeschärft bleibt: »Ganz etwas anderes ist das Ich, von welchem die Wissenschaftslehre ausgeht: es ist durchaus nichts weiter, als die Identität des Bewusstseyenden und Bewussten; und zu dieser Absonderung muss man sich erst durch Abstraction, von allem Übrigen in der Persönlichkeit, erheben.« 46 FW II, 382. 45
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Abstraktionsbewegung garantieren, dass sich die Wissenschaftslehre in der »Ichheit« ihres Konstruktionsprinzips versichert, dann war – abgesehen von der peinlichen Frage nach den individuierenden Faktoren – die Jemeinigkeit des Cajus oder Sempronius von vornherein nie im Spiel. Und das wiederum hat zur Folge, dass sich der Anspruch auf die vollständige Abbildung des Lebens auf generische Vernunftbestimmungen beschränken muss, die die Erfahrungen konkreten Lebens im selben Augenblick eklatant unterbieten. Ersichtlich begegnet man so aufs Neue dem Befund, dass das »lebendige und fühlende Selbst« in den toten Winkel solcher Konstruktionsanstrengungen gerät. Und insofern hilft es auch nicht weiter, wollte man im Rückblick auf frühere Texte Fichtes wenigstens die Frage der individuierenden Faktoren aufzuklären suchen und es dabei dahingestellt sein lassen, ob die jeweils beanspruchte Deduktion überhaupt gelingt und sich nicht vielmehr als theoretisch gar nicht durchführbar erweist. Denn ob das principium individuationis dem Naturrecht zufolge in den raum-zeitlichen Bedingungen leiblicher Einwirkung von Ichen aufeinander oder der Sittenlehre zufolge im Gedanken einer an Leibniz gemahnenden Vernunftwelt liegen soll, in der »erste bestimmte Puncte der Individualität« in ihren Einflüssen aufeinander prädeterminiert sind:47 immer handelt es sich hier – mit Thomas Nagel gesagt – aus der Perspektive der Ichheit um »the view from nowhere«. Um einen Blick also, der es, nicht umsonst in vorzugsweise geometrisch quantifizierendem Duktus, der auch die Wissenschaftslehre nova methodo sowie den Sonnenklaren Bericht FW IV, 227. Die Frage nach der Herkunft solcher »Punkte« beantwortet die Wissenschaftslehre nova methodo mit der Logik von Bestimmbarkeit und Bestimmung, wonach ich als Individuum bzw. Person »ein durch sich selbst herausgegriffener Theil aus den Vernunftwesen« bin (Fichte 1994, 177). Dies reduziert Individualität nicht allein auf die Vorstellung eines bestimmten »Quantums« einer »Masse« (149, 233), sondern vermag selbst diesen Gedanken im Grunde gar nicht zu erklären. Ist die Masse der Vernunftwesen als allgemeine und insofern bestimmbare Größe der Vernunft gedacht, dann ›gibt‹ es denjenigen genau nicht, der sich hier »herausgreifen« und auf diesem Wege als bestimmtes Individuum manifestieren könnte. Soll indes solches Herausgreifen der Vorgang einer äußerlichen Unterscheidung von anderen, somit ihrerseits bestimmten Vernunftwesen sein, dann ist immer schon vorausgesetzt, was eigentlich begriffen werden sollte, ohne zugleich ein qualitatives Distinktionskriterium dafür, »daß das Geistige sich theilen lasse« (149), angegeben zu haben. 47
Zur Aporie der Wissenschaftslehre
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durchherrscht, wenn überhaupt nur zu extrinsischer, die Personen äußerlich voneinander separierender Bestimmtheit bringen, aber nicht einholen kann, wie es für die jeweilige Person selber ist, dieses individuelle Individuum, dieses »lebendige und fühlende Selbst« zu sein. Dieser Aspekt des jemeinigen Fürmichseins der Person hat weder mit empirischen Raum-Zeit-Bestimmungen noch mit a priori verteilten Handlungsoptionen und schließlich auch und schon gar nichts mit dem Gedanken selbstidentischer »Ichheit« als der »Geistigkeit überhaupt« zu tun. Auf genau diesen Aspekt personaler Existenz, der auch das konkrete Bewusstsein moralischer Verantwortung trägt, hat indessen Jacobi seine Kritik der Wissenschaftslehre gestützt. Und um ihn hinreichend deutlich zu unterstreichen, war dem Brief an Fichte unter anderem auch der folgende Auszug aus dem Allwill-Roman eigens beigefügt: »So wenig der unendliche Raum die besondere Natur irgend eines Körpers bestimmen kann; so wenig kann reine Vernunft des Menschen mit ihrem überall eben guten Willen, da sie in allen Menschen Eine und dieselbe ist, die Grundlage eines besondern, verschiedenen Lebens ausmachen, und der wirklichen Person ihren eigenthümlichen individuellen Werth ertheilen.« (JF: JWA 2,1, 253; Anhang 3) Hier geht es um die Dimension des »Wer einer ist«. Dies schließt auch bei Jacobi die prädikative Dimension des »Was einer ist«, durchaus nicht aus. Entscheidend ist aber, dass die Dimension des »Wer« – bereits bei Boethius als die individuelle Subsistenz der Person bezeichnet – auf die »Was«-Dimension nicht reduzierbar ist.48 Die flüchtige, immer einmal wieder auftauchende und immer aufs Neue verschwindende Figur des »lebendigen und fühlenden Selbst« bei Fichte zielt auf das »Wer«, während in der Konstruktion des Systems die »Was«-Perspektive unübersehbar dominiert. Noch bevor Fichte überhaupt zu seiner Verteidigung ansetzt, war mit Jacobis Hinweisen jeglichem Versuch, durch quantifizierende Verfahren zur »wirklichen Person« zu gelangen, ein Riegel vorgeschoben. Als qualitativ bestimmtes Phänomen lässt sich das Personsein im System, in einer »Philosophie aus Einem Stück«, per se nicht konstruieren. Zu seiner Darstellung sind andere, »unphilosophische« Mittel vonnöten.
48
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Vgl. Text Nr. 5 in diesem Band. Bezüge
Fichtes Unterfangen, dem zum Trotz auf dem Weg des Systems eine vollständige Abbildung des Lebens erreichen zu wollen, endet nicht zufällig aporetisch.
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10. Fichtes Bestimmung des Menschen – Eine überzeugende Antwort auf Jacobi?
Über Fichte zu sprechen bei einer Konferenz, die dem Gedächtnis Marek Siemeks gewidmet ist, liegt nahe, nachdem sich Marek Siemek seinerseits intensiv mit Fichte auseinandergesetzt hat. Insbesondere aber scheint mir Fichtes bekannteste, im Jahr 1800 publizierte Schrift über Die Bestimmung des Menschen zu einer Konferenz zu passen, die das Andenken Marek Siemeks mit dem Thema »Transzendentalphilosophie zwischen Metaphysik und Politik« würdigen möchte. Der Titel zielt auf einen philosophischen Ansatz, der das Interesse an Grundfragen der Philosophie mit dem Interesse verbindet, einen Beitrag zur konkreten Verständigung über unser Leben zu leisten. Eben das ist auch das Anliegen von Fichtes Schrift, die in drei Schritten so etwas wie eine Basisorientierung über die »Bestimmung des Menschen« geben will. Die Frage, die mich im Folgenden beschäftigt, ist die, ob Fichtes Unternehmung erfolgreich und überzeugend ist. Damit deute ich einen kritischen Vorbehalt an, der sich keineswegs auf das Projekt der »Bestimmung des Menschen« als solches bezieht, das ich vielmehr als philosophisches Projekt für außerordentlich wichtig halte. Insofern habe ich auch keinerlei Problem mit dem sogenannten ›populärphilosophischen‹ Format des Textes, der ausdrücklich »nicht für Philosophen von Profession bestimmt« ist, sondern zeigen soll, was von der »neueren Philosophie« »außer der Schule brauchbar« ist.1 Fichte meint diese unscholastische Adresse ganz ernst, und dazu gehört die von ihm gewählte Inszenierung, auf die ich mich ganz wesentlich beziehe. Mein Vorbehalt, ob Fichtes Unternehmung überzeugt, zielt auf das Bild, das er von der Bestimmung des Menschen entwirft. Diesen Einwand teile ich mit Jacobi, der Fichtes Schrift, besonders den dritten Teil, sogar unlesbar fand (Brief an Jean Paul v. 13. 02. 1800, in: JBW I,12, 193). Entscheidend ist, dass der Hinweis auf
1
Fichte, Die Bestimmung des Menschen, FW II, 167. 225
Jacobi das fragliche Problem nicht historisiert, sondern in seiner systematischen Bedeutung kenntlich macht.
I. Fichte reagiert auf Jacobi Warum Jacobi hier überhaupt ins Spiel kommt und in die Diskussion miteinzubeziehen ist, ist aus dem Kontext von Fichtes Schrift klar. Zwar gibt es bis heute Darstellungen, die Fichtes Bestimmung des Menschen entweder in der Nachfolge des berühmten Buches von Spalding für eine gleichsam freischwebende Verständigungsschrift halten, die Fichte aus ›populärem Interesse‹ den strengen Abhandlungen der Wissenschaftslehre an die Seite gestellt hat, oder aber eine pauschale Einordnung in den sogenannten »Atheismusstreit« vornehmen, um so etwas wie eine religionsphilosophische Wende Fichtes von dieser Schrift zu erwarten. Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine Reaktion auf Jacobis Brief an Fichte von 1799 – und das ist für die Einschätzung des Textes von erheblichem Belang. Zu beachten ist nicht zuletzt, dass es in Jacobis Kritik um die Vorhaltungen religiöser Orthodoxie (die den Atheismusstreit ja ausgelöst hatten) nicht geht. Aufs Äußerste komprimiert lässt sich seine Position wie folgt umreißen. Vorauszusetzen ist zunächst, dass im Hintergrund der Debatte Jacobis initiatives Buch Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (1785/1789) steht, dasjenige Buch also, das neben Kants Kritik der reinen Vernunft die Ausbildung der ganzen nachkantischen Philosophie zutiefst beeinflusst hat. Das Zentrum von Jacobis Analyse bilden drei miteinander zusammenhängende Thesen: (1) Spinozas Monismus der Substanz ist das bewundernswerte Paradigma eines in sich geschlossenen Systems. (2) Als Inbegriff eines Systems ist diese Philosophie notwendig fatalistisch, sie schließt die Willensfreiheit konkreter Personen aus. (3) Als Inbegriff eines Systems ist es unmöglich, Spinozas Philosophie zu widerlegen, man kann ihr nur widersprechen – die Rettung der Freiheit verlangt den freien Sprung aus dem System heraus. Ein System der Freiheit kann es nicht geben. Nach dieser Analyse lässt sich die Herausforderung von Jacobis Kritik der Wissenschaftslehre wiederum in drei Punkten zusam226
Bezüge
menfassen: (1) In Gestalt von Fichtes Wissenschaftslehre liegt ein »wahrhaftes Vernunft-System« vor (JF: JWA 2,1, 200). Dies unterscheidet Fichtes Philosophie von derjenigen Kants und trägt nunmehr Fichte die größte Bewunderung Jacobis ein. (2) Auf dem Niveau der Systemphilosophie tritt Fichtes Philosophie in Konkurrenz zu Spinoza. Jedoch überwindet sie Spinozas Metaphysik nicht, vielmehr wird der Monismus der Substanz in den Monismus des Ich, einen Konstruktivismus »bloße[r] That-That« transformiert (JF: JWA 2,1, 201). (3) Damit wiederholt und verschärft sich zugleich die Problemlage. Zusammen mit der Freiheit konkreter Personen verschwindet unter den Bedingungen transzendentalphilosophischer Konstruktion die gesamte Realität einschließlich des Ich selbst: Fichtes Idealismus führt zum Nihilismus. Fichte hat diese Analyse schockiert. Er hatte angenommen, mit seinem Projekt der Wissenschaftslehre Jacobis Zustimmung zu gewinnen, den er als den »tiefsten Denker unsrer Zeit« »weit über Kant« schätzt.2 Noch Jahre später sucht Fichte nach einer Antwort auf Jacobis Sendschreiben – die Bestimmung des Menschen stellt nur den ersten Versuch einer Reaktion dar, mit der die Einwände Jacobis entkräftet werden sollen. Von der Vielzahl wörtlicher Übernahmen aus Jacobis Schriften ganz abgesehen, erklärt sich so erstens Art und Abfolge der drei Etappen des Textes: Unter den Titeln »Zweifel«, »Wissen« und »Glaube« wird ein Reflexionsgang ausgehend von Spinozas metaphysischem Naturalismus über den Idealismus der Wissenschaftslehre bis hin zum praktischen Realismus der Lebenswelt unternommen. Und zweitens gewinnt so auch die rhetorische Durchführung der drei Etappen ihren konkreten Anhaltspunkt. Als Repräsentant des Lesers, respektive Jacobis, führt Fichte eine Figur namens »Ich« ein, die den Reflexionsgang aus der Perspektive der ersten Person entwickelt. Aus dieser Perspektive überprüft das »Ich«, welche Vorzüge oder Nachteile die beiden Systeme des spinozanischen Naturalismus und der Wissenschaftslehre für den konkreten Lebensvollzug haben, inwiefern sie also auf die Fragen nach uns selbst und der Welt eine überzeugende Antwort bieten. Im Gang der Argumentation, die
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Brief Fichtes an Reinhold v. 08.01.1800 (in: Jaeschke 1993, 65). Fichtes Bestimmung des Menschen
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selbstverständlich auf den Sieg der Wissenschaftslehre zielt, kann und soll man sich demzufolge an dieses »Ich« halten – wenn seine Fragen zur Zufriedenheit aufgelöst sind, hat Fichte sein Ziel erreicht.3 Wie vorhin schon angedeutet, nehme ich diese Inszenierung Fichtes im Weiteren ganz ernst.
II. Zweifel – Das System Spinozas und das Problem der Freiheit Zum ersten Schritt. Eine ad verbum geführte Debatte mit Spinozas Philosophie darf man hier natürlich nicht erwarten, dessen Name auch gar nicht fällt. Um sich Klarheit über sich selbst und seine Stellung in der Welt zu verschaffen, anstatt sich von anderen vorsagen zu lassen, was es mit der »Bestimmung des Menschen« auf sich hat, studiert das »Ich« keine Bücher. Aus eigenem Nachdenken gelangt es zunächst zu einer Position, die, wenn auch mit kleinen Veränderungen, im Wesentlichen spinozanische Züge trägt. Auch das ist eine Botschaft. Der Argumentation Jacobis folgend will Fichte offenbar sagen, dass wir, wann immer wir anfangen nachzudenken, zuerst spinozanische Überlegungen entwickeln. Versetzen wir uns also in diese Perspektive des »Ich«: Dann geht es nicht darum, Spinozas Ethik in allen Details nachzubuchstabieren, sondern darum zu klären, erstens, wie und warum man zu einer solchen Position gelangt, und zweitens, was es für uns bedeutet, in einem spinozanisch gedachten Universum zu leben. Aus dieser Perspektive kehrt sich gegenüber Spinoza der Ausgangspunkt der Reflexion um. Anstatt vom Prinzip zum Begründeten, von der umgreifenden Substanz zum Einzelnen zu führen, setzt das »Ich« bei der konkreten Wahrnehmung des Einzelnen ein, um sich das zugrunde liegende Prinzip zu erschließen und dann hinsichtlich seiner Konsequenzen für das praktische Selbstverständnis zu prüfen. Spinozas Einsatz in der Ontologie wird damit so etwas wie ein erkenntnistheoretischer Teil vorgeschaltet. Oder noch genauer formuliert: Es In welchem Ausmaß Fichte hier insgesamt mit wörtlichen Anleihen aus Jacobis Texten, nicht zuletzt auch aus den Spinozabriefen, operiert, wäre in einer detaillierten Studie eigens zu zeigen. Vgl. zu diesem Diskussionskontext: Rohs 2007 sowie Hindrichs 2006. 3
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wird explizit gemacht, dass der Ausgangspunkt philosophischer Weltbilder in unserem ureigenen Bedürfnis nach Erklärung liegt. Wir fragen uns, was es mit bestimmten Phänomenen unserer Erfahrung auf sich hat, und stellen fest, dass wir sie begriffen haben, wenn wir sie auf einen zureichenden Grund haben zurückführen können. Tatsächlich ist es diese rationale »Erklärung nach dem Satze des Grundes«, die das »Ich« in seinen Überlegungen vorantreibt und die es sich als Maxime seiner Reflexionen zu deutlichem Bewusstsein bringt.4 Ob es ›erlaubt‹ ist, Spinozas Position auf diese Weise zu rekonstruieren, mag umstritten sein. Ich selbst sehe hier keine Schwierigkeiten. Bereits Jacobi ist in seiner Rekonstruktion Spinozas so verfahren, nicht zuletzt hat er dabei das rationale Verfahren nach dem Satz des zureichenden Grundes ins Zentrum gestellt. Und was Fichte betrifft, so will er mit dieser Exposition das gegnerische System ganz sicher nicht beschädigen. Denn auch im zweiten Teil der Schrift lässt er das »Ich« nach dem »Satz vom Grunde« operieren. Das entspricht der Wissenschaftslehre nova methodo, wonach die Aufgabe der Philosophie genau darin entspringt, ausgehend vom »Factum« der Erfahrung die »Idee eines Grundes« anzuknüpfen.5 Der Unterschied beider Systeme wird folglich nicht in dieser gründesuchenden Verfahrensweise als solcher, sondern darin liegen, für welche Fakten nach welchem Erklärungsgrund gesucht wird. Vor diesem Hintergrund ist es bezeichnend, dass das »Ich« den Gang seines Nachdenkens mit Blick auf seine konkrete Umwelt beginnt: es wendet sich Pflanzen, Bäumen und Tieren und ihren jeweiligen Merkmalen zu.6 Bevor es den Blick auf sich selbst richtet, sich also selbst als Faktum, als konkretes Ich, zum Gegenstand der Nachfrage wird, schaut es zunächst intentione recta aus sich heraus in die Welt. Nun hatte Fichte eine solche Einstellung bisher stets und mit großem Eifer dogmatisch genannt. In der harmloseren Variante war damit unsere alltägliche realistische Überzeugung gemeint, dass das, was wir wahrnehmen, selbstverständlich existiert. In der schlimmeren philosophischen Variante jedoch hatte Fichte unter dem Titel »Dogmatismus« eine Theorie kritisiert, die unser Bewusstsein aus den 4 5 6
FW II, 213. Fichte 1994, 12ff. FW II, 171. Fichtes Bestimmung des Menschen
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Gegebenheiten der Welt materialistisch ableitet und das Bewusstsein damit zu etwas Abhängigem, gänzlich Unfreiem macht. Dementsprechend sah dann auch der Streit der Systeme aus, wie Fichte ihn bislang als Gegenüberstellung von Dogmatismus und Idealismus präsentiert hatte. Danach galt Spinoza als ein Dogmatiker, der vom Sein ausgeht anstatt vom Bewusstsein. Und mit diesem Argument hatte Fichte der spinozanischen Ethik jeglichen Freiheitsgedanken abgesprochen. Es scheint kein Zufall zu sein, dass der Ausdruck »Dogmatismus« in der Bestimmung des Menschen nicht mehr fällt. Denn Fichtes bisherige Darstellung Spinozas, wie sie sich etwa in der Ersten Einleitung in die Wissenschaftslehre von 1797 findet, war eine völlig verfehlte Karikatur der spinozanischen Philosophie, die angeblich das Bewusstsein zum determinierten »Product der Dinge« macht, ohne dabei erklären zu können, wie aus Materie je ein Bewusstsein entsteht.7 Festzuhalten ist: mit solchen Primitivvorstellungen hat Spinozas Position nichts zu tun, und die idealistische Geste, mit der Fichte über den »consequente[n] Dogmatismus, der zugleich Materialismus wird«, triumphieren zu können glaubte, war alles andere als überzeugend.8 Mit anderen Worten: Dass die Dinge komplizierter liegen und man gut daran tut, sich im Streit der Systeme zumindest annäherungsweise auf das Argumentationsniveau des Gegners zu begeben, scheint Fichte inzwischen eingesehen zu haben. Den Fortschritt in der Auffassung des gegnerischen Systems führt das »Ich« konkret vor Augen. Im Blick auf die Phänomene der äußeren Welt macht es sich in einem ersten Schritt klar, dass die Dinge, FW I, 433ff. FW I, 437. Abgesehen von der Frage, inwieweit sich Fichte überhaupt einer gründlichen Lektüre der Ethik unterzogen hat, werfen solche Passagen auch die Frage danach auf, wie intensiv er sich eigentlich bis dato mit der Spinoza-Darstellung Jacobis auseinandergesetzt hat, der dieser ›materialistische‹ Missgriff jedenfalls nicht anzulasten ist. Vielmehr hatte Jacobi im Zusammenhang des Fatalismus-Vorwurfs in den Spinozabriefen eine fingierte Rede entworfen, in der er Spinoza ausdrücklich das Folgende sagen lässt: »Was den Fatalismus betrifft, so entschlage ich mich desselben nur in so weit als man ihn auf den Materialismus gegründet hat; oder auf die ungereimte Meinung, daß das Denken nur eine Modification der Ausdehnung sey, wie Feuer, Licht u.s.w., da es doch eben so unmöglich ist, daß das Denken von der Ausdehnung herrühre, als die Ausdehnung von dem Denken.« (Spin: JWA, 1,1, 79) 7
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die wir in der Natur wahrnehmen, durch gewisse Eigenschaften präzise bestimmt sind. Wir beobachten ferner, dass diese Eigenschaften sich verändern und in der Abfolge von Zuständen einen geregelten Zusammenhang bilden: »Ich trete ein in eine geschlossene Kette der Erscheinungen, da jedes Glied durch sein vorhergehendes bestimmt wird und sein nachfolgendes bestimmt«.9 Dass dergestalt die ganze Natur streng determinierten Abfolgen unterliegt, ist aber noch keine zureichende Erklärung der Phänomene. Denn die Frage ist, was denn den Wechsel der jeweiligen Zustände herbeiführt.10 In einem zweiten Schritt nimmt das »Ich« deshalb ein tätiges Prinzip an, das dem Wandel der Erscheinungen zugrunde liegt. Es muss eine lebendige Kraft in der Natur geben, eine »durch sich selbst wirkende, ursprüngliche Naturkraft«,11 die sich in allen möglichen Phänomenen auf jeweils besondere Weise manifestiert und sich dem Kontext der Umstände entsprechend äußert. Mit dieser Überlegung, die die ›horizontale‹ Verkettung der Erscheinungen mit dem ›vertikalen‹ Einschlag eines Kraftprinzips zusammenführt, erschließt sich das »Ich« nun in der Tat einen wesentlichen Strukturzug des spinozanischen Monismus. Damit unterstreiche ich, dass ich die Einführung des Kraftbegriffs hier nicht für eine externe Zutat halte. Spinoza bestimmt ja die göttliche Substanz genau in dem Maße als natura naturans, als ein ursprünglich tätiges Prinzip, wie er das Wesen der Substanz als potentia begreift, als eine ursprüngliche Lebensenergie, die sich in allem Einzelnen modifiziert zur Geltung bringt.12
FW II, 174. FW II, 175. 11 FW II, 175. 12 Nicht auszuschließen ist, dass sich Fichtes neue Darstellung Spinozas einer Inspiration durch Herder verdankt, dessen 1787 zuerst erschienene Schrift Gott soeben in überarbeiteter zweiter Auflage erschienen war. Herder hatte den Begriff der Kraft zunächst im kritischen Gegenzug gegen Spinoza, nämlich gegen dessen angeblichen »Cartesischen Irrtum« in der Auffassung der Materie, eingeführt und dann, nach Jacobis entschiedenem Protest (vgl. die Beilagen V und VI der Spinozabriefe mit den Erläuterungen zu Spinozas Konzept der potentia) Spinoza selbst zugeschrieben. Die Übernahme dieser Version durch Fichte zeigt jedoch, dass Fichte ebensowenig wie Jacobi der These Herders folgt, mit der Hinsicht auf den Kraftbegriff sei in einem auch das Freiheitsproblem zu lösen. Umso er9
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Die eigentliche Pointe dieses metaphysischen Naturalismus zeigt sich aber dann, wenn man den Menschen in das Kraftfeld der Natur integriert. Dass er aus der Natur nicht herausfallen kann, ist klar. Im Kontrast zu dem vorhin genannten »dogmatischen« Primitivmaterialismus heißt das aber jetzt nicht mehr, das menschliche Bewusstsein aus der Materie zu entwickeln und es damit jeglicher Selbständigkeit zu berauben. Vielmehr überlegt das »Ich«, dass die eine Kraft der Natur sich in vielerlei verschiedenen Kräften zur Darstellung bringt. Ebenso ursprünglich wie pflanzliche und tierische Kräfte muss man auch eine »Denkkraft« in der Natur annehmen,13 die gattungsspezifisch dem Menschen zukommt und sich im Ensemble von »Gestalt, eigenthümliche[r] Bewegung, Gedanke« zu einer »[m]enschenbildende[n] Kraft« zusammenschließt, die sich in jedem einzelnen Individuum auf je individuelle Weise äußert.14 Daraus folgt, dass man das Bewusstsein jedes Einzelnen plausibel erklären kann. Bildlich gesprochen stellt es sich als so etwas wie ein bestimmter ›Energiepunkt‹ dar, der sich relativ zu den Bedingungen seiner Umwelt verhält, aber keineswegs als Produkt der Umwelt entsteht. Erkenntnistheoretisch hat das »Ich« damit die brisante These Spinozas eingeholt, dass Geist und Körper, Bewusstsein und Materie in keinerlei kausalen Beziehung stehen. Etwas ganz Entscheidendes ist aber darüber hinaus auch in praktischer Hinsicht erreicht. Erklärt ist jetzt nämlich, wiederum in Aufnahme der Spinozanischen Theorie, dass wir völlig zu Recht davon ausgehen, nicht durchweg durch die äußeren Umstände determiniert zu sein. Ausgehend vom Bewusstsein der in uns wirkenden Kraft bilden wir die Idee einer Ethik und mitfolgend die Instanz eines Gewissens mit der ganzen Palette moralischer Gefühle aus, an deren Maßstäben wir unser Handeln orientieren.15 Indem sich das »Ich« all dies stellvertretend für den Leser deutlich macht, ist klar: Nichts von dem, was Fichte bis dahin so triumphierend als »Dogmatismus« bezeichnet und als eine völlig absurde Theorie abgewiesen hatte, ist hier mehr aktuell. staunlicher ist allerdings, was schließlich im dritten Buch der Bestimmung des Menschen vor sich geht. 13 FW II, 180. 14 FW II, 181. 15 FW II, 188. 232
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Dementsprechend ist jetzt aber auch ernst zu nehmen, was auf dem Höhepunkt dieses Reflexionsgangs in einer dramatischen Wendung passiert. Im Moment der Bewertung seiner erzielten Ergebnisse bricht das »Ich« in »Wehmut«, »Abscheu« und »Entsetzen« aus: intellektuell ist sein Verstand befriedigt, aber sein Herz blutet.16 Obwohl alles in bester Ordnung scheint, will es in diesem Naturuniversum nicht leben und findet sich so zwischen seinen widerstrebenden theoretischen und praktischen Interessen zerrissen. Was es vermisst, ist Freiheit. Entscheidend ist, dass es inzwischen sehr präzise angeben kann, was es unter der hier fehlenden Freiheit versteht. Dass es auf dem avancierten Stand seiner Überlegungen kein »Produkt der Dinge« ist, hatte es sich klargemacht. Es hatte in eins damit begriffen, dass es über eine selbständige Kraft verfügt, die es ihm erlaubt, sein Handeln an ethischen Maximen auszurichten. Das buchstäblich Einzige, was fehlt, ist dies, dass es sich sein Handeln nicht persönlich zurechnen kann. Die Begriffe von Schuld und Verdienst sind nur noch für das »äußere Recht« relevant.17 Für alles Weitere ist dies festzuhalten: Frei ist der, der für sein Handeln, sei es im Guten oder im Bösen, persönlich die Verantwortung trägt – und das setzt einen Akteur des Handelns voraus, der seinen Willen nach selbstgesetzten Zwecken ausrichten kann.18 Ein solches Subjekt des Handelns aber gibt es im spinozanischen Monismus tatsächlich nicht – genau darin bestand der wesentliche Einwand Jacobis gegen Spinozas Philosophie. Die Handlungsmacht jedes einzelnen Individuums ist hier eine Modifikation der göttlichen Potenz. Sie kann durch Einsicht in die Zusammenhänge der Natur gesteigert oder durch deren Unkenntnis geschwächt werden; von einem auktorialen Subjekt jedoch, das im Handeln intentional die Initiative ergreift, kann keine Rede sein. Wörtlich erklärt Spinoza das Handeln nach Zwecken, die causa finalis, zur schwerwiegendsten Täuschung über uns selbst und unseren Ort in der Welt.
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FW II, 190. FW II, 189. FW II, 192ff. Fichtes Bestimmung des Menschen
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III. Wissen – Theoretischer Idealismus und Nihilismus Nun ist die Problematik auf einen exakten Stand geführt. Erstens hat sich erwiesen, dass die plakative Gegenüberstellung von »Dogmatismus« und »Idealismus«, von Determinismus und Freiheit, der Sache unangemessen war. Auch in Spinozas Monismus gibt es einen Begriff der Freiheit, auf dessen Realisierung seine ganze Ethik zielt. Folglich kommt alles auf die präzise Bestimmung an, welches Konzept von Freiheit genau vertreten werden soll. Mindestens so wichtig ist zweitens, dass Fichte in Gestalt des »Ich« eine konkrete Instanz eingeführt hat, deren Urteil von ausschlaggebender Bedeutung ist. Wer auch sonst sollte entscheiden, wenn das Feld der Praxis betroffen ist? Entpersonalisierte Argumente wie die Kohärenz und Stringenz einer Theorie sind dann nicht zureichend, wie Jacobi von Anfang an betont hatte. Die Tatsache, dass das »Ich« mit »Entsetzen« auf das reagiert, was ihm sein Verstand als rational einleuchtend vorstellt, muss ernst genommen werden – dem Herzen, dem innersten Kern der Person, muss Beachtung geschenkt werden. Für den Freiheitsbegriff heißt das, dass er dem basalen Selbstverständnis des »Ich« Rechnung zu tragen hat: dem Selbstverständnis persönlicher Verantwortung für sein Handeln, das ihm in dem Moment wirklich zu Bewusstsein kommt, in dem ihm – rational entwickelt – sein Selbstverlust als modifizierter Ausdruck des universalen Kräftefelds der Natur vor Augen steht. Daraus ergibt sich schließlich drittens, wie die Sache weiter entwickelt werden müsste. Wenn die Wissenschaftslehre jetzt den Sieg erringen will, dann müsste Fichte das »Ich« davon überzeugen, dass seine Philosophie dem Selbstverständnis konkreter Personen gerecht werden kann. Und dies müsste er mit dem Nachweis verbinden, dass er auch den aufgebrochenen Konflikt zwischen Herz und Verstand auflösen kann. Wird dieser Nachweis erfolgreich erbracht? Die Entscheidung dieser Frage liegt im dritten Teil der Schrift. Was den zweiten Teil betrifft, so genügt es, das rein negative Ergebnis festzuhalten: Der zunächst unternommene Versuch, dem »Ich« das System der Wissenschaftslehre als willkommene Lösung nahezubringen, scheitert dramatisch. Das weiß Fichte allerdings selbst, schließlich hat er diesen Fehlschlag selber inszeniert. Das bedauernswerte »Ich« wird mit einer idealistischen Theorie konfrontiert, die einzig und allein erkenntnistheoretische Fragen behandelt und die 234
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eingeforderte Freiheit mit der produktiven Auflösung der Realität in Bewusstseinsprozesse verwechselt.19 Immerhin ist es nicht das »Ich«, das allein durch seine eigenen Überlegungen in diese idealistische Vernichtungsmaschine des Wissens gerät. Ein nächtlicher Geist kommt ihm zu Hilfe und führt es in tückischen Unterredungen zu dem Resultat, dass es dann frei ist, wenn alle Existenz, sowohl die der Welt als auch die des »Ich« selbst, in der leeren Bilderwelt des Wissens verschwindet. »Du befreiest mich, es ist wahr: du sprichst mich von aller Abhängigkeit los, indem du mich selbst in Nichts, und alles um mich herum, wovon ich abhängen könnte, in Nichts verwandelst. Du hebst die Nothwendigkeit auf, dadurch, daß du alles Seyn aufhebst und rein vertilgst.« 20 Nicht nur ist die Frage, um die es eigentlich ging, aus den Augen geraten. Für diese vollständige Verkennung seines Herzensanliegens muss das »Ich« jetzt auch noch den Preis des Nihilismus bezahlen. Es ist klar, dass Fichte mit dieser außerordentlich dramatischen Inszenierung den Vorwurf Jacobis direkt aufgenommen hat, dass Idealismus und Nihilismus dasselbe sind. Allerdings operiert Fichte dabei strategisch. Im zweiten Teil über das »Wissen« hat er nur die eine, nämlich theoretische Hälfte seiner Wissenschaftslehre präsentiert. Nur wenn man diese Hälfte isoliert betrachtet, kann der Eindruck des Nihilismus entstehen – diesen Punkt will Fichte hier vermitteln, und so argumentiert er übrigens auch in einer persönlichen Reaktion auf Jacobis Brief. Jacobi habe, so Fichte, den praktischen Teil der Wissenschaftslehre gar nicht berücksichtigt. Die geplante Lösung des Problems in Gestalt des praktischen Teils steht mithin noch aus. Jedoch verliert Fichte hier, wie sich zeigen wird, auf sehr bezeichnende Weise den roten Faden.
