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German Pages 631 [632] Year 2001
ITALIA et GERMANIA
/ W
CiL·
ITALIA et
GERMANIA Liber Amicorum Arnold Esch Herausgegeben von Hagen Keller, Werner Paravicini und Wolfgang Schieder
Max Niemeyer Verlag Tübingen
2001
Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Italia et Germania: liber amicorum Arnold Esch / hrsg. von Hagen Keller .... — Tübingen: Niemeyer, 2001 ISBN 3-484-80157-3 © Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2001 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Linsen mit Spektrum, Mössingen Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Buchbinder: Heinrich Koch, Tübingen
Inhaltsverzeichnis (Münster), W E R N E R SCHIEDER (Köln)
HAGEN KELLER WOLFGANG
PARAVICINI
(Paris),
Vorwort
IX
Der Historiker und die Gegenwart (Zürich) Les surprises d'un mddieviste en histoire contemporaine
JEAN-FRANCOIS BERGIER
3
JENS PETERSEN ( R o m )
Italien auf der Suche nach seiner Identität
11
(Wörthsee-Steinbach) in Zusammenarbeit mit M A R K U S W E S C H E (München) „Die unabhängigen Bande unserer schönen Gelehrtenrepublik". Ein deutscher Freundeskreis in Rom während der Revolutionszeit 1848/49
27
(Würzburg) Wolfgang Hagemann als Zeitzeuge und Zeuge im Kesselring-Prozeß (25. April 1947)
51
H O R S T FUHRMANN
PETER HERDE
(Berlin) Dal bencomune alla pubblica felicitä. Appunti per una storia delle dottrine PIERANGELO SCHIERA
113
Rom und die Päpste GIROLAMO ARNALDI ( R o m )
Gregorio Magno e le difficolta inerenti all'esercizio del potere temporale . .
135
(Massafra) Gli „Excerpta Gregorii" nelle sillogi canonicali dei secoli XI e XII
153
(Münster) Oddo Imperator Romanorum. L'idea imperiale di Ottone III alia luce dei suoi sigilli e delle sue bolle
163
C O S I M O DAMIANO FONSECA
HAGEN KELLER
VI
Inhaltsverzeichnis
(Zürich) 1413 - Das vergessene Heilige Jahr
LUDWIG SCHMUGGE
191
ANDR£ VAUCHEZ ( R o m )
Revelations prophetiques sur l'figlise et sur Rome attributes ä sainte Brigitte de Suede, dans un manuscrit frangais du XVe si£cle
199
(Köln) Cesarini-Studien II. Der ,Tractatus Juliani apostate magis perniciosus et plus furiosus'
209
ERICH MEUTHEN
M A S S I M O MIGLIO ( R o m )
Lorenzo Valla e l'ideologia municipale romana nel
De falso credita et ementita Constantini donatione
225
PETER PARTNER (Winchester) A financial Informatione under Alexander VI
237
t (München) Un altro sacco? Blasius von Cesena und die Tiberüberschwemmung 1530 . 257 REINHARD ELZE
Kunst und Künstler MATTHIAS WINNER ( R o m )
Filarete tanzt mit seinen Schülern in den Himmel
267
(Vatikanstadt) Die Wappen der Erzpriester an der Lateranbasilika oder Wie Bramante nach Rom kam
291
CHRISTIANE UND ARNOLD NESSELRATH
CHRISTOPH LUITPOLD FROMMEL ( R o m )
Unbekannte Entwürfe Sangallos für die Gräber Leos X. und Clemens' VII.
319
Menschen und Schicksale VERA VON FALKENHAUSEN ( R o m )
„Maximilla regina, soror Rogerius rex"
361
(Paris) II cardinale e il principe (1461-1479)
379
ALBERTO TENENTI
(Siena) Ii giurista portoghese Gaspar Vaz docente a Pavia all'inizio del Cinquecento 395 DOMENICO MAFFEI
Inhaltsverzeichnis
(Freiburg im Breisgau) Mikropolitik dicht beschrieben. Aufzeichnungen des römischen Sekretärs Vincenzo Bilotta 1 6 0 7 - 1 6 1 0
VII
WOLFGANG REINHARD
401
Diesseits und jenseits der Alpen (München) Graf Heinrich II. von Diez
425
(Paris) Les Lucquois de Paris au debut du XV e siecle: un „lobby" culturel?
439
RUDOLF SCHIEFFER
JEAN-CLAUDE SCHMITT
(Berlin) Ein Freund italienischer Kaufleute im Norden? Berthold Rike, Dompropst von Lübeck und Domkustos von Breslau (t 1436). BRIGIDE SCHWARZ
Zugleich ein Beispiel fur die Nutzung des Repertorium Germanicum fur eine Biographie
447
(Paris) Ein Spion in Malpaga. Zur Überlieferungsgeschichte der Urkunden des Rene d'Anjou und Karls des Kühnen für Bartolomeo Colleoni
469
(Mailand) Ii nome di ,cittä\ La denominazione dei centri urbani d'oltralpe in alcune scritture italiane del primo Cinquecento
489
(Köln) Deutsche Italienerfahrungen im frühen 19. Jahrhundert
503
WERNER PARAVICINI
GIORGIO CHITTOLINI
WOLFGANG SCHIEDER
Uberlieferungen und Texte (Belmont) Arnold Eschs Römische Straßen in ihrer Landschaft
523
(Bonn) Die Urkunde Chlodwigs III. für das Kloster Grozeau
529
(Göttingen) Pax und Pactum. Rufinus von Sorrent und sein Traktat über den Frieden . .
539
HERBERT BLOCH
T H E O KÖLZER
O T T O GERHARD O E X L E
VIII
Inhaltsverzeichnis
(Lecce) Gegenwärtige Vergangenheit. Kollektives Gedächtnis und Erinnerungsvermögen im nachstaufischen Unteritalien am Beispiel Kaiser Friedrichs II
557
(Aarau) Die ältesten Luccheser Imbreviaturen (1204) eine bislang unbeachtete Quelle zur Handelsgeschichte
563
HUBERT HOUBEN
ANDREAS MEYER
M A R I O D E L TREPPO
(Neapel)
La Biblioteca dei Gesualdo, feudatari nel Regno di Napoli
583
Verzeichnis der Publikationen von Arnold Esch
603
Tabula Gratulatoria
619
Vorwort Wenn Arnold Esch am 28. 4. 2001 mit der Erreichung seines 65. Geburtstages aus dem Amt als Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom ausscheidet, wird er den größten Teil seiner beruflichen Aktivität als Historiker im Ausland verbracht haben. Und doch gehört er heute in Deutschland zu den bekanntesten Vertretern seines Faches. Wie kaum ein anderer Mediävist hat er es verstanden, die deutsche Geschichte stets im Zusammenhang der europäischen Geschichte zu sehen. Was neuerdings immer wieder gefordert wird, hat er längst praktiziert. Wenn Esch seiner wissenschaftlichen Herkunft und seinen wichtigsten Forschungsschwerpunkten nach in erster Linie Mediävist ist, so hat er sich doch nie auf die Erforschung der mittelalterlichen Geschichte beschränkt. Die Themen seiner Publikationen reichen von der Spätantike bis in das 19., ja das 20. Jahrhundert - ein erstaunliches CEuvre, das heute nicht nur in der deutschen Geschichtswissenschaft seinesgleichen sucht. Esch ist vielleicht einer der letzten, den man als einen Universalhistoriker bezeichnen könnte. Auch in methodischer Hinsicht kann man Arnold Esch nicht einfach auf eine Forschungsrichtung festlegen. Er entzieht sich auch hier der üblichen wissenschaftlichen Verortung. In großem Stil hat er politische Kirchengeschichte, Papstgeschichte geschrieben, am eindrucksvollsten in seinem Buch über Bonifaz IX. Fern aller damit häufig verbundenen Einseitigkeit des Standpunktes interessierte ihn aber auch das alltägliche Leben im mittelalterlichen Rom. Vielfältig waren seine Bemühungen um die Einbeziehung wirtschaftlicher Aspekte in die historische Analyse des Spätmittelalters. Frühzeitig schon entdeckte er die Bedeutung archäologischer Uberlieferung fur die Mediävistik. Sein früher Aufsatz über Spolien in der mittelalterlichen Baugeschichte ist dafür ein erstes herausragendes Beispiel, sein großes Buch über die Römerstraßen in Italien die reife Frucht lebenslangen Interesses. Auch kunstgeschichtliche Erkenntnisse hat Esch souverän in die Geschichtsforschung eingebracht. Und nicht zu vergessen ist schließlich sein Interesse an den theoretischen Grundlagen der Geschichtswissenschaft. Immer wieder hat er über Methodenfragen nachgedacht, wobei ihn besonders Probleme der Quellenüberlieferung interessierten. Der fixe Punkt, auf den die meisten seiner Forschungen hinsteuern, wo immer und mit welchen Fragestellungen sie ihren Ausgangspunkt nehmen, ist Rom. Aber es ist ein Rom, das nicht, wie er es selbst formuliert hat, von der „seltsamen Dreiheit Kaiser - Päpste - Rom" geprägt ist, sondern von einem universalen Interesse an allen Menschen in der Geschichte der großen Stadt.
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Vorwort
Es liegt auf der Hand, daß ein Gelehrter von solch ungewöhnlicher Vielseitigkeit nicht durch eine schulmäßige Festschrift geehrt werden kann. Es mußten sich Freunde aus den verschiedensten Ländern zusammenfinden, die in den unterschiedlichsten Epochen wissenschaftlich zuhause sind und die keinesfalls alle nach denselben historischen Forschungsmethoden arbeiten. Die Herausgeber hoffen, daß die Autoren dieses Festbandes in ihrer Gesamtheit die Vielfalt der Forschungsinteressen von Arnold Esch widerspiegeln, um auf diese Weise die „ganze Geschichte" zu repräsentieren, an der dem Jubilar so gelegen ist.
Hagen Keller
Werner Paravicini
Wolfgang Schieder
Der Historiker und die Gegenwart
JEAN-FRANQOIS BERGIER
Les surprises d'un medieviste en histoire contemporaine Un Liber amicorum n'est pas une Festschrift comme tant d'autres. II permet de substituer au propos erudit un temoignage plus intime, un regard critique sur notre metier d'historien, ses conditions, son ethique, ses pi^ges, ses surprises; et une reflexion, jamais achev^e, sur la relation du sujet ä l'objet, de l'historien ä l'histoire. Faute de pouvoir proposer ici quelque aspect neuf des echanges transalpine ä une epoque d o n ^ e , je voudrais soumettre ä Arnold Esch quelques impressions vecues ä travers une experience singuliere: celle d'un medieviste qu'un concours imprevisible de circonstances a conduit ä g^rer une recherche d'envergure sur le temps de la Deuxifeme Guerre mondiale; celle d'un historien classique brusquement immerg^ dans un milieu hautement politique et un environnement tres emotionnel. Je pense que notre ami y sera sensible, dont la carriere et les responsabilit^s l'ont aussi plac^ ä la charni^re de l'histoire et du present et l'ont amene ä s'interroger sur le sens de notre travail. II me pardonnera done le caract£re personnel, presque „egohistorique" de ces quelques pages. Pour des raisons connues et qu il n'y a pas lieu de rappeler ici, la Suisse s'est vue mise sous pression ä partir de 1995 et contrainte ä un examen de conscience pour les erreurs et omissions dont on lui fit reproche dans son comportement pendant et apres la guerre: negligences dans la gestion et la restitution par les banques suisses des biens dits en desherence ayant appartenu ä des victimes de l'Holocauste; pratique trop commode d'une neutralit£ jugee ^go'iste; manquements ä la tradition humanitaire de la Confederation lorsqu'elle decida de refouler un grand nombre de rdfugi^s qui se presentaient ä ses frontieres; et diverses compromissions d'ordre ^conomique avec les regimes fasciste et surtout national-socialiste. Des accusations de cet ordre pouvaient aussi bien s'adresser ä d'autres pays qui, pour des motifs divers, n'ont pas non plus un passe parfaitement net; elles le furent d'ailleurs aussi, par la suite. Mais la Suisse s'offrit comme la premiere victime expiatoire dans la mesure oil eile avait traverse indemne les annees de guerre et meme construit sur elles une prosperite relative; et parce quelle est, depuis le grand bouleversement de 1989, fragile en son identite et isolee dans son pretendu Sonderfall. En outre, la Suisse a retenu et entretenu deliberement une image id^alisee, presque heroique, de son role pendant la guerre; eile tenait pour tabous certains aspects moins clairs de son attitude. Malgrd les lemons, mal regues, de maints historiens des annees 1960 ä 1990, un mythe s'est construit entre reality et memoire legendaire. Les autorit^s
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Jean-Francis Bergier
föderales et la population sous-estim£rent d'abord la gravite des accusations formul^es de l'exterieur et la menace politique autant qu'^conomique que celles-ci constituaient. O n tergiversa pendant de longs mois. La crise prit pourtant une telle ampleur en automne 1996 qu'elle vint k compromettre ä la fois la ryputation du pays, sa position dans le monde et sa stability int^rieure fondde sur l'esprit de consensus. Tandis que les banques, concernees en premier, ndgociaient des accords financiers pour liquider le contentieux des fonds en d^sh^rence et sauver leur position sur le march^ am^ricain, le Parlement et le Conseil föderal mirent en place, ä la veille de Noel 1996, une „Commission ind^pendante d'experts" chargee, en l'espace de cinq ans, de faire toute la lumi£re sur ce chapitre difficile de l'histoire du pays, de ses relations avec l'Allemagne national-socialiste comme avec les autres pays. Avec un enthousiasme un peu naif issu de la panique, la classe politique espdrait ainsi resoudre la crise et ^carter toutes les menaces par un effort de transparence et de sincerity historique sans precedent. La Commission fiit done constituye, avec huit historiens et un (seul) juriste; cinq citoyens suisses et quatre savants Strangers, choisis en fonction de leur competence et de leur independance par rapport aux groupes de pression et institutions concernees. Au dernier moment (le soir qui pr^c^da la nomination officielle) et faute d'avoir pu convaincre une personnalitd experte qui fut acceptable par tous les membres du Conseil föderal et toutes les families politiques, je fus appeld ä prendre la presidence de cette Commission. Sans doute eut-il έίέ plus naturel et, d'un point de vue strictement scientifique, plus profitable de passer par les canaux ordinaires de la recherche et d'envisager cette mission comme un programme national ξέτέ par le Fonds national suisse de la recherche scientifique et ouvert ainsi ä tous les historiens interessds et comp^tents. Dans la hate d'une decision ä prendre, deux considerations firent ecarter la voie normale. La creation d'une Commission ad hoc parut un acte symbolique fort, propre dans l'immydiat ä frapper l'imagination, ä desamorcer les accusations de l'etranger et ä r^tablir la confiance ä l'intdrieur: ces objectifs furent en effet atteints partiellement, l'initiative salute partout, avec des reserves sur la composition d'une commission qui rassemblait des sensibilites diverses - gage de sa credibility - mais ne plaisait pas ä tout le monde. D'autre part, la Commission fut dotde d'un privil£ge exorbitant: celui d'acceder librement ä toutes les archives pertinentes, publiques et privees, done aux archives d'entreprises, nonobstant toute la legislation sur le secret bancaire et sur la protection des donnees privees. Privilege d'exception, mais £videmment assorti du devoir de confidentiality, ce qui impliquait d'en reserver l'usage a un cercle restreint et strictement contröle de chercheurs. Me voici done catapult^ a la tete de cette lourde entreprise, plonge dans un milieu politique que je connaissais fort mal, nanti d'une responsabilite ä laquelle je n'&ais guere pr^par^, soumis ä une attente de l'opinion nationale et internationale (pas forcement compatibles) que je n'ai pu mesurer que peu ä peu ä l'ouvrage; et surtout transplante de mon champ ordinaire d'activity, mes travaux sur les economies
Les surprises d'un mididvisre en histoire contemporaine
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et les society alpines au Moyen Age et au debut des temps modernes, vers une histoire contemporaine ä laquelle je ne m'etais interess^ auparavant que ponctuellement et marginalement. Aux Amotions de l'automne 1996, je n'avais participe que d'assez loin, suivant les evenements dans la presse comme η importe quel citoyen, avec attention mais sans me sentir impliqud La transition fut saisissante, et riche d'experiences. Je voudrais faire part ici de quelques-unes d'entre elles. Certes, les regies fondamentales du mutier d'historien sont en principe les memes quelle que soit l'epoque etudiee. Ceci concerne aussi bien les regies d'ethique que de mdthode: souci d'objectivitd; inddpendance; adresse ä distinguer les bonnes questions; respect critique des sources; soin d'une mise en contexte et en perspective qui rende possible l'interpretation des donnees recueillies et verifies; communication du savoir acquis dans un langage clair et accessible. Je me suis cependant progressivement aper9u que les conditions d'application de ces regies et par consequent la pratique du metier peuvent difSirer de manure sensible. Le m^di^viste confront^ aux approches et aux problemes de l'histoire contemporaine est expose ä des surprises. Le voici tantöt embarrasse face ä des exigences, des demarches ou des types de soucis qui ne lui sont pas familiers; tantöt en situation d'avantage, s'il peut apporter d'autres perspectives empruntees ä son experience propre, et s'il reussit ä convaincre ses collogues de leur validite methodologique: car il se heurte ä quelques resistances. Les contemporaneistes ne pretent pas toujours la plus grande attention au savoir du medieviste. Ce qui prec£de de quelques decennies leur champ d'investigation les interesse peu - la redproque, reconnaissons-le, etant aussi vraie. Car plus nous avan^ns, plus l'esp^ce des generalistes tend ä disparaitre et je me rends compte aujourd'hui plus que jamais combien ceci est regrettable, dangereux pour l'avenir de l'histoire. Les differences d'approche, ou d'attitude, que j'ai cru pouvoir observer se situent ä quatre niveaux: celui du rapport du chercheur au temps, c'est-ä-dire ä la duree des phenomenes qu'il prend en observation; celui de son rapport aux sources; celui de son rapport aux valeurs (done aux crit£res de comportement) propres ä la societe qu'il considere; enfin celui de son rapport emotionnel au sujet traite. Je vais m'expliquer, en soulignant qu'il s'agit d'une reflexion en cours et ä chaud, loin d'etre achevee - pour autant quelle puisse l'etre jamais. La difference la plus evidente et sans doute la plus naturelle est celle du rapport au temps, son epaisseur, sa duree. Nous autres medievistes sommes accoutumes ä nous mouvoir dans un temps long, rarement moins d'un siecle, generalement plusieurs. Ce qui retient le plus volontiers notre attention, ce sont les evolutions lentes, celles des structures de la societe, des institutions, de l'economie, des formes de la culture ou de la pietd. Meme lorsque nous retrasons une biographie Charlemagne, Frederic II, Laurent le Magnifique ou Luther - ou lorsque nous evoquons en detail un evenement singulier et bref comme la Peste noire de 1348 ou les guerres de Bourgogne, e'est pour les interpreter en fonction d'une longue duree
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Jean-Frar^ois Bergier
qui nous conduit loin en amont. En comparaison, le contemporan&ste retient un temps court, l'epaisseur d'un evenement comme la Premiere ou la Deuxi£me Guerre mondiale, quatre ou six annees; il remonte bien ä la recherche des causes, mais decouvre celles-ci - avec raison en general - ä une ou deux d^cennies. Ii y a bien sür des problemes qui s'etalent sur des temps plus longs, mais ils constituent plutöt 1'exception dans I'historiographie actuelle. Le phenomene est legitime, il s'explique ddja par la surabondance relative des sources de premiere main; et aussi par la complexity des övenements dans un monde ä la fois plus vaste, plus dense, plus mobile et en transformation plus rapide que n'etait l'espace medieval. Il n'en reste pas moins que l'historien qui saute d'un äge ä l'autre est oblige ä un ajustement de ses lunettes, ä prendre en compte une autre mesure du temps. Ce η est pas trop facile. Et moins encore s'il tombe dans un age qu'il a vecu lui-meme, fut-il alors, comme moi entre 1939 et 1945, un enfant: la propre memoire intervient alors comme instrument de mesure - peu liable. Pourtant, le medieviste, avec son image ou son sens du temps, peut se reveler utile. II aide ä mettre le temps court de Γ evenement dans une perspective qui lui donne son relief, enrichit et nuance son interpretation, evite des conclusions hätives ou partielles. Il m'a 6t6 donnd d'observer un autre ph^nomfene lid ä la brifevetd du temps considdrd. Les chercheurs en histoire contemporaine - en particulier les jeunes chercheurs - sont soucieux de briser les tabous et de corriger les idees re9ues. C'est ainsi qu'ils esperent se profiler. Iis ont souvent raison d'ailleurs, lorsqu'ils rectifient au profit de la clartd l'image partielle, partiale, subjective que la memoire individuelle ou collective a retenue et transmise d'un vecu encore proche et cependant si penible ä rememorer, si aberrant comme la Deuxieme Guerre mondiale et son corollaire, l'Holocauste. L'effort de ces chercheurs vise ä pourfendre prejuges et verites toutes faites. Mais lorsque ces memes chercheurs, d'aventure, se risquent au siecle precedent pour y trouver quelque argument, leur esprit critique les abandonne et ils reprennent sans sourciller n'importe quelle affirmation, sans verifier. J'ai fait cette observation ä propos des racines de l'antis^mitisme, ou de la tradition d'asile en Suisse. Le rapport aux sources tient ä la masse de celles-ci. Les archives contemporaines ont aussi leurs lacunes, qui sont parfois troublantes. Il n'en reste pas moins que la quantity des documents alourdit l'enquete, contraint ä des choix s£v£res et compartimente la recherche par secteurs et, comme je l'ai releve ä propos du temps, par courtes tranches chronologiques. Mais la quantite emousse aussi 1'esprit critique. Lä oil le mediyviste tourne et retourne sa rare source pour s assurer de son authenticity et de sa credibility, le contemporanifiste enregistre les donnees de la sienne avec moins de defiance; il arrive done qu'il se puisse laisser abuser par eile. La frequence des erreurs dans la source, ou les raisons de mentir de son emetteur, ne sont pas les memes; mais eile existent aujourd'hui comme autrefois. La aussi, la prudence acquise du m^didviste se r£v£le opportune.
Les surprises d'un m^dieviste en histoire contemporaine
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II est en revanche desarm£ devant une categorie de sources qui, par definition, lui echappe: celle du temoignage recueilli. Or, de l'histoire orale et ses methodes, il peut beaucoup apprendre pour interpr£ter des documents anciens qui transcrivirent un propos oral et plus ou moins spontane, tels les interrogatoires de temoins dans les proces criminels, ou les minutes notariales relatives ä des protets ou ä des contestations entre gens d'affaires. Un temoignage oral, surtout s'il est τεςυ longtemps apres les faits dont il fait l'objet, les transmet rarement de fa^on exacte et moins encore complete. Mais il en revele le contexte, Γ atmosphere, le non-dit des actes administratifs ou des memoires soigneusement rediges. Nouvelle pour moi, cette approche m'a fascine et enrichi. II devrait en aller de meme de I'examen des sources iconographiques et audiovisuelles. Mais ici, les contemporandistes — ceux de mon entourage en tout cas - ne sont pas tres avances. Peut-on d'ailleurs comparer les informations que nous pouvons tirer d'une photographie, d'un film, avec celles que proposent une miniature, un ensemble de fresques? La qualite du message et son sens ne peuvent etre du meme ordre. Tout historien confronte ä un ensemble de faits, quel que soit l'äge de ceux-ci, et soucieux comme il se doit de les interpreter, cherche ä identifier et ä integrer dans sa demarche le ou les systemes de valeurs qui legitimaient les comportements des groupes et des individus ä l'epoque consideree ou, inversement, qui conduisaient ä denoncer et condamner les ecarts ä ce systeme. II s'agit d'etablir les criteres moraux et sociaux qui animaient les societ^s d'autrefois, mais aussi d'examiner comment et pourquoi ces critferes viennent ä se modifier. Cette approche indispensable s'op^re le long de deux axes majeurs mais etroitement associes: l'histoire des institutions et celle des mentalites. L'histoire des institutions et des normes juridiques peut se flatter d'une tres Iongue tradition, qui remonte au temps des humanistes et s'est constamment affinee. Les historiens du Moyen Äge et de l'Ancien Regime y ont toujours attache une grande importance. D'abord parce qu'une large part des sources dont ils disposent (chartes, ordonnances, contrats, actes notaries, proces civils et criminels, etc.) releve de cette categorie. Mais aussi parce qu'il est impossible de comprendre les faits observes hors du cadre institutionnel dans lequel ils se sont deroules. Ceci vaut en principe pour toutes les periodes de l'histoire, les plus recentes comme les plus anciennes. Or, je suis surpris d'observer chez beaucoup de chercheurs en histoire contemporaine un manque d'attention, voire un certain mepris pour l'histoire des regies juridiques et leur evolution, pourtant rapide au cours des decennies qui suivent la Deuxieme Guerre mondiale (tres largement par l'effet de celle-ci et des lacunes quelle a revelees dans le droit international). Ces chercheurs tendent inconsciemment ä croire que s'appliquent aux annees trente et quarante des normes qui nous sont devenues familiferes, telles que le droit ä l'asile, ä la s^curite sociale, ä Γingέrence, et ainsi de suite. Cette ignorance conduit parfois ä de singulieres erreurs d'appreciation ainsi q u a des jugements anachroniques.
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Jean-Francois Bergier
L'histoire des mentalites, comme telle, est plus jeune que celle des institutions. Elle a pourtant des antecedents, de Voltaire ä Michelet ou aux spedalistes un peu marginaux de la Sittengeschichte et de la vie quotidienne, voire aux romanciers „gothiques" comme Walter Scott ou le Victor Hugo de Notre Dame de Paris. Ses lettres de noblesse, cependant, l'histoire des mentalites les a revues d'abord et surtout des deux ou trois dernieres generations de medievistes, particulierement en France, relayes plus recemment par les inventeurs de l'anthropologie et de la demographie historiques, de la reconstitution des families, de la microhistoire. II s'agit, au-dela des normes juridiques qui ne les refletent qu'en partie, avec retard et toujours ä partir de la minorite dominante de la population, de saisir les motivations collectives plus profondes et subtiles des groupes, ou d'une societe dans son ensemble. La aussi, l'historien de periodes anciennes fait face ä une evidence qui le met en situation d'avantage. II doit rendre compte d'evenements et de phenomenes sociaux, de croyances, de peurs, d'ambitions qui semblent le plus souvent aberrantes aux yeux de nos contemporains puisqu'ils expriment une perception des Malkes singulierement differente de la nötre. Par exemple les proems de sorcellerie, avec les centaines de milliers de victime sacrifiees dans un consentement general au nom de convictions que nous jugeons absurdes. Cette psychose regne partout en Occident des le XIVe siede et η'est pas mise en question avant le XVIP, pour s'effacer au XVIIIC. Elle releve d'une barbarie comparable ä l'Holocauste, ä l'extermination des Juifs par le regime hitierien. L'historien qui se penche sur le XXe siecle et qui s'interroge sur ce drame sans equivalent se voit pourtant dans une situation plus ambigue. Certes, l'Holocauste s'est accompli hors des regards, dans l'ombre de la guerre. Ii fut generalement condamne des que le monde libre put en prendre connaissance, au cours de l'et^ 1942. II etait, lui, en contradiction absolue avec toutes les normes de la civilisation contemporaine. Si la reaction fut assez molle, e'est que l'horreur racontee, mais non constatee de visu, depassait la capacite d'imagination, de perception des realites, e'est-a-dire le cadre mental des observateurs. D'autre part, hormis les auteurs de cette abomination, des milliers d'individus a premiere vue normaux mais entraines dans une logique perverse y ont participe. Nous sommes ainsi en presence, tres pres de nous encore dans le temps, de systemes de valeurs absolument contradictoires, mais qui agissent en meme temps et servent de reference aux memes individus (le film de S. Spielberg, La liste de Schindler, a remarquablement exprime cette contradiction en images). II importe de restituer ces systemes, non pour excuser mais pour comprendre ce qui a pu se passer. Pas plus que nous devrions excuser les juges en sorcellerie, les massacres de Juifs au Moyen Age, leur expulsion d'Europe occidentale autour de 1500, et mille autres tragedies; nous devons seulement les situer par rapport ä un niveau mental. La distance que le medieviste prend, forcement, par rapport ä son sujet peut inspirer un mode de reflexion ä son collegue en histoire contemporaine. Mais les contradictions que celui-ci decouvre n'ont-elles pas un sens aussi pour l'expert des mentalites anciennes?
Les surprises d'un midieviste en histoire contemporaine
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Nous voici entres dans le domaine de la reception subjective du passe, qui est ä la fois celui de la morale et celui de l'emotion. Car ces deux termes ne peuvent etre dissocies. C'est, pour moi, Γ experience la plus troublante que je suis en train de vivre. J'avais (presque) toujours eprouve une passion pour les sujets dont je m'etais occupy, c'est ä dire un interet aigu; j'y trouvais le moteur de ma demarche; j'y puisais la curiosite qui me portait ä connaitre davantage et ä comprendre mieux. Les questions non resolues me stimulaient. Je me prenais de Sympathie, parfois de detestation, pour les personnages illustres ou obscurs que je rencontrais dans les sources ou ä travers mes lectures et qui me devenaient assez familiers pour pouvoir, d'une certaine fa9on, vivre avec eux, et cela meme si, de toute evidence, une large part de leur existence, de leur personnalite, de leur apparence physique me restait cachee. En revanche, il ne me venait pas ä l'idee de juger leurs actes au nom d'une morale qui n'etait pas la leur, mais celle que mon education m'a donnee. Si j'en avais eu la tentation, je l'aurais repoussee, convaincu de commettre un anachronisme intolerable. En d'autres termes, et par consequent, je maitrisais l'emotion que tel geste, tel mot, tel comportement totalement etranger ä mes valeurs aurait pu faire jaillir en moi. Est-ce l'epaisseur du temps qui reduit l'emotion? Comme le fait la distance: nous sommes moins sensibles ä un drame survenu aux antipodes q u a la meme situation vecue pres de nos portes? Je ne le pense pas. L'emotion depend moins du temps lui-meme que du degre de responsabilite que nous jugeons devoir assumer. Pour revenir ä l'exemple des sorcieres: leur tragique destin sur le bücher nous emeut un peu; c'etaient des etres humains comme nous et nous devinons leur angoisse et leur souffrance; mais nous ne sommes pas bouleverses profondement parce que nous ne nous sentons pas responsables de ce qui leur est arrivd. Leur univers et celui de leurs juges nest plus le notre. Au contraire, confrontes aux horreurs de la guerre, informes du sort des victimes si proches de nous, si semblables ä nous; amenes ä constater les crimes ou simplement les erreurs de jugement, les compromissions, les lachetes et les ego'fsmes - mais aussi les actes de courage, de clairvoyance et d'humanite - de personnes ^galement proches et semblables et que nous avons pu connaitre: alors nous ne pouvons nous defaire d'un sentiment de responsabilite. Nous n'echappons plus ä l'emotion. C'est eile qui legitime notre demarche. Garder ses distances, c'est la regle du medieviste. Participer, c'est l'exigence ä laquelle l'observateur de l'histoire contemporaine n'echappe pas - au risque de tomber dans le „revisionnisme". La contradiction est lä. Je la vis. Je ne l'ai pas surmontee. Mais j'en deviens mieux conscient du sens meme de notre metier. Je ne souhaite certes pas ä mes confreres de vivre tous la meme experience que je traverse, dans des conditions trop tendues par ses enjeux politiques et par les pressions qui s'exercent (meme si ces conditions exceptionnelles peuvent aussi, par moment, devenir fascinantes). Mais je souhaite ä chaque historien l'occasion de s'immerger
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Jean-Francois Bergier
dans une epoque eloignee de celle qu'il a d'abord choisie. II η en sortira ni indifferent, ni indemne. Mais il y trouvera mattere ä s'interroger, ä se renouveler. II apportera un regard different, done utile, une autre mesure des realites. II gagnera en ^change un regard neuf sur le champ familier de ses recherches. II renouera avec la tradition perdue de l'historien g^neraliste. II appreciera mieux son role dans la soci^tö de son temps.
JENS PETERSEN
Italien auf der Suche nach seiner Identität Die Italiener, „ein Volk von Helden, Dichtern, Künstlern, Heiligen, Entdeckern, Erfindern, Seefahrern, Auswanderern", diese selbstbewußte Botschaft ließ Mussolini auf der Ostseite des neu erbauten „Palazzo della Civiltä Italiana", dem sog. „ Q u a dratischen Kolosseum" in Rom in den Travertin einmeißeln. Zur Weltausstellung 1942 sollte diese Botschaft die erwarteten zwanzig Millionen Besucher empfangen. Spötter fugten schon damals hinzu: „Die Italiener - ein Volk von Vätern, Söhnen, Verwandten und Freunden". Die hochgestylte Rhetorik vom kulturellen und politischen Primat Italiens löste bei den Angesprochenen nach 1945 angesichts der vom Faschismus verursachten Katastrophe nur selbstkritische oder ironische Abwehrreaktionen aus. Der ideologisch-propagandistische Mißbrauch aller mit Staat, Volk und Nation zusammenhängenden Themen, Begriffe und Gefühle führte in der italienischen Kultur nach 1945 zu einer Distanznahme, ja zunehmend zu einer Tabuisierung des „Nationalen". Ein Blick in die einschlägigen Handbücher, Lexika und Bestandsaufnahmen der zeitgeschichdichen Forschung bestätigt diesen Befund. 1 Noch 1985 schrieb der konservative Starjournalist Indro Montanelli: „Italien hat sich selbst vergessen. Halb will es Amerika, halb will es Rußland werden, aber niemand fragt sich, wer wir sind und was unser Erbe ist. Leider haben wir völlig das Bewußtsein für die Nation verloren". 2 Ähnlich skeptisch äußerte sich zur gleichen Zeit das Schulhaupt der politischen Philosophie in Italien, Norberto Bobbio: „Italien ist keine Nation mehr. In den jüngeren Generationen gibt es nicht mehr das Nationalgefühl, das man früher Vaterlandsliebe nannte. Italien ist heute [1985] kaum mehr als ein geographischer Begriff, und die Italiener sind wieder das geworden, [...] was einmal hieß, un volgo disperso che nome non ha - ,eine zerstreute Masse, die keinen Namen besitzt'. Ich frage mich häufig, warum. Aber ich habe noch keine befriedigende Antwort gefunden". 3
1
Das gilt für Nuove questioni di storia del Risorgimento e dell'Unitä d'Italia, Milano 1961; II Mondo Contemporaneo. Storia d'Italia, hg. v. F. Levi/U. Levra/N. Tranfaglia, 3 Bde., Firenze 1978; L'Italia unita nella storiografia dell'Italia del secondo dopoguerra, hg. v. N. Tranfaglia, Milano 1980; La storiografia italiana degli ultimi vent'anni, hg. v. L. De Rosa, 3 Bde., Bari/Roma 1989.
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Zit. bei J. Petersen, Q u o vadis Italia? Ein Staat in der Krise, München 1995, S. 53. Ebd. S. 53f.
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Waren so noch in den achtziger Jahren trotz intensiver Bemühungen der Regierung Craxi um die Aufwertung „nationaler" Themen die Bereiche „Nation" und „nationale Identität" noch weitgehend tabuisiert, so änderte sich das rasch mit dem Aufstieg der in der „Lega Nord" zusammenfindenden Protestbewegung. Hier wurde erstmals die risorgimentale Staatswerdung und der Einheitsstaat als solcher in Frage gestellt. Mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 änderten sich grundlegend die Koordinaten der italienischen Außenpolitik. Mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums 1992/93 wurde Italien quasi aus seiner Frontstellung als Außenposten der Kalten-Kriegs-Konfrontation entlassen. Aus einer Randprovinz des amerikanischen Imperialismus und einem „Halb-Protektorat" der USA4 wurde so im Selbstverständnis der politischen Führungseliten eine „europäische Mittelmacht" 5 mit definierbaren Interessen und Aufgaben. Bewußtseinsrevolutionierend kam mit dem Zerfall des jugoslawischen Vielvölkerstaates Jugoslawien hinzu die Rückkehr des Krieges nach Europa, der quasi vor der Haustür Italiens stattfand. Mit dem Krieg an den Küsten der Adria begegnet Italien quasi seiner eigenen Vergangenheit. Die Verflüssigung der Grenzen wirkte als Lektion über die Macht der Geographie. Die hier in Gang gesetzte Reflexion über den potentiellen Primat der Außenpolitik führte in der 1993 gegründeten Zeitschrift: „Limes" zur Renaissance des politisch hoch belasteten Begriffs der „geopolitica".6 Parallel zu dieser Diskussion kehrte die Thematik des Nationalbewußtseins der Italiener und ihrer nationalen Identität in das Zentrum des Öffentlichkeitsinteresses zurück. Die Fülle an Debatten, Tagungen, Publikationen und anderen Initiativen läßt sich kaum mehr überblicken. Die einschlägige Bibliographie der Veröffentlichungen umfaßt inzwischen etliche Buchreihen und mehrere Hundert Aufsatz- und Buchtitel. Die Wirtschaftszeitung „II Sole 24 Ore" schrieb Anfang 1997 „es ist eine unaufschiebbare Aufgabe geworden, den Sinn und das gemeinsame Schicksal der Italiener auf neuen Grundlagen zu rekonstruieren. Von dem Gelingen dieser Aufgabe hängt in Zukunft das Uberleben des italienischen Staates in seiner geographischen und physischen Existenz ab".7 Die Krise des Nationalstaats lenkt den Blick zurück auf die Ursachen und Motive seiner Entstehung. Die heroischen Mythen der risorgimentalen Staatswerdung geraten in den Lichtkegel einer kritisch gestimmten Aufmerksamkeit. 8 Skeptiker 4
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L. Caracciolo, L'Itaiia alia ricerca di se stessa, in: Storia d'Italia, hg. v. G. Sabbatucci/V. Vidotto, Bd. 6: L'Itaiia contemporanea dal 1963 a oggi, Bari/Roma 1999, S. 541—604, passim. C. Santoro, La politica estera di una media potenza. L'Itaiia dall'Unitä ad oggi, Bologna 1991. J. Petersen, Wozu dient Italien? Sorgen um Europa und die Wiederkehr der Geopolitik, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.10.1995. II Sole-24 Ore, 16.2.1997. Aufschlußreich die Beiträge einer Tagung in Mailand, 9.-12. November 1993 zum Thema: „II mito del Risorgimento nell'Italia unita", publiziert in: Ii Risorgimento. Rivista di storia del Risorgimento e di storia contemporanea, Jg. XLVII, Nr. 1 - 2 (1995).
Italien auf der Suche nach seiner Identität
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sprechen vom Niedergang und vom Tod einer Ideologie.9 Die „Liturgie" des 1860/ 61 entstandenen neuen Staates findet erstmals das Interesse der historischen Forschung. Untersucht werden jetzt die Mythen, Heroen, Lokalitäten, Denkmäler, Zeremonien, Feiertage und Symbole des neuen Staatswesens. Mit welchen Strategien, Instrumenten und Zielsetzungen haben die politischen und kulturellen Eliten versucht, den „neuen Italiener" zu schaffen? In welchen Etappen und mit welchem Erfolg ist dieser Bewußtseins- und Loyalitätstransfer vom städtischen und regionalen Bereich auf die gesamtstaatlichen Ebene erfolgt? Die Themen von Nation und Nationalbewußtsein haben auch in den Massenmedien ein breites Echo gefunden. Seit 1994 hat das staatliche Fernsehen RAI allein drei Serien zum Thema „Wer sind wir?" produziert. Es begann mit einer von Indro Montanelli und Benjamino Placido gestalteten zehnteiligen Sendung mit dem trotzigen, Galileo Galilei entlehnten Titel „Eppur si muove" („und sie bewegt sich doch") (auch als Buch 1995).10 Die ganz auf einen positiven „Wir-Ton" gestimmte Reihe konnte überraschen bei einem Autor wie Montanelli, der in der gleichen Zeit sich mit einer Radikalkritik an den Schwächen, Fehlern und Lastern der Nation von seinen Landsleuten für immer zu verabschieden schien.11 Es folgte das Dritte Programm der RAI mit einer von Beppe Severgnini entworfenen Sendereihe, die — der Anglophilie des Autors entsprechend12 - den Titel trug „Italians". Mit Humor und Understatement befragte Severgnini berühmte Zeitgenossen aus Kultur, Wirtschaft und Politik über ihr „Italienersein". In dieser Porträtgalerie konnten Namen wie Andreotti, Agnelli, Benetton, Ferre, Ferragamo, De Benedetti, Versace und andere nicht fehlen. Auch wenn auf eine späte abendliche Sendezeit verbannt, war diese Sendung qualitativ zu gut und zu anspruchsvoll, als daß sie nicht bald dem Diktat der Einschaltquoten zum Opfer gefallen wäre. 1998 lief eine weitere, von Enzo Biagi entworfene und moderierte Reihe „Cara Italia", eine Rundreise durch die Regionen und Erinnerungsorte Italiens, die schon ein Untertitel das „right-or-wrong-my-country" der Engländer übernahm: „giusto ο sbagliato, questo e il mio paese". Diese stark nostalgisch geprägte Reihe, die weit stärker das „paese", d.h. Kultur, Kunst, Folklore, Tradition und Küche hervorhob als Staat und Politik, traf offenbar weitverbreitete Publikumserwartungen. Der zeit-
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S. Romano, Finis Italiae, 2. Aufl., Milano 1995. Hierin der Aufsatz: Declino e morte dell'ideologia risorgimentale.
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I. Montanelli/B. Placido, Eppur si muove. Cambiano gli italiani?, Milano 1995. I. Montanelli/M. Cervi, L'Italia dell'Ulivo, Milano 1997, passim, vor allem das bittere Nachwort.
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Severgnini hat viele Jahre als Auslandskorrespondent in England und den USA gelebt und darüber in sehr erfolgreichen Büchern berichtet. B. Severgnini, Inglesi, Milano 1990; ders., L'inglese. Lezioni semiserie, Milano 1992; ders., Italiani con valigia. II Belpaese in viaggio, Milano 1993; ders., Un italiano in America, Milano 1995; ders., Italiani si diventa, Milano 1998.
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gleich publizierte Textband erreichte ein Dutzend Auflagen.13 Italien, „il bei paese", „das schönste Land der Welt" (so der Untertiel einer vom Verlag Mondadori publizierten Monatszeitschrift) ist „in". „Die Buchproduktion zu Themen der kulturellen und gesellschaftlichen Identität der Italiener hat fast erdrutschartige Ausmaße angenommen", schrieb die Zeitschrift „Nuova Antologia" 1998.14 Die lange Zeit fast vergessene „ A b h a n d l u n g über den gegenwärtigen Zustand der Sitten der Italiener" (1824) von Giacomo Leopardi ist quasi zum Modell einer ganzen Literaturgattung geworden. Vor kurzem wurde er erstmals ins Deutsche übersetzt.15 Diese kaum vierzig Seiten umfassenden Reflexionen über den italienischen Nationalcharakter blieben als Entwurf zu Lebzeiten unveröffentlicht und erschienen erstmals 1906 im Rahmen einer Gesamtausgabe des Dichters, ohne größere Beachtung zu finden. Weder das liberale noch das faschistische Italien konnten mit diesen selbstkritischen Betrachtungen etwas anfangen. Zudem hatte der Ruf Leopardis als Lyriker, Philologe und Philosoph völlig verdeckt, daß er auch ein äußerst scharfsinniger Beobachter und Analytiker seiner eigenen Zeit gewesen war. Bewunderer stellen Leopardi heute in die Ahnengalerie der großen politischen Denker Europas und nennen ihn in einem Atemzug mit Machiavelli, Guicciardini, Hobbes oder De Maistre. Noch Mitte der achtziger Jahre hatte man verstaubte, längst vergriffene Gesamtausgaben zu wälzen, wenn man den Essay Leopardis lesen wollte. 1988 erschien die erste Einzeledition. Mit dem Aufbrechen der Identitätsdiskussion seit 1989 nahm der Text überraschend prophetische Züge an. Inzwischen liegt der Text in fast einem Dutzend Editionen vor.16 Die Verlage Feltrinelli, Marsilio, Mondadori und Rizzoli fuhren ihn in ihrem Programm. Er ist zu einer beliebten Schullektüre geworden. Mit Sicherheit hat dieser Text im letzten Jahrzehnt weit mehr Leser gefunden als im ganzen 20. Jahrhundert. Wo liegen die Gründe fiir diesen Boom? Einige Kerngedanken mögen einen Eindruck von der Faszination dieses Essays vermitteln. In seinen frühen Canzonen hatte Leopardi in den Italienern „jene Liebe zum Vaterland" zu wecken versucht, „aus der Anstand und Würde in Gedanke
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E. Biagi, Cara Italia. „Giusto ο sbagliato questo e mio Paese", Roma/Milano 1998 (5. Aufl. Januar
14
P. Bonetti, II carattere degli italiani, in: Nuova Antologia, Oktober-Dezember 1998, Fasz. 2208,
1999). S. 3 0 3 - 3 1 3 , S. 303. 15
„Schade um Italien!" Zweihundert Jahre Selbstkritik. Ausgewählt, eingeleitet u. übersetzt v. A. Jappe, Frankfurt/M. 1997, S. 3 5 - 7 9 .
16
G. Leopardi, Societä, lingua e Ietteratura d'Italia, hg. u. eingeleitet v. V. Brancati, Milano 1987, S. 2 3 - 6 5 ; ders., Dei costumi degl'italiani, hg. u. eingeleitet v. A. Placanica, Venezia 1989; ders., Discorso sopra lo stato presente di costumi degl'italiani, hg. v. M. Moncagatta, eingeleitet v. S. Veca, Milano 1991; F. Ferrucci, Nuovo discorso sugli italiani, con il,Discorso sopra lo stato presente dei costumi degl'italiani' di G. Leopardi, Milano 1993; G. Leopardi, Discorso sopra lo stato presente dei costumi degl'italiani, hg. v. M. Dondero, eingeleitet ν. Μ . A. Rigoni, Milano 1998.
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und Tat" entspringen. Individuelle Moral und öffentliche Ethik sah er in einem engen Zusammenhang. Der doppelte Blick auf die Größe der Vergangenheit und die Misere der Gegenwart bildeten dabei das Argumentationsraster. Fremdherrschaft und Vielstaaterei hatten nach Leopardi zur „Verzweiflung" und zu dem „Gefühl der Ohnmacht und der Nutzlosigkeit des Lebens" gefuhrt. Als Folge hatte sich bei den Italienern eine Haltung herausgebildet, die charakterisiert war „durch einen fortgesetzten und vollständigen Zynismus der Seele, des Gedankens, des Charakters, der Sitten, der Anschauungen, der Worte und der Handlungen". Im Vergleich mit den anderen Nationen sind die „Führungsschichten Italiens die zynischsten" Europas. Der Mangel an großen gesellschaftlichen und politischen Aufgaben fuhrt zu einem ausgeprägten Individualismus und zu einer Konzentration auf die Familie und auf „il particolare". Deshalb die enorme Distanz zwischen Wort und Tat, zwischen Norm und Realität. In den themenverwandten Aphorismen des „Zibaldone" heißt es dazu: „Ich finde es lobenswert, daß die Italiener sich abwenden sollten von der blinden Vorliebe und der Nachahmung alles Ausländischen [...] Ich lobe, daß man sich bemüht, in ihnen den Nationalgeist wieder zu erwekken, ohne den es niemals auf dieser Welt Größe gegeben hat, weder die einer Nation noch vielleicht die eines Einzelnen [...] Wenn wir eines Tages wieder aufwachen und das Bewußtsein einer Nation zurückgewinnen sollten, dann muß unser erster bewegender Gedanke nicht der des hochmütigen Stolzes [...], sondern der der Scham •
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sein . Leopardi liefert in seinem kleinen Essay quasi eine Daguerrotypie, ein aus der Ahnentruhe stammendes Gruppenfoto, in dem manche heutige italienische Leser sich mit innerem Erschrecken wiederzuerkennen glauben. Nach mehr als anderthalb Jahrhunderten hat die Vergangenheit die Zukunft eingeholt. „Ein klassisches Dokument der Selbsterkenntnis fur uns Heutige" nennt der Sozialphilosoph und Präsident der Feltrinelli-Stiftung, Salvatore Veca den Text.18 Er sieht in ihm „eines der höchsten, gewagtesten und klarsichtigsten Beispiele fur die Blickschärfe und Durchdringungstiefe" Leopardis.19 Einen besonderen Platz in dieser Rundschau darf auch der Triestiner Kulturanthropologe Carlo Tullio Altan (geb. 1916) beanspruchen. Ausgehend in den siebziger Jahren von jugendsoziologischen Untersuchungen über die Entstehung von Werthaltungen und Lebensperspektiven Heranwachsender hat er sich unter mentalitätsgeschichtlichen Fragestellungen der Geschichte Italiens seit dem Mit17 18
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Leopardi, Societä, lingua, letteratura (wie Anm. 16) S. 72. Leopardi, Discorso (wie Anm. 16) S. V. Veca schreibt zum Abschluß: „II ,Discorso' [. . .] sembra essere una tessera preziosa di un mosaico essenzialmente incompiuto. Un documento classico per noi contemporanei, sulle origini, i fondamenti e le cause di un passato che varrebbe la pena potesse passare, almeno per i nostri nipoti" (S. XIII). Ebd. S. V.
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telalter zugewandt. Beginnend 1986 mit „La nostra Italia. Arretratezza socioculturale, clientelismo, trasformismo e ribellismo dall'Unitä ad oggi"20 hat Tullio Altan zum Thema der „Identität der Italiener" fast ein Dutzend Bücher publiziert.21 Unterhalb der politischen Ereignisebene fragt er nach mentalen Strukturen und kollektiven Verhaltensweisen. Zu den Konstanten der italienischen Gesellschaftsgeschichte zählt er den „Familismus", d.h. die besonders stark ausgeprägte Loyalität gegenüber der Familie. In diesem Raum entfalten sich alle die Tugenden, die dem Umgang des Italieners gegenüber dem Staat eher fehlen: Leistung, Treue, Opferbereitschaft und persönliches Engagement. Die Familie ist das Not- und Schutzdach fur alle Unwetter des Lebens. Der strafenden und steuernden Hand des Staates begegnet er vielfach eher mit Desinteresse, Mißtrauen und Feindschaft. Diese Haltung kann sich zu anarchischem Aufbegehren verdichten. Ein endemischer Protest begleitet, wie die klassischen Figuren des Banditen und des Revolutionärs zeigen, die Geschichte Italiens in den letzten Jahrhunderten. Diese individualistische-privatistische Auffassung überwuchert in der Form des „Klientelismus" auch den gesellschaftlich-politischen Bereich. Zu den Konstanten der politischen Kultur Italiens zählt Tullio-Altan schließlich den Transformismus, d.h. die vor allem in der Politik sichtbare Tendenz, Alternativen und Konfrontationen zu vermeiden und Konflikte nicht auszutragen, sondern durch Kompromisse und Elitenkooptationen zu umgehen. Das Zusammenwirken dieser Faktoren fuhrt - vor allem im Süden - zu einem „Syndrom soziokultureller Rückständigkeit". Wie sein bewundertes Vorbild Gaetano Salvemini gehört Tullio-Altan zu den großen „Moralisten" der italienischen Kultur. Mit der Strenge eines alttestamentarischen Propheten hat er seinen Landsleuten die Leviten gelesen, aber wenig Gehör gefunden. In der ganzen Identitätsdiskussion der letzten Jahre findet man sein umfangreiches Opus kaum zitiert, wohl aber gelesen. Das zeigen seine Reflexionen über die Formierung einer nationalen Identität, die er aus fünf Quellflüssen zusammengeführt sieht. „Epos", „logos", „genos", „topos" formen zusammen den „ethnos", die ethnische Identität. Mit einem Lehrbuch fur die Staatsbürgerkunde hat er den Zugang zur Welt der Schule gesucht.22 Eine seiner vorsichtigen Hoffnungen beziehen auf den wohltätigen Einfluß, den die immer enger werdende Einbindung nach Europa ausüben wird. Tullio-Altan schreibt, ein wachsender Teil
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C. Tullio Altan, La nostra Italia. Arretratezza, sociocultura, clientelismo, trasformismo e ribellismo dall'Unita ad oggi, Milano 1986. Ders., Populismo e trasformismo. Saggio sulle ideologie politiche italiane, Milano 1 9 8 9 ; ders., Ethnos e civiltä. Identitä etniche e valori democratici, Milano 1995; ders., Italia: una nazione senza religione civile. Le ragioni di una democrazia incompiuta, Udine 1995; ders., La coscienza civile degli italiani. Valori e disvalori nella storia nazionale, Udine 1997; ders., Gli italiani in Europa. Profile storico comparato delle identitä nazionali europee, Bologna 1999. C. Tullio Altan, La coscienza degli italiani. Valori e disvalori nella storia nazionale, Milano 1999.
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der Zivilgesellschaft lege sich Rechenschaft ab, „daß eine Reform der Sitten und Mentalitäten unbedingt erforderlich ist, um unser Fortleben als unitarische und unabhängige Nation zu gewährleisten".23 Weit bekannter als dieser alttestamentarische Warner und Moralist ist sein Sohn Francesco Altan, der mit seinen Karikaturen in der Turiner Tageszeitung „La Stampa" und einer festen Rubrik in der Wochenzeitung „L'Espresso" zu den einflußreichsten Satirikern der italienischen Kultur zählt. Die beiden Generationen wohnen gemeinsam in einem ländlichen Herrenhaus in Aquileia. Altan junior setzt gewissermaßen die Thesen und Auffassungen des Patriarchen „ins Bild". Manche der von Altan junior kreierten Figuren mit ihren gedrehten Nasen wie der proletarische Arbeiter „Cipputi" oder „Busacchi" sind sprichwörtlich geworden. In einer berühmt gewordenen Karikatur von 1976 sieht man einen Kabinettschef oder Vorstandsvorsitzenden am Ende einer Sitzung mit dem Text „Um abzuschließen: ich sehe keine andere Lösung. Wir müssen den Anschluß an die Schweiz verlangen!".24 Nach dem französischen Vorbild der von Pierre Nora herausgegebenen sieben Bände der „Lieux de memoire" (1984—1992) hat der an der Universität Venedig lehrende Zeithistoriker Mario Isnenghi drei Bände über „I luoghi della memoria" mit circa 75 Beiträgen konzipiert, in denen die „Orte der Erinnerung" des kulturellen und nationalen Selbstverständnisses der Italiener seit Beginn des Einheitsstaates nachgezeichnet werden. Wie die Untertitel der Bände besagen, geht es um „Symbole und Mythen", „Strukturen und Ereignisse", „Personen und Daten". 25 Man findet so „Mazzini" neben „Mussolini", „Garibaldi" neben „Matteotti", „La piazza" neben „La mafia", den „8. September [1943] neben dem „20. September" [1870], Nach den Intentionen des Herausgebers sollen die zentralen Bestandteile des italienischen Kollektivbewußtseins erfaßt sein. Hier handelt es sich aber nicht um ein dauerhaft fixiertes Familienfoto, sondern um ständig in Veränderung befindliches Panorama. Isnenghi hat nicht berücksichtigt, daß die Italiener ein sehr starkes kulturell-historisches und ein eher schwaches politisch-staatlich-institutionelles Identitätsbewußtsein besitzen. So fehlen zentrale historisch gewachsene Begriffe des Selbstverständnisses wie „Romanitä", „Dante", „letteratura", „lingua italiana", „bei paese" usw. Die Autoren der Texte stammen fast alle aus dem Umkreis linker „antifaschistischer" Traditionen. Die liberalkonservativen „laizistischen" Denkströmungen kommen zu kurz. Das monarchistische Italien der Savoyer, das ja den Einheitsstaat 1859/60 überhaupt geschaffen hatte, ist so gut wie nicht exi-
23 24 25
Ebd. S. 6. Altan, Animo, Cipputi! II compromesso storico in 161 vignette, Milano 1977, S. 18. I luoghi della memoria. Simboli e miti dell'Italia unita, hg. v. M. Isnenghi, Bari/Roma 1996; ders., I luoghi della memoria. Struttura ed eventi dell'Italia unita, Bari/Roma 1997; ders., I luoghi della memoria. Personaggi e date dell'Italia unita, Bari/Roma 1997. Etwas verwirrend wirkt, daß die drei Bände nicht numeriert sind, aber alle das gleiche Nachwort des Herausgebers enthalten.
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stent. Kaum weniger marginal erscheint der Beitrag des katholischen Italien. Fast alle Texte enthalten eine positiv oder negativ akzentuierte Wertung. Der Zeittendenz und nationalpädagogischen Intentionen des Herausgebers entsprechend enthält die große Mehrheit der Texte positive „Botschaften". Nur 15 Themen kann man eindeutig als negativ klassifizieren, darunter „Mussolini", „10. Juni" [1940], „8. September" [1943], „Die Deutschen", „Entfuhrung und Ermordung Aldo Moros". So hat das Werk teilweise enttäuschte Wertungen von qualifizierter Seite erhalten. So schreibt Gian Enrico Rusconi, ein Turiner Soziologe, der sich am frühesten mit den Themen von Staats- und Nationalbewußtsein beschäftigt hatte. 26 „Die ,luoghi della memoria' sind eine vorzüglich zusammengestellte historische Anthologie [...] Aber sie hat die Hoffnungen, daß hier ein endgültiger Beitrag zum Thema zur kollektiven Erinnerung einer Nation wie Italien geleistet werden würde, weitgehend enttäuscht". 27 Der Initiative des Laterza-Verlages ist aber, wie nachfolgende Taschenbuchausgaben von „I luoghi della memoria" zeigen, ein kommerzieller Erfolg beschieden. Der Bologneser Verlag „Ii Mulino" zog rasch nach mit einem noch breiter angelegten Projekt einer ganzen Buchreihe mit dem Titel „Die italienische Identität. Unsere Geschichte: die Männer, die Frauen, die Orte, die Ideen, die Dinge, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind". 2 8 Für jedes Thema ist ein eigener Band vorgesehen. Behandelt werden sollen Persönlichkeiten wie Giordano Bruno, Verdi, Mazzini, Cavour, Mussolini, De Gasperi, Institutionen wie das Gymnasium, Loreto, die Monarchie, die Katholische Aktion oder Lokalitäten, Bauten und Denkmäler wie der ,Altare della Patria" in Rom. 2 9 Der Initiator und Herausgeber der Reihe Ernesto Galli della Loggia ist Zeithistoriker an der Universität Perugia und gleichzeitig politischer Kommentator. Seine scharfsinnigen Analysen vieler Probleme der italienischen Gegenwart in der Mailänder Tageszeitung „Ii Corriere della Sera" finden große Beachtung. Nicht selten hat er so große historisch-politische Debatten ausgelöst. Das gilt zum Beispiel fur seine These vom „Tod des Vaterlandes" am 8. September 1943, als Italien unter tief demütigenden Umständen kapitulierte und von den kriegfiihrenden Mächten besetzt wurde. Damals seien Staats- und Nationalbewußtsein bis in den Kern hinein verwundet worden. Auch die Resistenza und die 1946 26
G. E. Rusconi, Se cessiamo di essere una nazione, Bologna 1993; ders., Patria e repubblica, Bologna 1997; ders., Possiamo fare a meno di una religione civile?, Bari/Roma 1999.
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Ders., L'Italia smembrata di piazzale Loreto, in: L'Indice März 1997. Dies ist der Text, den jeder Band auf der Rückseite des Einbandes enthält. B. Tobia, L'Altare della Patria, Bologna 1998. Vorgesehen oder schon publiziert sind Bände u.a. über: Mirafiori, Carosello, L'Arsenale di Venezia, I fascisti, Mazzini, Leopardi, Cavour, Mussolini, La riviera adriatica, II confine Orientale, De Gasperi, La mamma, La monarchia, L'autostrada del Sole, L'Azione cattolica, Lo Statuto Albertino, Gioberti, Maria Montessori. Die Auswahl erweckt den Eindruck einer gewissen Beliebigkeit.
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geschaffene Republik hätten es nicht geschafft, den Patriotismus als eine positive Beziehung des Bürgers zu Staat und Nation wiederherzustellen.30 Diese Thesen erhielten zusätzliche Brisanz durch das Faktum, daß zur gleichen Zeit der Faschismus-Historiker Renzo De Feiice in dem Schlußband seiner Mussolini-Biographie zu ähnlich düsteren und selbstkritischen Schlußfolgerungen kam.31 Die Identitätsdebatte nach 1996/97 erscheint so gewissermaßen als Antwort auf die „Tod-desVaterlands"-Diskussion nach 1993. Galli della Loggia hat der von ihm gegründeten Reihe einen Einleitungsband vorausgeschickt, der dem inzwischen viel behandelten Thema neue Seiten abgewinnt.32 In sechs dicht geschriebenen Kapiteln behandelt er 1. die geographische Lage Italiens in ihrer geschichtlichen und geopolitischen Bedeutung, 2. das römische und das christliche Erbe, 3. die „hundert Italien" der Städte und zugehörigen Landschaften in ihrer jeweiligen Eigentümlichkeit, 4. Individuum, Familie und Oligarchien in ihren Zusammenhängen, 5. die historische Schwäche, ja die Abwesenheit des Staates und 6. das heutige Italien mit seinen Identitätsproblemen und seinen europäischen Zukunftshoffnungen. Der in Essayform gehaltene Text bietet eine Fülle kluger Beobachtungen. Genannt seien nur die Präsenz von katholischer Kirche und Papsttum auf italienischem Boden als Last und gleichzeitig als einzigartigen Vorzug der Nationalgeschichte (der Vatikan als einzige weltweite Institution, die das Italienische als Verkehrssprache benutzt), die große Rolle der Intellektuellen vom frühen Mittelalter an als Interpreten des römischen und des christlichen Erbes, die zentrale Stellung der Familie in ihrer engeren verwandtschaftlichen und ihrer weiteren klientelaren Version als Schutz und Notdach, und die Rolle der Stadt in ihren vielfach auf italische und römische Zeiten zurückgehenden Gründungstraditionen. Die Stadt, in der der lombardische Sozialphilosoph und Politiker Carlo Cattaneo um 1850 den roten Faden der Nationalgeschichte gesehen hat, bildet auch heute noch das eigentliche Vitalzentrum des italienischen Lebens. Galli della Loggia konstatiert fur die Gegenwart einen Mangel an Gemeinsinn, der sich in der Schwäche des Bürger- und Staatsbewußtseins äußert. Das Problem ist „eine schwache, eine zu schwache nationale Identität". Sie zurückzuerobern heißt „in erster Linie, unsere Vergangenheit, von der älteren bis zur jüngeren Zeit, wiederzugewinnen, sich mit ihr auszusöhnen und sich in ihr wiederzuerkennen, ohne besorgt nach dem Guten zu suchen und das weniger Gute auszusortieren".33 Den Turiner Verlag Einaudi ließen die Erfolge der Konkurrenten aus Bari und Bologna nicht ruhen. Er schickte 1998 gleich drei, von hochdotierten Autoren stammende Bände zum Identitätsthema ins Rennen. Von Aldo Schiavone, Profes-
30
E. Galli della Loggia, La morte della patria, Bari/Roma 1996.
31
R. De Feiice, Mussolini l'alleato, Bd. 2: La guerra civile 1 9 4 3 - 1 9 4 5 , Torino 1997.
32
Ε. Galli della Loggia, L'identitä italiana, Bologna 1998.
33
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sor für römische Rechtsgeschichte an der Universität Florenz, stammt der Band „Italiener ohne Italien. Geschichte und Identität". 34 Einer breiteren Öffentlichkeit ist er bekannt geworden als Herausgeber der vierbändigen, beim Turiner Verlag Einaudi erschienenen „Storia di Roma", der umfangreichsten Geschichte des antiken Rom in den letzten Jahrzehnten. 35 Als langjähriger Präsident der „Fondazione A. Gramsci" in Rom zählte er früher zu den einflußreichsten Intellektuellen der KPI. Es gehört zu den historiographisch intensiv diskutierten Fragen, welche kausalen Entwicklungslinien zwischen dem römischen Italien der Antike und dem Italien seit dem frühen Mittelalter bestehen. Giuseppe Prezzolini hat immer davor gewarnt, die beiden Zeiten unter identitären Gesichtspunkten zusammenzurücken. Die Mythen Roms und der „romanitä" gehören in dieser Sicht zu den gefährlichsten Selbsttäuschungen der letzten beiden Jahrhunderte. Italien sei wie Spanien oder Frankreich eine neue und in ihren Eigenschaften völlig andersartige Nation. Schiavone diskutiert diese Fragen nicht, sondern geht von einer zweitausendjährigen Geschichte des „noi", des „wir Italiener" aus. Das Italien der Antike war durch große Vielfalt der Stämme, Ethnien, Sprachen, Kulturen und Religionen gekennzeichnet. Rom blieb Stadt und entwickelte sich zum Imperium, ohne daß die geographischen Grenzen Italiens je eine größere Rolle spielten. In der zweiten Primatsperiode Italiens vom 12. bis 16. Jahrhundert bewährte sich erneut das Lebens- und Organisationsprinzip Italiens: die Kleinräumigkeit der Stadt, die Vielfalt der Lebensformen, die nachbarschaftliche Konkurrenz, der Partikularismus. Der Versuch des Risorgimento, den Nationalstaat westeuropäischen Typus auf italienischem Boden zu errichten, erscheint Schiavone fehlgeschlagen. Er repräsentierte eine Überanstrengung, ja quasi Vergewaltigung der eigentlichen „italischen" Traditionen der „Pluralität" und des „Multizentrismus". Die Rekonstruktion eines Nationalstaats des traditionellen Typus erscheint dem Autor mit Blick auf die bisherigen Erfahrungen als ein „unsinniges" Unternehmen. Mit Blick auf Europa schlägt der Autor vor, aus dem Defizit einen Vorsprung zu machen: „Man sollte unserem wiedererstandenen Partikularismus, der ein Zeichen fxir Wohlstand und wiedergewonnene Sicherheit ist, Unterstützung und Anerkennung gewähren".36 Unter dem Schutz des europäischen Daches könnte so ein Italien des 15. Jahrhunderts wiedererstehen, „ein Nebeneinander von kleinen Vaterländern, [...] die reich an Kultur und Erinnerungen sind und die sich verbunden fühlen in einer gemeinsamen [kulturellen] Identität". 37 Dieses Plädoyer für eine „munizipale und zugleich europäische Revolution" 38 läuft in der Praxis auf eine sehr weit vorangetriebene Föderalisierung
34
A. Schiavone, Italiani senza Italia. Storia e identitä, Torino 1998.
35
Storia di Roma, hg. v. A. Schiavone, 4 Bde., Torino 1 9 8 8 - 1 9 9 3 .
36
Schiavone (wie Anm. 3 4 ) S. 137.
37
Ebd. S. 136.
38
Ebd. S. 137.
Italien auf der Suche nach seiner Identität
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Italiens hinaus. Als Beitrag zur Identitätsdiskussion bietet der Autor so ungewohnte und von der Kritik kaum aufgenommene Perspektiven. Der zweite vom Verlag Einaudi vorgelegte Beitrag schlug noch dunklere Töne an. Der Zeithistoriker und Publizist Antonio Gambino versuchte mit seinem „Inventario italiano" ebenfalls eine Gesamtschau Italiens aus der Vogelperspektive.39 Auf den Spuren der Arbeiten von Carlo Tullio Altan sieht er eine entscheidende Kollektiverfahrung in der Invasion Italiens und der Erfahrung der Fremdherrschaft seit dem Ausgang des 15. Jahrhunderts. Die Erfahrung der Fremdbestimmung hat die Mentalität der Italiener bis in die Tiefe geprägt. Seitdem bildet die Familie mit allen ihren weiteren Ausformungen (Clan, Klientel, Freundschaftsverband usw.) den zentralen Bezugspunkt im politisch-kulturellen Denken. Der Autor verfolgt diese These im Denken zahlreicher repräsentativer Italiener, so bei Machiavelli, Guicciardini, Leopardi, Turiello, Franchetti, Gobetti und Gramsci. Aus dieser Mentalität stammt das Mißtrauen als Lebenskonstante, die enorme Distanz zwischen Schein und Sein, zwischen Sagen und Tun, der Zynismus als Lebenseinstellung, die Korruptionsanfälligkeit und der Mangel an moralischer Prinzipientreue. Der Staat blieb etwas Fremdes, Feindliches, von außen Kommendes, die „res pubblica" erschien als „res nullius", als Beute und zeitweiliger Besitz. Gambino hat ein düsteres, pessimistisch stimmendes Buch geschrieben. Zu hoffen bleibt, daß die hier formulierte radikale Selbstkritik von der Entwicklung Italiens in der Zukunft widerlegt werden wird. Der dritte, vom Verlag Einaudi publizierte Text „Ii noi diviso. Ethos e idee dell'Italia repubblicana"40 stammt von dem Pisaner Philosophen Remo Bodei und ist ganz dem letzten halben Jahrhundert gewidmet. Unter „Ethos" versteht der Autor jenes „Ensemble von Sitten, Normen und Verhaltensweisen, die innerhalb einer bestimmten historischen Gemeinschaft das Handeln der Individuen bestimmen".41 Für Bodei gibt es in dem nachfaschistischen Italien drei oder vier „Loyalitäten" oder „mythologische Vaterländer". Auf den totalitären „ethischen Staat" des Faschismus, der das „Ich" zugunsten des „Wir" unterdrückte, folgte die „ethische Partei", die KPI oder die „Democrazia Cristiana", deren Loyalität in Richtung UdSSR oder USA ging. „Die Italiener vernachlässigen ihr wirkliches Vaterland, und identifizieren sich mit zwei geträumten Vaterländern. [...] Der amerikanische Traum ist der des Reichtums und des persönlichen Erfolgs, der sowjetische ist der der Gleichheit und des Endes der Ausbeutung".42 Alle diese Träume sind zerstoben. Für Bodei befindet Italien sich heute in einer Phase der „Neugründung" des
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A. Gambino, Inventario. Costumi e mentalitä di un Paese materno, Torino 1998. R. Bodei, II noi diviso. Ethos e idee dell'Italia repubblicana, Torino 1998. Ebd. S. XII. Ch. Valentini, Italiani, proba gente. Colloquio con Remo Bodei, in: L'Espresso, 16.4.1998, S. 112.
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Identitätsbewußtseins, das in der Lage sein muß, die verschiedenen geteilten Erinnerungen in sich aufzunehmen. Aus den vorstehend vorgestellten Beiträgen, die nur eine knappe Auswahl des in den letzten Jahren Publizierten darstellen43, mag deutlich geworden sein, wie sehr in den letzten Jahren „Nation" und „Nationalbewußtsein" wieder in das Zentrum des historisch-politischen Interesses gerückt sind. Für General Carlo Jean haben die Vorgänge von 1989/90 Italien potentiell von einer „regionalen Mittelmacht" in eine der „principal powers" verwandelt. Ob diese Chancen genützt werden, hängt völlig von einem grundlegenden Gesinnungswandel der Nation ab. Jean plädiert fur die Potenzierung der Streitkräfte, fur eine neue „militärische Kultur", für eine massive staatliche Unterstützung der Rüstungsindustrie und für ein stärkeres Zusammenwirken zwischen Politik und Wirtschaft. „Absolut vorrangig ist es jedoch, das Staats- und Nationalbewußtsein zurückzugewinnen. Ohne sie wird Italien nicht in einem internationalen System überleben können, das dank der Globalisierung der Märkte und Produktionen immer stärker durch einen gnadenlosen, Effizienz und innere Kohäsion erfordernden Wettbewerb charakterisiert ist". 44 Jean fordert eine Stärkung Italiens als „sistema paese", eine neue Ethik des Gemeinwohls, Einschränkung der sozialstaatlichen Aufwendungen, Erhöhung der Rüstungsausgaben und staatsinterventionistische Eingriffe in die Wirtschaft. Die vorstehend geschilderte Selbstbefragung der Nation ist von tiefen Selbstzweifeln geprägt. „Hören wir auf, eine Nation zu sein?" fragte 1993 selbstkritisch und mahnend der Turiner Soziologe Gian Enrico Rusconi. 45 Andere Interpreten sprachen vom „Tod des Vaterlands", vom „Ende des Risorgimento" oder schlicht vom „Ende Italiens". Die Jahre nach 1992 wurden in Italien vielfach als kollektives Psychodrama erlebt. Der Zusammenbruch des überlieferten Parteisystems, die Moralitätsoffensive der Mailänder Richter, die Aufdeckung eines weitverzweigten Systems der Korruption und der Verfall der Lira erschien als Kollektivtrauma. Das bedeutende sozialwissenschaftliche Forschungsinstitut in Rom CENSIS, das in seinem Jahresbericht jeweils die Realentwicklung und die Stimmungslage Italiens erkundet, schrieb im Dezember 1995: „Das öffentliche Klima ist gekennzeichnet durch Orientierungsverlust und Schuldbewußtsein. Wir fühlen uns von Europa ausgeschlossen, abgeschnitten von der internationalen Entwicklung". Wir fühlen uns „ohne ein Minimum an nationaler Würde, so als seien wir die Outcasts des Westens". 46 Diese Phase tiefer Selbstzweifel endete im Mai 1998 mit der von vielen
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Eine ziemlich umfassende Dokumentation bietet die vierteljährlich erscheinende, vom Deutschen Historischen Institut in Rom herausgegebene Zeitschrift „Bibliographische Informationen zur italienischen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert" (Heft 100/September 1999).
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C. Jean, Geopolitica, Bari/Roma 1995, S. 260.
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Rusconi, Se cessiamo di essere una nazione (wie Anm. 26).
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CENSIS, Rapporto sulla situazione sociale del paese, Bd. 2 9 (1995), S. 11, 15.
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Beobachtern nicht erwarteten Aufnahme in den Euro-Verbund. Diese von extremen Stimmungstiefs und rasch vorbeiziehenden Euphorien begleiteten Jahre bestätigten die von Giulio Bollati 1983 formulierten Beobachtungen. In seinem Buch „Der Italiener. Der Nationalcharakter als Geschichte und als Erfindung" 47 hatte er seine Recherchen über die Entstehung des Nationalbewußtseins in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in dem Diktum zusammengefaßt: „In der Gleichzeitigkeit von Primat- und Dekadenzbewußtsein, dem Gefühl objektiver Unterlegenheit, das durch ein tiefsitzendes Gefühl der Überlegenheit kompensiert wird, entsteht einer der dauerhaftesten Charakterzüge der ganzen italienischen Nationalgeschichte".48 In einem klugen Essay hat der frühere Botschafter in Moskau, Sergio Romano vor einigen Jahren über „la cultura della politica estera italiana" reflektiert. Er fragte 1991 nach den „unspoken assumptions" des außenpolitischen Räsonnierens, des Planens und des Handelns. Diese Summe von beredtem Schweigen, von Dogmen und von Glaubensartikeln definiert er als „Kultur der Außenpolitik". Zu den von ihm behandelten Mythen zählt Romano die Invasionsfurcht, das Eindringen der Barbaren von außen in den „Garten Italiens", die Vorstellung vom moralischen und kulturellen Primat der Italiener in der Weltgeschichte, die Rom-Idee, Papsttum und Weltkatholizismus als singuläre Schöpfung des italienischen Geistes und als Last wie als Privileg der Nationalgeschichte. Zu den „unspoken assumptions" gehören aber auch die Sorge um das im 19. Jahrhundert eher improvisiert entstandene staatliche Gehäuse, die durch viele enttäuschte Hoffnungen und Illusionen verfestigten Ohmachtgefühle gegenüber der säkulären Südfrage und der mit ihr verbundenen Massenarbeitslosigkeit und organisierter Kriminalität. Zu nennen wären auch diffuse kollektive Angstgefühle vor Staatsversagen und gesellschaftlicher Anomie. „Caporetto", der panikartige Zusammenbruch der italienischen Nordostfront im Herbst 1917 und der 8. September 1943, die unter katastrophalen Umständen mit völligem Elitenversagen erfolgte Kapitulation Italiens, sind tief in die kollektive Psyche eingeschrieben. Der 8. September, den kein Straßenname und kein Denkmal nennt, gilt nach wie vor als der schwärzeste Tag der Nationalgeschichte. Die Furcht vor einem plötzlichen Zusammenbruch des Staates und der ihn tragenden Hierarchiebindungen und Loyalitätsgefühle bleibt in die italienische Seele eingeschrieben. „Tutti a casa" (alle nach Hause) war 1917 wie 1943 der millionenfache Gedanke. Das hieß Rückzug auf die Familie, auf die engste persönliche Heimat und auf das private Ich. Alle demoskopischen Umfragen zeigen bis heute in der Wertehierarchie die Präponderanz des Privaten und der Familie. Staatsbewußtsein und staatsbürgerliche Tugenden rangieren auf den hintersten Plätzen. 47 48 49
G. Bollati, L'Italiano. II carattere nazionale come storia e come invenzione, Torino 1983. Ebd. S. 41. P. Ottone, Saremo colonia? Ο forse lo siamo giä?, Milano 1997.
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Im Wettbewerb der Staaten und ökonomischen Systeme sehen die Italiener ihr Land deshalb in einem viel genannten Bild als „vaso di coccio fra vasi di ferro" - als Tonvase zwischen gußeisernen Behältern - ästhetisch schön, mit viel Patina der Vergangenheit, aber auch sehr zerbrechlich. Dieses Nebeneinander in der nationalen Psyche von subjektivem Uberlegenheitsbewußtsein und subjektiver und objektiver Unterlegenheit präsentiert sich in den verschiedensten Mischungsverhältnissen. In dem 1997 erschienenen Buch „Saremo colonia? Ο forse lo siamo giä" 49 geht der Autor, Piero Ottone, der Frage nach, ein wie großer Teil der italienischen Wirtschaft in ausländische Hand geraten sei. An Beispielen fehlte es in den letzten Jahren nicht, angefangen bei der Genueser Reederei Costa, dem Buch- und Zeitschriftenverlag Rusconi, der Maschinenbaufirma Nuovo Pignone bis zu dem Mobilfunkunternehmen Omnitel/Infostrada. Statistisch gesehen, wird jeden dritten Tag eine italienische Firma ins Ausland verkauft. Ein Drittel des Umsatzes der 1.600 größten Firmen Italiens wird von Unternehmen in ausländischer Hand erwirtschaftet. Ottone, in den siebziger Jahren Chefredakteur des „Corriere della Sera" und vorzüglicher Kenner der italienischen Wirtschaft, hatte sich bei seinen Freunden in den Chefetagen von Banken und Großunternehmen umgehört. Bei allen hatte er die gleiche Antwort gehört: „Was die großen Gruppen angeht, so lautet die Antwort: ja. Es ist wahrscheinlich, daß die Mehrheitskontrolle der besten italienischen Unternehmen in ausländische Hand übergeht". Ottone regte sich darüber auf, daß seine Gesprächspartner sich nicht aufregten. Er selbst fühlte sich zutiefst beunruhigt. „Mit der Kolonisierung wandern die Forschungszentren ab, erhalten die sozialen und gewerkschaftlichen Bedürfnisse weniger Gewicht, kann man leichter Kürzungen und Entlassungen organisieren. Daneben gibt es einen weniger meßbaren, aber ebenso gravierenden Schaden, den Verlust an Identität". 50 Viele dieser Meinungsäußerungen sind weniger als präzise Situationsanalysen, denn als Beschreibung von Seelenlagen interessant. In ihnen fehlen fast alle quantitativen Daten; es fehlt vor allem der Blick auf die Gegenseite: die italienischen Kapitalexporte und Firmenaufkäufe im Ausland. Nach allen Untersuchungen ist die Investitionsbilanz nämlich fast ausgeglichen. Vieles an den italienischen Debatten über die drohende „Kolonisierung" erinnert an die großen Riten der nationalen Selbstkritik. Dieses subjektive Unterlegenheitsbewußtsein hat man als Symptom äußerst ernst zu nehmen. Auch Phantomschmerzen bleiben Schmerzen. Überblickt man die Debatte des letzten Jahrzehnts, so bleibt überraschend, mit welcher bergbachartigen Gewalt die lange tabuisierten Themen von Nation und
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Ebd. S. 110. Zit. bei Petersen (wie Anm. 2) S. 66.
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nationaler Identität in die Öffentlichkeitsdiskussion zurückgekehrt sind. Dieser tiefe Wandel der geistigen Situation Italiens bedeutet gleichzeitig auch eine Rückkehr zur Geschichte. Der zu früh verstorbene liberale Historiker Rosario Romeo schrieb Ende der siebziger Jahre, „ein Land, das sich in Gedanken von der eigenen Vergangenheit abgelöst hat, befindet sich in einer Identitätskrise. Ohne ideelle Werte ist es damit verfügbar fiir alle möglichen Abenteuer". „Wenn die Erinnerung verlorengeht, die Gemeinschaftswerte keine Verpflichtung mehr besitzen, [...] geht auch das Bewußtsein für das Gemeinwohl verloren, und die Politik läuft Gefahr, zu reiner Geschäftemacherei zu verkommen".51 Zwei Jahrzehnte nach diesen Warnungen hat Italien eine tiefe politisch-moralische Krise durchlebt. Seither hat eine weitgespannte Diskussion über die Grundlagen der italienischen Nation begonnen, die die Gesamtgeschichte erfaßt. Das (von 1930 stammende) italienische Strafgesetzbuch enthält einen Paragraphen, der die Beleidigung der Nation unter Strafe stellt. Gäbe es ein Minimum an Realität hinter dieser Strafandrohung, so müßten Tausende vor den Kadi kommen. „Das Italienbild der Italiener", so schrieb Mitte der siebziger Jahre ein deutscher Beobachter, ist „von einer nicht zu übertreffenden Negativität".52 Diese Weltmeister der Selbstkritik können aber höchst empfindlich reagieren, wenn solche Urteile außerhalb Italiens wiederholt werden. „Die wirklichen Interpreten eines Landes sind nicht - wie kurzsichtige Nationalisten annehmen — seine Lobredner, sondern diejenigen, die es kritisieren und die es geißeln". So schrieb Indro Montanelli 1950.53 Der bekannte Publizist Giorgio Bocca hat vor etlichen Jahren sein Selbstgefühl als Italiener auf die Formel gebracht: „Die Italiener leben innerhalb einer Geschichte, fur die es bei den anderen Nationen des Westens keinen Vergleich gibt. Dreitausend Jahre großer und größter Geschichte, die im Guten wie im Schlechten zählt im täglichen Leben, in der Art des Denkens und des Sichverhaltens. Ich würde niemals mein häufig so kümmerliches Italienersein eintauschen gegen die kulturelle und politische Zugehörigkeit zu einem anderen Land, mag es auch noch so angesehen sein. Der wahre Grund: ich kann nicht verzichten auf diesen Zusammenhang zwischen Alltag und Geschichte, die Reisen zwischen Gegenwart und Vergangenheit, dieses Ensemble von Landschaft, Monumenten, Architektur, Sprache, Gestik, Tönen. Das ist nur an diesem Ort mit seinen viel tausendjährigen Ablagerungen möglich".54 So ist die Geschichte Italiens sein großer Besitz.
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R. Dvorak, Der schiefe Turm Italiens und die Italiener, 3. Aufl., Stuttgart 1976, S. 50. Montanelli/Placido (wie Anm. 10) S. 168. G. Bocca, In che cosa credono gli italiani? Milano 1982, S. 112.
H O R S T FUHRMANN
in Zusammenarbeit mit MARKUS W E S C H E
„Die unabhängigen Bande unserer schönen Gelehrtenrepublik" Ein deutscher Freundeskreis in Rom während der Revolutionszeit 1848/49
Wer erfahren will, wie es Gelehrten der Humaniora auf Forschungsreisen in Italien vor der Einrichtung von festen Stationen und Instituten im 19. Jahrhundert ergangen ist, der greife zu den Beiträgen von Arnold Esch.1 Hier erhält er reichen Bescheid über Lebens- und Arbeitsweise, über Schwierigkeiten und Förderung dieser Pioniere der Erschließung italienischer Schätze. Je früher die Zeit ist, die in den Blick genommen wird, um so stärker nimmt man wahr, daß ein Gefühl der Zusammengehörigkeit bestand und Fachgrenzen nur schwache Markierungen waren: der Archäologe hilft dem Historiker, der Jurist dem Kunsthistoriker, der Maler wird zu Botendiensten eingespannt, und sie alle sind zugleich mehr oder minder erfüllt vom Bildungserlebnis Italien. Es waren vor allem die Briefe der Mitarbeiter der Monumenta Germaniae Historica, die Arnold Esch Auskunft gaben, denn wer im Auftrage der Monumenta reiste, hatte deren allmächtigen Leiter, dem bis 1842 in Hannover, dann als Oberbibliothekar in Berlin residierenden Georg Heinrich Pertz (1795-1876) von Zeit zu Zeit Rapport zu geben oder einen Reisebericht zu erstellen, der in den meisten Fällen nicht gedruckt wurde. Die Reisenden gaben untereinander bereitwillig Auskunft und Hinweise, was um so nützlicher war, als ftir Archive und Bibliotheken häufig Kataloge oder Findbücher fehlten, manchmal auch von den eifersüchtig auf ihren Schätzen sitzenden geistlichen und weltlichen Wächtern nicht herausgerückt wurden. Das Hin und Her ging, wie gesagt, über Fachgrenzen hinweg, der Archäologe kollationierte dem Historiker Handschriftentexte und verdiente sich auf diese Weise ein Zubrot, der Altphilologe unterrichtete den Kunsthistoriker über ein
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Vgl. A. Esch, Auf Archivreisen. Die deutschen Mediävisten und Italien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aus Italien-Briefen von Mitarbeitern der Monumenta Germaniae Historica vor der Gründung des Historischen Instituts in Rom (im Druck). Im übrigen sei auf das Schriftenverzeichnis Arnold Eschs am Ende dieser Festschrift verwiesen, wo sich weitere einschlägige Beiträge finden, zu unserem Thema vor allem: A. und D. Esch, Anfänge und Frühgeschichte der deutschen evangelischen Gemeinde in Rom 1 8 1 9 - 1 8 7 0 , in: QFIAB 7 5 (1995), S. 3 6 6 - 4 2 6 .
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Gemälde, und dieses Aufeinanderangewiesensein in gemeinsamem Tun schuf freundschaftliche Bande. 2 Seit Sommer 1 8 4 7 war der Jurist Paul Johannes Merkel ( 1 8 1 9 - 1 8 6 1 ) f ü r die M o n u m e n t a Germaniae Historica tätig. Ludwig Bethmann ( 1 8 1 2 — 1 8 6 7 ) , der Dauerreisende, der gut die Hälfte der Zeit seiner 17-jährigen Zugehörigkeit zu den M o n u m e n t a unterwegs gewesen war und sich sogar herausgenommen hatte — zwar mit Genehmigung, doch ohne den Beifall von Pertz - , eine Orientreise zu unternehmen (der Ägyptologe Karl Richard Lepsius [ 1 8 1 0 - 1 8 8 4 ] war sein Studienfreund), 3 Bethmann hatte ihn Pertz vorgeschlagen, und Pertz fand Gefallen an ihm. 4 Er sei voll gründlichsten Wissens, schrieb Pertz an Johann Friedrich Böhmer ( 1 7 9 5 - 1 8 6 3 ) in Frankfurt, edel, liebenswürdig, einfach, bescheiden in der Gesinnung. Durch welche Leistungen hatte sich Merkel empfohlen? 5
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Die Zahl der Quellen, vor allem der noch ungehobenen Briefe, die über die privaten und wissenschaftlichen Verbindungen Auskunft geben, ist erdrückend. Im folgenden geht es um einen einzigen Vorgang: um die Kollationsbitte Johannes Merkels an Heinrich Brunn, der fast 20 Jahre in Rom und Italien tätig war (1843-1854 und 1856-1864), mit vielen deutschen Gelehrten in Verbindung stand und dessen Nachlaß in der Bayerischen Staatsbibliothek München rund 6000 Briefe enthält. Vgl. W. Arnold, Ludwig Conrad Bethmann (1812-1867), in: Wolfenbütteler Beiträge 8 (1988), S. 405ff.; H. Bresslau, Geschichte der Monumenta Germaniae historica, Hannover 1921, passim (vgl. das Register); H. Fuhrmann, unter Mitarbeit von M. Wesche, „Sind eben alles Menschen gewesen". Gelehrtenleben im 19. und 20. Jahrhundert, München 1996, passim (vgl. Register). Bethmann war wegen seiner Italien- und Reiseerfahrung unter den römischen Freunden eine zentrale Figur und taucht häufig in den Briefen auf. Die Unzuverlässigkeit, die Pertz beklagte, legte er auch dort an den Tag. Theodor Mommsen erwartet ihn im August 1846 in Neapel und schreibt ungeduldig an Heinrich Brunn unter dem 9.8.: „...oder ist er [Bethmann] wieder nach der Sahara durchbrennt?" Brunn reagiert aus Rom am 16.8.: „Und in dem Sand und auf der Flur / Fand man von Bethmann keine Spur". Er hatte sich, offenbar gegen eine Absprache, längere Zeit im Kloster Monte Cassino eingerichtet. Am 20.8.1846 meldet Mommsen an Brunn: „Bethmann hat sich wieder eingefunden, war hinter zwei und dreißig neuen Kaiserurkunden hinterher geloffen und hat so Deine Prophezeiung von der Vervierfachung der acht Tage in Monte Cassino wahr gemacht". Die Zitate sind L. Wickert, Theodor Mommsen, Bd. 2: Die Wanderjahre, Frankfurt/M. 1964, S. 318f. entnommen, der viele Briefe aus dem Freundeskreis in Italien, zu dem auch Mommsen gehörte, zugänglich gemacht hat. Bethmanns zahlreiche Briefe sind noch weitgehend unbeachtet; nicht wenige sind in München, die Hauptmasse jedoch in seinem Nachlaß in der Wolfenbütteler Herzog-August-Bibliothek, deren Direktor Bethmann 1854 geworden war. Vgl. Bresslau S. 312. Zur Biographie Merkels vgl. Allgemeine Deutsche Biographie 21 (1885), S. 439ff. (Böhlau); A. Anschütz, Zur Erinnerung an Johannes Merkel, in: Zeitschrift fur Rechtsgeschichte 3 (1864), S. 193ff. Speziell die Beziehung Merkels zu Nürnberg und zu seiner Familie werden bei St. Gagnör, Zielsetzungen und Werkgestaltung in Paul Roths Wissenschaft, in: Festschrift fur Hermann Krause, Köln-Wien 1975, bes. S. 309ff, 360fF. deutlich; Paul Roth war Merkels Vetter, und Merkel hat in seiner Münchner Zeit, während seines Studiums, im Hause Roth gewohnt. Weitere Hinweise in der Neuen Deutschen Biographie 17 (1990), S. l46f. (B.-R. Kern). Reichen, wenn auch mehr privaten Aufschluß gibt Merkels dichte Korrespondenz mit Mommsen, die Wickert, Mommsen,
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Als Sohn einer nicht unvermögenden Nürnberger Familie - ein Teil der reichen Kunstschätze ging später (1874) als „Merkelsche Familienstiftung" an das Germanische Nationalmuseum6 - 1819 geboren, hatte er in München und Erlangen Jurisprudenz studiert, doch wurde er 1840 wegen eines Duells von der Universität Erlangen für fünf Jahre relegiert, die er in der praktischen Rechtspflege beim Landgericht Nürnberg und in einer Anwaltskanzlei zubrachte. Die Begegnung mit dem Werk Friedrich Carl von Savignys, mit dessen Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter (1815—1831), hat, wie er später gestand, sein Lebensprogramm bestimmt. Es ging ihm darum nachzuweisen, daß es nicht das römische Recht allein war, das auf das Ius commune einwirkte, sondern zugleich auch germanisches Recht, zumal die langobardische Gesetzgebung. Von 1845 bis 1847, vor seiner Monumenta-Zeit, hatte Merkel auf eigene Kosten eine Italienreise unternommen, woher ihn Bethmann kannte. Er war in Italien auf einen Kreis junger Gelehrter gestoßen, der ihn sogleich aufnahm und der in Notzeiten für ihn sorgte, denn Merkel mutete seinem Körper mehr zu als dieser vertrug. Tuberkulose-Anfälle warfen ihn wiederholt nieder. Bei einem Krankheitsschub in Neapel im August 1845 pflegte ihn Theodor Mommsen (1817—1903), mit dem ihn eine damals eingegangene und dauerhafte Duz-Freundschaft verband. „Merkels Krankheit, die uns schon manchen Strich gemacht hat und noch keineswegs im Abnehmen ist", hindere ihn, Mommsen, am Wegreisen; er habe Merkel, so schrieb Mommsen, 7 „schon unpäßlich vorgefunden und seine Krankheit stets zunehmen sehen ... Allein kann er nicht sein, da er eingerieben werden muß und auch in einem so aufgeregten Nervenzustande sich befindet, daß er nicht allein gelassen werden will". Zwei weitere Gefährten teilten sich in die Pflege Merkels, einer von ihnen ist der Numismatiker Julius Friedländer (1813—1884). 8 Der behandelnde Neapolitanische Arzt riet Merkel, möglichst bald an einen Ort zu gehen, der seinen Lungen zuträglich sei, und Merkel ging in das benediktinische
Bd. 2 Reg. und Bd. 3: Wanderjahre, Frankfurt 1969, Reg. anfuhrt. Zu Merkels Leistung bei der Erforschung des Langobardenrechts vgl. Chr. H. F. Meyer, Auf der Suche nach dem lombardischen Strafrecht. Beobachtungen zu den Quellen des 11. Jahrhunderts, in: Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung, hg. von H. Schlosser/D. Willoweit, Köln-Weimar-Wien 1999, Anm. 10 passim. 6
Das Germanische Nationalmuseum Nürnberg 1852—1977. Beiträge zu seiner Geschichte hg. von B. Deneke/R. Kahsnitz, München-Berlin 1978, S. 36 (vgl. das Register). Die Paul Wolfgang Merkelsche Familienstiftung ist seit 1874 Leihgabe des Museums, 1881 jedoch wurde das - neben der Bibliothek - wertvollste Stück der Sammlung, der Tafelaufsatz von Wenzel Jamnitzer ( 1 5 0 7 / 8 1585), „das berühmteste Beispiel altdeutscher Renaissancegoidschmiedkunst", von der Familie zurückgenommen und verkauft.
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Wickert, Mommsen, Bd. 2, S. 254f. Zwar unter dem Aspekt seiner Beziehung zu Mommsen, aber fur den Italienaufenthalt Friedländers überhaupt sind die von Wickert, Mommsen, Bd. 2, S. 330ff. und andernorts zitierten Briefe aufschlußreich.
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Mutterkloster Monte Cassino, wo er, der bekennende Protestant, der sich später sogar zu dem streng konservativen und monarchistischen Friedrich Julius Stahl (1802-1861) bekannte, ohne das sonst übliche Empfehlungsschreiben geradezu herzlich aufgenommen wurde. Der musikalische Merkel, dessen Orgelspiel gerühmt wird, ist erstaunt über die hochstehende Musikpflege der Mönche von Monte Cassino: „Ihr Kirchengesang ist noch der alte aus der besten Zeit, sie singen Palestrina und Marcello, nie hört man ein Instrument in ihrer Kirche und keine Theaterarie; der Organist spielte mir die schwersten Fugen von Bach mit Fertigkeit, und eine Klaviersonate von Beethoven mit einer Fertigkeit, wie ich es einem Italiener nicht zugetraut hätte, und alles das sind Mönche, denen wir so wenig Geschmack und Bildung zutrauen."9 Im November 1845 ist Merkel wieder in Rom, und hier findet er einen „Kreis deutscher Gelehrter vereinigt, wie er wohl selten wieder zusammengeführt worden ist". 10 Es bauen sich Freundschaften auf, die ein Leben halten. Zur „Clique", „Compagnie", zu den „socii Capitolini" 11 oder wie immer sich der Freundeskreis nennt, gehören klingende Namen, neben Mommsen, Merkel und Julius Friedländer Heinrich Brunn (1822-1894), der Archäologe, Heinrich Keil (1822-1894), der Altphilologe und Herausgeber der Grammatici Latini, Wilhelm Henzen (1816— 1887), der Sekretär des archäologischen Instituts, der Maler und Radierer Karl Sprosse (1819-1874), Emil Braun (1809-1856), der Archäologe, der Theologe („Pfarrverweser") Karl Pabst, um diese zu nennen. Auf deren Hilfe konnte er rechnen, wenn er römische oder italienische Dinge erledigt sehen wollte, als er 1847 nach Berlin ging, um fur die Monumenta tätig zu werden. Pertz übertrug ihm die Edition der Volksrechte, hatte sich doch Merkel durch Publikationen über Langobardenrechte auf diesem Felde ausgewiesen; seine ungedruckt gebliebene Erlanger Dissertation von 1847 trug den Titel „De libris legum Langobardorum commentatio critica". 9 10 11
Anschütz (wie Anm. 5) S. 197f. So Anschütz (wie Anm. 5) S. 198. Seitdem der preußische Gesandte Christian Carl Josias von Bunsen ( 1 7 9 1 - 1 8 6 0 ) sich 1 8 1 7 in den Palazzo Caffarelli, der auf dem Grundstück des kapitolinischen Jupitertempels stand, eingemietet hatte ( 1 8 5 4 von Preußen erworben), wurde das Kapitol zum Sitz der deutschen protestantischen Kolonie in Rom. Durch die von Bunsen im Palazzo eingerichtete Gesandtschaftskapelle entstand ein Zentrum für eine deutsche evangelische Gemeinde, der sich auch andere nordeuropäische Protestanten anschlossen; das 1 8 2 9 gegründete Istituto di corrispondenza archeologica, das spätere Deutsche Archäologische Institut, das 1 8 3 6 einen eigenen Bau bezog, wurde die Heimstätte für die deutschen Gelehrten, von denen viele in der „Casa Tarpeja" wohnten, dem von Bunsen eingerichteten preußischen Hospiz. Zum „preußischen" Kapitol (Mommsen am 3 1 . 1 2 . 1 8 4 4 : „Ich habe es hier gut getroffen; das Capitol wenigstens ist deutsch...") vgl. F. Noack, Das Deutschtum in Rom seit dem Ausgang des Mittelalters, Berlin-Leipzig 1927, Bd. 2, S. 549ff., Wickert, Mommsen Bd. 2, S. 56ff., 2 4 9 Anm. 73; zum Deutschen Archäologischen Institut vgl. G. Rodenwaldt, Archäologisches Institut des Deutschen Reiches 1 8 2 9 - 1 9 2 9 , Berlin 1929.
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Wie lief das Zusammenspiel zwischen den gelehrten Freunden? Aus der großen Zahl der Briefe, Nachrichten und Verständigungen, die das Geflecht gegenseitiger Hilfeleistungen deutlich werden läßt, sei hier ein einziger Fall herausgegriffen: die Bitte des Monumenta-Mitarbeiters Johannes Merkel um die Kollation einer Handschrift der Vatikanischen Bibliothek, verbunden mit dem gleichzeitigen Wunsch Wilhelm Grimms um die Nachzeichnung eines altdeutschen Glossars in einem Codex Reginensis derselben Bibliothek. Aus Nürnberg schrieb Merkel unter dem 29. September 1848 an Heinrich Brunn, 12 nicht aus Berlin, doch soll Brunns Antwort dorthin gehen, an die Adresse des „Geheimrath Oberbibliothekar Pertz", dessen Amtssitz Behrenstraße 40 nur wenige Meter von Merkels Wohnung entfernt lag. Der Auftrag des Kopierens macht nur einen geringen Teil des Briefes aus, der Hauptteil besteht in einer Schilderung der Berliner Situation nach den Märzunruhen im Frühjahr 1848: daß die Studenten, die Universität überhaupt, zu einer geschlossenen Aktion nicht zu bringen gewesen wären, daß die gegen die Ordinarien gerichtete Sammlungsbemühung des Privatdozenten Martin Hertz (1818-1895) kaum Erfolg habe; daß die „Berliner Bewegung", im Gegensatz zur Wiener Auflehnung gegen Metternich, „kein Werk des deutschen Geistes" gewesen sei: Barrikadenfiihrer hätten gebrochen Deutsch gesprochen, ein Franzose sei im Kaffeehaus Volpy aufgetreten, ein Pole habe Geld und Waffenlager zur Unterstützung der Revolution ausgeboten. Insgesamt wird ein die Revolution ablehnendes Bild gezeichnet, es ist vom „Zustand der Anarchie", von „Inmoralisation" die Rede, und nicht besser sei die Lage der jungen Gelehrten: „wer jetzt keine Stellung hat, der erduldet auch die Sorgen", die von dieser unentschiedenen Lage ausgehen; „Mommsen von uns allen der Einzige hat ein Ziel erreicht: denn er folgt einem Ruf als Extraordinarius nach Leipzig". 13 Und dann eine aufschlußreiche Bemerkung über die finanzielle Situation der Monumenta: sie habe einen Vermögensstock von 17.000 Gulden, der bei der „Centraikasse zu Frankfurt a / M " läge. 14 Von diesem Betrag bezahlt Pertz seine „gelehrten Gehilfen" und so auch Merkel. Wann genau Merkels Brief in Rom ankam, ist unklar. Jedenfalls machte sich Heinrich Brunn, 15 der Archäologe, an die Arbeit und meldete den Vollzug unter
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Siehe den Abdruck des langen Briefes Nr. 1 unten S. 40 und die einzelnen dort gegebenen Erklärungen. Er erhielt einen Ruf zu Michaelis (29.9.) 1848; vgl. Wickert, Mommsen, Bd. 2, S. 25. Die von Merkel angegebene Summe ist durchaus wahrscheinlich, da Pertz dazu neigte, Rücklagen zu bilden. Als 1860 erstmals die Protokolle der Bundesversammlung veröffentlicht wurden, ergab der Kassenabschluß einen Überschuß von 17.600 Gulden. Diese Thesaurierungspolitik machte man angesichts des langsamen Fortschreitens der M G H ihrem Leiter Pertz, der zunehmend unter Kritik geriet, zum Vorwurf; vgl. Bresslau S. 397ff. Zwar gibt es keine umfassende Biographie zu Heinrich v. Brunn aus neuerer Zeit, aber sein Wirken im Deutschen Archäologischen Institut in Rom ist in der Allgemeinen Deutschen Biographie 55 (1910), S. 693ff. (W. Amelung) und bei A. Flasch, Heinrich von Brunn. Gedächtnisrede gehalten
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dem 19. Mai 1849.16 Es ist ein Brief, der sich ein wenig wie ein Frontbericht ausnimmt. Der Graf Pellegrino Rossi,17 der im September 1848 von Papst Pius IX. eingesetzte Premierminister des Kirchenstaats, ein durchaus wendiger Politiker mit liberalen Ansichten, war am 15. November erdolcht worden, am 24. November war der Papst verkleidet nach Gaeta in den Schutz der Neapolitanischen Bourbonen geflohen, es begann sich in Rom eine „Römische Republik" auszubilden mit einem konfusen Triumvirat, dem der exaltiert-radikale Giuseppe Mazzini angehörte. Doch der Papst hatte die europäischen Mächte um Hilfe gebeten. Von Norden marschierten die Österreicher unter Feldmarschall Radetzky auf und brachen in der Schlacht bei Novara am 23. März 1849 die Widerstände; französische Truppen unter General Oudinot waren am 23. April in Civitavecchia gelandet und rückten auf Rom vor, doch trafen sie auf energischen Widerstand, denn Garibaldis Freischärler waren in die Stadt eingedrungen und versuchten, sie zu behaupten. Der Sturm der Franzosen, die am Gianicolo südöstlich der Villa Pamfili angriffen, wurde am 30. April zurückgeschlagen. Erst am 3. Juli haben die Franzosen Rom eingenommen.18 In der Zeit zwischen dem Mord an Rossi und der Eroberung durch die Franzosen herrschten chaotische Zustände. Garibaldi hatte in die Stadt eine stark antiklerikale Aggression hineingetragen. Sein Hauptquartier hatte er im Frauenkloster San Silvestro aufgeschlagen, nachdem er die Nonnen vertrieben hatte. Mönche wurden verprügelt, ein Dominikaner ermordet.19 Brunn konnte in seinem Brief, der am 19. Mai begonnen und am 23. Mai beendet worden ist, durchaus von „vorgeschobenem Posten" und vom „Belagerungszustand" sprechen, der das wissenschaftliche Leben zum Erlahmen brachte. Es gab Plünderungen und Zerstörungen und die Bibliothek von Santa Croce, von der Brunn schreibt, war in der Tat ein Ort, der besonders heimgesucht worden war.
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in der öffentlichen Sitzung der k. b. Akademie der Wissenschaften zu München zur Feier ihres 136. Stiftungstages am 28. März 1895, München 1902, S. 8ff. beschrieben. Speziell für die Jahre 1845 bis 1850 sind die vielen über und von Mommsen mitgeteilten Vorgänge und Urteile aufschlußreich, vgl. Wickert, Mommsen, Bd. 2 und 3 p a s s i m . Mommsen hielt Brunn fur faul, langsam in der Arbeit, schmierig in der Schrift usw. Brunn nahm das Verdikt „gutmütig" (Wickert) hin. Selbst als Brunn seine epochemachende Geschichte der griechischen Künstler (1853) herausgebracht hatte, blieb Mommsen bei seinem Urteil, vgl. bes. Wickert, Mommsen , Bd. 2, S. 75ff. Der umfangreiche Briefnachlaß Brunns, der von 1862 bis zu seinem Tode 1894 in München als Professor der Archäologie und als Konservator des Münzkabinetts tätig war, in der Bayerischen Staatsbibliothek München ist weitgehend noch unausgewertet. Zu Brunns Biographie, speziell zu seinem schulbildenden Wirken in München, vgl. auch die beiden Nachrufe von Flasch (siehe oben) und Georg Habich, Heinrich v. Brunn, in: Münchner Neueste Nachrichten, 28.11.1894. Siehe den Abdruck des Briefes Nr. 2 unten S. 47. Zu Rossi vgl. O. Chadwick, A History of the Popes 1 8 3 0 - 1 9 1 4 , Oxford 1998, S. 80ff. Vgl. G. Leti, La rivoluzione e la Repubblica Romana (1848-1849), Mailand 1913, S. 279ff., 444ff. Vgl. Chadwick (wie Anm. 17) S. 87.
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Aus den Briefen wird deutlich, wie in dieser Situation die gelehrten Freunde noch stärker zusammenrückten und sich gegenseitig halfen; in einer Zeit, schreibt Brunn, da „die Politik so viele Bande zerreißt, sollten wenigstens die davon unabhängigen Bande unserer schönen Gelehrtenrepublik durch die Erinnerung noch fester geknüpft werden". Es wäre reizvoll und ergiebig, die freundschaftlichen Verbindungen aufzuzeigen, das Leben der „Clique", „der Compagnie", der „kapitolinischen Genossen" prosopographisch zu beschreiben, denn manche Entscheidung und Handlung von Mitgliedern dieses Kreises in späterer Zeit geht sicherlich auf die damals erlebte menschliche Nähe und "Wertschätzung (oder Einschätzung) zurück. Bleiben wir bei dem Wunsch - nicht Auftrag - eines Monumenta-Mitarbeiters, Abschriften von Vatikan-Handschriften herzustellen. Der Jurist Merkel bittet den Archäologen Brunn, den Text der Konstitutionen von Melfi von 1231 im Codex Vat. lat. 6770 mit der damals gängigen Edition von Cajetanus Carcani (1786) zu vergleichen;20 hinzu tritt der von Wilhelm Grimm geäußerte Wunsch, ein „Facsimile" vom altdeutschen Glossar im Codex Reginensis 566 21 herzustellen, was wohl, ohne phototechnische Möglichkeiten, eine präzise Nachzeichnung bedeutet. Bei Brunn ist das Ansinnen eines „Facsimile" in guten Händen, schmückt er doch den Brief an Merkel mit einer gekonnten Vedute Palestrinas. Aus Brunns Antwortbrief geht hervor, daß er zunächst und „blos" den Text der Konstitutionen Friedrichs II. verglichen hat, und diese „dickleibige" Kollation bringt der Archäologe Emil Braun zunächst nach Bonn. Die altdeutschen Glossen für Wilhelm Grimm stehen noch aus. Die Arbeit sei mühselig gewesen und habe „15 Vaticanstage gekostet". Daß die Honorarforderung explizit nicht genannt ist, hat seinen Grund in dem Ausdruck, der Aufwand habe „15 Vaticanstage gekostet". Wir wissen durch eine Mitteilung von Ludwig Bethmann an Pertz, daß dies eine Art Taxe war: es würden „für jeden Vatikanstag, zu 3 Stunden jeden, 2 scudi gerechnet". 22 Der Scudo, der im Kirchenstaat umlaufende Silbertaler, hat einen höheren Wert als der preußische Taler, und so wurden Brunn 45 Taler gutgeschrieben.23 Bloß: Wie kam Brunn zu seinem Geld, er, der auch für andere Abschriften anfertigte, z.B. für seinen Lehrer, den Bonner
20
Vgl. W. Stürner in der Einleitung der Edition der Konstitutionen Friedrichs II. für das Königreich Sizilien, M G H Constitutiones et acta publica imperatorum et regum, Bd. 2, Supplementum, Hannover 1996, S. 40; zum Cod. Vat. lat. 6 7 7 0 vgl. S. 13f. Merkels Anweisung, Braun solle „den Text" vergleichen, besagt, daß die zahlreichen Glossen nicht berücksichtigt werden sollen.
21
Zur Handschrift vgl. die Kurzbeschreibung bei J. Bignami Odier, Les manuscrits de la Reine Christine au Vatican. Riidition du catalogue de Montfaucon et cotes actuelles (Studi e testi 238), Cittä del Vaticano 1964, S. 92.
22
Vgl. Esch, Auf Archivreisen, Anm. 144.
23
Auf die Kölner Mark Silber ( 2 3 3 , 8 5 5 g) gingen 9 , 6 4 6 8 römische Scudi, beim in Preußen gültigen 14-Taler-Fuß war ein Scudo also ca. 1,45 Taler wert; vgl. J. Jäckel, Neueste Europäische Münz-, Mass- und Gewichtskunde, Wien 1828, Bd. 2, S. 288ff. Diese Relationen galten im wesentlichen auch noch 1 8 4 8 / 4 9 .
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Latinisten Friedrich Ritsehl (1806-1876), der Kollationen von Plautus' Bacchides, Stichus und Miles gloriosus im Codex Vaticanus 3870 wünschte?24 Brunn, Sohn eines nicht gerade vermögenden Pastors aus dem Anhaltinischen, war offenbar auf diese Einnahme angewiesen. Brunn schlägt Merkel vor, das von Pertz bereitgestellte Geld von Berlin nach Leipzig zu Theodor Mommsen zu besorgen, der dort als Extraordinarius untergekommen war. Von Leipzig sollte es der Maler und Radierer Karl Sprosse nach Rom mitnehmen. Sprosse war mit Brunn befreundet und kommt im Briefwechsel Mommsen-Brunn oft vor.25 Er diente offenbar nicht selten als Mittelsmann, und er sollte es auch hier sein. Der Plan gelang nicht. Merkel meldet in einem Brief an den Theologen Pabst, der in Albano Quartier hat und die Nachricht an Brunn weiterreichen soll, er (Merkel) habe sogleich nach Erhalt von Brunns Brief das Geld - 45 Taler von Pertz, 10 Taler von Grimm - an Mommsen nach Leipzig geschickt, doch Sprosse sei schon abgereist gewesen.26 Brunn möge nun mitteilen, ob über einen gewissen Brockhaus ein Wechsel nach Rom abgehen soll, doch erleide bei diesem Wechselgeschäft der Empfänger einen Verlust. Schließlich läßt Merkel Pabst an
24
25
26
Friedrich Ritschi an Brunn, Bonn 16.4.1849, im Nachlaß Brunn. Eine der Hauptleistungen Ritschis ist seine vierbändige, 1848-52 erschienene Plautus-Ausgabe. Mommsen reimt in einem (undatierten) Brief an Brunn: „dein Genösse Der weltberühmte Vogel Sprosse", vgl. Wickert, Mommsen, Bd. 3, S. 460. Sprosse hielt sich von 1844 bis 1850 häufig in Italien auf und hat viele Bilder hauptsächlich italienischer Architektur in verschiedenen Techniken hergestellt, vgl. Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, begr. von U. Thieme u. F. Becker 31, Leipzig 1937, S. 417. Sprosse hat bei dem Versuch, Rom zu erreichen, Schlimmes erleben müssen; Henzen schildert in einem Brief vom 20. Juli 1849 Sprosses Erlebnisse bei der Einreise: „[Sprosse] ward, als er aus Leipzig wieder hieher zurückkehrte, am 11. Juni [1849] vor Porta Sallara [= Porta Salaria] von den Franzosen gefangengenommen, unter der abscheulichsten Behandlung mit Gefangenen der niedrigsten Klassen, voll Ungeziefers, erst im Hauptquartier, dann in Civitavecchia eingesperrt, an letzerem Orte mit 80 Menschen dieser Art in einem engen Turm, mit Kanonenlöchern zu beiden Seiten, durch die der Seewind pfiff, nach 14 Tagen nach der Insel Ste-Marguerite [unweit von Cannes] deportiert und, da unterdes der preußische Konsul in Civitavecchia seine Freilassung erwirkte, von da zurückgeschafft; endlich am 15. d. M. hieher entlassen, findet er, daß sein von den Franzosen garantierter Koffer erbrochen und alles, was sie haben brauchen können, alle Wäsche usw. geraubt ist. Überhaupt klagen alle Offiziere, die aus der Kriegsgefangenschaft zurückkommen, über schmähliche Behandlung, während die Franzosen hier gut behandelt wurden. Das schändlichste ist, daß man seinen Paß in der ganzen Zeit nie ansah, zwei Engländer aber sogleich im Hauptquartier in Freiheit setzte, obwohl sie mit ihm gefangen waren. Also ein neuer Beitrag zum alten Lied von Deutschlands Vertretung im Auslande"; vgl. Wilhelm Henzen und das Institut auf dem Kapitol. Aus Henzens Briefen an Eduard Gerhard, ausgewählt und hg. von H.-G. Kolbe (Das Deutsche Archäologische Institut. Geschichte und Dokumente 5), Mainz 1984, S. 46f. Es war wohl ein Glück, daß Sprosse die 55 Taler nicht bei sich hatte.
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Brunn ausrichten, er werde demnächst selbst an ihn - Brunn - schreiben. Dieser Stand der Dinge geht aus einem Brief Pabsts vom 11. Oktober 1849 27 hervor. Es verstrichen wieder Monate, ohne daß die Übergabe des Geldes an Brunn vorankam. Am 6. August 1850 verfaßte Merkel einen Brief an Brunn, 28 den dessen Bruder „einlegen" wolle, was wohl heißt, daß er dem Schreiben des Bruders beigefügt werden sollte.29 Den Ausführungen Merkels ist zu entnehmen, daß, seit Pabst aus Albano an Brunn die Frage gerichtet hat, wie zu verfahren sei, nichts geschehen ist. Brunn hatte offenbar nicht reagiert („seitdem konnte ich nichts mehr erfahren"). Vielleicht hat in der Zwischenzeit noch ein Versuch stattgefunden, der auch nicht zum Ziel führte. Jetzt will Merkel das Geld abermals nach Leipzig zu Mommsen schaffen, dem man offenbar die besten Verbindungen nach Rom zutraut. Das Ende des Liedes von der Geldaushändigung klang ganz anders, und es zeigt sich wiederum, wie sehr die Freunde auch auf das politische Schicksal des jeweils anderen eingingen. Hier geht es um die Situation, in der sich Theodor Mommsen befand. Mommsen war, obwohl er fast drei Jahre lang, von 1844 bis 1847, ein Reisestipendium des dänischen Königs genossen hatte, gegen eine wie immer geartete Eingliederung Schleswig-Holsteins in das dänische Königreich, die von dänischer Seite seit 1848 als Gegengewicht gegen Separierungsbestrebungen betrieben wurde. 1848 hatte Mommsen ein halbes Jahr für die neugegründete „SchleswigHolsteinische Zeitung", das Presseorgan der seit März agierenden „Provisorischen Regierung" Artikel geschrieben,30 und auch als er Ende 1848 sein juristisches Extraordinariat in Leipzig antrat, für die schleswig-holsteinische Sache geworben, zumal seine Familie von der Entwicklung betroffen war. Seine beiden Brüder Tycho und Wilhelm, Anhänger der „Provisorischen Regierung", waren aus Schleswig vertrieben worden. Mommsen sammelte Geld, um es nach Schleswig-Holstein zu leiten; ohnehin war er, der im „Liederbuch dreier Freunde" (1843) scherzhaft gedichtet hatte: „Die Veilchen sind dieselben ja in Holstein und in Sachsen", der Meinung, daß die Deutschen insgesamt für Schleswig-Holstein einzustehen hätten. Freunde versahen Mommsen mit Spenden. Wilhelm Henzen ließ ihm am 5. August 1850 aus Perugia einen Wechsel zukommen, und am 15. September teilte Heinrich Brunn
27
Pabst an Brunn, Albano 1 1 . 1 0 . 1 8 4 9 , im Nachlaß Brunn. Pabst zitiert darin wörtlich aus dem Brief Merkels an ihn.
28
Merkel an Brunn, Berlin 6 . 8 . 1 8 5 0 , im Nachlaß Brunn.
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Heinrich Brunns jüngerer Bruder Leopold ( 1 8 2 9 - 1 9 0 5 ) studierte Rechtswissenschaft, u.a. bei Merkel, und war später langjähriger Vorsitzender der anhaltinischen Finanzdirektion. E r starb als Geheimer Oberregierungsrat in Dessau; vgl. Flasch (wie Anm. 15) S. 4 u. 20, Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog 10 (1907), Sp. *152.
30
Die Artikel hat L. M. Hartmann, Theodor Mommsen. Eine biographische Skizze, Gotha 1908, in einem eigenen Anhang in extenso (S. 1 6 1 - 2 5 4 ) abgedruckt. Zu Mommsens politischer Haltung vgl. die scharfsinnige Analyse von A. Heuss, Theodor Mommsen und das 19. Jahrhundert, Kiel 1956, S. 137ff.
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Theodor Mommsen mit, er möge von dem bei ihm hinterlegten Guthaben (die 55 Taler also) monatlich an ein zuständiges Komitee drei Reichstaler auszahlen: den Gegenwert der Löhnung, die ein einfacher Soldat in Holstein erhielt. Mommsen antwortete Brunn am 21. Oktober 1850:31 „Dein preiswürdiger Gedanke einen schl. holst. Gemeinen zu futtern und im Speck und Branntewein zu halten ist ausgeführt und wollte Gott jeder täte so an seiner Stelle wie Ihr Römer! Dich und Henzen meine ich, nicht das ciceronianische Gesindel." Freilich, viel kann es nicht mehr genutzt haben. Die zusammengewürfelten schleswig-holsteinischen Truppen waren am 25. Juli 1850 bei Idstedt (nördlich Schleswig) von der dänischen Armee geschlagen worden, und Preußen entzog auf das Ende des Jahres 1850 zu seine Unterstützung. 32 Den vorläufigen Schluß bildete der Londoner Vertrag von 1852, der die Integrität des dänischen Gesamtstaates garantierte, ohne daß eine „Inkorporation des Herzogtums Schleswig in das Königreich" stattfand. Das Heinrich Brunn zugedachte Geld der Monumenta war in der schleswig-holsteinischen Auseinandersetzung versickert. Man halte sich vor Augen: Im September 1848 galt der Auftrag, den Text der Konstitutionen Friedrichs II. fur das Königreich Sizilien nach der Vatikanischen Handschrift 6770 zu kollationieren, als gegeben; im Mai 1849 war der Auftrag ausgeführt, die Rechnung gleichsam gestellt („15 Vaticanstage", was Pertz veranlaßte, das Honorar auf 45 Taler anzusetzen), die Abwicklung voller Hindernisse. Im August 1850 ist das Geld immer noch nicht bei Brunn, dem die Einnahmen aus der Kollations- und Kopiertätigkeit für seinen Lebensunterhalt nötig gewesen sein dürften. Mitte September gibt Brunn das Geld als Spende für Schleswig-Holstein frei; die zweijährige Odyssee vom Kollationsauftrag bis zur Begleichung der Rechnung ist zu Ende. Nimmt man diese „Schreibebriefe", wie man damals sagte, von den wissenschaftlichen Mitteilungen abgesehen, als Ausdruck dessen, was die „Clique" hauptsächlich bewegte, so war es neben der Hochgemutheit, in Italien und andernorts forschen zu dürfen, eine ständige Sorge um die Zukunft, um die wissenschaftliche, aber auch um die materielle. Die politischen Ereignisse, die man aufmerksam beobachtete, ohne energisch aktiv zu werden (auch Mommsen nicht), werden von den meisten als Störung ihrer Arbeit, ihres Vorwärtskommens betrachtet, auch als Behinderung der Strukturen, in denen sie lebten und in deren Rahmen sie sich eine Chance ausrechneten. Daher die auffällig konservative Grundstimmung in den Briefen, die weit weg ist von revolutionären Umwälzungswünschen, trotz des häufig forschen und vorwärtsdrängenden Tons und einer ironischen und vorgeblich 31
32
Zitiert bei Wickert, Mommsen, Bd. 3, S. 171; den Zusammenhang mit der für Merkel durchgeführten Monumenta-Kollation konnte Wickert nicht wissen. Zu den Vorgängen vgl. H. Schultz Hansen in: Geschichte Schleswig-Holsteins. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, hg. von U. Lange, Neumünster 1996, S. 44Iff.
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souveränen Weltbetrachtung. Über allem steht der Freundschaftsdienst, in den sich jeder einbezogen fühlt: eine „Gelehrtenrepublik", die über fachliche und politische Grenzen hinwegging. Das fur Brunn vorgesehene Geld erfüllte auf verschlungenen Pfaden den Sinnspruch der Monumenta: Sanctus amor patriae dat animum - jedenfalls im damaligen Sinne.
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Zur nebenstehenden Abbildung: Erste Seite des Briefes von Heinrich Brunn an Johannes Merkel (Anhang Nr. 2) vom 19.124. Mai 1849. Oben links die eigenhändige Vignette von Brunn, einen Winkel in Palestrina darstellend. Brunns Schrift, die uns durchaus lesbar und nicht abstoßend häßlich vorkommt, war Mommsen ständig Gegenstand von Hänseleien. Mommsen am 9-7.1846: „... und schmiere nicht wieder so...", am 9.8.1846: „Lebe wohl und sudle weniger!... Du verliederlichter Schriftsteller..." Vgl. Wickert, Mommsen, Bd. 2, S. 79f.; dessen Urteil angesichts dieser Seite unverständlich erscheint: „In der Tat bieten Brunns Briefe einen Anblick, daß niemand, der nicht gerade Graphologe ist, in dem Schreiber einen geistig bedeutenden Mann vermuten könnte. Die Handschrift ist häßlich, charakterlos, vielmehr man kann von Handschrift eigentlich gar nicht sprechen: das Schriftbild ist abscheulich, obendrein entstellen Flüchtigkeitsfehler den Text, er ist ohne Sorgfalt, mit einem Wort: liederlich geschrieben." Unser Brief ist es eigentlich nicht. Brunn ertrug Mommsens ungerechtes Urteil und bildet ein Kunstverständnis und Kunstkönnen aus, das dem Mommsens überlegen gewesen sein dürfte. Der Numismatiker Georg Habich (1868-1932), Brunns Schüler und Nachfolger als Leiter des Münchner Münzkabinetts, selbst eine künstlerische Natur, umschrieb in seinem NachrufBrunns einzigartige Verbindung von Anschauung und gedanklicher Vertiefung: „Jenes stille, nie ermüdende, stets sich vertiefende Anschauen... war das produktive Nachschaffen, Miterleben des Werdeprozesses des Geschauten, das sich zu präzisirter Aussprache des innerlich Erlebten durchrang. Und dieses gedankenvolle Betrachten der Werke der Alten ... Jiihrte ihn zu einer höchst selbständigen Betrachtung der Welt und des Naturganzen " (Münchner Neueste Nachrichten, 28.11.1894).
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Nr. 1 Johannes Merkel an Heinrich Brunn: Merkel gibt zwei Kollationen für die Monumenta Germaniae Historica und für Wilhelm Grimm in Auftrag. Er berichtet über die Zukunftssorgen der akademischen Freunde aus der gemeinsamen römischen Zeit 1845/ 47 wegen der revolutionären Vorgänge in Deutschland und stellt seine Sicht der politischen Ereignisse dar. Nürnberg, 29IX1848 Bayerische Staatsbibliothek München, Nachlaß Brunniana Vermerk Brunns am Brießopf G . Mitte/Nov. 4 8 r. 1/XII, 4 8 . Nürnberg 29 September 48. Mein lieber Freund, von hier aus will ich meine rückständig gebliebenen Briefe schreiben, und ich denke du hast eines der ältesten Rechte auf Nachrichten von mir; denn ich weiß nicht mehr bestimmt, ob ich dir den Brief beantwortet habe, in welchem du von der Hschr. der Constitt. Sicul. 34 geschrieben und mir die Empfehlung des Herrn Borchard 35 vorgeworfen hast: Wenn ich darauf noch nichts erwidert habe, so vernimm, daß ich an der Bestie von einem Bären 36 kein Theil habe, und daß er lediglich meine Briefe nach Rom gebracht hat, und nur von Bethmann, 37 welcher die Geister nicht streng prüfen kann, empfohlen worden ist. Ich kenne den Menschen gar nicht und sah ihn nicht, als er in Berlin war. Sag das Laureani, 38 und daß er mir nicht böse seyn soll; dann muß aber Laureani bemerkt werden, daß ich, sein tiefverpflichteter und dankbarer Freund, ein andrer sey als der Bethmann. Was die Hschr. 6 7 7 0 der Vaticana betrifft, so besprach ich mit Pertz, daß du jedenfalls den
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Erstellt von Markus Wesche. Unterstreichungen im Manuskript werden durch Kursive wiedergegeben; Abkürzungen wie u für und, überstrichenes m fiir mm wurden aufgelöst. Gemeint ist die unten erwähnte Handschrift Vat. lat. 6770, siehe oben Anm. 20. Die Kollation ist nicht im Archiv der MGH vorhanden. Nicht identifiziert, möglicherweise der Berliner Mathematiker Karl Wilhelm Borchardt (18171880), Schüler von P. G. Dirichlet in Berlin und C. G. J. Jacobi in Königsberg, der 1848 Privatdozent in Berlin wurde, 1855 Mitglied der Berliner Akademie. Borchardt hatte sich jedoch schon im Winter 1843 im Kreis der Mathematiker Jacobi, Dirichlet und Steiner in Rom aufgehalten, war also kein „Bär" (s. nächste Anm.) mehr; vgl. Allgemeine Deutsche Biographie 47 (1903) S. 112 (Cantor), Neue Deutsche Biographie 2 (1955) S. 456 (M. Steck). In der Cliquensprache der Archäologen auf dem Kapitol waren „Bären" unkundige Rom-Besucher, die geführt werden mußten, „Wölfe" erfahrene, die eigene Wege gehen konnten; vgl. Wickert, Mommsen , Bd. 2, S. 261. Zu Ludwig Bethmann siehe oben Anm. 3. Der Latinist und „custode gdn^ral" der literarischen Gesellschaft Arcadia Gabriele Laureani (17881849) war 1831-1838 zweiter Kustode und seit 1838 erster Kustode der Vatikanischen Bibliothek; vgl. J. Bignami Odier, La bibliothfcque vaticane de Sixte IV ä Pie XI. Recherches sur l'histoire des collections de manuscrits (Studi e testi 272), Cittä del Vaticano 1973, S. 227 n. 87.
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Text vergleichen mögest. Thue das in bekannter sorgfältiger Weise; mache dann deine Rechnung fiir die Monumenta, und sende die Collation an Pertz d. h. an die k. Bibliothek in Berlin. Vorher aber bringe ich einen Wunsch von Wdhelm Grimm an dich und bitte dich daran vor Allem zu gehen, sobald die Vaticana eröffnet wird. In der Vatic. Regin. Suec. No. 566fol.
5 0 steht ein altdeutsches Glossar und Fragment, welches schon Greit aus S. Gallen
herausgegeben hat. 3 9 W. Grimm wünscht davon, weil es ein nicht langes Stück ist, ein Facsimile, wie du es fiir Böcking vom Ulpian 40 gemacht hast; er bittet dich es ihm recht sorgfältig und bald zu machen, weil er dasselbe in Greits Ausgabe für nachlässig gelesen hält und nun selbst mit dem Facsimile herausgeben will.41 Das Geld kann Wilh. Grimm dann, je nachdem du es wünschest, erlegen. D u kannst aus der Zeitung ersehen, wie es bei uns drunter und drüber geht; von der Verfassung, in welcher jetzt bessere Gemüter sind, kann man freilich nichts Wahres sehen, denn die Seufzer der Sehnsucht und der Jammer der Verzweiflung werden in der Presse nicht laut, welche den Weg durch die Länder macht. Aber jener Preis der neuen Zeit und der Jubel von Errungenschaft und Freiheit wird von jeder Stunde, in welcher wir leben, und von jedem Ereigniß, welches wir sehen oder hören, als verdammliche Lüge gestraft. Ich habe nun länger als ein Jahr in Berlin zugebracht, bin vielen vorher ungekannten Menschen, manchem Unverdächtigen nahe gekommen, und muß von Manchem ablassen, den sein neuer Glaube vom Staat von mir trennt. Ich sehe die Hauptstadt von Preußen für den Heerd mannichfaltigen Unglücks, und den Parteimann der Bewegung, weil das Urtheil mit jedem Tage strenger und reicher die Gelegenheit dazu wird, fiir einen verblendeten oder offenbar bewußten Feind des
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Karl Johann Greith (1807-1882), der spätere Bischof von St. Gallen (1862), hatte 1834-1837 für das Board of Records in Rom die englische Geschichte betreffenden Urkunden gesammelt. Mittelalterliche deutsche Dichtung, darunter den „Gregorius" des Hartmann von Aue, hat er 1838 in seinem „Spicilegium Vaticanum. Beiträge zur näheren Kenntniss der vatikanischen Bibliothek fur deutsche Poesie des Mittelalters" herausgegeben; das altdeutsche Glossar ist S. 3 1 - 3 3 ediert. Zu Greith vgl. Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1783/1803 bis 1945, hg. von E. Gatz, Berlin 1983, S. 254ff. Der Bonner Jurist Eduard Böcking (1802-1870) hatte der dritten Auflage seiner Ulpian-Ausgabe (Domitii Ulpiani quae vocant fragmenta sive excerpta ex Ulpiani libro singulari) von 1845 eine Facsimile-Probe aus der vatikanischen Handschrift hinzugefugt, ein Bezug auf Brunn ist nicht hergestellt; vgl. Allgemeine Deutsche Biographie 2 (1875), S. 785 (Stintzing). Wilhelm Grimm (1786-1859) hat das nach Brunns Abschrift korrigierte Glossar auf der Sitzung der Berliner Akademie am 29. Oktober 1849 vorgelegt: Altdeutsche Gespräche (Abhandlungen der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, phil.-hist. Kl., 1851, S. 4 1 5 - 4 3 6 ; wieder abgedruckt in: Kleinere Schriften, hg. von G. Hinrichs, Bd. 3, Berlin 1883, S. 472fF). Den Anteil Brunns hat Grimm gehörig hervorgehoben: „Ich wendete mich an Hm Dr Brunn in Rom, und er war so gefällig mir ein sorgfältiges, von ihm selbst verfertigtes Facsimile von jenem Blatt zu übersenden. Die Arbeit war um so mühseliger, als, wie er bemerkt, das Pergament zerknittert und die Dinte an einigen Stellen ganz erloschen ist. Für die Richtigkeit des Textes und der Schriftzüge will er bürgen, nur den Charakter der Schrift, wie ihn ein vollkommenes Facsimile gewähren soll, hat er nicht vollständig wiedergeben können.... Ich lege hier eine wohl gerathene Nachbildung des Facsimile bei..." (S. 472f„ das Facsimile ist im Nachdruck nicht übernommen). In die Sammlung von E. Steinmeyer/E. Sievers, Die althochdeutschen Glossen ist der Vat. Reg. lat. 566 nicht aufgenommen, vgl. die Handschriften-Register in Bd. 4, Berlin 1898 und 5, Berlin 1922; siehe auch oben Anm. 21.
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deutschen Landes an. Daß man gegen die Natur zu kämpfen, den Stein, welchen man seines Gewichts halber in den Grund senken soll, unter dem Giebel einzufügen versucht hat, die Verwerfung Preußens hat alle Unsicherheit und Schwäche, alle langsame Bewegung zum guten Ende verursacht, hat den Gegnern den Weg bequem gemacht und bewirkt, daß wir jetzt weit mehr unentschiedene Freunde, als entschiedene Feinde zu bekämpfen haben. Aber Gott führe uns aus dem unseligen Provisorium in das heilsame Definitivum. Unsere Bekannten, namentlich Friedländer,42 leiden mit unter dem Elend der unentschiedenen Verhältnisse und des lockern Regiments: wer jetzt keine feste Stellung hat, der erduldet auch die Sorgen, welche von daher kommen, wo wir selbst uns am Nächsten sind, und empfindet, daß ihm die Bestrebungen dieses Zeitalters vollends alle Wurzeln abschneiden, aus denen er Lebenskraft ziehen könnte. Momsen [!] von uns allen der Einzige hat ein Ziel erreicht; denn er folgt einem Ruf als Extraordinarius nach Leipzig. Friedländer ist ohne Amt und Aussicht, daher sehr niedergeschlagen; Keil 43 hat sich in Halle habilitirt und steht mager mit einem Fuße im dortigen Paedagogium, wo er doch nicht verhungert. Ich arbeite für die Monumenta an der Herausgabe der Volksrechte,44 meine Stellung ist aber nicht gesichert; ich kann nicht eintreten, ohne Andere zu verjagen, und sehe eben zu solange ich noch etwas habe. Meine Arbeiten werden honorirt, aber erst ist die Lex Alamannorum fertig geworden, von welcher ich noch ungewiß bin, was ich daraus ziehe. Der Vermögensstock der Monumenta ist noch bedeutend (17.000 fl) und liegt in der Centralkassa zu Frankfurt a/M, aber er bildet, wenn die Fürsten ihre Beiträge aussetzen oder zurückziehen, die einzige Quelle für die Zukunft. Jetzt reist Bethmann in Belgien,45 Wattenbach in Oesterreich; 46 zwei andere sind in Berlin, 47 der eine
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Der Numismatiker Julius Friedländer (1813-1884) unternahm 1844-1847 eine Italienreise, um die bescheidene Sammlung antiker Münzen des Berliner Münzkabinetts, die er als Volontär betreute, zu ergänzen. Er durchwanderte dazu zusammen mit Theodor Mommsen von April bis Dezember 1846 die Abruzzen, Apulien und Kalabrien. Erst 1858 kam Friedländer in eine befriedigende Stellung als Direktorialassistent des Kabinetts und Leiter der Antikenabteilung; vgl. Allgemeine Deutsche Biographie 48 (1904) S. 780-785 (Weil), Neue Deutsche Biographie 5 (1961) S. 453 (Suhle) und Wickert, Mommsen, Bd. 2 passim, s. auch oben Anm. 8. Heinrich Keil (1822-1894) hatte 1844—1846 mit einem Stipendium seines Landesvaters, des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin, die italienischen Bibliotheken bereist und von Neujahr 1845 bis Winter 1845/46 in Rom gelebt, wo er auch mit fremden Kollationsaufträgen überhäuft war. Seit Ostern 1847 hatte er ein Unterkommen am Pädagogium der Franckeschen Stiftungen in Halle gefunden, im Juni 1848 sich in Halle habilitiert. Erst 1859 wurde er von seinem Doppelberuf als Lehrer und Universitätsdozent durch eine Professur in Erlangen erlöst; vgl. Neue Deutsche Biographie 11 (1977), S. 404 (E Wirth), Bursians Jahresbericht 91 (1896), S. 51ff. (C. Häberlin) über seine Italienreise und Wickert, Mommsen, Bd. 2, bes. S. 66-71. Merkel war im Sommer 1847 auf Veranlassung Bethmanns von Pertz als Mitarbeiter angenommen und sogleich mit der Bearbeitung der Lex Alamannorum und Lex Baiuwariorum beauftragt worden. Merkel hatte sich der Ausgabe mit solchem Fleiß gewidmet, daß der Druck der Lex Alamannorum bereits Anfang 1849 begonnen und im August 1850 beendet wurde; vgl. Bresslau S. 312f. Bethmann war im Herbst 1848 nach Belgien und Nordfrankreich abgereist, um in den Bibliotheken von Brügge, Avesnes, Valenciennes und Brüssel zu arbeiten; vgl. Bresslau S. 310. Wilhelm Wattenbach (1819-1897) hatte seit August 1847 die Wiener Hofbibliothek und die österreichischen Stiftsbibliotheken aufgearbeitet, war aber im März 1848 in die Wiener Revolution geraten und hatte sich voller Elan als Freiwilliger der studentischen Legion angeschlossen. Er been-
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wie der andere ungeschickte Werkzeuge, deren Beseitigung ich wünschen möchte, wenn es dann nicht schiene, als sey ich an ihre Stelle getreten. Z u meinem ferneren Fortkommen will ich im nächsten W i n t e r Vorlesungen zu halten anfangen, wenn sich die Zuhörer finden. Denn da ich mich von aller Wissenschaft der modernen Praxis fern halte, und weder Republik noch Politik lese, so bin ich nicht gewiß, welchen Erfolg ich erringe; und zu den Studien wird unsere Jugend sobald nicht zurückkehren. Berlin ist durch sein Wesen und indem es den Character des Orts allen denen mittheilt, welche darin wohnen, das heilloseste Nest für den Geist der Studenten; denn in dieser Beziehung ist alle Bemühung vergebens. Ich habe in Gemeinschaft mit anderen Freunden den Sommer hindurch in allerlei Verkehr mit Studenten gestanden; bei Einzelnen war eine Vereinigung zu erzielen, Etliche waren als vortrefflich bald erkannt, aber im Ganzen und Größeren nur Einen Punkt gemeinsamen Interesses festzustellen und darin die Gemeinschaft zu erhalten, scheiterte am Einfluß der Berliner Luft; nicht einmal was an anderen Universitäten sich erhielt, das bewaffnete Studentenkorps hat eine anständige Anzahl vereinigt, denn es zählte nur 3 0 0 Mann, noch länger als vier Monate bestanden, denn seit Juli ist es auseinandergelaufen. 48 Privatdocent Martin Hertz, 49 ein ganz wohl zu leidender Mensch, aber unklarer Kopf durch die neueren Bewegungen, hat sich unter allen Jüngeren, am meisten Mühe gegeben, auf die Universität einzuwirken; ja er überrannte sein Ziel und kam alleinstehend in der Opposition gegen ordinarii und Senat in jüngster Zeit zu einer lächerlichen Stellung. Denn nachdem er in derTheilnahme an der bekannten Jenaer Versammlung eine Pflicht der Univers.körper und in deren Beschlüssen die Rettung der akadem. Zustände erkannt hatte, wandte er sich im Trieb seines Herzens an das Unterrichtsministerium, ihm die Betheiligung bei jenem Congreß zu empfehlen. 5 0 Zurück-
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dete seine „militärische Laufbahn" am 17. März, verließ das unruhige Wien erst im Mai und kehrte vorerst nach Deutschland zurück. Als er Mitte September nach Wien zurückkehrte, entging er den Nöten der Belagerung nur durch eine Reise nach Mähren, die er am 26. September, dem Tag von Merkels Abreise aus Berlin, antrat; vgl. Bresslau S. 308f. Die beiden Kollegen sind Rudolf Köpke (1813-1870), Mitarbeiter von 1842 bis 1850, und Roger Wilmans (1812-1881), Mitarbeiter von 1842 bis 1854. Köpke hatte sich bereits 1846 in Berlin habilitiert; während der Revolution engagierte er sich als Mitglied des Patriotischen Vereins gegen die radikalen Parteien; vgl. Bresslau S. 310. Zum Berliner Studentenkorps vgl. M . Lenz, Geschichte der königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, II, 2, Halle 1918, S. 222, 255. Der Latinist Martin Hertz (1818-1895), Schüler von Karl Lachmann, August Böckh und Johann Gustav Droysen, hatte sich 1845 in Berlin habilitiert. In den anschließenden Jahren bereiste er die Bibliotheken Europas und war dafür auch 1846/47 in Rom; vgl. Wilhelm Henzen (wie Anm. 26) S. 18 (14.11.1846: „Dr. Hertz ist hier angekommen"; 17.4.1847). Von 1847 bis 1855 lehrte er in Berlin als Privatdozent, danach als Professor in Greifswald und Breslau. Während der Revolution 1848 war er Mitglied des Studentenkorps und Wahlmann zur Nationalversammlung, in der Universität tat er sich als „energischer Vertreter der Rechte der Privatdocenten gegenüber den Ordinarien" hervor; vgl. Allgemeine Deutsche Biographie 50 (1905), S. 259ff. (Skutsch) und Neue Deutsche Biographie 8 (1969), S. 710f. (Bader), s. auch die folgende Anm. An der Berliner Universität wie auch an anderen deutschen Hochschulen war eine Bewegung der Extraordinarien und Privatdozenten zur Stärkung ihrer Rechte gegenüber den Ordinarien entstanden, die zu einem Universitätskongreß in Jena vom 21. bis 23. September führte. Die Berliner Ordinarien intervenierten jedoch gegen die universitäts- und landesübergreifende Reformbewegung, und der preußische Kultusminister Ladenberg verbot die Teilnahme am Kongreß. Hertz scheiterte,
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gewiesen, und dann vom Entschluß des Berliner Senats, daß man sich nicht betheiligen könne, noch mehr gereizt, schrieb er eine Brochüre wie die Litteraten ihre Aktenstücke überstandener Untersuchungen bekannt machen. Seitdem ist er mehr und mehr von der Stange gefallen, denn kein Mensch hat jene Flugschrift gekauft, und ich lese nicht, daß er in Jena selbst gegen seine Widersacher mit Glück sich erhoben hätte. Hertz's Freisinnigkeit ist nicht frech, daß sie den Parteimännern der Zerstörung gefiele, und zu haltlos, als daß wer sich fur das Bestehende erklärt, und fur geordnete Reform, mit ihm sich verbünden könnte. Da fällt mir eben eine Stelle deines Briefes in die Augen, aus welcher ich erkenne, daß du mindestens im April nicht klar gewußt hast, welche Ursachen der Berliner Bewegung vom März zu Grund lagen. Sie war kein Werk des deutschen Geistes, wie in Wien die erste Bewegung gegen Metternich; die Staaten Deutschlands waren vom Netze der Propaganda überzogen, und die Leitfäden haben Polen51 und Italiener gefuhrt. Vom 18 März weiß ich das, weil ich selbst und mit eigenen Ohren gehört habe, wie Leute, welche man an den Barikaden als Aufrührer ehrte und von einem Orte zum anderen ziehen sah, im gebrochenen Deutsch zur Standhaftigkeit im Aufruhr nur bis Sonntag Abend aufmunterten, wie ein Franzose im Cafeehaus von Volpy alle Plane verloren gab, da der König am Samstag Morgen die Proklamation erlies,52 nach welcher das Ministerium abtrat, und wie ein Pole die Häuser bezeichnete, wo man Waffen und Geld in Empfang nehmen könne. Nachdem dieß Alles mir widerfahren ist, so zweifle ich nicht an der Wahrheit andrer Dinge welche mir Freunde und Bekannte mitgetheilt haben, denn Alles bestätigt, daß es ein lange verschworener Plan gewesen ist, welcher die Umkehr alles Bestehenden, den Kommunismus und die Erhebung aller derer zum Zwecke hatte, welche ihr Vermögen oder ihre Ehre verloren haben, und bessere Umstände für ihre Existenz wünschen. Wer nun Berlin seit dem 18 März kennt, der müßte blind seyn, wo er nicht die Fortsetzungen des damals begonnenen Stieles einsähe; jeder neue Act der dortigen wühlerischen Partei, bei allen Gelegenheiten ausgeübt, bezeugt das, wie es nur das Zerstören und das Vernichten gilt, und selbst die schnödesten Mittel werden angestrengt, indem sich die Parteien sogar vereinigen, welche rothe Republik, und diejenigen, welche die
als er die Wahl eines Dozentenvertreters durchsetzen wollte, und blieb in Berlin; vgl. Lenz (wie Anm. 4 8 ) S. 273ff., R. Hachtmann, Berlin 1848. Eine Politik- und Gesellschaftsgeschichte der Revolution, Bonn 1997, S. 360ff. 51
Zur Einwirkung internationaler „Emissäre", die nicht festzustellen sei, vgl. V. Valentin, Geschichte der deutschen Revolution von 1 8 4 8 / 4 9 , Köln-Berlin 1970, I S. 4 3 2 („Die Zahl der anwesenden Polen darf auf höchstens hundert geschätzt werden. Franzosen sind nur zwei festgestellt worden, ein Frisörgehilfe und ein Kaufmann aus Mühlhausen im Elsaß."). Merkel teilt allerdings eine in monarchistisch-altpreußischen Kreisen verbreitete Meinung; vgl. Valentin II S. 23Iff. und die dort wiedergegebene Rede des Generalmajors der Landwehr v. Webern vom 24. Mai 1 8 4 8 vor dem Landwehrkasino: „Kameraden, wem haben wir denn eigentlich die Revolution zu verdanken? Doch niemand anderem als den französischen und polnischen Emissären und den verdorbenen Literaten, die es wert wären, daß sie alle aufgehängt würden..."
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In der Proklamation vom 19. März, einem Sonntag, sagte der König den Rückzug des Militärs zu, wenn die Barrikaden abgebaut würden; der Text bei A. Wolff, Berliner Revolutionschronik. Darstellung der Berliner Bewegung im Jahre 1848 nach politischen, socialen und literarischen Beziehungen, Bd. 1, Berlin 1851, S. 201 f.
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Rückkehr altpreußischen Regiments mit dem Prinzen von Preußen53 wünschen (so hat es mir wenigstens den Anschein, wenn es nicht Macke der Demagogen ist, alle ihre Feinde, welche man nicht schon kennt, wenigstens dadurch zu zeichnen und dann zu verderben, daß sie verdächtigt werden, gleiches Ziel mit ihnen zu verfolgen.) Ob nach dem Frankfurter Ereignis die verschiedenen Bundesgenossen der Umsturzpartei erhalten bleiben werden, bezweifeln wir, wenn wir die Karrikaturen des erst überwundenen Freischaarenzuges im Badner Oberland und in Württemberg unter Struve 54 und Rau55 bedenken; aber aus dem Feld haben Viele noch nicht geschlagen werden können, unter deren Einfluß und Macht allein die letzten Ministerialentschließungen in Berlin geschehen konnten. Wenn ich überlege wie sehr die Umstände in den Tagen der vergangenen Woche (ich bin erst am 2 6 Sept. von Berlin weg) fur Königthum und Ordnung günstig gewesen sind,56 und welche Mittel zu Gebot standen, um den Sieg über die linke Seite der Kammer zu behalten, so beklage ich tief, daß man dem Zusammenstoß, dem man nie wird entgehen können, jetzt ausgewichen ist, wo jeder von dem conventmäßigen Treiben der Berliner Versammlung zu dem Ausruf gedrängt wurde We fight for the lawful King. Davon könnt ich dir ein ganzes Buch schreiben, wie wir im Zustand der Anarchie, wie der Boden unsres Volkes durch die Inmoralisation aufgelöst, wie jedes Gewissen verwirrt, und wie Wenige sind, welche nicht auf den Höhen opfern. Alles muthlos, kraftlos, gelähmt an der Zunge und in allen Bewegungen, was jetzt die bestehende Ordnung aufrecht halten und die Wellen dämmen könnten [!], in denen wir ums Leben kommen müssen.
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Wilhelm Prinz von Preußen (1797-1888), der „Kartätschenprinz", 1861-1888 König von Preußen und 1871-1888 deutscher Kaiser. Zu seiner Rolle während der Revolution vgl. Hachtmann (wie Anm. 50) S. 184ff„ 322ff. Gemeint sind die gewaltsamen Ausschreitungen in Frankfurt, als die Nationalversammlung am 16. Sept. 1848 den ungünstigen Waffenstillstand von Malmö akzeptierte. Der Aufstand konnte erst am 20. Sept. durch österreichische und preußische Truppen niedergeschlagen werden. Durch den Aufstand ermuntert, hatte der badische radikale Republikaner Gustav Struve (1805-1870) am 21. Sept. in Lörrach eine Republik ausgerufen, seine Freischärlertruppe wurde am 24. Sept. von badischem Militär in Staufen zerschlagen; vgl. W. v. Hippel, Revolution im deutschen Südwesten. Das Großherzogtum Baden 1848/49 (Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs 26), Stuttgart-Berlin-Köln 1998, S. 252ff. Der Gaildorfer Fabrikant Gottlieb Rau hatte am 24. Sept. 1848 in Rottweil die Republik ausgerufen und zu einer bewaffneten Volksversammlung in Cannstatt auf den 28. Sept. aufgefordert, die jedoch von der Regierung unterdrückt wurde; vgl. Valentin (wie Anm. 51), II S. 422f., M. Reimann, Der Hochverratsprozeß gegen Gustav Struve und Karl Blind. Der erste Schwurgerichtsfall in Baden, Sigmaringen 1985, S. 14 Anm. 20, 47. Nach dem Rücktritt des letzten liberalen preußischen Ministerpräsidenten Beckerath war am 22. September 1848 der General v. Pfuel an dessen Stelle getreten, ein Mann gemäßigt liberaler Gesinnung, von dem sich allerdings die altpreußischen Kreise reaktionäre Maßnahmen versprachen; vgl. Valentin (wie Anm. 51), Bd. 2, S. 246ff.
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Horst Fuhrmann Von Georgs, 57 Pabst 58 und Balthasar Söllner 59 höre ich nicht eine Sylbe. Grüße diese Alle
herzlich von mir. Thiele 60 schrieb von Braunschweig an Giesebrecht, daß er an Sonntagen für den Herzog predige, in dem Wochengottesdienste aber „frei die Schrift auslege vor dem Publikum". Giesebrecht hat keine Kinder; lebt aber gut und vergnügt mit seiner Frau. 61 Von Prien62 weiß ich nichts. Leb wohl. Schreibe unter der Adresse „Geheimrath Oberbibliothekar Pertz" und mit kenntlichen Buchstaben „Monumenta Germaniae betreff." Dann haben wir in Deutschi. Portofreiheit. Außerdem ist meine Wohnung Behrenstraße N o 6 0 . III Treppen in Berlin. In drei Wochen bin ich wieder dort. Grüße Braun und Henzen vielmals. Dein J M
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W. Georg, Maler aus Nürnberg und mit Merkel und Brunn gut befreundet, hatte schon 1827 das Weingut Ciampino bei Rom gekauft, wo er vorzügliche Weine herstellte, und von 1845 bis ca. 1849 eine Weinstube in Rom geführt. Nachdem er Rom verlassen hatte, kaufte er sich eine Bierbrauerei in Nürnberg; vgl. Noack (wie Anm. 11), Bd. 1, S. 439, Bd. 2, S. 202.
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Karl Pabst war 1845-1850 preußischer Gesandtschaftprediger und versah von 1848 an zugleich das Seelsorgeramt im Palazzo Caffarelli für Heinrich Thiele (siehe Anm. 60). Während der römischen Revolution und der Abwesenheit des Papstes nannten ihn seine Landsleute scherzhaft den „protestantischen Papst", die Revolutionsregierung forderte ihn sogar auf, die Reformation in Rom einzuführen; vgl. Noack (wie Anm. 11), Bd. 1, S. 386f., Bd. 2, S. 437 und E. Schubert, Geschichte der deutschen evangelischen Gemeinde in Rom, Leipzig 1930, S. 148.
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Balthasar Söllner (1791-1865) war Bierbrauer und betrieb zusammen mit seinem Bruder Johann Jakob 1819 eine Wirtschaft am Corso 53. Er war Vorstandsmitglied der Evangelischen Gemeinde Roms; vgl. Noack (wie Anm. 11), Bd. 2, S. 562 und Schubert (wie Anm. 58). Heinrich Thiele (t 1886 in Braunschweig), war 1841-1848 in Rom preußischer Gesandtschaftsprediger; vgl. Noack (wie Anm. 11), Bd. 2, S. 592 und Schubert (wie Anm. 58). Wilhelm von Giesebrecht ( 1 8 1 ^ 1 8 8 9 ) hatte 1843-1845 die italienischen Bibliotheken - Venedig, Florenz, Rom, Montecassino - durchforscht; eine der Früchte seiner Handschriftenstudien war die Ausgabe von „Johannis chronicon Venetum et Gradense" im 7. Scriptores-Band der Monumenta Germaniae. In Berlin heiratete er 1846 die Witwe Dorothea Reißner, die er in Rom kennengelernt hatte; die Ehe blieb kinderlos. Während der Revolution in Berlin beteiligte sich Giesebrecht rege zugunsten der Monarchie im Vorstand des Patriotischen Vereins, dem auch der Monumentist Rudolf Köpke (siehe Anm. 47) angehörte; vgl. Allgemeine Deutsche Biographie 49 (1904), S. 341-349, bes. 343 (Riezler), Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 379-382 (Heimpel). Karl Prien ( 1 8 1 8 - n. 1883), klassischer Philologe, studierte 1 8 3 9 ^ 4 in Kiel, Bonn, Berlin, Promotion in Kiel, 1846-48 Reisestipendium für Italien, Herbst 1848 Lehrer an der Kieler Seekadettenschule und Privatdozent, seit 1853 Professor am Katharineum in Lübeck; vgl. Deutsches Biographisches Archiv, Bd. 1, Fiche 981, 303ff. und Wilhelm Henzen (wie Anm. 26) S. 24, 26.
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Nr. 2 Heinrich Brunn an Johannes Merkel: Brunn meldet den Abschluß der erbetenen Kollation und bittet um Zusendung des Honorars. Er schildert das Schicksal der deutschen Kolonie im von französischen Truppen belagerten Rom und den Zustand der Stadt. Auf dem BHefl>latt ist links oben eine eigenhändige Radierung Brunns, einen Winkel in Palestnna darstellend, abgezogen. Rom, 19-23 V1849. Monumenta Germaniae Historica München, Akten Rep. 338 Nr. 225 (nicht foliiert). Rom, 19 Mai, 1849. Lieber Merkel Eine Collation aus Rom im Belagerungszustande, das wird Dir curios vorkommen. Gemacht habe ich sie freilich nicht in den letzten drei Wochen; sie war schon länger fertig, schien mir aber zu dickleibig fur die Post. Jetzt geht Braun durch Deutschland nach England 63 und soll sie bis Bonn mitnehmen. Deinem Auftrage gemäß habe ich blos den Text der Constitutiones nach der Ausgabe von Canciani 64 verglichen. Die Arbeit war etwas mühselig und hat 15 Vaticanstage gekostet.65 Da nun in jetzigen schweren Tagen der Arbeiter seines Lohnes werth ist, so wirst Du so gut sein, das Honorar an Mommsen nach Leipzig zu spediren. Kann dies ohne große Noth fur Dich bald geschehen, so wäre es mir um so angenehmer, als Sprosse,66 sobald hier eine Entscheidung erfolgt ist, von Leipzig nach Rom zurückkehren will und mir das Geld mitbringen könnte. Dies wäre also die Geschäftssache. Ueber Rom Dir viel zu schreiben, wird mir wahrlich sauer; denn es ist leider traurig genug hier. Der Reiz und Zauber der frühern Tage ist dahin, für sehr lange dahin; die Lage des Augenblicks mindestens höchst abspannend und langweilig. Die Gefahren fur unser Leben und Gut schlage ich für jetzt gering an, obwohl es an Excessen nicht fehlt. Die kritischesten Momente haben wir freilich noch vor uns. Von Arbeiten kann natürlich nicht viel die Rede sein. Museen und Bibliotheken sind, wie dieThore, gesperrt67 und das höchste, was wir hoffen dürfen, ist, daß 63
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Emil Braun (1809-1856) war seit 1833, als Eduard Gerhard ihn nach Rom holte, mit dem Archäologischen Institut verbunden und seit 1840 dessen erster Sekretär. Er stand in einem spannungsreichen Verhältnis zu Brunn; vgl. Wickert, Mommsen, Bd. 2 passim, Neue Deutsche Biographie 2 (1955), S. 548f. (Schauenburg), Archäologenbildnisse. Porträts und Kurzbiographien von Klassischen Archäologen deutscher Sprache, hg. von R. Lullies u. W. Schierung, Mainz 2. Aufl. 1991, S. 31f. — Henzen meldet Gerhard am 25.5.1849, daß Braun nach England abgereist sei, wo er am 18.10.1849 in zweiter Ehe Anne Thomson heiratete. Am 25. Dezember kehrte er mit ihr nach Rom zurück; vgl. Wilhelm Henzen (wie Anm. 26) S. 43 Anm. 112. Cajetanus Carcani, Constitutiones regum regni utriusque Siciliae mandante Friderico II. Imperatore per Petrum de Vinea Capuanum praetorio praefectum et cancellarium concinnatae (Neapel 1786). Brunn mag das Werk mit der fünfbändigen Sammlung von Volksrechten von Paolo Canciani, Barbarorum leges antiquae (Venedig 1781-1792) verwechselt haben, in Anbetracht seines Briefpartners ein naheliegender Irrtum. Siehe oben S. 33. Siehe oben Anm. 25f. Das Komitee der am 8. Februar 1849 konstituierten „Römischen Republik" hatte am 19. Februar von der Vatikanischen Bibliothek und den Museen Besitz ergriffen, zwei Tage später wurden die
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sie unversehrt erhalten werden, was bei manchen Privat- und Klostersammlungen nicht so ganz ausgemacht ist (z.B. bei der Bibliothek von S. Croce). Laureani, bedeutend schwarz und ein warmer Verehrer Radetzky's,68 mir sehr gewogen, sitzt auf dem Vatican, wohin ich diese Tage durchzudringen hoffe; Heyse69 war bei ihm. Die Deutschen sind sehr zusammengeschrumpft: Georgs zum Abreisen (Mitte Juni) bereit. Pabst provisorisch Prediger mit Beifall. Braun geht den Sommer fort, um als Ehemann aus Albion zurückzukehren. Henzen und Frau70 gehts passabel, obwohl er noch immer mit seinen Augen und ihrem Bigottismus zu thun hat. Eine unangenehme Gesellschaft (in der Colonie wohnhaft) ist die Mertens 71 aus Bonn, die eine ziemliche Portion Radicalismus auf unausstehliche Weise handhabt. Sie kam her, um ihre Sache hier eilig in Ordnung zu bringen. Die hiesige Unordnung behagt ihr aber dermaßen, daß sie zunächst bleibt (geht mit Braun). Von nächstem Winter an wollte sie
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Kirchengüter zum Eigentum der Republik erklärt und am 27. Februar das Vatikanische Archiv versiegelt. Laureani (siehe oben Anm. 38) hatte am 7. März gegen die Besitzergreifung protestiert und auf den privaten Charakter der Vatikanischen Bibliothek hingewiesen. Ein materieller Schaden scheint der Bibliothek nicht entstanden zu sein; vgl. Bignami Odier (wie Anm. 38) S. 230. Der österreichische Feldmarschall und Oberbefehlhaber im lombardo-venetischen Königreich Joseph Graf Radetzky von Radetz (1766-1858) hatte am 23. März 1849 das piemontesische Heer bei Novara geschlagen, als es den Aufständischen im österreichischen Mailand zuhilfe kommen wollte. Die österreichischen Truppen waren nun frei, gegen die Römische Republik in Bologna und der Romagna vorzugehen; vgl. Chadwick (wie Anm. 17) S. 87ff. Theodor Heyse (1803-1884), klassischer Philologe und Catull-Übersetzer, lebte als Privatgelehrter in Rom; vgl. Noack (wie Anm. 11), Bd. 2, S. 262f. Der Schriftsteller Paul Heyse (1830-1914) widmete seinem kauzigen „Onkel Catull", bei dem er während seines Romaufenthalts 1852/53 logierte, ein leicht karikierendes Porträt und ordnete ihn dabei in die vatikanische Kopistenlegion ein: „...er wünschte nur sich selbst zu leben..., nur soweit mit Arbeit belastet als nöthig war, mit einigem Behagen sich durchzubringen. So hatte er seine reichen philologischen Kenntnisse nie auf eine eigene größere Arbeit angewendet, sondern sie in den Dienst Anderer gestellt, die Editionen von Ciassikern, Kirchenvätern oder neue Bibeltexte auf Grund der in Italien befindlichen Handschriften veranstalteten"; vgl. Jugenderinnerungen und Bekenntnisse, Berlin 2. Aufl. 1900, S. 122. Wilhelm Henzen (1816-1887) war seit 1844 mit Auguste Francke (f 1869) aus Güstrow verheiratet, die zur katholischen Kirche übergetreten war; vgl. Wilhelm Henzen (wie Anm. 26) S. XVIII und Allgemeine Deutsche Biographie 50 (1905), S. 210, 214 (E. Petersen). Sibylle Mertens-Schaaffhausen (1797-1857), Kunst- und Altertumsliebhaberin aus Köln, „die sich hier als äußerst rot qualifiziert hat" (vgl. Wilhelm Henzen [wie Anm. 26] S. 42f.), war geradezu eine gesellschaftliche Institution der deutschen Kolonie in Rom. 1844—1846 führte sie einen Dienstags-Salon in ihrer Wohnung im Palazzo Poli, wo sie mit ihrer engen Freundin Adele Schopenhauer, der Schwester des Philosophen, wohnte; vgl. Noack (wie Anm. 11), Bd. 1, S. 4l3f. Adele war im Mai 1848 erkrankt aus Italien nach Bonn zurückgekehrt, Sibylle nahm sich ihrer an. Am 14.3.1849 fuhr Sibylle noch einmal nach Rom, wo sie sich im Haus von Emil Braun einquartierte, und sie verließ Ende Mai die belagerte Stadt mit von Mazzini ausgegebenen Pässen; am 20. Juni kam sie in Bonn an und pflegte ihre Freundin Adele bis zu deren Tod am 25.8.1849. Uber diese Vorgänge unterrichtet die Fragment gebliebene Biographie der Adele Schopenhauer aus der Feder von Sibylle Mertens-Schaaffhausen, vgl. Η. H. Houben in: Adele Schopenhauer, Tagebuch einer Einsamen. Hg. und eingeleitet von Η. H. Houben, München 1985 (zuerst 1923), S. XLVII-LX und ders., Die Rheingräfin. Das Leben der Kölnerin Sibylle Mertens-Schaaffhausen, Essen 1935, ebenso D. u. Α. E. Maurer, Bonn erzählt. Streifzüge durch das literarische Bonn von 1780-1980, Bonn 1983, S. 61-72.
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ihren Wohnsitz ganz hier aufschlagen. Da wird wohl Grobheit noththun, um sich ihrer zu erwehren. Castellini72 hat mir schon vor mehreren Wochen Grüße von sich und seiner Familie aufgetragen. Dito Carinci, dessen Dir bekannte wissenschaftliche Arbeit vorgerückt war, ich glaube bis 1570 (ich hatte es notirt, das Buch ist mir aber aus der Tasche gestohlen worden).73 Balthasar ist so viel ich weiß munter. Sonst weiß ich kaum, welche Persönlichkeit dich noch interessirte, es sei denn unser Domenico, der das Kinderzeugen noch nicht aufgegeben hat. Vor der Stadt sieht es kläglich aus. Die Römer haben auf das fürchterlichste gesengt und gebrannt in der unmittelbaren Nähe der Stadtmauern. Villa Borghese ist wenigstens zur Hälfte kahl rasirt; ich habe es vom Pincio gesehen, es ist zum Weinen. Pamfili soll noch schlimmer aussehen u. s. w.; man mag gar nicht daran denken.74 Was ruinirt ist, kann man jetzt noch gar nicht übersehen, da man nicht vor das Thor kann. Eben so toll aber haben die Radicalen in moralischer Beziehung gewirthschaftet. Es war allerdings priesterlicher Wust in Masse vorhanden. Was aber an die Stelle gesetzt wird, ist wo möglich noch weit schlimmer. Es ist moralisch alles grund- und bodenlos und was sich vernünftiges daraus entwickeln soll, ist nicht abzusehen. In Deutschland sieht es freilich auch [gestrichen: noch] wüst genug aus. Doch sind sicher noch bessere Kräfte zu einem Neubau vorhanden. Die Dresdener Ereignisse, so traurig sie sind, schlagen vielleicht noch zum Guten aus, indem sie die Plane [!] der Radicalen enthüllen.75 Ueber das Einzelne hier in Rom kannst Du dich aus den deutschen Zeitungen unterrichten, die zum größten Theil vom Capitol76 aus versorgt werden (z.B. Frankf. Ο. Ε Α Zeitung77 [Merkur-Planetensymbol] von mir, nach Brauns Abreise werde ich auch wohl fiir d. Augsburger78 schreiben).79 Daß ich ein eifriger Politiker geworden bin, 72
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Möglicherweise der Mosaizist Raffaele Castellini (1791-1864), der zum Zeitpunkt des Briefes Professor im Studio del mosaico vaticano der Fabbrica di S. Pietro in Vaticano war. Zu seinen bedeutenden Aufgaben gehörte die Rekonstruktion (seit 1860) der chronologischen Serie der Papstbildnisse in der wiederaufgebauten Basilika St. Paul vor den Mauern; vgl. Dizionario biografico degli Italiani 21 (1978), S. 759ff. Der Archivar Giovanni Battista Carinci, dessen „Document! scelti dell'archivio della ecc[ellentissi]ma famiglia Caetani di Roma" 1848 erschienen waren. Er gab 1870 noch die „Lettere di Onorato Caetani, capitan generale delle fanterie pontificie nella battaglia di Lepanto" heraus. Zwei Monate später, am 27.7.1849, berichtet Wilhelm Henzen detailliert an Eduard Gerhard anhand einer Skizze: „Von Villa Borghese steht das Casino und der hintere Teil des vergitterten Gartens mit den prachtvollen Licinien [Steineichen], deren beste Exemplare freilich gefallen sind. Doch mach ich Ihnen die Sache wohl kürzer mit diesen Strichen klar, indem alles, was rechts von der gezogenen Linie liegt, Häuser wie Bäume, dann der ganze vordere Teil der Villa, völlig rasiert. Noch mehr bedaure ich fast Villa Poniatowski, die dem Erdboden gleich. Villa Pamfili hat sehr wenig gelitten"; vgl. Wilhelm Henzen (wie Anm. 26) S. 47 mit Tafel 24. Im Streit um die Annahme der liberalen Reichsverfassung war es in Dresden vom 3. bis 9. Mai 1849 zu einem Volksaufstand unter der Führung Michael Bakunins gekommen, an dem auch Gottfried Semper und Richard Wagner teilnahmen. Der Aufstand wurde von preußischen Truppen niedergeschlagen; vgl. Valentin (wie Anm. 51), Bd. 2, S. 479fF. Siehe oben Anm. 11. Gemeint ist die Frankfurter Oberpostamtszeitung, die unter wechselnden Namen von 1615 bis 1866 erschien. Gemeint ist die Augsburger Allgemeine Zeitung. Die jungen deutschen Gelehrten in Rom, an erster Stelle Emil Braun, verdienten sich ein Zubrot als Korrespondenten deutscher Zeitungen; dies taten auch Jacob Burckhardt (November 1847 bis
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wird Dich in jetzigen Zeiten nicht wundern. Ich bin Constitutionen und sehe nur Heil, wenn diese Parthei, um Freiheit zu erhalten, auch von ihren Pflichten durchdrungen ist, für ihre Pflichten Opfer bringt. Alle Halbheit aber muß jetzt aufhören. Jeder muß seine Überzeugung zu vertreten wissen, auch wenn es Opfer kostet. - Du wirst wahrscheinlich in diesen Zeiten sehr mißgestimmt sein, da Du wohl noch conservativer bist, als ich. Laß Dich aber dadurch nicht abhalten, mir einmal einige Zeilen zukommen zu lassen. Auf meinem vorgeschobenen Posten wünsche ich doch gern zu wissen, was aus der alten römischen Bande geworden ist. Leider ist diese durch {gestrichen: gängig] schnittlich sehr faul im Briefschreiben, so daß mir viele, so zu sagen, gänzlich aus den Augen gerathen sind. In dieser Zeit, wo die Politik so viele Bande zerreißt, sollten wenigstens die davon unabhängigen Bande unserer schönen Gelehrtenrepublik durch die Erinnerung noch fester geknüpft werden. Dunque — laß mich nicht zu lange warten. - Heute, 23ten ist noch immer keine Hoffnung auf eine schnelle Entscheidung.80 Nach und nach gewöhnt man sich an Geduld. - Obiges Ansichtchen ist aus Palestrina, ein Radirungsversuch von mir.81 - Grüße Bethmann, Friedlaender, Hertz, Giesebrecht, (Wolf) etc. Dein H. Brunn. Am linken Rand der ersten Seite: Pabst sagt mir, drei seiner Briefe an Dich seien unbeantwortet, er habe keinen von Dir, seit er wieder hier sei, bittet Dich daher dringend, ihm bald zu schreiben.
April 1848) und Johann Jakob Bachofen (November 1848 bis März 1849) für die „Basler Zeitung"; vgl. W. Kaegi, Jacob Burckhardt. Eine Biographie, Bd. 3, Basel-Stuttgart 1956, S. 174ff. und G. Arrigoni, La fidatissima corrispondenza. Un ignoto reportage di Johann Jakob Bachofen da Roma nel periodo della rivoluzione romana ( 1 8 4 8 - 1 8 4 9 ) (Pubblicazioni della Facoltä di lettere e filosofia dell'Universitk degli Studi di Milano 166, Sezione di filologia classica 5), Florenz 1996; vgl. auch fur die spätere Zeit Noack (wie Anm. 11), Bd. 1, S. 585. 80
Der erste Angriff der französischen Belagerungstruppen unter General Oudinot war am 30. April von den Römern unter Garibaldi zurückgeschlagen worden. Den folgenden Waffenstillstand nutzte Oudinot, um weitere Truppen anzufordern, deren Eintreffen die Römer mit Sorge erwarteten, aber auch die nächste große Attacke der Franzosen am 3. Juni wurde abgewehrt; vgl. Leti (wie Anm. 18) S. 2 7 9 f f , 385fF.
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Siehe die Abbildung S. 39.
PETER H E R D E
Wolfgang Hagemann als Zeitzeuge und Zeuge im Kesselring-Prozeß (25. April 1947) Der unvergessene Wolfgang Hagemann (geb. 9. April 1911 in Leipzig, gest. 11. Juni 1978 in Rom) 1 war ein Zeitzeuge hohen Ranges fur die Vorgänge in Nordafrika und Italien von 1942 bis 1945, obschon er das wie viele andere Akteure dieser Zeit nicht wahrhaben wollte, da die von ihm erlebten zeitgeschichtlichen Ereignisse nach seinem historischen Verständnis noch nicht der Geschichte zugerechnet werden konnten. Ich erinnere mich an eine unserer letzten Zusammenkünfte in der Osteria da Arturo nahe dem Deutschen Historischen Institut in Rom, als ich ihn über seine Erfahrungen mit Rommel befragte (leider habe ich mich mit ihm selten über Kesselring unterhalten), wobei er mir mit bestem Erinnerungsvermögen und in großem Detail über seine im Auftrage Rommels (wohl Ende 1942/ Anfang 1943) durchgeführte Überfuhrung von Aktenbeständen des Afrika-Korps von Nordafrika nach Sizilien berichtete; er habe auf den küstennahen Fliegerhorsten nur noch zerschossene und nicht mehr flugfähige Ju 52 vorgefunden, bis auf einem küstenfernen Flugfeld noch eine unbeschädigte Maschine entdeckt wurde, mit der er dann nachts im Tiefflug, um dem britischen Radar und den Abfangjägern zu entgehen und Treibstoff zu sparen, nach Trapani geflogen sei, wobei er sich nach Erreichen der sizilischen Südküste an der terrestrischen Navigation (Luftwaffen-Deutsch: Bodenbeobachtung) zum Auffinden des Flugplatzes Trapani beteiligt und dem Piloten entsprechende Hinweise gegeben habe. Die Sprache kam dann auch auf die umfangreiche Sammlung von Photos, die er mit seiner Leica (die, als sie durch Kampfeinwirkung beschädigt wurde, auf Anweisung Rommels in Wetzlar repariert wurde) im nordafrikanischen Hauptquartier gemacht hatte und die offensichtlich nach seinem Tode verlorengingen. Dann aber drängte er zum Aufbruch: er müsse dringend an der Edition des Registers Friedrichs II. weiterarbeiten. Das war für ihn Geschichtswissenschaft; die Gespräche über miterleb-
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Vgl. die Nachrufe von H. Diener, in: Q F I A B 58 (1978), S. X X I V - X X I X (mit Schriftenverzeichnis), u. Η. M. Schaller, in: DA 35 (1979), S. 713-714; G. Sancassini, Un amico dell' Italia: W. Hagemann, Vita Veronese 7 - 8 (1978), S. 216ff. Ich darf die darin enthaltenen Angaben zu seiner Biographie ergänzen nach den Personaldaten in seinem Personalakt im Bundesministerium für Bildung und Forschung (frdl. Mitteilung vom 1.3.99) und anderen Akten.
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te Zeitgeschichte waren fast Zeitverschwendung. Oral History-Programme waren zu seinen Lebzeiten noch kaum bis nach Deutschland vorgedrungen; glücklich könnte man sich heute schätzen, könnte man ihn nach vielen aus den Akten nicht mehr vollständig zu klärenden Ereignissen befragen.2 Zu seinem Lebenslauf hier einige Angaben aus seinem Personalakt. Das Abitur legte er am 2. März 1929 ab, studierte von 1929-1936 Geschichte, Germanistik, Geographie und Philosophie und promovierte am 16. Januar 1936 in Berlin mit seiner von Albert Brackmann betreuten Dissertation „Die Entstehung der Scaligersignorie in Verona (1259-1304)", von der 1937 in „Eberings Historischen Studien" Bd. 304 freilich nur der erste Band: „Die Quellen" erschien. Wichtig waren fur seine spätere Tätigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg, wie wir noch sehen werden, die engen Kontakte, die er dabei mit Archivaren und Bibliothekaren in Verona knüpfte. Aber auch Paul Kehr wurde damals auf ihn aufmerksam; er stellte Hagemann am 1. April 1936 als „wissenschaftlichen Hilfsarbeiter" (so die damalige Terminologie) an dem von ihm geleiteten „Preußischen (ab 1. April 1937: Deutschen) Historischen Institut" in Rom ein.3 Hagemann oblag die Sammlung von Kaiserurkunden und Reichssachen, die er auch nach dem Zweiten Weltkrieg fortsetzte und darüber zahlreiche Arbeiten veröffentlichte.4 Im Februar 19415 wurde er eingezogen und diente, offensichtlich wegen seiner guten Italienischkenntnisse und seiner Kenntnisse von Land und Leuten, Rommel als Dolmetscher und Verbindungsmann zu den italienischen Einheiten. Einzelheiten über diese Tätigkeit, über die hier nicht zu handeln ist, sind wenig bekannt und verdienten eine weitere Untersuchung. Aus dieser Zeit datieren auch die ersten Kontakte mit Albert Kesselring, Oberbefehlshaber Süd, dann der Heeresgruppe Süd (ab November 1943: Südwest),6 der bekanntlich kein Freund Rommels war. Wo Hagemann die Wochen nach der Katastrophe des Afrikakorps und der übrigen deutschen und italienischen Verbände in Tunesien (Mai 1943) verbrachte, war nicht in Erfahrung zu bringen. Eine militärische Ausbildung, die ihn ftir die Offizierslaufbahn prädestiniert hätte, hatte er nicht erhalten; wegen seiner vielfältigen Kontakte vor allem zu italienischen Archiven und Bibliotheken blieb ihm als „Quereinsteiger" nur die Rolle eines Beraters in Kulturangelegenheiten. Am 26. September 1943 wurde er
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Viele, die ihm nahestanden, haben auch nur bruchstückhafte Informationen über seine Tätigkeit 1942-1945 in Erinnerung; ich danke fiir entsprechende Auskünfte Reinhard Elze, Arnold Esch, Helmut Goetz, Hermann Goldbrunner und Rudolf Lill. Frau Gabriele Lehmann-Brockhaus hat freundlicherweise ihren Vater Otto Lehmann-Brockhaus, der im „Kunstschutz" (vgl. Anm. 59) tätig war, noch vor seinem Tode für mich befragt. Vgl. R. Elze in: Das Deutsche Historische Institut in Rom 1888-1988, hg. v. R. Elze und A. Esch, Tübingen 1990, S. 19f., 264, 267. Ebd. S. 12. Die Publikationen bei Diener (wie Anm. 1) S. XXVIff. Ebd. S. 19. Vgl. Hagemanns Aussage im Kesselring-Prozeß, unten Anm. 54 u. 63 u. Anhang.
W. Hagemann als Zeitzeuge und Zeuge im Kesselring-Prozeß
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nach eigener Aussage7 in das Hauptquartier des Oberbefehlshabers der Heeresgruppe Süd(west) (OBSW) berufen, das nach dem Bombenangriff auf seinen alten Standort bei Frascati am 8. September 1943 auf den Monte Soratte oberhalb des Ortes S. Oreste (wo sich beim Bahnhof der Landeplatz des Fieseier Storchs Kesselrings befand, mit dem er vor Erscheinen alliierter Jagdflugzeuge am frühen Morgen zur Front zu starten pflegte und abends nach Abflug der Jäger zurückkehrte8), verlegt worden war. Zunächst war fur ihn offensichdich wiederum die Stellung eines Dolmetschers vorgesehen, die er bei Rommel in Nordafrika eingenommen hatte, doch bereits vier Tage später, am 30. September, erhielt er eine erweiterte und weit gewichtigere Stellung: Kesselring ernannte ihn zum Sonderfuhrer (K) der „Kunstschutzstelle" im Range eines Hauptmanns, die der Ic-Abteilung des Hauptquartiers unter der Leitung von Oberstleutnant i. G. Emil Zolling zugeordnet wurde, der vor allem die „Feindaufklärung", aber auch andere Aufgaben oblagen und deren Aufsicht auch die Dolmetscher unterstanden.9 Wegen seiner Stellung als Sonderfuhrer hatte Hagemann trotz seines relativ niedrigen Dienstgrades häufigeren Zugang zu Kesselring. Dieser berichtet: „Die fur die Erhaltung der Kunstschätze erforderlichen Anordnungen waren so weitgreifend, daß die meisten Vorschläge (d. h. Hagemanns) einer taktisch-operativen Prüfung auf ihre Durchführbarkeit durch die Ia- Abteilung unterzogen werden mußten." 10 Hagemann hat nicht nur in seiner Aussage im Prozeß,11 sondern auch später mit Hochachtung über den Feldmarschall und besonders dessen Verständnis fiir Kulturgüter gesprochen. Da es bis heute keine wissenschaftliche Biographie Kesselrings gibt,12 sei es gestattet, anhand bisher ungenutzter Akten an dieser Stelle in 7 8
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Ebd. Nach Beobachtungen erschienen die alliierten Jäger mit ziemlicher Regelmäßigkeit 9 0 Minuten nach Sonnenaufgang und zogen 9 0 Minuten vor Sonnenuntergang wieder ab, vgl. Kesselring Trial (wie unten Anm. 46) 29.3.47. Sein Pilot war von 1 9 4 1 - 1 9 4 5 Dipl. Ing. Manfred Bäumler. Kesselring, Soldat (wie unten Anm. 12) S. 446. Vgl. den von Hagemann verfaßten Bericht vom 9. April 1 9 4 6 über die Organisation des deutschen Kunstschutzes in: E. Gencarelli, Gli archivi italiani durante la Seconda Guerra Mondiale, Rom 1979, S. 129ff., hier S. 130f. Ebd. Das enge Verhältnis von Hagemann zu Kesselring beleuchtet eine Episode, die er auch amerikanischen Journalisten erzählte und die so in die Literatur einging; vgl. D. Kurzman, Fällt Rom? Der Kampf um die Ewige Stadt 1 9 4 4 , München 1 9 7 8 , S. 129f. Danach habe der Feldmarschall ihn am Morgen des 22. Januar 1 9 4 4 auf dem Soratte aus dem Schlaf gerissen (mit dem Vornamen „Wolfgang" hat er ihn jedoch sicher nicht angesprochen) und zu sich in sein Dienstzimmer gebeten, das nicht weit entfernt lag. Dort wollte er wissen, wo Aprilia lag, das Kesselring auf seiner veralteten Karte nicht fand (es war eine Gründung Mussolinis). Hagemann informierte ihn und erfuhr darauf, daß vor einigen Stunden Amerikaner und Briten bei Anzio-Nettuno gelandet und bis Aprilia vorgestoßen seien. Unten Anhang. In England und den USA am weitesten verbreitet und heute als preiswertes Paperback in fast allen größeren Buchhandlungen erhältlich ist das Werk von K. Macksey, Kesselring: Master Strategist of the Second World War, London 1 9 7 8 (Neudruck 1996), das freilich teilweise fehlerhaft ist. Popu-
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einem längeren Exkurs einige Schlaglichter auf jene Jahre seiner Jugend, die gewöhnlich entscheidend fiir die Formierung der Persönlichkeit sind, und auf den Gang seiner Bildung und militärischen Ausbildung zu werfen; ich hoffe, darüber demnächst an anderer Stelle ausfuhrlicher zu handeln. Eine knappe Analyse der Entwicklung der Persönlichkeit Kesselrings ist zudem notwendig für das Verständnis der Aussagen Hagemanns. Albert Kesselring wurde am 30. November 1885 in Marktsteft in Unterfranken, am Main südöstlich von Würzburg gelegen, geboren. Er entstammte väterlicher- und mütterlicherseits Familien von relativ wohlhabenden Bauern, Handwerkern, Gastwirten und Bierbrauern; sie waren evangelischlutherischer Konfession,13 da Marktsteft nicht zum katholischen Hochstift Würzburg, sondern zu der von der Reformation erfaßten Markgraftum BrandenburgAnsbach gehörte.14 Historisch und konfessionell bedingt dürfen wir ein positives Verhältnis der Familie zu Preußen annehmen; freilich lassen die Quellen nähere Aussagen über die „Reichstreue" der Kesselrings nach 1871 nicht zu. Angesichts des Bildungsstandes Kesselrings verwundert es ein wenig, wenn er seine Memoiren mit Phantastereien beginnt,15 die, wie mittelalterliche und frühneuzeitliche Geschlechter es zu tun pflegten, das hohe Alter und die edle Abstammung seiner Familie „beweisen" sollten. Danach stamme die Familie aus Niederösterreich und gehe auf einen Ritter Ouscalcus Chezelrinch, 1 1 8 0 belegt, zurück; seine Vorfahren hätten den „Chezelrinch" gegen die Awaren und später gegen die Ungarn gegrün-
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lär und unkritisch ist die Darstellung von F. Kurowski, Generalfeldmarschall Albert Kesselring. Oberbefehlshaber an allen Fronten, Berg am See 1985. Knapp und teilweise auch fehlerhaft (bes. bzgl. der Fosse Ardeatine) der Beitrag von S. J. Lewis, Albert Kesselring - Der Soldat als Manager, in: Die Militärelite des Dritten Reiches, hg. v. R. Smelse/E. Syring, Berlin/Frankfurt 1995, S. 270ff.; E. Krautkrämer, Generalfeldmarschall Albert Kesselring, in: Hitlers militärische Elite, hg. v. G. R. Ueberschär, Bd. 1, Darmstadt 1998, S. 121ff. P. Herde, Albert Kesselring (1885-1960), in: Fränkische Lebensbilder Bd. 18, Neustadt a.d.Aisch 2000, S. 295ff. Kurz, aber zuverlässig Th. Vogelsang in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 11, Berlin 1977, S. 542f. Vgl. seine Memoiren: Kesselring, Soldat bis zum letzten Tag, Bonn 1953, u. ders., Gedanken zum Zweiten Weltkrieg, Bonn 1955. Während er in Deutschland fast vergessen ist - seine Memoiren waren lange vergriffen und wurden erst jüngst in einer relativ teuren Ausgabe nachgedruckt —, ist besonders in England, aber auch in den USA als Folge der teilweise unzutreffenden, u.a. von Feldmarschall Alexander und Churchill verbreiteten Meinung vom „fairen" Krieg im Mittelmeerraum seine Popularität ungebrochen, wie die weite Verbreitung seiner Biographie von Macksey und der englischen, ebenfalls als Paperback in jeder guten Buchhandlung vorrätigen Übersetzung seiner Memoiren beweist: The Memoirs of Field Marshal Kesselring. With a New Introduction by K. Macksey, London/ Mechanisburg, PA, 1997. Die folgenden Angaben nach dem Personalakt Kesselrings, Bundesarchiv - Militärarchiv Freiburg/ Br. Pers. 6/6, ergänzt durch MSg 109/1280, Ν 750/1. Da Kesselring den .Ariernachweis" führen mußte (anerkannt am 7.6.34), sind wir über seine Familie gut informiert. Historischer Atlas von Bayern, Teil Franken Reihe 1 Heft 16: Kitzingen, hg. v. H. Weber, München 1967, S. 168 u.ö. Kesselring, Soldat (wie Anm. 12) S. 11.
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det und sich später „als Ritter, Patrizier und Geistliche im deutschen Süden und darüber hinaus im Elsaß und der Schweiz Achtung verschafft."16 Die Geschichte des Mittelalters war wohl Albert Kesselrings Stärke nicht und war wohl auch auf dem humanistischen Gymnasium nicht besonders tiefgehend behandelt worden. Aus diesem bäuerlichen Umfeld trat zunächst sein Vater Carl Adolf Kesselring (geb. 20. Juli 1846) heraus, indem er Volksschullehrer wurde. Er war verheiratet mit Rosina Maria Margaretha Kesselring, ebenfalls aus Marktsteft, Tochter des Gastwirtes „Zur Krone" und Bierbrauers Johann Conrad Kesselring (eine Brauerei dieses Namens existiert noch heute). Carl Adolf Kesselring muß ein tüchtiger Lehrer gewesen sein, denn er machte Karriere; er wurde Lehrer an der kgl. Präparandenschule (d. h. der Ausbildungsstätte der Volksschullehrer), zuerst in Marktsteft, dann in Wunsiedel, zuletzt in Bayreuth, wo er bis zum Stadtschulrat aufstieg17 und wo sein Sohn Albert das humanistische Gymnasium besuchte; hier dürfte der Heranwachsende die prägenden Eindrücke seiner Jugend empfangen haben. Die Wagner-Stadt war erfüllt von nationalem Geist, den vermutlich auch viele der Gymnasiallehrer verbreiteten; der Abituraufsatz Kesselrings im Fache Deutsch weist etwas in diese Richtung, obschon er thematisch kaum aus der Rolle des damals Üblichen fällt und auch bayerischen Patriotismus zeigt.18 Gewiß war sein Elternhaus geprägt vom Karrieregeist; der Aufstieg des Vaters aus dem bäuerlichen Ambiente in einen „intellektuellen" Beruf, der ihn immerhin bis in die Kreise der höheren Beamtenschaft und des mittleren Bürgertums führte, wird auf seinen Sohn nicht ohne Wirkung geblieben sein, dem man später nicht selten Karrierebeflissenheit nachsagte. Das Uberspringen mehrerer Sprossen auf der sozialen Leiter, das bereits dem Vater gelang und das sein Sohn noch erheblich beschleunigte, schuf die Mentalität des Aufsteigers: Unterordnung unter die Mächtigen und Einflußreichen und Streben nach ihrer Protektion; vielleicht liegt hier schon eine Erklärung für den „Kada-
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Ebd. Vermutlich hatten sich er oder ein anderes Mitglied (sein Vater?) der Familie unter die in jedem Archiv gefurchteten Ahnenforscher gereiht. D a ß die Kesselrings österreichische protestantische Exulanten waren, konnte ich nicht feststellen. In der einschlägigen Literatur finden sich keine Einträge Kesselring; vgl. G. Rusam, österreichische Exulanten in Franken und Schwaben, 2. Aufl. durchgesehen u. ergänzt v. W. W. Schnabel, Neustadt an der Aisch 1989; W. W. Schnabel, österreichische Exulanten in oberdeutschen Reichsstädten. Zur Migration von Führungsschichten im 17. Jahrhundert, München 1992. Für freundliche Hinweise bin ich Herrn Kollegen Dieter J. Weiß zu Dank verpflichtet.
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März 1898. Die Familie siedelte 1897 aus Wunsiedel nach Bayreuth (Jean-Paul-Str. 16) über, wo Carl Kesselring zunächst Seminarlehrer an der kgl. bayerischen Lehrerbildungsanstalt war (frdl. Auskunft von Frau Christine Bartholomäus, Stadtarchiv Bayreuth). Vgl. die Beiträge in: Bayreuth. Eine 800jährige Geschichte, hg. v. R. Endres, Köln u.a. 1995, wo diese Zeit freilich nicht behandelt wird. Für das politische Profil der Stadt dagegen wichtig: R. Trübsbach, Geschichte der Stadt Bayreuth 1194-1994, Bayreuth 1993, S. 197ff., 252ff.
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Kopien der Abiturarbeiten Kesselrings in Deutsch, Latein, Französisch, Religion und Mathematik/ Physik verdanke ich Dr. Trübsbach (wie Anm. 19).
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vergehorsam" Kesselrings gegenüber Hitler bis zum bitteren Ende. Das aus der Tradition erwachsende Selbstbewußtsein seiner Offizierskollegen aus hohem Adel war ihm jedenfalls fremd. Zum Widerstand ist er später nicht gestoßen. Auf dem Gymnasium war er ein mittelmäßiger Schüler.19 Lediglich sein Betragen wird ausnahmslos von „sehr lobenswert" bis „mustergültig" bezeichnet, und auch sein Fleiß wird stets gelobt. Sehr gute Leistungen erbrachte er nur im Turnen, gute bis sehr gute Leistungen auch im Zeichnen und in Religion. In Geschichte, Mathematik und Physik lagen die Noten im Durchschnitt etwas besser als „gut", ebenso in Geographie; im Deutschen zeigten sie steigende Tendenz von „genügend" nach „gut" (im damaligen 5-NotenSystem); im Französischen waren sie zumeist „gut". Am schwächsten waren seine Leistungen in den klassischen Sprachen Latein und Griechisch, wo sie von guten bis genügenden Benotungen in den unteren Klassen teilweise bis „mangelhaft" sanken, sich dann aber bei „genügend" stabilisierten. Die Abiturnoten waren in Turnen „sehr gut", in Religion, Deutsch, Französisch, Mathematik-Physik und Geschichte „gut", in Latein und Griechisch „genügend". Das Abiturprotokoll vermerkt positiv: „Der italienischen und besonders der englischen Sprache widmete er sich mit regem Eifer...". Er hat sich also bereits damals Grundkenntnisse im Italienischen angeeignet. Die allgemeinen Beurteilungen sind jedoch, was seine Intelligenz betrifft, eher negativ: „brav, wohlerzogen und offenherzig", aber mit wenig Talent (1897/98), „mäßig begabt, aber sehr gewissenhaft und sehr fleißig" (1898/99); „im Unterricht ist er zu ernst, fast finster, und nur selten war ihm ein Lächeln abzugewinnen" (1899/1900); „eifrig und gewissenhaft" aber „mäßig begabt", „anständiges, gesittetes Betragen (fast zu ernst)"; „brachte dem Lehrer Vertrauen entgegen" (1900/1901); „schwach begabt und schwerfällig, gelang es ihm nur durch großen Fleiß den Anforderungen zur Not zu entsprechen" (1901/1902); „mäßige Begabung", „unsicher in seinem Urteil und schwerfällig im Denken", „leicht zu verwirren und außer Fassung zu bringen", aber „gutmütig und brav" (1903/1904). In der allgemeinen Beurteilung im Abiturprotokoll 1904 wird der deutsche Aufsatz positiv gewürdigt: „enthält... reichen Stoff in guter Anordnung und ist in gewandter, fließender Sprache abgefaßt". „Auch die Bearbeitung der mathematischen Aufgaben war gut, während die übrigen Arbeiten weniger entsprachen". Psychologen mögen diese von verschiedenen Lehrern verfaßten Beurteilungen näher analysieren. Sie zeigen einen mittelmäßig begabten Schüler, der durch großen Fleiß seine Mängel zu beheben sucht, introvertiert und unsicher, aber gehorsam und diszipliniert, wohl eine „autoritär strukturierte" Persönlichkeit. Der heutige Betrachter muß freilich berücksichtigen, daß die intellektuellen Anforderungen eines humanistischen Gymnasiums um 1900 wesendich höher waren als die heutiger höherer Schulen.
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Das Folgende nach den Zeugnisbögen des Gymnasiums ab dem Schuljahr 1897/98, die mir Herr Studiendirektor Dr. Rainer Trübsbach aus dem Archiv des Gymnasiums freundlicherweise zur Verfugung stellte, wofür vielmals gedankt sei.
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„Ich wollte Soldat werden, war geradezu versessen auf diesen Beruf...", so schrieb Kesselring später.20 Vielleicht erfolgte die Berufswahl aber auch in der Erkenntnis, daß er es mit einem auf einen „bürgerlichen" akademischen Beruf hin ausgerichteten Universitätsstudium nicht allzu weit gebracht hätte. Immerhin war die Offizierslaufbahn sozial hoch angesehen und attraktiv. Angesichts der zitierten mäßigen Beurteilungen war Albert Kesselring der Stab des Feldmarschalls jedenfalls kaum in die Wiege gelegt. Doch können wir annehmen, daß ihm auch in den folgenden Jahrzehnten rein militärischer Tätigkeit über das eng Fachliche hinaus ein Interesse an jenem kulturellen Erbe erhalten blieb, das ihm im renommierten Bayreuther humanistischen Gymnasium nahegebracht worden ist, an Geschichte und Kunst, an der Antike und besonders auch an Italien, denn damals haben sich selbst in Bayern nur wenige Schüler mit der italienischen Sprache als Wahlfach beschäftigt, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Wolfgang Hagemann begegnete im September 1943 also einem Oberbefehlshaber, der doch etwas mehr als ein militärischer „Fachidiot" war und dem der Schutz des Kulturgutes aus innerer Überzeugung ein Anliegen war. Am 20. Juli 1904 trat Kesselring als Fahnenjunker in das in Metz stationierte 2. Bayerische Fußartillerieregiment ein. Die Anforderungen für die Offizierslaufbahn waren in Bayern höher als in Preußen und anderen Ländern.21 Unabdingbare Voraussetzung war hier das Abitur, das in der Regel an einem Gymnasium abgelegt wurde; um die Jahrhundertwende besaßen ca. 67% der Offiziersanwärter, die als Fahnenjunker aufgenommen wurden, das Abitur eines humanistischen Gymnasiums, 33% das eines Realgymnasiums.22 Unter bestimmten Voraussetzungen war auch die Portepee-Fähnrichsprüfung möglich, die jedoch das volle Lehrprogramm eines Gymnasiums umfaßte. 23 Des weiteren konnte nach früher Aufnahme in das Kadetten-Korps das dortige Lehrprogramm, das dem eines Realgymnasiums entsprach, absolviert und mit dem Abitur abgeschlossen werden. Auf diesem Wege, den von Kesselrings Kollegen etwa der Würzburger Alfred Jodl wählte,24 erreichten etwa 25% aller Aspiranten das Offizierspatent. Eine ähnliche Laufbahn der Pagerie entsprach dem eines humanistischen Gymnasiums.25 Während in Preußen vor allem der Landadel das Reservoir fiir den Offiziersersatz bildete und das Abitur hier nicht erforderlich war, stammten die Offiziere des bayerischen Heeres um die Jahr20
Kesselring, Soldat (wie Anm. 12) S. 11. Zum Folgenden grundlegend H. Rumschöttel, Das bayerische Offizierskorps 1866-1914, Berlin 1973, S. 4 Iff 22 Ebd. S. 49. 23 Ebd. S. 47. Bei den höheren Schülern war eine Anmeldung Jahre vor dem Abitur notwendig, um aufgenommen zu werden; ebd. S. 99. 24 Vgl. F.-Ch. Stahl in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 10, Berlin 1974, S. 449; B. Scheurig, Alfred Jodl. Gehorsam und Verhängnis, Berlin 1991, S. lOf. 25 Rumschöttel (wie Anm. 21) S. 47. 21
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hundertwende vorwiegend aus dem gehobenen Bildungs- und Besitzbürgertum (über 80%); aus den niederen Ständen, wozu die Lehrer gerechnet wurden, stammten nur ca. 15-18% der Offiziere (Lehrer ca. 7%); der Adelsanteil sank ab 1900 von rund 20% bis auf 9% zu Beginn des Weltkrieges,26 war allerdings in den Spitzenpositionen höher als ein Drittel. Freilich war ein fränkischer Standesherr oder oberbayerischer Adliger, trotz mancher Angleichungsprozesse in der Prinzregentenzeit, nicht mit einem ostelbischen Junker zu vergleichen. Die bayerische Forderung nach Intelligenz und wissenschaftlicher Bildung führte, trotz des auch hier zu beobachtenden Protektionismus gegenüber Adligen, seit den achtziger Jahren zu einem höheren Bildungsniveau im Offizierskorps als in Preußen, auch wenn dort die Forderung nach „häuslicher Erziehung" und „sittlicher Bildung" wohl etwas mehr Raum für Individualität ließ. Die „demokratisch angehauchte" süddeutsche politische und gesellschaftliche Atmosphäre blieb nicht ohne Auswirkungen auf die bayerische Armee; das Verhältnis von Offizieren zu Unteroffizieren und Mannschaften war insgesamt weniger hierarchisch als in der preußischen; der Prozeß der „Verbürgerung" des Heeres führte auch zu einer engeren Verbindung mit dem gesellschaftlichen Umfeld, auf der anderen Seite aber auch zu einer „Neuaristokratisierung" des bürgerlichen Offizierskorps. 27 Auch diesen Hintergrund wird man berücksichtigen müssen, wenn man Kesselrings spätere Haltung, etwa seine im Gegensatz zu dem oft arroganten Rommel verbindlichere Haltung gegenüber den italienischen Bundesgenossen, würdigen will. Er selbst schildert seine Zeit in Metz einmal als Förderung des nationalen EinheitsGedankens, zum anderen aber auch als Öffnung gegenüber Frankreich und dem „europäischen Geist".28 Am 25. Oktober 190429 wurde Kesselring zum Unteroffizier, am 2. Februar 1905 zum Fähnrich, am 8. März 1906 zum Leutnant befördert. Am 1. März 1905 wurde er zur Kriegsschule abkommandiert, vom 10. September 1908 bis zum 19. April 1910 zur Artillerie- und Ingenieursschule. Sein sozialer Aufstieg wurde deutlich, als er am 29. März 1910 Pauline Anna (Liny) Keyssler aus einer Apothekerfamilie in Stadtsteinach nördlich von Bayreuth heiratete.30 Die Beurteilungen seiner Leistungen und Fähigkeiten waren jetzt, anders als auf dem
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Ebd. S. 63, 71, 82ff. Ebd. S. 41, 97 u. ö. Kesselring, Soldat (wie Anm. 12) S. 12. Das folgende nach dem Personalakt der Wehrmacht (wie Anm. 13), und ausfuhrlicher nach dem Personalakt der bayerischen Armee, Bayerisches Hauptstaatsarchiv-Kriegsarchiv München, OP 615 36 Personalakt Kesselring. Weiteres: Kriegsstammrolle 54, Rangliste 4, Gen. Kdo. III A.K. S. 5; Kriegsstammrolle 52, Kriegsrangliste II, Gen. Kdo III A.K. S. 15. Er selbst hat bis zuletzt seinen Namen zumeist mit ss, daneben aber auch mit ß geschrieben. Für Unterstützung im BHStA Kriegsarchiv danke ich Herrn Ltd. Archivdirektor Dr. Fuchs und Frau Archivinspektorin Köhler. Der Antrag auf Genehmigung der Eheschließung vom 15.1.1910, genehmigt 4.3.1910; Hochzeitsreise 29.3·—16.4. nach Italien und Frankreich.
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Gymnasium, positiv, wobei es offen bleiben muß, ob der Soldatenberuf in ihm plötzlich ungeahnte Kräfte freigesetzt hatte oder ob man beim Militär einfach unkritischer war als in der höheren Schule. Man bescheinigte ihm eine sehr gute körperliche Verfassung und gute geistige Veranlagung, Fleiß, gute Haltung, Autorität bei den Untergebenen und den von ihm ausgebildeten Rekruten,31 sehr gute geistige Beanlagung (sie), schnelle Auffassungsgabe, richtiges Urteil, große Energie, Pflichttreue, Eifer, großes Interesse fur die Ausbildung seiner Untergebenen wie auch fur die Weiterbildung seiner Person, daneben aber auch Gutmütigkeit, Bescheidenheit und großes Taktgefühl, tadellose außerdienstliche Führung und gesellschaftliche Formen; er sei trotz gewisser noch aufzufüllender Lücken bereits jetzt ein brauchbarer Truppenoffizier und berechtige zu den besten Hoffnungen. 32 Am 1. Januar 1909 lautete das abschließende Urteil sogar: „Leutnant Kesselring ist unter den jüngeren Offizieren mit Abstand der Beste; allem Augenschein nach verspricht er weit über die Durchschnittsqualitäten sich zu erheben". 33 Den Ersten Weltkrieg verbrachte Albert Kesselring zumeist in Stäben (vom Bataillon-Adjutanten aufwärts) der bayerischen Artillerie34 an verschiedenen Frontabschnitten;35 er nahm teil an den Kämpfen bei Metz und Nancy (August — September 1914), dem Stellungskrieg in Flandern und Artois (Dezember 1914 bis September 1915; hier erhielt er das Eiserne Kreuz 2. und 1. Klasse), der Herbstschlacht bei La Basse und Arras (September - Oktober 1915), dann wieder am Stellungskrieg in Flandern und Artois (Oktober 1915 - Juni 1916), an der Schlacht an der Somme (Juni — Juli 1916), wiederum am Stellungskrieg in Flandern (Juli 1916 - April 1917), an der Frühjahrschlacht an der Maas (April - Mai 1917), am Stellungskrieg und der Schlacht im Wytschaete-Bogen (Mai - Juni 1917), am Stellungskrieg vor Verdun (Juni - Juli 1917; an der Schlacht von Verdun 1916 hat er nicht teilgenommen), am Stellungskrieg in Lothringen (Juli — Oktober 1917), in der Champagne (Oktober 1917), bei Reims (Oktober 1917), nördlich der Alliette (Oktober-Dezember 1917), in Flandern (Januar - April 1918), an der Abwehrschlacht zwischen Marne und Vesle (Mai bis Juli 1918), am Stellungskrieg zwischen Oise und Aisne (Juli - August 1918), an der Abwehrschlacht zwischen Scarpe und Somme (August 1918), an den Kämpfen an der Siegfriedstellung (September 1918), an der Abwehrschlacht zwischen Cambrai und St. Quentin (September Oktober 1918), an der Abwehrschlacht in Flandern (Oktober - November 1918), 31
Beurteilung vom 2 2 . 1 2 . 1 9 0 4 Metz; bayerischer Personalakt wie Anm. 29.
32
Ebenso 1 9 . 1 1 . 1 9 0 6 Metz, ebd. gez. Joseph Auer, Oberst und Regimentskommandeur.
33
Ebd. Zusatz Regimentskommandeur Oberst Mayer. Ganz ähnlich 1.1.1911, 1 . 1 . 1 9 1 4 ebd.
34
Ebd. Dienstverhältnisse.
35
Ebd. Auszug aus der Kriegsrangliste; auch in: Kriegsstammrolle 54 (Rangliste 4, Gen. Kdo. III A.K. Nr. 5). Zu den hier genannten einzelnen Operationen und Schlachten vgl. Die Bayern im Großen Kriege ( 1 9 1 4 - 1 9 1 8 ) , hg. vom Bayerischen Kriegsarchiv, München 1923, S. 12ff„ 6lff., 136ff„ I46ff„ 155ff, 227ff., 235ff., 273ff., 363ff., 385ff-, 523ff., 5 3 4 f f , 5 4 5 f f , 559ff„ 564ff.
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an der Schlacht an der belgisch-holländischen Grenze (Oktober 1918), an den Kämpfen vor und in der Hermann-Stellung (Oktober - November 1918), schließlich an den Rückzugskämpfen vor Antwerpen und an der Maas-Stellung (November 1918). Vom 12. bis 30. November nahm er an der Räumung der besetzten Gebiete und am Marsch in die Heimat teil. In dieser Zeit stieg er vom Oberleutnant (23. August 1913) zum Hauptmann (20. Mai 1916) auf und erhielt weitere Orden. Bedeutend fur seine spätere Karriere war seine Versetzung als Generalstabsanwärter in der 2. Landwehr-Division am 24. November 1917, wo er, wohl fur kurze Zeit, an der Ostfront eingesetzt wurde. Am 4. Januar 1918 wurde er dann als Generalstabsoffizier dem Gen. Kdo. des II. bayerischen Armeekorps unter Versetzung zu den Offizieren in besonderer Stellung zugewiesen; am 15. April 1918 wechselte er zum Gen. Kdo. des III. Armeekorps, wo er bis nach der Demobilisierung blieb. Damit war seine spätere Laufbahn vorgezeichnet. Die Beurteilung vom 1. Januar 191736 hebt u.a. seine „rasche Auffassungsgabe", „große Entschlußkraft", „sehr gute Nerven" (darin hatte er also seit seiner Schulzeit sehr große Fortschritte gemacht), sein „vorzügliches taktisches und besonders artilleristisches Verständnis" und seine „sehr gewandten gesellschaftlichen Formen" hervor, weist aber dann auf einen großen Mangel hin, der Kesselring noch zu schaffen machen sollte: „Die Kriegsakademie hat er nicht besucht", was er jedoch durch seine Tätigkeit in Stellungen der höheren Adjutantur teilweise kompensiert habe, so daß er „auch die Stelle eines Generalstabsoffiziers in jeder Beziehung erfüllen" werde. Eine Beurteilung durch seinen Brigadekommandeur vom 25. Mai 191737 wiederholt diese Charakterisierung vielfach wörtlich und unterstreicht noch einmal: „Seine Nerven haben trotz mehrfacher 20-stündiger Arbeit nie versagt." Der zuständige Divisionskommandeur Karl Ritter von Wenninger überspielte in einem Zusatz vom 19. Mai eine weitere Schwachstelle in Kesselrings bisheriger Laufbahn, seinen fehlenden Einsatz in vorderster Linie, im Schützengraben: „Er hat nun auch in der wirklichen Front und an einer Kriegsfront bewiesen, daß er nicht nur die Eigenschaften und Fähigkeiten für einen G(eneral) St(abs) O(ffizier) besitzt, sondern auch die nötigen allgemeinen Kenntnisse, besonders ein großes Verständnis fur das Zusammenwirken der Waffen. Ich halte ihn für Verwendung im Truppen-Generalstab fur durchaus geeignet", ein Urteil, das der Kommandierende General Otto v. Stetten am 16. Juni 1917 bestätigte. Warum Kesselring nicht an die fur die Ausbildung der Generalstabsoffiziere zuständige Kriegsakademie - an den dreijährigen Kursen nahmen jährlich rund 20 Offiziere teil38 - delegiert wurde, ist nicht ersichtlich; mit
36 37 38
Bayer. Personalakt (wie Anm. 29), gez. von Generalleutnant Otto Kreppel. Ebd. Rumschöttel (wie Anm. 21) S. 103; O. Hacld, Die Bayerische Kriegsakademie (1867-1914), München 1989, S. 315ff., 334ff. Um aufgenommen zu werden, war eine strenge Prüfung erforderlich, die nur wenige bestanden.
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Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde die Kriegsakademie freilich für die Dauer des Krieges aufgelöst.39 Auf jeden Fall hätte er dort seine schwachen mediävistischen Schulkenntnisse aufbessern und von den Phantastereien der Kesselrings als Kämpfer gegen die Awaren und Hunnen in Niederösterreich abgehalten werden können, denn fur die Geschichte war an der Bayerischen Kriegsakademie von 1910 an zuständig der Editor der Freisinger Traditionen und Historiker des Rheinbundes Theodor Bitterauf (7.10.1837-6.4.1925), Schüler Theodor von Heigels und Sigmund Riezlers.40 Am 2. August 1918 wurde Kesselring nochmals beurteilt.41 Hier wird neben den schon bekannten Vorzügen sein „ausgesprochenes Organisationstalent" bei „Vorbereitungsarbeiten fiir einen größeren Angriff' besonders hervorgehoben, daneben seine „größte Arbeitskraft", die Verbindung „sehr guter Formen mit bestimmtem, taktvollem Auftreten" und seine „sehr gute militärische Erscheinung". Obschon er „in seiner bisherigen Verwendung beim General Kommando... keine Gelegenheit zu taktischer Bestätigung" hatte, wird ihm die Qualifikation fur die Funktion eines 1. Generalstabsoffiziers einer Division zuerkannt. Der Kommandierende General des III. bayerischen Armeekorps (Ludwig Frhr. von Gebsattel) schloß sich dem sehr positiven Urteil an, fugte aber hinzu, er werde, da Kesselring „noch keinen Truppendienst getan hat", ihn „demnächst fur einige Zeit mit der Führung des Bataillons betrauen". Am 10. Dezember 1918 wurde Kesselring dem Gen. Kdo. des III. Bayerischen Armeekorps zur Verwendung als Generalstabsoffizier zugeteilt und in Nürnberg stationiert. Angeblich wollte er aus dem Heer ausscheiden, sei aber von seinem „sehr stark politisch orientierten" Generalkommando gebeten worden, als Ia die Demobilisierung durchzufuhren. Die folgende Revolutionszeit bezeichnete er als die „entwürdigendste" Zeit seines Lebens.42 Während der internen Auseinandersetzungen um die starke Verkleinerung der Truppe kam es offensichtlich zu Auseinandersetzungen mit seinen Vorgesetzten. Diese schlugen sich in den Beurteilungen nieder, die zum ersten Male ausgesprochene Kritik enthalten. Am 10.
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Kesselring, Soldat (wie Anm. 12) S. I4f., schildert seine Tätigkeit während des Ersten Weltkriegs sehr kursorisch und mit Versehen; interessant sein Vergleich der Generalstabsoffiziere im Ersten und Zweiten "Weltkrieg (im letzteren „truppennäher"), S. 15. Hier auch über seinen (wohl sehr kurzen) Einsatz an der Ostfront, über den ich in den Personalakten keinen Hinweis gefunden habe. Vgl. die Nachrufe in: Jahrbuch der Ludwig-Maximilians-Universität München 1 9 1 9 bis 1 9 2 5 , München 1928, S. 69f.; Georg Leidinger in: Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1925, München 1 9 2 6 , S. 28f. („Während des Weltkrieges war er beim Auswärtigen Amt in Berlin verwendet und war außerdem unermüdlich tätig, durch Vorträge im Feld und in der Heimat die vaterländische Begeisterung wachzuhalten") (Mein Dank gilt Fridolin Dreßler für Hinweise auf diese Nachrufe). Bayer. Personalakt (wie Anm. 29), gez. wohl von Otto Hanemann (Unterschrift schwer lesbar), Gen. Kdo. III. Bayer. Armeekorps. Kesselring, Soldat (wie Anm. 12) S. 15f.
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August 1919 urteilte in Nürnberg Major Ludwig Seyler, Chef des Generalstabs beim Gen. Kdo. des III. Armeekorps, insgesamt noch positiv über Kesselring, 43 bezeichnete vor allem sein persönliches Auftreten als „bestimmt, militärisch und sehr zuvorkommend", wenn auch bei der Darstellung seiner Tätigkeit im Kriege zwischen den Zeilen das Fehlen von Kampferfahrung in vorderster Linie durchschimmert. Über seine Charaktereigenschaften heißt es dann einschränkend: „Im allgemeinen keine nachteiligen Wahrnehmungen, hat aber in einem Sonderfall die gebotene Diskretion vermissen lassen. Seine große Beharrlichkeit auf einer einmal gefaßten Ansicht hat einen seine Tätigkeit nicht selten beeinträchtigenden Mangel an Wendigkeit zur Folge." Aber auch Seyler hebt Kesselrings „hervorragende Organisationsgabe" hervor und empfiehlt ihn für den „Generalstab und Referatsdienst in höheren Kommandobehörden"; im Falle einer Verringerung der Armee solle er nicht verabschiedet werden, sei vielmehr „für gegenwärtige und nächsthöhere Stelle geeignet". Das Schriftstück endet mit der Bemerkung, Kesselring sei mit Zustimmung des Militärministeriums fur die Reichswehr freigegeben worden. Noch schärfer in seiner Kritik ist der Kommentar des Kommandierenden Generals des III. Armeekorps Eugen Ritter v. Zoellner: 44 „Hauptmann Kesselring ist ein Offizier von überragender Befähigung, großer Geschäftsgewandtheit und regem Arbeitstrieb. Seine lange Verwendung in höheren Stäben - bei jungen Jahren - hat ihn jedoch zu einer Überschätzung seiner Person gefuhrt und läßt ihn mitunter Schwierigkeiten verkennen, denen die Truppe bei Ausführung höherer Verfügung besonders in schwieriger Zeit begegnet. Der Sonderfall, wo K. die erforderliche Diskretion vermissen ließ, gab mir Veranlassung, seine Verwendung an anderer Stelle herbeizufuhren. Ich halte übrigens seine längere Belassung im Truppendienst auch als durchaus in seinem persönlichen Interesse gelegen. Für die Stelle als Batteriefuhrer geeignet, nach längerer Erprobung auch für Wiederverwendung im Generalstab." Das war wohl die schlechteste Beurteilung, die Kesselring je erhalten hat. Worum es sich bei der beanstandeten „Indiskretion" handelte, ist nicht bekannt. Er wurde aber deswegen aus dem Generalstab verbannt und am 21. Februar 1920 als Batteriechef zum Artillerieregiment 24 versetzt.45 Für mehr als zwei Jahre tat er Dienst bei der Truppe. Ab dem 1. Oktober 1922 wurde er dann mit Verfugung des Reichswehrministers ins Reichswehrministerium versetzt. Mit rund 35 Jahren wies Albert Kesselring in allen wesentlichen Zügen jenes Persönlichkeitsprofil auf, das ihn mehr als zwei Jahrzehnte später auch als Generalfeldmarschall charakterisierte. Aus dem mittelmäßigen und etwas introvertierten,
43 44 45
W i e A n m . 41. Ebd. Rückseite vom 14.8.1919. Bayerischer Personalakt (wieAnm. 29). Im Wehrmachts-Personalakt (wieAnm. 29) nicht erwähnt. Die Angabe Kesselring, Soldat (wie Anm. 12) S. 10, er sei ab 1919 31/2 Jahre Batteriechef gewesen, ist unzutreffend; er war es nur zwei Jahre und sieben Monate.
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aber sehr fleißigen Gymnasiasten war ein überdurchschnittlich guter Soldat geworden, mit guter, aber keineswegs brillanter geistiger Veranlagung, großem Fleiß, hervorragendem Organisationstalent, vorzüglichem Verständnis fur das Zusammenspiel der Waffengattungen und ausgezeichneten Umgangsformen, die ihn später, als Wolfgang Hagemann ihn kennenlernte, bei seinen Kontakten mit den Italienern auszeichneten. Das national-protestantische Elternhaus hatte ihn geprägt, die Beobachtung der sowjetischen Soldatenräte Ende 1917 und die demütigenden Erfahrungen der Revolution von 1918/19 hatten ihn noch nationaler und antikommunistisch gestimmt, das alles war aber gemildert durch das „demokratisch angehauchte" Umfeld der doch stark bürgerlichen bayerischen Armee. Er war ein typischer Stabsoffizier, so gut wie ohne Truppenerfahrung, hatte das blutige Gemetzel vor und in den Schützengräben, das so viele seiner Generation abstumpfte, brutalisierte und radikalisierte, kaum unmittelbar erlebt. Sein politischer Horizont blieb bis zu seinem Ende beschränkt. Die Herrschaft Hitlers hielt er, wie er am 15. März 1947 in seinem Prozeß aussagte,46 für legal; der „Führer" sei durch das Parlament in die Lage versetzt worden, Gesetze zu erlassen und Befehle von Gesetzeskraft zu erteilen. Wenn solche Befehle mit seinem Gewissen nicht zu vereinbaren gewesen seien, dann habe er zunächst versucht, diese durch Gespräche mit Hitler zu ändern oder aber durch eigene Auslegung bei der Ausführung zu modifizieren; auch habe er durch „Harmonisierung" der Ansichten Hitlers und Mussolinis Freiraum zu gewinnen versucht. In dieser Uberzeugung hat er bis zum bitteren Ende 1945 Hitler kritiklos gedient. Seinen Aufstieg im Reichswehrministerium und in verschiedenen Generalstäben ab 1922 braucht hier, da er anders als seine vorausgehende Karriere hinreichend bekannt ist,47 nicht im einzelnen verfolgt zu werden. Von entscheidender Bedeutung für ihn war sein Ubertritt zur (anfangs noch im geheimen Aufbau begriffenen) Luftwaffe. Am 1. Oktober 1933 wurde er Chef des Verwaltungsamtes,48 am 1. Juni 1936, nach dem tödlichen Flugunfall von Walter Wever, Chef des Luftwaffen-Kommandoamts (Chef des Generalstabs). Nach Auseinandersetzungen mit Milch, Staatssekretär im Reichsluftfahrtministerium, gab er diesen Posten genau ein Jahr später auf und wurde am 1. Juni 1937 Befehlshaber im Luftkreis III (Dresden), am 1. April 1938 Kommandierender General und Befehlshaber der Luftwaffen-Gruppe (Luftflotte) 1 in Berlin, am 12. Januar 1940 Chef der
46
47
48
Imperial War Museum, London, F0 647 Kesselring Trial. Eine kurze Zusammenfassung des Kesselring-Prozesses in: Law Reports of Trials of War Criminals. Selected and Prepared by the United Nations War Crimes Commission vol. VIII (o.J.) Case No. 44, S. 9 - 1 4 . Kesselring, Soldat (wie Anm. 12) S. 32ff.; Macksey (wieAnm. 12) S. 32ff.; Kurowski (wie Anm. 12) S. I4ff.; Lewis (wie Anm. 12) S. 272ff.; Krautkrämer (wie Anm. 12) S. 121ff., und die zahlreichen Militärgeschichten. Alle folgenden Angaben nach dem Wehrmachts-Personalakt (wie Anm. 29). Vgl. Kesselring, Soldat (wie Anm. 12) S. 39ff.
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Luftflotte 2 und Befehlshaber Nordwest. Nach zunächst langsamerem Aufstieg im Reichswehrministerium (1. Februar 1925 Major, 1. Februar 1930 Oberstleutnant, 1. Oktober 1932 Oberst) ging es in der Luftwaffe rapide aufwärts: 1. April 1934 Generalmajor, 1. April 1936 Generalleutnant, 1. Juni 1937 General der Flieger, 19. Juli 1940 Generalfeldmarschall. Die neue, elitäre Waffengattung Luftwaffe versprach schnellen Aufstieg. Mit 48 Jahren lernte der Artillerist Kesselring das Fliegen. 49 Hitler, der selbst Flugangst hatte, mißtraute freilich den Flugkünsten seines Feldmarschalls und empfahl ihm nach Unfällen, sich auch im Fieseier Storch von seinem Piloten fliegen zu lassen;50 freilich hat der „Führer" auch dem versierten Flugzeugführer Heß zeitweilig das Fliegen verboten.51 Nach dem Polenfeldzug, an dessen Erfolg Kesselring als Chef der Luftflotte 1 beteiligt war, und dem ebenfalls siegreichen Frankreichfeldzug als Chef der Luftflotte 2 52 folgte das Mißlingen der „Schlacht um England", an dem Kesselring seinen Anteil hatte, und der Einsatz in der Sowjetunion bis November 1941. 53 Seit dem 28. November 1941 war Kesselring im zunächst als „Oberbefehlshaber Süd" (in Wirklichkeit nur der dortigen deutschen Luftstreitkräfte), ab 26. Juli 1943 als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd, ab 21. November 1943 nach Umstrukturierung Oberbefehlshaber der Heeresgruppe C (Südwest) in Italien.54 In dieser Zeit, wie wir uns erinnern, am 26. bzw. 30. September 1943, kam Wolfgang Hagemann als Sonderfuhrer (K) in sein Hauptquartier auf dem Monte Soratte. Wohl bald danach hat Hagemann eine Charakterisierung Kesselrings eines unbekannten, gut informierten Autors aus einer unbekannten Sprache (wohl aus dem Italienischen) übersetzt.55 Darin wird
49
In seinem Wehrmachts-Personalakt (wie Anm. 29) werden Flugscheine für Landflugzeuge angeführt: A2 (ohne Datum), erweitert auf Klasse B1 (Dresden 19.12.37), B2 und C 2 (gleiches Datum), außerhalb der Flughafenzone unter einfachen Verhältnissen.
50
Tischgespräche Adolf Hitlers, Monologe im Führerhauptquartier 1 9 4 1 - 1 9 4 4 , Die Aufzeichnungen Heinrich Heims, hg. v. W. Jochmann, München 1982, S. 35. Vgl. Anm. 8.
51
R. F. Schmidt, Rudolf Heß „Botengang eines Toren?" Der Flug nach Großbritannien vom 10. Mai
52
Kesselring, Soldat (wie Anm. 12) S. 52ff., 68ff. Zum Hintergrund vgl. W. Deist, in: Das Deutsche
1941, Düsseldorf 1997, S. 157. Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 1, Stuttgart 1979, S. 486ff.; H. Umbreit, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 2, Stuttgart 1979, S. 258, 327. 53
Kesselring, Soldat (wie Anm. 12) S. 88fF„ 11 Iff. Vgl. E. Klink, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 4, Stuttgart 1983, S. 2 8 5 , 3 0 5 , 3 0 9 , 3 1 8 u.ö.
54
Kesselring, Soldat (wie Anm. 12) S. 161ff., 185ff, 215ff., 228ff.; vgl. B. Stegemann, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg Bd. 3, Stuttgart 1984, S. 6 4 6 , 676f.; R. Stumpf, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 6, Stuttgart 1990, S. 573ff.
55
Bundesarchiv, Militärarchiv Freiburg/Br.; ehemaliges Militärarchiv der D D R , Mikrofilm W F 0 1 / 3 1 7 1 . Das Stück ist unvollständig (S. 1 fehlt) und von Hagemanns eigener Hand gezeichnet: „Dr. Hagemann, Sonderfuhrer (K)." Wegen der relativ ausgewogenen Beurteilung Kesselrings kann es sich kaum um Feindpropaganda handeln; der unbekannte Verfasser war gut informiert, wenn auch die Ausführungen nicht fehlerlos sind.
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ausgeführt, Kesselring habe sich bereits in den zwanziger Jahren in „allerbester deutscher militärischer Gesellschaft" befunden und enge Kontakte zu v. Brauchitsch, v. Blomberg, v. Seeckt, v. Arnim, v. Sponeck und Jodl gehabt. Er sei Spezialist für kombinierte Operationen von Erdtruppen und der Luftwaffe, besonders der Stukas. Sein Übertritt zur Luftwaffe, so heißt es weiter, sei nicht aus eigenem Interesse erfolgt, sondern sei ihm aufgetragen worden, um als Beauftragter des Heeres die neu entstehende Luftwaffe zu kontrollieren. Er habe die „Säuberung ohne Blutvergießen" überlebt, sei weder Nazi noch Anti-Nazi, sei der N S D A P nicht beigetreten (was freilich bei hohen Offizieren die Regel war); er sei ein begeisterter Techniker und nur an der Vervollkommnung der deutschen Militärmaschinerie interessiert. Unter seiner Führung habe die Zusammenarbeit von Luftwaffe und Heer funktioniert; die Luftschlacht von England habe er freilich verloren. Dann folgt eine Charakterisierung seiner Persönlichkeit, die das bestätigt, was sich aus den Akten seiner Entwicklungszeit erschließen läßt: Kesselring habe „das geniale Benehmen eines wohlerzogenen Bayern, keine kalte Arroganz seiner preußischen Kollegen und auch nicht die plebejische Prahlerei Rommels". Er zeige eine gewisse angeborene Menschlichkeit. Das Bombardement von Warschau habe er als „widerliche Sache" bezeichnet. 56 In Italien habe der Bruch Rommels mit den italienischen Generälen bevorgestanden. Kesselring habe als Oberbefehlshaber wieder alles gekittet, Freundschaft mit italienischen Stabsoffizieren geschlossen und Mussolini gewonnen. 57 Die Spannungen zwischen Kesselring und Rommel seien freilich geblieben. 58 Rommel habe in Berlin alle Parteiinstanzen eingesetzt, um Kesselrings Ernennung zum Oberbefehlshaber Süd zu verhindern. Hier habe dieser noch einmal in idealer Weise seine kombinierten Land- und Luftschlachten schlagen und seine frühen Kenntnisse als Artillerist anwenden können. Dennoch hätten die Alliierten große Erfolge errungen. Als Hagemann im Hauptquartier auf dem Monte Soratte eintraf, war die große Abwehrschlacht nach der Landung der Briten und Amerikaner bei Salerno gerade wenige Wochen alt. Hier hat Kesselring, das ist auch das Urteil seiner Gegner, seine glänzende Organisationsgabe und sein technisches Geschick unter Beweis stellen können, wobei er freilich auch von den Fehlern der Alliierten profitierte. Bei den
%
Vgl. aber Kesselring, Soldat (wie Anm.) S. 59ff.
57
Vgl. ebd. S. 138ff.
58
Vgl. die zahlreichen kritischen Bemerkungen über Rommel, Kesselring, Soldat (wie Anm. 12) S. 141, I 6 l f f , 181, 192 u.ö. Freilich war Rommel ebenfalls kein preußischer Junker, sondern entstammte als Sohn eines Oberrealschullehrers aus Heidenheim/Brenz demselben sozialen Ambiente wie Kesselring, hatte aber anders als dieser u.a. durch die Schlacht in den West-Argonnen und am Isonzo Erfahrung als Truppenbefehlshaber im vordersten Fronteinsatz. Z u m Hintergrund vgl. R. Stumpf, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 6, Stuttgart 1990, S. 569ff. Hier auch etwa S. 580 Fehlbeurteilungen der Lage durch Kesselring.
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Kämpfen der folgenden 20 Monate war der ungeheure Reichtum Italiens an Kunstschätzen, Handschriften, Archivalien und historischen Bauwerken in höchster Gefahr; ihnen allen drohte die Zerstörung, den Kunstschätzen, Handschriften und Archivalien auch der Raub. Z u m Schutz dieses unersetzlichen Kulturguts ist Hagemann von Kesselring als Sonderfuhrer (K) berufen worden. Erst einige Wochen später, im Oktober, trat die „Abteilung Kunstschutz" unter der Leitung von Bernhard von Tieschowitz als Teil des Militärverwaltungsstabs beim Bevollmächtigten General der Deutschen Wehrmacht in Italien ins Leben, 59 in der viele andere deutsche Gelehrte, die teilweise mit Hagemann befreundet waren, wie Otto Lehmann-Brockhaus, Friedrich Bock, Gottfried Opitz und Ludwig Heydenreich, wirkten und mit der Hagemann natürlich eng zusammenarbeitete. Seine zentrale Funktion als Kulturbeauftragter des Oberbefehlshabers in dessen Hauptquartier sicherte ihm jedoch einen höheren Einfluß, als viele seiner Kollegen im „Kunstschutz" besaßen. Es kann hier auf engem Raum nicht die Aufgabe sein, das Problem des Kunstschutzes und Kunstraubes nochmals in aller Breite aufzurollen. 60 Als Zeuge der Verteidigung wurde Wolfgang Hagemann vom Verteidiger Kesselrings im Prozeß in Venedig, Dr. Hans Laternser, über die Maßnahmen des Angeklagten zum Schutz von Kunstwerken und historischen Monumenten, nicht wegen des Hauptanklagepunktes Kriegsverbrechen, befragt: Ziel Laternsers war es, auf diese Weise die Persönlichkeit des Feldmarschalls in möglichst günstigem Licht erscheinen zu lassen, ihn als Bewahrer des Welterbes an Kulturgut, als gebildeten Menschen von großer Humanität vor allem gegenüber den Italienern darzustellen, von denen er viele, so die Anklage, unter exzessiver Anwendung kriegs- und gewohnheitsrechtlicher Maßnahmen im Partisanenkrieg habe umbringen lassen.61 Zu diesem Zweck kann hier zum ersten Male der Nachlaß Laternsers ausgewertet werden,62 dessen Material zur Ergänzung bisheriger Darstellungen dienen soll. Sofort nach seiner Ankunft im Hauptquartier wurde Hagemann nach seiner Aussage 63
59
60 61
62
63
Darüber Hagemann (wie Anm. 9) S. 133f., und ausführlich L. Klinkhammer, Die Abteilung „Kunstschutz" der deutschen Militärverwaltung in Italien 1943-1945, in: Q F I A B 72 (1992), S. 483ff. Zum allgemeinen Hintergrund vgl. ders., Zwischen Bündnis und Besatzung. Das nationalsozialistische Deutschland und die Republik von Salö 1943-1945, Tübingen 1993. Dazu Klinkhammer, Kunstschutz (wie Anm. 59). Zum rechtshistorischen Hintergrund des Kesselring-Prozesses als Teil der von langer Hand geplanten Kriegsverbrecherprozesse der Alliierten vgl. R. B. Herde, Command Responsibility. Die Verfolgung der „Zweiten Garde" deutscher und japanischer Generäle im alliierten Prozeßprogramm nach dem Zweiten Weltkrieg (im Druck). Bundesarchiv - Militärarchiv Freiburg/Br., Nachlaß Laternser Ν 431. Ebd. Nachlaß Kesselring Ν 750. Ich bin Gerd R. Ueberschär zu großem Dank verpflichtet, ohne dessen Hilfe die folgenden Ausführungen nicht möglich gewesen wären. Vgl. Anhang. Dazu der von Hagemann am 16.4.47 bei der Vorbereitung der Verteidigung ausgefüllte Fragebogen von 33 Punkten, Nachlaß Laternser (wie Anm. 62) Nr. 877. Dadurch werden die Angaben in Hagemanns Bericht vom 9.4.46, S. 132f. (wie Anm. 9) teilweise präzisiert.
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von Zolling mit der Ausarbeitung von Vorschlägen „bezüglich des Schutzes von Kunst und historischen Monumenten" beauftragt, die er bereits am 1. Oktober 1943 Kesselring persönlich vortrug. In dem Gespräch habe ihm der Feldmarschall versichert, „daß alles Erdenkliche innerhalb der durch militärische Interessen gesetzten Grenzen getan werden solle, die Kunst und die historischen Monumente in Italien zu schützen." Auf die Frage Laternsers, welche Maßnahmen erörtert worden seien, antwortete Hagemann: „Zu allererst sollten in Gebäuden, die von gewisser künstlerischer Bedeutung waren, und in solchen, die Kunstschätze enthielten, keine Truppen einquartiert werden." Gegebenenfalls wurden bereits belegte Gebäude von Truppen geräumt. Vom Verteidiger nach seinen Aufgaben als Kunstschutz-Beaufitragter des Oberbefehlshabers Südwest befragt, hatte Hagemann zuvor ausgeführt: „Ich war Berater in allen Kunstangelegenheiten und hatte alle Berichte oder Gesuche bezüglich Kunst, aus welchen Quellen sie auch stammten, seien es deutsche, italienische oder vatikanische Quellen, zu bearbeiten und die Antworten vorzuschlagen; ich mußte die Antwort vorbereiten und entwerfen und dann Verbindung mit dem Fachmann für den Schutz von Kunst und Monumenten im Gebiet des Bevollmächtigten Generals aufnehmen." Hagemann legte seine Vorschläge Zolling zum Vortrag beim Chef des Stabes oder direkt bei Kesselring vor. Nachdem seine Entwürfe gebilligt waren, bereitete er sie zur Herausgabe vor. Über seine Verbindungen zum „Kunstschutz", die infolge der komplizierten Kommandostruktur bedingten vielfachen Leerläufe - nicht selten, wie im Falle des Abtransports von Handschriften, Archivalien und Kunstgegenständen aus dem Kloster Montecassino wußte die rechte Hand nicht, was die linke tat - hat Hagemann selbst berichtet,64 und neuere Arbeiten haben Einzelheiten ans Tageslicht gebracht. 65 Hagemann schilderte sodann das dabei angewandte Verfahren: Zunächst nur von seiner Dienststelle ausgegebene, später von Kesselring selbst unterzeichnete Anschläge, die den Truppen die Einquartierung verwehrten, wurden an alte Monumente und historische Stätten überall in Italien angeschlagen (nach einiger Zeit als feste Schilder), insgesamt an mehr als 500, nicht eingerechnet die Kirchen. Insgesamt hätten die Truppen diese Verbotsschilder beachtet; falls von italienischer Seite Klagen eingingen, wurden von Kesselring sofort Untersuchungen eingeleitet. Alle zuständigen Instanzen und oft der Feldmarschall selbst hätten bei Truppenbesuchen darauf hingewiesen, daß die alten Monumente soweit wie möglich während der Kämpfe beschützt und gerettet werden müßten, und die Truppen hätten sehr häufig diesen Instruktionen Kesselrings kein Verständnis entgegengebracht, wie er von dessen Begleitoffizieren später erfahren habe. Kesselring habe jedoch darauf bestanden, daß zum Schutze dieser Gebäude alles irgendwie Mögliche getan werden
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Hagemann (wie Anm. 9). Klinkhammer, Kunstschutz (wie Anm. 59) etwa S. 504f. (Montecassino).
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müsse. Bewegliche Kunstschätze, so antwortete Hagemann auf die Frage Laternsers, wurden in italienische Depots außerhalb der Städte gebracht, wo sie vor Bombenangriffen sicher gewesen seien; beim Näherrücken der Front seien sie jedoch im Zusammenwirken mit den italienischen Behörden wieder in die Städte gebracht worden, wo sie sicherer als in Einzeldepots außerhalb gewesen seien. D a den Italienern Transportmittel gefehlt hätten, habe Kesselring, obschon auch auf deutscher Seite Mangel an Fahrzeugen und an Treibstoff geherrscht habe, darauf bestanden, daß die Truppen Transportmittel (sprich: Lastkraftwagen) und Treibstoff fur diese Zwecke zur Verfugung stellten, und er erinnerte besonders an die Rettung der Kunstschätze von Montecassino und der Archivalien des Staatsarchivs Bologna. Hagemann hat hier manches sicher geschönt, wie die Zusammenarbeit mit den Italienern, und verkürzt dargestellt. Immerhin war es Kesselring, der im Falle von Montecassino Anfang November 1943 die dort verwahrten Kunstschätze, die zunächst in das Nachschublager der Division „Hermann Göring" bei Spoleto gebracht worden waren, vor größeren Plünderungen bewahrte und ihren dann nach weiteren Verzögerungen durchgeführten Transport nach Rom veranlaßte. 66 Auf die Frage Laternsers, wohin die Kunstschätze gebracht worden seien, gab Hagemann ebenfalls nur allgemeine Hinweise: solange die Front südlich von Rom verlaufen sei, so sagte er aus, seien sie nach Rom, möglichst in kirchliche Bereiche, gebracht worden, wo man sie als auf neutralem Grund befindlich ansehen konnte. Nach der Aufgabe Roms seien sie teils nach Florenz, Bologna und Modena, einige nach Venedig, und ein großer Teil in zwei Depots in der Provinz Bozen transportiert worden, wo sie am Ende des Krieges von deutschen Professoren den fur Kunstschätze zuständigen alliierten Behörden übergeben wurden. 6 7 Auf die Frage Laternsers, ob die Kunstschätze in Italien bleiben oder nach Deutschland gebracht werden sollten, antwortete Hagemann, er wisse, daß anfangs nationalsozialistische Kreise der Ansicht waren, daß alle Kunstwerke, die deutschen Ursprungs waren oder etwas mit deutscher Geschichte zu tun hatten, über die Grenze nach Deutschland geschafft werden sollten. Kesselring habe ihm jedoch gesagt, daß alles getan werden müsse, um zu verhindern, daß irgendwelche dieser Kunstschätze italienisches Territorium verließen. 68 Hagemann versicherte, daß alle italienischen Be-
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II bombardamento di Montecassino. Diario di guerra di E. Grossetti - M. Matronola. Con altre testimonianze e documenti, hg. v. F. Avagliano, Montecassino 1980; Klinkhammer, Kunstschutz (wie Anm. 59) S. 504ff. Über das Staatsarchiv Bologna vgl. ed. Gencarelli (wie Anm. 9) S. 153, 163, 203, 218. Im größeren Zusammenhang Klinkhammer, Kunstschutz (wie Anm. 59) S. 521ff. Über die Depots vgl. Klinkhammer, Kunstschutz (wie Anm. 59) S. 517ff., über Südtirol S. 537ff. Bei den erwähnten Professoren handelt es sich wohl um Alexander Langsdorff und Leopold Reidemeister; vgl. über sie Klinkhammer, Kunstschutz (wie Anm. 59) S. 490, 536f. Nach Hagemanns Fragebogen (wie Anm. 63) erfolgte die Verlegung nach Südtirol, Venedig und auf Inseln im Lago Maggiore, als geistliche Stellen die Annahme verweigert hatten.
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Vgl. zum ganzen Problem Klinkhammer, Kunstschutz (wie Anm. 59) S. 49Iff., 532ff. Im Fragebo-
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schwerden über den Raub von Kunstgegenständen durch die zuständigen Armeekommandos untersucht und in allen Fällen als gegenstandslos erwiesen wurden; er fuhrt dabei zwei Beispiele von angeblichem Raub von Gemälden in Marzabotto69 und Fori! an, die, wie die Untersuchung ergab, den italienischen Behörden übergeben worden waren. Die Frage nach dem Schutz größerer Städte von historischer Bedeutung beantwortete Hagemann, indem er darauf hinwies, er habe mit Kesselring des öfteren darüber gesprochen, und dieser habe gesagt, er würde alles daransetzen, historische und künstlerisch bedeutende Städte in Italien, soweit es möglich sei, vor den Schrecken des Krieges zu schützen. Er nannte dazu als Beispiel in Mittelitalien Anagni, Chieti, Perugia, Siena und Orvieto (im Fragebogen fügte er Iesi und Fermo hinzu), in Norditalien die kleine Republik San Marino, Bologna, Venedig, Vincenza, Verona (Modena und Reggio Emilia), wo durch Abzug militärischer Stäbe und Umleitung des Verkehrs alliierte Bombenangriffe auf diese Orte abgewendet wurden. In seiner schriftlichen Aufzeichnung betonte Hagemann, daß Kesselring Rom vor Zerstörung bewahrt habe, was militärische Nachteile nach sich gezogen habe; beim Rückzug habe er ihn ständig über die künstlerische Bedeutung mittelitalienischer Städte informiert, worauf der Feldmarschall in fast allen Fällen die kampflose Räumung befohlen habe. Die letzte Frage Laternsers nach der Einstellung Kesselrings zur italienischen Zivilbevölkerung beantwortete Hagemann wie folgt: „Ich habe immer bemerkt, daß der Feldmarschall eine korrekte, und ich kann sagen, freundliche Haltung gegenüber den italienischen Behörden eingenommen hat, und ich war von dieser seiner Haltung so überzeugt, daß ich den Behörden, insbesondere kirchlichen Behörden, immer riet, irgendwelche menschlichen Probleme, die sie hatten, wenn möglich direkt dem Feldmarschall vorzulegen, denn, wenn es möglich war, irgend etwas für sie zu tun, dann war das die Stelle, wo es getan wurde. Und ich könnte zahlreiche Beispiele dafür anfuhren, um zu zeigen, daß direkte Anträge in solchen Angelegenheiten an den Feldmarschall immer Erfolg hatten." In seinen schriftlichen Ausführungen betonte Hagemann: „Ich kenne aus meiner Zusammenarbeit den Feldmarschall so genau, wie gütig und allgemein menschenfreundlich er war. Niemals wäre es ihm in den Sinn gekommen, Grausamkeiten seiner Soldaten an der Zivilbevölkerung auch nur zu dulden, geschweige denn anzustiften." Laternser verzichtete auf weitere Fragen über Einzelheiten, denn der Judge Advocate hatte ihn bereits vorher darauf hingewiesen, daß die Aussagen Hagemanns nichts zur
gen hat Hagemann präziser niedergelegt, daß Dokumente (Archivalien), die für die deutsche Geschichte von Interesse waren, nach Deutschland gebracht werden sollten. 69
Uber das dort von deutschen Truppen am 30.9. und 1 . 1 0 . 4 4 verübte Massaker als Repressalie gegen die Aktionen einer kommunistischen Partisanenbrigade vgl. Klinkhammer, Zwischen Bündnis und Besatzung (wie Anm. 59) S. 2 2 , 4 5 5 f . mit der älteren Lit; ders., Stragi (wie unten Anm. 197) S. 118flf.
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Sache beitrügen, weil die Anklage nicht laute, daß Kesselring brutal gewesen sei und die Italiener nicht gemocht habe. Zu zeigen, daß er freundlich zu den Italienern gewesen sei, sei nicht hilfreich. Er sei nicht angeklagt, das ganze italienische Volk mißhandelt zu haben, sondern die Frage sei, wie er sich verhalten habe, wenn er sich mit dem Problem der Partisanen zu befassen hatte. Laternser solle also nicht in zu große Details bezüglich der Behandlung alter Monumente durch Kesselring gehen. Der Verteidiger erwiderte sinngemäß, man müsse die Persönlichkeit Kesselrings insgesamt beurteilen und könne seine Haltung gegenüber den Partisanen nicht von seiner allgemeinen Einstellung trennen; man könne nicht in einer Hinsicht human, in allem anderen nicht human sein.70 Bevor wir die Vorbereitung des Prozesses und das von Laternser dafür gesammelte Material behandeln, muß hier noch auf die durch neue Dokumente belegte Rolle Hagemanns bei den Versuchen um Aufklärung der Vernichtung der unschätzbaren Bestände des wegen der alliierten Bombenangriffe von Neapel in die südöstlich von Nola zwischen S. Paolo Bei Sito und Livardi gelegene Villa Montesano ausgelagerten Staatsarchivs Neapel eingegangen werden. Diese Zerstörung war eine „zweifellos äußerst schmerzliche Ausnahme"71 einer ansonsten erfolgreich auf Rettung vor Vernichtung und vor Verschleppung der Bestände nach Deutschland ausgerichteten Politik deutscher Historiker wie Theodor Mayer, Gottfried Lang, Friedrich Bock, Gottfried Opitz und anderer, die in der „ A b t e i l u n g Archivschutz" des „Kunstschutzes" organisiert waren.72 Der wohl erste besonders wichtige Auftrag, der Hagemann im Hauptquartier des OBSW zufiel, war die Untersuchung der Vorfälle, die am 30. September 1943 zur Verbrennung des Archivs durch einen aus drei Mann bestehenden Trupp deutscher Soldaten, offensichtlich aus der in dieser Gegend operierenden Division „Hermann Göring", gefuhrt hatten. Nach seinem Bericht vom 6. Februar 194673 wurde man im Hauptquartier im November 1943
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Das Protokoll ist an dieser Stelle schlecht formuliert; ich versuche, den Sinn der Replik Laternsers wiederzugeben. Dasselbe Urteil über Kesselring bei S. Westphal, Heer in Fesseln. Aus den Papieren des Stabschefs von Rommel, Kesselring und Rundstedt, Bonn 1950, S. 257ff. Klinkhammer, Kunstschutz (wie Anm. 59) S. 525. Italian Archives During the War and its Close, compiled by Hilary Jenkinson and Η. E. Ball, London 1947, S. 6ff.; Klinkhammer, Kunstschutz (wie Anm. 59), S. 525. Jetzt gedruckt in: R. Filangieri, L'Archivio di Stato di Napoli durante la Seconda Guerra Mondiale, a cura di St. Palmieri, Neapel 1996, Anhang: Document! Nr. 13 S. 35ff. Die polemischen Formulierungen des Herausgebers S. 8 tragen freilich kaum zur sachlichen Klärung der Ereignisse bei, wie er auch sonst auf die Widersprüche in den Aussagen nicht eingeht. Vgl. auch ders., Napoli, settembre 1943, in: L'incidenza dell'antico, Studi in memoria di Ettore Lepore Bd. 3, hg. v. C. Montepaone, Neapel 1996, S. 270f.; ders., L'Archivio di Stato di Napoli: distruzioni durante la Seconda Guerra Mondiale e successiva ricostruzione, in: Archivum 42 (1996), S. 242f. Vgl. vorher: Commissione alleata, sottocommissione per i monumenti, belle arti e archivi. Rapporto finale sugli archivi, Rom 1946, S. 54ff. (Bericht Filangieris); Italian Archives During the War (wie Anm. 72) S. 16, 44fF. Wichtige Mitteilungen fur das Folgende verdanke ich Martin Bertram.
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durch den Bericht einer englischen illustrierten Zeitschrift: auf die Zerstörung des Archivs aufmerksam; danach hätten deutsche Truppen absichtlich das Archiv im Depot der Villa Montesano vernichtet. Da dem Oberkommando davon nichts bekannt war, wurde Hagemann mit einer Untersuchung beauftragt, um diesen Bericht gegebenenfalls zu widerlegen oder, falls er zutraf, die Verantwortlichkeit zu klären. Da die Ereignisse damals bereits zwei Monate zurücklagen und die deutschen Truppen das Gebiet von Nola geräumt hatten, erwies sich die Untersuchung als schwierig. Das Oberkommando wandte sich dieserhalb an das Kommando der 10. Armee, die die Militärgerichtsbarkeit im Raum Nola ausgeübt hatte, und bat um eine genaue Untersuchung. Das Ergebnis lag nach drei Wochen vor und besagte, daß kein deutsches Kommando, auch kein unteres, jemals Nachricht von der Existenz eines Depots des Staatsarchivs Neapel im Gebiet von Nola erhalten hatte und daß daher auch nie ein solcher Zerstörungsbefehl von irgendeinem deutschen Kommando hätte gegeben werden können. Das Kommando der 10. Armee bat, darüber eine offizielle Erklärung abzugeben, um die Behauptung der Engländer zu widerlegen. Hagemann aber riet von einer solchen Erklärung durch den OBSW ab, da aufgrund der genauen englischen Angaben der Verdacht bestand, die Villa Montesano sei in der Tat von deutschen Truppen zerstört worden, aber aus anderen Motiven, d.h. nicht, um das dort lagernde Archiv zu vernichten. Er wandte sich deshalb nochmals telefonisch an das Kommando der 10. Armee mit der Bitte zu untersuchen, ob in der betreffenden Zeit im Gebiet von Nola Häuser oder Villen von deutschen Truppen zerstört worden seien und aus welchen Gründen. Einige Tage später erhielt er als Antwort, am 30. September sei als Vergeltung fur die Tötung einiger deutscher Soldaten vom Kommando Nola die Zerstörung zweier Villen in diesem Bereich angeordnet worden, doch könne man deren Namen nicht mehr feststellen. Das Armeekommando betonte erneut, daß kein deutsches Kommando über die Existenz eines Archivdepots im Gebiet von Nola informiert gewesen sei. Bis zum Ende der Feindseligkeiten, so Hagemann, habe der OBSW keine weiteren Einzelheiten über die Vernichtung des Archivs erfahren, aber bei der Verhandlung mit den für den Schutz von Kunstwerken, Archiven und Bibliotheken zuständigen italienischen Behörden immer darauf gedrungen, die deutschen Militärbehörden über die Lagerorte und den Inhalt von entsprechenden Depots zu informieren, damit rechtzeitig Schutzmaßnahmen ergriffen werden könnten. Hagemann schildert zudem die Lage der deutschen Truppen im Kampfgebiet um Neapel. Da der Nachschub noch unregelmäßig eingetroffen sei, hätten die Fronttruppen sich durch Beschlagnahmungen vielfach selbst versorgen müssen, wobei es zu Übergriffen einzelner Soldaten und Gruppen gekommen sei.
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Was zwischen dem 28. und 30. September in der Villa Montesano wirklich geschah, ist bis heute nicht in allen Einzelheiten geklärt, da die gegenüber dem zuständigen Soprintendente, dem Grafen Riccardo Filangieri, abgegebenen Berichte und Aussagen der Zeugen74 nicht ohne Widersprüche sind und es von deutscher Seite versäumt wurde, damals bei Nola stationierte Offiziere und Soldaten nach Ende des Krieges ausfindig zu machen und zu befragen, solange dazu Gelegenheit war; heute, 57 Jahre Danach, dürfte es sehr schwer sein, noch Lebende ausfindig zu machen, die an den Vorfällen unmittelbar beteiligt waren. Fest steht, daß kein Befehl einer höheren deutschen Kommandostelle zur Vernichtung des Archivs gefunden wurde, was das Ergebnis der von Hagemann veranlaßten Untersuchung durch das Kommando der 10. Armee, das, so darf angenommen werden, korrekt durchgeführt wurde,75 bestätigt, so daß alle Behauptungen, es habe sich um eine von höherer Stelle angeordnete Vergeltungsmaßnahme fiir den Aufstand in Neapel vom 26. September im Zusammenhang der darauf von deutschen Einheiten praktizierten „Politik der verbrannten Erde" gehandelt, eines Beweises ermangeln.76 Offensichtlich hatte an der Zufahrtsstraße zur Villa, die von der Hauptstraße südöstlich von S. Paolo Bei Sito nach Süden abzweigt, zunächst im Schutze der Nußbäume einige Zeit eine deutsche gepanzerte Kolonne kampiert, deren Soldaten mit den Bewohnern der Villa und umliegender kleiner Gebäude - Pächter und Archivpersonal - freundlichen Umgang pflegten. Nach deren Abzug am 28.September77 kamen noch am Nachmittag des gleichen Tages drei deutsche Soldaten in die Villa, um Vieh zu beschlagnahmen; es handelte sich dabei wohl um einen der von Hagemann erwähnten Trupps zur „Selbstverpflegung" der unter Nachschubschwierigkeiten leidenden Verbände. Sie inspizierten auch alle Räume der Villa und wurden vom Direktor des Depots Antonio Capograssi, wie dieser aussagte,78 über den Inhalt der Kisten mit den Archivalen informiert, ohne daß irgendeine geöffnet wurde. Wie die Verständigung erfolgte, ob die Soldaten etwas Italienisch verstanden, läßt die Aussage Capograssis offen. Am Morgen des folgenden Tages, des 29. September, erschien ein deutscher Offizier mit Fahrer, begab sich in den ersten Stock, wo Capograssi mit seiner Familie wohnte, „unter dem Vorwand, einen Koffer zu fordern". Dann besichtigte er die Räume, in denen das Archiv lager-
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Gedruckt von Palmieri wie vorige Anm. Die wörtlich weitgehend identischen Aussagen unter Eid der Zeugen Enrico Negri und Gennaro Scatola (Nr. 10 und 11) erwecken den Verdacht der „Formulierungshilfe". So auch Hagemann am Ende seines Berichts vom 20.5.46, s. Anm. 89. Klinkhammer, Kunstschutz (wie Anm. 59) S. 498ff. So nach Aussagen des (damals noch im Kindesalter stehenden) Augenzeugen Giuseppe Foglia in: Villa Montesano, San Paolo Bei Sito 1997, mit einleitenden Bemerkungen von Pietro Luciano und Pasquale Colucci, S. 9 Anm. 14. Ich folge hier zunächst dessen Aussage vom 19.10.43, ed. Palmieri Nr. 4 S. 21 f., da er der Leiter des Depots war.
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te. Er ließ eine Kiste öffnen und untersuchte einige Dokumente; Capograssi zeigte ihm noch andere und klärte ihn angeblich über die Bedeutung des Archivs auf, das auf Anordnung der faschistischen Regierung dorthin verbracht worden sei, um es vor Bombenangriffen zu schützen. Wie die Verständigung erfolgte, läßt Capograssi auch hier offen. Am Nachmittag des gleichen Tags (29. September) erschienen nach seinem Bericht drei deutsche Soldaten, requirierten einige Nahrungsmittel, durchstöberten unter dem Vorwand der Suche nach Waffen die Gegenstände der Beamten und Kustoden und wurden angeblich erneut auf das Archivmaterial hingewiesen. Am Morgen des 30. September, nach 10 Uhr, seien, so Capograssi weiter, drei mit Maschinenpistolen bewaffnete deutsche Soldaten auf einem Motorrad eingetroffen; darunter habe sich einer befunden, der bereits am Nachmittag des Vortages dabeigewesen sei. Dieser habe französisch gesprochen und erklärt, daß innerhalb von 15 Minuten die Kisten angezündet würden. Capograssi will ihn mit beschwörenden Worten (wohl auf französisch) auf die Bedeutung des Archivs für die Wissenschaft der Welt und auch Deutschlands hingewiesen und den Inhalt des gleich zu erwähnenden Briefs Filangieris an das deutsche (wohl untere) Kommando von Nola auf französisch bekannt gemacht haben, in dem u. a. das unter den Archivalien befindliche Register Kaiser Friedrichs II. erwähnt wurde. Die Soldaten hätten gesagt, das Kommando sei genau informiert und habe den Befehl erteilt, alles zu verbrennen. Capograssi habe vergeblich versucht, die Brandstiftung zu verzögern, indem er Filangieris Brief persönlich zum Kommando (nach Nola) zu bringen vorschlug, sei aber brutal bedroht worden, und die Soldaten hätten mit Hilfe von Brandpulver {polverepirica) an vier Punkten Feuer gelegt. Bevor sie das Gebäude verließen, hätten sie bemerkt, der Befehl zur Vernichtung des Archivs sei als Vergeltung für die Tötung zweier deutscher Soldaten im nahegelegenen S. Paolo Bei Sito erfolgt. Capograssi sah das als „notdürftige und verachtenswerte Ausrede" an. Eine Stunde später seien die Soldaten erneut erschienen, um das hoch auflodernde Feuer (durch neues Brandpulver?) weiter zu schüren. Alle Versuche, es zu löschen, seien gescheitert, und nur wenige Materialien konnten gerettet werden. Das Feuer habe drei Tage lang gewütet und alles zu einer kompakten Masse von Asche reduziert. Soweit der Bericht des ranghöchsten Beamten. Die gegenüber Filangieri unter Eid gemachten späteren Aussagen anderer Zeugen weichen von diesem Bericht des höchsten anwesenden Beamten teilweise erheblich ab: so sollen am 29. September nach neun Uhr vier deutsche Soldaten auf der Suche nach Kühen und Schweinen erschienen sein und die Archivkästen gesehen haben. 79 Gegen 12 Uhr seien dann vier Offiziere in einem Auto vorgefahren, hätten von Frau
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Aussagen Emilio Saulino und Sabato Tarantino, ed. Palmieri Nr. 7f., S. 27ff. In den Aussagen ist von einem deutschen Kommando in Nola die Rede, das keine Erfindung sein dürfte. Doch wäre zu überprüfen, um welche Art von Kommando es sich handelte und wann es sich vor den heranrükkenden Briten zurückzog.
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Capograssi (von Antonio Capograssi ist nirgends die Rede) einen Koffer gefordert, sich einige Kisten öffnen lassen, die Archivalien untersucht und sich dann entfernt, ohne den Koffer mitzunehmen. 80 Am Spätnachmittag des gleichen 29. September (gegen 17.30 oder 18 Uhr) seien dann nochmals drei Soldaten auf einem Motorrad mit Beiwagen erschienen, hätten im Keller einige Lebensmittel konfisziert und fortgeschafft.81 Am 30. September gegen 9.30-10 Uhr seien dieselben drei Soldaten vom Vorabend erneut mit dem Krad vor der Villa aufgefahren und hätten Aw. Giovanni Contieri, „einem der Eigentümer der Villa" erklärt, innerhalb von 15 Minuten werde das Archiv angezündet. Sie seien zum Saal emporgestiegen, wo ihnen ein Bericht des Soprintendente (Filangieri) überreicht wurde, der von Frau Capograssi und Frau Contieri, die Französisch konnten, übersetzt und erklärt worden sei. Von der Anwesenheit des Depotdirektors Capograssi ist auch hier nirgends die Rede. „Der Deutsche" habe brüsk erklärt, der Inhalt des Briefes interessiere ihn nicht und sie hätten Befehl, das Archiv zu verbrennen. Dann hätten sie mit Hilfe von Stroh und Papier (von Brandpulver ist nicht die Rede) vor allem an den Eingängen der Säle Feuer gelegt und 15 Minuten gewartet, bis die Flammen aus den Fenstern schlugen; dabei hätten sie sich brutal aufgeführt (ein Deutscher habe den Hund von Contieri erschossen). Nach ihrer Entfernung hätten die Zeugen und andere Pächter und Kustoden vergebliche Löschversuche unternommen und einige Archivalien zu retten versucht. Am Morgen des 1. Oktober seien andere deutsche Soldaten auf der Suche nach Hühnern eingetroffen, später sei ein Offizier gefolgt, offensichtlich in der Absicht, bei der Villa ein Geschütz aufzustellen. Sie zeigten sich über den fortdauernden Brand uninformiert. Am Morgen des 2. Oktober seien die Alliierten eingerückt.82 Die Beamten und Kustoden des Archivs hätten die Brandstiftung nicht verhindern können, da sie unbewaffnet, die Deutschen jedoch mit Maschinenpistolen bewaffnet gewesen seien. Die vier Soldaten, die gegen Mittag des 29. September das Archiv inspiziert hätten, seien Offiziere gewesen, ohne daß die Zeugen die genauen Dienstgrade angeben konnten. Die drei Soldaten, die am 30. September den Brand gelegt hätten, seien keine Offiziere gewesen; aber auch hier konnten die Zeugen den Dienstgrad nicht angeben. Der eine der Zeugen83 sagte, er sei überzeugt, der erste Requisitionstrupp habe seine Beobachtungen dem lokalen Kommando gemeldet, das dann die vier Offiziere entsandt habe, die feststellen sollten, worum es sich handle, und, als feststand, daß es sich um Dokumente des Staatsarchivs handelte, den drei Soldaten den Befehl zur Zerstörung erteilt. Ein weiterer Zeuge84 bestätigte detailliert im wesentlichen
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Ebd. Ebd. Auch das Weitere. Die Aussagen über den 1. und 2. Oktober fehlen bei Tarantino. Saulino. Giuseppe Basile, ed. Palmieri Nr. 9. S. 30f.
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die Aussagen von Depotdirektor Capograssi, zwei Kustoden85 in weitgehend wörtlicher Übereinstimmung die Besuche vom 28. und 29. September ohne Datumsangabe und Einzelheiten, die Brandlegung am Vormittag des 30. September in Übereinstimmung mit dem Bericht von Capograssi (einschließlich der Benutzung von Brandpulver). Giovanni Contieri, der nach den Schilderungen von Saulino und Tarantino dem Trupp, der am Vormittag des 30. September den Brand legte, begegnet sein soll, sagte aus,86 er sei nicht im Gebäude, sondern im kleinen Park, bei der Brandlegung also nicht anwesend gewesen, da er glaubte, er werde seine Nerven nicht beherrschen. Über die Vorgänge im Gebäude sei er von seiner Schwägerin, Antonietta Caccavale, verw. Contieri, deren Bericht er beilegte, und seiner Frau informiert worden. Die Anwesenheit Capograssis und seiner Frau erwähnt er nicht. Er habe gebrüllt, die beiden Frauen und alle anderen sollten herauskommen, und habe die Bauern und ihre Familienangehörigen um sich versammelt, um sie vom Unglücksort fortzuführen. Die Brandstifter seien allein im Gebäude geblieben. Das Feuer sei fast gleichzeitig im zweiten und im ersten Stock, wo sich die kostbarsten Dokumente des Archivs befanden, ausgebrochen. Contieri weist auf die Schnelligkeit hin, mit der sich das Feuer ausgebreitet habe, und fuhrt das auf das verwendete Brandpulver hin, von dem er glaubte, es sei dasselbe gewesen, das ftir Brandbomben verwendet wurde. In wenigen Minuten sei alles in einen furchterregenden Scheiterhaufen verwandelt worden. Frau Caccavale, die Schwägerin Contieris, verlegte die Vorgänge in den September 1944, was aber sicher ein Schreibfehler ist.87 Immerhin berichtet sie genauere Einzelheiten über den Trupp, der am 28. September nach einem Kalb und einem Schwein suchte: er habe aus zwei Unteroffizieren (nicht aus drei Soldaten, wie Capograssi berichtet) bestanden und sei in einem Lastwagen angefahren. Sie hätten zunächst die Häuser der Landarbeiter durchsucht und dann die Villa betreten, wo sie die Kisten mit den Archivalien sahen. Frau Caccavale habe ihnen erklärt, es handle sich um offizielle Akten, jemand anderer habe hinzugefügt „Staatsarchiv Neapel". Die beiden Soldaten hätten mit leiser Stimme unter sich beraten und seien fortgefahren. Am nächsten Vormittag (29. September) seien zwei deutsche Offiziere auf einem Motorrad eingetroffen, die offensichtlich bereits informiert gewesen seien, hätten Zugang zur Villa verlangt und sich einige Kisten öffnen lassen. Sie hätten einige Dokumente überprüft und seien dann fortgefahren. Am Nachmittag desselben Tages seien zwei weitere Soldaten auf einem Motorrad vorgefahren, seien direkt in den Keller der Villa gegangen und sich dort einige Zeit aufgehalten, was den Eindruck erweckt habe, sie wollten „Minen" (sprich: Sprengladungen) legen. Dann seien sie herausgekommen, hätten Lebensmittel getragen und seien fortgefahren. Am folgenden Morgen
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Enrico Negri und Gennaro Scatola, ed. Palmieri Nr. 10f., S. 32f. Ebd. Nr. 12, S. 33f. Ebd. Nr. 12, S. 34f.
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gegen 9.30 Uhr seien zwei Soldaten und ein Unteroffizier erschienen und hätten erklärt, alles müsse verbrannt werden. Capograssi, der Direktor, habe ihnen einen Brief Filangieris vorgelegt, in dem er auf die große Bedeutung der Dokumente nicht nur fur Italien, sondern fur Deutschland, ja Europa hingewiesen habe. „Aber wie sehr ich auch versuchte, ihnen (den Brief) ein wenig ins Französische , ein wenig ins Deutsche zu übersetzen, der Unteroffizier antwortete kurz und bündig: .Kommando weiß schon', und wollte nichts mehr hören." Die Soldaten hätten Stroh geholt, über die Zimmer verstreut und ein weißes Pulver darüber geschüttet. Sie hätten den Anwesenden knapp 10 Minuten Zeit gelassen, sich zu entfernen, und hätten dann den Brand gelegt. Darauf hätten sie noch kurz gewartet, bis das Feuer sich voll entfaltet habe, und seien dann fortgefahren, wobei sie jeden mit dem Tode drohten, der es zu löschen versuchen sollte. Außerdem hätten sie versichert, sie würden am Nachmittag zur Überprüfung wiederkommen, was sie dann auch taten; zu diesem Zeitpunkt habe das Feuer bereits die höchste Stärke erreicht, und eine Decke habe begonnen einzustürzen. Während die Zeugen Saulino und Tarantino das Aufsuchen des Kellers durch die Soldaten am Nachmittag des 29. September einfach dadurch erklärten, daß sie dort lagernde Fleischwaren beschlagnahmten, betont diese Zeugin darüber hinaus, man habe vermutet, sie wollten „Minen" legen. Aber wie sollten sie auf dem mit drei Mann vollbesetzten Motorrad (Vordersitz, Hintersitz, Beiwagen) noch die notwendigen Sprengladungen transportiert haben? Auf die Ubereinstimmungen und Widersprüche in diesen Aussagen, die außer der von Capograssi (19. Oktober 1943) mehr als ein Jahr nach diesen Ereignissen gemacht wurden, wurde hingewiesen. Filangieri, der sich die ganze Zeit im kleinen Ort Livardi aufhielt, nur wenige Minuten Fußweg von der Villa entfernt, die er häufig besuchte, hat im wesentlichen den Bericht von Capograssi und aus den übrigen Aussagen zusätzliche Einzelheiten in seinen Abschlußbericht übernommen. 88 Uber manche dieser Einzelheiten konnten weder die britischen Fachleute noch italienische Kollegen Filangieris und italienische Ministerialbeamte ihre Zweifel unterdrücken. Vor allem bestehen berechtigte Zweifel daran, daß infolge der kaum überbrückbaren sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten die deutschen Soldaten und Offiziere wirklich erfaßt haben, worum es sich bei den in den Kisten und Regalen verwahrten Dokumenten handelte. Selbst wenn das Kommando (in Nola?) benachrichtigt worden sein sollte, ist es höchst unwahrscheinlich, daß die dortigen Offiziere sich viel Konkretes unter „Staatsarchiv Neapel" oder gar dem Register Friedrichs II. vorstellen konnten. Die ganze Wahrheit wird sich sehr wahrscheinlich nie mehr finden lassen. Deshalb sollen hier nur die Argumente Hagemanns
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Gedruckt bei Jenkinson-Ball (wie Anm. 7 2 ) S. 44ff. Appendix 7.
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von 1946, die er noch in relativ frischer Erinnerung an die Ereignisse von 1943—45 und bei genauer Kenntnis der Praktiken der deutschen Truppen niederlegte, und die Gegenargumente Filangieris angeführt werden.89 Hagemann nimmt als wahrscheinlich an, daß der Trupp, der am 28. September bei der Villa auf der Suche nach Vieh erschien und die Kisten sah, seine Beobachtungen dem Kompaniefiiihrer mitgeteilt habe und daß die ranghöheren Besucher am nächsten Tag entsandt worden seien, um festzustellen, ob sich in den Kisten Waffen befanden; sie seien dann, als das nicht der Fall war, abgezogen und hätten wohl nichts Weiteres unternommen. Ob sie etwas von den ihnen gegebenen Erklärungen über die Bedeutung des Inhaltes der Kisten verstanden hätten, gehe aus den Zeugenaussagen nicht klar hervor, da nicht ausgesagt worden sei, daß irgendeiner von ihnen Italienisch verstanden habe. Filangieri dagegen war der Überzeugung, daß es sich bei dem Offizier und seinem Begleiter um Abgesandte des Kommandos von Nola gehandelt habe, die aufgrund der Meldung des Trupps vom Vortage „gut verstanden" hätten, was „ihnen der Direktor des Depots erklärt" habe und nach Öffnung „einiger Kisten" „persönlich die Art dieser Schriftstücke festgestellt" hätten. Hagemann hält es in seiner Antwort zwar fur möglich, daß der Offizier vom Kommando aus Nola entsandt worden sei, glaubt aber, aus seinem Verhalten schließen zu können, daß er doch wohl eher ein Offizier der kämpfenden Truppe gewesen sei, da er zunächst einen Koffer gefordert habe, also eine Beschlagnahmung vornehmen wollte, was ein Angehöriger des Kommandos nicht getan hätte; auch hätte ein solcher wohl seinen Auftrag erwähnt. Hagemann bemängelt, daß, um jedwede Verständigungsschwierigkeiten auszuschließen, den Archivbeamten kein Schreiben in deutscher und (fiir die Zeit nach der Ankunft der britischen Truppen) in englischer Sprache mit einer kurzen Beschreibung des Inhalts und der Bedeutung des Depots übergeben worden sei, das sie bei Besuchen von Soldaten hätten vorzeigen können und und das unter Umständen zu Maßnahmen zum Schutze des Archivs von Seiten der Truppen hätte fuhren können. Darüber hinaus bedauert Hagemann zwei „fatale" Fakten, 1) daß die verantwortlichen Behörden (d.h. Filangieri) keinen Kontakt mit deutschen Kommandos und Behörden aufgenommen hätten, um sie über die Bedeutung des Archivlagers aufzuklären; 2) daß der Brief Filangieris vom 29. September,90 der in knapper, aber sehr präziser Weise die deut-
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Vgl. seinen Bericht vom 6.2.1946, Verona, gedruckt bei Palmieri Nr. 13 S. 35ff. Dazu sein weiterer wichtiger Bericht vom 20.5.46 (bei Palmieri nicht gedruckt) in: Archivio Centrale dello Stato, Rom, Ministero dell'Interno. Direzione generale, Archivio 1945-1948, busta 25 fasc. 8912/52, von dem mir Martin Bertram eine Kopie zur Verfügung stellte. Es ist eine Antwort auf die Entgegnung Filangieris von März 1946 (ohne Tagesdatum), ed. Palmieri Nr. 14 S. 38ff.
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Gedruckt nach dem Entwurf Filangieris (das Original ist ja nach Aussagen der Zeugen vom deutschen Vernichtungskommando zu Boden geworfen worden und verbrannt), bei Palmieri Nr. 2 S. 19.