IV. Glaube – Praktischer Realismus und der Weltplan der Vernunft Denn was ist jetzt nicht alles zu tun? De facto hat Fichte im zweiten Teil den Streit der Systeme in den alten Gegensatz zwischen »Dog19 20
FW II, 240ff. FW II, 240. Fichtes Bestimmung des Menschen
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matismus« und »Idealismus« zurückverwandelt und dann auch noch im Gegensatz von Dogmatismus und Nihilismus zugespitzt. Deshalb muss das Beweisziel der Wissenschaftslehre jetzt vordringlich darin liegen, den im und durch das Wissen verschuldeten Realitätsverlust zu heilen. Im emphatischen Rekurs auf das »Organ« des Glaubens, womit Fichte wiederum auf Jacobi rekurriert, tritt der praktische Teil der Wissenschaftslehre diesen Beweis dann tatsächlich an. In dem Maße, wie wir handeln, kehrt die im Wissen aufgelöste Realität in ihre Existenz zurück: so lautet die Botschaft, derer sich das »Ich«, aus dem nun unmittelbar, ohne den Beistand eines mitternächtlichen Geistes, die Stimme Fichtes spricht, erleichtert vergewissert. Allerdings hat es mit dieser Realität dann ihre besondere Bewandtnis. Zwar behauptet Fichte in Gestalt des »Ich«, aus der Bilderwelt des Wissens auf den »Standpunkt des natürlichen Denkens« zurückzukehren.21 Jedoch ist dies nur eine Behauptung. In Wahrheit vollzieht Fichte hier einen Perspektivenwechsel, der die »natürliche«, also realistische Einstellung des »Ich« vollständig verwandelt. Wie erinnerlich hatte das »Ich« dieser Einstellung gemäß zu Beginn seiner Überlegungen Pflanzen, Bäume und Tiere betrachtet und hieran seine weitergehenden Überlegungen angeknüpft. Von dieser Welt ist aber jetzt gar keine Rede mehr. Sie bleibt weiterhin verschwunden. Denn inzwischen hat sich das »Ich« an die Stelle dieser Welt gesetzt – seine Handlungsperspektive bildet jetzt den Ausgangspunkt der Reflexion. Mit diesem im Namen der »praktische[n] Vernunft« 22 vollzogenen Stellentausch zwischen Welt und Ich holt Fichte in die Bestimmung des Menschen ein, was bereits in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre ein zentrales Lehrstück gewesen ist. Der praktische Idealismus ist Garant des Realismus insofern, als sowohl die Überzeugung von der Existenz unserer selbst und der Welt als auch die Überzeugung von der Freiheit unseres Handelns ein und derselben Quelle entspringen. Weder sind wir der Natur unterworfen noch auch umgekehrt dazu verurteilt, alle Realität im Wissen zu vernichten, sondern wir schaffen Realität, indem wir die Welt nach den Zwecken unseres Willens gestalten. Gewiss ist dabei mit gewissen physischen Widerständen zu rechnen. Wesentlich ist aber, dass ja auch solche 21 22
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FW II, 253. FW II, 263. Bezüge
Hindernisse einzig und allein aus der Perspektive unserer praktischen Interessen in Sichtweite kommen und dabei die Idee der Freiheit überhaupt nicht berühren. »Meine Welt ist – Object und Sphäre meiner Pflichten, und absolut nichts Anderes«.23 Im Sinne dieses handelnd in die Tat umzusetzenden idealistischen Weltentwurfs versichert sich das »Ich« namens Fichte nun nicht allein seiner Umwelt und der Anwesenheit anderer Iche.24 Es steigert sich darüber hinaus auch in ein gewaltiges geschichtsphilosophisches Szenario hinein: in die »absolute Forderung einer bessern Welt«,25 die von der technischen Umgestaltung der Natur über die moralische und politische Befreiung der ganzen Menschheit bis hin zur Einrichtung einer »überirdische[n]« Vernunftwelt reicht, in der alle sinnlichen Konditionen prinzipiell aufgehoben sind.26 Indes erlaube ich mir, den hohen Flug dieses Enthusiasmus zu unterbrechen und an dasjenige »Ich« zu erinnern, das ehedem vom Zweifel an seiner Bestimmung gepackt und zwischen seinen widerstreitenden theoretischen und praktischen Interessen zerrissen war. Sind die Probleme dieses »Ich« wirklich gelöst? Oder hat Fichte nicht etwas Wesentliches vergessen, wenn er das »Ich« – in symbiotischer Identifizierung mit Fichte selbst – in den hohen Flug der Begeisterung einstimmen lässt? So ist es allerdings. Nach der Zuspitzung des Problems im Nihilismus und der anschließenden Arbeit am Wiedergewinn der Realität im Weltentwurf des Handelns ist vollständig vergessen, worin ehemals das Problem des »Ich« bestand. Auf diesen Punkt kommt jetzt alles an. Um ihn möglichst scharf zu fassen, möchte ich mich ihm zunächst noch einmal von einer anderen Seite her nähern. Angenommen, das »Ich« hätte sich früher darüber beklagt, im naturalistischen System jegliche Selbständigkeit einzubüßen – dann hätte es vielleicht ein interessantes Experiment sein können, die Sache idealistisch herumzudrehen und den Nachweis zu führen, dass wir die Welt den Gesetzen des Wissens gemäß im Wissen produzieren. Und ferner hätte man dann auch nach dem nihilisti23 24 25 26
FW II, 261. FW II, 259ff. FW II, 265. FW II, 281ff. Fichtes Bestimmung des Menschen
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schen Scheitern dieses Experiments überlegen können, ob die Lösung des praktischen Realismus überzeugt, wonach wir die Welt nicht im Wissen, sondern praktisch, nach den Gesetzen des Handelns, erzeugen. Dabei wäre man dann recht bald auf solche Probleme gestoßen, wie sie von Schelling und Hegel gegen Fichte formuliert worden sind. Ihr Motiv, die Subjektzentriertheit der Fichteschen Wissenschaftslehre anzugreifen, ist ja nicht zuletzt genau darin begründet, dass vom gelungenen Wiedergewinn der Realität so lange gar keine Rede sein kann, wie die Realität einzig und allein als »Sphäre meiner Pflichten« gesichert wird. Und mehr noch: Mit dem Übergang Fichtes zu seiner Spätphilosophie lässt sich konstatieren, dass er selbst seine bisherigen Bemühungen um eine erfolgreiche Nihilismusimmunisierung für deutlich revisionsbedürftig gehalten hat.27 Ich lasse dies auf sich beruhen. Wichtig ist hier etwas anderes. Auf der Spur der soeben skizzierten Problemanlage zeigt sich nämlich, dass sich in den Gang der Bestimmung des Menschen eine Theoriestellung eingeschlichen hat, um die es in der ursprünglichen Auseinandersetzung des »Ich« mit Spinozas Monismus gar nicht ging. Anstatt Jacobis Einwand zuerst gegen Spinoza und dann gegen Fichte scharf im Auge zu behalten, hat sich Fichte in eine Theoriestellung zurückgezogen, die – ausgehend von Kants kopernikanischer Wende – nach dem Primat von Subjekt oder Objekt fragt. Ob aber dem Subjekt ein Objekt gegenübersteht und welche Seite die je andere bestimmt, war im ersten Teil der Bestimmung des Menschen überhaupt nicht der Punkt. Die Frage war eine ganz andere und hatte eine ganze andere Struktur. Worüber sich das »Ich« im Namen seines Freiheitsbewusstseins beklagte, war, dass es sich selbst, seine persönlich konkrete Verantwortung für sein Handeln, verliert, sofern es annehmen muss, weiter nichts als ein – durchaus mit eigener Kraft begabter – Teil im großen Ganzen der lebendigen Natur zu sein.
Paradoxerweise führt dies zuletzt sogar dazu, die Wissenschaftslehre im Gedanken eines absoluten Seins zu begründen, das Fichte sich im Sinne einer unverzichtbaren Minimalontologie von Spinoza selber vorgeben lässt. Vgl. dazu Sandkaulen 2006 b. Dabei verwundert nicht, dass auch in der Spätphilosophie Fichtes die strukturelle Problematik, die ich hier hinsichtlich der Bestimmung des Menschen diskutiere und die den Status des individuellen Selbst betrifft, erhalten bleibt. 27
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Was immer also die Wissenschaftslehre theoretisch und praktisch unternimmt: Wenn sie wirklich den Sieg über Spinozas metaphysischen Naturalismus erringen und Jacobi überzeugen wollte, dann müsste sie auf diesen Einwand reagieren. Spätestens in Gestalt des praktischen Realismus müsste Fichte also zeigen, dass er, indem er Spinozas Natur in den Weltentwurf des Subjekts verwandelt, auch für das Selbstverständnis irreduzibel konkreter Personen Sorge tragen kann. Indessen kommt Fichte auf dieses Problem nicht nur nicht zurück. Im Gegenteil: Überraschend und doch wiederum so erstaunlich nicht entwickelt der hohe Flug seiner Reflexionen eine Eigendynamik, die die Vernunftwelt zuletzt ganz nach spinozanischem Muster modelliert. Offenbar ohne zu merken, was hier der Struktur nach passiert, und selbstverständlich jetzt auch ohne Protest gegen die Folgen gefällt sich das »Ich« nunmehr also darin, seine früheren Überlegungen, die zu Spinozas metaphysischem Naturalismus führten, unter dem Vorzeichen der praktischen Wissenschaftslehre zu wiederholen. Das heißt: Was vormals im Ausgang von der Beobachtung natürlicher Phänomene als das Metaphysicum einer allgemeinen Naturkraft angenommen worden war, das wird jetzt, ausgehend von der Erfahrung des endlichen Willens, durch den Willen einer universalen Vernunft ersetzt. In religiöser Überhöhung wird dieser ewige Wille als ein göttlicher Wille verehrt, womit die Selbstverständigung des »Ich« buchstäblich in ein an den »Weltschöpfer« adressiertes Gebet mutiert.28 Und doch lässt sich im Zusammenfall von »That« und »Produkt« dieses Willens sehr genau identifizieren, dass es sich um nichts anderes als um die absolute Tathandlung handelt, um das Prinzip der absoluten Ichheit also, das Fichte 1794 an die Spitze der Wissenschaftslehre gestellt und sich dabei eindeutig am Vorbild von Spinozas wirkmächtiger Substanz orientiert hatte.29
FW II, 303. FW II, 297. Die religionsphilosophische Transzendierung seiner Position, die Fichte als Reaktion auf den Atheismusstreit in diesen Passagen üblicherweise unterstellt wird, ist demnach zutreffender als eine rhetorische Geste zu entziffern, die das gedankliche Gerüst der Wissenschaftslehre verkleidet, damit aber zugleich die strukturelle Affinität zu Spinozas Monismus umso deutlicher zum Ausdruck bringt. 28 29
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Ist aber dieser monistische Strukturzug einmal etabliert, lassen die Konsequenzen hinsichtlich des endlichen »Ich« nicht lange auf sich warten. Tatsächlich bestätigt das »Ich« gerne, sich fraglos in die »Ordnung der geistigen Welt« »zu fügen«, nachdem es doch selber »nur ein Glied in ihrer Kette« ist. Passend spricht es alsbald auch von einem »höhere[n] Weltplan«, dessen Ausführung es als »eins der Werkzeuge des Vernunftzwecks« dienen will. Und natürlich zieht diese Beschreibung seiner selbst sogleich auch das eifrige Bekenntnis nach sich, dass für »Verdruss über persönliche Beleidigungen und Kränkungen, für Erhebung auf persönlichen Verdienst« seine »Brust verschlossen« sei: »denn meine gesammte Persönlichkeit ist mir schon längst in der Anschauung des Ziels verschwunden und untergegangen«.30 Anstatt den Einwand Jacobis zu beachten, wiederholt Fichte, was er auch andernorts, etwa in der Zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre, geschrieben hatte: dass die »Vernunft das einige an sich, und die Individualität nur accidentell« ist; »die Vernunft[,] Zweck; und die Persönlichkeit[,] Mittel; die letztere nur eine besondere Weise, die Vernunft auszudrücken, die sich immer mehr in der allgemeinen Form derselben verlieren muss. Nur die Vernunft ist [der Wissenschaftslehre] ewig; die Individualität aber muß unaufhörlich absterben«.31 Hatte das »Ich« aber nicht am Ende des ersten Teils mit der ganzen Leidenschaft seines Herzens seine persönlichen Belange vertreten und gegen die Vorstellung, nichts weiter als das Glied einer universalen Ordnung zu sein, protestiert? Das mag so sein – hier indessen zählt das »Herz« ausdrücklich schon längst nicht mehr, sondern nur noch das kontemplative »Auge«, das alles »kalt und ungerührt« betrachtet, da es weiß, dass der »Plan der ewigen Welt« die Dinge zum Guten fügt.32 Ob man Fichte noch einmal zu Hilfe kommen kann? Ist es vielleicht doch ein Unterschied, ob sich das »Ich« als Moment der allumgreifenden Natur oder vielmehr als Moment des Weltplans der Vernunft versteht, so dass es im einen Fall seine persönliche Handlungsfreiheit mit Recht reklamiert, im andern Fall aber gerne als ausführendes »Werkzeug« dienen will? Es ist signifikativ für das 30 31 32
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FW II, 298 – 312. FW I, 505. FW II, 311f. Bezüge
aufgezeigte Problem, dass Fichte selbst diesen Gedanken erst gar nicht bemüht. Im Gegenteil: Am Ende hat er nicht nur die Reklamationen des »Ich«, sondern sogar seinen eigenen Aufriss des spinozanischen Monismus so vollständig verdrängt, dass man sich nur wundern kann, was ihm zum Schluss in die Feder fließt. Denn weit gefehlt, den Plan der Vernunft gegen den metaphysischen Naturalismus in Stellung zu bringen, stimmt das »Ich« vielmehr zu guter Letzt auch noch eine Hymne auf das Universum an – auf den »ewige[n] Strom von Leben und Kraft und That«, der die ganze lebendige Natur durchzieht und alle lebendigen Wesen vereint. Hier strömt das Leben »als sich selbst schaffende und bildende Materie durch meine Adern und Muskeln hindurch, und setzt außer mir seine Fülle ab im Baume, in der Pflanze, im Grase. Ein zusammenhängender Strom, Tropfe an Tropfe, fließt das bildende Leben in allen Gestalten, und allenthalben, wohin ihm mein Auge zu folgen vermag; und blickt mich an, – aus jedem Punkte des Universum[s] anders, – als dieselbe Kraft, durch die es in geheimem Dunkel meinen eigenen Körper bildet. […] Alles was sich regt, folgt diesem allgemeinen Zuge, diesem einigen Princip aller Bewegung, das von einem Ende des Universums zum andern die harmonische Erschütterung fortleitet: das Thier ohne Freiheit; ich, von welchem in der sichtbaren Welt die Bewegung ausgeht, ohne daß sie darum in mir gegründet sey, mit Freiheit.« 33
Diese Hymne auf das All-Leben gibt sich hier den Anschein einer völlig neuen Einsicht. Und in der Tat: wenn das »Ich« an dieser Stelle versichert, dass ihm jetzt »die todte lastende Masse, die nur den Raum ausstopfte, […] verschwunden« sei,34 dann kann man ihm zu seiner Entdeckung gratulieren. Jedoch ist unübersehbar, was hier in Gestalt wörtlicher, aber nicht kenntlich gemachter Wiederholungen des ersten Teils vor sich geht. De facto plaziert Fichte mit der Adresse an die »tote lastende Masse« der Materie nicht nur wieder seinen alten Dogmatismusvorwurf gegen Spinoza und nimmt damit den im ersten Teil dokumentierten Fortschritt seiner Darstellung komplett zurück. Vielmehr ist Fichte jetzt auch noch so tollkühn, die Auffassung einer 33 34
FW II, 315f. FW II, 315. Fichtes Bestimmung des Menschen
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von Grund auf lebendigen und dynamischen Natur allein auf dem Erfolgskonto des Idealismus zu verbuchen.
V. Ein kurzes Resümee Ich komme zum Schluss. Die Frage war, ob Fichtes Schrift über die Bestimmung des Menschen eine überzeugende Verständigung über die menschliche Lebenswelt bietet. Angedeutet hatte ich vorweg, dass ich diesbezüglich kritische Vorbehalte habe, die ich mit Jacobi teile. Wo das Problem liegt, sollte nach dem Durchgang durch den Text deutlich geworden sein. Ich möchte abschließend drei Punkte hervorheben. Erstens ist es mir ein Rätsel, wie Fichte überhaupt der Meinung hat sein können, ausgerechnet mit dieser Schrift Jacobi zu überzeugen. Zwar scheint er zu Beginn verstanden zu haben, dass Jacobis Kritik an Spinozas Monismus dem Freiheitsbewusstsein irreduzibel konkreter Personen gilt. Je weiter Fichte aber dann in die Motivlage seiner Wissenschaftslehre vordringt und dabei mit dem Nihilismus-Vorwurf ringt, desto mehr entwickelt sich eine Eigendynamik, die genau auf das hinausläuft, was Jacobi im Brief an Fichte gegen die Wissenschaftslehre eingewendet hatte: Dass sie die Problemlage Spinozas nicht aufhebt, sondern strukturell wiederholt und durch ihren Konstruktivismus auch noch entschieden verschärft. Ein Rätsel ist mir zweitens, aus welcher Quelle sich das negative Vorurteil gegenüber dem Individuum speist. Offenkundig entwickelt sich die Eigendynamik des Textes – mehr unbewusst als bewusst gesteuert, so scheint es – auf der Basis einer solchen abschätzigen Bewertung, die dazu führt, dass das erstpersonale Ich schließlich freudig in die Rolle einstimmt, nur ein Werkzeug der allgemeinen Vernunft und nur dann ein moralisches und politisch zuverlässiges Wesen zu sein. Dass Fichte mit einem derartigen Konzept sogar noch weiter als Spinoza geht, der jedem einzelnen Modus immerhin eine singuläre, ewig unverlierbare Essenz zugesteht, verstärkt das Problem, das sich im Übrigen nicht allein bei Fichte, sondern auch bei Hegel und Schelling findet. Woher und warum der Verdacht, dass mit dem Individuum, sofern es nicht in das Ganze – der Natur, der Vernunft, des Staates, des Geistes – integriert und aufgehoben ist, Egoismus, Anarchie und Amoral droht? Weil mich die Frage substantiell be242
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schäftigt, denke ich schon länger über dieses Rätsel nach und überlege, ob man vielleicht außerhalb der Philosophie, in mentalen und kulturellen Dispositionen, etwa in Kernanliegen protestantischer Religion, fündig werden könnte. Mein dritter Punkt dreht diese Diagnose herum. Was ich mit Jacobi teile und zur Diskussion stellen möchte, ist die systematisch relevante Überzeugung, dass die Verdächtigung und mitfolgende Marginalisierung des Individuums nicht zielführend ist. Weder metaphysisch noch politisch kommen wir ohne die Teilnehmerperspektive aus, die im intentionalen Freiheitsbewusstsein konkreter Personen reklamiert ist. Es kann sein, dass man dieses Bewusstsein nicht schlicht voraussetzen kann, sondern aufdecken – mit Jacobi gesagt »enthüllen« muss. Insofern Fichtes Schrift diese Debatte provoziert, ist sie nicht nur wichtig, sondern ungeheuer aktuell. Und dabei hoffe ich, an Marek Siemeks Überzeugungen nicht ganz vorbeigegangen zu sein, der außerordentlich interessante Überlegungen zum »IndividuellJemeinigen« angestellt hat.35
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Siemek 2002, 106. Fichtes Bestimmung des Menschen
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11. Dieser und kein anderer? Zur Individualität der Person in Schellings Freiheitsschrift
I. Schellings neuer personalitätstheoretischer Ansatz Im aktuellen Diskurs über Personen tut man sich schwer, unter den Texten der klassischen deutschen Philosophie eine Adresse einschlägiger Erörterungen zu finden. Eine Ausnahme bildet Schelling, was wie so oft für sein problemoffenes Gespür zu sprechen scheint. Zwar steht die Person oder die »Persönlichkeit«, wie Schelling vorzugsweise sagt, nicht im Zentrum seiner Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit, sondern – dies bezeichnet schon der Titel – die Thematik der Freiheit. In diesem Kontext aber ist der Begriff der Person offenbar von entscheidendem Belang. Denn irgendwelche allgemeinen Entitäten, Prinzipien oder Gesetze handeln nicht. Akteure eines freien und als solchen zurechnungsfähigen Handelns sind vielmehr stets Personen: das gilt für Gott und ebenso für den Menschen. Mit dieser Einsicht verabschiedet sich Schelling, so sieht es jedenfalls auf Anhieb aus, von seiner bisherigen Philosophie, die sich zwar von Beginn an dem »A und O« der Freiheit verschrieben, dem Personsein dabei aber nur eine ausdrücklich negative Rolle zuerkannt hatte.1 Anstatt als Voraussetzung der Freiheit war es hier im Gegenteil als ihr Hindernis benannt, insofern das Bewusstsein, das Personen von sich haben, ihre Endlichkeit, ihre empirische Verstricktheit in die Welt der Objekte indizierte. So gefasst, war der Begriff der Person strenggenommen ein Begriff der theoretischen Philosophie, der in Hinblick auf die absolute Freiheitsdimension des Unbedingten per se ohne Bedeutung und in praktischer Rücksicht zu überwinden war. Der tätig anzustrebenden »Zerstörung unserer Persönlichkeit« entsprach mit anderen Worten, dass das absolute Frei-Sein als persönliches zu begreifen lediglich das Relikt orthodoxer Vorurteile verriet. Vgl. insbes. Schellings Brief an Hegel v. 04.02.1795 im Zusammenhang mit seiner Schrift Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen. 1
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Unterdessen aber lesen sich die Dinge ganz anders. Im Zuge der Anbindung des Personbegriffs an das Problemfeld der Freiheit wird aus einem vormals in theoretischer Einstellung zu beschreibenden defizitären Befund die ausgezeichnete Kondition aller Praxis, deren ihrerseits veränderte Auffassung sich nicht zuletzt darin zeigt, dass das Absolute nunmehr zum persönlichen Gott mutiert. Ihm als der »höchste[n] Persönlichkeit« kommt der Charakter der Person sogar in hervorragender Weise zu, während die Rede von Gott als einem »unpersönlichen Wese[n]« jetzt als eklatantes philosophisches Gebrechen gebrandmarkt und auf die Unzulänglichkeit der Positionen Fichtes und Spinozas bezogen wird.2 Tatsächlich lenkt Schelling damit aber nur von einem Umstand ab, der ebenso sehr ihn selber in genau dem Maße betrifft, wie sich sein vormaliges Konzept der intimen Anlehnung an Spinoza und Fichte wesentlich verdankte. Was den Positionswechsel der Freiheitsschrift veranlasst hat, soll hier nicht näher erörtert werden. Zu vermerken ist aber, dass Schellings Neueinsatz zumindest nicht ohne Hinsicht auf Jacobi denkbar ist. Dafür spricht nicht allein, dass Jacobis prominente Kritik an den Systemkonzepten Spinozas und Fichtes ihrerseits stets schon im Namen personaler Freiheit argumentiert und dabei die Tätigkeit sowohl der absoluten Substanz als auch des absoluten Ich als eine systemkonforme bloße »Actuosität oder Agilität« (JF: JWA 2,1, 236) gekennzeichnet hatte, die den Ausdruck einer freien Handlung zu Unrecht usurpiert: zu Unrecht deshalb, weil es hier, sei es in Gestalt des Absoluten oder seiner endlichen Modifikationen, einen konkreten Täter nicht gibt und auch nicht geben kann, der für eine Handlung ursächlich verantwortlich ist. Für den fraglichen Einfluss spricht darüber hinaus, dass Schelling auch die auf seine eigene Natur- und Identitätsphilosophie gemünzte Stellungnahme Jacobis in den Drei Briefen an Friedrich Köppen (1803) zur Kenntnis genommen haben dürfte, deren Stoßrichtung es war, den systemischen Monismus mit der Insistenz auf einem »Dualismus« zu konfrontieren (BK: JWA 2,1, 367).3 Festzuhalten ist schließlich, dass die Freiheitsschrift selber den systemkritischen Vorbehalt Jacobis zwar als eine »alte«, wenngleich Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, SW VII, 395. 3 Vgl. hierzu auch Text Nr. 12 in diesem Band. 2
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»keineswegs verklungene Sage« präsentiert, dabei aber den fundamentalen Einwand, wonach »der Begriff der Freiheit mit dem System überhaupt unverträglich« ist, dem Problemaufriss ihrer Ausführungen zugrunde legt.4 Vor dieser Folie gewinnt denn auch deren veränderte Positionierung offenbar ihre eigentliche Kontur. Unter Beweis zu stellen ist demnach, dass ein System der Freiheit sehr wohl möglich ist: ein System nämlich, das – in Kontinuität zu den früher erhobenen Ansprüchen – einen universalen Begründungszusammenhang thematisiert, und das zugleich – im Bruch mit früheren Optionen – die Freiheit nicht als lediglich »formelle«,5 sondern als die wirkliche Freiheit personal handelnder Akteure zu integrieren versteht. Die Bestimmung menschlicher Freiheit als »Vermögen des Guten und Bösen« hängt damit zusammen.6 Die Frage, die im Folgenden zur Verhandlung steht, zielt indessen auf eben dieses Programm: Hat Schelling sein Konzept wirklich oder nur dem Wortlaut nach geändert? Hat er sich wirklich von spinozanischen Systemvorgaben emanzipiert oder klingt dies nur so? Anders gefragt: Was genau besagt seine neue emphatische Rede von der Person?
II. Einheit und individuelle Identität der Person »Persönlichkeit«, so Schelling, beruht »auf der Verbindung eines Selbständigen mit einer von ihm unabhängigen Basis«.7 Prämisse dieser Erklärung ist die zuvor angegebene Differenz, wonach ontologisch zwischen dem Grund von Existenz und dem Existierenden im Sinne von zwei Aspekten eines Wesens zu unterscheiden ist. Darauf wird im Einzelnen zurückzukommen sein. Bemerkenswert ist jedenfalls schon jetzt, dass Schelling die ursprüngliche Einsicht in diese ontologische Grundverfassung dem Einsatz seiner Naturphilosophie zuschreibt und damit die These verbindet, dergestalt je schon »aufs 4 5 6 7
SW VII, 336. SW VII, 347, 349. SW VII, 352. SW VII, 394. Zur Individualität der Person in Schellings Freiheitsschrift
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bestimmteste von dem Wege des Spinoza« abgewichen zu sein.8 Um die Abgrenzung gegenüber Spinoza ist es entscheidend zu tun – insofern sie aber Schelling zufolge bereits naturphilosophisch vollzogen war, soll das neue Konzept der Persönlichkeit auf diesem Fundament problemlos aufbauen dürfen. Diese Behauptung ist alles andere als klar. Was immer aber es damit genauer auf sich haben mag: im Vorgriff auf die Bestimmungen, die Schelling in die ursprüngliche Differenz zwischen Grund und Existierendem im Weiteren einträgt, kann man hinsichtlich seines Personbegriffs auf Anhieb folgendes festhalten. Danach gilt erstens, dass die Struktur personaler Existenz nicht einfach, sondern in sich differenziert ist: die Einheit der Persönlichkeit übergreift eine interne Differenz. Und dies wiederum bedeutet zweitens, dass es für Personen charakteristisch ist, ein »reales« und ein »ideales« Prinzip in sich zu vereinen: Realerweise sind sie natürliche und demzufolge auch verkörperte Wesen, idealerweise zeichnet sie eine spezifische intellektuelle Kompetenz aus, deren Verbindung mit der natürlichen Basis das ausmacht, was Schelling den »Geist« einer Person nennt.9 Ins Auge zu fassen ist also ein personales Gefüge, wonach das Sein von Personen niemals nur in mentalen Zuschreibungen des Bewusstseins besteht, aber auch nicht allein als eine besondere Art von Naturphänomen verstanden werden kann. Und zu berücksichtigen ist dabei weiter, dass die Weise der Verbindung natürlicher und intellektueller Aspekte ebenso wenig auf so etwas wie eine genetische Aufstufung des Intellekts im Ausgang von der natürlichen Verfassung eines Lebewesens zurückzuführen ist. Der realen Unabhängigkeit der natürlichen Basis entspricht vielmehr die ideale Selbständigkeit des Denkens. Zusammengefasst heißt das, dass Schelling ganz offenkundig die Absicht verfolgt, die Existenz von Personen gleichermaßen gegen idealistische und doppelt naturalistische Missverständnisse zu verwahren und sie somit als eine Existenzform sui generis zu sichern. Dass dieses Programm als solches durchaus vielversprechend und im Blick auf die gegenwärtigen Diskussionen auch nicht irrelevant ist, ist vorderhand nicht zu bestreiten.
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SW VII, 357. SW VII, 364. Bezüge
Der entscheidende Punkt jedoch, auf den es im Folgenden ankommt, ist mit alledem noch nicht benannt. Benannt ist bislang nur, dass die spezifische Existenzform von Personen die Binnendifferenz von natürlichen und intellektuellen Aspekten übergreift. Hinreichend wäre diese Erklärung aber erst dann, wenn sie in sich einschließen würde, dass das, was für jede Person im Allgemeinen spezifisch ist, sich nicht lediglich in allen einzelnen Personen identisch wiederholt, mit der Folge, dass man keine von der anderen unterscheiden könnte, sondern im Falle jeder einzelnen Person etwas je Bestimmtes meint. Die spezifische Struktur des personalen Gefüges muss etwas ihrerseits Spezifisches sein – mit anderen Worten: Was in den Begriff der Person miteingehen muss, ist die Bestimmung ihrer Individualität. Blickt man auf die komplizierte Geschichte des Personbegriffs zurück, dann war es ja in der Tat die Kennzeichnung der »individua substantia« oder genauer der »individua subsistentia«, mit der ehedem Boethius einem neuen Verständnis des Ausdrucks »persona« auf die Bahn verhalf.10 Inwieweit Schelling dieser Hintergrund vor Augen steht, sei hier dahingestellt. Wichtiger ist die sachliche Frage, ob und gegebenenfalls wie er selber diesem Erfordernis Rechnung tragen will. Denn so viel ist auch schon im zeitgenössischen Diskussionskontext klar: Verfolgte er im Zuge seiner Rehabilitierung der Person das Interesse ihrer individuellen Existenz nicht, bliebe die Proklamation eines Systems der Freiheit zwangsläufig hinter der Problemvorgabe Jacobis zurück, der von Anfang an auf der Individualität der Person bestanden, genau daran aber auch die These ihrer epistemischen Unzugänglichkeit gebunden hatte.11 Wie also steht es darum bei Schelling? Seine eben zitierte Erklärung als solche gibt darüber auffälligerweise keinen Aufschluss. Angesichts der auch hier dominanten Rede von der »Persönlichkeit« könnte man sogar prima facie auf eine entindividualisierte Lesart verfallen, insofern dieser Sprachgebrauch auf denjenigen Kants zurückzugreifen scheint, der der empirisch bestimmten Person die Persönlichkeit entgegengesetzt und damit das Universale der »Menschheit« angesprochen hatte, dem sich die je-
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Boethius 1988, 74, 76. Vgl. Text Nr. 5 in diesem Band. Zur Individualität der Person in Schellings Freiheitsschrift
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weilige Person zu unterwerfen hat.12 Andererseits ergibt diese Konstellation wenig Sinn, soll doch, was Schelling »Persönlichkeit« nennt, gerade nicht den Hiatus zwischen »Sinnenwelt« und »intelligibler Welt«, sondern vielmehr die Integration der bei Kant getrennten Welten zum Ausdruck bringen. Notiert man dies, dann bleibt zwar der Sprachgebrauch nichtsdestotrotz irritierend und womöglich auch verräterisch, aber ein Indiz dafür, dass Schellings von Kant abweichendes Konzept auch auf die Individualität der Persönlichkeit zielt, hat man damit durchaus in der Hand. Tatsächlich ist denn auch die Auszeichnung der sogenannten »Selbstheit« zentral. »Selbstheit als solche«, so Schelling, »ist Geist«.13 Bezieht man diese Aussage in die Struktur des personalen Gefüges ein, dann heißt das, dass Geist demnach sowohl die Verbindung, die übergreifende Einheit der internen Differenz, als auch die je individuelle Identität dieser Einheit meint. Mit diesem von Schelling nahegelegten Ineinsfall von persönlicher Einheit und Identität sind die Probleme jedoch nicht gelöst, sondern genau hier fangen sie allererst an. Denn im Unterschied zu der im Anschluss an Boethius auf Richard von St. Viktor zurückgehenden Tradition und im Unterschied auch zu Jacobi, kann es Schellings Intention nicht sein, die wesentliche Inkommunikabilität der individuellen Person zu unterstreichen. Sein Anspruch, einen systemischen Zusammenhang zu explizieren, verlangt vielmehr, den genannten Ineinsfall in seinem Zustandekommen zu durchschauen. Wie aber macht man das? Die anstehenden Schwierigkeiten bezeichnet treffend, dass es genau besehen zwei verschiedene Operationen sind, die Schelling hier bemüht, womit einhergeht, dass er de facto zwei verschiedene Konzeptionen persönlicher Identität entwirft. Die eine, die eben genannte »Selbstheit« nämlich, steht im Kontext mit den metaphysischen Grundannahmen der Ontologie. Danach gilt, dass es nicht etwa der Geist ist, der als ein Drittes bzw. Erstes gegenüber den beiden natürlichen und intellektuellen Aspekten der Person für ihre Individuiertheit genuinerweise einstünde. Vielmehr verdankt sich das individuelle Profil einer Person Schelling zufolge Kant, Kritik der praktischen Vernunft, AA V, 87. Vgl. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 429. 13 SW VII, 364. 12
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einem der beiden Relate, und zwar nicht dem »idealen« Aspekt des »Selbständigen«, sondern der natürlichen »Basis«. Es ist dieser Gedanke, der offenbar zwischen der früheren »Naturphilosophie« und der jetzt personalitätstheoretisch modifizierten Position die Brücke bilden soll, und dementsprechend kann man die hier wie immer als »Geist« artikulierte, die »zur Geistigkeit erhobene Selbstheit« 14 als diejenige eines naturalen Selbst bezeichnen. Dem steht jedoch andererseits die Identität eines moralischen Selbst gegenüber, die auf eine dem zeitlich bewussten Leben der Person vorausliegende intelligible Tat zurückgeführt wird. Einer solchen »anfänglichen Handlung« soll schließlich allererst zuzuschreiben sein, dass der Mensch »kein unbestimmtes Allgemeines«, sondern »dieser und kein anderer ist«.15 Das wirft im Nachhinein auf das naturale Selbst des Geistes ein seltsames Licht, indem dieses demnach nicht für die unverwechselbare Identität der Person bürgt. Wofür aber dann?
III. Die Unterscheidung zwischen Grund und Existierendem im Rückgriff auf Spinoza Nicht die übergreifende Einheit, sondern die individuelle Identität der Person ist der sensible Punkt in Schellings Programm: das sollte mit den voranstehenden Bemerkungen deutlich geworden sein. Dem nun genauer nachzugehen, erfordert allerdings einen gewissen Anlauf, der dem Fingerzeig Schellings folgend bei der schon genannten Differenz zwischen dem Grund und dem Existierenden einzusetzen hat. Dabei soll es sich um so etwas wie eine ontologische Generalaussage handeln, die in zwei Fällen jedoch, im Falle Gottes und des Menschen, zugleich tauglich sein soll, deren Persönlichkeit zu begründen, und zwar so, dass die Verfasstheit Gottes derjenigen des Menschen vorgängig ist. Der metaphysischen Anlage des Textes gemäß mag man diese These zunächst einmal durchaus konzedieren – genau besehen trifft sie so indessen gar nicht zu. Zwar stellt die interne Verfassung des Absoluten in der Tat die Momente bereit, die dann in die Bestimmung der menschlichen 14 15
SW VII, 370. SW VII, 384 und 389. Zur Individualität der Person in Schellings Freiheitsschrift
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Persönlichkeit eingehen. Dass man es dergestalt aber wirklich mit einer personalen Bestimmtheit zu tun hat, dies erfährt man im Verlauf des Textes erst, nachdem im Konnex mit der göttlichen Schöpfung vom Menschen die Rede ist. Hier, in Verbindung mit dessen »Selbstheit«, fällt der Ausdruck »Persönlichkeit« buchstäblich zum ersten Mal, und von hier aus wird er rückwirkend auf die Verfassung des Absoluten übertragen, auf einen Gott, der dann, aber auch erst dann, als die »höchste Persönlichkeit« firmiert. Es ist klar, dass sich die Argumentation damit im Kreise dreht, in einem Kreis zudem, der im Zuge der rückwirkenden Übertragung menschlicher Persönlichkeitsmerkmale auf Gott an der Last eines durchaus indiskreten Anthropomorphismus trägt und dies durch die Einkleidung in das Gewand theosophischer Spekulation auch noch drastisch unterstreicht. Jedoch soll im Folgenden weder die zirkuläre Begründung als solche noch der damit verbundene anthropomorphe Zugriff auf das Absolute im Zentrum stehen. Bemerkenswert ist der Umstand, dass Schelling eine bestimmte Verfassung des Absoluten erst nachträglich als personenspezifisch ausgibt, vielmehr aus einem anderen Grund: Er könnte ein gewichtiges Indiz dafür sein, dass die Differenz zwischen dem Grund und dem Existierenden im Sinne von zwei Aspekten eines Wesens vorderhand tatsächlich gar nichts an sich hat, was dessen personale Kennzeichnung einleuchtend und unabweisbar erscheinen ließe. Worum handelt es sich in Gestalt dieser Differenz? Nimmt man den Anspruch der Freiheitsschrift ernst, dass sie trotz ihrer »Erzählung eines Mythos« 16 Überlegungen von wissenschaftlichem Format vorzutragen hat, und versucht man demzufolge, durch die theosophische Diktion gleichsam hindurch auf das Strukturgerüst zu blicken, das dem Gedankengang zugrunde liegt, dann ist allem voran evident, dass der Unterscheidung zwischen Grund und Existierendem die Bestimmung der causa sui im Rücken liegt. Spätestens das Denkmal auf Jacobi gibt das explizit zu verstehen: »Gott muß Etwas vor sich haben, nämlich sich selber, so gewiß er causa sui ist.« 17 Den Grund in Gott, der seine Basis in dem Maße bildet, wie er Ursache Jaeschke 1996, 213. Schelling, F.W.J. Schellings Denkmal der Schrift von den göttlichen Dingen des Herrn Friedrich Heinrich Jacobi und der ihm in derselben gemachten Beschuldigung eines absichtlich täuschenden, Lüge redenden Atheismus, SW VIII, 62. 16 17
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seiner selbst ist, identifiziert Schelling im Weiteren mit der »Natur« in Gott, um daran sogleich die Rede von Wille und Sehnsucht des Grundes anzuschließen.18 Indessen empfiehlt es sich, diesen hier schon ausdrücklich anthropomorph gefassten Zuschreibungen nicht unvermittelt zu folgen, sondern bei der Eingangsbestimmung noch ein wenig zu verweilen. Denn was im Theorieraum Schellings selbstverständlich zu beachten ist, ist dies, dass die causa sui die allererste Bestimmung in Spinozas Ethik ist: »Per causam sui intelligo id, cujus essentia involvit existentiam«.19 Dass Schelling diese Initiativdefinition Spinozas vor Augen steht, sagt er nicht explizit. Dass indes genau sie die Folie dafür abgibt, zwischen dem Grund, nämlich dem Wesen, und dem Existierenden, nämlich der Existenz, zu unterscheiden, ist deutlich. Ist es aber erlaubt, diesen spinozanischen Hintergrund in die Konstellation der Freiheitsschrift einzublenden? Hat Schelling nicht ausdrücklich versichert, im Zuge seiner Unterscheidung bereits in der Naturphilosophie »aufs bestimmteste von dem Wege des Spinoza« abgewichen zu sein? Nun kann man, ohne die Folie beiseitezulegen, der von Schelling behaupteten Distanznahme durchaus einen Sinn abgewinnen. Was bei Spinoza den Charakter einer instantan gesetzten und aufgehobenen Differenz hat, dies zieht Schelling, so scheint es ja, in eine wirkliche Differenz auseinander, womit aus dem Sein Gottes sein Werden wird und die Rede von Gott in eine bewusste Zweideutigkeit gerät: durch seine Verfassung geht ein Spalt, insofern der Grund in Gott nicht »Er selbst« als actu existierender ist.20 Jedoch beeilt Schelling sich nicht zufällig sogleich, den realen Spalt in Gott nicht in eine veritable Zerspaltung zu treiben, die das Werden Gottes als causa sui zuletzt völlig unverständlich machte. Folglich ist es in Wahrheit ein »Cirkel, daraus alles wird«, was hier bedeutet, dass Grund und Existierendes einander wechselseitige Voraussetzung sind.21 Dass man die Essenz nicht ohne Existenz, die Existenz aber auch nicht ohne Essenz denken kann, hatte jedoch auch die Definition Spinozas festgehalten, deren dualistische Öffnung in Hinblick auf ein reales göttliches 18 19 20 21
Schelling, Freiheitsschrift, SW VII, 358f. E I, def. 1. SW VII, 360. SW VII, 358. Zur Individualität der Person in Schellings Freiheitsschrift
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Werden Schelling damit wieder in Klammern setzt. Ist mithin ein wirklicher Fortschritt in den Theoriegrundlagen erzielt, dem sich zudem irgendein Anhaltspunkt für eine personale Deutung abgewinnen ließe? Dass dem nicht so ist, der Fortschritt bislang also nur in einer symbolischen – und eben deshalb theosophisch zu schildernden – Einfärbung der spinozanischen Vorgaben besteht, scheint Schelling selbst geahnt zu haben. Zwar muss man viele Seiten weiterblättern, um den, wie er meint, endgültig zureichenden Aufschluss darüber zu erhalten, was es mit der basalen Unterscheidung des Anfangs auf sich hat. Dafür stößt man hier dann aber auch auf den »höchsten Punkt der ganzen Untersuchung. Schon lange hörten wir die Frage: wozu soll doch jene erste Unterscheidung dienen, zwischen dem Wesen, sofern es Grund ist und inwiefern es existirt? Denn entweder gibt es für die beiden keinen gemeinsamen Mittelpunkt: dann müssen wir uns für den absoluten Dualismus erklären. Oder es gibt einen solchen: so fallen beide in der letzten Betrachtung wieder zusammen.« 22 Einen »absoluten Dualismus« zu behaupten, führte in absurde Manichäismen, während seine Aufhebung in die Denkbahn Spinozas zurücklenken würde: das ist der Stand der Dinge, wie er sich schließlich darstellt. Umso bemerkenswerter ist Schellings Versuch, aus diesem Dilemma herauszufinden, nämlich durch die These einer ursprünglichen »Indifferenz«, die »vor allem Grund und vor allem Existirenden, also überhaupt vor aller Dualität«, sowohl die Einheit des göttlichen Wesens garantiert als auch den »Ungrund« dafür bildet, dass aus ihm die Dualität ›hervorbrechen‹ kann, wie es hier heißt.23 Dies klingt nun so, als distanziere sich Schelling von den Grundlagen Spinozas nun nicht mehr in Gestalt einer symbolischen Dynamisierung der causa sui, sondern in Richtung auf ein schlechthin Absolutes, das der spinozanischen causa sui selber noch vorausliegt. Tatsächlich aber kehrt er damit in anderer Weise doch nur wieder zu Spinoza zurück. Denn die Indifferenz, um deren Freilegung es in dieser nicht umsonst »dialektisch« genannten »Erörterung« geht,24 stellt der Struktur nach nichts anderes als den Punkt da, auf den 22 23 24
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SW VII, 406. SW VII, 406f. SW VII, 407. Bezüge
Schelling je schon identitätsphilosophisch geblickt und damit die göttliche Substanz Spinozas als die Einheit ins Auge gefasst hatte, die sich in Gestalt ihrer Attribute, als extensio also und als cogitatio, je als Ganze zu verschiedenem Ausdruck bringt. Liest man den Text genau, dann sieht man, dass Schelling eben diese Struktur, die ihm zuvor den Anlass gab, eine realistische Naturphilosophie und eine idealistische Geistphilosophie parallel zueinander zu entwickeln, jetzt wiederholt. Der Ungrund nämlich kann dies »nicht anders seyn, als indem er in zwei gleich ewige Anfänge auseinandergeht, nicht daß er beide zugleich, sondern daß er in jedem gleicherweise, also in jedem das Ganze, oder ein eignes Wesen ist«.25 Deutlich zu erkennen ist mithin, dass die Substanz – in der Stellung des Ungrundes – der Fluchtpunkt ist, auf den Schelling die der causa sui abgewonnene Binnendifferenz zwischen Grund und Existierendem bezieht, womit sich zugleich erklärt, warum die beiden »ewigen Anfänge« in das »reale Prinzip« der Natur und das »ideale Prinzip« des Verstandes auseinandergehen. Denn offenkundig bildet Schelling zusammen mit der attributiven Stellung dieser beiden Prinzipien auch die inhaltlichen Vorgaben Spinozas, die Hinsicht auf extensio und cogitatio also, mit der Folge in seinem Konzept ab, dass beide Prinzipien allerdings in engstem Zusammenhang stehen, nicht aber aufeinander zurückgeführt werden können. Der unabhängigen Basis der Natur entspricht die ideale SW VII, 408. Vgl. damit die frühere Formulierung in Philosophie und Religion, SW VI, 24f.: »Die dritte Form, in welcher die Reflexion das Absolute auszudrücken liebt, und welche vorzüglich durch Spinoza bekannt ist, ist die disjunktive. Es ist nur Eines, aber dieses Eine kann auf völlig gleiche Weise jetzt ganz als ideal, jetzt ganz als real betrachtet werden: diese Form entspringt aus der Verbindung der beiden ersten; denn jenes Eine und selbe, das, nicht zugleich, sondern auf gleiche Weise, jetzt als das eine, jetzt als das andere betrachtet werden kann, ist eben deßwegen an sich weder das eine noch das andere (nach der ersten Form), und doch zugleich das gemeinschaftliche Wesen, die Identität beider (nach der zweiten Form), indem es, in seiner Unabhängigkeit von beiden, dennoch gleicher Weise jetzt unter diesem, jetzt unter jenem Attribut betrachtet werden kann.« Berücksichtigt man diese wörtliche Übereinstimmung der beiden Texte, dann erscheint es umso unplausibler, den »Ungrund« als einen dem Rekurs auf Böhme sich verdankenden Neueinsatz Schellings zu lesen, mit dem der Systementwurf »in seiner Mitte gebrochen« sei (Ohashi 1995, 245). Die jüngste Auseinandersetzung mit Schellings Freiheitsschrift in Bezug auf Heidegger und Jacobi bietet Sommer 2015. 25
Zur Individualität der Person in Schellings Freiheitsschrift
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Selbständigkeit des Denkens: das kann man – als eine urspinozanische Einsicht – festhalten. Was aber hätte all das mit der Frage nach der Persönlichkeit zu tun? Wieso rehabilitiert es den Theismus, wenn man die Dynamisierung der causa sui in das Ausdrucksgefälle einträgt, das Spinoza je schon zwischen der Substanz und ihren Attributen am Werke sah? Nun könnte es so scheinen, als sei in dieser Problembeschreibung trotz allem zweierlei nicht bedacht. Die These, dass Schelling lediglich das ihn seit je beschäftigende Strukturmuster Spinozas nunmehr als personales Gefüge Gottes rekonstruiert, hätte danach übersehen, dass erstens das Attribut extensio mit Schellings Naturbegriff erklärtermaßen nicht identisch und zweitens das einigende Prinzip der Substanz eine Unterbestimmung dessen ist, was »Geist« genannt zu werden verdient. Tatsächlich sind dies Argumente, die Schelling selber in den Stuttgarter Privatvorlesungen dem Verdacht entgegenhält, es könne das »Spinozische System« mit dem »neueren Identitätssystem […] im Grunde ganz einerlei« sein.26 Womit er interessanterweise nicht nur bestätigt, dass ein solcher Verdacht sich nahelegen kann, sondern in der Absicht, »mein System« durch eine »Uebersicht über die neuere Philosophie« zu erklären, auch den Grund dafür kenntlich macht: Den cartesischen Substanzendualismus zwischen Geistigem und Materiellem zunächst und sodann die »absolute Identität beider Principien« bei Spinoza als Bezugsfiguren in den Blick zu rücken, zeigt ja, dass Schelling sich wirklich und nicht nur unterstelltermaßen an dieser Konstellation der Attribute orientiert.27 Umso größer aber soll schließlich der Unterschied sein, da »Spinozas Physik […] ganz mechanisch« und die Substanz hier nur als die »leere Identität« ihrer Attribute gefasst sei, »anstatt sie zum Hauptgegenstand zu machen. Nämlich eben an dieser Stelle, wo Spinoza nichts sucht, eben hier liegt der Begriff vom lebendigen Gott, von Gott als höchster Persönlichkeit; daher ist ganz wahr, daß Spinoza die Persönlichkeit des höchsten Wesens wenigstens ignorirt, wenn nicht positiv leugnet.« 28 Schelling, Stuttgarter Privatvorlesungen, SW VII, 443. Die Rede vom »neueren Identitätssystem« darf man hier besonders bemerkenswert finden. 27 Schelling, Privatvorlesungen, SW VII, 443. 28 SW VII, 443f. 26
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Obwohl beide Argumente in eine unterschiedliche Richtung zielen, liegt ihr Gemeinsames offenbar darin, als Anwalt des »Lebendigen« aufzutreten und demgegenüber Spinozas Metaphysik jene tote »Starrheit« zu unterstellen, von der auch die Freiheitsschrift spricht: »Der Fehler seines Systems liegt keineswegs darin, daß er die Dinge in Gott setzt, sondern darin, daß es Dinge sind – in dem abstrakten Begriff der Weltwesen, ja der unendlichen Substanz selber, die ihm eben auch ein Ding ist.« 29 Und wenn eben dies wirklich nur eine Unterstellung wäre, die durch ihre stereotype Wiederholung bis hin zu Heidegger nicht triftiger wird? In der Tat mutet es überaus seltsam an, dass Schelling vergessen haben sollte, was er in der Ichschrift sogar als die »erhabenste Idee im Systeme des Spinoza« 30 sehr wohl hervorzuheben wusste: dass nämlich hier die essentia Gottes als potentia, als absolute Macht oder Kraft behauptet wird. »Dei potentia est ipsa ipsius essentia.« 31 Geht man indessen davon aus, dass Schelling so vergesslich unmöglich war, dann muss man seine Kritik an Spinozas vermeintlich totem Dinggebilde nicht nur mit äußerster Vorsicht zur Kenntnis nehmen, sondern darf vor allem die begründete Vermutung hegen, dass es genau diese göttliche Wesenspotenz bei Spinoza ist, deren Adaption den »Grund« in Schellings Konzept so lebendig und die Natur – in ihrer attributiven Gleichsetzung mit dem Wesen – so dynamisch macht. Wenn aber dergestalt von einer »aufs bestimmteste« vollzogenen Distanzierung von Spinoza in Wahrheit gar keine Rede sein kann, dann folgt daraus, dass die naturphilosophische Fundamentierung Gottes hinsichtlich der Frage nach seiner Persönlichkeit tatsächlich nichts beitragen kann. Gott als Person müsste Schellings eigenen Überlegungen zufolge nicht nur eine naturale Basis, eine unbewusste Kraft in sich haben. Diese Kraft müsste, wiederum nach seinen eigenen Überlegungen, eine individuelle Identität aufweisen: der Grund in Gott müsste ein individuierter sein. In diesem Sinne sprechen die Privatvorlesungen allerdings von einem »individuelle[n] Wesen« als der Basis des idealen Allgemeinen und identifizieren diese »erste Urkraft« mit einem »Egoismus in Gott«, dem gegenüber sich die 29 30 31
SW VII, 349, 350. Schelling, Ichschrift, SW I, 195f. E I, prop. 34. Zur Individualität der Person in Schellings Freiheitsschrift
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göttliche Liebe offenbart.32 Was aber ist hier das individuierende Prinzip? Es ist bezeichnend, dass Schelling diese Frage ebenso wie in der Freiheitsschrift nur im Vorgriff auf »menschliche« Verhältnisse33 beantworten und dabei zugleich nicht wirklich klar machen kann, was man sich bei der Behauptung göttlicher »Selbstheit« 34 eigentlich zu denken hat. Ist es der göttliche Bewusstwerdungsprozess, der, wie es einerseits scheint, die beiden Prinzipien scheidet und darin als solche kenntlich macht, so müsste der Grund je schon individuiert gewesen sein, ohne dass dafür eine Begründung gegeben worden wäre. Ist es aber dieser Prozess, der, wie es andererseits scheint, in der Scheidung der Prinzipien die »Contraktion« des Grundes selber erst bewirkt,35 dann bleibt erst recht unerfindlich, von welcher Art ein Wesen ist, das seine von ihm abgespaltene Identität als seine erkennt und integriert.36 Mit anderen Worten: Achtet man jenseits der anthropomorphen Rede auf die Strukturen dieser Ontologie, dann gibt es hier ebenso wenig wie bei Spinoza einen Grund, das in höchstem Maße lebendige Wesen Gottes anders denn als die Einheit einer anonymen absoluten Potenz zu denken, die sich als solche – instantan oder in einem ewigen »Zirkel« – aktualisiert. Analog verhält es sich deshalb auch mit dem Einwand, wonach Spinoza es versäumte, die »Substanz« zum »Hauptgegenstand« zu machen. Dies um der lebendigen Persönlichkeit Gottes willen nachzuholen, kann nun schwerlich bedeuten, auf die ursprüngliche Indifferenz des »Ungrundes« zu verweisen, stellt er ja in seiner »Prädicatlosigkeit« 37 das absolute Gegenteil einer personalen Bestimmtheit dar. Folglich bleibt nur der Gedanke der »Verbindung«, von dem anlässlich der ersten Verständigung über das personale Gefüge schon die Rede war: derjenigen Verbindung der differenten Prinzipien also, die Schelling als Geist bezeichnet hat. Insofern die Einheit nicht allein der Scheidung der Prinzipien substantial zuSchelling, Privatvorlesungen, SW VII, 438. 33 SW VII, 432. 34 SW VII, 438. 35 SW VII, 434. 36 Angesichts dieser Problematik kann deshalb auch Schellings drittes Argument gegen Spinoza nicht überzeugen, dass nämlich hier die Attribute ohne wechselseitige Beziehung gedacht seien (Privatvorlesungen, SW VII, 443). 37 Schelling, Freiheitsschrift, SW VII, 406. 32
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grunde liegt, sondern sie als geschiedene geistig übergreift, insofern ist Gott Person: so Schellings flankierendes Argument, das jedoch in seinem dialektischen Aufgebot einer Identität von Identität und Differenz nicht allein die individuelle Signatur dieser Person nicht angeben kann. Als personalitätstheoretische Überbietung Spinozas ist es zudem wiederum durch dessen entschieden verkürzte Präsentation erkauft. Denn dass der Gedanke einer geistigen Verbindung der Attribute Spinoza fremd sei, kann man mit Fug bezweifeln: schließlich ist es der intellectus infinitus, der hier die formale Scheidung der Attribute objektiv übergreift, und er ist es auch, der zuletzt in Gestalt des amor Dei intellectualis die substantiale Einheit als Liebesvollzug zum Ausdruck bringt. Geist und Liebe fehlen hier mithin so wenig, wie der Gedankengang der Ethik in diesen Bestimmungen sogar gipfelt: und erneut ist es schwer zu glauben, dass Schelling dies nicht gesehen und seinem eigenen Konzept – in personalistischer Denomination – zugrunde gelegt haben sollte. Im Blick auf beide Einwände bleibt ein Paradoxon zuletzt zu bedenken. Selbst wenn man konzediert, dass Schelling eine Struktur übergreifender Einheit persönlich nennen möchte, und man weiter konzediert, dass deren individuelle Identität zugleich nur anthropomorph gedacht werden kann, so ist doch die Frage, wie man beides vereinbaren kann. Was bedeutet es für die Persönlichkeit Gottes, dass dessen »wahres und eigentliches Selbst« darin bestehen soll, die naturale Selbstheit der universalen Liebe unterzuordnen?38 Wäre dieses »Selbst« dann etwas anderes als die höchste Selbstlosigkeit – und damit neuerlich etwas, das nur nominell Persönlichkeit wäre?
IV. Die Ontologie der Person: Naturale Selbstheit ohne Selbst »Gott, oder, genauer gesprochen, das Wesen, welches Gott ist«, so schärft Schelling im Denkmal auf Jacobi ein, ist »Grund – in zweierlei Verstand«: er ist Grund von sich selbst, aber er »macht sich auch zum Grund, indem er eben jenen Theil seines Wesens, mit dem er zuvor wirkend war, leidend macht«.39 So ›beginnt‹ die Schöpfung einer von 38 39
Schelling, Privatvorlesungen, SW VII, 439. Schelling, Denkmal auf Jacobi, SW VIII, 71. Zur Individualität der Person in Schellings Freiheitsschrift
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Gott unabhängig sein sollenden Welt, unabhängig deshalb, weil die Differenz in Gott die Bedingung der Möglichkeit einer Differenz außer Gott abgeben soll. Will sagen: Als Ursache seiner selbst ist Gott zugleich Ursache der Welt, insofern er sich kreativ auf seinen Grund als den Grund der Welt bezieht. Nach allem scheint es müßig, und doch ist es unverzichtbar zu vermerken, dass mit diesem zentralen Theorem Schellings selbstverständlich wieder nur einer der wichtigsten Sätze Spinozas in das »neuere Identitätssystem« eingeholt wird: »eo sensu, quo Deus dicitur causa sui, etiam omnium rerum causa dicendus est«.40 Dieses »eo sensu« will Schelling offenkundig explizieren, und zwar mit dem Interesse, im Zuge dieser Explikation den Gedanken einer freien persönlichen »That« dem notwendigen Vollzug einer anonymen »Begebenheit« zu kontrastieren.41 Damit geht nun einher, dass die Differenz zwischen Grund und Existierendem eine nochmals variierte Kennzeichnung erhält: nämlich diejenige von Grund und Ursache.42 Dass das Absolute als Übergreifendes der Differenz beides, »sowohl Grund als Ursache«, ist, ist folgerichtig die Botschaft, die Schelling Jacobi entgegenhält,43 dem er das Motiv der Ursache als eines persönlichen Handlungsprinzips zweifellos verdankt, gegen dessen Monitum aber, dass Grund und Ursache nicht vermischt werden dürfen, er sich entrüstet verwahrt. Das ist in einer Hinsicht seltsam. Denn der Umstand, dass Jacobi diese Vermischung ja nicht erst in der späteren Streitschrift gegen Schelling Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung von 1811 (GD: JWA 3, 105 ff.), sondern bereits im Gespräch über Idealismus und Realismus und dann in der maßgeblichen Beilage VII der Spinozabriefe kritisiert, bedeutet, dass die Kritik ursprünglich an die Adresse Spinozas gerichtet war. Weil dessen System, so lautete hier der Einwand, die Logik des Grundes mit der des Handelns – ratio sive causa – vermischt, geht es über das rein rationale Implikationsverhältnis von Grund und Folge einerseits hinaus und gelangt eben damit andererseits doch nur zu einem »blind actuosen Wesen« (Spin: JWA 1,1, E I, prop. 25, scholium. Schelling, Freiheitsschrift, SW VII, 396. 42 Vgl. SW VII, 365. Vgl. auch: F.W.J. Schelling, Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie, SW VII, 177. 43 Schelling, Denkmal auf Jacobi, SW VIII, 71. 40
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265), das in Ermangelung einer eigenen »individuelle[n] Würklichkeit« (Spin: JWA 1,1, 23) die reale Differenz eines Andersseins gar nicht erhandeln kann (Spin: JWA 1,1, 255 ff.).44 Vor diesem Hintergrund ist klar, dass Schellings vermeintliche Innovation, das Sowohlals-auch von Grund und Ursache, nicht nur keine ist, sondern in eins damit Gefahr läuft, sich in derselben Problemlage wie Spinoza zu verstricken, wie Jacobi sie von vornherein diagnostizierte. In anderer Hinsicht jedoch ist es verständlich, dass Schelling diesen Zusammenhang wissentlich oder unwissentlich ignoriert. Wie im Falle der Ontologie des Absoluten kommt es auch im Falle seines Verhältnisses zur Welt darauf an, über der Integration von Personalität und ursächlichem Handeln die Explikationsmacht eines systemischen Zusammenhangs nicht zu opfern. Beides soll sein – und dass Schelling wirklich und nicht nur zum Schein beides will, soll hier auch nicht in Abrede gestellt werden. In Hinblick auf das Absolute jedoch ist die Realisierung dieser Absicht de facto gescheitert, wie in den vorangehenden Überlegungen zu zeigen war. Im Duktus systemischer Entfaltung ist die Persönlichkeit Gottes nur die Denomination einer spinozanisch-identitätsphilosophisch geprägten Struktur, die dieselbe bleibt, wenn man sie anders nennt, wobei die beschworene individuelle »Selbstheit« im Verhältnis zum »wahren Selbst« Gottes die Problematik eigentlich kenntlich machte. Wie steht es aber nun um die Verfassung menschlicher Personen? Im Rahmen der ontologischen Grundlegung stellt sich eine gravierende Schwierigkeit hier zunächst einmal nicht. Denn die hinsichtlich des Absoluten offen gebliebene Frage, welches das Prinzip der Individuation des Grundes sein könnte, wird hier durch die Schöpfung beantwortet. Sein naturales Selbst, die individuelle Bestimmtheit des Grundes, findet demnach jeder vor: es ist die »Selbstheit«, die vom göttlichen Verstand »aus dem Grunde der Natur emporgehoben« wird.45 Impliziterweise, so hat man dieses Emporheben wohl zu verstehen, enthält das absolute Wesen alle einzelnen Wesen real, aber ungeschieden in sich. Insofern entstehen sie nicht
Vgl. zu diesem ganzen Komplex Sandkaulen 2000 und Text Nr. 1 in diesem Band. 45 Schelling, Freiheitsschrift, SW VII, 364. 44
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durch »äußere Vorstellung«,46 aber auch nicht durch eine creatio ex nihilo, sondern durch »wahre Ein-Bildung«, durch ein Hineinbilden der »Idea«, das »Erweckung«,47 mithin Aktualisierung des Realen, seine aktualisierende Explikation zu etwas »Begreifliche[m] und Einzelne[m]« ist.48 In den Termini eines Differenzgefälles zwischen Realität und Aktualität spricht Schelling hier selber nicht. Von Spinoza stammend, helfen sie indes, sich deutlich zu machen, wie man sich den Unterschied zwischen solchem, was im (attributiven) Grund impliziert, und solchem, was aus ihm expliziert, in Schellings Formulierung »ausgesprochen« wird,49 zu denken hat. Insofern sieht man zugleich aber auch deutlicher, dass Schelling jetzt über früher Gesagtes wirklich hinausgehend versucht, die bei Spinoza je schon – wenn auch um den Preis der angedeuteten Aporien – thematisierte Dimension der Aktualität seinerseits einzuholen: das also, wovon es bei Schelling zuvor stets nur hieß, es komme durch »äußere Vorstellung«, mithin durch »Reflexion« zustande und sei in wahrer Anschauung gerade zu negieren.50 In diesem Kontext drängt sich deshalb aber auch noch eine weitere Parallele auf. Die Aktualisierung des modalen Wesens fasst Spinoza in Gestalt des conatus, des Strebens nach Selbsterhaltung, in dem sich die göttliche Potenz im Einzelnen zum Ausdruck bringt. Schelling spricht, um die »Selbstheit« in ihrer lebendigen Dynamik zu kennzeichnen, vom »Eigenwille[n] der Creatur«,51 er spricht wörtlich indes auch von dem »Trieb, sich nicht nur überhaupt, sondern in diesem bestimmten Daseyn zu erhalten«, und er betont dabei, dass eben dieser Trieb zeige, dass »es nicht bloß eine geometrische Nothwendigkeit ist, die hier gewirkt hat«, sondern dass die Begierde »das Schaffende selber gewesen« sei.52 Dies zielt natürlich neuerlich gegen Spinozas vermeintliche Dingmetaphysik, die hier lebendig überboten werden soll.
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SW VII, 361. SW VII, 362. SW VII, 361. SW VII, 363. Vgl. z.B. Schelling, System der gesammten Philosophie, SW VI, 181ff. Schelling, Freiheitsschrift, SW VII, 363. SW VII, 376. Bezüge
Tatsächlich hat man es aber mit ein und demselben Gedanken zu tun – und insofern ist auch evident, dass so, wie Schopenhauers Willensmetaphysik in Schellings Freiheitsschrift ihre Wurzel hat, so diese in Spinozas Ethik. Allerdings ist dabei ein Differenzpunkt wesentlich und folgenreich. Bei Spinoza geht die göttliche Wesenspotenz im Ausdrucksgefüge der Substanz den Attributen voraus mit der Konsequenz, dass sie sich in beiden Attributen gleichermaßen zum Ausdruck bringt und in der modifizierten Gestalt des conatus somit die ›Mitte‹ des endlichen, aus Körper und Geist bestehenden einzelnen Wesens bildet.53 Demgegenüber schreibt zwar auch Schelling beiden Prinzipien eine Willensdimension zu. Im Zuge seiner attributiven Gleichsetzung des Wesens mit der Natur verschiebt er jedoch den eigentlichen Ausdruck des Willens in Gestalt des Eigenwillens auf die Seite des realen Prinzips, und sofern er dies tut, nimmt dieser Wille und damit die »Selbstheit« überhaupt potentiell die Züge eines Egozentrismus und in der Folge davon des »Bösen« an. Hinsichtlich seiner personalitätstheoretischen Konzeption wird dies beachtliche Auswirkungen haben. Indessen wird dies eigentlich erst den Entwurf des moralischen Selbst tangieren. Wie ist dem voraus das naturale Selbst der Person genauer zu verstehen, nachdem das bisher Gesagte ja für alles Lebendige einschlägig ist? Alles Lebendige strebt, sich zu erhalten, und insofern es aus dem göttlichen Grund der Natur durch den göttlichen Verstand expliziert ist, hat es dabei auch beide Prinzipien in sich: es verfolgt seinen Eigenwillen in einem Bezug zum Ganzen. Was indes dem Menschen Schelling zufolge seine ausgezeichnete Verfassung verschafft, ist dies, dass hier einem Höchstmaß individueller Profiliertheit ein Höchstmaß an Bewusstheit im wahrsten Sinne entspricht. Es herrscht »völlige Consonanz«, wie Schelling mit Bezug auf die beiden Aspekte des Realen und Idealen sagt.54 Nun ist man zweifellos versucht, diese Konsonanz, da sie ja die spezifische Existenz von Personen kennzeichnen soll, als ein Selbstverhältnis zu fassen: Personen vollstrecken nicht einfach, was die Gesetze ihrer Spezies ihnen auferlegen, sondern sie treten zu dem natürlichen Interesse ihrer Selbsterhaltung ins Verhältnis, sie tun bewusst, was weniger 53 54
E III, prop. 9, scholium. Schelling, Freiheitsschrift, SW VII, 363. Zur Individualität der Person in Schellings Freiheitsschrift
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komplexe Wesen blind tun. Das könnte eine Umschreibung dafür sein, dass die Selbstheit »durch ihre Einheit mit dem idealen Princip Geist wird« 55 und in Gestalt der Persönlichkeit damit die Gefangenschaft aller anderen Wesen in der Natur transzendiert. Jedoch liegt eben hier das Problem dieser Konzeption. Um das Gefüge einer »Konsonanz« als ein Selbstverhältnis fassen zu können, müsste die individuelle Identität einer Person von der Art sein, dass sie ihre Interessen von sich unterscheiden und auf sich beziehen kann. Wo aber wäre hier ein solches ›sich‹? Dass der naturale Eigenwille einer Person ihr gewiss ihre physische Lebendigkeit gibt, dass er aber keinesfalls genügt, dem Konsonanzverhältnis die Dimension einer geistigen Selbstbezüglichkeit zu verschaffen, ist Schelling offenbar selber aufgefallen, indem er das Verhältnis von idealem und realem Prinzip in Adaption eines Passus bei Jacobi mit dem von »Selbstlauter und Mitlauter« parallelisiert.56 Jedoch ist der Unterschied eklatant. Denn während Jacobi an dieser Stelle mit dem Bild des vokalen »Selbstlaut[s]« allerdings auf die individuelle Einmaligkeit und Unvergleichbarkeit der Person verweist und seinem Konzept zufolge auch verweisen kann (WL: JWA 3, 27), läuft Schellings Identifizierung von Selbstlaut und idealem Prinzip ins Leere, vertritt dieses doch als solches das Gegenteil aller Selbstheit, nämlich das Allgemeine oder Universale. Mithin mögen die beiden Prinzipien in der Person durchaus zusammenstimmen, aber der Zusammenklang, der so entsteht, hat lediglich den Charakter eines im Zuge der kreativen Entfaltung des Absoluten eingetretenen Ereignisses. Als Echo der Struktur des Absoluten hat er den Klang der Einheit, nicht den einer personalen Identität.57
SW VII, 364. SW VII, 363. 57 Dass Schelling mit seiner Unterscheidung zwischen Grund und Existierendem bestenfalls zum Besonderen, nicht aber zum Einzelnen gelangt, vermerkt kritisch auch Adolphi 1996, 267. 55 56
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V. Individualität als ursprüngliche Position: Die moralische Selbstkreation personaler Identität Die Verfassung der menschlichen Person, wie sie sich im metaphysisch begründeten Zusammenklang von Natur und Intellekt im wahrsten Sinne ergeben hat, hat eine »geistig gewordene Selbstheit«,58 aber sie ist kein Selbst. Sich auf die bisher entwickelte personalitätstheoretische Konzeption Schellings als zureichend verlassen zu wollen, wäre darum wenig erfolgversprechend. Unterdessen gibt der Fortgang der Untersuchung dieser Diagnose recht. Zwar ist er, der Gesamtthematik gemäß, primär am Gefälle zwischen der Möglichkeit und der Wirklichkeit des Bösen oder Guten orientiert. Aber was Schelling unter dem Titel einer bloßen Möglichkeit darlegt, beschreibt den defizitären Status der Persönlichkeit genau: Dass die beiden Prinzipien im Menschen anders als im Absoluten potentiell »zertrennlich« sind,59 besagt nämlich, dass er in diesem Zustand der Potentialität erst noch am »Scheidepunkt« steht, an einem Punkt, an dem er »aus seiner Unentschiedenheit heraustreten« muss.60 Und eben dies bedeutet ja, dass da im Zustand solcher Unentschiedenheit wirklich noch keiner ist, keiner, der jemand wäre und die Aspekte des Realen und Idealen zu sich ins Verhältnis setzen würde. Dem entspricht auf der anderen Seite, was Schelling unter dem Titel der Wirklichkeit fasst und mit einer intelligiblen Tat in Verbindung bringt: die Entscheidung nicht für diese oder jene Handlung, sondern allem voraus für das »intelligible Wesen dieses Menschen« selbst.61 Das vermisste Selbst, die individuelle Identität der Person, kommt hier also allererst und in ganz anderer Weise als das bisher allein behandelte natürliche Eigeninteresse zur Sprache, in Gestalt einer »anfänglichen Handlung, durch welche [der Mensch] dieser und kein anderer ist«, wie Schelling offenbar Jacobi zitierend sagt.62 Wobei der
Schelling, Freiheitsschrift, SW VII, 365. SW VII, 364. 60 SW VII, 374. 61 SW VII, 384. Herv. v. Verf. 62 SW VII, 389. Vgl. bei Jacobi: »Ein Unvergleichbares, ein Eines für sich und ohne anderes ist der Mensch sich selbst durch seinen Geist, den eigenthümlichen, durch welchen er der ist, der er ist, dieser Eine und kein anderer.« (WL: JWA 3, 26) 58 59
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fundamentale Unterschied allerdings darin besteht, dass Jacobi solches »Selbstseyn« sich keineswegs einer Selbstkreation verdanken lässt, sondern lediglich von einem »Wesenheitsgefühl« spricht, in dem sich die jeweilige Person »als dieses Wesen« »findet.« (WL: JWA 3, 26) Nun ist der Rückzug Jacobis auf einen weiter nicht zu explizierenden Fund personaler Identität womöglich die einleuchtendere Lösung. Denn der Akt einer Selbstkreation ist entweder nur eine Metapher dafür, dass dieser Identität eine Binnenperspektive zu eigen ist, die durch äußerliche Zuschreibungen nicht adäquat eingeholt werden kann. Oder aber dieser Akt müsste als der absolute Akt einer causa sui verstanden und dann konsequenterweise den Explikationen unterworfen werden, die Schelling sich angefangen mit der Unterscheidung zwischen Grund und Existierendem zuvor so angelegen sein ließ. Tatsächlich begegnet man hier einer überaus seltsamen theoretischen Situation. Denn einerseits ist evident, dass Schelling in Gestalt der intelligiblen Tat wirklich an den Vollzug einer causa sui denkt, die völlig spinozanisch nicht nur als Identität von Freiheit und Notwendigkeit,63 sondern auch in »eo sensu« als causa rerum zu verstehen ist. Als causa rerum nämlich hier im Sinne einer causa für eine Serie von Handlungen, die aus dem selbstkreierten Wesen mit innerer Notwendigkeit folgen und im zeitlichen Leben der Person als solche nur zur Erscheinung kommen. Geradezu verblüffend muss man es angesichts dieser Evolution einer inneren und darum frei genannten Notwendigkeit finden, dass Schelling ausgerechnet jetzt, wo es um die menschliche Freiheit zu tun sein soll, jegliche Differenz zwischen dem Täter und seiner Tat negiert und einem »Fatalismus« seinen Lauf lässt, dem er in seiner systemischen Grundlegung gerade entgegentreten wollte. Umso bemerkenswerter ist deshalb aber auch auf der anderen Seite, dass Schelling darauf verzichtet, den Akt der Selbstkreation des individuellen Wesens in irgendeiner Weise mit den Mitteln seiner Ontologie zu durchleuchten. Was der Akt der Selbstkreation förmlich herausfordert, wird offenbar dadurch, dass es sich um die Kreation von Individualität handeln soll, verhindert. In diesem Sinne betont
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SW VII, 384. Bezüge
Schelling selbst, und dies nun in explizitem Kontrast zu Spinoza, dass »der Spruch: Determinatio est negatio« von der individuellen Bestimmtheit keineswegs gilt, »indem sie mit der Position und dem Begriff des Wesens selber eins, also eigentlich das Wesen in dem Wesen ist«.64 Die Formulierung zeigt an, worauf man hier in der Tat zum ersten Mal stößt: nämlich nicht auf die dialektische Struktur einer übergreifenden Einheit, die ihrerseits in einem prädikatlosen »Ungrund« wurzelt, sondern auf die Bestimmtheit einer ursprünglichen Position. »Dieser und kein anderer« – eben dieser fällt damit aus allen bisher von Schelling entwickelten Überlegungen radikal heraus und hat insofern auch, wie wohl zu beachten ist, in der Verfasstheit der »göttlichen Persönlichkeit« keinerlei ontologisches Vorbild. Aus diesem Befund könnte man nun konsequenterweise den Schluss ziehen, dass Schelling, am Punkt einer ursprünglichen Position angelangt, seine systemischen Intentionen eigentlich einer radikalen Befragung hätte unterziehen müssen. Indessen hat er das nicht getan. Und das wiederum bedeutet, dass die Position individueller Identität nicht nur sogleich mit der eben skizzierten Logik spinozanischer Notwendigkeit in eins gedacht wird.65 Es bedeutet vor allem auch, dass die Selbstkreation des Wesens mit der Kreation eines moralischen Selbst zusammenfällt, das in die ontologische Grundlegung in dem Maße eingepasst wird, wie es sich zum Guten oder Bösen und demnach für eine jeweilige Konstellation der beiden Prinzipien zu entscheiden hat. Der »Böse« und der »Gute« 66 werden damit zu den Figuren, an denen sich zeigt, was es heißt, entweder das reale Prinzip des Eigenwillens oder das ideale Prinzip des Universalwillens dem je anderen überzuordnen. Hätte Schelling ernsthaft in Erwägung gezogen, worauf er mit dem Hinweis auf eine ursprüngliche Position des Selbst gestoßen war, hätte er jetzt erläutern müssen, wie sich dieses Selbst zum Gefüge der übergreifenden Einheit der beiden Prinzipien selber noch einmal
SW VII, 384. Mit der These von Schellings präreflexivem Freiheitsbegriff hebt auch Sturma 1995 die Relevanz dieser ursprünglichen Position des individuellen Selbst hervor, dabei nimmt er jedoch an der internen Notwendigkeit der Selbstbestimmung keinen Anstoß. 66 SW VII, 386. 64 65
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verhält. Stattdessen gewinnt im Duktus der bisherigen Überlegungen die Leitfigur der naturalen »Selbstheit« von neuem die Oberhand, so dass das Selbst des »Bösen« eben darin besteht, den natürlichen Selbsterhaltungstrieb, anstatt ihn »zur Basis« zu machen, vielmehr zum Egoismus eines »Allwillen zu erheben«,67 während das Selbst des »Guten« umgekehrt darin besteht, die Selbstheit zu überwinden, sie »aus der Aktivität zur Potentialität« zurückzubringen.68 Der Eigensinn der ursprünglichen Position verschwindet mit anderen Worten in der entschieden konsonanten Ordnung oder der entschieden dissonanten Verkehrung der Prinzipien, mit der Folge, dass der »Gute« nun nicht allein wieder seinen wohlbestimmten Ort in der Ontologie der göttlichen Verfassung findet, sondern, indem er seine naturale Selbstheit zu einer ganz im Sinne des Universalen wirkenden Kraft depotenziert, paradoxerweise als »dieser und keiner anderer« sich dafür entscheidet, durchaus kein »dieser«, sondern der zu sein, der dazu beiträgt, dass in »ferner Zukunft […] Gott Alles in Allem« sein wird.69
VI. Die unpersönliche Aufhebung der Person So kann und muss man schließlich zusammenfassend sagen, dass Schelling einerseits – offenkundig unter dem Einfluss Jacobis, dessen Name in der Freiheitsschrift im Unterschied zu anderen wie es scheint mit Absicht nicht genannt wird – in Form der ursprünglichen Position personaler Identität den Finger durchaus auf den entscheidenden Sachverhalt gelegt hat. Hier ist darum auch ein Einspruch gegen Spinoza in den Blick geraten, der überzeugt, weil er der determinatio als negatio eine wirkliche Alternative entgegenzusetzen hat. Von welcher Tragweite dies ist, wird im Verhältnis zu Hegel unmittelbar deutlich, der das ganze Unternehmen seiner Wissenschaft der Logik auch seinerseits der »Aufhebung« der spinozanischen Metaphysik widmet mit dem Ziel, dem hier herrschenden »Mangel« der »PerSW VII, 389. Die Anspielung auf Jacobis Roman Allwill ist hier nicht zu übersehen. 68 SW VII, 400. 69 SW VII, 404. 67
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sönlichkeit« abzuhelfen. Dabei unterstellt er aber die Realisierung dieses Ziels dem »absolute[n] Princip« Spinozas, um es zu einer »sich negirende[n] Negation«, zur Negation der Negation voranzutreiben.70 Indes zieht Schelling im Moment der Entdeckung den Finger von besagter Stelle andererseits auch schon wieder weg. Und wie wenig er auch nur gewillt ist, sich wirklich bewusst zu machen, worauf er hier gestoßen war, zeigt er mit seiner Formulierung an, dass jeder Mensch das »Gefühl« hat, »als sey er, was er ist, von aller Ewigkeit schon gewesen«.71 Nicht was hätte er sagen müssen, sondern wer, um der Position der individuellen Identität zu ihrem adäquaten Ausdruck zu verhelfen. Ein Lapsus ist das nicht. Denn hätte er wer gesagt anstatt was, wäre es unvermeidlich geworden, das bis dahin entwickelte Konzept der Persönlichkeit grundsätzlich zu überdenken. Tatsächlich tut Schelling das Gegenteil, wie insbesondere dann die Stuttgarter Privatvorlesungen vor Augen führen. In scheinbarem Widerspruch zur Freiheitsschrift stellen sie die Seele nun sogar über den Geist, der als das »eigentlich Persönliche im Menschen« mit der »bewußte[n] Begierde« identifiziert und nach seiner realen Seite auf die »Individualität des Menschen«, seinen »Eigenwillen« nämlich, bezogen wird,72 während demgegenüber die Seele »das eigentlich Göttliche im Menschen, also das Unpersönliche, das eigentlich Seyende« ist, »dem das Persönliche als ein Nichtseyendes unterworfen seyn soll«.73 Das klingt wie gesagt auf Anhieb wie ein Widerspruch, wie eine nochmalige Veränderung des ganzen Entwurfs. Bei näherem Hinsehen ändert Schelling seine Haltung aber gar nicht, vielmehr zieht er lediglich die Konsequenz, die sich aus der Anlage der Freiheitsschrift ergibt. Denn wenn man das Konzept der individuellen Persönlichkeit, wie dort geschehen, eben nicht auf die Position des »Dieses und kein anderer«, sondern maßgeblicherweise auf das naturale Interesse eines bewusst verfolgten Eigenwillens stützt, dann ist es nur folgerichtig, von einer solchen Person moralisch zu verlangen, von sich selber Hegel, Wissenschaft der Logik (Wesenslogik: GW 11, 376). Vgl. Text 14 in diesem Band. 71 Schelling, Freiheitschrift, SW VII, 386. 72 Schelling, Privatvorlesungen, SW VII, 466f. 73 SW VII, 468. 70
Zur Individualität der Person in Schellings Freiheitsschrift
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abzusehen. Folgerichtig ist es dann aber auch, dass Schelling damit nun wirklich expressis verbis zu Kant zurückkehrt, dessen Moralphilosophie er doch personalitätstheoretisch hinter sich zu lassen schien. Den kategorischen Imperativ, von dem Kant »bloß den formellen Ausdruck« hat, sieht man jetzt in ein »›Handle der Seele gemäß‹« transformiert, wonach gilt: »[H]andle nicht als persönliches Wesen, sondern ganz unpersönlich, störe ihre Einflüsse in dir selbst nicht durch deine Persönlichkeit«.74 Und wenn nun dies zuletzt auch noch an etwas anderes erinnerte? War es nicht so, dass Schelling Jahre früher schon einmal der Meinung war, nur durch die »Zerstörung unserer Persönlichkeit« würden wir frei? Trotz gegenteiligen Anscheins, so zeigt sich zum Schluss, hat Schelling auch insgesamt seine zu Anfang vertretene Überzeugung nicht geändert, sondern nur modifiziert. Von seiner vorübergehenden, aber nicht weiter fruchtbar gemachten Einsicht in die ursprüngliche Position individueller Identität einmal abgesehen, hat er lediglich die theoretische Signifikation seines Persönlichkeitskonzepts gegen eine praktische vertauscht, die Bedeutung des Ausdrucks dabei aber beibehalten. Gemeint damit war und ist – determinatio negatio est – die bestimmte Negation der »Endlichkeit«,75 die jetzt, im Zuge der Unterscheidung zwischen Grund und Existierendem, gleichsam vom Weltaußen in die Binnennatur des göttlichen und menschlichen Wesens eingewandert ist und hier nun wie stets zur Disposition ihrer Überwindung steht. Mit der Insistenz Jacobis auf der Irreduzibilität der individuellen Person, für die eben nicht umsonst der Preis ihrer epistemischen Unzugänglichkeit zu entrichten ist, hat das alles ersichtlich nach wie vor nichts zu tun.