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sehen Befehlshaber in Nola informieren sollte, bei diesen nie angekommen sei. Dagegen hat Filangieri detailliert geantwortet, und Hagemann hat diese Argumente durchaus gewürdigt. Filangieri hat darauf verwiesen, daß die Auslagerung des Archivs in die dem faschistischen Podestä. (Bürgermeister) von Nola, Eduardo Contieri, gehörende Villa Montesano91 im Dezember 1942 vom (faschistischen) Innenministerium angeordnet worden sei, um es vor den alliierten Bombenangriffen auf Neapel zu schützen. Dieses hätte eine Meldung an das damals zuständige Kommando der italienischen Streitkräfte machen können, was wohl nicht geschehen sei. Nach dem Waffenstillstand vom 8. September und dem Ende der Kontakte mit dem Ministerium wären entsprechende Meldungen durch ihn an die deutschen Militärbehörden berechtigt gewesen. Er habe aber wegen des deutschen Terrors in diesem Gebiet - Erschießung italienischer Offiziere, Plünderungen, Beschlagnahmungen - und der Wut der deutschen Kommandeure auf das italienische Volk wegen des „Verrats" davon Abstand genommen in der Hoffnung, das Archivdepot werde den deutschen Truppen verborgen bleiben. Hagemann hat diese Begründung durchaus anerkannt. Auf der anderen Seite, so Hagemann, wurde damit jedem deutschen Kommando, sei es einem lokalen oder höheren, die Möglichkeit genommen, sowohl während der deutschen Besetzung als auch bei möglichen Kampfhandlungen Maßnahmen zum Schutze des Archivs zu ergreifen. Aber noch wäre es ja möglich gewesen, am 28. September, als der erste deutsche Trupp von den Kisten erfahren hatte, die deutsche Kommandantur umgehend zu benachrichtigen oder das wenigstens am Nachmittag des 29. September nachzuholen, nachdem, worüber Filangieri in seiner Villa in Livardi sofort in Kenntnis gesetzt worden sei, ein deutscher Offizier sich über den Inhalt der Kisten informiert hatte und man ihm - ob er es nun verstanden habe oder nicht — erklärt hatte, es handle sich um Archivalien des Staatsarchivs Neapel. Wäre am 28. oder 29. September ein entsprechendes Schreiben Filangieris in Nola eingegangen, so wäre, wie man vermuten darf, möglicherweise von dort aus eine Rückfrage beim Kommando der Division „Hermann Göring" und, wenn man weiter spekulieren darf, sogar ein Telefongespräch mit Ic im Hauptquartier auf dem Monte Soratte erfolgt, und Hagemann hätte zum ersten Male sein kompetentes Urteil über ein ihm sehr gut bekanntes Archiv abgeben können. Filangieri betonte, daß er nach der Meldung der Besichtigung der Villa durch deutsche Soldaten am 28. September zunächst daran gedacht habe, an das Kommando in Nola zu schreiben. Aber als er vom Besuch des deutschen Offiziers am Morgen des 29. September gehört habe, sei er der Ansicht gewesen, dieser sei vom Kommando in Nola zur Uberprüfung geschickt worden, und da er sich über den Inhalt der Kisten informiert und erfahren
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Vgl. Villa Montesano (wie Anm. 77) S. 8. Auf diesen ging die Anregung zurück, dorthin das Archiv auszulagern.
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habe, es handle sich um Archivalien des Staatsarchivs Neapel, will Filangieri beruhigt gewesen sein. „Es war ... klar, daß die Sache nicht in den Händen der Willkür einer wilden Soldatenschar, sondern in den verantwortlicher Kommandos lag."92 Deshalb habe er Nola nicht informiert. Erst am Morgen des 30. September sei er dann von Frau Santamaria Contieri über den Besuch des zweiten deutschen Trupps am Vortage informiert worden; er habe sich (die höchst unwahrscheinliche) Vermutung zu Eigen gemacht, die Soldaten hätten im Keller „Minen" gelegt. Wie sollen sie aber die Sprengladungen auf dem mit drei Mann voll besetzten Krad mit Beiwagen befördert haben? Und hätte es nicht auffallen müssen, wenn sie diese in den Keller getragen hätten? Filangieri glaubte, daß eine Sprengung der Villa keine große Gefahr für die in festen Kisten aufbewahrten Archivalien darstellen würde, dennoch habe er sich entschlossen, das deutsche Kommando in Nola in einem Brief über den Inhalt des Depots zu informieren. Da dieser als Datum den 29. September 1943 (klugerweise mit Rücksicht auf den Empfänger mit dem faschistischen Datum XXI) und als Ausstellungsort S. Paolo Bei Sito trägt,93 muß er den Brief tags zuvor geschrieben und zurückgehalten haben, denn am Morgen des 30. September war dazu bestimmt keine Zeit mehr, traf doch das deutsche Brandkommando bereits gegen 9.30 bei der Villa Montesano ein. Ein Kustode brachte dann das Schreiben in die wenige hundert Meter entfernte Villa; merkwürdigerweise hat sich Filangieri (aus Furcht vor einer Geiselnahme?) weder am 30. September noch an den folgenden Tagen, als das Archiv brannte, dorthin begeben. Der Brief blieb, wie wir sahen, ohne Wirkung. Filangieri war der festen Uberzeugung, daß die Brandlegung vom Kommando in Nola oder gar von höherer Stelle in Neapel in vollem Wissen darüber, daß es sich um das unersetzliche Kulturgut der Archivalien des Staatsarchivs Neapels handelte, befohlen worden sei. Hagemann hat dem mit gewichtigen Gründen widersprochen. Filangieri berief sich nicht zuletzt auf die angeblichen Worte des Leiters des Brandkommandos: „Kommando kennt alles, Befehl verbrennen" („Comando conosce tutto, ordine bruciare"). Hagemann hingegen weist darauf hin, daß es völlig dem Usus der Wehrmacht widersprochen hätte, dem Trupp mit dem Zerstörungsbefehl eine Erklärung über die Gründe dieses Befehls zu geben. Der Unteroffizier könne also gar nicht gewußt haben, was er zu zerstören hatte. 94 Seine Worte, falls sie so gefallen sein sollten (offensichtlich sprach der Unteroffizier nur wenige Brocken Italienisch), hätten daher nur bedeuten können, „daß jeder Protest unnütz sei, da der Befehl auf jeden Fall auszuführen sei; auch weil er überzeugt war, daß das Kommando seine guten Gründe hatte, die Villa in Brand zu setzen." Hagemann vertrat die von Filangieri entschieden abgelehnte These, die Brandlegung sei als Vergeltungsmaßnahme für
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Ed. Palmieri Nr. 14 S. 39. Ed. Palmieri Nr. 2 S. 19. So ausführlich in seinem Bericht vom 20.5.46 (wie Anm. 89).
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die Tötung eines deutschen Soldaten durch einen Italiener einige Tage zuvor erfolgt. Das entsprach, wie wir sahen, den Ergebnissen der vom O B S W durch Hagemann eingeleiteten Untersuchung der 10. Armee im November 1943: am 30. September sei vom Ortskommando in Nola als Vergeltung fur die Tötung zweier deutscher Soldaten die Vernichtung zweier Villen befohlen worden, deren Namen aber nicht mehr bekannt seien. Hagemann sieht die Villa Montesano als eine dieser beiden zerstörten Villen an und bringt sie in Verbindung mit der Tötung eines deutschen Soldaten in S. Paolo Bei Sito einige Tage zuvor. Das stimmt auch mit der Aussage von Capograssi überein, die Soldaten hätten die Brandlegung als Vergeltungsakt für die Tötung von zwei Soldaten in S. Paolo Bei Sito bezeichnet; bekannt ist freilich nur die Tötung eines Soldaten. Zunächst hatten in diesem Fall die Deutschen den Pfarrer und andere Notabein des Ortes erschießen wollen, seien dann aber nach der Intervention einer mit einem Italiener verheirateten Deutschen damit einverstanden gewesen, diese Exekution zu suspendieren, da ihnen versprochen wurde, man werde den Täter innerhalb von 24 Stunden fassen und ausliefern. Offensichtlich wurden die Notabein nicht als Geiseln festgehalten, sondern flohen mit der übrigen Bevölkerung aus dem Ort. D a eine Erschießung damit nicht mehr möglich war, habe man die Vernichtung der Villa Montesano als Ersatz beschlossen. Filangieri hat dem mit dem Argument widersprochen, es hätte sich dabei wie üblich um die Zerstörung von Häusern am unmittelbaren Tatort mitten in S. Paolo Bei Sito, nicht um die ca. 1 km südöstlich gelegene isolierte Villa Montesano handeln müssen, und außerdem habe die Tötung des deutschen Soldaten bereits einige Tage zurückgelegen. Hagemann dagegen betonte, daß er diese Deutung aus genauer Kenntnis der Praxis von Repressalien nicht akzeptieren könne. Es sei allgemeiner Brauch gewesen, eines oder mehrere Häuser am unmittelbaren Ort einer Tötung niederzubrennen, wenn feststand, daß Schüsse auf Deutsche aus diesen Häusern abgegeben wurden. War das nicht der Fall, so wählte man ein Haus aus, das einer bedeutenden Persönlichkeit gehörte (in diesem Falle dem Podestä von Nola). Hagemann glaubte Grund zur Annahme zu haben, das deutsche Kommando in Nola habe nichts vom bedeutenden Kulturgut gewußt, das sich in der Villa Montesano befand, kritisierte aber, daß man nicht zuvor genau untersucht habe, ob die zur Zerstörung vorgesehenen Villen Gegenstände von künstlerischer oder anderer Bedeutung enthielten. Er erklärte dieses Versäumnis mit dem Zeitdruck, da sich die alliierten Truppen bereits näherten. Abschließend hält er es fur „absolut unwahrscheinlich", daß das Kommando von Nola den Befehl zur Zerstörung der Villa Montesano im vollen Bewußtsein erteilt habe, unersetzliches Archivgut zu zerstören. Ignoramus et ignorabimus. Die Ausführungen Hagemanns besitzen jedenfalls einen höheren Wahrscheinlichkeitsgrad als die in einigen Punkten (Annahme, alle deutschen Trupps hätten Meldung an das Kommando in Nola gemacht, die Soldaten hätten verstanden, daß es sich um Archivalien des Staatsarchivs Neapel handel-
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te) auf unwahrscheinlichen Annahmen beruhenden apodiktischen Behauptungen Filangieris. Möglicherweise könnten weitere Erkenntnisse gewonnen werden, wenn noch festzustellen wäre, wie die Zerstörung der zweiten Villa am 30. September erfolgte. Im Nachhinein wird man auch wohl bei allem Verständnis für die Haltung des Soprintendente sagen müssen, daß es klüger gewesen wäre, hätte er seinen sehr gut formulierten Brief am 28. oder spätestens am 29. September dem deutschen Kommando in Nola zugestellt. Aber es bleibt noch die Frage des Brandpulvers, das nach den Aussagen einiger Zeugen vom Brandkommando über das an Ort und Stelle besorgte Stroh und Papier gestreut wurde. War es möglich, die doch erhebliche Menge, die zur Brandlegung notwendig war, etwa in einem großen Sack oder einer Kiste auf dem bereits mit drei Mann voll ausgelasteten Motorrad mit Beiwagen zu befördern? Falls das der Fall war, könnte das darauf hindeuten, daß man von den Papier- und Pergamentmassen wußte, die in der Villa lagerten und die die beste Basis für eine Brandlegung bildeten, wobei man, selbst wenn man das bejaht, keineswegs davon ausgehen kann, daß die Kommandeure in Nola die Bedeutung der Papiere richtig einschätzen konnten. Oder wollte man die Villa ganz allgemein nur ausbrennen, indem man mit Hilfe des Brandpulvers die Innenausstattung anzündete, weil man die Sprengladungen für wichtigere Zwecke (Eisenbahnlinien, Brücken) benötigte und zudem für sie kein geeignetes Transportmittel mehr besaß, denn auf dem vollbesetzten Motorrad hätten sie in ausreichender Menge wohl nicht befördert werden können? Wir können die Fragen nicht mehr beantworten. Für eine Löschung des Großbrandes wäre ein Löschfahrzeug notwendig gewesen, das offenbar nicht zur Verfügung stand. Die Engländer stießen am nächsten Tag, dem 1. Oktober, nach Norden vor und erreichten am 2. Oktober Nola.95 Zu dieser Zeit war es fur eine Rettungsaktion offensichtlich zu spät; vermutlich war der Brand, der nach Capograssis Aussagen drei Tage andauerte (also bis einschließlich 2. Oktober) und durch im obersten Stockwerk zum Trocknen lagernde Nüsse verstärkt wurde, zuletzt in einen Schwelbrand übergegangen. Eines der bedeutensten Archive des Abendlandes war vernichtet. Die Schuld der Deutschen bleibt unbestritten. Es erhebt sich nur die Frage, ob die Tat vorsätzlich begangen wurde oder nicht; letzteres ist wahrscheinlicher. Kurz sei hier die Frage angeschnitten, ob Hagemann an der Untersuchung über die Vorgänge in Rom am 23. und 24. März 1944 beteiligt war, den militärisch
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C. J. C. Molony, History of the Second World War, United Kingdom Military Series, ed. by Sir J. Butler: The Mediterranean and the Middle East, Bd. 5, London 1973 S. 343ff., macht keine genauen Zeit- und Ortsangaben bzgl. Nola; anders Klinkhammer, Kunstschutz (wie Anm. 59) S. 501. Eine genaue Untersuchung durch Martin Bertram, der mir das Ergebnis freundlicherweise mitteilte, ergab, daß die Briten erst am 2. Oktober Nola besetzten, was im Übrigen mit der Aussage von Emilio Saulino (Ankunft der Alliierten in der Villa Montesano am Morgen des 2. Oktober, ed. Palmieri S. 28) übereinstimmt.
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sinnlosen kommunistischen Anschlag auf einen Zug des Polizeiregiments „Bozen", das nur formal der SS, in Rom sogar dem Stadtkommandanten unterstand und im wesentlichen aus kaum ausgebildeten, älteren Südtirolern (das Durchschnittsalter der 3 3 Toten betrug rund 3 5 Jahre) bestand, von denen ein Teil sogar „Dagebliebene", d.h. italienische Staatsbürger, waren, die vorher teilweise in der italienischen Wehrmacht gedient hatten und sich mehr oder weniger „freiwillig" zum Polizeidienst in Italien bereit erklärt hatten, um dem Einsatz an der mörderischen Ostf r o n t zu entgehen, 9 6 und das anschließende grausame Blutbad in den Fosse Ardeatine, dem 3 3 5 Männer, neben Italienern und italienischen Juden auch einige Nichtitaliener, zum Opfer fielen. Renzo de Feiice hat zurecht betont, daß es darüber bis heute keine wissenschaftliche Darstellung gibt. 97 Auf Einzelheiten dieses seit den Priebke-Prozessen wieder allgegenwärtigen Themas soll hier nicht eingegangen werden; im Zusammenhang mit der von De Feiice eingeleiteten Entmythologisierung der Resistenza 98 beginnt man, auch diese Ereignisse differenzierter zu sehen, 99 auch wenn das in keiner Weise das brutale Verbrechen, das die dazu
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U. Gandini, Quelli di Via Rasella. La storia dei sudtirolesi che subirono l'attentato del 23 marzo 1944 a Roma, Bozen 1977; P. Maurizio, Via Rasella, cinquant'anni di menzogne, Rom 1996, S. 119ff. Falls die Geburtsdaten der Toten auf der Gedenktafel auf dem Bozener Friedhof zutreffen (Abb. bei Gyseke, wie Anm. 102, hinter S. 144), betrug das Durchschnittsalter 35 Jahre. So auch Benzoni-Benzoni (wie Anm. 99) S. 17. Die Angabe von Andrae (wie unten Anm. 196) S. 116 („um die 40 Jahre alt") ist also zu hoch. R. de Feiice, Mussolini l'alleato II: La guerra civile 1943-1945, Turin 1997, S. 151. Das am weitesten verbreitete Werk darüber ist R. Katz, Death in Rome, London 1967, etwas verbesserte italienische Ausgabe: Morte a Roma. II massacro delle Fosse Ardeatine 1944—1994, nuova edizione aggiornata, Rom 1994; R. Lamb, The War in Italy, 1943-1945: Α Brutal Story, London 1992; beide Werke charakterisiert Raiber (wie unten Anm. 103) S. 73 Anm. 14 zurecht so: „...(they) contain ... significant factual inaccuracies, misspellings, and in some cases apparent falsifications of the facts: they should be accepted with utmost circumspection." Das trifft im Falle von Katz besonders auf die verleumderischen Unterstellungen über die Rolle Pius' XII. zu, wegen der er von italienischen Gerichten verurteilt wurde. Vom Anwalt der Kläger stammen die Bücher: G. Angelozzi Gariboldi, Pio XII, Hitler e Mussolini. II Vaticano tra le dittature, Mailand 1988, bes. S. 193ff., 230fif.; ders., II Vaticano nella seconda guerra mondiale, Mailand 1992, bes. S. 180ff.; P. Biet, Pie XII e la Seconde Guerre mondiale d'apres les archives du Vatican, o.O. 1997, S. 242ff. Vgl. R. De Felice, Rosso e Nero, a cura di Pasquale Chessa, 2. Aufl., Mailand 1995. Vgl. den sehr informativen Uberblick von J. Petersen, Der Ort der Resistenza in Geschichte und Gegenwart Italiens, in: QFIAB 72 (1992), S. 550ff. Aus der kaum mehr überschaubaren Literatur vgl. den vorzüglichen Überblick von H. Goetz. Das Attentat in Rom und die Fosse Ardeatine (1944). Eine vorläufige Bilanz, in: Innsbrucker Historische Studien 6 (1983), S. 161 ff. Dazu jetzt bes. M. Spataro, Rappresaglia, Via Rasella e le Ardeatine alia luce del caso Priebke, Rom 1996; A. Lepre, Via Rasella. Leggenda e realtä della Resistenza a Roma, Rom/Bari 1996; ders., La storia della Repubblica di Mussolini, Salö: II tempo dell'odio e della violenza, Mailand 1999, S. 21 Iff.; A. Benzoni/E. Benzoni, Attentato e rappresaglia. II PCI e Via Rasella, Venedig 1999 (hier weitere Literatur). Das jüngst erschienene Werk des römischen Amerikanisten A. Porteiii, L'ordine e giä stato eseguito. Roma, le Fosse Ardeatine, la memoria, Rom
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abbeorderten SD-Angehörigen unter Herbert Kappler begingen, beschönigen darf. In unserem Zusammenhang interessiert eben nur, ob Hagemann in irgendeiner Form an der Untersuchung der Vorgänge durch Zolling (Ic), der bereits am Abend des 23. März eingeweiht wurde, beteiligt war, die Kesselring nach den Ereignissen anordnete. 100 In den Akten habe ich darüber nichts gefunden, und gesprochen habe ich mit Hagemann darüber nicht. Vielleicht wurde er als Kenner Roms in einigen Punkten konsultiert; wir wissen es nicht. Vielleicht hätte er einige Bemerkungen zum Aufenthalt Kesselrings am 23. und 24. März 1944 machen können. Denn erst seit kurzer Zeit ist bekannt, daß seine bei den Verhören nach der Gefangennahme und in den folgenden Prozessen gemachten Aussagen und die seiner Stabsoffiziere über den Aufenthalt und die Rolle des Feldmarschalls an diesem Tage ein Phantasie- , um nicht zu sagen: Lügengebäude, darstellen. Nach diesen Aussagen habe er sich am 23. März an der Cassino-Front aufgehalten, sei am Abend zwischen 19 und 20 Uhr mit dem Fieseier Storch ins Hauptquartier zurückgekehrt und am Morgen des 24. März wieder an die Front südlich von Rom geflogen. Am Abend des 23. und in der Nacht zum 24. März hätten sich dann jene Ereignisse abgespielt, um die sich die zahlreichen Verhöre und Aussagen Kesselrings, seines Stabchefs Generalmajor Siegfried Westphal, seines Ia Oberst i.G. Dietrich Beelitz u.a. drehten; alles, wie wir jetzt wissen, ein Possenspiel, so daß die meisten Fragen nach den Entscheidungsvorgängen im Hauptquartier auf dem Monte Soratte und, davon abhängig, teilweise auch in Rom neu gestellt werden müssen. Das Phantasiegebäude wurde von den Befragern und Richtern Kesselrings ebensowenig in Frage gestellt, wie in der umfangreichen Literatur über diesen Gegenstand. Auch gingen Ankläger und Richter Kesselrings davon aus, daß sich Hitler damals in seinem Hauptquartier in der Wolfsschanze in Ostpreußen aufhielt, obschon ein Blick in zeitgenössische Akten genügt hätte, um festzustellen, daß er sich eine Woche vorher auf den Obersalzberg begeben hatte; dort und in der Umgebung hielt er sich
1999, das die gegenwärtig florierende Memoria-Mode auch in dieses Thema einführt, ist reich an Aussagen von Zeugen und Späteren zu diesem Thema, trägt aber zur Klärung offener Fragen kaum etwas bei. Es fällt auf, daß die Protokolle und Exhibits der Prozesse gegen v. Mackensen und Mälzer (18.11.-30.11.46 in Rom), Public Record Office (PRO), Kew, W O 235/438, und gegen Kesselring (17.2.47-6.5.47 in Venedig) (wie Anm. 46), in deren Mittelpunkt die Vorgänge um die Via Rasella und die Fosse Ardeatine standen, von der italienischen (und deutschen) Forschung bisher kaum benutzt wurden, obschon sie den Ereignissen näher standen als der Prozeß gegen Kappler in Rom im Mai 1948, dessen Akten nach meinen Informationen jetzt zugänglich sind, nachdem das Wichtigste bereits in einer Publikation der (post-) kommunistischen Zeitung Unitä zugänglich war: Herbert Kappler, La veritä sulle Fosse Ardeatine, a cura di Wladimiro Settimelli, 2 Bde., supplemento al n. 99 dell'Unitä del 27-4-94. 100
Vgl. Aussage Kesselrings vor A. P. Scotland, 25.9.46, Nr. 9; Imperial War Museum, London, Annex zu F0 647: Papers of Lt.-Col. P. Μ. Marjoribanks-Egerton. Kesselring Trial (wie Anm. 46) 10.3.47.
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bis Mitte Juli auf.101 Gelegentliche Hinweise in eher „rechts" orientierter Literatur, daß sich der Feldmarschall am 23. und 24. März in Norditalien aufgehalten habe, nicht auf dem Soratte, wurden einfach übersehen.102 In einer vorzüglich belegten neuesten Untersuchung, 103 die auf die in den National Archives of the U. S. in College Park, M D , Record Group 242, aufbewahrten Mitschriften der Telefongespräche des Hauptquartiers zurückgreifen konnte, die allen alliierten Vernehmern, Anklägern und Richtern nach 1945 unbekannt waren, da sie ungeordnet in den Massen der erbeuteten deutschen Akten versteckt waren und wie so vieles andere erst kürzlich eher durch Zufall entdeckt wurden, ist jetzt eindeutig nachgewiesen, daß Kesselring am 23. und 24. März, aus Deutschland kommend, an der ligurischen Küste zwischen San Remo und Livorno Küstenbefestigungen und Truppen besichtigte und sich am 25. März bei Ravenna aufhielt; die Nacht vom 23. zum 24. März verbrachte er im Hotel Excelsior in Rapallo.104 Genau an diesen Tagen wurde dort über das Schicksal der „Ginny Mission", einem amerikanischen Kommandounternehmen bestehend aus zwei Offizieren und 13 Mann, entschieden, das am 22. März nördlich von La Spezia gelandet war, um zwei Tunnelausgänge beim Bahnhof Framura auf der für den deutschen Nachschub wichtigen Eisenbahnstrecke Livorno - Genua zu sprengen. Ohne seinen Auftrag ausführen zu können, wurde der Trupp am 24. März bei Bonassola gefangengenommen und am Morgen des 26. März aufgrund des Kommandobefehls Hitlers vom 18. Oktober 1942 an der Punta Bianca nördlich von La Spezia durch deutsche Soldaten des Festungsbataillons 906 erschossen, obschon die Amerikaner angeblich reguläre Uniformen der amerikanischen Armee trugen. Der Befehl kam vom zuständigen Kommandierenden General des XXV. Armeekorps Anton Dosder, dessen Ic Hauptmann Alexander Dohna-Schlobitten dafür plädiert hatte, die Amerikaner wie gewöhnliche Kriegsgefangene zu behandeln. Als sie am 24. März nach La Spezia gebracht wurden, befand sich Kesselring dort, und da sich dieser die
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M. Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen 1 9 3 2 - 1 9 4 5 , Bd. 2 , 2 , Wiesbaden 1973, S. 2094ff. Am 19. März hat Hitler wegen der bedrohlichen Lage an der Ostfront auf dem Berghof Generalfeldmarschälle und andere Oberbefehlshaber empfangen. Er hat sich wegen der gigantischen Ausbaumaßnahmen zwischen März und Juli 1 9 4 4 nicht in der „Wolfsschanze" aufgehalten; vgl. E. G. Schenck, Patient Hitler, Eine medizinische Biographie, Augsburg 2 0 0 0 , S. 111. Er kehrte erst wenige Tage vor dem Attentat am 2 0 . Juli dorthin zurück. Da die Arbeiten noch nicht abgeschlossen waren, fand das Attentat v. StaufFenbergs bekanntlich in der „Gästebaracke", einem Holzhaus, statt, was Hitler das Leben rettete, denn eine Explosion innerhalb der Betonwände hätte niemand überlebt.
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R. Aschenauer, Krieg ohne Grenzen. Der Partisanenkampf gegen Deutschland 1 9 3 9 - 1 9 4 5 , Leoni 1982, S. 322f.; zuletzt G. Gyseke, Der Fall Priebke. Richtigstellung und Dokumentation, Berg a. Starnberger See 1997, S. 37.
103
R. Raiber, Generalfeldmarschall Albert Kesselring, Via Rasella and the „Ginny Mission", in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 56 (1997), S. 69ff.
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Raiber (wie Anm. 103) S. 74ff. und die Karte S. 83.
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Bestätigung aller Todesurteile einschließlich solcher gegen Mitglieder von Kommandounternehmen im Regelfall vorbehalten hatte, ist es wahrscheinlich, daß er den Erschießungsbefehl bestätigt hat, obschon dafür bisher kein unmittelbarer Beweis vorliegt; aber das liegt wohl auch daran, daß der OBSW Anfang April 1944 die Vernichtung aller Unterlagen über die Behandlung der Mitglieder der „Ginny Mission" angeordnet hat.105 Beelitz sagte 1946 aus, Kesselring habe trotz des Kommandobefehls Hitlers die Mitglieder aller Kommandounternehmen als normale Kriegsgefangene angesehen, da besonders die Engländer dazu hochwertige Verbände heranzogen; das war fur Laternser ein wichtiges Argument zur Verteidigung Kesselrings in Venedig.106 Eine einzige Ausnahme sei im Frühjahr (März/April 1944) zu verzeichnen gewesen, als im Küstenabschnitt La Spezia ein Kommando (die „Ginny Mission") erschossen wurde; der Befehl dazu sei von oberster Stelle, soweit er sich erinnern könne, von Hitler persönlich gegeben und Vollzugsmeldung angeordnet worden.107 Sollte Kesselring in diesem Falle von La Spezia aus mit Hitler auf dem Obersalzberg Kontakt aufgenommen und von diesem nochmals ausdrücklich einen Erschießungsbefehl erhalten haben? Der beste indirekte Beweis für die Verwicklung Kesselrings in die „Ginny Mission" ist jedoch die Konstruktion des Phantasiegebäudes über seinen Aufenthalt an der Cassino-Front am 23. und 24. März 1944 und seine und seiner Stabsoffiziere Tätigkeit bei der Planung der Vergeltungsmaßnahmen gegen den Anschlag in der Via Rasella. Anton Dosder wurde am 1. Dezember 1945 nach einem Prozeß in Rom, der mit dem Todesurteil geendet hatte, von den Amerikanern erschossen; er war wohl der einzige deutsche General, der allein aufgrund eines amerikanischen Verfahrens hingerichtet wurde.108 Dostler hatte aber Kesselring nicht belastet. Raiber fuhrt das auf den „Korpsgeist" zurück;109 aber Dostlers Schweigen kann auch auf der Uberzeugung beruht haben, daß er seinen Kopf auch dann nicht gerettet hätte, wenn er ausgesagt hätte, Kesselring sei die „höhere Autorität" gewesen, die seinen Befehl bestätigt hatte. Zumin105
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Raiber (wie Anm. 103) S. 84f. S. Westphal, Der deutsche Generalstab auf der Anklagebank. Nürnberg 1945—48, Mainz 1978, S. 110, behauptete, er habe erst in letzter Minute von der geplanten Erschießung der Amerikaner, die Tarnanzüge ohne Abzeichen getragen und italienische Namen gehabt hätten, erfahren und in Abwesenheit Kesselrings (am frühen Morgen des 26. März) durch ein Blitz-Fernschreiben die Hinrichtung untersagt, doch sei dieser Befehl leider einige Minuten zu spät eingetroffen.
Nachlaß Laternser (wie Anm. 62) Nr. 875: Aussage Beelitz im Generalslager Bellaria 21.7.46, Vgl. Raiber (wie Anm. 102) S. 93if. 107 Diese Quelle hat Raiber, soweit ich sehe, nicht gekannt. Bei Befragungen durch Peter Hoffmann im Mai 1997 stellte sich Beelitz unwissend und hielt es für möglich, daß Kesselring aus Ligurien am Abend des 23.3. auf den Soratte zurückgeflogen und am Morgen des 24.3. wieder nach Ligurien geflogen sei, was aber durch die Telefonaufzeichnungen leicht zu widerlegen ist; vgl. Raiber (wie Anm. 103) S. 88f. Beelitz bestritt jede Verbindung Kesselrings mit der „Ginny Mission" los γ Taylor, Die Nürnberger Prozesse. Hintergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heutiger Sicht, 2. Aufl., München 1994, S. 303f.; Raiber (wie Anm. 103) S. 101. 109 Raiber (wie Anm. 103) S. 106.
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dest seit dieser durch die Presse und den Rundfunk bekannten Hinrichtung wußte Kesselring, was ihn erwartete, wenn sein Aufenthalt in La Spezia am 24. März bekannt geworden wäre. Wenn es um ihre „eigenen Jungs" ging, kannten die Amerikaner und auch die Engländer keine Gnade. Wohl damals, wenn nicht schon ansatzweise seit April 1944, 110 hat deshalb Kesselring es offenbar fiir sicherer gehalten, lieber in die Erschießungen in den Fosse Ardeatine verwickelt zu werden als in die Hinrichtung der 15 Amerikaner der „Ginny Mission". Im ersten Falle konnte man kriegsrechtlich zulässige Vergeltungsmaßnahmen fur ein rechtlich unzulässiges Attentat von Partisanen geltend machen, und zudem waren unter den Opfern keine amerikanischen und englischen Soldaten. Raiber vermutet, 111 daß das große „coverup" im Lager Allendorf und in Nürnberg im Frühjahr und Sommer 1946, wo Kesselring mit den meisten seiner Stabsoffiziere und mit v. Mackensen und anderen zusammentraf, abgesprochen wurde, was m.E. durchaus wahrscheinlich ist. Kesselring hätte während seiner Vernehmung vor allem durch Lt. Col. Α. P. Scotland in der Londoner „Kensington Cage", der sich mit ihm geradezu anfreundete, 112 bei seiner Aussage als Zeuge im Prozeß gegen v. Mackensen und Mälzer in Rom oder zuletzt bei seiner Aussage in seinem eigenen Prozeß in Venedig, wo ihm der Militärstaatsanwalt Oberst Halse am 7. März 1947 sogar die Brücke baute, 113 durch einen einzigen Hinweis auf seine Abwesenheit vom Hautquartier am Abend des 23. und in der Nacht zum 24. März, und sei es auch nur an der CassinoFront, sich der Mitverantwortung an dem Massaker in den Fosse Ardeatine zu entziehen, die Anklage gegenstandslos machen können; er tat es nicht, denn dann hätten weitere Vernehmungen seinen wahren Aufenthaltsort erweisen können. Im Rahmen des Phantasiegebäudes der Vorgänge am 23-/24. März auf dem Soratte 1,0
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Hagemann betonte freilich in seinem Bericht vom 2 0 . 5 . 4 6 (oben Anm. 89) bezüglich der Brandlegung in der Villa Montesano, daß damals (November 1943) „noch niemand an die Möglichkeit dachte, eventuell vor ein Gericht als Kriegsverbrecher gebracht zu werden", und jeder „freimütig antwortete und seine Verantwortung auf sich nahm." Freilich widerspricht dem die Vernichtung der Akten der .Ginny Mission'. Raiber (wie Anm. 103) S. 89ff. Kesselring befand sich in Allendorf, wo die Gefangenen fur den Chief Historian of the European Theater, U. S. Army arbeiteten, vom 7.8. bis 19.9.46, dann wieder ab 15-10.46, in Nürnberg vom 3.4.-17.4.46. Vgl. seine tagebuchartigen Aufzeichnungen Nachlaß Kesselring (wie Anm. 62) Ν 750/2. Von der amerikanischen Militärgeschichtsschreibung hielt er nicht viel: „Vielschreiber ..., denen es mehr auf die Masse, als auf die geschichdiche Wahrheit ankam und die durch den Zweck die Mittel heiligen ließen." Die Behauptungen Laternsers, Verteidigung (wie Anm. 166) S. 67, es könne keine Absprachen zwischen Kesselring und seinen Stabsoffizieren gegeben haben, zumal „kein Deutscher dem Kreuzverhör gewachsen" sei, sind abwegig. Wann Beelitz einbezogen wurde, der angeblich erst im römischen Prozeß wieder mit Kesselring zusammentraf, wäre zu ldären. Vgl. auch Westphal, Generalstab (wie Anm. 105) S. 12ff„ 88ff., 105 (Zusammentreffen mit Zolling und Kesselring in Nürnberg im Oktober 1945 und später). Vgl. A. P. Scotland, Fall Kesselring: Eine neue Darstellung des Prozesses in Venedig, Italien Frühjahr 1947 - The Kesselring Case, being a Representation of the Trial in Venice, Italy, Spring 1947, Bonn 1952; vgl. Bower (wie Anm. 187) S. 244. Kesselring Trial (wie Anm. 46) 7.3.47.
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galt es, alle Schuld von der Wehrmacht auf den SD in Rom und seinen Leiter, Obersturmbannführer Herbert Kappler abzuwälzen, der als kalter Bürokrat in der fanatischen Überzeugung, nur die Prinzipien der SS könnten Deutschland retten,114 dann die „Dreckarbeit" verrichtete. Was damals an Nachrichten zwischen dem Hauptquartier auf dem Soratte und Berchtesgaden hin und her ging, ist alles andere als klar. Aber ganz sicher eine Erfindung, um endgültig alle Schuld auf den SD abzuschieben, ist der angeblich zweite Befehl Hitlers, der am späten Abend im Hauptquartier eingegangen sein soll: .Ausführung durch den SD". Bei seiner Vernehmung durch Scotland115 erwähnte Kesselring diesen Befehl noch nicht, er wurde erst (offenbar nach zusätzlicher Absprache mit Westphal u. a.) nach seiner Rückkehr aus London nach Allendorf am 15. Oktober 1946 erfunden und zum ersten Male im römischen Prozeß gegen v. Mackensen und Mälzer erwähnt.116 Hätte ein solch eindeutiger „Führerbefehl" vorgelegen, dann hätte Mälzer am Mittag des 24. März in Rom es niemals wagen können, sich bei der 14. Armee um ein Exekutionskommando der Wehrmacht zu bemühen bzw. die (vom Befehlshaber Major Döbbrick abgelehnte) Exekution durch Angehörige des Polizeiregiments Bozen zu fordern. Am 15. März 1947 hat der Judge Advocate, der Jurist C. L. Stirling, Kesselring genau diese Frage gestellt. Kesselring wich aus: er wisse nicht, über welche Kanäle dieser Befehl an Mälzer und den SD gekommen sei, und tat so, als habe er die Frage nicht verstanden. Der Militärstaatsanwalt Halse hat mit guten Gründen die Existenz eines solchen Befehls bestritten.117 In der modernen Geschichtsschreibung haben diese Zweifel beider kaum Spuren hinterlassen. In dieser Frage kam es danach auch, vermutlich weil man sich darüber zu eilig abgesprochen hatte, zu widersprüchlichen Aussagen in Venedig: während Westphal behauptete, Kesselring noch in der Nacht über diesen angeblichen zweiten Befehl informiert zu haben, behauptete Kesselring entschieden, erst bei seiner angeblichen Rückkehr von der Front am Abend des 24. März davon erfahren zu haben.118 Kesselring ging es also darum, seine eigene Haut zu retten. Diese durch neue Akten belegte Vorgänge scheinen nach den Worten ihres Entdeckers,119 bei Kessel-
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Vgl. E. F. Moellhausen. La carte perdente. Memorie diplomatiche 25 luglio 1943-2 maggio 1945, a cura di Virginio Rusca, Rom 1948, S. 176ff.; E. Dollmann, Un libera schiavo, Bologna 1968, S. 328f. Wie Anm. 100. Aussage Kesselrings am 25.11.46, Papers Marjoribanks - Egerton (wie Anm. 100) Exhibit 23. Kesselring Trial (wie Anm. 46), 15.3.47; Schlußplädoyer von Halse 1.5.47, S. 18f„ und „summingup" von Stirling 3-5.47 S. 11. Ebd. 4.3.47, 26.3.47. Laternser, Verteidigung (wie Anm. 166) S. 64. versuchte den Widerspruch durch die Übermüdung Kesselrings am Abend des 23. März zu erklären; er habe im Halbschlaf die Nachricht Westphals nicht voll wahrgenommen. Raiber (wie Anm. 103) S. 100. Ebd. Anm. 116 weist er ferner daraufhin, daß er Ende April (erfolglos) die Verhaftung und Exekution von Generaloberst von VietinghofFund General Hans Röttger wegen ihrer Kapitulationsverhandlungen angeordnet habe.
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ring „eine dunkle, nicht anziehende Komponente seines Charakters" bloßzulegen, „die denen, die ihn bewundern, lange verborgen geblieben war." Zolling als Leiter von Ic, dem Hagemann direkt unterstand, dürfte, als er im Auftrag Kesselrings nach der Intervention des Vatikans über den deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl Ernst Frhr. v. Weizsäcker seine Untersuchung durchführte, vom Aufenthalt Kesselrings in Norditalien gewußt haben und später in das Phantasiegebäude eingeweiht worden sein; mit seiner Aussage in Venedig war Kesselring in übrigen nicht zufrieden.120 Wir können vermuten, daß auch Hagemann von der Abwesenheit des Feldmarschalls am 23. und 24. März wußte; in das Komplott freilich konnte er nicht einbezogen werden, da er nicht in Allendorf war. Er wird sich darüber während des Prozesses in Venedig seine Gedanken gemacht haben. Gesprochen darüber hat er, soweit bekannt, nicht. In welcher Weise er im einzelnen bei den zahlreichen Aktionen zur Rettung von Kunstwerken, Archiven, Bibliotheken und historischen Bauwerken wie etwa auch dem Ponte Vecchio in Florenz beteiligt war, darüber gibt der Nachlaß Laternsers, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keine Auskunft. Mit dem „Kunstschutz" dürfte er vielfach telefonisch und durch persönliche Gespräche - viele der Mitglieder waren ja, wie bemerkt, Kollegen und persönliche Freunde aus römischen Tagen kooperiert haben. Zur Verteidigung Kesselrings legte Laternser eine Reihe von Erklärungen hoher italienischer kirchlicher Würdenträger vor, allen voran ein Schreiben des Erzbischofs von Chieti, Giuseppe Venturi, von 2. März 1947,121 der Kesselring als „von wahren Gefühlen der Menschlichkeit beseelt" lobte und ihm die Rettung Chietis als Verdienst anrechnete: nach anfänglichem Zögern habe dieser im Dezember 1943 nach einem Besuch des Erzbischofs im Hauptquartier auf dem Soratte am 10. Februar 1944 Chieti zur offenen Stadt erklärt. Er habe zudem gut mit den kirchlichen Behörden zusammengearbeitet, Landwirtschaft, Industrie und Handel geschützt, sich bemüht, Partisanenkämpfe zu unterbinden und bei deutschen Übergriffen interveniert. Der Bischof von Anagni, Giovanni Battista Piasentini, wies in seinen Erklärungen122 auf die Rettung der Archive seiner Stadt hin, die er indirekt Kesselring (und damit Hagemann) zuschreibt; insbesondere erwähnt er jedoch Giulio Battelli, den von Unterstaatssekretär Giovanni Battista Montini (dem späteren Paul VI.) und dem Kardinalpräfekten der Vatikanischen Bibliothek Giovanni Mercati mit dem Archivschutz beauftragten Vertreter des Vatikans, des weiteren Prof. Hans-Gerhard Evers und Dr. Peter Scheibert vom „Kunstschutz".123
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Über die Aussagen Zollings, Kesselring Trial (wie Anm. 46) vgl. die tagebuchartigen Aufzeichnungen Kesselrings, Nachlaß Kesselring (wie Anm. 62) Ν 750/3; 31.3-2.4.: Aussage Zollings: „Nicht ganz so, wie ich dachte". - 8.4.: „Zolling: schwieriger Fall." Nachlaß Laternser (wie Anm. 62) Nr. 862. Ebd. 12.6.46, 29.12.46. Vgl. Klinkhammer, Kunstschutz (wie Anm. 59) S. 490, 508 u. ö.
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Battelli hat sich damals Ende 1943 und Anfang 1944 nach der Zerstörung der Archivalien des Staatsarchivs Neapel bei umfangreichen Maßnahmen zur Rettung vornehmlich kirchlicher Archive und Bibliotheken in Frontnähe südlich von Rom große Verdienste erworben.124 Die Bestände wurden mit deutschen LKW in den Vatikan gebracht und so gesichert. Der Bischof lobt, ebenso wie seine Amtskollegen von Alatri, Edoaxdo Facchini, von Veroli, Emilio Baroncelli, und andere125 es tun, das Verhalten Kesselrings und das korrekte Benehmen der deutschen Truppen, das sich erst nach dem Zusammenbruch der Cassino-Front Ende Mai 1944 verschlechtert habe. Eine direkte Intervention Hagemanns schildert der Bischof Carlo Agostini von Padua.126 Er habe Kesselring am 21. Oktober 1944 geschrieben und gebeten, die Kunstwerke Paduas ebenso zu retten wie die von Siena. „Der Brief wurde", so schreibt der Bischof, „Hauptmann Hageman[n] anvertraut, dem Beauftragten des Oberkommandos fur die Erhaltung des Kunstgutes. Am 30. Oktober 1944 kam ein Oberst des Stabes Kesselring mit Hauptmann Hageman[n] zu mir, der fur einen anderen Deutschen in Zivil und fur Prof. Anti, Generaldirektor der Schönen Künste,127 dolmetschte." Der Oberst, so der Bischofweiter, habe versichert, daß die Bastionen bei S. Giustina und S. Antonio nicht bewaffnet und die zur Bekämpfung von Partisanen aufgestellten Waffen zurückgezogen würden. Auch Maßnahmen zum Schutze der ScrovegniKapelle wurden getroffen. Der Oberst habe zur Ruhe geraten. Möns. Agostini schrieb am 11. Dezember 1944 und am 10. März 1945 weitere Briefe an das deutsche Oberkommando. „Ich kann nur noch hinzufügen", so erinnert er sich, „daß in einem Gespräch, das ich bei einer, ich weiß nicht mehr welcher, Gelegenheit mit einem deutschen Offizier führte (mir scheint, es war der oben erwähnte Hauptmann Hageman[n]), dieser mir, auf Kesselring anspielend, sagte, daß er gut sei und er meinen Brief berücksichtigt habe." Uber weitere Aktivitäten Hagemanns erfahren wir jetzt aus den Tagebüchern seines Freundes und Gönners Möns. Giuseppe Turrini (1889-1978), des Domkano-
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Vgl. sein Bericht von 1945: Per la tutela del patrimonio storico e archivistico, in: Ecdesia IV (1945), S. 118ff.; wiederabgedruckt in Battelli, Scritti scelti. Codici - documenti - archivi, Rom 1975, S. 63ff. (hier zitiert). Ab 10. Dezember 1943 wirkte er im Frontgebiet Gaeta, Fondi, Velletri, Sora, Frosinone, Alatri, Anagni (S. 68f.). Über Veroli S. 68, Anagni Terracina, Priverno, Sonnino, Sezze, Cori, Subiaco, Trisulti, Tivoli, Viterbo, Tarquinia, Tuscania ebd. S. 69. Vgl, daneben Battelli, Gli archivi ecclesiastici, in: Archivi, biblioteche ed editoria libraria per la formazione culturale della societä italiana, Rom 1980, S. 8Iff. Nachlaß Laternser ebd.: Berichte vom 25.2.47, 27.2.47, 28.2.47. Der Patriarch von Venedig hob am 1.3.47 hervor, daß Kesselring die elektrischen Anlagen Venedigs erhalten habe. Brief an Laternser vom 26.2.47, ebd. Gemeint ist Carlo Anti, Generaldirektor der Denkmalschutzabteilung in dem nach Padua verlegten Eiziehungsministeriums (Ministero dell'Educazione Nazionale) der faschistischen .Repubblica Sociale Italiana' (RSI), der zu jenen gehörte, „die mehr oder weniger ausdrücklich der RSI anhingen" (De Feiice, Mussolini l'alleato II, wie Anm. 97, S. 112). Vgl. auch Klinkhammer, Kunstschutz (wie Anm. 59) S. 50Iff.; ders., Zwischen Bündnis und Besatzung (wie Anm. 59) S. 343.
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nikers und Präfekten der Kapitelsbibliothek von Verona,128 den Hagemann 1933 kennenlernte, als er seine Forschungen über die Scaliger-Signorie in Verona begann. Zwischen dem 22 Jahre älteren italienischen Domkanoniker und dem deutschen Protestanten entwickelte sich eine „herzliche Freundschaft",129 zumal Hagemann auch nach seiner Übersiedlung nach Rom Verona häufig besuchte und es „als eine zweite Heimat"130 ansah. Seine Ernennung zum Kulturbeauftragten Kesselrings im September 1943 bezeichnete Turrini als „einen wahren Glücksfall fur uns". 131 Um seine eigenen Bücher vor Verlust zu schützen, bat ihn Hagemann „nach dem höchst unglücklichen 8. September 1943" (so Turrini)132 diese nach Erbezzo, einem kleinen Ort nördlich von Verona, zu bringen, wohin Turrini im August 1943 einen großen Teil der Kapitelsbibliothek ausgelagert und so vor der Vernichtung gerettet hatte,133 denn am 4. Januar 1945 wurde das Gebäude der Bibliothek durch einen alliierten Bombenangriff weitgehend zerstört.134 Turrini hatte Hagemann über die Auslagerung von Handschriften, Archivalien, Inkunabeln und wertvollen Bänden nach Erbezzo informiert.135 Ende November 1943 trafen die Bücher Hagemanns in zwei Kisten beim deutschen Militärkommando in Verona ein, wo sich der Kunsthistoriker Otto Lehmann-Brockhaus vom „Kunstschutz" aufhielt, „ein anderer aufrichtiger und herzlicher Freund Italiens",136 mit dem Turrini ebenfalls Freundschaft schloß. Dieser ließ Hagemanns Bücher nach Erbezzo bringen. Mit Lehmann-Brockhaus unternahm der Bibliotheks-Präfekt weitere Schritte zur Sicherung von privaten Archivbeständen. Im Laufe des Jahres 1944 wurde die Situation auch in Erbezzo wegen dort versteckter englischer Kriegsgefangener und faschistischer Aktivitäten, u. a. gegen junge Italiener, die sich der Einberufung durch die Flucht entzogen, seit Ende Oktober dann besonders durch zunehmende Partisanentätigkeit gefährlich.137 Die Folge waren Razzien, Durchsuchungen und Verhaftungen durch die SS und Carabinieri; der Pfarrer, in dessen Haus die Bibliothek untergebracht war, wurde am 11. Februar verhaftet, auf Intervention des Bischofs von Verona jedoch wieder freigelassen. Hier kam Turrini die Hilfe eines anderen Mitglieds des Deutschen Historischen Instituts zustatten: Dr. Fritz Weigle (1899-1966). 1 3 8 Weigle, ein Schüler von Ernst Pereis, der jüdischer Herkunft war,
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Giuseppe Turrini, Diari, a cura di Sara Agostini, Verona 1998, S. 278ff. Ebd. S. 278. Ebd. Ebd. S. 279. Ebd. (,dopo il disgraziaüssimo 8 Settembre 1943'). Ebd. S. 212ff., bes. 256ff. Ebd. S. 31 Iff. Ebd. S. 279. Ebd. S. 280. Ebd. S. 284ff. Ebd. S. 289ff. Vgl. die Nachrufe von H. Grundmann, in: DA 22 (1966), S. 693, u. G. Tellenbach, in: QF1AB 47 (1967), S. 64lf.
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hatte, politisch links stehend, aus Gegnerschaft zum Nationalsozialismus 1934 den Staatsdienst verlassen und war im gleichen Jahr Mitarbeiter der Monumenta Germaniae Historica geworden; er hatte durch seine Forschungen über Rather von Verona und seine Edition von dessen Briefen für die Monumenta 139 Beziehungen zur Stadt. Kehr hatte ihn ab 1. Oktober 1939 als Mitglied des römischen Instituts mit der Erfassung der deutschen Studenten an italienischen Universitäten ab ca. 1200 beauftragt; daraus gingen umfangreiche Studien und Editionen hervor, die ihn auch in norditalienische Archive führten. 140 Bis zur einstweiligen Schließung des Instituts nach dem Waffenstillstand vom 8. September 1943 war er vom Militärdienst freigestellt worden,141 dann jedoch, zu seinem Unglück, nicht zur Wehrmacht, sondern zur SS, speziell zum SD eingezogen worden, was ihm nach dem Kriege nachgetragen wurde.142 Turrini kannte ihn wegen seiner Arbeiten in Verona seit den späten zwanziger Jahren und schätzte ihn „nicht allein wegen seines kultivierten Wesens, sondern auch wegen seines persönlichen Charakters, der aufrichtig, unbeugsam war".143 Er habe, so schreibt der Kanoniker weiter, zunächst ein wenig negativ reagiert, als er erfuhr, daß Weigle im berüchtigten Hauptquartier des SD im Versicherungsgebäude am Corso Porta Nuova gegenüber S. Luca seinen Dienstsitz hatte, wo der SD seinen Terror ausübte und Folterungen durchführte. Turrinis Zeugnis für Weigle läuft auf eine völlige Rehabilitierung hinaus: „Er war seit jeher, und blieb es auch, einer der aufrichtigsten und entschlossensten Gegner des Nazismus. In dieses Amt (im SD) war er zwangsweise eingewiesen worden, nämlich seit Oktober 1943, unvorhergesehen und unerwartet, denn sie wußten, daß er ziemlich gut das Italienische beherrschte und Italien kannte, und ein wenig auch die Italiener. Während er dieses Amt innehatte, tat er für die Italiener, und in besonderer Weise für seine Veroneser Freunde, das Höchstmaß an Gutem, das ihm möglich war; er verhinderte immer, soweit er konnte, Unrecht und Grausamkeiten und erwies ständig die größte und umfangreichste Gunst, soweit das in seinen Kräften stand."144 Turrini erwähnt, daß er seine alte Freundschaft mit Weigle nach ihren Treffen Anfang März 1944 erneuert habe, der mit der nötigen Vorsicht Maßnahmen zum Schutz der Archive, Bibliotheken und Kunstgüter unternahm, insbe-
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Die Briefe des Bischofs Rather von Verona, hg. v. F. Weigle (MGH, Briefe der deutschen Kaiserzeit 1; 1949, Nachdruck 1981). Elze (wie Anm. 3) S. 25. Ebd. S. 19. Hans Martin Schaller, der ihn als Kollege bei den M G H nach dem Kriege näher kannte, betont, er sei Sozialist gewesen; Tellenbach S. 641 bezeichnet ihn als „politisch links" stehend. Seine Tätigkeit im S D wird jedoch in keinem der beiden Nachrufe erwähnt. Ich selbst habe mit ihm nur wissenschaftliche Gespräche geführt und (zu seiner Zufriedenheit) sein Werk: Die Matrikel der deutschen Nation in Siena (1573-1738), hg. u. erl. ν. Ε Weigle, 2 Bde., Tübingen 1962, in: Zeitschr. f. bayer. Landesgesch. 26 (1963), S. 687f., besprochen. Turrini (wie Anm. 128) S.289. Ebd. S. 290.
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sondere auch zur Sicherung des Depots in Erbezzo. Er erwähnt auch kurz das Anfang April 1944 im Rahmen des Archivschutzes begonnene Verfilmungsprogramm wichtiger, die deutsche Geschichte betreffender Archivalien, das Theodor Mayer in Fortfuhrung alter Arbeiten des Deutschen Historischen Instituts angeregt und dadurch zusammen mit Gottfried Lang, Friedrich Bock, Gottfried Opitz und Fritz Weigle Pläne des Abtransports der Bestände italienischer Archive nach Deutschland unterlaufen hatte.145 Weigle leitete bei dem zuständigen Vorstand der Abteilung „Kunstschutz", SS-Standartenfiihrer Prof. Dr. Alexander Langsdorff, die notwendigen Schritte ein, um das Pfarrhaus von Erbezzo, in dem , wie bemerkt, die Bestände der Kapitelsbibliothek lagerten, vor deutscher Einquartierung zu sichern. Am 24. Mai 1944 wurde bei einem gemeinsamen Besuch in Erbezzo und nach einem „ausgezeichneten, wenn auch nicht lukullischen Essen" mit viel Wein ein von Langsdorff und keinem Geringeren als SS-Obergruppenfuhrer Karl Wolff unterzeichnetes Belegungsverbot des Pfarrhauses auf einem Schild in der üblichen Weise am Eingang befestigt.146 Hagemann und andere Mitglieder des Deutschen Historischen Instituts haben derartige Akte deutsch-italienischer Freundschaft, das Verbindende von ausgedehnten Essen, früher und später häufig zelebriert. Damit war der Lagerort der kostbaren Bibliothek aber nicht endgültig gesichert. Anfang September 1944 erschien bei Turrini in Verona die ehemalige Sekretärin des Deutschen Historischen Instituts in Rom Dr. Margret Ehlers147 mit einer kurzen schriftlichen Mitteilung Hagemanns, die aus verständlichen Gründen vage und verschleiert formuliert war, aber von Frau Ehlers mündlich genauer erläutert wurde. Hagemann schlug vor, die Bibliotheksbestände möglichst in die Biblioteca Marciana nach Venedig zu schaffen, da in Erbezzo Gefahren drohten. 148 Der Direktor der Marciana, Prof. Luigi Ferrari, hatte bereits seine Zustimmung erteilt, und LehmannBrockhaus bot seine Dienste als Begleiter des LKW-Transports bis Venedig an. Am 30. September bedankte sich Turrini schriftlich bei Hagemann und Ferrari fur den Vorschlag und akzeptierte ihn. So wurden die Bestände „nicht ohne große Gefahren bei der Reise" nach Venedig überfuhrt. 149 Der dringende Rat Hagemanns, das Depot in Erbezzo aufzulösen, beruhte sicher auf Insider-Kenntnissen, die er im Hauptquartier gewonnen hatte. Ob er Kampfhandlungen in diesem Raum oder einen Abtransport der wertvollen Handschriften nach Südtirol befürchtete, wußte wohl Turrini selbst nicht; vermutlich stand die Aktion im Zusammenhang mit den
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Vgl. Klinkhammer, Kunstschutz (wie Anm. 59) S. 52Iff. Turrini (wie Anm. 128) S. 29Iff. Seine Ausführungen über die deutschen Zuständigkeiten sind freilich teilweise ungenau. Vgl. Klinkhammer, Kunstschutz (wie Anm. 59) S. 490ff. u. ö. Vgl. Elze (wie Anm. 3) S. 22 und H. Goldbrunner, Von der Casa Tarpea zur Via Aurelia Antica. Zur Geschichte der Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, ebd. S. 70. Turrini (wie Anm. 128) S. 305f. Ebd. S. 227, 306f.
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Bemühungen von Lehmann-Brockhaus, in Zusammenarbeit mit den italienischen Soprintendenten die Kunstschätze des Veneto nach Venedig zu verlagern.150 Am 2. Mai 1945, dem Tag, an dem die Kapitulation der deutschen Streitkräfte in Italien in Kraft trat, geriet Hagemann in Norditalien in Gefangenschaft, aus der er am 7. September 1945 entlassen wurde.151 Er kehrte jedoch nicht nach Deutschland zurück wie die übrigen ehemaligen Mitglieder des Deutschen Historischen Instituts in Rom. Für die Zeit vom 8. Septemberl945 bis zum 14. Januar 1947 gab er in seinen Personaldaten an:152 „Private wissenschaftliche Studien in Italien sowie Wahrung der Interessen des Deutschen Historischen Instituts," fur die Zeit vom 15. Januar 1947 bis zum 30. Juni 1948: „Von der ,Union of the Institutes for Archeology, History and History of Art' in Rom mit der Reorganisation der Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts beauftragt"153 Vom ersten Juli 1948 bis zum 30. Juni 1953, der Wiedereröffnung des Instituts (am 30. Oktober 1953 im Corso Vittorio Emanuele 209), war er mit einem „Forschungsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit der Wahrnehmung der Interessen des Deutschen Historischen Instituts beauftragt", seit dem 1. Juli 1953 wurde er wissenschaftlicher Angestellter dieses Instituts. Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft fand Hagemann Aufnahme bei seinem Freund Turrini in Verona. Dieser brachte ihn in der ,Casa elei Buoni Fanciulli diNazareth'von Don Giovanni Calabria (1873-1954), unter, dem 1988 von Johannes Paul II. seliggesprochenen Gründer der, Congregazione dei Poveri Servi della Divina Provvidenza '.154 Das Haus liegt auf den Hügeln nordöstlich der Stadt; von hier dürfte sich Hagemann an jedem Morgen über den Ponte Pietra, der die Etsch überspannt, am Römischen Theater und dem Castel S. Pietro vorbei, zum Domplatz begeben haben und am Abend dorthin zurückgekehrt sein. Don Calabria bot ihm in schwerer Zeit Unterkunft und Verpflegung, wofür ihm Hagemann posthum später herzlich dankte.155 Der Aufenthalt in Verona erstreckte sich über mehr 150 151
Klinkhammer, Kunstschutz (wie Anm. 59) S. 541 f. So nach seinem Personalakt wie Anm. 1. Nähere Einzelheiten waren nicht zu ermitteln. Jedenfalls blieb er nicht wie Kesselring und die hohen Stabsoffiziere längere Zeit in Gefangenschaft und wurde nicht aus den italienischen Lagern (Rimini-Bellaria u.a.) nach Österreich und Deutschland gebracht.
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Wie Anm. 1.
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Uber die am 6 . 2 . 1 9 4 6 gegründete ,Unione Internazionale degli Istituti di Archeologia, Storia e Storia dell'Arte', die mit der Treuhänderschaft über die Bibliotheken der vier deutschen wissenschaftlichen Institute in Rom beauftragt wurde, vgl. Goldbrunner (wie Anm. 3. u. 147) S. 68f. Die Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts wurde zum größten Teil im Dezember 1 9 4 6 von der amerikanischen Sammelstelle in Offenbach nach Rom transportiert, zunächst provisorisch im Palazzo Vidoni untergebracht und am 25. August 1947 der Vatikanischen Bibliothek übergeben. Vgl. Goldbrunner (wie Anm. 3. u. 147) S. 6 9 .
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Vgl. Hagemann, Document! sconosciuti dell'Archivio Capitolare di Verona per la storia degli Scaligeri ( 1 2 5 9 - 1 3 0 4 ) , in: Scritti in onore di Möns. Giuseppe Turrini, Verona 1973, S. 322.
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als zwei Jahre.156 Zwar war er bereits im Dezember 1945 und dann wieder im April 1946 in Rom - weitere Besuche dürften gefolgt sein - , doch arbeitete er wohl bis Anfang 1948 zumeist in Verona.157 Er befaßte sich dabei nach seinen eigenen Worten158 erneut mit der Suche nach urkundlichen Quellen zur Geschichte der ScaligerSignorie im Staatsarchiv, der Stadtbibliothek und vor allem im Kapitelsarchiv von Verona, wo ihm Turrini jede erdenkliche Unterstützung gewährte, aber auch in anderen norditalienischen Archiven. Offensichtlich war er Turrini auch beim im Januar 1946 begonnenen Wiederaufbau des Bibliotheksgebäudes und der Rückführung der Kapitelsbibliothek behilflich, wobei er mit dem amerikanischen Kulturbeauftragten Bernard M. Peebles zusammenarbeitete.159 Für den langen Aufenthalt in Verona dürfte Turrini Hagemann ganz offiziell eine Genehmigung der italienischen Behörden besorgt haben. Es ist nicht bekannt, ob Hagemann 1946 und 1947 in Kontakt mit den ehemaligen hohen Stabsoffizieren des OBSW stand, die in den Gefangenenlagern von Rimini-Bellaria, Allendorf und anderen festgehalten wurden. Uber die Prozesse wegen in Italien begangener Kriegsverbrechen, insbesondere über den Prozeß gegen Eberhard v. Mackensen und Kurt Mälzer in Rom (Universität) vom 18. bis 30. November 1946,160 der mit Todesurteilen gegen beide endete, war er sicher durch ausführliche Presseberichte informiert. Dieser Prozeß betraf im wesenlichen die Vorgänge um die Via Rasella und die Fosse Ardeatine. Wegen der Reiseschwierigkeiten lag die Verteidigung in den Händen des ebenfalls in Gefangenschaft befindlichen ehemaligen Generalrichters Hans Keller, Heeresgruppenrichter C,161 der v. Mackensen verteidigte, und des Oberstrichters Dr. Wolfgang Christ,162 dem die Verteidigung Mälzers oblag. Offensichtlich hat keiner von ihnen an Hagemann als
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Noch am 2 8 . 1 0 . 1 9 4 7 ist eine Postkarte von Dr. F. Henning von den Monumenta Germaniae Historica aus Pommersfelden an Hagemann, Verona, Piazza del Duomo 3 1 , presso Möns. Turrini, adressiert (Deutsches Historisches Institut, Rom, Nachlaß Wolfgang Hagemann, Varia, Kasten 1). Im Januar 1 9 4 8 beauftragte ihn die Unione mit der Revision der Bibiliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom (damals im Vatikan); Goldbrunner (wie Anm. 3. u. 147) S. 70; Elze (wie Anm. 3) S. 2 2 gibt ohne Beleg an, Hagemann und Ehlers seien bis zum Sommer 1 9 4 9 von der Unione dafür bezahlt wurden, während Hagemann in seinem Personalbogen angab (wie Anm. 1), er habe vom 1.7.48 bis 30.6.53 ein Forschungsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft bezogen (die diesen Namen freilich erst im Mai 1 9 5 1 erhielt). W i e Anm. 154f. Alberto Piazza in: Turrini, Diario (wie Anm. 128) S. 2 1 ; vgl. S. 2 7 8 Anm. 8 4 und das Photo S. 339. Vgl. auch Ρ Gazzola, Giuseppe Turrini, bibliotecario della Capitolare, in: Scritti (wie Anm. 154) S. lOf. Die Akten Public Record Office, Kew, W O 235/438. Seine Personalien nach Nachlaß Laternser (wie Anm. 62) Nr. 870: geb. 2 1 . 6 . 1 8 9 1 in Stuttgart, katholisch, Volljurist, Studium in Tübingen und Berlin, dann am Landgericht Ulm, 1 9 3 3 Landgerichtsrat, auf Antrag 1 9 3 5 als Kriegsgerichtsrat der Wehrmacht übernommen, 1 9 3 9 Ministerialrat, seit Februar 1 9 4 4 Generalrichter der Heeresgruppe Südwest. Personalien ebd. Nr. 860: geb. 1 8 . 7 . 1 9 0 0 , vom 1 8 . 1 0 . 4 3 bis 2.5.45 Armeerichter der 10. Armee.
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Entlastungszeugen gedacht. Prominentester Zeuge in diesem Verfahren war Kesselring selbst, der nach seiner Vernehmung durch Scotland in der Kensington Cage in London (20. September bis 15. Oktober 1946) über Allendorf nach Rom gebracht worden war.163 Nach seiner Rückkehr nach Allendorf wurde ihm am 7. Januar 1947 mitgeteilt, daß im Februar in Venedig gegen ihn der Prozeß beginnen werde,164 den in London bereits Scotland als möglich bezeichnet hatte.165 Kesselring entschied sich fur den aus dem Nürnberger Prozeß vor dem International Military Tribunal (IMT) bekannten Strafverteidiger Dr. Hans Laternser, der den Generalstab und das Oberkommando der Wehrmacht als Gruppe erfolgreich verteidigt hatte, 166 zumal Keller als Zeuge geladen wurde und damit nicht als Verteidiger fungieren konnte. Kesselring wurde mit der Eisenbahn vom 18. bis 29. Januar 1947 von Allendorf über Frankfurt, Salzburg und Villach zunächst nach Rimini, dann nach Venedig (Mestre, 317-Transit Camp) gebracht.167 Der Prozeßbeginn war fur den 10. Februar 10 Uhr im Tribunale di Giustizia angesetzt. Das auf Befehl des Lt. Gen. Sir John Harding, Commanding Central Mediterranean Forces, eingesetzte Gericht setzte sich aus folgenden Mitgliedern zusammen:168 Präsident war Maj. Gen. E. Hakewill-Smith, C.B., C.B.E., M.C. Beisitzer waren Lt. Col. P. M. Marjoribanks-Egerton, M.B.E.; Lt. Col. A. W. Gibbon, O.B.E.; Lt. Col. W. H. Medlam, Lt. Col. W. Turner Coles. Militärstaatsanwalt war wie schon im Prozeß gegen v. Mackensen und Mälzer in Rom, Col. R. C. Halse, O.B.E.. Gemäß dem Manual of Military Law169 § 16 mußten die Beisitzer, mindestens drei, aus den
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Aufzeichnungen Kesselrings im Nachlaß Kesselring Ν 750/2, S. 73ff. Kesselring beklagt, daß der italienische Mob Druck ausgeübt und Pater Hiemer, der für Mälzer aussagte, fast verprügelt habe. Pius XII. habe ihn angeblich sprechen wollen. Das Urteil sieht er als politisch bedingt an.
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Ebd. S. 61 f. H . Laternser, Verteidigung deutscher Soldaten. Plädoyers vor alliierten Gerichten, Bonn 1950, bes. S. 47ff.; Taylor, Die Nürnberger Prozesse (wie Anm. 108) S. 282ff. Zu juristischen Grundfragen R. B. Herde, Command Responsibility ( wie Anm. 6 1 ) Kap. 4 A.
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Aufzeichnungen Kesselrings im Nachlaß Kesselring Ν 750/3. Kesselring Trial (wie Anm. 4) Anfang. Scharfe Kritik am Bericht durch Kesselring und Scotland: Kesselring, Soldat (wie Anm. 12) S. 433ff. T h e War Office. Manual o f Military Law, London 1929, repr. 1939. In deutschen Militärstrafprozessen mußte gemäß Kriegsstrafverordnung vom 1 7 . 8 . 1 9 3 8 §1 Abs. 2 die Hauptverhandlung vor drei Richtern stattfinden: dem Vorsitzenden Militärjustizbeamten, einem Juristen mit der Befähigung zum Richteramt, einem Offizier (möglichst einem Stabsoffizier) und einem Soldaten oder Wehrmachtsbeamten im Range des jeweiligen Angeklagten; das Urteil wurde mit Stimmenmehrheit gefaßt und schriftlich begründet. Es wurde nur nach Bestätigung durch einen militärischen Befehlshaber rechtskräftig. Die „Herren des Kriegsrechtsverfahrens" waren die Inhaber der Kommandogewalt (Divisionskommandeure, Luftflottenchefs, kommandierende Admiräle der schwimmenden Verbände usw.). Eine den zivilen Gerichten entsprechende Staatsanwaltschaft gab es bei deutschen Militärgerichten nicht; die Voruntersuchungen, Ermittlungen usw. lagen in den Händen eines richterlichen Militärjustizbeamten, des „Gerichtsoffiziers", der vom Gerichtsherren für jeweils ein Regiment bestimmt wurde. Er war weisungsgebunden und plädierte im Sinne des Gerichts-
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verschiedenen Korps abbeordert werden. Der Präsident war für ein faires Verfahren verantwortlich (§ 59), auch der Staatsanwalt war zur Objektivität verpflichtet und durfte kein Beweismaterial zugunsten des Angeklagten unterdrücken. Präsident, Richter und Beisitzer waren jedoch keine Juristen. Jurist war allein der Judge Advocate, der durch den Judge Advocate General ernannt wurde. Judge Advocate im Kesselring-Prozeß war wie im römischen Prozeß zuvor C. L. Stirling, Esq., C.B.E., K.C., Deputy Judge Advocate General to the Forces. Nach §§ lOlff. hatte er das Verfahren zu überwachen, die Richter auf jeden Verfahrensfehler aufmerksam zu machen, dafür zu garantieren, daß die Rechte des Angeklagten nicht verletzt wurden, unparteiisch zu agieren (was Kesselring bei ihm vermißte) und am Ende durch ein .summing up of evidence' ein Resümee zu ziehen, das besonders deshalb wichtig ist, weil es eine Urteilsbegründung nicht gab. Die Anklageschrift170 umfaßte zwei Punkte: 1) Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit den Erschießungen in den Fosse Ardeatine. Kesselring sei,concerned in killing gewesen; 2) Kriegsverbrechen zwischen Juni und August 1944: als OBSWhabe Kesselring incited and commanded the German armedforces and German policeforces in Italy under (his) command to kill Italian civilians as reprisals in consequence of which a number of Italian civilians were killed'. Laternser traf am 9. Februar in Venedig ein. Er war erst am 28. Januar telefonisch vom Prozeßbeginn am 10. Februar unterrichtet worden und hatte Schwierigkeiten, von den Amerikanern eine Ausreiseerlaubnis nach Italien zu erhalten171 Für das Studium der Anklageschrift hätten ihm nach einer sehr langen Bahnfahrt ganze 12 Stunden zur Verfugung gestanden; er habe, so führte er am 10. Februar weiter aus, mit dem Angeklagten über die Anklage nicht sprechen können, habe die Dokumente der Anklage nicht einsehen und daher die Verteidigung nicht vorbereiten können, während die Anklage dazu seit dem Sommer 1946 Zeit gehabt habe. Unter Bezug auf § 51 des Manual of Military Law beantragte er daher eine Verschiebung der ProzeßeröfFnung um zwei Wochen. Halse widersprach dem mit den Argumenten, Kesselring sei im September 1946 in London durch Scotland verhört worden und Kopien seiner Aussage hätten Laternser zur Verfügung gestanden. Danach hätte Kesselring in Allendorf genügend Zeit gehabt, mit seinem Verteidiger zu sprechen.172 Keller, der Kesselring in Rom beraten hatte, habe alle notwen-
herren (Kommandeurs). Es gab keinen Instanzenzug. Militärjustizbeamte waren als Richter im erkennenden Gericht dagegen nicht an die Weisungen des Gerichtsherren gebunden. Wieweit sie sich gegenüber den Kommandeuren mit einem eigenen Urteil durchsetzen konnten, hing von der Persönlichkeit des richterlichen Justizbeamten ab. Vgl. F. W. Seiler, Das Justizwesen der Wehrmacht, in: Die Soldaten der Wehrmacht, hg. v. D. H. Poeppel u.a., 4. Aufl., München 1999, S. 364ff (mit weiterer Lit.). 170 171 172
Kesselring Trial, Anfang. Ebd., auch fiir das Folgende. In der Tat stand Kesselring bereits spätestens seit dem Frühjahr 1946 in Kontakt mit Laternser, der
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digen Informationen erhalten, und nach seiner Ankunft in Rimini sei Kesselring Oberst Christ als Verteidiger angeboten worden, da Laternser schwer zu erreichen gewesen sei; Christ habe ihn beraten können. Laternser konterte, daß Kesselring in London bedeutet worden sei, daß er wegen der Fosse Ardeatine nicht angeklagt werden sollte. Das Gericht entschied, den Prozeßbeginn gemäß § 33 des Manual um eine Woche, auf den 17. Februar, zu verschieben. Offensichtlich in dieser Zeit beriet Laternser, der im weiteren Verlauf des Prozesses von Prof. E. Schwinge, Dr. F. Frohwein und Dr. A. Schütze unterstützt wurde,173 mit Kesselring über die Strategie der Verteidigung und der von ihr zu benennenden Zeugen. Selbstverständlich waren Westphal, Beelitz, v. Mackensen, dessen Stabschef Oberst i.G. Wolfgang Hauser, Kappler, Zolling, Keller und andere hohe Stabsoffiziere die wichtigsten Zeugen des Prozesses, die unmittelbar zu den Punkten der Anklage aussagen sollten. Daneben gehörte es zur Verteidigungsstrategie Laternsers, auch solche Zeugen auftreten zu lassen, die Kesselring als Freund der Italiener, ihrer Kunstschätze und als Oberbefehlshaber darstellen sollten, der eine möglichst rücksichtsvolle, humane Kriegsfuhrung anstrebte und Hitlers Befehle zu unterlaufen versuchte. Dieser Teil seiner Verteidigung wurde vom Gericht freilich als nicht zur Sache gehörig angesehen und wenig honoriert. Wer Hagemann als Zeugen vorgeschlagen hatte, ist mit Sicherheit nicht auszumachen; vermutlich war es aber Kesselring selbst, der zu ihm ein persönliches Verhältnis entwickelt zu haben scheint und seiner auch in seinen Memoiren gedachte; auf jeden Fall steht Hagemann mit voller Adresse (Verona, Piazza del Duomo 31, presso Msgr. Turrini) bereits auf der ersten Liste der von Laternser gewünschten Zeugen vom 12. Februar, die er nach ersten Gesprächen mit Kesselring zusammenstellte.174 Unklar ist auch, wie Laternser von Hagemanns Aufenthaltsort erfuhr. Offensichtlich hatte dieser in der Zwischenzeit (über Rom) doch direkte oder indirekte Kontakte zu seinen ehemaligen militärischen Vorgesetzten herstellen können. Auf jeden Fall trat Hagemann erst zwei Monate nach Eröffnung des Prozesses in dessen letztem Stadium in Erscheinung. Am 16. April füllte er zur Vorbereitung seiner Aussage den umfassenden Fragebogen Laternsers aus;175 seitdem dürfte er sich bis zu seiner Aussage am Nachmittag des 25. April in Venedig oder Mestre aufgehalten und mit
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seitdem entlastendes Material fur ihn sammelte: Nachlaß Laternser Nr. 312 (Kesselring an Laternser 26.3.46), ebd. Nr. 305, Nr. 860ff. Wie Anm. 170. Vgl. Anm. 9; Nachlaß Laternser Nr. 680. Auf dieser Liste und späteren Listen von Zeugenanforderungen vom 22.2. und 18.3., gerichtet an den Defence Officer Major Dalrymble, stehen auch Namen von Personen, die später im Prozeß nicht aussagten; den Antrag auf Heranziehung von Zolling zog Laternser am 22.2. zunächst wegen einer Verletzung, die sich dieser zugezogen hatte, zurück, erneuerte ihn aber am 18.3. Vgl. Anm. 63. Nach Auskunft von Frau Kerstin von Lingen (Tübingen), der ich fur Hinweise danke, vermittelte Pater Hiemer (Rom) Laternser den Kontakt mit Hagemann.
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Laternser alle Punkte durchgesprochen haben. Der Inhalt seiner schriftlichen Angaben und seiner etwas kürzeren Aussage wurde bereits oben erläutert. Kesselring war mit Hagemanns Auftritt vor Gericht zufrieden. „Dr. Hagemann gut", vermerkte er am 25. April in seinen Aufzeichnungen; andere Entlastungszeugen beurteilte er weniger gut. Gleichsam zum Dank empfing er am Abend des gleichen Tages Hagemann und seinen ebenfalls als „gut" beurteilten ehemaligen Stabsoffizier von Ia, den Grafen Ingelheim, der am 23. März 1944 offensichtlich mit Kappler telefoniert hatte.176 Es ist hier nicht der Ort, die sachlichen Fragen, die der Kesselring-Prozeß aufgeworfen hat, und ihre juristische Wertung in allen Einzelheiten aufzurollen.177 Was die Rolle Kesselrings anbetrifft, so ging man im Prozeß, wie bemerkt, vom dem Phantom aus, er sei am Abend des 23. März ins Hauptquartier auf dem Soratte zurückgekehrt und habe in den Entscheidungsprozeß bezüglich der Vergeltungsmaßnahmen eingegriffen. Ob er im Hotel Excelsior in Rapollo, wo er die Nacht vom 23. zum 24. März in Wirklichkeit verbrachte, telefonisch in diese Entscheidungen miteinbezogen wurde, wissen wir nicht. Auf jeden Fall hat Kappler, der offenbar über das in Allendorf konstruierte Lügengebäude nicht eingeweiht war, die Wahrheit gesagt, als er sowohl im Prozeß gegen v. Mackensen und Mälzer als auch im Kesselring-Prozeß aussagte, er habe am Abend des 23. März nicht mit Kesselring telefoniert,178 wie dieser wahrheitswidrig behauptete. Auch sonst waren Kapplers Aussagen wohl meistens zutreffender als die Kesselrings und seiner Stabsoffiziere. Der britische Ankläger Col. Halse hat gemäß dem Manual of Military Law die Rechtmäßigkeit der deutschen Vergeltungsmaßnahmen nicht grundsätzlich bestritten,179 da der Angriff der kommunistischen Partisanen ein Verstoß gegen das Kriegsrecht und das Kriegsgewohnheitsrecht gewesen sei; die Briten waren in Indien, Irland und Südafrika in dieser Hinsicht nicht gerade rücksichtsvoll vorgegangen. Im übrigen wurden die prinzipiellen juristischen Fragen im Prozeß von den Engländern recht oberflächlich erörtert. Auf englischer Seite wurde lediglich ein Aufsatz des Cambridger Völkerrechtlers Lauterpacht,180 daneben besonders von
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Nachlaß Kesselring Ν 750/3. Vgl. R. B. Herde, Command Responsibility (wie Anm. 61). Kap. 5. Die Auffassung Kesselrings in: ders., Soldat (wie Anm. 12) S. 433ff. Kreuzverhör durch Dr. Christ am 19.11.46; PRO W O 235/438 (wie Anm. 99); Aussage am 19. u. 20.2.47, Kesselring Trial (wie Anm. 46). Er hat jedoch unter Druck aus „Korpsgeist" sowohl in diesem Falle als auch bezüglich eines angeblichen Treffens mit v. Mackensen am Spätnachmittag des 23.3. eingeräumt, daß er sich irren könne. Vgl. seine Anklagerede vom 17.2.47 und sein Schlußplädoyer vom 1.5.1947; Kesselring Trial (wie Anm. 46). H. Lauterpacht, The Law of Nations and the Punishment ofWar Crimes, in: The British Year Book of International Law 21 (1944), S. 5 8 - 9 1 . Hale zitierte es neben dem Manual of Military Law in seiner Anklagerede.
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Laternser das Standardwerk von Oppenheim181 herangezogen. Lauterpacht, den Halse zitierte, vertrat die Ansicht,182 daß Vergeltungsmaßnahmen für Aktionen von Partisanen in der Regel nicht als Kriegsverbrechen verfolgt werden könnten. Das Völkerrecht sei in diesen Fragen aber teilweise wenig klar. Doch sollte bei solchen Vorfällen zunächst versucht werden, durch Verhandlungen eine Wiedergutmachung zu erreichen; die Angemessenheit und Vernunft müßten gewahrt, und auf Nichtkämpfer müsse Rücksicht genommen werden. Da Vergeltungsmaßnahmen meist auf höheren Befehl erfolgten, ergab sich hier das Problem des Befehlsnotstandes.183 Die Rechtsliteratur lehnte zumeist die Lehre ab, daß ein höherer Befehl eine absolute Rechtsgrundlage fur Kriegsverbrechen sei. Nach deutschem Militärstrafrecht vor dem Zweiten Weltkrieg war ein Untergebener strafwürdig, wenn er einen Befehl befolgte, von dem er wußte, daß er verbrecherisch oder rechtswidrig war.184 Nach § 366 des britischen Manual of Military Lawm und der amerikanischen Rules of Land Warfare186 machte sich ein Befehlsempfänger dagegen nicht strafbar, wenn er Kriegsrechtsverstöße aufgrund rechtswidriger Anordnungen der Regierung oder eines militärischen Vorgesetzten beging. Bei der Vorbereitung der Prozesse gegen deutsche Kriegsverbrecher haben die Amerikaner und Briten dann im Frühjahr 1944 heimlich ihre Militärgesetzbücher dem deutschen angepaßt: Mitglieder bewaffneter Streitkräfte brauchten seitdem nur rechtmäßigen Befehlen zu gehorchen; wenn sie in Ausführung eines Befehls „unangefochtene Regeln der Kriegsfuhrung" verletzten und „das allgemeine Gefühl der Menschlichkeit" gegen sich aufbrachten, konnten sie sich nicht der Verantwortung entziehen.187 Damit wurde die Grundlage dafür geschaffen, bei den künftigen Prozessen wegen deutscher Kriegsverbrechen das Verteidigungsargument des Befehlsnotstands nicht zu akzeptieren. Im Falle der Vorgänge vom 23. und 24. März 1944 in Rom hielt die britische Anklage Vergeltungsmaßnahmen nur unter folgenden Bedingungen für gerechtfertigt. 1) Es hätte eine genaue Untersuchung vorausgehen müssen (vor allem, um die Täter zu fassen); 2) Vergeltungsmaßnahmen hätten nur
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L. Oppenheim, International Law: A Treatise, 2 Bde., 3rd ed. by R. F. Roxburgh (London 1921 und zahlreiche Neuauflagen). Laternser zitierte daneben weitere, z.T. deutsche und historische Literatur, vgl. Laternser (wie Anm. 166) S. 74ff. Ebenso Halse in seinem Schlußplädoyer vom 1.5.47, Kesselring Trial (wie Anm. 46). Lauterpacht (wie Anm. 180) S. 75ff. Ebd. S. 69ff. Ebd. Wie Anm. 169. U.S. War Department. Rules of Land Warfare, Washington, D.C. 1940. T. Bower, Blind Eye to Murder: Britain, America and the Purging of Nazi Germany - A Pledge Betrayed, London 1995, S. 298. Der unveröffentlichte Zusatz lautete: „... members of the armedforces are bound to obey lawful orders only and they cannot therefore escape liability if in obedience to a command, they commit acts which both violate the alleged rules of warfare and outrage the general sentiment of humanity".
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gegen die Lokalitäten ergriffen werden dürfen, wo der Anschlag stattfand; 3) sie hätten nicht exzessiv sein dürfen; 4) es hätte die Genehmigung des Kommandeurs, in diesem Fall Kesselrings, vorliegen müssen. Bezüglich Punkt 2 vertrat Halse die Ansicht,188 daß es angemessen gewesen wäre, „nach genauer Untersuchung jenen Teil Roms, in dem sich die Via Rasella befindet, in die Luft zu jagen", hingegen sei es eine unrechtmäßige und gegen die Gesetze und Gewohnheiten des Kriegs verstoßende Vergeltungsmaßnahme gewesen, „300 Italiener zu töten, von denen viele nichts mit dem Vorfall in der Via Rasella zu tun hatten." Der britische Militärstaatsanwalt sah also gerade das als gerechtfertigte Vergeltung an, was auch der angetrunkene Mälzer am 23. März nach dem Anschlag in die Wege leiten wollte, was jedoch SSStandartenführer Eugen Dollmann, Konsul Eitel Friedrich Moellhausen und Kappler verhinderten, nämlich das Viertel um die Via Rasella zu sprengen.189 In seinem Schlußplädoyer am 1. Mai190 argumentierte Halse, daß die fur einen rechtmäßigen Vergeltungsakt notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt gewesen seien. Was die Verwicklung Kesselrings in die Erschießungen in den Fosse Ardeatine betrifft, so bestand die Verteidigungsstrategie Laternsers, Kesselrings und seiner Stabsoffiziere darin, alle Schuld von der Wehrmacht, speziell dem OBSW, auf Hitler einerseits und Kappler und den SD abzuwälzen.191 Das ganze beruhte, wie wir sahen, ohnehin auf der Fiktion, Kesselring sei am Abend des 23. März von der Cassino-Front in das Hauptquartier auf dem Soratte zurückgekehrt und am Morgen des 24. März wieder an die Front geflogen, was die Briten aus Unkenntnis der Sachlage nicht in Frage stellten. Hinzu kamen die unzutreffenden Behauptungen, Kappler habe Kesselring persönlich davon in Kenntnis gesetzt, fur die Erschießungen stünden genügend „Todeskandidaten" zur Verfügung, es würden also keine unschuldigen Zivilisten getötet, und Kesselring habe also den Erschießungsbefehl des O K W in der Überzeugung weitergegeben, es würden nur zum Tode verurteilte Männer oder solche, die ein Todesurteil zu erwarten hätten, exekutiert werden. Sicher erfunden war der zweite, angeblich von Jodl an Westphal durchgegebene Befehl, die Ausführung sei auf Anordnung Hitlers dem SD zu übertragen, worauf bereits oben hingewiesen wurde. Militärstaatsanwalt Halse stellte deshalb am Ende seines Schlußplädoyers fest, daß die Wehrmacht und damit Kesselring entscheidend in die Vorgänge in den Fosse Ardeatine verwickelt war.192 Laternser kam zu dem Ergebnis,
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Anklagerede S. 21f. Vgl. Katz (wie Anm. 97) S. 77ff.; ders., Morte a Roma S. 70ff. Laternser, Verteidigung (wie Anm. 166) S. 73, bestritt, daß das britische Militärrecht und das britische Schrifttum den Gesichtspunkt des örtlichen Zusammenhangs zwischen Tat und Vergeltung kenne. Kesselring Trial (wie Anm. 46). 1.5.47. Laternser, Schlußplädoyer, deutscher Text in: Laternser Verteidigung (wie Anm. 166) S. 52ff.; engl. Text Kesselring Trial (wie Anm. 46) 30.4.47. Kreuzverhör Kesselrings ebd. 7.-15.3.47, ebenso Westphal u. Beelitz. Kesselring Trial 1.5.47.
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daß die von Kesselring befohlene Vergeltung vom Standpunkt des britischen Militärhandbuchs und des britischen Schrifttums gerechtfertigt gewesen sei und daß der Zusatzbefehl „Durchführung durch den SD", den er nicht in Zweifel zog, „den ganzen Komplex den Wehrmachtstellen entzog".193 Das Gericht ist ihm darin offensichtlich nicht gefolgt und hat Kesselring nicht geglaubt, er habe den Befehl des Ο KW in voller Uberzeugung weitergegeben, die Repressalie werde nur „Todeskandidaten" treffen; und auch an der Existenz des zweiten Befehls, der die Durchführung durch den SD betraf, bestanden berechtigte Zweifel.194 Wir wissen heute, wie bemerkt, daß es sich, was Kesselrings Rolle betraf, um Spiegelgefechte handelte, da er sich gar nicht im Hauptquartier befand. Die Entscheidungen über die Vergeltungsmaßnahmen dürften durch Absprachen zwischen v. Mackensen, Westphal, dem OKW und Kappler getroffen worden sein. Wieweit Kesselring dabei telefonisch aus Ligurien eingriff, entzieht sich unserer Kenntnis. Diese Frage dürfte, falls nicht neue Akten auftauchen, auch kaum mehr zu klären sein. Der zweite Punkt der Anklage betraf die zwischen Juni und August 1944 begangenen deutschen Vergeltungsakte als Reaktion auf die Tätigkeit von Partisanen: Kesselring habe durch seine Befehle fur die Bekämpfung von „Banden" vom 17. Juni und 1. Juli 1944 die ihm unterstellten Truppen ermuntert, italienische Zivilisten als Vergeltung unter Verletzung der Gesetze und Gebräuche des Landkrieges zu töten, und es seien auf Grund dieses Befehls in einer Reihe von Einzelaktionen insgesamt 1087 Personen rechtswidrig durch deutsche Truppen getötet worden.195 Über die angeführten Befehle Kesselrings,196 die Partisanentätigkeit und die deutschen Vergeltungsmaßnahmen gibt es eine immer stärker anwachsende Literatur;197
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Laternser, Verteidigung (wie Anm. 166) S. 78f. Da weder eine mündliche noch eine schriftliche Urteilsbegründung gegeben wurde, kann man das nur aus dem ,summing-up' des Judge Advocate vom 3.5.47 indirekt erschließen; Kesselring Trial (wie Anm. 46), bes. S. 5ff. Klinkhammer, Stragi (wie Anm. 197) S. 7ff., glaubt nicht an einen „Führerbefehl", als Vergeltung Erschießungen im Verhältnis 10:1 vorzunehmen, sondern sieht v. Mackensen als Befehlsgeber an, geht aber, noch ohne Kenntnis der Arbeit von Raiber (1997), davon aus, daß sich Kesselring in der Nacht vom 23. zum 24. März im Hauptquartier auf dem Soratte befand und den Befehl bestätigte. Daß Telefongespräche zwischen dem Hauptquartier auf dem Soratte und dem O K W stattfanden, wird man jedoch nicht in Frage stellen können. Laternser, Verteidigung (wie Anm. 166) S. 81. Druck: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem internationalen Militärgerichtshof Nürnberg 14. November 1 9 4 5 - 1 . Oktober 1946, Urkunden und anderes Beweismaterial, Bd. 39, Nürnberg 1949 (als Nachdruck Bd. 15, München 1989), S. 130ff. Zum ganzen Problemkreis grundlegend De Feiice, Mussolini l'alleato II (wie Anm. 97) S. 102ff.; C. Pavone, Una guerra civile. Saggio storico sulla moralitä nella Resistenza, Turin 1994, bes. S. 413 ff. Zusammenfassende Darstellungen deutscher Autoren: G. Schreiber, Deutsche Kriegsverbrechen in Italien, München 1996; L. Klinkhammer, Stragi naziste in Italia. La guerra contro i civili (1943— 44), Rom 1997; F. Andrae, Auch gegen Frauen und Kinder. Der Krieg der deutschen Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung in Italien 1943—1945, München 1995; dazu vgl. aber die kritischen Bemerkungen von J. Petersen, in: QFLAB 76 (1996), S. 660f. Von italienischen Gesamtdarstellungen
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hier sollen nur einige der im Kesselring-Prozeß behandelten grundsätzlichen Fragen angeschnitten werden. Die anfänglich kleinen Kader von Widerstandskämpfern wuchsen durch starken Zuzug ehemaliger Soldaten und später junger Leute, die sich dem Wehrdienst der RSI entziehen wollten. Die Gesamtstärke der Resistenza betrug freilich selbst im Sommer 1944 nicht mehr als 80.000 Mann und wuchs gegen Kriegsende im März - April 1945 nur auf rund 200.000 Mann, denen immer noch rund 600.000 oder mehr Kämpfer auf faschistischer Seite entgegenstanden. Insgesamt waren drei bis vier Millionen Italiener 1944/45 auf der einen oder anderen Seite politisch und militärisch engagiert, denen eine riesige Mehrheit von 40 Millionen entgegenstand, die nur überleben wollten und nichts anderes als das Ende des grausamen Krieges abwarteten, dem .attendismo'huldigten, das Ende der faschistischen und deutschen Herrschaft und das Einrücken der Alliierten herbeisehnten, aber jeden Aktivismus ablehnten, um unnötiges Blutvergießen zu vermeiden.198 Nicht selten stellten die britischen Ermittler daher fest, daß die Bevölkerung mehrheitlich die Aktionen der Partisanen ablehnte und sie nicht unterstützte.199 Dennoch wurden Tausende Unschuldiger Opfer der Vergeltungsmaßnahmen. Kesselring und die ihm unterstellten deutschen Truppen standen vor einem Dilemma. Als von der Mehrheit der Italiener abgelehnte Besatzungstruppen, aber nur von einer kleinen Minderheit aktiv bekämpft, mußten sie sich seit dem Fall Roms einer zunehmend brutalen Kampfesweise von Partisanen erwehren, die „sich durch besondere Verschlagenheit und hinterlistige Kampfftihrung" auszeichnete und besonders gefährlich fur die Truppen war.200 Auch Generalrichter Keller nahm Kesselring in Schutz und erklärte den Befehl vom 17. Juni 1944 aus der Notstandssituation beim Rückzug.201 Die Anklage in Venedig nahm vor allem Anstoß daran,
vgl. bes. R. Battaglia, Storia della Resistenza italiana 8 settembre 1 9 4 3 - 2 5 aprile 1945, Turin 1964, bes. S. 116ff.; G. Bocca, Storia dell'Italia partigiana, settembre 1943-maggio 1945, Mailand 1995. Über einzelne Aktionen vgl. die bibliographischen Angaben von Klinkhammer, Stragi S. 161 ff. Dazu von weiteren neuesten Arbeiten (zum Anschlag in der Via Rasella vgl. oben Anm. 99) vgl. G. Pisanö/P. Pisanö, II triangolo della morte. La politica della strage in Emilia durante e dopo la guerra civile, Mailand 1992; G. Contini, La memoria divisa, Mailand 1997; P. Pezzino, Anatomia di un massacro. Controversia sopra una strage tedesca, Bologna 1997. Die beiden letzteren Arbeiten greifen endlich auf eine sonst allgemein vernachlässigte wichtige Quellengattung zurück: die im Public Record Office in Kew aufbewahrten, sofort nach dem Einmarsch vorgenommenen Untersuchungen der britischen Militärpolizei über deutsche Kriegsverbrechen im Auftrag der Special Investigation Branch und die dabei aufgenommenen affidavits, die die (rechdich problematische) Grundlage der entsprechenden Anklagepunkte in den britischen Kriegsverbrecherprozessen bildeten. Vgl. auch oben Anm. 99. 198
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Die Zahlen nach D e Felice, Rosso e Nero (wie Anm. 98) S. 47ff., und ausfuhrlich ders., Mussolini l'alleato II S. 159ff., 567fF. Vgl. Pezzino (wie Anm. 197) S. 123ff.; Contini (ebd.) passim. Aussage von Generalmajor Edgar Frhr. v. Buttlar vom Wehrmachtsführungsstab 20.5.46, Nachlaß Laternser (wie Anm. 62) Nr. 861. Aussage Keller vom 1.11.46, ebd. Nr. 870.
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daß der Feldmarschall den Kommandeuren gleichsam einen Freibrief ausstellte, indem er ausführte: „Ich werde jeden Führer decken, der in der Wahl und Schärfe des Mittels bei der Bekämpfung der Banden über das bei uns übliche zurückhaltende Maß hinausgeht." 202 Kritik kam jedoch auch aus dem eigenen Lager. Kein geringerer als der General der Panzertruppe Joachim Lemelsen, von Juni—Oktober 1944 und nach vorübergehender Übernahme der 10. Armee wieder ab Februar 1945 Oberkommandierender der 14. Armee, sagte am 26. Februar 1946 vor Scotland in London aus: „Dieser Befehl, durch den jeder Führer, der in der Wahl der Mittel bei der Bandenbekämpfung das gebotene Maß weit überschritt, gedeckt wurde, enthielt nach meiner Auffassung in einer solchen kritischen Lage und bei einer derartigen seelischen Hochspannung der Truppe eine große Gefahr für die Zucht und Ordnung." 2 0 3 Zwar hat Kesselring nach Intervention Mussolinis durch weitere Befehle vom 21. August und 24. September die Vergeltungsmaßnahmen zu steuern und einzuschränken versucht, doch kam es erst danach, am 30. September und 1. Oktober, als Vergeltung gegen die Aktionen der kommunistischen Partisanenbrigade Stella Rossa bei Vergato und Marzabotto zu dem wohl fürchterlichsten Gemetzel, dem auch zahlreiche Zivilisten zum Opfer fielen, das jedoch im Kesselring-Prozeß keine Rolle spielte, da es im Operationsgebiet des 2. US Corps lag. 204 Kesselring hat daraufhingewiesen, daß die „Bandentätigkeit" deutsche Verluste von Juni bis August von mindestens 5000 Toten, wahrscheinlich sogar 7 0 0 0 8000 Toten oder Verschleppten und nochmals die gleiche Zahl von Verwundeten verursacht hätte, weit höhere Verluste als auf Seiten der Partisanen, und daß die Aktionen der italienischen Partisanen eine schwere Verletzung des Kriegsrechts dargestellt hätten. 205 Seine Zahlen wären zu überprüfen. Laternser hat sich bei seiner Verteidigung bemüht nachzuweisen, daß die Befehle nicht exzessiv waren und im Einklang mit dem Kriegsrecht standen. 206 An Einzelheiten wurden im Prozeß vorwiegend auf der Grundlage von affidavits britischer Militärpolizisten, deren Abfassung und Verwendung in den Kriegsverbrecherprozessen juristisch umstritten waren, deutsche Repressalien an Orten behandelt, die im britischen Operationsgebiet lagen. Sie spielen in heutigen Darstellungen neben den großen Massakern eher eine Nebenrolle. Die meisten Fälle be-
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Wie Anm. 197 S. 130. Schlußplädoyer Halse 1.5. 47 S. 20ff. Nachlaß Laternser Nr. 869. Freilich hat Lemelsen ganz im Sinne von Kesselrings Befehl vom 17.6. gehandelt und die darin gegebene Blankovollmacht noch erweitert: Klinkhammer, Zwischen Bündnis und Besatzung (wie Anm. 59) S. 497f. Klinkhammer ebd. S. 485ff.; ders., Stragi (wie Anm. 197) S. 91ff. Kesselring, Soldat (wie Anm. 12) S. 327ff. Vgl. Kurowski (wie Anm. 12) S. 328. Die italienischen Verluste werden, allerdings für die gesamte Zeit von September 1943 bis April 1945, mit 4 4 7 2 0 gefallenen und 9980 als Vergeltungsmaßnahme getöteten Partisanen, dazu 21168 verwundeten Partisanen angegeben. Vgl. Pavone, Guerra civile (wie Anm. 197) S. 413. Laternser, Verteidigung (wie Anm. 166) S. 8Iff., und Kesselring Trial 30.4.47.
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treffen die zumeist von Angehörigen der Divisionen „Hermann Göring" und „Brandenburg" durchgeführten Repressalien um Arezzo von Juli 1944, andere die Partisanentätigkeit in der Nähe der Verbindungsstraßen von Florenz in die EmiliaRomagna: Badicroce (s. von Arezzo, Juni/Juli 1944), 207 Cavriglia (nw. von Arezzo, Juli 1944), 208 San Giustino Valdarno (nw. von Arezzo, Juli 1944), 209 Bucine (w. von Arezzo Juli 1944), 2 1 0 Quota (w. von Bibbiena, Juli 1944), 211 Padulivo (?), Castiglion Fibocchi (nw. von Arezzo, Juli 1944), 212 San Polo (ö. von Arezzo, Juli 1944), 213 Rifi-eddo und Castello (nö. von Florenz, August 1944), 214 Mailand (August 1944), der Consuma-Paß (ö. von Florenz, August 1944), Crescentino (sw. von Vercelli, September 1944), Verucchio (n. von San Marino, September 1944), Sarsina (ö. von San Marino, September 1944), 215 Borgo Ticino (n. von Novara, August 1944), Bardine und San Terenzo (ö. von La Spezia an der Staatsstraße 446, August 1944) 2 1 6 und schließlich das Blutbad in den Sümpfen zwischen Fucecchio und Montecatini (w. von Florenz, August 1944). 217 In den meisten Fällen stützte sich die Anklage ausschließlich auf einzelne affidavits britischer Militärpolizisten, die vielfach erhebliche Mängel aufwiesen und deren Beweiskraft Laternser daher in Frage zu stellen versuchte. Spätere Untersuchungen und die historische Forschung haben freilich die generelle Richtigkeit der Ergebnisse dieser sofort nach ihrem Einrücken unternommenen britischen Untersuchungen vielfach bestätigt und ergänzt. Wolfgang Hagemann hat diese Vorgänge sicher als unmittelbarer Beobachter miterlebt, denn bei der Abteilung Ic, der er angehörte, gingen täglich die Meldungen über die ,Bandenkämpfe' im gesamten Kriegsgebiet ein und wurden karteimäßig und durch Lagekarten erfaßt; von Zolling wurden auch Analysen und Gesamt-
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Vgl. L. Casella, La Toscana nella guerra di liberazione, Carrara 1972, S. 227ff.; Andrae (wie Anm. 197) S. 196 (mit weiterer Lit). Bei Laternser, Verteidigung (wie Anm. 166) S. 91, und Kesselring Trial 3 0 . 4 . 4 7 S. 53 als .Badiocre' verlesen. Hier auch S. 91ff. über die folgenden Massaker. Casella (wie Anm. 2 0 7 ) S. 225ff.; Andrae (wie Anm. 197) S. 194f. Vgl. die „revisionistische" Interpretation im Sinne der Entmythologisierung der Resistenza über die Vorfälle bei Arezzo bei Contini, Memoria divisa (wie Anm. 197) passim, bes. S. 2 5 1 f f
209
Casella (wie Anm. 2 0 7 ) S. 2 2 0 f f ; Andrae (wie Anm. 197) S. 181, 192.
2,0
Casella (wie Anm. 2 0 7 ) S. 215; Andrae (wie Anm. 197) S. 186f. R. Sacconi, Partigiani in Casentino e Val di Chiana, Florenz 1975, S. 115; Andrae (wie Anm. 197) S. 193.
211
212 213
Sacconi (wie Anm. 2 1 1 ) S. 112f.; Andrae (wie Anm. 197) S. 193. Casella (wie Anm, 2 0 7 ) S. 2 3 1 f f ; Andrae (wie Anm. 197) S. 196.
214
Andrae (wie Anm. 197) S. 216.
2,5
Ebd. Casella (wie Anm. 2 0 7 ) S. 315f.; E. Mosti, La Resistenza apuana luglio 1943-aprile 1945, Mailand 1973, S. 8 3 f f ; Andrae (wie Anm. 197) S. 2 0 9 .
216
217
Casella (wie Anm. 2 0 7 ) S. 3 4 l f . ; R. Cardellicchio, L'estate del'44, Florenz 1974, S. 42ff„ 9Iff.; Andrae (wie Anm. 197) S. 217ff.
W. Hagemann als Zeitzeuge und Zeuge im Kesselring-Prozeß
105
überblicke erstellt. 218 Außerdem traten, wenn auch nicht so häufig wie bei den Kämpfen an der Front, auch bei der Bekämpfung der Partisanen im rückwärtigen Gebiet Fragen des Schutzes historischer Gebäude, Kunstwerke, Archive und Bibliotheken auf, wie in dem von Hagemann selbst angeführten Fall Marzabotto. 219 Hagemann wird also auch hierbei öfter konsultiert worden sein. Da jedoch Zolling selbst im Prozeß als Zeuge aussagte, war eine Aussage des ihm unterstellten „Sonderfuhrers (K)" nicht erforderlich. Laternser beantragte, Kesselring freizusprechen. Was die Ereignisse in Rom betraf, vertrat er die Ansicht, daß eine Repressalie, wie sie am 23. März abends „ins Auge gefaßt war", selbst der Rechtsauffassung des britischen Militärhandbuches entsprochen habe, und zudem sei durch den zweiten angeblichen „Führerbefehl", die Durchführung werde dem SD übertragen, „die Wehrmacht ausgeschaltet" worden. 220 Bezüglich des zweiten Anklagepunkts suchte er nachzuweisen, daß Kesselrings Befehle vom 17. Juni und 1. Juli 1944 rechtlich unbedenklich gewesen seien und nicht zu Exzessen gefuhrt hätten; die angeführten Fälle seien entweder nicht bewiesen, oder die Handlungen deutscher Kommandeure, „die vielleicht mit dem Internationalen Recht nicht in Einklang gebracht werden können", seien geschehen, indem „die verantwortlichen Führer entweder unabhängig von den Befehlen des Feldmarschalls gehandelt oder von ihnen nicht einmal Kenntnis gehabt haben". 221 Halse dagegen sah die Anklage in beiden Punkten als erwiesen an. Nach langatmigen Ausführungen über die Zulässigkeit und Unzulässigkeit von Vergeltungsmaßnahmen, die der Judge Advocate mit der Bemerkung unterbrach, er solle „die Realitäten dieses Falles behandeln", 222 glaubte er, ohne Kenntnis des von Kesselring und seinen Stabsoffizieren aufgebauten Phantasiegebäudes, unter Würdigung der ehrlichen Aussagen Kapplers nachweisen zu können, daß Kesselring und die Wehrmacht in die exzessiven, Unschuldige treffenden Vergeltungsmaßnahmen vom 24. März in den Fosse Ardeatine tief verstrickt gewesen seien und daß die Befehle Kesselrings vom 17. Juni und 1. Juli zur willkürlichen Tötung zahlreicher Zivilisten geführt hätten, was ebenfalls durch das Völkerrecht nicht gedeckt gewesen und als Kriegsverbrechen anzusehen sei. Stirlings summing-up' wies in dieselbe Richtung; auch er stellte den angeblichen Führerbefehl zur Durchführung der Exekution durch den SD in Frage und bezeichnete zumindest die Erschießung von fünf Personen, die über das Verhältnis 1:10 hinausgingen, als klares Kriegsverbrechen, wie immer man auch das Völkerrecht bezüglich Vergeltungen auslegen möge. Besonders aber müsse man entscheiden, ob der Feldmarschall es nicht unterlassen
218 219 220 221 222
Kesselring, Soldat (wie Anm. 12) S. 328, 334. Vgl. Anm. 69. Laternser, Verteidigung (wie Anm. 166) S. 78. Ebd. S. 81, 102. Kesselring Trial, Schlußplädoyer Halse, 1.5.47 S. 8.
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Peter Herde
habe, zu untersuchen, ob die Auswahl der Opfer und die Exekution ordnungsgemäß erfolgt seien.223 Bezüglich der Befehle Kesselrings vom 17. Juni und 1. Juli gab er unter Berufung auf die Londoner Aussage von Lemelsen zu bedenken, ob sie nicht zur kriegsrechtswidrigen Verfolgung und Tötung von Zivilisten als Abschrekkung dienten, ging noch einmal alle im Prozeß behandelten Fälle durch und forderte die Richter auf, sich darüber klar zu werden, ob man für diese Massaker direkt oder indirekt Kesselring verantwortlich machen könne. Die Militärrichter folgten offensichtlich der Argumentation von Halse. Am Dienstag, dem 6. Mai 1947, um 10.40 Uhr verkündete Hakewill-Smith das Urteil: Tod durch Erschießen. 224 Das Urteil bedurfte der Bestätigung durch General Harding. Kesselring rechnete damit, daß es vollstreckt werden würde. „Einem langen, arbeits-, verantwortungsund sorgenreichen Leben ist damit ein Ende gesetzt...", so lautete seine Aufzeichnung vom 6. Mai. 225 Aber sofort erhob sich Widerspruch. Anders als in Ostasien, wo die wegen Kriegsverbrechen angeklagten japanischen Generäle Yamashita, Homma und andere nicht nur zum Tode verurteilt, sondern auch hingerichtet wurden, da man ihnen aufgrund ihrer Kommandoverantwortlichkeit auch Straftaten zur Last legte, die sie nicht angeordnet hatten, ja von denen sie oft gar nichts wußten, 226 verfuhr man mit den deutschen Generälen glimpflicher. „Offenkundig zählten in militärischen Kreisen der alten Schule (der Amerikaner und Engländer) gelbe Generäle auf der Tugendskala nicht so viel wie weiße nordische."227 Die Offiziere der Westallierten sahen die deutschen als gleichwertig an, bewunderten sie vielfach und gingen über kriminelle Aktivitäten nicht selten hinweg, sofern die Opfer nicht Amerikaner oder Briten waren; selbst Militärstaatsanwalt Halse sympathisierte mit Kesselring und steckte ihm während des Prozesses heimlich Tabak zu.228 Die englischen Militärstaatsanwälte waren in den Hauptquartieren unbeliebt.229 Im Falle Kesselrings meldete sich Feldmarschall Sir Harold Rupert Alexander zu Wort, der ehemalige Oberkommandierende der britischen Streitkräfte in Italien. Seine Bemerkungen, der Krieg in Italien sei fair geführt worden, waren bereits von Laternser bei der Verteidigung Kesselrings dem Gericht vorgehalten
223
Ebd. 3 . 5 . 4 7 S. 8, 11.
224
Ebd. 6 . 5 . 4 7 S. 2. Nachlaß Kesselring (wie Anm. 6 2 ) Ν 7 5 0 / 3 . Vgl. P. R. Piccigallo, The Japanese on Trial: Allied War Crimes Operations in the East, 1 9 4 5 - 1 9 5 1 , Austin u. London 1979, S. 49ff.; L. Taylor, A Trial of Generals. Homma, Yamashita, MacArthur, South Bend, Indiana 1981, S. 129ff.; R. Herde, Command Responsibility (wie Anm. 61) Kap. 6.
225 226
227
Taylor, Die Nürnberger Prozesse (wie Anm. 108) S. 2 8 5 . Über rassistische Komponenten auf beiden Seiten im Krieg im Pazifik vgl. J. W. Dower, War Without Mercy: Race and Power in the Pacific War, New York 1993, S. 77K, 203ff.
228
Bower (wie Anm. 187) S. 2 4 4 .
229
Ebd. S. 2 4 5 .
W. Hagemann als Zeitzeuge und Zeuge im Kesselring-Prozeß
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worden.230 Am 8. Mai schrieb er an Premierminister Attlee: „Ich bin über das Kesselring-Urteil unglücklich und hoffe, daß es umgewandelt wird. Ich persönlich als sein alter Gegner auf dem Schlachtfeld kann keine Klage gegen ihn vorbringen. Kesselring und seine Soldaten kämpften hart, aber sauber gegen uns."231 Dabei sollte nicht vergessen werden, daß Alexanders Aufforderung an die Italiener vom 7. Juni 1944, sich zu erheben, durch Sabotage die Verbindungslinien und den Nachschub der Deutschen zu stören, wesentlich zur Verstärkung und Brutalisierung des „Bandenkampfes" geführt hatte, auch wenn sein weiterer Aufruf vom 13. November, zunächst weitere Aktivitäten einzustellen, zur Beruhigung der Lage geführt hatte.232 Noch gewichtiger jedoch war Churchills Intervention. Zunächst telegraphierte er am 6. Mai an Alexander, darauf wandte er sich telefonisch an Attlee und bezeichnete die Verurteilung Kesselrings zum Tode als unangemessen, weil sich dieser im Kampfe sehr korrekt verhalten habe.233 Er drohte damit, die Sache vor das Parlament zu bringen. Am 13. Mai 1947 sandte er dann Attlee einen Brief, in dem er ausführlich die Gründe für seine Forderung darlegte, das Todesurteil nicht zu vollstrecken.234 Er bezweifelte, daß die Tötung besiegter Gegner nach so langer Zeit noch einen Sinn habe. Damit wiederholte er noch einmal seine bei den alliierten Planungen geäußerte Skepsis gegenüber umfangreichen und langwierigen Kriegsverbrecherprozessen, an deren Stelle er eine schnelle pauschale Vergeltung durch Hinrichtung einer begrenzten Zahl von Führungsspitzen befürwortet hatte. 235 Zuständig war jedoch der Oberkommandierende der britischen Truppen in Italien, General Harding. Nach Überprüfung des Verfahrens durch den Judge Advocate General bestätigte er am 29. Juni 1947 zwar die Schuldsprüche gegen Kesselring, v. Mackensen und Mälzer, verringerte jedoch das Strafmaß in lebenslängliche Haft. 236 Bezüglich Kesselring wiederholte er, daß dieser bis auf die zwei in den Anklagepunkten genannten Ausnahmen fair und sauber gekämpft habe, wobei er, und hier wurde Hagemanns Aussage bedeutsam, „einen Sinn fur menschliche Verantwortung im Verhältnis zur italienischen Bevölkerung gezeigt habe", wie Alexander und er aus eigener Anschauung bestätigen können. Bezüglich der Vorgänge um die Via
230 231 232
233 234
235
236
Laternser, Verteidigung (wie Anm. 166) S. 51. Public Record Office, Kew (PRO), Prem 8, 707. Vgl. De Feiice, Mussolini l'alleato II (wie Anm. 97) S. 204ff. (mit Angabe der zahlreichen Lit.); Klinkhammer, Zwischen Bündnis und Besatzung (wie Anm. 60) S. 232; Andrae (wie Anm. 197) S. 171f., 188. Aktennotiz Attlee, PRO, Prem 8, 707. PRO, Prem 8, 707. Vgl. Bower (wie Anm. 187) S. 245f.; M. Gilbert, .Never Despair'. Winston S. Churchill 1945-1965, London 1990, S. 325 ( mit weiteren Material aus dem Nachlaß Churchills). Taylor, Die Nürnberger Prozesse (wie Anm. 108) S. 44ff.; R. Herde, Command Responsibility (wie Anm. 61) Kap. 3 A I 2. PRO, Prem 8, 707.
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Peter Herde
Rasella ging er natürlich ebenfalls vom Phantasiegebäude aus, Kesselring habe die Nacht vom 23. zum 24. März im Hauptquartier verbracht. Er führte zur Entlastung Kesslrings aus, dieser würde, falls er Hitlers Befehl, drastische Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen, nicht weitergegeben hätte, sich dem Vorwurf ausgesetzt haben, nicht die für den Schutz der Truppe in einer kritischen Situation erforderlichen Maßnahmen ergriffen zu haben. Weiter habe die infolge der Entwicklung der Partisanentätigkeit und der Bombardierung eingetretene enge Verbindung zwischen der Zivilbevölkerung und den Kämpfen Unsicherheiten bezüglich der Begrenzung von Vergeltungsmaßnahmen gemäß den Gesetzen und Gewohnheiten des Krieges hervorgerufen, und schließlich wären Kesselrings Befehle zur Partisanenbekämpfung nur eine verhältnismäßig kurze Zeit in Kraft gewesen. Einen weiteren wichtigen Grund, die Todesstrafe gegen die drei Angeklagten in lebenslange Haft umzuwandeln, sah Harding jedoch darin, daß Kappler, in den Augen der Briten der Hauptschuldige am Massaker in den Fosse Ardeatine, gemäß alliierter Vereinbarungen von einem italienischen Militärgericht abgeurteilt werden mußte. Da jedoch die Todesstrafe im italienischen Recht abgeschafft wurde, wäre der Haupttäter mit einer geringeren Strafe davongekommen als seine Vorgesetzten. Kesselring mußte noch mehr als fünf Jahre im Zuchthaus Werl verbringen, bis er begnadigt und im Juli 1952 entlassen wurde. Er starb am 15. Juli I 9 6 0 in Bad Nauheim an einem Herzleiden. O b ihm Hagemann in dieser Zeit noch einmal begegnet ist, wissen wir nicht. Denn er war längst an das Deutsche Historische Institut in Rom und aus seiner Rolle eines Zeugen der Zeitgeschichte in die eines Erforschers des Mittelalters zurückgekehrt.
W. Hagemann als Zeitzeuge und Zeuge im Kesselring-Prozeß
109
ANHANG
Aussage von Dr. Wolfgang Hagemann am 25. April 1947 ab 16.00 Uhr Imperial War Museum, London, FO 647, Kesselring Trial vol. 5. Orthographische und andere Fehler wurden nicht verbessert. Dr. W. Κ. H. Hagemann is called in and, having been duly sworn, is examined by Dr. Laternser as follows: Q A Q A Q A
Q A
Q A Q A
Q A
237
What is your full name? Wolfgang Karl Heinrich Hagemann. Your profession? I became a member of the Scientific Institute in Rome in historical research on 1st April 1936. Would you please answer my questions quite shortly. What was your appointment during the war in O.B.S.W.? I was attached to O.B.S.W. on 26th September 1943 as an interpreter and became, on 30th September of the same year (1943), expert in protection of artistic treasures and monuments. And what were your tasks in this matter? I was adviser in all matters of art and I had to deal with all reports or applications with regard to art, may they come from any source whatsoever or from German sources or Italian sources or the Vatican; and I had to suggest the answers, I had to prepare and draft the answers; and finally to liase {sic) with the expert about the protection of art and monuments in the territory of the general plenepotentiary (sic).237 When did you report to the Field Marshal? 1st October 1943. And what was decided in this conversation? I made suggestions to the Field Marshal, whom I have known already from Africa, suggestions with regard to the protection of art and historical monuments. He (the Field Marshal) assured me that everything possible would be done in the limitations of military interests, what can be done so as to protect art and historical monuments in Italy. And what were these, the measures discussed? First of all that no troops should be housed either in buildings which were of some artistic importance or in any buildings which contained artistic treasures. The Judge Advocate: Dr. Laternser, I do not think the court really want this in great detail. I mean we cannot really sit here and listen to all these matters of administration. Bring him to the point. As I see it, Dr. Laternser, the Second Charge is not that Field Marshal Kesselring was a brute and disliked Italians: that is not the charge at all. And therefore, to show that he was kind to the Italians does not seem to me to help at all.
Bevollmächtigter General der Deutschen Wehrmacht in Italien Rudolf Toussaint.
110
A
Q A
Q A
Q A
Q A Q A
Peter Herde
You know what the charge is - it is quite clear. It is not that he was illtreating the whole Italian race: it was a question of how he behaved when he had to deal with the partisan problem. That is really what the Second Charge centres round. The court are not stopping you calling this witness, but do not take it in too much detail, and all he did about ancient monuments. Dr. Laternser: First of all, sir, I asked the witness when he started to give his answers briefly. Secondly, I am of the opinion that you cannot really separate his attitude, the Field Marshal's attitude, with regard to this question to everything else; because either you are of humane nature in one thing and in everything else or you are not humane at all. (To the witness) I repeat once more: Will you please give your answers briefly? What did you do then later on? On the instructions of the Field Marshal, all monuments, ancient monuments or historical places - it was pointed out to the troops by leaflets which were attached to those walls that these monuments must be free from any billeting of troops, and that was signed by the Field Marshal and these leaflets were distributed all over Italy. More than five hundred such mentioned buildings were protected in this way, quite apart, of course, from the churches. What was the success of this measure? Troops obeyed, of course, on the whole all these orders; and if any complaints were lodged by the Italian population theses complaints were immediately investigated by the Field Marshal and looked into. Now, what happend then? How were these measure carried out when the war came nearer and nearer to these ancient buildings? All responsible authorities and very often the Field Marshal himself, pointed out at his visits to armies or corps or divisions that as far as possible all these ancient monuments must be protected and saved even during the fight; and the truppen very often did not understand these instructions of the Field Marshal. I heard this from accompanying officers of the Field Marshal at a later stage. But the Field Marshal insisted again and again and always that all whatever could be possible should be done in this respect. What were the measures taken for the protection of mobile art treasures in those areas which were threatened? These treasures were put in depots of the Italian authorities outside of towns where there might be danger from the air, but as the front moved nearer Italy in collaboration with the Italian authorities (in agreement with them too) these treasures were moved again into the towns where is was considered they would be safer than in single depots outside. And as the Italians had not transport and despite the fact that our transport and petrol supplies were very bad, the Field Marshal insisted that the troops should put transport and petrol at the disposal of the Italians for this purpose. I remember particularly that that happened with all the artistic treasures at Monte Cassino, also in March 1945 with the state archives in Bologna. Where were these treasures moved to? As far as possible, as long as the front was south of Rome, into Rome, and wherever possible into ecclesiastical quarters where one could consider them on neutral ground. And where were they transported to when Rome was given up? Partly to Florence, some here to Venice, and the great part of them though to two depots in the province of Bolzano where by German professors at the end of the war they were given to the Allied authorities for artistic treasures.
W. Hagemann als Zeitzeuge and Zeuge im Kesselring-Prozeß
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Were these artistic treasures supposed to stay in Italy, or was it intended that they would perhaps go to Germany? Well, I do know that originally National Socialist circles considered that any treasures that were of German origin or had anything to do with German history should be taken over the frontier into Germany. And what did the Field Marshal do to stop such plans bearing fruit? The Field Marshal often told me that everything must be done to prevent any of these treasures leaving Italian territory. Did you get any reports by Italian authorities or others about treasures being taken off by Germans? Yes. What was done as a consequence? These allegations were every time investigated. And what was the result of that? Every time the result was that these statements never correspondended to the facts. One detail - In a place called Marzabotto south of Bologna German troops were supposed to have taken away various pictures, and this matter was investigated and it was found that these paintings had been handed over to the Italian authorities for preservation of artistic treasures in Bologna and had been receipted. The same thing happened in Forli and there again this was investigated and it was found that they had been handed over to the Prefect of the district of Ferrara and the receipt given. Now, a few concluding questions. What do you know about the treatment of big towns which were of historical importance. I had various talks with the Field Marshal on these points and he said he would do everything possible to see that historical towns in Italy and artistically important towns in Italy would be spared the rigours of war as much as could be possibly done. And what was the result of that, particularly in Central Italy? Well, particularly in Rome and also in other towns in Central Italy the names of which I should like to give: Ananni ( s i c ) , south of Rome, Chieti, Fermo, Perugia, Siena and Orvietto ( s i c ) . Do you know any other names of towns in North Italy which were similarly protected? In northern Italy the following places we were successful in regard to: the little republic of San Merino ( s i c ) , and then the complete isolation of Bologna and then consultations which were conducted here about Venice and then the various other north Italian places like Vicenza and Verona; and one tried to prevent Allied bombing of these places by removing military authorities from them and diverting traffic round them. A last question. Now, you worked a long time at O.B.S.W. and got to know the Field Marshal, and you certainly must have formed some idea of the kind of man the Field Marshal was. What observations did you make about his attitude towards the civilian population? I always noticed that the Field Marshal always had a correct and (I can say) friendly attitude to the Italien authorities; and I was so convinced of this attitude of his that I always told authorities, particularly church authorities, that if they had any human problems they should whenever possible take them directly to the Field Marshal because if anything could possibly be done for them then that is where it would be done. And I could quote numerous examples to show that direct applications to the Field Marshal in such matters always was ( s i c ) successful.
112
Q
Peter Herde
Now, we cannot go into these details because of lack of time. (To the court) I have no further questions. Colonel Halse: No questions.
The witness withdraws.
PlERANGELO SCHIERA
Dal bencomune alia pubblica felicitä Appunti per una storia delle dottrine
I. Alia ricerca di un punto di partenza significativo della storia lunga del bonum commune1 come „dottrina" - dob come sistema comunicativo volto alia propaganda di concetti in chiave di legittimazione di opinioni proposte come vere da un'autoritä dominante 2 — b banale, ma molto comodo, rifarsi alia divulgazione popolare (una sorta di biblia pauperum) che del concetto e stata fatta, giä in eta relativamente tarda, nell'affresco cosiddetto del Buongoverno in Palazzo Pubblico a Siena, a sua volta solo uno, anche se fra i piü significativi, dei numerosi „statuti dipinti" che dovettero ornare le pubbliche sale delle repubbliche medievali. 3
1
2
3
Non έ qui possibile confrontarsi, ne dal punto di vista teorico ne da quello fattuale, con il tema generale della presenza, consistenza e significato del campo concettuale designato con i vari sinonimi di „bonum commune", („salus [...] utilitas publica", „ratio [...] status reipublicae", „Gemeinwohl", „gemeines Beste", „Gemeinnutz" ecc.) nelle tradizioni storico-giuridiche europee. Ancora molto utile b il vecchio saggio di W. Merk, Der Gedanke des gemeinen Besten in der deutschen Staatsund Rechtsentwicklung, in: Festschrift fur Gemeinrat Dr. Alfred Schulze, Weimar 1934, pp. 1—72. Cfr. anche, per l'impostazione generale, l'introduzione di M. Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, Berlin 1974. Piü recenti P. Hibst, Utilitas publica-Gemeiner NutzGemeinwohl, Frankfurt 1991 e M. S. Kempshall, The Common Good in Late Medieval Political Thought, Oxford 1999. Kempshall, ibidem p. 17: „A sense of common identity established and maintained through symbol and ritual was prevalent in social groupings at every level of medieval society — in guilds, confraternities, churches, monasteries, and military orders as well as [...] at the level of empire, kingdom and city-state." D'obbligo il rimando a Otto von Gierke e alia sua analisi della nozione medievale di comunitä (Das deutsche Genossenschaftsrecht, parzialmente tradotto in inglese nel 1900 da F. W. Maitland col titolo Political Theories of the Middle Ages). Cfr. inoltre P. MichaudQuantin, Universitas: Expression du mouvement communautaire dans le moyen age latin, Paris 1970 e S. Reynolds, Kingdoms and communities in Western Europe 900-1300, Oxford 1984. Μ. M. Donato, Un ciclo pittorico ad Asciano (Siena). Palazzo Pubblico e l'iconografia „politica" alia fine del medioevo, in: Annali della Scuola normale superiore di Pisa, serie III, XVIII, 3, (1988), pp. 1120ss.; Testi, contesti immagini politiche nel tardo Medioevo: esempi toscani. In margine a una discussione sul „Buon governo", in: Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento 19 (1993), pp. 305-355; e La „bellissima inventiva": immagini e idee nella Sala della Pace, pp. 23—41
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Pierangelo Schiera
Sono peraltro ben conscio che un tale punto di partenza s'inserisce giä piuttosto avanti nella storia del concetto che c'interessa, il quale aveva gia avuto nel corso dei secoli precedenti una trattazione ad altissimo livello, particolarmente in campo teologico e filosofico.4 La recezione di Aristotele aveva portato nella nascente cultura europea la convinzione che la comunitä umana non fosse votata alia semplice vita e soprawivenza dei suoi membri, ma dovesse mirare „.. .to live well, to live the life of virtue".5 Al di la delle complicate question! di carattere letterario e linguistico che denotano il dibattito in materia, le questioni principali da risolvere restano forse quelle relative al „contesto intellettuale" di quest'ultimo. Si staglia, sotto questo profilo, il problema di Agostino e della sua tradizione-recezione anche nel corso della prima Scolastica, in connessione con l'influsso dei testi stoici di Cicerone.6 Questa ambivalenza permane anche in tutte le interpretazioni che sono state proposte dell'icona qui scelta come parametro di partenza della dottrina del Bencomune. 7 Infatti, per me non vi e dubbio che, nella visione dei committenti come dell'autore, il bene comune di Siena aveva giä a che fare, direttamente e concretamente, coi due temi cruciali della convivenza politica cittadina, che erano la giustizia, da una parte, e la pace dall'altra, sia pure nel contesto piü ampio di tutto il sistema di virtu, sia teologali (sapienziali) che cardinali (pratiche). Il bene comune ormai s'identifica, nel XIV secolo da cui io prendo le mosse, con la cittä ben ordinata, con il buongoverno, insomma con il regime politico. Sembra essere questa anche l'opinione del giurista coevo Bartolo di Sassoferrato, per il quale pure bonum commune significa regime adeguato, legittimo, ordinato, mentre la sua mancanza coincide con la tirannide ο con la sedizione, che a loro volta rappresentano i mali estremi del malgoverno.8
e tutte le schede illustrative nel volume Ambrogio Lorenzetti. II Buon Governo, ed. E. Castelnuovo, Milano 1995. Per un inquadramento dell'affresco nella produzione dei due Lorenzetti, ma anche
4
5 6 7
8
per una minuziosa e storicamente rapportata descrizione dei contenuti cfr. C. Frugoni, Pietro und Ambrogio Lorenzetti, Firenze 1988, pp. 63ss. M. S. Kempshall, The Common Good, cit., basa tutta la sua Introduction sulle caratteristiche di questa letteratura, con particolare riferimento al XIII secolo, sotto il duplice profilo dell'argomentazione teorica e dell'applicazione alio sviluppo politico. Ibidem p. 6 - 7 . Ibidem p. 15. Per una rassegna cfr. Q. Skinner, Ambrogio Lorenzetti: l'artista come filosofo della politica, in „Intersezioni" 7 (1987), pp. 4 3 9 - 8 2 (originale inglese: Ambrogio Lorenzetti, the Artist as Political Philosopher, in: Proceedings of the British Academy 72 (1986), pp. 1 - 5 6 ) e Machiavelli's Discorsi and the Pre-Humanist Origins of Republican Political Ideas, in: Machiavelli and Republicanism, edd. G. Bock/Q. Skinner/M. Viroli, Cambridge 1990, d o v e sostenutal'interpretazione che il cuore della vigorosa ideologia repubblicana delle cittä-Stato dell'Italia del nord stava nella nozione ciceroniana e stoica di pace e concordia, relativamente distante e isolata dalla teorizzazione aristotelica delle scuole di Parigi (cfr. M. S. Kempshall, Common Good, Introduction, pp. 16—17). D. Quaglioni, Politica e diritto nel Trecento italiano. II „De Tyranno" di Bartolo di Sassoferrato
Dal bencomune alia pubblica felicita
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La dottrina del bene comune ha a che fare, nell'epoca tardo-medievale qui considerata, piü con forme concrete e praticabili di governo che con discussioni astratte di ordine filosofico ο teologico. Per tale motivo, essa si presta assai bene a rappresentare sinteticamente - sul piano evocativo del consenso come pure su quello pratico dell'ordine 9 - quel tipo di obbligazione politica a cavallo fra privato e pubblico (o per meglio dire precedente alla successiva, positivistica distinzione fra privato e pubblico) su cui si fonda la nuova legittimazione del potere che prende awio, insieme a un inedito principio di libertä, nelle Repubbliche italiane del medioevo. 10 Fin da questa prima fase, la dottrina appare ispirata ad una visione materialistica e direi quasi pessimistica della realtä che insiste piü sui doveri dei cittadini (convivenza basata sulla concordia, anche nell'affresco senese, e rappresentata da una corda che passa di mano in mano ai cittadini; giustizia armata, pace melancolica e prosperitä sotto il segno inequivocabile della forca) 11 che sui loro diritti, come accadrä invece
( 1 3 1 4 - 1 3 5 7 ) , Firenze 1983 e „Civilis sapientia": dottrine giuridiche e dottrine politiche fra medioevo ed etä moderna. Saggi per la storia del pensiero giuridico moderno, Rimini 1989. 9
P. Schiera, Politica moderna e comunicazione: la dottrina per immagini, in: Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento 19 (1993), pp. 2 3 3 - 2 4 2 .
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Origini dello Stato. Processi di formazione statale in Italia fra medioevo ed etä moderna, edd. G . Chittolini/A. Molho/P. Schiera, Bologna 1994. Per il repubblicanesimo rinascimentale cfr. A. D e Benedictis, Repubblica per contratto. Bologna: una cittä europea nello Stato della Chiesa, Bologna 1995, sopratutto cap. I „Problemi concettuali e storiografici. 1. Repubbliche e repubblicanesimo nell'Europa della prima etä moderna", pp. 2 1 - 4 5 , con la letteratura ivi trattata: W. Nippel, Bürgerideal und Oligarchie. „Klassischer Republikanismus" aus althistorischer Sicht, in: Republiken und Republikanismus im Europa der frühen Neuzeit, ed. H . G . Königsberger, München 1988, pp. 1 18; J . G . A. Pocock, T h e Machiavellian Moment. Florentine Political T h o u g h t and the Adantic Republican Tradition, Princeton 1975; Q . Skinner, T h e Foundations of Modern Political Thought, London 1978 e Machiavelli's „Discorsi" cit.; H . Schilling, Stadt und frühmoderner Territorialstaat: Stadtrepublikanismus versus Fürstensouveränität, in: Recht, Verfassung und Verwaltung in der frühneuzeitlichen Stadt, ed. M . Stolleis, Köln/Wien 1991, pp. 19—40. A voler ben vedere, non va dimenticato neppure il ginevrino Sismondi che cercö e trovö nelle Repubbliche italiane del medioevo il modello non solo della piü liberale delle forme di governo - quella del „piccolo Stato" — ma della stessa libertä come bene politico supremo: cfr. la mia introduzione alla nuova traduzione di A. Salsano di J . C . L. Simonde D e Sismondi, Storia delle cittä italiane nel medioevo, Torino 1996.
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A proposito della concordia, sia ricordato solo di scorcio il posto attribuitole da San Agostino ( D e civitate Dei 19, 13), in rapporto ai due concetti di „pax" e „iustitia": „[...] pax hominum ordinata concordia, pax domus ordinata imperandi atque oboediendi concordia cohabitantium, pax civitatis ordinata imperandi atque oboediendi concordia civium [ . . . ] . O r d o est parium dispariumque rerum sua cuique loca tribuens dispositio". I due concetti stanno a loro volta al centro dell'idea „imperiale" di Federico Barbarossa, da lui fatta incidere sul Palatium di Kaiserswerth: „ H o c decus imperio Caesar Fridericus adauxit / Iustitiam Stabilire volens et ut undique pax sit" (Merk, Der Gedanke des gemeinen Besten, cit., p. 48). Sul pensiero politico agostiniano nel contesto della dottrina medievale del Bencomune cfr. M . S. Kempshall, T h e C o m m o n G o o d , Introduction, pp. 19ss.
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nella fase piü recente e costituzionale della nostra storia.12 Altra variabile importante έ perö lo spazio politico in cui l'uomo b inserito: la cittä, il territorio, piü tardi lo Stato. Anche questa dimensione b molto accentuata nell'affresco senese e anzi si puö dire che proprio la produttivitä ο l'improduttivitä della vita in comune, insieme con la gioia, la tranquillitä, l'ordine dell'esistenza, rappresentano i criteri di base per giudicare del buon- ο malgoverno di una comunitä comunque insediata.13 Su questa base, proviamo a ricostruire il quadro di riferimento ideologico della nostra icona, non trascurando perö i suoi riferimenti con la pratica: questo infatti b, fra l'altro, il ruolo semantico svolto proprio dal tipo di comunicazione rappresentato dall'afifresco popolare.14 Siamo in ciö aiutati anche dalle iscrizioni didatticamente inserite nel dipinto ad evitare equivoci sulla sua interpretazione. Conviene forse partire dal punto piü vicino alla „prassi politica" quotidiana del Comune ben ordinato: in posizione centrale e dominante, sopra le mura della cittä, che dividono a metä la grande scena degli „Effetti del Buon governo nella citta e nella campagna", aleggia un angelo che quasi sembra essersi staccato dallo stormo di virtü da cui b illustrata la scena principale. II suo nome b Securitas e sembra proprio essere in relazione con le Virtü principali che erano le sei „morali" - Pace, Fortezza, Prudenza, Magnanimita, Temperanza e Giustizia - oltre alle tre „teologali" di Fede, Caritä e Speranza. Che tipo di relazione perö? L'angelo della sicurezza potrebbe forse rappresentare, da una parte, lo zoccolo materiale e concreto, duro ma indispensabile, per l'esercizio delle altre virtü, piü collegate al livello della legittimazione e del consenso al potere. Quindi „pratica" rispetto a „ideologia". Dall'altra parte, aggiungerei che mentre queste ultime virtü „ideali" riguardano piü direttamente il detentore del potere, il Comune, la Securitas mi sembra invece essere un attributo che interessa piü da vicino la collettivitä ordinata dal potere. Perche la prima possa essere „sicura", dev'essere il secondo forte, prudente, magnanimo, temperato e giusto. L'unica eccezione e forse quella della Pax, che pure riguarda la collettivitä e ha strettamente a che fare con la Securitas, tanto che insieme esse sintetizzano l'intero spettro del
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P. Schiera, II Ben comune in Italia e Germania dall'etä costituzionale al totalitarismo. Slogan, pratica politica ο teoria scientifica?, in: Deutschland und Italien 1 8 6 0 - 1 9 6 0 . Politische und kulturelle Strukturprobleme im Vergleich, ed. C. Dipper, München 2000.
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Statuti cittä territori in Italia e Germania tra Medioevo ed etä moderna, edd. G. Chittolini/D. Willoweit, Bologna 1991; per la ricostruzione storico-giuridica del contesto senese del Buongovemo, cfr. B. Kempers, Gesetz und Kunst. Ambrogio Lorenzettis Fresken im Palazzo Pubblico in Siena, in: Malerei und Stadtkultur in der Dantezeit. Die Argumentation der Bilder, edd. H. Belting/D. Blume, München 1989, pp. 7 1 - 8 4 e M. Ascheri, Legislazione, Statuti e sovranitä, in: Antica legislazione della Repubblica di Siena, hg. v. M. Ascheri, Siena 1993, pp. 17-25 (Statuti e affreschi del Buon Governo: una citti-Stato sovrana?). Sul ruolo „didascalico" delle pitture antiche cfr. ancora sempre P. Prodi, Ricerche sulla teorica delle arti figurative nella Riforma cattolica, in: Archivio italiano per la storia della pietä 4 (1962), pp. 1 2 3 212, oltre al gik citato volume Malerei und Stadtkultur, edd. H. Belting/D. Blume.