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SW VII, 473. Schelling, Denkmal auf Jacobi, SW VIII, 73. Bezüge
12. System und Zeitlichkeit. Jacobi im Streit mit Hegel und Schelling
I. Hegel, Jacobi und Spinoza Über Hegels in Glauben und Wissen verfolgte Auseinandersetzung mit Kant, Jacobi und Fichte ließe sich vieles sagen. Jedoch konzentriere ich mich ausschließlich auf Hegels Kritik an Jacobi als dem buchstäblichen Mittelpunkt dieser Trias und verweise hier sogleich auf den maßgeblichen Punkt. Denn was Hegel an Jacobis Version der sogenannten »Metaphysik der Subjectivität« 1 offenkundig am meisten irritiert, ist die von Jacobi ins Zentrum des Interesses gerückte Frage nach der Zeit, die mitten hinein in eine Debatte über Spinoza führt. Die in den Spinozabriefen formulierte These Jacobis besagt, dass Spinozas Ontologie am Problem der Zeit scheitert. Hegel hingegen hält diese These für vollkommen unsinnig. Für ihn verrät sie nur, dass Jacobi zwei entscheidende Fehler macht. Erstens, so behauptet Hegel, ist die Insistenz Jacobis auf dem Phänomen der Zeit überhaupt ganz abwegig, weil die Zeit als Index der Endlichkeit das Interesse eines wahren Philosophen gar nicht verdient. In seiner Konzentration auf die »Nichtigkeit« der Belange unserer endlichen Existenz widmet sich Jacobi also einer per se völlig irrelevanten Frage.2 Umso schlimmer ist für Hegel zweitens, dass Jacobi ausgerechnet Spinozas Ontologie mit dem Problem der Zeit konfrontiert und hier sogar so weit geht, im Entwurf von Spinozas Ethik eine innere Widersprüchlichkeit zu konstatieren. »Die Natur dieses polemischen Verfahrens besteht also darinn«, so Hegel, »daß Jacobi die Succession und Endlichkeit entweder vermißt, und sie in der Speculation schlechthin fodert, oder sie hineinerklärt, und dann Ungereimtheiten findet.« 3 Demgegenüber ist für Hegel sonnenklar,
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Hegel, Glauben und Wissen, GW 4, 412. GW 4, 377. Vgl. dazu Sandkaulen 2004. GW 4, 359f. 271
dass bei Spinoza das Phänomen der Zeit nur als ein Schein-Produkt der menschlichen »Einbildungskraft« gilt.4 Damit zeichnen sich die Konturen einer hochinteressanten Debatte ab. Umstritten ist zum einen, was eigentlich im Text der Ethik Spinozas steht. Während Jacobi die These vertritt, dass Spinozas ›sub specie aeternitatis‹ argumentierende Ontologie die Dimension der Zeit sehr wohl zu ihrer Durchführung braucht, sie aber zugleich nicht ohne innere Widersprüche in ihr Konzept integrieren kann, versucht Hegel, diese Problematik als gar nicht existent zu neutralisieren. Und damit direkt verbunden ist grundsätzlich umstritten zum andern, ob es sich in Gestalt der Zeit überhaupt um ein philosophisch relevantes Thema handelt oder nicht. Auf den zuletzt genannten Punkt komme ich später zurück und nehme zunächst die Frage einer angemessenen Lektüre Spinozas in den Blick. Hat Jacobi recht mit seiner Diagnose, dass die Ethik unter ungelösten Zeit-Problemen leidet? Oder hat Hegel recht, wenn er behauptet, dass Spinozas Entwurf die Zeit ganz konsistent zu einem bloßen Produkt der Einbildungskraft erklärt – Jacobi also völlig falsche Unterstellungen auf die Ethik projiziert? Bevor die Frage anhand Spinozas Text zu entscheiden ist, sind die beiden Versionen zunächst genauer vorzustellen. Was Jacobi betrifft, rekapituliere ich in aller Kürze die drei entscheidenden Strukturmerkmale seiner Erörterung Spinozas, um die Problematik der Zeit kontextuell zu verankern.5 Erstens geht auf Jacobi die erste rationale Rekonstruktion der Ethik zurück, die Spinozas Entwurf als in sich geschlossenes System einer Metaphysik der Immanenz durchsichtig macht. Damit verbunden ist zweitens, dass Jacobi diesen Entwurf als schlechthin exemplarisch bewundert und für unwiderleglich hält. Die Kritik, die Jacobi trotz allem an Spinozas »Fatalismus« übt, hat deshalb drittens den methodischen Charakter eines praktischen Widerspruchs, der vom Versuch einer theoretischen Widerlegung strikt zu unterscheiden ist. Die »Lehre des Spinoza«, so argumentiert Jacobi gegenüber Mendelssohn, ist »unwiederleglich«, »nicht unwidersprechlich« (Spin: JWA 1,1, 290). Dieser Unterscheidung zwischen Widerlegung und Widerspruch entspricht, wo Jacobis GW 4, 354f. Vgl. dazu insgesamt Sandkaulen 2000 (zur Problematik der Zeit insbes. Kap. VI, 133 – 169) sowie die Texte Nr. 1, 2 und 3 in diesem Band. 4 5
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Kritik an Spinoza inhaltlich ansetzt. Systemlogisch schlüssig zu verfahren, ist dieser Kritik zufolge untrennbar verbunden damit, unsere lebensweltlichen Überzeugungen direkt zu konterkarieren. Das betrifft unter dem Stichwort »Freiheit« allem voran den Prospekt des Handelns, der sich unter Ausschluss der causa finalis überhaupt nicht mehr zureichend verstehen lässt. Das betrifft substantiell aber auch die Dimension der Zeit, denn »eine Handlung, die nicht in der Zeit geschähe, ist ein Unding« (Spin: JWA 1,1, 257). Jacobis fundamentales Interesse an der Zeit ist also an den Konditionen menschlicher Existenz orientiert, womit der Vorwurf einhergeht, dass diesem Interesse in Spinozas Ontologie systembedingt nicht Rechnung getragen wird. Dabei behauptet Jacobi wie schon angedeutet nicht, dass die Dimension der Zeit in der Ethik völlig fehlt. Mit einer plakativen Kontrastierung von Ewigkeit und Zeit hat er also nichts im Sinn. Die Pointe seines Einwands besteht vielmehr darin, dass Spinoza die Zeitlichkeit der endlichen Welt sehr wohl im Auge hat, mit ihr jedoch aus systemlogischen Gründen nur aporetisch umgehen kann. Dieser Einwand gilt Spinozas Projekt einer universalen und rationalen Welterklärung, das im Verzicht auf traditionelle Schöpfungsideen eine »natürliche Erklärung des Daseyns endlicher und successiver Dinge« beibringen muss, in der Durchführung aber in die widersprüchliche Bestimmung einer »ewigen Zeit« gerät (Spin: JWA 1,1, 251). Nachdem Jacobi den Entwurf der Ethik als schlüssig und unwiderleglich bewundert, mag die Diagnose eines inneren Widerspruchs auf Anhieb überraschen. Kann ein System konsistent und zugleich in sich widersprüchlich sein? Tatsächlich schließt sich dies nach Jacobi nicht aus. Im Gegenteil liegt hier sogar das Kernstück seiner Argumentation, wonach ein System, das nicht einen bloß logischen, sondern einen ontologischen Anspruch erhebt, notwendig auf einem zwiespältigen Fundament basieren muss. Zwiespältig ist es deshalb, weil es im Interesse rationaler Welterklärung den »Begriff der Ursache mit dem Begriffe des Grundes vermischt« (Spin: JWA 1,1, 255). Inwiefern diese ebenso basale wie fragwürdige Vermischung von Grund und Ursache die Frage der Zeit tangiert, folgt direkt aus Jacobis Erläuterung dieser Begriffe. Das logische Verhältnis von Grund und Folge ist durch den Ausschluss zeitlicher Sukzession definiert. Im System und Zeitlichkeit
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Kontrast dazu lässt sich das reale Verhältnis von Ursache und Wirkung, von Jacobi auch das principium generationis genannt, überhaupt nur unter Bedingungen einer zeitlichen Sukzession verstehen, und zwar so, dass wir diese reale Kausalität ursprünglich in unserem eigenen Handeln erfahren.6 Zwischen Grund und Folge liegt eine logische, zwischen Ursache und Wirkung eine zeitliche Differenz: Dass Spinoza beide Hinsichten konstitutiv vermischt, bedeutet, dass die zeitliche Realität von Entstehen und Vergehen, von Werden und Veränderung nicht einfach ignoriert, sondern im Theorem der Immanenz logisch überblendet wird. Dem Anschein nach ist so im Binnenraum der Substanz die reale Sukzession sich verändernder Modi integriert, ohne zugleich den ewigen Zusammenhang von unendlicher Substanz und endlichem Modus zu zerstören. Und dazu passt nach Jacobis Darstellung perfekt, dass Spinoza im 12. Brief die »Begriffe von Zeit, Maß und Zahl« als »Wesen der Einbildung« bezeichnet hat.7 Der Begriff der Zeit, den die imaginatio erzeugt, impliziert die Trennung der Modi von der Substanz. Deshalb ist er für die Vernunft ohne Belang, die das Phänomen der Veränderung sozusagen in Reinform – ohne imaginativ vorgestellten Rest – der Logik des Grundes integriert.8 In Wahrheit aber, so Ausdrücklich hält Jacobi fest, »daß der Begriff von Ursache, in so fern er sich von dem Begriffe des Grundes unterscheidet, ein Erfahrungsbegriff ist, den wir dem Bewußtseyn unserer Causalität und Paßivität zu verdanken haben, und der sich eben so wenig aus dem bloß idealischen Begriffe des Grundes herleiten, als in denselben auflösen läßt« (Spin: JWA 1,1, 256). Mit dem Begriff der Ursache und dem korrespondierenden Begriff der Wirkung ist demnach keinesfalls das Verhältnis naturgesetzlicher Kausalität gemeint. Dieser Typ Kausalität ergibt sich Jacobi zufolge vielmehr aus einer Vereinigung von Grund und Ursache, die ihre logische Entsprechung im Satz vom zureichenden Grund hat, wonach »alles Bedingte eine Bedingung haben müsse« (Spin: JWA 1,1, 256). Während diese Vereinigung von Grund und Ursache unproblematisch ist, insofern der »wesentliche Unterschied« zwischen logischen und realen Bedingungsverhältnissen transparent bleibt, besteht die Vermischung beider Begriffe darin, diesen Unterschied zu neutralisieren. In diesem Fall »erlaubt man sich den einen für den andern zu setzen und anzuwenden, und bringt glücklich heraus, daß die Dinge entstehen können, ohne daß sie entstehen; sich verändern, ohne sich zu verändern; vor und nach einander seyn, ohne vor und nach einander zu seyn« (Spin: JWA 1,1, 256). 7 Spinoza 1986, 50. 8 »Aus dem Satze: das Werden könne eben so wenig geworden oder entstanden seyn, als das Seyn oder die Substanz, zog Spinoza die richtige Folge, daß eine ewige 6
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Jacobi, handelt es sich hier um eine Selbsttäuschung der Vernunft. Im Paradox der »ewigen Zeit« ist die vermeintliche Integration modaler Veränderung immer schon neutralisiert. Das ist notwendig so, weil ein in sich geschlossenes System der Immanenz keinen nach vorne offenen Zeitverlauf kennt, sondern ihn bildlich gesprochen zu einem Kreis in sich zurückbiegen muss. Genau aus diesem Grund helfen auch die von Spinoza bemühten »Gleichnisse aus der Mathematik« hier nicht weiter. Geometrische Figuren haben als solche mit dem Phänomen realer Sukzession nichts zu tun. Bedient man sich also wie Spinoza solcher Figuren, um zu veranschaulichen, dass sich der Gedanke der Immanenz mit der Berücksichtigung realer Veränderungen im Bereich der endlichen Modi verträgt, dann lässt man sich, wie Jacobi betont, durch die »Imagination betrügen«. Es ist dann nämlich der Betrachter selbst, der auf die geometrische Figur subjektiv eine Bewegung projiziert, die objektiv in der Sache selbst überhaupt nicht vorhanden ist.9 (Spin: JWA 1,1, 251)
unendliche Actuosität der Materie eigen, und ein unmittelbarer Modus der Substanz seyn müsse. Dieser unmittelbare ewige Modus, den er in dem Verhältnisse von Bewegung und Ruhe der naturae naturatae ausgedrückt zu finden glaubte, war ihm die allgemeine ewige unveränderliche Form der einzelnen Dinge und ihres unaufhörlichen Wechsels. Hatte nun die Bewegung nie angefangen; so konnten auch die einzelnen Dinge keinen Anfang genommen haben. Sie waren also nicht allein dem Ursprunge nach von Ewigkeit her; sondern auch, ihrer Succeßion unbeschadet, dem Vernunftbegriffe nach, alle zugleich vorhanden: denn im Vernunftbegriffe ist kein Vorher und Nachher, sondern alles nothwendig und zugleich; und eine Folge der Dependenz ist die einzige, welche sich darin gedenken läßt. Da Spinoza nun einmal die Erfahrungsbegriffe von Bewegung, Einzelnen Dingen, Generation und Succeßion, zu Vernunftbegriffen erhoben hatte; so sah er sie zugleich von allem Empirischen – gereinigt, und konnte, bey der festen Ueberzeugung: Es müsse alles – nur secundum modum quo a rebus aeternis fluit betrachtet werden: – die Begriffe von Zeit, Maaß und Zahl, als von diesem Modo abgesonderte einseitige Vorstellungsarten, folglich als Wesen der Einbildung betrachten, von welchen die Vernunft keine Notiz zu nehmen brauche, oder sie erst reformieren, und auf das Wahre (vere consideratum) zurückführen müsse.« (Spin: JWA 1,1, 253f.) 9 Wie intensiv sich Jacobi mit dieser Problemlage auseinandergesetzt hat, verdeutlicht besonders gut auch die erhellende Ergänzung, die er in der dritten Auflage der Spinozabriefe von 1819 im Rahmen seiner Werkausgabe eingefügt hat. Hier heißt es: »Spinoza läugnet allerdings ein gewordenes Werden der einzelnen Dinge, keinesweges aber ein nichtgewordenes, Anfang- und Endloses Werden, ein System und Zeitlichkeit
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Aus dieser Analyse zieht Jacobi einen radikalen Schluss. Dass sich Spinoza im Widerspruch der »ewigen Zeit« verstrickt, zeigt, dass der systematische Anspruch universaler Welterklärung scheitert. Das Phänomen der zeitlichen Existenz bezeichnet das Menetekel und die Grenze der Vernunft. Beachtet man diese Grenze nicht, dann wird mit gravierenden ethischen Folgen das Erfahrungsfundament unseres Selbst- und Weltverständnisses zerstört. Warum Hegel, dem ich mich jetzt zuwende, auf diese Analyse mit polemischer Entrüstung reagiert, ist nun nicht mehr erstaunlich. Denn hätte Jacobi recht, wäre über Spinozas Ontologie hinaus auch Hegels eigene Systemvision im Kern betroffen. Der Ethik Spinozas verpflichtet ist diese Vision in Glauben und Wissen ja genau insofern, als sie gegen die »Reflexionsphilosophie der Subjektivität« bei Kant, Jacobi und Fichte den Prospekt einer holistischen Identitätsphilosophie umreißt. Aber wie steht es um die Aussicht auf Erfolg, wenn das Problem der Zeit die Überzeugungskraft jeglichen Systemanspruchs
wahrhaft wirkliches Entstehen und Vergehen derselben, obgleich nur in einem ewigen, in sich selbst kreisenden, Flusse. Die einzelnen Dinge, lehrt Spinoza ausdrücklich, entspringen nicht unmittelbar aus dem Unendlichen, sondern jedes einzelne Ding setzt andere einzelne Dinge voraus bis ins Unendliche. Es entspringen daher die einzelnen Dinge aus Gott nur auf eine ewige und unendliche, nicht auf eine vorübergehende, endliche und vergängliche Weise; denn so entspringen sie bloß eines aus dem anderen, indem sie gegenseitig sich erzeugen und zerstören, und in ihrem ewigen Daseyn darum nicht weniger unwandelbar beharren (Eth. P.I, Prop XXVIII […]. Unwidersprechlich behauptete also Spinoza das wirkliche Dasein einer ewigen Zeitlichkeit, ein Anfangloses, aber wirkliches und wahrhaftes Entstehen und Vergehen endlicher wirklicher und wahrhafter einzelner Wesen in einer nothwendigen Folge. Den Einwurf aber, daß es eine Ungereimtheit sey, anzunehmen, es könne eine ewige Zeit auf den heutigen Tag kommen, entfernte er mit leichter Mühe dadurch, daß er zeigte, wie die Zeit vor der Vernunft nothwendig und von selbst aus dem Zeitlichen verschwinde; womit dieses dann so fort zu einem unveränderlichen Ewigen, zu der leibhaften Gottheit selbst verklärt werde. […] In Wahrheit aber ist dem System damit doch nicht geholfen, wie ich an den vorhin angeführten drey Orten genügend dargethan zu haben glaube. Ja es tritt die Doppelfrage an Spinoza nun erst recht hervor; ob er lehre: es gebe in der Natur nur ein Seyn, aber kein Werden; oder umgekehrt: es gebe in ihr nur ein Werden, aber kein Seyn? Auf die zweite Frage erhalten wir von ihm ein klares Nein zur Antwort; auf die erste aber nur ein Ja mit Nein, und, Kraft dieses Mit, streitende Bestandtheile, die sich durchaus nicht zu einem wahrhaft friedlichen Bunde vereinigen lassen.« (Spin: JWA 1,1, 252f.) 276
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untergräbt? Die Generallinie, auf der Hegel in dieser Lage argumentiert, habe ich schon exponiert. Von einem Problem kann danach überhaupt keine Rede sein, denn auf die irrelevante »Nichtigkeit« der zeitlichen Existenz kommt es in der »wahren Philosophie« gar nicht an. Das allein genügt aber nicht, um Jacobis Kritik aus dem Feld zu schlagen. Gegen Jacobis Analyse ist vielmehr zu zeigen, dass bereits Spinozas Ethik die These von der »Nichtigkeit« der Zeit vertritt. Wie allein schon der signifikante Umfang der Auseinandersetzung belegt, ist dieser Nachweis für Hegel von größtem Belang.10 Aber das argumentative Profil von Hegels Ausführungen ist überschaubar und nicht allzu kompliziert. Dass Jacobis Diagnose komplett in die Irre geht, es also unsinnig ist zu behaupten, Spinoza hätte sich in die Aporie der »ewigen Zeit« verstrickt, untermauert Hegel mit einer Spinoza-Version, die anders als Jacobis Lesart konstitutiv zwischen Zeit und Ewigkeit trennt. Ontologisch von Bedeutung ist ausschließlich die Dimension der Ewigkeit. Im Kontrast dazu basiert das ontische Phänomen der Zeit auf einer »Abstraktion«, die das wahre Verhältnis zwischen der Substanz und ihren Modi verstellt. Damit geht Hegels These einher, dass man Spinozas Ansatz adäquat nur dann versteht, wenn man zwei Typen des Unendlichen streng auseinanderhält. Zu unterscheiden ist demnach zwischen dem »infinitum actu« oder dem absolut Unendlichen einerseits und der von Hegel sogenannten »empirischen Unendlichkeit« andererseits.11 Das absolut Unendliche ist als die »absolute Affirmation der Existenz« charakterisiert: »Diese einfache Bestimmung macht also das Unendliche zum absoluten, sich selbst gleichen, unteilbaren wahrhaften Begriff, welcher das Besondere oder Endliche seinem Wesen nach zugleich in sich schließt«. Hegel zufolge bezeichnet Spinoza diesen Typ des Unendlichen als die »Unendlichkeit des Verstandes«, was in Hegels Version direkt mit der »intuitiven Erkenntnis« zusammengeschlossen wird. Demgegenüber ist die »empirische Unendlichkeit« ein Fall der »Einbildungskraft«. Indem die Einbildungskraft von der affirmativen Unendlichkeit abstrahiert, ist sie durch Negation charakterisiert. Sie spaltet also den Modus von der Substanz ab, zerlegt ihn 10 11
Hegel, Glauben und Wissen, GW 4, 354 – 360. GW 4, 354f. Alle folgenden Zitate finden sich hier 354ff. System und Zeitlichkeit
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quantifizierend in Teile und schreibt ihm damit auch allererst eine Existenz in der Zeit zu. Die »Dauer«, so betont Hegel ausdrücklich, ist ein »Zeitmoment, ein Endliches«, das allein »durch Einbildung« gesetzt wird. Und genau so entsteht dann auch die »empirische Unendlichkeit« als fortgesetzte Einbildung zeitlich fixierter, voneinander unterschiedener einzelner Dinge. Vor diesem Hintergrund macht Hegel zweierlei geltend. Sofern nur die »Einbildung oder Reflexion […] auf einzelne Dinge, oder auf Abstractionen und Endliches« geht, ist erstens klar, dass die zeitliche Existenz der Dinge »an sich schlechthin nichts« ist.12 Dass sie in dieser Form nur für die Einbildung – also nicht wirklich – existieren, will Spinoza nach der Darstellung Hegels auch durch seine geometrischen Beispiele belegen. Ebenfalls klar ist zweitens, dass Jacobi seinerseits gänzlich unfähig ist zu spekulativem Denken. Stattdessen ist er vollständig durch die »Einbildung« absorbiert. Deshalb hält er die »Nichtigkeit« zeitlicher Existenz für etwas an sich Wirkliches, was sie in Wahrheit gar nicht ist. Und deshalb trägt er auch an Spinoza eine von vornherein absurde Problemstellung heran. Nicht allein greift der Einwand einer »ewigen Zeit« ins Leere. Bereits die Aufgabe einer »natürlichen Erklärung des Daseyns endlicher und successiver Dinge«, die Jacobi der Ethik unterstellt, beweist sein substantielles Fehlverständnis dieser Philosophie. Denn wie hätte es Spinoza je in den Sinn kommen können, eine solche Erklärung zu unternehmen, wo es ihm im Gegenteil darum ging, die abstrakte »Einzelheit und Endlichkeit« in der »Idee« zu vernichten?13 GW 4, 355f. Vgl. den Passus im Ganzen: »[D]ie Einbildung oder Reflexion geht allein auf einzelne Dinge, oder auf Abstractionen und Endliches, und diese gelten ihr als absolut; in der Idee aber wird diese Einzelheit und Endlichkeit dadurch vernichtet, daß das Entgegengesetzte der Reflexion oder der Einbildung, das ideell oder empirisch Entgegengesetzte, als Eins gedacht wird; so viel kann die Reflexion begreiffen, daß hier Dinge, die sie als besondere setzt, als identisch gesetzt werden, aber nicht, daß sie damit zugleich vernichtet sind; denn eben indem sie nur thätig ist, sind ihre Producte absolut; indem sie also beydes, die Identität dessen, was für sie nur ist, indem es getrennt ist, und das absolute Bestehen desselben in dieser Identität setzt, so hat sie glücklich eine Ungereimtheit gefunden. So setzt Jacobi das Abstractum der Zeit und das Abstractum eines einzelnen Dings, Producte der Einbildung und der Reflexion, als an sich seyend und findet, daß wenn das absolute Zugleich der ewigen Substanz gesetzt wird, das einzelne Ding und die Zeit, die nur 12 13
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Damit sind die Positionen geklärt und in eins damit auch das Interesse, das Jacobi und Hegel in ihrer Auseinandersetzung mit Spinoza bewegt. Beiden geht es nicht um Doxographie, sondern um die Sache: darum, Aufschluss über unser Selbst- und Weltverständnis zu gewinnen, für dessen Orientierung in beiden Fällen Spinozas Ethik exemplarische Geltung besitzt. Genau deshalb ist es aber auch entscheidend, abschließend die Plausibilität der Versionen zu prüfen und sie nicht etwa nur als hermeneutische Varianten zur Kenntnis zu nehmen. Hat Jacobi den Punkt getroffen oder Hegel, wenn er Jacobis Analyse für das Zeugnis falschen, der bloßen Einbildung verhafteten Denkens hält? Die Antwort fällt nicht zugunsten Hegels aus. Nach seiner Version hätte man es bei Spinoza mit einer ausschließlich essentialistisch konzipierten Metaphysik zu tun. Davon kann aber in dem Maße keine Rede sein, wie Spinoza zwischen zwei Formen modaler Existenz unterscheidet: der wesentlichen oder realen Existenz, der wie der Substanz Ewigkeit zukommt, und der aktualen Existenz der Modi in der Zeit.14 Diese aktuale Existenz wird als unendlicher Wirkungszusammenhang der endlichen Dinge bereits in prop. 28 des ersten Teils der Ethik eingeführt, um dann ab dem zweiten Teil den ganzen weiteren Gedankengang zu bestimmen – einschließlich des conatus-Theorems, das das Streben des Modus nach Selbsterhaltung mit dessen »essentia actualis« identifiziert. Als aktualisierte Essenz erstreckt sich deshalb das Selbsterhaltungsstreben in unbestimmter Zeit.15 In diese konkreten Strukturen zeitlicher Endlichkeit dringt Hegels essentialistische Spinoza-Deutung gar nicht erst vor. Im Gegenteil: Das zeitliche Sein der Dinge zum Produkt der »Einbildungskraft« zu erklären und diese These mit dem abwegigen Verweis auf prop. 28 des ersten Teils der Ethik zu belegen,16 läuft im wahrsten Sinne auf die
sind, insofern sie von ihr weggenommen waren, ebenfalls mitgesetzt werden, – aber reflectirt nicht darauf, daß sie, indem sie der ewigen Substanz, von der sie genommen sind, wieder gegeben werden, aufhören das zu seyn, was sie nur, von ihr abgerissen, sind; er behält also, in der Unendlichkeit und Ewigkeit selbst, Zeit und Einzelheit und Wirklichkeit.« (GW 4, 356) 14 Vgl. E V, prop. 29. 15 E III, prop. 7 u. 8. 16 Hegel, Glauben und Wissen, GW 4, 355. System und Zeitlichkeit
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Vernichtung des ontologischen Bodens hinaus, der Spinozas ethische, am faktischen Lebensvollzug orientierte Theorie unverzichtbar trägt. Hegels irrige Auffassung der imaginatio unterstreicht diesen Punkt. Keineswegs ist die imaginatio für die angebliche Schein-Existenz der zeitlichen Welt verantwortlich, wie Hegel behauptet. Ihr Defizit besteht nach Spinoza darin, dass sie die aktuale Existenz dieser Welt, auf die sie sich bezieht, nicht adäquat erkennt.17 Höchst aufschlussreich ist daher Hegels merkwürdig synonyme Rede von »Einbildung oder Reflexion«. Ohne jeden Anhaltspunkt bei Spinoza selbst zeigt dies nämlich, welchem Denkmodell Hegel in Wahrheit folgt: Offenkundig hat er in Glauben und Wissen den Ansatz der Identitätsphilosophie Schellings auf Spinozas Ethik projiziert. Darauf komme ich zurück. Der Vorwurf der Projektion, den Hegel an Jacobi adressiert, fällt somit aber nicht nur auf ihn selbst zurück. Vielmehr trifft dieser Vorwurf auf Jacobi seinerseits nicht zu, der im Kontrast zu Hegel eine präzise Analyse Spinozas bietet. Festzuhalten ist erstens, dass Jacobi die ontologische Differenz zwischen essentiell-realer und zeitlichaktualer Existenz überall im Auge hat und damit verbunden auch sieht, dass Spinozas Theorie des menschlichen Erkennens und Handelns auf der Voraussetzung des aktual existierenden Körpers basiert (Spin: JWA 1,1, 105 ff.). Noch entscheidender ist zweitens, dass Jacobi darüber hinaus auch nach der Möglichkeit der Begründung dieser Differenz unter den Bedingungen einer Metaphysik der Immanenz fragt und die Schwierigkeit einer solchen Begründung in Spinozas These lokalisiert, dass das zeitliche Sein der Dinge nicht unmittelbar, sondern mittelbar aus der ewigen Substanz folgt.18 Denn selbst wenn man konstatiert, dass das zeitliche Sein ein Faktum ist, das eine vollständige Ontologie – im Blick zumal auf die ethische Orientierung des Lebens – beachten muss, aber nicht direkt aus dem ewigen Sein der Substanz herleiten kann, dann ist die Frage Darauf ist dann auch Spinozas Äußerung im 12. Brief zu beziehen: Aus der inadäquaten Erkenntnis der imaginatio folgt, daß sie einen abstrakten Begriff der Zeit bildet, der die Modi von der Substanz abspaltet. Spinozas Kritik an dieser Abstraktion bedeutet aber nicht, die Zeitlichkeit als ontisches Phänomen zu negieren, wie Hegel behauptet und dabei die Distinktion Spinozas zwischen essentieller und aktualer Existenz der Modi vollständig übersieht, von der gerade der 12. Brief durchgehend handelt. 18 E I, prop. 28, scholium; vgl. Jacobi, Spin: JWA 1,1, 277f. 17
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immer noch die, wie denn dieses Faktum in die Einheit des Systems zu integrieren ist. Was also kann es heißen, wenn Spinoza in eben diesem Zusammenhang versichert: »Aber alle Dinge, die sind, sind in Gott und beruhen [dependent] derart auf Gott, daß sie ohne ihn weder sein noch begriffen werden können«?19 Unter der systemischen Bedingung allumfassender Einheit kann die Dimension der zeitlichen Existenz nicht aus der Immanenz herausfallen. Deshalb kann sie auch nicht als offener – indefiniter – Prozess, vielmehr muss sie als infinit, »als wirklich unendlich« gedacht werden: mit der Folge, dass genau diese notwendig zu denkende Infinitheit der aktualen Existenz auf den »ungereimte[n] Begriff einer ewigen Zeit« führt, »welcher sich durch keine mathematische Figur auf die Seite räumen läßt« (Spin: JWA 1,1, 257).20 Dass Spinoza selbst von der Bestimmung einer »ewigen Zeit« gesprochen hat, behauptet Jacobi natürlich nicht. Nach seiner Argumentation hat sich Spinoza ja gerade über das Paradox im Zentrum seines Entwurfs in der Verwendung geometrischer Beispiele betrogen.
II. Hegel, Jacobi und Schelling Jacobis Antwort auf Hegels Schrift findet sich in den 1803 als Beigabe zu Köppens Buch über Schelling publizierten Drei Briefen an Friedrich Köppen. Wendet man sich diesen Briefen vor dem Hintergrund der erörterten Problemlage zu, dann scheint die Debatte um die Zeit auf den ersten Blick ohne Reflex geblieben zu sein. Jacobi erwähnt Hegels Einlassung zu Spinoza nicht und insofern insistiert er auch nicht auf der sachlichen Richtigkeit seiner eigenen Analyse. Was er dezidiert als E I, prop. 28, scholium. Im Gegenzug zu Hegels irriger Unterscheidung zwischen infiniter und »empirischer«, also indefiniter Unendlichkeit bedeutet das, daß man bei Spinoza in Wahrheit mit zwei Typen von infinit Unendlichem rechnen muß: mit einer essentiellen Unendlichkeit und einer aktualen Unendlichkeit. Dabei ist es entscheidend, daß sich das Dilemma der aktualen Unendlichkeit auch nicht dadurch auflösen läßt, daß man zwischen Dauer und Zeit unterscheidet. Sieht man vom abstrakten und damit inadäquaten Begriff der Zeit ab, den die hier ohnehin nicht einschlägige imaginatio bildet, hält Spinoza selbst keinerlei konsistente Unterscheidung zwischen Dauer und Zeit in der Ethik durch, womit gerade auch dieser Befund von neuem auf das von Jacobi markierte grundsätzliche Problem verweist. 19
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Verfälschung seiner Position zurückweist, betrifft den Vernunftbegriff, nämlich Hegels Unterstellung, »daß mir die Vernunft etwas allgemein Subjektives sey« (BK: JWA 2,1, 369): eine Auffassung, die sich definitiv nicht mit der von Jacobi reklamierten Unterscheidung zwischen einer substantiven und adjektiven Vernunft verträgt. Diesen Strang der Diskussion lasse ich hier auf sich beruhen. Denn bei näherem Hinsehen ist der erörterte Casus der Zeit sehr wohl – und zwar als die Hauptsache – präsent. Und dabei zeigt sich zugleich, warum Jacobi auf die Verhandlung Spinozas nicht mehr eigens zurückgreifen muss. Schließlich ist in Gestalt von Schellings Identitätsphilosophie die Nachfolgerin Spinozas hervorgetreten, die die bei Kant und Fichte angelegten Konsequenzen explizit zieht und der Jacobi bescheinigt, »offenbar Recht« zu haben, »sobald die absolute Nothwendigkeit einer Philosophie aus einem Stück vorausgesetzt wird« (BK: JWA 2,1, 364). Lange vor dem Streit um die Göttlichen Dinge gerät hier also Schelling erstmals ins Visier und dies deshalb, weil Jacobi aus stilistischen Gründen zwar richtig auf Hegels Autorschaft der Schrift über Glauben und Wissen geschlossen, zugleich aber auch richtig bemerkt hat, dass die Systemvision, die im Hintergrund von Hegels Kritik steht, Schellingschen Ursprungs ist.21 Nicht falsch ist daher auch seine Annahme, dass der verbal von Hegel geführte Angriff de facto als ein Unternehmen verstanden werden muss, das Hegel und Schelling gemeinsam zuzuschreiben ist. Eine briefliche Äußerung Schellings belegt dies im Übrigen konkret und verweist in eins damit auf den entscheidenden Punkt: »Jacobi’s speculative Seite«, so Schelling im Begleitbrief seiner Sendung von Glauben und Wissen im August 1802 an Wilhelm Schlegel, »ist bis zu den neuesten Aeußerungen, die Sie kennen, und bis in das offenbare Grundprincip aller, die Scheu vor der Vernichtung des Endlichen, recht gut verfolgt« (JWA 2,2, 489). Genau diese Einschätzung kehrt dann Jacobi seinerseits – als hätte er Schellings briefliche Notiz gekannt – hervor, indem er den gesamten Angriff in Glauben und Wissen auf den Versuch zurückführt, die Provokation seiner Doppelphilosophie zu entschärfen. Dass er aus systemlogischen Gründen das Erfordernis einer »Philosophie aus
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Vgl. hierzu auch Sandkaulen 2008. Bezüge
einem Stück« unterschreibt und sich doch zugleich weigert, diesem Projekt restlose Anerkennung zu zollen, ist danach ein »Widerspruch«, den sich Schelling und Hegel »nicht anders als psychologisch und moralisch aus einer Gemüthsfeigheit erklären« können, »die mich vor dem Verlust meines endlichen Wesens bange seyn und niederträchtigerweise ausschlagen läßt, aus der Endlichkeit in die Unendlichkeit […] überzugehen« (BK: JWA 2,1, 365) Damit aber nicht genug. Denn der Befund, dass Jacobi sehr wohl weiß, worauf es systemlogisch ankommt, diese Einsicht jedoch sichtlich nicht zugunsten des Systemprojekts Platz greifen lassen will, »weil mir, wie gesagt, vor dem Gedanken, meine Endlichkeit und Zeitlichkeit einzubüßen, schaudert«, führt schließlich dazu, dass »aus der Vollkommenheit des Nichtwollens auf eine Unvollkommenheit des Könnens zurückgeschlossen« werden muss, Jacobi mithin nicht nur bescheinigt wird, sich an ein in Wahrheit nichtiges Phänomen zu klammern, sondern auch unfähig zu spekulativem Denken zu sein (BK: JWA 2,1, 365 f.). Beeindruckt von dieser Diagnose zeigt sich Jacobi nicht. Weder verteidigt er die ihm zugeschriebene »Scheu vor der Vernichtung des Endlichen«, um es mit Schelling zu sagen, noch weist er diesen Vorwurf als unstatthafte Vermischung psychologischer und sachlicher Motive eigens zurück. Dass die Kritik an seiner Position auf diese Weise verfährt, wird lediglich festgestellt, und mehr als das ist offenbar nicht nötig, nachdem es sich dabei um so etwas wie ein Fazit seiner vorangegangenen Darstellung von Schellings Philosophie im Zweiten Brief an Köppen handelt. Auf diese Darstellung, die sich auf drei Schriften Schellings, auf den Ersten Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, auf die Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, beide 1799, sowie auf die Darstellung meines Systems der Philosophie von 1801 bezieht, kommt es demnach an. Aber inwiefern? Gestützt auf Schellings Äußerung, bei der Konzeption seiner Natur- und Transzendentalphilosophie als zwei verschiedener Wissenschaften je schon die absolute Identität vor Augen gehabt zu haben, stellt Jacobi, ausgehend von der Darstellung des Identitätssystems, die genannten Texte in einen gedanklichen Zusammenhang, was – dies sei vorab vermerkt – nicht ganz unproblematisch ist. Denn abgesehen davon, dass man über die Plausibilität von Schellings Selbstdeutung System und Zeitlichkeit
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durchaus anderer Meinung sein kann, neutralisiert Jacobi die gleichwohl bestehenden Differenzen zwischen Natur- und Identitätsphilosophie durch ein Verfahren, das Textpassagen aus beiderlei Kontexten miteinander verschmilzt. Allerdings sind diese Passagen besonders eindrücklich gewählt. Kontextübergreifend markieren sie das Grundproblem, in das sich Schelling tatsächlich verstrickt und das Jacobis Darstellung zufolge eben darauf zurückzuführen ist, das »Räthsel von dem Ursprunge und Bestehen der Dinge, deren Inbegriff wir Welt, Natur oder Universum nennen, menschlich«, das heißt in einem Akt systemischer Konstruktion, lösen zu wollen (BK: JWA 2,1, 355). Dann nämlich verschwindet diese Welt als wirklich existierende endliche Welt nicht nur aus dem Blick, insofern sie je schon in eine Einheit aufgelöst ist, die die Differenz zwischen Unendlichem und Endlichem als eine nur mehr interne Differenz absorbiert. Eigentlich ruinös für diesen Ansatz ist vielmehr das, was daraus folgt: dass die Rede von der Natur überhaupt jeglichen bestimmten Sinn verliert. »Ihr Wesen«, so rekapituliert Jacobi Schellings Entwurf einer spekulativen Physik, »ist daher Identität und Indifferenz des Könnens und Nichtkönnens: reine, durchaus gleichgültige Geschäftigkeit. Sie will weder Gestalt noch Ungestalt, sondern absolut ein Weder das Eine noch das Andre; sie will absolut das, was nie werden kann, damit ein ewiges Werden und nur dieses sey. Ein hermaphroditischer ewiger Beyschlaf ohne Erzeugung ist ihr wahrhaftes Leben und Weben. Sie dualisirt sich, in so fern sie sich dualisirt, einzig und allein, um diesen Zustand eines simulirenden Erzeugens hervorzubringen.« (BK: JWA 2,1, 359 f.) Dass in Gestalt des »ewigen Werdens«, in dem deshalb nichts eigentlich wird und werden soll, die früher an Spinoza adressierte Problematik der »ewigen Zeit« wiederkehrt, ist offensichtlich. Allerdings geht aus Jacobis Darstellung zugleich auch hervor, dass diese Problematik durch Schelling nun noch deutlich übertroffen wird. Schelling ist Erbe und Nachfolger Kants und Fichtes, mit denen das Konstruktionsparadigma der Systemlogik zu ausdrücklichem Bewusstsein gekommen ist. Im Vergleich zu Spinoza bedeutet das erstens, dass Schellings Natur- und Identitätsphilosophie keinen Anhalt mehr für diejenige Unterscheidung bietet, die Spinoza zwischen der essentiellen und der aktual-zeitlichen Existenz des Endlichen als einer 284
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ontologisch gehaltvollen Unterscheidung getroffen hatte. Vielmehr ist Schelling tatsächlich der Auffassung, die Hegel dann wie gesehen fälschlich auf Spinozas Ontologie projiziert und die offenbar auch Schelling selbst für ein adäquates Verständnis Spinozas hält, dass die endliche Welt als eine zeitlich verfasste Welt »überhaupt und schlechthin nichts« ist und allein »nach Gesetzen des Reflexes« entsteht.22 Mit dieser offensiven Vernichtung der zeitlichen Welt und der Aufhebung des Endlichen in die absolute Einheit mit dem Unendlichen geht zweitens einher, dass sich – wiederum anders als im Fall Spinozas – auch der Einwand erübrigt, sich über die innere Widersprüchlichkeit des Konzepts hinwegzutäuschen. Der widersprüchliche Gedanke eines »ewigen Werdens«, das »keineswegs antiproduktiv, doch ganz und gar anti-produktisch ist« (BK: JWA 2,1, 359), das eine »antiproduktive Produktivität und produktive Antiproduktivität« in sich verbindet (BK: JWA 2,1, 361), dieser Gedanke ist es ja gerade, der planmäßig angezielt und als die einzig wahre Auffassung des Sachverhalts behauptet wird. Allerdings bezahlt er dafür auch den Preis, jeglichen bestimmten Sinn und jede Möglichkeit präziser wirklichkeitsaufschließender Aussagen einzubüßen. »Damit die Vernunft aufgehe, muss der Verstand untergehen«, kommentiert Jacobi diesen Befund, um vollends ironisch mit den Worten zu schließen, dass »das Versinken in dieser Alleinsicht von einer solchen allgenugsamen Anschauungs- und Betrachtungsseligkeit begleitet seyn [soll], daß der diesen Zustand Kostende sich tief in die Erde hinein schämen würde, über ihn hinaus noch irgend einen anderen Wunsch zu hegen.« (BK: JWA 2,1, 361) Ob Hegel diese Kritik Jacobis an Schelling zur Kenntnis genommen hat? Nicht zu übersehen ist jedenfalls, dass er sich Jahre später in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes mit verblüffend ähnlichen Argumenten seinerseits von Schelling distanziert.
22
385f.
Schelling, Fernere Darstellungen aus dem System der Philosophie, SW IV,
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III. Fragen an Schelling und Hegel Ob direkt inspiriert durch Jacobi oder nicht: Zweifellos ist Hegels Bruch mit Schelling als Indiz dafür zu werten, dass das zunächst so vehement verfolgte Programm einer »Vernichtung des Endlichen« einschließlich der gegen Jacobi ins Werk gesetzten Polemik, mit der Hinsicht auf die Zeitlichkeit endlicher Existenz einer baren »Nichtigkeit« anzuhängen, eine fatale Fehleinschätzung gewesen ist. Eine Fehleinschätzung dessen, was philosophisch geleistet werden muss, im Übrigen auch in den Augen Schellings, wenn er später die gesamte Phase seiner Natur- und Identitätsphilosophie unter das – vermeintlich immer schon verfolgte – Vorzeichen einer »negativen Philosophie« setzt und in eben diesem Zusammenhang der Unterscheidung zwischen negativer und positiver Philosophie dem Phänomen der Zeit größte Aufmerksamkeit schenkt: »Die Zeit ist der Anfangspunkt aller Untersuchungen in der Philosophie und nie wird sich eine verständliche Entwicklung geben laßen ohne bestimmte Erklärung von der Zeit.« 23 In Anbetracht solcher erheblicher Änderungen ist es nicht übertrieben festzustellen, dass Jacobi um und nach 1800 seiner Zeit offenkundig weit voraus gewesen ist. Damit drängen sich aber zugleich zwei Fragen auf. Die Frage ist erstens, was Schelling und Hegel zu ihrer zunächst vertretenen Auffassung motiviert hat. Einfach ignorieren lässt sich der erörterte Befund schon deshalb nicht, weil ohne Analyse des Ausgangspunkts unklar bleibt, inwieweit und warum die ›Systeme in Bewegung‹ geraten. Wie also ist es denkbar, dass das Phänomen der Zeit geradezu mit Inbrunst für irreal und das Interesse an diesem Phänomen für irrelevant erklärt worden ist, wo es doch nach Kant eigentlich darum geht, einen neuen Realismus zu begründen? Es scheint mir nicht abwegig, zumindest ein mögliches Motiv in Kants Zeitlehre als subjektiver Anschauungsform a priori zu vermuten. In seiner Schrift von 1801 Über das Unternehmen des Kritizismus, die Vernunft zu Verstande zu bringen hat Jacobi diese Position Kants in seine Erörterung der Zeitproblematik einbezogen und vehement Schelling 1998, 16. Hinsichtlich seiner eigenen früheren Konzeption vermerkt Schelling nun zugleich ausdrücklich: »Ein ewiges Geschehen ist aber kein Geschehen.« (SW X, 124) 23
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kritisiert, während umgekehrt gerade Kants Zuweisung der Zeit an die Erscheinung dazu veranlasst haben mag, zeitliche Phänomene für Produkte der Imagination auszugeben und die ›wahre Realität‹ woanders zu suchen. Sind Schelling und Hegel in diesem Sinne noch immer ›Kantianer‹ und lesen eben deshalb auch Spinozas Ontologie und Jacobis Kritik an Spinoza eindeutig falsch? Die zweite Frage schließt daran direkt an. Wenn meine Vermutung richtig ist (ohne darum schon die überwältigende Perhorreszierung des Endlichen zu erklären), dann wäre im weiteren Verfolg der nachkantischen Systementwürfe zu prüfen, ob, wann und inwiefern eine Distanzierung von Kants Theorie der Zeit zu beobachten ist. Hinreichend ist dies aber noch nicht. Denn sofern es sich weiterhin um die Ambition von Systemprojekten handelt, kommt es nicht einfach nur auf die Hinsicht auf die Zeit als ontologisch gehaltvolles Phänomen, sondern auf die Integration dieser Hinsicht in das Systemganze an. Entscheidend zu verfolgen ist deshalb letztlich das Problem, vor das Jacobi in seiner Auseinandersetzung mit Spinoza von Anfang an gestellt hat: dass aus systemlogischen Gründen mit der Wiederkehr der Paradoxie einer »ewigen Zeit« auch im Postkantianismus gerechnet werden muss.
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13. Dritte Stellung des Gedankens zur Objektivität: Das unmittelbare Wissen
Von Beginn an ist folgende Bemerkung vorauszuschicken. Wollte man Hegels »Dritte Stellung des Gedankens zur Objektivität« im Vorbegriff der Enzyklopädie in allen ihren Aspekten rekonstruieren und seine Kritik des unmittelbaren Wissens einer vollständigen argumentativen Prüfung unterziehen, dann müsste man ein ganzes Buch schreiben. Damit ist schon gesagt, worum es sich bei diesem Text jedenfalls nicht handelt. Entgegen der vordergründigen Suggestivkraft, die er entfaltet und mit voller Absicht entfalten will, ist er weder leicht zugänglich noch stellt er die plakativ plausible Abrechnung mit dem unmittelbaren Wissen dar, für die er sich entlang einer Serie schrill formulierter Kritiksignale ausgibt. Um in dieser Hinsicht skeptisch zu werden, genügt es ja bereits, den performativen Widerspruch zu markieren, in den Hegel sich hier begibt und den er zweifellos gerne vermieden hätte, wenn es denn möglich gewesen wäre. Anders als die kritische Analyse des Textes ist dieser Widerspruch leicht zu formulieren: Wäre der Standpunkt des unmittelbaren Wissens wirklich das philosophische Marginalgewicht, als das Hegel ihn oberflächlich betrachtet präsentiert, hätte es keinerlei Anlass gegeben, ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Stattdessen wird er aber nicht allein als dritte und damit abschließende Stellung in den Vorbegriff aufgenommen, wobei ihm und nicht Kant eine eigene Stellung zugedacht wird, sondern hier auch in eine Debatte gezogen, die im Vergleich zu den ersten beiden Stellungen, Metaphysik, Empirismus und Kritischer Philosophie, die mit Abstand aufwendigste Auseinandersetzung bietet. Soweit es der zur Verfügung stehende Raum erlaubt, soll diese hochkomplizierte Debatte im Folgenden geklärt und einer kritischen Überprüfung zugänglich gemacht werden. Auf die Freilegung des Grundkonflikts, der den Text unausgesprochen organisiert (I.), folgt ein unverzichtbarer Rekurs auf Hegels Jacobi-Rezension (II.), der insbesondere die mehrdeutige Semantik des Terms »Unmittelbarkeit« zu dechiffrieren hilft (III.). Erst dann ist es möglich, eine adäquate Strukturskizze des Gedankengangs zu erstellen (IV.), auf deren 289
Basis die sachlichen Aussagen des Textes relativ zur Funktion der »Dritten Stellung« erschlossen werden können (V.). Ob Hegel die Durchsetzung seiner Anliegen gelingt, wird abschließend diskutiert (VI.).1
I. Der Grundkonflikt Dass dem Standpunkt des unmittelbaren Wissens eine Bedeutung zukommt, deren Ausmaß sich genau darin bekundet, wie Hegel sie an herausgehobenem Ort wortreich und in immer neuen Anläufen bestreitet, verweist auf einen impliziten Grundkonflikt, der jeden der tatsächlich gesagten Sätze dieses Textes in eine mehrdeutige Schwebe bis hin zur Unkenntlichkeit ihres wirklichen Sinns versetzt. Der Ursprung dieses Konflikts trägt einen Namen – den Jacobis, womit sich der performative Widerspruch der »Dritten Stellung« auch so formulieren lässt: Indem Hegel aufwendig versichert, dass Jacobis Position offenkundig unhaltbar ist und folglich nicht die geringste Herausforderung in sich birgt, bestätigt er eben dies, dass sie sehr wohl, und zwar die zentrale Herausforderung für Hegel darstellt. Bedenkt man weiter, was aus diesem Sachverhalt folgt, dann rückt man den Problemen des Textes noch ein Stück näher. Denn selbst wenn man nicht das Geringste von Jacobis eigenem Ansatz wüsste und also nicht in Kenntnis seiner Position die Gegenprobe auf Hegels Ausführungen machen könnte, wäre es abwegig, von Hegel etwas Einschlägiges, sei es Positives oder Negatives, über diesen Ansatz lernen zu wollen. Dass dies aus strukturellen Gründen unmöglich ist, belegt bereits das Faktum, dass man über die Herausforderung, für die Jacobi seit der Veröffentlichung seiner Spinozabriefe im Diskurs der Epoche ursächlich zeichnet, von Hegel buchstäblich nichts erfährt. Im Folgenden wird der Vorbegriff zur Wissenschaft der Logik in der Enzyklopädie von 1830 nach GW 20 mit Angabe von Paragraph und Seitenzahl im Text zitiert. Bislang liegen nur sehr wenige Erörterungen der »Dritten Stellung« vor, wobei v.a. deren selektive Konzentration auf bestimmte Theoreme und Paragraphen deutlich macht, dass ein hinreichender Aufschluss über Hegels Text, sowohl was seinen Hintergrund als auch was sein argumentatives Profil betrifft, bisher fehlt. Vgl. Westphal 1989; Stekeler-Weithofer 1992, 88 – 91; Halbig 2002, 279 – 324; Halbig 2005. 1
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Was Hegel zu Beginn der »Dritten Stellung« andeutet, ist allein der Umstand, dass Jacobis Insistieren auf dem Modus einer unmittelbaren, dem vermittelnden Wissen vorgängigen und dergestalt jeglichem Begründungszusammenhang radikal entzogenen Gewissheit allerdings auch eine kantkritische Pointe hat, und zwar sowohl hinsichtlich der Gewissheit des Unbedingten als auch hinsichtlich der Gewissheit des Sinnlichen. Was Hegel hingegen verschweigt, oder besser gesagt, in der völlig erratischen Bemerkung, wonach Jacobi seine in der Beilage VII der Spinozabriefe formulierte »Polemik« gegen das Erkennen »übrigens aus Spinoza’s Philosophie selbst geschöpft« hätte (§ 62, 101), versteckt, ist der für sein eigenes Projekt viel konstitutivere Punkt der Spinoza-Kritik Jacobis. Konstitutiver deshalb, weil diese Kritik, indem sie an Spinozas Metaphysik das bewunderungswürdige Exempel eines perfekten, folglich unwiderleglichen Systems der Notwendigkeit statuierte, dem man im Interesse der Freiheit ebenso konsequent nur durch einen Sprung widersprechen kann, alle zeitgenössischen Ambitionen auf ein alternatives System der Freiheit sowohl inspiriert als auch von jeher als undurchführbar behauptet hat. Jacobis Rede von unmittelbarer Gewissheit kennzeichnet demnach nicht einfach nur die Opposition zum Prozedere des vermittelnden Wissens als »Erkennen des Endlichen«, wie Hegel die Sache darstellt (§ 62, 101) und damit sogleich den Eindruck erweckt, als ginge es Jacobi nur um die – wie Hegel findet: kurzschlüssige und unhaltbare – Unterscheidung der Dimensionen von Unendlichem (Gott) und Endlichem (der empirischen Welt). Vielmehr steckt in Jacobis Auszeichnung der Gewissheit entscheidenderweise der besagte Sprung: der kontradiktorische Unterschied zwischen einer Systemphilosophie auf der einen Seite, die Unmittelbarkeit in totale Vermitteltheit überführt, und einer »Unphilosophie« auf der anderen Seite, die im Namen der Freiheit die Grenzen rationaler Vermittlung »enthüllt«.2 Das »Entweder-Oder«, das Hegel im Verlauf seiner Verhandlung im für die Organisation des Ganzen elementarsten § 65 als »Zurückfallen in den metaphysischen Verstand« anprangern wird, trifft in diesem Sinne einer von Jacobi zur Entscheidung gestellten AlterFür eine ausführliche Darstellung Jacobis vgl. Sandkaulen 2000, zur Auseinandersetzung mit Hegel insbes. 229ff. 2
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native durchaus zu, hat jedoch, und darauf kommt es an, der Sache nach einen völlig anderen Gehalt als den, den Hegel mit der Behauptung eines der traditionellen Identitätslogik geschuldeten wechselseitigen Ausschlusses von Unmittelbarkeit und Vermittlung suggeriert (§ 65, 106). Das allein, die zu notierende Differenz also zwischen dem, was Jacobi wirklich zur Entscheidung gestellt hat, und dem, was daraus in Hegels Darstellung des Standpunkts des unmittelbaren Wissens wird, macht die Angelegenheit aber noch nicht brisant und mitfolgend den Text der »Dritten Stellung« auch noch nicht zum abgründig komplizierten Dokument eines Grundkonflikts. Immerhin könnte Hegel die Anlage des Jacobischen Denkens einfach falsch verstanden haben. In einem solchen Fall hätte eine Analyse der »Dritten Stellung« gravierende Missverständnisse aufzudecken, was dann auch nicht ohne Folgen für Hegels Anspruch wäre, den Standpunkt unmittelbaren Wissens als haltlos widerlegt zu haben. Darum aber geht es hier nicht. Es geht nicht um Missverständnisse, sondern darum, dass Hegel die Herausforderung, die in Jacobis »Entweder-Oder« als einem fundamentalen Einspruch gegenüber allen Systemambitionen liegt, selbstverständlich nicht nur richtig begriffen, sondern auch sein ganzes philosophisches Programm seit dem Jenaer Einsatz, von der Polemik in Glauben und Wissen über das neue Konzept der Phänomenologie bis hin zur Umsetzung des Projekts in der Wissenschaft der Logik auf die Entkräftung dieser Provokation hin ausgerichtet hat. Immer schon geht es – wie bei Fichte und Schelling auch – um den Nachweis, dass der Sprung eine völlig unnötige, im wahrsten Sinne »unphilosophische« Übung in dem Maße ist, wie man das System Spinozas sehr wohl in ein System der Freiheit, die Substanz ins Subjekt überführen kann. Warum verschweigt Hegel diesen Hintergrund seiner Kritik des unmittelbaren Wissens? Die Antwort auf diese Frage hat sich angedeutet und damit ist auch die Richtung der weiteren Auseinandersetzung mit diesem Text vorgezeichnet. Hätte Hegel die systemkritische Provokation Jacobis mitsamt ihren strukturellen Dispositionen ins Spiel gebracht, hätte er Jacobi anders präsentieren müssen. Und eben das hätte dann nicht nur nicht erlaubt, das unmittelbare Wissen auf so plakative Weise zu kritisieren, wie Hegel es an der Oberfläche tut, sondern es hätte vor allem auch nicht erlaubt, diesen Standpunkt im Rahmen des Vorbegriffs zu verorten: im Entwurf einer neuen Einleitung also, die 292
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den Standpunkt der Logik »herbeizuführen« und dabei die früher mit dieser Funktion beauftragte Phänomenologie richtiggehend zu ersetzen hat (§ 25, 68 f.). Und damit ist man nun beim Kern der ganzen Problematik und dem eigentlichen Grund für die Schwierigkeiten des Textes angelangt. Der Grundkonflikt, der die »Dritte Stellung« unausgesprochen organisiert, verweist ursächlich auf Jacobi zurück. Seine Zuspitzung erfährt er jedoch angesichts der letztlich unlösbaren Aufgabe, die Hegel sich in dessen Gefolge mit dem Vorbegriff zumutet und seinem Konzept nach zumuten muss: nämlich einerseits im Vorfeld der Logik die Voraussetzung bereitzustellen, auf deren Basis die Logik selber dann agieren und in Gestalt der wesenslogischen Operation der »wesentlichen sich setzenden Einheit der Unmittelbarkeit und der Vermittlung« die Überwindung der von Jacobi zur Entscheidung gestellten Alternative demonstrieren kann (§ 65, 107), und zugleich andererseits dem Anfang der Logik »gänzliche Voraussetzungslosigkeit an Allem« zu garantieren (§ 78, 118). Hier könnte man einwenden, dass dieses Problem so oder so alle »Stellungen des Gedankens zur Objektivität« und nicht allein den Umgang mit dem unmittelbaren Wissen betrifft. Das ist in gewisser Weise richtig und bekräftigt damit das Dilemma, in dem sich Hegel befindet. Dass aber dieses Dilemma mit der Konfliktvorlage Jacobis nicht nur in ganz besonderem Maße verbunden ist, sondern hier – sozusagen stellungsübergreifend – sogar seinen Ursprung hat, geht aus Hegels eigenem, nicht von ungefähr im Kontext der »Dritten Stellung« gegebenen Hinweis auf die Wesenslogik hervor. Das heißt: Mit den Bestimmungen von Unmittelbarkeit und Vermittlung stehen im Falle Jacobis nicht irgendwelche »einfache Gedankenbestimmungen« (§ 25, 69) als vielmehr die logischen Grundoperatoren überhaupt in Rede, und zwar so, dass gerade deren reflexionslogische »Einheit« zusammen mit der Annullierung des Sprungs auch das Problem der Voraussetzung ein für alle Mal zu lösen verspricht – innerhalb der Logik. Aber wie ist es, wenn man erst im Vorhof der Logik steht? Unter welchen Voraussetzungen, die nicht wie Voraussetzungen aussehen dürfen, schafft man es, in diesen Binnenraum der sich selbst aufhebenden Voraussetzung, der Vermittlung der Unmittelbarkeit, hineinzukommen?