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Bencomune. Ε infatti anche la Pace occupa, nell'affresco, un posto particolare, oltretutto semanticamente evidenziato dalla positura melancolica (triste, cioe, dubbiosa e anche perennemente instabile) in cui Ambrogio l'ha voluta ritrarre.
II. Stiamo parlando di una dottrina e della sua prassi all'inizio della politica moderna ed e inevitabile il rimando al diritto. Questa e, alia fine, la base comune che lega l'esperienza italiana a quella tedesca nella costruzione delle modalitä del vivere in comune, ed b anzi la comune esperienza europea.15 Anche nel nostro affresco la Concordia16 evoca — con la corda che tiene fra loro uniti i cittadini - il vinculum iuns proprio de\\'obligatio, e la Giustizia ricorre a corde, a vincula per ridurre a ragione i rei, come pure i nemici. Ma anche in positivo funziona il discorso, se si pensa alia preoccupazione quasi originaria della maestä regia (che e poi forse anche l'origine legittimatoria degli stessijura regalia) di riservarsi la gestione delle principal! fonti e riserve di risorse di soprawivenza (acque e foreste ad esempio) per assicurarne il buono stato e l'uso comune. „II nous appartient, de nostre droict royal, eurer et penser du bon estat et prouffit commun..." si legge nell'Ordinanza regia del 1402 sulle acque e leforested Che era, per restare in Francia, regola comune e sostanzialmente implicita nella tan to conclamata „pace", nel periodo turbolento di formazione della statualitä monarchica. C'e un autore, anzi un'autrice ora di moda, che sintetizza bene questa situazione nelle sue opere, che sono piü letterarie che politiche, ma rispecchiano bene i problemi del tempo. Christine de Pizan si occupa della situazione politica della Francia e cerca di avere influsso sui grandi a cui έ vicina, per risvegliare il loro
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Fra i tanti si vedano, da ultimi, P. Grossi. Un diritto senza Stato (la nozione di autonomia come fondamento della costituzione giuridica medievale), (1996), ora in: Assolutismo giuridico e diritto privato, Milano 1998, pp. 275-292 e G. Dilcher, Geistliches und Weltliches an der Wiege des europäischen Städtewesens, in: Festschrift für Martin Heckel zum siebzigsten Geburtstag, edd. K.H. Kästner/K.W. Nörr/K. Schiaich, Tübingen 1999, pp. 497-511. Per una completa, anche se ideologicamente molto determinata, presentazione del tema, con le sue fonti, nella storia del diritto tedesca, cfr. il giä citato W Merk, Der Gedanke des gemeinen Besten, soprattutto pp. 38ss., con la sintetica conclusione (p. 42, relativamente al periodo medievale e cittadino): „Auch im deutschen Mittelalter ist der Vorrang des Gemeinwohls vor dem Sondernutz anerkannt." Μ. M. Donato, Un ciclo, cit., p. 1127: „[...] si puö pensare tanto ad una lettura pseudo-etimologica (Con-cordia), quanto alla metafora, radicata nelle fonti latine e assai vulgata nella letteratura morale dei comuni del medioevo, della concordia come vinculum, come legame che tiene unita la societä"; sul punto cfr. anche C. Frugoni, Pietro und Ambrogio Lorenzetti, cit., pp. 66ss. Grand Coutumier de la France I 4 (ed. Laboulaye-Dareste), p. 104, citato in: Merk, Der Gedanke des gemeinen Besten, cit., pp. 50ss.
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interesse per il bene comune. Cosl fu che, non appena finita la sua apologia (su commissione) di Carlo V, iniziö a scrivere „Le livre du corps de policie".18 Anche qui a dominare sono le virtü piuttosto che le tecniche, la Giustizia piuttosto che il diritto. Con le virtü loro proprie i sudditi si apprestano meglio all'obbedienza e, rispettivamente, il principe puo comandare in modo corretto. Il concetto di partenza resta perö quello della „felicite vertueuse", a cui e dedicata la prima rubrica dell'opera, dopo che dall'incipit si era appreso che questa parla „de vertus et de meurs" e che e divisa in tre parti, la prima rivolta ai principi, la seconda ai cavalieri e nobili e la terza all' „universitä di tutto il popolo".19 E' nella terza parte, dedicata a „l'universite de tout le peuple" che l'antica metafora corporate viene specialmente svolta nel senso che „.. .tous les etas... sont en bonne conjonction et union ensemble, si qu'ilz puissent secourir et aider l'un a l'autre, chascun excercitant l'office de quoy il doit servir... Et pour ce conclus que union d'accord est la conservacion de tout le dit corps de la policie. Et ce tesmoigne Saluste qui dit que par concorde petites choses croissent, aussi par discorde tres grans choses decheent".20 Ma anche nel senso che viene data particolare importanza a quella nuova classe „media" di mercanti, artigiani e cittadini, il cui comportamento politico sta diventando sempre piü rilevante.21 Questo b il collegamento piü importante che mi sento di evidenziare con la tradizione del Bencomune di cui mi sto qui occupando, a partire dall'afFresco di Ambrogio Lorenzetti a Siena. In confronto alia precedente tradizione filosofico-
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R. Pernoud, Christine de Pizan. Biographie, München 1990 (or. franc. Paris, 1982), p. 125: Le livre du corps de policie (apparso in Francia nel 1404—7 e poi tradotto in inglese nel 1521), dopo essere rimasto a lungo sepolto, dapprima nella dimenticanza generale di Christine e poi nella piü recente lettura di genere che di quest'ultima e stata data, sta ora trovando crescente fortuna, come mostrano le due edizioni recenti di R. H. Lucas, Geneve 1967, e di A. J. Kennedy, Paris 1998. Christine de Pizan, Le livre du corps de policie. Edition critique avec introduction, notes et glossaire par Angus J. Kennedy, Paris 1998, p. 3: la felicitä come regina delle virtü, che la circondano „pour atendre ses commandemens et a elle servir et obeir". Le virtü sono Prudenza, Giustizia, Forza, Temperanza. II tutto in un'ottica tradizionale, che considera il „corps de policie publique" come il corpo umano che, per essere e restare sano, deve avere il capo sano: e dunque il Livre di Christine incomincia a trattare del principe e propriamente dalla sua infanzia. II rimando piü convenzionale έ al Policraticus: cfr. C. L. Forhan, Polycracy, Obligation, and Revolt: The Body Politic in John of Salisbury and Christine de Pizan, in: Politics, Gender, and Genre. The Political Thought of Christine de Pizan, edd. Μ. Brabant, Boulder/San Francisco/Oxford, 1992, pp. 33-52. Pizan, Le livre, cit., pp. 91-92. Si tenga presente che la visione tripartita della societä έ utilizzata da Christine de Pizan in tutte le sue opere, da L'avision-Christine, alia Cite des Dames, al Livre des trois Vermes, al Livre des fais et bonnes meurs, al Livre du Corps de Policie, al Livre de la Paix. Per tale motivo, mi sembra giusto considerare il Livre di Christine de Pizan come qualcosa di diverso e di piü avanzato rispetto ai classici trattati sui tre stati ο agli Specchi del principe: su cui, rispettivamente, O. Niccoli. I sacerdoti, i guerrieri, i contadini. Storia di una immagine della societä, Torino 1979 e Specula principum, ed. A. De Benedictis, Frankfurt a. M. 1999. Per 1'interesse sociale di Christine, cfr. anche C. L. Forhan, Polycracy, Obligation, and Revolt, cit., p. 44.
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teologica, si assiste ormai ad un'emergenza sociale, economica e politica nuova, che costituirä anche per la prima letteratura in argomento - dall'inglese Robertson nel XVIII secolo al ginevrino-parigino-italiano Sismondi nel XIX - il fulcro per una nuova interpretazione della storia europea, che secondo me conduce al collegamento fra Bencomune e costituzionalismo. Da questo punto di vista, credo di poter proporre una tesi che pretende di rawisare una certa continuitä fra l'esperienza europea dell'etä di mezzo - a partire dall'emergenza del middle rank of population - e quella dell'eta contemporanea, attraverso e oltre la fase rivoluzionaria, fino alio scoppio dei totalitarismi nel nostro secolo. Tale tesi si basa sulla centralis di interessi privilegiati di cittadini „medi", fortemente influenzati dal tema della pace e dell'ordine e bisognosi di una tutela gestionale - cioe di una policy ο police ο Policey - delle proprie attivitä produttive, da parte di un „buongoverno" che lentamente e tecnologicamente si andrä costituendo, intorno al principe e al suo „stato", nello Stato moderno. Christine de Pizan e, dal punto di vista di questa emergenza, esemplare, sia per la situazione conflittuale in cui si trova la Francia del suo tempo, come pure per Tintento fortemente pedagogico e concreto della sua opera. Nonostante l'assenza di un'attenzione precisa a temi centrali dell'esperienza medievale, quali quello delle corporazioni ο signorie,22 in essa e infatti possibile percorrere entrambe le direzioni in cui il bisogno di costituzionalizzazione dei ceti medi europei si andö svolgendo dal XIV al XIX secolo: da una parte la costruzione della macchina amministrativa dello Stato, attraverso i consiglieri e gli aiutanti del principe,23 e dall'altra l'aumento d'importanza della funzione di rappresentanza che, all'interno di una societä sempre piü dinamica, hanno acquistato ,,les saiges bourgeois" rispetto all'insieme dell'„estat du peuple".24
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E' la principale accusa che le muove, ad esempio, M.-Th. Lorcin, Christine de Pizan analyste de la societe, in: The City of Scholars. New Approaches to Christine de Pizan, edd. Μ. Zimmermann/D. D e Rends, Berlin/New York 1994, pp. 197-205. Dieci dei quindici capitoli della prima parte del Livre de la Paix (Cfr. The „Livre de la Paix" of Christine de Pisan. A critical Edition with Introduction and Notes by C. C. Willard, 'S-Gravenhage 1958) riguardano la scelta di consiglieri appropriati da parte del principe. Cfr. M.-Th. Lorcin, Christine de Pizan, cit., p. 201: „L'auteur, chaud partisan de l'Etat moderne en cours d'installation, met en lumifere le seul cadre qui lui semble digne de confiance. Les autres sont effaces: assemblies d'Etat, associations professionelles, communautes, etc". Per una posizione apertamente antirepubblicana cfr. R. H. Lucas, Introduction, cit., p. XXXI: „Elle condamne comme „sans profit" pour le bien public (194r— 195r) les systemes oil Ton elit ou depose le prince, comme „en maintz lieux" d'Italie, l'aristocratie bourgeoise de Venise, le gouvernement par „eschevins" ou par „le menu 1
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peuple . Sono i temi trattati nel capitolo III. 6 e III.7 della terza parte: cfr. Pizan, Le livre, cit., pp. lOOss. Ma la difesa aristotelica della classe media era giä stata impiegata da Christine in: Le livre des fais et bonnes meurs du sage roy Charles V, publie par S. Solente, Paris 1936, 2 voll., II, 30, collegandosi anche al D e regimine principum di Egidio Colonna.
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Non conviene attardarsi oltre sul pensiero politico di Christine de Pizan e neppure sul suo contributo alia dottrina del Bencomune, che fu in realtä scarso, se inteso nella sua efficacia diretta.25 E' sembrato perö interessante sottolineare la sua modernitä sotto altri profili, che sono gli stessi che, da 11 in poi, accompagneranno il nostro Bencomune verso i lontani lidi della costituzione. Base di partenza έ l'idea della societä come un tutto organizzato e organizzabile, che έ un po' il leit-motiv della riflessione a metä ottimistica, a metä pessimistica, del mondo politico nel medioevo maturo.26 Strumento prezioso alio scopo - su cui Christine ha sviluppato una riflessione e una pratica di altissima professionalitä - έ l'elaborazione di una dottrina circostanziata e mirata alio scopo, da rivolgere a tutte le componenti (o forze) interessate alia concordia sociale e politica: „Transmettre ses normes et valeurs est pour la society la condition de sa survie. Christine s'en montre convaincue, qui donne ä l'endoctrinement une telle place".27
III.
Il Bencomune, insomma, ha certamente a che fare col problema piü centrale dei „secoli bui", ciok il problema della pace, inteso qui naturalmente nel senso interpretativo reso famoso da Otto Brunner, secondo cui la pace fu esigenza fondamentale per l'aggregazione di gruppi su territori destinati a diventare, sotto veste piü ο meno statale, centri di preservazione di una pace interna, fisica, terrena, rivolta in prima istanza ai conflitti fra persone e gruppi: una pace insomma che non
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Sulla concezione sociale e politica di Christine si va dal vecchio e meritorio R. Thomassy, Essai sur les Merits politiques de Christine de Pisan, Paris 1838, ai piü attuali C. Mc Ardle Reno, Self and Society in: L'avision-Christine of Christine de Pizan, Yale University, Ph. D. 1972, pp. 47ss. e G. Mombello, Quelques aspects de la pens£e politique de Christine de Pizan d ' a p ^ ses oeuvres publikes, in: Culture et politique en France ä lVpoque de l'humanisme et de la Renaissance, Torino 1974, pp. 43-153. Piü a proposito del Bencomune cfr. R. H. Lucas, nell'Introduction alia sua edizione del Livre du corps de policie, cit., p. XXVII: „D'une fa$on plus g^ndrale, l'enseignement du Corps de policie qui est que les membres divers vivent „en bonne conjonction et union ensemble" prend son origine dans le principe de utilitas publica. Pour Christine comme pour John de Salisbury, „ad publicam utilitatem omnia referantur"." Dal Policraticus di John of Salisbury, alia Speculum doctrinale di Vincent of Beauvais, alia Summa Theologiae di San Tommaso, al De regimine principum di £gidio Colonna, al De monarchia di Dante, all'Opus nonaginta dierum di Guglielmo Occam, alle Propositiones di Pierre d'Ailly, al Vivat Rex di Gerson, alia De concordantia catholica di Nicola da Cusa έ tutta una linea precisa in questa direzione, benissimo ricostruita, or b ormai un secolo, da Otto von Gierke nel suo Deutsches Genossenschaftsrecht. Sul tema, e anche specificamente su Christine de Pizan, cfr. J. Quillet, Communitiy, counsel and representation, in: The Cambridge History of medieval Political Thought c. 350-c. 1450, ed. J. H. Burns, Cambridge 1988, pp. 520-572. M.-Th. Lorcin, Christine de Pizan analyste de la socidt£, cit., p. 201.
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poteva che presentarsi come ordine. Da questo punto di vista, il collegamento della pace, ma anche del bene comune, col diritto appare fin dall'inizio inequivocabile, tanto da far sorgere il dubbio che ne siano possibili trattazioni in chiave esclusivamente teologico-filosofica.28 Si tratta di sapere perö con quale diritto, se b vero ciö che sostiene Paolo Grossi a proposito del rapporto fra diritto e Stato nel medioevo, affermando l'impossibilitä di ogni commistione fra i due termini, una volta che entrambi siano presi nel loro significato pregnante.29 Occorre capire se il diritto a cui Grossi si riferisce comprenda in s£ anche gli spazi di vita comunitaria su cui gli individui operano per mettere in comune i loro bisogni e i loro beni privati. La risposta b senz'altro positiva, se si accoglie nel suo senso piü pieno la categoria di „autonomia", come posizione tipicamente di relazione, a cui Grossi fa ricorso per definire la costituzione medievale. Piü difficile risulta concepire che tale sistema di relazione possa sussistere ed essere operativo, producendo quell'ordine e quella pace di cui prima si parlava, senza necessitä di forme istituzionali e legittimatorie in qualche modo riferentesi alia politica. A meno di non considerare il diritto in una sua assolutezza quasi sociologica, che assorba in se anche il profilo istituzionale e legittimatorio, cosl come faceva, nei secoli precedenti, la teologia. Ma, in tal modo, si passerebbe, mi sembra, da un assolutismo all'altro30 e non b quello che importa. Ciö che importa invece (ma costituisce anche il senso di ogni studio della politica come specifica forma di convivenza organizzata degli uomini in Europa) b di trovare continuitä fra usi e funzioni diverse del diritto ο dello Stato, ο di entrambi, in modo da stabilire un accettabile continuitä fra passato e presente. Anche per questo servono idee larghe e lunghe, trasversali e trasmissibili - dunque „dottrine" - come quella rappresentata dal Bencomune, sull'onda delle quali poterono navigare nei secoli usi e costumi, ma anche concetti e schemi mentali, per non parlare di norme e istituzioni. Riprendendo gli studi di Paolo Prodi sui rapporti fra giustizia e morale nell'arco storico costituzionale europeo, faccio volentieri ricorso ad una sua citazione utile per abbandonare il medioevo e venire all'etä moderna. 31 Domingo de Soto, domenicano di Salamanca, scriveva nel 1556 uno dei tanti trattati De iustitia et iure libri decern}2 Ii suo problema era di inserire il diritto positivo (di cui veniva
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Ms S. Kempshall, The Common Good, cit. P. Grossi, L'ordine giuridico medievale, Bari 1995, ulteriormente tematizzato nel brillante riassunto: Un diritto senza Stato, cit., p. 278. Grossi non fa nulla per nascondere la forza impressa nel suo diritto: „[...] un diritto senza Stato, un diritto che si aggancia immediatamente al sociale e lo esprime nella sua interezza" (Ibidem p. 291). P. Prodi, Una storia della giustizia. Dal pluralismo dei fori al moderno dualismo tra coscienza e diritto, Bologna 2000, pp. 340ss. Su cui G. Parotto, Iustus Ordo. Secolarizzazione della ragione e sacralizzazzione del principe nella
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riconosciuto ormai il valore vincolante, accanto al diritto naturale) in un quadro di riferimento morale avente validitä universale (sistema comune delle virtu, culminante nella caritä). II problema e apparentemente semplice: la legge positiva (del principe) mira alia tranquillitas et serenitas reipublicae, alia sua pax et quies. Ci6 coincide con il bonum commune, cioe con il fine stesso della lex humana, che viene dunque riconosciuto e legittimato, tanto che violare la legge positiva diviene anche peccato. Questo bonum commune differisce per0 profondamente da quello considerato dalla lex divina, che ha altri contenuti e tocca I'aspetto morale dell'azione e le sue conseguenze in termini di peccato. A differenza che nella prima Scolastica, tale distinzione viene ora accettata e i due diritti (naturale e positivo) giocano ruoli diversi, finch^ il primo viene separato ο sopraelevato dalla sfera giuridica in senso proprio, e viene costituito come norma morale metagiuridica. Il tema non έ nuovo, anche nelle sue pratiche conseguenze. Giä Schumpeter, nella ricostruzione storica deH'origine del pensiero economico moderno, aveva dato rilievo al Molina, il quale „mette chiaramente in relazione, facendo riferimento al bene comune, il diritto naturale con la nostra diagnosi razionale dei casi (siano contratti individuali ο istituzioni sociali)".33
IV. Ma cosa succede allorche la categoria del bene comune deve operare negli ambiti nuovi (in senso sia quantitativo-territoriale che qualitativo-obbligazionale) della statualitä moderna? Capita allora che la tematica sfugga di mano ai giuristi per acquisire una nuova autonomia, che diventa ben presto „politica". Dopo la fase filosofico-teologica e quella giä piü tecnicamente giuridica, il tempo e maturo perch^ intorno alia dottrina del Bencomune cominci a fissarsi una nuova „prospettiva" di convivenza, che in breve tempo acquisterä dominanza e detterä, principalmente sotto la forma dello Stato moderno, il tempo della politica. II vecchio Bencomune del Buongoverno, con la sua barba, la corona e lo scettro, deve per forza spersonalizzarsi e alio stesso tempo oggettivarsi, nella direzione duplice ma complementare degli „interessi" individuali, da una parte, e delle „ragioni" dello Stato, dall'altra. E' questa l'epoca in cui al bene comune viene attribuita importanza centrale, insieme all'altro assioma dell'uomo „animale sociale", all'interno della grande super-dottrina
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Seconda Scolastica, Napoli 1993. Sul concetto di bonum commune nel gesuita Francisco Suarez cfr. H. Rommen, Die Staatslehre des Franz Suarez, Mönchengladbach 1926. J. Schumpeter, Storia dell'analisi economica, Torino 1959, vol. I, p. 134. Cfr. anche Ε Schiera, Dal bene comune ai governi privati: aspetti storico-costituzionali dell'amministrazione in politica, in: Storia Amministrazione Costituzione. Annale dell'Istituto per la Scienza dell'Amministrazione Pubblica 1 (1993), p. 164 nota 11.
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dell'aristotelismo politico,34 nella struttura logica di legittimazione di quel mondo magmatico, fatto di tradizionalismo e innovazione, che fu l'antico regime, nell'accezione particolarmente tedesca che, con Otto Brunner, va sotto il nome di
altständische (o. alteuropäischej
Gesellschaft,35
Scegliere, a questo punto, la via tedesca per seguire l'evoluzione del nostro discorso non h ηέ puramente occasionale ne volutamente provocatorio. Nonostante che i fondamenti dello Stato moderno si vadano costruendo nei grandi contesti storici delle grandi monarchie nazionali di Spagna, Francia e Inghilterra, non si puo trascurare l'impatto enorme rappresentato dalla Riforma e neppure va sottovalutato, anche in proiezione odierna, il grande ruolo che ha continuato a svolgere il Sacro Romano Impero della Nazione Tedesca, entro cui l'antica idea di universalitä ha a lungo potuto contrastare le emergenti visioni di territoriality e di accentramento statale. Per non dire che, attraverso il mondo germanico, continua a rendersi possibile e necessario, anche in questa fase, un confronto con l'Italia molto serrato, nella direzione di continuitä sopra accennata. In Germania, con la Policey, si e sviluppata lungo il XVII e XVIII secolo una forma pratica, governamentale, „amministrativa" 36 di attuazione della politica moderna, in cui almeno lo slogan del Bencomune continuava ad essere ben presente. Insieme alle dottrine della consociazione e del contratto sociale, esso dava base garanzia e legittimazione al potere „statale-assolutistico", fatto di monarchia e di ceti, in una gamma variegata e complessa di corpi organizzati.37 Se nel medioevo il Bencomune era frutto di una „rassicurante" (anche nel senso assai materiale e coattivo della senese Securitas) composizione dello „spontaneo" pluralismo associativo ( c o n j u r a t i o owero consociatio) in una „superiore" (superiontas) concordia, con la Staatswerdung esso assunse i tratti piü concreti, piü duri e piü finalizzati di Sicherheit, di Genossenschaft e di Hoheit, caricandosi a sua volta di obbiettivi materiali piü netti e precisi. Questi ultimi poterono coinvolgere gli attori individual! e di gruppo (che sarebbero stati destinati presto a formare la bürgerliche 34
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H. Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus und absoluter Staat. Die „Politica" des Henning Arnisaeus (c. 1575—1636), Wiesbaden 1970, e Die „Staatsräson" und die Krise des politischen Aristotelismus: zur Entwicklung der politischen Philosophie in Deutschland im 17. Jahrhundert, in: Aristotelismo politico e ragion di Stato, ed. Α. E. Baldini, Firenze 1995, pp. 1 2 9 - 1 5 6 . Cfr. gli atti della Brunner-Tagung, in: Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento 13 (1987), pp. 1 1 - 2 0 5 . Di Brunner va visto, sotto questo profilo, Adeliges Landleben und europäischer Geist. Leben und Werk Wolf Helmards von Hohberg, 1 6 1 2 - 1 6 8 8 , Salzburg 1949. P. Schiera, La concezione amministrativa dello Stato, in: Storia delle dottrine politiche, economiche, sociali, vol. IV, ed. L. Firpo, Torino 1980, pp. 355ss. Realtä non solo tedesco-imperiale, ma anche a lungo propria delle nascenti Monarchie „nazionali". Cfr. per la Francia gli insuperati lavori di Emile Lousse (su cui L. Blanco, La storiografia „corporativa" e „costituzionale" di Emile Lousse: osservazioni e linee di verifica, in: Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento 13 (1987), pp. 2 7 1 - 3 2 6 ) e di H. Hintze, Staatseinheit und Föderalismus im alten Frankreich und in der Revolution, Stuttgart 1 9 2 8 (rist. 1989).
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Gesellschaft*) attraverso due canali - di elaborazione dottrinaria e di applicazione concreta - che si svilupparono particolarmente in Italia e Germania, dando luogo, se ben capisco, a interessanti forme di circolazione e di trasferimenti di modelli anche nella direzione, spesso trascurata dal punto di vista politico, sud-nord. Mi riferisco, da una parte, alia dottrina della ragion di Stato, dall'altra al lungo movimento che darä luogo, nel XVIII secolo, alia scienza di polizia. Entrambe esprimono il bisogno di una considerazione, di una trattazione e di una gestione unitaria (a partire possibilmente da un centro, come una corte e/o una cancelleria, dotato comunque di tecniche adeguate, riguardo alia rilevazione, registrazione, documentazione e applicazione per mezzo di scrittura) dei problemi sorgenti dalla vita organizzata, a sua volta sempre piü dinamica sia nelle componenti che nelle prestazioni economiche e sociali.39 Per tutti valga il rimando a Melchior von Osse, reputato il fondatore cinquecentesco della cameralistica e della scienza di polizia.40 Ma il discorso andrebbe esteso all'intera questione della recezione in terra tedesca - e luterana - dell'italiana - e cattolica- „ragion di Stato", fino al grande primo sistematore in termini amministrativi della piccola statualitä moderna tedesca: Veit Ludwig von Seckendorff. „Nel 1653 e nel 1656 vengono pubblicati a Francoforte sul Meno due testi, oggi perlopiü dimenticati, che pure godettero allora di una notevole risonanza, il secondo in particolare, fin quasi al finire del secolo XVIII: si tratta della Biblische Policey e del Teutscher Fürstenstaat; i loro autori, rispettivamente, Dietrich (Theodorus) Reinkingk e Veit Ludwig von Seckendorff'.41
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Per questo, ad esempio, Brunner usa volentieri l'espressione classica di „societas civilis sive status" per definire questa forma transitiva e transitoria di convivenza. W. Merk, Der Gedanke des gemeinen Besten, cit., dopo aver messo a confronto la dottrina della ragion di Stato e quella del Bencomune, come le due vie attraverso le quali si e compiuto l'ampliamento dei compiti dello Stato, sottolinea la tendenza centralizzante e comunque antipluralistica dello Stato di polizia (p. 61). Piü di recente Ε Pasquino, Polizia celeste e polizia terrena. D. Reinkingk/ V. L. von Seckendorff, in: Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento 8 (1982), p. 342, fa notare che per Reinkingk (Biblische Policey, 1653, p. 240) „Ein wolbestelltes Archivum, Diarium und Geschicht-Registratur, ist bey allen Regierungen, Cantzeleyn und Gerichten ein sehr nöthig und nützlich Werck". Giä G. Schmoller (Die Epochen der preußischen Finanzpolitik, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, I, 1877, p. 110, nota 1) faceva riferimento alla „scrittura" come tecnologia dello sviluppo economico e fiscale in Europa, dal medioevo ad oggi, citando il suo saggio del 1875 su Straßburg zur Zeit der Zunftkämpfe, pp. 71-72. Su cui ha recentemente richiamato l'attenzione M. Senellart, Justice et bien-etre dans les Miroirs des princes de Osse et Seckendorff, in: Specula principum, ed. A. De Benedictis, cit., pp. 243-265, in un saggio che, come si evince dal titolo stesso, complica e attualizza - rispetto anche alla tematica da me qui trattata - osservazioni giä da tempo present! nella letteratura sul cameralismo (cfr. nota 48). P. Pasquino, Polizia celeste e polizia terrena, cit., p. 326 che, in nota, dä conto della fortuna delle due opere. Cfr. anche dello stesso: Police spirituelle et police terrienne: D. Reinkingk/V. L. von Seckendorff, in: Raison d'Etat. Politique et rationale, edd. C. Lazzeri/D. Reynii, Paris 1992, pp. 83-115.
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Si puö forse applicare ad entrambi la definizione di Praktiker usata da Otto Brunner per il Reinkingk:42 il che consente di impostare nel modo piü semplice ma insieme piü attendibile la direzione in cui anche la dottrina del Bencomune si orienta e si snoda nel nuovo apparato di questioni e di soluzioni con cui lo Stato territoriale deve fare i conti. Senza bisogno di approfondire ulteriormente la lettura iconologica giä compiuta dei frontespizi delle opere di Reinkingk e Seckendorff, va segnalata la persistenza dei temi giä incontrati nell'icona del Buongoverno senese, con la principale differenza che al centro della scena non c'e piü il Bencomune personificato nel gran vecchio, ma direttamente il principe-sovrano. II Bencomune si e istituzionalizzato nella macchina di governo del monarca, il quale tuttavia continua ad essere assistito dalle consuete virtü civili (la pace, la giustizia, il timor di Dio, la prudenza) e continua ad essere inserito nel contesto di un territorio fertile, florido e produttivo. Si puö pero giä dire che, in piü, in particolare per quanto riguarda Seckendorff, sono anche esplicitate esigenze tecniche che nel frattempo si sono evidenziate nella pratica di governo: la statistica, com'£ giä stato suggerito, ma anche la virtü mercuriale, cioe l'attenzione ai bisogni produttivi, comunicativi e commerciali dei sudditi sul territorio come vorrei ora suggerire.43 Ciö si pone in stretto collegamento, appunto, col tema del benessere, che e centrale a tutto il ragionamento che stiamo facendo.44 Come si vede, gli argomenti trattati da questi autori - sempre piü spesso presentati come „moderni" dalla letteratura recente - rientrano a pieno diritto nella oggettistica tipicamente propria del vecchio Bencomune. Passando, in primo luogo, per la pace, come giä siamo stati abituati a considerare. Piü in particolare, per la pace sul territorio. Ii secondo passo diviene quasi obbligato: la pace sul territorio serve ad assicurare a quest'ultimo la prosperitä e a procurare, di conseguenza, la felicitä ai sudditi. La serie logica: bene comune, pace, prosperitä, felicitä h quella che guida la recezione - piü spesso indiretta e mascherata che non esplicita e riconosciuta - della dottrina del Bencomune, attraverso la dottrina della ragion di Stato, nella dottrina del benessere.45 42
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O. Brunner, D. Reinkingk. Ein Beitrag zum Rechtsgedanken des 17. Jahrhunderts, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaft und Literatur, Mainz 1963, pp. 94—95. II riferimento έ sempre a R Pasquino, Polizia celeste e polizia terrena, cit., in particolare p. 334, che perö interpreta la donna che tiene in mano „una bacchetta intorno alia quale si awolge un serpente" come la prudentia-Klugheit, secondo l'Iconologia del Ripa, mentre io suggerisco di virare almeno questa lettura nel senso del simbolo di Mercurio, a denotare la capacitä applicative, tecnica, commerciale, civile, comunicativa, appunto „mercuriale" di questa virtü generale (che altrimenti viene meglio rappresentata dallo specchio dell'autocontrollo). P. Pasquino, Polizia celeste e polizia terrena, cit., p. 3 3 5 cita una Einleitung zur Staats-Klugheit di J. B. von Rohr del 1 7 1 8 , di sicura impronta seckendorffiana, in cui limmagine del sovrano incisa nel frontespizio έ accompagnata dalla seguente didascalia: „Wenn ein Regente will des Landes Wolfahrt bauen, / Mus er auff Gottesfurcht, Justiz und Klugheit schauen". Per approfondire la questione se la „ragion di Stato penetra in Germania in gran parte proprio
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Siamo in pieno mercantilismo: in un quadro cio£ in cui le prerogative e i doveri del principe si devono incontrare e intrecciare con gli interessi e i diritti dei sudditi, sotto la pressione dei bisogni, delle aspettative, degli investimenti economici che accompagnano la fase iniziale del nascente capitalismo.46 E' anche il quadro in cui nasce e si sviluppa la filosofia morale, il grande canale di secolarizzazione della vita e delle sue norme di condotta, lungo il quale le antiche „passioni" diventano accettabili se non utili „interessi". E' l'epoca della Lebensfiihrung, che cerca e trova un proprio spazio nomotetico fra la calante teologia e il sempre risorgente diritto, trasformando le medievali virtu „native" in moderne virtu „dative", cio£ acquisibili attraverso apprendimento, disciplina ed esercizio. E' anche il brodo di coltura della societä civile, senza cui lo Stato moderno non έ leggibile nella sua completezza costituzionale, neanche nella sua fase iniziale di antico regime. E' insomma lo spazio che va dalla statistica alia sociologia e che prepara il trionfo delle scienze sociali nel XIX secolo. In questo „salto", che mi limito per ora a presentare nella sua estrema consequenzialita, mi sembra svolga un suo ruolo anche il processo di assimilazione del Bencomune nella cornice piü larga e articolata - e soprattutto altrimenti legittimata - dello Stato di diritto e poi dello Stato sociale. Sia Reinkingk che Seckendorff appartenevano ,,al gruppo di uomini politici attivi nel nord della Germania intorno alia metä del secolo XVII, profondamente impregnati dalla tradizione religiosa luterana".47 Seckendorff - autore nel 1685 (morl nel 1692) anche di un Christen-Staat — pubblicö a soli 29 anni, nel 1656 (tre anni dopo la Biblische Policey di Reinkingk) il suo Teutscher Fürstenstaat, allorchd si trovava, appunto, al servizio (consiliarius) del duca Ernesto di Sassonia a Gotha. Christian Thomasius sintetizzo il contenuto di quest'opera, nell'orazione funebre per Seckendorff (che nel frattempo era passato al servizio del principe elettore del Brandeburgo, divenendo cancelliere dell'universitä di Halle, dove lo stesso Thomasius insegnava), nell'obbiettivo di mostrare: „... wie die Götter dieser Welt und ihre Rathgeber das Regiment klug und weisslich, zu ihrer selbst eigenen Ruhe und zum Vergnügen ihrer Unterthanen fuhren sollen". La Ruhe del principe e il Vergnügen
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grazie agli aristotelici" (P. Pasquino, Polizia celeste e polizia terrena, cit., p. 339) cfr. M. Stolleis, Machiavellismus und Staatsräson: ein Beitrag zu Conrings politischen Denken, in: Herrmann Conring (1606-1681). Beiträge zu Leben und Werk, ed. M. Stolleis, Berlin 1983, oltre al giä citato Η. Dreitzel, Die „Staatsräson" und die Krise des politischen Aristotelismus. Tema purtroppo trascurato dalla storiografia piü. recente, sia in campo economico che filosoficomorale che, piü in generale, storico-culturale. Per restare nel nostra ambito cfr. ancora W. Merk, Der Gedanke des gemeinen Besten, cit., p. 55, dove parla espressamente deüe merkantilistischen Wirtschaftsauffassungen, insbes. der Gedanke staatlicher Regelung und Lenkung des Wirtschaftslebens und der Erziehung des Volkes zur Industrie" ed elenca, nella nota 3a, la seguente letteratura, ancor oggi indispensabile: H. Sieveking, Grundzüge der neueren Wirtschaftsgeschichte, 1921, pp. 28ss., G. von Below, Probleme der Wirtschaftsgeschichte, 1920, pp. 50Iss., C. Brinkmann, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 1920, pp. 94ss. P. Pasquino, Polizia celeste e polizia terrena, cit., p. 343.
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dei sudditi non sono altro, nuovamente, che ingredient! del Bencomune nella visione un po' schematica ma realistica ed operativa dello Stato territoriale, laico e tollerante, che viene proposta dalla pietistica Halle, dove fra poco un sovrano come il Re soldato fonderä la prima cattedra di cameralistica.48 Non e neanche inutile sottolineare che l'operetta di Seckendorff non nacque come prodotto di teoria politica, ma come contributo di conoscenza del territorio, nell'ambito anche delle Generallandesvisitationen promosse da Ernesto il Pio per riedificare e razionalizzare l'attivitä di governo del principato di Gotha. Anche da questo punto di vista, una comune base di partenza empirica e descrittiva con la originaria versione della dottrina italiana della ragion di Stato, sia pure forse all'interno di una piü spiccata attenzione tedesca (almeno nei piccoli Stati territorial! luterani sorti da poco e non ancora estenuati come ormai erano le languide Signorie italiane) per certi aspetti di modernitä costituzionale.49 Se il cuore dell'interesse di Seckendorff e la Policey, va forse precisato che essa va intesa, pur nella grande varietä di significati che hanno accompagnato questo termine-realtä lungo i piü di due secoli di sua storia tedesca, come „...tout ce qui traite le bien public" e che proprio cosi, in apertura del Teutscher Fürstenstaat si esprime il nostro autore, quando fissa la legittimitä del governo („rechtsmäßig- und wohlbestellte Policey") in una sovranita sui ceti, sui sudditi e sul territorio stesso „zu Erhaltung und Behauptung des gemeinen Nutzens und Wohlwesens...". 50
V. Una linea dal Politisches Testament di Melchior von Osse (1555/56) alla Hof-, Staatsund Regierkunst di Löhneyß (1622-24) al Teutscher Fürstenstaat di Seckendorff (1656) e stata di nuovo proposta come importante deviazione tipicamente tedesca 48
A. W. Small, The Cameralists. The Pioneers of German Social Polity, Chicago 1909; K. Zielenziger, Die alten deutschen Kameralisten, Jena 1913; H. Maier, Die ältere deutsche Staats-und Verwaltungslehre, München 1966 (II ed. 1980), P. Schiera, Dall'arte di governo alle scienze dello Stato. II Cameralismo e l'assolutismo tedesco, Milano 1968.
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Sull'antica origine italiana della rilevazione statistics cfr. M. Rassem, Riflessioni sul disciplinamento sociale nella prima etä moderna con esempi dalla storia della statistica, in: Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento 7 (1982), pp. 3 9 - 7 0 . Sulla situazione dei principati territoriali nella Germania luterana (ma anche sul Teutscher Fürsten-Staat) cfr. H. Kraemer, Der deutsche Kleinstaat des 17. Jahrhunderts im Spiegel von Seckendorffs „Teutschem Fürstenstaat", Darmstadt 1974 e H. Schilling, Höfe und Allianzen. Deutschland 1648-1763, Berlin 1989, Cap. II, 4, ma anche, prima, L. Zimmermann, Der Ökonomische Staat des Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen, 1933 e, specificamente, su Seckendorff, G. K. Schmelzeisen, Der verfassungsrechtliche Grundriss in V. L. von Seckendorff „Teutschen Fürstenstaat", in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Germ. Abt.) 87 (1970), pp. 190-223.
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Sempre da Ρ Pasquino, Polizia celeste e polizia terrena, cit., pp. 350ss.
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(nella direzione modernizzante delle questioni giuridico-amministrative della legislazione, della fiscalitä, della giustizia e della polizia) rispetto alia tradizione medievale e umanistica degli Specchi del principe.51 Si tratterebbe del passaggio „.. .d'une ^thique gouvernementale centre sur la personne du prince ä une technique de gestion des forces humaines et materielles, fondee sur la reality de l'dtat": passaggio peraltro giä percepibile nell'italiana ragion di stato.52 E' forse di scarso rilievo dibattere se questo passaggio, ο evoluzione, si compia ,,nel seno stesso della tradizione degli Specchi", oppure al di fuori di essa.53 Mi sembra piü interessante acquisire il dato di fatto che comunque si e in presenza di una considerazione dello Stato nuova, perch^ piü attenta alle sue „condizioni concrete di esistenza, in un contesto storico-politico determinato". C'e pero di piü: credo che la continuity con la tradizione medievale e umanistica, per suo conto pregevole sia dal punto di vista dogmatico che da quello tecnologico, non vada ricercata entro schemi ο generi letterari, ma con riferimento a principi teorici e criteri pratici, facilmente rintracciabili nella dottrina del Bencomune. Non secondario e il costante ricorso aU'espressione „gute Policey" a suggerire un rimando inequivocabile al Bencomune, in quanto essa significa sempre, nell'uso corrente, sia il mezzo (l'amministrazione) che il fine (il mantenimento dell'ordine stabilito), come accadeva innegabilmente anche nella dottrina medievale e umanistica del Bencomune.54 Decisivo έ infine - mi pare sempre piü - l'assimilazione della Wohlfahrt al bene comune, in quanto somma di pace, giustizia e ricchezza (sia numerica che materiale) della popolazione. Mi sembra del tutto comprensibile che sia sotto quest'ultimo profilo che vanno ricercate le innovazioni della moderna dottrina di „polizia" rispetto alia vecchia dottrina del „bene comune", ma non e discutibile che l'impianto
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M. Senellart, Justice et bien-etre, cit., p. 247, dove e centrale l'interesse per l'interferenza di questa evoluzione con i temi del machiavellismo e della ragion di Stato. Diffusamente sul Löhneyß cfr. P. Schiera, Socialitä e disciplina. La metafora del cavallo nei trattati rinascimentali e barocchi di arte equestre, in Specchi della politica. Disciplina, melancolia, sociality nell'occidente moderno, Bologna 1999, pp. 192ss. Senellart cita per tutti Scipione Ammirato, anche per il fortunato paragone che egli suggerisce fira „il libro segreto" dei mercanti privati e quello che il principe dovrebbe ugualmente tenere per le cose del suo Stato (pp. 247-48). Per la prima soluzione cfr. M. Senellart, Justice et bien-etre, cit., 251, che cita invece, per la seconda, una mia vecchia presa di posizione, a proposito di Justus Lipsius (La concezione amministrativa dello Stato in Germania cit., pp. 369-70, n. 17). Ε sembra sinceramente impossibile accettare l'idea di Senellart (p. 261) secondo cui il „senso medievale" del bene comune („comme actualisation des fins ddcoulant d'un ordre immuable") si contrapporrebbe „au sens eud^moniste (bien etre, bonheur ä la fois public et individuel)". Basta ripensare aH'affresco di Ambrogio Lorenzetti e alle sue gioiose giovani danzatrici in primo piano, dentro alle mura della citta ben governata!
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„dottrinario" della legittimazione del Buongoverno (gute Policey) resta sostanziaimente immutato.55 Certamente si e in presenza di un passo avanti rimarchevole rispetto alia condizione medievale della conjuratio-consociatio., che determina anche un'irreversibile caduta dell'elemento sacrale nella fondazione stessa della politica. I contenuti del giuramento si oggettivizzano, perdono gradualmente il valore vincolante iniziale, basato sul coinvolgimento personale, ed acquistano un significato nuovo, tutto legato al peso materiale dei fini posti, i quali a loro volta hanno importanza non piü solo per Tindividuo personalmente coinvolto, ma per l'intera comunitä.56 Concordia, pace, giustizia, sicurezza non sono piü aspirazioni individual! a cui il sovrano deve rispondere con le sue virtü: esse diventano „virtü sociali", cioe qualitä intrinseche (virtu appunto) della convivenza-socialitas·, ο anche „ragioni dello Stato" - all'italiana — e contenuti della Policey, alia tedesca. E' il „vecchio" Bencomune che si presenta sotto una forma nuova, che pretende giä di essere „scientifica", sotto il duplice profilo della sua base sperimentale e statistica e della sua compattezza dottrinaria.57 Anche accettando di vedere la ragion di Stato e la stessa cameralistica come aggiornamenti della medievale dottrina del Bencomune, si deve perö riconoscere che, fra XVII e XVIII secolo, una tale linea evolutiva va considerata conclusa, con la confluenza dei motivi intrecciati del bene comune e della volontä comune in un'emergenza ormai del tutto laicizzata di bisogni e di esigenze che chiedevano (ed erano spesso in grado di ottenere) risposte sempre piü pratiche ed immediate. II passaggio da una scelta originariamente privata e soggettiva ad una pubblica e oggettiva dei fini condivisi della convivenza, il passaggio cioe dalla soggettivitä delle passioni all'oggettivita degli interessi,58 non sono che variant! della grande rivoluzione
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M. Senellart, Justice et bien-etre, cit., p. 2 6 3 osserva: „Le miroir du prince certes n'est ni brisd ni aboli, mais enchass^ dans une theorie juridico-administrative de l'Etat et riduit k sa dimension minimale." Questo pub essere vero, ma non e il punto interessante della questione. Piü interessante έ registrare che nella continuitä di una „dottrina" (quella del Bencomune) e non di un „genere letterario" (quello degli Specchi del principe) si possano registrare evoluzioni e passaggi verso la modernizzazione della teoria e della prassi politica.
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Cfr. P. Prodi, II Sacramento del potere. II giuramento nella storia cosdtuzionale dell'Occidente,
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E' bellissima, quasi stupefacente, 1'osservazioone di Leibniz, in una lettera a SeckendorfF, a proposito
Bologna 1992. del Fürstenstaat: „[. . . ] Tu argumentum antea vagum primus in scientiae formam redigisti:" P. Pasquino, Polizia celeste e polizia terrena, cit., p. 345, che cita per6 anche G. Miglio, Le origini della scienza dell'amministrazione, in: Atti del I convegno di studi di scienza dell'amministrazione, Milano 1957, p. 22. 58
Sia consentita un'ultima citazione da M . Senellart, Justice et bien-etre, cit., p. 264, che conclude la sua bella lettura di SeckendorfF sottolineando la riduzione delle „virtü" dell'anima - timor di Dio, giustizia, benevolenza, modestia - al vero „interesse" di governo (Additiones del 1664, vol. II, p. 154) e conclude: „Cette articulation des vertus morales ä l'interet politique, qui renverse les rapports traditionnels de Γ „honestum" et de l\,utile" et justifie la preeminence des vertus intellectuelles
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che segna il pensiero scientifico moderno. Infatti, anche nel nostro campo, si registra una precipitazione palpabile della transizione in quello che il giä citato Schumpeter ha magistralmente studiato, dall'esterno, come il crogiolo delle scienze sociali moderne: il diritto naturale razionale, di scuola principalmente tedesca, del XVII e XVIII secolo.59 II passaggio e realmente importante e costituisce la premessa per un impostazione moderna del bene comune, basata sulla valorizzazione degli interessi individuali. Proprio qui s'incontra infatti una delle prime variazioni sul tema Gemeinwohl, nel percorso post-scolastico (ma ancora fortemente neo-aristotelico) della secolarizzazione della politica prodotta dalla Riforma (protestante ma anche cattolica). Al superamento del quadro pluralistico e decentrato medievale fece riscontro il recupero di posizioni individuali, sul doppio binario di una crescente responsabilitä del soggetto singolo sul piano morale e religioso e di una piü diretta organizzabilita dei soggetti plurimi (sudditi) da parte dell' apparato dello Stato sul piano politico e sociale. Per segnalare un referente teorico italiano a questi sviluppi storico-costituzionali, ci si potrebbe rifare al Muratori, interessante campione delle dottrine economiche mercantiliste e critico tanto piü consapevole dell'arretratezza attuale dell'Italia, proprio perch^ riscopritore della storia ricca e fortunata delle cittä medievali.60 II suo principe deve avere „attenzione particolare... per dar calore all'accrescimento dell'arti e del commercio"61 e non puö limitarsi alia teoria, ma deve „cercare i mezzi piü proprj, per effettuar questo disegno... per rendere mercantile e applicato al commercio lo stato suo". Obbiettivi concreti, in cui praticamente si riduce l'obbiet-
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dans la pratique du gouvernment, me semble constituer l'un des points essentiels sur lesquels Seckendorff, de I'Interieur meme du genre, rompt avec les conventions doctrinales des Fürtenspiegel." Oltre al giä citato Schumpeter, si veda anche il dassico H. von Voltelini, Die naturrechtlichen Lehren und die Reformen des 18. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 105, pp. 65ss.. Cfr. inoltre: Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert, hg. v. M. Stolleis, Frankfurt am Main 1977, e H. Schilling, Höfe und Allianzen, cit. A proposito della secolarizzazione dei fini dello Stato, quest'ultimo sottolinea che Christian Wolff elaborö una minuziosa teoria del bene comune secolarizzato: „Solo con l'aiuto di coloro che gli sono vicini l'uomo puö raggiungere la perfezione, La .felicitä' del singolo e innestata nel'bene comune' dei gruppi sociali e politici. In ogni sfera d'azione lo scopo finale rimane la ,felicita' oppure il ,meglio' per il singolo" (p. 171 della traduzione italiana). Dissertatio XXX delle Antiquitates Italicae Medii Aevi, piü tardi ripresa anche dal Sismondi per la sua Histoire des Ripubliques italiennes au moyen age. Ε' il titolo del cap. XVII del suo scritto Della pubblica felicitä, oggetto de' buoni principi, ed. B. Brunello, Bologna 1941 (pubblicato la prima volta nel 1749 a Lucca e ora nella collana „Scrittori politici taliani" dell'Istituto nazionale di cultura fascista), p. 141: „Ora i saggi principi in primo luogo rimuovono gl'impedimenti del traffico e della civile industria." Ma si veda il cap. XVI p. 125: „S'ha dunque sopra ogni altra cosa da awertire, che tutto il governo economico di un paese si riduce ad una sola importantissima massima: ciofe a fare che esca dello stato il men denaro, che si puö, e che ve ne s'introduca il piü, che si puö."
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tivo del „pubblico bene". In ciö consiste infatti la „pubblica felicitä" di cui il Muratori discute nella sua operetta. Ma a monte di questa visione operativa e amministrativa, il Muratori conduce una considerazione filosofica intrisa alio stesso tempo di caritä cristiana („Ed oh volesse Dio, che questa nobil brama, questo generoso affetto, maggiormente si predicasse, si dilatasse, e s'impossessasse del cor de' mortali, e massimamnete di chi presiede al governo de i popoli, e di chiunque ha genio, e s'applica alia letteratura") e di realismo scientifico („II cuor deH'uomo... puo ben ciamarsi un mantice indefesso e perpetuo di desiderj" a partire dal „nostro privato bene" della „nostra particolar felicitä", mentre „Di sfera piü sublime, e di origine piü nobile si e un altro desiderio, cioe quello del bene della societä, del Ben Pubblico ο sia della Pubblica Felicitä"). Tale considerazione filosofica e, al di lä di ogni uso retorico, piuttosto realistica: „... non si figurasse alcuno, che per Pubblica Felicitä intendessi io uno stato, sia di monarchia ο pur di repubblica, in cui ognuno abbia ad essere, ο possa chiamarsi felice..." e si conclude in una definizione scarna e incolore, che potrebbe esse re usata ancor oggi, per trattatre il problema: „Noi dunque per Pubblica felicitä altro non intendiamo, se non quella pace e tranquillitä, che un saggio ed amorevol principe, ο ministero, si studia di far godere, per quanto puö, al popolo suo, con prevenire ed allontanare i disordini temuti, e rimediare a i giä succeduti...". Insomma, una descrizione in negativo, volutamente priva di „una sparata di antica e moderna erudizione... sui tanti filosofi e scrittori di tutti i tempi, che a riserva d'alcuni Macchiavellisti" hanno celebrato il pubblico bene. II problema si riduce a „liberar da i mali il popolo, e di accrescergli i beni... nel che appunto consiste la felicitä d'una repubblica". L'argomentazione e supportata dagli esempi piü recenti di Luigi XIV (col suo Colbert) e di Pietro il Grande (imperador della Russia). Sovrani assoluti ma ispirati al bene dei loro popoli, perche anche per il Muratori continua a valere l'antica massima per cui i sudditi sono membri dello Stato e „ognun di questi dovrebbe cooperare alia felicitä pubblica, per quanto puo". Questo e il livello a cui s'e ridotto il Bencomune „... in tempi ne' quali piü che in addietro regna la tranquillitä, la civiltä, l'unione de' cittadini, ed e cresciuta la clemenza de' principi. Pure - prosegue il Muratori - ci restano altri beni, che potrebbonsi procacciare a i popoli, e per poca conoscenza, ο per mera trascuraggine niuno Ii procura".62 Certo egli non vi pensava, ma da 11 a poco sarebbe arrivata la Rivoluzione e, insieme ad essa, la Costituzione.63
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L'ultima citazione proviene dalla fine del cap. Ill, p. 23. Le altre a risalire. P. Schiera, Konstitutionalismus, Verfassung und Geschichte des europäischen politischen Denkens. Überlegungen am Rande einer Tagung, in: Denken und Umsetzung des Konstitutionalismus in Deutschland und anderen europäischen Ländern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, edd. M. Kirsch/P. Schiera, Berlin 1999, pp. 2 3 - 3 1 .
Rom und die Päpste
GIROLAMO ARNALDI
Gregorio Magno e le difficoltä inerenti all'esercizio del potere temporale II 4 ottobre 584, in una lettera a Gregorio, apocrisiario della chiesa romana a Costantinopoli, Pelagio II lo informava di aver compiuto, per mezzo di Decio (Γultimo caputsenatus conosciuto) e di un vescovo, un passo presso l'esarca d'ltalia, a Ravenna, volto a ottenere l'invio di truppe destinate a presidiare le partes Romae, prive del tutto di difesa contro la minaccia dei Longobardi. L'esarca, aggiungeva il papa, gli aveva risposto che non poteva accontentarlo: gli effettivi a sua disposizione non bastavano nemmeno a assicurare la protezione del territorio ravennate. Pelagio, in conclusione, chiedeva a Gregorio di premere sul basileus perche disponesse l'invio di un magister militum con l'incarico di prowedere alia difesa di Roma (cfr. Gregorii Registrum epistolarum, ediz. a cura di L. M. Hartmann, II, Appendix II). Dopo la non lunga parentesi monastica (mi rendo conto io per primo che e un nonsenso definirla cosl per l'importanza straordinaria che essa finl con l'assumere nel suo itinerario spirituale e intellettuale), I'ex prefetto di cittä, ora diacono, Gregorio risulta nuovamente coinvolto e, suo malgrado, ormai lo sarebbe rimasto per sempre, nella gestione di affari temporali. Con ogni probabilitä, il momento in cui Roma ebbe la guarnigione stabile cosi pressantemente sollecitata da papa Pelagio nel 584 attraverso il suo rappresentante a Costantinopoli, coincise con quello nel quale, prima, i Longobardi di Tuscia, poi, verso il 590/591, quelli di Spoleto, infine quelli di Benevento presero, ο ripresero, a minacciare la cittä e il territorio circostante. Piü in generale, il nuovo assetto in ducati dell'Italia ancora imperiale si delineö in coincidenza con l'awento al papato di Gregorio, dopo I'esaurirsi della spinta offensiva che, in quello stesso anno 590, aveva riportato l'esarca d'ltalia Romano e i suoi alleati franchi a avere quasi ragione dei Longobardi del Nord. Poich£ questo sforzo eccezionale non si era risolto nell'annientamento dell'awersario, l'impero accantonava per il momento la prospettiva di una riconquista manu militari delle provincie italiane perdute. Cio comportava la rinuncia a tenere posizioni indifendibili e la messa in opera di un meno precario schieramento a difesa delle parti d'ltalia tuttora in mano dell'impero,
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nonche un'implicita presa d'atto dell'esistenza del regno longobardo nella pianura del Po, e dei tre ducati centro-meridionali.1 La prima menzione di un duca di Roma la si avrebbe in una lettera del luglio 592, nella quale Gregorio park di un filius noster gloriosus magister militum> che ha preso, a Roma, le misure necessarie contro Ariulfo, duca di Spoleto (cfr. Registrum epistularum, ediz. a cura di D. Norberg, II, 27) .2 Forse il fatto che egli avesse la dignitä di magister militum e portasse, quindi, il titolo di gloriosus, starebbe a dimostrare che la funzione di duca fix attribuita, all'inizio, a un personaggio di rango molto elevato nella gerarchia ufficiale. La gloria contraddistingueva infatti un' elite ancora abbastanza ristretta. Ma dalla corrispondenza di Gregorio non risulta che questo primo ipotetico duca di Roma e il meglio noto Casto, che parrebbe essere stato il suo successore (se i due non sono, invece, una persona sola), abbiano, ο abbia, avuto anche responsabilitä di governo civile. A Roma, infatti, il duca si trovava di fronte il prefetto di cittä, almeno fino a quando un prefetto continuö a esserci e, soprattutto, come vedremo, doveva fare i conti con il papa.3 Due episodi, che ebbero a protagonista Gregorio Magno prima e dopo il suo awento al pontificato, riflettono il momento critico del processo di formazione della nuova romanitä, di tradizione insieme civile e cristiana, ma di veste e impronta clericali, che caratterizzerä la vita di Roma nell'alto medioevo. I due episodi riguardano entrambi la sorte del senato. Alia sua presenza si doveva in massima parte se Roma aveva continuato a essere il centro dell'impero, e poi uno dei centri di esso, accanto a Costantinopoli, anche dopo che aveva cessato di essere la sede dell'imperatore. La sua scomparsa - e di questo che ora si tratta - rimuoveva, da un lato, l'ostacolo residuo a una piü piena appropriazione della cittä da parte del papato (fatto sempre salvo, beninteso, il diritto eminente su Roma dell'imperatore dei Romani) e veniva a costituire, dall'altro, una minaccia alia soprawivenza di Roma medesima come urbs regia.
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2 3
Cfr. B. Bavant, Le duch^ byzantin de Rome. Origine, duree et extension g^ographique, in: Melanges de l'ficole fran^aise de Rome. Moyen Age — Temps modernes 91 (1979), pp. 41-88. D'ora in avanti, il Registrum sarä citato secondo l'edizione Norberg. Contrariamente a quanto sostiene Bavant, A. Sennis (Un territorio da ricomporre: il Lazio fra i secoli IV e XIV, in: AA.VV, Adante storico-politico del Lazio, Roma-Bari 1996, p. 36) ritiene che non sia corretto „considerare come duchi di Roma tutti i funzionari militari attestati — pur se con altro titolo - in cittä nel secolo VII", tanto piü che „la prima menzione esplicita del dttcatus romanae urbis - e di un personaggio che ne assuma la guida - si riferisce [...] ai primi anni del secolo successivo"; ma anche quando ci fu certamente un duca di Roma, „ciö che possiamo supporre έ che il duca affiancasse il papa nelFamministrazione della cittä e del territorio circostante, ma che avesse un ruolo subordinato". Nella Prosopographie de 1'Italie chr^tienne (313-604), diretta da Ch. e L. Pietri, I, ficole franqaise de Rome 1999, p. 421, Casto έ presente come magister militum, ma non come duca di Roma.
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£ senz'altro da escludere che Gregorio Magno abbia consapevolmente accelerato i tempi della fine della plurisecolare assemblea. Questa ebbe infatti il carattere di un'estinzione naturale. £ invece difficile da stabilire in che misura la sua personalitä fuori dell'ordinario abbia contribuito a fare si che Roma, privata ormai del crisma conferitole dalla presenza del senato, non si sia allora ridotta esclusivamente alia condizione di cittä della Chiesa, ο di cittä-santuano, meta di pellegrinaggi alle tombe dei martiri, e soprattutto di Pietro e di Paolo, ma sia rimasta anche Yurbs regia di sempre. Nel 573, Gregorio, che era allorapraefectus urbi, aveva sottoscritto la „rigorosissima professione di fede", che Lorenzo II, arcivescovo di Milano, da Genova dove il clero milanese si era rifiigiato nel 569, aveva trasmesso alia Sede Apostolica, per dichiarare la propria adesione alia condanna dei Tre Capitoli, mettendo cosl fine alio scisma omonimo, almeno per quanto lo riguardava. Gregorio stesso, che richiama l'episodio in una lettera di vent anni dopo (cfr. Registrum IV, 2), aggiunge che quella professione era stata sottoscritta, oltre che da lui, tunc urbanam praefecturam gerens - nell'esercizio, pare che egli voglia intendere, delle sue funzioni di prefetto di cittä - , anche dai viri nobilissimi et legitime numero. Gli „uomini nobilissimi" sono infatti, con ogni probability, i membri del senato, menzionati insieme con il loro presidente. Se pero Gregorio sente il bisogno di precisare che essi erano nel numero prescritto dalla legge, ciö sta a indicare che lo raggiungevano appena. Nell'aprile del 603, Gregorio presiedeva la cerimonia del ricevimento ufficiale dell'icona raffigurante l'imperatore Foca (602-610) e sua moglie Leonzia (cfr. Registrum, Appendix VIII). L'icona venne acclamata da tutto il clero e dal senato in una sala del palazzo del Laterano chiamata basilica Iulii. Di solito, questo episodio e ricordato come l'ultima menzione del senato romano a noi nota. Ma b da sottolineare come il senato del 603 non appaia riunito nella sua propria sede, ma in una sala deU'episcopio, e, ancora piü, non sieda da solo, ma risulti frammisto al clero. Probabilmente, fra il 573 e il 603 era diventato impossibile per esso di raggiungere il legitimus numerus. II vicarius urbis Romae era scomparso da tempo (poco dopo il 535).4 Indebolito dall'estinzione del senato e, in prospettiva, dalla concorrenza del duca, il prefetto di cittä e 1'ombra di quello che era stato una volta. Nel Registrum epistularum incontriamo ancora alcuni prefetti di cittä. Ma vi appaiono tutti in una posizione subalterna rispetto a Gregorio, che, volta a volta, mostra di aiutarli (di uno si preoccupa che non resti troppo a lungo separato dalla moglie); di proteggerli nei
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Cfr. L. M. Hartmann, Untersuchungen zur Geschichte der byzantinischen Verwaltung in Italien (540-750), Leipzig 1889, pp. 3 9 - 4 0 : sia il vicarius urbis Romae, cui fa riferimento una formula di Cassiodoro (con giurisdizione che si estendeva per quaranta miglia intorno a Roma), che i vicarii menzionati in lettere di Pelagio I e di Gregorio Magno erano vicari del prefetto di cittä e non del prefetto del pretorio per l'Italia.
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confronti dei magistrati incaricati di inquisirne l'attivitä (offrendo, se del caso, il riparo dell'asilo ecclesiastico); di essere in grado di perorarne la nomina, bench^ non proprio di partecipare alia loro elezione, come invece spettava ai vescovi, insieme con i primates regionis, nel caso degli indicesprovinciarum.5 II prefetto di cittä al momento dell'assunzione di Gregorio al pontificato h forse da identificarsi con Palatino, un fratello di Gregorio medesimo. Se questo era dawero il prefetto di cittä nel 590, egli si segnalö per un'iniziativa presa alle spalle del fratello appena eletto papa: avrebbe intercettato e fatto sparire le lettere con cui questo chiedeva all'imperatore di non convalidare la sua elezione, e al patriarca di Costantinopoli e a altri amici che aveva colä, di adoprarsi in tal senso.6 Se non si trattasse di Gregorio, non esiteremmo a interpretare il tutto in chiave di un ben orchestrato gioco delle parti familiare. Ma un certo gioco ci fii comunque, non potendosi ascrivere a pura coincidenza che il fratello si trovasse a occupare la carica, che anni prima era stata di Gregorio, proprio nel momento in cui questo veniva eletto papa. L'ultimo prefetto menzionato nel Registro (IX, 117 e 118) e il gloriosissimus filius noster Iohannes, in carica nel 599, quello che Gregorio voleva aiutare a ricongiungersi con la moglie. Dopo, non abbiamo notizia di altri prefetti di cittä fino al 772. A parte questa menzione isolata, la serie riprenderä regolarmente solo nel 965, in etä ottoniana, ma questi nuovi prefetti di cittä avevano la sola responsabilitä dell'esercizio della giurisdizione penale. Che ci sia stata nel frattempo una interruzione b confermato del fatto che, nella tradizione manoscritta del Registro, la parola praefectura appare spesso corrotta in praetura·. „prefettura" era ormai, evidentemente, un termine senza piü corrispondenza in un'istituzione esistente e, dunque, addirittura scambiabile con un altro che aveva lo stesso prefisso. In conclusione, come constatava giä all'inizio del 593 lo stesso Gregorio, appare „spento nella Cittä il fasto delle dignitä secolari". Ma, benchd giustificata all'interno del contesto di forte tensione escatologica in cui si trova inserita, I'osservazione coglie solo la superficie delle cose. Col senno di poi sarebbe piü esatto dire che il „fasto delle dignitä secolari" passava dalla res publica alia Chiesa. £ ciö di cui sembra essersi reso oscuramente conto l'estensore dell'epigrafe metrica apposta alia tomba
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Cfr. Ch. Diehl, Etudes sur l'administration byzantine dans I'Exarchat de Ravenne (568-751), Paris 1888, p. 127, per i prefetti di cittä citati nel Registro. N o n tutti i menzionati ricoprirono perb con certezza tale carica. Per esempio, έ quasi da escludere che sia stato prefetto di cittä il Quertinus (cfr. Registrum IX, 6), che aveva chiesto a Gregorio di appoggiare la candidatura di un tale Bonitus a una carica ch'egli stesso aveva ricoperto in precedenza (si tratta, invece, della pretura di Sicilia). Ma se Gregorio era ritenuto in grado di intervenire nella nomina del pretore di Sicilia, a maggior ragione era in condizione di farlo per la nomina del prefetto di cittä.
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Cfr. O. Bertolini, Roma di fronte a Bisanzio e ai Longobardi, Bologna 1941, pp. 2 3 7 - 2 3 8 (per questo episodio cfr. Gregorii Turonensis Historia Francorum, X, 1, ediz. a cura di B. Krusch/W. Levison, p. 478).
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di Gregorio Magno lä dove chiama questo consul Dei. „Console" non e probabilmente un traslato, bensl un riferimento puntuale al titolo onorifico che Gregorio doveva avere ricevuto dall'imperatore quando aveva ricoperto la massima carica cittadina. 7 II genitivo che segue (,,di Dio") sta a significare che Gregorio, in un certo senso, aveva continuato a essere un console anche dopo essere diventato papa. Era, insomma, passato da una condizione all'altra, portandosi dietro il „fasto delle dignitä secolari" cui era stato elevato quando era ancora un laico. II fenomeno in corso a Roma era ancora piü grave di quello cui aveva cercato di porre riparo l'imperatore Maurizio con la legge che stabiliva che chi facesse parte della pubblica amministrazione non poteva andare a ricoprire una carica ecclesiastica e che chi svolgesse una funzione pubblica ο appartenesse a qualsiasi titolo all'esercito non poteva entrare in un monastero prima che fosse terminato il suo periodo di servizio. Ε non importava ora che Gregorio, da parte sua (cfr. Registrum III, 61 e 64), approvasse il primo comma, che aveva dei precedenti in disposizioni canoniche, e condannasse il secondo, in quanto vi vedeva un ostacolo alle vocazioni monastiche (non dimentichiamo che egli non era passato direttamente dal servizio pubblico al diaconato, ma aveva fatto tappa per qualche anno in un monastero). Ciö che piuttosto importa di sottolineare e che, a Roma, a parte la continua emorragia di energie e di competenze, che era in atto anche qui a danno dell'apparato statale, e a cui ne la legge di Maurizio ne altra consimile sarebbe stata in grado di owiare, erano le stesse funzioni pubbliche che tendevano a emigrare, come per un processo di osmosi, dalla sponda dello stato a quella della Chiesa. Il risultato di questo processo fu l'ampliamento del „potere temporale" dei papi, premessa necessaria alia formazione del loro „dominio temporale", con tutto quello che ne conseguirä per la storia d'ltalia; ma anche, nel medesimo tempo, la soprawivenza in loco, nell'unica forma imbastardita che le circostanze consentivano, della tradizione politicoamministrativa romana e della connessa „idea di Roma". La notizia secondo cui l'esarca d'ltalia Eleuterio, che si era ribellato a Eraclio verso la fine del 619, e aveva indossato la porpora a Ravenna e chiesto di essere incoronato imperatore, fu esortato dall'arcivescovo Giovanni IV a recarsi invece a Roma, ubi imperii solium maneret („dove sussisteva il trono, cioe la sede, dell'impero") e stata autorevolmente interpretata come un indizio del fatto che il senato, la cui autorita soltanto avrebbe potuto sanare l'illegalita delle pretese dell'esarca ribelle, era ancora in vita nel secondo decennio del sec. VII. 8 In realtä, la notizia, se attendibile, dimostra che Roma, in virtu del processo di osmosi cui abbiamo fatto riferimento, continuava a essere, ο ad apparire (il che era poi lo stesso), Yurbs regia di sempre, anche se il senato aveva cessato di esistere. 7
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Cfr. O. Bertolini, Appunti per la storia del Senato di Roma durante il periodo bizantino (1951), in: Idem, Scritti scelti di storia medioevale, I, Livorno 1968, p. 237, n. 35. Cfr. Bertolini (cit. a nota 7) pp. 2 4 6 - 2 6 2 .
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All' inizio del 593, nel riprendere le omelie su Ezechiele al punto in cui il profeta park delP„edificio costruito sul monte" (il Nuovo Tempio), Gregorio aveva awertito i fedeli che c'erano due cose che lo turbavano: primo, questa ultima visione di Ezechiele era cosl oscura che solo a stento riusciva a capire cosa volesse dire; secondo, Agilulfo, re dei Longobardi, attraversato il Po, puntava su Roma a marce forzate. La chiusa di una delle omelie (II, 6), tenuta in quei mesi d'ansia, trascorsi nell'attesa snervante dei barbari, che - come spesso accadeva - si facevano attendere, costituisce, nella sua ornata e trascinante eloquenza di cui presto sarebbe andato perduto anche il ricordo nella stessa Roma, una citazione d'obbligo in ogni racconto della fine di Roma antica. Ma e anche una testimonianza diretta della complessitä e contraddittorietä dei sentimenti che animavano chi era chiamato dalle cose a fare fronte sul posto alia catastrofe incombente, prowedendo quotidianamente alle necessity elementari del sostentamento, e della difesa, dei rimasti e dei soprawissuti. Nel quadro della generale, giä incombente rovina deWorbis Romanus, che, in una visione fortemente intrisa di motivi escatologici, e per lui, l'intero ecumene, la rovina di Roma, che Gregorio aveva davanti agli occhi, e prospettata in termini di distruzioni materiali, ma soprattutto di morti e, ancor piü, di abbandoni volontari. La parola-chiave del passo & vacua: Roma e ormai una cittä vuota. Ma l'accento batte qui, in particolare, sui senatori che non c'erano piü, perch^ erano stati essi e le loro famiglie a dare il tono alia cittä. Non e, dunque, tanto una catastrofe di carattere demografico quella che Gregorio registra, quanto una catastrofe di carattere, insieme, politico e sociale - una catastrofe civile. Una catastrofe, anche, meritata. Il pontefice fa presente che i peccati, la superbia dei senatori e dei loro figli erano stati in tale modo giustamente puniti. Ma, al di lä degli stereotipi del prowidenzialismo cristiano, si awerte che la sua voce si increspava nel rievocare la grandezza senatoria perduta. All'interno di un contesto in cui rendeva atto che giustizia era stata fatta, egli prospettava le conseguenze funeste dell'awenuta dispersione dell'ordo senatorius. Non a caso, Gregorio intraprese un'azione capillare a favore del rientro di qualcuno, almeno, dei partiti (cfr. Registrum VIII, 22). L'iniziativa come tale era votata all'insuccesso, ma il fatto che Gregorio l'avesse presa conferma che l'accenno a „Roma vuota" nell'omelia del 593 non era solo un'iperbole. D'altro canto, lo stato di abbandono in cui versava la cittä rendeva per contrasto ancora piü imprescindibile la speciale protezione che Gregorio asseriva esercitasse su di essa il principe degli apostoli e che, in sostanza, si risolveva in una nuova, inedita forma di appropriazione di Roma da parte della Chiesa, giä diversa da quella che - sul piano, allora, ben piü elevato della teologia della storia - era stata attuata fra la fine del sec. IV e la metä del successivo. Ma sempre riguardo aH'appropriazione cristiana e papale di Roma, nessuna formazione discorsiva avrebbe potuto aspirare al grado di espressivitä di cui era stata rivestita la grande processione espiatoria e propiziatoria {septiformis laetania), che Gregorio indisse una settimana dopo la morte di Pelagio II, quando era giä
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stato eletto, ma non ancora consacrato. Un mercoledl mattina, sette cortei - uno per ciascuna regione ecclesiastica - mossero da altrettante chiese, per convergere su S. Maria Maggiore e dare vita a una lunga preghiera comune. Cio che mette soprattutto conto di sottolineare e il criterio in base al quale essi vennero formati, che non era stato quello della residenza dei partecipanti, pure distinta, ora, secondo le sette regioni „ecclesiastiche", che dalla fine della guerra goto-bizantina avevano del tutto scalzato le quattordici „augustee", bensi grosso modo quello, tipicamente ecdesiale, dei diversi gradi di perfezione (cfr. Registrum, Appendix IX). Se si pensa che, ottant'anni prima, era ancora questione di Verdi e di Azzurri nel Circo, e di „famiglie" di schiavi senatorii che si azzuffavano per le strade di Roma,9 si deve concludere che il rimescolamento di carte awenuto nel frattempo non avrebbe potuto esse re piü radicale. In una giornata, come quel mercoledl del febbraio 590, in cui era in gioco la salvezza di Roma, il senato pare come eclissato. Poco importa, al confronto, ritrovarlo in qualche modo presente, tredici anni dopo, al ricevimento ufficiale dell'icona di Foca e di Leonzia al Laterano. Gregorio non si limitava a predicare su Ezechiele, a scommettere sulla virtus protettiva dell'apostolo Pietro, a organizzare processioni penitenziali. Per allontanare le minacce incombenti operava anche nei modi consueti della politica, della diplomazia, della stessa arte militate. Ma si avrebbe torto a isolare quest'azione dal resto della sua attivitä pastorale, comprese le prediche su Ezechiele. Cio che andrä perduto nei suoi successori non sarä tanto la capacitä di intervenire con efficienza romana nelle cose del secolo (anche se manca per essi il riscontro, unico nel suo genere fino al pontificato di Giovanni VIII [872-882], del Registrum epistularum), quanto la cultura e l'ispirazione necessaria a prendere di petto Ezechiele, coglierne un messaggio adatto all'attualitä e trasmetterlo agli altri. A meno che non si voglia, come Erich Auerbach, capovolgere i termini del problema e risolversi ad ammettere che di li a poco sarebbero stati piuttosto i destinatari del messaggio - il pubblico dei lettori/ascoltatori - a venire meno anche a Roma.10 In un caso come nell'altro, si dovra registrare la perdita di un ingrediente essenziale dell'immagine di Gregorio, quale risulta dall'insieme delle sue azioni e dei suoi scritti: la componente profetica ed escatologica, che, in un uomo di Chiesa, rappresenta - se autentica - l'unico vero elemento equilibratore rispetto ai possibili processi involutivi innescati da un esercizio prolungato di prerogative temporali. Si raccontava che, nel 452, quando si era trattato di scongiurare la minaccia di Attila contro Roma, l'intervento di papa Leone I fosse stato decisivo. Quell'antico
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Cfr. Ch. Pietri, Le senat, le peuple chretien et les partis du cirque ä Rome sous le pape Symmaque (498—514), (1966), in: Idem, Christiana respublica. Elements d'une enquete sur le christianisme antique, II, £cole fran^aise de Rome 1997, pp. 7 7 1 - 7 8 7 .
10
Gfir. E. Auerbach, II pubblico occidentale e la sua lingua, in: Idem, Lingua letteraria e pubblico nella tarda antichitä latina e nel Medioevo, Milano 1960, pp. 2 1 5 - 3 0 5 .
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episodio era pero awolto in un aura di leggenda edificante e, comunque, esso ed eventualmente altri dello stesso genere, accaduti al tempo della guerra goto-bizantina, non erano stati che episodi isolati. Ora, con i Longobardi venuti in Italia da invasori e intenzionati a restarvi, e l'impero che aveva accantonato, almeno per il momento, la prospettiva di ricacciarli del tutto, la situazione era molto diversa. Non erano certo tornati i tempi di subito dopo il 476, quando papato e senato, in concordia discors, si erano venuti a trovare al centro della complessa partita in corso fra i re di Ravenna e gli imperatori di Costantinopoli. Ma la situazione attuale non era nemmeno piü quella che si era creata durante la guerra goto-bizantina, quando era potuto accadere che papa Silverio venisse deposto dal comandante in capo delle truppe imperiali in Italia, solo perche sospettato di essere in contatto con i nemici dell'impero che assediavano Roma. Fra il regno longobardo e i ducati di Spoleto e di Benevento, da un lato, e l'esarcato d'ltalia, dall'altro, vigeva una tregua di fatto, che si risolveva in un tacito riconoscimento reciproco dello statu quo. Ε quando, di tanto in tanto, si ricominciava a combattere, e i Longobardi dell'una e dell'altra pertinenza sembravano sul punto di minacciare Roma, il fatto che Gregorio, a piü riprese, si adoperasse attivamente per negoziare una tregua vera e propria poteva anche essere disapprovato dall'esarca ο dallo stesso imperatore, che difatti non mancavano di manifestargli il loro disappunto, ma non gli veniva piü in alcun modo imputato come un tradimento e, tanto meno, come uno sconfinamento in un campo che non era il suo.11 Un ritornante motivo di contrasto fra papa e esarca (in particolare, l'esarca Romano [589-596]) stava, semmai, nello scarso, ο nessun zelo che questo metteva nel premere sugli scismatici tricapitolini della Venetia et Histria per un loro pronto rientro nell'obbedienza romana. A Gregorio, che certo sapeva con quanta pena il suo predecessore Vigilio si fosse a suo tempo piegato all'imposizione di sottoscrivere la condanna dei Tre Capitoli, riusciva infatti intollerabile la disinvoltura con cui ora, sempre in nome di ragioni politiche contingenti, l'autorita imperiale transigeva con quegli scismatici, fermi nel rifiuto di quella che era ormai la dottrina della Chiesa universale, fissata nei canoni del quinto concilio ecumenico. Gregorio concepiva la propria attivitä di negoziatore di tregue solo come un'estensione naturale della tradizionale pratica cristiana del riscatto dei prigionieri 12 e era il primo a essere convinto che „l'autoritä sovrana degli imperatori stesse a un livello piü alto del potere di re di genti barbare". 13 Non aveva, inoltre, la minima
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A differenza di quanto si sostiene nel testo, Bertolini (cit. a nota 6, p. 253) vede nel rimprovero di Maurizio a Gregorio un invito a non occuparsi di questioni di politica estranee al suo ministero ecclesiastico.
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Cfr. J. Richards, The Popes and the Papacy in the Early Middle Ages, 4 7 6 - 7 5 2 , London-BostonHenley 1 9 7 9 , p. 3. Cfr. O. Bertolini, Roma e i Longobardi, Roma 1972, p. 20.
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considerazione ο simpatia per i Longobardi nel solco della tradizione di filobarbarismo cristiano che faceva capo a Salviano, e, quando nel febbraio del 591 lamentava di essere stato eletto non Romanorum, sed Langobardorum episcopus, la sua era una preoccupazione reale e attuale, fondata proprio sui pericoli che comportava l'inevitabile venire a patti con loro: „come i miei peccati meritavano, sono diventato vescovo non dei romani, ma dei Longobardi, i patti con i quali sono come spade e la loro grazia un castigo" (cfr. Registrum I, 30). Sempre preoccupato dei movimenti minacciosi di Agilulfb, Gregorio cerco di fargli arrivare un suo segnale nel settembre del 593, valendosi dei buoni uffici dell'arcivescovo di Milano, Costanzo, che da Genova (ancora bizantina) dove risiedeva, era in grado di fornire informazioni di prima mano e di tenere i contatti con i Longobardi del regno. II papa non sapeva se fossero giä in corso delle trattative e avrebbe gradito delle notizie in merito, ma Costanzo era pregato fin d'ora di informare il re che, se da parte sua, c'era una disposizione a trattare con l'impero, egli era pronto a spendersi di persona in suo favore {paratus sum in causa eius me impendere, Registrum IV, 2). Un'altra possibile strada per arrivare a Agilulfb passava attraverso la regina Teodelinda, non ariana come i Longobardi, bensl cattolica fautrice pero dei cattolici scismatici dell'Italia settentrionale (a diflferenza del suo predecessore Lorenzo II, Costanzo aveva assunto un atteggiamento ambiguo circa la condanna dei Tre Capitoli, Registrum IV, 3).14 Perche questo secondo canale diventasse praticabile occorreva, dunque, anzitutto fare in modo che la regina rientrasse nella comunione della Chiesa: una lettera di Gregorio in tale senso andava acclusa a quella per l'arcivescovo di Milano (cfr. Registrum IV, 4). Come si vede, il piano su cui Gregorio si muoveva era sottilmente politico. Ma la strada dell'esercizio del potere temporale si rivelava fino dall'inizio irta di difficoltä e di contraddizioni. Rifiutare le offerte che gli venivano di continuo rivolte da parte di individui disposti a assumersi l'incarico di liquidare fisicamente questo ο quel capo longobardo, era ancora una linea di condotta costante e obbligata per chi, „essendo timoroso di Dio, paventa di immischiarsi nella morte di un qualsiasi uomo". Anche se va subito soggiunto che, per Gregorio, il fatto di trovarsi, comunque, nella condizione di dovere dire di no a siffatte proposte, che a lui, e non a altri, venivano rivolte, non sembra costituire in alcun modo un motivo di disagio: ,,se io, loro servo, avessi voluto immischiarmi nella morte di longobardi, oggi questo popolo non avrebbe ne re, ne duchi, ne conti, e sarebbe ridotto in uno stato di completa anarchia" (cfr. Registrum V, 6). Gregorio era stato indotto a prendere posizione sul problema degli assassini politici, perche egli stesso era vagamente accusato di averne perpetrato uno facendo uccidere nel carcere di Roma, dove si trovava reduso, un vescovo, Malco, giä rettore
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Cfr. R. A. Markus, Gregory the Great and his world, Cambridge 1997, pp. 135-136.
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del patrimonio della chiesa romana in Dalmazia. Si potrebbe obiettare che questa sua replica aveva se no η altro il difetto di volere provare troppo. Ma ciö che piü importa di sottolineare e che il punto, venuto cosl in discussione, dell'owia illiceita di quel determinato modo, assai diretto e incisivo, di fare politica costituiva pur sempre un caso-limite. I problemi che poneva a Gregorio l'esercizio quotidiano del potere temporale erano, di norma, molto piü sfiiggenti e sottili. Con Tintenzione neanche tanto nascosta di rimproverarlo, ma avendo 1'aria di volergli indorare la pillola con un complimento che avrebbe potuto riuscirgli gradito, una volta l'imperatore Maurizio lo tacciö di simplicitas per il modo in cui, anni addietro, si era condotto con il duca di Spoleto, Ariulfo. Gregorio colse 1'occasione per montare in pulpito e svolgere nella risposta (che e del giugno 595) la tematica tipicamente evangelica, ma non priva di precisi antecedenti vetero-testamentari, dell 'estote ergo pmdentes sicut serpentes et simplices sicut columbae. „Semplice" disgiunto da „prudente" - replicava Gregorio - voleva dire solo „stupido"; e tale egli ammetteva di essere veramente, ma non per il motivo addotto da Maurizio, bensl solo perchd aveva accettato di ridursi a vivere nelle condizioni in cui viveva, „tra le spade dei Longobardi" (cfr. Registrum V, 36): e impossibile dire a quale condizione di vita alternativa egli pensasse; forse all'habitus della sancta conversatio monastica, che aveva dismesso una quindicina d'anni prima. A parte 1'innegabile arguzia della risposta, resta il fatto che, se, come prospettato ai dodici apostoli nell'atto di inviarli a predicare la buona novella, il famoso consiglio di Gesü - che nel testo di Matteo (10,16) e proprio alia giuntura fra la prima sezione del discorso, dedicata alia missione da compiersi subito, e la seconda, che comprendeva le consegne valide per quando lui non ci fosse stato piü - era giä di difficilissima e controversa applicazione pratica; la sua estensione al caso dell'uomo di Chiesa dotato di responsabilitä temporali, che sembra implicita nell'utilizzazione del passo da parte di Gregorio, vedeva quelle difficoltä oltremodo accresciute, anche perche e da escludere che questo propendesse a leggere in quel consiglio nient'altro che un'autorizzazione, per coloro che si trovassero a operare in condizioni analoghe alle sue, a essere, senza piü remore di sorta, „prüdenti come i serpenti". Questa lettura semplificata del passo di Matteo aveva un grande awenire davanti a se, che in parte coinciderä con gli ulteriori sviluppi del potere e del dominio temporali dei papi. Per ciö che per il momento lo concerneva, Gregorio si limitava a dire che la simplicitas da sola, per chi sedeva sulla cattedra di Pietro con i Longobardi alle porte, equivaleva a dabbenaggine. Gli sforzi per fermare Agilulfo prima che fosse troppo tardi non servirono a nulla: nell'ottobre di quello stesso anno 593 in cui Gregorio aveva scritto all'arcivescovo di Milano Costanzo la lettera di cui s'e detto, il re longobardo pose l'assedio a Roma. II pontefice, allora, interruppe le omelie su Ezechiele, dopo averne dato l'annuncio ai fedeli (II, 10): „Nessuno se la prenda con me, se, dopo la predica di oggi, smetterö di parlare. Come tutti potete vedere, le nostre tribolazioni sono ancora aumentate. Da tutte le parti siamo circondati da spade; da tutte le parti
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incombe su di noi un pericolo di morte. Alcuni vengono da me con le mani mozze; di altri sappiamo che sono stati fatti prigionieri; di altri ancora che sono stati uccisi [...]. Nessuno ormai puö pretendere che io mi applichi all'eloquenza sacra, perche, come dice Giobbe, 'a1 lamento e servita la mia cetra e il mio organo alia voce di coloro che piangono'". Dapprima, Gregorio si impegnö con tucte le sue force nell'organizzare la difesa insieme con i rappresentanti del governo imperiale, poi, quando il grano, che non si era potuto immagazzinare nella quantitä desiderabile, comincio a scarseggiare, decise di awiare trattative dirette con Agilulfo, senza chiedere un benestare preventivo a Ravenna. Ottenuta la promessa del versamento di un tributo annuo, della cui entitä (500 libbre d'oro?) non siamo informati - ne sappiamo se, sborsata dalla Chiesa la prima rata, Gregorio si proponesse di accollare all'impero il pagamento delle successive - , all'inizio del 594 il re longobardo tolse l'assedio. Giä nell'estate del 592, il papa aveva stipulato con Ariulfo, l'ancora pagano duca di Spoleto, che era penetrato con i suoi nella Tuscia, l'accordo su cui — come s'e visto — Maurizio trovava da ridire, ma che all'impero non era costato nemmeno un soldo {sine ullo reipublicae dispendio fecerani). Anche se allora non gli si era voluto prestare fede, facendolo indebitamente passare — lui che serviva la Veritä — per un volgare mentitore, Gregorio tornava a ribadire che Ariulfo era a quel tempo fermamente intenzionato a venire a patti con l'impero (venire ad rempublicam paratus). Era stato, percio, un errore perdere l'occasione che si presentava, mandando tutto all'aria (cfr. Registrum V, 36). Anche dell'accordo stipulato dal papa con Agilulfo alia fine del 593 Maurizio si mostrava tutt'altro che soddisfatto, accusando di gravi negligenze durante l'assedio sia il prefetto della cittä (o del pretorio), Gregorio, che il magister militum Casto. Ma Gregorio, sempre nella lettera piü volte citata del giugno 595, prendeva su di se l'intera responsabilitä dell'accaduto, testimoniando che i due avevano fatto il loro dovere fino in fondo e insinuando che, attraverso le loro persone, era, in realtä, lui stesso che si voleva colpire. Venendo subito dopo il passo in cui Gregorio - nell'atto di esigere che l'imperatore usasse la debita reverentia nei confronti dei sacerdotes in genere e di lui in particolare, per il riguardo spettante a Colui di cui essi erano servi - riconosceva che l'imperatore era pur sempre il suo „signore su questa terra" (ex terrenapotestate dominus), la giustificazione dell'operato di Gregorio e di Casto, per i termini in cui era formulata, lasciava intendere che, per quel che riguardava Roma, a esercitare in concreto, al massimo livello, la terrena potestas, rispondendone di persona all'imperatore medesimo, era ormai il papa. Una cinquantina d'anni piü tardi, l'episodio di Gregorio e di Agilulfo verrä presentato (cfr. Auctarii Havniensis extrema, 17, ediz. a cura di Th. Mommsen, in M. G. Η., AA., 9 [1892], p. 339) come se fosse stato il bis di quello famoso di Leone I e di Attila: ma scrivendo un anno e mezzo dopo (1° giugno 595) all'imperatrice Costantina, Gregorio aveva suggerito una versione dell'accaduto ben altrimenti realistica: „alio stesso modo che, a Ravenna, presso l'esarca d'ltalia, avete
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un sacellarius, il quale, quando se ne presenta la necessitä, tira fuori giorno per giorno il denaro occorrente, cosl anch'io, qui a Roma, fungo, negli stessi casi, da vostro sacellarius" (cfr. Registrum V, 39). L'attitudine all'ironia che si rifletteva nella lettera appena citata a Costantina e nella contemporanea lettera a Maurizio (,,se non fossi stato uno stupido" etc.), era manifestazione di una capacitä di prendere le distanze dalle cose di questo mondo, che veniva a Gregorio dalla particolare cultura di cui era nutrito. Anche l'ironia, come la dimensione escatologica, rappresentava un correttivo delle deformazioni indotte dal crescente impegno temporale, ora che tutto spingeva in tale direzione. Doveva trascorrere solo qualche decennio, perche quello che, nella lettera di Gregorio a Costantina, era ancora soltanto un tratto di pungente ironia, diventasse una realtä istituzionale: in nome dell'imitatio imperii, anche l'amministrazione centrale pontificia avrebbe avuto un proprio sacellarius e, accanto a questo, un vestararius, ο „guardarobiere papale". Nel 598, una tregua fu, infine, stipulata fra l'esarca Callinico e re Agilulfo. Gregorio, che aveva avuto una parte attiva nelle trattative attraverso la persona di Probo, abate del monastero romano dei SS. Andrea e Lucia (detto anche Renati), espresse subito a un funzionario deH'amministrazione ravennate la sua soddisfazione per il risultato conseguito dai loro sforzi comuni, ma rifiuto di sottoscrivere anch'egli l'accordo, come invece pretendeva Agilulfo, che evidentemente dubitava delle reali intenzioni della controparte. A scusa del rifiuto, il papa adduceva le ingiurie (poi ritrattate) che il re longobardo gli aveva in precedenza rivolte, ma soprattutto il fatto che egli aveva agito solo come intermediario, di modo che, se 1 'accordo non fosse stato rispettato (si intende, dall'esarca), la sua credibilitä di negoziatore sarebbe venuta meno e, presentandosi ancora, „Dio ci scampi", la necessitä di rivolgere a Agilulfo una richiesta del genere, questo avrebbe potuto trarre motivo dall'esperienza fatta per rispondere di no. Tutt'al piü, se il re insisteva nel pretendere la garanzia di un'altra firma di ambiente romano, si poteva pensare ο a suo fratello, ο a un vescovo, ο all'arcidiacono (cfr. Registrum IX, 44). Pronto a trattare con i Longobardi a nome dell'impero, Gregorio, la cui autoritä aveva un fondamento indipendente dall'impero medesimo, rispondeva solo di se e delle sue azioni. In piü delle ragioni di principio che lo sconsigliavano di apporre la sua firma sotto l'accordo intervenuto fra l'esarca e Agilulfo, Gregorio aveva un altro preciso motivo di carattere politico-militare per dichiararsene insoddisfatto. Ariulfo, duca di Spoleto, aveva sottoscritto l'accordo del 598 solo sub condicione, il che voleva dire, che almeno in his partibus - nell'Italia, cioe, centro-meridionale - , la pace tanto desiderata non sarebbe stata di nessun aiuto e sarebbe stato, comunque, imprudente abbassare la guardia nei confronti dei nemici di oggi, che niente garantiva non avrebbero continuato a essere i nemici di domani.
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Nel Registro delle lettere, il ducato di Roma e in pratica assente.15 έ presente invece, almeno sullo sfondo, l'Italia, che il pontefice chiama „la sua terra" (cfr. Registrum V, 36). I suoi disgraziati contadini, che contribuivano a sostentare i combattenti di entrambe le parti in conflitto, avrebbero dovuto continuare a pagare anche un pesante tributo di sangue, se la tregua non fosse stata finalmente stipulata (cfr. Registrum IX, 66). Con un'accentuazione nuova e diversa, Gregorio interpreta cosi quello che restava dei sentimenti di autonomismo italico e occidentale dei romani della penisola. Anche Narsete, con la sua aureola di proconsole vittorioso, insediato nella dimora dei Cesari sul Palatino, aveva probabilmente cercato di costruirsi una sua posizione di potere personale in Italia, facendo leva su quegli stessi sentimenti. 16 Ma in Gregorio la lealtä nei confront! dell'impero era fuori discussione (ciö che non potrebbe dirsi con altrettanta sicurezza di Narsete) e il suo richiamo, anche polemico, alle condizioni in cui versavano l'Italia e le sue genti non aveva nessun sottinteso potenzialmente eversivo. A dare risalto alia posizione del papa a Roma e, indirettamente, in Italia avevano contribuito, da un lato, il definitivo spostamento a Ravenna, dopo la parentesi di Narsete, del centro del governo imperiale nella penisola e, dall'altro, l'agonia del senato e della prefettura urbana. Posto alle dipendenze dell'esarca, il comandante della guarnigione di Roma scompariva di fronte al vicario di s. Pietro. Questi decisivi progressi sul piano del potere temporale si accompagnarono perö a una certa diminuzione del prestigio della chiesa romana in Italia sul piano piü propriamente ecclesiastico. Se si consideri la contemporanea crisi del patriarcato d'Occidente non si puö non concludere che soltanto la straordinaria statura intellettuale, spirituale e morale di questo papa riuscl a compensare, almeno in parte, quella che, esaminando le cose a posteriori con il dovuto distacco, si configurava come una brusca svolta riduttiva, in senso temporalistico, della chiesa romana. Se il ducato di Roma, come tale, e assente dal Registro, e l'Italia nel suo complesso (indifferentemente, bizantina e longobarda) vi appare nella forma, alia fine dei conti, vaga, che si b vista, sono anzitutto Roma cittä e poi l'Italia centro-meridionale a costituire i due ambiti distinti, cui Gregorio rivolge, benche con intensitä e continuitä di gran lunga maggiore per il primo dei due, le sue cure particolari di uomo di Chiesa con estese responsabilitä temporali. Che uno dei due ambiti sia Roma non sorprende, dal momento che Gregorio ne e il vescovo. II ritrovarlo nelle vesti di pater civitatis nelle ore di pericolo ci riporta alle tipiche tradizioni dell'Occidente tardoantico. Piü complesso si presenta il discorso per ciö che concerne l'Italia centro-meridionale, perchd qui non c'era la falsariga di una circoscrizione
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Cfr. P. Toubert, Les structures du Latium m£di£val. Le Latium meridional et la Sabine du IXe sitcle ä la fin du Xlle sii:cle, Rome 1973, p. 790, n. 2. Cfr. Bertolini (cit. a nota 6) p. 221.
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ecclesiastica (ηέ, del resto, civile): laprovincia romana, ammesso che di unaprovincia ecclesiastica romana si possa dawero parlare, era molto piü vasta. In questo caso, giocava probabilmente anche il ricordo di una comunanza di destino che si era stabilita fra Roma e Napoli al tempo della guerra goto-bizantina. Sentendosi investito di una responsabilitä particolare nei confronti di alcune regioni d'ltalia, Gregorio, senza perdere mai di vista il quadro d'insieme, non esitava a farsi interprete delle loro specifiche esigenze. Lo abbiamo constatato in riferimento alia lettera in cui esprimeva perplessitä circa l'efficacia che l'accordo del 598, da cui restavano in pratica esclusi sia il duca di Spoleto che quello di Benevento, avrebbe avuto per „queste parti" d'ltalia piü sue. Ε anche nella lettera a Agilulfo del novembre-dicembre 598, giä citata per l'accenno al paventato tributo di sangue dei contadini italiani, il pontefice, nell'invitare il sovrano longobardo a vegliare sulla pace appena conclusa, approfittando di ogni occasione che si fosse presentata per premere sui suoi duchi affinche custodissero la pace stessa, chiedeva che cure speciali in tale senso venissero riservate ai duchi in his partibus constitute, dato che qui - per le note ragioni - la pace era molto piü fragile che altrove. Ma era stato soprattutto in una lettera dettata nel maggio del 595, che, sempre in relazione a quella benedetta pace di cui 1'esarca Romano si ostinava ancora a non voler sentire parlare, Gregorio aveva avuto cura di distinguere i due, ο forse tre ambiti, rispetto ai quali graduava il suo impegno per le cose italiane. Nella lettera in questione, egli prospettava, in primo luogo, l'eventualita, di gran lunga preferibile, di una „pace generale", che Agilulfo non avrebbe rifiutata se anche 1'esarca fosse stato d'accordo, e, quindi, ma solo in via subordinata, la possibilitä di addivenire egli stesso a una „pace speciale", secondo quanto gli veniva proposto; in questo secondo caso, „diverse isole e diverse altre localitä" sarebbero state infatti votate a sicura rovina (cfr. Registrum V, 34).17 La possibilita di una pace separata non veniva, come si vede, scartata per ragioni di principio, ο di competenza (si noti che il destinatario era un funzionario del governo di Ravenna), ma perch£ — per motivi che non riusciamo nemmeno a intravedere — egli riteneva che questa si sarebbe ritorta a danno di altre regioni d'ltalia (in particolare, le isole), che, bench^ non coperte dall'accordo, gli stavano altrettanto a cuore. Puntualmente, in una lettera dell'aprile del 596, „queste parti" e le „diverse isole" appaiono accomunate nella denuncia del grave pericolo cui erano state esposte (cfr. Registrum VI, 33), risultando cos! confermata l'estensione dall'Italia centro-meridionale alle isole (in primo luogo, alia Sardegna) della zona di piü diretto impegno temporale del papato. Solo pro memoria, e senza per questo volere prendere posizione nella controversa questione relativa al preteso diritto che, fondandosi sulla Donazione di Costantino, il papato
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Cfr. Bertolini (cit. a nota 6) p. 253.
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avrebbe vantato sulle isole a partire dalla fine del sec. XI,18 va notato che l'espressione diversae insulae ricorre anche nella Donazione, la dove (§ 13) sono enumerate le provincie in cui erano compresi i beni fondiari destinati ad assicurare le rendite necessarie all'alimentazione delle lampade delle basiliche di S. Pietro e di S. Paolo. La conferma palmare dell'esistenza di una zona di maggior impegno temporale del papato all'epoca di Gregorio Magno, diversa, anche perche molto piü vasta, di quello che era ο sarä il ducato di Roma, la ofFrono le lettere del Registro in cui, piü che nelle vesti di diplomatico negoziatore di tregue, Gregorio compare in quelle di comandante militare, spesso con una sua visione strategica che cercava di far valere in contrasto con gli orientamenti prevalenti a Ravenna. Mi riferisco, in particolare, ad alcune lettere della seconda metil del 592. Scrivendo ai magistri militum bizantini operant! a nord di Roma, il pontefice insiste anzitutto sulla necessitä che si tenessero pronti a prendere alle spalle Ariulfo, se questo si fosse risolto a muovere contro Roma. A ogni buon conto, Gregorio lesinava l'invio di rinforzi che veniva sollecitato dai suoi corrispondenti, impegnati a ricostituire il corridoio fra Ravenna e Roma, porro unum della strategia esarcale. Ma, a parte il problema immediato della sicurezza di Roma, che era al centro - e lo si comprende bene - delle sue preoccupazioni (tanto έ vero che, temendo il peggio, si risolverk a stipulare una tregua col duca di Spoleto), anch'egli aveva presente un quadro piü ampio, d'insieme. Solo che, a differenza dell'esarca, le comunicazioni che voleva a tutti i costi salvaguardare, non erano quelle fra Ravenna e Roma, bensl quelle fra Roma e Napoli, minacciate da Arechi, duca di Benevento, in combutta con Ariulfo. Ancora nell'aprile del 598, Gregorio έ in ansia per la sorte di Terracina, il cui possesso era essenziale a tali fini, e scrive al vescovo di quella cittä di esigere da tutti la scrupolosa osservanza dell'obbligo di guardia alle mura, non tenendo conto delle proteste di quanti tentavano di sottrarsi a esso, con la scusa di essere dei dipendenti della chiesa romana ο di altra chiesa (cfr. Registrum VIII, 19). L'interesse mostrato da Gregorio, sul piano politico-militare, per lo scacchiere centro-meridionale (e, in particolare, per il mantenimento del corridoio RomaNapoli), nonche per le isole, doveva avere anche una precisa valenza economica. Da queste due aree la Chiesa ricavava la maggior parte dei redditi con cui prowedeva al sostentamento dei romani. £ naturale che usasse nei loro confront! di un occhio di riguardo. Solo il giorno in cui, per una ragione ο per l'altra, non si fosse potuto piü disporre dei patrimoni meridionali e insulari, sarebbe stata presa in considerazione la possibility di valorizzare maggiormente i patrimoni piü prossimi a Roma. £ impossibile dire fino a che punto la situazione che la corrispondenza di Gregorio attesta per i patrimoni fondiari della chiesa romana (soprattutto per quelli siciliani)
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Cfr. L. Weckmann, Las Bulas Alejandrinas de 1493 y la teoria politica del papado medieval: estudio de la supremacia papal sobre islas, 1 0 9 1 - 1 4 9 3 , Mexico 1949.
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fosse comune anche alle altre proprietä ecclesiastiche, e a quelle senatorie, ο se ne distaccasse per questo ο quell'aspetto. Indubbio rilievo sembra comunque meritare, in tale contesto, l'esistenza, all'interno del Patrimonium Calabritanum, di un castello (nel senso di centro abitato sistemato a difesa) - il castrum Callipolitanum (Gallipoli) popolato da rustici ecclesiae, che assolvevano anche a una funzione di carattere militare. £ vero che un altro di questi castra, quello di Squillace, sorgeva su suolo appartenente invece a un monastero della zona, cui gli abitanti erano tenuti a corrispondere un tributo annuo, che perö avevano smesso da tempo di pagare; e di questo infatti Gregorio si lamentava col vescovo dell'omonima cittä vicina, pregandolo di intervenire a tutela del buon diritto del monastero (cfr. Registrum VIII, 32). Ma il caso di Gallipoli si presenta subito con connotati abbastanza diversi. Le due lettere del Registro che lo concernono (IX, 206 e 207), del luglio 599, appaiono indirizzate, rispettivamente, al tribuno bizantino di Otranto e al vescovo del castrum. Questo risulta anzitutto essere parte integrante della massa Callipolitana, facente parte - a sua volta - del patrimonio di s. Pietro in Calabria (Salento). Gregorio infatti, oltre a esortare il vescovo a adoperarsi affinche i rustici abitanti nel castello non continuassero a essere gravati dagli oneri cui li aveva indebitamente costretti il precedente tribuno di Otranto - a sostegno di tale causa egli avrebbe potuto, fra l'altro, addurre le copie, giä in suo possesso, dei privilegi della chiesa locale, conservati nell'archivio della chiesa romana - ; gli ordinava di prendersi cura, a partire dalla prossima terza indizione, di tutti, indistintamente, gli homines della massa, cercando di calcolare quale poteva essere l'ammontare globale del canone che essi avrebbero dovuto pagare alia chiesa romana. (A parte Γ utile economico, era, come si comprendera, un modo molto efficace di rivendicare il possesso di quelle terre, fuori di ogni possibile equivoco). Quanto poi al castrum in se, nonche sorgere su suolo della Chiesa (e qui comincia, e finisce, l'analogia con il caso di Squillace), era, come universalmente noto, locus [...] ecclesiae nostrae [...]proprius. Ora perö rischiava di essere abbandonato dai suoi pochi abitanti e di cadere cosl nelle mani dei nemici (i Longobardi fin ll?), se il nuovo tribuno di Otranto, fresco di nomina, della cui venuta da quelle parti Gregorio si rallegrava, non avesse proweduto a rimuovere gli intollerabili abusi introdotti dal suo predecessore. (£ evidente che, come che fosse sorto e a spese di chi, sul castrum di Gallipoli e sui suoi abitanti le autoritä militari bizantine vantavano dei diritti, che la chiesa romana, proprietaria fondiaria del territorio circostante, non era disposta a riconoscere, minacciando di abbandonare, per ritorsione, al suo destino il castrum medesimo). Gregorio si preoccupava, infine, delle possibili reazioni di un altro interessato, il defensor Sergio, rector del patrimonio cui afferiva la massa Callipolitana, presumibilmente tutt'altro che rassegnato a vedersela in pratica scorporare, dal momento che, d'ora in avanti, essa avrebbe gravitato intorno al castrum omonimo e al suo vescovo: ma il papa gli aveva giä scritto, invitandolo invece a collaborate con il suo vicino vescovo di Gallipoli nella delicata missione che gli era stata affidata.
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Come e reso evidente dal caso del Castrum di Gallipoli, i patrimoni di s. Pietro costituivano una potenziale zona d'attrito fra Gregorio Magno e le autorita imperiali nella penisola e in Sicilia. In particolare, ciö emerge da una serie di episodi, sui quali mi sono intrattenuto in altra sede,19 connessi con la missione ispettiva che il governo di Costantinopoli affidö nel 598 all'ex console Leonzio, mandato in Sicilia a indagare su alcuni funzionari che avevano ricoperto cariche piü ο meno important! sia nell'isola che nell'Italia bizantina. La lunga lettera (cfr. Registrum XI, 4) scritta da Gregorio a Leonzio, nel settembre del 600, per giustificare il proprio atteggiamento nei confronti degli inquisiti del 598 e, in particolare, dell'ex pretore di Sicilia Libertino si risolveva in un rinnovato intervento a favore degli imputati, sulla cui colpevolezza, ormai giudiziariamente accertata, veniva sparsa da ultimo a piene mani l'ombra del dubbio. La lettera dä la misura del coinvolgimento del pontefice negli affari siciliani, rapportabile in prevalenza alia sua qualitä di dominus temporale di un diciannovesimo circa della superficie dell'isola. Certamente vanno messi nel conto anche i vescovi delle diocesi siciliane, ma - stando, almeno, al quadro complessivo offerto dal Registro - e evidente che, senza gli onnipresenti rettori del patrimonio, ο dei patrimoni, di s. Pietro, sarebbero mancati a Gregorio e lo stimolo per intervenire ed esporsi, fino al limite, e oltre, della brutta figura, e la fonte delle informazioni necessarie a nutrire, lontano com'era dal teatro delle operazioni, la sua ostinata azione a favore del malcapitato Libertino. Non darei tanto rilievo alia lettera a Leonzio del settembre del 600, se questa non costituisse un documento unico nel suo genere delle contraddizioni in cui un uomo di Chiesa come Gregorio, finiva con l'impigliarsi, quando si misurava in concreto — e sia pure non direttamente, bensl, per il momento, solo per interposta persona — con l'esercizio di una delle piü delicate potestä del governo temporale: quella consistente nel perseguire e giudicare i rei di delitti spesso sfuggenti, come sono quelli che rientrano nell'ambito del diritto penale amministrativo. £ stato osservato20 che Gregorio reagisce alia tendenza del diritto tardo-antico e bizantino a ricorrere a pene corporali anche nei confronti di liberi, usando quasi le stesse parole che aveva usate a suo tempo Ambrogio. Ma va rilevato che, benche solo in forma di un ragionamento ipotetico che non si attagliava al caso in questione, il ricorso alia tortura negli interrogatori era, in sostanza, legittimato da Gregorio, quando l'inquirente non disponesse di altri mezzi per venire a capo della verita. Ma ciö che soprattutto non manca di sconcertare έ il dire e disdire che caratterizza la lettera nel suo complesso, l'arrendersi e il non arrendersi di fronte alia presunta evidenza delle
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Cfr. G. Arnaldi, Gregorio Magno e la giustizia, in: A A . W . , La giustizia nell'alto medioevo (secoli V-VIII), Spoleto 1997, pp. 8 5 - 1 0 1 . Cfr. E. Caspar, Geschichte des Papsttums von den Anfängen bis zur Höhe der Weltherrschaft, II: Das Papsttum unter byzantinischer Herrschaft, Tübingen 1933, p. 420.
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prove addotte a carico dell'imputato, e trasmesse a Roma per conoscenza, tanto piü se - come siamo portati a ritenere - Gregorio aveva la certezza morale della sua innocenza. II passo in cui Gregorio esorta Leonzio al rispetto di uno dei valori cardine della civiltä giuridica romana {Hoc enim inter reges gentium et imperatorem distat etc.), ricorre tale e quale anche altrove (cfr. Registrum XIII, 34): „Questa infatti e la differenza che intercorre fra i re dei barbari e l'imperatore dei romani, che i re dei barbari sono signori di schiavi, l'imperatore dei romani un signore di liberi". Mostrare sorpresa perchd la difesa, che esso in realtä sottintende, di un assetto giuridicosociale fondato sull'esistenza della schiavitü precede di poco la riaffermazione di uno degli imperativi piü tipici del nuovo ethos cristiano (Quod tibi non vis fieri etc.) significa prescindere dal contesto in cui si era formato e operava Gregorio, che era ancora quello dell'impero romano cristiano. Piuttosto, la vera contraddizione che e dato di cogliere rileggendo l'uno e 1'altro passo nel quadro della lettera a Leonzio, έ quella esistente fra il libero e intransigente pronunciarsi a favore di valori assoluti, nella linea di Ambrogio e dei grandi papi del secolo V, e la necessity di destreggiarsi nei confronti delle autoritä secolari, prevalentemente in rapporto - almeno per ciö che concerne quelle siciliane - con la presenza nell'isola del piü esteso dei patrimoni di s. Pietro.
COSIMO DAMIANO FONSECA
Gli „Excerpta Gregorii" nelle sillogi canonicali dei secoli XI e XII
Se nelle prime collezioni canoniche anteriori dlVAnselmo dicata (882-896) il peso di Gregorio Magno risulta sostanzialmente modesto - si pensi alle False Decretali composte tra Γ846 e Γ8521 - nella coeva e piü compiuta silloge organica ed omogenea della normazione canonicale costituita dalla Institutio canonicorum Aquisgranensis dell'816, gli excerpta delle opere del grande pontefice, specialmente la Regulapastoralis, assumono un non trascurabile rilievo nel definire la institutionis forma proposta come modello di vita per i canonici.2 Infatti su 58 capitoli inseriti nella prima e nella seconda parte della Institutio i brani attribuiti a Gregorio sono 12 rispetto ai 25 di Isidora, agli 11 di Prospero (in realtä si tratta di Giuliano Pomerio), ai 7 di Girolamo, ai 3 di Agostino: una presenza, quindi, consistente, quella delle auctontates gregoriane, che supera addirittura i riferimenti a uno dei pilastri della successiva tradizione canonicale, Agostino d'Ippona appunto, cui spetterä con il suo Praeceptum di fornire una impronta normativa alio status vitae dei canonici.3 C'b ora da chiedersi innanzitutto quali sono i tratti salienti riconducibili alle opere di Gregorio Magno e confluiti nella silloge aquisgranense per orientare l'ideale di quei nuclei di chierici impegnati a realizzare attraverso l'istituto della collegialitä un primo modello di vita comune;4 e poi quale fu. la soprawivenza dell 'Institutio nei secoli centrali del medioevo quando, accanto alle comunitä che accettavano sic 1
J. Gaudemet, L'h^ritage de Grdgoire le Grand chez les canonistes m^di^vaux, in: Gregorio Magno e il suo tempo. XIX Incontro di studiosi dell'antichitä cristiana in collaborazione con l'ficolc Fran£aise de Rome, Roma, 9 - 1 2 maggio 1990, vol. II: Questioni letterarie e dottrinali, Roma 1991, p. 202.
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Institutio canonicorum aquisgranensis, in: Concilia Aevi Karolini, 1.1, pars I, ed. A. Werminghoff, M G H , L.L., Sectio III, t. II, pars I, Hannoverae et Lipsiae 1906, pp. 3 0 8 - 4 2 1 . L. Verheijen, La r£gle de Saint Augustin, voll. I—II, Paris 1967.
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Sülle tappe evolutive del movimento canonicale rimangono fondamentali la sintesi di Ch. Dereine, .Chanoines', in: Dictionnaire d'histoire et de gdographie ecclesiastique, t. XII, Paris 1951, cc. 3 5 3 405 e i due volumi della prima settimana di studi mendolesi: La vita comune del clero nei secoli XI e XII. Atti della Settimana di studio, Mendola, settembre 1959, voll. I—II, Milano 1962. Si vedano altresl di C.D. Fonseca, Medioevo canonicale, Milano 1976; ,Vita canonicale', in: Dizionario degli Istituti di perfezione, vol. IV, Roma 1980, cc. 240-253; .Augustiner-Chorherren', in: Lexikon des Mittelalters, Bd. I, München 1980, cc. 1219-1220.
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Cosimo Damiano Fonseca
et simpliciter forme temperate di collegialkä e di vita comune, sorsero nuclei di chierici che in adesione all'ideale di vita ad instar primitivae ecclesiae svilupparono nuovi modelli caratterizzati dall'esercizio della povertä e da pratiche ascetiche di particolare rigore;5 infine in quale misura gli excerpta Gregorii entrano nelle sillogi consuetudinarie redatte per queste comunitä di chierici sino a definire la loro spiritualitä e a precisare il loro status vitae,6 1. Ε cominciamo dalla collocazione degli excerpta Gregorii intesi come elementi caratterizzanti 1'ideale di vita dei canonici delineato nella Institutio Aquisgranensis. Va subito rilevato che la massima parte di queste auctoritates e tratta dalla Regula pastoralis (cc. XIII, XIV, XVII, XXVIII, CIII), una dalle Homiliae in Ezechielent (XXXIV), una dalle Homiliae XL in Evangelia (CXXIV), due risultano composti dalle Homiliae in Evangelia e dai Moralia (XXVII e XXXVIII), uno dalle Homiliae in Evangelia e dalla Regula Pastoralis (CII), due dalla Regula Pastoralis e dai Moralia (XXI e CV): nel cap. CXXXIV e inserito un brano attribuito a Gregorio, ma l'editore άάϊ Institutio dichiara di non averlo rinvenuto tra le opere del pontefice. 7 Inoltre tramite della recezione di questi brani delle opere di Gregorio Magno nella Institutio specialmente dei capitoli 14, 17, 21, 24, 27, 34, 37, 38, 102, 103, 105, 124, έ Taione, vescovo di Saragozza, il quale verso il 650 raccolse sotto forma di sentenze alcuni passi delle opere di Gregorio.8 Non si trascurino, in proposito, i rapporti di Gregorio con Leandro di Siviglia: fu proprio Leandro a diffondere in
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Su questo tema fondamentale nello sviluppo dell'ideale canonicale ci permetciamo di far riferimento a C. D. Fonseca, La povertä nelle sillogi canonicali del XII secolo: fatti istituzionali e implicazioni ideologiche, in: La povertä del secolo XII e Francesco d'Assisi. Atti del II Convegno internazionale, Assisi, 17-19 ottobre 1974, Assisi 1975, pp. 149-177.
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Sullo spazio e sull'autoritä dei testi patristici nelle collezioni canoniche e nelle sillogi consuetudinarie canonicali si rinvia all'ormai volume classico di Ch. Munier, Les sources patristiques du droit de rfiglise du Vllle au Xllle sifecle, Mulhouse 1957, e agli studi di G. Picasso, Collezioni canoniche milanesi del secolo XII, Milano 1969, e Gli „Excerpta Ambrosii" nelle collezioni canoniche dei secoli XI e XII, in: Ambrosius Episcopus. Atti del Congresso internazionale di studi ambrosiani nel XVI centenario della elevazione di Sant'Ambrogio alia cattedra episcopale, Milano 2 - 7 dicembre 1974,acuradiG. Lazzati, vol. II, Milano 1976, pp. 69-81; di C.D, Fonseca, Gli „Excerpta Ambrosii" nelle sillogi canonicali dei secoli XI e XII, ibidem, pp. 48-68. Sulla presenza di Gregorio Magno nelle collezioni canoniche rimane di fondamentale importanza il saggio di Gaudemet (cit. a nota 1) pp. 199-221. Institutio canonicorum Aquisgranensis (cit. a nota 2) p. 411. M. Risco, Prefacio sobra la Colleccion de Sentencias trabajada por el celebre Opispo de Zaragoza Tajon, in: Espafia Sagrada, XXXI, Madrid 1876, pp. 152-165. L'edizione dei cinque libri delle Sententiae si trova alle pp. 176-544. Si veda inoltre Taionis et Isidori nova fragmenta et opera, edidit et illustravit E. Anspach, Madrid 1930. Cfr. A. Werminghoff, Die Beschlüsse des Aachener Concils im Jahre 816, in: Neues Archiv der Gesellschaft fiir ältere deutsche Geschichtskunde 27 (1901), pp. 616-620.
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Spagna la Regula Pastoralis, un testo di fondamentale importanza per la formazione dei chierici.9 Infine nel cap. XXXVIII il brano dei Moralia b riportato secondo l'edizione della Collezione canonica chiamata Dionysio-Hadriana, quella cioe che Carlo Magno ricevette da papa Adriano in occasione del suo viaggio a Roma nella Pasqua del 774.10 Si aggiunga che sotto il pontificato dello stesso Adriano (772-795) venne composta una raccolta in due libri delle lettere di Gregorio Magno come si evince dalla Vita di Gregorio Magno che Giovanni Diacono dedicö a Giovanni VIII (872882).11 Quanto dianzi affermato e la riprova del prestigio che tra la fine dell'VIII e la prima meta del IX secolo godette Gregorio, si che la sua opera poteva entrare a buon diritto tra le auctoritates delle Collezioni canoniche e, nel nostro caso, della Institutio canonicorum Aquisgranensis dell'816. La specificitä attribuita dal compilatore dell'Institutio agli excerpta dell'opera gregoriana si caratterizza e si sviluppa prevalentemente in una duplice direzione: la prima riguarda il ruolo di chi deteneva il governo della comunitä canonicale, l'altra έ relativa al rapporto dei membri della stessa comunitä con il proprio superiore. II ricorso a Gregorio, specialmente alia Regula pastoralis, e funzionale a delineare le qualitä morali di coloro che devono essere eletti nel governo delle anime (cap. XIII),12 ad impedire che al pastorale ministerium non accedano ηέ gli indegni (cap. XIV)13 ne coloro che perseguano un interesse personale (cap. XVII).14 Colui che presiede la comunitä deve impegnarsi nell'esercizio dell'umiltä (cap. XXI),15 nell'insegnamento costante ai propri sudditi (cap. XXIV),16 nella coerenza tra cio che egli stesso propone e la propria condotta di vita (cap. XXVII),17 nello zelo nei confronti di coloro che gli sono stati affidati (cap. XXXIV).18 Gli ultimi due capitoli sono di impronta marcatamente ecclesiologica e disciplinare finalizzati a esaltare la potestas ligandi atque solvendi attribuita al vescovo (cap. XXXVII)19 e a condannare
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11 12 13 14 15 16 17 18 15
R. Lizzi, La traduzione greca delle opere di Gregorio Magno: dalla Regula Pastoralis ai Dialogi, in: Gregorio Magno e il suo tempo (cit. a nota 1) p. 48. Institutio canonicorum Aquisgranensis (cit. a nota 2) p. 360. Cfr. G. Daufner, Die „Moralia" Gregors des Großen, Padova 1958. Johannes Diaconus, Vita Gregorii Magni, P.L. 75, 41—59. Institutio canonicorum Aquisgranensis (cit. a nota 2) p. 336. Ibidem, p. 338. Ibidem, p. 341. Ibidem, Ibidem, Ibidem, Ibidem, Ibidem,
p. p. p. p. p.
343. 345. 348. 354. 358.
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la simonia nell'esercizio della plenitudo potestatis a proposito del conferimento delle ordinazioni sacerdotali (cap. XXXVIII).20 Insieme con il profilo del superiore della comunitä, il compilatore della silloge aquisgranense delinea in tre capitoli i doveri dei chierici a lui affidati, specialmente per quanto attiene le qualitä morali (CII),21 il comportamento nei confronti del proprio prelato (cap. CIII),22 i sudditi invidiosi e protervi (cap. CV).23 In definitiva gli excerpta Gregorii in questa prima silloge normativa vengono richiamati tenendo conto della situazione storica del tempo e del tentativo messo in atto dai riformatori carolingi innanzitutto di dare specificitä istituzionale alia vita canonicale distinguendola da quella monastica - l'una e l'altra, pur assimilate dalla vita comune claustrale, dovevano ispirare la loro professione a una ,vive regola' propria - e poi di imporre ai chierici che erano addetti al servizio liturgico della Cattedrale di vivere comunitariamente. Nel Concilio di Magonza dell'813 si statuisce ut canonici clenci canonice vivant observantes divinae scripturae doctrinam etdocumenta sanctorumpatrum·, ad essi viene fatto obbligo del refettorio e del dormitorio comuni e dell'osservanza della clausura: et in uno claustro maneant et singulis diebus mane prima ad lectionem veniant et audiant quid eis imperetur.2A Sulla stessa falsariga del Concilio moguntino si poneva il canone 23 del Concilio di Tours tenuto nello stesso anno a proposito dei canonici della Cattedrale che insieme con il vescovo conducevano vita comune, ne condividevano la mensa e il tetto, prowisti da parte del vescovo stesso del necessario: Canonici clerici civitatum, qui in episcopiis conversantes, consideravimus ut in claustra habitantes, simul omnes in uno territono dormiant simulque in uno reficiantur refectorio, quo facilius possint ad horas canonicas celebrandas occurrere ac de vita et conversatione sua admoneri.25
20 21 22 23 24
25
Ibidem, p. 359. Ibidem, p. 378. Ibidem, p. 379. Ibidem, p. 380. Concilium Moguntinum, in: Concilia Aevi Karolini, t. II, ed. A. Werminghoff, MGH, LL., Sectio III, t. II, pars I, Hannoverae et Lipsiae 1906, pp. 262-263. Si colleghi al canone precedente anche il can. 10 in cui si fa esplicito riferimento al rapporto tra osservanza della regula e abbandono del secolo: Dtscretionem igitur esse volumus atque decrevimus inter eos qui dicuntse saeculum reliquisse, et adhuc saeculum sectantur. Placuit itaque sancto concilio ut ita discernentur, sicut in regula clericorum dictum est (ibidem, p. 263). Ibidem, p. 289. Di particolare importanza b il can. 24 dello stesso Concilio di Tours a proposito dei collegi dei chierici viventi in vita comune insieme con i monaci: Simili modo etabbates monasteriorum, in quibus canonica vita antiquitus fait, vel nunc videtur esse, sollicite suis provideant canonicis, ut habeant claustra et dormitoria in quibus simul dormiant, simulque reficiantur, horas canonicas custodiant, victum et vestitum iuxta quod potent abbas habeant, quo facilius ad Dei servitium possint constringi: sintque abbates sibi subditis duces etpraevii... (ibidem, p. 289).
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A questo punto il richiamo a Gregorio diveniva obbligante tenuto conto dell'esempio che egli aveva lasciato: il pontefice, infatti, nel palazzo apostolico aveva condotto vita comune con i chierici e con i monaci, pur nella distinzione dei primi dai secondi; peraltro come i chierici non erano privi di virtu monastiche, cosl i monaci non erano estranei al ministero e alle funzioni dei chierici. Ce ne fornisce una incisiva testimonianza Giovanni Diacono (872-882) quando nella Vita del pontefice romano scrive: Cum quibus Gregonus die noctuque versatus, nihilpontificis istitutionis in Ecclesia dereliquit. Videbanturpassim cum eruditissimis clericis adhaerere Pontifici religiosissimi monachi, et in diversis professionibus habebatur vita communis, ita ut talis esset sub Gregorio penes urbem romana ecclesia qualem banc fiiisse sub Apostolis Luca, et sub Marco evangelista Philo commemorate 2. La Institutio canonicorum Aquisgranensis ebbe vita lunga in Occidente anche quando, sotto la spinta delle correnti riformatrici dei secoli centrali del Medioevo, furono sferrati possenti attacchi non al suo impianto complessivo ne tantomeno alle auctontates Patrum che ne suffragavano gli orientamenti ideali e ne determinavano i comportamenti pratici, quanto alle contraddizioni riscontrabili nella terza parte, cioe nella Regula vera e propria, dove per un verso si proponeva un modello di vita dalle forti connotazioni collegiali in comunanza di vita e di beni e dall'altra si consentiva con i capitoli 115 e 122 ai singoli canonici linum induere, carnibus vesci, dare et accipere propHas res et ecclesiae cum humilitate et iustitia habere... ,27 accipere... per singulos dies quattuor libras pani ... quinque libras vini:2S disposizioni tutte, queste, che contraddicevano quei principi ascetici suggeriti proprio dall'insegnamento dei Padri e degli Scrittori ecclesiastici ricordati nella prima parte dell' Institutio. Sotto la spinta dell'arcidiacono Ildebrando, il futuro Gregorio VII, e dei circoli riformatori che si riconoscevano nelle veementi critiche rivolte dianzi a Niccolö II dallo stesso Ildebrando nella Sinodo romana del 1059, come si vedrä piü avanti, i capitoli incriminati vennero soppressi, ma il testo dell' Institutio Aquisgranensis nella sua edizione integrale conobbe una continuitä che andö ben oltre il XII secolo.29 Per quanto attiene l'edizione integrale della Institutio comprendente, quindi, i Capitula Patrum e i Capitula Canonum, qui varrä ricordare l'Ambr. Η 5 inf. dell'inizio del XII sec. proveniente da Gerolanuova, frazione di Pompiano (Brescia);30 il Viter.
26
Johannes Diaconus, Vita Gregorii Magni, RL. 75, 92. Sui rapporti tra Gregorio e la formazione dei chierici si veda P. Rich£, Educazione e cultura nell'Occidente barbarico dal VI all'VIII secolo, ed. it. a cura di G. Giraldi, Roma 1966, pp. 1 4 2 - 1 4 4 .
27
Institutio canonicorum Aquisgranensis (cit. a nota 2) p. 397.
28
Ibidem, p. 4 0 1 .
29
Cfr. C.D. Fonseca, La ripresa integrale deH'„Institutio Canonicorum Aquisgranensis nel secolo XIII", in: Scritti in onore di Luigi Prosdocimi (in corso di stampa). Fonseca, Medioevo canonicale (cit. a nota 4) pp. 104—108.
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36 della seconda metä del XII sec. del Capitolo cattedrale di Viterbo;31 il Pap. Β 28 dell'XI sec. ex. giunto da Cameri (Novara) alia canonica di Santa Croce di Mortara;32 il Pist. CI 15 del XII secolo appartenuto al Capitolo cattedrale di Pistoia;33 il Bonon. 2538 del XIII sec. in. incluso nel fondo della canonica di San Salvatore di Bologna;34 il Chig. CVIII238 del sec. XIII35 e il Reg. lat. 1575 del sec. XIII ambedue di incerta attribuzione.36 Vanno altresi ricordati il Vat. lat. 4885 della seconda metä dell'XI secolo forse appartenuto alia comunitä di San Lorenzo in Damaso di Roma che contiene, tra 1'altro, il prologo e i capitoli 1-114 37 e il Vat. lat. 1351 coevo del precedente di incerta attribuzione che include i capitoli 1-38, quelli cioe relativi alle auctoritates - e tra queste quelle di Gregorio Magno - comprovanti l'ispirazione ideale della institutionis forma dei canonici.38 3. La tradizione aquisgranense conobbe forme di riutilizzazione anche in quelle sillogi consuetudinarie articolate e originali che furono composte per dare un orientamento innovatore al movimento canonicale riformato uscito con accentuazioni piü e meno rigoriste e con finalitä piü ο meno pauperistiche dal dibattito del Concilio romano del 1059. Si prenda, ad esempio, l'Ottob. lat. 38 redatto in ambiente romano nella seconda metä dell'XI secolo che, oltre a contenere brani del De clericorum institutione di Rabano Mauro e della Regula di san Benedetto, riporta il testo integrale della Institutio purgato, ad accentuate il carattere marcatamente pauperistico del testo normativo, dei capitoli 115 e 122.39 Altrettanto si dica per l'Ottob. lat. dell'XI sec. ex. di incerta attribuzione40 e per il Bonon. 2535 dei secc. XII-XIII appartenuto alia canonica di Sant'Andrea di Mosciano, diocesi di Firenze,41 che presentano una ricchezza straordinaria di testi e dove e constatabile tra le auctontates Patrum una schiacciante preminenza di Gregorio Magno. La silloge normativa - identica nei due manoscritti si da far ipotizzare un archetipo comune - b composta da un prologo incentrato sui fxni e sui doveri dei membri
31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41
Ibidem, Ibidem, Ibidem, Ibidem, Fonseca Ibidem. Ibidem. Fonseca Ibidem, Ibidem, Ibidem,
pp. pp. pp. pp. (cit.
108-109. 144-146. 171-175. 159-161. a nota 29).
(cit. a nota 4), pp. 91-100. pp. 78-81. pp. 110-112. pp. 112-143.
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della istituzione canonicale e da tre parti focalizzate sui temi della rinunzia al secolo e sulla organizzazione delle comunitä dei canonici. Nella seconda parte, qui consapevolmente richiamata, sono raccolte in maniera organica le auctoritates rubricate sotto il titolo significativo di Capitula excerpta ex
libris Sanctorum de edificatione et correctione vitae clericorum,42 I brani riportati nel Bonon. 2535 sono 230 dei quali 96 attribuiti a Gregorio Magno, 38 ad Ambrogio, 28 rispettivamente ad Agostino e Girolamo, 14 alio pseudo Prospero, 7 a Isidora, 2 ciascuno a Cassiano e alio pseudo Urbano I, 1 ciascuno alio pseudo Fabiano, a Origene e ad Anastasio Bibliotecario; 5 sono tratti dalla seconda parte della Institutio Aquisgranensis e 6 da norme liturgiche.43 I brani riportati nell'Ottob. lat. 175 sono 229, dei quali 88 attribuiti a Gregorio Magno, 35 ad Ambrogio, 32 ad Agostino, 28 a Girolamo, 13 alio Pseudo Prospero, 2 ciascuno a Cassiano, Origene, Isidora e alio pseudo Urbano I, 1 alio pseudo Fabiano e al II Concilio di Nicea; gli altri excerpta, che non hanno alcuna attribuzione, sono brani di opere di Gregorio, Ambrogio, Girolamo, Isidora e della terza parte della Institutio Aquisgranensis·, sol tan to 4 excerpta non sono stati identificati.44 Come e facile osservare per le due sillogi dianzi richiamate, i testi tratti dalle opere di Gregorio Magno risultano particolarmente consistent!: 40,4 % rispetto al 16,08 % di Ambrogio, al 12,6 % di Agostino, al 12,1 % di Girolamo, 6,8 % dello pseudo Prospero, alio 0,8 % di Cassiano, Isidora, ecc. I 96 excerpta delle opere di Gregorio Magno sono ricavati in massima parte dalla Regula pastoralis (69) seguita dai Moralia sive Expositio in Job (14), dalle Homiliae in
Ezechielem (12) e dai Dialogi (1). A questo punto c'e da chiedersi in quale direzione il compilatore della silloge intende proiettare il pensiero di Gregorio per renderlo attuale e funzionale ai nuovi orientamenti proposti dai riformatori ,gregoriani' ai quali premeva dare all'istituto della vita comune contenuti di alta spirituality, di maggiore rigore ascetico, di piü vivo impegno religioso. Dom Jean Leclercq - al quale si deve la scoperta dell'Ottob. 175 e una prima puntuale descrizione45 - coglie la diversa temperie e il diverso orientamento che anima questo dossier di auctoritates rispetto ai florilegi monastici quali, ad esempio, il Diadema di Smaragdo. Nel primo i Capitula excerpta sono desunti da Padri che hanno scritto per i chierici e sui chierici; inoltre essi tengono presente le esigenze comportamentali ispirate a un preciso codice morale a differenza dei testi monastici che presuppongono la morale e insistono, invece, sulla preghiera
42 43 44 45
Bonon. 2535, f. 23v, ibidem, p. 114. Ibidem, pp. 1 1 4 - 1 3 5 . Ibidem, pp. 1 1 0 - 1 1 2 . J. Leclercq, Un t^moignage sur l'influence de Gr^goire VII dans la rdforme canoniale, in: Studi Gregoriani, vol. VI, Roma 1 9 5 9 - 6 1 , pp. 1 7 3 - 2 2 6 . Cfr. R. Gr£goire, La vocazione sacerdotale. I canonici regolari nel Medioevo, Firenze 1 9 8 2 , pp. 29—33.
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e sulla penitenza; infine la linea di tendenza riscontrabile in questi excerpta e finalizzata alia edificazione della Chiesa in questo mondo a differenza della spirituality dei monaci caratterizzata da una forte connotazione escatologica. Con questo non si intendono porre discriminazioni qualitative tra l'esperienza monastica e quella canonicale, ma soltanto teleologiche: i monaci e canonici, contemplativi e pastori d'anime rappresentano aspetti e angolazioni differenti dell'unico mistero cristiano; si tratta di due forme d'implicazione della stessa caritä, quella che per i monaci si esprime prioritariamente nel rapporto con Dio a differenza di quella dei canonici che si concretizza nel rapporto con gli uomini.46 In questo contesto il patronato di Gregorio Magno, la cui Regulapastoralis venne scritta per i chierici e il cui modello organizzativo realizzato nel patriarchio lateranense privilegiava contemporaneamente l'unita dell'esperienza religiosa dei monaci e dei canonici e, contemporaneamente, la diversita deH'orientamento dello status vitae degli uni e degli altri, l'uno spiccatamente contemplativo, l'altro dichiaratamente pastorale, assumeva un ruolo particolare e ben definito. Si tratta peraltro di un discrimine istituzionalmente pregnante, ma estremamente flebile, quasi umbratile sul piano dei comportamenti se si pensi al paradosso della vita canonicale dove l'itinerario di perfezione individuale mediava le esigenze dell'ascesi con quelle della cura d'anime. Si ha una non irrilevante riprova nel brano della seconda omelia su Ezechiele raccolto sotto la rubrica De activa et contemplativa vita47 in cui viene esaltato l'uno e l'altro ideale come elemento essenziale dello stato di perfezione dei canonici. Comunque a scorrere la serie dei testi gregoriani e, ancor piü, a indulgere sulle rubriche apposte dal compilatore della silloge, emerge con chiarezza il profilo della vita canonicale che si intende proporre e di cui Gregorio diventa referente irrinunciabile: a cominciare dalla figura del superiore della comunitä - chiamato volta a volta praepositus, rector ο praelatus - per continuare con i doveri dei membri della canonica a lui affidata, per finire con le virtu morali, con l'esercizio della predicazione, con l'impegno della preghiera. II prelato deve essere esempio ai suoi sottoposti, consolatore nei confronti di coloro che sono soggetti alle tentazioni, non severo ne remissivo, umile come l'Apostolo Pietro, discreto, colto, caritatevole, non invidioso, capace di giudicare in rapporto ai meriti di ciascuno, coerente con ciö che insegna, servo e non signore dei propri sudditi; egli deve correggere i vizi dei canonici affidatigli, ma non ostentarli e accentuarli anche quando sono grandi, comprensivo delle loro infermitä, solerte nel prowedere alle loro necessitä esteriori, pronto a fornire risposte adeguate, ecc.