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II. Der programmatische Aufschluss der Jacobi-Rezension Die Provokation Jacobis aus dem Weg zu räumen, ist das Grundproblem. Dass damit gewisse Maßnahmen hinsichtlich dessen Darstellung verbunden sind, ist seit Glauben und Wissen deutlich, wo Hegel sich der Herausforderung des systemkritischen Sprungs durch die Umdeutung der Jacobischen Position in eine besonders abwegige Variante der sogenannten »Reflexionsphilosophie der Subjektivität« entzogen und dabei sogar gezielt zur Strategie des »Kauterisierens«, des zerstörerischen Ätzens und Brennens gegriffen hat.3 Zwischen Hegels Präsentation Jacobis und dessen eigener Position zu unterscheiden, ist seither prinzipiell geboten, und zwar nicht nur in Hinblick auf eine authentische Auseinandersetzung mit Jacobi selbst, sondern auch in Hinblick auf eine produktive Erschließung und Diskussion Hegels. Um aber darüber hinaus ermessen zu können, wo die spezifischen Schwierigkeiten der »Dritten Stellung« liegen, ist es wie gesehen entscheidend, bei jedem Schritt zusätzlich mitzureflektieren, welche Funktion die Verhandlung des unmittelbaren Wissens im Vorbegriff der Logik hat: nämlich die Lösung für die Aporie der Einleitung bieten zu sollen, deren Ausdruck sie in Wahrheit ist. Es wird zu zeigen sein, mit welchem, dem Verfahren »äußerliche[r] Reflexion« (§ 65, 107) vindizierten, Kunstgriff Hegel dieser Lage Herr zu werden, mit anderen Worten das skizzierte Dilemma zu verschleiern sucht. Worauf dabei insbesondere zu achten sein wird, ist für jetzt wenigstens schon einmal mit einer Frage anzudeuten. Hegel hält jeden konstruktiven Hinweis auf Spinoza zurück – aber warum und inwiefern spricht er in der »Dritten Stellung« (und nicht etwa in der ersten der vormaligen Metaphysik) so ausführlich von Descartes? Und was hat es zu bedeuten, dass er sich hier alsbald bis in die Behauptung hinein versteigt, Descartes sei der »Urheber« des Standpunkts des unmittelbaren Wissens und Jacobi lediglich der Epigone,
Die »Waffen, deren sich das Journal bedienen wird, sind sehr mannigfaltig; man wird sie Knittel, Peitschen und Pritschen nennen; – es geschieht alles der guten Sache und der gloriae Dei wegen; man wird sich wohl hie und da darüber beschweren; aber das Kauterisieren ist in der Tat notwendig gewesen.« Brief Hegels an Hufnagel v. 30.12.1801 (Hoffmeister 1969, 65). Vgl. zu Glauben und Wissen meine Analyse in Sandkaulen 2004 und in Text Nr. 12 in diesem Band. 3
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dessen »moderne Sätze« »nur für überflüssige Wiederholungen gelten können« (§ 64, 106)? Man sieht, dass man sich noch auf einiges gefasst machen muss. Umso wichtiger ist es, der kritischen Analyse des Kapitels, die sich, soviel ist jetzt bereits klar, auf keinen Fall an der linearen Abfolge der Paragraphen orientieren kann, einen Rekurs auf Hegels Heidelberger Jacobi-Rezension von 1817 vorzuschalten, der das bisher Gesagte schärft und dem Folgenden so weit wie möglich Transparenz verschafft. Dabei gehört es bereits zur Sache, zwei zunächst äußerlich scheinende Beobachtungen zu notieren. Ebenfalls aus dem Jahr 1817 stammt auch die ursprüngliche Version des »Vorbegriffs« in der Heidelberger Enzyklopädie, in der die Auseinandersetzung mit dem unmittelbaren Wissen fehlt. Gleichzeitig fällt auf, dass Hegel – im Kontrast sowohl zu Glauben und Wissen als auch zur »Dritten Stellung« – in der Jacobi-Rezension einen überaus freundlichen Ton anschlägt. Aber nicht nur das. Wörtlich heißt es hier, es sei in »Rücksicht auf die philosophische Einsicht […] von der bedeutendsten Wichtigkeit« gewesen, dass durch Jacobi »das Moment der Unmittelbarkeit der Erkenntniß Gottes aufs bestimmteste und kräftigste herausgehoben worden ist« 4. Warum äußert sich Hegel hier anerkennend über einen Befund, den er 1802 vollständig ignoriert hat und 1827/30 dann als eine »einzige einfache Polemik« seiner philosophischen Schlichtheit (§ 62, 100) und Epigonalität überführen und als Ausdruck zugleich einer »wilden Willkühr der Einbildungen und Versicherungen«, von »Moralitäts-Eigendünkel und Hochmuth des Empfindens oder einem maaßlosen Gutdünken und Räsonnement« an den Pranger stellen wird (§ 77, 117)? Weiß Hegel vorübergehend doch nicht, was er will, und zögert aus diesem Grund auch den Einschluss des unmittelbaren Wissens in den »Vorbegriff« hinaus? Interessanterweise liegt die Sache ganz anders. 1817 weiß Hegel sehr gut, was er mit Jacobi will – genauer und den entscheidenden Punkt anzielend gesagt: was er mit ihm gewollt hat, in der Wissenschaft der Logik nämlich, deren letzter Teil soeben erschienen ist. Im Bewusstsein der vollendeten Logik kann Hegel freundlich intonieren und dabei offen aufdecken, was er Jacobi verdankt und wie er dessen
4
Hegel, Friederich Heinrich Jacobi’s Werke, GW 15, 11. Das unmittelbare Wissen
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provokative Problemvorlage – im Sinne einer, so Hegel hier, von Jacobi begründeten »Nothwendigkeit einer völlig veränderten Ansicht des Logischen« 5 – in den Prozess der Logik umgesetzt und auf diesem Wege die Substanz Spinozas in den absoluten Geist überführt hat. Mit anderen Worten: Es kommt auf die Perspektive an. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man aus der Perspektive der vollendeten Logik spricht oder man mit dem Vorbegriff von neuem vor der Frage steht, wie denn der Standpunkt dieser Logik überhaupt zu gewinnen sei. Insofern steht die höchst aufschlussreiche Auskunft, die Hegel über die Anlage seines Denkens in der Jacobi-Rezension erteilt, zur »Dritten Stellung« weder in einem widersprüchlichen noch in einem komplementären Verhältnis. Vielmehr geht die Rezension als Subtext in die »Dritte Stellung« ein, die ihrerseits, dem Perspektivenwechsel entsprechend, an der Oberfläche so etwas wie eine komplette Umkehrung derselben Motive ins Werk setzen muss, um ›vorbegriffsfähig‹ zu sein. Diesen Umbau nicht nur in Hinblick auf die eigenen Belange vorzunehmen, sondern außerdem auch noch plausibel erscheinen zu lassen, hat Hegel sich seinerzeit offenbar nicht zugetraut, während er es später vermieden hat, Rechenschaft über diesen Vorgang zu geben. Um nun den fraglichen Zusammenhang so durchsichtig wie möglich und damit das Kapitel des Vorbegriffs allererst lesbar und kritisch überprüfbar zu machen, sind in der Rezension die folgenden Momente wenigstens kursorisch hervorzuheben. Generell entscheidend ist, dass der Einblick, den Hegel hier ex post und unter explizitem Verweis auf die Spinoza-Debatte in die Gedankenwerkstatt der Wissenschaft der Logik gewährt, ein signifikantes Arrangement zu erkennen gibt. Dazu gehört erstens die affirmative Bezugnahme auf Jacobi in zweierlei Hinsicht. Im Recht war Jacobi danach sowohl mit der These, »daß jedes consequente Philosophiren auf den Spinozismus führen muß«, als auch mit der Antithese, dass die Vergewisserung der Freiheit im Sinne von »Selbstbestimmung und Persönlichkeit« mit Spinozas Metaphysik unverträglich ist, wobei diese Freiheitsdimension beides, die Hinsicht auf »Individuation« und auf Gott als absoluten »Geist«, umfasst.6 Insofern damit aller5 6
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GW 15, 25. GW 15, 9ff. Bezüge
dings erst die beiden Pole der Verständigung bezeichnet sind, kommt es zweitens darauf an, deren Verhältnis anders als durch die Kontradiktion des Sprungs zu bestimmen, dem Hegel bereits durch die Formulierung eines von Jacobi »in seinem Innersten« vollzogenen »Übergangs« die provokative Schärfe nimmt.7 Wichtiger als das ist, auf welche Weise diese Rede abgestützt wird: dadurch nämlich, dass der angebliche »Übergang« von der Substanz zum Geist zwischen zwei Polen der Unmittelbarkeit verortet wird. Nach Hegels Darstellung ist somit nicht nur Jacobi, sondern auch und ursprünglich Spinoza ein Philosoph der Unmittelbarkeit, der »das Wahre« in seiner »ersten Unmittelbarkeit«, eben deshalb nur substantiell aufgeschlossen hat, und zwar im »reinen Anschauen, was dasselbe ist als das abstracte Denken«.8 Diese Gleichsetzung von Unmittelbarkeit, Anschauung und abstraktem Denken wird Hegel wörtlich in die »Dritte Stellung« übernehmen, dann aber nicht mehr mit Spinoza, sondern auf höchst intrikate Weise mit Jacobi verbinden – auf die zentrale Bedeutung dieses Zugs sei darum jetzt schon hingewiesen. Was Hegel dabei gelegen kommen und die Argumentation im »Vorbegriff« subkutan vorantreiben wird, ist ein Motiv, das er im Anschluss an die Behauptung spinozanischer Unmittelbarkeit schon in der Jacobi-Rezension entfaltet. Arrangiert man die Lage nämlich so, wie Hegel es tut, ergibt sich drittens, inwiefern sich Jacobi mit seiner Kritik der Vermittlung um den Erfolg seiner richtigen Absichten gebracht hat. Anstatt die Vermittlung aufzuheben, hat er sie nur äußerlich weggeworfen. Dies führt zu einem doppelt unbefriedigenden Ergebnis. Denn indem sich dergestalt »sein Bewußtseyn des absoluten Geistes in der Form des unmittelbaren, nur substantiellen Wissens fest[hält]«,9 hat er einerseits den Standpunkt Spinozas de facto nicht überwunden, sondern vielmehr fixiert, während sich zugleich andererseits seine »positiven Ideen« »nur mit dem Werthe von Versicherungen« zeigen.10 Vor diesem Hintergrund löst Hegels Einsatz beide Probleme mit einem Schlag. Spinozas substantielle Unmittelbarkeit einem reflexi7 8 9 10
GW 15, 11. GW 15, 9f. GW 15, 13. GW 15, 23. Das unmittelbare Wissen
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ven Vermittlungsprozess auszusetzen, garantiert die Überwindung der Substanz im Subjekt und garantiert damit im selben Moment, in Gestalt vermittelter Unmittelbarkeit in methodisch gesicherte Erkenntnis einzuholen, was Jacobi lediglich »geistreich« zu beschwören, aber nicht »als nothwendig« darzutun vermocht hat.11 Es wird sich zeigen, wie genau diese Konstellation in den Vorbegriff eingeht. Dabei ist allerdings ein vierter Punkt zu berücksichtigen, der Hegels scheinbar elegante Lösung als hochproblematisch erweist und in der Folge dann auch den Perspektivenwechsel des »Vorbegriffs« mit der schweren Hypothek belasten wird, von der schon die Rede war. Die skizzierte Denkfigur entspricht dem Entwurf der Wesenslogik. Das bedeutet, wie Hegel in der Jacobi-Rezension auch wirklich ausführt, die angezeigte Vermittlung als die reflexionslogische Figur einer »Negation der Negation« zu begreifen12 und dabei zu unterstellen, dass hier nur diejenige Negativität über sich selber aufgeklärt wird, die bereits der spinozanischen »Anschauung« der Substanz im Vollzug einer absoluten Negation des Endlichen eingeschrieben war. Dass die Unmittelbarkeit sich also in Wahrheit immer schon einer Vermittlung verdankt und dass es eben dies in Gestalt der doppelten Negation einzusehen gilt, ist Hegels gleichermaßen gegen Spinoza wie gegen Jacobi formuliertes Argument. Das ist aber nicht nur um den Preis einer fundamentalen Verzerrung von deren eigenen Konzeptionen erkauft.13 Hegel-spezifisch liegt das Problem darüber hinaus darin, dass die wesenslogische Reflexion genau in dem Maße, wie sie in Form des Rückgangs in den Grund behauptet, jegliche Voraussetzung nunmehr als eine Setzung durchleuchtet zu haben, die unabdingbare Voraussetzung am Anfang der Seinslogik offenlegt: die Verpflichtung GW 15, 23. GW 15, 11. 13 Vgl. dazu ausführlich Sandkaulen 2008 und Text Nr. 14 in diesem Band. Allein in Bezug auf Hegels Stilisierung des Satzes »omnis determinatio est negatio« zum Grundtheorem Spinozas, dem Hegel selbst in der Jacobi-Rezension auch den Zusatz »omnis« beifügt (GW 15, 10), wird so auch seine erratische Bemerkung in der »Dritten Stellung« verständlich, wonach Jacobi seine Kritik des Erkennens Spinoza selbst verdanke. Mit diesem Theorem überblendet Hegel zugleich die Unterscheidung der drei Erkenntnisformen bei Spinoza: die Rede vom »Anschauen« als identisch mit »abstraktem Denken« hat demnach nichts mit Spinozas scientia intuitiva zu tun. 11
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auf das »Wahre« in seiner »ersten Unmittelbarkeit«, mit anderen Worten auf Spinoza.
III. Die mehrdeutige Semantik der Unmittelbarkeit Worin der unausgesprochene Konflikt nicht nur der »Dritten Stellung«, sondern des Entwurfs des Vorbegriffs insgesamt liegt, lässt sich jetzt präzise konkretisieren. Nachdem Hegel die Einleitung der Phänomenologie für gescheitert hält, muss er im Vorbegriff durchaus nicht so etwas wie ein allgemeines Einleitungs- und Anfangsproblem lösen als vielmehr von neuem sicherstellen, dass die Einleitung auf einen ›spinozanisch‹ präparierten Anfang der Logik hinarbeitet, ohne Spinoza explizit in die Debatte zu ziehen. Dass Spinoza im Rahmen der Positionen, deren »Stellungen des Gedankens zur Objektivität« ihrer Defizite überführt werden sollen, keinen sinnvollen Ort hat, ist ohnehin evident. Schließlich ist die Überwindung der Substanz im Subjekt das zentrale Projekt, das als integrale Aufgabe der Logik selber vorbehalten ist. Umso entscheidender ist etwas anderes: Unter allen Umständen gilt es zu vermeiden, sich den Anfang dieses Prozesses im direkten Verweis auf Spinoza selbst zu verschaffen. Das hätte die Logik einem extrinsischen Einsatz ausgeliefert, den keine wesenslogische Reflexion jemals mehr hätte einholen und aufheben können. Aus dieser stillschweigenden Prämisse Hegels folgt nun zugleich, was es mit der »Dritten Stellung« im Besonderen auf sich hat. Um eine seriöse Auseinandersetzung mit Jacobi kann es sich hier deshalb nicht handeln, weil Hegel diese Debatte ausschließlich als Mittel zum genannten Zweck betreibt. Um den erwünschten Anfang der Logik subkutan, also ohne explizite Beanspruchung der Voraussetzung Spinozas freilegen und auf dieser Basis die wesenslogische Aufhebung der Konfliktvorlage Jacobis überhaupt erst durchführen zu können, wird der Standpunkt des unmittelbaren Wissens gezielt instrumentalisiert. Grundlage dieser Instrumentalisierung ist ein Verfahren, das den Terminus »Unmittelbarkeit« in jedem Augenblick mit einer mehrdeutigen Semantik versieht. Was Hegel sich dabei zunutze macht, hat der Rekurs auf seine Jacobi-Rezension in Sichtweite gebracht: das nunmehr in die »Dritte Stellung« subtextuell eingehende Arrangement nämlich, demzufolge »Unmittelbarkeit« noch nie ein Das unmittelbare Wissen
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eindeutiger, sondern immer schon ein semantisch mehrfach, genau besehen vierfach besetzter Terminus war. Wie erinnerlich bezeichnete er in der Ausgangsgestalt substantieller Unmittelbarkeit erstens die Position Spinozas selbst, die mit derjenigen Jacobis zweitens insofern zusammenfiel, als er – Hegel zufolge – in Ermangelung produktiv eingesetzter Vermittlung die spinozanische »Anschauung« der Substanz de facto festgeschrieben haben soll. Eine dritte und vierte Version lag demgegenüber in der Zielgestalt der der Vergewisserung des Geistes geltenden Unmittelbarkeit vor, die von Jacobi aber – Hegel zufolge – wiederum in Ermangelung der Vermittlung lediglich in Form unausgewiesener »Versicherungen« behauptet werden konnte und deshalb allein in der logischen Gestalt vermittelter Unmittelbarkeit methodisch zu generieren und begrifflich zu stabilisieren war. Was man tun muss, um dieses logische Szenario auf den Perspektivenwechsel des Vorbegriffs, auf die fragliche Einleitung in die Logik also umzustellen, ist eine im Grunde einfache, im Text selbst indes nahezu undurchschaubare Operation. Sie besteht darin, den vierfachen Sinn von Unmittelbarkeit aufrechtzuerhalten, die differentiellen Zuordnungen zu den jeweiligen Ausgangs- und Zielbestimmungen jedoch bewusst implodieren zu lassen. Im Fall der ersten und zweiten Version sticht der Effekt sofort ins Auge. Ohne dass von Spinoza explizit die Rede sein müsste, bleibt die Figur der »ersten Unmittelbarkeit« präsent, indem sie offiziell mit Jacobis Standpunkt der Unmittelbarkeit identifiziert wird und unter der Hand zugleich stets schon auf den ›spinozanisch‹ imprägnierten Anfang der Seinslogik zielt. Um diese Semantik von Unmittelbarkeit im Text zu verifizieren, muss man durchgehend auf die Signalausdrücke der unbestimmten Abstraktheit achten, denen inhaltlich die Vergewisserung des Seins überhaupt entspricht. Im Fall der dritten und vierten Version ist der Effekt nicht geringer, was die offizielle Desavouierung des Standpunkts des unmittelbaren Wissens betrifft, sogar größer. Hier sind es nun die defizitären »Versicherungen« des unmittelbaren Wissens, die zur polemischen Diskreditierung der Unbestimmtheit seiner »wilden Willkür der Einbildungen und Versicherungen« gesteigert werden, wobei die Kritik die methodischen Standards einer Philosophie in Anspruch nimmt, die, insofern sie kein »bloßes Versichern, noch Einbilden noch beliebiges Hin- und Herdenken des 300
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Räsonnements« gestattet (§ 77, 117), einer zureichenden, d. h. konkreten Erkenntnis des Geistes verpflichtet ist. Warum der Text an der Oberfläche scheinbar leicht, in Wahrheit aber übermäßig schwer zu entziffern ist, zeichnet sich damit ab. Denn vor dem Hintergrund des in der Jacobi-Rezension vorgeführten Arrangements ist klar, dass Hegel mit dem zuletzt genannten vierten Typ von Unmittelbarkeit, die »in Eins Vermittlung und unmittelbare Beziehung auf sich selbst ist« (§ 74, 114), seine eigene Position – verdeckt natürlich – ins Spiel bringt, und zwar so, dass gemessen an ihr sowohl die Abstraktheit der (ersten) Unmittelbarkeit als auch die Willkür der (zweiten) Unmittelbarkeit der Kritik verfallen. Unter Bedingungen des Perspektivenwechsels, der den Unterschied sowohl zwischen diesen beiden Unmittelbarkeiten als auch den Unterschied innerhalb der ersten Unmittelbarkeit planmäßig implodieren lässt und sich dazu der beliebig einsetzbaren Formel der Unbestimmtheit des unmittelbaren Wissens bedient, führt das dazu, die Kritik pauschal an einen sogenannten Standpunkt der Unmittelbarkeit zu adressieren, von dessen Unhaltbarkeit sich nun jedermann überzeugen kann, dessen angebliche Signatur jedoch von Hegel selbst auf die beschriebene Weise allererst konstruiert worden ist. Gerade weil es aber auf die Dechiffrierung seines Interesses ankommt, das hinter diesem Konstrukt im Sinne des skizzierten Grundkonflikts am Werke ist, wird es umso wichtiger sein, diese beiden Aspekte von (unbestimmter) Abstraktheit einerseits und von (unbestimmter) Willkür andererseits sorgfältig auseinanderzuhalten, mit denen Hegel de facto auf etwas je anderes zielt. Dabei kommt nun allerdings ein Umstand zu Hilfe, mit dem Hegel den instrumentellen Konstruktcharakter seines Zugriffs in gewisser Weise ›verraten‹ hat, obwohl er jede Anstrengung unternimmt, den hier benötigten Kunstgriff selber noch einmal zuzudecken. Gemessen daran ist der Umbau des Arrangements der Jacobi-Rezension in die Text- und Argumentationsgestalt der »Dritten Stellung« so einfach doch wieder nicht. Vielmehr steht er unter der spezifischen Bedingung, von der früher schon andeutungsweise die Rede war, nämlich die cartesische Philosophie in die Debatte nicht nur einzuführen, sondern Descartes sogar als »Urheber« des Standpunkts des unmittelbaren Wissens zu reklamieren. Es ist erstaunlich, dass auch dieser Punkt, obwohl er im Text – anders als die Leerstelle Spinoza – auf Das unmittelbare Wissen
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geradezu aufdringliche Weise unübersehbar ist, bislang überhaupt nicht beachtet worden ist, zumal ja im Interesse einer Klärung und Diskussion der Sachfrage ›unmittelbares Wissen‹ zunächst einmal gar nichts dagegen spricht, die cartesische Gewissheit des »Cogito, ergo sum«, die in der Tat keine syllogistische Schlussfigur darstellt (§ 64, 105 f.), mit einer Position wie derjenigen Jacobis in einen strukturellen Vergleich zu ziehen. Hier kommt es allerdings auf etwas anderes an. Denn dass Hegel an einer solchen Diskussion gerade kein Interesse hat und die Einbeziehung Descartes’ in die Verhandlung der »Dritten Stellung« im Gegenteil der sprechendste Ausdruck für seine instrumentelle Vereinnahmung Jacobis ist, zeigt sich daran, dass er sich, hätte er eine solche Debatte sachhaltig führen wollen, auf ganz andere Weise sowohl auf die cartesische als auch die Jacobische Philosophie hätte einlassen müssen. Beides ist nicht der Fall – das heißt: auch Descartes wird hier nur gebraucht. Er wird dringend gebraucht, um als terminologischer Platzhalter für Spinoza diejenige substantielle (erste) Unmittelbarkeit zu bezeichnen, deren Zusammenfall mit dem faktischen Standpunkt Jacobis ja bereits im Arrangement der Jacobi-Rezension lediglich behauptet werden konnte, jetzt aber, nachdem Spinoza in den Hintergrund treten muss, vollends nicht mehr ausweisbar ist. Das ganze Dilemma der Unternehmung wird demnach in dem Maße offenkundig, wie Hegel nur unter der Bedingung, sich im Rekurs auf das »cogito ergo sum« die Termini »Denken« und »Sein« buchstäblich von Descartes zu leihen, seine mit der »Dritten Stellung« verbundenen Zwecke überhaupt durchführen kann.14 Andernfalls, ohne die Zuhilfenahme dieses sprachlich-terminologischen Unterschleifs, hinge alles in der Luft: sowohl die – unter der Hand den Anfang der Seinslogik vorbereitende – Suggestion, dass die Signatur der abstrakten und unbestimmten Unmittelbarkeit den Standpunkt Jacobis wirklich trifft, als auch die Möglichkeit, diese Unmittelbarkeit aus der Perspektive einer vermittelten Unmittelbarkeit zu kritisieren, deren Anspruch sich zwar längst der Logik verdankt, als solche im Vorfeld der Logik aber argumentativ noch nicht ins Feld geführt werden darf. Allein die terminologische Verwendung
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Vgl. dazu das abschließende Kapitel VI. Bezüge
Descartes’ sorgt mit anderen Worten dafür, denjenigen Perspektivenwechsel inszenieren zu können, mit dem sich das in der JacobiRezension vorgeführte logische Arrangement in die »äußerliche Reflexion« der »Dritten Stellung« verkehrt.
IV. Strukturskizze der »Dritten Stellung« Mit dem zuletzt genannten Punkt, der den Blick auf den spezifischen Darstellungsmodus des Textes lenkt, sind die Überlegungen nicht von ungefähr wiederum im § 65 angelangt, der früher schon als die organisatorische Mitte der ganzen Verhandlung bezeichnet worden ist. Ausgehend von dieser Mitte ist jetzt auch zu prüfen, wie die bisher freigelegten Denkfiguren in die konkrete Verhandlung des Standpunkts des unmittelbaren Wissens umgesetzt werden. Dabei empfiehlt es sich aus Gründen der Orientierung dringend, sich zunächst einmal in Form einer Strukturskizze den Grundriss des Textes vor Augen zu führen, nachdem Hegel selbst bis in die Form der Verhandlung hinein, die einem geradezu orthodoxen Diskussionsschema zu entsprechen scheint, das Konfliktpotential der »Dritten Stellung« zu verbergen und seine Absichten damit desto effektvoller ins Werk zu setzen sucht.15 Ein anderes, deutlich komplexeres Netzwerk ergibt Diesem Schema zufolge, das sowohl die übliche Diskussionspraxis als auch den für Hegel typischen Argumentationsverlauf einer linearen und dabei in den Kreis zurücklaufenden Schrittfolge abbildet, markiert die Präsentation des Standpunkts des unmittelbaren Wissens den Auftakt, der die Auffassung des vermittelnden Erkennens, die eingesetzten Kategorien (»Wissen, Glauben, Denken, Anschauen«) und die inhaltlichen Aussagen des unmittelbaren Wissens umfasst (§§ 61– 64). Darauf folgt die Überprüfung seiner Ansprüche mit dem Ergebnis, dass jegliches Wissen, dem Anschein seiner Unmittelbarkeit zum Trotz, Vermittlung mit sich führt (§§ 66 – 70). Im Anschluss daran werden die inakzeptablen Folgen beleuchtet, die sich aus der Einseitigkeit des fraglichen Standpunkts ergeben (§§ 71– 74), was in eine endgültige Zurückweisung seiner Behauptungen mündet (§ 75). Eine abschließende Beurteilung rückt die »Dritte Stellung« in den Zusammenhang des »Vorbegriffs« im Ganzen ein, womit sich einerseits der Kreis der Einleitung schließt (§§ 76 – 77) und sich andererseits der Übergang zur Logik eröffnet (§ 78). Dass dieses Schema nur dem Anschein nach aufgebaut, tatsächlich aber von Anfang an unterlaufen wird, lässt sich vorläufig anhand folgender Merkmale 15
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sich demgegenüber dann, wenn man den Grundriss des Textes ausgehend von § 65 rekonstruiert. Dann fällt zuerst in den Blick, dass dieser Abschnitt seine direkte, wenngleich signifikant verschobene Entsprechung in § 78 hat, im letzten Stück also, das den »Gegensatz von einer selbstständigen Unmittelbarkeit des Inhalts oder Wissens und einer dagegen ebenso selbstständigen Vermittlung, die mit jener unvereinbar sey«, als eine »bloße Voraussetzung und beliebige Versicherung« bezeichnet und mit diesem Argument zur Logik überleitend den Anfang der Wissenschaft unter die Forderung »gänzlicher Voraussetzungslosigkeit« stellt (§ 78, 117 f.). Das Motiv der Willkür, das demnach von hervorragender Bedeutung ist, wird aber bereits in § 63 exponiert. Die Mitte und der Schluss verweisen somit auf den Anfang des Textes zurück, wobei dessen Charakteristikum darin besteht, den Vorwurf der bereits hier wörtlich so genannten »beliebigen Versicherungen« des unmittelbaren Wissens mit dem Vorwurf der gänzlichen Unbestimmtheit seines Inhalts
feststellen. Erstens ergibt sich aus dem Schema selbst, dass besagter § 65 offenkundig kein Element des Argumentationsgangs ist, insofern er weder zur Reihe der Präsentation noch zur Reihe der Widerlegung des Standpunkts des unmittelbaren Wissens direkt gehört. Nicht zu übersehen ist zweitens, dass zwischen Präsentation und Kritik in Wahrheit gar keine Trennlinie verläuft. Vielmehr ist bereits die Exposition des unmittelbaren Wissens mit genau den Einwänden durchsetzt, die Hegel später de facto nur wiederholt. Auf den Typus dieser Einwände und ihre Darstellung wird zurückzukommen sein. Zu unterstreichen ist indes schon hier, dass die kritische Imprägnierung der ganzen Verhandlung, wie sie insbesondere in §§ 63 und 64 vorgenommen wird, durch suggestiv herbeigeführte Zuschreibung, d.h. jenseits irgendeiner argumentativen Prüfung erfolgt. Eine Unterwanderung des Schemas ist drittens dann auch in der Abteilung der Widerlegung zu erkennen, wo Hegel auf signifikante, aber vorderhand ganz undurchsichtige Weise von empirischen Einwänden zu Einwänden einer ganz anderen Art, »[g]anz ohne Rücksicht auf empirisch-scheinende Verbindungen genommen« (§ 69, 110), übergeht, für die ihm – warum wohl – eine eigene klassifikatorische Bezeichnung fehlt. Auf einschlägige Verwerfungen deutet viertens auch die kritische Prüfung der Folgen aus der Einseitigkeit des Standpunkts des unmittelbaren Wissens hin, die Hegel äußerlich nach dem sonst erfolgreichen Muster einer Unterscheidung von Inhalt (§§ 71– 73) und Form (§ 74) zu sortieren sucht, dabei aber nicht gänzlich verdecken kann, dass § 74 sich diesem Muster nicht nach Wunsch fügt. In diesem Zusammenhang fällt fünftens schließlich auch der stark deklaratorische Charakter von § 75 auf, dessen Resümee der »Beurtheilung dieser dritten Stellung« durchaus nicht organisch aus dem Vorhergehenden folgt. 304
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zusammenzuführen: mit der Folge, dass es offen für jedweden Aberglauben ist und, insofern es »für sich sich auf den Gott überhaupt, das höchste Wesen, einschränkt«, nichts als ein »trockene[s] Abstractum« vorstellig macht (§ 63, 103 f.). Explizit unter dem Stichwort der »Abstraction« wird dieses Motiv im folgenden Abschnitt sogleich aufgenommen und hier nicht zuletzt auf einen »Satz« bezogen, den Hegel in »formeller Rücksicht« besonders »interessant« findet, »daß nämlich mit dem Gedanken Gottes sein Seyn, mit der Subjectivität, die der Gedanke zunächst hat, die Objectivität unmittelbar und unzertrennlich verknüpft ist« (§ 64, 104 f.). Von hier aus führt das Netzwerk des Textes in zwei Richtungen. Zum einen, das wurde schon angedeutet, werden die Einwände der subjektiven Beliebigkeit und Unbestimmtheit des unmittelbaren Wissens in §§ 71 – 73, jetzt unter dem Aspekt der Folgen aus seiner Einseitigkeit, wiederholt, wobei insbesondere der Vorwurf, der fragliche Standpunkt schließe aufgrund seiner Unbestimmtheit jeglichen Aberglauben ein, seine Zuspitzung und zugleich seine moralische Erweiterung in der These erfährt, »daß aller Aberglaube und Götzendienst für Wahrheit erklärt wird und daß der unrechtlichste und unsittlichste Inhalt des Willens gerechtfertigt ist« (§ 72, 113). Eine unverkennbare Sonderrolle – so etwas wie eine Doppelrolle – spielt hier zum andern jedoch § 64, in dem nicht von ungefähr auch Descartes erstmals auf den Plan gerufen wird. Die Auskunft dieses Passus zur inhaltlichen Bestimmung des unmittelbaren Wissens wird nämlich sowohl in § 73 wieder aufgenommen, demzufolge solches Wissen nur weiß, »daß Gott ist, nicht was Gott ist« (§ 73, 113), als auch – und das ist entscheidend – in direkter, von Hegel selbst ausdrücklich markierter Verbindung in §§ 69 und 70 transferiert, gerade in die Passagen also, die sich mit dem nicht-empirischen Fall einer Vermittlung befassen, die ausgehend von dem im »(§ 64.) bezeichnete[n] Übergang von der subjectiven Idee zum Seyn« als diejenige Vermittlung, »wie sie wahrhaft ist«, dem vermeintlich unmittelbaren Wissen entgegenhalten wird: »nicht als eine Vermittlung mit und durch ein Aeußerliches, sondern als sich in sich selbst beschließend« (§ 69, 110). Das Netzwerk des Textes verdichtet sich weiter, wenn man sieht, dass dieser Abschnitt sein sachliches Pendant nicht zufällig in § 74 findet, der unter dem Aspekt der »Form der Unmittelbarkeit« das Das unmittelbare Wissen
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Defizit sowohl der Vermittlung durch anderes als auch der Selbstvermittlung (der vermittelten Unmittelbarkeit) unterstreicht und dabei beide Defizite des unmittelbaren Wissens mit dem symptomatischen Einwand der »Abstraction« verbindet, in den hier der Vorwurf subjektiver Beliebigkeit im Sinne einer abstrakten Verabsolutierung des Endlichen interessanterweise eingeschlossen wird (§ 74, 114). Dass es mit diesem Passus seine besondere Bewandtnis hat, zeigt vor allem die wörtliche Aufnahme der früher schon in der JacobiRezension herausgehobenen These Hegels, wonach gelten soll: »Abstractes Denken […] und abstractes Anschauen […] sind ein und dasselbe.« (§ 74) Den Schluss des Textes inszeniert Hegel als Rückkehr zur Metaphysik. Strukturell aufschlussreich für das hier freizulegende Netzwerk ist dabei aber der neuerliche Rekurs auf Descartes, und zwar deshalb, weil Hegel, indem er die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Descartes und dem »moderne[n] Standpunkt« Jacobis herausstellt, das Motiv der unbestimmten Abstraktheit mit Bezug auf die »einfache Untrennbarkeit des Denkens und Seyns des Denkenden« (§ 76, 115) ausdrücklich vom Motiv der Willkür trennt, welch letzteres allein der »moderne Standpunkt« in seiner Preisgabe »alle[r] Methoden« zu verantworten hat (§ 77, 117). So schließt sich der Kreis. Denn an die hier folgende, inzwischen schon mehrfach zitierte Anprangerung der »wilden Willkür der Einbildungen und Versicherungen« des unmittelbaren Wissens kann das letzte Stück der »Dritten Stellung« direkt anschließen und die Disposition des fraglichen Standpunkts, die eine »bloße Voraussetzung und beliebige Versicherung« ist, der Negation eines durchgreifenden Skeptizismus unterwerfen, der auf »gänzliche Voraussetzungslosigkeit« zielt. Behält man die eben genannte Unterscheidung im Auge, dann wird damit am Eingang der Logik Jacobis »moderner Standpunkt« negiert, aber nicht die stellvertretend durch Descartes repräsentierte, auf Spinoza zielende unmittelbare Untrennbarkeit von Denken und Sein.
V. Vier Funktionen der »Dritten Stellung« Auf der Basis dieser Strukturskizze lässt sich der Gedankengang Hegels nunmehr vollends erschließen, insofern der instrumentellen 306
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Konstruktion der »Dritten Stellung« genau vier entscheidende Funktionen zugewiesen sind. Grundlegend ist dabei die in § 65 zusammen mit der Kritik an der Disposition des »Entweder-Oder« von unmittelbarem und vermitteltem Wissen formulierte Unterscheidung zwischen der »wahrhafte[n] Betrachtung« der Logik und der im Vorbegriff allein zu gebrauchenden »äußerlichen Reflexion« (§ 65, 107). Diese Unterscheidung legt die erste Funktion des Textes frei, nämlich den Standpunkt des unmittelbaren Wissens so zu konturieren, dass der Ausblick auf die Wesenslogik und deren »völlig veränderte Ansicht des Logischen«, wie es in der Jacobi-Rezension hieß, als zwingend erforderliche Maßnahme erscheint. Dabei bleibt der Hinweis auf die Operation der Logik und mitfolgend auch die Kritik des unmittelbaren Wissens, insofern sie bereits aus der Perspektive der Logik getroffen wird, an dieser Stelle aporetisch, wie Hegel selber mit der Bemerkung, »diesen Punkt unentwickelt« zu lassen, andeutet (§ 65, 107). Jede Entwicklung dieses Sachverhalts hätte die Einleitung schon übersprungen – womit im Sinne des performativen Widerspruchs implizit natürlich die Stärke und nicht etwa die Schwäche der Position Jacobis untermauert wird, wenn sie denn den Aufwand einer neuen Logik zu ihrer Überwindung notwendig macht. Umso bezeichnender ist, dass Hegel die Maßnahme der »äußerlichen Reflexion« in Gestalt eines Vorwurfs zu rechtfertigen sucht. Weil der fragliche Standpunkt, so lautet das Argument, das »ausschließend unmittelbare Wissen […] nur als eine Thatsache behauptet«, es mithin ablehnt, »das Logische des Gegensatzes von Unmittelbarkeit und Vermittlung«, »die Natur der Sache, d.i. den Begriff zu betrachten«, worauf es »an sich« ankommt (§ 65, 107), hat er die Form der in der Einleitung geübten Kritik gleichsam selbst verschuldet. Worauf genau zielt nun aber diese Kritik? Insofern der Modus der »äußerlichen Reflexion« mit der Tatsachenbehauptung des unmittelbaren Wissens begründet wird, mag prima vista der Anschein entstehen, als gelte die Kritik allein der Widerlegung dieser Behauptung, dem Nachweis also, dass es kein unmittelbares Wissen gibt. Indessen deckt dieser Einwand die Reihe der geäußerten Vorwürfe wie gesehen ja nicht nur nicht ab. Vielmehr zeigt sich vor allem, dass Hegel die Widerlegung der Tatsachenbehauptung im Netzwerk der Kritik dazu benutzt, auf diesem Wege so etwas wie eine ›prälogische‹ Perspektive der Vermittlung ins Spiel zu bringen, die das »Factum« der Das unmittelbare Wissen
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Vermittlung (§ 70, 110) nicht einfach gegen die als »factisch falsch« aufzuzeigende Behauptung richtet, »daß es ein unmittelbares Wissen gebe« (§ 75, 115), sondern das Augenmerk dabei auf die eigentlich interessanten Mängel lenkt, die mit den Ansprüchen unmittelbaren Wissens verbunden sind. Anders und drastisch formuliert: Wäre der Standpunkt des unmittelbaren Wissens wirklich allein dadurch gekennzeichnet, etwas offenkundig Falsches zu behaupten, etwas, das sich ohne die geringste Mühe als völlig haltlos erweisen lässt, wie etwa die Tatsache, dass meine »unmittelbare Gegenwart« in Berlin »vermittelt« ist »durch die gemachte Reise hieher, u.s.f.« (§ 66, 108), dann wäre vollkommen unbegreiflich, was eine solche offensichtlich triviale Position im Vorbegriff zu suchen hätte, ganz zu schweigen davon, ihre eigentliche Widerlegung als die Aufgabe einer neuen Logik anzusehen.16 Die Pointe dieser Passagen liegt denn auch woanders, womit die zweite Funktion der »Dritten Stellung« ins Visier gerät. Mittels des Nachweises, dass es unmittelbares Wissen nur dem Anschein nach gibt, geht es darum, den Maßstab einer Kritik zu etablieren, die diejenigen Vorwürfe, um die es eigentlich zu tun ist und die längst, von Anfang an, erhoben worden sind, nunmehr als Vermittlungsdefizite zu diagnostizieren erlaubt. Dieser strategische Vorteil ist allerdings mit einem Nachteil erkauft, der das Gefüge der Argumentation auch hier durcheinander zu bringen droht. Soll nämlich mit dem Hinweis auf das »Faktum« der Vermittlung sichergestellt werden, den Maßstab nicht von außen, d. h. aus der Logik an den Standpunkt des unmittelbaren Wissens herantragen zu müssen, so folgt daraus, dass er nur in der Form immanenter Kritik zu gewinnen und zu artikulieren ist. Immanent überzeugend ist diese Kritik aber ihrerseits nur dann, wenn sie Aspekte des fraglichen Standpunkts zur Sprache bringen kann, die in sachlicher Übereinstimmung mit der Zielper-
Würde man die §§ 66 – 68 einer näheren Analyse unterziehen, würde sich weiterhin nicht nur die Frage stellen, inwiefern diese trivialen Fälle empirischer Unmittelbarkeit bzw. Vermittlung geeignet sein sollen, die Position Jacobis zu treffen. Es würde sich darüber hinaus auch zeigen lassen, dass Hegel mit je ganz unterschiedlichen und untereinander keineswegs kompatiblen Bedeutungen des Terms »Vermittlung« operiert. Angesichts der ohnehin nur strategischen Funktion dieser Passagen ist diese Erörterung hier indes verzichtbar. 16
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spektive der Logik, mit Hegels eigener Position also, stehen. Mehr oder weniger verdeckt finden sich diese Signale tatsächlich, etwa wenn es im Gesamtkontext überraschend heißt, dass der »Satz des unmittelbaren Wissens […] mit Recht nicht die unbestimmte, leere Unmittelbarkeit, das abstracte Seyn oder reine Einheit für sich« will (§ 70, 110), womit Hegel auf Jacobis dem Geist geltende Hinsicht anspielt, wie auch § 74 indirekt zu erkennen gibt. Inwiefern dies zu Verwerfungen führt, ist deutlich. Denn wenn Hegel sich im Duktus einer solchen Kritik mit Jacobi wirklich auseinandersetzen wollte, dann müsste er die Konstellation der JacobiRezension offensiv reproduzieren und wie dort die These aufstellen, dass Jacobi die Freiheit des Geistes mangels Vermittlung nur versichern kann. Eine solche Unterscheidung zwischen richtigem Inhalt und falscher Form hätte dann aber unvermeidlich im Gefolge, den Standpunkt Jacobis ganz anders darstellen zu müssen, als Hegel es in der »Dritten Stellung« unter Bedingungen des Perspektivenwechsels tut. Während er die Hinsicht auf die Zielperspektive des Geistes notgedrungen, aber nicht von ungefähr nur verdeckt thematisiert, zielt diejenige Kritik, die er tatsächlich vorträgt, geradezu auf das Gegenteil: auf die These nämlich, dass die falsche Form – der Mangel der Vermittlung – für den definitiv defizitären Inhalt des unmittelbaren Wissens verantwortlich ist. Was damit zum Vorschein kommt, macht die dritte und vierte Funktion der »Dritten Stellung« aus. In beiden Fällen ist es die Unbestimmtheit, die Hegel zufolge das Desiderat der Vermittlung verrät. Längst hat sich aber abgezeichnet, dass er mit dieser Diagnose zwei verschiedene Absichten verfolgt. Im Fall der dritten Funktion ist es das Motiv der Willkür, das mit der Unbestimmtheit des unmittelbaren Wissens enggeführt wird. Der Prätention subjektiver Beliebigkeit wird dabei die Haltlosigkeit eines Standpunkts angelastet, der »gegen jeden Inhalt gleichgültig und eben damit jeden Inhalts empfänglich ist« und deshalb »abgöttischen und unmoralischen ebensogut sanctionieren« kann »als den entgegengesetzten Inhalt« (§ 74, 114). Nachdem Hegel bereits in Glauben und Wissen demonstriert hat, dass er mit Meisterhand auf der Klaviatur des »Kauterisierens« zu spielen versteht, wundert es nicht, dass er diese Kunst auch hier in polemischer Perfektion zeigt. Dazu gehört insbesondere die Art und Weise, mit der er an verschiedenen Stellen planmäßig in der Schwebe lässt, ob Das unmittelbare Wissen
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der Standpunkt des unmittelbaren Wissens so etwas wie die theoretische Möglichkeit offenhält, gegen seine eigene Absicht anfällig für religiösen und moralischen Missbrauch zu sein, oder ob er solchen Missbrauch selber praktiziert, und wie sich dies wiederum zur These seiner ausdrücklichen Beschränkung auf den »Gott überhaupt, auf das unbestimmte Uebersinnliche« verhält (§ 73, 113).17 Wozu diese Polemik am Ende dient, ist jedenfalls klar. Insofern nicht das Geringste für einen Standpunkt spricht, der aufgrund seiner Beliebigkeit auch die basale Unterscheidung zwischen Unmittelbarkeit und Vermittlung nur voraussetzen, aber nicht legitimieren kann, wird er konsequenterweise negiert, was der Logik die erforderliche Voraussetzungslosigkeit ihres Anfangs verschafft. Mit dem Abbau aller Voraussetzungen allein wäre aber die Funktion der Einleitung gerade nicht erfüllt, und Hegel wäre vielmehr gänzlich auf das Niveau der äußerlichen Kritik in Glauben und Wissen zurückgefallen, wenn der »Dritten Stellung« nicht auch noch eine vierte Funktion zugewiesen wäre. Mit der Einführung von Descartes zur Anzeige gebracht, wird die dem Defizit der Vermittlung entspringende Unbestimmtheit des unmittelbaren Wissens hier mit dem Charakteristikum der Abstraktheit enggeführt, die einem ganz anderen Typ von Kritik in dem Maße verfällt, wie sich hinter ihr – im Sinne des unmittelbaren Zusammenfalls von Denken und Sein – der Anfang der Seinslogik verbirgt. Dem Fluchtpunkt dieser Funktion entspricht, dass Hegel die unzertrennliche Verknüpfung von Denken und Sein in § 64 nicht zufällig mit einer affirmativen Note versieht. Danach kann es »der Philosophie am wenigsten in Sinn kommen, diesen Sätzen des unmittelbaren Wissens widersprechen zu wollen; sie könnte sich vielmehr Glück wünschen, dass diese ihre alten Sätze, welche sogar ihren ganzen allgemeinen Inhalt ausdrücken, auf solche freilich unphilosophische Weise gewissermaßen ebenfalls zu allge-
Solchem »Kauterisieren« verdankt sich bereits der Präsentation und Kritik ineinanderblendende Auftakt, der den Gebrauch des Terminus »Glauben« – entgegen Jacobis eigener Distinktion – in das Assoziationsfeld der christlichen Religion stellt, um darauf dann den Vorwurf frommer Prätention unter Verlust traditioneller Glaubensinhalte zu stützen (§ 63, 103f.). Offenbar glaubt Hegel, der die wirkliche Sachlage bei Jacobi natürlich kennt, mit einer religiös-moralisch orientierten Kritik des unmittelbaren Wissens besonders erfolgreich zu sein. 17
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meinen Vorurtheilen der Zeit geworden sind« (§ 64, 104). Stellt man den wenig später folgenden Umschlag solcher Anerkennung in die Kritik mangelnder Vermittlung in Rechnung, dann ist deutlich, dass es Hegel hier durchaus nicht um die Übereinstimmung der Philosophie mit den Überzeugungen eines lebensweltlichen Realismus geht, die er ja, insofern sie auch der sinnlichen Welt gelten, im Gegenteil mit Descartes als »Täuschung und Irrthum« verwerfen wird (§ 76, 116). Der Behauptung der Unzertrennlichkeit von Gedanke und Sein widersprechen zu wollen, wäre vielmehr aus dem Grund unsinnig, als sie diejenige substantielle Unmittelbarkeit evoziert, mit der die Philosophie ihr logisches Geschäft im wahrsten Sinne anfangen kann: »Das reine Seyn macht den Anfang, weil es sowohl reiner Gedanke, als das unbestimmte einfache Unmittelbare ist, der erste Anfang aber nichts vermitteltes und weiter bestimmtes seyn kann.« (§ 86, 122) Jetzt, wo die Klippe der Voraussetzung genommen ist, kann Hegel auch wieder den expliziten Hinweis auf sein Projekt riskieren. Demnach ist am Anfang der Seinslogik eben das »ausgesprochen, was Jacobi von dem Gotte des Spinoza sagt, dass er das Principium des Seyns in allem Daseyn sey« (§ 86, 123). Für die enzyklopädische Logik ist so von neuem gesichert, womit das in der Jacobi-Rezension vorgeführte Arrangement der Wissenschaft der Logik seinerzeit eingesetzt hatte. Der Perspektivenwechsel der »Dritten Stellung« hat sich in die alte Perspektive verkehrt.
VI. Gegenprobe: Die Position Jacobis Desavouierung und (seinslogische) Bewahrung der Unmittelbarkeit mit der Zielperspektive ihrer (wesenslogisch vermittelten) Elevation: das entspricht dem Aufhebungsmuster Hegels, und darum geht es unter dem Einsatz semantischer Mehrdeutigkeit in der Auseinandersetzung mit Jacobi. Der Erfolg dieser Operation bleibt jedoch in genau dem Maße zweifelhaft, wie die Debatte ausschließlich instrumentellen Zwecken dient. Das heißt: Nichts Geringeres als die beiden zentralen Hinsichten der »Dritten Stellung«, die Desavouierung und die seinslogische Bewahrung der Unmittelbarkeit, tragen das Interesse der Einleitung in die Logik nur dann, wenn man sie wie Hegel um den
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Preis einer Verstellung der Jacobischen Position erkauft. Das ist abschließend in aller Kürze zu zeigen. 1. Um dem Standpunkt Jacobis subkutan den ›spinozanisch‹ präparierten Anfang der Logik abgreifen zu können, bedarf es der Hilfestellung Descartes’ – aus dem einfachen Grund, weil er, aber nicht Jacobi, die hier entscheidende Bestimmung des Denkens liefert. Umso signifikanter ist Hegels Vorgehen. So als sei sie identisch mit dem, was Jacobi die vermittelnde Leistung des Erkennens, Begreifens oder Erklärens nennt, führt er die Bestimmung des Denkens in der Bedeutung der Vermittlung in §§ 61 und 62 zunächst ein, um dann in § 63 eine geradezu abenteuerliche Volte zu inszenieren. Nicht allein, dass es Hegel ist, der in die Reihe der den Standpunkt des unmittelbaren Wissens charakterisierenden Kategorien – »Wissen, Glauben, Denken, Anschauen« – das Denken selber einfügt (§ 63, 102). Und auch nicht genug, dass dem Gebrauch dieser Kategorien sofort die »willkührliche« Orientierung an »bloßen psychologischen Vorstellungen und Unterscheidungen« vorgehalten (§ 63, 102) und so bewusst unterdrückt wird, dass Jacobi seine Terminologie von Anfang bis zuletzt umständlich ausgewiesen und gerade nicht dem gängigen Sprachgebrauch entnommen hat. Die eigentliche Volte Hegels besteht darin zu behaupten, dass der Terminus »Glaube«, sofern er nicht nur die Gewissheit sinnlicher Existenz, sondern auch die unmittelbare Gewissheit eines metaphysisch Wahren bezeichnen soll, auf etwas zielt, das notwendig dem »denkenden Geist« vorbehalten ist, womit die (angeblich) vom Standpunkt des unmittelbaren Wissens reklamierte Differenz zwischen dem Denken einerseits und dem intellektuellen Anschauen oder Glauben andererseits folgerichtig zusammenbricht: »Reines Anschauen ferner ist nur ganz dasselbe, was reines Denken ist« (§ 63, 102 f.). Was Hegel mit dieser Identifizierung von Denken und Anschauen vorhat, ist mit Blick auf die seinslogische Funktion der abstrakten Unmittelbarkeit inzwischen geklärt (vgl. § 74, 114). Hier ist darauf zu achten, inwiefern er mit der Unterstellung einer solchen Identität die Position Jacobis wirklich verfehlt. Denken und Anschauen als dasselbe zu behaupten (und damit prospektiv die Unterscheidung zwischen Vermittlung und Unmittelbarkeit zu untergraben), heißt nämlich erstens, Jacobis Auffassung der Vernunft zu ignorieren, die in genauer Analogie zur sinnlichen Wahrnehmung als ein Organ der 312
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Wahrnehmung sui generis bestimmt wird. Einem solchen Organ der Wahrnehmung Gedanken oder Ideen zuzuschreiben, die den Status von Gedanken haben, ergibt keinen Sinn, da dies einen »Übergang« vom Denken zum Sein involviert, den Jacobis direkter Realismus im Modus unmittelbarer Gewissheit gerade ausschließt. Beinahe noch wichtiger als das ist zweitens, dass erst recht nicht einschlägig ist, womit Hegel trotz allem den Einsatz des Denkens rechtfertigen will, insofern es sich ihm zufolge sowohl hinsichtlich der Gewissheit Gottes als auch hinsichtlich der Gewissheit der »Persönlichkeit« des Ich um einen nur im Denken erschließbaren »in sich allgemeine[n] Inhalt« handeln soll (§ 63, 102). Tatsächlich wird aber mit dieser Auszeichnung des Allgemeinen – und der entsprechenden Abwertung des nur sinnlich gegebenen Einzelnen – eine metaphysische Option auf Jacobis Position projiziert, die Jacobi selbst explizit nicht teilt. Während das Allgemeine hier nur ein Begriff ist, dessen Bildung und Gebrauch der vermittelnden Erkenntnis des Verstandes entspringt, kommt es gerade darauf an, dass das Wahrnehmungsvermögen der Vernunft sich demgegenüber der Existenz von Singulärem vergewissert. Allein in diesem Sinne spricht Jacobi von Gott als personalem Geist und von endlichen Ichen als konkreten, irreduzibel individuellen Personen. Dass Hegel Descartes zu Hilfe rufen muss, um seine Rede vom Denken für das Motiv abstrakter Unmittelbarkeit zu stabilisieren und dabei aus dem allein aus Descartes herauszulesenden »Übergang von der subjektiven Idee zum Sein« auch den Maßstab einer immanenten, die Dimension der Selbstvermittlung freisetzenden Kritik zu gewinnen (§§ 69, 70), ist vor diesem Hintergrund evident. Evident ist so aber auch, dass auf diesem Wege ein Standpunkt unmittelbaren Wissens konstruiert wird, der genau das verschleift, was Jacobi und Descartes spezifisch voneinander trennt: bringt doch das cartesische Wissenschaftsprogramm eine intuitive Evidenz in Anschlag, die gerade keinem eigenen Organ des Intellekts mehr zugehört und schon im Falle des Ich nicht auf eine irreduzibel konkrete Existenz, sondern auf den allgemeinen Fall einer denkenden Substanz zielt.18 Kurz und Dass Descartes, aber nicht Jacobi ein Problem mit der Vergewisserung der Außenwelt hat und hier sogar eine Serie von Gottesbeweisen für nötig und durchführbar hält, tut ein Übriges hinzu. Berücksichtigt man an dieser Stelle 18
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bündig formuliert bedeutet das, dass aufs Ganze gesehen bereits die Rede von so etwas wie einer »Stellung des Gedankens zur Objektivität« überhaupt eine epistemische Neutralisierung Jacobis darstellt, die an dessen eigentlichem Programm vorbeigeht. 2. Dass Hegel, ohne zugleich die Eingangsbedingungen der Logik sichern zu können, einer substantiellen Auseinandersetzung mit Jacobi ausweicht, affiziert auch das zweite Moment: die Desavouierung des unmittelbaren Wissens unter dem Vorzeichen der Willkür. Die mit der Bestimmung des Denkens einhergehende Privilegierung des Allgemeinen führt hier dazu, dass Hegel die Hinsicht auf das Besondere als subjektive Beliebigkeit denunziert. Anstatt zu sehen, dass das Besondere »eben diß« ist, »sich auf Anderes außer ihm zu beziehen«, wird durch die »Form« des unmittelbaren Wissens »das Endliche als absolut gesetzt« (§ 74, 114) – das ist der entscheidende Vorwurf, der durch den Hinweis darauf, dass sich diesem Standpunkt zufolge jeder anmaßen kann, seine beliebigen Überzeugungen als »Kriterium der Wahrheit« zu vertreten und mit der »Natur des Bewußtseyns« kurzzuschließen (§ 71, 111), untermauert und durch die Anprangerung seiner moralischen und religiösen Verantwortungslosigkeit konkretisiert wird, nachdem es ja nur die »natürlichen Begierden und Neigungen« sein können, die das Bewusstsein eines Individuums im Modus der Unmittelbarkeit steuern (§ 72, 113). Die scheinbare Plausibilität dieser, im Übrigen schon in Glauben und Wissen formulierten Kritik ergibt sich daraus, dass Hegel das von ihm favorisierte ontologische und moralische Wertgefälle zwischen Allgemeinem und Besonderem auf Jacobi projiziert, unter Ausblendung des Umstands, dass dessen im Namen der Freiheit vollzogene Verteidigung des Individuums sich gerade nicht auf die Seite des von Hegel disqualifizierten Endlichen schlägt, sondern dieses Denkmodell
weiter, dass es Spinoza in Gestalt der scientia intuitiva um eine Einsicht in das Wesen des Einzelnen geht, so sieht man sich nicht nur mit einer anderen metaphysischen Option konfrontiert, die Jacobi sehr wohl beachtet hat, während Hegel sie aufgrund seiner Verpflichtung auf das Allgemeine auch bei Spinoza konsequent übersieht. Daraus ergibt sich vielmehr auch, dass Hegels Versuch, sich den Anfang der Logik stellvertretend mit Rekurs auf Descartes zu sichern, über die verfehlte Instrumentalisierung Jacobis hinaus letztlich auch hinsichtlich Spinozas ins Leere greift. 314
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insgesamt bewusst durchkreuzt. Im Gegenzug dazu, Jacobis Position pauschal in den Verdacht eines anarchischen Libertinismus zu ziehen, hätte eine ernstliche Auseinandersetzung ins Auge fassen müssen, dass es hier vielmehr um den Entwurf einer personal gebundenen Tugendethik geht: nämlich um den Aufweis eines verbindlichen moralischen Habitus, der in dem Maße unmittelbar genannt wird, wie er nicht aus den erklärbaren Umständen natürlicher Vermitteltheit resultiert.19 Und das wiederum hätte – und nun erst recht gegen die Konstruktion einer rein epistemischen »Stellung des Gedankens zur Objektivität« – bedeuten müssen, das handlungstheoretische Fundament dieses Entwurfs zu diskutieren, der das Bewusstsein der Freiheit an das ursprüngliche Bewusstsein ursächlichen Handelns knüpft und in solcher Kreativität intentionalen Anfangenkönnens das Moment sieht, das menschliche Wesen im Unterschied zu anderen endlichen Organismen auszeichnet. Dass Hegel dieses Konzept der Ursache, das er sowohl in Glauben und Wissen als auch in seiner Jacobi-Rezension in Anlehnung an Kant als unbrauchbare Verstandeskategorie der Kausalität präsentiert, um ihr Spinozas causa sui als spekulatives Konzept der Freiheit entgegenzusetzen, in der »Dritten Stellung« gar nicht mehr erwähnt, verwundert nicht. Denn wenn Jacobis Position zufolge eine triftige Rede vom Geist an das übersinnliche Vermögen finalursächlichen Handelns gebunden ist, dann geht nicht allein Hegels Verdikt der unmittelbaren Unbestimmtheit ins Leere. Fraglich ist so zuletzt auch sein Anspruch, Jacobis Intentionen im Rahmen einer systemisch vermittelten Unmittelbarkeit einholen zu wollen, deren Logik darauf angewiesen ist, die handelnd herbeigeführte Differenz zwischen Ursache und Wirkung im Binnenraum der Idee einzuziehen. Auch darauf mag die schrille Polemik Hegels am Ende zurückzuführen sein: auf das Bewusstsein, dass sich sein mühsam erstelltes Konstrukt des unmittelbaren Wissens der Potentiale dieser Position, im Namen der Freiheit aus jedwedem System herauszuspringen, doch nicht bemächtigen kann.
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Vgl. dazu Stolzenberg 2004 und Text Nr. 4 in diesem Band. Das unmittelbare Wissen
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14. Metaphysik oder Logik? Die Bedeutung Spinozas für Hegels Wissenschaft der Logik
I. Einleitung In jüngster Zeit ist ein neues vermehrtes Interesse an Hegels Wissenschaft der Logik zu beobachten. Das mag auch auf die aktuelle Jubiläumssequenz zurückzuführen sein – die Wissenschaft der Logik ist ja erstmals zwischen 1812 und 1816, also vor zweihundert Jahren, erschienen. Für wichtiger als diesen äußerlichen Anlass halte ich aber die offenbar um sich greifende Einsicht, dass die Wissenschaft der Logik Hegels gesamtes Denken fundiert und man sich dementsprechend über dieses Fundament ins Klare setzen muss, wenn man ein adäquates Verhältnis zu Hegels Philosophie gewinnen will. Damit ist dann aber sogleich die zentrale Frage aufgerufen: Worum handelt es sich in Gestalt von Hegels Logik? Ist der Ausdruck »Logik« nur ein anderer Name für »Metaphysik« oder ist Hegels Wissenschaft der Logik eine ganz neue Disziplin, die sich von Metaphysik schlechthin distanziert? Dieser zentralen Frage über Sinn und Anspruch seines Hauptwerks hat Hegel selbst natürlich Vorschub geleistet. In der Vorrede zur ersten Ausgabe wird das Unternehmen der Metaphysik – im Anschluss an ihre Destruktion durch Kant – für definitiv vergangen erklärt.1 Wenig später heißt es, die logische Wissenschaft sei »die eigentliche Metaphysik«,2 und schließlich behauptet Hegel am Ende der Einleitung, dass die objektive Logik »an die Stelle der vormaligen Metaphysik« tritt.3 Was will Hegel mit diesen Formulierungen sagen? Soll die Logik die Metaphysik ersetzen? Oder soll die Logik, indem sie an die Stelle der alten Metaphysik tritt, eine neue Metaphysik sein? Eindeutig sind Hegels Äußerungen zweifellos nicht, und so ist es auch nicht verwunderlich, dass sich eine Reihe von Interpretationen für die Hegel, Wissenschaft der Logik. Erster Band. Die Lehre vom Sein (1832), GW 21, 5. 2 GW 21, 7. 3 GW 21, 48. 1
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unmetaphysische Lesart entscheidet. Dieser Lesart zufolge handelt es sich in genau dem Maße um eine Wissenschaft der Logik, wie Sinn und Zweck von Hegels Projekt im Anschluss an Kant in einer Weiterführung der transzendentalen Logik besteht. In Wahrheit ist die Frage damit aber nicht restlos geklärt. Denn die Fokussierung auf Kant kann sich zwar auf Äußerungen Hegels berufen, in denen er selbst den Ausgang von Kants kritischer Philosophie markiert, aber was dabei außer Acht gelassen wird, ist der Umstand, dass sich Hegel in ganz erheblichem Ausmaß auch auf Spinoza bezieht. Allerdings hat er diesen Bezug weder in den Vorreden noch in der Einleitung explizit thematisiert, und auch innerhalb der Wissenschaft der Logik hat er ihn eher versteckt als offensiv zum Ausdruck gebracht. Das ist ein merkwürdiges Phänomen, auf das ich später noch einmal zurückkomme. In jedem Fall hat dieses Versteckspiel dafür gesorgt, dass Hegels Auseinandersetzung mit Spinoza – zugunsten seines Anschlusses an Kant – entweder ganz ausgeblendet oder nicht für substantiell gehalten wird. Beides ist ein gravierender Fehler, weil bei genauerem Hinsehen unmissverständlich klar ist, dass der Bezug auf Spinozas Ethik für Hegels Projekt von entscheidender, geradezu konstitutiver Bedeutung ist. Was aber folgt daraus für die Frage, was es mit der Wissenschaft der Logik auf sich hat: ob sie der Entwurf einer neuen Metaphysik ist oder nicht? Auf Anhieb scheint die Antwort jetzt auf der Hand zu liegen. Wenn es Hegel in diesem Werk eben nicht nur um die Weiterführung von Kants transzendentaler Logik geht, sondern die Abarbeitung an Spinozas Ethik für mindestens ebenso wichtig gehalten werden muss, dann ist ja eben damit zugleich der Horizont der Metaphysik eröffnet, und dies um so mehr, als Hegel an der im engeren Sinne ethischen Theorie Spinozas, insbesondere seiner Affektenlehre, kein Interesse nimmt, sondern seine Aufmerksamkeit beinahe ausschließlich auf Spinozas metaphysische Grundlegung im ersten Teil der Ethik richtet. So könnte man argumentieren, aber auch dies halte ich für falsch. Meine These, die ich im Folgenden erläutern möchte, lautet vielmehr, dass sich Hegels Unternehmen gerade dann, wenn man es im Horizont seiner Diskussion Spinozas liest, als ein post-metaphysisches Unternehmen erweist. Und angesichts der zu erwartenden Rückfrage, wofür genau der Ausdruck »Metaphysik« hier steht und was ich mit der Perspektive eines »post-metaphysischen« Unternehmens meine, 318
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behaupte ich auch, dass sich beides im Bezug auf Spinoza allererst sinnvoll klären lässt. Um von Anfang an aber möglichen Missverständnissen zuvorzukommen, schicke ich an dieser Stelle gleichfalls schon voraus, dass ich die genannte These in kritischer Absicht formuliere. Das heißt: Ich halte es nicht für einen Gewinn, sondern für einen Verlust, dass Hegels Projekt der Logik als ein postmetaphysisches Projekt charakterisiert werden muss. Damit gehen zwei weitere zentrale Kritikpunkte einher, und auch davon wird im Folgenden die Rede sein: Nicht überzeugend ist in meinen Augen erstens, wie Hegel die Ethik Spinozas präsentiert, und damit wiederum hängt direkt zusammen, dass zweitens auch sein Versuch, die Position Jacobis für seine eigenen Zwecke zu vereinnahmen, nicht als gelungen betrachtet werden kann.
II. Zur Relevanz Friedrich Heinrich Jacobis Nun habe ich den Namen Friedrich Heinrich Jacobis soeben nicht zufällig erwähnt. Mit Jacobi kommt neben Kant und Spinoza eine dritte Figur ins Spiel, die Hegel zwar in den Eröffnungstexten der Logik ebensowenig wie Spinoza explizit nennt, was aber nicht das mindeste über ihre tatsächliche Bedeutung besagt. In den vorliegenden Zusammenhang gehört Jacobi vielmehr essentiell hinein, und dies nicht nur deshalb, weil es seinem 1785 zuerst und dann 1789 in erweiterter zweiter Auflage erschienenem Buch Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn überhaupt zu verdanken ist, dass Spinoza zum offiziell anerkannten Gegenstand philosophischer Auseinandersetzung geworden ist – und wir uns etwa auch in diesen Tagen zu einem Kongress über »Hegel und Spinoza« treffen können. Über das Faktum der von Jacobi auf den Weg gebrachten sogenannten »Spinoza-Renaissance« hinaus sind drei Aspekte von fundamentaler Relevanz, um sich über Hegels Projekt der Wissenschaft der Logik zu orientieren.4 Erstens hat Jacobi diejenige zentrale Herausforderung formuliert, auf die Hegels Logik reagiert und für die er
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Vgl. hierzu ausführlich Sandkaulen 2000 sowie Text Nr. 1 in diesem Band. Metaphysik oder Logik?
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eine stichhaltige Lösung sucht. Diese Herausforderung besteht darin, dass Jacobi in der Form einer Doppelphilosophie, die er »meinen Spinoza und Antispinoza« nennt (Spin: JWA 1,1, 274), eine provokative Alternative zur Entscheidung gestellt hat: Entweder wählt man den Standpunkt Spinozas und entscheidet sich damit für das bewunderungswürdige Paradigma des Monismus, einer in sich geschlossenen Metaphysik der Immanenz, muss dafür allerdings den Preis bezahlen, dass Spinoza rational völlig konsequent die Freiheit intentionalen Handelns (die causa finalis) als ein unhaltbares Vorurteil zur Seite geräumt hat. Oder aber man wählt im Gegenzug dazu den Standpunkt personaler Freiheit, um dann ebenso konsequent auf den Versuch ihrer rationalen Erklärung zu verzichten. Spinozas Philosophie, so hat Jacobi diese Alternative treffend auf den Punkt gebracht (Spin: JWA 1,1, 290), lässt sich aufgrund ihrer paradigmatischen Konsequenz nicht widerlegen. Man kann ihr nur widersprechen – im Vollzug eines Sprungs, eines »Salto mortale«, der die Überzeugung freien Handelns als eine »unmittelbare Gewißheit« zur Geltung bringt. Es ist klar, dass nicht nur Hegel, sondern auch Fichte und Schelling es als ihre dringende Aufgabe angesehen haben, dieser Problemkonstellation zu entkommen, also einen Weg zu finden, der es erlauben soll, den Monismus Spinozas – entgegen Jacobis Behauptung – doch zu widerlegen und ihn in ein System der Freiheit zu transformieren. Im Übergang von der Wesenslogik zur Begriffslogik macht Hegel diese Aufgabe einer »Widerlegung des Spinozismus« ausdrücklich kenntlich,5 und selbstverständlich ist darauf bereits die berühmte Programmformel der Phänomenologie des Geistes zu beziehen, der zufolge das »Wahre nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subject aufzufassen und auszudrücken« ist.6 Bedeutsam ist zweitens, dass Jacobi im Zuge seiner Rekonstruktion Spinozas auch in sprachlicher Hinsicht von einflussreicher Kreativität gewesen ist. Das bedeutet: Anstatt die lateinische Terminologie der Ethik zu reproduzieren, hat er für die Darstellung des Immanenzverhältnisses eine neue Sprache gefunden und die Beziehung von Substanz und Modus als »Seyn in allem Dasein« gefasst (Spin: JWA Hegel, Wissenschaft der Logik. Zweiter Band. Die subjektive Logik (1816), GW 12, 15. 6 Hegel, Phänomenologie des Geistes, GW 9, 18. 5
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1,1, 39). Wiederum ist klar, dass Hegel dieser Vorgabe direkt verpflichtet ist. Nicht allein nimmt er die Formel vom »Seyn in allem Daseyn« an verschiedenen Stellen, insbesondere zu Beginn der Seinslogik wörtlich auf,7 sondern gestaltet mit ihr auch offenkundig den ganzen seinslogischen Aufriss, der über die Bestimmungen von Sein, Nichts und Werden zum Dasein führt. Warum dies wichtig und keineswegs nur für eine äußerliche Angelegenheit dieser oder jener Terminologie zu halten ist, ist evident. Denn wenn man sich der Herkunft der basalen logischen Bestimmungen Hegels aus dem Spinozanisch-Jacobischen Kontext vergewissert, folgt, dass Hegels Auseinandersetzung mit Spinoza einschließlich der provokativen Problemvorlage Jacobis in der Tat im Augenblick des Einsatzes der Seinslogik beginnt. Dies bestätigt schließlich auch der dritte hier wesentlich zu nennende Punkt. Sowohl sprachlich als auch sachlich zeichnet sich Jacobis Rekonstruktion der Ethik dadurch aus, dass sie, anstatt der Methode der geometrischen Demonstration, der Abfolge der Lehrsätze und Beweise also, zu folgen, direkt ins innere Zentrum vordringt und den »Geist des Spinozismus« vor Augen stellt (Spin: JWA 1,1, 18). Diesen wesentlichen gedanklichen Kern, aus dem heraus sich Spinozas Ethik organisiert, bezeichnet Jacobi gleich zu Beginn seines berühmt gewordenen Gesprächs mit Lessing »als das Uralte: a nihilo nihil fit« (Spin: JWA 1,1, 18), was wiederum von Hegel am Beginn der Seinslogik wörtlich aufgenommen und produktiv angeeignet wird, insofern er aus Jacobis Satz offenkundig die Bestimmungen des Nichts und des Werdens zieht.8 Und mehr noch als das: Denn nicht zuletzt verdankt Hegel der Spinoza-Rekonstruktion Jacobis auch noch einen weiteren Satz – den aus dem Briefwechsel Spinozas entnommenen Satz »determinatio est negatio« nämlich, den bereits Jacobi auf das Verhältnis der Substanz zu den einzelnen Dingen anwendet und dementsprechend die einzelnen Dinge via Negation als »non-entia« bestimmt (Spin: JWA 1,1, 100). Dass Hegel diesem Satz dann eine »unendliche Wichtigkeit« zuschreibt9 und ihm seit seiner Jacobi-ReGW 21,100; vgl. Hegels Logik in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830), GW 20, § 86, 123. 8 GW 21, 70f. 9 GW 21, 101. 7
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zension von 1817 sogar die eigenwillige Fassung »omnis determinatio est negatio« gibt,10 verwundert nun gleichfalls nicht. Ohne Übertreibung ist festzuhalten, dass man es hier mit einem Schlüsselsatz zu tun hat, den Hegel sich aus der Quelle Jacobis zueignet. Einerseits legt er ihn seiner Auseinandersetzung mit Spinoza maßgeblich zugrunde. Und andererseits bezieht er aus ihm zugleich nichts Geringeres als den Grundoperator seiner gesamten Logik – in genau dem Maße, wie er ihn zur Operation der »Negation der Negation« weiterentwickelt. Zusammenfassend ergibt sich aus diesem knappen Überblick, was in der Hegel-Forschung leider immer noch nicht hinreichend präsent ist und beachtet wird: dass sich Hegels Auseinandersetzung mit Spinoza ohne Berücksichtigung der Anstöße Jacobis gar nicht angemessen erörtern lässt. Sowohl das Gesamtprogramm der Logik – die Widerlegung Spinozas im Sinne der Überwindung der Substanz im Subjekt – als auch die basalen logischen Bestimmungen (Sein-NichtsWerden-Dasein) sowie schließlich und nicht zuletzt der zentrale Operator der Negation, den Hegel für die Umsetzung seines logischen Programms von Beginn an einsetzt, sind diesem Zusammenhang entscheidend verpflichtet. Und sofern an diesem Sach- und Problemkomplex doch noch ein Zweifel bestünde, fällt es sehr leicht, ihn definitiv zu zerstreuen: In der vorhin schon erwähnten Rezension Jacobis hat Hegel die wesentlichen Koordinaten seines logischen Projekts mit aller wünschenswerten Klarheit offengelegt. Dass er diesen Text, den ich im Übrigen für einen der wichtigsten Texte Hegels halte, eben weil er programmatisch über sein Anliegen Auskunft gibt, in Heidelberg 1817 geschrieben hat, ist dabei besonders aufschlussreich. Ein Jahr zuvor wurde die Wissenschaft der Logik abgeschlossen – das heißt: Hegel rekapituliert in der Jacobi-Rezension, was er hinsichtlich seines Vorgehens in allerfrischester Erinnerung hat.11 Jacobi, so heißt es in der Rezension, habe gegenüber der »zur letzten Mattheit herabgesunkene[n] Leibnizisch-Wolfische[n] Me-
Hegel, Friederich Heinrich Jacobi’s Werke, GW 15, 10. Vgl. hierzu auch Text Nr. 13 in diesem Band, wo ich den Komplex aus der Jacobi-Rezension und der »Dritten Stellung« im Vorbegriff der enzyklopädischen Logik diskutiere. 10 11
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taphysik« 12 gezeigt, »daß jedes consequente Philosophiren auf den Spinozismus führen muß«.13 Das ist der Ausgangspunkt, den Hegel als »das Wahre in dieser seiner ersten Unmittelbarkeit« bestimmt.14 Gleichfalls völlig richtig, so Hegel weiter, habe Jacobi aber auch erkannt, dass man bei Spinoza nicht stehenbleiben kann: Weil »das unendliche Seyn in dieser Unmittelbarkeit das nur abstracte, unbewegte, ungeistige ist, vermisst sich das Freye als das sich aus sich selbst bestimmende, in jenem Abgrund, in den sich alle Bestimmtheit geworfen und zerbrochen hat; die Freyheit ist sich unmittelbar Persönlichkeit, als der unendliche Punkt des an und für sich Bestimmens«.15 Diese von Jacobi eingeklagte Freiheit gegen Spinoza zu behaupten, ist somit das Ziel des Unternehmens. Kritisch vermerkt Hegel allerdings dann, dass Jacobi den falschen Weg gewählt habe, um dieses Ziel zu erreichen. Der unmittelbaren Vergewisserung der Freiheit stellt Hegel einen logischen Prozess entgegen, mittels dessen man ausgehend von Spinoza zur vermittelten Unmittelbarkeit der Freiheit gelangt. Genau das ist aber nichts anderes als das Verfahren der Negation der Negation, das Hegel aus der Aneignung des von Jacobi übermittelten Satzes bezieht und dem er hier erstmals die Fassung »omnis determinatio est negatio« gibt. Die »absolute Negativität«, so Hegel, ist der »Quell der Freiheit«,16 und wie er diesen Gedanken verstanden wissen will, erläutert er so: »Wie dagegen die Negation aber in der Substanz ist, dies ist schon gesagt, und das systematische Fortschreiten im Philosophiren besteht eigentlich in nichts als darin, zu wissen, was man selbst schon gesagt hat; – die Substanz soll nämlich seyn das Aufgehobenseyn des Endlichen, damit sagt man, dass sie ist die Negation der Negation, da dem Endlichen nur bloß die Negation zugetheilt ist; – als Negation der Negation ist die Substanz hiemit die absolute Affirmation und ebenso unmittelbar Freyheit und Selbstbestimmung.« 17
12 13 14 15 16 17
GW 15, 7. GW 15, 9. GW 15, 9. GW 15, 10. GW 15, 10. GW 15, 11. Metaphysik oder Logik?
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Über Ausgangspunkt und Ziel sowie über die dabei ins Werk gesetzte Methode der Wissenschaft der Logik besteht somit kein Zweifel. Und klar ist auch, dass es Hegel auf dem Weg des, wie er sagt, »systematischen Fortschreitens im Philosophieren« sowohl um die Überwindung der Position Spinozas als auch der Doppelphilosophie Jacobis geht: Eindeutig geht es darum, durch »systematisches Fortschreiten« den Sprung des »Salto mortale« zu ersetzen. Etwas ganz anderes ist es aber, sich über Hegels Projekt auf diese Weise zu informieren, oder sich die Frage zu stellen, ob dieses Projekt auch einleuchtend ist. Indem ich mich jetzt dem Text der Wissenschaft der Logik zuwende, werde ich die Probleme, die ich hier sehe, eingehender diskutieren.