46
J. Leclercq, La spirituality des chanoines reguliere, in: La vita comune, vol. I (cit. a nota 4) pp. 1 2 2 -
47
123. Bonon. 2535, f. 38r. Fonseca, Medioevo canonicale (cit. a nota 4) p. 1 1 8 .
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A loro volta i canonici sottoposti al suo ufficio devono essere obbedienti, timorosi non in quanto uomini, ma in quanto dediti ai vizi, propensi ad accettare rimproveri per la loro non retta condotta, discreti, umili, ecc. Non mancano significativi richiami a uno dei punti sui quali in quei decenni si andava misurando con forza il movimento canonicale: l'impegno pauperistico. Basti pensare alle rubriche De racionabili moderamine cartiis48 e De diligentia paupertate49 che precedono rispettivamente un brano della settima omelia in Ezechiele e un altro brano non identificato, ma attribuito a Gregorio Magno. 4. Ma questa esigenza pauperistica collegata all'autoritä di Gregorio trova una sua compiuta consacrazione nella silloge normativa contenuta nel Vat. lat. 4885 della seconda meti dell'XI secolo che Γ Egger attribuisce alia comunitä canonicale di San Lorenzo in Damaso.50 Quanto in essa siano confluite le tendenze rigoriste affiorate nell'intervento di Ildebrando al Concilio romano del 1059 e condivise dalla corrente riformatrice, in particolare da Pier Damiani, dimostra, tra l'altro, la sostituzione dei capitoli controversi 115 e 122 della Instttutio Aquisgranensis con una serie di auctoritates tratte dai libri dell'Antico e del Nuovo Testamento e dalle opere dei Padri della Chiesa;51 tra queste assume significativa rilevanza la presenza di Gregorio Magno mediata attraverso la giä citata Vita S. Gregorii di Giovanni Diacono da cui attinge l'ignoto autore della silloge.52 Si tratta di testi con un irrefutabile stigma pauperistico come quello sinteticamente pregnante: Qui ecclesie stipendiis subsistit, adlucra propria non anheleto come quello piü articolato relativo alia risposta inviata ad Agostino di Canterbury dallo stesso Gregorio Magno dove non si omette il richiamo alle origini cristiane per giustificare le scelte in povertä della Chiesa inglese di recente evangelizzazione: in ecclesia anglorum que nuper adfidem perducta est, hanc debet conversationem instituere que in initio nascentis ecclesie fuitpatribus nostris in quibus nullus eorum ex his quepossidebat aliquidsuum esse dicebat, sederunt ilia omnia communiaP Lo stesso brano, questo,
48
Bonon. 2 5 3 5 , f. 4 l v . Fonseca, Medioevo canonicale (cit. a nota 4) p. 1 1 9 .
49
Bonon. 2 5 3 5 , f. 42r. Fonseca, Medioevo canonicale (cit. a nota 4) p. 1 1 9 .
50
Ibidem, p. 8 1 .
51
L'edizione del testo raccolto sotto la rubrica
52
Johannes Diaconus, Vita Gregorii Magni, EL. 7 5 , 123-
53
Gregorii I Papae Registrum Epistolarum, XI, Epist. 56a, ed. L. M . Hartmann, M G H , Epist. Τ. II,
Quid sanctorum patrum tarn novi / quam etiam veteris testamenti sewerint /de Vitalis conversatio (sic) clericorum (Vat. Lat. 4 8 8 5 , ff. 1 2 3 r - 1 2 5 r ) e riportata
in Appendice alia relazione di Fonseca (cit. a nota 5) pp. 1 7 5 - 1 7 7 .
Berolini 1 8 9 9 , pp. 3 3 3 - 3 3 4 . Sul modello della vita dei canonici
ad instar primitivae eccUsiae,
vedano gli studi ormai classici di M.-H. Vicaire, Limitation des Apötres. Moines, chanoines et mendiants, IVe—Xllle si^cles, Paris 1 9 6 3 , pp. 39—66 e di M . - D . Chenu, Moines, clercs, laics au carrefour de la vie evangelique (Xlle si^cle), in: Revue d'histoire ecclesiastique 4 9 ( 1 9 5 4 ) , pp. 60—
si
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che troviamo inserito nella Regula Sanctorum Patrum contenuto nel Pap. Β 28 per tanti versi vicino alia silloge normativa contenuta nel Vat. lat. 4885 54 e nel ms. P.B. 243, n. 40 della Biblioteca Labronica di Livorno del sec. XI ex-XII in. appartenuto alia canonica bresciana di San Pietro in Oliveto.55 A questo punto non sembri azzardata una conclusione e che caratterizza sotto molti aspetti la transizione dalla fase preistituzionale dell'istituto canonicale dell'XI secolo a quella piü evoluta strutturalmente del XII secolo: nella prima fase l'autorita indiscussa alia quale viene collegato 1'ideale della vita canonicale e l'opera di Gregorio Magno i cui excerpta delineano un preciso modello ascetico e organizzativo ancorche condizionato da una persistente ereditä monastica;56 nella seconda fase, acquisita una piena autonomia rispetto al monachesimo, la vita canonicale trova il suo motivo ispiratore nel pensiero di Agostino di Ippona sino ad assumerne la regola e a consacrare nella formula secundum beati Augustini regulam 1'orientamento formativo e il senso dell'appartenenza.
54 55
56
80. A proposito del tema della primitiva comunitä cristiana si veda P. C. Bori, Chiesa primitiva. L'immagine della comunitk delle origini - Atti 2, 42-47; 4, 32-37 - nella storia della Chiesa antica, Brescia 1974, pp. 145-178. Pap. B. 28, f. 47v. Fonseca, Medioevo canonicale (cit. a nota 4) p. 146. Livorno, Biblioteca Labronica, ms. P.B. 243, n. 40, f. 165r. Fonseca, Medioevo canonicale (cit. a nota 4) p. 178. In questo manoscritto i testi gregoriani sono raccolti sotto il titolo Regulae definitionum beati pape Gregorii maioris (ff. I65r-176v): la stessa raccolta si trova neH'Ambr. G. 58 proveniente da Bobbio e il XXXI estratto cio£ ΓInterrogatio beati Augustini episcopi Cantuariorum ecclesie nel VII libro della Collezione canonica di Anselmo da Lucca. Fonseca, Medioevo canonicale (cit. a nota 4) pp. 176-179. Brani di lettere di Gregorio Magno insieme con altri transunti patristici si rinvengono anche nel Bonon. 2538, ff. 5v-8r (XIII sec.) del fondo della canonica di San Salvatore di Bologna in cui b riscontrabile l'influsso della canonica di San Frediano di Lucca, ibidem, pp. 159-160. Nel ms. 428 della Biblioteca Governativa di Lucca appartenuto alia canonica di San Donato della stessa cittä (seconda metä del XII secolo) h riportata, oltre le regole di Sant'Agostino e di San Benedetto, la vita dello stesso Benedetto scritta da Gregorio Magno, ibidem, pp. 149-150. Infine una lettera di Gegorio indirizzata a Dono episcopo mess, έ inclusa nell'Ottob. lat. 38, ff. 220v-222v (Gregorii I Papae Registrum Epistolarum, VIII, 3, pp. 4—5), ibidem, p. 80.
HAGEN KELLER
Oddo Imperator Romanorum L'idea imperiale di Ottone III alia luce dei suoi sigilli e delle sue bolle*
Tra gli imperatori del medioevo solo pochi hanno esercitato sugli uomini del X X secolo un fascino tale quale ha esercitato Ottone III.1 Giä i contemporanei esprimevano il loro stupore per il giovane, che a 16 anni sali sul trono imperiale e che, morto all'etä di non ancora 22 anni, mirava a superare quanto era stato giä raggiunto e creato dai suoi predecessori. Se suo padre Ottone II, figlio di Ottone I il Grande e di Adelaide, era considerato come erede sia del regno franco-orientale e lotaringio a nord delle Alpi sia del regno italico a sud, e a dodici anni con l'incoronazione a Roma era stato fatto partecipe dell'impero retto dai genitori, Ottone III, come figlio di Teofano, parebbe aver vissuto nella consapevolezza che l'origine di sua madre lo avrebbe portato, aldila delle tradizioni ereditate dal padre, in un mondo piü vasto, attraente nel suo splendore, carico di un imponente passato. Per la ricerca, cosl come per il pubblico piü ampio interessato alla storia, il fascino del personaggio risiede non da ultimo nel fatto che ci6 che sembra muovere lo spirito del giovane sovrano e dei suoi piü stretti collaboratori, apparentemente comincio a oltrepassare i limiti del realizzabile, fino a che la morte improwisa e precoce non fece dissolvere come immagini di sogno le sue idee e concezioni.2 Nella ricerca scientifica l'immagine di Ottone III έ soprattutto contrassegnata da quella che e stata caratterizzata come Γ,idea di Roma' della sua cerchia di
* Traduzione di Patrizia Carmassi. - Una breve redazione del presente contributo (senza note) appare con il titolo „Die Siegel und Bullen Ottos III." nel catalogo: „Europas Mitte um 1000". Beiträge zur Geschichte, Kunst und Archäologie, hg. von A. Wieczorek/H.-M. Hinz, Stuttgart 2000, vol. 2, pp. 768-773. Desidero ringraziare Thorsten Schottke per il competente aiuto nella redazione del manoscritto. ' Su „Ottone III nel giudizio dell'etä moderna" si veda da ultimo Althoff (cit. a nota 2) pp. 1-18. Tra le piü recenti biografie e descrizioni della vita di Ottone III siano qui citate: H . Beumann, Otto III. (983-1002), in: Idem (Hg.), Kaisergestalten des Mittelalters, München 1984, pp. 7 3 - 9 7 ; J. Fried, Der Weg in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschlands. Bis 1024 (Propyläen Geschichte Deutschlands 1), Berlin 1994, pp. 565-602, in particolare 583ss.; K. Görich, Kaiser Otto III., in: Bayerische Staatsbibliothek. Gebetbuch Ottos III. C l m 30111, München 1995, pp. 11-25; G . Althoff, Otto III., Darmstadt 1996; E. Eickhoff, Kaiser Otto III. Die erste Jahrtausendwende und die Entfaltung Europas, Stuttgart 1999.
2
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Hagen Keller
consiglieri, come la sua ,politica romana', ο comunque come la sua ambizione di una Renovatio imperii Romanorum. Anche nello studio di questo complesso di temi la storiografia si poteva fondare sullo stupore espresso dai contemporanei nei confronti del suo comportamento ο sulla conferma dell'imperatore mediante l'approvazione accondiscendente del suo ambiente; sono stati lo stesso Ottone e uomini della sua cerchia a proclamare una tale Renovatio, cosi come altri contemporanei hanno registrato questa volontä con atteggiamento critico. Sopratutto Percy Ernst Schramm, nel suo lavoro „Kaiser, Rom und Renovatio" uscito nel 1929, ha costruito sulla base di tali testimonianze unimmagine di Ottone III che e rimasta valida per molti decenni.3 Tuttavia da alcuni anni la visione generalmente accettata dell',idea di Renovatio' di Ottone III έ stata messa in dubbio, sia in ricerche di carattere monografico, sia in lavori di rinomati studiosi scritti per un pubblico piü ampio. La ricerca ha letto nella storia del giovane imperatore idee e finalitä che erano in realtä molto lontane dal suo agire e dagli orizzonti ideali della sua epoca? Sul fondamento di un approfondita analisi delle fonti sono state proposte interpretazioni diverse. In base ad esse la concezione di Roma di Ottone III rimane molto piü strettamente collegata al mondo intellettuale dei contemporanei di quanto le precedent! interpretazioni
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P. E. Schramm, Kaiser, Rom und Renovatio. Studien und Texte zur Geschichte des römischen Erneuerungsgedankens vom Ende des karolingischen Reiches bis zum Investiturstreit, 2 parti, Leipzig - Berlin 1929, ristampa della prima parte Darmstadt 4 1984; cf. perö C. Erdmann, Forschungen zur politischen Ideenwelt des Frühmittelalters. Aus dem Nachlaß des Verfassers hg. v. F. Baethgen, Berlin 1951, pp. 107ss.; R. Morghen, Ottone III Romanorum Imperator servus apostolorum, in: I problemi comuni dell'Europa postcarolingia (Settimane di studio del Centra italiano 2) Spoleto 1955, pp. 11-35 (p. 28: „Ma 1 'aurea Roma, caput mundi di Ottone III... era soprattutto la Roma di Cristo, santificata dal sangue dei martiri, sede del successore degli Apostoli, centro designato da Dio airimpero."); M. Uhlirz, Das Werden des Gedankens der Renovatio imperii Romanorum bei Otto III., ibid. pp. 201-219 (pp. 201s.: „Wiederbelebung des römischen Reichsgedankens im Sinne eines ecclesiastischen Imperiums unter der gemeinsamen Leitung von Kaiser und Papst"). Sullo stato attuale della discussione Althoff (cit. a nota 2) pp. Il4ss.; O. Engels, Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur, in: B. Schneidmüller/St. Weinfurter (Hg.), Otto III. - Heinrich II. Eine Wende?, Sigmaringen 1997, pp. 267-325, 305ss.; D. A. Warner, Ideals and action in the reign of Otto III, in: Journal of Medieval History 25 (1999), pp. 1-18; G. Althoff, Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat, Stuttgart 2000, pp. 109ss.; J. Fried, Römische Erinnerung. Zu den Anfängen und frühen Wirkungen des christlichen Rom-Mythos, in: Studien zur Geschichte des Mittelalters. Jürgen Petersohn zum 65. Geburtstag, hg. v. M. Thumser u. a., Stuttgart 2000, pp. 1 41; cf. anche G. Tellenbach (f), Gedanken zur ,Roma aeterna', in: Menschen, Ideen, Ereignisse in der Mitte Europas. Festschrift für Rudolf Lill zum 65. Geburtstag, hg. v. W. Altgeld u. a., Konstanz 1999, pp. 9-23. Ho potuto accedere al contributo di Fried solo dopo la conclusione del manoscritto, pertanto non ho potuto inserirlo nell'argomentazione. La discussione tuttavia non ha mai riguardato il fatto, se per Ottone III si possa documentare l'idea di una Renovatio imperii Romanorum, ma come έ il caso nel presente lavoro — la questione di come questa sia da interpretare nel periodo intorno al 1000.
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avessero supposto.4 Un nuovo modo di intendere le regole di relazione e comunicazione tra i potenti di quest'epoca consentono di leggere nelle fonti sulla storia di Ottone III dei messaggi che finora erano sfuggiti alia critica, e senza i quali tuttavia non e possibile interpretare i fatti tramandati in maniera adeguata ai tempi.5 Poich£ pressoch£ tutto quello che Ottone III ha awiato e fatto nei poco meno di sei anni del suo impero era connesso ο sembra essere stato connesso con lo scopo di una Renovatio imperii Romanorum, autenticamente testimoniato da lui ο in riferimento a lui, anche se nell'esatto contenuto b molto difficile da determinate, ogni affermazione scientific^ su questo insieme di idee conduce necessariamente al centro di attuali controversie scientifiche. Qui ci sono al momento pareri divergenti tra gli esperti.6 I recenti lavori hanno reso i ricercatori ancora piü consapevoli di un problema, di fronte al quale la ricerca storica si e sempre trovata volendo indagare l'idea di Roma di Ottone III: quanto e stato scritto sulla Renovatio imperii Romanorum sotto Ottone III b in definitiva una costruzione fatta in base a testimonianze molto diverse tra loro. La maggior parte di esse non deriva da Ottone III direttamente; tali testimonianze inoltre sono state spesso isolate dal loro contesto e messe in relazione con altre affermazioni presenti nelle fonti, prese anch'esse assolutamente. In che misura tali affermazioni isolate possono essere rappresentative per l'orizzonte di pensieri ο addirittura per la ,politica' di Ottone III? Ε che cosa significano ogni volta nel contesto del loro tempo?
4
Κ. Görich, Otto III. Romanus Saxonicus et Italicus. Kaiserliche Rompolitik und sächsische Historiographie, Sigmaringen 1993; le affermazioni sulla Vita di Bernwardo di Hildesheim sono contraddette da M . Stumpf, Zum Quellenwert von Thangmars Vita Bernwardi, in: Deutsches Archiv fiir Erforschung des Mittelalters 53 (1997), pp. 4 6 1 - 4 9 6 . St. Waldhoff, Der Kaiser in der Krise? Zum Verständnis von Thietmar IV, 48, in: Deutsches Archiv fiir Erforschung des Mittelalters 54 (1998), pp. 2 3 - 5 4 (sull'ascesi di Ottone III, con una critica a Schramm [come nota 3] pp. 176ss.). Cf. Kortüm (cit. a nota 72).
5
G. Althoff, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997; Idem, Zur Bedeutung symbolischer Kommunikation für das Verständnis des Mittelalters, in: Frühmittelalterliche Studien 31 (1997), pp. 3 7 0 - 3 8 9 . Di tale prospettiva tiene conto Althoff (cit. a nota 2).
6
Le attuali controversie hanno come oggetto soprattutto il viaggio di Ottone III a Gniezno e la sua .politica' nei confronti di Boleslao Chrobry di Polonia e di Stefano di Ungheria, cos! come la ,politica missionaria' di Ottone oltre i confini orientali dell'impero, su cui qui non έ possibile soffermarci in dettaglio. Per la discussione cf. J. Fried, Otto III. und Boleslaw Chrobry. Das Widmungsbild des Aachener Evangeliars, der A k t von Gnesen' und das frühe polnische und ungarische Königtum, Stuttgart 1989; J . - M . Sansterre, Le monastere des Saints-Boniface-et-Alexis sur l'Aventin et l'expansion du christianisme dans le cadre de la .Renovatio imperii Romanorum' d'Otton III, in: Revue b&iidictine 100 (1990), pp. 4 9 3 - 5 0 6 ; Κ. Görich, Ein Erzbistum in Prag oder Gnesen?, in: Zeitschrift für Ostforschung 4 0 (1991), pp. 1 0 - 2 7 ; ]. Fried, Der hl. Adalbert und Gnesen, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 50 (1998), pp. 4 1 - 7 0 ; Althoff (cit. a nota 2), pp. 126ss.; Idem (cit. a nota 3) pp. 188ss. II 28 e 29 gennaio 2 0 0 0 ha avuto luogo alla Humboldt-
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Solamente pochi monumenti storici conducono piü da vicino alla persona del sovrano. A questi appartengono in particolare i document! emessi dalla sua cancelleria e da lui stesso contrassegnati; per alcuni pare addirittura che egli abbia influito personalmente sul dettato.7 Quanto piü i privilegi vengono intesi anche come un mezzo di rappresentazione della propria sovranitä, con la consegna nel quadro di una cerimonia di corte affinche potesse essere messa in scena la benevolenza del sovrano,8 tanto piü grande e il significato che assumono le particolaritä osservate nei diplomi, ad esempio la intitulatio, che negli ultimi anni di regno cambia repentinamente ed έ inusuale, oppure - questo e il tema che sara trattato qui di seguito - i sigilli e le bolle del periodo imperiale. Che i sigilli di cera e di piombo di Ottone III9 siano un'espressione del suo modo di concepire l'idea del potere imperiale e che trasmettano questa idea direttamente e consapevolmente in forma visiva, e stato giä messo in evidenza. Infatti il primo tipo documentabile di bolla, dall'aprile 998 fino al maggio/giugno dell'anno 1000 riporta la fräse programmatica RENOVATIO IMPERII ROMANORUM, dopo che giä i sigilli imperiali di Ottone III avevano esteso il semplice OTTO IMP AUG del padre e del nonno a OTTO D(E)I GRATIA ROMANORU(M) IMP(ERATOR) AUG(USTUS).W
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Universität di Berlino un colloquio tedesco-polacco in occasione del millennio dell',Atto di Gniezno': dalla pubblicazione degli atti ci si possono aspettare nuovi contributi sul tema. Sulla parte avuta eccezionalmente da Ottone III di propria mano nella realizzazione del monogramma P. Rück, Bildberichte vom König. Kanzlerzeichen, königliche Monogramme und das Signet der salischen Dynastie, Marburg 1996, 23s.; cf. inoltre H. Hoffmann, Eigendiktat in Urkunden Ottos III. und Heinrichs II., in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 44 (1988), pp. 3 9 0 423. Η. Keller, Zu den Siegeln der Karolinger und der Ottonen. Urkunden als .Hoheitszeichen' in der Kommunikation des Königs mit seinen Getreuen, in: Frühmittelalterliche Studien 32 (1998), pp. 400-441. Catalogo (senza riproduzioni fotografiche, ma con indicazioni dettagliate): K. Foltz, Die Siegel der deutschen Könige und Kaiser aus dem sächsischen Hause. 911—1024, in: Neues Archiv der Gesellschaft fur ältere deutsche Geschichtskunde 3 (1878), pp. 9—45, 36ss.; correzioni in P. Kehr, Die Urkunden Otto III., Innsbruck 1890, pp. 113ss.; sull'uso nella cancelleria si veda anche Th. Sickel in: Die Urkunden Otto des III. (MGH Diplomata regum et imperatorum Germaniae 2/2), Hannover 1893, pp. 392a/b. Una presentazione completa dei sigilli e delle bolle in riproduzione grafica: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige von 751 bis 1806, hg. v. O. Posse, 5 voll., Dresden 1909-1913, vol. 1, tav. 9,3-6; 10,1-9; vol. 4, tav. 73,5-6; una riproduzione di tutti i tipi facilmente accessibile: P. E. Schramm, Die deutschen Kaiser und Könige in Bildern ihrer Zeit. 751-1190, nuova edizione a cura di F. Mütherich, München 1983, nr. 96-102; dettagliata descrizione (con la precisazione di importanti dettagli) e valutazione storico-artistica di S2, S4, S5 e di B1 da parte di R. Kahsnitz in: Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen. Katalog, hg. v. M. Brandt/ A. Eggebrecht, Hildesheim - Mainz 1993, vol. 2, pp. 17-29. II sigillo imperiale di Ottone I, che fu ripreso da Ottone II, si trova riprodotto, nei suoi definitivi caratteri iconografici, in Posse (cit. a nota 9) vol. 1, tav. 7,5-7; 8,5-6; 9,1-2; vol. 2, tav. 53,2-8; vol. 4, tav. 73,4; Schramm (cit. a nota 9) nr. 83, 89; Kahsnitz (cit. a nota 9) pp. 17ss. II—2, II—5.
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Interrogarsi ancora una volta sul reale significato dei sigilli e delle bolle di Ottone III appare dunque opportuno, tanto piü che dopo l'incoronazione imperiale del maggio 996 nel giro di meno di due anni furono utilizzate tre diverse matrici - con due modelli assolutamente differenti - , prima che la cancelleria, discostandosi cosi dall'intera tradizione occidentale, passasse ad autenticare i diplomi dell'imperatore esclusivamente con bolle di piombo. Anche qui il primo tipo dopo la spedizione dell'imperatore a Gniezno venne sostituito da una bolla dai caratteri completamente diversi. Gia Schramm aveva considerato le bolle come documenti testimonianti l'idea di Roma di Ottone III e le sue trasformazioni; Knut Görich parimenti le ha prese in considerazione nella sua critica al libro di Schramm, interpretandole perö in modo diverso.11 A me pare che questo gruppo di testimoni abbia da dire di piü di quanto finora ne sia stato tratto, se vengono analizzati insieme e se ogni tipo viene collocato nel contesto storico in cui esso fix introdotto. 12 II ripetuto cambiamento nei tipi di bolle e di sigilli, ogni volta con forme nuove senza agganci diretti alle tradizioni giä esistenti, paiono confermare l'immagine del giovane imperatore, mosso da una profonda irrequietezza e spinto da progetti ideali. In effetti si nota qui un contrasto con la costanza nell'aspetto del sigillo nel periodo di regno di Ottone III, vale a dire quel periodo in cui prima sua madreTeofano, poi la nonna Adelaide esercitavano la reggenza in vece sua. Dopo una matrice documentabile soltanto nell'ottobre 984, e pertanto „prowisoria" (SI), fu. utilizzato subito dopo un tipo iconograficamente non dissimile dal precedente (S2), il quale rimase in uso fino all'incoronazione imperiale di Ottone III nel maggio del 996 (fig. I). 13 Questo fu. creato sul modello del sigillo che Ottone II aveva usato nel 968 dopo l'incoronazione a coimperatore (fig. 2), 14 tuttavia con delle varianti significative. Mentre il sigillo di Ottone II, nel periodo in cui questi condivideva col padre il titolo di imperatore, con i suoi ca. 4,5 cm di diametro rimaneva per grandezza chiaramente al di sotto del sigillo usato nello stesso periodo da Ottone I quale primo imperatore (Ottone II poi nel 973 dopo la morte del padre lo fece proprio), 15 il sigillo regio di Ottone III fu. portato al diametro di questo sigillo, propriamente imperiale, vale a dire a ca. 6,5 cm. Al posto del titolo imperiale per Ottone III doveva essere inciso naturalmente il titolo regale, per il quale ci si ispirö al modello
'1 Vedi piü avanti alle note 6 3 - 8 3 . 12 Mi ricollego qui a studi precedenti: H. Keller, Ottonische Herrschersiegel. Beobachtungen und Fragen zu Gestalt und Aussage und zur Funktion im historischen Kontext, in: Bild und Geschichte. Studien zur politischen Ikonographie. Festschrift fiir Hansmartin Schwarzmaier zum 65. Geburtstag, hg. v. K. Krimm/H. John, Sigmaringen 1997, pp. 3 - 5 1 . 13 Keller (cit. a nota 12) p. 15; Kahsnitz (cit. a nota 9) p. 21s. II—6; Posse (cit. a nota 9) vol. 1, tav. 9,4; Schramm (cit. a nota 9) nr. 97. II sigillo prowisorio in Posse (vol. I, tav. 9,3) e Schramm (nr. 96). 14 15
Keller (cit. a nota 12) 20ss.; Kahsnitz (cit. a nota 9) p. 2 0 II—4. Come nota 10.
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del sigillo regio di Ottone I.16 Mentre il sigillo di coreggenza imperiale mostrava Ottone II imberbe, in opposizione all'imperatore Ottone I rappresentato con la barba prolixior,17 Ottone III, che aveva appena quattro anni, ricevette giä nel suo sigillo barba a pizzo e baffi, 18 veniva pertanto presentato come re pienamente abilitato ad agire, e come tale egli agiva, stando al testo dei suoi privilegi. Lo scettro appare portato nella mano destra (questa b rivolta verso il corpo), obliquamente fino a sopra le spalle; non termina alia fine, come era l'uso precedente, in un fiore stilizzato, ma ha una croce sulla punta, vale a dire riprende un elemento della tradizione e delle convenzioni iconografiche bizantine.19 Questi cambiamenti rispetto al modello iconografico del sigillo paterno del 968 permettono di riconoscere come questa ,insegna del potere' fosse consapevolmente elaborata all'interno del gruppo dei reggenti per il re bambino. Che Ottone lasciasse questo sigillo invariato, quando all'etä di quindici anni nell'autunno 994 comincio a regnare autonomamente, si puo spiegare col fatto che da questo punto in avanti era prevista la spedizione a Roma, che tuttavia per motivi esterni fu piü volte procrastinata. 20 Solo dopo l'incoronazione imperiale Ottone III a coloro a cui concedeva un privilegio moströ se stesso nel sigillo in una nuova e originale immagine. La costanza nell'uso di un sigillo dal 984 al 996 corrisponde a quanto era comune tra i predecessori di Ottone. Enrico I (919-936) aveva utilizzato durante il suo periodo di regno soltanto una matrice per il sigillo, parimenti dopo un tipo usato prowisoriamente per un breve periodo; 21 la cancelleria di Ottone I impiegö un unico sigillo dal 936 al 961, anche se la pietra della matrice nel 956 si era spezzata e dovette essere di nuovo incastonata; 22 anche il sigillo imperiale rimase dall'inizio del 965 fino alia morte di Ottone II alia fine del 983 iconograficamente sempre lo stesso, nonostante venissero prodotti diversi nuovi sigilli, identici tra loro in tutte le caratteristiche.23 Dopo l'incoronazione imperiale il 2 febbraio 962, tuttavia, nella cerchia into m o a Ottone I, si fecero degli esperimenti per quanto concerneva la forma da dare al nuovo sigillo imperiale - e questo assume un significato impor-
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In Ottone I OTTO D(E)I GR(ATI)A REX, in Ottone III OTTO D(E)I GRATIA REX. In Ottone III le parole D(E)I GRATIA si trovano in posizione simmetrica al di sopra della corona o, se si vuole, del capo incoronato. Keller (cit. a nota 12) p. 15. Kahsnitz (cit. a nota 10) p. 21. Kahsnitz (cit. a nota 10) p. 22. M.Uhlirz, Die Jahrbücher des deutschen Reiches unter Otto III. 983-1002, Berlin 1954, pp. 175ss., 190ss. Posse (cit. a nota 9) vol. 1, tav. 6 , 6 - 7 ; vol. 2, tav. 55,1; Schramm (cit. a nota 9) nr. 7 8 - 7 9 . Posse (cit. a nota 9) vol. 1, tav. 7,1-2; vol. 4, tav. 73,3; Schramm (cit. a nota 9) nr. 81; Kahsnitz (cit. a nota 9) p. 17 II—1. Kahsnitz (cit. a nota 9) pp. 18s. II—2, 20s. II—5; cf. le riproduzioni in Posse e Schramm (cit. a nota 9).
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tante quando si considerino i rapidi cambiamenti sotto Ottone III. Solo al terzo tentativo si trovö all'inizio del 965 la .formula' che rimase per cosl dire canonica fino al 983. Anche per Ottone II dal momento della sua partecipazione al trono imperiale, dopo il primo tipo poi imitato per Ottone III dal 968, fu ben presto utilizzato un sigillo fortemente modificato.24 Quindi non va attribuito semplicemente alla giovinezza di Ottone III e al volo impetuoso delle sue idee il fatto che dairincoronazione imperiale fino al momento della sua morte precoce non fu trovata una soluzione definitiva per la forma da dare ai sigilli e alle bolle dell'imperatore. Come Ottone il Grande evidentemente anche Ottone III e i suoi consiglieri si sono posti tenacemente la questione di come dovesse essere rappresentato il potere imperiale del sovrano in un'immagine che egli trasmetteva ai suoi fedeli nel corso di una dimostrazione cerimoniale della sua grazia. Per poter interpretare la potenzialitä espressiva cosl come la funzione dei sigilli e delle bolle, e innanzitutto necessario tener presenti alcune condizioni fondamentali per l'efficacia di questo mezzo di comunicazione. In primo luogo i sigilli e le bolle venivano consegnati insieme ai privilegi del sovrano e assumevano il loro significato in questa inscindibile connessione.25 Annunciati alia fine del testo del documento, sono un elemento essenziale del ,complesso di autenticazione', tra cui si trovano il monogramma del sovrano, la sua spiegazione solenne e legittimante, in lettere allungate (Signum domni Ottonis invictissimi imperatoris augusti ο simile), cosl come la sottoscrizione finale del cancelliere in rappresentanza deH'arcicappellano ο deH'arcicancelliere.26 Ci sono molti indizi per ritenere che l'apposizione del sigillo venisse fatta pubblicamente prima della consegna del diploma al beneficiario, nel contesto di un atto cerimoniale nel quale il sovrano apponeva di sua propria mano il ,trattino di compimento' al suo monogramma.27 A differenza delle monete contemporanee con il ritratto del reggente i sigilli non rappresentavano dunque un veicolo di immagini riprodotto a piacimento, ma erano una componente irrinunciabile della dimostrazione della benevolenza del sovrano.
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H. Keller, Das neue Bild des Herrschers. Zum Wandel der .Herrschaftspräsentation' unter Otto dem Großen, in: Ottonische .Neuanfänge'. Akten des Symposions Magdeburg 12. - 15. Mai 1999, hg. v. B. Schneidmüller/St. Weinfurter (in corso di stampa) pp. 1 8 9 - 2 1 1 . Idem (cit. a nota 12) pp. 5ss., 9ss.
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Keller (cit. a nota 8). Sull'aspetto esteriore dei document!: P. Rück, Die Urkunde als Kunstwerk, in: Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des ersten Jahrtausends. Gedenkschrift des Kölner Schnütgen-Museums zum 1 0 0 0 . Todesjahr der Kaiserin, 2 voll., hg. v. A. von Euw P. Schreiner, Köln 1 9 9 1 , vol. 2, pp. 3 1 1 - 3 3 3 ; sui diplomi di Ottone III cf. Idem (cit. a nota 7) p. 2 3 (con la riproduzione di D 3 6 1 del 15 maggio 1 0 0 1 , particolarmente significativo, nella fig. 801). Keller (cit. a nota 8) pp. 424ss.; sulla parte consistente di Ottone III alia realizzazione del monogramma cf. Rück (cit. a nota 7).
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Pertanto il ,messaggio' dell'immagine riprodotta sul sigillo rimane sempre collegato al testo del diploma; non corrisponde tuttavia ai singoli provvedimenti della disposizione, ma all'.aspetto di solennitä' di tutto il documento e — a livello della scrittura - ai segni della maestä sovrana nel protocollo e nell'escatocollo. La testimonianza del sigillo mantiene pero, similmente al compimento dato pubblicamente e di propria mano al monogramma da parte del re ο dell'imperatore, qualcosa dell'apice rituale della concessione della grazia del sovrano. £ contemporaneamente il memoriale di un atto che onora il destinatario, spesso addirittura dell'incontro personale privilegiato col sovrano, come anche un'ammonizione alle generazioni future a non modificare le disposizioni annunciate pubblicamente in quell'atto. Per la ,recezione' del sigillo bisogna inoltre pensare che nella societä di allora tali riproduzioni della figura del re erano qualcosa di straordinario, di non quotidiano. II periodo intorno al 1000 si trova appena alia soglia di quell'entusiasmo per le immagini tipico dei secoli centrali del medioevo. Quello che c'era allora in immagini di sovrani ο di dignitari ecclesiastici — quando c'era - era ο un elemento integrato localmente in costruzioni monumentali in forma di affresco, mosaico ο scultura, oppure, in utensili ο libri liturgici, era accessibile solo a un numero ristretto di persone.28 Tanto piü forte dobbiamo immaginarci pertanto l'efficacia del ritratto presente nel sigillo, un'opera artistica di piccole dimensioni, portatile, spesso di alta qualitä. Anche ad esso si addice un carattere sacrale, come si mostrerä nel corso dell'interpretazione. Si puo ritenere che la cerchia di persone relativamente ristretta che riceveva un tale sigillo con l'effigie del sovrano, disponeva delle conoscenze necessarie per leggere il messaggio contenuto nella rappresentazione, vale a dire per poter decifrare almeno nel significato essenziale quanto veniva trasmesso in un linguaggio simbolico e per poter inserire tale contenuto nell'orizzonte piü vasto della concezione del potere sovrano in un mondo ordinato da Dio. In tal senso ogni destinatario di un documento con il sigillo veniva chiamato personalmente
28
Cf. le riproduzioni in Schramm (cit. a nota 9) nr. 104—113. Sulla rappresentazione dei regnanti nelle miniature dei codici si veda da ultimo U. Kuder, Die Ottonen in der ottonischen Buchmalerei, in: Herrschaftsrepräsentation im ottonischen Sachsen. Texte, Bau- und Bildkunst, hg. v. G. Aithoff/E. Schubert, Sigmaringen 1998, pp. 1 3 7 - 2 3 4 con talvolta nuove, ma non sempre convincenti proposte di datazione e identificazione. Sul contesto storico delle rappresentazioni ottoniane del sovrano nel codice liturgico: H. Keller, Herrscherbild und Herrschaftslegitimation. Zur Deutung der ottonischen Denkmäler, in: Frühmittelalterliche Studien 19 (1985), pp. 2 9 0 - 3 1 1 ; J. Wollasch, Kaiser und Könige als Brüder der Mönche. Zum Herrscherbild in liturgischen Handschriften des 9. bis 11. Jahrhunderts, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 4 0 (1984), pp. 1 - 2 0 ; Η. Hoffmann, Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich, 2 Bde., Stuttgart 1986, vol. 1, pp. 7—41; St. Weinfurter, Sakralkönigtum und Herrschaftsbegründung um die Jahrtausendwende. Die Kaiser Otto III. und Heinrich II. in ihren Bildern, in: Bilder erzählen Geschichte, hg. v. H. Altrichter, Freiburg/Br. 1997, pp. 4 7 - 1 0 ; E.-D. Hehl, Maria und das ottonischsalische Königtum. Urkunden, Liturgie, Bilder, in: Historisches Jahrbuch 1 1 7 (1997), pp. 2 7 1 310.
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per nome e, ricevendo il diploma con l'effigie del sovrano, dichiarava al tempo stesso la sua fedeltä al suo signore, re ο imperatore ,per grazia divina'. La funzione comunicativa del sigillo in se stesso andö rafforzandosi, quanto piü l'immagine del sigillo nel corso del X secolo assunse il carattere di una effigie del sovrano nelle insegne della sua dignitä e potenza, a lui concesse da Dio. 29 Dopo la nuova configurazione assunta dal sigillo del re franco-orientale all'inizio del X secolo, e dopo una profonda trasformazione a seguito della coronazione imperiale di Ottone I nel 962, 30 si verificö qui un decisivo nuovo passo in avanti sotto Ottone III. Se si intende il sigillo come il portatore di un messaggio e come mezzo di comunicazione del sovrano con i suoi sudditi, e opportuno gettare uno sguardo sulla frequenza della sua utilizzazione; per l'interpretazione delle singole testimonianze puo rivelarsi importante anche il numero dei rispettivi sigilli tramandati. Di Ottone III sono noti a tutt'oggi 405 testi di diplomi che possono essere analizzati.31 Nella grande maggioranza dei casi provengono da archivi di chiese episcopali, monasteri e collegiate; privilegi a favore di laici avevano invece una piü scarsa probabilitä di essere tramandati. Anche se per questo motivo il numero complessivo dei diplomi si puo difficilmente calcolare,32 ci dovrebbero essere noti piü del 50% dei diplomi che furono emessi alia corte di Ottone III nel corso di 18 anni. Piü della metä circa 220 - sono conservati in originale. Di questi in teoria piü di 160 potrebbero portare un sigillo di cera, e circa 58 una bolla. Effettivamente conservati sono insieme al documento 33 - 37 bolle, 24 dei tre stampi del primo, 13 dell'ultimo tipo. Dei sigilli di cera se ne sono conservati 99, tuttavia molti in condizioni frammentarie se non addirittura semidistrutti. A causa del periodo piü ο meno lungo di utilizzazione della matrice, la tradizione b molto diversa per i singoli tipi: del sigillo regale ,prowisorio' si conosce solamente un esemplare, nel frattempo perduto; deirultimo sigillo imperiale, il sigillo con il trono, che ha introdotto il tipo del ,sigillo-maesta', rimangono ancora due esemplari; e nessuno di questi pezzi e senza danneggiamenti. 34 Per il primo sigillo imperiale l'edizione dei Diplomata 29
Keller (cit. a nota 8) pp. 439s.
30
C o m e nota 24.
31
L'edizione dei document! conta 4 2 4 pezzi, ma tra questi sono compresi anche lettere senza sigillo, placid e mandati. D'altra parte di alcuni diplomi c'b una doppia redazione, ed a volte sono conservati entrambi gli esemplari in originale. Le cifre sopra indicate sono state ricavate sulla base dei dati contenuti nell'edizione (cit. a nota 9) e in I. Fees, Abbildungsverzeichnis der original überlieferten fränkischen und deutschen Königs- und Kaiserurkunden von den Merowingern bis zu Heinrich VI., Marburg 1994; cf. Kehr (cit. a nota 9) p. 2 (con cifre lievemente divergenti).
32
Tra i document! tramandati di Ottone III ci sono 65 diplomi emessi per singole persone nella
33
Le bolle che non erano saldamente applicate sulla pergamena in alcuni casi furono staccate e custodite
34
Cf. le riproduzioni in Posse (cit. a nota 9) vol. 1, tav. 9,3; tav. 10,1; Schramm (cit. a nota 9) nr. 96,
maggioranza dei casi laiche. separatamente per garantirne la conservazione. 100; Kahsnitz (cit. a nota 9), p. 24 II—8.
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fornisce I'indicazione di sette reperti, per il secondo di otto. II sigillo regale definitivo invece - inclusi i frammenti - e documentabile ancora in circa 80 documenti, eppure solo un esemplare sembra riportare con chiarezza un dettaglio importante: che lo scettro del re - evidentemente sull'esempio di modelli bizantini — porta sulla punta una croce.35 I sigilli e le bolle di Ottone III vengono qui esaminati e considerati come testimonianze di idee condivise dallo stesso Ottone III. Nella loro successione sono l'espressione di un programma che si sviluppa a passi molto veloci. Se si considera la funzione pragmatica e comunicativa assolta da queste testimonianze, allora non potremo concepire tale .programma' in un senso propagandistico, cioe quale proclamazione di determinate finalitä, bensi come manifestazione di ciö che l'imperatore credeva di essere e di aver raggiunto e voleva comunicare ai propri fedeli. Proprio alia luce dei mutamenti che si susseguirono a breve distanza e delle innovazioni piuttosto audaci, non si puo pensare che Ottone III usasse tali insegne di sovranitä se queste non corrispondevano all'.immagine' con cui egli voleva mostrare la sua dignitä. Esse furono disegnate sicuramente da persone di fiducia della cerchia piü ristretta di persone al suo seguito. Come la materia stessa suggerisce gli ideatori sono da cercare senza dubbio nell'ambito della cappella di corte e della cancelleria. Tuttavia essi non hanno assolutamente ideato in maniera libera e spontanea le immagini dei sigilli, per quanto esse risultino cosl innovative. Tutte le creazioni fanno riferimento alle rispettive insegne di sovranitä dei predecessori Ottone il Grande e Ottone II soprattutto, ma anche Carlo Magno e i re francoorientali e italici. Non da ultimo b proprio questo ,dialogo' con precedenti forme di fissazione delle insegne di ,sovranitä', a rendere le testimonianze del periodo imperiale di Ottone III cost dense di significato. I sigilli imperiali di Ottone III si mantengono conformi alle decisioni fondamentali che erano state prese nel 962 con l'incoronazione imperiale di Ottone I: 36 la rappresentazione dinamica del sovrano in azione visto di fianco venne allora sostituita con un'immagine frontale statica, dalla severitä ieratica; al reggente non vengono piü messe in mano delle armi, lo seudo e la lancia col vessilo, come era diventato tradizionale nel regno franco-orientale,37 ma insegne, vale a dire scettro e globo, inoltre l'imperatore viene mostrato con un alta corona liturgica al posto del sottile diadema. 38 Con l'incoronazione a imperatore Ottone III mostrava, innan-
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Kahsnitz (cit. a nota 9) p. 22. II mutamento radicale in concomitanza con l'incoronazione imperiale έ stato sempre sottolineato dalla ricerca e menzionato nelle opere sull'argomento; da ultimo: Keller (cit. a nota 24).
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Keller (cit. a nota 8) pp. 416s.; Kahsnitz (cit. a nota 9) p. 17 II— 1.
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Kahsnitz (cit. a nota 9), pp. 18s. II—2, 20s. II—5; Keller (cit. a nota 12) 9ss. II sigillo imperiale raggiunse la sua forma definitiva al terzo tentativo all'inizio del 9 6 5 ; la frontalitä dell'immagine e le insegne furono perö introdotte giä con l'incoronazione imperiale del 9 6 2 . Le affermazioni present!
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zitutto nel sigillo, che ora egli entrava pienamente nella posizione di suo padre e di suo nonno imperatori. Le insegne sono quelle del sigillo imperiale del 965-983: il baculum imperiale nella destra, tenuto trionfalmente, il grande globo, presentato all'altezza della spalla con la sinistra che si stende di lato staccandosi dal corpo (fig. 3). Se ora si osserva solo la metä superiore del sigillo, vale a dire la testa, le braccia e il busto del sovrano rappresentato, per quanto concerne il portamento e gli attributi sono stati ripresi tutti gli elementi del piü antico sigillo imperiale. Il sigillo tuttavia fu. ancora una volta ingrandito, portando il diametro fino a 7,5 cm. Cosl esso offriva la possibilitä di mostrare l'imperatore in piedi in tutta la sua figura (fig. 4).39 Nella storia del sigillo questo rappresentava un'innovazione radicale. Il modello deve essersi ispirato ad immagini dell'imperatore dell'antichitä, e a rappresentazioni dei sovrani bizantini present! su monete e bolle.40 Inoltre per la prima volta nell'iscrizione, attraverso I'aggiunta Romanorum apposta al titolo normale imperator augustus, venivano annunciate le ambizioni di dominio sull'impero dei Romani e veniva inserita anche nel sigillo imperiale la formula di legittimazione dei gratia impiegata nel sigillo regale giä sotto Ottone I.41 Se un destinatario confrontava il sigillo imperiale di Ottone III con quello del padre ο del nonno, il figlio ο nipote gli appariva non solo in una nuova forma, ma anche contemporaneamente come imperatore con piü vaste ambizioni. Giä sulla via di Roma Ottone III aveva dimostrato attraverso una decisione molto inconsueta come egli vedesse la propria posizione: a Pavia consegno l'ufficio di pontefice romano a un tedesco, il nipote e cappellano di corte Bruno, e questi, all'inizio del maggio 996 consacrato papa col nome di Gregorio V, lo incorono imperatore nel giorno dell'Ascensione (21 mag-
nella storiografia ottoniana concernenti la legittimazione del potere del sovrano, le sue ,immagini del regnante', consentono di riconoscere che il cambiamento nell'iconografia del sigillo teneva conto di un mutamento nel modo di concepire il carattere della monarchia e dei segni della grazia divina; cf. Keller (cit. a nota 24). 39
Posse (cit. a nota 9) vol. 1, tav. 9,5; Schramm (cit. a nota 9) nr. 98. Con l'incoronazione imperiale si trasforma in maniera sostanziale anche il monogramma. Per il monogramma imperiale Ottone III prese come modello il nuovo tipo monumentale che suo padre aveva introdotto nel 975, ne cambio tuttavia i tratti in modo originale e denso di significati; cf. Rück (cit. a nota 7) pp. 22ss. (con le riproduzioni alle pp. 109-119).
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I modelli possibili sono cosl svariati che non h praticamente possibile prendere una decisione in proposito senza avere a disposizione altri punti di riferimento. Per I'utilizzazione nel sigillo: Keller (cit. a nota 8) pp. 411, 4l5ss., 423. Mentre sui sigilli e sulle prime immagini sulle bolle, sia nel regno franco-orientale che nel primo periodo di regno della dinastia degli Ottoni, la scritta comincia all'altezza del braccio destro e si estende sopra la testa fino al braccio sinistro, il ,testo' del sigillo imperiale e delle bolle imperiali di Ottone III, con inizio e fine in una croce posta sopra il capo, girano tutto intorno al sigillo in senso orario. In S4 e 5 questo έ interrotto dal ,palco' su cui l'imperatore sta in piedi ο έ seduto in trono. Con ciö l'iconografia si riallaccia ad una tradizione, che si era imposta nel Regnum Italicum a partire dal tardo IX secolo e che per breve tempo era stata ripresa anche nei primi sigilli imperiali di Ottone I, realizzati in Italia e utilizzati nel periodo tra il 962 e il 964 (S2, S3).
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gio).42 Un pronipote di Ottone il Grande sulla cattedra di Pietro, il nipote come imperatore dei Romani: XImperium Romanum era per grazia divina nelle mani di Ottone III - tale consapevolezza veniva portata nei territori soggetti alia sovranitä di Ottone mediante il suo sigillo, che per la prima volta e documentabile il 22 maggio con la figura intera dell'imperatore. Singoli elementi del secondo sigillo imperiale aiuteranno a interpretarne il significato in maniera piü fondata. Lo spazio di tempo nel quale venne impiegato il primo sigillo imperiale (S3), si puö delimitare molto precisamente (dal 21 maggio 996 alla metä di aprile 997), cosl che in questo caso ci si puö fare un'idea della frequenza con cui la nuova immagine dell'imperatore venne presentata ai membri del gruppo dirigente all'interno del suo impero. Dagli undici mesi sono noti 44 documenti. In un primo momento hanno visto l'immagine dell'imperatore quasi esclusivamente destinatari residenti in Italia; solo dopo il rientro di Ottone nel settembre 996 furono concessi piü spesso anche dei privilegi a chiese e grandi a Nord delle Alpi. Ai dodici pezzi qui conservati bisogna sicuramente aggiungere un numero sconosciuto di documenti andati perduti; tuttavia l'effigie dell'imperatore non dovrebbe essere stata consegnata in Germania piü di una venticinquina di volte. Tra i destinatari documentati non c'e nessuna chiesa ο personalitä della Sassonia.43 Ai suoi Sassoni Ottone III si moströ con un sigillo modificato (fig. 5), quando nell'aprile del 997 entrö nella regione da cui aveva avuto origine la dinastia.44 II secondo sigillo imperiale (S4) appare ad un primo sguardo solo una versione migliorata del primo: Un opera d'arte in cui la raffigurazione e di piü alta qualitä. Quale differenza degna di nota appare solamente il fatto che l'imperatore si trova piü chiaramente sopra una collina e che il suo manto, „come mosso dal vento" (Schramm), sventola nello spazio vuoto accanto alla figura in piedi. Se nelle miniature contemporanee si cercano mantelli ο sciarpe mossi dal vento, questi si trovano ad esempio nella figura di Cristo, che nella preghiera sul monte degli ulivi ascolta
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Uhlirz (cit. a nota 20) pp. 200ss.; Althoff (cit. a nota 2) pp. 82ss.; cf. anche Τ. A. Moehs, Gregorius V. 9 9 6 - 9 9 9 . A biografical study, Stuttgart 1972, pp. 27ss. Se si considera il fatto che giä Ottone II nel 974 voleva innalzare al soglio di Pietro l'abate Maiolo di Cluny e che nella successiva vacanza della sede pontifica fece diventare papa il suo arcicancelliere italiano, il vescovo Pietro di Pavia, allora si vede come Ottone III, assegnando il papato a Bruno e a Gerberto di Aurillac, agisse secondo la politica paterna. II fatto che l'opposizione romana nel 997 con Giovanni Filagato, arcivescovo di Piacenza, parimenti innalzasse al soglio pontificio un prelato di origine non romana, legato all'imperatore, sembra tener conto di questa tendenza della politica imperiale.
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Dal periodo del soggiorno in Italia si sono conservati soltanto documenti per le chiese vescovili di Frisinga e di Salisburgo, dal periodo dopo il rientro privilegi per destinatari franchi e lotaringi, cosl come ancora per Frisinga e per il monastero di Einsiedeln nel ducato di Svevia. Ai confini dei ducati il re ο l'imperatore veniva ricevuto dai grandi della regione, in cui egli entrava; ciö valeva in particolare quando - come qui Ottone III in qualitä di imperatore - egli compariva per la prima volta nella sua nuova dignitä.
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l'angelo, che ascende al cielo, ο che annuncia agli apostoli lo Spirito Santo, nell'angelo deirAnnunciazione e in parte in coloro che ricevono un messaggio divino, come i pastori ο le donne al sepolcro, negli apostoli che assistono alia trasfigurazione del Signore, negli evangelisti ispirati nell'evangeliario di Ottone III conservato a Monaco - in breve: lä dove Dio rende gli uomini testimoni dell'annucio della salvezza.45 II parallelismo iconografico piü preciso si trova sull'antependio di Basilea offerto dall'imperatore Enrico II, nel cui pannello centrale il Cristo della parusia si trova in piedi su una collina, in modo molto simile con un man to „mosso dal vento", mentre tiene nella sinistra un globo, qui contrassegnato dal suo monogramma cosl come dalle lettere Alfa e Omega. 46 Ii manto „come mosso dal vento" nella figura del sigillo segnala l'agire di Dio, anzi la presenza di Dio nell'esercizio di potere dell'imperatore. La famosa miniatura deH'evangeliario di Ottone III conservato ad Aquisgrana, che mostra l'imperatore — se questi vive secondo il messaggio divino annunciato nei vangeli! - su uno sfondo aureo incorniciato di porpora, in una mandorla appena accennata, sospeso tra la sfera celeste e quella terrestre, e quindi in una iconografia simile a quella dello stesso Cristo,47 rende chiaro un mondo di idee, a cui anche il nuovo sigillo imperiale rimanda. Nel sigillo successivo tali concetti troveranno un'ulteriore sviluppo. Motivi per riflettere sulla sua posizione a Roma e sul suo impero, Ottone III ne aveva allora a sufficienza. Aveva appena dato awio al suo viaggio di ritorno in Germania, che il papa Gregorio fu cacciato da Roma, il prefetto cittadino inizio a cospirare con il legato del bizantino ,imperatore dei Romani'; nel febbraio del 997 l'opposizione romana, „trasgredendo gli ordini dell'imperatore", innalzö il greco Giovanni Filagato, che era stato maestro di Ottone III e favorito dell'imperatrice Teofano, al soglio papale con il nome di Giovanni XVI. L'imperatore era esortato ad agire; su incitamento di Gregorio V l'abate Abbone di Fleury propose allora in una poesia artisticamente elaborata alia sua meditazione l'esempio del nonno e del
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Esempi si trovano nelle riproduzioni soprattutto delle miniature della scuola di Reichenau nel periodo intorno al 1000 e su oggetti preziosi; cf. le riproduzioni in P. E. Schramm/F. Mütherich, Denkmale der deutschen Könige und Kaiser. Ein Beitrag zur Herrschergeschichte von Karl dem Großen bis Friedrich II. 7 6 8 - 1 2 5 0 , München 1962; Das Evangeliar Ottos III. Clm. 4 4 5 3 der Bayerischen Staatsbibliothek München. Faksimile und Textband, hg. v. F. Dressier u.a., Frankfurt 1977/78; H. Mayr-Harting, Ottonische Buchmalerei. Liturgische Kunst im Reiche der Kaiser, Bischöfe und Äbte, Darmstadt 1991, pp. 1 6 7 - 1 9 3 (= Ottonian Book Illumination, 2 voll., London 1991).
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Schramm (cit. a nota9) nr. 128, pp. 380s.; Schramm-Mütherich (cit. anota45) nr. 138, pp. 359ss.; Mayr-Harting (cit. a nota 45) figg. 62, 84; H. Jantzen, Ottonische Kunst. Neuausgabe hg. v. W. Schenkluhn, Berlin 1990, fig. 38. Schramm (cit. a nota 9) nr. 107. Ε. G. Grimme, Das Evangeliar Kaiser Ottos III. im Domschatz zu Aachen, Freiburg/Br. u. a. 1984, p. 19.
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padre.48 Dall'inizio dell'anno 997 fino ai primi di aprile la corte rimase ad Aquisgrana, mentre legati e notizie arrivavano all'imperatore da Roma e dall'Italia. Le rivendicazioni di Ottone in Italia venivano sottolineate dalla cancelleria, nel momento in cui questa poneva ora regolarmente nei documenti il titolo Romanorum imperator augustus,® corrispondentemente alia formula usata nel sigillo giä a partire dall'incoronazione imperiale. In questa situazione venne ideato il nuovo sigillo imperiale (S4). Puö essere un caso che esso sia tramandato per la prima volta in un documento del 18 aprile, che nell'anno 997 era la terza domenica dopo Pasqua (Jubilate Deo), emesso a Dortmund, dove alcuni grandi della Sassonia avevano ricevuto l'imperatore proveniente dalla Lotaringia, per il monastero ottoniano di Essen retto dalla badessa Matilde. 50 Tuttavia l'antico ordinamento liturgico delle letture per questo giorno puö illuminarci su quello che l'immagine sul sigillo con il manto mosso dal vento voglia significare. In questo giorno vengono letti come epistola i versetti 11-19 dal capitolo 2 della prima lettera di Pietro, il cui passo centrale b il seguente: ,Siate sottomessi ad ogni istituzione umana per amore del Signore: sia al re come sovrano, sia ai duchi come suoi inviati per punire i malfattori e premiare i buoni. Perche questa e la volontä di Dio, che operando il bene voi chiudiate la bocca all'ignoranza degli stolti.' La lettura evangelica (Giovanni 16, 16-22) riporta il passo dal discorso di addio di Gesü, in cui egli durante l'ultima cena annuncia agli apostoli la sua resurrezione.51 L'imperatore e destinato da Dio a governare e chi vuole aver parte alia vita eterna deve sottomettersi a tale ordinamento: questo messaggio era contenuto anche nel sigillo imperiale di Ottone III. Nonostante la crisi a Roma Ottone III fu trattenuto in Germania fino all'autunno del 997. Prima di partire per Roma da Aquisgrana, comincio a usare un sigillo
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Görich (cit. a nota 4) pp. 223ss. con bibliografia; ibid. pp. 216ss. sul ruolo importante dell'abate Leone di SS. Bonifacio e Alessio a Roma, il quale nel marzo/aprile e nell'ottobre 997 venne da Ottone ad Aquisgrana; sugli stretti contatti dell'imperatore con Gerberto di Reims in questo periodo: ibid. pp. 21 lss. Sull'abate Leone cf. anche Sansterre (cit. a nota 6). L'aggiunta Romanorum al titolo imperiale, che all'inizio era stata utilizzata solo da uno scriba non appartenente alia cancelleria (DD 198, 2 0 3 - 2 0 6 , 209, 222, anche 224, non datato, che a causa dell'aggiunta Romanorum nella sottoscrizione e da datare dopo l'ottobre del 997), compare dopo il ritorno dell'imperatore in Germania prima piü spesso e infine, dallo scorcio del 996, costituisce una parte fissa nella titolatura. Sulla base della tradizione si potrebbe addirittura mettere in dubbio che la comparsa di Romanorum nella intitulatto prima di D 231 sia veramente sicura. Cf. Kehr (cit. a nota 9) p. 129. S3 compare per l'ultima volta su un documento consegnato il 9 aprile ad Aquisgrana (D 239), tuttavia tutti i diplomi precedent! fino ad un documento del 31 ottobre 996 (D 231) sono tramandati senza sigillo. Sulle letture cf. Herman A.J. Wegman, Liturgie in der Geschichte des Christentums, Regensburg 1994, pp. 209s.; Β. Fischer, Die römische Osterfeier vom 6 . - 1 6 . Jahrhundert, in: Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft, parte 3: Gestalt des Gottesdienstes. Sprachliche und nichtsprachliche Ausdrucksformen, Regensburg 2 1990, p. 119.
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concepito in maniera del tutto nuova (S5). Al posto dell'imperatore in piedi vi b rappresentato il sovrano assiso sul trono (fig. 6), di nuovo in posizione rigidamente frontale, con il globo innalzato all'altezza del capo dall'avambraccio sinistro tenuto quasi verticalmente, e con uno scettro al posto del baculum nella destra, che & portata in alto simmetricamente al braccio sinistro.52 L'immagine evoca quella del Cristo in trono, e questo rimando era tanto piü riconoscibile dal destinatario del diploma, in quanto la liturgia faceva risaltare con formule molto espressive e ricche di immagini la corrispondenza riproducibile visivamente tra Cristo, ,re dei re e signore dei signori' e il re terreno, ,unto del Signore'; non solo: l'idea del sovrano come vicarius Christi divenne proprio in quel periodo un elemento costitutivo del modo di concepire l'essenza del potere sovrano del re.53 Che il Cristo in trono sul recto delle bolle d'oro bizantine fosse il modello diretto, come h stato scritto,54 appare dubbio per motivi di carattere iconografico. Infatti il Cristo nella tradizione bizantina siede su un trono con uno schienale ampio, spesso a forma di lira, mentre Ottone b rappresentato su un trono imperiale senza schienale e con chiaramente una pedana sotto i piedi; anche per la posizione delle braccia non ci sono parallelismi con le rappresentazioni di Cristo nell'arte bizantina, ma piuttosto con quelle occidentali, dove in genere anche il trono di Cristo non presenta alcuno schienale.55 Ii fatto che il sovrano nelle miniature di etä tardo-ottoniana venisse parimenti rappresentato sul trono, deve essere sicuramente tenuto in considerazione in rapporto a una ripresa del tipo per il sigillo;56 la circostanza inoltre che proprio tali rappresentazioni si trovino in codici liturgici ο anche su utensili liturgici,57 conferma che il motivo presente sul sigillo vada interpretato nel contesto di una concezione teologicoreligiosa dell'ordinamento dell'autoritä sovrana. Una placca di smalto della corona ottoniana ricorda il fondamento del potere regio: Per me reges regnant (Prov. 8, 15), e ogni documento emesso dal re presenta lo stesso come Dei gratia/clementia/ misericordia rex/imperator - la cancelleria di Ottone III ha talvolta elaborato tale formula in maniera molto significativa.58 II monarca riceve da Dio ciö che egli e
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Posse (cit. a nota 9) vol. 1, tav. 10,1; Schramm (cit. a nota 9) nr. 100; Kahsnitz (cit. a nota 9) pp. 24s. II—8; W. Goez, Zur Entstehung des Thronsiegels, in: Festschrift für Gerhard Bott zum 60. Geburtstag, Darmstadt 1987, pp. 2 1 1 - 2 2 1 ; Keller (cit. a nota 12) pp. 18ss., 27ss., 33ss. Goez (cit. a nota 52) pp. 217s.; R. Schieffer, Mediator cleri et plebis. Zum geistlichen Einfluß auf Verständnis und Darstellung des ottonischen Königtums, in: Herrschaftsrepräsentation (cit. a nota 28) pp. 3 4 5 - 3 6 1 , con ulteriori indicazioni. W. Ohnsorge, Konstantinopel und der Okzident, Darmstadt 1966, pp. 284s.; Goez (cit. a nota 52) p. 217; Keller (cit. a nota 8) pp. 42Iss.; Idem (cit. a nota 12) pp. 28s.
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Keller (cit. a nota 8) pp. 421s.
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Goez (cit. a nota 52) p. 214; Kahsnitz (cit. a nota 9) p. 25. Keller (cit. a nota 28). Cf. ad esempio D D 304, 334, 339, 3 4 6 - 3 5 0 , 352, 353, 355, 358, 359, 361, 366, 375, 3 8 8 - 3 9 0 ; cf. Schieffer (cit. a nota 52) pp. 350ss.; si veda anche piü avanti nota 81.
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nell'esercizio del suo ufficio: come mostra in particolare il modo di afferrare lo scettro, ma anche di tenere il globo, Ottone III riceve le insegne sul trono si potrebbe dire dall'alto, in un gesto di umiltä e di preghiera,59 che attraverso tale ,investitura' diviene al tempo stesso un gesto di maestä. Ottone adoperava questo sigillo, quando scese a Roma per giudicare l'antipapa e i ribelli, un giudizio che risulto terribile: a Giovanni furono amputati lingua e naso, cavati gli occhi, e dopo che fu deposto in un sinodo, fu messo a cavalcioni di un asino e fatto andare cosl per le vie di Roma; il prefetto della cittä Crescenzio fix decapitato, il cadavere fu gettato da Castel S. Angelo e poi appeso per i piedi.60 Gli Annali Quedlinburgensi giustificano coloro che fecero ciö con la motivazione che essi agirono in tal modo ,ηοη tanto da amici dell'imperatore, quanto da amici di Cristo'. 61 A Quedlinburgo le informazioni in proposito erano venute da un comandante dell'esercito tedesco che l'imperatore aveva inviato perche investisse al suo posto con una verga aurea la nuova badessa, sua sorella Adelaide.62 Nell'espressione amici Christi si nasconde certamente qualcosa della giustificazione di Ottone III per il suo operato. Forse ancora prima che fosse espugnato Castel S. Angelo, nel quale Crescenzio si era trincerato, la cancelleria di Ottone inizio ad autenticare i documenti con bolle di piombo anziehe con sigilli di cera, mantenendo quest' uso fino alia morte dell'imperatore. Bolle di piombo erano usate come sigilli dal papa, bolle di piombo ο addirittura d'oro dagli imperatori bizantini.03 Pertanto il radicale cambiamento in un importante strumento di manifestazione della sovranitä imperiale, che Ottone III fece attuare nel corso della dimostrazione della sua maestä imperiale a Roma, aveva certamente un carattere programmatico.64 Sulla bolla stessa (Bl) per la prima 59 60 61
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Keller (cit. a nota 12) pp. 3Iss. Su questo episodio con una nuova interpretazione Althoff (cit. a nota 2) pp. 1 OOss. Annales Quedlinburgenses, hg. von G. H. Pertz, in: M G H SS 3, Hannover 1839, p. 74; cf. Althoff (cit. a nota 2) p. 102; Keller (cit. a nota 12) p. 1 9 nota 64. Mi pare che questa indieazione non sia sostanzialmente da vedere separata dal titolo servus Jesu Christi, che Ottone III portava nell'anno 1 0 0 0 durante la spedizione a Gniezno, dopo aver varcato le Alpi; i documenti con questa intitulatio sono andati tutti, con una sola eeeezione (D 349), a destinatari tedeschi. Cf. D D O l l i 3 4 4 - 3 5 0 , 352s., 355, 358s., 3 6 1 , 366; in proposito Schramm (cit. a nota 3) pp. 1 4 1 - 1 4 6 ; cf. anche Kehr (cit. a nota 9) pp. 133ss. Α questo proposito G. Althoff, Warum erhielt Graf Berthold im Jahre 9 9 9 ein Marktprivileg fiir Villingen?, in; Die Zähringer. Schweizer Vorträge und neue Forschungen, hg. v. K. Schmid, Sigmaringen 1990, pp. 2 6 9 - 2 7 4 . Ε. Kittel, Siegel, Braunschweig 1970, pp. I63ss., 383ss.; F. Dölger/J. Karayannopulos, Byzantinische Urkundenlehre. Erster Abschnitt: Die Kaiserurkunden, München 1968, pp. 40ss.; G. C. Bascap£, Sigillografia, vol. 2: Sigillografia ecclesiastica, Milano 1975, p. 81, tav. I. In proposito Schramm (cit. a nota 3) pp. 117ss.; per una critica: Görich (cit. a nota 4) pp. 190ss., 267ss.; Althoff (cit. a nota 2) pp. 114s. Cf. ancora W. Ohnsorge, Ottos III. Legation an Basileios II. vom Jahre 998. Ein Beitrag zur Frage des byzantinischen Einflusses auf die Metallsiegelpraxis des Westens, in: Idem, Abendland und Byzanz, Darmstadt 1 9 6 1 , pp. 2 8 8 - 2 9 9 .
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volta nell'impero occidentale furono utilizzate entrambe le facce per imprimervi delle immagini, come era usuale a Bisanzio (figg. 7-8). Sul recto si trova, messo in particolare rilievo e quasi con tratti anticheggianti, il busto del giovane imperatore visto di profilo,65 senza che vi fossero disegnate armi, come lo scudo e la lancia delle bolle imperiali carolingie,66 con una corona a calotta semicircolare, simile a quella che si poteva vedere sui sigilli dei re italiani prima di Ottone il Grande.67 II modello per il tipo di testa di profilo pare che sia stato fornito da una bolla attribuita a Carlo Magno.68 Ii diametro piü grande della bolla consente ora di mettere nell'iscrizione il titolo Imperator Augustus senza abbreviazioni. Si poteva qui rinunciare all'aggiunta Romanorum, poich£ tale qualitä della dignitä imperiale veniva articolata ancora piü esplicitamente sull'altra faccia della bolla. LI tuttavia non ci sono solo le lettere di un motto, come era usuale nell'etä carolingia, talvolta connesse all'abbreviazione per una cittä ο al monogramma. Qui appare piuttosto una seconda figura umana, con scudo e lancia con vessillo sulla spalla, mostrata di profilo fino ai fianchi, in modo simile a come erano visibili i re franco-orientali dal 902 al 962 sui loro sigilli di cera. Un nastro sulla fronte e una lunga treccia rivelano la persona armata piuttosto come una donna, forse la personificazione di Roma ο della Potenza vincitrice dell'imperatore nel senso di un'allegoria delle virtü.69 I segnali che nel sigillo rimandavano alia sacralitä della dignitä imperiale e che allora erano stati intensificati nei testi dei documenti, mancano evidentemente del tutto nella bolla. Renovatio imperii Romanorum e il testo dell'iscrizione, che con lieve modificazione sembra riallacciarsi alia bolla imperiale di Carlo Magno con il suo motto Renovatio Romani impeni, ispirato agli antichi imperatori, mentre i successori di Carlo nel IX secolo avevano propagato la Renovatio regni Francorum.70 II motivo della Renovatio era 65
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Schramm (cit. a nota 9) nr. 101; Kahsnitz (cit. a nota 9) pp. 25ss. II—9. Le bolle B2 e B3 sono riprodotte in B. Schneidmüller, Otto III. - Heinrich II., in: Idem/Weinfurter (cit. a nota 3) p. 20. Riprodotti in Schramm (cit. a nota 9) nr. 5, 14, 26, 34, 60; cf. Idem, Drei Nachträge zu den Metallbullen der Karolingischen und Sächsischen Kaiser, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 24 (1968), pp. 1 - 1 5 , 7ss. Schramm (cit. a nota 9) nr. 7 2 - 7 5 . Cito solo i numeri del catalogo e delle riproduzioni; i numeri sono indicati ai margini nella rispettiva trattazione. Cf. Keller (cit. a nota 8) p. 417. La bolla regale che da Schramm (cit. a nota 9) nr. 4 viene attribuita a Carlo Magno, da parte degli studiosi francesi viene decisamente assegnata - contro Schramm - a Carlo il Calvo; Corpus (cit. a nota 70) pp. 105s.; R.-H. Bautier, in: Idem (cit. a nota 91) p. 52. Per la riutilizzazione sotto Ottone III la questione έ tuttavia di secondaria importanza. La bolla imperiale di Carlo Magno con il motto della Renovatio in Schramm nr. 5a—h mostra un'altra immagine (cf. nota 66); sul verso la stilizzazione di una cittä, sormontata da una croce, viene indicata come ROMA, ed έ circondata dal motto RENOVATIO ROMAN(I) IMP(ERII). A questo proposito Keller (cit. a nota 8) p. 416. Alia luce del riferimento iconografico sarebbe forse da verificare se la figura armata eventualmente non potesse impersonificare la Saxonia ο la Germania, da cui la Renovatio prende a w i o ο έ sostenuta. Schramm (cit. a nota 66) con i testi relativi; cf. Corpus des sceaux fran 308—309] ·32 There is no mention in the Informatione, as there is in the Ordo Camere, of the libro maggiore of the Apostolic Chamber, that the computista was obliged to keep up to date daily.33 The Depositary of the Chamber of Rome was also supposed to submit his books regularly for audit, but the Informatione, in a rare moment of sympathy for cameral agents, says that the Depositary of Rome (Alessandro di Franza) has not had his account audited for two years and eight months, but excuses him on the ground that his accounts were very onerous to compile (qual libro e fatto con gran fatiga, line 187). Nor is there any mention in the Informatione of the duties placed upon the Papal Treasurer, the Master of the Papal Household and the Apostolic Depositary, officials whom the Ordo Camere of 1480 states were supposed to see the accounts of the Dogane twice weekly, and also to visit them in person.34 The author of the Informatione was not shy of telling the Treasurer about his duty to act in the pursuit of some quite minor revenues. For example, Rieti one of the two papal communes that paid their subsidies direct to the Apostolic Chamber, presumably because like Norcia it fell outside the existing structure of papal provinces, was behind with its payments, and needed to be .spurred on' [line 256]. No doubt at least some of the divergences between the Informatione and its predecessor of two decades earlier arise from the latter being a document emanating, in theory at least, from the pope himself, whereas the former is an aide-memoire addressed by a subordinate official to his superior. Where the emphasis in the two documents is very similar we may be reasonably sure that the matter was thought by those who compiled both documents to be of central importance. This was certainly the case with the care that the Treasurer was supposed to devote to the spiritual revenues, particularly the revenues from the annates and common services due from major benefices on the occasion of papal provision [lines 302—305]. The treasurer was to see that no bull [of papal provision] was issued without his
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A. Esch, Roma come centro di importazione nella seconda metä del Quattrocento ed il peso economico del papato, in: Roma Capitale, ed. Ε Gensini, Pisa 1994, pp. 107-143. For the procedure see also P. Partner, The Papal State under Martin V: the administration and government of the temporal power in the early fifteenth century, London 1958, p. 137. Unless P. Conti, referred to below, was in fact the computista. Cf. Bauer, Studi, p. 396; Caravale, Le entrate, pp. 94-96. Studi, p. 396.
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knowledge, and that monies due under earlier bulls of provision and their associated obligationes were regularly paid to the Chamber. The official mainly responsible for checking that such obligations were duly paid was called Paolo Conti, who may perhaps at this time have been the computista of the Chamber, although the matter is unclear. The essential was to keep good records of the tax assessments of particular benefices. The bull attached to the Ordo Camere refers to a parchment volume that records all the taxes due to be paid on the various major benefices, and to another volume kept on paper for the obligationes, that also noted the various pensions that were often levied upon the resigned benefices. The overriding anxiety, both in 1480 and in 1500, was to reduce the opportunities for fraud that could be practised upon the Apostolic Chamber by its clerical taxpayers — che in questo el papa po esser gabbato [.Informatione, lines 306-307\. As a document from which one might have hoped for some insight into the financial situation of Alexander VI in the autumn of 1500, a time of critical political and military importance for his pontificate, the Treasurer's Informatione of that year is disappointing. The only direct reference to the financial side of Cesare Borgia's operations in Romagna is one to an agreement (conuensione) made at Cesena between the Spannocchi firm and Cesare Borgia on an unknown date, but probably in the autumn of 1499 when the Spannocchi were granted the farm of the Romagna salt monopoly, [lines 99-100\. A member of the banking family, Alessandro Spannocchi, was Cesare Borgia's treasurer in Romagna by the time the Informatione was composed - Cesare's army had left Rome to begin his second military campaign in the Romagna only four weeks earlier, on 1 October 1500. Spannocchi subsequently retained the treasurer's post in Romagna for at least a further two years, and was able to be of service there to the Florentine Ambassador to Cesare Borgia, Niccolo Machiavelli. There is some reference in the papal Introitus et Exitus volumes to a large payment of some 18,000 florins made to the Spannocchi firm in Rome to settle a huge purchase of salt made by Cesare Borgia from the salt pans of Cesena,35 but this forms only a small part of the complex transactions through which the Spannocchi played a leading part, over a long period, in financing Cesare's military operations in Romagna. The Informatione is essentially an administrative document whose purpose was to inform the Treasurer about the strictly practical part of his day-to-day duties, especially about the periods covered by current tax-farming contracts, the dates on which payments by tax-farmers fell due, and the loans or advances that they had already made to the Chamber. But the Informatione comes at the end of a period in papal financial practice that had probably begun with the pontificate of Innocent 35
IE 532 f. 9v, 132v: 16 July 1502. The total sum paid on the whole transaction was much larger, and was in excess of 29,000 gold florins.
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VIII. In that period two new policies had been consistendy followed: first, to raise new funds by the sale of more and more classes of venal papal offices, and second, to give charge of all the main temporal revenues to banker tax-farmers. The idea that clerical officials were necessarily more trustworthy than laymen had been abandoned, and a new era in papal financial bureaucracy was beginning, in which the distinction between the clerks of the Apostolic Chamber and the bankers with whom they had for a long period cooperated became rather shadowy. It is not without significance that in Alexander VI s pontificate the former factor of the Spannocchi bank in Rome, Ventura Benassai, was in 1499 appointed a clerk of the Apostolic Chamber, nor that this official, who became also the pope's secret treasurer, was, to the scandal of some clergy, in 1501 made a bishop. In 1504 Paris de Grassis was to remark that the Chamber clerks were ,more laymen than clerks'.36 The way was opening towards the situation of the late Renaissance, in which both senior papal officials and papal laymen-bankers were drawn from the same tightly-knit social groups.
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Partner, The Pope's men, pp. 8 2 - 8 3 .
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Vatican Archive, Arm. XXXIV, vol. 11 /fol. 333a/ Die xxviii octobris md. Informatione al reverendo messer Hadriano Thesauriere generale della santita di nostra signore facta per lo reverendissimo cardinale de Cosenza suo predecessore in dicto officio delle cose pendente et che se hanno ad prouedere alia santita di nostra signore et [alia] Camera apostolica. Depositario generale Inprimis che vostra paternita faccia posare ad entrata per lo dicto depositario ducati octo milia doro in oro di camera quale ha ad pagare Augustino Cheji per messer Stefano de Narni conductore nella dohana delli pascui del patrimonio et de Roma per l'anticipatione de questo primo anno della conducta di Anni cinque comenzati ad sancto Michele proximo passato.
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Doro Μ ducati viii
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22 Item Ii conti delli dicti depositarii con la Camera apostolica son viduti per li 23 reverendissimi chirici de Camera, cioe del mese de Marzo Aprile Maggio et Junio, 24 quali non sonno sotto scripti de mano de loro, pferche] e necessario se sotto scriuano, 25 et che se vedano Ii conti delli dicti mesi restanti, cioe Julio et Augusto. La vostra paternita 26 fara se conmectano. 27 28 Item dicti depositarii hanno da possare ad entrata fiorini decemilia a bolognini 72 per 29 ducato per uno anno della salara della Marca quale loro tengono in afficto fino ad 30 undici de Septembre proximo passato. 31 32 ad 72 bolognini Μ 33 ducati χ 34 35 Item hanno ad posare ad intrata ducati cinque milia de carleni χ per ducato per una 36 terzaria dello arrendamento della Thesauraria della Marca, per qual che resteranno 37 debitori dellanno passato finito kal.Junii proximo passato. Faccia vostra paternita posano 38 detta terzaria che poi se verrano Ii conti stiano lo tengono la prouenta. 39 40 Μ 41 ducati V de carleni 42
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/fol. 333b/ Item far posare ad contum ducati mille et cinquecento doro per uno anno dello afficto della salara et Thesauraria de Romagna, finito ad undid de Septembre proxime passato. doro ducati M D Item dicti depositari posano ad entrata iusto quello restara debitore Benvegniate delli anni passati della salara della Marca del quale sono fideiussori, et faccia che Ii conti se expediscano quali tene messer Ventura. Credo restara debitore de cinque in sei milia ducati, saluo iure calculi. Sale ad grosso et minuto de Roma Detta salara tene Benvegniate et Alexio della Casa et compagni fino alia festa de Natale proxima da venire. Loro fideiussori sonno Paulo Sauli, Baptista de Mellani, Stefano de Iennucci, Salui Burgarinis et altri nominati nel contratto. Salui come depositario delli detti fideiussori per questo anno persino a mmo ha pagato al banco de Spannocchi ducati quatordici milia de bolognini 72 per ducato. Dara conto alia fine dell anno cioe ad Natale. Et cominzara la noua conducta all Spannocchi. Item li Spannocchi hanno dicta salara per anni septem, cum eiusdem conditionibus come sa la vostra paternita aliquibus additis, et aliquibus remotis, cominciando alia festa della nativitate proxima da venire. Salara della Marca Li Spannocchi hanno la dicta salara per anni tre comenzati adi xii de Septembre 1499 per pretio de ducati decemilia ad rationem de 72 bolognini per ducato. /fol. 334a/ Salara de Peruscia Li Spannocchi hanno dicta salara per anni septem comizando adi xii de Septembre 1499 per pretio de vintiuno milia fiorini de moneta liscia perusina quali rescote el Thesoriere de Peruscia. Salara et entrate della Cipta de Castello La salara et intrate de dicta Cipta de Castello so date per breue della santita di nostro signore ad beneplacitum alia comunita per ducati mille ad bolognini 72 per ducato. Li conti se veddono come sa vostra paternita ad Marzo proximo passato. Se hanno ad pagare ad Magio. Salara de Tode La salara de Tode Massa et Monte Castello la tene Benvegniate per anni vii cominzati primo Januarii 1495 per ducati octocento sessanta cinque et bol.50 ad rationem carleni
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χ per ducato. Ha da pagare la meta per questo semestre de questo che cominzio kal. Junii la quale monta ducati quattrocento bol. xii pigliando el sale da Roma. ducati ccccxxxiii bolognini xii Salara de Romagna La salara de Romagna lhanno li Spannocchi per ducati mille et cinquecento doro per anni vii comenzati adi xii de Septembre 1499. Hanno a dare conto de uno anno come havemo detto de sopra. Perche e extimata per la conuensione facta de Cesena dallo illustrissimo signore Valentino. Thesauraria della Marca Li Spannocchi hanno detta Thesauraria per anni tre cominziati ad primo de Iunio 1499 per prezzo de ducati quindici milia de carleni x. Singulis annis hanno da dare conto dell anno passato che fini die ultima Magii proximo passato. /fol. 334b/ Thesauraria de Peroscia Li Spannocchi hanno detta Thesauraria per anni septem, hanno imprestato ducati septemmilia doro cioe quattro sopra detta Thesauraria e tre sopra el mariscalato della Marca. Item messer Luca Gachelt ha da dare conto del tempo suo ha tenuto detta Thesauraria.
Thesauraria Patrimonii Detta Thesauraria tene Alexandra Francia ad anni tre cominziati a di tre de Ottobre 1498, a dare conti de dui anni passati finiti ad tre del presente. II libro del anno passato e gia in ordine, la vostra paternita el fara conmettere. Thesauraria Campanie De detta Thesauraria el Thesauriere messer Pietro Carenza esercitala per substitutione. Sa vostra paternita che le entrate de detta Thesauraria se expendono in salario del Governatore et altri officiali. M a pero poco se ne avanza: seria bono se vedesse el conto per alcuno extraordinario. Thesauraria et Entrata de Benevento Le prouente de Benevento come sa vostra paternita se spendono in el Governatore et castello. Seria bono se vedesse.
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Thesauraria et entrata de Auignone Le dette entrate come sa la vostra paternita le piglia el legato. Impero non se nha niente. Dohana de Ripa Detta dohana come sa la vostra paternita e afffictata per el banco de Iennucci, la piglia el maestro de casa della santita di nostra signore per spese del palazo. /fol. 335a/ Dohana dell Merce Detta dohana tene in afficto Stefano de Iennucci et compagni per anni tre quali cominzorono ad quattro de Novembre 1498 pro pretio de quaranta milia et cinquecento ducati de carleni χ per ducato. Restano debitori delanno primo passato de ducati octocento uel circa, Ii quali pretendono non pagare per certo restoro che domandano, fu commissa la causa alla bona memoria Marianen, el maestro Dominico de Capranica, et sunt certi testes examinati, et per detta bona memoria Marianen, fo relato in Camera come sa vostra paternita. Ε necessaria se prosequesca. Item dicti Iennucci hanno da pagare una septaria cioe la prima del ultimo anno del loro arrendamento ad quattro de Novembre proximo instante con dui milia ducento cinquanta fiorini de carleni χ ducati iiM ccl
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Gabella dello studio Dicta gabella hanno Ii Spannocchi ad anni tre cominzati ad xiii de Novembre 1499 per fiorini xviii milia lanno de bolognini 72 per ducato, alia fine del anno et sera ad xiii de Novembre proximo futuro daranno conto per la quale in principio del loro arrendamento imprestarono ducati tre milia doro. Li doctori de dicto studio se pagano per dicta gabella secundo lo rotulo segnato per la santita de nostro signore. Et Ii mandati se fanno per el notaro delli refurmaturi col sigillo dei dicti refiirmaturi e con la mano del Rettore dello studio et de Monsignore Reverendisssimo el Camerlengo et della vostra paternita per ultimo, confrontante Ii mandati con lo rotulo. Gabelle della Grasscia che sonno Le dicte Gabelle tiene in afficto Juliano de Lenis romano et compagni per tre anni comenzati ad viii de Aprile 1499 per prezzo vinti noue milia trenta e uno terzo fiorini romaneschi lanno.
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/fol. 335b/ Depositario de Roma Ε Alexandra Francia depositario della camera de Roma ed piglia tutte le entrate de dicte gabelle della Grasscia e pagha tutti Ii offitiali de Roma per mense quali se fanno per li notari delli Conseruaturi, nelli quali vostra paternita ce deue posare la mano. Etiam pagha el Castellano de Sancco Angelo quali mandati se fanno per li notari della Camera, et bombardiert extraordinariii e altri mastri de legnami. Dicto Alexandra ha da dare conto de dicta Depositaria de dui anni e mesi viii, qual libra e fatto con gran fatiga. La vostra paternita li conmettera. Gabella delli Cavalli Dicta Gabella tiene Riccio per anni tre commenzata a dui de Augusto 1498. Anticipo la paga de tucti tre anni repcepto questo anno del Jubileo per prezzo di fiorini romanesche milli ducento cinquanta lanno, saluo questo anno del Jubileo che ultra Ii mitte ducento cinquanta fiorini, bastara sui[s] deductis expensis, sa de participare per mezo. Ε per la Camera ce commissario Phederico de Gentile da Fuligni. Porte e ponti de Roma Le supradette porte e ponti hanno in afficto Juliano de Lenis et compagni per anni tre cominzati adi xxvii de Aprile 1499 per prezzo de ducati viii C xiii ducati de carleni x. Hanno da pagare per la meta del semestro de questo anno che comincio a di xxvii del presente ducati cccc sei e mezzo de carleni χ per ducato. ducati ccccvi
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Statera de Roma La statera de Roma tiene mastro pintore ad uitam per bullam s.d.n. Condemnationes urbis Le compositioni delle condempnationi piglia el Governatore, e lo Camerlengo de Roma Ludovico Moscha. La vostra paternita in questo ce sia aduertente. Li alumi sancte cruciate Li dicti Alumi tene apaltati Paulo Oricellaro per anni xii quali finiranno a di duduci de Magio che viene per prezo de ducati ottomilia septecento de bolognini 72 per ducato cischuno anno. Et ultra pagha ducati de carleni due milia al signore de Piumbino per la differenza della lumera de Massa Barate [?]. Li conti del dicto Paulo per due anni furono commissi alii dui Martii, furono subrogati messer Sinolpho et Interamnen.
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224 /fol. 336a/ 225 226 Tratte del Mare 227 228 Delle tratte sa vostra patemita come stanno. 229 230 Ancoragii de Ciuita Vecchia 231 232 Ancoragii predicti ha Johan Paulo Dargento da Ciuita per ducati trecento nouanta de 233 carleni ha pagato per tutto lanno, excepto per questo, che fini adi xi de Septembre 234 proximo passato: ha da pagare Bartholomeo de Ferrara che habita in casa de Paulo 235 Oricellaro e bisogna sia sollicitato. 236 237 ducati de carleni ccclxxxx 238 239 Tritello de Ripa 240 241 La vostra paternita posara uno homo al Tritello de Ripa che Ii denari vengano in mano 242 del depositario. 243 244 Subsidio de Norscia 245 246 La comunita de Norscia ha da pagare singulis annis alia Camera apostolica ducati 247 seicento nouanta bolognini 45 a bolognini 72 per ducato.Sono colti in questo anno 248 finito ad Augusto ma per causa delle vie non son venuti. Item restano censi dellanno 249 passato. 250 251 /fol. 336b/ 252 Subsidii de Riete 253 254 La comunita de Riete paga lanno ducati ottocento cinquanta a bolognini 72. In principio 255 di questo mese pagarono ducati quattrocento vinticinque per parte dellanno passato. 256 Son debitori de conti residui dellanno passato. Son moniti: hanno bisogno de speruni. 257 258 El datio de Bologna 259 260 El dicto datio tiene Michele e Francesco Casale per octo milia libri di quella moneta, 261 che fanno ducati tremilia de carleni. Anticipo tre milia ducati doro ad conti de Febraro 262 passato. Finira lo secundo anno circa ad Natale proxima. 263 264 Censo de Ferrara 265 266 Ferrara paga de censo lanno ducati quattromilia cento et octo doro. Ha pagato al 267 Depositario de questo anno. 268
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Censo de Urbino El duca de Urbino paga singulis annis milli trecento quaranta ducati doro. Ha pagato questo anno. Censo de Senegaglia Senegaglia paga singulis annis cento ducati doro e debitore de anni septem.
Forli ed Imola Lo illustrissimo duca paga per Forli ed Imola ducati milli doro, quali ha satisfacti per questo anno. Pesaro Arimine e Fauenza La vostra paternita sa come stanno. Sono censi altri minimi che se riscuotono nel di di San Pietro. Collectores
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/fol. 337a/ Collectoria Collettori son diuersi, bisogna hauere diligentia desaminarli e far che riscuotono: e noi tenemo parichie copie et migliara et obligationes, quali tengono cauare della Camera apostolica date a diuersi collettori, quali danno ad vostra paternita. Spirituale Lu spirituale quale e membro maiure e maiure diligentia se deue hauere, e sia aduertente vostra paternita nisciuna bolla se deui sine scitu suo, et faccia aduertente el mensario e lo notaro non danno alcuna bolla tarn per annatis quam in comunibus, et solliciti spesso Paulo Conte che exiga con diligentia le annate et comuni del passato. Et in questo vostra paternita deue havere grandissima et extrema cura, che in questo el papa po esser gabbato. Et vedere ogni di come se posa ad entrata delle annate et comuni, et rescontrano el libra delli Depositarii con [el] libra della Camera apostolica, e del vecchio col libro de Paulo Conte tarn pro annatis quam in comunibus. Delli mandati tanto per via delli Depositarii, quanto della Cruciata e della Depositaria de Roma, quando veranno al principio del mese che vostra paternita li ha adsignare, noi la infbrmarimo, et quando dalchuna cosa dubitare nui li daremo piena informatione. Semo certissimi non bisognera perche la cognoscemo in omnibus expertissima.
REINHARD ELZE T
Un altro sacco? Blasius von Cesena und die Tiberüberschwemmung 1530
Die Überschwemmung des Tiber, die am 7. Oktober 1530 begann, am 8. ihren Höhepunkt erreichte und am 10. endete, war „die schrecklichste und höchste Fluth, welche er bisher erreicht hatte". 1 An der Fassade von S. Maria sopra Minerva kann man ablesen, daß nur am 24. Dezember 1598 die Wasser noch höher gestiegen sind, bis auf 19,56 m über dem Meer, statt der 1530 gemessenen 18,95 m - der Fußboden des Pantheons war und ist 13 m hoch gelegen. 2 War und ist — das Pantheon gehört zu den wenigen Punkten in Rom, deren Niveau über Jahrhunderte hin unverändert geblieben ist. Anders ist es ringsherum, wo der Boden durch Ablagerung von Schutt und Schlamm so angewachsen ist, daß der ehemalige Tempel, der einmal mehrere Stufen über seiner Umgebung stand, heute wie versunken zu sein scheint. Überall in der Stadt hat sich das Niveau ständig verändert, ist entweder wie beim Pantheon höher geworden, oder gemacht worden, wie zuletzt vor allem an den Tiberufern durch die Errichtung der „muraglioni", oder auch niedriger, wie nicht nur auf dem Forum oder Largo Argentina. Deutlich sieht man unter der Piazza Tor Sanguigna die Ruinen des Erdge-
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F. Gregorovius, Zur Geschichte des Tiber-Stromes, in: Allgemeine Zeitung, 1876, Nr. 224, 227 und 229, S. 3433f., 3474f. und 3507f., hier S. 3474. Italienische Übersetzung: Sulla storia delle inondazioni delTevere, Roma 1877 (Estratto dal Giornale IL BUONAROTTI ser. II vol. XI Ott.e Nov. 1876). Zu den Tiberüberschwemmungen vgl. u.a. M. Carcani, II Tevere e le sue inondazioni dalla origine fino ai nostri giorni. Descrizione geografica e storica, Roma 1875. Die 2. Auflage von 1893 habe ich nicht gesehen; P. Frosini, La liberazione dalle inondazioni delTevere, in: Capitolium, 43 (1968), S. 216—249; V. Di Martino/M. Belati, Q u i arrivö il Tevere. Le inondazioni del Tevere nelle testimonianze e nei ricordi storici (lapidi, idrometri, cronache, immagini), Roma 1980; zur Überschwemmung von 1530 vgl. S. 58f., 63-66 und 170-177; C. D'Onofrio, II Tevere. L'Isola tiberina, le inondazioni, i molini, i porti, le rive, i muraglioni, i ponti di Roma, Roma 1980. Reiche Literaturangaben bei G. Scalia, Turbidus Tiber. In margine ad alcune antiche epigrafi su inondazioni tiberine, in: Studi in onore di L. Sandri, Roma 1983, S. 873-901. - Am 26./27.2.1984 hat der Tiber bei einem Wasserstand bis 11,57 m viel Holz und Unrat bis ins Meer geschwemmt, ohne in der Stadt auch nur den geringsten Schaden anzurichten. Der Aniene aber hatte die Deiche gebrochen und Schäden fiir viele Milliarden Lire verursacht, II Tempo 28.1.1985.
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Reinhard Elze t
schosses des Domitianstadions, und an der Piazza del Biscione kann man bei Pancrazio im Keller Gäste bewirten und ihnen so das Erdgeschoß des Pompeiustheaters zeigen. Es gibt keine Regel oder Formel fur diese Niveauveränderungen, oder vielleicht doch diese: die Höhenunterschiede innerhalb der Stadt sind im Laufe der Jahrhunderte oft geringer geworden. 3 Ein extremer Fall ist die Via Quattro Fontane. Ganz oben an den vier Brunnen ist sie offenbar seit eh und je so gewesen wie heute. Unten, an der Ecke der Via Nazionale liegt ein antikes Pflaster 17 Meter unter der heutigen Straßendecke und auf der anderen Seite, der Piazza Barberini, ist die „terra vergine" 11,75 m hoch bedeckt. 4 Unter diesen Umständen ist nicht daran zu denken, fiiir eine der vielen Überschwemmungen genaue Angaben zu machen. Für 1530 sei hier schon erwähnt, daß auf dem Monte Giordano etwa 1000 Pferde gerettet worden sein sollen und daß auch die Kirche S. Agostino verschont geblieben ist. 5 Der Monte Giordano, eine beträchtliche Anhöhe zwischen der Via dei Coronari und Via di Monte Giordano, fällt den meisten Rombesuchern nicht auf, und welcher Römer kennt schon den steilen Vicolo del Montonaccio? Und wer denkt an Hochwasser hier, oder wenn er die große Treppe zu S. Agostino hinaufsteigt? Augenzeuge der Katastrophe im Oktober 1530 war der päpstliche Zeremonienmeister Blasius de Cesena, 6 dessen Diarium ich vor vielen Jahren lesen mußte, weil es die beste Quelle fur die letzte Kaiserkrönung ist, fur die Krönung Karls V. in Bologna im Februar 1530. Aber nicht wegen dieses Tagebuches ist Blasius berühmt wie Johannes Burckard, sondern wegen seiner prüden Kritik an Michelangelos Jüngstem Gericht, wofür der ihn dann als den Höllenrichter Minos mit Eselsohren porträtiert hat. Blasius berichtet: 7 Die Sabbathi octava mensis Octobris inundatio fuit Tyberis fluminis super totam Urbem maior pre ceteris aliis que fiierunt tempore Alexandra VI., Julii II. et Leonis X. 8 per unam 3
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Viele Höhenangaben im Atlante di Roma. La forma del Centro storico in scala 1 : 1000 nel fotopiano e nella carta numerica, Venezia 1991. F. Coarelli, Guida archeologica di Roma, Roma 1974, S. 217. Diluvio (wie Anm. 12), S. 9. - Ein Plan von 1871 zeigt das Ausmaß der letzten Überschwemmung (29.12.1870: 17,22 m) und das mutmaßliche Ausmaß der schlimmsten (1598: 19,56 m). Danach wäre der Monte Giordano auch 1598 verschont geblieben, S. Agostino aber nicht. Abb. z.B. bei D'Onofrio (wie Anm. 2), S. 306f.
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M. Dykmans, Paris de Grassis III, in: Ephemerides liturgicae 100 (1986), S. 270ff. hat alles, was man über Blasius weiß. Hier nur so viel: er starb 1544 im Alter von 80 Jahren, war 1518 unter Paris de Grassis Zeremonienmeister und 1528 nach dessen Tod sein Nachfolger geworden.
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Vatikan, Bibl. Ap. Vat., Vat. lat. 12276 fol. I47r; München, Bayerische Staatsbibl., Clm. 144 fol. 191r-191v (statt consumpta hat Clm corrupta). Etwas kürzer Vatikan, Bibl. Ap. Vat., Chigi L II 25 fol. 135v-136r. Andere Hss. habe ich nicht verglichen. Gemeint sind die Überschwemmungen am 5.12.1495 (16,88 m) und 13.11.1514 (15,76 m); für die Zeit Julius' II. habe ich nichts gefunden. - Möglicherweise hatte schon 1528 eine sonst nicht
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cannam 9 et ultra. Et cepit in nocte excrescere cum per duos dies tantum universaliter pluisset, et in ilia nocte serenato celo semper crevit paulatim usque ad horam nonam noctis sole et luna splendentibus, ut melius signa ista et prodigia intuerentur. Propter quod multe domus penitus per diversa loca ruerunt. Magna multitudo personarum et gentium perierunt in aquis et rapti a flumine. Frumenta blada vina olea res bona mobilia et suppellectilia consumpta ablata et dissipata fuerunt. O m n e s fere passi sunt diluvium, ita quod maior iactura populo Romano ob hoc contigerit quam ob saccum exercitus de anno 1527 de mense Maii. Ad d o m u m meam 1 0 n o n appropinquavit per duas cannas, licet cantinam intraverit per meatus subterraneos. 11 N a c h d e m es z w e i T a g e u n d N ä c h t e u n u n t e r b r o c h e n g e r e g n e t hatte, b e g a n n d i e Ü b e r s c h w e m m u n g i n der N a c h t m i t G e w a l t . 1 2 D i e W a s s e r k a m e n v o n d e m P o n t e
bezeugte Überschwemmung wieder die Höhe derjenigen von 1514 erreicht: Francisco Delicado, La Lozana Andalusa, hg. von A. Chidana (Collecciön Austral). 1988, S. 272f., zitiert die Inschrift von 1514 wörtlich, kann aber natürlich übertrieben haben. 9 Eine canna (10 palmi) entspricht etwa 2,23 m. 10 Blasius' Haus, die Dienstwohnung des Erzpriesters von SS. Celso e Giuliano, lag zwischen dieser Kirche und dem Monte Giordano in einem Garten, hatte zwei Keller, die 1509 vermietet waren, einen Saal, zwei Arbeitsräume und einige Kammern. Beschrieben ist es in dem Privileg Leos X. für Paris de Grassis (M. Dykmans, Paris de Grassis I, in: Ephemerides liturgicae, 96 (1982), S. 4 7 8 482). R. Lanciani, Storia degli Scavi di Roma, Bd. 2, Roma 1903, S. 232f. erwähnt die Zerstörung dieses Hauses bei der Anlage der Via di Panico. Er nennt als Besitzer Francesco Firmani, den Nachfolger des Blasius, und gibt dafür das Jahr 1544 an, das nach C. Pietrangeli, Guide rionali. Ponte, Bd. 3, 2. Aufl. Roma 1974, S. 26 in 1546 zu ändern ist. " Zur römischen Kanalisation vgl. S. Paolicelli, Fognature e collettori, in: La terza Roma, hg. von S. De Paolis/A. Ravaglioli, Roma 1971, S. 99-112; Roma sotterranea. Hg. von R. Luciani (Ausstellungskatalog 1984), S. 157-199: Fogne; Museo della Civilti Romana, Ausstellungskatalog Acque e acquedotti di Roma. IV sec. a.C. - XX. sec. 1986; P. Reimers, „Opus omnium dictu maximum", Literary sources for the knowledge of Roman city drainage, in: Opuscula Romana, 17 (1989) (= Skrifter utgivna av Svenska Institutet i Rom 47), S. 137-141. 12 Für die Beschreibung der Katastrophe habe ich die folgenden Augenzeugenberichte benutzt: „Diluvio di Roma che fu a. VII dOttobre Lanno M.D. XXX. col numero delle case roinate, delle robbe perdute, animali morti, huomini e donne affogate, con ordinata discrittione di parte in parte etc." Opuscolo pubbiicato in Bologna nel 1530, hg. von B. Gasparoni, Roma 1865; der anonyme Bericht ist im November 1530 gedruckt, vier Blatt in Quart = Gasparoni S. 7-11; ausführliche Anmerkungen dort S. 12-18, undS. 19—44 ein Anhang mit allerlei Quellen, auch zu 1557 und 1598. - Lodovico Gomez, Deila Origine del Tevere. De suoi nomi e delle sue prodigiose Inondazioni e dei suoi mali effetti, in: A. Baccio, Del Tevere Libro Quarto, Roma 1599, S. 34-40 (Übersetzung des lateinischen Originals De prodigiosis Tiberis Inundationibus ab Urbe condita ad annum 1531 Commentarii); Gomez war damals Rota-Auditor und Regens der Pönitentiarie, er starb 1543 als Bischof von Sarno. - Brief des Francesco Gonzaga (?) an den Herzog von Mantua vom 10.10., in: Marino Sanuto, Diarii, Bd. 54, Venezia 1899, Sp. 74—76. - Briefe des venezianischen Gesandten in Rom Antonio Surian (Soriano) vom 12. und 15.10. und vom 15.10., ebenda Sp. 72-74. - Brief des Dichters und päpstlichen Sekretärs Giov. Batt. Sanga an Herzog Alessandro de' Medici vom 13.10. bei Gasparoni (wie oben), S. 21. - Brief des Alvise (Luigi) Lippomano vom 14.10., in: Sanuto (wie oben), Sp. 74; Lippomano war 1551/52 einer der Präsidenten des Trienter Konzils, starb 1559 als Bischof von Bergamo. - Marcello Alberini: D. Orano, II sacco di Roma. I ricordi di
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Milvio und ergossen sich von der Porta del Popolo in alle Straßen. Und dann das Wasser aus den vielen unterirdischen Kanälen, die überliefen.13 Noch in der Nacht sind viele Menschen ertrunken, die im Schlaf überrascht wurden. Dann überstieg die Flut die niedrigen Häuser und erfaßte die Bewohner, die sich auf die Dächer gerettet hatten, vergebens um Hilfe schrien und weggeschwemmt wurden. Wer konnte, floh in einen der mehrstöckigen Paläste oder auf die Hügel. Schließlich schienen Piazza Navona, Campo dei Fiori und Pantheon, wie der Venezianer Lippomano schreibt, „il mare Hadriano". Der anonyme Autor der schon im November gedruckten Flugschrift „Diluvio..." hat eine „relatione fatta a nostro signore" benutzt,14 einen für den Papst bestimmten, also offiziellen Bericht. Da werden aufgezählt zahllose Pferde, Maultiere, Rinder, Esel und andere verendete Tiere. 15 Erst danach mehr als 3 0 0 0 Ertrunkene, Männer und Frauen verschiedenen Alters. Dann Brot, Öl, Mehl, Tuche aus Wolle, Seide, Brokat, Leinen, alle Art Hausrat, zusammen im Wert von einer Million Gold. Ferner 150000 rubbi Weizen16 und vier Schiffe voll Weizen, die im Ripettahafen mit der Mannschaft untergingen. Ferner 30000 Faß Wein. Der Bericht hat offenbar nicht berücksichtigt die vielen eingestürzten oder vom Einsturz bedrohten Häuser, nicht das Pferdefutter (biave), Heu und Stroh, das Saatgut auf den Feldern, die Weinstöcke, Öl- und Obstbäume, Mühlen und mehr als vierhundert „Teatri e Case", vor allem in der Nähe der Ufer, bei der Via del Banco di S. Spirito, Palazzo Altoviti, S. Giovanni dei Fiorentini, S. Rocco, S. Maria del Popolo. Besonders erwähnt wird die damalige Prachtstraße, die Via Giulia, 17 deren Pflaster aufgerissen wurde, in der 30 Häuser zerstört worden sein sollen und jedenfalls
Marcello Alberini, Roma 1901, S. 390f. (auch Archivio della Reale Societä Romana di Storia Patria, 18, 1895. S. 3 7 2 ) . 13
Frosini (wie Anm. 2), S. 219ff. unterscheidet fur den U b e r folgende Wasserstände: Stato di magra = 4 , 2 4 m - 5 , 5 0 m; Stato normale = 5 , 5 0 m - 7 , 0 0 m; Stato di intumescenza 7 , 0 0 m - 1 0 , 2 0 m; Stato di piena ordinaria 10,20 m - 1 3 , 0 0 m; Stato di piena straordinaria 13,00 m - 1 6 , 0 0 m und Stato di piena eccezionale: höher als 16 m. Zu dem „normalen" allagamento per correnti, d.h. der eigendichen Überschwemmung, kam beim Stand von 13 m das allagamento per espansione, d.h. das Uberlaufen des Grundwassers bzw. der Kanalisation hinzu.
14
Diluvio (wie Anm. 12), S. 9. Diesen Bericht habe ich nicht gesucht, da er sicher Pastors Spürsinn nicht entgangen wäre.
15
Zu denken ist wohl vor allem an Schafe, Katzen, Hunde und Hühner und an Schweine, deren Haltung in der Stadt erst 1599 verboten worden ist, L. von Pastor, Geschichte der Päpste, Bd. 11, Freiburg 1927, S. 6 7 5 .
16
V. Reinhardt, Überleben in der frühneuzeidichen Stadt. Annona und Getreideversorgung in Rom 1 5 6 3 - 1 7 9 7 , Tübingen 1991, S. XVIII und S. 31 Anm. 6 6 beziffert den rubbio auf 2 9 4 Liter, bzw. 2 2 0 Kilogramm. Nach den „Jahrestabellen" S. 504—565 erscheint die Zahl 1 5 0 0 0 0 als sehr hoch.
17
Zur Via Giulia vgl. das große Buch, das L. Salerno/L. Spezzaferro/M. Tafiiri, Roma 1973, herausgegeben haben: Via Giulia. Una Utopia urbanistica del '500. Soweit ich sehe, kommen dort die Überschwemmungen allerdings nicht vor.
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drei Palazzi. Eusebio, ein reicher und gelehrter Kurialer, ist einer der wenigen, die in den Berichten namentlich genannt werden. Sein großes Haus in der Via Giulia,18 das 10 000 Dukaten gekostet hatte, ist spurlos verschwunden,19 als sei es in einem Graben versunken, mit etwa dreißig Bewohnern und allen Tieren. Ein ungenannter päpstlicher Skriptor in der Via dei Banchi (heute Banco di S. Spirito) erlitt ein ähnliches Schicksal.20 Papst Clemens VII., der am 4. Oktober nach Ostia gegangen war „per pigliare aere", mußte am Sonnabend eiligst zurückkehren, weil es im Kastell nichts mehr zu essen gab. Mit Mühe - den Pferden ging das Wasser bis über den Bauch - erreichte er mit seinem Gefolge die Stadt, konnte aber nicht zum Vatikanpalast kommen, da alle vier Brücken schon unpassierbar geworden waren. Er mußte bis zum Montagnachmittag zwei Tage bei seinem Nepoten, dem Kardinal Ridolfi, in S. Agata am Quirinal bleiben.21 Als das Hochwasser am Montagabend (10.10.) abgelaufen war, konnte man erst das ganze Ausmaß der Verwüstung erkennen: überall war das Straßenpflaster (wo es das schon gab) aufgerissen, viele Häuser waren unterspült, wurden mit Balken abgestützt und nicht wenige sind noch nach Tagen eingestürzt. Alles war voll Schlamm und Unrat aller Art, dazu kam der Gestank, vor allem aus den Kellern, die nur mit Mühe geräumt werden konnten. Man fürchtete den Ausbruch einer Seuche. Viele Menschen standen unter Schock.22 Da alle Vorräte an Weizen und anderen Lebensmitteln, auch Öl und Wein, soweit nicht verloren, doch verdorben waren, gab es Hungersnot und Teuerung. Zum Hunger kam der Durst. Es gab kein Trinkwasser, da die Brunnen verdreckt waren. Das übriggebliebene Brennholz war naß, so daß es nicht möglich war, ein Feuer zu machen, an dem sich die aus dem eiskalten Wasser Geretteten hätten aufwärmen können. Soweit ein Auszug aus den genannten Quellen, die noch weitere Details enthalten. Am ersten Sonnabend nach der Flut, am 15. Oktober, befahl der Papst, daß in der Stadt drei Tage hintereinander Prozessionen durchgeführt werden sollten, um den Zorn Gottes zu besänftigen. Die Überschwemmung sei Gottes Strafe gewesen
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Es lag im Rione Regola, also im südlichen Teil der Straße, vgl. Lee (wie Anm. 29),Nr. 56l9„Eusebio escutero apostolico". „tutta insieme si έ abissata come se fosse caduta in un fosso" (Sanga [wie Anm. 12]). - Marcello Alberini (wie Anm. 12) nennt unter den zerstörten Häusern „in strada Iulia quella di Giuseppe, che non ne apparisce piü vestigio", aber das war wohl nicht das des Eusebio. Vgl. Sanuto (wie Anm. 12), Sp. 72 und 69. Dort hatte auch Benvenuto Cellini seine Werkstatt; er konnte sich noch rechtzeitig auf den Quirinal retten. Benvenuto Cellini, La Vita. Hg. von L. Bellotto, Parma 1996, I, 55, S. 203f. Das berichten Gonzaga, Sanga und „Diluvio" (wie Anm. 12). grandissimo spavento nelli animi di ciascuno (Gonzaga [wie Anm. 12]), grandissimo spavento (Lippomano [wie Anm. 12]), come attoniti (Surian [wie Anm. 12] 15.10.).
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für „unsere" Sünden. Das berichtet Blasius,23 der beauftragt war, mit dem vicarius Urbis und dem gubernator Urbis, also der höchsten geistlichen und weltlichen Obrigkeit, dafür zu sorgen. Inseriert hat er den Text der diesbezüglichen Proklamation vom 16.10. in italienischer Sprache. Hier ist „ira Dei" wiedergegeben mit „indignazione del salvatore nostro". Nach dem Publikationsvermerk des Banditore liest man dann die liturgischen Texte, die verwendet werden sollten; es fehlen alle Rubriken, weil wahrscheinlich die von der Flut betroffenen Kirchen noch nicht wieder benutzbar waren. Von den zeitgenössischen Quellen spricht nur eine von Gottes Gericht (iudicio de Dio),24 und nur der Jurist Gomez25 erörtert drei mögliche Ursachen des Unglücks. Erstens die Strafe Gottes für die Sünden. Dann, so gibt er an, andere hielten dafür, daß die Ursachen ganz natürlich seien wie bei der Überschwemmung der ganzen Welt unter Papst Benedikt XII.26 Wieder andere sahen in der Mondfinsternis die Ursache. Das erwähnt er kurz, äußert keine eigene Meinung. Und noch einmal, im Februar 1531, erwähnt Blasius die Katastrophe.27 Da wurde die Krönung Ferdinands I. zum römischen König (Aachen 5.1.1531) gefeiert, zwar mit Feuerwerk, Glockenläuten und Böllerschüssen, aber ohne die seinerzeit fur Karl V. 1519 veranstalteten magna signa laetitiae. Denn der königliche Gesandte Andreas de Burgo gab vel propter saccum urbis a lancis receptum vel propter inundationem aquarum et fluminis lieber viele Almosen den Klöstern und den Armen und ließ publice Brot, Wein und Fleisch verteilen. Es ist nicht schwer, daraus auf die nach vier Monaten immer noch spürbaren schlimmen Folgen der Überschwemmung zu schließen. Blasius, der selbst kaum betroffen war, schrieb, die Überschwemmung sei fiir die Römer schlimmer gewesen als der Sacco im Jahr 1527. Auch über den hat er in seinem Diarium berichtet, scheint aber damals ungeschoren geblieben zu sein,28 obwohl er noch in Parione wohnte,29 einem der am schlimmsten heimgesuchten Rioni. 23 24 25 26
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Clin. 1 4 4 fol. 1 9 1 v - 1 9 5 v . Gonzaga (wie Anm. 12). Gomez (wie Anm. 12), S. 35. Giovanni Villani, Nuova Cronica, hg. von G. Porta, Bd. 3. Parma 1 9 9 1 . Buch 12 Kap. 1, S. 3 - 1 2 schildert diese Überschwemmung in Florenz, erwähnt, daß unter anderen auch Rom überschwemmt war, handelt dann im nächsten Kapitel (S. 12—26) „D'una grande questione fatta in Firenze, se'l detto diluvio venne per giudicio di Dio ο per corso naturale", vgl. G. Ortalli, Uomo e ambiente nel medioevo, Torino 1997, (Bibl. Einaudi 3), S. 1 5 5 - 1 8 8 . Vergleichbares ist fur Rom 1 5 3 0 nicht nachzuweisen. Clm. 1 4 4 fol. 199v. Das schließe ich e silentio; Bl. erzählt gern von sich und seinen Nöten wie zu 1530. Bei der Schilderung des Sacco (Clm. 1 4 4 fol. 8 9 v - 9 1 v ) kommt er selber überhaupt nicht vor, dagegen klagt er über eine schwere Krankheit im Jahr 1 5 2 8 (Clm. 1 4 4 fol. 9 1 v und 93r). E. Lee, Descriptio Urbis. The Roman Census of 1527, Roma 1985, S. 8 6 Nr. 5 1 8 0 : „Biasio da Sesena maestro Ceremoniarum" mit 12 Hausgenossen.
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Den unerwarteten Vergleich mit dem Sacco findet man nicht nur bei Blasius. In zwei Briefen steht, es sei „un altro sacco". 30 Andere schrieben, der Schaden sei „non menor", 31 oder „poco minore di quello che fu al tempo del sacho" 32 oder „quäle sacco di inimici si potra comparare?". 33 Nur einer hat wie Blasius die Schäden der Flut für schlimmer gehalten als die des Sacco. 34 Es war noch ein Sacco oder schlimmer als der Sacco - das muß man also damals in Rom empfunden haben. 35 Der Sacco war eine schreckliche Katastrophe gewesen, die Überschwemmung war das auch. Man hat gewiß nicht die Verluste und Schäden miteinander verglichen im Sinne eines Zählens, Rechnens oder Abwägens. Später hätte man vielleicht auch bemerkt, daß die (theoretisch) vermeidbaren Untaten der Plünderer des Jahres 1527 nicht eigentlich verglichen werden durften mit dem unvermeidlichen Naturereignis - so wie wir Unbetroffenen heute selbstverständlich nicht die vielen Überschwemmungen, Erdbeben, Sturmschäden, Waldbrände mit den Kriegsgreueln in aller Welt vergleichen. Die eine Überschwemmung wurde bald vergessen, spätestens nach der nächsten, übernächsten..., der Sacco aber nicht. Noch unmittelbar unter dem Eindruck der Katastrophe entstand ein anonymes Gedicht, das so endet: Bisognarebbe ordir lungo uolume Narrar dil danno la millesma parte: La notte comencio spargere il fiume Ruppe ripari fatti con grand'arte Ε nanti lo apparir dil chiaro lume L'acque per tutta Roma erano sparte In tanta copia che ogni strada un mare Parea e con Barche si potea solcare.
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Sanga und Lippomano (wie Anm. 12). Surian (wie Anm. 12) 15-10. Gonzaga (wie Anm. 12). Gomez (wie Anm. 12). „Questa roina senza comparazione alcana e stata di piu grave danno et ha via piu patico Roma in quattro giorni che e durata questa maledittione che non fece quando dal crudelissimo esercito di Borbone fu posta alli vintisei di Maggio Lanno mille e cinquecento vintisette a fuoco e ferro. In tanti mesi che stete in preda di Borbone nationi nemiche dil sangue Latino" (Diluvio [wie Anm. 12], S. 11). So hat das wohl auch Pastor empfunden, als er zur Katastrophe von 1598 schrieb: „Die Angst und Verwirrung hätte nicht größer sein können, wenn die Stadt vom Feinde im Sturm genommen worden wäre", Pastor, Geschichte, Bd. 11 (wie Anm. 15), S. 606. Schon in Bd. 6, S. 440 hatte er einen Venezianer zitiert (zu 1557): „die Katastrophe sei kaum weniger unheilvoll, als wenn Rom geplündert worden wäre". Z u 1530 hat Pastor so gut wie nichts. Ich fand noch folgendes: L. A. Muratori, Annali d'Italia, Bd. 10, Milano 1749, S. 240f. „...sicche fu creduta la gran perdita, che allora awenne, non inferiore alia precedente del sacco di Roma" und M. Sanfilippo, Roma medievale e moderna, Roma 1992, S. 60. „secondo le attendibili fonti coeve l'inondazione del 1530 ha causato piu morti e piu danni dello stesso Sacco dei Lanzichenecchi del 1527".
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Sparse per lacqua le Reliquie sante, Tempil Palazzi e Case roinate, Tanti huomini son morti e donne tante Che non han fine, e assai bestie annegate Robbe perluso humano quali e quante Ε uettouaglie son sott'acqua andate: Non ui si po habitar per anni cento Si chel nome di Roma in tutto e spento.36
Nachtrag: C. Weikinn, Quellentexte zur Witterungsgeschichte Europas von der Zeitenwende bis zum Jahre 1850: Hydrographie Teil 2 (1501-1600), Berlin I960, S. 103-105 druckt vier deutsche, eine lateinische und eine französische Quelle zur „Großen Tiber-Überschwemmung von 1530" ab und weist auf dreizehn weitere (kurze) Angaben hin, die alle nicht von Augenzeugen stammen.
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Diluvio (wie Anm. 12), S. 6.
Kunst und Künstler
MATTHIAS W I N N E R
Filarete tanzt mit seinen Schülern in den Himmel Filaretes Selbstbildnis mit seinen Schülern auf der Rückseite des linken Türflügels am Mittelportal von St. Peter in Rom wird fiir das früheste Selbstporträt gehalten, in dem ein Künstler als Lohn für sein tugendhaftes Werk nur die inschriftlich genannte Heiterkeit (hilaritas) auch im Bild anschaulich macht; denn Filarete tanzt mit seinen Schülern einen fröhlichen Reigen.1 Eine Inschriftzeile läuft in erhaben reliefierten Majuskeln über den Köpfen der Gesellen entlang: CETERIS OPERE PRETIUM FASTUS (F? oder H?)UMUS · MIHI · HILARITAS Das letzte Wort HILARITAS ist nachträglich, gewissermaßen körperlos, in die gegossene Bronzeplatte ziseliert. „Hilaritas" beschließt die sonst gerade Schriftzeile, folgt aber dann einem abfallenden Viertelbogen, sodaß das Schluß-S dem Mund des rückwärts auf seine Schüler schauenden Filarete ganz nahe kommt. So scheint Filarete seine persönliche Maxime als Lebensregel auch seinen Schülern mitzuteilen. Links außen beschließt den Reliefstreifen eine kastenförmige Türöffnung, aus der die Tänzer herausgekommen zu sein scheinen. Der letzte Tänzer schaut zur Tür zurück, vor der ein Maulesel mit einem bäurisch gekleideten Reiter steht. Der hält in der linken Hand einen Krug empor. Da er Weinschläuche an seinem Sattel angebunden hat, wird es sich um einen Weinkrug handeln. Sein Name PETRUTIUS ist neben seinen Kopf geritzt. Filaretes Vater trug diesen Namen. Auf dem linken Türpfosten steht, ebenfalls ziseliert, die Künstlerinschrift: ANTONIUS PETRI DE FLORENTIA FECIT DIE ULTIMO IVLII MCCCCXLV. Rechts außen vor den Tänzern steht ein Kamel, auf dem ein Reiter eine Hirtenflöte spielt!
1
C. King, Italian Self-Portraits and the Rewards of Virtue, in: Autobiographie und Selbstportrait in der Renaissance. Atlas, (Bonner Beiträge zur Renaissanceforschung hrsg. von Günter Schweikhart Bd. 2), Köln 1998 S. 6 9 - 9 1 ; siehe auch: C. King, Filaretes Portrait Signature on the Bronze Doors of St. Peters - and the Dance of Bathykles and his Assistants, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 53, 1990, S. 2 9 6 - 2 9 9 .
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Filarete tanzt mit seinen Schülern in den Himmel
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Vasari erwähnt nur den Maulesel in seiner Filarete-Vita, der frühesten Beschreibung des Reliefs, das er noch in situ von Alt-St. Peter vorfand: Ε dalla banda di dentro a ρίέ di detta porta fece Antonio per suo capriccio una storietta di bronzo nella quale si ritrasse se e Simone ed i discepoli suoi, che con un asino carico di cose da godere vanno a spasso a una vigna. (Vasari-Milanesi II, 4 5 5 )
Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert haben kunsthistorische Erklärer versucht, den wahren Sinn des Bronzereliefs mit seiner rätselhaften Inschrift in Übereinstimmung zu bringen.2 Ohne überzeugenden Erfolg. Mein Versuch weiterzukommen soll dem Gelehrten gewidmet sein, der erst kürzlich die eherne Grabplatte von Papst Martin V. in S. Giovanni in Laterano aus der Donatello-Werkstatt in römischen Zollregistern von 1445 nachweisen und damit ihren Guß in Florenz dingfest machen konnte.3 Auch Filaretes Bronzetür von St. Peter gilt bis heute als ein in Rom entstandenes Werk. Doch ist nach Arnold und Doris Eschs Entdeckung Florenz als Herstellungsort der Türflügel eher wahrscheinlich. Laut Inschrift wurde die Tür 1445 vollendet. Diese Inschrift umgibt ein weiteres Selbstbildnis von Filarete in Medaillenform auf der Frontseite des gleichen linken Türflügels. Dort auf dem Bodenstreifen unter dem Martyrium Pauli steht zu lesen: ANTONIUS PETRI DE FLORENTIA FECIT MCCCCXLV. Zeitgenössische Chronisten bestätigen nicht nur das Jahr, sondern präzisieren noch das Datum der Tür-Aufhängung, wie Mufioz nachweisen konnte: Delle porte de mieso di sancto Pietro. Sabato a di 14 dello Mese di Agosto furno poste nella porta principale di S. Pietro le porte di Metallo.... 4
Nach Vasari soll Filarete zwölf Jahre daran gearbeitet haben. Deshalb wird angenommen, daß der Beginn der Arbeiten bis 1433 zurückreicht.5 Auftraggeber war
1
3
4 5
H. vonTschudi, Filaretes Mitarbeiter an den Bronzetüren von St. Peter, in: Repertoriutn für Kunstwissenschaft, Bd. 7 (1884) S. 291 ff., speziell S. 293 Übersetzung der Inschrift: Anderen lohnt Prahlerei oder Beräucherung der Arbeit, mir Lustigkeit (hilaritas); W. von Oettingen, Uber das Leben und die Werke des Antonio Averlino genannt Filarete, Leipzig 1888, S. 12 findet keinen Sinn für die inschriftlichen Kürzel APO.CI. und PIO.VI; M. Lazzaroni and A. Mufioz, Filarete scultore e architetto del secolo XV, Rom 1907, S. 82 übersetzt: „Agli altri il guadagno dell'opera e l'onore e il fumo, io con allegria" oder „altri si paghi dell'opera e l'onore e col furno io con allegria"; J. R. Spencer, Filaretes Bronze Doors at St. Peters, in: Collaboration in Italian Renaissance Art, hg. W. Stedman Sheard, J. T. Paoletti, New Haven and London 1978, S. 3 3 - 3 7 . A. und D. Esch, Die Grabplatte Martins V. und andere Importstücke in den römischen Zollregistern der Frührenaissance, in: Römisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana 17 (1978) S. 2 1 1 217. Lazzaroni - Mufioz, 1907 S. 86. Zur Datierung und technischen Ausführung der Tür findet sich die jüngste Literatur verarbeitet bei L. Stöckhert, Die Petrus- und Paulusmartyrien auf Filaretes Bronzetür von St. Peter in Rom (Europäische Hochschulschriften, Reihe XXVIII Kunstgeschichte Bd. 294), Frankfurt-Wien 1997, S. 1317. Zum Inhaltlichen bleiben entscheidend die Beiträge von U. Nilgen, Filaretes Bronzetür von
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Papst Eugen IV.; Antonio Averlino, gen. Filarete, war der ausfuhrende Künstler, dem nach Ausweis des Reliefs der Rückseite der Tür mindestens sechs inschriftlich genannte discipuli (Gesellen) zur Seite standen. Jeder Türflügel ist ursprünglich 6.30 m hoch und 1,73 m breit gewesen. Nach der Versetzung der Türen von Alt-St. Peter in das neue Langhaus wurden Anstückungen unter Papst Paul V. vorgenommen. Auf dem linken Türflügel der Außenseite ist oben in einem gerahmten Rechteck Christus dargestellt. Sein Thron wird aus Rankenvoluten gebildet, die über der unsichtbaren Sitzfläche auf der Höhe seines Schoßes beidseitig entsprießen und Blüten in jeder Volute hervortreiben. Seine rechte Hand segnet mit byzantinischem Segensgestus, seine linke öffnet ein Buch mit der Inschrift EGO SUM LUX MUNDI ET VIE VERITATIS. Zu seinen Füßen die Inschrift SALVATOR MUNDI. Im zweiten rechteckigen Rahmen darunter St. Paulus mit Schwert und Buch, sowie eine blumengefullte Vase (vas electionis) neben ihm. Ganz unten ein drittes Relief im Vierecksrahmen mit dem Martyrium des Paulus. Auf dem rechten Türflügel, dem linken entsprechend, drei Hauptreliefs auf der Vorderseite. Oben: Maria als Ecclesia, Aufschrift zu ihren Füßen: AVE GRATIA PLENA · D · TECUM (Auch Maria sitzt auf einem Thronsessel, der aus florealen Ranken gebildet wird. Aber Maria ist von Blütenranken umhüllt, sie gehen nicht von ihr aus. Eine architektonische Nische dient ihrem Thron als Lehne. Da die Rankensitze Christi und Mariens in ihrer Sinngebung erst verstanden werden müßten, bevor sich die rätselhaften mythologischen Bildfelder entschlüsseln, die Filarete in die rahmenden Rankenvoluten auf den Rahmenleisten beider Türflügel einstreute, beschränken wir uns in der Beschreibung der Tür nur darauf, die Hauptfelder zu benennen). Unter dem Marienfeld: Petrus, stehend mit Buch und Schlüsselpaar, das er dem links knienden Papst Eugen überreicht. Ganz unten wieder im quadratischen Rahmen: Peters-Martyrium. Auf dem Bildfeld des Petrusmartyriums sind zu erkennen der Tiber, der Hügel Janiculum, wo Petri Kreuzigung stattgefunden haben soll, das Hadriansgrab, der Therebintenbaum als legendäre, erste Grabstätte des Petrus und das pyramidenförmige Romulusgrab rechts außen, sowie, links außen, die Cestiuspyramide (damals vermeintliches Remus-Grab).6 Die Enthauptung des Paulus findet vor den Stadtmauern Roms auf dem linken Türflügel statt. Diese Waldlandschaft muß als topographische Einheit mit der Stadtvedute der Petruskreuzigung auf dem rechten Türflügel zusammen gesehen wer-
St. Peter, in: Actas del XXIII Congreso Internacional de Storia del Arte, Granada 1973, Bd. III S. 5 6 9 - 5 8 5 ; U. Nilgen, Filaretes Bronzetür von St. Peter in Rom, in: Jahrbuch des Vereins für christliche Kunst in München e.V. 17 (1988) S. 3 5 1 - 3 7 6 . 6
Die besten Beobachtungen zum topographischen Zusammenhang der beiden Bildfelder mit den Martyriumsszenen der Apostel bei Stöckhert 1997 (wie Anm. 5).
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den. Wenn man nämlich die Türflügel öffnet, würde die so entstehende Öffnung der Porta Ostiense neben dem vermeintlichen Remus-Grab entsprechen, die in der Rom-Vedute des Reliefs nicht erscheint. Durch sie wurde Paulus zum Hinrichtungsort (Tre Fontane) gefuhrt. Dies jedenfalls überliefert die Legende, nach deren Bericht beide Apostel auf Neros Befehl am gleichen Tag hingerichtet wurden. Filaretes Peterstür spielt also auf die Porta Ostiense an, die im 15. Jahrhundert auch Porta di San Paolo genannt wurde. Da Christus sich selbst nach Joh. X, 9 die Tür (ostium) zum Schafstall nennt, wird diese wörtliche Übereinstimmung von Kirchentür, Porta Ostiense und Christi Selbstzeugnis (Ego sum ostium: per me si quis introierit salvabitur, et ingredietur et egredietur, et pascua inveniet) vom Künstler bewußt nach päpstlichem Auftrag anschaulich gemacht worden sein. Uber und unter den Rechteckrahmen von Paulus links und Petrus rechts befinden sich vier ungerahmte Querstreifen, die sozusagen organisch aus den florealen Ranken der vertikalen Randleisten herauswachsen.7 Sie zeigen die kirchenpolitischen Taten des Papstes, insbesondere die Kaiserkrönung von Kaiser Sigismund in Rom, die Übergabe der Unionsbulle an den byzantinischen Kaiser Paläologus, seine Ankunft und Abfahrt zu Schiff in Konstantinopel und Venedig. Der Einzug von Pater Andreas, dem Vertreter der Aethiopischen Kirche, mit zehn Mönchen in Rom nach seiner Unterzeichnung der Unionsbulle in Florenz. Eine Inschrift unter St. Peter feiert diese Ruhmestaten von Papst Eugen als seine Monimenta: SUNT-HAEC-EUGENI-MONIMENTA-ILLUSTRIA-QUARTIEXCELSI-HAEC-ANIMI-SUNT-MONIMENTA-SUI Damit rücken diese Storie der jüngsten Gegenwart der Kirche in die gleiche Ebene von fingierter Wirklichkeit wie die vielen Reliefs mit griechischen Mythen in den vertikalen Rankenfeldern der Tür. Daß Filarete eine besondere Absicht mit dieser Erzählweise seiner Reliefs verbindet, zeigen die Puttenengel, die auf den obersten Horizontalstreifen der beiden Türflügel links das Familienwappen von Papst Eugen IV. (schräger Balken auf farbigem Feld), auf dem rechten Türflügel aber die Insignien des Papstwappens (Tiara über den gekreuzten Petrusschlüsseln) emportragen. Da nun aber die gedoppelten florealen Akanthusranken jeweils aus der Mitte der untersten Rahmenleiste, d.h. aus der Erde, hervorwachsen und ganz oben in der Himmelszone die Engelsputten wie echte Weinranken mehrfach spiralig überschneiden, achten wir auf die Weintrauben oben, die als Früchte alle Blüten weiter unten zurücklassen.
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Für Abbildungen dieser Reliefszenen und Erläuterungen zu kirchenpolitischen Zusammenhängen bleibt weiterhin Lazzaroni - Mufioz 1907 unerläßlich neben den heute sachlich treffenderen Untersuchungen von Nilgen 1988 (wie Anm. 5).
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Ob nun das schmale Reliefband aus Bronze auf der Innenseite des linken Flügels ganz unten genau an der Stelle auf dem Holzkern befestigt ist, fur die es Filarete bestimmt hatte, wissen wir nicht. Jetzt jedenfalls befindet es sich auf der Rückseite des linken Flügels, der dem Paulus-Martyrium und dem thronenden Christus gewidmet ist. Auf der Innenseite beider Türflügel findet sich kein weiterer Reliefschmuck. In diesem Zusammenhang wird eine Beobachtung von Martin Warnke auf der Außenseite des linken Flügels wichtig, denn auf dem unteren Erdstreifen vom quadratischen Bildfeld der Enthauptung des Apostels Paulus halten zwei Fabelwesen Filaretes medaillenartiges Selbstbildnis empor.8 Ein bärtiger Mann links und ein junger Mann rechts, deren nackte Oberkörper nach Art von See-Kentauren in hufbewehrte untere Extremitäten mit Fischschwänzen münden. Da dieses büstenförmige Selbstbildnis im Profil die oben genannte Inschrift mit dem Datum 1445 trägt, müßte es bezogen werden auf ein genau gleichgroßes Medaillenrund, das von zwei geflügelten Putten, d.h. Engeln oder Genietti, auf dem gegenüberliegenden Erdstreifen unter der Peterskreuzigung vom rechten Türflügel emporgetragen wird. Warnke bezieht mit Recht beide Medaglioni aufeinander wie Recto und Verso einer Medaille. Wenn die Türflügel geöffnet waren, standen sich die beiden zeitweilig, gewissermaßen deckungsgleich, auch gegenüber. Benannte Filarete seine Autorschaft auf dem linken Türflügel mit dem lateinischen Wort „fecit", so ist das Medaillenrund des rechten Türflügels beschriftet: OPUS ANTONII. Warnke bemerkt treffend, daß Filaretes Selbstbildnismedaille wie ein antikes Fundstück auseinandergenommen, dem eigenen Werk appliziert scheine. Will man das Selbstbildnis des Künstlers in ganzer Figur auf dem Reliefband der Rückseite verstehen, muß das zunächst begriffen werden, was auch ohne die Inschriften zu sehen ist. Rechts eindeutig durch Namensbeischrift „Antonius et discipuli mei" benannt, Antonio Filarete mit modischer Kopfbedeckung und einem Zirkel in der linken Hand. Beide Zirkelarme sind nach oben gerichtet und stehen so vor einer Bronzescheibe (discus), die, flach reliefiert, rechts wenig über den Kopf des Meisters ragt. Die linke Zirkelspitze markiert das Zentrum der kreisförmigen Scheibe, die rechte berührt die rechte Peripherie des Kreisrunds, so daß der Abstand beider Zirkelspitzen den Scheibenradius festlegt. Verlängert man die Zirkelarme in Richtung des angegebenen Winkels nach oben, d.h. zum Himmel, wird der Abstand ihrer Spitzen zu einem Kreisradius unendlicher Ausdehnung. Wenn nun die Schüler mit ihren Arbeitschürzen, engen Jacken, Lederkappen, Hüten oder, im Einzelfall, auch barhäuptig dargestellt sind, sollen wir sie als eben von der Arbeit kommend verste-
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M. Warnke, Filaretes Selbstbildnisse. Das geschenkte Selbst, in: Der Künstler über sich in seinem Werk. Internationales Symposium der Bibliotheca Hertziana Rom 1989, hrsg. von M. Winner, Weinheim 1992, S. 1 0 1 - 1 1 3 .
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hen; ihre Hände fassen einander an. Genau wie der Meister sind sie alle überwiegend im Sprung, also tanzend dargestellt. Die beiden vorletzten Schüler drehen sich umeinander, also ist die ganze Reihe, mit Filarete an der Spitze, im Reigentanz dargestellt. Der letzte hält in der rechten Hand einen Hammer, die anderen tragen Meißel, Punze und Feile — Arbeitsgeräte zum Ziselieren der Bronze. Filarete faßt mit der rechten, hohlen, nach oben gekehrten Hand den Handgriff eines gebogenen Grabstichels. Der Griff wird gleichzeitig von dem ihm zunächst springenden Discipulus umfaßt. Es muß deshalb betont werden, daß auch der Meister ein Gerät grober Handarbeit mit eigener Arbeitshand greift, der Schüler hingegen das gleiche Werkzeug mit seiner Linken hält. Von links nach rechts sind die Schüler auf der Höhe ihrer Füße mit Namen genannt: Jovannes, Pasquinus, Jannellus, Varrus Florentiae, Jacobus, Agniolus. Ihre Namen scheinen nach dem Guß der Platte in die Bronze geritzt zu sein, während der Name des Meisters Antonius oberhalb seiner Knie mit erhabenen Buchstaben vor dem Guß aufgeschrieben wurde. Dieser ausgelassene Reigen bewegt sich rechts auf ein Kamel zu, das inschriftlich unter seinem Bauch DROMENDARIUS (sie) benannt ist. Dieser Tiername entspricht aber nicht genau der Vierbeinerspecies, die hier mit zwei Höckern wiedergegeben ist, denn ein mit Kappe, ärmlicher Jacke und Schuhwerk ausgestatteter, alter Reiter sitzt fest zwischen den zwei Höckern auf dem Tier. Also ein Kamel. Der Reiter spielt auf einer siebenrohrigen Pansflöte (siringa, zampogna, syrinx). Soweit ich sehe, hat nur Pietro Cannata bisher Filaretes Kamel mit dem Gleichnis Jesu aus Matthäus 19,24 verbunden, ohne viel mehr Sinn in das Reliefbild zu bekommen. 9 Das Evangelium des Markus X,25 überliefert Jesu Worte übereinstimmend mit Matthäus. Es wäre für ein Kamel leichter, durchs Nadelöhr zu gehen, als für einen Reichen, ins Himmelreich zu kommen (facilius est camelum per foramen acus transire quam divitem intrare in regnum Dei). Immerhin hat kein Geringerer als Rembrandt rund zwei Jahrhunderte später, die „Geschichte vom reichen Jüngling" im sog. Hundertguldenblatt auch mit Kamel und reichem Jüngling zu Füßen des lehrenden Christus zur Darstellung gebracht. Filaretes Kamelreiter spielt eine siebenrohrige Pansflöte. Daß der Hirtengott Pan die Flöte aus sieben Schilfrohren verschiedener Länge zuerst mit Wachs zusammengefugt habe, um in Entsprechung der sieben Töne von sieben Himmelssphären und ihren ewigen Kreisen zu musizieren, konnte dem Servius-Kommentar zum 32. Vers von Vergils 2. Ekloge ebenso entnommen werden wie dem XXII. Buch der Saturnalien von Macrobius, der den Gott Pan mit der Sonne (sol) identifiziert. 9
P. Cannata, Le Placchette del Filarete, in: Italian Plaquettes, hg. A. Luchs (Center for Advanced Study in the Visual Arts, Symposium 1985, Papers IX National Gallery of Art), Washington 1989, S. 37.
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Pan, so war ebenda zu lesen, ist ein griechisches Synonym für das lateinische omnia, für das Ganze der sublunaren Welt. Der gen Himmel gerichtete Zirkel von Filarete alludiert also auf das Kreisen der sieben Himmelsphären im Ptolomäischen Weltsystem. Die berühmte Weltkarte des Ptolomäus war gerade damals von griechischen Gelehrten nach Florenz gebracht worden. Seinen griechischen Traktat Almagest über die Kreisbewegung des Sonnenhimmels und der anderen Himmelsphären um die Erde übertrug man ins Lateinische. Die Humanisten konnten deshalb Filaretes himmelwärts gerichteten Zirkel auf die kreisrunden Himmelsphären beziehen wie die Pansflöte in der Hand des Kamelreiters auf die Sphärenmusik. War die Sphärenmusik für sterbliche Ohren auch nicht zu hören, so hatte der legendäre griechische Philosoph Pythagoras behauptet, sie wahrnehmen zu können. Und der hatte zuerst über die Sphärenmusik nachgedacht. Filarete mit sechs Schülern ergibt eine Siebenzahl von Tänzern. Sieben Pfeifen ergeben die Pansflöte als Allusion auf die sieben Planetenhimmel, die sich in verschiedener Geschwindigkeit kreisend um die feststehende Erdkugel bewegen. Bezieht sich da der Reigentanz von sieben Tänzern nicht auch auf den Reigentanz der Himmelskreise umeinander? Dem könnte man entgegnen, daß es Filarete ein Leichtes gewesen wäre, diese Himmelskreise oder auch nur einen mit dem Grabstichel in die gegossene Bronzetafel einzuritzen wie ja auch HILARITAS körperlos im Vergleich zu den anderen fett geschriebenen Worten nur ziseliert worden ist. Der Kreis, der auf kreisförmige Himmelsbahnen anspielt, ist aber von Filarete als dreidimensionale, massive Bronzescheibe (discus) gegossen worden. Warum, wird uns noch beschäftigen. Nach dem Weg durch die Kreise des Inferno und des Purgatorio, die trichterförmig bis ins Erdinnere reichen, steigt Dante durch die Himmelskreise auf zum Empyreum, wo seinen Augen zuallererst das göttliche Licht reflektiert erscheint wie ein Ebenbild seiner selbst mit den ihm eigenen Farben gemalt; denn der Mensch ist von Gottvater zum Ebenbild seines Schöpfers geschaffen worden: Quella circulazion che sl concetta Pareva in te, come lume riflesso, Dagli occhi miei alquanto circonspetta, Dentro da se del suo colore stesso Mi parve pinta della nostra effige; Per che il mio viso in lei tutto era messo. Qual e Ί geomfetra che tutto s'affige Per misurar lo cerchio, e non ritrova Pensando, quel principio ond'egli indige. (Par. 33, 130-139)
Dantes Vision des göttlichen Lichts hat auch etwas mit der Kreisform des Himmels, ja mit der Quadratur des Zirkels zu tun. Filaretes Christus auf der Außenseite des linken Türflügels hält uns sein Selbstzeugnis „Ich bin das Licht der Welt" ent-
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gegen. Wir sehen ihn facies ad faciem. Natürlich scheint es gewagt, Filaretes Selbstbildnis mit dieser Gottesvision Dantes verknüpfen zu wollen. Aber ein Kamel, das mit seinen vier hufbewehrten Füßen wie der Mensch mit seinen zwei Beinen nur auf dem Erdreich sich bewegen kann, hatte ja kein Geringerer als Christus selbst gleichnishaft far den schwierigen Weg des Menschen als seiner Kreatur ins regnum Dei angesprochen. Noch grotesker wurde die Parabel Jesu durch den indirekten Vergleich von einem Nadelöhr (foramen acus) mit der Himmelspforte. (Daß beide Vergleiche einem Übersetzungsfehler aus dem Hebräischen ins Griechische und Lateinische folgen, soll uns nicht berühren). Nun dreht sich auf der Vorderseite der Relieffelder beider Türflügel ja alles um den Salvator mundi, der uns als Tür (ostium) in das regnum Dei einläßt. Es dreht sich um die Kirche, um den Apostel Petrus, um seinen Himmelsschlüssel und um den Papst, der als Vicarius Christi in der Nachfolge Petri die Himmelstür seinen Lämmern öffnet. Die Frage des reichen Jünglings, was er tun müsse, um das ewige Leben zu erhalten (Marc. X, 17 Magister bone, quid faciam ut vitam aeternam percipiam?), wird von Jesus in zwei Stufen beantwortet. Dem Hinweis, Gottes Gebote zu beachten, entgegnet der Jüngling, die hätte er stets eingehalten. „Eins fehlt dir, verkaufe alle deine Güter, gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach." (Marc. X, 21 Unum tibi deest: vade, quaecumque habes vende, et da pauperis, et habebis thesaurum in coelo; et vieni sequere me). Sich einen Schatz im Himmelreich erwerben, wenn man den Besitz hier auf Erden verschenkt, das liegt Filaretes Inschrift über seinen discipuli zugrunde! Versuchen wir zu übersetzen: (Ceteris oper(a)e pretium fastus (f h?)umus ve mihi hilaritas). „Für die anderen Geldlohn des Werks, Stolz (Hochmut) oder wohl auch Erde, fur mich Heiterkeit (hilaritas)". Das mihi steht über dem Kopf des Schülers, der Filaretes Hand ergreift, bezieht sich also auf jeden einzelnen der sieben Tänzer. Wir entscheiden uns beim Lesen des zerstörten Anfangsbuchstabens von (?) UMUS fur das H, weil nach Genesis 2,7 Gott den Menschen „de humo terrae" geschaffen hat. In der Etymologie (XI, 1, 4-5) des Bischofs Isidor von Sevilla wird deshalb das Wort homo von humus abgeleitet. Obgleich das inhaltlich zu wenig sage, denn der totus homo bestünde aus zwei Substanzen, aus der Gemeinschaft von Seele und Körper. Die Griechen hätten den Menschen anthropon deswegen genannt, weil er nach oben schaue, von der Erde aufgerichtet zur Betrachtung seines Schöpfers (Graeci autem hominem anthropon appellaverunt, eo quod sursum spectet sublevatus ab humo ad contemplationem artificis sui). Dazu zitiert Isidor Ovids Metamorphosen I, 84—86:
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Pronaque cum spectent animalia cetera terrain, os homini sublime dedit caelumque videre iussit, et erectos ad sidera tollere vultus. (Während die übrigen Wesen gebeugt zur Erde hin sehen, gab er (opifex rerum) dem Menschen ein aufrecht Gesicht und hieß ihn den Himmel schauen, aufwärts den Blick empor zu den Sternen erheben).10 Und noch einmal vertieft Isidor denselben Gedanken, daß der Mensch aufrecht stehe zum Anschauen des Himmels, um nach Gott zu forschen, jedoch nicht seine Aufmerksamkeit auf die Erde richte wie das Vieh, das die Natur nach vorwärts geneigt und dem Bauche willfährig ausgebildet habe. Selbst wenn der unleserliche Anfangsbuchstabe zu dem lesbaren -UMUS nicht unser Η sondern, wie meist ergänzt, ein F gewesen sein sollte, sind Isidors Gedanken zur Natur des Menschen aufschlußreich fur Filaretes Relief und das Verhältnis seiner Schriftzeilen zu den Gestalten. Unter dem Bauche des Kamels steht nämlich der Tiername DROMENDARIUS. Unter dem Bauche eines Maulesels (nicht Pferd wie oft fälschlich benannt) ganz links steht APO.CI. Diese Kürzel mit ;rApo[stoli] ci [vitäte] aufzulösen, halte ich für falsch, da sie durch ihren Ort unter dem Bauche des Maulesels sich nur auf dieses Tier beziehen könnten. 11 Aber einen besseren Lesevorschlag vermag auch ich nicht zu nennen. Die Reiter auf Maulesel und Kamel sind der niedrigen Erde durch ihre hohen Sitze enthoben. Ihre Namen PETRUTIUS und PIO.VI. beim Kamelreiter (bisher nicht aufgelöst) stehen oben neben ihren Köpfen, während ihren Reittieren Namen unter die Bäuche geschrieben sind. Das Vieh, das eben nicht aufrechten Gangs wie der Mensch nach oben zum Sternenhimmel, zu Gott, sich zu orientieren vermag, muß zum Erhalten seines Lebens auf dieser Erde eben allein seinen Bäuchen Gehorsam leisten. Filarete hat offensichtlich den Gegensatz zwischen den beiden Reitern oben und seinem Reigentanz mit den Gesellen unten herausarbeiten wollen. Der den Weinkrug hebende PETRUTIUS und der Syrinx spielende PIO.VI. sind Müßiggänger. Ihre Hände haben nicht gearbeitet, Petrutius genießt Wein. Stehen sie auf ihren hohen Reitersitzen gleichzeitig für „Superbia"? Filarete und seine Gesellen haben ihre Namen zu ebener Erde auf Fußhöhe eingeritzt, bei Filarete allenfalls in Kniehöhe. Sie springen und tanzen, aber in humilitate - erdnah. Die beiden kleinen Vierbeiner unter Filaretes linker Hand lassen sich nicht identifizieren; sind es Hündchen, ein kleines Ferkel oder ein Lamm? Aber sie zeigen hier ihr tierisches Unvermögen, ein Bedürfnis über dieses irdische Leben und sein lebenserhaltendes Fressen hinaus zu haben.
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Publius Ovidius Naso, Metamorphosen, in deutsche Hexameter übertragen und mit dem Text herausgegeben von E. Rösch, München 1952, S. 11. Die verschiedenen Auflösungsversuche der Filareteschen Kürzel bei Cannata 1989, S. 36.
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Der reiche Jüngling aber fragte Jesus nach dem ewigen Leben (vita aeterna). Nach Jesu Aufforderung, alle seine Habe zu verkaufen, den Armen zu geben, um einen Schatz im Himmel zu besitzen (habebis thesaurum in caelo), ging der Jüngling traurig gestimmt davon, da er viele Güter besaß ( Q u i contristatus in verbo abiit maerens, erat enim habens multas possessiones, Marc. X, 21-22). Filaretes heitere Seelenstimmung (hilaritas) ist der genaue Gegensatz von des Jünglings trauriger Stimmung (maestitia). U m in Gottes Königreich (regnum) einzugehen, bedarf es der Gnade des Königs, und die zeigt sich auf seinem Gesicht als Hilaritas, wie es die Sprüche Salomonis (16,15) ausgesprochen haben: In hilaritate vultus regis vita est et dementia eius quasi imber serotinus (Wenn des Königs Angesicht freundlich ist, das ist Leben, und seine Gnade ist wie ein Abendregen). Diese freundliche Heiterkeit (hilaritas) auf dem Antlitz des Königs im Himmelreich ist Filaretes und seiner Schüler Schatz im Himmel (thesaurus caelo) von dem Jesus sprach. Diesen Thesaurus im Himmel gewinnen sie, wenn sie für ihr Werk Geldlohn oder Ruhm verschmähen; denn diese HILARITAS ihres Königs ist VITA (aeterna). Daß Filaretes und seiner Schüler heiter gestimmte Seelen ihrer aller Körper zum Tanzen antreibt, zeigt schon die Art der Inschrift. Denn HILARITAS als Seelenvermögen und Schatz im Himmel ist nur eingeritzt, also körperlos zu lesen, während „Werklohn, stolze Überheblichkeit und sogar Erde (mit der die Toten begraben werden)" laut Inschrift in dreidimensionalen, körperhaften Majuskeln anderen (ceteris) überlassen sein soll. Nachdem der Jüngling betrübt von dannen gegangen war, hatte Jesus zweimal seinen Jüngern wiederholt: quam difficile qui pecunias habent in regnum Dei introibunt, Marc. X, 23 — quam difficile est confidentes in pecuniis in regnum Dei introire Marc. X, 24. Als die Jünger sich nach Jesu abschließender Kamel-Parabel entsetzten und sich fragten, wer dann selig werden kann, antwortet Jesus: „Bei den Menschen ist es unmöglich, aber nicht bei Gott; omnia enim possibilia sunt apud Deum (Marc. X, 27). In seiner Exegese der Kamel-Parabel erläutert Augustin die Frage, was denn Jesus hier unter einem „Reichen" verstanden hätte: 12 „Divitem hic appellat cupidum rerum temporalium et de talibus superbientem." Die also nennt Jesus reich, die nach Dingen der Welt gieren und ihretwegen überheblich sind. Solchen Reichen stellt Augustin die geistlich Armen (pauperes spiritu Mat. 5,3) aus der Bergpredigt gegenüber, denn ihrer ist das Himmelreich (regnum coelorum). Es ist leichter, daß Christus leidet für die Liebhaber dieser Welt, als daß sie zu Christus bekehrt werden. Mit dem Namen eines Kamels aber hätte sich Christus selbst gemeint, insoweit es, erniedrigt, Lasten emporhebt. (Cameli autem nomine se intelligi voluit, qua 12
Augustinus, Q u e s t i o n e s Evangeliorum Lib. II, zitiert nach O p e r u m Divi Aurelii Augustini vol. IV, Venedig 1551, S. 8 2 H .
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humiliatus onera sustulit). Augustin schließt den Gedankengang mit einem Vers aus dem Ecclesiasticus III, 20: Je höher du bist, desto mehr demütige dich, so wird dir der Herr hold sein! (quanto magno es, humilia te in omnibus, et coram Deo invenies gratiam). Filarete schaut nicht zum Himmel auf, wie ihm sein aufrechter Gang im Vergleich mit den Tieren nahelegen könnte. Er hält zwar sein Meßwerkzeug, den Zirkel, in die Höhe gen Himmel, aber sein Blick als Magister geht zurück auf den Reigen seiner discipuli. Dreht sich aber der Reigen weiter um die Achse des drittletzten discipulus, dann wird an die Spitze der Reihe der letzte Schüler mit dem Hammer kommen. Damit hätte Filarete genau das ins Bild umgesetzt, was Christus nach der Kamel-Parabel seinen Jüngern (discipulis) einschärft: Multi autem erunt primi novissimi, et novissimi primi (Marc. 10,31; Mat. 19,30). Die ersten werden die letzten sein und die letzten die ersten! Hier ist nun auch an den Disput der Jünger untereinander zu erinnern, wer der Größte wohl sei im Reich des Himmels (major est in regno coelorum Mat. 18,1). Jesus rief ein Kind (parvulus) herbei, stellte es mitten unter sie und sagte: Wenn ihr Euch nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen (nisi conversi fueritis et efficiamini sicut parvuli, non intrabitis in regnum coelorum Mat. 18,3). Wer sich nun selbst erniedrigt wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich (Quicumque ergo humiliaverit se sicut parvulum iste, hic est major in regnum coelorum Mat. 18,4). Die kleinen Vierbeiner vor dem großen Kamel sind sozusagen die parvuli, nach denen sich das Kamel umdrehen sollte, um das größte Tier im Himmelreich zu werden. Daß Filarete sich als Magister an die Spitze seiner inschriftlich genannten discipuli setzt, schließt, da er auf sie zurückschaut, die von Jesus geforderte conversio zu den parvuli mit ein. In der Tat sind die beiden kleinsten discipuli, von denen einer,gebeugt, nicht einmal das Würdezeichen einer Kopfbedeckung trägt, genau die beiden in der Mitte der Reihe, die sich umeinanderdrehen, also den Reigen beginnen. Wenn die Reihe einmal sich zur Gänze im Kreis gedreht hat, wird Anfang und Ende vertauscht sein. Filarete hat ganz gewiß mit seiner Wortwahl „discipuli mei" scherzhaft alludiert auf die Gespräche Jesu mit seinen Jüngern über den Weg ins Himmelreich. Denn als der reiche Jüngling Jesus anredete mit „Magister bone - Guter Meister", wies Jesus ihn zurecht: Gut ist allein ein einziger, Gott. Implizite heißt es, Magister gibt es viele, eben auch einen Meister Filarete. Wenn sich der aber nicht über die Kopfhöhe seiner Schüler erhebt und Arbeitsgeräte wie sie ergreift, hat er sich als Meister, Jesu Gebot entsprechend, erniedrigt! Jetzt erst wird klar, warum Filarete den Maulesel auf den letzten Tänzer und das Kamel auf den augenblicklich ersten Tänzer, Filarete, blicken läßt. Beide Reittiere tragen in ihrer demütigen Duldsamkeit ärmliche Reiter. Ihrer Tracht nach, jeweils mit Kapuzen, sind es Hirten. Reiter und Reittiere gehören beileibe nicht dem Reich der Welt und ihrer Superbia an. Die Syrinx in der Hand des Rechten ist ja eine
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Hirtenflöte, das Instrument der Humilitas, aber in Allusion des Himmels. Der Weinkrug in der Hand des Linken ist ein irdenes Gefäß. Der Zeigefinger dieser Hand weist aber gen Himmel, wie die Zirkelspitzen in der linken Hand von Filarete, ohne daß Petrutius oder Filarete nach oben blicken. Sie sind alle dargestellt als pauperes spiritu, denen das regnum coelorum gehören wird. Sind sie schon durch die enge Pforte links eingezogen? Was bedeutet der Weinkrug in der Hand des Eselsreiters? Erinnern wir uns der Vase links von Paulus auf dem Frontrelief des linken Türflügels. Sie hat zwei Henkel. Aus ihr wächst eine Blume heraus. Auf dieser Blume sitzt ein Vogel mit ausgebreiteten Schwingen als ein Bild der Seele. Auf ihrem Rand ist eine Löwe abgebildet als Himmelszeichen der Sonne oder als der apokalyptische Löwe von Juda? In beiden Fällen als Selbstzeugnis Jesu: Ego sum lux mundi. Paulus wurde von der Stimme Gottes, die Ananias in Damaskus hörte, das „auserwählte Gefäß" geheißen (vas selectionis est mihi iste, Act. 9,15). Die von Cicero stammende Metapher, daß der menschliche Körper gewissermaßen das Gefäß der Seele sei (corpus quasi vas), war später durch Laktanz und andere Kirchenväter zum theologischen Gemeinplatz geworden. Von der Zerbrechlichkeit des menschlichen Leibes als „fictile vas" hatte zuerst Epikur gesprochen und daraus gefolgert, daß sich die Götter zum Menschen gleichgültig verhalten. Nun spricht aber auch Paulus im 2. Korintherbrief (4,7) von „unserem Schatz in zerbrechlichen Gefäßen" (Habemus autem thesaurum istum in vasis fictilibus, ut sublimitas sit virtutis Dei et non ex nobis). Der Apostel meinte mit dem „thesaurus" seine eigene Verkündigung des Evangeliums; „denn Gott, der da hieß das Licht aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, daß durch uns entstünde die Erleuchtung von der Klarheit Gottes in dem Angesichte Jesu Christi (2. Cor. 4,6)". Im 4. Vers nannte Paulus die Ungläubigen dieser Welt blind, „daß sie nicht sehen das helle Licht des Evangeliums von der Klarheit Christi, welcher ist das Ebenbild Gottes (ut non fulgeat illis illuminatio Evangelii gloriae Christi, qui est imago Dei). Der Körper als zerbrechliches Gefäß findet sich bei Laktanz (De opificio Dei 1,11 vas est enim quammodo fictile), in dem die Seele (animus), d.i. der eigentliche Mensch wohnt, und zwar sei er nicht vom Gott Prometheus gebildet, wie die Dichter sagen, sondern von Gott, dem großen Schöpfer und Bildner der Welt. 13 Petrutius auf dem Maulesel hält in Filaretes Relief ein tönernes Trinkgefäß (vas) empor mit der gleichen Hand, deren Zeigefinger zum Himmel weist. Wie zerbrechlich solch ein irdenes Gefäß ist, beweist die gefährliche Nähe des Hammers in der Hand des letzten Tänzers.
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Zitiert nach U. David Asmus, Corpus quasi vas. Beiträge zur Ikonographie der italienischen Renaissance, Berlin 1 9 7 7 , S. 15 A n m . 16.
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In den Tuskulanischen Disputationen interpretiert Cicero den Imperativ des Delphischen Gottes Apoll: „Nosce te dicit, hoc dicit: nosce animum tuum. Nam corpus quasi vas est aut aliquod animi receptaculum ab animo tuo quicquid agitur, id agitur a te." Und so hat Ute David Asmus, deren Gedanken wir fiir die Geschichte der Vasen-Metapher dankbar gefolgt sind, in dem christlichen Ciceronianer Laktanz eine Paraphrase der ciceronianischen Quellen gesehen: 14 (Corpus) est enim quasi vasculum, quo tamquam domicilio temporali spiritus his caelestis utatur (Denn [der Körper] ist gleichsam ein kleines Gefäß, dessen sich dieser himmlische Geist wie eines zeidichen Wohnsitzes bedient). Filarete war die Vasen-Metapher vertraut, denn er hat in seinem Architektur-Traktat, ehem. Biblioteca Trivulziana, sich in der Eingangsinitiale selbst in dreifacher Weise abgebildet. Untere Zone im Studiolo schreibend in ganzer Gestalt, darüber als Profilkopf ohne Kopfbedeckung, ganz oben aber als eine zweihenkelige Vase, aus der zwei Engelsputten einen männlichen Oberkörper nackt emporziehen 15 - also Filaretes Seele auf dem Wege zum Himmel. Die Fülle seiner Selbstbildnisse und Selbstreferenzen auf der Außenseite der Peterstür steht in krassem Widerspruch zu dem Humilitas-Gebot Jesu, das den Weg in den Himmel ebnen sollte. Wie wir sahen, hat Filarete auf der Rückseite die Worte und Metaphern Jesu in ein heiteres Bild gebracht, ohne den Ernst der Frohen Botschaft zu verletzen. Mit menschlicher Tugend oder Arbeit ist also das Himmelreich nicht zu gewinnen. Aber Filarete hatte ja seinen graezisierenden Beinamen als Künstler gerade deswegen gewählt, um durch die Leistung seiner Werke als Liebhaber der Virtus vor jedermann Ruhm zu gewinnen. Wenn der Papst auf der Frontseite der Tür die kirchenpolitischen Taten seiner Regierung als M O N I M E N T A seiner selbst inschriftlich nennen und abbilden ließ, sollte da nicht das Bronze-Werk der beiden Türflügel als opus des Künsders Filarete gerühmt werden? In der Tat ist sein Selbstbildnis im Clipeus auf der Frontseite unter der PaulusMarter ein Ruhmesmonument des Künstlers Filarete, denn zwei fischschwänzige Fabelwesen halten sein Bild wie einen Clipeus virtutis auf antiken Meeressarkophagen in die Höhe. Seitdem Peter Meiler und Michael Jacobson die kämpfenden Seekentauren auf Mantegnas berühmtem Stich, den Dürer schon 1494 kopiert hatte, als die sagenhaften Ureinwohner von Rhodos erkannten, lassen sich Filaretes Fabelwesen als Teichines benennen, die als Söhne des Meeres überliefert sind. 16 Sie hätten als erste
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David Asmus 1977, S. 10 Anm. 14 u. 15. Warnke 1989 S. 111 Abb. 4. Μ. A. Jacobson, T h e Meaning of Mantegnas Battle of Seamonsters, in: Art Bulletin 64, 1982, S. 625; über die Teichines stellt alle wesentlichen Quellen zusammen Franciscus Junius, De pictura veterum accedit catalogus, Rotterdam 1694, S. 2 0 5 - 2 0 6 .
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Götterstatuen errichtet, erzählt Diodorus Siculus in seiner Historischen Bibliothek (V, 55). Häufig trügen alte Götterbilder ihren Namen wie z.B. der Apollo Telchinius auf der Insel Lindos. Gezaubert hätten die Teichines, und sie wären in der Lage gewesen, ihre natürliche Form zu verändern. Sie sollen in verschiedenen Künsten hervorragend gewesen sein, erzählt Strabos Geographia (XIV, 2), aber auch höchst neidisch auf Nachahmer ihrer Kunst. Sie hätten als erste Eisen und Bronze geschmiedet und dem Saturn die Sichel gemacht. Zwei Teichines, Vater und Sohn, als die sagenhaften Erfinder von Metallarbeiten halten also das Bronzebildnis als Monument des Künstlers in die Höhe. Daß gerade die Teichines, die sprichwörtlich den Künstlerneid verkörpern, gemeinschaftlich den Erzbildner Filarete rühmend erheben, zeigt des Künstlers Ruhmsucht auf der Vorderseite der Tür. Von Horaz (Od. III, 30) hören wir, daß nur die Worte des Poeten ein Monument dauerhafter als Erz (monumentum aere perennius) erdichten könnten. Und auch der Dichter wird, wie wir noch Isidors Etymologie entnehmen werden, mit Recht fictor genannt, wie die Töpfer (figuli) und Erzbildner. In dieser 30. Ode von Horaz liegt ein Kerngedanke des Bildprogramms der Filarete-Tür beschlossen; denn auch Papst Eugen ließ Filarete seine kirchenpolitischen Taten in dauerhaftes Erz gießen und beschriftete sie: Sunt haec Eugeni monimenta illustria quarti excelsi haec animi sunt monimenta sui. Zwar steht da zu lesen, daß es sichtbare Erinnerungszeichen der Seele des erhabenen Papstes Eugen sind, aber gemacht hat diese Monumente aus Erz Filarete. Die dichterische Leistung, von der Horaz glaubte, daß sie seinen Tod überdauern würde, ist bekanntlich die, als „erster Roms Sange äolischer Lyra-Klänge verliehen zu haben".17 Dies wäre sein „Monument dauernder noch als Erz, majestätischer als der Pyramiden Bau, das kein Regen zernagt, rasenden Nordes Wut nicht zu stürzen vermag, noch der Jahrhunderte unabsehbare Reihn oder der Zeiten Flucht."
Die Vergänglichkeit der Monumente, auch des dauerhaften Erzes, wie sie der Dichter Horaz seinem vermeintlich ewigen Dichtwerk gegenüberstellt, läßt sich auf Filaretes Bildfeld der Peters-Kreuzigung im Bilde ablesen. Eine sitzende, eherne Göttin Roma vor dem steinernen Pyramidenbau des vermeintlichen Remus-Grabes. Unzählige
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Deutsche Übersetzungen von Ode 30, Lib. 3 nach: Horaz sämdiche Werke. Lateinisch und deutsch, Ernst Heimeran Verlag München 1957, S. 176-177: Exegi monumentum aere perennius Regalique situ pyramidum altius, Quod non imber edax, non aquilo impotens Possit diruere aut innumerabilis Annorum series et fuga temporum.
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Schilde, ziseliert von Erzbildnern als Spolien getöteter Feinde auf dem Marsfeld. Das gigantische Hadrians-Mausoleum, die eherne Statuette des römischen Gottes Mars auf der Hand von Romas Sitzstatue. Uns soll jedoch nur der Clipeus unter diesem Bildfeld interessieren, der dem von Teichines erhobenen Selbstbildnis des Erzbildners auf dem gegenüberliegenden Türflügel entspricht. Zwei Engelsputten scheinen hier im Fluge den Clipeus seines bildlosen Namens nach oben zu tragen. Filaretes Seele ist dem Himmelreich anbefohlen und kann kein ewiges Leben aus der Virtus seiner opera erwarten. Es ist das Verdienst von Catherine King, die literarische Quelle für den Reigentanz Filaretes mit seinen Gehilfen in einer Pausanias-Stelle entdeckt zu haben.18 Sie hat darauf verweisen können, daß Kardinal Bessarion ein Pausanias-Ms. der Beschreibung Griechenlands besaß, das er 1468 der Signoria von Venedig schenkte. Es gehört heute der Bibliothek von S. Marco. Bessarion war der Sprecher der Griechen in der theologischen Vorbereitung der Unionsbulle von 1439 zu Florenz. 1437 hatte ihn Papst Eugen zum ökumenischen Konzil nach Ferrara eingeladen. Auch in Florenz war er die theologische, griechische Autorität, die dogmatische Divergenzen der beiden Kirchen überbrücken half. Papst Eugen erhob ihn zum Kardinal der römisch-katholischen Kirche und setzte ihm eine Pfründe aus, die verdoppelt werden sollte wenn Bessarion als Erzpriester von SS. Apostoli Wohnsitz in Rom nehmen würde. Dort war er 1443 in Begleitung des Papstes eingetroffen. Bessarion muß also die Entstehung der Peterstüren relativ früh in Florenz mitverfolgt haben. Und er war in Rom, als sie 1445 aufgehängt wurden. Wenn aber auf der Frontseite der Türen Szenen der Verlesung der Unionsbulle in Florenz von 1439 abgebildet sind, muß das gesamte Türbildprogramm so fließend gewesen sein, daß Bessarion von 1438 ab Einfluß auf das endgültige Bildprogramm hätte nehmen können. Zwar ist auch eine Pausanias-Handschrift im Besitz des Florentiner Humanisten Niccolo Niccoli vor 1437 nachweisbar, aber C. King sieht mit Recht in Kardinal Bessarion den Hauptvermittler des Pausanias-Textes für Filarete. Pausanias beschreibt nämlich den Thron des Apoll von Amyklai, einer kleinen Stadt südlich von Sparta, und nennt den Bildhauer Bathykles, der sich mit seinen Mitarbeitern aus Magnesia im Reigentanz auf dem Thron abgebildet habe: anotato de choros epl to throno pepoietai, Magnetes hoi syneirgasmenoi Bathyklei tön thronon (Pausanias, Hellados periegeseos III, 18, 14 - Ganz oben am Throne ist ein Reigentanz gebildet, nämlich die Magneten, die dem Bathyklos am Throne geholfen).19
18 19
King 1 9 9 0 , S. 2 9 8 Anm. 12 u. 13. Pausanias Beschreibung von Griechenland, aus dem Griechischen übersetzt von Joh. Heinrich Schubert, Berlin o.J., S. 238.
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Filaretes Türen zeigen auf der Frontseite Christus auf seinem Thron und die Muttergottes auf ihrem. Filaretes Reigentanz mit seinen Schülern ist anders als bei dem griechischen Bildhauer nicht oben am Thron, sondern in Demut ganz unten auf der sonst bildlosen Rückseite des linken Türflügels zu sehen. Aber wenn Christus sein Buch mit der Aufschrift SUM LUX M U N D I auf der Außenseite der Tür präsentiert, ist die Beziehung zur Sonne, zum griechischen Sonnengott Apollo, dessen reichverzierten Thron Bathykles mit seinen Gehilfen verfertigt hatte, auch bei Filaretes Bronzetür gegeben. Filarete hat seinen Thron Gottvaters auf dem linken Türflügel nur aus Ranken geformt, der anscheinend die dogmatische Hauptdiskussion der Union beider Kirchen berücksichtigt, nämlich das filioque im Glaubensbekenntnis. Das lateinische Credo läßt den Heiligen Geist ex Patre Filioque ausgehen; beim griechischen Credo geht der Geist vom Vater aus durch den Sohn. Zwar ist in der Gestalt Christi auf Filaretes Tür die göttliche Person des Vaters mit sichtbar. Aber ihr Vater-SohnVerhältnis ist durch Filaretes Thron aus Akanthusranken in ganz einzigartiger Weise abgebildet. Pausanias' Beschreibung des seltsamen Thrones von Apollos Götterbild könnte Filarete zur Kenntnis gebracht worden sein. „Der Teil des Thrones, wo der Gott sitzen würde", beschreibt Pausanias, „bildet nicht ein ununterbrochenes Ganzes, sondern stellt mehrere Sitze dar, so daß neben jedem Sitz ein leerer Zwischenraum bleibt; der in der Mitte ist aber der weiteste und in ihm steht das Götterbild (ägalma).20 Das Götterbild selbst soll nach Pausanias nicht von Bathykles gemacht worden sein. Es wäre alt und ohne Kunst gearbeitet; denn außer, daß es einen Kopf, Fußspitzen und Hände hätte, gleiche es eher einer ehernen Säule. Aber der Sockel des Götterbildes hätte die Form eines Altars (bomou schema). In ihm wäre angeblich Hyazinth begraben. Und am Hyazinthenfest brächte man vor dem Opfer an Apoll dem Hyazinth in dem Grab durch eine eherne Tür ein Totenopfer. An diesem Altar wäre aber Hyazinth selbst dargestellt, den die Aphrodite, Artemis und Athene zum Himmel fuhren. An dem Altar wäre auch Herkules dargestellt, wie er ebenfalls von der Athene und den anderen Göttern in den Himmel geführt würde.21 Pausanias schließt daran die Überlegung, daß alles das, was von dem Winde Zephyr erzählt würde, und wie Apollo gegen seinen Willen den Hyazinth mit dem Diskus tötete, und von der Hyazinth-Blume, vielleicht anders gewesen sein könnte. Man möge es aber glauben, wie es erzählt würde. Aus dieser beiläufigen Bemerkung des Periegeten geht hervor, daß die Wahrheit der Geschichte von Apoll und Hyazinth eine erdichtete ist, und die Hersteller einer Dichtung Dichter genannt werden. Isidor von Sevilla drückt das im 8. Buch seiner
20
Pausanias-Schubert, o.J., S. 2 3 9 - 2 7 0 .
21
Pausanias-Schubert, o.J., S. 2 4 1 .
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Etymologie, die im 7. Kapitel von den Dichtern handelt, folgendermaßen aus: Id genus quia forma quadam efficitur, quae poiotes dicitur, poema vocitatum est, eiusque fictores poetae. Das Wort fictor ist deswegen so wichtig, weil Isidor auch den Maler und die Malerei unter den gleichen Begriff der Fiktion stellt: Pictura autem est imago exprimens speciem rei alicuius, quae dum visa fuerit ad recordationem mentem reducit. Pictura autem dicta quasi fictura, est enim imago ficta, non Veritas (Isidor Etym. XIX, 16). Und schließlich sei daran erinnert, daß Isidor seiner Definition der Malerei voranstellte einen Gedanken über die Plastik: Plastice autem dictum Graece, quod Latine est fingere terra vel gypso similitudines. Nam et inpressa argilla formam aliquam facere plastis est. Und damit sind wir bei der Kunst (ars) Filaretes als Bronzebildhauer. Dem geschmeidigen Ton muß er zunächst die Form aufdrücken. Plastik nämlich wurde das im Griechischen genannt, was auf lateinisch die Nachahmung der Natur durch Ausformung mit Ton oder Gips wäre. Aus Ovids Metamorphosen (X, 162-220) konnte man erfahren, daß der Delphische Gott Apollo beim Wettkampf in Amyklai seinen Liebling Hyazinth mit der Diskus-Scheibe tödlich am Kopf getroffen hätte, weil Zephyr, ebenfalls verliebt in den Knaben, den Diskus abgelenkt. Aber das Schicksal hätte nicht zugelassen, daß Phoebus dem Toten Einlaß in den Himmel verschaffte. Dort in Amyklai liege Hyazinth begraben und alljährlich feiere man ihn im Festzug nach dem Brauch der Väter. Die Machtvollkommenheit, seinen toten Liebling Hyazinth einen Platz im Himmel zu verschaffen, besaß der Griechengott Apoll also nicht! Ganz ähnlich las man in den Saturnalien (XVIII) des Macrobius, daß die Spartaner an den Festtagen Hyacinthia, die sie zu Ehren von Apollo feierten, sich mit Efeu bekränzten, wie sie es beim Bacchus-Kult zu tun pflegten. Macrobius bringt dieses Beispiel der Gleichartigkeit vom Bacchus und Apollo-Kult, da er die Götter Apoll und Liber Pater, d.h. Bacchus, fur ein und dieselbe Gottheit erklärt. Sie beide verkörperten nämlich Sol, die Sonne. Pausanias berichtet hingegen nur, daß die Einwohner von Amyklai als Götter verehrten allein den amyklaischen Apoll und den Dionysus (Bacchus). In der Beschreibung der griechischen Mythen, die Bathykles an Apolls Thron dargestellt habe, erwähnt Pausanias auch den Minotaurus, der von Theseus gefesselt und lebendig fortgeführt wird. Warum aber Bathykles die Minotaurus-Geschichte gerade so abgebildet hätte, frage sich auch Pausanias vergeblich.22 Da nun auf Filaretes vertikalen Akanthus-Streifen der Peters-Tür mindestens vier Szenen (Minotaurus-Theseus; Herkules-Nessus; Hera-Argus-Io; Perseus-Medusa) auftauchen, die Pausanias auch auf dem Bathykles-Thron in Amyklai beschreibt, ist also Filaretes Bild-Programm der Außenseiten beider Türflügel der Peterskirche vielfäl-
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Pausanias-Schubert, o.J., S. 2 3 7 .
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tig mit Apolls Thron in Amyklai verwoben. Solange eine sinnvolle ikonographische Analyse der Frontseiten der Türflügel fehlt, läßt sich kein klares Bild über die Sinnzusammenhänge machen. Jedoch sollte wenigstens angedeutet sein, daß die kleinen Relieffelder aus der griechischen Mythologie, überwiegend auf dem linken Türflügel, und der römischen Geschichte, bzw. Vergils Eklogen, überwiegend auf dem rechten Türflügel, jeweils dem Heiden-Apostel Paulus und dem Juden-Apostel Petrus zugeordnet sind und daß die zweimalige Abbildung von Kaiser Nero auf seinem Thron sowohl auf dem Bildfeld des Petrus-Martyriums als auch auf dem des Paulus-Martyriums ganz gewiß etwas mit dem Thron des amyklaischen Apoll zu tun haben; denn Nero maßte sich an, Sol selbst zu sein. Sein Bronzekoloß in der Domus aurea trug seine Gesichtszüge als Sonnengott Sol. Auf dem linken Türflügel wird auch in vier Szenen die Geschichte des BacchusKnaben erzählt, den Thyrrenische Schiffer entführten und nicht nach Naxos bringen wollten, wie das Kind befohlen hätte. Deshalb wurden sie in Delphine verwandelt (Ovid Met. III 6 0 7 - 6 9 0 ) . Hier ist auch die Apoll und Daphne-Geschichte zu sehen. Alle diese Bildgeschichten sind eingestreut in die Akanthusranken, die unten vom erdnahen, horizontalen Bronzestreifen aus aufwachsen und über dem Haupt Christi ganz oben mit Weintrauben voll hängen. Die vitale Akanthus-Ranke, die Gottvaters Thron zu sein scheint, in Wirklichkeit aber von seinem Schoß ausgeht, zeigt die gleiche F o r m von Akanthusblättern wie die großen rahmenden Akanthusranken außen, wenn auch die Gottvater-Gestalt ihren inneren, von den Außenstreifen trennenden Rechteckrahmen besitzt. „Ich bin der wahre Weinstock, ihr seid die Reben", ist Christi Selbstzeugnis, „und mein Vater ist der rechte Weingärtner" (Joh. 15,1 Ego sum vitis vera, et Pater meus agricola est). Zusammen mit dem schriftlichen Selbstzeugnis „ S U M L U X M U N D I " auf dem Buch Christi sprechen diese beiden Parabeln Jesu von dem, was die heidnischen Griechen und Römer unter ihren Göttern Apollo und Bacchus verstanden haben. Christus ist nicht identisch mit der Gottheit S O L , die Macrobius als einigenden Gottes-Begriff fur Apollo, Bacchus, Pan, Juppiter, Pluto und die übrige Götterwelt der Heiden erfand, sondern Christus ist die trinitarisch wahre Sonne, deren Reich nicht von dieser Welt sei. Aber so wie die antiken Mythen in dichterischer Verhüllung von den wahren Arcana der Welt gesprochen hätten, so hatte eben auch Jesus in Parabeln von seinem Reich Zeugnis geben wollen, dem regnum coelorum, das eben nicht zum Kosmos unserer Welt gehört. Unter diesen Praemissen haben wir auch das Bild Gottes wahrzunehmen, das Filaretes Außenseite des linken Türflügels schmückt. Wo das Menschen-Bild des Gottessohnes nicht ausreicht, um die Allmacht des Schöpfers des Himmels und der Erden auszudrücken, wird es mit dem metaphorischen Weinstock bereichert, der Jesu Selbstzeugnis wiederholt und in seiner lebensvollen Anschauung als lignum vitae durch die schriftliche Selbstreferenz Sum lux mundi et viae veritatis über jedes menschliche Verstehen hinausreicht.
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Jesus nennt sich in den Evangelien verschiedentlich VIA und VERITAS, aber VIAE VERITATIS im Genitiv steht so eben nicht in der Heiligen Schrift. Wir vermuten, daß das „Licht der Welt und des Weges der Wahrheit" auf der Tür Jesu Selbstidentifikation mit dem Weg sinnvoll variiert hat, weil er sich auf die vielen Schiffswege und Landwege der jeweiligen Oberhäupter der Kirchen bezieht, die durch die Unionsbulle, in Florenz unterzeichnet, den Primat des Papstes mit dem Sitz in Rom anerkannt hatten. Nach dem theologischen Selbstverständnis des Papstes hat Christus, der rex regum, ihm als successor Petri direkt die Schlüssel des Himmelreiches gegeben (claves regni caelorum). Petrus hatte nämlich auf Jesu Frage, fur wen man ihn halte, geantwortet: Tu es Christus, Filius Dei vivi. Nicht von sterblichen Menschen wäre das dem Petrus offenbart! „Sed Pater meus qui in caelis est", wandte sich Christus zurück an Petrus (Mat. 16,17). Auf Filaretes Tür thront der Gottvater im Himmel. Die Muttergottes neben ihm thront in einer Nische, deren Kalotte mit Sternen in halberhobenem Relief geschmückt ist: Regina Coeli. Will man wissen, wie das lateinische Wort caelum etymologisch von Filaretes Zeitgenossen verstanden wurde, gibt uns wieder Isidor von Sevilla Auskunft. Das 13. Buch seiner Etymologie handelt von M U N D U S E T PARTIBUS und im 4. Kapitel D E C A E L O : Der Himmel wäre deswegen caelum genannt, weil er nach Art einer ziselierten Metallvase (caelatum vas) eingelegte Lichter wie Sternbilder trüge. Denn ein caelatum vas heiße, was von reliefierten Metall-Bildern aufleuchte. Gott habe nämlich den Himmel mit hellen Lichtern ausgezeichnet und angefüllt; mit der Sonne, dem Kreis des Mondes und mit flimmernden Sternen geschmückt. Griechisch würde der Himmel ouranos genannt; das käme von apö toii horasthai, entsprechend dem Lateinischen „von dem zu Schauenden" deswegen, weil die Luft durchsichtig und zum Wahrnehmen mit dem Auge reiner. Caelum würde in der Bibel auch Firmament genannt, zuweilen aber würde caelum auch ausgetauscht mit dem Begriff der Luft (aer), wo Winde und Wolken entstehen. So habe der Dichter Lucretius einmal gesagt: Caelum quod dicitur aer. Die Psalmen sprechen von den Vögeln des Himmels, da es klar wäre, daß die Vögel in der Luft fliegen und wir gewöhnlich diese Luft Himmel (caelum) nennen. An den vielen fliegenden Vögeln können wir auf Filaretes Relief des Paulus-Martyriums den luftigen Himmel sehen. Geht es aber überall auf Filaretes Bronzetüren um Himmel und Erde, tut not, zum Schluß noch einmal einen Blick auf die Arbeitsinstrumente in der Hand von Filaretes discipuli zu werfen. Daß Filarete die Bildfelder seiner Tür erst mit Tonerde in die rechte Form gebracht hat, bevor sie in Bronze gegossen werden konnten, ist nirgendwo als Arbeitsprozeß bildlich festgehalten. Hält der Meister einen Zirkel, die discipuli aber Meißel, Grabstichel und Hammer, so ist nur auf Metallbearbeitung und das Ziselieren nach dem Guß der Tür rückverwiesen. Mit dem Hammer in der Hand des letzten Tänzers könnte allenfalls auf das Zerschlagen der irdenen Form nach dem Bronzeguß angespielt sein. Aber selbst das ist unwahr-
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scheinlich, da die Ziseliermeißel nur Sinn machen, wenn man sie mit Hammerschlägen bearbeitet! Quintilians 2. Buch (24) der „De institutione oratoria" beschließt die Frage nach dem Instrument der Rhetorik. Der Autor nennt ein Instrument, mit dem jedes Rohmaterial geformt werden kann, wenn wir es in ein Werk umsetzen wollen. Nicht die Kunst (ars) bedarf dieses Werkzeugs, sondern der Künstler. Die Wissenschaft (scientia) brauche keine Instrumente, sie könne perfekt sein, auch wenn sie nichts produziere. Aber der Handwerker (opifex) brauche sein Werkzeug, wie etwa der Ziselierer (Toreute) seinen Grabstichel und der Maler seine Pinsel (sed ille opifex, ut caelator caelum et pictor penicilla). Isidor von Sevilla fuhrt den Meißel unter den Instrumenten der Schmiede an, wenn er Amboß, Hammer, Zange und eben auch den Meißel für die Treibarbeit der Vasen von Silberschmieden nennt (Cilium est unde operantur argentarii; a quo et caelata vasa dicuntur, Et. XIX, VII, 4). Wenig später erklärt Isidor zur Etymologie der Vasen, daß caelata vasa in Silber oder Bronze, deren Bilder erhaben oder vertieft getrieben würden, nach dem Grabstichel (caelum) benannt wären, der jene Art Eisenwerkzeug wäre, das im Volksmund cilio hieße. An Filaretes Bronzetür der Frontseite soll das Vas electionis neben Paulus zweifellos Treibarbeit in Metall darstellen, das Gefäß in der Hand des Eselreiters auf der Rückseite aber veranschaulicht ganz gewiß ein Vas aus gebranntem Ton; denn Isidor erklärt uns in dem gleichen Kapitel, daß Vasa fictilia daher ihren Namen hätten, weil sie aus Erde gebildet würden. Fingere (bilden) nämlich sei facere, formare et plasmare, weswegen auch ihre Hersteller figuli (Töpfer) hießen. Die Tonvase (vas fictile) dürfe nicht das „Fingierte" (fictum) genannt werden, was dem Wort „Lüge" gleichkäme, sondern weil sie geformt wird, damit sie eine gewisse Form habe. Daran fügt Isidor ein Paulus-Zitat (Rom. 9,20 Numquid dicit figmentum ei qui se finxit: Quare me sic fecisti?) Kein getöpfertes Gefäß könne den Töpfer fragen, weshalb er es so gemacht hätte, Paulus hat dieses anschauliche Bild aus dem Buch der Weisheit (15,7—10) variiert, um die Nichtigkeit des Menschen vor seinem Schöpfergott zu verdeutlichen. Die Weisheit Salomos hatte den Töpfer getadelt, der zwar Erde zu Gefäßen verschiedenen Gebrauchs forme, aber aus dem gleichen Ton auch einen „nichtigen Gott" mache, so der Töpfer doch nicht lange zuvor von Erde gemacht sei, und über ein kleines wieder dahinfahre, davon er genommen sei, wenn die Seele, so ihm geliehen wäre, von ihm gefordert werde. Solch ein Tonbildner sorge sich allein darum, daß er um die Wette arbeite mit den Gold- und Silberschmieden und daß er s den Erzgießern nachtun möge, ohne zu bedenken, daß er so ein kurzes Leben habe und hinsterben müsse. Filarete und seine discipuli halten die Instrumente der ranghöheren Erzgießer, Gold- und Silberschmiede, obgleich auch sie vorher die Tonerde zur rohen Form bearbeiten mußten. Ihr Werkzeug, der Ziseliermeißel heißt caelum und ist synonym mit caelum, dem Himmel. Wenn Filarete als Magister vor seinen discipuli
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mit einem Stechzirkel das Rund einer Bronzescheibe in seinem Radius abmißt, dann alludiert er nicht nur auf die Himmelsbahnen der Sonne mit den anderen insgesamt sieben Planeten, sondern auch auf den Bronzediskus, mit dem der amyklaische Apoll seinen Liebling Hyazinth unfreiwillig umgebracht hatte. Ein prosaischer Bronzediskus scheint am Himmel in der Nähe von Filaretes Kopf zu schweben und weist genau so auf die Zerbrechlichkeit seines Leibes als vas fictile hin; denn der wahre Schöpfergott hat ihn laut Genesis (2,7) wie Adam aus terra geformt und ihm den Lebensodem eingeblasen. Mit ihrem Ziselierwerkzeug (caelis) haben Magister Filarete und seine discipuli den kleinen Bronzediskus aber auch zum Bild der Sonne und des Sonnenhimmels formen können, das hinausweist auf Gottes regnum coelorum (caelorum). Nun hat Filarete mit seinen discipuli ja eine Bronzetür aus zwei Flügeln herstellen müssen und diese Tür ist im übertragenen Sinn, wie eingangs erläutert, Christus selbst, der von sich sagt: „Ich bin das Tor." Natürlich ist damit nicht nur das Tor des Guten Hirten zum Stall seiner Lämmer gemeint, die Petrus und seinen Nachfolgern hier auf Erden anvertraut sind. Es ist auch Abbild des Himmelstors zum Himmlischen Jerusalem. Deshalb muß das, was von Salomos Tempel in Jerusalem bekannt war, ganz gewiß auf das theologische Bildprogramm mit eingewirkt haben. Wenn der Sänger des 10. Psalms (14 und 15) die Misericordia des Herrn anfleht, ihn vor den Toren des Todes zu erretten, damit er erzählen könne allen Preis des Herrn in den Toren der Tochter Zion, daß er fröhlich sei über des Herrn Hilfe (Miserere mei, Domine... extollens me de portis mortis. Ut annuntiem omnes laudes tuas in portis filiae Sion, et exultem de auxilio tuo), wurde diese Psalmstelle in christlichem Verständnis stets konkret auf das Tor von Salomos Tempel und damit auf den Himmel bezogen. Da sich aber Filarete mit Profilbild und Namenszug auf der Frontseite der beiden Türflügel nicht nur abbildet, sondern sich auch als Verfertiger der Tür bezeichnet und damit sein „opus" verstanden wußte als „laudes tuas in portis filiae Sion, ließe sich diese Psalmstelle sinngemäß auch auf ihn beziehen. Daß solche Gedanken-Verbindung im Programm der Filarete-Türen möglich ist, legen die Beschreibungen der inneren Tür von Salomos Tempel nahe, der von Kaiser Titus und Vespasian im „Jüdischen Krieg" zerstört wurde. Flavius Josephus (V, 210-211) gibt eine genauere Beschreibung dieser vollkommen mit Gold überzogenen Tür, wie auch die ganze Wand vergoldet gewesen wäre. Uber der Tür aber befänden sich goldene Weinranken, von denen Trauben so groß wie ein Mann herabhingen. Auch bei Tacitus, Hist. V, 5 werden die goldenen Weinranken „vitis aurea templo reperta" erwähnt. Da nun aber den Juden das Verbot, sich ein Bild Gottes zu machen, auferlegt war, konnte der doppelte Bericht von den Weinranken über der inneren Tempel-Tür Jerusalems durchaus mit Christi Selbstzeugnis „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben" verknüpft werden.
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Ich bin überzeugt, daß Papst Eugen dem Künstler die äußeren Weinranken mit ihren Trauben nur im obersten Horizontalstreifen der Peterstür gemäß der ehemaligen vergoldeten inneren Tempeltür von Jerusalem aufgetragen hat. Auf der Rückseite des linken Türflügels tanzt Filarete mit seinen Schülern einen Reigen wie der griechische Künstler Bathykles mit seinen Gehilfen am Thron des Apollo-Bildes in Amyklai, dessen Material Pausanias nicht überlieferte. Die Ziseliermeißel in den Händen von Filaretes discipuli werden wie Szepter gehalten; denn alle Sieben proben hier auf Erden ihren Einzug in das regnum coelorum (Himmelreich). Sie haben mit ihren Werkzeugen eine Metallarbeit abgeschlossen, die u.a. auch die vergoldete Tür zum Salomonischen Tempel wiederholen sollte als Abbild der Himmelstür. Aber in ihrem Reigen gibt es keinen Ersten; denn der Vierte der Mitte hat mit dem Drittletzten der Reihe die Arme zu einem Torbogen verschränkt, durch den der barhäuptige Vorletzte gerade gebückt hindurchzutanzen trachtet. Dabei hält der Drittletzte im Drehen seinen Grabstichel hinter den eigenen Rücken. So hält man kein Szepter! Das Reich der Grabstichel (regnum coelorum) hat keinen Princeps. Das wahre Himmelreich (regnum coelorum) hingegen „ist gleich einem Hausvater, der am Morgen ausging, Arbeiter zu mieten in seinen Weinberg" (Mat. 20, 1-15). Und auch dieses Gleichnis wird von Christus mit der Mahnung beendet, daß im Himmelreich die Ersten zu den Letzten und die Letzten zu den Ersten werden.
CHRISTIANE UND ARNOLD NESSELRATH
Die Wappen der Erzpriester an der Lateranbasilika oder Wie Bramante nach Rom kam* Als Martin V. ( 1 4 1 7 - 1 4 3 1 ) im Jahre 1420 das avignonesische Exil der Päpste beendete und das Papsttum nach Rom zurückkehrte, waren seine Bischofskirche und seine päpstliche Residenz am Lateran baufällig und unbewohnbar.1 Martin V. wohnte zwar zunächst in dem Palast seiner Familie, dem Palazzo Colonna, engagierte sich aber fur eine Wiederherstellung des Lateran. Davon zeugen einerseits der noch erhaltene, aufwendige Kosmatenfußboden und die durch Borrominis Umbau im 17. Jahrhundert zerstörte Ausmalung der Langhauswände von Gentile da Fabriano und Pisanello,2 andererseits hatte Martin mit der Wahl seiner Grablege in San Giovanni in Laterano3 wohl das deutlichste und programmatischste Zeichen einer Betonung der Lateranbasilika als Caput et Mater Omnium Ecclesiarum4 gesetzt. Spätestens unter Papst Nikolaus V. ( 1 4 4 7 - 1 4 5 5 ) kommt mit der Übersiedelung der Päpste zum Vatikan in den Plänen zur Erneuerung und zum Ausbau von St. * All denen, die uns mit Hinweisen, bibliographischen Hilfen oder Zugangserlaubnis in unserer Arbeit unterstützt haben, möchten wir herzlich danken: Karl-Josef Becker, Rita Bertucci, die auch die Rekonstruktionszeichnung angefertigt hat, Sible de Blauw, Giovanni Morello, Andreas Rehberg, Richard Schofield sowie Paolo Tardani, dem Hüter der Wappen im Lateran. Die Photos wurden von Felice Bono vor der Konsolidierung der Fresken aufgenommen. 1 F. Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, München 1978, Bd. 3, S. 295 und 3 4 8 349. 2 D. Gallavotti Cavallero, La basilica del rinascimento, in: C. Pietrangeli, San Giovanni in Laterano, Florenz 1990, S. 129-131; J. Freiberg, The Lateran in 1600, Cambridge - New York - Melbourne 1995, S. 7; A. De Marchi, Gentile da Fabriano et Pisanello ä Saint-Jean de Lateran, in: Pisanello Acts du colloque organisd au musee du Louvre par le Service culturel les 26, 27 et 28 juin 1996, hrsg. v. D. Cordellier und B. Py, Paris 1998, Bd. 1, S. 161-213. 3 A. und D. Esch, Die Grabplatte Martins V. und andere Importstücke in den römischen Zollregistern der Frührenaissance, in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte XVII, 1978, S. 2 1 1 213; A. Esch, La lastra tombale di Martino V ed i registri doganali di Roma - La sua provenienza fiorentina ed il probabile ruolo del Cardinale Prospero Colonna, in: Atti del Convegno „Alle origini della nuova Roma: Martino V. (1417-1431)", Rom 1992, S. 625-641. 4 Zum Primatanspruch des Lateran und zur Konstantinischen Schenkung vgl. I. Herklotz, Der mittelalterliche Fassadenportikus der Lateranbasilika und seine Mosaiken, in: Römisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana XXV, 1989, S. 89-95.
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Christiane und Arnold Nesselrath
Peter und des vatikanischen Palastes5 eine eklatante Änderung in der Legitimation des allgemeinen Herrschaftsanspruchs des Papsttums zum Ausdruck. Die Residenz am Lateran verkörperte gleichsam die unmittelbare, antike, kaiserliche Tradition und brachte im Sinne einer „Konstantinischen Schenkung" das Selbstverständnis der Päpste als Nachfolger Kaiser Konstantins d. Gr. und damit der römischen Kaiser insgesamt zum Ausdruck. Die weltliche, imperiale Macht der Päpste stand dadurch recht unverblümt im Vordergrund. Wie der Senat ein konstantes städtisches Organ in der antiken Verfassung des römischen Reiches darstellte, so erhielten nach der lateranensischen Interpretation des päpstlichen Auftrags die Stadt Rom und ihre Barone mehr und mehr Anteil an den herrschaftlichen Privilegien.6 Anders im Vatikan, hier erheben die Päpste denselben Herrschaftsanspruch, jedoch wird diese Macht als Garant fiir die geistlichen Werte, die sich aus der petrinischen Tradition des Ortes, dem Petrusamt und dem von Christus formulierten, eigentlichen Auftrag ergeben, gerechtfertigt. Rom ist nach der Übersiedelung in den Vatikan nicht mehr die Voraussetzung des Papsttums, sondern ein Werkzeug. Mit dieser Akzentverschiebung geht unter den Nachfolgern Martins V., von denen über hundert Jahre lang keiner mehr aus einer der alten römischen Adelsfamilien stammte und die somit im damaligen Sinne Ausländer waren, eine konsequente Schwächung des römischen Adels und der römischen Kommune einher.7 Sixtus IV. preist zwar in einer Bulle aus dem Jahre 1475 die Rolle der Lateranbasilika als Haupt der römischen Kirche an,8 unterstreicht gerade dadurch aber um so wirkungsvoller seine sogenannte Statuenstiftung, in der er 1471 die dort von alters her symbolträchtig aufgestellten antiken Bronzen mit der römischen Wölfin als prominentestem Stück benutzt hatte, um der Kommune die päpstliche Überlegenheit durch seine anscheinend großmütige Schenkung zu demonstrieren.9 In der Überfuhrung des Marc Aurel auf das Kapitol durch Paul III. findet diese Politik schließlich über ein halbes Jahrhundert später ihren Abschluß.
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G. Dehio, Die Bauprojekte Nicolaus des Fünften und L. B. Alberti, in: Repertorium für Kunstwissenschaft III, 1880, S. 2 4 1 - 2 5 7 ; Ch. L. Frommel, II Palazzo Vaticano sotto Giulio II e Leone X. Strutture e fiinzioni, in: Raffaello in Vaticano, hrsg. v. F. Mancinelli, Α. M. D e Strobel, G. Morello und A. Nesselrath, Mailand 1984, S. 119-121; Freiberg 1995 (op. cit. n. 2), S. 8.
6
Vgl. zum Verhältnis zwischen Papst, römischem Adel und Bürgertum die Darstellung bei G. Curcio, L'Ospedale di S. Giovanni in Laterano: funzione urbana di una istituzione ospedaliera, in: Storia dell'arte XXXII, 1978, S. 2 6 - 3 2 .
7
Vgl. dazu Curcio (op. cit. n. 6), S. 3 1 - 3 2 . Freiberg 1995 (op. cit. n. 2), S. 8. T. Buddensieg; Die Statuenstiftung Sixtus' IV. im Jahr 1471, in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte XX, 1983, S. 3 3 - 7 3 . — In der Statuenstiftung Sixtus' IV. liegt kein republikanisches Element. Ein solcher Interpretationsversuch (Ch. Thoenes, „Sic Romae" - Statuenstiftung und Marc Aurel, in: Ars naturam adiuvans. Festschrift fiir Matthias Winner, Mainz 1996, S. 8 6 - 9 9 ) übersieht, daß der Papst die Aufstellung der Lupa über dem Eingang zum Conservatorenpalast dadurch
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Die Wappen der Erzpriester an der Lateranbasilika
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Auch Alexander VI. war auf diesem Weg seiner unmittelbaren Vorgänger fortgeschritten, und seine Aktivität am Lateran fugte sich ohne weiteres in deren Politik ein. Zu Anfang seines Pontifikates hatte er die großen, unter Innozenz VIII. notgedrungen begonnenen Arbeiten in der Basilika vollendet.10 Er bekrönte sogar den neu gestalteten, monumentalen Triumphbogen über dem Scheitel mit seinem Wappen.11 Dieses eindrucksvolle, kolossale Relief ist seit 1562 durch die von Pius IV. eingezogene hölzerne Kassettendecke verdeckt, aber es blieb nahezu unversehrt darüber erhalten und ist vom Dachboden der Kirche aus zu sehen (Abb. 1). Da es sich um die Fortfuhrung von Unternehmungen seines unmittelbaren Amtsvorgängers handelte, dürften die Umbauten nicht als Aussage Alexanders zur vorrangigen Stellung des Lateran gegenüber dem Vatikan zu verstehen sein. Gerade im Hinblick auf das Heilige Jahr 1500 bezieht er eindeutig eine gegenteilige Position: Indem er der Porta Santa an St. Peter, die er eigens eingerichtet hat, vor der Porta Aurea der lateranensischen Basilika, mit deren Eröffnung traditionsgemäß ein Heiliges Jahr begann und die nur während eines solchen Jubeljahres offen blieb, den Vorrang gab, ließ er keinen Zweifel daran, welcher Kirche er den Primat zubilligte, zumal er auch die Heilige Pforte an St. Peter selbst eröffnete und von hier aus lediglich Stellvertreter zu den anderen drei Patriarchalbasiliken, San Giovanni in Laterano, Santa Maria Maggiore und San Paolo fuori le mura, schickte.12 Fast ein Jahrhundert nach Martin V. hatte der Lateran seine vor-avignonesische Stellung nicht wiedergewinnen können, und es ist bezeichnend, dass Martin der letzte Papst geblieben ist, der dort begraben wurde. Die Eingangsfassade der Basilika kehrte sich aufgrund der isolierten Lage der Kirche am Stadtrand und ihrer gewesteten Ausrichtung von Anfang an vom Zentrum Roms ab. Daher hat die Kirche schon früh eine zweite, der Stadt zugewandte Fassade an ihrem Querhaus im Norden ausgebildet.13 Daneben und ebenfalls nach sicherstellte, daß er selbst dafür bezahlt hat. (A. Nesselrath, I simboli di Roma, in: Da Pisanello alia nascita die Musei Capitolini, Rom 1988, S. 2 0 1 - 2 0 2 ) . 10
R. Krautheimer, S. Corbett, Α. K. Frazer: Corpus Basiiicarum Christianarum Romae, Bd. 5, Vatikanstadt 1980, S. 13; Freiberg 1995 (op. cit. n. 2), S. 8 - 9 .
11
Roma 1 3 0 0 - 1 8 7 5 - La cittä degli anni santi - Adante, hrsg. v. M. Fagiolo e M. L. Madonna, Mailand 1975, S. 134; L. Barroero, La basilica dal Cinquecento ai nostri giorni, in: C. Pietrangeli, San Giovanni in Laterano, Florenz 1990, S. 145. - Die Rekonstruktion des Kircheninneren von San Giovanni in Filippo Gagliardis Fresko in S. Martino ai Monti in Rom von ca. 1651 (vgl. dazu M. Cecchelli, Laterano, in: C. Pietrangeli: San Giovanni in Laterano, Florenz 1990, S. 4 5 und Abb. auf S. 4 3 ) geht bereits von dem unter Pius IV. umgestalteten Eindruck aus und vermittelt keinen guten Eindruck vom Triumphbogen Alexanders VI.
12
J. Burchardus, Diarium, hrsg. v. L. Thuasne, Paris 1883, Bd. 2, S. 5 8 2 - 5 8 4 und 5 9 8 - 6 0 0 ; N. Paulus, Zur Geschichte des Jubiläums vom Jahre 1500, in: Zeitschrift für katholische Theologie X X I X , 1900, S.176; E.-M. Jung-Inglessis, La Porta Santa, in: Studi Romani XXIII, 1975, S. 4 7 7 ; Roma 1 3 0 0 - 1 8 7 5 (op. cit. n. 11), S. 1 2 7 - 1 3 0 .
13
R. Krautheimer, Rome - Profile o f a City, 3 1 2 - 1 3 0 8 , Princeton 1980, S. 3 2 6 ; Curcio (op. cit. n. 6), S. 2 8 - 2 9 . Herklotz 1 9 8 9 (op. cit. n. 4), S. 45.
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Norden gerichtet hatte Bonifaz VIII. seine mittelalterliche Benediktionsloggia errichtet. Da die Päpste sich in die Tradition der römischen Kaiser stellten, kam der Basilika auch eine kommunale Funktion zu, die sich unter anderem in der Richtstätte vor dem nördlichen Querhaus manifestierte.14 Fra Mariano da Firenze beschreibt 1517 die nördliche Stadtfassade als den damaligen eigentlichen Haupteingang.15 An ihr hatten die Erzpriester der Basilika, die den Papst als Bischof von Rom in der Diözese vertraten, ihre Wappen angebracht. Bevor Sixtus V. ab 1586 seine neue Benediktionsloggia vor dieser Querhausfassade bauen ließ, hat Onofrio Panvinio um 1570 noch mindestens sechs davon gesehen: dasjenige von Prospero Marcantonio Colonna, Erzpriester unter Martin V., von Domenico Capranica, Erzpriester unter Calixtus III., von Latinus Orsini, Erzpriester unter Pius II. und Sixtus IV., von Giuliano della Rovere, Erzpriester ebenfalls unter Sixtus sowie unter Innozenz VIII. und Alexander VI., schließlich diejenigen von Giovanni Colonna und Alessandro Farnese, beide Erzpriester unter Julius II.16 Es ist bisher unbeachtet geblieben, daß die berühmte Vedute des Marten van Heemskerck diese von Panvinio berichtete Situation bildlich dokumentiert (Abb. 2).17 Rechts über dem Portal ebenso wie auf der großen Kehle unter dem Giebel, dem sogenannten cavetto, hat der Zeichner deutlich Wappenschilde vermerkt und außerdem ihr Rahmenwerk angedeutet. Das Wappen auf dem cavetto ist eindeutig ein Papstwappen. Es hat sich unter dem Dach der Benediktionsloggia Sixtus' V. in seinem originalen Zusammenhang, wenn auch in schlechtem Zustand erhalten (Abb. 4b). Im Rahmen der Instandsetzung der Schäden, die die Bombe des Attentats vom 28. Juli 1993 verursacht hatte, wurde beschlossen, auch den Speicher unter dem Dach der sixtinischen Loggia zu sanieren und für Verwaltungsräume zu nutzen. Dort traten die freskierten Wappen zutage (Abb. 3-5). Aber erst nach der Erneuerung des Daches wurde der damalige Generaldirektor der Vatikanischen Museen, Carlo Pietrangeli, hinzugezogen, so dass leider während der gleich nach dem Bombenattentat hier ausgeführten Arbeiten, die die Struktur und Statik der Loggia konsolidieren sollten, durch Kritzeleien, Graffiti und Farbschmierereien die Schä-
14
15
A. Erler, Lupa, Lex und Reiterstandbild im mittelalterlichen Rom - Eine rechtsgeschichtliche Studie, in: Sitzungsberichte der wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt X, 1972, Nr. 4, Wiesbaden 1972, S. 1 1 9 - 1 4 2 ; Buddensieg (op. cit. n. 9), p. 40; I. Herklotz, Der Campus Lateranensis im Mittelalter, in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte XXII, 1985, pp. 8, 18 und 1 9 - 2 4 ; Nesselrath 1 9 8 8 (op. cit. n. 7), S. 2 0 0 - 2 0 1 und 202. Freiberg 1 9 9 5 (op. cit. n. 2), S. 13 und 197, n. 34.
16
„Supra et circa eamdem portam picta sunt insignia aliorum Cardinalium qui hujus Basilicae Archipraesbiteri fuerunt: Prosperi Marcantonii Columnae sub Martino V, Domenici Capranicae sub Callixto III, Latini Vrsini, sub Pio II et Xysto IV, Juliani de Ruere sub eodem Xysto, Johannis Columnae et Alexandri Farnesij sub Julio II." (zitiert nach Ph. Lauer, Le palais de Lateran: fitudes historique et archeologique, Paris 1 9 1 1 , S. 4 3 4 .
17
Berlin, SMPK, Kupferstichkabinett, Heemskerck-Skizzenbuch I (inv. 79 D 2), fol. 12v.
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den noch erheblich vergrössert wurden. Im Zuge der im Dezember 1997 abgeschlossenen Restaurierung der Benediktionsloggia wurde der aktuelle Erhaltungszustand dieser Fresken in situ konserviert. Eine Reinigung und Restaurierung wird wahrscheinlich die Lesbarkeit der Malerei verbessern, die jetzt von Schichten aus nicht zugehörigen Substanzen und Schmutz getrübt wird. Deutlich sind sechs Wappen vor einem Architekturhintergrund erkennbar. Das zweite (Abb. 5b) und das fünfte (Abb. 4b) von links zeigen den Eichbaum der Familie della Rovere und sind mit einer Tiara bekrönt. Das rechte dieser beiden Rovere-Wappen ist durch ein Stuckrelief des Baumes (Abb. 6) hervorgehoben und befindet sich in der Mitte der Fassade. Wegen seiner plastischen Gestaltung war es Marten van Heemskerck aufgefallen, ist also mit demjenigen in der Berliner Vedute (Abb. 2) identisch. Ein genaues Studium der Putzoberfläche der Fresken läßt erkennen, daß es sich nicht um einen ungewöhnlich komponierten Wappenfries, sondern um zwei voneinander unabhängige Fresken handelt, die durch eine gut erkennbare Tagewerknaht getrennt sind. Das linke der beiden Wandgemälde (Abb. 4 a - c ) ist schon vom technischen Befund her eindeutig das spätere, weil seine Putzschicht die des rechten Wandbildes (Abb. 5 a - c ) überlagert. Da es das System der ersteren Malerei mit einem Architekturprospekt und drei dort hineingehängten Wappen kopiert, widmen wir uns mit der Beschreibung dem früheren, zentralen Fresko. Die gemalte Scheinarchitektur (Abb. 3), die direkt über dem realen, schlichten Peperingesims der mittelalterlichen Fassade aufsetzt, geht vom dreiteiligen Schema des antiken Triumphbogens aus: Eine etwas höhere und breitere Arkade in der Mitte ist von zwei wenig niedrigeren, schmäleren und insgesamt steileren flankiert. Diese Gliederung wird von vier gemalten, monumentalen Halbsäulen akzentuiert, die der Wand vorgelagert sind und mittels deren der entwerfende Künstler sich eine sehr plastisch durchgebildete Architektur vorgestellt hat bzw. dem Betrachter hat vor Augen fuhren wollen. 18 Der Aufriß beginnt mit einem niedrigen Sockel, vor dem sich die Piedestale der Säulen verkröpfen. Die beiden gemeinsamen Gesimse, Fußprofil und Abschlußgesims, sind extrem einfach gebildet: Das untere besteht aus einem Viertelstab zwischen zwei Leisten und das obere aus einem Karnies zwischen zwei Leisten; beide weisen keine Ornamente auf. Die attischen Basen der Säulen zeichnen sich durch das Fehlen einer Plinthe aus.19 Dieses Detail ist für das Verständnis der architektonischen Ordnung in der Zeit um 1500 ungewöhnlich
18
Da die Bogenprofile der Arkaden hinter den Säulen verschwinden, könnte man an Vollsäulen denken. In diesem Falle müßten diese jedoch durch Pilaster auf der Wand dahinter hinterlegt sein. Da davon nirgends etwas zu sehen ist, scheidet eine Rekonstruktion von Vollsäulen aus.
19
Bramante verwendet Säulen ohne Plinthe in Mailand rund zehn Jahre vorher im sogenannten Previdari-Stich, und in der Sakristei von S. Maria presso San Satiro stehen die Pilaster nicht eigentlich auf Plinthen, sondern auf hohen Blöcken, einer Art scamillus.
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und auffällig, könnte aber bewusst - wie der sehr niedrige Sockel - als Mittel zur Betonung der Untersicht eingesetzt sein. Leider lässt sich über den durch die Malerei als glänzend, aus Marmor vorgestellten Säulen nur an einer Stelle das durch den Anlauf mit Platte markierte obere Ende der Schäfte vermuten, nirgends ist hingegen ein Rest von den Kapitellen erhalten. Das Gebälk darüber ist mittlerweile überall vollständig zerstört. Die Arkaden werden durch ebenfalls einfache Archivoltenprofile aus zwei oder drei bestimmenden Elementen gerahmt; die Zwickel über den Bögen waren mit Ornamenten oder Blattwerk gefüllt. Nur die Kämpfer am Ansatz der Bögen sind unwesentlich aufwendiger und bestehen aus vier Profilelementen. Die beiden seitlichen Bögen könnten - soweit noch erkennbar — als halbrund geschlossene Nischen gedacht gewesen sein,20 während der mittlere offenbar nur durch einen roten Wandteppich, der mit Rovere-Impresen dekoriert ist, gerade verhängt ist. In jedem Joch ist ein Wappenschild in Form der damals geläufigen Roß-Stirn angebracht, wobei das mittlere nicht nur größer, sondern auch prächtiger ausgestattet ist. Es handelt sich um das della Rovere-Wappen, das von der Tiara und den zwei Schlüsseln bekrönt wird, also dem Papstwappen (Abb. 5b und 4b). Links davon hängt das römische Stadtwappen mit dem Schriftzug SPQR und der Stadtkrone darüber (Abb. 5a und 4a). In der rechten Nische befindet sich ein Kardinalswappen - und nur hierin unterscheidet sich das spätere linke Fresko von dem beschriebenen rechten: Während in diesem letzteren das Wappen der Colonna mit der Imprese der bekrönten Säule gemalt ist (Abb. 4c), erscheint dort im linken dasjenige der Farnese mit den heraldischen Lilien (Abb. 5c). Da es sich nur um die Wappen der Erzpriester von S. Giovanni in Laterano handeln kann, machen vor allem die jeweilige Konstellation der drei Wappen und ihr benachbartes Auftreten die Identifizierung auf Giovanni Colonna und Alessandro Farnese eindeutig.21 Der erste löste Giuliano della Rovere, der am 1. November 1503 als Julius II. zum Papst gewählt wurde, im Amt des Erzpriesters von San Giovanni ab; und als Colonna am 26. September 1508 starb, folgte Farnese ihm im Amt nach. Das Papstwappen bezieht sich also zweimal auf Julius II. Da die beiden Kardinäle ihre Wappen oder besser gesagt die Wappentrias wahrscheinlich unmittelbar nach ihrer Ernennung zum Erzpriester angebracht haben, lassen die beiden Darstellungen sich leicht datieren. Das Colonna-Fresko dürfte also gleich Ende 1503 oder Anfang 1504 und das Farnese-Fresko im Jahre 1508 entstanden sein.
20
Eine grüne gebogene Linie ist erkennbar, die eine konvexe Wandvertiefung andeuten könnte. Da die Verbindung mit den perspektivischen Kämpfern formal nicht gelöst ist, handelt es sich vielleicht um eine Korrektur, die bei der asymmetrischen Hinzufügung des zweiten Freskos durch Alessandro Farnese erfolgt sein könnte.
21
Lauer 1911 (op. cit. n. 16), S. 632; G. Sicari, Stemmi Cardinalizi (Secoli XV-XVII), Rom 1996, S. 15, no. 92.
Die Wappen der Erzpriester an der Lateranbasilika
297
Der prominente, vor allem aber sehr hohe Ort der Anbringung hat einen gewissen Aufwand bei der Realisierung erfordert. Zumindest mußte ein gewaltiger Gerüstturm zu diesem Zwecke errichtet werden. Die Freskotechnik bot sich für eine Malerei an einer Außenfassade aus praktischen Erwägungen am ehesten an und wurde kaum in erster Linie im Hinblick auf eine lange Haltbarkeit gewählt. Ohne die szenographische Qualität und die Fernwirkung der Dekoration schmälern zu wollen, zumal wenn man an den stuckierten Eichbaum im ersten der zwei RovereWappen denkt, muß dennoch festgestellt werden, daß die beiden Wandbilder im Vergleich zu den berühmten großen figürlichen Freskenausstattungen in Palästen oder Kirchen mit begrenzter technischer Sorgfalt ausgeführt worden sind: Sie sind nicht in die üblichen Abschnitte oder Tagewerke unterteilt, sondern die zu malende Fläche ist als ganze angeputzt worden, so daß die Putzschicht eines jeden praktisch aus einem einzigen Tagewerk besteht. D a keines der beiden großflächigen Wandbilder mit einer Breite von rund 5,5 m und einer Höhe von weit über 3 m vielleicht sogar 4 m - bei Berücksichtigung des heute verlorenen oberen Abschlusses — an nur einem Tag gemalt und zur Gänze ausgeführt worden sein kann, hat die Farbe, die offenbar über mehrere Tage aufgetragen worden ist, im Laufe der Ausführung immer weniger abgebunden. In dieser raschen, minderwertigeren Technik liegt ein Hauptgrund fur die mangelhafte Kohäsion der Farbschichten und für den heutigen Erhaltungszustand. Die erhaltenen Teile der beiden Fresken sind recht blaß und schwer lesbar. Architektur und eingehängte Wappen sind mittels Ritzung im frischen Putz konstruiert und vorgezeichnet (Abb. 5c und 6). Die Vorritzung ist sehr präzise und in ihren bildparallelen Teilen mit der Konsequenz von Orthogonalprojektionen ausgeführt, wie sie von Architekten in Architekturzeichnungen praktiziert werden. Die Tiefenlinien sind perspektivisch konstruiert. Aus der Vorritzung wird erkennbar, daß die Buchstaben des S P Q R ursprünglich quergestellt waren und sich an dem Streifen, der das Stadtwappen durchzieht, orientierten und daß sie erst bei der malerischen Umsetzung für den Betrachter senkrecht gestellt worden sind. 22 Der Erhaltungszustand erschwert die Überlegung zu einer Zuschreibung sowohl der Erfindung der Wappenpräsentation für Giovanni Colonna als auch der malerischen Ausführung des Entwurfes. Selbst eine zeichnerische Rekonstruktion muß jegliche Überlegung zu so entscheidenden Elementen wie Kapitellen und Gebälk offen lassen. Die Idee, die Wappen in einer Scheinarchitektur am prominentesten Punkt der Lateranbasilika zu organisieren, die konsequente Durchführung, die von
22
Beide Formen sind im Stadtwappen geläufig; s. V. Capobianco, Appunti per servire all'ordinamento delle monete coniate dal Senato Romano dal 1184 al 1439 e degli stemmi primitivi del comune di Roma, in: Archivio della R. Societa Romana di Storia Patria XVIII 1895, S. 4 1 7 - 4 4 5 und XIX, 1896, S. 75—123 und 3 4 7 - 4 1 7 (Le immagini simboliche e gli stemmi di Roma), besonders S. 361— 362, 3 6 6 - 3 6 7 , 3 7 0 - 3 7 1 , 378 und 389.
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einem klaren Verständnis im Umgang mit Architekturgliedern zeugt, und die rationale Umsetzung, wie sie aus der Ritzung ebenso wie aus der Malerei spricht, deuten auf einen Architekten als entwerfenden Künstler hin. Da Alessandro Farnese das Architekturschema bei seiner Amtsübernahme als Erzpriester fiir seinen Wappenschmuck, wenn auch etwas weniger aufwendig, fast fünf Jahre später übernimmt, scheint die künstlerische Qualität des Entwurfes Eindruck gemacht zu haben und geschätzt worden zu sein, so daß sein Autor vielleicht kein anonymer Dekorateur gewesen ist, sondern unter den bekannten Künstlern jener Zeit zu suchen ist. Die Wappenschilde, die in eine Architektur gehängt sind, welche sonst keine andere Aufgabe hat, als diese Schilde zu präsentieren, erwecken den Eindruck, als ob ihr Erfinder eine gewisse Erfahrung mit Festarchitekturen, wie sie in den ephemeren Apparaten zu besonderen Anlässen errichtet wurden, gehabt habe. Soweit die Überlieferung solcher Ereignisse aufgearbeitet oder aussagekräftig ist,23 werden in Rom zwar zum Possesso Alexanders VI. 1492 Triumphbögen aufgestellt,24 jedoch scheint diese Form in der mailändisch-lombardischen Kunstlandschaft:25 geläufiger zu sein.26 Auch in der gebauten Architektur gehörte er in Rom vor Beginn des 16. Jahrhunderts nicht zu den gängigen Formen. Der Fassadenschmuck am Querhaus des Lateran war also ein recht frühes Beispiel fur die spätere Beliebtheit des Triumphbogenmotivs. In seiner ungewöhnlichen Ausprägung mit drei unterschiedlich großen Bögen, deren Kämpfer aber alle auf der gleichen Höhe liegen, orientiert er sich an Albertis berühmter Fassade von S. Francesco in Rimini.27 Bei der Beherrschung der Perspektive und der Untersicht in der Scheinarchitektur,28 dem Einsatz von Stuck, mit dem der Eichbaum im Papstwappen der ersten Version fur Giovanni Colonna gebildet ist,29 den genannten lombardischen Reminiszenzen und dem erwähnten architektenmäßigen Ansatz in der Ritzung und in der Anlage des Wandbildes liegt der Gedanke an Bramante als Urheber des Entwurfes nahe. Leider fehlen Kapitelle
23
24 25
26
27
28 29
Beschreibung der Feierlichkeiten zu Ehren Elenoras von Aragon im Jahre 1473 auf der Piazza SS. Apostoli bei Infessura (op. cit. n. 24), S. 77. Zum Possesso Julius' II. s. F. Cancellieri, Storia de'solenni possessi de'sommi pontefici, Rom 1802, S. 5 5 - 6 0 . St. Infessura: Diario della Cittä di Roma, hrsg. v. O. Tommasini, Rom 1890, S. 282. R. Schofield, Α Humanist Description of the Architecture for the Wedding of Gian GaJeazzo Sforza and Isabella d'Aragona (1489), in: Papers of the British School at Rome LVI, 1988, S. 233. R. Schofield, Ludovico il Moro's Piazzas - New Sources and Observations, in: Annali di Architettura IV-V, 1 9 9 2 - 1 9 9 3 , S. 162 and 163. Unter den Festarchitekturen für Leo Χ. (1513 und 1515) und Karl V. (1535), die z.T. von Antonio da Sangallo d. J. entworfen sind, gehört der Typus zum Repertoire. S. a. H. Egger, Entwürfe Baidassare Peruzzis fiir den Einzug Karls V. in Rom, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses XXIII, 1902, S. 1 - 4 4 . H. Bums, Leon Battista Alberti, in: Storia dell'architettura italiana. Ii Quattrocento, hrsg. v. Paolo Fiore, Mailand 1998, S. 132. Vgl. z.B. das Fresko des Argo im Castello Sforzesco in Mailand. Vgl. die Scheinarchitektur im Chor von S. Maria presso San Satiro in Mailand.
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299
und Gebälk, und der ausführende Maler hat, vor allem in der rechten Nische mit dem Colonna- Wappen, Schwierigkeiten bei der Konstruktion des Bogens und der Archivolte gehabt, so daß ihre beabsichtigtete Form zusätzlich zu ihrem schlechten Erhaltungszustand schwer erkennbar ist. Diese Elemente wären jedoch fiir eine endgültige Zuschreibung wesentlich. Immerhin war Bramante an der Lateranbasilika ausgerechnet mit Wappenschmuck tätig gewesen: Sein erstes römisches Werk war das Fresko, das er über der Porta Aurea bzw. der Porta Santa am Lateran aus Anlaß des Heiligen Jahres 1500 gemalt hatte. 30 Giovanni Baglione weist 1639 sogar ausdrücklich auf den Architekturhintergrund in diesem Wandbild hin, das ebenfalls eine Wappentrias aufwies. 31 In der kopierenden Skizze von Borromini oder aus seinem Umkreis, das immerhin einen Eindruck von dem Pavillon mit den drei Wappen überliefert, 32 ist dieses hinterfangende Architektursystem am linken Rand schwach erkennbar (Abb. 7). Als Buchschmuck war eine solche Komposition, in der ein Wappen in einen Architekturprospekt gehängt wird, längst geläufig, 33 in der Monumentalkunst erwies sie sich als eine elegante Erfindung, mittels deren sich die recht stereotypen Wappenschilde organisieren und zueinander in Beziehung setzen ließen. Im bekannten Denkmälerbestand kommt sie selten vor, und vielleicht hat Bramante sie sogar erst eingeführt. An der mittelalterlichen Apsis von S. Maria Maggiore, der eine ähnliche Rolle wie der Querhausfassade des Lateran in ihrer Beziehung zur Stadt zukam, fanden sich unter den im Laufe der Zeit angebrachten Wappen bis zum Umbau unter Papst Clemens X. (1670-1676) einige heute nicht mehr erhaltene, leichte und dekorative Beispiele solcher Scheinarchitekturen, 34 die jedoch alle jünger sind als die bramantesken vom Lateran. Die oberste Wappentrias über dem rechten hinteren Portal von S. Maria Maggiore hat der Erzpriester Basso della Rovere 1511 anbringen lassen. Das Wappen des Papstes in der Mitte bezieht sich also auch auf Papst Julius II., das linke auf die Stadt Rom und das rechte auf den Erzpriester. Nur drei Jahre nach dem Fresko Alessandro Farneses am Lateran setzt sich auch hier an S. Maria Maggiore die neue Mode der
30
G . Vasari, Le Vite die piü eccellenti pittori, scultori, e architettori, Florenz 1909, Bd. 4, S. 152—
31
G . Baglione, Le nove chiese di R o m a di Cavalier Baglione nelle quali si contengono le historie,
154. picture, scolture e architecture di esse, R o m 1639, S. 1 2 6 - 1 2 7 : „e sopra d'essa [la Porta Santa] il Saluadore con diuersi Angioli intorno, e due di loro piü grandi, che reggono vn padiglione, e dietro euui vna prospettiua con colonne, έ pittura afresco di m a n o di Brama[n]te da Castel Durante di Vrbino pittore, & architetto meriteuole d'ogni lode"; Freiberg 1995 (op. cit. n. 2), S. 2 5 2 , n. 99. 32
S. n. 4 5 .
33
Z . B . die Miniatur von Taddeo Crivelli in der Bibel fiir Borso d'Este auf fol. 2 4 l r (Modena, Biblioteca Estense, M s . V . G . 1 2 = Lac. 4 2 3 ; s. F. Toniolo, L'enluminure ä la cour des Este de Pisanello ä Mantegna ( 1 4 4 1 - 1 4 6 1 ) , in: Pisanello - Actes du colloque (op. cit. n. 2), Bd. 2, S. 6 5 1 , fig. 10.
34
P. D e Angelis, Basilicae S: Mariae Majoris de Urbe a Liberio Papa usque ad Paulum V E M . descriptio et delineatio, R o m 1621, Taf. 66.
300
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gemalten Scheinarchitektur durch. Die beiden Engel unter dem Dachansatz mögen von Bramantes Fresko über der lateranensischen Porta Santa inspiriert sein und deuten darauf hin, daß der entwerfende Künstler auch in diesem Falle auf der Höhe seiner Zeit war. In den zahlreichen Versionen der Wappentrias aus Papstwappen, Stadtwappen und persönlichem Wappen wie sie die Kardinäle, die das Amt des Erzpriesters am Lateran oder an S. Maria Maggiore versahen, drückt sich neben zahlreichen anderen Funktionen die Rolle dieser beiden Patriarchalbasiliken im Rahmen der römischen Kommune aus. In der Assumptio-Prozession am 15. August jeden Jahres, einem in erster Linie städtischen Ereignis ohne Beteiligung des Papstes, sandten beide Kirchen ihre Hauptgnadenbilder, die Salus Populi Romani aus S. Maria Maggiore und die Salvatorikone aus der lateranischen Palastkapelle Sancta Sanctorum zum Forum Romanum. 35 Schließlich lag vor dem Lateran nicht nur eine Richtstätte,36 sondern S. Giovanni ist auch als Bischofskirche des Papstes die Kathedrale von Rom und wendet sich als solche nicht in erster Linie an den Erdkreis, sondern zunächst an die Stadt. Die Wappen von Papst und Stadt stellt Martin V. auf einem Florin, den er 1417 unmittelbar nach seiner Wahl prägen ließ, sozusagen als zwei Seiten einer Medaille, gegenüber.37 Die Geschichte und die Anfänge der Wappentrias der Kardinäle, die auch eine kommunale Funktion ausüben, wie sie etwa in der Heraldik der Erzpriester von S. Giovanni im Lateran und von Santa Maria Maggiore auftritt, bedarf einer eigenen Untersuchung. Zur Zeit von Giovanni Colonna 1503 war die Zusammenstellung der drei Wappenschilde jedenfalls geläufig. Davon zeugt das ältere Vorkommen in allen Bereichen der Kunst. Z.B. findet sich eine entsprechende Trias mit den Wappen der römischen Kommune und des Kardinals Guillaume d'Estouteville unter demjenigen von Sixtus IV. als Miniaturmalerei auf dem Titelblatt der Statuten fur die „Magistri aedificorum et stratarum almae Urbis"38 von 1480. Die gleichen Wappen treten nahezu zur selben Zeit am Senatspalast auf den römischen Kapitol auf. Aus demselben Jahr stammt die Freskodekoration im Monte della Pietä in Savona mit den Wappenschilden des Kardinals Giuliano della Rovere, Papst Sixtus' IV. und - in diesem Falle - der Heimatstadt von Sixtus, Savona.39 Die Anordnung einer solchen Wappentrias drückt immer auch eine Hierarchie aus. Das Wappen des Papstes befindet sich immer in der Mitte, es wird außerdem
35
G. Wolf, Salus Populi Romani, Weinheim 1990, S. 6 5 - 6 8 .
36
S. oben n. 14.
37
Capobianchi 1896 (op. cit. n. 22) S. 3 6 1 - 3 6 2 , fig. auf S. 362. V. Golzio, G. Zander, L'Arte in Roma nel Secolo X V (Storia di Roma, Bd. XXVIII), Bologna 1968, S. 7 5 - 7 7 , Tav. XVI. Freundlicher Hinweis Rita Bertucci.
38
39
G. Fusconi, Gli Affreschi del Monte di Pietä di Savona - Storia e Restauro, Savona 1979, S. 4 0 - 4 2 ,
fig. 11.
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301
oft höher als die beiden anderen oder sogar gänzlich über ihnen angeordnet bzw. überragt sie in seinen Ausmaßen. Zumindest fur die Stadt Rom - und ausnahmsweise im Falle von Sixtus IV. darüber hinaus für dessen Heimatstadt Savona beansprucht der Papst durch diesen Umgang mit offiziellen Emblemen augenscheinlich, die höchste waltende Instanz zu sein, der die Teilung der weltlichen und der geistlichen Macht zukomme. Sixtus IV. hatte diesen Anspruch in seiner bereits erwähnten sogenannten Statuenstiftung auf dem Kapitol ebenso geschickt wie eindrucksvoll demonstriert,40 und nirgendwo war das Thema aktueller als am Lateran, wo es in den Mosaiken des Triclinium Leos III. fur jedermann sichtbar diskutiert wurde.41 Auch wenn wir bisher nicht wissen, wie die ersten Erzpriester nach dem avignonesischen Konzil sich heraldisch repräsentiert haben, ist es aufgrund der politischen Konstellationen und Kräfteverhältnisse nicht verwunderlich, daß solche Wappentriaden in Rom gerade im 15. und 16. Jahrhundert en vogue sind. Kardinal Giovanni Colonna ist trotz wechselnder, wahrscheinlich wohlmeinender Allianzen weder politisch als eigenständige Persönlichkeit hervorgetreten, noch scheint er ein Mäzen gewesen zu sein. Daß er Giuliano della Rovere im Amt des Erzpriesters von S. Giovanni im Lateran nachfolgen durfte, verdankt er seiner Unterstützung fur diesen bei dessen erfolgreicher Papstwahl 1503.42 Diesem Bild von einer wenig profilierten Persönlichkeit entspricht seine Anbringung der Wappentrias am Querhaus der Lateranbasilika aus Anlaß seiner Amtsübernahme; denn die Wahl des prominenten Ortes, der verhältnismäßig hohe Aufwand der Ausführung und die eingängige Präsentation durch den gemalten architektonischen Zusammenhang stellen nicht ihn in den Vordergrund, sondern fuhren in erster Linie dazu, daß das Wappen Julius' II. über dem Campus lateranensis thront. So hat es schließlich auch Marten van Heemskerck verstanden (Abb. 2). Obwohl es sich hier um das Signum und einen Auftrag des Erzpriesters von S. Giovanni handelt, ist unter diesen Umständen nicht auszuschließen, daß Julius seinem Vikar einen von ihm favorisierten Künstler empfohlen hat. Auch Alessandro Farnese, der spätere Papst Paul III., war, als er 1508 die Nachfolge Colonnas antrat, als Mäzen unbekannt. 43 Mit der reduzierten Kopie des Schemas seines Vorgängers genügt er jedoch der Tradition, daß die Erzpriester nach außen an ihrer Kirche auftreten. Da die Wappentrias aus Papst-, Stadt- und Kardinalswappen an den Patriarchalbasiken sowohl die Amtserklärung des jeweiligen Erzpriesters als auch seine
40 41
42 43
S. o. n. 9. A. Jacobini, Ii mosaico del Triclinio Lateranense, in: Fragmenta Picta — Affreschi e mosaici staccati del Medioevo romano, Rom 1989, S. 189-196; I. Herklotz, Francesco Barberini, Nicolo Alemanni, and the Lateran Triclinium of Leo III: an episode in restoration and seicento medieval studies, in: Memoirs of the American Academy in Rome XL, 1995, S. 175-196. F. Petrucci: Colonna, Giovanni, in: Dizionario Biografico degli Italiani 1982, S. 3 4 2 - 3 4 4 . Ch. L. Frommel, Der römische Palastbau der Hochrenaissance, Tübingen 1973, Bd. 2, S. 128.
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Huldigung an den regierenden Papst darstellen und da diese von den Erzpriestern in Auftrag gegeben werden, muß auch der Auftraggeber für das Fresko über der Porta Santa von San Giovanni zum Heiligen Jahr 1500, Bramantes erstem römischen Werk, der damalige Erzpriester gewesen sein.44 Das Wandbild ist heute zerstört und nur durch die bereits erwähnte, flüchtige Skizze von Borromini oder aus seinem Umkreis bildlich überliefert (Abb. 7). 45 Tiara und Schlüssel, die einen zeltartigen Pavillon bekrönen, betonten hier in einem komplexen, kunstvollen Spiel mit der dargestellten, dreidimensionalen Architektur und der real bemalten, zweidimensionalen Bildfläche das Wappen des Borgia-Papstes Alexanders VI., das mit zwei weiteren Wappenschilden zu seinen Seiten um das Zelt herum gehängt ist. Bei dem linken handelt es sich eindeutig um das römische Stadtwappen, bei dem rechten um ein Kardinalswappen, jedoch scheint zu Borrominis Zeit die Devise auf dem Schild nicht mehr lesbar gewesen zu sein. Es kann sich aber nur um das Wappen mit dem Eichbaum des Giuliano della Roveres, der um 1500 das Amt des Erzpriesters von S. Giovanni in Laterano innehatte, gehandelt haben. Vasari vermeidet es, einen Auftraggeber anzugeben: „laonde partitosi da Milano, se ne venne a Roma innanzi lo Anno santo del M D , dove consciuto da alcuni suoi amici e del paese e lombardi, gli fu dato da dipingere a San Giovanni Laterano, sopra la Porta Santa che s'apre per il Giubileo, un arme di papa Alessandro VI lavorata in fresco, con angeli e figure che la sostengono", 46 und in den modernen Biographien Bramantes fehlen Überlegungen zu seinem ersten römischen Auftraggeber. Papst Alexander VI. ist auszuschließen; denn kaum hätte er die Initiative zu einem Fresko, das auch mit dem Kardinalswappen seines Erzpriesters geschmückt ist, ergriffen. Vor allem hätte ein solcher Auftrag von Alexanders Seite den Bestrebungen, der eigens von ihm neu eingerichteten Porta Santa an St. Peter den Vorrang zu geben, widersprochen.47 Giuliano della Rovere weilte damals zwar nicht in Rom, 48 es ist aber falsch, sein langjähriges Exil, das in einem berechtigten Mißtrauen dem Papst gegenüber gründete, mit einem kontinuierlichen Kontrast zu den
44
Egger (op. cit. n. 45), S. 303.
45
Wien, Albertina, inv. Borromini 388. Beschriftet: „Di Bramante Architetto sotto il Portico di S[an]to Gio[vanni] Laterano dipinto vicino ö vero sopra la Porta S[an]ta"; H . Egger, L'affresco di Bramante nel portico di San Giovanni in Laterano, in: Roma, 1932, S. 303—306; Roma 1 3 0 0 - 1 8 7 5 (op. cit. n. 11), S. 140.
46
Vasari (op. cit. 30), Bd. 4, S. 1 5 2 - 1 5 4 .
47
S.o. n. 12.
48
Beim Öffnen der Porta Santa wird Giuliano von dem ihm verbundenen Kardinal da Costa vertreten (Burchardus (op. cit. n. 12), p. 6 0 0 . Zur engen Bindung zwischen dem portugiesischen Kardinal Jorge Costa und den della Rovere, besonders Giuliano della Rovere, s. D. Chambers, What made a Renaissance cardinal respectable? The case of Cardinal Costa of Portugal, in: Renaissance Studies XII, pp. 8 7 - 1 0 8 . S.a. Burchardus (op. cit. n. 12), Bd. 3, S. 13.
Die Wappen der Erzpriester an der Lateranbasilika
303
Borgia gleichzusetzen.49 Im Gegenteil, die Jahre zwischen 1499 und 1501 waren geprägt von seiner großen Annäherung an Alexander VI. Giuliano bemühte sich damals inbrünstig um das päpstliche Wohlwollen, wofür sein schmeichlerisches Dankesschreiben an den Papst vom 12. Oktober 1499 eines der eindrucksvollsten, erhaltenen Dokumente darstellt.50 Giuliano hatte Alexanders Sohn, Cesare Borgia, in Frankreich überaus freundlich empfangen und war ihm sogar bei der Brautwerbung behilflich, er ritt neben ihm im Triumphzug nach der Eroberung Mailands durch die Franzosen am 6. Oktober 1499 und nach der Vertreibung Ludovico il Moros in die Stadt ein. Giuliano scheute auch nicht davor zurück, gemeinsam mit dem Kardinal Giovanni Borgia im Oktober 1499 als Bürge vor der Mailänder Kommune zu fungieren, als Cesare Borgia eine Anleihe von 45,000 Dukaten fxir seine geplante Kriegführung aufnahm, die sich u.a. gegen Forli und Imola richtete, dem Besitz Caterina Sforzas, der Witwe eines Cousins Giulianos, Girolamo Riario.51 Die Annäherung zwischen Giuliano della Rovere und den Borgia gipfelte schließlich in der Absicht, eine Großnichte Alexanders mit Francesco Maria della Rovere, dem Sohn des Stadtpräfekten von Rom und Bruders Giulianos, Giovanni della Rovere, zu verheiraten und damit eine Verbindung beider Familie herzustellen.52 Giuliano della Rovere war offenbar jedes Mittel in der Politik recht, so daß er nicht einmal vor einer Allianz mit seinem Erzfeind zurückscheute,53 dabei mag er das Wohl seines Bruders,54 die dynastische Zukunft seiner Familie im Herzogtum Urbino oder allein die Macht im Auge gehabt haben. Das anhaltende Wohlwollen auch von Seiten des Papstes belegt ein Dokument vom 1. September 1500, in dem Alexander in Einvernehmen mit dem französischen König Giuliano die Kommendatur der wohlhabenden Zisterzienser Abtei von Chiaravalle überträgt.55 Die Abtei gehörte ursprünglich Kardinal Ascanio Sforza,
49
50
51 52
53
54
55
Ch. L. Frommel, San Pietro, in: Rinascimento da Brunelleschi a Michelangelo, hrsg. von H. Millon und V. M. Lampugnani, S. 401. Venedig, Bibliotheca Marciana, inv. CI. X, 175. - M. Brosch, Papst Julius II. und die Gründung des Kirchenstaates, Gotha 1878, S. 8 1 - 8 2 . Burchardus (op. cit. n. 12), Bd. 2, S. 5 7 0 - 5 7 1 ; Brosch (op. cit. n. 50), S. 82. F. Gregorovius, Lucrezia Borgia, Stuttgart 1875, S. 115-116, Anhang 7 5 - 7 6 , Dok. 23; Brosch (op. cit. n. 50) S. 81. Zur detaillierteren Darstellung der historischen Ereignisse und Umstände s.: L. von Pastor, Storia die Papi, Bd. 3, Rom 1959, S. 518; J. Shearman, II mecenatismo di Giulio II e Leone X, in: Arte, Committenza ed Economia a Roma e nelle Corti del Rinascimento - 1420—1530, hrsg. v. A. Esch und Ch. L. Frommel, Turin 1995, S. 216; Ch. Shaw, Julius II - The Warrior Pope, Oxford 1996, S. 1 1 1 - 1 1 3 . Die irrtümlichen Darstellungen der Begebenheiten mit einer früheren Rückkehr Giuliano della Roveres nach Rom hat I. Cloulas (Giulio II, Rom 1993, S. 109-112) von C. Fusero, Giulio II, Mailand 1965, pp. 2 3 2 - 2 3 3 übernommen. Zu einem Beispiel von Giulianos fast sprichwörtlicher Affinität zu seinem Bruder vgl. die infamen Pläne der Sforza (s. dazu Shaw (op. cit. n. 53), S. 108). Pastor (op. cit. n. 53), S. 1046, Dok. 50.
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Christiane und Arnold Nesselrath
Bruder Lodovico il Moros und gemeinsamer erbitterter Gegner Alexanders und Giulianos der vergangenen Jahre. Hier residierte Giuliano della Rovere nach der Niederlage der Sforza im Oktober 1499.50 Wenn Giuliano della Rovere Bramantes erster römischer Auftraggeber war, dann ist es durchaus wahrscheinlich, daß er ihn in Mailand kennen gelernt hat. Hier bot sich Giuliano die Möglichkeit, die zum Teil noch im Bau befindlichen Werke Bramantes, des ehemaligen Architekten der Sforza, zu besichtigen, und man kann sich gut vorstellen, wie stark Giuliano bei seinem Interesse und Umgang mit Kunst und Architektur von dessen Bauten beeindruckt war. Die Möglichkeit bestand, daß es zu einer Begegnung zwischen Giuliano und Bramante kam, zumal letzterer auch mit der Abtei von Chiaravalle verbunden war. Gleichgültig, wie weit er an dem Auftrag Ascanio Sforzas, die Klosterbauten dort zu erneuern, beteiligt war, bestand eine Beziehung über die Zisterzienser, deren Orden sowohl Chiaravalle als auch S. Ambrogio in Mailand, wo Bramante sicher seit 1497 tätig war, verwalteten. Außerdem hatte er für Chiaravalle seine Tafel mit dem Christus an der Säule57 gemalt. Es ist daher gut denkbar, daß Bramante während des Exodus der Künstler des Mailänder Hofes in der Folge der politischen Katastrophe der Stadt bei Giuliano um eine Empfehlung für Rom nachgesucht hat und daß dieser ihn aufgrund seines immer wieder faszinierenden Gespürs, das er entwickeln konnte, wenn er mit dem Potential großer Künstler konfrontiert wurde, gleich mit der Chance eines eigenen Auftrages an prominenter Stelle auf den Weg schickte. Auf diese Weise bot sich ihm sogar die Möglichkeit, ohne besonderes Zutun einer Verpflichtung als Erzpriester nachzukommen. Diese Version der Geschichte macht verständlich, warum Bramante nach Rom kam und nicht nach Venedig, Florenz oder ein anderes italienisches Zentrum der Architektur ging bzw. gar über die Alpen nach Norden zog. Auch für die spätere Wahl Bramantes als Architekt von Neu-St. Peter und als Neugestalter der päpstlichen Paläste liegt hier die Wurzel, und es verwundert nicht mehr, daß Julius II., der erst im September 1503 nach Rom zurückgekehrt war und am 1. November desselben Jahres als Julius II. zum Papst gewählt wurde, nicht zögerte, Bramante sofort mit seinen großen Bauvorhaben zu betrauen.58 Die bramantesken Scheinarchitekturen mit den Wappen der Erzpriester sind 1503 und 1508 nicht auf den cavetto der Lateranbasilika gemalt worden, damit sie Jahrhunderte überdauern sollten. Daß sie in ihrer nicht vergangenen Vergänglichkeit trotz des schlechten Erhaltungszustandes überdauert haben, macht sie zu ei-
56
M . Pellegrini, Chiaravalle tra Quattro e Cinquecento: l'introduzione della commenda e la genesi della Congregazione osservante di San Bernardo, in: Chiaravalle - Arte e storia di unabbazia cistercense, hrsg. ν. Ε Tomea, Mailand 1992, S. 1 1 4 .
57
Heute Mailand, Brera.
58
Ch. L. Frommel, Lavori architettonici di Raffaello in Vaticano, in: Raffaello Architetto, Mailand 1984, S. 3 5 7 und 358; Ch. L. Frommel (op. cit. n. 5), S. 1 2 2 - 1 2 3 .
Die Wappen der Etzpriester an der Lateranbasilika
305
nem seltenen Monument. Sie tragen zum formalen Verständnis von ähnlichen Gestaltungsaufgaben wie den ihrerseits nur durch Baldassare Peruzzis Entwürfe bekannten ephemeren Triumphbögen für Leo X. von ca. 1513 bis 1517 bei,59 in denen ebenfalls Wappen in einer Architektur aufgehängt präsentiert werden und die z.T. ebenfalls als Wandmalereien realisiert worden sind. Oder sie mögen Giuliano da Sangallo 1516 bei seinen Entwürfen fur die Fassade von S. Lorenzo in Florenz zu dem Nischenfries auf der Attika unter dem Giebel angeregt haben. 60 Sie verringern ein wenig den Eindruck des völligen Desinteresses Julius' II. und Bramantes am Lateran. Immerhin hat der Papst sein 1512 begonnenes Konzil hier abgehalten, und sein Architekt konnte hier in der Konzilsaula eine Anregung finden fur die Form und die Positionierung im Anschluß an bestehende Palastteile für seine leider nicht zur Ausführung gelangten Konklave-Aula, die er im Vatikan hätte errichten sollen.61
59
60
61
H. Egger, Entwürfe Baldassare Peruzzis für den Einzug Karls V. in Rom, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlung des allerhöchsten Kaiserhauses, S. 20; Ch. L. Frommel, Baldassare Peruzzi als Maler und Zeichner (Beiheft zum Römischen Jahrbuch fur Kunstgeschichte XI), Wien - München 1967/68, S. 7 5 - 7 6 , Nr. 3 2 - 3 4 , Taf. XXIIc und d sowie Taf. XCIIc. Z.B. Florenz, Uffizien, inv. 276 A (G. Satzinger, Antonio da Sangallo der Altere und die Madonna di San Biagio bei Montepulciano, Tübingen 1991, S. 93, 98 und 100, Abb. 216). S. Bramantes „disegno grandissimo" zum Umbau des vatikanischen Palastes: Florenz, Uffizien 287 A.
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Christiane und Arnold Nesselrath
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1:
Wappen Alexanders VI. über dem Triumphbogen; Rom, San Giovanni in Laterano (vom Dachstuhl über der Kassettendecke aus gesehen) Abb. 2: Marten van Heemskerck: Ansicht der Benediktionsloggia Papst Bonifaz' VIII. und der Querhausfassade von San Giovanni in Laterano; Berlin, SMPK, Kupferstichkabinett, Skizzenbuch I, fol. 12v. Abb. 3: Rekonstruktionszeichnung nach der Wappentrias des Erzpriesters Kardinal Giovanni Colonna im Dachgeschoß der Benediktionsloggia Papst Sixtus' V. an der Querhausfassade von San Giovanni in Laterano in Rom Zu Abb. 4: Unbekannter Maler von 1503/04 nach Donato Bramante: Wappentrias des Erzpriesters Kardinal Giovanni Colonna; Rom, San Giovanni in Laterano, Querhausfassade, Dachgeschoß der Benediktionsloggia Papst Sixtus' V. Abb. 4a: Wappen der Stadt Rom Abb. 4b: Wappen Papst Julius' II. Abb. 4c: Wappen des Erzpriesters Kardinal Giovanni Colonna Zu Abb. 5: Unbekannter Maler von 1508 nach Donato Bramante: Wappentrias des Erzpriesters Kardinal Alessandro Farneses; Rom, San Giovanni in Laterano, Querhausfassade, Dachgeschoß der Benediktionsloggia Papst Sixtus' V. Abb. 5a: Wappen der Stadt Rom Abb. 5b: Wappen Papst Julius' II. Abb. 5c: Wappen des Erzpriesters Kardinal Alessandro Farnese (Streiflichtaufnahme) Abb. 6: Streiflichtaufnahme des Eichbaums in Abb. 4b Abb. 7: Francesco Borromini oder Umkreis: Wappentrias von Bramantes Fresko über der Porta Santa am Lateran; Wien Albertina
Die Wappen der Erzpriester an der Lateranbasilika
Abb. 1
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Die Wappen der Erzpriester an der Lateranbasilika
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Die Wappen der Erzpriester an der Lateranbasilika
Abb. 5c
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Abb. 6
Christiane a n d Arnold Nesselrath
Die Wappen der Erzpriester an der Lateranbasilika
317
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Kanzleischreiber 1410-1415 Geheimkämmerer Kollektor in Däne141 Iff.; Nuntius mark, Schweden, Norwegen und Riga (Kollektor) in mit Status des Nunti- Norddeutschland 1412 und 1413; us und Referendars Kollektor in Polen 1420; sowie Preußen und Livland 1414-1415 Mitglied derAnima
Sonstige Karriere:
Bischof von Verden (providiert 1395— 1399, erfolglos)
consiliarius des Bischofs von Dorpat 1416-1418; consiliarius der Grafen von Holstein ca. 1419 Bischof von Dorpat Bischof von Lübeck (providiert 1413-IV- (1420 Januar gewählt) 23, erfolgreich bis zum Tod 1441) consiliarius des Königs; Vorsitzender des 1429 Verweser des Basler Konzils; Hochstifts ösel Kreuzzugslegat
Der Kern der Seilschaft der ersten Generation
Domkustos von Breslau I4l0ff. und
Dompropst von Lübeck I409ff
Ein Freund italienischer Kaufleute im Norden?
459
seine Hand über den in Lübeck ansässigen Verwandten der Medici, Lodovico de' Baglioni - wir erkennen den Namen aus den Konstanzer Anklageakten wieder gehalten, der nach dessen plötzlichem Tod dringend einer neuen Stütze bedurfte. 57 Kardinal Cossa hatte schon längere Zeit eng mit den Medici zusammengearbeitet. Jetzt nutzte er seinen großen Einfluß bei Papst Alexander V., um mit Rike einen Vertrauensmann, der gerade zur Hand war, in diese Pfründe zu schieben. Das war nötig, denn natürlich gab es um die Propstei eine lebhafte Konkurrenz. 58 Offenbar traut der Kardinal Rike zu, sich in der Stellung auch zu behaupten, und er läßt ihm als Papst in der Folgezeit jede Unterstützung zukommen. 5 9 Einige Sprossen der Karriereleiter auf einmal nahm Berthold Rike, nachdem sein Patron 1 4 1 0 - V - 1 7 Papst geworden war. Die Erhebung „machte" auch die Medici; sie wurden zum führenden Bankhaus dieses Papstes.60 Aus dem Kubikular des Kardinals ist nun ein Papstfamiliar geworden, wiederum H a u s g e n o s s e . Der Papst gewährt Rike regelmäßig g e b ü h r e n f r e i e d i t i o n der ihm gewährten päpstlichen Motu
57
58
59
60
61
62
proprio,62
Schriftstücke, 61
Expe-
unter der F o r m
des
was ihm einen Vorzug vor anderen Bewerbern sicherte, und
Brief des R Karbow aus Venedig an H. Veckinghusen von 1409-111-25, W. Stieda (Bearb.), Hildebrand Veckinghusen. Briefwechsel eines deutschen Kaufmanns im 15. Jh., Leipzig 1921, Anh. Nr. 1, S. 122. Zum Todesdatum s. Fouquet (wie Anm. 84) S. 198 A. 50. 1411-11-16, RL 149 17v-18v, Kurzregest Ersil Nr. 511. Wenig aufschlußreich das perinde valere fur Rike von 1411-X-l, RL 157 292v-193v, das ältere Gnaden bezüglich der Propstei auch für den Fall gültig sein läßt, daß die Vakanz aus anderen Gründen als dem ursprünglich angegebenen (Tod des Kollektors N. von dem Werder) entstanden sei. Auch um Kanonikat samt Pfründe in Lübeck aus dessen Nachlaß mußte Rike kämpfen, RL 145 296vs. - Kanonikat und Pfründe in Hamburg aus dem Nachlaß kann Kardinal Giordano Orsini erwerben, RG III Sp. 256f. - Unter den Maklern auf dem deutschen Pfründenmarkt taucht seit Alexander V. auch der spätere Papst Martin V., Oddo Colonna, auf, RG III passim. RL 145 53rs, auf den Krönungstag 1410-V-25 vordatiert, gibt ihm das Recht, einmalig gewisse Pfründen, die zur Kollatur der Propstei Lübeck gehören, kraft päpstlicher Autorität zu verleihen, also nicht iure ordinario. Die Bulle, die motu proprio verliehen worden war, ist verloren. Jetzt erhält er ein perinde valere (vgl. vorige Anm.), als ob diese Gnade am Krönungstag erlassen worden sei. Mißverständliches Regest im RG. Daß die Bulle aus der Zeit nach 1410-X-30 stammt, ist zu erkennen an dem den Mitgliedern des Schreiberkollegs vorbehaltenen Vermerk (gratis) pro socio (erstmals 1411-11-16, RL 149 17v-18v) sowie an der Wahl der Namensform: B. dictus Dives, nicht mehr Schomaker, vgl. o. Esch, Neapolitaner (wie Anm. 2), S. 772ff.; R. de Roover, The Rise and Decline of the Medici Bank (1397-1494), Cambr./Mass. 1963, S. 203, 255; W. von Stromer, Oberdeutsche Hochfinanz 1350-1450 (Beih. der VSWG 55-57), Wiesbaden 1970, S. 146, 368f. Vermerke (gratis) de mandate (domini nostripape) in RL 145 53rs, 296vs, 147 195rs. In den beiden älteren Einträgen, RL 129 175v-176v und 138 180rs, volle Taxgebühr. Motu proprio sind erteilt RL 139 245r-246v (2x), 145 53rs, 296vs, 147 195rs, 149 17v-18v, 157 264rs, 292v-293v, 296rs, 300rs, Reg. Vat. (im folgenden RV) 346 281vs. Zu dieser Kanzleiformel B. Schwarz (Hg.), Regesten der in Niedersachsen und Bremen überlieferten Papsturkunden 11981503 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 37, Quel-
460
Brigide Schwatz
erweist sich ihm gegenüber sehr großzügig bei der Erteilung von Dispensen (s.u.). 1 4 1 0 - X - 3 0 erhält Rike eine offizielle Position in der päpstlichen Kanzlei, das einträgliche A m t eines Schreibers. 63 Im Kolleg der Kanzleischreiber war damals Dietrich Reseler, möglicherweise auch Johann Scheie. Und natürlich der Freund und Förderer beider, Dietrich von Nieheim. Kurz darauf erscheint Berthold Rike erstmals als A b b r e v i a t o r
der päpstlichen
K a n z l e i , 64 Vermutlich war er es
bereits vorher, doch ist die Bekleidung dieses Amtes selten nachzuweisen. 65 1 4 1 0 - X I - 1 0 läßt sein Patron Rike eine andere wichtige Pfründe zukommen, die wiederum in Schlesien liegt: Kanonikat und Pfründe samt der Kustodie am D o m von Breslau 66 i m W e r t
von
70
(!) l ö t i g e n
M a r k . Vorbesitzer war dies-
mal wiederum ein Kurialer, der Kubikular, Referendar und - e h e m a l s a u c h — Rotarichter Jeronimus Sydenberg, 67 d e r a n d e r K u r i e
gestorben
war.68
Großglogau und mehr noch Breslau waren damals wichtige Handelsplätze, an denen gelegentlich auch Wechselgeschäfte getätigt wurden. 6 9 Im Domkapitel in Breslau saßen damals mehrere gute Bekannte von der Kurie her. 70 Die Bedeutung der
63
64 65
66
67
68
69
70
len und Untersuchungen zur Geschichte Niedersachsens im Mittelalter 15), Hannover 1993, S. XVII und XIX. RL 147 195rs. Der Vorgänger in diesem Posten ist der fern der Kurie verstorbene Petrus Causer. Dieser ist zuletzt in der avignonesischen Obödienz belegt. War er zum Konzil gestoßen? Daß der Wille des Papstes bei der Besetzung der Stelle ausschlaggebend war, zeigt der Vermerk: (gratis) de mandate (pape) und die Form des Motu proprio. — Zum Amt des Kanzleischreibers s. B. Schwarz, Die Organisation kurialer Schreiberkollegien von ihrer Entstehung bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts (BDHIR 37), Tübingen 1972. Dem Inhaber eines solchen Amtes steht die gebührenfreie Expedition der für ihn ausgestellten Dokumente zu, daher tragen die nach der Ernennung zum Schreiber erteilten Gnaden Rikes den Gratis de mandato-Vermerk nicht mehr. - Zum Problem der Datierung von 1410-V-25 und 1410-X-30 s. o. Anm. 59. Erstmals 1410-XI-10, RL 139 245rs. B. Schwarz, Die Abbreviatoren unter Eugen IV. Päpstliches Reservationsrecht, Konkordatspolitik und kuriale Ämterorganisation (Mit zwei Anhängen: Aufstellung der Bewerber; Konkordate Eugens IV.), in: QFIAB 60 (1980), S. 200-274, hier: Anm. 220. RL 139 245-246v, Auszug Ersil Nr. 498. Die Exekutoren sind diesmal Ludovico Aliotti, ehemals Kollektor in England bis 1407, wie üblich ein Kurialer (o. bei Anm. 40), und zwei Prälaten aus Breslau. Diese Pfründen führt er noch 1417 und 1431 auf. ZuJ. Sydenberg vgl. Schindler (wie Anm. 19) Nr. 303 und Schuchard, Die Deutschen (wie Anm. 53), S. 98*, 153*, 154* und 190*. Im vatikanischen Material wird stets vermerkt, ob der Tod an oder außerhalb (über 2 Tagesreisen) der Kurie erfolgte; erst von den jüngeren Bänden des RG berücksichtigt. K. Militzer, Geldüberweisungen des Deutschen Ordens an die Kurie, in: Der hansische Sonderweg? Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Hanse, hg. von St. Jenks und M. North, Köln/ Weimar/Wien 1993, S. 30-48, hier: S. 44f. A. Esch, Überweisungen der Apostolischen Kammer aus den Diözesen des Reiches unter Einschaltung italienischer und deutscher Kaufleute und Bankiers. Regesten der vatikanischen Archivalien 1431-1475, in: QFIAB 78 (1998), S. 262-387, hier: S. 295f. Matteo Lamberti aus Neapel, Rikes Vorgänger als Kollektor in Polen (Schindler Nr. 176; Favier, Les finances [wie Anm. 35], S. 143, 152, 154, 161 und 739), und Nikolaus von Wohlau, Propst
Ein Freund italienischer Kaufleute im Norden?
461
beiden Plätze verrät auch, daß sich Kardinal Giordano Orsini sowohl um den Nachlaß des Nikolaus von dem Werder im Nordwesten bewirbt wie auch um Pfründen in Großglogau und in Breslau.71 Da die Kustodie eine Dignität war, brauchte Berthold Rike eine Dispens, um sie zusammen mit der Dompropstei von Lübeck bekleiden zu können. Er erhält sie a u f L e b e n s z e i t , ein Gradmesser fiir die päpstliche Gunst, denn üblich sind 3 Jahre. 72 Zudem brauchte er eine weitere Dispens von der Erfordernis, sich umgehend zum Priester weihen zu lassen, sobald er die Pfründen besaß. D i e B e s i t z n a h m e g e l i n g t , daher läßt er sich ein Jahr später - wie es das Kirchenrecht vorschreibt - diese Dispens erteilen, 73 als er im Begriff steht, nach Deutschland aufzubrechen. Zu diesem Zeitpunkt ist auch die Lübecker Propstei i n s e i n e m B e s i t z . 7 4 141 l-XI-3 läßt er sich mit Kanonikat und Pfründe an Hl. Kreuz in Hildesheim providieren. 75 Diesen Anspruch hält er bis 1418-1-15 aufrecht. Auf 1411 -X-1 sind diverse Gnaden datiert, die als Vorbereitung auf die Anfang 1412 übernommene diplomatische Mission Rikes ins Deutsche Reich zu verstehen sind, auf die gleich einzugehen ist. Es sind: (1) der o. gen. Weiheaufschub a u f 5 J a h r e; (2) eine Lizenz, seine Pfründen a u c h a u ß e r h a l b d e r K u r i e r e s i g n i e r e n ( o d e r ν e r t a u s c h e η ) zu dürfen, 76 denn in einem solchen Fall sind sie, weil ihr Besitzer Kurialer ist, grundsätzlich dem Papst „heimgefallen"; wodurch Rike seinen Pfründenbesitz abrunden konnte, wann immer sich Gelegenheit dazu bot; (3) eine Lizenz zum Fortbezug der Pfründeneinkünfte trotz Verlassens der Kurie, eine sog. licentiafructuspercipiendi, a u f L e b e n s z e i t g e w ä h r t (!, üb77 lich waren Fristen von einigen Jahren); (4) die Lizenz, sein Testament zu errichten
71 72 73 74 75 76
77
von St. Ägidien (Schindler Nr. 381; Favier 154, 738), waren Kammerkleriker gewesen; beide bekleideten das Amt des Archidiakons. Aus der päpstlichen Kanzlei stammten: Giacomo Leonardi aus Ascoli (Schindler Nr. 186), Thomas Mas (ebd. Nr. 200), Johann von Tremosnitz (ebd. Nr. 349) und Hermann Dwerg (ebd. Nr. 86), nicht eingerechnet die, von denen unklar ist, ob ihre Bewerbung erfolgreich war. RG III Sp. 256f„ Schindler Nr. 241. Vgl. o. Anm. 58. Mit Tauscherlaubnis, RL 139 245r-246v. RL 157 296rs, Kuraregest Ersil Nr. 569. 1 4 1 1 - X - l , RL 157 292v-293v, Auszug Ersil Nr. 568. Einziger Beleg R 331 27v, eine Kladde der Kammer. RL 157 264rs, Kuraregest Ersil Nr. 567. Die Vollmachten, die schon hier ungewöhnlich sind, werden später noch erweitert bezüglich der Tauschpartner (sog. reformatio), RL 157 300rs, unter demselben Datum, von RG III zusammengezogen. - Zur licentia permutandi ftir Kuriale s. A. Meyer, Zürich und Rom. Ordentliche Kollatur und päpstliche Provisionen am Frau- und Grossmünster 1 3 1 6 - 1 5 2 3 (BDHIR 64), Tübingen 1986, S. 97. RL 1 5 9 8 1 r-82r, Kurzregest Ersil Nr. 572. Er wird nur als Domherr von Breslau bezeichnet. Exekutoren: der Bischof von Siena (der päpstliche Thesaurar Antonio Casini; ursprünglich vorgesehen war der just in diesen Tagen gestorbene Registrator, auch Kubikular und Referendar, Johannes Numai, Bischof von Forli) sowie Abt [Nikolaus] von St. Marien auf dem Sande vor Breslau und Abt [Albert Gripetan] von St. Michael in Hildesheim, vgl. o. Anm. 46.
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Brigide Schwarz
{licentia testandi);78 (5) diverse geistliche Privilegien, die ihn auf der Reise und im Zielgebiet von den örtlichen geistlichen Oberen unabhängig machten.79 Uber die diplomatischen und fiskalischen Missionen, die Rike in den Jahren 1412— 1415 übernahm, wissen wir nur wenig; Auftrag, Zielgebiet und Dauer sind nur schemenhaft bekannt. (1) Zur ersten Mission, fiiir die die eben aufgeführten Gnaden ausgestellt wurden, ist er Anfang 1 4 1 2 aufgebrochen, denn von 1412-1-9 datiert ein Geleitbrief adAlamannie et nonnullas alias partes. Dazu wird ihm der auszeichnende Status des päpstlichen Nuntius und Kubikulars zuerkannt.80 Aus der Tatsache, daß er darin P r o p s t v o n L ü b e c k genannt wird, ist herzuleiten, daß sein Auftragsgebiet der Norden ist. Bei seiner Mission nach Polen wird er mit seiner Breslauer Dignität81 bezeichnet werden (s. u.). (2) Von seiner zweiten Reise wissen wir ein klein wenig mehr. Von 1413-11-20 datiert die Dispens, auch mit den (verketzerten) Anhängern Papst Gregors XII. im Gebiet der Diözese Verden u n d 3 T a g e s r e i s e n d a r ü b e r h i n a u s (was Bremen, Hamburg und Stade mit umfassen würde) verhandeln zu dürfen. 82 Vermutlich hatte Rike wie alle anderen Gesandten Johannes' XXIII. aber auch den Auftrag, ein Subsidium caritativum einzusammeln, eine (formal freiwillige) Beisteuer fur den Papst. Sein Sprengel dürfte die Kirchenprovinz Bremen gewesen sein.83 Zwischen März und Juli 1 4 1 3 hielt sich Rike nach den Lübecker Quellen erstmals (als Dompropst) in Lübeck auf (s. o.).
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Mit bestimmten Vorzugsrechten, RL 157 298vs, Kurzregest Eräil Nr. 570. Im Testament Dietrichs von Nieheim, ediert von G. Erler, Dietrich von Nieheim (Theodericus de Nyem). Sein Leben und seine Schriften, Leipzig 1887 (ND Aalen 1977), S. XXVIII, befindet sich eine Anspielung auf diese Lizenz. Freie Wahl des Beichtvaters (licentia confessorem eligendi), RL 159 241 v—242r, in RG III Sp. 66 mit falscher Stellenangabe. Freiheiten bezüglich des Besuchs der Hl. Messe, nämlich zu ungewöhnlichen Zeiten (das bedeutet das ante diem, nämlich licentia audiendi missam ante dient), RL 159 203v, unabhängig von den Ortskirchen (mit Tragaltar, licentia utendi altariportatili, RL 159 263v), selbst an Orten, die dem Interdikt unterlagen (etiam in locis interdicto suppositis), RL 159 192v. RV 343 172v—173r. Der päpstliche Nuntius reist selbstverständlich mit einer Begleitung: es ist von Pferden im Plural die Rede. Uber die rechtliche Stellung der Kollektoren s. Favier, Finances (wie Anm. 35), S. 93ff., 705ff. Dagegen spricht nicht RL 159 81r—82r, in dem er Domherr - nicht Kustos! — von Breslau heißt, denn hier geht es um den Bezug von Pfründen. Vgl. o. Anm. 77. RV 345 l6v-19r, mit dem Vermerk de curia, also ein offizieller Brief. Der Volltext lautet in civitate et diocesi Verdensi et nonnullis aliis partibus Ulis circumvicinis per tres dietas. - Die beiden Linien der Lüneburger Weifen (deren Territorium die gesamte Diözese Verden umfaßte, mit dem Hauptort Lüneburg) entschieden sich verschieden im Schisma, s. Schwarz, Papsturkunden (wie Anm. 62), Nr. 1350ff. Die Stadt L. scheint im Frühjahr 1413 zu Johannes XXIII. umzuschwenken, ebd. Nr. 1382. Im einzelnen untersucht. Im März 1413 wird auch Marcus de Rayneriis de Nursia nach Deutschland geschickt, um in den Kirchenprovinzen Mainz, Köln, Trier und Bremen das Kreuz gegen Gegner Johannes' XXIII. zu
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(3) Es w a r v e r m u t l i c h im Frühjahr 1 4 1 4 , als Rike z u s a m m e n m i t Lodovico de' Baglioni 8 4 „nach Sachsen" aufbrach, u m d o r t die Einladungen zum Konzil v o n K o n stanz zuzustellen u n d Gelder einzusammeln f ü r die Finanzierung des Konzils (s. o.). 85 (4) I m S e p t e m b e r e r h i e l t e n R i k e u n d L o d o v i c o de' B a g l i o n i v o n J o h a n nes X X I I I . e i n e n n e u e n u n d n u n g r ö ß e r e n A u f t r a g : sie w u r d e n zu K o l l e k t o r e n eines S u b s i d i u m c a r i t a t i v u m f ü r die K i r c h e n p r o v i n z e n B r e m e n u n d Riga, u n ter E i n s c h l u ß v o n K a m m i n (exemt) u n d V e r d e n ( k i r c h e n r e c h t l i c h zu M a i n z gehörig) e r n a n n t . 8 6 1 4 1 4 - X I I - 9 ist Rikes S p r e n g e l etwas a n d e r s d e f i n i e r t : zusätzlich s i n d n u n g e n a n n t L e s l a u
„in
Preussen"
u n d Reval „in Livland" 8 7
(Leslau gehörte kirchenrechtlich zur Provinz G n e s e n , Reval zur Provinz L u n d ) . D . h . im Nordosten u m f a ß t sein Sprengel das Deutschordens-Land Preußen 8 8 u n d Livland. V o n seinen F a k u l t ä t e n
als N u n t i u s haben sich n u r Spuren erhalten
(für Baglioni steht es geringfügig besser). 89 Rikes Kollektorensprengel v o m Herbst I 4 l 4 9 0 liegt also dort, w o seine n o r d deutschen P f r ü n d e n liegen u n d w o auch seine H a n n o v e r a n e r Freunde wichtige Stellen innehaben: Dietrich Reseler ist, wie w i r sahen, seit 1 4 1 3 Bischof v o n Dorpat,
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predigen und dort - nicht aber in der Kirchenprovinz Bremen - ein Subsidium caritativum einzusammeln, RG III Sp. 271. Die anderen sind Johannes de Altmaria, RG III Sp. 193, und - nicht so sicher - Cristannus de Salina, ebd. 76, Johannes Stalberg, ebd. 242f., und Wenceslaus Thiem, ebd. 365f. Zu Lodovico de' Baglioni aus Perugia s. A. Esch, Bankiers der Kirche im Großen Schisma. In: QFIAB 46 (1966), S. 277-398, hier: S. 347f., und zuletzt G. Fouquet, Ein Italiener in Lübeck: der Florentiner Gherardo Bueri (t 1449), in: Schlüssel zur Geschichte. 700 Jahre Lübecker Stadtarchiv. Zeitschrift des Vereins f. Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 78 (1998), S. 187-220, hier: S. 197ff. Uber die diversen Teams, die Johannes XXIII. damals ausschickte, vgl. W. Brandmüller, Das Konzil von Konstanz 1414-1418, Bd. 1, Paderborn etc. 1991, S. 64f. und 86f. Daß die beiden Kollektoren den Freikauf von dem lästigen und teureren Konzilsbesuch betrieben, dürfte sich nicht beweisen lassen. RV 346 204rs. Der Geleitbrief RV 346 270vs. RV 346 270rs: ac dioc. Wladislav. et in Prussiam et Ryval et Liuoniam destinatus, im RG grob entstellt wiedergegeben. Bei „Leslau" ist wohl v.a. an Pomerellen gedacht, das der Deutsche Orden seit 1346 besaß. - Reval unterstand nur noch recht eingeschränkt dem Metropoliten von Lund, vgl. M. Hellmann, Livland und das Reich. Das Problem ihrer gegenseitigen Beziehungen, in: Sitzungsber. der Bayer. Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., Jg. 1989, 6, München 1989, S. 19; demnächst B. Schwarz, Prälaten aus Hannover im spätmittelalterlichen Livland. 1414-IX-6, RG III Sp. 267f. Sein Auftrag lautet - genauer - , diejenigen Gelder, die die Kollektoren gesammelt hätten, entgegenzunehmen. Von 1414-IX-10 ein Mandat, ihn darin zu unterstützen, und von 1414-IX-22 ein weiteres, bestimmte Gelder an Giovanni di Medici zu überweisen, ebd. Vor Rike und Baglioni waren in diesem Sprengel Johann Berchtoheil, Domherr von Kammin, ernannt 1413-1-5, RG III Sp. 194, und Johann Molner, Archidiakon von Schwerin, ernannt 1413-IX-7, RG III Sp. 226f., tätig gewesen. Molner war ein alterfahrener Kollektor (auch RG II Sp. 1389).