III. Spinoza in Hegels Seins- und Wesenslogik Wie erinnerlich hatte ich eingangs vermerkt, dass Hegel das Gesamtprogramm seiner Logik, das ich in Grundzügen inzwischen vorgestellt habe, im Text der Wissenschaft der Logik gewissermaßen versteckt hat. Der Grund dafür hat sich mittlerweile auch geklärt: Tatsächlich muss man zwischen Hegels exoterischen Texten, in denen er über sein Anliegen spricht (wozu auch die Darstellung Spinozas in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie gehört), und dem Text der Logik unterscheiden, der dieses Anliegen im internen Vollzug vollstreckt. Im letzteren Fall stellt Spinozas Philosophie so etwas wie eine unthematische Voraussetzung der ganzen Logik dar, die in den Anfang immer schon eingegangen ist und nur innerhalb des logischen Fortgangs zur Sprache gebracht und überwunden werden kann. Dass Hegel allererst im Übergang von der Wesenslogik zur Begriffslogik explizit vom Programm der »Widerlegung des Spinozismus« spricht, ist insofern ganz konsequent. Allerdings ist mit dem expliziten Bekenntnis an der genannten Stelle zugleich eine erste gravierende Schwierigkeit verbunden. Wenn man genau hinsieht, zeigt sich nämlich, dass Hegel die sogenannte Widerlegung Spinozas rückblickend an einem ganz spezifischen Punkt der Wesenslogik verortet: Gemeint ist das Kapitel über das »absolute Verhältnis«, das vom Verhältnis der Substantialität über das Kausalitätsverhältnis zur Wechselwirkung und von dort dann zum 324
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Begriff als der Bestimmung freier Subjektivität führt. Obwohl Hegel an der besagten Stelle Spinoza nicht namentlich erwähnt, folgt aus dieser Konstellation, dass es das Substantialitätsverhältnis ist, das Hegel hier mit der Philosophie Spinozas identifiziert. Wo liegt das Problem? Es liegt darin, dass diese Hinsicht auf Spinoza zu derjenigen expliziten Diskussion Spinozas nicht passt, die Hegel an früherer Stelle der Wesenslogik vornimmt, wo es im Auftakt des Abschnitts Wirklichkeit um »Das Absolute« geht. Anstatt von einem Verhältnis der Substanz zu sprechen, legt Hegel hier in der Anmerkung den »Begriff der Spinozistischen Substanz« auf die defizitäre Bestimmung einer »abstracte[n] Identität« fest.18 Anstatt mit einer Darstellung Spinozas hat man es demzufolge in der Logik mit zwei verschiedenen, miteinander nicht kompatiblen Versionen Spinozas zu tun.19 Das heißt, dass Hegel sich offenkundig einer Doppelstrategie bedient, um der Herausforderung durch Spinozas Philosophie (und der Doppelphilosophie Jacobis) zu begegnen. Dieser hochproblematischen Doppelstrategie wende ich mich im Folgenden zu, und zwar ausgehend vom Anfang der Seinslogik. Dabei kommt mir ein auffälliges Phänomen entgegen, dass Hegel nämlich in der überarbeiteten Zweitauflage der Wissenschaft der Logik von 1832 die Bezüge auf Spinoza in der Seinslogik deutlich ausgebaut hat, auch wenn sie sich nach wie vor aus dem genannten Grund nur in den sogenannten Anmerkungen finden.20 Auch diese Modifikation halte ich für eine strategische Entscheidung,21 mit der Hegel aber immerhin deutlicher als in der Erstauflage der Logik markiert, dass die AusHegel, Wissenschaft der Logik. Erster Band. Die Lehre vom Wesen (1813), GW 11, 374. Inwiefern die Darstellung des Absoluten dem »Begriff der Spinozistischen Substanz« (GW 11, 376) entspricht, führt Hegel in der Anmerkung aus. 19 Vgl. die ausführliche Darstellung in Sandkaulen 2008. 20 Dasselbe gilt im Übrigen für die Bezüge auf Jacobi. 21 In meinem vorhin genannten Aufsatz habe ich dafür argumentiert, dass Hegel damit das wesenslogische Kapitel über das Absolute gleichsam nach vorne schiebt. In der enzyklopädischen Logik fehlt das Kapitel über das Absolute ganz. Beides deutet darauf hin, dass Hegel nachträglich versucht, die Diskrepanz der beiden Spinoza-Versionen in der Wesenslogik aufzulösen, die am Anfang der Begriffslogik endgültig auffällig wird und Hegel hier zu wenig überzeugenden hermeneutischen Anstrengungen Anlass gibt (GW 12, 14). Wie unter diesen Umständen die überarbeitete Wesenslogik ausgesehen hätte, wenn Hegel noch dazu gekommen wäre, wäre überaus interessant zu wissen. 18
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einandersetzung mit Spinoza wirklich in der Seinslogik beginnt. Worin bestehen die wesentlichen Züge dieser Diskussion? Bereits die erste Erwähnung Spinozas ist signifikativ und zugleich hochproblematisch, denn Hegel zufolge soll gelten, dass man die anfängliche Bestimmung der Logik, den »einfachen Gedanken des reinen Seyns«, sowohl Parmenides als auch Spinoza zuschreiben kann.22 In beiden Fällen, so Hegel, liegt die Ansicht zugrunde: »Seyn ist nur Seyn, Nichts ist nur Nichts«, und insofern handele es sich gleichermaßen um die »abstracte Identität« als »Wesen des Pantheismus«.23 Diese Parallelisierung von Eleatismus und Spinozismus nimmt Hegel auch in den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie vor, wo es heißt, dass es die »morgenländische Anschauung« sei, »die sich mit Spinoza zuerst im Abendlande ausgesprochen hat«.24 Die Aussage ist erkennbar ambivalent. Einerseits unterstreicht sie, dass Parmenides wie Spinoza den Gedanken des Seins getroffen haben, das in seiner schlechthinnigen Bestimmungslosigkeit nicht anders als abstrakt sein kann. Andererseits aber zeigt sich darin auch das entscheidende Defizit dieser Philosophien, wie Hegel wenig später ausdrücklich notiert: »bey Parmenides wie bey Spinotza soll von dem Seyn oder der absoluten Substanz nicht fortgegangen werden zu dem Negativen, Endlichen«.25 Mit anderen Worten: Worauf Spinoza im Zuge dieser Parallelisierung von Beginn an festgelegt wird, ist das Theorem des sogenannten »Akosmismus«,26 demgegenüber sich Hegel zugutehält, dass sein eigenes Interesse im Fortgang der Logik, mittels des Einsatzes der Negation, der Welt in ihrer ganzen Konkretion gilt. Die maßgebliche Behauptung des Akosmismus, die Spinoza seine anfängliche Stellung in der Logik sichert und zugleich von Anfang an garantiert, dass der logische Prozess über das Defizit solcher AbGW 21, 70f. GW 21, 71. 24 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, TWA 20, 165. 25 GW 21, 82. 26 In der Wissenschaft der Logik fällt das Stichwort »Akosmismus« nicht wörtlich, aber an vielen anderen Stellen hat Hegel es als seine Beschreibung der Spinozanischen Philosophie prominent gemacht: so in den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie (TWA 20, 177) und in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (GW 20, § 50, 89; § 573, 565). 22 23
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straktion hinausgehen wird und muss, liegt dann auch – sachlich, wenngleich nicht wörtlich – der längeren Einlassung zugrunde, die Hegel in der Anmerkung zum Dasein zu Spinoza gibt. »Jenes Reale in allem Realen, das Seyn in allem Daseyn, welches den Begriff Gottes ausdrücken soll« (womit Hegel wie gesehen aus Jacobis Spinozabriefen zitiert), »ist nichts anderes, als das abstracte Seyn, dasselbe was das Nichts ist.« 27 Während dies zunächst nur eine Wiederholung des bereits angesprochenen Sachverhalts ist, fügt Hegel sodann die »unendliche Wichtigkeit« des Satzes »Omnis determinatio est negatio« hinzu. Bei Spinoza allerdings, so erläutert Hegel, ist »die Negation als solche die formlose Abstraction«.28 Und eben darauf soll zurückzuführen sein, dass und wie aus dem besagten Satz »die Einheit der Spinozistischen Substanz« resultiert, nämlich dergestalt, dass jegliche Unterscheidung, die Unterscheidung der Attribute und die der Modi, nicht nur keine eigene ontologische Bedeutung hat, sondern diese Unterscheidungen noch nicht einmal als »Momente« der Substanz charakterisiert werden können, weil sie lediglich durch einen »äußere[n] Verstand« getroffen werden.29 In Hinblick auf das endliche Individuum lautet dementsprechend das Ergebnis, »daß das Endliche als solches an und für sich sey, dagegen macht sich die Bestimmtheit wesentlich als Negation geltend, und reißt es in dieselbe negative Bewegung des Verstandes, welche alles in der abstracten Einheit, der Substanz, verschwinden läßt«.30 Spinozas Ontologie, dies ist Hegels Fazit, das der von mir so genannten ersten Version im wesenslogischen Kapitel über das Absolute entspricht,31
GW 21, 100. GW 21, 101. 29 GW 21, 101. 30 GW 21, 101. 31 Mit Ausnahme der ausführlichen Zurückweisung der geometrischen Methode, die Hegel im wesenslogischen Kapitel über das Absolute vornimmt, die in der überarbeiteten Seinslogik indessen fehlt: offenbar deshalb, weil die Seinslogik anders als die Wesenslogik die Reflexion noch nicht eigens thematisiert und dementsprechend auch nicht explizit auf verschiedene methodische Verfahren eingehen kann. Dies zeigt allerdings umso mehr, welche Schwierigkeiten Hegel hat, die Auseinandersetzung mit Spinoza strategisch günstig zu plazieren. Vgl. hierzu auch meinen vorhin genannten Aufsatz. 27
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läuft im Zeichen des abstrakten Seins auf die Vernichtung des Endlichen hinaus. Was ist von dieser Präsentation Hegels zu halten? Das einzige, was man zu Gunsten Hegels ins Feld führen kann, ist der schon erwähnte Umstand, dass er diese Version durch eine andere – das Substantialitätsverhältnis – konterkariert, was allerdings auf die Länge die Sache nicht besser macht. Bevor ich mich dieser Version zuwende, halte ich zunächst an dieser Stelle fest, dass die akosmistische Deutung Spinozas einschließlich der Parallelisierung von Spinoza und Parmenides vollkommen in die Irre geht. Denn daraus, dass die endlichen Dinge bei Spinoza Modi der Substanz und also nicht selbst Substanzen sind, folgt selbstverständlich nicht, dass sie keine ontologische Bedeutung besitzen. Sowohl hinsichtlich ihres Wesens als auch hinsichtlich ihrer zeitlichen Existenz haben sie ein von der Substanz unterschiedenes ontologisches Format, das auch nicht etwa ein »äußerlicher Verstand« nur scheinbar an die Substanz heranträgt, sondern in dem sich vielmehr die wesentliche Potenz der Substanz selbst produktiv zum Ausdruck bringt. Hegels völlig fehlgehende Darstellung Spinozas ist – auf den ersten Blick – umso verwunderlicher, als sie sich auch keineswegs auf Jacobi berufen kann. In seiner Jacobi-Rezension gibt sich Hegel zwar den Anschein, als mache er sich Jacobis Einsichten zueigen, tatsächlich kann davon aber gar keine Rede sein. Dabei ist der maßgebliche Unterschied zwischen Hegels und Jacobis Spinoza-Darstellungen bereits in Jacobis Gespräch mit Lessing leicht zu erkennen. Indem hier der »Geist des Spinozismus« aus dem »a nihilo nihil fit« heraus bestimmt wird, folgt gerade nicht wie bei Hegel der Akosmismus eines abstrakten Seins. Vielmehr folgt daraus, dass Spinoza »jeden Uebergang des Unendlichen zum Endlichen« verworfen und »an die Stelle des emanierenden ein nur immanentes Ensoph« gesetzt hat, »eine inwohnende, ewig in sich unveränderliche Ursache der Welt, welche mit allen ihren Folgen zusammengenommen – Eins und dasselbe wäre« (Spin: JWA 1,1, 18). Worauf es ankommt, ist klar: Jacobi zielt ins Zentrum der Ethik, also auf Spinozas Metaphysik der Immanenz, deren wesentliche Bestimmung die causa immanens ist. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass man das, was die Substanz ist, und das, was aus ihr folgt, als einen instantanen untrennbaren Zusammenhang zu verstehen hat. Es gibt 328
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keinen Übergang zwischen beidem – das heißt, dass es völlig sinnlos ist, die Substanz als so etwas wie ein exklusives Prinzip von ihren Folgen zu isolieren. Vielmehr besteht die Pointe von Spinozas Philosophie genau umgekehrt in der These, dass Gott in derselben Bedeutung causa sui und omnium rerum causa ist,32 und insofern Jacobi auf genau diesen Passus ebenfalls hinweist (vgl. Spin: JWA 1,1, 109), ist schließlich auch klar, dass seine vorhin erwähnte Bestimmung der endlichen Dinge als »non-entia« auf keinen Fall deren ontologische Nichtigkeit behauptet, sondern mit dem Einsatz der Negation hier allein und ausschließlich auf das ontologische Abhängigkeitsverhältnis zwischen »Sein« und »Dasein«, zwischen Substanz und Modi aufmerksam gemacht wird. All dies hat Hegel nachlesen können und er hat sich ja auch tatsächlich, wie ich gezeigt habe, der Quelle Jacobis bedient. Aber was er aus dieser Quelle herausliest, hat gegenüber Jacobis Originalversion einen ganz anderen Sinn angenommen, der nicht allein Jacobis und Spinozas Aussagen verfälscht,33 sondern aus Spinozas Ethik eine ganz und gar unspinozanische Theorie konstruiert. Warum verfährt Hegel so? Ein Teil der Antwort lautet, dass dem Vollzug seiner Wissenschaft der Logik das Verdienst zukommen soll, vom Abstrakten zum Konkreten vorzudringen, das es bei Spinoza angeblich nicht gibt. Wichtiger ist jedoch zu beachten, dass Hegels Festlegung der Ethik auf das bestimmungslose abstrakte Sein offenkundig eine strategische Maßnahme ist: Nur dann, wenn Spinozas Metaphysik gegen ihren genuinen Sinn auf die »abstrakte Identität« fixiert wird, kann Hegel sie in die Logik, als deren Anfang nämlich, integrieren, um diesen Anfang dann im weiteren Fortgang zu überwinden. Dieser Punkt ist von ganz erheblicher Tragweite, deshalb möchte ich ihn nachdrücklich unterstreichen und noch einmal anders formulieren. Einerseits ist es ganz offenkundig unsinnig, Spinozas Philosophie auf die Substanz zu reduzieren und ihr damit zugleich zu unterstellen, dass »von dem Sein oder der absoluten Substanz nicht fortgegangen E I, prop. 25, scholium. Dazu gehört im Übrigen auch die basale Präsentation sowohl Spinozas selbst als auch der Spinoza-Rekonstruktion Jacobis unter dem Stichwort der Unmittelbarkeit. Vgl. zum Problemfeld des sog. unmittelbaren Wissens auch Text Nr. 13 in diesem Band. 32 33
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werden [soll] zu dem Negativen, Endlichen«. Unsinnig ist das deshalb, weil Spinozas Konzept der causa immanens einen solchen ›Fortgang‹ gerade ausschließt und die Substanz sich vielmehr ›immer schon‹ in ihren Attributen und Modi zum Ausdruck bringt. Eben dieses Verhältnis hatte Jacobi »Sein in allem Dasein« genannt. Insofern ist es allein Hegels Werk, das Verhältnis der Immanenz zu zerstören und an seine Stelle das abstrakte Sein zu setzen. Andererseits aber muss man sehen, was dieses Verfahren bedeutet und weshalb es auf den zweiten Blick nicht verwunderlich ist, warum und inwiefern Hegel Spinozas Philosophie für seine eigenen Zwecke präpariert. Indem er gegen den genuinen Sinn von Spinozas Ontologie behauptet, dass es hier keinen Fortgang vom Sein zum Dasein gibt, erweckt er den Anschein einer ontologischen Argumentation. In Wahrheit geht es darum aber gar nicht, sondern vielmehr um ein epistemisches Interesse. Worum es sich handelt, ist das Interesse des Denkens, das in der Wesenslogik dann ausdrücklich als Interesse der Reflexion zum Vorschein kommt, ein »systematisches Fortschreiten des Philosophierens« zu organisieren: in Form einer sukzessiven Entwicklung von Denkbestimmungen nämlich, die schließlich zum Begriff als dem Inbegriff sich völlig transparent gewordenen Begreifens führt. Dass Hegel dieses Interesse des Denkens ein »objektives Denken« nennt, verweist auf seine Distanzierung von Kant, woraus folgt, dass die Wissenschaft der Logik in dem Maße, wie sie »den Gedanken, insofern er eben so sehr die Sache an sich selbst ist, oder die Sache an sich selbst, insofern sie eben so sehr der reine Gedanke ist«, zu ihrem Inhalt erklärt,34 durchaus eine ontologische Orientierung verfolgt. Indessen geht aus Hegels Umgang mit Spinoza ebenso eindeutig hervor, wo und wie man hier den Akzent setzen muss: nämlich auf den Entwurf einer wissenschaftlichen Onto-Logik, in der das Denken – und nicht das Sein – die Führung übernimmt. Die These, die ich eingangs aufgestellt habe, gewinnt damit bereits Kontur: Hegel schreibt keine neue Metaphysik. Was er schreibt, ist genau das, was der Titel seines Hauptwerks ankündigt: eine Wissenschaft der Logik. Hält man aber diesen Befund fest – einen Befund wohlgemerkt, der sich gerade aus Hegels ebenso eigentümlicher wie befremdlicher In-
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GW 21, 33. Bezüge
tegration der Spinozanischen Philosophie in seine Logik ergibt –, dann zeichnet sich ebenso schon an dieser Stelle ab, dass man dasjenige Absolute, das Hegel am Ende der Logik erreicht, auf keinen Fall als so etwas wie eine ontologische Alternativfigur zur Substanz verstehen kann, die deren angebliche abstrakte Starrheit und Unbewegtheit in die Gestalt lebendiger Dynamik transformiert. Entscheidend ist, dass sich bei Hegel unter dem Titel der Logik die Vorzeichen radikal verändert haben. Das Absolute ist Resultat, und dies genau in dem Maße, wie es Resultat einer epistemischen, nicht ontologischen Bewegung ist. Dies nennt Hegel »Subjekt« als terminalen Ausdruck dafür, dass die Entwicklung des Denkens zum vollständigen Bewusstsein ihrer selbst – zum Selbstbewusstsein – gekommen ist.35
IV. Die logische Verfremdung der Metaphysik und ihre Konsequenzen Die damit angedeuteten Konsequenzen, die sich aus Hegels radikaler Änderung der Vorzeichen ergeben, will ich abschließend beleuchten. Was zunächst die Auseinandersetzung mit Spinoza betrifft, so bestätigt sich auch im weiteren Gang der Logik, was wie eben gezeigt von Anfang an zu beobachten ist: Mit Spinozas Ethik hat Hegels Darstellung schlicht nichts zu tun. Zwar ist es ein gravierendes Versäumnis vieler Hegel-Interpretationen, auf Hegels Debatte mit Spinoza und den Jacobischen Hintergrund dieser Problematik gar keine Aufmerksamkeit zu wenden. Umgekehrt kann es aber auch nicht zielführend sein, Hegels Äußerungen über Spinoza als stichhaltige Einwände gegen die Ethik oder überhaupt als Fall einer ernsthaften Diskussion zu betrachten. Selbst die Annahme eines hermeneutischen Spielraums produktiven (Miss)-Verstehens geht aus den genannten Gründen an der Sache vorbei, eben weil Hegels Interesse nicht Spinoza, sondern der Integration Spinozas in den epistemischen Gang der Logik gilt. Dementsprechend ist aus logischer Perspektive die verschiedentlich von Hegel gebrauchte Rede von »Gott« mit größter Vorsicht zu behandeln, nachdem es sich um die unter diesem Namen geläufige Vorstellung von Gott ja ausdrücklich nicht mehr handeln kann. 35
Metaphysik oder Logik?
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Dass Hegel mit dem Verhältnis der Substantialität eine zweite Version Spinozas ins Spiel bringt, die sich von der ersten, soeben diskutierten, gerade insofern unterscheidet, als sie nicht die abstrakte Identität der Substanz, sondern vielmehr das immanente Verhältnis der Substanz zu ihren Akzidenzien thematisiert, belegt dies direkt und mit aller wünschenswerten Deutlichkeit. Im direkten Kontrast zur ersten Version, in der Hegel ja behauptet, dass es lediglich ein »äußerer Verstand« sei, der die Unterscheidung der Attribute und endlichen Dinge an die Substanz heranträgt und sie ebensosehr wiederum vernichtet, ist in der zweiten Version von der »absolute[n] Macht« und »Actuosität« der Substanz die Rede, die sich in ihren Akzidenzien manifestiert,36 womit Hegel sich immerhin deutlich näher an den tatsächlichen Aussagen der Ethik orientiert. Auch aus diesem Grund empfiehlt es sich offenkundig nicht, das Verdikt des Akosmismus allzu ernst zu nehmen. Indessen hat man es auch im Fall der zweiten Version, wenngleich sie der Ethik näher scheint, durchaus nicht mit einer triftigen Darstellung Spinozas zu tun. Dies verhindert schon der Umstand, dass Hegel das Kausalitätsverhältnis vom Substantialitätsverhältnis unterscheidet und es also als nächsten Schritt in der Entfaltung der Denkbestimmungen erscheinen lässt, dass die »absolute Actuosität« der Substanz »Ursache« ist und ihre Macht sich in der »Wirkung« manifestiert.37 Es ist klar, dass man diese Bestimmungen bei Spinoza selbst, also ontologisch gesehen, gerade nicht trennen kann und die Unterscheidung von Macht und Ursache hier gar keinen Sinn ergibt. Wie man Hegel nach allem unterstellen darf, weiß er dies selbst recht gut, womit sich neuerlich zeigt, worauf es ihm ankommt: Sein logisches Interesse zieht sozusagen planmäßig auseinander, was bei Spinoza instantan zusammengehört, weil es epistemisch um die sukzessive Entwicklung und Anreicherung der Denkbestimmungen, mit einem Wort um das »systematische Fortschreiten im Philosophieren« geht. Allerdings liegt die besondere Pointe der hier vorgeführten Sequenz darin, dass Hegel eben sie im Übergang zur Begriffslogik als die »einzige Widerlegung des Spinozismus« präsentiert und diese ver36 37
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GW 11, 395. GW 11, 397. Bezüge
meintliche Widerlegung Spinozas als »Enthüllung der Substanz« behauptet.38 Demzufolge hat die epistemische »Genesis des Begriffs« 39 die Substanz in der Tat zur Voraussetzung, womit sich an entscheidender Stelle beides noch einmal bestätigt: sowohl die konstitutive Bedeutung Spinozas für Hegels Projekt als auch die logische Präparation Spinozas in diesem Projekt, in dem die Ontologie der Ethik buchstäblich in eine Wissenschaft der Logik transformiert wird. Ob Hegel selber glaubt oder ob auch dies nur eine strategische Versicherung an die Adresse der zeitgenössischen Diskussion ist, wenn er von diesem seinem Verfahren sagt, die »wahrhafte Widerlegung« müsse »in die Kraft des Gegners eingehen und sich in den Umkreis seiner Stärke stellen«,40 kann man jetzt getrost dahingestellt sein lassen. Denn hinreichend klar ist inzwischen ja, dass Hegel sich der Kraft des Spinozanischen Entwurfs lediglich bedient, um ihm in Wahrheit von Anfang an eine Denkbewegung einzuschreiben, die Spinozas Philosophie nicht ›enthüllt‹, sondern in ihren Grundanliegen systematisch verfremdet. Mit dieser Feststellung komme ich zum Schluss, indem ich auf die gravierenden Konsequenzen dieser Verfremdung vollends hinweisen möchte. Es genügt nämlich nicht, als Ergebnis der angestellten Erörterung lediglich festzuhalten, dass es sich im Fall der Philosophien Spinozas und Hegels offenkundig um toto genere verschiedene philosophische Konzepte handelt, über die man vergleichend, so als bewege man sich auf derselben Ebene oder im selben Horizont, gar nicht sprechen kann. Obwohl diese Feststellung wahr ist, genügt sie nicht, weil Hegels sogenannte »Widerlegung des Spinozismus« mit erheblichen inhaltlichen Kosten verbunden ist, von denen man sich überlegen muss, ob man diesen Preis entrichten möchte. Diesen hohen Preis habe ich eingangs als Hegels post-metaphysisches Denken bezeichnet, dessen operative Verfassung, also die Transformation der Ontologie in das »systematische Fortschreiten« einer epistemisch orientierten Onto-Logik ich unterdessen herausgestellt habe. Um welche inhaltlichen Folgen geht es? Wiederum ist es der Übergang von der Wesenslogik in die Begriffslogik, wo diese Folgen 38 39 40
GW 12, 15. GW 12, 15. GW 12, 15. Metaphysik oder Logik?
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am deutlichsten zum Vorschein kommen. Denn in der skizzierten Sequenz vom Substantialitätsverhältnis über das Verhältnis der Kausalität und Wechselwirkung hin zum Begriff zieht Hegel nicht allein in eine epistemische Entwicklung auseinander, was bei Spinoza instantan zusammengehört. Vielmehr geht mit dieser von Hegel so genannten »Enthüllung der Substanz« sachlich einher, dass die im Verhältnis der Substantialität präsente Differenz zwischen der Substanz und den endlichen Dingen sukzessive abgebaut und in eine »an und für sichseyende Identität« 41 als Selbstbeziehung des Subjekts umgewandelt wird. Für Hegel ist mit dieser Struktur, mit der jeglicher ontologische Unterschied zwischen Unendlichem und Endlichem und zwischen endlichen Individuen untereinander endgültig überwunden ist, das erreicht, was er emphatisch »Freyheit« nennt.42 Auf die Logik im Ganzen bezogen ist diese Befreiung aber längst angebahnt. Unter Einsatz des logischen Operators der Negation der Negation wird sie bereits in der Seinslogik auf den Weg gebracht, wo im Anschluss an die Bestimmungen des Daseins und der Endlichkeit die entscheidende Einsicht in das »wahrhafte Unendliche« gewonnen werden soll, in dem der Gegensatz von Endlichem und Unendlichem aufgehoben ist.43 Dass Hegel die Entwicklung dieser Bestimmung mit größtem Aufwand betreibt, ist kein Zufall, denn offenkundig liegt hier die Kernaussage seines eigenen Ansatzes, die sukzessive weiter expliziert wird und im Begriff dann vollends zum Ausdruck kommt. Prima vista scheint dieser Hegelsche Holismus eine Variation Spinozas zu sein, aber dies scheint nur so. Indem Hegel im Zuge seiner Doppelstrategie Spinoza einerseits den Mangel der Differenz und andererseits den Mangel wahrhafter Identität vorwirft, löst er die ontologische Struktur der Ethik grundsätzlich auf, um sie durch die völlige Transparenz einer wissentlichen Selbstbeziehung zu ersetzen. Mein Vorbehalt gegenüber diesem logischen Prozess der Befreiung folgt nicht dem stereotypen Einwand, dass es so etwas wie ein »absolutes Wissen« nicht gibt – schließlich zeigt Hegel in der Wissenschaft der Logik, um welchen Typ Wissen es sich hier handelt und inwiefern es sehr wohl möglich ist, die angezielte Transparenz im 41 42 43
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GW 12, 15. GW 12, 15. GW 21, 124. Bezüge
Prozess der sukzessiven Durchleuchtung von Denkbestimmungen zu erreichen. Mein Vorbehalt gründet sich vielmehr genau darauf, dass dies, wie Hegel klar gesehen hat, an der entscheidenden Bedingung hängt, das Anliegen der Ontologie in eine Onto-Logik zu transformieren. Demgegenüber hege ich von Grund auf die Überzeugung, dass sich die Faktizität der Wirklichkeit im Denken nicht restlos hintergreifen lässt und die ontische Erfahrung eigener Endlichkeit dem logischen, wie immer schlüssig herbeigeführten Gedanken einer Identität von Unendlichem und Endlichem bleibend entgegensteht. Insofern gilt mein abschließendes Plädoyer nicht Hegels postmetaphysischem Denken, sondern der von Jacobi formulierten Option, dass nach wie vor die Positionen des »Spinoza und Antispinoza« zur Entscheidung stehen.
Metaphysik oder Logik?
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E FW GA
GW
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Erstveröffentlichungsnachweise I. Leitmotive 1. Jacobis »Spinoza und Antispinoza«. In: Philosophia OSAKA 8 (2013), 23 – 36. 2. Fürwahrhalten ohne Gründe. Eine Provokation philosophischen Denkens. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 57 (2009), 259 – 272. 3. Wie »geistreich« darf Geist sein? Zu den Figuren von Geist und Seele im Denken Jacobis. In: E. Düsing u. H.-D. Klein (Hg.), Geist und Psyche. Klassische Modelle von Platon bis Freud und Damasio, Würzburg 2008, 143 – 159. 4. Zwischen Spinoza und Kant: Jacobi über die Freiheit der Person. In: J. Noller u. S. Josifovic (Hg.), Freiheit nach Kant: Tradition – Rezeption – Transformation – Aktualität, Leiden 2018, 208 – 233. 5. Dass, was oder wer? Jacobi im Diskurs über Personen. In: W. Jaeschke u. B. Sandkaulen (Hg.), Friedrich Heinrich Jacobi. Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit, Hamburg 2004, 217 – 237. 6. Bruder Henriette? Derrida und Jacobi: Dekonstruktionen der Freundschaft. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 49 (2001), 653 – 664. 7. »Ich bin und es sind Dinge außer mir«. Jacobis Realismus und die Überwindung des Bewusstseinsparadigmas. In: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus / International Yearbook of German Idealism 11 (2013), Berlin / New York 2016, 169 – 196. 8. Das »leidige Ding an sich«. Kant – Jacobi – Fichte. In: J. Stolzenberg (Hg.), System der Vernunft. Kant und der Frühidealismus (System der Vernunft. Kant und der deutsche Idealismus, Band 2), Hamburg 2007, 175 – 201.
II. Bezüge 9. Ichheit und Person. Zur Aporie der Wissenschaftslehre in der Debatte zwischen Fichte und Jacobi. In: C. Danz u. J. Stolzenberg (Hg.), System und Systemkritik um 1800 (System der Vernunft. Kant und der deutsche Idealismus, Band 3), Hamburg 2011, 45 – 68. 10. Fichtes Bestimmung des Menschen – Eine überzeugende Antwort auf Jacobi? Vortrag in Warschau im Mai 2018 zu einer Gedenktagung für Marek Siemek. Noch nicht veröffentlicht. 11. Dieser und kein anderer? Zur Individualität der Person in Schellings Freiheitsschrift. In: T. Buchheim u. F. Hermanni (Hg.), »Alle Persönlichkeit
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ruht auf einem dunkeln Grunde«. Schellings Philosophie der Personalität, Berlin 2004, 35 – 53. 12. System und Zeitlichkeit. Jacobi im Streit mit Hegel und Schelling. In: V. Waibel, C. Danz u. J. Stolzenberg (Hg.), Systembegriffe um 1800 – 1809. Systeme in Bewegung (System der Vernunft. Kant und der deutsche Idealismus, Band 4), Hamburg 2018, 299 – 316. 13. Dritte Stellung des Gedankens zur Objektivität: Das unmittelbare Wissen. In: A. Denker, A. Sell u. H. Zaborowski (Hg.), G.W.F. Hegel, Der »Vorbegriff « zur Wissenschaft der Logik in der Enzyklopädie von 1830, Freiburg 2010, 166 – 191. 14. Metaphysik oder Logik? Die Bedeutung Spinozas für Hegels Wissenschaft der Logik. In: Studia Hegeliana. Journal of the Spanish Society for Hegelian Studies 1 (2015), 139 – 154 (in spanischer Übersetzung).
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Erstveröffentlichungsnachweise
Personenregister Adickes, R. 173, 187 Adolphi, R. 264 Adorno, T. W. 156, 173 f. Aenesidemus (Schulze, G. E.) 152, 172, 174 – 176, 182 Allison, H. E. 186 Aristoteles 41, 82, 93, 121, 123, 127, 128 – 134 Arndt, A. 202 Baumanns, P. 171, 173, 181 Bardt, U. 70 Bayle, P. 37 Beiser, F. C. 43 Berlin, I. 43 Blanchot, M. 121 Boehm, O. 77 Boethius, A. M. S. 222, 249, 250 Bollnow, O. F. 50 Bowman, B. 42, 147, 161 Bruno, G. 30 Buber, M. 110 Budde, J. F. 37 Cassirer, E. 157 Claudius, M. 16, 52 Damasio, A. R. 39 Deleuze, G. 39 Derrida, J. 43, 119 – 134 Descartes, R. 27, 36, 73, 96, 102, 134 f., 137, 139, 142, 231, 256, 294, 301 ff., 305 f., 310 – 314 Diderot, D. 59 Dilthey, W. 50 Eichler, K.-D. 120 Falke, G. 119 Fichte, J. G. 9 f., 16 ff., 20, 25, 30, 44 f., 57, 60 f., 65, 71, 78, 83, 87, 90, 96 f., 103 f., 110, 117, 119 f., 123, 135, 137 – 140, 143, 145, 149, 151, 154, 157, 160, 163, 166, 169, 171 f., 175 – 179, 192 – 197, 201 – 243, 246, 271, 276, 282, 284, 292, 320 Fleischer, M. 173, 187 Frank, M. 95 104 f., 138, 173 Gabriel, G. 43 Gettier, E. 41 Goethe, J. W. 18, 33, 128, 174, 191
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Habermas, J. 43 Halbig, C. 290 Hamann, J. G. 47, 177 Hegel, G. W. F. 9 f., 16, 18, 21, 25, 30, 33, 38 f., 44 – 47, 55 – 61, 65, 73, 82, 93 f., 95 f., 101, 103 ff., 116 f., 119 f. 128, 138, 143, 146 f., 157, 160, 166, 201, 203, 238, 242, 245, 250, 268 f., 271 – 335 Heidegger, M. 50, 123, 128 f., 133, 255, 257 Henrich, D. 15, 110, 135, 138 f. Herder, J. G. 18, 98, 103 – 106, 109, 115, 128, 231 Herring, H. 172 f., 187 Hindrichs, G. 228 Hoffmeister, J. 294 Horkheimer, M. 156 Horstmann, R.-P. 139 Humboldt, W. v. 129 Hume, D. 136, 143 f., 150, 152, 157, 160, 162 Ivaldo, M. 213 Jaeschke, W. 202, 227, 252 Jean Paul (Richter, J. P. F.) 112, 123, 201, 205, 211, 212, 225 Kant, I. 9 f., 16, 18, 26, 33 f., 39, 42, 44 f., 51., 57, 60 – 64, 67 f., 70, 77 – 93, 96 f., 102 f., 108, 111 f., 114, 129, 135, 137 – 140, 144, 150 ff., 156, 158 – 162, 169 – 197, 201, 204, 214, 218 ff., 226 ff., 249 f., 270 f., 276, 282, 284, 286 f. 289, 291, 315, 317 ff., 330 Kaplow, I. 101, 109 Kible, B. 112 Kierkegaard, S. 8, 47, 202 Kobusch, T. 97 Koch, O. 10, 79, 97, 147, 212 Köppen, J. F. 246, 281, 283 Kroner, R. 201 La Boétie, É. d. 125 Larmore, C. 165 Lauth, R. 119 Lavater, J. C. 98, 105 Leibniz, G. W. 36, 106, 144, 161 – 165, 210, 221, 322 Lessing, G. E. 17, 20, 22 f, 25 ff., 33 f., 36 ff., 42, 48, 83 f., 104, 321, 328 Locke, J. 62, 64, 85, 97, 106 – 109, 115, 152, 160 Mendelssohn, M. 16 ff., 33 – 38, 40 – 45, 53, 60, 78, 136, 226, 272, 319 Montaigne, M. 121, 125, 129 – 132 Nagel, T. 221 Nietzsche, F. 39, 67 Novalis (Hardenberg, G. P. F.) 18, 201 ff.
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Personenregister
Ohashi, R. 255 Otto, S. 30 Pätzold, D. 34 Parmenides 326, 328 Platon 41, 63, 82 Pluder, V. 147 Pogge, T. 181 Prauss, G. 194 Ptassek, P. 41 Reinhold, C. L. 18, 143, 152, 174, 213, 227 Richard von St. Viktor 112, 250 Rohs, P. 203, 210, 228 Schelling, F. W. J. 9 f., 16 f., 25, 30, 45, 57, 77, 93, 95 – 105, 109, 116 f., 138, 143, 152 f., 160, 163, 166, 171, 201, 203, 212 f., 217, 238, 242, 245 – 271, 280 – 287, 292, 320 Schiller, F. 81 Schlegel, A. W. 282 Schlegel F. 47, 119, 122, 128, 201 f. Schleiermacher, F. 18 Schmitt, C. 121 Schneider, U. J. 37 Schopenhauer, A. 49, 154, 174, 263 Schultz, J. 177 Siemek, M. J. 225, 243 Sommer, K. 255 Spaemann, R. 97 Spalding, J. J. 226 Sparn, W. 70 Spinoza, B. 9, 15 – 39, 42, 44, 47, 50 f., 59 f., 77 ff., 81 – 86, 90 f., 104 ff. 109, 114 ff., 129, 136, 138, 144, 160 – 163, 166, 169 ff., 177, 201 – 204, 210, 226 – 234, 238 f., 241 f., 246 ff., 251, 253 – 263, 266 – 269, 271 – 287, 290 ff ., 294, 296 – 302, 306, 311 f., 314 f., 317 – 335 Stekeler-Weithofer, P. 290 Stolzenberg, J. 79, 315 Sturma, D. 97, 267 Timm, H. 42 Tugendhat, E. 83 Vaihinger, H. 172 f. Walther, M. 90 Westphal, K. 290 Willaschek, M. 173, 187 Windelband, W. 173, 175, 187
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Wittgenstein, L. 43 Wolff, C. 20, 37 f., 62, 64, 141 f., 144, 148, 152, 322 Zöller, G. 190, 213
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