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Johann Scheie besitzt wichtige Pfründen in Bremen, Lübeck und Dorpat. Für diesen Sprengel wird Rike wiederum mit seiner norddeutschen Hauptpfründe, d e r L ü b e c k e r P r o p s t e i , charakterisiert.91 Während des Aufenthalts Berthold Rikes im Nordosten veränderte sich die Situation an der Kurie dramatisch. Der Papst, dem er seine Karriere verdankte, hatte auf starken politischen Druck hin das allgemeine Reformkonzil nach Konstanz einberufen, das 1414-XI-l eröffnet wurde; 1415-V-29 wurde Johannes XXIII. förmlich abgesetzt. (5) Es war also schon auf dem Konstanzer Konzil, daß Johannes XXIII. Rike 1415-II-25 9 2 bzw. III-1 zum Kollektor im Königreich Polen, der Provinz Gnesen und in Kulm (das zur Kirchenprovinz Riga gehörte) ernannte; 93 f ü r d i e s e n A u f t r a g w i r d s e i n e D i g n i t ä t am B r e s l a u e r D o m h e r a u s g e s t e l l t (Schlesien gehörte kirchenrechtlich zu Gnesen). Sein direkter Vorgänger in diesem Sprengel war ein anderer Verwandter der Medici gewesen, Leonardo Ricci.94 Rike war damals bereits selbst auf dem Konzil und hat die Instruktionen und Fakultäten persönlich ausgehandelt.95 Am 13. März bricht er zu seiner Mission auf.96 Kurz zuvor hatte er sein Kanzleischreiber-Amt veräußert; das Amt des Abbreviators behielt er bei.97 Amt und Status des Geheim-Kämmerers verlor er natürlich mit der Absetzung Johannes' XXIII. Die Kollektorie im Königreich Polen sowie in der Provinz Gnesen und der Diözese Kulm gibt Rike 1415-XI-6 auf, ein halbes Jahr nach der Absetzung „seines" Papstes auf dem inzwischen ohne Papst tagenden Konzil. 98
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Die Rolle Lübecks im internationalen Geldverkehr ist ein Forschungsdesiderat, Esch, Überweisungen der Apostolischen Kammer (wie Anm. 69), S. 274. Vgl. auch Chr. Schuchard, Die päpstlichen Kollektoren im späten Mittelalter (BDHIR 91), Tübingen 2000, S. 75-83. Ich danke Frau Sch. herzlich fur die Erlaubnis, in das noch ungedruckte Werk Einsicht nehmen zu dürfen. RL 185 66rs, Kurzregest Eräil Nr. 1057, eine erweiterte licentia testandi, sinnvoll bei einer so gefährlichen Reise. Die Exekutoren sind: die Domdekane von Lübeck, Breslau und — wiederum Hildesheim. RV 346 281vs, Auszug Eräil Nr. 1061. Die Diözese Kulm gehört zum Sprengel vermutlich wegen des Peterspfennigs, vgl. E. Maschke, Der Peterspfennig in Polen und dem deutschen Osten, 2. Aufl. Sigmaringen 1979, S. 239ff. Leonardus Johannis de Florentia, vgl. Stromer (wie Anm. 60), S. 146 und 386f., ernannt 1414-III16, RG III Sp. 261, Bullarium Poloniae III 1441-2 (unvollständig). Der langjährige Kollektor Mazeus de Lambertis de Neapoli, Rikes Kollege im Domkapitel Breslau, war vor 1414-1-6 gestorben. Er wird am Konzil selbst vereidigt, RV 346 28 lv. 1415-III-8 zahlt er einen Teil der Servitien für Dietrich Reseler ein, RG III Sp. 350. Den Rest wird er ein Jahr später ebenfalls persönlich auf dem Konzil einzahlen, RG III Sp. 400, vgl. o. Anm. 44. Der Geleitbrief datiert von diesem Tag, RV 346 285v, Kurzregest Ersil Nr. 1067. Fehlt in RG III. 1415-III-7, RL 185 15v. Der Käufer ist ein Kleriker aus Bologna und wohl Klient Johannes' XXIII. - Abbreviator blieb er bis zu seinem Tod. Pflichten waren mit diesem Amt kaum verbunden. DC 3 25r. Am nächsten Tag wird sein Nachfolger in diesem Sprengel, Petrus Wolfram, vereidigt (RG III Sp. 399, vgl. RG IV Sp. 3239).
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1416-111-20 finden wir Rike letztmals auf dem Konzil belegt. Danach hat er sich nach Breslau begeben, wo er 1417 und 1418 residiert (s. o.). Später ist er nur noch in Lübeck und Umgebung nachzuweisen. Inzwischen war 1417-XI-ll nach Absetzung bzw. Abdankung der drei Schismapäpste in Konstanz ein neuer Papst gewählt worden, Martin V. Für die bisherigen Kurialen war es unsicher, ob sie an dessen Kurie eine neue Chance haben würden, bei dem Gedränge," wobei diejenigen aus der Obödienz Johannes' XXIII. noch am besten dran waren.100 Zudem konnte es längere Zeit dauern, bis der Dank der Römischen Kirche handfeste Formen annahm. Für die Pontifikate Martins V. und Eugens IV. müssen wir uns ganz auf das RG verlassen. Der Verzicht auf die Einsicht in die Originale aus Gründen der Arbeitsökonomie schien mir vertretbar, weil die Karriere Berthold Rikes nun in die ruhigeren Bahnen eines vorwiegend mit lokalen, sprich lübischen, Angelegenheiten beschäftigten Prälaten einmündete. Das RG aus dem Pontifikat Martins V. meldet nur, daß Rike Pfründenansprüche, die er auf seinen diversen Reisen erworben hatte, nutzbringend zu veräußern, d.h. vor allem zu vertauschen, suchte. Es waren dies: Kanonikat und große Pfründe am Dom von Frauenburg/Ermland101 sowie in Kruschwitz in der Diözese Leslau und in Guttstadt/Ermland. 102 Auch älteren Pfründenbesitz, so den in Großglogau103 und an Hl. Kreuz Hildesheim,104 tauscht er gegen Pfründen, die seiner Hauptpfründe Lübeck näher liegen. Das RG Eugens IV. bietet Informationen über Rikes Tod (kaum Neues) und über die Nachfolge in seinem Pfründenbesitz. Von den Bewerbern um die Pfründen aus seinem Nachlaß sei hier nur der Hannoveraner Ludolf Quirre genannt, der Kanonikat und Pfründe und Kustodie am Dom von Breslau (deren Wert nun mit 40 Mark angegeben ist) und die Pfründe in Kruschwitz (8 Mark) beanspruchte.105 Quirre waren die Immatrikulationsgebühren an der Universtität Rostock mit Rück99
B. Schwarz, L'organizzazione curiale di Martino V. ed i problemi derivanti dallo Schisma, in: Alle origini della Nuova Roma: Martino V (1417-1431). Atti del Convegno dell' Associazione Roma nel Rinascimento, Roma 2 - 5 marzo 1992, hg. von M. Chiabo u.a. (Istituto Storico Italiano per il Medio Evo, Nuovi studi storici 20), Roma 1992, S. 3 2 9 - 3 4 5 .
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Die Konzilsobödienz galt bis ins 16. Jh. als die legitime, wie an der Zählung der Papstnamen abzulesen. Zudem waren die Kurialen Johannes' XXIII. bei der Neuordnung zur Stelle, immer ein Vorteil.
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RG IV Sp. 2484; vgl. Sp. 139. Wert: wohl 8 Mark. Auch in RG IV fehlen die Pfründwerte. 1421 prozessiert er um sie; 1424 erwirbt er Ansprüche auf Kanonikat und Pfründe in Kruschwitz. In Guttstadt und Ermland hatte Hermann Dwerg, in Kruschwitz Matteo Lamberti Pfründen besessen. Stammen die Ansprüche aus deren Nachlaß?
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RG s.v. Bertholdus Divitis. Rike erwirbt eine mit 6 Mark ganz gut dotierte Vikarie in Lüneburg. RG IV Sp. 3451, vgl. Sp. 307. 1081 f. RG V s.v.
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sieht auf Rike erlassen worden; 106 dies wie der Anspruch auf Nachfolge in wichtigen Pfründen ein Indikator dafür, daß Rike und Quirre irgendwie verwandt waren.
III. Schluß Die „Seilschaft" von Klerikern aus Hannover, deren Kern aus Dietrich Reseler, Berthold Rike und Johann Scheie bestand, bestimmte das ganze Leben unseres Helden mit. Eine Zeitlang war die Zugehörigkeit zur Klientel Baidassare Cossas/ Johannes' XXIII. wichtiger. Mit dem Sturz dieses Papstes waren ftir einen deutschen Prälaten diese Bande zerrissen. Danach blieb fur Rike nur, sich auf die Pfründen zu konzentrieren, die er mit Hilfe dieses Papstes erworben hatte, zunehmend mit Präferenz fur den Nordwesten. Von den Pfründen in Schlesien behält er die Kustodie am Breslauer D o m und eine Vikarie. Die im Nordosten hingegen stößt er ab. Vermutlich hat er, wie sein Vorgänger, als Dompropst von Lübeck über die Niederlassung der Medici-Verwandten in Lübeck seine schützende Hand gehalten, darin unterstützt von seinem Freund Scheie. 107 Es stellt sich die Frage, ob wir mit ihm nicht einen Typus von Prälaten vor uns haben, die halfen, die Probleme des bankenfeindlichen Nordens zu lindern. 108 Auffällig scheint nämlich, daß in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts Kuriale, die viel mit Einzahlungen von Servitiengeldern zu tun hatten, 109 sowohl in Lübeck als auch in Breslau bepfründet waren. 110 Ferner haben das Domkapitel von Breslau 111 und das von Lübeck 112 auffäl-
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U. Schwarz, Ludolf Quirre (gest. 1463). Eine Karriere zwischen Hannover, Braunschweig und Halberstadt, in: Braunschweig. Jb. 75 (1994), S. 2 9 - 7 2 , hier: S. 37.
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Fouquet (wie Anm. 84) S. 192. Dazu jüngst Esch, Überweisungen der Apostolischen Kammer (wie Anm. 69). Auf die Rolle einflußreicher Kurialer beim Einzahlen der Servitien, Cossa, Dwerg und Senftieben, weist Esch, Uberweisungen S. 271 Anm. 25, hin. Außer Rike waren das - wenn man von den Kardinälen Francesco Carboni und Rainaldo Brancacci absieht - Hermann Dwerg, später etwa Jacobinus de Rubeis, Nicolaus Gramis de Hotzenplotz, Heinrich Senftleben aus Großglogau, aber auch Johann von Assel, der spätere Bischof von Verden. Vgl. die Aufstellung bei Schindler (wie Anm. 19) S. 119—121, im einzelnen die Liste der Domherren S. I47ff. Es fällt auf, daß bereits in avignonesischer Zeit Kardinäle und andere Kuriale, v. a. aus der Kammer, sich um Pfründen in Breslau, aber auch in Glogau und Oppeln bemühen. Das verstärkt sich sehr seit Bonifaz IX. Daher die hohe Internationalität des Breslauer Domkapitels. Die Kurialen (nicht nur die Ausländer!) erwerben Pfründen zwar auch zu Spekulationszwecken, sind aber teilsweise auch in deren Besitz nachzuweisen. Manche Ämter und Pfründen werden direkt von einem Kurialen zum anderen „vererbt": so der Archidiakonat ( 1 3 4 3 - 1 3 7 4 und 1399-1418) oder das Amt des Kustos (1409-1436).
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Es ist unglücklich, daß die Arbeit von A. Friederici, Das Lübecker Domkapitel (wie Anm. 13) just 1400 endet, als es in Lübeck so richtig spannend wird.
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lig viele einflußreiche Kuriale mit Erfahrungen in der Apostolischen Kammer und nahe Verwandte von Bankiers in ihren Reihen. Das müßte einmal untersucht werden. 113
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Z u den Verflechtungen der italienischen Kaufleute vgl. A. Esch, Viele Loyalitäten, eine Identität. Italienische Kaufmannskolonien im spätmittelalterlichen Europa, in: H Z 254 (1992), S. 581—608. Der lang erwartete Aufsatz von A. Esch, Brügge als Umschlagplatz im Zahlungsverkehr Nordeuropas mit der römischen Kurie im 15. Jh.: die vatikanischen Quellen, in: Hansekaufleute in Brügge, Teil 4: Beiträge der Internationalen Tagung in Brügge April 1996, hg. von N . Jörn, W. Paravicini und H . Wernicke, Frankfurt a. M. 2000, S. 109-137, ist nach Fertigstellung dieses Aufsatzes erschienen.
W E R N E R PARAVICINI
Ein Spion in Malpaga Zur Überlieferungsgeschichte der Urkunden des Rene d'Anjou und Karls des Kühnen für Bartolomeo Colleoni
Für Arnold Esch, auf dessen Einladung ich in Rom über ,Colleoni und Karl der Kühne' sprechen durfte, 1 wähle ich aus dem umfangreichen Material 2 eine besonders dramatische und erhellende Begebenheit aus. Sie illustriert sowohl jenen »Alltag der Entscheidung', 3 den Arnold Esch prägend benannt hat, als auch einen ,Überlieferungs-Zufair, den eine besondere,Überlieferungs-Chance' möglich machte. Den feinen Unterschied zwischen beiden zu sehen hat er uns gelehrt. 4
I. Drei Urkunden Bortolo Belotti veröffentlichte im Jahre 1923 im Anhang zu seiner monumentalen Darstellung der Vita des Bartolomeo Colleoni (ca. 1400-1475) 5 drei Urkunden für den großen Condottiere, die aus Italien herausweisen, nämlich nach Frankreich und Burgund. D a der Druck Belottis nicht überall zugänglich ist und auch nicht ganz fehlerlos und vollständig, seien die drei Stücke hier erneut herausgegeben und knapp kommentiert.
' Am 6. Juni 1999 im Deutschen Historischen Institut; wiederholt vier Tage später im Bundesarchiv zu Koblenz, auf Einladung von Friedrich P. Kahlenberg. Für Auskunft und Kopien sei Dank gesagt Maria Barbara Bertini (Mailand), Μ. P. Bortolotti (Mailand), Luisa Brezzi (Brescia), Arturo Calzona und Luca Chiavoni (Mantua), Marianne Cortesi (Cremona), Petra Ehm (Bonn), Anke Greve (Paris), Alexander Koller (Rom), Christof Ohnesorge (Kirchhain), Gherardo Ortalli (Venedig), Agostino Paravicini Bagliani (Lausanne), Giovanni M . Piazza (Mailand), Andreas Rehberg (Rom), Barbara Stephan (Tübingen/Paris), Bertrand Schnerb (Paris), Sabine Seeger (Tübingen/Paris), Stephan Selzer (Halle) und Alberto Tenenti (Paris). Bei der Herstellung der lateinischen Texte half erneut Anke Paravicini (Paris). 2
Die in Paris überlieferten Stücke werden gesondert erscheinen.
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Esch 1988/1998. Esch 1985/1994.
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Belotti 1923: Ich möchte Frar^ois Bougard von der ficole Fran^aise de Rome dafür danken, daß er mir dieses kostbare Werk schenkte, nachdem er an jenem 6. Juni 1999 erfahren hatte, daß es mich
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Werner Paravicini
(1) Die erste Urkunde datiert vom 14. Mai 1467, aus der noch heute eindrucksvollen Burg von Angers über der Loire, und war aufwendig mit einer Goldbulle gesiegelt. In diesem Privileg zeichnet Rene Herzog von Anjou und Bar, Graf der Provence und von Forcalquier, den illustrissimus Bartholomew de Coleonibus, gentium armorum magnanimus capitaneus, zum Lohn erwiesener und in Erwartung weiterer Dienste mit dem Namen und dem Titel der gens etfamilia des Hauses Anjou aus sowie mit deren Zeichen oder Wappen (insigniis sive armis), erblich in männlicher, legitimer Linie, derart, daß er sein Wappen mit dem des Hauses Anjou im Schildhaupt teilen darf, so wie es hier auf der Urkunde dargestellt sei (aber nicht in der Abschrift reproduziert ist), et non aliter, mit allen Rechten, die den anderen Mitgliedern des herzoglichen Hauses Anjou zustehen. Renes Erbsohn und Generalstatthalter Johann Herzog von Kalabrien und Lothringen (f 13. Dezember 1470)6 sowie allen anderen Statthaltern und Amtsträgern wird aufgetragen, Colleoni bei diesen Rechten zu halten. Einen fürstlichen Rang hat Colleoni nicht auf diese Urkunde gründen können, aber er nannte sich von nun an regelmäßig „Colleoni von Anjou".7 Noch in seinem Testament wenige Tage vor seinem Tode hat er sich de Andegavia genannt,8 und er ließ in Malpaga sogar den Hausheiligen Ludwig von Anjou darstellen.9 Seine Lobredner haben diese Verleihung herausgestrichen, zu Lebzeiten,10 nach seinem Tode,11 bis hin zur Bleiplatte im Grabe.12 Außerdem teilte er tatsächlich von nun an seinen Schild. Er zeigt oben Anjou (Blau besät mit goldenen Lilien,
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wohl interessieren würde. - Als wichtige Neuerscheinungen seither seien genannt: Croce 1 9 3 3 1934; Meli 1966 und 1970; Bonavia 1970; Mallet 1982; Cornazzano, Vita di Bartolomeo Colleoni (1474), hg. v. Crevatin; Erben 1996. Zwei in Bergamo veranstaltete Kolloquien sind im Druck: La figura e l'opera di Bartolomeo Colleoni, und: Bartolomeo Colleoni e il territorio bergamasco. Zur Capeila Colleoni zuletzt Schofield (im Druck). Vgl. Binet 1997. „di cui il Colleoni poi sempre superbamente si valse, chiamandosi appunto Bartolomeo Colleoni di Andegavia ο d'Angiö", Belotti 1923, S. 372; vgl. S. 329. Unten Anm. 16. Siehe auch Belotti 1923, S. 608, Dok. XXX (1472 April 1, Colleoni ist Aussteller): Bartholameus Colionus de Andegavia. Erben 1996, S. 70 mit Anm. 125. Cornazzano, Vita (1474), S. 116 (VI 27): Primus etiam exItalis extraprovinciam imperator communes cum regibus titubspraecipua armorum virtute sortitus est, quibuspatriam familiamqtie superbis insignibus et sacro cognomine reliquit illustrator, dazu den Kommentar auf S. 198. Grabrede des Carrara, S. 139: Ab ipsisquoqueFrancorum regibusadeo cultus uteifamiliaeAndegavensis cognomen indiderint irtsigniaque dono dederint circumferenda. Adeo virtutis splendor remotissimis regibus infulserat... Siehe unten Anm. 28.
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ohne die übliche Anjou-Minderung eines roten Turnierkragens oder Schildrands)13 und unten Colleoni (von Rot und Silber geteilt, oben zwei Hoden, unten einer, jeweils in verwechselten Farben). Das schönste Zeugnis fiir dieses Wappen stammt aus der 1472 begonnenen Colleoni-Kapelle in Bergamo, 14 doch schmückt es auch den Palast Colleonis in derselben Stadt, den späteren Luogo Pio della Pietä,15 und die Prunkabschrift seines Testaments und Kodizills vom 27. und 30. Oktober 1475 im Archiv der Martinengo Colleoni zu Brescia. 16 Wie die Titel in der Urkunde zeigen, war Rene zugleich Prätendent des Königreichs Jerusalem, vor allem aber beider Sizilien, von Aragon, 17 Valencia, Mallorca, Sardinien und Korsika, Graf von Barcelona, von Piemont, etc. In diesem Zusammenhang steht auch die Verleihung. König Ren£ nahm 1466 seine Pläne zur Wiedereroberung des Königreichs Neapel auf,18 aus dem er 1442 durch die Aragonesen vertrieben worden war. Colleoni sollte Generalkapitän dieses Feldzugs werden, und Venedig sah seinen Vorteil darin, eine Macht zu schwächen, die mit Mailand und Florenz verbündet war und ihm die Adriaausfahrt verschließen konnte. 19 Die Verhandlungen mit Venedig und Colleoni führte der angevinische Mittelsmann Antonello Scaglione aus Aversa. 20 Aus dem Unternehmen wurde jedoch nichts: Die Schlacht von La Molinella (oder della Riccardina) gegen Federico da Montefeltro
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Vgl. umfassend zur Heraldik und Emblematik Kg. Renis Mdrindol 1987. Abgebildet bei Belotti 1923, S. 39 und 433 (ebenfalls am Grabmal seiner Tochter Medea ebendort); Erben 1996, Abb. 51. Bei Belotti 1923, S. 39f. in Anm. allzu knappe Angaben zum Wappen Colleonis und zu seinen Abwandlungen. Auch das schöne Buch von Erben 1996 über Colleonis „künstlerische Repräsentation" behandelt Wappen und Impresen nur am Rande (S. I4f.). Hier bleibt manches nachzuholen. Abb. bei Belotti 1923, S. 343f.; Erben 1996, Abb. 2 - 3 . Abb. s/w bei Belotti 1923, S. 517 (vgl. S. 521, 523, 530-532); farbig in: Meli 1966, Taf. XIII, S. 158/159, und in: Gentium memoria archiva, Kat. 1996, S. 126, Taf. XIII, sowie S. 201 s/w und S. 223 Nr. 200 (Kommentar); alle nach Brescia Archivio di Stato, Archivio Martinengo dalle Palle Colleoni Porcillaga, Cemeli, c. 1.
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So die korrekte Reihenfolge in der Unterschrift; zu Beginn der Urkunde steht irrtümlich Aragon am Anfang, gefolgt von Jerusalem, sodann von Sizilien.
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Schon 1453 hatte Colleoni ihm bei einem ähnlichen Versuch auf Befehl des Herzogs v. Mailand gedient, s. Belotti 1923, S. 2 3 0 - 2 3 4 .
19
Vgl. Belotti 1923, S. 3 5 5 - 4 1 0 (Kap. XXIV: I precedenti della guerra di Romagna), bes. 371f.; Perret 1896, Bd. 2, S. 4 6 0 ^ * 7 5 ; Pastor, Bd. 2, 3 . - 4 . Aufl. 1904, S. 416f.; Pardi 1906, S. 2 4 4 - 2 5 1 ; Lazzari 1945, S. 5 2 - 5 6 ; Bittmann, Bd. I 2, 1964, S. 4 0 2 (zu 1469); Pillinini 1970, S. 7 2 - 7 7 ; Fubini 1994, S. 101, 210, 2 2 9 f f , 269, 3 2 9 - 3 3 3 , und ders., in: Lorenzo de' Medici, Lettere, Bd. 1, 1977, S. 5 4 1 - 5 4 6 (Excursus I); zuletzt Ilardi 1995, S. 97. Vgl. künftig die Diss, von Christof Ohnesorge (Kirchhain), „Politik und Diplomatie König Rends von Anjou in den Jahren 1 4 5 8 1472"; dem Autor ist für freundliche Auskunft und Kopien aus der Literatur zu danken.
20
Ohnesorge, Politique et diplomatic du roi Rend (im Druck), bei Anm. 4 4 - 5 9 , bes. Anm. 52.
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vom 25. Juli 1467 ging unentschieden aus, war fiir Colleoni also eine Niederlage. Die französische Rückeroberung Neapels gelang erst in der nächsten Generation.21 Die beiden anderen Urkunden wurden von Herzog Karl dem Kühnen ausgestellt, dem mächtigen und ehrgeizigen Herzog Burgunds und der Niederlande, am 5. und 11. Januar 1473 zu Brügge in Flandern. Karl der Kühne, der sich seit dem 26. April 1471 darum bemüht hatte, den Generalkapitän Venedigs in seinen Dienst zu nehmen, 22 war endlich mit dessen Gesandten handelseinig geworden, mit seinem Sekretär und Geheimkanzler Abondio (de) Longhi,23 und mit dem venezianischen Exulanten Francesco Querini. Anfang Januar 1473 war es soweit, daß die Urkunden und Schriftstücke ausgefertigt werden konnten.
(2)
Mit Diplom vom 5. Januar 1473 nimmt Herzog Karl Colleoni deAndegavia in sein Haus und seine Familie auf, weil er mit dessen Hilfe über seine Feinde zu triumphieren hofft, weil er niemandem in der Kriegskunst nachsteht, weil er ihm seine Kompanie zufuhren will, obwohl er weiß, wie schwierig, aufwendig und gefährlich dieser Zug aus dem vertrauten Italien sein wird. Angesichts seines Rufs, seiner Berühmtheit, seines Ruhms gibt er ihm erblich den Beinamen de Burgundia, was er noch niemandem zugestanden habe (quod hactenus nulli alii concessimus): In der Tat ist keine weitere Verleihung dieser Art bekannt. Dazu gibt er ihm, ebenfalls erblich, das burgundische Wappen. Karl, sicher, daß Colleoni ihm zuziehen werde, wiederholte also in ähnlicher Situation die Geste König Renes aus dem Jahre 1467:24 Mit den angevinischen Kapitänen (Jacopo Galeoto, Cola di Monforte Graf von Campobasso, Troylo de Rossano und anderen)25 übernahm er auch die angevinischen Methoden, wie überhaupt Karls Italiennähe größer war als bislang gewußt.26
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25
26
Siehe Abulafia (Hg.) 1995. Sestan, Bd. 1, 1985, S. 279f., Nr. 173. Abondio (de) Longhi aus Como (Cornazzano, Vita, S. 100 = V 45), wurde mit Vollmacht von Colleoni nach Burgund gesandt und handelte die Condotta vom 11. Jan. 1473 mit Karl aus (Belotti 1923, S. 264); ein evtl. Porträt desselben ibid. S. 294, und vgl. S. 329f. Er war einer von Colleonis Nachlaßverwaltern, s. Erben 1996, S. 40 Anm. 154. Zur cartcelaria in der Burg von Malpaga ibid., S. 69 mit Anm. 117. Wie der Textvergleich ergibt ohne Kenntnis oder zumindest Verwendung des Textes dieser Vorurkunde. Schnerb 1999, dort auch weitere Lit. Vgl. Soldi-Rondinini 1980, die Colleoni indes nicht behandelt. Vgl. Walsh (im Druck).
Ein Spion in Malpaga
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(3) Sechs Tage später, am 11. Januar 1473, ernennt Herzog Karl Colleoni de Burgundia,
seinen liebsten Vetter (consanguineum nostrum carissimum), der gegenwärtig besonders im Kriegswesen in vielfachem Ruhme glänzt, zu seinem Generalkapitän und militärischen Universalstatthalter, tarn in Gallia quam ubique, und zwar zu solchen Bedingungen, wie sie in einer eigenen Kapitulation festgehalten seien.27 Hatte Karl in der vorangehenden Urkunde schon bekannt, daß er Colleoni viel schulde und schulden wolle, auch dessen höchste affectatio erwähnt, so spricht er hier von Colleonis höchstem Wohlwollen ( b e n e v o l e n t i a ) ihm gegenüber - eine bemerkenswerte Erniedrigung eines Fürsten vor einem Condottiere, die nur aus dem (anscheinend) in Erfüllung gehenden Wunsch Karls zu verstehen ist, Colleoni um (fast) jeden Preis zu gewinnen, und aus der Erleichterung, diesen Abschluß nun erreicht zu haben. Noch wußte er nicht, daß Venedig Colleoni niemals freigeben wird. Wiederum ist die Wappenabbildung, die der Verleihung beigegeben war (siehe § 4), in der Abschrift nicht reproduziert worden. Darstellungen eines burgundischen Colleoni-Wappens sind mir nur aus der Colleoni-Kapelle bekannt geworden, wo ein von Burgund (vereinfacht: gespalten von Neuburgund: von Blau mit goldenen Lilien besäht, ein silber und rot gestückter Schildrand; und von Altburgund: von Gold und Blau fünfmal schräglinksgeteilt) gespaltener Schild mit dem Anjou/Colleoni-Wappen geviert begegnet. Daneben ist das Anjou/ColleoniWappen noch eigens dargestellt.28 Den Namen „de Burgundia" hat Colleoni gelegendich in Verbindung mit „de Andegavia" geführt, doch nicht lange. Der Titel de Burgundia/Burgundus wurde ihm im Vorvertrag vom 11. Jan. 1473 gegeben. Unterschrieb er die Condotta am 25. Februar 1473 noch mit Bartholomeo Collione de Andegavia etBoorgogna, so zeichnete er seine Instruktion vom 9. September 1474 zu Malpaga nur noch mit „de Andegavia" und ließ „de Burgundia" fallen.29 Karl der Kühne dagegen gab ihm den Namen noch in einer Instruktion vom 1. Oktober 1474, sogar ohne Anjou: -ßfartholomeus] Colleoni de Burgundia.30 Als Gebender hielt er am längsten daran fest.
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30
Sie sind in einem Druck und in Colleonis Ratifikation überliefert, s. unten Anm. 48. Abb. bei Belotti 1 9 2 3 , S. 39; Erben 1996, Abb. 51. Auf der Testamentskopie (o. Anm. 16) sind Name und Wappen Burgund verschwunden. Das Epitaph (Meli 1 9 6 6 S. 3 0 1 ) und die Bleiplatte im Sarg (privilegio Andegaviensis) sprechen nur von Anjou, s. Bonavia 1970, S. 1 3 3 (Transkription), 144/145 (Abb.); Meli 1970, S. 3 7 (Transkription, fehlerhaft), 56Taf. VII (Abb.); Cornazzano, Vita (1474), S. 1 2 3 (Transkription). Or. Pap., von Colleoni gez. und mit aufgedrücktem Siegel (abgef.) gesiegelt: Paris, BNF, ms. fr. 5040, fol. 6 7 r - v (Humanistenschrift, evtl. von der Hand Abondis). Für Antoine de Montjeu, Or. Pap., von Hz. Karl eigenhändig und von Giovanni Filangieri di Candida, Karls Sekretär, dem Schreiber des Briefs gezeichnet: Paris, BNF, ms. fr. 5040, fol. 69r; lat., von der (Humanisten-) Hand Candidas - auch dieser kam aus dem Kgr. Neapel.
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II. Die Überlieferung Keines der drei Stücke ist im Original überliefert: nicht in den Archiven des Hauses Anjou, 31 nicht in den burgundischen Archiven zu Dijon, Lille oder Brüssel und vor allem nicht in den sehr geringen Resten des Colleoni-Archivs, die auf uns gekommen sind.32 Möglicherweise hat Pietro Spino im Jahre 1569 noch die Originale gekannt, denn er gibt am Ende seiner Übersetzung der Urkunde König Reriks eine Zeugenliste und Sekretärsunterschrift wieder, die bei Belotti fehlt (s. Nr. I). 33 Dieser geht in allen drei Fällen auf eine einzige Handschrift zurück, den Codex 1325 der Biblioteca Trivulziana in Mailand, hier fol. 236v-238r. Diese zeitgenössische Sammelhandschrift wurde von Giacomo Alfieri (t 1499) zusammengestellt, der am 6. Dezember 1471 als herzoglich mailändischer Sekretär „del extraordinaorio" bezeugt ist und ab dem 1. Januar 1475 als Sekretär „ad consilium secretum" amtierte.34 Die bedeutsame Handschrift enthält eine Turnierordnung, Kanzleiordnungen, Soldverträge und Söldnerlisten (auch neapolitanische), lehnrechtliche Texte (auch savoyische), Eidesformeln, Briefe und anderes Vermischte mehr:35 eine Arbeitshandschrift eines mailändischen Kanzleibeamten, in deutlicher und sorgfältiger Humanistenschrift kopiert. Derartige Überlieferung wäre ganz unauffällig, wüßten wir nicht, daß zum fraglichen Zeitpunkt und lange Jahre schon bitterste Feindschaft zwischen Colleoni und dem Herzog von Mailand herrschte: Francesco und Galeazzo Maria Sforza hatten erreicht, was Colleoni zeitlebens versagt blieb: die unabhängige fürstliche Herrschaft über Mailand. Diese innere Verletzung und der gegenseitige Haß waren bei weitem folgenreicher als Colleonis Amt als Generalkapitän der Republik von Venedig, der die Terra Ferma an der Adda-Grenze gegen Mailand zu verteidigen hatte. Colleoni fehlte jeder Anlaß, Abschriften dieser Urkunden seinem schlimmsten Feinde mitzuteilen. Wie konnten sie dann einem mailändischen Sekretär bekannt werden?
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Frdl. Mitteilung von Christof Ohnesorge (Kirchhain). Belotti 1923, der S. XI-XVI die archivalischen und historiographischen Quellen aufzählt, erwähnt kein Familienarchiv. Auch Dietrich Erben (vgl. Erben 1996) und Christof Ohnesorge haben vergeblich, wie sie mir mitteilten, nach einem solchen Archiv gesucht. Der Bestand Martinengo dalle Palle Colleoni Porcellaga im Staatsarchiv zu Brescia enthält, außer der Testamentsabschrift (s. o. Anm. 16), nur wenige Dokumente aus der Zeit Colleonis, und keine, die die Beziehungen zu Burgund beträfen (ex inf. Luisa Bezzi, Brescia); vgl. künftig Schiavini Trezzi (im Druck). Die Condotta vom 11. Jan. 1473 druckte er ausdrücklich nach dem originale autentico, s. unten Anm. 48. In seinem Werk sagt er nicht, wo er seine Vorlagen gefunden hat, und auch die Biographie von Serassi 1744 gibt darüber keine Auskunft (ex inf. Andreas Rehberg, Rom). Santoro 1948, S. 31 mit Anm. 7. Beschreibung und Inhaltsverzeichnis bei Santoro 1965, S. 285fF.
Ein Spion in Malpaga
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III. Ein Spion in Malpaga Diese Frage beantwortet ein Text, der von einer Geistesgegenwart und Kühnheit berichtet, die geradezu atemberaubend sind. Belotti kannte und zitiert ihn,36 bringt ihn aber nicht mit der Überlieferungsgeschichte der einzig vorhandenen Abschriften in Verbindung. So wie Colleoni Informanten in Mailand hatte,37 unterhielt Gian Galeazzo an und in der Residenz Colleonis, der Burg Malpaga bei Bergamo, Spione, bis hinein in die Kanzlei.38 Einer von diesen sandte seine fast täglichen Briefe, in denen er über alles berichtete, was er in und um Malpaga gehört und gesehen hatte, an Gaspare de Santi,39 Erzpriester von Trezzo, der ersten mailändischen Stadt jenseits der Adda, und zeichnete sie lediglich mit einem Kreuz, weshalb ihn Belotti auch den ,Anonimo della croce' nennt. Noch heute ist sein Familienname verborgen, nur den Vornamen kennen wir: Cristoforo. Dieser Geschäftsmann zu Bergamo und wohl auch Jurist mit einigen Lateinkenntnissen40 hatte allen Grund, auf Geheimhaltung bedacht zu sein, denn seine Entdeckung hätte den sicheren Tod bedeutet, so wie er, schrecklich, im Jahre 1472 einem anderen mailändischen Spion, Ambrogio Vismara und seinem Sohn Francesco bereitet wurde.41 Von Trezzo kamen seine Briefe direkt in die Hand des Herzogs oder seines Kanzlers Cicco Simonetta nach Mailand, wo sie noch heute im Archivio Sforzesco aufbewahrt werden - ein ungehobener Schatz der alltäglichen Beobachtung.42 Wohl aus Bergamo,43 unter dem Datum des 23. Juli 1473, sandte er einen in seiner eckigen Humanistenhand geschriebenen Brief nach Trezzo, der uns besonders interessieren muß. 44 Das Schreiben versetzt uns in die größte Sommerhitze jenes Jahres {in el major furor dela schalmana che fasse). Dieser Tage sei er nach Malpaga gegangen, per intender, um sich umzuhören. Dem Messer Abondio (de Longhi), dem Geheimkanzler (cancelero secreto) Colleonis, habe er mitteilen lassen, daß er mit ihm zu sprechen habe. Er möge in drei oder vier Tagen wiederkommen, habe dieser ihm ausrichten lassen, jetzt könne er ihm nicht aufwarten; dann aber
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Belotti 1923, S. 470, Anm. 1. Wo man sie folterte und henkte, s. Belotti 1923, S. 469 mit Anm. 2 und 3. Siehe Belotti 1923, S. XI, und Kap. XXVII: Insidie, attentati e spioni sforzeschi a Malpaga (S. 4 1 1 424). Belotti 1923, S. 415. Zu ihm Belotti 1923, S. 4 l 7 f . , zum Vornamen auch S. 424. Belotti 1923, S. 4 l 6 f „ S. 4 5 0 - 4 6 0 (Kap. XXX: II supplizio dei Vismara). Belotti 1923 zitiert sie passim, und druckt ihrer drei: S. 469f. (4. Juli 1473) undS. 607f., Documenti XXVIII-XXIX (16. und 25. Febr. 1470). Woher er üblicherweise schrieb, s. Belotti 1923, S. 417. Mailand, Archivio di Stato, Archivo Sforzesco, Carteggio Interno, Milano cittä e Ducato, 914 (bei Belotti 1923 noch: Carteggio generale, Β 248).
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wolle er ihn gerne empfangen. Die Wartezeit verbrachte der Spion mit einem bösen, geradezu tödlichen Hitzefieber, wie er schreibt, von dem er Gott sei Dank wieder genesen sei. Danach habe er sich wieder nach Malpaga begeben, wo Colleoni sich mit jenem Botschafter des Herzogs von Burgund aufhalte (cum quello ambassatore del duca de Brogonidf5 und nichts täte als sich angenehm die Zeit zu vertreiben, indem er nach Cavernago [wo er eine Burg besaß] hin und hergehe; außerdem lasse er einen neuen Kanal anlegen und in Bergamo täglich eine große Menge Steine durch 25 Meister hauen, um Mühlen zu errichten und andere Werke. Nach Malpaga komme man nicht ohne Erlaubnis (licencia) hinein und dort werde große Wache veranstaltet (Ii fi fata una granda guarda)·, bei Messer Abondio angemeldet, habe dieser ihn sogleich holen lassen und ihn allein in einem Zimmer empfangen: luy et mi, et non Ii era altri. Er habe ihm dafür gedankt und ihn gebeten, ihm einen neuen Paß und Familiaritas-Brief im Namen Colleonis auszustellen (far de novo una littera de passo e de fameliantate in nome del Capitaneo), so wie er ihm ehmals einen gegeben habe, denn der sei nun verfallen;46 „recht gerne" (molto volentera), habe Abondio daraufhin gesagt. Dann begann der Anonimo della croce den nichtsahnenden Kanzler auszuhorchen: Wenn es Krieg geben sollte, dann möge er ihm doch eine Stelle in der Haushaltung Colleonis besorgen (qualche aviamento in casa del Capitano). Hier im Lande sei wohl nicht mit Krieg zu rechnen, meinte darauf der Kanzler, eher anderswo; große Sachen seien gegen den Herzog von Mailand geplant, die jenem mehr zu schaffen machen würden, als ihm lieb sei; man gebe vor, in die eine Richtung zu ziehen, um es in eine andere zu tun, und große Sachen erwarte man von Burgund. Der Kanzler habe ihm ausdrücklich verboten, hiervon mit irgendjemand in der Welt zu sprechen. In diesem schönen Moment des Vertrauens geht der Spion noch einen Schritt weiter und fragt: „Ist es denn wahr, daß der Capitano Kapitän des Herzogs von Burgund geworden ist?" Ja, das stimmt, antwortet der Kanzler, ich werde euch die Privilegien zeigen, die der Capitano vom Herzog von Burgund erhalten hat. In diesem Augenblick muß der Spion von einem Schwindel des Wagemuts erfaßt worden sein, denn nun sagt er: „Oh, ich bitte euch, da solche Sachen meine besondere Freude sind, habe ich noch andere Briefe anderer Kapitäne in meinem Hause, die in alter Zeit geschrieben worden sind". Und ich ließ ihn seinen Gehilfen rufen und beauftragte ihn damit, daß er mir Abschrift der besagten Privilegien gebe, und darum bat ich und habe sie bekommen, allein um sie unserem Herrn dem Herzog von Mailand zu übermitteln.
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Gemeint ist Antoine de Montjeu. Ein ähnlicher Geleitbrief aus dem Jahre 1466, von Abondius unterzeichnet, ist bei Belotti 1923, S. 331, abgebildet.
Ein Spion in Malpaga
All
Was er dann noch hinzufugt, zeigt, daß unsere Überlieferung wirklich auf diese Kopien zurückgeht: Außer den genannten Privilegien gebe es da noch eines vom König Rene, „wie Ihr sehen werdet, welche ich euch einbeschlossen übersende, um es dem besagten unserem Herrn auszuhändigen". Hier der ganze Passus in der Originalsprache: Et io gli dissi: ,,E' vero che il Capitaneo sia capitaneo del ducha de Brogonia?" Luy me respose de sl et vi faro vedere le privilegii che ha il Capitaneo dal ducha de Brogonia, et io dissi: „Ve ne prego, perche me delecto de simile cose che ancora ho altri litteri de altri capitanii scriti per antiqui de casa mia." Et luy feci domandare suo garzone et gli comissi me dovesse dar Ie copie de dite privilegii et cossl solicitay et Ii ho hauti solamente perche Ii mandati al nostro illustrissimo signor ducha de Milano etc., et ultra Ii diti privelegii ge n'e uno del re Renato, como vederiti, quali vi mando inclusi, aziö Ii mandati al prelibato Signor nostro. 47
Im Besitz der Privilegienabschriften kehrte der Spion zum Kanzler zurück, empfahl sich und seine Angelegenheiten noch einmal und ging - mit einigen Angehörigen von Colleoni's Haushaltung in eine Osteria, bewirtete sie mit vino, mebni, pipioni (Traubenbeeren) et altre rosti und horchte sie fleißig aus, wie der Brief des weiteren ausführlich berichtet. Das inhaltsreichste Brügger Dokument hat Abondi dem Verräter indes doch vorenthalten. Dies ist die Kapitulation, also die Liste der Bedingungen, unter denen Colleoni in den Solddienst Karls trat: Truppenstärke, Ausrüstung und Musterung, Sold, Zahlungsbedingungen, Landschenkungen, Beginn und Dauer sind darin vorläufig geregelt. Sie wurde am 17. Januar 1473 in Brügge ausgestellt, war mit dem herzoglichen Sekretsiegel gesiegelt, von Karls eigener Hand unterschrieben und von Karls neapolitanischem Sekretär Giovanni Filiangieri di Candida gegengezeichnet. Am 25. Februar ratifizierte Colleoni in Malpaga diese von Francesco Querini überbrachte Condotta, und dieser Revers, in italienischer Sprache abgefaßt und in Humanistenschrift geschrieben, ist uns erhalten, im Original, gezeichnet von B(er)tolameus Colionns Andegavensis de Brogondia capit(aneus) etc. manu propria.48
IV. Ausblick Die aus Malpaga übersandten Abschriften sind allem Anschein verloren; nur die Kopie der Kopie ist in jener mailändischen Handschrift bewahrt. Der Spion hatte
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Genau diesen Auszug druckte schon Belotti 1923, S. 4 7 0 , Antn. 1. Das Brügger Stück ist mit den Unterschriften bei Spino 1569, S. 2 6 9 - 2 7 2 , und Spino 1732, S. 2 3 0 2 3 2 überliefert, wohl nach dem Or. (estratta dall'originale autentico, come appunto qui' sta). Die Ratifikation s. Paris, BNF, ms. fr. 5040, fol. 65r-v.
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geschickt, überaus gewagt und erstaunlich erfolgreich gehandelt. Sein Stolz ist dem Bericht abzulesen. Auch wurde ihm unseres Wissens später nie ein Haar gekrümmt. Wir heutigen, die wir seine Briefe lesen und bedenken, lernen zunächst eine Welt der Verstellung und des Verrats kennen, die wir uns so raffiniert und unverschämt wohl nicht vorgestellt haben. Es gab sie jedoch zur gleichen Zeit auch in Frankreich, wo die pratique und die dissimulation, von denen Philippe de Commynes spricht, allgegenwärtig waren, und auch im Reich.49 Wir lernen außerdem, daß diese Welt der offen und heimlich besorgten Abschriften gerade im Archiv des Gegners Stücke überliefert, die wir verloren wähnten: Uberlieferungs-Zufall und Uberlieferungs-Chance kommen hier zusammen. Weiter begegnen wir einer bislang wenig beobachteten Form der künstlichen Verwandtschaft, die durch Vergabe von Namen, Wappen und Zeichen geschaffen wird:50 Colleoni hat neben den verliehenen Wappen auch die Impresen seiner Dienstherren geführt,51 darunter, zumeist auf eigenem Wappenschild, den Schrägbalken der aus Löwenköpfen wachsenden „Banda", des aragonesisch-neapolitanischen Ordens, der auch als Banda engolada vorkommt52 und der ihm vielleicht in seiner Jugend durch die Königin von Neapel Johanna II. verliehen worden ist.53 Was wir indes am wenigsten erwartet haben dürften, ist das behauptete Vergnügen am privaten Besitz derartiger Urkunden. Erfolg konnte der Spion mit seinem Argument nur haben, wenn er glaubhaft war: Antiquarische Zeitgeschichte und die Verehrung von ,uomini illustri' als Auslöser von Sammelleidenschaft erregten offensichtlich keinerlei Verdacht — was sie nördlich der Alpen sicherlich getan hätten, wo die Neun Helden der Vergangenheit, denen sich kaum einmal ein Zeitgenosse zugesellte, die aristokratische Phantasie beschäftigten.54 Wenn man in Italien Bilder großer Kriegsleute der Gegenwart an die Wand malte und weltliche Biographien sammelte,55 dann konnte ein gebildeter Mann sich auch für dergleichen Ernennungen und Verträge interessieren — zumal Colleoni selbst in seinem Schlosse Cavernago eine solche Galerie
49
Paravicini 1985; Groebener 1999.
50
Vgl. die Konzession der frz. Lilien für die obere mittlere Kugel der Medici durch Kg. Ludwig XI. zwei Jahre zuvor, im Mai 1465. Druck: Mathieu 1946, S. 264f., Nr. 3; dazu S. 173f., mit weiteren Beispielen (Visconti, Este-Ferrara). Hz. Karl nannte Colleoni folgerichtig seinen Vetter (o. Anm. 27).
51
Belotti 1923, S. 4 0 , Anm.
52
Dann aber mit Drachenköpfen, die Colleoni („mit den Löwen") auswechselte. Vgl. Boulton 1987, S. 4 6 - 9 5 (Abb. S. 89, oft auch auf Münzen); Kraack 1997, S. 2 7 2 Anm. 531 (Lit.).
53
Belotti 1923, S. 3 8 Anm., 62, 6 8 , 91; Abb. S. 3 9 und 4 3 3 (Grabmal seiner Tochter Medea in der Colleoni-Kapelle), 55, 188, 2 5 8 2 5 8 , 3 0 7 (Kastell Malpaga), 5 4 3 (Basella); Erben 1996, Abb. 4, I4f„ 2 1 - 2 3 , 27f. (alle Kastell Malpaga), 77, 87, 9 0 (Denkmal). Allerdings erscheint der Schrägbalken verdoppelt und ist zuweilen auch von zwei Hoden begleitet.
54
Zu den Neun Helden zuletzt Anrooij 1997.
55
Vgl. zu den Zyklen Böcker-Dursch 1973, zu den Condottieren im Palast des Heerführers Braccio Baglioni in Perugia ( 1 4 4 0 / 1 4 7 0 ) dort S. 17f., 37, 137; Erben 1996, S. 9, 69f., 117fF.
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von Condottieren hatte malen lassen: Ii son retrati tuti Ii homeni et Capetanij illustri nostris temporibus fiie.% Gibt es einen schöneren Beleg für das Aufblühen des weltlichen Ruhms südlich der Alpen, das Jacob Burckhardt beschrieb?57 So fuhrt Uberlieferungsgeschichte unversehens in die größeren Zusammenhänge der italienischen Renaissance.
% 57
Erben 1996, S. 69 mit Anm. 121, nach Sanuto 1483; in Malpaga waren Iipaladini dargestellt. Burckhardt, Die Kultur der Renaissance, hg. v. Günther, 1997, im Kap. „Entwicklung des Individuums", S. I 4 8 f f , bes. S. 154-156.
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1 1467 M a i 14, Burg zu Angers Kg. Rene erteilt Bartolomeo Colleoni das Recht, erblich den N a m e n , die Zeichen u n d das W a p p e n des Hauses A n j o u zu fuhren. Kop. zeitgen.: Mailand, Bibl. Trivulziana, Ms. 1325, fol. 236v-237r. Druck: Belotti 1923, S. 607, Nr. XXVII (nach Mailand). Übers.: Spino 1569, S. 262-265 (ital., tradotto dal latino, nach dem Or.?); Spino 1732, S. 225 227 (ital.), danach (Faks.) Bonavia 1970, S. 161 f. Erw.: Perret 1896, Bd. 2, S. 474; Belotti 1923, S. 372 mit Anm. 1; Fubini 1994, S. 333; Erben 1996, S. 28f. mit Anm. 86 (nach Belotti).
Assumptio Bartholomei Colioni in familiam Andegavie58 [1] Renatus dei gratia rex Aragonum, Hierusalem, Sicilie citra et ultra pharum, Valentie, Maioricatus, Sardinie et Corsice, dux Andegavie et Barri, comes Barchinone, Provincie, Folcaquerii ac Pedemontis, etc., universis et singulis presentes inspecturis, tarn presentibus quam futuris. [2] Nihil magis decere principes59 arbitramur quam viros prestantes, quorum ingenia in rebus amplissimis et sue rei publice utilissimis cognita sunt quique magna et preclara facinora gesserunt, meritis si fieri possit premiisque afficere; quodsi putamus eos beneficiis prosquendos esse, quos cernimus rebus nostris aliquando profiituros, quanto magis ii a nobis remunderandi sunt, qui et nobis iam utilitati et honori fuerunt et etiam speramus ab eis plurimum. [3] Vera autem premia et virtuti convenientia non argentum, non aurum, non gemmas, non preciosam suppelectilem, sed dignitatem, decus,60 gloriam semper ducimus. [4] lila vero, cum sint corruptibilia et facile hue atque illuc transferantur tollique et subripi possint, minime digna censeri debent. [5] Quae virtuti, quae solida et aeterna est, remunerationis loco retribuantur, par vero pari aequissimum videtur. [6] Cum igitur illustrissimus Bartholomeus de Coleonibus, gentium armorum magnanimus capitaneus is sit, qui virtute et multis mirandis prestet, magnas et preclaras res bellicas gesserit, maximos labores sumptus, discrimina pro nobis, pro statu, pro amplitudine nostra magno animo, ingenti studio, benivolentia singulari adiverit et a quo etim officia longe maiora aeeipere spes firma nobis sit, cuius etiam genus61 et maiorum claritudinem non ignoramus, danda idcirco opera est ut sibi mercedem aliquam dignam persolvamus. [7]
58
Die Überschrift nicht bei Spino.
59
a'Re, ed a'Principi Spino. l'Onore Spino.
60
61
la nobiltä del cui sangue Spino.
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Cogitantibus itaque nobis quidnam esset, quod virtuti sue ac meritis satisfacere posset, nulla magis idonea merces visa est quam infrascripta. [8] In tantorum igitur laborum ac meritorum suorum compensationem et nostre erga eum benivolentie testimonium, eundem illustrissimum Bartholomeum de Colionibus gentis ac familie domus nostre Andegavie nomine et titulo ac insigniis sive armis, presentium litterarum et privilegii auctorite, motu nostro proprio decoramus atque ornamus eique et suis filiis ex legitimo matrimonio procreatis, si qui fiierint, 62 et etiam procreandis ius et potestatem concedimus, ut posthac possint et eis liceat libere cum insigniis seu armis nostris predictae Andegavie domus signa sive arma sua in pictura et sculptura coniungere nostris in superiori parte63 tarnen depictis, ea videlicet forma, qua illa pingi fecimus in harum litterarum calce et non aliter,64 eisque exhinc uti et ea gestare atque ex Andegaviensi domo appellari potituri quidem tarn ipse Bartholomeus quam ipsi sui exnunc illis honoribus, dignitatibus, favoribus, preheminentiis, immunitatibus, exemptionibus, prerogativis et gratiis, quibus potiuntur et gaudent potirique et gaudere possunt et debent alii ex ipsa ducali nostra domo oriundi. [9] Mandantes 65 propterea et declarantes harum litterarum et privilegii serie de certa nostra scientia illustrissimis quibuscumque post nostras felices dies in predicto nostro ducatu successuris et presertim illustrissimo et carissimo primogenito et locumtenenti nostro generali et post nostras felices dies in omnibus regnis et dominiis nostris legitimo successori, Iohanni duci Calabrie et Lothiringie, 66 nec non locumtenentibus, vicesgerentibus, capitaneis et reliquis nostris, quatenus posthanc sinant et libere patiantur prefatum Bartholomeum illustrissimum de Collionibus et eius filios ut supra gaudere, uti, frui illis honoribus, dignitatibus, favoribus, immunitataibus, exemptionibus, prerogativis, privilegiis et gratiis, quibus potiuntur et gaudent potirique et gaudere possunt et debent alii ex ipsa nostra ducali domo procreati, nec aliter faciant quavis causa. [10] In cuius rei testimonium presentes fieri iussimus bulla nostra aurea pendente munitas. [11] Datum apud arcem civitatis nostre Andegavie, die xiiij° mensis maii anno a nativitate domini Μ cccc° lxvij. Rex Renatus dei gratia Hierusalem, Sicilie, Aragonum, etc. [Die italienische Übersetzung bei Spino 1569 und 1732 hat nach unbekannter Vorlage dem Original? - S. 265 bzw. 227 einen z.T. anderen, vor allem aber vollständigeren Schluß:]
Per b Signore il Re, nelsuo Consiglio.G7 L'Illustre Signor Conte de Vandemonte.GS II Reverendo Monsignor Vescovo di Marsiglia,69
62
Colleoni hinterließ nur Töchter, keine Söhne.
63
nel fine delle presenti Spino. ea videlicet - non aliter fehlt in Spinos Übersetzung.
64 65 66 67 68
69
Der Rest des Paragraphen fehlt in Spinos Übersetzung. Johann Titularherzog v. Kalabrien, Hz. v. Lothringen, f l 3 . Dez. 1470. Demnach war Kg. Rene persönlich anwesend. Ferry (Friedrich) v. Lothringen Graf v. Vaudemont (tl470), mit Renes Tochter Yolande verheiratet. Ogier d'Anglure, 1 4 6 6 - 1 4 9 6 Bf. v. Marseille ( f l 5 0 6 ) .
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Werner Paravicini
IMagnifici Signori Guidon delta Valle, Signor di Lonl·,™ ed Antonio de Acerbis da Perugia, Cavalieri, Consiglieri, e Camerieri Reali, con piü altri presenti.
A. Pagano.71
2 1473 Jan. 5, Brügge Hz. Karl erteilt Bartolomeo Colleoni de Andegavia das Recht, erblich den Namen, die Zeichen und das Wappen des Hauses Burgund zu fuhren. Kop. zeitgen.: Mailand, Bibl. Trivulziana, Ms. 1325, fol. 237v. Druck: Belotti 1923, S. 609, Nr. XXXI (nach Mailand). Ubers.: Spino 1569, S. 266-268 (\xA.,fedelmente estrato dal latino autentico, nach dem Or.?); Spino 1732, S. 228f. (ital.), danach (Faks.) Bonavia 1970, S. I6lf.. Erw.: Sestan Bd. 1, 1985, S. 310, Nr. 185 (Brief des päpstl. Nuntius Lucas deTolentis aus
Gent, 4. Febr. 1473, über Hz. Karl): Conducit Bartholameum de Bergamo cum. decern millibus equitum, et sex millibus peditum ... Bartholomeo deditarma Burgundie et 120 milia florenorum in anno, fecit eum capitaneum suum generalem citra et ultra montes. Browning, Bartolomeo Colleoni, 1891, S. 39 (o. Quellenangabe). - Perret 1896, II, S. 9 Anm. 3 (zu 1473 und Jan. 6, nach Spino [1569], S. 228). - Belotti 1923, S. 464 (zu 1473). - Vaughan 1973, S. 215. - BriefWechsel, Bd. 2, S. 72, Nr. 2196 (nach Browning). - Cornazzano 1990, S. 198 (Kommentar). - Erben 1996, S. 27 mit Anm. 76 (nach Belotti). - Stein/Dünnebeil 1999, Nr. 1775 (nach Belotti, irrtümlich zu 1474). Zur Jahresangabe: Auffälligerweise wurde die Urkunde weder im burgundischen Osterstil datiert, noch im venezianischen Stil, der das Jahr am 1. März beginnen läßt: In beiden Fällen wäre sie dem Jahre 1474 neuer Zeitrechnung zuzuordnen. Daß 1473 das richtige Jahr ist, zeigen die Reaktionen der Zeitgenossen, ζ. B. der o. erwähnte Brief des päpstl. Nuntius Lucas deTolentis aus Gent vom 4. Febr. 1473, und das Itinerar des Herzogs, der vom 24.-30. Dez. und vom 9.-23. Jan. in Brügge bezeugt ist, im Jan. in Gegenwart des venezianischen Botschafters Bernardo Bembo (dazwischen, also auch am 5. Jan., war er auf Schiffsreise nach und von Zierikzee); im Jan. 1474 weilte er im Elsaß, in der Freigft. und im Hzt. Burgund; s. vander Linden 1936, S. 47f. und 58f.
70
G u y de Laval, Herr von Louέ ( t l 4 8 4 ) .
71
Ein Anthonelle
Pagau (Pagan) = Antonello Pagano war 1 4 7 8 serviteur
Mission, s. Les comptes du Roi Rene, Bd. 3, S. 1 3 4 , Nr. 3 7 3 4 .
Rends in diplomatischer
Ein Spion in Malpaga
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Assumptio Bertholomei Colioni in familiam Burgundie 72 [1] Carolus dei gratia dux Burgundie, Lotharingie, Barbantie [Limburgi] 7 3 et Luce[m]burgie, 74 comes Flandrie, Arthesii, Burgundie palatinus, Hannonie, Holandie 7 5 , Zelandie et Namurci, sacrique imperii marchio et dominus Phrysie, Salinarum et Mechlie, 76 universis [et singulis] 77 presentes [litteras] 78 inspecturis salutem. [2] Sciatis nos debere plurimum ac velle debere illustri et excellenti 79 belli duci et armorum capitaneo, prestantissimo domino, domino Bartholomeo Colliono de Andegavia, tum ob illius summam erga nos affectionem, tum quia ope sua et solertia speramus facile de hostibus triumphare, quandoquidem bellica in arte cedat nemini, et ad militares nostras expeditiones sese ultro venturum obtulerit atque conducturum quascumque habeat copias armatorum, tametsi intelligat quam grave, laboriosum ac periculosum sit, ex Italia, in qua maxime excellit, ad nos usque exercitum traducere, proinde perpetuam illi gratiam referre constituimus suis meritis et nostra benivolentia dignam, que nulla temporis intercapedine depereat. [3] His itaque et aliis consyderationbus adducti et persertim perspecta fama, celebritate et gloria nominis sui, nos, ex certa nostra scientia et privilegio singulari, ipsum d o m i n u m Bartholomeum Collionum assumpsimus et recepimus assumimusque et recipimus per presentes in nostram domum et familiam, ei et sue posteritati titulum et cognomentum de Burgundia conferentes, quod hactenus nulli alii concessimus. [4] E t quia consentaneum est nomine rei consonare, ut unde cognominatur etiam armorum ferat insignia, nos volumus et concedimus quod ipse dominus Bartholomeus et qui nati et nascituri sunt ex eo deferre valeant Burgundie arma, qualia prime littere huius membrane infixa et depicta sunt, et nostro cognomine armisque deinceps utantur et gaudeant cum honoribus, prerogativis et iuribus universis, quibus utuntur et gaudent ii qui ex nostra domo et familia duxerunt originem. [5] In cuius rei testimonium presentes fieri iussimus pendentis nostri sigilli robore munitas. [6] Datum Brugie quinto ianuarii Μ cccc° lxxiij anno salutis.
[Die Unterschriften Karls und des gegenzeichnenden Sekretärs fehlen in der Abschrift und auch in der Übersetzung von Spino.]
72 73 74 75 76 77 78 79
Die Überschrift nicht bei Spino. Vgl. Nr. 3. Spino hat richtig Limborgo, ersetzt dafür aber die meisten Folgetitel durch „etc.". Vgl. Nr. 3. Nolandie Belotti. Medine Belotti. Vgl. Nr. 3. Vgl. Nr. 3. Sciatis... excellenti am Rand hinzugefiigt.
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Werner Paravicini
3 1473 Jan. 11, Briigge Hz. Karl ernennt Bartolomeo Colleoni de Burgundia zu seinem Generalkapitän. Kop. zeitgen.: Mailand, Bibl. Trivulziana, Ms. 1325, fol. 238r-238v. Druck: Browning 1891, S. 39 (o. Quellenangabe). - Belotti 1923, S. 609f„ Nr. XXXII (nach Mailand). Erw.: Sestan Bd. 1, 1985, S. 310, Nr. 185 (Brief des päpstl. Nuntius Lucas deTolentis aus Gent, 4. Febr. 1473, s. o. Nr. 2). - Belotti 1923, S. 464. - Erben 1996, S. 27 mit Anm. 76 (nach Belotti). - Stein/Dünnebeil 1999, Nr. 1777 (nach Belotti, irrtümlich zu 1474). Zur Jahresangabe: s. o. Nr. 2.
Littere capitaneatus ducis Burgundie in Bartholomeum Colionum [1] Carolus dei gratia dux Burgundie, Lotharingie, Barbantie, Limburgi et Lucemburgie, comes Flandrie, Arthesii, Burgundie palatinus, Annonie, [Holandie,] 80 Zelandie et Namurci, sacrique imperii marchio ac dominus Frisie, Salinarum et Mechlie, 81 universis et singulis presentes litteras inspecturis salutem et sincere devotionis affectum. [2] Quoniam virtus et fides illustris et excellentis belli ducis et gentium armorum capitanei prestantissimi domini Bartholomei Collioni de Burgundia, consanguinei nostri carissimi singularisque prudentia, solertia et vigilantia in plerisque actionibus, sed maxime in re militari, in qua facultate multa gloria aetate hac nostra pollet satis nobis cognito fidedigno testimonio ac prope re ipsa sinit accedentibus ad haec benivolentia summa erga nos sua, amore ac voluntate in hac potissimum militari facultate nobis auxiliandi et inserviendi, [3] decrevimus ipsum ad nostra stipendia conducere cum eo exercitu per id tempus et iis gazis, pensionibus seu provisionibus, que cum aliis et in aliis litteris seu capitulis secum transegimus et convenimus. [4] Igitur harum litterarum serie et tenore, de nostra certa scientia, deliberato et consulto, memoratum dominum Bartholomeum conducimus et firmamus nostrumque belli ducem et nostrarum gentium armorum capitaneum generalem ac locumtenentem universalem, tarn in Gallia quam ubique, creamus, instituimus, facimus et deputamus, [5] dantes et concedentes ei harum serie amplissimam facultatem, potestatem et plenum posse, quod pro iis et circa ea, que opus sunt ad bellum et ad eius usum, cuiuscunque generis et speciei fuerint, possit et valeat ordinäre, disponere, agere, comittere, iubere, dare, accipere, rogare et compellere ac demum dicere et facere in omnibus et per omnes capitaneos et locumtenentes, balivos, castellanos, gubernatores, comissarios aliosque officiates nostros maiores et minores quo(s)cunque officio ac iurisdictione, tarn ad pacem quam ad bellum fungentes, ac etiam privatas personas, universaliter et specialiter, omnia et singula, semel
80 81
Vgl. Nr. 2. Medine Belotti.
Ein Spion in Malpaga
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et pluries ac quotiens opus fuerit, pro honore, statu, comodo nostro, quemadmodum nos ipsi personalster constituti possemus et valeremus, [6] ut scilicet possit et valeat quosqunque hostes nostros ad fidem et partem nostram seu societatem vel foedus redigere, treuguas, 82 inducias vel offensarum remotiones cum illis agere, bellum illis rursum indicere ac gerere, regiones insuper, pruincias, ducatus, marchionatus, comitatus, baronias, comunitates, oppida, vicos et loca, ipsorum dominos, capitaneos aut, ut prefertur, quasvis publicas et privatas personas hostiles ad fidem et dicionem nostram niti et conari, conventione aut vi vel armis abducere et redigere, [7] ac demum alia omnia atque singula facere in premissis et circa premissa et eorum quolibet generaliter et specialiter in et sub illis pactis, conventionibus, capitulis et scripturis aut aliis quolibet, que nos ipsi personaliter constituti ut princeps et dominus facere possemus, etiam si premissa et quodlibet premissorum mandatum exigerent generalius vel etiam specialius, adeo ut generalitas specialitati non deroget nec econtra; [8] promittentes de eadem certa scientia, serie et tenore quibus supra in principis verbo quidquid per nos83 circa premissa et quodlibet premissorum actum, gestum, promissum, (actum, gestum,) procuratum, capitulatum, conclusum et factum fuerit pro nobis et nomine nostro honoris et commodi nostri causa, ut premittitur, nos ratum, gratum atque firmum habituros et, de novo si expedierit, nos ipsos acturos84 et sine contradictione adimpleturos aut adimpleri facturos, [9] mandantes harum ipsarum tenore quibusvis nostris capitaneis, officialibus, militibus, subditis et fidelibus nostris aut ad nostra stipendia militantibus quocunque officio et iurisdictione fungentibus, publicis et privatis personis, omnibus et singulis, quatenus prefatum dominum Bartholomeum in omnibus et per omnia nostrum generalem capitaneum armorum et universalem locumtenentem habeant et cognoscant pariter et ei obediant in premissis tanquam nobis nec contrarium agant, si gratiam nostram caripendunt iramque et indignationem nostram cupiverint non subire; supplentes tenore et serie quibus supra quoscunque defectus, si qui nostre huic comissioni generali et speciali opponi possent seu obiici et impingi. [10] In cuius rei testimonium presentes fieri ac illis dirigi iussimus nostrique sigilli pendentis robore comunitas. [11] Datum in villa Brugie die XI ianuarii 1473 anno salutis. [Die Unterschriften Karls und des gegenzeichnenden Sekretärs fehlen in der Abschrift.]
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82 83 84
treguas Belotti. vos Ms. Aus curaturos im Ms. Verbessert.
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Werner Paravicini
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GIORGIO CHITTOLINI
Ii nome di ,cittä' La denominazione dei centri urbani d'oltralpe in alcune scritture italiane del primo Cinquecento
1. Nella sua Italia illustrata Biondo Flavio dichiara che, per cio che riguarda la denominazione dei centri urbani, intende riservare I'appellativo di civitas soltanto alle sedi vescovili, attenendosi alio ,stylus Romanae Ecclesiae': Romanae Ecclesiae
instituta appellant civitates loca quae episcopos habent} Non e, questo del Biondo, un uso colto e tralaticio soltanto, un po' piü duraturo, magari, che in altre aree europee; e un uso che ha una vasta diffusione, e non solo nella lingua latina, ma anche nella lingua volgare, dove appunto il termine di ,cittä', sino almeno ai primi decenni del Cinquecento, viene di regola riservato, specie negli usi lessicali colti, e nel linguaggio cancelleresco, a indicate i centri diocesani, mentre per altri centri, pure importanti, si fa ricorso a termini come borgo, castello, terra (o a Castrum, oppidum, terra, burgus).2 La pregnanza del termine di cittä, del resto, & esattamente corrispondente al rilievo della cittä per eccellenza, lo stato cittadino comunale, che appunto nei vecchi centri vescovili dell'Italia centrosettentrionale di regola si era sviluppato, con caratteri del tutto peculiari: una connessione fra cittä e sede vescovile di cui Bartolo aveva indicato la ragione antica nel fatto che i primi vescovi erano stati costituiti proprio nelle localitä che giä in precedenza avevano avuto magistrati e ofFiciali propri, e una loro giurisdizione sul territorio: nelle antiche civitates appunto.3 II panorama delle cittä e dei centri urbani appariva, per questo riguardo, abbastanza diverso rispetto a quello di altri paesi europei. Lo sviluppo dell'urbanizzazione in aree poco romanizzate, e in cui la densitä e la geografia delle diocesi presentavano caratteri molto different!, avevano fatto si che non sempre si conservasse
1 2
3
Blondi Flavii forlivensis De Roma triumphante ... Italia illustrata ..., Basilea 1559, p. 295. G. Chittolini, „Quasi cittä". Borghi e terre in area lombarda nel tardo Medioevo, in: Societä e storia 4 7 (1990), pp. 3 - 2 6 , ora in: Idem, Cittä, comunitä e feudi nell'ltalia centrosettentrionale, Milano 1996, pp. 8 5 - 1 0 4 ; A. Haverkamp, Die Städte im Herrschafts- und Sozialgefuge Reichsitaliens, in: Stadt und Herrschaft. Römische Kaiserzeit und Hohes Mittelalter, a cura di F. Vittinghoff, München 1982, pp. 1 4 9 - 2 4 5 , in particolare pp. 1 5 2 - 1 5 6 , 1 7 0 - 1 7 1 , 2 3 2 - 2 3 3 . Bartoli a Saxoferrato Consilia, Quaestiones etTractatus, Venezia 1602, f. 1 0 3 b - 1 0 4 a .
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Giorgio Chittolini
lä un nesso forte e univoco fra cittä e sede vescovile, e che crescessero invece, nel pieno e tardo Medioevo, molti centri nuovi, in sedi non vescovili: centri che in gran numero avevano avuto riconosciute prerogative urbane. Ciö si era riflesso localmente in un uso meno rigido del termine latino civitas: un uso che, recuperando del resto significati giä presenti nella lingua classica, si era potuto riferire a luoghi considerati di rango urbano, indipendentemente dal possesso di una sede vescovile.4 Ne il senso marcato di una distinzione fra cittä/sede vescovile e semplice centro urbano si era sempre mantenuto nelle lingue volgari: non in quelle germaniche, prive di un termine corrispettivo di civitas·, ma nemmeno in
lingue romanze, in cui i derivati dal latino civitas (ad es. ciudad, cite, city), se conservavano il significato giuridico di cittä vescovile - in contrapposizione a villa, ville, town - non sembrano sempre aver mantenuto nell'uso tardomedievale la medesima forza connotativa del termine italiano, e inclinavano talora verso il significato generico di cittä. 2. Come si comportano allora gli italiani, nel primo Cinquecento, quando devono usare un termine volgare per riferirsi a quello che, oltralpe, e considerato un centro urbano? Usano il termine,cittä', a rischio di definire in termini troppo nobili centri che in Italia non meriterebbero questo appellativo; oppure, trasponendo in ambito europeo lo stile del Biondo, per definire centri urbani non vescovili usano altri termini, come terra, castello, luogo, anche a costo di disconoscerne in questo modo l'importanza e la dignitä? Certo non esiste un uso uniforme, rigido e comune a tutte le scritture: e ciö e ben comprensibile se si considera che l'occasione di parlare di cittä si offre a persone di cultura e mentalitä diverse, mosse da diverse motivazioni, in scritture, letterarie e non letterarie, di genere diverso - giuridiche, politiche, mercantili, resoconti di viaggio, dispacci diplomatici - : scritture condizionate da idiomi, lessici e linguaggi loro propri e differenti l'uno dall'altro. Colpisce tuttavia il fatto che lo stilus del Biondo, nonostante la sua scarsa applicabilitä a situazioni non italiane, sia largamente tenuto presente. Ciö si puö vedere in testi quali i resoconti e i giornali di viaggio redatti in volgare italiano nei primi decenni del Cinquecento. Non in quelli costituiti da annotazioni piü sommarie e rapide, di uso prevalentemente mercantile;5 bensl in quei testi un po' piü elaborati - opera di letterati, uomini di chiesa, diplomatici — redatti per una circolazione non solo strumentale, ma secondo il,genere' dei resoconti di viaggio:
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G. Köbler, Zur Problematik von „Civitas-Stadt" im Mittelalter, in: Lexikon des Mittelalters, II, München 1983, c. 2 1 1 3 - 2 1 1 4 (alla voce Civitas); Haverkamp (cit. a nota 2) p. 152. Cfr., del resto, Ο. Pausch, Das älteste italienisch-deutsche Sprachbuch. Eine Überlieferung aus dem Jahre 1 4 2 4 nach Georg von Nürnberg, Wien 1972, p. 163: per ,1a zitä' si dä come traduzione ,die stat', per ,1a villa' si dä ,das d o r f .
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genere che non e certo nuovo, 6 ma che appunto, pur nella grande varietä di forme che conserva,7 agli inizi del Cinquecento tende a presentarsi con caratteristiche piü uniformi e definite. Esso prevede in particolare la registrazione delle diverse tappe, e delle distanze fra esse, una definizione del luogo di tappa (villaggio, castello, centro urbano), talora una descrizione di quest'ultimo, di misura di versa (qualche riga, ο alcune pagine), talora l'illustrazione anche dei monumenti principali; si segnalano poi con maggiore ο minore ampiezza le occorrenze del viaggio, gli incontri con personaggi significativi, etc.8 £ insomma un genere diverso da quelli delle descrizioni geografiche, ad esempio, ο delle laudationes delle citta, 9 cosl come dai piü nudi itinerari postali, ο militari.10 Orbene, se scorriamo questi resoconti vediamo come essi, di fronte al problema di definite con un appellativo adeguato un centro urbano, tendano ad usare il criterio rigido secondo cui il nome di cittä si riferisce di regola a centri vescovili: tale appellativo intende cioe dare l'informazione che il centro di cui si parla e sede diocesana. Se esso non e di rango episcopale, non si usa il termine ,cittä', e spesso si precisa anzi a quale diocesi appartenga. Questo uso risulta chiaramente, ad esempio, in un testo diligentemente costruito secondo i modi del ,giornale di viaggio', e per di piü molto esteso, nel registrare le tappe e i luoghi di un lungo itinerario che si spinge dal Piemonte a Parigi, alle Fiandre, all'Inghilterra, e poi ancora alia Francia, fino alia Spagna meridionale; e quindi, lungo il Mediterraneo, attraverso la Catalogna, la Linguadoca, la costa provenzale e le Alpi, di nuovo in Italia. Si tratta dell'itinerario di un anonimo viaggiatore milanese, riferibile presumibilmente agli anni fra il 1516 e il 1519, e
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J. Richard, Les recits des voyages et des pelerinages, Turnhout 1981.
7
G. Tellenbach, Zur Frühgeschichte abendländischer Reisebeschreibungen, in: Historia integra. Festschrift fiiir Erich Hassinger, Berlin 1977, pp. 5 1 - 8 0 , in particolare p. 78.
8
J. R. Hale, Introduction a The Travel Journal of Antonio de Beads. Germany, Switzerland, the Low Countries, France and Italy, 1517-1518, London 1979, p. 22, e pp. 1-56, per un ampio quadro della letteratura di viaggio di questo periodo, in Italia e in Europa. Su questi diversi tipi di scritture, oltre a Hale e Richard, qualche cenno in G. Strauss, XVIth Century Germany: its topography and topographers, Madison 1959; K. Voigt, Italienische Berichte aus dem spätmittelalterlichen Deutschland. Von Francesco Petrarca zu Andrea de' Franceschi (1333— 1492), Stuttgart 1973; J. Lebeau, L'eloge de Nuremberg dans la tradition populaire et la literature humaniste de 1447 ä 1532, in: Hommage a Dürer: Strasbourg et Nuremberg dans la premiere moitii du XVIe si£cle, Strasbourg 1972, pp. 15-35; A. Chastel, Luigi d'Aragona. Un cardinale del Rinascimento in viaggio per l'Europa, Roma e Bari 1987, pp. 2 0 - 2 3 e passim. Cfr. anche F. Tateo, Gli stereotipi letterari, in: Europa e Mediterraneo tra Medioevo e prima etä moderna: Posservatorio italiano, a cura di S. Gensini, Pisa 1992, pp. 13-34. Si vedano ad esempio i due manoscritti braidensi detti, il primo, Itinerarium vignatense, 1 4 9 6 1516 circa (Milano, Biblioteca di Brera, segn. AG.XI.42), il secondo Itinerario ... per Hieronimo Rozono, 1542 circa (ivi, AD.XI.39).
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conservato fra i manoscritti della British Library.11 Sin dalla prima pagina, lungo la via da Torino a Parigi, l'autore comincia a segnalare, ad esempio, che Sancto Joanne de Moriana e citate, et grande come Viglevano (caratteristica di questo testo e infatti il raffronto costante della grandezza delle localitä incontrate con quella di centri vicini a Milano); Granopolli [Grenoble] he cittä, in el Delfinato, grande come Lode·, Roman non l cittä ma e bellissima, loco grande come l· Viglevano, Biona [Beaune] quale non e cittä, ma he sottoposta al vescovato di Otun, ma he bono et bello loco; Digion non e cittä ma e sottoposto al vescovato di Langre, cittä discosta di ti circa a milia 36.12 £ secondo questo stile che l'anonimo milanese continua a citare i vari centri che incontra, nei diversi paesi; diffondendosi talora, anche per parecchie pagine, su quelli piü interessanti, non derogando tuttavia ai modi soliti di indicare le cittä. Ma lo stesso criterio e applicato anche in testi i quali, per l'ampiezza delle descrizioni, le annotazioni piü corpose e diffuse, e una certa ricercatezza di scrittura acquistano un tono diverso da quello dei piü semplici giornali di viaggio: testi in cui anche il nome di cittä non compare soltanto come indicazione di un luogo di tappa ma in contesti piü ampi e ricchi, suscettibile quindi di prestarsi a riflessioni e osservazioni diverse. Mi riferisco ad esempio a testi quali il resoconto del viaggio in Germania compiuto da Francesco Vettori, probabilmente nel 1507-1508; 13 al resoconto del viaggio in Spagna di Francesco Guicciardini, del 1511;14 alia descrizione del viaggio del cardinale Luigi d'Aragona attraverso l'Europa negli anni 1517—18, descrizione redatta dal canonico Antonio Beati, suo compagno di viaggio;15 al viaggio in Spagna di Andrea Navagero del 1525.16 Partiamo ad esempio, in una rapida ricognizione, dai percorsi compiuti attraverso il Tirolo, la Germania meridionale e la valle del Reno sia da Francesco Vettori, sia da Antonio Beati. Per il Vettori cittä e Trento (seppure piccola, e non forte ne di mura nedisito, et circumdata da monti alti, de' quali chifiissi signore, presto diventerebbe patrone della cittä, p. 39); cittä e Costanza, benche non molto grande (pp. 54, 55);
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II manoscritto risulta catalogato col titolo Account of a journey through Europe in 1 5 1 6 - 1 5 1 7 ' , segn. Add. 2 4 1 8 0 ; qualche cenno in Hale (cit. a nota 8) pp. 20, 5 3 - 5 5 . Account of a journey through Europe (cit. a nota 11), cc. 4r—6v. F. Vettori, Viaggio in Alamagna, in: Scritti storici e politici, a cura di E. Niccolini, Bari 1972, pp. 1 1 - 1 3 2 . La redazione del testo appare successiva alia data del viaggio di forse una decina d'anni. Ε Guicciardini, Diario del viaggio in Spagna, a cura di P. Guicciardini, Firenze 1 9 3 2 . II testo b stato piü volte pubblicato e tradotto in varie lingue europee. Ci basiamo qui sull'edizione di L. Pastor, Die Reise des Kardinals Luigi d'Aragona durch Deutschland, die Niederlande, Frankreich und Oberitalien, 1 5 1 7 - 1 5 1 8 , beschrieben von Antonio de Beads, Freiburg i. Br. 1905, pp. 8 9 180; testo ripreso in Chastel (cit. a nota 9) pp. 1 9 0 - 2 8 0 . Si veda anche l'edizione di Hale (cit. a nota 8). A. Navagero, Viaggio in Spagna del magnifico M . Andrea Navagero eletto oratore a Carlo V imperadore, in: A. Navagero, Opera omnia, a cura di G. A. e G. Volpi, Padova 1 7 1 8 , pp. 3 4 3 ^ 3 9 .
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cittä e soprattutto Augusta, grande e bella (p. 101). Ma non e cittä Innsbruck, el quale e un piccolo castelb nel contado del Tirolo, anche se notevole per le miniere d'argento (pp. 74-75), e in particolare non e cittä Ulm, definita terra grossa, forte, populata e piena d'arte (p. 67). Analogamente, Antonio Beati, nel primo tratto tedesco, riconosce anch'egli il titolo di cittä a Trento, Costanza, Augusta; e poi, proseguendo verso le Fiandre e la Francia, a Basilea, Strasburgo, Spira, Worms, Magonza. Ma egli non definisce cittä, bensl, volta a volta, ville, terre, terre murate, talora terre franche, centri come Rovereto, Bolzano, Innsbruck, Landsberg, Nordlingen, Sciaffusa; e nemmeno e ,cittä' Norimberga, pure oggetto di una giä ricca tradizione di descrizioni letterarie;17 nemmeno Ulm, che pure egli celebra con grandi lodi; e nemmeno Aquisgrana.18 La rigidezza del criteri appare ancora piü stridente nei resoconti relativi alle Fiandre, sia nel testo del Beati sia in quello dell'anonimo viaggiatore milanese. Ambedue gli autori hanno piena coscienza di trovarsi di fronte a una terra fra le piü urbanizzate d'Europa, e danno notizie adeguate dell'importanza delle dimensioni, della ricchezza dei centri delle Fiandre, del Brabante, dei Paesi Bassi: ma, al solito, per Gand come per Bruges, per Lovanio come per Brussels ο Anversa, pretermettono il termine ,cittä' (o anzi notano che come tali non possono essere considerati, e ne segnalano l'appartenenza a questa ο a quella diocesi): usando quei medesimi termini di terra, ο villa, ο luogo che impiegano per centri di rilievo ben minore.19 Ii nome di cittä ricompare - nei nostri testi, cosi come in quelli di Francesco Guicciardini e di Andrea Navagero - in terra francese, dove in effetti si ritrovano sia centri urbani nuovi e non vescovili, sia vecchie sedi episcopali cresciute a cittä, alle quali appunto questo termine e riservato. II correttivo all'uso prescelto έ costituito da annotazioni che, nel caso di centri che non sono cittä ma sono grandi e belli, ne mettono in luce queste caratteristiche ,urbane'; nel caso di ,cittä' piccole e poco importanti sottolineano invece l'inadeguatezza del nome. Nella Francia meridionale ad esempio il Guicciardini definisce Perpignano hello grosso e mercantile, e capo del contado di Rossiglione, ma castello·, Mompolieri castello e non cittä perche non ha vescovo, anche se e molto nominate per hello: e in verithgli effetti corrispondono, perche e ben populato, grande, ricco e pieno di belle case e di edifici.20 Di fronte a vere cittä deve perö notare che Carpentras e piccola di circuito·, che Lerida, in Spagna, e cittä piccola e brutta in ogni cosa; evvi uno studio dove sono Scolari poverissimi e male in 17
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Cfr. ad es. i contributi raccolti in: Nürnberg und Italien. Begegnungen, Einflüsse und Ideen, hg. v. V. Knapp/F.-R. Hausmann, Nürnberg 1991. Pastor (cit. a nota 15) ad indicem. Pastor (cit. a nota 15) pp. 110—122; Account of a journey through Europe (cit. a nota 11) in particolare cc. 16r-22r, 29v-32r. Ma cfr. anche le annotazioni di Benedetto Dei, riportate in Voigt (cit. a nota 9) pp. 2 5 3 - 2 5 4 . Ma el vescovo e a Magalona, isola disabitata lontana leghe due. Guicciardini (cit. a nota 14) p. 46 (e p. 48 per Perpignano). La sede diocesana venne trasferita a Montpellier da Maguelonne nel 1536.
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arnese, Calahorra e cittä, e per antiquitä dicono e luogo nobile ed onorato; ma oggi l· piccolo, cosa e cattiva che non tiene oltra 500fuochi, e sono le case quasi tutte di terra; Ambrun [Embrun]l·cittä, e ha arcivescovato che si chiama Ebredunensis, edl· sottoposto alb arcivescovo di Vienna; se fussi castello non sarebbe mala cosa, ma e Hbalderia che sia una cittä.21 Analogo infine lo stile del Navagero, con il quale si spingiamo piü che non abbia fatto il Guicciardini nel cuore della penisola iberica. Qui non sono ,cittä', fra le altre, Guadalajara buonissimo loco·, Madrid buonissimo loco anch'esso, Valladolid, che pure e detta la miglior terra che sia in Castella la Vieya; ne sono citta, sulla strada del ritorno lungo la costa mediterranea francese, ne Montpellier, ηέ Perpignano, come per il Guicciardini.22 L'uso dei nostri viaggiatori risulta dunque comune, e ben riconoscibile: secondo un criterio reso piü rigido forse dalla maniera stessa in cui questi testi venivano composti - frutto di osservazioni non sempre dirette ma anche di informazioni e annotazioni stereotipe, che largamente circolavano -, 2 3 e che contribuivano a consolidare e definire moduli sia lessicali che descrittivi. 3. Non e possibile vedere qui quanto risultasse dififuso in .giornali di viaggio' redatti in altri volgari europei l'uso di riservare un termine specifico ai centri con sedi vescovili, e soprattutto il mantenimento di una distinzione cosi rigida fra centri episcopali e no. Per l'area francese si puö forse notare che, per quanto il termine cite conservi il significato di sede diocesana, e le cites, nelle ,descrizioni di paesi' compaiano talora come luoghi referenziali, anche per illustrare le articolazioni territoriali delle provincie;24 tuttavia questo criterio (e l'identificazione citi — sede vescovile) non risultano applicati regolarmente: citi b anche un centro non vescovile, ma politicamente importante (come sono definiti in Lombardia, nel libretto di J. Signot sopra ricordato, Carpi e Mirandola, piccoli principati autonomi, ma privi di rango urbano; ο Crema e Chioggia, nella Terraferma veneta).25 Ε in generale se pure il termine citi e sentito con questo significato, non si awerte la preoccupazione
21 22 23 24
25
Guicciardini (cit. a nota 14) rispettivamente pp. 44, 53, 57, 43. Navagero (cit. a nota 15) pp. 350, 3 5 1 , 3 8 3 - 8 4 , 4 2 1 , 4 2 2 . Hale (cit. a nota 8) in particolare pp. 22—41. Cos! nel libretto di J. Signot, La totale et vraie description de tous les passaiges, lieux et destroicts par lesquelz on peut passer et entrer des Gaules es Ytalies, pubblicato a Parigi nel 1 5 1 8 . Cfr. anche Gilles Le Bouvier, Le livre de la description du pays de Gilles le Bouvier, ed. par Ε.- T. Hamy, in: Recueil de Voyages et de Documents pour servir ä l'histoire de la Geographie, vol. XXII, 1908, p. 11 e passim. Signot (cit. a nota 24) c. IXr, Xr e v. Cfr. anche Le livre de la description du pays de Gilles le Bouvier (cit. a nota 24) pp. 5 7 - 5 8 , 83, e passim; Relation du premier voyage de Philippe le Beau en Espagne en 1 5 0 1 , par Antoine de Lalaing, sire de Montigny, ed. par M. Gachard, in: Collection des voyages des Pays-Bas, I, Bruxelles 1876, pp. 1 2 1 - 3 8 5 .
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puntigliosa di riservarlo alle sedi vescovile, ma piuttosto si constata un uso largo del termine ville. Quando Commynes scende in Italia nel 1494—95 non ha ritegno a definire villes, accanto alle ,vere' cittä (solo raramente, e in determinati contesti definite cit&), centri come Pontremoli, Vigevano, Borgo San Donnino. 26 Nei testi in lingua tedesca, poi, nella quale manca un termine per l'indicazione di cittä vescovile, il termine Stadt dilaga senza varianti e limitazioni, in corrispondenza, del resto, col concetto ,largo' di cittä presente in area germanica; e trasforma cosi in ,cittä' molti di quei centri che i testi italiani avevano definito come terre e castelli. Lo constatiamo facilmente se ripercorriamo gli stessi itinerari di viaggio, che abbiamo preso in considerazione nei ,giornali' italiani, tenendo alia mano i testi tedeschi: ad esempio - per ricordarne due fra i piü noti - il giornale di viaggio del miles Arnold von Harff (che da Colonia si spinge sino in Africa e in Asia, attraverso l'Italia, la Francia e la Spagna); 27 ο il resoconto che Gabriel Tetzel da delle peregrinazioni attraverso vari paesi europei del viaggiatore boemo Leo di Rozmital. 28 Quest'ultimo testo e piü sciolto e narrativo; costruito invece sulla falsariga dei giornali di viaggio (tappe, distanze, ,qualitä' dei luoghi toccati, secondo le specificazioni dorf, stat, steetgen, e piü ο meno lunghi inserti descrittivi) e il testo del von Harff. In ambedue comunque il termine stat viene naturalmente applicato nei diversi paesi europei a tutti i centri di una certa rilevanza. Cosi - per fare riferimento ad aree che abbiamo nominato sopra - nelle Fiandre ritrovano la loro piena dignitä urbana non solo le grandi cittä, ma anche localitä ,minori' come Neuss, Maastricht, Diest, Grave, Mecheln; nella Francia alpina e nella Francia mediterranea tutta una serie di piccoli luoghi e, naturalmente, Montpellier e Perpignano; in Spagna, ugualmente, una quantitä di centri minori, accanto alia ,cittä' di Madrid. 29 Ε nelle parti di questi itinerari relativi ad aree italiane non c'e da stupirsi che il termine Stadt continui ad essere largamente usato, non solo per grossi centri diocesani (che meritano talvolta l'appellativo di ,vrij stat', come Bologna), ma anche per localitä che nessun italiano
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29
Philippe de Commynes, Memoires, a cura di J. Calmette, vol. III, Paris 1925, pp. 155, 157, 204. Die Pilgerfahrt des Ritters Arnold von Harff von Cöln durch Italien, Syrien, Aegypten, Arabien, Aethiopien, Nubien, Palästina, die Türkei, Frankreich und Spanien, wie er sie in den Jahren 1496 bis 1499 vollendet... , hg. v. E. von Groote, Köln 1860. Des böhmischen Herrn Leo's von Rozmital Ritter-, Hof- und Pilger-Reise durch die Abendlande, 1465—1467, owero Itineris a Leone de Rosmital nobili bohemo annis 1 4 6 5 - 1 4 6 7 per Germaniam, Angliam, Franciam, Hispaniam, Portugalliam atque Italiam confecti Commentarii coevi duo, Stuttgart 1844. II testo del Tetzel, in tedesco, e alle pagine 145-196; un resoconto piü ampio, in latino, derivante da un originale in ceco, perduto, alle pp. 13-145. Die Pilgerfahrt des Ritters Arnold von Harff (cit. a nota 27) p. 250 per l'area fiamminga, pp. 2 2 0 222 per la Francia meridionale, pp. 2 2 8 - 2 3 5 per la Spagna; Des böhmischen Herrn Leos von Rozmital Ritter-Reise (cit. a nota 28) pp. 148-151 e 192-93.
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avrebbe mai riconosciuto come tali: San Casciano, Poggibonsi, Buonconvento in Toscana, Costacciaro e Cantiano in Umbria, etc.30 4. L'uso italiano di ,cittä' come sinonimo di sede vescovile nei giornali di viaggio appare dunque una diffusa caratteristica di questo genere di scritture. Ma έ anche vero che il termine cittä ha una ricchezza e consistenza di significati che va ben al di lä di quell'equivalenza. II nome di cittä non puö essere usato senza che esso evochi tutto quello che le cittä italiane significano in fatto di ricchezza, organizzazione sociale, autonomia politica. Cosl capita che, come abbiamo visto, quando pure lo stile prevalente impone di non usare il termine cittä per centri che sono grossi e importanti, gli autori si sentono in obbligo di ricordare che, nonostante la mancanza del nome, ci si trova di fronte a una sostanza di reale vita urbana; e viceversa, di fronte a ,cittä' che corrispondono a centri piccoli ο decaduti, ci si affretta a denunciarne la piccolezza e a sottolineare l'incongruitä del termine: sino a definire, con Guicciardini, ,ribalderia la denominazione di cittä per un centro come Embrun. Non stupisce quindi che alcuni dei nostri viaggiatori italiani, di fronte a siffatte situazioni anomale e strident!, finiscano per derogare al criterio piü diffuso, che pure ben conoscono. Ad esempio, nel resoconto del viaggio in Spagna compiuto nel 1519 da Francesco Janis da Tolmezzo, che ci e pervenuto di mano di Marin Sanudo,31 ci si attiene in linea di massima al criterio solito: per cui, ad esempio, non vi e centro che non abbia — ο abbia avuto32 — sede vescovile, che egli non chiami cittä. Tuttavia di fronte ad alcuni centri chiaramente urbani, pur sentendo il bisogno di precisare che non si tratta di sedi vescovili, non sa negare loro l'appellativo di cittä. Cosi per Tudela: terraccia, secondo Guicciardini, ma qui cittä perche e de le prime di questi regni, licet Pampelona ... sia cith episcopal·, cosl per Legrono: ancora terra di poca qualitä a giudizio di Guicciardini, ma per Janis cittä grande, non episcopale·, cosl per Valladolid, soprattutto, cittä [quantunque] non sia episcopal33
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Die Pilgerfahrt des Ritters Arnold von Harff (cit. a nota 27) pp. 11, 12, 13, 39 rispettivamente. Ridotte a .steetgen' appaiono, in Piemonte, Ie cittä vescovili di Novara e Torino, poste sullo stesso piano di Chivasso, Rivoli, Avigliana: p. 2 1 8 . Cfr. anche Hans Stockars Jerusalemfahrt 1 5 1 9 und Chronik 1 5 2 0 - 1 5 2 9 , hg. v. K. Schib, Basel 1 9 4 9 , che definisce cittä Bassano e Merano (pp. 4 8 e 49).
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Francesco Janis da Tolmezzo, Viaggio in Spagna [1519], a cura di R. Fulin, in: Archivio veneto ( 1 8 8 1 ) pp. 66—101. Quale sia la misura dell'intervento del Sanudo nel testo non risulta chiaro. II Sanudo, nel suo ,itinerario' attraverso le province italiane di Terraferma, si era attenuto all'uso consueto di denominar cittä i centri vescovili.
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£ definita come cittä (pp. 83, 90) anche il piccolo centro di Najera, che pure aveva perduto dalla fine del secolo XI la dignitä di sede vescovile: Diccionario de historia ecclesiästica de Esparia, III, Madrid, 1973, p. 1 7 6 8 . Janis da Tolmezzo (cit. a nota 3 1 ) pp. 82, 8 2 - 8 3 , 89, 9 5 (e Guicciardini [citato a nota 14] p. 56).
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II medesimo atteggiamento - di consapevolezza precisa di quando dovrebbe essere usato il nome di cittä, pur con qualche deroga di fronte a casi particolari - ritroviamo nel rendiconto di un .itinerario' in Germania relativo all'anno 1492, steso da Andrea De Franceschi, coadiutore del segretario di un'ambasceria della Serenissima a Massimiliano re dei Romani.34 Per Innsbruck la denominazione di terra (terra senza episcopo) gli appare sufficiente; ma giä a Monaco non si sente di negare il titolo di cittä, cittä nobilissima, anche se senza vescovo. L'autore si trova poi in Germania di fronte al problema delle cittä libere, e delle cittä imperiali: magari non grandissime, ma dotate di un autonomia politica che le apparenta alle cittä italiane: un tipo di cittä che in effetti aveva suscitato grande attenzione anche in passato (basta pensare ad Enea Silvio Piccolomini) e che, come vedremo continua a destare forte interesse. De Franceschi incontra la sua prima cittä imperiale a Memmingen: Meminga ... e una delle terrefrancheet dell'imperio. Terrefranchesono certe citade che tieneno tutte a uno et vivono a communitade, ognuna da per se, et se vuoleno far guerra contra Ii sui inimici, tutte insieme se accordano etfano grandissimo exercito. Sono in tutto circa 100 et molto piü cittade a questo modo. Non hanno sopra di se alcun signor, ma vivono da per se libere. Questa e una di queste terre et e bellissima et assai grande senza episcopo. Artiarie e altri mestieri vi sono. II lessico oscilla dunque fra il termine di terra, terra franca — usatissimo, come vedremo - e quello di cittä. Lo stesso awiene per Ulm: Olmo e una nobile terra francha e dignissima, ne la qual sono assai mercadanti, et de Venetia, et de altripaesi, et molto richa, anche per i ,molti mestieri', e i fustagni; e in questa cittä, quantunque la non abbia episcopo, e una degna e magnifica chiesia. Questa terra k, come Meminga imperiale ...35 5. L'uso del Biondo, in certe circostanze risultava dunque inadeguato. Ε tanto di piü quando il discorso da geografico e descrittivo diventava politico, e la rigidezza dell'uso del termine cittä non era in grado di mettere a fiioco la qualitä dei centri urbani dei vari paesi d'Europa, una qualitä che era diversa nei differenti paesi, e rispetto all'Italia. La necessitä di uscire da un modo di esprimersi troppo rigido e alia fine fuorviante si puo cogliere in altre scritture: nelle relazioni degli ambasciatori veneti, ad esempio, un corpo documentario omogeneo in cui come e noto, i riferimenti alle cittä, nella loro dimensione politica soprattutto, sono frequentissimi.36 Ε in effetti i patrizi
34
Andrea de Franceschi, Itinerario di Germania ... [1492], a cura di E. Simonsfeld, in: Miscellanea della R. Deputazione Veneta di Storia Patria, s. II, 9 (1903), pp. 2 7 5 - 3 4 3 . Sul D e Franceschi cfr. anche Voigt (cit. a nota 9) pp. 2 1 7 - 2 2 7 , 245, e la voce di S. Zamperetti, in: Dizionario Biografico degli Italiani [DBI], 36, Roma 1988, pp. 2 4 - 2 6 .
35
Andrea de Franceschi (cit. a nota 34) pp. 289, 305, 308, 3 0 9 - 1 0 . Le relazioni degli ambasciatori veneti al Senato durante il secolo XVI, raccolte annotate ed edite da E. Alberi, 15 volumi, Firenze 1 8 3 9 - 1 8 6 3 (d'ora innanzi semplicemente Relazioni, con l'indicazione
36
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veneti che, su mandato della Serenissima si trovano a percorrere i diversi paesi d'Europa, devono constatare la difficoltä ad applicare ad essi i termini e i concetti cui erano awezzi in Italia. In regioni, ad esempio, caratterizzate da un'urbanizzazione intensa, ma non innestatasi sulle vecchie sedi diocesane - come nelle Fiandre, ο in molte parti della Germania - essi non possono non notare la inadeguatezza e limitatezza del concetto ,cittä/sede vescovile', a dar conto di una realtä urbana tan to piü articolata e ricca. Vincenzo Querini, nella sua Relazione di Borgogna dell'anno 1506 rileva per quelle province il gran numero di terre murate, molte ricche di popolazione, di arti, di
mercanzie, che altro non gli manca che il vescovo perpotersi chiamar citth·?7 Francesco Badoer nella relazione del 1557, dopo la missione presso Filippo II, a proposito
sempre dei Paesi Bassi scrive: Fra tutti questi stati non sono piü che cinque vescovi, i quali hanno sotto leloro diocesi diverse terre si grandi, che ognuna menteria un vescovado, come Anversa, Brusselles, Brugs, Gand e simili.iS Viceversa, in paesi di urbanizzazione minuta e diffusa, sviluppatasi anch'essa senza rapporto con antiche sedi ecclesiastiche, come in Boemia, essi rilevano - ad
esempio Marino Cavalli, nel 1543 — che sono di molte terre, che loro chiamano cittä. Ma sono terre assai piccole, piü piccole non solo di Vicenza - la cittä piü piccola della Terraferma - ma anche di Bassano - che notoriamente non & una cittä.39 Nel regno di Polonia poi le cittä sono pochissime, e anzi, fuori di Vilna e Cracovia, non
ve n'e alcuna che da noi non fusse giudicata, a giudicio di ognuno, mediocre castello.40
37
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del volume e della pagina). Su questi documenti cfr. A. Ventura, Genesi e caratteri delle relazioni degli ambasciatori veneti al Senato, in: Relazioni degli ambasciatori veneti al Senato. Reprint, a cura di A. Ventura, Roma-Bari 1976, pp. VII-LXXXX; Idem, Scritture politiche e scritture di governo, in: Storia della cultura veneta, a cura di G. Arnaldi/M. Pastore Strocchi, vol. 3/III, Vicenza 1981, pp. 5 1 3 - 5 6 3 (anche per notizie sui vari ambasciatori, tutti esponenti di spicco del mondo politico veneziano). Relazioni (cit. a nota 36) vol. I, p. 10. II Querini parla di province popolose, ricche e piene di gran copia di citth, di castelli e ville, tra le quali tutte si trovano in somma centoquarantatri terre murate, tra piccole, che si possono computare per grossi castelli, e tra grandi che altro non gli manca che il vescovo per potersi chiamar cittä. Relazioni (cit. a nota 36) vol. Ill, p. 297. Non molto diversamente scrive nel 1568 Alvise Mocenigo: „Sono in questi stati [Paesi Bassi], per le informationi, ch'io ho havuto, piü di 1 1 0 terre grosse oltra molte altre terre e castelli, non vi sono perö piü di sei vescovati...": Relationen Venetianischer Botschafter über Deutschland und Österreich im achtzehnten Jahrhundert, a cura di J. Fiedler, Wien 1870, pp. 1 1 - 1 7 9 , p. 25. Relazioni (cit. a nota 36) vol. III, p. 100. Su Marino Cavalli si veda la voce di A. Olivieri, in: DBI (cit. a nota 34) 22, Roma 1979, pp. 7 4 9 - 5 4 . Relazioni (cit. a nota 36) vol. 1, p. 461: II re di Polonia e grati re di paesi, perchi ha la Polonia e Russia e Moscovia, e si pub servire della Prussia. Μα questi suoi paesi, cosl come hanno grandissime Campagne, cost hanno poche cittä: e fuor che Cracovia in Polonia e Vilna in Lituania, non ha cittä che fra noi non fosse giiudicata, α giudicio di ognuno, mediocre castello.
II nome di ,cittä'
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In realtä i vari ambasciatori devono presto rendersi conto - come e tratto a scrivere esplicitamente Lorenzo Contarini nel 1548 a proposito dell'Austria - che gli abitanti dei diversi paesi chiamano cittä ogni luogo che si governa da se, e che e
abitato da persone libere, sia quanto piccolo si voglia; e castello, se bene sarä una casa sola delpadrone di quella villa, ο pure dei suoi servitori: e di qui viene, che in ciascheduna provincia si nominano molte cittä, ma sono tali, la maggiore parte, che si possono con un tirar di mano aggiungere da un capo all'altro.41 Come si regolano allora gli ambasciatori medesimi, rispetto all'esigenza di presentare adeguatamente al Senato e ai loro concittadini le cittä di uno stato, in quanto elementi primari dell' organizzazione politica di esso: indicandone, secondo l'uso il numero, i caratteri, la qualitä? Ε a quali denominazioni ricorrono? Alcuni di essi non rinunciano all'uso di dare, dello stato che visitano, il numero complessivo delle cittä, e mantengono anzi l'uso italiano, indicando in sostanza il numero delle sedi vescovili: salvo poi aggiungere tutta una serie precisazioni di vario genere a proposito appunto della differente natura delle ,cittä' di cui hanno detto. Per l'Inghilterra ad esempio (ringhilterra in senso stretto, escluse quindi il Galles e la Scozia) ritorna sovente il numero di 22 cittä: cittä ,cattedrali', come scrive precisamente Lodovico Falier nel 1531, cio£ cittä vescovili.42 Ma a questa indicazione, diciamo, rituale, devono seguire, a dare un quadro meno artificioso dei centri urbani dell'isola, aggiunte e precisazioni sul numero delle ,terre murate', dei villaggi, dei porti; oppure la notazione che tuttavia non [ci] sono buone cittä, perche il regno ha pochissime terre di conto.43 Per concludere sovente che le vere cittä di cui metta conto di parlare sono Londra, York, eventualmente Bristol, mentre il compito di parlare delle altre e piü del geografo ο dello storico che non dell'ambasciato re.44 Altri ambasciatori che pure desiderano offrire un quadro complessivo delle cittä di uno stato, e darne il numero, rinunciano tuttavia all'uso del termine cittä come semplice sinonimo di sede vescovile: talora enumerando insieme e mescolando cittä, castelli e ville sotto il denominatore comune di,terre murate'; altre volte usando il termine cittä secondo l'uso locale, un uso che richiedeva le sollte precisazioni (e comportava oscillazioni e discrepanze) ma che consentiva di dare un quadro ,preciso', con l'indicazione ad esempio del numero completo dei centri urbani.
41
Relazioni (cit. a nota 3 6 ) vol. I, p. 3 7 5 . Su Lorenzo Contarini cfr. la voce di A . Ventura, in: DBI
42
Relazioni (cit. a nota 3 6 ) vol. III, p. 13. A d esse, aveva notato il Querini nel 1 5 0 6 , corrispondevano
43
Cosl Andrea Franceschi nella relazione del 1 4 9 7 pubblicata col titolo A relation o f the Island of
(cit. a nota 3 4 ) 2 8 , R o m a 1 9 8 3 , pp. 2 3 1 - 3 3 . ventidue bontssimi vescovati (Relazioni, cit. a nota 3 6 , vol. I, p. 20). England', in: Two Italians' accounts of Tudor England, a cura di V. Malfatti, Barcellona 1 9 5 3 , p. 4 1 . 44
G . Michiel, in: Relazioni (cit. a nota 3 6 ) vol. II, p. 2 9 4 .
500
Giorgio Chittolini
Ma piü spesso, forse, ci si rende conto che il termine cittä non ριιό essere proposto con quel significato forte e politicamente connotativo, di chiave di volta di un'organizzazione politico-territoriale, che lo rende cos\ pregnante in area italiana. Ε allora, nei resoconti che si danno dei diversi paesi, le cittä passano come in secondo piano di fronte ad altri elementi del quadro politico e territoriale, diventano ,funzioni' di altre strutture politiche. Cos!, ad esempio in varie relazioni, le cittä sono citate in quanto capitali (o metropoli) delle province e delle regioni in cui sono divisi i diversi regni. Oppure, in area imperiale - Germania, Austria, Boemia - le cittä, nel loro complesso, sono ricordate in quanto parte dell'ordinamento territoriale dell'Impero, come una delle componenti della dieta; ο talvolta come componenti di una lega. Questo criterio fa si che gli ambasciatori veneziani, di fronte alle 3000 cittä tedesche degli inizi del Cinquecento, non trattino in genere di quelle che non appartengano a queste categorie, escludendo in pratica dal loro discorso le cittä prive di quella che essi giudicano una condizione minima di autonomia e consistenza politica. I centri soggetti, anche se hanno il loro titolo di cittä, risultano come inglobati all'interno dei principati laici ed ecclesiastici di cui fanno parte. £ un quadro interpretativo cui dä una sorta di spessore storico la ricostruzione dell'origine e delle vicende dell'ordinamento territoriale dell'impero che traccia, ad esempio, I'ambasciatore Lorenzo Contarini nel 1548: un ordinamento che egli dice essersi costituito ai tempi di Carlo Magno, articolato per feudi, ducati, principati chedurano
tuttora: aggiuntavi un'altra certa sorte di domini, che sono le cittä franche, quali per danari in diversi tempi si sono ncomprate, e dagl'imperatori e dai signori loro.45 Sono queste cittä, e queste sole - una singolare escrescenza all'interno di un ordinamento territoriale nobiliare e principesco — che gli ambasciatori prendono in considerazione. Ε le prendono in considerazione con un lessico in cui il nome di cittä si alterna a quelli, assai piü diffusi, di ,terre' (terre franche, terre imperiali, terre libere), ο di comunitä;46 termini generici e meno connotativi, ma che, con le varie specificazioni cui sono uniti, consentono di indicare le caratteristiche di un centro in modo assai piü concreto che non un evanescente appellativo urbano. Dopo di che gli ambasciatori - come abbiamo visto anche per i viaggiatori sentono il bisogno di fare intendere ai loro concittadini in che misura quelle,terre', ,comunitä' e altro corrispondano alle cittä italiane: donde l'uso di aggiungere notizie e informazioni, in particolare su quegli aspetti che caratterizzano la loro fisionomia di corpi sociali e politici. £ frequente ad esempio la notazione che le cittä hanno territori di scarsa estensione, minacciati anzi da signori vicini; ma che esse non 45
Relazioni (cit. a nota 36) vol. I, p. 4 0 2 .
46
Comunitä b anche il termine usato - in modo quasi esclusivo - da Machiavelli, nel .Rapportο delle cose della Magna' e nel .Ritratto delle cose della Magna': cfr. .Arte della guerra e scritti politici minori', a cura di S. Bertelli, Milano 1 9 6 1 , pp. 1 9 5 - 2 1 5 .
II nome di ,cittä'
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aspirano in genere ad ampi domini territoriali. Ο si rileva una composizione sociale caratterizzata dalla predominante presenza di artigiani e mercanti, che governano le cittä — salvo che a Norimberga - mentre i gentiluomini, per parte loro non vivono entro le mura. Owero, quanto alle istituzioni ecclesiastiche, si rileva, in positivo, che i capitoli urbani eleggono ancora i loro vescovi, con la constatazione tuttavia, in negativo, che i canonici delle cattedrali non sono cittadini, ma nobili territoriali e principi deH'impero. 47 II quadro dei centri urbani d'oltralpe - che il semplice ,nome' di cittä appariva dunque inadeguato ad evocare — finisce quindi per arricchirsi di una serie di specificazioni e di elementi che danno il senso dell'attenzione e della sensibilitä con cui dall'Italia si guardava a realtä urbane simili, e nello stesso tempo diverse:48 in un momento in cui del resto anche in Italia, in concomitanza col trasformarsi della stessa realtä urbana della penisola, il nome di cittä veniva perdendo la sua antica pregnanza. 49 M a e ormai, questo, un altro discorso, che dal ,nome' di cittä si e allontanato, e che conviene riservare ad altra occasione.
47
48
45
Merita forse di essere ricordato, a testimonianza di questa rigidezza di criteri, l'episodio narrato da Alvise Mocenigo nel 1568 a proposito del tentativo di Massimiliano Sforza, fratello del duca di Milano, di farsi eleggere canonico di Colonia col favore di Massimiliano re dei Romani: Si ridusse quel capitolo con animo di eleggerlo; si contentava della conditione della persona sua, del padre, avo e bisavo, perchi erano statt duchi di Milano; ma come intesero l'attavo per nome Sforza, che non haveva havuto altro titolo che capitano di guerra, non havendo quello per illustre, non lo volsero far habile al canonicato, et cosl fit reietto da quel capitolo...·. Relationen Venetianischer Botschafter (cit. a nota 38) p. 69. Non approfondiscono sempre questi aspetti sociali e politici del mondo urbano tedesco le ricerche compiute sulla ,immagine' dei tedeschi e del mondo germanico negli scrittori italiani del Rinascimento. Alcuni spunti soltanto in R. Sillib, Machiavellis Stellung zu Deutschland, Heidelberg 1892 (in particolare pp. 37—41); Η. Liebmann, Deutsches Land und Volk nach italienischen Berichterstattern der Reformationszeit, Berlin 1910 (alcuni cenni alle pp. 181 ss., 198 ss.); P. Amelung, Das Bild des Deutschen in der Literatur der italienischen Renaissance (1400-1559), München 1964; Voigt (cit. a nota 9) pp. 233—236 e passim. Cfr. da ultimo H. Zug Tucci, La Germania dei viaggiatori italiani, in: Europa e Mediterraneo (cit. a nota 9) pp. 181-206. Qualche cenno in Chittolini, Quasi cittä (cit. a nota 2) pp. 101—103, e G. Ricci, Sulla classificazione delle cittä nell'Italia del Rinascimento, in: Storia urbana 64 (1993), pp. 5-17.
WOLFGANG SCHIEDER
Deutsche Italienerfahrungen im frühen 19. Jahrhundert Die Erforschung von gegenseitigen Wahrnehmungen verschiedener Gesellschaften und Völker gehört in den Bereich kulturwissenschaftlicher Forschung. In den Literaturwissenschaften werden solche Perzeptionsforschungen schon seit langem von einer intensiven Methodendiskussion begleitet. Im wesentlichen geht diese auf die Theorie der Rezeptionsästhetik zurück, wie sie in Deutschland von Erich Köhler bis Wolfgang Iser entwickelt worden ist. An den Historikern sind diese Methodendiskussionen dagegen bisher eher vorbeigegangen. Das ist insofern nicht verwunderlich, als der rezeptionsästhetische Ansatz von der Geschichtswissenschaft keineswegs einfach übernommen werden kann. Geht es in den Literaturwissenschaften im wesentlichem um das Verhältnis von Autoren und Lesern, haben es die Historiker mit komplexeren Interaktionsvorgängen zu tun. Das hat zumindest drei Gründe. Erstens steht in außerliterarischen Rezeptionsprozessen nicht von vornherein fest, wer ,Produzent' und wer ,Rezipient' von ,Texten' ist. Es handelt sich vielmehr häufig um wechselseitige Wahrnehmungsvorgänge, die sich zudem gegenseitig bedingen und beeinflussen. Es sei nur an die nationalistisch bedingten Wahrnehmungsmuster erinnert, welche im 19. Jahrhundert die sogenannte Erbfeindschaft zwischen Deutschen und Franzosen konstituierten. Historiker haben es zweitens mit einer unvergleichlich größeren Zahl von Textsorten vor allem nicht literarischer Art zu tun als Literaturwissenschaftler. Man denke z.B. nur an statistische Daten, Bilddokumente oder architektonische Monumente. Schließlich existiert für Historiker auch kein festes Korpus sogenannter Primärliteratur. Sämtliche Texte, die sie heranziehen, sind nicht von vornherein ,primär', sie werden vielmehr erst durch die jeweilige Fragestellung in ihrer historischen Aussagekraft hierarchisiert. Für eine historische Perzeptionsforschung ist deshalb offenbar ein anderer methodischer Ansatz nötig als in der literarischen Rezeptionsästhetik. In Analogie zu dieser möchte ich von einer Rezeptionshistorik sprechen. Es ist hier nicht der Ort, das Konzept einer solchen Rezeptionshistorik in umfassender Weise methodisch zu entfalten. Ich beschränke mich vielmehr darauf einige Kriterien zu nennen, nach denen historische Rezeptionsprozesse wissenschaftlich analysiert werden sollten. Zunächst einmal kann sich eine Rezeptionshistorik nicht damit begnügen, aus überlieferten Texten einer bestimmten historischen Epoche ein sogenanntes Bild
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Wolfgang Schieder
zu entwerfen, das sich z.B. die Angehörigen einer Nation von einer anderen gemacht haben. Solche .Bilder' sind generell wissenschaftliche Konstrukte. Ihre Vorstellung täuscht eine historische Realität vor, die es in dieser Form niemals gegeben hat. Die Perzeption fremder Wirklichkeit hängt nämlich von der Aufnahmebereitschaft der Rezipienten ab. Nur wenn man die bei einzelnen Individuen in einer Gesellschaft, einer Nation oder in Teilen derselben verbreiteten Erwartungshaltungen berücksichtigt, kann man überhaupt etwas über die Wahrnehmung fremder Wirklichkeit aussagen.,Bilder' an sich gibt es nicht; nach diesen zu forschen ergibt erst einen Sinn, wenn man den Erwartungshorizont kennt, auf den sie bezogen waren. Ebenso wichtig ist zweitens, daß sich ein historischer Erwartungshorizont jeweils nur über einen bestimmten kommunikativen Zusammenhang erfassen läßt. Das bedeutet, daß man die Formen der Informationsvermittlung beachten muß. Die mediale Omnipräsenz in unserer Gegenwart macht es nur schwer vorstellbar, wie eingeschränkt die Kommunikationsmöglichkeiten auch in der Neuzeit noch bis in das 19. Jahrhundert hinein waren. Das gilt ebenso fur die Technik der Nachrichtenübermittlung wie fur die ökonomischen Rahmenbedingungen des Informationsflusses in vorindustriellen Gesellschaften. Und wenn diese Voraussetzungen gegeben waren, so hieß das bekanntlich noch lange nicht, daß sie ohne weiteres genutzt werden konnten. Für den sich entfaltenden absolutistischen Staat war es geradezu konstitutiv, den freien Informationsaustausch der Untertanen zu unterbinden. Nicht zufällig war es das Prinzip der .Öffentlichkeit', das im 18. Jahrhundert gegen die strikte absolutistische Informationskontrolle geltend gemacht wurde. Aber noch im 19. Jahrhundert konnte die liberale Bewegung zunächst nur eine repräsentative Öffentlichkeit herstellen, keineswegs eine allgemeine. Als ebenso bedeutsam ist in rezeptionshistorischer Perspektive die Frage der tatsächlichen Informationsverbreitung anzusehen. Auch wenn die Alphabetisierung der Bevölkerung in Europa seit dem 18. Jahrhundert stetige Fortschritte machte, blieb das gezielte Interesse am ,Fremden' außerhalb des lokalen oder regionalen Umfeldes noch im 19. Jahrhundert ganz auf die oberen gesellschaftlichen Schichten beschränkt, d.h. auf den Adel und zunehmend auch auf das Bürgertum. Die schichtenspezifische Begrenzung bedeutet im übrigen noch lange nicht, daß man innerhalb von Adel oder Bürgertum mit einem gleichmäßigen Informationsstand rechnen kann. Von großer Bedeutung ist deshalb, bei der Verbreitung von Informationen aus fremdem Umfeld die Multiplikatoren zu bestimmen, die jeweils so etwas wie eine Meinungsfiihrerschaft: ausgeübt haben. Nur bei diesen kann man im Grunde von einem anhaltendem Informationsbedarf ausgehen. Schließlich hat man bei einer rezeptionshistorischen Analyse noch mit einem dritten Problem zu rechnen, nämlich dem der selektiven Wahrnehmung. Auch die umfassendsten Analysen fremder Wirklichkeit bilden diese niemals gleichsam fotografisch ab. Und selbst wenn, wie in der Gegenwart, ein umfassender und ununterbrochener Informationsfluß gesichert ist, wählen sich die Rezipienten doch im-
Deutsche Italienerfahrungen im frühen 19. Jahrhundert
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mer das aus, was ihnen am wichtigsten erscheint. Jede historische Transferforschung muß von der Realität selektiver Wahrnehmung ausgehen. Dabei ist mit vollständigen Fehlperzeptionen ebenso zu rechnen wie mit produktiven Mißverständnissen. Besonders kompliziert sind historische Rezeptionsprozesse, bei denen Mythenbildungen und Vorurteile eine Rolle spielen. Diese determinieren häufig die Wahrnehmungsfähigkeit so stark, daß die fremde Wirklichkeit davon mehr oder weniger verdeckt wird. Kann man solche Fehlperzeptionen über lange historische Perioden hinweg nachweisen, spricht man in der Regel von Stereotypen. Solche Stereotypen nachzuweisen und kritisch zu hinterfragen gehört daher zu den wichtigen Aufgaben einer Rezeptionshistorik. Man sollte jedoch nicht vorschnell dabei stehenbleiben, solche Stereotypen zu indizieren. Wichtiger ist es, ihre Entstehung und Durchsetzung zu erforschen und danach zu fragen, unter welchen historischen Konstellationen stereotype Fremdwahrnehmungen besonders wirksam gewesen sind. Es liegt auf der Hand, daß das hier skizzierte theoretische Programm einer Rezeptionshistorik nicht leicht in die Forschungspraxis zu übertragen ist, schon gar nicht in einem kurzen Beitrag. Jedoch soll hier der Versuch gemacht werden, diese rezeptionshistorischen Überlegungen in einer Untersuchung über die deutsche Italienerfahrung im frühen 19. Jahrhundert einzubringen. Italien war selbstverständlich nicht erst im 19. Jahrhundert ein Zielort deutscher Reisender. Als einer der herausragenden christlichen Wallfahrtsorte und als päpstliche Machtzentrale der katholischen Kirche übte die Stadt Rom vom hohen Mittelalter bis in die frühe Neuzeit hinein eine zwar nicht immer gleichmäßige, aber doch nie abreißende Anziehungskraft aus. Kaufleute, Handwerker und Künsder zog es in die zahlreichen städtischen und höfischen Zentren Italiens von Turin bis Neapel. Seit dem 17., vor allem aber dem 18. Jahrhundert gehörte Italien zu den bevorzugten Zielgebieten der ,Grand Tour' des europäischen Adels, an der sich auch die Aristokratie aus den deutschsprachigen Ländern stark beteiligte.1 Neu war für das 19. Jahrhundert somit eigentlich nur, daß nunmehr Künstler und Intellektuelle bürgerlicher Herkunft unter den deutschen Italienbegeisterten den Ton angaben. Seit der Neuordnung des europäischen Gesandtschaftswesens auf dem Wiener Kongreß von 1814/15 kamen Diplomaten von Berufswegen als Informationsvermittler hinzu, die meist über längere Zeiträume aus Italien nach Deutschland berichteten. Ich nenne nur Barthold Georg Niebuhr und Karl Josias Bunsen als die ersten preußischen Gesandten beim Vatikan.2 Schließlich spielten seit An-
1
Vgl. dazu zuletzt C. D e Seta, L'Italia del Grand Tour. Da Montaigne a Goethe, Napoli 1992; K. Kufeke, Himmel und Hölle in Neapel. Mentalität und diskursive Praxis deutscher Neapelreisender um 1800, Köln 1999.
2
Vgl. Lebensnachrichten über Barthold Georg Niebuhr aus Briefen desselben und aus Erinnerungen einiger seiner nächsten Freunde, hg. v. D. Hensler, Hamburg 1838; C. von Bunsen, Nach seinen Briefen und nach eigener Erinnerung geschildert von seiner Witwe, Leipzig 1868—1871.
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Wolfgang Schieder
fang des 19. Jahrhunderts auch professionelle Journalisten als Italienberichterstatter eine zunehmend wichtigere Rolle. Allerdings hatten ausländische Journalisten bis 1848 in den italienischen Staaten mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Sie wurden fast überall systematisch von wichtigen politischen Informationen ferngehalten, häufig bespitzelt und durch willkürliche Beschlagnahmungen und gar Verhaftungen an ihrer Arbeit gehindert. Nur die auflagenstärkste und am meisten verbreitete deutsche Zeitung, die Augsburger Allgemeine Zeitung, hatte deshalb wohl vor 1848 schon feste Korrespondenten in Rom, Turin und Neapel. Auch sie übernahm jedoch wie alle anderen Zeitungen häufig nur Meldungen aus der französischen und englischen Presse. Das war ein in der ganzen Zeit des Vormärz und selbst noch 1848/49 übliches Verfahren, durch das man Kosten sparen, vor allem aber auch leichter die Zensur umgehen konnte. Ein quantitativ schwer einzuschätzender, aber sicherlich nicht unbeträchtlicher Teil der Informationen über Italien kam daher auf dem Umweg über oder direkt durch westeuropäische Zeitungen nach Deutschland. Von besonderer Bedeutung waren fur die deutsche Italienwahrnehmung im frühen 19. Jahrhundert die außerordentlich eingeschränkten Informationsmöglichkeiten. Dem österreichischen Staatskanzler Metternich gelang es, den Deutschen Bund seit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 mit einem rigiden Presseüberwachungssystem zu überziehen. Die Abfassung, der Druck und die Verbreitung von Flugschriften oder kleineren Broschüren mit einem Umfang von weniger als zwanzig Bogen waren ganz verboten, alle größeren Bücher wurden einer Nachzensur unterworfen, Zeitungen sogar einer strikten Vorzensur.3 Von einer einigermaßen freien Berichterstattung aus anderen Ländern konnte deshalb im vormärzlichen Deutschland vor und auch wieder nach dem Scheitern der Revolution von 1848 bis in die sechziger Jahre hinein keine Rede sein. Es ist keine Frage, daß sich diese polizeistaatlichen Restriktionen auch in der Italienberichterstattung bemerkbar gemacht haben. Wer sich für das zeitgenössische Italien interessierte, hatte nur wenig Chancen, in der Publizistik mehr Informationen zu finden als die restaurativen Obrigkeitsstaaten es fur politisch unbedenklich hielten. Besonders zu berücksichtigen ist, daß das deutsche Interesse für Italien im hohen Maße schichtenspezifisch begrenzt war. Auch wenn die erwachsene Bevölkerung der Staaten des Deutschen Bundes um 1848, anders als die Italiens, schon im hohen Maße alphabetisiert war, beschäftigte sich nur ein ganz schmaler Teil der
3
Vgl. dazu Der „Polizeiverein deutscher Staaten". Eine Dokumentation zur Überwachung der Öffentlichkeit nach der Revolution von 1848/49, hg. v. W Siemann, Tübingen 1983; E. Büssem, Die Karlsbader Beschlüsse von 1819. Die endgültige Stabilisierung der restaurativen Politik im Deutschen Bund nach dem Wiener Kongreß 1814-1815, Hildesheim 1974; F. T. Hoefer, Pressepolitik und Polizeistaat Metternichs. Die Überwachung von Presse und politischer Öffendichkeit in Deutschland durch das Mainzer Informationsbüro (1833-1848), München 1983.
Deutsche Italienerfahrungen im frühen 19. Jahrhundert
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Oberschicht mit italienischen Fragen. Im Grunde waren es, abgesehen immer noch vom Adel, weitgehend nur Angehörige des Bildungsbürgertums, die sich fur Italien interessierten. Selbst fiir das sich in Deutschland erst formierende Bürgertum von Großkaufleuten, Bankiers und Unternehmern waren die italienischen Staaten ohne Interesse. Für sie waren die industriellen Länder des Westens, vor allem Belgien und England wichtig, nicht das wirtschaftlich noch vergleichsweise rückständige Italien. Auch eine so präzise sozialwissenschaftliche Analyse wie das klassische Buch von Friedrich Engels über „Die Lage der arbeitenden Klasse in England", 1844 „nach eigener Anschauung und authentischen Quellen" geschrieben,4 hatte in der deutschen Italienliteratur des Vormärz keine Parallele. Dabei meine ich natürlich nicht, daß im Falle Italiens über industrielle Lohnarbeiter hätte berichtet werden können, wohl aber doch über agrarische Rückständigkeit, mezzadria und Lohnarbeit auf dem Lande. Schließlich ist in rezeptionshistorischer Sicht zu beachten, daß man sich in Deutschland im 19. Jahrhundert auch politisch weniger für die italienischen Zustände' interessierte als für das politische System und die gesellschaftliche Verfassung anderer Länder. Die aufkommende liberale Bewegung suchte sich vor 1848 und erst recht nach dem Scheitern der Revolution vor allem an Großbritannien, Frankreich und (seit 1831) an Belgien, sowie an den Vereinigten Staaten politisch zu orientieren. Das politisch gleichermaßen wie Deutschland zersplitterte Italien bot allenfalls negative Vergleichsmöglichkeiten. Der Blick auf das südliche Nachbarland konnte allerdings schon vor 1848 politisch eine gewisse Ventilfunktion haben, wenn man die Stagnation des nationalen Einigungsprozesses in Deutschland kritisieren wollte. So wie in den zwanziger Jahren der Philhellenismus und in den dreißiger Jahren die Begeisterung für den Freiheitskampf der Polen diente die Identifikation mit dem Risorgimento in der liberalen Bewegung dazu, die eigenen Freiheitswünsche indirekt zu artikulieren. Von Anfang an gingen die Deutungen dessen, was man in Italien wahrnahm, freilich auseinander. Aus den Berichten und Reflexionen, die im frühen 19. Jahrhundert deutsche Reisende oder Langzeitgäste aus Italien übermittelt haben, ergab sich kein einheitlicher Wissensbestand über Land und Leute. Es überlagerten sich vielmehr zahlreiche höchst subjektive Perzeptionen des zeitgenössischen Italiens, über die das interessierte Publikum in Deutschland mehr oder weniger gleichzeitig verfugen konnte. Die Meinungsbildung über das südliche Land war daher ständig im Fluß. Es gab zwar bestimmte stereotype Vorurteile, die aus dem 18. Jahrhundert übernommen worden waren, aber diese können nicht als allgemein verbindliche Deutungsmuster angesehen werden. Vielmehr scheint mir für das 19. Jahrhun-
4
F. Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Nach eigener Anschauung und nach authentischen Quellen, in: Marx Engels Werke, Bd. 2, Berlin 1962, S. 2 2 5 - 5 0 6 .
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Wolfgang Schieder
dert insgesamt charakteristisch zu sein, daß eine extrem subjektivistische Einstellung gegenüber Italien allmählich durch eine objektivierende Erfahrung des Landes in Frage gestellt wurde. Bis zur Mitte des Jahrhunderts war die erste Perzeptionslinie zweifellos dominant. Schon in dieser Zeit beginnt jedoch auch ein Prozeß der Versachlichung von Italienwahrnehmungen, der als Anfang der Objektivierung deutscher Italienerfahrung angesehen werden kann. Darunter ist nicht allein die allmähliche Verstärkung politischer Wahrnehmung zu verstehen,5 sondern in einem weiteren Sinn die Perzeption der real existierenden gesellschaftlichen Zustände. Italien wurde nicht mehr nur als das Land der Altertümer oder der Kirchen wahrgenommen, das nur von Heroen oder von Priestern bewohnt war. Man entdeckte vielmehr allmählich, daß dort ganz gewöhnliche Menschen lebten, die in ihrer ganz großen Mehrheit den städtischen und vor allem den ländlichen Unterschichten angehörten und die sich durch Dialekt, Lebensweise und Mentalität regional außerordentlich von einander unterschieden. Das bedeutet nicht, daß sich die deutsche Wahrnehmung Italiens im 19. Jahrhundert vollständig verändert hätte. Es gibt hier keine lineare Bewegung. Noch 1927 publizierte Wilhelm Waetzold unter dem Titel „Das klassische Land. Wandlungen der Italiensehnsucht" ein Italienbuch, in dem sich keinerlei Bezüge zur historischen Realität finden.6 Es ist für das 19. Jahrhundert charakteristisch, daß die allein ästhetisch vermittelte durch eine an der historischen Realität orientierte Italienerfahrung konterkariert wurde. Beide hoben sich nicht gegenseitig auf, boten sich aber seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts für die deutsche Italiensicht als alternative Perzeptionsmodelle an. Stellen wir uns nun zuerst einmal die Frage, was in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, genauer gesagt, seit der politischen Neuordnung, die 1815 auf dem Wiener Kongreß getroffen worden war, eigentlich unter Italien zu verstehen war. Der österreichische Staatskanzler Metternich sprach bekanntlich davon, daß es sich dabei nur um einen .geographischen Begriff handele. Das war allerdings eine höchst absichtsvolle Kampfansage gegen die aufkommende politische Einigungsbewegung in Italien, wie überhaupt gegen die revolutionäre Sprengkraft des modernen Nationalismus. Metternich ging es darum, die aufkommende Bewegung des Risorgimento politisch von vornherein zu delegitimieren. Aber sein Verdikt entsprach zunächst noch durchaus historischer Realität. Die italienischen Staaten vom Königreich Sardinien-Piemont und dem österreichischen lombardo-venezianischen Königreich über die Herzogtümer Parma-Piacenza, Modena und (bis 1829) Massa-Carrara sowie (bis 1847) Lucca, das Großherzogtum Toskana bis hin zum Kirchenstaat und dem Königreich beider Sizilien waren, anders als die 36 Staaten des Deutschen Bundes, völkerrechtlich überhaupt nicht miteinander verbunden. Durch Italien zu 5
6
Dies ist die These des gründlichen und materialreichen Buches von W. Altgeld, Das politische Italienbild der Deutschen zwischen Aufklärung und Revolution von 1848, Tübingen 1984. W. Waetzoldt, Das klassische Land. Wandlungen der Italien-Sehnsucht, Leipzig 1927, S. 85.
Deutsche Italienerfahrungen im frühen 19. Jahrhundert
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reisen bedeutete deshalb in dieser Zeit mehrere wirtschaftlich und gesellschaftlich sehr verschieden entwickelte Länder zu passieren. Die italienische Halbinsel stellte bis zur Nationalstaatsgründung von 1861 und darüber hinaus nicht einmal eine kulturelle Einheit dar, wenn man bedenkt, daß die ganz große Mehrheit der Italiener in dieser Zeit nur jeweils einen Dialekt sprach, ohne die italienische Hochsprache zu beherrschen, geschweige denn, sie lesen oder schreiben zu können. Die risorgimentalen Eliten, welche aktiv fur die Einheit Italiens eintraten, waren eine kleine Minderheit, ihr nationales Projekt übte nur auf ganz wenige Menschen eine politische Faszination aus. Um so mehr muß es deshalb erstaunen, daß sich zum Anfang des 19. Jahrhunderts in Deutschland zunächst eine Italienvorstellung halten konnte, die von einer Einheit des Landes ausging. Es war dies freilich ein Italien, das fern aller zeitgeschichtlichen Realität weitgehend ein ästhetisches Konstrukt war. Dies geht letzten Endes aufJohann Joachim Winckelmann zurück, dessen „Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke" von 1755 und „Geschichte der Kunst des Altertums" von 1764 die deutsche Italiensicht bis weit in das 19. Jahrhundert hinein entscheidend geprägt haben.7 Italien galt danach als das ideale Land der,Klassik', als deren Ursprung Winckelmann bekanntlich die griechische Kunst angesehen hat. Was bei ihm noch eine mythisch verklärte Projektion war, wurde von seinen Adepten als real existierender Ort angesehen. Man begab sich in Italien auf Reisen, um das ,Land der Griechen mit der Seele zu suchen'. Damit traten die - freilich meistens in römischer Kopie erhaltenen - griechischen Kunstwerke in Rom und die Tempellandschaften Kampaniens und vor allem Siziliens ins Zentrum eines klassizistisch determinierten Italieninteresses. Am wirkungsvollsten repräsentierte dieses ohne Frage Johann Wolfgang Goethe mit seiner „Italienischen Reise". Das Italien, das Goethe in dem 1816/17 veröffentlichten Werk darstellte, war ein fiktives Land, das in seiner Vergangenheit erstarrt war und kaum eine Gegenwart zu haben schien. Letzten Endes war es eine Art Utopie, die denn auch von Goethe einen utopischen Namen bekam: Arkadien'. Das raffinierte an Goethes ,Italienischer Reise' war jedoch, daß es sich um keinen fiktionalen Text handelte, sondern um einen scheinbar autobiographischen, der dem Genre der Reisebeschreibung durchaus verpflichtet war. Bezeichnenderweise trug das Buch zunächst den Haupttitel „Aus meinem Leben". 8 Wir wissen heute, daß es sich um eine „autobiographische Inszenierung" handelte,9 durch die Goe-
7
Vgl. dazu Griechenland als Ideal. Winckelmann und seine Rezeption von Deutschland, hg. v. L. Uhlig, Tübingen 1988.
8
J. W. von Goethe, Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Zweite Abteilung. Erster und zweiter Teil (Italienische Reise), Stuttgart/Tübingen 1 8 1 6 - 1 8 1 7 .
9
Κ. H. Kiefer, Wiedergeburt und Neues Leben. Aspekte des Strukturwandels von Goethes „Italienischer Reise", Bonn 1978, S. 3 9 4 .
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Wolfgang Schieder
the das klassische Bildungsideal kanonisieren wollte. Er sah seine eigene Selbstfindung in Italien als paradigmatisch fur einen klassischen Bildungsweg an. Die Zeitgenossen konnten jedoch noch nicht unbedingt erkennen, daß es sich um eine „Selbststilisierung Goethes" handelte,10 da sie von den wirklichen Italienerfahrungen Goethes so gut wie nichts wußten. Man verstand sein ästhetisches Programm daher als das Ergebnis einer realen Erfahrung, und diese „Verwechslung" bestimmte auf lange Zeit das deutsche Italienverständnis.11 Die .Italienische Reise' wurde zum Vademecum bürgerlicher Selbstreflexion erhoben, mit dessen Hilfe man in Italien im Nachvollzug zu jener kulturellen Identität kommen konnte, die in der Sprache der Zeit .Bildung' genannt wurde.12 Wenn man will, kann man die .Italienische Reise' deshalb als das zwar irreführendste, aber gleichwohl wirkungsmächtigste deutsche Italienbuch des 19. Jahrhunderts ansehen.13 Die Geschichte der deutschen Auseinandersetzung mit Italien im 19. Jahrhundert kann als eine Geschichte der Befreiung von diesem utopischen Italien angesehen werden — wenngleich diese nie in vollem Umfang gelungen ist. Italien wurde von den deutschen Beobachtern im Zuge dieser Distanzierung in seine Zeitgeschichte eingesetzt, d. h. es wurde, wenn auch nur sehr allmählich, in seiner gesellschaftlichen und politischen Realität wahrgenommen. Aber Italien blieb gleichzeitig immer noch das .klassische Land'. Noch immer ist freilich weitgehend unbekannt, daß Goethe auch einer der ersten, wenn nicht überhaupt der erste Deutsche war, der ein geradezu ethnologisches Interesse für Italien entwickelte. In einer Serie von Artikeln berichtete er von Oktober 1788 bis März 1789 unter dem Titel .Auszüge aus einem Reisejournal" in Wielands Neuem Teutschen Merkur kurz nach seiner Rückkehr aus Italien über seine Erlebnisse.14 Wenig später publizierte er - zunächst anonym - seine Beschreibung des .Römischen Karneval'.15 Ganz anders als in der ,Italienischen Reise', in die freilich der letztere Text später einigermaßen unverändert aufgenommen wurde, handelt es sich bei diesen frühen Italientexten Goethes um wirkliche Reisebe-
10
S. Oswald, Italienbilder. Beiträge zur Wandlung der deutschen Italienauffassung 1 7 7 0 - 1 8 4 0 , Heidelberg 1985, S. 95.
11 12
Ebd. S. 98. R. Vierhaus, Bildung, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. v. O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck, Bd. 1, Stuttgart 1972, S. 5 0 8 - 5 5 1 .
13
Vgl. dazu K. R. Mandelkow, Goethe in Deutschland. Rezeptionsgeschichte eines Klassikers, 2
14
J. W. von Goethe, Auszüge aus einem Reise-Journal, in: NeuerTeutscher Merkur (1788), S. 32—49,
Bde., München 1980. 9 7 - 1 2 1 ; (1789), S. 1 1 3 - 1 3 1 , 2 2 9 - 2 5 6 . Vgl. dazu und zum folgenden C. Florack-Kröll, Vom Erlebnis „Italien" zur Veröffentlichung der „Italienischen Reise", in: Goethe in Italien. Eine Ausstellung des Goethe-Museums Düsseldorf, hg. v. J. Göres, Mainz 1986, S. 126—133. 15
J. W. von Goethe, Das römische Carneval, Weimar 1789.
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Schreibungen. Goethe berichtete nicht chronologisch über seinen Reiseverlauf, sondern er fugte in lockerer Folge eine Szene an die andere, nicht viel anders als der freilich noch um Vollständigkeit bemühte Jakob Volkmann, dessen „Historisch kritische Nachrichten von Italien" er auf seiner Italienreise mit sich flihrte.16 Selbstverständlich befaßte sich Goethe schon mit der Kunst und Kultur des Landes und reflektierte er z.B. über eine „Theorie der bildenden Künste".17 Das eigentlich Interessante an seinen frühen Italientexten sind jedoch seine Schilderungen des italienischen Alltagslebens. „Das Volk interessiert mich unendlich", schreibt er in sein „Tagebuch der Italienischen Reise" von 1786.18 In Venedig sieht er sich beispielsweise auf dem Fischmarkt um, auch in Vicenza beobachtet er die Menschen auf dem Markt. Bewußt durchbricht er die Standesgrenzen und mischt sich in unauffälliger Kleidung unters ,Volk'. In Neapel schließlich überprüft er die Behauptung des Reiseführers von Volkmann, die Stadt sei voll von lazzaroni. Scharfsinnig bemerkt er, der äußerliche Eindruck von Müßiggang habe nur entstehen können, weil man von der nordeuropäischen Arbeitsmoral ohne weiteres auf den Süden geschlossen habe. Alle diese Beobachtungen veranlaßten Goethe freilich nicht dazu, sich mit den gesellschaftlichen Bedingungen oder politischen Ursachen der von ihm konstatierten Eigentümlichkeiten Italiens zu befassen. Er fuhrt diese vielmehr durchweg auf eine Art prästabilisierter Harmonie zurück, die sich für ihn .organisch' aus der ,Natur', und das heißt fur ihn besonders aus der geographischen Lage des Landes ergab. „Naturgeschichte, Kunst, Sitte, pp., alles amalgamiert sich bei mir", schrieb er im Herbst 1788 an Wieland.19 In gewissem Sinn ist deshalb das ästhetische Bildungsprogramm, das die Einheit von Natur und Kunst als ,klassisch' postulierte, doch schon in Goethes frühen Italienberichten enthalten. Der erste, der bewußt eine ,Gegenbildungsreise' antrat20 war aber schon Johann Gottfried Seume mit seinem „Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802", über den er 1803 einen Reisebericht veröffentlichte.21 Demonstrativ konzipierte Seume seine Reise durch Italien als ,Spaziergang', wobei er diese eher idyllische Bezeichnung für ein anstrengendes und teilweise gefährliches Unternehmen wählte, das insgesamt etwa 6000 Reisekilometer umfaßte. Wie er selbst beschreibt, ging er allerdings nicht die ganze Strecke zu Fuß. Er ließ sich von Pferdefuhrwerken mitneh-
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J. J. Volkmann, Historisch-kritische Nachrichten von Italien. Welche eine genaue Beschreibung dieses Landes, der Sitten und Gebräuche, Regierungsform, Handlung, Oekonomie, des Zustandes der Wissenschaften, und insonderheit der Werke der Kunst enthalten, 2 Bde., Leipzig 1777. Neuer Teutscher Merkur (1788), S. 9 7 - 1 2 1 . Johann Wolfgang von Goethe. Tagebuch der italienischen Reise 1786. Notizen und Briefe aus Italien, mit Skizzen und Zeichnungen des Autors, hg. v. C. Michel, Frankfurt 1976, S. 104. Goethe an Wieland Anfang September 1788, in: Goethes Briefe, Sophienausgabe, Abt. IV, Bd. 9, Weimar 1891, S. I4f. Vgl. Oswald (wie Anm. 10) S. 51. J. G. Seume, Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802, Braunschweig/Leipzig 1803.
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men, ritt zeitweise auf einem Esel oder benutzte gar die Postkutsche. Aber es ging ihm ums Prinzip: Als .Spaziergänger' setzte er sich von den in der Kutsche reisenden Aristokraten der Grand Tour ebenso ab wie von den bürgerlichen Bildungsreisenden. Ausdrücklich hob er hervor, daß er nicht durch Italien reise, „um vorzüglich Kabinette und Galerien zu sehen".22 Er ließ das traditionell übliche Bildungsprogramm zwar nicht ganz aus, aber er absolvierte es doch eher nebenbei. Besonders deutlich ist dies an seinen Berichten über Rom zu erkennen. Die Stadt, sonst Höhepunkt jeder Bildungsreise nach Italien, war fur Seume eher eine Durchgangsstation auf der Reise nach Sizilien.23 Er sah sich zwar einige Museen und Kunstsammlungen an, aber er brach selbst den Besuch der Vatikanischen Museen ab, nur weil er keine Zeit mehr hatte. Wichtiger als alle museale Kultur war ihm die Kultur der italienischen Landschaft, die ihm immer dann besonders gefiel, wenn sich in ihr Natur und menschliche Gestaltung vereinten. In erster Linie waren es aber die Menschen, die Seume in Italien interessierten. Wenn Goethe sich als Beobachter unter das Volk mischte, so identifizierte sich Seume als Fußgänger mit den sozialen Unterschichten Italiens. Seine Neugier galt den Lebensverhältnissen der Bauern, Tagelöhner, Handwerker und städtischen Arbeiter, die er in seiner vorindustriellen Sprache als »Vierten Stand' bezeichnete. Die Begegnung mit diesen füllt einen großen Teil seines Reiseberichts. Auch wenn er dabei häufig einer idealisierenden Folklore der ,kleinen Leute' verfiel, setzten seine außerordentlich farbigen Schilderungen des Alltagslebens einen ganz neuen Akzent in der deutschen Italienwahrnehmung. Seume hatte als erster wirklich einen sozialen Blick fur das Elend in zurückgebliebenen Gesellschaften. Und er beließ es nicht bei moralischer Entrüstung, sondern er fällte über die gesellschaftlichen Zustände Italiens durchaus dezidierte Urteile. So prangerte er etwa die Massenarmut der Landbevölkerung auf Sizilien als das Ergebnis eine „Feudalsystems" an, das dort „in den gräßlichsten Gestalten sein Unwesen" treibe. In Rom konstatierte er die Wiederherstellung der päpstlichen Hierarchie des Feudalsystems. In Oberitalien dagegen begeisterte er sich fur die Cisalpinische Republik, welche diese Region Italiens aus einer „tausendjährigen Lethargie" reiße.24 Insgesamt legte Seume auf diese Weise eine fur seine Zeit ganz ungewöhnliche, weil ebenso konkrete wie differenzierte Gesellschaftsanalyse Italiens vor. Die vor allem im Süden weitverbreitete Armut und die für den aus dem Norden kommenden Reisenden auffällige Lethargie der Bevölkerung führte er nicht auf einen angeblich unveränderlichen Volkscharakter zurück, wie das bis dahin allgemein üblich war. Er gab sich auch nicht
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23
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J. G. Seume, Spaziergang nach Syrakus, in: Ders., Prosaische und poetische Werke, Bd. 2, Berlin [1879], S. 115. L. M. Pütter, Reisen durchs Museum. Bildungserlebnisse deutscher Schriftsteller in Italien (1770— 1830), Bonn 1998, S. 228. J. G. Seume, Prosaische und poetische Werke, Bd. 3, Berlin o.J., S. 121-123.
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mit der traditionellen Erklärung zufrieden, daß es sich um das Ergebnis politischer Dekadenz handele.25 Seume insistierte vielmehr darauf, daß soziale Ungleichheit in den Städten und bäuerliche Verelendung auf dem Lande das Ergebnis politischer Unterdrückung seien, fiir die er den aufgeklärten Kampfbegriff des .Despotismus' verwendete. Auch wenn Seumes „Spaziergang nach Syrakus" im Laufe des 19. Jahrhunderts insgesamt fünfzehn Mal wiederveröffentlicht worden ist,26 kann man nicht davon sprechen, daß das Buch einen sofortigen Paradigmenwechsel in der deutschen Italienperzeption herbeigeführt hätte. In der europäischen Krisenzeit der napoleonischen Ära beherrschten in Deutschland zunächst andere politische Themen den öffentlichen Diskurs. Das änderte sich auch nach 1815 noch nicht grundlegend. Zwar strömten jetzt wieder verstärkt deutsche Reisende nach Italien und der Fußgänger Seume fand hier auch direkte Nachahmer.27 Auch in den Zeitungen begann man intensiver über das Land zu berichten als noch zu Anfang des Jahrhunderts.28 Aber diese öffentliche Aufmerksamkeit blieb zumindest bis zu den durch die französische Julirevolution von 1830 ausgelösten politischen Krisen in Europa eigentümlich abstrakt. Das hing zweifellos in erster Linie mit der rigiden Zensur zusammen, die Metternich 1819 mit den Karlsbader Beschlüssen durchsetzen konnte. Es waren dies jedoch auch Jahre, in denen sich, nicht zuletzt ausgelöst durch das Erscheinen von Goethes „Italienischer Reise", gerade die idealisierende Italiensicht entfalten konnte, welche für das deutsche Bildungsbürgertum so wichtig werden sollte. Charakteristisch ist für diese Zeit der Restauration das viel gelesene Buch von Wilhelm Müller über „Rom, Römer und Römerinnen" von 1820. 29 Müller vermeidet es ausdrücklich, sich auf das Gebiet der Politik zu begeben, sein Interesse gilt der „Darstellung des lebenden Volks".30 Auch wenn er einige Bemerkungen zum rückständigen Regierungssystem des Kirchenstaates macht, beschreibt er deshalb vor allem lebensfrohe und heitere Genreszenen aus der römischen Volkskultur. Anders als Seume geht es ihm nicht um Sozialkritik, seine Beobachtungen über städtische Handwerker und Kleinhändler oder über Bauern und Hirten in der römischen Campagna haben den Zweck, deren vormoderne Lebenswelt von der deutschen Gegenwart abzuheben. Im Ergebnis lief das auf eine Apotheose eine idylli-
25
Vgl. dazu C. Dipper, Das politische Italienbild der deutschen Spätaufklärung, in: Deutsches Italienbild und italienisches Deutschlandbild im 18. Jahrhundert, hg. v. K. Heitmann/T. Scamardi, Tübingen 1993, S. 22.
26
Vgl. Johann Gottfried Seume, Werke, hg. v. J. Drews unter Mitarbeit von Sabine Kyora, Bd. 1,
27
A. Ite, Fußreise vom Brocken auf den Vesuv und Rückkehr in die Heimat, Leipzig 1820; G. F. C.
28
Vgl. dazu Altgeld (wie Anm. 5) S. 5 1 - 6 1 .
29
W. Müller, Rom, Römer und Römerinnen, 2 Bde., Berlin 1820.
30
Ebd. Bd. 1, S. 5.
Frankfurt 1993, S. 849ff. Parthey, Wanderungen durch Sicilien und die Levante, 2 Bde., Berlin 1834.
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sehen ländlichen Lebens hinaus, die deutlich dem Geist romantischer Mittelalterverherrlichung verpflichtet war. Allerdings ist nachgewiesen worden, daß man in der Zeit der europäischen Restauration die Revolutionen im Königreich Neapel und im Königreich Piemont von 1820 bzw. 1821 sehr wohl wahrgenommen hat.31 Insbesondere beschäftigte man sich in der deutschen Publizistik mit dem geheimnisumwitterten Geheimbund der Carbonaria. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß diese Wahrnehmung in starkem Maße von einem gegenrevolutionären Verschwörungsdenken geprägt war, das der gesellschaftlichen und politischen Realität in den beiden italienischen Königreichen wenig entsprach. Konservative Publizisten sahen in Neapel wieder das ,Gespenst der Revolution' auftauchen, das man gerade erst gebannt glaubte. Von liberaler Seite fanden die konstitutionellen Ziele der neapolitanischen Revolutionäre Beifall, die Anwendung von Gewalt lehnte man aber ebenfalls ab. Daß revolutionäre Umbrüche aufgrund von gesellschaftlichen Konflikten, aus als unerträglich empfundener sozialer Ungleichheit oder aufgrund von Widerstand gegen politische Repression entstehen, verstanden trotz oder gerade wegen der noch nicht allzuweit zurückliegenden Erfahrung mit der französischen Revolution in Deutschland nur wenige. Revolutionen hatten nach der Ansicht der Zeitgenossen keine strukturellen Gründe, sie wurden durch einige Revolutionärs' gemacht, denen man politische ,Wühlerei' und Aufwiegelung' unterstellte.32 Die Existenz einer Geheimgesellschaft wie der Carbonaria schien dieses personalisierte Revolutionsverständnis nur zu bestätigen. Die spezifisch süditalienischen Entstehungsbedingungen des Carbonarismus interessierten dabei kaum. Als das kontinentale Europa 1830 neuerdings von revolutionären Eruptionen erschüttert wurde, gerieten auch die Umsturzversuche in Mittelitalien von 1831/ 32 in das Visier der deutschen Revolutionskritiker. Mehr als diese rasch wieder zusammenbrechenden Aufstände beunruhigte in Deutschland freilich das von Giuseppe Mazzini zu Anfang der dreißiger Jahre in der Schweiz gegründete „Giovine Europa", in dem es erstmals zu Kontakten zwischen italienischen und deutschen Radikalen kam, die sich im „Jungen Deutschland" organisierten.33 Zwar handelte es sich dabei auf beiden Seiten um winzige Gruppen exilierter Demokraten, die kaum Rückhalt in ihren Heimatländern hatten. Die schiere Existenz des „Giovine Europa" schien jedoch neuerdings die revolutionären Verschwörungsängste des konservativen Deutschlands auf nunmehr internationaler Ebene zu bestätigen. Nicht so sehr die italienischen Staaten, sondern die als zu tolerant angesehene Schweiz
31 32
33
Ausführlich dazu Altgeld (wie Anm. 5) S. 5 1 - 1 3 1 . Vgl. dazu R. Koselleck, Revolution, in: Geschichdiche Grundbegriffe, Bd. 5, Stuttgart 1984, S. 7 3 2 734. Vgl. F. della Peruta, Mazzini e i rivoluzionari italiani. II „Partito d'azione" 1830-1845, Milano 1974.
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geriet dadurch jedoch ins Visier der restaurativen Politik und ihrer publizistischen Helfer. Wenn das konservative Deutschland immer wieder darüber beunruhigt war, daß die Masse der Untertanen durch revolutionäre ,Wühlereien' aufgewiegelt werden könnte, machte sich auf liberaler Seite Enttäuschung darüber breit, daß die große Masse der Italiener den revolutionären Aufbrüchen noch viel gleichgültiger gegenüberstand als in Deutschland. Gerade in den dreißiger Jahren kam daher das alte deutsche Vorurteil gegenüber ,den Italienern' wieder hoch, wonach diese unfähig seien, ihre eigenen Angelegenheiten in die Hand zu nehmen. Das im 18. Jahrhundert geprägte „Dekadenzparadigma" wurde jedoch nicht mehr auf die intellektuellen Eliten Italiens angewendet, sondern auf die Masse der Bevölkerung. 34 Politische Apathie, Disziplinlosigkeit, Unwissenheit, Sittenlosigkeit und Unredlichkeit waren die Epitetha, mit denen man jetzt den italienischen Volkscharakter glaubte beschreiben zu können. Analphabetismus und religiöser .Fanatismus' aufgrund des übermächtigen Einflusses der katholischen Kirche auf die Unterschichten wurden meistens als die Ursachen dieser Mentalität angesehen, ohne daß diese jedoch in irgend einer Weise zureichend erklärt wurden. Allenfalls wurde ganz unspezifisch auf die jahrhundertealte Fremdherrschaft als Ursache für die Defizite des italienischen Volkscharakters verwiesen. Im Prinzip handelte es sich immer noch um eine weitgehend unhistorische Sichtweise, welche die italienische ,Dekadenz' als geradezu anthropologisch determiniert ansah. Wenn es „je ein Volk gab, dem ich von Herzen die schärfste Zuchtrute wünsche", schrieb 1836 ein sonst unbekannter Publizist, „so ist es dieses, über allen Ausdruck verdorbene, und im Allgemeinen fast allen Gefühlen des besseren Menschen erstorbene Volk ... Unersättliche Habgier, unersättliche Wollust, unbeschreibbare Feilheit, unerhörter Egoismus, unbegrenzte Rachsucht, unübersteigliche Bosheit, die tiefste und niedrigste Gemeinheit, Charakterschlechtigkeit, Verworfenheit, Gewissenlosigkeit und Unzuverlässigkeit - dies sind die bewährten Hauptzüge eines Volkes, das in neuester Zeit eine gewisse Klasse schriftstellerischer Subjekte bis in den Himmel zu erheben wagte". 35 Es liegt auf der Hand, daß diese Polemik nur wenig mit der historischen Realität zu tun hatte. Das italienische Volk wird durch eine Serie von durchweg pejorativen Attributen verbal aus dem Kreis der zivilisierten Völker ausgeschlossen, ja geradezu kriminalisiert. Das richtete sich, wie aus der Attacke gegen die „gewisse Klasse schriftstellerischer Subjekte" hervorgeht, ausdrücklich gegen die ästhetisierte Italienprojektion, für die Goethes „Italienische Reise" konstitutiv war. Damit war die „Zeit romantischer Italiensehnsucht und Sehnsucht nach italienischem Leben" zwar beileibe nicht
34 35
Vgl. Dipper (wie A n m . 25) S. 24. M . L. Langenschwarz, Europäische Geheimnisse eines Mediatisierten. Metternich und Europa, Wien und Österreich, H a m b u r g 1836, S. 197.
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vorüber.36 Wohl aber etablierte sich neben der ästhetischen Kunstfigur des .Landes wo die Citronen blüh'n' das ebenso realitätsferne Konstrukt eines in sozial-moralischer Rückständigkeit versinkenden Landes. Ihren krassesten Ausdruck fand diese neue Italiensicht in dem 1834 erstmals erschienenen dickleibigen Buch des preußischen Militärrichters Gustav Nicolai über „Italien wie es wirklich ist". Wie schon der Untertitel dieses Elaborates anzeigt, machte sich Nicolai, von der klassischen Sehnsucht nach den „hesperischen Gefilden" bewegt, auf den Weg nach Italien.37 Ganz im Geist der Bildungsidee der Klassik war Italien für ihn das Land seiner „Wünsche und Hoffnungen. 38 Doch die Reise wird als eine einzige Enttäuschung dargestellt. Italien erweist sich nicht als das erwartete Eldorado, das Nicolai sich erträumte. Statt des „wahrhaft Schönen" fand er nur „verfaulte Herrlichkeit". Aufgrund dieser Erfahrung sieht er sich veranlaßt, mit aller Kraft gegen die „überspannte Verehrung für die Kunstsammlungen Italiens, Kunstschwärmerei und schwärmende Kunstphilosophie" anzuschreiben. Seine Wut gilt den romantischen Schriftstellern vonTieck, Novalis und Wackenroder bis zu Jean Paul. Der Hauptverantwortliche für die seine Ansicht nach „krankhafte Sehnsucht nach dem Süden" ist aber Goethe, dem er maliziös, aber nicht unzutreffend, vorhält, mit seiner „Italienischen Reise" mehr „an sich selbst gedacht zu haben, als an das Interesse seiner Landsleute". 39 Nicolais Desillusionierung ergab sich zunächst aus einer Kette von Widrigkeiten, Zwischenfällen und Zwangsaufenthalten, wie sie eben damaligen Reisenden allemal passieren konnten. Nicolai schließt aber aus diesen Erfahrungen auf den italienischen Volkscharakter. Was er entdeckt, ist ein Land voller Bettler, betrügerischer Gastwirte und herumstehender Nichtstuer. Besonders schockiert ist er über das angeblich allgegenwärtige Ungeziefer, über den Kampf gegen Flöhe und Wanzen. Am Ende regt er sich selbst über die öffentliche Gewerbetätigkeit der Handwerker in den Städten auf: „Welch abscheuliche Gewohnheit, und wie trägt sie dazu bei, Gestank und Unflat zu erzeugen und zu vermehren! - Wie kann so etwas von der Polizei gelitten werden? - Je schmutziger das Gewerbe ist, um so sicherer darf man in Italien darauf rechnen, daß es im Freien getrieben wird. Wer irgend Sinn hat fiir Reinlichkeit und Ordnung wird mir beipflichten müssen, daß es keinen erfreulichen Eindruck hervorbringen kann, wenn in engen Straßen der blutbesudelte Schlächter, der schmutzige Schuhflicker, der Schneider, Tischler, Schlosser und Klempner seine Werkstätte aufgeschlagen hat, und wenn man das Pflaster durch Lederstücke, alte Sohlen, Tuchflicken, Hobelspäne oder Fleischabgang ver-
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38 39
So aber Altgeld (wie Anm. 5) S. 190. G. Nicolai, Italien wie es wirklich ist. Bericht über eine merkwürdige Reise in den hesperischen Gefilden, als Warnungsstimme fiir alle, welche sich dahin sehnen, Leipzig 1834. Ebd. 2. T„ S. 326. Ebd. 1. T „ S. 3f.
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unreinigt sieht. Vorzugsweise erblickt man Schuster, die das Privilegium zu haben scheinen, Pfriemen und Pechdraht auf der Straße zu handhaben. Man denke sich außerdem diese arbeitenden Handwerker als ein ekelhaftes Gesindel mit schwarzem, struppigem Haar, voller Ungeziefer, mit unreinlicher Kleidung und widriger Ausdünstung, und man wird nicht besondere Lust verspüren, eine italienische Stadt kennenzulernen".40 Man kann das als das „klassische Beispiel eines Banausen, Spießbürgers und Pedanten", dem alle Voraussetzung fxir ein unbefangenes Erlebnis des Fremden fehlten, bezeichnen.41 Nicolais pauschale Herabsetzung des italienischen Volkscharakters entsprang jedoch einem nationalistisch geprägten Uberlegenheitsdenken, das in seinem Kern zutiefst xenophob geprägt war. Es kann nicht überraschen, daß Nicolais Buch in Deutschland fur eine ,literarische Sensation' sorgte und eine heftige Polemik auslöste, die sich bis in die vierziger Jahre hinein hinzog.42 Bei einer Reihe von nationalistischen Gesinnungsgenossen fand er Zustimmung, erheblich größer war jedoch die Zahl von Nicolais Kritikern. Ein Reiseschriftsteller machte sich die Mühe, Nicolai in einem fünfhundert Seiten umfassenden Buch zu widerlegen.43 Ein anderer parodierte ihn. 44 Gegen einen seiner schärfsten Kritiker reichte Nicolai, wenn auch vergeblich, sogar eine Beleidigungsklage ein.45 Daß ein eher mediokerer Autor überhaupt eine solche Publizität erhalten konnte, ist freilich bemerkenswert. Zu erklären ist es nur damit, daß sein Buch offensichtlich auf ein auch unter ,Gebildeten' verbreitetes Unbehagen an der Arkadisierung Italiens gestoßen ist. Der ästhetischen Verklärung setzte Nicolai zwar ein Zerrbild Italiens entgegen, doch die Beschäftigung mit diesem sollte bewirken, daß man sich in Deutschland endlich systematisch fur das real existierende Land zu interessieren begann, das Seume schon Jahre zuvor als erster entdeckt hatte. Kein geringerer als der junge Victor Hehn erkannte schon damals, welche Bedeutung dem Buch Nicolais angesichts einer kritiklosen Italomanie zukam. Er hielt das Erscheinen des Buches fur „unausbleiblich", ja er habe es „lange erwartet". „Je höher das Kartenhaus steigt, desto näher der Umsturz. Ich will die schroffe Überzeichnung nicht verteidigen, in die Nicolai verfallen ist: aber ich finde sie verzeih-
40 41
Ebd. I . T . , S. 138f. So J. Wieder, „Italien wie es wirklich ist". Eine stürmische Polemik aus der Geschichte der deutschen Italien-Literatur, in: Festschrift Luitpold Dussler. 2 8 Studien zur Archäologie und Kunstgeschichte, hg. v. J. A. Schmoll, München 1972, S. 3 2 6 .
42
Vgl. Oswald (wie Anm. 10) S. 145.
43
C. A. Eberhard, Italien, wie es mir erschienen ist, 2 Bde., Halle 1839.
44
A. J. von Medihammer, Schreiben eines deutschen Flohs, welcher mit Herrn Gustav Nicolai die Schnellfahrt durch die hesperischen Gefilden gemacht hat, an seine Freundin, eine Wanze in Italien. Nebst einem Anhange, ein Schreiben der Akademie der Wissenschaften zu Flohaburgo enthaltend. Frei nach dem Flohitanischen übersetzt von K. E. L. R. S. Adamssohn, Meißen 1836.
45
Vgl. Wieder (wie Anm. 4 1 ) S. 328.
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lieh und natürlich. Es mußte eine Reaktion kommen, und das diese bei der Gewalt ihres ersten Hervorbrechens ihrerseits die Grenze überschritt, ist nicht zu verwundern".46 Trotz aller Überspanntheiten und Banalitäten, welche das Buch enthält, erkannte Hehn also scharfsinnig seine gewissermaßen kathartische Bedeutung. Die Diskussion darüber führte zu Ernüchterung und machte den Weg frei für einen realistischen Blick auf Italien. Der Weg zu dieser neuen Perzeption, die an die Seite der weiterhin wirkungsmächtigen idealisierenden Sicht romantisch-klassizistischer Provenienz trat, wurde durch eine Reihe von Büchern geebnet, die im Laufe der vierziger Jahre bis in das Revolutionsjahr 1848 hinein erschienen sind. Als Autoren wären hier etwa Adolf Stahr, Wilhelm Schulz, Johann Fallati oder Wilhelm Stricker zu nennen, die alle zur intellektuellen Elite der vormärzlichen bürgerlichen Linken gehörten.47 Die größte Wirkung hatten aber zweifellos die „Römischen Briefe" (1840) und die „Neuen Römischen Briefe" (1844) von Alfred Reumont, die „Italienischen Zustände" (1844) von Karl Joseph Mittermaier und die Bücher „Italien. Beiträge zur Kenntnis dieses Landes" (1840) von Friedrich von Raumer und „Italiens Zukunft" (1848) von Christoph Friedrich Karl von Kölle.48 Der katholische rheinische Diplomat Reumont, der liberale Heidelberger Professor Mittermaier, der konservative Berliner Historiker Friedrich von Raumer und der liberale Württemberger Kölle standen in ganz verschiedenen politischen Lagern, wenn sie auch ausnahmslos bildungsbürgerlich geprägt waren. Sie verband jedoch ein neuartiger Blick auf Italien. Im Geist der in den dreißiger Jahren aufkommenden Nüchternheit begnügten sie sich nicht mehr mit subjektiven Erfahrungsberichten und willkürlichen Beobachtungen aus dem Land. Schon gar nicht ließen sie sich auf pauschale volkspsychologische Vermutungen ein. Sie gingen vielmehr wissenschaftlich an ihr Thema heran und bemühten sich darum, auf der Basis aller ihnen erreichbaren schriftlichen und mündlichen Quellen systematisch über Italien zu berichten. Dabei kam ihnen entgegen, daß sich die historischen und sozialen Wissenschaften in Italien inzwischen, nicht zuletzt aufgrund des später als „metodo tedesco"49 bezeichneten 46
V. Hehn, Reisebilder aus Italien und Frankreich, hg. v. T. Schiemann, 2. Aufl., Stuttgart/Berlin 1906, S. IXf.
47
W. Schulz, Druckschrift über die internationale Politik Deutschlands, Darmstadt 1998; ders., Italien, in: Staats-Lexicon oder Encyclopädie der Staatswissenschaften, hg. v. C. Rotteck/C. Welcker, Bd. 7, 2. Aufl., o.O. 1847, S. 5 0 5 - 5 2 9 ; J. B. Fallati, Die Section fur Agronomie und Technologie auf den Versammlungen der italienischen Gelehrten, in: Zeitschrift fur die gesammte Staatswissenschaft 3 (1846), S. 140-224; A. Stahr, Ein Jahr in Italien, 3 Bde., Oldenburg 1 8 4 7 - 1 8 5 0 .
48
A. von Reumont, Römische Briefe von einem Florentiner 1 8 3 7 - 1 8 3 8 , 4 Bde., Leipzig 1840-1844; ders., Neue Römische Briefe von einem Florentiner, 2. T., Leipzig 1844; C. J. Mittermaier, Italienische Zustände, Heidelberg 1844; F. von Raumer, Italien. Beiträge zur Kenntnis dieses Landes, 2 Bde., Leipzig 1840; C. F. K. von Kölle, Italiens Zukunft. Beiträge zu Berechnung der Erfolge der gegenwärtigen Bewegung, Tübingen/Stuttgart 1848.
49
Vgl. O. Weiss, Das deutsche Modell. Zu Grundlagen und Grenzen der Bezugnahme auf die deut-
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deutschen Vorbilds, entfaltet hatten. Sie konnten daher mit Hilfe der Erkenntnisse der Statistik, der Staatswissenschaften und der Ökonomie, sowie natürlich auch der Geschichtswissenschaft in Italien eine ganz andere, wissenschaftlich überprüfbare Darstellung ihrer italienischen Gegenwart liefern als die Literaten und Journalisten vor ihrer Zeit. Was war der Befund ihrer historisch-sozialwissenschaftlichen Analysen? Zweierlei kann man hervorheben. Zum ersten stellten die Italianisten der vierziger Jahre fest, daß das Gerede von der angeblichen Dekadenz der Italiener nicht mehr zutreffend sei. Man bemerkte übereinstimmend, daß es inzwischen in Italien auf nationaler Ebene eine selbstbewußte politische Führungselite gab, die in ihrem intellektuellen Zuschnitt und in ihrem Durchsetzungswillen der deutschen durchaus ebenbürtig war. Reumont sprach zum Beispiel davon, daß in der italienischen Politik ein „reiches, frisches Leben erwacht" sei: „Es ist ein neuer Frühling, und nach allen Seiten treiben Sprossen und Blüthen".50 Auch Mittermaier unterstrich, daß Italien nicht mehr bloß als ein Land von „Fuhrleuten, Schiffern und Lohnbediensteten oder Lastträgern" angesehen werden dürfe.51 In einer auch statistisch abgesicherten Gesellschaftsanalyse wies er nach, daß es inzwischen auch eine gebildete Oberschicht gebe. Seine politische Sympathie galt dabei in erster Linie den sogenannten Moderati, angefangen bei Balbo und Capponi bis hin zu Massimo D'Azeglio. Ausgehend von diesen realistischen Einsichten gingen die deutschen Italianisten der vierziger Jahre zum zweiten erstmals darauf ein, eine mögliche nationalstaatliche Einigung Italiens zu diskutieren. Mittermaier sprach beispielsweise von der „großen Umgestaltung", welche „in Ansehung der Stellung der einzelnen Völker Italiens in den letzten Jahren vorging. Während früher die durch mannigfache Fehden, Parteiinteressen und Eifersucht voneinander getrennten Völkerschaften statt ihre innere Einheit zu fühlen, eher feindlich sich gegenüber standen und der Lombarde über den Genuesen, der Florentiner über den Venezianer, der Bolognese über den Modenesen, der Römer über den Neapolitaner spottete und die Stimmung des Volkes in mancherlei Witzeleien, Sprichwörtern und Satiren eines Volkes über das andere sich Luft machte, entwickelt sich jetzt mehr das Nationalgeflihl. Alle auch weit entfernten Einwohner Italiens erkennen, daß sie einem großen Vaterland, Italien, angehören".52 Mittermaier hütete sich allerdings, eine klare Stellungnahme sehe Wissenschaft in Italien in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, in: Die deutsche und die italienische Rechtskultur im „Zeitalter der Vergleichung", hg. v. A. Mazzarane/R. Schulze, Berlin 1995, S. 9 8 - 1 2 6 ; sowie besonders auch A. Esch, Die Gründung deutscher Institute in Italien 1870—1914. Ansätze zur Institutionalisierung geisteswissenschaftlicher Forschung im Ausland, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen 1997, Göttingen 1997, S. 159-188. 50
Vgl. Reumont (wie Anm. 48, Neue Römische Briefe, T. 2) S. 131f.
51
Vgl. Mittermaier (wie Anm. 48) S. 3f. Ebd. S. 56f.
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dazu abzugeben, ob die italienische Einigung realisierbar oder gar wünschenswert sei.53 Vielmehr verwies er auf die Schwierigkeiten, „welche die völlige Umgestaltung Italiens unter den obwaltenden Verhältnissen" habe.54 Kölle hielt allenfalls eine staatenbündische Lösung fur möglich. Friedrich von Raumer und Alfred Reumont schließlich hielten eine nationalstaatliche Einigung Italiens vollends fur überflüssig und sogar gefährlich. Raumer sprach davon, daß der Gedanke einer Wiedergeburt Italiens „völlig unpraktisch, unausführbar, verderblich" sei.55 Und Reumont war der Ansicht, daß die Moderati in Italien glücklicherweise in der Mehrheit seien. Sie sehnten sich „keineswegs nach einem italienischen Gesamtstaat, sei es ein Königreich oder eine Republik, mit der Hauptstadt Rom oder Florenz oder Mailand! Wo man Italien gewähren ließ, ist sein Streben immer nach Partikularisierung, ja nach Provinzialisierung gewesen".56 Das einzige, was er den Italienern zugestehen wollte, war ein „Handels- und Zollverein, wie er in den teutschen Bundesstaaten besteht".57 Als sich die italienische Nationalstaatsgründung jedoch immer mehr abzeichnete, ließ er diese Entwicklung „in innerer Ablehnung, Zorn und Trauer an sich vorbeiziehen".58 Die realistische Einschätzung der italienischen Gesellschaft und Politik hatte somit auch bei den deutschen Italianisten der vierziger Jahre ihre Grenzen. Aufgrund ihrer politisch in dieser Hinsicht übereinstimmenden konservativen Auffassungen konnten sie sich einen Erfolg des italienischen Risorgimento nicht vorstellen. Sie beschworen das historisch Gewachsene in seiner .Mannigfaltigkeit', das nicht zerstört werden dürfte um einer .abstrakten' zentralistischen Einheit willen. Sie empfahlen den Italienern, ,besonnen' vorzugehen und die nationale Einheit ,tiefer', d.h. kulturell und nicht politisch zu fassen. Bezeichnenderweise wurden denn auch die italienischen Revolutionen der zwanziger und dreißiger Jahre weiterhin als Aufwallungen südländischer Gewalt kritisiert. Ganz offensichtlich blieb also das alte deutsche Vorurteil von der Dekadenz und politischen Unreife der Italiener in versteckter Form erhalten, und dies sollte auch in Zukunft noch lange so bleiben.
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Vgl. dazu T. Schieder, Das Italienbild der deutschen Einheitsbewegung, in: ders., Begegnungen mit der Geschichte, Göttingen 1962, S. 2l4f. Mittermaier (wie Anm. 48) S. 57. Raumer (wie Anm. 48, Bd. 2) S. 502. Reumont (wie Anm. 48, Neue Römische Briefe, Τ. 1) S. XIX. Ebd. S. XX. J. Petersen, Alfred Reumont und Italien, in: Ders., Italienbilder - Deutschlandbilder. Gesammelte Aufsätze, Köln 1999, S. 24.
Überlieferungen und Texte
HERBERT BLOCH
Arnold Eschs Römische Straßen in ihrer Landschaft
In Römische Straßen in ihrer Landschaft, Arnold Esch has masterfully compiled an aesthetically exquisite volume that eloquently speaks to both the history and evolution of an essential feature of Roman infrastructure: its roads. One of this book's many merits is expressed in its title: Roman Roads in their Landscape. Only a scholar like Esch, who is intimately familiar with the countryside these roads traverse, could do this topic justice. His choice of roads could not have been better. All five are important; each one heads in a different direction across Latium: the Via Appia southeast, the Via Cassia northwest, the Via Flaminia north, the Via Salaria northeast, and the Via Valeria east.1 Exploring sections of roads abandoned in the Middle Ages or later because of changes in their function or for other reasons is particularly significant. Even finding these abandoned stretches is difficult, and requires a hands-on approach, as Esch describes (page 61): „Wissenschaftliche Straßenforschung läßt bisweilen erkennen, daß sie am Schreibtisch gemacht ist. Das sollte nicht sein. Denn Straßenforschung kann ohne den Befund im Gelände nicht auskommen." („Research on roads sometimes reveals that it was done at a desk. That should not be. For research on roads cannot succeed without findings in the field"). Another of the work's great contributions is alluded to in its subtitle: „Das Nachleben antiker Strassen um Rom mit Hinweisen zur Begehung im Gelände" („The afterlife of ancient roads around Rome with advice on walking in the countryside"). Throughout the book, for those interested in investigating these roads, Esch gives meticulous directions for reaching each section under discussion. The book's maps are based on the excellent Carta d'ltalia, 1:25,000 of the Istituto Geografico Militare (cf. p. 2). Numbers on these maps and in the text and captions enable the reader to place sites in their geographical context. Everyone who uses these aids will be grateful to the author for his superb directions. What makes this book especially valuable is Eschs multidisciplinary approach. He is both a historian with a broad perspective and an archaeologist who, three decades ago, wrote a fundamental and famous article on the recycling of ancient pieces of architecture and sculpture (here called „spolia") in medieval Italy: „Spolien.
' Cf. the overview map on p. 3.
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Zur Wiederverwendung antiker Baustücke und Skulpturen im mittelalterlichen Italien," Archiv für Kulturgeschichte, 51(1969), pp. 1-64. 2 „Spolia" are an important component of the architecture of many buildings along the roads Esch discusses. For instance, in Civita Castellana (p. 73 and Fig. 19, Via Flaminia), the arch in honor of Cardinal Rodrigo Borgia (later Pope Alexander VI) consists almost entirely of decorations taken from a Roman tomb whose inscription 3 is quoted in the dedicatory inscription for the cardinal. In ancient Carsulae, the Church S. Damiano was established in an ancient building with a porticus created from „spolia" (p. 83 and Fig. 48, p. 87, Via Flaminia). In Alba Fucens, the Temple of Apollo was transformed into the Church of S. Pietro with two interior rows of columns, "spolia" from another building (p. 151 and Fig 40, p. 154, Via Valeria). There is another group of Eschs archaeological discoveries that deserves mention here: milestones. In a remarkable case, the 54th milestone on the Via Appia was considered lost until Esch rediscovered it, serving as a fountain base in the medieval Cistercian Abbey of Fossanova, 10 km northeast of the Via Appia, where Thomas Aquinas died on March 7, 1274 (pp. 22f. and Fig 31).4 The two 31st milestones of the Via Salaria (p. 102 and Figs. 19, 22, and 20) were also considered lost until Esch rediscovered them hidden in high grass. The first one is a remnant of Augustus' reconstruction of the Via Salaria around 16-15 b.c. (pp. 94f) 5 ; the second one bears an inscription of Iulianus Apostata (a.d. 361/363). East of Carsoli was a milestone whose inscription appears in CIL IX 5967, but which later disappeared until Esch found it, buried upside down as the pedestal of a mission cross (p. 141 and Figs. 21a—b, Via Valeria). Only the bottom two lines of the inscription are still visible. One of the most appealing of the books features is its interweaving of history from ancient to modern. In Eschs description of the Via Salaria, for example, on reaching the 24th milestone in the Sabina, he inserts Varro's amusing account of his habitual stops at his aunt s estate nearby on his frequent trips between Rome and Rieti (Reate), his birthplace in 116 b.c. (pp. 94f.).6 Varro had his own estate there and so did his wife Fundania, to whom he dedicated his work in 37 b.c. Further
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Cf. also his more recent article: „Ideologie e pratiche del reimpiego nell'alto Medioevo," Settimane di studio del Centra Italiano di studi sull' alto Medioevo 46 (1999), pp. 73— 113. CIL, XI 3097. Cf. A. Esch, „Ein verloren geglaubter Meilenstein der Via Appia. Weitere Kriterien fiir die Provenienz von Spolien im mittelalterlichen Italien," Epigraphica 35 (1973), pp. 9 6 - 1 0 1 , and „Reimpiego" (cf. n. 2), p. 83. Cf. G. Radke, „Viae publicae Romanae," RE, Suppl. XIII (1973), col. 1645; and for the two inscriptions: CIL, IX 5943, 5944. Rerum rusticarum libri, III 2, 14-16.
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north on the Via Salaria at a road station, there is an ancient inn called Osteria Nuova, built on a huge Roman tomb, three of whose rooms were incorporated into the Osteria.7 It is remarkable that these roads not only still exist but that they still play such an important part in Rome's connection with Italy.8 One might expect then that in the 20th century, at least, the remains of these Roman roads would have been protected from destruction, but such is not the case. Esch is keenly aware - and makes the reader aware - of the almost daily destruction on these roads. At the very beginning of his book (p. 3), he describes how Pope Pius II (1458-1464), whom he rightly calls the „Humanistenpapst", enjoyed taking walks in the Roman countryside, including on the Via Appia between Albano and Genzano, how much he admired the harmony of antiquity and nature, and how he took steps to halt the devastation of these roads. Esch gives several examples of modern destruction. On the Via Appia in July, 1980, for instance, he watched a large bulldozer tear up and dump the ancient road's beautiful basalt pavement (p. 15). O n the Via Flaminia, conspicuous remnants of the pavement near the Torre dei Pastori, visible in 1990 (Fig. 15, p. 70) were gone by 1994 (p. 71). Even more dramatic was the complete disappearance of Le Castella, a medieval church and associated settlement on the Via Appia, which Esch had photographed in 1976 (figs. 20 and 21, pp. 160· By 1987, the whole complex had been torn down to make room for a cement factory. Eschs book makes a powerful statement for the preservation of these ancient Roman arteries and their associated cultural and historical monuments. Esch has treated particularly well the changes these roads underwent after the end of the Roman Empire. The Romans had been so determined to stick to straight lines (known in German as „die Gerade") that they bypassed even major towns near their thoroughfares. Examples are Velitrae (now Velletri), Via Appia (p. 8); Viterbo, Via Cassia (p. 27); and Falerii Veteres (now Civita Castellana), Via Flaminia, (pp. 61, 73, 148). During the Middle Ages, as Italy increasingly was divided into states, the roads' chief function of connecting Rome with distant towns within and beyond Italy became less important. At the same time was a movement to link the bypassed towns by altering the path of the Roman roads. At Albano, for example, the Via Appia Nuova detours from the ancient road to reach Velletri and returns to the Appia Antica at Cisterna di Latina (cf. the map, Fig. 1, p. 4), taking a much longer route than the ancient road. More significant than route changes during the Middle Ages (after the Carolingian Period), however, were changes in settlements along the ancient roads. In the Sabina,
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Pp. 107f. and Figs. 2 8 - 3 1 . Their official names are: Statale 7 via Appia, Statale 2 via Cassia, Statale 3 via Flaminia, Statale 4 via Salaria, Statale 5 via Tiburtina-Valeria.
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more than 75 percent of place names start with Colle, Monte, Poggio, Castellum, Rocca, etc., pointing to communities set on hills, whereas 20 percent of place names end in -anum, such as Quintilianum (now Cotigliano). This ending indicates names of estate-owners near the roads. In contrast to the agrarian population, which moved to high ground mainly for protection from invaders and local enemies (a process called „incastellamento"), these estate-owners took their chances and stayed where they were.9 Especially appealing are the chapters Esch devotes to historical figures one might have encountered on these ancient Roman roads. On the Via Appia, for instance, one might have met the Emperor Augustus as a boy (then called C. Octavius) on his way to his grandparents' villa (suburbanum) near Velletri, or, after his death in Nola in a.d. 14, when his body was escorted to Rome (p. 23).10 One might have encountered the Apostle Paulus on his way to Rome, when he was met and escorted by Roman Christians both in Tres Tabernae and farther south in Forum Appii" (pp. 23 and 19). During J.W. Goethe's Italienische Reise, he rode on the Via Appia through the Pontinian Swamps on his way from Rome to Naples and wrote, „Der ganzen Länge nach in gerader Linie ist die alte Via Appia wiederhergestellt."12 („The Via Appia has been restored in its entire length in a straight line.") Goethe obviously was impressed by the draining of the swamps and the restoration of the Via Appia in this region, which had been ordered by Pope Pius VI (1775-1799) and completed by 1783 (p. 21). In the Middle Ages, the German emperors favored the Via Cassia for journeys to Rome for papal coronation (p. 44). In the Renaissance, when the Via Cassia became the main link between Rome and Florence, you could have met up with Niccolo Machiavelli or even Michelangelo (p. 46). On the Via Salaria in the first century b.c., you would have stood a good chance of meeting Varro commuting from Rome to Rieti (cf. supra) and, a century later, the Emperor Vespasian, who spent every summer on his estates near Rieti, where he died in a.d. 79 (p. 116).13 Esch captures not only the roads' history, but also the exceptional beauty of the landscapes - in both words and photographs. He takes the reader on an excursion, for example, „zu einem unvergleichlichen Platz, der Natur und Geschichte in besonders anziehender Weise vereinigt" („to an incomparable place which unites nature and history in an especially attractive way"): the ruins of Castel Paterno (pp. 67f.).
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Esch, pp. 95f. and p. 124, nn. 3 2 - 3 9 . Cf. P. Toubert, Les structures du Latium n^diival, Rome 1973, especially pp. 303ff., and Dalla terra ai castelli. Paesaggio, agricoltura e poteri nell' Italia medievale, Turin 1995, pp. 44ff. Suetonius, Divus Augustus 6; 100, 2. Acts, 28, I4f. Goethe, Werke (Hamburger Ausgabe), ed. Ε. Truntz, XI, Munich 1 9 8 1 , p. 1 8 0 . Suetonius, Vespasianus 24.
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It was there that the German Emperor Otto III died on his way to Rome on January 23 or 24, 1002. Few people know how to reach these ruins, now obscured by dense vegetation. Indeed, the Touring Club Italianos excellent volume on Lazio in the Guida d'ltalia series,14 does not even mention Castel Paterno. Esch gives especially detailed directions to those interested in seeing the ruins and encourages the reader that visiting the site is worth the effort, not only for its historical significance, but also for its magnificent view of the nearby mountains. Such examples abound in Eschs book. On the Via Cassia, at the tombs called Torri d'Orlando and the ruins of a medieval church (p. 30 and Figs. 5 and 6, p. 31), Esch writes: „Wir nähern uns nun einer besonders lohnenden Stelle. Die alte Via Cassia zieht geradeaus durch weite grüne Landschaft, beherrscht vom waldigen Monte Fogliano am Kraterrand des Lago di Vico. Und hier haben sich an einem Platz gleich mehrere römische Grabbauten erhalten, zu denen sich auch noch eine mittelalterliche Kirche gesetzt hat: ein Ruinen-Ensemble, versunken in schönster Natur." („Now we are approaching a particularly rewarding place. The ancient Via Cassia runs straight ahead through a wide, green landscape dominated by forested Monte Fogliano [...] And here several tombs have been preserved in one spot, to which a medieval church has been added: an ensemble of ruins, steeped in the most beautiful nature"). Esch describes the site on p. 32 as „[...] ein idyllischer Platz, wie man ihn auch bei langem Umgang mit antiken Straßen nicht häufig finden wird." („an idyllic place, which one would rarely find even after a long acquaintance with Roman roads"). Esch says of the Via Cassia, north of Viterbo (p. 43, no. 38 on map Fig. 24, p. 44, and Figs. 27 and 28, pp. 46f): „Ein solch prächtiges Stück intakter römischer Straße wird man selten begehen können, dazu in schöner stiller Landschaft abseits der stark befahrenen modernen Cassia, mit Blick zurück auf die Monti Cimini und die eben durchmessene Ebene gegen Viterbo, zwischen Oliven und Wein und Wiesen." („One would rarely be able to walk on such a splendid stretch of intact Roman road, moreover in a beautiful and quiet landscape, away from the heavily traveled modern Cassia, with a view behind of the Cimini Mountains and the plain toward Viterbo, between olive trees, vineyards, and meadows"). The author depicts the view from the Via Flaminia, northeast of Civita Castellana thus (p. 75, no. 18 on map Fig. 13, p. 68, and Fig. 26): „Wo der Weg endet, sieht man, an landschaftlich äußerst reizvoller Stelle gegen den baumbestandenen Flußlauf und den dunklen Talhang, linker Hand im Feld die efeubehangene Torre S. Giovanni mit vermauertem Bogen." („Where the road ends, one sees a delightful scene backed by the tree-lined river and the dark slope of the valley. In the field on the left stands the ivy-bedecked Torre S. Giovanni with a walled-up arch").
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Milan, 1981, 8 3 0 pp.
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Esch recommends taking a break under the ancient Ponte Sambuco, Via Salaria (p. 118 and Fig. 46): „Eine Rast unter dem dämmrigen, beiderseits von Bäumen abgeschlossenen Brückenbogen an dem klaren, auch im Sommer nicht versiegenden Bach ist der schönste Abschluß einer Wanderung auf der Via Salaria". („A break under the dusky arch of the bridge surrounded by trees, on the clear brook, which runs even in the summer, is a perfect ending to a walk on the Via Salaria"). In these passages and many others, Esch has eloquently expressed his deep appreciation for beautiful landscapes. That love also has had a powerful influence on his almost 190 colored photographs, which make up more than 80 percent of the volumes illustrations. They are excellent throughout. In the following list, organized by content and by the initial of the appropriate Roman road,15 I've selected 37 that seemed to me particularly outstanding. Perhaps the most admirable group are the long-distance views of straightaways („die Geraden"): A13, A17, C25, S12, V 37. Side-by-side comparison of ancient and modern roads: A5 and F9. Other views of roads: C27, C28, C31, S53. Road supports: A3, S14, V9. „Spolia": A31, F19, F48, F49, V8, V19, V40, V47. Tombs: C5, C6, F39, F40, F4l, V38, V39. Aqueducts: V2, V4, V5. Landscapes: C5, C6, F17, F41, S3, V28, V30, V33. Suffice it to say that Esch is an unusually skillful and talented photographer, who sees with his heart as well as with his eye. As a result, his photographs eclipse those of any professional. It is hard to imagine how Esch could have produced this collection without his deep love of nature. This devotion has contributed tremendously to the value of this wonderful book, which certainly will appeal to anyone interested in history, archaeology, and Italian landscapes.
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A(ppia), C(assia), F(laminia), S(alaria), V(aleria).
T H E O KÖLZER
Die Urkunde Chlodwigs III. ftir das Kloster Grozeau Nahe der Quelle des Grozeau (cant. Malaucene, arr. Carpentras, dep. Vaucluse) erhob sich einst das Kloster Grasellus (heute: Kapelle Notre-Dame du Grozeau), das bis 1791 zur Diözese Vaison gehörte (heute: Avignon). 1 Uber seine Frühgeschichte ist kaum etwas bekannt, doch soll Chlodwig III. (691-694) dem Kloster ein Freiheitsprivileg des Bischofs und Klostergründers Aredius sive Petruinus von Vaison, gegeben am 1. Februar im 10. Regierungsjahr Theuderichs III. (685), 2 bestätigt haben (D Merov. 65) .3 Unikale Überlieferung ist ein Pergament-Rotulus des 12. Jh. aus dem Archiv von St-Victor in Marseille, 4 auf dem D 65 als letztes Stück eingetragen ist, aber unvollständig, obwohl noch ausreichend Platz vorhanden war. Es geht voraus die hier bestätigte Urkunde des Bischofs Aredius. Auf dieser Uberlieferung basiert mittelbar auch der Erstdruck von Mabillon, von dem wiederum einschließlich Pertz alle späteren Drucke direkt oder indirekt abhängig sind, 5 während Guerard ledig1
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Vgl. F. Prinz, Frühes Mönchtum im Frankenreich. Kultur und Gesellschaft in Gallien, den Rheinlanden und Bayern am Beispiel der monastischen Entwicklung (4.-8. Jahrhundert), Darmstadt 2. Aufl. 1988, S. 73, 277, 300; T. de Morembert, in: D H G E 21, 1986, Sp. 1264 s.v. Grausei. Das Kloster ist nicht zu verwechseln mit der Abtei Lagrasse, dep. Aude. Ed. J.-M. Pardessus, Diplomata, chartae, epistolae, leges aliaque instrumenta ad res gallo-francicas spectantia..., Bd. 2, Paris 1849, Ndr. Aalen 1969, S. 191-195 Nr. C C C C I (vgl. ebd. Bd. 1, ProMgonn^nes, S. 115); vgl. U. Chevalier, Regestedauphinois..., Bd. 1, Vienne 1913, Sp. 89 Nr. 522. Die ältere Datierung auf 683 ist nach der von M. Weidemann ermittelten Epoche zu korrigieren: Zur Chronologie der Merowinger im 7. und 8. Jahrhundert, in: Francia 25/1, 1998, S. 177-230, bes. S. 186ff.
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Die merowingischen Königsurkunden werden im folgenden zitiert nach der Ausgabe von K. Pertz, M G H Diplomatum imperii I (in fol.), Hannover 1872. Dazu und zu der unmittelbar bevorstehenden Neuausgabe vgl. C. Brühl, Studien zu den merowingischen Königsurkunden, Köln-WeimarWien 1998.
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Marseille, Arch, dep., 1 Η 1. Zu diesem Bestand gibt es nur einen masch.-schriftl. Katalog (Ende 19. Jh.) von J. H. Albans. J. Mabillon, Annales ordinis s.Benedicti, Bd. 1, Lutetiae Parisiorum 1703, S. 700f. (nach einer Abschrift von Antoine de Ruffy, wohl durch Vermittlung von F.-A. Pagi; vgl. dessen Brief an Mabillon vom 27. Juni 1691: Paris, BN, Ms. lat. 12674, fol. 374r) = M. Bouquet, Recueil des historiens des Gaules et de la France, Bd. 4, Paris 1869, S. 673 Nr. LXXXI = L.-G. O. Feudrix de Brequigny/G. de La Porte du Theil, Diplomata, chartae, epistolae at alia documenta ad res francicas spectantia..., Bd. 1, Parisiis 1791, S. 334 Nr. CCXXVIII = Pardessus, Diplomata 2, S. 228 Nr. C C C C X X X =
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lieh eine Kollation des Rotulus mit dem Text v o n Pardessus bietet. 6 Nicht enthalten ist die Urkunde in dem ausgangs des 1 1 . Jahrhunderts angelegten Grand Cartulaire von St-Victor zu Marseille (Grundstock ca. 1 0 8 0 / 9 0 ) , 7 dem das Kloster, einer Notiz Mabillons zufolge, 8 durch den Bischof v o n Vaison im Jahre 1 0 5 9 zur Wiederbesiedlung unterstellt wurde, 9 nachdem es durch die Sarazenen zerstört worden war. Die Urkunde des Aredius wurde, gemessen an den bekannten bischöflichen „Emanzipationsprivilegien", 1 0 als Einzelstück gewertet, bislang aber nicht beanstandet. 11 Sie ist abhängig von einem Papstprivileg, das in der Formelsammlung von St-Denis (um 8 0 0 ) enthalten ist 12 und den Urkunden eines Papstes Johannes für Luxeuil, Rebais, Remiremont und Ste-Croix (St-Faron) in Meaux sowie Papst Theodors I. f ü r Bobbio zugrundeliegt. Diese Urkunden galten bislang einhellig als Fälschungen, 13 werden jetzt aber — v o n Ste-Croix abgesehen - v o n Ewig u.a. mit Hilfe des Aredius-Privilegs zu stützen versucht, an dessen Echtheit Ewig nicht zweifelt. 1 4
J.-P. Migne, Patrologia latina, Bd. 88, Paris 1850, Sp. 1088 Nr. VII. Die Edition von K. Pertz (Anm. 3), S. 57f. Nr. 65, gibt vor, selbständig auf dem Rotulus zu basieren, ist aber tatsächlich nur ein Nachdruck der Ausgabe Mabillons mit Angabe der Varianten von Gerard (wie Anm. 6). Die von Pertz' Hand stammende Druckvorlage befindet sich im Archiv der MGH (Rep. 338/176). 6 B. Gudrard, Cartulaire de l'abbaye de Saint-Victor de Marseille, Bd. 2, Paris 1857, S. 504f. Nr. 1038. 7 Marseille, Arch, dip., 1 Η 629. Der Grundstock wurde 1080/90 angelegt; vgl. dazu zuletzt M. Zerner, L'elaboration du grand cartulaire de Saint-Victor de Marseille, in: Les cartulaires. Actes de laTable ronde organisee par l'ficole nationale des Chartes et le G.D.R. 121 du C.N.R.S., reunis par O.Guyotjeannin, L. Morelle et M. Parisse, Paris 1993, S. 217-245 (Mimoires et Documents de l'ßcole des Chartes, Bd. 39). 8 Mabillon, Annales 1, S. 571. 9 Das in der Aredius-Urkunde bezeugte Victor-Patrozinium (Pardessus, Diplomata 2, S. 191: in honore S. Victoris et saneti Petri νel reliquorum domnorum sanctorum) dürfte bereits nach Marseille weisen; vgl. Prinz, Frühes Mönchtum, S. 73, 98. 10 Die grundlegenden Arbeiten von E. Ewig sind zusammengestellt in: E. Ewig, Spätantikes und fränkisches Gallien, hg. von H. Atsma, Bd. 2, Zürich 1979 (Beihefte der Francia, Bd. 3/II). 11 Vgl. Ewig, Spätantikes Gallien 2, S. 458, 468f., 488, 513. 12 Ed. K. Zeumer, in: MGH Formulae Merovingici et Karolini aevi, Hannover 1882, S. 498-500 Nr. 3. Vgl. W. Levison, Das Formularbuch von Saint-Denis, in: NA 41, 1917, S. 283-304; ergänzend ebd. 43, 1921, S. 430-432. Zur Handschrift (Paris, BN, Ms. lat. 2777, Ende 9. Jh.) vgl. H. Fuhrmann, Das Constitutum Constantini, Hannover 1968, S. 20f. (MGH Font. iur. Germ. ant. X). 13 JE t2044-t2048. 14 E. Ewig, Bemerkungen zu zwei merowingischen Bischofsprivilegien und einem Papstprivileg des 7. Jahrhunderts fiir merowingische Klöster, in: Mönchtum, Episkopat und Adel zur Gründungszeit des Klosters Reichenau, hg. von A. Borst, Sigmaringen 1974, S. 215-249 (Vorträge und Forschungen, Bd. 20). Nur das Fragment für Ste-Croix (Pardessus, Diplomata 2, S. 71-74 Nr. CCCI) ist nach Ewig, Bemerkungen, S. 244, „auf den ersten Blick als Fälschung zu erkennen", ohne daß er sich ausfuhrlicher damit auseinandersetzte.
Die Urkunde Chlodwigs III. für das Kloster Grozeau
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Das ist methodisch ein mutiges Vabanquespiel, zumal das Formular der Papsturkunde nicht im Liber Diurnus erscheint15 und ähnliche Fälschungsformulare auch sonst bekannt sind.'6 Der Inhalt läßt erst recht aufhorchen: die Päpste „unterstellen in der Tat die von ihnen privilegierten Klöster voll und ganz dem römischen Stuhl, d.h. sie gewähren in dieser Form die volle irische Klosterfreiheit. Der bischöfliche Ordinarius kann selbst im Fall von offenbaren Mißständen im Kloster nur Anzeige in Rom erstatten. Begründet wird die Verleihung an Klöster, die nicht der dicio des römischen Bischofs unterstehen, damit, daß die dicio des Apostelfursten die ganze Welt resp. die Kirchen der ganzen Welt umfasse".17 Das klingt fiir das frühe 7. Jh. anachronistisch und wünschte man sich zeitgenössisch belegt.18 So bleiben doch starke Zweifel, 19 ohne daß wir uns an dieser Stelle weiter auf die verwickelte und schnell ausufernde Diskussion um die Bischofsprivilegien einlassen könnten, die bislang vornehmlich inhaltlich und kaum unter diplomatischen Gesichtspunkten gefuhrt wurde. Immerhin hat auch Zimmermann zunächst die auf dem Johannes-Privileg basierende Bestätigungsurkunde Benedikts VIII. fur Luxeuil, die Ewig gelegentlich als Vergleichstext heranzieht, verworfen, sein Urteil aber inzwischen wieder revidiert.20 Als Intervenient begegnet in Luxeuil und Rebais ein König Chlodwig, 21 in Remiremont (1. Fassung) und Ste-Croix ein König Chlothar. Aredius von Vaison unterzeichnete bereits unter Chlodwig II. die Canones der neustroburgundischen
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Ewig, Bemerkungen, S. 242 denkt an „ein verlorenes päpstliches Formular". H. Zimmermann, Papsturkunden 896-1046, Bd. 1, Wien 2. Aufl. 1988, Nr. f88, f89, t90, t91. (österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, Denkschriften, Bd. 174. Veröffentlichungen der Hist. Kommission, Bd. 3). Ewig, Bemerkungen, S. 220. Ebd. verweist Ewig auf Urkunden fiir das Kloster Breme von 972 bzw. 1014: ed. Zimmermann, Papsturkunden 1, S. 423-425 Nr. 216; Bd. 2, S. 920-922 Nr. 485. Das gilt auch für Ewigs stützenden Vergleich des Privilegs Bischof Berthoendus' von Chalons für das Kloster Montier-en-Der (ed. Pardessus, Diplomata 2, S. 221-222 Nr. CCCCXXIII) mit dem Papsturkundenformular, denn Mabillon hatte die Fassung für Luxeuil eben nach einem in der Bibliothek von Montier-en-Der entdeckten Fragment gedruckt; vgl. Pardessus, Diplomata 2, S. 67 Anm. 2. Zimmermann, Papsturkunden 2, S. 988-990 Nr. f521; vgl. Ewig, Bemerkungen, S. 233ff. In der Neubearbeitung seiner „Papstregesten 911-1024": Regesta Imperii II/5, Wien-Köln—Weimar 2. Aufl. 1998, Nr. 1202, ist H. Zimmermann von seiner früheren Einschätzung kommentarlos zurückgetreten und beruft sich auf G. Moyse, Luxeuil et la papautd jusqu'au XTsiicie, in: L'figlise de France et la Papautd (X'-XIIIC sifccle), publik par R. Grosse (Studien und Dokumente zur Gallia Pontificia, Bd. 1, Bonn 1993), S. 179-196. Überzeugend ist dessen Argumentation freilich nicht. Bezüglich der älteren Papstprivilegien referiert Moyse lediglich die Arbeit von Ewig und läßt das Urteil über die Johannes-Urkunde für Luxeuil in der Schwebe (ebd. S. 184f., 190). Pardessus, Diplomata 2, S. 68, 74. Ewig, Bemerkungen, S. 217 dachte an Chlodwig II. und als Aussteller an dessen Zeitgenossen, Papst Johannes IV.
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Reichssynode von Chalon (639/54) 22 und scheint somit sehr lange amtiert zu haben.23 Das bestätigende Privileg Chlodwigs III. (D 65) blieb bislang unbeanstandet, was Ewig als zusätzliches Argument galt.24 Die Anlehnungen an den zweiten Teil der Bischofsurkunde25 sind deutlich, doch handelt es sich vornehmlich um mosaikartig arrangierte Versatzstücke, kaum einmal um fortlaufenden Text. Dafür nur ein Beispiel: Aredius-Urkunde: Et cum necessitas poposcerit, si abbas de hoc saeculo commigraverit, non aliunde, sed, sicut decet et dignitas vel ordo eis poposcerit, ut ibidem in ipso consortia intra monasterium habuerint, de ipsa congregatione, ut optime ac perfecte regula instructa et Dei timore fundata teneatur. Absque ullo praemio abbas in ipso monasterio eligatur; ita tarnen electio ab omni congregatione agatur, ut ne quaecumquepars inferior, sed quem ordoperfectorum elegerint, ille, Domino dispensante, sine rixa, aponttfice civitatis hujus instituatur. Nam absit ut percurrente praemio, aut congregatione insidiante, vel aliorum qualibet contrarietate oppugnante, alius desuper veniens inordinate instituatur, nisi, sicut diximus, per electionem de ipsa congregatione, quem perfecta in studio divino tota congregatio sibiproviderit seniorem. Sic tarnen cum consilio et voluntate ipsius urbis ponftficis, non per timorem, sed cum omni humilitatepetita, et cum ipsius benedictione quemcumque elegerint arripiant dignitatem. D 65: Et si abbas de ipso sancto loco migraverit ab hoc saeculo, non aliunde sed, sicut decet et dignitas et ordo poscit, de ipsa congregatione, quae in eo habetur monasterio, eligeretur alius abbas, absque ullo praemio, absquerixa,a tota eadem congregatione vela meliori et sanctiori parte eius; et cum consilio Vasensis urbis episcopi et voluntate et benedictione suscipere deberet dignitatem. Nicht schwer wiegt der verballhornte Ausstellername Clodoicus statt Chlodovius oder Chlodoveus,26 Auffälliger ist das Fehlen der allgemeinen Adresse v(iris) inl(ustribus), die man erwarten dürfte.27 Die Arenga entspricht im Anfangsteil jener von Chlodwigs III. D 58 fiir St-Bertin28 und gleicht im zweiten, freilich verunstalteten Teil den bei Hausmann-Gawlik verzeichneten Spuria fur Le Mans,29 von denen aber D D f80, f85, f 8 9 und t 9 3 im wesentlichen echt sind.30 Mit diesen
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MGH Concilia, Bd. 1, ed. F. Maassen, Hannover 1893, S. 213 Z. 30. L. Duchesnes, Fastes Ipiscopaux de l'ancienne Gaule, Bd. 1, 2. Aufl. Paris 1907, S. 263. Ewig, Bemerkungen, S. 225. Pardessus, Diplomata 2, S. 193. So lesen die Originale D D 59, 60, 64, 66 brw. D 61. Zu dem umstrittenen vir-inluster-Problem vgl. Brühl, Studien, S. 265ff. F. Hausmann/A. Gawlik, Arengenverzeichnis zu den Königs- und Kaiserurkunden von den Merowingern bis Heinrich VI., München 1987, Nr. 2907 (MGH Hilfsmittel, Bd. 9); vgl. die Folgeurkunden D D 90-91 (ebd. Nr. 2795). Hausmann/Gawlik, Arengenverzeichnis, Nr. 2793. F. Lot, Un grand domaine ä l'ipoque franque: Ardin en Poitou. Contribution ä l'itude de l'impot, in: Cinquantenaire de l'ficole pratique des Hautes Etudes, Paris 1921, S. 109-129 (Biblioth^que de l'ficole pratique des Hautes fitudes, Bd. 230) = ders., Recueil des travaux historiques, Bd. 2,
Die Urkunde Chlodwigs III. für das Kloster Grozeau
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Parallelen wäre folglich auch hier statt: nostra perenni stabilitate esse confidimus, zu lesen: nostraperhenniter stabilia esse confidimus (D 1~80). Dagegen hat Pertz im Anfangsteil fälschlich das korrekte pro nostris oraculis emendiert (per).31 Der Beginn der Narratio hat seine engste Parallele in dem echten D i"81 fur Le Mans, das seinerseits eine nicht erhaltene Urkunde Chlodwigs III. bestätigt.32 Das gäbe im Verein mit Belegen aus Originalurkunden33 erneut die Handhabe, statt: clementi^ regum nostrq, zu lesen: clementi^ regni nostri. Ungewöhnlich ist die Nennung des Bischofssitzes des Aredius (Vasensis urbis), doch läßt sich das Original D 19 als Parallele anfuhren (Parisiaci aeclesiae). An Text erhalten ist nur die Narratio, die lang und breit den Inhalt des Bischofsprivilegs, insbesondere bezüglich der Abtswahl, referiert, was nicht den bekannten Parallelen, etwa dem „Paradeoriginal" D 19 für St-Denis, entspricht,34 zumal der Text vor der eigentlichen königlichen Verfugung abbricht. Schon der Übergang zur Dispositio ist alles andere als merowingisch,35 und auch der überlieferte Text bietet für die nicht direkt von der Vorurkunde abhängigen Teile eine Reihe von singulären Wendungen jenseits der üblichen merowingischen Phraseologie: in sua proprietate, a quocumque homine, si aliquando opus esset, desidiam, propellendam, adiunctis sibi sacerdotibus abbatibusque spiritualibus36 Anderes ist nur in Spuria bezeugt: missa petitioned1 innotuii38 und neglegentia.39 Diejunktur: congregatione, qu% in eo habetur monasterio, hätte ein Kanzleinotar vermutlich anders formuliert.40 Collecta populi wäre ein Hapax legomenon, ist aber offenkundig ein Mißverständnis oder eine Verlesung, wie etwa D 58 zeigt: ex ... collato populi seu de comparato
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Genfcve 1970, S. 191-211 (Centre de recherche d'histoire et de philologie de la IVC section de l'ficole pratique des Hautes ßtudes: Hautes Iitudes mddiivales et modernes, Bd. 9). Vgl. aber die Originale D D 69, 81 u.ö. F. Lot, La nomination du comte ä l'dpoque mdrovingienne et la Novelle 149 de Justin II, in: Nouvelle revue historique de droit f r a n c s et dtranger, 4C ser. Bd. 3, 1924, S. 272-286 = ders., Recueil des travaux 2, S. 212-242. Vgl. D D 12, 17, 20 u.ö. Der Begriffbei Brühl, Studien, S. 165. Vgl. auch Marculf 1.2 (ed. Zeumer, MGH Formulae, S. 4 1 43; ed. A. Uddholm, Marculfi Formularum libri duo, Upsala 1962, S. 26-33); vgl.T. Ε McLaughlin, Le trfes ancien droit monastique de l'Occident, Ligug^-Paris 1935, S. 212ff. (Archives de la France monastique, Bd. 38). Nach der Narratio (21 Druckzeilen) heißt es: Audita itaque eins petitione preceque suscepta .... In der Aredius-Urkunde (Pardessus, Diplomata 2, S. 193) heißt es: conjungens sibi sacerdotes vel abbates qui ejusdem regulae tramitem tenere videntur, eos paterno affectu, cum spiritualibus sibi adhibitis.... D 93 fiir St-Denis, als Fälschung nachgewiesen von Brühl, Studien, S. 185ff.; häufig wiederum in Le Mans (D f75) bzw. St-Calais (DD f6, f7, f8, t l 7 ) . U.a. St-Calais (D t48) und Le Mans (D +81). D D 112, f40, f44. Z.B. D D 67, 71 (Originale): congregacio ibidem consistencium-, congregacione sua ibidem consistente (D 75, Or.); ipsa congregatione, quae in ipso monasterio consistere videntur (D 86).
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aut de quolibet recto adtracto.AX Das gilt nicht fur a meliori et sanction parte, was an die pars quamvis parva congregationis saniore consilio der Regula Benedict! (c. 64) erinnert.42 Diese Stelle faßt den oben zitierten Passus des Aredius-Privilegs knapp zusammen und spitzt die Aussage bezüglich des ordo perfectorum als Wahlkörper 4 3 interpretierend zu. Ein Bischofsprivileg fvir Flavigny von 719 sieht vor, daß fur den Fall, daß im eigenen Kloster kein Geeigneter gefunden werde, communi consilio 44 illi sanctiores monachi einen Abt von außerhalb wählen sollen. Solche Regeln weichen ab von der unanimitas, von der ansonsten alle Bischofsprivilegien des 7. und frühen 8. Jahrhunderts ausgehen,45 während die von Hallinger so genannte „ArediusFlavigny-Gruppe" quellenkritisch auf dem Prüfstand steht46 und sich Hallinger wunderte, daß danach „die alte Forderung der Wählerqualität (melioris opinionis) verhältnismäßig spät wieder hervorgeholt wurde".47 In den päpstlichen Klosterprivilegien wird die saniorpars in der Tat erst seit der Mitte des 11. Jh. erwähnt.48 Auffällig ist auch, daß D 65 die zu befolgende Regel nicht präzisiert {sub regula
sancta per instituta patrum ibidem deberet regi vel conversari), denn die ArediusUrkunde hatte präzisiert: ut secundum normam venerabilis viri sanctipatris Benedicti abbatis, vel sancti Macarii, seu sancti Columbani, degere vel habitare deberent, wobei vor allem die orientalische Macarius-Regel den üblichen Rahmen sprengt.49
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Siehe noch DD 72, 90, 91 u.ö. Ed. R. Hanslik, Benedicti Regula, Wien 2. Aufl. 1977, S. 1 6 3 - 1 6 6 (Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum, Bd. 75). Zur merowingerzeitlichen Praxis vgl. McLaughlin, Le tr£s ancien droit monastique, S. 89ff. Einen Sachzusammenhang zwischen Benediktregel und ArediusPrivileg bestreitet K. Hallinger, Regula Benedicti 64 und die Wahlgewohnheiten des 6.-12. Jahrhunderts, in: Latinität und Alte Kirche. Festschrift für Rudolf Hanslik zum 70. Geburtstag, W i e n Köln-Graz 1977, S. 109-130, bes. S. 123f. (Wiener Studien, Beiheft 8). Pardessus, Diplomata 2, S. 401; vgl. Ewig, Spätantikes Gallien 2, S. 417 Anm. 35. Vgl. (das Spurium) D 95 und dazu Th. Kölzer, Merowingerstudien II, Hannover 1999, S. 72 (MGH Studien und Texte, Bd. 26). Vgl. die Liste bei Ewig, Spätantikes Gallien 2, S. 4 l 6 f . sowie Hallinger, Regula Benedicti, S. 120ff. Hallinger, Regula Benedicti, S. 122ff. Davon sind z.B. das Widegern-Privileg fiir Murbach (Chartae Latinae Antiquiores, Bd. XIX, ed. H. Atsma/J. Vezin [Dietikon-Zürich 1987] Nr. 671), das davon abhängige Privileg Heddos von Straßburg für Arnulfsau (ed. A. Bruckner, Regesta Alsatiae aevi merovingici et karolini 496-918, Bd.l [Strasbourg-Zürich 1949], S. 97-100 Nr.166) und erst recht die Texte aus den Formelsammlungen von Flavigny und Saint-Denis (ed. K. Zeumer, MGH Formulae [Hannover 1882-1886], S. 481f., 501f.) nicht einschlägig, und D 95 für Murbach ist eine Fälschung (vgl. oben Anm. 44). Hallinger, Regula Benedicti, S. 120. Vgl. W. Maleczek, Abstimmungsarten. Wie kommt man zu einem vernünftigen Wahlergebnis? In: Wahlen und Wählen im Mittelalter, hg. von R. Schneider/H. Zimmermann, Sigmaringen 1990, S. 79-134, bes. S. 118ff. (Vorträge und Forschungen, Bd. 37); Th. Kölzer, Merowingerstudien I, Hannover 1998, S. 142 m. Anm. 45 (MGH Studien und Texte, Bd. 21); Bd. II, S. 72. Pardessus, Diplomata 2, S. 191. Die Macarius-Regel ist nur noch in dem Spurium D t l fiirMoutiersSt-Jean urkundlich erwähnt (vgl. Prinz, Frühes Mönchtum, S. 72f., 96, 300). Dort geht die Tradi-
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Überdies sind erstaunliche Parallelen zu einem Spurium Chlothars III. fur Βέζε (D 42) nicht zu übersehen, etwa in der Arenga und v.a. in der Narratio {quod... pro
Dei amore monasterium, nuncupatum Fontem Besuam ... in honore...
aedificassent...
et maximam partem de facultate sua ipsi monasterio delegasseni), wobei der letztere Passus {et — delegasseni) dort aus einer Privaturkunde übernommen wurde.50 Diese Parallelität stimmt bedenklich, denn auch als Empfängerausfertigung wäre D 65 neben D 72 (Or.) - die Ausnahme.51 Noch schwerer wiegt, daß sich mit Ausnahme des D 19 alle königlichen Bestätigungen bischöflicher Freiheitsprivilegien als Fälschungen erwiesen haben,52 und dies gilt auch fiür die Bestätigungen der freien Abtswahl.53 Wir erinnern uns, daß in den Fassungen des Papsturkundenformulars für Luxeuil und Rebais als Petent ein König Chlodwig genannt wird,54 und das wird den Wunsch nach einer entsprechenden königlichen Bestätigung befördert haben. Ahnliche Fälle sind auch sonst bekannt.55 Ebenso gravierend ist, daß wir D 65 trotz seines trüben Kontextes und der genannten Ausstellungen als einziges echtes Königspräzept für einen Empfänger südlich der Loire ansehen müßten. Dies alles ist angesichts der ganzen Machart der Urkunde nicht zu tolerieren, und erst recht läßt sich daraus keine Stütze für das Aredius-Privileg gewinnen. Wir sehen daher in D 65 den mißglückten und vielleicht gar nicht zu Ende geführten Versuch, dem an sich schon auffälligen und nach wie vor nicht unverdächtigen Bischofsprivileg eine königliche Beglaubigung zu verschaffen, nicht ohne jede Kenntnis merowingischen Urkundenformulars, aber doch ohne konkrete, verifizierbare Vorlage, der man doch wohl auch enger gefolgt wäre. Wann dieser Versuch unternommen wurde, ist nicht sicher zu ermitteln. Die Überlieferung und die Erwähnung der melior et sanctiorpars lassen an das späte 11. oder das beginnende 12. Jahrhundert denken, so daß auch der Schreiber des Rotulus selbst in Frage käme, ohne daß diese Vermutung weiter abzusichern wäre, da uns die Quellen im Stich lassen. Da die Urkunde aller Datierungsmerkmale entbehrt,
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tion auf die Vita des Klostergründers Johannes aus der Feder des Jonas von Bobbio zurück (ed. B. Krusch, in: M G H SS rer. Merov. 3, Hannover 1896, S. 5 0 9 c. 3), und wir erinnern uns, daß zumindest Bobbio teilhatte an dem Papsturkundenformular; vgl. oben b. Anm. 13. Vgl. Kölzer, Merowingerstudien II, S. 5 m. Anm. 45. M. Prou, in: Ph. Lauer/Ch. Samaran, Les diplömes originaux des Merovingiens. Facsimiles phototypiques avec notices et transcriptions, Paris 1 9 0 8 , Preface S. II; vgl. Chartae Latinae Antiquiores, Bd. XIV, hg. von H. Atsma/J. Vezin, Dietikon-Zürich 1982, Nr. 583. D D 15, 93; zweifelhaft ist D (102); vgl. Kölzer, Merowingerstudien II, S. 70f. m. Anm. 69. Die von Brühl, Studien, S. 1 8 8 Anm. 4 4 1 genannten Privilegien (DD 52, 65, 88, 93, 97) sind allesamt falsch; vgl. Brühl, Studien, S. 185ff., 233ff.; Kölzer, Merowingerstudien I, S. 7 5 f f , 137ff. Vgl. oben b. Anm. 2 1 . Vgl. etwa Kölzer, Merowingerstudien II, S. 26, 40ff., 53ff., 85.
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läßt sie sich als Spurium nur ganz allgemein der Regierungszeit des Ausstellers (691694) zuordnen. 56 Das Fälschungsverdikt über D 65 festigt somit ein Ergebnis von allgemein-historischer Bedeutung, das sich freilich nur bei einem Blick auf die Karte erschließt: Mit Grozeau ist in der Tat auch der letzte Empfänger merowingischer Königsurkunden südlich der Loire-Linie, sozusagen die ,pi£ce de resistance', ausgefallen! Der Befund hatte sich schon durch Brühls Gegenüberstellung aller Urkundenempfänger und jener, die echte Urkunden oder zumindest Spuria auf echter Grundlage vorweisen können, angedeutet.57 Nach Abschluß des „discrimen veri ac falsi" ist jetzt der Befund eindeutig, zumal inzwischen auch die burgundischen Empfänger Βέζε, St-Benigne in Dijon und Moutiers-Saint-Jean komplett eliminiert werden konnten. 58 Wir verdanken dem Jubilar erhellende Einsichten zu „Überlieferungs-Chance und Überlieferungs-Zufall als methodisches Problem des Historikers".59 Angesichts unseres Befundes wird man a priori nicht mit einem Überlieferungs-Zufall rechnen wollen, denn schließlich fällt der ganze Süden des Merowingerreiches aus, und so wirkungsmächtig kann kein Zufall sein. Das gilt auch fur den zweiten Befund, der hier einzubringen ist: Die älteste, wenigstens im Kern echte Urkunde datiert von 596.60 D.h. auch für die ersten rund 150 Jahre, in denen wir das merowingische Königtum im Licht der Quellen gespiegelt sehen, besitzen wir keine echte Urkunde, und auch dies wird man nicht als Zufall abtun können. Zur Erklärung bleibt im Sinne Arnold Eschs die Frage der Uberlieferungs-Chance, und sie fuhrt uns in der Tat in Zusammenhänge, die hier abschließend nur noch angedeutet werden können. 61 Der Überlieferungsbefund zeigt zweierlei: Echte Urkunden sind erst seit der Zeit um 600 überliefert, und die Empfänger gehören ohne Ausnahme zum fränkischen Kernland zwischen Rhein und Loire vor Beginn der Expansion gegen die Westgoten (507) und Burgund (523/32); die rechtsrheinischen Gebiete fehlen eben56 57
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Weidemann, Zur Chronologie, S. 201 f. C. Brühl, Das merowingische Königtum im Spiegel seiner Urkunden, in: La Neustrie. Les pays au nord de la Loire de 650 ä 850, hg. von H. Atsma, Bd. 1, Sigmaringen 1989, S. 523-533, bes. die beiden Karten S. 529 und S. 531 (Beihefte der Francia, Bd. 16/1). Kölzer, Merowingerstudien II, S. Iff., 87ff.; Brühl, Studien, S. 75ff. A. Esch, Überlieferungs-Chance und Überlieferungs-Zufall als methodisches Problem des Historikers, in: HZ 240 (1985) S. 529-570 = ders., Zeitalter und Menschenalter. Der Historiker und die Erfahrung vergangener Gegenwart, München 1994, S. 39-69. D f 6 für Le Mans, als im Kern überzeugend als echt erwiesen von L. Havet, Questions m^rovingiennes VII: Les actes des deques du Mans, in: BECh 54, 1893, S. 597-692; 55, 1894, S. 5-60, 306-336, bes. S. 5ff. = ders., CEuvres, Bd. 1, Paris 1896, S. 271-445, bes. S. 363ff. Eine umfangreichere Analyse ist in Arbeit; vgl. einstweilen Th. Kölzer, Tra tarda Antichitä e Medioevo: l'edizione critica dei diplomi merovingici - problemi metodologici e primi risultati (Scuola Vaticana di Paleografia, Diplomatica e Archivistica), Cittä del Vaticano 2000.
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falls im Empfängerspektrum. Daraus ergibt sich als Arbeitshypothese: Die Verteilung der echten merowingischen Königsurkunden spiegelt den zeitlich gestaffelten Ablösungsprozeß von der Spätantike in Gallien und liefert uns erstmals einen verläßlichen Zeitrahmen fur diesen Prozeß. Nördlich der Loire, so ist zu folgern, waren die letzten Reste provinzialrömischer Verwaltungsstrukturen in den bella civilia nach dem Tod Chlothars I. (t Ende 561) untergegangen,62 weshalb hier der Umschlag vom römischen Akten- zum frühmittelalterlichen Urkundenzeitalter bereits um 600 erfolgte. Die rechtsrheinischen Gebiete, von den Segnungen römischer Verwaltung kaum erfaßt, waren stets nur locker in das Merowingerreich eingebunden,63 so daß man dort vor dem 8. Jh. schwerlich mit Beurkundungen wird rechnen können. 64 Südlich der Loire dauerte die römische Verwaltungspraxis fort, weshalb dort bis in die Zeit Karl Martells die Aktenführung der Behörden {Gesta municipalia) die Rechtstitel des einzelnen garantierten und folglich Urkunden nicht beim Empfänger archiviert zu werden brauchten.65 Die Uberlieferung merowingischer Königsurkunden signalisiert somit einen Funktionswandel der Urkunde, die jetzt nicht mehr in eine - wenigstens noch leidlich - funktionierende Verwaltung eingebettet war, sondern aus sich selbst heraus wirken mußte. Peter Classen hat dieses
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Der Begriff stammt von Gregor von Tours, Libri historiarum X, Praefatio zu lib. V., ed. B. Krusch/ W. Levison, in: MGH SS rer. Merov. I/I. Hannover 1937/51, S. 193 Z. 2, 7. Zum Todestag Chlothars I. (Nov. 11/Dez. 31) vgl. M. Weidemann, Zur Chronologie der Merowinger im 6. Jahrhundert, in: Francia 10, 1982, S. 471-513, bes. S. 482f. R. Butzen, Die Merowinger östlich des mittleren Rheins. Studien zur militärischen, politischen, rechdichen, religiösen, kirchlichen, kulturellen Erfassung durch Königtum und Adel im 6. sowie im 7. Jahrhundert, Würzburg 1987 (Mainfränkische Studien, Bd. 38); H. Roth/E. Wamers (Hg.), Hessen im Frühmittelalter, Sigmaringen 1984; M. Schaab/K. F. Werner, Das merowingische Herzogtum Alemannien (Ducatus Alemanniae), in: Historischer Atlas von Baden-Württemberg, t.V/ 1: Erläuterungen, Stuttgart 1988, S. 1-19; A. Friese, Studien zur Herrschaftsgeschichte des fränkischen Adels. Der mainländisch-thüringische Raum vom 7. bis 11. Jahrhundert, Stuttgart 1979 (Bochumer Historische Studien, 1.18); J. Jahn, Ducatus Baiuvariorum. Das bairische Herzogtum der Agilolfinger, Stuttgart 1991 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters, t.35); Franz Staab (Hg.), Zur Kontinuität zwischen Antike und Mittelalter am Oberrhein, Sigmaringen 1994 (Oberrheinische Studien, Bd. 11). Nach der Eliminierung von D 44 (Th. Kölzer, Kloster Weißenburg und Baden-Baden, in: Forschungen zur Reichs-, Papst- und Landesgeschichte. Peter Herde zum 65. Geburtstag, Bd. 1, hg. von K. Borchardt und E. Bünz, Stuttgart 1998, S. 15-24) ist m.W. die älteste Urkunde, die rechtsrheinischen, nämlich thüringischen Besitz betrifft, die in Würzburg ausgestellte Schenkungsurkunde Herzog Hedens II. für Willibrords Kloster Echternach vom Jahre 704: ed. C. Wampach, Geschichte der Grundherrschaft Echternach im Frühmittelalter, Bd. 1/2, Luxemburg 1930, S. 27-31 Nr. 8. Die älteste Königsurkunde fur einen rechtsrheinischen Empfänger ist D Pip. 13 fur Fulda (a. 760). P. J. Geary, Die Provence zur Zeit Karl Martells, in: Karl Martell in seiner Zeit, hg. von J. Jarnut/U. Nonn/M. Richter, Sigmaringen 1994, S. 381-392 (Beihefte der Francia, Bd. 37).
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Ergebnis bereits geahnt, 66 sich aber außerstande gesehen, über die Analyse der Formelsammlungen67 größere Klarheit zu gewinnen, die erst das „discrimen veri ac falsi" der Urkunden selbst zu liefern vermag. Der auf diesem Wege ermittelte Zeitpunkt liegt lange nach dem von den Humanisten beschworenen Untergangsszenario, aber auch deutlich vor der von Henri Pirenne postulierten Zäsur!68 Die hier nur angedeuteten Erkenntnisse könnten Anlaß fiir eine flammende Verteidigungsrede zugunsten heuristischer Arbeiten sein, denen heutzutage mehr denn je mit Mißachtung und grundsätzlicher Skepsis begegnet wird. Aber der Platz wäre schlecht gewählt, denn ich weiß mich mit dem Jubilar einig, daß historische Erkenntnis vor allem durch solide Quellenarbeit gefördert wird. „Quanta sit istius artis utilitas ac necessitas, nemo non videt", befand schon Jean Mabillon bezüglich der Diplomatik, 69 und daran wird sich auch im Zeitalter der „postmodernen" Mediävistik nichts ändern.
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P. Classen, Kaiserreskript und Königsurkunde. Diplomatische Studien zum Problem der Kontinuität zwischen Altertum und Mittelalter, Thessaloniki 1977, S. 173, 179ff. (Byzantina keimena kai meletai, Bd. 15); ders., Fortleben und Wandel spätrömischen Urkundenwesens im frühen Mittelalter, in: Recht und Schrift im Mittelalter, hg. von P. Classen, Sigmaringen 1977, S. 13—54, bes. S. 42ff. (Vorträge und Forschungen, Bd. 23).
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Vgl. den Überblick von U. Nonn, in: LexMA 4, Sp. 648f. Th. Kölzer, Kulturbruch oder Kulturkontinuität? Europa zwischen Antike und Mittelalter - Die Pirenne-These nach 60 Jahren, in: Das Mittelmeer - Die Wiege der europäischen Kultur, hg. von K. Rosen, Bonn 1998) S. 2 0 8 - 2 2 7 (Cicero-Schriftenreihe, Bd. 3). J. Mabillon, D e re diplomatica libri VI, Paris 1681, S. IC.
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O T T O GERHARD OEXLE
Pax und Pactum Rufinus von Sorrent und sein Traktat über den Frieden
I Der Traktat über den Frieden, ,De bono pads', des Erzbischofs Rufinus von Sorrent, verfaßt u m 1180, ist ein erstaunliches Werk. Es handelt sich u m die erste systematische Schrift über den Frieden im okzidentalen Mittelalter, und lange sollte diesem Werk nichts Vergleichbares an die Seite treten. 1997 hat es R o m a n Deutinger erstmals in einer kritischen Edition zugänglich gemacht. 1 D i e Frage nach d e m Verfasser hat die Mittelalterforschung schon länger beschäftigt. Die Identifikation des Rufinus von Sorrent, der sich im Widmungsbrief als Verfasser ausweist, mit dem gleichnamigen Kanonisten und Verfasser einer Summa Decretorum sowie mit dem Bischof Rufinus von Assisi kann - worauf Deutinger mit Recht aufmerksam machte 2 — keineswegs als gesichert gelten. 3 Uber Rufinus von Sorrent wiederum ist weiter nichts bekannt. Was man über den Autor von ,De bono p a d s ' sagen kann, läßt sich allein aus seinem Werk erschließen. 4 Rufinus hat sein opusculum Abt Petrus II. von Montecassino gewidmet, der es von ihm erbeten hatte. Dessen Regierungsjahre, 1174—1186, bezeichnen damit den Zeitraum, in d e m die Schrift abgefaßt wurde. Weitere, näher eingrenzende Datierungselemente bleiben ebenfalls unsicher. 5 Rufinus zeige sich in seinem Traktat „gänzlich unbeeinflußt von der theologischen, philosophischen, historischen, juristischen, politischen oder sonstigen Literatur seiner Zeit", 6 so wurde jüngst festgestellt, verfugte aber über eine gediegene Kenntnis der spätantiken Kirchenväter sowie der nichtchristlichen antiken Klassi' Rufinus von Sorrent, De bono pacis, hg. und übers, v. R. Deutinger, Hannover 1997. Zur Überlieferungslage und den vorangegangenen Drucken hier S. 29ff. und 39ff. 2 3
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Deutinger (wie Anm. 1) S. 7ff. Sie wird noch vertreten u. a. in dem einschlägigen Artikel in: Lexikon des Mittelalters 7, 1995, Sp. 1089. Deutinger (wie Anm. 1) S. 16. Deutinger (wie Anm. 1) S. 20ff. versucht eine Eingrenzung auf die Zeit vor 1179, näherhin auf 1174/77. So Deutinger (wie Anm. 1) S. 22.
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Otto Gerhard Oexle
ker.7 Offensichtlich ist die Wirkung der Überlegungen des Augustinus über den Frieden im 19. Buch von ,De civitate Dei'. 8 Wir werden aber auch sehen, worin und in welchem Maße Rufinus über Augustinus und dessen Vorgaben hinausgeht. Manches spricht dafür, daß Rufinus sein Werk in Montecassino geschrieben hat.9 Hier blieb auch die älteste erhaltene Handschrift (aus dem 13. Jahrhundert) überliefert. Deutinger bezeichnet das Werk als das eines „Außenseiters", der „kühne, zukunftsweisende Gedanken in der biblischen und altkirchlichen Tradition zu verankern sucht" und dessen Absicht es gewesen sei, auf einen „pragmatischen Frieden in einer durch und durch unfriedlichen Zeit" hinzuwirken. Er habe weder einen Vorgänger noch einen unmittelbaren Nachfolger gehabt und sei auch den folgenden Jahrhunderten „völlig unbekannt geblieben". 10 Freilich dürfte nicht unerheblich sein, daß von den beiden anderen erhaltenen Handschriften, beide aus dem Spätmittelalter, die eine aus dem Besitz des Nikolaus von Kues stammt; eine Wirkung auf das Denken des Kusaners ist allerdings bisher nicht nachgewiesen.11
II Was ist das Originelle dieser Schrift?12 Ihr letzter Editor hat vor allem die Äußerungen des Verfassers über den weltlichen Frieden herausgestellt.13 Ulrich Meier akzentuierte, daß Rufinus die „starre" Entgegensetzung von civitas Dei und civitas diaboli sive terrena „aufgebrochen" und zugunsten eines dynamischen Konzepts des Friedens in Welt und Gesellschaft überwunden habe.14 Ähnlich jüngst auch Bern-
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Ebd. Deutinger (wie Anm. 1) S. lf. Vgl. H. Fuchs, Augustin und der antike Friedensgedanke. Untersuchungen zum neunzehnten Buch der Civitas Dei, Berlin 1926, S. 224ff. Deutinger (wie Anm. 1) S. 18. Ebd., S. 28. Ebd., S. 36. Von der älteren Literatur über Rufinus und sein Büchlein sei hier festgehalten: Y. Congar, Maitre Rufino et son De bono pacts, in: Revue des Sciences Philosophiques et Theologiques 41 (1957), S. 428— 444; K. Arnold, De bono pacis - Friedensvorstellungen in Mittelalter und Renaissance, in: Überlieferung - Frömmigkeit - Bildung als Leitthemen der Geschichtsforschung, hg. v. J. Petersohn, Wiesbaden 1987, S. 133-154. Nur bei Congar findet sich ein Hinweis auf die durchgängige Prägung des Gedankengangs durch die Ideen von Vertrag und Mutualität (S. 440 mit Anm. 40). — Zum Frieden im Mittelalter: O. G. Oexle, Formen des Friedens in den religiösen Bewegungen des Hochmittelalters (1000-1300), in: Mittelalter. Annäherungen an eine fremde Zeit, hg. v. W. Hartmann, Regensburg 1993, S. 87-109; ders., Friede durch Verschwörung, in: Träger und Instrumentarien des Friedens im hohen und späten Mittelalter, hg. v. J. Fried, Sigmaringen 1996, S. 115—150. Deutinger (wie Anm. 1) S. 27. U. Meier, Mensch und Bürger. Die Stadt im Denken spätmittelalterlicher Theologen, Philosophen und Juristen, München 1994, S. 28ff.
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hard Töpfer, der zudem als bemerkenswert hervorhebt, daß in der Vorstellung eines „allgemeinen Friedens" {pax generalis) bei Rufinus auch der Friede mit den nichtchristlichen Völkern eingeschlossen sei.15 Es geht aber um mehr und auch anderes. Deshalb zunächst noch einmal eine Rekapitulation des Gedankengangs. Rufinus definiert, mit Anklängen an Augustins berühmte Definition pax omnium verum tranquillitas ordinis, den Frieden im allgemeinsten Sinne als qualiscumque tranquillitas sive concors aliquorum inter se numero differentium habitudo (1,2). Demnach sei, in der einen Hinsicht, der Friede einzelnen von allen {singulis omnium) zuzuweisen, in einer anderen Hinsicht jedoch auch einer „Menge von vielen" und „Gesamtheit von Einzelnen" {universitas singulorum). Im Hinblick auf die vier Träger oder Urheber von Frieden (nämlich Gott, der Teufel, die Engel und die Menschen) ergeben sich demnach acht Erscheinungsformen {species octenae) des Friedens, nämlich: „der Friede Gottes mit sich selbst, der Friede Gottes mit den Menschen, der Friede des Teufels mit sich selbst, der Friede des Teufels mit den Menschen, der Friede der Engel mit sich selbst, der Friede der Engel mit den Menschen, der Friede der Menschen mit sich selbst und der Friede der Menschen mit den Menschen" (I, 2). Den sieben ersten Formen des Friedens ist das erste Buch, den Formen des Friedens der Menschen untereinander das zweite Buch gewidmet. Ist der Friede Gottes mit sich selbst die „unaussprechliche Einheit und Gemeinschaft zwischen dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist", so beruht der Friede Gottes mit den Menschen auf deren Gehorsam gegenüber den göttlichen Geboten. Durch ihr Bündnis (confederari) mit dem Teufel hätten Adam und Eva sich von Gott getrennt, so wie jeder dies tue, der ein Bündnis {associatus) mit dem Teufel schließt. Gott aber habe Christus als Mittler (mediatorj und Versöhner {reconciliator) gesandt und damit den Frieden wiederhergestellt. Und dieser Friedensbund (pacis pactum) mit Gott „erneuert bekanntlich jeder, der dem Teufel und seinem Anhang abzusagen ... verspricht" (I, 4). Der neue Friedensbund {refederart) Gottes mit den Menschen sei umfassender, enger und dauerhafter als der alte Freundschaftsbund {amicitia) Gottes mit dem Volk der „Hebräer": umfassender, weil er eine pax universalis mit allen Menschen und nicht nur eine pax particulans sei; enger, weil er durch den Mittler Christus Menschen nicht nur zu Freunden, sondern sogar zu „Brüdern und Verwandten" Gottes gemacht habe; dauerhafter, weil das neue pactum und foedus pacis Gottes mit der Kirche durch „ewige Gesetze" bestehen bleibe. Dieses foedus pacis sei ein pactum sempiternum (I, 5). Auch der Friede des Teufels mit den Menschen {pax diaboli ad homines; I, 8) beruht, so Rufinus, auf einem Bündnis, einem Vertrag, einer concordatio, nämlich
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B. Töpfer, Urzustand und Sündenfall in der mittelalterlichen Gesellschafts- und Staatstheorie, Stuttgart 1999, S. 202f.
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einem foedus cum morte, einem pactum cum inferno (nach Jesaja 28,15). Ein Bündnis sei auch die Grundlage des Friedens der Engel untereinander, und ebenso verhalte es sich mit dem Frieden der Engel mit den Menschen, der auf der „gemeinsam gewollten Eintracht (coymaginata concordia) gleicher Pflichten zum Gehorsam im Dienst an Gott" und auf der Eintragung der Engel wie der Menschen in die Bürgerliste der himmlischen patria wie in die einer civitas beruhe. Denn Engel wie Menschen stünden in der militia fiir Gott, die einen in höherem Rang, die anderen in niedrigerem, andere wiederum in der Mitte, alle aber nach der Würde ihres Standes (omnes secundum sui ordinis dignitatem);16 alle dienen sie secundum suigradus ordinem unitis animis et studiis dem Herrn.
III Es fällt auf, in welchem Maß Rufinus den Gedanken des Friedens mit dem des Bundes (foedus) und des Vertrags {pactum) verknüpft, also die enge etymologische Verbindung von pax und pactum zum Thema, ja zum zentralen Fundament seiner Überlegungen macht. Dies wird noch deutlicher in seinen Reflexionen über die Formen des Friedens unter den Menschen im zweiten Buch des Werks. Der Friede der Menschen mit den Menschen zeigt sich in drei Erscheinungsweisen (II, 1). Rufinus bezeichnet sie als pax Egipti, pax Babilonie und pax Ierusalem. Die schon oft zitierten Sätze des ersten Kapitels des zweiten Buches seien auch hier noch einmal wiedergegeben: Pax Egipti est malorum in unam pravitatem conspiratio. Pax Babilonie est tarn malorum quam bonorum ab externo velcivili belloprivatave rixa tuta conversatio. Pax Ierusalem Christiane societatisfraternitasestimetur. Die drei Erscheinungsformen des Friedens unter den Menschen werden also definiert als „die Verschwörung der Bösen zu gemeinsamer Schlechtigkeit", als das „Zusammenleben von Bösen und Guten in der Sicherheit vor äußerem Krieg, Bürgerkrieg und privatem Streit" und als die „Brüderlichkeit der christlichen Gesellschaft" oder „Gemeinschaft".17 Jede dieser drei Formen des Friedens beruht auf einer bestimmten „Gemeinsamkeit" (communio): Die der Verbrechen, die einer gemeinsamen Nutzung von Gütern (communio rerum), die der gemeinsamen Fähigkeit zur Ausübung aller Tugenden. Und weiter: Pacem ergo Egipti diabolus, pacem Babilonie mundus, pacem Ierusalem conciliat Chri-
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Über ordo und militia und andere Ausformungen des Ständedenkens im Mittelalter: O. G. Oexle, Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit im frühen und hohen Mittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte des Wissens, in: Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme, hg, v. F. Graus, Sigmaringen 1987, S. 65-117Uber societas als .Ganzes' oder ,Teil' von .Gesellschaft' im Mittelalter: P. Michaud-Quantin, Universitas. Expressions du mouvement communautaire dans le moyen-äge latin, Paris 1970, S. 84ff.
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stus. Den Frieden Ägyptens bewirken superbia, impunitas und contumacia, den Frieden Babylons iustitia, humanitas und prudentia; den Frieden Jerusalems Caritas, pietas und humilitas. Schon in den Bezeichnungen der drei Frieden löst sich Rufinus von der Tradition. Bei Augustinus und jenen, die sich ihm auch im 12. Jahrhundert anschlossen,18 steht der „Friede Babylons" im Zeichen der „Vermischung" der beiden civitates; er ist der Friede eines Volkes, das Gott fern steht; daß es diesen Frieden gibt, ist zwar auch dem Volk Gottes gelegen, und deshalb habe der Apostel die Kirche ermahnt, „für die Könige und Hoheiten Babylons zu beten", damit — wie Augustinus mit dem Apostel (1 Tim. 2,2) sagt — „wir ein ruhiges, stilles Leben fuhren mögen". Aber, so Augustinus: in diesem Frieden müsse das Volk Gottes „neben Babylon pilgern".19 Die bekannte Dichotomie der beiden civitates und ihrer kontradiktorischen Bestimmungen (zeitlich/ewig, weltlich/himmlisch, des Teufels/Christi20) wird von Rufinus jedoch aufgehoben. Der Friede Babylons ist der weltliche Friede im Sinn einer unentbehrlichen Voraussetzung fur das Gedeihen von ,Staat' und Gesellschaft'. Babilonica, hoc est mundana pax, heißt es im neunten Kapitel des zweiten Buchs lapidar.21 Diesen weltlichen Frieden aber macht nicht der Teufel, sondern — die Welt (mundus) (II, 1). Mit der Erinnerung an „Babel" (nach Genesis 11,2) konstituiert Rufinus hingegen seine Ausführungen über den Frieden der Bösen, die pax Egipti. Wie aber wirken iustitia, humanitas und prudentia zugunsten des Friedens der Welt, wie macht „die Welt" den „weltlichen Frieden"? Wie kann zum Beispiel die Gerechtigkeit, die doch zu den Kardinaltugenden zählt, weltlichen Frieden bewirken? Rufinus erläutert (II, 8), daß unter Gerechtigkeit nicht so sehr die göttliche oder eine politische als vielmehr die „natürliche" zu verstehen sei, die „mit einem anderen Begriff Gleichheit (equitas) genannt wird".22 Diese beziehe sich auf die Abstammung von denselben Eltern, auf die gemeinsame Nutzung aller Dinge (omnium rerum usus communis)23 und das gemeinsame Wohnen im „Haus dieser so überaus weiten Welt",24 das Reiche und Arme, Adlige und Niedriggestellte, Alte
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Zum Beispiel in der .Chronik' Ottos von Freising (Vorwort zum ersten Buch): Cum enim duae sint civitates, una temporalis, alia eterna, una mundialis, alia caelestis, una diaboli, alia Christi, Babyloniam banc, Hierusalem illam esse katholici prodidere scriptores. Weitere Äußerungen referiert Deutinger (wie Anm. 1) S. 26f. Augustinus, D e civitate Dei, XIX, 26. Vgl. Anm. 18. Vgl. II, 18 (Deutinger, wie Anm. 1, S. 142): Pax Babilonie, mundi scilicet. Darüber Töpfer (wie Anm. 15) S. 202. Vgl. II, 8 (Deutinger, wie Anm. 1, S. 118): Cum itaque hec iustitia naturalis mundum ipsum et omnia, que in eo sunt, censuerit esse communia, ... Zur Metapher vom Haus der Welt: U. Meyer, Soziales Handeln im Zeichen des .Hauses'. Zur Ökonomik in der Spätantike und im früheren Mittelalter, Göttingen 1998, S. 102ff.
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und Junge umschließe. Domus ista communis est omnibus, wiederholt Rufinus und beschreibt das Haus der Welt in allen seinen Einzelheiten. Während die natürliche Gerechtigkeit zunächst alles allen zur gemeinsamen Nutzung gab (omnibus omnia fecent consortiva),25 habe die Habgier später einzelne Besitzrechte an einzelne verteilt und damit Streit und Kriege entfesselt. Die Aufhebung dieses Zustands könne deshalb nur durch die Rückkehr zur Gerechtigkeit als einer Rückkehr in die „Gnade der früheren Gemeinsamkeit" (ad, integrum veteris communitatis gratiam) geschehen, zur „Gleichheit der natürlichen Gerechtigkeit" (naturalis iustitiae equitas), um darin Freundschaften einzugehen, Verwandtschaften zu begründen und in gemeinsamem Gespräch und gemeinsamen Lebensweisen {mores) damit zu beginnen, „sich der Dinge gemeinsam zu bemächtigen". Zwar unterscheide sich der durch die Gerechtigkeit geschaffene Friede Babylons von dem mit größeren Verdiensten ausgezeichneten Frieden Jerusalems. Gleichwohl könne man aber sagen - eben weil alle Menschen von derselben Art seien: ebensowohl nach dem „Gesetz des Fleisches" wie wegen ihrer Gottähnlichkeit - , daß es letztlich die göttliche Gerechtigkeit sei, die den Frieden Babylons bewirke. Durch die Klugheit (II, 10) erhalte er seine Festigkeit, weil diese alle Anlässe zu Streit und Aufruhr zu vermeiden wisse und so die pacis federn festige. Was aber ist, und diese Frage fuhrt in die Mitte der Überlegungen des Rufinus, die humanitas? Die Frage wird in dem zentralen Kapitel II, 9 beantwortet. Das Fundament der humanitas ist die Gegenseitigkeit, die wechselseitige Unterstützung: Humanitas autem qua hec Babilonie pax alitur, quaedam humanarum necessitatum collativa subventio est. Wechselseitigkeit, Mutualität, Reziprozität erhält alles Leben der Menschen untereinander, handle es sich um wechselseitige Hilfeleistungen (mutua suffragia) oder um den Tausch, den der Handel {alterna commercia) ermöglicht. Rufinus erläutert das mit Hilfe des Deutungsschemas der funktionalen Dreiteilung, das ihm wohlbekannt war:26 „Die Ritter beschützen mit ihren Waffen die Bauern, die Bauern ernähren die Ritter durch Frondienste und Abgaben". Und was dem einen Land an notwendigen Gütern fehle, das sei anderswo vorhanden, so daß bei tausendfachen Arten von Dingen die menschliche Hinfälligkeit der gegenseitigen Hilfe bedürfe, und eben daraus gehe die Menschlichkeit hervor, weil die im Frieden Babylons untereinander Verbundenen (federati) im wechselseitigen Austausch der Güter den Mangel der einen durch den Überfluß der anderen beheben könnten.27 Es verhalte sich hier wie mit der gegenseitigen Stützung (vicarius complexus) ineinandergefugter Steine im Mauerwerk eines Gebäudes.
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Der Begriff consortivus bezieht sich auf .consortium', Teilhaberschaft, Genossenschaft zu gleichen Teilen; vgl. Michaud-Quantin (wie Anm. 17) S. 133ff. Vgl. Arnold (wie Anm. 12) S. 141. Anders Deutinger (wie Anm. 1) S. 5. Zur funktionalen Dreiteilung im frühen und hohen Mittelalter: Oexle (wie Anm. 16) S. 89ff. Kap. II, 9 (Deutinger, wie Anm. 1, S. 120)·.... sicque per alia millena verum genera humanamortalitas
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Damit diese Menschlichkeit sich entfalten könne, bedürfe es der Sprachkenntnisse. Auch dies gilt Rufinus als eine Form der Gegenseitigkeit zur .Vergesellschaftung' der Menschen (subventio collativa adconsociandos homines). Denn die Fremdheit einer unbekannten Sprache erzeuge Unmenschlichkeit. Gabentausch und Mutualität sind aber auch die Bedingungen von Herrschaft (dominatio), nämlich „um den Frieden zwischen Königen und Völkern, Vorgesetzten und Untergebenen zu nähren, damit vom König dem Volk Schutz gewährt wird und vom Volk dem König die bürgerlichen Steuern bezahlt werden". Auch hier geht es also um Gegenseitigkeit: von providentiae sollicitudo auf Seiten der Vorgeordneten, von devotio oboedientiae auf selten der Untergebenen. In dieser „notwendigen Unterstützung" (.necessaria subventio) begegnen sich beide Seiten, so daß die eine ohne die andere „nicht bestehen kann". Ja, diese notwendige subventio von Providentia regum und populi obsequium stelle einen unausgesprochenen Vertrag, eine pactio tacita zwischen dem Herrscher und seinem Volk dar: allein eine „humane" Regierung habe Anspruch auf Steuern und Abgaben - und auch dies wird von Rufinus als ein foedtis gedacht, das unmittelbar die „Eintracht des Friedens" bewirkt. Wird dieses foedus mißachtet, sei es durch Verweigerung der geschuldeten Dienste oder durch Unterdrückung mit tyrannischen Gesetzen, so werde eben durch Unterdrückung und Aufstand zugleich mit dem Frieden selbst das Recht der Herrschaft (ius prelationis) aufgehoben und gehe die Herrschaft auf einen anderen Herrscher über {regnum transmutatur). Rufinus begründet also die sehr spezifische Auffassung von einem durch die Gegenseitigkeit der Leistungen begründeten und ständig aufrechterhaltenen Herrschaftsvertrag (II, 9).28 Frieden dieser Art aber solle man nicht nur mit „Hausgenossen und Christen", sondern auch mit „Fremden, Barbaren und Heiden" halten (II, 11), - keinesfalls aber mit jenen Unheilstiftern, Verbrechern und Aufrührern, die sich in der pax Egipti zusammengeschlossen haben (II, 12). Weltlicher Friede beruht also auf Verträgen, deren Inhalte durch wechselseitige Hilfe und den Tausch materieller und immaterieller Güter, durch mutua officia und utilia commercia konstituiert werden. 29 Die Grundlage des Friedens in der Welt und in allen seinen Formen ist Gegenseitigkeit, Gabentausch, die Wahrnehmung wechselseitiger Pflichten, das wechselseitige Geben und Nehmen. Rufinus skizziert damit zugleich eine Theorie der Vergesellschaftung' durch Frieden und des Friedens durch .Vergesellschaftung',30 eine Theorie von ,Gesellschaft' und .Herrschaft' (und zwar in dieser Reihenfolge), die seiner Schrift über den Frieden ein ganz singuläres Gepräge gibt.
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vicissim sibi opus habeat subvenire, processit humartitas, que iam in pace Babilonie federatis alternam penuriam ex alterna copia hiis permutationibus sustentaret. Töpfer (wie Anm. 15) S. 203. So in Kap. II, 9 (Deutinger, wie Anm. 1, S. 122). Vgl. II, 23 (Deutinger, wie Anm. 1, S. 162) über die mundane pacis consociatio.
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Augustinus folgend31 unterscheidet auch Rufinus den Frieden des Erdkreises (orbis), des Gemeinwesens (civitas) und des Hauses (domus), als pax generalis, pax civilis und pax domestica. Rufinus fugt noch die pax privata der Freundschaft (amicitia) hinzu. Der allgemeine Friede zwischen den verschiedenen Reichen und Provinzen mache Märkte und Sprachen gemeinsam, die pax civilis konstituiere den (lokalen) Markt, das Heiligtum, die Gesetze und consuetudines; der häusliche Friede sichere den Besitz, das Haus, das Zusammenleben und in den ehelichen Bindungen auch das Bett, die Gräber und die Denkmäler der Vorfahren (II, 15).32 Und dieses Geflecht von Friedensordnungen als Bündnissen und Verträgen in ihrer Vielfalt und wechselseitigen Verschränkung habe sogar eine natürliche Grundlage, weil auch die Elemente der Schöpfung untereinander „verbündet" (federata) sind, nämlich in einem „natürlichen Frieden der ganzen Welt" (II, 18). Zugleich aber sei dieser weltliche Friede auch der „Weg" und die „Leiter", durch die man zum Frieden Jerusalems gelangt, ja, der Friede der Kirche wird vom weltlichen Frieden „umschlossen" und in diesem „bewahrt" (II, 18).
IV Es erstaunt nach alledem nicht, daß Rufinus auch den Frieden Jerusalems, den Frieden der Kirche also, und daß er die religiöse Gemeinschaft der Christen nicht auf Gehorsam und Unterordnung gründet, sondern als einen Bund (feodus), als einen Vertrag kennzeichnet, in dem es um nichts anderes gehe als beim weltlichen Frieden. Fiat pax dando et accipiendo, sagt er pointiert: „Friede entsteht durch Geben und Nehmen". 33 Der Friede der Kirche wird durch cantos,pietas und humilitas geschaffen (II, 20—22). Und auch dabei geht es immer um Wechselseitigkeit und Gabentausch, hier um die wechselseitige Leistung von Diensten der Frömmigkeit unter Brüdern (alternatum interfratrespietatis officium) und um den Tausch geistlicher und irdischer Güter (spiritualium carnaliumque permutatio). Gemeint sind hier zum einen die Werke der Barmherzigkeit, mit denen dem Mangel an geistlichen und weltlichen Gütern in wechselseitiger brüderlicher Liebe abgeholfen wird, gemeint sind zum anderen (und auch hier begegnet wieder ein Element der funktionalen Dreiteilung34) die wechselseitigen Leistungen zwischen den Predigern und den Mitgliedern ihrer Gemeinden, von denen die einen „geistliche Dinge aussäen"
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De civitate Dei, XIX, 13. Vgl. II, 18 (Deutinger, wie Anm. 1, S. 144) über die umfassenden Wirkungen des „Friedens Babylons". Siehe II, 21 (Deutinger, wie Anm. 1, S. 152 und 154; hier das Zitat im Text) und II, 26 (ebd. S. 168): Pax ecclesie, quam in dandi et accipiendi pietate disputavimus contineri. Siehe oben Anm. 26.
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und „geistliche" Speise geben, um von den anderen dafür mit den Mitteln fleischlicher Nahrung ihren Unterhalt zu bekommen. Dominant ist auch hier die Metapher des Marktes: die Priester sind Kaufleute (negotiatores), die fur das Volk der Gläubigen die „notwendigen Güter" zusammenbringen, indem sie wie andere Kaufleute „auf dem Markt zusammenkommen und ... nützliche Waren tauschen", um davon allen zu geben, was sie brauchen, und von ihnen wiederum zu erhalten, wessen sie selbst bedürfen. Vertragshandeln bestimmt das Handeln der kirchlichen Oberen wie das der ihnen Untergebenen. Ja, die Kirche selbst ist ein „Markt" {forum), auf dem „wie an einem zentralen Ort Menschen verschiedener Herkunft (natio) zusammenkommen", daniio et recipiendo (II, 21), - eine erstaunliche und wohl singuläre ,Ekklesiologie'. Kirchlicher wie weltlicher Friede sind demnach „beide gut", wobei der weltliche Friede vor allem im Unterlassen von Schaden, der kirchliche aber in der Pflicht, nach Möglichkeit Gutes zu tun, seinen Sinn finde, wie Rufinus in einem großen Kapitel über die Unterschiede zwischen den beiden Formen des Friedens darlegt (II, 23). Auch wenn der kirchliche Friede durch die drei Fundamente der Einheit des Glaubens, der Einmütigkeit des Willens und der Gleichartigkeit der Lebensweisen {mores) gestützt sei, so bedeute das doch keineswegs, daß solche Eintracht sofort herzustellen sei. Denn teils wegen der Schwäche der Menschen, teils auch wegen der über den ganzen Erdkreis verstreuten großen Zahl der Gläubigen, in der Vielzahl der Völker, in der Unterschiedlichkeit von Kleidung, Aussehen und Sprache, sei es nach Maßgabe aller menschlichen Gegebenheiten unmöglich, daß alle Menschen „ganz und gar eines Willens und einer Lebensart" sein können, daß alle in derselben Gestimmtheit ( a f f e c t i o ) und Lebensart (moralitas) zusammenfinden; denn: aliis alia placent (II, 24). Und auch der Friede der Kirche hat seine .natürliche', in diesem Fall eine kosmische , Affini tat": fraterne pacis societas concinnitati sonorum afßnis (est), ist er doch „verwandt" mit der Harmonie der Töne, gemeint ist: mit dem Zusammenklang der Planeten (concentus planetaruni). So wie von den sieben Planeten die Weltharmonie erzeugt wird, so wird durch die siebenfache Gnade des Heiligen Geistes die societas nostrepacis vereint (concordatur) (II, 26). Von diesem Frieden der Kirche sind nur zwei Gruppen von Menschen ohne jede Barmherzigkeit auszuschließen: Schismatiker und Häretiker (II, 29).
V Was aber ist unter der pax Egipti als einer „Verschwörung der Bösen zu gemeinsamer Schlechtigkeit" (II, 1) zu verstehen? Mit der Bezeichnung „Frieden Ägyptens" schließt sich Rufinus an die patristische Tradition an, die auch sonst bei Autoren des 12. Jahrhunderts wirksam blieb, wie
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Yves Congar gezeigt hat.35 Demnach steht »Ägypten' für .Unterdrückung' und wurde deshalb in imagine hujus saeculi und im Sinne der ajflictio populi Dei (Augustinus) verwendet. In der Karolingerzeit verband man damit die Vorstellung von tribulatio veltenebrae. Im 12. Jahrhundert verknüpften Rupert von Deutz und andere Autoren den Begriff erneut mit der Vorstellung von .Finsternis',,Sünde', .Heidentum', .Hölle' und so fort. Was aber meint Rufinus von Sorrent konkret damit? Heutige Interpreten des Begriffs haben ihn bisher mit einer allgemeinen Vorstellung von Bosheit und Schlechtigkeit erklärt. Diese Deutung aber paßt nicht zu den Darlegungen eines Traktats, dessen Verfasser, wie wir gesehen haben, in streng ternären Argumentationsmustern bei den Beschreibungen der verschiedenen Formen der .Vergesellschaftung' der Menschen zugleich immer auch sehr konkrete Verhältnisse vor Augen hat. Demnach müßten auch bei der pax Egipti konkrete Vertragsverhältnisse, konkrete Verhältnisse der Gegenseitigkeit zur Herstellung von Frieden gemeint sein, wenn man die Struktur des ganzen Gedankengangs in seiner Gegenüberstellung der drei Formen von Frieden unter den Menschen als Formen von pactum und foedus ernst nimmt. An anderer Stelle habe ich vorgeschlagen, den Begriffpax Egipti bei Rufinus auf die städtischen Kommunen des 12. Jahrhunderts zu beziehen, die sich ja als partikulare Gruppen zur Herstellung und Sicherung von Frieden verstanden haben.36 Dem wurde widersprochen mit dem Argument, daß Rufinus in seiner Definition dieser pax (II, 1) nicht von einer conjuratio, sondern vielmehr von einer conspiratio spreche und daß die italischen Kommunen des 11. und 12. Jahrhunderts sich im Zeichen von Caritas, dilectio, fraternitas, unanimitas und humilitas selbst definiert hätten, — wie hätte Rufinus ihnen das absprechen können?37 Aber gerade darum geht es. Die gegen die Annahme der Identität von pax Egipti und städtischer Kommune bei Rufinus vorgetragenen Argumente überzeugen nämlich deshalb nicht, weil conspiratio und conjuratio austauschbare Begriffe sind: sie bezeichnen dieselbe Art der Gruppenbildung, das eine Mal im Blick auf ihre rechtlich-soziale Form der durch einen wechselseitig geleisteten Versprechenseid konstituierten Bindung, das andere Mal im Sinn eines Diffamierungsbegriffs, wofür es anschauliche Beispiele gibt.38 Es geht hier also um den Unterschied von Selbstbezeichnung und Fremd-
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Congar (wie Anm. 12) S. 435 Anm. 23. Oexle, Formen des Friedens (wie Anm. 12)S. 90f.; ders., Friede durch Verschwörung (wie Anm. 12) S. 125f. Deutinger (wie Anm. 1) S. 6. Zu diesem Selbstverständnis der italischen Stadtkommunen: H. Keller, Einwohnergemeinde und Kommune: Probleme der italienischen Stadtverfassung im 11. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 224 (1977), S. 5 6 1 - 5 7 9 , S. 570ff. Dazu Oexle, Friede durch Verschwörung (wie Anm. 12) S. l 4 l f f .
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Bezeichnung, von Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung. 39 Es ist ein Kennzeichen filr die Wahrnehmung der Kommunen in der Zeit ihrer Genese und Entfaltung - in Frankreich wie in Italien —, daß ihre Selbstdeutung im Zeichen von cantas, fraternitas, unanimitas und humilitas und ihre Wahrnehmung und Deutung als eine verbrecherische Vereinigung durch Außenstehende gleichzeitig begegnen. 40 Dies gilt übrigens auch für andere Erscheinungsformen der conjuratio.AX Auch fällt auf, daß Rufinus in seinen Darlegungen über die pax Egipti sich aller jener Stichwörter bedient, die schon seit Spätantike und Frühmittelalter das Imaginarium Außenstehender über solche Formen der Gruppenbildung auf der Grundlage eines wechselseitig geleisteten Versprechenseides zu gegenseitigem Schutz und gegenseitiger Hilfe bestimmt haben und zur Abwehr und Diffamierung aller Arten von conjurationes Verwendung fanden. 42 Eine zentrale Rolle nahm hier immer der Vorwurf der superbia ein,43 als der Wurzel alles Bösen, die auch Rufinus neben impunitas (Zügellosigkeit) und contumacia (Ungehorsam) als Fundament der pax Egipti bezeichnet hat (II, 1; bes. 3) und die er als den kontradiktorischen Gegensatz zur humilitas der pax Ierusalem, des Friedens in der Kirche, ausgiebig erörtert (II, 22). Dem Anspruch der Kommunen, Caritas, pietas und humilitas zu verwirklichen, wird explizit eine Absage erteilt; dieser Anspruch soll als Tarnung des Bösen entlarvt werden, weil allein der Friede der Kirche als der Gemeinschaft aller Christen durch Caritas, pietas und humilitas bewirkt wird, nicht aber die angebliche Friedensgemeinschaft der Kommune in ihrer Partikularität. Ebenso ist es der Friede Babylons, der das Gemeinwesen fördert (producit rempublicam), die Macht erweitert {propagat potentiam) und die „Freiheiten adelt" {libertates nobilitat) (II, 18). Der Friede Ägyptens und seine „Eintracht verderbter Gemeinschaft" hingegen sind das „Fleisch des Leviathan", eine pessima pax, eine execrabilis pax (II, 5), ein „Bund der Gottlosen" (II, 6). Gegen ihn müssen alle und müsse man ohne Unterlaß friedlos bleiben (adversus hancpacem ... impacatus), diesem Frieden müsse man „Haß entgegensetzen", und wo immer man diesen „verderbenbringenden Frieden"
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Ebd., S. I44ff. Dies zeigt besonders anschaulich der Bericht über die Entstehung der Stadtkommune von Le Mans (1070), der in der vorliegenden Form im 12. Jahrhundert abgefaßt wurde: Oexle, Friede durch Verschwörung (wie Anm. 12) S. I4lff. Dazu O. G. Oexle, Die Kaufmannsgilde von Tiel, in: Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und frühgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa, Teil VI: Organisationsformen der Kaufmannsvereinigungen in der Spätantike und im frühen Mittelalter, hg. v. H. Jankuhn/E. Ebel, Göttingen 1989, S. 173-196. Dazu O. G. Oexle, Conjuratio und Gilde im frühen Mittelalter. Ein Beitrag zum Problem der sozialgeschichtlichen Kontinuität zwischen Antike und Mittelalter, in: Gilden und Zünfte. Kaufmännische und gewerbliche Genossenschaften im frühen und hohen Mittelalter, hg. v. B. Schwineköper, Sigmaringen 1985, S. 151-214, S. 151ff., 161ff„ 195ff. Dazu Oexle (wie Anm. 42) S. I69ff.
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antreffe, müsse man ihn „mit dem Schwert des Wortes und dem Feuer göttlichen Eifers zerschlagen und verbrennen" (II, 7). Diese bedingungslose Pflicht zum Kampf gegen solchen Scheinfrieden, mit dem sich eine ,kriminelle Vereinigung' tarnt,44 ist im Gedankengang des Rufinus parallel angeordnet zu seinem Aufruf zur ebenso bedingungslosen Bekämpfung der Schismatiker und Häretiker, die die „Keuschheit des Friedens der Kirche beschmutzen und verderben, da die einen sich nicht scheuen, die Eintracht der katholischen Einheit durch Spaltungen zu zerreißen, die anderen, sie durch Irrlehren zu zerstükkeln, und so schmeichelnd zu Raub und Mord verführen"; jede andere Schuld sei, gemessen an diesem Verbrechen der Schwächung kirchlicher Eintracht durch Schismatiker und Häretiker, „für leicht und verzeihlich zu erachten" (II, 29). Ein starkes Wort, - und es ist vergleichbar mit dem harten Urteil über die Verderbtheit und Ruchlosigkeit der pax Egipti: nur wer gegen diesen Frieden friedlos sei, dürfe vor Gott als friedfertig gelten. Mit dieser gleichartigen Beurteilung von Kommune und Häresie hat Rufinus einen Zusammenhang suggeriert, der nur wenig später, etwa bei Jakob von Vitry, dann explizit thematisiert wurde:45 die Stadtkommunen seien die Zentren, Nester und Brutstätten der Häresie und müßten auch als solche bekämpft werden. Die Verbrechen der Kommune hat Rufinus im 12. Kapitel des zweiten Buches ausfuhrlich erörtert. Denn es sind — wie hier erläutert wird - drei Arten von Menschen, mit denen weltlicher Friede unter keinen Umständen gehalten werden dürfe: pestilentes, persequentes und rebelies. Verderbenbringend sind sie, weil sie unter dem Vorwand (mediante) des Friedens Babylons den „Bund des ägyptischen Friedens mit uns schließen wollen", also unter dem Schein weltlichen Friedens in Wahrheit diesen zerstören. Mit solchen Menschen dürfe man „keinerlei Vertrag schließen", sondern müsse sie vielmehr „bis zur Vernichtung bekämpfen". Und auch wenn es sich dabei um nahestehende, vertraute Menschen, gar um „Mitbürger, Hausgenossen, Brüder, Söhne oder Eltern" handle, sei es eine „heilige Friedenspflicht", gegen sie mit dem Schwert der Rache vorzugehen. Persecutores seien solche Menschen, insofern sie den Zustand allgemeiner Eintracht und die Achtung vor der allgemein anerkannten Moral zu vernichten versuchten, ungehindert „grausame Verbrechen" begehen und noch Schandtaten solempnioris infamiae im Sinn hätten. Aufrührer (rebelies) schließlich sind jene, die das „Joch legitimer Herrschaft" {legitimae dominationis) abschütteln wollen, sich eine unerlaubte Freiheit anmaßen
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So der Vorwurf gegen die Conjuratio der Caputiati in den 1180er Jahren: O. G. Oexle, Die Kultur der Rebellion. Schwureinung und Verschwörung im früh- und hochmittelalterlichen Okzident, in: Ordnung und Aufruhr im Mittelalter. Historische und juristische Studien zur Rebellion, hg. v. M. Th. Fögen, Frankfurt a. M. 1995, S. 1 1 9 - 1 3 7 , S. 129ff; ders., Friede durch Verschwörung (wie Anm. 12) S. 1 4 6 E
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Pax und Pactum
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(libertatem sibi illicitam ursurpare), Amtsträger (legatespublicos) vertreiben, die regalia decreta mißachten und die allgemeinen Abgaben und Steuern nicht zahlen wollen. Mit diesen Äußerungen nimmt Rufinus eben jenen Katalog von Deutungsmustern, von Vorwürfen und Anschuldigungen auf, der im 12. Jahrhundert immer wieder gegen die städtischen Kommunen erhoben wurde: der Ungehorsam gegenüber den Gesetzen und die Rebellion gegen denprinceps (Otto von Freising46); die Abschüttelung des Joches der Unfreiheit (Guibert von Nogent über die Kommune von Laon 47 ); die Beseitigung von allgemeinem, königlichem wie kirchlichem Recht und seine Ersetzung durch ein partikulares Willkür-Recht;48 das Streben nach libertas, das in Wahrheit Rebellion und Umsturz der von Gott gewollten Ordnung sei.49 Sollte Rufinus, den man treffend als einen Kenner der „korporativen Ideen und vielgestaltigen Gemeinschaftsbildungen seiner Zeit" kennzeichnen kann,50 gerade jene die Gesellschaft und das Denken seiner Zeit so tief prägende Frage nach der Legitimität städtischer Kommune ignoriert, sollte er gerade dazu geschwiegen haben, obwohl doch gerade die Kommune als conjuratio einen Inbegriff von Vertragshandeln darstellte und ihr Ziel explizit in der Schaffung von Frieden und Recht durch Vertrag sah? Dies ist wenig wahrscheinlich. Die Reflexion des Rufinus über die Kommunen und sein Urteil über sie ist vielmehr in seiner Reflexion über den „Frieden Ägyptens" impliziert. Die pax Egipti ist nichts anderes als die Kommune. Gerade weil er seine Auffassung vom Frieden konsequent auf die Formen des Vertragshandelns von Menschen fundierte, hat Rufinus seine Verurteilung der Kommunen so entschieden formuliert. Seine scharfe Verurteilung der Kommune als Inbegriff des Bösen unter dem bloßen Anschein des Friedens ist um so entschiedener ausgefallen, als sie dem Anspruch der Kommune, Frieden durch Vertrag schaffen zu können, entgegenzutreten beabsichtigte.
VI Gewiß: Rufinus hat in seiner Schrift über den Frieden Gedanken des Augustinus aus dem 19. Buch von ,De civitate Dei' aufgenommen. Auch in ,De bono pads' begegnen wir der Trias von pax orbis, pax urbis und pax domus (II, 15). Aber auch
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Otto von Freising, Gesta Frederici II, 14.
47
Guibert de Nogent, Autobiographie, hg. v. E.-R. Labande, Paris 1981, S. 322, 324. Andere Beispiele: Oexle, Friede durch Verschwörung (wie Anm. 12) S. I46f.
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Oexle, Friede durch Verschwörung (wie Anm. 12) S. I44ff. Ebd., S. I44f. So Meier (wie Anm. 14) S. 29f., und zuvor bereits Congar (wie Anm. 12) S. 440f. und Arnold (wie Anm. 12) S. 142.
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Otto Gerhard Oexle
die Differenz zum Denken Augustins ist deutlich. Bei Augustinus wird der Friede durch die tranquillitas ordinis definiert. ,Ordo' aber ist die Anordnung der gleichen und ungleichen Dinge in der Zuweisung eines jeden an seinen Ort. 51 Friede ist demnach kosmologisch und ontologisch definiert als die Weltordnung einer Harmonie in der Ungleichheit, also in Über- und Unterordnungen.52 Friede ist geordnete Eintracht (ordinata concordia), das geordnete Zusammenstimmen der Teile (ordinata temperature.partium) in einem Ganzen, und zwar in allen seinen Formen. Das Fundament des Friedens ist deshalb stets der Gehorsam (oboedientia). Der Friede zwischen den Menschen und Gott beruht auf dem menschlichen Gehorsam gegenüber dem „ewigen Gesetz" Gottes. Und ebenso gilt dies fur die Formen des Friedens unter den Menschen. Die pax domestica ist die „geordnete Eintracht des Befehlens und Gehorchens" im Hause; die pax civitatis ist die ordinata imperandi atque oboediendi concordia civium; die pax civitatis coelestis schließlich ist die „vollkommen geordnete und vollkommen einträchtige societas derer, die Gott genießen". Die Eintracht des Befehlens und Gehorchens aber konstituiert Herrschaft. Weltlicher Friede in Haus und Gemeinwesen ist für Augustinus also durch Herrschaft begründet und gesichert. Demgegenüber befinden wir uns bei Rufinus in einer anderen Welt des Nachdenkens über Politik und Gesellschaft. Nur das pactum pacis Gottes mit den Menschen ist an den Gehorsam der Menschen gegenüber den göttlichen Geboten gebunden (I, 4), und entsprechend beruht auch der Friede zwischen Engeln und Menschen auf dem beiden .Gesellschaften' gemeinsamen Gehorsam im Dienst an Gott (I, 11). Aber schon der Gehorsam der Untergebenen gegenüber ihren Vorgesetzten und des Volkes gegenüber dem König ist Grundlage eines Vertrags (pactio) und hat seine vertraglich vereinbarte Entsprechung im Schutz und in der Sorge der Vorgesetzten und Herrscher. Nicht Befehl und Gehorsam schafften Frieden, sondern Bund und Vertrag, die auch die vorgeordnete Bedingung für das Bestehen und die Legitimität von Herrschaft (